Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch willentliches Dazwischentreten eines Dritten: Eine dogmengeschichtliche Untersuchung [1 ed.] 9783428488711, 9783428088713


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German Pages 259 Year 1996

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Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch willentliches Dazwischentreten eines Dritten: Eine dogmengeschichtliche Untersuchung [1 ed.]
 9783428488711, 9783428088713

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MICHAEL A. LING

Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch willentliches Dazwischentreten eines Dritten

Schriften zum Strafrecht Heft 108

Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch willentliches Dazwischentreten eines Dritten Eine dogmengeschichtliche Untersuchung

Von

Dr. Michael A. Ling

DUßcker & Humblot · Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ling, Michael A.: Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch willentliches Dazwischentreten eines Dritten : eine dogmengeschichtliche Untersuchung / von Michael A. Ling. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Strafrecht; H. 108) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-08871-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-08871-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Meinen Eltern in Dankbarkeit

"Wer das Bewußtsein hat, unfehlbare Wahrheiten zu besitzen, wird leicht hart." Ludwing v. Bar, Gesetz und Schuld TI, S. 13, Fn. 21

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 1993 vom Fachbereich Rechtsund Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Zu besonderem Dank bin ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Justus Krümpelmann, verpflichtet, der das Thema der Arbeit angeregt und ihre Entstehung mit viel Verständnis und Ermutigung begleitet hat. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Dr. Michael Bock für seine wertvollen Hinweise. Der Lang-Hinrichsen-Stiftung und der Landesgraduiertenförderung sei für die großzügige finanzielle Förderung gedankt. Schließlich seien alle jene nicht vergessen, deren freundschaftlicher Begleitung ich mich erfreuen durfte. Michael Ling

Inhaltsverzeichnis A. Prolegomena.....................................................................

13

I.

Die Grundfrage hinter dem Kausalproblem .....................................

13

11.

Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie ..........................

19

1. Ihre Grundaussage ........................................................

19

2. Ihr Herkommen ...........................................................

22

3. Anmerkung zum philosophischen Hintergrund ...............................

24

Kausalitätsverständnis allgemein: Die zwei Möglichkeiten .......................

28

1. Vorbemerkung: Zum Erfahrungsverständnis ............ . .. . ............. . ...

28

2. Das andere Verständnis von Verursachung .................... . ..............

34

Verursachung im Recht - ein Überblick ........................................

37

B. Die Unterbrechungslehre bei Ludwig v. Bar .......................................

43

I.

Der "Vater der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges"

........

43

11.

Das Programm v. Bars nach den "Grundlagen des Strafrechts"von 1869 ...........

45

III.

Die Entwicklung der Lehre vom Kausalzusammenhang in der gleichlautenden Schrift

III.

IV.

von 1871 ...................................................................

50

1. Das "psychologische System" .......................................... . ...

50

2. Die idealistischen Wurzeln .................................................

51

3. Das Folgeproblem: Die Trennung von Verursachungund Verschulden ..........

54

4. v. Bars Kausallehre - der anthropozentrische Ansatz ..........................

55

5. Einschaltung: Die "Regel des Lebens" ......................................

57

6. v. Bars Kausallehre - Die ,,reflektierende Ursache" ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

60

7. Die Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges .. . . . . . . . . . . . . . . .

62

10

Inhaltsverzeichnis IV.

Die Vertiefung der Kausallehre - die Unterbrechung des Kausalzusanunenhanges als Prinzip ..................................................................... 65

1. Der Anlaß der Arbeit von 1877: Die Konfrontation v. Bars mit der Moderne und den Gegnern .............................................................. 65 2. Die Unterbrechung des Kausalzusanunenhangs als Prinzip .....................

66

Vertiefung und Bestätigung - Das Spätwerk ....................................

69

1. Noch einmal: der Ausgang vom Menschenbild ...............................

69

2. Die Kausallehre des Spätwerkes ........................ . ...................

72

Versuch einer Würdigung .....................................................

75

C. Varianten der Unterbrechungslehre ...............................................

85

V.

VI.

I.

Die Unterscheidung zwischen Unterbrechungslehre und Zurechnungstechnik . . . . . . .

85

11.

Dem Positivgesetz verpflichtet - Die Unterbrechungslehre bei Franz v. Liszt .......

87

III.

Relevanz und Irrelevanz: Max Ernst Mayer ....................................

94

IV.

Zwischenergebnis: Der Lehre von der objektiven Zurechnung entgegen ...........

99

V.

Die Lehre vom Regreßverbotbei ReinhardFrank ........ . ...................... 101

VI.

Menschenbild und Verursachung bei Karl Binding .............................. 106

1. Hinführung ............................................................... 106 2. Handeln und Verursachen in der ersten Auflage des ersten Bandes der ,,Normen"

108

3. Die Freiheit als Ursache der Handlung: Die erste Auflage des zweiten Bandes ... 111 4. Die esoterische Psychologie des Rechts ...................................... 117 5. Die ,,Anerkennung eines schöpferischen Princips in der Welt" ................. 120 6. Zusanunenfassung ........................................................ 124 VII. Im Anschluß an Binding? Die Lehren Birkmeyers und Ortmanns ................. 125

1. Birkmeyers Theorie der wirksamsten Bedingung und der Unterbrechungsgedanke 125 2. Das unterscheidend Menschliche bei Ortmann ................................ 128 VIII. Zusanunenfassung: Die Unterbrechungslehre im Spannungsfeld zwischen Naturkausalismus und Anthropozentrismus ............................................. 131

Inhaltsverzeichnis

11

D. Von der Ursache zum Kausalzusammenhang - zur Vorgeschichte der Unterbrechungslehre ............................................................................ 135 I.

Auf der Suche nach verwandten Gedanken ..................................... 135

11.

Zu den mittelalterlichen deutschen Strafrechten ................................. 137

III.

Die Lehre von der Letalität der Wunden ........................................ 139

IV.

Der Gedanke der Monokausalität .............................................. 142

V.

Pufendorf - Grotius - Thomasius: Freiheit und Zurechnung im Naturrecht ......... 144

VI.

Benedict Carpzov und die Unbeachtlichkeit der causa remota ..................... 150

VII. AnselmFeuerbach ........................................................... 154 VIII. Christoph Carl Stübel ........................................................ 160

1. Grundlagen ............................................................... 160 2. Die Kritik an der Lehre von der Letalität der Wunden ......................... 163 IX.

Auswirkungen.. .. .. .. . .. . . .. . . .. .. .. . . .. .. . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . .. . . . .. . . .. .. 170

1. Die Gesetzgebung ......................................................... 170 2. Die Lehre ................................................................ 173 X.

Die strafrechtlichen Hegelianer.. . . . . .. . . .. . . . .. . . .. .. .. . . .. . . .. . . .. . . . .. . . .. .. 175

XI.

Die Folgen der idealistischen Zurechnungslehre für den Begriff der Verursachung .. 181

1. Reinhold Köstlin .......................................................... 181 2. Heinrich Luden ........................................................... 184 3. Der Unterbrechungslehreentgegen .......................................... 186 XII. Zusammenfassung ........................................................... 191

E. Ansätze zur Deutung ............................................................. 193 I.

Erklären - Verstehen ................................................. .. ...... 193 1. Rückblick ................................................................ 193 2. Erkennen - Erklären - Verstehen .. . . . . .. . . . .. . . .. . . .. . . . . .. .. . . .. . . . .. . . .. .. 194 3. Zur Umsetzung des geisteswissenschaftlichen Ansatzes ....................... 199 4. Die Lehre Bindings und ihre Beeintlussung durch die verstehende Methode ..... 205

12

Inhaltsverzeichnis 11.

Zum "Anfangen einer KausaIreihe" bei Kant .................................... 207 1. Fragestellung ............................................................. 207

2. Materialien ............................................................... 208 3. ,,Anfangen einer Kausalreihe" im Strafrecht ................................. 214 III.

Impulse des Idealismus ....................................................... 224

IV.

Schlußbetrachtung: Ein alter Topos ............................................ 230 1. Zur Beziehung zwischen Verursachen und Verantworten ....................... 230

2. Beschreibung und Zuschreibung ............................................ 234 3. Die Schöpfung im Kleinen oder Über die Isolierung von Systemen ............. 236 4. Anthropozentrismus als Gegenbewegung .................................... 239 5. Eine alte Wurzel .......................................................... 241 Literaturverzeichnis ................................................................. 247

A. Prolegomena

I. Die Grundfrage hinter dem Kausalproblem Die Zurechnungslehre nimmt vom Handlungsbegriff her ihren Ausgangspunkt l . Das hat einen guten Grund. Nicht die verborgenen Gedanken, sondern nur die nach außen in Erscheinung getretenen Handlungen sollen strafbar sein. Sie allein bieten für eine strafrechtliche Ahndung eine sichere, überprüfbare Ausgangsbasis, solange es dem Menschen nicht gegeben ist, die Gedanken des anderen zu lesen. Dieser schon römisch-rechtliche Grundsatz 2 erfüllt eine wichtige rechtsstaatliche Funktion. Die Ausübung staatlicher Gewalt muß nämlich insbesondere dann, wenn sie die in das Leben des einzelnen einschneidende Form der Strafgewalt annimmt, "voraussehbar, vorausberechenbar und meßbar" sein 3 . Bereits Gratian hatte in dieser Frage unmißverständlich Stellung bezogen. Für ihn - und in der Folge dann ganz allgemein für die europäische Rechtstradition - war die Unterscheidung zwischen der Strafbarkeit in der Welt und derjenigen vor Gott zugleich die Begrenzung weltlicher und kirchlicher Macht auf die Regelung des Miteinander. Auch wenn er als Kern der Strafbarkeit den bösen Willen ansah, mußte dieser doch nach außen hin bestätigt worden sein 4 . Schon damals stand hinter dieser Frage ein, wenn man so will, ordnungspolitisches Problem: Wie weit sollte das, was Theologie und Philosophie in ihrem Nachdenken über Schuld und Sünde entwickelt hatten, in das Strafrecht vor dem forum externum Eingang finden? Die Frage war brisant. Und sie stellte sich, anders als heute, vor dem Hintergrund einer durch den Gedanken der einenden Ordnung geprägten Weltsicht. Danach mußte die Definition von Sünde als einer willkürlichen aversio a Deo, wie sie schon Augustinus immer wieder gegeben hatte5 ,auch in die juristische Diskussion gelangen und dort die Frage aufwerfen, ob nicht doch einzig und alleine der böse Wille, der "dolus malus" zu bestrafen sei. Diese Ansicht wurde auch vertreten. Sie läßt sich bei Kirchenvätern ebenso finden wie bei Abaelard 6 • I

2 3

4 5 6

V gl. Radbruch, Handlungsbegriff, S. 72. Vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 127. Vgl. MaunzIDürig-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, § 103, Rn. 104. V gl. dazu ausführlich Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 52. Beispielsweise in: Der freie Wille, lib. 3, 2. Vgl. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 56 f. m.w.N.

