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German Pages 301 Year 2017
Schriften zum Strafrecht Band 304
Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht Von
Christoph Buchert
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTOPH BUCHERT
Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht
Schriften zum Strafrecht Band 304
Die unternehmensinterne Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen aus strafrechtlicher Sicht
Von
Christoph Buchert
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.
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© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15005-2 (Print) ISBN 978-3-428-55005-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85005-1 (Print & E-Book)
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2016 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte angenommen. Sie entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht von Univ.-Professor Dr. Volker Erb. Das Rigorosum fand am 7. Juni 2016 statt. In der aktualisierten Druckfassung konnten Rechtsprechung und Literatur bis August 2016 berücksichtigt werden. Anlass der Arbeit waren meine Eindrücke als Mitarbeiter in der Kanzlei meines Vaters, Herrn Rechtsanwalt Dr. Rainer Buchert. Hier durfte ich aus erster Hand erfahren, welch enorme Bedeutung die interne Aufklärung von Regelverstößen in der Praxis besitzt und wie rasch die intern ermittelten Erkenntnisse zur Grundlage eines Strafverfahrens werden. Einheitliche Standards konnten bislang aber weder für den Prozess der Befragung von beschuldigten Mitarbeitern noch für den Transfer der privat ermittelten Erkenntnisse in das staatliche Strafverfahren entwickelt werden. Vor allem die Rolle der Staatsanwaltschaft und der gerichtliche Umgang mit intern erlangten Unterlagen sind wenig beleuchtet. Es ist mein Anliegen und Ziel der Arbeit, einen Beitrag zu diesem Ausschnitt der Compliance-Debatte zu leisten und praxisgerechte Lösungen aufzuzeigen. Schließlich möchte an dieser Stelle den Menschen danken, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Folgende Personen sind namentlich hervorzuheben: Meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Volker Erb danke ich für die hervorragende Betreuung der Arbeit. Er hat mich von Anfang an in meinem Vorhaben bestärkt und mir bei der Anfertigung der Arbeit größte Freiheit gewährt. Auf meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl blicke ist stets mit Freude zurück. Herrn Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder danke ich für die überaus zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Anregungen hinsichtlich des arbeitsrechtlichen Teils der Arbeit. Meinen Freunden und insbesondere meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl Erb sowie Frau Rechtsassessorin Johanna Roth und Frau Richterin Claudia Kurz danke ich für fruchtbare Diskussionen, bereichernde Kaffeerunden und das notwendige private Glück. Besonderen Dank schulde ich schließlich meinen Eltern, Dr. Rainer und Jutta Sofie Charlotte Buchert, die mir meine Ausbildung erst ermöglicht haben und auf
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Vorwort
deren Unterstützung und Fürsorge ich stets vertrauen durfte. Ihnen widme ich diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit. Stuttgart, im August 2016
Christoph Buchert
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Zum Phänomen unternehmensinterner Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1. Kapitel Bestandsaufnahme: Die unternehmensinterne Befragung als repressives Herzstück eines effektiven Compliancesystems 25 A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Primärziel: Haftungsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Das moderne Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Schutz des Kollektivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Allgemeine Verschärfung des strafrechtlichen Risikos im Wirtschaftsleben 28 2. Konkrete Strafbarkeitsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Geschäftsherrenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 aa) Bestehen von Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 bb) Die revolutionäre (?) Nebenbemerkung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Aufsichtspflichtverletzung und Unternehmensgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . 35 aa) Die Vorschrift des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Die Regelung des § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 cc) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 dd) Einführung eines Unternehmensstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Der Tatbestand der Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Führungspersonen als potentielle Untreuetäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Instrumentalisierung der Untreue für die Strafverfolgung . . . . . . . . . . . 43 d) Pflicht zur Einführung von Compliance-Systemen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Herleitung über § 91 Abs. 2 AktG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Compliance-Pflicht durch Gesamtanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 cc) Faktische Pflicht und zunehmende Verstrafrechtlichung . . . . . . . . . . . . 45 e) Vermögensabschöpfung und Verfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 f) Extension durch Internationalisierung des Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . 48 aa) Vereinigte Staaten von Amerika (USA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
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Inhaltsverzeichnis bb) Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland (UK) . . . . . . . . 50 cc) Internationale Harmonisierung durch nationales Strafrecht . . . . . . . . . . 51 dd) Einfluss auf nationales Recht: Maßstab für eine deutsche „best practice“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Außerstrafrechtliche Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Ausschluss von öffentlichen Aufträgen („Blacklisting“) . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Behinderung der Geschäftstätigkeit durch behördliche Ermittlungen . . . . . 53 c) Imageschaden/Reputationsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 d) Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Das repressive Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Betriebswirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Wahrung der Unternehmenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Betriebliche Verhaltenskodizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Konsequente Ahndung von Compliance-Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Rechtlicher Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4. Eigene Ermittlungen als Basis eines effektiven Krisenmanagements . . . . . . . . 60 5. Kooperation mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Folge: Erweiterung des traditionellen Compliance-Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
B. Die unternehmensinterne Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Begriff der unternehmensinternen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Abgrenzung zum Begriff der „Internal Investigations“ nach US-Recht . . . . . . 68 2. Begriffsweite der unternehmensinternen Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Ablauf einer unternehmensinternen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Informationsgewinn als Ausgangspunkt: Die Bedeutung von Insiderwissen
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2. Auswertung und ggf. Einleitung einer unternehmensinternen Untersuchung 73 3. Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Die Befragung als Herzstück unternehmensinterner Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 75 1. Bedeutung der Befragung im Kontext repressiver Compliance-Maßnahmen 75 2. Struktur der Befragungen: Kategorisierung nach der Stoßrichtung der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Inhaltliche Ausgestaltung der Mitarbeiterbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 C. Die Rolle der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Interne Aufklärung als Element des staatlichen Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . 81 II. Vorteile interner Aufklärungsmaßnahmen aus Sicht der Staatsanwaltschaft . . . . 82 III. Kooperation als „win-win-Situation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Gezielter Drang zur Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Inhaltsverzeichnis
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2. Kapitel Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
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A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln . . . . . . . . . 88 I. Die Vernehmung des Mitarbeiters als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Der Begriff der Vernehmung in der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Abgrenzungskriterien in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Aushorchen eines Mitgefangenen (BGHSt 34, 362 – sog. „Zellenkumpanenfall“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Entscheidung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur . . . . . . . 94 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Polizeilich veranlasstes Telefongespräch (BGHSt 42, 139 – sog. „Hörfalle“) 96 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Entscheidung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur . . . . . . . 97 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Aushorchen einer Mitgefangenen (BGHSt 44, 129 – sog. „Wahrsagerinnenfall“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Entscheidung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur . . . . . . . 103 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Gesamtbewertung: Generelle Anforderungen für ein zurechenbares Verhalten 106 III. Herrschaftsmomente bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen 107 1. Darlegung der Herrschaftsmomente im aktiven Befragungsprozess . . . . . . . . . 108 2. Herrschaftsmomente durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Kategorisierung bei unternehmensinternen Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Privates Handeln als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Bewertung der staatlichen Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Erfordernis einer Mitwirkung in der Planungs- und Ausführungsphase . . . . . . 112 2. Auswirkungen eines staatlichen Kooperationszwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Kooperation von Unternehmen und Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
3. Kapitel Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
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A. Die Interessenlagen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Situation des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
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Inhaltsverzeichnis II. Situation des Mitarbeiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
B. Verfassungsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Das staatliche Gewaltmonopol als verfassungsrechtliche Schranke . . . . . . . . . . . 122 II. Die Grundrechte als Schranken-Schranken des Gewaltmonopols . . . . . . . . . . . . . 124 C. Zulässigkeit privater Ermittlungen im Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Das Ermittlungsrecht des Privaten als grundrechtlich geschütztes Verhalten . . . . 125 1. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch den Beschuldigten . . . . . . . . . 125 2. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch den Verletzten . . . . . . . . . . . . 127 II. Zur Übertragbarkeit privater Ermittlungsrechte auf Unternehmen . . . . . . . . . . . . 129 1. Berücksichtigung der prozessualen Doppelrolle des Unternehmens . . . . . . . . 130 2. Keine unmittelbare Übertragbarkeit von Beschuldigtenrechten . . . . . . . . . . . . 131 D. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 I. Grundrechtsschutz des ermittelnden Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Umfang der Ermittlungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Implementierung von Compliance-Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Arbeitsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Systematische Einbindung Privater in die staatliche Strafverfolgung . . . . . . . . 134 5. Der Erlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Ermittlungen durch beauftragte Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
4. Kapitel Grenzen unternehmensinterner Befragungen
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A. Strafprozessrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Die Bedeutung der Offizialmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Kein Ausschluss privater Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Verbot eines „Outsourcings“ von Ermittlungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Verbot der Beeinträchtigung staatlicher Ermittlungshandlungen . . . . . . . . . . . 141 II. Die Bedeutung des Legalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Das Legalitätsprinzip im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Die Einbeziehung privater Erkenntnisse vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Berücksichtigung von Ressourcenbegrenztheit und praktischen Aufklärungshürden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Inhaltsverzeichnis
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b) Pflicht zur Einbeziehung privat erlangter Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Die Pflicht zur eigenständigen Tatsachenermittlung als Grundlage einer besonderen Nachermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 d) § 170 Abs. 1 StPO als mittelbare Inhaltsbestimmung der Legalitätspflicht 148 e) Der Verlust der Entscheidungshoheit als absolute Grenze . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Die Bedeutung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IV. Die Bedeutung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Gesetzliches Regulativ zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens . . . . . . . . 155 2. Pflicht zur sorgfältigen Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 V. Die Bedeutung des Fairnessgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Unternehmensinterne Untersuchungen als von der StPO nicht vorgesehene Sonderkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Auswirkungen des Fairnessgebots im Falle einer Einbeziehung privat ermittelter Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Pflicht zur Ausübung der Leitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren . . . . . 160 b) Begrenzte Kooperationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Transparenz- und Dokumentationsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Gewährleistung einer Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 e) Konsequenzen von Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 VI. Grenzen der Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaften . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Grenzen bei der Vernehmung von Mitarbeitern, Organen und Beratern . . . . . 166 a) Vernehmung von Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Vernehmung von Organmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Vernehmung von ermittelnden Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Zugriff auf die schriftlich dokumentierten Ergebnisse einer unternehmensinternen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen aus Unternehmensverteidigungen 172 aa) Nebenbeteiligung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Übertragbarkeit des Beschlagnahmeprivilegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 cc) Zeitliche Geltung des Beschlagnahmeverbots von Verteidigungsunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen außerhalb einer Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Zur Bedeutung und Reichweite des § 160a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Reichweite eines Beschlagnahmeschutzes nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO 181 cc) Sonderfall: Beschlagnahmefreiheit bei überlassenen Gegenständen . . . 183 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 VII. Beweiserhebungsvorschriften der StPO auch als Grenze privaten Handelns? . . . 187 B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
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Inhaltsverzeichnis II. Auskunftspflichten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Auskunftserteilung als Bestandteil der Arbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Auskunftspflichten als Nebenleistungspflichten der vertraglichen Arbeitsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Auskunft als arbeitsvertragliche Nebenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4. Auskunftspflicht gegenüber externen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5. Durchsetzbarkeit der Auskunftspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 III. Der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit als Grenze einer arbeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Falle außerstrafprozessualer Aussagepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Alternative Schutzmöglichkeiten und deren Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . 204 b) Verwaltungsrechtliche Ausgestaltung des Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Privatrechtliche Ausgestaltung des Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Der Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Übertragbarkeit der Wertungen des Gemeinschuldnerbeschlusses auf arbeitsrechtliche Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Die fehlende Entscheidungsfreiheit als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Berücksichtigung der privatrechtlichen Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Anwendung der Grundsätze des Gemeinschuldnerbeschlusses . . . . . . . . . . . . 217 a) Bedeutungsrelevanz der alternativen Schutzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Die gefahrenabwehrbezogene Betrachtung als Bewertungsmaßstab des Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Kritische Würdigung der Gefahrenlage des Unternehmens im Sinne der h.M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Der Rechtsgedanke der §§ 666, 675 BGB als Wertungsprämisse . . . . . 224 bb) Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen im Arbeitsrecht . . . . . . 226 cc) Beachtung der repressiven Stoßrichtung der Ermittlungen . . . . . . . . . . 230 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 e) Weitergehende Differenzierung nach dem Zweck der Befragung . . . . . . . . 233 aa) Differenzierung zwischen repressiven und präventiven Zwecken im Wirtschaftsverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Übertragbarkeit dieser Differenzierung auf die Konstellation unternehmensinterner Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Relativierung durch untrennbare Verbindung von Prävention und Repression? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Inhaltsverzeichnis
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IV. Flankierende Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Aufklärungs- und Belehrungspflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Hinzuziehung eines Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Anspruch auf Rechtsbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Anwesenheits- und Beistandsrecht eines Betriebsratsmitglieds . . . . . . . . . . 250 3. Anspruch auf Einsichtnahme und Berichtigung von Untersuchungsprotokollen 250 a) Anspruch auf Einsichtnahme in Befragungsprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Anspruch auf Berichtigung von Befragungsprotokollen/Unterzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4. Beteiligungsrechte des Betriebsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5. Folgen von Verstößen gegen die privatrechtlichen Pflichtenstellungen . . . . . . 256 C. Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes und Sonderkonstellationen . . . . . . . . . . 258 I. Freie Verwertbarkeit (vermeintlich) freiwillig erteilter Auskünfte . . . . . . . . . . . . 258 II. Verwertbarkeit bei Auskunftserteilung infolge einer Täuschung oder unzulässigen Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abl. Abs. Abschn. a.E. a.F. AktG allg. Alt. Anm. AnwK-StGB AO ArbeitsstrafR Art. AT AuA Aufl. BaFin BAG BayObLG BB BB-Special BDSG bearb. v. BeckOK begr. v. Beil. Beschl. BGB BGBl. BGH BGH [Z] BGHSt BGHZ BRAO BR-Drs. BSG Bsp.
andere Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz Abschnitt am Ende alte Fassung Aktiengesetz allgemein Alternative Anmerkung AnwaltKommentar zum Strafgesetzbuch Abgabenordnung Arbeitsstrafrecht Artikel Allgemeiner Teil Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Auflage Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht (zum 01. 07. 2006 aufgelöst) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Betriebs-Berater-Special (Beilage zur Zeitschrift) Bundesdatenschutzgesetz bearbeitet von Beck’scher Online-Kommentar begründet von Beilage Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof [Zivilsenat] Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (hrsg. v. den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (hrsg. v. den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft) Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Beispiel
Abkürzungsverzeichnis bspw. BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. CCZ comply DAV DB DCGK ders. d. h. dies. DOJ DÖV DStR DVBl. EGMR Einl. ErfK EStG etc. EU f./ff. FCPA Fn. fortgef. v. FS GA gem. GewO GG ggf. G/J/W GK GmbH GmbHG GmbHR HGB HK-GS h.L. h.M. HRRS Hrsg.
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beispielsweise Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (hrsg. v. den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts) beziehungsweise Corporate Compliance Zeitschrift Comply Magazin (Zeitschrift) Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe das heißt dieselbe(n) Department of Justice Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Einkommensteuergesetz et cetera Europäische Union folgend/folgende Foreign Corrupt Practices Act Fußnote fortgeführt von Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift) gemäß Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Graf/Jäger/Wittig (Kommentar) Grundkurs Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Handkommentar zum gesamten Strafrecht (hrsg. v. Dölling/Duttge/ Rössner) herrschende Lehre herrschende Meinung Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Herausgeber
18 hrsg. v. Hs. i.E. IMK insbes. InsO i.S.d. i.S.v. i.V.m. IW JA JR JURA jurisPK JuS JZ Kap. KG K/K/W KMR KO krit. LAG LG LG … [Z] LK LPK-StGB LR MaComp MAH-Wirtschafts- u. Steuerstrafsachen MüKo-BGB MüKo-StGB MüKo-StPO m.w.N. Nachw. n.F. NJOZ NJW NJW-RR NK-StGB Nr. NRW NStZ NStZ-RR NZA
Abkürzungsverzeichnis herausgegeben von Halbsatz im Ergebnis Innenministerkonferenz = Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder insbesondere Insolvenzordnung im Sinne des/im Sinne der im Sinne von in Verbindung mit Institut der deutschen Wirtschaft Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) juris PraxisKommentar Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Kammergericht Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann (Kommentar) Kleinknecht/Müller/Reitberger (Kommentar) Konkursordnung (aufgehoben mit Wirkung vom 01. 01. 1999) kritisch Landesarbeitsgericht Landgericht Landgericht … [Zivilkammer] Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Lehr- und Praxiskommentar zum Strafgesetzbuch Löwe-Rosenberg (Kommentar) Mindestanforderungen an Compliance (Rundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) Münchener Anwaltshandbuch zur Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung mit weiteren Nachweisen Nachweis neue Fassung Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Zeitschrift) Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
Abkürzungsverzeichnis NZI NZWiSt o.Ä. OHG OLG OLG … [Z] OWiG PartG PStR RdA RIW RL Rn. Rspr. s. S. SchwarzArbG SEC Sec. SGB SK-StGB s. o. sog. SOX SPD S/S/W StGB StPO StraFo StRR st.Rspr. StV s. u. TKG u. u. a. UK Urt. U.S.A. UStG v. Var. VerfGH VGH vgl. VO Vor/Vorb.
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Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht oder Ähnliches Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Oberlandesgericht … [Zivilsenat] Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) Praxis Steuerstrafrecht (Zeitschrift) Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Randnummer Rechtsprechung siehe Seite/Satz Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) United States Securities and Exchance Comission Section Sozialgesetzbuch Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch siehe oben sogenannt Sarbanes-Oxley Act Sozialdemokratische Partei Deutschlands Satzger/Schluckebier/Widmaier (Kommentar) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) StrafRechtsReport (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Strafverteidiger (Zeitschrift) siehe unten Telekommunikationsgesetz und unter anderem/und andere United Kingdom Urteil United States of America Umsatzsteuergesetz von/vom Variante Verfassungsgerichtshof Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung
20 WiJ WiKG WirtschaftsstrafR wistra WM z. B. ZHR ZIP ZIS zit. ZStW zumind. zust. zutr. ZWH
Abkürzungsverzeichnis WisteV-Journal (Zeitschrift) Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Wirtschaftsstrafrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapiermitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Online-Zeitschrift) zitiert Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zumindest zustimmend zutreffend Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen
Einleitung Unternehmensinterne Ermittlungen haben in letzter Zeit nicht nur in der juristischen Öffentlichkeit besondere Beachtung gefunden. Dies dürfte vor allem darin begründet sein, dass Unternehmen vermehrt dazu übergehen, festgestellte Regelverstöße im Rahmen oft breit angelegter repressiver Untersuchungen eigenständig aufzuklären. Der internen Befragung von Mitarbeitern kommt dabei als Aufklärungsinstrument regelmäßig eine zentrale Rolle zu. Zugleich sind diese arbeitsrechtlichen Anhörungen aufgrund ihrer Einbettung und Zielrichtung Ausdruck einer zunehmenden Privatisierung des staatlichen Ermittlungs- und Strafverfahrens.
I. Zum Phänomen unternehmensinterner Untersuchungen Das Phänomen professioneller unternehmensinterner Untersuchungen hat in Deutschland erstmals im Zuge der Geschehnisse im Siemens-Fall das breite Bewusstsein der Öffentlichkeit erreicht. Im Zuge einer Korruptionsaffäre hatte sich die Siemens AG im Jahre 2006 zur Durchführung einer sog. Internal Investigation nach Vorgaben des US-Rechts entschieden, um den Anforderungen der amerikanischen Börsen- und Aufsichtsbehörde gerecht zu werden und im Gegenzug einen umfassenden Strafrabatt zu erhalten1. Hierdurch wurde das deutsche Rechtssystem erstmals in nennenswertem Umfang mit dem Rechtsinstrument einer privat veranlassten Untersuchung nach Vorgaben staatlicher Behörden konfrontiert. Unternehmensinterne Ermittlungen in Form von Internal Investigations haben im amerikanischen Rechtssystem eine lange Tradition und finden ihren Ursprung in den großen Bilanzskandalen und der Watergate-Affäre, die die USA Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre erschütterten2. Die Siemens-Affäre kann aber nicht als alleiniger Auslöser der steten Zunahme interner Untersuchungen angesehen werden, denn interne Untersuchungen von Unternehmen gibt es, seitdem es Unternehmen gibt3. Dies gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland. Die prozessualen Beweislastverteilungen im Zivilverfahren zwingen Unternehmen schließlich, das Vorliegen bestehender Schadensersatzansprüche oder Kündigungsgründe zu beweisen, was hierauf gerichtete Beweissammlungen bedingt. Neu ist dagegen die Verknüpfung des privaten Vorgehens 1 Vgl. hierzu etwa Jahn, StV 2009, 41 ff.; Wastl/Lizka/Pusch, NStZ 2009, 68 ff.; Bittmann/ Molkenbur, wistra 2009, 373 ff.; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 1 ff. 2 Wewerka, Internal Investigations, S. 45 m.w.N. 3 In diesem Sinne auch Ignor, CCZ 2011, 143; Mansdörfer, jM 2014, 167.
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Einleitung
des Unternehmens mit der staatlichen Strafverfolgung. Die systematische Einbindung eines Privaten in die staatliche Strafverfolgung ist dem deutschen Recht, das im alleinigen Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen soll, wesensfremd. Der deutsche Gesetzgeber hat sich in bewusster Abkehr früherer Rechtstraditionen dazu entschieden, die Strafverfolgung ausschließlich in die Hände des Staates zu legen. Gleichwohl haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden das grundlegende Prinzip einer umfassenden Mitwirkung des Unternehmens an der Aufklärung des Sachverhalts gegen die Gewährung eines Strafrabattes adaptiert, um einen Spannungskonflikt aufzulösen, dessen Grundproblem die juristische Öffentlichkeit seit längerem beherrscht: Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat, sind die für die Strafverfolgung zuständigen Organe verpflichtet, einzuschreiten und dem staatlichen Strafanspruch Geltung zu verschaffen. Der Ausforschung der Wahrheit als Grundlage der staatlichen Urteilsfindung werden jedoch durch fehlende Ressourcen und tatsächliche Aufklärungshürden erhebliche Grenzen gesetzt, wodurch das staatliche Strafverfahren in seinem Wesenskern beeinträchtigt wird. Als Folge sind auf staatlicher Seite Verhaltensmuster erkennbar, die nicht von dem Prinzip einer umfassenden Wahrheitsermittlung als Grundlage eines gerechten Urteils getragen werden, sondern dem ökonomischen Effizienzgedanken folgen. Die gesetzliche Normierung der Verfahrensabsprache4 ist nur Teil einer Entwicklung, deren Ende nicht absehbar ist. Die Privatisierung staatlicher Leistungen ist allgegenwärtig und hat auch das staatliche Strafverfahren längst erreicht5. Im Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, dass die Durchführung unternehmensinterner Befragungen paradigmatisch für eine zunehmende Privatisierung behördlicher Ermittlungen steht. Die Ökonomisierung des Strafverfahrens in rechtsstaatlichen Bahnen zu halten, ohne die gewichtigen Interessen und Rechte der Beteiligten zu vernachlässigen, zählt zu den größten Herausforderungen der Strafrechtswissenschaft in der heutigen Zeit.
II. Gang der Untersuchung Interne Untersuchungen zur Aufklärung von Regelverstößen werden allgemein dem Modethema Compliance zugeschrieben. Im ersten Kapitel6 der Arbeit wird daher im Rahmen einer Bestandsaufnahme der Frage nachgegangen, was unter 4
Nach der im Jahre 2009 neu eingefügten Vorschrift des § 257c StPO besitzen die Verfahrensbeteiligten Richter, Staatsanwalt und Angeklagter die Möglichkeit, sich unter bestimmten Voraussetzungen in der Hauptverhandlung über das Urteil zu verständigen. Zur Konzeption der Vorschrift und der hieran geäußerten Kritik vgl. Jahn/Müller, NJW 2009, 2625. 5 Privatisierung beschreibt in diesem Zusammenhang einen Prozess, der weg vom Staat und hin zum Privaten führt, vgl. Kulas, Privatisierung staatlicher Verwaltung, S. 19. Zu den wachsenden Privatisierungstendenzen im wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren vgl. Reeb, Internal Investigations, S. 41 ff. Siehe auch Taschke, NZWiSt 2012, 9 ff. sowie Greeve, StraFo 2013, 89 ff. 6 Siehe S. 25 ff.
Einleitung
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Compliance im deutschen Rechtssystem zu verstehen ist und wie sich die Durchführung repressiver Untersuchungen in dieses abstrakte Gefüge einordnen lässt. Im Zuge dessen werden auch die beteiligten Akteure und ihre Handlungsmotive beleuchtet. Dabei wird sich zeigen, dass infolge einer stetig zunehmenden gesetzlichen Inanspruchnahme von Unternehmen wie Unternehmensführern das ComplianceZiel der Haftungsvermeidung nicht mehr nur durch präventive Vorsorgemaßnahmen, sondern auch durch gezielte repressive Elemente erreicht wird. Privat veranlasste Ermittlungen zur Sachverhaltsaufklärung sind ein wesentlicher Teil umfassender „Compliance-Maßnahmen-Pakete“, die von Unternehmen zur Verhinderung von Verstößen, zur Vermeidung von Haftung und zur Demonstration ordnungsgemäßer Unternehmensführung durchgeführt werden7. Repressives Herzstück der Maßnahmen ist regelmäßig die konfrontative Befragung von Mitarbeitern, weshalb dieses Instrument auch im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen wird. Mit der Zunahme der privaten Ermittlungstätigkeit ist zugleich ein Rückzug der staatlichen Ermittlungsbehörden verbunden: Staatsanwälte gehen vermehrt dazu über, „ermittlungswilligen“ Unternehmen das Feld der Sachverhaltsaufklärung zu überlassen oder binden – auch infolge fehlender Ressourcen und bestehender Aufklärungshürden – die internen Ermittler gezielt in das staatliche Ermittlungsverfahren ein, um die privat erlangten Erkenntnisse in einem späteren Straf- oder Bußgeldverfahren nutzbar zu machen. Im Visier der Strafverfolgungsbehörden steht aber nicht nur das Unternehmen und deren Verantwortliche, sondern auch der den Regelverstoß begehende Mitarbeiter. Neben dem Verhältnis des Unternehmens zu seinem Mitarbeiter, das im konkreten Frageprozess seinen Ausdruck findet, werden wir uns daher auch mit der Frage beschäftigen müssen, wie sich ein „Outsourcing von Ermittlungshandlungen“8 auf die rechtsstaatliche Position des beschuldigten Mitarbeiters auswirkt. Die im Rahmen der Bestandsaufnahme aufgeworfenen Fragestellungen sollen dann in den folgenden Kapiteln einer Antwort zugeführt werden. Das zweite Kapitel9 widmet sich zunächst der erheblichen Einflussnahme der staatlichen Strafverfolgungsbehörden auf die Vornahme unternehmensinterner Mitarbeiterbefragungen. Hier sollen klare Abgrenzungskriterien herausgearbeitet werden, nach denen beurteilt werden kann, unter welchen Umständen das Handeln eines Unternehmens aufgrund der staatlichen Mitwirkung seinen privaten Charakter verliert und im Ganzen als staatliche Maßnahme einzustufen ist. Ausgehend von einer grundsätzlichen Privatheit unternehmensinterner Maßnahmen soll im dritten Kapitel10 dann die Zulässigkeit privater Ermittlungshandlungen im Strafverfahren beleuchtet werden. Das konkrete Rollenbild des Unternehmens und dessen immense Ermittlungsmacht bei der Durchführung interner 7
Greeve, StraFo 2013, 89 (89). Wastl, ZRP 2011, 57 (58). 9 Siehe S. 87 ff. 10 Siehe S. 119 ff. 8
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Einleitung
Ermittlungen werden dabei besondere Würdigung erfahren. Hier wird sich zeigen, dass Unternehmen im Grundsatz eine weitreichende Ermittlungsbefugnis zukommt. Vor diesem Hintergrund kommt dem vierten Kapitel11 der Arbeit besondere Bedeutung zu, in dem durch die Bestimmung konkreter Grenzen unternehmensinterner Befragungen herausgearbeitet werden soll, in welchem Umfang strafrechtlich abgesicherte Rechtspositionen auch beim Vorgehen eines privaten Unternehmens mit nur strafrechtlicher Konnotation Geltung besitzen. Für die staatlichen Strafverfolgungsbehörden ergeben sich normative Handlungsvorgaben insbesondere aus der Offizialmaxime, dem Legalitätsgrundsatz sowie dem Fairnessgebot. Ein besonderer Stellenwert kommt in diesem Zusammenhang der hoheitlichen Würdigung der unternehmensintern ermittelten Erkenntnisse zu. Fehlt es an einer kooperativen Mitwirkung des Unternehmens, stellt sich zudem die Frage, inwieweit ein staatlicher Zugriff auf Erkenntnisse einer internen Untersuchung erzwungen werden kann. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, als die Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft unmittelbaren Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft von möglichen Interviewpartnern haben dürften und mit einer etwaigen Beweismittelsteuerung durch einen Privaten zugleich eine erhebliche Beeinflussung der staatlichen Aufklärungsmöglichkeiten einhergeht. Der Schwerpunkt der Arbeit wird schließlich auf der Untersuchung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen der Mitarbeiterbefragung liegen. Dabei werden wir uns insbesondere mit der Frage beschäftigen müssen, auf welche Weise dem grundrechtlichen Schutz der Selbstbelastungsfreiheit des Mitarbeiters bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen Rechnung zu tragen ist und welche Konsequenzen sich hieraus für eine Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bei der Aufklärung eines Regelverstoßes sowie für eine Verwertbarkeit der privat ermittelten Erkenntnisse im Strafprozess ergeben. Neben den Interessenlagen der Beteiligten wird die repressive Ausrichtung unternehmensinterner Befragungen und die sich hieraus ergebende Nähe zum staatlichen Strafverfahren an dieser Stelle besonders zu würdigen sein.
11
Siehe S. 138 ff.
1. Kapitel
Bestandsaufnahme: Die unternehmensinterne Befragung als repressives Herzstück eines effektiven Compliancesystems Die Zahl der Maßnahmen, die private Unternehmen und Betriebe zur Eindämmung von wirtschaftskriminellen Handlungen ergreifen, ist in der Vergangenheit stark gestiegen. Interne Befragungen von Mitarbeitern kommen bei der Aufklärung entsprechender Verdachtsfälle eine zentrale Rolle zu. Im Folgenden sollen im Wege einer Analyse der praktischen Ausgangslage Bedeutung und Notwendigkeit unternehmensinterner Befragungen herausgearbeitet werden. Die einzelnen Motive der handelnden Akteure werden dabei eine besondere Würdigung erfahren. Die von Unternehmensseite ergriffenen Maßnahmen als Reaktion auf ein den allgemeinen Regeln möglicherweise zuwiderlaufendes Verhalten1 des Arbeitnehmers werden dem Begriff „Compliance“ zugeordnet. Daher ist zunächst klärungsbedürftig, was unter „Compliance“ zu verstehen ist und wie sich die Vornahme interner Untersuchungsmaßnahmen in dieses abstrakte Gefüge einordnet.
A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit Der Begriff „Compliance“ ist der angloamerikanischen Rechtssprache entnommen2 und leitet sich vom englischen „to comply with“ ab. Gemeint ist das regelkonforme Verhalten eines Unternehmens, weshalb man vereinfacht von „Gesetzestreue“ sprechen könnte3. Hinter dem Begriff verbirgt sich aber tatsächlich weit mehr,
1 Im Zeitpunkt der Anordnung kann noch nicht von einer Maßnahme aus Anlass einer Straftat gesprochen werden, da die Einleitung der Maßnahme regelmäßig erst dazu dient, festzustellen, ob überhaupt ein pflichtwidriges Fehlverhalten des Arbeitnehmers vorliegt. 2 Der Begriff „Compliance“ stammt ursprünglich aus dem Bereich der Medizin und beschreibt dort die sog. Verordnungstreue des Patienten, d. h. das Befolgen der ärztlichen Anweisung, vgl. Eufinger CCZ 2012, 21 (21). Im Wirtschaftssektor wurde der Begriff zunächst im anglo-amerikanischen Bankensektor verwendet und beinhaltete die Erstellung eines systematischen Konzepts zur Sicherstellung regelkonformen Verhaltens in den klassischen Risikobereichen der Banken, vgl. hierzu Eisele, in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechtshandbuch, § 109 Rn. 1 ff. Siehe auch Rathgeber, Criminal Compliance, S. 26 ff. 3 Hauschka, NJW 2004, 257 (257); Schneider, NZG 2009, 1321 (1322).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
als die wörtliche Übersetzung4 offenbart. Compliance steht synonym für einen fortschreitenden Paradigmenwechsel in Staat und Gesellschaft: Gesetze sind auch in der Wirtschaft keine bloßen Ideale, sondern definieren klare Grenzen, deren Übertretung sanktioniert wird – ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen. Der bekannte Wirtschaftsjournalist Hans Leyendecker schrieb im Zuge der Affäre Ferrostahl und den früheren Konzernchef Matthias Mitscherlich: „Wenn früher jemand entlassen wurde, ging es meist um die Kassenlage: „Entweder ändern sich die Zahlen oder die Gesichter“ war der Lieblingsspruch des Unternehmers Friedrich Flick. Wenn heute ein Topmanager wie Mitscherlich entlassen wird, geht es um atmosphärische Spannungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, aber vor allem um neumodische Dinge wie Compliance und Corporate Governance“5.
I. Primärziel: Haftungsvermeidung Wenngleich eine einheitliche Definition von Compliance in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht entwickelt werden konnte6, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass primäres Ziel des neuen Verlangens nach regelkonformem Verhalten eine umfassende Haftungsvermeidung ist7. Hintergrund der neu erwachsenden Angst vor straf- oder zivilrechtlicher Inanspruchnahme ist die erhebliche Zunahme rechtlicher Vorgaben. Die Vorschriftenflut ist dabei nicht nur eine Folge der nationalen Gesetzgebung, sondern findet ihren Ursprung auch in der Globalisierung: Unternehmen werden nicht mehr nur auf nationalem Terrain tätig, sondern agieren zunehmend international, weshalb sie den Einflüssen unterschiedlicher Gesetzgebungsorgane und Behörden ausgesetzt sind. Vor allem die Regularien der US-Behörden wirken aus den Vereinigten Staaten bis tief in die deutsche Rechtswirklichkeit hinein8. Der Blick auf die strengen Vorgaben angloamerikanischer Rechtssysteme darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das deutsche Strafrecht dem Unternehmen als Teilnehmer am Markt sehr enge Grenzen setzt.
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Dt. Übersetzung: „(sich) in Übereinstimmung mit etwas befinden“. Leyendecker, Süddeutsche Zeitung vom 02. 02. 2011. 6 Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) definiert Compliance lediglich allgemein, als „die in der Verantwortung des Vorstands liegende Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Richtlinien“, vgl. DCGK, 4.1.3., online abrufbar unter http://www.dcgk.de/de/kodex/aktuelle-fassung/vorstand.html (Abrufdatum: 15. 12. 2016). 7 Vgl. Schneider, ZIP 2003, 645 (646); Hauschka, in: Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, § 1 Rn. 24; ders., NJW 2004, 257 (257); Schneider/Schneider, ZIP 2007, 2061 (2062); Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113 (117); Eufinger, CCZ 2012, 21 (21); Bottmann, in: Park (Hrsg.), Kapitalmarktstrafrecht, Kap. 2 Rn. 2; Pelz, CCZ 2013, 234 (234). 8 So zutreffend Wessing, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat (2009), 907 (908); konkret zur Bedeutung ausländischer Strafvorschriften für das nationale Strafrecht im Kontext von Compliance-Programmen Pelz, CCZ 2013, 234. 5
A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit
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1. Das moderne Wirtschaftsstrafrecht Auf nationaler Ebene, die im Fokus der vorliegenden Untersuchung steht, sind vor allem Neuerungen im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts9 dafür verantwortlich, dass Compliance aus dem Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken ist. a) Schutz des Kollektivs Betrachtet man das moderne Wirtschaftsstrafrecht, so fällt zunächst auf, dass im Gegensatz zum allgemeinen Strafrecht der Schutz der Wirtschaft im Fokus steht bzw. der Schutz der dem Wirtschaftsleben immanenten Mechanismen10. Der Hintergrund und die Folgen dieses Umstands erschließen sich bei einem Blick auf die historischen Wurzeln des Wirtschaftsstrafrechts. Das Strafrecht hat sich jahrhundertelang an dem Schutz des einzelnen Individuums orientiert. Grundgedanke des Strafrechts war der staatliche Schutz von Individualrechtsgütern, wenngleich überindividuelle Bezüge stets gegeben waren11. Das Wirtschaftsstrafrecht hingegen findet seine Ursprünge in dem Versuch des Staates, die Wirtschaft durch verschiedene Maßnahmen zu regulieren12. Das „Reichskaligesetz“ vom 25. 05. 1912, das vor dem Verlust der Weltmonopolstellung im Bereich der Salzgewinnung schützen sollte, wird zu Recht als erstes modernes Wirtschaftsstrafgesetz bezeichnet13. Auch die späteren Wirtschaftsstrafgesetze sind als Regularien zum Schutz überindividueller Rechtsgüter zu werten: Das Erste Gesetz zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität (1. WiKG) vom 29. 07. 1976, das u. a. die Neuschaffung der Straftatbestände des Subventions- (§ 264 StGB) und des Kreditbetrugs (§ 265b StGB) beinhaltete, sollte die „staatliche Planungs- und Dispositionsfreiheit im Wirtschaftsbereich“14 sowie die „Funktionsfähigkeit des Kreditwesens“15 schützen. Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15. 05. 1986 zielte auf die Absicherung technischer 9 Zum Begriff des (modernen) Wirtschaftsstrafrechts grundlegend Mansdörfer, Theorie des Wirtschaftsstrafrechts, S. 1 ff., siehe auch Rotsch, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 1 Rn. 1 ff.; Brettel/Schneider, Wirtschaftsstrafrecht, § 1 Rn. 1 ff. 10 Wodurch aber zugleich auch individuelle Handlungsinteressen des einzelnen Marktteilnehmers geschützt werden. 11 Für eine stärkere Betrachtung des Wirtschaftsstrafrechts aus individualistischer Perspektive Mansdörfer, Theorie des Wirtschaftsrechts, S. 16 ff. (Sicherstellung der Handlungsbedingungen zur Verfolgung individueller Erwerbsinteressen). 12 Vgl. Jescheck, JZ 1959, 457; siehe auch Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 1 Rn. 57 ff. sowie Brettel/Schneider, Wirtschaftsstrafrecht, § 1 Rn. 26 jeweils m.w.N. 13 Vgl. Grunst/Volk, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 1 Rn. 39. Im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers wäre die Bezeichnung als Wirtschaftsverwaltungsstrafrecht gleichwohl angemessener. 14 BT-Drucksache 7/5291, S. 14. 15 BT-Drucksache 7/5291, S. 14.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Neuerungen im Wirtschaftsleben ab16 und das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption (KorrBG) vom 13. 08. 1997 sollte vor allem das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktion des Staates als Lenkungsapparat sicherstellen, um nur einige Beispiele zu nennen. Allgemein lässt sich festhalten, dass der Staat im Bereich der Wirtschaftskriminalität vermehrt abstrakte Gefährdungsdelikte zum Schutz von Kollektivrechtsgütern eingeführt hat17. Für die im Wirtschaftsleben handelnden Personen und Unternehmen bedeutet diese Entwicklung, deutlich schneller die Grenze zur Strafbarkeit zu überschreiten und nicht nur eine Schädigung des Einzelnen – auch körperlich wahrnehmbaren Individuums – verhindern zu müssen, sondern auch die abstrakte Gefahr einer Schädigung der Wirtschaft im Ganzen (und damit eine Einhaltung der zum Schutz derselben eingeführten Gesetze) im Blick zu haben. Dies ist in Anbetracht der Flut neuer und zudem weit verstreuter Vorschriften18 ohne ein entsprechendes Kontrollsystem auch für den juristisch versierten Unternehmenslenker nicht zu bewältigen19. b) Allgemeine Verschärfung des strafrechtlichen Risikos im Wirtschaftsleben Neben dem abstrakten Rechtsgüterschutz steht auch die Ausdehnung der Fahrlässigkeitstatbestände20 beispielhaft für die erhebliche Verschärfung des strafrechtlichen Risikos im Wirtschaftsleben21. Durch den Verzicht auf das Vorsatzerfordernis wird dem potentiellen Täter eine Berufung auf seine Unkenntnis versagt und eine der größten prozessualen Beweisschwierigkeiten beseitigt22. Begründen lässt sich die verstärkte Inkriminierung des fahrlässigen Handelns nur durch die besondere Verantwortung der handelnden Personen, die häufig nicht mit eigenen Geldern wirtschaften. Befindet sich ein Betrieb z. B. in einer wirtschaftlichen Krise, die die Voraussetzungen des § 17 bzw. § 19 InsO erfüllt, so ist es zum Schutz der Gläubiger 16
BT-Drucksache 10/318, vgl. auch Achenbach, NJW 1986, 1835. Grunst/Volk, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 1 Rn. 108; Neuhaus, in: Kempf/Lüdersen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, S. 348 (348). 18 Siehe hierzu Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, § 1 Rn. 89 ff. 19 Ähnlich Neuhaus, in: Kempf/Lüdersen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, S. 348, der neben der Komplexität der Materie vor allem darauf abstellt, dass in der schnellen, modernen Welt klassische Interventionstechniken versagen, da sich frühere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen deutlich langsamer vollzogen haben, dem Recht und – ihm folgend – auch den Adressanten also stets ausreichend Zeit verblieb, sich den Änderungen anzupassen. 20 Exemplarisch zu nennen sind hier insbesondere § 264 Abs. 4 StGB, § 261 Abs. 5 StGB, sowie aus dem Bereich des Umweltstrafrechts § 324 Abs. 3 StGB und § 326 Abs. 5 StGB. 21 Bock, Criminal Compliance, S. 248. 22 Hefendehl, JZ 2004, 18 (21); sehr kritisch auch Vest, ZStW 103 (1991), 584 (591 ff.). 17
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gerechtfertigt, dem Betriebsinhaber eine besondere Sorgfaltspflicht aufzuerlegen, die durch die Vorschrift des § 283 I, IV StGB strafbewehrt zum Ausdruck kommt. Wer hingegen vom Staat unentgeltlich Förderungsmittel für seinen Betrieb erhalten möchte, soll sorgfältig prüfen, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Subventionierung vorliegen (§ 264 Abs. 1, Abs. 4 StGB). Die gebotenen Sorgfaltsanforderungen werden hier durch das betriebliche Handeln der Unternehmensleitung bestimmt, weshalb Tiedemann in diesem Zusammenhang treffend von einer Berufsfahrlässigkeit23 spricht. Der Gedanke einer Berufsfahrlässigkeit besitzt den gesellschaftspolitischen Charme, Handlungen von Unternehmensführern durch eine zunehmende strafrechtliche Flankierung ihrer beruflichen Pflichten effektiv zu kontrollieren24. Gerade während der Finanzkrise wurden Forderungen laut, Unternehmen stärker der staatlichen Aufsicht zu unterstellen. Der Ruf nach mehr Strafrecht entspricht dem gesellschaftlichen Zeitgeist, in dem das Strafrecht als Allheilmittel gegen Missstände jedweder Art begriffen wird25. Dabei wird jedoch übersehen, dass der Zweck einer Strafbewehrung nur dann erreicht wird, wenn der Adressat sie auch befolgen kann. Auch ökonomisch mag die Tendenz zu mehr Strafrecht nicht immer den gewünschten Erfolg versprechen: Abgeforderte Willensanstrengungen führen auf längere Dauer zu Ermüdungserscheinungen, werden selbst zum Risikofaktor und konterkarieren die unfallvermeidende Wirkung26. Neben der Zunahme der wirtschaftsstrafrechtlichen Vorschriften muss auch der inhaltliche Gehalt der Normen kritisch bewertet werden. Im allgemeinen Strafrecht gründet sich der Normappell auf ein sozialethisches Unwerturteil, das den gesellschaftlichen Konventionen entspricht. Vom Normadressaten kann daher erwartet werden, dass er den Unrechtskern versteht und sein Verhalten hieran ausrichtet. Im Wirtschaftsstrafrecht hingegen verlaufen die Strafbarkeitsgrenzen viel weicher und führen durch stellenweise an der Grenze zur verfassungswidrigen Unbestimmtheit formulierte Tatbestände zu größter Unsicherheit27. Vor allem die zunehmende Verlagerung staatlicher Kontrollpflichten auf Private schafft nahezu unkontrollierbare Haftungsrisiken28. Im Zusammenhang mit einer vielfach anzutreffenden retroper-
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Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 62. Schwung, AnwBl 2007, 14 (16); allgemein zur Problematik einer strafrechtlichen Bewältigung von wirtschaftlichen Krisen vgl. die Überlegungen von Fischer, ZStW 123 (2011), 816. 25 Albrecht, StV 1994, 265, siehe auch Fleischer, NJW 2009, 2337 (2337). 26 Bock, Criminal Compliance, S. 249; Roth, Zur Strafbarkeit leicht fahrlässigen Verhaltens, S. 14. 27 Beispielhaft sei auf die leichtfertige Begehungsweise einer Geldwäsche (§ 261 Abs. 5 StGB) verwiesen. Vgl. dazu etwa Fischer, StGB, § 261 Rn. 1 ff. 28 Ähnlich Greeve, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat (2009), 512 (529); Schneider, NZG 2010, 1201 (1202 ff.). 24
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
spektivischen Beurteilung sieht Rotsch29 daher zutreffend in der Antizipierbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit eine der größten Herausforderungen im Wirtschaftsstrafrecht. Nach alledem spricht bereits die grundsätzliche Ausrichtung des modernen Wirtschaftsstrafrechts dafür, umfangreiche Maßnahmen zu treffen, um die angestrebte Gesetzestreue zu gewährleisten. 2. Konkrete Strafbarkeitsrisiken Im Folgenden soll versucht werden, die konkreten Strafbarkeitsrisiken von Betriebsinhabern im Überblick darzustellen. Wie noch zu zeigen sein wird, steht die Verschärfung des strafrechtlichen Risikos in engem Zusammenhang mit betrieblichen Organisations- und Überwachungspflichten. Mit der dargelegten Problematik geht die Frage einher, inwieweit die Unternehmensverantwortlichen oder das Unternehmen als juristische Person für ein Fehlverhalten ihrer Untergebenen einzustehen haben und welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Neben einer möglichen Verhinderungspflicht der Unternehmensführung für betriebsbezogene Straftaten bilden auf strafrechtlicher Ebene die §§ 130, 30 OWiG sowie der Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) die zentralen Anknüpfungsnormen. Daneben existieren zahlreiche weitere Einzelvorschriften, die den Unternehmen Verhaltenspflichten auferlegen. Von großer praktischer Bedeutung sind zudem auch unterhalb der Vermeidung von rechtlicher Haftung angesiedelte Ziele wie die Wahrung einer Unternehmensethik und der Schutz gesellschaftlicher Reputation. a) Geschäftsherrenhaftung Speziell im Hinblick auf die Unternehmensführung stellt sich die Frage einer strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung. Nach § 13 StGB kommt eine Strafbarkeit wegen Unterlassens nur in Betracht, wenn der Beschuldigte rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintritt30. Übertragen auf die Unternehmensführung, der die Leitung des Unternehmens anvertraut ist, ist dementsprechend zu überlegen, inwieweit Mitglieder der Unternehmensleitung die Rechtspflicht trifft, strafrechtlich relevante Erfolge – also insbesondere das Begehen von Straftaten innerhalb des Unternehmens – abzuwenden bzw. aktiv gegen diese vorzugehen31.
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Rotsch, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 1. Teil 4. Kap. Rn. 10. 30 Siehe hierzu Wessels/Beulke, StrafR AT, Rn. 715 ff. 31 So zutreffend bereits Dierlamm, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, S. 475 ff.
A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit
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aa) Bestehen von Garantenpflichten Die Frage eines Bestehens rechtlicher Einschreitungspflichten als Garant ist nicht abschließend geklärt. Weitgehende Einigkeit besteht aber dahingehend, dass Garantenpflichten entweder aus einer Verantwortlichkeit für bestimmte Gefahrenquellen entstehen können (sog. Überwachergarant) oder aber aufgrund von besonderen Schutzpflichten, die dem Einzelnen aufgrund seiner Beziehung zum bedrohten Rechtsgut obliegen (sog. Beschützergarant)32. Um eine Ausuferung der Unterlassungstäterschaft zu verhindern, kann für die Begründung einer Garantenstellung keine moralische Pflicht genügen, sondern es muss sich um eine tatsächliche Rechtspflicht handeln33. Ein Unternehmen stellt als Teilnehmer am Markt eine potentielle Gefahrenquelle dar34. Dem Betriebsinhaber bzw. der Unternehmensführung obliegt es, diese Gefahrenquelle zu kontrollieren und negative Auswirkungen auf andere Marktteilnehmer bzw. die Wirtschaft als Ganzes zu verhindern. Daneben ließe sich eine Garantenstellung auch kraft freiwilliger Übernahme bejahen, da Mitglieder der Unternehmensführung mit Übernahme der Kontrollbefugnis auch konkludent einer unternehmerischen Verantwortung für das Unternehmen zustimmen35. Fraglich bleibt aber, ob der unternehmerischen Verantwortung nicht dahingehend Grenzen gesetzt sind, dass der deliktisch handelnde Mitarbeiter letztlich eigenverantwortlich agiert. Hier wird von der h.M.36 überwiegend eine organisationsbezogene Betrachtungsweise herangezogen: Die Annahme einer rechtlichen Verantwortlichkeit leite sich aus der Aufsichts- und Befehlsgewalt, der Autorität und sozialen Verantwortung für das Unternehmen und deren Angehörige ab37. Der Arbeitgeber bestimme durch seine Direktionspflicht den konkreten Inhalt der Tätigkeit. Korrelierend mit einer so erzwungenen Gehorsamspflicht des Arbeitnehmers müsse daher bei Handlungen, die den betrieblichen Aufgabenbereich betreffen (sog. betriebsbezogenes Handeln) von einer partiellen Unmündigkeit des Arbeitnehmers ausgegangen werden38. Daneben wird auf die Nutznießung des Unternehmens abgestellt, das durch die erteilten Freiheiten gegenüber seinen Arbeitnehmern Vorteile 32
Vgl. Wessels/Beulke, StrafR AT, Rn. 716. Vgl. BGHSt 7, 268 (271). 34 Vgl. Roxin, Strafrecht AT II § 32 Rn. 137 ff. („Gefahrenherd Betrieb“); Hellmann/ Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, § 15 Rn. 941; OLG Stuttgart, NJW 1977, 1406. 35 Vgl. bereits RGSt 58, 130 (132); ähnlich Böse, wistra 2005, 42; Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata, S. 33. 36 Zusammenfassend Momsen, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 1 Rn. 26 ff. differenzierend dagegen Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 53 ff. jeweils m.w.N. 37 Göhler, in: FS für Dreher (1977), 611 (619). 38 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 137; Herzberg, DB 1981, 690 (692); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT Rn. 185; sehr deutlich auch Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht 1979, S. 102 („Eigenverantwortlichkeit ist bloße Fassade“), Schünemann, wistra 1982, 41, (44 ff.). 33
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erziele und insoweit auch die Lasten zu tragen habe39. Schließlich wird darauf verwiesen, dass letztlich allein der Unternehmensführer die Möglichkeit habe, seine Angestellten zu kontrollieren und insofern zur Verhinderung von Gefahren auf seinen – durch Zusammenlaufen der Unternehmensaktivitäten gebündelten – Informationsfundus zurückgreifen könne40. Den vorgebrachten Argumenten ist gemein, dass diese dem Angestellten im Betrieb ein eigenverantwortliches Handeln absprechen. Parallelen zur zivilrechtlichen Tierhalterhaftung mögen polemisch klingen, sind aber zutreffend, zumal einige Autoren auch unmittelbar darauf verweisen, dass Mitarbeiter ebenso wie Sachen betriebsfundierte Gefahrenquellen seien41. Hieran ist richtig, dass es für Außenstehende keinen Unterschied macht, ob die drohende Betriebsgefahr von einer Sache ausgeht oder durch menschliches Handeln begründet wird. Bedenklich stimmt aber der Versuch, die Eigenverantwortlichkeit eines mitunter sogar hoch qualifizierten Angestellten vollständig aus der Betrachtung auszuklammern. Das bloße Bestehen eines Anordnungsrechts (dessen Umfang im Übrigen rechtlich begrenzt ist) führt nicht dazu, dass ein Angestellter diesem auch zwingend folgen muss. Vielmehr gestatten ihm die menschlichen Handlungskategorien, sich gerade gegensätzlich zu verhalten42. Tut er dies, so ist er für dieses Handeln selbst verantwortlich43. Hieran ändert es auch nichts, wenn er dabei zum (vermeintlich) Besten des Unternehmens handelt44. Daher fehlt es an einer kausalen Verknüpfung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts mit den Folgen seiner Nichtbeachtung45. Darüber hinaus ist es verfehlt, die aus sozialen und betriebswirtschaftlichen Aspekten höchst wünschenswerte Arbeitsteilung zum Anknüpfungspunkt eines strafbewehrten Verhaltens werden zu lassen46. Aufgrund der sozialen Komponente der Arbeit erscheint es vielmehr geboten, dem Arbeitnehmer bei der Ausfüllung seiner Tätigkeit gewisse
39 Vgl. Bottke, in: Schünemann (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Band III – Unternehmenskriminalität, 1996, 73 85 ff.; Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata, 1994, S. 23; plakativ auch Wohlers, in: NK-StGB 2005, § 13 Rn. 53: „Unterlassensverantwortlichkeit ist Kehrseite der Freiheit ein Unternehmen zu betreiben“. 40 Schünemann, ZStW 96 (1984), 287 (318), Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 53 (56), Thiemann, Aufsichtspflichtverletzung in Betrieben und Unternehmen 1976, S. 17. 41 Brammsen, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse in bürokratischen Organisationen, 105 (126). 42 In diese Richtung auch Beulke, in: FS für Geppert (2011), 23 (35 ff.). 43 Zustimmend Kretschmer, JZ 2009, 474 (476); Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen seiner Angestellten?, S. 249; Weigend, in: LKStGB, § 13 Rn. 56; Wuttke, Straftäter im Betrieb, S. 89. 44 Spring, GA 2010, 222 (226). 45 Rotsch, Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 195; Schlösser, Soziale Tatherrschaft, S. 2645; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht im Kontext, S. 1304; Langkeit, in: FS für Otto (2007), 649 (656); Wuttke, Straftäter im Betrieb, S. 89. 46 Ähnlich auch Beulke, in: FS für Geppert (2011), 23 (33).
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Freiheiten einzuräumen und die Individualität des einzelnen Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Schließlich kann aus einer funktionsbedingten potentiellen Verhinderungsmöglichkeit des Unternehmensführers nicht auf eine Garantenpflicht geschlossen werden47. Die faktische – sei es auch monopolartige – Möglichkeit, Rechtsgutgefährdungen zu verhindern, ist notwendige Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens, ersetzt aber nicht das Erfordernis einer Garantenstellung48. Schließlich macht ein Hilfemonopol aus einem Täter nach § 323c StGB auch noch lange keinen Garanten49. Daneben erscheint auch die Erfolgszurechnung in derartigen Fällen einer Unterlassenstäterschaft höchst zweifelhaft50. Neben diesen dogmatischen Erwägungen besteht auch kein rechtspolitisches Bedürfnis, eine grundsätzliche Verhinderungspflicht des Betriebsinhabers zu konstruieren, wovon auch der Gesetzgeber ausgeht, da er die Verletzung von Organisations- und Aufsichtspflichten in bewusster Entscheidung in § 130 OWiG de lege lata51 lediglich als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet hat52. Die besonderen Fälle, in denen seitens des Betriebs ein organisiertes, deliktisches Handeln vorliegt, für das die Unternehmensführung bei zumindest billigender Inkaufnahme freilich auch einzustehen hat, können über die allgemeinen Formen der täterschaftlichen Teilnahme gelöst werden53.54 47
Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, 1995, S. 117, v. Freier, Kritik der Verbandsstrafe, S. 278 ff.; Weigend, in: LK-StGB, § 13 Rn. 56. 48 Bock, Criminal Compliance, S. 327; ähnlich Heine, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, S. 114, Kirchner, Die Unterlassungshaftung bei rechtmäßigem Vorverhalten im Umweltstrafrecht, S. 155; Warneke, NStZ 2010, 312 (316). 49 Bock, Criminal Compliance, S. 327. 50 So zutreffend bereits Achenbach, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1 Kap. 3 Rn. 32 ff.; vgl. auch Dierlamm, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, Rn. 107. 51 Bereits seit längerem werden Überlegungen angestellt, einen Straftatbestand der Aufsichtspflichtverletzung zu schaffen, vgl. Hirsch, ZStW 108 (1995), 285 (311) m.w.N. Ein konkreter Gesetzesentwurf des Bundesrates aus dem Jahr 1991 fand im Bundestag aber keine Mehrheit, vgl. BT-Drucks. 12/192, S. 39 ff. Allerdings hat das Land NRW am 14. 11. 2013 einen Gesetzesentwurf zur Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden vorgestellt (dazu Rübenstahl/Tsambikakis, ZWH 2014, 8) der auch der Diskussion um einen Straftatbestand der Aufsichtspflichtverletzung neuen Schwung verleihen könnte. 52 Zu diesem Aspekt Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata, S. 15; Langkeit, in: FS für Otto (2007), 649 (651); Bock, Criminal Compliance, S. 329. 53 Tiedemann, WirtschaftsstrafR AT, Rn. 181. 54 Möchte man entgegen der hier vertretenen Ansicht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers für Straftaten seiner Untergebenen annehmen, so kann dieses zwangsläufig nicht für jedes deliktische Verhalten gelten, sondern nur bei betriebsbezogenem Handeln. Zur Konkretisierung des Merkmals der Betriebsbezogenheit und Abgrenzung des betriebsbezogenen Handelns von originärem strafrechtlichen Fehlverhalten bietet es sich an, dem Vorschlag Schünemanns zu folgen und zu fragen, in welchem Interesse der deliktisch
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Von der Konstruktion einer Garantenpflicht strikt zu trennen ist dagegen die Konstellation, in der ein Unternehmensverantwortlicher freiwillig durch privatrechtliche Regelungen die Verantwortung für ein rechtstreues Verhalten seiner Untergebenen übernimmt55. Eine derartige, rechtlich bindende Selbstverpflichtung wird man beispielsweise in Fällen sog. zwischenbetrieblicher Integritätsklauseln annehmen müssen, in denen sich die Vertragspartner wechselseitig zusichern, besondere Vorkehrungen gegen die Begehung von Straften eigener Mitarbeiter zu ergreifen56. bb) Die revolutionäre (?) Nebenbemerkung des BGH Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich zur Frage einer Geschäftsherrenhaftung bislang nicht eindeutig geäußert. Allerdings hat der 5. Strafsenat57 in einer viel beachteten58 Nebenbemerkung („Obiter Dictum“)59 die Garantenstellung eines „Compliance Officers“ dem Grunde nach bejaht. Überaschenderweise hat er dabei nicht auf die klassischen Kategorien des Überwachungs- und Beschützergaranten zurückgegriffen bzw. den „Gefahrenherd“ Betrieb als Anknüpfungspunkt herangezogen, sondern auf die berufliche Pflichtenstellung des Compliance Officers als verantwortlichen Leiter des betrieblichen Compliance-Bereichs abgestellt und diese Pflichtenstellung mit dem Gedanken einer freiwilligen tatsächlichen Übernahme verbunden: „Aufgabengebiet (des Compliance Officers) ist die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere auch von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können. Derartige Beauftragte wird regelmäßig strafrechtlich eine Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB treffen, solche im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern. Dies ist die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der
handelnde Angestellte agiert: Nur wenn der Angestellte zumindest auch im Interesse des Unternehmens handelt, soll die Unternehmensführung hierfür rechtlich einzustehen haben, vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979, S. 106; ähnlich auch Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener im Wirtschaftsunternehmen de lege lata, S. 68 ff. 55 Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Schaffung eines besonderen Vertrauensverhältnisses mit Garantenstellung durch privatrechtliche Regelungen siehe etwa BGHSt 39, 392 (399), 46, 196 (203). 56 Zur Konstruktion sog. Integritätklauseln Schlösser, wistra 2006, 446 (449); siehe auch Fischer, StGB, § 13 Rn. 40 m.w.N. 57 BGH, Urteil vom 17. 07. 2009 – 5 StR 394/08 = BGHSt 54, 44 = BGH NJW 2009, 3173. 58 Die BSR-Entscheidung des Bundesgerichtshofs führte zu einer Flut von Publikationen in unterschiedlichsten Medien. Allein das Rechtsportal juris verweist auf über 50 Fachaufsätze und Urteilsanmerkungen. Vgl. statt vieler Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 (269); Berndt, StV 2009, 687 (690); Schwarz, wistra 2012, 13 (16). 59 Sehr kritisch zu diesem Instrumentarium Beulke/Witzigmann, JR 2008, 426 (432).
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Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden60.“ Da sich der Senat in seiner Entscheidung nicht weiterführend äußert, bleibt offen, welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Letztlich wird man den Senat aber nur so verstehen können, dass den Compliance-Officer eine abgeleitete Garantenpflicht trifft, innerbetriebliche Straftaten zu verhindern, die er freiwillig von der Unternehmensleitung übernommen hat. Damit hat erstmals ein Senat des BGH die Verantwortlichkeit eines Betriebsinhabers für die Straftaten seiner Mitarbeiter festgestellt. Denn eine Abwälzung entsprechender Pflichten auf einen Compliance Officer setzt zwangsläufig voraus, dass das Organ diese Pflichten bereits inne gehabt hatte61. Wenn der BGH daher eine Garantenpflicht eines Compliance Officers annimmt, wird er eine entsprechende rechtliche Einstandspflicht erst recht bei dem Geschäftsherrn als umfassenden Beherrscher aller betrieblichen inklusive personalen Gefahren bejahen62. Dass dies aber aus rechtspolitischer und dogmatischer Sicht abzulehnen ist, wurde bereits dargelegt. Darüber hinaus bleibt weiterhin offen, wie sich die Bejahung einer Garantenpflicht eines Compliance Officers auf die Einstandspflicht der Unternehmensleitung in diesen Fällen auswirkt. Wenn nämlich die Abwälzung der Pflicht, Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern, seitens der Unternehmensleitung dazu führt, dass sich diese – ausreichende Überwachung und korrekte Auswahl des Compliance Officers unterstellt – vollständig von der strafrechtlichen Haftung exkulpieren kann, so ist letztlich auch für die Befürworter einer Geschäftsherrenhaftung nicht viel gewonnen. Denn die angemahnte Unternehmensverantwortlichkeit würde hierdurch gänzlich konterkariert. Schließlich könnten sich Unternehmensverantwortliche durch die Berufung eines Compliance Officers faktisch freikaufen, ohne tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen. Die aktuelle Entwicklung zeigt jedenfalls, dass die revolutionäre Anmerkung des Senats ihre Wirkung primär in der grundsätzlichen Feststellung der Verantwortlichkeit der Unternehmensführung entfaltet, eine rechtliche Sanktionierung aber weiterhin über die Instrumente der §§ 130, 30 OWiG erfolgt. b) Aufsichtspflichtverletzung und Unternehmensgeldbuße Die breite Diskussion einer Geschäftsherrenhaftung in der Literatur und auch der Rechtsprechung darf aber als Beleg dafür dienen, dass es starke Tendenzen gibt, die Geschäftsherrenhaftung auszuweiten, was sich in den Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts und der aktuellen Diskussion über die Reformierung der Vorschriften bzw. der Einführung eines Unternehmensstrafrechts widerspiegelt.
60 61 62
BGH NJW 2009, 3173 (3175). So auch Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 268 (269); Warnecke NStZ 2010, 312 (316). Bock, Criminal Compliance, S. 324 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
aa) Die Vorschrift des § 130 OWiG Die in der Praxis höchst bedeutsame Regelung des § 130 OWiG zielt auf die Verletzung von Aufsichtspflichten ab und greift den Grundgedanken einer Verhinderungspflicht unmittelbar auf63. Die Vorschrift ist als Ordnungswidrigkeit konzipiert. Die besonderen Rechtsfolgen des § 130 Abs. 3 OWiG mit Bußgelddrohungen in Millionenhöhe stellen die Regelung für den Betroffenen aber einem Straftatbestand gleich64. Nach § 130 OWiG handelt ordnungswidrig, wer es – vereinfacht ausgedrückt – als verantwortlicher Betriebs- oder Unternehmensinhaber65 schuldhaft unterlässt, erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um Straftaten im In- und Ausland66 mit Betriebszusammenhang zu verhindern. Erfasst werden auch Konzernsachverhalte67. Welche Aufsichtspflichten konkret bestehen, wird in der Vorschrift nicht normiert. Zwar existieren einzelne Spezialgesetze68, die die Aufsichtspflichten konkretisieren, in der Praxis findet die Ausfüllung jedoch weitestgehend durch die Gerichte selbst statt69. Erfasst sind letztlich sämtliche betriebliche Aufsichts-, Organisations- und Kontrollpflichten, insbesondere auch die Nichtverhinderung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten70. Nach der Gesetzeskonzeption genügt es dabei bereits, wenn die Zuwiderhandlung „durch gehörige Aufsicht verhindert oder (zumindest) wesentlich erschwert worden wäre“. Die Konsequenz dieses gesetzgeberischen Fehlgriffs zeigt sich in der praktischen Anwendung der Vorschrift: Statt zunächst abstrakt die (realistisch) zu ergreifenden Maßnahmen zu formulieren und das Unterneh63 Zur Historie der Vorschrift des § 130 OWiG und der stetigen Ausdehnung des Anwendungsbereichs Maschke, Aufsichtspflichtverletzungen in Betrieben und Unternehmen, S. 6 ff. 64 Schmidt, wistra 1990, 131 (133). 65 Zur Normadressierung eingehend Rathgeber, Criminal Compliance, S. 257 ff. 66 Da die tatortbegründende tatbestandlich vorwerfbare Handlung des § 130 Abs. 1 OWiG die Unterlassung erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen ist, greift die Vorschrift grundsätzlich auch bei Verstößen von Angestellten im Ausland (z. B. § 299 StGB). Näher Caracas, CCZ 2015, 218. 67 OLG München, Beschluss vom 23. 09. 2014 – 3 Ws 599/14 = StV 2016, 35, siehe auch Baumanns/Schlei, in: FS für Wessing (2015), 123. 68 Beispiele bei Schmid/Fridrich, in: Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, § 30 Rn. 107. 69 Ausführlich zur Aufsichtspflicht Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 35 ff. m.w.N.; vgl. ferner die umfangreiche Rechtsprechung zur Haftung von Unternehmensverantwortlichen: Grundlegend BGHZ 135, 244 (sog. ARAG-Garmenbeck-Entscheidung); BGHSt 9, 319 (323); BGHSt 25, 258 (162); BGH, NStZ 1997, S. 125 ff.; BayObLG, NJW 2002, S. 766; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2002, S. 178; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, S. 51 sowie LG München I, Urteil v. 10. 12. 2013, 5 HK O 1387 = BeckRS 2014, 017998, das explizit davon ausgeht, dass ein Vorstand seiner Organisationspflicht nur gerecht wird, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Vgl. dazu auch Bürkle, CCZ 2015, 52. 70 Einzelheiten bei Greeve, in: FS zu Ehren Strafrechtsausschuss BRAK (2006), 512 (514); Bussmann/Matschke, CCZ 2009, 132; vgl. auch Bosch, Organisationsverschulden im Unternehmen, S. 118.
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menshandeln hierunter zu subsumieren, wird regelmäßig von der Zuwiderhandlung erst auf eine unzulängliche Prävention geschlossen und moniert, welche Maßnahmen im Einzelfall noch hätten ergriffen werden müssen71. Zudem ist es dem betroffenen Betriebsinhaber kaum möglich, sich auf einen Verbotsirrtum zu berufen, da bei dem Adressatenkreis des § 130 OWiG eine allgemeine Berufspflicht angenommen wird, sich über die einschlägigen Vorschriften zu unterrichten72. bb) Die Regelung des § 30 OWiG Während sich § 130 OWiG an individuell Verantwortliche richtet, ist Adressat des § 30 OWiG das Unternehmen selbst73. Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit gegen juristische Personen eine Geldbuße zu verhängen, wenn eine ihrer Leitungspersonen (z. B. ein leitender Angestellter74) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, die in einem Zurechnungszusammenhang zum Unternehmen steht, weil durch sie Pflichten der juristischen Person verletzt wurden oder eine Bereicherung der juristischen Person erreicht werden sollte oder wurde75.76 Die Regelung dient daher sowohl der Abschöpfung von illegal erlangten Vermögensvorteilen als auch der Ahndung. Wesentliches Ziel ist daneben die präventive Abschreckung von Unternehmen, die durch die Androhung empfindlicher Bußen veranlasst werden sollen, bei 71 Vgl. Hauschka/Greeve, BB 2007, 165 (166); ähnlich Bosch, Organisationsverschulden im Unternehmen, S. 563 ff.; Nell, ZRP 2008, 149 (150); Kuhlen, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht 2009, 11 (25) weist in diesem Zusammenhang zudem zu Recht darauf hin, dass sich dabei kaum sicher vorhersagen lässt, wie Staatsanwälte oder Richter die Aufsichtspflichten im Einzelfall tatsächlich konkretisieren. 72 Bock, Criminal Compliance, S. 367; Hüneröder, Die Aufsichtspflichtverletzung im Kartellrecht, 1989, S. 127 ff. 73 Die dogmatische Einordnung der Vorschrift ist höchst umstritten, vgl. Bauer, wistra 1995, 170 (172). Problematisch im Rahmen der Verbandsstrafe ist vor allem ihre Unvereinbarkeit mit dem strafrechtlichen Schuldprinzip. Überwiegend wird daher als Anknüpfungspunkt einer Vorwerfbarkeit das menschlich gesteuerte Handeln des Unternehmensorgans gesehen, vgl. hierzu etwa Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 4 ff. 74 Die Bezeichnung „leitender Angestellter“ ist ein feststehender Begriff des Arbeitsrechts. Erfasst sind nur Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer Leitungsposition im Betrieb wesentliche Arbeitgeberbefugnisse ausüben. An leitende Angestellte werden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Arbeitgeberlager typischerweise gehobene Sorgfaltspflichten gestellt. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Beachtung und Durchsetzung von Compliance-Vorgaben, vgl. Grützner/Jakob, Compliance von A – Z, Stichwort „Angestellter, Leitender“. 75 Vgl. Pelz, in: Hauschka (Hrsg.), Compliance, § 6 Rn. 6 ff.; Greeve, Strafrechtliche Beratung u. Compliance, in: FS Strauda, S. 513 ff.; Zimmer/Stetter, BB 2006, 1445 (1448); Nell, ZRP 2008, 149 (149). 76 Aber auch wenn ein Arbeitnehmer ohne eigene Leitungsverantwortlichkeit im Sinne des § 30 OWiG eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, bleibt das Unternehmen nicht verschont. Denn in einem solchen Fall sieht sich die Unternehmensführung ggf. dem Vorwurf ausgesetzt, den Arbeitnehmer nicht ausreichend überwacht zu haben, was als Organisationsverschulden im Sinne des § 130 OWiG eine Ordnungswidrigkeit nach § 30 OWiG darstellt, vgl. OLG Frankfurt NJW 1992, 2777 (2778); Lemke/Mosbacher, OWiG, § 30 Rn. 8.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
der Auswahl ihrer Führungspersonen die notwendige Sorgfalt walten zu lassen und rechtstreues Verhalten einzufordern77. cc) Rechtsfolgen Als Folge drohen dem Unternehmen nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG Geldbußen bis zu 10 Million Euro78. Insbesondere bei den im Wirtschaftsstrafrecht typischen Fällen eines rechtswidrig erlangten Vermögensvorteils, beispielsweise durch Bestechung von Angestellten (§ 299 StGB) oder Amtsträgern (§ 334 StGB)79, in dessen Folge das Unternehmen einen lukrativen Auftrag erhält, ist zudem § 17 Abs. 4 OWiG zu berücksichtigen. Hiernach können die festgelegten Obergrenzen der Geldbuße überschritten werden, wenn diese nicht ausreichen, um den wirtschaftlichen Vorteil, den das Unternehmen durch die rechtswidrige Handlung erlangt hat, tatsächlich abzuschöpfen und spürbar zu sanktionieren80. Die praktische Bedeutung dieser Ausnahmeregelung bekam u. a. die Siemens AG zu spüren, die auf Grundlage der §§ 30, 130, 17 Abs. 4 OWiG a.F. von der Staatsanwaltschaft München am 15. 12. 2008 einen Bußgelbescheid in Höhe von 395 Millionen Euro erhielt81. Die jeweils konkrete Bemessung der Höhe der Geldbuße bestimmt sich nach § 17 Abs. 3 OWiG. Von besonderer Bedeutung sind daneben unternehmensinterne Umstände, also insbesondere die Frage, inwieweit die Anlasstat durch betriebsinterne Umstände ermöglicht wurde82. Wesentliches Beurteilungskriterium ist in diesem Zusammenhang die Existenz eines effektiven ComplianceSystems zur Verhinderung eines entsprechenden Vorfalls und die eigenen Aufklä77
Rn. 7.
Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 16 Rn. 6; Lemke/Mosbacher, OWiG, § 30
78 Der Bußgeldrahmen des § 30 OWiG wurde im Zuge der 8. GWB-Novelle (hierzu etwa Achenbach, wistra 2013, 369) massiv erhöht: Die Obergrenze der Verbandsgeldbuße betrug bisher gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 OWiG bei Anknüpfung an eine betriebsbezogene vorsätzliche Straftat einer für den Verband verantwortlich handelnden Leitungsperson 1 Million Euro. Seit Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle am 30. Juni 2013 lässt § 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nun Geldbußen bis zum Zehnfachen zu. Handelt es sich bei dem Fehlverhalten nicht um eine Straftat, sondern um eine Ordnungswidrigkeit, bildet das für diese Ordnungswidrigkeit angedrohte Höchstmaß zwar auch weiterhin das Höchstmaß der festzusetzenden Verbandsgeldbuße. Allerdings ermächtigt der Wortlaut den Gesetzgeber nun im neu eingefügten Satz. 3 des § 30 Abs. 2 OWiG künftig eine Verzehnfachung des Höchstmaßes der Geldbuße „nach Satz. 2“ einzuführen. Grundlegend zu §§ 30, 130 OWiG als taugliche Anknüpfungsnormen für Unternehmensgeldbußen Peukert/Altenburg, BB 2015, 2822. 79 Der Anwendungsbereich des § 299 StGB und der §§ 331 ff. StGB wurde durch das neuste Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. 11. 2015 (BGBl. I S. 2025) jüngst erheblich ausgeweitet. 80 OLG Hamm MDR 1979, 870; OLG Hamburg NJW 1971, 1002; zur praktischen Anwendung der Vorschrift und den damit verbundenen Problemen Krumm, wistra 2014, 424. 81 Vgl. den Entwurf des Bußgeldbescheids der Staatsanwaltschaft München I, abrufbar unter http://www.siemens.com/press/pool/de/events/2008-12-PK/MucStaats.pdf (Abrufdatum: 15. 12. 2015). 82 Vgl. hierzu Natale, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 35 Rn. 36 ff. m.w.N.
A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit
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rungsbemühungen des Unternehmens als Selbstreinigung83.84 Ein eingerichtetes und wirksames Compliance-System kann die Feststellung ausschließen, dass der Betriebs- oder Unternehmensinhaber eine aus § 130 OWiG folgende Aufsichtspflicht verletzt hat85. Allgemein fallen beispielsweise betriebsinterne Organisationsmängel, die für den eigentlichen Täter stets als strafmildernd zu werten sind, bei der Bemessung der Verbandsbuße erschwerend ins Gewicht86. Auch insofern besteht folglich aus Unternehmenssicht Anlass, möglichst umfassende Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Daneben drohen den Unternehmen Kartellstrafen nach § 81 Abs. 1 GWB i.V.m. Art 101, 102 AEUV87, die nach § 81 Abs. 4 GWB bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes betragen können88 und denen wachsende Bedeutung zukommt89. dd) Einführung eines Unternehmensstrafrechts Auch vor dem Hintergrund entsprechender Regelungen in ausländischen Rechtssystemen wird in jüngster Zeit verstärkt über die Einführung eines echten Unternehmensstrafrechts nachgedacht. Das Land Nordrhein-Westfalen hat am 17. 09. 2013 einen Entwurf für ein Verbandsstrafgesetzbuch90 vorgestellt, wonach
83
Petermann, Bedeutung von Compliance-Maßnahmen, S. 216; Sahan/Urban, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 35 Rn. 12. 84 Auch die Gesetzesbegründung zur Neuregelung des § 30 Abs. 2 OWiG enthält nun einen ausdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung eines effektiven Compliance-Systems für die konkrete Höhe einer nach § 30 Abs. 2 OWiG zu bemessenden Geldbuße, vgl. BT-Drucks. 17/ 11053, S. 21. Siehe auch die entsprechende und normativ verankerte Compliance-Pflicht im NRW-Gesetzesentwurf zur Einführung einer Unternehmensstrafe, vgl. § 5 Abs. 1 NRW VerbStrGB-E. 85 Vgl. Petermann, Bedeutung von Compliance-Maßnahmen, S. 214 ff.; Dixon/Gößwein/ Hohmann, NZWiSt 2013, 361 (366); Stetter, CCZ 2009, 227 (229); siehe auch Theile, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 38 Rn. 20. 86 Vgl. Wegner, wistra 2000, 361. 87 Näher dazu Achenbach, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 3 Kap. 5, Rn. 20; zur praktischen Anwendung vgl. auch Hellmann/ Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, § 16 Rn. 1014 ff. 88 Die Firma Intel wurden beispielsweise wegen eines Verstoßes gegen Art. 82 EG a.F. (jetzt Art. 102 AEUV) mit einem Bußgeld i.H.v. 1,06 Mrd. Euro belegt, vgl. dazu Dreher, in: FS für Konzen (2006), S. 85 ff. Weitere statistische Nachweise bei Hauschka, BB 2004, S. 1178. 89 Nach Angaben der Bundesregierung hat das Bundeskartellamt allein im Jahr 2013 in 12 Fällen rund 240 Mio. Euro Geldbußen gegen 54 Unternehmen und 52 Privatpersonen verhängt. Im Jahr 2014 wurden bereits bis Juli Geldbußen bis 1 Mrd. Euro verhängt (vgl. BT-Drucks. 18/ 2187). 90 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden, abrufbar auf den Internetseiten des Justizministeriums des Landes unter http://www.justiz.nrw.de/Mitteilungen/2013_09_19_Gesetzesentwurf_Unter nehmensSTR/Gesetztesentwurf-Bundesratsinitiative-Unternehmensstrafrecht.pdf.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
§ 30 OWiG durch eine echte Kriminalstrafe für Unternehmen abgelöst werden soll91. Entsprechende Überlegungen gibt es auch auf Seiten der Bundesregierung92. Alternativ wird eine Reformierung der Regelungen der §§ 130, 30 OWiG in Erwägung gezogen93. Den Reformvorschlägen ist gemein, dass die bisherigen unklaren Regelungen und deren uneinheitliche Anwendung auf der Rechtsfolgenseite im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht als ausreichend angesehen werden, um wirtschaftsschädliches Verhalten wirksam zu bekämpfen und die erforderliche Präventionseffizienz herzustellen. Durch verbindliche Regelungen zur Implementierung einer Corporate Compliance und deren Berücksichtigung bei der Strafzumessung soll zukünftig eine proaktive Förderung von Präventivmaßnahmen erreicht werden. Die Überlegungen reichen dabei von der konkreten Festschreibung von ComplianceElementen auf Tatbestandsebene94 bis hin zu abgestuften Sanktionsmodellen auf der Rechtsfolgenseite mit Instrumenten wie Verfahrenseinstellungen unter ComplianceAuflagen, Kronzeugenregelungen, normierten Bewertungskriterien für die Sanktionsfestsetzung oder extern überwachte Settlements bei der Einführung von Compliance-Systemen95. Neben verbindlichen Standards sollen die Regelungen zugleich die notwendige Flexibilität und Diversifikation aufweisen, um auf den jeweils konkreten Verstoß und das jeweilige Unternehmen angemessen zu reagieren. Vor dem Hintergrund der Vielfalt der Überlegungen verbietet sich an dieser Stelle eine eingehende Bewertung der unterschiedlichen Ansätze und Instrumentarien96. Festzuhalten bleibt aber, dass die gesetzliche Verankerung verbindlicher Compliance-Standards mit präventiver Anreizwirkung nur eine Frage der Zeit ist und das deutsche Strafrecht auch formal vor grundlegenden Änderungen steht. 91 Eingehend zu Inhalt und Zielen des Entwurfes für ein Verbandsstrafgesetzbuch Kutschaty, comply 2015, 14. Siehe auch Rübenstahl/Tsambikakis, ZWH 2014, 8 sowie Grützner, CCZ 2015, 56. 92 Vgl. BT-Drucks. 18/2187 v. 22. 07. 2014, S. 1 ff. 93 Besondere Bedeutung kommt den Reformvorschlägen der Fachgruppe Compliance des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (dazu Moosmayer/Proll-Gerwe, comply 2015, 18) sowie des Deutschen Institutes für Compliance e.V. (dazu Dierlamm, comply 2015, 20) zu. 94 Vgl. die Ausführungen bei Dierlamm, comply 2015, 20. 95 Die §§ 5, 7 und 8 des nordrhein-westfälischen Gesetzesentwurfs enthalten einen breit gefächerten „Instrumentenkasten“, der darauf ausgerichtet ist, proaktive Compliance-Maßnahmen eines Unternehmens in jeder Verfahrensphase zu honorieren. Nach § 5 VerbStrG i.V.m. § 153b Abs. 2 StPO besteht bspw. die Möglichkeit des Absehens von der öffentlichen Klage bei Schadenswiedergutmachung (insb. Rückzahlung der ungerechtfertigten Bereicherung), bei Nachbesserung der der betriebsinternen Abläufe oder im Falle einer Selbstanzeige. Anders als bisher im Ordnungswidrigkeitenrecht bedarf es dazu aber der Zustimmung des Gerichts, was eine ordnungsgemäße Dokumentation der die Entscheidung tragenden Gründe voraussetzt. 96 Angemerkt sei aber, dass eine Reformierung der bestehenden Regelungen im Ordnungswidrigkeitenrecht dem angestrebten Zweck der Prävention sicherlich näher liegt und bereits etablierte Compliance-Standards einfacher aufgreifen kann. Die notwendige Transparenz bei der Sanktionierung von Unternehmen und der damit einhergehende Rechtsschutz aller Beteiligten kann aber nur erreicht werden, wenn man das unübersichtliche Gebiet des Ordnungswidrigkeitenrechts verlässt und sich zum Strafprozessrecht bekennt.
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c) Der Tatbestand der Untreue Die großen Wirtschaftsstrafverfahren der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass eine strafrechtliche Haftung von Unternehmensführern stets über die Vorschrift des § 266 StGB erfolgt, die deshalb als „Zentralnorm des Wirtschaftsstrafrechts“97 bezeichnet werden kann. In den Vorstandsetagen verbreitet die Untreue zunehmend Angst, weil die Norm auf der Rechtsfolgenseite Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorsieht (§§ 266 Abs. 1 i.V.m. 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 StGB). aa) Führungspersonen als potentielle Untreuetäter Die Vorschrift gliedert sich tatbestandlich in die Missbrauchsalternative (§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB) und die Treuebruchalternative (§ 266 Abs. Alt. 2 StGB). Das genaue Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen ist umstritten98, was jedoch in praktischer Hinsicht regelmäßig dahinstehen kann. Insofern ist es angezeigt, den Fokus auf den Treuebruchtatbestand zu richten, der deutlich weiter gefasst ist und als Auffangtatbestand fungiert99. Mit dem Treuebruchtatbestand wird bestraft, wer die ihm kraft eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt. Der Wortlaut lässt somit jedes tatsächliche Treueverhältnis ausreichen100. Als taugliche Täter der Sondervorschrift kommen daher sämtliche Personen in Betracht, die Führungs- und Aufsichtspositionen bekleiden, da es diesen Personen gerade obliegt, die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens wahrzunehmen101. bb) Pflichtverletzung Unter einer Pflichtverletzung ist allgemein jedes Zurückbleiben hinter dem objektiv geschuldeten Pflichtenprogramm zu verstehen102. Der Gebrauch einer typischen Definition des Zivilrechts ist gewollt, weil sich die strafrechtliche Relevanz des § 266 StGB aus der zugrundeliegenden zivilrechtlichen Bewertung ergibt. Da es sich bei der Untreue um ein Vermögensdelikt handelt, richtet sich der zu beachtende Pflichtenkanon nach dem Vermögensinteresse des Vermögensinhabers. Ausgangspunkt der konkreten Pflichtenbestimmung sind zunächst die Vertragsbeziehungen 97 Seier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 5, Kap. 2 Rn. 1. 98 Ausführlich hierzu Dierlamm, in: MüKo-StGB, § 266 Rn. 14 ff.; siehe auch Küper/ Zopfs, Strafrecht BT, Rn. 601. 99 Ähnlich Fischer, StGB, § 266 Rn. 6. 100 Schmid, in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 72. 101 Die einzelnen Anforderungen zur Beurteilung einer Vermögensbetreuungspflicht sind äußerst umstritten. Einzelheiten bei Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 103 ff. und Fischer, StGB, § 266 Rn. 36, jeweils m.w.N. 102 Zum Begriff der zivilrechtlichen Pflichtverletzung Ernst, in: Müko-BGB, § 280 Rn. 9 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
zum Vermögensinhaber, bei Angestellten also in der Regel der Arbeitsvertrag, sowie in Bezug genommene Unternehmensrichtlinien103. Der Schutz von Vermögen setzt auch voraus, sich gegen drohende Gefahren zu wappnen. Zum Pflichtenprogramm eines Unternehmensführers zählt daher zwingend die Kriminalitätsprävention104. Dies führt dazu, dass bei einem strafrechtlich relevanten Fehlverhalten innerhalb seines Betriebs jeder Unternehmensführer damit rechnen muss, dass die zuständigen Behörden auch Ermittlungen gegen die Unternehmensleitung einleiten werden, um zu prüfen, ob hier möglicherweise eine Pflichtverletzung vorliegt105. Die Problematik gewinnt weitere Brisanz, weil der Gesetzgeber im Wortlaut nicht näher konkretisiert hat, worin die Pflichtverletzung bestehen kann, sondern sich die Pflicht erst aus dem jeweiligen zugrundeliegenden Betreuungsverhältnis selbst ergibt106. Nicht selten wird sogar mit Hinweis auf das jeder Treuepflicht innewohnende Schädigungsverbot ausgehend vom kausal herbeigeführten Vermögensschaden auf eine Pflichtverletzung geschlossen107. Konkretisierungen der Pflichtverletzungen finden sich jedoch in außerstrafrechtlichen Vorschriften mit vermögensschützendem Charakter. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang § 91 Abs. 2 AktG. Ein Verstoß gegen die hier aufgeführten Risikosteuerungspflichten ist eine Pflichtverletzung im Sinne der Untreue, da die Vorschrift bereits nach ihrem Wortlaut die Interessen des Vermögensinhabers schützt und Verhaltensrichtlinien aufstellt, bei deren Zuwiderhandeln ein pflichtwidriges Verhalten im Sinne des § 266 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StGB gegeben ist108. Geht man überdies davon aus, dass Compliance-Systeme der Schaffung von Verantwortungsregeln dienen109, erscheint es nicht fernliegend, dass die Rechtsprechung bereits im Verzicht auf Compliance-Maßnahmen eine schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung erblicken könnte110. Hier offenbart sich exemplarisch die mittelbare Wirkung des Zivilrechts auf die Untreue, die aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite nach Ausfüllung sucht. Die Bezugnahme auf zivilrechtliche Vorschriften hat zur Konsequenz, dass faktisch jeder zivilrechtliche Pflichtverstoß für den Treuepflichtigen eine Strafbarkeit wegen Untreue nach sich ziehen kann. Die Strafvorschrift des § 266 StGB schwebt daher wie ein Damoklesschwert über jedem 103
Theile, ZIS 2008, 406 (411). Ähnlich Bock, Criminal Compliance, S 349; in diesem Sinne auch LG München CCZ 2014, 142. Siehe auch Bürkle, CCZ 2015, 52. 105 Vgl. Mosieck, wistra 2003, 370. 106 BGHSt 8, 254 (258); BGHSt 24, 386 (387); Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 94. 107 Kraatz, ZStW 123 (2011), 447 (448). 108 Grundlegend LG München I, Urteil v. 10. 12. 2013, 5 HK O 1387 (Siemens-Neubürger) = CCZ 2014, 142, wonach Unternehmensführer rechtlich verpflichtet sind, ein effektives Compliance-System zu implementieren und zu überwachen und bei Verstößen für entstehende Schäden schadensersatzpflichtig sind. Vgl. dazu auch Bürkle, CCZ 2015, 52. 109 So explizit formuliert in BT – Drucks. 18/2187. 110 Ähnlich auch schon Zapfe, Compliance und Strafverfahren unter Verweis auf LG Bonn NJW 2001, 1736 (1739). 104
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Wirtschaftsführer und kann bereits wegen ihrer gesetzlichen Konzeption als regelrechter Compliance-Motor bezeichnet werden. Die mediale Berichterstattung der letzten Jahre111 hat die Betroffenen zusätzlich für das Thema sensibilisiert112. cc) Instrumentalisierung der Untreue für die Strafverfolgung Die dargelegte Gefahrenlage gewinnt für Unternehmensführer zusätzlich an Brisanz durch eine zunehmende Instrumentalisierung der Untreue für die Strafverfolgung. Vor allem bei Bestechungshandlungen von längerfristiger Dauer sieht sich die Unternehmensführung mit dem Vorwurf konfrontiert, dass man doch „etwas ahnen musste“. Wenngleich nur fahrlässiges Verhalten freilich nicht ausreicht, ist die Grenze zu einem „billigenden In-Kauf-nehmen“ möglicher Missstände fließend und ein entsprechender Vorwurf jedenfalls ausreichend, um einen Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO anzunehmen113. Dies gilt umso mehr, wenn sich das Unternehmen mit dem Vorwurf einer Geldwäsche konfrontiert sieht, die nach § 261 Abs. 5 StGB auch leichtfertig begehbar ist114. Auch ein nur unterstelltes Wissen wird somit leicht zum „Einfallstor der Ermittlungsbehörden“115. d) Pflicht zur Einführung von Compliance-Systemen? Im dargelegten Kontext ist auch die stetig wachsende Diskussion über eine etwaige Pflicht zur Einführung von Compliance-Programmen zu beachten. Wenn eine solche Pflicht existieren würde, müsste man deren Umsetzung in den Aufgabenbereich der Unternehmensführung einordnen, woraus sich Anknüpfungspunkte für eine Garantenpflicht der Unternehmensleitung ableiten ließen und somit – bei Verletzung dieser Pflicht – auch eine Strafbarkeit wegen Untreue im Raum stünde.
111 Bekanntes Beispiel ist die öffentliche Festnahme des früheren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, die mit einem ganz erheblichen Medienaufgebot begleitet wurde. Vgl. hierzu bspw. Handelsblatt Online, Art. v. 14. 2. 2008, http://www.handels blatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/erste-details-justiz-wirft-zumwinkel-millionen-be trug-vor/2922196.html. (Abrufdatum: 15. 12. 2015). 112 Aus diesem Grunde hat sich inzwischen sogar eine ganze Branche entwickelt, die sich professionell mit der öffentlichen Darstellung von Beschuldigten beschäftigt, vgl. hierzu etwa Holzinger/Wolf, Im Namen der Öffentlichkeit, S. 187. 113 Deutlich aber treffend Jahn, AnwBl 2013, 207: „Der Straftatbestand der Untreue lässt sich missbrauchen, um jegliches schief gegangenes Geschäft zu kriminalisieren“. 114 Zur Bedeutung der Geldwäsche für eine Strafbarkeit nach § 266 StGB und Instrumentalisierung der Untreue für eine Strafverfolgung Bülte, NStZ 2014, 680 ff. 115 Seier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 5, Kap. 2 Rn. 22, der gleichzeitig darauf hinweist, dass der Tatbestand der Untreue aufgrund seiner Weite für die Behörden auch eine „willkommene“ Möglichkeit bietet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und prozessuale Zwangsmaßnahmen einzusetzen.
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aa) Herleitung über § 91 Abs. 2 AktG? Positiv normiert hat der Gesetzgeber das Erfordernis eines Überwachungssystems ausschließlich in § 91 Abs. 2 AktG116. Hiernach ist der Vorstand einer Aktiengesellschaft verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Die Vorschrift soll dabei nach der gesetzgeberischen Zielsetzung auch Ausstrahlungswirkung auf die GmbH entfalten117. Fraglich ist jedoch, ob sich aus der Regelung auch eine Rechtspflicht zur Einführung eines Compliance-Systems ableiten lässt. Ausgehend vom Wortlaut ließe sich argumentieren, dass der Gesetzgeber hier nicht nur von geeigneten Maßnahmen spricht, sondern explizit die Einrichtung eines „Überwachungssystems“ zur Früherkennung fordert, weshalb insbesondere Teile der Betriebswirtschaftslehre eine echte Rechtspflicht zur Einführung eines ganzheitlichen Risikomanagements ableiten, das auch Maßnahmen zur Risikokompensation, also Vermeidungs- und Verhinderungsmaßnahmen mit einschließt118. Gegen eine derartige gesetzgeberische Intention lässt sich jedoch bereits die im Wortlaut vorgenommene Einschränkung auf tatsächlich existenzbedrohende Gefahren einwenden. Hätte der Gesetzgeber den Unternehmen bewusst ein weitreichendes Frühwarnsystem auferlegen wollen, so hätte er gerade keine Einschränkungen vorgenommen. Des Weiteren legen auch die Gesetzesmaterialen eine restriktive Auslegung nahe119. Die hier vorzufindenden Beispiele sollen allesamt nicht unbekannte abstrakte Gefahren verhindern, sondern zielen auf konkrete „Entwicklungen“ ab, die bereits angelaufen sind120. Folglich ist davon auszugehen, dass § 91 Abs. 2 AktG den Vorstand zwar verpflichtet, geeignete Maßnahmen (z. B. Schulungen von Mitarbeitern in besonders gefährdeten Abteilungen) zur internen Überwachung zu ergreifen, um akute Risikolagen rechtzeitig zu identifizieren121. Hieraus kann jedoch keine Pflicht zur Einführung eines umfas116 Allerdings existieren zahlreiche Einzelvorschriften, die den Unternehmen auferlegen, geeignete Kontrollmechanismen zu installieren. Zu nennen sind hier für Kreditinstitute insbesondere § 25a KWG und für Wertpapierdienstleistungsunternehmen § 33 WpHG. Zudem benennt auch der DCGK Standards einer guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung, welche helfen sollen die Begehung unternehmensinterner Straftaten zu verbessern (vgl. DCGK, online abrufbar unter http://www.dcgk.de/de/kodex/aktuelle-fassung/praeambel. html (Abrufdatum: 15. 12. 2016). Der DCGK besitzt richtigerweise keine Normqualität, sondern ist dem so genannten soft law zuzuordnen, vgl. Rathgeber, Criminal Compliance, S. 346 ff. m.w.N. 117 Münzenberg, in: Romeike (Hrsg.), Rechtliche Grundlagen des Risiko-Managements, S. 103 ff. 118 Vgl. Lück, DB 1998, 1925; Füser/Glesner, DB 1999, 753. 119 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 13/9712, 15. 120 Ähnlich Seibert, in: FS für Bezzenberger (2000), 427 (427 ff.). 121 Eine Missachtung dieser Organisationspflichten kann dabei ausweislich der Gesetzesmaterialien eine Schadensersatzpflicht nach § 93 Abs. 2 AktG auslösen. Die genaue Ausgestaltung dieser Pflicht hängt dabei notwendigerweise von der Größe und Organisation des Unternehmens ab, sodass dem Vorstand bei der Auslegung der ihm obliegenden Pflichten ein
A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit
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senden Compliance-Systems abgeleitet werden und dem Vorstand das Fehlen allgemeiner Compliance-Strukturen auch nicht als Pflichtverletzung im Rahmen einer etwaigen Untreue vorgeworfen werden. bb) Compliance-Pflicht durch Gesamtanalogie Schneider möchte eine Rechtspflicht hingegen aus einer Gesamtanalogie der zahlreichen Einzelvorschriften122 begründen, in denen den Unternehmen Vorkehrungen zur Verhinderung gesetzeswidrigen Verhaltens vorgeschrieben werden123. Dem kann jedoch ebenfalls nicht gefolgt werden, da es bereits an der für eine Analogie notwendigen Regelungslücke fehlt. Das Thema Compliance hat das Wirtschaftsrecht bereits seit Jahren beherrscht. Folglich ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bewusst nur für die Normierung einzelner Pflichten entschieden hat. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeiten eines Compliance-Programmes bekannt sind, wie die jüngsten Gesetzesbegründungen zeigen124. cc) Faktische Pflicht und zunehmende Verstrafrechtlichung Neben dieser streng dogmatischen Beurteilung wird man aber nicht von der Hand weisen können, dass das Netz der gesetzgeberischen Vorgaben sehr engmaschig gestrickt ist. Diese Entwicklung spiegelt auch der Wortlaut der Neuregelung des § 25a KWG sowie den neuen Strafvorschriften nach dem sog. Trennbankengesetz wider: Die Vorschrift des § 25a KWG erlegt den betroffenen Instituten besondere organisatorische Pflichten auf, ist dabei in ihrem Wortlaut zugleich derart detailliert, dass ein grundsätzliches Ermessen bezüglich der konkreten Umsetzung nahezu auf Null reduziert ist. Der staatliche Trend zur Sanktionierung der Organisationsverantwortung hat seinen Niederschlag schließlich auch in den neuen Strafvorschriften des § 54a KWG und § 142 VAG gefunden. Hiernach können Geschäftsleiter von Banken und Versicherungsunternehmen auch bei nur fahrlässigem Handeln ohne Heranziehung des § 266 StGB strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie durch Nichteinhaltung von Managementanforderungen eine existenzge-
Ermessensspielraum zukommt, der ihn regelmäßig vor haftungsrechtlicher Inanspruchnahme schützt, vgl. hierzu Fleischer, AG 2003, 291 (298) m.w.N. 122 Neben den bereits genannten § 91 Abs. 2 AktG, § 25a KWG und § 33 WpHG zieht Schneider bei seiner Argumentation auch die Vorschrift des § 130 OWiG heran, die den Unternehmen letztlich mittelbar die Errichtung eines Überwachungssystems aufbürdet. Daneben verweist er auf bestehende öffentlich-rechtliche Organisationspflichten (u. a. § 52a Abs. 2 BImSchG), vgl. Schneider, ZIP 2003, 644 (648 ff.). 123 Schneider, ZIP 2003, 644 (648 ff.). 124 Vgl. etwa die Gesetzesbegründung zur Neuregelung des § 30 Abs. 2 OWiG: BTDrucks. 17/11053, S. 21.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
fährdende Krise ihres Unternehmens herbeiführen125. Die Bedeutung der Vorschriften ist bereits wegen ihrer fahrlässigen Begehungsweise nicht zu unterschätzen. In diesem Kontext verdient schließlich auch die jüngst durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. 11. 2015126 bewirkte Erweiterung des Vortatkataloges der Geldwäsche (§ 261 StGB) um die Vorschrift des § 299 StGB Beachtung. Da die Strafdrohung des § 261 StGB sämtliche Gegenstände und Surrogate erfasst, die aus einer Vortat herrühren, ist nicht nur ein gezahltes Schmiergeld umfasst, sondern in gleicher Weise auch die aufgrund einer Bestechungshandlung gelieferten Waren bemakelt. Wer dies im Sinne des § 261 Abs. 5 StGB leichtfertig verkennt und mit diesen Waren handelt, ist somit wegen Geldwäsche strafbar127. Entsprechend besteht zwar außerhalb des Anwendungsbereichs des § 91 Abs. 2 AktG keine rechtliche Pflicht zur Einführung eines Compliance-Systems (weshalb auch die Nichtvornahme entsprechender Maßnahmen nicht per se als Pflichtverletzung angesehen werden kann), allerdings existiert durch die Pönalisierung der Einzelverpflichtungen nach deutschem Recht128 zumindest ein faktischer Zwang, mindestens teilweise Compliance-Maßnahmen zu ergreifen. Der häufig anzutreffende Hinweis, es müsse jedem Unternehmen selbst überlassen sein, wie es die gesetzlichen Vorgaben umsetze129, ist somit zwar dogmatisch zutreffend, aus praktischer Sicht aber rein theoretischer Natur. e) Vermögensabschöpfung und Verfall Neben den „klassischen“ Strafbarkeitsrisiken drohen Unternehmen bei Verstößen ihrer Mitarbeiter auch erhebliche finanzielle Risiken durch die Möglichkeit des Verfalls nach §§ 73 ff. StGB und § 29a OWiG und der Vorteilsabschöpfung nach §§ 34, 34a GWB sowie die allgemeinen Vorschriften ergänzende Sondervorschriften, wie bspw. §§ 375 Abs. 2, 394 AO oder § 7 WiStG. Verfall und Gewinnabschöpfung sind scharfe Schwerter gegen das Vermögens- und Finanzinteresse des Unternehmens130. Der Verfall ist nach der zutreffenden h.M. keine Strafe, sondern von seiner dogmatischen Natur eine strafähnliche Maßnahme eigener Art131. Die Vorschriften 125 Zu den neuen Strafvorschriften nach dem sog. Trennbankengesetz Goeckenjan, wistra 2014, 201. 126 BGBl I S. 2025. 127 Ähnlich Bülte, NZWiSt 2015, 281. 128 Zur Rechtslage in anderen Ländern vgl. Spehl/Momsen/Grützner, CCZ 2013, 260 (263 ff.). 129 Hauschka, ZIP 2004, 877 (878), Dierlamm, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, S. 478; Bürkle, BB 2005, 565 (570). 130 Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (85). 131 BGHSt 47, 369 = NJW 2002, 3339 (3340 f.); BGH NStZ 1995, 491; Fischer, StGB, § 73 Rn. 2a.
