Die Stiftung - ein Paradox?: Zur Legitimität von Stiftungen in einer politischen Ordnung 9783828205017, 9783110507508

Stiftungen als Instrumente bürgerschaftlichen und hoheitlichen Handelns erleben eine bemerkenswerte Renaissance. Während

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German Pages 237 [248] Year 2010

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Inhalt
Abstract
Vorbemerkung
I. Einleitung und Anlage der Untersuchung
II. Die Stiftung vor 1750
III. Die Legitimitätskrise des Stiftungswesens 1600–1800
IV. Kontinuität unter neuen Vorzeichen
V. Ein modernes Stiftungswesen?
VI. Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat
VII. Totalitarismus und Zerstörung
VIII. Westdeutscher Staat und Stiftungen nach 1945
IX. Stiftungen in der Zivilgesellschaft
X. Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation
Dank
Literatur
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Die Stiftung - ein Paradox?: Zur Legitimität von Stiftungen in einer politischen Ordnung
 9783828205017, 9783110507508

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Rupert Graf Strachwitz Die Stiftung - ein Paradox?

Maecenata Schriften Bd. 5

Rupert Graf Strachwitz

Die Stiftung - ein Paradox? Zur Legitimität von Stiftungen in einer politischen Ordnung

Lucius ft Lucius · Stuttgart · 2010

Kennziffer D6

Die Publikation wurde gefördert durch die Maecenata Stiftung, München.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

ISBN 978-3-8282-0501-7 © Lucius Ö Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2010 Gerokstraße 51 · D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Satz: Claudia Rupp, Stuttgart Umschlaggestaltung: I. Devaux, Stuttgart Druck und Bindung: Rosch-Buch, Scheßlitz

gewidmet meiner Enkelin Maxima

VII

Inhalt Abstract

VII

Vorbemerkung

Vili

I.

Einleitung und Anlage der Untersuchung 1.1 1.2 I.3.

II.

Die Problematik der Definition Das Stiftungswesen bis zur Neuzeit Nach der Reformation

71 81 87

Ein modernes Stiftungswesen? V.l V.2 V.3

VI.

51 54 66

Kontinuität unter neuen Vorzeichen IV. 1 Die Relegitimierung des Individuums IV.2 Die Säkularisierung des Stiftungsgedankens IV.3 Hegel

V.

28 42 48

Die Legitimationskrise des Stiftungswesens 1 6 0 0 - 1 8 0 0 III. 1 Bodin III. 2 Turgot III.3 Kant

IV.

1 14 23

Die Stiftung vor 1750 II. 1 11.2 11.3

III.

Einleitung Von der Krise des 18. zur Krise des 21. Jahrhunderts Zur Methodologie

Ein neues Stiftungsrecht Rezeption, Akzeptanz und öffentlicher Diskurs Stiftungen im 19. Jahrhundert

101 108 113

Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat VI.l Am Vorabend des Ersten Weltkriegs VI.2 Der Erste Weltkrieg und die Folgen VI.3 Stiftungen in der Weimarer Republik

122 133 137

VIII

Inhalt

VII. Totalitarismus und Zerstörung

VILI Stiftungen im Nationalsozialismus VII.2 Nach dem Zweiten Weltkrieg VII.3 Stiftungen in Ostdeutschland

142 145 149

VIII. Westdeutscher Staat und Stiftungen nach 1945

VIII. 1 Der Neubeginn VIII.2 Stiftungen zwischen Staat und Bürger VIII.3 Die parteinahen Stiftungen IX.

Stiftungen in der Zivilgesellschaft

IX. 1 Stiften aus bürgerschaftlichem Engagement IX.2 Der allmähliche Wandel IX.3 Die Diskussion um eine Reform der Rahmenbedingungen X.

152 155 160

163 170 175

Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

X.l X.2 X.3

Eine neue Legitimitätskrise? Stiftungen in der Theorie der Zivilgesellschaft Elemente einer neuen Stiftungstheorie

183 191 203

Danksagung

218

Literaturverzeichnis

219

Tabellen

1 2 3 4 5 6 7

Krisen des Stiftungswesens Neugründungen 1880-1939 Neugründungen 1910-1919 Unselbständige Stiftung in der Verwaltung von Städten Stiftungsgründungen 1941-1950 Stiftungsgründungen pro Jahrzehnt v o n l 9 5 1 - 2 0 0 0 Durchschnitt der Neugründungen pro Jahr von 1950-2009

25 128 133 147 153 154 175

IX

Abstract Around 1750, for the first time in history, foundations faced a fundamental legitimacy crisis. Whilst up to then, they had been considered an undisputed element in the fabric of society, the rise of the nation state prompted questions as to whether they could remain so. Starting in France, the issue of legitimacy was discussed all over continental Europe. Yet, except in France, foundations regained their legitimacy albeit with connotations of government control. This process was underpinned by the political philosophy of Fichte, and more prominently Hegel, the advocate of a strong and overruling state, who did however accord the right to exist to nongovernmental organizations. Hegel's immense influence on the formation of society in the 19 th and 20 th centuries provided a stable framework for foundations to flourish in a strictly regulated environment, irrespective of the upheavals of governmental structure. On the other hand however, with the emergence of the welfare state and following the severe economic crises of the post World War I period, foundations faced virtual marginalization, which in turn led to virtual disregard in policy debates. With the changes in the societal paradigm that have come about in the last two decades, the relationship between foundations and government has come under renewed scrutiny. The decline of the welfare state, and the rise of civil society have resulted in a new legitimacy debate that centres around the acceptability of decidedly undemocratic institutions within a framework that strives to introduce democracy into all aspects of societal life on one hand, and the desirability of non-governmental action and private philanthropy on the other. The purpose of this study is to examine the theoretical aspects of the post-1750 legitimacy crisis, the resulting 19 th and 20 th century paradigm, and the present-day legitimacy issues. Based both on relevant sources of political theory, and evidence of their impact, as well as practical examples, a paradox is established in that foundations show considerable continuity despite changing attitudes and societal conditions. Against this backdrop, arguments for and against a new legitimacy of foundations in an environment of increasing civic responsibility and individualism are brought forward in order to establish, whether and under which conditions foundations remain a legitimate expression of civic action and contributors to the public good.

χ

Vorbemerkung Vor nunmehr dreißig Jahren kam ich das erste Mal mit dem Stiftungswesen in Berührung, als ich in meiner damaligen beruflichen Funktion eingeladen wurde, mich bei einer neu gegründeten Stiftung um Fördermittel zu bewerben. Die Tatsache, daß diese Bewerbung erfolgreich und das die Organisation, für die ich tätig war, das neue Projekt damit auflegen konnte und ihr Profil damit grundlegend veränderte, hat gewiß mein Interesse am Stiftungswesen beflügelt. 1980 wurde ich erstmals Mitglied verschiedener Stiftungsorgane; 1987 begann ich, Stiftungen zu beraten und seit 1990damit, gestützt auf die Datenbank der deutschen Stiftungen 1 die ich mit einer Kollegin aufbaute, mich auch wissenschaftlich und publizistisch für dieses Thema zu interessieren. 1994 veröffentlichte ich erstmals ein Handbuch; 2 2005 folgte ein sehr viel umfangreicheres, das ich gemeinsam mit einem jungen Juristen herausgab. 3 In zahlreichen weiteren Buch- und Zeitschriftenbeiträgen habe ich verschiedene Aspekte des Stiftungswesens behandelt. 4 Die Ergebnisse meiner langen Beschäftigung mit der Thematik flößen naturgemäß in die hier vorgelegte Untersuchung ein. So beruhen einige Kapitel auf bereits publizierten Texten. 5

1 2 3 4 5

S. hierzu: Maecenata Management (Hrsg.), Maecenata Stiftungsführer, München 1994. Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen nutzen, errichten und führen, ein Handbuch, Frankfurt/Main 1994. Rupert Graf Strachwitz/Florian Mercker (Hrsg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Handbuch für ein modernes Stiftungswesen, Berlin 2005. S. www.strachwitz.info: Publikationsverzeichnis. S. insbesondere: Foundations in Germany and Their Revival in East Germany after 1989·, in: Helmut K. Anheier/Stefan Toepler (eds.), Private Funds, Public Purpose, Philanthropic Foundations in International Perspective, New York 1999; Verschwiegenheit und Transparenz gemeinwohlorientierter Akteure; in: W. Rainer Walz (Hrsg.), Rechnungslegung und Transparenz im Dritten Sektor, Köln/Berlin/ München 2004; Die Stiftung in Kants Metaphysik der Sitten; in: Zeitschrift zum Stiftungswesen, 5. Jg. Nr.3/2007; Stiftungen nach der Stunde Null, Die Entwicklung des Stiftungswesens in Westdeutschland nach 1945; in: Geschichte und Gesellschaft, 33. Jg., Heft 1/2007 (.Schenken, Stiften, Spenden' hrsg. v. Jürgen Kocka u. Gabriele Lingelbach); Stiftungen im gesellschaftlichen Diskurs; in: Thomas Adam/ Manuel Frey/Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen seit 1800 - Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 2009; Die Stiftung im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit - Historische Rückschau und aktuelle Trends; in: Philipp Egger / Bernd Helmig / Robert Purtschert (Hrsg.), Stiftung und Gesellschaft, Eine komparative Analyse des Stiftungsstandorts Schweiz, Basel 2006; Bürgerstiftungen in deutscher Stiftungstradition: zeitgemäßer Ausdruck bürgerschaftlicher Selbstorganisation; in: Stefan Nährlich/ Rupert Graf Strachwitz/Eva Maria Hinterhuber/Karin Müller (Hrsg.), Bürgerstiftungen in Deutschland - Bilanz und Perspektiven, Wiesbaden 2005; Ernst Abbe; in: Joachim Fest (Hrsg.), Die großen Stifter, Berlin 1997 ; Stiftungen in einer modernen Gesellschaft, Versuch einer Theoriebildung ; in : Helmut Kohl/ Friedrich Kübler/Claus Ott/Karsten Schmidt (Hrsg.), Zwischen Markt und Staat, Gedächtnisschrift für W. Rainer Walz, Köln/München 2008; Rupert Graf Strachwitz, Von Abbe bis Mohn, in: Thomas Adam/ Simone Lässig/Gabriele Lingelbach (Hrsg.), Stifter, Spender und Mäzene - USA und Deutschland im historischen Vergleich, Stuttgart 2009; Die Legitimitätskrise des Stiftungswesens im 18. Jahrhundert; in: Ingo Saenger/Walter Bayer/Elisabeth Koch/Torsten Körber (Hrsg.), Gründen und Stiften, Festschrift zum 70. Geburtstag des Jenaer Gründungsdekans und Stiftungsrechtlers Olaf Werner, Baden-Baden 2009.

1

I.

Einleitung und Anlage der Untersuchung

1.1

Einleitung

„Der Kern der Politischen Wissenschaft ist eine noetische Interpretation von Mensch, Gesellschaft und Geschichte, die gegenüber der Ordnungskonzeption der Gesellschaft, in der sie sich jeweils ereignet, mit dem Anspruch kritischen Ordnungswissens auftritt. Die Politische Wissenschaft im Sinne noetischen Ordnungswissens findet sich also - zum Unterschied von Wissenschaften, die Phänomene der Außenwelt untersuchen - in der besonderen Situation, daß die Politische Realität, die ihr .Gegenstand' sein soll, selbst durch ein Wissen, das sich auf den gleichen Gegenstand richtet, strukturiert ist." 6 Unter dieser Prämisse erscheint das Stiftungswesen als lohnender Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung. Die vorliegende Untersuchung widmet sich dem Stiftungswesen als zentralem Gegenstand und unternimmt den Versuch, dieses in einen Bezug zu der es umgebenden politischen Ordnung zu setzen. Als Ausdruck individuellen Handelns mit Wirkung für die Gesellschaft ist es mit der Frage konfrontiert, ob es von den anderen Beteiligten dieses Ordnungskonzepts ertragen, vielleicht sogar begrüßt, oder ob es abgelehnt und infolgedessen ausgegrenzt wird. Diese Frage ist in verschiedenen Konstellationen unterschiedlich beantwortet worden. Die gegenwärtige universelle Popularität dieses Handlungsinstruments stellt insoweit eine Momentaufnahme dar und muß nicht notwendigerweise Bestand haben. Für die Beantwortung dieser Frage spielt die Beantwortung einer Reihe von anderen Fragen eine wichtige Rolle: etwa, ob und inwieweit Stiftungen in einem Umfang vorhanden sind, der sie für das System und den Erfolg einer politischen Ordnung überhaupt relevant erscheinen läßt, aber auch, ob sie den an der Ordnung Beteiligten eher Nachteile oder Vorteile bringen. Gerade diese Frage wird von den Beteiligten unterschiedlich beantwortet. So können Stiftungen zwar der Mehrheit der Beteiligten aus systematischen Gründen, etwa zur Schaffung von Gegengewichten, gut gefallen. Den Herrschern oder politischen Eliten können sie aber eben wegen der durch sie möglicherweise bedingten Polyarchie ein Dorn im Auge sein, so daß nach deren Beseitigung trachten werden. Systematisch betrachtet kann in zweifacher Hinsicht danach gefragt werden, ob das Vorhandensein von Stiftungen vernünftig ist: Zum einen kann bezweifelt werden, ob individuelles Handeln angesichts der komplexen Mechanismen autonomer Entwicklungsprozesse irgendeine Aussicht auf Erfolg in sich birgt 7 . In der Tat ist bei den Bürgerinnen und Bürgern in Bezug auf den politischen Bereich die Auffassung, man könne ja sowieso nichts verändern, weit verbreitet. Zum anderen läßt sich die Frage

6 7

Eric Voegelin, Anamnesis, Zur Theorie der Geschichte und Politik, München 1966, S. 284. Martin Jehne, Der große Trend, der kleine Sachzwang und das handelnde Individuum, Caesars Entscheidungen. München 2009, S. 7, 17 f., 151.

2

Einleitung und Anlage der Untersuchung

stellen, ob die Stiftungen inhärente Langfristigkeit nicht der Erkenntnis widerspricht, daß sich die Zeitumstände permanent ändern und Vorfestlegungen, wie sie den Stiftungen eigen sind, diese Änderungsprozesse nicht in unzulässiger Weise behindern. Insbesondere läßt sich dies in Zusammenhang mit der politischen Ordnung problematisieren, die seit dem 18. Jahrhundert in Europa und Nordamerika entwickelt wurde und als repräsentative Demokratie bezeichnet wird; dies auch vor dem Hintergrund, daß die fundamentale Skepsis genau, und, soweit wir sehen, erstmals in dieser Zeit artikuliert wurde. Daß diese Demokratie gehalten ist, das Handeln jedes Mitglieds so lange zu respektieren, wie dieses den Bestand des Ganzen und die demokratische Willensbildung nicht beeinträchtigt, geht in diesem Zusammenhang insofern am Kern des Problems vorbei. Bedingt durch die inhärente Langlebigkeit der Stiftungen kann von einer fortwährenden Akkumulation ausgegangen werden, so daß schon relativ früh zumindest prognostiziert, systematisch vielleicht sogar unterstellt werden müßte, daß das Vorhandensein von Instrumenten, durch die frühere Generationen der gegenwärtigen ihren Willen aufzudrängen imstande sind, der .Herrschaft des Volkes' widersprechen muß. 8 Diesen Zweifeln, auf die im Verlauf und insbesondere am Schluß dieser Untersuchung ausführlich einzugehen sein wird, steht die empirische Erkenntnis gegenüber, daß gerade in der modernen demokratischen Gesellschaft Europas und Nordamerikas die Stiftungen eine lange nicht gekannte Blütezeit erleben, 9 nachdem die wesentlich weniger demokratisch strukturierten Gesellschaftsordnungen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts sehr viel größere Schwierigkeiten gehabt hatten, sie systematisch zu akzeptieren. Sowohl bei den politischen Entscheidungsträgern als auch bei der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sind Stiftungen wegen der von ihnen ausgehenden praktischen Wohltaten außerordentlich beliebt. 10 Das Paradox der Stiftung, daß sie gerade dann zu florieren scheinen, wenn sie sich gegen theoretische Ordnungsvorstellungen der Zeit behaupten müssen, läßt sich mehrfach aufzeigen, was in den folgenden Kapiteln auch geschehen soll. Diese Dichotomie läßt sich möglicherweise dadurch auflösen, daß einerseits das Stiften als eine der ältesten kulturellen Ausdrucksformen erkannt wird, die die menschliche Gesellschaft kennt. So kann zunächst als Arbeitshypothese formuliert werden, daß eine politische Ordnung gar nicht umhin kann, ein wie immer geartetes Stiftungswesen als Teil der zu ordnenden Realität zu akzeptieren, anders ausgedrückt, daß nicht das Stiftungswesen als solches ein Instrumentarium darstellt, daß im Rahmen einer politischen Ordnung geschaffen oder auch nicht geschaffen werden kann, sondern daß vielmehr diese Ordnung für die anthropologische Realität des Stiftens 8

Fritz Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung [überarbeitete und erheblich erweiterte Fassung der Konstanzer Antrittsvorlesung vom 5. Mai 1969. Konstanz 1972], Kronberg/Ts. 1975, S. 25 f. 9 S. hierzu Rainer Sprengel/Thomas Ebermann, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 2007, Stuttgart 2007. 10 S. die vielfachen und zwischen den politischen Parteien unstrittigen Verbesserungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen zwischen 1998 und 2007.

Einleitung

3

geeignete Instrumente zu schaffen hat. Eine Betrachtung älterer Ordnungen bis in das 18. Jahrhundert hinein und erneut im 19. Jahrhundert scheint dieses Paradigma zu bestätigen. Ob es sich jenseits offensichtlicher Versuche des sich seit dem 18. Jahrhundert entwickelnden Paradigmas des alles überwölbenden Staates ebenso bestätigen läßt, erscheint fraglich, bedenkt man beispielsweise den Kampf gegen die Stiftungen, den zum einen die absolutistische französische Monarchie des 18. Jahrhundert, zum anderen die marxistisch-leninistische Diktatur des Proletariats des 20. Jahrhundert relativ erfolgreich geführt haben. Eine breitere Stiftungsdefinition schärft allerdings den Blick für Stiftungsphänomene, die im hier zu behandelnden Sinn einzubeziehen sind. Gestiftet wurden und werden Religionen und weltliche Herrschaften ebenso wie kleine, spezialisierte Gebilde. „Im Rahmen seiner Rekonstruktion des modernen Vergesellschaftungsprozesses verweist [Max Weber] darauf, daß der Trennung von wertrationalen Verantwortung von eigenen Verdienstinteressen nicht nur für die Rationalisierungsprozesse der gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte im allgemeinen, sondern auch in Bezug auf das Stiftungswesen im besonderen weitreichende Bedeutung zukommt. Stiftungen finden sich in allen Hochkulturen. 11 Ihre Entstehung war meist religiös bestimmt. [...] Für den Prozeß einer Autonomisierung des Stiftungswesens waren zunächst Priesterschaften die entscheidenden Träger. [...] Die Stiftungen erlangten ihre Selbständigkeit gegenüber religiösen Zwecksetzungen, staatlichen Interventionen und ökonomischen Interessen, indem es ihnen gelang, die Ehre des Stifters und die mit der stifterischen Tätigkeit verbundenen Funktionen im Rahmen der sozialen Ordnungsfigur des Verbands auf Dauer zu stellen." 12 Nicht aus jedem Stiften wird eine Stiftung im modernen Sinne des Wortes. Aber aus vielen Stiftungsakten sind materielle Gebilde - universitates bonorum13 - geworden. Hegel hätte von Dingen oder Sachen gesprochen; 14 viele von ihnen haben eine erstaunliche Langlebigkeit bewiesen; zumindest haben sie die Lebenszeit ihrer Stifter weit überdauert. Ihnen ist nicht notwendigerweise ein Vermögen eigen, schon gar nicht ein rentierliches Vermögen, aus dessen Ertrag ein wie immer gearteter Zweck verwirklicht wird. Was sie eint, ist der Wille der Stifter, die durch das Stiften, wesentlich das Stiften einer Idee, 15 ein Werk begründen, das ihren Willen in die Tat umsetzen, zu einer ,Sache' .gerinnen' lassen soll. „Es wird also jedenfalls nützlich sein, sich mit der Geschichte des Stiftungswesens zu befassen - nicht mit dem Ziel, diese 11 12

13 14

15

Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie [1922], Tübingen 1976, S. 4 2 9 Steffen Sigmund, Solidarität durch intermediäre Institutionen: Stiftungen; in: Jens Beckert / Julia Eckert / Martin Kohli / Wolfgang Streeck (Hrsg.), Transnationale Solidarität - Chancen und Perspektiven. Frankfurt a.M./New York 2004, S. 102 Zur Erläuterung s. u. Kap. II. 1. S. z.B. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts [1820/1], Werke, Bd. 7, [1832-1845], neu ediert v o n Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/Main 1986 (TW), S. 115 (§ 52); im folgenden zitiert als .Hegel, Rechtsphilosophie'. S. hierzu ausführlich: Rupert Graf Strachwitz, Die Stiftung und ihre Idee; in: ders./Florian Mercker (Hrsg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Berlin 2005, S. 123-134.

4

Einleitung und Anlage der Untersuchung

Geschichte zu bereichern, sondern mit dem Ziel, ihr etwas zu entnehmen: nämlich Verständnis für eine Grundform menschlichen Zusammenlebens. Wir wollen aus der Deskription historischer Stiftungen eine Lehre für die Soziologie ziehen, und können in diesem Sinne von einer Stiftungslehre sprechen. Solange es den Menschen gibt, wie er bisher war, wird es in irgendeiner Weise auch Stiftungen geben, und man kann daher in der Soziologie keinesfalls von ihnen absehen." 1 6 Mohammed Rassem, der diese Sätze formulierte und zu diesem Thema in einer Zeit Überlegungen anstellte, als das Stiftungswesen scheinbar an einem Tiefpunkt angekommen war, geht noch einen Schritt weiter: „Eine unverrückbare Beziehung zu einem Leitbild ist eine .Stiftung'. Sie erst ergibt .Sitte und Brauch' statt dieses und jenes Verhaltens, und damit erst die Möglichkeit einer Wissenschaft von dem .Gebilde' dieses Brauchtums. Ohne das Vorhandensein bzw. Erkennen gestifteter Beziehungen kann man nicht von Geschichte sprechen." 1 7 Diese Überlegungen lassen Rassem von der Stiftung als Modell für das öffentliche Handeln des Menschen sprechen. „Es kann irgend etwas [...] gesetzt werden, aber es kommt auf die Verbindlichkeit dieser Setzung an. Stiftung ist ein verbindlicher Typus, genauer eine bestimmte Struktur, in der der Typus verbindlich geworden ist." 18 Damit ist freilich die Frage noch nicht beantwortet, ob Stiftungen als legitime Teile einer politischen Ordnung angesehen werden. Nicht alles, was aus einem bestimmten Blickwinkel heraus als wünschenswert - oder, um in der Sprache Rassems zu bleiben, als Modell - erscheint, ist tatsächlich in ein Ordnungssystem integrierbar. Im komplexen Geflecht von Herrschaft kommt es naturgemäß zu Ausschlüssen, auch von zunächst vorteilhaft erscheinenden Erscheinungsformen. Im Mittelpunkt der hier vorgelegten Untersuchung steht die Frage, ob und inwieweit die Stiftung in einer politischen Ordnung legitim ist. Sie will damit zugleich einen Beitrag zu dem Problem des Verhältnisses zwischen Zivilgesellschaft und Staat leisten, indem sich die erste Frage vor dem Hintergrund einer zweiten, nämlich der nach der Legitimität zivilgesellschaftlichen Handelns insgesamt entfaltet. Weit über die Rechtskategorie der Legalität hinausgehend attribuiert Legitimität das Handeln und Denken einem Paradigma, j a Wertegerüst, welches Orientierung für Entscheidungen liefern soll. Die systemtheoretischen Kategorien, wie sie etwa Scharpf für die Demokratie herausgearbeitet hat, 1 9 treten demgegenüber in den Hintergrund, indem Gesellschaftsordnungen nicht nur hinsichtlich ihres partizipativen und pluralistischen Aspektes im Rahmen demokratietheoretischer Überlegungen, 2 0 sondern insbesondere auch hinsichtlich ihres Bezuges zur Herrschaft des Rechts, zu ihrer Positionierung im Hinblick auf Menschen- und Bürgerrechte und zu ihren kulturellen

16 Mohammed Rassem, Entwurf einer Stiftungslehre [1952]; in: ders., Stiftung und Leistung, Essais zur Kultursoziologie, Mittenwald 1979, S. 171. 17 Mohammed Rassem, Die Stiftung als Modell [1956/1960]; in: Stiftung und Leistung, S. 193. 18 Ibid., S. 194. 19 Scharpf, loc. cit. 20 Ibid., S. 29 ff., 54 ff.

Einleitung

5

Traditionen beleuchtet werden. 21 Einerseits sind Stiftungen intrinsisch geschichtlich. Andererseits sind politische Ordnungen ohne historischen und kulturellen Kontext nicht verständlich und folgen eben nicht einem abstrakten Modell, während sie allerdings von theoretisch entwickelten Modellen stark geprägt werden können. Die im weiteren noch darzustellende Prägung des deutschen Ordnungsmodells durch Hegel ist hierfür ein Beispiel, auch dafür, daß mit einem demokratietheoretischen Modell allein die Ordnungswirklichkeit einer Gesellschaft nicht hinreichend beschrieben ist. Insofern kann die Frage nach der Legitimität von Stiftungen nur in der Spiegelung der historischen Wirklichkeit und des politiktheoretischen Paradigmas beantwortet werden. Bis in das 18. Jahrhundert sind keine Anzeichen dafür zu finden, daß das Stiftungswesen theoretisch als legitimer Teil der politischen Ordnung in Frage gestellt wurde. Auch wenn in protestantisch gewordenen Ländern Enteignungen stattgefunden haben, richteten sich diese doch, wie der Fortbestand der Stiftungen in den ebenfalls protestantisch gewordenen Städten zeigt, im Kern gegen das Kirchenvermögen und hatten überdies eher die Vermögensmehrung des Herrschers im Blick, die durch solche Säkularisationsakte entstand. Dann aber geschah dies an sehr prominenter Stelle - in der Encyclopédie22 - durch einen sehr bekannten Autor - Turgot 23 - in sehr scharfer Form. Das Zeitalter der Vernunft, 24 so läßt sich verkürzt formulieren, erklärte die Stiftung für unvernünftig. Paradox ist, daß die Legitimitätsfrage seitdem immer wieder einmal gestellt wurde, das Stiftungswesen in der Praxis jedoch zwar litt, aber Bestand zu haben scheint. Die Gefährdungen in der Praxis haben auf den ersten Blick andere Ursachen. Und doch gibt es bei näherem Hinsehen durchaus Zusammenhänge zwischen dem theoretischen Diskurs und der Entwicklung in der Praxis. Die Position der Gesellschaft bezüglich des Stiftungswesens im 21. Jahrhunderts ist, so kann man konstatieren, das Ergebnis einer langen Entwicklung des Selbstverständnisses der Gesellschaft insgesamt, vor allem aber der Funktion des Staates in ihr. Kritik am Stiftungswesen bleibt im wesentlichen ein akademischer Diskurs. Insofern scheint es lohnend, die Debatte um die Stiftungen an jener um die politische Ordnung zu messen, dabei auf die Paradoxien ebenso hinzuweisen wie auf die Wirkungsgeschichte theoretischer Ordnungsvorstellungen, dieses Handlungsinstrument auch im Kontext anderer zu betrachten und daraus schließlich eine politische Theorie der Stiftung zu entwickeln. Um dies tun zu können, ist eine Klärung der Begrifflichkeiten notwendig, da insbesondere die beiden im Mittelpunkt stehenden Begriffe - Stiftung und Legitimität - nicht so eindeutig definiert sind, daß sie ohne weitere Erläuterung gebraucht wer21

S. die vielfach bekräftigten vier Grundprinzipien des Europarates (Demokratie, Herrschaft des Rechts, Bürger- und Menschenrechte, kulturelle Traditionen). 22 hierzu ausführlich Kapitel ΙΠ.2. 23 Ebenso. 24 .The Age of Reason' (,Das Zeitalter der Vernunft'), so der Titel von Harold Nicolsons berühmtem Buch über die Aufklärung (London 1960).

6

Einleitung und Anlage der Untersuchung

den könnten. In Bezug auf den Begriff der Stiftung geschieht dies in Kapitel II. 1 in ausführlicher Weise; die dort vorzunehmenden Klärungen sind für den Gang der Untersuchung von zentraler Bedeutung, und insbesondere die in Kapitel X.3 versuchte Theoriebildung wäre ohne diese nicht zu bewerkstelligen. In Bezug auf den Begriff der Legitimität soll dies an dieser Stelle versucht werden. Heydemann und Toepler haben in ihrer Einleitung zu dem 2006 erschienen Band ,The Legitimacy of Philanthropie Foundations'25 dazu folgendes ausgeführt: „[...] It is useful to distinguish between two broad levels or aspects of legitimacy [...]. At one level, legitimacy relates to the right to exercise power and the acceptance ofthat right by others. This combination of procedural legitimacy, in the sense of conforming to the requirements of law, and normative legitimacy, in the behaviour of an institution is perceived as fair and just, are both part of the challenge that foundations face in securing the consent of society and the legal right from government to exist and operate that together constitute the base of their legitimacy. " 26 Hier werden von den Autoren ausdrücklich zwei Perspektiven mit einander verbunden, die in der Regel auseinander gehalten werden; während die eine formalen Charakter hat, ist die andere sozial bestimmt. 2 7 John Schaar, auf den sich die Autoren hier beziehen, weist der formalen Perspektive großes Gewicht zu, indem sich der Anspruch auf Argumente stützt, die außerhalb der bloßen Meinungsäußerungen eines Anspruchstellers stehen, während die andere die Legitimitätsfrage in Glauben oder Ansichten auflöst. 2 8 Für die Zwecke einer Untersuchung, die eine politische Theorie der Stiftung entwickeln will, ist diese Gewichtung unbefriedigend. Gewiß ist nicht zu leugnen, daß auch eine formale Legitimität, wohl besser als Legalität bezeichnet, in einem - unter anderem - auf der Herrschaft des Rechts aufbauenden Gemeinwesen für die Daseinsberechtigung von Prozessen und Institutionen unerläßlich ist. So stellte Scharpf schon 1969/72 klar: „Für die Politikwissenschaft ist [...] kein Anlaß, die kritische Diskussion normativer Theorien von vornherein dem Bereich voluntaristischer Beliebigkeit oder einer als unwissenschaftlich disqualifizierten .Philosophie der Politik' zuzuweisen." 2 9 Begreift man, was uns unumgänglich erscheint, Legitimität als normativen Begriff, stellt sich zunächst die Frage nach der Definitionshoheit. Diese ist dann relativ leicht zu beantworten, wenn einer außerhalb dieser Ordnung stehenden Instanz diese α priori zugebilligt wird. Über viele Jahrhunderte war dies in Europa die christliche Kirche, die sich ihrerseits auf die Autorität ihres Stifters Jesus Christus berief - ob in jedem Fall zu Recht, kann wohl bezweifelt werden, ist aber für den hier vorzutragenden Gedankengang nicht relevant. Ab dem 16. Jahrhundert kam der Kirche diese 25 Kenneth Prewitt/Mattei Dogan/Steven Heydemann/Stefan Toepler (eds.), The Legitimacy of Philanthropie Foundations: United States and European Perspectives. New York 2006. 26 loc. cit., S. 19. 27 Ibid. 28 Ibid. Unter Bezug auf John H. Schaar, Legitimacy in the Modern State; in: William Connoly (ed.), Legitimacy and the State, New York 1984, S. 108. 29 Scharpf, loc. cit., S. 18 f.

Einleitung

7

Definitionshoheit abhanden, sei es durch die Entwicklung politischer Theorie, sei es durch die Widersprüchlichkeit verschiedener kirchlicher Autoritäten. Sie wurde durch eine Definitionshoheit ersetzt, die unmittelbar an die Ausübung säkularer Herrschaft gebunden ist. Die im Augsburger Religionsfrieden der weltlichen Macht eingeräumte Autorität, über das religiöse Bekenntnis der Untertanen zu bestimmen, läutete herrschaftsgeschichtlich einen Prozeß ein, 30 der zunächst von Bodin, später von Hobbes theoretisch ausgestaltet wurde. Während sich aber zunächst auch die weltliche Herrschaft als gestiftete Herrschaft im Sinne eines sakralen Königtums begriff und ihre Definitionshoheit normativ weiterhin im wesentlichen an den traditionellen Paradigmen ausrichtete, entfaltete sich seit dem 18. Jahrhundert, historisch nicht erstmalig, ein Konzept der kollektiv eingesetzten Herrschaft, wodurch die Definitionshoheit letztlich auf die Einsetzer, das heißt die stimmberechtigten Bürger, überging. Während sich dies in der Entwicklung der amerikanischen Gesellschaftstheorie deutlich artikulierte, blieben europäische Demokratieentwicklungen zum Teil deutlich hinter diesem Anspruch zurück. Zwar wurde die Herrschaft durch die Gesamtheit der Bürger eingesetzt, doch blieb die Herrschaftsübertragung in den Einzelheiten an vielen Stellen unbestimmt, da kulturelle Traditionen kaum reflektiert fortlebten. Das Ausmaß der Herrschaft erschien weit umfassender, erstreckte sich jedenfalls für lange Zeit auf die Definitionshoheit über die Legitimität gesellschaftlicher Erscheinungsformen und begann dort abzubröckeln, wo es eingespielte Beeinflussungsmechanismen und nicht etwa, wo es theoretische Alternativen oder theoretischen Nachholbedarf gab. Scharpf hebt in diesem Zusammenhang hervor, „daß die Beispiele erfolgreicher Reformbestrebungen in der deutschen Innenpolitik überwiegend im Bereich der Rechtspolitik zu liegen scheinen" 31 , was er darauf zurückführt, daß „die Entscheidungsvorbereitung [...] durchweg bei den Juristen in den Ministerien und Parlamentsausschüssen [lag], in deren eigenem Bezugssystem der Orientierung an Rechtswissenschaft, Rechtsprechung und an der juristisch-rechtspolitischen Diskussion eine überragende Bedeutung zukommt" 32 . In diesem Kontext war die Definitionshoheit über die Legitimität von Erscheinungsformen wie der Stiftung primär gerade nicht in einen politik- und demokratietheoretischen Diskurs eingebettet, sondern orientierte sich an einem daraus gewissermaßen gefiltert abgeleiteten Modell, das es rechtlich zu entwickeln galt. Legalität im Sinne von Gesetzeskonformität war und ist wohl zum Teil bis heute insofern für die Beurteilung von Legitimität entscheidender als die Affinität zu einem normativen Paradigma. Freilich ist zuzugeben, daß Legalität dann deutlich leichter als Legitimität zu konstatieren ist, wenn die Definition eines normativen Paradigmas nicht theologisch begründet und nicht als Attribut von Herrschaft definiert ist, sondern ein Ergebnis hochkomplexer kollektiver Entschei30

31 32

Wolfgang E. J. Weber, Politische Integration versus konfessionelle Desintegration - Das Problemlösungsangebot der Politiques im europäischen Kontext; in: Carl A. Hoffmann/Markus Johanns/Annette Kranz/Christof Trepesch/Oliver Zeidler (Hrsg.), Als Frieden möglich war - 4 5 0 Jahre Augsburger Religionsfriede. Regensburg 2005, S. 131-146. Scharpf, loc. cit., S. 89. Ibid.

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

dungsfindungsprozesse darstellt, wenn also Legitimität nicht gestiftet, sondern assoziativ entwickelt wird. Daß sie damit, von der Natur des Prozesses her zugleich erheblich volatiler wird, erleichtert die Festlegung nicht. Hinzu kommt, daß Legitimität bzw. dessen religiöse, rechtliche oder philosophische Fundierung durchaus der Untermauerung von Herrschaftsansprüchen dient und insofern interessengeleitet sein kann. Darüber hinaus wird spätestens hier deutlich, daß ein universeller Konsens über die Legitimität von Handlungsoptionen und Paradigmen nicht erzielbar ist, w o bei schon das 18. Jahrhundert deutlich die Divergenzen zwischen unterschiedlichen handlungsleitenden Ordnungsvorstellungen sowie zwischen diesen und neuen theoretischen Entwürfen aufzeigt. An dieser Stelle erscheint eine einschränkende Anmerkung geboten. Zwar läßt sich innerhalb einer politischen Ordnung festlegen, ob bestimmte sozialrelevante Erscheinungsformen oder Instrumente mit den Grundlagen dieser spezifischen Ordnung kompatibel und insofern legitim sind; damit ist jedoch die Frage nach der Legitimität dieses Ordnungssystems an sich noch keineswegs beantwortet. Hierzu wären ganz andere Argumentationsstränge erforderlich. Auf die Untersuchung dieser Fragestellung wird hier im Hinblick auf die Nachrangigkeit der Legitimitätsdefinition im Kontext der politischen Theorie der Stiftung weitgehend verzichtet. Wir beschränken uns vielmehr auf die Frage nach der Legitimität von Stiftungen in bestehenden politischen Ordnungen. Gänzlich auszuklammern ist die weitergehende Frage freilich nicht, da Ordnungssysteme eklatant unseren Vorstellungen von einem Ordnungssystem, das unseren Wertvorstellungen entspricht, zuwiderlaufen können. Dies trifft beispielsweise für das nationalsozialistische System zu, in dem die Paradoxien der Stiftungen, wie noch zu zeigen sein wird, überaus deutlich hervortreten. Legitim erscheint dementsprechend im politischen Kontext auch, was zum Ordnungssystem der Zeit im Widerspruch steht oder mit diesem nicht kompatibel erscheint. Im theoretischen Kontext gilt dies für den Ordnungsentwurf. In diesem untersucht der jeweilige Autor für den Zusammenhang des Entwurfs die Kompatibilität und entscheidet somit die Legitimitätsfrage. Im politischen Kontext können dagegen die Verfahrensweisen höchst unterschiedlich sein. In der repräsentativen Demokratie sind an die Legitimität von Handlungsinstrumenten Meßlatten der Kompatibilität anzulegen, die sich aus den Grundsätzen der Demokratie ergeben. Hierzu gehören beispielsweise in der politischen Wirklichkeit die Gleichheit vor dem Gesetz, aber auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Chancengleichheit, aber auch die Begrenzung des Einflusses einzelner. Ein Bürger, der seine Chancen optimal genutzt hat, zu Vermögen gekommen ist und zum Stifter wird, wird auf diese Chancengleichheit pochen, wenn ihm ein zu großer Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten vorgeworfen wird. Er wird insofern die Legalität seines Handelns betonen und die theoretische Legitimität, die zumindest die positive Rezeption im Sinne einer Akzeptanz, wohl aber auch die Orientierung an weitergehenden Wertvorstellungen in die Beurteilung einbezieht, vernachlässigen wollen oder sich an Wertvorstellungen orientieren, die

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gerade nicht von der Mehrheit der Mitglieder der Gesellschaft geteilt werden, jedoch im Sinne der Pluralität dieser Gesellschaft toleriert werden müssen. Besonders eklatant erscheint in der derzeitigen Diskussion die Dichotomie, die sich zwischen selbstermächtigtem, individuell orientierten Handeln und gemeinsamem Handeln, womöglich unter Führung des Staates, auftut. Letzteres ist für die deutsche politische Wirklichkeit in den letzten Jahrzehnten bestimmend geworden und wird vielfach, so im vorliegenden Zusammenhang auch von uns, als Korporatismus bezeichnet. „Die Vorstellung und Beobachtung wohlgeordneter und dauerhafter Verknüpfungen von Staat und Verbänden anstelle einer Vielgestalt punktueller Einflußbeziehungen unterscheidet den Korporatismusansatz von der Pluralismustheorie amerikanischer Prägung." 33 Bezogen auf das Stiftungswesen begegnen wir hier freilich der Schwierigkeit, daß dieses im Sinne einer organisationstheoretischen Zuordnung zur organisierten Zivilgesellschaft in unmittelbare Nähe zu den Verbänden und Vereinen gerückt wird, sich von diesen jedoch hinsichtlich der Binnenstruktur grundlegend unterscheidet. 34 Dennoch wirken Stiftungen nach außen, den Verbänden bzw. Vereinen sehr ähnlich, vielfach als Teilhaber dieser „wohlgeordneten und dauerhaften Verknüpfungen", die schon Philippe Schmitter beschrieb. 35 Setzt sich allerdings ein bürgergesellschaftliches Konzept durch, das die Gesellschaft gerade nicht von dieser oder gar vom Staat her begreift, sondern vom Individuum und seiner unmittelbaren Privatsphäre ausgeht und die drei Arenen Markt, Staat und Zivilgesellschaft für seine gesellschaftliche Wirkung definiert, so ist dem traditionellen Korporatismus deutscher Prägung damit eine Absage erteilt. Die Stiftungen haben sich vielmehr im Wettbewerb der Arenen zu bewähren, wobei sie innerhalb der zivilgesellschaftlichen Arena von ihrer Genese her dem individuellem Ausgangspunkt am nächsten stehen, von ihrer Tätigkeit her allerdings in die Nähe der Markt- oder Staatsarena geraten können. Legitimität erweist sich also bei näherem Hinsehen als keineswegs feststehende Kategorie. Ihre Definition ist vielmehr eingebettet in zahlreiche Diskurse und kann in unterschiedlichen Paradigmata sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Entwicklung einer Theorie der Bürgergesellschaft seit den 1980er Jahren hat darüber hinaus ältere Definitionsversuche zum Teil obsolet werden lassen. Dennoch gilt, was Ralf Dahrendorf schon 1967 in den Begriff der .aktiven Öffentlichkeit' gekleidet hat 3 6 . Sie „ist definiert durch die aktive Anteilnahme an der Diskussion über Möglichkeiten, Ziele und Handlungsalternativen in politischen Entscheidungsprozessen. Sie läßt sich darum kaum strukturell umschreiben, auch wenn die Inhaber bestimmter Positionen - insbesondere etwa Wissenschaftler, Publizisten und Journalisten, Lehrer 33

Roland Czada, Konjunkturen des Korporatismus, Zur Geschichte eines Paradigmenwechsels in der Verbändeforschung; in: Wolfgang Streeck (Hrsg.), Staat und Verbände. Opladen 1994, S. 37. 34 Vgl. Ulrich v. Alemann, Vom Korporatismus zum Lobbyismus? Die Zukunft der Verbände zwischen Globalisierung, Europäisierung und Berlinisierung; in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 2 6 27/2000). 3 5 Philippe C. Schmitter, Still the Century of Corporatism?·, in: Review of Politics 36, 1974, S. 8 5 - 131. 3 6 Ralf Dahrendorf, Aktive und passive Öffentlichkeit; in: Merkur 21, 1967, S. 1109-1122.

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und Anwälte, aktive Mitglieder in Berufsverbänden, Interessenorganisationen und Parteien, heute oft auch Studenten und Schüler - dabei von vornherein bevorzugt erscheinen". 3 7 Wenn diese aktive Öffentlichkeit einen Konsens über die Zulässigkeit von Handlungsoptionen erzielen kann, ist dadurch eine wesentliche Legitimitationskategorie geschaffen. Akzeptanz in der Gemeinschaft erscheint im Zusammenhang politischer Prozesse als primäres Legitimationskriterium. Auf den formalen Prozeß im Sinne einer demokratischen, einer mehrheitsgetragenen Legitimation in der Formulierung solcher Akzeptanz kommt es dabei ausdrücklich nicht an. Freilich läßt sich fragen, ob in einem solchen System normativer Akzeptanz 3 8 eine „grundsätzlich von Eliten initiierte Politik auch die Interessen der Nicht-Eliten befriedigen" 3 9 wird. Der funktionalen Nützlichkeit kommt insofern doch eine hohe Bedeutung zu. Jedenfalls wird Legitimität hier in einem engen Bezug zu Akzeptanz gesehen, wobei diese im theoretischen Kontext eher systematisch, im praktisch-politischen Kontext eher reaktiv gesehen wird. Diese Akzeptanzkategorie ist im übrigen von dem Ordnungssystem selbst prinzipiell unabhängig. Nur die Konsequenzen einer Nicht-Akzeptanz artikulieren sich unterschiedlich oder zumindest mit unterschiedlichen Fristen. Die hier vorgelegte Untersuchung fragt in diesem Sinn nach der Legitimität des Stiftungswesens. Sie fragt nicht abstrakt, sondern greift Versuche auf, diese Legitimität in Zweifel zu ziehen, mag man sich hieran in der gegenwärtigen politischen Bevorzugung dieses Handlungsinstruments auch nicht oder nur ungern erinnern, Anfragen aus der Wissenschaft auch gern verdrängen. Diese Wissenschaft hat bisher Antworten auf diese Frage nicht zufriedenstellend erbracht, j a eigentlich die Frage als Forschungsfrage nicht gestellt. Die hier vorgelegte Untersuchung betritt insoweit Neuland. Der Zeitraum von rd. 250 Jahren, von 1750 bis heute, der den Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung bildet, ist durch eine ideengeschichtliche Entwicklung bestimmt, die in dieser Zeit dreimal eine Fundamentalkritik am Stiftungswesen formuliert hat, im ersten und zweiten Fall mit staatstheoretischer, im dritten - wesentlich weniger stark - mit demokratietheoretischer Argumentation. Die erste Phase hat das Stiftungswesen überstanden; nach der zweiten hat sie sich, wenngleich mit einigem zeitlichem Abstand, erholt. Welche Auswirkungen die dritte Phase auf das Stiftungswesen haben wird, ja, ob sie überhaupt die Entwicklung beeinflussen wird, ist aus heutiger Sicht offen. In jedem Fall aber kann dieses Beispiel paradigmatisch Legitimierungen und theoretische Fundierungen von Gesellschaftsmodellen aufzeigen. Im 18. Jahrhundert setzte die grundsätzliche Kritik an diesem bis dahin weithin unbestrittenen Instrument menschlichen Willens ein. „Das Interesse des Staates an einem umfassenden Machtmonopol, die Abneigung der Aufklärung gegen kirchliche Stiftungen (und Stiftungen überhaupt!), die kürzeren Perioden staatlicher Willensbildung

37 Scharpf, loc. cit., S. 87 f. 38 Ibid., S. 38. 39 Ibid., S. 39.

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und Aktion, die dem langen Atem der Stiftungen widerstreiten - das alles wurde Stiftern und Stiftungen in der Neuzeit zum Verhängnis. Seit dem 16. und vermehrt seit dem 18. Jahrhundert geraten die Stiftungen in Europa in die Defensive." 40 Es begann eine Auseinandersetzung, die mit drei wesentlichen Argumenten die Legitimität von Stiftungen in einer modernen Gesellschaft anzweifelte: 1. dem Nützlichkeitsargument: 41 „Welch einen Nutzen kann eine Stiftung haben, trägt sie doch eine unheilbare Krankheit in sich, die aus ihrer ureigenen Natur herrührt - die Unmöglichkeit, die Ausführung [des Stifterwillens] aufrecht zu erhalten?" 42 2. dem Machtargument: „Der Staat muß die Freiheit haben, sie [die Stiftungen] nach dem Bedürfnisse der Zeit einzurichten." 43 3. dem theoretischen Argument: „Das Ich ist etwas, das sich schlechterdings nicht zum Ding machen läßt." 44 Oder andererseits: „Das Subjektive der Armut und überhaupt der Not aller Art, der schon in seinem Naturkreise jedes Individuum ausgesetzt ist, erfordert auch eine subjektive Hilfe ebenso in Rücksicht der besonderen Umstände als des Gemüts und der Liebe. Hier ist der Ort, wo bei aller allgemeinen Veranstaltung die Moralität genug zu tun findet. Weil aber diese Hilfe für sich und in ihren Wirkungen von der Zufälligkeit abhängt, so geht das Streben der Gesellschaft dahin, in der Notdurft und ihrer Abhilfe das Allgemeine herauszufinden und zu veranstalten und jene Hilfe entbehrlicher zu machen. Das Zufällige des Almosens, der Stiftungen, wie des Lampenbrennens bei Heiligenbildern usf. wird ergänzt durch öffentliche Armenanstalten, Krankenhäuser, Straßenbeleuchtung usw." 45 Diese Legitimationskrise hat das Stiftungswesen in Deutschland im Gegensatz zum französischen zwar mit Verlusten, aber letztlich bruchlos überstanden. Neugründungen von Stiftungen sind im ganzen 18., 19. und 20. Jahrhundert nachweisbar und erreichen im beginnenden 21. Jahrhundert vordem nie gekannte Ausmaße. 46 Dies ging allerdings damit einher, daß die Stiftungen einerseits in ein staatlich kontrol-

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Hans Maier, Notwendigkeit und Luxus, Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Staat und Stifter; in: Stifterverband für die deutsche Wissenschaft (Hrsg.), Stifter und Staat, Essen 2005, S. 83. Die Diskussion darüber, ob und inwieweit es sich dabei um die Argumentation des Utilitarismus nach Jeremy Bentham und in Teilen John Stuart Mill handelt, soll hier insbesondere deshalb nicht geführt werden, weil sie hier zwei Generationen vor Bentham auftaucht. A n n e Robert Jacques Turgot, Eintrag , F o n d a t i o n i n : Denis Diderot/Jean Baptiste le Rond d'Alembert, Encyclopédie [1755/56], zitiert nach ders., Oeuvres de Turgot, Bd. 1, Paris 1844, S. 301 (Übers, d. Verf.). Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, A n h a n g erläuternder Bemerkungen zu den metaphysischen A n f ä n g e n der Rechtslehre. 8. Von den Rechten des Staats in Ansehung ewiger Stiftungen für seine Untertanen. [1798(2), S. 1 7 8 - 1 8 4 ] , Werke, Bd. IV, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1956, S. 4 9 2 - 4 9 6 . [Friedrich Wilhelm Joseph von] Schelling, ausgewählt und vorgestellt v o n Michaela Boenke, München 1995. S. 103. Hegel, Rechtsphilosophie, S. 388 (§ 242). Rainer Sprengel/Thomas Ebermann, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 2007, Stuttgart 2007, S. 29.

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liertes System eingegliedert wurden, juristisch eine neue Dogmatik entwickelten 4 7 und sich dieser Eingliederung auch fügten, und daß sie andererseits über lange Zeit Verluste an Identität, Entfaltungsspielraum und schließlich auch Vermögen ertragen und im 20. Jahrhundert eine wesentliche Verminderung ihrer Zahl in Kauf nahmen mußten. 4 8 Daß sie sich in gewisser Weise wehren, d.h. für das Stiftungswesen an sich stark machen, ist eine Entwicklung, die erst im 21. Jahrhundert begonnen hat. 4 9 Dies ist, so die Ausgangsthese dieser Untersuchung, nicht lediglich einer Kette von historischen Zufallen und schon gar nicht wirtschaftlichen Konstellationen geschuldet. Insofern bildet die Verknüpfung von staatlicher Stiftungsförderung mit wirtschaftlichen Erwartungen ein Novum. Die Bereitwilligkeit, mit der die Stiftungen seit etwa 1800 das neue Paradigma akzeptierten, läßt vielmehr darauf schließen, daß ihre handelnden Personen von diesem weithin überzeugt waren. Dieses hatte oder bekam, wie zu zeigen sein wird, eine allgemein rezipierte ideengeschichtliche Fundierung - wie wir meinen, wesentlich durch Hegel, der sowohl für die Stifterfreiheit als auch für die Kontrolle derselben in seinem System die Argumente liefert. Und dies ist nicht der, wie Dahrendorf formuliert, „verderblichen Vieldeutigkeit Hegelscher Formulierungen" 5 0 geschuldet, sondern paßt innerhalb der Hegeischen Systematik durchaus zusammen, kann also seinerseits die lang anhaltende Rezeption des Hegelschen Systems und seine große Wirkung auf den Aufbau von Staat und Gesellschaft in Deutschland belegen. „Hegels .Rechtsphilosophie' [...] ist sicher eines der wirkungsreichsten Bücher in der Geschichte der politischen Philosophie. [...] Seit dem Erscheinen im Jahre 1820 bis heute haben alle wichtigen Strömungen der politischen Philosophie sich - positiv oder kritisch - mit diesem Werk auseinandergesetzt." 5 1 Überdies sind die Stiftungen im Kontext der modernen Gesellschaft in der Tat ein Paradoxon. Denn, wie zu zeigen sein wird, wird ihr Überleben als legitime Ausdrucksform immer und gerade dann gesichert, wenn alle gängigen Argumente für eine Beseitigung sprechen würden. Waldemar Nielsens berühmtes Diktum, „Like the giraffe, they could not possibly exist, but they do"52, beschreibt die Situation. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden sie zunehmend zur Marginalie. Sie haben ideengeschichtliche Entwicklungen nicht angestoßen oder befördert, sind aber wohl durch diese beeinflußt worden. Es wäre daher wenig ergiebig zu erforschen, was Protagonisten der Ideengeschichte oder der politischen Theorie ausdrücklich über Stiftungen und deren gesellschaftliche Einordnung gesagt haben. Das Ergebnis wäre, von wenigen, im folgenden aufzuzeigenden Ausnahmen abgesehen, im wesentlichen negativ. Die Frage bei der 47 Dieter Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht, Geschichte der Rechtsformen, Forschungen zum deutschen Recht Bd. ΠΙ, Heft 3, Schriften der Akademie für Deutsches Recht, Gruppe Rechtsgeschichte, Weimar 1938, S. 1, 48 Sprengel/Ebermann, loc. cit. 49 S. Kapitel IX. 50 Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1968, S. 226. 51 Ludwig Siep, Vorwort; in: ders. (Hrsg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Berlin 2005, S. 1. 52 Waldemar A. Nielsen, The Big Foundations, New York 1972, S. 3. (Übers, d. Verf.: "Wie Giraffen, sollten sie eigentlich gar nicht existieren können, aber sie existieren doch.")

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Betrachtung des Stiftungswesens ist vielmehr, welche Ideen, geistigen Strömungen sowie Rezeptionsgeschichten so einflußreich oder einschlägig waren, daß sie auch auf die Entwicklung des Stiftungswesens ausstrahlen konnten. Insofern gilt das Paradox auch umgekehrt: Die Stiftungen wollen, so läßt sich zusammenfassen, durch eine einmalige Willensbekundung nachhaltig wirken, können es aber gerade deswegen nicht, weil hierzu mehr Anpassungsfähigkeit an eingetretene Entwicklungen notwendig wäre. Unter dem Vorzeichen spezifischer Prinzipien des Konstrukts Stiftung, das ungeachtet eines evolutionären Prozesses innerhalb der Stiftung selbst weit überproportional von dem bei der Gründung formulierten Willen des Stifters abhängig bleibt und somit gegen zeitbedingte Strömungen und Moden, die gerade heute erheblichen Einfluß auf die Gestaltung von Politik ausüben, eine nicht zu unterschätzende Widerstandskraft entwickeln kann, schließt sich die Frage an, ob durch Stiftungen gesellschaftliche Evolutionsprozesse letztlich stabilisiert, verlangsamt oder behindert werden. 53 Bedarf, so ist zu fragen, Michael Borgoltes Urteil, „daß Stiftung weniger als die Tat eines Tages, sondern eher als ein längerfristiger Prozeß zu deuten ist" 54 , im Kontext einer stiftungsinhärenten Verspätung bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen einer Relativierung? Und können Stiftungen die ihnen öffentlich zugemessene Aufgabe als Innovatoren in der Gesellschaft 55 tatsächlich und langfristig erfüllen? Oder sind sie Exponenten eines strukturellen Konservativismus? Im Zusammenhang mit einer normativ angestrebten, weiteren Demokratisierung aller gesellschaftlichen Prozesse führt diese Analyse erneut zur Frage nach der Legitimität von Stiftungen. Genauer, im Kontext einer Neubestimmung von gesellschaftlichen Akteuren ist zu fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen Stiftungen als Teile einer Zivilgesellschaft tolerierbar - man könnte auch sagen legitim - erscheinen. Als zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert die theoretischen Grundlagen der modernen Gesellschaft gelegt wurden, wurde die Legitimitätsfrage schon einmal gestellt - und theoretisch wie praktisch positiv beantwortet. Weil diese „Moderne" zu Ende geht, stellt sich diese Frage erneut.

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Herfried Münkler, Anstifter, Unruhestifter - wie Stiftungen Veränderungen bewegen; in: ZEIT Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (Hrsg.), Gerd Bucerius zum 100. Geburtstag, Facetten seines Wirkens, Hamburg 2006. S. 27. (Text auch veröffentlicht in: Merkur, Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, Bd. 61, H 3 2007, S. 200-210) Michael Borgolte, Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen; in: Hans Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts [1963] Tübingen 2002, S. 18. Vgl. Reinhard Mohn, Ziele einer operativen Stiftung; in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Operative Stiftungsarbeit: Strategien - Instrumente - Perspektiven, Gütersloh 1997, S. 30.

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Die hier vorgelegte Untersuchung geht von der These aus, daß die Legitimitationskrise des Stiftungswesens im 18. Jahrhundert als Teil einer grundsätzlichen Diskussion über die Rolle unterschiedlicher Akteure in der Gesellschaft zu sehen ist. „Die Stiftungen geraten ebenso wie die Vereine im 18. Jahrhundert auch deshalb ins Blickfeld einer politischen Wissenschaft, weil man sich im Zusammenhang der Diskussionen um die Staatsform (etwa bei Rousseau) verstärkt mit der Frage auseinandersetzt, ob Herrschaft sinnvollerweise von einer natürlichen Person ausgeübt werden soll. Da diese Frage zunehmend veraeint wird, rücken folgerichtig die juristischen Personen ins Blickfeld."56 Diese Krise wurde im 19. Jahrhundert bei - im Gegensatz zur herrschenden Meinung - nur graduellen Unterschieden zwischen einzelnen Ländern in der Weise überwunden, daß Stiftungen als weiterhin zulässig erachtet wurden, wenn sie sich der Staatsverwaltung unterordneten. Die radikale Forderung nach einer Auslöschung der Stiftungen setzte sich nicht durch. Mit diesem Konzept gelang den Stiftungen im 19. und 20. Jahrhundert eine angesichts der politischen Umwälzungen erstaunlich kontinuierliche Entwicklung, obwohl der fundamentale Widerspruch zwischen einem Stiftungsmodell und einem zunehmenden Demokratiepostulat nicht aufgehoben wurde. Die Rückkehr zu einem polyarchischen Gesellschaftsmodell, die infolge der Verselbständigung des Marktes und dem Erstarken der Zivilgesellschaft im späten 20. Jahrhundert zur Diskussion steht, wirft jedoch die Frage auf, ob bzw. inwieweit diese neuerliche grundsätzliche Veränderung des gesamtgesellschaftlichen Paradigmas zu einer erneuten Legitimitätskrise des Stiftungswesens führen muß und ob auch diese überwindbar erscheint. Diese Frage erscheint um so spannender, als den Stiftungen heute ein Stellenwert zugemessen wird, den sie mindestens zwei Jahrhunderte lang nicht beanspruchen konnten. „[...] Ein großer Teil der Aufgaben, die uns gestellt sind, ob das die Integration von Migrantenbevölkerungen sind, ob das die Veränderung des Schulwesens ist, ob das die Neugestaltung sozialer Systeme ist, große wie kleine Probleme, die Lebendigkeit und die Lebensfähigkeit kleiner Lebenskreise zu erhalten, das Subsidiaritätsprinzip verwirklichen zu helfen - all das sind Voraussetzungen dafür, daß die Freiheit erhalten bleibt. Denn immer dauert die Versuchung fort, in den Institutionen Vormund der Menschen zu werden. Stiftungen leisten Widerstand gegen diesen Vormundschaftsanspruch. Sie machen deutlich, daß die Freiheit die eigentliche Basis von Legitimation für das Handeln in einer freiheitlichen Gesellschaft ist [...]".57 Kann, so ist zu fragen, dieser Anspruch angesichts der großen Zweifel hinsichtlich der Legitimität des im 19. Jahrhundert entwickelten Stiftungssystems in einer durch die Zivilgesellschaft mitgeprägten Ordnung überhaupt eingelöst werden?

56 Armin Adam, Despotie oder Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel [1997] Freiburg/München 2002 (2), S. 26 f. 57 Kurt Biedenkopf, Gemeinwohl als Verpflichtung - Stiften als gute Bürgertat; in: Kester-HaeuslerStiftung (Hrsg.), 20 Jahre Kester-Haeusler-Stiftung, Fürstenfeldbruck 2008, S. 39.

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Und da es um normative Fragestellungen geht, kann sich daran die Frage anschließen: Soll er es? Wie noch zu begründen sein wird, wird die Frage nach einer neuerlichen Legitimitätskrise bejaht, zugleich werden aber theoretische Legitimationsansätze für Stiftungen in einer modernen Gesellschaft angeboten, die eine Überwindung der Krise als möglich erscheinen lassen. Ob und inwieweit sich hierzu das Selbstverständnis der Stiftungen Veränderungsprozessen unterwerfen muß, soll im letzten Teil der Untersuchung zumindest angedeutet werden. Dabei ist allerdings die Bedeutung der Paradoxien nicht zu unterschätzen, die in der Bewertung von Stiftungshandeln zu vordergründig unvereinbaren Ergebnissen geführt haben. Es werden vielfach Dichotomien eröffnet, die die Stiftungen immer wieder in einem Gegensatz zu den herrschenden gesellschaftlichen Paradigmen setzen, j a sie als Gegenbewegungen profilieren. So werden beispielsweise heute die Stiftungen durch gesetzliche Privilegierungen herausgehoben, obwohl in der Bildungs-, aber auch in der Erbrechtspolitik primär auf gleiche Chancen der Bürgerinnen und Bürger in der jeweils eigenen Generation abgestellt und generationenübergreifende Kontinuitäten, wie etwa das Erbrecht deutlich macht, mit Mißtrauen betrachtet werden. Historisch betrachtet steht beispielsweise bei Turgot der radikalen Ablehnung des stiftungstypischen Individualismus das Lob des freiwilligen kollektiven Handelns gegenüber. Eine Generation später steht bei ausdrücklicher Berufung auf die theoretischen Erkenntnisse der vorhergehenden Generation die Ablehnung ebendieses freiwilligen kollektiven Handelns im Mittelpunkt des Kampfes gegen die sogenannten Intermediäre, unter denen die Stiftungen beiläufig und eher halbherzig subsummiert werden. 5 8 Auf weitere Dichotomien wird hinzuweisen sein. Insgesamt wird durch die Untersuchung das Urteil Waldemar Nielsens von 1972 bestätigt. Stiftungen waren letztlich spätestens seit dem 18. Jahrhundert als Institution ein Paradox; ebendies macht sie zu einem reizvollen Untersuchungsgegenstand. „Wenn der Staat mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt und seine Bestimmung in die Sicherheit und den Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit gesetzt wird, so ist das Interesse der einzelnen als solcher der letzte Zweck, zu welchem sie vereinigt sind, und es folgt hieraus ebenso, daß es etwas beliebiges ist, Mitglied des Staates zu sein." 59 So brachte Hegel sein Staatsverständnis auf den Punkt. Aber so sehr Hegel auch den Staat gerade so nicht beschrieben sehen wollte, so sehr trifft auf den Staat des beginnenden 21. Jahrhunderts gerade diese Beschreibung zu. Es wird daher zu fragen sein, ob und inwieweit die Stiftungen, die sich in das Hegeische Staats- und Gesellschaftsverständnis eingefügt haben, einen Wechsel ihrer Position herbeiführen können oder sollen. 60

58 Vgl. Spiros Simitis, Die Loi le Chapelier: Bemerkungen zur Geschichte und möglichen Wiederentdeckung des Individuums; in: Kritische Justiz, 22. Jg., Baden-Baden 1989, S. 157-175. 59 Hegel, Rechtsphilosophie, S. 399 (§ 258). 60 S. hierzu Kapitel IV.3.

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

Wie wir versuchen werden darzulegen, wird das wesentlich von Hegel konzipierte System heute von ganz anderer Seite in Frage gestellt. „Es stellt sich [...] die Frage, in welcher Weise die heute auf vielen Feldern kurrenten Netzwerk-Theorien auf das Gebiet der sozialen Epistemologie Einfluß nehmen. Konkret: Was hat es für Folgen, wenn Gesellschaften sich nicht mehr als Organismen [...], sondern als Vielzahl interdependenter, aber höchst variabel geknüpfter und schnell veränderlicher Netze beschreiben? [...] Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Definition und das Selbstverständnis von sozialen Akteuren und kollektiven Subjekten [...]?"61 Niklas Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionen mit erheblichen Konsequenzen. 62 Demgegenüber befaßt sich die internationale Zivilgesellschaftsdebatte zunehmend mit dem Problem der Autokephalie der gesellschaftlichen Handlungsfelder und fragt vor diesem Hintergrund, ob es tatsächlich Aufgabe des Staates sei, Stiftungen seiner Aufsicht zu unterstellen. „Im Bereich der Ideengeschichte wiederholt sich jenes Phänomen der Auflösung linearer Sequenzen durch Komplikation: Die Bewertungsfaktoren nehmen zu, und gerade eine Gesellschaft, die Pluralismus als Moral pflegt, wird nicht mehr sagen können, daß unter den neueren Ideen solche sind, die älteren Ideen moralisch (!) schlechthin überlegen sind." 63 Die Frage ist also, ob oder inwieweit sich Stiftungen erneut bzw. neu theoretisch legitimieren müssen. Die Antwort auf diese Frage wird durch einen Rückblick auf die vorhergehende fundamentale Legitimationskrise, deren Ursachen, Bedingungen, theoretische Auslöser und Wirkungen gesucht. Es soll daher die Veränderung des Stiftungswesens im Zusammenhang mit der Staatstheorie und dem Staatsverständnis seit 1750 untersucht werden. Im Mittelpunkt steht das deutsche Stiftungswesen; jedoch muß in der Betrachtung des 18. Jahrhunderts wegen der zentralen Bedeutung und der Rezeptionsgeschichte der Encyclopédie64 notwendigerweise darauf Bezug genommen werden. Die Konzentration auf das Machtargument in der Legitimitätskrise wird auf den ersten Blick einleuchten. Es wird jedoch zu zeigen sein, daß auch andere Argumente das Verhältnis zwischen Stiftungen und Staat einschneidend berühren konnten. Das Jahr 1750 ist bewußt gewählt. Dies war nicht nur fast das genaue Erscheinungsjahr der wichtigsten Polemik gegen das Stiftungswesen, des schon erwähnten Beitrags ,Fondation ' in der Encyclopédie. Auch entstand infolge der politischen Umwälzungen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland der moderne Verfassungsstaat; nach Hegels Ansicht hatte sich dieser zwischen 1789 und 1815 in seinen Grundzügen ausgebildet. 65 Die 1791 entstandene Erste 61 Albrecht Koschorke, Ausblick; in: Albrecht Koschorke/Susanne Lüdemann/Thomas Frank/Ethel Maiala de Mazza, Der fiktive Staat, Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt/Main 2007. S. 386. 62 Niklas Luhmann, Soziologie der Moral [1978]; in: ders., Die Moral der Gesellschaft, Frankfurt/Main 2008. S. 153. 63 Ibid., S. 136. 64 In der Encyclopédie erschien der Hintrag Fondations von Turgot: S. Kap. ΙΠ.2. 65 Ludwig Siep, Vernunftrecht und Rechtsgeschichte, Kontext und Konzept der .Grundlinien' im Blick auf die .Vorrede'; in: ders. (Hrsg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 25.

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Französische Republik und das Ende das .Alten Reiches' im Jahre 1806 boten dafür die herrschaftsgeschichtlichen Eckdaten. Nach der bereits 1807 erlassenen Verfassung für das napoleonische Königreich Westphalen folgten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die von den Staaten des Deutschen Bundes sukzessive erlassenen Verfassungen, gemäß der Aufforderung der Schlußakte des Wiener Kongresses von 1815, die, wenngleich überwiegend im Geist der Karlsbader Beschlüsse von 1818, 66 das Verhältnis zwischen Staatsautorität und Bürgerschaft umfassend neu regeln. Diese Zeit war in Deutschland zugleich eine Zeit des intellektuellen Aufbruchs. „Die Startbedingung [...] findet sich [...] in der Erneuerung der moralischen Emphase um 1700. Noch einmal wird die Moral auf die Natur des Menschen bezogen und als Theorie moralischer Gefühle, das heißt vernünftiger Sensibilität für andere, etabliert. Mehr als zuvor wird aber darauf geachtet, daß es um jeweils mindestens zwei verschiedene Individuen geht, die jeweils eigene Interessen verfolgen, die vor allem sich selbst lieben und durch ihre Vernunft gehalten sind, mit in Betracht zu ziehen, daß dies auch für den anderen gilt. [...] Diese Zweiermoral tendiert bereits zur Ausdifferenzierung spezifisch sozialer Beschränkungen der [...] .Selbstverwirklichung', aber sie differenziert sich noch nicht deutlich gegen das Bewußtsein und die anthropologische Grundausstattung der Individuen auf der einen Seite und die makrogesellschaftlichen Fragen der Staatspolitik [...] auf der anderen. Man kann in dieser Übergangssituation - sagen wir: zwischen Shaftesbury und Kant - nochmals die Illusion haben, eine Wissenschaft vom Menschen zu begründen, die psychologische mit sozialen Tatsachen auf der Grundlage der Moral verbindet." 6 7 Die Aufklärung, gerade auch die französische, und das Erlebnis der Revolution von 1789 bedingten eine intellektuelle Diskussion um die Gesellschaft, wie sie vorher und nachher kaum j e mit solcher Leidenschaft und in solcher Breite geführt worden ist. „Man dürfe sich nicht der Einsicht entziehen, erklärt Adam Müller [ein Zeitgenosse (Anm. d. Verf.)], daß wir aus dem Mutterleib nicht ins Freie, sondern in den Gesellschaftsleib hineingeboren würden und daß dem Menschen alles fehle, ,wenn er die gesellschaftlichen Bande oder den Staat nicht mehr empfindet'." 6 8 Hegel, obgleich mit allen übrigen Protagonisten der Diskussion in Kontakt, galt und gilt als der einflußreichste Theoretiker des aus dem Geist der Karlsbader Beschlüsse geborenen Ergebnisses. „Selten hat ein großer Philosoph einem seiner Werke einen solchen .Bärendienst' erwiesen wie Hegel seiner Rechtsphilosophie mit der zeitbezogenen Pole-

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Die sog. Karlsbader Beschlüsse, auf einer Konferenz in Karlsbad, zu der der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich Vertreter v o n ihm als vertrauenswürdig angesehenen deutschen Staaten (Preußen, Hannover, Sachsen, beide Mecklenburg, Nassau, Bayern, Baden, Württemberg) eingeladen hatte, erarbeitet und v o m Bundestag am 20. September 1819 formell beschlossen, markierten den Beginn der Reaktion und Restauration, die die Politik der Staaten für die nächsten 30 Jahre bestimmen sollten. Sie beinhaltete neben der Vorzensur und anderen Maßnahmen insbesondere die Behinderung der Freiheit v o n Forschung und Lehre. Niklas Luhmann, Ethik als Reflexionstheorie der Moral [1989]; in: ders., Die Moral der Gesellschaft, Frankfurt/Main 2008, S. 315. Rüdiger Safranski, Romantik, Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 179.

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

mik des Buches von 1820. 69 Der Erfolg war durchschlagend. Bis heute gilt der Hegel der .Grundlinien' in weiten Kreisen als einer der führenden Ideologen der preußischen Restauration und als einer der Väter der für die Geschichte so verhängnisvollen politischen Romantik." 70 Wenngleich diese Verfassungen das französisch-republikanische Vorbild durchweg nur eingeschränkt aufgriffen und von der Idee des Rousseauschen Sozialkontrakts weit entfernt waren, so trugen sie doch dazu bei, das politische Leben in Deutschland auf eine neue Grundlage zu stellen, allerdings taten sie dies nicht allein. Andere umfassende Gesetzeswerke, wie das 1794 erlassene Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, hatten daran ebenso Anteil wie die ideengeschichtliche Entwicklung, die der Staatssouveränität ebenso einen völlig neuen Rang einräumte wie der Bedeutung kodifizierter und einheitlicher Rechtsverhältnisse zwischen den - in Deutschland mit wenigen Ausnahmen monarchischen - Inhabern der Souveränität und ihren Untertanen. Anders ausgedrückt: Der Rang des Staates wurde ganz unabhängig von der Regierungsform neu definiert. Dieser Aspekt wird in der Diskussion um Staatsform, persönliche Freiheit und andere Entwicklungen häufig übersehen. Diese ideengeschichtlichen Zusammenhänge bestimmen die Richtung der Untersuchung. Die Entwicklungen in Deutschland sind ohne allgemeine Revolution, man könnte sagen, ohne grundlegende Neustiftung eines politischen Konzepts, vonstatten gegangen. Zwar kann man für die Zeit zwischen 1789 und 1815 auch für Deutschland einen Ausnahmezustand konstatieren, aber ob dadurch die Politik gezwungen war, ein „beispielloses Exempel zu statuieren", mag vom Ergebnis her bezweifelt werden. 71 Die situative Gegebenheit, in der „nicht mehr nach rechtlichen Rücksichten gefragt" wird, „sondern nur nach dem im konkreten Fall geeigneten Mittel zu einem konkreten Erfolg" lag in Deutschland jedenfalls in dieser Verallgemeinerung nicht vor. 72 Es erhebt sich daher die Frage, wie bestehende Ordnungen und Rechtspersönlichkeiten in das neue System übernommen bzw. von diesem abgestoßen wurden. Zu diesen zählen konkret neben den Städten, Kirchen und Universitäten, anderen Einrichtungen wie Akademien sowie einer Vielzahl von Mitgliedsorganisationen die Stiftungen, die besonders in den Städten in großer Zahl und zum Teil schon seit Jahrhunderten bestanden. Durch ihre in aller Regel vorhandenen und in manchen, wenngleich keineswegs in allen Fällen ganz erheblichen Vermögenswerte waren sie gegen Einflüsse von außen zu einem gewissen Grad resistenter als andere und konnten den ihnen von ihren Stiftern mitgegebenen Zweck weiter erfüllen. Da diese Zwecke vielfach im 69 Die Grundlinien tragen zwar auf dem Titelblatt die Jahreszahl 1821, sind aber schon im Herbst 1820 ausgeliefert worden. [...] (Anm. im Zitat) 70 Siep, loc. cit., S. 5. 71 S. hierzu Herfried Münkler, Im Namen des Staates, Die Begründung der Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt/Main 1987, S. 187-193; vgl. Ethel Matala de Mazza, Theater der Allmacht: Der Coup d'Etat; in: Albrecht Koschorke/Susanne Lüdemann/Thomas Frank/Ethel Mattala de Mazza, Der fiktive Staat - Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas. Frankfurt am Main 2007, S. 184 72 Carl Schmitt, Die Diktatur, Von den Anfangen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, Berlin 1994, S. 11; zitiert nach Matala de Mazza, loc. cit., S. 185.

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sozialen, seltener auch im Bildungsbereich lagen, waren sie damit einerseits in den schwierigen Umbruchszeiten weiterhin willkommen, denn zumindest in den kleineren deutschen Staaten wäre die staatliche Autorität weder organisatorisch noch finanziell in der Lage gewesen, diese Aufgaben zu übernehmen. Andererseits waren sie dieser Autorität jedoch wegen ihrer Autonomie ein Dorn im Auge. So hatte beispielsweise die Aufhebung der - durchweg Stiftungscharakter tragenden - landständischen Klöster in Süddeutschland 1803, sanktioniert durch Reichstagsbeschluß (den sog. Reichdeputationshauptschluß 73 ), über die Befriedigung materieller Begehrlichkeiten der Territorialherren weit hinaus auch die Bekräftigung des Anspruchs auf ein ungeteiltes Machtmonopol zum Ziel. Daß mit der Aufhebung zu Lasten weiter Teile der ländlichen Bevölkerung eine ganze Sozialstruktur vernichtet wurde, wurde nicht bedacht bzw. in Kauf genommen. 7 4 In Frankreich wurden 1791 Stiftungen ebenso wie Vereine als Rechtsinstitute ausdrücklich beseitigt, nachdem die Gründung der ersteren schon 1749 in Frankreich massiven Beschränkungen unterworfen worden war. Beide galten nun als unerwünschte Intermediäre, die geeignet waren, das unmittelbare Verhältnis zwischen Bürger und Staat zu beeinträchtigen. „II n'y a plus de corporation dans l'état; il n'y a plus que l'intérêt particulier de chaque individu, et l'intérêt général!"75 Die Idee des Sozialkontrakts hatte dazu geführt, daß das Konzept der Republik den ausschließlichen Zusammenschluß der Bürger im Staatsverband zugrunde legte und alle gesellschaftlich maßgeblichen Entscheidungen dem permanenten Willensbildungsprozeß der Volksvertretung unterwarf. „Für die französischen Aufklärer ging es zentral um die Frage, wie eine legislative Instanz losgelöst von der Person des Monarchen gedacht werden konnte. Dabei wuchs der Gesetzgeber zu einem kulturstiftenden Schwellenheros und schließlich zu einer geradezu transzendentalen Größe heran, weil er dem politischen Körper vorausblickend die Form verlieh, die ihn überhaupt erst zur Rationalität befähigte und die so etwas wie eine soziale Menschwerdung möglich werden ließ." 76 Man kann sowohl bezogen auf den Monarchen als auch auf die individualistische Stiftung fragen: Was galt den nun? Das Primat des Individuums über die Korporation oder das Gegenteil davon? Andererseits aber auch: Hatte eine Institution, die so stark historisch bedingt ist wie die Monarchie noch einen legitimen Platz, wenn sie so fundamental in Frage gestellt wurde? 73

Der Reichsdeputationshauptschluß v o m 25. Februar 1803, das Schlußprotokoll einer besonderen Deputation des Reichstags, legitimierte reichsrechtlich die schon vorher v o n Frankreich und Rußland beschlossene Säkularisierung und Mediatisierung der geistlichen und vieler weltlichen Reichsstände, die jeweils größeren Herrschaften einverleibt wurden. 74 S. hierzu: Dietmar Stutzer, Die Säkularisation 1803 - Der Sturm auf Bayerns Kirchen und Klöster. Rosenheim 1978. 75 Isaac René-Guy Le Chapelier (1754-1794), Abgeordneter, als Berichterstatter in der Französischen Nationalversammlung am 4. August 1789 zu Beginn der Debatte, die am 4. Juni 1791 mit der Verabschiedung der Loi Chapelier' endete; zit. nach Simitis, loc. cit., S. 157 (Übersetzung Simitis: „Es gibt keine Korporation mehr im Staat; es gibt nur noch das partikuläre Interesse jedes einzelnen und das Aügemeininteresse." (Ibid., Anm. 5)) 76 Koschorke, loc. cit., S. 249. Κ. verweist hier insbesondere auf Jean Jacques Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 7. Kap. .Vom Gesetzgeber'.