14

A. Prolegomena

Dieser war es, der mit seinem Schlüsselbegriffvon der intentio animi einer werkund damit handlungsbezogenen Auffassung des Sündenbegriffes zu begegnen suchte7 und gegen den sich dann der Beschluß des Konzils von Sens im Jahre 1140 richtete, der die theologisch-juristische Diskussion im Sinne einer Unterscheidung von weltlichem und göttlichem Gericht entschied8 . Damit war ein objektivierbares Moment für das Strafrecht festgeschrieben worden. Auf dieser Festlegung baut auch die heutige Zurechnungslehre noch auf. Die Notwendigkeit, von llußeren Strukturen auszugehen, zwingt dazu, "ontologische Gegebenheiten" zu bewerten und mit Rechtsfolgen zu verknüpfen 9 - das tut der Gesetzgeber! und dieses im Tatbestand fixierte "ontolo gische Material" zu analysieren 1 0 - das ist eine Aufgabe der Strafrechtswissenschaft. Strafrechtswissenschaft arbeitet also "objektbezogen" , wenn es darum geht anzugeben, welche Handlung denn strafbar sei, es sei denn, man versteht die Merkmale des Tatbestandes lediglich als Denkanstöße zu einem ungehindert kreativen Wertungsprozeß. Denn die ,,normativ-wertende" Entscheidung bewegt sich im System der Zurechnungslehre. Das aber ist ein falscher Platz, um zur Konstitution von Unrechtstypen zu gelangen l l . Nur als Prllmisse der eigentlichen Zurechnungslehre kann ein ontologisches Material als solches auch wirksam werden: Es ist unser Objekt der Betrachtung. Diese schwebt also entweder im freien Raum, und es ist vorbei mit dem Grundsatz der Bestimmtheit, oder es gelangt über den Handlungsbegriff die komplexe Weltwirklichkeit in Ausschnitten zur Überprüfung auf den Untersuchungstisch des Juristen. Wenn im folgenden also gefragt wird, wie man denn die Aussage, jemand habe etwas - z.B. den Tod eines Menschen - verursacht, verstehen könne oder solle, liegt ein Verstllndnis von Welt zugrunde, in dem es dem einen oder anderen möglich ist, eine solche Ursache zu setzen. So jedenfalls sieht es die lex lata, deren Weltsicht uns die BescMftigung mit dem Problem von Verursachung und Verantwortung aufbürdet 12 • Andere Zurechnungskriterien wie das der Risikoerhöhung an die Stelle dieser normierten Figur des ontologischen Bereichs13 zu stellen, mag durch die oftmals ungenügende Handhabbarkeit des Kausalitätsmerkmals naheliegen 14 . Ein solches Vorgehen distanziert sich aber vom Objekt V gl. Vorländer, Philosophie des Mittelalters, S. 58. . V gl. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 56, und die verurteilten Sätze in: Denzingerl Schönmetzer, 26. Aufi., Nr. 721-739. 9 Vgl. Weizei, GS 103, 340ff., 346. 10 Vgl. Weizei, GS 103,340 ff., 346. 11 V gl. dazu Armin Kaufmann, Die Funktion des Handlungsbegriffs im Strafrecht, in: Strafrechtsdogmatik, S. 21 ff., 32f. 12 V gl. Engisch, Kausalität, S. 4 f. 13 Beispielsweise durch Otto, vgl. z.B. NJW 1980, S. 417 ff., 423. Die Normierung ergibt sich aus dem Gesetz, z.B. § 222StGB, wo gesagt wird, was sich auch durch ein Verb ausdrücken läßt, das ein Tätigwerden in seiner Erfolgsbezogenheit beschreibt, vgl. das Verbum ..töten" in § 212 StGB. 14 Gerade das unechte Unterlassungsdelikt, das Otto, NJW 1980, S. 417 ff., behandelt, legt den Weg 7

8

I. Die Grundfrage hinter dem Kausalproblem

15

der Wertung. Es sieht, recht eigentlich betrachtet, von ihm ab. Damit laufen diese neueren Ansätze quer zur Denk- und Sprachtradition der gegenwärtig herrschenden Dogmatik. Diese muß nach einem so grundlegenden Stellungswechsel "althergebracht" erscheinen 15 • Die Vertreter eines solchen ,,neuen Denkens" berühren damit nicht die Frage, der sich die vorliegenden Seiten zuwenden. Diese geht nämlich dahin herauszufinden, wie dieses Bild von Verursachung aufzuschlüsseln sei. Also nicht, ob ein Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg nötig sei, um wegen des eingetretenen Ereignisses zu bestrafen, sondern was es mit diesem Kausalzusammenhang auf sich hat, soll hier interessieren. Das aber heißt vor allem anderen, daß die Grundannahme des Strafgesetzes, das tatbestandliehe Merkmal des Erfolges müsse sich mit der Handlung des Täters im Verhl1ltnis der Wirkung zu ihrer Ursache befinden, unangetastet bleibt. Folglich findet sich diesbezüglich zwischen dem Blickwinkel dieser Untersuchung und den untersuchten Blickwinkeln kein Wechsel der Paradigmen. Entsprechend bleibt sie hier im besagten ,,Althergebrachten" . Nur, daß es dieses ,,Althergebrachte" im Sinne einer einheitlichen, feststehenden Lehre vom Kausalzusammenhang nicht gibt. Denn mit dem Bekenntnis zur Notwendigkeit eines Kausalzusammenhanges zwischen Handlung und Erfolg als Voraussetzung für eine Bestrafung wegen vollendeter Tat ist noch nicht gesagt, wie dieser Kausalzusammenhang zu beschreiben sei. Für eine solche Beschreibung gibt es zwei Wege, wenn man nicht wiederum am Objekt der Betrachtung vorbeiargumentieren will. Beide Wege müssen zunächst die Ebene des naturkausalen Zusammenhanges begrifflich fassen. Denn wo Erscheinungen betrachtet werden sollen, sind sie in der ihnen eigenen Prozessualität zu begreifen. Wie entsteht das eine aus dem anderen? Dabei ist hier die Problemstellung des modernen Determinismusstreites 16 von untergeordneter Bedeutung. Ob unsere kausalen Erkllirungsmodelle Wirklichkeit abzubilden vermögen, oder ob wir uns hilfreiche GedankenbfÜcken bauen, die uns das Sich-Zurechtfinden im Chaos erleichtern, in jedem Fall bauen wir auf dem Fundament der Kausalerkllirung weiter, weil wir davon ausgehen, daß es unsere Konstruktionen trägt. Was dieses Fundament kann, ist, uns eine Vorstellung von ,,Naturkausalität" zu vermitteln, die funktioniert, d.h., mit der es sich erfolgreich arbeiten läßt. Der erste der beiden Wege, einen Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg zu beschreiben, endet hier. Für ihn gibt es außerhalb dieser empirisch gewonnenen Aussagen über Kausalität nichts mehr, über das sich mit ausreichender Sicherheit etwas sagen ließe. Ob ein Mensch gehandelt hat oder ein Stein gefallen ist, spielt keine Rolle. Es ist die Lösung auf der Basis eines kleinsten gemeinsamen Nenners. Menschen sind ein Teil der Welt der Erscheinungen. der Verallgemeinerung des Risikoerhöhungsgedankens nahe. 15 So Brarnrnsen, Jura 1991, S. 533 ff., 538. 16 Dazu Cassirer, Determinismus und Indeterminismus, S. 11.

16

A. Prolegomena

Daher gelten für sie die Naturgesetze und, jedenfalls in diesem Zusammenhang, weiter nichts. Der zweite mögliche Weg fragt weiter: Ohne Zweifel, daß der Mensch den Naturgesetzen unterworfen ist. Aber genügt das, um ein vollständiges Bild davon zu gewinnen, was es heißt zu sagen, er habe etwas verursacht? Spielt da nicht der Zusammenhang eine Rolle, in dem man den Begriff der Verursachung, der Kausalität verwendet? Dieser zweite Weg strebt also eine Spezifizierung der Aussage an und nimmt zu diesem Zweck zu Hilfe, was an Aussagen über den Menschen bereitliegt: daß er nicht nur ein Naturwesen sei, daß es da vielmehr noch eine andere Ebene gebe, die es zu beachten gelte. Und ganz gleichgültig, welche Aussage jetzt noch folgt, das sichere Terrain der Physik ist damit verlassen. Der zweite Weg denkt und argumentiert metaphsysisch. So steht hinter dem Kausalproblem und den Möglichkeiten seiner Lösung das große Problem, die Frage nach der Trennung der Bereiche von Empirie und Metaphysik oder, für die anderen, die Frage nach der Berechtigung zum Transzendieren oder doch wenigstens zur Zusammenschau um der Lebensbewältigung willen. Heuristik steckt in beiden Ans~Uzen genug: Hier liegt das Merkmal der Unterscheidung sicher nicht. Die Frage aber, die sich stellt, ist die, welcher Weg dem Gegenstand der Betrachtung gerechter wird. Das ist das eigentliche Thema im Streit um die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges. Es steht in den Argumenten, die Befürworter und Gegner austauschen, oft im HiI.1tergrund. Aber wie im großen und immer noch andauernden Streit um den Handlungsbegriff, mit dem auch die Diskussion des Merkmals der Kausalität vielschichtig verbunden ist, kommt es immer wieder an die Oberfläche, zwingt es immer wieder zu dem Bekenntnis, geisteswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich zu argumentieren. Entsprechend wächst oder schwindet die Brisanz des Themas mit dem Wandel in der Wertschätzung empirischer Erkenntnisverfahren auf dem Gebiete der Humanwissenschaften. Wer sich mit der Konstatierung einer ,,starren Notwendigkeit" , eines "geistwidrigen Stoffs" 17 begnügt, begnügt sich auch mit dem Moment von Naturkausalität als der Erklärung dessen, was er als Sequenz der Ereignisse sieht. Wem diese Erklärung nicht genügt, dem wächst der Begriff der Kraft über die mechanistische Deutung hinaus: Für ihn ist Kraft ,,ihrem ontologischen Wesen nach Innerlichkeit" 18 . Er etabliert für den Gedanken der Verursachung einen Ort unter den Instrumenten des Verstehens, an dem er sich in seiner Dialektik erweisen kann, zugleich auto-

17 Die Begriffe stammen von Gadamer, Hermeneutik I, S. 205. Er gebraucht sie als Gegenpole zur Auffassung von geschichtlicher Wirklichkeit bei Ranke. 18 Wie es für Aristoteles' Lehre von den dynameis und für Rankes Bild des Verhältnisses von Freiheit und Kraft gilt, vgl. Gadamer, Hermeaeutik I, S. 210.