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des Verfalls in § 29a OWiG und §§ 73 ff. StGB zielen darauf ab, durch Abschöpfung unrechtmäßig erlangter Vermögensvorteile einen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen132. Die Vorschrift des § 29a OWiG ist zwar subsidiär zur Gewinnabschöpfung nach § 17 Abs. 4 OWiG, jedoch sieht § 29a Abs. 2 OWiG auch die Einziehung rechtswidrig erlangter Vermögenswerte bei Dritten vor, die nicht Täter oder Teilnehmer der Tat sind. „Ein anderer“ (Dritter) im Sinne der Vorschrift kann dabei auch eine juristische Person sein133. Damit ist der Anwendungsbereich für Unternehmen eröffnet, sodass jeder Betrieb, der durch unerlaubte Handlungen seiner Mitarbeiter einen Vorteil generiert, stets damit rechnen muss, dass ihm der Vorteil und die hieraus gezogenen Früchte wieder entzogen werden, auch wenn den leitenden Organen eine Pflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG nicht vorzuwerfen ist. Erfüllt der Mitarbeiter bei seinem Handeln sogar den Tatbestand einer Strafvorschrift (z. B. Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 334 StGB), greifen die §§ 73 ff. StGB ein134. Der sogenannte Drittverfall, der dem Gedanken des § 29a Abs. 2 OWiG entspricht, ist in § 73 Abs. 4 StGB geregelt. Der Verfall kann sowohl für die unmittelbar aus der Tat erlangten Vorteile angeordnet werden als auch für die Vermögenswerte und Gegenstände, die zur Begehung der Straftat verwendet wurden, also im Falle einer Bestechung beispielsweise das Bestechungsgeld bzw. das entsprechende Sachobjekt. Strafprozessual werden die Vorschriften durch die §§ 111b ff. StPO flankiert, die den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit eröffnen, dem Verfall unterliegende Vermögenswerte bereits mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens sicherzustellen135. Für Vorteilsziehungen, die auf kartellrechtlichen Verstößen beruhen, sehen die §§ 34, 34a GWB Möglichkeiten der Abschöpfung vor. Die Maßnahmen sind nach § 34 Abs. 2 S. 1 GWB subsidiär gegenüber straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sanktionen. Unternehmen, denen die Verfallsanordnung droht, bietet einzig die Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 S. 1 StGB einen Rettungsanker: Nach Ansicht des BGH soll die Möglichkeit, gegen Drittbegünstigte den Verfall anzuordnen, präventiv bewirken, „dass der Dritte […] Kontrollmechanismen zur Verhinderung solcher Straftaten errichtet und auf deren Einhaltung achtet“136. Erfüllt ein Unternehmen den im Normzweck enthaltenen präventiven Auftrag durch Einrichtung eines wirksamen
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Greeve, in: Hauschka (Hrsg.), Compliance, § 25 Rn. 84. Mitsch, in: KK-OWiG, § 29a Rn. 35. 134 Vgl. Joecks, in: MüKo-StGB, § 73 Rn. 51. 135 Die sog. Vedachtsvermögensgensabschöpfung wird in Wirtschaftsstrafverfahren regelmäßig praktiziert. Ziel ist der frühzeitige Sicherungszugriff auf Vermögenswerte, die nach Stand der Ermittlungen der Vermögensabschöpfung anheimfallen, vgl. Joecks, in: MüKoStGB, § 73 Rn. 77. Sehr kritisch zu diesem Instrumentarium und der expansiven Anwendung durch die Strafverfolgungsbehörden Wehnert/Mosiek, StV 2005, 568. 136 BGH NJW 2002, 3339 (3341). 133
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Compliance-Systems, steigert dies somit erheblich die Chance die Anordnung des Verfalls wegen „unbilliger Härte“ auszuschließen137. f) Extension durch Internationalisierung des Wirtschaftsstrafrechts Die Haftungsrisiken für Unternehmen steigen zudem um ein Vielfaches, wenn diese international agieren und damit ausländischen Regelungen unterworfen sind. Vor allem in den USA und Großbritannien besteht eine zunehmende Tendenz, der ansteigenden Wirtschaftskriminalität durch den Ausspruch drakonischer (Unternehmens)Strafen entgegenzuwirken138. Paradigmatisch dafür stehen die Strafen im Korruptionsskandal der Firma Siemens139. aa) Vereinigte Staaten von Amerika (USA) Der Anwendungsbereich des US-amerikanischen Regelungswerks ist bereits eröffnet, wenn ein Unternehmen – unabhängig von seinem Sitz oder seinem tatsächlichen Handlungszentrum – an der US-Börse gelistet wird, Tochterfirmen in den USA besitzt oder schlicht im Hoheitsgebiet der USA tätig wird140. Unterliegt ein Unternehmen der amerikanischen Rechtshoheit, ist es bereits nach dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA)141 verpflichtet, ein Compliance-System zu implementieren. Aufgrund der kasuistisch geprägten Rechtstradition stellt das amerikanische Recht sehr konkrete Vorgaben an den Inhalt eines solchen Präventivsystems142. Verschärft wurden die geltenden Compliance-Anforderungen durch den Sarbanes Oxley Act (SOA)143, der im Zuge der großen Bilanzmanipulationsskandale im Jahre 2002 erlassen wurde und auf die Verbesserung der Zuverlässigkeit und 137 Zustimmend Stetter, CCZ 2009, 227 (230); Dixon/Gößwein/Hohmann, NZWiSt 2013, 361 (366). 138 Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 125 ff., 156 ff.; Behrens, RIW 2009, 22 (31). 139 Die Siemens AG musste zur Bewältigung des Korruptionsskandals insgesamt über EUR 1,2 Mrd. aufbringen. Alleine die Kosten wegen Verstößen gegen den FCPA beliefen sich auf rund EUR 600 Mio., obwohl Siemens durch eine Kooperation mit der SEC ein gerichtliches Verfahren in den USA abwenden konnte. Hierin nicht enthalten sind die von Siemens zu tragenden Ermittlungskosten der Internal Investigation durch die US-amerikanische Kanzlei Debevoise & Plimpton. Daneben zahlte Siemens zur Beendigung des laufenden Korruptionsskandals in Deutschland noch insgesamt EUR 596 Mio. Zu den Sanktionen gegen die Firma Siemens ausführlich Wewerka, Internal Investigations, S. 39 ff. 140 Vgl. Bussmann/Matschke, wistra 2008, 88 (95); Behrens, RIW 2009, 22 (27). 141 Abrufbar unter http://www.justice.gov/criminal-fraud/foreign-corrupt-practices-act (Abrufdatum: 15. 12. 2016). 142 Vgl. hierzu Rieder/Falge, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance S. 22. 143 Abrufbar unter https://www.sec.gov/about/laws/soa2002.pdf (Abrufdatum: 15. 12. 2016); eingehend zu diesem Institut Menzies, Sarbanes-Oxley Act, S. 15 ff.
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Richtigkeit der Unternehmensberichterstattung abzielt144. Hiernach sind Vorstandsvorsitzender und Finanzvorstand verpflichtet, Richtigkeitserklärungen über die Geschäftsberichte abzugeben, sowie die Einrichtung eines funktionierenden Kontrollsystems zu versichern. Diese Erklärungen sind strafbewehrt und können darüber hinaus Anknüpfungspunkt für eine zivilrechtliche Inanspruchnahme sein: Wurden Schmiergeldzahlungen getätigt oder anderweitig durch korruptives Verhalten Geschäfte beeinflusst, so tauchen entsprechende Zahlungen in den Bilanzen zwangsläufig nicht auf – die Bilanz ist falsch. Die abgegebenen Erklärungen der Unternehmensführer sind folglich unrichtig, wofür die Unterzeichner sich dann rechtlich verantworten müssen. Den Unternehmensführern drohen im Entdeckungsfalle empfindliche Bußgelder und sogar Freiheitsstrafen. Neben der unmittelbaren Inanspruchnahme der Mitarbeiter sieht das angloamerikanische Rechtssystem zudem auch eine Sanktionierung des Unternehmens als eigenständiges Rechtsobjekt vor. Denn im Gegensatz zum deutschen Recht ist die Unternehmensstrafe in den USA anerkannt und wird konsequent praktiziert145.146 Auch dem Unternehmen drohen somit drakonische Strafen bis hin zur Existenzvernichtung. Den zuständigen US-Anklagebehörden wird bei ihren Entscheidungen ein sehr weiter Ermessensspielraum zugebilligt147. Eine gesetzliche Entscheidungsbindung, wie wir sie durch das deutsche Legalitätsprinzip kennen, gibt es nicht. Zur konkreten Ausübung der Ermessenshoheit existieren lediglich Richtlinien, die von der zuständigen Anklagebehörde zu berücksichtigen sind148. Die Höhe der zu verhängenden Sanktion ist demnach abhängig von der Stärke des Schuldvorwurfs („culpability score“), der sich aus verschiedenen Faktoren zusammensetzt, wie beispielsweise die Frage einer aktiven Beteiligung des Unternehmens an den Vergehen oder dessen Vorgeschichte. Neben den schuldverstärkenden (positiven) Faktoren existieren aber auch Strafmilderungs-Punkte, die in der Praxis größte Bedeutung haben: Das Vorhandensein eines effektiven Compliance- und Ethikprogramms im Unternehmen und vor allem die spätere Kooperation mit den US-
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Während die strafrechtliche Kontrolle allein durch das US-Department of Justice (DOJ) ausgeübt wird, obliegt die konkrete Aufsicht über die unternehmensintern getroffenen organisatorischen Maßnahmen der US-Securities and Exchance Comission (SEC). Die SEC verfügt über erhebliche zivilrechtliche Sanktionskompetenzen und kann darüber hinaus gegenüber dem DOJ Empfehlungen zur Anklageerhebung und strafrechtlicher Sanktionierung von Unternehmen aussprechen. Zum konkreten Vorgehen der SEC im Siemens-Fall Jahn, StV 2009, 41 ff. 145 Eingehend zur Unternehmensstrafbarkeit nach US-amerikanischem Recht Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 80 ff. 95 ff. 146 Zur angedachten Einführung einer echten Kriminalstrafe für Unternehmen im deutschen Strafrecht vgl. die Ausführungen oben S. 39 ff. 147 Vgl. Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), S. 75; Wagner, CCZ 2009, 8 (9). 148 Zu den konkreten Entscheidungskriterien Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 163 ff.
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Ermittlungsbehörden im Rahmen der Aufklärung der Verstöße149 sind bei der Festlegung der Sanktion strafmildernd zu berücksichtigen und können sogar zu einem Absehen von einer Anklage führen150.151 Aktuell gehen US-Behörden noch stärker dazu über, kooperierenden Unternehmen nur dann einen Strafrabatt zu gewähren, wenn diese nicht nur den Sachverhalt umfassend aufklären, sondern auch alle schuldigen Mitarbeiter und Führungskräfte unter Beifügung von Beweismitteln persönlich namhaft machen152. bb) Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland (UK) Neben den US-amerikanischen Regularien ist aber auch auf europäischer Ebene ein Trend zur Verschärfung der strafrechtlichen Regelungen zu beobachten. In Großbritannien trat am 01. Juli 2011 der UK Bribary Act (UKBA) in Kraft, der das britische Antikorruptionsstrafrecht erheblich verschärft und auch Auswirkungen auf deutsche Unternehmen hat153 : Der UKBA gilt weltweit für alle Personen, die mit britischen Unternehmen in geschäftlichen Beziehungen stehen154. Nach § 7 UKBA ist es dabei bereits ausreichend, wenn eine dem Unternehmen „nahestehende Person“ (associated person) eine andere Person im privaten oder öffentlichen Sektor besticht und im Unternehmensinteresse handelt. Der Regelungskatalog enthält eine ausdrückliche Vorschrift zur Unternehmensstrafbarkeit im Falle einer unterlassenen Verhinderung von Bestechung (failure of commercial organisations to prevent bribary). Auch hier entfällt eine Haftung des Unternehmens nur dann, wenn dieses nachweisen kann, dass geeignete Maßnahmen (adequate procedures)155 zur Ver149
Der faktische Zwang, der Unternehmen an der Aufklärung der Verstöße aktiv mitzuwirken und damit die eigene Überführung erst zu ermöglichen, basiert auf der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court, wonach sich Unternehmen nicht auf die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit berufen können, da dieses Privileg der besonderen Drucksituation in Vernehmungssituationen geschuldet sei, vgl. U.S. vs. White, 322 U.S. 694. 150 Die Entscheidung hierüber obliegt dem DOJ, das sich aber stets an den Empfehlungen der Aufsichtsbehörde SEC orientiert. Näher Walisch, Organisatorische Prävention gegen strafrechtliche Leitungen nach US-Recht, S. 56 ff. 151 Aktuell hat die SEC eine erhebliche Verschärfung der bestehenden Regelungen angekündigt: Zukünftig sollen Unternehmen bei Verstößen gegen den FCPA nur noch dann in den Genuss einer Strafmilderung kommen, wenn sie die Behörden eigeninitiativ durch eine Selbstanzeige auf die entsprechenden Verstöße hingewiesen haben, vgl. Meldung Juve.de vom 20. 11. 2015, http://www.juve.de/nachrichten/2015/11/korruptionsbekaempfung-us-boersenauf sicht-sec-setzt-daumenschrauben-bei-unternehmen-an (Abrufdatum: 15. 12. 2015). 152 Ein entsprechendes Vorgehen ergibt sich aus dem am 09. 09. 2015 veröffentlichten sog. Yates-Memorandum. Eingehend dazu Pant, CCZ 2015, 242. 153 Zu Historie, Inhalt und Auswirkungen des UKBA Dixon/Gößwein/Hohmann, NZWiSt 2013, 361; Hugger/Pasewaldt, CCZ 2011, 23. 154 Vgl. Deister/Geier, CCZ 2011, 12 (13 ff.). 155 Eine Konkretisierung der geeigneten Maßnahmen erfolgt durch die vom britischen Justizministerium veröffentlichten Leitlinien, in denen die Anforderungen an das zu implementierende Compliance-System festgeschrieben sind.
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hinderung von entsprechenden Taten getroffen wurden, also gleichsam ein effektives Compliance-System existiert156. In der Praxis ist der UKBA zwar bislang hinter den Erwartungen zurückgeblieben und hat tatsächlich nur zu einer geringen Anzahl von Verurteilungen geführt157. Das Königreich treibt die Korruptionsbekämpfung aber weiter voran. Am 01. Oktober 2014 traten die Richtlinien zur konkreten Bestrafung von Betrug, Korruption und Geldwäsche in Kraft, welche die Regelungen des UKBA inhaltlich ergänzen und erweitern158. cc) Internationale Harmonisierung durch nationales Strafrecht Im Zuge der internationalen Harmonisierung der Regelungswerke wird immer häufiger anstelle von aufwendigen länderübergreifenden Kontrollsystemen der scheinbar einfachere Weg über das nationale Strafrecht der Mitgliedsstaaten gewählt, zumal dieser den Staaten die größten Freiheiten einräumt, bei der Umsetzung der Vorgaben der EU eigene Vorstellungen einzubringen159. Die Auswirkungen der europäischen Rechtsangleichung sind aber unverkennbar. Vor allem Richtlinien und Rahmenbeschlüsse der EU und EG zum Bilanzrecht, zur Geldwäsche, zur Korruption, Geldfälschung und dem Kapitalmarktstrafrecht wirken tief in die deutsche Rechtswirklichkeit hinein160. Europäische Ermittlungsbehörden (OLAF, Europol, Eurojust) wurden eingerichtet und haben zum Teil bereits seit langem ihre Arbeit aufgenommen. Für Unternehmen bedeutet das, bei einem entsprechenden Verstoß gleich von mehreren Seiten belangt zu werden, zumal der Grundsatz „ne bis in idem“ des Art. 103 Abs. 3 GG lediglich die mehrfache Bestrafung durch deutsche Behörden verbietet161; im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr ist das Doppelbestrafungsverbot nicht anerkannt162. 156
Ähnlich Dixon/Gößwein/Hohmann, NZWiSt 2013, 361 (366). Vgl. dazu und den bisherigen Verurteilungen nach dem UKBA Saifee/Wilson, comply 2015, 22. 158 Näher dazu Späth/Tybus, CCZ 2016, 35. 159 Pieth, in: FS für Lüderssen (2002), 317 (318). 160 Mit Beschluss vom 15. 10. 2015 hat der Deutsche Bundestag jüngst das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption beschlossen (BT-Drs. 468/15), das der Anpassung des deutschen Strafrechts an die verbindlichen Vorgaben aus dem EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor und der Ratifizierung des Strafrechtsübereinkommens des Europarates (Criminal Law Convention on Corruption) vom 01. 07. 2002 dient und u. a. weitreichende Änderungen im Bereich der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) sowie der Geldwäsche (§ 261 StGB) mit sich bringt. Zu den Auswirkungen internationaler Vorgaben vgl. auch Park, NStZ 2007, 369 (371); Schork/ Reichling, StraFo 2012, 125; Bock, Criminal Compliance, S. 260. 161 BVerfGE 75, 1 ff. 162 Die Frage eines Doppelbestrafungsverbots dürfte eine der bedeutsamsten Fragen im internationalen Strafrechtsverkehr werden, da nahezu jede demokratisch geprägte Rechtsordnung den Kerngedanken einer nur einmaligen Bestrafung in sich trägt, jede Nation jedoch ihrerseits einen eigenen Strafanspruch besitzt. Zwar sind besonders auf europäischer Ebene bereits Übereinkommen getroffen, die eine Doppelbestrafung ausschließen (bspw. Schengener 157
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dd) Einfluss auf nationales Recht: Maßstab für eine deutsche „best practice“ Bezogen auf die tatsächliche Anwendung betreffen die formal-rechtlichen Regelungen der USA zwar nur einen sehr geringen Prozentsatz deutscher Unternehmen, da zahlreiche Firmen nach den drakonischen Strafen im Siemensskandal ihre Börsennotierung in den USA aufgegeben haben. Jedoch haben die US-amerikanischen Praktiken auch auf anderer Ebene großen Einfluss und setzen Maßstäbe für die „best practice“, was dann wiederum auch in die rechtliche Bewertung durch deutsche Gerichte einfließt, da Organisationsmängel vielfach an der Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten gemessen werden163. Es ist somit davon auszugehen, dass infolge der herausragenden Bedeutung der US-amerikanischen Wirtschaftsmacht der US-Gesetzgeber auf diese Weise weltweite Standards in der Vermeidung und Verfolgung von Wirtschaftskriminalität setzen wird164. Der Erlass des UK Bribary Acts im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland darf als erster Beleg für die Richtigkeit dieser These herangezogen werden. Eine derartige Amerikanisierung des deutschen Unternehmens(straf)rechts wird man sehr ambivalent bewerten müssen. So dürfte die kasuistische Rechtstradition dazu führen, die konkreten Pflichten für Unternehmensführer näher zu bestimmen, was nach oben Gesagtem mehr als wünschenswert ist und dem weiten Compliance-Feld ein Stück Rechtssicherheit verleihen wird. Zudem kann auch der deutsche Gesetzgeber vom Erfahrungsschatz der USA als „Compliance-Mutterland“ profitieren165. Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit die amerikanischen Rechtsprinzipien und Denkweisen mit dem deutschen Rechtsverständnis in Einklang zu bringen sind. Wie noch zu zeigen sein wird, steht bereits die hier zu untersuchende Problematik unternehmensinterner Befragungen und ihre strafprozessuale Verwertbarkeit paradigmatisch für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Rechtsgrundsätze und zeigt die stellenweise Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Rechtstraditionen. Durchführungsabkommen). Gerade im Hinblick auf die Kooperation mit US-Behörden gestaltet sich die Situation aber problematisch: In den USA verbietet die Double Jeopardy Clause eine Doppelbestrafung beispielsweise lediglich bezogen auf denselben Sovereign. Nicht ausgeschlossen sind daher sogar Mehrfachbestrafungen derselben Tat durch eine US-Bundesbehörde und verschiedene US-Staaten. Entsprechend verfolgen US-Behörden insbesondere Wirtschaftsstraftaten auch dann noch weiter, wenn diese bereits in anderen Ländern abgeurteilt worden sind. Nach derzeitiger Praxis werden aber die andernorts verhängten Sanktionen auf das von den US-Behörden anvisierte Strafmaß angerechnet. Stellenweise ist sogar zu beobachten, dass DOJ oder SEC den ausländischen Staaten mitteilen, welches Strafmaß sie für angemessen halten und ihr eigenes Vorgehen davon abhängig machen, ob die von der ausländischen Gerichtsbarkeit ausgesprochene Sanktion ausreicht oder sie andernfalls das Verfahren nach eigenem Recht fortführen („we will kick in“). Es liegt auf der Hand, dass dieses Vorgehen die Gefahr einer Anpassung von Unternehmensgeldbußen an das extrem hohe US-Niveau in sich birgt. Zum Ganzen ausführlich Hönig, in: FS zu Ehren Strauda (2006), 530, (531 ff.). 163 Siehe hierzu auch die obigen Ausführungen zu § 130 OWiG und § 266 StGB auf S. 36 ff. 164 So zutreffend bereits Bock, Criminal Compliance, S. 261. 165 Vgl. Rieder/Falge, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, S. 22.
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3. Außerstrafrechtliche Risiken Neben der Gefahr einer Inanspruchnahme wegen Verletzung strafrechtlicher Vorschriften drohen weitere tatsächliche Risiken. a) Ausschluss von öffentlichen Aufträgen („Blacklisting“) Der Staat ist mit fast 30 % aller erteilten Aufträge ein ganz erheblicher Faktor in der freien Wirtschaft166. Zahlreiche Unternehmen, insbesondere in der Baubranche, sind auf Aufträge der öffentlichen Hand angewiesen. Der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen („Blacklisting“) stellt daher ein empfindliches SanktionierungsInstrument dar. Die europäischen Vorgaben für die öffentliche Auftragsvergabe167 hat der deutsche Gesetzgeber primär in den Vergabevorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie der Vergabe- und Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) umgesetzt. Gemäß § 97 Abs. 4 GWB ist die Vergabe öffentlicher Aufträge nur an gesetzestreue Unternehmen zulässig. Es handelt sich hierbei nicht um eine strafrechtliche Sanktion als Folge eines Rechtsverstoßes, sondern um eine verwaltungsrechtliche Maßnahme zum Schutz öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 GWB. Je nach Schwere der Verfehlung kommt sowohl ein vollständiger Ausschluss von bestimmten Vergabeverfahren als auch eine verfahrensübergreifende bzw. koordinierte, temporäre Vergabesperre für alle öffentlichen Aufträge in Betracht168. Zwar fehlt es diesbezüglich bislang an einer bundeseinheitlichen Regelung für den koordinierten Ausschluss entsprechender Unternehmen von öffentlichen Aufträgen169, jedoch haben einzelne Bundesländer Verwaltungserlässe, Verordnungen und landesrechtliche Regelungen zur Korruptionsbekämpfung erlassen, die einen derartigen Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vorsehen170. b) Behinderung der Geschäftstätigkeit durch behördliche Ermittlungen Liegt ein ausreichender Tatverdacht vor, stellt die Strafprozessordnung den Ermittlungsbehörden besondere Eingriffsbefugnisse zur Verfügung, um zu prüfen, ob tatsächlich ein strafbares Handeln vorliegt. Diese Ermittlungsmaßnahmen können 166 Tiedemann, ZRP 1992, 151 geht bezüglich des Bauvolumens sogar von einem staatlichen Anteil von 60 % aus. 167 EU-Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlamentes und des Europäischen Rates für das öffentliche Beschaffungswesen (sog. Vergabekoordinations-Richtlinie). 168 Sterner, NZBau 2001, 423 (423); Orthmann, NZBau 2007, 201 (201 ff.). 169 Trotz mehrerer Gesetzesvorhaben konnte sich der deutsche Gesetzgeber bislang nicht auf eine entsprechende Regelung einigen. Zu den unterschiedlichen Gesetzesinitiativen eingehend Dannecker, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, vor §§ 298 ff. Rn. 38. 170 Greeve, in: Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, § 25 Rn. 101 ff.; speziell zur Wirkung sog. Korruptionsregister auf Länderebene siehe auch Orthmann, NZBau 2007, 278 (279).
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für das betroffene Unternehmen mit erheblichen Belastungen verbunden sein. Vor allem die Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO) und Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO) von Unterlagen und Computern können dazu führen, dass ganze Abteilungen lahm gelegt werden. Noch drastischer sind die Folgen, wenn Konten gesperrt und Gelder arrestiert werden. Aber selbst durch vergleichsweise sanfte Methoden wie Mitarbeiterbefragungen oder die Bitte um schriftliche Stellungnahme werden Leistungskapazitäten der Firma gebunden171. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit und des Ergebnisses dieser Ermittlungshandlungen liegt es somit auf der Hand, dass die wirtschaftliche Produktivität des Unternehmens im Falle behördlichen Handelns erheblich leidet. c) Imageschaden/Reputationsverlust Nicht zu unterschätzen ist der öffentliche Imageschaden, der beim Bekanntwerden eines Rechtsverstoßes droht. Berichterstattungen über rechtsuntreue Arbeitnehmer wirken sich negativ auf die Reputation des Unternehmens aus. Dies gilt selbst dann, wenn sich die gegen das Unternehmen gerichteten Vorwürfe im Nachhinein als haltlos erweisen172. Negative Meldungen führen zu einem Verlust des Ansehens der Unternehmensmarke, was sich unmittelbar auf das Kaufverhalten von Kunden und die Auftragsvergabe niederschlägt. Unternehmen, die auf ein makelloses Image bedacht sind, werden dies auch bei der Auswahl ihrer Geschäftspartner berücksichtigen173. Unmittelbar messbar wird der Vermögensschaden einer negativen Außenwahrnehmung bei börsennotierten Unternehmen durch das Absinken des Aktienwertes174. Allgemein sind die immateriellen Folgen eines Rechts- bzw. Regelverstoßes vielschichtig und kaum vorhersehbar. Ihre negativen Auswirkungen können jedoch ähnlich gravierend sein wie die unmittelbar drohenden betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen. d) Zivilrechtliche Haftung Neben den genannten strafrechtlichen Risiken sehen sich Unternehmen und Unternehmensführer nach internen Regelverstößen vermehrt auch zivilrechtlichen Regressforderungen ausgesetzt175. Dies findet seine Begründung in dem Umstand, dass durch das konsequentere Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden deutlich mehr 171
Bürkle, BB 2005, 565 (566); Jahn, ZRP 2004, 179 (183). Bürkle, BB 2005, 565 (566). 173 Ähnlich Zimmer/Stetter, BB 2006, 1445 (1445). 174 Bussmann/Salvenmoser, CCZ 2008, 192 (193), Bürkle, BB 2005, 565 (566). 175 So verurteilte etwa das LG München I den früheren Siemens-Finanzvorstand HeinzJoachim Neubürger wegen der Verletzung von Organisationspflichten durch die Nichteinrichtung eines Compliance-Systems zur Zahlung von 15 Millionen Euro Schadensersatz, vgl. LG München I, Urteil v. 10. 12. 2013, 5 HK O 1387 = CCZ 2014, 142. Vgl. dazu auch Bürkle, CCZ 2015, 52. 172
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Fälle überhaupt bekannt werden und zugleich durch die in Strafurteilen getroffenen Feststellungen eine Beweislage geschaffen wird, die es den geschädigten Unternehmen ermöglicht, die Hürde der zivilprozessualen Beweisgrundsätze leichter zu nehmen. Zudem wird man auch hier das Damoklesschwert der Untreue zur Begründung heranziehen müssen176. Schließlich sind die Verantwortlichen geschädigter Unternehmen rechtlich verpflichtet, etwaige Regressmöglichkeiten vollständig auszuschöpfen,177 sodass neben das reine betriebswirtschaftliche Firmeninteresse auch hier die Angst vor persönlicher Inanspruchnahme tritt und die Entscheidung für den Versuch der Geltendmachung von Regressansprüchen maßgeblich beeinflusst. Daneben wird man die größere Anspruchsverfolgung im Privatrecht auch auf die verbesserte Informationsgewinnung durch das Internet, entsprechend versierte Anwälte, erfolgsbeteiligte Prozesskostenversicherer und ein zunehmendes Shareholder-Value-Bewusstsein zurückführen können178. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das Haftungsrisiko sowohl für Unternehmensführer als auch für das Unternehmen als juristische Person unüberschaubar groß ist. Wenngleich keine positiv normierte Compliance-Pflicht existiert, wird man in Anbetracht der dargelegten Risiken jedenfalls von einer faktischen Rechtspflicht sprechen müssen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dabei bestehen nicht nur strafrechtliche Risiken, sondern es sprechen auch praktische Gründe für die Einführung eines Compliance-Systems. Nur durch ein umfassendes Präventivsystem kann einer strafrechtlichen und zivilrechtlichen Inanspruchnahme begegnet werden. Internationale Einflüsse, insbesondere aus den USA, werden die Rechtsentwicklung in den kommenden Jahren zudem erheblich beeinflussen und den Rechtsanwender und -befolger vor neue Herausforderungen stellen.
II. Das repressive Element Compliance beinhaltet nicht nur präventive Maßnahmen zu Verhinderung potentieller Regelverstöße, sondern die Maßnahmen sind regelmäßig mit einem repressiven Element verknüpft179. Eine Klärung der Begrifflichkeit Compliance setzt daher voraus, auch die repressive Seite von Compliance zu untersuchen. Neben den konkreten Maßnahmen, die aufgrund ihrer Bedeutung in einem eigenständigen Abschnitt behandelt werden, ist für das grundlegende Verständnis des Compliance176
Vgl. Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770 (776). Fleischer, NJW 2009, 2337. 178 Hauschka, NJW 2004, 257 (258). 179 Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (348). 177
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Begriffs bedeutsam, weshalb zu einem funktionierenden Compliance-System auch zwingend repressive Maßnahmen gehören. 1. Betriebswirtschaftliche Aspekte Unternehmen sind qua definitionem betriebswirtschaftlich ausgerichtet. Liegt ein innerbetriebliches Fehlverhalten vor, stellt sich dies aus betriebswirtschaftlicher Sicht wie folgt dar: Hat der oder die Täter ausschließlich zu seinem Vorteil und damit zum Nachteil des Unternehmens gehandelt, ist der unternehmerische Ablaufprozess gestört und nicht optimal. Das Unternehmen verliert Geld, weil es seine Ressourcen nicht optimal ausnutzt. Folglich wird es versuchen, durch Umstrukturierungen oder individuelle arbeitsrechtliche Konsequenzen180, diesen Fehler abzustellen. In jedem Fall ist es aus Unternehmenssicht notwendig, eigenständig Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, um eine Möglichkeit zu finden, den Prozess zu steuern und zu optimieren181. Wird sogar die Schwelle des rechtswidrigen Handelns überschritten, hat das Unternehmen zudem Anspruch auf Schadensersatz gegen den deliktisch handelnden Mitarbeiter und wird versuchen, den schädigenden Mitarbeiter aus dem Betrieb zu entfernen. Hier liegt es also im ureigenen Interesse des Unternehmens, eine belastbare Beweislage zu schaffen, um zivilrechtliche Regressansprüche zu sichern und das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes im Sinne des § 626 BGB nachzuweisen. Die Schäden, die Unternehmen durch Korruption und andere wirtschaftsschädigende Handlungen entstehen, sind schwer zu beziffern. Die jüngsten Schätzungen gehen von bis zu 75 Mrd. Euro jährlich aus182. Das Ergreifen entsprechender repressiv ausgerichteter Gegenmaßnahmen zur schnellstmöglichen Aufklärung entsprechender Taten liegt also bereits im betriebswirtschaftlichen Interesse des Unternehmens. 2. Wahrung der Unternehmenskultur Ein weiterer Hauptgrund für eine untrennbare Verbindung zwischen präventiver Vorsorge und repressiver Aktion ist ferner die Wahrung der Unternehmenskultur. 180 Zu denken ist insbesondere an den Ausspruch einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB. 181 Ähnlich Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173 (2177 ff.); Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 15. 182 Verlässliche Angaben zum tatsächlichen Schadensumfang sind kaum zu treffen. Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik betrug der Schaden, der als Wirtschaftskriminalität definierten Delikte im Jahr 2012 827 Mrd. Allerdings ist gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität das Dunkelfeld besonders hoch, sodass die tatsächliche Zahl weitaus höher liegen dürfte. Schätzungen diesbezüglich schwanken von 10 – 75 Mrd. Euro. Dass die Schätzungen dabei so stark divergieren, findet seine Begründung primär darin, dass der genaue Begriff der Wirtschaftskriminalität umstritten ist und vielfach Folgeschäden nicht eingerechnet werden. Vgl. zum Ganzen Grunst/Volk, in: Volk (Hrsg.), MAH Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 1 Rn. 32.
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Unternehmensträgern wird zunehmend bewusst, dass eine an ethischen Grundsätzen ausgerichtete intakte Werteordnung innerhalb des Unternehmens nicht nur einen Wettbewerbsvorteil bildet183, sondern essentielle Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme am Markt ist184. Mangelndes Werteverständnis und fehlendes Unrechtsbewusstsein sind Hauptgründe für die Begehung von Straftaten185. Eine positive Unternehmenskultur senkt das Risiko wirtschaftskrimineller Handlungen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Compliance-Maßnahmen vielfach nur zu einer Haftungsverlagerung führen – weg von der Unternehmensführung hin zu dem einzelnen Mitarbeiter186 – das Interesse eines Unternehmens aber unabhängig von der individuellen Verantwortlichkeit auf die Vermeidung einer Verbandshaftung gerichtet ist. Es muss daher zum Ziel einer rechtstreuen Unternehmensphilosophie gehören, die Zugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers zum Unternehmen hervorzuheben187. a) Betriebliche Verhaltenskodizes Zur Bewusstseinsbildung ist es erforderlich, die Grenzen des Erlaubten zu definieren und Folgen eines Verstoßes aufzuzeigen. In der Praxis wird daher ein für alle Mitarbeiter und Dienstleister des Unternehmens verbindlicher Verhaltenskodex (sog. Code of Conduct) mit definierten Ethikrichtlinien als Grundlage jeder Compliance-Struktur angesehen188. Dieser Code of Conduct muss für jeden Mitarbeiter verbindlich sein und gesetzliche wie unternehmensinterne Vorgaben benennen, um ein rechtskonformes Wirken sicherzustellen. Es handelt sich damit um eine geschriebene wie transparente Kultur der Unternehmenslegalität. Zur Implementierung und Stärkung des Verständnisses bei den Arbeitnehmern werden von den meisten Unternehmen neben einer schriftlichen Unterzeichnung des Verhaltenskodex regelmäßig persönliche Schulungen und Mitarbeiterbriefings durchgeführt, um die Mitarbeiter für die Thematik zu sensibilisieren und definierte Handlungsgrenzen im Unternehmen zu implementieren189. b) Konsequente Ahndung von Compliance-Verstößen Der Erfolg dieses Instrumentariums hängt neben einer effektiven Umsetzung und internen Kommunikation im Unternehmen maßgeblich von der Konsequenz ab, mit 183
(30). 184
Vgl. Martin, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 27
Rosbach, CCZ 2008, 101 (101); Schaupensteiner, NZA-Beil. 2011, 8 (10). Vgl. Studie PWC/Univ. Halle-Wittenberg (Hrsg.), Compliance und Unternehmenskultur, S. 40. 186 Treffend Rotsch, ZIS 2010, 614 (615). 187 Schaupensteiner, NZA-Beil. 2011, 8 (10). 188 Inderst, in: Görling/Inderst/Bannenberg, Compliance, S. 105; Bürkle, BB 2005, 565 ff. 189 Bürkle, BB 2005, 565 (566); Meyer, CCZ 2014, 113 ff. 185
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
der Verstöße gegen den Verhaltenskodex geahndet werden. Durch konsequentes und transparentes Handeln muss den Mitarbeitern verdeutlicht werden, dass abweichendes Verhalten in keiner Weise toleriert wird (sog. „Zero-Tolerance-Prinzip“)190. Das bedeutet aber zwangsläufig, dass nicht nur versucht werden muss, Verstöße präventiv zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen, sondern – im Falle der Feststellung eines Verstoßes oder eines fundierten Verdachtes – auch aktiv hiergegen vorzugehen191. Da es sich hierbei in erster Linie um unternehmensinterne Verstöße handelt, kann in einem derartigen Fall nicht auf Polizei oder Staatsanwaltschaft zurückgegriffen werden, sondern das Unternehmen muss eigene Ermittlungshandlungen vornehmen, um das eigene System zu stärken und glaubhaft eine Unternehmenskultur der Regelkonformität vorzuleben. Überschreitet das Fehlverhalten eines Mitarbeiters sogar die Strafbarkeitsschwelle, wird ein Unternehmen freilich erst recht daran interessiert sein, sich nicht nur auf die staatlichen Strafverfolgungsbehörden verlassen zu müssen192, sondern selbst hiergegen vorzugehen und die Nichtduldung auf diese Weise zu demonstrieren193. Zugleich werden durch die konkrete unternehmensinterne Untersuchung und die investigative Aufklärung des Vorfalls die Gewöhnung an Rechtsbruch verhindert und entstandene Abhängigkeiten im Unternehmen gezielt durchbrochen. Die Handlungsebenen für geeignete Unrechtsprävention werden wieder zusammengeführt unter die Aufsicht und Leitung der Unternehmensführung. Dadurch wirkt die Unternehmensführung dem – bereits vorhandenen – Kontrollverlust des Managements entgegen und untermauert den eigenen Führungsanspruch194. 3. Rechtlicher Zwang Mindestens ebenso bedeutsam sind die rechtlichen Zwänge, repressive Untersuchungshandlungen zu ergreifen. Zivilrechtlich sind Unternehmensführer stets verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden195. Aus der Leitungsaufgabe der Geschäftsführung folgt nicht nur die (faktische) Pflicht, ein 190 Zustimmend Schaupensteiner, NZA-Beil. 2011, 8 (11); Deister/Geier, CCZ 2011, 16; Reichert, ZIS 2011, 113 (117). Allerdings ist darauf zu achten, dass durch die markige Forderung einer Zero-Tolerance-Policy nicht die Produktivität der Mitarbeiter aus Angst vor überzogenen Sanktionen gehemmt wird. Der Art und Weise der zu erfolgenden Vorgehensweise kommt daher besondere Bedeutung zu, vgl. hierzu Kark, CCZ 2012, 180. 191 Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (141). 192 Wie eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse International Limited (PwC) 2005 ergab, zeigten sich zudem lediglich 27 % der deutschen Unternehmen, die eine Strafanzeige erstatten, mit der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zufrieden, vgl. hierzu Bussmann/Salvenmoser, NStZ 2006, 203 (209). 193 Daneben ist zu berücksichtigen, dass zu Beginn einer unternehmensinternen Ermittlung häufig noch gar nichts feststeht, ob die zu untersuchenden Vorgänge tatsächlich ein strafbares Fehlverhalten darstellen. 194 Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (84). 195 Vgl. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG, 43 GmbHG.
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unternehmensinternes Überwachungssystem einzuführen, sondern dieses auch auf seine Effektivität und Funktionsfähigkeit zu überprüfen196 und im Falle etwaiger Hinweise auf unternehmensinternes Fehlverhalten, den zugrundeliegenden Sachverhalt umfassend und vollständig aufzuklären,197 sowie mögliche Regressansprüche zu prüfen und durchzusetzen bzw. es zu versuchen198, was ein umfassendes repressives Vorgehen bedingt199. Die Pflicht der Gesellschaftsorgane, eine eigenständige repressive Ausermittlung des Sachverhalts vorzunehmen, besteht gegenüber der Gesellschaft richtigerweise auch dann, wenn der Vorgang bereits durch eine Behörde untersucht wird oder diese sich im Verlauf der unternehmensinternen Maßnahmen zur Einleitung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens entschließt200. Daneben bestehen arbeitsrechtliche Zwänge, zeitnah über eine belastbare Handlungsgrundlage zu verfügen. Ein völliges Absehen von der Durchführung eigener Ermittlungen kann schließlich dazu führen, dass keine ausreichende Informationsgrundlage zur Beurteilung besteht, ob und in welchem Maße mit den Behörden kooperiert werden könnte oder sollte201. Unterlässt es ein Unternehmensführer, eigenständig unternehmensinterne Untersuchungen im erforderlichen Umfang durchzuführen, stellen sich aus gesellschaftsrechtlicher Sicht Haftungsfragen202. Zugleich stellt der hierdurch möglicherweise begründete Pflichtenverstoß eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB dar, sodass er auch mit einer strafrechtlichen Sanktion rechnen muss203. Mithin werden auch hier Unternehmensführer sämtliche Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen und versuchen, möglichst umfassend aufzuklären, um dem Vorwurf einer Pflichtverletzung zu entgehen204. Daneben
196 Hauschka, in: Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, § 1 Rn. 5, Knierim, StV 2009, 324 (326); Schneider, ZIP 2003, 645 (647); speziell zu den entsprechenden Anforderungen für Kreditinstitute und anderen Instituten des Finanzwesens Zentes/Wybitul, CCZ 2011, 90 ff. 197 Vgl. LG München I, Urteil v. 10. 12. 2013, 5 HK O 1387 = CCZ 2014, 142; Behrens, RIW 2009, 22 (29); Wagner, CCZ 2009, 8 (12); Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht, § 8 Rn. 35; Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (92); Sahan, in: Kuhlen/ Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 171 (174); Grützner, in: Momsen/ Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 50 ff. 198 Grundlegend hierzu BGHZ NJW 1197, 1926 (sog. ARAG-Entscheidung). 199 Ebenso Taschke/Schoop, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 91. 200 Zustimmend Fleischer, in: Müko-GmbHG, § 43 Rn. 150. 201 Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 2 Rn. 166. Zur Vornahme eigener Ermittlungen als Grundlage einer Kooperation mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden ausführlich sogleich unten, S. 42 ff. 202 Zur zivilrechtlichen Haftung von Unternehmensführern im Rahmen von unternehmensinternen Untersuchungen vgl. Potinecke/Block, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 2 Rn. 191 ff. 203 Eingehend wie differenzierend dazu Momsen, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 47 (52 ff.). 204 Vgl. Greeve/Tsambikakis, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 17 Rn. 101 ff.
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ist zu berücksichtigen, dass die bestehenden Aufsichts- und Kontrollpflichten205, von denen eine Verantwortlichkeit nach §§ 130, 30 OWiG unmittelbar abhängt, auch beinhalten können, dass bekannt gewordene Verstöße überprüft werden, was faktisch nur möglich sein wird, wenn die Vorgänge nicht nur betriebswirtschaftlich – in der Regel durch die betriebsinterne Revision206 – überprüft werden, sondern auch zielgerichtet repressiv ermittelt wird207. Gerade in Fällen, in denen der Täter im Sinne des Unternehmens handelt (z. B. durch Bestechung des Entscheidungsträgers eines potentiellen Kunden), wird die betriebswirtschaftliche Überprüfung regelmäßig keinen Anlass ergeben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch kann ein aktives und konsequentes Vorgehen bei Regelverstößen das Funktionieren des Systems untermauern, was neben der Bedeutung für die Unternehmenskultur auch rechtlich bedeutsam werden kann, wenn es darum geht, belegen zu müssen, dass das installierte Compliance-System nicht nur auf dem Papier besteht, sondern vielmehr eine effektive Aufklärung ermöglicht. Im Ganzen lässt sich somit festhalten, dass das gesetzgeberische Korsett die Unternehmen nicht nur zwingt, ein präventives Frühwarnsystem im eigenen Betrieb zu implementieren, sondern den Unternehmen auch abverlangt, bei entsprechenden Hinweisen eigenständig repressive Ermittlungshandlungen vorzunehmen. Daneben kann auch eine Individualverteidigung der Unternehmensführer eine interne Ermittlung erfordern.
4. Eigene Ermittlungen als Basis eines effektiven Krisenmanagements Eng verknüpft mit dem Grundgedanken der Glaubhaftigkeit der Unternehmenskultur ist das praktische Bedürfnis, eigene Ermittlungen208 zur Erkenntnisgewinnung durchzuführen. Während die Frage der Unternehmenskultur vorwiegend nach innen wirkt und auf das Selbstverständnis der Mitarbeiter ausstrahlt, ist für ein Unternehmen auch dessen Außenwirkung bei Kunden und Geschäftspartnern 205 Neben den bereits genannten Leitungspflichten ist dabei vor allem an §§ 33 ff. WpHG, § 25a KWG und § 317 IV HGB zu denken, die allesamt eine rechtliche Pflicht zur Aufklärung statuieren, wenn dadurch Schäden von bedeutsamen Rechtsgütern (einschließlich den Vermögensinteressen von Kaptalmarktteilnehmern) abgewendet werden können. 206 Zur Rolle der internen Revision Jakob, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 2 Rn. 1 ff. 207 Moosmayer, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 68; Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 65. 208 Die Verwendung des Begriffs „Ermittlungen“ ist der Anschaulichkeit der Maßnahmen geschuldet, die im Hinblick auf ihre Ausgestaltung und Vorgehensweise eine besondere Nähe zu dem Vorgehen der staatlichen Strafverfolgungsbehörden aufweisen. Klarstellend sei aber darauf hingewiesen, dass ein Vorgehen eines Privaten begriffstechnisch freilich keine (staatliche) Ermittlung darstellt und auch die von privat erlangten Informationen oder beschafften Gegenstände nicht den Charakter eines „Beweismittels“ i.S.d. StPO aufweisen, den sie erst im Kontext eines staatlichen Ermittlungsverfahrens erlangen.
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wichtig. Ein Unternehmen muss daher für den Fall gerüstet sein, dass ein Regelverstoß öffentlich wird und das Unternehmen aus diesem Grunde in den medialen Fokus gerät. Gerade in diesem Fall ist es für ein Unternehmen bedeutsam, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um die eigene Reputation zu wahren. Für den Entscheidungsprozess ist es jedoch unerlässlich, die genauen Hintergründe und erheblichen Kriterien für die Entscheidung zu kennen, weshalb ein Unternehmen stets versucht sein wird, zunächst möglichst eigenständig die Umstände eines intern festgestellten Regelverstoßes zu ermitteln (beteiligte Personen, unternehmensbedingte Faktoren bei der Ausführung), um hiervon ausgehend ein effektives Krisenmanagement zu betreiben209. Hierzu gehört insbesondere die Überlegung, inwieweit arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen werden210 oder die Staatsanwaltschaft über den Vorfall informiert wird211. Compliance-Ermittlungen bieten einem Unternehmen somit auch eine Chance, Ermittlungshandlungen aktiv zu gestalten und Aufklärungsstärke zu demonstrieren. In diesem Zusammenhang weist Theile zutreffend auf die Möglichkeit eines Verantwortungstransfers hin: Eigene Ermittlungen bieten Unternehmen die Chance, die gesellschaftliche Zurechnung der Tat dahingehend zu beeinflussen, dass nicht das (rechtstreue) Unternehmen als Täter, angesehen wird, sondern vielmehr als Opfer, das durch die Handlung eines einzelnen Mitarbeiters (sog. free rider) geschädigt wird212. Gleichzeitig erfüllen die Unternehmen damit Erwartungen, die die Öffentlichkeit an sie richtet213.
209
Ähnlich Wessing, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat (2009), 907 (915); siehe auch Hauschka/Greeve, BB 2007, 165 (171); Wagner, CCZ 2009, 8 (13); Momsen, ZIS 2011, 508 (508); Schuster, NZWiSt 2012, 26 (29). 210 Neben der strategischen Frage einer Kündigung beteiligter Personen darf hier auch die rechtliche Komponente nicht übersehen werden: Die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 2 BGB stellt allein auf die Kenntnis des kündigungsberechtigten Unternehmens von den die Kündigung im Wesentlichen tragenden Tatsachen ab. Das Unternehmen ist diesbezüglich verpflichtet, den einer fristlosen Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalt zeitnah zu ermitteln. Vgl. dazu etwa LAG Hamm, Urt. v. 15. 07. 2014 – 7 Sa 94/14 ArbG. Siehe in diesem Zusammenhang auch die in der Praxis bedeutsame Entscheidung des LAG Hessen, Urt. v. 03. 11. 2006 – 3 Sa 287/05, wonach der Arbeitgeber im Falle einer Kollision der eigenen Untersuchungstätigkeit mit den staatlichen Ermittlungsvorgängen die Freigabeerklärung der gegen einen Mitarbeiter ermittelnden Staatsanwaltschaft abwarten kann, ohne in die Gefahr einer Verfristung der Kündigung zu geraten. 211 Eine Rechtspflicht zur Erstattung einer Strafanzeige durch die Unternehmensführung bei betriebsbezogenen Straftaten von Mitarbeitern oder Organen existiert nach richtiger Auffassung nicht. Vielmehr liegt die Entscheidung über die Offenlegung entsprechender Hinweise allein im Ermessen der Geschäftsleitung des betroffenen Unternehmens. Eine fehlerfreie Ausübung des Ermessenes ist dabei bereits dann gegeben, wenn die Mitglieder der Geschäftsführung bei einer Entscheidung über die (Nicht)anzeige vernünftigerweise annehmen dürfen, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG). Ausführlich zur Thematik Rübenstahl/Skoupil, WiJ 2012, 177 ff. 212 Theile, StV 2011, S. 382; ebenso Martin, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Ubina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 27 (53).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
5. Kooperation mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden Das Prinzip der Selbstaufklärung gegen Strafrabatt, wie es in den USA regelmäßig praktiziert wird214, wurde inzwischen zumindest in seiner Grundanlage durch deutsche Strafverfolgungsbehörden adaptiert215 und entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der durch zahlreiche Bonusregelungen216 gezielt Anreizsysteme für effektive Compliance setzt. Eine frühzeitige Eigeninitiative im Rahmen einer unternehmensinternen Selbstaufklärung schafft aus Sicht der Unternehmensträger eine gute Ausgangsposition zur Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und bietet die Möglichkeit, das Vorgehen der staatlichen Strafverfolgungsbehörden erheblich zu beeinflussen217. Daneben erhoffen sich Unternehmen durch die Einleitung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens Vorteile und Unterstützung bei der zivilrechtlichen Geltendmachung erlittener Schäden218. Schließlich dürfte sich die freiwillige Kooperation positiv bei Ermessensentscheidungen niederschlagen219. Wenn ein Unternehmen überzeugend darlegen kann, dass (potentielles) Fehlverhalten eigenständig und umfassend aufgeklärt wird, gibt es aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden zunächst keinerlei Veranlassung, selbst Ressourcen für die Ermittlungsarbeit aufzuwenden oder einschneidende220 Zwangsmaßnahmen zu ergreifen221. Da es wegen der allgemeinen Pflicht zur sorgfältigen Betreuung des 213 So bereits zutreffend Roll/Diederich, Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsspionage, S. 240; siehe auch Schuster, NZWiSt 2012, 26 (29). 214 Siehe hierzu bereits oben S. 48 ff. 215 Wehnert, StraFo 2012, 253 (255). 216 Eine Übersicht über die zahlreichen und weit verstreuten Bonusregelungen bietet Zapfe, Compliance und Strafverfahren, S. 59. 217 So auch die Erfahrung von Sahan/Berndt, BB 2010, 650; Sahan, in: Kuhlen/Kudlich/ Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 171 (177 ff.); Roxin, StV 2012 116 (118); Kremer, in: FS für Schneider (2011), 701 (702 ff.); siehe auch die differenzierte Betrachtung des Ermittlungsbeamten Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (141), der stark für die Einbindung eines Unternehmens in die staatliche Ermittlungsarbeit plädiert, zugleich aber warnt, dass die Behörden hierdurch nicht das „Heft des Handelns“ aus der Hand geben dürfen. 218 Zum Aspekt der „Rückgewinnungshilfe“ Görling, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, S. 454 ff.; siehe auch Klahold/Berndt, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 3 Rn. 25 ff. 219 Idler/Knierim/Waeber, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 4 Rn. 166 ff. 220 Zwangsmaßnahmen, insb. Durchsuchungen und Beschlagnahmen, stellen sowohl für das Unternehmen selbst als auch für ggf. betroffene Privatpersonen eine erhebliche Belastung dar und können sich negativ auf die Reputation des Unternehmens auswirken, vgl. bereits oben S. 54 ff. 221 Ähnlich Wehnert, StraFo 2012, 253 (254); Kremer, in: FS für Schneider (2011), 701 (702 ff.); Greeve, StraFo 2013, 89 (89); Staatsanwaltschaften müssen sich daher nicht selten dem Vorwurf erwehren, dass sie im Falle unternehmensinterner Aufklärungsmaßnahmen „die Hände in den Schoß legen“. Vgl. hierzu aber die „Verteidigung“ von OStAin Renate Wimmer, in: FS für I. Roxin (2012), 537 (551), die betont, dass die ergänzende Heranziehung der Er-
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Vermögens des Unternehmens sogar geboten ist, entsprechende Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen222, besteht auf den ersten Blick auch kein Anlass, an der Wirksamkeit der betriebsinternen Aufklärungsmaßnahmen zu zweifeln. Hinzu kommt, dass die unternehmensinternen Ermittler als Privatpersonen nicht an die Regelungen der Strafprozessordnung gebunden sind, insofern bei ihrem Vorgehen mitunter deutlich weitreichendere Möglichkeiten besitzen. Denn auch wenn Privatpersonen freilich nicht auf die Zwangsmaßnahmen der Strafprozessordnung zurückgreifen können, stehen ihnen auch in Fällen unterhalb der Schwelle eines strafprozessualen Tatverdachts durch das arbeitsrechtliche Direktionsrecht erhebliche Auskunfts- und Aufklärungsrechte zu. Für die staatlichen Behörden hat eine Heranziehung der unternehmensintern erlangten Beweismittel somit den Vorteil, möglicherweise in den Besitz von Beweismitteln zu gelangen, auf die sie andernfalls kaum hätten zugreifen können. Dies wird man aus der Perspektive der Strafverfolgungsbehörden umso höher bewerten müssen, als das Unternehmen einen immensen Informationsvorsprung im Hinblick auf die innerbetrieblichen Strukturen besitzt. Gerade die für Außenstehende oftmals schwierig zu durchdringenden unternehmensinternen Prozesse stellen nicht selten eine unüberwindbare Aufklärungshürde dar223. Für das Unternehmen bietet sich die Chance, im Wege freiwilliger Kooperation nicht nur staatliche Ermittlungsmaßnahmen abzuwehren, sondern das Vorgehen der Behörde mitunter selbst steuern zu können und zum eigenen Vorteil zu nutzen224. So dürfte der Anordnung bzw. Durchführung einschneidender Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen vor dem Hintergrund der freiwilligen Offenbarung neben dem „good will“ der Staatsanwaltschaft vor allem auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entgegenstehen225. Bereits im Ermittlungsverfahren sind die Vorteile eigenständiger Ermittlungshandlungen für das Unternehmen wie auch die Staatsanwaltschaft folglich bemerkenswert groß226. Allerdings dürfte sich ein kooperatives Vorgehen der Unternehmensträger auch an anderer Stelle positiv niederschlagen: Die Verbandsstrafe nach § 30 Abs. 1 OWiG ist als Ermessensvorschrift ausgestaltet („kann“), was sowohl bei der Frage der Verfahrenseinleitung als auch bei einer etwaigen Sanktionsbemessung zum Tragen kommt. Unternehmensinterne Maßnahgebnisse interner Ermittlungen nicht zu einer Aufgabe des Legalitätsprinzips führt, sondern zu dessen Durchsetzung beiträgt. 222 Siehe hierzu die Ausführungen auf S. 58 ff. 223 Vgl. Hefendehl, ZStW 119 (2007), S. 819 ff.; Bannenberg, Korruption, S. 263 ff. 224 Zu denken ist beispielsweise an die Schaffung einer ausreichenden zivilrechtlichen Beweislage durch die staatlichen Ermittlungsvorgänge. vgl. hierzu etwa Görling, in: Görling/ Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, S. 454 ff. 225 Zustimmend Sahan, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 171 (171). 226 Ähnlich Idler/Knierim/Waeber, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 4 Rn. 166; siehe auch Taschke, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 36 Rn. 3 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
men sind als positives Nachtatverhalten zu würdigen227. Teilweise kann die Mitarbeit bei der Sachverhaltsaufklärung sogar zu einer Einstellung des Verfahrens gegen das Unternehmen führen228. Schließlich ist bei einer funktionierenden Selbstreinigung229 ein Strafbedürfnis jedenfalls im Hinblick auf den präventiven Strafzweck gering230. Aus diesem Grunde wird bei eigenständigem Aufklärungsverhalten auch regelmäßig von dem Ausschluss aus Vergabeverfahren abgesehen231. Bei Verstößen gegen das Kartellrecht kann ein kooperatives Vorgehen eines Unternehmens im Wege einer Bonusregelung232 sogar zum vollständigen Erlass einer sonst zwingenden Geldbuße führen233. Allgemein ist ein starker Trend des Gesetzgebers zu erkennen, kooperative Mitwirkungen und Selbstanzeigen von Unternehmen zu belohnen, was auch die buchstäblich „in letzter Minute234“ erfolgte Möglichkeit einer Selbstanzeige im neuen Außenwirtschaftsgesetz235 belegt. Die letztlich durch das Ergreifen respektive Nichtergreifen von Maßnahmen und die Aussprache von Sanktionen zum Ausdruck kommende Wertung des Staates wirkt sich schließlich auch auf die Meinung der Öffentlichkeit aus. Damit ist festzustellen, dass aus Unternehmenssicht der Beeinflussung staatlicher Aufklärungsvorgänge in mehrfacher Hinsicht besondere Bedeutung zukommt. Die repressiven Aufklärungsmaßnahmen dienen vielfach der Sammlung von Belastungsmaterial gegen delinquente Mitarbeiter, um den Strafverfolgungsbehörden ein 227 So auch Behrens, RIW 2009, 31; Reeb, Internal Investigations, S 46 ff.; Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (138 ff.); Idler/Knierim/Waeber, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 4 Rn. 166 ff.; siehe auch Moosmayer, CCZ 2013, 218 (218 ff.), der für eine verstärkte Normierung von Kronzeugenregelungen als gesetzgeberisches Anreizsystem für das Ergreifen von Compliance-Maßnahmen votiert. 228 Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, S. 461 ff. 229 Eine funktionierende Selbstreinigung bedingt dabei im Allgemeinem neben der aktiven Mitwirkung des Unternehmens an der Sachverhaltsaufklärung eine Wiedergutmachung des entstandenen Schadens sowie durch das Ergreifen entsprechender struktureller und organisatorischer Maßnahmen die Gewährleistung, dass entsprechende Verfehlungen zukünftig ausgeschlossen sind, vgl. Wehnert, in: FS zu Ehren des Strafrechtsausschuss BRAK (2006), 175 (178); Orthmann, NZBau 2007, 278 (280). 230 Umgekehrt kann sich die Duldung von Fehlverhalten und das Nichtergreifen von Kontrollmaßnahmen negativ auf das Strafmaß auswirken, vgl. Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 115 ff. 231 Vgl. hierzu Moosmayer, Compliance, S. 13 m.w.N. 232 Zu den Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Bonusregelung siehe Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 07.03.06, abrufbar unter: www.bundeskartellamt.de/wdeutsch/download/ pdf/merkblaetter/merkblaetter_deutsch/06_bonusregelung.pdf. 233 Vgl. Wegner, wistra 2000, 361 (366). 234 Die Regelung der Möglichkeit einer Selbstanzeige in § 22 Abs. 4 AWG n.F. wurde erst in der Ausschusssitzung am 16. 01. 2013 in die Gesetzesvorlage übernommen, vgl. BT-Drs. 17/ 12101. 235 BGBl. I 2013, 1482. Instruktiv dazu Pelz/Hofschneider, wistra 2014, 1 ff.
A. Compliance – Begriff und Wirklichkeit
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fertiges Beweismittelpaket zu schnüren236. Dass dieser Vorgang nicht an den Grundsätzen von Wahrheit oder Gerechtigkeit ausgerichtet ist, sondern maßgeblich von eigenen Interessen geleitet und bestimmt wird, liegt auf der Hand. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass durch die Vornahme eigener repressiv ausgerichteter Ermittlungshandlungen elementare Rechtsgrundsätze tangiert werden, was an späterer Stelle ausführlich beleuchtet wird. Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass gerade die unternehmensinterne Aufklärungsarbeit als freiwillige „Dienstleistung“ für staatliche Strafverfolgungsbehörden einen wesentlichen Motivationsgrund für die Durchführung repressiver Ermittlungshandlungen darstellt237.
III. Folge: Erweiterung des traditionellen Compliance-Begriffs Der Begriff Compliance umfasst im wirtschaftsstrafrechtlichen Zusammenhang daher weit mehr, als die wörtliche Übersetzung beinhaltet. Die vielfach anzutreffende Definition von Compliance als (bloßes) „Verhalten in Übereinstimmung mit geltendem Recht zur Haftungsvermeidung im Unternehmen238“ wird der vielschichtigen Rechtswirklichkeit nicht mehr gerecht. Wenngleich jedes ComplianceManagement-System im Kern auf die Vermeidung rechtlicher Haftungsfälle abzielt, umfasst der Anwendungsbereich von wirtschaftsstrafrechtlicher Compliance nach modernem Verständnis auch die Abwehr tatsächlicher Risiken und fußt auf einer Unternehmensethik. Vor allem die Zunahme repressiver Ermittlungshandlungen und die zugrundeliegenden Motive verdeutlichen, dass Unternehmen inzwischen nicht mehr nur präventiv auf staatliche Vorgaben reagieren, sondern verstärkt eigenständig Maßnahmen ergreifen, die teilweise deutlich über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen und einer eigenen Zielsetzung folgen. Diese Entwicklung ist aber auf die verstärkte staatliche Inanspruchnahme von Unternehmen und Unternehmensführen zurückzuführen. Erst durch das materielle Recht bzw. sekundäre Compliance-Normen und ihrer Auslegung durch die zuständigen Behörden und Gerichte wurde der Weg zu einer faktischen Privatisierung geebnet239. Das Fortbeschreiten dieses Weges ist vom Gesetzgeber erwünscht240. 236 Wessing, in: Volk (Hrsg.), Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 1. Auflage 2006, § 11 Rn. 36 („fertig geschnürtes Paket“); siehe auch Schuster, Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten, S. 38. Auch Wehnert, StraFo 2012, 253 (254) stellt fest, dass die privat recherchierten Erkenntnisse teilweise aufbereitet wie Anklageschriften den Strafverfolgungsbehörden zugeleitet werden. Ähnlich äußerte sich auch der bekannte Strafverteidiger Jürgen Taschke, der bei einem Vortrag an der Universität Frankfurt von einem „Outsourcing der Strafverfolgung“ und „Aufbereitung des Sachverhalts für die Staatsanwaltschaften“ sprach, vgl. FAZ vom 28. 11. 2011 („Firmen müssen Sheriff spielen“). 237 Zustimmend Ignor, CCZ 2011, 143 (143). 238 Statt aller Schneider, ZIP 2003, 645 (646). 239 Greeve, StraFo 2013, 89 (90).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Dabei hat man sich vor Augen zu halten, dass die Grenzen des Erlaubten im Wirtschaftsstrafrecht deutlich unbestimmter sind, den Unternehmen somit ein vorausschauendes Handeln abverlangt wird241. Die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen soll zum einen eine Regelkonformität sicherstellen, was insoweit sicherlich noch unter die Begrifflichkeit der Haftungsvermeidung subsumiert werden kann. Zum anderen – und dieser Umstand verdient nach modernem ComplianceVerständnis ebenfalls Beachtung242 – sehen die Unternehmen die Chance, die Konturlosigkeit des Compliance-Gebietes in ihrem Sinne zu nutzen und als handelnder Akteur eigenständig Akzente zu setzen243. Vereinfacht ausgedrückt haben die Unternehmen aus der Not der staatlichen Vorgaben eine Tugend gemacht, die sie für ihre Zwecke nutzen. Die freiwillige Kooperation von Unternehmen mit staatlichen Ermittlungsbehörden ist Ausdruck dieser Entwicklung. Entsprechend ist es angezeigt, die genannte Compliance-Definition zu erweitern. Im wirtschafts(straf)rechtlichen Zusammenhang beschreibt Compliance nach hier vertretener Auffassung folglich die Gesamtheit der zumeist an unternehmensethischen Grundsätzen ausgerichteten Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, durch proaktive Gewährleistung von Regelkonformität und sonstigen eigeninitiierten Handlungen rechtliche und tatsächliche Risiken für ein Unternehmen auszuschließen.
Dieses weite Verständnis der Begrifflichkeit Compliance liegt auch den nachfolgenden Untersuchungen zugrunde244. Durch die Begriffsweite bietet es sich an, das Themengebiet Compliance rechtsgebietsspezifisch zu untergliedern. Die Abwehr strafrechtlicher Risiken und damit im Zusammenhang stehendende Vorgänge 240
Nach Ansicht der Bundesregierung sind private Compliance-Systeme ein wirksames Mittel der eigenverantwortlichen Prävention und Aufklärung von Wirtschaftskriminalität. Sie seien unabhängig von der Größe des Betriebes geeignet, klare Verantwortungsregeln für Führungspersonen zu schaffen und Verantwortlichkeit effektiv wahrzunehmen, vgl. BTDrucks. 18/2187. 241 Sehr treffend in diesem Zusammenhang Rotsch, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1 Kap. 4 Rn. 10 („die Notwendigkeit der Antizipierbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist wesentliches Merkmal von Criminal Compliance“). 242 Ähnlich mit guten Grundüberlegungen zum Verhältnis Strafrecht und Compliance Kuhlen, in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Urbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 1 (17 ff.). 243 In diese Richtung bereits Goers, Der Ombudsmann, S. 4 ff.; Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (83 ff. Unternehmen behält die „Deutungshoheit“); Bannenberg/ Schaupensteiner, Korruption in Deutschland, S. 225 („Agieren statt lavieren“ ist Gebot der Stunde), siehe auch die allgemeine Definition von Compliance-Maßnahmen von Rönnau, in: Bumke u. a. (Hrsg.), Begegnungen im Recht, 237 (243): „wichtiges Element der Selbstregulierung bzw. Selbststeuerung gleichsam im Vorfeld der bislang mit Kriminalprävention allein verbundenen strafrechtlichen Fremdregulierung.“ 244 Für ein weites Verständnis von (Criminal) Compliance plädiert auch Rotsch, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1 Rn. 7 m.w.N.; einschränkend hingegen Bock, Criminal Compliance, S. 246 („Criminal Compliance im weiteren Sinne erfasst die Nichterfüllung irgendeines Straftatbestands“).
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
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werden als Criminal Compliance bezeichnet245. Hinter dieser – der praktischen Unternehmenssicht folgenden – Definition steht die grundlegende und noch näher zu belegende Interpretation von Compliance als kriminalpolitisches Instrument einer Auslagerung von Aufgaben der staatlichen Strafverfolgung auf private Unternehmen.
B. Die unternehmensinterne Untersuchung Nach Klärung und Kategorisierung des Compliance-Begriffs soll im Folgenden allein die repressive Seite von Compliance betrachtet werden und im Besonderen die persönlichen Befragungen von Mitarbeitern (sog. Interviews). Die seitens der Unternehmensführung ergriffenen repressiven Compliance-Handlungen werden als unternehmensinterne Untersuchungen bezeichnet.
I. Begriff der unternehmensinternen Untersuchung Unternehmensinterne Untersuchungen sind koordinierte Verfahren zur Sachverhaltsaufklärung beim Verdacht von Gesetzes- und Regelverstößen, die nicht von einer staatlichen Stelle durchgeführt werden246. Sie bilden daher die praktische Umsetzung der repressiven Facette des Compliance-Begriffs ab. Entscheidendes Merkmal ist zum einen die Anlassbezogenheit247 der Maßnahmen, durch die sich unternehmensinterne Untersuchungen von Regelprüfungen als Ausfluss von Überwachungs- und Kontrollpflichten unterscheiden248. Zum anderen muss die Initiative und die Ausführungshoheit dem alleinigen Machtbereich des privaten Unternehmens zuzurechnen sein249. Interne Aufklärungsmaßnahmen unterliegen daher keiner direkten Bindung an eine Verfahrensordnung oder an Grundrechte. Sie sind naturgemäß interessengesteuert. Aufgrund ihrer internen Zielsetzung sind sie als Aufklärungsmaßnahmen auf eine vollständige Wahrheitsermittlung angelegt. Jedoch kann das Unternehmensinteresse dazu führen, dass nicht alle ermittelten Tatsachen auch 245
Ausführlich zur rechtsgebietsspezifischen Präzisierung des Compliance-Begriffs Bock, Criminal Compliance S. 21 ff. Speziell zum Begriff des Criminal Compliance siehe auch Rotsch, ZStW 125 (2013), 481 (484 ff.). 246 Vgl. Wagner, CCZ 2009, 8 (8); Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (240). 247 Auslöser für die Einleitung entsprechender Aufklärungsvorgänge kann dabei jedwede Informationsquelle sein. Eine bestimmte Verdachtsstärke, wie sie beispielswiese die Strafprozessordnung für die Einleitung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens verlangt, ist nicht erforderlich. 248 Vgl. Knierim, StV 2009, 324 (326); ders., in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (79). 249 Eingehend zur Frage einer Abgrenzung zu staatlichen Ermittlungshandlungen bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen unten S. 87 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
öffentlich bekannt werden. Vielfach wird die Unternehmensleitung vielmehr daran interessiert sein, bestimmte Vorgänge unter Verschluss zu halten, weshalb das Ziel einer Wahrheitserforschung nicht mit den Zielvorgaben staatlicher Ermittlungshandlungen gleichgesetzt werden kann. Einschränkend ist aber zu berücksichtigen, dass eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden und erst recht eine „vollständige und rücksichtlose“ Aufklärung zur Wiederherstellung beschädigter Reputation kaum Raum lassen für eine nur partielle Offenlegung der Ermittlungsergebnisse. Charakteristisch für unternehmensinterne Untersuchungen ist ferner die Komplexität der zu ermittelnden Sachverhalte, die häufig nur mit Hilfe von Insiderwissen aufgeklärt werden können, sowie deren standardisierter Ablauf250. 1. Abgrenzung zum Begriff der „Internal Investigations“ nach US-Recht Der aus dem angloamerikanischen bekannte Begriff Internal Investigation lässt sich zwar wörtlich mit „Interne Untersuchung“ übersetzen, eine unmittelbare Gleichsetzung verkennt jedoch dessen spezifische Verwendung im US-amerikanischen Rechtssystem. Internal Investigations nach amerikanischem Vorbild zeichnen sich nämlich vor allem dadurch aus, dass sie entweder bereits von staatlicher Seite initiiert werden oder jedenfalls im Vorfeld drohender staatlicher Sanktionen nach US-Recht – d. h. bereits bei Vorliegen behördlicher Kenntnis – bei den Unternehmen zur Anwendung kommen251. Dabei führt das Unternehmen diese Untersuchungen im Allgemeinen nicht selbst durch, sondern beauftragt externe Anwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfer, die das Vertrauen der staatlichen Ermittlungsbehörden genießen und neben dem Unternehmen auch diese Stellen unmittelbar über die vorgefundenen Ergebnisse informieren252. Die Ermittlungen sind nicht auf die konkreten Vorfälle beschränkt, sondern dienen allgemein der Aufdeckung kriminogener Unternehmensstrukturen253, weshalb die Maßnahmen stets breit angelegt sind und auch zur Aufdeckung weiterer Verstöße führen können254. Derartige interne Untersuchungen sind von den US-Regularien vorgesehen und besitzen im Hinblick auf die Frage einer Anklageerhebung255 wie auch bei der konkreten Strafzumessung herausragenden
250 Zur schrittweisen Vorgehensweise bei der Durchführung einer solchen Untersuchung Moosmayer, Compliance, S. 97. 251 Vgl. Wehnert, in: FS zu Ehren Strafrechtsausschuss BRAK (2006), 175 (179). 252 Wybitul, DB 2009, 606 (607). 253 Theile, StV 2001, 381. 254 Beispielhaft zu den internen Ermittlungen im Fall Siemens Jahn, StV 2009, 41 (41); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (71); Hehn/Hartung, DB 2006, 1909 (1913). 255 Angesichts der drohenden drakonischen Strafen bis hin zum vollständigen Existenzverlust ist es regelmäßig das Hauptziel eines Unternehmens, eine Anklage zu verhindern, ebenso Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 157.
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
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Stellenwert256 : Die Möglichkeiten eines Unternehmens, die Anklage abzuwenden oder im Wege eines positiven Nachtatverhaltens die Strafzumessung günstig zu beeinflussen, beschränken sich auf eine umfassende Kooperation mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden257 und einer hiermit zwingend verbundenen Selbstaufklärung der Verstöße im Wege einer Internal Investigation nach den behördlichen Vorgaben258. Wenngleich keine normierte Pflicht für die Durchführung einer Internal Investigation besteht, bleibt einem Unternehmen im Fokus der amerikanischen Strafverfolger angesichts der drohenden Folgen bis hin zu seiner wirtschaftlichen Zerschlagung durch Anklageerhebung oder exorbitante Geldstrafen faktisch keine Wahl. Durch die Zubilligung eines sehr weiten Ermessensspielraums in Verbindung mit der Existenz der Unternehmensstrafe gewinnt der Begriff der Internal Investigation im amerikanischen Rechtssystem erst Kontur und muss unter diesem Blickwinkel als festes Instrument der staatlichen Verfolgung und Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität gesehen werden. Im deutschen Rechtssystem, das durch das Legalitätsprinzip den Behörden gerade kein Ermessen bezüglich des eigenen Vorgehens zugesteht, sondern stattdessen eine Bindung an die Verfahrensordnung normiert, und daneben auch die Unternehmensstrafe nicht vorsieht, stellt die Verlagerung der staatlichen Strafverfolgung auf das private Unternehmen durch eine behördlich initiierte Internal Investigation somit einen Fremdkörper dar. Der Begriff der Internal Investigation beschreibt damit nur einen besonderen Ausschnitt aus dem Bereich unternehmensinterner Maßnahmen, der ausschließlich durch seinen spezifischen Bezug zum amerikanischen Rechtssystem zum Tragen kommt und regelmäßig der Aufklärung systematischer Rechtsverletzungen dient259. Die mediale Ausstrahlung des Siemens-Falls hat in der öffentlichen Wahrnehmung und (leider) auch in der deren wissenschaftlicher Aufarbeitung dazu geführt, dass der Begriff der Internal Investigation in die deutsche Rechtssprache adaptiert wurde, ohne den speziellen Bezug dieser Sonderkonstellation ausreichend herauszustellen. Wenngleich die US-Regularien aufgrund der Omnipotenz der amerikanischen 256 Zum weiten Ermessensspielraum der US-Behörden Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), S. 75. 257 Zur Bedeutung einer Kooperation mit den US-Anklagebehörden siehe oben S. 48 ff. 258 Die Ausgestaltung einer Internal Investigation ist somit stark von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden geprägt. Vor allem unter der Geltung des sog. Thompson und McNulty Memorandums, das die wesentlichen Kriterien einer Kooperation konkretisierte, agierten Unternehmen schlicht als „verlängerter Arm der Behörden“, Wehnert, in: FS für Müller (2008), 729 (736 ff.). Dieses Phänomen hat in den USA zwischenzeitlich dazu geführt, dass das DoJ seine Richtlinien „for Investigation and Prosecution of Corporate Crimes“ erheblich entschärfte, nachdem ein US-Berufungsgericht im viel beachteten Verfahren U.S. vs. Stein die Eröffnung eines Hauptverfahrens ablehnte, weil es in der staatlichen Steuerung der unternehmensinternen Aufklärungsmaßnahmen einen Verfahrensverstoß erblickte, vgl. Wehnert, StraFo 2012, 253 (255). Zuvor bereits zum Verfahren U.S. vs. Stein ausführlich dies., NJW 2009, 1190. 259 Auch Moosmayer, Compliance, S. 101 spricht von einem „Sonderfall bei internen Untersuchungen“, wenn es nicht um spezifische Verstöße von einzelnen Mitarbeitern geht, sondern um den Verdacht systematischer Rechtsverletzungen im Unternehmen.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Compliance-Kultur in die deutsche Rechtswirklichkeit ausstrahlen, sind nur sehr wenige Großunternehmen den amerikanischen Regularien auch im rechtlichen Sinne unterworfen. Der typische Fall einer unternehmerischen Selbstaufklärung deutscher Unternehmen, nämlich der spezifische Verstoß eines oder mehrerer Mitarbeiter, ist ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilen, weshalb die vorliegende Untersuchung bewusst ausschließlich den Begriff der unternehmensinternen Untersuchung verwendet und die spezielle Problematik der Internal Investigation nur schlaglichtartig am Rande behandeln wird. 2. Begriffsweite der unternehmensinternen Untersuchungen Wie bereits dargelegt, besteht nach deutschem Recht keine Rechtspflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen. Das gesetzgeberische Korsett ist jedoch auch in der Bundesrepublik derart eng, dass de facto regelmäßig eine Pflicht der Unternehmensleitung besteht, bei Rechtsverstößen ihrer Untergegebenen einzuschreiten260. Wie entsprechende Organisations- und Aufklärungsmaßnahmen vorzunehmen sind und ob eine Information der staatlichen Behörden erfolgt261, ist aber Sache der Unternehmensleitung. Allerdings wird der Entscheidungsspielraum der Unternehmensführung durch konkrete Umstände wie branchenspezifische Standards, Unternehmensgröße, Mitarbeiterschutzpflichten, frühere Vorfälle und vor allem die Komplexität der Materie derart eingeschränkt262, dass die Durchführung interner Untersuchungen häufig geboten sein wird263. Vielfach wird es zudem erforderlich sein, externen Sachverstand z. B. durch externe Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder private Ermittler bei der Aufklärung hinzuzuziehen264. Insbesondere bei erheblichen Rechtsverstößen und dementsprechend hohen drohenden Bußgeldern wird die Unternehmensleitung die Pflicht haben, den gesamten Maßnahmenkatalog auszuschöpfen, um einer Inanspruchnahme zu entgehen. Allgemein lässt sich aber festhalten, dass die zu ergreifenden Maßnahmen stark von dem jeweiligen Unternehmen abhängen. Dies bedeutet, dass die Begrifflichkeit der unternehmensinternen Untersuchung sehr weit zu fassen ist und sich folglich auch diesbezüglich von den Internal Investigations nach US-amerikanischem Vorbild unterscheidet. Zudem sei darauf hingewiesen, dass unternehmensinterne Untersuchungen auch erfolgen können, wenn nicht gegen geltende Gesetze verstoßen wird, sondern lediglich unternehmensinterne Vorgaben missachtet werden. Hier besteht freilich erst recht keine Rechtspflicht, entsprechende Verstöße zu aufzuklären. Die Durchführung einer entsprechenden Untersuchung ist aber erforderlich, um die 260
Vgl. oben S. 58 ff. Eine Rechtspflicht zur Information der Behörden besteht nicht, vgl. die Ausführungen in Fn. 211. 262 Vgl. BGH NStZ 1986, 34 (34); Meier-Greeve, BB 2009, 2555 (2556). 263 Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 88 ff. 264 Behrens, RIW 2009, 22 (29). 261
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
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Glaub- und Wehrhaftigkeit des eigenen Ethikkodexes zu untermauern und Konsequenz zu zeigen.
II. Ablauf einer unternehmensinternen Untersuchung Unternehmensinterne Untersuchungen werden durch die Wahrnehmung eines Anfangsverdachts ausgelöst und zeichnen sich regelmäßig durch einen formalisierten Ablauf aus. 1. Informationsgewinn als Ausgangspunkt: Die Bedeutung von Insiderwissen Die Einleitung einer unternehmensinternen Untersuchung setzt zwingend den Hinweis auf einen möglichen Regelverstoß voraus. Eine entsprechende Information kann dabei auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Neben der Information durch staatliche Behörden (Aufsichtsbehörden, Staatsanwaltschaft etc.) oder außenstehenden Dritten (z. B. Geschäftspartner) sind es primär Insider aus dem eigenen Unternehmen, die Verstöße gegen interne Verhaltensregeln melden. Personen, die Hinweise auf nicht regelkonformes Verhalten offenbaren, werden als Whistleblower (engl.) bezeichnet265. Die Erlangung unternehmensinterner Hinweise ist für eine wirksame effektive Eindämmung von Gefahren aus dem eigenen Betrieb elementar266. Die Erfahrung zeigt, dass es vielfach nur durch Insiderwissen möglich ist, rechtzeitig Kenntnis von (vermeintlichen) Missständen oder Regelverstößen zu erhalten und Gefahren vom eigenen Unternehmen abzuwehren267. Dies findet seine Begründung zum einen in der fehlenden Täter-Opfer-Struktur der Korruptionsdelikte268, die im Verhältnis zur 265 Der Begriff „Whistleblowing“ ist stets im Spannungsfeld zwischen Denunziantentum und Loyaität gegenüber den ehrlichen Mitarbeitern zu betrachten. Die Bezeichnung leitet sich aus der englischen Redewendung „to blow a whistle on someone“ ab, was wörtlich übersetzt „jemanden verpfeifen“ bedeutet. Allerdings ist ein „Verpfeifen“ in der deutschen Kultur mit negativen Konnotationen verbunden, weshalb der Ausdruck „Whistleblowing“ unverändert in die deutsche Sprache Einzug gefunden hat. Der „Whistleblower“ selbst kann im Deutschen wertneutral als Hinweisgeber/in bezeichnet werden, vgl. hierzu Schemmel/Ruhrmannseder/ Witzigmann, Hinweisgebersysteme, S. 3, 21 ff.; ähnlich Becker, Whistleblowing, S. 18 ff. jeweils m.w.N. Sehr kritisch zur Problematik des Whistleblowings Hefendehl, in: FS für Amelung (2008), 617 (641); ders., JZ 2006, 119 (120). 266 Vgl. Schemmel/Ruhrmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, S. 74 Rn. 15 ff.; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1704); R. Buchert/C. Buchert, CCZ 05/2012, VI – VII. 267 Vgl. hierzu R. Buchert, in: Jackmuth/Lamboy/Zawilla (Hrsg.), Fraud Management, 599 (608). 268 Im Gegensatz zur klassischen Täter-Opfer-Struktur werden die Korruptionsdelikte durch zwei Täter geprägt, die ein Band der Heimlichkeit verbindet und wechselseitig schützt. In
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
Gesamtzahl der innerbetrieblichen Wirtschaftsstraftaten eine herausgehobene Position einnehmen269. Zum anderen sind innerbetriebliche Verflechtungen und Arbeitsprozesse auch für betriebsinterne Kontrolleure oftmals nicht ohne weiteres durchschaubar. Vor allem langjährige Entwicklungen durch gewachsene Mitarbeiterkreise und eine damit oftmals einhergehende lasche Dokumentations- und Prüfpraxis bilden den Nährboden für das Begehen von Regelverstößen. Es ist somit Aufgabe und Pflicht der Unternehmensleitung Maßnahmen zu treffen, um entsprechende Hinweise zu generieren und auszuwerten270. In der Praxis hat dies zu einer steten Zunahme der Implementierung von betriebsinternen Hinweisgebersystemen geführt271.
Fällen, in denen Mitarbeiter vermeintlich zugunsten des Unternehmens handeln, bleibt das deliktische Verhalten durch den gegenseitigen Vorteil regelmäßig unbemerkt. Zudem fehlt es an einem persönlichen Opfer, weshalb die im Strafrecht typische Meldung durch das Opfer entfällt. 269 Instruktiv zum Begriff der Korruption und den hieraus entstehenden Schäden Bannenberg, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 7 Rn. 1 ff. 270 Nach h.M. handeln die Mitglieder einer Geschäftsleitung nur dann mit der erforderlichen Sorgfalt (§§ 93 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG), wenn sie im Vorfeld einer Entscheidung „alle verfügbaren Erkenntnisquellen“ ausschöpfen, vgl. BGH NJW 2008, 3362 (3363). 271 Im Zentrum steht dabei stets die Einrichtung einer Meldestelle, an die sich der potentielle Hinweisgeber wenden kann. Dabei muss beachtet werden, dass ein Hinweisgeber, der innerbetriebliche Informationen über Regelverstöße von Kolleginnen und Kollegen offenbart, regelmäßig Angst vor Repressalien hat und demnach besonderen Schutz benötigt. In der Praxis hat sich das sogenannte Ombudsmann-System bewährt, bei dem ein freier Rechtsanwalt als externe Ombudsstelle fungiert und entsprechende Hinweise entgegennimmt. Die berufliche Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO) gewährleisten den Schutz der Identität des Hinweisgebers und bieten die Möglichkeit, erlangtes Wissen vor dem Zugriff Dritter abzuschirmen. Auf diese Weise wird die Aussagebereitschaft des Mitarbeiters gefördert. Zugleich wird der Hinweisgeber hierdurch einer etwaigen arbeitsrechtlichen Aussagenpflicht gegenüber seinem Arbeitgeber gerecht, ohne sich der Gefahr einer Strafbarkeit wegen Geheimnisverrats nach § 17 Abs. 1 UWG auszusetzen. Zur Ausgestaltung betrieblicher Hinweisgebersysteme Schemmel/Ruhrmannseder/Witzigmann, Hinweisgebersysteme, S. 157 ff., 170; R. Buchert, in: Bürkle/Hauschka (Hrsg.), Compliance-Officer, S. 241 ff. sowie Pauthner-Seidel/Stephan, in: Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, 2010, § 27 Rn. 111 ff. jeweils m.w.N. Zum Schutzbedürfnis potentieller Hinweisgeber und dem Ombudsmann-System R. Buchert, CCZ 2008, 148. Aufgrund der Erfolge der betrieblichen Hinweisgewinnung setzen inzwischen auch staatliche Verbrechensverfolger auf die Gewinnung von Insiderinformationen zur Aufklärung wirtschaftskrimineller Handlungen. Vgl. hierzu mit kritischer Bewertung der aktuellen Überlegungen zur Einführung einer staatlichen Hinweisgeberprämie C. Buchert, CCZ 2013, 144.
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
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2. Auswertung und ggf. Einleitung einer unternehmensinternen Untersuchung Ist eine entsprechende Information an das Unternehmen weitergeleitet worden oder erfährt die Unternehmensleitung bzw. entsprechend beauftragte Personen auf andere Weise von Missständen, werden die erlangten Kenntnisse an eine zentrale Stelle weitergeleitet und bewertet. In größeren Unternehmen existieren eigene Compliance-Abteilungen272. Die inhaltliche Bewertung ähnelt dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft bei der Prüfung des Vorliegens eines Anfangsverdachts. Allerdings spielen bei der Bewertung durch das Unternehmen die Auswirkungen des (möglichen) Fehlverhaltens naturgemäß eine größere Rolle273. Sind die entsprechenden Verdachtsmomente ausreichend, wird formell eine Untersuchung eingeleitet274. Diese wird entweder von der Abteilung selbst oder speziellen Untersuchungsabteilungen durchgeführt275 und folgt einem Projektplan276. Bei besonders sensiblen Themen werden daneben häufig externe Rechtsanwälte als Investigateure beauftragt, um sich durch deren berufliches Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 3 Nr. 3 StPO) gegenüber staatlichen Stellen vor einer Herausgabe der erlangten Informationen zu schützen277. Zudem unterliegen externe Ermittlerteams nicht dem Antagonismus, dem sich unternehmensangehörige Aufklärer gegenüber ihren Kollegen ausgesetzt sehen. Kleinere und mittelständige Unternehmen verfügen hingegen selten über ein professionelles System zum Umgang mit aufgetretenen Regelverstößen. Allerdings sind auch hier Unternehmer mehr und mehr für das Thema sensibilisiert. Die Übertragung entsprechender Aufklärungsarbeit an spezialisierte Kanzleien oder Unternehmensberatungen ist hier also primär fehlendem Know-how und fehlender man-power geschuldet, das auf diese Weise in das Unternehmen geholt wird. Die Abläufe sind aber weitestgehend identisch.
272 Vgl. diesbezüglich die Ausführungen von Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Mossmayer/ Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 17 ff. zum innerbetrieblichen Vorgehen der Firma Siemens AG, sowie allgemein den „Prüfkatalog“ bei Zawilla, in: Jackmuth/Lamboy/Zawilla (Hrsg.), Fraud Management, 719 (736). 273 Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 17 ff. 274 Vgl. Bührer, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 108 ff. 275 Vgl. Bührer, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 108 ff. 276 Der Projektplan dient dabei nicht nur der Koordination der Aufgaben. Durch die Beschränkung von Gegenstand und Ablauf der Untersuchung soll auch das Zutagefördern unerwünschter Zufallsfunde verhindert werden. 277 Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 96; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (241). Zur Frage einer Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen noch eingehend unten S. 170 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
3. Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung Der Umfang der unternehmensintern getroffenen Maßnahmen ist maßgeblich abhängig von der Schwere des Vorwurfs und den Risiken und Folgen für das Unternehmen278. Besteht bereits gegen eine konkrete Person oder Personengruppe ein ausreichender Verdacht, werden der bzw. die beschuldigte(n) Arbeitnehmer freigestellt und Erstmaßnahmen gegen mögliche weitere Schädigungshandlungen vorgenommen. Hierzu zählen insbesondere: Zugriffsverhinderung auf Firmennetzwerke, Entzug von Zugangsberechtigungen und Genehmigungsbefugnissen, Entzug von Schlüsseln, sowie die Einziehung von Firmeneigentum (insb. Laptops, Handys etc.). Je nach Schwere des Tatvorwurfs und den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen werden zudem klassische Durchsuchungshandlungen am Arbeitsplatz des beschuldigten Mitarbeiters durchgeführt (Sicherstellung von Informationen der Festplatte, Sicherstellung der beruflichen Telefonverbindungsdaten, Auswertung von Dateien auf sonstigen elektronischen Speichermedien) und ggf. Material von Kontrollgeräten (Überwachungskameras für bestimmte Räume, Zugangssicherungen) ausgewertet279. Elektronische Datenbestände werden mit Hilfe entsprechender forensischer Software nach bestimmten Parametern gefiltert280. Besondere Bedeutung kommt der persönlichen Befragung von Mitarbeitern (sog. Interviews) des Unternehmens oder anderweitig involvierten Personen zu, worauf sogleich ausführlich einzugehen sein wird. Ist kein konkret Beschuldigter bekannt, wird versucht, über die Auswertung allgemeiner Dokumente (Prüfberichte, insb. der Revision) und Prüfung von Prozessen weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Stellenweise werden auch klassische Überwachungsmaßnahmen vorgenommen. Gemeint sind damit insbesondere die offene oder verdeckte Videoüberwachung von Arbeitnehmern, der Einsatz von Detektiven oder die Kontrolle des elektronischen Datenverkehrs281. Schließlich kann auch hier eine breit angelegte Befragung der Arbeitnehmer Anhaltspunkte liefern. Unternehmensinterne Befragungen kommen nämlich nicht nur auf der letzten Ermittlungsebene zur Überführung eines entsprechend verdächtigen Mitarbeiters zum Einsatz. Vielmehr dienen Befragungen häufig auch als primäres Aufklärungsinstrument, um umfassend Licht ins Dunkel zu bringen. Im Siemens-Fall wurden im
278 Ausführlich Moosmayer, Compliance, S. 88 ff.; siehe auch Grützner, in: Momsen/ Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 149 ff. 279 Eine Übersicht über mögliche Maßnahmen findet sich bei Zawilla, in: Jackmuth/ Lamboy/Zawilla (Hrsg.), Fraud Management, 719 (736) sowie ausführlich bei Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 193 ff. 280 Vgl. Wybitul/Böhm, CCZ 2015, 133; siehe auch Schuster, ZIS 2010, 68, der zudem auf den von Täterseite vielfach unterschätzten Aspekt hinweist, dass Daten auch nach Löschvorgängen oder Formatierungen im Regelfall von IT-Spezialisten wiederhergestellt werden können und überdies häufig firmeninterne Back-up-Systeme bestehen. 281 Vgl. Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81 (83 ff.).
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
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Rahmen der durchgeführten Internal Investigation rund 1.750 Personenbefragungen und 800 informelle Gespräche durchgeführt282.
III. Die Befragung als Herzstück unternehmensinterner Maßnahmen In der juristischen Diskussion um die Aufklärung von Compliance-Verstößen geht es zumeist um die Zulässigkeit technischer Ermittlungsmaßnahmen wie das Zusammenstellen und Sichten persönlicher Daten von Arbeitnehmern (Data Collection und Review). Die praktisch bedeutsamere Befragung von Mitarbeitern im Kontext repressiver Compliance-Maßnahmen steht dabei merkwürdigerweise weitaus weniger im Fokus der Öffentlichkeit283 und hat auch in der juristischen Literatur erst vor kurzem Beachtung gefunden284. Dies ist umso erstaunlicher als die persönliche Befragung eines Mitarbeiters vielfach die kostengünstigere und praktikablere Alternative im Verhältnis zu aufwendigen technischen Überwachungsvorgängen darstellt. Darüber hinaus zeigen die praktischen Erfahrungen, dass die persönliche Befragung der Beteiligten vielfach der einzige Weg ist, die gewünschten Informationen zu erhalten. 1. Bedeutung der Befragung im Kontext repressiver Compliance-Maßnahmen Mit den beschriebenen Ermittlungsmaßnahmen ist eine vollständige Aufklärung der Vorgänge regelmäßig nicht möglich. Der Grund hierfür ist wiederum in der Struktur der Korruptionsdelikte sowie in der Komplexität betriebsinterner Abläufe und Prozesse zu erblicken. Selbst wenn schriftliche Dokumente vorhanden sind, ist es regelmäßig nur anhand von Befragungen möglich, diese Unterlagen richtig zu verstehen. Entsprechend ist nicht nur bei der Hinweisgewinnung, sondern auch bei der Aufklärung von Regelverstößen die Nutzung von Insiderwissen elementar. Der Mitarbeiter als Wissensträger ist die originäre und am einfachsten zugängliche Informationsquelle. Die persönliche Befragung von beteiligten oder betroffenen Mitarbeitern als potentielle Täter oder Zeugen nimmt daher bei der Aufklärung und Verfolgung betrieblicher Straftaten eine zentrale Rolle ein285 und kann als Herzstück einer repressiven Compliance-Untersuchung bezeichnet werden286. 282
Pressemitteilung der Siemens AG v. 15. 12. 2008. Zu den großen und in der Öffentlichkeit viel beachteten Datenskandalen der Deutschen Bahn AG (Überwachung des Mailverkehrs von Arbeitnehmern), Lidl (Verdeckte Videoüberwachung von Arbeitnehmern) und der Deutschen Telekom AG (Datenscreening) siehe die zusammenfassende Übersicht bei Eisele, Compliance und Datenschutzstrafrecht, S. 15 ff. 284 So auch Rudkowski, NZA 2011, 612 (612). 285 Zustimmend Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 97; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (242); Diller, DB 2004, 313 ff.; Rudkowski, NZA 2011, 612 (612); Breßler/Kuhnke/ 283
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
2. Struktur der Befragungen: Kategorisierung nach der Stoßrichtung der Befragung Unternehmensinterne Befragungen zeichnen sich durch ein gestuftes Vorgehen aus: Auf der ersten Stufe erfolgt eine informatorische Befragung aller potentiellen Wissensträger zur allgemeinen Sachverhaltsaufklärung, soweit der Sachverhalt den unternehmensinternen Ermittlungspersonen nicht bereits durch Heranziehung anderer Informationsquellen ausreichend bekannt ist. Auf Grundlage der so gewonnen Erkenntnisse werden dann gezielt Befragungen geführt, in denen potentiell verdächtige Mitarbeiter mit den Vorwürfen konfrontiert werden287. Da die Befragungshandlungen aufeinander aufbauen, ließe sich auf den ersten Blick von einem einheitlichen Vorgang sprechen. Vergegenwärtigt man sich jedoch den genauen Anlass der Befragungen, wird ein divergierendes Muster erkennbar: Die Maßnahmen im Bereich der Sachverhaltsaufklärung dienen dazu, Informationen, die den Ausgangspunkt der Untersuchung bildeten, zu verifizieren und festzustellen, ob ein gefahrenbegründender Regelverstoß vorliegt oder sogar ein Schaden eingetreten ist. Der oder die Unternehmensführer sollen in die Lage versetzt werden, etwaige Gegenmaßnahmen einzuleiten, um Gefahren vom Unternehmen abzuwenden. Die Stoßrichtung des Vorgehens ist damit in diesem Moment der Befragung präventiver Natur288. Die anschließenden konfrontativen Befragungen mit dem engeren Kreis von Verdächtigen oder Zeugen sind hingegen unmittelbar auf die Klärung der (rechtlichen) Verantwortlichkeit respektive der Überführung des Täters gerichtet, weshalb diesem Handeln eine ausschließlich repressive Stoßrichtung zugesprochen werden muss, wie man sie sonst nur aus dem Strafverfahren kennt. Die Befragungen von Mitarbeitern im Rahmen interner Untersuchungen lassen sich daher in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen289 : Die erste Kategorie
Schulz/Stein, NZG 2009, 721 (721); Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 (81); Wagner, CCZ 2009, v. Hehn/Hartung, DB 2006, 1909 (1914); Kremer, in: FS für Schneider (2011), 701 (710); Wessing, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, 907 (921); Joussen, Sicher Handeln bei Korruptionsverdacht, S. 69; Theile, StV 2011, 381 (384); Haefcke, CCZ 2014, 39 (39); Spehl/ Momsen/Grützner, CCZ 2014, 170 (170 ff.). 286 Duggin, Columbia Buisness Review (2003), 864 („The employee Interviews is the heart of the internal investigation“); siehe auch Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (19): „direkte Befragung des Mitarbeiters ist Mittel der ersten Wahl“. 287 Ähnlich Grützner, in: Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 281. 288 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man lediglich dann, wenn man davon ausgeht, dass die informatorischen Befragungen auf der ersten Stufe lediglich dazu dienen sollen, die später anschließenden konfrontativen Befragungen vorzubereiten (so wohl Zawilla, in: Jackmuth/ Lamboy/Zawilla (Hrsg.), Fraud Management, 719 (745)). Nach der hier vorgeschlagenen Kategorisierung stellen Befragungen, die der Vorbereitung einer konfrontativen Befragung dienen, aber keine informatorischen Befragungen dar, da auch ihnen bereits eine repressive Stoßrichtung anhaftet. 289 Eine entsprechende Kategorisierung findet sich auch bei Grützner, in: Momsen/ Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 281, der diesbezüglich jedoch nicht nach
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
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umfasst lediglich informatorische Befragungen zur allgemeinen Sachverhaltsaufklärung mit präventivem Charakter. Davon zu unterscheiden sind konfrontative Befragungen mit dem engeren Kreis der Beschuldigten oder Zeugen, die die Klärung der rechtlichen Verantwortlichkeit bezwecken und damit repressiv ausgerichtet sind. 3. Inhaltliche Ausgestaltung der Mitarbeiterbefragung Die Durchführung der Befragungen wird inhaltlich gut vorbereit290 und verfolgt je nach Handlungskategorie eine unterschiedliche Zielrichtung. Die Mitarbeiter werden zumeist sehr chronologisch und nach bestimmten Themengebieten geordnet befragt. Die konkreten Interviews werden typischerweise in der Hierarchie-Pyramide von oben nach unten geführt, d. h. zunächst mit Abteilungsleitern und Führungskräften und anschließend mit untergeordneten Sachbearbeitern291. Zwar sind die Führungspersonen (sofern sie nicht selbst Beschuldigte sind) meist sehr weit weg vom konkreten Handlungsgeschehen, ihre betriebliche Überordnung bietet den Ermittlern jedoch die Möglichkeit, sich zunächst ein Gesamtbild des Betriebes oder der Abteilung zu machen und sich anschließend nach und nach dem Kern des im Fokus stehenden Fehlverhaltens zu nähern. Ab Vorliegen eines entsprechenden Verdachtsgrades wird durch eine entsprechende terminliche Ansetzung der Befragungen darauf geachtet, dass sich mehrere verdächtige Mitarbeiter nicht absprechen können. Existieren konkrete Verdachtsmomente gegen einen oder mehrere Mitarbeiter kommt alternativ auch ein Vorgehen nach der Verstoßnähe in Betracht („Beschuldigte“ vor „Zeugen“). Die Befragungen beginnen zumeist mit einer allgemeinen Belehrung, bei der der Mitarbeiter über seine Mitwirkungspflichten und mögliche Gegenrechte bei der Befragung aufgeklärt wird. Die Ermittler weisen dabei deutlich daraufhin, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Treuepflicht zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet292 ist und drohen im Falle einer Weigerung oder nur unzureichenden Aussagebereitschaft mit arbeitsrechtlichen und haftungsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Geltendmachung von Schadensersatzforderungen wegen Beteiligung an Korruptionshandlungen293. Teilweise wird dies mit der Behauptung verknüpft, dass eine entsprechende Aussage notfalls über § 888 ZPO gerichtlich
den Stoßrichtungen der Befragungen differenziert, sondern ausschließlich auf den inhaltlichen Unterschied (informatorische Befragung und konfrontative Befragung) abstellt. 290 Siehe hierzu die „18 Grundregeln für ein gut organisiertes Mitarbeiterinterview“ von Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 282, wonach sogar die konkrete Sitzordnung im Vorfeld abgeklärt werden sollte. 291 Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 97. 292 Zu den Mitwirkungspflichten eines Arbeitnehmers eingehend unten S. 191 ff. 293 Jahn, StV 2009, 41 (42); v. Rosen, BB 2009, 230 (231), Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (69); Wessing, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, 907 (922); Schulte/Görts, RIW 2006, 561 (567 ff.).
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
erzwungen werden kann294. Der Aussagegehalt wird dabei durch die Atmosphäre bei den Befragungen verstärkt295 : Der betroffene Mitarbeiter sieht sich im Regelfall einer zahlenmäßigen Übermacht an gut ausgebildeten Ermittlungsteams gegenüber. Sofern eine Kooperation mit den staatlichen Behörden vorliegt, sind die Befragungen davon geprägt, den ggf. gleichzeitig ermittelnden staatlichen Beamten etwas zu liefern296. Werden die Ermittlungen durch externe Anwaltsteams durchgeführt, tritt als zusätzliche Komponente die nachzuweisende Effektivität gegenüber dem beauftragenden Unternehmen hinzu. Die Ermittler handeln dementsprechend mitunter nach einer harten „talk or walk“-Devise297 und bauen bewusst Druck auf den Arbeitnehmer auf298. Alternativ wird versucht, den Mitarbeiter durch eine besonders angenehme Gesprächsatmosphäre zu einer Aussage zu bewegen. Im Rahmen der Belehrung erfolgt gegebenfalls auch der Hinweis, dass das Unternehmen die erlangten Erkenntnisse unter Umständen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiterleiten wird299. Nur selten werden die Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass sie im Falle eines staatsanwaltschaftlichen Verhörs durch die Selbstbelastungsfreiheit (sog. nemo-tenetur-Prinzip) nicht zur Aussage verpflichtet wären, wenn sie sich hierdurch selbst einer Straftat bezichtigen müssten300. Teilweise 294
Zur Durchsetzbarkeit der Auskunftsansprüche des Arbeitgebers eingehend unten, S. 198 ff. 295 Die folgenden Ausführungen zur Atmosphäre bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen basieren überwiegend auf Quellen, die sich auf die Vornahme von SECErmittlungen in deutschen Unternehmen beziehen und von speziellen „Vertrauenskanzleien“ der SEC durchgeführt werden, die im Zuge der Kooperation mit den amerikanischen Behörden mit besonderem Ermittlungsdruck vorgehen. Hier ist nochmals klarzustellen, dass die überwiegende Anzahl der unternehmensinternen Befragungen in der BRD nicht von der SEC initiiert ist, sondern im kleineren Rahmen stattfinden, keineswegs aber weniger systematisch erfolgen. Allerdings ist davon auszugehen, dass deutschen Berufsträgern im Anwaltsstand in deutlich höherem Maße auf die Einhaltung von rechtsstaatliche Mindeststandards achten. Dieser persönliche Eindruck des Verfassers von entsprechenden Befragungen spiegelt sich auch in den Thesen zum Unternehmensanwalt des Strafrechtsausschusses der BRAK (BRAK Stellungnahme Nr. 35/2010) wider. Schließlich dürfte mit Blick auf eine spätere Belastbarkeit der Beweismittel vor deutschen Gerichten und der Zielrichtung der Compliance-Maßnahmen jedenfalls in Deutschland eine sensiblere Vorgehensweise im Ergebnis zielführender sein. Zu Recht wird daher von erfahrenen Wirtschaftsstrafrechtlern die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und damit einhergehende Transparenz- und Dokumentationspflichten angemahnt, vgl. nur Park, in: FS für Wessing (2015), 625. Gleichwohl ist dem Verfasser auch aus der eigenen Praxiserfahrung bekannt, dass durch Aufzeigen der entsprechenden Konsequenzen gegenüber dem delinquenten Mitarbeiter zielgerichtet versucht wird, diesen zu einer Aussage zu bewegen, um die relevanten Informationen zu erhalten. Hier darf nicht übersehen werden, dass die ermittelnden Rechtsanwälte nicht zur Objektivität verpflichtet sind, sondern ausschließlich die Interessen des beauftragenden Unternehmens wahrnehmen. 296 Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (869). 297 Maschmann, AuA 2009, 72 (76). 298 Vgl. Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), in: Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 140 (170): „private Verhöre“. 299 Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852); v. Hehn/Hartung, DB 2006, 1909 (1914). 300 Vgl. § 55 Abs. 1 StPO.