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

Daß das unbedingte Primat des demokratischen über das Rechtsstaatsprinzip eine derart massive Instabilität des gesellschaftlichen Lebens nach sich zog, so daß die Bürger alsbald ein Ende dieser Verhältnisse herbeisehnten und sich der Diktatur Napoleons nicht sonderlich ungern unterwarfen, verwundert nicht. Denn die Diktatur war klug genug, den Rechtsstaat weiter auszubilden und zu kodifizieren. Allerdings: Raum für die alten intermediären Strukturen wurde dadurch nicht wiederhergestellt. Die Verfassung des Königreichs Westphalen, ein französisches Diktat 77 , und auch spätere deutsche Verfassungen folgten tendenziell dieser Tradition und führten insofern ungeachtet aller restaurativen Schwerpunkte in Staatsform, Staatsaufbau und bürgerlichen Freiheiten die Grundsätze der Aufklärung fort. Daß darin für zum Teil Jahrhunderte alte, an ihren Gründungsauftrag gebundene, mit eigener Satzung ausgestattete und „auf ewig" eingerichtete Gebilde kein Platz war, schein daher plausibel, wobei ein zusätzliches Argument zum Tragen kam. Diese Gebilde wurden auch, und zwar durchaus begründet, mit einem anderen als überholt angesehenen Phänomen der Gesellschaft in Verbindung gebracht: der Bedeutung der Religion für das tägliche Leben der Bürger. War diese bis ins 18. Jahrhundert hinein der bestimmende Faktor der Lebensgestaltung gewesen, so wurde sie nun zu einer privaten Option, die vielfach nicht mehr ausgeübt wurde. Als fast durchweg religiös fundierte Organisationen waren Stiftungen dem Verdacht ausgesetzt, den Einfluß der Religion auf die Gesellschaft gegen den Willen der Bürger perpetuieren zu wollen. Die Legitimitätskrise wurde dadurch noch verschärft, daß Stiftungen im wesentlichen ein urbanes Phänomen darstellten, das nicht zuletzt in oligarchischen Strukturen der Hervorhebung einzelner Teilhaber der Macht gedient hatte. Der moderne Staat hingegen trachtete danach, die Autonomie der Städte zu brechen, was mittels der mit dem Reichdeputationshauptschluß von 1803 verbundenen Säkularisierung und einhergehenden Mediatisierung (sowohl der kleineren Territorialherrschaften als eben auch der Mehrheit der reichfreien Städte) im Ansatz auch gelang. Und schließlich mußten Stiftungen schon wegen ihrer impliziten Geschichtlichkeit und ihres zum Teil hohen Alters in einer Zeit, die ausdrücklich den Anspruch erhob, alles unter dem Gesichtspunkt der Vernunft neu zu ordnen, als ein hoffnungslos überholtes Relikt einer vergangenen Gesellschaftsordnung gelten und schon deswegen zusammen mit vielen alten Sitten und Gebräuchen als nicht mehr wünschenswert angesehen werden. Es hätte insofern nicht verwundert, wenn das frühe 19. Jahrhundert auch in Deutschland die Institution der Stiftung ganz beseitigt hätte. Der ab etwa 1807 einsetzende massive antifranzösische Affekt, der weite Teile der Bevölkerung ergriff und alles (bis hin zur Kleidung!) gutzuheißen schien, was eine Zurückweisung französischer Ideen und Sitten beinhaltete, kann als Erklärung dafür, daß dies nicht geschah, ebensowe-

77 Die Verfassung für das Königreich Westphalen [sie] wurde am 15. November 1807 in Fontainebleau ausgefertigt. Vgl. Arnulf Siebenecker, Der Modellstaat; in: König Lustikl? Jerome Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen (Ausstellungskatalog Kassel). München 2008, S. 381 ff.

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nig genügen wie die durch den Wiener Kongreß in Teilen bedingte - vielfach nur nominelle - Wiederherstellung der alten Verhältnisse. Dazu war auch in Deutschland die Tradition der Aufklärung, aus der sich die Neuordnung der Verhältnisse in ganz Europa ideengeschichtlich wenngleich mit unterschiedlichen Akzenten speiste, zu stark. Kants dem „Befehlshaber" erteilte Generalvollmacht 7 8 und Hegels alles überwölbender Staat waren Konzepte von durchschlagender Wirkung. „In der Politik haben wir es mit Menschlichem zu tun, und wenn wir an die Stelle der Menschen, der Repräsentanten den Staat als Klischee setzen, wie Hegel das hier tut, dann haben wir schon die gesamte politische Betrachtungsebene verlassen. Das Klischee ist [...] heute noch wirksam." 7 9 Von daher mag es zunächst erstaunen, daß die 1815 entstandene Stiftung des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt am Main, die mit eindeutig säkularem Charakter die Heranführung der Bürger an die Kunst im Goetheschen Sinne zum Ziel hatte, zum paradigmatischen Beispiel einer Stiftung hochstilisiert wurde, 8 0 die erstmalig säkular und kulturell orientiert war - nicht zu Recht zwar, aber mit Erfolg. Die Form selbst war unbestritten. Wie gezeigt werden soll, konnte die Stiftung als Institution in der Praxis überleben, weil sie sich dem Herrschaftsanspruch und dem Definitionsprimat des Staates nicht widersetzte, im Gegenteil, es im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte sogar in Teilen lebhaft unterstützte, in anderen freilich auch nur duldete. Zugleich bezog sie eine neue Legitimation aus der aktiven Beteiligung an auch von Seiten des Staates gewünschten Innovationen. Dies allein hätte freilich nicht genügt. Es bedurfte auch eines positiven geistesgeschichtlichen Fundaments, auf das sich die gefährdete Stiftung stellen und von dem aus sie eine neue und nachhaltig tragfähige Legitimation herleiten konnte. Das Paradox bedurfte eben doch einer Begründung. Daß es im 19. und 20. Jahrhundert gelang, die Stiftung in Deutschland auf dem aus Akzeptanz, Beteiligung und Theorie gebildeten Fundament neu zu legitimieren, bildet den ersten Schwerpunkt der Untersuchung. Dabei soll in erster Linie das Verhältnis zwischen Stiftungen und Staat betrachtet und insbesondere gezeigt werden, wie das Stiftungswesen die fundamentale Legitimitätskrise durch eine geschmeidige Anpassung an das sich immer weiter entwickelnde Staatsverständnis, aber auch mit Hilfe eines positiven theoretischen Fundaments überwinden konnte. Daß selbst in den totalitären Systemen auf deutschem Boden Stiftungen nicht nur überleben, sondern sogar neu entstehen konnten (die Joseph-Goebbels-Stiftung im nationalsozialistischen Deutschland und die Wartburg-Stiftung in der DDR sind dafür Beispiele), ist ein Indiz für diese Anpassungsfähigkeit, aber auch für ein nie ganz aufgegebenes Theoriefundament. Die vorübergehende Inkorporierung eines amerikanischen Stif-

78 Kant, loc. cit., S. 435, 444. 79 Eric Voegelin, Hitler und die Deutschen. [1964], München 2006, S. 82. Der Verweis bezieht sich auf §§ 257 und 258 der Hegeischen Rechtsphilosophie (Frankfurt/Main 1970 S. 398 f.). 80 S. u.a. Liermann, loc. cit., S. 243 f.

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

tungsverständnisses im Westdeutschland der 1950er Jahre und dessen allmähliche Zurückdrängung infolge der abnehmenden Popularität alles amerikanischen seit den 1970er Jahren unterstreicht, wie wir meinen, das Vorhandensein eines gültigen theoretischen Konzepts. Eine erneute Diskussion über einen Sonderweg soll dadurch freilich nicht angezettelt werden, auch wenn die Unterschiede unübersehbar sind. Neuere sozialwissenschaftliche Untersuchungen zum empirischen Befund sowie zum Selbstverständnis der Stiftungen liegen ebenso vor wie statistisches Material. 81 Jenseits der Rechtsgeschichte 82 erstrecken sich theoretische Untersuchungen jedoch auch in jüngster Zeit wesentlich auf historiographische Untersuchungen, 8 3 dabei besonders aus dem Blickwinkel der Bürgertumsforschung. 8 4 Sie mildern allmählich das von Michael Borgolte vielfach und zu Recht beklagte Forschungsdefizit. 8 5 Sie legen aber auch den Schluß nahe, daß der strukturelle Konservatismus der Stiftungen diesen in den Augen der Staatsmacht einen Stellenwert zumißt, der ihren Bestand auch im 21. Jahrhundert weithin als wünschenswert erscheinen läßt - und im übrigen ihre tatsächliche quantitative Bedeutung gegenüber den Vereinen um ein vielfaches übersteigt. 8 6 Die derzeitige Bevorzugung der Stiftungen gegenüber den demokratisch viel besser legitimierten Vereinen bei der Schaffung neuer gesetzlicher Anreize ist Ausdruck dieser Wünschbarkeit. Gleichzeitig ist die theoretische Diskrepanz nicht zu übersehen. Sie ist schlechthin ein Indikator für die Paradoxien der Politik. Die Entwicklung des Stiftungswesens erlaubt Rückschlüsse auf die im wesentlichen gelungene generelle Inkorporierung vordemokratischer Institutionen in die demokratische Gesellschaft des späten 20. Jahrhunderts. Ob im Sinne einer allgemeinen Definition der Stiftung deren Anpassungsmöglichkeit zu ernsthaften Krisen des Selbstverständnisses führen kann, wenn der institutionelle Bestand die Autonomie des Handelns nachhaltig gefährdet, muß derzeit als Hypothese gelten, zumal den Stiftungen andererseits der Vorwurf zu großer Abgeschlossenheit gemacht wird. 81

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S. hierzu u.a. Sprengel/Ebermann, Statistiken 2007; Frank Adloff/Philipp Schwertmann/Rainer Sprengel/Rupert Graf Strachwitz, Visions and Roles of Foundations in Europe - The German Report, Berlin 2004; Helmut Anheier, Das Stiftungswesen in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme in Zahlen: in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 2003 (2); Rainer Sprengel, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 2001 - ein Forschungsbericht, Berlin 2001 ; Elisabeth Brummer/ Silvia Ruprecht, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 1998, München 1998; Stefan Toepler, Das gemeinnützige Stiftungswesen in der modernen demokratischen Gesellschaft, München 1996; Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen - nutzen, führen und errichten: ein Handbuch, Frankfurt/Main 1994. S. hierzu besonders: Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, I. Bd., Geschichte des Stiftungsrechts (Π. Bd. nicht erschienen), Tübingen [1963] 2002; vgl. auch: Dieter Pleimes, Welüiches Stiftungsrecht: Geschichte der Rechtsformen, Weimar 1938. S. z.B. Thomas Adam (Hrsg.), Philanthropy, Patronage and Civil Society, Experiences from Germany, Great Britain, and North America, Bloomington 2004; s. auch: Thomas Adam/Manuel Frey/Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Stiftungen seit 1800, Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Stuttgart 2009. S. u.v.a. Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hrsg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998. Michael Borgolte, Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen; Einführung zur Neuauflage, Liermann loc. cit. 2002, S. 17 et passim. Den (ohne Kirchen- und Kirchenpfründestiftungen) allenfalls 20.000 rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Stiftungen (mit diesen allenfalls 120.000) stehen rd. 500.000 eingetragene und wahrscheinlich ebenso viele nicht eingetragene Vereine gegenüber.

Zur Methodologie

1.3

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Zur Methodologie

Gegenstand der Untersuchung ist nicht die individuelle Motivation von Stiftern und nicht die Ziele von Stiftungsarbeit im einzelnen. Es geht vielmehr um den ideengeschichtlich geprägten gesellschaftlichen Rahmen für das Entstehen und Handeln von Stiftungen. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche theoretischen gesellschaftlichen Paradigmata welchen Einfluß auf das Stiftungswesen gehabt haben und noch haben. Methodologisch verfolgt diese Untersuchung daher im wesentlichen einen narrativen, ideengeschichtlichen Ansatz. Theoretische Konzepte werden in chronologischer Abfolge mit ihrer Rezeption und ihrer Anwendung auf das Stiftungswesen kontrastiert, um daraus insbesondere Erklärungen zur Wirkungsgeschichte und zur Formulierung politischer Ordnungspositionen zu gewinnen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, zeitgenössische Quellen relativ ausführlich zu Wort kommen zu lassen und immer wieder Einzeldarstellungen beispielhaft auszuführen. An mehreren Stellen werden zur Bestimmung von Positionen und Entwicklungen Fallbeispiele angeführt. In der Analyse wird wesentlich an Hans Liermann angeknüpft, 8 7 um folgende Fragen zu beantworten: 1. Was haben die von Liermann im Zusammenhang mit der Legitimitätskrise der Stiftungen erwähnten politischen Theoretiker, namentlich Turgot und Kant, tatsächlich gesagt? 2. Wie sind ihre Aussagen ideengeschichtlich einzuordnen? 3. Welche Wirkung haben sie gehabt? Hat die Rezeptionsgeschichte Auswirkungen auf die Entwicklung des Stiftungswesens gehabt? Allerdings geht es im Kern nicht darum, Liermanns Position, der, auf eine kurze Formel gebracht, das Stiftungswesen im wesentlichen mit dem Erstarken des Christentums im 4. Jh. beginnen und mit der Legitimationskrise im 18. Jahrhundert enden läßt, zu diskutieren. Dies hat Jörg Allgäuer in seiner 2008 vorgelegten Untersuchung ausführlich getan. 88 Ebensowenig soll in dieser Untersuchung die Thematik im Kontext der Bürgertumsforschung beleuchtet werden, wie dies Jürgen Kocka und andere mehrfach vorgelegt haben. 8 9 Auch ist klar, daß keine Rechtsgeschichte, sondern eine Ideengeschichte präsentiert werden soll. Dazu verweisen wir ganz im Sinne Turgots, auf dessen Polemik gegen die Stiftung ausführlich einzugehen sein wird, auf die

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„Liermanns Stiftungsgeschichte wird n o c h immer als gültig angesehen; es werden Ergänzungen vorgenommen, aber v o n ihrem Wert hat sie nichts verloren." Jörg E. Allgäuer, Die linke und die rechte Hand, Motive der Gründung einer Stiftung. Baden-Baden 2008, S. 94. Ibid. Die grundsätzliche Zurückweisung dieser Sichtweise durch Allgäuer wird bei viel Kritik im einzelnen v o m Verfasser geteilt. S. z.B.: Jürgen Kocka, Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 9 - 10/2008, S. 3 - 9 . Manuel Frey, Stiftungen in der Bürgergesellschaft, Ibid., S. 3 2 - 3 8 .

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

juristische Fachliteratur. 90 Auf europäischer Ebene wurde die Delegitimierung der Stiftung vor allem von Turgot in der Enyclopédie thematisiert. Eine Analyse seines Textes bildet daher einen wesentlichen Teil der Arbeit. Zum Verständnis wird auf die Staatsrechtslehre von Jean Bodin rekurriert, zur Rezeption in Deutschland auf Kants Bemerkungen in der .Metaphysik der Sitten'. 91 Die Relegitimierung der Stiftung wird insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, anhand einer Analyse verschiedener Texte von Hegel untersucht. Die Rezeption der Anwendung des von Hegel in der Rechtsphilosophie ausgebreiteten Systems des Staates als organisches Gebilde auf die tatsächliche Entwicklung des Stiftungswesens im 19. und 20. Jahrhundert wird geschildert, um am Schluß der Frage nach einer neuen Legitimitätskrise und möglichen Antworten darauf nachzugehen. Insgesamt, so wird zu zeigen sein, durchlief das Stiftungswesen in Deutschland zwischen 1750 und heute vier Legitimierungskrisen, von denen eine dem Totalitarismus nationalsozialistischer oder kommunistischer Prägung geschuldet ist, sich aus diesem erklärt und daher hier nur am Rande von Interesse ist. Die übrigen drei hingegen, auf die sich diese Untersuchung konzentriert, sind eingebettet in die Entwicklung der nicht-totalitären, insbesondere nicht-marxistischen politischen Theorie, vor allem in das Konzept der Staatlichkeit. Insoweit kann das Stiftungswesen teilweise als Indikator für dieses Konzept herangezogen werden. Die Frage nach der Legitimität von Stiftungen stellt sich, allerdings oft in paradoxer Weise, immer dann, wenn die folgenden Dichotomien gesellschaftlicher Paradigmata aufgemacht werden: Individuum Mensch Bürger Glaube Geschichte Ordnung Historische Bindung Nachhaltigkeit

-

Kollektiv Gesellschaft Staat Vernunft Naturrecht Freiheit Volatile Netzwerke Totes Kapital

Da Stiftungen in der Regel mit den eher individualbezogenen Werten assoziiert werden, verdient die Verbindung von Stiftungen zu politischen Ordnungskonzepten besondere Aufmerksamkeit. Stiftungen bedürfen vordergründig einer stabilen Ordnung, arbeiten infolge ihrer historischen Dimension und Nachhaltigkeit einer solchen auch zu, haben aber bei genauerer Betrachtung Ordnungsdiskontinuitäten vielfach unbeschadet überstanden und sind potentiell als Ausdruck persönlicher Handlungsfreiheit einer politi90

„... Verschiedene wesentliche Rahmenbedingungen oder Begleitumstände der Stiftungen haben zu unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen Anlaß gegeben, deren Einzelheiten nicht in diesem Beitrag erscheinen und für die wir auf Beiträge zum Stiftungsrecht... verweisen." (Anne Robert Jacques Turgot, Fondation, S. 299). S. maßgeblich: Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht, 1938; Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts [1963], 2003. 91 Die Weiterführung der Bodinschen Überlegungen bei Hobbes und Pufendorf kann nur am Rande Erwähnung finden, da es hier wesentlich um die Rezeption Bodins bei Turgot gehen muß.

Zur Methodologie

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sehen Ordnung durchaus entgegengesetzt. Historisch war dies so lange erträglich, wie kosmologische und politische Ordnung entweder ineinander fielen oder die erstere der letzteren übergeordnet war. Mit der Suprematie der politischen Ordnung, wie sie seit dem 16. Jahrhundert entstand, führte dies, wie gezeigt werden wird, zu Schwierigkeiten. Wenn heute die Suprematie der politischen Ordnung einem funktionalen, vom Menschen ausgehenden Gesellschaftsbild weicht, stellt sich somit die Frage, ob dies für die Stiftungen zu einer fundamentalen Relegitimierung führt, wie die steigenden Gründungszahlen des letzten Jahrhunderts zu zeigen scheinen, oder ob nicht vielmehr die Auflösung historischer Bindungen in ein System der volatilen Netzwerke mit variablen Loyalitäten bei zunehmender Demokratisierung der Entwicklungsprozesse den Stiftungen den legitimierenden Boden entzieht. Insgesamt lassen sich von daher die ersten beiden Legitimationskrisen staatstheoretisch, die neueste hingegen demokratietheoretisch erklären, wobei bei dieser Ausmaß und Ausgang noch offen sind. Anders ausgedrückt, im 18. Jahrhundert hat das Nützlichkeitsargument das Rechtsprinzip verdrängt, 92 während heute möglicherweise eine neue Werteordnung das Nützlichkeitsprinzip obsolet werden läßt. Die Krise des frühen 20. Jahrhunderts ist sowohl der Durchsetzung des Wohlfahrtsstaates als auch der Marginalisierung geschuldet. Im einzelnen stellt die folgende Tabelle einige prägnante Merkmale der zu behandelnden Legitimationskrisen dar: Tabelle 1 :

Krisen des Stiftungswesens 1750-1800

1890-1920

1990-2010

Absolute Staatssuprematie

Gewährleistungsstaat

Machtausübung durch einzelne

gegen Polyarchie

Wohlfahrtsstaat

Herrschaft der .toten Hand' DemokratieUnverträglichkeit

Status

Mächtig Herrschaft der .toten Hand' Reich

„Hort des Umsturzes" Herrschaft der .toten Hand' Arm

Mächtig Reich

Abgrenzung zum Verein

1 . V . positiv 2. V. ebenso negativ

dem Verein ähnlich

V. positiv

Staatsreaktion

Kontrolle

Marginalisierung Instrumentalisierung

Präferierung

RelegitimierungsArgumente

Romantik Sachliche Notwendigkeit

Praxis der Fortführung

Strukturkonservativer Teil der ZG

DelegitimationsArgumente

Anerkennung des Individualprinzips

92

Liermann, loc. cit., S. 174.

Geldquelle Bestandsschutz Rechtsstaatsprinzip Nachhaltigkeit

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Einleitung und Anlage der Untersuchung

Es mag wohl sein, daß die heutige Krise im Kern nicht eine Krise des Stiftungswesens ist, sondern eine Krise der Gesellschaft, in die die Stiftungen mit hineingezogen werden. Ebenso können sich die Stiftungen unter Berufung auf ihre Nachhaltigkeit und auf den Wert individuellen Handelns als krisenfest erweisen, zumal die traditionell gegen die Stiftungen vorgebrachten Argumente, etwa die Bedenken gegen die Herrschaft der ,toten Hand' und gegen die Konzentration von Macht in den Händen weniger, überdies nicht demokratisch legitimierter Akteure nur wenig gehört werden. Es wird jedoch die Hypothese zugrundegelegt, daß das Konzept der Zivilgesellschaft in seiner modernen Ausprägung eine fundamentale Herausforderung für das Stiftungswesen darstellt. Daher ist abschließend zu fragen, ob das Stiftungswesen mit diesem Konzept kompatibel ist. Es ergibt sich aus diesem Vorgehen von selbst, daß es keinen Erkenntnisgewinn zeitigen würde, wollte man die historischen Phasen der Entwicklung an einer vorher definierten politischen Theorie des Stiftungswesens messen. Vielmehr geht es um die Entwicklung theoretischer Zuordnungen im Spannungsfeld der Paradoxien der Stiftung. Daher ist Michael Hampe zuzustimmen, wenn er von der „szientifischen Perspektivenverengung" 9 3 , der „Verengung des Verständnisses von Erkenntnisprozessen auf das Erklären und Schließen" 9 4 spricht, die dann eintritt, wenn die tatsächliche Entwicklung außer acht gelassen oder nicht hinreichend in die theoretischen Überlegungen miteinbezogen wird. „Die Reduktion der philosophischen Tätigkeit auf das Vertreten bzw. Analysieren von theoretischen Behauptungszusammenhängen führt nicht nur zu einer verzerrten Wahrnehmung der Philosophiegeschichte und einer Blindheit gegenüber den Erkenntnisleistungen der Kunst. Vielmehr hat sie auch eine Infantilisierung der philosophischen Diskussion zur Folge, sofern sich in ihr hauptsächlich nur noch .Vertreter' in der Verbreitung von Theorien auf einem akademischen Markt durchzusetzen versuchen, die Suche nach der richtigen Sprache für eine Lebenserfahrung oder die Entwicklung und Kritik von Idealen des individuellen und kollektiven Lebens dagegen in diesem Konkurrenzspiel des Sich-Behauptens in einem ,Theoriewettbewerb' ganz auf der Strecke bleiben." 9 5 „Die historische Betrachtung wissenschaftlicher Theorien [...] muß einem semantischen Holismus [...] deshalb ebenso distanziert gegenüberstehen wie die Evolutionstheorie dem funktionalen Perfektionismus der Organismen und Gesellschaften." 96

93 Michael Hampe, Die Theorieunabhängigkeit von Tatsachen und Wahrheiten - Zur Relevanz einer Philosophie des Gewöhnlichen; in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 34. Jg. Heft 1/2009, S. 57. 94 Ibid., S. 58. 95 Ibid., S. 66. 96 Ibid., S. 69.

Zur Methodologie

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Bei der Untersuchung eines so dezidiert historisch geprägten Gegenstandes wie dem Stiftungswesen - und zwar sowohl hinsichtlich des Handlungsinstruments als solchem als auch hinsichtlich der intrinsischen Historizität jeder Stiftung - verbietet sich infolgedessen eine Analyse im Lichte einer vorher formulierten Theorie. Vielmehr sollen aus der Betrachtung der historischen Entwicklung des Stiftungswesens einerseits und der Entwicklung theoretischer Ordnungsvorstellungen andererseits die Elemente herausgearbeitet werden, die die Paradoxien und Kontinuitäten zu erklären vermögen und für die Formulierung einer politischen Theorie des Stiftungswesens im 21. Jahrhundert hilfreich sein können.

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II.

Die Stiftung vor 1750

IM

Die Problematik der Definition

Stiftungen gehören zu den ältesten kulturellen Zeugnissen der Menschheit. Sie haben soziale Umwälzungen erstaunlich robust überstanden, sich vielfach als überaus langlebig erwiesen 97 und sind heute weltweit bei Regierungen und Bürgern so beliebt, daß ihre Bedeutung oft weit überschätzt wird. Historisch sind Stiftungen in der Regel ein urbanes Phänomen. Der Wunsch, sich von gleichrangigen Mitbürgern abzusetzen, bietet wohl eine Begründung für die besondere Popularität von Stiftungsakten in der demokratischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, in der sie als sozial verträgliche, aber elitäre Gegenbewegung Gegenstand der Diskussion sind. Entgegen dieser Popularität besteht weder historisch noch juristisch Klarheit darüber, wie eine Stiftung zu definieren ist. Zwar mag es in Anbetracht dieses Dilemmas am einfachsten erscheinen, die schon in der Antike geprägte Definition als universitas bonorum, als Zusammenschluß auf der Basis von Vermögen, anders ausgedrückt, als mit Vermögen ausgestattete Organisation zu übernehmen und sie damit von der universitas personarum, dem Zusammenschluß von Personen abzugrenzen. Daraus erwächst unmittelbar eine neue defmitorische Schwierigkeit: Wie ist Vermögen zu definieren? Hierauf wird noch einzugehen sein. Die enge, aber gängige US-amerikanische Definition, bis heute vielfach unterstellt, spiegelt lediglich eine Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts wider. Angesichts des unstrittig vorhandenen weltweiten Gesamtbestandes erscheint dagegen zur Erfassung der sozialen Wirklichkeit der Stiftung eine breitere Definition angebracht, die die erheblichen kulturellen Unterschiede berücksichtigt. So sieht die amerikanische Diskussion beispielsweise die Stiftung in erster Linie im Zusammenhang mit dem bürgerschaftlichen philanthropischen Akt einzelner und als die Arbeit Dritter fördernde Einrichtung. Islamische Stiftungen (awqa'fi, die schon wegen ihrer überragenden Bedeutung für die islamische Kultur nicht verschwiegen werden dürfen, weisen bis heute einen engen religiösen Bezug 98 auf und sind überwiegend operativ, als Trägerinnen und Betreiberinnen langlebiger Institutionen tätig. Europäische Stiftungen, soweit säkular, kommen gleichermaßen als operative wie fördernde Institutionen vor. 99 Lateinamerikanische Stiftungen lehnen sich eher an das europäische Modell an, moderne indische, japanische und australische an das amerikanische. Die Autonomie einer Stiftung in ihrem Umfeld wird ebenso differenziert gesehen, was Auswirkungen auf ihre Zuordnung zu einer Zivilgesellschaft im modernen Sinn hat. Über ältere Stiftungstraditionen des Kulturraums, der das heutige Europa ebenso wie den weiteren Mittelmeerraum umfaßt, wissen wir relativ viel und können daraus auf multiple Funktionstypen und gemeinsame Charakteristika schlie-

97 Die ältesten noch bestehenden deutschen Stiftungen gehen vermutlich bis in das 1. Jahrtausend n. Chr. zurück. 98 Franz Kogelmann, Islamische fromme Stiftungen und Staat. Würzburg 1999. S. 27. 99 Vgl. Sprengel/Hbermann, loc. cit., S. 67 f.

Die Problematik der Definition

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ßen; über das historische Stiftungswesen in den Kulturen Asiens wissen wir dagegen zu wenig, um dies bestätigen zu können. Der Geschenkimpuls erscheint allerdings, wie noch auszuführen sein wird, auch diesen Kulturen eigen gewesen zu sein. Das moderne deutsche Recht definiert im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 80 ff.) die Stiftung als ein eigentümerloses Vermögen, obwohl sicher die Mehrheit der heute in Deutschland existierenden Stiftungen dieser Definition nicht entspricht. Das Bürgerliche Gesetzbuch behandelt nämlich nur die sog. rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts und läßt die zahlreichen treuhänderischen Stiftungen, auch nicht rechtsfähige, rechtlich unselbständige oder fiduziarische Stiftungen genannt, außer Betracht, die nach dem Prinzip der Treuhandschaft sehr wohl einen - außenstehenden - Eigentümer, eben den Treuhänder aufweisen. Gleiches gilt in hohem Maße für die englische Stiftungstradition; dort sind die meisten Stiftungen als Trusts (Treuhandvermögen) im Rahmen des weit stärker ausgebildeten Treuhandrechts gegründet. In gewisser Weise gilt dies auch für die USA, wo Trusts und Incorporated Foundations, in der Praxis kaum unterscheidbar, nebeneinander bestehen. Kirchliche Stiftungen, in Deutschland mit großem Abstand am häufigsten vorkommend, werden juristisch überwiegend als kirchliches Sondervermögen bzw. theologisch überhöht, als Eigentum Gottes gesehen, das heißt als Widmung des Stifters an Gott. Dies ist der antiken Stiftungstradition außerordentlich nah verwandt ist, hebt sich aber andererseits von der säkularen, im 19. Jahrhundert entwickelten Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs grundlegend ab. Wegen der zahlreichen definitorischen Schwierigkeiten stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine einheitliche Definition geben kann, die auf alle Gebilde weltweit zutrifft, die sich Stiftung (foundation - fondation - fondazione usw.) nennen, oder ob eine solche Definition nicht, etwa durch unterschiedliche rechtliche und kulturelle Entwicklungen, notwendigerweise so verwässert ist, daß sie inhaltslos wird. Das läßt sich zum Teil anhand eines historischen Überblicks nachprüfen, was im folgenden Abschnitt geschehen soll. Dies erscheint nicht zuletzt deswegen wichtig, weil die im weiteren näher untersuchten Autoren, namentlich Turgot, Kant und Hegel, wesentliche definitorische Merkmale zugunsten einer aus eigenen Erfahrungen abgeleiteten, verengten Sicht vernachlässigten, sich daher nur auf Teilaspekte der Stiftungswirklichkeit bezogen und infolgedessen, wie noch zu prüfen sein wird, falsche Schlüsse zogen. 100 Es wird daher jeweils nachzuvollziehen sein, was sie und andere unter einer Stiftung verstanden bzw. welchen Teil der Stiftungen sie aus ihrer Betrachtung ausgeklammert haben. Die Definition wird weiterhin durch den Umstand erschwert, daß im Deutschen ebenso wie in den meisten anderen Sprachen das Wort Stiftung einerseits sowohl den Prozeß der Stiftungsgenese als auch das zur Institution gewordene Ergebnis dieses Prozesses

100 Diese Feststellung untermauert das noch im einzelnen darzulegende Argument, daß weder Kant noch Hegel sich tatsächlich mit dem Stiftungswesen auseinandergesetzt, sondern dieses vielmehr en passant in ihre für dieses folgenreichen Überlegungen einbezogen haben.

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beschreibt, andererseits sich sowohl auf das Stiften von Staaten oder Religionen, d.h. sehr große, von einer Vermögensübertragung ganz und gar unabhängige Zusammenhänge, als auch auf kleine und kleinste privatrechtliche Vorgänge bezieht, die eine universitas bonorum, eine fest umrissene, mit Vermögen ausgestattete Organisation zum Ziel haben. Auf letzteres haben sowohl Turgot 101 als auch Hegel 102 aufmerksam gemacht. Die für ihre weitreichende Kritik vorgetragenen Argumente richten sich in unterschiedlicher Prioritätensetzung gegen die noch zu erläuternden, unterschiedlichen Funktionstypen. So läßt sich das Nützlichkeitsargument wohl kaum gegen die Eigentümerfunktion verwenden, das Machtargument richtet sich zeitbedingt insbesondere gegen die operative Funktion, d. h. die großen Anstaltsträger einschließlich der fast durchweg Stiftungscharakter tragenden Klöster usw. Weiterhin ist zu bedenken, daß das Konzept der Stiftung häufig mit dem der Philanthropie verwechselt wird, mit dem es einige Gemeinsamkeiten hat, von dem es aber insgesamt abzugrenzen ist. Stiftungen beschreiben ein weitergehendes Organisationsmodell, während Philanthropie emotionssoziologische und individualpsychologische Erklärungsmuster einbezieht, die hier nur am Rande von Bedeutung sind und andere Folgen zeitigen können. Diese Verwechslung hat zur Folge, daß Stiftungen landläufig als Institutionen gesehen werden, deren Tätigkeit sich darin erschöpft, Mittel an Dritte auszureichen. Dies trifft zwar auf viele Stiftungen zu, ist jedoch kein definitorisches Merkmal. Freilich darf der Geschenkcharakter der Stiftung, die als investives Geschenk 103 zu bezeichnen ist, nicht außer acht bleiben, wodurch in jedem Fall eine nicht-rationale Kategorie eingeführt wird. Das Stiften läßt sich nicht auf RationalChoice-Argumente im Sinne steuerlicher Optimierungsvorstellungen oder sonstiger Vorteilserwartungen reduzieren. Es gilt gerade hier, daß sich komplexe, zum Teil sehr alte kulturelle Traditionen aufgreifende und sich im Unterbewußtsein abspielende Motivationsbündel nur schwer ausdifferenzieren und bewerten lassen. 104 Schließlich bleibt die Schwierigkeit, daß Gebilde in der einen Kultur als Stiftungen bezeichnet werden, die diesen Namen in einer anderen nicht erhalten. Ein typisches Beispiel bilden die nichtstaatlichen Hochschulen in den USA, die dort rechtlich aus dem Stiftungsbegriff herausgelöst sind, während sie nach europäischen Maßstäben aufgrund ihrer Gründungsgeschichte, ihrer Goi>eraance-Prinzipien und ihrer Vermögensausstattung als Stiftungen (oder Stiftungskonglomerate) gelten würden. Mit Ausnahme der Universitäten Bologna und Paris, die einen genossenschaftlichen Ursprung aufweisen, sind andererseits die historischen Universitäten in Europa durchweg ausdrücklich als Stiftungen (meist von Herrschern) gegründet worden, 105 jedoch 101 102 103 104

Turgot, Fondation, in Oevres de Turgot, Paris 1844, S. 299. Hegel, Rechtsphilosophie, S. 355, 388. Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Strategische Optionen für Stifter, loc. cit. Die 2005 von Karsten Timmer im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vorgelegte Studie .Stiften in Deutschland - Die Ergebnisse der Stifterstudie' (Gütersloh 2005) greift insofern deutlich zu kurz. 105 Vgl. Wolfgang Eric Wagner, Universitätsstift und Kollegium in Prag, Wien und Heidelberg, eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher Stiftungen im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft. Berlin 1999.

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im Zusammenhang mit der Herausbildung des modernen Verfassungsstaates zu öffentlichen Körperschaften geworden. Vor diesen Schwierigkeiten zu kapitulieren, erschiene uns im Rahmen einer geistesgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Untersuchung des Stiftungswesens unangemessen. Ein solcher Schritt, etwa verbunden mit der kritiklosen Übernahme juristischer Festlegungen oder Begrenzungen, würde die gleichen Fehleinschätzungen nach sich ziehen, denen schon andere erlegen sind und würde den Blick auf die soziale Realität der Stiftung in ihrem historischen und politischen Kontext verstellen. Es wird daher im folgenden versucht, sich dem Phänomen Stiftung in vier Schritten systematisch zu nähern und in diesem Zusammenhang einerseits verbindendes und unterscheidbares herauszuarbeiten, andererseits die definitorische und funktionelle Breite zu begründen. Diese Schritte beinhalten • • • •

einen einen einen einen

organisationstheoretischen, gründerbezogenen, funktionstypologischen und theoretisch-konzeptionellen Zugang.

Wir gehen zunächst von der Hypothese aus, daß die Stiftung organisationstheoretisch als eine der zwei klassischen Organisationsformen der Zivilgesellschaft einzuordnen ist, sofern sie nicht im Einzelfall der hoheitlichen Gewalt, dem Markt oder dem Privatbereich aufgrund besonderer Merkmale zugeschrieben werden muß. Nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch im Stiftungswesen im engeren Sinn ist der Begriff der Stiftung jedoch nicht an eine bestimmte Rechtsform gebunden, was die Schwierigkeit mit sich bringt, daß sie in mehreren Rechtsformen auftreten kann und auch die Charakteristika der jeweiligen Rechtsform aufweist. Definiert man sie als das Ergebnis der Übertragung von Vermögenswerten an eine mit eigener Satzung ausgestattete mitgliederlose Körperschaft, welche so gestaltet ist, daß diese Satzung die Verwalter der Körperschaft hinsichtlich der Erhaltung und Verwendung des Vermögens dauerhaft bindet, so läßt sich dieses Ziel mit unterschiedlichen Instrumenten erreichen. Insofern ist die im BGB beschriebene Stiftung des bürgerlichen Rechts keineswegs die Regelform. Historisch ebenso alt und ebenso häufig ist die nicht rechtsfähige Stiftung. Stiftungen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (z.B. die RobertBosch-Stiftung GmbH) sind Schöpfungen der Nachkriegszeit, während Stiftungen in Vereinsform, der diametral entgegengesetzten Logik dieser Organisationsformen zum Trotz, bereits im 19. Jahrhundert nachweisbar sind. 106 Gemeinsam ist allen Formen, daß sie im Rechts- und Geschäftsverkehr auftreten; ob sie hierbei von in der Stiftung angesiedelten Organen oder von externen Sachwaltern vertreten werden, ist zunächst

106 Ein Beispiel ist das 1859 v o n ca. 50 zumeist Frankfurter Bürgern gegründete Freie Deutsche Hochstift, das 1863 Goethes Elternhaus erwarb und seitdem in Eigentum hält. Bei offenkundigem Stiftungscharakter in Satzung und Tätigkeit ist das Hochstift als Verein konstituiert (Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4. Februar 2009; s. auch www.goethehaus-frankfurt.de/hochstift/geschichte.html, Zugriff am 4. Februar 2009). S. auch Bayerische Vereinsbank (Hrsg.), Münchner Biedermeier, Ausstellungskatalog, 1986, S. 12. Hier wird eine ,Königin-Elisabeth-Vereins-Stiftung' des 19. Jahrhunderts beschrieben.

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sekundär. Insofern ist auch die Frage, ob diese Vertreter korporativ nur zum Zwecke dieser Vertretung bestehen, oder ob eine auch anderweitig tätige Korporation diese Funktion wahrnimmt, von sekundärer Bedeutung. Das entscheidende abgrenzende Merkmal der Stiftung ist vielmehr ein anderes. Während in zivilgesellschaftlichen Organisationen assoziativen Charakters, etwa Vereinen, die Mitglieder in einem permanenten korporativen Willensbildungsprozeß über das Wohl und Wehe der Organisation bestimmen, ist eine Stiftung dadurch definiert, daß sie an den bei der Gründung niedergelegten Willen des Gründers oder der Gründer für die Dauer ihres Bestehens gebunden bleibt. Daß zur langfristigen Durchsetzung dieses Willens in der Regel die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen, d.h. insbesondere der zur Verwirklichung des Stifterwillens erforderlichen Vermögenswerte notwendig ist, räumt diesen Vermögenswerten hohe Priorität ein, wobei zwischen rentierlichen Vermögenswerten, aus deren Ertrag der Stifterwille verwirklicht wird und solchen, die unmittelbar dem Stiftungszweck dienen, kein Unterschied zu machen ist. Dies dient als Begründung für ihre Beschreibung als universitas bonorum.™ Jedoch wird dieses Erfordernis in seltenen, dann aber in der Regel spektakulären Ausnahmefällen vom Charisma eines Stifters überlagert. Beispiele sind die ausdrücklich auch theologisch so bezeichneten Religionsstifter Jesus Christus und Mohammed, 1 0 8 aber auch Ordensstifter wie Mutter Theresa, die den ideellen Gehalt ihres Ordens zweifellos selbst gestiftet, das wie auch immer geartete Stiftungsvermögen hingegen keinesfalls selbst zur Verfügung gestellt hat. Im Lichte dieser Argumentation erscheint es notwendig, die boni, d. h. das Vermögen, auch auf immaterielle Vermögenswerte zu beziehen. Steht dieses Vermögen - und nicht die handelnden Personen - im Mittelpunkt, so leitet sich das Handeln hiervon ab, ist dauerhaft hieran gebunden. Es bildet die oberste Richtschnur für Entscheidungsfindungen innerhalb der Stiftung. Orientieren sich Entscheidungen in assoziativen Organisationen im Kern an dem wie immer festgestellten Willen der zur Zeit der Entscheidungsnotwendigkeit vorhandenen Mitglieder, die diesbezüglich prinzipiell frei sind, hat die Entscheidungsfindung in der Stiftung hingegen wesentlich auf den bei Gründung formulierten bzw. auf den vermuteten Willen des Stifters - eben die eingelegten boni - zu rekurrieren. Dies erscheint etwa in der christlichen Religionsgemeinschaft ebenso idealtypisch ausgeprägt wie in einer modernen Stiftung bürgerlichen Rechts. Daß auch in einer Stiftung Entscheidungen zu fällen sind, ist gewiß unstrittig; dennoch, die prinzipielle Unterschiedlichkeit der Entscheidungsfindung oder Governance läßt die Abgrenzung der Stiftung von anderen Organisationsformen zu. Dabei wird das Vorhandensein von Hybrid-Formen und systematisch zweifelhaften Einzellösungen nicht bestritten. Aus dieser Abgrenzung

107 Die rechtsdogmatisch nicht uninteressante Frage, ob und inwieweit eine Stiftung als Institution letztlich doch einen Personenverband darstellt (nämlich der Organmitglieder, die das gewidmete Vermögen verwalten und für die Erfüllung des Stifterwillens sorgen), soll hier ausgeklammert bleiben, da sie für das folgende ohne Belang ist. 108 Rassem, loc. cit. [1952], 1979, S. 165; und [1956], 1979, S. 188 f.

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ergibt sich sogar eine Priorität des nicht-materiellen Willens oder Wollens, das heißt der Idee gegenüber der materiellen Ausstattung. Beides zusammen bildet letztlich den Stifterwillen. Der Stifterwille korrespondiert zwar regelmäßig mit der Grundkonstante des Schenkens, jedoch ist damit noch nicht gesagt, dass sich dieses Geschenk in Ideen, Kreativität, Empathie, Reputation und/oder Vermögenswerten konkretisiert. Insofern kann man festhalten, daß das primäre definitorische Merkmal der Stiftung die Bindung an den bei Gründung niedergelegten Stifterwillen ist. Daraus kann eine universelle Definition abgeleitet werden: Die Stiftung ist in ihrem Handeln nicht frei, sondern hat auf Dauer diesen Stifterwillen zu vollziehen. Der Ermessens- und Interpretationsspielraum späterer Stiftungsverwalter, ob und in welchem Umfang der Stifterwille späteren Erfordernissen angepaßt werden kann, ist selbst Ausdruck des Stifterwillens und entzieht sich insoweit der Entscheidungshoheit späterer Generationen. Diese Definition schützt nicht vor einem irrigen Gebrauch des Begriffs. So sind beispielsweise entgegen landläufiger Meinung nicht die Stiftungen unecht, die nicht oder kaum über Vermögen verfügen, sondern diejenigen, in denen diese Bindung nicht verankert ist. Diese Definition bleibt im übrigen auch dann gültig, wenn durch die ursprüngliche Übertragung der boni, d.h. der Willensbekundung, späteres Zustiften ermöglicht oder sogar ausdrücklich gewünscht wird. Aus der Willensbekundung ergeben sich weitere Dilemmata. Ein wesentliches besteht darin, daß der Schenkungsakt zunächst einseitig ist. Es bedarf also im allgemeinen und im Einzelfall der Klärung, ob das Ergebnis von den Beschenkten willkommen geheißen wird, d.h. ob es mit einer allgemeinen politischen Ordnung kompatibel oder von dieser tolerabel ist und die Stiftung somit Bestand haben kann. Die Definitionshoheit über diese Akzeptabilität ist seit dem 18. Jahrhundert mehrfach problematisiert worden. So hat etwa, wie noch ausführlich dargelegt werden wird, das französische republikanische Staatsmodell des ausgehenden 18. Jahrhunderts ausdrücklich Organisationen dieser Art für nicht kompatibel erachtet. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist zwar die im 19. Jahrhundert politisch erkämpfte Vereinigungsfreiheit als Grundrecht definiert (Art. 9) ; ein Grundrecht zu stiften kennt das Grundgesetz jedoch nicht. Es läßt sich allenfalls aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2), ggf. in Verbindung mit der Gemeinwohlbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2) ableiten - sofern das Gemeinwohl beim Stiften überhaupt intendiert ist, was nicht notwendigerweise der Fall sein muß. Die Problematik der Akzeptanz im Sinne einer normativen Legitimität bildet die zentrale Forschungsfrage der hier vorgelegten Untersuchung. Folgt man der modernen Einteilung der öffentlichen Gesellschaftsprozesse einer Gesellschaft in die Arenen Staat, Markt und Zivilgesellschaft, so kann man in allen Arenen theoretisch stiftungsähnliche und assoziative Organisationsformen entdekken. Mohammed Rassem hat sogar von einem grundsätzlichen Stiftungscharakter des Handelns gesprochen. 109 Tragen etwa im staatlichen Bereich die Vereinigten Staaten 109 Rassem [1956/1960], loc. cit., S. 194 f.

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von Amerika, aber auch die Europäische Union und die Mehrzahl der Kommunen assoziativen Charakter, so sind die europäischen Nationalstaaten in der Regel historisch eher durch stiftungsähnliche Akte, d. h. durch den Willen eines oder mehrerer Gründer entstanden. (Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist diesbezüglich ganz und gar untypisch.) Und während in der Wirtschaft die meisten Unternehmen auf einen „stiftenden" Unternehmer zurückgehen, haben etwa die Genossenschaften eine eindeutig assoziative Gründungsgeschichte. In der Zivilgesellschaft steht dementsprechend der gestifteten Stiftung der assoziative Verein gegenüber, wobei sich durchaus Hybridformen finden. Zusammenfassend ist das Bindungsprinzip als das vorrangige definitorische Merkmal einer Stiftung festzuhalten. „Die entscheidende Differenz zu Vereinen [...] liegt darin, daß sie mitgliederlos sind [...]. Diese Besonderheit legt es nahe, sie im Weberschen Sinne als Anstalten zu bezeichnen, als gesellschaftliche Ordnungstypen, die gerade nicht dem wechselnden Willen von Mitgliedern unterliegen, sondern deren innere Organisation bestimmt ist von externen oder für die Mitglieder nicht veränderbaren Vorgaben." 110 Nur mit Hilfe dieser Festlegung können Stiftungen historisch und theoretisch abgegrenzt und systematisch analysiert werden. Betrachtet man unter diesem Vorzeichen die Entstehungsgeschichte von Stiftungen seit der Antike, so können im zweiten Schritt vier Typen von Stiftern definiert werden: • • • •

Initiatoren ohne hinreichende eigene materielle Ressourcen, natürliche Personen, die die notwendigen materiellen Ressourcen selbst zur Verfügung stellen, Körperschaften der Arena Markt, d. h. Unternehmen, Körperschaften aus der Arena Staat, d. h. Gebietskörperschaften und andere öffentliche Einrichtungen.

Schon aufgrund der römischen Tradition muß einerseits zwischen der originären Stiftung eines Ideen- und Vermögensgebers (oder eines Ehepaars, einer kleinen Gruppe) und andererseits einer genossenschaftlichen Aktion, die wegen der nachhaltigen Bindung Stiftungsform erhält, unterschieden werden. So wurden in Rom in der späten Republik und Kaiserzeit einerseits Memorialstiftungen verschiedener Art von einer Person oder Familie gegründet. Andererseits wurden verdienten Feldherren und Politikern Statuen gewidmet, für die sie nicht selbst aufkommen mußten. Der Gruppe der Initiatoren sind nicht zuletzt die Religionsstifter zuzurechnen. Ähnliches gab es auch in späterer Zeit, als Stiftungen einerseits durch den Willensakt einzelner als Geschenk, zu ihrem Gedächtnis oder zur Verwirklichung ihrer Idee gegründet wurden; andererseits entstehen Stiftungen durch öffentliche Aufrufe und dergl. Moderne Initiatoren gründen beispielsweise Bürgerstiftungen. Aber auch die von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu ihrem eigenen (gemeinwohlorientierten) Vorteil gegründeten Gemeinschaftsstiftungen sind diesem Typus zuzuordnen. 110 Steffen Sigmund, Solidarität durch intermediäre Organisationen: Stiftungen, S. 103 f.

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Unternehmen als Stifter sind ebenso eine Erscheinung unserer Tage. Bei ihnen steht der Geschenkcharakter nicht im Vordergrund, da sie regelmäßig von der Vorstellung eines Gabentauschs oder einer Art von Umwegrentabilität ausgehen. So entstandene Stiftungen bilden demgemäß eine Sonderform. Ob diese sich langfristig halten wird, bleibt abzuwarten. Monarchische Inhaber der hoheitlichen Gewalt sind hingegen außerhalb ihrer Machtausübung von jeher als Stifter aufgetreten. Pharaonen, römische Kaiser, mittelalterliche Herrscher sind als Stifter ebenso überliefert wie demokratische Regierungen und Parlamente, wobei deren Verzicht auf eine Koppelung an die Gewaltfunktion eine eigene Diskussion eröffnet, die hier nicht geführt werden kann. In diesem Zusammenhang taucht gelegentlich die Frage auf, ob sich ein Parlament, wenn auch nur bezogen auf ein im Verhältnis kleines Vermögen, durch einen Stiftungsakt seiner permanenten Haushaltshoheit entledigen kann, welche ja naturgemäß eine ständige Umwidmung, d.h. genau das Gegenteil einer langfristigen Bindung beinhaltet. Die Frage ist in Hinblick auf zahllose vergleichbare Vorgänge, etwa bei der Bewilligung von Investitionen, die, einmal getätigt, ebensowenig umgewidmet werden können, zu bejahen. Hier erscheint der Gesichtspunkt der investiven Hingabe von Werten prioritär. Eine kurz zu erwähnende Ausnahme bilden die durch hoheitlichen Akt in Deutschland von jeher gegründeten Stiftungen öffentlichen Rechts. Die Tradition wird von Heike Gölz auf die Säkularisation in den evangelischen Gebieten zurückgeführt. „Der heute noch existierende, 1542 errichtete Allgemeine Hannoversche Klosterfonds, seinerseits hervorgegangen aus der Calenbergischen Klosterkasse, ist z.B. auf diese Weise als landesherrliche Großstiftung entstanden. Die Leistungen aus früheren Pfründestiftungen nahmen den Charakter von Gehaltszahlungen aus einer großen staatlichen oder kirchlichen Kasse an, wurden bloße Etatstelle im staatlichen oder kirchlichen Haushalt. Das Pfründerecht verlagerte sich so ins öffentliche Recht."111 Bund und Länder haben von diesem Instrument in der Nachkriegszeit ausgiebig Gebrauch gemacht. Öffentlich-rechtliche Stiftungen gehören jedoch nach allgemeiner Auffassung zur Hoheitsverwaltung des Staates und damit nicht zur Zivilgesellschaft. 112 Zwar ist auch eine hoheitliche Gebietskörperschaft zweifellos berechtigt und in der Lage zu stiften, jedoch fehlt den öffentlich-rechtlichen Stiftungen infolge der parlamentarischen Gestaltungshoheit in der Regel das Bindungsprinzip, so daß sie allenfalls als extreme Hybride bezeichnet werden können. Sieht man von dieser Ausnahme ab, sind in allen Fällen langfristige Bindungen an den Willen des Stifters oder der Stifter theoretisch möglich und in der Praxis beispielhaft belegt. Ein verengter Blick auf den Vermögensinhaber als Stifter blendet hingegen wesentliche Teile der Stiftungswirklichkeit aus. 111 Heike Gölz, Der Staat als Stifter, Stiftungen als Organisationsform mittelbarer Bundesverwaltung und gesellschaftlicher Selbstverwaltung, Bonn 1999, S. 29. S. a. Liermann, loc. cit., S. 140. 112 Vgl. Annette Zimmer, Stiftungen als Organisationen der Zivilgesellschaft; in: Rupert Graf Strachwitz/ Florian Mercker (Hrsg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Berlin 2005, S. 9-21.

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Um die Breite der Stiftungswirklichkeit zu verdeutlichen, erscheint es im dritten Schritt notwendig, eine Einteilung der Stiftungen nach ihren Funktionen vorzunehmen, d. h. nach der Art oder den Arten, wie sie ihren Zweck verwirklichen, sowie danach zu fragen, ob alle Typen der dargestellten Definition unterworfen werden können. Vier Funktionstypen lassen sich unterscheiden: • • • •

die die die die

Eigentümerfunktion, operative Funktion, als Betreiberin von Einrichtungen oder Projekten, Förderfunktion, als Unterstützerin von Einrichtungen oder Projekten Dritter, mildtätige Funktion, als Unterstützerin von Personen.

Die als Eigentümerin etwa einer Kirche konzipierte Stiftung bildet (entgegen der landläufigen Annahme) bei weitem den häufigsten Funktionstypus, wodurch beispielsweise die gängige Gleichsetzung der Stiftung mit einer Fördereinrichtung von vornherein falsifiziert wird. Ihre Entstehung beruhte schon seit dem Frühmittelalter, anknüpfend an seit den frühen ägyptischen und mesopotamischen Hochkulturen gepflegte Traditionen, überwiegend auf dem Gedanken, daß die Stifter zwar ein religiöses Anliegen in der Form eines Kirchenbaus verfolgten, durchaus auch ein gottgefälliges Werk vollbringen wollten, aber doch eine gewisse Separierung ihrer Zuwendung von den Teilen des Kirchenvermögens anstrebten, die der freien Verfügung des Bischofs unterlagen. Die Widmung an die Gottheit selbst findet darin ihren Niederschlag. Gerade dieser Stiftungstyp hatte - und hat bis heute - alle politischen Umwälzungen am besten überstanden. Rund 50.000 solcher Stiftungen (die sog. Kirchenstiftungen) bestehen bis heute, deren wesentliche, oft alleinige Aufgabe darin besteht, die Eigentümerfunktion eines Kirchengebäudes darzustellen und dieses Gebäude dadurch vor Zweckentfremdung zu schützen. 113 Diesen in mancher Hinsicht nahe verwandt sind die sogenannten Pfründestiftungen, die freilich im Grundsatz einem anderen Funktionstypus, der zur Unterstützung von Personen gegründeten Stiftung, zuzurechnen sind, was zugleich die lange Tradition unterschiedlicher Funktionstypen belegt. Auch die Pfründestiftungen wurden kirchlichen Stellen anvertraut, allerdings mit der Maßgabe, daß sie den Unterhalt von Pfarrern und anderem Kirchenpersonal gewährleisten sollten. Die Ausstattung konnte von Häusern, in denen die Pfarrer lebten, über Gärten und landwirtschaftliche Flächen, auf denen sie eine Ökonomie betrieben, bis zu sonstigen rentierlichen Vermögenswerten reichen. Beide Typen entwickeln naturgemäß keine oder kaum korporative Kreativität und bleiben gesellschaftlich passiv. Sie sind als kirchliche Stiftungen (im Rahmen der den Kirchen verfassungsgemäß eingeräumten Autonomie) ausgebildet und werden in der Regel von den jeweiligen Kirchenbehörden verwaltet. Reine Eigentümerstiftungen bestehen 113 Zur Unterscheidung Anstalts- und Hauptgeldstiftung vgl. Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht, S. 290. Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Traditionen des deutschen Stiftungswesens - ein Überblick; in ders./ Florian Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Berlin 2005, S. 36 f.; s. auch: Axel Freiherr v. Campenhausen, Geschichte des Stiftungswesens; in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 2003 (2), S. 19-42; James Allen Smith/Karsten Borgmann, Foundations in Europe: The Historical Context; in: Andreas Schlüter/Volker Then/Peter Walkenhorst (ed.), Foundations in Europe, London 2001, S. 2-34.

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jedoch durchaus auch im säkularen Bereich, etwa als Eigentümer von Kunstsammlungen, Archivbeständen, Bibliotheken und dergl. Den zweiten Typus bildet die operative Stiftung, traditionell in Form der sogenannten Anstaltsträgerstiftung, heute zunehmend auch als Projektträgerstiftung sichtbar. Häufiger als andere geht diese nicht auf einen einzelnen Stiftungsakt mit einmaliger Vermögensdotation zurück, sondern entstand über einen längeren Zeitraum hinweg durch immer wieder neue Zustiftungen. Auch erwirtschaftet eine Stiftung dieser Art regelmäßig, wenn auch nicht immer ausschließlich, durch ihre Tätigkeit selbst Einnahmen. Die Stärke dieses Stiftungstyps kann als Beleg dafür dienen, daß die amerikanisch geprägte Definition einer Stiftung als rentierliche Vermögensmasse zumindest für Deutschland zu eng gefasst ist. Im gewissen Sinn kann auch die Fuggerei, die bedeutendste der Fuggerschen Stiftungen, hierfür als Beispiel dienen. Zwar mußten und müssen die Bewohner nur einen sehr geringen Mietzins entrichten, der die Kosten bei weitem nicht deckt, aber das Prinzip von Leistung und Gegenleistung wird dennoch aufrechterhalten. 114 Zu diesem Typus, der in seinen Zielen keineswegs auf traditionelle soziale Tätigkeiten beschränkt war, gehören auch die Senckenbergische Stiftung oder das Städelsche Kunstinstitut, die beide nach dem Willen ihrer Stifter ihre Einrichtungen selbst betreiben, sowie die bereits 1701 gegründeten Franckeschen Stiftungen in Halle. Sie wurden von einem protestantisch-pietistischen Pfarrer ohne eigenes Vermögen gegründet, durch große, insbesondere aber auch durch kleine Spenden in die Lage versetzt, umfangreiche eigene Bildungseinrichtungen zu unterhalten und werden zu einem nicht geringen Teil durch den Druck und erfolgreichen Verkauf von Bibeln finanziert. 115 Auch moderne Gründungen, etwa die ZEIT-Stiftung, die Hertie-Stiftung oder die Stiftung zur Förderung der universitären Psychoanalyse, die jeweils eigene (private) Hochschulen betreiben, sind diesem Typus zuzurechnen. Andererseits versteht sich eine der größten deutschen Stiftungen, die BertelsmannStiftung, ausdrücklich als operative Stiftung im Sinne einer Trägerin von Projekten, die wesentlich von eigenen Mitarbeitern verwirklicht werden. Operative Stiftungen bedürfen in Deutschland in der Regel der Rechtsfähigkeit, um ihre Ziele verwirklichen zu können. Den dritten Funktionstypus verkörpert historisch betrachtet die sogenannte Hauptgeldstiftung, die in der Regel durch die Übertragung eines Barkapitals an eine bereits bestehende Körperschaft entstanden ist. Die Körperschaft (Kirche, Kloster, Stadtgemeinde, Universität oder bereits bestehende Stiftung) hatte dafür zu sorgen, daß dieses Kapital Zinsen erbrachte, welche nach den Vorgaben des Stifters verwendet werden mußten. 116 Zwar war der Erhalt solcher, in aller Regel relativ kleiner Stiftungen stark

114 Vgl. Benjamin Scheller, Memoria an der Zeitenwende - Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation, Berlin 2004. 115 Vgl. Helmut Obst, Α. H. Francke und die Franckeschen Stiftungen in Halle, Göttingen 2002. S. auch Christopher Clark, Preußen, Aufstieg und Niedergang 1 6 0 0 - 1 9 4 7 [2006], München 2008, S. 159 ff. 116 S. z.B. Helmut Börner, Die Stiftungen der Stadt Memmingen; in: Maecenata Actuell Nr. 16, Berlin 1999, S. 19 ff.

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vom Geschick und vom Verantwortungsbewußtsein ihrer Verwalter abhängig, ebenso aber auch von einer gewissen politischen und wirtschaftlichen Stabilität. Die Zwecke, die mit solchen Stiftungen verfolgt werden sollten, reichten von Kerzen- und Meßstipendien über Studienstipendien bis zu breit gefächerten Maßnahmen der Armenund Krankenhilfe. 117 Daß auch eine Stiftung dieser Art erhebliches Konfliktpotential zwischen Stifter und Staat bergen konnte, zeigt das Beispiel einer Stiftung, die der Berliner Universität unter der Bedingung zugute kommen sollte, daß Frauen zum Studium zugelassen würden und die deshalb von der Universität abgelehnt wurde. 118 In der Regel allerdings waren solche Stiftungen auf ihren staatlichen, kommunalen oder kirchlichen Destinatar ausgerichtet und entfalteten nur in Ausnahmefällen eine alternative Tätigkeit. Die moderne Förderstiftung, die als finanzielle Unterstützerin der Tätigkeit anderer Organisationen bekannt ist, agiert in der Regel autonomer, tritt aber in zwei Teilformen auf: zum einen mit festem, bereits durch den Stifterwillen verankerten Destinatär, zum anderen mit der Entscheidungsbefugnis der Stiftungsverwalter, im Rahmen des Satzungszwecks immer wieder neu Destinatäre bestimmen zu können. Zu den ersteren zählen auch die Pfründestiftungen. Viele der bedeutenden Neugründungen des 19. und 20. Jahrhunderts sind Förderstiftungen, darunter die Carl-Zeiss-Stiftung, (größtenteils) die Robert-Bosch-Stiftung, aber auch die berühmten amerikanischen Stiftungen wie die Rockefeller oder Ford Foundation, die Carnegie Corporation of New York, die Bill and Melinda Gates Foundation usw., die für den engen Stiftungsbegriff des 20. Jahrhunderts prägend geworden sind, sich aber aus heutiger Sicht als alleiniger Typus eben nicht durchsetzen konnten. Besonders die großen unter diesen Stiftungen folgen in den letzten Jahren dem Trend, stärker operativ zu werden bzw. sich stärker als aktive Partner ihrer Destinatäre zu verstehen. Förderstiftungen treten sowohl als nicht rechtsfähige wie als rechtsfähige Stiftungen auf. Die mildtätige Funktion, die ebenfalls aus der alten Hauptgeldstiftung hervorgegangen ist, hat seit dem Aufkommen des Wohlfahrtsstaates zwar an Bedeutung verloren, aber nicht gänzlich eingebüßt. Mildtätige Stiftungen haben notwendigerweise keine festen Destinatäre und verwirklichen ihren Zweck durch die Unterstützung hilfsbedürftiger Personen. Sie sind dadurch den Förderstiftungen verwandt, dennoch, schon wegen des ganz anders strukturierten Vergabeverfahrens, von diesen abzugrenzen. Zu diesem Typus zählen systematisch auch die Stipendienstiftungen, auch wenn sie steuerlich nicht als mildtätig, sondern im Hinblick auf die Förderung des Abstraktums Ausbildung als gemeinnützig angesehen werden. Mildtätige Stiftungen können rechtsfähig oder nicht rechtsfähig sein. Alle vier Funktionstypen kommen als Stiftungen im Sinne von gebundenen Einrichtungen tatsächlich vor; größere Stiftungen arbeiten häufig in mehreren Funktionen. 117 Frank Rexroth, Stiftungen und die Frühgeschichte von Policey in spätmittelalterlichen Städten; in: Michael Borgolte, Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten, S. 111 ff. 118 Thomas Adam, Stiften in deutschen Bürgerstädten vor dem Ersten Weltkrieg; in: Geschichte und Gesellschaft, 33. Jg., Heft 1, 2007, S. 51.

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Alle Funktionen sind auch mit dem Bindungsprinzip ohne weiteres vereinbar, auch wenn dem Gesetzgeber oder den Stiftungsorganen Änderungen im Stiftungszweck oder seiner Verwirklichung eingeräumt werden. Diese, in aller Regel gerade im Hinblick auf die Funktion stark eingeschränkte Befugnis unterscheidet sich insoweit grundlegend von der Möglichkeit einer Assoziation, alle Aspekte des assoziativen Prozesses prinzipiell jederzeit zu ändern, als es hierfür zwingend einer nicht in der Stiftung selbst liegenden Begründung, also nicht etwa einer einfachen Willensänderung, sondern einer Veränderung der Umstände bedarf. Schließlich ist im vierten Schritt zu fragen, ob sich die Stiftung von anderen Handlungs- und Organisationsoptionen durch das Zusammentreffen von ebenso präzisen wie grundsätzlichen theoretischen Konzepten unterscheiden läßt. Einige Stichworte hierzu sind bereits in das bisher zur Definition gesagte eingeflossen. Die Konzepte lassen sich als • •

das Geschenkkonzept, das Memorialkonzept und



das Nachhaltigkeitskonzept

definieren. Eine Stiftung läßt sich idealtypisch als Ergebnis eines Prozesses beschreiben, bei dem der Wille zu schenken, der Wille in Erinnerung zu bleiben oder der Wille zur individuellen Nachhaltigkeit handlungsleitend sind. Biologen, Anthropologen, Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler sind sich darüber einig, daß sowohl das Geben als auch der Wunsch, in Erinnerung zu bleiben, anthropologische Grundkonstanten darstellen, die in jeder Gesellschaft aufscheinen. 119 Das Geben im Sinne von Schenken ist sogar bei Primaten zu beobachten. 120 Zwar steht gewiß nicht bei allen weltweit bestehenden Stiftungsgründungen tatsächlich ein Schenkungsakt im Mittelpunkt. Ebensowenig ist entgegen einer bis heute verbreiteten, auch von Turgot 121 vertretenen Auffassung der Wunsch, in Erinnerung zu bleiben, für das Entstehen jeder Stiftung konstitutiv. 122 Schon gar nicht führen diese beiden Ansätze, auch nicht in Kombination, notwendigerweise zum Entstehen einer Stiftung. Dennoch ist die Akzeptanz dieser Konstanten für das Verständnis des Wesens einer Stiftung von herausragender Bedeutung. 123 Die historische Genese dieser Konstanten wird im folgenden Kapitel dargelegt. Allerdings bilden Stiftungen, wie Pielhoff zutreffend 119 Vgl. hierzu: Frank Adloff/Steffen Mau (Hrsg.), Vom Geben und Nehmen, Zur Soziologie der Reziprozität, Frankfurt/Main 2005. 120 Maurice Godelier, Das Rätsel der Gabe, Geld, Geschenke, heilige Objekte, dt. München 1999. 121 loc. cit., S. 305. 122 Vgl. unter vielen anderen die Entstehungsgeschichte der Volkswagen Stiftung (s.u.). 123 Vgl. hierzu: Hubertus v o n Pilgrim, Epigramme des Bildhauers, Denkmalsreflexionen, Festvortrag anläßlich der öffentlichen Kapitelsitzung des Ordens Pour le Mérite, Bonn, 31. Mai 1999: „Der Wunsch zu überdauern, ist das movens, Denkmäler zu stiften, zu gestalten. Aus diesem Elementartrieb leitet sich nicht nur die Furcht vor Zerstörung und Vergängnis ab, sondern eben auch der brennende Wunsch, in einer bestimmten, erwünschten Sicht zu überleben. Horaz erscheint uns modern in seinem Individualismus. [...] Seine Ode wendet sich nicht an Maecenas, um eine seiner bekanntesten Widmungen zu nennen, sondern sie ist ausdrücklich als Denkmal für sich selbst gemeint, ein Selbstdenkmal."

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anmerkt, nicht den philanthropischen, d.h. Schenkungs-Akt selbst, sondern stellen eine Verwirklichungsform desselben dar und sind insofern nur bedingt für eine Diskussion des Gabentauschs (nach Marcel Mauss) tauglich. 124 Überdies wird das Schenkungsinstrument stets mit dem Gegenargument des Eigeninteresses konfrontiert, das am deutlichsten im Modell des Warm Glow zum Ausdruck kommt. „Warm Glow beschreibt das Gefühl einer persönlichen inneren Befriedigung, das ein Individuum während oder nach dem Akt des Gebens verspürt. Die Gabe ist dementsprechend nicht altruistischer Natur, sie wird vielmehr durch den durchaus egoistischen Wunsch nach dem Konsum eines privaten Gutes, nämlich des Warm Glow, motiviert." 125 All dies teilt die Stiftung freilich mit anderen Optionen des Schenkens. Dies grenzt sie insoweit zwar vom Handeln in anderen Arenen, nicht aber vom Handeln in assoziativen Organisationen ab. Hierzu bedarf es eines zweiten Elements: „Eine gewisse Ichbezogenheit des Stiftergedankens wird sich immer einschleichen, eine Mischung aus Gemeinschaftssinn und Geltungsgefühl, [...] der Wunsch, die eigene Persönlichkeit im Stiftungszweck zu verewigen, sich ein Denkmal in der Nachwelt, ja, wenn möglich, auch in der Gegenwart zu setzen. Das ist legitim, und man könnte zur moralischen Entlastung hinzufügen, daß Stiftungen als Memoria, zur Erinnerung und zum Gedenken, schon immer der kultischen oder der kulturell-öffentlichen Vergegenwärtigung des Stifters dienten und wohl auch heute noch dienen. Positiv ausgedrückt, als Ansporn zu spiritueller oder geistig-intellektueller Regheit, zur Nachahmung und als Vorbild." 126 Dieses Element erscheint zugleich stiftungstypischer wie hinsichtlich der Akzeptabilität kontroverser, ist allerdings als Handlungsimpuls so konstant, daß es nicht als psychische Deformation einfach beiseite geschoben werden kann. Hierauf wird später nochmals eingegangen. Das dritte, der Stiftung zugrundeliegende konstante Prinzip ist die Nachhaltigkeit, die sich unmittelbar aus der Gründungsbindung ergibt. Indem die Stiftung von ihrer Gründung an prinzipiell nicht wechselnden Meinungsbildungen unterliegt, ist sie auf eine nachhaltige Erfüllung ihres Gründungsauftrags festgelegt. Im Grundsatz werden Stiftungen auf Dauer errichtet; historisch spricht man, gewiß übertreibend, vom Ewigkeitscharakter der Stiftung. Im Kern besteht jedoch der Nachhaltigkeitscharakter einer Stiftung nicht so sehr in der langen Dauer ihrer Existenz - heute denkt man 124 Stephen Pielhoff, Zwischen Bedürftigkeit und Begabung; in: Jonas Flöter/Christian Ritzi, Bildungsmäzenatentum, Privates Handeln - Bürgersinn - kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit, Beiträge zur historischen Bildungsforschung, Bd. 33, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 313. Pielhoff bezieht sich auf Marcel Mauss, Die Gabe, Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften [1923-24], Frankfurt/Main 1990. 125 Alexander v. Kotzebue/Berthold U. Wigger, Private Finanzierung kollektiver Aufgaben, theoretische Grundlagen und empirische Befunde; in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Stiftungen gestern und heute - Entlastung für öffentliche Kassen? Erlanger Forschungen Reihe A (Geisteswissenschaften) Bd. 110, Erlangen 2006, S. 23. Vgl. auch J. Andreoni, Impure Altruism and Donations to Public Goods, A Theory of Warm Glow Giving. The Economic Journal 100, S. 464-477. 126 Susanne Dieterich, Von Wohltäterinnen und Mäzeninnen, Zur Geschichte des Stiftungswesens, Leinfelden-Echterdingen 2007, S. 210.

Die Problematik der Definition

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verstärkt über sogenannte Verbrauchsstiftungen, also solche, die sich in einer gewissen Frist selbst aufzehren, nach. Vielmehr geht es vor allem um die Kontinuität des Handelns und, für viele Stifter noch attraktiver, um die Möglichkeit für den Stifter, Ergebnisse und Entscheidungen weit über den eigenen Tod hinaus zu prägen. Dies wird nicht nur an den physisch ausgestalteten Stiftungen der Antike sichtbar, die zum Teil heute noch bestehen, da die von den Stiftern errichteten Gebäude, etwa Theater, bis heute dem damals intendierten Zweck dienen können. 1 2 7 Die in der Stiftungskritik des 18. bis 20. Jahrhunderts eine prominente Rolle spielende Verurteilung der Herrschaft der ,toten Hand', von der noch die Rede sein wird, vermittelt einen Eindruck von dem besonderen, keiner anderen Handlungsoption in dieser Weise gebotenen Element des Stiftungshandelns, und spielt am Schluß dieser Untersuchung zu führenden theoretischen Diskussion eine nicht unwesentliche Rolle. Die Akzeptanz dieser Konstanten ist für das Verständnis des Wesens einer Stiftung ebenso von Bedeutung wie für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit Stiftungen Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements sind, wie ihre Verteidiger stets behaupten, oder doch eher den privaten Zeitvertreib wohlhabender Bürgerinnen und Bürger darstellen, wie ihre Kritiker argumentieren. Oder sind sie letztlich weder das eine noch das andere, sondern lediglich eine simple, mit bestimmten Charakteristika ausgestattete Organisationsform des Handelns in der Gesellschaft, die gemäß der jeweiligen Interessenlage normativ aufgeladen wird? Die Definition einer Stiftung muß jedenfalls von drei unterscheidbaren konzeptionellen Vorstellungen auszugehen, dem Schenkungskonzept, dem Erinnerungskonzept und dem Nachhaltigkeitskonzept. Idealerweise entsteht eine Stiftung dann, wenn diese drei Konzepte zusammentreffen. Jedoch ist dies nicht in jedem Fall gegeben, und während die ersten zwei sich vor allem mit dem Gründungsimpuls befassen, verleiht das dritte der Stiftung ihre eigentümliche Langfristigkeit und Nachhaltigkeit. Dem Stiftungswesen ist die Beschränkung auf einen öffentlichen oder gemeinwohlorientierten Nutzen im Kern fremd. Jedoch ist das Stiftungswesen historisch vor allem im Zusammenhang mit einem wie auch immer gearteten Dienst an der Allgemeinheit zu sehen, wenn dieser zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gesellschaften auch stets sehr unterschiedlich definiert wurde. (So gibt es beispielsweise in der Türkei gemeinnützige Stiftungen zur Unterstützung der türkischen Streitkräfte.) Ausnahmen sind beispielsweise die Niederlande, die Schweiz, Liechtenstein und Österreich, wo der überwiegende Teil der Stiftungen privaten Zielen, etwa der Unterstützung von Familienangehörigen, dient. Daß Stiftungen diesbezüglich fiskalisch anders beurteilt oder gesellschaftlich nur dann toleriert werden, wenn ihre Tätigkeit der Allgemeinheit zugute kommt, steht auf einem anderen Blatt. 128

127 Rupert Graf Strachwitz, Das Theater in Leptis Magna oder die Entdeckung einer Stiftung; in: Maecenata Actuell Nr. 52, Berlin 2005, S. 14 f. Vgl. hierzu auch: R. R. Smith, The Monument of C. Iulius Zoilos. Mainz 1993. 128 S. hierzu u.a. Christian Flämig, Theorie der Besteuerung v o n Stiftungen; in: Rupert Graf Strachwitz/ Florian Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, S. 6 6 - 104.

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Abschließend läßt sich zur Problematik der Definition feststellen, daß eine breit angelegte Definition einerseits unerläßlich erscheint, um die historische und gegenwärtige Stiftungswirklichkeit zu erfassen, andererseits das Bindungsprinzip hingegen als defmitorisch maßgeblich angesehen werden muß, um die Stiftung von anderen Organisationsformen und Prozessen abgrenzen zu können. Insoweit findet die breite Definition hier eine eindeutige Begrenzung, die von einer reinen Stiftungsterminologie abweichen kann. Im Falle von Hybridformen hat demgemäß eine sorgfältige Abwägung stattzufinden. Diese kann aber, wie wir meinen, letztlich eindeutig gelingen. Angesichts der phänomenologischen Vielfalt kommt dem einigenden Charakteristikum eine über das Konstrukt Stiftung hinausreichende Bedeutung zu: Jeder Stiftungsakt ist Ausdruck der Bindung des Menschen, in diesem Fall des Stifters, in der Zeitachse - im expliziten Gegensatz zu der Bindung an die gleichzeitig lebende Mitwelt. Das investive Geschenk, 129 das zur Stiftung führt, ist der Beginn einer Reise auf der Zeitachse der Gesellschaft. So gesehen ist die Bindung an den Stifterwillen keineswegs nur rückwärts gewandt, sondern auch zukunftsorientiert, Herrschaft der Toten über die Lebenden. Dieser Aspekt ist im 18. und 19. Jahrhundert, wie zu zeigen sein wird, und soweit erkennbar erstmalig in der Geschichte, Ziel scharfer theoretischer Kritik geworden. Die Gründungsbindung stellt, so läßt sich zunächst als Hypothese formulieren, den Kern der politisch-theoretischen Auseinandersetzung mit dem Stiftungswesen dar. Die Frage, ob eine möglicherweise nicht zu vernachlässigende Institution sich den Zeitläuften auf diese Weise entziehen kann, steht immer wieder im Mittelpunkt kritischer Diskurse. Rechtsform und andere Formalia, auf die im Stiftungsrecht oft so großer Wert gelegt wird, erscheinen im Verhältnis zu diesem Kern des Stiftungsgedankens peripher.

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Marcel Mauss hat dargelegt, daß die häufig vertretene Annahme, das Stiftungswesen beruhe wie die Philanthropie ganz allgemein im wesentlichen auf dem christlichen Gebot der Nächstenliebe, 130 falsch ist. 131 Dieses Gebot kann vielmehr bereits im alttestamentarischen Schriftgut nachgewiesen werden, 132 und Stiftungen sind bereits aus der ägyptischen Hochkultur 133 und aus biblischer Zeit bekannt. 134 Katherine Armstrong hat darüber hinaus nachgewiesen, daß das Schenken als gemeinschaftbilden129 Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Strategische Optionen für Stifter; in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 2003 (2), S. 629 ff. 130 S. z.B. Matth. 22, 39. 131 Marcel Mauss, Essai sur le don, forme et raison de l'échange dans les sociétés archaïques; in: L'année sociologique, 2rae série, 1923-24, deutsch: Die Gabe, Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt/Main 1990. 132 S. z.B. Leviticus 19, 18. 133 Hendrik Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, Ein Beitrag zum Problem .Moral und Gesellschaft', Utrecht 1939, S. 25 f. 134 M. Cohen, Foundations and Charity in the Communities of Medieval Egypt; in: Michael Borgolte (Hrsg.), Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Berlin 2005, S. 181.