I. Die Grundfrage hinter dem Kausalproblem

17

norne Kreativität und stoffliche Gebundenheit auszudrücken 19 . Dabei weist die Stellung dieses Kraftbegriffes in der Ontologie den Kompromiß einer Trennung der Bereiche von Außen und Innen, von der Welt der Erscheinungen und der der Freiheit zurück. Hier folgt nicht auf die Erklärung die Wertung. Hier steht keine objektive Zurechnungslehre modernen Zuschnitts, die einen, wenn man will, ontologischen Befund in Wertungen zuschneidet. Wie aber wäre das vorstellbar, daß der Gedanke einer Kausalität aus Freiheit in eine Begriffsdefinition von Verursachung eingehen könnte, die die naturkausalen Zusammenhänge dennoch nicht leugnet? Das ist die Aufgabe, die die Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges zu bearbeiten sucht. Man darf die Vertreter dieser Lehre deshalb nicht mißverstehen: Wo sie es mit dem theoretischen Ansatz ihres Arbeitens ernst meinen, stehen sie in der unauflöslichen Spannung zwischen Naturerkenntnis und Freiheitslehre. Nur ein Weltverständnis, das beides im Blick hatte, konnte das Bewußtsein einer solchen Antinomie hervorbringen. Deshalb macht es sich die Unterbrechungslehre mit der Unterscheidung von Verursachung und Verschuldung so schwer. Diese Unterscheidung von außenweltlichen und seelischen Elementen des Verbrechens war ja auch ein Produkt des neunzehnten Jahrhunderts, sie war eine Abkehr von der Vorstellung einer Rechtsnorm als einer Bestimmungsnorm, gegen die sich der Mensch durch den intelligiblen Willen auflehnt. Die damit notwendige subjektivistische Begründung des Unrechtsbegriffs läßt den Aspekt der äußeren Rechtsverletzung in den Hintergrund treten 20 • Unrecht und Schuld verschmelzen zur Einheit. Demgegenüber: Wo Recht dazu dient, die in foro externo offenbar werdenden Handlungen des Menschen zu bewerten, trägt das Unrecht den Charakter des Objektiven. Denn der Ordnungsverstoß als Erscheinung ist von seelischen Vorgängen isoliert wahrzunehmen, ihre Kenntnis ist nicht Bedingung für die Feststellung einer von der Norm abweichenden Handlung 21 • Mit dem Sieg der zweiten Auffassung über die erste gewinnt die Trennung von Unrecht und Schuld, von objektiven und subjektiven Merkmalen der Straftat eine so große Bedeutung, daß ein Verstoß gegen dieses Prinzip als unverzeihlich gilt 22 • Es sollte große Mühe kosten, dieses in seiner Dualität erstarrte Bild wieder aufzubrechen. Der Weg führt über die Entdeckung der subjektiven Unrechtselemente bis zum Finalismus23 • Was bleibt, ist die objektivierende Sicht der Verursachung. VgI. dazu Gadamer, Hermeneutik!, S. 210. Adolf Merkel repräsentiert diese Auffassung in ihrer wohl reinsten Form, vgI. seine Kriminalistischen Abhandlungen, Bd. I, S. 42 ff. 21 VgI. dazu ausführlich Mezger, Lehrbuch, S. 163 ff. 22 V gI. v. Liszt, Strafrecht, 2. auft., S. 110, Fn. 1. 23 Eine entscheidende Station dieses Weges ist Mezgers "Die subjektiven Unrechtselemente" , GS 89, S. 207 ff. Hier findet sich zum Thema Unrecht und Schuld auch ein sehr aufschlußreicher dogmengeschichtlicher Überblick (S. 208-239), auf den hier verwiesen sei. Grundlegend für den Finalismus ist Weizeis Schaffen der dreißig er Jahre. V gI. dazu seine spätere Übersicht in: "Das neue 19

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2 Ling

18

A. Prolegomena

Denn durch den Siegeszug der kausalen Handlungslehre, die die Handlung "als Körperbewegung" 24 ,also von ihrem Erscheinungsbild her versteht, tritt der Kausalzusammenhang unmittelbar der Schuld gegenüber: Die beiden Elemente des Verbrechens sind der Kausalzusammenhang und die Schuld25 . Die Erscheinung in foro externo ist für die Etablierung des Kausalzusammenhanges das einzige taugliche Kriterium. Dem Naturalisten in seinem Bestreben, das Recht durch eine quasi-empiristische Betrachtungsweise abzusichern, muß ,,der materielle Erfolg ... durch Vermittlung der Kräfte der Natur aus der Handlung als Körperbewegung hervorgegangen sein, damit er dem Handelnden zugerechnet werden kann"26 . Der Begriff des Kausalzusammenhanges kam bis heute nicht in den Genuß jener Revision, die der Handlungsbegriff erfahren hat. Und das nicht von ungefähr. Denn ein Bild von Handlung, das durch das Moment der Finalität den Unwert der Erfolgsherbeiführung gleichsam antizipiert, kann den Kausalzusammenhang als objektive Bedingung der Strafbarkeit vor der Türe der eigentlichen Zurechnungslehre lassen. In dieser Entwicklung liegt etwas, das zugleich ein wenig tragisch und ein wenig komisch ist: daß die Wiederbelebung des subjektivierenden Betrachtens in der Zurechnungslehre den Begriff der Verursachung aus seinem philosophischen Kontext katapultiert, wohingegen dieselbe Bewegung den Handlungsbegriff in den Dialog mit der Philosophie zurückhalt. Die Unterbrechungslehre ist als Gegenbewegung des Naturalismus von Bedeutung. Sie hat das Problem der Antinomie des Strafrechts im Verursachungsbegriff gesehen 27 und dort ausgetragen. Ihr Umgang damit ist zumindest partiell systemwidrig: systemwidrig in den Augen einer Schule, die nicht mehr besteht. Die Unterbrechungslehre ist an dieser Schule gescheitert. Was sie zum Scheitern gebracht hat, macht es aufschlußreich, ihr noch einmal nachzugehen. Über das klassische System hat Welzel das strenge Urteil gesprochen, es entstamme einer "ephemeren historischen Situation"28 . Nun teilen die herrschende Kausallehre und das sogenannte klassische System die Wurzeln des Naturalismus. Sie entstammen derselben Situation. Sie teilen, jedes zu seiner Zeit, auch die Sicherheit im Glauben, das einzig Richtige zu vertreten. Beide umschwebt zu Lebzeiten der Nimbus des Dogmas. Es kOnnte weiterhelfen, doch noch einmal nach der Alternative zu fragen.

Bild des Strafrechtssystems" , S. IX ff. 24 V gl. v. Liszt, Strafrecht, 2. Auft., S. 109. 25 So kontrastiert v. Liszt, Strafrecht, 2. Auft., S. 110, Fn. 1 - gegen v. Bar und seine Auffassung, vgl. ebd. 26 v. Liszt, Strafrecht, 2. Auft., S. 109 f. 27 Dazu unten B. 28 Weizei, Strafrecht, 11. Auft., S. 40.

11. Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie

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11. Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie

1. Ihre Grundaussage Die Unterbrechungslehrehat sich in der Gegnerschaft zur Theorie der Gleichwertigkeit aller Bedingungen, der sogenannten Äquivalenztheorie, entwickelt. Da diese Äquivalenztheorie nach wie vor im Strafrecht herrschend ist, soll sie zunächst etwas eingehender betrachtet werden. Ein Jurist unserer Tage würde, darüber befragt, was er unter einer Ursache verstehe, etwa folgendes sagen: "Ursache ist jede Bedingung eines Erfolges, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele."29 Er wird also die Theorie der Gleichwertigkeit aller Bedingungen eines Erfolges in der Form der Formel von der conditio sine qua non darbieten, die das Recht dem österreichischen Strafrechtslehrer Julius Glaser verdankt30 . Diese Formel gelangt über ein ebenso einfaches wie ungenaues Wegdenk-Verfahren zur Feststellung eines Bedingungszusammenhanges. Der Prüfer sucht sich eine Handlung ,,a" , die ihm als mögliche Bedingung des Erfolges "b" erscheint. Dann denkt er sich "a" weg. Bleibt "b" trotzdem in der Welt, war "a" nicht die Bedingung-ohne-die-nicht. Ein sehr heuristisches Vorgehen31 . Dennoch ist es auch heute noch das gebräuchlichste, angewandt im Vertrauen darauf, daß diese Formel die beste aller möglichen Antworten gebe, entspreche sie doch "am meisten den Gesetzen der Logik."32 und führe darüber hinaus ,,zu den klarsten Ergebnissen"33 . Eine differenziertere Variante desselben Gedankens findet sich in der Theorie der gesetzmäßigen Bedingung, wie Engisch sie in seiner im Jahre 1931 erschienenen Abhandlung über die Kausalität als Merkmal strafrechtlicher Tatbestände formuliert hat34 . Nach ihr besteht ein Kausalzusammenhang dann, wenn nach dem Erfahrungswissen zwischen Handlung und Erfolg eine nach den Naturgesetzen bestimmbare Verbindung nachgewiesen werden kann 35 . Hinter beiden Wegen findet sich der nämliche Gedanke. So für die vielen z.B. Wesseis, Strafrecht AT, § 6 I 2. Vgl. Glaser, Abhandlungen, S. 298. Zu Glaser vgl. ausführlich Moos, Verbrechensbegriff, S.366f. 31 Vgl. Jescheck,Lehrbuch, 4. Aufl., S. 252, Fn. 17 m.w.N. 32 Heimberger, Strafrecht, S. 35. 33 Heimberger, Strafrecht, S. 35. 34 Engisch, Kausalität, S. 25 f. 35 Dieser Ansatz vermeidet also das sogenannte hypothetische Eliminationsverfahren mit seinen Tücken und verweist die Prüfung des Kausalzusammenhanges in diesem mechanistischen Sinne in den Aufgabenbereich der Erfahrungswissenschaften, vgl. Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl., S. 252, 254. 29