B. Die unternehmensinterne Untersuchung
79
wird dem Mitarbeiter seitens des Unternehmens die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zugestanden, der eine entsprechende Beratungsfunktion wahrnimmt301, worauf aber vielfach entweder gar nicht oder nur sehr spät hingewiesen wird302. Mitunter wird ein entsprechendes Angebot auch seitens des Mitarbeiters abgelehnt, weil dieser gegenüber den Ermittlern nicht den Eindruck erwecken möchte, sich besonders gegen die Vorwürfe „verteidigen“ zu müssen. Auch aus diesem Grunde sind die betroffenen Mitarbeiter oftmals nicht in der Lage, die rechtliche Tragweite ihrer Aussage zu überblicken303. Aber selbst wenn dies der Fall ist, sieht sich der Betroffene einer äußerst prekären Situation gegenüber: Schweigt er, setzt er sich der Gefahr aus, seinen Job zu verlieren und sieht sich gegebenfalls mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe konfrontiert. Sagt er wahrheitsgemäß aus, riskiert er damit, sich strafrechtlich für sein Verhalten verantworten zu müssen. Dabei dürfte dem Mitarbeiter bewusst sein, dass mit Vorliegen seiner protokollierten Aussage die Verteidigungsmöglichkeiten in einem etwaigen Strafverfahren gering sein dürften. Es liegt auf der Hand, dass sich angesichts der schlechten Handlungsoptionen ein Arbeitnehmer in der dargelegten Situation regelmäßig einer Aussage verschließen wird, um zumindest einem Strafverfahren zu entgehen und nicht zusätzlich Beweise für eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme zu liefern304. Aus diesem Grunde gewähren Unternehmen bisweilen arbeitsrechtliche Amnestien, um die „Mauer des Schweigens“ zu durchbrechen305 und Mitarbeitern Anreize zu schaffen, Informationen über begangene Gesetzesverstöße offenzulegen306. Darunter versteht man Zusagen des Unternehmens, von bestimmten Sanktionen (arbeitsrechtliche Maßnahmen, Geltendmachung von Schadensersatz) abzusehen und bestimmte Verpflichtungen (grundsätzliche Zusicherung von Vertraulichkeit, Absehen von Strafanzeige) zu übernehmen307. Derartige Amnestieprogramme besitzen inzwischen eine nicht unerhebliche Pra-
301 Vgl. zur entsprechenden Vorgehensweise im Fall Siemens Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (863 ff. und 869). 302 Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852). 303 Ähnlich Wessing, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat, 907 (922 ff.); siehe auch Fritz/ Nolden, CCZ 2010, 170 (127 ff.). 304 Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1851); Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZA 2009, 721 (721); Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 (81). 305 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1704). 306 Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZA 2009, 721 (721). 307 Amnestieversprechen sind rechtlich nicht unproblematisch: Die Zusage der Vertraulichkeit der erlangten Information kann mit kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten nach § 15 WpHG kollidieren. Daneben ist der Verzicht auf eine arbeitsrechtliche Kündigung aus wichtigem Grund grundsätzlich nicht möglich, vgl. Breßler/Kuhnke/Schulz/Stein, NZA 2009, 721 (724 ff.). Zu den strafrechtlichen Risiken von entsprechenden Amnestieangeboten für die Unternehmensleitung (insbesondere nach § 258 Abs. 2 StGB und § 266 StGB) siehe Zapfe, Compliance und Strafverfahren, S. 79 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
xisrelevanz308 und belegen die besondere Bedeutung des Mitarbeiters als Erkenntnisquelle309. Aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer stellen derartige Programme eine Chance dar, mögliche Sanktionen abzumildern, sind aber zugleich mit erheblichen Risiken behaftet, wenn Inhalt und Reichweite der Zusagen nicht klar definiert sind und dem Arbeitnehmer hierdurch – wissentlich oder unwissentlich – eine falsche Ausgangslage suggeriert wird310. Dies ist vor allem dann misslich, wenn der Arbeitnehmer davon ausgeht, dass ihn die offerierte Amnestie auch vor einer staatlichen Strafverfolgung schütze311. Aufgrund der praktischen Bedeutung und der vielfältigen rechtlichen Probleme bei der Durchführung von Mitarbeiterbefragungen zur Aufklärung von ComplianceVerstößen wird diese besondere repressive Compliance-Maßnahme ins Zentrum der weiteren Untersuchung gestellt und bildet den konkreten Untersuchungsgegenstand.
C. Die Rolle der Staatsanwaltschaft Soweit ersichtlich wird der Rolle der Staatsanwaltschaft bei unternehmensinternen Befragungen kaum Beachtung geschenkt312. Dies ist wohl auf den Umstand zurückzuführen, dass es sich in erster Linie um interne Maßnahmen handelt, die (ursprünglich) lediglich darauf gerichtet waren, einen möglichen Regelverstoß tatsächlich festzustellen. Jedoch wird man nicht von der Hand weisen können, dass die dargestellten repressiv ausgerichteten Ermittlungshandlungen, die in den vergangenen Jahren als zweite Spur der Compliance-Arbeit neben das ursprüngliche Primärziel der Prävention getreten sind, in der Regel sehr weit gehen und eine rudimentäre Sachverhaltsaufklärung weit übersteigen. Dies wird durch die unterschiedlichen Handlungskategorien bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen besonders deutlich: Es geht den Unternehmen inzwischen nicht mehr nur darum, betriebswirtschaftliche Störungen zu beseitigen, sondern das unternehmerische Handeln muss „compliant“ sein, was bedeutet, auch aktiv an der Aufdeckung möglicher betriebsinterner Straftaten mitzuwirken und eigene Interessen
308
Entsprechende Amnestieprogramme sind u. a. aus den Fällen Ferrostaal, MAN und Siemens bekannt, vgl. Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 (81) m.w.N. Auch bei der Aufklärung des aktuellen VW-Abgasskandals offeriert das Unternehmen Amnestien. 309 Ähnlich Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1704). 310 Da es sich um eine rein privatrechtliche Regelung handelt, ist der genaue Inhalt der Amnestievereinbarung von den Parteien frei verhandelbar. Es liegt auf der Hand, dass ein Unternehmen bei der inhaltlichen Ausgestaltung auf den eigenen Vorteil bedacht sein wird – und vor dem Hintergrund eigener Rechtspflichten auch sein muss. 311 Dieser Eindruck kann insbesondere dann entstehen, wenn eine enge Kooperation der unternehmensinternen Ermittler mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden vorliegt und die kooperativ geführten Ermittlungen auch den Mitarbeitern bekannt sind. 312 Vgl. aber die Darstellung der „Dreiecksbeziehungen“ bei Lenze, Compliance, S. 169 ff.
C. Die Rolle der Staatsanwaltschaft
81
durchzusetzen313. Sofern das Vorgehen zumindest auch dem Zweck einer Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden dient, muss dies als wesentliche Unterstützung der staatlichen Strafverfolgung aufgefasst werden, die sich in ihrer Qualität ganz erheblich von der typischen Mitwirkung eines Privaten an der staatlichen Strafverfolgung unterscheidet. Damit wird zugleich eine ureigene Staatsaufgabe in ihrem Kern betroffen. Denn der Strafanspruch des Staates beinhaltet auch die Pflicht zu einer eigenständigen und ausschöpfenden Ermittlungstätigkeit, die neben den belastenden Umständen auch ausdrücklich die entlastenden Umstände im Blick haben muss, wie sich aus § 160 Abs. 2 StPO ergibt. Die Rolle der Staatsanwaltshaft als staatliche Ermittlungsbehörde und Inhaberin des Anklagemonopols darf daher nicht unberücksichtigt bleiben.
I. Interne Aufklärung als Element des staatlichen Ermittlungsverfahrens Die fehlende Täter-Opfer-Struktur im Bereich der Korruptionsdelikte sowie rein tatsächliche Umstände wie die Komplexität der zu beurteilenden Vorgänge stellen kaum überwindbare Hürden bei der Aufklärung wirtschaftskrimineller Handlungen dar314. Firmeninterne Verflechtungen schützen die Täter vor äußeren Zugriffen. Die obigen Ausführungen zur Bedeutung von Insiderwissen bei unternehmensintern begangenen Straftaten315 schlagen sich daher unmittelbar im konkreten Tätigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts nieder. Den Strafverfolgungsbehörden ist bewusst, dass eine Aufklärung ohne die Kenntnis der unternehmensinternen Zusammenhänge und der speziellen Abläufe und Eigenheiten kaum möglich ist316. Zudem haben die bislang angestellten Überlegungen bereits gezeigt, dass die Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreift, sehr weit gehen und sowohl in ihrer Tiefe, vor allem aber in ihrer Breite regelmäßig die Möglichkeiten übersteigen werden, die die Staatsanwaltschaft in Anbetracht fehlender Ressourcen umsetzen könnte. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft erscheint es daher nahezu zwingend, das Unternehmen bei der Aufklärung der Straftat miteinzubinden, um eine Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten und dem Legalitätsprinzip Rechnung zu tragen.
313
Vgl. hierzu oben, S. 65 ff. Vgl. Hefendehl, ZStW 119 (2007), 816 (819 ff.). 315 Vgl. oben S. 71 ff. 316 Über 80 % der mit der Aufklärung von Wirtschaftsstraftaten befassten Beamten sind der Überzeugung, dass Compliance in der Korruptionsbekämpfung eine sehr wichtige Bedeutung zukommt, vgl. Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (138). 314
82
1. Kap.: Bestandsaufnahme
Wenngleich vereinzelt Vorbehalte der Ermittlungsbehörden gegenüber offensiv agierenden Unternehmen bestehen317, nehmen Staatsanwaltschaft und Polizei inzwischen in 90 % der Ermittlungsverfahren, die strukturelle Korruption zum Inhalt haben, konkrete Unterstützungen der Unternehmen im Verfahrensverlauf in Anspruch318. Teilweise stützen sich die Ermittlungsbehörden sogar schwerpunktartig auf die Ergebnisse interner Untersuchungen, deren Herausgabe regelmäßig nach § 95 StPO verlangt wird319.
II. Vorteile interner Aufklärungsmaßnahmen aus Sicht der Staatsanwaltschaft Das unternehmensinterne Ziel, der Staatsanwaltschaft ein umfassendes Beweismittelpaket zur Verfügung zu stellen320, findet seinen Ursprung in den ökonomischen Vorteilen dieser Maßnahme aus Sicht der Staatsanwaltschaft321. Die Strafverfolgungsbehörden erhalten ohne den Einsatz eigener, entsprechend aufwendiger Ressourcen eine umfangreiche Beweisgrundlage322. Teilweise werden die recherchierten Erkenntnisse von den privaten Ermittlern sogar bereits wie Anklageschriften aufbereitet und entsprechend formgerecht den Behörden zugeleitet323. Für die Staatsanwaltschaft bietet diese Vorgehensweise darüber hinaus die Möglichkeit, in den Besitz von Beweismitteln zu kommen, die sonst wahrscheinlich niemals hätten erlangt werden können. Dies betrifft zum einen die Breite der zur Verfügung gestellten Beweismittel324, zum anderen aber auch deren inhaltliche Qualität. Durch die fehlende Bindung an die Vorschriften der StPO müssen unter317
Vgl. hierzu Kempf, StraFo 2003, 79 ff. Näher hierzu Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (140). Die Bedeutung einer Einbeziehung von privaten Unternehmen in das staatliche Strafverfahren zeigt sich zudem auch in dem Umstand, dass das Phänomen der unternehmensinternen Untersuchung inzwischen integraler Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Staatsanwälten ist. 319 Wettner/Mann, DStR 2014, 655 (656). 320 Vgl. hierzu oben S. 62 ff. 321 Siehe dazu die Hinweise bei Jahn/Budras, FAZ vom 18. 05. 2010. Auch Kremer, in: FS für Schneider (2011), 701 (702 ff.) verweist unter Bezugnahme auf den Kooperationsbegriff (lat. „coopratio“ = Zusammenarbeit, mit einem inhärenten Nutzen für alle Beteiligten) auf die besonderen Vorteile für die Strafverfolgungsbehörden bei einer Kooperation des Unternehmens; siehe auch Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 35 Rn. 10 ff. 322 Ähnlich Mansdörfer, jM 2014, 167 (167). 323 Vgl. Wehnert, StraFo 2012, 253 (254); siehe auch die Recherchen von Theile/Gatter/ Wiesenack, ZStW 126 (2014), 803 (812 ff.). 324 Im Siemens-Verfahren sollen sich die Anwälte der Kanzlei Debevoise und die Münchener Staatsanwaltschaft bspw. darüber verständigt haben, wer schwerpunktmäßig in welchen Unternehmenssparten die Ermittlungen führt, um den Einsatz der finanziellen und personellen Ressourcen zu optimieren, vgl. Knauer, in: Verhandlungen des 67. DJT 2008, Bd. II/2: Sitzungsberichte. Siehe hierzu auch die Recherchen von Wewerka, Internal Investigations, S. 208. 318
C. Die Rolle der Staatsanwaltschaft
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nehmensinterne Aufklärer nicht die für staatliche Beschuldigtenvernehmungen geltenden Belehrungs- und Aufklärungspflichten nach § 136 StPO beachten, was sich unmittelbar auf die Qualität der Beweismittel auswirkt325. Im Falle unternehmensinterner Befragungen wird dieser Umstand sogar durch die arbeitsrechtliche Treuepflicht, die jedenfalls nach der bislang h.M. eine Aussage- und Wahrheitspflicht gegenüber dem Arbeitgeber beinhaltet326, zusätzlich verstärkt. Schließlich ist der Weg über ausgelagerte Ermittlungshandlungen aus Sicht der zuständigen Sachbearbeiter sowohl tatsächlich als auch prozessual schlicht einfacher gangbar, als der rechtsstaatlich-formale Weg, den die Strafprozessordnung vorgibt327. Es ist somit aus Sicht der Behörde nicht nur ressourcensparend und bequem, sondern in Anbetracht der faktisch höheren Ermittlungsmacht der privaten Ermittler gleichsam auch inhaltlich förderlich, zunächst eine passive Rolle einzunehmen und die Ergebnisse der unternehmensinternen Untersuchung abzuwarten. Daneben steht es der Behörde selbstredend frei, jederzeit eigenständige (Nach-)Ermittlungen anzustellen, soweit sie dies für erforderlich hält328. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die zuständigen Staatsanwaltschaften sogar inzwischen dazu übergehen, den Unternehmen die Durchführung eigener Ermittlungshandlungen anzuraten329 und die neuen Vorgehensweisen als originäre Durchsetzung ihrer Legalitätspflicht begreifen330, wenngleich in jüngerer Zeit auch vereinzelt Stimmen aus Reihen der Staatsanwaltschaft grundlegende Bedenken an der engen Zusammenarbeit von Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden äußerten331.
III. Kooperation als „win-win-Situation“ Hiervon ausgehend darf es als naheliegende Konsequenz angesehen werden, dass kooperatives Verhalten der Unternehmen seitens der staatlichen Strafverfolger im Wege zurückhaltender Eigenermittlungen und geringen Strafforderungen auch ho325
Ähnlich Hamm, NJW 2010, 1332 (1335). Vgl. hierzu eingehend unten S. 173 ff. 327 So auch Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (741); siehe auch Greeve, StraFo 2013, 89 (89). 328 Kremer, in: FS für Schneider (2011), 701 (703); siehe auch Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (741). 329 Vgl. FAZ vom 17. 05. 2010 („Unterstützung für die Strafverfolger“); Handelsblatt vom 22. 11. 2011 („Votum: Staatsanwälte werden zu Geldeintreibern des Staates“), FAZ vom 28. 12. 2011 („Firmen müssen Sheriff spielen“). Vgl. auch Greeve, StraFo 2013, 89 (89). 330 Vgl. hierzu die Ausführungen von Wimmer, in: FS für I. Roxin (2012), 537 (550 ff.), die allerdings gleichzeitig betont, dass die StA in keinem Falle, die „Hände in den Schoss legen“ und die unternehmensinternen Untersuchungsergebnisse kritiklos entgegennehmen wird, sondern vielmehr die vorgelegten Beweismittel einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Ähnlich auch Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 35 Rn. 11. 331 So etwa OStA Frank Winter, der auf der 11. Internationalen Korruptionsfachtagung vor einer „Privatisierung der Justiz“ durch Übernahme interner Untersuchungsberichte warnte. 326
84
1. Kap.: Bestandsaufnahme
noriert wird332, um neben der Belohnung des betroffenen Betriebes auch Anreize für andere Unternehmen zu setzen, sich ebenso zu verhalten. Information und Verhandlung mit der Staatsanwaltschaft gehören inzwischen zur „best practice“ der beratenden Rechtsanwälte im Compliance-Bereich333. Der betriebliche ComplianceOfficer wird von den Behörden als kompetenter Ansprechpartner und „Mittelsmann“ wahrgenommen334. In den typischen Fallkonstellationen, in denen das Unternehmen aus den genannten Gründen heraus bewusst die kooperative Nähe zur Staatsanwaltschaft sucht, ergibt eine Gesamtbetrachtung der dargelegten Rollenbilder somit ein sich ergänzendes System. Die Motive von Unternehmen und Staatsanwaltschaft harmonieren und begründen eine win-win-Situation335.
IV. Gezielter Drang zur Kooperation Wenngleich die Interessen von Staatsanwaltschaft und Unternehmen häufig harmonieren, kann im Einzelfall auch das Gegenteil der Fall sein und die Verteidigung des Individualtäters im Unternehmensinteresse liegen336. Schlägt ein Unternehmen jedoch eine Strategie zur (legalen) Verhinderung der Aufklärung ein, beispielsweise durch bloße Passivität und Nichtbeteiligung, sind bei den Ermittlungsbehörden Gegenstrategien mit „Zuckerbrot und Peitsche“ zu beobachten, die das Unternehmen zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden bewegen sollen337: So werden z. B. plötzlich nachträglich feststellbare Gefährdungen des 332 Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (140): „Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist es hingegen unstrittig, dass eine frühzeitige Kooperation des Unternehmens und ein sich daraus abzulesender Wille zur Korruptionsbekämpfung Auswirkungen auf die spätere Festlegung der Unternehmensgeldbuße haben wird.“; siehe hierzu oben S. 62 ff. 333 Vgl. etwa Moosmayer, Compliance, S. 106 ff.; Görling, in: Görling/Inderst/Bannenberg (Hrsg.), Compliance, S. 454 ff.; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81 (87). 334 Eingehend zur Rolle und Funktion des Compliance-Officers im Ermittlungsverfahren Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (138 ff.); siehe auch Natale, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 35 Rn. 2 ff. 335 Ähnlich Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (139); siehe auch Leipold, in: FS für Schiller (2014), 418 (427) („Internal Investigations als allseitiger Gewinnbringer“), der allerdings daneben davon ausgeht, dass regelmäßig auch der beschuldigte Mitarbeiter von einer Kooperation des Unternehmens mit den Strafverfolgungsbehörden profitiert, weil er hierdurch die Möglichkeit habe, sich mit Hilfe seines Verteidigers frühzeitig zu den Vorwürfen zu äußern und seine Sicht der Dinge in das staatliche Ermittlungsverfahren einzubringen. Dem ist aber nur zuzustimmen, wenn dem Mitarbeiter seitens des Unternehmens frühzeitig ein fähiger Verteidiger zur Seite gestellt wird, der die Tragweite der Vorgänge überblickt und dementsprechend agiert. 336 Vgl. hierzu Strafrechtsausschuss der BRAK, Stellungnahme Nr. 35/2010, Thesen zum Unternehmensanwalt, These 1 Ziff. 6 sowie Sidhu/v. Saucken/Ruhrmannseder, NJW 2011, 881. 337 Vgl. hierzu und dem Folgenden Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (83); ähnlich auch Schneider, NZG 2010, 1201 (1202); Leipold, in: FS für Schiller (2014), 418 (425) sowie Wehnert, StraFo 2012, 235 (255); siehe auch Mansdörfer, jM 2014, 167 (167). Vgl.
D. Zusammenfassung
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Unternehmensvermögens oder der Vermögensinteressen Dritter in den Vordergrund der Ermittlungen gestellt. Auch neigen Behörden zur Begründung eines Anfangsverdachts durch an sich neutrale Indizien, wenn eine erwartbare Dokumentation nicht vorliegt und drohen mit einschneidenden Zwangsmaßnahmen, wie Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen gegen das Unternehmen sowie einer persönliche Inanspruchnahme der Unternehmensführung. Gleichzeitig werden Anreize durch progressive Kronzeugenregelungen im weiten Ermessensbereich geschaffen und Druck durch offensive Medienarbeit ausgeübt338.
D. Zusammenfassung Der Begriff „Compliance“ war im Zeitpunkt seiner Adaptierung in Deutschland durch präventive Vorsorgemaßnahmen geprägt. Inzwischen sind repressive Ermittlungshandlungen als zweite Spur der Compliance-Arbeit neben das Primärziel der Prävention getreten und ergänzen dieses inhaltlich (Prävention durch Repression). Die Flut an gesetzlichen Vorschriften und sekundärer Handlungsprämissen hat zu einer faktischen Privatisierung der „Unternehmensstrafbarkeit339“ im ComplianceBereich geführt, wofür die Durchführung unternehmensinterner Befragungen paradigmatisch steht340. Unternehmensinterne Untersuchungen stellen die praktische Umsetzung der repressiven Compliance-Facette dar. Das Herzstück einer internen Untersuchung bildet die unmittelbare Befragung der Mitarbeiter. Unterschieden werden können informatorische Befragungen mit präventiver Stoßrichtung zur Sachverhaltsaufklärung sowie Befragungen, die unmittelbar auf die Klärung der rechtlichen Verantwortlichkeit abzielen. Im Falle einer repressiven Stoßrichtung der Ermittlungen wird – ebenfalls aus Anlass eines Anfangsverdachts heraus – eine Ermittlungshandlung angestellt, die dem strafprozessualen Vorverfahren in seinen Wesenszügen
auch die zitierte Aussage eines Anwalts im Handelsblatt vom 15. 01. 2013, S. 13: „Das System der Strafverfolgungsbehörden funktioniere nach dem Prinzip: Druck aufbauen, Hektik auslösen, die Compliance arbeiten lassen und auf deren Ergebnisse warten“. 338 Einzelheiten bei Moosmayer, Compliance, S. 109 ff. m.w.N. 339 Wenngleich das deutsche Recht eine echte Unternehmensstrafe (noch) nicht kennt, haben die Ausführungen doch gezeigt, dass die Regelungsdichte im Compliance-Bereich und die zu beobachtenden Auslegungsprämissen der Behörden zumindest eine faktische Unternehmensstrafbarkeit geschaffen haben. So auch Greeve, StraFo, 89 (96), die eine „schleichende Einführung der Unternehmensstrafbarkeit“ ausmacht. 340 Privatisierung beschreibt in diesem Zusammenhang einen Prozess, der weg vom Staat und hin zum Privaten führt, vgl. Kulas, Privatisierung staatlicher Verwaltung, S. 19. Ausführlich zu den stetig wachsenden Privatisierungstendenzen im wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Reeb, Internal Investigations, S. 41 ff. Siehe auch Taschke, NZWiSt 2012, 9 ff.; Greeve, StraFo, 89 ff.
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1. Kap.: Bestandsaufnahme
entspricht341, gleichzeitig aber nicht seinen normativen Grenzen unterfällt342. Dabei besteht nicht nur ein Nebeneinander der Ermittlungshandlungen des privaten Unternehmens und der staatlichen Strafverfolgungsbehörden, sondern das strafprozessuale Ermittlungsverfahren wird durch das Handeln des Privaten nahezu ersetzt bzw. systematisch ergänzt. Der Übergang von internen Untersuchungen gegen Mitarbeiter zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen prozessual Beschuldigte ist fließend343. Die Einbindung eines Privaten in die Sachverhaltsaufklärung ist aus Sicht der staatlichen Behörden nachvollziehbar, da andernfalls eine Aufklärung im komplexen wirtschaftsrechtlichen Gefüge kaum möglich ist. Unternehmensinterne Ermittlungshandlungen fördern daneben Beweismittel zu Tage, die andernfalls durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden möglicherweise nicht hätten erlangt werden können. Mit einem derartigen „Outsourcing von Ermittlungshandlungen“344 geht aber zugleich die Gefahr einer relativen Schwächung rechtsstaatlicher Garantien einher, weil die gewählten Aufklärungsmethoden durch die Interessen des Unternehmens direkt beeinflusst sind: Das Unternehmensinteresse bestimmt faktisch zumindest in Teilen wie deliktsaufklärende Interventionen ausgestaltet werden und wem gegenüber sie durchsetzungsfähig sind345. Hier liegt auf der Hand, dass – unabhängig vom Nutznießertum des Unternehmens und der Staatsanwaltschaft – der primär beschuldigte Mitarbeiter als schwächstes Glied bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen auf der Strecke bleiben wird. Es ist Aufgabe und Anliegen der vorliegenden Untersuchung, besonders diesen Umstand kritisch zu würdigen und der hierdurch zugleich belegten Interpretation von Compliance als Instrument einer zunehmenden Verlagerung der hoheitlichen Aufgaben im Bereich der Strafverfolgung auf private Dritte346 Rechnung zu tragen.
341 Ähnlich Ambos, Beweisverwertungsverbote, S. 127: „staatsähnliche private Ermittlungen“; zustimmend auch Kaspar, GA 2013, 206 (207). 342 Treffend daher Jahn, Gutachten zum 67. DJT, 2008, C 100: „Parallelverfahren zur StPO“. 343 Sidhu/von Saucken/Ruhrmannseder, NJW 2011, 881 (884). 344 Wastl, ZRP 2011, 58. 345 Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (350). 346 Vgl. hierzu bereits die oben auf S. 65 ff. erfolgte Deutung des Compliance-Begriffs.
2. Kapitel
Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private? Die Ermittlungshandlungen Privater werden nach herrschendem Verständnis allein durch die Verbotsnormen des materiellen Strafrechts und zivilrechtlichen Vorschriften zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begrenzt1. Diese Wertung des Gesetzgebers führt bei der hier zu untersuchenden Problematik der unternehmensinternen Befragungen zu einem unbefriedigenden Ergebnis, da der Beschuldigte nicht durch die Vorschriften der Strafprozessordnung geschützt ist, die erlangten Erkenntnisse aber regelmäßig Eingang in das staatliche Strafverfahren finden. Wenn sich der Charakter einer privaten Ermittlungsmaßnahme durch die Beteiligung staatlicher Strafverfolgungsbehörden ändert, kann dies im Rahmen der rechtlichen Bewertung jedoch nicht unberücksichtigt bleiben. Hiervon ausgehend ist zunächst zu prüfen, ob nicht bereits bei der Durchführung der Befragungen eine so starke staatliche Einflussnahme vorliegt, dass die Maßnahme als staatliches Vorgehen zu werten ist. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es der Ausarbeitung klarer Bewertungskriterien, nach denen beurteilt werden kann, ob die unternehmensinternen Ermittler dem Privatrecht zuzuordnen sind, oder aber die Staatsanwaltschaft als beherrschende Figur anzusehen ist und demzufolge den einschlägigen strafprozessualen Vorgaben Geltung verschafft werden muss. Die Begrifflichkeit der unternehmensinternen Befragung deutet zunächst auf ein Handeln von Privaten hin. Allerdings könnte zu berücksichtigen sein, dass die Durchführung von derartigen Befragungen in erster Linie der Haftungsvermeidung gilt, seinen Ursprung also in gesetzlich begründeten Rahmenbedingungen findet und teilweise auch aktiv durch Empfehlungen der Staatsanwaltschaft und Anreizsysteme beeinflusst wird2. Ferner ist zu prüfen, inwieweit es den Strafverfolgungsbehörden gestattet ist, bei Kenntnis eines entsprechenden Verdachtsgrades nicht unmittelbar die Ermittlungsinitiative zu ergreifen, sondern zunächst eine passive Rolle einzunehmen und die Ergebnisse der unternehmensinternen Untersuchungen abzuwarten3.
1 Zu den Grenzen unternehmensinterner Befragungen siehe die Ausführungen im Kap. 4, S. 138 ff. 2 Vgl. hierzu oben S. 80 ff. 3 Vgl. hierzu oben S. 82 ff.
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln Tritt neben oder vor das staatliche Wirken ein privates Handeln, stellt sich die Frage, inwieweit sich der Staat das Handeln des Privaten zurechnen lassen muss, der Private also als „verlängerter Arm“ der staatlichen Stellen fungiert. Der Begriff der Zurechnung beschreibt in diesem Zusammenhang den Grad der Verantwortlichkeit des Staates für das private Handeln. Letztlich geht es darum, den Staat als Verantwortlichen für ein ihm zugeschriebenes privates Verhalten zu identifizieren, für das er strafprozessual gegebenenfalls mit einem Beweisverbot einstehen soll4. Die Frage einer derartigen Zurechnung wird daher regelmäßig erst auf der Ebene der Beweisverwertung erörtert5. Bei dieser Vorgehensweise besteht aber die Gefahr, dass zwei dogmatisch unterschiedliche Ebenen vermischt werden: Nämlich die Beweiserhebung, die sowohl durch staatliche Stellen als auch durch Private erfolgen kann, sowie die Beweisverwertung im Strafprozess, die naturgemäß allein in den Handlungsbereich des Staates fällt. Die Qualität einer Ermittlungsmaßnahme ist für die anschließende Frage einer prozessualen Verwertbarkeit der Erkenntnisse aber von grundlegender Bedeutung. Liegt ein staatliches Vorgehen vor, so entscheiden die strafprozessualen Beweiserhebungsvorschriften über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Im Falle privater Ermittlungshandlungen bilden hingegen die Normen des materiellen Rechts den Bewertungsmaßstab. Hier stellt sich bereits die grundlegende Frage, ob im Rahmen der hoheitlichen Verwertung im Strafprozess überhaupt das (illegale) Vorverhalten des Privaten berücksichtigt werden kann. Folglich ist in einem ersten Schritt zunächst zu prüfen, ob auf der Ebene der Beweiserhebung ein Privater oder eben der Staat selbst – auch unter Rückgriff auf den Privaten – agiert, ehe dann in einem zweiten Schritt auf der Ebene der Beweisverwertung der Frage nachgegangen werden kann, inwieweit die erlangten Beweismittel im Strafprozess Berücksichtigung finden dürfen.
I. Die Vernehmung des Mitarbeiters als Ausgangspunkt Im Zentrum der Durchführung einer unternehmensinternen Befragung steht das direkte Gespräch zwischen dem Arbeitnehmer und der vom Unternehmen beauftragten Frageperson (Interviewer). Würde es sich in dieser Konstellation um eine staatliche Frageperson handeln, die dem Arbeitnehmer auch in amtlicher Eigenschaft gegenübertreten würde, läge unstreitig eine Vernehmung vor, sodass die Vorschrift des § 136 StPO Anwendung fände. Dies bedeutet, dass die herrschende Meinung die Abgrenzung zwischen einer privaten Vorgehensweise und einem staatlichen Wirken 4
So treffend bereits Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S. 172. Vgl. zum Problemkreis einer Verwertbarkeit einer staatlich initiierten Ermittlungsmaßnahme durch Private (insb. zur sog. „Hörfalle“) Götting, Beweisverwertungsverbote, S. 139 ff. 5
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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primär danach entscheidet, ob eine Vernehmung vorliegt, die zur Anwendung des § 136 StPO führt. Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, dass der Begriff der Vernehmung in der Strafprozessordnung nicht legal definiert ist, eindeutige Beurteilungskriterien demnach fehlen. 1. Der Begriff der Vernehmung in der StPO Die Vernehmung des Beschuldigten ist geregelt in den §§ 133 – 136a StPO. Diese Vorschriften gelten zwar unmittelbar nur für die richterliche Vernehmung, für Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder Polizei wird ihnen jedoch über die Verweisung in § 163a III, IV StPO entsprechende Geltung verschafft6. Nach insbesondere von der Rechtsprechung vertretener Ansicht liegt dem Begriff der Vernehmung ein formelles Verständnis zugrunde. Dies ergebe sich bereits aus der systematischen Stellung des § 136 StPO im 10. Abschnitt, der für die Vernehmung bestimmte Förmlichkeiten vorsieht. Unter einer Vernehmung sei demnach eine Befragung zu verstehen, die von einem Staatsorgan in amtlicher Funktion mit dem Ziel der Gewinnung einer Aussage durchgeführt wird7. Der Beamte muss dem Beschuldigten hiernach also „offen“ gegenübertreten. Zur Begründung dieser Sichtweise wird weiter angeführt, dass die Belehrungspflicht als Kern des § 136 Abs. 1 S. 2 StPO dem Zweck diene, den Beschuldigten vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht zu bewahren, zu der er möglicherweise durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte8. Sieht sich der Betroffene hingegen keiner staatlichen Gewalt ausgesetzt, kann er nach dieser Auffassung nicht dem Eindruck erliegen, er habe eine Pflicht zur Aussage, weshalb die Vorschrift des § 136 StPO nicht zum Tragen kommen müsse9. Die Rechtsprechung geht somit davon aus, dass die §§ 136, 136a StPO den Begriff der Vernehmung und damit den Schutz der Aussagefreiheit abschließend regeln. Dies hätte zur Konsequenz, dass es auf die staatliche Einflussnahme bei der privaten Beweisbeschaffung nicht ankommen würde. Demgegenüber wird von Teilen des Schrifttums ein materieller bzw. funktionaler Vernehmungsbegriff postuliert, wonach es nicht darauf ankommen kann, inwieweit die amtliche Funktion für den Betroffenen im konkreten Frageprozess erkennbar ist. Maßgeblich für eine (ggf. analoge) Anwendung des § 136 StPO sei vielmehr die staatliche gelenkte Herbeiführung der Aussage10. 6
Beulke, Strafprozessrecht, § 7 Rn. 115. BGHSt 40, 211 (213) 42, 139 (145); 55, 138 (143); ebenso Rogall, in: SK-StPO, § 136 Rn. 13; Diemer, in: KK-StPO, § 136 Rn. 3. 8 BGHSt 42, 139 (147). 9 Vgl. BGHSt 55, 138 = BGH NStZ 2010, 527. 10 Vgl. etwa Gleß, in: LR-StPO, § 136 Rn. 12; Dencker, StV 1994, 674 (674); (168); Seebode, JR 1988, 426 (428); Bernsmann, StV 1997, 116 (118); Fezer, NStZ 1996, 289 (289); Renzikoswki, JZ 1997, 710 (713); Rieß, NStZ 1996, 505 (505); Weiler, GA 1996, 101 (107). 7
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
2. Stellungnahme Der Begriff der Vernehmung erlangt seine Kontur erst durch die Einordnung der Vorschrift als „Kernstück des von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten fairen Verfahrens“11. Bereits vor diesem Hintergrund kann es nicht überzeugen, wenn durch eine zu enge Auslegung des Vernehmungsbegriffs der Anwendungsbereich des § 136 StPO derart reduziert wird, dass die klaren strafprozessualen Vorgaben umgangen werden können. Würde es allein auf den formalen Amtsträgerstatus des Ausführenden ankommen, könnten sich die Behörden jederzeit den Sicherungen der Strafprozessordnung entziehen, indem sie beauftragte Privatpersonen „dazwischenschalten“12. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn man den Blick auf die Stellung des Beschuldigten im Strafprozess richtet. Der Beschuldigte ist Subjekt des staatlichen Strafverfahrens und darf nicht verpflichtet werden, aktiv an seiner Überführung mitzuwirken13. Er darf frei entscheiden, ob er sich gegenüber den staatlichen Stellen äußern möchte oder nicht14. Der damit in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO intendierten Aussagefreiheit15 darf der Beschuldigte nun aber nicht dadurch beraubt werden, dass der Staat nicht selbst an den Beschuldigten herantritt, sondern sich hierzu einer Privatperson bedient. Gerade in dem durch das Über- und Unterordnungsverhältnis besonders geprägten hochsensiblen Bereich des Strafrechts muss eine „Flucht ins Privatrecht“ ausgeschlossen sein16. Bei Lichte brachtet folgt die Richtigkeit dieser Sichtweise schließlich auch aus der Vorschrift des § 136 StPO selbst, denn der Begriff der (formellen) Vernehmung ist auf die Situation einer „offenen“ Befragung zugeschnitten17: Die Vorschrift geht davon aus, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre Befugnis und Verpflichtung, dem Beschuldigten Fragen zu stellen, dadurch ausüben, dass sie sich offen als Funktionsträger zu erkennen geben und durch „Eröffnen“ des Tatvorwurfs (§ 136 Abs. 1 S. 1 StPO) Anlass und Gegenstand ihres Auftrages offenlegen. Der Betroffene weiß somit, worum es geht und mit wem er es zu tun hat. Aus dieser Situation folgt ein ganz besonderes Schutzbedürfnis, an dem sich auch die Auslegung des nemo-teneturGrundsatzes herkömmlicherweise orientiert18 : Der Beschuldigte muss frei darüber entscheiden können, ob er sich zu dem Vorwurf äußert oder von seinem Schwei11
EGMR NJW 2002, 499. Vgl. die entsprechende Kritik von Roxin, NStZ 1995, 466 ff.; ders., NStZ 1997, 19. 13 BGHSt 14, 358 (365); Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 ff. Rn. 66 ff. m.w.N. 14 Ebenso Renzikowski, JZ 1997, 710 (713). 15 Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozess, S. 31 bezeichnet die von § 136 Abs. 1 S. 2 StPO vorausgesetzte Aussagefreiheit daher treffend als „Informationsbeherrschungsrecht“. 16 So im Grundsatz auch Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 19; Grünwald, JZ 1966, 489; Lagodny, StV 1996, 170; Bosch, Jura 1998, 236 (239). 17 Näher hierzu Dencker, StV 1995, 667 (674). 18 So bereits Fezer, NStZ 1996, 289 (298). 12
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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gerecht Gebrauch machen möchte. Um in dieser Situation nicht der Vorstellung zu erliegen, zu einer Aussage verpflichtet zu sein, sieht das Recht neben der Eröffnung des Tatvorwurfs auch eine entsprechende Belehrung des Betroffenen vor19, wodurch der Begriff der Vernehmung in §§ 136, 136a StPO seine prägende (formelle) Form erhält: Eine Vernehmung liegt vor, wenn die Strafverfolgungsbehörden dem Beschuldigten offen gegenübertreten und von dem Beschuldigten eine Auskunft verlangen, nicht aber, wenn sich der Beschuldigte ohne vorherige Offenbarung „spontan“ gegenüber den Strafverfolgungsbehörden äußert oder wenn er – gefragt oder ungefragt – einer Privatperson über seine Straftat berichtet20. In dieser Konstellation einer „offenen“ Befragung hat sich der Gesetzgeber also dafür entschieden, die Selbstbelastungsfreiheit außerhalb der förmlichen „Vernehmung“ nicht als schützenswert einzustufen. Hieraus kann jedoch nun nicht gefolgert werden, dass bei einer Befragung durch Privatpersonen der Anwendungsbereich der §§ 136, 136a StPO von vornherein gesperrt ist. Denn selbst wenn eine (undifferenzierte) Subsumtion unter den (formellen) Vernehmungsbegriff ein solches Ergebnis nahe legt, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei einer unternehmensinternen Befragung mit staatlicher Einflussnahme um eine „unoffene Befragung“21 handelt. Die Strafverfolgungsbehörden stellen die Fragen nicht selbst – unter Eröffnung eines Tatvorwurfs und (offen) als staatliche Organe auftretend –, sondern überlassen die Befragung dem privaten Unternehmen, um sich im Anschluss die Befragungsprotokolle mit den entsprechenden Antworten aushändigen zu lassen. Diese Vorgehensweise begründet eine gänzlich neu geartete „Vernehmungsmethode“, die man aufgrund ihrer unterschiedlich gelagerten Ausgangssituation mit der ursprünglichen Interpretation des Vernehmungsbegriffs naturgemäß nicht ohne weiteres erfassen kann. Im Hinblick auf den in § 136 StPO verankerten Fairnessgedanken erscheint es jedoch erst recht geboten, Aussagesituationen in den Schutzbereich des Anwendungsbereichs miteinzubeziehen, in denen sich der Beschuldigte keiner (amtlichen) Vernehmung gegenüber sieht, die aber gerade aus diesem Grunde amtlich geschaffen und genutzt werden22 und deshalb sogar einen stärkeren Schutz des Beschuldigten erfordern als eine „formelle“ Vernehmung, in der sich der Betroffene dem Ernst seiner Lage gerade bewusst sein dürfte23. Dies auch vor dem Hintergrund, dass durch
19 Zur Bedeutung des Belehrungserfordernisses des § 136 Abs. 1 S. 2 StPO siehe die Ausführungen von Roxin, NStZ 1995, 465 (466 ff.), der hieraus unmittelbar die Rechtswidrigkeit heimlicher Befragungen folgert. Ähnlich zuvor bereits Puppe, GA 1978, 289 (304). 20 Vgl. Fezer, NStZ 1996, 289 (298). 21 Vgl. Fezer, NStZ 1996, 289 (298). 22 Vgl. hierzu die Ausführungen von Rogall, in: SK-StPO, § 136 Rn. 16, der zwar am formellen Vernehmungsbegriff festhält, gleichwohl aber die Zulässigkeit entsprechender Umgehungshandlungen am Fairness-Prinzip messen möchte. 23 Ähnlich Seebode, JR 1988, 426 (428), siehe auch Renzikowski, JZ 1997, 710 (715).
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
die §§ 136, 136a StPO gerade Vorgehensweisen ausgeschlossen werden sollten, die dem Ansehen des Staates und seiner Strafrechtspflege widersprechen24. Zwar ist zuzugestehen, dass bei einer uneingeschränkten Annahme eines materiellen Vernehmungsbegriffs der nicht offen ermittelnde Polizeibeamte immer gemäß § 136 StPO den Beschuldigten über sein Aussageverweigerungsrecht belehren müsste, was faktisch jede heimliche Ermittlungsmethode ad absurdum führen und die Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden stark einschränken würde25. Diesem Einwand ist aber zumindest hinsichtlich unseres konkreten Untersuchungsgegenstandes entgegenzuhalten, dass der sinnvolle einzelfallbezogene Einsatz heimlicher Ermittlungsmethoden zur Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung26, jedenfalls nicht dazu führen darf, dass hierdurch einer systematischen Umgehung Tür und Tor geöffnet wird. Der dogmatisch schwer handzuhabende27 aber gleichwohl sinnvolle einzelfallbezogene Einsatz kriminalistischer List, zu der auch der Einsatz von Privatpersonen zählt, stellt eine Sonderkonstellation dar und kann somit schwerlich die Grundlage für die Bewertung des Regelfalls bilden. Nach alldem ist festzuhalten, dass der formelle Vernehmungsbegriff nicht mehr zeitgemäß erscheint und insbesondere die als Ausprägung einer repressiven Compliance anzusehende Entwicklung der professionell angelegten privaten Untersuchung28 mit staatlichem Einfluss hierdurch nicht mehr sachgerecht beurteilt werden kann. Daher ist es angezeigt, dem veränderten Schutzbedürfnis des Betroffenen durch eine funktionale Betrachtungsweise des jeweiligen Einzelfalls Rechnung zu tragen.
II. Abgrenzungskriterien in Rechtsprechung und Literatur Nachdem wir nun festgestellt haben, dass es auf eine rein formelle Betrachtung nicht ankommen kann, sondern die Vorschrift und der zu regelnde Anwendungsbereich bei der Durchführung unternehmensinterner Befragung eine funktionale Betrachtung nahelegen, stehen wir vor der Frage, nach welchen konkreten Kriterien eine derartige Abgrenzung zwischen privatem Handeln und staatlicher Agitation bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen vorzunehmen ist. 24
Peters, Strafprozeß, S. 334. Popp, NStZ 1998, 95 (95) sowie Matula, Private Ermittlungen, S. 83. 26 Zur Einschränkung entsprechender Ermittlungsmethoden durch das dogmatisch zweifelhafte, gleichwohl praktikable Merkmal der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ siehe die Ausführungen des Großen Senats zur sog. Hörfalle, BGH NStZ 1996, 502 mit differenzierender Anm. Rieß. 27 Zur schwierigen Grenzziehung zwischen der zulässigen Einbindung Privater und der Gefahr der Umgehung strafprozessualer Regelungen auch Kudlich, JuS 1997, 696 (700). 28 Zum Begriff der unternehmensinternen Untersuchung und seiner Einordnung in das komplexe Gebilde der Compliance siehe die Ergebnisse der Bestandsaufnahme auf S. 85 ff. 25
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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Einheitliche Kriterien, anhand derer sich ein staatlicher Verantwortlichkeitsgrad bestimmen lässt, konnten in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang nicht entwickelt werden. Unstreitig sind allein die Fälle, in denen der Staat eine Privatperson gezielt beauftragt, eine bestimmte Ermittlungshandlung vorzunehmen, um hierdurch Beweismittel zu erlangen29. Staatliches Verhalten unterhalb der Schwelle einer ausdrücklichen Beauftragung bedarf hingegen stets einer Betrachtung im Einzelfall. Ferner ist ungeklärt, wann überhaupt von einem staatlichen Auftrag gesprochen werden kann. Auch der Bundesgerichtshof hat sich bislang nicht eindeutig zu der Problematik geäußert, zumal gerade die Rechtsprechung der Ebene der Beweiserhebung kaum eigenständige Bedeutung beimisst und einer Mitwirkung des Staates bei der Beweisgewinnung allein auf der Ebene der Beweisverwertung Rechnung trägt. Im Folgenden soll versucht werden, durch die Analyse dreier grundlegender Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und deren Aufnahme in der Literatur übereinstimmende Grundannahmen zur Zurechnung des privaten Handelns zum Staat aufzufinden, auf deren Basis dann Kriterien für die Beurteilung der Konstellation unternehmensinterner Befragungen entwickelt werden können. 1. Aushorchen eines Mitgefangenen (BGHSt 34, 362 – sog. „Zellenkumpanenfall“) a) Sachverhalt30 Der Angeklagte befand sich in der Justizvollzugsanstalt H in Untersuchungshaft. Auf Veranlassung der Kriminalbeamten N und D wurde der Untersuchungsgefangene Y in diese Anstalt verlegt. D sprach den Y daraufhin auf den Überfall auf A in L. an und fragte ihn, ob er bereit sei, Hilfsdienste für die Polizei zu machen, um herauszufinden, ob der Angeklagte sich an dem Überfall beteiligt habe. Als der Zeuge Y sein Einverständnis erklärte, weil er sich Vorteile für sein eigenes Strafverfahren versprach und er es im Übrigen nicht gut fände, wenn man des Geldes wegen Menschen umbringt, gab der Kriminalbeamte D dem Zeugen Y ein paar taktische Anweisungen zur Hand, schärfte ihm ein, vorsichtig vorzugehen und ihn anzurufen, wenn er etwas Wesentliches herausgefunden habe. Dann wurde Y auf die Zelle des Angeklagten gelegt. In den ersten Tagen gelang es ihm nicht, von dem Angeklagten etwas über den Überfall zu erfahren, obwohl er ständig vorsichtig versuchte, das Gespräch darauf zu bringen. Später konnte er sich dessen Vertrauen einschleichen u. a. indem er auf Fluchtpläne einging, einen weiteren Raubüberfall vorschlug und anbot, anstelle des Angeklagten die Mitwirkung an dem Überfall auf sich zu nehmen,. Der Angeklagte erzählte ihm Einzelheiten über das Tatgeschehen. Y gab die erlangten Erkenntnisse an D weiter und sagte in der Hauptverhandlung über die Angaben des Angeklagten als Zeuge aus. Die Weitergabe der Informationen an den Kriminalbeamten D erfolgte dabei im Rahmen per29
Vgl. Rogall, in: SK-StPO, § 136a Rn. 12; ebenso Jahn, Gutachten für den 67. Deutschen Juristentag, S. C101. 30 Sachverhalt nach BGHSt 34, 362, siehe auch die Wiedergabe bei Grünwald, StV 1987, 470.
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private? sönlicher Besuche in der Justizvollzugsanstalt, bei denen sich der D als Bewährungshelfer des Y ausgab.
b) Entscheidung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur Das erstinstanzliche Landgericht ging in seiner Entscheidung davon aus, dass der Y im Auftrag der Kriminalpolizei gehandelt hatte und quasi als deren „Werkzeug“ fungierte31. Grundlage dieser Sichtweise bildete für das Landgericht das aktive Ansprechen der Beamten gegenüber Y, „konkrete Hilfsdienste zu leisten“, sowie das Geben „taktischer Anweisungen“ und Tipps zum Aushorchen des Angeklagten32. Der Bundesgerichtshof, der sich aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft mit dem Fall beschäftigten musste, nahm zwar ebenso wie das Landgericht ein Verwertungsverbot bezüglich der Aussagen des Angeklagten gegenüber dem Y an, vermied es jedoch, die Frage zu erörtern, inwieweit eine (staatliche) Vernehmung durch das Vorgehen der Beamten vorlag, sondern leitete ein Verwertungsverbot aus der zweckwidrigen Ausnutzung der Untersuchungshaft her33. Während die Ausführungen des Landgerichts im Schrifttum mehrheitlich Zustimmung erhielten, sah sich der BGH für seine rechtliche Bewertung starker Kritik ausgesetzt34. Insbesondere wurde den Karlsruher Richtern vorgeworfen, dass durch die Herleitung der Unzulässigkeit des polizeilichen Handelns allein über die zweckwidrig ausgenutzte Situation der Untersuchungshaft, ein entsprechendes Vorgehen in Freiheit nicht zu beanstanden wäre, was zu einer Aushöhlung des Täuschungsverbotes führen würde35. Für die rechtliche Bewertung sei schließlich unerheblich, ob die Polizei die verbotenen Methoden „eigenhändig“ anwende oder ob sie Funktionen an Private übertrage, die diese dann ihrer statt ausführen36. Seebode wies zudem daraufhin, dass die (bloße) Heranziehung der Zweckwidrigkeit der Untersuchungshaft insoweit inkonsequent sei, als dass die Zusammenlegung der Häftlinge zum Zwecke der Aushorchung die Missbrauchssituation gerade erst begründe37. In der Literatur ging man dementsprechend überwiegend davon aus, dass die Täuschungshandlung des Yaufgrund des Wirkens von N und D als staatliche Maßnahme zu qualifizieren sei38. Die verwendeten Begrifflichkeiten sind jedoch 31
LG Hannover StV 1986, 521 ff. LG Hannover StV 1986, 521 ff. 33 BGHSt 34, 362 (364). 34 Vgl. etwa Seebode, JR 1988, 427 (430); Grünwald, StV 1987, 470 (471); Wagner, NStZ 1989, 34 (34); Reichert-Hammer, JuS 1989, 446 (448); Fezer, JZ 1987, 937 (937). 35 Grünwald, StV 1987, 470 (471); Wagner, NStZ 1989, 34 (34). 36 Grünwald, StV 1987, 470 (471). 37 Seebode, JR 1988, 427 (430). 38 Seebode, JR 1988, 427 (430); Grünwald, StV 1987, 470 (471); Wagner, NStZ 1989, 34 (34); Reichert-Hammer, JuS 1989, 446 (448); Fezer, JZ 1987, 937 (937); ferner auch Lesch, GA 32
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uneinheitlich: Grünwald stellt auf das Übertragen von „Funktionen auf Private ab“ und votiert für eine unmittelbare Anwendung des § 136a StPO in derartige Fällen39; eine in der Sache ähnliche Bezeichnung wählt Seebode („Anwenden lassen“ der Vernehmungsmethoden)40. Für Fezer und Reichert-Hammer, die jeweils von einer analogen Anwendung des § 136 StPO ausgehen, ist die „behördliche Veranlassung“ maßgeblich41, während Wagner sehr allgemein von einer den „staatlichen Organen zurechenbaren Täuschung“ spricht42. c) Bewertung Der Auffassung des BGH ist zunächst vorzuhalten, dass mit Fokussierung der zweckwidrigen Ausnutzung der Untersuchungshaft die Frage der staatlichen Agitation im Hintergrund der Tätigkeit des Privaten unbeantwortet blieb. Der BGH hat es hier versäumt oder wegen der damit verbundenen Konsequenzen bewusst vermieden43, eindeutige Zurechnungskriterien zu entwickeln. In der vorliegenden Konstellation drängt es sich geradezu auf, nicht nur den räumlich-rechtlichen Aspekt der Untersuchungshaft zu würdigen, sondern das steuernde Verhalten der Kriminalbeamten in den Blick zu nehmen. Erst durch die Ansprache des Zeugen Y wurde bei diesem schließlich der Entschluss zur Vornahme der Täuschungshandlung hervorgerufen und die Voraussetzungen für eine Einwirkung auf den Angeklagten geschaffen, weshalb die dargelegte Kritik von Seebode44 Zustimmung verdient. Darüber hinaus gaben die Kriminalbeamten dem Y taktische Anweisungen an die Hand und konnten durch die regelmäßigen, geheimen Informationsbesuche des D in der Justizvollzugsanstalt das Geschehen auch nach dem ersten Anstoß entscheidend beeinflussen und lenken45. Zutreffender erscheint daher die Bewertung des erstinstanzlichen Landgerichts, wonach der Y als „QuasiWerkzeug“ der Kriminalbeamten gehandelt hatte.
2000, 355 (358), der zwar von einem „gezielten Ansetzen auf die Auskunftsperson“ ausgeht, jedoch das Vorliegen einer Täuschung verneint. 39 Grünwald, StV 1987, 470 (471). 40 Seebode, JR 1988, 427 (430). 41 Vgl. Fezer, JZ 1987, 937 (937); Reichert-Hammer, JuS 1989, 446 (448). 42 Wagner, NStZ 1989, 34 (34); 43 Im Schrifttum wurde die Vermutung geäußert, dass es der BGH bewusst vermieden habe, zum Vorliegen einer behördlich gesteuerten Täuschungshandlung Stellung zu nehmen, um nicht Gefahr zu laufen, dass ein mögliches Beweisverwertungsverbot auch auf den Einsatz von V-Leuten übertragen werden könnte, vgl. Fezer, JZ 1987, 937 (938) sowie Grünwald, StV 1987, 470 (471). 44 Seebode, JR 1988, 427 (430). 45 Siehe hierzu auch Wagner, NStZ 1989, 34 (35), der im Vorgehen der Beamten einen rechtsstaatlich bedeutsamen Dienstverstoß erblickt und disziplinarrechtliche Konsequenzen fordert.
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Den im Schrifttum beschrittenen Wegen ist gemein, dass sie aufgrund des Vorgehens der Beamten das private Handeln dem Staat zurechnen und hieraus ein Verwertungsverbot ableiten. Unterschiede bestehen aber in der Bewertung des Zusammenspiels zwischen den staatlichen Beamten und dem Zeugen Y als Privaten: Stellt man das Täuschungshandeln des Y in das Zentrum der Bewertung, liegt ein privates Handeln vor, für das sich der Staat aufgrund des Vorgehens seiner Beamten verantwortlich zeigt, was für eine analoge Anwendung des § 136a StPO sprechen würde. Mit Blick auf den Adressatenkreis der Beweiserhebungsvorschriften erscheint es aber geboten, das aktive Handeln der Beamten N und D in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken und dieses auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Dieses vermag der passive Begriff der Zurechnung nicht ausreichend zu leisten. Treffend sind dagegen die Wendungen „auf Veranlassung der Behörden“, „gezieltes Ansetzen“ und „(zielorientierte)46 Übertragung von Funktionen“. Zu kritisieren bleibt jedoch, dass auch diese Begrifflichkeiten die zielgerichtete Steuerung der Privatperson, die dem vorliegenden Fall seine besondere Prägung verleiht47, nicht ohne weiteres widerspiegeln. Für die Herbeiführung der Aussage als Ermittlungserfolg waren die den Aushorchungsvorgang begleitenden Instruktionen wesentlich. Durch die flankierenden Maßnahmen wurde der gesetzte Impuls („Frage den Angeklagten für uns aus.“) nämlich erfolgsorientiert abgesichert. Hinzu tritt in der vorliegenden Konstellation die besondere Situation einer Untersuchungshaft, die als räumlich abgesicherte Einwirkungszone ebenfalls das Gelingen der Maßnahme fördert und daher als wichtiger Bestandteil der auf den Privaten übertragenen Maßnahme anzusehen ist48, was auch der BGH gesehen und jedenfalls im Ergebnis zutreffend gewürdigt hat. Für unsere Untersuchung folgt hieraus, dass eine staatliche Verantwortlichkeit jedenfalls dann vorliegt, wenn seitens des Staates nicht nur ein erster Impuls vorliegt, sondern dieser zugleich mit einem steuernden Einfluss bei der Ausführung der Maßnahme begleitet wird, die eine Umsetzung der staatlichen Initiative absichert bzw. den Erfolg der Maßnahme positiv beeinflusst. 2. Polizeilich veranlasstes Telefongespräch (BGHSt 42, 139 – sog. „Hörfalle“) a) Sachverhalt49 Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen bewaffneten Raubüberfalls in Mittäterschaft hatte der Zeuge E bei der Polizei angegeben, dass der spätere Angeklagte ihm ge46
Sinngemäße Hinzufügung des Verfassers. Siehe hierzu die einleitenden Worte von Grünwald, StV 1987, 470 (471). 48 Zur besonderen Situation der Inhaftierten vgl. Schneider, NStZ 2001, 8 (10 ff.). 49 Gekürzte Wiedergabe des Sachverhalts nach BGH NStZ 1996, 200 (Vorlagebeschluss vom 20. 12. 1995 – 5 StR 680/94). 47
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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genüber seine Täterschaft in einem Telefonat offenbart hatte. Daraufhin veranlasste die Polizei ein weiteres Telefonat zwischen E und dem Angeklagten, bei dem ein Dolmetscher (F) das in ägyptischer Sprache geführte Telefonat an einem Zweithörer mithörte. F wurde unmittelbar nach dem Telefongespräch über dessen Inhalt polizeilich vernommen. Aufgrund der Zeugenaussage des F vor dem Landgericht wurde der Angeklagte verurteilt.
b) Entscheidung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur Die Entscheidung des Großen Senats erging auf einen Vorlagenbeschluss des 5. Strafsenats hin, der das Vorgehen der Beamten im angegebenen Sachverhalt als Umgehungshandlung der Vorschrift des § 136 StPO ansah50. Der erkennende Senat führte an, dass die besonderen Grundsätze des Schweigerechts (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2 StPO) nicht auf formelle Vernehmungen beschränkt werden können, sondern auch dann eingreifen müssten, wenn V-Leute gezielt zur Befragung des Beschuldigten eingesetzt werden, sodass diese Befragung in ihrem Gewicht für die Beweisgewinnung einer Beschuldigtenvernehmung durch die Ermittlungsbehörden gleichkomme51. In solchen Fällen sei die Freiheit des Beschuldigten, selbst darüber zu befinden, ob er an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken will oder nicht, nicht mehr gewährleistet52. Dabei wiesen die Richter auch daraufhin, dass ein V-Mann durch entsprechende Instruktionen der staatlichen Beamten ebenso in der Lage sei, Vorhalte zu machen und durch seine Kenntnis von Einzelheiten das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken, wie dies im Falle einer typischen Vernehmung der Fall wäre53. Nach Auffassung des 5. Senats hatten sich die Polizisten vorliegend daher einer Privatperson bedient, um den Beschuldigten auszuhorchen; sie handelten daher „in Wahrheit selbst“54. Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen war erforderlich, weil zuvor der 1. und 2. Strafsenat in vergleichbaren Konstellationen einen Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip mit der Begründung abgelehnt hatten, der Beschuldigte sei in seinen Äußerungen gegenüber Dritten grundsätzlich frei und befinde sich in keiner Zwangssituation55. Allerdings hielt der Große Senat am formellen Vernehmungsbegriff und dem zulässigen wie notwendigen (heimlichen) Einsatz von Privatpersonen zur Aufklärung von Straftaten fest56. Zwar räumte er ein, dass auch der Einsatz von Privatpersonen bei der Aufklärung von Straftaten rechtsstaatlichen Grenzen 50
BGH NStZ 1996, 200 (201). BGH NStZ 1996, 200 (201). 52 BGH NStZ 1996, 200 (201). 53 BGH NStZ 1996, 200 (201). 54 BGH NStZ 1996, 200 (201). 55 Vgl. BGHSt 39, 335 (347) sowie BGHSt 40, 211 (215); siehe zu den Entscheidungen auch die Darstellungen bei Eckhardt, Private Ermittlungsbeiträge im Rahmen der staatlichen Strafverfolgung, S. 29 ff. 56 Vgl. BGHSt 42, 139 = StV 1996, 465. 51
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unterliege. Diese seien jedoch durch eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu ermitteln, weshalb eine Verwertbarkeit in solchen Fällen jedenfalls dann gegeben sei, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht und die Erforschung des Sachverhalts unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich erschwert ist57. Im Schrifttum wurde die Entscheidung des BGH mehrheitlich kritisch aufgenommen58. So wird bereits im Grundsatz bemängelt, dass es der BGH erneut vermieden hat, allgemeingültige Kriterien für den Einsatz von Privatpersonen aufzustellen59. Roxin kritisiert die Beschränkung des nemo-tenetur-Grundsatzes durch die restriktive Handhabung des Vernehmungsbegriffs und erkennt ähnlich wie zuvor der 5. Strafsenat im Vorgehen der Beamten einen evidenten Umgehungscharakter, weshalb § 136 StPO unmittelbar eingreifen müsse60. Auch die Argumentation des BGH, wonach die Strafprozessordnung ein heimliches Vorgehen nicht untersage, sei wenig tragfähig, da es bei der Hörfalle nicht um die Heimlichkeit des Vorgehens gehen würde, sondern ihr rechtsstaatlicher Verstoß in der staatlich arrangierten irrtumsbedingten Selbstbelastung liege61. Fezer erblickt in der „Bitte um gezielte Befragung“ sogar eine gänzlich neue Vernehmungsmethode62. Auch Renzikowski betont die „staatlich gelenkte“ heimliche Ausforschung insbesondere aufgrund des hierdurch bewirkten (mittelbaren) Grundrechtseingriffs63 und möchte den Schutz des § 136 StPO auf jede „vernehmungsähnliche Situation“ erweitern, die er als „jede amtlich gesteuerte Befragung des Beschuldigten zum Tatvorwurf“ definiert64. Bernsmann65 und Bosch66 nehmen die Hörfallen-Entscheidung zum Anlass, auch allgemeine Überlegungen anzustellen, nach welchen Kriterien das Verhalten Privater dem Staat zugerechnet werden kann. So sieht Bernsmann sowohl eine Anwendbarkeit der Regeln der mittelbaren Täterschaft als auch die Heranziehung verwaltungsrechtlicher Zurechnungskriterien als zielführende Wege an67. Den von den Beamten instruierten Privaten stuft er dabei als „qualifikationsloses Werkzeug“ ein, weshalb nicht ersichtlich sei, warum die Regelungen der mittelbaren Täterschaft in
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Vgl. BGHSt 42, 139 (156 ff.). Vgl. etwa Rieß, NStZ 1996, 505; Roxin, NStZ 1997, 18; Bosch, Jura 1998, 236; Kudlich, JuS 1997, 696; Popp, NStZ 1998, 95; Fezer, NStZ 1996, 289; Renzikowski, JZ 1997, 710 (715). 59 Vgl. hierzu Rieß, NStZ 1996, 505 (505). 60 Roxin, NStZ 1997, 18 (18 ff.). 61 Roxin, NStZ 1997, 18 (19). 62 Fezer, NStZ 1996, 289 (298). 63 Vgl. Renzikoswki, JZ 1997, 710 (715 ff.). 64 Vgl. Renzikoswki, JZ 1997, 710 (717). 65 Bernsmann, StV 1997, 116. 66 Bosch, Jura 1998, 236. 67 Vgl. Bernsmann, StV 1997, 116 (117). 58
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derartigen Konstellationen nicht zur Anwendung kommen sollten68. Bosch votiert für eine Fruchtbarmachung der verwaltungsrechtlichen Zurechnungsbegriffe: Er sieht in der Konstellation der Hörfallen-Geschehnisse eine Parallelität zum Verwaltungshelfer, welcher als staatlich eingesetzter Privater Hilfstätigkeiten „im Auftrag und nach Weisung der Behörde“ wahrnimmt69. Für eine Zurechnung müsste die Privatperson seiner Auffassung nach folglich als „Vernehmungsgehilfe“ agieren70. Schließlich wird die Befürchtung geäußert, dass ohne entsprechende Regelungen das bewusst formalisierte Ermittlungsverfahren durch den verstärkten Einsatz von „geführten“ Privatpersonen unterlaufen werden könnte71. c) Bewertung Die vorliegende Konstellation der „Hörfalle“ zeigt exemplarisch, wie auf einfache Art und Weise die staatlichen Sicherungen der Strafprozessordnung umgangen werden können, wenn der Begriff der Vernehmung rein formal verstanden wird und man sich einer funktionalen Auslegung verschließt. Die im Schrifttum72 geäußerte Befürchtung eines inflationären Einsatzes von Privatpersonen als Ermittlungsmethode ist daher nicht von der Hand zu weisen. Allerdings muss man dem Großen Senat zugestehen, dass die Grenzziehung zwischen einer schlicht notwendigen, heimlichen Ermittlungshandlung und der (vorsätzlichen) Umgehung der strafprozessualen Vorschriften schwer fällt73. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn der BGH versucht, über den gewohnten Weg einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens zu bestimmen und durch die Ausgestaltung einer Subsidaritätsklausel Grenzen zu ziehen74. Gleichwohl überzeugt dies vorliegend nicht, da es hier nicht um die Bewertung unterschiedlicher rechtlicher Gesichtspunkte geht, die gleichermaßen Berücksichtigung finden müssen und in ein Ausgleichsverhältnis zu bringen sind, sondern um die schlichte Feststellung, ob ein privates Handeln vorliegt oder die Maßnahmen auf den Staat zurückzuführen sind. Diese Einstufung lässt sich nicht durch eine Abwägung anhand der Schwere der vorgeworfenen Tat lösen, sondern einzig durch eine konkrete Betrachtung der 68
Vgl. Bernsmann, StV 1997, 116 (117). Vgl. Bosch, Jura 1998, 236 (239). 70 Vgl. Bosch, Jura 1998, 236 (239). 71 Siehe hierzu Bosch, Jura 1998, 236 (238 ff.), der sogar von einer „Flucht ins Privatrecht“ spricht, sowie Kudlich, JuS 1997, 696 (700); Bernsmann, StV 1997, 116 (116). 72 Siehe insbesondere Bosch, Jura 1998, 236 (238 ff.); Kudlich, JuS 1997, 696 (700) sowie Lesch, JA 1997, 15 (17). 73 Ähnlich Kudlich, JuS 1997, 696 (700), der das vom BGH verwendete Kriterium einer Subsidaritätsprüfung als wesentliches Element des Abwägungsvorgangs im Grundsatz als zulässig ansieht, gleichwohl aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage eine gesetzliche Normierung des Handelns von Privatpersonen für die Strafverfolgungsbehörden einfordert. 74 Zu Recht kritisch zur Ausgestaltung der Subsidaritätsklausel Bernsmann, StV 1997, 116 (118); ferner Bosch, Jura 1998, 236 (236). 69
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Maßnahme und dem Gewicht der erbrachten Handlungsbeiträge. Der Beurteilungsgegenstand ist also ein gänzlich anderer75. Richten wir unseren Blick demzufolge auf das konkrete Geschehen, ist zunächst festzustellen, dass im Gegensatz zur zuvor dargelegten Entscheidung im „Kumpanenfall“ die Privatperson (E), derer sich die staatlichen Beamten bedient haben, nunmehr eigenständig den Weg zu den staatlichen Behörden suchte und ihre Hilfe bei den staatlichen Ermittlungen anbot. Allerdings ging die Initiative zur konkreten Aushorchungs-Maßnahme („Hörfalle“), alleine auf das Wirken der Polizisten zurück, die den E baten, ein erneutes Gespräch zu führen und den Inhalt dieses Gespräches über einen Zweithörer mithörten, was Roxin treffend als staatliches Arrangement76 bezeichnet. Zustimmung verdienen daher auch die Ausführungen im Vorlagebeschluss des 5. Senats, der aufgrund der Einbindung und Überwachung der Privatperson von einem staatlichen Handeln ausgeht. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem die Bewertung der Richter des 5. Strafsenats, dass die Befragung durch eine von staatlichen Beamten instruierte Privatperson dieselbe Wirkung auf der Beweiserhebungsebene und denselben Beweiswert auf der Verwertungsebene besitzen kann, wie im Falle einer Befragung durch staatliche Beamte77. Der Senat leitet die Staatlichkeit der Maßnahme also nicht nur durch den staatlich hervorgerufenen Anstoß zur Maßnahme ab, sondern betont aus einem funktionalen Blickwinkel heraus auch den inhaltlichen Aspekt der Einbindung der Privatperson. Maßgeblich für den erkennenden Senat war also der steuernde Einfluss der Beamten auf den Vorgang, wodurch sich eine Parallele zu den Feststellungen im Kumpanenfall zeigt. Gewinnbringend erscheint zudem die Methodik des Senats, durch eine funktionale Betrachtung der Vernehmungssituation, die sich nicht in der Wirkung der formalen Erkennbarkeit erschöpft, Einflusskriterien für den Erfolg einer Vernehmung abzuleiten und als Grundlage für die Bewertung der Staatlichkeit der Maßnahme heranzuziehen78. Wie bereits in der vorangestellten Stellungnahme zum Vernehmungsbegriff angeklungen ist, verdienen zudem die Ausführungen Renzikowskis79 Zustimmung, der anhand der Eingriffsdogmatik eine staatliche Verantwortlichkeit bestimmt, deren Auslöser er ebenfalls in der „staatlichen Lenkung“ erblickt.
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In diese Richtung bereits Eckhard, Private Ermittlungsbeiträge im Rahmen der staatlichen Strafverfolgung, S. 116. 76 Roxin, NStZ 1997, 18 (19). 77 Ähnlich Schneider, NStZ 2001, 8 (10): V-Mann agiert in der Befragungssituation als „verdeckt agierender Stichwortgeber“. 78 BGH NStZ 1996, 200 (201): „ (Die Privatperson) kann in die Lage versetzt werden, wie in einer Vernehmung gleichsam Vorhalte zu machen und durch ihre Kenntnis von Einzelheiten das Gespräch in bestimmte Richtungen zu treiben. […] Diese ermittlungstaktischen Möglichkeiten prägen das Gesamtbild der heimlichen Anhörung.“ 79 Vgl. Renzikoswki, JZ 1997, 710 (715 ff.).
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Für unseren Untersuchungsgegenstand besonders interessant sind schließlich die allgemeinen Überlegungen von Bernsmann80 und Bosch81 zur Zurechenbarkeit von privaten Verhalten gegenüber dem Staat. Die Vorschläge von Bernsmann bergen über die grundlegenden Überlegungen hinaus aber keine tiefergehenden Ansätze und sind eher als Grundansatz zu bewerten. Insbesondere wird nicht deutlich, nach welchen Kriterien eine Heranziehung der allgemeinen Regelungen der mittelbaren Täterschaft zu erfolgen hat. Zwar bezeichnet er den Zeugen E als „qualifikationsloses Werkzeug“82, was eine mittelbare Täterschaft nahelegt, erläutert jedoch nicht, woraus sich die Werkzeugqualität des Privaten ergibt. Der von Bosch vorgeschlagene Rückgriff auf die verwaltungsrechtlichen Zurechnungsbegriffe83 erscheint demgegenüber weiterführender, da E tatsächlich Hilfstätigkeiten im staatlichen Auftrag erbringt. Allerdings ist auch im Verwaltungsrecht umstritten, nach welchen Kriterien sich die Haftung des Staates für seine Verwaltungshelfer bestimmt84. Mithin würde man nach diesem Abgrenzungskonzept die Problematik nur auf die verwaltungsrechtliche Ebene verschieben85. Auch ist die von Bosch ausgemacht „Parallelität“86 zum Verwaltungshelfer zweifelhaft. Zwar geht es auch hier um die Übertragbarkeit von Funktionen87, jedoch besitzt der Verwaltungshelfer keinerlei Eigeninteresse an der Vornahme der Tätigkeit, sondern wird alleine aufgrund des behördlichen Auftrags, d. h. des zugrundeliegenden privatrechtlichen Vertrags, tätig. Das Interesse des Verwaltungshelfers ist also regelmäßig nur auf die Erfüllung seiner Vertragsschuld gerichtet. Im Falle privater Ermittlungsbeiträge verfolgen die handelnden Personen
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Vgl. Bernsmann, StV 1997, 116 (117). Vgl. Bosch, Jura 1998, 236 (239). 82 Vgl. Bernsmann, StV 1997, 116 (117). 83 Vgl. Bosch, Jura 1998, 236 (239); für die Heranziehung verwaltungsrechtlicher Abgrenzungskriterien auch schon Dencker, StV 1994, 664 (671). 84 Nach der früheren Rechtsprechung konnten Hilfspersonen nur dann als Verwaltungshelfer qualifiziert werden, wenn die Behörde aufgrund öffentlichen Rechts in einem solchen Ausmaß auf die Durchführung der Maßnahme Einfluss nehmen kann, dass der Bürger lediglich als „Werkzeug“ der Behörde bei der Erledigung ihrer hoheitlichen Aufgabe fungiert (sog. Werkzeugtheorie). Diesen Ansatz hat der BGH inzwischen modifiziert. Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung könne sich die öffentliche Hand nicht der Amtshaftung entziehen, indem sie mittels privatrechtlichen Vertrags die Durchführung einer von ihr angeordneten Maßnahme auf einen privaten Unternehmer übertrage. Wesentlich sei vielmehr der hoheitliche Charakter einer Maßnahme, wobei für eine Zurechnung weiterhin entscheidend sei, dass dem Beauftragten kein oder nur ein begrenzter Entscheidungsspielraum eingeräumt ist, vgl. BGHZ 121, 161 (165 ff.) = BGH NJW 1993, 1258 (1259). Nach Ansicht des Schrifttums kommt es hingegen allein auf die Funktion des Handelnden an, weshalb der Entscheidungsspielraum des privaten Helfers für die Frage einer Zurechnung gerade keine Rolle spielen dürfe, vgl. statt vieler Meyen, JuS 1998, 404 (407) m.w.N. 85 Vgl. die insoweit übereinstimmende Kritik von Matula, Private Ermittlungen, S. 143. 86 Bosch, Jura 1998, 236 (239). 87 Eingehend Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 21 ff. 81
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jedoch vielfach eigene Interessen, die lediglich mit dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung harmonieren88. Wenngleich die Ausführungen von Bernsmann nur eine Grundidee formulieren, werfen sie gleichwohl die Frage auf, inwieweit bei der Abgrenzung von staatlichen und privaten Handeln auf die Kriterien von Täterschaft und Teilnahme zurückgegriffen werden kann. Entsprechende Überlegungen klingen auch im weiteren Schrifttum an89. Soweit dabei eine Übertragbarkeit der Überlegungen zur Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme begründet wird, beschränkt man sich jedoch auf den Hinweis, dass auch bei der gemeinsamen Tatbegehung verschiedene Akteure zusammenwirken90. Gegen die Heranziehung der Kriterien von Täterschaft und Teilnahme ist aber einzuwenden, dass im Falle unternehmensinterner Befragungen nicht gleichgeordnete Akteure zusammenwirken, sondern zwischen dem privaten Unternehmen und der Staatsanwaltschaft als staatlicher Ermittlungsbehörde ein Subordinationsverhältnis besteht und nur eine einseitige Zurechnung gegenüber den staatlichen Behörden stattfindet91. Zudem wurden diese Wertungen für eine gänzlich andere Fragestellung konzipiert: Die Lehren von Täterschaft und Teilnahme dienen der Abgrenzung, ob ein Beteiligter einer Straftat als Täter (§ 25 StGB) oder als deren Teilnehmer (§ 26 oder 27 StGB) zu bestrafen ist. Es handelt sich also um Kriterien, die auf die Mitwirkung an einer rechtswidrigen Tat zugeschnitten sind. Bei der Einbindung Privater in die staatliche Strafverfolgung zielt das Handeln der Beteiligten jedoch gerade auf die Aufklärung einer rechtswidrigen Tat ab. Die Rechtswidrigkeit des Handelns ist Ausdruck einer Vorgehensweise, die staatlichen Vorschriften zuwider läuft, weshalb sich bereits die Handlungssituation, zu deren Beurteilung die Lehren von Täterschaft und Teilnahme herangezogen werden, gänzlich von einem behördlichen Vorgehen unterscheidet, das an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 III GG) und gerade darauf gerichtet ist, staatsfeindliche Handlungen zu 88
Vgl. hierzu oben S. 83 ff. Fundierte Ansätze finden sich insoweit bei Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 19, 29 ff.; Keller, in: FS für Grünwald (1999), 276 ff.; Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S. 123, 129; Mende, Grenzen privater Ermittlungen durch den Verletzten einer Straftat, S. 19; Wolter, ZIS 2012, 238, (242) sowie Eckhard, Private Ermittlungsbeiträge im Rahmen der staatlichen Strafverfolgung, S. 119 ff., der zugleich darauf hinweist, dass diese Kriterien teilweise modifiziert werden müssen. Eine systematische Weiterentwicklung dieser Ideen speziell bezogen auf die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen bietet Reeb, Internal Investigations, S. 11 ff. 90 So beispielsweise Reeb, Internal Investigations, S. 11 ff. 91 Dies erkennt auch Eckhardt, Private Ermittlungsbeiträge im Rahmen der staatlichen Strafverfolgung, S. 120 ff., der dementsprechend aus den Regelungen über die Mittäterschaft lediglich Anhaltspunkte für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Privatperson und Strafverfolgungsbehörden ziehen möchte und diese dahingehend modifizieren will, dass für eine (einseitige) Zurechnung dem Wirken der Strafverfolgungsbehörden ein „Mindestmaß an funktionaler Bedeutung“ zukommen muss. Im Ergebnis nimmt also auch Eckhardt eine rein funktionale Betrachtung der einzelnen Beiträge vor. 89
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sanktionieren. Kriterien, die auf die Herrschaft über die Begehung einer rechtswidrigen Tat gerichtet sind, dürften somit inhaltlich gänzlich anders sein, als solche, die die „Herrschaft“ über ein staatliches Ermittlungsverfahren kennzeichnen. 3. Aushorchen einer Mitgefangenen (BGHSt 44, 129 – sog. „Wahrsagerinnenfall“) a) Sachverhalt92 Die S verbüßte in der Berliner Justizvollzugsanstalt für Frauen eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Sie bezeichnete sich selbst als Wahrsagerin und versprach Mitgefangenen durch „übersinnliche Kräfte“ das Verhalten der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz positiv zu beeinflussen. Den Einsatz ihrer übersinnlichen Kräfte machte sie jedoch unter anderem davon abhängig, dass sich ihre Gesprächspartner ihr gegenüber rückhaltlos offenbaren und den Tathergang schriftlich niederlegen. In verschiedenen „Sitzungen“, in denen auch Haschisch und Marihuana in unbekannter Konzentration zum Einsatz kamen, erwarb sich die Zeugin S durch intensive Bemühungen das Vertrauen der Angeklagten C, die ihr gegenüber schließlich die Tatbegehung einräumte. Die so gewonnenen Erkenntnisse wurden von der Zeugin S der zuständigen Kriminalpolizei zur Verfügung gestellt. Nach ihren eigenen Angaben im Ermittlungsverfahren hatte die Zeugin S bereits seit sieben Jahren mit der Polizei „zusammengearbeitet“, was aber im späteren Verfahren nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte.
b) Entscheidung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur Nach dem Leitsatz stellt die Entscheidung des BGH zur „Frage der Verwertbarkeit von selbstbelastenden Angaben des Beschuldigten gegenüber einem Mitgefangenem“ eine Fortführung der bereits betrachteten Entscheidungen dar93. In der Tat bezieht sich der Senat inhaltlich stark auf die vorangegangen Entscheidungen, wobei er zunächst betont, dass dem Einsatz von Privatpersonen zur Aufklärung von Straftaten rechtsstaatliche Grenzen, insbesondere aufgrund des Grundsatzes des fairen Verfahrens, gesetzt sind, wenn zur Heimlichkeit des Vorgehens (der Privatperson) weitere Umstände hinzutreten, die die Freiheit des Beschuldigten, sich über seine Tat zu äußern, zusätzlich beeinträchtigen94. Zudem gebiete es der Schutzzweck des § 136a StPO, ein Verwertungsverbot dann anzunehmen, wenn sich die staatlichen Behörden die dort umschriebenen Verhaltensweisen Privater zurechnen lassen müssen. Eine solche – auf Ausnahmefälle beschränkte – Zurechnung könne sich sowohl „aus der Art des Zusammenwirkens zwischen den Ermittlungsbehörden und der Privatperson ergeben, als auch aus den Umständen, unter denen die Privatperson 92 93 94
Gekürzte Wiedergabe des Sachverhalts nach BGHSt 44, 129 = BGH NStZ 1999, 147. BGHSt 44, 129 (129). BGHSt 44, 129 (134).
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zu beweiserheblichen Angaben eines Tatverdächtigen gelangt.“95 Nach Auffassung des Senats begründe der von der Untersuchungshaft ausgehende (staatliche) Zwang einen solchen Umstand, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, da er dem Verdächtigen die Möglichkeit nimmt, sich der Einflussnahme eines „Polizeispitzels“96 zu entziehen: „Müssen Untersuchungsgefangene im Interesse einer geordneten Strafrechtspflege Einschränkungen ihrer physischen und psychischen Freiheit hinnehmen, so trifft den Staat im Gegenzug die Verpflichtung, sie vor massiven Eingriffen […] zu schützen. […] Erfüllen staatliche Behörden diese Verpflichtung nicht […], so ist ihnen das Verhalten ihrer Informanten zuzurechnen.“97 Der Senat knüpft somit unmittelbar an die Entscheidung des BGH im „Zellenkumpanenfall“ an. Da aus Sicht des Senats somit bereits aus Anlass der Untersuchungshaft ein Zurechnungsgrund vorlag, waren weitere Ausführungen zum „gezielten“ Einsatz der Zeugin S als „Polizeispitzel“ nicht erforderlich, zumal entsprechende Feststellungen nicht zweifelsfrei getroffen werden konnten98. Im Schrifttum wurde die Entscheidung des BGH mehrheitlich begrüßt99. Kritisiert wird von den Befürwortern nur, dass der Senat lediglich die abstrakte Möglichkeit einer Zurechnung privaten Handelns zu den staatlichen Strafverfolgungsbehörden bejaht, es jedoch unterlassen hat, konkrete Umstände zu benennen, aus deren Hinzutreten ein Verwertungsverbot zwingend zu folgern sei100. Positiv wird hingegen bewertet, dass derartigen erheblichen Ausforschungsvorgängen innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses der Untersuchungshaft durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbots die Zulässigkeit versagt wird101. Hiergegen wendet sich bezogen auf die konkrete Fallsituation allerdings Schneider, der die Folgerung eines Beweisverwertungsverbots aufgrund eines fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Organisationsverschuldens der Justizvollzugsbehörden ablehnt, da es an einem entsprechenden zurechnungsspezifischen Pflichtwidrigkeitszusammenhang fehle102. Das Fehlverhalten der JVA-Bediensteten begründe keine Garantenpflicht des Staates bezüglich der Einlassungsfreiheit der Angeklagten103. Auch könne aus dem bloßen 95
BGHSt 44, 129 (134). Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht Berlin hatte die Verteidigung die Zeugin S aufgrund deren angegebener langjähriger Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden als „Polizeispitzel“ bezeichnet und bereits aus diesem Grund ein Verwertungsverbot gefordert. 97 BGHSt 44, 129 (136 ff.). 98 Allerdings hielt es der Senat für erwiesen, dass die Zeugin S bereits in früheren Verfahren mehrfach in ähnlich systematischer Weise belastendes Material gegen Beschuldigte gesammelt und der Staatsanwaltschaft ausgehändigt hatte, vgl. BGHSt 44, 129 (135). 99 Hanack, JR 1999, 348 (349 ff.); Roxin, NStZ 1999, 149 (150); Fahl, JA 1999, 102 (103 ff.); Eschelbach, StV 2000, 390 (392); kritisch dagegen Schneider, NStZ 2001, 8 (13). 100 Roxin, NStZ 1999, 149 (150); ähnlich auch Jahn, JuS 2000, 441 (442). 101 Vgl. Roxin, NStZ 1999, 149 (149); Hanack, JR 1999, 348 (349 ff.). 102 Schneider, NStZ 2001, 8 (13). 103 Ebenda. 96
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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Umstand einer langjährigen Kooperation eines Informanten und der Polizei keine Zurechnung abgeleitet werden. Entscheidend für die Grundsätze einer Zurechnung sei allein der konkrete „Einsatz“ der Privatperson durch die Strafverfolgungsbehörden104. Ein entsprechender (gezielter105) Einsatz liegt nach Schneider vor, wenn die Strafverfolgungsbehörden den Privaten zu seinem Handeln „bestimmen“, wobei es ausreichen soll, wenn die staatlichen Ermittler auf den kooperationswilligen Privaten „stimulierenden oder steuernden Einfluss nehmen“, etwa indem sie ihn in seinem Vorhaben bestärken oder Tipps zur Ausgestaltung seines Vorgehens geben106. Im Wahrsagerinnen-Fall habe die Zeugin S hingegen von sich aus ihre Hilfe bei den Ermittlungen angeboten und aus freien Stücken die belastenden Materialien übergeben, weshalb von staatlicher Seite lediglich eine stimulierungsneutrale Entgegennahme autonom gewonnener Erkenntnisse vorliege, was für eine Zurechnung nicht ausreiche107. Ähnlich argumentiert Lesch, der für eine Zurechnung ein „vernehmungsähnliches Ermittlungsverhalten“ verlangt108. Da sich die zur Begründung der Zurechenbarkeit herangezogenen Schutzpflichten jedoch aus der Haftsituation ableiten und insoweit nicht das Verhältnis zwischen Mithäftling und Ermittlungsbehörden beträfen, scheide eine Zurechnung aus109. c) Bewertung Bezogen auf die konkrete Zurechenbarkeit eines privaten Handelns zu den staatlichen Organen stellt die Entscheidung des BGH im Wahrsagerinnen-Fall die weitreichendste ihrer Art dar. Seitens der Rechtsprechung wurde erstmals unmissverständlich klargestellt, dass sich eine Zurechenbarkeit aus dem Zusammenwirken des Privaten und den Ermittlungsbehörden ergeben kann110. Auch hier bleibt aber unklar, wie das Zusammenwirken des Privaten und dem Staat ausgestaltet sein muss, um eine Zurechnung anzunehmen. Aus der Entscheidung lässt sich aber zumindest ableiten, dass die konkreten Umstände besondere Berücksichtigung erfahren müssen, was die hier favorisierte Sichtweise einer funktionalen Betrachtung des Einzelfalls stützt. Die für unsere Untersuchung bedeutsame „Gretchen-Frage“ der Entscheidung blieb freilich offen: Wäre eine Zurechnung denn auch dann zu bejahen gewesen, wenn kein besonderes Gewaltverhältnis bestanden hätte, der Vorwurf einer „gezielten“ Ansetzung der Zeugin S gleichwohl zugetroffen hätte und beweisbar gewesen wäre? Eine befriedigende Antwort lässt sich am ehesten den Ausführungen von Schneider und Lesch entnehmen: Der von Schneider verlangte „Einsatz“ der Privatperson durch einen stimulierenden oder steuernden staatlichen Einfluss er104 105 106 107 108 109 110
Schneider, NStZ 2001, 8 (11). Sinngemäße Hinzufügung des Verfassers. Schneider, NStZ 2001, 8 (11). Schneider, NStZ 2001, 8 (10 ff.). Lesch, GA 2000, 355 (368 ff.). Ebenda. Vgl. BGHSt 44, 129 (134).
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
möglicht eine Grenzziehung zwischen der zulässigen, einzelfallbezogenen Informationsgewinnung durch Informanten und der Vornahme von bewussten Umgehungshandlungen. Die als zielführend gewerteten Zurechnungs-Formulierungen „auf Veranlassung der Behörden“, „gezieltes Ansetzen“ und „Übertragung von Funktionen“ werden durch die sprachliche Wendung eines Einsatzes der Privatperson anschaulich Ausdruck verliehen. Schließlich wird durch den Einsatz-Begriff der oben erwähnte Aspekt der „Umgehung“ strafprozessualer Vorschriften erfasst. Von dieser Prämisse ausgehend verdient auch die Forderung von Lesch nach einer „vernehmungsähnlichen Situation“ jedenfalls dann Zustimmung, wenn man den Begriff der Vernehmung funktional versteht, da ein gezielter Einsatz einer Privatperson nur dann vorliegen wird, wenn ein bewusstes Ermittlungsverhalten der Strafverfolgungsbehörden vorliegt. Daraus ergibt sich, dass das Vorliegen eines Ermittlungsinteresses der Strafverfolgungsbehörden als grundlegendes Merkmal einer Zurechenbarkeit privater Ermittlungshandlungen angesehen werden muss. 4. Gesamtbewertung: Generelle Anforderungen für ein zurechenbares Verhalten Die Analyse der dargelegten Entscheidungen hat gezeigt, dass weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum ein einheitlicher Bewertungsmaßstab für die Erbringung privater Ermittlungsbeiträge im Rahmen des staatlichen Strafverfahrens vorliegt. Gleichwohl existieren Grundübereinstimmungen, die für unsere Untersuchung fruchtbar gemacht werden können. Fasst man die als zielführend eingestuften Überlegungen in Schrifttum und Rechtsprechung zusammen, lassen sich folgende generelle Maßstäbe für ein dem Staat zurechenbares Verhalten festhalten: Die Anforderungen der StPO kommen nur zum Tragen, wenn das konkrete Ermittlungshandeln des Privaten aufgrund der Einflussnahme der Ermittlungsbehörden bei funktionaler Betrachtung als staatliche Maßnahme gewertet werden kann. Hierfür ist zunächst erforderlich, dass ein konkretes Ermittlungsinteresse der Behörden existiert und eine wesentliche Einflussnahme der staatlichen Stellen vorliegt111. Die den Behörden auferlegte Verpflichtung einer Ausermittlung des Sachverhalts als Grundlage des späteren Strafverfahrens muss von staatlicher Seite in wesentlichen Teilen funktional auf den Privaten übertragen werden, weshalb die vielfach anzutreffende Metapher, der Private müsse als „verlängerter Arm“ der Behörden agieren, im Grundsatz zutrifft. 111 Auf das Merkmal einer „wesentlichen staatlichen Beteiligung“ stellt auch der EGMR verstärkt ab. So wurde eine Zurechnung in einem Fall bejaht, in dem der Private aus eigener Initiative der Polizei einen Telefonanruf zur Aushorchung des Beschuldigten vorgeschlagen hatte und ihm zu diesem Zwecke ein Büro mit Telefon überlassen wurde, vgl. EGMR, A. v. Frankreich, Urteil v. 23. 11. 1993. Siehe auch EGMR, Allan v. United Kingdom, Urt. v. 05. 11. 2002 zum Einsatz eines durch die Polizei instruierten Spitzels in der U-Haft-Situation.
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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Dies bedeutet zunächst, dass eine bloße Entgegennahme privat beschaffter Beweismittel den Behörden nicht dem strengen Maßstab der StPO unterfallen kann, da ein zielorientier Einsatz einer Privatperson zur Umgehung strafprozessualer Regelungen einen staatlichen Beteiligungsakt vor oder während des Vorgangs der Beweisbeschaffung durch den Privaten voraussetzt. Eine Ausnahme lässt sich auch nicht durch die äußeren Umstände der Tat begründen. Der vom BGH beschrittene Weg über die besondere Situation der Untersuchungshaft, in deren Rahmen der Private seine eigenständigen Ermittlungshandlungen vornimmt, ist jedenfalls bezogen auf eine unmittelbare Zurechnung der privaten Handlung nicht gangbar, da ein privates Handeln nicht deshalb zu einem staatlichen Handeln wird, wenn es in einem staatlich kontrollierten Umfeld stattfindet, der hierdurch erbrachte Unterstützungsbeitrag für den eigenständig agierenden Privaten aber nicht beabsichtigt war112.113 Von einer Aufgabenverlagerung seitens der staatlichen Stellen wird man schließlich nur dann sprechen können, wenn dem Privaten das (staatliche) Ziel der behördlichen Ermittlungsmaßnahme hinreichend bekannt ist (zielorientierter Einsatz) und durch die staatliche Einflussnahme der Prozess der Funktionsübertragung erfolgsorientiert ausgestaltet wird. Dies setzt voraus, dass auf Seiten der staatlichen Vertreter eine ungefähre Vorstellung über die Ausführungshandlung des Privaten bestehen muss.
III. Herrschaftsmomente bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen Aufgrund des Kriteriums der Notwendigkeit einer erfolgsorientierten Ausgestaltung des Einsatzes erscheint es zur Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes an dieser Stelle zweckmäßig festzustellen, in welchen zeitlichen Phasen des konkreten Befragungsprozesses ein steuernder Einfluss ausgeübt werden kann.
112 A.A. Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozeß, S. 132, die im Einklang mit der Rechtsprechung aufgrund der Gegebenheiten der staatlich angeordneten Haft die Annahme reiner „Privatermittlungen“ ablehnt, ohne diese Auffassung jedoch weitergehend zu begründen. 113 Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich der Staat für ein Verhalten Dritter rechtfertigen muss, wenn dieses in einer Sphäre stattfindet, für die der Staat verantwortlich ist oder der Staat eine sonstige Pflicht verletzt, die das private Vorgehen erst ermöglicht. Siehe dazu unten S. 260 ff.
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
1. Darlegung der Herrschaftsmomente im aktiven Befragungsprozess Der Steuerungsprozess einer unternehmensinternen Befragung kann in die Entschließungsphase, die Planungsphase, die konkrete Durchführungsphase und die Verwertungsphase unterteilt werden. In die Entschließungsphase fällt die Grundfrage, ob im Zuge einer unternehmensinternen Untersuchung auch die Mitarbeiter des Unternehmens zu den Vorgängen befragt werden sollen. Mit der Entscheidung über das „ob“ einer Maßnahme wird zwar eine grundsätzliche Verantwortlichkeit erzeugt, jedoch keine Beherrschung des konkreten Prozesses. Eine Mitwirkung in der Entschließungsphase ist für die Beurteilung der staatlichen Steuerung ohne Relevanz. Anderes kann nur dann gelten, wenn der im Rahmen der Entschließungsphase von staatlicher Seite gesetzte Impuls mit einem steuernden Einfluss in einer späteren Phase korrespondiert. In der Planungsphase wird der inhaltliche Rahmen der Befragung abgesteckt. Dies beinhaltet die Festlegung des zu befragenden Personenkreises, der Art und Weise der Vorgehensweise114 sowie der konkreten Fragen. Da es sich bei unternehmensinternen Befragungen um sehr koordinierte Verfahren handelt, bei denen im Regelfall ein fester Fragekatalog abgearbeitet wird, kommt der Festlegung dieser Fragen und der Auswahl der zu befragenden Personen besondere Bedeutung zu. Denn gerade bei einem standardisierten Vorgehen liegt das Steuerungsmoment nicht nur beim Ausführenden selbst, sondern auch bei demjenigen, der diesen Standard bestimmt. Die Durchführungsphase bezeichnet hingegen das konkrete Beherrschungsmoment der Befragungssituation. Der mit der Durchführung betrauten Frageperson ist eine unmittelbare Handlungsherrschaft zuzusprechen. Niemand beherrscht ein Handeln so stark wie derjenige, der es unmittelbar ausführt. Es liegt allein in seiner Herrschaftsgewalt, die konkrete Interviewsituation nach seinen Vorstellungen zu gestalten und entsprechend Informationen zu erhalten oder gerade nicht zu erhalten. Muss jedoch von der betreffenden Ausführungsperson ein bestimmter Fragekatalog zwingend abgearbeitet werden, so kommt dem Ersteller dieses Fragekatalogs ebenfalls ein Herrschaftsmoment zu. Bezogen auf die konkrete Stellung der von ihm initiierten Fragen begründet dies sogar eine übergeordnete Gestaltungsherrschaft, da der Herrschaftswille des fragenden Vordermanns durch seine Anweisung überlagert wird. Die Verwertungsphase beschreibt die abschließende Auswertung und Verwertung der Ergebnisse der einzelnen Befragung, d. h. die inhaltliche Analyse der Aussagen. Sofern kein aktives Wirken in der Durchführungsphase vorliegt, ist für die Annahme einer staatlichen Verantwortlichkeit eine aktive Beteiligung in der Verwertungsphase 114 Hierzu zählt beispielsweise die Frage, ob den betroffenen Arbeitnehmern von Unternehmensseite ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden oder mit arbeitsrechtlichen Droh-Instrumenten (z. B. Kündigung) gearbeitet werden sollte.
A. Vorüberlegungen zur Abgrenzung von privatem und staatlichem Handeln
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zwingend. Dabei ist erforderlich, dass die Erkenntnisse der Befragungen unmittelbar, d. h. insbesondere ohne vorherige Selektion, in den Machtbereich des Staates gelangen. Ist der Staat in der Lage, den Prozess einer unternehmensinternen Befragung derart erfolgsorientiert zu beeinflussen, dass ihm die Erkenntnisse ungefiltert ausgehändigt werden, spricht auf der anderen Seite viel dafür, ihm eine überragende Stellung im Verfahren zuzusprechen. Ungeachtet dessen kann ein Wirken, das sich ausschließlich in der Verwertungsphase abspielt, für sich genommen nicht die Annahme einer Ermittlungsherrschaft rechtfertigen. Hiergegen spricht, dass der im Rahmen der Verwertung erlangte Inhalt maßgeblich durch die Festlegungen und Handlungen in der Planungsund Durchführungsphase bestimmt wird. Der tatsächliche Vorgang der Beweiserhebungshandlung ist zu diesem Zeitpunkt vollständig abgeschlossen115. Wer aber nur an einem vorab zusammengestellten Werk partizipiert, hat dieses selbst nicht erschaffen. Dies gilt wegen der Bedeutung einer zuvor festgelegten inhaltlichen Ausgestaltung sogar dann, wenn eine umfassende Bewertung der Aussagen erfolgen muss, um überhaupt ein verwertbares Ergebnis zu erhalten. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass eine Steuerungsgewalt primär nur demjenigen zugesprochen werden kann, der selbst aktiv die Befragungen durchführt. Dritte können eine Steuerungsgewalt nur erlangen, wenn ein entsprechender Einfluss bereits in der Planungsphase vorhanden ist, der mit einem uneingeschränkten Zugriff auf die ungefilterten Ergebnisse in der Verwertungsphase korrespondiert. 2. Herrschaftsmomente durch Unterlassen Neben der aktiven Beeinflussung des unternehmensinternen Befragungsprozesses ist zu überlegen, ob nicht auch die passive Duldung der unternehmensintern ergriffenen Maßnahmen als Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung in Betracht kommt. Im Rahmen der Bestimmung der generellen Zurechnungskriterien wurde dies bereits abgelehnt, da ohne eine (aktive) Handlung des Staates nicht von einer eine funktionsorientierten Übertragung eigener Ermittlungspflichten gesprochen werden kann. Vereinzelte Stimmen im Schrifttum möchten eine Verantwortlichkeit des Staates für die Maßnahme des Privaten jedoch mit der Nichtwahrnehmung entsprechender
115 Vgl. dazu auch Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 30, der unter Heranziehung der Kriterien von Täterschaft und Teilnahme darauf abstellt, dass im Falle einer staatlichen Entgegennahme von Beweismitteln im Anschluss an die private Beweismittelerlangung dem Staat das Vorgehen des Privaten nicht mehr im Wege einer sukzessiven Mittäterschaft zugerechnet werden kann, weil der Beweiserhebungsvorgang zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig beendet ist.
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
Schutzpflichten begründen116. Dieser Auffassung ist zunächst dahingehend zuzustimmen, dass staatliche Behörden tatsächlich verpflichtet sind, die Wahrung der Rechte des Beschuldigten zu gewährleisten, weshalb ein bloßes Gewährenlassen der privaten Unternehmensermittler eine Pflichtverletzung darstellen könnte. Hiervon ausgehend erscheint es auch naheliegend, im Wahrsagerinnen-Fall eine Verantwortlichkeit des Staates für die Vorgänge anzunehmen. Denn als Beherrscher der besonderen Sphäre einer Untersuchungshaft, die den dort Inhaftierten keinen Rückzugsraum gestattet, ist der Staat in besonderen Maße verpflichtet, die Beschuldigten vor einer unverhältnismäßigen Gefährdung ihrer Rechtsposition zu bewahren. Die Verantwortlichkeit des Staates folgt diesbezüglich aber nicht aus der Steuerung der Privatperson117, sondern ausschließlich aus der Nichtwahrnehmung seiner Schutzpflichten. Diese Schutzpflichten finden ihren Ursprung in der besonderen Konstellation der Untersuchungshaft und können daher nicht ohne weiteres auf die Befragungssituation im Unternehmen übertragen werden. Die Nichtwahrnehmung einer gebotenen Handlung kann nicht dazu führen, dass das Vorgehen des Privaten auf der Ebene der Beweiserhebung als staatliches Handeln einzustufen ist, sondern eine entsprechende Verantwortlichkeit des Staates kann – wenn überhaupt – nur auf der Ebene der Beweisverwertung durch die Annahme eines Verwertungsverbotes berücksichtigt werden118. Im Rahmen der Analyse des „Wahrsagerinnenfalls“ ist ferner bereits herausgearbeitet worden, dass aus einer etwaigen Schutzpflichtverletzung des Staates nicht auf eine unmittelbare Zurechnung der Handlung des Privaten zum Staat geschlossen werden kann, da es an einem entsprechenden Zurechnungstatbestand fehlt. Vielmehr steht der Staat – unabhängig von dem ihm zukommenden Pflichten – dem Geschehen wie ein Dritter gegenüber, der eine Eingriffsmöglichkeit besitzt. Hierfür streitet bereits die Überlegung, dass eine mögliche Eingriffspflicht des Staates (konkret: der Staatsanwaltschaft) erst durch sein rechtswidriges Vorverhalten, d. h. das Nichteingreifen, begründet wird. Das möglicherweise als Anknüpfungspunkt dienende Herrschaftsmoment liegt vollständig in der Vergangenheit und kann demnach nicht mehr das aktuelle Geschehen beeinflussen. Demnach kann das Untätigbleiben des Staates bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen zwar möglicherweise auf der Ebene der Beweisverwertung Berücksichtigung finden. Es entfaltet jedoch keine Auswirkungen auf der Ebene der Beweiserhebung, die allein durch das aktive Vorgehen des Privaten bestimmt wird.