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der Prozeß zwischen dem 8. und 5. Jh. v. Chr. weltweit das Schenken im unmittelbaren Familienzusammenhang abgelöst hat. 1 3 5 Insofern muß man es in der Hegeischen Terminologie als Element der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt deuten. Es darf nicht, wie dies Liermann getan hat, im wesentlichen mit der christlichen Religion verknüpft werden. 136 Im übrigen hat Armstrong auch darlegen können, daß das Schenken als gesellschaftliches Phänomen tatsächlich in allen Kulturen der Welt präsent ist, indem sie die Lücke bezüglich der chinesischen Kultur durch den Hinweis auf Mozi (im 5. Jh.v. Chr.) geschlossen hat. 137 Piaton überrascht mit dem Paradox, daß er zwar kein Anhänger der Nächstenliebe war, jedoch sein Privatvermögen (348/7 v.Chr.) seiner Akademie hinterließ und insofern bestätigte, daß Stiften und Philanthropie nicht notwendigerweise zusammengehören. 1 3 8 Allerdings greift Max Weber diesen Zusammenhang auf, wenn er im Zusammenhang seiner Überlegungen zur Gesinnungsethik sagt: „Die großen Virtuosen der akosmistischen Menschenliebe und Güte, mochten sie aus Nazareth oder aus Assisi oder aus indischen Königschlössern stammen, haben nicht mit dem politischen Mittel: der Gewalt [sie], gearbeitet, ihr Reich war,nicht von dieser Welt', und doch wirkten und wirken sie in dieser Welt." 139 Das Konzept der Bindung an den Stifterwillen wird am deutlichsten in den Grundsätzen sichtbar, die die Stifter der großen Religionen Christentum und Islam niedergelegt haben. 1 4 0 Christen glauben, daß ihre Kirche die Stiftung Jesu Christi sei, dem schon aus diesem Grund in allen wesentlichen Glaubensfragen zu folgen ist. 141 (Die Schwierigkeiten der Findung und Interpretation dieser Glaubensfragen können hier außer Betracht bleiben.) Noch strenger sehen Muslime den Quran als das endgültige, nicht interpretierbare Geschenk Gottes, überbracht vom Propheten, der damit inzidenter die Auffassung widerlegt, das Geschenk müsse materieller Natur sein. Im Islam gehört allerdings das Teilen des eigenen Vermögens mit den weniger vom Glück begünstigten zu den fünf Säulen des Glaubensvollzugs. Wenn in diesem Sinn der wesentliche Beitrag zur Idee des Geschenks den monotheistischen Religionen zugemessen wird, so ist daran durchaus etwas Wahres; 142 doch muß man sich dabei vor Augen halten, daß bis vor etwa zwei Jahrhunderten menschliches Bemühen und Handeln ganz generell im Kontext der Beziehung zu Gott gesehen wurde. Als stärkstes definitorisches Prin135 Katherine Armstrong, The Great Transformation. The World in the Time of Buddha, Socrates, Confucius, and Jeremiah. New York 2006. 136 Liermann, loc. cit., S. 24. 137 Armstrong, loc. cit., S. 270. 138 Stefan Toepler, Das gemeinnützige Stiftungswesen in der modernen demokratischen Gesellschaft, München 1996. S. 31. Die Richtigkeit des Gegenteils zeigt das Beispiel v o n Gaius Cilnius Maecenas, der zwar ein Philanthrop v o n hohen Graden, aber kein Stifter im hier beschriebenen Sinne war. S. hierzu: Bernard Andreae, G. Cilnius Maecenas, Urbild aller Förderer der Kultur, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Rom 2006; Marion Giebel, Maecenas - Freund und Förderer der Talente in Rom, Patron der Stifter, Veröffentlichungen der Kester-Haeusler-Stiftung, Fürstenfeldbruck 2000. 139 Max Weber, Politik als Beruf, München/Leipzig 1919, S. 63. 140 Vgl. Jakob Neusner, Ein Rabbi spricht mit Jesus [1993]. Freiburg 2007. Er sieht die christliche Kirche gerade dadurch v o n der jüdischen Religion abgegrenzt. 141 Rassem, Entwurf einer Stiftungslehre, S. 165. 142 Aslam Syed, Muslimische Philanthropie und bürgerschaftliches Engagement / Muslim Philanthropy and Civic Engagement, Berlin 2005, S. 238.

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zip einer Stiftung hat sich jedenfalls das Festhalten am Stifterwillen unter Einschluß des vom Stifter eingeräumten Veränderungs- und Interpretationsspielraums entwikkelt, während sich das Vorhandensein von Vermögen, schon gar von rentierlichem Vermögen, als definitorisch untauglich erwiesen hat. Die Vorstellung, daß der Mensch die Erinnerung an sich über seinen Tod hinaus sicherstellen will, ist älter. Schon die ägyptische Hochkultur kannte die Vorstellung, daß der ewige Friede des Verstorbenen davon abhänge, daß sich die Lebenden seiner erinnern. 143 Die indoeuropäische Tradition, die seit dem 4. vorchristlichen Jahrtausend auf die Kulturen des Mittelmeerraumes und Asiens einen entscheidenden Einfluß ausübte, maß dem anhaltenden Gedenken in dieser Welt einen hohen Wert bei. 144 Etwa seit dem 4. Jh.v.Chr. entstanden in der hellenistischen, 145 später noch stärker in der römischen Welt zahllose Stiftungen in Form steinerner Memorialstiftungen mit dem zusätzlichen Ziel der Verehrung einer Gottheit. 146 Römische Bürger stifteten auch Theater und andere öffentliche Gebäude mit dem ausdrücklichen Zweck des Gedächtnisses. 147 Vermögenswerte wurden einem meist öffentlichen Treuhänder mit der Maßgabe übergeben, den vom Treugeber bestimmten Zweck, etwa die Ausbildung begabter Jugendlicher, auch nach dessen Tod aus den Erträgen dieses Vermögens zu finanzieren.148 Die antiken Stiftungen lassen sich durchweg unter diese Begriffsbestimmung subsummieren. Dennoch nahm, und insofern ist Liermann partiell Recht zu geben, die Geschichte des Stiftungswesens mit dem Edikt von Mailand eine neue Wendung, 1 4 9 auch wenn sich christliche Gedächtniskapellen (cellae memoriae) bis in das 2. Jh. zurückverfolgen lassen und eine Tradition begründeten, die in späteren Jahrhunderten in den zahllosen Kirchenstiftungen blühen sollte. 150 Die Stiftung in reiner Eigentümerfunktion ist hier bereits ausgebildet. Sie bedarf zu ihrer Zweckerfüllung keiner ständigen Tätigkeit.

143 Jan Assmann, Stein und Zeit, Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten. München 1991. S. 159. 144 M. L. West, Indo-European Poetry and Myth. Oxford 2008. 145 Klaus Bringmann/Hans von Steuben, Monarchische Wohltätigkeit und Selbstdarstellung im Zeitalter des Hellenismus. (Schenkungen hellenistischer Herrscher an griechische Städte und Heiligtümer, Bd. Π-1). Berlin 2000. S. 2. 146 S. Pickert, Die römischen Stiftungen der augusteischen Zeit In: Borgolte, Stiftungen, S. 28. 147 Rupert Graf Strachwitz, Das Theater in Leptis Magna loc. cit., S. 14 f.; s. auch Bernhard Laum, Stiftungen in der griechischen und römischen Antike, [1914] Leipzig 1964. 148 Ein Beispiel bei: Theodor Mommsen, Römische Kaisergeschichte, [1882/86], München 1992, S. 278. Vgl. auch Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege, S. 231 ff., 470. 149 Das Edikt von Mailand wird im allgemeinen dem römischen Kaiser Konstantin I., dem Großen, zugeschrieben und auf das Jahr 313 n.Chr. datiert. Die jüngere Forschung zweifelt Urheberschaft und Datierung an. Das Edikt, das die christliche Religion zur religio licita, zur anerkannten Religionsgemeinschaft erklärte, ist vermutlich bereits 311 durch Kaiser Gratian in seinen wesentlichen Inhalten erlassen und nach dem Sieg Konstantins über einen seiner Mitbewerber (312) durch ein Übereinkommen und eine Interpretationshilfe, die die Position der (orthodox) christlichen Kirche nochmals unterstrich, 313 bekräftigt worden. S. hierzu: Hubert Cancik, System und Entwicklung der römischen Reichsreligion; in: Friedrich Wilhelm Graf/Klaus Wiegandt (Hrsg.), Die Anfänge des Christentums, Frankfurt/Main 2009, S. 390 f. 150 Gabriela Signori, Versorgen - Vererben - Erinnern: Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters. Göttingen 2001, S. 365.

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Die Etablierung der christlichen Kirche als öffentliches Rechtssubjekt stellte in der Entwicklung des modernen europäisch-amerikanischen und in der Folge auch des muslimischen Stiftungsbegriffs einen Meilenstein dar. Indem die Kirche nicht mehr nur wie schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts als religio licita (erlaubte Religionsgemeinschaft), sondern auch als Körperschaft anerkannt wurde, konnte sie als Treuhänderin eingesetzt werden, wodurch Christen die Möglichkeit erhielten, die Kirche - und nicht etwa einen einzelnen Bischof als Person - mit zweckgebundenen Vermögenswerten zu bedenken. Die Kirche rückte somit in eine Position, die vordem vor allem Städte eingenommen hatten. In Verbindung mit der starken Stellung der Kirche als zentralistische Ordnungsmacht konnten sich parallel die autonomen und die treuhänderischen Stiftungen als Modelle halten und entwickeln. In Anbetracht der Stiftungsnatur, die sich die Kirche theologisch zumaß, konnten Stifter durch ihr Stiften das von Jesus Christus selbst gesetzte Ziel fördern und taten dies auch in großem Stil. Freilich stand auch dies in römischer Tradition. Schon im 2. Jh.v.Chr. gehörten Geschenke an die Götter zum Ritual heimkehrender Feldherren. „Dank der Stiftungen der Triumphatoren verwandelten sich [...] Heiligtümer [...] in Schauräume griechischer Kunst." 151 Die spätrömischen Kodifizierungen des Rechts unter den Kaisern Theodosius II. 152 , der übrigens auch als Stifter einer Universität hervortrat, und vor allem Justinian 1 5 3 trugen dieser Entwicklung Rechnung. Im byzantinischen Recht, allerdings nicht schon bei Justinian, 1 5 4 findet sich erstmals der Begriff der pia causa, heute oft als frommes Werk im Sinne des Kults mißverstanden, 155 in Wirklichkeit aber eine Sammelbezeichnung für .gottgefällige Werke' aller Art, denen auf Beständigkeit angelegte Körperschaften dienen sollten. Einige sind ausdrücklich genannt: Fremdenspitäler, Krankenspitäler, Armenhäuser, Waisenhäuser, Findelhäuser. 156 Nicht uninteressant ist besonders die Erwähnung der Fremdenspitäler, also die Schaffung von Unterkünften für Reisende, die damit deutlich macht, daß „wirtschaftliche Geschäftsbetriebe" durchaus ihren Platz in der Stiftungswelt hatten, da ja eine Entlohnung nicht ausgeschlossen war, und daß sich insofern die Frage nach der Erfüllung des Stiftungszwecks allein aus den Erträgen eines rentierlichen Vermögens nicht stellte. Justinian war es übrigens auch, der die Platonische Akademie schloß; ob dies als unzulässiger Eingriff der Staatsmacht in die Autonomie einer Stiftung oder zulässiger Eingriff angesichts eines nicht mehr erfüllten Stifterwillens zu werten ist, kann dahingestellt

151 Paul Zanker, Die Römische Kunst, München 2007, S. 13. 152 Codeχ Theodosianus, ca. 430. 153 Codex Justinianus (529); s. hierzu: Wolfgang Kunkel/Martin Schermaier, Römische Rechtsgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2001 (13), S. 211 ff. 154 Maria Macuch, Die sassanidische fromme Stiftung und der islamische waqf, eine Gegenüberstellung; in: Astrid Meier/Johannes Pahlitzsch/Lucian Reinfandt (Hrsg.), Islamische Stiftungen zwischen juristischer Norm und sozialer Praxis, Berlin 2009, S. 19 (Macuch beruft sich hier auf Patrick William Duff, Personality in Romart Private Law. Cambridge 1938, S. 203 f.). 155 Pia causa wird andererseits in der juristischen Fachterminologie bis heute oft mit gemeinnützig oder gemeinwohlorientiert gleichgesetzt. 156 Vgl. Liermann, loc. cit., S. 30.

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bleiben. 157 Interessanter ist der Gedanke, daß die heute als Corpus Iuris Civilis bezeichnete Sammlung von Gesetzen und Rechtsmeinungen auch in den islamischen Kulturkreis hinein gewirkt hat, so daß die überaus bedeutende islamische Tradition der Stiftungen (wak'ßliS vermutlich auf die gleichen Wurzeln zurückgeht wie die abendländische. Theologisch gesehen hatten Origines und andere christliche Kirchenväter die Theorie entwickelt, daß alles Kirchengut treuhänderisch für die Armen gehalten wurde. 159 Daraus ergab sich schon früh eine Konfliktsituation, da die der Kirche anvertrauten Stiftungen ausdrücklich auch anderen Zielen, insbesondere dem Kirchenbau, dienen sollten. Zugleich entwickelte sich die Kirche aufgrund ihres nunmehr privilegierten Status, ihrer im Vergleich relativ hohen Stabilität und Beständigkeit sowie ihres vergleichsweise hohen Ansehens auf der Basis ihres theologischen Grundauftrags zu einem primären Dienstleister im Bereich der sozialen und medizinischen Dienste. Menschen mit Vermögen wurden dazu gedrängt, die Kirche dabei zu unterstützen, in welcher Form blieb zunächst unklar. Zuwendungen reichten von Schenkungen ohne Auflage bis zu präzise beschriebenen Stiftungen. 160 Sicher ist, daß die christliche Kirche zum wesentlichen Akteur im Stiftungswesen wurde und dies für viele Jahrhunderte blieb. Im frühen Mittelalter finden wir in ganz Europa gleichermaßen Herrscher, Aristokraten und Bürger als Stifter. Allerdings: Wir „haben [...] es bei dem gesamten Geschehen mit einer Erscheinungsform des Entstehens neuer Rechtsinstitute aus geübten Gewohnheiten heraus zu tun, die über gewohnheitsrechtliche Normen erst wesentlich später ihre rechtliche Legitimation durch rechtsdogmatische Konstruktion erfuhren." 161 Seit dem 12. Jahrhundert etablieren sich neben der Kirche auch die Städte als Treuhänder oder Verwalter von Stiftungen, ab dem 14. Jahrhundert auch die Universitäten. Auch hieran läßt sich ablesen, daß das Gedenken an den Stifter und die dauerhafte Bindung der bereitgestellten Mittel die ausschlaggebenden Gründe für die Wahl gerade dieser Organisationsform waren, hinter dem der Schenkungsimpuls zurücktreten konnte. Das Stiftungswesen wurde zunehmend zu einem städtischen Phänomen. Damit ging auch der Beginn der Verweltlichung des Stiftungsgedankens einher. 162

157 Vgl. Toepler, Das gemeinnützige Stiftungswesen. 158 S. hierzu: Mathias Rohe, Das islamische Recht, Geschichte und Gegenwart. München 2009, S. 162 ff. Vgl.: Macuch, loc. cit., S. 21; Johannes Pahlitzsch, Christliche Stiftungen in Syrien und im Irak; in: Meier/Pahlitzsch/Reinfandt (Hrsg.), loc. cit., S. 53; s. auch: Gudrun Krämer, Geschichte des Islam [2005], München 2008, S. 42 ff. 159 Thomas Sternberg, Orientalium More Secutus, Räume und Institutionen der Caritas des 5. bis 7. Jahrhunderts in Gallien; in: Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 16, Münster 1991, S. 33. 160 Ibid., S. 305. 161 Gerhard Lingelbach, Stiftungen und Stiftungsrecht - ein historischer Überblick; in: Olaf Wemer/Ingo Saenger (Hrsg.), Die Stiftung - Recht, Steuern, Wirtschaft, Bd. 1 : Stiftungsrecht, Berlin 2008, S. 27. 162 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie [1922], Tübingen 1976, S. 429. S. hierzu: Sigmund, Zwischen Altruismus und symbolischer Anerkennung, S. 222

Das Stiftungswesen bis zur Neuzeit

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Große Stiftungen verbanden sich mit sozialem Aufstieg, mit der Demonstrationen besonderer Macht innerhalb einer sozialen Gruppe in einer formal egalitären Gesellschaft . Hier spielte die Schenkung als Ausdruck der munificentia eine sehr viel größere Rolle. Auch förderte die Dichte des Zusammenlebens die Heterogenität der Lebensstile und der kulturellen Äußerungen. 1 6 3 Georg Simmel verweist im Zusammenhang mit der spezifischen Produktivität der Städte auf diese Dichte. 164 Gerade die Städte zeigten ihrerseits an der Übernahme von Stiftungen großes Interesse, um ihren eigenen Handlungsspielraum gegenüber Bürgern und Landesherren auszuweiten. 165 Auch wurden sie zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert zunehmend zu Trägern und Schöpfern eigener Rechte. 166 Hinzu kam, vor allem bei den Medici im 15. und den Fugger im 16. Jahrhundert, der Versuch, das kirchliche Zinsverbot durch eine Konstruktion zu umgehen, die im Sinne des Origines Gott selbst zum „Teilhaber" einer Stiftung und die Armen zu Nutznießern der geschäftlichen Aktivitäten machte. 167 An dieser Stelle kann festgehalten werden, daß das Stiftungswesen selbst noch an der Schwelle zur Neuzeit und darüber hinaus einen unumstrittenen Bestandteil der politischen Ordnung darstellte. Zwar wurden Stiftungen immer wieder aus politischen Gründen enteignet bzw. aufgehoben oder gingen in politischen Wirren unter. Ein theoretischer Widerstand gegen dieses Handlungsinstrument ist nicht nachweisbar. Jede Stadt, jede Universität und insbesondere jedes Bistum hatte ständig mit Stiftungen zu tun. Unwidersprochen bildeten sie gesellschaftliche Realität ab. Ihre Notwendigkeit ebenso wie ihre Legitimität konnten sowohl aus dem Glauben als auch aus den täglichen Notwendigkeiten heraus hergeleitet werden und fügten sich zusammen mit Bruderschaften und anderen Organisationsformen in das komplexe Geflecht der Gesellschaft ein. Hegel urteilte darüber: „In der ehemaligen Feudalmonarchie war der Staat wohl nach außen, aber nach innen war nicht etwa nur der Monarch nicht, sondern der Staat nicht souverän. Teils waren ... die besonderen Geschäfte und Gewalten des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft in unabhängigen Korporationen und Gemeinden verfaßt, das Ganze daher mehr ein Aggregat als ein Organismus, teils waren sie Privateigentum von Individuen und damit, was von denselben in Rücksicht auf das Ganze getan werden sollte, in deren Meinung und Belieben gestellt." 168

163 Häußermann/Läpple/Siebel, Stadtpolitik, S. 42. 164 Georg Simmel, Die Großstadt und das Geistesleben [1903], Gesamtausgabe (Hrsg.: Otthein Ramstedt), Bd. 7. Frankfurt/Main 1995, S. 116-131. 165 Helmut Börner, Die Stiftungen der Stadt Memmingen, Maecenata Actuell Nr. 16, 1999, S. 16-24. 166 Christian Meier, Kultur, um der Freiheit willen. München 2009, S. 25 f. 167 Christopher Hibbert, The Rise and Fall of the House of Medici, London 1974, S. 74. Benjamin Scheller, Memoria an der Zeitenwende, S. 17 ff. 168 Hegel, Rechtsphilosophie, S. 443 (§ 278).

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11.3 Nach der Reformation Die Reformationsbewegung des 16. Jahrhunderts bedeutete insofern eine „Kulturrevolution" 169 , als die Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin die Annahme verwarfen, daß durch gute Werke oder das Gebet anderer, gar nach dem Tod, Rechtfertigung der Sünder möglich sei. Damit war einem wesentlichen, aus der Antike herrührenden Motiv des Stiftens der Boden entzogen; denn nicht Eitelkeit war die wesentliche Triebfeder des Memoria-Motivs, sondern die ständige Sorge um das Leben nach dem Tod, das sowohl durch das Leben vor dem Tod, als auch durch Gedanken und Taten der Nachgeborenen günstig beeinflußt werden konnte. In der Tat ging die Übernahme der Reformation in den Territorien und Städten vielfach mit der Aufhebung von Stiftungen einher. 170 Allerdings war dies durchaus nicht nur durch theologische Argumente, die vielleicht sogar eher als nachgeschobene Begründung herhalten mußten, sondern durch das gleichzeitige, gerade von Luther unterstützte Erstarken der Landesherrschaft - außerhalb des Reichs der Nationalherrschaft - zu Lasten anderer Herrschaftszentren vorangetrieben worden und kam überdies der materiellen Begehrlichkeit der Landesherren entgegen. Jakob Fuggers Stiftungen stellten etwas „außergewöhnliches normales" 171 dar, denn der prominenteste Vertreter der katholischen Minderheit in seiner Stadt handelte gerade gegen den modernen Trend, zugleich goß er aber seine wichtigste Stiftung in eine neuartige und, wie sich zeigen sollte, zukunftsträchtige Form. Unter anderem verdient die Tatsache Erwähnung, daß an der Verwaltung der Fuggerei Nachkommen ebenso wie familienfremde Exekutoren beteiligt sein sollten, jedoch nicht die Kirche oder die Stadtregierung, denen offenkundig wegen ihrer Konfession mißtraut wurde. 1 7 2 So entstand im Widerstand gegen die zunehmende Machtkonzentration in der Hand des Fürsten zunächst eine Autonomiebewegung. Daß es, wie Sigmund argumentiert, schon zu dieser Zeit zu einer „noch weitergehenden Verweltlichung des Stiftergedankens" gekommen sei, ist freilich etwas übertrieben. 173 Jedenfalls war der Weg für die Entwicklung einer Stiftungsstruktur bereitet, die seit dem 17. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewinnen sollte, indem anstelle einer bestehenden eine neue und nur für diesen Zweck geschaffene Korporation mit der Treuhandschaft betraut wurde, ohne daß diese, wie z.B. eine Universität, allgemeinen Regeln des Aufbaus, der Wir-

169 Scheller, loc. cit., S. 24. 170 Ibid. S. auch: Helga Schnabel-Schüle, Kirchenvermögen und soziale Fürsorge - Die konfessionelle Prägung staatlicher Fürsorgepolitik; in: Carl A. Hoffmann/Markus Johanns/Annette Kranz/Christof Trepesch/Oliver Zeidler (Hrsg.), Als Frieden möglich war - 4 5 0 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Regensburg 2005, S. 146 ff. 171 Edoardo Grendi, Micro-analisi e storia sociale, 1977, S. 512, zit. nach Scheller, loc.cit. S.28. 172 Scheller, loc. cit., S. 129, vgl. auch Borgolte, loc. cit., S. 49 ff. 173 Steffen Sigmund, Zwischen Altruismus und symbolischer Anerkennung. Überlegungen zum stifterischen Handeln in modernen Gesellschaften; in: Roland Becker/Andreas Franzmann/Axel Jansen/Sascha Liebermann (Hrsg.), Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung - Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland. Konstanz 2001, S. 215

Nach der Reformation

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kungsweise usw. zu folgen hatte. Stärker als je zuvor beinhaltete das Stiften einen Akt eigener Rechtsetzung, der der Kreativität des Stifters und seiner Berater breiten Raum gab. Der von Jakob Fugger gewählte Terminus des Exekutors (des .Ausführenden') macht das Verhältnis dieser späteren Verwalter zum Stifter deutlich. Das 16. Jahrhundert ist für die Entwicklung des europäischen Stiftungswesens auch deshalb von Bedeutung, weil im nach-reformatorischen England die Weichen für das ausgeprägte nichtstaatliche und vielfach Stiftungscharakter tragende Wohlfahrtswesen gestellt wurden, die letztlich auch in das rechtlich relativ enge, in der Praxis aber sehr umfangreiche amerikanische Stiftungswesen mündeten. Nicht zuletzt lagen dieser Entwicklung Überlegungen zugrunde, Staat und Kirche voneinander zu trennen 1 7 4 - Überlegungen freilich, deren Realisierung noch Jahrhunderte dauern sollte. Von den Regelungen Königs Heinrich VIII. und insbesondere Königin Elizabeth I., die nach einigen parlamentarischen Vorarbeiten 1601 das Statut über Charitable Uses erließ, 175 führte trotz des von den Auswanderern beabsichtigten, dezidierten Bruchs mit den Gebräuchen der 'alten Welt', ein gerader und nie beeinträchtigter oder gar unterbrochener und auch nur selten überhaupt in Frage gestellter Weg zu den Trusts und Foundations anglo-amerikanischer Prägung im 20. Jahrhundert. 1 7 6 Das englische Beispiel zeigt ebenso wie ein Jahrhundert später in Deutschland das Beispiel der Franckeschen Stiftungen, daß trotz der protestantischen Gnadenlehre für das Stiften durchaus Raum blieb, was einerseits den anthropologisch konstanten Charakter der Stiftermotivation und andererseits die eher dem Machtargument geschuldeten Zugriffe protestantischer Landesherren auf kirchliches Stiftungsvermögen begründete. 177 Seit dem 16. Jahrhundert ging es den Territorialherren um die Beseitigung der Macht und der Unabhängigkeit von Kirche und Städten, später auch der Universitäten. Es ging ihnen dabei gewiß um deren Vermögen, nicht um die Institution Stiftung als solche. Die Franckeschen Stiftungen in Halle sind dafür ein Beispiel, weisen aber auch deutlich auf den zivilgesellschaftlichen Impetus der von Philipp Jacob Spener begründeten sog. Pietistischen Bewegung hin, der August Hermann Francke angehörte. 178 Die Franckeschen Stiftungen verwirklichten nicht nur ihren Zweck mittels eines ausgeprägt zivilgesellschaftlichen Mechanismus der Ressourcen-

174 S. hierzu: Rupert Graf Strachwitz, Die Leveller, Ein Ausschnitt der politischen Theorie Englands im 17. Jahrhundert, unveröffentl. Magisterarbeit, München 1973, S. 88; vgl. auch: C. B. Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus [1962], Frankfurt/Main 1973, insb. S. 1 2 6 - 1 8 1 . 175 Vgl. Richard Fries, Großbritannien; in Strachwitz/Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, S. 9 3 8 - 9 4 9 . 176 Vgl. Kathleen McCarthy, American Creed, Philanthropy and the Rise of Civil Society 1700-1865. Chicago 2003. 177 S. Christopher Clark, Preußen, S. 154 ff. 178 Helmut Obst, loc. cit.; vgl. auch Clark, loc. cit., S. 154 f.; s. auch: Rüdiger Loeffelmeier, Staatliche Förderung und Mäzenatentum in den Franckeschen Stiftungen; in: Jonas Flöter/Christian Ritzi (Hrsg.), Bildungsmäzenatentum, Privates Handeln - Bürgersinn - kulturelle Kompetenz seit der frühen Neuzeit, Beiträge zur historischen Bildungsforschung, Bd. 33, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 3 4 5 - 3 5 8 ; zum engen Verhältnis zwischen Monarch und Stiftung s. insb. S. 349.

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Die Stiftung vor 1750

gewinnung (über Spenden und wirtschaftliche Aktivitäten, namentlich den Verkauf von Bibeln und Medikamenten 179 ), sondern wurzelten auch in Speners Idee der freiwilligen Hauskreise (collegia pietatis). Stiftung war demgemäß für Francke eben gerade nicht ein alternatives Machtzentrum, sondern ein Instrument der Freiwilligkeit und eine Form der Korporation. 180

179 Clark, loc. cit., S. 161. 180 Clark, loc. cit., S. 154, 159.

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III.

Die Legitimitätskrise des Stiftungswesens 1 6 0 0 - 1 8 0 0

III.1

Bodin

Dadurch, daß die Reformation dem Schenkungsimpuls des Stiftens seine theologische Begründung abgesprochen hatte, öffnete sie die Tür dafür, Zweifel an der Legitimität einer Stiftung anzumelden. In der nach wie vor besonders in der konfessionellen Auseinandersetzung erbittert betonten Relevanz des Religiösen für das Leben des Menschen verlor das theoretische Argument für die Legitimität von Stiftungen dadurch seine unbedingte Stringenz. Es kam eben gerade nicht mehr auf die guten Werke oder das fromme Gedenken der Nachgeborenen an, um das ewige Seelenheil zu sichern. Die Reformation führte andererseits indirekt dazu, daß das Machtargument eine neue Bedeutung erlangte. Die Konfessionskriege, besonders in Frankreich und England im 16. Jahrhundert, ließen bei Theoretikern die Überzeugung entstehen, daß eine einzelne Autorität vonnöten sei, um das durch die konfessionellen Auseinandersetzungen entstandene Chaos zu beenden. „Das Problem, nach dem Scheitern der Kirche eine geistige Ordnung für die Zivilgesellschaft zu finden, ist auf den Nationalstaat eingeengt und stellt sich angesichts der 1563 einsetzenden französischen Religionskriege mit neuer Dringlichkeit." 181 Polyarchische Strukturen blieben durch die schrecklichen Folgen der Konfessionskriege für lange Zeit hinsichtlich der Beurteilung einer guten Ordnung negativ konnotiert. „Die Theoretiker der Staatsräson [waren] in doppelter Hinsicht innovativ, indem sie einerseits aus den Bahnen der traditionellen, im Duktus moralischer Unterweisung verfaßten Fürstenspiegel ausbrachen und die Rationalität herrscherlichen Handelns an Kriterien der Zweckmäßigkeit ausrichteten; indem sie andererseits aber auch dem Staat selbst ein objektivierbares Interesse unterstellten und in ihre Überlegungen damit eine politische Größe einbezogen, die bis dahin noch kaum programmatisch besetzt worden war. Vor den religiösen Bürgerkriegen, die im Gefolge der Reformation in ganz Europa ausbrachen und die konfessionellen Lager an immer neuen Fronten gegeneinander führten, gab es dazu wenig Anlaß. Da sich Zentren politischer Macht bis ins 15. Jahrhundert hinein nur als mehr oder minder stabile Pole in einer Peripherie feudaler Patrimonialgewalten behaupten konnten, [...] hing die schwierige Balance dieser Machtverhältnisse an komplizierten Aushandlungsprozessen." 182 Vor dem heute stärker in Erinnerung gebliebenen Thomas Hobbes ist es vor allem Jean Bodin gewesen, der in seinen 1583 erschienenen ,Six Livres de la République' 183 das bis heute prägende französische Staatsverständnis entworfen hat. „Den beiden im europäischen Maßstab wichtigsten Theoretikern auf diesem Gebiet, Bodin und Hobbes,

181 Eric Voegelin, Jean Bodin (hrsg. v o n Peter J. Opitz). [1948] München 2003, S. 49. 182 Ethel Matala di Mazza, Notwendige Grenzüberschreitungen: Staatsräson und Arkanismus; in: Albrecht Koschorke/Susanne Lüdermann/Thomas Frank/Ethel Matala de Mazza, Der fiktive Staat, Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt/ Main 2007, S. 179 f. 183 Jean Bodin, Les Six Livres de la République, [Paris 1583], deutsch: Sechs Bücher über den Staat, hrsg. v. Peter C. Mayer-Tasch, 2 Bde. München 1981-1986.

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ist gemeinsam, daß sie das Ideal einer uneingeschränkten Souveränität mit der Konstruktion einer direkten, nicht mehr durch Zwischenstufen vermittelten Beziehung zwischen Herrscher und Beherrschten verbinden. [...] Damit begibt sich Bodin in offenen Widerspruch zu den damaligen politischen Gegebenheiten." 184 Nicht zuletzt aus den Erfahrungen der Bürgerkriege heraus formuliert er seine Definition der Souveränität als „die dem Staat eignende absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt". 185 Er „wurde dabei wegweisend, vor allem als Begründer des für den späteren Staatsdiskurs grundlegenden Souveränitätsbegriffs." 186 Peter C. Mayer-Tasch kommentiert dies in seiner Einführung zur deutschen Ausgabe der Six Livres: „Bodins Definition der république (bzw. des Staates) war mithin nicht juristisch-deskriptiv, sondern vielmehr politisch-postulativ. Sie bedeutet ein Plädoyer für die von der Spitze bis zur Basis der Gesellschaftspyramide durchgängige, rechtlich unvermittelte Vertikalbindung von Regierenden und Regierten." 187 Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist für Bodin „die Korporationsdebatte. Seine Auseinandersetzung mit ihr läßt sich auf mehreren Ebenen sichtbar machen. Vordergründig braucht Bodin die mittelalterliche Diskussion der universitates, collegia oder corpora schon deshalb, weil sein Staat nicht von Individuen, sondern von Familien und den traditionellen kleineren Körperschaften (Zünften, Bruderschaften, Universitäten, Städten, Ständen, Ständeversammlungen) gebildet wird. [...] Ein eigenes Kapitel läßt die einschlägigen juristischen Argumente mit den wichtigsten Belegstellen Revue passieren: Zwecke und Typologie der corps, ihr Rechtscharakter, ihre innere Gerichtsbarkeit, Satzungsautonomie, Beschlußfassung und strafrechtliche Verantwortlichkeit." 188 Hobbes wird über diese ganz anders urteilen: „Another infirmity of a commonwealth is [...] the great number of corporations, which are, as it were, many lesser comonwealths in the bowels of a greater, like worms in the entrails of a natural man."189 Dies mußte noch nicht unbedingt für Stiftungen relevant sein, da nicht zwingend feststand, daß diese eine einheitliche Machtausübung behinderten. Insbesondere die Vielzahl an kleinen und kleinsten Seelgerät- oder Hauptgeldstiftungen stand dem Machtanspruch des Staates gewiß nicht im Wege. In der Tat haben sich die politischen Theoretiker des 17. Jahrhunderts kaum mit dem Phänomen Stiftung befaßt, sei es, weil es unstrittig war, weil es zu peripher erschien, oder weil seine Relevanz für das Machtmonopol des Staates noch nicht erkannt wurde. Theoretisch aber wurde durch Bodin die Argumentation dafür erarbeitet, daß Beschränkungen der Souveränität des Staates

184 Albrecht Koschorke, Großer Staatskörper und kleine Korporationen; in: Koschorke et al., loc.cit. S. 106. 185 Bodin, loc. cit. Bd. 1, S. 205, zitiert nach und hinsichtlich des in lat. und franz. Fassung abweichenden Wortlauts kommentiert von Thomas Frank, Korporationslehre und Souveränität bei Bodin und Althusius; in: Koschorke et al. (Hrsg.) loc. cit., S. 94. 186 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt - Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 112. 187 Peter C. Mayer-Tasch, Einführung zur dt. Ausgabe von Bodin, Sechs Bücher über den Staat, München 1981, S. 28. 188 Bodin, loc. cit., S. 474-503, zitiert nach Frank, loc. cit., S. 94 f. 189 Thomas Hobbes, Leviathan [1651], London 1962, S. 294 (Kap. XXIX).

Bodin

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nicht tolerabel waren. „Den Knoten der Gewaltengemengelage, die aus der politischen Struktur des Mittelalters in die der Neuzeit hineinreicht, zerschlägt [...] Bodin, indem er das Problem des Staates als das Problem der Existenz einer einzigen, höchsten Macht formuliert. Doch Bodin ließ gerade die Frage nach der Begründung der Souveränität weitgehend unberücksichtigt. [...] Daß eine Instanz gefunden werden muß, die den konfessionellen Bürgerkrieg beendet, ist entscheidend, nicht die Frage, wie die Verkörperung der Souveränität jeweils konkret begründet werden könnte." 190 Die Staatssouveränität erhielt intrinsischen Charakter. Sie bedurfte keiner Legitimation mehr. Durch die Kirche an sich, zumal durch die großen, reichen Klöster, die in den katholischen Reichsteilen fortbestanden, aber auch durch die Universitäten, und - aufgrund der vielen von ihnen verwalteten Stiftungen - durch die Städte und Kirchengemeinden war diese „einzige höchste Macht" in Frage gestellt worden. Korporationen waren in ihrer Legitimität danach zu beurteilen, ob sie sich in die alleinige Souveränität des Staates einfügten. „Ihn (Bodin) interessiert, unter welchen Bedingungen Frieden und materieller Wohlstand in einem Staat gesichert und die Glückseligkeit der Bürger erreicht werden kann, und seine Lösung heißt: absolute und zeitlich unbegrenzte Souveränität." 191 Freilich sah Bodin diese Souveränität im wesentlichen in einem religiösen Kontext. „In diesem Programm zur Schaffung einer Zivilgesellschaft kraft einer kontemplativen Wissenschaft in der Nachfolge Piatons mischt sich die Religiosität des kontemplativen Denkers mit nationalem [...] Stolz. [...] Es kann kaum Zweifel darüber herrschen, daß Bodins République als modernes Gegenstück zu Piatons Politeia konzipiert ist." 192 Ohne sich explizit auf Bodin zu berufen, charakterisierte Max Weber diesen Prozeß zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie folgt: „Überall kommt die Entwicklung des modernen Staates dadurch in Fluß, daß von Seiten des Fürsten die Enteignung der neben ihm stehenden selbständigen .privaten' Träger von Verwaltungsmacht: jener Eigenbesitzer von Verwaltungs- und Kriegsbetriebsmitteln, Finanzbetriebsmitteln und politisch verwendbaren Gütern aller Art, in die Wege geleitet wird. [...] Am Ende sehen wir, daß in dem modernen Staat tatsächlich in einer einzigen Spitze die Verfügung über die gesamten politischen Betriebsmittel zusammenläuft." 1 9 3 Dies zu erreichen, war den Monarchen des 18. Jahrhunderts noch nicht gelungen. „Selbst als die Monarchen es im Zeitalter des sogenannten Absolutismus unternahmen, vermittels der Staaten das Monopol des Politischen zu erlangen, vermochten sie es nicht, ihre Herrschaft auf Dauer alternativlos zu machen. Der Vorgang selbst setzte neue geistige und bald auch gesellschaftliche Kräfte frei. Schließlich erwies sich, daß es auch ohne sie ging. Was sie geschaffen hatten, konnte auch als Republik fortgeführt werden." 194

190 Annin Adam, Despotie oder Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel [1997], Freiburg/München 2002 (2), S. 26 f. 191 Frank, loc. cit. S. 96. 192 Eric Voegelin, Jean Bodin, S. 55. 193 Max Weber, Politik als Beruf, S. 9. 194 Christian Meier, Kultur, um der Freiheit willen, S. 26.

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III.2 Turgot „Von besonderer Bedeutung [...] ist die Phase des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Das Stiftungswesen modernisierte sich während dieser Periode und nahm - nicht nur in Deutschland - quantitativ einen bedeutsamen Aufschwung, der in engem Zusammenhang mit der Loslösung und Säkularisierung der Kulturproduktion aus dem kirchlichen Monopol stand." 195 So charkterisiert Steffen Sigmund eine in der Tat bedeutsame Periode in der Entwicklung des Stiftungswesens, durchaus in Übereinstimmung mit einer weit verbreiteten, sich an den sogenannten Städel-Fall 196 erinnerenden Meinung. Wie nachfolgend gezeigt werden soll, kann von der dadurch implizierten Linearität der Entwicklung keine Rede sein. Vielmehr findet in dieser Zeit eine Legitimitätsdebatte statt, die sich aus dem Bodinschen Souveränitätsmodell entwickelt und die durchaus die Option der Beseitigung dieses Handlungsinstruments beinhaltete. Im 18. Jahrhundert wandte ein prominenter Autor an herausgehobener Stelle seine Aufmerksamkeit der Frage zu, ob die Existenz von Stiftungen der seit Bodin entwickelten Souveränitätslehre entgegenstehen könnte. Soweit erkennbar, gerieten die Stiftungen um 1750 erstmalig in der Geschichte nicht aufgrund von gewaltsamen politischen Umwälzungen, etwa dem Ende des Römischen Reiches, sondern aufgrund eines theoretischen Paradigmenwechsels in die Schußlinie. Nach vielen Jahrhunderten der selbstverständlichen, meist unausgesprochenen Akzeptanz des Handlungsinstruments Stiftung erschien es nunmehr als im Grundsatz mit der allgemeinen politischen Ordnung inkompatibel. Es ist insofern nicht zufällig, daß sich Liermann auf Turgot bezieht, um die Position der Aufklärung bezüglich des Stiftungswesens darzustellen. 197 Freilich verkürzt er die Argumentation durch Auslassungen in dem ansonsten (durchaus korrekt) wiedergegebenen Zitat „II faut [...] les détruire/".198 In Wirklichkeit hatte sich Anne Robert Jacques Turgot (1727-1781) in einem ausführlichen Beitrag mit dem Thema befaßt, soweit erkennbar das einzige Mal, daß die Thematik als eigenes Kapitel bewußt und ausführlich in einen größeren Zusammenhang gestellt wurde. Dabei standen allerdings nicht mehr theoretische Argumente des Staatsaufbaus, sondern Utilitätsargumente im Vordergrund. Das Nützlichkeitsargument verdrängt, so Liermann, das Rechtsprinzip. 199

195 196 197 198 199

Sigmund, Zwischen Altruismus und symbolischer Anerkennung, S. 216 S. Kap. I V . 2 u n d V . l Liermann, loc. cit., S. 173. Turgot, loc. cit., S. 309. Liermann, loc. cit., S. 174.

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1757 legte Turgot, philosophe, Physiokrat 200 , später Finanzminister König Ludwig XVI. und einer von 140 Bearbeitern der von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d'Alembert zwischen 1751 und 1772 in 28 Bänden herausgegebenen Encyclopédie201 als einen von zwei Beiträgen den Beitrag fondation' vor. Die Encyclopédie wurde nicht nur wegen ihres Umfangs, sondern vor allem wegen des Rangs der Bearbeiter schon bei der Erstveröffentlichung als Schlüssel- und Referenzwerk der französischen Aufklärung gesehen 2 0 2 und in ganz Europa in hohem Maße rezipiert. 203 „Die Enzyklopädie ist als publizistisches Unternehmen großen Stils angelegt. 2 0 4 Robespierre kann sie später als .Einleitungskapitel der Revolution feiern." 205 Turgots Text fand fast ein Jahrhundert später Eingang in die mehrbändige kommentierte Ausgabe seiner Werke. 206 Turgot, nicht nur Enzyklopädist, sondern auch hochrangiger Politiker des ancien régime, stellte im Grunde eine polemische Abrechnung mit dem Stiftungswesen vor. Seine Position war die des Physiokraten. „Schon Locke bindet das öffentlich bekanntgemachte Gesetz an einen common consent; und Montesquieu führt es schlechthin auf die raison humaine zurück; aber den Physiokraten ist es [...] vorbehalten, auf die in der öffentlichen Meinung sich aussprechende Vernunft zu beziehen." 207

200 Francois Quesnay und die von ihm inspirierte Gruppe, die sich Physiokraten nannten, bestanden einerseits auf der Landwirtschaft als Basis einer Volkswirtschaft und andererseits auf einer radikalen Vereinfachung der Grundsätze, nach denen eine Gesellschaft organisiert werden sollte. S. Harold Nicolson, The Age of Reason 1700-1789, London 1960, S. 255. Vgl. auch: Ulrike Leuschner (Hrsg.), Johann Heinrich Merck, Briefwechsel, 5 Bde., Göttingen 2007. Bd. 2, Brief 276, Anm. 13. Ob es zwischen der physiokratischen Lehre vom Ackerbau als Quelle nationalen Reichtums und der Sorge um die Kontrolle über den Boden, die bei Turgot ebenso wie bei Kant deutlich wird, eine unmittelbare Argumentationskette gibt, muß hier offenbleiben, kann aber nicht ausgeschlossen werden. 201 Genau: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. 202 S. hierzu Robert Damton, Glänzende Geschäfte, Die Verbreitung von Diderots Encyclopédie oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn? [1979] deutsch Frankfurt/Main 1998, S. 15, 202. 203 „The publication of the French Encyclopédie has been described by André Billy as 'the greatest date in the history of intellectual civilization since the invention of printing"' (Nicolson, The Age of Reason, S. 264. N. bezieht sich auf Billys 1932 erschienene Biographie von Diderot). Nachdrucke der Encyclopédie erschienen u.a. (nach seiner Fertigstellung) 1770 in Leghorn, 1771 in Lucca, 1777 in Genf, 1778 in Lausanne (Nicolson, loc. cit. S. 267). S. hierzu ausführlich: Damton, loc. cit., S. 127, 211, 225 et passim. Vgl. auch: Ulrike Leuschner (Hrsg.), Johann Heinrich Merck, Briefwechsel, Bd. 3, Brief 544, Anm. 1. 204 1750 erschien zunächst Diderots Prespectus, eine Vorankündigung, die alsbald in ganz Europa ein Echo fand, ein Jahr später D'Alemberts Discours Préliminaire, ein brillanter Aufriß des gesamten Werkes. Seine Schrift ist ausdrücklich an das public éclairé adressiert. Sie spricht im Namen einer société de gens de lettres. Und 1758 erinnerte Diderot in einem Brief an Voltaire an die Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit: Inzwischen haben sich 4000 Subskribenten gefunden, zwei- bis dreimal so viele, wie damals die meistgelesene Zeitung an Abonnenten zählte. (Anm. im Zitat: s.u.) 205 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit [1962], Frankfurt/Main 1990, S. 135. 206 Oeuvres de Turgot, Nouvelle Edition, classée par ordre de matières avec les notes de Dupont de Nemours, augmentée de letters inédites, des questions sur la commerce, et d'observations et de notes nouvelles par MM. Eugène Daire et Hippolyte Dussard et précédée d'une notice sur la vie et les ouvrages de Turgot par M. Eugène Daire. Tome Premier. Paris 1844, S. 299-309. Alle Zitate stammen im folgenden aus dieser Ausgabe, Ubersetzungen d. Verf. 207 Habermas, loc. cit., S. 118 f.

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In einer kurzen Einführung machte Turgot zunächst auf die definitorischen Schwierigkeiten aufmerksam, die sich daraus ergaben, daß Fondation / Stiftung (im Französischen synonym mit Gründung) sowohl den Prozeß der Begründung als auch das bleibende Ergebnis dieses Prozesses beschreibt. Er klammerte la fondation d'un empire, d'une république (die Stiftung oder Gründung eines Reiches oder einer Republik) audrücklich mit der Begründung aus, dadurch würden Grundlagen des Staatsrechts berührt. Er beschränkt sich auf die Stiftung „einer Sekte, [...] einer Akademie, eines Kollegs, eines Hospitals, eines Klosters, von Messen, von Preisen, die zur Verteilung kommen sollen, von öffentlichen Spielen usw. Stiften in diesem Sinne heißt, ein Vermögen oder eine Summe Geldes so zu widmen, daß diese(s) auf Dauer dem Zweck diene, den der Stifter bestimmt hat, gleich, ob dies nun dem religiösen Kultus oder dem öffentlichen Nutzen oder nur der Befriedigung der Eitelkeit des Stifters dienen solle - letzteres häufig das einzige wahre Motiv, das die anderen nur verschleiern sollen." 208 Damit war der Tenor bestimmt, der sich durch den gesamten Beitrag zog. Immerhin war Turgot dabei die funktionale Bandbreite von Stiftungshandeln (im Gegensatz, wie noch zu zeigen sein wird, zu Kant oder Hegel) durchaus bewußt, wie er überhaupt ein umfassendes Verständnis von der Realität des Stiftungswesens unter Beweis stellte. Die rechtlichen Aspekte überließ er anderen Beiträgen: Fondation (jurisprudence) (Stiftungsrecht), Mainmorte (Tote Hand), Amortissement (Amortisation). 209 Turgot ging es ausschließlich um die Funktion. „Unser Ziel ist es, in diesem Beitrag den Nutzen von Stiftungen im allgemeinen im Verhältnis zum öffentlichen Wohl zu untersuchen, oder eher dessen Mangel aufzuzeigen: mögen die nachfolgenden Überlegungen in Übereinstimmung mit dem philosophischen Geist des Jahrhunderts dazu anregen, neue Stiftungen zu verhindern und einen Rest von Respekt vor den alten zu zerstören!" 210 Diese Absicht verwirklicht Turgot im weiteren in fünf Abschnitten: Der 1. Abschnitt behandelt den Stifter [fondateur). Selbst wenn, so führt Turgot aus, dieser von guten Absichten beseelt sei, wie könne er denn ernsthaft glauben, daß seine Beurteilung eines Mißstandes, den er beheben will, unbedingt richtig sei, oder gar, daß sie sich auf Dauer bewahrheiten würde, wo dies doch selbst den politischen Wissenschaften nicht gelänge. 211 Im Gegenteil, ein solches Handeln kann den Mißstand erst hervorbringen, der doch eigentlich bekämpft werden soll. 212 Schlimmer noch: 208 209 210 211

loc. cit., S. 299. Ibid. Ibid. Diesem Problem hat sich auch Max Weber in .Politik als Beruf gewidmet: „F. W. Förster glaubt in seinem Buche um die Schwierigkeit herumzukommen durch die einfache These: aus Gutem kann nur Gutes, aus Bösem nur Böses folgen. [...] Nicht nur der ganze Verlauf der Weltgeschichte, sondern jede rückhaltlose Prüfung der Alltagserfahrung sagt j a das Gegenteil." (Max Weber, Politik als Beruf, S. 59) 212 Ibid., S. 300. Der Kommentator der Werksausgabe von 1844, Eugène Daire hat dies in einer Fußnote mit einem Beispiel garniert: Vor 1811 habe es in Mainz keine Einrichtung für Findelkinder gegeben, und jährlich habe man auch nur ein bis zwei Fälle dieser Art gehabt. Dann sei eine Einrichtung geschaffen worden, und schon drei oder vier Monate nach der Gründung seien 516 Kinder aufgenommen worden. Zur Unsinnigkeit solcher Geschichten vgl. Rupert Graf Strachwitz, Blessed are Those Who Considereth the Poor, Georg Friedrich Händel als Philanthrop; in: Maecenata Actuell Nr. 55 (2005),

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die Armut bekämpfen zu wollen, indem Arme von Stiftungen kostenlos mit Nahrung und Kleidung versorgt werden, hat notwendigerweise zur Folge, daß, wie man in Spanien und einigen Teilen Italiens sehen kann, „der Zustand des Nichtstuns dem des arbeitenden Menschen vorgezogen wird". 213 Dadurch werde dem Staat Arbeitskraft entzogen, ein Teil des Bodens bleibt „nécessairement" (notwendigerweise) unbebaut. Dies führe zu einer „Lücke in der Arbeit und im Reichtum des Staates bei Vermehrung der Belastung des arbeitenden Menschen mit öffentlichen Aufgaben und zu all der Unordnung, die wir im Zustand der gegenwärtigen Gesellschaft feststellen." 214 Und wenn schon die Stiftungen, die in guter Absicht gegründet worden sind, die besten Hoffnungen nicht erfüllen können, was ist dann erst mit denen, die „als Motiv und wahren Zweck nur die Befriedigung frivoler Eitelkeit aufweisen und die ohne Zweifel in der Mehrzahl sind?" 215 Der Abschnitt schließt mit der Bemerkung: „Ich bin der Überzeugung, daß, wenn man die Vor- und Nachteile aller heute in Europa bestehenden Stiftungen vergliche, man vielleicht nicht einmal eine fände, die die Prüfung einer aufgeklärten Politik [une politique éclairée] bestehen könnte." 216 Dieses Argument findet sich bei Kant und Hegel wieder und scheint überhaupt in der politischen Auseinandersetzung bis heute und weit über das Stiftungswesen hinaus beliebt zu sein. Im 2. Abschnitt geht es um die Stiftung selbst. Sie trägt, so Turgot, von ihrer Natur her ein unheilbares Laster in sich („une vice irremediable"217): die Unmöglichkeit, ihre Zweckerfüllung aufrecht zu halten. Die Stifter sind im Irrtum, wenn sie glauben, daß ihr Eifer die Jahrhunderte überdauern wird. Man sähe das doch deutlich in jedem Krankenhaus, wo das Personal unaufmerksam und nachlässig mit den schweren Leiden umgeht, die jeden Besucher erschüttern. Kein Enthusiasmus ist von Dauer. Wie sollte man ihn den Verwaltern einer Stiftung vermitteln können? Sie müßten überwacht, und die Wächter wiederum überwacht werden. Und wo soll diese lächerliche Kette [„cette progression ridicule"218) enden? Zu dieser unüberwindlichen Schwierigkeit tritt bei den Kapitalstiftungen eine weitere hinzu: die Geldentwertung und Preissteigerung, die die Erfüllung des Stiftungszwecks immer weniger möglich machen. Wohin führt das? „Wenn die Erträge eines Hospitals diese Verminderung erfahren, reduziert man die Zahl der Krankenbetten und konzentriert sich darauf, für den Unterhalt der Kapläne zu sorgen." 219

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S. 40 f. Das Argument Turgots ist nicht singular, sondern eingebettet in eine größere Diskussion. Insbesondere Thomas Robert Malthus (1766-1834) hat in seinem 1798 erstmals erschienenen .Essay on the Principle of Population', das großen Einfluß nicht zuletzt auf Darwin ausübte, ein ähnliches Argument vorgetragen, um gegen die Armengesetzgebung zu opponieren. Turgot, loc. cit., S. 301. Ibid. Ibid. Ibid., S. 301. Ibid. Ibid., S. 302 f. Ibid., S. 303.

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Im 3. Abschnitt widmet sich Turgot den Zeitläuften und setzt sie in Gegensatz zum unveränderlichen Stifterwillen. Selbst wenn man unterstellt, daß die Stiftung bei ihrer Gründung einen Nutzen für die Gesellschaft gehabt habe, so ist doch die Welt so gewaltigen Veränderungen unterworfen, daß eine auf Dauer an den Willen des Stifters gebundene Einrichtung geradezu unnütz werden müsse. Ganz Europa, behauptet Turgot, sei noch immer von Leproseneinrichtungen überzogen, obwohl man längst keine Lepra mehr kenne. Die meisten dieser Einrichtungen überlebten ihren Nutzen deshalb, weil es zum einen Menschen gibt, die an ihrem Weiterbestand ein persönliches Interesse haben, zum zweiten, weil die Entscheidung, eine Stiftung abzuwickeln, viel zu lange dauert, und zum dritten, weil man übermäßig lange braucht, um sich klar zu werden, daß der Nutzen weggefallen ist. 220 Der 4. Abschnitt umfaßt nur wenige Zeilen. Voller Verachtung prangert Turgot darin den Aufwand an, den Stiftungen mit ihren Gebäuden und Kosten treiben. Im 5. Abschnitt wendet sich Turgot dem staatstheoretischen Argument zu. Er beschreibt die allgemeinen Bedürfnisse der Menschheit, d Nahrung für die Menschen, die guten Sitten und die Erziehung der Kinder in allen Familien; die Nahrung ist dabei primäres Bedürfnis. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse könne, und darüber müsse man nicht lange nachdenken, nicht den Stiftungen oder sonst einem Schenkungsmechanismus überlassen werden. Vielmehr müsse das allgemeine Wohl in dieser Hinsicht das Ergebnis der Anstrengungen jedes einzelnen für sein eigenes Wohl sein. Pflicht des Staates gegenüber all seinen Mitgliedern (membres) sei es aber, alle Hindernisse zu beseitigen, die den Fleiß der Menschen oder den Genuß der Früchte ihres Fleißes behinderten. Und was die Erziehung betrifft, so haben alle Familien ein ureigenes Interesse daran, daß diese ermöglicht und dementsprechend auch angemessen organisiert wird. Dieser Mechanismus wird durch Stiftungen und Stipendien gestört, denn die Segnungen beruhen auf einer Zufallsauswahl, die möglicherweise nicht nach ihrem Talent bestimmt wird. Auf die Nation bezogen, ist das nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein bei hohen Kosten. Hinzu kommt noch, daß es die Menschen herabwürdigt, wenn sie dazu herangebildet werden, alles zu verlangen und alles zu erhalten, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Längere Ausführungen, wie ein Erziehungssystem besser organisiert werden könne, schließen sich an. 221 Gerade an diesem Abschnitt wird deutlich, daß viele von Turgots Argumenten anthropologisch, psychologisch oder allenfalls juristisch zurückgewiesen werden können. Empirisch sind sie schwer zu widerlegen. Im zweiten Teil desselben Abschnitts widmet sich Turgot den Bedürfnissen, die zufällig, oder nur an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten auftreten und daher von einem allgemeinen System erfaßt werden können. Hier, so Turgot, sieht die Allgemeinheit eine ganz besondere Aufgabe für Stiftungen, er aber nicht. In solchen Fällen habe die Allgemeinheit durch Sammlungen und andere Maßnahmen 220 Ibid., S. 304. 221 Ibid., S. 305 f.

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ad hoc für das notwendige zu sorgen. Durch die allgemeine Beteiligung sei allgemeine Kontrolle sichergestellt, Mißbrauch und die Fehlleitung von Mitteln in Gebäude und anderen Luxus werden vermieden. Wie die Aktionäre einer Aktiengesellschaft, so würden auch die Beteiligten an solchen Gemeinwohlunternehmungen im ureigenen Interesse handeln und für optimale Lösungen sorgen. Durch ein solches System würde d Grund und Boden nicht in immer weniger Hände geraten. Man solle, so Turgot, nicht glauben, er spreche von Chimären. England, Schottland und Irland seien voller solcher Gesellschaften und erfreuten sich seit vielen Jahren ihrer Wohltaten. Die Engländer hätten nicht exklusiv das Recht, Bürger (citoyens) zu sein. In einigen Provinzen Frankreichs gäbe es dafür ermutigende Beispiele. Eines, aus Bayeux, führt Turgot an. 222 Im 6. Abschnitt wendet sich Turgot schließlich den politischen Konsequenzen zu. Ausdrücklich lobt er das wenige Jahre zuvor (1749) von König Ludwig XV. erlassene Gesetz, das die Gründung neuer Stiftungen beschränkt. Diese Regeln dürften im übrigen „keinen Zweifel daran lassen, daß zunächst die Regierung in allen öffentlichen Angelegenheiten, sodann Regierung und Kirche in kirchlichen Angelegenheiten das unbestreitbare Recht besitzen, über alte Stiftungen zu verfügen, ihr Vermögen neuen Zwecken zu widmen oder, noch besser, sie aufzulösen. Das öffentliche Wohl ist das oberste Gesetz und darf nicht durch einen abergläubischen Respekt für das beeinträchtigt werden, was man den Stifterwillen nennt, als wenn ignorante und bornierte Privatpersonen das Recht gehabt hätten, Generationen, die schon vergangen sind, an ihren kapriziösen Willen zu ketten." 223 Darauf folgt noch eine sehr allgemeine theoretische Anmerkung: Der Staat darf nicht befürchten, „angebliche Rechte gewisser Körperschaften zu verletzen, als wenn private Körperschaften gegenüber dem Staat irgendwelche Rechte gegenüber dem Staat hätten. Die Bürger haben die Rechte, auch heilige Rechte am Körper der Gesellschaft an sich. Sie existieren unabhängig von diesem, sind die notwendigen Teile hiervon und treten ihm nur bei, um sich unter Wahrung aller ihrer Rechte unter den Schutz eben der Gesetze zu begeben, die ihr Eigentum und ihre Freiheit gewährleisten. Private Körperschaften hingegen existieren nicht durch und nicht für sich selbst. Sie werden für die Gesellschaft geschaffen und müssen in dem Augenblick aufhören zu bestehen, in dem sie aufhören, nützlich zu sein." 224 Dieses Argument findet sich später dort wieder, wo die Brüderlichkeit - unter den citoyens - als „vereinigende Kraft" zur Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit beschworen wird. 225 Brüderlichkeit ist eben nur zwischen Menschen, nicht zwischen universitates möglich, seien sie bonorum oder personarum. Kein menschliches Werk, so schließt Turgot seinen Beitrag, sei für die Ewigkeit geschaffen. „Und nachdem die Stiftungen, durch Eitelkeit ständig vermehrt, langfristig alle privaten Mittel und Vermögen aufzehren, wäre es gut, man könnte sie am Ende 222 223 224 225

Ibid., S. 307 f. Ibid., S. 308. Ibid., S. 308 f. Koschorke, Brüderlichkeit als politisches Modell; in: ders. et al., loc. cit., S. 281.

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vernichten. Wenn alle Menschen, die je gelebt haben, einen Grabstein bekommen hätten, hätte man, um noch Erde zu finden, die man bebauen könne, diese sterilen Monumente auch beiseite räumen und die Asche der Verstorbenen dafür verwenden müssen, die Lebenden zu ernähren." 226 Die für eine Enzyklopädie ungewöhnlich ausgeprägte Polemik des Turgotschen Textes spricht dafür, daß der Verfasser nicht nur vom „philosophischen Geist des Jahrhunderts" 2 2 7 , sondern auch von konkreten Erfahrungen beeinflußt war. Dennoch bot er hier eine in Umfang 2 2 8 und Argumentation einmalige Delegitimierung der Stiftung an. Der Kontrast zu Johann Heinrich Zedlers 1739 erschienenem .Großem Vollständigem Universal-Lexikon' könnte nicht größer sein. 229 Dieses verwendet Stiftung als Suchbegriff überhaupt nicht, sondern subsummiert unter dem Begriff „Milde Sachen, lat. piae causae [...]", „was auf Kirchen, Schulen, Hospitäler, Lazarette, Waisenhäuser, ingleichen auf Studierende, [...] Ausbesserung der Wege und Brücken [...] gewendet und durch Stiftung, Schenkung oder letzten Willen vermacht wird, und sind alle diese Dinge in denen Rechten ganz besonders privilegieret, sodaß ordentlicher Weise weder die sonst so genannte Verjährung, noch auch eine andere Ausflucht darwider stattfindet." 230 Schließt sich also der anonyme Autor bei Zedier noch ganz dem seit Jahrhunderten tradierten, selbstverständlichen Gebrauch des Begriffs an und stellt auch die Institution in keiner Weise in Frage, ordnet ihn Turgot modernen Überlegungen zum Aufbau eines Gemeinwesens zu. Vernunft steht gegen Naturrecht. Stiftungen sind dem Gemeinwesen nicht zu-, sondern vielfach abträglich. Sie sind Ausdruck persönlicher Eitelkeit, ein Argument, das im folgenden, etwa bei Hegel, wieder auftauchte; sie sind aus in ihrem Konstrukt liegenden Gründen nicht imstande, eine ihrer Ausstattung entsprechende Leistung zu erbringen, sie leisten der Faulheit der Empfänger von Stiftungsleistungen Vorschub und verhindern, daß eine möglichst große Zahl von Mitgliedern sich am Aufbau des staatlichen Gemeinwesens beteiligt. Turgot zog aber auch, in der Tradition Bodins stehend, theoretische Argumente heran, die sich in Frankreich nach 1791 durchsetzten. Körperschaften haben im Gemeinwesen keine Rechte; diese stehen nur den Bürgern zu. In einem geordneten Gemeinwesen sollten sich zwischen Bürger und Staat keine wie immer gearteten Intermediäre schieben. An dieser Stelle ist Turgot freilich nicht konsequent. Denn mit der Verdammung der Stiftungen geht ein Loblied auf assoziative Körperschaften einher, deren angelsächsische Vorbilder ausdrücklich den Franzosen zur Nachahmung empfohlen werden. „Was in England stattfindet, kann auch in Frankreich stattfinden." 231 Hier wird ein Paradox sichtbar, das in der weiteren Diskussion eine gewichtige Rolle spielen 226 227 228 229

Ibid., S. 309. Ibid., S. 299. In der zitierten Werksausgabe immerhin 10 Seiten. Johann Heinrich Zedier (Hrsg.), Großes vollständiges Universallexikon [Leipzig 1739] 1995, Bd. 21, S. 182. 230 Ibid. 231 Ibid., S. 308.

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wird. Zum einen wird, etwa bei Turgot, die gebundene Stiftung in einen Gegensatz zum sich über die Entscheidungsprozesse seiner Mitglieder legitimierenden Verein gebracht, um das Argument gegen die Herrschaft der .toten Hand' zu untermauern. Dies ist um so erstaunlicher, als die Stiftungen im 18. Jahrhundert für gewöhnlich mit den Vereinen ins Blickfeld der politischen Wissenschaft gerieten, weil man sich im Zusammenhang der Diskussionen um die Staatsform, etwa bei Rousseau, verstärkt mit der Frage auseinandersetzte, ob Herrschaft sinnvollerweise von natürlichen Personen ausgeübt werden soll. „Hier wird nicht der Versuch unternommen, menschliche Assoziationen als natürlich auszugeben, indem sie mit dem Bild des politischen Körpers belegt werden; deshalb muß erklärt werden, in welchem Sinne diese Assoziationen überhaupt Körper genannt werden." 232 Demgegenüber benutzte Mirabeau, der sich eher auf .geheime Gesellschaften' bezog, eher das Machtargument, 233 redete allerdings zum Ausgleich einer übermäßigen Machtposition des Staates der deutschen Kleinstaaterei das Wort. 234 Zum zweiten werden in der Nachfolge Turgots beide gemeinsam als unerwünschte Ausdrucksformen einer Polyarchie eingestuft, die dem beanspruchten Gewalt- und Gestaltungsmonopol des Staates im Wege stehen, wodurch gerade die Stiftungen in den Sog der Delegitimierung von Intermediären geraten. Erst Tocqueville schrieb den Vereinen wieder eine zentrale Rolle in demokratischen Gesellschaften zu, da sie Freiheit und Gleichheit ebenso wie Individualismus und Demokratie vermitteln. 235 Auf das Thema der Beziehung zwischen Individualismus und Demokratie wird noch genauer einzugehen sein, wenn die Entwicklung am Ende des 20. Jahrhunderts in Bezug auf die Legitimität des Stiftungswesens in den Blick genommen wird. Drittens werden die Stiftungen jedoch gerade von den Physiokraten in die Nähe der gestifteten Staatswesen, d.h. der Monarchien gerückt; gemeinsam mit diesen werden sie im Vergleich zur privaten Initiative als rückständig und nicht mehr leistungsfähig abqualifiziert. Viertens gelten sie dann doch als willkommene Erfüllungsgehilfen, die einerseits besser, andererseits gegenüber den Mitgliederkorporationen gefahrloser Leistungen für das Gemeinwesen erbringen, gerade weil ihre Bindung sie an politischer Aktion hindert. Hinter diesen diffusen Argumentationssträngen trat das Machtargument, das für König Ludwig XV. 1749 ausschlaggebend gewesen war und in der nächsten Generation zentrale Bedeutung erlangte, nahezu vollständig zurück. Es hing Turgot nicht um die Konzentration von Verteilungsmacht, etwa im Sinne eines Wohlfahrtsstaates, und nicht um ein staatliches Erziehungsmonopol, das er ebenso wie etwa Rousseau ab232 Adam, Despotie der Vernunft, S. 91. 233 Honoré Gabriel Riqueti Comte de Mirabeau, De la Monarchie Prussienne sous Frédéric le Grand [1788], deutsch: Von der preußischen Monarchie unter Friedrich dem Großen (Übere.: Jakob Mauvillon, s.u.) [4 Bde., Braunschweig/Leipzig 1 7 9 3 - 1795]; in: ders.. Preußische Monarchie und Französische Revolution, Frankfurt/Main 1989, S. 385. 234 Ibid., S. 387, s. auch S. 406. 235 Wolfgang Vortkamp, Integration durch Teilhabe, Das zivilgesellschaftliche Potential von Vereinen, Frankfurt/New York 2008, S. 121.

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lehnt. 236 Er ist als Physiokrat vornehmlich auf der Suche nach aus innerer Logik funktionierenden Mechanismen. 237 „Die Physiokraten, Exponenten eines nun auch politisch räsonierenden Publikums, behaupten bekanntlich als erste sie Eigengesetzlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber Maßnahmen des Staates; im Hinblick auf das absolutistische Regiment jedoch verhalten sie sich apologetisch. Ihre Lehre gleicht, nach einem Wort von Karl Marx, der bürgerlichen Reproduktion des Feudalsystems." 238 Marx ist hier in seiner Beobachtung wohl genauer als Habermas, wenn er zwischen der Ausformung des Staates einerseits und dem Verhältnis zwischen Bürger und Staat andererseits systematisch trennt. Unterbleibt dies, wird letzteres durch die normative Wertung eines Staatsmodells im Sinne eines „Wir-Gefühls" verwischt. Turgots Argumente beherrschten dennoch die weitere Diskussion um die Legitimität von Stiftungen: -

Eitelkeit ist moralisch verwerflich. Die Chancen, daß der Stifter irrt, sind viel zu groß. Durch Stiftungshandeln werden Probleme geschaffen, die sonst gar nicht vorhanden wären. Die zu Beginn festgelegte Zweckbestimmung kann gar nicht aufrechterhalten werden. Spätere Stiftungsverwalter werden ihre eigenen Interessen vor die Absichten des Stifters stellen. Leistungen über Schenkungen zu erbringen, ist gesellschaftspolitisch abwegig. Den Stiftungen fehlt eine Kontrolle durch die Allgemeinheit. Die Autorität des Staates darf nicht durch Herrschaften der ,toten Hand' beschränkt werden. Vereine sind als Ausdruck des freien Willens den Stiftungen vorzuziehen.

Die Wirkung von Turgots Delegitimierung war in Frankreich durchschlagend. Ob er als Mitglied der politischen Elite seiner Zeit bereits an dem von ihm gepriese-

236 S. hierzu Robert Spaemann, Natürliche Existenz und politische Existenz; in: ders., Rousseau - Mensch oder Bürger, Das Dilemma der Moderne. Stuttgart 2008, S. 45. 237 „Ich bin fest überzeugt," schreibt der Physiokrat Jakob Mauvillon in Braunschweig 1780 analog über das Schulsystem, „daß wenn man das Erziehungsgeschäft der eigenen Industrie überließe; wenn man weder Professoren noch Rektoren und Konrektoren, weder öffentliche Schulen noch Universitäten hätte; wenn der Staat das Geld, das er dafür ausgibt, in die Hände der Privatpersonen ließe, um die Lehrer der Kinder nach Verdienst und nach der Konkurrenz zu belohnen, so würde dieses Geschäft einen ganz anderen und viel vortrefflicheren Schwung bekommen." (Jakob Mauvillon, Physiokratische Briefe an den Herrn Professor Dohm, Braunschweig [1780] Königstein 1979, 17. Brief, S. 265) Jakob Mauvillon, literarischer Partner von Mirabeau, war - wie Turgot - Physiokrat, der Adressat, Christian Wilhelm von Dohm, Freund Moses Mendelssohns und zeitweilig Lehrer Wilhelm v. Humboldts, gehörte einflußreich zum Kreis der preußischen Aufklärer. Jakob (de) Mauvillon, trat u. a. als Mitarbeiter und Übersetzer von Mirabeau sowie als Übersetzer von Turgot hervor. Die Zusammenarbeit mit Mirabeau ist am besten dokumentiert in Mirabeaus Lettres du Comte de Mirabeau à un de ses amis en Allemagne 1786-1790. Mauvillon ist der Empfänger der Briefe, der sie (Braunschweig 1792) zweisprachig herausbringt. 238 Habermas loc. cit., S. 168.

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nen, einschränkenden Gesetz von 1749 mitwirkte, ist unklar. Dieses zeigt jedenfalls, daß es Turgot nicht u m ein demokratietheoretisches Argument geht. Stiftungen sind nicht deswegen verwerflich, weil die Macht von einer Person, dem Stifter ausgeht. Legitimation, so wird deutlich, erwächst nicht aus der Genese, schon gar nicht aus der Zustimmung zu der in Frage stehenden Institution, sondern allein daraus, ob sie vernünftigerweise nützlich sein kann. „Aufgeklärte Herrscher kehrten [...] ihren Anspruch auf uneingeschränkte Machtfülle hervor, um j e n e Reformen in Gang zu setzen, die ihnen zur Überwindung der Rückständigkeit geboten schienen." 2 3 9 In Frankreich wurde die Rechtsinstitution der Stiftung, allerdings ebenso wie die des Vereins, 1791 beseitigt. 2 4 0 Im französischen Zivilgesetzbuch (Code Napoléon) von 1804 findet sich keine Erwähnung von juristischen Personen, hingegen eindeutige, gegen das Entstehen v o n Stiftungen gerichtete Bestimmungen: „Alle ledigen u n d herrenlosen Sachen, sowie der Nachlaß derjenigen, welche ohne Erben gestorben sind oder deren Erbschaften niemand a n g e n o m m e n hat, gehören zum Staatseigenthume." 2 4 1 Und: „Die fideicommisarischen Substitutionen sind verboten [...]. Eine jede Verfügung also, wodurch dem Beschenkten [...] auferlegt wird, Etwas für einen Dritten aufzubewahren und an ihn abzugeben, ist ungültig, selbst in A n sehung des Beschenkten [...]". 242 Vergegenwärtigt m a n sich die Wirkungsgeschichte dieses Gesetzeswerks, so wird einerseits deutlich, daß das nachrevolutionäre französische Staatsmodell tatsächlich glaubte, ohne Intermediäre auskommen zu können, während andererseits Deutschland diesem Beispiel zumindest nicht in dieser Radikalität folgte. 2 4 3 Nur in den zeitweise unmittelbar dem französischen Herrschaftsbereich einverleibten Reichsteilen wurde die französische Auffassung konsequent durchgesetzt. So wurden etwa im zum Großherzogtum Berg gehörenden Münster in Westfalen 1810 die kommunalen Stiftungen verstaatlicht. 2 4 4

239 Christof Dipper, Deutsche Geschichte 1648-1789, Frankfurt/Main 1991, S. 237 (Unterstreichung d. Verf.). 240 Die Beseitigung wird in der Literatur regelmäßig mit einem Gesetz vom 14. Juni 1791 (der sog. Loi Chapelier) in Verbindung gebracht. Allerdings bezieht sich dieses Gesetz im Wortlaut nur auf Gilden und Arbeiterbünde. Interessant für den vorliegenden Zusammenhang ist die Begründung, die der bretonische Advokat und Abgeordnete des HI. Standes Isaac Le Chapelier als Berichterstatter im Gesetzgebungsverfahren vortrug. Es gebe nur das Einzelinteresse jedes Individuums sowie das Allgemeininteresse, niemand dürfe mehr den Bürgern ein dazwischen stehendes Interesse einreden und sie durch Korporationsgeist den öffentlichen Angelegenheiten entfremden. S. hierzu: Spiros Simitis, Die Loi le Chapelier: Bemerkungen zur Geschichte und möglichen Wiederentdeckung des Individuums; in: Kritische Justiz, 22. Jg. 1989, S. 157 ff. 241 Napoleons Gesetzbuch / Code Napoléon [21. März 1804 - Straßburg 1808 (Offizielle Ausgabe für das Königreich Westphalen: deutsch/französisch)] hrsg. im Auftrag des Instituts für Textkritik e.V. von KD Wolff. Frankfurt/Main 2001, S. 232 f. (II. Buch, 1. Titel, 3. Cap., § 539). Für den Hinweis auf diese Stelle danke ich Dr. Klaus Neuhoff. 242 Ibid., S.378: (ffl. Buch, 2. Titel, 1. Cap, § 896). 243 „Wohin Napoleons Gesetzbuch kommt, da entsteht eine neue Zeit, eine neue Welt, ein neuer Staat", kommentierte Paul Johann Anselm Feuerbach im Januar 1808 in einem Vortrag (abgedruckt in Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung, Landshut 1812, S. 61). 244 Ralf Klötzer, Für ewige Zeiten? Zusammenlegungen und Auflösungen sozialer Stiftungen in Münster; in: Franz-Josef Jakobi/Ralf Klötzer/Hannes Lambacher (Hrsg.), Strukturwandel der Armenfürsorge und der Stiftungswirklichkeiten in Münster im Laufe der Jahrhunderte, Münster 2002, S. 368 f.

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Diese Entwicklung hinderte den hochangesehenen Historiker Johannes von Müller nicht daran, 1807 Napoleon selbst im Zusammenhang mit der Entstehung des Rheinbundes als den großen Stifter zu bezeichnen. 245 In Bezug auf die Stiftung ergibt sich allerdings das Paradox, daß Le Chapelier die legitime Alleinstellung des Individuums gegenüber dem illegitimen Kollektiv der Korporation deutlich machen wollte, somit also eigentlich einem Urgedanken des Stiftens als individuellem Akt folgte, während Turgot die Vorteile der Korporation herausgestellt hatte, aber dennoch die Stiftung als corpus gesehen und mit den Vereinigungen ausgelöscht wurde. 2 4 6 Hier kommt, im Gegensatz zur scharfen Unterscheidung Turgots, die im übrigen als solche von den modernen Sozialwissenschaften geteilt wird, ein mittelalterlicher Korporationsbegriff zu tragen, der zwischen Stiftungen und Korporationen im engeren Sinn, also Personenvereinigungen, keinen scharfen Unterschied machte. 247 Zur Illegitimität trat, so ist zu folgern, die Illegalität, die in Frankreich nach herrschender Meinung erst 1983 (!) aufgehoben wurde - mit weitreichenden Folgen für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Frankreich. Allerdings hat Kathleen McCarthy jüngst nachgewiesen, daß das Verbot nie eine durchschlagende Wirkung gehabt hatte. Schon für 1801 ist die staatliche Subventionierung einer vorrevolutionären Vereinigung dokumentiert. 1810 soll diese aus öffentlichen Mitteln einen Kapitalfonds erhalten haben. 2 4 8 Insofern geht, wie McCarthy zeigt, Tocquevilles berühmtes Diktum „Überall wo man in Frankreich die Regierung und in England einen großen Herrn an der Spitze eines neuen Unternehmens sieht, wird man in den Vereinigten Staaten mit Bestimmtheit eine Vereinigung finden"249 von einer fehlerhaften Analyse seines Heimatlandes aus, blieb allerdings insofern aktuell, als der von „oben" ausgehende Wille ein Charakteristikum der Stiftung ist. 250 Tocqueville war vermutlich nicht bekannt, daß James Madison in den Federalist Papers ebenfalls Zweifel an der Legitimität polyarchischer Strukturen angemeldet hatte. „The latent causes of faction are [...] sown on the nature of man; and we can see them everywhere brought into different degrees of activity, according to the different circumstances of civil society. A zeal for different opinions concerning religion, concerning government, and many other points, 245 Johannes von Müller (1752-1809), Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, Januar 1807, Spalte 121 ff.; auch in: ders., Sämtliche Werke in 40 Bde., Stuttgart 1831 ff., 27. Teil, S. 274 ff. 246 Vgl. Simitis, loc. cit. 247 Rassem, Die Stiftung als Modell, S. 182. Rassem bezieht sich hier auf Otto von Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III (Reprintl954), S. 194, 196, 198, 248, 272, 275, 421 usw. 248 Kathleen McCarthy, Frauen im Spannungsfeld von Religion, Philanthropie und Öffentlichkeit von 1790-1860; in: Thomas Adam/Simone Lässig/Gabriele Lingelbach (Hrsg.), Stifter, Spender und Mäzene, USA und Deutschland im historischen Vergleich, Stuttgart 2009. Auch W. Mai weist in seinem 1892 erschienenen Aufsatz ,Die leitenden Grundsätze des Stiftungsrechtes in den verschiedenen, insbesondere in den deutschen Staaten' im 2. Teil (Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtslehre, XXIV. Jg., Nr. 22, 22. Oktober 1892) ausführlich auf „Grundsätze des französischen Stiftungsrechtes" hin (S. 181). 249 Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika [1835-1841] ausgew. u. hrsg. v.J. P. Mayer, Stuttgart 1985, S. 248. 250 Die Praxis sah etwas anders aus. Vermögenswerte der .toten Hand' und Gemeinschaften erhielten relativ bald staatliche Genehmigungen. Am 16 Fructidor XI (August 1802) wurde die Gründung einer privaten Hospitalstiftung genehmigt.