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2*

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A. Prolegomena

Aufgabe einer Kausalitätsprufung im Strafrecht ist es, herauszufinden, ob eine Handlung "a" für einen Erfolg "b" kausal, also ursächlich gewesen ist. Denn ohne Kausalzusammenhang keine Zurechnung. Nun gibt es auf die Frage nach dem "Warum" einer Erscheinung im wesentlichen zwei Beantwortungsmöglichkeiten. Zum einen könnte man mit einem "Um-Zu" das Motiv der Erscheinung "a" benennen. Dann stünde "b" am Ende einer Überlegung, die von "a" ausgeht. Man hätte die causa finalis, den Zielgrund ermittelt. Die zweite Möglichkeit besteht darin, Gründe für das Auftreten der Erscheinung ,,b" in ihrer Vorgeschichte zu suchen. Die auf diese Suche folgende Antwort würde in die "Weil" -Form gekleidet sein. Das ist der Weg zur Benennung der causa efficiens. Nun läßt sich diese Weil-Antwort wiederum auf zweierlei Art geben. Man könnte nämlich erstens nach der Ursache für "b" suchen. Zweitens könnte man aus der WarumFrage eine Wie-Frage machen. Damit ließe sich das Ziel der Warum-Frage, in der linearen Kette ,;1" , "b" das Element "a" zu erklären, zurückschrauben auf den Versuch, die Mechanik zu beschreiben, die "b" zustande gebracht hat 36 . Diese Analyse der Mechanik müßte sich nur um das "Wie" des Zustandekommens von "b" kümmern und hätte so den unbestreitbaren Vorteil, auf alle irgendwie deutenden oder verstehenden Ansätze verzichten zu können. Und - was fast ebenso wichtig ist -, die Antwort wäre zumindest eine Teilantwort auf die WarumFrage. Denn ohne die Einbeziehung der Mechanik des Zustandekommens von "b" ist jede Kausalerkllirung eine Spekulation im luftleeren Raum. Die Selbstbeschränkung auf den mechanistischen Ansatz hat die bestechende Eleganz einer Methode für sich, die als solche unangreifbar scheint. Sie ist zudem vom Nimbus einer "exakten Wissenschaft" , eben der Physik, umgeben. Die Physik aber benötigt weder eine philosophisch-deutende Erkllirung von Kausalität noch die Darstellung eines Finalnexus. Diese ,,Frageweisen sind in diesem Zusammenhang, wovon uns die Physik zu überzeugen scheint, schlechterdings überflüssig. Die Eleganz dieses Ansatzes hat... schließlich auch die Vertreter der nicht-physikalischen Disziplinen offenbar beeindruckt."37 Eine dieser nicht-physikalischen Disziplinen war die Strafrechtswissenschaft von der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an. Denn auch die Äquivalenztheorie im Strafrecht betrachtet den Kausalzusammenhang ,,mechanistisch". Sie versucht, in ihrer Aussage nicht über die Beschreibung dessen hinauszugehen, was sie für "gesichertes Erfahrungswissen" im Sinne der Empirie hält. Gesichert ist ihrer Ansicht nach erstens, daß Ursache einer Erscheinung "b" alle Bedingungen im Vorfeld dieser Erscheinungen sind, und zwar alle zusammengenommen. Ergo zweitens, daß es beim Ermitteln der Bedingungen zu einem unbegrenzten Abstieg in die Vorgeschichte kommt, dem

36 37

Vgl. Wuketis, Biologie und Kausalität, S. 43. Wuketis, Biologie und Kausalität, S. 43.

11. Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie

21

sogenannten regressus ad infinitum. Daraus drittens, daß vom B oden der Empirie aus zwischen den Bedingungen nicht nach Gewicht unterschieden werden kann, es gibt nur ,,Bedingung" und ,,Nicht-Bedingung" , aber kein Mehr oder Weniger. Und endlich viertens, daß wegen der Kausalitlitsprüfung bezüglich eines konkreten Ereignisses alle noch so unwesentlichen Begleitumstllnde eigentlich als Bedingungen des einen ,,Erfolges in seiner konkreten Gestalt" ernstgenommen werden müßten. Also nicht nur ein regressus ad infinitum als Fall ins Bodenlose der Geschichte, sondern auch - horizontal- als Hinzunahme der gegenwärtigen Totalitärder Welt mit ihren Bedingungen38 . Jakobs formuliert zusammenfassend: ,,Alles wäre für alles kausal."39 Eine zugespitzte Formulierung. Aber - der B oden der Empirie Hißt tatsächlich die Benennung einer Einzelursache nicht zu. Insofern gilt auch heute noch, was J. St. Mill in seinem berühmt gewordenen "System of Logic" formuliert hat, daß man kein Recht habe, einer Bedingung (condition) den Namen der Ursache (cause) zu verleihen 4o . So betrachtet, geht die Äquivalenztheorie über J. St. Mill hinaus, indem sie jede Bedingung als Ursache im strafrechtlichen Sinne auffassen will, Maiwald macht daraus wohl zu Recht eine ,,Ehrenrettung" für die Äquivalenztheorie41 . Sie erlaubt auch tatsächlich einen Analogieschluß vom Erfahrungswissen auf den Einzelumstand und entschärft so die Schwierigkeit der Zuordnung des konkreten Ereignisses ,;X" , die zwar eigentlich gefordert ist, aber nicht gelingen kann. Die ,,naturwissenschaftliche Kategorie der Kausalität"42 - an dieser Leitvorstellung hält bis heute der weitaus größte Teil der Strafjuristen fest, um allerdings im gleichen Atemzug den Vorrang des ,,normativen Maßstabs der objektiven Zurechnung"43 zu betonen, oftmals verbunden mit der Klage über den Achso-weiten-Kausalbegriff: das berühmt gewordene Bild Welzels vom Klirren der Kette der Kausalität, das das Nahen des Strafjuristen ankündigt44 . Vielen scheint die Lehre von der objektiven Zurechnung das geeignete Korrektiv für diesen in seiner Weite unbefriedigenden Kausalbegriff zu sein - ein Lehrgebäude, das sich in wohlgeordneter Kasuistik immer weiter auftürmt, ohne daß man eigentlich wüßte, aus welchem Prinzip es sich speist45 . Aber vereinzelt werden auch Zweifel daran wach, daß man versucht, neue Beziehungen zwischen Handlung und Erfolg auf das Erfordernis der Kausalität ,,draufzusattein" , statt 38

39

40 41 42 43 44 45

VgI. Jakobs, Strafrecht AT, S. 158. Jakobs, Strafrecht AT, S. 158. V gI. dazu Maiwald, Kausalität, S. 9. Maiwald, Kausalität, S. 9 f. Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl., S. 250. Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl., S. 250, Fn. 8 m.w.N. Welzel,Strafrecht und Philosophie, S. 4. So Ebert, Strafrecht, S. 47.

22

A. Prolegomena

sich einer Spezifizierung des Merkmals der Kausalität im Recht anzunehmen 46 . Nun soll die aktuelle Diskussion hier nicht weiter verfolgt werden. Es wäre zu vielem nachzugehen: den Umweltdelikten mit ihren Verschränkungen von Kausalitätsfrage und Regreßverbot47 ebenso wie dem weiten Feld der Produkthaftung mit der Problematik, kausale Beziehungen überhaupt nachzuweisen 48 • Statt dessen soll ein Blick auf das Woher der Äquivalenztheorie geworfen werden. Vielleicht hilft das zu verstehen, warum man so tapfer an ihr festhält.

2.

Ihr Herkommen

Hatte Glaser die Äquivalenztheorie für das Recht auch durch die Techne des Hinwegdenkens in eine leicht anwendbare Formel gegossen 49 - die breite Durchsetzung erlangte sie durch die Schriften Max v. Buris. In zahlreichen Veröffentlichungen seit den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hatte dieser die Vorzüge der naturalistischen Kausalauffassung immer wieder gepriesen und sich erfolgreich gegen ein "philosophisch" oder "juristisch" zu verstehendes Verständnis von Verursachung gewandt. Denn eines stand für v. Buri stets fest: Die Kausalität war eine Kategorie der Naturwissenschaften: ,,Handelt es sich um die Erforschung der Entstehung einer concreten Erscheinung, so kommt es wesentlich darauf an, in welcher Weise das Naturgesetz seine Wirksamkeit geäußert hat." 5 0 Dieser naturalistische Ansatz führte ihn zu einer mechanistischen Betrachtung des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung unter dem Stichwort der wirkenden Kräfte. Diese bündeln sich in seiner Vorstellung zu der einen, zur Beurteilung anstehenden konkreten Erscheinung. ,Das Naturgesetz" steht dabei bei v. Buri wie bei seinen Zeitgenossen für das Prinzip, nach dem sich die Bewegung der Materie vollziehe, denn es herrschte auch zu Beginn der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts noch das sogenannte materialistischmechanistische Weltbild vor, das die Erkenntnisse Newtons mit dem Atomismus des Demokrit verband 5t . Danach gab es, obwohl mit der Entdeckung der Kraftlinien durch Maxwell und besonders Faraday der Untergang dieses Weltbildes bereits vorgezeichnet war 52 , nichts außer Atomen und leerem Raum53 • Die Bewegung dieser Körper wurde also vorgestellt als das Wirken von Kräften im Puppe, Z1itW 99 (1987), S. 595 ff., 595. Samson, Z1itW 99 (1987), S. 617 ff., 619. 48 Vgl. beispielhaft die durch die sogenannte ,,Lederspray-Entscheidung" , BGHSt 37, 106 ff., angestoßene Diskussion. Dazu u.a. Kuhlen, NStZ 1990, 566 ff. 49 Entdeckt hat auch er sie nicht, sie ist bereits vorher theoretisch angelegt gewesen, vgl. dazu Moos, Verbrechensbegriff, S. 405 f. 50 v. Buri, Causalität (1873), S. 3. 51 March, Das neue Denken der modernen Physik, S. 30 f. 52 V gl. March, Das neue Denken der modernen Physik, S. 47 f. 53 March, Das neue Denken der modernen Physik, S. 30. 46

47

11. Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie

23

Sinne Newtons, wonach unter dem Begriff der Kraft ein Einfluß zu verstehen sei, der auf einen Körper ausgeübt wird, um seinen Zustand, und zwar entweder den der Ruhe oder den der gleichförmig-geradlinien Vorwärtsbewegung, zu verllndern 54 . Für v. Buri war entscheidend, daß man aus dem Bündel der Kräfte zu einem bestimmten Erfolg hin keine herausziehen konnte, ohne daß dieser Erfolg noch derselbe gewesen wäre. Die Beschrllnkung der Untersuchung auf eine konkrete Erscheinung, die seit den Tagen Stübels die generalisierende Betrachtung von Verursachung abgelöst hatte55 , brachte ihn dazu anzunehmen, daß ,,keine einzige Kraft im Vergleich zu der andern zur Bedingung degradirt (werden kann), sie müssen vielmehr alle als gleichberechtigt angesehen werden"56 . Diese Ansicht hatte v. Buri bereits im Jahre 1860 vertreten 57 und seitdem durchgehalten. In diesen Kontext führt nun v. Buri den Begriff der Objektivität ein: Objektiv betrachtet gibt es für die Beantwortung der Frage, ob Kräfte ursächlich für einen Erfolg seien, nur die Möglichkeit einer bejahenden oder verneinenden Antwort. Graduelle Unterscheidungsmöglichkeiten bestehen nicht. Sie wären Wertungen, die bei der objektiv aufzufassenden Frage nach dem Zustandekommen einer Erscheinung nichts zu suchen haben. Daher ist es nur folgerichtig, die Frage nach dem Vorliegen eines Kausalzusammenhanges nicht mit dem Versuch zu belasten, wirksamere Hauptursachen von weniger wirksamen Hilfsursachen zu unterscheiden. Es bleibt für v. Buri keine andere Möglichkeit, als den Begriff der Ursache im strafrechtlichen Sinne mit dem der wirkenden Kraft der Mechanik gleichzusetzen. Entsprechend fallt jede Unterscheidung zwischen der Verursachung durch menschliches Tun und durch wirkende Naturkräfte fort. Selbst die psychisch wirkenden Kräfte werden zu Kräften der Welt der Erscheinungen, weil sie dort ihre Wirksamkeit entfalten 58. Der Wille taucht nurmehr als das agens der Kräfte auf: ,,Der menschliche Wille kann nur insofern als ein Bestandtheil des Causalzusammenhanges angesehen werden, als man in ihm lediglich das agens erblickt, welches die Körperkräfte in Bewegung gesetzt hat."59 Man könnte nun darauf schließen, daß v. Buri Materialist gewesen sei, und zwar ganz in der Art des neunzehnten Jahrhunderts, das gerade in den "fortschrittlichen Kreisen" dazu tendierte anzunehmen, auch der Geist sei eben nur bewegte Materie60 . Aber ganz im Gegenteil: v. Buri war geprägt vom Geist des Idealismus. Seine naturalistische Kausallehre sollte lediglich Raum schaffen für Newtons Principia, zit. nach EinsteinlInfeld, Die Evolution der Physik, S. 14. Siehe unten E, VIII 2. 56 v. Buri, Causalität (1873), S. 3. 57 v. Buri, Theilnahme und Begünstigung, S. 1 ff. 58 Vgl. v. Buri, Causalität (1885), S. 35. 59 v. Buri, GS 19 (1867), S. 60 ff., 62. 60 V gl. zu dieser Zeitströmung und ihrem Herkommen March, Das neue Denken der modernen Physik, S. 31. 54