116 Nach Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 206 ff. sollen „die Duldung der privaten Wahrnehmungspflicht von Repressivfunktionen“ und die „fehlende gesetzliche Verankerung von Verwertungsverboten für privates Handeln“ eine „staatliche Verantwortungspflicht aus Ingerenz“ begründen. 117 Vgl. oben S. 105 ff. 118 Dazu später unten S. 260 ff.
B. Kategorisierung bei unternehmensinternen Befragungen
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B. Kategorisierung bei unternehmensinternen Befragungen Nach Herausarbeitung der entscheidenden Kriterien sollen diese nun auf die hier zu untersuchende Konstellation unternehmensinterner Befragungen Anwendung finden und die einzelnen konkreten Handlungen staatlicher Organe durch eine Kategorisierung der Maßnahmen als staatlich oder privat qualifiziert werden. Dabei ist nach dem oben Festgestellten entscheidend, dass die Durchführung unternehmensinterner Befragungen auf die Erlangung von Insiderinformationen gerichtet ist119. Der Erhalt der Informationen bildet den relevanten Erfolg. Je stärker der Staat auf die Erreichung dieses Erfolgs hinwirkt, umso mehr muss er für diese Maßnahme als Verantwortlicher unmittelbar einstehen.
I. Privates Handeln als Regelfall Unternehmensinterne Befragungen werden durch das Unternehmen bzw. dessen Mitarbeiter durchgeführt, wenn Anhaltspunkte auf ein betriebsbezogenes Fehlverhalten existieren. Damit ist grundsätzlich von einer Steuerungsherrschaft des Unternehmens auszugehen. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen ein Verhalten im Raum steht, das zum Beurteilungszeitpunkt der Durchführung nicht die Schwelle eines strafprozessualen Anfangsverdachts erreicht. Hier ist die Maßnahme als betriebliches Steuerungsinstrument zu werten, dessen Durchführung ausschließlich im Machtbereich des privaten Unternehmens liegt.
II. Bewertung der staatlichen Mitwirkung Anderes gilt, wenn die Mitarbeiterbefragungen zur Aufklärung von Vorfällen durchgeführt werden, bei denen ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Raum steht oder zumindest von der zuständigen Staatsanwaltschaft behauptet wird120. In dieser Konstellation, die zugleich den Regelfall für die Durchführung unternehmensinterner Befragungen darstellt, besteht durch das Vorliegen des strafprozessualen Anfangsverdachts gemäß § 161 Abs. 1 StPO zugleich eine Einschreitungspflicht der Staatsanwaltschaft. Dabei gilt, dass das bloße Befolgen der staatlichen Gesetzesvorgaben, die in dieser Situation eine eigenständige Aufklärungsarbeit von Unternehmen verlangen, nicht zur Folge hat, dass eine staatlich veranlasste Maßnahme 119
Vgl. hierzu oben S. 71 ff. Vereinzelt sind Fälle bekannt, in denen Staatsanwälte Unternehmen zur „Generalbeichte“ aufforderten, ohne einen zum staatsanwaltschaftlichen Eingreifen legitimierenden Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO gegen das Unternehmen vorweisen zu können. Erst die dem Unternehmen abverlangten internen Ermittlungen sollten diesen hervorbringen, vgl. die Darstellungen bei Wehnert, StraFo 2012, 253 (255). 120
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
vorliegt. Nimmt die Staatsanwaltschaft – oder eine sonstige staatliche Behörde – aber Einfluss auf die Durchführung der Befragungen, ist anhand einer funktionalen Betrachtung der Herrschaftsmomente festzustellen, ob der Einfluss der staatlichen Behörde so stark ist, dass von einem staatlichen Handeln auszugehen ist. Nach oben Festgestellten gilt dabei Folgendes: 1. Erfordernis einer Mitwirkung in der Planungsund Ausführungsphase Die schlichte Duldung des unternehmerischen Vorgehens macht das private Handeln nicht zu einer staatlichen Maßnahme. Das bloße Gewähren privater Aufklärungsarbeit bei gleichzeitiger positiver Kenntnis der Staatsanwaltschaft vermittelt dieser keinen herrschaftlichen Einfluss. Auch die Empfehlung einer Behörde, entsprechende Befragungen durchzuführen, tangiert nicht die konkrete Ermittlungsherrschaft und ist für die Qualifizierung der Maßnahme als privat oder staatlich ohne Bedeutung121. Dies gilt konsequenterweise auch dann, wenn die private Ermittlungsarbeit ausschließlich dem Zweck dient, ein umfangreiches staatliches Ermittlungsverfahren abzuwenden, und die Staatsanwaltschaft im Zuge des staatlichen Ermittlungsverfahrens eindringlich auf die Vornahme entsprechender Mitarbeiterbefragungen durch das Unternehmen hingewirkt hat. Selbst die mit einer entsprechenden Empfehlung regelmäßig verbundene Aufforderung zur Aushändigung der Befragungsprotokolle bzw. eine staatliche Beschlagnahme der erlangten Erkenntnisse begründet nicht die Staatlichkeit des gesamten Frageprozesses, da hierdurch allein die Verwertungsphase betroffen ist, die Erlangung einer Ermittlungsherrschaft jedoch einen aktiven Gestaltungsbeitrag in der Planungs- oder Durchführungsphase voraussetzt122. Nur durch ein gestalterisches Wirken in der Planungs- oder Durchführungsphase, das den durch die Aufforderung zur Vornahme der Befragung gesetzten Impuls erfolgsorientiert absichert, kann der staatlichen Behörde eine tatsächliche Herrschaftsgewalt zugesprochen werden und von einem „Einsatz“ der Privatperson durch die Behörden gesprochen werden. In allen anderen Fällen entspringen die Erkenntnisse in Form der Befragungsprotokolle hingegen ausschließlich dem Wirken des Privaten. Fehlt es an einem entsprechenden gestalterischen Wirken, sind die Befragungsprotokolle als originäres Beweismittel 121
Differenzierend Kaspar, GA 2013, 206 (219), der unter Hinweis auf die seines Erachtens nach maßgebliche „Eingliederung des privaten Beweisbeschaffers in die staatliche Sphäre“ eine Zurechnung bereits vornehmen möchte, wenn eine bloße „Kenntnisnahme und Billigung eines schon zuvor im Detail vom Privaten gefassten Plans“ vorliegen. 122 Ähnlich bezüglich der allgemeinen Frage einer Zurechnung der privaten Beweisbeschaffung zum Staat Kaspar, GA 2013, 206 (216). Siehe auch Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 160 ff.; der diesbezüglich auf die Regeln der Mittäterschaft rekurriert. Dieser Ansatz findet sich auch bei Reeb, Internal Investigations, S. 12 ff. Die unmittelbare Übertragung der täterschaftlichen Figuren der sog. Tatherrschaftslehre erscheint allerdings zweifelhaft, da diese zur Beurteilung der Begehung einer rechtswidrigen Tat entwickelt wurden.
B. Kategorisierung bei unternehmensinternen Befragungen
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anzusehen, welches der Staat bei dem privaten Unternehmen beschlagnahmt. Für die Richtigkeit dieser Sichtweise spricht schließlich, dass nur bei einer finalen Beeinflussung in der aktiven Phase der Beweiserhebung dem staatlichen Handeln eine „Eingriffsqualität“ zuzusprechen ist, die die Verantwortlichkeit des Staates für die Maßnahmen begründet. Demgegenüber wird der Bereich der privaten Tätigkeit verlassen, wenn der Staat in der Lage ist, durch einen gestaltenden Einfluss auf die inhaltliche Qualität dieser Beweismittel einzuwirken123. Dies ist noch nicht gegeben, wenn im Falle sog. „Parallelermittlungen“ das private Unternehmen bzw. deren Ermittlerteams und die staatlichen Strafverfolgungsbehörden „Vernehmungstermine“ koordinieren124, da organisatorische Absprachen die inhaltliche Seite der unternehmensintern durchgeführten Befragungen unberührt lassen125. Einen Grenzfall bildet aber die Konstellation, in der von staatlicher Seite bestimmte, d. h. inhaltlich konkrete Fragen an das ausführende Unternehmen mit der eindringlichen Bitte weitergeleitet werden, diese in den abzuarbeitenden Fragekatalog aufzunehmen126. In dieser Situation liegt unstreitig eine sehr starke Beeinflussung des Steuerungsprozesses vor. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, dass das konkrete Geschehen ausschließlich von der die Befragung durchführenden Person getragen wird. Im Unterschied zum dargestellten „Zellenkumpanenfall“127, in dem sich der Zeuge Y dem Wunsch der Polizeibeamten vollständig unterordnete und durch regelmäßigen Austausch ein funktionsgerechter Einsatz sichergestellt wurde, fehlt es durch die bloße Eingabe von Fragen an einer spezifischen Einwirkung zur Erfolgssicherung. Im Falle unternehmensinterner Befragungen gilt dies umso mehr, weil das Unternehmen bei der Befragung eigene Motive verfolgt, die zwar mit den Interessen der Strafverfolgungsbehörden harmonieren können, jedoch regelmäßig von einem eigenständigen Handlungsinteresse getragen sind, das sich jederzeit verändern kann, bspw. wenn durch die Befragung Erkenntnisse zu Tage gefördert werden, die sich für die Unternehmensverantwortlichen negativ auswirken können. Solange die tatsächliche Entscheidung über die Aufnahme der angetragenen Fragen 123
Zustimmend wohl Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (262 ff.), der als Beispiele für eine inhaltliche Beeinflussung die Auswahl der Ermittler, der zu befragenden Mitarbeiter oder die Mitwirkung bei der Erstellung des Fragenkataloges nennt. 124 Im Fall Siemens berichten mehrere übereinstimmende Aussagen über koordinative Absprachen zwischen der Rechtsanwaltskanzlei Debevoise und der Münchner Staatsanwaltschaft bezüglich der Organisation der Vernehmungstermine. Einzelheiten bei Wewerka, Internal Investigations, S. 208. 125 Auch Jahn, StV 2009, 41 (45) hält die bloße Koordination von Vernehmungsterminen zwischen den privaten Ermittlern und den Strafverfolgungsbehörden für nicht ausreichend, um eine Zurechnung zu begründen; ebenso Lenze, Compliance, S. 168. 126 Von einem solchen Vorgehen einer Staatsanwaltschaft berichtete ein Berliner Rechtsanwalt auf der Gemeinschaftsveranstaltung des Deutschen Strafverteidiger e.V. und der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. am 14. 03. 2014 im Institute for Law and Finance der Goethe-Universität Frankfurt. 127 Vgl. oben S. 93 ff.
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2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
in der Hand des Unternehmens liegt oder eine Aufnahme der Fragen nicht mit einem (uneingeschränkten) Zugriff auf die Ergebnisse korrespondiert, ist auch weiterhin nur dem Privaten die Steuerungsgewalt über die Durchführung der unternehmensinternen Befragung zuzusprechen. 2. Auswirkungen eines staatlichen Kooperationszwangs Dies bedeutet zugleich, dass im Falle einer willensbeugenden Einwirkung auf die Entscheidungsfähigkeit des ausführenden Unternehmens über die Aufnahme der angetragenen Fragen von einer staatlichen Maßnahme ausgegangen werden muss. Das tragende Herrschaftsmoment ist dann in einer Willensherrschaft zu erblicken. Zu denken ist insbesondere an etwaige gesetzliche Verpflichtungen, inhaltlich bestimmte Mitarbeiterbefragungen durchzuführen (was nach derzeitiger Rechtslage freilich nicht der Fall ist), oder auch faktisch wirkende Zwänge mit entsprechender Zielsetzung durch die konkrete Androhung von Sanktionen oder unternehmerisch bedeutsamen Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen, Beschlagnahmen von umfangreichen Materialien und sonstigem reputationsschädlichen Verhalten. Die Einwirkung muss dabei zumindest einen solchen Grad entfalten, dass der zuständige Staatsdiener faktisch von der Befolgung seiner Anweisungen ausgehen kann128. In Deutschland sind aber derart weitreichende Verhaltensweisen von Behörden offiziell nicht bekannt geworden129. Zwar sind Fälle zu verzeichnen, in denen staatliche Behörden mehr oder weniger unverblümt mit Nachteilen für das Unternehmen drohen, wenn sich einer grundsätzlichen Kooperation verweigert wird130. Die Grenze zu einer konkreten inhaltlichen Beeinflussung wurde bislang aber wohl nicht überschritten, wenngleich derartige Verhaltenstendenzen der Strafverfolgungsbehörden unverkennbar sind.
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Mit ähnlicher Begründung hat auch der BGH eine mittelbare Täterschaft von Leitungspersonen in Wirtschaftsunternehmen bejaht, obwohl hier kein echtes Subordinationsverhältnis besteht, sondern die sichere Befolgung von Anweisungen allein auf dem Arbeitsverhältnis und der entsprechenden Direktionspflicht des Arbeitsgebers gründen, vgl. BGHSt 48, 331 (342); 49, 147 (163 ff.); BGH NStZ 1998, 568; siehe auch Schünemann, in: LK-StGB, § 25 Rn. 123 m.w.N.; kritisch dagegen Ambos, GA 1998, 226 (241 ff.). 129 Jahn, StV 2009, 41 (45). 130 Siehe hierzu Wehnert, StraFo 2012, 253 (255): „Das Prinzip der Selbstaufklärung gegen Strafrabatt wurde mittlerweile von den deutschen Strafverfolgungsbehörden adaptiert […] Staatsanwälte treten mit hohen Erwartungen hinsichtlich ihrer Kooperationsforderungen an das Unternehmen heran. Teilweise drohen sie mehr oder weniger unverblümt mit Nachteilen, wenn das Unternehmen sich gegen vollständige Kooperation entscheidet.“ Auch Kremer, in: FS für Schneider (2011), 701 (702 ff.) geht davon aus, dass sich das Unternehmen vielfach dem Wunsch der Staatsanwaltschaft nicht entziehen können wird. In diese Richtung wohl auch HartHönig, in: FS für Schiller (2014), 281 (283 ff.).
B. Kategorisierung bei unternehmensinternen Befragungen
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Selbst im viel diskutierten Siemens-Fall131, in dem die unternehmerische Selbstaufklärung im Zuge einer Internal Investigation nach den Vorgaben der SEC durchgeführt wurde und folglich eine sehr starke Beeinflussung der Behörden vor dem Hintergrund einer immensen Strafandrohung vorlag, fand nach derzeitigem Kenntnisstand (wohl) keine unmittelbare inhaltliche Einwirkung auf die Durchführung der konkreten Befragungen statt132, sondern die amerikanischen Aufsichtsbehörden äußerten lediglich „Wünsche“ in Bezug auf die Reichweite und den Umfang der internen Sachverhaltsaufklärung133, was für einen erforderlichen gestalterischen Einfluss nach hier vertretener Auffassung für sich genommen noch nicht ausreicht134. Mit Blick auf die faktische Zwangslage von Unternehmen im Visier der amerikanischen Behörden135 dürfte losgelöst vom Siemens-Fall zumindest in früheren Verfahren jedoch regelmäßig eine Gestaltungsherrschaft der amerikanischen Behörden vorgelegen haben. Dieses Ergebnis folgt aus dem Umstand, dass nach den früheren Richtlinien des US-amerikanischen Justizministeriums (DOJ) zur Verfolgung von Unternehmen136, ein vollständiger Kooperationsrabatt nur gewährt wurde, wenn seitens des Unternehmens auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht („Attorney-Client-Privilege“) und das Beschlagnahmeprivileg gegenüber anwaltlicher Ermittlungsunterlagen („Work-Product“) verzichtet wurde137. Der faktische Zwang, auf derartige elementare Rechtsschutzinstrumente zu verzichten, ist als erfolgsabsichernde Maßnahme zu werten und bewirkt einen inhaltlichen Qualitätsanstieg bezüglich der gewünschten Aussageinhalte, weshalb bei einem solchen
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Vgl. dazu etwa Jahn, StV 2009, 41; Behrens, RIW 2009, 22; Bittmann/Molkenbauer, wistra 2009, 373; Wybitul, BB 2009, 606 (607); Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (387); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 69; Momsen, ZIS 2001, 508; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851; Theile, StV 2011, 381. 132 Einzelheiten bei Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 230 ff. 133 Vgl. Wewerka, Internal Investigations, S. 196 ff. 134 Auch Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852) stellen diesbezüglich auf den gestalterischen Einfluss als Kriterium ab und gehen ebenso grundsätzlich von einem nicht-staatlichen Handeln aus. Auf Grundlage der von der Rechtsprechung in den „Mithörfällen“ und „U-HaftFällen“ entwickelten Grundsätze lehnt auch Jahn, StV 2009, 41 (45) eine Zurechnung im Siemens-Fall ab. A.A. dagegen Wastl/Lizka/Pusch, NStZ 2009, 68 ff. sowie Kaspar, GA 2013, 206 (219). Zweifelnd auch Pfordte, FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (741). 135 Vgl. hierzu oben S. 48 ff. 136 Die Richtlinien zur Strafverfolgung von Unternehmen wurden zunächst 1999 im sog. Holder-Memorandum mit dem Titel „Federal Prosecution of Corporations“ festgelegt, welche dann im Jahr 2003 durch das sog. Thompson-Memorandum mit dem Titel „Principles of Federal Prosecution of Buisness Organizations“ erheblich verschärft wurden, vgl. dazu Partsch, The Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), S. 74 ff. 137 Vgl. Wehnert, in: FS für Müller (2008), 729 (729 ff.); dies., NJW 2009, 1190 (1190), Behrens, RIW 2009, 22 (28), Bittmann/Molkenbauer, wistra 2009, 373 (374); Wybitul, BB 2009, 606 (607); Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (387); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 69.
116
2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
Vorgehen ein funktionaler Einsatz bejaht werden müsste138. Inzwischen hat das DOJ im Zuge des Verfahrens U.S. vs. Stein seine Richtlinien jedoch abgeändert und klargestellt, dass eine Weigerung der Unternehmen, auf die genannten Privilegien zu verzichten, nicht mehr negativ in die Bewertung des Kooperationsverhaltens des Unternehmens einfließen darf139. 3. Kooperation von Unternehmen und Staatsanwaltschaft Praktisch bedeutsam – aber schwierig in ihrer Beurteilung – ist die Konstellation, in der das Unternehmen bewusst die kooperative Nähe zu den staatlichen Strafverfolgungsbehörden sucht und sich freiwillig, d. h. ohne entsprechenden Druck einer uneingeschränkten Kooperation verpflichtet. Dies tritt etwa ein, wenn bereits ein konkreter Tatverdacht gegenüber einem oder mehreren beschuldigten Mitarbeiter/n besteht und sowohl das Unternehmen als auch die Staatsanwaltschaft an einer Überführung des beschuldigten Mitarbeiters bzw. der beschuldigten Mitarbeitergruppe interessiert sind140. In dieser Situation wird ein Unternehmen in besonderem Maße daran interessiert sein, sich gegenüber der staatlichen Behörde zu öffnen, denn die Befolgung der staatlichen Aufforderung zur Mitwirkung fördert zugleich die Erreichung des eigenen Ziels, das in diesem Fall darin besteht, den oder die zu befragenden Mitarbeiter als verantwortlichen Täter zu überführen und hierdurch im Wege eines Verantwortungstransfers etwaiges eigenes Fehlverhalten zu reduzieren. Daneben wird sich ein entsprechendes Verhalten des Unternehmens positiv in der Beurteilung der Aufsichtspflichtverletzung sowie sonstiger Ermessensentscheidungen niederschlagen, worauf bereits hingewiesen wurde141.
138 Im Verfahren gegen die KPMG LLP wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung hatte die SEC unter Bezug auf das sog. Thompson-Memorandum als Voraussetzung für einen Anklageverzicht verlangt, dass entgegen der langjährigen Praxis des Unternehmens keine Übernahme von Verteidigerhonoraren erfolgt, die Mitarbeiter dazu aufgefordert werden sollen, ohne anwaltlichen Beistand zur Befragung zu erscheinen, und im Falle einer Aussageverweigerung mit Kündigung zu drohen. Im Rahmen der Beschwerde einiger der betroffenen Mitarbeiter sah der zuständige District Court das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Rechtsbeistand verletzt, da die erfolgten Maßnahmen maßgeblich auf den Druck der staatlichen Behörden zurückzuführen seien. Am 28. 08. 2008 bestätigte das US-Berufungsgericht im Verfahren US. vs. Stein die Entscheidung und judizierte, dass das Verhalten der KPMG staatlichem Handeln gleichzusetzen sei („nexus“). Dabei betonten die Richter im Übrigen, dass es unrealistisch sei zu erwarten, dass sich KPMG dem zuvor ausgeübten Druck entziehen könnte. Vgl. zum Ganzen Wehnert, NJW 2009, 1190 (1191 ff.). 139 Das neue Memorandum des DOJ ist abrufbar unter www.justice.gov/dag/file/769036/ download (Abrufdatum: 15. 12. 2016). 140 Zur Interessenlage des Unternehmens noch eingehend unten S. 120 ff. 141 Vgl. oben S. 62 ff.
B. Kategorisierung bei unternehmensinternen Befragungen
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Liegt eine entsprechende freiwillige Unterordnung142 des Unternehmens vor, die von den Ermittlungsbeamten bewusst ausgenutzt wird, ist eine funktionelle Einbindung der Privatperson vergleichbar zur Situation im sog. „ZellenkumpanenFall“ gegeben. Die als prägend zu bewertende Einflussnahme während der Ausführung kann in dieser Situation dahinstehen, da es durch die freiwillige Unterordnung des Unternehmens keinerlei zusätzlicher erfolgsabsichernder Maßnahmen bedarf. Wie bereits oben herausgearbeitet wurde, ist von einer staatlichen Ermittlungsherrschaft schließlich auch dann auszugehen, wenn sich die weitergeleiteten Fragen der staatlichen Behörde unmittelbar in den Erkenntnissen der Befragung niederschlagen und die staatliche Behörde hierauf uneingeschränkten Zugriff besitzt. Maßgebliches Kriterium ist dabei allerdings die Vollständigkeit der erlangten Erkenntnisse. Das Unternehmen wirkt in dieser Situation bei funktionaler Betrachtung der Geschehnisse nur als verlängerter Arm der staatlichen gelenkten Maßnahme, sodass im Ganzen ein staatliches Handeln vorliegt und die entsprechenden strafprozessualen Kautelen greifen. Dabei kann es dahinstehen, ob das Unternehmen die Erkenntnisse freiwillig herausgibt oder diese beschlagnahmt werden, da letztgenannte Maßnahme der Behörde in der dargelegten Konstellation lediglich als eine Feigenblatthandlung erscheinen würde, um das kollusive Zusammenwirken von staatlicher Behörde und privaten Unternehmen zu verschleiern. Für das hier aufgefundene Ergebnis streitet schließlich die Überlegung, dass eine staatliche Behörde wohl nur dann das Kooperationsverhältnis zum Unternehmen sucht, wenn sie davon ausgeht, mit ihrer Anfrage konkrete Aussicht auf Erfolg zu haben, sodass zu diesem Zeitpunkt auch ein entsprechender Wille vorhanden ist, herrschaftlichen Einfluss über das Verfahren zu gewinnen und das Unternehmen als Werkzeug in die staatlichen Ermittlungshandlungen einzubeziehen. Insofern wäre in dieser besonderen Konstellation auch das Kriterium des Anlasswillens gegeben. Allerdings ist zu betonen, dass eine derart weite freiwillige Kooperation eines Unternehmens die Ausnahmekonstellation darstellt, da ein Unternehmen im Regelfall weiterhin die Kontrolle über die Maßnahmen behalten wollen wird. Eine uneingeschränkte Kooperation verbunden mit der unzensierten Weitergabe der unternehmensintern erlangten Beweismittel dürfte für das Unternehmen regelmäßig mit zu hohen Risiken behaftet sein143.
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Zur Begründung einer staatlichen Lenkungs- und Kontrollmöglichkeit aufgrund einer freiwilligen Unterordnung des Privaten siehe auch Eckhard, Private Ermittlungsbeiträge im Rahmen der staatlichen Strafverfolgung, S. 124. 143 Gleichwohl sind Fälle bekannt, in denen den Anklagebehörden die Ergebnisse einer internen Untersuchung seitens des Unternehmens „uneingeschränkt“ zur Verfügung gestellt wurden, vgl. FAZ vom 28. 11. 2011 („Firmen müssen Sheriff spielen“).
118
2. Kap.: Unternehmensinterne Befragungen als Handeln durch Private?
III. Ergebnis Die Durchführung einer unternehmensinternen Befragung ist im Grundsatz als private Maßnahme einzuordnen. Die Frage, wann eine solche Maßnahme eines Unternehmens als staatliche Maßnahme zu qualifizieren ist, kann nur im Einzelfall anhand einer Betrachtung der konkreten Mitwirkung der staatlichen Behörde beurteilt werden. Eine staatliche Maßnahme, die am Maßstab der Strafprozessordnung zu bewerten ist, liegt dabei erst vor, wenn seitens der Behörde ein gestalterischer Einfluss auf den Frageprozess vorliegt, welcher der Behörde eine funktionale Steuerungsherrschaft über die Maßnahme vermittelt.
3. Kapitel
Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen Nachdem im vorangestellten Kapitel geklärt wurde, dass es sich bei unternehmensinternen Befragungen im Regelfall um ein privates Vorgehen handelt und somit folglich die Vorschriften der Strafprozessordnung jedenfalls nicht unmittelbar eingreifen, sollen in einem nächsten Schritt nun Zulässigkeit und Grenzen dieser Ermittlungsmaßnahme herausgearbeitet werden. Der Umstand, dass Unternehmen faktisch verpflichtet sind, aufgrund rechtlicher Vorschriften auch repressive Ermittlungshandlungen durchzuführen, begründet keinen Automatismus der Zulässigkeit entsprechender Maßnahmen1. Aufklärungspflichten als Ausfluss aufsichtsrechtlicher Pflichtenstellungen können schließlich nur soweit reichen, wie sich das Vorgehen im Einklang mit der Rechtsordnung bewegt. Ein Abstellen auf entsprechende zivilrechtliche Pflichtsätze zur Begründung einer generellen Zulässigkeit erscheint an dieser Stelle zirkulär. Auch das grundlegende Recht zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche vermag nicht ohne weiteres ein privates Ermittlungsrecht in Konkurrenz zu staatlichen Straftatermittlungen rechtfertigen2, wenn hierdurch das staatliche Strafverfahren und hierin verankerte Schutzprinzipien tangiert werden3. Die Zulässigkeit privater Ermittlungen, die eine Nähe zum Strafverfahren aufweisen, verdient daher genauere Betrachtung.
A. Die Interessenlagen der Beteiligten Zulässigkeit und Grenzen einer unternehmensinternen Befragung lassen sich nur aufzeigen, wenn zuvor der tatsächliche Aktionsradius und die hiermit verbundenen Gefahren für den Rechtsstaat bestimmt wurden. Wegen der praktischen Vielfalt unternehmerischer Handlungsoptionen kann eine derartige Festlegung freilich nur abstrakt erfolgen. Richtungsweisend ist die Beachtung der unterschiedlichen Interessenlagen der Beteiligten, deren Motive die Grundlage der Maßnahmen bilden.
1 2 3
So jedoch Wewerka, Internal Investigations, S. 124 ff. So aber die Sichtweise von Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen, S. 23 ff. Ähnlich Zapfe, Compliance und Strafverfahren, S. 113.
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
I. Situation des Unternehmens Die Rolle des Unternehmens in der Konstellation unternehmensinterner Befragungen ist janusköpfig ausgestaltet: Das Unternehmen ist sowohl Geschädigter der Straftat, zugleich aber selbst potentieller Adressat von Sanktionen4. Zwar kann das Unternehmen im deutschen Recht de lege lata formal nicht als Beschuldigter im Sinne der StPO angesehen werden5. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Unternehmen unmittelbar Betroffene oder Beteiligte staatlicher Sanktionen sind6. Ausgehend von der zumindest faktisch anzunehmenden Beschuldigtenrolle geht es dem Unternehmen zunächst darum, Zwangsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft abzuwenden und dem Fokus der Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit zu entfliehen, um weiteren finanziellen Schaden und Ansehensverlust zu vermeiden. Langfristige Ziele des Unternehmens sind die Vermeidung von Geldbußen und anderer einschneidender Sanktionen, sowie die Verteidigung des eigenen Ethikkodexes. Das Interesse an der Aufklärung folgt schließlich dem Wunsch und der gesetzlichen Verpflichtung, etwaige Schäden ersetzt zu bekommen, was dem Wiedergutmachungsinteresse eines durch eine Straftat Verletzten entspricht. Zur Erreichung dieser unterschiedlichen Ziele ist es aus Sicht des Unternehmens erforderlich, eine glaubwürdige Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten, und ein eigenes Aufsichtsverschulden auszuschließen. Das Rollenbild eines Unternehmens zeichnet auf der Ebene der Sachverhaltsaufklärung schließlich eine gewisse Dynamik: Steht ein Compliance-Verstoß eines Mitarbeiters nicht fest, wird ein Unternehmen zunächst dessen Verteidigung unterstützen, da es für die Haftung des Unternehmens einer tauglichen Anknüpfungstat bedarf. Offenbaren die Aufklärungsmaßnahmen dagegen einen Verstoß, gilt es, den oder die beschuldigten Mitarbeiter als allein verantwortlichen Täter zu überführen. Dann nämlich ist zum einen ein tauglicher Anspruchsgegner für etwaige Regressforderungen gefunden. Zum anderen tritt durch das Präsentieren eines Schuldigen gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Öffentlichkeit das eigene Verschulden in den Hintergrund7. 4 Ähnlich Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (882 ff.); Ingnor, CCZ 2011, 143 (144); siehe auch Alexander/Winkelbauer, in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), § 16 Rn. 70 ff. 5 Beckemper, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 15 Rn. 1 ff.; zu den Überlegungen zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts vgl. oben S. 39 ff. 6 Zu den konkreten Strafbarkeitsrisiken vgl. oben S. 30 ff. Zu Recht wird im Schrifttum daher auch begrifflich von einer Unternehmensverteidigung gesprochen, vgl. etwa Taschke, StV 2007, 495 („neuer Typus der Strafverteidigung“). 7 Diese Praxis verschärft sich, wenn ein Großunternehmen betroffen ist, das im gesellschaftlichen Fokus steht. Denn je größer die gesellschaftliche und damit verbunden auch mediale Aufmerksamkeit ist, umso mehr wächst der auf den staatlichen Behörden lastende politische Ermittlungsdruck. Die Gefahr staatlicher Zwangsmaßnahmen steigt in diesem Falle an. Schließlich möchte der Staat bzw. die handelnden Personen ihre Leistungsfähigkeit und
A. Die Interessenlagen der Beteiligten
121
II. Situation des Mitarbeiters Der einzelne Mitarbeiter, der sich einer Befragung unterziehen muss, ist hingegen durch seinen Beschuldigtenstatus geprägt. Sein Interesse besteht in der Sicherung der persönlichen Existenz, indem er arbeitsvertragliche Konsequenzen oder eine individuelle Bestrafung durch den Staat zu vermeiden und Schadensersatzansprüche des Unternehmens abzuwehren versucht8. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ihn diese Gefahren-Trias regelmäßig in ganzem Umfang treffen wird. Besteht der Anfangsverdacht einer Straftat, ist der Arbeitnehmer jedenfalls nach h.M. verpflichtet, gegenüber dem Arbeitgeber wahrheitsgemäße Angaben zu machen9. Ein Schweigerecht steht ihm nicht zu. Dies gilt selbst dann, wenn er sich durch seine Angaben selbst einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigen muss. Schweigt er, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit einer Verdachtskündigung. Zudem kann die Erfüllung der Auskunftspflicht mit den Zwangsmitteln des § 888 ZPO (Zwangsgeld/-haft) herbeigeführt werden10. Offenbart sich hingegen der Arbeitnehmer, bleibt er im Falle eines Verstoßes ebenfalls nicht von einer möglichen Kündigung verschont, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Vor allem aber wird das Befragungsprotokoll seiner Aussage regelmäßig Eingang in ein staatliches Ermittlungsverfahren finden, weshalb er auch mit einer strafrechtlichen Sanktionierung rechnen muss. Der beschuldigte Mitarbeiter befindet sich damit in einer nicht auflösbaren Konfliktlage, die wie ein Damoklesschwert über seiner persönlichen Existenz schwebt. Er ist deutlich schlechter gestellt als in einem staatlichen Ermittlungsverfahren, in dem die Selbstbelastungsfreiheit derartige Zwangslagen gerade verhindern soll.
III. Zwischenergebnis Die Interessen des ermittelnden Unternehmens und des beschuldigten Mitarbeiters stehen sich im Regelfall diametral gegenüber. Bereits aus der Betrachtung der Interessenlagen ist erkennbar, dass der beschuldigte Mitarbeiter nur dann auf Unterstützung seines Arbeitgebers zählen kann, wenn am Vorliegen einer rechtserheblichen Pflichtverletzung durch den Mitarbeiter als Anknüpfungstat Zweifel bestehen oder sich das Unternehmen ausnahmsweise nicht für einen proaktiven AufStärke demonstrieren, was wiederum dazu führt, dass sie den Druck auf das Unternehmen verschärfen werden. Das Unternehmen wird seine Aufklärungsarbeit in der Folge intensivieren. Dieser Automatismus war aktuell auch bei den Aufklärungsmaßnahmen im Rahmen der VWAbgasaffäre zu beobachten. 8 Vgl. Maschmann, in: Dölling (Hrsg.), Handbuch der Korruptionsprävention, 3. Kap. Rz. 5; Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (744). 9 Zur Auskunftspflicht des Mitarbeiters eingehend unten S. 191 ff. 10 Zur Durchsetzbarkeit einer Auskunftspflicht gegen den Arbeitnehmer ausführlich unten S. 198 ff.
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
klärungsweg entscheidet. Dies zeigt deutlich, dass der aufgezeigte Konflikt nicht allein Ausfluss der arbeitsrechtlichen Beziehung der Parteien ist. Denn das Arbeitsrecht ist stets um einen fairen Ausgleich der Interessen zwischen Unternehmen und Angestellten bemüht und verlangt wechselseitige Fürsorgepflichten auch im Krisenfall. Die Konfliktlage resultiert vielmehr aus dem Transfer der privat ermittelten Erkenntnisse in das staatliche Strafverfahren und der damit verbundenen Verschlechterung der Verteidigungsposition des Beschuldigten im Strafprozess. Gerade unter strafprozessualen Gesichtspunkten bedarf diese Ausgangslage aber einer genaueren Betrachtung. Denn die Tatsache, dass Ermittlungen gegen einen Beschuldigten zu einem wesentlichen Teil durch den Geschädigten selbst geführt werden und dem Beschuldigten letztlich ein Zwang zur Selbstbelastung auferlegt wird, ist mit strafprozessualen Grundsätzen auf den ersten Blick unvereinbar. Dies gilt umso mehr, wenn die unternehmerische Entscheidung für eine repressive Aufklärungstaktik durch entsprechende Aufforderungen und Anreize der staatlichen Strafverfolger geleitet wird.
B. Verfassungsrechtliche Grundlagen Die gesetzgeberische Konzeption sieht die Mitwirkung von Privaten im hoheitlich geprägten Strafverfahren nicht vor. Deshalb ist zunächst darzutun, inwieweit Privaten eine eigene Ermittlungsbefugnis zukommt.
I. Das staatliche Gewaltmonopol als verfassungsrechtliche Schranke Indem das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 3 GG die Bundesrepublik als Rechtsstaat konstituiert, spricht es diesem zugleich ein staatliches Gewaltmonopol zu11. Die Bindung an Recht und Gesetz ist nur zu verwirklichen, wenn gleichzeitig eine Grundlage existiert, dieses Recht wirksam durchzusetzen. Durch die Bindung an das Rechtsstaatsprinzip unterliegt das staatliche Gewaltmonopol der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. Basierend auf den grundlegenden staatstheoretischen Überlegungen von Jean Bodin (1530 – 1596)12 und Thomas Hobbes (1588 – 1679)13 wird durch das Gewalt11 Zur verfassungsrechtlichen Herleitung des staatlichen Gewaltmonopols als ungeschriebenes Verfassungsprinzip und Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips vgl. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 35 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 12 Zur Souveränitätslehre von Jean Bodin siehe etwa Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 243 ff. 13 Zu den Lehren Thomas Hobbes’ siehe die zusammenfassende Darstellung bei Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages, S. 59.
B. Verfassungsrechtliche Grundlagen
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monopol die innerstaatliche Gewaltausübung zwingend und unteilbar dem Staat zugewiesen, um Frieden und Sicherheit als Voraussetzung rechtsstaatlicher Grundprinzipien zu gewährleisten14. Das Gewaltmonopol des Staates bildet das Fundament des modernen Rechtsstaates, weshalb ein privates Vorgehen, das geeignet ist, diese Grundordnung in Frage zu stellen, mit der geltenden Gesellschaftsordnung nicht in Einklang zu bringen ist. Zugleich bedeutet dies im Umkehrschluss aber auch, dass Handlungen, die die Grundmacht des Staats unberührt lassen, grundsätzlich zulässig sind. Inwieweit eine private Beweisbeschaffung im Zuge repressiver Compliance-Maßnahmen das staatliche Gewaltmonopol tangiert, ist abhängig von dessen genauem Regelungsgehalt. Der staatliche Strafanspruch wird durch den Verstoß gegen ein Strafgesetz ausgelöst. Die Durchsetzung des hieraus resultierenden staatlichen Strafanspruchs als unmittelbare Ausprägung des staatlichen Gewaltmonopols erfolgt nach den Vorschriften der Strafprozessordnung und beinhaltet die Ausermittlung des Sachverhalts im Rahmen des staatlichen Ermittlungsverfahrens bis zur Verurteilung des Beschuldigten. Der Ausspruch der staatlichen Sanktion obliegt allein dem Staat und unterfällt dem staatlichen Gewaltmonopol15. Auch die Entscheidung über die Einleitung eines staatlichen Ermittlungsverfahrens haben staatliche Akteure zu treffen. Mit dem staatlichen Gewaltmonopol ist es daher unvereinbar, wenn Private anstelle des Staates eigenständig die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten übernehmen16. Die Compliance-Maßnahmen privater Unternehmen lassen den Bereich der Entschließung und Sanktionierung nur vordergründig unberührt. Ihr Wirken spielt sich im Vorfeld des staatlichen Urteilsverfahrens ab, sodass man argumentieren könnte, dass das staatliche Sanktionierungsmonopol als zentraler Ausschnitt des Gewaltmonopols nicht tangiert wird. Eine solche Sichtweise würde jedoch die praktisch bedeutsame Ermittlungsphase als Grundlage der Entschließung und Sanktionierung ausklammern. Die Strafprozessordnung sieht ein staatliches Vorverfahren vor, dessen Ziel es ist zu prüfen, ob ein Tatverdacht vorliegt, der die Erhebung der staatlichen Anklage zu begründen vermag. Ziel der staatlichen wie privaten Ermittlungen im Vorfeld etwaiger Sanktionen ist die Erhebung personenbezogener Daten zur Rekonstruktion des tatsächlichen Geschehens17. Befragungen des Verdächtigen bzw. anderer Personen, die in der Lage sind, sachdienliche Hinweise zum Geschehen zu tätigen, kommt dabei eine zentrale Rolle unter den Aufklärungsmaßnahmen zu18. Es liegt auf der Hand, dass die hier14 Zur historischen Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols und seiner Bedeutung im modernen Staatenwesen Volkmann, JuS 1996, 1058 (1058 ff.). 15 Vgl. Hefendehl, in: FS für Amelung (2009), 617 (641). 16 Vgl. für den Fall der Verkehrsüberwachung durch Private AG Tiergarten NStZ-RR, 1996, 277 ff.; Radtke, NZV 1995, 430. 17 Die Ausübung staatlicher Gewalt erfasst nicht nur Formen körperlicher Eingriffe, sondern auch die Erhebung und Verarbeitung moderner Daten, vgl. Mende, Grenzen privater Ermittlungen durch den Verletzten einer Straftat, S. 82 ff. 18 Siehe hierzu oben S. 75 ff.
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
durch erlangten Informationen – gleich, ob sie von staatlichen Akteuren oder Privatpersonen erhoben wurden – geeignet sind, den späteren Verlauf des staatlichen Verfahrens entscheidend zu beeinflussen. Dem privaten Unternehmen kommt somit eine Steuerungsmöglichkeit zu, die dem Grundgedanken eines staatlichen Gewaltmonopols zuwider läuft. Dies wird umso mehr gelten müssen, als die unternehmensintern ergriffenen Compliance-Maßnahmen – insbesondere bezogen auf die Erhebung personenbezogener Daten – regelmäßig deutlich weitergehen, als vergleichbare staatliche Ermittlungsmaßnahmen.
II. Die Grundrechte als Schranken-Schranken des Gewaltmonopols Das staatliche Gewaltmonopol besitzt jedoch keinen absoluten Geltungsanspruch, sondern unterliegt seinerseits Einschränkungen. Die Grundrechte schützen den Einzelnen vor ungerechtfertigten Eingriffen in besondere Freiheitsbereiche und fungieren als negative Kompetenznormen19. Von seinen Handlungskompetenzen kann der Staat folglich nicht nach Belieben Gebrauch machen, sondern nur soweit geschützte Grundrechtspositionen dem nicht entgegenstehen. Der Schutzbereich der Grundrechte ist nicht auf vereinzelte Freiheitsbereiche beschränkt, sondern gewährleistet in der Gesamtschau eine freie Entfaltung des Individuums als solchem, was als notwendiges Äquivalent zur Aufgabe der eigenen Freiheitsentscheidung des Bürgers im modernen Staat anzusehen ist und somit für die friedensichernde Funktion gleichrangige Bedeutung besitzt. Im grundrechtsgewährenden, freiheitlichen Staat kann es somit kein umfassendes Gewaltmonopol geben. Vielmehr ist die fundamentale Staatsaufgabe der Friedensgewährung stets in ihrem Spannungsverhältnis mit der fundamentalen Staatspflicht der Freiheitsgewährung zu sehen20. Sofern also ein entsprechendes Ermittlungsrecht als Ausfluss einer grundrechtlich geschützten Position existiert, kann es nicht durch das Gewaltmonopol aberkannt oder vollständig negiert werden. Die genauen Grenzen sind anhand der konkretisierenden Regelungen der Verfassung und des einfachen Rechts zu bestimmen.
C. Zulässigkeit privater Ermittlungen im Strafprozess Die Zulässigkeit privater Ermittlungshandlungen wird heute im Grundsatz nicht mehr bezweifelt. Bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Unternehmen nicht um eine natürliche Person handelt, sondern um eine juristische Person des Privatrechts. Auch kann nicht 19 20
Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 4 Rn. 91 ff. Hammer, DÖV 2000, 613 (617).
C. Zulässigkeit privater Ermittlungen im Strafprozess
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ignoriert werden, dass diese Maßnahmen in ihrer Zielrichtung repressiv ausgerichtet sind und sich durch ihre systematische Vorgehensweise erheblich von typischen Ermittlungshandlungen Privater im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unterscheiden. Im Folgenden sollen zunächst die grundsätzlichen Ermittlungsbefugnisse eines Privaten dargelegt werden, um hieran anknüpfend zu prüfen, inwieweit diese Grundsätze auf unternehmerische Compliance-Maßnahmen übertragen werden können.
I. Das Ermittlungsrecht des Privaten als grundrechtlich geschütztes Verhalten Die grundsätzliche Zulässigkeit einer privaten Ermittlungstätigkeit ist Teil der grundrechtlich geschützten Freiheitsausübung. Im sogenannten RechtsbeistandsBeschluss21 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass dem Bürger als selbstständigem Verfahrenssubjekt im Strafprozess ein Aktivstatus zukommt und er demnach über eigene prozessuale Rechte verfügt, die seine „aktive Teilnahme an dem ihm zukommenden Rechtsschutz“ sicherstellen sollen22. Die konkrete Begründung und Ausgestaltung privater Ermittlungsbefugnisse hängt jedoch maßgeblich von der jeweiligen Verfahrensstellung des Bürgers im Strafverfahren ab. 1. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch den Beschuldigten Ist der Bürger selbst Beschuldigter, so steht er als Untersuchungsobjekt im Zentrum der Ermittlungen. Die Überlegungen der Verfassungsrichter im Rechtsbeistandsbeschluss23 finden hier ihren Ausgangspunkt: Der Bürger darf als Beschuldigter nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens degradiert werden, sondern ist neben seiner Rolle als Untersuchungsobjekt, zugleich auch als Verfahrenssubjekt anzusehen, das mit eigenen prozessualen Rechten ausgestattet ist, die einen Mindeststandard an aktiver verfahrensrechtlicher Beteiligung gewährleisten sollen24. Die Wurzeln eines aktiven Ermittlungsrechts eines Beschuldigten liegen damit im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG25. Das 21
BVerfGE 38, 105. Vgl. BVerfGE 38, 105 (114); zustimmend Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 32 ff.; Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 23; Mohrat, Private Straftatermittlungen, S. 14; Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 13 ff.; Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 527. 23 BVerfGE 38, 105. 24 BVerfG StV 2001, 601; BGHSt GS 50, 40 (48). 25 Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 32 ff.; Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 527; Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 23 ff.; Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 15 Rn. 24. 22
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
allgemeine Persönlichkeitsrecht stellt zwar in seiner grundsätzlichen Ausprägung ein Abwehrrecht dar, dessen Aufgabe es ist, die enge persönliche Lebenssphäre vor Eingriffen zu schützen. Sofern allerdings die bloße passive Abwehr von Eingriffen nicht ausreicht, um die grundrechtliche Schutzposition zu wahren, vermittelt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auch eine „Leistungsfunktion“26, aus der sich für den Bürger das Recht ergibt, seine Interessen aktiv wahrzunehmen, beispielsweise durch das Vorbringen von entlastenden Gegenbeweisen27.28 Zur Sicherstellung einer „Waffengleichheit“29 gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsbehörden wird man den Beschuldigten auch mit weiterreichenden Ermittlungsbefugnissen im Ermittlungsverfahren ausstatten müssen, um den hohen Anforderungen des Grundrechtsschutzes gerecht zu werden30. Konsequenterweise räumt der Gesetzgeber dem Beschuldigten im Vorverfahren daher in §§ 163a Abs. 2 StPO, 166 Abs. 1 StPO auch ein Beweisantragsrecht ein, das er durch Nennung einer bestimmten Beweistatsache und eines bestimmten Beweisziels ausüben kann. Die Strafprozessordnung geht somit mittelbar davon aus, dass der Beschuldigte eigenständig Ermittlungshandlungen vornehmen kann31. Ein derartiges Ermittlungsrecht steht dabei nicht nur dem Beschuldigten zu, sondern auch seinem Verteidiger32. Dies folgt bereits aus der Funktion des Vertei26 Zur Leistungsfunktion von Grundrechten Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 4 Rn. 78 ff. 27 Ebenso Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 32 ff.; siehe auch Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 15 Rn. 24. Gegen diese Sichtweise wird zwar vereinzelt vorgebracht, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht lediglich Integritätsschutz biete und somit der Wahrung des Status Quo diene, weshalb das private Ermittlungsrecht teilweise auch als Ausprägung der Allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG verstanden wird, vgl. Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S. 89 ff., Reeb, Internal Investigations, S. 28 ff. Jedenfalls für die Position des Beschuldigten kann diese Argumentation jedoch nicht überzeugen: Gerade zur Wahrung des Status Quo des Beschuldigten (Unschuldsvermutung) kann es erforderlich sein, aktiv seine Rechte geltend zu machen und durch Beibringen eigener Entlastungsbeweise zu untermauern, sodass ohne eine entsprechende Leistungsfunktion das Grundrecht leerlaufen würde, dem durch seine besondere Nähe zur Menschenwürde aber gerade ein besonderes Schutzniveau zukommt. 28 Gegen diese Sichtweise wird vereinzelt vorgebracht, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht lediglich Integritätsschutz biete und somit der Wahrung des Status Quo diene, weshalb das private Ermittlungsrecht teilweise auch als Ausprägung der Allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG verstanden wird, vgl. Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S 89 ff., Reeb, Internal Investigations, S. 28 ff. 29 Zum Grundsatz der Waffengleichheit grundlegend BVerfGE 63, 45 (61). 30 Ähnlich Jungfer, StV 81, 100 ff.; Wasserburg, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, S. 82 ff. Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 13 ff.; Brunhöber, GA 2010, 573 ff. 31 Ebenso Wasserburg, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, S. 82 ff.; Brunhöber, GA 2010, 572. 32 BGHSt 46, 1 (4): Dem Verteidiger ist es „nicht verwehrt, eigene Ermittlungen zu führen, insbesondere Zeugen oder Mitbeschuldigte vor und außerhalb der Hauptverhandlung zu befragen“. Vgl. hierzu auch Eschelbach, in: KMR-StPO, vor § 213 Rn. 28, Wasserburg, Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, S. 82 ff.
C. Zulässigkeit privater Ermittlungen im Strafprozess
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digers als gesetzlichem Beistand und Vertreter des Beschuldigten33. Zudem verfügt der Beschuldigte im Regelfall nicht über die materiellen Rechtskenntnisse und das verfahrensrechtliche know how, um seine Beteiligtenrechte ohne Rechtsbeistand effektiv nutzen zu können34. Daneben wird ein Ermittlungsrecht eines Verteidigers auch aus seiner Stellung als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) abgeleitet35. 2. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch den Verletzten Anderes wird für den Verletzten36 gelten müssen, der nicht im Zentrum der Ermittlungen steht. Die Verstaatlichung des Strafverfahrens durch den Inquisitionsprozess war geprägt durch die Zurückdrängung der Verletztenposition und einer Versachlichung des Verfahrens37. Eine objektive Ausforschung der materiellen Wahrheit als Grundlage eines gerechten Urteils ist nur möglich, wenn das Verfahren nicht von den Konfliktbeteiligten selbst getragen wird, sondern von einem objektiven Dritten, der nicht die subjektiv empfundene Schädigung des Opfers als Maßstab nimmt, sondern die Verletzung des Opfers nach eigenen Wertungen beurteilt38. Dem Verletzten ist daher nur eine verfahrensrechtliche Nebenrolle zuzusprechen, was grundsätzlich gegen eine besondere Ermittlungsbefugnis spricht. Dies erscheint auch nicht unbillig, weil der Verletzte nicht Untersuchungsobjekt ist und das Verletzteninteresse regelmäßig durch das staatliche Verfahren gewahrt wird: Während der Beschuldigte lediglich durch das Objektivitätspostulat geschützt wird und sich tatsächlich (aktiv) gegen die erhobenen Vorwürfe verteidigen muss, kann sich ein
33
Vgl. Knierim, in: FS für Volk (2009), 247 (259); Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 307; Jungfer, StV 81, 100 ff.; Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 13 ff.; Mohrath, Private Straftatermittlungen, S. 14; Lüderssen/Jahn, in: LR-StPO, vor § 137 Rn. 108 ff., Brunhöber, GA 2010, 572. 34 Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 13 ff. 35 Ebenso wie Staatsanwaltschaft und Gericht ist der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege Hüter und Garant eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Dieser Status wäre unvollkommen, wenn er geringere Ermittlungskompetenzen besitzen würde, als die staatlichen Organe der Rechtspflege. Näher hierzu Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 40; Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 39 jeweils m.w.N. 36 Die Strafprozessordnung bezeichnet den Geschädigten einer Straftat wertneutral als „Verletzten“. Im Schrifttum wird hingegen vornehmlich der kriminologisch geprägte Begriff des „Opfers“ verwendet. Im Hinblick auf die Objektivität eines staatlichen Verfahrens und vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung erscheint es angemessener dem Begriff des „Verletzten“ den Vorzug zu geben. Die Begrifflichkeiten sind jedoch gesetzlich nicht legal definiert und werden daher im Folgenden synonym verwendet. 37 Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, 1990, S. 69; ähnlich Günther, in: FS für Lüderssen (2002), 205 (211). 38 Pointiert Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger S. 10 ff. („staatliches Strafrecht setzt die Neutralisierung des Opfers voraus“); zustimmend auch Bung, StV 2009, 430 (437).
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
Verletzter auf eine passive Rolle beschränken und die Strafverfolgungsbehörden agieren lassen39. Allerdings kann die Stellung des Verletzten im Strafverfahren nicht zu einem Verlust der grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit führen. Zwar läuft der Verletzte nicht Gefahr, zum Objekt der staatlichen Ermittlungshandlungen degradiert zu werden, weshalb sich sein Ermittlungsrecht nicht auf das Allgemeine Persönlichkeitsrechts stützten kann. Wie jeder Bürger kann sich jedoch auch der Verletzte auf die Allgemeine Handlungsfreiheit berufen. Art. 2 Abs. 1 GG spricht ihm das Recht zu, zu tun und zu lassen, was er möchte; er darf auf die Verwirklichung seines Glücks hinwirken40. Dies gilt auch für eine Mitwirkung im staatlichen Strafverfahren, was bereits die Nichtexistenz eines gesetzlichen Ermittlungsverbots für den Verletzten belegt. Angesichts der freiheitlichen Grundordnung des Grundgesetzes begründet das Fehlen eines Verbotes nämlich zugleich die Erlaubnis des angestrebten Verhaltens41. Spricht man dem Beschuldigten ein grundsätzliches Recht zur „aktiven Teilnahme an dem ihm zukommenden Rechtsschutz“42 zu, so muss dies als Folge einer umfassend geschützten Verhaltensfreiheit im Grundsatz auch für den Verletzten gelten43, auch wenn das Ermittlungsrecht des Verletzten nicht im Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurzelt, sondern sich als Ausfluss der Allgemeinen Handlungsfreiheit des Bürgers darstellt. Geht man davon aus, dass der Staat nur einen äußeren gesetzlichen Rahmen setzt, innerhalb dessen sich der einzelne Bürger entfalten kann, ist nicht einzusehen, weshalb der Verletzte seine Interessen nicht auch im staatlichen Strafverfahren fördern kann, solange Wahrheit und Gerechtigkeit als konkretisierende Eckpfeiler dieses Rahmens hierdurch nicht auf der Strecke bleiben. Die Interessenposition des Verletzten, die ihm das Recht zur aktiven Teilnahme eröffnet, gründet sich auf drei Schwerpunkte: Das Hauptinteresse eines Verletzten besteht in der zivilrechtlichen Geltendmachung von Schadensersatzforderungen44. Im Gegensatz zum Strafverfahren ist der Zivilprozess von der Dispositionsmaxime geprägt. Ansprüche werden nicht von Amts wegen festgestellt, sondern müssen von 39
Ebenso Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S. 74. Vgl. BVerfGE 49, 15 (23), siehe auch Kaspar, GA 2013, 206 (208). 41 Volk/Engländer, Grundkurs StPO, Rn. 35. 42 Vgl. BVerfGE 38, 105 (114). 43 Im Ergebnis zustimmend Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, vor § 406d; Rn 1 ff.; Rieß/ Hilger, NStZ 1987, 145 (153 ff.); Krey, Problematik privater Ermittlungen, S. 23 ff.; Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 32 ff., S. 38; Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 527; Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (374); Wewerka, Internal Investigations, S. 114 ff., 119 ff.; sowie Godenzi, Private Beweisbeschaffung, S. 76 ff. und Kaspar, GA 2013, 206 (208), die ein Ermittlungsrecht eines Verletzten ebenfalls aus der Allgemeinen Handlungsfreiheit ableiten. 44 Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 26 ff. 40
C. Zulässigkeit privater Ermittlungen im Strafprozess
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den Parteien vorgetragen und bewiesen werden45. Das Interesse eines Geschädigten ist daher auf die Schaffung einer guten Beweislage gerichtet. Wenn der Gesetzgeber bewusst die Parteien bei privatrechtlichen Streitigkeiten in die Pflicht nimmt, so muss er ihnen auch die Möglichkeit einräumen, ihre Rechte wahrzunehmen. Durch den rechtlichen Gleichlauf zwischen Zivil- und Strafverfahren sind Kollisionen der Ermittlungen des Privaten als Beweissammler unvermeidlich und im Grundsatz zu tolerieren. Daneben besteht ein strafrechtliches Genugtuungsinteresse, das im Strafzweck der Vergeltung (§ 46 Abs. 1 StGB) wurzelt und folglich vom Staat ebenfalls berücksichtigt werden muss. Schließlich wird der Zweck intensiver eigener Ermittlungen auch in der Abwehr zukünftiger Gefahren zu sehen sein: Ein Verletzter muss die Möglichkeit haben, sich präventiv gegen weitere Schädigungen zu wappnen und seine Rechtsgüter zu verteidigen46. Das Ermittlungsrecht eines Verletzten findet jedoch seine Grenze, wenn hierdurch die rechtstaatlich geschützte Position des Beschuldigten negativ beeinträchtigt wird. Dies folgt bereits aus der Bewertung der kollidierenden Grundrechtspositionen, da der durch Art. 1 Abs. 1 GG verstärkte Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine natürlich Schranke für das Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit darstellt. Von dieser Wertungsprämisse geht auch der Gesetzgeber aus, wie ein einfachgesetzlicher Vergleich der Akteneinsichtsrechte zwischen Beschuldigtem und Verletztem zeigt: Während dem Beschuldigten nach § 147 StPO über seinem Verteidiger ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zusteht, spricht der Gesetzgeber dem Verletzten in § 406e StPO nur ein eingeschränktes Akteneinsichtsrecht zu, zumal eine Beschränkung der Akteneinsicht eines Verletzten nach dem Wortlaut schon dann möglich ist, wenn „schutzwürdige Interessen des Beschuldigten“ dem entgegenstehen47. Der Gesetzgeber hat hier zum Ausdruck gebracht, dass die Interessen eines Verletzten hinter den Belangen eines Beschuldigten zurückstehen müssen48.
II. Zur Übertragbarkeit privater Ermittlungsrechte auf Unternehmen Ausgehend von den dargelegten Ermittlungsbefugnissen ist zu überlegen, inwieweit diese Grundsätze auch geeignet sind, das repressive Vorgehen eines Unternehmens zu rechtfertigen. Eine Übertragbarkeit privater Ermittlungsbefugnisse 45 Zum sog. Verhandlungsgrundsatz im Zivilprozess vgl. Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 37 ff. 46 Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 39. 47 Vgl. hierzu auch BVerfG v. 24. 03. 1987 – 2 BvR 1203/86 = NJW 1988, 405 wonach ein Verletzter keinen grundrechtlichen Anspruch besitzt, Informationen aus einem staatlichen Ermittlungsverfahren zu erhalten. 48 Vgl. insoweit auch die amtliche Gesetzesbegründung zum Opferschutzgesetz, BTDrucks. 10/5305 S. 18.
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
setzt zunächst eine situative Vergleichbarkeit des ermittelnden Unternehmens mit den dargelegten Rollenbildern voraus. 1. Berücksichtigung der prozessualen Doppelrolle des Unternehmens Es wurde bereits festgestellt, dass die Rolle des Unternehmens bei der Durchführung repressiver Compliance-Maßnahmen aus strafprozessualem Blickwinkel janusköpfig ausgestaltet ist. Das Unternehmen kann potentieller Adressat von einschneidenden Sanktionen wie Zwangsmaßnahmen sein, wobei letztere bereits aufgrund ihrer Eingriffsintensität und den damit verbundenen Folgen (Behinderung des Geschäftsablaufs, Reputationsschaden etc.) bereits für sich genommen einen sanktionierenden Charakter aufweisen. In Fällen, in denen dem Unternehmen die Verhängung einer Verbandsgeldbuße droht oder die Anordnung einer Einziehung oder eines Verfalls49 im Raum steht, ist einem Unternehmen als Nebenbeteiligten des Strafverfahrens auch de lege lata über die Vorschrift des § 444 StPO bzw. § 434 StPO oder 442 StPO und die dort normierten Verweise auf die für die Verteidigung geltenden Regelungen ein besonderer strafprozessualer Schutz zugewiesen50. Allerdings beziehen sich diese Regelungen nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf das strafrechtliche Hauptverfahren und können daher nicht für die Begründung einer Ermittlungsbefugnis herangezogen werden. Das Strafverfahrensrecht gibt Nebenbeteiligten und damit auch dem betroffenen Unternehmen grundsätzlich kein Recht, sich am vorgelagerten Ermittlungsverfahren zu beteiligen51. Es zeigt aber, dass die besondere prozessuale Situation betroffener Unternehmen auch dem Gesetzgeber bewusst ist und er entsprechenden Interessen Rechnung trägt52, ohne das nebenbeteiligte Unternehmen einem Beschuldigten gleichzustellen53, was uns an späterer Stelle noch beschäftigen wird54. Deckungsgleich mit den Interessen des klassischen Verletzten einer Straftat ist hingegen das Regressinteresse eines Unternehmens. Das Unternehmen möchte seinen Schaden ersetzt bekommen und stellt Untersuchungshandlungen vor allem auch deshalb an, um der zivilprozessualen Beweispflicht nachkommen zu können. 49
Siehe dazu die Ausführungen oben S. 46 ff. Instruktiv hierzu Beckemper, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 15 Rn. 20 ff.; siehe auch Jahn, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 111 (123); Gercke, in: FS für Wolter (2013), 933 (937) m.w.N. 51 Anderes gilt aber nach § 432 Abs. 1, 2 StGB, wenn das Unternehmen als Einziehungsbeteiligter in Betracht kommt. In dieser Konstellation ist der Beteiligte wie ein Beschuldigter anzuhören. Erscheint glaubhaft, dass das Unternehmen ein Recht an dem Gegenstand hat, so gelten im Falle einer Vernehmung nach § 432 Abs. 2 StGB unmittelbar die Vorschriften der § 133 – 136a StPO. 52 Ähnlich Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (163). 53 Grundlegend zur Stellung des Nebenbeteiligten KG NJW 1978, 2406 (2407). 54 Vgl. dazu unten die Ausführungen zur Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen aus Unternehmensverteidigungen, S. 172 ff. 50
C. Zulässigkeit privater Ermittlungen im Strafprozess
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Auch wird es daran interessiert sein, den delinquenten Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu entfernen. Hier steht die Gefahrenabwehr im Vordergrund. Die Reaktion des Unternehmens dient zugleich der Wahrung der Unternehmenskultur und soll zukünftige Täter abschrecken. Kaum Relevanz besitzt demgegenüber das strafrechtliche Genugtuungsinteresse. Dieses wird durch das Interesse an der Wahrung des eigenen Ethikkodex ersetzt. Damit ist eine situative Vergleichbarkeit sowohl zur Rolle des Beschuldigten als auch zu der eines Verletzten im Strafverfahren gegeben.
2. Keine unmittelbare Übertragbarkeit von Beschuldigtenrechten Eine unmittelbare Übertragbarkeit der besonderen Ermittlungsrechte eines Beschuldigten scheitert aber an dem Umstand, dass sich ein Unternehmen als juristische Person des Privatrechts nicht auf den besonderen Schutz der Menschenwürde berufen kann. Die dargelegte weite Ermittlungsbefugnis einer natürlichen Person in der Position des Beschuldigten im Strafverfahren findet ihre Grundlage in der Gefahr, als Beschuldigter zum bloßen Objekt der staatlichen Ausforschung degradiert zu werden. Zwar ist anerkannt, dass sich auch Unternehmen hinsichtlich spezifischer Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die ein Unternehmen als Solches kennzeichnen (Recht am eigenen Namen, Recht am eigenen Bild/Marke) auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen können, wenn ihre soziale Geltung am Markt tangiert wird55. Die seitens der Rechtsprechung vorgenommene (sprachliche) Heranziehung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in diesen Fällen ist aber insoweit zu kritisieren, als eine Anwendung dieses Grundrechts mit dessen Wesensbezug zur Menschenwürde56 schwerlich vereinbar ist. Tatsächlich wird man diesbezüglich schlicht von einem sprachlichen Fehlgriff ausgehen müssen. Denn aus den entsprechenden Entscheidungen geht deutlich hervor, dass es der Rechtsprechung nicht darum ging, Unternehmen eine irgendwie geartete Form eines Würdeetiketts zuzugestehen. Die Frage einer sozialen Geltung des Unternehmens bzw. dessen Ansehen am Markt wird stets mit den wirtschaftlichen Konsequenzen infolge des Verstoßes gegen das „Markenrecht“ verknüpft57. Es geht also nicht um den Schutz des Integritätsinteresses d. h. dem Unternehmen als Solchem, sondern um dessen Reputation am Markt. Damit besteht ein fundamentaler Unterschied zur Begründung der Ermittlungsbefugnis eines Beschuldigten, der seine soziale Persönlichkeit zu verteidigen sucht und von den Belastungen des Strafverfahrens als Mensch in seiner engen persönlichen Lebenssphäre betroffen wird. Folglich lässt sich eine Ermittlungsbefugnis eines Unternehmens nicht einfach anhand des Rollenbildes einer natürlichen Person in der Situation eines Beschuldigten bestimmen. Dies bedeutet keinesfalls, dass Unternehmen ein eigenständiges Ermittlungsrecht abzusprechen ist oder sich Unternehmen per se nicht auf Beschuldigtenrechte be55 56 57
Vgl. BGH NJW 1986, 2951 m.w.N. BVerfGE 34, 291 = NJW 1973, 1221; BGH NJW 1986, 2951. BGH NJW 1986, 2951 (2952 ff.).
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
rufen können. Der Ansatzpunkt für die Begründung einer Ermittlungsbefugnis eines geschädigten Unternehmens ist aber nicht in dessen Lage als Untersuchungsobjekt im Strafverfahren zu suchen, sondern in der wirtschaftlichen Interessenlage des Unternehmens.
D. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch Unternehmen Ausgangspunkt der Begründung einer Ermittlungsbefugnis von Unternehmen kann demnach nur deren Verletztenstatus sein. Als verfassungsrechtliche Grundlage kommt nach der dargelegten Interessenlage die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Unternehmens in Betracht.
I. Grundrechtsschutz des ermittelnden Unternehmens Die Ermittlungsbefugnis eines Verletzten fußt primär auf seiner grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit und seiner Position als Verfahrenssubjekt. Damit steht die Frage im Raum, inwieweit sich auch ein Unternehmen in der Verletztenposition als juristische Person des Privatrechts auf den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann. Über Art. 19 Abs. 3 GG sind jedoch auch Personenvereinigungen des Privatrechts in den subjektiven Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit einbezogen, insbesondere soweit es um die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit geht58. Wenn die Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG die Verhaltensfreiheit schützt, kann der Bereich wirtschaftlichen Handelns hiervon nicht ausgenommen sein. Art. 2 Abs. 1 GG ist zugleich Ausdruck einer freien Marktwirtschaft, die maßgeblich nicht nur von Privatpersonen, sondern auch Unternehmen als juristischen Personen des Privatrechts geprägt wird, sodass auch eine grundrechtstypische Gefährdungslage59 besteht. Dem einzelnen Wirtschaftsteilnehmer – gleich ob Privatperson oder juristische Person – muss es möglich sein, sich am Markt zu positionieren60. Würde man juristische Personen hier aus dem Schutzbereich ausklammern, wären zudem die hinter dem Unternehmen stehenden Personen schutzlos gestellt. Es wäre widersinnig, wenn eine Privatperson, die sich zu ihrer Betätigung am Markt einer hierfür vorgesehenen Rechtsform bedient, hierdurch 58 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 10; siehe auch BVerfGE 4, 7 (12 ff.), BVerfGE 10, 89 (99); BVerfGE 23, 12 (30); BVerfGE 44, 353 (372). 59 Nach der h.M. in der Literatur ist eine wesensmäßige Anwendbarkeit eines Grundrechts gegeben, wenn eine grundrechtstypische Gefährdungslage besteht, d. h. die Lage einer juristischen Person der Lage einer natürlichen Person, die gegen den freiheitsgefährdeten Staat den Schutz des jeweiligen Grundrechts genießt, vergleichbar ist, vgl. Mutius, in: BK-GG, Art. 19 Abs. 3 GG m.w.N. 60 Hierzu eingehend Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 77 ff.
D. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch Unternehmen
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ihren Grundrechtsschutz verlieren würde. Gegenteilig erscheint es aus diesem Grunde gerade zwingend, den Grundrechtsschutz auch auf Unternehmen als juristische Personen des Privatrechts auszudehnen61.
II. Umfang der Ermittlungsbefugnis Ausgehend von den Grundsätzen des Art. 2 Abs. 1 GG findet die Ermittlungsbefugnis von Unternehmen ihre Grenze in der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG. Auf die sich hieraus ergebenden Grenzen wird im folgenden Kapitel ausführlich eingegangen. Zuvor sei zur Stützung des aufgefundenen Ergebnisses auf einige weitere Aspekte hingewiesen, die eine Ermittlungsbefugnis für Unternehmen im Zuge repressiver Compliance-Maßnahmen notwendig erscheinen lassen und die besondere Reichweite dieses Ermittlungsrechts verdeutlichen. 1. Implementierung von Compliance-Systemen Aus der Leitungsaufgabe einer Geschäftsführung resultiert die (faktische) Pflicht, ein unternehmensinternes Überwachungssystem einzurichten, um Regelkonformität des Unternehmens sicherzustellen und entsprechenden Haftungsansprüchen präventiv zu begegnen62. Wenngleich zivilrechtliche Aufsichtspflichten nicht zur Begründung einer Ermittlungsbefugnis dienen können, da ein zivilrechtlicher Pflichtenkreis nur soweit reichen kann, wie sich das eingeforderte Verhalten im Einklang mit der allgemeinen Rechtsordnung bewegt, dürfen aus den zivilrechtlichen Leitungsaufgaben gleichwohl gesetzgeberische Tendenzen abgeleitet werden, die für die Reichweite der Ermittlungsbefugnis fruchtbar gemacht werden können. Mit Blick auf die rechtlichen Anforderungen in diesem Bereich wird man ein repressives Vorgehen auch deshalb für zulässig erachten müssen, damit sich die Rechtsordnung nicht selbst in unauflösbare Widersprüche verstrickt. Es wäre grotesk, wenn ein Unternehmen Verstöße gegen die eigene Unternehmenskultur, die regelmäßig auch erhebliche finanzielle Schädigungen beinhalten, zwar feststellen dürfte, es dem Unternehmen aber versagt wäre, diese aufzuklären und die Erkenntnisse für sich zu nutzen. Zur Sicherstellung einer Funktionseffizienz bedarf es gerade eines Zusammenspiels von präventiver Aufklärung und repressiver Reaktion.
61
Insbesondere das BVerfG stellt zur Frage einer Einbeziehung von juristischen Personen in den Schutzbereich eines Grundrechts maßgeblich auf die hinter der juristischen Personen stehenden Personen ab (sog. personales Substrat) und sieht eine Rechtfertigung dann als geboten an, wenn der „Durchgriff“ auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen dies als sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt, vgl. BVerfGE 21, 362 (369). 62 Vgl. S. 58 ff.
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
2. Der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz Besondere praktische Bedeutung genießt in diesem Zusammenhang auch der bereits angesprochene Beibringungsgrundsatz im Zivilprozess: Wenn der Staat im privatrechtlichen Verfahren den Parteien die Verfahrensherrschaft überträgt und einfordert, das Bestehen eines Anspruchs darzulegen63, muss der Staat den Parteien auch die Möglichkeit geben, die entsprechenden Beweismittel zu erheben. Im Falle betriebsinterner Verstöße liegt es in der Natur der Sache, dass umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen erforderlich sind, um eine entsprechende Beweislage zu erhalten. Die enge Verzahnung zwischen der Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche und staatlicher Straftatermittlung tritt hier offen zu Tage64. 3. Arbeitsrechtliche Regelungen Ähnliches ergibt sich dabei auch durch einen Rekurs auf arbeitsrechtliche Vorschriften sowie die für das Arbeitsrecht bedeutsame Entscheidungspraxis des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Möchte ein Unternehmen in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber wegen des Verdachts einer Straftat eine Verdachtskündigung aussprechen, ist das Unternehmen nach ständiger Rechtsprechung des BAG bereits aus seiner arbeitgeberrechtlichen Fürsorgepflicht verpflichtet, eine umfassende, objektive Aufklärung des Vorwurfs sicherzustellen65 sowie im Falle der Erhärtung des Verdachts mögliche Beweismittel für die Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern66. Auch hier sind die arbeitsrechtlichen Regelungsvorgaben, die maßgeblich dem Schutz des Arbeitnehmers dienen, nur zu verwirklichen, wenn einem Unternehmen ein umfassendes Beweisermittlungsrecht zugestanden wird. 4. Systematische Einbindung Privater in die staatliche Strafverfolgung Finanzielle Zwänge und die besondere Sachnähe von Unternehmen haben in den letzten Jahren verstärkt zu einer systematischen Einbindung privater Unternehmen in die staatliche Strafverfolgung geführt. Die gesetzlichen Melde- und Überwachungspflichten im Wertpapierhandelsgesetz, Kreditwesengesetz oder Geldwäschegesetz belegen eine zunehmende Inpflichtnahme privater Akteure bereits auf der
63 Zum sog. Verhandlungsgrundsatz im Zivilprozess vgl. Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 37 ff. 64 Ähnlich Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch die Straftat Verletzten, S. 33. 65 BAG NZA 2008, 809 (810) m.w.N.; siehe auch Fuchs, in: Bamberger/Roth, § 626 BGB Rn. 49. 66 BAG NZA-RR 2006, 440 (442); OLG München NZG 2009, 665 (666); LAG Hamm CCZ 2015, 94.
D. Zulässigkeit von Ermittlungshandlungen durch Unternehmen
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Ebene der Verdachtsgewinnung67. Daneben setzt der Staat auch gezielt Anreize für geschädigte Unternehmen, Einfluss auf das zu verhängende Strafmaß zu nehmen, wenn diese bereit sind, eine eigenständige Sachverhaltsaufklärung durchzuführen68. Eine funktionierende Selbstreinigung innerhalb eines Unternehmens senkt das Strafbedürfnis und ist als positives Nachtatverhalten bei Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen69. Eröffnet der Staat jedoch derartige Optionen, muss es einem Unternehmen umgekehrt durch das Zugeständnis eines entsprechenden Handlungsspielraums auch möglich sein, diese bestmöglich wahrzunehmen, zumal sich eine Duldung von Fehlverhalten negativ auswirken kann. 5. Der Erlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch der Gesetzgeber von einem sehr weiten Spielraum der Unternehmen bei der Vornahme unternehmensinterner Untersuchungen ausgeht, wie sich aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ableiten lässt. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG lautet: „Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“
Die 2009 als Übergangsvorschrift70 in das BDSG eingefügte Norm dient der Verbesserung des Arbeitnehmerdatenschutzes und hat insbesondere das Ziel, Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz wirksam vor Bespitzelungen zu schützen71. Die materiell-rechtlichen Einschränkungen eines Ermittlungsvorgehens durch die Einforderung eines Straftatverdachts mit entsprechenden Dokumentationspflichten und einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung finden ihre Grundlage im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Die Beschränkung der repressiven Unternehmensmaßnahmen wäre allerdings überflüssig, wenn Unternehmen ein repressives Vorgehen von vornherein nicht bzw. mit Blick auf die Position des Unternehmens als Verletzten nur eingeschränkt gestattet wäre. Vielmehr zeigt die starke Restriktion, dass der Gesetzgeber im Grundsatz von einem sehr weiten Ermitt-
67
Siehe u. a. § 10 WpHG, § 11 GwG, § 24c KWG. Zu Recht kritisch zu diesen repressiv wirkenden Anzeigepflichten Böse, ZStW 119 (2007), 870. 68 Vgl. oben S. 84 ff. 69 Ebenda. 70 § 32 BDSG war ursprünglich nur als Provisorium bis zu einer umfassenden Novellierung des Beschäftigtendatenschutzes gedacht, vgl. BT-Drs. 16/13657, S. 20. 71 Vgl. Gola/Schomerus, BDSG, § 32 Rn. 1.
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3. Kap.: Zulässigkeit unternehmensinterner Befragungen
lungsrecht eines geschädigten Unternehmens ausgeht72. Die Vorschrift steht somit in ihrer Ratio im Einklang mit den tatsächlichen Gegebenheiten im wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Unter Berücksichtigung der dargelegten Reichweite der staatlichen Gewaltausübung ist § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG darüber hinaus als Antwort des Gesetzgebers auf die stetig wachsende Bedeutung der Erhebung und Verarbeitung moderner Daten zu interpretieren, was bei der Darlegung der Grenzen unternehmensinterner Befragung noch kritisch zu würdigen sein wird73.
III. Ermittlungen durch beauftragte Rechtsanwälte Rechtsanwälte sind zur Sachverhaltsaufklärung im Mandatsverhältnis berufen und verpflichtet. Dies gilt nicht nur für den Anwalt des Beschuldigten, zu dessen ureigenen Aufgaben es gehört, aktiv nach Entlastungsargumenten, Fehlern in der Tatsachenfeststellung und Rechtsverstößen der Ermittlungsbehörden bei der Beweissammlung zu suchen, sondern auch für den Verletztenbeistand74. Der Beistand des Verletzten leitet seine Handlungskompetenzen unmittelbar von der Position des Verletzten ab. Er hat somit grundsätzlich die gleichen Rechte wie der seine Privatund Grundrechte eigenständig wahrnehmende geschädigte Bürger, auf die sich auch das Unternehmen als juristische Person berufen kann. Dem Verletztenanwalt stehen demnach ähnliche Ermittlungsrechte wie dem Strafverteidiger zu. Er kann eigene Recherchen durchführen und insbesondere Angestellte des Unternehmens als Zeugen befragen, soweit es zur pflichtgemäßen Sachaufklärung erforderlich ist. Sein Auftrag, der sich aus der Stellung des Unternehmens ableitet, besteht in einer Rekonstruktion des Sachverhalts und der Herbeischaffung von Beweismitteln für eine bestmöglich belastende Tatsachengrundlage gegen die beschuldigten Mitarbeiter zur Geltendmachung von Regressansprüchen, sowie der hiermit verbundenen Entlastung des Unternehmens, das sich regelmäßig dem Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung ausgesetzt sieht. Die grundsätzliche Absicht, gegen einen beschuldigten Mitarbeiter gezielt zulässige Beweismittel zusammenzutragen, um eine Verurteilung zu erreichen, ist dabei weder verfahrensrechtlich noch standesrechtlich bedenklich, sondern entspricht dem gesetzlichen Bild des Strafantrags (§ 158) und der dargelegten Einbindung des Verletzten ins Strafsystem75. Die Kompetenzen des fragenden Rechtsanwalts bei der
72
Zustimmend Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 15 Rn. 36 ff. 73 Siehe dazu unten S. 189 ff. 74 Knierim, in: FS für Volk (2009), 247 (259); Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 39 ff. 75 Ähnlich Knierim, in: FS für Volk (2009), 247 (260).
E. Ergebnis
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Durchführung unternehmensinterner Befragungen folgen also aus dem Rechtskreis seines Auftraggebers76.
E. Ergebnis Private Ermittlungen sind im Grundsatz zulässig. Unternehmen können sich als juristische Personen des Privatrechts bei der Vornahme unternehmensinterner Befragungen auf die grundrechtlich geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit berufen. Der Maßstab ihrer Ermittlungsbefugnis ergibt sich aus ihrer primären strafprozessualen Rolle als Verletzten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich Unternehmen wegen der Schwierigkeiten bei der Aufklärung wirtschaftskrimineller Handlungen im Unternehmen regelmäßig nicht auf das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden verlassen können, der Gesetzgeber aber zugleich ein konsequentes Handeln der Unternehmen einfordert und das Ergreifen repressiver Maßnahmen voraussetzt. Unternehmen ist daher ein sehr weitreichendes Ermittlungsrecht zuzusprechen. Auf diese Ermittlungsbefugnis können sich auch Rechtsanwälte berufen, die seitens des Unternehmens mit der Durchführung unternehmensinterner Befragungen beauftragt werden.
76 Knierim, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, S. 200; Wuttke, Straftäter im Betrieb, S. 52.
4. Kapitel
Grenzen unternehmensinterner Befragungen Im vorangegangenen Kapitel wurde herausgearbeitet, dass Unternehmen im Grundsatz eine sehr weitreichende Befugnis bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen zusteht. Damit kommt der Frage nach den konkreten Grenzen unternehmensinterner Befragungen herausragende Bedeutung zu. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind naturgemäß vielfältig. Wir müssen uns daher bei unseren Überlegungen auf die zentralen Aspekte beschränken. Für die staatlichen Akteure ergeben sich Handlungsvorgaben aus den Vorschriften und Prinzipien des Strafverfahrensrechts und deren Bindung an die Grundrechte. Das private Handeln des Unternehmens wird demgegenüber durch arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Vorgaben bestimmt. Besonderes Augenmerk verdient der Schutz der Rechte des beschuldigten Mitarbeiters.
A. Strafprozessrechtliche Rahmenbedingungen Die Ausarbeitung der rechtlichen Grenzen bei der Vornahme unternehmensinterner Befragungen wird überwiegend aus dem privatrechtlichen Blickwinkel beleuchtet1. Der unternehmensinterne Aufklärungsprozess wird aber nicht nur von der privatrechtlichen Ebene zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmt. Durch den staatlichen Zugriff auf die ermittelten Ergebnisse ist ein weiterer Akteur in den Vorgang einbezogen, der das Geschehen maßgeblich beeinflusst. Gerade in komplexen Fällen kommt es vermehrt vor, dass sich Ermittlungsbehörden sogar schwerpunktartig auf die Ergebnisse interner Untersuchungen stützen2. Im Folgenden soll zunächst überlegt werden, welche Handlungspflichten den Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen obliegen. Maßgeblich hierfür sind die Vorschriften des Strafprozessrechts.
1 2
So auch die Analyse von Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (749). Wettner/Mann, DStR 2014, 655 (656).
A. Strafprozessrechtliche Rahmenbedingungen
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I. Die Bedeutung der Offizialmaxime Das staatliche Gewaltmonopol3 findet in der Offizialmaxime seinen unmittelbaren Niederschlag. Wie sich aus den §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO ablesen lässt, sind Straftaten von Amts wegen durch die staatlichen Behörden und nicht durch Private zu ermitteln4. Der Staat besitzt somit nicht nur einen materiellen Strafanspruch, sondern ihm wird zugleich die Pflicht auferlegt, diesen von Amts wegen durch besonders verpflichtete Personen durchzusetzen. Richtigerweise erstreckt sich der Offizialgrundsatz daher nicht nur auf das Ermittlungsverfahren, sondern umfasst das gesamte Strafverfahren bis zum Urteil5. 1. Kein Ausschluss privater Mitwirkung Der durch das Offizialprinzip erfolgende Ausschluss des Verletzten von der staatlichen Strafverfolgung wird durch tatsächliche wie rechtliche Umstände durchbrochen. Zum einen setzt eine staatliche Strafverfolgung eine entsprechende behördliche Kenntnis (Anfangsverdacht) voraus, sodass ein Verletzter ein Strafverfahren mitunter bereits durch das Nichtanzeigen der Schädigung seiner Rechtsgüter faktisch verhindern kann. Zum anderen wird der Offizialgrundsatz durch die (reinen) Antragsdelikte und die Ermächtigungsdelikte eingeschränkt6. Durch das Offizialprinzip wird der Staatsanwaltschaft ein Recht zum Einschreiten eröffnet, jedoch kein absolutes Ermittlungsmonopol für sie begründet. Bereits der Wortlaut der Vorschriften gibt für die Annahme eines Ermittlungsmonopols nichts her. Aus dem Fehlen eines entsprechenden Ermittlungsverbots für Private ist vielmehr abzuleiten, dass der Gesetzgeber einer grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit auch im Bereich der Mitwirkung an der staatlichen Strafverfolgung Rechnung trägt7.8 Daneben ist nicht einzusehen, weshalb sich der Staat bei der Durchsetzung seines Strafanspruchs nicht auch der Mithilfe Privater bedienen soll, solange hierdurch die Unabhängigkeit des staatlichen Urteils unbeeinträchtigt 3
Zum staatlichen Gewaltmonopol bereits grundlegend oben, vgl. S. 122 ff. Beulke, in: LR-StPO, § 152 StPO Rn. 5; Schoreit, in: KK-StPO, § 152 Rn. 9. 5 Schroeder, GA 1985, 485. 6 Näher Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 10 ff. 7 Aus den genannten Durchbrechungen zum Offizialgrundsatz wird allerdings vereinzelt gefolgert, dass das Ermittlungshandeln eines Privaten einer besonderen gesetzlichen Legitimation bedarf, wenn ein strafprozessualer Anfangsverdacht besteht, so explizit Reeb, Internal Investigations, S. 37, der insoweit die Vorschrift des § 32 BDSG als Ermächtigungsgrundlage für das investigative Vorgehen eines Unternehmens ansieht. Dies überzeugt schon deshalb nicht, weil § 32 BDSG nur als Übergangsvorschrift gedacht war und nicht die für eine Ermächtigungsgrundlage notwendige Regelungsdichte aufweist (vgl. BT-Drs. 16/13657). Zudem würde eine solche Sichtweise das grundrechtlich geschützte Ermittlungsrecht eines Unternehmens in unzulässiger Weise verkürzen. 8 Vgl. dazu bereits die Ausführungen oben S. 132 ff. 4
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
bleibt9. Wer einen vollständigen Ausschluss jeglicher privater Einflüsse aus dem staatlichen Ermittlungsverfahren fordert10, übersieht schließlich, dass der Staat regelmäßig auf Zeugenaussagen nichtstaatlicher Personen angewiesen ist, bei denen bekanntlich stets zu befürchten ist, dass der Inhalt ihrer Aussage von eigenen Interessen bestimmt wird. Hier ist nicht nur an bewusst zweckgesteuerte Informationseinflüsse zu denken, sondern auch an unbewusste Übertreibungen, Wichtigtuereien und ähnliche emotionsgetriebene Verhaltensmuster11. In diesen Fällen sind die zuständigen Ermittlungs- und Urteilspersonen ebenfalls dazu berufen, den Wahrheitsgehalt der Aussagen mit der gebotenen Sorgfalt zu würdigen. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht ist der Staat bei der Aufklärung von Straftaten darüber hinaus auf die Mitwirkung Privater angewiesen12. Ein staatliches Ermittlungsverfahren ohne die Einbindung von Privaten ist daher realitätsfern. 2. Verbot eines „Outsourcings“ von Ermittlungshandlungen Wird Privaten ein eigenständiges Ermittlungsrecht eingeräumt, drängt sich nach den Feststellungen im Rahmen der Bestandsaufnahme13 die Frage auf, inwieweit es der Staatsanwaltschaft nach dem Offizialprinzip gestattet ist, konkrete Ermittlungstätigkeiten auf das private Unternehmen zu übertragen bzw. ein „passives Outsourcing“ vorzunehmen, indem bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen zunächst eine abwartende Rolle eingenommen und den unternehmensinternen Ermittlern bewusst das Feld überlassen wird. Der Begriff des Outsourcings bezeichnet in der Ökonomie die Verlagerung von Unternehmensaufgaben auf externe Dritte. Hinter dieser Vorgehensweise steht der Gedanke, dass bestimmte Aufgaben seitens Dritter effizienter erbracht werden können, als vom Unternehmen selbst. Ob sich der Fremdbezug von Leistungen, die bislang unternehmensintern erbracht wurden, tatsächlich lohnt, ergibt sich aus einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Für Aufgabenverlagerungen von Leistungen der öffentlichen Hand ist die betriebliche Kostenkalkulation aber als Entscheidungsmaßstab nicht anwendbar. Denn im Gegensatz zum privaten Unternehmen steht die grundsätzliche Leistungserbringung nicht zur Disposition der Behörden, sondern beinhaltet im Kern eine Verpflichtung zur Eigenleistung14. Aus der dem Offizialgrundsatz immanenten Kompetenzzuweisung folgt, dass es der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht frei steht, Ermittlungshandlungen gänzlich oder in we9 Weitergehend auch für das gerichtliche Zwischenverfahren Natale, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 35 Rn. 2 ff. 10 So wohl Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 96, 108 ff. 11 Zu den daraus resultierenden Anforderungen an die Begutachtung von Zeugenaussagen vgl. Offe, NJW 2000, 929. 12 Siehe dazu oben S. 81. 13 Vgl. S. 62 ff. 14 Ähnlich Kühne, GA 2013, 553 (553).
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sentlichen Teilen auf eigenständig agierende Private zu übertragen15. Ein vollständiges „Outsourcing von Ermittlungshandlungen16“ ist somit durch das Offizialprinzip ausgeschlossen. 3. Verbot der Beeinträchtigung staatlicher Ermittlungshandlungen Privaten ist es nach oben Gesagtem auch dann gestattet Ermittlungshandlungen vorzunehmen, wenn die Staatsanwaltschaft bereits ein staatliches Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Allerdings darf das private Ermittlungsrecht nicht dazu führen, dass die staatliche Beweiserhebung hierdurch negativ beeinträchtigt wird. Die gesetzliche Normierung des staatlichen Handlungsrechts beschränkt die Ausübung der privaten Handlungsfreiheit. Die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG benennt als Grenze der Handlungsfreiheit insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung. Folglich ist das repressive Vorgehen eines Unternehmens jedenfalls dann unzulässig, wenn es die Ermittlungstätigkeit der staatlichen Behörden als Grundlage der rechtstaatlichen Urteilsfindung ernstlich gefährdet17. Für diese Sichtweise spricht auch der Wortlaut des § 164 StPO, der die ungestörte Durchsetzung strafprozessualer Amtshandlungen sicherstellen soll und damit eine gesetzgeberische Konkretisierung und Eingriffsbefugnis bei grundrechtsbeeinträchtigenden Vorgängen darstellt18. Damit besteht ein gesetzlich normierter staatlicher Ermittlungsvorrang, dessen Durchsetzung der jeweils zuständigen staatlichen Stelle obliegt19. Die Behörde besitzt daher zwar kein gesetzliches Erstermittlungsrecht zur Aufklärung von Sachverhalten, durch das vorrangige Beweissammlungsrecht kommt ihr aber ein faktisches Ausschließungsrecht zu20. Aufgrund des Legalitätsprinzips handelt es sich dabei um eine gebundene Entscheidung. Die Staatsanwaltschaft ist daher verpflichtet, sich den notwendigen Freiraum zu verschaffen, um die ihr zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen. Diese grundlegende Feststellung gilt auch bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen. Der wissende Mitarbeiter ist die unmittelbarste und 15
Ebenso Wohlers, in: SK-StPO, § 160 Rn. 1. Wastl, ZRP 2011, 57 (58). 17 Ähnlich Jahn, StV 2009, 41 (43): „Grenze dürfte dort erreicht sein, wo die Ermittlungen durch privat organisierte ein Ausmaß annehmen, welches das aus dem Legalitätsprinzip fließende Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft im ganzen ernsthaft herausfordert.“ 18 Ebenso Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 35; Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten, S. 26; Wewerka, Internal Investigations, S. 145; a.A. Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 90 ff., der ausgehend von einem bestehenden Ermittlungsmonopol aus § 164 StPO ein Ermittlungsverbot für Private folgert. 19 Zur allgemeinen Verpflichtung der Staatsanwaltschaft von ihren gesetzlichen Ermittlungsbefugnissen (insb. Zwangsmaßnahmen) Gebrauch zu machen vgl. Schroeder, JZ 1985, 1028 (1033). 20 Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, 15 (34). 16
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
vielfach einzige Erkenntnisquelle21. Befragungen von Mitarbeitern können dazu führen, dass beschuldigte Mitarbeiter vorgewarnt werden und möglicherweise Beweismittel vernichten, bevor die Staatsanwaltschaft von deren Existenz Kenntnis erlangt22. Zudem könnte der beschuldigte Mitarbeiter aufgrund der Konfrontation mit Sachverhaltsdetails die Möglichkeit besitzen, sich auf die Befragung durch die staatlichen Ermittler schlüssig vorzubereiten und seine Aussagen entsprechend „zurechtzulegen“23. Auch die Klärung einer Verantwortlichkeit der Unternehmensführer24 wird erschwert, wenn diese durch die Aussage eines Mitarbeiters noch vor der Staatsanwaltschaft über die Umstände des Tatvorwurfs Kenntnis erlangen. Die dargelegten Gefahren begründen für sich genommen aber kein staatliches Einschreitungsrecht. Maßgeblich ist diesbezüglich allein die strenge Grenzziehung des § 258 StGB, der eine tatsächliche Verfolgungsvereitelung und eine unmittelbar auf die Herbeiführung dieses Erfolges gerichtete Handlung verlangt25. Im Rahmen ihrer Ermessensausübung hat die Staatsanwaltschaft jedoch auf eine zeitige Vernehmung der wichtigen Zeugen und des Beschuldigten hinzuwirken.
II. Die Bedeutung des Legalitätsprinzips Durch das in §§ 152 Abs. 2, 160 StPO und § 170 Abs. 1 StPO zum Ausdruck kommende Legalitätsprinzip im Strafrecht wird die rechtliche Befugnis zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zur gesetzlichen Pflicht. Das Verhalten der zuständigen Strafverfolgungsbehörde bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen wird somit wesentlich durch die Wahrnehmung ihrer Legalitätspflicht bestimmt. 1. Das Legalitätsprinzip im Strafverfahren Durch die Vorschriften der §§ 151, 152 Abs. 1 StPO wird der Staatsanwaltschaft das gesetzliche Anklagemonopol zugewiesen. Die Initiative zur Strafverfolgung geht somit nicht wie noch zu Zeiten des Inquisitionsprozesses vom Richter selbst aus, sondern erfordert das Auftreten der Staatsanwaltschaft als staatlichem Ankläger, der zugleich die Interessen des Angeklagten zu berücksichtigen hat26. Der Staatsan21
Vgl. oben S. 71. Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, 15 (34). 23 Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, 15 (34). 24 Zu den konkreten Strafbarkeitsrisiken vgl. oben S. 30 ff. 25 Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 258 StGB Stree/Hecker, in: Schönke/ Schröder, § 258 StGB Rn. 11 ff. 26 Durch den Inquisitionsprozess wurde das Strafverfahren erstmals vollständig in die Hände des Staates gelegt. Die Auffindung der materiellen Wahrheit als übergeordnetes Ver22
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waltschaft kommt damit eine elementare Funktion im Strafverfahren zu. Ihre Mitwirkung im Strafprozess ist konstitutiv, womit der Behörde zugleich eine Kontrollstellung zuteilwird27. Durch die gesetzlich normierte Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Erhebung der öffentlichen Klage bringt der Gesetzgeber zudem zum Ausdruck, dass die Strafverfolgung grundsätzlich allein Sache des Staates ist und von Amts wegen (ex officio) durchgesetzt wird28. Prägend für das Verständnis der gesetzgeberischen Ausgestaltung des Legalitätsprinzips ist die Automatik der Entscheidung der verpflichteten Behörde: Liegt ein bestimmter Sachverhalt vor, wird per Gesetz ein prozessualer Mechanismus zur Durchsetzung des materiellen Strafanspruchs in Gang gesetzt29. Die Vorschrift des § 152 Abs. 2 StPO, die die Staatsanwaltschaft gesetzlich verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten und bei Vorliegen eines entsprechenden Tatverdachts Anklage zu erheben, ist daher als gesetzliches Korrelat ihres Anklagemonopols zu verstehen30. Das Legalitätsprinzip beinhaltet damit einen Verfolgungs- und Anklagezwang, was eine entsprechende Ausermittlung des Sachverhalts als notwendige Vorverpflichtung miteinschließt31. Eine Konkretisierung dieser Ermittlungspflicht findet sich schließlich in § 160 StPO, der durch die Weisung der Behörde, bei entsprechenden Hinweisen den Sachverhalt zu erforschen (Abs. 1), eine Aufklärungspflicht normiert, die sich insbesondere auch auf die den Beschuldigten entlastenden Umstände erstreckt (Abs. 2)32. Den klaren gesetzlichen Handlungsvorgaben fehlt es jedoch an einer hinreichenden inhaltlichen Umsetzungspräzisierung. So lässt der Gesetzgeber insbesondere offen, mit welchem Aufwand und welcher Intensität die Ermittlungen zu führen fahrensziel war an klare Beweisgrundsätze gebunden. Problematisch war aber, dass das Ermittlungsverfahren und die anschließende Rechtsprechung gemeinsam in der Hand des Richters lagen. Erst unter dem Einfluss der französischen Revolutionsjahre und den Ideen Montesquieus wuchs in Deutschland die Überzeugung, dass derjenige, der die Ermittlungen geführt hat, der Würdigung der Ergebnisse nicht mehr so unbefangen gegenübersteht, wie es das Amt des urteilenden Richters verlangt. Mit der Einführung der Staatsanwaltschaft sollte das Strafverfahren rechtsstaatlicher gestaltet werden: Die Trennung zwischen staatlicher Anklage und gerichtlicher Entscheidung sollte Objektivität gewährleisten und den Bürger vor gerichtlicher Willkür schützen. Das Organ der Staatsanwaltschaft darf daher nicht auf die staatliche Aufgabe der Strafverfolgung reduziert werden. Instruktiv zu Ursprung und Bedeutung des Inquisitionsprozesses Ignor, Geschichte des Strafprozesses, S. 41 ff.; siehe auch Hettinger, JZ 2011, 292. Konkret zur Entstehung des Organs der Staatsanwaltschaft Wohlers, Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft. 27 In Anlehnung an die historische Konzeption der Staatsanwaltschaft wird in diesem Zusammenhang treffend von einer „Wächterfunktion“ der Staatsanwaltschaft gesprochen, vgl. etwa Roxin, DRiZ 1997, 109 (110). 28 Vgl. Beulke, in: LR-StPO, § 151 Rn. 2. 29 Eingehend Mayer, Das Opportunitätsprinzip in der Verwaltung, S. 11; Weigend, ZStW 109 (2007), 103 ff. 30 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 152 Rn. 2. 31 Ähnlich Jeutter, Sinn und Grenzen des Legalitätsprinzips im Strafverfahren, S. 6. 32 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 160 Rn. 14; Eschelbach, HRRS 2008, 190 (193).
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sind33. Damit weist das Ermittlungsverfahren gegenüber dem gerichtlichen Verfahren, insbesondere gegenüber der Hauptverhandlung, einen fundamentalen Unterschied auf34 : Während Formen und Mittel der Sachverhaltserforschung und der Gang der gerichtlichen Hauptverhandlung durch feste Regelungen bestimmt werden, ist das Ermittlungsverfahren durch eine weitaus größere Formfreiheit gekennzeichnet. Zwar wird der Handlungsspielraum des zuständigen Staatsanwalts durch strafprozessuale und verfassungsrechtliche Handlungsschranken begrenzt. Innerhalb dieses weiten gesetzlichen Rahmens ist er jedoch in der Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens frei und besitzt ein weites taktisches Handlungsermessen35. 2. Die Einbeziehung privater Erkenntnisse vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips Ausgehend von dem Versuch einer inhaltlichen Präzisierung des Legalitätsprinzips soll im Folgenden erörtert werden, wie sich die Wahrnehmung der Legalitätspflicht auf das Verhalten der Staatsanwaltschaften bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen auswirkt. a) Berücksichtigung von Ressourcenbegrenztheit und praktischen Aufklärungshürden Im Zusammenhang mit unternehmensinternen Befragungen wird zur Rechtfertigung des staatlichen Handelns regelmäßig auf die staatliche Ressourcenbegrenztheit und praktische Aufklärungshürden verwiesen36. Damit steht zunächst die Frage im Raum, inwieweit derartige praktischen Umstände bei der Beurteilung der staatlichen Handlungsprämisse berücksichtigt werden dürfen, das gesetzliche Leitbild in seiner realen Umsetzung also von äußeren Umständen beeinflusst wird. In diesem Fall wären alternative, ressourcensparende Vorgehensweisen staatlicher Strafverfolger, die der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dienen, von vornherein nicht als Gefahr für eine konsequente Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu werten, sondern vielmehr als dessen an der Realität ausgerichteten Umsetzung. Inwieweit verfahrensökonomische und sonstige praktische Umstände als legitime Aspekte bei der Beurteilung von Rechtsvorgängen Berücksichtigung finden dürfen, 33 Ebenso Weßlau, in: SK-StPO, vor §§ 151 ff. Rn. 5. Anders hingegen Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 113 ff., 158 ff., der von einer „verdachtsproportionalen Sachverhaltserforschung“ ausgeht. 34 Hierzu und dem Folgenden Erb, in: LR-StPO, § 160 Rn. 35; siehe auch Rieß, in: FS für Rebmann (1989), 381 (396 ff.). 35 Vgl. BVerfG NJW 1996, 771 (772); Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 161 Rn. 7; Nehm, in: FS für Meyer-Goßner (2001), 277 (278); Plöd, in: KMR-StPO, § 152 Rn. 9. 36 Vgl. etwa Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (85).