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as well of speculation as of practice; an attachment to different leaders ambitiously contending for pre-eminence and power; or to persons of other descriptions whose fortunes have been interesting to the human passions, have in turn divided mankind into parties, inflamed them with mutual animosity, and rendered them much more disposed to vex and oppress each other than to cooperate for their common good. [...] The regulation of these various and interfering interests form the principle task of modern legislation. "251 Zu den frühen Gefolgsleuten von Turgot im Deutschen Reich gehörte Kaiser Joseph IL, der, allerdings letztlich nicht in allen Fällen erfolgreich, die großen Klosterstiftungen in den habsburgischen Erblanden aufhob. Ihm ging es allerdings um Macht, nicht um Nützlichkeit. Immerhin waren zu dieser Zeit drei Achtel des Bodens im weiteren Sinne kirchliches Eigentum, worunter auch, aber keineswegs nur, die kirchlich geprägten Stiftungen zu verstehen sind. 252 In protestantischen Ländern wie Preußen war dies aufgrund früherer Säkularisationen bei weitem nicht so ausgeprägt. Selbst bei Turgot ist freilich die Bodinsche Tradition der unbedingten Souveränität des Staates nicht zu übersehen. „Die Regierung muß ... das unbestreitbare Recht besitzen, über alte Stiftungen zu verfügen." 2 5 3 „Die weisen Restriktionen, die der König in seinem Edikt von 1749 der Freiheit zur Gründung neuer Stiftungen auferlegt hat" werden ausdrücklich gelobt. 254 Die Debatte ist damit eröffnet. „Sei es in universalistischer Perspektive, wie es etwa die Ideen der Französischen Revolution nahelegen, wonach neben Freiheit und Gleichheit die Solidaritätsformel der Brüderlichkeit konstitutiv für die Inklusion aller menschen als Bürger in die Gesellschaft steht und damit einen zentralen Beitrag zur Stabilisierung des Sozialwesens leistet, sei es in der Dramatisierung von Solidaritätsgefühlen zur erreichung spezifischer Interessen durch gesellschaftliche Gruppen, [...]: Immer zeigt sich, daß auf je unterschiedlicher Ebene, die angestrebten oder durchgesetzten Solidaritätsmuster wichtige Indikatoren für die Analyse des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses sind." 255

251 James Madison, The Federalist Papers, No. 10, 23. November 1787 (http://avalon.law.yale.edu/l8th_ century/fedlO.asp). Tocqueville plante bei seiner Reise in die USA 1831/32, Madison aufzusuchen. Der Besuch kam aber nicht zustande. (Vgl. Hugh Brogan, Alexis de Tocqueville, London 2006, S. 198, 205) 252 Liermann, loc. cit., S. 172. Die herausragende, noch v o n Kant aufrecht erhaltene Bedeutung v o n .Boden', d.h. Immobilieneigentum, wurde erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die A u f l ö s u n g der feudalen Bodenordnungen aufgelöst (bspw. in Preußen 1807, in Bayern 1808). S. hierzu: Hartmut Häußermann/Dieter Läpple/Walter Siebel, Stadtpolitik. Frankfurt/Main 2008, S. 43. 253 Turgot, loc. cit., S. 308. 254 Ibid. 255 Sigmund, Solidarität durch intermediäre Institutionen: Stiftungen, S. 95

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Von Hans Liermann haben seit 1963 viele Autoren ein Zitat aus Kants 1797 vorgelegter .Metaphysik der Sitten' übernommen, um, ihm darin folgend, die für die Zeit Kants typische, stiftungskritische öffentliche Meinung eindrucksvoll zu belegen, die deutsche Stiftungsgeschichte aber zugleich von der französischen abzugrenzen. 2 5 7 Ob sich Kant tatsächlich, wie die Bedeutung seiner Interpretation für die nachfolgende Entwicklung des Stiftungswesens nahelegt, 2 5 8 den Stiftungen als eigenem Gegenstand seiner Untersuchung genähert hat oder ob diese nicht eher beiläufig, j a fast zufällig in den Zusammenhang seiner Betrachtung gelangt sein könnten, muß offenbleiben. Letzteres drängt sich angesichts des nur drei Jahre zuvor in Kraft getretenen Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten auf, das einerseits in einem Kapitel überschrieben ,Von Armenanstalten, und andern [sie] milden Stiftungen' feststellt: „Stiftungen, welche auf die Beförderung solcher schädlichen Neigungen [gemeint ist der „Müßiggang, besonders unter den niederen Volksklassen"] abzielen, ist der Staat aufzuheben [...] berechtigt" 2 5 9 , andererseits aber anerkennt, daß Stifter auftreten und die „innere Einrichtung" ihrer Stiftungen „nach Gutfinden anordnen" können, mit dem Zusatz, „soweit der Stifter nichts verordnet hat, gebühren [...] diese Befugnisse dem Staat." 2 6 0 . Der Gesetzgeber lehnte sich hier in abgemilderter Form an Turgot an, verwendete insbesondere auch dessen moralisierende Argumentation, verzichtete aber im Gegensatz zu diesem auf jede Definition, blieb also insofern auf dem Stand des Zedlerschen Lexikons. Was eine Stiftung ist, wurde gleichsam als bekannt unterstellt. 261 Von der .Metaphysik der Sitten', einem von Kants Hauptwerken, konnte also möglicherweise diesbezüglich eine Klarstellung erwartet werden. Die Erstauflage von 1797 umfaßte zwei Teile: .Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre' und .Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre'. 2 6 2 In dieser Erstauflage findet sich 2 6 3 nur ein einziger Verweis auf Stiftungen: „Dem Oberbefehlshaber steht indirekt, d.i. als Übernehmer der Pflicht des Volks, das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner [des Volks] eigenen Erhaltung zu belasten, als da sind: das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kir256 S. hierzu: Otto Gradenwitz, Der Wille des Stifters; in: Universität Königsberg (Hrsg.), Zur Erinnerung an Immanuel Kant, Abhandlungen aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr seines Todes, Halle a. S. 1904, S. 179 ff. 257 S. z.B. Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, Überlegungen zur Reform des deutschen Stiftungsrechts auf der Grundlage einer historisch-rechtsvergleichenden Untersuchung der Entstehung des modernen deutschen und amerikanischen Stiftungsmodells, Berlin 2001, S. 215 f. 258 Vgl. u. a. Richter, loc. cit., S. 216. 259 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten [1794], Neuwied/Kriftel/Berlin 1996, S. 669 (Zweyter Theil, 19. Titel, § 8). 260 Ibid., S. 670 (§ 36). 261 Diese Scheu vor Festlegung zieht sich, so will es scheinen, durch das gesamte 19. und 20. Jahrhundert. 262 Alle Quellenangaben beziehen sich im folgenden auf: Immanuel Kant, Werke in sechs Bde., hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. IV, Wiesbaden 1956, S. 303-634. S. hierzu auch: Klaus Neuhoff, Kant und die Stiftungen; in: Zeitschrift zum Stiftungswesen, 2. Jg., Heft 3/2004, S. 59-63. 263 In ,Der Rechtslehre zweiter Teil - Das öffentliche Recht - Erster Abschnitt: Das Staatsrecht1.

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chenwesen, sonst milde, oder fromme Stiftungen genannt." 2 6 4 Der Satz ist rätselhaft, offenbar auch für die Zeitgenossen. Wörtlich genommen, erscheinen die Stiftungen hier ganz und gar als Institutionen, die von Staats wegen eingerichtet werden können. Kant fühlte sich jedenfalls bemüßigt, der zweiten, „mit einem Anhange erläuternder Bemerkungen und Zusätze vermehrte[n] Auflage" 1798 unter Ziff. 8 die von Liermann auszugsweise zitierten Ausführungen hinzuzufügen 2 6 5 : Stiftung, eine „nicht als eine auf die Dauer, sondern als eine bis zum .Aussterben' [der Begünstigten] errichtete wohltätige Anstalt" 266 . „Stiftungen, [...] sobald sie einen gewissen, von dem Stifter nach seiner Idee bestimmten entworfenen Zuschnitt haben, können nicht auf ewige Zeiten fundiert und der Boden damit belästigt werden; sodann der Staat muß die Freiheit haben, sie nach dem Bedürfnisse der Zeit einzurichten." 267 Interessanterweise bezog sich Kant dabei auf eine (anonyme) Rezension der Erstauflage in den „Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen", in der jedoch zu diesem Thema nichts gesagt wurde. Kant muß also von anderer Seite auf die mangelnde Verständlichkeit aufmerksam gemacht worden sein. 268 Der Text wurde nicht verändert; vielmehr wurden die .Erläuternden Bemerkungen' gesondert aufgenommen und dem zweiten Teil ,Das öffentliche Recht' vorangestellt, finden sich also in der 2. Auflage von 1798 vor der aus der 1. Auflage unverändert übernommenen kurzen Erwähnung. 2 6 9 Die recht unsystematische und kursorische Abhandlung kann als Anhaltspunkt dafür dienen, daß Kant dem Gegenstand der Stiftungen eine eher marginale Bedeutung zugemessen hat. Denn schon beim ersten Blick auf seine Aussagen wird deutlich, daß Kant sich eine genauere Prüfung der Frage, um was es sich dabei eigentlich handle, versagte, sondern vielmehr relativ willkürlich einen von mehreren Stiftungstypen herausgriff, um ihn für ein ganz anders gelagertes Argument zu gebrauchen. Dies wird noch deutlicher, wenn man den der kurzen Erwähnung in der 1. Auflage vorausgehenden Text betrachtet, aus dem der zunächst schwer verständliche Begriff des .Oberbefehlshabers' deutlich wird. Kant hat hier seine Vorstellung von einem Herrschaftssystem ausführlich entwickelt, ein System, das weniger vom Ursprung und Wesen gerechter Herrschaft, sondern eher von dem Leitgedanken einer einheitlichen Herrschaft geprägt ist. „Der Akt, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat konstituiert, [...] ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle (omnes et singuli} im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, 264 Ibid., S. 446. 265 In der Originalausgabe der 2. Auflage (1798) S. 1 7 8 - 187, zitiert nach der Werksausgabe (1956) S. 4 9 2 - 4 9 9 . 266 Ibid., S. 174. 267 Ibid. 268 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, unter der Aufsicht der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften. Der erste Band auf das Jahr 1797, 28. Stück, den 18. Februar 1797, S. 2 6 5 - 2 7 6 . Kant bemerkt in der 2. Auflage seines Werks allerdings: „Die Veranlassung zu denselben (erläuternden Bemerkungen) nehme ich größtenteils (Unterstreichung d. Verf.) von der Rezension dieses Buchs in den Gotting. Anz. 28stes Stück [...]" 269 Anhang erläuternder Bemerkungen zu den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, 8. von den Rechten des Staats in Ansehung ewiger Stiftungen für seine Untertanen, in der Originalausgabe der 2. Auflage (1798) S. 178- 184, loc. cit., S. 4 9 2 - 4 9 6 .

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um sie als Glieder eines gemeinen Wesens sofort wieder aufzunehmen [...]".270 Die Tradition Bodins ebenso wie die von Hobbes und Pufendorf ist nicht zu übersehen. In diesem Zusammenhang definiert Kant drei Gewalten, die einander bedingen, um dann klarzustellen: „Von diesen Gewalten, in ihrer Würde betrachtet, wird es heißen: der Wille des Gesetzgebers (legislators) [...] ist untadelig (irreprehensibel), das Ausführungsvermögen des Oberbefehlshabers [summi rectoris) unwiderstehlich (irresistibel) und der Rechtsspruch des obersten Richters (supremi iudicis) unabänderlich (inappellabel)." 271 An diese Festlegungen schließen sich ausführliche Bemerkungen darüber an, daß gegen die Staatsgewalt, so sie einmal konstituiert ist, kein Widerstand zulässig ist, und zwar selbst dann nicht, wenn sie sich als tyrannisch erweist - Ausführungen, die in anderem Zusammenhang fraglos überaus folgenreich erscheinen und jedenfalls als Hinweis auf die außerordentliche Bedeutung der Rezeptionsgeschichte des Kantschen Systems dienen können. 2 7 2 Für das hier zu errötende Thema ist eine andere Konsequenz entscheidender. „Da der Boden die oberste Bedingung ist, unter der allein es möglich ist, äußere Sachen als das Seine zu haben, [...] so wird von dem Souverän als Landesherren [...] alles solche Recht abgeleitet werden müssen." 273 „Er besitzt alles; weil er das Befehlshaberrecht über das Volk hat (jedem das Seine zu Teil kommen zu lassen), dem alle äußere Sachen [...] zugehören. Hieraus folgt: daß es auch keine Korporation im Staat, keinen Stand und Orden, geben könne, der als Eigentümer den Boden zur alleinigen Benutzung den folgenden Generationen (ins Unendliche) nach gewissen Statuten überliefern könne. Der Staat kann sie zu aller Zeit aufheben." 2 7 4 Kant unterschied offenkundig kaum zwischen Stiftungen und Vereinen. Vor allem aber wird deutlich, was Kant mit seiner geradezu schnoddrigen Bemerkung über die Stiftungen im Urtext 275 meinte. Er bezog sich im wesentlichen auf die tatsächlich in größerer Zahl vorhandenen selbständigen, überwiegend kirchlich geprägten Anstaltsstiftungen, die oft über bedeutenden Grundbesitz verfügten und die in der Tat anderen Einrichtungen vergleichbar waren. Sie alle widersprachen seiner Idee von unbeschränkter Herrschaft, die sich in allererster Linie in der Verfügungsgewalt über den Grund und Boden manifestierte. Daß er damit nur einen kleinen Teil der Stiftungen überhaupt erfaßte, war ihm an dieser Stelle nicht wichtig. Ihm ging es um Beispiele dafür, wo ältere - polyarchische - Traditionen der Verwirklichung seines im Wortsinn strikt monarchischen Herrschaftssystems im Wege standen. Dabei ist die Frage, ob dieses System von einem Monarchen im traditionellen Sinn geführt wurde, 270 Ibid., S. 434. 271 Ibid., S. 435. 272 Kant rekurriert hier auf Christian Wolff, Vernünfftige [sie] Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, Frankfurt/Main 1740 (5), S. 463 (§ 433: Von der Macht und Gewalt der Obrigkeit): Die rechtmäßige Obrigkeit hat „denen Unterthanen zu befehlen, was sie tun und lassen sollen, und die Unterthanen müssen der Obrigkeit gehorchen", gegebenfalls sogar „blind". 273 Kant, Metaphysik, S. 443. Bodin ist hier ganz wörtlich zu verstehen. 274 Ibid., S. 444. 275 Ibid., S. 446.

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von untergeordneter Bedeutung. 276 Daß dieses im alten Reich ein reales Problem war, steht außer Frage. Eine Ableitung der Legitimität von Stiftungen von der der Monarchien sah Kant offenbar nicht. Damit war man, was die Stiftungen betraf, offenbar nicht zufrieden. Man veranlaßte Kant daher, ausführlicher darauf einzugehen, jedoch nicht, seinen Standpunkt zu verändern oder sich mit dem Stiftungswesen intensiver zu beschäftigen, dabei etwa die Tradition der von Städten, Kirchen oder Universitäten verwalteten Hauptgeld-, d. h. Förderstiftungen in den Blick zu nehmen, neue Entwicklungen wie die selbständige Senckenbergische Stiftung in Frankfurt am Main (s.u.) oder auch die Behandlung der Stiftungen im Allgemeinen Preußischen Landrecht näher zu untersuchen, wenngleich eine ihn persönlich tangierende negative Erfahrung mit einer seiner Universität treuhänderisch anvertrauten Stiftung seine Position mit Sicherheit beeinflußt hatte 2 7 7 Er setzte sich nicht mit der dort zugestandenen inneren Autonomie der Stiftungen auseinander. Selbst die neueste Entwicklung in Frankreich fand offenbar wenig Beachtung. 278 Sein Bild der Stiftung als autonome, mit Grundbesitz ausgestattete, vermögende Anstalt bestimmt in den .Erläuternden Bemerkungen' seine Position. „[...] Der, welcher gutmütiger- aber doch zugleich etwas ehrbegieriger Weise eine Stiftung macht, will, daß sie nicht ein anderer nach seinen Begriffen umändere, sondern Er [sie] darin unsterblich sei. Das ändert aber nicht die Beschaffenheit der Sache selbst und das Recht des Staats, ja die Pflicht desselben zum Umändern einer jeden Stiftung, wenn sie der Erhaltung und dem Fortschreiben desselben zum Besseren entgegen ist, kann daher niemals als auf ewig begründet betrachtet werden." 279 Im Mittelpunkt stand für ihn der Interessengegensatz, der aus übergeordneten Gründen zugunsten des Staates entschieden werden mußte. Kants Position erscheint dennoch weniger radikal als die Turgots, die er mit der Encyclopédie zweifellos rezipiert hatte. Insbesondere teilte er dessen moralischen Vorwurf der Eitelkeit, gewichtete seine Argumente aber letztlich anders. Wollte Turgot auf die Stiftungen zugunsten liberaler Marktmechanismen gern verzichten, legte Kant das entscheidende Gewicht auf die Oberhoheit des .Oberbefehlshabers', d.h. des Staates. Diese Argumentation begleitet die deutsche Diskussion um das Stiftungswesen bis heute. Das moralische Argument, das im Allgemeinen Preußischen Landrecht rezipiert wurde, blieb für Kant bedeutungslos.

276 Sein Plädoyer für eine republikanische Verfassung findet sich an ganz anderer Stelle, im Anhang seines Entwurfs zum ewigen Frieden; s. hierzu Habermas, loc. cit., S. 179. 277 Klaus Neuhoff, Kant und die Stiftungen; in: Zeitschrift zum Stiftungswesen, 2. Jg., Nr. 3/2004, S. 60. 278 Ausweislich seiner Ausführungen zu Stellung und Natur des .Oberbefehlshabers' hat sich Kant im unmittelbaren Zusammenhang des hier behandelten Abschnitts sehr wohl mit den Entwicklungen in Frankreich auseinandergesetzt. Jedoch ist sein zentrales Anliegen nicht die Verhinderung von Intermediären, sondern deren Kontrolle; s. loc. cit., S. 440 ff., insb. die Anmerkung (von Kants Hand). 279 Ibid., S. 495 Es ist wohl nicht ganz zufällig, daß in diesem Satz ein sinnentstellender Fehler enthalten ist, den die (spätere) Akademieausgabe durch Einfügung der Worte „und eine solche" vor „kann" zu heilen erwägt.

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Das einschlägige Kapitel der Bemerkungen eröffnet Kant mit einem Defmitionsversuch: „Stiftung (sanctio testamentaria beneficii perpetua) ist die freiwillige, durch den Staat bestätigte, für gewisse aufeinander folgende Glieder desselben bis zu ihrem gänzlichen Aussterben errichtete wohltätige Anstalt." 2 8 0 In zweifacher Hinsicht kommt hier Kants Vorverständnis zum Ausdruck: Zum einen band er die Existenz einer Stiftung an eine staatliche Bestätigung, ein Grundsatz, der sich erst mehr als eine Generation später, und auch dann nur in allerdings wesentlichen Teilen, rechtlich durchsetzte, jedenfalls die Tür zu einer engeren Wechselbeziehung zwischen Staat und Stiftungen aufstieß, die für die nächsten zwei Jahrhunderte bestimmend blieb. Zum anderen band er sie, was ihre Zeitlichkeit betrifft, nicht etwa an die konkrete Not oder das Anliegen, sondern an die Zeit bis zum Aussterben der Glieder dieses Staates, d.h. an das Bestehen des „ursprünglichen Kontrakt(s)". 281 Solche Stiftungen waren für Kant „die Hospitäler, [...] die Kirchen, [...] die Orden, [...] die Majorate" 2 8 2 , die in der Tat nach allgemeinem Verständnis auf Stiftungsakte zurückzuführen sind. Aber nach wie vor dienten ihm die so nicht unwidersprochen definierten Stiftungen in erster Linie dazu, beispielhaft die Herrschaft der Obrigkeit über alles, was sich im Staate bewegt, darzustellen. „Unbedingte Unterwerfung des Volkswillens (der an sich unvereinigt, mithin gesetzlos ist) unter einem souveränen (alle durch Ein [sie] Gesetz vereinigenden) Willen, ist Tat, die nur durch Bemächtigung der obersten Gewalt anheben kann, und so zuerst ein öffentliches Recht begründet. - Gegen diese Machtvollkommenheit noch einen Widerstand zu erlauben (der jene oberste Gewalt einschränkete [sie]), heißt sich selbst widersprechen [..,]". 283 Uns scheint, daß sich diese Position im Verlaufe des 19. Jahrhunderts als maßgeblich durchgesetzt hat und es im 20. Jahrhundert geblieben ist. Sie spiegelt den von Kant überaus deutlich postulierten Interventionsstaat und die unanfechtbare Stellung des .Oberbefehlshabers' wider. Bei durchaus ähnlicher Kritik an den bestehenden Stiftungen schloß sich nämlich Kant der von Turgot formulierten Konsequenz, sie gehörten am besten durchweg aufgehoben, nicht an.

280 Ibid., S. 492. 281 Ibid., S. 434. Die Auffassung, die Wohltaten einer gemeinnützigen Einrichtung dürften nur denen zugute kommen, die durch die Zugehörigkeit zum gleichen Staat hierzu ermächtigt seien, wird bis heute vertreten. S. hierzu die Auseinandersetzung um die Tätigkeit sog. steuerbegünstigter Körperschaften im Ausland (den sog. strukturellen Inlandsbezug) in Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz 2009. Vgl. Rupert Graf Strachwitz, (schriftliche) Stellungnahme; in: Deutscher Bundestag, 16. Sitzungsperiode, Wortprotokoll der 99. Sitzung des Finanzauschusses am 8. Oktober 2008. Protokoll Nr. 16/99, S. 499 f. 282 Kant, Metaphysik, S. 492. 283 Ibid., S. 498.

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IV. Kontinuität unter neuen Vorzeichen IV.1 Die Relegitimierung des Individuums Die intellektuellen Diskurse der Aufklärung hatten das gesamte 18. Jahrhundert hindurch nur selten Auswirkungen auf die praktische Politik. Ebenso wie in Frankreich herrschte in Deutschland ein allerdings in vieler Hinsicht grundverschiedenes ancien régime, das durchaus an einigen Stellen neues aufnahm. Preußen unter König Friedrich II. dem Großen, konnte nicht nur beanspruchen, als vergleichsweise modemer Staat zu gelten. „[Kaiser] Josephs [II.] leidenschaftliche Überzeugung, die Habsburger Monarchie müsse sich in einen einheitlicheren Staat verwandeln, [...] wurzelte auch in seiner Beschäftigung mit Friedrichs Leistungen." 284 Und: „Vor allem nach dem Friedensschluß von 1763 entwickelte Friedrich ein umfassenderes Verständnis für die sozialen Pflichten des Staates." 285 Friedrich war auch „ein durchaus geeigneter Partner bei dem Projekt der Aufklärung in den preußischen Landen. Ja, für viele Mitglieder der literarischen und politischen Elite verlieh gerade der persönliche Aufruf des Monarchen zur Aufklärung der Beziehung zwischen Zivilgesellschaft und Staat in Preußen eine einzigartige Bedeutung." 286 Das von Kant, Fichte und Hegel entwikkelte Staatskonzept hatte insofern Tradition. Dennoch, auch Preußen war im Verhältnis zu Frankreich ein kleines, armes Land, ganz zu schweigen von den meisten anderen Teilen des Heiligen Römischen Reiches. 287 In der Zeit nach Friedrichs Tod kam es zu einer ersten Reaktionsphase. 288 Städtische Eliten und Bischöfe regierten zum Teil nach wie vor souveräne Territorien, die weder an einer zentralistischen Struktur Interesse hatten, noch aus wirtschaftlichen Gründen auf die Dienstleistungen unabhängiger Körperschaften, etwa

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Clark, loc. cit., S. 254. Ibid., S. 255. Ibid., S. 301 f. Beispielsweise standen 1799 im Staatshaushalt des Kurfürstentums Bayern Einnahmen v o n rd. 5,7 Mio. fl. Ausgaben in Höhe v o n 9,8 Mio. fl. gegenüber. Hinzu kamen Schulden i.H. v. rd. 28 Mio. fl. Die Ausgaben überstiegen die Einnahmen also um rd. 71%. Die Schulden betrugen etwa das sechsfache der Einnahmen. Zum Vergleich: 2 0 0 4 nahm der bayerische Staat rd. 50 Mio. € ein und gab rd. 51 Mio. € aus. Die Staatsverschuldung lag bei rd. 37 Mio. €. Die Ausgaben überstiegen die Einnahmen um td. 2,7%, die Schulden betrugen rd. 75% der Jahreseinnahmen. (Franziska Dunkel, Revolution v o n oben - die Reformen der Ära Montgelas in Bayern; in: Johannes Erichsen / Katharina Heinemann (Hrsg.), Bayerns Krone 1806 - 200 Jahre Königreich Bayern, München 2006, S. 25). Zum Vergleich, wenngleich mit Vorsicht zu sehen: Das Gesamtvermögen der bayerischen Stiftungen betrug 1814 rd. 100 Mio. fl. (Anton Fischer, Die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens, München 1927, S. 51)

288 Beispielsweise traf das 1788 v o n Johann Christoph Wöllner entworfene Religionsedikt auch Kant, der w e g e n seiner Schrift ,Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' einen scharfen Verweis erhielt.

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der Stiftungen, verzichten wollten und konnten. 2 8 9 Die Französische Revolution, von deutschen Intellektuellen zunächst einhellig begrüßt und bewundert, wurde von den Fürsten unterschiedlich und je nach Situation sehr wechselhaft beurteilt; 290 ab 1791 war Frankreich Kriegsgegner des Reiches. Die Entwicklung in Frankreich ließ immer mehr Deutsche auf Abstand zu Frankreich gehen, bis schließlich Napoleon ab etwa 1806 als der Feind schlechthin angesehen wurde, 291 den es gerade auch mit den Mitteln des Geistes zu bekämpfen galt. 2 9 2 Was sich bereits seit der Reformation abgezeichnet hatte, war durch das bis Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte Staats- und Gesellschaftsverständnis Wirklichkeit geworden. Die Stiftungen waren tatsächlich „in die Defensive geraten". 293 Ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Segnungen für die Gesellschaft galten theoretisch als überholt, ihr Nutzen wurde verneint, und ihre Autonomie stand dem beanspruchten Machtmonopol des Staates im Wege. Als weitgehend städtisches Phänomen standen sie im ungleichen Kampf zwischen Stadt und Staat überdies auf der Verliererseite, und ihre starken religiösen Bezüge widersprachen eklatant dem Anspruch, die Beherrschung der Gesellschaft durch das Religiöse mittels einer vernunftgeprägten Gesellschaft zu überwinden. 294 In dem Maße, in dem die gesellschaftliche Entwicklung tatsächlich einer theoretischen Vorbereitung folgte, schien es für die Stiftungen keine Zukunft mehr zu geben. Ihre Chance bestand lediglich darin, daß sich dieses Theorem als nicht tragfähig erwies und die Theorie eher dazu bestimmt war, Entwicklungen aufzuarbeiten. „Zu Recht hat die historische Forschung darauf aufmerksam gemacht, daß die Theoretiker der Staatsräson in doppelter Hinsicht innovativ waren, indem sie

289 Die geistlichen Souveräne befanden sich darüber hinaus in einer besonderen Zwickmühle, weil sich ihre Amtsbrüder, die landständischen, d.h. nicht reichunmittelbaren Stiften und Bistümern vorstanden, gerade gegen die Machtausweitung der größeren Staaten zur Wehr setzen. Darüber hinaus mußten sie zum Teil selbst beide Seiten vertreten, denn ihre geistliche Jurisdiktion war nicht mit ihrer weltlichen Herrschaft deckungsgleich und sie als weltliche Souveräne sahen sich von der 1803 tatsächlich erfolgten Mediatisierung bedroht. Es nimmt daher nicht wunder, daß sie - mit unterschiedlichem Erfolg - ihren Einfluß nutzten, um die überkommenen Zustände beizubehalten. 290 Clark, loc. cit., S. 333 ff. 291 Dies lag nicht zuletzt an den wirtschaftlichen Folgen der Napoleonischen Kriege. So betrugen bspw. die Kosten der französischen Besetzung Preußens (1807-1808) insgesamt 216,9 Mio. Taler, fast das siebenfache der gesamten Staatseinnahmen des Jahres 1816 (vgl. Clark, loc. cit., S. 3 6 5 ) . 292 Dem protestantischen Nichtbayem Heinrich Zschokke wurde beispielsweise vorgeworfen, daß er als Ausländer sich der Behandlung dieses Gegenstandes (der bayerischen Geschichte) gewidmet hatte (in den Sechs Büchern der Baierischen Geschichte, Aarau 1813/18). Man warf ihm eine Apotheose der Revolution und eine Tendenz zur „mittelbaren Herabwürdigung alter Dynastien, des Adels, des Clerus, der Klöster und Stiftungen, des Katholicismus überhaupt" vor. (Viktoria Strohbach, Geschichtsbewußtsein und vermittelte Geschichtsbilder in Bayern an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert; in: Johannes Erichsen/Uwe Puschner (Hrsg.), „Vorwärts, vorwärts sollst du schauen...", Geschichte, Politik und Kunst unter Ludwig I., Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur, Bd. 9, München 1986, S. 246. 293 Hans Maier, Notwendigkeit und Luxus, S. 83. 294 „Die Beschäftigung mit der Geschichte sollte sich nach den Vorstellungen der Aufklärer nicht selbst genügen, sondern im Dienst der Gemeinschaft und des Staates stehen. Unter diesem utilitaristischen Aspekt - neben .Kritik' war .Nützlichkeit' eines der Leitmotive der Aufklärung [... sind...] die Bemühungen um eine [ ... ] Bildungsreform im Sinne einer Emanzipation des Staates von kirchlichen Einflüssen [zu sehen.]" (Strohbach, loc. cit., S. 239)

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einerseits aus den Bahnen der traditionellen [...] Fürstenspiegel ausscherten und die Rationalität herrscherlichen Handelns an Kriterien der Zweckmäßigkeit ausrichteten; indem sie andererseits auch dem Staat selbst ein objektivierbares Interesse unterstellten und in ihre Überlegungen damit eine politische Größe einbezogen, die bis dahin noch kaum programmatisch besetzt worden war." 295 Daß dies alles in Frankreich publiziert und diskutiert wurde, erhöhte seine Wirkung, denn aus Frankreich kam das Innovative, das Weiterführende in das in alten Bezügen erstarrte Deutschland. Wenn sich das französische Verdikt in Deutschland dennoch nicht durchsetzte, so ist dies nicht nur unterschiedlichen theoretischen Konzepten und Impulsen geschuldet, sondern auch unterschiedlichen Ausgangssituationen und der historischen Entwicklung. Die von Kant aufgezeigten Unterschiede in der theoretischen Beurteilung konnten sich unter diesen Bedingungen im Sinne einer Relegitimierung entfalten und eine theoretische Fundierung erfahren. Madame de Staël hat die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland scharf beobachtet und beschrieben. Es fehlten die großen Zentren; die politische Zersplitterung, die Kleinformatigkeit des politischen Lebens und die Menge der privaten Kleinwelten in den zahlreichen Obrigkeitsstaaten sind, so urteilte sie, Brutstätten für individuelle Charaktere, Sonderlinge ebenso wie Genies. 296 Man könnte folgern, diese Brutstätte gelte auch für die individualistischen, eigensinnigen Stifter. Isaiah Berlin hat Madame des Staels Verdikt noch zugespitzt: „Berlins These lautet [...]: Die Romantik hat durch ihren Subjektivismus der ästhetischen Einbildungskraft, der Expressivität, der Phantasie, der ironischen Spielfreude, des enthemmten Tiefsinns mitgewirkt, die tradierte moralische Ordnung zu untergraben." 297 Die Stiftung als Ausdruck eines positiv konnotierten Individualismus wird uns zum Ende des 20. Jahrhunderts erneut begegnen. Zunächst mußte sich also die Stiftung als Individualhandlung gegen eine vom Staat, etwa in Gestalt des Oberbefehlshabers (Kant) oder der Regierung (Bodin und Turgot) geprägten Gesellschaft zur Wehr setzen. Sie mußte, nicht zuletzt angesichts der nicht nachlassenden Religions- und Kirchenkritik, ihren vernünftigen Nutzen unter Beweis stellen und dabei zeigen, daß sie als Institution nicht definitorisch mit der Kirche verbunden war, sondern auch als säkulare Einrichtung Bestand hatte. Sie mußte sich aber auch gegen die in der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft ganz außerordentlich beliebten Personenvereinigungen verteidigen, die als lebendige Organismen und Horte der bürgerlichen Freiheit in unterschiedlichen Ausprägungen, ζ. B. als Geselligkeitsvereine, gelehrte Gesellschaften usw. der fortdauernden Herrschaft der .toten Hand' gegenübergestellt wurden und sich als liberale Reservate in den wieder erstarkenden Monarchien herausbildeten. Sie mußte sich also gegenüber den von Turgot so wortreich bevorzugten Vereinen behaupten, die in Form der Geselligkeits-, 295 Maiala loc. cit., S. 179 mit Verweis auf Herfried Münkler, Im Namen des Staates, Frankfurt/Main 1987, S. 167. 296 Germaine de Staël (Madame de Staël), De l'Allemagne [1815]. Paris 1852, S. 15 ff. 297 Safranski, loc. cit., S. 365.

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Bildungs- und sonstigen Vereinigungen (einschließlich der Freimaurer-Logen) eine aufklärerische Tradition besaßen. In ihnen wurde nicht zuletzt eine Zivilität gepflegt, die „half, Standesunterschiede zu überbrücken, die sonst womöglich die Diskussion gehemmt hätten." 2 9 8 Diese Tradition wurde im Rahmen des Krieges gegen Napoleon in Form von Spendensammel- und Unterstützungsvereinen fortgesetzt, die, oft von Mitgliedern der Herrscherfamilien geführt, wie Pilze aus dem Boden schössen, 2 9 9 obwohl andererseits Vereinigungen, die pauschal mit Geheimgesellschaften gleichgesetzt wurden, im Verdacht standen, gegen den Staat zu arbeiten 3 0 0 - ein Verdacht, der später den langwährenden Kampf der Regierungen gegen die Vereinigungsfreiheit nährte. Und sie mußte schließlich dem Verdacht entgegentreten, sie fördere ein den vermögenden Gliedern einer Gesellschaft vorbehaltenes Handlungsinstrument, perpetuiere Ungleichheiten und verhindere Mobilität und sozialen Aufstieg. Die Vereinigungen „waren die .Praktiker der Zivilgesellschaft', deren Beschäftigung mit den großen Fragen der Zeit [...] dazu beitrug, in den preußischen Landen eine lebendige und vielfältige Öffentlichkeit zu schaffen." 3 0 1 Die Stiftung gehörte demgegenüber in die Welt von gestern, die es nach den Erkenntnissen der Vernunft zu überwinden galt. Allerdings sollte wenig später gerade diese Zuordnung die Relegitimierung geradezu befördern. „Der Berner Aristokrat Karl Ludwig von Haller, der als Anti-Rousseau den .Götzen des bürgerlichen Contracts' stürzen wollte, hat mit seiner .Restauration der Staatswissenschaften' (1816-1825) sogar den Namen für die Epoche abgegeben." 3 0 2 Wurde also der Stifter nunmehr als .Monarch im kleinen' gewürdigt, anstatt geschmäht? Diese Schlußfolgerung erscheint noch verfrüht. Wenngleich die Unterscheidung zwischen citoyen und bourgeois im Französischen wohl nicht ganz so streng war wie heute oft angenommen, und wenngleich das deutsche Wort Bürger beide Bedeutungen annehmen kann, 3 0 3 standen auch Institutionalisierungen durch Privatpersonen ohne institutionalisierte Rückbindung an die Gemeinschaft als bourgeois am Pranger. Dennoch wurden mit Ausnahme der bereits erwähnten habsburgischen Erblande und der rechtsrheinischen Gebiete, die ab 1793 vorübergehend ganz unter französische Souveränität gerieten, mit Ausnahme auch der Säkularisierung von Höstern, die Stiftungen in ihrem Bestand nicht angetastet, mehr noch, neue Stiftungen wurden gegründet oder konzipiert. Es gehört zu den Paradoxien des Stiftungswesens, daß die Aussage, daß „Stiftungen und Vermächtnisse

298 Clark, loc. cit., S. 294. Der engl. Begriff der civility (Clark 2006, S. 248) ist in der deutschen Ausgabe nicht korrekt mit Höflichkeit übersetzt. Gemeint ist Zivilität als Zeichen einer Zivilgesellschaft. 299 Huber-Speri, Organized Women an The Strong State: The Beginnings of Female Assoeiational Activity in Germany 1810-1840, S. 86, 89; s. hierzu: MacCarthy, Frauen im Spannungsfeld, loc. cit. 300 S. hierzu bspw. Ludwig Hammermayer, Illuminaten in Bayern, Zu Geschichte, Fortwirken und Legende des Geheimbundes; in: Hubert Glaser (Hrsg.), Krone und Verfassung, König Max. I Joseph und der neue Staat, Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1799-1825, München/Zürich 1980, S. 146 ff. 301 Clark, loc. cit., S. 297 Vgl. Isabell V. Hull, Sexuality, State and Civil Society in Germany 1700-1815, Ithaca NY 1966. 302 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 426. 303 Jürgen Kocka, Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel; in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Aus Politik und Zeitgeschichte 9-10/2008 (25. Februar 2008), S. 3 - 9 .

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nach 1800 trotz vereinzelter Ausnahmen in Zahl und Höhe erheblich zurück" gingen, eben gerade nicht stimmt. 3 0 4 Städel in Frankfurt machte in diesen Jahren sein Testament. „Das große Paradoxon bestand darin, daß gerade manche dieser altertümlichen Institutionen sich dauerhafter, ja steigender Wertschätzung erfreuten, und zwar desto mehr, je stärker sich der landesherrliche Absolutismus entfaltete." 305 Turgots Forderung verhallte außerhalb Frankreichs zwar nicht ungehört, blieb aber doch wirkungslos. Die USA führten Madisons Diskurs, jedenfalls in dieser Richtung, nicht fort; Großbritannien, das stolz auf seine im 18. Jahrhundert entwickelte, von Frankreich ganz verschiedene liberale Gesellschaftskultur war, ließ sich auf diesen gar nicht erst ein. Deutschland suchte nach einer mit seinen Traditionen, praktischen Notwendigkeiten und theoretischen Überlegungen kompatiblen Formel. Bezüglich Deutschlands sind die Gründe dafür in einem allgemeinen Beharrungsvermögen und dem Festhalten am Überkommenen zu suchen. Die Aufklärung blieb an vielen Stellen bei den intellektuellen Eliten stehen, so möglicherweise auch hier. „Der Umriß des Stadtbürgertums ist verblaßt. [...] Doch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, zum Teil bis heute, hielten sich vor allem in den kleineren und mittelgroßen Städten Restbestände des Stadtbürgertums. Sein Zusammenhalt wurde dort durch Vereine, Geselligkeit, Stiftungen, Heiratskreise und gemeinsame Kultur abgestützt." 306 Dabei kam es auf deren Nützlichkeit gerade nicht an. Im Vordergrund stand ihre Legitimität. Und was die Durchsetzung des Souveränitätsanspruchs betrifft, so hatte der Staat in den Kirchen, Städten und Universitäten bedeutendere und gefährlichere Gegner. Stiftungen waren schon zu dieser Zeit vergleichsweise marginal. Ein Kampf gegen sie konnte zwar viel Staub aufwirbeln, letztlich aber nicht viel bewirken. Das Paradigma des Vorrangs des Staates vor dem Individuum war ebensowenig unbestritten. Dieser wurde noch nicht so deutlich gesehen. „Der wohl erstaunlichste Aspekt der gesellschaftlichen Netzwerke, die die Aufklärung in Preußen förderten, war ihre Nähe zum Staat - man könnte fast sagen, daß sie zum Teil mit dem Staat identisch waren. Dies lag zum Teil an der intellektuellen Tradition, aus der heraus sich die preußische Aufklärung entwickelte. [...] Hinzu kam die gesellschaftliche Stellung der preußischen Intelligenz." 307 Das Gegenmodell, das dem Individuum einen paradigmatischen Vorrang einräumte, wurde ebenso energisch vorgetragen 3 0 8 und unterlag erst im Verlauf des 19. Jahr-

3 0 4 Dies behauptet Paul Gerbod in seinem Beitrag .Ausstattung, Finanzierung, Organisation" (in: Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. IE, Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg 1800-1945, München 2004, S. 105). Thomas Adam falsifiziert diese Aussage in: Stipendienstiftungen, S. 31 f. 305 Dipper, Deutsche Geschichte, S. 245. 306 Kocka, Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel, S. 6. 307 Clark, loc. cit., S. 297. 308 Die Autonomie des Ichs hatte schon bei Descartes eine erste und maßgebliche theoretische Begründung erhalten. S. hierzu: Wilhelm Weischedel, Descartes oder der Philosoph hinter der Maske; in: ders.: Die philosophische Hintertreppe, Die großen Philosophen in Alltag und Denken. [1975] München 2 0 0 6 (37), S. 121.

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hunderts, 309 als die Stiftung längst wieder einen gesicherten Platz in der Gesellschaft einnahm. Um 1800 schien die Stiftung gut zu einer individualisierten Gesellschaft zu passen. Wer diese Ansicht vertrat, konnte auf einige wesentliche Argumente gegen die Legitimität von Stiftungen nicht zurückgreifen. Sie eröffnen vielmehr entweder eine Dichotomie zwischen der durch den individuellen Stifterwillen bestimmten Stiftung und korporativ-assoziativen Strukturen oder ließen die Stiftungen eben doch in einem besseren, zivil gesellschaftlichen Licht erscheinen. 310 Andererseits ließ der Wertverfall von Währungen, der durch die Revolution und die nachfolgenden Kriege verursacht worden war, langfristig gebundene Vermögenswidmungen nicht sonderlich attraktiv erscheinen. 311 Im Sommer 1793 erkundeten Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder Nürnberg. „In Wackenroders ,Herzensergießungen' klingen die neuen Töne zum erstenmal an: .Nürnberg! Du vormals weltberühmte Stadt! Wie gerne durchwandere ich deine krummen Gassen; mit welcher kindlichen Liebe betrachte ich deine altvaterischen Häuser und Kirchen [,..]'."312 Die alte Freie Reichsstadt war wirtschaftlich am Ende, für die Romantiker aber wurde sie zum Inbegriff des Traums von einer altdeutschen Stadt, zu der die zahlreichen und in ihren Werken sichtbaren Stiftungen ebenso gehörten wie ihre Fachwerkhäuser. Noch mehr als 100 Jahre später beschrieb Anton Fischer das Stiftungswesen um 1800 so: „Das Stiftungswesen in der Zeit vor der Neugestaltung gleicht einem alten Straßenzug mit tausenderlei Unregelmäßigkeiten, der malerisch und traulich erscheinen muß infolge des althergekommenen Geistes, der sich in ihm von Geschlecht zu Geschlecht erhalten hat. [...] Es war ein gewisses Stück Mittelalter im guten wie im schlechten Sinn, das sich da hinübergerettet hatte in die Neuzeit." 313 Dieser Zusammenhang wurde von den Romantikern gepflegt. Die Romantiker, das waren neben Tieck und Wackenroder Johann Gottlieb Fichte sowie die Brüder Schlegel, Novalis, Schelling, Schleiermacher, Hölderlin und andere. Fichte war es, der in der - wohlgemerkt ehrerbietigen - Auseinandersetzung mit Kant den Begriff des allmächtigen Ichs entwickelte und dabei in der Hervorhebung der Autonomie des Ichs auf Descartes zurückgriff. 314 1794 nach Jena berufen, wurde er zum intellektuellen Kopf einer ganzen Gruppe von Intellektuellen, denen es um Freiheit ging und für die ,Ich' das Paradigma war. „Die Welt ist ihm nur ein Ball, den das Ich geworfen hat und den es bei der Reflexion wieder fängt", kommentierte Schiller in einem Brief an Goethe. 315

309 Theoretisch wird dieser Paradigmenwechsel etwa bei Karl Marx vollzogen, der in seiner Kritik an Feuerbach die gesellschaftliche Einbindung des Menschen hervorhebt. S. hierzu: Weischedel, Marx oder die Revolte der Wirklichkeit; in: ders. loc. cit., S. 252. 310 Clark, loc. cit., S. 320. 311 Liermann, loc. cit., S. 282. 312 Zit. nach Benno Hubensteiner, Bayerische Geschichte, Staat und Volk, Kunst und Kultur, München 1980, S. 248. 313 Anton Fischer, Die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens unter dem Ministerium Montgelas 1 8 0 6 - 1810; in: Oberbayerisches Archiv, Bd. 65. München 1927, S. 7. 314 Wilhelm Weischedel, Die philosophische Hintertreppe [1966]. München 2008 (37), S. 121. 315 Friedrich Schiller, Brief an Goethe v. 28. Oktober 1794, zit. nach: Safranski loc. cit., S. 79.

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Also nicht der Staat muß die Freiheit haben, wie Kant in Bezug auf die Stiftungen formulierte , sondern das ,Ich', das Individuum muß frei sein, so zu handeln, wie es ihm einfällt. Fichte redete wohlgemerkt nicht dem Egoismus das Wort. Geradezu verzweifelt wehrte er sich gegen diesen Vorwurf. Ihm ging es um etwas anderes. Im Sinne Rousseaus, der schon betont hatte, daß der Mensch vom Anfang der Welt weiß, weil er jeden Augenblick neu anfangen kann, war für Fichte das ,Ich bin' das offenbare Geheimnis dieser Welt. 316 Auch Fichte berief sich dabei auf die von fast allen Zeitgenossen, auch von Kant und Hegel, enthusiastisch begrüßte Französische Revolution, 317 doch die Schlüsse, die er aus seinen Beobachtungen zog, waren ganz anderer Art als die vieler Zeitgenossen. Diesen ging es um den neuen Staat, Fichte hingegen um eine neue Individualität. „Der popularisierte Fichte wurde zum Kronzeugen für den Geist des Subjektivismus und der grenzenlosen Machbarkeit." 318 „Die Rede von den subjektiven Rechten war ein Paradoxieentfaltungsprogramm gewesen. Es ging darum, subjektiven Rechten objektive Gültigkeit zu verleihen, sprich: Individualität gesellschaftlich anzuerkennen und damit die Ungeselligkeit des Individuums zur Grundlage einer Regelung im Rechtssystem der Gesellschaft zu machen." 319 Von Stiftungen ist bei Fichte, soweit erkennbar, nicht ausdrücklich die Rede. Auch sprach Fichte nicht nur vom Ich, sondern durchaus auch vom „totalen Polizeistaat". 320 Im übrigen hatte Fichte am Ende manches revoziert, was das absolute Ich impliziert. 321 Aber wer Fichte folgte, und das tat zunächst auch der junge Hegel, der konnte den von Turgot so heftig erhobenen Vorwurf nicht billigen, Stifter handelten nur aus Eitelkeit und die Gesellschaft müsse sie schon deshalb bekämpfen. Es war also nicht nur die alte deutsche Stadt in romantischer Verklärung oder der antifranzösische Affekt, der mit der Ernüchterung über Napoleon einherging, sondern durchaus eine theoretische Reflexion über den archimedischen Punkt der Betrachtung der Gesellschaft, die eine neue Legitimierung der Stiftung hervorbrachte. War „die Dynamik des Lebensprozesses von Geschichte und Natur nur zu begreifen [...], wenn man das ganze ichartig denkt" 322 , so war der vom Stifter bewirkte .Schuß in die Zukunft' legitim. Entsprach er auch noch ,alter deutscher Art', um so besser. Und konnte dadurch etwas bewirkt werden, was als erster der Forstmeister H. C. von Carlowitz 1713 als Prinzip formulierte und was zahlreiche Autoren des 18. Jahrhunderts aufgriffen, so konnte dadurch auch ein besonderer Nutzen gestiftet werden: die Nachhaltigkeit. 323

316 Rüdiger Safranski, Romantik, Eine deutsche Äffare, München 2007, S. 80. Daß Rousseau dies ganz anders ausgedeutet hat, bleibt unerwähnt. 317 Ibid., S. 31. 318 Ibid., S. 81. 319 Luhmann, Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? [1993]; in ders., Die Moral der Gesellschaft, Frankfurt/Main 2008, S. 251. 320 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 458, unter Verweis auf: Peter Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983, S. 256. 321 Wilhelm Weischedel, 34 große Philosophen in Alltag und Denken, München 1982 (9), S. 239. 322 Reinhard, loc. cit. 323 Gerhard Speidel, Forstliche Betriebslehre, München 1984, S. 43 f.

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Weder Turgots weithin, auch von Kant rezipierter Angriff auf die Stiftungen, noch das Paradigma des Staates als Ausgangspunkt der Gesellschaft waren unstrittig. Im Gegenteil: Das Scheitern der bayerischen Stiftungszentralisation begründet Fischer wie folgt: „Der tiefste Grund für die allgemeine Unbeliebtheit der Neugestaltung des Stiftungswesens aber war, daß diese Maßregel, durch die ein Stück altes, heimatlich gefärbtes Rechtsleben plötzlich in ein farbloses, romanischen Formengeist atmendes, dem Volk nichts sagendes System eingezwängt wurde, in schroffem Gegensatz stand zu dem beim bayerischen Volke vielfach so stark ausgeprägten Individualismus. Die Formen der Konsolidierung, Verstaatlichung und Zentralisierung waren nämlich Maßnahmen, die sich sowohl über die Individualität der Stiftungen selbst als auch über die individuellen Rechte der Beteiligten kühn hinwegsetzten." 3 2 4 Der Angriff wurde freilich nicht oder nicht wesentlich argumentativ zurückgewiesen, sondern, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, mittels einer ganz anders aufgebauten Argumentation gewissermaßen beiseite geschoben. Zwischen Vernunft und Naturrecht fand letztlich eine Güterabwägung statt. Hinzu kam ein weiteres: Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert erwachte ein Begriff in Deutschland zu neuem Leben, der nicht mit dem der Stiftung identisch, aber unter der Voraussetzung, daß dem Stiften eben doch ein wohlmeinender Impuls zugrunde liegt, mit ihm verwandt ist: der Begriff der Philanthropie. Losgelöst von einer katholisch-christlichen Gnadenlehre oder einem lutherischen Pflichtenkatalog wurde in Gestalt der Brüderlichkeit das nicht von vornherein auf adäquate Gegenleistung ausgerichtete, positive Sich-Öffnen gegenüber dem Mitmenschen zu einem - in Frankreich revolutionären - Wert jenseits von reinen Vernunft- und Nützlichkeitserwägungen. „Die christlichen Konnotationen der Brüderlichkeit liegen auf der Hand und haben in der Interpretationsgeschichte der Freiheitslosung eine Rolle gespielt, sei es, daß man die Gemeinsamkeiten, sei es daß man die Differenzen von Christentum und Revolution betonte." 3 2 5 Auf wen sich in der revolutionären Ideologie die Brüderlichkeit erstreckte, ist für den hier verfolgten Gedankengang ohne Belang, auch wenn die verbale Analogie zum Bürgereid reizvoll ist, der das unzertrennliche Band, das Menschen zwischen sich schließen, „stiftet". 326 Entscheidend ist hier allein die Überlegung, daß sich menschliche Werte eben nicht allein dem rational choice aufklärerischer Provenienz unterordneten. „In den Adern des erkennenden Subjekts, das Locke, Hume und Kant konstruierten, rinnt nicht wirkliches Blut, sondern der verdünnte Saft von Vernunft als bloßer Denktätigkeit." 327 Und schließlich: „Eine diesseitige Orientierung des Bürgers am Gemeinwohl, die sich durch gute Werke christlicher Liebestätigkeit hervortat, ent-

324 Fischer, Die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens, S. 57. 325 Susanne Lüdemann, Brüderlichkeit als politisches Modell; in: Koschorke et. al. (Hrsg.), loc. cit., S. 289. 326 Koschorke, loc. cit., S. 283. 327 W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften, Bd. 1, Stuttgart-Göttingen 1959, S. XVIII.

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sprach der lutherischen Pflichtenlehre. Insofern die Reformtheologie großen Anteil hatte an der Auflösung des Deutungsmonopols der Amtskirche, unterstützte sie ihrerseits die geistige Emanzipation des Bürgertums. Anders als in Frankreich entwickelte sich aus der bürgerlichen Aufklärung kein kirchenfeindlicher Laizismus, sondern ein überkonfessionelles Moralchristentum." 328 Ob dies tatsächlich in vollem Umfang so war, ist angesichts etwa der weithin bekannten Haltung Goethes zu bezweifeln. Doch kann nicht bestritten werden, daß dies durchaus in Teilen so galt. An zwei Beispielen soll dies im folgenden verdeutlicht werden. 1774 wurde in Dessau das Philanthropische Institut oder .Philanthropin' gegründet, eine „moderne Bildungsanstalt" 329 , deren Ziel „die allseitige Bildung des Menschen" 330 war. Theoretische Grundlage des Unterrichts war das ,Elementarwerk' von Johann Bernhard Basedow, das als wichtigstes deutsches pädagogisches Werk des 18. Jahrhunderts gilt. 331 Zu den Lehrkräften gehörte Johann Heinrich Campe, der (ebenso wie Christian Wilhelm von Dohm 332 ) Erzieher des 1767 geborenen Wilhelm von Humboldt gewesen war. Campe, der „nachmals berühmte Philanthrop, Pädagoge, Demokrat und Herausgeber einer 16-bändigen Pädagogischen Enzyklopädie" 333 , blieb Humboldt verbunden und begleitete ihn 1789 (!) auf seiner mehrmonatigen Reise nach Paris. Humboldt mußte bis noch vor kurzem als politisch höchst unkorrekt gesehen werden. Nietzsches Diktum „Das Ideale bei Schiller, Humboldt: - eine falsche Antike wie die Canovas, etwas zu glaciert, weich, durchaus der harten und häßlichen Wahrheit nicht ins Angesicht zu sehen wagend, [...] affektvolle Gebärde, aber kein Leben, kein echtes Blut" 334 scheint bis heute als Schatten über einer historisch-kritischen Rezeption von Humboldts theoretischen Überlegungen zu liegen. Eric Voegelin kommt in den 1960er Jahren von einer ganz anderen Position her - als unerbittlicher Kritiker des deutschen Nationalismus - zu einem ähnlichen Urteil. 335 Auch wenn er sich kaum durchsetzen konnte, nahm Humboldt aktiv an einer grundlegenden Diskussion seiner Zeit teil, knüpfte die pädagogischen Konzepte an sehr viel weitergehende Überlegungen zur Struktur einer Gesellschaft und suchte sie 1792 in seinem .Grünen Buch' unter dem Titel .Ideen zu einem Versuch, die Gränzen [sie] der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zu veröffentlichen. Das Werk hatte als Motto eine Mahnung von Mirabeau: ,[...] se mettre en garde contre la fureur de gouverner,336. Die Veröffentlichung scheiterte an der Zensur und gelang erst 1851 vollständig. 328 Andreas Schulz, Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. Jahrhundert, München 2005, S. 10. 3 2 9 U w e Quilitzsch, Das Dessauer Philanthropische Institut; in: Kulturstiftung Dessau Wörlitz (Hrsg.), Unendlich Schön, Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, Berlin 2005, S. 252. 3 3 0 Ibid. 331 Ibid. 332 Dohm war der Empfänger der erwähnten Physiokratischen Briefe Jakob Mauvillons (s. oben: Anm. 237). 333 Tilman Borsche, Wilhelm v. Humboldt, München 1990, S. 21. 3 3 4 Friedrich Nietzsche, Die Unschuld des Werdens; in: Sämtliche Werke in 12 Bde., Bd. 10: Der Nachlaß, erster Teil; ausgewählt und geordnet v o n Alfred Bäumler. Stuttgart 1965, S. 185. 3 3 5 Eric Voegelin, Hitler und die Deutschen, München 2006, S. 3 0 0 ff. 336 = sich wappnen gegen die Begeisterung des Regierens, zit. nach Borsche, loc. cit., S. 50.

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„Humboldt fragt nach dem Zweck des Staates." 337 „Für ihn ist Kant schon überwunden und die Metaphysik in ihre alte oder vielleicht beinahe in die neue Hegeische Stellung gerückt." 3 3 8 Seine Antwort war, daß dieser (der Staat) gar keinen eigenen Zweck habe. Er sei Träger der rechtmäßigen Gewalt und habe die Handlungsfreiheit seiner Bürger zu sichern. Er darf also nur solche Maßnahmen treffen, die zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendig, nicht solche, die zur Erreichung irgendwelcher bestimmter Zwecke nützlich erscheinen. 3 3 9 Nur diese Maxime ist „mit der Ehrfurcht für die Individualität selbstthätiger Wesen und der aus dieser Ehrfurcht entspringenden Sorgfalt für die Freiheit" vereinbar. 3 4 0 „Der Staat sollte sich jeder Einmischung in das intellektuelle Leben der Universitäten enthalten, abgesehen von der Rolle als .Garant der Freiheit' in Fällen, wo eine dominierende Professorenriege drohte, den akademischen Pluralismus in ihren eigenen Reihen zu unterdrücken." 3 4 1 Der Gegensatz zu Kant ist nicht zu übersehen. Wer also ist der primäre Träger der Freiheit? Für Humboldt, den Philanthropen, blieb es zwar wünschenswert, daß „die Verhältnisse des Menschen und des Bürgers soviel als möglich zusammenfallen". Aber der Mensch dürfe nicht dem Bürger geopfert werden; darum sollte „die freieste, so wenig als möglich schon auf die bürgerlichen Verhältnisse gerichtete Bildung des Menschen überall vorangehen". 3 4 2 In diesen Vorgaben wußte sich Humboldt mit einigen seiner Zeitgenossen gerade dort einig, wo es um neue Konzepte für die Universität ging. Schelling, Fichte und Schleiermacher hatten es vorgedacht. 3 4 3 Welches theoretische Konzept der zukünftigen Gesellschaft und ihrem Bildungssystem zugrunde liegen würde, schien einen historischen Moment lang offen. Doch Humboldt scheiterte. Er unterschätzte seine Gegner und überschätzte seine Möglichkeiten. Das Dessauer Philanthropin ging in den 1790er Jahren an finanziellen Nöten, Intrigen und internem Dissens zugrunde. Humboldts Universität sollte zwar bestehen bleiben, aber nicht so, wie er und seine Mitdenker sie konzipiert hatten. Noch 1990, Jahrzehnte nach Gramsci (s.u. Kap. X), konstatierte Tilman Borsche: „Die scharfe Trennung von Staat als societas cum imperio und [...] Gesellschaft als societas civilis [...] ist nicht realistisch." 344

337 338 339 340 341 342

Borsche, loc. cit., S. 40 f. Dahrendorf, loc. cit., S. 181. Ibid. Borsche, loc. cit., S. 50. Clark, loc. cit., S. 387. Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen [sie] des Staates zu bestimmen [1792], Werke Bd. 1, Stuttgart 1960, S. 106. 343 Ernst Anrieh (Hrsg.), Die Idee der deutschen Universität (5 Grundschriften aus der Zeit der Neubegründung). Darmstadt 1964. 344 Borsche, S. 48.

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IV.2 Die Säkularisierung des Stiftungsgedankens Die Ambivalenz der Positionen ist deutlich. Die preußische Staatsphilosophie entstand aus dem dringenden Bedürfnis heraus, alle Kräfte im Kampf gegen Napoleon zu bündeln. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen rief nach dem Tod seiner Frau (1810) zur Gründung einer (heute noch bestehenden) Königin-Luise-Stiftung auf, zu der er selbst - ebenso wie viele andere - erhebliche Mittel beitrug. Im politisch und geistig stark unter französischem Einfluß stehenden Bayern wurde dagegen eine staatliche Stiftungsverwaltung eingerichtet, die alle kommunalen Stiftungen zwangsweise in Obhut nahm. Der bayerische Staatskanzler, der ehemalige Illuminate Maximilian Joseph Freiherr (später Graf) v. Montgelas, lehnte eine Verwaltung von Stiftungsvermögen durch eigene Organe ab; für ihn waren das .Spezialstaatsvermögen'. 3 4 5 Die 1806 erfolgte Überführung sämtlicher kommunal verwalteter Stiftungen in staatliche Verwaltung erwies sich allerdings als Fehler und mußte schon 1810 teilweise, 1817 ganz zurückgenommen werden. 3 4 6 Ob Stiftungen gesellschaftlich wünschenswert oder auch nur tolerierbar sind, ob und in welcher Form alte Stiftungen fortbestehen, ob neue entstehen können, das erschien völlig unklar. Die Utilitätserwägungen Turgots sprachen ebenso unvermindert dagegen wie die Machtbalance, die sich, nicht zuletzt aufgrund der zwischen 1803 und 1815 in mehreren und wechselvollen Schritten vollzogenen Mediatisierung, im Ergebnis immer stärker in Richtung der neu entstehenden Mittelstaaten verschob. Auch das theoretische Argument der Aufgabenverteilung in einem Verfassungsstaat sprach, wie der sich allmählich herausbildende Wohlfahrtsstaat eindrucksvoll belegte, für die Konzentration der Produktion öffentlicher Güter in der Hand des Staates. Selbst Fichte verkündete 1813, die Gesellschaft, der Inhaber der materiellen Kräfte, solle sich zur kollektiven Tathandlung aufraffen. 3 4 7 Dies läßt sich auch im Sinne der schon von Turgot gerühmten Vereine interpretieren. Individuelle Ideen sollten dementsprechend nicht individuell umgesetzt, sondern im freiwilligen diskursiven .Kollektiv' des Vereins verwirklicht werden. Individualität allein lieferte also noch nicht das entscheidende Argument für die Stiftung. Ein Beispiel dafür ist Trier, das von 1794 bis 1815 zu Frankreich gehörte. Bald kam es dort zur Gründung der Vereinigten Hospitien als Trägergesellschaft der zum Teil bis ins 1. Jahrtausend zurückreichenden, kirchlich geprägten Stiftungen unter Aufsicht der Stadt, mit der das neue Gebilde in einer mehrfach veränderten Symbiose bis heute verbunden ist. Es wäre irreführend, die neue .Hospitienkommission' noch als Stiftung

345 Manuel Frey, Einleitung zum Abschnitt .Stiftungen in der Kulturforderung' ; in: Thomas Adam/Manuel Frey/Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Stiftungen seit 1800: Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 2009, S. 98. 346 Eberhard Weis, Der Staatsbaumeister, Aus dem Leben und Wirken des Ministers Maximilian von Montgelas; in: Peter Kritzer (Hrsg.), Unbekanntes Bayern, Bd. 11 : Politik, Staat und Kirche I, München 1980, S. 30. S. auch: Anton Fischer, Die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens, S. 1 ff. 347 Safranski, loc. cit., S. 185.

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zu bezeichnen. 348 Vielmehr ist das Schicksal der alten Stiftungen und ihre heutige Einbindung in eine Stiftung öffentlichen Rechts Ausdruck einer französischen, säkularisierenden wie stiftungsfeindlichen Position, allerdings kompromißhaft angepaßt an deutsche Realitäten. Die Dichotomie zwischen individuellem und kollektivem Handeln tat sich auf. Für die fortbestehende Legitimität des Stiftungsgedankens spricht neben der zunehmenden Skepsis gegenüber französischem Ideengut die romantische Verklärung alter Traditionen und Sitten, auch der städtischen Bürgerkultur, die Renaissance des Religiösen, wie sie etwa bei Schleiermacher zum Ausdruck kommt, die besonders von Fichte ausgehende Betonung des intrinsischen Wertes individuellen Handelns und das in Zusammenhang mit dem Krieg gegen Napoleon eingeforderte Bürgerengagement. 3 4 9 1797 entstand ein Textentwurf, der später ,das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus' genannt wurde und der wahrscheinlich von Hegel, möglicherweise aber auch von Hölderlin oder Schelling stammt und in dem es zu Beginn heißt: „Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. [...] Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, so viel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist - wir müßten eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft sein." 350 Und später: „Wir müssen also auch über den Staat hinaus! Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören." 351 Schon 1804 schrieb aber Schelling: „Wo alles öffentliche Leben in die Einzelheit und Mattheit des Privatlebens zerfällt, sinkt mehr oder weniger auch die Poesie herab in diese gleichgültige Sphäre [...] Mythologie ist nicht in der Einzelheit möglich, kann nur aus der Totalität einer Nation, die sich als solche zugleich als Identität - als Individuum - verhält, geboren werden." 352 Carl Ludwig von Haller wandte die grundlegende Neu- oder sollte man sagen: Wiederorientierung auf das Staatsrecht an. Die Französische Revolution, so schrieb er 1808, sei der Versuch der Realisierung des naturrechtlich-rechtsphilosophischen „spekulativen Staatssystems" mit all seinen negativen Eigenarten gewesen, aber es sei „dieses ungeheure Experiment gescheitert, und das ganze philosophische Staatsgebäude beynahe ohne allen Widerstand in seinem Innern zusammengestürtzt." 353 An dieser Stelle blieb offen, zu welchem Ergebnis der Diskurs führen würde. 348 Emil Zenz, Die Gründung der Vereinigten Hospiüen und ihre Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert; in: Heinz Cüppers/Richard Laufner/Emil Zenz/Heinz Pilgram, Die vereinigten Hospitien in Trier, Trier 1980, S. 73 f. 349 Der 1814 gestiftete Luisenorden, das weibliche Gegenstück zum Eisernen Kreuz, spiegelte die „sehr viel breitere Auffassung von den Kräften wider, die im Krieg mobilisiert wurden [...]. Zum ersten Mal wurden die freiwilligen Initiativen der Zivilgesellschaft - und insbesondere ihrer weiblichen Mitglieder - als integraler Bestandteil des militärischen Erfolges gefeiert." (Clark, loc. cit., S. 435 f.) 350 Christoph Jamme/Helmut Schneider (Hrsg.), Mythologie der Vernunft. Hegels .ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus', Frankfurt/Main 1984. 351 Ibid. 352 Zit. nach Herbert Uerlings (Hrsg.), Theorie der Romantik, Stuttgart 2000, S. 171. 353 Carl Ludwig von Haller, Handbuch der Allgemeinen Staatskunde, Winterthur 1808, S. 37; zit. nach: Diethelm Klippel, Die Historisierung des Naturrechts; in: Jean-Francois Kervégan/Heinz Mohnhaupt

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Bemerkenswerte Beispiele für das Fortbestehen von Stiftungsimpulsen liefern die Gründungsgeschichten von drei Stiftungen, die fast zeitgleich, jedoch völlig unabhängig voneinander, zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden. Allen drei Stiftern kann die Kenntnis der kontroversen Debatte um den Wert von Stiftungen unterstellt werden. Dennoch ließ sich keiner von seinem Vorhaben abbringen. Andererseits verdeutlichen sie alle den säkularisierenden Ansatz des Stiftens, denn sie griffen den Gedanken auf, Kultur anstelle der Religion in den Mittelpunkt des Denkens zu stellen, waren im intellektuellen Diskurs auf der Höhe der Zeit und setzten sich so bewußt von älteren Stiftungsvorstellungen ab. Höchst unterschiedlich gingen die Stifter mit der Einbindung in oder der Unterstellung unter die Staatsmacht um. Samuel von Brukenthal (1721-1803), Staatsbeamter im österreichisch-siebenbürgischen Hermannstadt 3 5 4 war ein bedeutender Sammler von Büchern und Kunstwerken. Als solcher ist er bis heute über die Grenzen des damals österreichischen Siebenbürgen bekannt. Die Entstehungsgeschichte seiner Stiftung ist nicht nur deswegen von besonderem Interesse, weil sie wesentlich zum Erhalt eines geschlossenen Sammlungskomplexes von europäischem Rang weitab der Kunstmetropolen Europas beitrug. Sie wirft auch ein bezeichnendes Licht auf eine stiftungsgeschichtliche Umbruchszeit. Denn fast zeitgleich mit dem in der Geschichte des Stiftungswesens berühmten Johann Friedrich Städel (1728-1816), und offenkundig mit ähnlichem Erfolg, sicherte Brukenthal durch einen Stiftungsakt seine Sammlung vorausschauend über die wechselvolle politische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hinweg, fand aber für den Vollzug seiner Stiftungsidee eine so andersartige Lösung, daß eine eklatante Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu Tage trat. Brukenthal verfaßte sein Testament 1801 355 , während Städel seinen 1793 niedergelegten letzten Willen in den Jahren 1812 und 1815 den jeweils veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen mußte. 356 Die zunächst offenkundige historische Gleichzeitigkeit wird dadurch fraglich, daß Städel, Bürger der Stadt Frankfurt am Main, die Umwälzungen der Jahre 1789-1815 hautnah miterlebte. Brukenthal hingegen, der am äußersten Ende des deutschen Kulturraums wirkte, traute man die dem „Städelfall" zugemessene Innovation vielleicht nicht zu. Eine weitere Dimension gewinnt die Einordnung dadurch, daß man schon bei einer kursorischen Betrachtung anderer, in dieser Zeit entstandener öffentlicher Sammlungen vergleichbare Stiftungsintentionen konstatieren kann. So geht etwa die durch das Testament von Sir Francis Bourgeois (1756-1811) entstandene Dulwich Picture Gallery - Englands erstes öffentliches Kunstmuseum - bei ganz unterschiedlicher Sammlungsgeschichte auf den gleichen Grundgedanken zurück: Alle genannten Sammlungen sollten zu(Hrsg.), Recht zwischen Natur und Geschichte, lus Commune, Veröffenüichungen des Max-PlanckInstituts für Europäische Rechtsgeschichte, Sonderheft Nr. 100. Frankfurt/Main 1997, S. 117. 354 heute Sibiu, Rumänien. 355 Georg Adolf Schuller, Samuel v o n Bruckenthal, 2 Bde. Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommision Band 18/19. München 1967/1969. Band Π, S. 327 et passim. 356 Hans-Joachim Ziemke: Das Städelsche Kunstinstitut - die Geschichte einer Stiftung, Frankfurt/Main, 1980 (im Auftrag der Administration des Städelschen Kunstinstituts), S. 5 et passim.

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sammengehalten und dauerhaft der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Die Gründungen sind als frühe Beispiele rein säkular ausgerichteter Stiftungen zu sehen. Paradigmatisch entkräften diese Initiativen den Vorwurf, Stiftungen seien als Ausdrucksformen schon deshalb überholt, weil sie Ausdrucksformen von Religion seien. Es wäre gewiß zu einfach, zwischen dem Tod Brukenthals (1803) und dem Städels (1815) eine Entwicklungslinie zeichnen zu wollen. Andererseits haben Todeszeit und -ort der drei Stifter durchaus einen erheblichen Einfluß auf das Konstrukt gehabt, dessen sie sich zur Konkretisierung ihres Stifterwillens bedient hatten. Die Parallelität des Grundgedankens bei Brukenthal, Städel oder Bourgeois ist offensichtlich, die Gleichzeitigkeit des Anspruchs in London und Frankfurt mit dem im weit entfernten Hermannstadt um so erstaunlicher. Brukenthal, 1721 als Sohn des Königsrichters Michael Brekner geboren, der später mit dem Prädikat „von Brukenthal" in den erblichen Adelsstand erhoben wurde, 3 5 7 begann 1743 an der juristischen Fakultät der Universität Halle zu studieren, wo er nebenbei sowohl das Sammeln - zunächst von Münzen - als auch gesellschaftliche Umgangsformen erfuhr und erlernte, letzteres gewiß im Zusammenhang mit seinem Eintritt in die Freimaurerloge ,Zu den drei goldenen Schüsseln', die über hervorragende Kontakte im ganzen norddeutschen Raum verfügte. 1744 wechselte er nach Jena, wo er 1745 seine Studien abschloß. Es darf unterstellt werden, daß er gerade hier mit modernem Gedankengut in Berührung kam. Daß er jedoch in den habsburgischen Erblanden als Lutheraner und Freimaurer Karriere machen konnte, verdankte er gewiß seinen intellektuellen und organisatorischen Fähigkeiten, aber auch dem im Kern liberalen, neuem Denken nicht abgeneigten Umfeld. Brüche und Zurücksetzungen belegen zugleich, wie umstritten die von ihm vertretenen Positionen waren. Mehrere Reisen nach und längere Aufenthalte in Wien sowie ein ständiger Zuwachs an Büchern - bei seinem Tod umfaßte die Bibliothek ca. 16.000 Bände - und Sammlungsgegenständen sorgten dafür, daß Brukenthal die geistigen Strömungen und Entwicklungsprozesse nicht verborgen blieben. Nachweislich gehörte auch die Encyclopédie zu Brukenthals Bibliotheksbestand. 3 5 8 Seine „Gedanken über die Errichtung einer Universität in Siebenbürgen" (1764) zeigen, daß er an ihnen auch aktiv teilnahm. Die von ihm geförderte Hermannstädter Lesegesellschaft sowie die von ihm in den 1780er Jahren mitbegründete societas philohistoriorum weisen unverkennbar Parallelen zu gelehrten Zirkeln und bürgerlichen Zusammenschlüssen im ganzen deutschsprachigen Raum auf.

357 Carl Göllner, Samuel von Brukenthal, Sein Leben und Werk in Wort und Bild, Bukarest: 1977: passim. 358 Christine Lapping, Die Sammlungen des Baron Samuel von Brukenthal (1721- 1803); in: Haus der Kunst München (Hrsg.), Barocke Samellust, Die Sammlung des Baron Samuel von Brukenthal, München 2003, S. 29, Anm. 20. Daß es sich bei der Brukenthalschen Sammlung gerade nicht um ein Produkt barocker Sammellust, sondern um die Verwirklichung eines nach-aufklärerischen Bildungsideals handelte, sei am Rande vermerkt.

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Nach dem frühen Tod seiner Tochter hatte Brukenthal keine leiblichen Erben mehr. Von dem ursprünglich als Haupterben vorgesehenen Neffen entfremdete er sich zunehmend, so daß sich eine anderweitige testamentarische Regelung empfahl. Während Bourgeois in England ganz selbstverständlich auf die dort seit Jahrhunderten bewährte und weit entwickelte Form des Trusts zurückgriff und Dulwich College, eine Schule, als Treuhänder auswählte, kleidete Brukentahl sein Erbe zunächst in die (aristokratische) Form des Fideikommiß, wodurch einerseits für den dauerhaften Zusammenhalt des Erbes gesorgt, andererseits eine Versorgung von Verwandten sichergestellt war. Zugleich bestimmte er aber, daß die Sammlungen unverzüglich dem Publikum zu erschließen seien und daß bei Aussterben der Hauptlinie diese als gestiftetes Treuhandvermögen in das Eigentum des evangelischen Gymnasiums zu Hermannstadt übergehen sollten. Zwar konnte das Museum nicht sofort, immerhin aber am 25. Februar 1817 eröffnet werden. 1872 trat das Gymnasium das Erbe an. Die Bestimmung des Stifters dokumentiert, daß ihm, ähnlich wie Bourgeois, an der Bildungseinrichtung gelegen war, die zugleich als Einrichtung der evangelischlutherischen Kirche wie keine andere - und dies seit Jahrhunderten - zur spezifisch siebenbürgisch-sächsischen Identität beitrug. Städel, der ebenfalls Kunst und Bildung miteinander verknüpfte, wenngleich auf andere Weise, ging in der Ausgestaltung einen anderen Weg. Er bestimmte, daß das von ihm eingesetzte Städelsche Kunstinstitut von fünf „würdigen Personen aus der dahiesigen Bürgerschaft" geführt werden sollte, die in ihren Entscheidungen frei sein sollten, „ohne irgend eine obrigkeitliche Rücksprache oder Genehmigung einholen zu dürfen". 359 Eine Kontrolle bestand nur in Form einer jährlichen Prüfung der Rechnungsführung durch den Stadschultheiß und andere Vertreter der Stadt und Bürgerschaft. Durch diese Bestimmungen, obwohl in Frankfurt nicht einmal ganz neu, entstand die Variante der Stiftung als juristische Person an sich; diese führten aber auch zu der bis heute andauernden Kontroverse um Notwendigkeit und Umfang staatlicher Überwachung. 360 Dabei griff Städel im Grunde genommen ganz auf die reichstädtische, in seinem Verständnis durchaus anti-staatliche Tradition von Aufgabenteilung zwischen Bürgerschaft und Behörde zurück, freilich auch, notgedrungen, auf nachnapoleonisches Recht. Brukenthal, Städel und Bourgeois verfolgten im Kern das gleiche, sehr präzise formulierte und vom aufklärerischen Bildungsideal geprägte Ziel: ihre Sammlungen auf Dauer für ein allgemeines Publikum nutzbar zu machen. Alle bedienten sich hierzu des Instruments der Stiftung; daß sie dieses unterschiedlich ausgestalteten, war der individuellen Kreativität, aber auch den unterschiedlichen Rahmenbedingungen geschuldet. Jedenfalls hielten diese Stifter das Instrument der Stiftung für zeitgemäß und schlössen sich der ihnen sicher bekannten Fundamentalkritik Turgots ebensowenig an, wie dem Verweis der Stiftungen in den Bereich des überholten Religiösen.