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A. Prolegomena

die Prüfung der entscheidenden Frage: der Frage nach der Schuld. Allerdings sollte diese Prüfung an der richtigen Stelle stattfinden. Nicht bei der Verursachung, nicht im objektiven Geschehen. Dieses ist aus der Sicht des Idealismus ohnehin nur der äußere Schein des Unrechts, das sich innen vollzieht. ,,Denn der Wille muß, wie gesagt, wenn von einem stratbaren Versuch geredet werden soll, aus dem Innern des Handelnden heraustretend sich dem Strafgesetz entgegengestellt und sich darum in der Außenwelt erkennbar objectivirt haben ... ." Recht als Bestimmungsnorm - es ist fast keine klarere Stelle für diese Auffassung denkbar als diese v. Buris6l . Aber mit dem Idealismus ging es ebenso zu Ende, wie der Begriff des subjektiv begründeten Unrechts wankend geworden war 62 ; und so mußte das Naturalistische an der Burischen Lehre das Beherrschende werden. Für v. Buri existierte das Kausalproblem nur im Zusammenhang mit der Zurechnungsfrage63 : Polemisch kann er schreiben: ,,Es hat der zurechnungsfähige Wille mit dem Causalzusammenhange weiter nichts zu schaffen, als daß von ihm die Frage abhängt, ob ein Mensch für denselben rechtlich in Anspruch genommen werden könne."64 Ging es ihm so um die saubere Verortung des alles entscheidenden Problems der Schuld, trennte sich in der Folgezeit die Behandlung der Kausalität aus diesem Zusammenhang 65 . Sie wurde, wohl nicht zuletzt unter dem Fanal des objektiven Unrechts, zu einer eigenen und zunehmend dominierenden Größe.

3.

Anmerkung zum philosophischen Hintergrund

Steht der Name v. Buris bis heute für die Entfaltung der Bedingungstheorie im Recht, ist es der Name J. St. Mills, mit dem üblicherweise der philosophische Hintergrund der Äquivalenztheorie umrissen wird. Man findet sogar beide Namen zusammengebracht, so, als habe sich v. Buri bei der Abfassung seiner Theorie durch Mill inspirieren lassen 66 . Gegen diese Vermutung hat sich v. Buri zur Wehr gesetzt67 ; und tatsächlich finden sich in seinen frühen und grundlegen61 v. Buri, GS 19 (1867), S. 60 ff., 62. Von den Hegelianern trennt v. Buri also nur das Verständnis von Handlung: Bei diesem ist Handlung verursachendes, bei jenen finales Verhalten, vgl. v. Bubnoff, Handlungsbegriff, S. 96. Durch die Betonung des Willenszusammenhanges blieb er aber in der Nähe der Hegelschule. Keine Seltenheit - bei Geyer, einem Zeitgenossen v. Buris, laufen sogar Naturkausalismus und subjektiver Handlungsbegriff nebeneinander her, vgl. Moos, Verbrechensbegriff, S.407. 62 Zur Dogmengeschichte vgl. Mezger, GS 89, S. 207 ff., 208 ff. 63 Vgl. dazu Maiwald, Kausalität, S. 8. 64 v. Buri, Causalität (1873), S. 2. 65 Maiwald, Kausalität, S. 8, spricht beispielsweise bei Engisch von der gleichsam nackten Kausalfrage, da sie aus dem Zurechnungszusammenhang gelöst sei. . . 66 Binding, Normen 11, 1 (1914), S. 477. 61 v. Buri, Causalität (1885), S. 3 f. Dagegen spricht auch, daß v. Buri von Anfang an in der conditio sine qua non die Ursache im juristischen Sinne gesehen hat. Dieses Werturteil, das Teil für das Ganze

11. Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie

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den Arbeiten keine Hinweise auf Mills Schriften, so daß man mit R. v. Hippel von einer eigenständigen Entwicklung wird ausgehen können 68 • Aber diese Frage nach einer tatsächlichen Übernahme der Gedanken zur Kausalität ist unwichtig, verglichen mit den tatsächlich vorhandenen Gemeinsamkeiten, über kausale Beziehungen zu denken, insbesondere, was das dahinterstehende Methodenproblem betrifft. Denn es geht im Streit um das ,,richtige" Verständnis von Kausalität letzten Endes darum, einem von zwei Wegen den Vorzug zu geben, dem empiristisch-naturwissenschaftlichen oder dem geisteswissenschaftlichen. Für diese Auseinandersetzung zwischen Empirie und Metaphysik steht Mill - und für den Versuch, die Geisteswissenschaften 69 im Sinne der Induktionslogik zu taufen 70 • Bei v. Buri ist diese Entscheidung noch nicht auf die Spitze getrieben, dafür ruht seine Schuldlehre zu sicher auf dem Fundament des Idealismus. Aber der von ihm eingeschlagene Weg wird von Naturalisten weitergegangen werden, die die Begriffe des Idealismus allenfalls noch in einer psychologischen Bedeutung gelten lassen, ihre ethische oder sogar metaphysische Begründung aber zurückweisen werden. v. Liszt kann hier als herausragendes Beispiel stehen 71 , das im wahrsten Sinne des Wortes Schule gemacht hat. Deshalb muß man, wenn der Name Mills OOlt, die Frage nach dem Kausalzusammenhang im Strafrecht auch unter diesem Aspekt betrachten. Dann wird die Brisanz des Streites um den geistes- oder naturwissenschaftlichen Primat im Zusammenhang mit der Äquivalenztheorie, der hier über viele Seiten Untersuchungsgegenstand sein wird, erst offenbar. Zwei Methoden stehen zur Auswahl, um ein geschichtliches Ereignis zu begreifen. Man kann versuchen, im Wege der Induktion Regelhaftigkeiten zu erkennen, mit deren Hilfe sich das Ereignis erklären läßt. Unter dem Vorbehalt, daß in das ..post hoc" ein ..propter hoc" vielleich nur hineingelesen wird, kann doch Empirie getrieben werden - frei von Metaphysik; und am Ende haben wir ein Bild der Mechanik zu dem fraglichen Ereignis entworfen. Etwas ganz anderes ist es, eine Erscheinung als einzigartig zu verstehen: weil sie in ihrer Unwiederholbarkeit als geschichtliches Ereignis gesehen wird72 • Erklären und Verstehen: Das ist das Gegensatzpaar im sogenannten Methodenstreit. Und dieser Methodenstreit dringt, wenn auch in die Begrifflichkeit des

nehmen zu wollen, weil strafrechtliche Schuld gleichfalls unteilbar sei, läuft ja der Aussage Mills über die Unidentifizierbarkeit von Einzelursachen sprachlich zuwider. V gl. bei v. Buri z.B. GA 11 (1863),

S.757.

v. Hippel, Strafrecht, S. 93, Fn. 10. Dieser Begriff ist durch die Übersetzung der Millschen Logik ins Deutsche populär geworden, so jedenfalls Gadamer, Hermeneutik I, S. 10. 70 Vgl. Gadamer, Hermeneutik I, S. 10. 71 V gl. dessen Darstellung des Begriffes der Willensfreiheit in diesen drei Bedeutungen; v. Liszt, Strafrecht, 2. Aufl., S. 137 f. 72 Vgl. Gadamer, Hermeneutik I, S. 10 f. 68 69

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A. Prolegomena

Rechts transferiert, in die Diskussion um den Kausalzusammenhang ein 73 • Der überlieferten ethisch-transzendentalen Definition von Verursachung steht nämlich mit der sogenannten Bedingungstheorieein mit naturwissenschaftlicher Methode erarbeitetes Gegenmodell gegenüber. Gegenüber in einer Art und Weise, wie die induktive Logik Mills der Methode der ,,moral sciences" gegenübersteht: Vom Standpunkt der induktiven Logik aus gesehen sind die Geisteswissenschaften mit der Metereologie vergleichbar. Ein Bild Mills: Geisteswissenschaftliche Aussagen ähnelten in ihrer Verläßlichkeit langfristigen Wetterprognosen 74 . Stellt man sich nun vor, wie enorm der Einfluß des naturwissenschaftlichen Denkens im Verluf des neunzehnten Jahrhunderts wurde, kann man leicht ermessen, warum dort, wo das möglich war, auf die naturwissenschaftliche Methode umgeschaltet wurde. Denn das war die geistige Stimmung jener Tage: Was Alexander v. Humboldt zu Beginn des Jahrhunderts begonnen hatte, nämlich die Wende vom Universalismus des philosophierenden zum Empirismus des industrialisierenden Deutschland einzuleiten, wurde durch die Arbeiten Heimholtz' ,namentlich durch seine Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Energie, fortgeführt 75 • Das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten, der feste Glaube daran, mit Hilfe von Naturwissenschaft und Technik dem Fortschritt zur Herrschaft zu verhelfen, das sind die kennzeichnenden Merkmale dieser Epoche. Dabei bestand die Tendenz, naturwissenschaftliche Methode auf die Felder der Geisteswissenschaft übertragen zu wollen. Das galt nicht nur für Mill oder Helmholtz als Vertreter des naturwissenschaftlichen Denkens, sondern ebenso für die Protagonisten der verstehenden Methode, hier sei Dilthey genannt76. Die Etablierung eines geisteswissenschaftlichen Selbstverständnisses mußte also in der Opposition zu einer Bewegung erfolgen, die etwas von einer Sturzwelle hatte. So jedenfalls verstanden die Gegner der Universalisierung des naturwissenschaftlichen Denkens den sich vollziehenden Wandel 77 - und blieben doch Kinder ihrer Zeit78 . Die Bedingungstheorie kommt also in einer Zeit ganz erheblicher Spannungen und Auseinandersetzungen zur Herrschaft. Da geht vieles ineinander über. Idealisten bedienen sich naturalistischer Ansätze, um ihr Anliegen von objektivem Ballast zu befreien - v. Buri. Naturalisten greifen diese Ansätze auf und perfektionieren sie - auf Kosten einer überkommenen, subjektiv orientierten Zurechnungslehre. Dieselben Naturalisten wiederum plagen sich mit den traV gl. dazu unten E, I 3. Vgl. dazu Gadamer, Hermeneutik 11, S. 320. 75 Ausführlich Franz Schnabel, Deutsche Geschichte, Bd. 5, S. 240 fI. 76 V gl. Gadamer, Hermeneutik I, S. 12. 77 Binding, Normen 11, 1 (1914), S. VII, benutzt dieses Bild, wenn er den Siegeszug des Determinismus beschreibt. 78 So stellt v. BubnofI zu Recht einen naturwissenschaftlichen Ansatz der Beschreibung des Kausalzusammenhanges beim frühen Binding fest, vgl. v. BubnofI, HandlungsbegrifI, S. 13. Zu Bindungs Verursachungslehre eingehend unten, C, IV. 73 74