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ist im Schrifttum streitig37. Die Problematik einer grundsätzlich zielführenden Lösung zuzuführen, kann – sofern dies angesichts der völlig konträren Gegenpositionen überhaupt möglich ist – im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden38. Angesichts der Tatsache, dass gerade im Bereich der Aufklärung von unternehmensintern begangenen Straftaten ein besonders hoher Ressourceneinsatz notwendig ist, liegt der Weg zu verfahrensökonomischen Lösungsansätzen aber sehr nahe. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden zu einem effektiven Einschreiten39, was eine Nutzung der unternehmensseitig vorhandenen Ressourcen miteinschließt. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Insiderwissen für die Aufklärung betrieblichen Fehlverhaltens40 ist die Einbindung des privaten Unternehmens als elementarer Baustein eines konsequenten Vorgehens gegen Wirtschaftskriminalität anzusehen41. Es ist daher ebenso richtig wie konsequent, dass Staatsanwaltschaften vermehrt dazu übergehen, private Unternehmen in das staatliche Ermittlungsverfahren einzubinden, um den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen. Durch eine grundsätzliche Befürwortung verfahrensökonomischer Aspekte als Grundlage einer Einbeziehung von Privaten in das staatliche Ermittlungsverfahren ist aber noch keine Erkenntnis zur legitimen inhaltlichen Umsetzung einer solchen Vorgehensweise gewonnen. Die Heranziehung ökonomischer Maßstäbe („Effizienz“) scheidet an dieser Stelle aus, weil es hierfür bereits an den notwendigen mathematischen Faktoren fehlt42. Die Tätigkeit der öffentlichen Hand ist nicht dem 37 Während einige Autoren die Berücksichtigung begrenzter staatlicher Ressourcen und die allgemeine Überlastung der Justiz als wesentlichen Umstand ansehen und aus diesem Grunde notfalls bereit sind, gewisse Abstriche bei Gerechtigkeit und Rechtssicherheit in Kauf zu nehmen (so explizit Kapahnke, Opportunität und Legalität im Strafverfahren, S. 144, ähnlich Kerl, ZRP 1986, 314), betonen andere, dass sich die vom Staat zur Verfügung gestellten Ressourcen an den Erfordernissen eines sachgerecht bestimmten Schutzes der Gesellschaft zu orientieren haben und nicht umgekehrt (Schmidhäuser, JZ 1973, 529 (536); Hohendorf, NJW 1987, 1177 (1180)). 38 Verwiesen sei an dieser Stelle aber auf die grundlegenden Überlegungen zur Überbrückung dieser Gegensätze von Erb, Legalität und Opportunität, S. 164. 39 Diemer, in: KK-StPO, § 151 Rn. 4 m.w.N. 40 Vgl. oben S. 71 ff. 41 Ähnlich bereits Krey, Problematik privater Ermittlungen des durch die Straftat Verletzten, S. 38 ff.; Knierim, in: FS für Volk (2009), 248 (257 ff.); ders., in: Rotsch (Hrsg.), ComplianceDiskussion, 77 (85); Schmidt, Kriminalistik 2013, 134 (138); Wimmer, in: FS für I. Roxin (2012), 537 (551). 42 Zwar ließen sich ohne weiteres die Kosten der zuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft errechnen und hierdurch einen „Ersparnisbetrag“ feststellen. Dieser wäre aber rein fiktiv und nicht mit einer tatsächlichen Kostenersparnis verbunden, weil es sich bei Staatbeamten um vorhandene Ressourcen handelt, deren Koste nicht von ihrer Inanspruchnahme abhängen. Siehe dazu auch Kühne, GA 2013, 553 (553 ff.), der diesbezüglich darauf hinweist, dass der durch Privatisierung erlangte „diffuse Vorteil an Zeit- Ressourcengewinn“ in keinem der bekannten Fälle zu einer Reduktion des Personals oder einer zusätzlichen Arbeitsübernahme durch die begünstigen Stellen geführt hat.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
strengen Prinzip der berechenbaren Leistung pro Arbeitnehmer unterworfen43. Ökonomische Prinzipien sind daher nicht geeignet, konkrete Hinweise zur Ausgestaltung der Legalitätspflicht der Staatsanwaltschaft zu liefern. b) Pflicht zur Einbeziehung privat erlangter Erkenntnisse Befragungsprotokolle und sonstige Dokumentationen können für die Aufklärung des Sachverhalts von wesentlicher Bedeutung sein. Die Klärung der entscheidenden Frage, ob die Voraussetzungen für eine Anklage vorliegen, kann in derartigen Fällen regelmäßig nur beantwortet werden, wenn ein Zugriff auf die intern ermittelten Erkenntnisse erfolgt44. Bereits aus dem Wortlaut der §§ 151 Abs. 1, 160 Abs. 1 StPO sowie § 94 Abs. 1 StPO folgt bei Vorliegen eines Anfangsverdachts45 eine Pflicht der zuständigen staatlichen Stellen, die privat ermittelten Erkenntnisse im Rahmen des rechtlich Zulässigen46 in das staatliche Ermittlungsverfahren einzubeziehen. Dies gilt wegen der Gesetzesbindung der Staatsanwaltschaft unabhängig davon, ob eine Kooperation mit dem Unternehmen gegeben ist oder nicht47. Auch die Möglichkeit eines Beweisverwertungsverbotes ändert hieran nichts, da die von staatlicher Seite zu beurteilende Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes eine eingehende Würdigung des Beweismittels voraussetzt. c) Die Pflicht zur eigenständigen Tatsachenermittlung als Grundlage einer besonderen Nachermittlungspflicht Durch den Zugriff auf Erkenntnisse unternehmensinterner Untersuchungen wird die staatliche Entscheidung über die Anklageerhebung berührt. Denn der zuständige Staatsanwalt bildet seine Überzeugung schließlich auch auf Grundlage von Unterlagen, die ein Privater erstellt hat. Diese Tatsache kann auch nicht mit dem Hinweis entkräftet werden, dass der Gesetzgeber durch die gewollte Formfreiheit des Ermittlungsverfahrens den handelnden Personen größtmöglichen Ermessenspielraum zubilligen wollte und die Herkunft der Unterlagen dahinstehen kann, sofern nur eine objektive Abschlussentscheidung getroffen wird. Vielmehr führt die abstrakt-generelle Gesetzestechnik gerade umgekehrt dazu, dass die Ausübung der Legali43
Kühne, GA 2013, 553 (553). Ebenso Klahold/Berndt, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 3 Rn. 13; siehe auch Wimmer, in: FS für I. Roxin (2012), 537 (551). 45 Zu den geringen Voraussetzungen des Anfangsverdachts Diemer, in: KK-StPO, § 151 Rn. 7. 46 Zu den Grenzen der Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft sogleich unten S. 165 ff. 47 Allerdings steht es den Staatsanwaltschaften insbesondere zur Sicherstellung eines effektiven Vorgehens und zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes selbstverständlich frei, strafprozessuale Zwangsmaßnahmen nach der Mitarbeit des Unternehmens auszurichten (z. B bei einer freiwilligen Herausgabe relevanter Unterlagen). 44
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tätspflicht nicht auf das Treffen einer objektiven Abschlussentscheidung reduziert werden kann: Die Unendlichkeit aller möglichen Lebenssachverhalte führt zwangsläufig dazu, dass im festzulegenden Gesetz nicht alle für die Beurteilung jedes denkbaren Einzelfalles notwendigen Wertentscheidungen vorgeben werden können48. Das Gesetz kann nur in abstrakt-genereller Form typische Konstellationen beschreiben, welche die praktischen Einzelfälle mehr oder weniger treffend abzubilden versuchen. Die konkrete Subsumtion, d. h. die Frage, ob der zu beurteilende Sachverhalt tatsächlich unter den vom Gesetzgeber vorgegebenen Tatbestand passt, obliegt dann der Beurteilung des zuständigen Staatsanwalts49. Die Tatsachenermittlung und die Rechtsanwendung sind daher untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig50. Die (rechtlichen) Entscheidungen im Ermittlungsverfahren beruhen folglich nicht einseitig auf einer rechtlichen Bewertung der Tat, sondern sind das Ergebnis eines hermeneutischen Gesamtaktes51, weshalb sich auch die aus dem Legalitätsprinzip resultierenden Pflichten auf die Vornahme dieses Gesamtaktes erstrecken müssen und sich nicht in der bloßen Realisierung von Rechtsfolgen erschöpfen dürfen52. Entscheidungsträger sind daher verpflichtet, die Grundlage ihrer Entscheidung selbst zu ermitteln bzw. vorhandenes Beweismaterial zu überprüfen. Sofern von staatlicher Seite auf privat ermittelte Erkenntnisse zugegriffen wird, begründet die als Ausfluss des Legalitätsprinzips anzusehende Aufklärungspflicht im Falle einer Entgegennahme privater Ermittlungsergebnisse demzufolge eine besondere Pflicht zur Nachermittlung. Die zuständigen Behörden müssen in der praktischen Umsetzung zunächst überlegen, welche der privat ermittelnden Erkenntnisse sie ihrer Entscheidung über den Fortgang des staatlichen Strafverfahrens zugrunde legen möchten und die dort vorgebrachten Umstände im Anschluss durch die Vornahme eigenständiger Sachverhaltsermittlungen überprüfen53. 48
So bereits Erb, Legalität und Opportunität, S. 31. Zustimmung verdienen daher die Ausführungen von Leitmeier, JR 2013, 64 (64), der darauf hinweist, dass bei Tatsachenfeststellungen als auch bei Wertungen ein subjektiver Einschlag des Urteilenden unvermeidlich sei. Die Komplexität der zu beurteilenden Sachverhalte lasse keinen „Paragrafenautomatismus“ zu, weshalb das Ideal Montesquieus vom Richter als Sprachrohr des Rechts (Puppe, NStZ 2012, 409 (409)) nicht erreichbar sei. 50 Erb, Legalität und Opportunität, S. 32. Speziell zur Unmöglichkeit einer abstrakt-generellen Regelung des Vorliegens eines strafprozessualen Anfangsverdachts Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 ff. 51 So treffend Bohnert, Die Abschlußentscheidung des Staatsanwalts, S. 125 ff. 52 Überzeugend Erb, Legalität und Opportunität, S. 32 unter Verweis auf Bohnert, Die Abschlußentscheidung des Staatsanwalts, S. 129 ff. 53 Eine entsprechend umfangreiche Nachermittlung hat im Siemens-Fall wohl nicht stattgefunden. Zumindest steht fest, dass Befragungsprotokolle aus der internen Untersuchung an die zuständige Staatsanwaltschaft gelangt sind und auf eine eigene Vernehmung der genannten Zeugen seitens der Staatsanwaltschat verzichtet wurde, vgl. Hildebrand, Welt am Sonntag vom 21. 09. 2008. Zudem deuten auch Aussagen von Siemens-Mitarbeitern daraufhin, dass keine tatsächliche Nachprüfung der privat erlangten Beweismittel erfolgte, sondern sich die Anwälte von Debevoise und die Münchner Staatsanwaltschaft sogar darüber verständigt haben, wer 49
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d) § 170 Abs. 1 StPO als mittelbare Inhaltsbestimmung der Legalitätspflicht Hinsichtlich der inhaltlichen Ausübung der Legalitätspflicht auf dem Weg zu der Entscheidung fehlt es zwar – wie dargelegt – an gesetzlichen Vorgaben. Eine mittelbare Inhaltsbestimmung erfolgt aber durch das in § 170 Abs. 1 StPO formulierte gesetzliche Ziel der Ermittlungen: Es muss beurteilt werden, ob die ermittelten Tatsachen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten. Dies ist der Fall, wenn der Beschuldigte der Tat hinreichend verdächtig ist. Denn bei Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts muss das Gericht nach § 204 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen. Die Staatsanwaltschaft hat also bei Abschluss des Ermittlungsverfahrens eine Prognose im Sinne einer „vorläufigen Tatbewertung54“ zu stellen, ob eine Verurteilung des Täters wahrscheinlicher ist, als ein Freispruch55. Wenngleich Zweifel eine Taterhebung nicht ausschließen und die Aufklärung von Widersprüchen der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben kann56, muss sich ein Staatsanwalt nach der eigenständig (nach)ermittelten Sachlage folglich eine Beweislage verschafft haben, die eine derartige Prognoseentscheidung trägt. Dies setzt zum einen voraus, dass er durch Vernehmung der entsprechenden Zeugen, die tragenden Aussagen für seine Überzeugungsbildung verifiziert und vor dem Hintergrund des persönlich gewonnenen Eindrucks unabhängig würdigt. Zum anderen hat er mögliche Beschuldigte nach § 163a Abs. 1 StPO vor dem Abschluss der Ermittlungen im Rahmen einer Vernehmung anzuhören. Entsprechend der Vorschrift des § 160 Abs. 2 StPO hat er insbesondere auch Hinweisen nachzugehen, die der Entlastung des Beschuldigten dienen. Dies gilt umso mehr, wenn die vorgefundenen Beweismittel eine einseitige Beweislage zu Lasten eines beschuldigten Mitarbeiters aufweisen. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 163a Abs. 2 StPO, wonach der Beschuldigte einen Anspruch auf die Erhebung begründeter Beweisanträge hat57. schwerpunktmäßig in welchen Unternehmenssparten die Ermittlungen führt, um den Einsatz der finanziellen und personellen Ressourcen „zu optimieren“, vgl. die Recherchen von Wewerka, Internal Investigations, S. 208. 54 BGHSt 23, 304 (306); BGHSt 29, 224 (229). 55 BGHSt 15, 155 (158) = NJW 1960, 2346. 56 Grundlegend dazu BGH NJW 1970, 1543 (1544). 57 Von einem normierten Anspruch des Beschuldigten auf die beantragte Beweiserhebung gehen auch Erb, in: LR-StPO, § 163a Rn. 107 sowie Wohlers, in: SK-StPO, § 163a Rn. 86 aus. Der von der Gegenansicht vorgetragene Einwand, wonach kein Anspruch des Beschuldigten bestehe, sondern die Staatsanwaltschaft die Entscheidung über die Beweisbedeutung nach pflichtgemäßen Ermessen treffe (so etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 163a Rn. 15; Griesbaum, in: KK-StPO, § 163a Rn. 8) überzeugt dagegen nicht, da § 163a Abs. 2 StPO dem Beschuldigten ein über die allgemeine Ermittlungspflicht des § 160 Abs. 2 StPO hinausgehendes Recht zuspricht. Stützt sich der Beschuldigtenvorwurf maßgeblich auf Erkenntnisse, die von privater Seite ermittelt wurden, dürfte ein von der Gegenseite angenommenes Entscheidungsermessen über die Frage der Beweisbedeutung aber auch regelmäßig auf Null reduziert sein, da die Behörden aufgrund der Heranziehung der privaten Beweismittel eine besondere
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e) Der Verlust der Entscheidungshoheit als absolute Grenze Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang schließlich dem im Anklagemonopol zwingend enthaltenen Element der Entscheidungshoheit als Grundlage der staatsanwaltschaftlichen Abschlussentscheidung zu. Durch die Zuweisung der Entscheidungskompetenz über den Fortgang des Verfahrens wird der Staatsanwaltschaft zugleich die rechtliche Bewertung des zugrundeliegenden Sachverhalts auferlegt. Die rechtliche Würdigung der Beweismittel gehört damit zum unübertragbaren Kernbereich der staatlichen Eigenleistung58. Der Verlust der staatlichen Entscheidungshoheit bildet eine absolute Grenze für die Einhaltung der Legalitätspflicht und führt zu einem Verwertungsverbot, das seine Grundlage dann im Recht auf ein faires Verfahren findet59. Der hermeneutische Zusammenhang zwischen Beweiserhebung und Beweisbewertung führt dazu, dass die Beweiserhebung im Rahmen des tatsächlich Möglichen frei von äußeren Einflussnahmen zu erfolgen hat. Grundlage der rechtlichen Würdigung ist die von staatlicher Seite ermittelbare Wahrheitslage60, wie sie sich nach Abschluss der Ermittlungen darstellt. Halten wir uns nun die vielfach zu beobachtende Praxis von Unternehmen vor Augen, der Staatsanwaltschaft ein fertiges Beweismittelpaket zu übergeben61, so wird diese abstrakte Beurteilungsgrundlage durch einen vom Gesetzgeber nicht eingeplanten Dritten fundamental beeinflusst, was die Gefahr einer Beeinträchtigung beinhaltet: Die Zusammenstellung der Beweismittelpakete erfolgt durch juristische Spezialisten, die den Sachverhalt im Sinne des Unternehmens für die Strafverfolgungsbehörden verwertbar aufbereiten. Wegen der fehlenden Objektivität der privaten Ermittler, sind die zusammengestellten Ergebnisse naturgemäß interessengesteuert62. Zwar kann den Strafverfolgungsbehörden auch durch bewusste oder unbewusste Falschaussagen oder sonstige Beweismittel ein unzutreffendes oder zumindest „geschöntes“ Wahrheitsbild vermittelt Pflicht zur Beweisausermittlung trifft und darüber hinaus wegen der nur in Teilen eigenständig ermittelten Sachlage eine „Bedeutungswürdigung“ regelmäßig kaum möglich sein dürfte. 58 Ähnlich Theile, StV 2013, Editorial: „Das Monopol ist kein verzichtbares Recht, sondern es verpflichtet die Staatsanwaltschaft zur Vornahme von Ermittlungen und Sachverhaltsforschung. […] Dies schließt die eigene Prüfung und Beurteilung von Rechtsfragen ein […]“. 59 Vgl. hierzu sogleich unten S. 164 ff. 60 Das Strafverfahren zielt zwar auf die Ausforschung der materiellen Wahrheitslage ab. Das Urteilsbild unterliegt aber normativen (u. a. Strengbeweisverfahren, Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote) und faktischen (bspw. unzureichende Spurenlage) Grenzen, weshalb ein Gericht von vornherein keine „mathematische Gewissheit“ in Bezug auf den entscheidenden Sachverhalt gewinnen kann. Es geht im Strafverfahren folglich stets ausschließlich um die strafprozessuale Wahrheit des materiellen Rechts, vgl. hierzu Theile, NStZ 2012, 666 (666). 61 Vgl. hierzu oben S. 62 ff. 62 Vgl. S. 65 ff.: Unternehmen sehen die Chance, die Abstraktheit des Compliance-Gebietes in ihrem Sinne zu nutzen und als handelnder Akteur eigenständig Akzente zu setzen. Siehe hierzu auch Knierim, in: Rotsch (Hrsg.), Compliance-Diskussion, 77 (83 ff.: Unternehmen behält die „Deutungshoheit“).
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werden. Die Situationen sind jedoch nur auf den ersten Blick vergleichbar. Schenkt ein Staatsanwalt einem Belastungszeugen Glauben und erhebt daraufhin Anklage, so tangiert dies auch dann nicht seine Bewertungshoheit, wenn die Aussage materiell wahrheitswidrig ist. Denn der Staatsanwalt hat die Aussage als ergiebig angesehen und unter Einordnung in das ermittelte Gesamtbild gewürdigt. Im Falle vollständiger Beweismittelpakete scheidet eine Würdigung der vorgelegten Unterlagen in dieser Form aber vielfach aus, wenn Unterlagen widerspruchsfrei zusammengestellt wurden und lediglich eine bestimmte, und in sich klare Spurenlage aufweisen. Kommt es hier nur zu einer einfachen Nachprüfung der vorgelegten Beweismittel, kann dies leicht zu einem Verlust der Bewertungshoheit führen, weil er mangels Kenntnis eines eigenständig gewonnen Gesamtbildes der Beweislage die Bedeutung dieses Beweismittels nicht einzuordnen vermag63. Die staatliche Legitimität des Urteils wird nicht durch die materielle Richtigkeit der Entscheidungen der Beamten erlangt, sondern primär durch die Wahrung der Justizförmigkeit des Strafverfahrens vermittelt64. Letzteres setzt aber voraus, dass alle Entscheidungen, die dem Urteil zugrunde liegen, auch von staatlichen Personen in freier Ausübung ihrer Bewertungshoheit getroffen wurden. Die Würdigung rechtlicher Fragen muss daher den Strafverfolgungsbehörden vorbehalten bleiben65. Soweit ein Beweismittelpaket mit einer bestimmten Deutung verbunden ist, kann dies als Grundlage einer staatlichen Entscheidung nur insoweit Berücksichtigung finden, wie es den Entscheidungsträgern möglich ist, das betreffende Beweismittel
63 Ähnlich Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 83 („Einseitige Fixierung des Sachverhalts und der Ermittlungsrichtung“ durch den Verletzten). 64 Grundlegend Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 20 ff., 114 ff.; siehe dazu auch die Ausführungen auf S. 158 ff. 65 An dieser Stelle zeigt sich im Übrigen eine Parallele zur aktuellen Diskussion um die Vergabe von Rechtsgutachten durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden zur Bestimmung der Strafbarkeit: So beauftragte bspw. die Staatsanwaltschaft Leipzig im Strafverfahren Sachen-LB einen auf das Zivilrecht spezialisierten Rechtsanwalt als Sachverständigen, um das Vorliegen einer untreuerelevanten Pflichtverletzung zu klären. Der Gutachter mandatierte seinerseits eine große Wirtschaftsberatungsgesellschaft zur Unterstützung seiner Tätigkeit. Instruktiv zu Chancen und Risiken privater Sachverständiger Brüning, StV 2008, 100. Konkret zum dargelegten Fallbeispiel Kühne, GA 2013, 553 (554 ff.), der unter Verweis auf die systematische Stellung der Vorschriften zum Sachverständigen (§§ 72 ff. StPO) bei den Beweismitteln zu dem Ergebnis kommt, dass rechtliche Fragen nicht Gegenstand eines Sachverständigenbeweises sein können, weil diese nicht erhoben, sondern ausschließlich von staatlichen Behörden zu beantworten seien. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren Sachsen-LB kann daher nur „verstören“ (so treffend Theile, StV 2013, Editorial, der in diesem Zusammenhang die naheliegende Frage aufwirft, ob nicht die Einholung des Gutachtens im dargelegten Fall selbst eine Untreuehandlung darstellt.). Auch hier kann man sich freilich nicht auf den Standpunkt stellen, dass das Gutachten lediglich ein „normales“ Beweismittel darstellt und die Bewertungshoheit der Staatsanwaltschaft nicht tangiert, da es allein der Staatsanwaltschaft obliegt, zu entscheiden, inwieweit sie den Bewertungen des Gutachtens folgt. Schließlich liegt auf der Hand, dass die Unfähigkeit zu dieser Entscheidung gerade Grund und Anlass der „Sachverständigenbestellung“ war.
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eigenständig und widerspruchsfrei in das von staatlicher Seite ermittelte Tatsachenbild einzuordnen66.
III. Die Bedeutung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit Der Grundsatz der Unmittelbarkeit gilt für die Hauptverhandlung und besagt, dass das erkennende Gericht die für die Urteilsfindung bedeutsamen Tatsachen selbst feststellen muss. Zu diesem Zweck räumt die Vorschrift des § 250 StPO der Vernehmung einer Person, die einen Vorgang wahrgenommen hat, den Vorrang ein vor der Verlesung einer Urkunde, in der die betreffende Auskunftsperson darüber berichtet (sog. Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis)67. Während § 250 Satz 1 StPO dem Gericht auferlegt, eine Person zu vernehmen, auf deren Wahrnehmungen der Beweis einer Tatsache beruhen soll, normiert Satz 2 der Vorschrift zugleich ein Verbot, wonach die unmittelbare Vernehmung einer Person nicht durch die Verlesung eines Protokolls einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden darf68. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, im Interesse einer optimalen Sachverhaltsaufklärung das erkennende Gericht zu einer Würdigung des unmittelbaren Beweismittels zu verpflichten und eine Beweisführung durch Beweissurrogate auszuschließen69. Die Protokolle unternehmensinterner Befragungen dokumentieren die Aussagen der Mitarbeiter. Es handelt sich um die schriftlichen Aufzeichnungen eines privaten Dritten über die Wahrnehmungen des Mitarbeiters, die im Wege des Urkundenbeweises in das staatliche Strafverfahren Eingang finden. Vor dem Hintergrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes erscheint fraglich, ob sich eine Beweisführung auf die Befragungsprotokolle stützen darf bzw. ob geständige Einlassungen von Arbeitnehmern überhaupt in der Hauptverhandlung verlesen werden dürfen. Gegen letzteres spricht nach einer Ansicht in der Literatur speziell die Existenz des § 254 StPO70. Nach dieser Vorschrift dürfen zum Zweck der Beweisaufnahme über ein 66
Bezogen auf die Mitwirkung privater Sachverständiger ebenso Brüning, StV 2008, 100 (103), die eine Mitwirkung eines Sachverständigen dann als unzulässig ansieht, wenn dessen Wirken mit einer Bewertung des Beweismittels verbunden ist. So dürfe ein zur Rekonstruktion von Dateien beauftragter Computerspezialist bspw. keine Vorauswahl der zu berücksichtigenden Dateien treffen, da die Staatsanwaltschaft ihre Beurteilung unter Berücksichtigung aller abwägungsrelevanten Fakten vornehmen müsse. Auch das LG Kiel, Beschluss v. 14. 08. 2006, 37 Qs 54/06 = NJW 2006, 3224 sah es als rechtswidrig an, wenn einem Sachverständigen weite Teile des Ermittlungsverfahrens zur selbstständigen und ausschließlichen Bearbeitung überlassen werden. 67 BGHSt 51, 325 (328); Mosbacher, NStZ 2014, 1 (2). 68 BGHSt 6, 209 (210). 69 Vgl. RGSt 33, 128 ff.; ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte und den Motiven des Gesetzgebers Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren, S. 106 ff. 70 So insbesondere Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (267 ff.).
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Geständnis nur solche Protokolle verlesen werden, die bei einer richterlichen Vernehmung angefertigt wurden. Nicht verlesbar sind dagegen Protokolle von Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei71. Unter einem Geständnis ist in diesem Zusammenhang nicht nur das vollumfängliche Zugestehen der Straftat zu verstehen, sondern auch die Preisgabe sonstiger Umstände, die für die Schuld oder Rechtsfolgenfrage von Bedeutung sein können72. Unseren Überlegungen zufolge findet § 252 S. 2 StPO bzw. § 254 StPO unstreitig dann Anwendung, wenn das Vorgehen der privaten Ermittler den staatlichen Behörden aufgrund eines zielgerichteten Einsatzes der Privatpersonen unmittelbar zugerechnet werden muss73. Denn dann ist die Mitarbeiterbefragung nichts anderes als eine (staatliche) Vernehmung. Fraglich ist aber, ob ein Verlesungs- oder gar Verwertungsverbot aus § 254 StPO auch dann abzuleiten ist, wenn eine staatliche Beteiligung fehlt und es sich um ein privates Vorgehen handelt. Im Schrifttum wird dies teilweise im Wege eines „Erst-recht-Schlusses“ bejaht: Die Vorschriften der §§ 250 ff. StPO brächten schon eine besondere Skepsis des Gesetzgebers gegenüber einfachen amtlichen Protokollen zum Ausdruck, weshalb diesem Normkomplex erst recht ein Verbot zur Verlesung privatschriftlicher Vernehmungen zu entnehmen sei74. Insbesondere hinsichtlich der Vorschrift des § 254 StPO sei es unsinnig, wenn zum Beweis des Vorliegens eines Geständnisses die Vorschrift die Verlesung von Protokollen polizeilicher oder staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen verbieten sollte, die Einführung von Erkenntnissen repressiver Befragungen auf diesem Weg aber zulässig wäre75. In der Tat erscheint es auf den ersten Blick wenig einleuchtend, weshalb Protokolle unternehmensinterner Befragungen, die ihrem Wesen nach staatlichen Vernehmungen entsprechen76, anders behandelt werden sollen, als Protokolle staatlicher Vernehmungen, zumal dem Beschuldigten bei einer Vernehmung durch staatliche Organe die strafprozessualen Rechte der §§ 136 ff. StPO zustehen. Bei Lichte betrachtet findet diese Ungleichbehandlung ihre Berechtigung jedoch gerade im Sinn und Zweck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass § 254 StPO keine abschließende Regelung beinhaltet. Die Norm stellt eine systematische Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz dar, weshalb sich deren Anwendungsbereich nur in Zusammenschau mit der Vorschrift des § 250 S. 2 StPO bestimmen lässt77. Der Ausgangspunkt unserer 71
Vgl. Diemer, in: KK-StPO, § 254 Rn. 1 ff. RGSt 54, 126 (127); siehe auch Diemer, in: KK-StPO, § 254 Rn. 3. 73 Siehe dazu die Ausführungen oben S. 106 ff. 74 Vgl. Mansdörfer, jM 2014, 167 (173); ähnlich Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (267 ff.); für ein Verwertungsverbot wegen des Verstoßes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz auch Knierim, StV 2009, 324 (330). 75 Vgl. Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (267 ff.), der aus einer entsprechenden Anwendung des § 254 StPO zugleich ein Verwertungsverbot folgert, das sich seines Erachtens nach auch auf die zeugenschaftliche Einvernahme der die Vernehmung durchführenden Personen erstreckt. 76 Siehe dazu die Ausführungen oben S. 85 ff. 77 Zustimmend Mosbacher, NStZ 2014, 1 (5). 72
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Überlegungen muss daher die Frage bilden, ob die Protokolle unternehmensinterner Befragungen überhaupt von dem Verbot des § 250 S. 2 StPO erfasst werden. Liegt keine staatliche Steuerung der Befragung vor78, kommt wegen der privaten Handlungsqualität allein der Fall einer „schriftliche Erklärung“ des Mitarbeiters bzw. des internen Ermittlers über die Aussageinhalte des Mitarbeiters in Betracht. Die genaue Reichweite der gesetzlichen Formulierung an dieser Stelle ist allerdings umstritten79: Das Reichsgericht und ein großer Teil des Schrifttums verstehen darunter wegen des Sinn und Zwecks des Verbots alle schriftlichen Aufzeichnungen, die Beobachtungen derjenigen Person enthalten und wiedergeben, auf die die Aufzeichnungen zurückzuführen sind80. Sowohl bei Beweis- als auch bei Zufallsurkunden fehle dem Gericht die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit der Berichtsurkunde zu beurteilen81. Nach dieser weiten Interpretation des Wortlauts des § 252 S. 2 StPO wären auch Protokolle unternehmensinterner Befragungen erfasst82. Die herrschende Gegenansicht möchte den Anwendungsbereich hingegen auf Schriftstücke beschränken, die von vornherein zu Beweiszwecken verfasst worden sind83, was nur bei Angaben gegenüber staatlichen Stellen oder staatlich beauftragter Personen der Fall sein kann84. Die Verlesung von nicht ausdrücklich zu Beweiszwecken errichteter Zufallsurkunden, wie außerhalb des staatlichen Verfahrens verfasster Briefe oder sonstige private Aufzeichnungen, zu denen auch die Protokolle von Befragungen unternehmensinterner Untersuchungen zählen, ist hiernach in jedem Fall möglich und begründet keinen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz85. Für die letztgenannte Ansicht spricht, dass die Formulierung der „schriftlichen Erklärung“ im systematischen Zusammenhang mit dem Begriff der Vernehmung stehen muss, da die explizite Nennung des Vernehmungsbegriffs an dieser Stelle sonst weitestgehend überflüssig wäre. Vor allem aber wiederspräche es dem in der Sicherstellung einer optimalen Sachverhaltsaufklärung liegenden Zweck des § 250 StPO, aus dem Urkundenbeweis alles auszuscheiden, was Gegenstand des Zeu78 Von einem Verlust der Qualität einer privaten Ermittlung kann nur ausgegangen werden, wenn eine zielgerichtete staatliche Beeinflussung der privaten Handlungen erfolgt. Zur Abgrenzung zwischen privaten und staatlichem Handeln vgl. oben S. 87 ff., S. 111 ff. 79 Siehe dazu eingehend Sander/Cirener, in: LR-StPO, § 250 Rn. 7 ff. 80 RGSt 26, 138; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 2086 m.w.N. 81 Eisenberg/Pincus, JZ 2003, 397 (400). 82 Befürwortend Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 102 ff. 83 Vgl. etwa BGHSt 6, 141 (143); 20, 160 (161); BGH NStZ 1982, 79; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, S. 461 ff. m.w.N. 84 Zwar hat die Bestandsaufnahme gezeigt, dass unternehmensinterne Untersuchungen regelmäßig auch zum Zwecke einer späteren Verwertung der Erkenntnisse im Zivil- und Strafverfahren durchgeführt werden. Dies rechtfertigt jedoch keine Gleichstellung mit Protokollen staatlicher Vernehmungen. 85 Mosbacher, NStZ 2014, 1 (2).
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genbeweises sein kann86. Denn dadurch würde die Verwendung der wegen ihrer Unbefangenheit zum Beweis gerade besonders geeigneten Zufallsurkunden eingeschränkt oder gänzlich verhindert, wenn keine der Ausnahmen der §§ 251 ff. StPO eingreift87. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass privat erstellte Schriftstücke im Gegensatz zu Protokollen staatlicher Vernehmungen regelmäßig eigene Überlegungen oder Bemerkungen des Verfassers enthalten und diesbezüglich selbst die unmittelbarste Erkenntnisquelle und das zuverlässigste Beweismittel darstellen88. Dies trifft auch auf Protokolle unternehmensinterner Befragungen zu, die regelmäßig mehr enthalten, als die bloße Wiedergabe des gesprochenen Wortes. Ein Verzicht auf die schriftlichen Befragungsprotokolle als Beweismittel ist schließlich nicht tragfähig, weil es im Zusammenhang mit unternehmensinternen Befragungen regelmäßig an einer mündlichen Aussage als notwendigem Beweisäquivalent fehlen dürfte. Das Verbot des § 250 S. 2 StPO darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit Satz 1 der Vorschrift, der eine Erweiterung der bereits vorhandenen Beweismittel gebietet89. Dies ist sinnvoll und möglich, da auf die staatlichen Vernehmungspersonen als unmittelbarere Auskunftsquelle jederzeit zugegriffen werden kann. Die Vorschrift des § 250 StPO will demnach die Sachaufklärung fördern, keinesfalls behindern90. Würde man aber nun die Protokolle unternehmensinterner Befragungen auch dem Verbot des § 250 S. 2 StPO unterstellen, bedeutet dies regelmäßig eine Beweisbegrenzung. Damit wären nämlich nicht nur die neben den eigentlichen Aussagen des Mitarbeiters angefügten Bemerkungen der Fragepersonen der richterlichen Beweiswürdigung entzogen. Vor allem ginge das Gebot des § 250 S. 1 StPO ins Leere, wenn die Befragungen durch externe Rechtsanwälte durchgeführt würden. Ihre Vernehmung käme vor dem Hintergrund des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 55 StPO schließlich nur in Betracht, wenn sie durch das Unternehmen, das sie mandatiert hat, von ihrer Schweigepflicht entbunden werden91. Die Vorschriften der §§ 250 ff. StPO dienen aber nicht dem Schutz des Unternehmens oder des beschuldigten Mitarbeiters, sondern zielen auf eine bestmögliche Sachverhaltsaufklärung ab. Die hier vertretene Ansicht verkennt nicht, dass im Falle geständiger Einlassungen im Rahmen der unternehmensintern geführten Interviews, den entsprechenden Dokumentationen ein vermeintlich entscheidendes Beweisbild anhaftet. Der Grund hierfür liegt aber in den spezifischen Problemen des Geständnisses, dessen vermeintlich evidenter Beweiswert im starken Widerspruch zur tatsächlichen 86
Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 250 Rn. 8; Sander/Cirener, in: LR-StPO, § 250 Rn. 8. Sander/Cirener, in: LR-StPO, § 250 Rn. 8. 88 Vgl. BGHSt 6, 209 (212); Mosbacher, NStZ 2014, 1 (2). 89 Siehe dazu Schneidewin, JR 1951, 481 (482): Positive und negative Seite desselben Gedankens. 90 Mosbacher, NStZ 2014, 1 (2). 91 Zum Zeugnisverweigerungsrecht in diesen Fällen Greeve/Tsambikakis, in: Knierim/ Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 17 Rn. 71; siehe auch Volk/ Verjans, in: MAH Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 8 Rn. 49. 87
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Unsicherheit dieses Beweismittels steht92. Ob sich das Gericht mit dem Verlesen unternehmensinterner Befragungsprotokolle begnügen darf oder zu deren richtigem Verständnis zusätzlich auch den Verfasser hören muss, ist nach alledem daher keine Frage des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, sondern eine Frage der Aufklärungspflicht und der Beweiswürdigung.
IV. Die Bedeutung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung § 261 StPO enthält den Grundsatz der sogenannten freien richterlichen Beweiswürdigung, der neben der Pflicht zur Erforschung der Wahrheit (§ 244 Abs. 2 StPO) in besonderer Weise das Beweisrecht bestimmt. Für die Würdigung von Erkenntnissen aus unternehmensinternen Untersuchungen folgt hieraus eine besondere Sorgfalts- und Dokumentationspflicht. 1. Gesetzliches Regulativ zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung verpflichtet den Tatrichter seine Überzeugung aus dem „Inbegriff“ der Hauptverhandlung zu schöpfen, was bedeutet, dass er sich ausschließlich auf seine Wahrnehmungen in der Hauptverhandlung stützen darf93. Der Begriff der persönlichen Überzeugungsbildung stellt auf die subjektive Gewissheit des Tatrichters von der objektiven Wahrheit der entscheidungserheblichen Tatsachen ab94. Diese muss aber objektiv auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage beruhen95. Die Beweiswürdigung muss „erschöpfend“ sein. Der Richter hat sich daher mit allen wesentlichen, den Angeklagten belastenden oder entlastenden Indizien, auseinanderzusetzen, wobei es nicht auf eine isolierte Bewertung einzelner Vorgänge und Erkenntnisse ankommt, sondern eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist96. Der Wert des einzelnen Beweismittels ist unter Berücksichtigung aller Umstände jeweils konkret im Einzelfall zu bestimmen97. Bezogen auf unseren Untersuchungsgegenstand bedeutet dies, dass die vorläufigen Erkenntnisse der einseitigen Ermittlungen im Vorverfahren durch Beweiserhebun-
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Vgl. dazu Eschelbach, in: FS für Rissing van Saan (2011), S. 115 (121 ff.). Ott, in: KK-StPO, § 261 Rn. 1. 94 BGH NStZ 1983, 277. 95 Vgl. hierzu BVerfG NJW 2003, 2245 mit zustimm. Besprechung Herdegen, NJW 2003, 3515 ff. 96 BGH NStZ-RR 2010, 152 (153). 97 BGH StraFo 2007, 243 (betreffend zweifelhafter Zeugenaussage). 93
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gen in der Hauptverhandlung zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren sind98. Mit der Vorschrift des § 261 StPO hält das geltende Strafprozessrecht somit auf der Ebene der Urteilsfindung ein spezielles Regulativ bereit, das den dem Beweismittel anhaftenden Besonderheiten Rechnung tragen kann und zusammen mit dem Erfordernis des zweifelsfreien Schuldnachweises den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren gewährleistet99. 2. Pflicht zur sorgfältigen Beweiswürdigung Die Pflicht zur umsichtigen Beweiswürdigung gilt nach den dargelegten Grundsätzen in besonderem Maße, wenn die Überzeugungsbildung des Gerichts auf Beweismitteln beruht, die zumindest teilweise aus einer unternehmensinternen Untersuchung stammen100. Dies folgt aus dem Umstand, dass diese Beweismittel wegen ihrer Herkunft nicht als objektive Beweismittel angesehen werden können, sondern von den Interessen des Privaten geprägt sind und gilt umso mehr, wenn die Unterlagen im Rahmen einer Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden übergeben wurden und auf eine Überführung eines delinquenten Mitarbeiters abzielen101. Hier ist es Aufgabe des Tatrichters auf die Herkunft der Beweismittel zu reagieren und den ermittelten Sachverhalt kritisch zu hinterfragen, um eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung zu schaffen. Hierzu muss er sicher wissen, welche Beweismittel von Privaten in das staatliche Ermittlungsverfahren eingebracht wurden und welche Beweismittel von staatlicher Seite herrühren102, was eine entsprechende Dokumentation der Herkunft der Beweismittel im Ermittlungsverfahren bedingt103. Nur wenn der Tatrichter den genauen Weg des Beweismittels von seiner Entstehung bis zu seiner Einbringung in das staatliche Verfahren kennt, kann er schließlich beurteilen, ob die Interessenfärbung des Beweismittels durch den Privaten einen Grad erreicht hat, der nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens zu einem Beweisverwertungsverbot führen muss104 oder zumindest Zurückhaltung hinsichtlich des Beweiswertes dieser Informationen gebietet105. 98 Ebenso in ähnlichem Zusammenhang jüngst Eschelbach, GA 2015, 545 (550), der zugleich kritisiert, dass diese Kontrollfunktion in der Praxis zunehmend ausgehöhlt wird, indem Erkenntnisse aus dem Vorverfahren ungefiltert in der in den Akten niedergelegten Version in die Hauptverhandlung transportiert werden. 99 Grundlegend dazu BVerfGE 57, 250 (275) = NJW 1981, 1719 (1723). 100 Ähnlich Knierim, StV 2009, 329 (329); Raum, StraFo 2012, 395 (399); siehe auch Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 256. 101 Vgl. hierzu oben S. 120 ff. 102 Zur Bedeutung einer klaren Zuordnung von Beweismitteln Hassemer/Mattussek, Das Opfer als Verfolger, S. 82 ff. 103 Ebenso Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 256. Zur besonderen Dokumentationspflicht noch eingehend unten S. 142 ff. 104 Zum Verwertungsverbot wegen Verstößen gegen das Recht auf ein faires Verfahren sogleich unten S. 144 ff. 105 Siehe dazu auch Raum, StraFo 2012, 395 (399).
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Dabei ist der Einfluss des Privaten auf das konkrete Verfahren stets im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände zu bewerten106. Bei Unterlagen, die von externen Rechtsanwälten unabhängig vom Einfluss des Unternehmens erstellt wurden, kann grundsätzlich von einer höheren Objektivität der Ermittlungsergebnisse ausgegangen werden107, was jedoch aus den betreffenden Unterlagen selbst hervorzugehen hat. Handelt es sich bei den übergebenden Beweismitteln um Protokolle interner Befragungen ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, die konkreten Umstände zu würdigen, unter denen die Befragungsinhalte zustande gekommen sind. Dabei muss zuvorderst geklärt werden, ob die dargelegten Dokumentationen der Befragung den tatsächlichen Aussageinhalt wiedergeben und ob der Befragungsvorgang vollständig protokolliert wurde. Aussagen von Zeugen und Beschuldigten sind hinsichtlich ihrer Beweiskraft per se mit erheblichen Problemen behaftet108. Diese Probleme verstärken sich, wenn die Aussagen nicht persönlich gehört werden, sondern nur in schriftlicher Form vorliegen, da eine Glaubwürdigkeitsprüfung in diesem Fall ausscheidet. Befragungsprotokolle dürften wohl nur dann überhaupt als tragfähige Grundlage eines Urteils in Betracht kommen, wenn das Gericht die dort enthaltenen Aussagen in ein – ggf. auch nachträglich ermitteltes – feststehendes Beweisbild einzuordnen vermag und den Entstehungshintergrund, d. h. die konkreten Umstände der Befragung, kennt. Für die Beurteilung der Beweiskraft der protokollierten Aussagen spielt eine wesentliche Rolle, ob es sich bei den Befragungsprotokollen um bloße Gedächtnisaufzeichnungen der Interviewer handelt, oder diese eine lückenlose Dokumentation der Befragungssituation im Sinne eines Ablaufprotokolls beinhalten. Letzteres bedingt insbesondere eine detaillierte Auflistung der anwesenden Personen sowie die schriftliche Erfassung der Inhalte der Befragungssituation im genauen Wortlaut, angefangen von einer möglichen Belehrung des Mitarbeiters109 bis hin zu den konkreten Fragen und den darauf gegebenen Antworten. Nur auf diese Weise kann beispielsweise beurteilt werden, ob bestimmte Aussagen möglicherweise wahrheitswidrig unter dem Eindruck arbeitsrechtlicher Sanktionen oder der Aussicht auf arbeitsrechtliche Amnestie110 getätigt wurden111. Besonders hoher Beweiswert 106 VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. 02. 2014 – VGH B 26/13 („Steuer-CD“) = wistra 2014, 240. 107 Knierim, StV 2009, 324 (331). 108 Eingehend zur Problematik von Zeugenaussagen Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1362 ff.; Ott, in: KK-StPO, § 261 R. 31a ff.; zur freien Beweiswürdigung von Zeugenaussagen in der Rechtssprechung des BGH jüngst auch Miebach, NStZ-RR 2014, 233 (233 ff.). 109 Dazu noch eingehend unten S. 243 ff. 110 Zum Instrument arbeitsrechtlicher Amnestien in diesem Zusammenhang siehe oben S. 77 ff. 111 Zu denken wäre auch an Situationen, in denen Mitarbeiter unter der Zusage eines Verzichts auf arbeitsrechtliche Sanktionen (sog. Amnestie) in Verkennung des strafrechtlichen Risikos freimütig Verstöße gegen Compliance-Richtlinien einräumen, die eingeräumten Ver-
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kommt Befragungsprotokollen zu, die vom Zeugen oder Beschuldigten in Gegenwart seines Rechtsanwaltes nach Abschluss der Befragung unterzeichnet wurden112. Der Richtigkeit wesentlicher Aussageinhalte muss sich das erkennende Gericht im Rahmen des Möglichen113 jedoch durch eine persönliche Vernehmung der Mitarbeiter sowie ggf. auch der Fragepersonen114 in der Hauptverhandlung vergewissern. Hinsichtlich des konkreten Inhalts einer Kooperation der Staatsanwaltschaft mit den privaten Ermittlern ist an eine Vernehmung der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu denken115. Besondere Bedeutung – auch im Hinblick auf eine Überprüfung des Urteils durch die Rechtsmittelgerichte – besitzt die Dokumentation der erschöpfenden Beweiswürdigung in den Urteilsgründen116 : Das erkennende Gericht muss hier deutlich machen, welche Beweismittel es zu seiner Überzeugungsbildung herangezogen hat, von wem diese Beweismittel herrührten und wie diese im Einzelfall speziell vor dem Hintergrund der privaten Herkunft gewürdigt worden sind117.
V. Die Bedeutung des Fairnessgebots Das Recht auf ein faires Verfahren ist nicht ausdrücklich normiert, lässt sich jedoch aus Art. 6 Abs. 1, S. 1 EMRK und dem in Art 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ableiten118. Als zentrale Forderung beinhaltet es die Verpflichtung, verfahrensrechtliche Mindestvorkehrungen zum Schutz subjektiver Rechte zu schaffen und einzuhalten119. Das Recht auf ein faires Verfahren kann daher nicht auf bestimmte Ge- oder Verbote reduziert werden, sondern lässt sich vielmehr als ein
stöße jedoch so nicht geschehen sind bzw. auf weiteren, unerwähnten unternehmensseitig zu verantwortenden Umständen beruhten. 112 Dazu noch später unten S. 255 ff. 113 Soweit die Befragungen durch externe Rechtsanwälte durchgeführt werden, kommt deren Vernehmung als Zeugen vor dem Hintergrund des § 55 StPO wohl nur in Betracht, wenn sie durch das Unternehmen, das sie mandatiert hat, von der Schweigepflicht entbunden werden. 114 Ähnlich Knierim, StV 2009, 324 (331): Berichtsverfasser sind zu „Anlaß, Ziel, Fachkunde, Methodik und Inhalt der Feststellungen“ zu befragen. 115 Vgl. Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (752). Siehe auch jüngst in erfreulicher Deutlichkeit VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. 02. 2014 – VGH B 26/13 („Steuer-CD“) = wistra 2014, 240 (241): Der VerfGH betonte, dass in Fällen ungewöhnlicher Beweiserhebungen die konkreten Umstände der Beweiserhebung im Einzelnen vorzutragen und im Hinblick auf ein Beweisverwertungsverbot zu überprüfen sind. Unterbleibe dies, habe „das Gericht die erforderlichen Ermittlungen selbst vorzunehmen“. 116 Grundlegend dazu BGH StV 2008, 289. 117 Ähnlich Raum, StraFo 2012, 395 (399). 118 BVerfGE 26, 66 (71); BGHSt 24, 125 (131); Steiner, Fairnessprinzip, S. 33 ff. m.w.N. 119 BVerfGE 38, 105 (111); Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 104.
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allgemeines prozessuales Recht mit Auffangcharakter bezeichnen120. Es besitzt demnach eine Kontroll- und Berichtigungsfunktion im Sinne einer allgemeinen due process-Klausel121. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber dem Fairnessgebot bei der Ausgestaltung der Strafprozessordnung weitesgehend Rechnung getragen hat und Verstöße daher grundsätzlich ausschließlich an den strafprozessualen Kautelen zu messen sind122. Ein Rückgriff auf den fair-trial-Grundsatz kommt demnach nur in Betracht, wenn die existierenden Vorschriften dem Beschuldigten im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz bieten123. 1. Unternehmensinterne Untersuchungen als von der StPO nicht vorgesehene Sonderkonstellation Es wurde bereits festgestellt, dass die Vornahme unternehmensinterner Untersuchungen für beschuldigte Mitarbeiter besondere Gefahren bergen und strafprozessuale Schutzmechanismen zu unterlaufen drohen. Mit der Abgrenzung zwischen staatlichen und privaten Handeln im Falle unternehmensinterner Befragungen und den angestellten Überlegungen zu Bedeutung und Auswirkungen von Offizial- und Legalitätsprinzip und der Pflicht zur sorgfältigen Beweiswürdigung wurde die Wahrung rechtsstaatlicher Mindeststandards anhand normierter Grundsätze bereits unter verschiedenen Blickwinkeln erörtert. Die Bedeutung des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit wird an späterer Stelle erörtert werden124. Nur punktuelle Würdigung hat bislang aber ein grundsätzliches Problem der zunehmenden Einbindung privater Unternehmen in das staatliche Strafverfahren erfahren: Durch die systematische Einwirkung des privaten Unternehmens und die hiermit regelmäßig verbundene Übergabe von privat ermittelten Erkenntnissen wird die klassische Verfahrensstruktur der StPO aufgeweicht, die gerade auch dem Schutz des Beschuldigten dient. Die Regelungen der StPO sind nicht auf das systematische Aufklärungsvorgehen eines ermittlungspotenten Unternehmens zugeschnitten, sondern gehen nach ihrer Konzeption von einer Sachverhaltsaufklärung durch staatliche Organe aus. Der gesetzlich nicht reglementierte Transfer privat erlangter Beweismittel in das staatliche Verfahren offenbart daher eine Schutzlücke, die gänzlich nur unter Rückgriff auf den Grundsatz des fairen Verfahrens zu schließen
120 Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 101; Steiner, Fairnessprinzip, S. 45 ff.; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 11 Rn. 5. Zu Unterschied und Gemeinsamkeiten von strafprozessualer Fürsorgepflicht und fair-trial-Grundsatz Schmidt, Strafprozessuale Fürsorgepflicht und fair trial, S. 92 ff. 121 Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 102. 122 BVerfGE 63, 45 (61); BGHSt 42, 170 (172). 123 Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (391 ff.). 124 Vgl. unten S. 200 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
ist125. Konkret steht damit die Frage im Raum, welche rechtsstaatlichen Mindeststandards über die bereits getroffenen Feststellungen hinaus bei der Einbeziehung privat erlangter Erkenntnisse in das staatliche Strafverfahrens seitens der zuständigen Institutionen erfüllt sein müssen, um dem Procedere eine rechtsstaatliche Anerkennung zuzusprechen. 2. Auswirkungen des Fairnessgebots im Falle einer Einbeziehung privat ermittelter Erkenntnisse Das Recht auf ein faires Verfahren verlangt in besonderer Weise eine Aufklärung des Sachverhalts als hinreichende tatsächliche Grundlage der späteren richterlichen Entscheidung126. Der Fokus des Fairnessgebots liegt nicht nur auf der inhaltlichen Aufklärung, d. h. der Schaffung einer tragfähigen Entscheidungsgrundlage als notwendige Bedingung eines gerechten Urteils, sondern nimmt auch den Weg der Entscheidungsfindung in den Blick: Zum Schutz der Rechte des Beschuldigten muss sichergestellt werden, dass im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung „die vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahrensstruktur beachtet wird“127. Das Fairnessgebot tritt im staatlichen Ermittlungsverfahren neben das Legalitätsprinzip und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, deren Auswirkungen bereits erörtert worden sind und flankiert deren Folgen in besonderer Weise, soweit sie dem Schutz des Beschuldigten dienen. Darüber hinaus verlangt es aber auch die Gewährleistung einer Justizförmigkeit des Verfahrensganges zum Schutz der Beschuldigtenrechte: Durch die Bindung an klare Ermittlungsgrundsätze wollte der Gesetzgeber willkürliche Strafverfolgungen verhindern und Rechtssicherheit im Strafverfahren garantieren128. Beschreitet nun die zuständige Behörde neue Wege, die jedenfalls in dieser Form nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen sind, trifft sie zugleich die Verpflichtung, die Gewährleistung der Justizförmigkeit als wesentliche Grundlage eines rechtsstaatlichen Verfahrens sicherzustellen. a) Pflicht zur Ausübung der Leitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren Dies bedeutet zuvorderst, dass die Mitwirkung eines privaten Dritten im staatlichen Ermittlungsverfahren nicht zu einem Verlust der Herrschaftsposition der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren führen darf. Mit Blick auf die wesentliche Situationsherrschaft des Privaten bei der Erhebung der Aussagen und der Er-
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Ebenso zuvor bereits Wewerka, Internal Investigations, S. 280 ff.; siehe auch Knauer/ Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (391 ff.); Momsen, ZIS 2011, 508 (513 ff.). 126 Grundlegend BVerfGE 70, 297 (308). 127 BVerfG EuGRZ 1994, 591 (592). 128 Vgl. dazu Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 43 ff.; Hoyer, JZ 1995, 233 ff.
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stellung der Protokolle129 ist die konsequente Ausübung der Ermittlungshoheit als Teil der Ermessensentscheidung im staatlichen Verfahren besonders bedeutsam, zumal Unternehmen die Möglichkeit sehen durch ein kooperatives Wirken das staatliche Vorgehen zu ihren Gunsten zu beeinflussen130. Mit der Zuweisung des Anklagemonopols hat der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft eine besondere Kontrollfunktion zugesprochen, die nicht nur das Treffen einer Abschlussentscheidung im Sinne des § 170 StPO, sowie als notwendige Bedingung eine eigenständige Aufklärung des Sachverhalts miteinschließt, sondern darüber hinaus auch die Pflicht beinhaltet, das Ermittlungsverfahren tatsächlich zu leiten131. Sie ist also verpflichtet, eigenständig und unabhängig von den von dritter Seite vorgelegten Materialien die Ermittlungsrichtung zu bestimmen und Schwerpunkte bei der Ermittlungsarbeit zu setzen132. Als Bestandteil ihrer Führungsaufgabe kommt der Staatsanwaltschaft schließlich eine „Filterfunktion133“ für das von Seiten Dritter eingebrachtem Beweismaterial zu, was eine entsprechend sorgfältige Beweiswürdigung bedingt134. b) Begrenzte Kooperationsmöglichkeiten Die Pflicht zur eigenständigen Führung des Ermittlungsverfahrens bedeutet zugleich, dass Absprachen mit privaten Unternehmen im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung nur in engen Grenzen möglich sind. Die Formfreiheit des Ermittlungsverfahrens darf nicht den Blick dafür versperren, dass die Staatsanwaltschaften an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden sind und speziell die Verfahrensrechte des Beschuldigten zu respektieren und schützen haben. Kooperationen von Unternehmen und Staatsanwaltschaft können also keine Kooperationen im eigentlichen Wortsinne darstellen. Es fehlt an einem rechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnis. Dies schließt eine „Win-Win-Situation“ der beteiligten Akteure freilich nicht aus, jedoch darf diese nicht Grundlage, sondern nur Folge der einseitigen Interessendurchsetzung der Staatsanwaltschaft in Ausübung ihrer Legalitätspflicht sein. Strafverfolgungsbehörden steht es daher nicht zu, generelle „Strafreduzierungen“ zuzusichern oder das Unterlassen von Untersuchungshandlungen im Falle einer Kooperation in Aussicht stellen. Ebenso kann der Informationsstrom im Rahmen einer „Kooperation“ demzufolge auch nur in eine Richtung fließen: nämlich von dem Unternehmen zur Staatsanwaltschaft. 129
Siehe dazu oben S. 111 ff. Siehe hierzu bereits die Ausführungen im Rahmen der Bestandsaufnahme auf S. 62 ff. 131 Ähnlich Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 138; allgemein zur Wahrnehmung der Leitungspflicht Griesbaum, in: KK-StPO, § 160 Rn. 4; siehe auch Wohlers, in: SK-StPO, § 160 Rn. 1. 132 Zur Bedeutung einer Schwerpunktsetzung Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 48 ff. 133 Begriff nach Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 83. 134 Grundlegend zur „Ermittlungs-Kontrollpflicht“ der Staatsanwaltschaft Hegmann, Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, S. 122 ff. 130
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Allerdings ist es Staatsanwaltschaften im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht versagt, Anreize für die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen zu setzen, sofern hierdurch nicht strafprozessuale Schutzmechanismen ausgehebelt werden oder diese gar unmittelbar darauf gerichtet sind elementare Verteidigungsrechte zu umgehen. Auf der anderen Seite muss die Weigerung eines Unternehmens bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, von den staatlichen Stellen akzeptiert werden und darf keine negativen Auswirkungen haben135. Denn wie die Analyse der Strafbarkeitsrisiken offenbart hat, lauert hinter dem Fehlverhalten eines Mitarbeiters stets auch eine Inanspruchnahme des Unternehmens sowie der hinter dem Unternehmen stehenden Personen136. Letzteren kann vor dem Hintergrund der Selbstbelastungsfreiheit jedoch nicht zugemutet werden, sich durch das eigene Unternehmen selbst zu denunzieren137. c) Transparenz- und Dokumentationsgebot Die Staatsanwaltschaft trifft im Falle einer Einbeziehung privat erlangter Erkenntnisse in das staatliche Ermittlungsverfahren eine besondere Transparenzpflicht. Denn im Gegensatz zu „klassischen“ Ermittlungsverhalten, wo die Ermittlungsherrschaft der Staatsanwaltschaft offen zu Tage tritt, ist dies bei einer Einbeziehung eines Unternehmens bzw. der unternehmensintern gesammelten Beweismittel nicht ohne weiteres erkennbar. Die Behörde ist hier auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorge und des Vertrauensschutzes gegenüber potentiellen Beschuldigten verpflichtet, frühzeitig offen zu legen, welche Beweismittel von wem auf welche Weise und auf wessen Initiative hin in das staatliche Ermittlungsverfahren eingebracht wurden. Mit dem Transparenzgebot einher geht eine erweitere Pflicht zur Dokumentation. Nach der Konzeption des Strafverfahrensrechts ist das Ermittlungsverfahren ein vorwiegend schriftliches Verfahren, was bereits für sich genommen eine regelgeleitete Aktenführung verlangt, im Falle der Einbeziehung von Erkenntnissen aus unternehmensinternen Untersuchungen aber aus den dargelegten Gründen umso mehr gilt. Nur auf diese Weise wird das Verfahren nachvollziehbar, durchsichtig und kontrollierbar138. Vielfach werden die privat ermittelten Erkenntnisse jedoch nur verkürzt und unzureichend in den Akten festgehalten139, was einen Verstoß gegen das Fairnessgebot begründen kann. Die Akten müssen ein lückenloses Bild liefern, welche tatsächlichen Umstände Anlass zur Erforschung des Sachverhaltes gegeben 135 Ebenso Idler/Knierim/Waeber, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 4 Rn. 166 ff.; Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1825 ff.); Taschke, NZWiSt 2012, 89. 136 Vgl. hierzu oben S. 30 ff., 35 ff. 137 Ähnlich Bärlein/Pananis/Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1825 ff.). 138 Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 55. 139 Ähnlich Böse, ZStW 119 (2007), 848 (857) für die ebenso gelagerte Konstellation der Verlagerung von Ermittlungshandlungen auf Aufsichtsbehörden.
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haben, welche Untersuchungshandlungen vorgenommen wurden und welche Erkenntnisse hieraus gezogen wurden140. Auch Ermittlungshandlungen, die ergebnislos verlaufen sind, müssen in den Akten festgehalten werden141. d) Gewährleistung einer Waffengleichheit Wesentlich verbunden mit der Gewährleistung der Justizförmigkeit ist schließlich die Sicherstellung der durch den gewohnten Verfahrensgang abgesicherten Beschuldigtenrechte. Die besondere Problematik einer Aushebelung des Schutzes der strafprozessualen Beschuldigtenrechte durch den Transfer privater Befragungsergebnisse in das staatliche Verfahren wurde bereits dargelegt. Diese Problematik findet ihren Ursprung in der privatrechtlichen Beziehung des Arbeitgebers zu seinem Arbeitnehmer und soll daher an entsprechender Stelle zusammenhängend erörtert werden142. Bereits jetzt ist vor dem Hintergrund der Wahrung von Beschuldigtenrechten aber auf einen weiteren zentralen Aspekt des Fairnessgebots hinzuweisen143: Das staatliche Strafverfahren ist zwischen den handelnden Akteuren kräftemäßig gesetzlich austariert. Es besteht verfahrensrechtliche Waffengleichheit. Die prozessualen Schutzvorschriften dienen im besonderen Maße der Sicherstellung einer Teilhabe im Strafprozess und gewährleisten Chancengleichheit144. Das Prinzip der Chancengleichheit ist aber nicht nur Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber, sondern verpflichtet auch die Strafverfolgungsorgane, seine Verwirklichung im Strafprozess sicherzustellen145. Die Staatsanwaltschaft besitzt daher eine Eingriffspflicht, wenn der Beschuldigte allein nicht in der Lage ist, sein Recht auf Verteidigung zu realisieren146. Im Falle unternehmensinterner Befragungen ist zu beachten, dass den befragten Mitarbeitern in der Regel eine Einsichtnahme in die Befragungsprotokolle verwehrt wird147. Ein im späteren Strafverfahren Beschuldigter hat also keine Kenntnis darüber, welche Teile seiner Aussage wie protokolliert wurden, geschweige denn, welche Informationen (ggf. auch mündlich) unternehmensseitig an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden148. Die Staatsanwaltschaft trifft in diesen Fällen daher eine qualifizierte Aufklärungspflicht. Der Beschuldigte muss zudem hinsichtlich der von Dritten beigebrachten Beweismittel die Möglichkeit haben, das zusammenge140
Vgl. Kleinknecht, in: FS für Dreher (1977), 721 (722). Ebenda. 142 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unten S. 189 ff. 143 Eingehend zur Bedeutung des Fairnessgebots im Zusammenhang mit unternehmensinternen Untersuchungen Wewerka, Internal Investigations, S. 270 ff. 144 Vgl. hierzu BVerfGE 38, 105 (111); BGHSt 53, 294 (304). 145 Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 108. 146 Hegmann, Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, S. 75 ff. 147 Zur Frage einer Einsichtnahme vgl. noch eingehend unten S. 250 ff. 148 Zur Problematik auch bereits Wewerka, Internal Investigations, S. 285. 141
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
tragene Beweismaterial im Rahmen der Akteneinsicht vollständig zu analysieren und darauf zu reagieren149. Die Gewährung einer umfassenden Akteneinsicht als elementares Verteidigungsrecht150 bereitet jedoch im Falle unternehmensinterner Untersuchungen schon aus tatsächlicher Sicht Schwierigkeiten, weil das unternehmensintern zusammengestellte Material mitunter wegen seiner Quantität kaum zu sichten ist und ohne entsprechendes internes Know-How ggf. auch nur in Teilen verständlich wird. Über die bereits dargelegte Dokumentationspflicht151 hinaus, können die Strafverfolgungsbehörden daher zur Verwirklichung einer Chancengleichheit auch verpflichtet sein, auf besonders relevante Erkenntnisse hinzuweisen und erfragtes oder nachermitteltes Zusatzwissen in den Akten festzuhalten. Ein mögliches Spezialwissen des Mitarbeiters kann dabei nicht zu einer Reduzierung der Fürsorgepflicht führen, sondern verlangt gerade gegenteilig, dass dem Mitarbeiter das Beweismaterial vollständig zugänglich gemacht wird und Beweisermittlungsanträgen des Beschuldigten in besonderer Weise nachgegangen wird. Auf die Bedeutung der Vorschrift des § 163a Abs. 2 StPO in diesem Zusammenhang wurde bereits hingewiesen152. Darüber hinaus ist fraglich, inwieweit der Schutz von Betriebsgeheimnissen einer Akteneinsicht des Beschuldigten entgegenstehen kann. Eine vertiefte Erörterung dieser schwierigen Problematik kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden153. Sofern es sich um Tatsachen handelt, die für die Schuldfrage von Bedeutung sind, ist dem Recht auf Verteidigung des Beschuldigten aber der Vorrang gegenüber dem Schutz der Interessen des Unternehmens zu gewähren. Dies gilt umso mehr, wenn die unternehmensintern ermittelten Erkenntnisse im Wege einer freiwilligen Kooperation des Unternehmens in das Ermittlungsverfahren eingebracht wurden, da in dieser Situation das Unternehmens selbst dafür gesorgt hat, dass die internen Informationen die geschlossene Unternehmensspähre verlassen haben. e) Konsequenzen von Verstößen Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren können ein Verwertungsverbot nach sich ziehen154. Dieses findet seine Grundlage nicht bereits in dem Umstand, dass 149 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 11 Rn. 7; Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 107; Wewerka, Internal Investigations, S. 273 ff. 150 Zur Bedeutung der Akteneinsicht Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, S. 171 ff. 151 Vgl. oben S. 162 ff. 152 Vgl. oben S. 148 ff. 153 Siehe zur Problematik auch noch unten S. 170 ff. betreffend den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die schriftlich dokumentierten Ergebnisse einer unternehmensinternen Untersuchung. 154 Die Möglichkeit eines Beweisverwertungsverbotes aufgrund einer Verletzung des Fairnessgebots im Falle einer Umgehung rechtsstaatlicher Wesensgarantien betonte auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur sog. „Hörfalle“ (oben S. 96 ff.), vgl. BGHSt 42, 139 (156 ff.) sowie sehr deutlich in einer jüngeren U-Haft-Entscheidung, in der der Senat bei
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die privaten Ermittler entgegen dem Zuständigkeitsbild der StPO agieren und sich nicht den strafprozessualen Vorschriften unterordnen. Adressat eines Beweisverwertungsverbotes ist ausschließlich der Staat, dessen Aufgabe es ist zu entscheiden, welche Ermittlungsergebnisse als Grundlage eines staatlichen Urteils herangezogen werden können155. Tauglicher Anknüpfungspunkt eines Verwertungsverbotes kann daher nur der hoheitliche Verwertungsakt sein, d. h. die Verwendung von Beweismaterial, das in nicht justizförmiger Weise und unter Missachtung der verfahrensrechtlichen Subjektstellung zustande kam156. Es ist daher von einem selbstständigen Beweisverbot auszugehen, weshalb die Verwertbarkeit im Rahmen einer umfassenden Abwägung zu ermitteln ist, in die u. a. das Gewicht des Verfahrensverstoßes, die Bedeutung des betroffenen Gebotes für die rechtlich geschützte Sphäre und das Bedürfnis nach einer effektiven Strafrechtspflege einfließen157. Da es sich bei den Grundsätzen des Fairnessgebotes um Mindestgrundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens handelt, fällt die vorzunehmende Interessenabwägung im Falle eines Verstoßes gegen die dargelegten Grundsätze dabei regelmäßig zugunsten des Betroffenen aus158.
VI. Grenzen der Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaften Die vorangegangenen Überlegungen haben deutlich gemacht, dass die Staatsanwaltschaft – unabhängig von einer Kooperation des Unternehmens – durch das Legalitätsprinzip verpflichtet wird, das Tatgeschehen eigenständig auszuermitteln. Als Erkenntnisquellen für die staatlichen Strafverfolger kommen insbesondere Vernehmungen von Mitarbeitern und Beratern des Unternehmens sowie ein Zugriff auf die dokumentierten Ergebnisse einer unternehmensinternen Untersuchung in Betracht. Im Folgenden ist zu überlegen, wo normative Grenzen der staatlichen Ermittlungsarbeit liegen.
isolierter Betrachtung einen Verstoß auf der Beweiserhebungsebene verneinte, (was nach seiner üblichen Vorgehensweise bereits ein Verwertungsverbot ausgeschlossen hätte, da der BGH die Prüfung eines Verwertungsverbotes grundsätzlich nur bei einem rechtswidrigen Handeln auf der Ebene der Beweiserhebung vornimmt) dennoch aber „aus einer Gesamtschau der Umstände“ ein Beweisverwertungsverbot begründete, „weil das Beweismittel auf eine unzulässige, gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßende Weise erlangt wurde“, vgl. BGHSt 53, 294 (304). 155 Ähnlich Hassemer/Matussek, Das Opfer als Verfolger, S. 76 ff.; siehe auch Mende, Grenzen privater Ermittlungen, S. 201 ff. 156 Ebenso Wewerka, Internal Investigations, S. 294; ähnlich auch zuvor bereits Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (742); siehe auch Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 113. 157 BGHSt 38, 372 (373 ff.); 42, 139 (156 ff.). 158 Rzepka, Fairness im Strafverfahren, S. 133 ff.
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1. Grenzen bei der Vernehmung von Mitarbeitern, Organen und Beratern Bei der Vernehmung von Mitgliedern des Unternehmens ist zwischen Mitarbeitern, Organmitgliedern und Rechtsanwälten zu differenzieren. a) Vernehmung von Mitarbeitern Werden Mitarbeiter des Unternehmens als Zeugen vernommen, sind diese gegenüber den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet, soweit dem nicht ausnahmsweise die §§ 52, 53, 53a StPO entgegenstehen159. Dies gilt auch für den Fall, dass materiell-rechtliche Geheimhaltungspflichten, insbesondere nach § 17 Abs. 1 UWG, dem Mitarbeiter eine Aussage gegenüber Dritten untersagen160, da der Mitarbeiter gegenüber den staatlichen Stellen nicht „unbefugt“ handelt161. Eine natürliche Grenze findet die Aussageverpflichtung des Mitarbeiters nach § 55 StPO, wenn er sich oder einen der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen durch eine wahrheitsgemäße Aussage der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden162. Nicht erfasst sind dagegen arbeitsrechtliche Konsequenzen, was sich bereits aus der Wortlautbeschränkung auf straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen ergibt. Bei der Vernehmung von Mitarbeitern als Beschuldigten sind die Regelungen der §§ 136, 136a StPO zu beachten.
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In der Literatur wird vereinzelt versucht, durch Rekurrierung auf verfassungsrechtliche Wertungsprämissen eine Erweiterung der bestehenden Zeugnisverweigerungsrechte abzuleiten, vgl. Baier, JR 1999, 495. Mit Blick auf den abschließenden Katalog der Zeugnisverweigerungsberechtigten in den einschlägigen strafprozessualen Vorschriften wird dies von der ganz h.M. aber zutreffend abgelehnt, vgl. nur BVerfG NJW 1979, 1286. 160 Kritisch bezogen auf eine Einschränkung von § 120 BetrVG und einem hieraus resultierenden nur lückenhaften Schutz von Arbeitnehmergeheimnissen Tag, BB 2001, 1578. 161 Aus diesem Grunde vermag es im Übrigen nicht zu überzeugen, eine Strafbarkeit nach § 17 Abs. 1 UWG in Situationen anzunehmen, wenn ein Mitarbeiter eines Unternehmens ohne Aufforderung die zuständigen Behörden von illegalen Machenschaften seines Arbeitgebers in Kenntnis setzt, vgl. C. Buchert, CCZ 2013, 144 (148). Wenn das Interesse einer Rechtsordnung darin besteht, Rechtsverstöße zu unterbinden und die Erlangung von Insiderinformationen hierfür notwendige Voraussetzung ist, so kann das Recht nicht gleichzeitig das Interesse der Rechtsbrecher schützen, entsprechende Informationen vor behördlicher Kenntniserlangung verborgen zu halten. Mithin kann es keinen Unterschied machen, ob der Träger der Information sich auf eigene Initiative den Behörden mitteilt oder aber hierzu von den Behörden im Zuge einer Vernehmung aufgefordert wird. Überzeugend zum Ganzen Erb, in: FS für Roxin (2011), 1103. 162 Zu Umfang und Reichweite des § 55 StPO Dahs, NStZ 1999, 386.
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b) Vernehmung von Organmitgliedern Äußerst strittig ist, inwieweit sich Organmitglieder nicht nur auf § 55 StPO bzw. § 136 StPO berufen können, was im Hinblick auf die Vorschrift des § 130 OWiG nicht selten der Fall sein dürfte163, sondern sich ein Aussageverweigerungsrecht darüber hinaus auch aus ihrer Stellung im Unternehmen ableiten lässt. Daran wäre insbesondere zu denken, wenn sich auch das Unternehmen als juristische Person auf das Recht der Selbstbelastungsfreiheit berufen könnte, wovon eine starke Strömung in der Literatur und (in sehr eingeschränkter Form) auch der EuGH164 ausgeht165. Sieht man den Ursprung des nemo-tenetur-Prinzips entgegen der h.M. nicht in der Menschenwürde bzw. dem Persönlichkeitsrecht verwurzelt, sondern vorrangig als Element des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 3 GG166, erscheint es mit Blick auf die besonderen Folgen, die das Unternehmen als juristische Person treffen können167, tatsächlich nicht fernliegend, Organmitgliedern ein Aussageverweigerungsrecht zuzusprechen. Gegen den Schutz von Unternehmen vor einer Selbstbelastung sprechen aber gewichtige praktische Argumente, da ein eigenes Recht auf Selbstbelastungsfreiheit kaum auflösbare Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung mit sich bringen würde: So geht mit einem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit beispielsweise das Privileg der straflosen Selbstbegünstigung einher, was bedeuten würde, dass es Organmitgliedern gestattet wäre, belastende Beweismittel zu vernichten168. Erscheint dies auf den ersten Blick noch hinnehmbar und logischer Ausfluss der Selbstbelastungsfreiheit, tritt die rechtsstaatliche Tragweite eines solchen Vorgehens dann zu Tage, wenn sich die Interessenlage des Unternehmens und des beschuldigten Mitarbeiters diametral gegenüberstehen169 : Bei dieser Konstellation wird ein Unternehmen nämlich nur an einer Vernichtung von Unterlagen interessiert sein, die es selbst belasten. Dies wiederum hat zur Folge, dass das Verhalten des Arbeitnehmers in ein (noch) schlechteres Licht gerät, wenn mögliche Fehler des Unternehmens mangels Kenntnis nicht oder zumindest nicht in angemessener Weise Berücksichtigung finden. Dem Unternehmen würde unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit die Möglichkeit eingeräumt, auf zulässige Weise die objektive Bewertungslage nach den eigenen 163
Zu den Strafbarkeitsrisiken nach § 130 OWiG siehe oben S. 36 ff. Vgl. zur Haltung des EuGH im Kartellrecht EuGH vom 18. Oktober 1989 – Rs. 374/87 – Orkem/Kommission, Slg. 1989, S. 3283 Rn. 34. Zur Rechtsprechung des EGMR vgl. etwa EGMR, Urt. v. 27. 09. 2011, Az. 43509/08/08 – Menarini Diagnostics S.R.L./Italy, Rn. 45. 165 Vgl. dazu die grundlegenden Arbeiten von Schlüter, Die Strafbarkeit von Unternehmen in einer prozessualen Betrachtung nach dem geltenden Strafprozessrecht, S. 86 ff. sowie Drope, Strafprozessuale Probleme bei der Einführung einer Verbandsstrafe, S. 150 ff. sowie jüngst – unter Berücksichtigung der aktuellen Novellierungen im Kartellordnungswidrigkeitenrecht – Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 jeweils m.w.N. 166 Dazu noch eingehend unten S. 200 ff. mit entsprechenden Nachweisen. 167 Vgl. die Darlegungen oben S. 30 ff. 168 So bereits Arzt, JZ 2003, 456 (457). 169 Zu den konkreten Interessenlagen eingehend oben S. 119 ff. 164
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Vorstellungen zu beschneiden und die spätere Bewertung des Vorgehens durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu beeinflussen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass wesentliche Unterlagen, die eine umfassende Sachverhaltsaufklärung ermöglichen, regelmäßig nur vom Unternehmen aufbewahrt werden (müssen). Daneben können Selbstbelastungsfreiheiten von Unternehmen und Organmitgliedern konfligieren, wenn ein Organmitglied in einer geständigen Einlassung gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsbehörden subjektive Vorteile erkennt, das Unternehmen aber mehr von einem Schweigerecht profitieren würde170. Damit scheidet jedenfalls eine umfassende Übertragung des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit auf ein Unternehmen als juristische Person aus. Auf der anderen Seite erscheint es widersinnig, wenn Unternehmensführer zu Aussagen verpflichtet wären, die das eigene Unternehmen unmittelbar belasten, zumal einem Unternehmen als Nebenbeteiligten eines Strafverfahrens über die Vorschriften der §§ 434 StPO bzw. 442 StPO dieselben Verteidigungsrechte zugestanden werden wie einer natürlichen Person171. Auch die im reformierten Strafprozess ganz grundsätzlich stärker hervortretende verfahrensrechtliche Gewährleistungsfunktion der Selbstbelastungsfreiheit172 spricht für eine Geltung bei einer juristischen Person173. Mithin bietet es sich zur Wahrung der Verteidigungsposition an, ein Recht auf Selbstbelastungsfreiheit eines Unternehmens im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH174 im Kartellrecht nur abgeschichtet in Form eines „Geständnisverweigerungsrecht“ zu gewähren: Organmitglieder sind grundsätzlich verpflichtet, umfassend und wahrheitsgemäß Auskunft auf Sachfragen zu geben, solange dadurch nicht zugleich eine Verstrickung des Unternehmens eingeräumt werden muss. Zudem scheidet eine Auskunftspflicht aus, wenn sich ein Organmitglied dabei der Begehung einer Straftat in eigener Person bezichtigen müsste. Für diese Sichtweise streitet, dass die staatliche Beweisermittlung hierdurch nicht unverhältnismäßig (und ggf. zum Nachteil weiterer Beschuldigter!) beeinträchtigt wird, dem Unternehmen aber die Möglichkeit offen gehalten wird darzulegen, welche Bedeutung den Aussageinhalten als Beweismittel tatsächlich zukommt175.176 170 In diesem Zusammenhang weist Arzt, JZ 2003, 456 (457) mit Recht darauf hin, dass ein Unternehmensvertreter in einer solchen Situation Gefahr liefe, sich wegen Untreue zum Nachteil des Unternehmens strafbar zu machen. 171 Dazu sogleich ausführlich unten S. 173 ff. 172 Vgl. S. 200 ff. 173 Dannecker, ZStW 2015 (127), 370 (389 ff.). 174 EuGH v. 18. 10. 1989, Rs. 374/87, Slg.1989, 3283 ff. Rn. 34 – Orkem; 29. 06. 2006, Rs. C-301/04 P, Slg. 2006, S. 5915 ff. Rn. 33 ff. – Kommission/SGL Carbon; EuG 28. 04. 2010, Rs. T-446/05,Tz-325 ff. – Amann & Söhne u. a./Kommission. 175 Siehe zu letztgenanntem Aspekt auch EuGH v. 20. 02. 2001 – Rs. T-112/98 – Mannesmannröhren-Werke/Kommission, Slg. 2001, Seite 729 Rn. 78; ebenso EuGH v. 29. 04. 2004 – Verb. Rs. T-236/01, T-239/01, T-244/01 bis T-246/01, T-251/01 und T-252/01 – Tokai Carbon u. a./Kommission., Slg. 2004, Seite 1181 Rn. 406. Sehr kritisch zu dieser Verkürzung des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit Schwarze, EUR 2009, 171.
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c) Vernehmung von ermittelnden Rechtsanwälten Werden die Ermittlungen durch beauftragte Rechtsanwälte geführt, besitzen diese nach § 53 Abs. 1 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht177, dessen Anwendungsbereich durch § 53a StPO auch auf deren Mitarbeiter erweitert wird178. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht ist nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbewehrt179. Allerdings kann der Berufsträger nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO durch das Unternehmen bzw. seine Vertreter als Träger des Geheimhaltungsinteresses von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden werden, was automatisch zu einer Aussagepflicht führt180. Die Entbindungserklärung kann dabei seitens des Unternehmens auf bestimmte Tatsachenkomplexe beschränkt werden, nicht aber auf einzelne Tatsachen181. Liegt eine Aussage des intern ermittelnden Rechtsanwalts im Interesse des Unternehmens, kann dieser für die Staatsanwaltschaft somit ein wichtiger Zeuge sein, wodurch Aussagen von Arbeitnehmern unmittelbaren Eingang in das staatliche Ermittlungsverfahren finden können. Das Privileg des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts sowie die hieran anknüpfende Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 1 bis 3 StPO182 gelten jedoch nicht für ständige Rechtsbeistände eines Unternehmens mit Zulassung zur Anwaltschaft (sog. Syndikusanwälte). Durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte vom 01. 01. 2016183 hat der Gesetzgeber eine Grundsatzentscheidung getroffen und sich insoweit der Position der herrschenden Meinung angeschlossen, die eine Übertragbarkeit der strafrechtlichen Anwaltsprivilegien aufgrund der Einbindung des Syndikusanwalt in die betriebliche Struktur ablehnt184. Nach dem neuen Recht können Unternehmensjuristen zwar als Syndikusrechtsanwälte zuge176 Die genaue Bestimmung der Reichweite einer Selbstbelastungsfreiheit von Unternehmen bedürfte freilich tiefgehender Überlegungen, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit aber nicht geleistet werden kann. Die vorstehenden Überlegungen können daher nur als Gedankenskizze verstanden werden. Hier besteht gerade mit Blick auf den Umstand, dass Unternehmen immer stärker ins Visier der staatlichen Strafverfolgungsbehörden geraten, noch erheblicher Forschungsbedarf. 177 Zum Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts vgl. Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 83. 178 Siehe dazu Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 5 Rn. 18. 179 Für den europäischen Rechtsanwalt vgl. § 42 EuRAG. 180 Näher hierzu und den damit verbundenen Problemstellungen Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657; siehe auch Krause, NStZ 2012, 663. 181 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 53 Rn. 49. 182 Hierzu sogleich eingehend unten, S. 170 ff. 183 BGBl. I 2015, 2517. Instruktiv zur Neuregelung Offermann-Burckart, NJW 2016, 113. 184 Vgl. zur Position der herrschenden Meinung etwa EuGH, NJW 2010, 3557 („Akzo Nobel-Urteil“); LG Bonn NStZ 2007, 605 (Verweigerung einer Beschlagnahmefreiheit bei Tätigwerden in der Funktion als Syndikusanwalt) sowie Rogall, in: SK-StPO, § 53 Rn. 90; zur Gegenposition vgl. bspw. Roxin, NJW 1992, 1129 (1130 ff.); Moosmayer, NJW 2010, 3548 (3550) jeweils m.w.N.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
lassen und als solche von der Rentenversicherungspflicht befreit werden185. Zugleich hat sich der Gesetzgeber aber bewusst gegen eine vollstände Übertragung der anwaltlichen Privilegien entschieden und das strafrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO sowie das Beschlagnahmeprivileg nach § 97 Abs. 1 bis 3 StPO explizit ausgenommen186. Diese differenzierte Behandlung des Syndikusanwalts ist entgegen anderer Stimmen187 sachgerecht. Gegen eine vollständige Gleichstellung spricht, dass der Syndikusanwalt auf Grundlage seines ständigen Dienstverhältnisses und nicht als unabhängiger Rechtsanwalt tätig wird, wodurch er dem Direktionsrecht seines Arbeitgebers unterliegt und sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Unternehmensangehörige sind auch keine außenstehende Dritte, denen etwas im Sinne des § 53 StPO „anvertraut“ oder „bekannt gemacht“ wird. Gerade bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen besteht zudem in besonderer Weise die Gefahr, dass das strafprozessual austarierte Kräfteverhältnis sich zu Lasten des beschuldigten Arbeitnehmers verschiebt188, weshalb ein mit entsprechenden Privilegien ausgestatteter Rechtsanwalt in besonderer Weise auch in seiner Funktion als Organ der Rechtspflege gefordert ist. Werden unternehmensinterne Befragungen von Syndikusanwälten durchgeführt, können sich diese folglich nicht auf ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht sowie hieran anknüpfende Rechte berufen. 2. Zugriff auf die schriftlich dokumentierten Ergebnisse einer unternehmensinternen Untersuchung Den dokumentierten Ergebnissen einer internen Untersuchung kommt für die Aufklärung des Sachverhalts ein besonderer Beweiswert zu, der bei den Ermittlungsbehörden naturgemäß besondere Begehrlichkeiten weckt189. Dies gilt umso mehr, wenn die privaten Ermittlungshandlungen von vornherein nicht darauf gerichtet sind, die Ergebnisse vollständig an die staatlichen Strafverfolger zu übermitteln. Inwieweit ein staatlicher Zugriff auf diese Unterlagen über das strafpro-
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Diese Frage war Grund der Neuregelung, da das Bundessozialgericht aufgrund der Bindung des Syndikusanwalts an seinen Arbeitgeber eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ablehnte, vgl. Urteile vom 03. 04. 2014 (Az: B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R). 186 BT-Drs. 18/5201, 40. 187 Vgl. statt aller Hustus, NStZ 2016, 65. 188 Vgl. dazu oben S. 85 ff.; S. 119 ff. 189 Vgl. Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28; siehe auch Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (936): „Antworten, die ohne die Belehrungs- und Schweigerechte nach § 136 StPO, gar ohne den Schutz des § 136a StPO sowie oftmals ohne Anwalt und nicht zuletzt unter dem regelmäßig (wirtschaftlich und sozial) existenziellen Druck der Kooperation abgegeben werden, dürften der Traum so manchen Ermittlers sein.“
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zessuale Zwangsmittel der Beschlagnahme möglich ist, gehört derzeit zu den meistdiskutierten Fragen in der juristischen Öffentlichkeit190. Die Vorschriften der §§ 94 ff. StPO191 bieten den Strafverfolgungsorganen grundsätzlich die Möglichkeit, auf schriftliche Dokumentationen zuzugreifen und Einblick in das interne Vorgehen des Unternehmens zu erhalten. Entscheidet sich ein Unternehmen gegen die frühzeitige Offenlegung eines Regelverstoßes und eine damit nahezu zwingend verbundene Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden192, wird es jedoch gerade darauf aus sein, die pflichtgemäße Ausräumung der Missstände geräuschlos vorzunehmen und nicht im Rahmen von Strafverfahren gegen die Mitarbeiter das breite Bewusstsein der Öffentlichkeit auf sich zu lenken193. Ferner wird jeder Versuch, den Mitarbeiter durch die Zusage rechtlich geschützter Vertraulichkeit zu einer Aussage zu bewegen, bereits in seiner Entstehung vereitelt, wenn klar ist, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden auf den Inhalt dieser Aussage zugreifen können194. Es verwundert daher nicht, dass die Frage einer Beschlagnahmefähigkeit von Ergebnissen einer internen Befragung – insbesondere wenn sich diese im Gewahrsam von Rechtsanwälten befinden – seitens der Anwaltschaft vehement verneint wird195, zumal die Durchführung interner Befragungen für in diesem Bereich tätige Rechtsanwälte ein äußerst lukratives Geschäftsfeld darstellt196. Im Folgenden wird daher grundsätzlich zu klären sein, in welchem Umfang ein staatlicher Zugriff auf die schriftlichen Dokumentationen einer unternehmensinternen Befragung nach den allgemeinen Regeln möglich ist. Nicht eingegangen 190 Vgl. etwa Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383; Ballo, NZWiSt 2013, 46; von Galen, NJW 2011, 942; Jahn, ZIS 2011, 453; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151; Milde, CCZ 2013, 78; Schuster, NZWiSt 2012, 28; ders., NZWiSt 2012, 431; ders., NZKart 2013, 191; Szesny, GWR 2011, 169; Bertheau, StV 2012, 303; Erb, in: FS für Kühne (2013), 171; Bock/Gerhold, in: Knierim/ Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 5; von Saucken, WiJ 2013, 30; Sahan, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 133 sowie die viel beachteten Entscheidungen des LG Hamburg, Beschluss vom 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10 = StV 2011, 148, des LG Mannheim, Beschluss vom 03. 07. 2012 – 24 Qs 1/12 = NStZ 2012, 713 = wistra 2012, 400 und des LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40. 191 § 94 Abs. 1 StPO verpflichtet die zuständigen Strafverfolgungsorgane, „Gegenstände, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können“ in Gewahrsam zu nehmen oder auf sonstige Weise sicherzustellen. Die schriftlich dokumentierten Ergebnisse einer Internal Investigation sind regelmäßig Gegenstand von Herausgabeverlangen nach § 95 StPO. Erfolgt keine freiwillige Herausgabe, werden die Beweisgegenstände nach § 94 Abs. 2 StPO beschlagnahmt. 192 Zur Kooperation von Unternehmen mit den Strafverfolgungsbehörden siehe oben S. 62 ff. 193 Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (173). 194 Ebenda. 195 Vgl. etwa Ballo, NZWiSt 2013, 46; von Galen, NJW 2011, 945; Szesny, GWR 2011, 169; von Saucken, WiJ 2013, 30; Sahan, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 133 (135 ff.) m.w.N. 196 Bauer, StV 2012, 277 (278).
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
werden kann an dieser Stelle allerdings auf die nachgelagerte, in der Praxis oft sich stellende Frage, inwieweit außerstrafrechtliche Schutzvorschriften einer Verwertbarkeit und damit einer staatlichen Kenntnisnahme entgegenstehen und auf welche Weise die mitunter gegenläufigen Interessen harmonisiert werden können. So stellt sich beispielsweise die Frage nach dem staatlichen Schutz von Betriebsgeheimnissen, die keinerlei Relevanz für die Beurteilung des deliktischen Verhaltens aufweisen, im Rahmen einer Befragung von Mitarbeitern zwischen den Privaten aber erörtert werden und deren Inhalt durch eine Beschlagnahme die Unternehmenssphäre verlassen würde197. Daneben sei an dieser Stelle betont, dass die Beschlagnahme wie jede Zwangsmaßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt198. Die Strafverfolgungsbehörden sind daher verpflichtet, die besonderen wirtschaftlichen Auswirkungen199 ihres Vorgehens zu berücksichtigen200. Bei der rechtlichen Beurteilung einer Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen aus internen Untersuchungen ist zunächst zu differenzieren, ob das Mandat der beauftragten Rechtsanwälte nur eine reine Sachverhaltsaufklärung beinhaltet oder die Aufklärungshandlungen wesentlicher Teil einer Unternehmensverteidigung sind. a) Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen aus Unternehmensverteidigungen Unterlagen, die der Verteidigung eines Beschuldigten dienen, sind unabhängig von ihrem Aufbewahrungsort umfassend vor einer Beschlagnahme durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane geschützt201. Nur auf diese Weise kann der durch § 148 StPO gewährleisteten Kommunikationsfreiheit des Beschuldigten zu seinem Verteidiger und dem Recht auf effektive Verteidigung, das seinen Ursprung im verfassungsrechtlich verbrieften Recht auf ein faires Verfahren findet (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 6 EMRK), vollumfänglich Rechnung getragen werden202. Da eine Verbandskriminalstrafe im deutschen Strafrecht (noch) nicht
197 In der Praxis wird teilweise über die Vornahme von Schwärzungen entsprechender Passagen in Absprache mit den zuständigen Behörden versucht, eine unrechtmäßige Kenntnisnahme von außerhalb des behördlichen Interesses liegenden Umständen zu verhindern. Die konkreten Maßnahmen sind aber sehr abhängig von den handelnden Personen auf Behördenseite und liegen allein in deren Ermessen. Einheitliche Standards oder Richtlinien existieren nicht, zumal unterschiedlichste Behörden betroffen sind. Gerade mit Blick auf die möglichen Folgen (z. B. Amtshaftungsansprüche wegen Bekanntwerden von Firmengeheimnissen) besteht hier erheblicher praktischer Forschungsbedarf, der im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. 198 Grundlegend BVerfG NJW 1994, 2079; BGH NJW 1998, 840. 199 Siehe dazu die Darstellungen oben S. 53 ff. 200 Zustimmend Park, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme, Kap. 3 Rn. 517. 201 Ganz h.M. vgl. nur BGH NJW 1973, 2035. 202 Vgl. BVerfG NStZ 2002, 377 (377).
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existiert203, erscheint jedoch zum einen fraglich, ob ein Unternehmen überhaupt als „Beschuldigter“ angesehen werden kann, die anwaltliche Beratung eines Unternehmens also eine echte „Verteidigung“ im Sinne der §§ 137 ff. StPO darstellt. Zum anderen ist zu überlegen, inwieweit sich ein Unternehmen als juristische Person des Privatrechts in der Rolle des Beschuldigten auf eine entsprechende Auslegung der Vorschrift des § 148 StPO berufen kann. aa) Nebenbeteiligung des Unternehmens Wir haben bereits an anderer Stelle festgestellt, dass die Rolle des Unternehmens bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen aus strafprozessualem Blickwinkel nicht eindeutig definiert werden kann204. Die Beurteilung der Geltungskraft besonderer Beschlagnahmeprivilegien erfordert jedoch eine klare Einordnung des Unternehmens in das strafverfahrensrechtliche System. Bewertungsmaßstab ist diesbezüglich die konkrete Bedrohungslage, also mithin der Beschuldigtenstatus des Unternehmens, der die Annahme einer besonderen Vertrauensbeziehung zwischen dem mandatierten Rechtsanwalt und dem beauftragendem Unternehmen rechtfertigt. Hiervon kann nicht ausgegangen werden, wenn das Unternehmen nach Lage der Dinge nur in der Rolle des Verletzten am Strafverfahren beteiligt ist. In dieser Situation zielt ein Aufklärungsvorgehen ausschließlich auf die Überführung des Mitarbeiters ab205. Für die Annahme einer Verteidigungssituation bleibt kein Raum, da es gar nichts gibt, gegen das sich das Unternehmen verteidigen muss. Anderes wird jedoch gelten müssen, wenn dem Unternehmen die Verhängung einer Verbandsgeldbuße206 oder die Anordnung einer Einziehung oder eines Verfalls207 droht. Hieran wird insbesondere zu denken sein, wenn der von Mitarbeiter begangene Verstoß zugleich eine Pflichtverletzung des Unternehmens belegt208 und aus diesem Grunde die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen das Unternehmen „nach den Gesamtumständen nicht fern liegt“209. Anknüpfungspunkt für die Betroffenheit eines Unternehmens sind in diesem Zusammenhang regelmäßig Vorwürfe dahingehend, dass Organe oder leitende Mitarbeiter des Unternehmens Straftaten im vermeintlichen Unternehmensinteresse begangen haben, wodurch Pflichten des Unternehmens verletzt worden sind oder das Unternehmen in unzu203 Zu den aktuellen Überlegungen zur Einführung einer Kriminalstrafe für Unternehmen vgl. die Ausführungen oben S. 39 ff. 204 Siehe dazu oben S. 130 ff. 205 Eingehend zur Interessenlage des verletzten Unternehmens bereits oben S. 120 ff. 206 Zur sog. Verbandsgeldbuße oben S. 37 ff. 207 Näher hierzu oben S. 46 ff. 208 Zum Zusammenspiel der §§ 130, 30 OWiG, vgl. oben S. 35 ff. 209 Kriterium nach LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40; vgl. auch Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (385) m.w.N.
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lässiger Weise bereichert wurde210. Derartige Annahmen der Behörden sind besonders naheliegend, wenn die „Früchte“ entsprechender Straftaten tatsächlich dem Unternehmen zugutegekommen sind – etwa in Form von Aufträgen oder ersparten Aufwendungen aufgrund von Korruptionstaten, illegalen Kartellabsprachen oder Verstößen gegen Umweltstrafrecht211. Stehen derartige Vorwürfe im Zeitpunkt der Durchführung der internen Untersuchung im Raum, ist einem Unternehmen als Nebenbeteiligten des Strafverfahrens über die Vorschrift des § 434 Abs. 1 Satz 2 StPO bzw. 442 Abs. 1 Satz 2 StPO und den hierin enthaltenen Verweis auf die für die Verteidigung geltenden Regelungen grundsätzlich derselbe Schutzumfang wie einer natürlichen Person in der Beschuldigtenlage zuzusprechen212. Denn in dieser Situation liegt keine präventive Beratung mehr vor, sondern eine echte Verteidigung der von staatlicher Seite angegriffenen Unternehmensinteressen213. bb) Übertragbarkeit des Beschlagnahmeprivilegs Steht eine Nebenbeteiligung eines Unternehmens fest, findet nach der dargelegten Verweisungskette auch die Vorschrift des § 148 StPO entsprechende Anwendung. Daraus folgt aber nicht, dass damit zugleich auch das eingangs dargelegte Beschlagnahmeprivileg einhergeht. Gegen einen derartigen Automatismus spricht, dass § 148 StPO nach seinem Wortlaut ein entsprechendes Privileg nicht explizit vorsieht, sondern nur allgemein die Kommunikationsfreiheit des Beschuldigten mit seinem Verteidiger garantiert. Die Ableitung eines Beschlagnahmeprivilegs ist zwar naheliegend, aber keinesfalls zwingend. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber in § 97 StPO die Ausnahmen des Rechts auf Beschlagnahme ausdrücklich geregelt hat. Nach § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO greift ein Beschlagnahmeverbot nur ein, wenn sich die zu beschlagnahmenden Gegenstände im Gewahrsam des Verteidigers befinden. Wenn die herrschende Meinung also aus der Vorschrift des § 148 StPO ein umfassendes Beschlagnahmeverbot ableitet, das unabhängig vom Aufbewahrungsort der Unterlagen gilt, ist zunächst festzuhalten, dass sie sich hierdurch über den Wortlaut des Gesetzes hinwegsetzt. Die Richtigkeit dieser Vorgehensweise ergibt sich aber aus dem verfassungsrechtlich geschützten Recht des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 6 EMRK): § 148 StPO ist Ausdruck einer Rechtsgarantie, die der Gewährung einer wirksamen Strafverteidigung dient, indem sie die besondere Vertrauensbeziehung zwischen Verteidiger und 210
Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (163). Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (163); zustimmend auch Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (385). 212 Jahn, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 111 (123); Hart-Hönig, in: FS für Schiller (2014), 281 (291 ff.); Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (163); Gercke, in: FS für Wolter (2013), 933 (937) m.w.N. 213 Grundlegend zur Situation der Unternehmensverteidigung nach § 434 Abs. 1 StPO Jahn, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 111 (122 ff.). Siehe auch Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 78 ff. 211
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Beschuldigten nach außen hin abschirmt und gegen Eingriffe schützt214. Die bewusste Stärkung der Position des Beschuldigten und seiner Verteidigungsmöglichkeit dient zugleich der Gewährleistung der Menschenwürde215. Mithin kann es bei Vorliegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses keinen Unterschied machen, in wessen Gewahrsam sich Verteidigungsunterlagen befinden. In der hier zu beurteilenden Konstellation handelt es sich jedoch nicht um eine natürliche Person. Unternehmen können sich als juristische Personen nicht auf die Menschenwürde berufen, weshalb eine unmittelbare Übertragung der dargelegten Argumentation ausscheidet. Allerdings ist der Gesichtspunkt der Menschenwürde nicht entscheidend. Denn das besondere Verständnis des § 148 StPO zieht seine Berechtigung primär und in entscheidender Weise aus dem Recht auf eine effektive Verteidigung216. Zutreffend wird aus dem Regelungsgehalt der Vorschrift die normative Gewährleistung der unabdingbaren Voraussetzungen einer effektiven Verteidigung abgeleitet217. Der vertrauensvolle Schutz der Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger ist Grundlage für die Erarbeitung einer Verteidigungsstrategie218. Eingriffe in diese „Geheimsphäre der Verteidigung“ verhindern eine sachgerechte Verteidigung und sind unzulässig. Dieses besondere Freiheitsrecht besteht unabhängig von der Trägerschaft der Menschenwürde. Es steht daher nicht nur natürlichen Personen zu, sondern auch juristischen Personen, die sich in einer Verteidigungsposition befinden. Dies folgt bereits aus der Überlegung, dass die hinter dem Unternehmen stehenden Personen gerade die Rechtsform eines Unternehmens gewählt haben, um am Markt wirtschaftlich tätig zu werden. Ihnen muss es möglich sein, wirtschaftliche Interessen durch das Unternehmen nachteilslos durchzusetzen bzw. zu verteidigen. Hinzu kommt, dass die Begründung für ein unabhängig vom Aufbewahrungsort bestehendes Beschlagnahmeverbot bei einer Verteidigung von Unternehmen in noch stärkerem Maße greift, als dies bei natürlichen Personen der Fall ist, worauf Rütters/Schneider219 bereits zutreffend hingewiesen haben: Der BGH hat in der bereits zitierten Entscheidung zu Recht darauf abgestellt, dass es gerade in Verfahren, denen komplexe Sachverhalte zugrunde liegen, für den Beschuldigten nötig sein wird, sich zur Vorbereitung und Durchführung seiner Verteidigung schriftliche Aufzeichnungen als Gedächtnisstütze zu fertigen. Stünden derartige Unterlagen dem Zugriff der Ermittlungsbehörden offen, so wäre der Beschuldigte an einer sachgerechten Verteidigung gehindert220. Diese Erwägungen des BGH lassen sich auf Unternehmen in einer beschuldigtenähnlichen Position nicht nur übertragen, sie gelten sogar in besonderem Maße. Dies nicht nur, 214
Laufhüttel, in: KK-StPO, § 148 Rn. 4; BGHSt 27, 260 (262). Vgl. BVerfG StV 2007, 399 (400); grundlegend zum Menschenwürdebezug einer effektiven Strafverteidigung BVerfGE 109, 279 (322); BVerfG NJW 2012, 833 (840). 216 Grundlegend dazu BGHSt 44, 46 (48) = NJW 1998, 1963. 217 Vgl. nur Wohlers, in: SK-StPO, § 148 Rn. 1 ff.; 27 ff. m.w.N. 218 BGHSt 44, 46 (48 ff.). 219 Vgl. Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (165). 220 Vgl. BGHSt 44, 46 (49). 215
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weil es sich regelmäßig um besonders komplexe Verfahren handelt. Maßgeblich ist, dass ein Unternehmen mit wechselnden Mitarbeitern und Organen sein kollektives Gedächtnis nur durch die Erstellung von Unterlagen sicherstellen kann221. Vor diesem Hintergrund sind auch Befragungen von Mitarbeitern durch mandatierte Rechtsanwälte im Falle einer Unternehmensverteidigung im Sinne des BGH als Anfertigung einer Gedächtnisstütze zu bewerten, die der Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung dienen. Schließlich geht es auch hier darum, den zugrunde liegenden Sachverhalt zu rekonstruieren, um hiervon ausgehend eine effektive Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Liegt wegen der Verteidigungssituation des Unternehmens eine Nebenbeteiligung des Unternehmens im Verfahren vor, so gelten die Beschlagnahmeverbote folglich im gleichen Umfang wie im Falle einer Individualverteidigung. Unterlagen, die unternehmensintern zum Zwecke der Verteidigung gefertigt wurden222, dürfen auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung des 148 StPO in dieser Situation daher auch dann nicht beschlagnahmt werden, wenn diese im Unternehmen aufbewahrt werden223. cc) Zeitliche Geltung des Beschlagnahmeverbots von Verteidigungsunterlagen Ein Verteidigungsmandat kann dabei nach vorzugswürdiger Ansicht nicht erst mit der Einleitung eines förmlichen Verfahrens gegen das Unternehmen als juristische Person begründet werden224, sondern bereits dann, wenn die aufzudeckenden Missstände im Unternehmen strafrechtliche Relevanz aufweisen und sich das Unternehmen zumindest auch aus diesem Grunde an die beauftragte Rechtsanwalts221
Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (165). Das Merkmal der Fertigung „zum Zwecke der Verteidigung“ verdient bei Erkenntnissen aus einer internen Untersuchung besondere Beachtung. So hat beispielsweise das LG Braunschweig in seinem Beschluss vom 21. 07. 2015 (Az. 6 Qs 116/15) einen Bericht der Revision nicht als Verteidigungsunterlage im Sinne der §§ 97, 148 StPO angesehen, weil dieser nach Ansicht der Kammer nicht zum Zwecke der Verteidigung erstellt wurde. Eingehend hierzu Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (386). 223 LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40 (mit zustimm. Anmerkung Ballo); Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (384); Jahn/Kirsch, NZWiSt 2016, 39; Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (153); Taschke, in: FS für Hamm (2008), 751 (761 ff.); Wessing, in: FS für Mehle (2009), 665 (678); ders., ZWH 2012, 6 (9 ff.); Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 78 ff.; Rütters/Schneider, GA 2014, 160 (163). Die Entscheidung des LG Mannheim, NStZ 2012, 713 steht dieser Sichtweise nicht entgegen, da der Fall einer Unternehmensverteidigung nicht vorlag bzw. von der Kammer nicht erörtert wurde. Überzeugend dazu Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718 (720 ff.). 224 So aber LG Bonn NZWiSt 2013, 21 (25); Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 148 Rn. 4; siehe auch Wimmer, WiJ 2013, 102 (104): „Letztlich müssen hier die gleichen Grundsätze wie für den Beschuldigten gelten, bei dem alleine der Willensakt der Staatsanwaltschaft die Beschuldigteneigenschaft begründen kann.“ 222
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kanzlei wendet225. Das Gebot einer effektiven Verteidigung verlangt nicht nur eine räumliche Erweiterung der Beschlagnahmeverbote des § 97 Abs. 1 StPO auf Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten226, sondern setzt auch eine zeitliche Ausdehnung auf den Zeitraum nach Eintritt des Regelverstoßes aber vor Einleitung eines förmlichen Verfahrens voraus227. Maßgeblich ist, ob im Zeitpunkt der Durchführung der internen Untersuchung tatsächliche Anhaltspunkte für Sanktionen gegen das Unternehmen bestehen, die geeignet sind, ein Verteidigungsverhältnis zu begründen228. Legt der bekanntgewordene Regelverstoß ein Fehlverhalten des Unternehmens nahe, ist die Vornahme unternehmensinterner Befragungen – wie dargelegt – regelmäßig zugleich vorbereitender Baustein einer effektiven Verteidigung des Unternehmens229. Erst die umfassende Kenntnis verfahrensgegenständlicher Sachverhalte ermöglicht die Entwicklung einer effektiven Verteidigungsstrategie, die auch in einer frühzeitigen Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden ihren Ausdruck finden kann230. Repressive Compliance-Maßnahmen weisen somit eine besondere Nähe zum späteren Strafverfahren auf, weshalb konsequenterweise bereits in dieser Vorphase den Betroffenen strafprozessuale Schutz zukommen muss231. Das Interesse des Staates an einer funktionierenden Strafrechtspflege wird hierdurch auch nicht unverhältnismäßig eingeschränkt, da das Privileg der Beschlagnahmefreiheit der Zweckbindung einer späteren Verteidigung unterliegt232, mithin also keine über § 97 StPO hinausgehende inhaltliche Erweiterung der Verteidigungsrechte erfolgt. Somit kommt es darauf an, ob der beauftragte Rechtsanwalt die Wahrnehmung des Mandats und die hiermit verbundenen Aufklärungsmaßnahmen im Zeitpunkt 225 Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (385) unter Verweis auf LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40; ähnlich zuvor Jahn/Kirsch, NZWiSt, 2013, 28. Auch das LG Gießen, wistra 2012, 409 (410) hat betont, dass der Schriftverkehr zwischen einem Rechtsanwalt und einem Betroffenen im Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens ebenso schützenswert ist, wie im Falle einer förmlichen Einleitung eines solchen. Grundlegend zur Bedeutung der Vertragsanbahnungsphase für das Verteidigungsmandat OLG München NStZ 2006, 300 (301); Jahn/Lüderssen, in: LR-StPO, § 148 Rn. 7 ff. 226 Siehe dazu BGHSt 44, 46 = NJW 1998, 1963. 227 Überzeugend dazu Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639 (1640 ff.); siehe auch Hart-Hönig, in: FS für Schiller (2014), 281 (291 ff.); Wessing, in: BeckOK-StPO, § 148 Rn. 10. 228 Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (385) unter Verweis auf LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40. 229 LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40; von Saucken, WiJ 2013, 30 (32); siehe auch Jahn, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 111 (123). 230 Dazu bereits oben S. 60 ff. 231 Ähnlich Jahn/Kirsch, NZWiSt 2013, 28 (30); siehe auch Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639 (1640 ff.). Siehe auch LG Frankfurt am Main, Beschluss v. 27. 04. 2004 = StraFO 2004, 239. 232 Zur sachlichen Beschränkung auf Verteidigungsunterlagen, die sich der Ausrichtung der StPO auf natürliche Personen folgend nach dem idealtypisch-klassischen Verteidigungsbild bestimmen Hart-Hönig, in: FS für Schiller (2014), 281 (291 ff.).