359 Ziemke, loc. cit., S. 5 f. 360 vgl. Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, S. 50 ff. et passim.

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Jean Quataert hat dieses Phänomen ausdrücklich mit der kleinstaatlichen Aufsplitterung Deutschlands in Verbindung gebracht, indem Stiftungen hier als Denkmäler für die Herrschenden legitimationsunterstützend und eben gerade nicht, wie Turgot und auch Kant angeprangert hatten, legitimationsgefährdend wirkten. 361 Dieser Ansatz greift jedoch, wie an den Beispielen aus England und Österreich gezeigt werden konnte, zu kurz. Die Stiftung galt nach wie vor universell als Handlungsinstrument und entzog sich insoweit staatlicher Regulierung. Damit war allerdings noch nicht gesagt, daß eine erstarkte staatliche Autorität nicht versuchen würde, daran etwas zu ändern. Für den Fall, daß sie dies nicht oder nur eingeschränkt tat, ist zu fragen, ob dies neben kurzfristiger politischer Opportunität nicht auch theoretisch begründet war. Das Ergebnis bestand, jedenfalls, was Deutschland betraf, aus einer Lösung, die sich von der französischen - Illegalität - und der englischen - völlige Autonomie - unterschied. Diese war bereits im Kantschen Verdikt angelegt, wurde aber erst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts theoretisch entwickelt. Georg Arnold Heise, der in der 1., 1807 erschienen Auflage seines ,Grundriss[es] eines Systems des gemeinen Civilrechts' die Stiftungen noch summarisch als pia corpora bei den Korporationen mit behandelt hatte, fügt in der 2. Auflage von 1816 im Abschnitt über die juristischen Personen ein Kapitel ,Von den gemeinnützigen Stiftungen' hinzu. 362 Hans Liermann macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß der „Umschwung im Denken, der schließlich zur heutigen vorbehaltlosen Anerkennung der Stiftung als juristische Person geführt hat, [...] zunächst nicht von einer tiefgründigen theoretischen Arbeit aus[ging], sondern von einem bescheidenen Grundriß für zivilrechtliche Vorlesungen von Arnold Heise". 363 „Es ist zugleich ein eigenartiges und wohl einmaliges Stück Geschichte der Rechtswissenschaft, das hier erscheint. Ein Buch zum Einpauken von Studenten, das keinerlei Anspruch auf wissenschaftlichen Gehalt erhebt, hat eine eindeutige Wendung im Rechtsdenken herbeigeführt." 364 Mag sein, daß sich daraus zum einen die bis heute nachwirkende, aber im Kern, wie schon Pleimes bemerkte, unzulässige Verengung des Stiftungsbegriffs auf die heutigen rechtsfähigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts ebenso erklärt wie die historisch nachvollziehbare, aber theoretisch zunächst nicht befriedigende Einordnung des Stiftungswesens in das Gefüge einer Gesellschaftsordnung. Jedenfalls stand eine theoretische Reflexion an, die über die Zurückweisung oder Akzeptanz der stiftungsspezifischen Delegitimierung hinauswies. Die Säkularisierung des Stiftungsgedankens hatte einen wesentlichen Stolperstein aus dem Weg geräumt.

361 Jean H. Quartaert, Staging Philanthropy, Patriotic Women and the National Imagination in Dynastic Germany 1813-1916, A n n Arbour 2001, S. 23 ff., 33. 362 Georg Arnold Heise, Grundriß eines Systems des gemeinen Civilrechts zum Behuf von PandectenVorlesungen. Heidelberg 1816 (2), S. 21-23. S. hierzu: Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation. Berlin 2001, S. 49 f. 363 Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, S. 236. 364 Ibid.

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„Durch dieses Immediatverhältnis zwischen Individuum und Staat bekamen einerseits intermediäre Instanzen wie Korporationen, Gemeinden, Stände, Kirchen, die bisher integrierende Bestandteile des hierarchischen, durch Privilegien regulierten politischen Systems gewesen waren, andererseits aber auch neu entstehende Formen von Selbstorganisation wie Vereine, Parteien, Gewerkschaften, Verbände einen anderen politischen Stellenwert. Im besonders konsequenten deutschen Staatsdenken nach G.W. Friedrich Hegel, Lorenz von Stein und Robert von Mohl werden sie als ein vom Staat getrennter Bereich definiert, als .bürgerliche Gesellschaft', als .System der Bedürfnisse' (Hegel), das .durch das Interesse erzeugt wird' (von Stein) und sich auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen möchte, während der Staat ohne Partikularinteresse dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat." 365

IV.3 Hegel Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831) hat sich mit Stiftungen unmittelbar ebensowenig auseinandergesetzt wie Kant. 366 Die wenigen Nennungen 367 erscheinen eher zufällig und verraten keinen durchdachten Gebrauch des Begriffs. Dennoch lohnt es, sich im Zusammenhang mit der ideengeschichtlichen Legitimierung von Stiftungen mit Hegel auseinanderzusetzen, zum einen wegen der ganz außerordentlichen und bis heute anhaltenden Wirkungsgeschichte seiner Werke, 368 zum anderen wegen einiger Stellen, an denen Zusammenhänge beschrieben und analysiert werden, die allgemein mit der Tolerierbarkeit von Stiftungen in der Gesellschaft zusammenhängen - sowohl mit Stiften als individuellem Recht als auch mit dem Verhältnis zwischen Staat und Stiftungen. Der das 19. und 20. Jahrhundert beherrschende Grundsatz, Stiftungen seien zwar zu tolerieren, bedürften aber einer staatlichen Aufsicht, ist ideengeschichtlich bei Hegel verankert.

365 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 407. 366 Im insgesamt 2.777 Seiten umfassenden Hegel-Lexikon v o n Hermann Glockner findet sich kein Stichwort .Stiftung'. (Hermann Glockner, Hegel-Lexikon; in: ders. (Hrsg.), Hegel, Sämtliche Werke, Bd. 25 u. 26, Stuttgart 1957 (2). 367 z.B. in der Rechtsphilosophie, §§ 203 und 242. 368 „Der Mann, der den Deutschen nun auf das nachdrücklichste sagte, in welchem Zeitalter sie lebten, war der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er z w a n g in seinem Geist zusammen alles, was damals erfahren und gedacht wurde, alles, w a s überhaupt j e gedacht worden war. Dies kunstvoll-gewalttätige Denkgebilde, das Hegeische .System', ist nachher wieder zerfallen; aber die einzelnen Gedanken und Lehrstücke konnten nie wieder sein, was sie vor ihm waren, blieben geformt und getönt, wie Hegel sie hinterlassen hatte. So wie die politische Geschichte der Zeit durch Napoleon geht, so geht die geistige Geschichte der Zeit durch Hegel. (Golo Mann, Deutsche Geschichte des XIX. Jahrhunderts [1958]. Frankfurt/Main 1962, S. 99. Vgl. auch u.v.a.: „Hegel has been accused of totalitarian tendencies and viewed as a proponant oft he omnipotent state. His writings have been seen as a collection of vague ramblings and bizarre ravings, sometimes self-contradictory, more often entirely incomprehensible, all swathed in a mantle of fuzzy phraseology. Nevertheless, regardless of the truth of this assessment, his influence on European culture was tremendous." (Leszek Kolakowski, Why is there something rather than nothing? [2004-2006], London 2008, S. 207 f.); vgl. auch Clark, loc. cit., S. 496, 498.

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In seinen Ausführungen zum Eigensinn bietet Hegel dafür einen ersten theoretischen Ansatz. 3 6 9 Ob er den Begriff des Eigensinns neutral verwendete, im Sinne von .eigenen Sinnes', will heißen .aufgrund eigener Überlegungen', oder ob er, wie auch heute gebräuchlich, dem Begriff von vornherein etwas Pejoratives beimaß, im Sinne von ,stur, unbelehrbar', ist nicht leicht festzustellen. Im ganzen wird Eigensinn - ebenso wie Freiheit - zunehmend der zentralen Rolle des Staates im Hegeischen System untergeordnet. 3 7 0 In der .Phänomenologie des Geistes' taucht der Begriff in einem Kapitel auf, das mit .Selbstbewußtsein' überschrieben ist, genauer, in einem Abschnitt über .Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit [sie] des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft'. Der Kontext verrät, daß es Hegel nicht um eine psychologische Annäherung ging, sondern um die Frage, ob dem .Knecht' eigenständiges Handeln erlaubt ist und wie sich dieses artikuliert. Nur so wird die Stelle verständlich, in der es heißt: „Der eigne Sinn ist Eigensinn, eine Freiheit, welche noch innerhalb der Knechtschaft stehen bleibt." 371 Im Kontext liest sich das so: „Formiert das Bewußtsein ohne die erste absolute Furcht, so ist es nur eitler, eigner Sinn; denn seine Form oder Negativität ist nicht die Negativität an sich; und sein Formieren kann ihm daher nicht das Bewußtsein seiner als des Wesens geben. Hat es nicht die absolute Furcht, sondern nur einige Angst ausgestanden, so ist das negative Wesen ihm ein äußerliches geblieben, seine Substanz ist von ihm nicht durch und durch angesteckt. Indem nicht alle Erfüllungen seines Bewußtseins wankend geworden, gehört es an sich noch bestimmtem Sein an; der eigne Sinn ist Eigensinn, eine Freiheit, welche noch innerhalb der Knechtschaft stehen bleibt. So wenig ihm die reine Form zum Wesen werden kann, so wenig ist sie, als Ausbreitung über das einzelne betrachtet, allgemeines Bilden, absoluter Begriff, sondern eine Geschicklichkeit, welche nur über Einiges, nicht über die allgemeine Macht und das ganze gegenständliche Wesen mächtig ist." 372 Daraus wird zum einen die Einbettung in seine Diskussion der Herr-und-KnechtProblematik deutlich, die er zu Beginn desselben Abschnitts führt. „Das Individuum, welches das Leben nicht gewagt hat, kann wohl als Person anerkannt werden; aber es hat die Wahrheit dieses Anerkanntseins nicht erreicht. [...] Diese Bewährung aber durch den Tod hebt eben so die Wahrheit, welche daraus hervorgehen sollte, als damit

369 Für die Anregung zu einer Betrachtung von Hegels Begriff des Eigensinns im Zusammenhang mit dem Stiftungswesen danke ich meinem Kollegen Dr. Rainer Sprengel. 370 „Hegels Lehre vom Staat ist unter anderem nichts weniger als die Krönung seines Versuchs, durch Hinweis auf wirksam gewordene göttliche Vernunft das .Sollen' zu überspielen." (Nikolaus Lobkowicz, Georg Wilhelm Friedrich Hegel; in: Jürgen Gebhardt (Hrsg.), Die Revolution des Geistes, Politisches Denken in Deutschland 1770-1830. München 1968, S. 107). Die Frage, ob die im wesentlichen als Bearbeitungen von Vorlesungsnotizen und Mitschriften überlieferten Spätschriften die Erwartungshaltung der Hörer übermäßig betonen, muß hier offenbleiben. 371 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes [1807]. Jubiläumsausgabe, 2. Bde. [1832]/ Stuttgart 1964, S. 158 (Orthographie angepaßt). 372 loc. cit., S. 157 f.

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auch die Gewißheit seiner selbst überhaupt auf; denn wie das Leben die natürliche Position des Bewußtseins, die Selbständigkeit [sie] ohne die absolute Negativität ist, so ist der Tod die natürliche Negation desselben, die Negation ohne die Selbstständigkeit, welche also ohne die erforderte Bedeutung des Anerkennens bleibt. [...] In dieser Erfahrung wird es dem Selbstbewußtsein, daß ihm das Leben so wesentlich als das reine Selbstbewußtsein ist. [...] Beide Momente sind wesentlich; - da sie zunächst ungleich und entgegengesetzt sind, und ihre Reflexion in die Einheit sich noch nicht ergeben hat, so sind sie als zwei entgegengesetzte Gestalten des Bewußtseins; die eine das selbstständige, welchem das Fürsichsein, die andere das unselbstständige, dem das Leben oder das Sein für ein Anderes, das Wesen ist; jenes ist der Herr, dies der Knecht." 373 Zum anderen entkräftete Hegel mit der so getroffenen Unterscheidung eines der zentralen Argumente Turgots: Eitelkeit kann, muß aber nicht das Motiv für die Gründung einer Stiftung sein. Eine Reihe von Ansatzpunkten setzt Hegels Diskurs in Bezug zum Thema des von ihm als legitim erachteten autonomen Handeln. Dies wird bei der Betrachtung einer Stelle aus der Philosophischen Propädeutik (Erläuterungen zur Einleitung, § 20) deutlich, an der Hegel auf den Begriff des Eigensinns zurückkommt: „Der absolute Wille unterscheidet sich vom relativ freien oder der Willkür dadurch, daß der absolute nur sich selbst, der relative aber etwas Beschränktes zum Gegenstand hat. Dem relativen Willen, ζ. B. der Begierde, ist es blos um den Gegenstand zu tun. Der absolute unterscheidet sich aber auch vom Eigensinn. Dieser hat mit dem absoluten Willen gemeinschaftlich, daß es ihm nicht sowohl um die Sache zu tun ist, sondern vielmehr um den Willen als Willen, daß eben sein Wille respektiert werde. Beide sind wohl zu unterscheiden. Der Eigensinnige bleibt bei seinem Willen blos, weil dies sein Wille ist, ohne einen vernünftigen Grund dafür zu haben, d.h. ohne daß sein Wille etwas Allgemeingültiges ist. So notwendig es ist, Stärke des Willens zu haben, der bei einem vernünftigen Zweck beharrt, so widrig ist der Eigensinn, weil er das ganz Einzelne und Ausschließende gegen andere ist. Der wahrhaft freie Wille hat keinen zufälligen Inhalt. Nicht zufällig ist nur er selbst." 374 Der Stifterwille läßt sich hier ohne weiteres subsummieren. Auf Fichtes ,Ich' baut Hegel hier auf. Interessanterweise formuliert Hegel im folgenden § 21, daß und vor allem wie dieser „wahrhaft freie Wille" durchaus anerzogen werden kann: „Der Grundsatz des Willens ist also, daß seine Freiheit zu Stande komme und erhalten werde. Außerdem will er zwar noch mancherlei Bestimmungen. Er hat noch vielerlei bestimmte Zwecke, Einrichtungen, Zustände usw., aber diese sind nicht Zwecke des Willens an und für sich, sondern sie sind Zwecke, weil sie Mittel und Bedingungen sind zur Realisierung der Freiheit des Willens, welche Einrichtungen und Gesetze notwendig macht zur Beschränkung der Willkür, der Neigungen und des bloßen Beliebens, überhaupt der

373 loc. cit., S. 152 f. 374 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophische Propädeutik [1809/11] Jubiläumsausgabe 3. Bd. [1840]/Stuttgart 1961, S. 48 f.

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Triebe und Begierden, die sich bloß auf Naturzwecke beziehen; z.B. die Erziehung hat den Zweck, den Menschen zu einem selbstständigen Wesen zu machen, d. h. zu einem Wesen von freiem Willen." 3 7 5 In der Einleitung zur Rechtsphilosophie kommt Hegel nochmals auf den Eigensinn zu sprechen: „Den Willen, der sich auf ein Dieses lediglich beschränkt, hat der Eigensinnige, welcher unfrei zu sein vermeint, wenn er diesen Willen nicht hat. Der Wille ist aber nicht an ein Beschränktes gebunden, sondern muß weiter gehen, denn die Natur des Willens ist nicht diese Einseitigkeit und Gebundenheit, sondern die Freiheit ist ein Bestimmtes zu wollen, aber in dieser Bestimmtheit bei sich zu sein, und wieder in das Allgemeine zurückzukehren." 3 7 6 Auch hier ist der Kontext für das Verständnis von Bedeutung. Der zitierte Abschnitt findet sich in einem langen Diskurs über den Willen. Das folgende geht ihm unmittelbar voraus: „Diese Freiheit haben wir aber schon in der Form der Empfindung, ζ. B. in der Freundschaft und Liebe. Hier ist man nicht einseitig in sich, sondern man beschränkt sich gern in Beziehung auf ein Anderes, weiß sich aber in dieser Beschränkung als sich selbst. In der Bestimmtheit soll sich der Mensch nicht bestimmt fühlen, sondern indem man das Andere als Anderes betrachtet, hat man darin erst sein Selbstgefühl. Die Freiheit liegt also weder in der Unbestimmtheit, noch in der Bestimmtheit, sondern sie ist Beides." 377 Endgültig abwertend kennzeichnet Hegel den Eigensinn schließlich in der Philosophie des Geistes: „Hält dagegen der Wille an lauter Einzelheiten, an gehaltlosem fest, so wird derselbe zum Eigensinn. Dieser hat vom Charakter nur die Form, nicht den Inhalt. Durch den Eigensinn - diese Parodie des Charakters - erhält die Individualität des Menschen eine die Gemeinschaft mit Anderen störende Zuspitzung." 3 7 8 Wiederum knüpft Hegel an einen Diskurs an, hier an eine Erörterung der Individualität, der Temperamente und anderer Unterscheidungsmerkmale. „Dagegen bleibt der Charakter etwas, das die Menschen immer unterscheidet. Durch ihn kommt das Individuum erst zu seiner festen Bestimmtheit. [...] Ohne Charakter kommt der Mensch nicht aus seiner Unbestimmtheit heraus [...]. Zum Charakter gehört [...] ein gehaltvoller, allgemeiner Inhalt des Willens. Nur durch Ausführung großer Zwecke offenbart der Mensch einen großen, ihn zum Leuchtturm für Andere machenden Charakter; und seine Zwecke müssen innerlich berechtigte sein, wenn sein Charakter die absolute Einheit des Inhalts und der formellen Tätigkeit des Willens darstellen und somit vollkommene Wahrheit haben soll." 379 Anzumerken ist, das dem eben zitierten Abschnitt über den Eigensinn unmittelbar eine weiterer folgt, der mit dem Satz ein-

375 376 377 378

loc. cit., S. 49. Hegel, Rechtsphilosophie, S. 57 (§ 7). Ibid. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, System der Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes. Jubiläumsausgabe 10. Bd. [1845]/Stuttgart 1965, S. 91 f. 379 Ibid.

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geleitet wird: „Noch individuellerer Art sind die sogenannten Idiosynkrasien [...]"38°, und in dem Hegel Abweichungen von der Norm schildert. Der Eigensinn wird offenkundig bewußt in diese Nähe gerückt. Für den eingangs erläuterten Zusammenhang ist darüber hinaus die Abfolge nationaler Charakterisierungen von Interesse, denen sich Hegel nur wenige Seiten zuvor widmet. Die Franzosen werden wegen ihrer „sicheren Ordnung und Bündigkeit ihrer Gedanken" 381 gerühmt. „Mitten im Sturm der revolutionären Leidenschaft hat sich ihr Verstand in der Entschiedenheit gezeigt, mit welcher sie die Hervorbringung der neuen sittlichen Weltordnung [...] durchgesetzt, alle Momente des zu entwickelnden neuen politischen Lebens nacheinander in deren extremster Bestimmtheit und Entgegengesetztheit verwirklicht haben." 382 Zu den Engländern merkt er an: „Bei den Engländern tritt die Originalität der Persönlichkeit stark hervor. [...] Das Individuum will hier in jeder Beziehung auf sich beruhen, sich nur durch seine Eigentümlichkeit hindurch auf das Allgemeine beziehen." 383 Über die Deutschen schließlich heißt es u.a.: „Wir sind als tiefe, doch nicht selten unklare Denker bekannt. [...] Wir leben vorzugsweise in der Innerlichkeit des Gemüts und des Denkens. In diesem Stilleben, in dieser einsiedlerischen Einsamkeit des Geistes beschäftigen wir uns damit, bevor wir handeln, erst die Grundsätze, nach denen wir zu handeln gedenken, sorgfältigst zu bestimmen. Daher kommt es, daß wir etwas langsam zur Tat schreiten, mitunter in Fällen, wo schneller Entschluß notwendig ist, unentschlossen bleiben, und bei dem aufrichtigen Wunsche, die Sache recht gut zu machen, häufig gar nichts zustande bringen." 384 Die Phänomenologie des Stiftungswesens in den drei genannten Ländern scheint dieses Verdikt zu bestätigen. Einen zweiten Zugang zu der hier interessierenden Frage eröffnete Hegel in seiner Rechtsphilosophie mit der Untersuchung von Freiheit und Person. Hier wird sorgsam zwischen dem Freiheit und Person zu Recht beanspruchenden Menschen und einer Sache unterschieden, die „ein Unfreies, Unpersönliches und Rechtloses" 385 ist. Im Mittelpunkt steht hier ohne Zweifel das Problem des Sklaven, aber anders gewendet „heißt [das] nicht, daß es möglich ist, Sachen einfach mit den natürlichen Dingen gleichzusetzen. Diese werden erst Sachen, wenn sie in den Rechtsverkehr eingehen können und so in der Verfügung des Menschen stehen." 386 Das heißt, „geistige Geschicklichkeiten, Wissenschaften, Künste, selbst Religiöses [...], Erfindungen usf. werden Gegenstände des Vertrags, anerkannte Sachen [,..]."387 Geht man davon aus,

380 381 382 383 384 385 386

Ibid. S. 92. Ibid. S. 85. Ibid. Ibid. Ibid. S. 86. Hegel, Rechtsphilosophie, S. 103 (§ 42). Joachim Ritter, Person und Eigentum; in: Ludwig Siep (Hrsg.), G. W. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 2005, S. 63. 387 Hegel, Rechtsphilosophie, S. 104 (§ 43).

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daß auch jeder Stiftung zwingend eine Idee zugrunde liegt, 3 8 8 sie im wesentlichen zunächst eine Idee darstellt, so läßt sie sich in die hier vorgenommene Aufzählung einordnen. Sie ist also ein legitimer Ausdruck des menschlichen Willens, erwirbt aber keine Rechte eigener Art, sondern bleibt in der Verfügungsgewalt der Personen. Kants Forderung, daß in die Tätigkeit von Stiftungen (universitates bonorum, also Sachen) Eingriffe erlaubt sein müssen, ist damit bestätigt, auch wenn damit noch nicht ausgedrückt ist, wem ein solches Eingriffsrecht zusteht. Mehr noch: „Die Person hat das Recht, in jede Sache ihren Willen zu legen, welche dadurch die meinige ist, zu ihrem substantiellen Zwecke, da sie einen solchen nicht in sich selbst hat, ihrer Bestimmung und Seele meinen Willen erhält, - absolutes Zueignungsrecht des Menschen auf alle Sachen." 3 8 9 Umgekehrt auch: „Diejenige sogenannte Philosophie, welche den unmittelbaren einzelnen Dingen, dem Unpersönlichen, Realität im Sinne von Selbständigkeit und wahrhaften Für- und Insichsein zuschreibt, ebenso diejenige, welche versichert, der Geist könne die Wahrheit nicht erkennen und nicht wissen, was das Ding an sich ist, wird von dem Verhalten des freien Willens gegen diese Dinge unmittelbar widerlegt." 3 9 0 Die Legitimität von .Sachen' 3 9 1 ergab sich für Hegel allein aus dem freien Willen der handelnden Person. „In den neueren Zeiten ist es vornehmlich eingetreten, daß man bei den Handlungen immer nach den Beweggründen fragt, während man sonst bloß fragte: Ist dieser Mann rechtschaffen? Tut er, was seine Pflicht ist? Man will jetzt auf das Herz sehen und setzt dabei einen Bruch des Objektiven der Handlungen und des Innern, des Subjektiven der Beweggründe voraus. Allerdings ist die Bestimmung des Subjekts zu betrachten: es will etwas, das in ihm begründet ist; es will seine Lust befriedigen, seiner Leidenschaft Genüge tun. Aber das Gute und Rechte ist auch ein solcher, nicht bloß natürlicher, sondern durch meine Vernünftigkeit gesetzter Inhalt; meine Freiheit, zum Inhalt meines Willens gemacht, ist eine reine Bestimmung meiner Freiheit selbst. Der höhere moralische Standpunkt ist daher, in der Handlung die Befriedigung zu finden und nicht bei dem Bruch zwischen dem Selbstbewußtsein des Menschen und der Objektivität der Tat stehenzubleiben, welche Auffassungsweise jedoch, sowohl in der Weltgeschichte als in der Geschichte der Individuen ihre Epochen hat." 3 9 2 Klarer lassen sich Turgot und Kant nicht zurückweisen. Es kommt nach Hegel gar nicht darauf an, ob das Stiften ein Ergebnis der menschlichen Eitelkeit ist oder welche verborgenen Absichten ein Stifter sonst mit seiner Handlung verbindet. Im Gegenteil: „Weiter bestimmten Inhalt aber hat die noch abstrakte und formelle Freiheit der Subjektivität nur an ihrem natürlichen subjektiven Dasein, Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Meinungen, Einfällen usf." 3 9 3 Allerdings: „Durch dies Besondere hat die Handlung subjektiven Wert, Interesse für mich. Gegen diesen Zweck, die Absicht 388 389 390 391 392 393

Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Die Stiftung als Idee; in: Strachwitz/Mercker (Hrsg.), loc. cit., S. 123-134. Hegel, Rechtsphilosophie, S. 106 (§ 44). Ibid. Hier knüpft Hegel implizit an den alten Begriff der universitas bonorum an. Ibid., S. 229 (§ 121). Ibid., S. 230 (§ 123).

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dem Inhalte nach, ist das Unmittelbare der Handlung in ihrem weiteren Inhalte zum Mittel herabgesetzt. Insofern solcher Zweck ein Endliches ist, kann er wieder zum Mittel für eine weitere Absicht usf. ins Unendliche herabgesetzt werden." 394 „Auf dem Boden der modernen bürgerlichen Gesellschaft und mit ihrem Recht, in dem alle Personen von Sachen grundsätzlich unterschieden sind, setzt Veräußerung die Unveräußerlichkeit der Person in der Bestimmtheit voraus, daß sie das eigene innere wie äußere Sein unberührbar durch die Gesellschaft für sich zu haben vermag. Daher werden hier für Hegel im Unterschied zu allen vormodernen, immer auch auf substantielle religiöse, persönliche Bindungen gestellten rechtlichen Ordnungen diejenigen Güter zum unveräußerlichen Eigenen, welche .meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseins ausmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion' (§ 66). Hier liegt der Grund, warum die Freiheit des Eigentums für Hegel das Prinzip ist, mit dem die christliche Freiheit allererst Existenz erhält." 395 Die Legitimität von Stiftungshandeln wird damit, so meinen wir, von Hegel implizit bestätigt. Insofern vertritt er im Gefolge seiner romantischen Freunde ein individuell getriebenes Paradigma, das sich im übrigen im Kern nicht historisch im Sinne der Legitimität durch kulturelle Tradition legitimiert, sondern theoretisch aus dem Hegelschen System heraus. Allerdings ist damit die Position der Gesellschaft und des Staates gegenüber den Stiftungen noch nicht definiert. Dies geschieht im Rahmen seiner allgemeinen Ausführungen zur bürgerlichen Gesellschaft und zum Staat. Schon in der .Philosophischen Propädeutik' (1809/11) wird Hegels Position zum Staat deutlich: „Der Staat ist die Gesellschaft von Menschen unter rechtlichen Verhältnissen, worin sie nicht wegen eines besonderen Naturverhältnisses nach natürlichen Neigungen und Gefühlen, sondern als Personen füreinander gelten und diese Persönlichkeit eines Jeden mittelbar behauptet wird. Wenn eine Familie sich zur Nation erweitert hat und der Staat mit der Nation in Eins zusammenfällt, so ist dies ein großes Glück. Erläuterung. Ein Volk hält durch Sprache, Sitten und Gewohnheit und Bildung zusammen. Dieser Zusammenhang aber formiert noch keinen Staat. Ferner sind Moralität, Religion, Wohlstand und Reichthum aller seiner Bürger zwar sehr wichtig für den Staat. Er muß auch Sorge tragen zur Beförderung dieser Umstände, aber sie machen für ihn nicht den unmittelbaren Zweck aus, sondern das Recht." 396 „Der Staat faßt die Gesellschaft nicht nur unter rechtlichen Verhältnissen, sondern vermittelt als ein wahrhaft höheres moralisches Gemeinwesen die Einigkeit in Sitten, Bildung und allgemeiner Denk- und Handlungsweise (indem Jeder in dem Andern seine Allgemeinheit geistiger Weise anschaut und erkennt)." 397 „In dem Geiste eines

394 Hegel, loc. cit., S. 229 f. (§ 122); s. hierzu: Francesca Menegoni, Elemente zu einer Handlungstheorie; in: Siep (Hrsg.), loc. cit., S. 125-146, insb. S. 141 f. 395 Ritter, loc. cit., S. 70. 396 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophische Propädeutik I, Erster Abschnitt: Rechtslehre; Sämtliche Werke Bd. 3 [1840], Stuttgart 1969, S. 70 (§ 24). 397 Ibid., S. 89 (§ 54).

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Volkes hat jeder einzelne Bürger seine geistige Substanz. Die Erhaltung der Einzelnen ist nicht nur auf die Erhaltung dieses lebendigen Ganzen begründet, sondern dasselbe macht die allgemeine geistige Natur oder das Wesen eines Jeden gegen seine Einzelheit aus. Die Erhaltung des ganzen geht daher der Erhaltung des Einzelnen vor und alle sollen diese Gesinnung haben." 3 9 8 Diese drei Stellen mögen genügen, um die Verbindung zwischen Bürger und Staat bei Hegel zu demonstrieren. Eine Stelle sei jedoch noch angefügt, um aus diesem Kontext heraus klarzustellen, daß Hegel sehr wohl Leistungen des einzelnen für das Allgemeinwohl befürwortete. Der Abschnitt folgt unmittelbar auf den eben zitierten: „Bloß nach der rechtlichen Seite betrachtet, insofern der Staat die Privatrechte der Einzelnen schützt, und der Einzelne zunächst auf das Seine sieht, ist gegen den Staat wohl eine Aufopferung eines Theils des Eigenthums möglich, um das übrige zu erhalten. Der Patriotismus aber gründet sich nicht auf diese Berechnung, sondern auf das Bewußtsein der Absolutheit des Staats. Diese Gesinnung, Eigenthum und Leben für das Ganze aufzuopfern, ist um so größer in einem Volke, je mehr die Einzelnen für das Ganze mit eigenem Willen und Selbstthätigkeit handeln können und je größeres Zutrauen sie zu demselben haben. (Schöner Patriotismus der Griechen.) (Unterschied von Bürger als bourgeois und citoyen.)" 399 Wohlgemerkt: Hier geht es noch nicht um den Gegensatz von Staat und bürgerlicher Gesellschaft, wie er später in der Rechtsphilosophie entwickelt wird. Hier geht es allein um die Frage, inwieweit der Mensch, dem ja ein hoher Wert zugemessen wird, sich allein überhaupt entfalten kann. „Der subjective Wille, die Leidenschaft ist das Bethätigende; die Idee ist das Innere; der Staat ist das vorhandene, wirklich sittliche Leben. Denn er ist die Einheit des allgemeinen, wesentlichen Wollens und des subjectiven, und das ist die Sittlichkeit." 400 Im folgenden setzt sich Hegel mit Irrtümern der Staatstheorie auseinander, um dann auszuführen: „Was uns zuerst begegnet, ist das directe Gegenteil unseres Begriffes, daß der Staat die Verwirklichung der Freyheit sey, die Ansicht nämlich, daß der Mensch von Natur frey sey, in der Gesellschaft aber, und in dem Staate, worin er zugleich nothwendig trete, diese natürliche Freyheit beschränken müsse. [...] Der Naturzustand [ist] [...] der Zustand des Unrechts, der Gewalt [...] Es findet allerdings Beschränkung durch die Gesellschaft und den Staat statt. [...] Dieses Beschränken fällt in die Vermittelung, durch welche das Bewußtseyn und das Wollen der Freyheit, wie sie wahrhaft, d.i. vernünftig und ihrem Begriffe nach ist, erst hervorgebracht wird. [...] Solche Beschränkung [ist] schlechthin die Bedingung, aus welcher die Befreiung hervorgeht, und Gesellschaft und Staat sind die Zustände, in welchen die Freyheit vielmehr verwirklicht wird." 401

398 Ibid., S. 90 (§ 55). 399 Ibid. (§ 56). 400 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte; Sämtliche Werke Bd. 11 1961, S. 70 (Einleitung). 401 Ibid., S. 73 f.

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In Hegels Rechtsphilosophie ist im Abschnitt über die bürgerliche Gesellschaft ivon der Stiftung expressis verbis zweimal die Rede, davon einmal in einem hier nicht behandelten Sinne. 402 Aber in dem mit „C. Die Polizei und Korporation" 403 überschriebenen Unterabschnitt geht es um die Frage der Intermediäre zwischen Individuum und Familie sowie zwischen Individuum und Staat, die die französische Theorie so sehr beschäftigt und zu einem so radikalen Ergebnis geführt hatte. Hegel stellt fest, daß das „Individuum Sohn der bürgerlichen Gesellschaft geworden" 404 ist, die „ebensosehr Ansprüche an ihn, als er Rechte auf sie hat". 405 Auch eine andere, für das Stiften entscheidende Prämisse nennt er: „Wenn nun die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen für die Individuen vorhanden und durch die öffentliche Macht gesichert ist, so bleibt sie, ohnehin daß diese Sicherung unvollständig bleiben muß, noch von der subjektiven Seite den Zufälligkeiten unterworfen, und um so mehr, je mehr sie Bedingungen der Geschicklichkeit, Gesundheit, Kapital usw. voraussetzt." 406 Die Frage, ob ein Handeln in der Gesellschaft durch ungleiche Startvoraussetzungen in Frage gestellt oder gar delegitimiert wird, interessierte Hegel offenkundig nicht. Diese sind Teil der Realität, von der zunächst auszugehen ist. Im folgenden greift Hegel dann allerdings ein Argument auf, das schon Turgot verwendet hatte: „Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt, oder es wären in anderem öffentlichen Eigentum (reichen Hospitälern, Stiftungen, Klöstern) die direkten Mittel vorhanden, die der Armut zugehende Masse auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten, so würde die Subsistenz der Bedürftigen gesichert, ohne durch die Arbeit vermittelt zu sein, was gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre wäre; oder sie würde durch Arbeit (durch Gelegenheit dazu) vermittelt, so würde die Menge der Produktionen vermehrt, in deren Überfluß und dem Mangel der verhältnismäßigen selbst produktiven Konsumenten gerade das Übel besteht, das auf beide Weisen sich nur vergrößert. Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern. Diese Erscheinungen lassen sich im großen an Englands Beispiel studieren, sowie näher die Erfolge, welche die Armentaxe, unermeßliche Stiftungen und ebenso unbegrenzte Privatwohltätigkeit [...] gehabt haben." 407 Dieses Beispiel diente Hegel gemeinsam mit anderen dazu, die Begrenzungen der bürgerlichen Gesellschaft aufzuzeigen. „Durch diese ihre Dialektik wird die bürgerliche Gesellschaft über sich hinausgetrieben[...]" 408 , heißt es im nächsten Absatz. Und dann: „Die polizeiliche Vorsorge verwirklicht und erhält zunächst das

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Hegel, Rechtsphilosophie, S. 3 5 5 (§ 203). Die E r w ä h n u n g bezieht sich auf „die S t i f t u n g v o n Staaten". Ibid., S. 382. Ibid., S. 3 8 6 (§ 238). Ibid. Ibid. (§ 237). Ibid., S. 3 9 0 (§ 245). Ibid., S. 391 (§ 246).

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Allgemeine, welches in der Besonderheit der bürgerlichen Gesellschaft enthalten ist, als eine äußere Ordnung und Veranstaltung zum Schutz und Sicherheit der Massen von besonderen Zwecken und Interessen, als welche in diesem Allgemeinen ihr Bestehen haben, so wie sie als höhere Leitung Vorsorge für die Interessen (§ 246), die über diese Gesellschaft hinausführen, trägt." 409 Unmittelbar auf diese Stelle folgen sechs Paragraphen über ,Die Korporationen', zu denen Hegel die Stiftungen ausweislich des Textes nicht ausdrücklich zählt. Vielmehr rechnete er sie zwar dem öffentlichen Bereich, aber auch der Individualsphäre zu, eine Unterscheidung, die zum Teil bis heute fortgeführt wird 410 . Danach folgt als letzter der Rechtsphilosophie. Damit schließt sich der Kreis in Bezug auf die Stiftungen. „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige." 411 „Der Staat an und für sich ist das sittliche Ganze, die Verwirklichung der Freiheit, und es ist absoluter Zweck der Vernunft, daß die Freiheit wirklich sei. Der Staat ist der Geist, der in der Welt steht und sich in derselben mit Bewußtsein realisiert." 412 „Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze sowie ihre Interessen untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks [...]"413 „Eine sogenannte moralische Person, Gesellschaft, Gemeinde, Familie, so konkret sie in sich ist, hat die Persönlichkeit nur als Moment, abstrakt in ihr; sie ist darin nicht zur Wahrheit ihrer Existenz gekommen; der Staat aber ist eben diese Totalität, in welcher die Momente des Begriffs zur Wirklichkeit nach ihrer eigentümlichen Wahrheit gelangen." 414 Die überhöhenden Ausführungen über den Staat reißen im ganzen Abschnitt nicht ab. „Daß der Zweck des Staates das allgemeine Interesse als solches [...] ist" 415 , „der [...] sich wissende und wollende Geist" 416 , „der Staat weiß daher, was er will, und weiß es als ein Gedachtes" 417 , „Im Staate muß man nichts haben wollen, als was ein Ausdruck der Vernünftigkeit ist" 418 usw. „Der hegelianische Staat war kein oktroyiertes Konstrukt, sondern der höchste Ausdruck der sittlichen Substanz eines Volkes, die Entfaltung einer transzendenten und rationalen Ordnung, die .Verwirklichung der Freiheit'. Daraus folgte, daß die Beziehung zwischen Zivilgesellschaft [sie!] und Staat nicht antagonistisch, sondern wechselseitig war. Gerade der Staat ermöglichte 409 410 411 412 413 414 415 416 417 418

Ibid., S. 393 (§ 249). S. z.B. die bis vor kurzem geübte Praxis des Statistischen Bundesamtes Ibid., S. 399 (§ 258). Ibid., S. 403 (§ 258 Zusatz). Ibid., S. 407 f. (§ 261). Ibid., S. 445 (§ 279). Die Erinnerung an die .moralische Person' geht auf einen von Pufendorf begründeten Diskurs zurück. Ibid., S. 415 (§ 270). Ibid. Ibid., S. 429 (§ 270 Zusatz). Ibid., S. 434 (§ 272 Zusatz).

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es ja der Zivilgesellschaft, sich auf rationale Weise zu ordnen, und die Vitalität des Staates hing wiederum von der jeweiligen Partikularinteressen ab, welche die Zivilgesellschaft ausmachten, indem der Einzelne ,in seiner besonderen Art für das Ganze tätig ist'." 419 Ralf Dahrendorf kommentiert das so: „Im Staat also ist vor allem die bürgerliche Gesellschaft mit ihrem Recht des Einzelinteresses, ihren Klassen und Parteien aufgehoben. [...] Wie für die Familie, so gilt auch für den Staat, daß der Einzelne in ihm in erster Linie als .Mitglied' und nicht als Individuum fungiert. Daß die höhere Ebene als Werturteil gemeint ist, liegt auf der Hand. Dies ist daher der entscheidende Zug der Hegeischen Synthese, daß die bürgerliche Gesellschaft sich weder historisch noch moralisch selbst genug sein kann. Sie ist zutiefst unzulänglich." 420 Schon Karl Marx hatte ähnliches konstatiert. „Anstatt zuzugeben, daß Familie, bürgerliche Gesellschaft, öffentliche Meinung, Souveräne und dergl. die natürlichen Grundlagen des Staates bilden, beschreibt sie Hegel, als wären sie [...] das Ergebnis oder Produkt der Idee." 421 Präzise Hinweise, wie mit den Defiziten der bürgerlichen Gesellschaft und gerade den bezüglich der Stiftung konstatierten zu verfahren ist, fehlen nicht: „Die gemeinschaftlichen besonderen Interessen, die in die bürgerliche Gesellschaft fallen und außer dem an und für sich seienden Allgemeinen des Staats selbst liegen (§ 256), haben ihre Verwaltung in den Korporationen (§ 251) der Gemeinden oder sonstiger Gewerbe und Stände und deren Obrigkeiten, Vorsteher, Verwalter und dgl. Insofern diese Angelegenheiten, die sie besorgen, einerseits das Privateigentum und Interesse dieser besonderen Sphären sind und nach dieser Seite ihre Autorität mit auf dem Zutrauen ihrer Standesgenossen und Bürgerschaften beruht, andererseits diese Kreise den höheren Interessen des Staats untergeordnet sein müssen, wird sich für die Besetzung dieser Stellen im allgemeinen eine Mischung von gemeiner Wahl dieser Interessenten und von einer höheren Bestätigung und Bestimmung ergeben." 422 Und: „Insofern sich die religiöse Gemeinschaftlichkeit von Individuen sich zu einer Gemeinde, einer Korporation erhebt, steht sie überhaupt unter der oberpolizeilichen Oberaufsicht [sie!] des Staats." 423 Die zitierten Stellen machen deutlich, daß Hegel Turgots Position, wie überhaupt die französischen Staatstheoretiker des 18. Jahrhunderts (z.B. Rousseau s. § 258; Montesquieu s. § 261), durchaus rezipiert hatte, sie aber in wesentlichen Teilen zurückwies. Insbesondere Rousseau wurde Ziel scharfer Kritik: „Allein indem er [Rousseau] den Willen nur in bestimmter Form des einzelnen Willens (wie nachher auch Fichte) und 419 Clark, loc. cit., S. 495. Das englische civil society ist in diesem Zusammenhang falsch übersetzt. Gemeint ist Hegels bürgerliche Gesellschaft. 420 Dahrendorf, loc. cit., S. 228. 421 Nikolaus Lobkowicz, Theory and Practice, History of a Concept from Aristotle to Marx, Notre Dame/ London 1967, S. 259 (Übersetzung d. Verf.). 422 Ibid., S. 457 f. (§ 288). 423 Ibid., S. 422 (§ 270). Hier geht es zwar um das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat, doch ist die Autorität des Staates für alle Körperschaften in seinem Machtbereich eindeutig herauszulesen.

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den allgemeinen Willen nicht als das an und für sich Vernünftige des Willens, sondern nur als das Gemeinschaftliche, das aus diesem einzelnen Willen als bewußtem hervorgehe, faßte, so wird die Vereinigung der Einzelnen im Staat zu einem Vertrag, der somit ihre Willkür, Meinung und beliebige, ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat, und es folgen die weiteren, bloß verständigen, das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät zerstörenden Konsequenzen." 424 Er war sich, so läßt sich daraus folgern, der Gefahren bewußt, die in einem unkontrollierten Stiftungshandeln liegen und unterstützte daher das Nützlichkeitsargument. Aber Hegel stellte diesem Argument dialektisch das Freiheitsrecht der Person, gerade auch hinsichtlich der Verfügung über sein Eigentum, gegenüber und rezipierte insofern Mirabeaus Freiheitsbegriff in seiner Beschreibung der preußischen Monarchie: „Die preußische Monarchie ist sichtlich das Palladium der deutschen Freiheiten. [...] bürgerliche Freiheit aller Untertanen, Freiheit des Fleißes, Freiheit des Handels, Freiheit der Religion, Freiheit zu denken, Freiheit zu schreiben, Freiheit der Dinge und der Menschen". 425 Bezüglich der Idee ist der Stifter an das „an und für sich seiende Göttliche und seine Autorität" gebunden; ob er diese aber verwirklicht und dafür sein Eigentum einsetzt, ist seine freie Entscheidung. „Das Recht des moralischen Willens drückt das grundsätzliche Recht jedes Einzelnen auf Schutz und Verwirklichung der eigenen Freiheit aus. Dies bedeutet die Bestätigung des Ausgangs des Menschen aus der Unmündigkeit; es bedeutet außerdem Bewußtsein seiner selbst, die Weigerung, sich von einer äußeren Autorität leiten und bestimmen zu lassen, freie Wahl der eigenen Zwecke und der Mittel, die zu ihrer Realisierung geeignet sind." 426 Hegel benützt noch ein anderes Argument, um sich von der französischen Entwicklung abzusetzen: „In dem Geschäfte der Regierung findet sich gleichfalls die Teilung der Arbeit (§ 198) ein. Die Organisation der Behörden hat insofern die formelle, aber schwierige Aufgabe, daß von unten, wo das bürgerliche Leben konkret ist, dasselbe auf konkrete Weise regiert werde, daß dies Geschäft aber in seine abstrakten Zweige geteilt sei, die von eigentümlichen Behörden als unterschiedenen Mittelpunkten behandelt werden, deren Wirksamkeit nach unten sowie in der obersten Regierungsgewalt in eine konkrete Übersicht wieder zusammenlaufe." 427 Im nachfolgenden Zusatz diskutiert Hegel die mit einem solchen System verbundenen Probleme, die er für lösbar hält, und stellt es dem nachrevolutionären, französischen System gegenüber, von dem er zwar anerkennend feststellt, „hiermit ist die größte Leichtigkeit, Schnelligkeit, Wirksamkeit für das, was für das allgemeine Staatsinteresse geschehen soll, verbunden" 4 2 8 , das er aber dennoch nicht gutheißen will. „Dagegen entbehrt Frankreich der Korporationen und Kommunen, das heißt der Kreise, wo die besonderen und 424 Ibid., S. 400 (258). 425 Mirabeau, Von der preußischen Monarchie [1788], S. 394. 426 Menegoni, loc. cit., S. 127 f. Siehe auch Golo Mann, Geschichte des XIX. Jahrhunderts [1958], Frankfurt/Main 1962, S. 104: „Wenn Hegel das Individuum ... seinem .Weltgeist' aufopferte, so hatte er doch den hellsten Sinn für individuelle Größe und Tragik." 427 Ibid., S. 459 (§ 290). 428 Ibid., S. 460 (§ 290 Zusatz).

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allgemeinen Interessen zusammenkommen. Im Mittelalter hatten freilich diese Kreise eine zu große Selbständigkeit gewonnen, waren Staaten im Staate und gerierten sich auf harte Weise als für sich bestehende Körperschaften; aber wenn dieses auch nicht der Fall sein muß, so darf man doch sagen, daß in den Gemeinden die eigentliche Stärke der Staaten liegt. Hier trifft die Regierung auf berechtigte Interessen, die von ihr respektiert werden müssen, und insofern die Administration solchen Interessen nur beförderlich sein kann, sie aber auch beaufsichtigen muß, findet das Individuum den Schutz für die Ausübung seiner Rechte, und so knüpft sich sein partikulares Interesse an die Erhaltung des Ganzen. Man hat seit einiger Zeit immer von oben her organisiert, und dies Organisieren ist die Hauptbemühung gewesen, aber das Untere, das Massenhafte ist leicht mehr oder weniger unorganisch gelassen; und doch ist es höchst wichtig, daß es organisch werde, denn nur so ist es Macht, ist es Gewalt, sonst ist es nur ein Haufen, eine Menge von zersplitterten Atomen. Die berechtigte Gewalt ist nur im organischen Zustande der besonderen Sphären vorhanden." 4 2 9 Hier wird, so meinen wir, deutlich, was Hegel im Sinn hatte: nicht den von einem Befehlshaber nach rein rationalen Kriterien organisierten Staat im Sinne Kants, der schaltet und waltet wie er will, aber auch nicht den vormodernen Staat mit begrenzter Souveränität nach innen und einer Polyarchie von Machtzentren. Er dachte nicht an das französische Modell der exklusiven Beziehungen zwischen den einzelnen Bürgern und dem Staat, so wie er auch jede Vertragskonstruktion im Sinne Rousseaus ausdrücklich zurückwies („Der Staat beruht nicht auf einem ausdrücklichen Vertrag..." 430 ). In seinem organischen Staatsgebilde haben, so kann man folgern, die Stiftungen als Ausdruck des Individualwillens (und wohl auch als den freien Personen zugeordnete Sachen) ihren legitimen Platz („Der konkrete Staat ist der in seine besonderen Kreise gegliederte Ganze" 431 ), allerdings unter der Prämisse, daß sie sich in das Gesamtgebilde einfügen. Dies zu garantieren, steht allein dem Staat zu. „Während Kant die wechselseitige Abhängigkeit der Glieder im Organismus betont, besteht Hegel auf dem höheren Ziel der Einheit, die sowohl Ausgangspunkt als auch Ziel der Differenzierung der Teile ist." 432 Er bewerkstelligt diese Garantie durch die schon ausführlich behandelte Aufsicht und eine entsprechende Gesetzgebung. „Diese Gegenstände [der Gesetzgebung] bestimmen sich [...] nach den zwei Seiten: α) was durch den Staat ihnen zugute kommt und sie zu genießen und ß) was sie demselben zu leisten haben." 4 3 3 Es kann hier nicht darum gehen, sich mit Hegels Staatskonstrukt insfesamt kritisch auseinanderzusetzen. Für den vorliegenden Zusammenhang ist herauszustellen, daß dieses Konstrukt bis heute die Legitimität von Stiftungen theoretisch begründet und erst seit kurzem in Zusammenhang mit einem vollständig neuen Gesellschaftsent429 430 431 432 433

Ibid. Hegel, Hegel, Frank, Hegel,

Philosophische Propädeutik, 2. Abschnitt: Pflichtenlehre oder Moral, S. 91 (§ 58). Rechtsphilosophie, S. 477 (§ 308). loc. cit., S. 357. Rechtsphilosophie, S. 466 (§ 299).

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wurf in Frage gestellt wird. Das markantedaran ist, daß es sich nicht, wie zunächst hätte vermutet werden können, um eine kompromißhafte, den Notwendigkeiten, etwa dem unverzichtbaren Dienstleistungsangebot der Stiftungen geschuldete Legitimation, auch nicht um eine romantische Zurückweisung des französischen Modells mit historischer „deutscher" Begründung, sondern um eine systematische, positive Zuordnung zu einem System, wenngleich einem, das aus der Erfahrung der Kriege gegen Frankreich und der intellektuellen Diskurse der Romantik entstanden war. In diesem System konnten sich alte Stiftungen einrichten und konntenneue entstehen. Dies soll im folgenden unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Rahmens, der Rezeption und der tatsächlichen Entwicklung untersucht werden.

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V.

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V.1

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Über die Frage des rechtlichen Rahmens für Stiftungen wurde im ganzen 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund von Hegels Paradigma diskutiert. Stifter und Stiftungen waren Teile dieses Diskurses. Der noch zu schildernde Fall der Carl-Zeiss-Stiftung am Ende des Jahrhunderts ist dafür ebenso ein Beispiel wie der Städelfall an dessen Beginn. Dabei ging es um Legitimitätsfragen, darum, was denn eine Stiftung letztlich sei, Herrschaft der Toten über die Lebenden 434 , einzelner über die Gesellschaft oder interessante Facette in einer bürgerlichen Gesellschaft. Gehören sie überhaupt zum öffentlichen Bereich, oder sind als Sachen in der Verfügungsgewalt der Bürger der Privatsphäre zuzuordnen? Was würde unter solchen Umständen aus den von Herrschern gegründeten, quasi-öffentlichen Stiftungen? Daran knüpft sich die Frage, ob und inwieweit die Stiftungen dadurch einen Bedeutungswandel durchliefen, bzw. ob und wenn ja um welchen Preis sie ihrer Grundbedeutung, als an ihren Anfang gebundene Organisationen, treu geblieben sind. Wie eine Stiftung zu definieren ist, wurde in diesem Zusammenhang in der Regel als bekannt vorausgesetzt, obwohl phänomenologisch unvermindert ganz erhebliche Unterschiede festgestellt werden konnten. So mußte auch den Zeitgenossen deutlich sein, daß zwischen einer weltlich-kulturellen Städel-Stiftung, einer Kirchenstiftung, deren Funktion sich auf das Eigentum an einem Kirchengebäude beschränkt, und etwa einer kommunal verwalteten Hauptgeldstiftung nur bei sehr eingehender Betrachtung Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden können. Daß sich diese insbesondere auf die Gründungsbindung bezogen, war, so ist zu vermuten, nicht jedem bewußt, der sich, in welcher Form auch immer, zum Stiftungswesen äußerte. Insofern ist auch für das 19. Jahrhundert (wie schon bei Kant) schwer zu ermitteln, worüber genau diskutiert wurde, wenn das Schicksal der Stiftungen Thema öffentlicher Debatten war. Diese Scheu vor Festlegung zog sich, so will es scheinen, bis in das späte 20. Jahrhundert durch. Daher blieben alte Stiftungstraditionen, wie an der Institution der Treuhandstiftung abzulesen ist, bis heute ohne rechtliche und fast gänzlich ohne wissenschaftliche Würdigung, während sich aus der alten Anstaltsstiftung allmählich die Stiftung bürgerlichen Rechts entwickelte. 435 Pleimes Verweis auf die Entwicklung der Hauptgeldstiftung zur Treuhandstiftung blieb noch in den 1930er Jahren Episode. 436 434 Elisabeth Kraus, Aus Tradition modern, Zur Geschichte v o n Stiftungswesen und Mäzenatentum in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert; in: Felten/Hockerts/Kömer/Müller/Schindiing/Smolinsky (Hrsg.), Historisches Jahrbuch, 121. Jg. 2001, S. 410. 435 Friedrich Carl v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 2, Berlin 1840. S. hierzu insb. Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation. Überlegungen zur Reform des deutschen Stiftungsrechts auf der Grundlage einer historisch-rechtsvergleichenden Untersuchung der Entstehung des modernen deutschen und amerikanischen Stiftungsmodells, Berlin 2001. 436 Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht, S. 286 ff. et passim.

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Der in der Literatur viel zitierte Städelfall, d.h. die 1815 durch Testament entstandene weltliche Stiftung als Trägerin einer Kultureinrichtung, war auf diesem Weg nicht mehr als ein kleiner Schritt, indem durch das die Einrichtung begleitende Gerichtsverfahren einige Klarstellungen, insbesondere zur staatlichen Aufsicht erfolgten. Der Städel-Fall führte, obschon in seiner Bedeutung gelegentlich überschätzt, letztlich zur Entwicklung des Stiftungsrechts, nicht jedoch zu einer Debatte über die Sinnhaftigkeit dieser Rechtsinstitution als solcher. 437 Diese wurde getrennt hiervon geführt und erst später zur Grundlage einer Rechtsentwicklung. Obwohl sich Friedrich Carl von Savigny, der als bedeutendster deutscher Rechtstheoretiker des 19. Jahrhunderts gelten kann, mit diesem Einzelfall nicht, wie lange Zeit angenommen wurde, explizit auseinandersetzte, 438 gab ihm dieser wohl doch Anlaß dazu, die theoretischen Eckdaten für eine neue Legitimität des Stiftungswesens in konkrete Rechtsvorstellungen umzusetzen. 439 Für die vorliegende Untersuchung sind in diesem Zusammenhang zwei Fragen von Interesse: 1. Waren Stiftungen legitime gesellschaftliche Handlungsinstrumente? Diese Frage wurde übereinstimmend bejaht. Das französische Zivilrecht kam insofern nicht zum Tragen. 2. Bedurfte die Stiftung zu ihrer Entstehung einer staatlichen Genehmigung? Diese Frage wurde im viele Jahre dauernden Städel-Verfahren von verschiedenen Gutachtern unterschiedlich beurteilt, infolge des Vergleichs im konkreten Rechtsstreit aber nicht abschließend beantwortet. Er wurde später jedoch, wie wir meinen unter dem Einfluß Hegels, (fast) eindeutig entschieden. 440 Die zum Städelfall erstellten Gutachten spielten in der nachfolgenden stiftungsrechtlichen Literatur interessanterweise keine Rolle, wobei das 1827 erstellte Berliner Gutachten, an dem Savigny am ehesten partiell hätte mitwirken können, die Notwendigkeit einer staatlichen Genehmigung ausdrücklich verneinte, 441 obwohl es bereits aus

437 S. hierzu u.a. Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation, S. 49-76. 438 Ibid., S. 53. 439 Juristisch gesehen ging es im Städel-Fall um die Frage, ob, wie zwei entfernte Verwandte behaupteten, das Testament des 1815 verstorbenen Johann Friedrich Städel nichtig sei, weil eine noch nicht bestehende, nämlich auf Grundlage des Testaments erst noch zu gründende und auch nicht staatlich bestätigte Stiftung nicht erbfähig sein könne. Der Prozeß wurde nach 11 Jahren durch einen außergerichtlichen Vergleich beendet, nachdem juristische Fakultäten der Universitäten Berlin, Gießen, Heidelberg und München Rechtsgutachten erstellt hatten. Die Klägerinnen erhielten ein Viertel der Erbschaft und erkannten die Stiftung im Gegenzug als Erbin an. S. Richter, loc. cit., S. 51 f. 440 Vgl. hierzu Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts: „Das Erfordernis der staatlichen Genehmigung von Stiftungen hatte sich in den einzelnen Territorien zunächst vielfach gewohnheitsrechtlich durchgesetzt." (S. 246) / Das „von der Verwaltungspraxis geübte Gewohnheitsrecht der staatlichen Genehmigung wurde während des 19. Jahrhunderts von der Theorie immer wieder bestritten. So hatte sich die Universität Tübingen 1869 in einem Gutachten dagegen ausgesprochen. [...] Auch noch 1890 läßt sich ein gewisses Schwanken der Meinungen feststellen." (S. 247) / „Für die Auffassung, daß die staatliche Genehmigung erforderlich sei, war es von ausschlaggebender Bedeutung, daß das anerkannte Haupt der theoretischen Jurisprudenz in Deutschland, Savigny, sich sehr energisch in ihrem Sinne aussprach." (S. 247 f.) 441 Richter, loc. cit., S. 53, s. insb. Fußnote 73.

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dem 18. Jahrhundert Hinweise auf eine Genehmigungspflicht gab. 442 Das Preußische Allgemeine Landrecht hatte 1794 noch bestimmt: „§32. Armenhäuser, Hospitäler, Waisen- und Findel-, Werk- und Arbeitshäuser, stehen unter dem besonderen Schutze des Staats. §33. Werden dergleichen Anstalten von neuem errichtet, so muß das Vorhaben dem Staate zur Prüfung der Grundsätze ihrer Verfassung angezeigt werden. §34. Doch sollen diejenigen Behörden, denen diese Prüfung nach den verschiedenen Verfassungen in den Provinzen obliegt, nur in Fällen, wo die Ausführung der Verordnungen des Stifters unmöglich oder gar schädlich sein würde, dieselben zu verwerfen berechtigt sein. §35. Außerdem kann jeder Stifter die innere Einrichtung solcher Anstalten, die Aufsicht über dieselben, die Bestellung der Verwalter, die Revision und Abnahme der Rechnungen, nach Gutfinden anordnen." 4 4 3 Dem preußischen Gesetzgeber ging es, so läßt sich folgern, in erster Linie um seine Fürsorgepflicht in Hinblick auf die Kranken, Armen usw. Eine Regulierung der Stiftungen als solcher unter Gesichtspunkten wie unerwünschte Polyarchie, Herrschaft der .toten Hand' und dergl. trat demgegenüber zu dieser Zeit noch deutlich zurück. Savigny legte sich hierzu erst in seinem 1840- 1849 erschienen Hauptwerk .System des heutigen römischen Rechts' f e s t 4 4 4 Diese Festlegung zugunsten der Notwendigkeit einer staatlichen Genehmigung und Aufsicht, die sich bis dahin schon in Teilen eingebürgert hatte, wurde für die weitere Entwicklung bestimmend. Sie fand Eingang in das Bürgerliche Gesetzbuch, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat und bis heute kaum verändert gültig ist. 445 „Daß gerade Frankfurt am Main und der Städelfall wesentlich an dem kurz darauffolgenden Umbruch in der Entwicklung des Stiftungsrechts beteiligt waren, liegt keinesfalls am Frankfurter Stiftungsrecht, das bis zuletzt die alten Formen bewahrte. Dieser Umbruch findet überhaupt in den Rechtsformen des Lebens keinerlei Ansatzpunkte. Seine Ursprünge liegen im öffentlichen Stiftungsrecht und vor allem in der Dogmatik, die nach 1816 die Führung in der Entwicklung des Stiftungsrechts übernimmt." 446

442 Alrun Tauché, Staatliches und privates Stiftungswesen an der Universität Leipzig; in: Jonas Flöter/ Christian Rizzi (Hrsg.), Bildungsmäzenatentum, Privates Handeln - Bürgersinn - kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit, Beiträge zur historischen Bildungsforschung Bd. 33, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 193. 443 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, [1794], Neuwied 1996 (3), S. 670 (Zweyter Theil, 19. Titel, § § 3 2 - 3 5 ) 444 Carl Friedrich von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 8 Bde. [Berlin 1840- 1849.] Aalen 1981. 445 BGB, § 80 ff. Die Änderung der Terminologie im Rahmen der Reform des BGB 2002, die aus der bisherigen Genehmigung (der Stiftung) eine Anerkennung (der Rechtsfähigkeit der Stiftung) machte, ändert am Wesen dieses Verwaltungsaktes nichts. Peter Rawert charakterisierte die Änderung im Rahmen der Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages 2002 mit der Bemerkung, dies sei so, wie wenn man aus dem Steuerbescheid einen Steuergruß machen würde. Die Zahlungspfiicht bleibe. Neu ist lediglich, daß der Stifter bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen Anspruch auf Anerkennung' der Rechtsfähigkeit seiner Stiftung habe. In der Beurteilung, ob diese tatsächlich vorliegen, haben die Behörden einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum, insbesondere bei der Frage, ob die Vermögensausstattung bzw. das wirtschaftliche Konzept zur Erfüllung der Stiftungszwecke bzw. Verwirklichung des inhaltlichen Konzepts hinreicht. 446 Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht, S. 291.

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So sehr Savigny gewiß von der praktischen Rechtsentwicklung beeinflußt war, so sehr ist ihm auch eine grundsätzliche theoretische Durchdringung der Thematik zu unterstellen. Dabei ging er im Gegensatz etwa zum französischen Zivilrecht stets von der Notwendigkeit der Existenz juristischer Personen aus und setzte sich hierzu mit der von Pufendorf entwickelten Figur der persona moralis auseinander. Während aber die juristische Diskussion betont, daß Savigny die Verbindung von philosophischen und juristischen Erkenntnissen, wie sie für Pufendorf bestimmend gewesen waren, durch eine rein rechtstechnische Betrachtung ersetzte, 447 ist hier darauf hinzuweisen, daß er den Legitimitätsdiskurs seiner Zeit im Bezug auf das Stiftungswesen offenkundig rezipierte und umsetzte. Savigny war durchaus ein Bewunderer der Französischen Revolution und ihrer Errungenschaften. 4 4 8 Bezeichnenderweise legitimiert er auf den letzten Seiten des 1849 erschienenen 8. Bandes seines .Systems des heutigen römischen Rechts' die „revolutionäre, durch eine gewaltsame geistige Erschütterung des Volksbewußtseins" bewirkte Aufhebung erworbener Rechte. 449 Dennoch dachte Savigny in Anlehnung an Fichte und andere viel stärker historisch. „Wie hat es mit den Deutschen angefangen, wovon sind sie geprägt, wie verhält es sich mit ihrem kulturellen Ursprung, und vor allem, welche Aspekte der deutschen Kulturvergangenheit können, falls man sich ihrer erinnert, ein Selbstbewußtsein schaffen helfen, das der Selbstbehauptung in der krisenhaften Situation dient? Das sind die Fragen, die sich der Heidelberger Romantik aufdrängen und zwischen 1806 und 1815 [...] politisches Gewicht bekommen. [...] Die Gegenwart, so heißt es dann, ist in einem Wahn befangen, wenn sie glaubt, sie stünde am Anfang der Zeit. [...] Wer nur nach vome blickt, setzt sich über die Erfahrungen, die Weisheit und das Gedächtnis der Vergangenheit hinweg. Friedrich Carl von Savigny, der auch zum Heidelberger Kreis gehört, warnt. Man wird bald bemerken, erklärt er, daß die ignorierte Vergangenheit sich rächt, daß sie, wenn sie nicht bewußt ergriffen und fortgebildet wird, als blinder Zwang sich hinter dem Rücken der Akteure durchsetzt, daß man also die erhoffte Zukunft nicht gewinnt, wenn man die Verbindung zur Vergangenheit zerstört." 450 „Der Zustand, daß in den deutschen Territorien ganz verschiedene Privatrechtsordnungen miteinander konkurrierten - teils das auf römischem und kanonischem Recht basierende gemeine Recht, teils Reichsgesetze, teils altes Landrecht und lokales Statutenrecht, in Preußen die Kodifikation des Allgemeinen Landrechts (1794), in den Rheinbundstaaten nach 1806 der französische Code - , erschien vielen Zeitgenossen schon in den letzten Jahrzehnten des alten Reiches als dringend reformbedürftig." 451 Für Friedrich Carl von Savigny, den Gestalter des neuen deutschen Privatrechts, das schließlich in das Bürgerliche Gesetzbuch mündete, war Privatrecht, wie er in Ausein-

447 448 449 450 451

Richter, loc. cit., S. 55 ff. Dieter Nörr, Savignys philosophische Lehrjahre. Frankfurt/Main 1994, S. 33f. Savigny, loc. cit., Bd. VÜI, S. 532 ff. S. hierzu Nörr, loc. cit., S. 34. Safranski, loc. cit., S. 161. Frank, loc. cit., S. 335.

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andersetzungen mit Kollegen betonte, Ausdruck des .Volksgeistes', in den der Staat nicht so ohne weiteres eingreifen dürfe. 452 In seinem viel später erschienen Hauptwerk weist er dem Staat eine sehr viel weitergehende Aufgabe zu. Er beschreibt ihn hier als „leibliche Gestalt der geistigen Volksgemeinschaft" 453 und weist ihm primär die Aufgabe zu, „die Idee des Rechts in der sichtbaren Welt herrschend zu machen" 4 5 4 . Volk und Staat gehen dadurch, so Frank, quasi ineinander auf. 4 5 5 Die Analogie zu Hegels Staatsbild ist bei aller Gegensätzlichkeit im Grundsatz unverkennbar. Daß die Rezeption Hegels nicht auf Savigny beschränkt blieb, sondern in einem größeren Diskurs virulent war, zeigen eine Generation später die von Otto von Gierke publizierten Arbeiten. Im zweiten Band seines vierbändigen Werks über das deutsche Genossenschaftsrecht, in dem er die Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs behandelt, findet sich eine Stelle, in der er die Fiktionalität und das Verhältnis zum Willen im römisch-rechtlichen Körperschaftsbegriff kritisiert und dann ausführt, daß, wenn nur ein Mensch Person sein kann, alle erweiterten, vom Recht mit Personenqualität versehenen Gebilde künstliche Wesen sein müßten; als Quelle einer solchen Fiktion käme nur der Staat in Frage. Werde dem Staat dieses Monopol zugestanden, dann folge daraus, daß er alle möglichen Erscheinungen, neben Verbänden auch Sachen, zu Personen erklären könne. 4 5 6 Als Sache in diesem Sinne sei die universitas bonorum gewiß zu sehen. Der Monopolanspruch wurde hingegen spätestens seit 1815 in alle Richtungen offensiv durchgesetzt. 457 Betroffen von dieser „konservativen Offensive gegen das traditionelle Netz" 458 waren Kirchen, Stiftungen, Verbände, Universitäten und Kommunen. Diese Durchsetzung sollte das ganze Jahrhundert hindurch andauern und letztlich in der nationalsozialistischen Diktatur nach 1933 vollendet werden. Neben Hegel übte demnach Savigny unter neuen Vorzeichen auf die Legitimierung der Stiftungen entscheidenden Einfluß aus. 459 Sein Bekenntnis zur Geschichte, das seine rechtstheoretischen Werke durchzieht, läßt auch die sehr geschichtsverbundene Stiftung wieder akzeptabel erscheinen. Ihre Positionen sind im übrigen eng ineinander verwoben, ihre Gegensätzlichkeit kaum nachvollziehbar. Savigny trat dafür ein, historisch gewordenes Recht zu korrigieren und zu ergänzen, nicht ein völlig neues Recht zu schaffen. Hegel widersprach dieser Auffassung in der Rechtsphilosophie

452 Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft [1814]; in: Hans Hattenhauer (Hrsg.), Thibaut und Savigny, Ihre programmatischen Schriften, München 2002, S. 61 - 127, zit. nach Frank, loc. cit. 453 Ibid., S. 22. 454 Ibid., S. 25. 455 Frank, loc. cit., S. 336. 456 Otto von Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs, Bd. 2, 1873; in: ders., Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., [Berlin 1868-1913], Graz 1954. S. 29; s. hierzu: Frank, loc. cit., S. 367. 457 Ludovica Scarpa, Gemeinwohl und lokale Macht, Honoratioren und Armenwesen in der Berliner Luisenstadt im 19. Jahrhundert. München/New Providence/London/Paris 1995, S. 114 458 Ibid. 459 S. hierzu Lingelbach, Stiftungen und Stiftungsrecht, S. 33 ff.

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entschieden, obwohl er sie als Autor der Geschichtsphilosophie durchaus hätte unterschreiben können. 4 6 0 Staatliche Aufsicht ist der zentrale Begriff, unter dem die Auseinandersetzung von Staat und Gesellschaft über das kulturelle Phänomen der Stiftung stattfand. Man konnte dabei durchaus an älteres Recht anknüpfen. Schon 1577 war in der Reichspolizeiordnung (Art. XXVII § 2) mit der Aufgabenbestimmung der Spitäler auch deren obrigkeitliche Aufsicht verankert worden. „Damit verbunden waren die Herausbildung von Grundsätzen einer Art .Stiftungspolizey' im frühneuzeitlichen Verständnis des umfassenden Polizeibegriffs sowie der Aufbau von territorialstaatlichen Verwaltungseinrichtungen zur Stiftungsaufsicht." 461 Diese Aufsicht war den Stiftungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keineswegs eigentümlich. Vielmehr unterlagen alle Körperschaften, Vereine ebenso wie wirtschaftliche Unternehmungen, einer zunehmend bis ins einzelne gehenden Beaufsichtigung durch den Inhaber der hoheitlichen Gewalt, die sich als oberste Definitions- und Gestaltungsmacht des öffentlichen Lebens profilierte. Der Hegeische Staat griff legitimerweise in das Leben der Gesellschaft ein; Stiftungen als tendenziell autonome Gebilde, die aufgrund ihres eigenen Vermögens besonders befähigt sind, selbständig zu agieren, genossen insofern die besondere Aufmerksamkeit der Staatsmacht. Zunächst bürgerte es sich gewohnheitsrechtlich ein, daß Stiftungen zu ihrer Entstehung eine landesherrliche Genehmigung benötigten. 1833 wurde in Preußen durch Gesetz bestimmt, daß neue Stiftungen mit einem Vermögen von über 1000 Talern nur mit staatlicher Genehmigung entstehen dürfen. Und während alle übrigen Korporationen die ständige Beaufsichtigung nach und nach abschütteln konnten - herausragend die Vereine nach ihrem gewonnenen Kampf um die Vereinigungsfreiheit - , ist diese den Stiftungen, wenngleich inzwischen in normierter und weniger eingreifender Weise, zu einem wesentlichen Teil bis heute geblieben. 462 Das Großherzogtum Baden regelte das Stiftungsrecht am 5. Mai 1870 in einem eigenen Gesetz, das unter anderem die Staatsgenehmigung für die Rechtsfähigkeit einer Stiftung voraussetzte und die Oberaufsicht des Staates über alle Stiftungen normierte. 463 Andere Länder regelten nach und nach ähnliches auf dem Verordnungswege 4 6 4 Die zunehmenden Eingriffe in die Anlagepolitik wurden regelmäßig mit einer Gleichsetzung von Stiftungs- und Mündelgeldern begründet, wodurch sich der Staat in die 460 Friedrich Karl von Savigny, Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814; Hegel, Rechtsphilosophie S. 363 (§211); s. hierzu: Siep, loc. cit., S. 16 f. 461 Lingelbach, Stiftungen und Stiftungsrecht, S. 29. 462 Die im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte staatliche Einwirkung auf die Vermögensanlagepolitik der Stiftungen, insbesondere die Verpflichtung zur Investition in sog. Mündelsichere Anlagen, wird erst in den 1990er Jahren aus dem letzten Landesstiftungsgesetz (Bayern) gestrichen. S. hierzu Thomas Adam, Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Stiftungen und totem Kapital; in: Thomas Adam/ Manuel Frey/Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Stiftungen seit 1800, S. 183 ff. 463 Felix Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder in den deutschen Staaten, Stuttgart 1875, S. 17. 464 S. hierzu: W. Mai, Die leitenden Grundsätze des Stiftungsrechtes in den verschiedenen insbesondere den deutschen Staaten; in: Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege, XXIV. Jg. (1892), Nr. 21, 8. Oktober 1892 / Nr. 22, 22. Oktober 1892.

Ein neues Stiftungsrecht

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Position des Vormunds der Stiftungen begab. Felix Hechts 1875 getroffene Feststellung, „in der Darstellung des positiven Rechts konnten wir uns in Deutschland um so mehr beschränken, als innerhalb des Deutschen Reiches die Rechtsgebiete des gemeinen Rechts, des allgemeinen preußischen Landrechts, des französischen Civilrechts und die so verschiedenartig gestalteten Verwaltungsorganisationen in bunter Fülle uns entgegentreten", trifft jedenfalls in Bezug auf die Stiftungen in den wesentlichen Normen nicht zu. 4 6 5 Hecht erörtert in seiner Abhandlung ausführlich die Thematik der Vermögensanlage von Stiftungen. Die Prämisse jedoch, daß es dem Staat zukommt, hierfür Vorschriften zu erlassen, bedarf bei ihm keiner Erörterung. Dies ist für ihn selbstverständlich. 466 Erst seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gilt in ganz Deutschland ein einheitliches Zivilrecht, zudem erstmals ein Zivilrecht, das aus dem Rechtsdenken des Verfassungsstaates heraus entwickelt und nicht diesem vorausgegangen war. Jahrelange Vorarbeiten hatten zudem eine Zusammenführung unterschiedlicher Rechtstraditionen bewirkt, wobei sich überwiegend preußische Auffassungen durchsetzten. Dies galt auch für das Stiftungswesen, obwohl Preußen im Verhältnis etwa zu Bürgerstädten wie Hamburg, Frankfurt oder Leipzig kein Land mit besonders ausgeprägter Stiftungstradition war. In Preußen, Sachsen und anderen Ländern entstanden in dieser Zeit auch erste Stiftungsverzeichnisse. 467 Zugleich war, so scheint es, mit der Kodifizierung die öffentliche Diskussion zum gesellschaftlichen Stellenwert von Stiftungen zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. „So wie die universitas von der obrigkeitlichen Genehmigung abhing, war auch die Fiktion einerjuristischen Person alleiniges Vorrecht des die Privatrechtsordnung verwaltenden Staates, und folglich blieb die Obrigkeit Schöpfer [sie] des Kunstobjekts Juristische Person." 468 Aus heutiger Sicht verwundert etwas anderes: „Das Erstaunliche [...] ist [...] nicht so sehr der Anspruch des Staates auf Mitsprache, Gestaltungsmacht und Aufsicht [...], sondern der ihm entgegenkommende, ihm zuarbeitende Gehorsam und Einordnungswille der Stifter. [...] Daß die öffentliche Hand in Fragen der Wohlfahrt und des gemeinen Nutzens die besten Lösungen habe, gilt als unstrittige, kaum bezweifelte Geschäftsgrundlage zwischen Staat und Stiftungen." 469 Die rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts unterliegen seit 1900 einheitlich der Rechtsaufsicht ihres Sitzlandes, mit der Begründung, ihre Eigentümer- und Mitgliederlosigkeit führe zu einer Sonderstellung, die eine solche Beaufsichtigung unumgänglich erscheinen lasse. Schließlich würden Vereine von ihren Mitgliedern, Kapitalgesellschaften von ihren Eigentümern, und selbst nicht rechtsfähige, von 4 6 5 Hecht, loc. cit., S. 4 et passim. 466 Den Hinweis auf die Veröffentlichung v o n Hecht verdanke ich Thomas Adam. Eine Auswertung der zahlreichen Hinweise auf juristische und ökonomische Stiftungsliteratur des 19. Jh. steht weitgehend aus. S. hierzu Lingelbach, Stiftungen und Stiftungsrecht. 467 S. z.B. Karl Friedrich Rauer (Hrsg.), Preußisches Landbuch; Handnotizen über die im Lande Preußen bestehenden Wohlthäügkeitsanstalten [sie], milden und gemeinnützigen Stiftungen, Institute, Gesellschaften, Vereine etc., Berlin 1866. Oskar Hoffmann, Das Stiftungsauskunftsbueh, Dresden 1910. Vgl. hierzu Evgueni Preine, Stiftungsliteratur 1870-1914; in: Maecenata Actuell Nr. 58, Berlin 2006. 468 Lingelbach, Stiftungen und Stiftungsrecht, S. 33. 4 6 9 Hans Maier, loc. cit., S. 87.

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Treuhändern verwaltete Stiftungen von ihren Treugebem beaufsichtigt. Ob dies als Begründung hinreicht, mag dahinstehen. Auch bei der Reform des entsprechenden Abschnitts des BGB im Jahr 2002 ist eine völlige Abschaffung der staatlichen Stiftungsaufsicht nur vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (erfolglos) gefordert worden. Diese Staatsaufsicht ist insofern ein erstaunliches Zeichen einer Jahrhunderte währenden Kontinuität. Sie hat die Entwicklung des Verfassungsstaates, die Kodifizierung des bürgerlichen Rechts, den Übergang von der Monarchie zur Republik, die nationalsozialistische Diktatur und die von den Siegermächten gestaltete Nachkriegsordnung Deutschlands überlebt. Mag sein, daß diese Formel der kontrollierten Autonomie zugleich selbst für Kontinuität gesorgt hat, indem sie zumindest den kurzfristigeren Rechtsordnungen des 20. Jahrhunderts eine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen nicht als vordringlich hat erscheinen lassen. Es erscheint jedoch plausibel, dies der kontinuierlichen, ausgeprägten Rezeption Hegels in der deutschen Staatsrechtslehre zuzuschreiben. Ob und inwieweit die so beaufsichtigten Stiftungen ihre Diskursfähigkeit eingebüßt haben und zu Erfüllungsgehilfen des Staates geworden sind, ist eine Forschungsfrage, die über den Rahmen dieser Arbeit hinausreicht und von Adloff und Schwertmann im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts erstmals untersucht worden ist. 470

V.2

Rezeption, Akzeptanz und öffentlicher Diskurs

Sieht man genauer auf die Begrifflichkeit, die sich für den an öffentlichen Angelegenheiten Interessierten mit dem Stichwort Stiftung verbindet, so lassen sich bestimmte Entwicklungen feststellen. Überwiegt, anderen vorhandenen Beispielen zum Trotz, zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch die Vorstellung einer eher den Kirchen zugeordneten, vor allem dem Wohlfahrtswesen verhafteten Anstaltsträgerin, so treten diese im Verlauf dieses Jahrhunderts immer weiter zurück. Das Wohlfahrtswesen sollte, so die herrschende Auffassung nach der von Turgot, Kant und Hegel einheitlich vertretenen Lehre, gerade nicht die Aufgabe von Stiftungen sein, um so besser gegen die Nachteile des gegenleistungsfreien Angebots von Versorgungsleistungen steuern zu können. Es entstand allmählich die Vorstellung von einem vielseitig nutzbaren Instrument zur Operationalisierung gemeinwohlorientierter Ziele vielfältiger Art. Dabei wurde zwar auf ältere Traditionen nach wie vor zurückgegriffen, doch wurden diese abgewandelt und ergänzt.

470 Vgl. Frank Adloff, Philipp Schwertmann, Rainer Sprengel, Rupert Graf Strachwitz: Visions and Roles of Foundations in Europe - The German Report. Berlin 2004. S. auch: Helmut K. Anheier, Siobhan Daly (ed.): The Politics of Foundations - A comparative analysis. London/New York 2007.