U. Die heute im Strafrecht herrschende Äquivalenztheorie

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dierten Begriffen von Gesetz und Strafrechtsdogmatik - und sind, oft gegen ihre Überzeugung, gezwungen, TeilrUckzüge anzutreten. Einen solchen TeilrUckzug werden wir miterleben, wenn es um die Unterbrechungslehre beim Naturalisten v. Liszt gehf 9 • Die Opposition gegen den Naturalismus im Recht will "die Wissenschaft wie die Gerechtigkeit" von einem "drUckenden Alb" befreien80 . Sie kommt aber methodisch immer wieder auf die Naturwissenschaften zurück, auch wenn sie es eigentlich nicht will- der frühe Binding81 . Oder sie verspricht selbst den Methodenwandel - von der Deduktion zur Induktion - v. Bar82 -, um aber dann das Recht der Geisteswissenschaften auf eigene Frageweisen einzufordern - ebenfalls v. Bar83 . Und dabei ist wenig von schön gegliederten Unterscheidungen zwischen erklärendem und verstehendem Denken zu spüren. Dieser Streit vollzieht sich in den Inhalten. Den Namen, unter dem er gewöhnlich abgehandelt wird, trägt er nicht. Insofern es bei der Zurechnung auch um die Etablierung von Geschichtsbildern geht, wirkt die große Auseinandersetzung aber immerhin; und wer zu ihr Parallelen zieht, wird vielleicht leichter dieses verschränkte Spiel mit den Antagonismen verstehen, den großen Antagonismen von Innen und Außen, in deren Spannungsverhältnis die Gegner der Äquivalenztheorie auch die Kausallehre gestellt wissen wollen. Man kann also zusammenfassend sagen, daß die Äquivalenztheorie in der Folge einer Entwicklung zustande kommt, die über Hume zu Mill verläuft und von dort in die Tendenz der "Vernaturwissenschaftlichung" des Denkens. Ihr ist von ihrem Herkommen her zweierlei fremd: der Zweifel an der Gültigkeit des Kausalprinzips, nach dem nichts ohne Ursache geschieht84 , und der Zweifel an der Überlegenheit einer rein empirischen Methode. Damit verbunden ist die Absage an jede Art Metaphysik. In dieser Form hat sie sich bis in unsere Tage erhalten. Die moderne Physik hat das kausale Weltbild erschüttert. Die Äquivalenztheorie mußte sich dadurch zunächst nicht erschüttern lassen. Denn ihr Beschäftigungsgegenstand sind die "großen Vorgänge" . Wo die ,,Masse im Vergleich zu der des Elektrons und die Entfernung im Vergleich zur Größe des Atoms groß sind, kommt die klassische Theorie zu ihrem Recht"85 . Das Strafrecht treibt keine Atomphysik. Problematischer wurde die andere Zweifellosigkeit. Keine Metaphysik, keine Wertungen, kein juristischer oder philosophischer Kausalbegriff: Diese Selbstbeschränkung sollte in der Folgezeit eine ganze Menge von Problemen aufwerfen. Denn der Begriff der Ursache war ein beängstigend weiter Begriff geworden. V gl. unten C, U. Binding, Normen 11, 1 (1914), S. 472. Gemeint ist v. Buris Gieichwertigkeitslehre. 81 Vgl. dazu unten B, VI 2. 82 v. Bar, Grundlagen, S. 1 f. 83 Dazu ausführlich unten B, 11. 84 V gl. Maiwald, Kausalität, S. 11. 85 Oppenheimer, Wissenschaft und allgemeines Denken, S. 49. 79

80

28

A. Prolegomena

III.

Kausalitätsverständnis allgemein: Die zwei Möglichkeiten

1. Vorbemerkung: Zum Erfahrungsversttlndnis ,,Für den Juristen 'gilt' das Kausalprinzip mit selbstverständlicher Gewißheit."86 - Er arbeitet damit, wie der Handwerker mit seinem Erfahrungswissen arbeitet. Nur: Der Handwerker wird Erfahrung (empeiria) nicht einsetzen als Beitrag zur Prinzipienerkenntnis. Das Allgemeine ist nicht sein Thema. Wie aber steht es mit dem Juristen? Auch er kann sich des Kausalitätsprinzips als einer bloßen Technik bedienen. Er kann dann betonen, er wende nur ein heuristisches Verfahren an und bitte, ihn vor theoretischen Einwendungen zu verschonen. Aber liegt es für ihn nicht doch nahe, kausale Zusammenhänge auch dort zu sehen, wo das Instrumentarium der Empirie nicht hinreicht? Die sprachliche Einkleidung ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Nehmen wir ein Beispiel: Die strafrechtsdogmatische Figur des Regreßverbotes87 dient dazu, denjenigen, der eine Bedingung zu einem strafrechtlich erheblichen Erfolg gesetzt hat, von diesem Erfolg zu distanzieren88 , wenn ein nach ihm Handelnder diesen Erfolg unmittelbar herbeigeführt hat. Dogmatisch läßt sich diese Figur der objektiven Zurechnung durchaus unterschiedlich deuten, beispielsweise als Ableitung aus dem Gedanken des Schutzzwecks der Norm89 . Eine nähere Betrachtung zeigt aber, daß die sprachliche Einkleidung des Regreßverbotes oft das Ergebnis eines verzweifelten Versuches darstellt, mit der als unantastbar empfundenen Bedingungstheorie im Einklang zu bleiben 90 . Hier liegt der Verstand an der Kette des Naturalismus des neunzehnten Jahrhunderts, und man hat den Eindruck, daß nach dem Motto argumentiert wird, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Auf die Frage, warum es nicht sein dürfe, wird aber eine Antwort, die nicht letzten Endes auf einen Autoritätsbeweis hinausläuft, nicht gegeben 91 . Man zwingt sich zur ,.Naturwissenschaftlichkeit" . Auch wenn man den naturwissenschaftlichen Verursachungsbegriff gerne durch rechtliche Wertungen einschränken möchte, wird um der Einheitlichkeit von ,.Recht und Wirklichkeit" willen 92 postuliert, es sei "der ursächliche Zusammenhang im Rechtssinn überall dort zu bejahen, wo zwischen Handlung und Erfolg ein naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang Maiwald, Kausalität, S. 10. Auführlich unten C, V. 88 So die Fonnulierung von Jakobs, Strafrecht AT, S. 578. 89 So Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 137, Fn. 28. 90 Vgl. Naucke, 'ZStW 76 (1964), S. 409 ff., 422 und 428, Fn. 53. 91 So läßt sich zusammenfassen, was Naucke, 'ZStW 76 (1964), 409 ff., präsentiert; und trotz der Tatsache, daß seine Untersuchung nicht mehr ganz jung ist, wird man sie z.B. heute bei einer Durchsicht gängiger Lehrbücher cum grano salis aufrechterhalten können. 92 Wesseis, Strafrecht AT, § 6 I 1. 86

87

III. Kausalitätsverständnis allgemein: Die zwei Möglichkeiten

29

besteht"93 . Als ob es den Verursachungsbegriff einer deutschen idealistischen Philosophie nie gegeben hätte, und als ob diese Deutung des Verursachungsbegriffs stets gegolten h!itte94 . Denn eines wird man zugestehen müssen: Vom Verursachungsbegriff im Sinne sogenannter' "common-sense-Erklärungen"95 ist der Verursachungsbegriff der Bedingungstheorie meilenweit entfernt. Wer einmal versucht hat, Studienanfänger davon zu überzeugen, daß der Polizist, der seine geladene Dienstwaffe aus Unachtsamkeit im Wagen läßt, wo seine Freundin sie zur Selbsttötung benutzt, ursächlich für deren Tod sei, wird diese Diskrepanz deutlich verspürt haben. Mag bei der gegen die Annahme der Ursächlichkeit gerichteten Argumentation der Studenten auch hineinspielen, daß die übliche Vermittlung der strafrechtlichen Materie mit der Darstellung der Vorsatztat beginnt und damit alle Grundbegriffe gerne unter dem Vorzeichen der Absichtstat gesehen werden, ist es doch immer wieder der Widerstand dagegen, hier von Verursachung zu sprechen. Ist es da nicht ganz selbstverständlich, wenn auch oberste Gerichte gelegentlich den Pfad der naturwissenschaftlichen Tugenden verlassen, um dort kausal zu argumentieren, wo die reine Lehre von Kausalität nichts wissen will? Der dann erhobene Vorwurf lautet, das Gericht habe "terminologisch im Denkmodell des Kausalzusammenhanges verharrt" , ein ,,Fehlet'96 liege vor. Ist es ein Fehler oder ein Ausrutscher in die Normalität kausalen Denkens? Jedenfalls wirkt kausales Denken bis in Bereiche, die bei einer streng naturwissenschaftlichen Betrachtung mit dieser erklärenden Erkenntnisart nicht aufzuhellen sind. Das Problem dahinter ist zunächst anscheinend eines des Erfahrungsverständnisses. Warum? Im Strafrecht wird danach gefragt, ob jemand beispielsweise den Tod eines Menschen verursacht habe. Verursachung eines Erfolges: Das ist die tatbestandliehe Voraussetzung für die Bestrafung wegen vollendeter Tat, wenn es um die Sanktionierung eines Erfolgsdeliktes geht. Nun wird das Wort "verursachen" beziehungsweise "Ursache" gleichgesetzt mit dem Begriff des Kausalzusammenhanges. Die Gleichung lautet: Einen Erfolg hat verursacht, wer mit seiner Handlung kausal für den eingetretenen Erfolg gewesen ist. Kausalität ist aber, wird dann weitergedacht, eine Kategorie, in der zwei Glieder in einer Beziehung

93 Wesseis, Strafrecht AT, § 6 I 1. Im Zusammenhang mit der "kritiklosen Übernahme naturwissenschaftlicher Vorstellungen" spricht Wesseis, a.a.O., von in der Folge stattgehabten "unfruchtbaren Kontroversen" . Ein Beweis für die Aktualität der Nauckeschen Diagnose. 94 V gl. zu dieser Außerachtlassung der Geschichte Naucke, ZStW 76 (1964), S. 409 ff., 439. 95 Die man denen naturwissenschaftlicher Erklärungsansätze gegenüberstellen kann. Über den Zusammenhang siehe aber MacIntyre, Was dem Handeln vorhergeht, in: Analytische Handlungstheorie 2, S. 188 ff. 96 Wesseis, Strafrecht AT, § 6 I 6.