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seines Tätigwerdens selbst als Teil einer (Straf)Verteidigung des Unternehmens begreift bzw. begreifen darf233. Ein derartiges Verständnis entspricht im Übrigen der ganz herrschenden Meinung im europäischen Kartellverfahren, wo eine zeitliche Ausdehnung der Verteidigungsrechte im Sinne eines generellen „legal privilege“ längst anerkannt ist234. b) Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen außerhalb einer Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten Die eben dargelegten Grundsätze setzen eine besonders geartete Vertrauensbeziehung zwischen dem mandatierten Rechtsanwalt und dem beauftragendem Unternehmen voraus, die aus dem potentiellen Beschuldigtenstatus des Unternehmens resultiert. Ein entsprechender Beschlagnahmeschutz kann daher nur eingreifen, wenn die entsprechenden Unterlagen zumindest auch zum Zwecke einer Verteidigung des Unternehmens angefertigt wurden235. Im Zeitpunkt der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen steht die strafrechtliche Relevanz des auslösenden Regelverstoßes aber unter Umständen noch gar nicht fest236. In dieser Konstellation, die auch den viel beachteten Entscheidungen der Landgerichte Hamburg237 und Mannheim238 zugrunde lag, dienen die Befragungen daher ausschließlich der Aufklärung des Sachverhaltes bzw. der Prüfung von Haftungsrisiken und eigener Regressansprüche gegenüber Dritten und können somit nicht als Unternehmensverteidigung im oben genannten Sinne angesehen werden. Damit scheidet auch ein Rückgriff auf § 148 StPO aus, weshalb sich die normative Antwort
233
Gercke, in: FS für Wolter (2013), 933 (937) unter Verweis auf BGHSt 29, 99 (105); Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (385); siehe auch LG Gießen, wistra 2012, 409 (410). 234 Vgl. EuGH, Urt. v. 18. 05. 1982 – Rs. 155/97 („AM & S“), instruktiv dazu Kübler/ Pautke, BB 2007, 390; siehe auch Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639 (1642 ff.). 235 Ebenso LG Braunschweig, Beschluss vom 21. 07. 2015 – 6 Qs 116/15 = wistra 2016, 40; Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718 (720 ff.); siehe in diesem Zusammenhang auch LG Gießen, wistra 2012, 409 (410). 236 Zwar hat die Untersuchung der Strafbarkeitsrisiken gezeigt, dass ein betrieblicher Regelverstoß eines Mitarbeiters für das Unternehmen und seine Unternehmensführer sehr schnell auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. Dies erlaubt es jedoch nicht, den Verantwortlichen aus diesem Grunde automatisch den strafprozessualen Status eines Beschuldigten zuzusprechen. Hierfür wird man vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte einfordern müssen, deren Vorliegen aus Sicht der staatlichen Strafverfolgungsorgane den Anfangsverdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit begründen. Nur in dieser Situation wird ein Rechtsanwalt das eigene Wirken schließlich als Verteidigungsmandat begreifen. 237 LG Hamburg, Beschluss vom 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10 = StV 2011, 148. 238 LG Mannheim, Beschluss vom 03. 07. 2012 – 24 Qs 2/12 = NStZ 2012, 713. Allerdings lag es in dem der Entscheidung zugrundliegenden Sachverhalt nicht fern, die fraglichen Dokumente als Verteidigungsunterlagen zu werten und einen Beschlagnahmeschutz über §§ 434 Abs. 1, 442 Abs. 1, 444 Abs. 2 StPO i.V.m. § 148 StPO anzunehmen, worauf die Kammer aber nicht eingegangen ist. Siehe dazu Jahn/Kirsch, NStZ 2012, 718 (720 ff.).
A. Strafprozessrechtliche Rahmenbedingungen
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auf die Frage einer Beschlagnahmefreiheit in dieser Situation nur aus der hierfür vorgesehenen Vorschrift des § 97 StPO ergeben kann. aa) Zur Bedeutung und Reichweite des § 160a StPO Anderes könnte sich aber aus der Vorschrift des § 160a StPO ergeben, die seit ihrer Neufassung239 nunmehr in ganz allgemeiner Form allen Rechtsanwälten (und nicht mehr wie ursprünglich nur Strafverteidigern) einen Schutz gegen staatliche Ermittlungsmaßnahmen gewährt. So wird von prominenten Stimmen im Schrifttum240 davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung zugleich eine Erweiterung der Schutzregelungen des § 97 StPO normiert hat241: Wenn § 160a StPO nach seinem Wortlaut nun Ermittlungsmaßnahmen jeder Art bei Rechtsanwälten als unzulässig einstufe, impliziere dies unabhängig von den Voraussetzungen des § 97 StPO auch ein Verbot der Beschlagnahme von mandatsbezogenen Unterlagen in der Kanzlei242. Dem dieser Ansicht offenkundig entgegenstehenden Wortlaut des § 160a Abs. 5 StPO, wonach die Geltungskraft des § 97 StPO fortbestehen soll („bleibt unberührt“), wird mit dem Argument begegnet, der Gesetzgeber habe durch die Neufassung des § 160a StPO eine Generalklausel schaffen wollen, die neben den bestehenden Privilegierungen die Anwaltschaft in allgemeiner Form vor Ermittlungsmaßnahmen schützen solle. Der Passus in § 160a Abs. 5 StPO stelle nach den Befürwortern dieser Ansicht lediglich sicher, dass die Beschlagnahmeverbote nach § 97 Abs. 1 StPO zugunsten derjenigen Berufsträger, die nicht dem absoluten Schutz des § 160 Abs. 1 StPO unterfallen, in vollem Umfang weitergelten. Insofern werde § 160a StPO durch § 97 StPO zwar ergänzt, keinesfalls aber eingeschränkt243. Der dargelegten Ansicht ist zunächst entgegenzuhalten, dass § 97 StPO überhaupt nur im Anwendungsbereich des § 160a Abs. 2 StPO über das absolute Schutzniveau der Vorschrift hinausreicht. Die Richtigkeit dieser Sichtweise unterstellt, wäre es insoweit zweckmäßiger gewesen, auch unmittelbar an dieser Stelle auf die Schutzerweiterung des § 97 StPO zu verweisen. Jenseits dieser formalen Zweck239
Neugefasst durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht vom 22. 12. 2010, BGB1. I, S. 2261. 240 Vgl. etwa Schuster, NZWiSt 2012, 28 (29 ff.); ders., NZWiSt 2012, 431 (432); Ballo, NZWiSt 2013, 46; Knauer, ZWH 2012, 81; Mark, ZWH 2012, 311; Knierim, FD-StrfR 2011, 314177; Bertheau, StV 2012, 303 (306); von Galen, NJW 2011, 945; Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 5 Rn. 68. 241 Der Versuch über § 160a StPO eine Erweiterung der Schutzregelungen des § 97 StPO zu begründen, dürfte vielfach allerdings der noch vorherrschenden Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO geschuldet sein, wonach das dortige Beschlagnahmeverbot allein im Verhältnis zum Beschuldigten gelten soll. Zur Problematik sogleich unten S. 181 ff. 242 Schuster, NZWiSt 2012, 28 (29 ff.); ders., NZWiSt 2012, 431 (432). 243 Schuster, NZWiSt 2012, 28 (29 ff.); ders., NZWiSt 2012, 431 (432); siehe auch Ballo, NZWiSt 2013, 46; Knauer, ZWH 2012, 81; Bertheau, StV 2012, 303 (306); von Galen, NJW 2011, 945; Bock/Gerhold, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 5 Rn. 68.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
mäßigkeitserwägung gibt es aber vor allem keinen vernünftigen Grund bei der Beurteilung des Verhältnisses von § 97 StPO zu § 160a StPO nur die für die Anwaltschaft positive Seite einer Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes ins Blickfeld zu nehmen, zumal der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, mit der Neufassung, „erstmals eine Regelung geschaffen [zu haben], wonach auch alle anderen [ausgenommen die Sondervorschriften des § 97 StPO und § 100c Abs. 6 StPO] Ermittlungsmaßnahmen Einschränkungen unterworfen werden“244. Zu Recht hat Erb245 daher in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Verweis in § 160a Abs. 5 StPO auf die gesamte Vorschrift des § 97 StPO Bezug nimmt und damit auch die Ausnahmen besonderer Beschlagnahmeprivilegierungen in § 97 Abs. 2 StPO umfasst. Nach § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO sind Beschlagnahmehandlungen nun aber nicht nur bei einer kriminellen Verstrickung des Berufsgeheimnisträgers zulässig, sondern erlauben den Zugriff bei Deliktsgegenständen jeder Art unabhängig von der Kenntnis des Berufsträgers. Damit reicht die Vorschrift deutlich über die Voraussetzungen der Parallelnorm in § 160a Abs. 4 StPO hinaus. Es scheint schwerlich vorstellbar, dass der Gesetzgeber derart massive Auswirkungen auf den Anwendungsbereich und das Regelungsgefüge von § 97 StPO durch eine Generalklausel revidieren wollte ohne dies in der Gesetzesbegründung zu dokumentieren246. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Konsequenzen eines absoluten Schutzcharakters von § 160a StPO vor Augen führt: Wären unabhängig von Art und Herkunft der Beweisgegenstände jegliche Zugriffe untersagt, könnten auch außerhalb der geschützten Kommunikationssphäre anzusiedelnde Beweisgegenstände (z. B. gefälschte Firmenbilanzen) nicht von den Strafverfolgungsorgane herangezogen werden, wenn sich diese im anwaltlichen Gewahrsam befinden. Für den Beweismittelinhaber bestünde sogar die gesetzliche Möglichkeit, diesen Missstand durch die Verlagerung eines Beweisgegenstandes in die Gewahrsamssphäre eines gutgläubigen Berufsgeheimnisträgers, der mangels Verstrickung also nicht über § 160a Abs. 4 StPO angreifbar wäre, gezielt herbeizuführen247. Die hieraus resultierenden Gefahren für die Objektivität des Strafverfahrens und den damit zusammenhängenden Schutz weiterer Verfahrensbeteiligter liegen auf der Hand248. Diese rechtsstaatlich nicht tragfähigen Konsequenzen gebieten es folglich, den speziellen Anwendungsbereich des § 97 StPO tatsächlich „unberührt“ zu lassen, wie es § 160a Abs. 5 StPO vorsieht.
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BT-Drs. 17/2637, S. 6. Vgl. Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (175 ff.). 246 Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (175); siehe dazu auch ders., in: LR-StPO, § 160a Rn. 56. 247 Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (176); siehe auch Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 160. Ähnlich auch LG Mannheim, wistra 2012, 400 (405 ff.). 248 Ähnlich Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (181). Zur Gefährdung der Rechtsposition des Beschuldigten zutreffend auch schon LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (715). 245
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Die Vorschrift des § 160a StPO ist demzufolge als Generalklausel249 zu begreifen, deren Anwendungsbereich erst eröffnet ist, wenn die speziellere Vorschrift des § 97 StPO keine eigenständige Regelung trifft250. Die Frage einer Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen, die ein Rechtsanwalt in Ausübung seiner Tätigkeit erstellt hat, wurde ausweislich des Wortlauts jedoch dem Regelungsgehalt des § 97 StPO zugewiesen, weshalb sich eine Beschlagnahmefreiheit auch nur aus dieser Vorschrift ergeben kann251. bb) Reichweite eines Beschlagnahmeschutzes nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO Halten wir uns an die Regelung des § 97 Abs. 1 StPO, so führt dies unmittelbar zu einer weiteren im Gesetz angelegten Problematik: Während § 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, 1. Alt. StPO ihre Schutzwirkungen bezüglich schriftlicher Mitteilungen und Aufzeichnungen nach dem eindeutigen Wortlaut von dem Beschuldigtenstatus des Betroffenen abhängig machen, ist in § 97 Nr. 2, 2. Alt. StPO sowie im Auffangtatbestand des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO lediglich allgemein von „Aufzeichnungen … über andere Umstände“ bzw. „andere[n] Gegenstände[n] die Rede, „auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt“. Bezieht man sich ausschließlich auf den Gesetzestext, wird man § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nur so verstehen können, dass der Gesetzgeber hier im Gegensatz zu den Regelungen in Nr. 1 und Nr. 2, 1. Alt. auf das Erfordernis eines Beschuldigtenstatus verzichtet hat und es daher allein auf ein bestehendes Vertrauensverhältnis zwischen dem Berufsgeheimnisträger und einem Dritten ankomme252. Dies würde allerdings dazu führen, dass man dem Auffangtatbestand eine solche Reichweite verleihen würde, dass die tatbestandliche Einschränkung auf den Beschuldigten in Nr. 1 und Nr. 2, 1. Alt. gänzlich überflüssig wäre, weshalb die
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Vgl. BT-Drs. 16/5846, S. 38; siehe auch Griesbaum, in: KK-StPO, § 160a Rn. 21. Vgl. hierzu im Besonderen Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (939 ff.), der diesbezüglich auf den Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. 12. 2007 (BGBl. I, S. 3198) verweist, wo der Gesetzgeber die Vorrangstellung des § 97 StPO selbst klargestellt hat, vgl. BT-Drs. 16/584, S. 38. 251 Ebenso LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (716 ff.); Griesbaum, in: KK-StPO, § 160a Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 160a Rn. 17; Erb, in: FS Kühne (2013) 171 (176); Patzak, in: Beck-OK-StPO, § 160a Rn. 17; Wimmer, WiJ 2013, 102; Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (939 ff.); Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 160; a.A. Ballo, NZWiSt 2013, 46 (48 ff.); differenzierend Sahan, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 133 (142 ff.). 252 Hierfür etwa auch unter ausdrücklichen Verweis auf den Wortlaut LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (716 ff.); Gercke, in: HK-StPO, § 97 Rn. 31; Sahan, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 133 (137 ff.); Zerbes, ZStW 125 (2013), 551 (562 ff.); de Lind van Wijngaarden/Egler, NJW 2013, 3549 (3552). 250
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h.M.253 die Vorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO lediglich als sachliche Erweiterung der erst genannten Ziffern auf „sonstige Gegenstände“ begreift und daher auch an dieser Stelle eine Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten einfordert. Vermag dies auch gesetzessystematisch nachvollziehbar sein, bedeutet eine derartige Verengung des Anwendungsbereichs des § 97 Abs. 1 StPO aber gleichsam, dass es an einer Kongruenz mit dem als solches nicht auf eine Beziehung zum Beschuldigten beschränkten Zeugnisverweigerungsrecht trotz identischer Interessenlage fehlt. Dies erscheint umso unbefriedigender, als die Vorschrift des § 97 Abs. 1 StPO gerade als akzessorischer Umgehungsschutz für das Zeugnisverweigerungsrecht nach den §§ 52 ff. StPO konzipiert wurde254. Ginge man rein nach der Gesetzessystematik von einer tatbestandlichen Verengung auf Beziehungen zum Beschuldigten aus, wären sämtliche Unterlagen, die ein Berufsgeheimnisträger in Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit für einen Dritten erstellt, dem staatlichen Zugriff preisgegeben255. Dies wiegt umso schwerer, als die meisten der nach § 53 StPO privilegierten Berufsgeheimnisträger außerstande sein dürften, die ihnen angetragenen Tätigkeiten ohne das Anfertigen von Unterlagen ordnungsgemäß auszuführen. Im Ergebnis führt der Weg der h.M. also zu einer völligen Entwertung des anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrechts außerhalb von Beziehungen zum Beschuldigten, was mit dem dargelegten Schutzzweck des Gesetzes unvereinbar ist. Dass eine derartige Lücke in der anwaltlichen Vertrauens- und Schutzsphäre auch gesetzgeberisch nicht gewollt war, lässt sich der Gesetzesbegründung des § 160a StPO entnehmen, dessen Ziel es war, „den absoluten Schutz“ im Anwaltsmandat einzuführen256. Zwar kann § 160a StPO wegen der Vorrangstellung des § 97 StPO keine normative Wirkung entfalten. Der hierin verkörperte (und freilich nicht normgebundene) gesetzgeberische Wille kann aber bei der Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO fruchtbar gemacht werden257. Vergegenwärtigt man sich zudem, dass der verfassungsrechtliche Gehalt der strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechte258 nur durch einen lückenlosen Schutz dieses Rechtsinstitutes gewährleistet wird, kann
253 OLG Celle NJW 1965, 362 = JR 1965, 107; LG Hamburg StV 2011, 148; LG Bonn NZWiSt 2013, 21; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 97 Rn. 10; Goeckenjan, in: FS für Samson (2010), 641 (654); Schröder/Kroke, wistra 2010, 466 (468); Wimmer, WiJ 2013, 102 (103 ff.). 254 Näher hierzu Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (153); grundlegend zum Regelungszweck des § 97 StPO auch BGH NJW 1992, 763; OLG Frankfurt NJW 2002, 1135; Greven, in: KK-StPO, § 97 Rn. 1. 255 So die (auf Grundlage der h.M. freilich auch konsequente) Sichtweise des LG Hamburg StV 2011, 148 (149); ebenso auch Wimmer, WiJ 2013, 102 (103 ff.). 256 So die Aussage von MdB Sensburg bei den Beratungen zur Einführung des § 160a StPO, Plenarprotokoll 17/71, S. 7707. Zum entsprechenden Niederschlag in der Gesetzesbegründung vgl. BT-Drs. 17/2637, S. 6. 257 Ähnlich Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (945). 258 Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO Rengier, Das Zeugnisverweigerungsrecht im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, S. 14.
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§ 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO verfassungs- und wortlautkonform259 nur so verstanden werden, dass schriftlich fixierte Kommunikationsinhalte ebenso wie im Zusammenhang mit diesem Auftrag von Seiten des Berufsträgers vorgenommene Erhebungen auch dann vor einem staatlichen Zugriff abgeschirmt sind, wenn keine Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten besteht, sondern eine solche zu einem Dritten betroffen ist260. Für die Erkenntnisse einer unternehmensinternen Untersuchung bedeutet dies, dass sämtliche von anwaltlicher Seite im Rahmen des Mandats angefertigten Befragungsprotokolle und Auswertungsberichte beschlagnahmefrei sind, sofern sie sich im Gewahrsam der beauftragten Anwaltskanzlei befinden261. Letzteres folgt dabei unmittelbar aus § 97 Abs. 2 Satz 1 StPO wonach die in § 97 Abs. 1 StPO normierten Privilegierungen nur gelten, „wenn die Gegenstände im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind“262. cc) Sonderfall: Beschlagnahmefreiheit bei überlassenen Gegenständen Mit dem gefundenen Ergebnis ist aber noch keine Aussage darüber getroffenen, wie mit Gegenständen zu verfahren ist, die nicht unmittelbarer Ausfluss der anwaltlichen Tätigkeit sind, sondern dem Zeugnisverweigerungsberechtigten nur von Mandantenseite überlassen wurden. Bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen mündet diese Problematik in die konkreten Frage ein, ob ein Beschlagnahmeschutz bezüglich der Befragungsprotokolle auch dann besteht, wenn ohne anwaltliche Mitwirkung erlangte Erkenntnisse nach Abschluss der internen Befragungen im Zuge eines bestehenden Beratungsmandates an die Kanzlei übergeben wurden (beispielsweise verbunden mit dem Auftrag, diese juristisch auszuwerten) und sich nunmehr in anwaltlichen Gewahrsam befinden. Bereits der Wortlaut des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO verweist den Rechtsanwender diesbezüglich auf die Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts („auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht […] erstreckt“). Hält man sich demzufolge an § 53 StPO als Muttervorschrift der Zeugnisverweigerungsrechte, fällt unweigerlich der dort 259 Grundlegend zur Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung Jahn, ZIS 2011, 453 (457 ff.), zustimmend Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (943 ff.); im Grundsatz auch Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (178 ff.). Vgl. auch schon die entsprechenden Überlegungen bei Jahn/Kirsch, StV 2011, 151 (154). 260 Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (179). Ebenso Jahn, ZIS 2011, 453 (457 ff.), Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (945 ff.). Nur im Ergebnis zustimmend v. Galen, NJW 2011, 945. 261 Ebenso bereits LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (716 ff.). 262 Anders wohl nur Ballo, NZWiSt 2013, 46 (48 ff.), der über die Vorschrift des § 160a StPO die Unzulässigkeit einer Beschlagnahme von Auswertungsberichten von Rechtsanwälten auch für den Fall proklamiert, wenn diese im Unternehmen aufbewahrt werden. Diese Auffassung kann jedoch ausschließlich für den Fall einer Unternehmensverteidigung überzeugen, da § 97 Abs. 1 StPO sogar Beschlagnahmehandlungen beim Beschuldigten zulässt. Die zum Schutz der Vertrauensbeziehung des Beschuldigten zu seinem Verteidiger entwickelten Grundsätze können nicht auf Situationen übertragen werden, in denen es an einer solchen Vertrauensbeziehung gänzlich fehlt.
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verwendete Begriff des „Anvertrauens“ ins Auge. Dieser erfasst vom Sprachgebrauch nicht nur eine mündliche Mitteilung, sondern auch die Übergabe eines Gegenstandes. Auch der systematische Vergleich innerhalb des § 97 StPO spricht scheinbar dafür, dass sich der Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte auch auf eingebrachte Gegenstände bezieht. Denn wenn ein Beschlagnahmeschutz von vornherein nur bezüglicher solcher Gegenstände erwachsen könnte, die der anwaltlichen Vertrauenssphäre entspringen, bedürfte es nicht der gesetzgeberischen Klarstellung in § 97 Abs. 2 StPO, wonach Deliktsgegenstände, die bereits denklogisch vor der anwaltlichen Mandatierung entstanden sein müssen, von einem Beschlagnahmeverbot ausgenommen sind. Allerdings ist diese Vorschrift bereits ausweislich ihres Wortlauts ausschließlich auf die Beziehung zum Beschuldigten konzipiert, weshalb die dort getroffenen Regelungen nicht als Auslegungsprämissen für Vertrauensbeziehungen außerhalb von Beschuldigtenmandaten herangezogen werden können. Greift man daher auch an dieser Stelle auf die gesetzlichen Wertungen des § 160a StPO als Auslegungshilfe zurück, liegt es wegen des gesetzgeberisch gewollten absoluten Schutz des Anwaltsmandats auf den ersten Blicke nahe, auch solche Gegenstände dem Schutz der Mandatssphäre zu unterstellen, die dem Rechtsanwalt nur überlassen wurden. Bliebe man an dieser Stelle stehen, wäre dies jedoch mit rechtsstaatlich äußerst bedenklichen Konsequenzen verbunden: Lässt man die Herkunft eines Gegenstandes (mit Ausnahme seiner Deliktsnatur263) unberücksichtigt und sieht als Voraussetzung einer Beschlagnahmefreiheit nur das Mandatsverhältnis und den anwaltlichen Gewahrsam, so eröffnet man jedem, der ein begründetes Interesse an einer Rechtsberatung besitzt, die Möglichkeit, durch die Übergabe an einen Rechtsanwalt beweiserhebliches Material dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane zu entziehen. Schlimmer noch: Es läge de facto in seiner alleinigen Entscheidung, ob und inwieweit er die in seinem Herrschaftsbereich befindliche Beweismittel den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellt264. Der Gesetzgeber würde einem privaten Dritten also die Möglichkeit einräumen, die staatliche Wahrheitsermittlung (ggf. auch zum Nachteil des Beschuldigten!) zu verfälschen265. Der insoweit auch nicht limitierte Entzug beweiserheblicher Unterlagen wäre in seiner Bedeutung für das Strafverfahren mit der Abgabe einer Sperrerklärung für Behördenunterlagen oder Zeugen gleichzusetzen266. Während derartige behördliche Handlungsoptionen sich 263 Deliktsgegenstände sind unstreitig nicht von einem Beschlagnahmeverbot umfasst: Wenn nach dem Wortlaut des § 97 Abs. 2 StPO schon keine Beschlagnahmefreiheit bei Deliktsgegenständen innerhalb von Vertrauensbeziehungen zum Beschuldigten besteht, so muss dies erst recht gelten, wenn nur eine Mandatsbeziehung zu einem Dritten betroffen ist, der sich keinem strafrechtlichen Tatvorwurf ausgesetzt sieht. 264 Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (182); siehe zuvor auch schon LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (715 ff.). 265 Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (182); siehe auch Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (384). 266 So bereits LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (715 ff.).
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aber an Recht und Gesetz zu orientieren haben und von Personen zu treffen sind, die an diese Kategorien gesetzlich gebunden sind, unterläge der Ausschluss von Beweismitteln aus der Anwaltssphäre nach der dargelegten Sichtweise keiner normativen Steuerung, sondern nur der Willkür des privaten, interessengeleiteten Mandanten267. Vor diesem Hintergrund trägt auch die Behauptung nicht, der Gesetzgeber habe zur Verwirklichung des absoluten Schutzes des anwaltlichen Mandats entsprechende Folgen in Kauf genommen. Bereits die Einschränkung in § 160a Abs. 4 StPO zeigt, dass es einen absoluten Schutz des Berufsgeheimnisträgers nicht geben kann, sondern ein Beschlagnahmeschutz spätestens dort seine Grenze findet, wo der Boden des Rechts verlassen wird und eine Wahrheitsfindung vereitelt zu werden droht. An dieser Stelle sei klargestellt, dass mit der aufzeigten Kritik an einem umfassenden Beschlagnahmeschutz in keiner Weise die Rechtstreue der Anwaltschaft in Frage gestellt wird. Ungeachtet dessen dürfte es dem mandatierten Rechtsanwalt (erst recht wenn er unternehmensfremd ist!) vielfach gar nicht möglich sein, zu erkennen, inwieweit die ihm (ggf. in großem Umfang) übergebenen Unterlagen geeignet sind, die Wahrheitsfindung im Strafverfahren zu beeinträchtigen268. Daher ist es auch nicht zielführend, eine Beschlagnahmefreiheit im Wege einer verfassungskonformen Auslegung nur für den Fall eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens abzulehnen269. Das unscharfe Kriterium der Rechtsmissbräuchlichkeit taugt nicht, die im Zusammenhang mit Ermittlungen im Unternehmen zu Tage geförderten massenhaften Unterlagen differenzierend zu bewerten. Der Schutzzweck des § 97 StPO Abs. 1 Nr. 3 StPO bzw. § 160a Abs. 1 StPO als ausschlaggebendes Kriterium für eine verfassungskonforme Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO dient dem Schutz des anwaltlichen Mandats und umfasst somit neben der unmittelbaren Personenbeziehung nur deren unmittelbare Ausflüsse. Er ist nicht darauf gerichtet, einem Zeugen, der keinerlei strafrechtliche Ermittlungen zu befürchten hat, Raum für einen Entzug von (den Beschuldigten ggf. entlastenden!) Beweismitteln zu bieten, die nach dem staatlichen Strafanspruch, der eine umfassende Sachverhaltsaufklärung miteinschließt, ausschließlich dem Staat zugewiesen sind. Ein staatlicher Verzicht auf ein Beweismittel ist nur vorgesehen, wenn dieses aus einer geschützten Sphäre entstammt oder besonders privilegierte Rechtsposi267
Ähnlich Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (180 ff.). Ähnlich auch schon LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (715), das die Befürchtung äußert, der Rechtsanwalt könne als „nicht-doloses Werkzeug“ missbraucht werden. Kritisch hierzu Ballo, NZWiSt 2013, 46 (52), dessen Verweis auf die Prüfpflicht des Rechtsanwalts aber ins Leere geht, da auch eine sorgfältige Ausübung derselben dort ihre natürliche Grenze findet, wo ihr tatsächliche Umstände (z. B. Prüfungsmasse) entgegenstehen. 269 So das LG Mannheim, NStZ 2012, 713 (716 ff.) unter Verweis auf Sinn und Zweck der Regelungen zum Beschlagnahmeschutz. Ähnlich wie hier auch die Kritik von de Lind van Wijngaarden/Egler, NJW 2013, 3549 (3552), die aber den durch § 160 Abs. 4 StPO normierten Missbrauchsschutz als ausreichend ansehen. Siehe dazu auch von Saucken, WiJ 2013, 30 (33), der insoweit zutreffend darauf hinweist, dass das Kriterium des Rechtsmissbrauchs geeignet ist, dass notwendige Vertrauen zwischen Anwalt und Mandant zu erschüttern. 268
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tionen den Staat zu einem Verzicht auf die ihm zustehenden Beweismittel zwingen. Für Letzteres bietet die bloße Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zur Auswertung unternehmensintern ermittelter Beweissammlungen aber keine Grundlage270. Im Gegenteil: Die Rechtsordnung verpflichtet die Strafverfolgungsorgane vielmehr, dem beschuldigten Mitarbeiter zu dessen Lasten ein Beweismittelentzug gehen könnte, bestmöglichen Schutz vor materiell unberechtigter Strafverfolgung zu gewähren271. Die Frage einer Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen außerhalb einer Vertrauensbeziehung zum Beschuldigten hängt damit davon ab, von wem die Unterlagen herrühren. Nur wenn die Unterlagen dem anwaltlichen Wirkungskreis entspringen, sind diese als unmittelbares (Eigen)Produkt der anwaltlichen Tätigkeit Teil der geschützten Kommunikationssphäre zum Mandanten und damit nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO im Gewahrsam des Rechtsanwalts geschützt272. Werden unternehmensinterne Befragungen nicht durch externe Rechtsanwälte durchgeführt und protokolliert, sind die unternehmensseitig angefertigten Befragungsprotokolle kein Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit und können daher unabhängig von ihrem Aufbewahrungsort von den Strafverfolgungsorganen beschlagnahmt werden. Daraus folgt, dass anwaltlich erstellte Auswertungsberichte oder Handlungsempfehlungen stets von einem Zugriff der Strafverfolgungsorgane ausgenommen sind. Dies gilt selbst dann, wenn die diesen Berichten zugrunde liegenden Unternehmensunterlagen (z. B. die Protokolle einer unternehmensinternen Befragung von Mitarbeitern) selbst keinem Beschlagnahmeverbot unterliegen. Denn die entsprechenden Auswertungsberichte wurden im Rahmen des Mandats von anwaltlicher Seite erstellt. Gegen diese Ansicht kann auch nicht der Vorwurf der Nichtpraktikabilität erhoben werden, da von einem Berufsgeheimnisträger erwartet werden darf, seine Mandatsunterlagen entsprechend den gesetzlichen Zugriffsmöglichkeiten nach ihrer Herkunft getrennt aufzubewahren. c) Zwischenergebnis Der staatliche Zugriff auf die dokumentierten Erkenntnisse einer unternehmensinternen Untersuchung hängt davon ab, ob dem Unternehmen die prozessuale Sonderstellung eines Nebenbeteiligten im Strafverfahren zugesprochen werden kann. Ist dies zu bejahen, unterliegen Unterlagen, die unternehmensintern zum 270 Insbesondere liegt durch den Zugriff auf Beweisunterlagen, die nicht der anwaltlichen Sphäre entspringen, auch keine Verkürzung der anwaltlichen Berufsfreiheit vor, da die anwaltliche Betätigung als solche nicht tangiert wird. 271 Vgl. hierzu grundlegend Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (182). Selbst wenn man von einem Eingriff in die anwaltliche Berufsausübung ausgeht, wäre dieser im Übrigen aus diesem Grunde jedenfalls gerechtfertigt. 272 Ebenso bereits Erb, in: FS für Kühne (2013), 171 (182); siehe auch Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383; Milde, CCZ 2013, 78 (79); Zerbes, ZStW 125 (2013), 551 (563) sowie HartHönig, in: FS für Schiller (2014), 281 (287 ff.).
A. Strafprozessrechtliche Rahmenbedingungen
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Zwecke der Verteidigung erstellt wurden, nach §§ 97, 148 StPO unabhängig von ihrem Aufenthaltsort einem Beschlagnahmeverbot273. Aber auch außerhalb von Unternehmensverteidigungen sind anwaltlich erstellte Unterlagen über § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO stets vor einem staatlichen Zugriff geschützt, sofern sich diese im anwaltlichen Gewahrsam befinden. Anderes gilt, wenn die Aufklärungsmaßnahmen nicht durch externe Rechtsanwälte im Rahmen ihrer Mandatsausübung durchgeführt werden. In diesem Fall sind die unternehmensseitig dokumentierten Ergebnisse auch dann nicht geschützt, wenn diese später in anwaltlichen Gewahrsam verbracht werden, weil es sich nicht um ein Produkt der geschützten Vertrauensbeziehung des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten handelt.
VII. Beweiserhebungsvorschriften der StPO auch als Grenze privaten Handelns? Schließlich stellt sich die bislang ausgeklammerte Frage, inwieweit die Vorschriften der StPO auch geeignet sind, das Handeln des privaten Unternehmens zu begrenzen. Die eingangs vollzogene Bestandaufnahme hat ergeben, dass interne Ermittlungen eines Unternehmens und speziell die Durchführung unternehmensinterner Befragungen sowohl von ihrem äußeren Erscheinungsbild als auch ihrer inneren Zielrichtung einem Vorgehen staatlicher Strafverfolgungsbehörden nahezu wesensgleich sind274. Eine direkte Anwendung der strafprozessualen Vorschriften scheidet jedoch aus, da sich diese ausschließlich an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden richten275. Demnach ließe sich eine Bindungswirkung nur durch eine analoge Anwendung erzielen. Diesbezüglich sind jedoch zwei Konstellationen zu unterschieden: Zum einen geht es um die Frage, inwieweit private Ermittlungshandlungen außerhalb echter Vernehmungen (sog. „vernehmungsähnliche Situationen“), die von staatlicher Seite beeinflusst werden, aufgrund der staatlichen Mitwirkung am Vorgang der privaten Beweisbeschaffung dem Maßstab der Strafprozessordnung zu unterstellen sind. Zu dieser Problematik wurde bereits eingehend Stellung bezogen276. Zum anderen wird 273 Es empfiehlt sich daher frühzeitig, den genauen Inhalt des Mandats abzustecken, um die Reichweite eines Beschlagnahmeverbotes bestimmen zu können und Verteidigungsunterlagen eindeutig als solche zu kennzeichnen, vgl. Klengel/Buchert, NStZ 2016, 383 (386). Besteht im Falle einer Beschlagnahmeanordnung Uneinigkeit über die Beschlagnahmefreiheit der gekennzeichneten Verteidigungsunterlagen, sind diese analog § 110 Abs. 2 Satz. 2 StPO zu versiegeln und dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vorzulegen, näher hierzu Gercke, in: HK-StPO, § 97 Rn. 47 m.w.N. 274 Vgl. oben S. 85 ff. 275 Ganz h.M. siehe etwa Rogall, in: SK-StPO, § 136a Rn. 10; Gleß, in: LR-StPO, § 136 Rn. 10; Joerden, JuS 1993, 927 (928); Kudlich, JuS 1997, 696 (698); Krey, Zur Problematik privater Ermittlungen des durch die Straftat Verletzten, S. 99; Bockemühl, Private Ermittlungen im Strafprozeß, S. 17; Momsen, DB 2011, 1792 (1792). 276 Vgl. zur Abgrenzung oben S. 87 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
– noch weitergehend – vertreten, dass zumindest die Vorschrift des § 136a StPO unabhängig von einer staatlichen Mitwirkung generell analoge Anwendung auf das Handeln Privater finden müsse277. § 136a StPO solle sich demnach auch auf Vorgänge erstrecken, in denen ausschließlich Private auf der Ebene der Beweiserhebung agieren278. Allerdings darf diese Auffassung nicht so verstanden werden, dass hierdurch die Handlungsbefugnis des Privaten auf der Ebene der Beweisgewinnung durch eine Heranziehung der strafprozessualen Normen begrenzt wird. Ihren Anhängern geht es vielmehr darum, einer Entstaatlichung der Strafverfolgung durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes zu begegnen: Verabschiedet sich der Staat in Gestalt der zuständigen Ermittlungsbehörden aus seiner Verantwortung für das staatliche Ermittlungsverfahren und überlässt das Feld entsprechend agierenden Privatpersonen, darf er die so erlangten Erkenntnisse in einem späteren Strafverfahren nicht verwerten, wenn der Private rechtswidrig gehandelt hat, da der Staat ansonsten zum „Hehler rechtswidrigen Wissens“ werden würde279. Adressat der Vorschrift bleibt also auch nach dieser Auffassung der Staat, der sich für seine Abwesenheit bei der Beweiserhebung auf der Ebene der Beweisverwertung rechtfertigen muss, worauf an entsprechender Stelle noch zurückzukommen sein wird280. Gegen die Begrenzung des privaten Handelns durch die strafprozessualen Beweiserhebungsnormen auf der Ebene der Beweiserhebung spricht allgemein, dass hierdurch unmittelbar der Rechtskreis des privaten Unternehmens tangiert wäre. Die Begrenzung grundrechtlich geschützter Verhaltensweisen durch die analoge Anwendung von Normen, die auf das Handeln staatlicher Stellen zugeschnitten sind, erscheint zweifelhaft. Vielmehr bedürfte es einer ausdrücklichen Regelung, auf die der Gesetzgeber bislang aber aus guten Gründen verzichtet hat. Denn eine der Strafprozessordnung vergleichbare Reglementierung der unternehmensinternen Untersuchung würde verkennen, dass zwischen dem Unternehmen und dem betroffenen Mitarbeiter durch den geschlossenen Arbeitsvertrag ein gegenseitiges Pflichtenverhältnis besteht, die Vorschriften der Strafprozessordnung jedoch von einem Subordinationsverhältnis zwischen Bürger und Staat ausgehen und somit bereits von ihrer Grundkonzeption nicht passen281. Unternehmensinterne Befragungen von Mitarbeitern wirken zwar tief in das staatliche Strafverfahren hinein, weshalb strafverfahrensrechtliche Bestimmungen tangiert werden, woraus sich die dargelegten Handlungsvorgaben für die staatlichen Organe ergeben. Im Kern handelt es sich jedoch um eine Rechtsbeziehung zwischen Privaten, nämlich das Verhältnis des Arbeitgebers zu seinem Arbeitnehmer. Die 277 Vgl. etwa Jahn, JuS 2000, 441 (441); ders., Gutachten zum 67. DJT, C 102; Joerden, JuS 1993, 927 (928); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 904; Lesch, in: KMR-StPO, § 136a Rn. 10; Morath, Private Straftatermittlungen, S. 242 ff.; Popp, NStZ 1998, 95 (95); Sydow, Kritik der Lehre von den „Beweisverboten“, S. 123. 278 Jahn, JuS 2000, 441 (441 ff.). 279 Jahn, JuS 2000, 441 (445). 280 Vgl. S. 260 ff. 281 Ähnlich Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192 (192).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Handlungsgrenzen der beiden Privatsubjekte müssen daher jedenfalls in ihrem Ausgangspunkt auch privatrechtlich bestimmt werden282. Würde man dem Unternehmen staatliche Reglementierungen aufzwingen, bestünde die Gefahr, konkreten Interessen283 und damit verbundenen Rechten des Unternehmens nicht ausreichend Rechnung zu tragen. Allerdings können grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien auf das privatrechtliche Arbeitsverhältnis einwirken. Bezogen auf die Durchführungen von Befragungen kommt der Vorschrift des § 136a StPO und den hierin normierten Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang eine besondere Funktion zu, was im Folgenden darzulegen sein wird.
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen Die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und des Unternehmens als Arbeitgeber resultieren aus dem geschlossenen Arbeitsvertrag und bestimmen sich nach den Regelungen des Arbeitsrechts, das die Interessen beider Parteien durch die Auferlegung wechselseitiger Pflichten in Ausgleich bringt und insbesondere der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers Rechnung trägt284. Bezogen auf die Durchführung unternehmensinterner Befragungen stehen wir damit vor der Frage, inwieweit ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, an der Befragung durch seinen Arbeitgeber mitzuwirken. Richten wir den Blick zunächst auf das gesetzlich normierte Prozedere im Strafverfahren, ist festzustellen, dass eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen hier nur in sehr engen Grenzen vorliegt. So besitzt er als Beschuldigter zwar Anwesenheits- und Duldungspflichten. Im Hinblick auf eine aktive Mitwirkung am Strafverfahren ist er jedoch gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO durch den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit geschützt. Auch als Zeuge kann er gemäß § 55 Abs. 1 Alt. 1 StPO die Auskunft verweigern, wenn er Gefahr läuft, sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst zu belasten. Bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen soll ein derartiges Schweigerecht allerdings durch die arbeitsrechtlichen Pflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Unternehmen als Arbeitgeber überlagert werden. Dies findet seine Begründung in der bereits festgestellten Tatsache, dass der Arbeitgeber bei der Aufklärung von Rechts- und Regelverstößen auf die Mitwirkung seiner Arbeitnehmer als Wissensträger angewiesen ist285. Die ar282 Im Ergebnis zustimmend Momsen, ZIS 2011, 508 (516), Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 249. 283 Zur Interessenlage des Unternehmens vgl. oben S. 120 ff. 284 Grundlegend zur Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers als arbeitsrechtlichen Grundsachverhalt Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 1 I. Zur historischen Entwicklung des Arbeitsrechts Waltermann, Arbeitsrecht, S. 12 ff m.w.N. 285 Zur Bedeutung der Erlangung von Insiderwissen als Voraussetzung zur Aufklärung unternehmensinterner Straftaten vgl. oben S. 71 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
beitsrechtlichen Auskunftspflichten stehen somit in einem offenen Konfliktverhältnis zum grundrechtlich geschützten Recht auf Selbstbelastungsfreiheit286. Dieser latente Konflikt verschärft sich, wenn das Unternehmen bzw. die Unternehmensführer sich konkret drohenden Strafbarkeitsrisiken287 ausgesetzt sehen: Denn in dieser Situation wird das Unternehmen im besonderen Maße daran interessiert sein, den Vorfall aufzuklären und den Täter zu überführen288, um durch die Gewährung von Strafrabatten und einer entsprechend freundlichen Ausübung von Ermessensvorschriften eine Sanktionsreduzierung zu erreichen289 und weitere Schäden vom Betrieb abzuwehren. Durch den engen Zusammenhang der repressiven Befragung mit dem staatlichen Strafverfahren, insbesondere im (Regel-)Falle einer Kooperation des Unternehmens mit den Strafverfolgungsbehörden290, kommt dem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit jedoch gerade in dieser Situation besondere Bedeutung zu. Schließlich ist wenig einsichtig, warum ein Täter in einem gegen ihn betriebenen Strafverfahren schweigen darf, in der dem strafrechtlichen Verfahren regelmäßig vorgelagerten arbeitsrechtlichen Befragung bezüglich derselben Tatsachenfragen jedoch zur Aussage verpflichtet sein soll, wo doch die konkrete Möglichkeit besteht, dass aufgrund seiner dortigen Aussage ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wird, in dem er sich nicht belasten muss291. Dabei ist sich vor Augen zu führen, dass auch die Annahme eines Verwertungsverbots bezüglich der Protokolle der Befragungen das Problem nur bedingt löst, da auch der private Interviewer als Zeuge im Strafprozess vernommen werden kann und auf diese Weise die Aussage des Arbeitnehmers Eingang in den staatlichen Strafprozess findet292. Die Pflicht des Mitarbeiters, an einer unternehmensinternen Befragung teilzunehmen und sich zu offenbaren muss daher eingehend beleuchtet werden. Im Folgenden sollen zunächst die verschiedenen Teilnahme- und Auskunftspflichten des Arbeitnehmers dargelegt und hieran anknüpfend der Geltungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen untersucht werden.
286
Tschwerwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (521). Zu den konkret drohenden Strafbarkeitsrisiken siehe oben S. 30 ff. 288 Zur Interessenlage des Unternehmens vgl. oben S. 120 ff. 289 Siehe hierzu oben S. 62 ff. 290 Siehe hierzu oben S. 83 ff. 291 Ähnlich auch die Kritik von Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (173) sowie Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (358 ff.). 292 Ähnlich bereits I. Roxin, StV 2012, 521 (522 ff.). 287
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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I. Teilnahmepflicht des Arbeitnehmers Die Befragung oder Anhörung des Arbeitnehmers, der selbst einer Pflichtverletzung beschuldigt wird oder im Rahmen einer internen Ermittlung zum Sachverhalt befragt werden soll, stellt ein Personalgespräch dar293. Durch die Aufforderung zur Teilnahme verlangt der Arbeitgeber von seinem Mitarbeiter ein bestimmtes Tun. Entsprechend greifen für eine Teilnahmeverpflichtung des Mitarbeiters die allgemeinen Grenzen des Weisungsrechts nach § 106 S. 1 GewO, wonach die Weisung billigem Ermessen zu entsprechen und der Arbeitgeber grundrechtlich geschützte Interessen des Mitarbeiters zu achten hat294. Mit Blick auf die durch eine bloße Teilnahme bewirkte geringe Belastung für den Arbeitnehmer und die gewichtigen Interessen des Arbeitgebers an der Aufklärung von Missständen im Betrieb besteht jedoch inzwischen Einigkeit, dass Mitarbeiter zur Teilnahme an unternehmensinternen Befragungen verpflichtet sind295.
II. Auskunftspflichten des Arbeitnehmers Aus der bloßen Pflicht zur physischen Teilnahme folgt jedoch nicht, dass der Mitarbeiter auch zugleich zu einer (wahrheitsgemäßen) Aussage verpflichtet wird, mit der er sich womöglich sogar selbst strafrechtlich belasten müsste. Eine eigenständige Regelung, die den Inhalt eines Personalgesprächs und damit auch die Grenzen der Auskunftspflicht festlegt, existiert nicht. Dem Grundgedanken des Arbeitsrechts folgend sind diese vielmehr durch eine Abwägung zwischen den Interessen des individuellen Arbeitnehmers und den Interessen des Unternehmens als Arbeitgeber zu ermitteln296. Um Bestehen und Umfang von gesetzlichen Auskunftspflichten297 zu bestimmen, muss zwischen den verschiedenen schuldrechtlichen Auskunftspflichten differenziert werden298. Ent293
Vgl. Lützler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (19). Vgl. BAG NZA 2009, 1011; Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (506); Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), in: Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (170) m.w.N. 295 Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (506); Rudkowski, NZA 2011, 612 ff., vgl. auch BAG vom 23. 06. 2009, 2 AZR 606/08. 296 Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1852); Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (20). 297 Als Auskunftspflicht wird die Pflicht bezeichnet, dem Arbeitgeber auf Verlangen eine gewünschte Information schriftlich oder mündlich zu übermitteln, vgl. Seiler, in: MüKo-BGB, § 666 Rn. 2. 298 Die folgende Darstellung nach der unterschiedlichen Pflichtenstellung des Arbeitnehmers entspricht der ganz h.M., die zutreffend davon ausgeht, dass ein Arbeitnehmer bei der Erfüllung seiner Arbeitspflicht eine entgeltliche Geschäftsbesorgung i.S. von § 675 BGB erbringt, weshalb sich der Umfang der Auskunftspflicht grundsätzlich nach dem Bezug der Informationen zum konkreten Arbeitsbereich bestimmt (vgl. etwa BAG DB 1996, 634; BAG NZA 2002, 618 (620)). Im Schrifttum wird der allgemeine Auskunftsanspruch vereinzelt allerdings 294
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
scheidend für Bestehen und Reichweite der Aussagepflicht ist schließlich, worauf die gewünschte Auskunft abzielt299. Mit Vornahme der Interessenabwägung wird zugleich den zu berücksichtigenden datenschutzrechtlichen Anforderungen Rechnung getragen300. 1. Auskunftserteilung als Bestandteil der Arbeitspflicht Ist die verlangte Auskunftserteilung als Bestandteil der vereinbarten und vergüteten Arbeitspflicht einzustufen, kann der Arbeitgeber selbige ohne weiteres als Hauptleistungspflicht einfordern301. Für ein Schweigerecht des Arbeitnehmers bleibt hier verständlicherweise kein Raum, da die Erlangung der Auskunft gerade Wesensbestandteil des geschlossenen Vertrages ist, was dem Arbeitnehmer auch bewusst ist. Als Beispiel mag hier die Berichterstattungspflicht des Compliance-Officers dienen, der in seinem Arbeitsvertrag regelmäßig seitens des Unternehmens verpflichtet wird, seinem Vorgesetzten über Unregelmäßigkeiten im Betrieb unverzüglich in Kenntnis zu setzen302. Eine derartige ausdrückliche Auskunftsabrede stellt jedoch den Ausnahmefall dar303.
ausschließlich als Bestandteil der Treuepflicht des Arbeitnehmers angesehen und dem Arbeitnehmers hiervon ausgehend ein Schweigerecht für den Fall der Selbstbezichtigung zugesprochen (so etwa Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S. 66; Rudkowski, NZA 2011, 612 (613); Schmidt/Dann, NJW 2009, 1851 (1852 ff.)). Zum Ganzen Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 259 ff. m.w.N. 299 Diller, DB 2004, 313 (313); Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1704). 300 Die Befragung von Mitarbeitern stellt eine personenbezogene Datenerhebung dar und unterfällt damit den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Wie sich § 1a BDSG entnehmen lässt, sollen die Vorschriften des BDSG den Schutz der Persönlichkeitsrechte natürlicher Personen gewährleisten. Um diesen Zweck zu erreichen, untersagt der Gesetzgeber in § 4a Abs. BDSG jede Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten, falls nicht das BDSG oder eine andere Rechtsvorschrift dies explizit gestattet. Als besondere Erlaubnistatbestände zur Rechtfertigung interner Befragungen kommen § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG (für präventive Kontrollmaßnahmen ohne tatsächliche Anhaltspunkte) und § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG (bei Vorliegen eines konkreten Straftatverdachts) in Betracht, die beide – entsprechend der Systematik des BDSG (vgl. § 3a BDSG) – im Kern eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Interessen der verantwortlichen Datenerhebungsstelle (Unternehmen) und des Beschäftigten voraussetzen. Instruktiv zu den datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen interner Ermittlungen Wybitul, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 11 Rn. 1 ff. 301 Böhm, WM 2009, 1923 (1924) m.w.N. 302 Siehe hierzu Krieger/Günther, NZA 2010, 367 (371); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 148 ff. 303 Rieble, ZIP 2003, 1273 (1275).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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2. Auskunftspflichten als Nebenleistungspflichten der vertraglichen Arbeitsaufgabe Eng verbunden mit der unmittelbaren Arbeitsleistung des Arbeitnehmers sind Wahrnehmungen über Umstände im Umfeld des eigenen Arbeitsbereichs. Nach überwiegender Ansicht verpflichtet sich der Arbeitnehmer durch die Übernahme der vom Arbeitgeber im Rahmen des Weisungsrechts übertragenen Aufgabe zugleich, dem Arbeitgeber umfassend Auskünfte über Umstände zu erteilen, die im Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen304. Diese Sichtweise folgt aus dem Rechtsgedanken des § 666 BGB, der zwar nach seinem Wortlaut nur für das Auftragsverhältnis gilt, über § 675 BGB aber für alle entgeltlichen Geschäftsbesorgungsverträge Anwendung findet und damit einen allgemeinen Rechtsgedanken verkörpert305, der nach h.M. auch im Arbeitsvertrag Geltung beanspruchen soll306. Die Pflicht zur Auskunftserteilung stellt dann eine Nebenleistungspflicht der vertraglichen Arbeitsaufgabe dar. Aufgrund der Beschränkung einer Aussagepflicht auf den Tätigkeits- bzw. Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers wird der äußere Rahmen der Aussagepflicht abgesteckt307. Nicht abschließend geklärt sind jedoch die Reichweite der Aussagepflicht innerhalb dieses Rahmens und insbesondere die Frage, inwieweit die Selbstbelastungsfreiheit als rechtsstaatliche Grenze eingreift. Die ganz überwiegende Meinung geht allerdings von einer uneingeschränkten Aussageverpflichtung aus, die auch selbstbelastende Äußerungen miteinschließt, da die Interessen des Arbeitnehmers hinter dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers zurückstehen müssten308. Soweit der unmittelbare Arbeitsbereich des Mitarbeiters betroffen ist, muss dieser seinen Arbeitgeber
304
Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 148 ff. m.w.N. Ähnlich bereits RGZ 73, 288. 306 Diller, DB 2004, 313 (313); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (70); Böhm, NonCompliance und Arbeitsrecht, S. 148. Ähnlich auch Reichhold, in: Richardi/Wißmann/ Wlotzke/Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 49 Rn. 5, der eine entsprechende Auskunftspflicht aus § 666 BGB analog ableitet. Hierfür spricht, dass die Vorschriften für einen Beauftragten nicht unmittelbar auf die Position des Arbeitnehmers übertragen werden können. 307 Ähnlich Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (243); Reichhold, in: Richardi/Wißmann/ Wlotzke/Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 49 Rn. 5 m.w.N. 308 Von einer uneingeschränkten Aussagepflicht gehen etwa aus: Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (243), Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 149 ff.; Diller, DB 2004, 313 (314), Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178; Knauer/Buhlmann, Anwbl. 2010, 387 (398); Haefcke, CCZ 2014, 39 (39 ff.); Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der USamerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 117; Reichhold, in: Richardi/Wißmann/Wlotzke/ Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 49 Rn. 5 m.w.N. Siehe auch BGHZ 41, 318 (323) (zur Auskunftspflicht des Beauftragen, sog. Architekten-Entscheidung); LAG Hamm v. 03. 03. 2009, 14 Sa 1689/08 = CCZ 2010, 237 (238); ArbG Saarlouis v. 19. 10. 1983, 1 Ca 493/83 = ZIP 1984, 364. 305
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
aber jedenfalls auf Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer hinweisen, wenn diese nicht unerheblich sind und eine Wiederholungsgefahr besteht309. Wenngleich die Heranziehung der §§ 666, 675 BGB durch die Ähnlichkeit der hier verkörperten Rechtsgrundsätze – hier wie dort geht es um Informationsrechte des Geschäftsherren – grundsätzlich nahe liegt, muss überlegt werden, inwieweit die besondere Konstellation des Arbeitsvertrages mit wechselseitigen Schutz- und Fürsorgepflichten in der Lage ist, die sich aus der zugrundeliegende Auftragsbeziehung ergebenden Pflichten zu beeinflussen. Entsprechend wird der Frage nachzugehen sein, inwieweit den Interessen des Arbeitnehmers Rechnung getragen werden kann, ohne die gewichtigen Interessen des Arbeitgebers, für deren Bedeutung der aus §§ 666, 675 BGB gewonnene Rechtsgedanke gleichwohl ins Feld geführt werden kann, aus dem Blick zu verlieren. 3. Auskunft als arbeitsvertragliche Nebenpflicht Bezieht sich das Auskunftsverlangen nicht auf einen Umstand, der zumindest im Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Arbeitsaufgabe steht, kommt eine Auskunftspflicht nach §§ 666, 675 BGB nicht in Betracht310. Der Arbeitnehmer ist somit grundsätzlich weder verpflichtet über eigenes Fehlverhalten Auskunft zu geben, noch Erkenntnisse über Fehlverhalten Dritter mitzuteilen, soweit er hiervon lediglich bei Gelegenheit und nicht in Erfüllung seiner Arbeitspflichten erfahren hat311. 309 Vgl. BAG NJW 1970, 1861; LAG Hamm BB 1994, 2352; Klengel/Mückenberger, CCZ 2009, 81 (82); Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (243). Zu Recht wird aber auch hier mit Blick auf das Betriebsklima eine besonders restriktive Pflichtenkonstruktion angemahnt. Ein einfacher Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, im Kollegenkreis Augen und Ohren offenzuhalten und bereits im bloßen Verdachtsfall Kollegen und Vorgesetze anzuzeigen. Anzeigepflichtig sind aber jedenfalls Vorgesetze, die die ihnen unterstellten Mitarbeiter kontrollieren müssen, vgl. zur Problematik etwa Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (178); siehe auch Zöller/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, § 14 II 2a jeweils m.w.N. Eine gute Lösung für die rechtlichen wie praktischen Schwierigkeiten bei Wahrnehmung von Anzeigepflichten bietet die Installation eines Ombudsmann-Systems im Betrieb: Durch die Meldung entsprechender Verdachtsmomente an einen externen Vertrauensanwalt wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben, einer etwaigen arbeitsrechtlichen Meldepflicht gerecht zu werden ohne Gefahr zu laufen, als Hinweisgeber publik zu werden. Vor allem aber wird eine Beratungsmöglichkeit geboten, da Arbeitnehmer vielfach gar nicht in der Lage sind zu beurteilen, ob eine Pflichtverletzung vorliegt. Zugleich stellt der Ombudsmann eine sorgfältige, das Betriebsklima berücksichtigende, Bearbeitung des Hinweises sicher, vgl. hierzu den Erfahrungsbericht von R. Buchert, CCZ 2008, 148 (148 ff.). 310 Reichhold, in: Richardi/Wißmann/Wlotzke/Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 49 Rn. 5 m.w.N. 311 BGH NJW-RR 1989, 614 (615); Wisskirchen/Glaser, DB 2011, 1447 (1448); Lützeler/ Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (20). Entsprechend müssen beispielsweise der Chauffeur oder die Sekretärin eines Geschäftsführers keine Auskunft über ein zufällig mitgehörtes Telefongespräch des Geschäftsführers geben, das den Verrat von Geschäftsgeheimnissen zum Gegenstand hatte, vgl. Diller, DB 2004, 313 (315).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Die besondere Ausprägung des Arbeitsverhältnisses schlägt sich jedoch auch in aktiven vertraglichen Nebenpflichten nieder, deren Umfang sich nach der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, seiner individuellen Tätigkeit oder der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit richten312. Aufgrund der wechselseitigen Schutzpflichten ist der Arbeitnehmer verpflichtet, drohende Schäden vom Betrieb abzuwenden313. Ihn treffen daher besondere Auskunfts- und Informationspflichten, wenn der Arbeitgeber in Unkenntnis über mögliche (erhebliche) Gefahren oder wahrzunehmende Rechte ist und der Arbeitnehmer diese Unwissenheit durch die Erteilung der Auskunft unschwer beseitigen kann314. Aus der Ausgestaltung als Nebenpflicht folgt aber zugleich, dass den Arbeitnehmer nur dann eine Auskunftspflicht trifft, wenn ihm ein entsprechendes Vorgehen auch zugemutet werden kann. Erforderlich ist daher eine umfassende Interessenabwägung, bei der u. a. die negativen Folgen für den Arbeitnehmer, der Umfang der Tatbeteiligung des Arbeitnehmers sowie das Vorhandensein anderer Mittel zur Schadensabwehr zu berücksichtigen sind315. Bei der Folgenbetrachtung wird der Selbstbelastungsfreiheit bei einem Auskunftsverlangen auf Grundlage einer Nebenpflicht auch von der herrschenden Auffassung ein besonderer Stellenwert zugesprochen, wenngleich nach überwiegender Auffassung die Interessenabwägung nicht schon deshalb zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen kann, weil dieser sich durch eine mögliche Aussage selbst einer Straftat bezichtigen müsse316. Dies erscheint insbesondere dann besonders nachvollziehbar, wenn die Gesundheit anderer Arbeitnehmer auf dem Spiel steht oder sonstige Rechtsgüter von überragender Bedeutung betroffen sind317. Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen wird von der herrschenden Meinung eine Aussagepflicht jedoch auch angenommen, wenn der Betrieb in seiner Existenz bedroht ist und die Aussage des Arbeitnehmers für die Abwehr einer entsprechenden Gefahr wesentlich ist. Ein entsprechender Gefahrengrad soll nach den Befürwortern aufgrund der drohenden Sanktionsrisiken bereits dann vorliegen, 312 Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, B. 4. Rn. 19 m.w.N. Grundlegend zum Verständnis der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten und der hieraus ableitbaren Rechte- und Pflichtenstrukturen Becker, Whistleblowing, S. 26 ff. 313 BGH NJW-RR 1989, 614 (615); Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 611 Rn. 39 ff.; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (19); Zimmer/Stetter, BB 2006, 1445 (1451); Blomeyer, in: Richardi/Wißmann/Wlotzke/Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 54 Rn. 6; Linck, in: Schaub (Hrsg.), Arbeitsrechts-Handbuch, § 55 Rn. 44; Preis, in: Erfk/Arbeitsrecht, § 611 BGB Rn. 744 ff. 314 Siehe hierzu Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 151. 315 Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (172); Diller, DB 2004, 313 (314). 316 Vgl. BGHZ 41, 318 (323) zur Auskunftspflicht eines Beauftragten, LG Hamm, Urt. vom 03. 03. 2009 – 14 sa 1689/08; Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 152; ders., WM 2009, 1923 (1925); Diller, DB 2004, 313 (314); Knauer/Buhlmann, Anwbl 2010, 387 (389); vom Vorliegen einer Unzumutbarkeit im Falle einer Selbstbezichtigung gehen hingegen aus: Rudkowski, NZA 2011, 612 (613 ff.); Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (19); Vogt, NJOZ 2006, 4206 (4206); Jahn, StV 2009, 41 (43 ff.); Schneider, NZG 2010, 1201 (1204). 317 Ähnlich Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 152.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
wenn eine Behörde im Falle eines Bestechungsskandals mit einer (hohen) Geldbuße droht und diese Sanktion von der lückenhaften Aufklärung des Vorfalls abhängig macht318. Mit Blick auf die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die eine Sanktionierung von staatlicher Seite mit sich bringen kann, erscheint diese Sichtweise auch konsequent. An dieser Stelle offenbart sich aber ein Makel der herrschenden Meinung, die die Entscheidung über den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit ausschließlich im Rahmen einer Interessenabwägung treffen möchte ohne die entscheidenden AbwägungsParameter zuvor zu identifizieren: Geht man von einer grundsätzlichen Aussageverpflichtung aus und knüpft zu deren Begründung an den Grad der für den Betrieb bestehenden „Gefahr“ an, ohne den Begriff der Gefahr näher zu präzisieren, würde man die Reichweite des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit nach eben genannten Beispiel in die Hände des Staates legen. Denn wenn auch die Drohung mit empfindlichen Sanktionen durch staatliche Behörden eine Gefahrenlage schaffen kann, aus der eine Aussagepflicht resultiert, könnten die zuständigen Strafverfolgungsbehörden alleine durch das Äußern entsprechender Drohungen ein Aussageverweigerungsrecht ausschalten. Vergegenwärtigt man sich nun, dass eine Kooperation von Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden den Regelfall bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen darstellt319, bedeutet dies – unabhängig von der Frage, ob man eine Auskunftspflicht als arbeitsvertragliche Nebenleistungspflicht oder als Teil der Treuepflicht einordnet –, dass auf Grundlage der herrschenden Meinung die Strafverfolgungsbehörden in der Lage sind, rechtsstaatliche Grundprinzipien, die gerade dazu gedacht sind, das staatliche Wirken zu begrenzen, auf einfache Weise auszuhebeln. Auch aus diesem Grund heraus, werden wir uns daher die Frage stellen müssen, auf welche Weise dem Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen Rechnung getragen werden kann, ohne die bedeutsamen Interessen der Privatrechtsparteien zu vernachlässigen. 4. Auskunftspflicht gegenüber externen Dritten Unternehmensinterne Befragungen werden regelmäßig nicht von Angestellten des Unternehmens durchgeführt, sondern von externen Ermittlerteams mit entsprechender Expertise320. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Arbeitnehmer im Rahmen einer internen Untersuchung verpflichtet sind, gegenüber externen Dritten eine bestehende Auskunftspflicht zu erfüllen. Zweifel könnten diesbezüglich aus dem Umstand resultieren, dass externe Ermittlungsteams mitunter noch weniger in
318 Vgl. statt vieler Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 152; Wewerka, Internal Investigations, S. 231 jeweils m.w.N. 319 Vgl. oben, S. 83 ff. 320 Vgl. oben, S. 77 ff.
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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der Lage sind, die Reichweite der Auskunftspflicht einzuordnen321 und durch die teilweise sogar unmittelbar gegenüber den Behörden erfolgende Berichterstattung im Zuge einer Kooperation von Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden die Arbeitnehmer einer viel größeren Gefahr von persönlichen Nachteilen ausgesetzt sind, als wenn sie lediglich von der Unternehmensleitung befragt werden würden322. Da es sich bei den unternehmensseitig mandatierten Ermittlern um Privatpersonen handelt, kann sich eine Berechtigung der Ermittler nur von dem Auskunftsrecht des Unternehmens ableiten. Dabei ist im Grundsatz jedoch unstreitig, dass bei Bestehen einer Auskunftspflicht des Arbeitgebers, diese auch gegenüber Dritten gilt, wenn diese vom Unternehmen zur Vornahme entsprechender Befragungen beauftragt wurden323. Uneinigkeit besteht einzig über die rechtliche Konstruktion des Übergangs des arbeitgeberrechtlichen Frage- und Auskunftsrechts324. Die genaue rechtliche Konstruktion kann jedoch dahinstehen, da der Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) jederzeit die Möglichkeit besitzt, den betroffenen Arbeitnehmer anzuweisen, einem Dritten gegenüber die ihm geschuldete Auskunft zu erteilen325. Die hierdurch für den Arbeitnehmer geschaffene Gefahrenlage ist bei Lichte betrachtet nicht größer, als wenn der Arbeitgeber ihn durch Angestellte der Revision oder der Compliance-Abteilung befragen würde. Die Gefahr der Umgehung der Selbstbelastungsfreiheit resultiert schließlich nicht aus dem „Outsourcing“ des Auskunftsanspruchs, sondern aus dem grundsätzlichen Bestehen einer entsprechenden Aussagepflicht und einer von Unternehmensseite eingegangen Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden. Würde man eine Übertragbarkeit des Auskunftsanspruchs ablehnen, käme dies zudem vielfach einer Versagung jeglicher Auskunftsansprüche gleich, da insbesondere mittelständische Unternehmen faktisch gar nicht in der Lage sein dürften, ohne externe Unterstützung eine zielführende unternehmensinterne Untersuchung anzustellen326. 321
So die nicht von der Hand zu weisende Befürchtung von Jahn, StV 2009, 41 (45). Vgl. Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706). 323 Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (376 ff.); Theile, StV 2011, 381 (384); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 191 ff.; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706); Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (241); Wewerka, Internal Investigations, S. 235 ff.; kritisch jedoch Jahn, StV 2009, 41 (44 ff.), der konkret bezogen auf den Siemens-Fall aufgrund der dort von der SEC eingeforderten Unabhängigkeit der unternehmensinternen Ermittlungen zweifelt, inwieweit die externen Ermittler tatsächlich als „Beauftragte“ des Unternehmens anzusehen sind. 324 Neben dem hier befürworteten Weg einer arbeitsrechtlichen Weisung wird u. a. versucht über die zivilrechtlichen Rechtsinstitute der Abtretung (§§ 398 ff. BGB) und der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) den Transfer des Auskunftsanspruchs zu begründen. Eingehend zur Problematik Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 191 ff., der selbst von einer Auskunftsberechtigung der externen Ermittler aufgrund einer Ermächtigung zur Ausübung des Direktionsrechts analog § 185 BGB ausgeht. 325 So auch Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (376 ff.); Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (170) jeweils m.w.N. 326 Ähnlich Wewerka, Internal Investigations, S. 236. 322
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
5. Durchsetzbarkeit der Auskunftspflicht Verweigert ein Arbeitnehmer seine Mitwirkung an der Befragung, obwohl er hierzu nach den dargelegten Grundsätzen rechtlich verpflichtet ist, liegt eine Pflichtverletzung vor, auf die der Arbeitgeber nach den allgemeinen Regeln mittels einer Abmahnung, Kündigung oder aufgrund des Gegenseitigkeitsverhältnisses des Arbeitsvertrages mit der Zurückbehaltung des Arbeitslohns nach § 273 Abs. 1 BGB reagieren kann327. Zudem kann der Pflichtenverstoß Grundlage zivilrechtlicher Regressforderungen sein und zwar sowohl bezüglich der Verletzung einer Aussagepflicht als auch bezüglich des vorangegangen Regelverstoßes328. Die dargelegten Rechte vermitteln dem Arbeitgeber zugleich das Recht, eine entsprechende „Drohkulisse“ vor dem Arbeitnehmer aufzubauen, da die sachliche der Geltendmachung bestehender Rechte zu deren Ausübung ein wesensgleiches Minus darstellt329. Die Grenze bildet hier die Vorschrift des § 240 StGB330. Strittig ist dagegen, ob entsprechende Aussagepflichten des Arbeitnehmers gerichtlich einklagbar und vollstreckbar sind. Gemäß § 888 Abs. 1 ZPO kann der Schuldner durch die Verhängung von Zwangsgeld oder Zwangshaft zur Vornahme einer ihm obliegenden unvertretbaren Handlung angehalten werden. Als unvertretbare, d. h. persönlich zu erbringende Handlungen, gelten insb. solche Handlungen, für die es auf bestimmte Kenntnisse des Schuldners ankommt331, weshalb hierunter auch Auskunftspflichten fallen332. Allerdings gehen einige Autoren im Schrifttum davon aus, dass Auskunftspflichten aufgrund ihres höchstpersönlichen Charakters 327 Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1706); Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1854); Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 378 ff. 328 Vgl. dazu etwa BAG v. 21. 11. 2000 – 3 AZR 13/00 = NZA, 2002, 618 bzgl. Schadensersatzansprüche betreffend fehlender Auskünfte über Versorgungsansprüche; siehe auch Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 269 ff. sowie Seiler, in: Müko-BGB, § 666 Rn. 14. 329 Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bestehen eines Auskunftsanspruchs zur Zulässigkeit jedweder arbeitsrechtlicher Drohszenarien führt. Denn für die Annahme einer Drohung i.S.d. § 240 StGB ist es unerheblich, ob die Zufügung des angedrohten Übels rechtmäßig wäre, vgl. Fischer, StGB, § 240 Rn. 32. Ebenso lässt das Bestehen eines durchsetzbaren Anspruchs nicht automatisch die Verwerflichkeit des Handelns entfallen, vgl. OLG Hamm NJW 1983, 1505. 330 Die Grenze zu einer Strafbarkeit nach § 240 StGB wird überschritten, wenn das Verhalten der Frageperson(en) geeignet erscheint, die Freiheit der Willensbetätigung des Arbeitnehmers unzulässig zu beeinträchtigen. Dies wird jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn sich die „Drohungen“ der Fragepersonen auf sachliche Informationen bezüglich der zu erwartenden rechtlichen Konsequenzen beschränkt, vgl. Kuhlen, in: FS für Lüderssen (2002), 649 (659). Eingehend zu den Strafbarkeitsrisiken nach § 240 StGB im Zusammenhang mit der Durchführung unternehmensinterner Befragungen Schuster, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 11 Rn. 112 ff. m.w.N. 331 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 71 Rn. 11. 332 Nach Gruber, in: Müko-BGB, § 888 Rn. 3 stellt die Auskunftserteilung als unvertretbare Handlung sogar ein Hauptanwendungsfeld des § 888 Abs. 1 ZPO dar; ebenso Walker, in: Schuschke/Walker (Hrsg.), Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 888 ZPO Rn. 11.
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nach § 888 Abs. 3 ZPO vom Anwendungsbereich des § 888 Abs. 1 ZPO ausgenommen sind333. Hieran ist richtig, dass der Begriff des Dienstvertrages nach Sinn und Zweck der Vorschrift weit zu verstehen und auch Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis erfasst334. Allerdings spricht der Tatbestand des § 888 Abs. 3 ZPO von der „Leistung von Diensten“. Dies kann nur so verstanden werden, dass sich ein möglicher Ausschluss alleine auf die jeweiligen Hauptleistungspflichten des Schuldners bezieht335, da der Gesetzgeber andernfalls im Wortlaut schlicht allgemein von „Pflichten“ aus dem Dienstverhältnis hätte sprechen können. Hiergegen lässt sich mit Blick auf den staatlich unterstützten Aussagezwang als Grundlage einer möglichen Verletzung des nemo-tenetur-Prinzips auch nicht einwenden, dass die Gewährleistung von Grundrechten und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Rahmen des Zwangsvollstreckungsrechts durch eine entsprechende Auslegung des § 888 Abs. 3 ZPO berücksichtigt werden muss336. Denn dem staatlich abzusichernden Grundrechtsschutz wird nach hier vertretener Sichtweise bereits auf der Ebene der Beweisgewinnung durch eine entsprechende Auslegung der arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten Rechnung getragen337. Die gerichtliche Durchsetzung der sich aus diesem Abwägungsprozess ergebenden Auskunftspflichten vermag somit keinen Grundrechtsverstoß zu begründen, sondern stellt lediglich die Wahrung der rechtsstaatlich ermittelten Rechtsposition sicher338. Der Arbeitnehmer muss im Falle einer unberechtigten Aussageverweigerung somit nicht nur mit einem Gerichtsverfahren rechnen, sondern kann durch staatlichen Zwang in Form von Zwangsgeld oder Zwangshaft auch zu einer entsprechenden Pflichtenerfüllung angehalten werden339.
333
Rieble, ZIP 2003, 1273 (1279); Stürner, in: BeckOK-ZPO, § 888 Rn. 8. Gruber, in: Müko-BGB, § 888 Rn. 21; Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375). 335 So auch Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 156 ff.; Reeb, Internal Investigations, S. 100 Fn. 276; Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (389). 336 Grundlegend BVerfGE 52, 214 (219); vgl. auch BVerfGE 48, 369 (400 ff.); siehe auch Stürner, in: BeckOK-ZPO, § 888 Rn. 9 sowie konkret bezogen auf die hier in Rede stehende Konstellation Raum, StraFo 2012, 395 (397). 337 Vgl. unten, S. 200 ff. 338 Im Rahmen eines Rechtsstreits über die Vollstreckbarkeit eines Anspruchs auf Nennung des Namens des biologischen Kindesvaters hatte der BGH im Jahre 2008 mit ähnlicher Argumentation die Vollstreckbarkeit der entsprechenden Auskunftspflicht trotz eines Grundrechtsverstoßes bejaht, weil durch die Vollstreckung der Eingriff in die Grundrechte der auskunftspflichtigen Kindesmutter nicht über das Maß hinaus vertieft wird, in dem ihre grundrechtlich geschützten Interessen bereits durch die rechtskräftige Verurteilung zur Auskunftspflicht berührt sind, vgl. BGH, Beschluss vom 3. 7. 2008 – I ZB 87/06 = NJW 2008, 2919. 339 Im Ergebnis zustimmend Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (389); Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 156 ff.; ders., WM 2009, 1923 (1925); Reeb, Internal Investigations, S 100 ff.; Grützner, in: Momsen/ Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 358; a.A. dagegen Rieble, ZIP 2003, 1273 (1279); Wewerka, Internal Investigations, S. 240. Zweifelnd auch Gerst, CCZ 2012, 1 (3); Raum, StraFo 2012, 395 (397) sowie Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (29 ff.). 334
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
III. Der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit als Grenze einer arbeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht Die Gefahr einer Verletzung bzw. Umgehung des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit wurde bereits an mehreren Stellen der Arbeit aufgezeigt. Die herrschende Meinung lehnt eine umfassende Geltung des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit im Arbeitsrecht ab340. Hierfür spricht zunächst, dass es im Privatrecht nicht um Bestrafung des anderen Teils geht, sondern einzig um die Wahrung und Durchsetzung der eigenen Rechtsposition. Allerdings erscheint fraglich, ob der Privatrechtsschutz stets vor dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit rangiert. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst dargelegt werden, auf welche Weise der Gesetzgeber dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung trägt. Daran anknüpfend ist dann der Frage nachzugehen, ob und inwieweit ein entsprechendes staatliches Wertungsmodell auch Wirkung im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entfaltet. 1. Der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare Der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare gehört zu den größten Errungenschaften des freiheitlichen Rechtsstaats341. Wenngleich es an einer ausdrücklichen Kodifizierung der Selbstbelastungsfreiheit im Verfassungstext fehlt342, wird das nemo-tenetur-Prinzip von zahlreichen Vorschriften der StPO und durch Art. 14 Abs. 3 lit. g des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 (IPBPR)343 gewährleistet. Zwar existieren unterschiedliche Auffassungen über die genaue rechtliche Herleitung des nemo-tenetur-Grundsatzes344, seine grundsätzliche Geltungskraft sowie sein verfassungsrechtlicher Rang sind jedoch unbestritten. Das Bundesverfassungsgericht345 und der BGH346 verankern das 340
Vgl. oben, S. 189 ff. Zur historischen Entstehungsgeschichte des nemo-tenetur-Prinzips eingehend Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 67 ff. 342 Eisenhardt, nemo-tenetur-Prinzip, S. 181. 343 BGB1 II 1973, S. 1533 ff. 344 Während einige das nemo-tenetur-Prinzip unter Betonung des justizgrundrechtsähnlichen Charakters im Rechtsstaatsprinzip verankern, dient es nach der Gegenauffassung primär der Verteidigung natürlicher Subjektpositionen, wobei entweder an das naturrechtliche Gebot des menschlichen Selbsterhaltungsschutzes angeknüpft wird oder unmittelbar auf die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG rekurriert wird, da im Falle eines Selbstbelastungszwangs der Betroffene zum bloßen Objekt der staatlichen Wahrheitserforschung degradiert werde, vgl. etwa Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 145 ff.; ders., in: SKStPO, vor § 133 Rn. 132; Schilling, Illegale Beweise, S. 89 ff.; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 28 jeweils m.w.N. 345 In seiner berühmten Gemeinschuldner-Entscheidung (hierzu noch eingehend später) hat das BVerfG das nemo-tenetur-Prinzip als „selbstverständlichen Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung“ bezeichnet, vgl. BVerfGE 56, 37 (43); näher hierzu auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 70; sowie Dingeldey, NStZ 1984, 529 jeweils m.w.N. 341
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nemo-tenetur-Prinzip im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG347. Der Zwang zu einer Aussage stellt ferner einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG dar. Beinhaltet dieser Aussagezwang zugleich die Möglichkeit, sich selbst einer Straftat bezichtigen müssen, ist darüber hinaus der Gehalt der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG tangiert, denn der „Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen“, sei „mit der Würde des Menschen unvereinbar“348. Ausgehend von dieser Sichtweise weist der nemo-tenetur-Grundsatz zwei unterschiedliche Schutzrichtungen auf: Eine abwehrrechtliche Komponente in Form eines subjektiven Rechts auf Freiheit vor Eingriffen durch den Staat selbst, sowie eine aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende, objektive-rechtliche Komponente, die den Staat zur Verwirklichung dieses übergeordneten Prinzips verpflichtet, Gefährdungen auch von privater Seite vorzubeugen, damit der Einzelne sich entsprechend den Grundprinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates entwickeln kann349. Die fehlende gesetzliche Normierung der Selbstbelastungsfreiheit hat dafür gesorgt, dass sich in Literatur und Rechtsprechung zahlreiche unterschiedliche Auffassungen zu Inhalt und Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes herausgebildet haben350. Einigkeit besteht aber soweit, dass der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare den Einzelnen im Kern davor bewahren soll, sich zum Beweismittel gegen sich selbst zu machen351. Insoweit stellt er eine prozessuale Gewährleistung dar. Der Anwendungsbereich des nemo-tenetur-Prinzips ist demzufolge jedenfalls dann eröffnet, wenn die Gefahr besteht, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit352 verfolgt zu werden und eine Aussage für sich oder in Zusammenhang mit anderen Anhaltspunkten geeignet wäre, einen strafprozessualen Anfangsverdacht hervorzurufen353. In diesem Fall steht dem Betroffenen aufgrund der persönlichen Kon346
Vgl. etwa BGHSt 31, 308 = NJW 1983, 2272; BGHSt 34, 46. Aus der Literatur auch Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips, S. 70; sowie Dingeldey, NStZ 1984, 529 jeweils m.w.N. 348 BVerfGE 56, 37 (41 ff.); BVerfGE 38, 105 (111 ff.); siehe auch Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 113. 349 Eisenhardt, nemo-tenetur-Prinzip, S. 194; Wewerka, Internal Investigations, S. 223. 350 Vgl. dazu Verrel, NStZ 1997, 361 sowie die Fortsetzung in NStZ 1997, 415 mit zahlreichen Nachweisen zu den in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Auffassungen. Siehe auch Eidam, Selbstbelastungsfreiheit, S. 2 ff. 351 Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 149 m.w.N. 352 Inwieweit auch die Verhängung bloßer disziplinarischer Sanktionen dem Betroffenen das Recht eröffnet, sich auf den nemo-tenetur-Grundsatz berufen zu können, ist strittig. Bejahend unter Betonung der Verankerung des nemo-tenetur-Grundsatzes in der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG etwa Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 164 ff. m.w.N. 353 Vgl. BVerfGE 56, 37 (49): „Mit der Würde des Menschen unvereinbar, wäre ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Verurteilung liefern zu müssen.“, vgl. auch Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 167; 347
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
fliktlage ein umfassendes Schweigerecht zu354. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung würde in einer derartigen Situation die Menschenwürde beeinträchtigen, weil der Beschuldigte nicht mehr frei darüber entscheiden kann, ob er als Werkzeug zur Überführung seiner selbst benutzt werden darf355. Auch ist er nicht verpflichtet, in sonstiger Weise (z. B. durch die Herausgabe belastender Unterlagen) aktiv an seiner Überführung mitzuwirken356. Die Selbstbelastungsfreiheit gewährt nach h.M. jedoch ausschließlich Schutz vor staatlicher erzwungener Selbstbelastung, da die freiwillige Erteilung von Auskünften auch im Falle einer hiermit verbundenen Selbstbelastung keinen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt357. Unter Zwang versteht die h.M. in diesem Zusammenhang jeden von staatlicher Seite erzeugten unmittelbaren oder mittelbaren Druck zur Selbstbelastung, insbesondere das Inaussichtstellen von Nachteilen tatsächlicher oder rechtlicher Art für den Fall der Verweigerung der Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung358. Entsprechend begründen Zwangswirkungen, die nicht aus dem staatlichen Strafverfahren resultieren, sondern dem sozialen Umfeld des Täters entstammen359, nach überwiegender Auffassung keinen Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip. Hierfür spricht entscheidend, dass außerhalb des staatlichen Strafverfahrens etwaige Interessen Dritter Rechnung getragen werden muss und es nicht Aufgabe der Selbstbelastungsfreiheit sein kann, dem Straftäter die Durchsetzung privater oder öffentlicher Rechte „ohne Reue“ zu ermöglichen360. Der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im strafrechtlichen Verfahren wird für den Beschuldigten in der Strafprozessordnung durch die Vorschriften der §§ 136, 136a StPO sowie der Aussagefreiheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO gesetzlich abgesichert. Verstöße gegen diese Vorschriften führen unmittelbar zu einem Beweisverwertungsverbot. Im Falle eines Verstoßes gegen die von § 136a geschützten rechtsstaatlich überragend wichtigen Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 80 ff., 93 ff.; Eisenhardt, nemo-tenetur-Prinzip, S. 187 ff. 354 Vgl. nur Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 899 m.w.N. 355 Vgl. BVerfGE 56, 37 (49). 356 Vgl. BGHSt 14, 358 (364 ff.); 25, 325 (331); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 157; Eisenhardt, nemo-tenetur-Prinzip, S. 149 ff.; Bärlein/Pananis/ Rehmsmeier, NJW 2002, 1825 (1827). 357 BVerfGE 56, 37 (49); BGH, NStZ 1996, 502, Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 125; Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 139; einschränkend Roxin, NStZ 1995, 465 (466), der in Fällen einer staatlich veranlassten irrtumsbedingten Selbstbelastung von einer Verletzung des nemotenetur-Grundsatzes ausgeht. Ebenso Fezer, NStZ 1996, 298 (298 ff.). 358 Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 Rn. 139 m.w.N. 359 Zu denken ist etwa an die Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes oder die Schädigung der persönlichen Reputation. 360 Stürner, NJW 1981, 1759; vgl. auch Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 266 ff.
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Rechtspositionen361 resultiert ein absolutes Beweisverwertungsverbot dabei unmittelbar aus Abs. 3 S. 2 der Vorschrift. Im Falle einer Missachtung der Belehrungspflichten des § 136 StPO folgt ein Beweisverwertungsbot nach inzwischen ganz h.M. aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, da nur derjenige von seiner Selbstbelastungsfreiheit Gebrauch machen kann, der hiervon auch weiß362. Zudem kann die Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes zu einem selbstständigen Beweisverwertungsverbot führen363. 2. Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Falle außerstrafprozessualer Aussagepflichten Gegenstand unserer Untersuchung ist die Reichweite des nemo-tenetur-Grundsatzes im Rahmen unternehmensinterner Befragungen d. h. einem Handeln, das im Regelfall364 dem Privatrecht zuzuordnen ist. Die Geltungskraft der Selbstbelastungsfreiheit im außerstrafprozessualen Bereich ist vielfach ungeklärt und divergiert zwischen den unterschiedlichen Rechtsgebieten. Außerstrafprozessuale Aussagepflichten, die den Einzelnen verpflichten, sich durch die Erteilung einer Auskunft selbst einer Straftat zu bezichtigen, existieren sowohl im Privatrecht als auch im Öffentlichen Recht365. Sofern die Gefahr besteht, dass diese Informationen zur Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens führen, wobei unerheblich ist, ob die Information unmittelbar durch die Empfängerstelle an die zuständigen Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden oder diese auf andere Art und Weise in die Hände der Strafverfolgungsbehörden gelangen, ist der Schutzbereich des nemo-teneturGrundsatzes berührt366.
361 Zur Bedeutung, historischer Entstehung und Schutzrichtung des § 136a StPO ausführlich Matula, Private Ermittlungen, S. 17 ff. 362 Vgl. nur BGHSt 38, 214 (218 ff.). 363 Ein solches selbstständiges Beweisverwertungsverbot ist diesbezüglich im Wege der Abwägung zu ermitteln. Im Falle eines Verstoßes gegen das nemo-tenetur-Prinzips ist jedoch regelmäßig nur die Reichweite des Verwertungsverbotes umstritten, nicht dessen grundsätzliche Existenz, vgl. Jahn, Gutachten für den 67. DJT, C78 ff. m.w.N. 364 Zur Frage, unter welchen Umständen das Vorgehen bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen aufgrund eines Einflusses der staatlichen Behörden als staatliche Maßnahme zu werten ist, wurde in Kap. 2 (S. 87 ff.) bereits ausführlich Stellung genommen. 365 Vgl. z. B. § 97 Abs. 1 S. 1 u. 2 InsO; § 4 Abs. 3 WpHG; § 44 Abs. 1 S. 1 KWG; §§ 90, 93, 97 AO; § 65 Abs. 1 S. 2 VwVfG; § 17 Abs. 3 HandwO; § 22 Abs. 3 GastG; § 22 Abs. 1 ArbschG; § 31 Abs. 3 WeinG; § 24 Abs. 2 BtMG; § 39 Abs. 1 S. 2 WaffG. 366 Vgl. Dingeldey, NStZ 1984, 529 (530); Eidam, Selbstbelastungsfreiheit, S. 163 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
a) Alternative Schutzmöglichkeiten und deren Leistungsfähigkeit Möchte man der Selbstbelastungsfreiheit auch in einem solchen Fall Geltung verschaffen, kann dies letztlich auf zweierlei Weise geschehen367: Entweder spricht man dem Betroffenen auf der Ebene der Beweisgewinnung entsprechend der Regelungen im Strafprozessrecht ein Auskunftsverweigerungsrecht zu und verhindert bereits die Entstehung der Aussage als Beweismittel. Oder aber man verpflichtet den Betroffenen zwar, die notwendigen Angaben zu tätigen, schließt aber auf der Beweisebene durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes aus, dass die Auskünfte in einem späteren Strafverfahren verwertet werden. Diese beiden Schutzmodelle sind aufgrund ihres unterschiedlichen Schutzniveaus nicht austauschbar368. Denn nur ein Schweigerecht des Auskunftspflichtigen auf der Ebene der Beweiserhebung gewährt einen umfassenden Schutz der Selbstbelastungsfreiheit, da bei einer bloßen Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bezüglich der getätigten Aussagen, in der hier zu untersuchenden Konstellation bereits die naheliegende Gefahr besteht, dass der jeweilige Informationsempfänger als Zeuge im Strafverfahren gehört wird und die entsprechenden Informationen auf diese Weise Eingang in ein späteres Strafverfahren finden können369. Dies gilt freilich auch dann, wenn die Befragung durch externe Rechtsanwälte durchgeführt wird, da ein Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts nur die geschützte Mandatsbeziehung zum Unternehmen erfasst370. Auch unabhängig von dieser besonderen Konstellation vermag ein Schutz auf der Sekundärebene nur auf den ersten Blick als naheliegender wie einfach zu beschreitender Königsweg aus dem aufgezeigten Konflikt zu überzeugen. Zum einen wird hierdurch nämlich dem Informationsverlangen des Arbeitgebers auf der Primärebene der Beweiserhebung pauschal schlagendes Gewicht zugesprochen ohne die individuellen Belange des Arbeitnehmers zu würdigen, was bereits konzeptionell zweifelhaft erscheint371. Zum anderen bietet ein Ansetzen auf der Sekundärebene der 367 Vereinzelt wird eine Lösung auch auf Ebene der Beweiswürdigung dahingehend befürwortet, dass der Wert einer unter Auskunftszwang erlangten Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung zu relativieren sei, vgl. etwa Raum, StraFo 2012, 395 (399). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, da hierdurch das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit inhaltlich entleert werden würde. 368 So aber wohl Verrel, Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, S. 71 ff., der diesbezüglich ausschließlich auf den erfolgten Grundrechtseingriff in die Selbstbelastungsfreiheit abstellt. Seinem Erachten nach wird ein entsprechender Eingriff bereits durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes neutralisiert. 369 Ähnlich Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 272. 370 Zwar kann der Schutz des Aussageinhalts im Einzelfall auch dem Interesse des Unternehmens entsprechen. Mit Blick auf die regelmäßig diametrale Interessenlage (vgl. S. 119 ff.) und zunehmender Kooperationen von aufklärenden Unternehmen mit den Strafverfolgungsbehörden (vgl. S. 62 ff.) werden Unternehmen im Regelfall aber sogar an einer Aussage des Interviewers interessiert sein. 371 Siehe dazu sogleich unten, S. 217 ff.
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Beweisverwertung per se nur einen abgeschwächten Schutz, weil das traditionelle Beweismittelrecht die Fernwirkung eines Beweisverbotes nur in sehr engen Grenzen anerkennt, die unverwertbare Aussage eines Arbeitnehmers also weiterhin als Spurensatz für weitere Ermittlungen dienen könnte und auch rein tatsächlich in den Köpfen der Urteilspersonen weiterwirkt372. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass wegen der Schutzrichtung der Selbstbelastungsfreiheit ein etwaiges Verwertungsverbot von vornherein nur in Betracht kommt, wenn eine Aussagepflicht tatsächlich besteht, das Risiko eines möglichen Irrtums über das Bestehen einer Auskunftspflicht – selbst wenn dieser von einem privaten Dritten vorsätzlich hervorgerufen wird – somit grundsätzlich allein von dem Aussagenden zu tragen ist, was gerade im Hinblick auf die Umstände der Befragung von Mitarbeitern im Zuge repressiver Compliance-Maßnahmen373 Beachtung verdient und worauf noch im Einzelnen einzugehen sein wird374. Im Folgenden sollen im Wege einer Analyse bestehender gesetzlicher Regelungen Anhaltspunkte gewonnen werden, auf welche Weise dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen Rechnung zu tragen ist. b) Verwaltungsrechtliche Ausgestaltung des Schutzes Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG gilt im Verwaltungsverfahren der Untersuchungsgrundsatz. Die jeweilige Behörde ist demnach verpflichtet, vor ihrer behördlichen Entscheidung den zugrundeliegenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln375. Die Behörden sind hierfür auf Auskünfte beteiligter Personen angewiesen, weshalb das Wirtschaftsverwaltungsrecht an zahlreichen Stellen entsprechende Auskunftspflichten vorsieht. Kommt der Betroffene einem behördlichen Auskunftsverlangen376 nicht nach, kann er hierzu durch den Einsatz von Zwangsmitteln und die Verhängung von Geldbußen angehalten werden377. Das behördliche Auskunftsbegehren berührt unmittelbar die Beziehung des Staates zum Bürger. Betroffen ist damit die abwehrrechtliche Schutzkomponente der Selbstbelastungsfreiheit. Auf welche Weise dem nemo-tenetur-Grundsatz im Verwaltungsrecht Rechnung zu tragen ist, ist aufgrund des grundrechtlichen Wesensbezugs eine Entscheidung des Gesetzgebers378. Er muss beurteilen, ob die Auskunftsinteressen der Verwaltungs372 373 374 375 376
dar. 377 378
So pointiert Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 33. Zu den konkreten Umständen einer Mitarbeiterbefragung vgl. oben, S. 77 ff. Vgl. dazu unten S. 258 ff. Vgl. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 24 Rn. 23 ff. Ein entsprechendes Auskunftsverlangen stellt einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG Näher hierzu Böse, Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, S. 205. Vgl. Schlothauer, in: FS für Fezer (2008), 267 (269).
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
behörden im Einzelfall – insb. die Sicherstellung einer effektiven Gefahrenabwehr379 – höher zu bewerten sind als das rechtsstaatliche Institut der Selbstbelastungsfreiheit380. Diese Interessenabwägung fällt im Verwaltungsrecht regelmäßig zugunsten des Betroffenen aus: Existiert eine verwaltungsrechtliche Auskunftspflicht, wird dem Auskunftspflichtigen zumeist zugleich das Recht gewährt, die Auskunft zu verweigern, wenn er sich hierdurch selbst einer Straftat bezichtigen müsste381. Ausnahmen finden sich aber etwa im Steuer- und Lebensmittelrecht sowie in den Polizeigesetzen: Im Besteuerungsverfahren versucht der Staat eine Ungleichbehandlung von Einkünften aus legalem und verbotenem Verhalten zu verhindern382, indem er dem Steuerpflichtigen eine vollständige Auskunftserteilung auferlegt, eine Erklärungspflicht also auch nicht entfällt, wenn mit einer wahrheitsgemäßen Angabe eine Beteiligung an einer Straftat offenbart wird383. Der Gesetzgeber trägt dem nemotenetur Grundsatz allerdings dahingehend Rechnung, dass selbstbelastende Auskünfte, die eine Steuerstraftat betreffen, nicht gemäß § 393 Abs. 1 S. 2 AO mit Zwang durchgesetzt werden können. Für erlangte Auskünfte, die andere als Steuerstraftaten betreffen, sieht das Gesetz in § 393 Abs. 2 AO daneben ein Verwertungsverbot vor384. Deutlich schwächer ist dagegen der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Lebensmittelrecht, wo umfangreiche Unterrichtungs- und Meldepflichten bestehen385, die auch durch den Einsatz von Zwangsmitteln durchgesetzt werden können. Eine Verwertung der erlangten Informationen im Strafverfahren wird aber durch das Beweisverwertungsverbot des § 44 Abs. 6 LFGB ausgeschlossen. Rechtfertigen lässt sich die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der Aussagepflicht nur aufgrund der überragend wichtigen Funktionen einer Sicherstellung der Lebensmittelqualität für die Allgemeinheit386. Die Polizeigesetze der Länder sehen in unterschiedlichem Umfang ebenfalls Rückausnahmen des grund379 Zur Bedeutung der Gefahrenabwehr als Grundlage einer Einschränkung der Selbstbelastungsfreiheit, vgl. Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse, S. 132. 380 Ebenso Reeb, Internal Investigations, S. 99. 381 Vgl. etwa § 21 Abs. 3 SGB X; § 15 Abs. 3 BLeistG; § 17 Abs. 3 HandwO; § 22 Abs. 3 GastG; § 17 Abs. 6 ArbZG; § 22 Abs. 1 ArbSchG; § 52 Abs. 5 BImSchG; § 18 Abs. 2 GÜG; § 21 Abs. 2a WHG; § 31 Abs. 3 WeinG; § 11 Abs. 4 FleischG; § 21 Abs. 5 ChemG; § 39 Abs. 1 S. 2 WaffG; § 29 Abs. 3 GeWo; § 4 Abs. 9 WpHG; aus den Polizeigesetzen der Länder vgl. bspw. § 20 Abs. 1 S. 5 PolG BW; § 12 Abs. 2 S. 2 HSOG (aber nur, wenn der Betroffene für die Gefahr nicht verantwortlich ist); § 18 Abs. 6 S. 2 SächsPolG; § 9a Abs. 3 S. 1 POG RP. 382 Näher Joecks, in: FS für Kohlmann (2003), 451 (452). 383 Da das Gesetz in § 393 Abs. 2 S. 2 AO i.V.m. § 30 IV AO eine Ausnahme vom Steuergeheimnis für Straftaten vorsieht, an deren Verfolgung ein besonderes öffentliches Interesse besteht, geht die h.M. in solchen Fällen jedoch nur von einer reduzierten Auskunftspflicht dergestalt aus, dass die Einkünfte lediglich betragsmäßig, nicht aber unter genauer Bezeichnung der Einkunftsquelle benannt werden müssen, vgl. BGH, wistra 2004, 391 (392). 384 Vgl. Jäger, in: Klein (Hrsg.), Kommentar AO, § 393 Rn. 5 ff.; Böse, wistra 2003, 47. 385 Vgl. § 44 LFGB, siehe hierzu etwa Boch, LFGB, § 44 Rn. 1 ff. 386 So auch Rathke, in: Zipfel/Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht, § 44 LFGB Rn. 41.
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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sätzlichen Auskunftsverweigerungsrechts für Fälle vor, in denen die geforderte Auskunft der Abwehr einer (gegenwärtigen) Gefahr für ein besonders wichtiges Rechtsgut dient387. Die dadurch erlangten Informationen dürfen aber ausschließlich zur Abwehr dieser Gefahren verwendet werden388, wodurch dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung getragen wird. Diese Regelungstechnik findet sich auch im Bundespolizei- und BKA-Gesetz389. Damit ist festzustellen, dass der Gesetzgeber im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Selbstbelastungsfreiheit umfassend Rechnung trägt und nur im Ausnahmefall zum präventiven Schutz bedeutsamer Rechtsgüter Dritter das Interesse des Staates an dem Erhalt der Information höher gewichtet als das subjektive Recht des Betroffenen, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen. c) Privatrechtliche Ausgestaltung des Schutzes Anders als im Verwaltungsrecht ist das Verhältnis des Arbeitgebers zu seinem Arbeitnehmer nicht durch ein öffentlich-rechtliches Subordinationsverhältnis geprägt. Die Grundrechte entfalten zwischen Privaten keine unmittelbare Geltung, sondern binden ausschließlich den Staat (Art. 1 Abs. 3 GG). Somit ist zunächst darzulegen, auf welche Weise der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auch für Streitigkeiten zwischen gleichgeordneten Rechtssubjekten Wirkung entfalten kann, ehe dann durch einen Rekurs auf den Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts Anhaltspunkte für eine Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes im Bereich privatrechtlich geprägter außerstrafprozessualer Pflichten gewonnen werden sollen. aa) Ausstrahlungswirkung der Grundrechte im Privatrecht Aufgrund der fehlenden Grundrechtsbindung Privater wird eine unmittelbare Anwendbarkeit des nemo-tenetur-Prinzips bei der Vornahme repressiver Befragungen von Mitarbeitern durch den Arbeitgeber abgelehnt390. Allerdings ist anerkannt, dass die Gewährung rechtsstaatlicher Grundprinzipien den Staat dazu verpflichtet, die Wertungen verfassungsrechtlicher Prinzipien rechtsübergreifend im 387
Vgl. bspw. § 20 Abs. 1 S. 6 und § 9 Abs. 2 PolG BW; § 12 Abs. 2 S. 3 HSOG; § 18 Abs. 6 S. 3, 4 SächsPolG; § 9a Abs. 3 S. 2, 3 POG RP. Aufgrund der primären Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Polizeirecht divergieren die Regelungen in nicht unerheblichen Umfang. Zu den unterschiedlichen Regelungsmodellen Deiters, in: FS für Wolter (2013), 861 (864 ff.). 388 Vgl. bspw. § 20 Abs. 1 S. 8 PolG BW; § 12 Abs. 2 S. 4 HSOG; § 18 Abs. 6 S. 5 SächsPolG; § 9a Abs. 3 S. 5 POG RP. 389 Vgl. § 22 Abs. 3 S. 3 BPolG; § 20c Abs. 3 S. 4 BKAG. 390 Mit dieser Begründung wird eine Anwendbarkeit des nemo-tenetur-Grundsatzes bei der Vornahme unternehmensinterner Untersuchungen etwa verneint von Momsen, ZIS 2011, 508 (513); Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (175 ff.); Theile, StV 2011, 381 (384).