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Dies läßt sich durch eine Auswertung der Darstellung des Begriffs .Stiftung' in Enzyklopädien des 19. und 20. Jahrhunderts ansatzweise feststellen. 471 Das Verfahren erscheint sinnvoll, da j a Turgots grundlegender Angriff gegen die Stiftungen ebenfalls in einer - der - Enzyklopädie erfolgte. Enzyklopädien bzw. Lexika wurden von einem breiteren intellektuellen Publikum rezipiert, darunter gerade auch von Staatsbeamten, Journalisten und potentiellen Stiftern. Es kommt dabei auf die breitere Rezeption des Stiftungsbegriffs gerade dann an, wenn die Interpretation dem Stand der juristischen oder historischen Forschung nicht entspricht oder schlicht fehlerhaft ist. Anders gesagt, es ist hier nicht von primärer Bedeutung, ob die Beschreibung zutreffend ist oder nicht,, sondern sie dient als Beleg dafür, was dem Diskurs als Materialie zur Verfügung stand. Daß die Autoren der Beiträge durchgehend einen juristischen, allenfalls rechtshistorischen, gewiß aber keinen geistesgeschichtlichen oder sozialwissenschaftlichen Zugang zur Thematik hatten, ist offenkundig. Ideengeschichtlich wurde ein feststehender Kanon unhinterfragt übernommen. Es wurden 30 Einträge unter den Stichworten .Stiftung' und .Milde Stiftung' in Lexika untersucht, die zwischen 1820 und 1996 erschienen, 13 aus dem 19. und 17 aus dem 20. Jahrhundert; zum Vergleich dazu je eine aus dem 18. und 21. Jahrhundert. 4 7 2 Von den hauptsächlich herangezogenen Herausgebern Brockhaus und Meyer behandelt der erste das Thema durchweg etwas ausführlicher und mit höherem Anspruch. Die Analyse setzt mit Johann Heinrich Zedlers .Großes Vollständiges Universal-Lexikon' (1739) an. 4 7 3 Vergleicht man diesen Eintrag mit der knapp 80 Jahre später erschienenen Allgemeinen Deutschen Realenzyklopädie oder Konversationslexikon (1820), wo es unter dem Begriff Stiftung lapidar heißt: „Stiftung oder milde Stiftung (pia causa), eine Anstalt [...]"474, so läßt sich hier eine begriffliche Verengung feststellen. Von besonderem Interesse ist aber folgendes: „Eine milde Stiftung ist nur dann eine moralische Person und hat nur dann die Rechte derselben, wenn sie vom Landesherm gestiftet oder bestätigt ist." 475 Es folgen relativ präzise juristische Kautelen, die darauf hindeuten, daß man sich mit dem Instrument und seinen Besonderheiten auseinandersetzte. Geistesgeschichtlich ist der Zusammenhang mit Kants Forderungen von 1798 und Hegels Überlegungen offenkundig. Die Bezeichnung nur der Körperschaft selbst als Stiftung ist eindeutig. In der 10. Auflage (1853) wird dies noch deutlicher: „Milde Stiftungen nennt man die durch die Willenserklärung einer Person festgesetz471 Ähnliches hat Manuel Frey gewinnbringend mit einer Untersuchung zu Einträgen unter dem Stichwort Mäzen/Maecenas versucht: Die Moral des Schenkens; in: Gaehtgens/Schieder, loc. cit., S. 11-29. 472 Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines Forschungsprojekts .Kontinuitäten und Diskontinuitäten im deutschen Stiftungswesen' am Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt Universität zu Berlin unter Leitung von Thomas Adam, Manuel Frey und dem Verfasser. Die Ergebnisse wurden 2006 auf einer Tagung erstmals vorgestellt und 2009 publiziert: Strachwitz, Stiftungen im gesellschaftlichen Diskurs, in Adam/Frey/Strachwitz, loc. cit. Bei der Suche nach Einträgen war die Hilfe von Bernhard Matzak unverzichtbar. 473 Johann Heinrich Zedier, Großes vollständiges Universal-Lexikon, (Leipzig 1739) 1995, Bd. 21. S. 182. Zur Bedeutung und Rezeptionsgeschichte des Werkes vgl. Clark, loc. cit., S. 299 f. 474 Allgemeine Deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände, Conversationslexikon (5. Originalausgabe, 10 Bde.), Leipzig: Brockhaus 1820, Bd. 9. S. 534 f. 475 Ibid.

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ten und von der zuständigen Behörde bestätigten Verwendungen eines bestimmten Kapitals [...]".476 Die Stiftung von Gebäuden oder das Stiften durch eine Vielzahl von Personen als Reaktion auf entsprechende Bitten nach dem Vorbild Hermann August Franckes von 1698 oder König Friedrich Wilhelms III. von 1809 wurde ausgeklammert. Anstelle der Begriffsbestimmung und der Eröffnung von Möglichkeiten trat das Verhältnis zur Behörde in den Vordergrund. Im weiteren kommt die Hinwendung zum Säkularstaat dadurch zum Ausdruck, daß auf „frühere Zeiten" und die Bindung von Stiftungen an die Kirche verwiesen wird. Die Ambivalenz der Betrachtung wird im folgenden deutlich: „Der Name .Fromme Stiftungen' (piae causae) ist denselben wenigstens im amtlichen Ausdrucke geblieben, desgleichen die privat- und staatsrechtliche Ausnahmestellung, welche man jenen eingeräumt [...], die Stellung derselben unter den besonderen Schutz des Staates, womit eine Beaufsichtigung ihrer Verwaltung seitens des letzteren, sowie die Bürgschaft verbunden wird, daß ihr Vermögen niemals zum Staatsvermögen eingezogen oder für andere als stiftungsmäßige Zwecke verwendet werden solle." So der Eintrag im 10. Band. 477 Nicht auszuschließen ist, daß der Hinweis auf den lateinischen, dem Codex Justinianus entlehnten Begriff der pia causa für diesen Teil der Stiftungen seit dem frühen 19. Jahrhundert nicht nur die Existenz anderer Stiftungen deutlich machen sollte, sondern auch in Verbindung mit dem Hinweis auf die Tradition den Begriff vielleicht etwas übertrieben als Überschrift für das Stiftungswesen des Alten Reiches geprägt hat. Der oft mit dem Städelschen Kunstinstitut in Verbindung gebrachte Bruch zwischen diesem und dem modernen Stiftungswesen war, so ist zu vermuten, aus Sicht der Zeitgenossen viel weniger stark erkennbar. In das Hegeische „organische System" hingegen fügt sich diese Interpretation ohne weiteres ein. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen hatten die Bearbeiter nicht nur zwischen .Milden Stiftungen' und .Stiftungen' unterschieden, sondern die jeweiligen Texte auch nicht aufeinander abgestimmt: In Band 14 der gleichen Auflage heißt es unter dem Stichwort Stiftung: „Stiftung nennt man eine jede Anstalt, welche zu einem gemeinnützigen, wohltätigen, frommen, wenigstens erlaubten Zweck von einem oder mehreren mit den nötigen Mitteln ausgestattet ist, wie z.B. Universitäten, Schulen, [...] Bibliotheken, Stipendien, Armenhäuser, Verteilungen, [...] Gedächtnisfeiern, [...] ewige Lampen und dgl." 478 Und dann: „Einer besonderen landesherrlichen Bestätigung bedürfen solche Stiftungen in der Regel nicht; ihre Existenz wird durch den Willen des Stifters selbst rechtlich begründet. Der Staat hat aber das unstreitige Recht, Stiftungen aufzuheben, welche er aus irgendeinem Grunde nachteilig findet."479 Offenbar wird es hier für notwendig erachtet, zu der rechtlich noch nicht abschließend geklärten Frage, ob denn nun eine Genehmigung notwendig ist oder nicht, Stellung

476 Allgemeine Deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände; Conversationslexikon (10. verb. u. verm. Aufl. in 15 Bde.), Leipzig: Brockhaus 1853, Bd. 10. S. 476. 477 Ibid., S. 476. 478 Allgemeine Deutsche Real-Encyclopädie (10. Aufl.), Bd. 14, S. 487. 479 Ibid.

Rezeption, Akzeptanz und öffentlicher Diskurs

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zu nehmen. Schließlich: „In Privatstiftungen und deren Verwaltung sollte die Regierung, solange der Zweck nicht ein unerlaubter ist oder wird, nicht eingreifen; sie unterdrückt dadurch die Neigung zu solchen Stiftungen." 480 Die Einträge offenbaren die Ambivalenz der Auffassungen. Zwar schien sich die Ansicht durchzusetzen, daß Stiftungen grundsätzlich eine staatliche Regulierungsmaterie darstellten; wie diese aber ausgestaltet werden sollte, war noch nicht entschieden. Dabei wurde auch auf die Situation der Stiftungen Rücksicht genommen, deren Dienstleistungsangebote unverzichtbar erschienen, auch wenn diese überwiegend kirchlichen Charakter trugen. Meyers Konversationslexikon (1860) übernimmt fast wörtlich die letzteren Einträge, während es beim Eintrag ,Milde Stiftungen' klarstellt: „Milde Stiftungen (pia corpora), Stiftungen oder Anstalten, welche vom Staat oder von Gemeinden oder von Privatleuten zu irgendeinem frommen oder mildtätigen Zweck errichtet worden sind [...]".481 Vergleichsweise ausführlich behandelt dagegen das 1865 in Berlin erschienene Staats- und Gesellschaftslexikon die Stiftungen, allerdings zusammengefaßt in einem Abschnitt über „Stift, Stiftungen, fromme und milde Stiftungen", der sich überwiegend mit unmittelbar kirchlichen Stiftungen und deren kirchenrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzt. 482 Immerhin versucht sich der Beitrag nach fast wörtlicher Übernahme des Textes von 1860 an einer allgemeinen Definition: „In diesem weitesten Sinne ist der Begriff Stift gleichbedeutend mit Stiftung, und das Wesentliche beider besteht in dem Charakter des Andauerenden, des Bleibenden, wie des Erlaubten und Gemeinnützigen [...]".483 Entscheidend für das Spannungsverhältnis zur Gesellschaft ist der emeut verwendete Begriff des Erlaubten. Die Autonomie des Stifters findet, so wird deutlich, in der passiven Übernahme eines wie auch immer, aber jedenfalls von anderer Stelle als zulässig definierten Begriffs ihre Grenze. Am Ende des Beitrags erfolgt hierzu eine Präzisierung: „Unter den zu gemeinnützigen Zwecken fundierten [...] Stiftungen [...] sind besonders diejenigen hervorzuheben, denen ein religiöser oder menschenfreundlicher Zweck [...] zu Grunde liegt und die dieserhalb fromme und wohltätige oder milde Stiftungen (piae causae) genannt werden. Gewöhnlich braucht es zur Etablierung solcher Stiftungen keiner besonderen staatlichen Genehmigung wie zu derjenigen anderer Stiftungen; indessen hat man sich in neuester Zeit veranlaßt gesehen, auch religiöse Stiftungen von der Genehmigung des Staats abhängig zu machen, insofern [...] die Anhäufungen zu vieler Güter in der .toten Hand' im Interesse der Allgemeinheit zu verhindern in die Lage gesetzt werden muß." 4 8 4 Turgots Abneigung erscheint hier in modifizierter Form, während Kants Appell offenkundig auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Daß das allgemeine

4 8 0 Ibid. 481 Neues Conversations-Lexikon für alle Stände: In Verbindung mit Staatsmännern ... / . . . hrsg. v o n H. J. Meyer, Bd. 14, Orig.-Ausg., Hildburghausen (u.a.): Bibliogr. Inst., 1860, Bd. 11. S. 391. 482 Staats- und Gesellschafts-Lexikon / in Verbindung mit dt. Gelehrten und Staatsmännern hrsg. v o n Herrmann Wagener, 20 Bde., Berlin: Heinicke, 1865, Bd. 20. S. 4 - 8 . 483 Ibid., S. 4. 4 8 4 Ibid., S. 8.

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im Sinne Hegels höherwertiger ist als das persönliche und daß der Staat hierüber die Definitionsmacht innehat, war für den Verfasser unstrittig. Ein Blick auf die heute geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen zeigt eine frappierende Kontinuität. Das 1867 erschienene Brockhaus-Konversationslexikon hält sich an das bereits gesagte, jedoch mit dem Zusatz: „[...] Stiftungen können sowohl vom Staate oder von polit, und religiösen Körperschaften als von Privaten unter Bestätigung der zuständigen Behörde gegründet sein." 485 Offenkundig mußte hier die Realität rezipiert werden, die tatsächlich eine Fülle von Stiftertypen kannte. Die Unterscheidung zwischen milden und sonstigen Stiftungen wird auch in weiteren Lexikon-Einträgen durchgehalten. Im übrigen aber finden sich in jedem Eintrag die terminologischen Unsicherheiten und Widersprüche wieder. Versuche, Stiftungen grundlegend neu zu beschreiben, finden sich nicht. Die Mitwirkung des Staates an der Gründung von Stiftungen wird allerdings zunehmend betont: „[...] Stiftungen haben meist die Rechte juristischer Personen, welche ihnen jedoch ausdrücklich vom Staat verliehen werden müssen." 486 Brockhaus weist 1892 ausdrücklich d a r a u f h i n , daß der Begriff Stiftung sowohl ein Vermögen bezeichnen kann als auch den Rechtsakt, „durch welchen ein Vermögen zu solchem Zweck von dem Stifter hergegeben wird". 487 Hier wird auch erstmalig auf eine wichtige Unterscheidung hingewiesen: „Diese Widmung kann so erfolgen, daß das Vermögen unmittelbar diesem Zwecke dient, [...] oder so, daß die Nutzungen zu dem Zwecke verwendet werden" 4 8 8 - auch hier eine erstaunliche Kontinuität, denn diese Unterscheidung würden Stiftungsjuristen auch heute noch so treffen. Den Gesetzgebern, die 2002 mit der großen Geste der grundlegenden Neuerung aus der staatlichen Genehmigung eine Anerkennung machten, war wohl kaum Meyers Konversationslexikon in der 5. Auflage von 1897 vertraut, wo es heißt: „[...] Stiftungen haben, sofern sie staatlich genehmigt oder anerkannt, bestätigt sind, die Rechte juristischer Personen." 489 Für die 6. Auflage (1909) wurde der Eintrag in Meyers Konversationslexikon, bedingt durch das nunmehr geltende BGB, notwendigerweise gründlich überarbeitet. Der Eintrag nennt ausdrücklich die Voraussetzungen für die staatliche Genehmigung, die sich umfassend durchgesetzt hatte. Darüber hinaus grenzt der Eintrag die Stiftung terminologisch von den Vereinen ab, die ebenfalls im BGB behandelt werden: „Stiftung ist eine nicht in einem Personenverband bestehende, mit juristischer Persönlichkeit ausgestattete Organisation zur Verwirklichung bestimmter Zwecke. In den

485 Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände: Conversations-Lexikon; in fünfzehn Bänden, Bd. 10, 11., umgearb., verb, und verm. Aufl., Leipzig: Brockhaus, 1867. S. 209. 486 Meyers Konversations-Lexikon: eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, Bd. 11, 4., gänzlich u m gearb. Aufl., Leipzig (u.a.): Bibliogr. Inst., 1888. S. 613. 487 Brockhaus' Konversations-Lexikon: in sechzehn Bde. 14., vollst, neubearb. Aufl., rev. Jubiläums-Ausg. Leipzig (u.a.): Brockhaus, 1892. S. 358. 488 Ibid., S. 358. 489 Meyers Konversations-Lexikon: Ein Nachschlagewerk d. allgemeinen Wissens; mit mehr als 10 500 Abb. im Text u. auf 1095 Bildertaf., Karten u. Plänen, Bd. 12, 5., gänzlich neubearb. Aufl. 1897. S. 301.

Stiftungen im 19. Jahrhundert

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meisten Fällen ist ein bestimmtes Vermögen für diesen Zweck durch ein Stiftungsgeschäft bestimmt." 490 Der Text gleicht in der Ignorierung anderer, vordem durchaus benannter Stiftungstypen, dem Text des BGB, weist aber hinsichtlich des Vermögens gleichzeitig auf die Möglichkeit einer Abweichung von der Regel hin. Die von Turgot bekämpfte Autonomie auf der Basis des Vermögens, die noch 1860 einer eigenen Bemerkungen wert war, hatte ihre Bedeutung eingebüßt. Dagegen rückte der Anspruch der prinzipiellen Staatsaufsicht in den Mittelpunkt. Der sich herausbildende Wohlfahrtsstaat einschließlich seines komplexen Verhältnisses zu nichtstaatlichen Wohlfahrtsanbietern schlägt sich hier nieder.

V.3 Stiftungen im 19. Jahrhundert Die tatsächliche Entwicklung des Stiftungswesens, ihre Anzahl, ihre Vermögensausstattung, Ziele und dergl. sind für das 19. Jahrhundert nur mit Einschränkungen nachzuzeichnen, da kaum Verzeichnisse und Darstellungen vorliegen. Der Verbleib und das Schicksal der um 1800 bestehenden Stiftungen ist, von Ausnahmen abgesehen, wenig erforscht. Ihre Zahl ist unbekannt. Allerdings lassen regionale Angaben auf eine sehr große Zahl von Stiftungen schließen. 491 Zur Analyse der Entwicklung des Stiftungswesens im 19. Jahrhundert lassen sich jedoch durch die Betrachtung der Neugründungen Aussagen treffen. Die Motivation und die sich tatsächlich eröffnenden Optionen für potentielle Stifter haben in diesem Zusammenhang einen besonderen Aussagewert. Es erscheint daher legitim, sich im weiteren auf diese zu konzentrieren. Dabei kann offen bleiben, ob das Stiftungswesen in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert trotz der vor 1800 entstandenen Legitimitätskrise oder gerade wegen ihrer relativ raschen Überwindung in der Praxis nicht von der Auslöschung bedroht war. 492 Im Gegenteil: Es erhielt neue Impulse. „So ist es gekommen, daß sich im Laufe der Jahrhunderte in allen Culturstaaten [sie] in der Gestalt von Stiftungen Vermögensmassen angesammelt haben, die nach Millionen zählen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die Anhäufung dieser Zweckvermögen gerade in unserem [dem 19. Anm. d. Verf. ] Jahrhunderte, gegen welches so gerne der Vorwurf der Selbstsucht und des Materialismus erhoben wird, die größten Fortschritte gemacht hat und in ununterbrochener Zunahme begriffen ist." 493 In der Tat kann angenommen werden, daß die Zahl der Stiftungen im 19. Jahrhundert erheblich zugenommen hat, wobei

490 Meyers Großes Konversations-Lexikon: ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Bd. 19, 6., ganzi, neubearb. u. verm. Aufl., neuer Abdr. Leipzig (u.a.): Bibliograph. Inst., 1909. S. 33. 491 Für Bayern sind für 1814 rd. 10.000 Stiftungen in staatlicher Verwaltung belegt. (S. hierzu: Fischer, Die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens, S. 4) 492 Vgl. Michael Borgolte, Stiftungen und Stiftungswirklichkeit - vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2000; Axel Freiherr v. Campenhausen, Geschichte des Stiftungswesens; in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 1998, S. 2 3 - 4 6 ; Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts; Dieter Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht. 493 W. Mai, Die leitenden Grundsätze des Stiftungsrechtes, S. 170.

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Ein modernes Stiftungswesen?

im Zuge der bürgerlichen Emanzipation auch der bürgerliche Stifter (weniger die bürgerliche Stifterin) in den Vordergrund trat 4 9 4 . Ganz neu war auch dies nicht. Schon die Kaufmannsfamilie Fugger in Augsburg hatte im 16. Jahrhundert die Gründung von Stiftungen unter anderem als Mittel zum gesellschaftlichen Aufstieg gesehen und genutzt. 4 9 5 Seit dem 18. Jahrhundert tauchten verstärkt bürgerliche Stifter auf, die sich mit ihren Stiftungen entweder zu Lebzeiten oder durch letztwillige Verfügung ein Denkmal zu setzen verstanden. Die Stiftung Johann Heinrich Senckenbergs (gegründet 17 63) 496 ist dafür ein Beispiel. Wenn Senckenberg allerdings bestimmte: „Meine Stiftung soll allseits separat bleiben und niemals vermengt mit Stadtsachen, damit nicht die Gewalt darüber in fremde Hände falle" 497 , dann zeigen sich hier Anfänge einer Entfremdung zwischen Bürger und Stadt, die in einem vorsichtigen Mißtrauen gegen die städtischen Stiftungsverwalter ihren Ausdruck findet. So wie die Staatsgewalt den Stiftungen im ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmend kritisch gegenüberstand, so standen auch die Stifter der Staatsgewalt kritischer gegenüber. Die fortschreitende Industrialisierung führte dazu, daß im Bürgertum auch außerhalb traditioneller Bürgerzentren wie Hamburg, Frankfurt am Main oder Leipzig, aber durchaus auch dort, große Vermögen angehäuft wurden 4 9 8 Nicht zuletzt die Emanzipation und der Aufstieg des jüdischen Bürgertums ließen in klassischen Residenzstädten wie Berlin bürgerliche Familien in großer Zahl den traditionellen Eliten nicht nur im Hinblick auf die Teilhabe am politischen Leben, sondern auch in Bezug auf ihre Vermögensverhältnisse den Rang streitig machen. 4 9 9 Aus ganz unterschiedlichen Motiven, die von der Optimierung ihrer gesellschaftlichen Anerkennung über religiöse und ethische Beweggründe bis hin zu rationalen politischen Überlegungen reichten, traten im 19. Jahrhundert Vertreter dieser neu entstehenden Eliten verstärkt als Stifter in Erscheinung. 1948 wurde an die Bedeutung der Stiftungen im 19. Jahrhundert mit folgenden Zahlen erinnert: Von 1888 bis 1907 stieg das Stiftungsvermögen in Bayern von 420 auf 611 Millionen Reichsmark. 500 Enthalten waren in dieser Ziffer vermutlich nur die kommunal verwalteten Stiftungen, denn eine 1910 durchgeführte Erhebung des

494 S. hierzu Clark, loc. cit., S. 385 ff.; Kocka, Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel, passim 495 S. hierzu: Scheller, loc. cit. 496 Vgl. Horst Naujoks/Gert Preiser (Hrsg.), 225 Jahre Dr. Senckenbergische Stiftung (1763 - 1988), Frankfurter Beiträge zur Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Bd. 10, Hildesheim 1991. 497 Ralf Roth, Der Toten Nachruhm, Aspekte des Mäzenatentums in Frankfurt am Main (1750-1914); in: Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hrsg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 110. 498 S. zu Frankfurt: Dieter Rebentisch, Mäzenatentum - Ein Leitmotiv der Frankfurter Stadtgeschichtsschreibung, S. 9 - 1 4 ; allgemein: Dieter Hein, Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, S. 7 5 - 9 2 ; beide in: Bernhard Kirchgässner/Hans-Peter Becht (Hrsg.), Stadt und Mäzenatentum, Stadt in der Geschichte Bd. 23, Sigmaringen 1997. 499 Vgl. Cella-Margarethe Girardet, Jüdische Mäzene für die Preußischen Museen zu Berlin, eine Studie zum Mäzenatentum im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Frankfurt/Main 2000; s. auch: Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004. 500 Protokoll; in: Campenhausen u.a. (Hrsg.), Stiftungen in Deutschland und Europa, Düsseldorf 1998, S. 3.

Stiftungen im 19. Jahrhundert

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Bayerischen Statistischen Landesamtes ergab einen Bestand von 20.762 Stiftungen mit einem Gesamtvermögen von 1,210 Milliarden Reichsmark. 501 Eine 1887 durchgeführte Erhebung zählte 17.367 Stiftungen, von denen 8.438 (48,6%) im 19. Jahrhundert entstanden waren. 5 0 2 Interessanterweise verfügten letztere aber nur über 29,9 °/o des insgesamt auf rd. 573 Mio. Mark berechneten Vermögens. 503 Über den Mäzen James Simon 504 sagte man: „James Simon hatte Philanthropie zuerst durch das Beispiel seines Vaters und besonders seines Onkels Louis kennengelernt, der sich für wohltätige Zwecke einsetzte: Louis Simon unterstützte das jüdische Krankenhaus, förderte Diakonissen-Stiftungen wie Armenprogramme des Berliner Magistrats [...]. An wie vielen Hilfsvereinen (James) Simon wirklich beteiligt war (schätzungsweise fast 60) [...] ist nicht mehr rekonstruierbar. Simon gab kontinuierlich etwa ein Drittel seines Einkommens allein für humanitäre Ziele aus." 505 Trotz der unbefriedigenden Empirie läßt all dies doch erkennen, daß das Stiftungswesen des 19. Jahrhunderts vielfältig und lebendig war. Wenn die organisierte Philanthropie ohne Zweifel in der 2. Hälfte des 19. und den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts durch große bürgerliche Stiftungen neue, wichtige Impulse erfuhr, so war dies der Akzeptanz des .starken Staates' gerade bei den Bürgern geschuldet, die sozial aufsteigen oder in die Eliten integriert werden wollten und gerade deshalb stifteten. In Deutschland ebenso wie in anderen Teilen Europas und in den USA begleiteten Stiftungen in hohem Maße geradezu die Herausbildung neuer Eliten. 506 Diese Tatsache macht die unwidersprochene Hinnahme der staatlichen Oberaufsicht plausibel. Wer gesellschaftlich aufsteigen wollte, stellte, jedenfalls in der politischen Ordnung des 19. Jahrhunderts, die Autorität des Staates eben nicht in Frage. Im Gegenteil: Er profilierte sich, gerade wenn er stiftete, als Stütze dieser Autorität. 507

501 E. Schuster/R. Gunzert, Die Lage der Stiftungen nach der Währungsreform; in: Albert Franz u.a. (Hrsg.), Deutsches Stiftungswesen 1948-1966, Wissenschaft und Praxis, Tübingen 1968, S. 22. 502 Mai, Die leitenden Grundsätze des Stiftungsrechts, S. 170. 503 Ibid. Für Baden werden für das gleiche Jahr 2.002 Stiftungen mit einem Vermögen v o n 58 Mio. M angegeben, v o n denen 98 im gerade abgelaufenen Fünf-Jahres-Zeitraum errichtet worden waren. Mai fahrt fort: „Für das übrige Deutschland liegen bisher [1892] keine ausreichenden Daten über die Zahl und das Vermögen der verschiedenen Stiftungen vor. Nur gelegentlich sind solche Untersuchungen für einzelne Städte, wie Berlin und Hamburg, v o n den Stadtverwaltungen oder auch, wie für das Königreich Preußen, von privater Seite veranstaltet worden." Leider fehlen weitere Auskünfte zu den „privaten Untersuchungen". 504 James Simon ( 1 8 5 1 - 1932) war einer der bedeutendsten Mäzene sowohl der Sozialeinrichtungen in und um Berlin als auch der Berliner Museen. Er wurde vor allem durch seinen Ankauf der berühmten Nofretete-Büste für die Berliner Museen bekannt. 505 Bemd Schultz, Der vergessene Mäzen; in: ders. (Hrsg.): James Simon, Philanthrop und Kunstmäzen, München 2006, S. 1 0 - 2 4 ; Olaf Matthes, Die Kunst des sinnvollen Gebens, James Simon als Philanthrop, Ibid., S. 1 4 0 - 150. 506 Thomas Adam, Philanthropy and the Shaping of Social Distinctions in Nineteenth Century U.S., Canadian, and German Cities; in: ders., Philanthropy, Patronage, and Civil Society, Experiences from Germany, Great Britain, and North America, Bloomington (IN) 2004, S. 17. 507 Thomas Adam, Buying Respectability, Philanthropy and Urban Society in Transnational Perspective, 1840s to 1930s. Bloomington IN 2009, S. 108 ff.

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Ein modernes S t i f t u n g s w e s e n ?

Ob sich allerdings, wie einige Studien behaupten, im Stiftungs- und Vereinswesen der praktische Wille zur Selbstorganisation manifestiert habe und gesellschaftliche Problemlagen durch individuelles und kollektives Handeln überwunden worden seien, kann in dieser Generalisierung bezweifelt werden. 5 0 8 Eher blieb das Stiften die Domäne der staatsgläubigen Eliten. Lothar Gall ist wohl darin zuzustimmen, daß die wachsende Kluft zwischen Selbstmystifikation und Wirklichkeit erst ab etwa 1900 im Bürgertum selbstkritisch registriert wurde. 509 Zieht man ältere Handlungsmuster heran, so kann der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Prozeß der Urbanisierung in Deutschland einen Erklärungsansatz für das Erstarken des Stiftungswesens bieten, zumal sich die Städte in einem Abwehrkampf gegen staatliche Bevormundung befanden. 510 Auch die religiöse Gegenbewegung machte sich die Stiftung als Instrument zunutze. Im 19. Jahrhundert gewann die operative kirchliche Anstaltsträgerstiftung wieder erheblich an Bedeutung, indem bedeutende kirchliche Sozialeinrichtungen als Stiftungen gegründet wurden 511 . Die durch die frühe Industrialisierung, die Landflucht, das Aufbrechen traditioneller sozialer Gemeinschaften und den rasanten Anstieg der Einwohnerzahlen entstandenen sozialen Nöte, die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung, aber auch der medizinische Fortschritt und der Ruf nach neuen Bildungseinrichtungen führten zur Begründung zahlreicher großer, operativ tätiger Stiftungen. In Frankfurt am Main stifteten Louise v. Rothschild und ihre Tochter Hannah Louise beispielsweise zum Andenken an Mayer Carl Rothschild die Stiftung Carolinum, eine Zahnklinik, die auch Forschungszwecken dienen sollte. 512 Während die zahlreichen Wohnungsbaustiftungen, die zur Behebung großer sozialer Not im 19. Jahrhundert gegründet wurden, trotz ihrer Vorbildfunktion auch für das amerikanische Stiftungswesen 513 entweder nicht mehr bestehen oder aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit vollständig verschwunden sind, sind die Von-Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel bis heute als bekanntestes Beispiel einer Anstaltsträgerstiftung aus dem 19. Jahrhundert 5 1 4 im Gedächtnis geblieben. Sie beschäftigen heute als eine der größten Einrichtungen der stationären Behindertenhilfe Deutschlands über 12.000 Mitarbeiter und sind ungeachtet ihrer unabhängigen Struktur und ihrer konfessionellen Bindung fest in das Gesamtsystem des Wohlfahrtsstaates eingebunden. Andere Beispiele ungefähr gleicher Entstehungszeit sind die Evangelische Stiftung

508 Schultz, loc. cit., S. 76. 509 Ibid. 510 Häußermann/Läpple/Siebel, Stadtpolitik, S. 13, 23. Vgl. Scarpa, Gemeinwohl und lokale Macht, S. 114. 511 Beispiele sind u.v.a. die Bodelschwinghschen Anstalten (Bethel), die Stiftung Neuerkerode, die Stiftung Liebenau. 512 Roth, Der Toten Nachruhm, S. 102. 513 Thomas Adam, Philanthropy and the Shaping of Social Distinctions, S. 18 f. 514 Martin Gerhart, Friedrich v. Bodelschwingh, Ein Lebensbild aus der deutschen Kirchengeschichte, 2 Bde., Bielefeld-Bethel 1980.

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Neuerkerode, gegründet 1870 von dem lutherischen Pastor Gustav Stutzer, 515 oder die Stiftung Liebenau, gegründet im gleichen Jahr von dem katholischen Kaplan Adolf Aich. 516 Eine konfessionell unterscheidbare Beurteilung des Stiftungswesens ist endgültig dem gemeinsamen Selbstverständnis der Kirchen als Wohlfahrtsverantwortliche gewichen. An der Ruhr sind heute zehn von zwölf Krankenhausträgerstiftungen Gründungen aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, 517 davon sind sieben katholisch, vier evangelisch und eine ist überkonfessionell. In Leipzig entstanden in dieser Zeit zehn Stiftungen für Wohnungsbau und Genesungsheime mit einem Gesamtaufwand von über 20 Millionen Mark. 518 An diesen Beispielen wird ein Dilemma deutlich: Einerseits gehörte eine aktive Wohlfahrtspolitik zunehmend zum Selbstverständnis des modernen Staates. „Letztlich die in der Bismarck-Zeit grundgelegten Systementscheidungen fortentwickelnd, haben seitdem alle deutschen Staatswesen - ob Demokratie oder Diktatur - Legitimität durch Sozialpolitik gesucht." 519 Der Staat empfand sich auf diesem Feld als primärer Gestalter und war und ist über die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme der primäre Partner in der Finanzierung der Leistungen. Andererseits war dieser Staat, in realistischer Beurteilung seiner Möglichkeiten, für den Vollzug dieser Wohlfahrtspolitik auf nichtstaatliche Akteure zwingend angewiesen. Umfang und Gewicht dieser Akteure nahmen beständig zu. Die Lösung suchte der Staat in der Begründung von gesetzlich untermauerten Abhängigkeitsverhältnissen, die durch Vokabeln wie Subsidiarität letztlich nur kaschiert wurden. 5 2 0 Zudem hatten gerade die von protestantischen Fürsten regierten Staaten, allen voran Preußen, durchaus Interesse an der stabilisierenden Funktion der Landeskirchen und förderten von daher deren wirtschaftliches Erstarken durch den Betrieb von Sozialeinrichtungen. Auf lokaler Ebene wurde die angebliche oder tatsächliche Gefahr der Entstehung neuer Machtzentren zudem durch die Gründung kollektiver Stiftungen vermieden, die sich in den Kranz kultureller Gemeinschaftsprojekte einordneten, die Infrastruktur der Städte verbesserten und Gegensätze überbrücken halfen. 521 Daß es dennoch immer wieder zu Konflikten kam,

515 Frank Adloff/Andrea Velez, Operative Stiftungen - eine sozialwissenschaftliche Untersuchung zu ihrer Praxis und ihrem Selbstverständnis; in: Adloff, Untersuchungen zum deutschen Stiftungswesen 2 0 0 0 - 2 0 0 2 , vier Forschungsberichte, Berlin 2002, S. 67. S. hierzu auch: Gustav Stutzer, In Deutschland und Brasilien, Lebenserinnerungen. Braunschweig 1921, S. 167 ff. 516 Adloff/Velez, loc. cit., S. 63. 517 Klaus Neuhoff, Denkmäler des Gemeinsinns, Zur Geschichte des Stiftungswesens an der Ruhr; in: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Hg.), Stifter und Staat, Ausgewählte Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des Stiftungswesens, Essen 2006, S. 51. 518 Thomas Adam, Stiften in deutschen Bürgerstädten, S. 55. 519 Andreas Wirsching, Zwischen Entstaatlichung und Überforderung. Historische Überlegungen zum Staatsverständnis in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts; in: Maecenata Actuell Nr. 58, 2006, S. 4. 520 Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Social Catholic Theory and the Principle of Subsidiarity; in: Journal of Civil Society, i.E. 521 Schulz, loc. cit., S. 13.

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Ein modernes Stiftungswesen?

die allerdings in der Regel von unterschiedlichen Interessenlagen herrührten, ist erst vor kurzem in mehreren Studien gezeigt worden. 5 2 2 Ein Beispiel, das das Konfliktpotential zwischen privaten Stiftern und dem Staat eindrücklich beleuchtet, ist die Gründungsgeschichte der Universität Frankfurt am Main, die 1912 von 73 Frankfurter Bürgern begründet wurde. 5 2 3 „Unser Universitätswesen leidet mehr und mehr an Verstaatlichung. [...] Wenn aber Stiftungsgelder den Vermögensstock der neuen Universität bilden, wird es ganz anders möglich sein, auch anderen Elementen und Kreisen Einfluß auf die Gestaltung des Fakultätsunterrichts etc. zu verschaffen", schrieb Oberbürgermeister Franz Adickes kurz vor der Jahrhundertwende werbend an einen der Hauptstifter, den Fabrikanten Wilhelm Merton. 524 Anlaß der Gründung und der besonderen Unterstützung durch die jüdischen Bürger war hier auch die Tatsache, daß Juden an preußischen Universitäten keinen Lehrstuhl erhalten konnten. 5 2 5 Das Mißtrauen der preußischen Verwaltung gegenüber diesem Vorhaben war groß, die Schwierigkeiten erschienen kaum überwindbar. Als letzte Hürde wurde der Initiative mangelnde finanzielle Ausstattung vorgehalten, worauf die Stifter binnen sechs Wochen zusätzliche 6 Millionen Goldmark aufbrachten, um das Werk zu vollenden. Die Staatsverwaltung allerdings ruhte über Jahrzehnte nicht, bis sie ihr Ziel erreicht hatte, den Stiftungscharakter der Universität zu beseitigen. Insgesamt ergibt sich ein diffuses Bild. Stiftungen wurden in Deutschland bis zum Ende des 19. und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in sehr unterschiedlichen Konstellationen und mit sehr unterschiedlicher Zielsetzung gegründet. Individualstiftungen standen neben kollektiven Sammlungsinitiativen, 526 bürgerliche Gründungen neben adeligen, operative Funktionen neben fördernden, soziale neben kulturellen und bildungsfördernden usw. Von einer Schwerpunktbildung kann kaum gesprochen werden. Die deutsche Stiftungslandschaft stellte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts, was die Zahl der Stiftungen betrifft, im wesentlichen als aus Kirchenstiftungen, großen Anstaltsträgern und kleinen Förderstiftungen bestehend dar. Der entstehende „Sozial- und Interventionsstaat" 527 allerdings gewann in dieser Zeit zunehmend die Oberhand.

522 S. z.B. Viola Effmert, Sal. Oppenheim jr. Et Cie., Kulturförderang im 19. Jahrhundert (unveröffentl.), Stephen Pielhoff, Stifter und Anstifter, Vermittler zwischen Zivilgesellschaft, Kommune und Staat im Kaiserreich; in: Geschichte und Gesellschaft Jg. 33 2007, S. 1 0 - 4 5 . 523 Ralf Roth, Der Toten Nachruhm, S. 105 ff. S. auch Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914-1932, Frankfurt 1972; Notker Hammerstein, Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfun am Main. Von der Stiftungsuniversität zur Staatlichen Hochschule. Bd. I: 1914- 1950, Neuwied/Frankfurt 1989. 524 Ibid., S. 111. 525 S. hierzu Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 646. 526 Stephen Pielhoff, Zwischen Bedürftigkeit und Begabung, Ausbildungsförderung als Aufgabe bürgerlicher Privatwohltätigkeit in Hamburg, Dortmund und Münster 1871 - 1925; in: Jonas Flöter/Christian Ritz (Hrsg.), Bildungsmäzenatentum, Privates Handeln - Bürgersinn - kulturelle Kompetenz seit der frühen Neuzeit, Köln 2007, 326. 527 Vgl. Wirsching, Zwischen Entstaatlichung und Überforderung.

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Eine weitere Facette kam hinzu: Die alten Formen wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch einen neuen, sich international herausbildenden Typus ergänzt, jedoch nicht ersetzt: die mit erheblichem Vermögen ausgestattete, sich selbst verwaltende, aber keine Einrichtungen betreibende Förderstiftung. Diese unterstützt finanziell entweder schon in ihrer Satzung festgelegte Einrichtungen , oder wählt hierfür selbst Einrichtungen oder deren Projekte aus. Sie besaß einen industriellen Hintergrund und trat von Anfang an in zwei Formen auf: zum einen als Anteilseignerin eines Unternehmens, zum anderen als mit einem bedeutenden Bar- bzw. Wertpapiervermögen ausgestattete Stiftung. Daß dieser Stiftungstyp sich heute bisweilen als der schlechthin klassische präsentiert, ist für Deutschland weder historisch noch empirisch haltbar, sondern spiegelt eine amerikanische Betrachtungsweise wider. 5 2 8 Aber es ist nicht zu leugnen, daß diese Stiftungen dem Stiftungswesen insgesamt eine neue Dimension hinzufügten. Anders als die alte Hauptgeldstiftung, der sie systematisch verwandt ist, hat sie einerseits als Eigentümerin ganzer Unternehmen (wie Zeiss, Bosch, Körber oder Bertelsmann) eine Bedeutung erlangt, die mit der Verwirklichung ihrer Zwecke nichts zu tun hat, andererseits setzte sich dieser Typ außerhalb Deutschlands immer mehr durch. Allerdings entwickelten die USA gegenüber der Unternehmensträgerschaft schon bald eine erhebliche Skepsis und machten sie 1969 durch massive gesetzliche Beschränkungen bedeutungslos. 5 2 9 Das herausragende frühe Beispiel für diese Stiftung neuer Art ist in Deutschland die 1889 gegründete Carl-Zeiss-Stiftung in Jena, gegründet von Emst Abbe, Zeiss' Partner beim Aufbau eines der größten Unternehmen Deutschlands. Zugleich war er Wissenschaftler, der seiner ständig in finanziellen Nöten steckenden Universität Jena verbunden blieb und diese finanziell unterstützen wollte. 5 3 0 Für das kleine Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach war der Zuwachs an Finanzkraft keineswegs nur Grund zur Freude. Da die Durchsetzung von Staatsautorität gerade auch gegenüber privaten Gemeinwohlinitiativen zu einem Paradigma staatlichen Handelns geworden war, konnte eine unabhängige Fördereinrichtung dieser Größe nicht wünschenswert sein, übrigens auch nicht im Verständnis des Stifters selbst. Bis zu seinem Tod war der nach wie vor aktive Hochschullehrer Abbe sorgsam darauf bedacht, daß seine Kollegen nicht erführen, woher der finanzielle Segen käme. Dennoch sah sich Abbe einem bürokratischen Verzögerungsverfahren und einer Aufsichts- und Kontrollsucht der Behörden ausgesetzt, die ihn an seinem Vorhaben verzweifeln ließen, begleitet von den Vorwürfen, er treibe mit seinem Stiften den Umsturz der herrschenden Ordnung

528 S. hierzu ausführlich: Thomas Adam, Buying Respectability, Philanthropy and Urban Society in Transnational Perspective, 1840s to 1930s. Bloomington IN 2009. 529 Vgl. Stefan Toepler, Das Stiftungswesen in den USA; in: Strachwitz/Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, S. 977-985; s. auch: Steven Heydemann/Stefan Toepler, Introduction; in: Kenneth Prewitt/Mattei Dogan/Steven Heydemann/Stefan Toepler (eds.), The Legitimacy of Philanthropie Foundations: United States and European Perspectives, New York 2006. 530 Rüdiger Stolz/Joachim Wittig, Carl Zeiss und Ernst Abbe, Leben, Wirken und Bedeutung, Wissenschaftshistorische Abhandlung, Jena 1993; s. auch Rupert Graf Strachwitz, Emst Abbe; in: Joachim Fest (Hrsg.) Die großen Stifter, Berlin 1997, 135 ff.

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voran. 5 3 1 Diese Vorwürfe, die ihren Ursprung in dem ausgeprägten Sozialverständnis Abbes hatten, seinen Versuchen, durch intensive Kontakte auch zu Vordenkern anderer politischer Couleur wie August Bebel Lösungen für die brennenden sozialen Probleme zu entwickeln, sowie in der ausdrücklichen zweiten Zielsetzung seiner Stiftung - der Begünstigung der Mitarbeiter der stiftungseigenen Unternehmen - , trugen weit über diesen Einzelfall hinaus den Stiftungen insgesamt vorübergehend den Verdacht ein, sie seien Vorkämpfer der Revolution - die letzte grundlegende öffentliche Auseinandersetzung über den gesellschaftlichen Stellenwert von Stiftungen bis heute. 532 Da Abbe einige Jahre vor den ersten großen amerikanischen Stiftungsgründern John D. Rockefeiler (1910) und Andrew Carnegie (über 20 Stiftungen; Carnegie Corporation of New York 1911) handelte, widerlegt dies die Vermutung, der neue Stiftungstyp sei aus den USA nach Deutschland gekommen. Vielmehr wird durch die Gründungsdaten die Vermutung gestützt, der Impuls zu Stiftungsgründungen setzte generell neben privatem Wohlstand für die Einbringung von Vermögen sowie einer gewissen Offenheit für soziale Mobilität auch aktuelle gesellschaftliche Krisensituationen voraus. Rockefellers und Carnegies Gründungen standen in engem zeitlichen Zusammenhang mit sozialen Verwerfungen in den USA und anderen Antworten darauf (z.B. der Gründung der ersten amerikanischen Community Foundation in Cleveland/Ohio 1914 533 ), während Abbes Stiftungsgründung zeitlich, sowie als bürgerschaftliche Antwort auf diese, der Bismarckschen Sozialgesetzgebung (1883-1889) näher war. Auch das milieuübergreifende Anliegen der amerikanischen Initiatoren 534 war den deutschen Gründern fremd: Im Gegenteil, die Gründungen repräsentierten zum Teil die .kulturelle Versäulung' der wilhelminischen Gesellschaft. 535 Gemeinschaftsaktionen verfolgten in Deutschland vielmehr das Ziel, die neuen Eliten beim Staat beliebt zu machen und gemeinschaftlich deren wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. 536

531 Strachwitz, Emst Abbe, loc. cit. 532 Vgl. Jürgen John, Abbes Sozialpolitik in ihrer Zeit; in: Stolz/Wittig (Hrsg.), Carl Zeiss und Emst Abbe, 476. 533 Die Gründung der ersten amerikanischen Community Foundations hing eng mit Überlegungen zusammen, durch auf die ganze lokale Gemeinschaft bezogene Organisationen dem befürchteten oder tatsächlichen Auseinanderfallen dieser Gemeinschaften in ethnisch oder religiös bestimmte Subsysteme entgegenzuwirken. 534 Die wohl bedeutendste der über 20 Stiftungen Andrew Carnegies, die Carnegie Corporation of New York, erhielt als Zweck nur einen Satz: „Diese Gesellschaft (die Stiftung ähnelte in vielem einer Stiftung GmbH, d. Verf.) wird gegründet, um ein Vermögen zu erhalten und zu bewahren und um das Einkommen daraus dafür zu verwenden, die Vermehrung und Verbreitung des Wissens unter den Bürgern der Vereinigten Staaten zu fördern, indem technische Schulen, höhere Bildungseinrichtungen, Bibliotheken, Forschung, Sonderfonds, hilfreiche Publikationen und andere Einrichtungen und Maßnahmen unterstützt werden, die jeweils als hierfür geeignet beurteilt werden." (Constitution of Carnegie Corporation of New York, Article II - Objects (Übers, d. Verf.)) Carnegie schuf damit ein Modell einer Kapitalförderstiftung ohne festen Destinatar, das zeitweise auch für Deutschland prägend war. 535 Stephen Pielhoff, Stifter und Anstifter, Vermittler zwischen Zivilgesellschaft, Kommune und Staat im Kaiserreich; in: Geschichte und Gesellschaft, 33. Jg., Heft 1, 2007, 23, s. insb. Anm. 58. 536 Ralf Spicker, Die Technische Hochschule Stuttgart als Empfängerin von Stiftungsmitteln, Zur Bedeutung und zum Einfluß industrieller Stiftungen beim Aufbau der Luftfahrt- und Kraftfahrzeugtechnik an d e r T H Stuttgart 1909 bis 1939; in: Jonas Flöter/Christian Ritzi (Hrsg.), Bildungsmäzenatentum, Privates Handeln - Bürgersinn - kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 404.

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Die Carl-Zeiss-Stiftung erlitt nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Aktivitäten der Besatzungsmacht ein besonderes Schicksal. Ursprünglich die größte Fördererin der Universität an ihrem Standort Jena, zugleich Sitz der Unternehmensgruppe Zeiss/ Schott Glas 537 , hatte sie ganz im im Sinne Emst Abbes als zweiten Förderschwerpunkt die Mitarbeiter des stiftungseigenen Unternehmens, die dadurch mittelbar am wirtschaftlichen Erfolg partizipierten. Am 24. Juni 1945 brachten US-amerikanische Soldaten vor der Übergabe der Region an die russische Besatzungsmacht einen Großteil der beweglichen Ausstattung des Unternehmens, Unterlagen und sogar Werkshallen, aber auch Mitarbeiter samt Familien und Hausrat, nach Heidenheim in Württemberg. Bald begann wieder sowohl in Jena als auch in Heidenheim die Produktion, zunächst in Kooperation, sehr bald aber in scharfem Wettbewerb. Der beginnende Kalte Krieg führte dazu, daß auch die rechtlichen Strukturen getrennt voneinander neu konstituiert wurden. 5 3 8 Während nach Auffassung der ostdeutschen Behörden die Carl-ZeissStiftung in Jena trotz Enteignung der Betriebe weiterbestand - und tatsächlich mit Hilfe von Erträgen aus betriebsfremden Vermögenswerten, im wesentlichen Wohnungen, bis 1989 eine erkennbare gemeinnützige Stiftungstätigkeit entfaltete - , verfügte die im Westen zuständige Landesregierung 1949, daß der Rechtssitz der Stiftung nunmehr Heidenheim sei. In diesem Zusammenhang wurde die Tätigkeit der Stiftung auf die Versorgung der Mitarbeiter der Unternehmen beschränkt, was folgerichtig dazu führte, daß die Stiftung nicht im steuerrechtlichen Sinne als gemeinnützig anerkannt wurde. 539 Für die vorliegende Untersuchung ist dabei vor allem die Tatsache von Bedeutung, daß das staatliche Interventionsrecht exemplarisch exekutiert wurde. Auch eine Wiedervereinigung der Stiftungen wurde nach 1990 nicht zugelassen.

537 Vgl. Strachwitz, Ernst Abbe, loc. cit. 538 Der Fall war nicht nur w e g e n der begehrten Qualität der Produkte spektakulär, sondern auch wegen der eigentümlichen Rechtskonstruktion außergewöhnlich. Die Carl-Zeiss-Stiftung war nicht nur die Eigentümerin der Unternehmen, sondern selbst die Unternehmerin, d.h. handelsrechtlich eine Einzelkauffrau. Zudem lag - dies hing mit der komplizierten Gründungsgeschichte zusammen - die Führung und Verwaltung der Stiftung in den Händen vom Staat bestellter Kommissare, die in aller Regel Staatsbeamte waren (vgl. Strachwitz, Emst Abbe; in: Joachim Fest (Hg.), Die großen Stifter, 1997. 539 Daniela Kleinschmidt, Die Geschichte des deutschen Stiftungswesens am Beispiel der Carl-Zeiss-Stiftung, unveröffent. Magisterarbeit, Leipzig 2002, S. 63 ff.

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VI. Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat VI.1 Am Vorabend des Ersten Weltkriegs Hatte der moderne Verfassungsstaat zunehmend die Oberaufsicht über das Stiftungswesen angestrebt, so hatte ihm, neben anderem, das monarchische Prinzip die Legitimation dafür geliefert. Der Bindungsgrundsatz der Stiftung vertrug sich mit dem inhärenten Legitimationsanspruch der Monarchen. Nach 1918 fiel diese Argumentation fort, so daß sich im Zusammenhang mit anderen Entwicklungen die Legitimationsfrage erneut stellte. In mancher Hinsicht ist es dem fortdauernden Obrigkeitsstaat geschuldet, daß erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts 5 4 0 die Kompatibilität von demokratisch strukturierter Gesellschaft und Stiftungen ernsthaft thematisiert wurde. Die Zeit der Umwälzungen und Beeinträchtigungen dauerte viele Jahrzehnte. Dieser Befund steht in einem markanten Gegensatz zur Entwicklung des Stiftungswesens anderswo, zumal in den USA, wo im gleichen Zeitraum eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung stattfand, die durch den gesetzgeberischen Einschnitt von 1969, infolge der nunmehr obligatorischen Publizitätspflicht, sogar noch beschleunigt wurde und sich die Kompatibilitätsfrage trotz fortdauernder wissenschaftlicher und öffentlicher Diskussionen um einzelne Aspekte des Stiftungswesens nicht stellte. Auf den ersten Blick könnten die Ursachen für diese Unterschiede nur in der diskontinuierlichen politischen Entwicklung Deutschlands im 20. Jahrhundert zu finden sein. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch, daß dies allenfalls zum Teil zutrifft. Auch haben die Umwälzungen das Verhältnis zwischen Staat und Stiftungen in erstaunlicher Weise fast unberührt gelassen. Diese Kontinuität in einem prima facie von Diskontinuitäten geprägten Jahrhundert bildet den Fokus des folgenden Kapitels. Das Ende des ancien régime hatte in Frankreich das Stiftungswesen zum Erliegen gebracht, wiewohl es, wie gezeigt wurde, schon früher in die Defensive geraten war. Eine Gesellschaftsordnung, die sich insgesamt nicht der historischen Gründung des Gemeinwesens, sondern dem ständigen demokratischen Willensbildungsprozeß verpflichtet fühlt, ist, so ließe sich daraus folgern, den gebundenen Einrichtungen wesensfremd. Daß in anderen Monarchien, insbesondere in England, das Stiftungswesen kontinuierlich blühte, läßt sich, legt man diese Hypothese zugrunde, nur aus dem Überwiegen anderer Faktoren erklären. Dies könnte gerade in Bezug auf England, wo die demokratischen Elemente über Jahrhunderte hinweg immer wieder ausgebaut worden waren, ohne Schwierigkeiten belegt werden. 541 In Deutschland war das monarchische Prinzip durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch nicht immer, aber in allen wesentlichen Teilen verteidigt worden. Das demokratische Element war im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ohne Zweifel unterentwickelt. Dieser Zustand wurde jedoch nicht universell als defizitär empfunden. Im Gegenteil: Große

540 bspw. von Rassera, Toepler, Hansert u. a. 541 S. hierzu: Frank Prochaska, The Voluntary Impulse, Philanthropy

in Modern Britain, London 1988.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs

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Teile des Bürgertums und sogar der Arbeiterschaft fühlten sich im autoritären, aber Sicherheit und Stabilität gewährenden Staat wohl. Unter dem Schirm des starken Staates wuchs in dieser Zeit die Zahl der Stiftungen kontinuierlich an , auch infolge des wachsenden Wohlstandes und der bürgerlichen Emanzipation, die vornehmlich auf die Teilhabe an der Macht, nicht auf die Beseitigung von Strukturen ausgerichtet war. Erst durch die Beseitigung der Monarchie im November 1918, die ganz anderen Ursachen geschuldet war, kam die sich seit dem frühen 19. Jahrhundert durch die staatsrechtliche Diskussion über das monarchische Prinzip herausbildende Staatsauffassung zu einem vorläufigen Abschluß. Heinz Gollwitzers Diktum, „man hat vom Throne aus auf deutschem Boden seit 1789 zunächst fast durchweg eine Herrschafts- und Regierungstradition im Geiste des aufgeklärten Absolutismus fortgesetzt" 542 , galt erst jetzt endgültig nicht mehr. Übernommen, ja verstärkt, wurde freilich aus der älteren Staatsauffassung der Grundsatz: „Die Staatsgewalt bestimmt den Umfang ihrer Tätigkeit selbst." 543 Diesem Verdikt steht ein zivilgesellschaftlicher Ansatz gegenüber, der anhand des Beispiels der USA einer demokratischen Gesellschaft in besonderem Maße das richtige Klima für das Erstarken freiwillig zustande gekommener Organisationen, Vereine ebenso wie Stiftungen, zuweist. 544 Dieses Paradox aufzulösen, wird am Ende der vorliegenden Untersuchung versucht. Bedauerlicherweise läßt die Forschungs- und Quellenlage eine valide Empirie zur Entwicklung des Stiftungswesens auch im 20. Jahrhundert nur in Ansätzen zu. Weder Aussagen zum Gesamtbestand noch zur Zahl der Neugründungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland sind zu einem Gesamtbild aggregierbar. Erhebungen sind vor 1914 nur in einigen Bundesstaaten und Städten und zudem nur sehr sporadisch durchgeführt und veröffentlicht worden. 5 4 5 Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde ein Archiv Deutscher Stiftungen als private Initiative gegründet, mit dem Ziel, der „volkswirtschaftlichen Erforschung der Stiftungen, ihrer Zwecke und ihrer Anlagen" zu dienen. Die Spur dieser Einrichtung verliert sich jedoch in den 1930er Jahren. Die Akten sind bis heute nicht aufgefunden worden. 5 4 6 Zwar hat sich in Zusammenhang mit der umfassenderen, insbesondere auch internationalen empirischen Zivilgesellschaftsforschung der Erkenntnisstand seitdem verbessert; valide Aussagen sind jedoch auch heute nur eingeschränkt möglich. Diese Feststellung spiegelt den dramatischen Rückgang des öffentlichen Interesses an der Institution Stiftung wider. 542 Heinz Gollwitzer, Fürst und Volk, Betrachtungen zur Selbstbehauptung des bayerischen Herrscherhauses im 19. und 20. Jshrhundcrtj in.* Zeitschrift für Bayerische Lsndesgeschichte 50 ( 1987), S. 7 2 4 - 7 4 7 . 543 Max von Seydel, Das Staatsrecht des Königreichs Bayern (Handbuch des Öffentlichen Rechts Π. 4), Tübingen 1903 (3), S. 19. 544 Thomas Adam, Stipendienstiftungen und der Zugang zu höherer Bildung in Deutschland von 1800- 1960, Stuttgart 2008, S. 230. 545 Evgueni Preine, Stiftungsliteratur 1870- 1914; in: Maecenata Actuell Nr. 58 Berlin 2006, S. 25 ff. 546 Peter Rawen/Andrea Ajzenstejn, Stiftungsrecht im Nationalsozialismus, eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der jüdischen und paritätischen Stiftungen; in: Campenhausen u.a., Stiftungen in Deutschland und Europa, S. 165, Anm. 46.

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Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

Dennoch erlauben etwa Berichte von Verwaltungsbehörden in Hamburg 5 4 7 und leider meist nur einmalig erschienene Stiftungsverzeichnisse gelegentlich Rückschlüsse auf die Neugründungen in dieser Zeit. 548 Maximilian Meyer, akademisch ausgebildeter Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Nürnberg, versuchte mehr. Geprägt von der bedeutsamen Nürnberger Stiftungstradition verglich er das verfügbare statistische Material, nicht nur aus deutschen Ländern, sondern auch aus Österreich, Frankreich, Belgien, Italien und England, und erarbeitete defmitorische Grundsätze sowie Aussagen zur Wirkung von Stiftungstätigkeiten. Meyers Ansatz wurde erst 90 Jahre später wieder aufgegriffen. 5 4 9 Sein Blickwinkel weicht deutlich von dem der Juristen ab. „Unter einer Stiftung im volkswirtschaftlichen Sinne versteht man eine Vermögensmasse, die dauernd zur Erreichung eines bestimmten Zweckes bereitgestellt wird, ungeachtet ob diese Stiftung für sich selbst besteht oder an eine schon bestehende juristische Person geschieht." 5 5 0 Mit diesem Satz eröffnet Meyer seinen Beitrag und bezieht die nicht rechtsfähigen Stiftungen, im Gegensatz zur Sichtweise des BGB, ganz selbstverständlich in seine Betrachtung mit ein. Dies ist insbesondere für die Beurteilung der Frage bedeutsam, wie sich seine statistischen Angaben mit anderen vergleichen lassen. Meyer gibt jedoch auch knappe Auswertungen, wenn er bemerkt, „Von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung sind besonders die Armen-, Wohltätigkeits- und Unterrichtsstiftungen" 5 5 1 und damit einen Erklärungsansatz für die auch aus fiskalischer Sicht notwendige Aufrechterhaltung des Subsidiaritätsprinzips im Wohlfahrtswesen liefert Ebenso gibt er aber auch Anlaß zu der Feststellung, um wieviel höher die Priorität ist, die der Staat dem Bildungswesen zugemessen hat, wenn er trotz dieser hohen Bedeutung nichtstaatlicher Bildungsunterstützung auf diesem Gebiet seinen Machtanspruch sehr viel rigoroser durchsetzte. Meyer trifft aber noch eine wichtige allgemeine Feststellung: „Wenn Unterstützungen aus Armenmitteln gegeben werden, um die Armut zu lindern, so sollen die Unterstützungen, die aus Stiftungsvermögen fließen, der Armut vorbeugen. Damit ist schon angedeutet, daß in der überwiegenden Zahl der Fälle für die Unterstützungen aus

547 Pielhoff, Zwischen Bedürftigkeit und Begabung, S. 331. 548 S. bspw. Jahresberichte der Verwaltungsbehörden für die Jahre 1877-1913, Aufsichtsbehörde für die milden Stiftungen, Hamburg 1 8 7 8 - 1914; Die Stiftungen in Bayern nach dem Stand vom Jahre 1910; in: K. Statistisches Landesamt, Beiträge zur Statistik des Königreichs Bayern, Heft 85, München 1913, S. 44 f. Oskar Hoffmann, Das Stiftungsauskunftsbuch [für Sachsen], Dresden 1910. Das erste Stiftungsverzeichnis überhaupt veröffentlichte 1820 die Universität Breslau (Nachricht von den Freitischen und Stipendien bei der Universität Breslau). In unregelmäßigen Abständen folgten überarbeitete Neuauflagen. Den ersten Gesamtüberblick über die Stipendienstiftungen in Deutschland legte 1885 Max Baumgart vor (Die Stipendien und Stiftungen (Convicte, Freitische usw.) zu Gunsten der Studierenden an allen Universitäten des Deutschen Reichs nebst den Statuten und Bedingungen für die Bewerbung und den Vorschriften über die Stundung resp. den Erlaß des Collegienhonorare, Berlin 1885). S. hierzu ausfuhrlich: Adam, Stipendienstiftungen, S. 9 - 2 7 . Maximilian Meyer legte 1911 erstmals eine .Statistik der Stiftungen im In- und Auslande' vor (in: J. Conrad (Hrsg.), Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, ΙΠ. Folge, Bd. 42, Jena 1911, S. 666-705.) S. hierzu: Andreas Ludwig, Soziale Stiftungen; in: Adam/Frey/Strachwitz, Stiftungen seit 1800, S. 17. 549 Elisabeth Brummer (Hrsg.), Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 1996, München 1996. 550 Meyer, loc. cit., S. 666. 551 Ibid.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs

125

Stiftungen nicht die ganz Armen in Frage kommen, sondern daß die Stiftungen in erster Linie den Minderbemittelten aller Gesellschaftsklassen zugute kommen, um einzelnen Individuen ein Aufsteigen in höhere soziale Schichten zu ermöglichen oder sie wenigstens in ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Lage festzuhalten. Ohne die Stiftungsvermögen würden noch weit mehr Menschen der Armenunterstützung anheimfallen, und Staat und Gemeinden hätten noch weit mehr unter der Armenlast zu leiden." 552 Hier deutet sich eine Interpretation von Stiftungsarbeit an, die erst am Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen wird: Stiftungen, so Meyer, sind nicht dazu da, den Staat von seinen Aufgaben zu entlasten, sondern haben durch alternative Ansätze zur Entwicklung des gemeinen Wohls beizutragen. Dabei kommt es nicht notwendigerweise auf die Priorität der Bedürftigkeit an; vielmehr können Stiftungen aus übergeordneten Gesichtspunkten soziale Ungleichheit in Kauf nehmen. Meyer wendet sich im weiteren der eigentlichen Stiftungsstatistik zu. Er stellt zunächst fest: „Leider ist das vorhandene Material recht lückenhaft. Auch kann das hier Gebotene keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen [sie]."553 Insbesondere beklagt er: „Das Deutsche Reich und der größte Bundesstaat, Preußen, besitzen keine Aufnahme über vorhandene Stiftungen." 554 Dies bedeutet, daß sich ein valider empirischer Vergleich des Bestandes von 1910 und heute nicht führen läßt. Zwar erlauben beispielsweise die Hamburger Quellen sogar eine Auswertung hinsichtlich der verfolgten Zwecke, wobei interessanterweise bei den Neugründen ab 1877 Stipendienstiftungen vor solchen der Armenfürsorge mit Abstand am häufigsten aufscheinen. 555 Allein für Dresden sind etwa von 1870 bis 1914 788 Neugründungen nachgewiesen. 556 Doch genügen diese und andere Erkenntnisse nicht, um daraus auf die Gesamtzahlen für Deutschland zu schließen. Insbesondere läßt sich die häufig aufgestellte Behauptung, es habe am Vorabend des Ersten Weltkrieges in Deutschland rd. 100.000 Stiftungen gegeben 557 , weder beweisen noch widerlegen. Sie erscheint allerdings, versucht man aus vorhandenem Zahlenmaterial hochzurechnen, übertrieben und läßt sich, sollte sie einen wahren Kern enthalten, nur dadurch erklären, daß möglicherweise die Kirchenund Kirchenpfründestiftungen eingerechnet worden sind. Legt man die publizierten Verzeichnisse aus den Jahren zwischen 1900 und 1914 einem namensbezogenen Vergleich mit dem Bestand von 1950 zugrunde, so kann wohl allenfalls eine Gesamtzahl

552 553 554 555 556 557

Ibid. Ibid. Ibid. Pielhoff, loc. cit. Lässig, Bürgerlichkeit, 204. S. z.B. Michael Sonnabend, Sie sollten besitzen, als besäßen sie nicht - 1.000 Jahre Stiftungen in Deutschland; in: Stifterverband für die deutsche Wissenschaft (Hg.), Stifter und Staat, S. 20.

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Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

- ohne Kirchenstiftungen und treuhänderische Stiftungen 5 5 8 - von rd. 50.000 (1914) gegenüber rd. 5.000 (1950 in Westdeutschland) 5 5 9 angenommen werden. 5 6 0 Meyer bietet hierfür einen Erklärungsansatz. Sein ausführlichster Abschnitt behandelt die Stiftungen in Bayern. Die Gründe sind nachvollziehbar. Nicht nur wurden hier relativ regelmäßig und ausführlich Daten erhoben (eine Tradition, die auch in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts fortbesteht). Auch der Dienstsitz des Autors bietet einen plausiblen Grund. Das Verfahren der Erhebung (die in dieser Ausführlichkeit erst in der DDR 1951 wieder erreicht wurde, in ganz Deutschland bis heute nicht) wird von Meyer beschrieben. In diesem Zusammenhang weist er ausdrücklich darauf hin, daß „damit die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Stiftungen voll zum Ausdruck kommt, [...] die Ermittlungen gleichzeitig auf die geistlichen Pfründestiftungen ausgedehnt" 5 6 1 werden. Die Kirchenstiftungen, d.h. die Stiftungen, deren Zweck sich üblicherweise in der Eigentümerfunktion des Kirchengebäudes erschöpft, bleiben hingegen unerwähnt. Ferner beschränken sich die bayerischen Erhebungen im wesentlichen auf die Stiftungen, die ein selbständiges Rechtssubjekt darstellen, was bei Neugründungen seit 1818 einer königlichen Bestätigung bedurfte. Es folgen weitere Maßgaben, die soweit erkennbar, u. a. die reinen Anstaltsträgerstiftungen weitgehend ausklammern, so daß eine Grundgesamtheit, die einem Vergleich mit dem heutigen Bestand standhält, nicht zu ermitteln ist. Dennoch sind die Zahlen nicht ohne Interesse. So bestanden in Bayern 1887 17.367 Stiftungen, deren rentierliches Vermögen sich auf 400.545.376 Mark belief (zuzüglich eines nicht rentierlichen Vermögens i.H. von 172.945.451 Mark). Die Zahl der Stiftungen in der zu Beginn des Jahrhunderts zeitweise französischen, seit 1815 bayerischen Pfalz fällt im Vergleich zu der in den anderen Regierungsbezirken erheblich ab. 5 6 2 Es folgen Angaben zur Verteilung auf Stiftungszwecke und interessanterweise auf die Gründungszeit. 5 6 3 Die Zahl der erhobenen Stiftungen stieg bis zum letzten Erhebungsjahr 1907 auf

558 Die nach Schätzungen rd. 100.000 Kirchen- und Kirchenpfründestiftungen, deren Zahl sich im Laufe des 20. Jahrhunderts vermutlich nur wenig verändert hat, wurden sowohl zu Beginn als auch am Ende des Jahrhunderts nur teilweise in Angaben über den Gesamtbestand einbezogen, da sie eher als Sondervermögen der Kirchen ohne Außenwirkung betrachtet wurden. Dies beinhaltet allerdings das Problem, daß sie auch bei der empirischen Betrachtung von Stiftermotiven, Gründungsbewegungen usw. (wie ich meine, unzulässigerweise) außer Betracht gelassen wurden. Die treuhänderischen Stiftungen sind wegen ihrer Vielzahl, ihrer überwiegend geringen Größe und ihrer fehlenden Registrierungsverpflichtung bei Behörden der inneren Verwaltung ebenfalls von jeher nur lückenhaft erfasst worden und können daher in Vergleiche nicht einbezogen werden. 559 In der DDR sind zwischen 1950 und 1960 fast alle Stiftungen aufgelöst worden. 560 Die Zahl von 100.000 Stiftungen wird in den USA zu Beginn des 21. Jahrhunderts erreicht. Allerdings sind darin zahlreiche operative Einrichtungen und unselbständige Fonds, die nach deutschem Verständnis als Stiftungen zu klassifizieren wären, nicht enthalten, während andererseits der Einschluss der insgesamt schätzungsweise rd. 100.000 Kirchen- und Kirchenpfründestiftungen in Deutschland zu ähnlichen Zahlen führen würde. 561 Meyer, loc. cit., S. 671. 562 Ibid., S. 675 (Zum Vergleich: Oberbayem: 3.792 Stiftungen, Pfalz 754 Stiftungen). 563 Ibid. Es wurden bspw. 199 vor dem Jahr 1000 gegründete Stiftungen ermittelt. In der Stiftungsdatenbank des Maecenata Instituts findet sich nur noch eine vor dem Jahr 1000 gegründete Stiftung in Bayern. Ob diese Zahlen tatsächlich vergleichbar sind, ist aber zweifelhaft.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs

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20.365 Mark, das rentierliche Vermögen (deutlich stärker) auf 611.505.126 Mark. 564 Diese Tatsache veranlaßt Meyer zu einer weiteren Rechnung: Auf einen Einwohner Bayerns kam 1890 ein Stiftungsvermögen in Höhe von 77,80 Mark, 1907 von 92,00 Mark. Die Kultusstiftungen unterteilt Meyer sogar noch nach Konfessionen und ermittelt, daß auf einen katholischen Einwohner (1907) ein Stiftungsvermögen für Kultuszwecke in Höhe von 38,30 Mark, auf einen protestantischen Einwohner hingegen nur eines von 12,10 Mark kam. 5 6 5 Diese Zahlen sprechen deutlich gegen die häufig aufgestellte Behauptung, das Stiften ließe sich mit einer typisch protestantischen Ethik im Sinne Max Webers in Verbindung bringen. Meyers Untersuchung birgt eine Fülle weiterer interessanter Details, deren Auswertung einer empirischen Aufarbeitung der Thematik vorbehalten bleiben muß. 5 6 6 So kann er etwa für das angeblich stiftungsarme Österreich sogar relativ präzise Auswertungen zu den Stiftern vorlegen, 567 für das angeblich stiftungsarme Italien einen Gesamtbestand von weit über 20.000 Stiftungen nachweisen 568 und in Bezug auf Frankreich neueste Forschungen untermauern, wonach trotz des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage stiftungsähnliche Gebilde durchaus bestanden haben. 5 6 9 Dennoch bleibt nach heutigem Forschungsstand gerade wegen Meyers nachvollziehbarer Angaben festzuhalten, daß eine auch nur annähernd lückenlose Dokumentation des Verbleibs der um 1914 bestehenden Stiftungen und deren Vermögen wohl unerreichbar bleibt und daß Behauptungen über den Bestand von 1914 zur Zeit auch nicht nur ansatzweise empirisch belegt werden können. 1998 waren von 7.780 erfaßten Stiftungen 5.057 nach 1970, 4.407 nach 1980 gegründet worden. 570 Das bedeutet, daß selbst bei allen notwendigen Abstrichen von den angeblichen Bestandszahlen der Zeit vor 1914 tatsächlich sehr wenige alte Stiftungen übrig geblieben waren. Ursache des Untergangs war nur in seltenen Ausnahmefällen ein bei der Stiftung liegendes Versäumnis, das etwa zum Konkurs geführt hatte. Präziser eingrenzen läßt sich nur die Zahl der vor 1914 gegründeten und heute noch bestehenden Stiftungen, soweit sie entweder als rechtsfähige Stiftungen in den heute relativ weitreichend publizierten Stiftungsverzeichnissen der Länder erscheinen, sich selbst zur Eintragung in Datenbanken gemeldet haben oder aus anderen veröffentlichten Quellen übernommen werden konnten. Immerhin lassen diese Zahlen einen stetigen, allerdings nicht dramatischen Anstieg der Neugründungen erkennen:

564 Ibid., S. 676. 565 Ibid., S. 677. 566 In den Nürnberger Archiven könnten sich möglicherweise sogar noch die Arbeitsunterlagen Meyers auffinden lassen. 567 Ibid., S. 689 f. 568 Ibid., S. 700 f. 569 Ibid., S. 695 ff. (s. hierzu Kathleen McCarthy, loc. cit.) 570 Sonnabend, loc. cit., S. 13.

128

Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

Tabelle 2:

Neugründungen 1 8 8 0 - 1 9 3 9 5 7 1

Gründungsdekade

Neue Stiftungen

1880-1889

113

1890-1899

122

1900-1909

157

1910-1919

166

1920-1929

175

1930-1939

177

Merkwürdigerweise scheinen diese Zahlen mehrere traditionelle Annahmen zum Stiftungswesen zu widerlegen. Da die Zahl in jeder Dekade leicht anstieg, scheinen die Notzeit am Ende des Ersten Weltkriegs, die Hyperinflation von 1923, der heraufziehende Wohlfahrtsstaat und der Nationalsozialismus der Stiftungsfreudigkeit wenig Abbruch getan zu haben, zumindest nicht in dem bisher angenommenen Ausmaß. Darauf wird noch einzugehen sein. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ging diese Steigerung mit einem deutlichen Anstieg einschlägiger Publikationen einher. 5 7 2 Die Palette reichte von Handbüchern für die Allgemeinheit 5 7 3 über Selbstdarstellungen und Chroniken bis zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowohl historischer als auch juristischer Art. Dabei bildeten die Diskussionen um die Entwicklung des Stiftungsbegriffs seit der Antike, die Position der Stiftung im modernen Verfassungsstaat sowie das Verhältnis zwischen Stiftung und Kirche besondere Schwerpunkte. Die allgemeine Säkularisierung gesellschaftlicher Prozesse und die Konzentration gesellschaftlicher Gestaltungsmacht in staatlicher Hand spiegelte sich in der Erörterung des Stiftungswesens durch den Übergang von der pia causa zur utilis causa oder utilitas publica, wobei die Definition des ,utilis' mit den Instrumenten staatlicher Eingriffe, insbesondere der Besteuerung, dem Stifter zunehmend entwunden 5 7 4 und publica ohnehin als Definitionsdomäne des Staates angesehen wurde. Der Begriff utilis weist auf eine externe Definition hin (wem utilisI nützlich?), die dem Begriff pia im Kern fremd ist und insofern der Instrumentalisierung begrifflich Vorschub leistet. Davon relativ unbeeinflußt blieben

571 Die A n g a b e n sind der beim heutigen Maecenata Institut f ü r Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt Universität zu Berlin seit 1989 a u f g e b a u t e n u n d kontinuierlich weiterentwickelten Stift u n g s d a t e n b a n k e n t n o m m e n . Vgl.: Rainer Sprengel/Thomas Ebermann, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen - ein Forschungsbericht, Stuttgart 2007. Die Zahlen sind im übrigen ein weiterer A n h a l t s p u n k t dafür, daß die g e n a n n t e Gesamtzahl v o n v o n 100.000 unplausibel ist. 227 erhaltene N e u g r ü n d u n g e n aus der Zeit von 1 9 0 0 - 1914, einer o f f e n k u n d i g stifterfreundlichen Periode, würden davon 0,027°/o ausmachen, d.h. bei einer konstanten Entwicklung würde die G r ü n d u n g v o n 100.000 Stiftungen rd. 4.000 Jahre dauern. 572 Preine, Stiftungsliteratur, S. 25 ff. 573 Z.B. Oskar H o f f m a n n , Das Stiftungsauskunftsbuch, Dresden 1910: Das Werk stellt einen der ersten Wegweiser zu Stiftungen in Deutschland dar. Teil 1 enthält statistische A n g a b e n sowie Ratschläge f ü r Antragsteller; Teil 2 bildet ein ausführliches Verzeichnis bedeutenderer Fördersüftungen. 574 Preine, Stiftungsliteratur, S. 27.

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lediglich die recht zahlreichen Untersuchungen zum antiken Stiftungswesen, deren Entstehen eher dem allgemeinen Interesse an den Altertumswissenschaften als dem an den Stiftungen geschuldet war. 5 7 5 Es darf auch nicht übersehen werden, daß dieser Anstieg der Stiftungstätigkeit vom Bevölkerungswachstum in der gleichen Periode bei weitem überholt wurde, so daß tatsächlich von einer zunehmenden Marginalisierung gesprochen werden muß. 5 7 6 Die ersten bedeutenden Einschnitte in das Leben der Stiftungen bildeten die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie die Einführung von Ertragssteuern für Körperschaften in den deutschen Ländern zum Ende des 19. Jahrhunderts (in Preußen 1891). Während erstere den Abschluß eines Prozesses markierte, der ein ganzes Jahrhundert lang angedauert hatte, wies die zweite in die Zukunft. Die fast ein Jahrhundert währende juristische Diskussion um die Einbindung der Stiftungen in das Gesetzeswerk des modernen Verfassungsstaates fand am 1. Januar 1900 mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches ihren vorläufigen Abschluß. Nunmehr war erstmals für das gesamte Reichsgebiet der Grundsatz festgelegt, daß alle Stiftungen, die als juristische Personen im Rechts- und Geschäftsverkehr auftreten wollten, zu ihrer Entstehung einer staatlichen Genehmigung bedurften und staatlicher Aufsicht unterlagen. Im Zuge der allgemeinen Tendenz, gesellschaftliches Handeln jedweder Art staatlicherseits zu beaufsichtigen, was auch die Wirtschaftsunternehmen und in hohem Maße die korporativen Vereinigungen betraf, konnten die Stiftungen zunehmend in diese Regelungsmechanismen eingefügt werden. Die Erarbeitung und Inkraftsetzung des BGB bildete den Schlußpunkt dieser Entwicklung. Daß man hierbei nur auf die Rechtsfähigkeit rekurrierte und daher den zahlenmäßig sicher größeren Bestand an nicht rechtsfähigen Stiftungen 577 außer acht ließ, hatte neben formalen juristischen Gründen wohl vor allem damit zu tun, daß letztere nicht ganz zu Unrecht als wirtschaftlich unbedeutend angesehen wurden und im Falle kirchlicher Trägerschaft von den Kirchen selbst, im Falle der von Universitäten und Stadtverwaltungen mittels anderer staatlicher Kontrollmechanismen überwachbar erschienen. Private Stiftungstreuhänder waren zu dieser Zeit noch nicht in nennenswertem Umfang in Erscheinung getreten. Allerdings ist auch in der rechtswissenschaftlichen Diskussion immer wieder bemängelt worden, durch die Ausklammerung dieser, dem angelsächsischen Trust vergleichbaren Stiftungsform aus dem Stiftungsrecht gehe dies an den eigentlichen Fragen dieses Rechtsgebiets vorbei. Pleimes machte schon 1938 darauf aufmerksam, daß die Konzentration auf die sog. selbständigen Stiftun575 S. z.B. Bernhard Laum, Stiftungen in der griechischen und römischen Antike, 2 Bde., Leipzig 1914. 576 In der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Deutschland insgesamt 16 bis 18 Millionen Einwohner. Bis 1800 stieg die Bevölkerungszahl auf 22 bis 24 Millionen, bis 1900 auf rd. 56 Millionen. S. hierzu ausführlich: Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg, Stuttgart/Berlin/Köln 1998 (2), S. 179. 577 Schon von jeher konnten Stiftungen einerseits als in sich abgeschlossene Körperschaften errichtet, andererseits einer bereits bestehenden Körperschaft (ζ. B. einer Stadt oder Universität) als Treuhänderin übereignet werden. Diese wurde dadurch zur rechtlichen Eigentümerin, die jedoch an den Willen des Treugebers (Stifters) gebunden blieb. Diese Treuhandstiftungen werden auch als rechtlich unselbständige, nicht rechtsfähige oder fiduziarische Stiftungen bezeichnet.