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A. Prolegomena

des Wirkens gedacht werden 97 • Dieses Wirken muß sich in einer Zeitfolge ausdrücken. Das ist das berühmte "post hoc" . Und es muß sich bei gleichen Bedingungen regelmäßig ereignen 98 • Alle drei Elemente zusammen vermögen mir aber noch immer nicht die Sicherheit zu geben, daß ich den Zusammenhang zwischen Grund und Folge im sicheren Griff meiner Analyse habe. Nur wenn der Zusammenhang zwischen Grund und Folge ein notwendiger ist, kann ich mir sicher sein. Dieses Notwendige kann aber nur so erklärt werden, daß auf beiden Seiten etwas Identisches ist, was sich austauscht. Und das ist eben etwas, was man nur quantitativ und mechanisch erfassen kann 99 - und schon erkennt man, warum in dem Begriff des Kausalzusammenhanges das Moment der Beseelung, das Moment der Verursachung aus Freiheit, des spontanen Bewirkens oder wie immer man dazu sagen will, keinen Platz hat. Es gilt: ,Diese entseelende Vergegenstllndlichung der Kausalkategorie läßt in dem rein quantitativen mechanistischen Denken nur den bewegenden Stoß von Teilchen übrig, im qualitativen Denken Arten von Kräften, die spezifisch sind."IOO Dieses Denken von Kausalität muß man nun zusammenbringen mit der Erkenntnislehre Humes. Denn sie hat den Boden geebnet, auf dem der sogenannte wissenschaftliche Konditionismus wachsen und gedeihen konnte. Wie ist das zu verstehen? Hume steht in derjenigen Bewegung innerhalb der englischen Philosophie, die sich um eine Aufhellung des Verhältnisses zwischen Erfahrung und Vernunft bemüht hat lOI . Sein Hauptwerk, die ,,Enquiry Concerning Human Understanding" ,hat einen erheblichen Einfluß auf die Entwicklung der Philosophie gehabt, für die deutsche Philosophie vor allem durch die Bedeutung, die Hume für Kant erlangen solltel02 . Zunächst: Philosophisches Denken unterscheidet zwischen Erfahrung und Vernunft. Dabei wurde der Vernunft der absolute Vorrang eingeräumt: Noch bei Leibnitz läßt sich die durch Erfahrung gewonnene Erkenntnis in der Vernunfterkenntnis auflösen l03 . Der kritizistische Riß durch das Gefüge des Aufstiegs zur Vernunfterkenntnis - von der Wahrnehmung über Gedächtnis und Erfahrung bis zur Wissenschaft (Aristoteles)I04 - beginnt mit der Parallelisierung von Er-

97 V gl. Jaspers, Nachlaß, S. 250.Die folgende Darstellung folgt bis zum abschließenden Zitat über die entseelende Vergegenständlichung der Jaspersschen Darstellung. 98 Vgl. Jaspers, Nachlaß, S. 250. 99 Vgl. Jaspers, Nachlaß, S. 251. 100 Jaspers, Nachlaß, S. 250. 101 Vgl. dazu·und zum folgenden Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 107 ff. 102 Dazu ausführlich Lauener, Hume und Kant. Vgl. auch unten E, 11 3. 103 Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 109. 104 Vgl. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 59.

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fahrung und Vernunft als zweier genera cognitionis 105 und führt über die Kritik Lockes an der Naturerkenntnis durch Erfahrung 1 06 zum sogenannten Skeptizismus Humes 107 • Hatte Locke noch die Vernunfterkenntnis samt ihren Methoden an sich unangetastet akzeptiert und nur den Anspruch auf wahre Naturerkenntnis durch Erfahrung auf das Gewinnen von Wahrscheinlichkeitsaussagen vermittelst der Erfahrung zurückgeschraubt 1 08 , geht es bei Hume um mehr. Für Hume ist die Erkenntnis des Wirklichen vor allem in der Erkenntnis des kausalen Zusammenhanges begründet 109 . Für ihn basiert die als absolut gültig angesehene Erkenntnis der Kausalität nur auf der Erfahrung eines zeitlichen Nacheinanders verschiedener Erscheinungen, die sich als Sequenzen in derselben Konstellation immer wieder auffinden lassen. Von dieser Verallgemeinerung von Erfahrung auf die Gültigkeit eines Vernunftgesetzes, ja auf ein Vernunftgesetz, zu schließen, das ist der Schritt, der durch Hume nicht mehr mitvollzogen werden kann 11 0 • Denn für ihn gilt, "daß all unsere Evidenz über Tatsachen, die über das Zeugnis der Sinne oder des Gedächtnisses hinausgehen, einzig aus der Beziehung von Ursache und Wirkung stammt; daß wir keine andere Vorstellung von dieser Beziehung haben, als die von zwei Gegenständen, die häufig im Zusammenhang standen; daß wir keine Begründung für die Überzeugung besitzen, daß Gegenstände, die in unserer Erfahrung häufig im Zusammenhang standen, in anderen Fällen ebenso im Zusammenhange stehen werden; und daß uns nur Gewohnheit oder ein gewisser Instinkt unserer Natur zu dieser Ableitung verführt, dem zu widerstehen es in der Tat schwer ist, der aber, wie andere Instinkte, täuschen und trügen kann." 111 Damit ist menschliche Erkenntnis auf Erfahrung beschränkt und die Möglichkeit der Abstraktion von dieser bestritten. Die Philosophie ist auf den Bezirk der Erfahrung eingegrenzt 112 • Die matters of fact, das Wirkliche113 , schiebt sich in den Mittelpunkt des Interesses, und zwar unter dem sehr viel bescheideneren Ansatz, die Gesetzlichkeit der Erfahrung als ,.Arbeitshypothese" anzunehmen. Damit ist der Weg des Empirismus gebahnt, den man am besten versteht, wenn man bedenkt, wogegen er sich richtet. Empirismus als Verfahren wie als Ansicht nimmt von den jeweils einfachsten Dingen seinen Ausgangspunkt und findet über ihre schrittweise Vernetzung zu dem, was man als Abbild des 105 106 107 108 109 110 111 112 113

Vgl. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 109. Vgl. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 109. V gl. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 110. V gl. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 109. V gl. dazu Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 119. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 119. Hume, Untersuchung,S. 186f. (XII,2.). Vgl. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 119. Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff, S. 119.

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Natürlichen in seiner Komplexität auffaßt, und das, ohne in irgendeinem Punkt etwas von außerhalb dieser Welt des "Gegenständlichen" in das Abbild einfließen zu lassen 114 • ,Das vom Verstande hell beschienene Phänomen" soll nicht durch das Nachdenken über sein Wesen getrübt, okkultisiert werden 115 . Der Begriff des Wesens, dem im Sinne Aristoteles' das definierende Denken zustrebt, ist das Feindbild des Empirismus: Gefragt ist nicht die Bestimmung des "WasSeins" , sondern des "Wie-Seins"116 . Daher ist die Polarisierung Empirismus beziehungsweise Positivismus auf der einen, Metaphysik auf der anderen Seite nicht unzutreffend, zumal dort, wo es nicht um eine Emanzipation des naturwissenschaftlichen Denkens, sondern um dessen Totalisierung geht l17 - wie im Kausalbegriff des naturalistisch denkenden Juristen. Es vereinen sich also zwei Aspekte: die Suche nach einem in der Empirie abgesicherten Bild tatsächlicher Zusammenhänge und die Aversion gegen Metaphysik - die als das Reden von etwas verstanden wird, was die beschränkte Verstandeskraft des Menschen, der im empirischen Denken gefangen ist, nicht zu leisten vermag. Aber: Ist es denn tatsächlich so, daß man von Verursachung im Rechtssinne nur in der Sprache naturwissenschaftlichen beziehungsweise mechanistischen Denkens sprechen kann, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, dem "Okkulten" nachzujagen? Die Gegner einer rein naturkausalen Auffassung von Verursachung im Recht haben sich auf zweierl~i Weise gegen die mechanistische Sehweise gewehrt. Zum einen haben sie sich auf einen Standpunkt gestellt, der sich der kompromißlosen Anwendung des kritizistischen Grundgedankens, daß ein Transzendieren auf dem Wege der Analogie, ausgehend von der Welt der Erscheinungen, niemals möglich sei, verschließt. Das heißt, daß auf die eine oder andere Weise das freie Anfangen einer Kausalreihe durch eine willentliche Handlung in die Definition des Verursachungsbegriffes eingeht. Diese Integration der Spontaneität in den Verursachungsbegriff geschieht entweder durch die Verortung auf der praktischen Ebene oder - wenn man so will, direkt - durch den Rekurs auf das Wesen des handelnden Menschen, also in einer echten metaphysischen Argumentation. Hier wird also versucht, den Begriff der Kausalität in der Spannweite der Frage nach der Was-heit zu erhalten und das Fragen nach dem Wie nur als ein Element zuzulassen. Diesbezüglich, also für die Frage nach dem Wie, bleiben Vgl. Kaulbach, Philosophie der Beschreibung, S. 12. Vgl. Kaulbach, Philosophie der Beschreibung, S. 12. 116 V gl. Kaulbach, Philosophie der Beschreibung, S. 12. 117 Die Konfrontation mit der Theologie im weitesten Sinne ist eine späte Blüte derphilosophischen Beschäftigung mit Wissenschaft, und nicht die ursprünglich intendierte Absicht. V gl. dazu ausführlich Crombie, Von Augustinus bis Galilei passim.. bes. S. 546 ff. 114 115