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Rahmen seiner Entscheidungen zu würdigen391. Dies führt dazu, dass die Grundrechte als verfassungsrechtliche Auslegungsprämissen unbestimmter Rechtsbegriffe mittelbar auch auf Rechtsverhältnisse zwischen Privaten ausstrahlen (sog. mittelbare Drittwirkung)392. Damit ist für eine Anwendung im Privatrecht die objektiv-rechtliche Schutzkomponente der Selbstbelastungsfreiheit betroffen, die den Staat auch gegenüber Dritten dazu verpflichtet, den Einzelnen vor einer unzumutbaren Beeinträchtigung seiner freiheitlichen Willensentschließung zu bewahren393. Der staatliche Schutz gegen Selbstbezichtigungen beschränkt sich daher nicht auf das Strafverfahren, sondern gilt auch im Privatrecht394. Bezogen auf die Durchführung unternehmensinterner Befragungen kommt als Einbruchstelle der Grundrechte in den Prozess der arbeitsrechtlichen Befragung das auslegungsbedürftige Merkmal einer „Zumutbarkeit“ der Auskunftserteilung395 sowie ein Leistungsverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen nach § 275 Abs. 3 BGB in Betracht396. Durch die Vornahme einer verfassungskonformen Auslegung der Zumutbarkeit darf der normative Gehalt des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses jedoch nicht neu bestimmt werden397. Die Berücksichtigung der Selbstbelastungsfreiheit kann daher nicht ohne weiteres dazu führen, dass der Arbeitnehmer stets ein Schweigerecht gegenüber seinem Arbeitgeber besitzt, wenn er andernfalls Gefahr liefe, sich selbst zu belasten. Die Frage der Zumutbarkeit der Auskunftspflicht richtet sich ausschließlich nach den Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers als beteiligte Subjekte des Privatrechts. In den Abwägungsprozess dieser Interessenpositionen muss der Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare einbezogen werden398.
391 BVerfGE 7, 198 (204 ff.) – sog. Lüth-Entscheidung; siehe auch Dieterich, RdA 1993, 67 ff. Speziell zur Bedeutung einer notwendigen verfassungskonformen Auslegung von Generalklauseln im Kündigungsschutzrecht Hergenröder, in: MüKo-BGB, KSchG Rn. 15 ff. m.w.N. 392 Die Grundrechte gelten danach nicht unmittelbar im Privatrecht, prägen es aber, indem diese bei der Auslegung der bürgerlichen Vorschriften dahingehend zu berücksichtigen sind, dass von mehreren möglichen Auslegungen diejenige den Vorzug verdient, die den Wertungen der Verfassung besser entspricht, vgl. zur sog. mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Jarass/Pieroth, Art. 1 GG Rn. 25. 393 Siehe hierzu oben, S. 200. 394 Grundlegend BVerfGE 56, 37 (44); vgl. auch Rogall, in: SK-StPO, vor § 133 ff. Rn. 159. 395 Zum Merkmal der Zumutbarkeit vgl. oben S. 194 ff. 396 Die Vorschrift des § 275 Abs. 3 BGB begründet ein Leistungsverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, das auf alle Leistungspflichten Anwendung findet, vgl. Ernst, in: MüKo-BGB, § 275 Rn. 112; siehe auch Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 159. 397 Verlangen grundrechtliche Bestimmungen eine grundlegend neue Inhaltsbestimmung einer Vorschrift, kann diese nur durch den Gesetzgeber selbst erfolgen, vgl. Lüdemann, JuS 2004, 27. 398 Ähnlich Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 270 ff.; Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 19.
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Streng genommen sind diesbezüglich bei der Verfolgung privater Rechte vier voneinander zu trennende Interessen in praktische Konkordanz zu bringen: der privatrechtliche Anspruch der Gegenseite, der Schutz des Beschuldigten vor einem Selbstbelastungszwang, das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung sowie der privatrechtliche Rechtsschutzanspruch des Beschuldigten399. Zum Rangverhältnis dieser Belange hat das BVerfG in seinem Gemeinschuldnerbeschluss400 wegweisend Stellung bezogen. bb) Der Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG Das BVerfG musste 1981 über die Verfassungsbeschwerde eines in Konkurs geratenen Kaufmanns befinden, der in der Verhandlung vor dem Konkursgericht die ihn gesetzlich treffende Auskunftspflicht verweigerte, weil er befürchtete, sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen zu müssen. Das Konkursgericht ordnete daraufhin nach §§ 75, 101 Abs. 2 KO Beugehaft an, um die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs zu erzwingen. Hierdurch sah sich der Gemeinschuldner in seiner verfassungsrechtlichen Selbstbelastungsfreiheit verletzt und legte Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG bejahte zwar die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Vorschriften der Konkursordnung, leitete jedoch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Beweisverwertungsverbot der Auskünfte für ein späteres Strafverfahren ab. In seiner Begründung stellte das BVerfG zunächst fest, dass eine rechtlich vorgeschriebene und erzwingbare Auskunftspflicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreife und durch einen Zwang zur Selbstbezichtigung die Menschenwürde tangiert werde401. Allerdings kenne die Rechtsordnung kein „ausnahmsloses Gebot, dass niemand zu Auskünften oder sonstigen Handlungen gezwungen werden darf, durch die er eine von ihm begangene Handlung offenbart“402. Die unterschiedlichen Regelungen und die darin vorgesehenen Schutzvorkehrungen würden vielmehr nach der Rolle der Auskunftsperson und der Zweckbestimmung der Auskunft divergieren. Der Schutzumfang des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 GG403 hänge zudem davon ab, ob und inwieweit andere auf die Information der Auskunftsperson angewiesen sind und die verlangte Auskunft Teil eines durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist404. Dem Gemeinschuldner 399
Stürner, NJW 1981, 1757 (1760). BVerfGE 56, 37. 401 BVerfGE, 56, 37 (41 ff.). 402 BVerfGE, 56, 37 (41 ff.). Eine entsprechende Sichtweise vertrat auch der Bundesminister der Justiz, der namens der Bundesregierung im Verfahren Stellung genommen hatte. 403 Das BVerfG verortete das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ursprünglich in Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Verankerung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und die hiermit verbundene Betonung der Nähe zu Menschenwürde erfolgte erst im sog. Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1). 404 BVerfGE, 56, 37 (42). 400
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
sprach das BVerfG diesbezüglich eine besondere Pflichtenstellung gegenüber seinen Gläubigern zu, die ihn maßgeblich von der Stellung eines auskunftsverweigerungsberechtigten Zeugen405 unterscheiden würden: „Er ist im Konkurs einer der wichtigsten Informationsträger, auf dessen Auskünfte die Gläubiger und Verfahrensorgane zur ordnungsgemäßen Abwicklung des Konkurses angewiesen sind.“ 406 Da das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG seine Grenzen in den Rechten anderer finde, gebiete es „keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigung ohne Rücksicht darauf, ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden“407. Zwar sei ein (staatlicher) Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verfolgung liefern zu müssen, unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar. Soweit es sich jedoch um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses handele, sei der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Dabei könne er insbesondere die Interessen geschädigter Dritter berücksichtigen. Daher stufte das BVerfG die Anwendung der konkursrechtlichen Vorschriften im konkreten Fall als verfassungskonform ein. Zur Verhinderung einer Zweckentfremdung der erzwungen Auskünfte und Kompensation des Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzte das BVerfG die Regelung der insoweit lückenhaften Konkursordnung allerdings um ein strafrechtliches Beweisverwertungsverbot. Für eine Verwertung der Auskünfte im Strafverfahren fehle es nach Auffassung des BVerfG an einer sachlichen Rechtfertigung, da dem Gemeinschuldner in einem strafrechtlichen Verfahren ein Schweigerecht zustände: „Dieses Schweigerecht wäre illusorisch, wenn eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung gegen seinen Willen strafrechtlich gegen ihn (den Gemeinschuldner) verwertet werden dürfte. Der bloße Umstand, dass dem Gemeinschuldner im Interesse seiner Gläubiger eine uneingeschränkte Auskunftspflicht zuzumuten ist, rechtfertigt es nicht, dass er zugleich zu seiner (strafrechtlichen) Verurteilung beitragen muss und dass die staatlichen Strafverfolgungsbehörden weitergehende Möglichkeiten erlangen als in anderen Fällen der Strafverfolgung“408. Durch den sog. Gemeinschuldnerbeschluss hat das BVerfG die Geltung des nemo-tenetur-Grundsatzes auch im parteienbeherrschten Zivilprozess somit im Grundsatz anerkannt409. Im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren, wo die Selbst405 Das Zivilprozessrecht räumt in § 384 ZPO unbeteiligten Zeugen im Gegensatz zu den beteiligten Parteien ein Zeugnisverweigerungsrecht für den Fall ein, dass sich diese durch ihre Aussage der Gefahr aussetzen, selbst strafrechtlich verfolgt zu werden. In der Rechtsprechung wird in dieser Regelung ein selbstverständlicher rechtsstaatlicher Grundsatz eines fairen Verfahrens erblickt, der die Persönlichkeit des Zeugen davor bewahre, von anderen Verfahrensbeteiligten als bloßes Objekt der Wahrheitsermittlung verwendet zu werden, vgl. BVerfGE 38, 105 (111 ff.); vgl. auch BGHSt 17, 245 (246) zu § 55 StPO. 406 BVerfGE 56, 37 (48). 407 BVerfGE 56, 37 (48). 408 BVerfGE 56, 37 (51). 409 Vgl. Stürner, NJW 1981, 1757 (1757 ff.).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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belastungsfreiheit nur im Ausnahmefall zum Schutz besonderer hoher Rechtsgüter hinter die staatlichen Informationsinteressen zurücktritt, trägt das BVerfG der Parteienherrschaft im Zivilprozess gleichwohl dahingehend Rechnung, dass der grundrechtlichen Selbstbelastungsfreiheit keine grundsätzlich vorrangige Schutzwirkung zugesprochen wird, sondern sich bei Vorliegen eines berechtigten Informationsinteresse das konkrete Schutzniveau durch eine einzelfallbezogene Betrachtung der Interessenpositionen der beteiligten Parteien im Wege eines Abwägungsvorgangs ergibt410. Fällt dieser Abwägungsprozess zuungunsten des Auskunftspflichtigen aus, ist der hierdurch bewirkte grundrechtliche Eingriff jedoch durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes zu kompensieren. Zugleich hat das BVerfG betont, dass es auch im Zivilprozess die Aufgabe des Gesetzgebers ist, den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit durch entsprechende Vorschriften zu gewährleisten411. Sofern der Gesetzgeber dies versäumt, ist es Aufgabe des Rechtsanwenders, die insoweit lückenhafte Rechtsordnung nach den dargelegten Grundsätzen zu ergänzen412. 3. Übertragbarkeit der Wertungen des Gemeinschuldnerbeschlusses auf arbeitsrechtliche Auskunftspflichten Damit stehen wir vor der Frage, inwieweit die grundsätzlichen Wertungen des BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss auf die Konstellation der arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten übertragen werden können. In Literatur413 und Rechtsprechung414 wurde dieses Problem bereits kontrovers diskutiert, ohne dass sich ein einheitliches Meinungsbild herauskristallisiert hätte.
410 Ähnlich auch Mäder, Betriebliche Offenbarungspflichten und Schutz vor Selbstbelastung, S. 123; Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 275. 411 Zur entsprechenden Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers im Verwaltungsrecht Schlothauer, in: FS für Fezer (2009), 267 (269). 412 Vgl. BVerfGE 56, 37 (49 ff.). Diese allgemeine Schlussfolgerung zieht auch Wewerka, Internal Investigations, S. 317. 413 Instruktiv Böhm, WM 2009, 1923 (1926 ff.); ders., Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 160; sowie Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 299 ff.; Reeb, Internal Investigations, S. 97 ff. jeweils m.w.N.; siehe auch Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, S. 119; Jahn, StV 2009, 41 (43 ff.); Schneider, NZG 2010, 1201 (1204); Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (753 ff.); Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375 ff.); Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (359 ff.); I. Roxin, StV 2012, 116 (121); Schäefer, NJW-Spezial 2010, 120 (121); Schmidt/Dann, NJW 2009, 1851 (1855); Wehnert, StraFo 2012, 253 (257); Theile, StV 2011, 381 (383 ff.); Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (175 ff.); Greeve, StraFo 2013, 89 (94 ff.). 414 LG Hamburg, Beschluss vom 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10 = StV 2011, 148 = NJW 2011, 942; OLG Karlsruhe NStZ 1989, 287; LAG Hamm, Urteil vom 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08 = CCZ 2010, 237.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
a) Die fehlende Entscheidungsfreiheit als Kriterium Die vom BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss aufgestellten Kriterien dürfen nicht so verstanden werden, als der Gesetzgeber im Zivilprozess die Selbstbelastungsfreiheit stets dergestalt zu berücksichtigen hat, dass dem Betroffenen aus einem Schweigen keine Nachteile entstehen dürfen. Denn eine solche Interpretation würde die Parteienstellung im Zivilprozess unterlaufen. Maßgeblich ist vielmehr, inwieweit tatsächlich ein staatlich veranlasster Zwang zu einer Selbstbelastung besteht. Wenn im Zivilprozess den Parteien die Verfahrensherrschaft an die Hand gegeben wird und es somit den Prozessbeteiligten obliegt, die für ihre Rechtsposition sprechenden Tatsachen zu beweisen415, so ist es auch Aufgabe der Parteien, durch Vortrag und Beweisangebote das Risiko einer Selbstbelastung auszuschließen416. Der Betroffene kann frei wählen, ob er der prozessualen Last zur Durchsetzung seiner Rechtsposition nachkommen möchte oder lieber die Rechtsnachteile erdulden will, die ihn im Falle einer Weigerung treffen. Für seine Weigerung kann der Betroffene auch nicht bestraft werden. Es steht ihm frei, auf seinen Anspruch zugunsten der Nichtoffenbarung einer möglichen Tatbeteiligung zu verzichten. Möchte er dies nicht, so muss er sich auf den Boden des Rechts begeben und die Wahrheit vortragen – auch um den Preis der Verwertung seiner (freiwilligen) Angaben zu seinem Nachteil in einem gegen ihn geführten Strafprozess417. Anderes muss freilich gelten, wenn der Betroffene gesetzlich zur Auskunft verpflichtet ist. Gesetzliche Aussagepflichten sind bindend und können im Gegensatz zu bloßen Obliegenheiten durch den Einsatz von Zwangsmitteln erzwungen werden. Der Betroffene wird nicht nur in seiner prozessualen Rechtsposition beeinträchtigt, sondern die gesetzliche Auskunftspflicht kann durch den Einsatz von Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Sein Schweigen wird also von staatlicher Seite sanktioniert. In dieser Situation ist der Betroffene nicht mehr frei in seiner Entscheidung, sondern die gesetzliche Auskunftspflicht stellt einen staatlich veranlassten Aussagezwang dar. Die fehlende Freiheit, über die eigene Aussage und die damit verbundenen Konsequenzen disponieren zu können, ist als wesentliches Merkmal eines staatlichen Aussagezwanges festzuhalten und bildet die Abgrenzung zu einer typischen Streitigkeit zwischen Privaten, wo das Beweisrisiko vom potentiellen Straftäter zu tragen ist. Für den Gemeinschuldner hat das BVerfG eine derartige staatlich veranlasste Zwangslage angenommen, die aus den verfassungskonformen, weil dem berechtigten Informationsbedürfnis der Gläubiger Rechnung tragenden Vorschriften der Konkursordnung resultiert.
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Musielak, ZPO, Einl. Rn. 37 ff.; BVerfG NJW 2008, 747 (748). Vgl. nur Stürner, NJW 1981, 1757 (1759). 417 Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (377); siehe auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 73. 416
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Hält man sich die Situation des Arbeitnehmers im Frageprozess vor Augen418, ist eine Parallele zur Situation des auskunftspflichtigen Gemeinschuldners unverkennbar: Auch hier ist der Arbeitnehmer nach der h.M. rechtlich verpflichtet, die erforderlichen Angaben zu tätigen, selbst wenn er sich hierdurch der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt. Die Erfüllung dieser Pflicht kann der Arbeitgeber gerichtlich einklagen und im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß § 888 Abs. 1 ZPO durchsetzen419. Der Arbeitnehmer wird somit dazu angehalten, Angaben zu tätigen, die in einem späteren Strafverfahren ohne ein entsprechendes Verwertungsverbot gegen ihn verwendet werden können. Die Möglichkeit der Vollstreckbarkeit der arbeitsrechtlichen Auskunftspflicht nimmt dem Arbeitnehmer seine Entscheidungsfreiheit und bewirkt damit einen Zwang im Sinne des nemo-tenetur-Grundsatzes420. b) Berücksichtigung der privatrechtlichen Ausgangslage Hiergegen wird jedoch vorgebracht, dass im Gegensatz zur Situation des Gemeinschuldners die dargelegte Zwangslage des Arbeitnehmers nicht staatlich veranlasst sei, sondern aus der Eingehung eines privaten Vertrages resultiere421. Zwar würden sich die Auskunftspflichten aus gesetzlichen Regelungen ableiten. Dass der Arbeitnehmer diesen Regelungen unterfällt, fuße jedoch auf dem Abschluss des Arbeitsvertrages, also mithin auf seinem freien Willensentschluss. Entsprechend handele es sich um einen privat veranlassten Konflikt422. Der Staat stelle lediglich ein Instrumentarium an Zwangsmitteln zur Zwangsvollstreckung zur Verfügung, was aber an der Privatheit des Konflikts nichts ändere423. Auch das LG Hamburg hat in seinem Beschluss vom 15. 10. 2010424 eine analoge Anwendung des § 97 Abs. 1 InsO mit der Begründung abgelehnt, dass die entstehende Konfliktlage für den Arbeitnehmer nicht von einer im Widerspruch zum nemo-tenetur418
Siehe hierzu bereits oben S. 121 ff. Vgl. oben S. 198 ff. 420 Im Ergebnis zustimmend Böhm, WM 2009, 1923 (1928); Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 276; Schäefer, NJW-Spezial 2010, 120 (121); Schmidt/Dann, NJW 2009, 1851 (1855); Wehnert, StraFo 2012, 253 (257); Greco/Caracas, NStZ 2015, 7 (11); Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 151; differenzierend Münkel, Mitarbeiterbefragungen im Strafprozess, S. 196 ff., 203, die einfordert, dass sich der private Aussagezwang – bspw. durch Erhebung einer Auskunftsklage – so verdichtet haben muss, dass die Angaben zu diesem Zeitpunkt als „mit staatlichem Zwang“ veranlasst eingestuft werden können. Dies überzeugt nicht, weil nicht erst der Richterspruch, sondern bereits das Bestehen der gesetzlichen Auskunftspflicht die staatlich veranlasste Zwangslage begründet. 421 Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (389 ff.); Momsen, ZIS 2011, 508 (513); Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 358; Raum, StraFo 2012, 395 (397); Zapfe, Compliance und Strafverfahren, S. 157. 422 Knauer/Buhlmann, AnwBl 2010, 387 (389 ff.). 423 Momsen, ZIS 2011, 508 (513); Momsen/Grützner, DB 2011, 1792 (1795); Raum, StraFo 2012, 395 (397). 424 LG Hamburg, Beschluss vom 15. 10. 2010 – 608 Qs 18/10, = StV 2011, 148. 419
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Grundsatz stehenden gesetzlichen Auskunftspflicht, sondern von einer vom Betroffenen freiwillig eingegangen vertraglichen Verpflichtung zur möglichen Selbstbelastung ausgeht425. Einer derartigen formaljuristischen Sichtweise ist entschieden entgegenzutreten. Der Abschluss eines Arbeitsvertrages und der hierdurch verbundenen Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkanons dient dem Arbeitnehmer primär zum Broterwerb und erfolgt daher nur bedingt freiwillig426. Insbesondere die Übernahme entsprechender Auskunftspflichten dürfte seitens des Arbeitnehmers auch kaum Teil der bewusst getroffenen Entscheidung zur Eingehung des Arbeitsvertrages gewesen sein, da sich diese regelmäßig als Nebenpflicht zum Arbeitsvertrag darstellt427, die dem juristischen Laien – wenn überhaupt – nur rudimentär bekannt ist. Die Vorstellung, dass solche Pflichtenstellungen von Arbeitnehmern bei der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses berücksichtigt würden, ist schlicht realitätsfern428. Die von der Gegenansicht vorgetragene Argumentation kann daher bereits aus diesem Grunde nur für den Fall überzeugen, in dem die verlangte Auskunftspflicht als Teil der Hauptleistungsleistungspflicht des Arbeitsvertrages angesehen und entsprechend vergütet wird. Für diese Ausnahme-Konstellation wird eine uneingeschränkte Aussagepflicht dementsprechend auch nicht bestritten429. Vor allem aber kann die Freiwilligkeit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses nicht mit einer freiwilligen Verpflichtung auf den Verzicht elementarer Grundrechte gleichgesetzt werden430. Wenn der Gesetzgeber in Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG dem Bürger das Recht zuspricht, Beruf, Arbeitsplatz und Arbeitsstätte frei zu wählen, muss er für die Ausübung dieses Rechts einen verfassungskonformen Rahmen schaffen. Dabei ist sich zu vergegenwärtigen, dass das Grundrecht der Berufsfreiheit neben seiner Funktion als Abwehrrecht zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung von besonderem Rang verkörpert431. Das Recht zu arbeiten hat für Bürger aller Schichten besondere Bedeutung, weshalb der Gewährleistungsbereich über den subjektiven Freiheitsbereich der Regelung des Art. 12 Abs. 1 GG hinausreicht und
425 LG Hamburg, NZWiSt 2012, 26 (28) mit insoweit zustimmender Anm. Schuster. Ebenso Wimmer, in: FS für I. Roxin (2012), 537 (549 ff.). 426 So treffend Wehnert, StraFo 2012, 253 (257); ähnlich zuvor bereits Fritz, CCZ 2011, 156 (160). 427 Zur Auskunftspflicht des Arbeitnehmers als Teil der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, siehe oben S. 194 ff. 428 Im Übrigen könnte man auch dem Insolvenzschuldner den Vorwurf machen, dass er bei Eingehung seines freiwilligen Rechtsgeschäfts die Möglichkeit einer Insolvenz und die damit verbundene gesetzliche Pflichtenstellung hätte einkalkulieren müssen. 429 Vgl. oben S. 192. 430 Ähnlich bereits I. Roxin, StV 2012, 116 (120); Sidhu/von Saucken/Ruhrmannseder, NJW 2011, 881 (883), v. Galen, NJW 2011, 945; vgl. auch Ignor, CCZ 2011, 143 (144). 431 Vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 4 ff.
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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dem Staat besondere positive Schutzverpflichtungen auferlegt432. Die zahlreichen arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz des Arbeitnehmers zum Ausgleich der unterschiedlichen Kräfteverhältnisse zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind Ausdruck dieser grundrechtlichen Wertungsvorgabe433. Das Grundrecht der Berufsfreiheit wäre inhaltlich entleert, wenn die Eingehung eines Arbeitsvertrages zugleich damit verbunden wäre, auf elementare Grundrechte, insbesondere das rechtsstaatlich überragend wichtige Recht der Selbstbelastungsfreiheit, zu verzichten. Die Ablehnung einer vergleichbaren Interessenlage aufgrund der unterschiedlichen Ausgangskonstellationen im Insolvenzrecht und im Arbeitsrecht kann damit auch verfassungsrechtlich nicht überzeugen. Auch ist es nicht sachgerecht, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass der Staat lediglich das Instrumentarium für die Bewältigung des privatrechtlichen Konflikts stelle434. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass ohne die Mitwirkung des Staates der betroffene Arbeitnehmer gar nicht in die dargelegte Konfliktsituation geraten würde: Die Regelungen des Arbeitsvertrages d. h. die konkret individuellen Vereinbarungen der Parteien sehen eine uneingeschränkte Auskunftspflicht regelmäßig nicht vor, sondern diese wird erst durch die Schaffung einer entsprechenden Gesetzeslage und der Ermöglichung der Durchsetzbarkeit der hieraus resultierenden Ansprüche erzeugt. Erst aufgrund der rechtlich vorgeschriebenen Auskunftspflicht kann der Arbeitnehmer in die Situation geraten, sich selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen, weshalb eine staatlich bewirkte Zwangslage vorliegt435. c) Vergleichbare Interessenlage Die Qualität der Zwangslage, in der sich der Arbeitnehmer im Falle einer Auskunftspflicht befindet, ist somit mit der Konstellation des § 97 Abs. 1 InsO vergleichbar, die das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss gerade zur Annahme eines 432 In der sog. Handelsvertreter-Entscheidung (BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469) hat das BVerfG aus der Berufsfreiheit als Ausfluss der objektiven Wertordnung der Grundrechte des Grundgesetzes erstmals eine staatliche Schutzpflicht hergeleitet, um der Verwirklichung der berufsbezogenen Privatautonomie Rechnung zu tragen. Dabei hat der Senat allgemein herausgestellt, dass eine Selbstbestimmung nicht gegeben sein kann, wenn ein Vertragspartner aufgrund seines Übergewichts vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen könne, weshalb eine derartige „Fremdbestimmung“ durch schützende Bestimmungen seitens des Staates auszugleichen sei. In späteren Entscheidungen hat das BVerfG diese Grundüberlegung bezogen auf die Berufsfreiheit weiter ausdifferenziert. Vgl. hierzu Ruffert, in: BeckOK-GG, Art. 12 Rn. 19 mit entsprechenden Nachweisen zur Entwicklung der Rechtsprechung. 433 Vgl. BVerfGE 89, 214 (222) = NJW 1994, 36; BVerfGE 97, 196 (176 ff.) = NJW 1998, 1475. 434 So etwa Momsen, ZIS 2011, 508 (513). 435 Im Ergebnis zustimmend Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 276 ff.; Böhm, WM 2009, 1923 (1928); siehe auch Wolff, Selbstbelastung und Verfahrenstrennung, S. 131 ff., für die Schaffung einer staatlichen Zwangslage durch verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflichten.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
selbstständigen Beweisverwertungsverbots veranlasste436. Bei Lichte betrachtet wird man der Zwangslage des Arbeitnehmers diesbezüglich sogar noch eine stärkere Intensität zusprechen müssen, da über ihm nicht nur das Damoklesschwert eines (staatlichen) Zwangsmitteleinsatzes zur Auskunftserzwingung hängt, sondern daneben auch ein faktischer Zwang besteht, dem Verlangen des Arbeitgebers nachzukommen, um den eigenen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, den Betroffenen mit einer arbeitsrechtlichen Drohkulisse und der Geltendmachung von Regressansprüchen zu konfrontieren. Bedenkt man, dass diese Maßnahmen für den Arbeitnehmer regelmäßig existenzbedrohend sein dürften437, ist eine echte Entscheidungsfreiheit auch aus diesem Grunde nicht gegeben438. Ausgehend von den formulierten Grundsätzen des BVerfG muss die gesetzliche Normierung einer erzwingbaren gesetzlichen Auskunftspflicht des Arbeitnehmers daher als (staatlicher) Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG) des Betroffenen gewertet werden439. Dass der auskunftspflichtige Arbeitnehmer die Auskunft dabei nicht wie im Falle des Gemeinschuldners gegenüber einer staatlichen Stelle (Konkursgericht) leisten muss, sondern dem Arbeitgeber verpflichtet ist, kann an der Bewertung nichts ändern. Dem BVerfG kam es in seiner Entscheidung entscheidend auf das Bestehen einer erzwingbaren gesetzlichen Auskunftspflicht an, die bereits als maßgebliches Kriterium herausgestellt wurde. Konsequenterweise unterschieden die Richter daher auch nicht nach der rechtlichen Herkunft der Pflichten, sondern nannten als Beispiele für erzwingbare gesetzliche Auskunftspflichten explizit Konstellationen, die aus dem Eingang privatrechtlicher Pflichten resultierten („schuld-, familien- oder erbrechtliche Aus436 A.A. Schuster, NZWiSt 2012, 28 (30), der aber allein auf die faktische Zwangslage des Arbeitnehmers abstellt und davon ausgeht, dass diese für sich genommen nicht die Qualität einer mit § 97 Abs. 1 InsO oder § 393 AO vergleichbaren Qualität zukommt. Differenzierend auch Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 108 ff., der zwar im Grundsatz ebenfalls von einer Übertragbarkeit der Wertungen des Gemeinschuldnerbeschlusses ausgeht, diese jedoch auf Fälle beschränken möchte, in denen im Zeitpunkt der Auskunftserteilung bereits eine hierauf gerichtete Klage anhängig ist, da sich der Auskunftspflichtige nur in dieser (rechtlichen) Drucksituation in derselben Zwangslage wie der Gemeinschuldner befinde. Wie Benz selbst einräumt, kann es dem Auskunftspflichtigen jedoch nicht zugemutet werden, sich zunächst verurteilen zu lassen, um den Schutz der Selbstbelastungsfreiheit zu erlangen, weshalb es seines Erachtens nach bereits ausreiche, wenn sich das Gebrauchen der Möglichkeit einer staatlichen Erzwingbarkeit abzeichne. Gegen eine derartig formal-juristische Sichtweise spricht jedoch, dass in der Praxis ein Auskunftsverlangen regelmäßig die Drohung impliziert, die Durchsetzung des Anspruchs notfalls gerichtlich einzuklagen, der Betroffene also bereits in dieser Situation mit der staatlich verursachten Zwangslage konfrontiert wird. Auch dürfte eine derartige Differenzierung mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden sein. 437 Zur Situation des Arbeitnehmers bereits oben S 121 ff. 438 Ähnlich Böhm, WM 2009, 1923 (1928); von Galen, NJW 2011, 945 (945); Wastl/Litzka/ Pusch, NStZ 2009, 68 (70 ff.) Auf dem 67. Deutschen Juristentag wurde von der Abteilung Strafrecht allerdings mehrheitlich die Position vertreten, dass wirtschaftlicher Druck alleine noch nicht zu einem strafrechtlichen Verwertungsverbot führen soll. 439 BVerfGE 56, 37 (41 ff.).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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kunfts- oder Rechenschaftspflichten“). Hinzu kommt, dass das Konkurs- bzw. heutige Insolvenzverfahren als Teil des Zwangsvollstreckungsrechts zu sehen ist und ebenso wie die Vorschrift des § 888 ZPO einzig auf den Schutz und die Durchsetzung privater Interessen abzielt440. Die Interessenlagen des Gemeinschuldners und des auskunftspflichtigen Arbeitnehmers sind somit vergleichbar, weshalb eine Heranziehung der Wertungen des Gemeinschuldnerbeschlusses des BVerfG auch auf die hier zu untersuchenden Konstellation einer arbeitsrechtlichen Auskunftspflicht geboten erscheint. Sofern der Arbeitgeber daher ein berechtigtes Informationsbedürfnis besitzt und der Arbeitnehmer zur Erteilung selbstbelastender Auskünfte verpflichtet ist, liegt aufgrund der staatlichen Gesetzeslage ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vor, der nach den Grundsätzen des Gemeinschuldnerbeschlusses durch die Annahme eines strafrechtlichen Beweisverwertungsverbotes zu korrigieren ist441. 4. Anwendung der Grundsätze des Gemeinschuldnerbeschlusses Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Wertungen des BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss auf die Konstellation des auskunftspflichtigen Arbeitnehmers Anwendung finden müssen. Damit ist aber noch keine Entscheidung darüber getroffen, auf welche Weise dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Einzelfall Rechnung zu tragen ist. Unseren Überlegungen folgend besteht zum einen die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer bereits auf der Stufe der Beweiserhebung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu gewähren und auf diese Weise bereits die Entstehung des Beweismittels zu verhindern. Andererseits kann ein Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz auch dadurch vermieden werden, dass die erzwungene Selbstbelastung in einem anschließenden Straf- oder Ordnungswidrig-
440
BVerfGE 116, 1 (13). In diesem Zusammenhang hat Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 277 ff. zutreffend darauf hingewiesen, dass die Auskunftspflicht des Gemeinschuldners gem. § 100 KO unmittelbar sowohl gegenüber dem Konkursverwalter galt als auch gegenüber dem Gläubigerausschuss bestand. Der Konkurs- bzw. heutige Insolvenzverwalter ist jedoch nach ganz herrschender Auffassung keine staatliche Stelle und übt auch keine staatliche Macht aus; der Gläubigerausschuss ist zwar vom Konkursgericht eingesetzt, besteht aber aus privaten Gläubigern des Schuldners. Auch im Hinblick auf den Empfänger der Auskunft besteht somit kein qualitativer Unterschied zwischen der Situation des Gemeinschuldners und der des auskunftspflichtigen Arbeitnehmers. 441 Im Ergebnis zustimmend Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 160; ders., WM 2009, 1923 (1926 ff.); Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (753 ff.); Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375 ff.); Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (175); Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (359 ff.); I. Roxin, StV 2012, 116 (120); LAG Hamm, Urteil vom 03. 03. 2009 – 14 Sa 1689/08 = CCZ 2010, 237; Greeve, StraFo 2013, 89 (95); Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 151.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
keitenverfahren einem Verbot der Beweisverwertung bzw. Beweisverwendung unterfällt442. Den Wertungen des BVerfG entsprechend ist für die Festlegung des Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit das konkrete Informationsinteresse des Auskunftsberechtigten entscheidend443. Zudem ist zu berücksichtigen, inwieweit die verlangte Auskunft Teil eines durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist444. Maßgeblich für die Ermittlung des konkreten Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit sind damit die Interessenlagen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers. a) Bedeutungsrelevanz der alternativen Schutzmodelle Soweit im Schrifttum eine Heranziehung des Gemeinschuldnerbeschlusses auf arbeitsrechtliche Auskunftspflichten erwogen wird445, wird eine Entscheidung über das Schutzniveau der Selbstbelastungsfreiheit aber entweder offen gelassen446 oder aber davon ausgegangen, dass aufgrund des Informationsbedürfnisses des Arbeitgebers eine Aussagepflicht des Arbeitnehmers jedenfalls im Falle drohender Geldbußen und Reputationsverlustes regelmäßig besteht und der Selbstbelastungsfreiheit lediglich durch ein Beweisverwertungs- bzw. Beweisverwendungsverbot Rechnung zu tragen ist447. Jedoch wurde bereits aufgezeigt, dass es sich bei dieser 442
Siehe dazu bereits oben S. 203 ff. Vgl. BVerfGE 56, 37 (42). 444 Vgl. BVerfGE 56, 37 (42). 445 Vgl. im Besonderen die Ausführungen von Böhm, WM 2009, 1923 (1926 ff.); ders., Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 160; sowie Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 299. Siehe auch Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (753 ff.); Bittmann/ Molkenbur, wistra 2009, 373 (375 ff.); Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (359 ff.: Analoge Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO); Theile, StV 2011, 381 (385), I. Roxin, StV 2012, 116 (121); Schäefer, NJWSpezial 2010, 120 (121); Schmidt/Dann, NJW 2009, 1851 (1855); Wehnert, StraFo 2012, 253 (257); Rotsch, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1, Kap. 4 Rn. 61; Scharnberg, Illegale Internal Investigations, S. 294; Park, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11 Rn. 107 ff. („Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer“). 446 Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (359 ff.); Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (753 ff.); Park, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11 Rn. 107 ff. („Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer“). 447 Böhm, WM 2009, 1923 (1926 ff.); ders., Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 160; Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (375 ff.); LG Hamm, Urteil v. 03. 03. 2009 = CCZ 2010, 237; Rotsch, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1, Kap. 4 Rn. 61; Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (266); Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 122 ff.; Scharnberg, Illegale Internal Investigations, S. 294; Lenze, Compliance, S. 134 ff.; Münkel, Mitarbeiteroffenbarungen im Strafprozess, S. 82 ff.; siehe auch Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 299, die das Schutzniveau der Selbstbelastungsfreiheit aber anhand der schuldrechtlichen 443
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Vorgehensweise keinesfalls um einen Königsweg zur Lösung des vorhandenen rechtlichen Interessenkonflikts handelt, da die dargelegten Alternativen zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit ein unterschiedliches Schutzniveau bieten und nur ein umfassendes Schweigerecht den Arbeitnehmer tatsächlich vor einer Inanspruchnahme schützt448. Vor allem aber wird bis auf vereinzelte Ausnahmen449 merkwürdigerweise nicht der Begriff des „Informationsbedürfnisses“ des Arbeitgebers hinterfragt, sondern die Betrachtung auf eine vielschichtige Differenzierung der einzelnen schuldrechtlichen Pflichtenstellung fokussiert450 und eine umfassende Auskunftspflicht ohne kritische Ausführungen als gegeben angenommen451. Diese Vorgehensweise wird aber weder den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen im Allgemeinen noch den datenschutzrechtlichen Anforderungen im Speziellen gerecht, die ihren Ausgangspunkt im Schutz des Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten haben und für ein Eingreifen eine besondere Erlaubnis verlangen452. Im Folgenden soll daher ausgehend von den dargelegten Überlegungen das Merkmal der „Informationsinteresses“ als primärer Wegweiser zur Bestimmung des konkreten Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit dienen. b) Die gefahrenabwehrbezogene Betrachtung als Bewertungsmaßstab des Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit Wir haben bereits festgestellt, dass der Umfang der Auskunftspflichten des Arbeitnehmers grundsätzlich davon abhängt, worauf die gewünschte Auskunft abzielt und in welchem Nähebezug die abgefragte Information zum persönlichen Arbeits-
Pflichtenstellung bestimmen möchte und im Falle einer Aussagepflicht von einer Fernwirkung des Verwertungsverbots ausgeht (S. 307 ff.). Mit Blick auf die hier vertretene und sogleich darzulegende Sichtweise ist zudem die Feststellung von Theile, StV 2011, 381 (386) bemerkenswert, der unter Verweis auf den Gemeinschuldnerbeschluss zutreffend betont, dass ein staatliches oder öffentliches Informationsinteresses den Interessen des Auskunftspflichtigen (sprich: dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit) nicht automatisch vorgeht, dem privaten Informationsinteresse des Arbeitgebers aber im Regelfall den Vorrang einräumen möchte. 448 Zur Leistungsfähigkeit der alternativen Schutzmodelle vgl. oben S. 204 ff. 449 Im Ansatz Münkel, Mitarbeiteroffenbarungen im Strafprozess, S. 73 ff.; siehe auch I. Roxin, StV 2012, 116 (121), die ebenfalls eine Heranziehung der Grundsätze des Gemeinschuldnerbeschlusses befürwortet, ihren Ansatzpunkt aber in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sucht und zu dem Ergebnis kommt, dass eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers regelmäßig nicht erforderlich sein wird, weil dem Arbeitgeber alternative Möglichkeiten zur Erkenntnisgewinnung zur Verfügung stehen. 450 Vgl. etwa Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 299; Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 149 ff.; Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (20). 451 Dies betont auch Münkel, Mitarbeiteroffenbarungen im Strafprozess, S. 75 mit entsprechenden Nachweisen. 452 Nach § 4a BDSG ist es Unternehmen untersagt, personenbezogene Daten zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen, wenn nicht ein besonderer gesetzlicher Erlaubnistatbestand vorliegt.
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bereich des Arbeitnehmers steht453. Für die Bestimmung des Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit hilft eine Berücksichtigung der unterschiedlichen schuldrechtlichen Verpflichtungen dagegen – wie bereits angedeutet – nur bedingt weiter; in concreto nämlich nur dahingehend, dass eine uneingeschränkte Aussagepflicht jedenfalls dann besteht, wenn die verlangte Auskunft als Teil der geschuldeten Hauptleistungspflicht anzusehen ist454. Ansonsten kann die Stellung des Arbeitnehmers und seine hierauf basierende Aussagepflicht zwar in den Abwägungsvorgang der unterschiedlichen Interessenlagen einfließen, nicht jedoch den Ausgangspunkt der Festlegungen bilden, da die Pflichtenstellung des Arbeitnehmers erst als sekundäres Abwägungskriterium zu berücksichtigen ist und darüber hinaus durch das besondere Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber erhebliche Relativierung erfährt. Die grundsätzlich zutreffende Differenzierung nach den unterschiedlichen schuldrechtlichen Verpflichtungen darf nicht dazu führen, dass der entscheidende Parameter zur Festlegung eines unbedingten Informationsbedürfnisses übersehen wird: Maßgeblich ist die Gefahrenlage für den Arbeitgeber, also die Frage, ob und weshalb der Arbeitgeber auf die Auskunft des Arbeitnehmers angewiesen ist. Denn allein hieraus folgt das Informationsbedürfnis des Arbeitgebers, aus dem eine etwaige Einschränkung der grundrechtlich geschützten Selbstbelastungsfreiheit überhaupt nur hergeleitet werden kann455. Eine unbeschränkte Verpflichtung zur Selbstbezichtigung auf der Ebene der Aussageerhebung degradiert den Arbeitnehmer zum bloßen Objekt der staatlichen Regelungen, was nicht gewollt sein kann. Es ist somit richtig, die Entscheidung über das Eingreifen der Selbstbelastungsfreiheit im Arbeitsrecht zu fällen456. Die von der herrschenden Meinung propagierte Abwägung der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedarf hingegen einer Korrektur in ihrer Ausgangsprämisse: Es geht nicht primär um die Frage, ob der Arbeitnehmer einen grundsätzlich bestehenden Auskunftsanspruch aus persönlichen Gründen mangels einer Zumutbarkeit nach § 275 Abs. 3 BGB verweigern kann, sondern ausgehend von einer grundsätzlichen Geltung der Selbstbelastungsfreiheit muss zunächst nach Ausnahmegründen gesucht werden, die eine Einschränkung des rechtsstaatlich bedeutsamen nemo-tenetur-Grundsatzes rechtfertigen und es erlauben, überhaupt in eine Interessenabwägung einzusteigen. Diese Deutung hat das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss klar zum Ausdruck gebracht: „Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar wäre ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen. Insoweit gewährt Art. 2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe einen Schutz, der alter und bewährter Rechtstradition entspricht. 453 454 455 456
Vgl. hierzu die Darstellungen oben S. 191 ff. Vgl. dazu oben S. 192 ff. Vgl. wiederum BVerfGE 56, 37 (42). Vgl. dazu nur Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1855).
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Handelt es sich hingegen um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen“457.
Nach richtiger Lesart verlangt die gesetzgeberische Abwägung der verschiedenen Belange damit das Vorliegen eines berechtigten Informationsbedürfnisses. Die Perspektive der Bewertung ist folglich eine andere, wie das BVerfG zutreffend erkennt: Es ist nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, seine grundlegenden Rechtspositionen zu verteidigen, sondern eine verfassungskonforme Auslegung der unbestimmten Wertungsnormen verlangt gerade, dass der durch die Annahme einer gesetzlichen Auskunftspflicht erfolgende Eingriff hinreichend legitimiert wird. Entsprechend ist primär danach zu fragen, in welchen Fällen überhaupt ein derartiges Informationsbedürfnis besteht, dass ein Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit erforderlich ist, ehe dann der Frage einer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nachzugehen ist. Diese Sichtweise entspricht auch der Gesetzessystematik der einschlägigen Vorschriften im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), das in § 4a BDSG ein Datenerhebungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt statuiert und die Frage der Verhältnismäßigkeit erst bei der Prüfung der Erlaubnistatbestände (z. B. § 32 Abs. 1 BDSG oder § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG) verortet458. Die im Rahmen der Erlaubnisprüfung durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung muss dabei nach der vorzugswürdigen Auffassung in der Literatur459, der sich nun auch das BAG460 angeschlossen hat, „klassisch“ in drei Stufen erfolgen (Geeignetheit, Erforderlichkeit Angemessenheit im engeren Sinne). Gedanklicher Ausgangspunkt ist hiernach somit zwingend die konkrete Bestimmung des vom Arbeitgeber verfolgten Zwecks461. Aus den genannten Gründen muss die Frage nach der konkreten Gefahrenlage für den Betrieb somit auch den Ausgangspunkt für die Festlegung des Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit bilden.
457
BVerfGE 56, 39 (49). Bezogen auf die Systematik des BDSG ebenso Kroh, Effektive Personalführung und Compliance mit Blick auf den Arbeitnehmerdatenschutz, S. 83 ff., die in diesem Zusammenhang zutreffend darauf betont, dass die Regelungstechnik des BDSG der Systematik des Polizeirechts entspricht. Zu dem hieraus resultierenden Prüfungsschema im Datenschutzrecht Wybitul, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 11 Rn. 52. 459 Vgl. Franzen, in: ErfK-ArbR, § 32 BDSG Rn. 6; Zöll, in: Taeger/Gabel (Hrsg.), BDSG, § 32 Rn. 18; Wybitul, BB 2010, 1085 ff. 460 Vgl. BAG vom 20. 06. 2013 – 2 AZR 546/12 = BB 2014, 179 Rn. 28: „Erforderlich i.S.d. § 32 BDSG Abs. 1 S. 2 BDSG bzw. verhältnismäßig im Sinne einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann eine Schrankkontrolle aber nur sein, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist.“ 461 Ebenso Wybitul/Pötters, BB 2014, 437 (439). 458
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
c) Kritische Würdigung der Gefahrenlage des Unternehmens im Sinne der h.M. Die Gefahrenlage eines Unternehmens, in dem ein Regelverstoß stattgefunden hat, wurde bereits bei der Darlegung der Gründe erläutert, die Unternehmen veranlassen, unternehmensinterne Untersuchungen durchzuführen: Das Unternehmen möchte (weitere) betriebliche Störungen vermeiden, Regressansprüche geltend machen und die eigene Unternehmenskultur als Grundlage einer erfolgreichen Positionierung am Markt wahren462. Diese Gründe entsprechen den ureigenen Interessen eines Unternehmens als partizipierendes Element einer freien Marktwirtschaft. Daneben werden unternehmensinterne Befragungen aber auch durchgeführt, um zivilrechtlichen Pflichtenstellungen gerecht zu werden und insbesondere um das Verhalten der staatlichen Strafverfolgungsbehörden positiv zu beeinflussen und eine Handlungshoheit zu behaupten463. Die jüngsten Entwicklungen legen sogar nahe, dass die Durchführung interner Ermittlungen als Grundlage einer Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden als Hauptmotiv repressiver Maßnahmen zu werten ist464. Hintergrund dieses Paradigmenwandels ist die Androhung existenzbedrohender Geldbußen und die verstärkte persönliche Inanspruchnahme von Unternehmensverantwortlichen465. Vergegenwärtigt man sich die hieraus resultierende „Gefahrenlage“ des Unternehmens, muss man zu dem Schluss kommen, dass die dem Unternehmen bzw. den Unternehmensführern drohenden „Gefahren“ zu einem Großteil dem staatlichen Wirken entspringen466. Es wäre jedoch widersinnig, wenn es in der Hand des Staates läge, durch Schaffung einer entsprechenden Gefahrenlage das Schutzniveau der Selbstbelastungsfreiheit im außerstaatlichen Bereich festzulegen. Da die Grundrechte in ihrem Wesen als Abwehrrechte gegenüber dem Staat konzipiert sind, können diese nicht zur Disposition desselbigen stehen. Eben dieses wäre aber der Fall, wenn Ermessensentscheidungen wie die Androhung und Festlegung von Sanktionen gegen das Unternehmen oder Unternehmensführer von der Frage einer Kooperation des Unternehmens abhängig gemacht werden. Denn aus Sicht des Unternehmens besteht spätestens ab diesem Zeitpunkt eine reale, mitunter sogar existenzbedrohende Gefahr, die bei bloßer Gefahrenbestimmung aus der Unternehmensperspektive unmittelbar auf das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber dergestalt durchschlägt, dass auf Grundlage der herrschenden Meinung eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Auskunftserteilung des Mitarbeiters besteht467. 462
Zur Interessenposition des Unternehmens eingehend oben S. 120 ff. Vgl. oben S. 55 ff. 464 Vgl. oben S. 62 ff. 465 Vgl. oben S. 55 ff. 466 Siehe hierzu insbesondere die Bewertung der Bestandsaufnahme, S. 85 ff. 467 Vgl. zur entsprechenden Folgerung im Sinne der h.M. etwa Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 152; ders., WM 2009, 1923 (1925); Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (264 ff.); Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsen463
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Die Gefahr einer staatlichen Inanspruchnahme des Unternehmens führt somit zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung der Grundrechte des Arbeitnehmers468. Hier kann man daher nur zu dem Ergebnis kommen, dass derartige, staatlich veranlasste „Gefahren“ nicht geeignet sind, einen Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit zu begründen. Die Sanktionierung des Unternehmens und seiner Leitungspersonen resultiert allein aus dem Strafverfolgungsinteresse des Staates. Der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit genießt jedoch Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung469. Diese Rangfolge entspricht dem klassischen strafprozessualen Verständnis und ist eine klare Wertung des Gesetzgebers, die nicht ignoriert werden darf. Bezüglich einer rechtlichen Aufklärungspflicht unternehmensinterner Straftaten muss zudem beachtet werden, dass zwar eine unternehmensseitige Aufklärungspflicht im Grundsatz besteht, diese jedoch nur soweit reichen kann, wie das geltende Recht es zulässt. Insbesondere im Hinblick auf das „Wie“ der Aufklärung, d. h. der Wahl der konkreten Aufklärungsmethode, hat die Unternehmensleitung einen Ermessensspielraum470. Dies folgt unmittelbar aus der Vorschrift des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG selbst, die lediglich verlangt, dass der Vorstand auf der Grundlage angemessener Information handelt471. Der im Rahmen der Bestandsaufnahme konstatierte, faktische Rechtszwang der Unternehmen, repressive Untersuchungshandlungen vorzunehmen472, resultiert somit zu einem wesentlichen Teil aus einem unzulässigen Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden und kann demnach keine zu berücksichtigende Gefahrenlage begründen. Staatlichen Behörden ist es demnach nicht nur untersagt, Unternehmen zu einem repressiven Aufklärungsverhalten durch die Androhung staatlicher Repressalien anzuhalten oder eine Nichtvornahme gezielter repressiver Sanktionshandlungen negativ bei Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen, sondern ein entsprechendes staatliches Wirken bleibt auch ohne Einfluss auf die Geltungskraft der Selbstbelastungsfreiheit. Anderes muss freilich gelten, wenn ureigene Interessenpositionen des Unternehmens bedroht sind oder Leib und Leben Dritter auf dem Spiel stehen. Derartige Gefahrenlagen begründen ein besonderes Informationsbedürfnis, das es nach den Grundsätzen des Gemeinschuldners grundsätzlich erlaubt, die Selbstbelastungsaufsicht SEC, S. 117; Münkel, Mitarbeiteroffenbarungen im Strafprozess, S. 82, die zwar eine differenzierte Interessenabwägung einfordert, auf Seiten des Arbeitgebers aber „(drohende) Bußgelder und Risiken von „schwarzen Listen““ als maßgebliche Abwägungskriterien ansieht; im Falle einer arbeitgeberseitig zugesagten arbeitsrechtlichen Amnestie wohl auch Scharnberg, Illegale Internal Investigations, S. 280. 468 Siehe hierzu bereits oben S. 194 ff. 469 Vgl. nur Stürner, NJW 1981, 1757 (1759). 470 Reichert, ZIS 2011, 113 (117). 471 Reichert, ZIS 2011, 113 (117); vgl. auch I. Roxin, StV 2012, 116 (121). 472 Vgl. oben S. 58 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
freiheit im außerstrafprozessualen Bereich einzuschränken. Der konkrete Schutzumfang der Selbstbelastungsfreiheit ergibt sich dann aus einer Abwägung der unterschiedlichen Interessenlagen und der primären Stoßrichtung des Untersuchungszwecks. d) Interessenabwägung Hat man die vielschichtige Gefahrenlage des Unternehmens analysiert und nach den dargestellten Grundsätzen gefiltert, stellt die insoweit ermittelte Gefahrenlage zugleich den Ausgangspunkt der vorzunehmenden Interessenabwägung dar. Dem hieraus resultierenden Informationsbedürfnis des Arbeitgebers steht auf der anderen Seite die grundrechtlich geschützte Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers gegenüber. An dieser Stelle ist sich erneut zu vergegenwärtigen, dass die Entscheidung, welche Schutzgestaltung für ein konkretes Verfahren zu wählen ist, eine Aufgabe des Gesetzgebers darstellt473. Soweit der Rechtsanwender diese Aufgabe übernimmt, ist er somit gehalten, sich an bestehenden gesetzlichen Wertungen zu orientieren, um im Sinne des Gesetzgebers die vorhandene Lücke zu schließen474. Als primäre Entscheidungsparameter fungieren daher bestehende rechtliche Wertungen des allgemeinen Zivilrechts sowie des Arbeitsrechts respektive des Datenschutzrechts im Speziellen. aa) Der Rechtsgedanke der §§ 666, 675 BGB als Wertungsprämisse Soweit die geforderte Auskunft als Nebenleistungspflicht der vertraglichen Arbeitsaufgabe eingeordnet werden kann475, wird ein Vorrang des privaten Informationsbedürfnisses von der überwiegenden Meinung unter Verweis auf die Architekten-Entscheidung476 des BGH aus dem Rechtsgedanken der §§ 666, 675 BGB 473
Vgl. Schlothauer, in: FS für Fezer (2009), 267 (269). Siehe hierzu auch oben S. 205 ff. Vgl. BVerfGE 37, 67 (81); 49, 286 (301 ff.). 475 Siehe hierzu oben, S. 193 ff. 476 Dort war ein Architekt mit der Planung und Durchführung eines größeren Bauvorhabens betraut, in dessen Rahmen auch die Vergabe von Auftragsarbeiten an Subunternehmer gehörte. Die ausgewählten Baufirmen wurden angewiesen, auf die kalkulierten Fertigungspreise einen Zuschlag in Höhe von 10 – 15 % aufzuschlagen, den die Firmen im Anschluss an die Auftragsvergabe an eine KG überweisen mussten, deren Komplementär der Architekt war. Nach Bekanntwerden des Sachverhalts verlangte der Bauherr Auskunft über die Höhe der zu viel gezahlten Beträge und klagte gegen den Architekten auf Ableistung eines damals noch vorgesehenen Offenbarungseides. Das zuständige LG hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass eine Auskunftserteilung und Leistung des Offenbarungseides dem Architekten unzumutbar wäre, weil dieser sich durch die selbstbelastenden Auskünfte selbst strafrechtlich belasten müsste. In der Revisionsinstanz ging der BGH dagegen von einer Auskunftspflicht aus: Seiner Auffassung nach sei das Auskunftsrecht des Geschäftsherrn gerade dann besonders wichtig, wenn der Beauftragte gegen ihm obliegende Pflichten verstoßen und dabei entweder sich selbst treuwidrig bereichert oder den Auftraggeber vorsätzlich geschädigt hatte. § 666 BGB würde seinen Zweck verlieren, wenn man bei derartigen Handlungen eine Auskunfts474
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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hergeleitet477. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 666 BGB bestehe eine Auskunftspflicht nahezu uneingeschränkt und finde ihre Grenze ausschließlich in einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen des Geschäftsherrn478. Durch diese sehr weiten Informationspflichten soll der Geschäftsherr jederzeit erfahren können, wie es um seine Sache steht, um rechtzeitig auf die durch die Geschäftsbesorgung veränderte Sach- und Rechtslage mit neuen Weisungen reagieren zu können479. Die den nemotenetur Grundsatz auslösende Konfliktlage bestehe schließlich nur, wenn die Auskunftsperson staatlichen Zwang ausgesetzt sei, nicht aber schon dann, wenn eine Auskunft zu Vermögens- oder Rechtsnachteilen führe480. Überträgt man diesen Rechtsgedanken auf das Arbeitsverhältnis, kann man sich mit Blick auf die Bedeutung der Aussage des Arbeitnehmers in der Tat auf den Standpunkt stellen, dass der Arbeitgeber ohne die Mitwirkung des Arbeitnehmers weniger gut in der Lage ist, sein Unternehmen zu führen, weshalb von der h.M. bezogen auf die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers eine umfassende Offenbarungspflicht angenommen wird, die auch nicht dann ihre Grenze findet, wenn sich der Arbeitnehmer durch seine Aussage selbst der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt481. Nur ein Kreis verweist auf die rechtsstaatliche Bedeutung der Selbstbelastungsfreiheit und erblickt im nemo-tenetur-Prinzip eine natürliche Grenze des Auskunftsverlangens des Arbeitgebers482. Soweit vereinzelt angenommen wird, dass
pflicht verneinen würde. Wer ein fremdes Rechtsgut verletzte, müsse nach Auffassung des BGH dafür einstehen und für Wiedergutmachung sorgen. Sofern er sich hierdurch selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetze, müsse er dies auf sich nehmen, soweit das Gesetz ihn nicht ausdrücklich davon freistelle. Vgl. BGHZ 41, 318 = NJW 1964, 1469. 477 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1989, 614; Diller, DB 2004, 313 (313); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 148. Ähnlich auch Reichhold, in: Richardi/Wißmann/Wlotzke/ Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 49 Rn. 5. Vgl. hierzu auch die Ausführungen oben S. 193 ff. 478 Vgl. insoweit zur Auskunftspflicht des Beauftragten BGH NJW 1985, 2699 (2699 ff.); BGH WM 1984, 1164 (1165); Seiler, in: MüKo-BGB, § 666 Rn. 7 479 Vgl. Martinek, in: Staudinger (Hrsg.), § 666 BGB Rn. 9; Seiler, in: MüKo-BGB, § 666 Rn. 1 jeweils m.w.N. 480 Vgl. Stürner, NJW 1981, 1757 (1759); Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 111. 481 So etwa Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (243); Vogt, NJOZ 2009, 4206 (4212); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 149 ff.; Diller, DB 2004, 313 (314); Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178; Knauer/Buhlmann, Anwbl. 2010, 387 (398); Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (20); Reichhold, in: Richardi/Wißmann/Wlotzke/Oetker (Hrsg.), MHA Arbeitsrecht, § 49 Rn. 5 m.w.N.; siehe auch BGHZ 41, 318 (323) (Architekten-Entscheidung); LAG Hamm v. 03. 03. 2009, 14 Sa 1689/08 = CCZ 2010, 237 (238); ArbG Saarlouis v. 19. 10. 1983, 1 Ca 493/ 83 = ZIP 1984, 364. 482 Siehe etwa Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (358 ff.); Bauer, StV 2012, 277 (279) unter Verweis auf LG Hamburg, MDR 1984, 867 (868); wohl auch Raum, StraFo 2012, 395 (397); siehe auch Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 15. Teil Rn. 174; Schmidt/Dann, NJW 2009, 1851 (1852 ff.) sowie Rudkowski, NZA 2011, 612
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
auch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung von einer Einschränkung der Aussagepflicht im Falle einer vertraglichen Nebenleistungspflicht ausgeht483, geht dieser Ansatz fehl, da sich die genannten Entscheidungen484 allein mit den vertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers befassen485. Für die Auffassung der herrschenden Meinung ließe sich ferner anzuführen, dass ohne eine umfassende Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers eine Leistungskontrolle des Mitarbeiters nicht möglich ist und ein Arbeitgeber ebenso daran interessiert ist, Kenntnisse über seinen Betrieb zu erlangen, wie ein sonstiger Geschäftsherr im Falle einer konkreten Geschäftsbesorgung486. Dass aber im Falle einer Geschäftsbesorgung kein Auskunftsverweigerungsrecht besteht, zeigt bereits ein Blick auf den Wortlaut der Vorschrift, der ein Schweigerecht des Geschäftsführers nicht vorsieht487. bb) Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen im Arbeitsrecht Gleichwohl ist nicht einzusehen, weshalb das Informationsbedürfnis des Arbeitgebers stets höher bewertet werden soll als die grundrechtlich geschützte Selbstbelastungsfreiheit. Gegen einen grundlegenden Vorrang des Informationsbedürfnisses spricht zunächst, dass die gesetzliche Auskunftspflicht und die hiermit verbundene Möglichkeit einer staatlichen Erzwingbarkeit des Auskunftsverlangens durch den Einsatz von Zwangsmitteln gerade dazu führt, dass nicht nur ein Rechtsnachteil droht, was der üblichen zivilprozessualen Beweislastregelung entsprechen würde, sondern (zusätzlich) ein staatlich veranlasster Aussagezwang besteht, der unmittelbar in ein staatlichen Strafverfahren münden kann. Vor allen Dingen wird von den Vertretern der herrschenden Auffassung aber unterschlagen, dass die Konstellation eines Arbeitsverhältnisses als besonders geartetes Dauerschuldverhältnis eben nicht der Konstellation einer (einfachen) Geschäftsbesorgung entspricht, sondern in besonderem Maße von gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmt (613 ff.), die jedoch nicht zwischen den unterschiedlichen Aussagepflichten differenzieren, sondern sich maßgeblich auf die Treuepflicht des Arbeitnehmers stützen. 483 So wohl Joussen, Sicher Handeln bei Korruptionsverdacht, S. 148 ff.; Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1851). 484 Insb. BAG v. 07. 09. 1995 – 8 AZR 828/93. 485 Ausführlich Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 150. 486 Vgl. Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (243), Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 299. Vgl. auch Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 150 der konsequenterweise davon ausgeht, dass § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG nicht eingreifen kann, wenn der Arbeitnehmer mit einer Geschäftsbesorgung betraut ist. Es sei widersprüchlich, wenn der kassenführende Arbeitnehmer seinem Arbeitergeber nicht erklären müsse, wie ein Fehlbetrag zustande gekommen sei, wenn er diesen vorsätzlich verursacht habe. 487 Vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, § 666 Rn. 1; Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (862).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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wird488. Bedeutung verdient in diesem Zusammenhang insbesondere die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die als Korrelat zu der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers anerkannt ist489. Der Arbeitnehmer erbringt gegenüber dem Arbeitgeber eine persönliche Dienstleistung und ist in den Machtbereich des Arbeitgebers organisatorisch eingegliedert, bar jeder Möglichkeit selbstständigen wirtschaftlichen Planens und Handelns. Ohne entsprechende Schutzmechanismen wäre er dem Willen des Arbeitgebers hilflos ausgeliefert und in seiner wirtschaftlichen Existenz vom Wohl und Wehe des Arbeitgebers abhängig. Um dieses zivilrechtlich atypische Ungleichgewicht der Vertragsparteien im Arbeitsrecht auszugleichen, hat der Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, seine Rechte so auszuüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (sog. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers)490. Hieraus folgt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht grundlos Nachteile zufügen darf491 und seine Weisungen nur unter Wahrung billigen Ermessens erfolgen dürfen492. Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit wird inhaltlich durch die Grundrechte mitbestimmt493. Damit existiert im Gegensatz zur Vorschrift des § 666 BGB aber gerade eine besondere Einbruchstelle für die Achtung der Selbstbelastungsfreiheit, weshalb eine unreflektierte Anwendung der Vorschriften über das Auftragsverhältnis zu kurz greift. Auch der Blick auf die Systematik des Datenschutzrechts zeigt deutlich, dass eine Heranziehung der Vorschriften im Auftragsverhältnis nicht dem gesetzgeberischen Willen entspricht, der eine unmittelbare Erhebung von Beschäftigtendaten im Zuge von Befragungen nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines entsprechenden Erlaubnistatbestandes gestattet494. Hier ist vielmehr erneut darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes die hier herausgearbeitete Sichtweise einer grundsätzlichen Geltungskraft der Selbstbelastungsfreiheit als Wesensbestandteil des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers stützen495. 488 Vgl. Preis, in: ErfK-Arbeitsrecht, § 611 BGB Rn. 3 ff m.w.N.; siehe auch Joussen, in: BeckOK-BGB, § 611 Rn. 293, der im Zusammenhang mit der Bestimmung von Hauptleistungspflichten darauf hinweist, dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein besonderes Dauerschuldverhältnis handelt, auf das zahlreiche prägende Faktoren einwirken („unvollständiges Rechtsverhältnis“). 489 Vgl. nur Müller-Glöge, in: MüKo-BGB, § 611 Rn. 987 ff. m.w.N. 490 Ebenda. 491 BAG NJW 1995, 1236. 492 Vgl. BAG, Urt. v. 23. 06. 2009 = NZA 2009, 1011 ff.; Urt. v. 10. 10. 2002 – AZR 472/01, siehe auch Tscherwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (528). 493 Zur Ausstrahlungswirkung von Grundrechten im Privatrecht siehe oben S. 207 ff.; für eine Berücksichtigung des nemo-tenetur-Grundsatzes als Auslegungsprämisse im Rahmen der Konkretisierung der Aussagepflichten des Arbeitnehmers auch Raum, StraFo 2012, 395 (397). 494 Zur Systematik des BDSG siehe schon oben S. 219 ff. 495 Vgl. ebenda.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Auf der anderen Seite wird von den Befürwortern einer uneingeschränkten Auskunftspflicht teilweise versucht, für die Befragung eines „Zeugen-Arbeitnehmers“ aus § 384 Nr. 2 ZPO, der dem Zeugen im Zivilprozess ein Auskunftsverweigerungsrecht einräumt, ein äquivalentes Recht auch für den betroffenen Arbeitnehmer im Falle einer Befragung durch den Arbeitgeber abzuleiten496. Auch dieser Ansatz kann jedoch nicht überzeugen, da der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 384 Nr. 2 ZPO die Person des unbeteiligten Dritten im Zivilprozess zu schützen suchte497, der Arbeitnehmer dagegen organisatorisch in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden ist und entsprechenden Treuepflichten gegenüber seinem Arbeitgeber unterliegt. Nicht zielführend ist schließlich das Erfordernis einer Anhörung als Grundlage einer Kündigung498 als Anknüpfungspunkt heranzuziehen und hieraus zu folgern, dass das BAG von einem ein Mitwirkungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers ausgeht499. Eine derartige Interpretation der Anhörungspflicht des Arbeitgebers käme nur in Betracht, wenn ein Fernbleiben des Arbeitnehmers tatsächlich dazu führen würde, dass eine Verdachtskündigung nicht ausgesprochen werden kann. Diesbezüglich hat das BAG aber mit Recht betont, dass eine Anhörung entbehrlich ist, wenn der Arbeitnehmer einen seitens des Arbeitgebers anberaumten Anhörungstermin nicht wahrgenommen hat500. Das Erfordernis der Anhörung im Vorfeld einer Verdachtskündigung soll dem Arbeitnehmer Gelegenheit bieten, Stellung zu den Vorwürfen des Arbeitsgebers zu beziehen und ist daher ein Instrument zur Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen, weshalb im arbeitsrechtlichen Schrifttum zutreffend nicht von einer Mitwirkungspflicht, sondern einer Mitwirkungsobliegenheit ausgegangen wird501. Der richtige Ansatzpunkt ist vielmehr in dem unterschiedlichen Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erblicken, dem der Gesetzgeber besonders Rechnung trägt, was ein Blick auf die zivilrechtlichen Beweislastregeln im Arbeitsrecht belegt: Nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Vorliegen eines Kündigungsgrundes darzulegen und zu beweisen. Dabei muss ihn 496 Vgl. Rudkowski, NZA 2011, 612 (614); ähnlich auch Rieble, ZIP 2003, 1273 (1277) sowie Diller, DB 2004, 313 (317). 497 Vgl. Damrau, in: MüKo-ZPO, § 384 Rn. 1; Huber, in: Musielak (Hrsg.), § 384 ZPO Rn. 1. 498 Nach Auffassung des BAG bedarf es für die Erklärung einer Verdachtskündigung stets zunächst einer Anhörung des Arbeitgebers, vgl. nur BAGE 49, 39. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur zulässig, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit ist, sich zu den Verdachtsgründen substantiiert zu äußern (vgl. BAG, NZA 1994, 63 (66)) oder der Arbeitnehmer einen seitens des Arbeitgebers benannten Anhörungstermin nicht wahrgenommen hat (vgl. BAG 27. 03. 1991, 2 AZR 418/90). 499 So aber Rudkowski, NZA 2011, 612 Rn. 14 unter Verweis auf BAG NZA 2008, 809 (810); BAG NZA 2003, 991. 500 BAG v. 27. 03. 1991, 2 AZR 418/90. 501 Ebeling, Die Kündigung wegen Verdachts, S. 173 ff. m.w.N.
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der Arbeitnehmer nicht aktiv unterstützen. In der Stasi-Fragebogenentscheidung502, in der es um die nachträgliche Befragung von Mitarbeitern wegen einer MfS-Tätigkeit ging, die der Arbeitgeber zum Anlass einer Kündigung nehmen wollte, hat das BAG zutreffend klargestellt, dass die Darlegungs- und Beweislastsituation nicht durch eine unzulässige Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche verändert werden dürfe. Der Auskunftsanspruch könne nach Treu und Glauben nur dort ergänzend eingreifen, wo auch die grundsätzliche Verteilung einer Darlegungs- und Beweislast einer Korrektur bedarf. Daher sei ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, außergerichtliche Erklärungen zu möglichen Kündigungsgründen abzugeben503. Ähnliches gilt auch für die Regelung des § 619a BGB, der die Beweislast in bewusster Abkehr von der allgemeinen Regel des § 280 Abs. 1 BGB dem Arbeitgeber auferlegt504. Gäbe es eine Rechtspflicht zur bedingungslosen Zusammenarbeit mit dem privaten Ermittler, würden diese Beweislastregeln umgangen und jede Nichtkooperation könnte mit einer Kündigung505 als der für den Arbeitnehmer empfindlichsten Sanktion belegt werden506. Diese zwangsläufige Konsequenz wäre jedoch unverhältnismäßig und wird auch in vergleichbaren Fällen nicht gezogen507. Auch das OLG München hat in einer der wenigen Entscheidungen, die bislang im Zusammenhang mit der Durchführung repressiver Befragungen ergangen sind, betont, dass die bloße Verweigerung der Mitwirkung an einer Anhörung keine Grundlage für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung darstelle508. Die besondere Bedeutung der Verhältnismäßigkeit hat der Gesetzgeber schließlich auch bei der Novellierung des Bundesdatenschutzrechts aufgegriffen, was sich insbesondere am Wortlaut des § 3a S. 1 BDSG509 ablesen lässt und auch im Tatbe-
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BAG NZA 1996, 637. BAG NZA 1996, 637 (638 ff.); bestätigt durch BAG NJW 2009, 1897 (1898). 504 Die Vorschrift des § 619a BGB ist als gesetzgeberische Umsetzung der differenzierten Rechtsprechung des BAG zur Beweislastverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung zu werten, die in besonderer Weise der unterlegenen Stellung des Arbeitnehmers und seiner bloßen Ausführungsrolle Rechnung tragen wollte, vgl. Henssler, in: MüKo-BGB, § 619a Rn. 4 ff. 505 In Betracht kommt eine verhaltensbedingte Kündigung, weil der Arbeitnehmer beharrlich gegen seine Auskunftspflicht verstößt oder sogar eine personenbedingte Kündigung, weil der nicht kooperationswillige Arbeitnehmer als ungeeignet eingestuft werden kann. 506 Vgl. Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (174); zustimmend Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (358 ff.). 507 Vgl. Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (174), der diesbezüglich zutreffend auf § 20 Abs. 1 S. 3 BDG verweist, wonach Beamte ohne entsprechende Konsequenzen gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten Auskünfte verweigern können, wenn sie sich selbst einer strafbaren Handlung oder Pflichtverletzung beschuldigen müssten. Dies ist umso bemerkenswerter, als Beamten gerade eine besondere Schutzpflicht gegenüber ihrem Dienstherrn obliegt. 508 OLG München NZG 2009, 665 (668). 509 § 3a S. 1 BDSG lautet: „Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten und die Auswahl und Gestaltung von Datenverarbeitungssystemen sind an dem Ziel 503
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standsmerkmal der Erforderlichkeit zum Ausdruck kommt. Die Wahl des mildesten (Aufklärungs-)Mittels steht ein grundlegendes Prinzip des Arbeitnehmerdatenschutzrechts dar510. Beweismittelerhebungen, die dieses Prinzip missachten sind rechtswidrig und führen auch dann zu einer Unverwertbarkeit der rechtswidrig erlangten Beweismittel im Kündigungsschutzprozess, wenn die aufgefunden Beweismittel den Pflichtenverstoß des Arbeitnehmers eindeutig belegen511. Auch hier zeigt sich (für den Fall einer repressiven Vorgehens) deutlich der grundsätzliche Vorrang des Schutzes der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers vor den Interessen des Unternehmens. cc) Beachtung der repressiven Stoßrichtung der Ermittlungen Eine uneingeschränkte Geltung der Selbstbelastungsfreiheit ist im Falle einer repressiven Stoßrichtung der Ermittlungen schließlich auch geboten, weil in dieser Situation eine besondere Nähe zum staatlichen Strafverfahren besteht, in dessen repressiver Grundausrichtung der nemo-tenetur-Grundsatz seine Wurzeln findet512. Es ist wenig einsichtig, weshalb ein Täter in einem gegen ihn betriebenen Strafverfahren schweigen darf, im Falle einer Befragung durch den Arbeitgeber jedoch zur Aussage verpflichtet ist, wenn die naheliegende Möglichkeit besteht, dass gerade aufgrund seiner dortigen Aussagen später ein Strafverfahren eingeleitet wird, in dem er sich selbst nicht belasten muss513. Der Schutz der entsprechenden strafprozesauszurichten, so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen.“ 510 Wybitul, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 11 Rn. 16 ff.; siehe auch Wybitul/Pötters, BB 2014, 437 (439 ff.). 511 Vgl. BAG v. 20. 06. 2013 – 2 AZR 546/12 = BB 2014, 179: Der Kläger war als Arbeitnehmer in einem Großhandelsmarkt tätig. Nachdem erhebliche Verdachtsmomente gegen den Arbeitnehmer aufgetreten waren, die nahelegten, dass dieser Damenunterwäsche aus dem Sortiment des Großhandelsmarktes entwendet hatte, durchsuchte der Betriebsleiter im Beisein eines Betriebsratsmitglieds den verschlossenen Spind des Mitarbeiters. Bei der Maßnahme war der Mitarbeiter nicht anwesend. Nach Angaben des Betriebsleiters wurden hierbei tatsächlich entsprechende Wäscheartikel aufgefunden. Bei einer zeitlich nachgelagerten Durchsuchung des Spindes von Polizeibeamten, die im Beisein des Mitarbeiters erfolgte, waren die entsprechenden Beweisstücke jedoch verschwunden, sodass es im späteren Kündigungsprozess auf die Aussage des Betriebsleiters ankam. Dessen Angaben sah das BAG aber als unverwertbar an, da seine Kenntnis auf einer rechtswidrigen Maßnahme beruhte, die im besonderen Maße die Regelungen Beschäftigtendatenschutzes verletzte. So hätte kein Grund vorgelegen, den Spind des Arbeitnehmers in dessen Abwesenheit zu durchsuchen. Eine offene Vorgehensweise im Beisein des Arbeitnehmers wäre ein milderes, ebenso wirksames Mittel gewesen, vgl. BAG, BB 2014, 179 Rn. 31 ff. 512 Einzelheiten oben S. 200 ff. 513 Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (173); ders., NZA-Beil. 2/2012, 50 (56); ders., in: Kuhlen/Kudlich/Ortiz de Orbina (Hrsg.), Compliance und Strafrecht, 85 (94 ff.); Neuhaus, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 348 (358 ff.); siehe auch Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (374); Jahn, StV 2009, 41 (44); Wehnert, StraFo 2012, 253 (257);
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sualen Vorschriften würde in einem Kernbereich nahezu ausgehebelt. Je stärker sich das Vorgehen eines Unternehmens in seiner repressiven Zielrichtung oder seinem Ergebnis einem staatlichen Strafverfahren annähert, umso mehr müssen die Wertungen der Strafprozessordnung auch in die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Eingang finden. Dies gilt demzufolge erst recht, wenn bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde oder dessen Einleitung nach den Umständen zu erwarten ist514. Auch das OLG München hatte in der bereits zitierten Entscheidung die strafprozessualen Wertungen im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung als maßgeblich angesehen: Wenn gegen einen Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Befragung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft, habe er wegen der gesetzlichen Wertung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch gegenüber seinem Arbeitgeber das Recht, entsprechende Auskünfte zu verweigern515. Vergegenwärtigen wir uns nun, dass die Durchführung unternehmensinterner Befragungen zur Aufklärung betrieblichen Fehlverhaltens regelmäßig auf eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden abzielt und damit einen unmittelbaren Transfer der privaten erlangten Informationen in das Strafverfahren bezweckt, erscheint es sogar zwingend dem Arbeitnehmer das Recht zuzusprechen, sich nicht selbst einer Straftat zu bezichtigen516. Dieser Gedanke ist auch mit Blick auf den grundlegenden Schutz des Arbeitnehmers schlagend. Schließlich ist die Gefahr groß, dass durch die Vornahme eigener Ermittlungshandlungen durch das Unternehmen ein nachfolgendes staatliches Strafverfahren nicht mehr objektiv durchgeführt wird. An dessen Stelle treten das Vorgehens des Unternehmens und eine damit verbundene Gefahr einer einseitigen Interessendurchsetzung517. Die besonderen Schutzwirkungen des Arbeitsrechts zugunsten des Arbeitnehmers würden damit konterkariert. Hieran anknüpfend bietet das Strafrechtsystem zudem einen weiteren gesetzlichen Wertungsgesichtspunkt, der uns an anderer Stelle bereits begegnet ist: Das Unternehmen nimmt aus strafprozessualen Blickwinkel im Strafverfahren als Verletzter nur eine Nebenrolle ein518. Sein umfassendes Ermittlungsrecht basiert allein Park, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11 Rn. 106; Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 32. 514 In diese Richtung Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178 (178 ff.), die zwar grundsätzlich von einer Auskunftspflicht des Arbeitnehmers ausgehen, im Falle einer Weiterleitung der Ermittlungsergebnisse an die Staatsanwaltschaft ein Auskunftsverweigerungsrecht aber für möglich halten. 515 OLG München NZG 2009, 665 (668): „Die gesetzliche Wertung des in § 136 I 2 StPO verankerten Rechts des Beschuldigten zu Schweigen ist auch im Zivilrecht zu beachten“. 516 Ähnlich Zerbes, ZStW 125 (2013), 551 (559). Von einem Aussageverweigerungsrecht aufgrund der Gefahr einer Strafverfolgung gehen im Ergebnis auch Dann/Schmidt, NJW 2009, 1851 (1853 ff.); v. Rosen, BB 2009, 230 (231); Schneider, NZG 2010, 1201 (1204) und Wastl/ Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (72 ff.) aus. 517 Vgl. oben S. 85 ff. 518 Näher hierzu oben S. 127 ff., 132 ff.
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auf dessen wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit, der faktischen Notwendigkeit, seine Ressourcen für das staatliche Ermittlungsverfahren zu nutzen, sowie der Tatsache, dass sich ein Unternehmen im Gegensatz zu einem „klassischen“ Opfer einer Straftat aufgrund der Schwierigkeiten bei der Aufklärung von Wirtschaftsstraftaten gerade nicht auf ein Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden verlassen kann519. Wird einem Privaten nun sehenden Auges im Widerspruch zum staatlichen Gewaltmonopol eine faktische Herrschaftsposition eingeräumt, muss der Staat auf der anderen Seite hiervon betroffene Dritte in ihrer Rechtsposition stärken, um einer Verschiebung der austarierten Kräfteverhältnisse innerhalb des Strafrechtssystems entgegenzuwirken und seinem staatlichen Schutzauftrag gerecht zu werden520. Die besondere Zielrichtung repressiver Compliance-Untersuchungen zum staatlichen Strafverfahren verbietet es, das staatliche Strafverfahren von der arbeitsrechtlichen Befragung zu separieren. Die rechtliche Aufspaltung des Geschehens in die private Befragungssituation und dem staatlichen Informationstransfer in das staatliche Strafverfahren, wie sie das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss vornimmt521, passt ohne weiteres auf die Konstellation des Schuldners im Insolvenzverfahren, das grundsätzlich fernab eines Strafverfahrens stattfindet522. Der Transfer der Information ist hier nämlich die Ausnahme. Bei Befragungen im Zuge repressiver Compliance-Untersuchungen ist eine Weitergabe der Information dagegen Anlass und Zweck, weshalb strafprozessuale Schutzmechanismen in dieser Konstellation nicht erst auf letzter Ebene durch Annahme eines Verwertungsverbotes greifen dürfen, sondern ihre Schutzwirkung schon in der privatrechtlich geprägten Entstehungsphase entfalten müssen. Grundrechtliche Einbruchstellen im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber können bei einem repressiven Vorgehen des Unternehmens daher nur dergestalt ausgefüllt werden, dass zwar nicht die Regelungen der Strafprozessordnung Anwendung finden, wohl aber grundrechtlich geschützte Rechtsposition den Umständen entsprechend besondere Würdigung erfahren. Ein Arbeitnehmer ist daher auch bei Vorliegen eines berechtigten Informationsinteresses grundsätzlich nicht verpflichtet, sich gegenüber seinem Arbeitgeber 519
Vgl. zu diesem Umstand oben S. 137 ff. Dass sich der Gesetzgeber seiner besonderen Schutzverantwortung im Falle eines repressiven Vorgehens eines Unternehmens bewusst ist, zeigt sich deutlich am Wortlaut des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG, der als besonderer Erlaubnisgrund für repressive Maßnahmen („Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogenen Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben werden, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten […] nicht überwiegt“) an den Datenerhebungsvorgang im Vergleich zu den allgemeineren Erlaubnisvorschriften (§ 28 Abs. 1 S. 1 BDSG, § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG) deutlich erhöhte Anforderungen vorsieht. So verlangt der Wortlaut tatsächliche und (schriftlich) zu dokumentierende Anhaltspunkte für eine Straftatbegehung und stellt besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung. 521 Näher dazu oben S. 209 ff. 522 Ebenso Zerbes, ZStW 125 (2013), 551 (559). 520
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selbst der Begehung einer Straftat zu bezichtigen. Das Fragerecht des Arbeitgebers wird damit an dieser Stelle durch das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingeschränkt. dd) Zwischenergebnis Die Betrachtung der gesetzlichen Beweislastregeln hat ergeben, dass zumindest im Falle einer nachträglichen Inanspruchnahme des Arbeitnehmers die Selbstbelastungsfreiheit auch auf arbeitsrechtlicher Ebene Geltungskraft besitzt. Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers und die besondere Nähe zum Strafverfahren gebieten es, dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch bei Befragungen des Arbeitgebers ein Schweigerecht zuzusprechen, wenn er sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst einer Straftat bezichtigen müsste. e) Weitergehende Differenzierung nach dem Zweck der Befragung Zu überlegen bleibt, ob im Falle unternehmensinterner Befragungen der Arbeitnehmer stets berechtigt ist, sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zu berufen oder Situationen denkbar sind, in denen die Selbstbelastungsfreiheit des Arbeitnehmers gleichwohl hinter das Informationsbedürfnis des Arbeitgebers zurücktreten muss. Die Bedeutung der Gefahrenlage legt dabei nahe, ein mögliches Differenzierungskriterium in der Zielrichtung der Befragung zu verorten. aa) Differenzierung zwischen repressiven und präventiven Zwecken im Wirtschaftsverwaltungsrecht Begibt man sich auf die Suche nach Gründen, die eine Einschränkung der Selbstbelastungsfreiheit rechtfertigen können, führt dies zurück zu den Ausführungen zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Verwaltungsrecht. Hier löst der Gesetzgeber einen möglichen Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit regelmäßig durch Einräumung eines Auskunftsverweigerungsrechts. Ausnahmen sind allerdings für Fälle vorgesehen, in denen die Auskunft der staatlichen Gefahrenabwehr für ein besonders wichtiges Rechtsgut dient523. Verallgemeinernd lässt sich damit sagen, dass der Gesetzgeber nach dem Zweck der Befragung differenziert: Dient die Befragung repressiven Zwecken, ist der Betroffene zur Auskunftsverweigerung berechtigt. Der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit überwiegt. Geht es hingegen um den Schutz besonderer Rechtsgüter vor einer potentiellen Gefahrenlage, deren Erforschung oder Beseitigung durch die Auskunft des Mitarbeiters gefördert wird524, 523
Vgl. oben S. 205 ff. Aufgrund des Umstands, dass das Auskunftsverlangen gegenüber dem Mitarbeiter gerade dazu dienen soll, das Vorliegen einer Gefahrenlage auszuschließen, dürfen an den Gefahrengrad keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Ausreichend ist bereits ein nachvollziehbares präventives Kontrollinteresse. 524
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
besteht eine Auskunftspflicht, die erst auf der Rechtsfolgenseite durch die Annahme eines Beweisverwertungs- oder Beweisverwendungsverbotes ausgeglichen wird. bb) Übertragbarkeit dieser Differenzierung auf die Konstellation unternehmensinterner Befragungen Die Unterscheidung nach dem Zweck der Befragung525 lässt sich auch auf die hier zu untersuchende Problematik übertragen. Dem Arbeitgeber ist es aufgrund seiner starken Position im Regelfall zuzumuten, für etwaige Verfehlungen seiner Arbeitnehmer haftungsrechtlich einzustehen und auf unverhältnismäßige Repressalien zu verzichten526. Anderes muss aber gelten, wenn die durch den Arbeitnehmer ggf. sogar (mit-)verursachte Gefahr noch gegenwärtig ist. Dem Arbeitgeber muss es möglich sein, eine bestehende Gefahrenquelle zu beseitigen, wenn besonders wichtige Rechtsgüter betroffen sind. Ist er zur Abwehr dieser Gefahr auf Auskünfte des Arbeitnehmers angewiesen, scheidet ein Schweigerecht aus. Wenn die Rechtsordnung Auskunftsrechte bereitstellt, müssen diese insbesondere dort eingreifen, wo ein gesteigertes Informationsbedürfnis zu Tage tritt527. Auch die dargelegten Beweisgrundsätze des Arbeitsrechts zielen nicht darauf ab, präventiv ausgerichteten Maßnahmen des Arbeitgebers zu verhindern, sondern sollen lediglich eine nachträgliche Inanspruchnahme des Arbeitnehmers ausschließen, beziehen sich also auf ein repressives Vorgehen. Diese sachgerechte Unterscheidung lässt sich auch dogmatisch rechtfertigen: Die herausgearbeitete Bewertung, dass die Selbstbelastungsfreiheit auch im Falle einer arbeitsrechtlichen Befragung Geltung genießt und im Grundsatz vor dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers rangiert, haben wir den speziellen zivilrechtlichen Wertungsvorgaben des Gesetzgebers im Arbeitsrecht und Datenschutzrecht entnommen, die dem Schutz des Arbeitnehmers dienen und die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezwecken528. Die grundlegendste Rechtfertigung eines jeden Staats und seines Gewaltmonopols529 rührt jedoch aus der Leistung, Leben und Gesundheit seiner Bürger nach innen wie 525 Eine entsprechende Differenzierung wurde in der Literatur bereits von Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (175) als sachgerechter Lösungsweg vorgeschlagen. Siehe in diesem Zusammenhang auch Sarhan, wistra 2015, 449 (454), der eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit bei internen Befragungen nur bei einer Offenbarung eines strafbaren Verhaltens ansieht und insoweit ebenfalls nach dem Zweck der Befragung unterscheidet. 526 Dieser Grundgedanke liegt auch der Sonderregelung des § 619a BGB zugrunde, die entgegen der allgemeinen Beweislastregelung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB dem Anspruch stellenden Arbeitgeber die Pflicht auferlegt, ein Vertretenmüssen des Arbeitnehmers darzulegen und zu beweisen, vgl. Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 619a Rn. 1 ff. m.w.N. 527 BGHZ 41, 318 (323); siehe auch Benz, Selbstbelastungen in außerstrafrechtlichen Zwangslagen, S. 105 ff. 528 Vgl. oben S. 226 ff. 529 Zur Bedeutung des Gewaltmonopols oben S. 122 ff.
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nach außen hin zu schützen530. Die Abwehr gegenwärtiger Gefahren ist für den Staat oberstes Gebot, was sich durch einen Blick auf das Polizeirecht zeigt: Das Polizeirecht als klassisches Gefahrenabwehrrecht531 ist geprägt durch den gesetzgeberisch normierten Ausgleich zwischen der primären Aufgabe des Staates, die Bürger vor tatsächlichen Gefahren zu schützen, und der sekundären Verpflichtung gleichzeitig durch rechtliche Begrenzung auch Schutz vor dem Staat zu gewähren und somit die Freiheit eines jeden Bürgers zu achten532. Im Bereich des Polizeirechts wird der Staat gleichwohl gezwungen, die kollidierenden Interessen einzuordnen, um Handlungssicherheit festzulegen. Der Gesetzgeber hat sich diesbezüglich im Grundsatz klar für eine effektive Gefahrenabwehr533 entschieden. Entsprechend muss nach ganz h.M.534 bspw. auch der Nichtverantwortliche („Anscheinsstörer“) auf der Primärebene der Gefahrenabwehr mit einer Inanspruchnahme rechnen, um eine effektive Gefahrenabwehr sicherzustellen535. Bezogen auf die hier in Frage stehende Konstellation einer selbstbelastenden Aussage, deren Inhalt zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist, ist nach den Maßstäben des Polizeirechts eine Aussagepflicht auf der Primärebene zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr somit nicht per se ausgeschlossen, was sich in den dargelegten Regelungen536 widerspiegelt537. 530
Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 57 Rn. 4. Zum juristischen Gefahrenbegriff im Polizei- und Ordnungsrecht Krüger, JuS 2013, 985. 532 Vgl. Di Fabio, Jura 1996, 566 (567); siehe auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 57 Rn. 46: „Der Verfassungsstaat macht sich das Staatsziel Sicherheit zu eigen und bringt es mit dem Ziel der Freiheit zum Ausgleich dadurch, daß er die Freiheit der Bürger durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht stärker beschränkt als von der Sache her erforderlich und angemessen, daß er auch den Störer als Rechtssubjekt achtet und das Schutzbedürfnis des Gefährdeten anerkennt.“ 533 Zum Grundsatz einer schnellen und effektiven Gefahrenbekämpfung: Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. E Rn. 131; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 285. 534 Vgl. nur OVG Saarlouis DÖV 1984, 471; VGH Mannheim DÖV 1991, 165. 535 Die h.M. versteht unter einem Anscheinsstörer ein als polizeipflichtig in Betracht kommendes Rechtssubjekt, bei dem aus der ex-ante-Sicht der handelnden Polizei- und Ordnungsbehörde bei verständiger Würdigung der Sachlage der Anschein besteht, dieses sei Verhaltens- oder Zustandsstörer. Hinsichtlich der Frage, ob der „Anscheinsstörer“ Störer ist, wird nach einer Inanspruchnahme auf primärer und sekundärer Ebene unterschieden. Auf der Primärebene d. h. bei der Polizeipflichtigkeit wird – wie im Falle einer Anscheinsgefahr – auf den Kenntnisstand ex-ante abgestellt und der Anscheinsstörer aus Gründen der Effektivität des polizeilichen Handelns als Störer qualifiziert. Auf der Sekundärebene, also im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen des „Anscheinsstörers“ sowie einer etwaigen Kostenersatzpflicht, klassifiziert ihn die h.M. hingegen als Nichtstörer. Vgl. hierzu Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 252 ff. 536 Vgl. hierzu oben S. 205 ff. 537 Zwar wurde vereinzelt die Meinung vertreten, dass ein Störer nicht aussagen müsste, weil er nicht verpflichtet sei, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. Eine solche These findet in der gesetzgeberischen Konzeption des Polizeirechts aber keine Stütze und hat zu Recht kein Gehör gefunden, vgl. dazu Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, S. 126; Kickartz, Ermittlungsmaßnahmen zur Gefahrenerforschung und einstweilige polizeiliche Anordnungen, S. 172 ff. 531
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Würde man aus den zivilrechtlichen Beweislastregeln ein absolutes Aussageverweigerungsrecht ableiten, so würde der Staat den Arbeitgeber einer Möglichkeit berauben, Maßnahmen zum Schutze seiner Rechtsgüter und der Rechtsgüter Dritter – insbesondere der anderen Arbeitnehmer – zu ergreifen. Schließlich zeigt auch der Blick auf die Regelungen zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit im Verwaltungsrecht, dass der Gesetzgeber im Falle einer bedeutsamen, gegenwärtigen Gefahrenlage bei der Festlegung des Schutzniveaus der Selbstbelastungsfreiheit im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Befragung dem Informationsinteresse des Unternehmens den Vorrang vor dem Schweigerecht des Arbeitnehmers einräumen würde. Denn wenn der Staat den Bürger zur Abwehr einer solchen Gefahrenlage sogar auf einem Gebiet verpflichtet, das im Kern als Begrenzung der gefahrenabwehrenden öffentlichen Gewalt verstanden wird538, und in dem nicht die Interessen eines privaten Dritten zu berücksichtigen sind, sondern nur der Staat selbst betroffen ist und hier dennoch eine Einschränkung der Selbstbelastungsfreiheit aus Gründen der Gefahrenabwehr als notwendig ansieht, so muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des Schutzniveaus nicht anders entscheiden würde. Reklamiert der Staat als unmittelbar durch die Grundrechte Verpflichteter für sich selbst das Recht, die grundrechtlich geschützte Selbstbelastungsfreiheit aus besonderen gefahrenabwehrrechtlichen Gründen einzuschränken, so muss er dieses Recht auch Privaten einräumen, wenn diese ebensolche Ziele verfolgen. Gegen diese Sichtweise lässt sich auch nicht vorbringen, dass der Staat im Gegensatz zu dem Privaten zur Ergreifung gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit verpflichtet ist. Zum einen ist schließlich auch der Arbeitgeber verpflichtet, Gefahren von den ihm unterstellten Arbeitnehmern abzuhalten539. Zum anderen gilt der staatliche Schutzauftrag freilich auch gegenüber den anderen Arbeitnehmern als Grundrechtsträger, weshalb die Annahme einer Aussagepflicht jedenfalls bei Gefahren für Leib und Leben anderer Arbeitnehmer zugleich auch den Allgemeininteressen dient. Aber auch bei bedeutenden wirtschaftlichen Gefahren für das Unternehmen, insbesondere im Falle einer Existenzbedrohung, erscheint ein Zurücktreten der Selbstbelastungsfreiheit mit Blick auf die drastischen Folgen unter Umständen hinnehmbar. Können zukünftige Störungen verhindert werden, kann dies ein entsprechendes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers begründen. Diese Sichtweise greift die Wertungen der Vorschrift des § 666 BGB im Auftragsverhältnis auf, dessen uneingeschränkte Geltung zwar abzulehnen ist, der aber gleichwohl einen allgemeinen Rechtsgedanken verkörpert, der nicht von der Hand zu weisen ist: Ein Geschäftsherr muss wissen, wie es um seine Sache bestellt ist, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und Fehler durch entsprechende Weisungen korrigieren
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Di Fabio, Jura 1996, 566 (567). Siehe nur Hoffmann, in: BeckOK-GeWo, § 105 Rn. 206 ff m.w.N.
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zu können540. Dieses Informationsbedürfnis wird nun aber gerade dann am größten sein, wenn eine gegenwärtige Gefahr vorliegt541. Ferner ist diesbezüglich zu beachten, dass nicht nur der Arbeitgeber, sondern eben auch der Arbeitnehmer umfangreichen Schutzpflichten unterfällt542. Es ist daher sachgerecht, den Arbeitnehmer zu verpflichten, drohende Schäden vom Betrieb abzuwehren, wenn ihm dies möglich und zumutbar ist. Eine Zumutbarkeit wird diesbezüglich jedenfalls dann vorliegen, wenn andere Mittel zur Gefahrenabwehr ausscheiden543, die Aussage nach den Grundsätzen des Gemeinschuldnerbeschlusses einem strafrechtlichen Verwertungsverbot unterliegt und zugleich der Arbeitgeber dem Betroffenen eine arbeitsrechtliche Amnestie rechtsverbindlich zusichert: Im Rahmen von Amnestieprogrammen544 werden Arbeitnehmern typischerweise Schutz vor einer außerordentlichen wie ordentlichen (verhaltensbedingten) Kündigung gewährt, die Nichtgeltendmachung von Schadensersatzansprüchen zugesagt sowie die grundsätzliche vertrauliche Behandlung der erlangten Information zugesichert545. Durch den rechtsverbindlichen Verzicht der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und dem Ausspruch einer Kündigung wird den besonderen gesetzlichen Wertungen zum Schutz des Arbeitnehmers Genüge getan. Das strafrechtliche Beweisverwertungsverbot reduziert ferner die Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung erheblich, zumal die Strafverfolgungsbehörden durch die Vertraulichkeitszusage erst gar nicht „auf die Spur“ des Arbeitnehmers gelenkt werden546. Dies führt dazu, dass die Interessenabwägung bei der Abwehr gegenwärtiger Gefahren zugunsten des Informationsinteresses des Arbeitgebers als konkrete Ausprägung der bestehenden Gefahrenlage ausfallen muss547. Zwar verbleibt ein Restrisiko für den 540
Rn. 9. 541
Fischer, in: BeckOK-BGB, § 666 Rn. 1, Martinek, in: Staudinger (Hrsg.), § 666 BGB
Die Bedeutung präventiv orientierter Auskunftspflichten hat auch der Gesetzgeber erkannt. Dies zeigt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 666 BGB: Der Gesetzgeber hat sich hier abweichend vom ersten Entwurf (§ 591) und ausländischen Rechten (Art. 1993 Code Civil, § 1012 Österr ABGB und Art. 398 S. 1 Schweiz OR) bewusst dazu entschieden, nicht nur die Rechenschaftspflicht, sondern auch die Pflichten des Beauftragten zur Benachrichtigung und Auskunftserteilung zu normieren. 542 Zu den Schutzpflichten des Arbeitnehmers Preis, in: Erfk/Arbeitsrecht, § 611 BGB Rn. 707 ff. 543 Soweit dem Arbeitgeber alternative Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, fehlt es bereits an einem berechtigten Informationsbedürfnis des Arbeitgebers, sodass für eine Einschränkung der Selbstbelastungsfreiheit kein Raum verbleibt. Im Übrigen würde ein solches Vorgehen auch gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstoßen. 544 Zur Anwendung von Amnestieprogrammen in diesen Fällen, vgl. oben S. 77 ff. 545 Vgl. Kahlenberg/Schwinn, CCZ 2012, 81 (82) m.w.N. 546 Näher zu diesem Aspekt Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 289. 547 Die Bedeutung vom Amnestien für die Interessenabwägung erkennt auch Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 289 ff., die allerdings nicht nach dem Grad der vorliegenden Gefahr unterscheidet, sondern mit der h.M. nach der Belastbarkeit der schuldrechtlichen Pflichtenstellung differenziert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer Auskunftspflicht nach §§ 675 Abs. 1, 666 BGB stets eine umfassende Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aus-
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Arbeitnehmer, dass seine Aussagen dennoch zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen können (z. B. durch eine Vernehmung der Frageperson als Zeuge im Strafprozess). Sofern die Befragung aber primär präventiven Zwecken dient, erscheint die Hinnahme dieses Risikos dem Arbeitnehmer aber aus den dargelegten Gründen zumutbar548. Anders liegen die Dinge, wenn die Durchführung der unternehmensinternen Befragung ausschließlich repressiven Zwecken dient. Hier ist die Gefahr, deren präventive Verhinderung als zulässiger Ausnahmegrund ausgemacht wurde, bereits eingetreten – das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Es geht in diesem Moment nicht um die Verhinderung eines Unglücks, sondern ausschließlich um dessen Sanktionierung549. Diese Konstellation entspricht exakt der Situation, die die zivilrechtlichen Beweisnormen im Arbeitsrecht explizit zu regeln bezwecken und ist durch eine besondere Nähe zum Strafverfahren gekennzeichnet. Für eine Ausnahmebewertung bleibt hier folglich kein Raum. Die vom Gesetzgeber im Verwaltungsrecht getroffene Differenzierung nach dem Gefahrenzweck stellt damit auch hier einen sachgerechten Lösungsweg dar, der dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit und den Gesamtumständen Rechnung trägt. cc) Relativierung durch untrennbare Verbindung von Prävention und Repression? Vereinzelt wird einer grundsätzlichen Differenzierung nach dem Befragungszweck pauschal entgegengehalten, dass das repressive Vorgehen bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen zugleich auch präventiven Zwecken kunftserteilung besteht, während bei einer bloßen Nebenpflicht des Arbeitnehmers grundsätzlich die Selbstbelastungsfreiheit vorrangig sein soll, der Arbeitgeber durch die Gewährung vom Amnestien aber in der Lage ist, auch hier eine Auskunftspflicht herbeizuführen. 548 Die hier vorgeschlagene Koppelung an betriebliche Amnestieprogramme sorgt nicht nur für einen bestmöglichen Schutz der Selbstbelastungsfreiheit, sondern stellt zugleich sicher, dass es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr den Mitarbeiter zu einer Aussage zu zwingen, obwohl er in Wahrheit repressive Ziele verfolgt. Denn die Gewährung einer weitreichenden Amnestie ist für die Unternehmensführung nicht risikolos: Nur wenn ein Amnestieprogramm tatsächlich erforderlich ist, um bedeutsame Informationen zu erlangen, ist ein solches Vorgehen rechtlich zulässig. Schließlich stellt der Verzicht auf Regressansprüche einen Vermögensnachteil dar, dessen Inkaufnahme ohne zwingende Gründe unvereinbar mit der Sorgfaltspflicht der Leitungsorgane ist und demnach sowohl haftungsrechtliche als auch strafrechtliche (§ 266 StGB) Konsequenzen hätte. 549 Demzufolge ist auch die Gewährung von Amnestien in der dargelegten Form in dieser Situation für ein Unternehmen nicht attraktiv. Sofern diese dennoch gewährt werden, um beispielsweise gegenüber Behörden und Öffentlichkeit eine „Selbstreinigung“ zu demonstrieren, kann dies in dieser Konstellation freilich nicht ein Überwiegen der Arbeitgeberinteressen zur Folge haben, da nach Eintritt der Gefahrensituation die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung für den Mitarbeiter besonders hoch ist und staatliche Sanktionsdrohungen nicht zu einer Einschränkung der Selbstbelastungsfreiheit auf arbeitsrechtlicher Ebene führen können.