130

Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

gen im BGB einen mindestens ebenso wichtigen anderen Teil des Stiftungswesens, die unselbständigen Stiftungen, vollständig ausblendet. „Der Irrweg, den Lehre und Rechtsetzung hier gegangen sind, wird voll erst an der Geschichte des Stiftungsrechts deutlich. An ihr bietet sich uns auch die Möglichkeit, auf lebensvollere Formen rechtlicher Ausgestaltung zurückzugreifen." 578 Durch die Einführung einer Körperschaftssteuer wurden erstmals nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen für eine Besteuerung herangezogen, was die Frage aufwarf, ob nicht für Körperschaften, die nach eigener und obrigkeitlicher Einschätzung dem Gemeinwohl dienen und überdies eventuelle Überschüsse nicht an private Eigentümer ausschütten, Ausnahmen geschaffen werden müßten. Dies erschien schon deshalb sinnvoll, weil gerade die Anstaltsträgerstiftungen solche Überschüsse zur Finanzierung der notwendigen Investitionen verwandten, für die sie sonst staatliche Zuwendungen benötigt hätten - jedenfalls so lange, wie sich das Konzept des Wohlfahrtsstaates noch nicht so weit entwickelt hatte, daß staatliche Instanzen solche Umverteilungsmechanismen als Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten in den Blick nahmen. Auch hatte eine Privilegierung privater Wohltätigkeit durch den Staat durchaus Tradition. So genossen etwa die sog. milden Stiftungen in Württemberg das Privileg, ihre Post portofrei befördern zu lassen. 579 In der Tat wurde den dem Gemeinwohl dienenden Stiftungen (und anderen Körperschaften) nunmehr die Befreiung von der Besteuerung gewährt - bis heute durch die Fachbegriffe .Steuerbegünstigung' oder ,-Vergünstigung' terminologisch als Gnadenakt der hoheitlichen Gewalt klassifiziert. 580 Durch die Schaffung eines Ausnahmetatbestandes ging erstmals die Definitionshoheit über das Gemeinwohl formell auf den Staat über. Er, konkret die Finanzbehörde, stellte fest, ob die Tätigkeit einer Organisation die Befreiung von der Besteuerung rechtfertigte, was im Laufe des 20. Jahrhunderts zahlreiche Rechtsfolgen zeitigte. Durch die Besteuerung war auch die Frage der Begrenzung gestellt worden, die, so der Gesetzgeber, dort anzusetzen war, wo eine Stiftung nicht dem allgemeinen Wohl, sondern dem eines begrenzten Personenkreises, etwa einer Familie, diente. Diese Abgrenzung ist in einem viel weitergehenden Kontext von Interesse, der auch die Fideikommisse 581 umfaßte. Es stellte sich nämlich damit auch in Deutschland die ein 578 Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht, S. 1 f. 579 Sachße/Tennstedt, loc. cit., S. 240. 580 Vgl. hierzu ausführlich: Christian Flämig, Theorie der Besteuerung von Stiftungen; in: Strachwitz/ Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Berlin 2005, S. 66 ff.; s. auch: Arno Hillebrecht, Zwei Menschenalter Gemeinnützigkeitsrecht der Stiftungen, Essen 1978. 581 „Ein Familienfldeikommiss ist ein durch privates Rechtsgeschäft gebundenes Sondervermögen, das grundsätzlich unveräußerlich und unbelastbar ist (und) von bestimmten Familienmitgliedern nacheinander in einer von vornherein festgelegten Folgeordnung genutzt wird" (Aus einem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts, 2004). Der Fideikommiss teilt insofern mit der Stiftung, der er als Institution nahe verwandt ist, die Bindung an den Ursprung und sieht sich daher dem gleichen Vorwurf der Herrschaft der .toten Hand' ausgesetzt, unterscheidet sich aber von der Stiftung hinsichtlich der Eigentümerstellung. Fideikommisse wurden wegen der demokratietheoretisch unerwünschten Herrschaft der .toten Hand', aber auch, weil ihre Gründung dem Adel vorbehalten war, mit allen übrigen Privilegien durch die Reichsverfassung von 1919 (Art. 155 Absatz 2 Satz 2) als Rechtsinstitution abge-

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs

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Jahrhundert zuvor in Frankreich abschließend diskutierte staatstheoretische Frage, ob eine Herrschaft der ,toten Hand', der Toten über die Lebenden zu tolerieren sei. 582 Diese wurde zunehmend nicht als Folge, sondern als Behinderung der Eigentumsfreiheit und als Relikt einer vormodernen Epoche kritisiert, schon deshalb, weil die Stiftung von Fideikommissen ausschließlich adeligen Familien vorbehalten war. In der Diskussion darüber obsiegte zwar formal die traditionelle, deutsche, von Hegel implizierte Position, daß gebundene Vermögen auch über Generationen Bestand haben können, allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, daß die Erträge solcher Vermögen dem staatlicherseits definierten allgemeinen Wohl zugute kommen müßten. Nur mit Einschränkungen konnten und können solche Vermögen auch bestehen, wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist. Dies traf auf die sogenannten Familienstiftungen 5 8 3 zu, die der Ertragsbesteuerung (und 1974 auch einer Erbersatzsteuer) unterworfen wurden. Allerdings verdient es erwähnt zu werden, daß Familienstiftungen von jeher in Deutschland eine untergeordnete Bedeutung hatten. So wurden beispielsweise in Dresden zwischen 1870 und 1914 70°/o der Stiftungen mit sozialen Zielen, 24% mit Bildungszielen, aber nur 2°/o als Familienstiftungen gegründet. 584 Darüber hinaus hatten Familienstiftungen nur in ganz seltenen Fällen das Ziel, die Destinatäre voraussetzungslos zu apanagieren; ganz überwiegend dienten sie der Versorgung von Familienangehörigen, die dazu selbst nicht in der Lage waren oder der Finanzierung von Ausbildungen. Der Prozeß der fiskalischen Behandlung fand 1920 mit dem Erlaß des ersten reichseinheitlichen Körperschaftssteuergesetzes seinen vorläufigen Abschluß. 585 Im vorliegenden Zusammenhang ist in erster Linie die Frage von Interesse, ob zwischen Akzeptanz intermediärer Organisationen nach dem Hegeischen Modell und zunehmender Ablehnung eines polyarchischen Systems im heraufziehenden Wohlfahrtsund Interventionsstaat eine neue Formierung anstand. Was die Definitionshoheit des Staates hinsichtlich der gesellschaftlichen Notwendigkeiten und Prozesse betrifft, so gab es offenkundig darüber keine nennenswerte Kontroverse. Sie wurde, wie aus den Zielsetzungen der neu entstandenen Stiftungen ebenso hervorgeht wie aus Quellen zu älteren, nicht nur klaglos hingenommen, sondern sogar positiv beurteilt und aktiv

582 583

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585

schafft, aber erst 1938/1939 endgültig aufgelöst. (Vgl. hierzu: Klaus Luig, Philipp Knipschildt und das Familienfideikommiß im Zeitalter des usus modernus; in: Richard Helmholz/Reinhard Zimmermann (eds.), Itinera Fiduciae, Trust and Treuhand in Historical Perspective. Berlin 1998, S. 361 - 4 1 6 . Marita Krauss, Das Ende der Privilegien?; in: Walter Demel/Ferdinand Kramer (Hrsg.), Adel und Adelskultur in Bayern, München 2008, S. 380 f.; Monika Wienfort, Wirtschaftsschulen, Waldbesitz, Wohltätigkeit; in: Demel/Kramer, loc. cit., S. 407 ff.) Notwendigkeit und Luxus, S. 82. Familienstiftungen sind Stiftungen, deren Zweck die Unterstützung von Familienangehörigen ist. Der insoweit beschränkte Kreis der Destinatäre hat zur Folge, daß diese Stiftungen auch dann nicht als gemeinnützig oder mildtätig anerkannt werden können, wenn Zuwendungen nur Familienangehörigen zufließen sollen, die z.B. bedürftig oder in der Ausbildung sind. Prozentual liegt der Anteil solcher Stiftungen in Deutschland heute bei rd. 2 °/o, mit stark abnehmender Tendenz. Simone Lässig, Bürgerlichkeit, Patronage, and Communal Liberalism; in: Thomas Adam (Hrsg.), Philanthropy, Patronage and Civil Society - Experiences from Germany, Great Britain and North America, Bloomington IN, 2004, S. 205. Reichsgesetzblatt 1920, S. 393.

132

Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

mitgestaltet. Private Förderung und staatliches Handeln verschränkten sich im deutschen Wohlfahrtsstaat bei eindeutiger Anerkennung staatlicher Dominanz unwidersprochen. Hegels Staatsverständnis ist förmlich zu greifen, wenn Bernhard Levy 1912 anmerkt, „daß die öffentliche Armenpflege bei uns eine so erheblich bedeutsamere Stellung einnimmt als die freie Liebestätigkeit. [...] Die zahlreichen Gebilde der freien Liebestätigkeit, wie bedeutsam sie auch einzeln an manchen Stellen in Erscheinung treten und wie imposant sie sich auch vielfach durchgesetzt haben, entbehren doch eines, und zwar des wichtigsten Machtfaktors, nämlich des Bewußtseins der Zusammengehörigkeit und der allen gemeinsamen Interessen." 5 8 6 Nicht, weil die Staatsorgane etwas versäumt hatten oder weil ihnen eine bestimmte Aufgabe nicht übertragen werden sollte oder gar nicht zugetraut wurde, sondern um diese bei der Erfüllung ihrer immer umfassenderen Aufgaben zu unterstützen, wurden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Stiftungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. Allenfalls in Städten mit einer langen Tradition an Eigenständigkeit wie Hamburg, Leipzig oder Frankfurt am Main lebte freier Bürgersinn ein wenig fort und gebar gelegentlich Ausnahmen von dieser Regel. Diese Regel hatte durchaus Tradition. Schon Marsilius von Padua hatte herausgearbeitet, daß das gute Leben der Bürger Aufgabe des Staates sei. 587 Seit dem späten 19. Jahrhundert, verstärkt aber seit Ende des Ersten Weltkrieges war die Wohlfahrt der Bürger zu einer Handlungsmaxime des Staates geworden. Die Städte, seit Jahrhunderten Brutstätten des Stiftungswesens, verloren zunehmend ihre Selbständigkeit. 588 Die Frage war, was Stiftungen dazu beitragen sollten oder konnten. Eine eindeutige Prämisse war die Anerkennung des organischen Gebildes Staat, von dem Hegel gesprochen hatte. Daraus war, beginnend mit der Sozialgesetzgebung der 1870er Jahre und dem wieder erstarkten Behauptungswillen der Kirchen eine neue Diskussion über das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft entstanden. Beide großen Kirchen versuchten, der inneren Emigration der Arbeiterschaft durch ein verstärktes Wohlfahrtsangebot zu begegnen, gewiß aber auch die konkret erkannten Nöte zu bekämpfen. Die evangelischen Wohlfahrtseinrichtungen schlössen sich schon 1848 zu einem Verband zusammen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten; die katholischen Einrichtungsträger, die innerkirchlich einen stärkeren Zusammenhalt pflegten und für die daher die Notwendigkeit eines besonderen Zusammenschlusses nicht die gleiche Priorität besaß, folgten rund ein halbes Jahrhundert später (1897). Der Kulturkampf zwischen Staat und katholischer Kirche in Preußen in den 1870er Jahren und die von Papst Leo XIII. 1891 herausgegebene Sozialenzyklika Rerum Novarum waren wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Gründung des ,Charitasverbandes [sie] für das Katholische Deutschland', dem sich in der Folge auf Druck der Bischöfe alle im Sozialbereich tätigen katholischen Verbände und Stiftungen anzuschließen

586 Albert Levy, Die Beschaffung der Geldmittel für die Bestrebungen der freien Liebestätigkeit, (Schriften DV Heft 94), Leipzig 1912, S. 4; zit. nach: SachßefTennstedt, loc. cit., S. 241. 587 Marsilius von Padua (ca. 1270 - ca. 1340), italienischer Staatstheoretiker. 588 Häußermann/Läpple/Siebel, Stadtpolitik, S. 59.

Der Erste Weltkrieg und die Folgen

133

hatten. Damit aber bekam auch das Hegeische Modell der Korporationen und sonstigen Einrichtungen, die sich zunächst in ihre Gemeinde integrierten und diese dann wiederum in den Staat, eine neue Perspektive. Dem Anspruch der Kirchen - andere nichtstaatliche Organisationen oder gar die Stiftungen fanden erst später zu nationalen Zusammenschlüssen zusammen 5 8 9 - in Wohlfahrtsdingen auf nationaler, d.h. auf Staatsebene mit einer gewichtigen Stimme mitreden und mitgestalten zu dürfen, stand zunehmend der des Staates gegenüber, der das Wohlfahrtswesen ebenso souverän gestalten und organisieren wollte, wie er das im Bildungsbereich seit langem gewohnt war. 590

VI.2 Der Erste Weltkrieg und die Folgen Im Ersten Weltkrieg endete eine Blütezeit des deutschen Stiftungswesens, doch ging die Zahl der Neugründungen nicht schlagartig zurück; auch warben Stiftungen nach wie vor öffentlich um Spenden 591 und setzten natürlich zunächst auch ihre Arbeit unvermindert fort. Eine Aufschlüsselung der oben für das Jahrzehnt 1910-1919 angegeben Zahl zeigt, daß der Krieg keinen Einfluß auf die Stiftungsfreudigkeit der Bürger hatte - im Gegenteil, es scheint, als ob die allgemeine Not Stifter über die Maßen beflügelt habe: Tabelle 3:

Neugründungen

1910

14

1911

10

1912

13

1913

20

1914

13

1915

16

1916

12

1917

19

1918

25

1919

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1910-1919592

589 Das Deutsche Rote Kreuz, ebenfalls anerkannter Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege, spielt insofern eine Sonderrolle, als es als nationale Hilfsorganisation gegründet und dann regional gegliedert wurde. 590 Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd. 2: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871 bis 1929, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1988, S. 211. 591 Bspw. rief die sächsische Königin-Carola-Gedächtnis-Stiftung 1915 zu ihrer 5. Lotterie auf (Werbeplakat abgedruckt in: Jean H. Quataert, Staging Philanthropy, Ann Arbour 2001, S. 108). 592 Maecenata Institut, Datenbank deutscher Stiftungen. Die Tabelle enthält nur die heute noch bestehenden Stiftungen.

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Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

Legt man die Durchschnittszahl der jährlichen Neugründungen in diesem Jahrzehnt (16,6) zugrunde, so wurde diese im ersten J a h r f ü n f t nur einmal, im zweiten Jahrf ü n f t hingegen dreimal überschritten, dabei in den letzten zwei Jahren deutlich. Diese Zahlen sagen allerdings nichts über die Vermögensausstattung der neugegründeten Stiftungen aus. Was die Ziele der neu gegründeten Stiftungen anbelangt, so rückten zwar im Verlaufe des Krieges kriegsbedingte Nöte in den Vordergrund, doch entstand beispielsweise 1917 eine Stiftung zur Förderung der Erforschung des antiken Rechts, 1919 eine Stiftung mit dem Hauptzweck, „das schöne Bild und die öffentlichen Anlagen in Lübeck" 593 zu fördern. Diese Zahlen und Einzelheiten könnten zu der Annahme verleiten, das Stiftungswesen habe den Krieg und die Revolution von 1918 ohne besondere Beeinträchtigungen überstanden. Dem ist aber nicht so. Grund hierfür ist das „völlige Vertrauen" 5 9 4 in die staatliche Verwaltung. „Diese war", so Hans Liermann, wie wir meinen, etwas blauäugig, „um die Wende zum 20. Jahrhundert stiftungsfreundlich und auf rechtsstaatlichem Boden peinlich korrekt." 5 9 5 Den Juristen mangelten „die Erfahrungen, die wir heute in so reichlichem Maße gemacht haben. Insbesondere waren auch die Verfallserscheinungen von Währungen, wie sie die Zeit der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege gebracht hatte [sie], gänzlich aus dem Gedächtnis geschwunden". 5 9 6 Liermanns Entschuldigungsversuch überzeugt nicht. Er ist dem von ihm nicht in Frage gestellten Hegeischen Paradigma geschuldet. Der einschneidende staatliche Eingriff in die Autonomie der Stiftungen, der in erster Linie die traditionell zahlreichen Stiftungen in der Verwaltung der Städte und Universitäten betraf, aber auch zahlreiche andere Stiftungen tangierte, war nicht nur dem defizitären Erfahrungshorizont der staatlichen Verwaltung geschuldet. Die Verpflichtung der Stiftungen, ihr liquides Vermögen in sog. mündelsichere Anlagen zu investieren, entsprang zumindest, so räumt Liermann selbst ein, einer patriarchalischen Grundhaltung der Stiftungsbehörden gegenüber den Stiftungen. 5 9 7 Andreas Hanserts Vergleich der Stiftungen mit Kindern macht dies deutlich 5 9 8 . Wie Thomas Adam überzeugend nachgewiesen hat, ergaben erst staatlicher Alleingestaltungsanspruch, verquickt mit staatlichen Fiskalinteressen einen stringenten Begründungsansatz für ein vorsätzliches und abgestimmtes Handeln der verantwortlichen Behörden. 5 9 9

593 594 595 596 597 598

Maecenata Institut, Datenbank deutscher Stiftungen, Eintrag Possehl-Stiftung. Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, S. 282. Ibid. Ibid. Ibid., S. 283. Andreas Hansert, Das Eigeninteresse am Gemeinwohl, Familiengründung und Stiftung als alternative Modelle; in: Roland Becker/Andreas Franzmann/Axel Jansen/Sascha Liebermann (Hrsg.), Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung, Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland. Konstanz 2001, S. 173 ff. 599 S. hierzu grundlegend: Adam, Stipendienstiftungen.

Der Erste Weltkrieg und die Folgen

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Als mündelsicher - die Terminologie weist darauf hin, daß die Behörden Stiftungen als „minderjährig" 600 ansahen - waren ausschließlich inländische festverzinsliche Anleihen öffentlicher Emittenten zu verstehen, d. h. Staats- bzw. nach Ausbruch des Krieges Kriegsanleihen. „Die Stiftungen in Deutschland haben ihr allzu großes Zutrauen zum Staat nicht selten mit herben Verlusten quittieren müssen". 601 Mehr noch: Auch gegen ihren Willen wurden sie spätestens ab 1914 gezwungen, ihr Vermögen, falls es nicht wie beispielsweise das Krankenhausgebäude der Krankenhausträgerstiftung unmittelbar der Verwirklichung des Stiftungszwecks diente, in mündelsichere Anlagen zu investieren. 602 „Aus Stiftungsvermögen wurde auf diese Weise ein [dem Staat] leicht zugänglicher Markt". 603 Diesen Zugang zu schaffen, hatte für den Staat außerordentliche Bedeutung, da es Grundsatz der Politik war, den Krieg über den Kapitalmarkt zu finanzieren und sich die Anleihen zunehmend schwerer auf diesem Markt plazieren ließen. Dieser Gedanke war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgekommen. „Ein weiterer Vorteil der Neugestaltung des Stiftungswesens [...] war der Umstand, daß sich der Staat in Gegensatz zu früher, [als Stiftungsvermögen im wesentlichen aus Immobilien bestanden], leichter Anle[i]hen aus Stiftungsmitteln beschaffen konnte. Und das war bei der damaligen schlechten Finanzlage des Staates ein durchaus nicht zu unterschätzender Vorteil", so Anton Fischer über die bayerische Politik des Jahres 1806. 604 Der Zugang wurde vielfach mit erheblichem Druck vorgesetzter Behörden oder sogar zwangsweise eröffnet, insbesondere dort, wo Stiftungsverwalter, etwa an Universitäten, dienstlichen Weisungen vorgesetzter Staatsbehörden Folge zu leisten hatten. Beispielsweise erhielt die Universität Heidelberg am 26. Februar 1915 eine Aufforderung des badischen Ministeriums für Kultus und Unterricht, „die verfügbaren Mittel" der vereinigten Studienstiftungen in fünfprozentige Kriegsanleihen (2. Kriegsanleihe) zu investieren. 605 Am 13. März 1917 las sich dies so: „[...] ordnen wir unter Bezugnahme auf die anliegenden Merkblätter, die in geeigneter Weise zu verbreiten sind, an, daß sämtliche Grundstocksmittel [...], soweit sie nicht unbedingt anderweitig gebraucht werden, zur Zeichnung auf die 6. deutsche Kriegsanleihe [...] verwendet werden [...]. Über die gezeichneten Beträge ist Anzeige zu erstatten." 606 Ähnliche Vorgänge sind auch für die Universitäten Tübingen, Münster und Rostock nachgewiesen; sie können als typisch für ganz Deutschland angesehen werden.

600 Liermann, loc. cit., S. 283. 601 Maier, Notwendigkeit und Luxus, S. 89. 602 Zum Konzept der mündelsicheren Anlagen s. ausführlich: Felix Hecht, Die Mündel- und Stiftungsgelder in den Deutschen Staaten [sie], Stuttgart 1875. 603 Maier, loc. cit. 604 Fischer, Die Neugestaltung des bayerischen Stiftungswesens, S. 51 f. (Die Beschaffung war umso leichter, als die Vermögensumschichtung zu der Neugestaltung gehörte, die im wesentlichen die Eingliederung aller Stiftungen in eine staatliche Stiftungsverwaltung beinhaltete.) 605 Adam, Stipendienstiftungen, S. 95. 606 Ibid.

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Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

Die Folge dieser Anlagepolitik war, daß diese Stiftungen ihr Vermögen in der Hyperinflation 1923 fast vollständig einbüßten 607 und letztlich wegen Vermögenslosigkeit aufgehoben wurden. Zwar gab es in den Folgejahren Regelungen für Entschädigungen, doch kamen diese oft zu spät oder wurden, wenn auch mit Ausnahmen, zu Ungunsten der Stiftungen ausgelegt. So erhielt beispielsweise die Universität Tübingen auf ihren Antrag auf Gewährung einer sozialen Wohlfahrtsrente für die von ihr verwaltete Neef-Möricke-Stiftung am 4. Juni 1927 folgenden Bescheid: „Nach der [...] Verordnung [...] zur Durchführung des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen [...] sind wohlfahrtsrentenberechtigt die Träger inländischer Einrichtungen, deren wesentliche Zweckbestimmung die Förderung unmittelbarer wissenschaftlicher Ausbildungs- oder Forschungstätigkeit ist. [...] Damit werden [...] die Stipendieneinrichtungen ausgeschlossen, die [...] einzelnen Studierenden das Hochschulstudium wirtschaftlich ermöglichen oder erleichtern sollen." 608 Ergebnis dieser Entwicklungen war ein drastischer Rückgang der Zahl und Leistungskraft der deutschen Stiftungen. Das deutsche Stiftungswesen erfuhr einen Einschnitt, von dem es sich jahrzehntelang nicht erholen konnte, auch wenn im Ergebnis der neuesten Quellenforschungen von Thomas Adam wohl nicht so viele Stiftungen gänzlich ausgelöscht wurden, wie lange Zeit vermutet worden war. 1927 wurde für die Universität Tübingen geschätzt, daß das Stiftungsvermögen auf etwa 10% des Vorkriegswertes zusammengeschmolzen war, die Rendite auf allenfalls 5°/o.609 Betroffen waren naturgemäß vor allem jene Stiftungen, die über kein Immobilien- oder sonstiges Vermögen verfügten, in besonderem Maße die öffentlich verwalteten Stiftungen, denen diese Alternativen zum Teil ausdrücklich untersagt worden waren. Die klassischen Anstaltsträgerstiftungen waren zwar Eigentümer der von ihnen genutzten Gebäude und generierten ihre Mittel regelmäßig aus den von ihnen angebotenen Leistungen. Allerdings hatten diese nicht selten über weiteres Vermögen verfügt, das ihnen eine gewisse Unabhängigkeit gesichert hatte und auf das sie nun nicht mehr zurückgreifen konnten. Der Tenor der Bescheide legt die Vermutung nahe, daß es den staatlichen Stellen nicht immer sonderlich unangenehm war, einem großen Teil der Stiftungen auf diese Weise ihre Aktionsmöglichkeiten zu nehmen. Aber anders als in Frankreich, wo die Haltung des Staates gegenüber den Stiftungen im späten 18. Jahrhundert von einer Jahrzehnte dauernden theoretischen Debatte vorbereitet wurde, vermied der deutsche Staat des 20. Jahrhunderts eine grundsätzliche Diskussion und setzte seine Position gewissermaßen auf dem Verwaltungswege durch. „Die soziale Frage war nicht mit Stiftungen zu bewältigen. So hatte hier der zentralisierende Staat seinen letzten großen Auftritt: er betrat die Bühne mit solcher Wucht, daß kleinere Akteure für lange Zeit verstummten." 610 Die öffentlichen Sozialausgaben stiegen beispielsweise zwi607 608 609 610

Ibid., S. 89. Ibid., S. 99 f. Ibid., S. 96. Maier, Notwendigkeit und Luxus, S. 87 f.

Stiftungen in der Weimarer Republik

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sehen 1913 und 1929 von 20,50 M auf 101,50 M pro Kopf. 611 Der wohlfahrtsstaatliche Anspruch, dem freilich auch ein erheblich gestiegener Bedarf gegenüberstand, bestimmte das Selbstverständnis der Republik als Wohlfahrtsstaat, das in der (sog. Weimarer) Reichsverfassung von 1919 deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. „Es kennzeichnet die deutsche Tradition des Interventionsstaates, daß er beides zugleich war: fortschrittlich und - zumindest in der Tendenz - bürokratisch und autoritär." 612 „Eines erlaubte der autoritäre Wohlfahrtsstaat nicht: die Entfaltung des Untertanen zum vollen Staatsbürger mit allen Rechten dieser Sozialfigur. Seine Basis ist die Unmündigkeit derer, die in ihm leben und die wie die Kinder der patriarchalischen Familie gehalten werden. [...] Aus der Perspektive der politischen Theorie also sind die Verwerfungen der deutschen Gesellschaft [...] ebenso viele Kompromisse; und es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß auch die größten Vertreter dieser Zeit die Kompromisse ihrer Umwelt anerkannt, wenn nicht mitgemacht oder gar herbeigeführt haben." 613 Die privaten Akteure fanden schon deshalb oft nicht die Kraft zu einem nachhaltigen Stiftungshandeln, weil auch private Vermögen durch Krieg und Nachkriegszeit, Inflation und später durch die Weltwirtschaftskrise (1929) erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Institutionalisierte Gemeinschaftsaktionen, von denen eine bezeichnenderweise den Namen ,Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft' erhielt - die andere war der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft - lösten das Mäzenatentum einzelner oder informeller Gruppen ab. 614 Ein gemeinschaftliches Handeln aller Stiftungen war jedoch weder institutionalisiert noch eingeübt, es fehlten dafür die formellen Voraussetzungen ebenso wie die notwendigen Instrumente.

VI.3 Stiftungen in der Weimarer Republik 6 1 5 Der Wohlfahrtsstaat, der in der Reichsverfassung von 1919 programmatisch normiert und im folgenden Jahrzehnt weitreichend umgesetzt wurde, war das Ergebnis dieser seit langem schwelenden Auseinandersetzung, ein Ergebnis, das durch den Weltkrieg und seine Folgen insofern massiv befördert wurde, als lediglich noch der Staat mit Hilfe der Besteuerung auch nur ansatzweise in der Lage war, die Behebung der Not flächendeckend zu finanzieren. Turgots Befürchtungen, Stiftungsleistungen würden die Not erst heraufbeschwören, waren durch die tatsächliche Situation obsolet. Der Wohlfahrtsstaat war allerdings nicht nur der Not, sondern auch der Programmatik der nach dem Weltkrieg dominierenden Parteien geschuldet, die diesen Wohlfahrtsstaat 611 612 613 614

Sachße/Tennstedt, Armenftirsorge (Bd. 2), S. 211 (s. auch Anm. 620). Wirsching, loc. cit., S. 4. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, S. 74. Eckhardt Fuchs/Dieter Hoffmann, Philanthropy and Science in Wilhelmine Germany; in: Adam (Hrsg.), Philanthropy and the Shaping of Social Distinction, S. 113. 615 S. hierzu: Michael Werner, Stiftungen und Mäzenatentum zwischen Weimarer Republik und Drittem Reich; in: Adam/Frey/Strachwitz (Hrsg.), Stiftungen seit 1800, S. 7 1 - 9 4 .

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Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

ausdrücklich wollten und zumindest in den ersten Jahren in diesem Punkt die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hinter sich wußten. 6 1 6 Die seit Beginn des Jahrhunderts sukzessiv heraufgesetzte Besteuerung und andere Eingriffsmaßnahmen des Staates bildeten die Basis, auf der die Republik aufbauen konnte. Vom Hegeischen Konzept war der starke Staat übriggeblieben; der freie Wille und der organische Aufbau dagegen gingen unter den Rahmenbedingungen der Kriegs- und Nachkriegszeit verloren. „[...] Die Weimarer Republik kennzeichnete ein Ausmaß an staatlicher Intervention, das weit über das Bekannte hinausging." 6 1 7 Neue Stiftungen wurden zwar nicht an ihrer Entstehung gehindert, doch schwand ihre gesellschaftliche Bedeutung zunehmend 6 1 8 und erreichte schließlich, allerdings erst in den 1950er Jahren, einen Tiefpunkt. 6 1 9 Stiftungen, die in solchen Bereichen Alternativen anbieten wollten, die der Staat nun für sich allein reklamierte, etwa im Bereich Schule und Hochschule, entstanden praktisch nicht mehr. Insofern ist die Zentralisierung der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten keine Erfindung der Nationalsozialisten. Vielmehr ist „damit [...] eines der wichtigsten, aber auch ambivalentesten Kontinuitätsmerkmale im deutschen Staatsverständnis des 20. Jahrhunderts benannt". 6 2 0 Das deutsche republikanische Staatsmodell näherte sich dem französischen, ebenfalls republikanischen Staatsmodell an, das glaubte, auf sogenannte Intermediäre ganz verzichten zu können - , mehr als der angelsächsischen Vorstellung eines von den Defiziten aller Beteiligten geprägten Gemeinwesens, welches durch checks and balances, also durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure am ehesten vor Fehlentwicklungen bewahrt werden könne. Der Einschnitt hatte nicht nur für die Stiftungen selbst, sondern insbesondere auch für deren Wahrnehmung in der Gesellschaft eine hohe Bedeutung. Stiftungen wurden durch diese Entwicklung zur Marginalie, der man sich aus der Perspektive eines allgemeinen Diskurses kaum noch widmen mußte. Der Grundsatz des Mäzens James Simon, „Wir müssen einstehen, wo der Staat überfordert ist!" war obsolet geworden. In der wissenschaftlichen Diskussion wurden Stiftungen darüber hinaus gerade wegen ihres Potentials zur gesellschaftlichen Gestaltung ebenso kritisiert wie wegen ihrer Absorption von Vermögenswerten in totes Kapital. 621 Und doch blieb das Paradox bestehen, daß weder das Stiftungshandeln ganz zum Erliegen kam, noch Neugründungen ausblieben, sich sogar Stimmen öffentlich für das Stiftungswesen stark machten. So sagte Dresdens Oberbürgermeister Bernhard Blüher 1927: „Wir wollen hoffen, daß es gelingen wird, das einstige reiche Stiftungsvermögen der Stadt, das durch die Geldent616 617 618 619

Ibid., S. 74. Wirsching, loc. cit., S. 4. Vgl. Adam, Stipendienstiftungen, S. 118 f. Ibid., S. 13. Adam legt überzeugend dar, daß deutlich mehr Stiftungen als bisher vermutet, den Einschnitt des Jahres 1923 Überstande haben und daß es in den 1920er und 1930er Jahren zu einer gewissen Erholung des Stiftungsgedankens gekommen ist. Der Einschätzung Adams, politische Richtungsentscheidungen hätten in den 1950er Jahren zu einem Bruch in der Geschichte des Stiftungswesens geführt, ist dagegen zu widersprechen. 620 Wirsching, loc. cit., S. 4. 621 Adam, Stipendienstiftungen, S. 230 f. S. auch Liermann, loc. cit., S. 248.

Stiftungen in der Weimarer Republik

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wertung leider von 64 auf 14 Millionen Mark zusammengeschmolzen ist, allmählich wieder aufzufüllen." 622 Vehement verteidigte er, wenngleich erfolglos, gegenüber sozialdemokratischen Abgeordneten den Beschluß des Stadtrates von 1917/1918, große Stifter durch die Aufstellung von Büsten im Festsaal des Neuen Rathauses zu ehren. 623 Andere Kommunen wie Hamburg und Frankfurt verfuhren ähnlich. 624 Die Stiftungen, zumal die Mehrheit, die im Sozial- und Gesundheitswesen tätig war, mußten sich freilich immer stärker in das staatliche Wohlfahrtssystem einfügen. Vielfach waren sie wirtschaftlich nicht mehr in der Lage, ihren Stiftungszweck zu erfüllen; Staat oder Kommune mußten eingreifen, wenn bedeutende Sozial- oder Bildungseinrichtungen in ihrem Bestand gefährdet waren und das entsprechende Versorgungssystem insgesamt zu sprengen drohten. 6 2 5 Sie waren einer massiven staatlichen Gängelung unterworfen: zum einen über die Bewilligungsbescheide von staatlichen Stellen sowie die Kontrakte mit ihnen, die nicht nur die Höhe der Zuwendungen regelten, sondern auch beispielsweise die Reichshaushaltsordnung mit ihren einschneidenden Bestimmungen zur Besoldung der Mitarbeiter und dergl. bei ihren Partnern zur Anwendung brachten; zum anderen über die staatlich reglementierten Gebührenordnungen mit ihren mit den Sozialversicherungsträgern abzurechnenden Leistungen. Die Sozialdemokraten standen einem privatem Engagement im sozialen Bereich eher ablehnend gegenüber. 626 „Die deutsche Sozialdemokratie [...] hat aus einer verfehlten Haltung der Illiberalität eine fatale Liebe zum Staat entwickelt. [...] Hier ist vor allem die Haltung der Sozialdemokratie als Regierungspartei in der Weimarer Republik bezeichnend." 627 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß an den großen Aufschwung des bürgerlichen Stiftungswesens 628 in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nach 1918 nicht mehr angeknüpft werden konnte, und zwar aus Gründen, die nur bedingt mit einem Rückgang des individuellen oder kollektiven Wohlstands zu erklären sind. Mit dem Rückgang der tatsächlichen Bedeutung verschwand, was kaum erstaunen kann, auch die rezeptive Aufmerksamkeit. 1929 verzichtete die 7. Auflage von Meyers Lexikon auf Definitionen zum Begriff Stiftung und beschränkte sich stattdessen auf praktische Hinweise: „Stiftung, mit juristischer Persönlichkeit ausgestattete Organisation, bezweckt Verwendung eines Vermögens ... nach dem Willen des Stifters." 629 622 Sitzungsberichte der Stadtverordneten zu Dresden, 1. öffentl. Sitzung v. 13. 1. 1927, S. 9, zit. nach: Werner, Stiftungen und Mäzenatentum, S. 75. 623 Ibid., S. 75, 79. 624 Ibid., S. 76 ff. 625 S. bspw. Rüdiger Loeffelmeier, Staatliche Förderung und Mäzenatentum in den Franckeschen Stiftungen, S. 353. 626 Werner, loc. cit., S. 79 f. 627 Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, S. 218. 628 Adeliges Stiften kam im Verlauf des 19. Jahrhunderts nach und nach zum Erliegen. Ab etwa 1830 bildeten bürgerliche Stifter die Mehrheit. 629 Meyers Lexikon: in vollständig neuer Bearbeitung; mit etwa 5000 Textabbildungen und über 1000 Tafeln, Karten und Textbeilagen, Bd. 10, 7. Aufl., Leipzig: Bibliogr. Inst., 1929. S. 921.

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Auf dem Weg zum republikanischen Wohlfahrtsstaat

Etwas hilflos folgt ein Hinweis: „Mit der Aufgabe, Nachrichten über die im Deutschen Reich vorhandenen Stiftungen zu sammeln und zu veröffentlichen, bestand 1914 in Leipzig das Archiv der deutschen Stiftungen." 6 3 0 Ob es noch bestand, war dem Verfasser unbekannt. 6 3 1 Auch meint man, aus dem dürren Text Unsicherheit über die Auswirkungen einer republikanischen Verfassungsordnung, insbesondere aber des erstarkenden Wohlfahrtsstaatsprinzips herauslesen zu können. Dieses Desinteresse spiegelt sich auch in dem fast vollständigen Fehlen wissenschaftlicher Stiftungsliteratur aus der Zeit nach 1918 wider. „Von Gesetzgebung und Wissenschaft sind sie über Jahrzehnte stiefmütterlich behandelt worden." 6 3 2 Auch die publizistische Beschäftigung mit dem Stiftungswesen versiegte nach dem Ersten Weltkrieg fast vollständig. Zahlreiche staatliche Eingriffe wie z.B. tatsächlich oder angeblich erforderliche Zusammenlegungen, Auflösungen, Umwidmungen usw. blieben weitgehend unkommentiert. Selbst der Untergang vieler Stiftungen erfuhr nur wenig und nur punktuelle Aufmerksamkeit. Empirische Untersuchungen, Verzeichnisse oder Register aus dieser Zeit fehlen vollständig. Erst 1989 (!) wurde erneut ein Projekt begonnen, um den Bestand an Stiftungen in Deutschland systematisch zu erfassen. Es scheint, als ob die Stiftung zwar - da rechtlich zulässig - als Institution weiterbestand, aber - da weitgehend marginalisiert - keiner besonderen Beachtung mehr wert war. Man hatte, so ist summarisch zu folgern, andere Probleme, deren Lösung man von staatlichen Instanzen, keineswegs aber von Stiftungen erwartete. Das sicher besonders schwach ausgeprägte Kommunikationsbedürfnis der Stiftungen selbst mag für diesen Befund mit ausschlaggebend sein. Letztlich waren die Stiftungen aus Sicht der Gesellschaft wohl durchgängig und zunehmend eine Randerscheinung, um die im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Prozessen und Entwicklungen nicht sonderlich viel Aufhebens gemacht wurde, und die sich den Entwicklungen weitgehend anzupassen hatten, sie jedenfalls nicht mitgestalten konnten. 6 3 3 Ob Stifterpersönlichkeiten vom Schlage eines Ernst Abbe aus wirtschaftlichen Gründen fehlten, die sehr wohl den Anspruch erhoben hatten, die Gesellschaft über ihr Stiften mitzugestalten, oder ob sie aufgrund der Marginalisierung fehlten, ist letztlich nicht zu klären. Die Tatsache, daß es zwar einen Robert Bosch gab, der Abbe ebenso gekannt hatte wie die großen amerikanischen Stifter, sein großes Stiftungswerk jedoch nicht mehr selbst schuf, mag für letzteres sprechen. 6 3 4

630 Ibid. 631 Das hier und an wenigen anderen Stellen genannte Archiv gilt bis heute als verschollen. 632 Peter Rawert/Sabine Schlosshan, Stiftungsrecht im 20. Jahrhundert, Auswahlbiographie, Köln/Berlin/ München 2004, S. V. 633 Vgl. Herfried Münkler, Anstifter, Unruhestifter. 634 Robert Bosch hatte allerdings 1910 der Technischen Hochschule Stuttgart den Betrag von 1 Million RM als Kapitalstock für eine zu gründende Robert-Bosch-Stiftung mit dem Stiftungszweck der „Pflege und Förderung der physikalischen Grundlagen der ausführenden Technik [...] durch Forschung und sodann durch Unterricht" zugewendet (Ralf Spicker, Die Technische Hochschule Stuttgart als Empfängerin von Stiftungsgeldem, S. 405 f.); s. auch: Theodor Heuss, Robert Bosch, Leben und Leistung, Tübingen 1946, S. 193 f.

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Dennoch, die Institution der Stiftung blieb als solche erhalten. Die Revolution von 1918 fand im öffentlich-rechtlichen Bereich statt. Im privatrechtlichen Raum wurde hingegen schon deshalb auf Kontinuität und Rechtssicherheit Wert gelegt, wenngleich mit einigen Ausnahmen, um möglichst nicht noch mehr Bürger gegen die neue republikanische Ordnung aufzubringen. Die bestehenden Stiftungen konnten so lange von einem Bestandsschutz profitieren, wie sie wirtschaftlich nicht in den Untergang getrieben wurden. Parallel dazu wurde es Usus, daß der Staat (das Reich ebenso wie die Länder) in seiner Unsicherheit über das angemessene Ornatus eines republikanischen Staatswesens Sitten und Gebräuche der Monarchie übernahm. So regelte etwa der Freistaat Bayern auf der Grundlage mehrerer Rechtsgutachten seine vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit dem vormals regierenden bayerischen Königshaus mittels zweier Stiftungen, die 1923 durch Gesetz gegründet wurden. 6 3 5 Das Beispiel der Gründung der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, 636 daß sogar die politischen Parteien von den Monarchen das Recht übernahmen, ihrerseits zu stiften, 637 paradoxerweise vor allem die SPD. Deutschlands erster Reichspräsident Friedrich Ebert hatte kurz vor seinem Tod am 28. Februar 1925 in seinem politischen Testament die Gründung einer Stiftung verfügt, die der politischen und gesellschaftlichen Erziehung von Menschen aller Schichten im demokratischen Geist, der Förderung des Verständnisses zwischen Deutschland und anderen Ländern sowie der Förderung begabter junger Menschen dienen sollte. 638 Zwecksetzung und Verfügung bewegten sich im klassischen Rahmen der Stiftung von Todes wegen. Das Kapital wurde aus Geldspenden, die anstelle von Kränzen zur Trauerfeier erbeten wurden, angesammelt. 639 Die Gründung erfolgte im Einvernehmen mit der Familie Ebert auf Beschluß des Parteivorstandes, der bereits eine Woche nach Eberts Tod gefaßt wurde. Sie hat den späteren parteinahen Stiftungen der Bundesrepublik den Weg bereitet. Die Geschichte dieser Stiftung belegt einen Unterschied zum amerikanischen Stiftungswesen: Stiftungen waren in Deutschland nicht ausschließlich als bürgerschaftliches Handeln oder Ausdruck privater Philanthropie definiert, sondern stellten eine - in zahlreiche Facetten aufgegliederte - Organisationsoption dar, deren sich jedwede natürliche oder juristische Person einschließlich der öffentlichen Gebietskörperschaften unter bestimmten Voraussetzungen bedienen konnte. Dies geschah dort, wo es unschädlich, peripher oder unmittelbar staatsnützig war. Turgots und Kants Verdikt über die Eitelkeit der Stifter mag hierfür eine Begründung liefern.

635 Maecenata Institut, Datenbank deutscher Stiftungen, Einträge Wittelsbacher Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft und Wittelsbacher Ausgleichsfonds. 636 Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen nach der Stunde Null; in: Geschichte und Gesellschaft, 33. Jg 2007/Heft 1, S. 109 f. 637 Vgl. Pielhoff, Stifter und Anstifter, S. 29, Anm. 80. 638 S. Heike Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, Baden-Baden 1999, S. 61. 639 Ibid.

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VII. Totalitarismus und Zerstörung VII.1 Stiftungen im Nationalsozialismus 6 4 0 Nach den vorhergehenden Ausführungen zur Haltung von Staaten mit einem hohen, im Wortsinn monarchischen Anspruch gegenüber dem Stiftungswesen, erstaunt es nicht, daß totalitäre Staaten, die die Herrschaft über alle Lebensbereiche der Menschen beanspruchten, den Stiftungen ideologisch keinen Raum geben wollten. Wenn der am 30. Januar 1933 begründete totalitäre Staat keine Affinität zum Stiftungswesen gehabt hätte, würde dies nicht überraschen. „Die Faschisten verachteten den bürgerlichen Individualismus und den bürgerlichen Rechtsstaat." 641 Überraschend ist vielmehr, daß das Stiftungswesen in der Zeit des Nationalsozialismus nicht gänzlich beseitigt wurde. Auch der NS-Staat, dem die autonome Stiftung fremd sein mußte, verharrte in der Ambivalenz gegenüber dem Stiftungswesen, stiftete sogar selbst und beseitigte die Institution Stiftung rechtlich nicht. Im Großen Brockhaus (1934) findet sich neben Hinweisen auf stiftungsrechtliche Einzelheiten 642 ein eigener Eintrag „Stiftung für die Opfer der Arbeit" 643 , gegründet am 1. Mai 1933. Am 26. Oktober 1933 wurde das für seinen bisherigen Zweck nicht mehr benötigte Gebäude des Preußischen Staatsministeriums 644 in eine neu gegründete Stiftung Preußenhaus eingebracht. Im .großen Herder' von 1935 erscheint eine .Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung' mit einem eigenen Eintrag. 645 Auch das Haus, in dem am 20. Januar 1942 die „Besprechung über die Endlösung der Judenfrage", die sog. Wannsee-Konferenz, stattfand, gehörte zu dieser Zeit der SS-Stiftung Nordhav 646 . Joseph Goebbels, der im März 1933 formuliert hatte: „Am 30. Januar ist endgültig die Zeit des Individualismus gestorben. Die neue Zeit nennt sich nicht umsonst Völkisches Zeitalter. Das Einzelindividuum wird ersetzt durch die Gemeinschaft des Volkes", ließ sich dadurch nicht davon abhalten, eine Joseph-Goebbels-Stiftung zu gründen, deren Vermögen mit Hilfe von Enteignungen und anderen Maßnahmen gemehrt wurde. 647 Die Eitelkeit der Führungskräfte des Regimes, die den uralten Memorialgedanken des Stiftens für ihre eigenen Zwecke nutzten, überwog den totalitären Anspruch. 648 640 S. hierzu Werner, Stiftungen und Mäzenatentum, S. 8 5 - 9 3 . 641 Kocka, Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel, S. 3 642 Der große Brockhaus: Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, Bd. 18., 15., völlig neubearb. Aufl., Leipzig: Brockhaus, 1934. S. 176. 643 Ebd. S. 176. 644 das heutige Abgeordnetenhaus von Berlin 645 Der große Herder: Nachschlagewerk für Wissen und Leben, 4., völlig neu bearb. Aufl. von Herders Konversationslexikon., Freiburg im Breisgau: 1935. S. 574. 646 Selbst die sog. Euthanasie-Maßnahmen waren einer .Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege' übertragen, welche u. a. die Tötungsanstalten einzurichten, das Giftgas zu besorgen, das Personal für den Massenmord zu akquirieren und die Einäscherung der Opfer zu organisieren hatte (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Dezember 2009, S. 8) 647 Joseph Goebbels, Tagebücher, hrsg. v. H. G. Reuth, München 1988, Bd. ΠΙ, S. 1076. S. hierzu insb. Peter Rawert/Andrea Ajzenstejn, Stiftungsrecht im Nationalsozialismus; in: Campenhausen/Kronke/Werner (Hrsg.), Stiftungen in Deutschland und Europa, S. 157- 183. 648 Weitere Beispiele bei Werner, loc. cit., S. 90 ff.

Stiftungen im Nationalsozialismus

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Während sich die Verwaltung in zahlreichen Einzelfallen Zugriff auf Stiftungen verschaffte, blieb eine grundlegende gesetzliche Neuordnung unter nationalsozialistischen Vorzeichen aus. 649 Es ist allerdings zu vermuten, daß einschneidende Maßnahmen auf die Zeit „nach dem Endsieg" verschoben wurden, was eine Bestätigung der Einschätzung darstellt, daß die Stiftungen als Marginalie angesehen wurden. Ungeachtet dessen erfolgten sehr wohl zahlreiche Regelungen, die das Leben der Stiftungen empfindlich berührten. Zwei besonders bedeutsame hatten zwar nicht die Stiftungen selbst im Blick, dennoch waren diese mit betroffen. Zum einen wurde überaus schnell deutlich, daß die neue Staatsmacht mit ihren angekündigten Maßnahmen gegen alles jüdische auch bezüglich des Stiftungswesens ernst zu machen gedachte. „Alle Juden müssen restlos aus jeder Form des Rechtslebens hinaus", hatte schon 1933 Reichsinnenminister Hans Frank verkündet. 6 5 0 Auf dieser Grundlage wurde alles jüdische durch den schon im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 in §87 niedergelegten Grundsatz der Gemeinwohlgefährdung (als Hinderungsgrund für das Entstehen oder Fortbestehen einer Stiftung) hinaus definiert. Damit wurde die Handhabe dafür geschaffen, das Stiftungswesen zu beseitigen, soweit es in irgendeiner Weise, wenn auch nur durch die Person des Stifters, als jüdisch anzusehen war, auch wenn eine rechtsfähige Stiftung definitionsgemäß eigentümer- und mitgliederlos und insofern formal mit dem Stifter nicht verflochten. In diesem Zusammenhang ist es nicht ohne Belang, das „absolutistisch-obrigkeitsstaatlicher Tradition folgend, [...] die für das Entstehen der Stiftung konstitutive Genehmigung ein Akt freien behördlichen Ermessens" 651 war. „Dem Staat blieb damit in jedem einzelnen Falle die Möglichkeit verwaltungspolitischer Einflußnahme auf das Stiftungswesen. In einer Stellungnahme für die Akademie für Deutsches Recht hat dies Nitzsche zu der Feststellung veranlaßt, daß der NS-Staat das Konzessionssystem hätte einführen müssen, wenn es vom BGB nicht bereits normiert gewesen wäre." 652 Aus dieser formaljuristisch abgesicherten Auffassung erwuchsen im Laufe der Jahre zahlreiche beschränkende und konfiskatorische Einzelmaßnahmen. Für sie wurde der Oberbegriff der .jüdischen und paritätischen Stiftungen" geprägt. Darunter verstand man alle Stiftungen, die entweder von Juden errichtet worden waren, von Juden ganz oder teilweise verwaltet wurden oder deren Zielsetzungen sich ganz oder teilweise Juden zuwandten. Wer in diesem Sinn als Jude zu klassifizieren war, regelte § 5 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935. 653 Beispielsweise schrieb der Oberbürgermeister von München am 12. Dezember 1935, es sei „nicht vertretbar, daß aus städtisch verwalteten Stiftungen Juden berücksichtigt werden". 654 Das Sächsische Ministerium für Volksbildung hielt es 1936 für „unumgänglich not-

649 650 651 652 653 654

Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, S. 285 ff. Karl Kraus, Dritte Walpurgisnacht [1933]. München 1967, S. 205 f. Rawert/Ajzenstejn, Stiftungsrecht im Nationalsozialismus, S. 159. Ibid. Ibid., S. 169. Ibid., S. 170.

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Totalitarismus und Zerstörung

wendig", eine Stiftungssatzung neu zu fassen, weil „[...] die Gefahr besteht, daß arische Studierende oder Privatgelehrte, die aus der Stiftung bedacht werden sollen, die Annahme der Stipendien unter Berufung darauf ablehnen, daß aus der Stiftung auch Juden bedacht werden." 655 Am 8. Mai 1939 wurde schließlich durch Erlaß des Reichsinnenministeriums eine umfassende Regelung getroffen: Einer von Juden errichteten Stiftung war mit wenigen Ausnahmen die Genehmigung zu versagen. 656 Von .deutschen Volksgenossen' errichtete Stiftungen durften Juden nicht begünstigen. Bereits existierende Stiftungen von Juden für förderungswerte sachliche Zwecke (z.B. Forschung) durften zwar bestehen bleiben, mußten aber alle Hinweise auf den jüdischen Stifter tilgen. Stiftungen zugunsten jüdischer Destinatare mußten anhand der .Grundsätze der Judenpolitik' überprüft werden. In Stiftungen zugunsten .deutscher Volksgenossen' durften Juden nicht an der Verwaltung beteiligt sein. Stiftungen zugunsten jüdischer und anderer Destinatare sollten nur noch die anderen begünstigen. Stiftungen .deutscher Volksgenossen' zugunsten von Juden mußten aufgelöst werden. Zahlreiche weitere Einzelregelungen verfolgten die gleichen Ziele. Bemerkenswert für den vorliegenden Zusammenhang ist freilich die Tatsache, daß, nachdem einmal die angebliche Gemeinwohlgefährdung im Sinne der NS-Ideologie formaljuristisch verankert worden war, sich alle Maßnahmen auf dem Boden früherer staatlicher Eingriffsrechte bewegen konnten. Insbesondere boten das Bürgerliche Gesetzbuch und eine ständige, unwidersprochen gebliebene Rechtspraxis schon seit mehr als einer Generation alle notwendigen Mittel für ein aktives Eingreifen des Staates. Kants Forderung von 1785, „der Staat muß die Freiheit haben, sie (die Stiftungen) nach dem Bedürfnisse der Zeit einzurichten" 657 , war Wirklichkeit geworden und wurde in dieser Zeit lediglich uminterpretiert. Die zweite wesentliche Änderung der Rahmenbedingungen für die Stiftungen trat durch den Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) am 30. Januar 1935 658 in Kraft. Durch die hier niedergelegten Neuregelungen wurde die Autonomie der Städte und Gemeinden aufgehoben. Sie unterlagen nunmehr in allen Angelegenheiten, somit auch in ihrer Funktion als Stiftungsverwalter, den Weisungen übergeordneter Behörden. Zwar wurde diese traditionell überaus wichtige Funktion nicht beseitigt, doch mischte sich der Reichsinnenminister als oberste Kommunalaufsichtsbehörde (§ 107 DGO) aktiv ein, etwa wenn er 1940 anordnete, die Gemeinden sollten ihr Stiftungswesen unter dem Gesichtspunkt einer Vereinfachung überprüfen, indem sie kleinere Stiftungen zusammenfassten. 1943 meldete der Minister an den Leiter der Parteikanzlei, diese Vereinfachung sei „vielfach bereits vollzogen". Wie viele Stiftungen dadurch beseitigt wurden, ist nicht verläßlich überliefert. 659

655 Ibid., S. 172. 656 Seinerzeit unveröffentlicht (Bundesarchiv Berlin R 1501/27207 (Reichsinnenministerium) Bl. 355 R - 3 6 1 , (Az. VI c 8152/39-7105 Allg.)), s. hierzu ausführlich Rawert/Ajzenstein, loc. cit. 657 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 174. 658 Reichsgesetzblatt I, S. 49. 659 Rawert/Ajzenstejn, loc. cit., S. 163.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

145

Neben diesen grundlegenden Umgestaltungen der Rechtsordnung hatten sich die unmittelbar auf Stiftungen und Vereine zielenden Maßnahmen weniger stark ausgewirkt. Zwar wurde schon 1933 die Abzugsmöglichkeit von Spenden von der Steuerbemessungsgrundlage insgesamt beseitigt, doch sind Auswirkungen auf die Stiftungsfreudigkeit nicht deutlich faßbar. Auch ist für die Stiftungen die für den Wohlfahrtsbereich sehr einschneidende Gleichschaltung der Wohlfahrtsverbände unter Führung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt nicht so folgenreich gewesen, wie befürchtet worden war. Schwerwiegender waren die zahlreichen Ge- und Verbote hinsichtlich der Vermögensanlagen, im Einzelfall konnten die gesetzlich wesentlich erleichterten Enteignungen in Verbindung mit behördlicher Schikane desaströse Folgen für die Stiftungen haben. So wurde beispielsweise das Damenstift Kloster Itzehoe zweimal innerhalb weniger Jahre enteignet und mußte den durch eigene Arbeit erwirkten Wertzuwachs des nach der ersten Enteignung erworbenen Ersatzlandes auch noch versteuern. 660 1 941 wurde eine neue Gemeinnützigkeitsverordnung erlassen, die die Definitions- und Gestaltungshoheit des Staates weiter ausbaute. 661 Ebenso wurde die Zusammenlegung von zum Teil Jahrhunderte alten Stiftungen in Sammelstiftungen, die schon in den Jahren zuvor mehrfach angeregt worden war, forciert. 662 Insgesamt kann es nicht überraschen, daß der Nationalsozialismus den Stiftungen schweren Schaden zugefügt hat, auch wenn er die Institution der Stiftung an sich nicht beseitigte. Doch muß nochmals auf die Kontinuität hinsichtlich des Blicks der Machthaber auf die Stiftungen hingewiesen werden, die diese als reguliertes Dekorum der Staatsmacht zu dulden bereit waren.

VII.2 Nach dem Zweiten Weltkrieg Defacto am 8. Mai, de iure spätestens am 5. Juni 1945 endete bis auf weiteres jede deutsche staatliche Ordnung in Deutschland. Die Besatzungsmächte übernahmen die unmittelbare Regierungsgewalt. Insoweit zunächst auf lokaler, später auf Landesebene wieder deutsche Behörden entstanden, waren sie in jeder Hinsicht von den Entscheidungen ihrer Besatzungsmacht abhängig. Die Besatzungsbehörden selbst waren in den ersten Jahren vor allem am Wiederaufbau der kirchlichen Wohlfahrtsverbände interessiert, deren organisatorisches und ehrenamtliches Potential ihnen für die Bewältigung akuter sozialer Nöte unentbehrlich erschien. 663 Stiftungen waren ihnen wegen ihres tatsächlich oder angeblich elitären Charakters dagegen oft suspekt, so lange sie von dem Gedanken der Beseitigung deutscher Eliten geprägt waren. 660 E. Schuster/R. Gunzert, Die Lage der Stiftungen nach der Währungsreform; in: Albert Franz/Hans Liermann/Hans Helmut zur Nedden/Götz Freiherr v. Pölnitz (Hrsg.), Deutsches Stiftungswesen 1948 - 1966, Tübingen 1968, S. 31 f. 661 Reichssteuerblatt Nr. 106 v. 20. Dezember 1941, S. 9 3 7 - 9 4 3 . 662 Adam, Stipendienstiftungen, S. 105 ff. 663 Gabriele Lingelbach, Die Entwicklung des Spendenmarktes in der Bundesrepublik Deutschland; in: Geschichte und Gesellschaft, 33. Jg., Heft 1, 2007, S. 131.

146

Totalitarismus und Zerstörung

Dies hatte auf die Stiftungen erhebliche Auswirkungen, zumal die Alliierten zu diesem Thema sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten. 6 6 4 Während die Amerikaner einem starken Stiftungswesen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstanden, taten dies die von einer sozialistischen Regierung geführten Briten mit der Einschränkung, daß der staatlich dirigierte Wohlfahrtsstaat, den sie zu Hause gerade in großem Stil ausbauten, dadurch nicht eingeschränkt werden sollte. Frankreich kannte selbst kein Stiftungsrecht und betrachtete Stiftungen mit dem Mißtrauen, das es jeder intermediären Organisation entgegenbringen zu müssen glaubte. Die Sowjetunion stand jeder Form von Polyarchie ohnehin ablehnend gegenüber. Dies hatte in den verschiedenen Zonen beispielsweise bei der Bodenreform Auswirkungen auf die Ermessensentscheidungen und gesetzlichen Ausnahmeregelungen. Aber auch die Verwaltungspraxis deutscher Behörden wurde dadurch beeinflußt. So nutzten in den ersten Jahren manche Kommunal- und Landesverwaltungen die Gunst der Stunde, um abseits öffentlicher Aufmerksamkeit und unbehelligt von einer durchgreifenden Rechtsaufsicht Verwaltungsmaßnahmen aus der NS-Zeit zu Ende zu führen, 6 6 5 indem sie Stiftungen nach Gutdünken zusammenlegten oder wegen tatsächlich oder angeblich nicht mehr vorhandener Lebensfähigkeit aufhoben, in der Praxis also zugunsten des kommunalen oder Landesfiskus enteigneten. Valide Untersuchungsergebnisse hierzu fehlen, doch sind die unterschiedlichen Angaben zur Anzahl kommunal verwalteter unselbständiger Stiftungen in mehreren Städten, die sich durch die Geschichte der einzelnen Stadt und Unterschiede in der Bevölkerungszahl nicht erklären lassen, dafür ein Indiz.

664 S. hierzu Strachwitz, Stiftungen nach der Stunde Null, S. 99 ff.; vgl. auch Campenhausen, Geschichte des Stiftungswesens, S. 42, 665 Vgl. Häußermann/Läpple/Siebel, Stadtpolitik, S. 74 f.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Tabelle 4: Stadt

Unselbständige Stiftungen in der Verwaltung von Städten (Auswahl) 6 6 6 Einwohner in Tsd.

Stiftungen

Aachen

224

14

Bielefeld

321

29

Braunschweig

247

0

Bremen

543

8

Bremerhaven

124

0

Essen

603

26

Frankfurt/Main

643

34

Fürth

109

1

Hannover

516

12

Heilbronn

120

18

Kassel

198

11

960

23

München

1.188

108

Nürnberg

487

9

Pforzheim

117

0

Stuttgart

581

26

Ulm

115

1

Köln

147

Demnach kamen beispielsweise in Bremen auf eine Stiftung rd. 68.000 Einwohner, in Frankfurt rd. 19.000, in Hannover rd. 43.000, in Köln rd. 42.000, in München rd. 11.000 und in Stuttgart rd. 22.000. Die Stiftungen selbst litten unter mehreren Formen der Auszehrung ihrer Vermögenswerte. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs hatten, anders als im vorhergehenden, zahlreiche Stiftungen, darunter insbesondere die in den Städten gelegenen alten Anstaltsträgerstiftungen, durch die Bombardierungen erhebliche Schäden an ihren Gebäuden erlitten. Betroffen waren sowohl Wohnungs- oder Gewerbeeigentum, aus dem die Stiftungen eine Rendite bezogen, als auch Immobilien, in denen wie etwa in der Fuggerei der Stiftungszweck verwirklicht wurde. 667 Allein der Schaden an der 1576 gegründeten Würzburger Stiftung Juliusspital wurde beispielsweise nach Kriegsende auf 5,3 Millionen RM (Brandversicherungssumme) bzw. über 15 Millionen RM (Wiederaufbaukosten) geschätzt. 668 Für zahlreiche Stiftungen bedeutete dies das Ende, da sie nicht hoffen konnten, die Schäden in absehbarer Zeit beseitigen zu können.

666 Frank Adloff/Agnieszka Rembarz/Rupert Graf Strachwitz, Unselbständige Stiftungen in kommunaler Trägerschaft; in: Frank Adloff (Hrsg.), Untersuchungen zum deutschen Stiftungswesen 2 0 0 0 - 2 0 0 2 . Arbeitshefte des Maecenata Instituts, Heft 8, Berlin 2002, S. 15 ff. 667 Schuster u. Gunzert, Die Lage der Stiftungen nach der Währungsreform, S. 32 f. 668 Ibid., S. 32.

148

Totalitarismus und Zerstörung

Mehr noch litten die Stiftungen aber unter der erneuten Entwertung ihrer liquiden Vermögensanlagen. Soweit es sich, wie nach wie vor gesetzlich vorgeschrieben, um öffentliche Anleihen handelte, erhielten sie seit dem 8. Mai 1945 keine oder nur eine sehr beschränkte Verzinsung ihres Kapitals. 669 Nicht nur aufgrund staatlichen Drucks, sondern auch mangels Alternativen auf dem Kapitalmarkt hatte die Mehrheit der Stiftungen nach wie vor in mündelsichere Anlagen investiert, die 1948 durch die Währungsreform wertlos wurden. Eine Erhebung in bayerischen Städten zeigte beispielsweise, daß bis zu 87% der Vermögensanlagen aus solchen Reichspapieren bestanden. 670 Hinzu kamen oft Barguthaben, die keine Anlage mehr gefunden hatten und bei der Währungsreform mit einer Quote von 6,5% in DM umgewertet wurden. 671 Die allgemeine wirtschaftliche Lage führte auch sonst zu einem dramatischen Einnahmerückgang, egal ob aus Mieten, Holzverkäufen oder anderen Ertragsarten. Im Ergebnis besaßen nach der Währungsreform die Kapital-Stiftungen in 16 bayerischen Städten nur noch Vermögen im Wert zwischen 2% und 6,7 % ihres früheren Vermögens. 672 Zahlreiche Stiftungen waren, auf welche Weise auch immer, erloschen. Das 1963 erschienene erste Stiftungsverzeichnis in Bayern (ohne die Pfalz) nach 1945 wies nur noch 1.023 Stiftungen auf, obwohl allein zwischen 1914 und 1963 1.400 neue Stiftungen errichtet worden waren. 6 7 3 Es existieren keine auch nur annähernden Vergleichszahlen zum Gesamtvermögen. 674 Daß die Lage in anderen Teilen Deutschlands ähnlich war, kann angenommen werden. In den ersten Nachkriegsjahren sahen sich die Stiftungen zudem von der Bodenreform bedroht, die von den Siegermächten 1945 in Potsdam beschlossen worden war. E. Schuster berichtete 1948, die amerikanische Zone habe hierfür eine einheitliche gesetzliche Grundlage mit unterschiedlichen Ausführungsbestimmungen in den Ländern geschaffen. Die britische Zone habe bisher (1948) nur in Schleswig-Holstein ein entsprechendes Gesetz erlassen, die französische jeweils unterschiedliche für die drei Länder. 675 Dabei sei es nur zum Teil gelungen, die Stiftungen bei der Landabgabe ganz oder teilweise zu verschonen. Die steuerliche Situation der Stiftungen, soweit sie in ihrer überwältigenden Mehrheit (in der Sprache des Steuerrechts) „steuerbegünstigt", d.h. von Ertrags- und Vermö669 670 671 672 673 674

Ibid., S. 35. Ibid., S. 38. Ibid., S. 40. Ibid., S. 46. Ibid., S. 80. Der Verbleib der nicht mehr bestehenden Stiftungen ist weitgehend unerforscht. Alle Zahlenangaben begegnen grundsätzlichen Schwierigkeiten. Es bleibt unklar, welche Stiftungen in den Angaben enthalten sind. Zu vermuten ist, daß sie im wesentlichen die rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts enthalten, die nicht rechtsfähigen oder treuhänderischen Stiftungen nicht oder nur zu einem kleinen Teil enthalten, die kirchlichen Stiftungen enthalten, soweit sie zugleich (z.B. als Anstaltsträger) Stiftungen bürgerlichen Rechts darstellen, sowie die sehr zahlreichen Kirchenund Kirchenpfründestiftungen mit Sicherheit nicht enthalten. Die Stiftungen öffentlichen Rechts sind wahrscheinlich nicht enthalten, fallen aber auch zahlenmäßig kaum ins Gewicht, Stiftungen in anderer Rechtsform (z.B. Stiftung GmbH (ab den 1950er Jahren) und Stiftung e.V.) ebensowenig. 675 E. Schuster, Bodenreform, Lastenausgleich und Stiftungen, Anlage 4 zum Protokoll der 1. Tagung vom 20. September 1948; in Campenhausen u.a., Stiftungen in Deutschland und Europa, S. 55 f.

Stiftungen in Ostdeutschland

149

gensabgaben befreit waren, war seit 1941 wesentlich durch die neue Gemeinnützigkeitsverordnung bestimmt, die lediglich aufgrund des Gesetzes Nr. 1 der Militärregierung, welche „die Auslegung oder Anwendung deutschen Rechtes nach nationalsozialistischen Lehren" untersagte, entsprechend bereinigt worden war, im übrigen aber ausdrücklich fort galt. 676 Was tatsächlich zu bereinigen war, unterlag einem weiten Ermessensspielraum. Das starke Abhängigkeitsverhältnis der Stiftungen vom Staat wurde zwar auf die wieder entstehenden Landesbehörden überführt, in seinem Wesen jedoch beibehalten. Dieses Verhältnis sollte die Entwicklung des Stiftungswesens in Deutschland bis zum Ende des Jahrhunderts prägen. Schließlich waren insbesondere kleinere Stiftungen durch den Krieg ihrer Führungskräfte beraubt worden. In nicht wenigen Fällen waren vertretungsberechtigte Organe, die in der Lage gewesen wären, die Interessen der Stiftung wirksam zu vertreten, nicht mehr vorhanden; nicht alle Behörden fühlten sich bemüßigt, die im Gesetz vorgesehen Ersatzorgane zu bestellen, da es ihnen oft vorteilhafter erschien, die Stiftungen für erloschen zu erklären und von Staats wegen ihr Erbe anzutreten. Weisungen und Repressionen aus der NS-Zeit, die Letztbegünstigtenklauseln zugunsten von NS-Organisationen zu ändern, hatten hierfür den Boden bereitet.

VII.3 Stiftungen in Ostdeutschland 6 7 7 Stiftungen in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR, sofern sie 1945 noch bestanden, waren zunächst zwei Eingriffen ausgesetzt. Zum einen wurden auch sie von der einschneidenden Bodenreform erfaßt, die Grundbesitz über 100 ha entschädigungslos enteignete, obwohl Stiftungen nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht betroffen waren. Zum anderen wurde ein nicht geringer Teil durch Ausweisung, Flucht, Kriegsgefangenschaft oder Unauffindbarkeit seiner Funktionsträger führungslos und damit zur leichten Beute des Regimes. Zwar galt das Bürgerliche Gesetzbuch bis zum Erlaß eines eigenen Zivilgesetzbuchs der DDR fort, doch waren die darin enthaltenen Bestimmungen für Stiftungen bis dahin längst durch Verwaltungsmaßnahmen ausgehöhlt. Nachdem einige Landesregierungen bereits vorher erhebliche Eingriffe vorgenommen, sich einzelne Behörden auf Landes-, später auf Bezirks- und Kommunalebene aber auch erbittert gegen die Beseitigung des Stiftungswesens gewehrt hatten, 678 erließ das Ministerium des Innern der DDR am 5. November 1952 eine .Anordnung

676 Fritz Schäffer, Die steuerliche Lage der bayerischen Wohltätigkeits- und Kultusstiftungen, Anlage 2 zum Protokoll der 1. Tagung vom 20. September 1948, in Campenhausen u.a., Stiftungen in Deutschland und Europa, S. 25. 677 S. hierzu bspw. Lutz Miehe, Grundzüge der Stiftungspolitik zwischen 1945 und dem Ende der 1950er Jahre auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt, Eine Zwischenbilanz aus historischer Sicht; in: Zeitschrift zum Stiftungswesen, Jg. 7 Heft 2/2009, S. 51 - 6 5 . 678 Ibid., S. 54.

150

Totalitarismus und Zerstörung

über die Anmeldung von Stiftungen und stiftungsähnlichen Vermögensmassen'. 679 Bis zum 15. Januar 1953 hatten „alle natürlichen und juristischen Personen, die Stiftungen, Stiftungsvermögen oder stiftungsähnliche Vermögensmassen verwalten, verwahren oder Kenntnisse oder Aufzeichnungen über den Verbleib solcher Stiftungsgegenstände besitzen", auf einem eigens erstellten Vordruck unter Beifügung von Unterlagen diese Anmeldung vorzunehmen. Die am 27. Oktober 1953 erlassenen .Richtlinien über die weitere Klärung der Frage der Stiftungen und stiftungsähnlichen Vermögensmassen' machten deutlich, welche Ziele mit dieser Erfassungsmaßnahme verfolgt wurden. 6 8 0 Wo immer möglich, sollten die Stiftungen aufgelöst werden. Neugründungen wurden nicht genehmigt. Lediglich die kirchlichen Stiftungen blieben unangetastet. Mit der Einführung des Zivilgesetzbuchs am 1. Januar 1976 gab es in der DDR für die Gründung neuer Stiftungen keine Rechtsgrundlage mehr. Stiftungen waren sowohl als Relikt „überwundener" Gesellschaftssysteme als auch als Beschränkung der unumschränkten Parteiherrschaft mit der Politik der DDR nicht kompatibel. Erstaunlicherweise konnten einige, darunter z.T. nicht unbedeutende Anstaltsträger, dennoch überleben, weil sie im weiteren Sinne einer der Kirchen zugehörten und die DDR es, von Ausnahmen abgesehen, für opportun hielt, Kirchenvermögen nicht anzutasten. Einige weitere Ausnahmen, etwa die Neukonstituierung der Wartburg Stiftung 1987 oder die Gründung der Stiftung ,Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum' 1988 durch Rechtsverordnung verdankten sich formal diesem Grundsatz, politisch jedoch besonderen Staatsinteressen. 681 Paradoxerweise nahm in beiden Fällen die sozialistische Regierung der DDR als Stifterin die Tradition der Monarchen auf. In ihrer Beurteilung der Stiftung als Marginalie war sich die DDR allerdings mit den westdeutschen Ländern im Grunde einig, sie setzte diese freilich, ideologisch bedingt, konsequenter in politisches Handeln um. Schon um die Jahreswende 1989/90 setzten Überlegungen ein, das Stiftungswesen in Ostdeutschland neu zu beleben. Eine .Stiftung Umwelt- und Naturschutz in der DDR' wurde mangels anderer Möglichkeiten im Februar 1990 als Verein gegründet. 682 Noch im September 1990 verabschiedete die Volkskammer ein DDR-Stiftungsgesetz, 683 das zunächst galt und in den ostdeutschen Bundesländern zum Teil bis heute gilt. Die DDR-Regierung selbst gründete ebenfalls im September 1990 mehrere Stiftungen, zum Teil ausdrücklich in dem Bestreben, Modelle für ein neubelebtes Stiftungswesen

679 Kopie mit Beispiel einer Anmeldung beim Verf. Die gesammelten Anmeldungen befinden sich (vollständig?) im Bundesarchiv Berlin (Bestand DO 1 Ministerium des Innern, HA Innere Angelegenheiten, DO 1/9256-9280), sind jedoch nicht gesichtet oder ausgewertet. Für diesen Hinweis bin ich Thomas Adam zu herzlichem Dank verpflichtet. 680 Abgedruckt in: Erco von Dietze/Claudia Hunsdieck-Nieland, Stiftungen in der Mitte Deutschlands, Bonn 1999, S. 53 f. S. auch Miehe, loc. cit., S. 62. 681 Heide Gölz, Der Staat als Stifter, Bonn 1999, S. 36 f. 682 Akten im Archiv d. Verf. 683 Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1990, Teil I Nr. 61, S. 1483 ff.

Stiftungen in Ostdeutschland

151

vorzugeben. 6 8 4 Zur gleichen Zeit legte der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus v. Dohnanyi ein im Auftrag der Körber Stiftung erstelltes Gutachten vor, in dem er die Privatisierung der sog. Volkseigenen Betriebe, d.h. der gesamten Industrie in Form von Stiftungen vorschlug. 6 8 5 Daß er damit an Alfred Webers Vorschläge für eine Vergesellschaftung von Produktiwermögen von 1947 anknüpfte, 5 8 6 war ihm dabei wohl nicht bewußt. Diese Vorschläge sind nicht weiter verfolgt worden, doch setzten bald Bemühungen ein, neue Stiftungen in den ostdeutschen Ländern zu gründen und alte wiederzubeleben. Während ersteres lange Zeit, zumindest was private Stifter betraf, nur langsam vorankam und im wesentlichen staatlichen Stiftern vorbehalten blieb, scheiterte letzteres oft genug daran, daß vertretungsbefugte Organe nicht mehr vorhanden waren und die Behörden ebenso wie 40 Jahre zuvor in Westdeutschland von sich aus nicht tätig wurden, weil sie die ihnen vor langem zugeschlagenen Vermögen nicht wieder herausgeben wollten. In einigen, z.T. spektakulären Fällen, etwa im Fall der hochbedeutenden Leipziger Gemäldesammlung Speck v. Stemburg, wurden Stiftungen im Zusammenhang mit Restitutionen gegründet. 6 8 7 Daß diese Neubelebung (im Gegensatz etwa zur Restitution von Vermögenswerten an Privatpersonen) dennoch im wesentlichen unwidersprochen in Angriff genommen werden konnte, war nicht zuletzt einem auch in Westdeutschland grundlegend veränderten Paradigma bürgerschaftlichen Handelns geschuldet. An Stelle der Angst vor Polyarchie trat allmählich das Paradigma der Zivilgesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement im öffentlichen Raum erhielt einen zunehmend positiv besetzten Stellenwert, dem sich auch die Staatsverwaltung, die gerade in Ostdeutschland dem auf die Dominanz des Staates verkürzten Hegeischen Modell folgte, letztlich nicht entziehen konnte. Hierüber wird im letzten Abschnitt zu sprechen sein.

684 Kulturstiftung Haus Europa, Stiftung Neue Kultur, Stiftung Industrie- und Alltagskultur u. a. : Akten im Archiv d. Verf. 685 Klaus v. Dohnanyi u.a., Stiftungen und die Privatisierung „volkseigener" Betriebe: Eine Chance für Deutschland in der bisherigen DDR, Gutachten, Hamburg 1990. 686 s. u.: Anm. 687 Vgl. Herwig Guratzsch, Maximilian Speck von Sternberg. Ein Europäer der Goethezeit als Kunstsammler. Eine Publikation der Maximilian Speck von Sternberg Stiftung, Leipzig 1998.