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die Errungenschaften des naturwissenschaftlichen Ansatzes unbestritten und gehen selbstverständlich in die Verursachungslehre mit ein. Es wird also nicht die empirische Methode bestritten, sondern nur das Postulat ihrer ausschließlichen Gültigkeit. Die Formen dieser Einbeziehung des Momentes der Spontaneität sind unterschiedlich. Hier spielt nicht zuletzt das philosophische System, dem der Autor jeweils anhängt, eine Rolle, schon, was die sprachliche Fassung betrifft. Ganz allgemein kann aber gesagt werden, daß die Identifikation von mechanistischer Methode und wissenschaftlicher Sauberkeit zugunsten eines wie auch immer verstandenen geisteswissenschaftlichen Ansatzes zurückgewiesen wird. Dieser geisteswissenschaftliche Ansatz wird allerdings - und auch das ist wichtig - regelmäßig nicht oder nicht ausschließlich als "spezifisch juristisch" angesprochen. Deshalb besteht bei diesen Autoren auch die Möglichkeit von Systemvergleichen, beispielsweise mit Zurechnungsmodellen innerhalb der philosophischen Ethik. Der andere Weg ist demgegenüber durch die Inanspruchnahme einer juristischen Selbständigkeit gekennzeichnet. Verursachung im Recht sei eben etwas anderes als Verursachung in der Physik - oder auch in der Philosophie. Vertreter dieser Linie wenden oft die Techniken des Denkens in kausalen Zusammenhängen an. Sie sind aber gerne bereit, statt von einem Kausalzusammenhang auch von einern Zurechnungszusammenhang zu sprechen, weil Ziel der Verknüpfung zwischen Handlung und Erfolg in ihren Augen die Gewinnung einer brauchbaren Unterlage für die juristische Imputation ist. Dieses Vorgehen zeichnet sich durch die Weite des echten Pragmatismus aus, weil der Verursachungsbegriff im Rechtssinne per definitionem alles enthalten kann, was ihn zu einern tauglichen Instrument der Zurechnungslehre macht. Dieser zweite Weg ist der Auseinandersetzung mit dem Problem des Erfahrungsverständnisses enthoben, wie er auch durchaus von einer kritizistischen Grundlage aus beschritten werden kann. Wo die juristische Methode propagiert wird, die aus dem Zweck geboren ist, bleibt also die Grundauseinandersetzung naturwissenschaftlich versus geisteswissenschaftlich aus. Man hat keine Schwierigkeiten im Umgang mit der philosophischen Diskussion um die Grenzen der Erkenntnis oder um die Ansätze von Erklären und Verstehen in ihrem Verhältnis zueinander. Beide Wege sind beschritten worden, um die Figur einer Unterbrechung des (natur-)kausalen Zusammenhanges zu begründen. Die Heterogenität der Ansätze erlaubt es nicht, die Frage, wie man es mit der empiristischen Herausforderung halte, gleichsam von der Warte "des Gegners der Bedingungstheorie im Strafrecht" aus zu beantworten. Viele Gegner haben viele Antworten gegeben. Es kann aber die Frage gestellt werden, welche Antworten weiter getragen haben, die grundsätzlichen oder die pragmatischen. Die Unterbrechungslehre bietet hierfür ein gutes Untersuchungsfeld. Beide Richtungen haben sie vertreten; es wird also 3 Ling

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ein direkter Vergleich möglich sein. Festzuhalten ist aber schon jetzt, daß die Auseinandersetzung um die "Wissenschaftlichkeit" oder "Unwissenschaftlichkeit" des Rechts, die auch heute noch zuweilen von Verfechtern eines empiristischen Erkennens geführt wird 118 , weit in das Problem der Fassung des Begriffs der Verursachung hineinreicht. Wo die wissenschaftliche Erhellung eines Zusammenhangs als Erklären unter Aussparung subjektiver Betrachtungen l19 definiert wird, findet die Gleichsetzung von Wissenschaft und Naturwissenschaft im Sinne des neunzehnten Jahrhunderts statt. Die Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges kann auch heute noch Stein des Anstoßes sein. 2.

Das andere Verstl1ndnis von Verursachung

Hinlänglich klar ist jetzt der eine Weg, zu einern Begriff von Verursachung zu gelangen. Er führt ausschließlich über die empiristisch-mechanistische Beschreibung naturkausaler Zusammenhänge als einer Arbeitshypothese. Wie aber müßte das "Gegenmodell" beschaffen sein? Zunächst: Ein einziges Gegenmodell wird es nicht geben. Denn wo man nicht nei!} sagt zu jeder philosophischen Perspekti ve im Umgang mit den Begriffen Handlung und Verursachung, öffnen sich weite Räume der Veranschaulichung. Idealerweise aber wird ein Gegenentwurf dem formalen und dem inhaltlichen Ansatz des Empirismus erwidern. Es wurde schon oben darauf hingewiesen, daß kausale Handlungslehre und naturalistischer Kausalitätsbegriff derselben Wurzel entspringen. Entsprechend ist die Alternative in einer Parallelisierung von Handlung und Verursachung auffindbar. Was die Methode betrifft, muß zuerst zur Frage des Erkennens Stellung bezogen werden. Erkennen darf ja nicht rein objektbezogen und mechanistisch aufgefaßt werden. Statt dessen ist ein Standpunkt der Erkenntnis einzunehmen, der "durch Übergang über den Horizont der bloßen Objekt-Welt zu gewinnen" ist, ,,innerhalb dessen das 'Ich denke' bzw. 'Ich handle' und das 'Ich nehme zu den Objekten Stellung', sowie die dazugehörige 'Welt' in den Blickkreis der Philosophie treten" 120. Das Handeln - und das Verursachen - müssen also in einern Wechselspiel gesehen werden: Der Handelnde als Subjekt entwirft eine Interpretation von Wirklichkeit, die die Basis seines Wirksamwerdens darstellt 121 . Es gibt mithin neben dem Wirksam-Werden, das, weil es erscheint, dem Zugriff Vgl. Tripp, Einfluß, S. 289. Tripp, Einfluß, S. 289, Pn. 10. Die Parallelisierungen Tripps, der inhaltlich der sogenannten "Realen Rechtslehre" Ernst Wolfs folgt, sind umfassend: keine Wissenschaft außerhalb des Erklärens. 120 Vgl. Kaulbach, Einführung, S. 57. 121 Vgl. Kaulbach, Einführung, S. 57. 118

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der Empirie nicht entzogen ist, etwas wie das Moment der semantischen Funktion des Symptoms als Ausdruck der Innerlichkeit des Senders innerhalb des Organonmodells 122 . In der Sprache der Sprachtheorie gebührt der Sprechhandlung Aufmerksamkeit, insofern sie nicht als Sprachwerk objektivierbar ist 123 . Hier läßt sich die Parallelisierung Bühlers von Sprachtheorie und Zurechnungslehre weiterspinnen in der Frage: Was interessiert für die Zurechnung eigentlich: das Ereignis des Todes eines Menschen an sich, also aus jedem Kontext gelöst, oder das Ereignis der Tötung als geschichtliche Wirklichkeit? Also wird gegen die Bestrebungen des naturalistischen Ansatzes zunächst einmal ein großes Nein gesagt zu allen Versuchen, das, was personal-subjektiv als Ergebnis einer lebendigen Beziehung zwischen Subjekt und Außenwelt erscheint, als rein objektiven Faktor in eine kausale Explanation einzubauen 124 . Nein also zu einer "absoluten Objektivierung" 125 . Aber, und das ist die andere Seite der Medaille, kein Nein zu dem, was man als Rede von Kausalität 126 oder vielleicht besser als das Verursachungsmodell bezeichnen kann. Denn das, was das Reden von Verursachung ursprünglich ausmacht, jener Zusammenfall von subjektiven und objektiven Elementen, wie er sich auch heute noch in zahlreichen Begriffen findet, die ein Bewirken ausdrücken, wird bewahrt und gewissermaßen als Bild für den Vorgang des Verstehens weitergetragen. Ein schönes Beispiel für das Reden von Kausalität unter Einschluß dieses Subjektiven ist der kantische Begriff der ,,Kausalität aus Freiheit"127. Es ist die Analogie zum Bewirken im schöpferischen Akt, die von Kausalität so sprechen läßt, daß etwas hinzukommt, was den Mechanismus der Naturkausalität zum Mechanismus macht, mit dem ein Ich erschaffend spielt. Anders ausgedrückt: ,,Das moderne Bewußtsein des Handelnden legt sich einen Schauplatz seines Handeins zurecht, auf welchem es die Vorgänge naturgesetzlich beherrscht und vom Standpunkt des freien, verfügenden Subjekts aus die Natur als Inbegriff gefesselter Objekte behandelt." 128 Der handelnde Mensch erweist sich aus dieser Sicht als das "Prinzip" der Kausalkette, von ihm geht sie aus, und er bindet sie zu einer Einheit 129 . Oder, 122 V gl. Bühler, Sprachtheorie, bes. S. 28 f. Bühler ist es auch, der einen Vergleich zwischen sprachtheoretischer Analyse und strafrechtlicher Zurechnung anstellt und zeigt, daß die Kausalbetrachtung - verstanden als Naturkausalismus - in beiden Fällen Probleme aufwirft (S. 26). Denn (Sprach-)Sendung ist eben auch Handlung, und Handlung hat etwas Autonomes, denn sie will aus der "Creszenz (im Weinberg des praktischen Lebens)" (S. 53) verstanden sein. 123 V gl. Bühler, Sprachtheorie, S. 52 f. 124 Und natürlich ein ganz besonders großes Nein zu allen Versuchen, nurmehr nomologische Rationalität, d.h. kausale Zusammenhänge nur noch auf der Ebene der Sprachlogik, zuzulassen, wie z.B. im Modell der Explanation von Hempel und Oppenheim, vgl. Kaulbach, Einführung, S. 60 m.w.N. inFn. 4. 125 Vgl. zumBegriffKaulbach,Einführung,S. 59. 126 So Kaulbachs Ausdruck, Einführung, S. 59. 127 V gl. Kaulbach, Einführung, S. 60. 128 Kaulbach, Einführung, S. 57. 129 Kaulbach, Einführung, S. 57.

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wie es Aristoteles ausdrückt: Der Mensch ist das bewegende Prinzip von Handlungen und damit in diesem Wirksamwerden eine der bekannten Ursachen, als da sind: Natur, Notwendigkeit und Zufall und Geist und ,,alle menschliche Wirkenskraft"130 . So werden die Folgen des Handeins als das ,,Handgemeinwerden"131 des planenden Gedankens in der erfahrbaren Wirklichkeit verstanden und entsprechend im Wege der geschichtlichen Betrachtung auf diesen Ursprung, diese Ursache zurückgeführt. So erscheint zwar Wirklichkeit in der Prüfung der Ursächlichkeit, aber als "gemeisterte"132 Wirklichkeit, als Stoff, dem der planende Wille die Form gegeben hat. Die Naturgesetze sind nicht außer Kraft gesetzt. Sie sind ganz im Gegenteil notwendige Hilfen zur Bemeisterung der Dinge, die durch sie berechenbar und damit handhabbar werden. Zwei Wege, Verursachung zu begreifen. Daß sich die ganz herrschende Ansicht im Strafrecht für den ersten entschieden hat, ist allgemein bekannt. Demgegenüber ist fast in Vergessenheit geraten, daß noch zu Beginn dieses Jahrhunderts auch andere Verursachungslehren vertreten worden sind, die in besonderer Weise die Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Betrachtungsweise anschaulich machen. Denn nur, wenn man die unterschiedlichen Deutungen des Begriffs von Verursachung vergleichend gegenüberstellt, gewinnt man ein Bild vom eigentlichen Anliegen der damaligen Diskussion. Dessenungeachtet sind insbesondere die sogenannten individualisierenden Kausalitätstheorien fast völlig in die Bedeutungslosigkeit ab gesunken 133 , wohingegen sich die unzähligen Spielarten der objektiven Zurechnung wachsendt