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dient, insoweit die Identifizierung des Befragungszwecks erschwert und somit im Ganzen wenig praktikabel sei550. Dies überzeugt nicht. Zwar hat die Analyse der Ausgangslage eine enge Verbindung des Instruments der unternehmensinternen Befragung zur grundsätzlich präventiv ausgerichteten Compliance-Entwicklung ergeben551. Bei näherer Betrachtung ist diese Überschneidung von präventiven und repressiven Handlungsmotiven aber nicht geeignet, den hier vorgeschlagenen Lösungsweg in Frage zu stellen. Zunächst ist festzuhalten, dass die Vermengung präventiver und repressiver Elemente mit unterschiedlichen Bewertungen dem deutschen Recht nicht fremd ist. Die hier vorgeschlagene Differenzierung wurde dem Verwaltungsrecht entnommen, das im Bereich des Polizeihandelns normativ zwar strikt zwischen präventiven und repressiven Handeln unterscheidet. Wegen der Doppelfunktion der Polizeibeamten, die zum einen präventiv zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit tätig werden, zum anderen aber auch als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft Aufgaben der Strafverfolgung wahrnehmen, sind präventiv-repressive Gemengelagen von Natur aus im Gesetz angelegt. Gleichwohl steht die Entscheidung über die Stoßrichtung der Maßnahme in der Praxis regelmäßig außer Streit552. Zudem differenziert auch der Gesetzgeber im Bundesdatenschutzgesetz bei der Anwendbarkeit der Erlaubnisvorschriften, die eine Datenerhebung als Ausnahme zum Regelverbot des § 4a BDSG gestatten sollen, selbst nach präventiven Kontrollmaßnahmen für die § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG bzw. § 28 Abs. 1 S. 1 BDSG eingreift und repressiven Aufklärungshandlungen bei Vorliegen eines entsprechenden Straftatverdachts, deren Zulässigkeit sich nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG bemisst553. Zwar findet sich hier im Merkmal der Anlassbezogenheit ein besonderes Differenzierungsmerkmal, sodass sich die gesetzliche Regelungstechnik nicht unmittelbar auf die Konstellation von Mitarbeiterbefragungen im Zuge repressiver ComplianceUntersuchungen übertragen lässt, da diese stets anlassbezogen durchgeführt werden554. Gleichwohl fällt eine genaue Abgrenzung schwer und kann – ebenso wie im Polizeirecht – nur anhand des verfolgten Zweckes erfolgen555, was im Kern dem Ansatzpunkt der hier vorgeschlagenen Differenzierung entspricht556. 550
So bspw. die Kritik von Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 298; vgl. auch Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (176 ff.). 551 Vgl. oben S. 65 ff. 552 Denninger, in: Lisken/Denniger, Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 192. 553 Vgl. BT-Drs. 16/13657 S. 21; siehe hierzu ferner Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 216 ff. 554 Siehe hierzu S. 75 ff. 555 Ebenso Wybitul, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 11 Rn. 66 ff. Siehe auch Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 216 ff.; sowie wohl auch Eisele, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 33 (43 ff.). 556 Vgl. oben S. 219 ff., 233.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Konkret bezogen auf unsere Untersuchung zeigt sich die Vermengung präventiver und repressiver Elemente beispielsweise in der Situation, in der das Instrument der unternehmensinternen Befragung auf der Stufe der Sachverhaltsaufklärung eingesetzt wird. Nach dem oben Gesagten könnte man zu dem Schluss kommen, dass hier stets eine Aussagepflicht vorliegen würde, da die Aufklärung des Sachverhaltes als notwenige Vorstufe einer effektiven Gefahrenprognose und damit als Teil der Gefahrenabwehr anzusehen ist557. Diese Schlussfolgerung würde jedoch die Ausnahmestellung der präventiven Aussageverpflichtung verkennen: Wie oben gezeigt wurde, gilt der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auch im Arbeitsrecht. Ausnahmen hiervon können ihre Rechtfertigung überhaupt nur durch ein besonderes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers erlangen558. Ein derartiges Informationsbedürfnis ist auf der Stufe der Sachverhaltsaufklärung aber regelmäßig nicht gegeben, da hier dem Arbeitgeber zahlreiche alternative und weit weniger eingriffsintensive Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen559. Selbiges folgt aus den Vorschriften des Bundesdatenschutzrechts, das durch das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit in § 32 BDSG den Unternehmen die Pflicht zur Wahl des mildesten Mittels auferlegt. Soweit eine Befragung somit auf eine Selbstbezichtigung des Mitarbeiters angelegt ist, müssen die internen Ermittler eingehend prüfen, ob der Ermittlungszweck nicht auch durch andere, weniger eingriffsintensive Mittel verwirklicht werden kann. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung ist schließlich auch bei präventiven Befragungszwecken ultima ratio. Schließlich wird es dem Arbeitgeber in diesem Zeitpunkt primär darauf ankommen, sich ein Bild der Sachlage zu machen, um den Grad der drohenden Gefahr einschätzen und beurteilen zu können, ob überhaupt (noch) eine gegenwärtige Gefahr vorliegt560. Für den Arbeitgeber besteht daher kein Anlass, den Arbeitnehmer hier zu einer Selbstbelastung zu drängen. Ein entsprechendes Vorgehen steht auch nicht in Einklang mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die es dem Arbeitgeber verbietet, seinem Arbeitnehmer grundlos Nachteile zuzufügen561. Dem Arbeitgeber ist es somit untersagt, den Arbeitnehmer zu einer (selbstbelastenden) Aussage zu verpflichten, wenn anderweitige Aufklärungsmaßnahmen möglich sind562. 557
Zu diesem Aspekt Krüger, JuS 2013, 985 (989 ff.). Vgl. oben S. 219 ff. 559 So auch Rudkowski, NZA 2011, 612 (613); Momsen, Der Betrieb 2011, 1792 (1794). Zu den zahlreichen alternativen Aufklärungsmethoden siehe S. 74 ff. 560 Zur Bedeutung sog. informatorischer Befragungen eingehend oben S. 76 ff. 561 Die von I. Roxin, StV 2012, 116 (121) aufgestellte These, dass es einem Arbeitgeber aufgrund der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht untersagt ist, den Arbeitgeber zu einer Selbstbelastung zu drängen, verdient daher zumindest in Teilen Zustimmung. 562 Im Ergebnis ebenso Sidhu/von Saucken/Ruhrmannseder, NJW 2011, 881 (883) sowie I. Roxin, StV 2012, 116 (120 ff.), die aus diesem Grunde davon ausgeht, dass es dem Arbeitgeber stets untersagt ist, den Mitarbeiter zu einer Selbstbelastung zu verpflichten, da nach ihrem Dafürhalten stets anderweitige Aufklärungsmöglichkeiten bestehen. Allerdings wurde bereits aufzeigt, dass wegen der besonderen Strukturen betriebsinterner Straftaten eine Aufklärung ohne Insiderwissen nicht immer möglich ist, vgl. S. 71 der Arbeit. I. Roxin ist aber dahingehend 558
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Kaum einordenbar erscheint auf den ersten Blick hingegen ein repressives Vorgehen, das der Wahrung der Unternehmenskultur dient und somit generalpräventiven Zwecken geschuldet ist. Bei Lichte betrachtet ist die präventive Ausrichtung einer solchen Maßnahme allerdings dadurch zu relativieren, dass hier die generalpräventive Wirkung auf Kosten des einzelnen Arbeitnehmers erfolgen soll, was mit Blick auf die Pflicht des Arbeitgebers, das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu achten, unvereinbar ist. Folglich erscheint auch hier eine Korrektur der arbeitnehmerschützenden Beweisgrundsätze unangemessen. Allgemein kann wegen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers der generalpräventive Gedanke einer „Abschreckung“ potentieller Täter nur sehr bedingt im Arbeitsverhältnis zum Tragen kommen. Schließlich ist zu beachten, dass die Durchführung unternehmensinterner Befragungen in der hier zu untersuchenden Konstellation regelmäßig eine primär repressive Stoßrichtung aufweist563, die bei genauerer Betrachtung auch leicht zu identifizieren ist. Dies wird bereits dadurch belegt, dass das Phänomen einer professionellen unternehmensinternen Untersuchung im nennenswerten Umfang erst infolge der stetig zunehmenden Amerikanisierung der Unternehmenssanktionen aufgetreten ist. Unternehmensinterne Untersuchungen werden als Reaktion auf Regelverstöße bzw. hierauf hindeutender Verdachtsmomente durchgeführt und bezwecken entweder deren Aufklärung (was regelmäßig noch keine Selbstbelastung beinhalten muss) oder deren Sanktionierung (wo eine Selbstbelastung gerade Sinn und Zweck ist). Sie sind damit von Geburt an grundsätzlich repressiv ausgerichtet. Es ist daher auch nicht tragfähig, die Differenzierung nach präventiven und repressiven Untersuchungszwecken mit dem Argument abzulehnen, dass Arbeitgeber nicht daran interessiert sind, die Rolle der Staatsanwaltschaft zu übernehmen, sondern alleine Schaden vom Betrieb abzuwenden und den heute geltenden Compliance-Richtlinien gerecht zu werden564. Denn wie eingangs erörtert wurde, führen eben diese Compliance-Richtlinien zu einem repressiven Handeln des Unternehmens, das faktisch mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vergleichbar ist und diese in deren Folge auch nahezu ersetzt565. Das Etikett einer „ComplianceMaßnahme“, mit deren Begrifflichkeit stets ein präventives unternehmerisches Wirken verbunden wird566, verschleiert in diesem Zusammenhang mehr als es hilft und darf nicht den Blick auf das Wesen der Maßnahme versperren: Unternehmensinterne Befragungen sind das Herzstück der repressiven Seite eines insoweit
beizupflichten, dass vielfach zu früh und ohne ausreichendes Bedürfnis auf das Instrument unternehmensinterner Befragungen zurückgegriffen wird. 563 Vgl. oben S. 76 ff. 564 So aber Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (176). 565 Vgl. oben S. 65 ff. sowie S. 85 ff. 566 Vgl. oben S. 26 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
unbestimmten Compliance-Begriffs567. Den von der h.M. zugewiesenen Status als Präventivmaßnahme erlangen sie in erster Linie durch die Abwehr bzw. Reduzierung von Gefahren einer existenzbedrohenden Sanktionierung seitens der staatlichen Behörden nach amerikanischem Vorbild568. Dass eine solche staatliche initiierte Gefahr aber nicht geeignet ist, eine Gefahrenlage darzustellen, die eine Einschränkung der grundrechtlich geschützten Selbstbelastungsfreiheit rechtfertigt, wurde bereits dargelegt569. Zwar sind Fälle denkbar, in denen tatsächlich die Abwehr realer Gefahrenlagen bezweckt sein kann und eine Aussageverpflichtung des Mitarbeiters nach den dargestellten Grundsätzen einer gefahrenabwehrbezogenen Betrachtungsweise besteht570. Hierbei handelt es sich aber um besondere Ausnahmesituationen, deren Vorliegen leicht zu identifizieren ist. 5. Zwischenergebnis Der strafprozessual geprägte Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gilt auch bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen zwischen Arbeitgeber (oder von ihm beauftragten Personen) und Arbeitnehmer. Ausnahmen von diesem Grundsatz setzen ein besonderes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers voraus, das seine Berechtigung nur in der Gefahrenabwehr finden kann. Die konkrete Entscheidung über das Schutzniveau der Selbstbelastungsfreiheit ist daher abhängig von der Gefahrenlage des Unternehmens und dem Zweck der Maßnahme: Dient die Befragung ausnahmsweise präventiven Zwecken, ist der Arbeitnehmer zur Aussage verpflichtet, um eine effektive Gefahrenabwehr sicherzustellen und dem Arbeitgeber die Möglichkeit von Korrekturen zu geben. Ausgehend von den im Gemeinschuldnerbeschluss entwickelten Grundsätzen dürfen seine getätigten Aussagen im Strafprozess aber nicht verwertet werden, da die uneingeschränkte Auskunftspflicht des Arbeitnehmers nicht zu einer Umgehung des nemotenetur-Grundsatzes führen darf und die staatlichen Strafverfolgungsbehörden nicht weitergehende Möglichkeiten erlangen können als in anderen Fällen der Strafverfolgung. Ist die Befragung hingegen repressiv ausgerichtet und dient primär der Überführung des Beschuldigten, bleibt es aufgrund der gesetzlichen Wertungen und 567
Siehe hierzu die obigen Überlegungen zum Compliance-Begriff ab S. 25 ff. bzw. S. 65 ff. (Ergebnis). 568 Zu den Risiken einer Inanspruchnahme siehe oben S. 30 ff. 569 Vgl. oben S. 222 ff. 570 Zu denken wäre etwa an ein Unternehmen, das seine ganzen Ressourcen in die Entwicklung eines bestimmten Softwareprogramms gesteckt und existentiell von dem Erfolg des Programms am Markt abhängt. Gelingt es nun, dieses Programm zu entwenden und beabsichtigt der Täter aus altruistischen Motiven heraus, das Programm kostenfrei im Internet zugänglich zu machen, so wäre ein ihn unterstützender Arbeitnehmer verpflichtet, sein Wissen zu offenbaren, um die Existenzgefahr für das Unternehmen abzuwenden. Selbiges dürfte in ähnlichen Fällen von Geheimnisverrat oder Betriebsspionage gelten.
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der besonderen Nähe zum staatlichen Strafverfahren beim Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Der beschuldigte Arbeitnehmer besitzt somit auch gegenüber seinem Arbeitgeber im Regelfall ein umfassendes Schweigerecht, wenn er Gefahr liefe, sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen.
IV. Flankierende Rechte Nach Festlegung der aus dem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit resultierenden Grenzen ist zu überlegen, inwieweit diese Grenzziehung durch flankierende Rechte abgesichert wird. Im Zentrum steht die Frage, ob und auf welche Weise der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer über seine Rechte aktiv zu informieren oder diesem zumindest die Möglichkeit einzuräumen, entsprechende Kenntnisse durch die Hinzuziehung eines Interessenvertreters eigenverantwortlich zu gewinnen. Mangels Anwendbarkeit der StPO entfalten die für die Strafverfolgungsorgane geltenden Aufklärungs- und Belehrungspflichten der §§ 52 ff; 55, 136 Abs. 1 StPO für die privaten Ermittler im Rahmen der unternehmensinternen Untersuchung keinerlei Bindungswirkung571. Als Grundlage einer entsprechenden Pflichtenstellung des Arbeitgebers kommt jedoch dessen Fürsorge- und Schutzverpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer in Betracht. 1. Aufklärungs- und Belehrungspflichten des Arbeitgebers Die überwiegende Auffassung im Schrifttum lehnt eine umfassende Aufklärungsund Belehrungspflicht des Mitarbeiters über etwaige Auskunftsverweigerungsrechte, Hinzuziehungsmöglichkeiten eines Rechtsbeistandes oder die Gefahr einer Verwertung der Aussagen in einem späteren Strafprozess strikt ab572. Entsprechende 571
Siehe hierzu oben S. 165 ff. Gegen eine Belehrungspflicht votieren etwa Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2012, 19 (23); Rudkowski, NZA 2011, 612 (612); Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178 (178); Momsen/ Grützner, DB 2011, 1792 (1792); Wisskirchen/Glaser, DB 2011, 1447 (1447 ff.); Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (25 ff.); einschränkend Weiße, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 53. Von einer entsprechenden Pflichtenstellung des Arbeitgebers gehen hingegen aus: Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (882); Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (509 ff.); Tscherwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (524 ff.); Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (863 ff.); vgl. auch die entsprechenden Forderungen in der Stellungnahme 35/2010 des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Vielfach wird gleichwohl aber auch von den Gegnern einer entsprechenden Pflichtenstellung des Arbeitgebers aufgrund der umstrittenen Rechtslage eine Belehrung als sinnvoll angesehen, um das Risiko zu minimieren, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein Gericht ein Beweismittel als nicht verwertbar oder eine Kündigung als unwirksam qualifiziert, weil es die Erlangung als rechtswidrig ansieht, vgl. etwa Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 377. Zur unterschiedlichen Handhabung in der Praxis Theile/Gatter/Wiesenack, ZStW 126 (2014), 803 (835 ff.). 572
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Forderungen würden die Regelungen der StPO in unzulässiger Weise in die private Ermittlung hineintragen573. Eine interne Ermittlung folge anderen Regeln und verfolge andere Ziele und Zwecke als ein staatliches Strafverfahren574. Wer hier ausschließlich den Blick auf strafprozessuale Vorgaben richtet, übersieht die Reichweite der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die sich unabhängig von den öffentlichen Belehrungsnormen im Strafprozess allein danach bestimmt, inwieweit den Arbeitgeber in der konkreten Situation besondere Schutzpflichten treffen und missachtet die Vorgaben des BDSG. Sinn und Zweck der dem Arbeitgeber auferlegten Fürsorgeverpflichtung ist es, das zivilrechtlich atypische aber strukturell vorhandene Ungleichgewicht der Vertragsparteien im Arbeitsrecht auszugleichen575. Einen Arbeitgeber treffen daher besondere Aufklärungspflichten, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Art des in Rede stehenden Geschäfts über seine Rechte im Unklaren ist576. Er ist verpflichtet einen Arbeitnehmer unaufgefordert über Tatsachen und rechtliche Zusammenhänge aufzuklären, die für dessen Rechtsposition wesentlich sind577. Zu Recht hat das BAG einem Arbeitgeber daher „erhöhte Hinweisund Aufklärungspflichten“ auferlegt, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrages vorschlägt und der Arbeitnehmer offensichtlich mit den Besonderheiten der ihm zugesagten Zusatzversorgung nicht vertraut ist578. Die Aufklärungspflichten des Arbeitgebers reichen umso weiter je atypischer sich das konkrete Risiko für die Position des Arbeitnehmers darstellt. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn der Arbeitnehmer das zu untersuchende Fehlverhalten selbst begangen und somit Treu und Glauben zuwider gehandelt hat, denn der Arbeitgeber muss seinen Arbeitnehmer auch in kritischen Situation unterstützen579, zumal dessen Verantwortlichkeit im Zeitpunkt der Befragung regelmäßig nicht zweifelsfrei feststehen wird580. Das Vorgehen eines Unternehmens bei der Durchführung von ComplianceUntersuchungen entspricht in keiner Weise den üblichen betrieblichen Prozessen, sondern stellt eine Ausnahmekonstellation dar, die aufgrund der Nähe zum Strafverfahren für den einzelnen Arbeitnehmer mit besonderen Risiken behaftet 573
Rudkowski, NZA 2011, 612 (612). Momsen/Grützner, DB 2011, 1792 (1792). 575 Vgl. Müller-Glöge, in: MüKo-BGB, § 611 Rn. 987. 576 Koch, in: Schaub (Hrsg.), Arbeitsrechtshandbuch, § 106 Fürsorgepflicht Rn. 39. 577 Vgl. Preis, in: ErfK/Arbeitsrecht, § 611 BGB Rn. 633. 578 Vgl. BAG, NZA 2001, 206. 579 Vgl. Tscherwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (525). Die fortdauernde Geltungskraft der arbeitsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten gilt freilich auch für den Arbeitnehmer: Ein Arbeitnehmer besitzt daher beispielsweise auch dann noch eine Pflicht an internen Untersuchungen des Arbeitgebers mitzuwirken, wenn der Arbeitgeber bereits eine Kündigung ausgesprochen hat, vgl. hierzu Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kap. 5 Rn. 39 ff. 580 Zur Konstellation einer Kombination des Compliance-Interviews mit einer arbeitsrechtlichen Anhörung als Voraussetzung einer Verdachtskündigung Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (26 ff.). 574
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ist, auf die er weder im Rahmen seiner Ausbildung noch durch die Ausübung seiner Tätigkeit vorbereitet wurde. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet es daher den Arbeitnehmer umfassend und wahrheitsgemäß über seine Rechtsposition zu informieren und er hinreichend Gelegenheit erhält, sich auf das Beweisthema vorzubereiten581. Hierzu zählt im Besonderen, dass man ihn über Anlass und Ziel der Befragung in Kenntnis setzt, ihm seine Rechte erläutert und auf potentielle Gefahren wie eine etwaige Verwertbarkeit seiner Aussagen im Strafprozess hinweist582. Weiterhin muss er konsequenterweise auch darüber aufklären, dass auch der oder die Interviewführer in einem Strafprozess vernommen werden können, ohne dass deren Vernehmungen ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht583. Aus Gründen der Transparenz und der besonderen Gefahrenlage für den Arbeitnehmer hat er außerdem eine etwaige Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden offenzulegen, zumal mit einer umfassenden Weitergabe der Befragungsinhalte eine Entpersonalisierung der Beziehung des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer einhergeht. Eine entsprechend weite Aufklärungspflicht lässt sich schließlich auch datenschutzrechtlich begründen. Denn das BDSG verlangt nicht nur, dass der Betroffene über die Erhebung seiner persönlichen Daten weiß584, was bei einer Direkterhebung in Form einer Befragung unstreitig der Fall ist, sondern ist auch darüber zu informieren, was mit seinen Daten gemacht wird585. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass der Betroffene eigenständig entscheiden kann, welche Daten er wem gegenüber preisgibt. Die dargelegten Grundsätze greifen in besonderer Weise, wenn sich der Arbeitgeber eines externen Ermittlungsteams bedient, da die strukturelle Berufsüberlegenheit hierdurch noch verstärkt wird586. Kommt der Arbeitgeber diesen Aufklärungspflichten nicht nach, hat der Arbeitnehmer – neben seinem Recht, selbstbelastende Aussagen zu verweigern – ein Zurückbehaltungsrecht (Auskunftsverweigerungsrecht) aus § 273 BGB587. 581 Im Ergebnis zustimmend Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (882); Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (509 ff.); Tscherwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (524 ff.); Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 37 ff., die eine entsprechende Belehrungspflicht aber ausschließlich durch eine mittelbare Grundrechtswirkung begründen („strafrechtsinduzierte Belehrungspflicht“); mit Einschränkungen auch Mansdörfer, jM 2014, 167 (172). Zur Gegenansicht vgl. etwa Rudkowski, NZA 2011, 612; Lützeler/Müller-Satori, CCZ 2011, 19 (23). 582 Ebenso Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (883); Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (509 ff.). 583 Tscherwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (526). 584 Vgl. insbesondere §§ 4 Abs. 2 BDSG, 33 BDSG und 34 BDSG. 585 Näher zum sog. Transparenzgebot Wybitul, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 11 Rn. 28. 586 Vgl. die insoweit ähnliche Argumentation des LG Hamm MDR 2001, 1361 (1362) zur Frage eines Anspruchs auf Hinzuziehung eines Rechtsbeistands. 587 Ebenso Tscherwinka, in: FS für I. Roxin (2012), 521 (526).
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2. Hinzuziehung eines Rechtsanwalts Das Beisein eines Rechtsbeistandes kann dazu führen, dass Hemmschwellen beim Arbeitnehmer abgebaut werden und wird daher von einigen Unternehmen als vertrauensbildende Maßnahme stets gewährt588. Mit Blick auf die besondere Stoßrichtung repressiver Compliance-Befragungen stellt sich aber die Frage, inwieweit der Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf Teilnahme eines Rechtsbeistandes besitzt. a) Anspruch auf Rechtsbeistand Die Teilnahme an Personalgesprächen steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erbringung der entgeltlichen Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer nach § 613 BGB höchstpersönlich zu leisten hat. Entsprechend sind auch tätigkeitsbezogene Personalgespräche höchstpersönlich wahrzunehmen. Der personenbezogene Charakter des Arbeitsverhältnisses verbietet es grundsätzlich, dass der Arbeitnehmer gegen den Widerstand des Arbeitgebers betriebsfremde Personen zur Wahrnehmung seiner Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis hinzuzieht589. Vor diesem Hintergrund wird dem Arbeitnehmer ein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsbeistands überwiegend versagt590. Anderes sei nach der h.M. lediglich dann denkbar, wenn der Arbeitgeber bei der Befragung auf externe Ermittlungsteams – insbesondere hierauf spezialisierte Anwaltskanzleien – zurückgreift und hierdurch selbst die personale
588 Vgl. Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178 (179); Scharnberg, Illegale Internal Investigations, S. 306; deutlich restriktiver diesbezüglich aber Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (22). 589 LG Hamm, Urt. v. 23. 5. 2001 – 14 Sa 497/01 = MDR 2001, 1361 (1361). 590 Vgl. Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (244); Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1708); Lange/Vogel, DB 2010, 1066 (1066); Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (21); Momsen/Grützner, DB 2011, 1792 (1795); Dendorfer, in: Moll (Hrsg), MAH Arbeitsrecht, § 35 Rn. 124. Allerdings wird teilweise trotz fehlender Pflicht empfohlen, dem Wunsch des Mitarbeiters auf Teilnahme eines Rechtsanwalts zu entsprechen, um die Aussagebereitschaft des Arbeitnehmers zu erhöhen, vgl. etwa Schürrle/Olbers, CCZ 2010, 178 (179). Nicht zielführend ist dagegen der Vorschlag von Gerst, CCZ 2012, 1 (5), wonach das Dilemma der diametralen Interessengegensätze von ermittelnden Unternehmen und defensiven Arbeitnehmer praktisch dergestalt zu lösen sei, dass ein bisher nicht involvierter Anwalt aus der ermittelnden Kanzlei den beschuldigten Mitarbeiter vertreten solle. Dieser „praktische Lösungsweg“ (Gerst, CCZ 2012, 1 (1)) dürfte nur dann ein Vorankommen (im Sinne des Unternehmens!) bieten, wenn der Rechtsanwalt gezielt darauf hinwirkt, dass sich ein Arbeitnehmer gegenüber den Fragepersonen zu seines Erachtens nach „ungefährlichen“ Fragen äußert. Dies bedeutet aber faktisch, dass das Unternehmensinteresse in das Vertrauensverhältnis zwischen Mandat und Rechtsanwalt einwirkt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Befragung die genauen Umstände der Tat regelmäßig ungeklärt sind und zukünftige Entwicklungen nicht vorhersehbar sind, erscheint ein derartiges Vorgehen berufsrechtlich höchst bedenklich – zumindest ist hier eine umfassende Aufklärung des Arbeitnehmers über das Kanzleimandat einzufordern.
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Sphäre des Arbeitsverhältnisses verlässt591. Unstrittig können aber Organmitglieder die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts verlangen, da diese keine Arbeitnehmer sind592. Bedient sich der Arbeitgeber externer Kompetenzen, muss er diese Möglichkeit zwingend auch dem Arbeitnehmer einräumen. Dies folgt unabhängig von Anlass und Stoßrichtung der Compliance-Befragung bereits aus dem Gedanken einer Waffenund Chancengleichheit respektive der allgemeinen Fairness593. Zudem hat der Arbeitgeber aus der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht sicherzustellen, dass die strukturelle Berufs-Überlegenheit der Vernehmer nicht noch durch eine zahlenmäßige Übermacht verstärkt wird594. Aber auch wenn der Arbeitgeber die Befragung durch internes Personal durchführt, kann sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers eine entsprechende Berechtigung des Arbeitnehmers ergeben595. Unternehmensinterne Befragungen im Zuge repressiver Compliance-Maßnahmen stellen kein typisches Personalgespräch dar, sondern verfolgen besondere Zwecke596, deren Erreichen nicht zu Lasten des 591
LG Hamm, Urt. v. 23. 5. 2001 – 14 Sa 497/01 = MDR 2001, 1361 (1362); siehe auch für die Konstellation einer Anhörung BAG NZA 2005, 416 (418). 592 Knauer, ZWH 2013, 81 (85); v. Hehn/Hartung, DB 2006, 1909 (1914). 593 Ähnlich LG Hamm, Urt. v. 23. 5. 2001 – 14 Sa 497/01 = MDR 2001, 1361; BAG NZA 2005, 416 (418); Knauer, ZWH 2013, 81 (85); Rudkowski, NZA 2011, 612 (614); Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (508 ff.). 594 Vgl. Wewerka, Internal Investigations, S. 152 ff.; Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (863 ff.); Minoggio, Firmenverteidigung, Abschnitt F Rn. 456. 595 Ein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts aufgrund der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht wird aufgrund der möglichen Folgen insbesondere erwogen, wenn der Arbeitgeber nach strafrechtlich relevantem Verhalten des Arbeitnehmers fragen will, vgl. Sidhu/von Saucken/Ruhmannseder, NJW 2011, 881 (883); Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (508 ff.); Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (24); Moosmayer, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 135 (Zulassung eines Mitarbeiter-Rechtsanwalts ist „rechtsstaatlich gebotene Selbstverständlichkeit“); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 205, der diesbezüglich auch auf den für den Arbeitnehmer ggf. bedeutsamen praktischen Aspekt verweist, einen Rechtsanwalt als späteren Zeugen für den Gesprächsverlauf und den Inhalt seiner getätigten Aussagen benennen zu können. A.A. hingegen Klug, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 7 Rn. 90, der zwar darin übereinstimmt, dass ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, sich selbst strafrechtlich zu belasten, aus dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit allerdings ableitet, dass der Arbeitnehmer sich nicht auch noch eines „Verteidigers im Arbeitsverhältnis“ bedarf, um seine Rechte wahrnehmen zu können. Der Arbeitnehmer sei verpflichtet, seinem Arbeitgeber „unbefangen Rede und Antwort“ zu stehen. Dabei geht Klug allerdings von der nicht zutreffenden Prämisse aus, dass von einem strukturellen Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wegen des Schutzes der Selbstbelastungsfreiheit nicht mehr gesprochen werden kann. Bereits die Professionalität mit der interne Untersuchungen durchgeführt werden und der erhebliche Wissensvorsprung des Arbeitgebers führen zu einem ausgeprägten Ungleichgewicht. 596 Grundlegend zu den Motiven repressiver, innerbetrieblicher Maßnahmen vgl. oben S. 55 ff. Speziell zur Zielrichtung repressiver Befragungen siehe die Darstellungen ab S. 75 ff.
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Arbeitnehmers gehen darf. Der wertsetzende Einfluss rechtsstaatlicher Garantien597 kommt auch an dieser Stelle zum Tragen598. Soweit die Befragung nicht nur der allgemeinen Sachverhaltsaufklärung dient (informatorische Befragung), sondern der Kategorie der konfrontativen Befragung mit repressiver Stoßrichtung zugeordnet werden muss599, ist der Arbeitnehmer daher berechtigt, einen Rechtsanwalt zu der Befragung hinzuziehen und sich jederzeit mit diesem auch austauschen zu können, bevor er auf Fragen antwortet oder sonstige Angaben tätigt, die über eine allgemeine Beschreibung seiner Tätigkeit und Stellung im Betrieb hinausgehen. Diskutabel erscheint hingegen, inwieweit der Arbeitgeber sogar verpflichtet ist, die Anwaltskosten des Arbeitnehmers zu tragen600. Dafür spricht, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch die Weisung an entsprechenden Gesprächen teilzunehmen erst in diese Ausnahmesituation hineindrängt. Hier darf nicht übersehen werden, dass die atypische Situation für viele Arbeitnehmer mit einer besonderen psychischen Belastung verbunden ist, die das Arbeitsverhältnis bis an die Grenze der Unangemessenheit belastet601. Sofern also ein Recht auf Anwaltskonsultation besteht, erscheint es unabhängig von den Belehrungspflichten des Arbeitgebers unter dem Aspekt der Fürsorge auch angemessen, wenn dieser zumindest verpflichtet ist, die Kosten für eine anwaltliche Erstberatung602 zu übernehmen, um dem Arbeitnehmer die tatsächliche Möglichkeit zu eröffnen sich von unabhängiger Stelle beraten zu lassen603.
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Siehe dazu bereits oben S. 207. Ebenso Ignor, CCZ 2011, 143 (144), Mansdörfer, JM 2014, 167 (172); Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 24 ff. 599 Unternehmensinterne Befragungen lassen sich in zwei Handlungskategorien einteilen, die sich insbesondere durch ihre Stoßrichtung unterscheiden: Während informatorische Befragungen primär präventive Zwecke verfolgen und der Sachverhaltsaufklärung dienen, ist für Befragungen der zweiten Kategorie (konfrontative Befragungen mit dem engeren Kreis der Beschuldigten oder Zeugen) ein repressiver Charakter wesentlich. Einzelheiten oben S. 76 ff. 600 Zur Problematik näher Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (749). 601 Zu den Umständen und Atmosphäre der Befragung, siehe oben S. 77 ff. („Verhöre“) 602 Nach dem seit dem 1. 7. 2004 gültigen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ist die Höhe der Beratungsgebühr nach Nr. 2102 VV RVG auf E 190,00 begrenzt, wenn der Auftraggeber Verbraucher ist und sich die Tätigkeit des Anwalts auf ein erstes Beratungsgespräch beschränkt. 603 In diese Richtung auch Knauer, ZWH 2012, 81 (85). Auch die BRAK sieht eine entsprechende Verpflichtung des Unternehmens als möglich an. Nach den Thesen des Strafrechtsausschusses der BRAK zum Unternehmensanwalt (Stellungnahme Nr. 35/2010) soll der vom Unternehmen mandatierte Verteidiger stets darauf hinwirken, dass das Unternehmen die Kosten für den Rechtsanwalt des Arbeitnehmers übernimmt, vgl. Erläuterung Nr. 4 zur These Nr. 3. Kritisch hingegen Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 205, sowie Moosmayer, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 135, der ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass die Schutzpflicht des Arbeitgebers eine Kostenübernahme nicht erfasst. 598
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Die Übernahme etwaiger Anwaltskosten ist für einen Arbeitgeber aber dann als unzumutbar anzusehen, wenn ein Arbeitnehmer selbst den Compliance-Verstoß begangen und somit Treu und Glauben zuwider gehandelt hat. Dem Arbeitgeber muss es daher gestattet sein, eine Kostenübernahme vom Ergebnis eines staatlichen Strafverfahrens abhängig zu machen und im Falle einer Verurteilung die getätigten Auslagen zurückzuverlangen604. Vielfach wird den zu befragenden Arbeitnehmern seitens des Unternehmens auf freiwilliger Basis ein kostenloser Rechtsbeistand respektive eine Kostenübernahme als vertrauensbildende Maßnahme angeboten werden, um die Aussagebereitschaft des Mitarbeiters zu erhöhen605. Ein solches Vorgehen wird insbesondere in Betracht kommen, wenn es um die schnelle Aufdeckung systematischen Fehlverhaltens geht zu deren Aufklärung und Eindämmung umgehend relevante Informationen benötigt werden606. Ebenso wie die Gewährung arbeitsrechtlicher Amnestien bedarf die Übernahme von Verteidigerkosten der sorgfältigen Abwägung, damit sich die Unternehmensführung durch ein entsprechendes Handeln nicht dem Risiko einer Untreuestrafbarkeit aussetzt607.
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Teilweise wird sogar weitergehend davon ausgegangen, dass Unternehmensführer verpflichtet sind, im Falle einer festgestellten Pflichtverletzung oder gar vorsätzlichen Schädigung des Unternehmens die gezahlten Honorare zurückzuverlangen, vgl. Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (249 ff.); Knauer, ZWH 2012, 81 (85). Hierfür spricht, dass mit Feststellung der Pflichtverletzung der Arbeitnehmer als Regressschuldner feststeht und es zur Sorgfaltspflicht der Unternehmensleitung gehört, diese Regressmöglichkeiten bestmöglichst auszuschöpfen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die Treuepflicht des Arbeitgebers auch nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Unternehmen fortwirkt. Eine Rückforderungspflicht wäre daher wohl nur bei einer vorsätzlichen Schädigung denkbar. 605 Ein solches Vorgehen war beispielsweise im Siemens-Fall zu beobachten, vgl. Sieg, FS für Buchner (2009), 859 (863) sowie laut Medienberichten bei internen Untersuchungen der Deutschen Bank AG im Oktober 2013, vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unterneh men/libor-skandal-deutsche-bank-laedt-mitarbeiter-zum-verhoer-a-928928.html (Abrufdatum: 15. 12. 2015). 606 In der Regel wird dieses Vorgehen auch mit einem – zeitlich befristeten – Amnestieprogramm verknüpft werden, das den Mitarbeitern den Verzicht auf eine Kündigung und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche im Gegenzug zur freiwilligen Offenlegung von Fehlverhalten anbietet, vgl. Moosmayer, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 135. 607 Eine Untreuestrafbarkeit kommt nur in Betracht, wenn sich ein entsprechendes Vorgehen nicht mehr im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung bewegt. Mit Blick auf das Erfordernis von Insiderwissen zur Aufklärung unternehmensinterner Straftaten und unter Zugrundelegung der Rechtsprechung zur Übernahme einer Geldbuße durch das Unternehmen (BGH NJW 1991, 990) ist das Ermessen hier aber denkbar weit. Eine Grenze dürfte – wenn überhaupt – nur dort liegen, wo der Arbeitnehmer das Unternehmen vorsätzlich geschädigt hat. Zum Ganzen Knauer, ZWH 2012, 81 (85).
250
4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
b) Anwesenheits- und Beistandsrecht eines Betriebsratsmitglieds Mitglieder des Betriebsrates sind zwar nicht betriebsfremd, sodass ein Beistandsrecht nahe liegen würde. Allerdings sind die Anwesenheitsrechte eines Betriebsrates bei Personalgesprächen explizit geregelt (§§ 81 Abs. 4 S. 3, 82 Abs. 2 S. 2, 83 Abs. 1 S. 2 und § 84 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der einzelne Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf hat, zu den von diesen Vorschriften nicht erfassten Personalgesprächen ein Mitglied des Betriebsrates hinzuzuziehen608. Zwar sieht § 82 Abs. 2 BetrVG ein Anwesenheitsrecht bei einem „Beratungs- und Führungsgespräch“ vor, in dem die Leistungen und Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung des Arbeitnehmers erörtert werden. Mit dieser Situation ist eine investigative Befragung jedoch nicht vergleichbar, da es hierbei regelmäßig nicht um eine Bewertung der Leistung des Arbeitnehmers geht, sondern um die Aufklärung eines Sachverhalts609. Ein Anwesenheitsrecht des Betriebsrates kann auch nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hergeleitet werden, der ein Zustimmungsrecht für Maßnahmen vorsieht, die das Ordnungsverhalten im Betrieb betreffen, denn der mögliche Compliance-Verstoß betrifft allein das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – nicht das Verhältnis der Arbeitnehmer untereinander610. Der Wunsch auf eine Hinzuziehung eines Betriebsrates zum Compliance-Interview kann ferner auch nicht mit der Unterstützung eines Arbeitnehmers beim Vorbringen einer Beschwerde i.S.v. § 84 Abs. 1 S. 2 begründet werden611. 3. Anspruch auf Einsichtnahme und Berichtigung von Untersuchungsprotokollen Die Ergebnisse eines Mitarbeiterinterviews werden regelmäßig protokolliert, um das Dokument in einem späteren Arbeits- oder Strafverfahren als Beweismittel
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BAGE 112, 341 ff. = BAG NZA 2005, 416 ff.; Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (23). So zutreffend bereits Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (243 ff.). Vgl. auch Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (23); Ruhmannseder, in: FS für I. Roxin (2012), 501 (509). 610 Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853 (1855); Rudkowski, NZA 2011, 612 (615); Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (23); Knauer, ZWH 2012, 81 (85); Dendorfer, in: Moll (Hrsg.), MAH Arbeitsrecht, § 35 Rn. 123. 611 Nach § 84 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat ein Arbeitnehmer die Möglichkeit im Falle einer förmlichen Beschwerde (§ 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG) ein Betriebsratsmitglied seines Vertrauens zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen. Gegenstand einer Beschwerde müssen negativ zu bewertende Zustände sein. Dies folgt bereits aus dem Sinn und Zweck der Norm, da nur in diesen Fällen eine Vermittlung möglich ist. Die Teilnahme- und Auskunftspflichten bei unternehmensinternen Untersuchungen sind als Teil der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungspflichten hiervon somit im Grundsatz nicht erfasst. Anderes wäre nur denkbar, wenn ein „verdächtiger“ Arbeitnehmer bereits die Einladung zum Compliance-Interview als ungerechte Behandlung einstuft. Auch in diesem Fall würde sich das Hinzuziehungsrecht des Arbeitnehmers aber allein auf den zeitlichen Moment der Klärung des konkreten Beschwerdegegenstands beziehen. Ähnlich auch Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (23 ff.). 609
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
251
nutzen zu können und dem Grundsatz des fairen Verfahrens gerecht zu werden612. Größeres Beweisgewicht erlangt ein Protokoll, dem der Mitarbeiter durch seine Unterzeichnung zugestimmt hat. a) Anspruch auf Einsichtnahme in Befragungsprotokolle Soweit die Inhalte der Befragung des Arbeitnehmers schriftlich fixiert werden, steht dem Arbeitnehmer ein umfassendes Einsichtsrecht in die angefertigten Protokolle zu613. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich aus § 83 Abs. 1 BetrVG, der dem Arbeitnehmer ein Einsichtsrecht in seine Personalakte gewährt614. Die Vorschrift stellt eine gesetzliche Ausformung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dar und dient dem Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers615. Zur Verwirklichung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wollte der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einräumen, sich über alle personenbezogenen Daten zu informieren, die der Arbeitgeber im Rahmen seiner Beschäftigung (und ggf. bereits im Bewerbungsverfahren) gesammelt hat616. Zugleich soll hierdurch eine transparente und nachvollziehbare Beurteilungsgrundlage für Entscheidungen des Arbeitgebers geschaffen werden617. Mit Blick auf den Schutzzweck der Vorschrift ist der Begriff der Personalakte weit zu verstehen: Erfasst sind alle Urkunden und Vorgänge, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen618. Darunter fallen Gesprächsprotokolle aus einer Befragung des Arbeitnehmers ebenso wie sonstige Erkenntnisse einer internen Ermittlung, die den Arbeitnehmer betreffen619. Auf die förmliche Bezeichnung des Arbeitgebers als Personalakte kommt es dementsprechend nicht an620. Erfasst sind auch hand-
612 Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 13 Rn. 44; Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Untersuchungen, S. 40. 613 Zustimmend Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (864); Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 206 ff.; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (176); Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (176 ff.); a.A. Wisskirchen/Glaser, DB 2011, 1447 (1449); Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (25); Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 370. 614 Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (864). 615 Fitting, § 83 BetrVG Rn. 1; Franzen, in: GK-BetrVG, § 83 Rn. 15. 616 Ebenda. 617 Vgl. hierzu Wiese/Franzen, in: GK-BetrVG, § 83 Rn. 15. 618 Vgl. BAG v. 07. 05. 1980 – 4 AZR 214/78 = ArbuR 1981, 124 (125); BAG v. 13. 04. 1988 – 5 AZR 537/86 = NZA 1988, 654. 619 So zutreffend bereits Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 206; vgl. auch Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (864); Pröpper, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, Kap. 14 Rn. 14 ff. 620 Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (864 ff.).
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
schriftliche Gesprächsvermerke der Ermittler, soweit es sich hierbei nicht nur um persönliche Notizen der Frageperson ohne offiziellen Charakter621 handelt622. Gegen ein Recht auf Einsichtnahme der Befragung wird eingewandt, dass dem Mitarbeiter aufgrund seiner persönlichen Anwesenheit bei der Befragung und der Verpflichtung den „wahren Sachverhalt“ zu erzählen, der Inhalt der Befragung bereits bekannt sei623. In der Tat kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass ein Informationsbedürfnis, auf das die Regelung des § 83 BetrVG primär abzielt, nicht in der Weise vorliegt, wie bei dem Mitarbeiter völlig unbekannten Maßnahmen zur Beweissammlung. Das Befragungsprotokoll einer unternehmensinternen Untersuchung hat jedoch im Gegensatz zu anderen betrieblichen Urkunden einen besonderen Stellenwert als Beweismittel für einen späteren Zivil- oder sogar Strafprozess. Folglich greift es zu kurz, alleine auf die Informationsfunktion des § 83 BetrVG abzustellen, sondern der Arbeitnehmer hat ein besonderes Interesse an der inhaltlichen Richtigkeit der Protokolle. Dies gilt im Besonderen, wenn die Befragungen auf Englisch erfolgen und die Mitarbeiter zum Schluss nicht wissen, ob die Protokolle trotz entsprechender Vertraulichkeitszusagen nicht doch beim Staatsanwalt landen624. Dass § 83 BetrVG neben dem Informationsinteresse auch das Beweisinteresse des Arbeitnehmers umfasst, zeigt ein Blick auf § 83 Abs. 2 BetrVG, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, der Personalakte Erklärungen des Arbeitnehmers auf dessen Verlangen hinzuzufügen. Die Vorschrift wäre inhaltlich entleert, wenn der Arbeitnehmer nicht sicher sein kann, welche Informationen der Arbeitgeber nun tatsächlich zu der Personalakte hinzufügt. Daneben lässt auch der Wortlaut des § 83 Abs. 1 BetrVG eine Beschneidung der Einsichtsrechte des Arbeitnehmers nicht zu. Als Grenze eines Einsichtsrechts wird zuweilen die Gefährdung des Ermittlungszwecks der internen Untersuchung genannt625. Ein Teil der Literatur möchte dem Arbeitnehmer daher ein umfassendes Einsichtsrecht erst mit Abschluss der Ermittlungen gewähren626. Zur Begründung wird angeführt, dass auch in der vergleichbaren Konstellation des Strafverfahrens ein uneingeschränktes Aktenein621
Zu denken ist etwa an persönliche Eindrücke, Hinweise an Abgleichserfordernisse oder Gedankenstützen der Frageperson. 622 BAG v. 06. 06. 1984, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht; Fitting, § 83 BetrVG Rn. 6. 623 Vgl. Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 370; kritisch auch Momsen, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 49. 624 Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (177); Zur entsprechenden Problematik im Fall Siemens Sieg, in: FS für Buchner (2009), 859 (863 ff.). 625 Wiese/Franzen, in: GK-BetrVG, § 83 Rn. 15; Fitting, § 83 BetrVG Rn. 6; Buschmann, in: Däubler/Kittner/Klebe/Wedde (Hrsg.), BetrVG, § 83 Rn. 8; Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 13 Rn. 44. Siehe auch Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (177); Klasen/Schaefer, DB 2012, 1384 (1387) die insoweit von einem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers bis zum Abschluss der unternehmensinternen Ermittlungen ausgehen. 626 Vgl. etwa Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (177); Klasen/Schaefer, DB 2012, 1384 (1387).
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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sichtsrecht des Strafverteidigers erst mit dem offiziellen Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft bestehe627. Dem kann nicht gefolgt werden. Bereits der Verweis auf die Regelungen des Strafverfahrens (§§ 169a, 147 StPO) überzeugt nicht. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im staatlichen Ermittlungsverfahren dient der Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs und damit der gesellschaftlichen Befriedung. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber die Strafverfolgungsbehörden in der Strafprozessordnung mit besonderen Rechten ausgestattet. Eine vergleichbare Kompetenz existiert für den Arbeitgeber nicht628. Das betriebliche Vorgehen fußt auf der Allgemeinen Handlungsfreiheit und findet seine Grenze in den Rechten Dritter. Daneben werden Handlungsspielräume eines Arbeitgebers durch dessen Fürsorgepflicht eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund erscheint es absurd, das dem Arbeitnehmer gesetzlich zugesprochene Einsichtsrecht mit der Begründung einzuschränken, dass andernfalls eine Maßnahme des Arbeitgebers hierdurch gefährdet wäre, zumal die erfolgreiche Durchführung dieser Maßnahme zugleich eine Verschlechterung der Position des Arbeitnehmers mit sich bringen kann629. Darüber hinaus besitzt das Einsichtsrecht in die Personalakte gerade in der Situation einer repressiven Untersuchung eine besondere Funktion als Informationsquelle der Individualvertretung630. Die Vorschrift des § 83 BetrVG dient ausschließlich den Interessen des Arbeitnehmers und ist als gesetzliche Konkretisierung der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht anzusehen631. Der Regelungsgehalt der Vorschrift bietet daher keinen Raum für eine Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers und damit erst recht nicht für Abwägungserwägungen632. § 83 BetrVG ist vielmehr als klare gesetzliche Grenze anzusehen, die dem Arbeitnehmer jederzeit ein umfassendes Einsichtsrecht gewährt633. Diese Erkenntnis zeigt zugleich den Weg für die praktisch bedeutsame Frage, inwieweit der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer über gewonnene Erkenntnisse einer aktuellen Untersuchungshandlung in Kenntnis zu setzen. Zwar hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Einsichtnahme in Gesprächsprotokolle an-
627
Vgl. Fitting, § 83 BetrVG Rn. 6; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (177). Ähnlich Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (177). 629 Zur diametralen Interessenlage des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers vgl. oben S. 121. 630 Näher hierzu Pröpper, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 14 Rn. 14. 631 Ganz h.M., die auch von den Befürwortern einer Einschränkung des Einsichtsrechts geteilt wird, vgl. etwa Fitting, § 83 BetrVG Rn. 1; Franzen, in: GK-BetrVG, § 83 Rn. 15. 632 In diese Richtung aber Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (177): Den Zeitpunkt des Abschlusses unternehmensinterner Ermittlungen abzuwarten „ist dem Arbeitnehmer zumutbar und schränkt sein Einsichtsrecht nicht unverhältnismäßig ein“. 633 Im Ergebnis zustimmend Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 207; Maschmann, in: Maschmann (Hrsg.), Corporate Compliance und Arbeitsrecht, 149 (177); wohl auch Pröpper, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 14 Rn. 15. 628
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
derer Interviewter634. Dies gilt aufgrund des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der anderen Arbeitnehmer (Datenschutz) selbst dann, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass dort Informationen über die Person des Arbeitnehmers gesammelt wurden. Allerdings kann der Arbeitnehmer verlangen, dass die Informationen, die der Arbeitgeber über die Person des Arbeitnehmers im Rahmen anderer Interviews erlangt hat, in angemessenen Zeitrahmen seiner Personalakte hinzugefügt werden. Das Führen von Geheimakten ist unzulässig635. Aus diesem Grunde ist es dem Arbeitgeber auch nicht gestattet, bewusst Informationen aus anderen Befragungen vorzuenthalten und auf diese Weise eine Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer zu verhindern636. Entsprechend greift es auch zu kurz, ein Einsichtsrecht mit der Begründung zu verneinen, Investigationsakten seien schon materiell nicht als Personalakte zu qualifizieren, da sie eine Vielzahl von Arbeitnehmern betreffen637. Denn natürlich stellen die Investigationsakten der Ermittler keine Personalakten im Sinne des § 83 BetrVG dar. Dies entbindet das Unternehmen aber nicht davon, die erlangten Erkenntnisse den jeweiligen Personalakten hinzuzufügen. Existieren tatsächliche Anhaltspunkte für ein entsprechendes Vorgehen des Arbeitgebers, steht dem Arbeitnehmer bezüglich seiner eigenen Mitwirkungspflichten somit ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu, bis ihm die entsprechenden Informationen zugänglich gemacht werden638. Verhindern kann der Arbeitgeber ein Einsichtsrecht nur, indem er die entsprechenden Dokumente vernichtet639. Dazu ist der Arbeitgeber auch grundsätzlich berechtigt, weil keine Verpflichtung besteht, Personalakten anzulegen640. Allerdings geht ihm hierdurch das Befragungsprotokoll als Beweismittel verloren. Zudem ist dem Arbeitgeber eine nachträgliche Vernichtung von Befragungsprotokollen oder Teilen hiervon untersagt, wenn auf diese Weise ein widersprüchliches oder falsches 634
Vgl. Wisskirchen/Glaser, DB 2011, 1447 (1449). Kania, in: ErfK/Arbeitsrecht, § 83 BetrVG Rn. 2; Fitting, BetrVG, § 83 Rn. 5. 636 Ähnlich Pröpper, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 14 Rn. 15. 637 So aber Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 13 Rn. 44. 638 Ein entsprechendes Zurückbehaltungsrecht darf allerdings nur sehr restriktiv zur Anwendung kommen und nicht bereits auf einer bloßen Verdachtslage des Arbeitnehmers beruhen, zumal nicht jede vom Arbeitnehmer in Interviews erlangte Information als Teil der Personalakte gewertet werden kann. Vielmehr müssen die Informationen für die konkrete Untersuchung nicht unerheblich sein, sodass ein objektiver Dritter in der Rolle des Arbeitgebers diese Information der Personalakte hinzufügen würde. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn dem Arbeitgeber auf diese Weise Informationen über ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers bekannt werden. Daneben kann das Gespräch mit dem Arbeitnehmer aber auch gerade dazu dienen, diesen über die erlangten Erkenntnisse zu informieren, weshalb eine generelle Verweigerung der Gesprächsteilnahme per se ausscheidet. 639 Vgl. Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 207; Fritz/Nolden, CCZ 2010, 170 (177). 640 Ganz h.M. vgl. BAG v. 07. 05. 1980 – 4 AZR 214/78 = ArbuR 1981, 124 (126); Franzen, in: GK-BetrVG, § 83 Rn. 13. 635
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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Bild des Arbeitnehmers erzeugt wird oder sich dessen Verteidigungsmöglichkeiten verschlechtern641. Dies gilt erst recht dann, wenn sich beide Seiten über die Verwendung des Protokolls als Beweismittel einig waren, zumal die Vernichtung dann den Tatbestand des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. b) Anspruch auf Berichtigung von Befragungsprotokollen/Unterzeichnungspflicht Mit dem Anspruch auf Einsichtnahme in die Befragungsprotokolle einher geht der Anspruch auf Berichtigung642. Dieser folgt bereits aus dem Grundsatz der objektiven Wahrheit der Personalakte643 respektive der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht644 und lässt sich ferner dogmatisch als zwingender rechtlicher Annex zur arbeitsrechtlichen Auskunftspflicht und dem darin enthaltenen Gebot einer wahrheitsgemäßen Auskunft begründen645. Besteht Uneinigkeit zwischen den Beteiligten über den konkreten Befragungsinhalt, ist der Anspruch allerdings kaum etwas wert, denn der Nachweis der Unrichtigkeit des Protokolls dürfte selten gelingen, wenn alle Beteiligten an ihren Aussagen festhalten. Dem Arbeitnehmer bleibt dann allein die Möglichkeit nach § 83 Abs. BetrVG eine Gegendarstellung beizufügen, die seine Wahrnehmungen beinhaltet. Dieser Anspruch besteht unabhängig von der objektiven Richtigkeit des Protokolls646. Die praktischen Nachweisprobleme bei der Feststellung der inhaltlichen Richtigkeit des Befragungsprotokolls schlagen sich auf der anderen Seite dahingehend nieder, dass ein Arbeitgeber regelmäßig nicht verlangen kann, dass ein Arbeitnehmer das Befragungsprotokoll am Ende der Befragung unterzeichnet, auch wenn ihm ein derartiges Weisungsrecht zusteht. Denn der Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmer aus dem Grundsatz Treu und Glauben heraus nur anweisen, ein inhaltlich wahres Protokoll zu unterzeichnen. Besteht ein Mitarbeiter darauf, dass er bestimmte Aussagen so nicht getätigt hat oder seine Aussagen nur unvollständig protokolliert wurden, wird er das Protokoll erst nach entsprechenden Abänderungen unterzeichnen. Das kann dazu führen, dass am Ende unterschiedliche Versionen des Befragungsprotokolls existieren – je eine unterzeichnete Version des Mitarbeiters und eine unterzeichnete Version der Frageperson. Die eigentliche Frage, was tatsächlich in der Befragung gesagt wurde, kann sich daher in spätere Rechtsstreite verlagern647. Die Problematik offenbart zugleich die Notwendigkeit eines Rechts641
Vgl. Rose, in: Hess/Worzalla u. a. (Hrsg.), BetrVG, § 83 Rn. 21. Vgl. Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S 207 ff. 643 Zum Grundsatz der Wahrheit der Personalakte Geulen, Die Personalakte, S. 48. 644 Vgl. BAG v. 27. 11. 1985 – 5 AZR 101/84, AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG v. 13. 04. 1988 – 5 AZR 537/86, AP Nr. 100 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. 645 So zuvor bereits Mansdörfer, jM 2014, 167 (172). 646 Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 208; Franzen, in: GK-BetrVG, § 83 Rn. 13. 647 Ähnlich Grützner, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 Rn. 371. 642
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
beistands für den Arbeitnehmer, der ihm im Streitfall als Zeuge zur Verfügung steht, was die hier vertretene Auffassung eines Hinzuziehungsrechts stützt. 4. Beteiligungsrechte des Betriebsrates Bei der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat zu informieren. Dies folgt aus dem allgemeinen Informationsrecht des Betriebsrats, der in die Lage versetzt werden muss, die Auswirkungen der geplanten Befragungen auf seine Beteiligungsrechte eigenständig beurteilen zu können648. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber die geplanten Maßnahme wenigstens in groben Zügen gegenüber dem Betriebsrat offenzulegen hat. Ein weitergehendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats scheidet dagegen aus, soweit sich das Auskunftsverlangen des Arbeitsgebers nur auf die Arbeitspflichten des Mitarbeiters bezieht649. Insbesondere besteht auch kein Mitbestimmungsrecht über den Einsatz von externen Ermittlern bei der Durchführung der unternehmensinternen Untersuchung650. Erfolgt die Befragung der Mitarbeiter nicht im persönlichen Interview, sondern mittels entsprechender Personalfragebögen, kann sich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aber aus § 94 Abs. 1 BetrVG ergeben651. Aufgrund der vielfach ungeklärten Grenzen einer Beteiligung des Betriebsrates werden Vorgehensweise und Informationspflichten bei Compliance-Untersuchungen im Zuge der Implementierung von Compliance-Systemen durch eine entsprechende Betriebsvereinbarung geregelt, um zumindest Rahmenregelungen zu schaffen, auf die im Ernstfall zurückgegriffen werden kann652. 5. Folgen von Verstößen gegen die privatrechtlichen Pflichtenstellungen Die dargelegten Schutzrechte des Arbeitnehmers leiten sich nicht aus den Vorschriften der Strafprozessordnung ab, sondern resultieren ausschließlich aus dem privatrechtlichen Verhältnis zu seinem Arbeitgeber. Verstöße gegen privatrechtliche Pflichtenstellungen können jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der Aussagen des Mitarbeiters im Strafverfahren haben, da privatrechtliche Pflichten lediglich inter partes gelten und Störungen dieser Rechtsbeziehungen somit nur die 648
BAG NZA 1999, 1345 (1346); Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (244). BAG NZA 2003, 1352 (1355); Vogt, NJOZ 2009, 4206 (4218); Maschmann, NZA 2002, 13 (19); Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240 (244); Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853 (1854). 650 Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 15. Teil Rn. 201 unter Verweis auf BGH NZA 1991, 729 (730). 651 Wewerka, Internal Investigations, S. 143; Wybitul/Böhm, RdA 2011, 362 (366) jeweils m.w.N. 652 Näher hierzu Mengel, in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis (Hrsg.), Internal Investigations, Kap. 13 Rn. 41; Wybitul/Böhm, RdA 2011, 362 (366). 649
B. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen
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private Sphäre tangieren653. Dieser Grundsatz würde missachtet, wenn der rein privatrechtliche Rechtsverstoß über ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot in das staatliche Strafverfahren hineingetragen und damit bei der Verwirklichung öffentlicher Strafverfolgungsinteressen Berücksichtigung finden würde654. Eine strafprozessuale Absicherung des Schutzes der Selbstbelastungsfreiheit ist somit jedenfalls de lege lata nicht gegeben, weshalb vielfach nach einer gesetzlichen Regelung der Beschuldigtenrechte im Falle unternehmensinterner Untersuchungen verlangt wird655. Eine entsprechende Regelung wäre insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wünschenswert. Allerdings ist es auch nach jetziger Gesetzeslage angezeigt, die Einhaltung der dargelegten Rechte bei der Beurteilung eines Beweisverwertungsverbotes nach dem fair-trial-Grundsatz einzubeziehen656. Zudem kann die Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers den Vorwurf einer Täuschung des Arbeitnehmers ausschließen657. Vor allem aber hat die Einhaltung der zivilrechtlichen Pflichteinstellungen Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der Aussage des Arbeitnehmers im Zivilprozess658. Insbesondere das BAG geht dazu über, datenschutzwidrig erhobene Beweismittel nicht zu verwerten659. Die Frage einer Verwertbarkeit der Unterlagen im Zivil- und Strafprozess kann schließlich unmittelbare Auswirkungen auf eine zivil- und strafrechtliche Inanspruchnahme der Unternehmensführung haben. Denn mit Blick auf die hohen Kosten einer unternehmensinternen Untersuchung und deren Zielsetzung660 dürften Unternehmensführer ihre Pflichtenstellung gegenüber dem Unternehmen vielfach nur dann erfüllen, wenn die zu Tage geförderten Ergebnisse auch gerichtlich verwertbar sind. Unabhängig von einer möglichen Reaktion des
653 Bienert, Private Ermittlungen und ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Beweisverwertungsverbote, S. 114 ff. 654 Bienert, Private Ermittlungen und ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Beweisverwertungsverbote, S. 114 ff.; Godenzi, Private Beweisbeschaffung im Strafprozess, S. 171. 655 Siehe etwa die entsprechende Forderung von Wehnert auf dem deutschen Anwaltstag 2010 (vgl. Tagungsbericht von Brexl, AnwBl 2010, 498) sowie Wewerka, Internal Investigations, S. 323. Auch die Thesen der BRAK zum Unternehmensanwalt (BRAK Stellungnahme Nr. 35/2010) sind als Apell an den Gesetzgeber zu verstehen. 656 In diese Richtung wohl auch Wewerka, Internal Investigations, S. 283 ff. 657 Zur Problematik sogleich unter S. 260 ff. 658 Ähnlich Salvenmoser/Schreier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 15 Rn. 73 ff.; Dzida/Grau, NZA 2010, 1201 ff.; Grimm/Freh, ZWH 2013, 90 ff. 659 Vgl. nur BAG vom 20. 06. 2013 – 2 AZR 546/12 = BB 2014, 179. Instruktiv zur Frage eines Verwertungsverbotes bei Verstößen gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen Thüsing/Pötters, in: Thüsing (Hrsg.), Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 21 Rn. 30 m.w.N. 660 Zu den Motiven für die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung oben S. 55 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Gesetzgebers ist Unternehmen daher anzuraten, sich bei ihrem Vorgehen an den strafprozessualen Beschuldigtenrechten zu orientieren661.
C. Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes und Sonderkonstellationen Trifft den Arbeitnehmer eine Auskunftspflicht, darf der Inhalt seiner Aussage in einem späteren Strafprozess nach unseren Überlegungen nicht verwertet werden662. Es besteht ein Beweisverwertungsverbot. Damit drängt sich die Frage auf, welche Reichweite diesem Beweisverwertungsverbot zukommt und inwieweit sich ein möglicher Irrtum des Mitarbeiters über seine Aussageverpflichtung auswirkt.
I. Freie Verwertbarkeit (vermeintlich) freiwillig erteilter Auskünfte Das Beweisverwertungsverbot im Falle präventiver Befragungszwecke resultiert aus der fehlenden Entscheidungsfreiheit des Mitarbeiters, der gerichtlich auch dann zur wahrheitsgemäßen Aussage gezwungen werden kann, wenn er sich hierdurch selbst einer Straftat bezichtigen muss. Fehlt es an einer entsprechenden Zwangssituation, bleibt die Selbstbelastungsfreiheit unberührt. Freiwillig getätigte Auskünfte von Mitarbeitern sind daher – unabhängig von der Frage, inwieweit der Mitarbeiter seitens des Unternehmens über seine Rechte und Pflichten belehrt wurde663 – stets im Strafprozess verwertbar664. Zu überlegen bleibt, ob diese grundsätzliche Wertung einer Korrektur bedarf, wenn die (freiwillige) Auskunftserteilung auf einer Fehlvorstellung des Arbeitnehmers beruhte, dieser also irrtümlich davon ausging, zur Aussage verpflichtet gewesen zu sein. Hierfür wird angeführt, dass die Aussage des Arbeitnehmers sogar bei einem Überwiegen der Informationsinteressen des Arbeitgebers durch ein Beweisverwertungsverbot geschützt sei, weshalb dies erst recht gelten müsse, wenn die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt und ihm sogar ein ab661 So auch die Auffassung von Gropp-Stadler/Wolfgramm, in: Moosmayer/Hartwig (Hrsg.), Interne Ermittlungen, S. 40. Eine Orientierung an den strafprozessualen Standards empfiehlt auch die BRAK, Stellungnahme Nr. 35/2010, Thesen zum Unternehmensanwalt, These 3 Nr. 4. 662 Vgl. die Ausführungen oben S. 200 ff. 663 Vgl. oben S. 243 ff. 664 Ebenso Dann/Schmidt, NJW 2009, 1855; Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (379) jeweils m.w.N. Dagegen Lenze, Compliance, S. 182 ff., der nur im Falle einer ordnungsgemäßen Belehrung des Arbeitnehmers von einer freiwillig getätigten Aussage und einem hierdurch wirksam erklärten Rechtsverzicht ausgeht.
C. Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes und Sonderkonstellationen
259
soluter Schutz in Form eines Auskunftsverweigerungsrechts zuteil wird665. Dieser Erst-Recht-Schluss entspricht zwar den gesetzlichen Wertungsprämissen zur Rangfolge der betroffenen Rechtsgüter, wie sie das BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss666 zum Ausdruck gebracht hat667, übersieht aber, dass der Schutz des Beschuldigten vor einem Selbstbelastungszwang in dieser Situation bei der Bewertung keine Rolle spielt, weil es an dem erforderlichen Spannungsverhältnis zwischen erzwingbarer Auskunftspflicht und der Selbstbelastungsfreiheit fehlt. Die Ausgangslage bei einer erzwingbaren Auskunftspflicht, die die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes rechtfertigt, kann daher nicht als Argument für eine Konstellation herangezogen werden, in der eine entsprechende Zwangssituation objektiv gar nicht existiert. Liegt ein subjektiver Irrtum auf Seiten des Arbeitnehmers vor, der seinen Ursprung ausschließlich in dessen Sphäre findet, kann dies an der Verwertbarkeit dieser Aussage nichts ändern. Vor derartigen Irrtümern bietet die Rechtsordnung keinen Schutz668. Differenzierte Betrachtung verdient aber die Situation, in welcher der subjektive Irrtum des Betroffenen von Dritten herrührt, die nicht dem Lager des Mitarbeiters zuzuordnen sind. Gemeint sind damit zunächst Irrtumsfälle, in denen das Unternehmen unwissentlich das Vorliegen einer tatsächlich nicht bestehenden Aussagepflicht behauptet, beispielsweise weil das Unternehmen von der Existenz einer Gefahr ausgeht, die durch die Aussage des Mitarbeiters abgewendet werden soll. Für die Maßgeblichkeit der subjektiven Vorstellung des Betroffenen in dieser Lage spricht auf den ersten Blick die Regelung der entsprechenden Konstellation im Verwaltungsrecht bei Vorliegen einer Anscheinsgefahr669 : Wird der Betroffene von den zuständigen Beamten zur Aussage verpflichtet, um eine subjektiv vorgestellte, aber tatsächlich nicht existierende Gefahr abzuwehren, kann er sich dieser Inanspruchnahme vor dem Hintergrund einer effektiven Gefahrenabwehr nicht verweigern. Die irrtümliche Aussage des Betroffenen unterliegt aber auf der Ebene der Beweisverwertung einem Beweisverwertungsverbot, das sich in dieser Situation nun tatsächlich im Wege eines Erst-Recht-Schlusses begründen lässt: Denn wenn schon ein Bewertungs- bzw. Beweisverwendungsverbot bei Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr besteht670, muss dies erst recht gelten, wenn ein Nichtverantwortlicher zu einer Aussage verpflichtet wird. In beiden Fällen beruht das Beweisverwertungsverbot auf der objektiv vorliegenden Zwangssituation, die aus der staatlichen Inanspruchnahme resultiert und unabhängig vom Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr besteht. Hierin zeigt sich aber zugleich auch der wesentliche Unterschied zur unternehmensinternen Befragungssituation, in der sich 665
Vgl. Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 306. BVerfGE 56, 37. 667 Siehe hierzu oben S. 209 ff. 668 Ebenso Jahn, StV 2009, 41 (45); siehe auch Park, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11 Rn. 11. 669 Siehe hierzu oben S. 233 ff. 670 Siehe hierzu die Ausführungen oben S. 205 ff. 666
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
der Betroffene einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts gegenübersieht, insofern ein staatlicher Aussagezwang nicht besteht, bzw. nur dann anzunehmen ist, wenn die unternehmensseitige Behauptung einer Aussageverpflichtung auch tatsächlich zutrifft. Denn nur in diesem Fall ist sie gerichtlich vollstreckbar, wodurch der privatrechtlichen Streitigkeit ihr staatlicher Charakter verliehen wird671. Ist somit objektiv eine Aussageverpflichtung zu verneinen, fehlt es damit in dieser Situation zugleich an einem Anknüpfungspunkt für ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot. Der Arbeitnehmer ist dabei nach der hier vertretenen Sichtweise nicht schutzlos gestellt. Schließlich obliegt es nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen dem Unternehmen das Vorliegen einer Aussageverpflichtung darzutun. Arbeitnehmern ist daher anzuraten, sich bei Zweifeln über eine Aussageverpflichtung auf ihr Schweigerecht zu berufen und das Unternehmen auf den Klageweg zu verweisen672. Gegen diese Sichtweise lässt sich auch nicht anführen, dass eine effektive Gefahrenabwehr aus der Sicht des Unternehmens vereitelt oder jedenfalls unzumutbar erschwert wird. Denn im Gegensatz zu den typischen Fällen des klassischen Polizeirechts, die nach der Gefahrenprognose auf der primären Handlungsebene ein sofortiges behördliches Einschreiten verlangen und hierfür einer Informationsgrundlage bedürfen, gibt die Gefahrenlage des Unternehmens regelmäßig keinen Anlass zum sofortigen Eingreifen. Dem Unternehmen kann im Regelfall zugemutet werden, über die Einschaltung der zuständigen staatlichen Stellen die Aussagepflicht des Mitarbeiters feststellen zu lassen. In Fällen besonderer Dringlichkeit bietet das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichend Gewähr, einem (berechtigen) Informationsbedürfnis gerecht zu werden. Geht es um eine akute Gefahr für Leib und Leben anderer Mitarbeiter, erfolgt die Informationsgewinnung wegen der präventiven Gefahrenlage schließlich durch die für die Gefahrenabwehr zuständigen staatlichen Stellen selbst673.
II. Verwertbarkeit bei Auskunftserteilung infolge einer Täuschung oder unzulässigen Drohung Eine Sonderkonstellation liegt vor, wenn der Irrtum des Arbeitnehmers durch eine vorsätzliche Täuschung hervorgerufen wurde, das Unternehmen also wider besseres 671
Einzelheiten oben S. 212 ff. und 215 ff. Da es nach hier vertretener Auffassung maßgeblich auf das Bestehen einer objektiven Zwangslage ankommt, ist es nicht ausreichend, den Arbeitnehmer lediglich schriftlich erklären zu lassen, dass er seine Angaben „nur unter Berücksichtigung der Erzwingbarkeit sowie zur Abwendung sonst drohenden Zwanges“ tätigt. So aber Dann, CCZ 2010, 239 (240); Böhm, WM 2009, 1923 (1929) sowie Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 307. 673 Vgl. zu den entsprechenden Regelungen bereits oben S. 205 ff. 672
C. Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes und Sonderkonstellationen
261
Wissen den Arbeitnehmer zu einer Aussage verpflichtet hat674. In diesem Zusammenhang kommen auch Amnestiezusagen675 seitens des Unternehmens eine besondere Rolle zu, nämlich dann, wenn durch eine entsprechend formulierte Amnestiezusage des Unternehmens bei dem Mitarbeiter der Eindruck entsteht, dass das unternehmensseitig offerierte Angebot nicht nur eine arbeitsrechtliche Amnestie beinhaltet, sondern auch vor einer staatlichen Strafverfolgung schützt676. Unabhängig davon, ob man ein entsprechendes Vorgehen als Täuschungsverhalten einordnet oder hierin das Versprechen eines unzulässigen Vorteils erblickt, wäre staatlichen Vernehmungsorgane ein solches Vorgehen nach § 136a Abs. 1 StPO untersagt und in der Folge mit einem zwingenden Beweisverwertungsverbot (§ 136a Abs. 3 StPO) behaftet. Für die unternehmensinternen Ermittler besitzen die strafprozessualen Vorschriften jedoch keine Bindungswirkung, weshalb Aussagen und Geständnisse gegenüber Privatpersonen auch dann stets verwertbar sind, wenn sie ohne amtlichen Auftrag unter Verwendung von Mitteln, die staatlichen Organen der Rechtspflege nach § 136a StPO verboten sind, erlangt wurden677. Nach oben Gesagten erscheint diese Sichtweise konsequent, weil es in Ermangelung einer objektiv gegebenen Erzwingbarkeit der selbstbelastenden Auskünfte an dem entscheidenden Anknüpfungspunkt für ein selbstständiges Beweisverwertungsverbot fehlt und die Täuschungshandlung der privaten Sphäre entstammt. Allerdings könnte nach der inzwischen ganz herrschenden Meinung678 in einer solchen Konstellation ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot nach § 136a Abs. 1, 3 StPO (analog) eingreifen, wenn das Täuschungsverhalten der unternehmensinternen Ermittler den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zugerechnet werden kann. Diesbezüglich wurde jedoch bereits herausgearbeitet, dass es bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen an einem entsprechenden Zu-
674 Zu Recht wird diesbezüglich allerdings darauf hingewiesen, dass der Begriff der Täuschung von erheblicher Unschärfe gekennzeichnet ist und einer besonderen Würdigung bedarf, vgl. Rübenstahl, WiJ 2012, 17 (31) mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung. 675 Zur Anwendung von Amnestieprogrammen bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen siehe oben S. 77 ff. 676 Zwar geht der BGH davon aus, dass bei Privatermittlungen die irreführende Zusicherung der Vertraulichkeit nicht zwingend eine Täuschung darstellen muss, vgl. BGH NStZ 2011, 596 (597). Die Zusicherung der Vertraulichkeit einer Information kann jedoch nicht mit der Situation gleichgesetzt werden, in der die Aussage des Arbeitnehmers durch umfassende und rechtlich weitreichende Zugeständnisse des Arbeitgebers in Form eines Amnestieangebots „erkauft“ wird. Die Grenze zu einer Täuschung wird daher schnell erreicht. Um einen entsprechenden Vorwurf zu entgehen, sollten die Fragepersonen daher die genaue Reichweite betrieblicher Amnestieprogramme vor der Befragung offenlegen. Ähnlich auch Gercke, in: FS für Wolter (2013), 931 (935). 677 Diemer, in: KK-StPO, § 136a Rn 3; OLG Oldenburg NJW 1953, 1237. 678 BGHSt 34, 39 (52) = StV 1986, 324; 44, 129 (134) m. Anm. Roxin, NStZ 1999, 147 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 401; Diemer, in: KK-StPO, § 136a Rn. 4.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
rechnungstatbestand regelmäßig fehlen wird, weil kein funktionaler Einsatz der internen Ermittler durch die Strafverfolgungsbehörden vorliegt679. Das Fehlen einer unmittelbaren Zurechnung des privaten Verhaltens, die letztlich die Ebene der Beweiserhebung berührt und nur als dessen Konsequenz auf die Beweisverwertung ausschlägt, bedeutet jedoch nicht, dass eine staatliche Verantwortlichkeit auf der Verwertungsebene vollständig ausgeschlossen ist. Vielmehr folgt aus dem Nichtvorliegen eines funktionalen Einsatzes der Privatperson nur, dass in dem Verhalten des Privaten kein Anknüpfungspunkt für ein staatliches Beweisverwertungsverbot liegt, weil dieser eigeninitiativ und unabhängig vom Staat gehandelt hat680. Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob nicht das staatliche (Nicht)Handeln auf der Ebene der Beweisverwertung respektive die bewusste Ausnutzung einer privaten rechtswidrigen Vorgehensweise die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes gebietet. Wenn in der Literatur eine entsprechende Anwendung des § 136a StPO im Zusammenhang mit der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen speziell für den Fall eingefordert wird, dass sich „der Staat in Gestalt der deutschen Strafverfolgungsbehörden aus seiner Verantwortung für die Ermittlungen vollständig oder jedenfalls angesichts der Offizialmaxime amtspflichtwidrig verabschiedet und sie im Inland der durch Täuschung, unzulässigen Zwang oder Drohung geprägten Aufklärungsarbeit von Privatpersonen überläßt“681, verdient dies jedenfalls bezüglich des Anknüpfungspunktes der staatlichen Pflichtverletzung Zustimmung. Die Unbefugtheit des Staates zur Verwertung des Beweismittels leitet sich nach dieser Sichtweise aus dem intendierten Vorwurf der Preisgabe rechtsstaatlicher Garantien682 ab, die in dem Merkmal der Amtspflichtverletzung ihre notwendige normative Verankerung als Zurechnungskriterium findet. Es greift daher zu kurz, diese Ansicht in Bezug auf unseren Untersuchungsgegenstand mit dem Argument abzulehnen, dass es mit Blick auf die Konzeption des Strafverfahrensrechts an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung einer analogen Anwendung der beweisrechtlichen Normen fehle683. Schließlich ist nach 679
Eingehend hierzu oben, S. 87 ff., 111 ff. Aus diesem Grunde bleiben auch Verstöße gegen materielle Strafvorschriften (insb. § 240 StGB, § 132 StGB) bei der Befragung grundsätzlich ohne Einfluss auf die Verwertbarkeit von auf diese Weise erlangten Aussagen im Strafprozess, wenn es an einer Zurechnung des privaten Verhaltens zu den staatlichen Behörden fehlt. Hierfür spricht insbesondere, dass sich die Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsnormen ausschließlich an die Strafverfolgungsbehörden richten. In der Verwertung des vorhandenen Beweismittels liegt schließlich auch keine Billigung der vorangegangenen Beweisbeschaffung. Vgl. zur insoweit ganz h.M. BVerfG v. 09. 11. 2010 („Lichtenstein“) = NStZ 2011, 103 ff.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. vom. 24. 02. 2014 = wistra 2014, 240 (244); Kaspar, GA 2013, 206 (220); Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 136a Rn. 3. 681 Jahn, StV 2009, 41 (45). 682 Vgl. Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 78. Siehe auch Bung, ZStW 125 (2013), 537 (547), der in diesem Zusammenhang im Besonderen auf die (staatliche) Pflicht zur Einhaltung des Instrumentalisierungsverbotes verweist. 683 Zur entsprechenden Kritik statt vieler Reeb, Internal Investigations, S. 121. 680
C. Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes und Sonderkonstellationen
263
dem inhaltlichen Kern der sogenannten Beweisbefugnislehre684 eine analoge Heranziehung des Beweisverwertungsverbotes nach § 136a StPO zwar mit Blick auf die inhaltliche Ausgestaltung der Vorschrift naheliegend, aber keinesfalls notwendig. Maßgeblicher normativer Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes kann nämlich nur die Amtspflichtverletzung der Strafverfolgungsbehörden sein685. Es geht im Kern also nicht um die Frage, inwieweit die Voraussetzungen einer Analogie vorliegen, was man de lege lata wohl auch bestreiten muss686, sondern darum, ob die Strafverfolgungsbehörden die ihnen zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß ausgeübt haben oder aber ein Fehlverhalten vorliegt, das dazu führt, dass die wesentlichen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht mehr erfüllt sind687. Diese entscheidende Wertungsprämisse entspricht im Übrigen der Sichtweise des BGH im bereits dargelegten Wahrsagerinnenfall688 : Auch hier hat der BGH eine Zurechnung im Sinne einer staatlichen 684
Zur Konzeption der Beweisbefugnislehre Jahn, Gutachten zum 67. DJT 2008, S. C 102 ff.; ders., JuS 2005, 1057 (1058); siehe auch Gaede, StV 2004, 46 (52 ff.); Joerden, JuS 1993, 927 (928) sowie jüngst Bung/Huber, in: FS für Beulke (2015), 655; Jahn/Kirsch, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 33 Rn. 77 ff. 685 Das hier als wesentlich ausgemachte Merkmal der Amtspflichtverletzung kommt in dieser Form aber nur bei Jahn, StV 2009, 41 (45) im vorgenannten Zitat deutlich zum Ausdruck (siehe aber auch zuvor ders., in: JuS 2005, 1057 (1058) sowie in: Hegmanns/Scheffler (Hrsg.), Handbuch zum Strafverfahren, Kap. II Rn. 269.). In Ansätzen auch Kottek, Die Kooperation von deutschen Unternehmen mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC, S. 133 sowie Bung/Huber, in: FS für Beulke (2015), 655 (668), die ein Verwertungsverbot jedenfalls dann annehmen möchten, wenn das Vorgehen der Ermittler den Freiheitsraum des Beschuldigten verletzt. Vielfach wird für eine horizontale Drittwirkung der Vorschrift des § 136a StPO aber bereits ein materiell-rechtswidriges Verhalten des Privaten als ausreichend angesehen, vgl. etwa Gaede, StV 2004, 46 (52 ff.) sowie Joerden, JuS 1993, 927 (928); Lesch, in: KMR-StPO, § 136a Rn. 10, wohl auch Park, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11 Rn. 111 für den Fall einer bewussten Täuschung der privaten Auskunftsperson. Gegen diese Sichtweise spricht aber systematisch, dass sich die Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsvorschriften ausschließlich an die Strafverfolgungsbehörden richten. 686 So auch Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozess, S. 99; Godenzi, Private Beweisbeschaffung, S. 189. 687 Das Erfordernis einer Amtspflichtverletzung verlangt letztlich auch das BVerfG. In der viel beachteten Entscheidung zum Ankauf einer rechtswidrig erlangten Steuer-CD betonte der Senat, dass nicht jeder Verfahrensverstoß die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes rechtfertige, sondern es eines schwerwiegenden Verstoßes bedürfe, bei dem die „grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden“, vgl. BVerfG v. 09. 11. 2010 („Lichtenstein“) = NStZ 2011, 103 ff. Siehe auch jüngst VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. vom 24. 02. 2014 = wistra 2014, 240 (245), wonach die konkrete „Involvierung staatlicher Behörden“ in den Ankaufsprozess der Steuer-CDs entscheidend für deren Verwertbarkeit sei. Die Entscheidungen stellen zugleich eine Bestätigung der hier befürworteten Sichtweise dar, wonach das bloße Setzen eines einfachen Anreizes (dort: Ankauf von Steuer-CDs, hier: Bonusregelungen im Compliance-Bereich) für eine Zurechnung des privaten Vorgehens auf Beweisebene unzureichend ist. Für eine Übertragbarkeit der darlegten Beweisbeschränkungen aus der Rechtsprechung auf interne Ermittlungen nun auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 400. 688 Vgl. die Ausführungen oben S. 103 ff.
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
Verantwortlichkeit nicht aus dem funktionalen Einsatz einer Privatperson hergeleitet, sondern wesentlich an die Verletzung einer rechtsstaatlichen Pflicht angeknüpft689. Ob eine entsprechende Amtspflichtverletzung vorliegt, kann nur im Einzelfall auf Grundlage der Pflichtenstellung der Staatsanwaltschaft entschieden werden, zu deren Inhalt bereits eingehend Stellung genommen wurde690. Bei Anlegung der erarbeiteten Maßstäbe wird ein Beweisverwertungsverbot jedenfalls dann vorliegen, wenn die Vernehmung von Mitarbeitern den privaten Ermittlern überlassen wird, obwohl die Strafverfolgungsbehörden Anhaltspunkte dafür besitzen, dass die Informationsgewinnung durch Täuschung, unzulässigen Zwang oder Drohung gefördert werden soll691, beispielsweise weil die Behörde Kenntnis von einem rechtlich unzulässigen Amnestieprogramm hat. Beurteilt man das Bestehen eines Verwertungsverbotes nach den dargelegten Grundsätzen, trägt man schließlich der bereits zu Beginn der Arbeit festgestellten, zunehmenden Privatisierung des Strafverfahrens und der damit verbundenen Machverschiebung zulasten des Beschuldigten eines Strafverfahrens Rechnung. Mit Blick auf die Herleitung des Beweisverwertungsverbotes erscheint es indes zielführender, dieses nicht an einer analogen Anwendung des § 136a StPO festzumachen, sondern mit der Verletzung des Fairnessgebots692 zu begründen. Den besonderen beweisrechtlichen Aussagen des § 136a StPO kommen als grundlegende gesetzliche Wertungsprämissen bei der Beurteilung der Einhaltung der Grundsätze des fairen Verfahrens in entsprechenden Konstellationen aber freilich eine besondere Rolle zu693.
III. Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes Schließlich steht die Frage im Raum, inwieweit dem auf Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG gestützten selbstständigen Beweisverwertungsverbot im Falle einer Aussageverpflichtung auch eine Fernwirkung attestiert werden muss, die strafprozessual unverwertbaren Auskünfte also auch nicht als Ansatzpunkt weitergehender staatlicher Ermittlungen fruchtbar gemacht werden dürfen694. Das BVerfG hat diese grundle689
Vgl. BGHSt 44, 129 (136 ff.): „Erfüllen staatliche Behörden diese Verpflichtung nicht […], so ist ihnen das Verhalten ihrer Informanten zuzurechnen“. 690 Eingehend zur Pflichtenstellung der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Durchführung unternehmensinterner Befragungen oben S. 138 ff. 691 Zustimmend Kaspar, GA 2013, 206 ff.; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 136a Rn. 3. 692 Zum Fairnessgebot siehe oben S. 158 ff., 164. 693 Im Ergebnis ähnlich Pfordte, in: FS Strafverteidigung im Rechtsstaat, 740 (754 ff.); siehe auch Gleß, in: LR-StPO, § 136a Rn. 12 sowie Bung/Huber, in: FS für Beulke (2015), 655 (669). 694 Instruktiv zur Problematik der Fernwirkung von Verwertungsverboten Roxin/Schünemann, StPO, § 24 Rn. 59 ff. m.w.N.
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gende Entscheidung im Rahmen des Gemeinschuldnerbeschlusses ausdrücklich offen gelassen und deren Beantwortung dem Gesetzgeber überlassen695. Der deutschen Rechtstradition ist die Annahme einer Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten fremd. Der Grundsatz der Ausforschung der Wahrheit als Grundlage eines gerechten Urteils verlangt eine restriktive Handhabung von Beweismittelausschlüssen. Seitens der Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang einmütig vorgetragen, dass der Ausschluss eines Beweismittels nicht ohne weiteres dazu führen darf, dass das gesamte Strafverfahren lahm gelegt wird und daher Beweisverwertungsverboten im Grundsatz keine Fernwirkung zukommt696. Im Schrifttum mehren sich zwar die Stimmen, die diesen Grundsatz jedenfalls in seiner Absolutheit anzweifeln, ein einheitlicher Bewertungsmaßstab konnte aber auch hier noch nicht entwickelt werden697. Die überwiegenden Ansätze tendieren dazu, die Friktion der erforderlichen Wahrheitserforschung und der Gewährleistung rechtsstaatlicher Garantien in ihrer konkreten Ausformung als Verwertungsverbote durch eine abwägende Betrachtung im Einzelfall aufzulösen698. Dieser Lösungsansatz verdient jedenfalls in der hier zu beurteilenden Konstellation Zustimmung, da vorliegend kein unselbstständiges, sondern ein selbstständiges Beweisverwertungsverbot in Rede steht, dessen Existenz sich nach einhelliger Meinung erst als Resultat einer umfangreichen Abwägung der Individualinteressen des Beschuldigten und der staatlichen Strafverfolgung darstellt699. Mithin liegt es nahe, auch die Fernwirkung dieses Beweisverwertungsverbotes im Wege einer Abwägung zu ermitteln700.701 Folgt man dieser Überlegung, wird bei einer Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit eine Fernwirkung regelmäßig zu bejahen sein702. Im Falle unterneh695
BVerfGE 56, 37 (51). Vgl. etwa BGHSt 22, 129 (135); 27, 355 (358); 32, 68 (71); 35, 32 (34); 34, 362 (364); siehe auch Senge, in: KK-StPO, vor § 48 Rn. 45 ff. 697 Einzelheiten bei Jahn, Gutachten für den 67. DJT 2008, S. C59 ff. 698 Vgl. zu den sog. „Abwägungslehren“ Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 408; Rogall, in: SK-StPO, § 136a Rn. 109 jeweils m.w.N. 699 Vgl. Rogall, in: SK-StPO, § 136a Rn. 109 jeweils m.w.N. 700 Ebenso zuvor bereits Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 310 ff. 701 Soweit davon ausgegangen wird, dass bei Bestimmung der Reichweite eines Beweisverwertungsverbotes hypothetische Kausalverläufe im Hinblick auf eine anders geartete Beweiserlangung der Strafverfolgungsbehörden berücksichtigt werden müssen, sind diese Teil der Abwägung (vgl. zum entsprechenden Vorgehen bei der Bestimmung des Beweisverwertungsverbotes Schröder, Beweisverwertungsverbote, S. 72 ff.). Unbesehen der grundsätzlichen Kritik, der sich hypothetischen Instituten ausgesetzt sehen, ist aber jedenfalls bei der hier in Rede stehenden Problematik die Einbeziehung eines „hypothetischen Ersatzeingriff“ höchst zweifelhaft, da es an tragfähigen Grundsteinen für eine Hypothesenbildung fehlt. So stellt sich bereits die Frage, mit welcher personellen Ausstattung die Strafverfolgungsbehörden das deliktische Verhalten untersucht hätten und ob taktische Überlegungen des Unternehmens – bspw. im Hinblick auf eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden – eine Rolle spielen müssen. 702 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 408. 696
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4. Kap.: Grenzen unternehmensinterner Befragungen
mensinterner Befragungen gilt das wegen der Addition privater und staatlicher Ermittlungen ganz besonders703 : Liegt eine erzwingbare Auskunftspflicht des Arbeitnehmers vor, kann ein Verwertungsverbot die grundrechtlich geschützte Selbstbelastungsfreiheit nur dann umfassend gewährleisten, wenn dieses Verbot zugleich mit einer Fernwirkung ausgestattet ist704. Das vom BVerfG im Gemeinschuldnerbeschluss formulierte Schutzziel, wonach der Beschuldigte durch seine Auskunftspflicht nicht schlechter stehen soll, als andere Beschuldigte im Strafverfahren705, bliebe unerreicht, wenn die Strafverfolgungsbehörden wegen des Eingreifens eines Beweisverwertungsverbotes zwar nicht die unmittelbare Aussage des Arbeitnehmers berücksichtigen dürften, diese aber zugleich als Ansatzpunkt weiterer Ermittlung nutzen könnten706. Bezugspunkt des Verwertungsverbotes und der Fernwirkung ist daher richtigerweise auch nicht die im Rahmen eines Protokolls verkörperte, gegenständliche Aussage eines Arbeitnehmers, sondern die illegal erlangte Information als Ganzes707. Im Falle unternehmensinterner Ermittlungen bedarf dies besonderer Beachtung, weil hier regelmäßig umfangreiche Informationssammlungen stattfinden, die bei entsprechender Spurenlage eine ganz Flut an Anhaltspunkten hervorbringen708.
D. Ergebnis Unternehmensinterne Befragungen von Mitarbeitern tangieren strafverfahrensrechtliche Grundsätze, woraus sich Handlungspflichten für die staatlichen Organe ergeben. Die zuständigen Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, unternehmensintern ermittelte Erkenntnisse in das staatliche Ermittlungsverfahren einzubinden, um den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen. Der Beschlagnahme von 703
Vgl. Theile, StV 2011, 381 (386). Zustimmend Böhm, Non-Compliance und Arbeitsrecht, S. 160; ders., WM 2009, 1923 (1929); Wastl/Litzka/Pusch, NStZ 2009, 68 (73); Theile, StV 2011, 381 (385 ff.: „nachwirkendes Beweisverwertungsverbot“); Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 310 ff.; Kasiske, NZWiSt 2014, 262 (267); Lenze, Compliance, S. 180 ff.; Greco/Caracas, NStZ 2015, 7 (15 ff.); Rotsch, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1, Kap. 4 Rn. 61. Andere Ansicht dagegen Bittmann/Molkenbur, wistra 2009, 373 (378); Dingeldey, NStZ 1984, 529 (532); Bittmann, in: Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance, § 34 Rn. 152; Park, in: Volk (Hrsg.), MAH Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 11 Rn. 110. 705 BVerfGE 56, 37 (50). 706 Diese Sichtweise entspricht auch der Wertung des Gesetzgebers, der in Umsetzung des Gemeinschuldnerbeschlusses des BVerfG in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO folgerichtig ein Beweisverwendungsverbot geschaffen, damit „auch solche Tatsachen nicht verwertet werden [dürfen], zu denen die Auskunft den Weg gewiesen hat“ (BT-Drucks. 12/2443, S. 142). Eingehend hierzu Rödiger, Strafverfolgung von Unternehmen, S. 311. 707 Allgemein zum Gegenstand von Verwertungsverbot und Fernwirkung Ransiek, in: FS für Beulke (2015), 949 (954 ff.). 708 Ähnlich Theile, StV 2011, 381 (386); siehe auch Lenze, Compliance, S. 181. 704
D. Ergebnis
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entsprechenden Unterlagen kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Geschützt und beschlagnahmefrei sind sogenannte Verteidigungsunterlagen. Ansonsten besteht ein Beschlagnahmeverbot nur für Unterlagen, die unmittelbar der anwaltlichen Tätigkeit entspringen. Wegen der Gefahr einer interessenbasierten Beweistrübung sind die Strafverfolgungsbehörden – insbesondere bei einer freiwilligen Übergabe der Unterlagen im Zuge einer Kooperation – verpflichtet, entscheidungstragende Umstände eigenständig aus- bzw. nachzuermitteln und die vorhandenen Beweismittel unter Berücksichtigung ihrer Herkunft sowohl im Ermittlungsverfahren als auch auf der Ebene der Urteilsfindung umsichtig zu würdigen. Damit einher geht eine besondere Transparenz- und Dokumentationspflicht. Den Grundsätzen des fairen Verfahrens ist durch entsprechende Hinweise seitens der Behörden und ein umfassendes Akteneinsichtsrecht verbunden mit der Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung zu tragen. Verstöße der staatlichen Strafverfolgungsbehörden gegen die dargelegten Rechtsgrundsätze können zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Die Rechte und Pflichten des Unternehmens und des Arbeitnehmers bei der Durchführung unternehmensinterner Befragungen resultieren hingegen aus deren privatrechtlicher Beziehung. Der beschuldigte Arbeitnehmer besitzt auch gegenüber seinem Arbeitgeber ein umfassendes Schweigerecht, wenn er sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst einer Straftat bezichtigen muss. Ausnahmen von diesem Grundsatz setzen ein besonderes Informationsbedürfnis des Arbeitgebers voraus. Eine derartige Informationsberechtigung kann nur aus einer Gefahrenlage für das Unternehmen resultieren, wenn die Aussage des Mitarbeiters für die Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Entgegen der herrschenden Meinung sind staatliche Sanktionen und Sanktionsdrohungen in diesem Zusammenhang nicht geeignet, eine derartige Gefahrenlage zu begründen. Die Selbstbelastungsfreiheit des beschuldigten Mitarbeiters kann auch auf arbeitsrechtlicher Ebene nicht von der Geltendmachung eines staatlichen Strafverfolgungsinteresses abhängen. Besteht ausnahmsweise eine Auskunftsverpflichtung des Mitarbeiters, unterliegen die Aussageninhalte einem selbstständigen Beweisverwertungsverbot, dem zum Schutz der Selbstbelastungsfreiheit auch eine Fernwirkung zukommt. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und datenschutzrechtliche Vorgaben verlangen einen Ausgleich der unterschiedlichen Kräfteverhältnisse im konkreten Frageprozess. Der Arbeitgeber ist hiernach zu einer umfassenden Aufklärung und Belehrung des Arbeitnehmers verpflichtet, die auch die Offenlegung der Verwendung und eine mögliche Weitergabe der Befragungsinhalte an staatliche Stellen miteinschließt. Verstöße gegen diese privatrechtlich begründeten Pflichten haben jedoch de lege lata keine Auswirkung auf eine Verwertbarkeit der Befragungsinhalte im Strafprozess. Eine Unverwertbarkeit der Befragungsinhalte ist aber gegeben, wenn die Aussagen des Mitarbeiters infolge einer Täuschung oder einer unzulässigen Drohung erlangt werden und hierzu korrespondierend eine das Vorgehen der privaten Investigateure begünstigende Amtspflichtverletzung der zuständigen Stellen vorliegt.
Schlussbetrachtung Der Transfer von Erkenntnissen aus unternehmensinternen Untersuchungen in staatliche Strafverfahren beeinflusst diese maßgeblich. Polizei und Staatsanwaltschaften verschafft es mitunter erst die für eine Anklageerhebung notwendige Beweismittelbasis. Die vorliegende Untersuchung zur internen Befragung von Mitarbeitern legt den repressiven Charakter dieser Maßnahmen offen und zeigt, dass sie grundsätzlich wesensgleich mit staatlichen Vernehmungen sind. Zugleich beweist sie, dass Befragungen im Rahmen einer „Internal Investigation“ mit den geltenden strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen vereinbar sind. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn es – wie in der Praxis zunehmend üblich – eine Kooperation zwischen Unternehmen und Strafverfolgungsbehörden gibt. Die Einbindung privater Unternehmen und ihrer Sicherheits- und Prüfungsinstitutionen in staatliche Ermittlungsverfahren führt keineswegs zur automatischen Preisgabe rechtsstaatlicher Garantien. Die neuen Formen von Ermittlungen verpflichten aber die Strafverfolgungsbehörden in besonderer Weise die Rechte von Beschuldigten zu schützen. Daher greift es zu kurz, interne Ermittlungen als „Outsourcing“ staatlicher Pflichten und reine Arbeitserleichterung für Staatsanwaltschaften abzutun. Sicherlich ergeben sich in einer immer komplizierter werdenden globalisierten Wirtschafts- und Arbeitswelt durch die Inpflichtnahme Privater und deren Einbindung in das staatliche Ermittlungsverfahren auch arbeitsökonomische Gesichtspunkte für die Strafverfolgungsbehörden. Dem stehen aber die Pflicht zur umsichtigen Würdigung privat beigebrachter Beweismittel und die Pflicht zu angemessenen Nachermittlungen gegenüber. Damit einher gehen erhöhte Dokumentationspflichten mit dem Ziel größtmöglicher Transparenz. So setzt sich eine Tendenz fort, die unser Strafverfahren in jüngster Zeit zunehmend bestimmt. Wir haben daher nur vordergründig, nicht aber tatsächlich eine Aufgabenverlagerung auf Private, sondern schlicht andere Schwerpunkte bei der eigenen Aufgabenwahrnehmung der Strafverfolgungsbehörden. Diesem Paradigmenwechsel muss staatlicherseits Rechnung getragen werden. Dazu muss man nicht neuen Rechtsvorschriften das Wort reden. Bedeutsamer ist es, die Justiz und insbesondere die Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Wirtschaftskammern für die Veränderungen bei Ermittlungen zu Wirtschaftsstraftaten zu sensibilisieren, um den Umgang damit rechtsfehlerfrei zu gestalten1. Größere tatsächliche Spielräume werden Ermessensrestriktionen zur Folge haben müssen. Einer zu beobachtenden Rechtsunsicherheit infolge bundesweit unterschiedlicher An1 Die spezielle Schulung von Staatsanwälten, wie sie in einigen Bundesländern bereits praktiziert wird, ist daher höchst begrüßenswert.
Schlussbetrachtung
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wendungspraxis sollte durch Harmonisierung der staatlichen Vorgehensweise begegnet werden2. Gesetzgeberische Aufmerksamkeit erfordert der Bereich interner Ermittlungen und als deren Kernbereich die Befragung von Mitarbeitern. Das Herausbilden eines konkreten Anforderungskatalogs und einheitlicher Maßstäbe bedarf der Förderung durch Rechtsprechung und Gesetzgeber3. Markante Ansätze dazu hat in jüngster Zeit die Arbeitsgerichtsbarkeit im Bereich des Arbeitnehmerdatenschutzes geliefert, eine Entwicklung, die erkennbar fortschreitet und durch die neue EU-Datenschutzgrundverordnung weitere Impulse erhalten wird4. Daneben hat auch die Praxis in bemerkenswerter Weise normative Orientierungsmuster zur herausgebildet, die es zu berücksichtigen gilt5. Die Frage der Verwertbarkeit der Ergebnisse unternehmensinterner Untersuchungen wird deutsche Straf- und Arbeitsgerichte zunehmend beschäftigen. Es sind noch deutlichere Leitlinien zu entwickeln, nach denen die Verwertbarkeit zu beurteilen ist. Bei unternehmensinternen Befragungen muss der Schutz der Selbstbelastungsfreiheit stärker in den Focus rücken. Ihr ist grundsätzlich Vorrang vor der arbeitsrechtlichen Auskunftspflicht einzuräumen. Damit verbunden ist die Belehrung des Mitarbeiters, ohne die Arbeitnehmerrechte oft gar nicht wahrgenommen werden können. Durch Belehrung und Aufklärung und einer Befragung im Beisein eines Anwalts steigt die Wahrscheinlichkeit wahrheitsgemäßer Angaben, was dem tatsächlichen Unternehmensinteresse an einer möglichst objektiven Aufklärung Rechnung trägt. Die Übertölpelung eines Mitarbeiters und Schuldzuweisungen auf niedriger Ebene entsprechen überholtem Denken und sind regelmäßig nicht zielführend. Strafgerichte werden sich im Kontext unternehmensinterner Untersuchungen zunehmend mit dem Recht auf ein faires Verfahren auseinanderzusetzen haben, in diesem Zusammenhang begangene Amtspflichtverletzungen nicht ausgenommen. Der konkreten Beweiswürdigung in Fällen privater Mitwirkung an Ermittlungen kommt dabei besondere Bedeutung zu. Unternehmensinterne Untersuchungen stecken rechtshistorisch noch in den Kinderschuhen. Praxis und Rechtsprechung werden sie weiterentwickeln. Nicht 2 Zu denken wäre beispielsweise an eine entsprechende Regelung in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). In diese Richtung auch Rathgeber, Criminal Compliance, S. 356 ff. 3 Beachtung verdient in diesem Zusammenhang der Vorschlag von Wehnert zur Einführung eines „German Corporate Investigation Kodex“ auf dem 61. Deutschen Anwaltstag 2010, vgl. dazu den Tagungsbericht von Brexl, AnwBl 2010, 489. 4 Aufgrund der am 14. 4. 2016 verabschiedeten Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) gilt ab Mai 2018 in ganz Europa ein einheitliches Datenschutzrecht, das auch Regelungen bezüglich des Erhebens von Daten zur Aufklärung oder Vermeidung von Straftaten enthält. Näher dazu Wybitul, ZD 2016, 105. 5 Ähnlich Theile/Gatter/Wiesenack, ZStW 126 (2014), 803 (804 ff.), die diesbezüglich von einem Prozess der Domestizierung von Internal Investigations sprechen.
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Schlussbetrachtung
nach amerikanischen Compliance-Modellen, die unserem Rechtskreis weitgehend fremd sind, sondern nach bewährten Grundsätzen des deutschen Rechts. Möge diese Arbeit hierzu einen bescheidenen Beitrag leisten.
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Sachwortverzeichnis Abschlussentscheidung 148 Amtspflichtverletzung 138, 260 Anklagemonopol 148 Aufsichtspflicht 30, 35 Auskunftspflicht 191, 200 Befragungsprotokoll 67, 77, 170, 250 Befragungszweck 71, 75, 233 Belehrungspflicht 243 Beschlagnahme 170 Beschlagnahmefreiheit 172, 178 Betriebsrat 256 Beweisverwertungsverbot 258, 264 Beweiswürdigung 155 Bewertungshoheit 148 Blacklisting 53 Bribary Act 50, 52 Code of Conduct 56 Compliance 25, 65 Compliance Officer 34 Criminal Compliance 65 Datenschutz 135, 226 Dokumentation 77, 162 Einsichtnahme 250 Erlaubnistatbestand 135 Ermessen 62 Ermittlungsrecht 125, 132 Ermittlungsverfahren 81 Ermittlungszweck 71, 75, 233 Fairnessgebot 155, 164, 260 Fernwirkung 264 Feststellungen 149, 155 Foreign Corrupt Practices Act 48, 68 Freie Beweiswürdigung 155 Garantenpflicht Geldbuße 35
31
Gemeinschuldnerbeschluss 209, 211, 217 Geschäftsherrenhaftung 30 Gewaltmonopol 124 Grundrechte 124, 207 Haftung 54 Haftungsvermeidung
26
Imageschaden 54 Informationsinteresse 217 Insiderwissen 71 Internal Investigations 67 Interne Untersuchung 1, 21, 67 Interview 77 Immunität 147, 163 Kooperation 62, 83, 116, 161 Korruption 71 Krisenmanagement 60 Legalitätsprinzip
142, 144
Mitarbeiterbefragung 77 Mitarbeiterinterview 77 Mitwirkungspflichten 191, 200 Nebenbeteiligung 173 Nemo tenetur se ipsum accusare
200
Offizialmaxime 139 Ordnungswidrigkeit 36, 37 Outsourcing 140 Prävention 26, 55, 56 Private Ermittlung 67, 111, 124, 139 Privatisierung 1, 65, 264 Rechtsanwalt 136, 246 Rechtsbeistand 136, 246 Repression 55, 65, 233
300
Sachwortverzeichnis
Sanktion 35, 48, 62, 80 Selbstbelastungsfreiheit 200, 219 Staatsanwaltschaft 80, 116, 138, 142, 155,158, 165 Stoßrichtung 71, 75, 233 Strafe 35, 48, 62, 80 Täuschung 92, 260 Transparenzgebot 162 Unmittelbarkeitsgrundsatz 151 Unternehmensinterne Untersuchung 21, 67 Unternehmenskultur 56 Unternehmensstrafrecht 39
Untreue 41 Urteil 149, 155 Verantwortungstransfer 61 Verfall 46 Verhaltenskodex 57 Vermögensabschöpfung 46 Vernehmung 88, 166 Wirtschaftsstrafrecht 27 Wirtschaftsverwaltungsrecht Zulässigkeit
124, 132
205, 233