152

Vili. Westdeutscher Staat und Stiftungen nach 1945 VIII.1 Der Neubeginn In den drei Westzonen gelang es ab etwa 1948, dem Stiftungswesen zu einem Neuanfang zu verhelfen. Erstmals nahmen die Stiftungen dies selbst als Gruppe in die Hand, auch wenn sie sich dabei stark an den Staat anlehnten. War vor 1945 nie der Versuch eines verbandlichen Zusammenschlusses unternommen worden, so trafen sich auf Anregung der Fuggerschen Stiftungen im September 1948 29 Persönlichkeiten in Würzburg. Das Treffen war im Vorfeld als erste Tagung bayerischer Wohltätigkeitsund Kultusstiftungen apostrophiert worden, stellte aber de facto die Geburtsstunde einer Arbeitsgemeinschaft Deutscher Stiftungen dar. 688 Diese Arbeitsgemeinschaft hatte einen nicht geringen Verdienst daran, zunächst in Bayern, sukzessive dann auch in den übrigen westlichen Bundesländern neue gesetzliche Rahmenbedingungen für das Entstehen und die Arbeit von Stiftungen geschaffen zu haben. Diese fußten allerdings, soweit es um zivilrechtliche Bestimmungen ging, in ungebrochener Tradition auf dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900, und, soweit es um das Steuerrecht ging, auf der Gemeinnützigkeitsverordnung von 1941. An der engen, überkommenen Verschränkung der Stiftungen mit dem Staat wurde insofern nicht gerüttelt. Auch für das Stiftungswesen galt: „Die Geschichte des deutschen Sozialstaates kennzeichnet [...] eine besondere ,Pfadabhängigkeit'. Konkret hieß das: einmal getroffene Grundsatz- und Systementscheidungen prägen langfristig die Erwartungen und präjudizieren künftige Lösungsansätze. Reformen [...] sind dann eben nur auf dem einmal beschrittenen Pfad möglich, und ihre Instrumente kommen aus dem bereits bekannten System." 689 Es verwundert vor diesem Hintergrund kaum, daß der Hauptredner der Würzburger Tagung, Fritz Schäffer 690 , als Voraussetzungen für eine Anerkennung als öffentliche, d.h. in den öffentlichen Raum hineinwirkende Stiftung nannte: „1. muß die Stiftung im Interesse des Staates gelegen sein, 2. muß sie öffentliche Aufgaben erfüllen, 3. muß ein obrigkeitliches Verhältnis zwischen der Körperschaft der Stiftung und zwischen den Personen, den Mitgliedern bestehen". 691 Läßt der dritte Punkt Unkenntnis über die Natur einer privatrechtlichen Stiftung erkennen und verrät er durch die Terminologie den Standpunkt des Redners, so machen die ersten beiden Punkte deutlich, daß auf der Seite der Staatsorgane eine Neupositionierung in Richtung eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren in keiner Weise erfolgt war. Stiftungen hatten zu tun, was die staatliche Obrigkeit von 688 Strachwitz, Stiftungen nach der Stunde Null, S. 99; s. auch: Protokoll der 1. Tagung der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Wohltätigkeits- und Kultusstiftungen, vom 20. September 1948; in: Campenhausen/Kronke/Werner, Stiftungen in Deutschland und Europa, S. 3 ff. 689 Vgl. Wirsching, Zwischen Entstaatlichung und Überforderung, S. 4. 690 Fritz Schäffer, Bayerischer Ministerpräsident (1945), Bundesfinanzminister (1949-1957), Bundesjustizminister (1957-1961) 691 Protokoll der 1. Tagung ..., S. 5.

Der Neubeginn

153

ihnen verlangte. So hatte es sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage des Hegeischen Staatsmodells entwickelt, so sollte es - ganz selbstverständlich - bleiben. Und so blieb es tatsächlich jahrzehntelang. Schon 1947 war Alfred Weber in seiner Schrift .Sozialisierung, zugleich als Friedenssicherung' dafür eingetreten, die Unternehmen der Schwerindustrie in Stiftungen umzuwandeln. 6 9 2 Wäre dies so geschehen, wäre jedenfalls die Marginalität der Stiftungen beendet worden. Daran jedoch war zu dieser Zeit niemand interessiert. In welchem Umfang sich ältere Stiftungen in den Jahren nach Gründung der Bundesrepublik und der Wiederherstellung mehr oder weniger einheitlicher Rechtsverhältnisse in Westdeutschlanderholen konnten, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Bekannt ist dagegen, daß auch unmittelbar nach 1945 kontinuierlich neue Stiftungen gegründet wurden, wenn auch nicht in großer Zahl. Für die Jahre zwischen 1940 und 1949 sind 140 Neugründungen nachgewiesen. Die Paradoxie der Stiftung zeigte sich hier erneut.

Tabelle 5: Jahr

Stiftungsgründungen 1941 - 1 9 5 0 6 9 3 Stiftungsgründungen

1941

22

1942

21

1943

17

1944

6

1945

3

1946

8

1947

13

1948

20

1949

29

1950

26

Die Zahl verdoppelte sich im Zeitraum von 1950 bis 1959, wobei die Tätigkeitsbereiche Bildung, Forschung und Kultur weit überproportional zunahmen. 6 9 4 Aber erst für die Zeit nach 1970 kann eine wesentliche Steigerung der Gesamtzahl konstatiert werden.

692 Alfred Weber, Sozialisierung, zugleich als Friedenssicherung, Heidelberg 1947. 693 Elisabeth Brummer/Sylvia Ruprecht, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 1998, München 1998, S. 10. 694 Ibid.

154

Westdeutscher Staat und Stiftungen nach 1945

Tabelle 6: Zeitraum

Stiftungsgründungen pro Jahrzehnt 1951 - 2 0 0 0 6 9 5 Stiftungsgründungen

1951 - 1 9 6 0

329

1961-1970

516

1971-1980

718

1981-1990

1532

1991-2000

2739

Prägend für die ersten Nachkriegsjahre war das aus der Not des Krieges und der Emigration erwachsene .Zusammenrücken' der Demokraten, das Bemühen, das Scheitern der Weimarer Republik nicht ein zweites Mal zu wiederholen, indem man über Standes-, Herkunfts-, Bildungs-, Konfessions-, Partei-, Berufs- und andere Grenzen hinweg nach Möglichkeiten des gemeinsamen Handelns für den Wiederaufbau suchte. Es entstand der für Westdeutschland so kennzeichnende Korporatismus, innerhalb dessen die staatliche Aufsicht und sogar die aktive staatliche Mitwirkung an dem im Kern bürgerschaftlich-privaten Vorgang nicht als Bevormundung, schon gar nicht als unerlaubter Eingriff in freie Handlungsräume der Bürger, sondern als willkommenes Miteinander empfunden wird. 6 9 6 In diesem Zusammenhang sind die intensiven Bemühungen zu sehen, mit Hilfe der Wirtschaft die in ihren Gebäuden zerstörte und in ihren Strukturen daniederliegende Universitätslandschaft in Deutschland wieder zu beleben. Schon im Frühjahr 1946 wurde in Hannover eine Leibniz Stiftung für Kunst und Wissenschaft gegründet. An der Vorbereitung waren Industrielle wie Werner Bahlsen ebenso beteiligt wie Wissenschaftler wie Max Planck, Landesbischof Hanns Lilje und Kultusminister Adolf Grimme. 5 9 7 Sie wurde durch ihre Gründungsgeschichte und ihre Zielrichtung nicht nur zu einem wichtigen Katalysator für die Wiederbegründung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, sondern auch zu einem Modell für die Bündelung u n terschiedlicher Mitwirkender und Interessenlagen. Spätere Stiftungsgründungen, wie die Volkswagenstiftung, die Stiftung Warentest, die Kulturstiftung der Länder oder die Stiftung Wissenschaft und Politik sind eindrucksvolle Belege für dieses Leitbild. Auch die im Vergleich zu anderen Ländern einzigartige Praxis von Bund, Ländern und Gemeinden, in zunehmendem Umfang selbst Stiftungen sowohl privaten wie öffentlichen Rechts zu gründen, hat hier ihre Wurzeln, übrigens eine Praxis, die unter dem Stichwort .Schattenhaushalt' immer wieder zu Diskussionen innerhalb der klassischen Staatsrechtslehre geführt hat. Darauf wird noch einzugehen sein.

695 Ibid. 696 Vgl. Alfred Münchmeyer, Hinter weißen Fassaden, ein Bankier betrachtet sein Leben, Reinbek 1993, S. 190 (Für den Hinweis auf diese Quelle sei Frau Christine Bach, Hamburg/Frankfurt a.M. gedankt.) 697 Winfried Schulze, Der Stiftenrerband für die Deutsche Wissenschaft 1920- 1995, Berlin 1995, S. 108 f.

Stiftungen zwischen Staat und Bürger

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VIII.2 Stiftungen zwischen Staat und Bürger Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland stellte 1949, wenn auch sehr versteckt, klar, daß sich das Stiftungswesen auch zukünftig innerhalb des Verfassungsrahmens bewegen würde. Indem durch Art. 140 die Bestimmungen der Art. 137 und 138 der Reichsverfassung von 1919 zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt wurden, war die Zukunft des kirchlichen Stiftungswesens zunächst verfassungsrechtlich abgesichert. 698 Dagegen konnte von einem Recht zu stiften, analog zur Vereinigungsfreiheit, nicht die Rede sein. Allenfalls aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) läßt sich ein Recht zu stiften, aus dem Grundrechtsschutz für juristische Personen (Art 19, 3 GG) ein Bestandsschutz für Stiftungen herauslesen. 699 Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900, in dessen § § 8 0 bis 88 die Staatsaufsicht über die Stiftungen bürgerlichen Rechts geregelt war, galt fort. 700 Diese Aufsicht hatte schon bis 1933 den Ländern oblegen und kehrte nun in deren Zuständigkeit zurück. Waren die Einzelheiten vorher z.T. in allgemeinen Ausführungsgesetzen zum BGB enthalten gewesen, 701 machte man sich jetzt daran, eigene Landesstiftungsgesetze zu konzipieren, die in Details durchaus voneinander abwichen. Daß Bayern hierbei 1954 den Anfang machte, ist wohl den von Bayern ausgehenden Initiativen der Stiftungen selbst zu verdanken und stellte auch eine Abwehr des traditionellen bayerischen Etatismus dar. Das traditionell bürgerlich geprägte, stiftungsfreundliche Hamburg begnügte sich dagegen bis nach der Reform der stiftungsrelevanten Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 2002 mit einigen Abschnitten in einem allgemeinen Ausführungsgesetz zum BGB. Einheitlich wurde zunächst daran festgehalten, daß die zur Erlangung der eigenen Rechtspersönlichkeit notwendige Genehmigung einer Stiftung durch eine Staatsbehörde in deren Ermessen lag, der Stifter also keinen Anspruch auf Genehmigung seiner Stiftung hatte. Einige Bundesländer nutzten dies durchaus zu politischen und verwaltungsbezogenen Einflußnahmen auf den Stifterwillen, die jedenfalls den Rahmen einer Rechtsaufsicht deutlich überschritten, wobei Unterschiede zwischen den maßgeblichen politischen Parteien nicht festzustellen sind. „Die Tatsache, daß der Staat weiterhin die Definitionsmacht darüber behielt, was als ein öffentliches Bedürfnis anzuerkennen sei, zeugt von der

698 Art. 140 GG bestimmt: „Die Bestimmungen der Artikel ... 137, 138 ... der deutschen Verfassung v o m 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes." Art. 137 dieser Verfassung bestimmte: „... (3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. ..." Art. 138 bestimmte: „... (2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren ... Stiftungen ... werden gewährleistet." 699 Edzard Schmidt-Jortzig, Stifterfreiheit - Bedingungen eines Grundrechts auf Stiftung; in: Rupert Graf Strachwitz/ Florian Mercker (Hg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, Handbuch für ein modernes Stiftungswesen, Berlin 2005, S. 57 ff. 700 Bemd Andrick/Joachim Suerbaum, Stiftung und Aufsicht, Dogmatik - Stiftungspraxis - Reformbestrebungen, München 2001, S. 11. 701 Der in der Bayerischen Verfassung v o n 1919 enthaltene Auftrag an den Landesgesetzgeber, ein Stiftungsgesetz zu erlassen, wurde beispielsweise nie umgesetzt.

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starken Präsenz paternalistischer Traditionen in der frühen Bundesrepublik. Statt den Bürgern die Entscheidung anzuvertrauen, zu wessen Gunsten sie zur sozialen Umverteilung beitragen wollten, behielt sich der Staat diese Kompetenz vor [.,.]".702 Diese, auf das Spendenwesen und die Wohlfahrtsverbände gemünzte Feststellung trifft auf die Stiftungen gleichermaßen zu. Die Gründungen der 1950er und 1960er Jahre verstanden sich nicht als Alternativen zu staatlichem Handeln, sondern als dessen Erfüllungsgehilfen. Ähnlich wie schon in den 1920er Jahren, aber jetzt in viel größerem Umfang, wurde die Stiftung nach 1945 als Organisationsoption für staatliches Handeln genutzt. Daß damit auch eine Tradition der nationalsozialistischen Zeit fortgeführt wurde, dokumentiert neben vielen anderen Beispielen die erstaunliche Kontinuität der Verwaltungspraxis. „Otto Mayers vielzitierte Beobachtung, nach der Verfassungsrecht zwar vergeht, Verwaltungsrecht aber besteht, [ist] nicht nur zynisch, sondern auch unheimlich richtig." 703 Eines der frühesten Beispiele der Nachkriegszeit ist die Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie wurde notwendig, nachdem die Siegermächte den Staat Preußen 1947 durch Gesetz für aufgelöst erklärt, aber nicht abschließend geregelt hatten, wem die Vermögenswerte dieses Staates zufallen sollten. Während Bund und Länder andere Vermögenswerte unter sich aufteilten, einigten sich die Siegermächte darauf, den Kunstbesitz sowie die Preußische Staatsbibliothek und das Preußische Staatsarchiv ungeteilt zu lassen, jedenfalls soweit sie darüber verfügen konnten. Die in Ostdeutschland liegenden Teile wurden naturgemäß von der DDR in Besitz genommen. Die Stiftung wurde als Stiftung öffentlichen Rechts konzipiert, da für eine Privatisierung eine legitimierte Instanz nach der Auflösung des Staates Preußen nicht mehr bestand, zumal die westdeutschen Länder ausdrücklich nicht Rechtsnachfolger waren. Hinzu kam wohl der praktische Grund, den Rechtsstatus der Mitarbeiter als Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes erhalten zu wollen, sowie die Perspektive, der Stiftung bei den vorhersehbaren Verhandlungen um Restitutionen und dergl. eine stärkere Verhandlungsposition zu verschaffen. Das Ergebnis war, daß die Berliner Museen, der wesentliche Teil der Stiftung, bis heute als Staatliche Museen firmieren, ohne daß klar ist, welcher Staat heute damit eigentlich gemeint ist. Eine formal exzentrische, die Zielrichtung aber deutlich herausstellende Lösung wurde für die 1948 wiederbegründete Studienstiftung des deutschen Volkes gefunden. Sie ist zugleich ein eingetragener Verein im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Mitgliederversammlung und Vorstand und eine öffentlich-rechtliche Stiftung mit Kuratorium und Stiftungspräsident. 704 „Der Sinn dieses verschachtelten Aufbaus lag in dem Bestreben, möglichst viele einflußreiche Kreise in Politik und Wirtschaft in die Studienstiftungsarbeit zu integrieren [..,]".705 Daß der Staat auch die privatrecht702 703 704 705

Gabriele Lingelbach, loc. cit., S. 136. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, S. 234 f. Rolf-Ulrich Kunze, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925, Berlin 2001, S. 276. Ibid., S. 277; s. insb. Anm. 68.

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liehe Form der Stiftung nutzte, zeigt das Beispiel der 1983 gegründeten Stiftung Preußische Seehandlung, die mit einem Teil des Liquidationsüberschusses der durch Kontrollratsgesetz 1947 aufgelösten Preußischen Staatsbank, immerhin 19 Millionen DM, ausgestattet und kurioserweise dem üblichen behördlichen Genehmigungsverfahren unterworfen wurde, obwohl die Gründung durch Gesetz erfolgt war. Wie hätte die zuständige Senatsverwaltung die Genehmigung versagen können? Andererseits behielt sich die politische Führung den maßgeblichen Einfluß in den Gremien vor. 706 Selbst der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, ein von der Wirtschaft und wirtschaftsnahen Persönlichkeiten getragener Zusammenschluß, bemühte sich nicht nur, wie zu erwarten gewesen wäre, um ein enges Verhältnis zu den Wirtschaftsverbänden BDI, BDA und DIHT, sondern ganz besonders auch zu den staatlichen und parastaatlichen Wissenschaftsorganisationen DFG und Max-Planck-Gesellschaft. Zwar war das Verhältnis zu diesen nicht immer konfliktfrei; der Anspruch, eine alternative Wissenschaftsförderung zu betreiben oder auch nur starke eigene Akzente zu setzen, wurde aber lange nicht ernsthaft angemeldet. 707 Das markanteste Beispiel für eine staatliche Stiftungsgründung ist jedoch zweifellos die Volkswagen Stiftung. Sie entstand als Paketlösung, der drei ganz unterschiedliche Motive zugrunde lagen. Der politische Wille richtete sich darauf, der Forschung mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, die Eigentumsverhältnisse an dem früheren Kraftdurch-Freude-Betrieb Volkswagen abschließend zu klären und zu ordnen, sowie Aktienbesitz in der Bevölkerung breit zu streuen. Die Vorgeschichte der Gründung reicht in eine Zeit zurück, als der Stiftungsgedanke aus der öffentlichen Wahrnehmung noch weitgehend ausgeblendet, aber eine Vorstellung von der Stiftung als Mittel der Sozialisierung in manchen Kreisen erhalten geblieben war. Am 19. September 1953 richtete Claus Naumann, ein 22-jähriger Student der Wirtschaftswissenschaften in Mannheim, einen Leserbrief an die Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, der unter der Überschrift „Wem soll das Volkswagenwerk gehören? Vorschlag zu einer Stiftung" veröffentlicht wurde. 708 Naumann verglich unter Bezugnahme auf die Geschichte sowie die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Bund, Land Niedersachsen, Gewerkschaften und anderen um die Eigentumsverhältnisse an diesem bedeutenden Industrieunternehmen die beiden Möglichkeiten .Staatseigentum' und .Privateigentum'. Einerseits, so führte er aus, sei es gefährlich, „ein lebendiges und aufwärts strebendes Unternehmen der staatlichen Direktive zu unterstellen", andererseits bestehe bei einer Privatisierung das Risiko, daß „das Werk in fremde Einflußsphären gelangen könnte". 709 Naumanns Analyse erscheint auch mit einem Abstand von 60 Jahren ungewöhnlich klarsichtig. Zugleich offenbaren seine Folgerungen, wie fest verwurzelt auch sein Denken in dem Grundsatz war, alle

706 Stiftung Preußische Seehandlung (Hrsg.), Stiftung Preußische Seehandlung 1 9 8 3 - 2 0 0 3 - 20 Jahre Förderung, Berlin 2003, S. 11 f. 707 Winfried Schulze, Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, S. 152 ff. 708 Rainer Nicolaysen, Der lange Weg zur Volkswagen Stiftung, Göttingen 2002, S. 63 f. 709 Ibid.

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Kräfte müßten unter Mißachtung der unterschiedlichen Interessenlagen gebündelt und zu gemeinsamem Handeln geführt werden. Das Volkswagenwerk sollte, so stellte er sich das vor, in eine Stiftung umgewandelt werden, in der der Staat begrenzte Kontrollrechte behalten und „ein echter Unternehmer" mit großen wirtschaftlichen Freiheiten die Leitung übernehmen würde. Ein „Kreativorgan", in welchem Vertreter des Staates, der Gewerkschaft, der Arbeitgeberverbände, Sachverständige der Industrie sowie Belegschaftsangehörige sitzen würden, sollte die Geschäfte des Werkes prüfen und der Öffentlichkeit einen genauen Rechenschaftsbericht vorlegen. Der Unternehmensgewinn sollte für das Werk selbst verwendet, aber auch an Arbeiter und Angestellte als Prämie ausgezahlt werden. 7 1 0 Die Fundierung eines solchen Konzepts in den Hegeischen Vorstellungen von einem organischen Gebilde, in dem Staat und bürgerliche Gesellschaft, darunter auch die Korporationen, unter Führung des Staates einen gemeinsamen Willen verwirklichen, ist unverkennbar. Wenn auch Naumanns „Zwischenruf 7 1 1 wirkungslos verhallte, knüpfte sich das weitere Schicksal des Volkswagenwerks letztlich dennoch an eine Stiftungsgründung, u.a. deswegen, weil dieses Stichwort schon 1950 in internen Diskussionen der Unternehmensleitung in einem sehr privaten Kontext aufgetaucht, aber eben mangels privatem Stifter wieder verworfen worden war. Nachdem sich der schon im Zusammenhang mit der Würzburger Stiftungstagung hervorgetretene Fritz Schäffer, inzwischen Bundesfinanzminister, 1953 eindeutig gegen eine Privatisierung ausgesprochen, sein Kabinettskollege Ludwig Erhard diese aber befürwortet hatte, 7 1 2 war zunächst eine Patt-Situation gegeben. Erst einige Jahre später kam vor einem ganz anderen Hintergrund wieder Bewegung in die Debatte. Der wissenschaftliche Rückstand gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten wurde zu einem der beherrschenden Thema der öffentlichen Diskussion. Neben vielen anderen appellierte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft am 28. April 1956 an Bund und Länder, die Leistungen an die Wissenschaft auf 1% des Volkseinkommens zu erhöhen, also fast zu verdoppeln. Zugleich sollten sich die Mitgliedsunternehmen des Stifterverbandes verpflichten, 1 % der Dividenden der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. 713 Daß dies auf Seiten des Staates durch Umschichtungen im Haushalt fast unmöglich, durch einen Rückgriff auf Reserven und Vermögenswerte aber denkbar erschien, lag auf der Hand. Nachdem die Sowjetunion im Herbst 1957 den ersten Satellit, genannt Sputnik, ins All geschossen hatte, verstärkte der so bezeichnete Sputnik-Schock den Ruf nach staatlichem Handeln. Erst vor diesem Hintergrund gelang es, eine Formel zu finden, die politisch akzeptabel und zielführend erschien. Wesentliche Hilfestellung leistete dabei Ludwig Erhards Traum von der Volksaktie. Das letztlich angenommene Konzept stellte zunächst sicher, daß nur der Bund und das Land Niedersachsen Eigentumsrechte an der Volkswagenwerk GmbH beanspruchen konnten. In dem am 11./12. No-

710 711 712 713

Ibid. Ibid., S. 65. Ibid., S. 69 f. Ibid., S. 94, s. auch Schulze, loc. cit., S. 216.

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vember 1959 abgeschlossenen Staatsvertrag verpflichteten sich beide, die Anteile an der GmbH zu veräußern und den Erlös in eine zu gründende wissenschaftsfördernde Stiftung einzubringen. Die Veräußerung erfolgte in der Form, daß die GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die Aktien wurden, mit umfangreichen Regularien versehen, breit gestreut veräußert. Um die Ausgestaltung der Stiftung mußte anschließend noch gerungen werden. Erst am 19. Mai 1961 wurden Stiftungsurkunde und Satzung unterzeichnet. Entgegen anderen, insbesondere von den Ländern vorgebrachten Vorstellungen wurde die Stiftung nicht als reine Verrechnungs- und Zahlstelle, sondern als selbständig gestaltende, arbeitende Fördereinrichtung konzipiert. Der für diese Variante im Vorfeld gebräuchliche Arbeitstitel „Nationalstiftung" wurde jedoch fallengelassen. 714 Entstanden war zwar formal eine Stiftung bürgerlichen Rechts. Da eine Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben nicht denkbar erschien, genügte diese Form vollauf. Jedoch war über das einzige vertretungsberechtigte Organ, das Kuratorium, nicht nur die Präsenz, sondern geradezu eine Dominanz staatlicher Vertreter vorgegeben. Daß das Kuratorium dadurch zu einem Ort von Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern oder auch zwischen einzelnen Politikern zu werden drohte, wurde in Kauf genommen. Kernbegriff war stets der Einfluß, der auf die Förderentscheidungen ausgeübt werden sollte. 715 Daß der Bundesrechnungshof darüber hinaus beanspruchte, die Bücher der Stiftung Volkswagenwerk (später Volkswagen Stiftung) zu prüfen und einen von der Stiftung dagegen angestrengten Rechtsstreit gewann, mag als weiteres Indiz für die in den Verträgen und Satzungen fest verankerte Maxime dienen, daß diese Stiftung ein privatrechtliches Instrument zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu sein hatte. 716 Dem steht nicht entgegen, daß sie in ihrem Selbstverständnis als echte Stiftung gesehen werden will und stets darauf Wert gelegt hat, Teil der .Stiftungsfamilie' zu sein. In späteren Jahren haben Bund und Länder das Modell Volkswagen Stiftung mehrfach wiederholt. Beispiele dafür sind die Bayerische Landesstiftung, entstanden aus dem Erlös des Verkaufs der Bayerischen Staatsbank, die Kunststiftung Baden-Württemberg, entstanden aus dem Verkauf des landeseigenen Energieversorgungsuntemehmens, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, ausgestattet mit dem Erlös aus der Privatisierung der Wintershall AG und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, finanziert aus Steuermitteln und Beiträgen von Unternehmen. Diesen Stiftungen ist neben den öffentlich-rechtlich verfaßten Stiftern insbesondere die vergleichsweise hohe Vermögensausstattung gemeinsam, die private Stifter in den Schatten zu stellen droht. Hier wird eine neue Qualität der Vereinnahmung des privaten durch das

714 Nicolaysen, Der lange Weg zur Volkswagen Stiftung, 2002, S. 341. 715 Ibid., S. 394 ff. 716 Josef Isensee, Stiftung, Staat und Gesellschaft; in: Volkswagen Stiftung (Hrsg.), Impulse geben - Wissen stiften, 40 Jahre Volkswagen Stiftung, Göttingen 2002, S. 18 u. f.; s. a. Verweis auf Anm. 40: Stephan Dewald, Die privatrechtliche Stiftung als Instrument zur Wahrnehmung öffentlicher Zwecke, 1990.

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staatliche erkennbar, indem der Staat private Instrumente nicht mehr unterdrückt, sondern sich ihrer in einer Weise bedient, daß sie von außen fast primär als Instrumente staatlichen Handelns gesehen werden. Zu diesem Eindruck tragen auch die nahezu ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanzierten sogenannten Parteistiftungen bei.

VIII.3 Die parteinahen Stiftungen Die seit den 1950er Jahren gegründeten Stiftungen der politischen Parteien bilden eine im internationalen Vergleich fast singulare, öffentlich stark rezipierte Facette des deutschen Stiftungswesens. Ihre Größe und ihr Aktionsradius haben dazu geführt, daß sie vielfach Büros im Ausland unterhalten, während dies andere deutsche Stiftungen fast nie tun. Es verwundert daher nicht, daß die Friedrich-Ebert-, Konrad-Adenauer-, Friedrich-Naumann-, Heinrich-Böll-, Hanns-Seidel- und neuerdings auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung außerhalb Deutschlands vielfach geradezu als Protagonisten des deutschen Stiftungswesens angesehen werden. Dabei verfügen sie überwiegend nicht über nennenswertes Anlagevermögen, sondern finanzieren ihre Tätigkeit fast ausschließlich aus Steuermitteln, die ihnen im Rahmen der erweiterten Parteienfmanzierung zugewendet werden. Darüber hinaus sind sie mit Ausnahme der Naumann-Stiftung durchweg als eingetragene Vereine konstituiert, was im Inland und besonders in der juristischen Diskussion immer wieder zu der Frage führt, ob sie denn überhaupt als Stiftungen angesehen werden können. Die 1933 verbotene Ebert-Stiftung wurde 1946 als Fond im Verbund des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, 1954 dann als ,Friedrich-Ebert-Stiftung zur Förderung demokratischer Volkserziehung e.V.' wiederbegründet. Man knüpfte zwar einerseits bewußt an die Tradition der alten Stiftung an, wählte aber andererseits, wohl, weil kein nennenswertes Kapital hätte aufgebracht werden können, die Form des eingetragenen Vereins. Die geringe Zahl der Stiftungen in Deutschland war, so läßt sich vermuten, der Grund dafür, daß weder von dieser Seite noch von Seiten des mit der Eintragung befaßten Gerichts Einwendungen dagegen erhoben wurden, daß hier zwei sehr unterschiedliche Organisationsformen miteinander verquickt wurden. Auch ließen sich hierfür Präzedenzfälle anführen. Von einer Bindung an den Stifterwillen konnte zumindest angesichts der voll ausgebildeten, vereinstypischen demokratischen Willensbildungsstrukturen nicht die Rede sein, während andererseits die Begriffswahl und die Namensgebung .Friedrich Ebert' genau dies nahelegten. Die anderen Parteien wollten der SPD in diesem Punkt nicht nachstehen und sahen die Stiftung als Möglichkeit, „an der politischen Willensbildung des Volkes mit[zuwirken]"717 und dafür als Stiftungen öffentliche Mittel zu erhalten, die ihnen als Parteien nicht gewährt wurden. Die von ihnen konzipierten Lösungen wichen 717 Grundgesetz, Art. 21, 1 : „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.[...]".

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jedoch stark voneinander ab. Wenn die FDP unter maßgeblicher Beteiligung des amtierenden Bundespräsidenten Theodor Heuss 1958 die Friedrich-Naumann-Stiftung tatsächlich als rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts einrichtete und sich in der Gründungsurkunde ausdrücklich auf das Gedankengut, das Naumann der Nachwelt hinterlassen habe, bezog,718 so orientierte auch sie sich offenbar insofern am Vorbild Eberts, als sie das Recht von Herrschaftsträgern zu stiften, im demokratischen Staatswesen auch auf Parteien übertrug. Sie legte aber zugleich Wert darauf, die Wirkungsmacht des einzelnen als Stifter nicht zu untergraben. CDU und CSU, die erst 1964 bzw. 1966 ihre jeweiligen Stiftungen begründeten, ließen sich von Gedanken dieser Art weniger leiten. Wohl auch durch die in der Zwischenzeit fortgeschrittene Etablierung der Parteien als Machtträger bedingt, richteten sie mit den Namen Konrad Adenauers bzw. des früheren bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Hanns Seidel ausgeprägte Hybridgebilde ein, die weder einem klassischen Stiftungs- noch einem ebensolchen Vereinsverständnis entsprachen. Rechtlich beide eingetragene Vereine, wurde die Zahl der ordentlichen Mitglieder durch Satzung auf 55 bzw. 40 beschränkt, die allesamt nach drei bzw. vier Jahren automatisch ausscheiden, sofern die Mitgliedschaft nicht durch Beschluß des Vorstandes (!) auf weitere drei bzw. vier Jahre verlängert wird. 719 Ähnlich, wenn auch in den Einzelheiten komplizierter, machte es (nach mehreren Vorläufern) 1996 die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen und, ebenfalls 1996, die Rosa-LuxemburgStiftung der PDS. All diesen Stiftungen ist nicht nur die Finanzierung aus Steuermitteln gemein, sondern auch der Verzicht auf reguläre Strukturen des demokratischen Rechtsstaates. Sie sind Handlungsinstrumente der politischen Parteien, indem sie Führungsfunktionen aus diesen heraus besetzen und, von der Naumann-Stiftung in gewissem Sinne abgesehen, ihre Aufgabenerfüllung jederzeit an die sich wandelnden Vorgaben aus diesen Parteien anpassen können. Weder die fortdauernde Bindung an einen Stifterwillen, noch ein vereinstypischer autochthoner demokratischer Willensbildungsprozeß besitzen hier die bürgerschaftlichen Gründungen abgeforderte Wirkungsmacht. In dieser Hinsicht kaum beachtet, haben sich die parteinahen Stiftungen nicht nur zu bedeutenden Bildungsträgern und Stipendiengewährern entwickelt; vor allem wird „das Umfeld der jeweiligen Mutterpartei besonders gefördert: durch Schulung und Bildung von Anhängern und Funktionären, durch Förderung des politischen Nachwuchses und durch sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung und angewandte Forschung, die der jeweiligen Mutterpartei nützt und ihr ,Herrschaftswissen' zur Verfügung stellt" 720 . Und: „In den Industrienationen sind die politischen Stiftungen heute weniger um Festigung bzw. Förderung der Gesellschafts- und Sozialstruktur oder um der Demokratieförderung willen aktiv; die Arbeit in diesen Ländern hat vielmehr 718 Merten, loc. cit., S. 67. 719 loc. cit., S. 64 und 69; s. auch Jörg Geerlings, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, Berlin 2003, S. 119 u. 126. 720 Hans Herbert von Arnim, Staat ohne Diener, München 1993, S. 190.

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die Herstellung und Pflege internationaler Beziehungen und politischer Kontakte zur Aufgabe." 7 2 1 Von juristischer Seite ist daher der Vorwurf erhoben worden, die parteinahen Stiftungen würden den Begriff Stiftung rechtsmißbräuchlich verwenden, 7 2 2 zumal dann, wenn sie in Veröffentlichungen, Broschüren und dergl. auf den - vorgeschriebenen - Zusatz ,e.V.' in ihrem Namen verzichteten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese Stiftungen nicht als Ausdrucksformen des Stiftens von Ideen 7 2 3 im Sinne einer Bindung an den Stifterwillen, schon gar nicht als Ergebnisse von Schenkungen und nur sehr eingeschränkt als Gedächtnis stiftende Körper gewertet werden können, sehr wohl jedoch als Kennzeichen einer Entwicklung, die seit 1945 das politische Leben in Westdeutschland immer mehr beherrschte: die korporatistische Verschränkung zwischen unterschiedlichen Akteuren der Gesellschaft. Wem, so kann man fragen, sind sie denn zugehörig? Der bürgerlichen Gesellschaft oder dem Staat, von dem sie nahezu ausschließlich und fortlaufend finanziert werden?

721 Ute Pascher, Die deutschen parteinahen politischen Stiftungen - Hybride Organisationen in der Globalisierung. Berlin 2002, S. 15. 722 Vgl. Geerlings, loc. cit., S. 184. 723 Vgl. Strachwitz, Die Stiftung und ihre Idee, S. 123 ff.

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IX. Stiftungen in der Zivilgesellschaft IX.1 Stiften aus bürgerschaftlichem Engagement Zwischen 1945 und 1989 ist das Stiftungswesen in Westdeutschland, so läßt sich festhalten, in wesentlichen Teilen vom Staat bestimmt, beeinflußt, finanziert und instrumentalisiert worden. Dies liegt zum einen an der multiplen Rolle der Staatsorgane als Regulierer, Kontrolleure, Stifter 724 , Stiftungsverwalter, Finanzierer und Destinatare. Es entspringt aber auch dem für die Geschichte der Bundesrepublik bis mindestens 1989 typischen Korporatismus, für welchen es zugleich wichtige Indizien liefert und nicht zuletzt der nicht abgeschüttelten Kontinuität in Verwaltung und Rechtspraxis. 1966 hatte Karl Jaspers gemahnt: „Wir müssen eine für uns neue freie Staatlichkeit finden, in die wir hineinwachsen durch Wandel unseres politischen Ethos. Dagegen steht die These: Das sei unmöglich; in solcher Entscheidung würde der Deutsche sich selbst zerschneiden; er würde sich preisgeben und nicht leben können. Aber dieses Sichklammern an eine falsche Kontinuität bringt unausweichlich eine Unwahrhaftigkeit in das neue, doch auf Wahrheit und Freiheit gehende Leben." 725 Noch 2004 konnten Adloff und Schwertmann in ihrer Untersuchung zu Rollen und Visionen von Stiftungen feststellen, daß innerhalb des Stiftungssektors ein bedeutender korporatistischer Subsektor nachzuweisen ist, dessen Teile in Führung und Finanzierung ebenso wie in der Tätigkeit eng mit öffentlichen Einrichtungen verzahnt und sowohl von solchen als auch von privater Seite initiiert worden sind. 726 Angesichts des Befundes, daß aus der öffentlichen Sphäre gegründete Stiftungen eine vergleichsweise dominierende Position im Spektrum der deutschen Stiftungen innehaben, drohen originär bürgerschaftliche Stiftungsinitiativen aus dem Blick zu geraten, was auch der inhärenten Logik der privaten Stiftung geschuldet ist, die, sofern sie ihre Ziele allein aus Erträgen eigenen Vermögens verwirklichen kann und keine Bemühungen anstellen muß, Destinatare zu finden, kein originäres Bedürfnis hat, der Öffentlichkeit etwas mitzuteilen, von einem Werbebedürfnis ganz zu schweigen. Von Ausnahmen abgesehen, wenn etwa Unternehmen im Rahmen ihrer Kommunikationsstrategie Stiftungen gründen oder wenn prominente Künstler oder Sportler dies auf Anraten ihrer PR-Berater tun, sind private Stifter an einer öffentlichen Selbstdarstellung traditionell nicht interessiert, 727 so daß die Wahrnehmung, Stiftungen seien 724 Vgl. Günter Wienands, Der Staat als Stifter, Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Einflusses; in: Rupert Graf Strachwitz u. Volker Then (Hg.), Kultureinrichtungen in Stiftungsform, Gütersloh 2004, S. 67 ff. 725 Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966, S. 67. 726 Frank Adloff/Philipp Schwertmann, Leitbilder und Funktionen deutscher Stiftungen; in: Frank Adloff/ Philipp Schwertmann/Rainer Sprengel/Rupert Graf Strachwitz, Visions and Roles of Foundations in Europe, The German Report, Arbeitshefte des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft, Heft 15, Berlin 2004, S. 106 ff. 727 Hierzu ausführlicher Rupert Graf Strachwitz, Verschwiegenheit und Transparenz gemeinwohlorientierter Akteure; in: W. Rainer Walz (Hg.), Rechnungslegung und Transparenz im Dritten Sektor, Köln 2004, S. 203 ff.

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stets in der Schnittmenge zwischen staatlichem und persönlichem Handeln angesiedelt, noch verstärkt wird. Inzwischen hat zwar - nicht zuletzt unter dem Einfluß der unternehmensverbundenen Stiftungen - ein Umdenken eingesetzt und nicht wenige Stiftungen betreiben eine durchaus aktive Öffentlichkeitsarbeit, die im Rahmen der noch darzulegenden Legitimitätsdebatte von der Öffentlichkeit zunehmend eingefordert wird. Dennoch wird öffentlich nicht unmittelbar deutlich, daß Stifter nicht immer dem staatlichen Handeln komplementär oder ergänzend an die Seite treten, sondern, bezogen auf konkrete Tätigkeitsbereiche, in manchen Fällen Alternativen zu diesen aufbauen wollen. Daß sich dies in den ersten Jahren nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf den wirtschaftlichen Aufbau konzentrierte, zeigen Initiativen wie die 1953 begründete und 1956 zum erfolgreichen Abschluß gebrachte Initiative zur Gründung einer C.-Rudolf-Poensgen-Stiftung zur Förderung des Führungsnachwuchses in der Wirtschaft. 728 Auch kleinere private Forschungs-, Bildungsund Kulturstiftungen waren zwar wegen der verfassungsmäßigen oder traditionellen Primärverantwortung des Staates für diese Bereiche auf eine Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen angewiesen, versuchten aber dennoch, diesen eigenständig gegenüberzutreten. Betrachtet man den Zeitraum von 1949 bis 1989 insgesamt, so läßt sich bezogen auf die Neugründungen eine kontinuierliche, gewiß dem immer umfassenderen Wohlfahrtsstaat geschuldete Abnahme der sozialen und Gesundheitszwecke, ein Anstieg bis ca. 1960 bzw. ein nachfolgendes Abfallen der wissenschaftlichen und Bildungszwecke sowie ein kontinuierliches Ansteigen der kulturellen und, wenn auch nicht so stark, anderer Zwecke konstatieren. 729 Daß privates Stiftungswesen aus bürgerschaftlichem Engagement das öffentliche Bewußtsein in Deutschland prägte, war freilich erst das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung. 1959 gründete Kurt Körber in Hamburg seine erste Stiftung. Ganz unterschiedliche Projekte, die er im Laufe der Jahre ersann, wurden Zug um Zug in die Stiftung eingegliedert, die nach seinem Tod 1992 Alleineigentümerin der von ihm gegründeten Körber AG wurde. Unverkennbar ist diesem Modell die Carl-Zeiss-Stiftung Vorbild; deutlich kommt aber auch hier die Ansicht zum Tragen, eine Stiftung sei geradezu prädestiniert, in der Schnittmenge zwischen privatem und öffentlichem Handeln eingesetzt zu werden. Und, so Körber: „Wenn ich etwas mache, muß es ein Unikat sein, muß es besser sein und höher bewertet als alles, was es bereits gibt." 730 Wie kaum ein anderer Stifter hatte Körber sein Ohr an den Strömungen der Zeit. Folgte er ursprünglich dem Appell, mehr für Bildung und Forschung zu tun, so stand später zunehmend die Begegnung zwischen Menschen im Mittelpunkt seiner Initiativen. 731 Alfred Toepfer, der bereits 1931 seine Stiftung begründet hatte, stellte sie in einem 728 Giuliana Gemelli/Benedikt Rodenstock, German Obstinacy and its Historical Variations; in: Giuliana Gemelli (Hrsg.), The Ford Foundation and Europe 1950s - 1970s, Brüssel 1998, S. 314 f. 729 Stefan Toepler, Das gemeinnützige Stiftungswesen in der modernen demokratischen Gesellschaft, München 1996, S. 131. 730 Zit. Nach: Hermann Schreiber, Kapitalist mit Gewinn - Ein Essay über Kurt Körber, Hamburg 2009, S. 182 731 S. Schmid/D. Wegner, Kurt A. Körber, Hamburg 2002., S. 172 ff.

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langen, von 1945 bis 1969 dauernden Prozeß, nicht nur auf veränderte administrative Erfordernisse, sondern besonders auch auf neue Leitbilder um. 7 3 2 Sie wurde „in einer Mischung aus Kontinuität und Neuanfang fortgeführt" 7 3 3 . In diesem Zusammenhang verdient der Einfluß amerikanischer Stiftungen auf die deutsche Stiftungswirklichkeit besondere Aufmerksamkeit. Kam hierin zunächst nur die Fortführung des transatlantischen Austauschs mit neuer Gewichtung zum Ausdruck, 734 erhielt dieser Einfluß bald eine zusätzliche Konnotation. Nachdem schon in den 1920er Jahren amerikanische Stiftungen Projekte in Deutschland initiiert und gefördert hatten, 7 3 5 war hier in den 1950er Jahren die Ford Foundation tonangebend, die dabei in einem heute nur schwer verständlichen Ausmaß mit der amerikanischen Regierung und insbesondere mit der CIA zusammenarbeitete. Während das Stiften einerseits öffentlich als typischer Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements im Sinne des ,American Creed*736 und darüber hinaus als Teil des American way of life propagiert wurde, der den Deutschen anerzogen werden sollte, wurde dieses Instrument insgeheim als Instrument amerikanischer Regierungspolitik genutzt. In dieser Dichotomie tut sich ein neues Paradox auf, denn offene Gesellschaft und Geheimdiplomatie bedienen sich des gleichen Instrumentariums. Es ist nur durch ein Ordnungsmodell erklärbar, in welchem der Staat, ganz im Geiste Hegels, als Inbegriff von Gesellschaft gesehen wird und seine Tätigkeiten daher a priori als gesellschaftlich unangreifbar gelten. Ludwig Erhard, gewiß ein Demokrat, hatte noch in den 1960er Jahren hierfür öffentlich den Begriff der .formierten Gesellschaft' geprägt. Anstrengungen, dieses Paradigma zu erschüttern, setzten kurz darauf ein. 1955 begann der massive Einstieg der Ford Foundation in die Finanzierung kulturpolitischer Aktivitäten, nachdem sie bereits zuvor die in den gleichen Zusammenhang gehörende Zeitschrift .Der Monat' mitfinanziert hatte. Die Ford Foundation wurde selbst zum Teil durch die CLA refinanziert. „Die Instrumentalisierung philanthropischer Stiftungen war der bequemste Weg, um Projekten der Agentur (CLA) größere Geldsummen zukommen zu lassen, ohne die Empfänger über die Herkunft dieser Mittel aufzuklären." 737 Die Ford Foundation erregte mit „ihrer" Förderpolitik in Deutschland erhebliche Aufmerksamkeit, auch wenn sie keineswegs die einzige war, die sich an dieser Operation beteiligte. Neben der Ford Foundation, der Rockefeiler Foundation und der Carnegie Corporation of New York benutzte die CIA weltweit über 170 kleinere Stiftungen, bestehende ebenso wie eigens zu diesem Zweck selbst 732 Hugbert Flitner/Meik Woyke, Satzungen und Leitungsstrukturen der Stiftung F.V.S. von 1931 bis 1999; in: Kreis u.a., Alfred Töpfer. 2002, S. 277 ff. 733 Jan Zimmermann, Von deutschen Jugendherbergen zu europäischen Kulturpreisen; in: Kreis u.a., Alfred Töpfer, 2000, S. 251. 734 Vgl. Adam, Transatlantic Trading. 735 Vgl. Malcolm Richardson, A Search for Genius in Weimar Germany, The Abraham Lincoln Stiftung and American Philanthropy; in: Bulletin of the German Historical Institute 26, Spring 2000, Washington D.C. 2000, S. 4 4 - 109. 736 Vgl. Kathleen McCarthy, American Creed; Philanthropy and The Rise of Civil Society. Chicago 2003. 737 Frances Stonor Saunders, Who Paid the Piper? The CIA and the Cultural Cold War, London 1999, S. 134 (Übers, d. Verf.).

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gegründete, um ihre Zahlungsströme zu leiten. 738 Es wurde deutlich, daß für amerikanische Stiftungen in großem Stil gesellschaftliche Entwicklungen und eben nicht nur der wirtschaftliche Wiederaufbau und klassische Philanthropie interessante und wichtige Aktionsfelder waren. Daß sich diese auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges und für Jahrzehnte danach am Feindbild des Sozialismus abarbeiteten, hierbei allerdings durchaus ein hohes Maß an Pluralität verwirklichten, war für Stifter und Stiftungen in Deutschland lehrreich. Die Zusammenarbeit mit dem Staat, die teilweise durchaus bekannt war oder geahnt wurde, erschien in diesem Zusammenhang nicht sonderlich erschreckend, da sie den deutschen Beobachtern ja vertraut war. Daß das Verhältnis von Abhängigkeit und Freiheit ein anderes war, wurde dagegen nicht immer gleich erkannt. John McCloy und Shephard Stone, beide intensiv mit diesen Projekten befaßt, waren in Deutschland hoch respektierte Persönlichkeiten. Als Stiftungsexperten versuchten sie, deutsche Unternehmen und Unternehmer für den Gedanken des Stiftens zu gewinnen. Sie konnten dabei auf eine allgemeine, breite Rezeption amerikanischer Modelle zurückgreifen, sich in den mit Missionseifer betriebenen Lehrprozeß einreihen und sich Traditionen zunutze machen, die bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichten. 739 In den 1960er Jahren nahm die Ford Foundation daher sicher zu Recht für sich in Anspruch, sowohl bei der Gründung der Volkswagen Stiftung als auch besonders bei der Thyssen Stiftung beratend tätig gewesen zu sein. 740 Die Fritz Thyssen Stiftung hatte allerdings noch einen anderen Paten: Konrad Adenauer, seit Jahrzehnten der Familie Thyssen verbunden, und der als Bundeskanzler viel getan hatte, um dem Unternehmen Thyssen wieder auf die Beine zu helfen, schrieb am 27. Januar 1959 an Amélie Thyssen, Fritz Thyssens Witwe: „Andererseits beschäftigt mich, wie sie wissen, immer wieder die Frage, welche Stellung derartige Privatvermögen in unserem öffentlichen Leben einnehmen. Schon gelegentlich unserer letzten Unterredung kam ich darauf zu sprechen, daß bedeutende Industrielle [...] ihre Vermögen ganz oder teilweise in eine Stiftung eingebracht haben [...] Bei der Bedeutung des Thyssenschen Vermögens würde ich es, gerade auch im wohlverstandenen Interesse Ihrer Familie, zur Überlegung anheimgeben, derartige Erwägungen in dieser oder ähnlicher Richtung anzustellen." 741 Adenauers Worte, die bewußt oder unbewußt Alfred Webers Überlegungen in gewendeter Form aufnahmen, unausgesprochen Hegels Modell des organischen Staates zum Hintergrund hatten und den herrschenden Korporatismus vertraten, verfehlten ihre Wirkung nicht. Bereits am 7. Juli 1959 wurde die Fritz-Thyssen-Stiftung gegründet und mit Aktien im Wert von nominal 100 Millionen DM ausgestattet. Adenauer allerdings monierte später

738 Ibid., S. 135. 739 Thomas Adam, Buying Respectability, S. 31. 740 Oliver Schmidt, Networks of Patronage: American Foundations and the Origins of the Salzburg Seminar; in: Giuliana Gemelli/Roy MacLeod (Hrsg.), American Foundations in Europe, Brüssel 2003, S. 152. 741 Thomas Kielinger, Amelie Thyssen; in: Joachim Fest (Hrsg.), Die großen Stifter, Berlin 1997, S. 398.

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das Fehlen der Verankerung „der christlich-konservativen Weltanschauung" in der Satzung, 742 obwohl oder weil die Stifterinnen, wie der beratende Bankier Pferdmenges es ausdrückte, „mit der Errichtung der Stiftung [...] auch der Bundesregierung und der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen ihre Dankbarkeit für die Unterstützung beim Wiederaufbau bezeugen" wollten. 743 Ob Pferdmenges' vollmundige Behauptung, „mit der Errichtung der Fritz Thyssen Stiftung beschreitet eine Industriellenfamilie in Deutschland einen Weg, den die Eigentümer großer Privatvermögen in den Vereinigten Staaten von Amerika schon seit vielen Jahrzehnten eingeschlagen haben", 7 4 4 umfänglich bestätigt werden kann, mag angesichts der Verknüpfung mit dem erfolgreichen Abschluß der Wiederherstellung der Eigentumsrechte zu bezweifeln sein. Vielmehr zeigt sich auch hier ein enges Zusammenwirken zwischen einzelnen Bürgerinnen und Bürgern und staatlichen Stellen in einer dem amerikanischen Selbstverständnis fremden Weise. In sehr viel reinerer Form findet sich dieser Ansatz bei Robert Bosch, dem unumstrittenen Vorbild für die weitere Entwicklung des Stiftungswesens, der, nur 20 Jahre jünger als dieser, seinerseits bei Ernst Abbe und der Generation der Stifter vor 1914 anknüpfen konnte. 7 4 5 Bosch, aus kleinen Verhältnissen stammend und Unternehmer der 1. Generation, war schon 1910 erstmals als Stifter hervorgetreten, etwa zeitgleich mit John D. Rockefeller und Andrew Carnegie in den USA und knapp 15 Jahre nach Abbe. Eine Million Mark stellte er in diesem Jahr für Forschungszwecke zur Verfügung. Er war nicht in einem allgemeinen Sinn ein Mäzen. Ähnlich wie Abbe ging es ihm darum, „Maßstäbe für das Verhältnis von Kapital und Arbeit" 746 zu setzen. Später kam der philanthropische Impuls hinzu und bewirkte Krankenhausbauten sowie zahlreiche Schutz- und Hilfsmaßnahmen zugunsten jüdischer Bürger während der NS-Zeit. Dem Staat stand er in jeder Form reserviert gegenüber. Beim 50-jährigen Firmenjubiläum blieben die Vertreter von Staat und NSDAP demonstrativ fem. 7 4 7 Robert Bosch selbst starb 1942, nachdem er seinen Erben aufgegeben hatte: „Es ist Ehrensache der Erben, wenn sie Geschäftsanteile der Robert Bosch GmbH zu freiem Eigentum erhalten, die Rechte daraus meinem Geist und Willen entsprechend wahrzunehmen und unter sich zum Wohle des Ganzen einig zu bleiben". 748 Sein Vertrauter Hans Walz leitete nach den ersten Aufbaujahren in Zusammenarbeit mit den Erben die Gründung der Robert-Bosch-Stiftung ein, auf die über 90°/o der Anteile an der Robert-Bosch GmbH - allerdings stimmrechtslos - übertragen wurden. Charakteristisch für das, was Bosch seinen „Geist und Willen" 749 nannte, ist an dieser Stiftung nicht nur die Zwecksetzung. Hinzu kam eine völlig neue Stiftungsform. 742 743 744 745 746 747 748 749

Thomas Rother, Die Thyssens, Tragödie der Stahlbarone, Frankfurt/Main 2003, S. 129. Ibid., S. 131. Ibid., S. 132. Michael Stürmer, Robert Bosch; in: Joachim Fest (Hrsg.), Die großen Stifter, Berlin 1997, S. 249 ff. Ibid., S. 254. Theodor Heuss, Robert Bosch, S. 597. Ibid., S. 620. Zit. nach Stürmer, loc. cit., S. 268.

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Staatliche Aufsicht wäre nicht nach Boschs Geschmack gewesen. Eine treuhänderische Stiftung kam schon wegen der Größe nicht in Betracht. So besann man sich auf ein in den USA gängiges Modell: die Stiftung in der Rechtsform einer Gesellschaft [corporation].750 Die beträchtlichen juristischen Probleme, die sich aus dem Aufeinandertreffen scheinbar unvereinbarer Grundsätze für juristische Personen ergaben, wurden gelöst. 1964 entstand die Robert-Bosch-Stiftung GmbH, die seitdem für alle gemeinnützigen Aktivitäten verantwortlich zeichnet; zeitgleich wurde eine neue Gesamtverfassung des Hauses Bosch formuliert. In dieser Stiftung, die bis heute zu den größten deutschen Stiftungen zählt, wirken Vertreter der öffentlichen Hand weder in Stiftungsorganen noch aufsichtführend mit. Die staatliche Kontrolle beschränkt sich auf die steuerliche Seite, und in ihren Programmen und Projekten sucht sie keine Anlehnung an staatliche Maßnahmen. Dagegen folgt sie nur begrenzt den mutmaßlichen Intentionen des Namensgebers. 1910 war er Ernst Abbe darin gefolgt, „Maßstäbe für das Verhältnis von Kapital und Arbeit" zu setzen. 7 5 1 Davon war jetzt nicht mehr die Rede. Doch leistete die bewußt mit Blick auf amerikanische Beispiele gegründete Stiftung jahrzehntelang durch ihre Förderpolitik innovative Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung, ζ. B. zur Aussöhnung mit den Kriegsgegnern Deutschlands und der Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Diese und andere Vorbilder machten in mehrfacher Hinsicht Schule. Besonders in Baden-Württemberg sind seit den 1960er Jahren zahlreiche Stiftungen in der Rechtsform der gemeinnützigen GmbH entstanden. Lange Zeit abschätzig als unechte Stiftungen bezeichnet, hat sich heute die Auffassung durchgesetzt, daß sie eine ebenso gültige Form wie andere darstellen. 7 5 2 Die Förderstiftung, bei der die Anträge zu stellen waren, wurde in den nächsten Jahrzehnten zum Modell für Stiftungsarbeit überhaupt. Insofern prägte der Einfluß der amerikanischen foundation in hohem Maße einen Teil der deutschen Stiftungslandschaft. Die Stiftung als Einrichtungsträger verschwand zwar keineswegs aus dem Stiftungswesen, wohl aber weitgehend aus dem öffentlichen Bewußtsein, obwohl gerade die Robert-Bosch-Stiftung auch dieses war: das Robert-Bosch-Krankenhaus ist Teil der Stiftung. Da auch die staatlich geprägten Stiftungen überwiegend auf Antrag förderten und sich dabei eng an öffentlich-rechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Beantragungs- und Vergabepraxis orientierten, wurde ein Bild geprägt, das auf der einen Seite den sich dankbar der Stiftung nähernden Antragsteller, auf der anderen die huldvoll bewilligende Stiftung zeigt, weit entfernt von den tatsächlich gemalten Bildern mittelalterlicher Stifter, die klein und oft demütig kniend am Rande ihres Stiftungsinhalts, etwa eines Kirchenbaus, dargestellt sind. Daß darüber hinaus diese Förderstiftungen regelmäßig nicht von dem freiwillig handelnden Stifter, sondern

750 Vgl. Carnegie Corporation (ed.), Carnegie Corporation of New York, Founded by Andrew Carnegie, New York 1911. 751 Michael Stürmer, Robert Bosch; in: Joachim Fest (Hrsg.), Die großen Stifter, Berlin 1987, S. 254. 752 Gabor Mues, Die Stiftungs-GmbH; in: Strachwitz/Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, 2005, S. 241 ff.

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von auftragsgemäß wirkenden Verwaltern repräsentiert wurden, wird oft übersehen. Die älteren deutschen Förderstiftungen hingegen waren zu einem großen Teil mildtätige („milde") Stiftungen, d.h. sie gewährten bedürftigen Personen Hilfe zu ihrem Lebensunterhalt oder in besonderen Krankheits- und Notfällen. 753 Und wenn, durchaus seit Jahrhunderten, Bildung, Forschung oder kulturelle Ziele von Stiftungen gefördert wurden, war dies der breiten Öffentlichkeit wenig bewußt. Die Robert-Bosch-Stiftung wurde und wird von anderen im übrigen auch darin nachgeahmt, daß sie einzelne Vorhaben grundsätzlich nur drei Jahre lang fördert und in der Regel auch nur dann, wenn diese neu sind. Explizit drängt sie die öffentliche Hand, im Anschluß daran die Finanzierung zu übernehmen und leitet daraus ihren Anspruch ab, Motor der Innovation zu sein. Daß dies in der Praxis nur teilweise erfolgreich ist und Projektruinen ebenso hervorbringt wie Scheininnovationen, steht auf einem anderen Blatt. Die von Stiftungen, und insoweit auch von der Robert-Bosch-Stiftung, auf andere Weise bewußt betriebene Verschränkung mit dem Staatshandeln wird jedenfalls hieran erkennbar. Schon in den 1960er Jahren wurden Überlegungen angestellt, ob die bisherigen rechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen noch den Anforderungen genügten. Sie blieben jedoch folgenlos. Die meisten Bundesländer hatten neue Landesstiftungsgesetze erlassen, doch spiegelten diese lediglich die traditionelle Verwaltungspraxis wider. Der 44. Deutsche Juristentag in Hannover beschäftigte sich 1962 mit dem Stiftungsrecht, wobei im Mittelpunkt der Diskussion die Ablösung der staatlichen Konzession für die rechtsfähigen Stiftungen durch ein Normativsystem stand, das als einer freiheitlichen Rechtsordnung gemäßer angesehen wurde. Dies führte zur Abkehr vom bisherigen geistesgeschichtlichen Hintergrund. Nicht mehr der Staat sollte über die Zweckmäßigkeit einer Stiftung entscheiden; vielmehr sollte das Stiften fast uneingeschränkt in den souveränen Handlungsraum des Individuums zurückverlagert werden. Lediglich die Einhaltung einiger weniger Formalvorschriften und die innere Schlüssigkeit der Satzung wären noch durch eine Staatsaufsicht zu prüfen gewesen; die Aufsicht über die Tätigkeit der Stiftungen sollte fast vollständig entfallen. „.Staatsaufsicht' ist ein häßliches Wort. Es erinnert an Polizeiaufsicht und hängt sogar bis zu einem gewissen Grad damit zusammen. Deshalb ist es verständlich, daß in einer Zeit, welche die Freiheit der Person betont und bewußt pflegt, auch die Frage nach der Freiheit der juristischen Person und insbesondere einer ihrer wichtigsten Unterarten, der Stiftung, erneut diskutiert werden muß", hatte schon 1952 Hans Liermann geschrieben. 754 Was tun, fragt Wolfgang Reinhard in der Einleitung zu seiner 1999 erschienenen Geschichte der Staatsgewalt, wenn „dieser Staat inzwischen

753 Die Definition von .bedürftig', auch in Abgrenzung zum bloßen .minderbemittelt', bildete folgerichtig einen Schwerpunkt der Ausführungen von Fritz Schäffer in Würzburg am 20. September 1948 (Schäffer, Die steuerliche Lage der bayerischen Wohltätigkeits- und Kultusstiftungen; in: Campenhausen, 1998, S. 26 ff. Wegen ebendieser Bedeutung der Funktion von Stiftungen spielte auch das Verhältnis zu den Kirchen und deren Stiftungen eine überproportional große Rolle (Ibid.). 754 Liermann (1952), loc. cit.

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als weltgeschichtliche Ausnahme und nicht mehr als Regel gilt?" 755 Die Einbettung des Rechtsrahmens in ein sich veränderndes Gesellschaftsbild war also durchaus im Blickfeld, wenn die Abschaffung der Stiftungsaufsicht gefordert wurde. 756 Der Juristentag formulierte weitere Vorschläge, etwa daß die ohnehin aus steuerlichen Gründen bedeutungslos gewordene nicht gemeinnützige (in der Regel Familien-) Stiftung einen abgetrennten Rechtsrahmen erhalten sollte. Die Unterschiedlichkeit der Landesgesetze wurde beklagt und eine bundeseinheitliche Regelung gefordert. Die ebenso häufige, altehrwürdige nicht rechtsfähige oder treuhänderische Stiftung blieb jedoch weiterhin außerhalb der Betrachtung, ebenso die neuen Stiftungsformen. Die Diskussion des Juristentages blieb ohne unmittelbare öffentliche Resonanz. Erst zwölf Jahre später - zwischenzeitlich war unter anderem mit erheblicher Medienaufmerksamkeit im Rahmen einer spektakulären Erbverzichtsregelung die AlfriedKrupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung gegründet worden - wurde durch die Bundesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, die insbesondere die Frage untersuchen sollte, ob durch Veränderungen der Rahmenbedingungen eine vermehrte Gründung von Stiftungen angeregt werden könnte. Hier deutete sich eine Verschiebung der Perspektive des Staates auf die Stiftungen an. Nach einer Periode der Angst vor ihrer Macht sowie einer Periode der Gleichgültigkeit angesichts ihrer Marginalität wurde jetzt erstmals die Hoffnung auf ihren Beitrag zur Bewältigung von Aufgaben sichtbar. Mit diesem Gedanken konnte man sich freilich nicht überall anfreunden. Nachdem aber gleichzeitig klargestellt wurde, daß steuerliche Anreize nicht in Betracht kämen, war das 1976 vorgelegte Ergebnis, daß nämlich eine Reform nicht notwendig sei, vorhersehbar. 757 Von da an gab es zwar immer wieder zaghafte Versuche, eine Reform anzuregen, über vage Ankündigungen kamen diese aber nicht hinaus. Die Scheu vor einem Konflikt mit den Ländern über Zuständigkeiten mag hierfür ebenso ausschlaggebend gewesen sein wie fiskalische Einwendungen und eine sich abzeichnende Furcht vor einem Machtverlust des Staates angesichts einer ohnehin erstarkenden und sich zunehmend emanzipierenden Stiftungstätigkeit.

IX.2 Der allmähliche Wandel „Nachdem die Reaktion auf Totalitarismus und Imperialismus die Delegitimation des modernen Staates in Europa eingeleitet hatte, wurde seine weitere Desintegration durch ethnische und demokratische Selbstbestimmungsansprüche beschleunigt. Sie konnten bereits an die Mutation des Staates zur Interessengruppendemokratie anknüpfen und konvergierten schließlich mit dem beginnenden Zerfall des Sozialstaates seit den 1970er Jahren, als in der ersten Ölpreiskrise klar wurde, daß die öffentlichen 755 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 15. 756 Thorsten Terweiden, Die Reform des Stiftungswesens in der Bundesrepublik Deutschland - eine politische Standortbestimmung, unveröffentl. Magisterarbeit, Münster 1999, S. 39. 757 Ibid.

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Mittel zu dessen Finanzierung nicht mehr ausreichten. Die Finanzklemme wurde chronisch durch (1) staatliche Mißwirtschaft infolge der Parteien- und Interessengruppendemokratie, (2) Verlust von Ressourcen infolge wirtschaftlicher Globalisierung und (3) infolge teilweisen Rückzugs der Bürger in die staatsfreie Schattenwirtschaft, die bereits an und für sich eine Form von Staatszerfall darstellt." 758 Staat und Gesellschaft getrennt zu sehen, 759 bzw. einen dritten Sektor, ein drittes öffentliches Aktionsfeld neben Staat und Markt zu definieren, in den die Stiftungen eingebettet sind, war in Deutschland dennoch lange Zeit weniger üblich als anderswo. 760 In den 1960er Jahren begann eine lange, in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit erbittert geführte Debatte um ein neues Ordnungsparadigma. Über die Notwendigkeit einer Definition bestand weitgehende Einigkeit. Über die Grundzüge einer neuen Ordnung gab es hingegen kaum konsensfähige Vorstellungen. Es verwundert daher nicht, daß sich das Selbstverständnis deutscher Stifter unter dem Eindruck dieser Debatte ebenfalls wandelte. Ebenso wie andere Teile der Gesellschaft, vor allem die erwachende Zivilgesellschaft, überprüften auch sie, oft eher unbewußt, ihr Verhältnis zum Staat. Welche Rolle dieser im Hinblick auf die Regulierung künftig spielen sollte, wurde allmählich zum Gegenstand ihrer Überlegungen. Der traditionelle Korporatismus begann dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit zu weichen. Damit war, was im gesamtgesellschaftlichen Kontext dieser Zeit erstaunt, auch eine Distanzierung vom US-amerikanischen Stiftungsmodell verbunden. Paradoxerweise betrieben gerade die Eliten, die politisch entschieden für einen engen Schulterschluß mit den USA eintraten und nicht müde wurden, die USA als leuchtendes Vorbild hinzustellen, als Stifter eine Abkehr vom (1969 nochmals veränderten) amerikanischen Modell, während umgekehrt politische Kritiker der USA in Bezug auf das Stiftungswesen eher der passiveren amerikanischen Stiftungsfigur anhingen als der sich entwickelnden aktiven, zivilgesellschaftlich ausgerichteten Stiftung. Einerseits rückte die europäische Tradition der operativen Stiftung wieder verstärkt ins Blickfeld, andererseits wurden die für amerikanische Stiftungen seit 1969 relativ einschneidenden Regeln hinsichtlich ihrer Veröffentlichungs- und Auszahlungsverpflichtungen sowie ihrer Anlagepolitik kritisiert. 761

758 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 517 f. 759 Vgl. Isensee, Stiftung, Staat und Gesellschaft, 2002, S. 18 f. 760 Vgl. Annette Zimmer, Stiftungen als Organisationen der Zivilgesellschaft; in: Rupert Graf Strachwitz/ Florian Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, 2005, S. 9 ff. 761 Stefan Toepler, Myths and Misconceptions? Evaluating the Government/Foundation Relationships in Germany against the American Experience; The Johns Hopkins Institute for Policy Studies, Center for Civil Society Studies, Working Paper Series No. 14, 1997, S. 12. Besonders einschneidend ist die Regel, daß Stiftungen in den USA höchstens 20°/o der Anteile an einem Unternehmen halten dürfen, während deutsche Stiftungen in nicht geringer Zahl in der Tradition Emst Abbes Mehrheits- oder Alleineigentümer großer Wirtschaftsuntemehmen sind. Einer Änderung nach amerikanischem Muster redet niemand das Wort.

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„Die öffentlichen Tugenden haben zumal in der modernen Gesellschaft, die nicht mehr aus kleinen Kantonen besteht, ihren Ort viel eher in der Familie, im Klassenzimmer, im Straßenverkehr, auf dem Sportplatz, an der Arbeitsstätte [...] als im unmittelbar politischen Bereich. Habermas hat ohne Zweifel Recht; hier, wo sie einst begann, gibt es die Öffentlichkeit nicht mehr. Aber auch die Hage um den Tod der Öffentlichkeit ist eine Ideologie der Entstrukturierung, die übersieht, daß eine alte Institution sich in neue Gestalten verwandeln kann." Dies schrieb Dahrendorf 1968. 762 Nachdem schon die Schöpfer der Robert-Bosch-Stiftung an der Aufsicht des Staates über die Stiftungen Anstoß genommen und eine pragmatische Ausweichlösung entwickelt hatten, regte sich in Deutschland seit den 1970er Jahren, den .neuen sozialen Bewegungen' nicht unähnlich, bei Stiftern und Stiftungsverwaltem das Gefühl, die Aufgabe der Stiftungen sei nicht die kritiklose Unterstützung staatlichen Handelns, sondern die Entwicklung eigener Handlungsmodelle. Die Bertelsmann Stiftung ist dafür das bedeutendste Beispiel. Diese Stiftung hat in den letzten Jahren mit großem Aufwand zu zahlreichen Fragen von politischer Bedeutung Handlungsoptionen entwickelt und energisch den staatlichen Entscheidungsträgem angetragen, in den Jahren 1998-2004 auch zu den Rahmenbedingungen des Stiftungswesens selbst. 763 Mit Projekten dieser Art überschreitet die Stiftung, obwohl sie auf unabhängigen Sachverstand größten Wert legt, mitunter die Grenze dessen, was einer amerikanischen private foundation infolge des dort für Stiftungen geltenden Lobbyverbots gestattet wäre. Reinhard Mohn, Gründer der Bertelsmann Stiftung im Jahre 1977, die als inzwischen größte Anteilseignerin der Bertelsmann AG eine der größten deutschen Stiftungen ist und auch im internationalen Maßstab zu den größten zählt, legte diese von vornherein nicht als Förderstiftung an. „Eine Stiftung", so formulierte er 1996, „kann sowohl einzelne Probleme lösen als auch Systementwicklung betreiben. Sie ist unabhängig und nur dem Gemeinwohl und ihrer Zielsetzung verpflichtet. Sie braucht Menschen, die in ihrem Leben gelernt haben, Antworten auf ungelöste Fragen zu finden. Die Kreativen in einer Stiftung müssen Engagement besitzen und eine gute Sensibilität für das Selbstverständnis der Menschen haben. Sind solche Bedingungen vorhanden, lassen sich durch operative Stiftungen in der Tat .Berge versetzen'". 764 Mit rd. 200 eigenen Mitarbeitern entwickelt die Stiftung selbst Projekte und führt sie, gelegentlich mit Kooperationspartnern, durch. Sie bietet Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft Lösungsansätze an und nimmt dadurch eine Rolle als 762 Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, S. 339 f. Der Verweis auf Habermas bezieht sich auf .Strukturwandel der Öffentlichkeit' (1962). 763 Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, ein gemeinsames Projekt der Bertelsmann Stiftung und des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt Universität zu Berlin. Im Rahmen des Projekts wurden u. a. 18 Colloquien, 5 Foren und ein Seminar durchgeführt. Aus dem Projekt gingen 8 Publikationen hervor, darunter ein Abschlußbericht an die Bertelsmann Stiftung (Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, Beiträge von Rainer Sprengel, Philipp Schwertmann und Josef Brami, Arbeitshefte des Maecenata Instituts, Heft 13, Berlin 2004). Insgesamt waren an dem Projekt 137 Experten beteiligt. 764 Reinhard Mohn, Ziele einer operativen Stiftung, S. 30.

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alternativer Entwickler und Gestalter ein. Sie steht damit viel eher in der deutschen Tradition der Stiftung als Dienstleister als in der amerikanischen Tradition der Mittlerorganisation. 765 Karl Ludwig Schweisfurth, der als Unternehmer ähnlich dachte wie Mohn, formulierte seine Ziele bescheidener, als er 1985 seine Stiftung gründete: „Die Schweisfurth Stiftung fördert Wege zu ganzheitlichem und erfülltem Leben, indem Arbeit und Technik wieder in besseren Einklang mit der Natur gebracht werden." 766 Schweisfurths Stiftung wirft jedoch die interessante Frage auf, inwieweit Stiftungen die gesellschaftlichen Entwicklungen ab den späten 1960er Jahren rezipiert haben. Auf ihn trifft dies im Hinblick auf die Umweltbewegung der 1970er und 80er Jahre gewiß zu. Seine Ziele waren Avantgarde, und er sah sich deshalb auch zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Einige wenige andere, wie die von Jan Philipp Reemtsma gegründete Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur im Bereich der Wissenschaftsförderung oder die Freudenberg Stiftung im Bereich der sozialen Brennpunkte, lassen ebenfalls den Einfluß eines gewandelten gesellschaftlichen Leitbildes erkennen. Die von Hugbert Flitner entwickelte Minderheitsorientierung ist dennoch in die Stiftungspraxis mehrheitlich nicht übernommen worden. Stiftungen, schrieb er 1972, können „ihre ergänzende Hilfe einsetzen, Risiken übernehmen und innovative Alternativen entwickeln, zu denen eine Gesellschaft sonst nur schwer Zugang fände, die ihre Entscheidungen in der Form der quantitativen Mehrheitsdemokratie zu fallen pflegt [...]. Zugleich helfen Stiftungen aber der Gesellschaft, mit den Schwächen und Mängeln der Gesellschaft fertig zu werden, ohne sie selbst deswegen in Frage stellen zu müssen. Stiftungen sind dazu berufen, die Demokratie mit am Leben zu erhalten, indem sie dort eintreten, wo sie versagt, weil entweder die erforderlichen Mehrheitsbeschlüsse nicht zustande kommen und die Entwicklung gelähmt wird oder Minderheiten zu stark majorisiert werden." 767 Dies alles blieb vielfach postuliertes, aber unerfülltes Ideal. Die großen, ohne Zweifel wesentliche gesellschaftliche Herausforderungen, etwa im Bereich von Bildung, Forschung oder Integration, aufgreifenden Stiftungsprojekte entsprechen bis heute eher den mehrheitlich für wesentlich erachteten und hauptsächlich an Finanzierungsschwierigkeiten scheiternden Problemlösungen und treiben allenfalls staatliche Entscheidungsträger zu verstärkter Tätigkeit an, als daß sie langfristig alternative Positionen oder eine erkennbare Minderheitenorientierung erkennen ließen. Die unverändert große Nähe zum Staat läßt sich auch daran erkennen, daß seit 1976 von den fünf aufeinander folgenden Vorsitzenden des nunmehrigen Bundesverbandes Deutscher Stiftungen zwei aus vom Staat gegründe765 In den USA sind rd. 5°/o der Stiftungen als operative Stiftungen zu charakterisieren, in Deutschland über 30°/o. (Frank Adloff, Wozu sind Stiftungen gut? Zur gesellschaftlichen Einbettung des deutschen Stiftungswesens; in: Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 32. Jg., Heft 2, Wiesbaden 2004, S. 270. Rainer Sprengel, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 2001, ein Forschungsbericht, Berlin 2001, S. 70 ff.) 766 Karl Ludwig Schweisfurth, Wenn's um die Wurst geht, Autobiographie, Gütersloh 1999, S. 230. 767 Hugbert Flitner, Stiftungsprofile, Baden-Baden 1972, S. 46.

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ten u n d beherrschten Stiftungen, zwei aus einer staatlichen Stiftungsverwaltung (und einer aus einem Wirtschaftsunteraehmen), hingegen kein einziger aus einer privaten Stiftung kam. 7 6 8 Die weltweit beobachtete Tendenz, die nicht dem Staat u n d dem Markt zugehörigen kollektiven Akteure z u n e h m e n d als gleichrangige u n d eigenständige Kräfte mit gemeinsamen definitorischen Merkmalen zu betrachten, blieb den Stiftungen überwiegend fremd. In der Regel sahen u n d sehen sie sich auch dann, w e n n sie dem „liberalen Subsektor" 7 6 9 zuzurechnen sind, eher als übergreifende und verbindende Institutionen. 7 7 0 Adloff und Schwertmann ist daher zuzustimmen, w e n n sie konstatieren: "Daß Stiftungen sich innerhalb des liberalen Sektors des Stiftungswesens in Richtung Zivilgesellschaft bewegen, ist nur eine Möglichkeit. Genauso gut können sie ein Instrument sein, mit dem der Stifter primär versucht, symbolisches Kapital [...] zu erlangen." 7 7 1 Ob also die Stiftungen in ihrer Mehrheit auch nur versucht haben, die Ö f f n u n g der Diskussion u m die Zukunft der Gesellschaft seit 1969 mit zu gestalten, ist zumindest nicht belegbar. Für sie u n d ihre Stifter galt mehrheitlich, was Karl Jaspers schon 1966 beklagt hatte: „Aus dem Jahrhunderte währenden Obrigkeitsstaat sind, ohne helles Bewußtsein, Gesinnungen geblieben, die heute noch mächtig sind: Respekt vor der Regierung als solcher, wie und woher sie auch sei, Bedürfnis nach Verehrung des Staates in Gestalt repräsentativer Politiker als Ersatz f ü r Kaiser und König, die Gefühle der Untertanen gegenüber der Obrigkeit in allen ihren Gestalten bis zum letzten A m t am Schalter der staatlichen Büros [...]". 772 Die Politikerin der Grünen Antje Vollmer, in den 1990er Jahren Kämpferin für eine Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen f ü r die Zivilgesellschaft insgesamt, stellte fest: „Bis auf wenige A u s n a h m e n (z.B. J a n Philipp Reemtsma, dessen Stiftung deutlich ein Ausdruck seiner Generation u n d Zeit ist) haben die 68er das Institut der Stiftung noch nicht für sich entdeckt." 7 7 3 Erst seit den 1990er Jahren zeichnete sich sehr langsam ein Umdenken ab. Einerseits empfinden manche Stiftungen die reine Antragsbearbeitung als unergiebig und wünschen sich eine aktivere Rolle in der Gestaltung v o n Prozessen. Andererseits legen die Grundsätze einer guten Zivilgesellschaft auch den Stiftungen ein aufmerksames Hinschauen auf die Strömungen, Notwendigkeiten u n d Bedürfnisse einer neuen Zeit nahe, ebenso die Beachtung eines level playing field, d.h. des U m g a n g mit ihren stakeholdern auf gleicher Augenhöhe.

768 Dr. Rolf Hauer, Klosterkammer Hannover (1976- 1990), Dr. Reinhard Goerdeler, KPMG (1990- 1996), Professor Dr. Axel Freiherr v. Campenhausen, Klosterkammer Hannover (1996-2002), Dr. Ing. e.h. Fritz Brickwedde, Deutsche Bundesstiftung Umwelt ( 2 0 0 2 - 2 0 0 8 ), Dr. Wilhelm Krall, Volkswagen Stiftung (2008 - ). 769 Adloff/Schwertmann, Leitbilder und Funktionen deutscher Stiftungen, 2004, S. 113. 770 Philipp Schwertmann, Stiftungen als Förderer der Zivilgesellschaft, Baden-Baden 2006, S. 248. S. hierzu auch: Frank Adloff, Wozu sind Stiftungen gut?, S. 275 ff. 771 Schwertmann, loc. cit., S. 116. 772 Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik, S. 146. 773 Antje Vollmer, Stiftungen im Dritten Sektor, eine vormoderne Institution in der Bürgergesellschaft der Moderne; in: Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Dritter Sektor - Dritte Kraft, Versuch einer Standortbestimmung, Stuttgart 1998, S. 63.

Die Diskussion u m eine Reform der Rahmenbedingungen

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Hugbert Flitner, lange Zeit Vorstand verschiedener Stiftungen, drückte dies so aus: „Nicht die Antragsteller müssen den Stiftungen dankbar sein, sondern die Stiftungen ihren Antragstellern, denn ohne diese könnten sie ihren Stiftungszweck nicht erfüllen." 774

IX.3 Die Diskussion um eine Reform der Rahmenbedingungen Die Praxis von Neugründungen und Stiftungstätigkeit erreichte seit den 1960er Jahren eine seit Jahrzehnten nicht mehr gekannte Dynamik. Nicht nur war, wie geschildert, eine Reihe großer neuer Stiftungen entstanden. Auch die Zahl der kleineren Neugründungen nahm deutlich zu. Grob gesagt, verdoppelte sie sich in jedem Jahrzehnt. Dies sagt allerdings noch nichts über die Summe der Stiftungsvermögen aus, ebensowenig über das Verhältnis zwischen gestifteten Vermögenswerten und Volksvermögen. Tabelle 7:

Durchschnitt der Neugründungen/Jahr 1 9 5 0 - 2 0 1 0 7 7 5

1950-1959

36,1

1960-1969

54,6

1970-1979

78,9

1980-1989

157,6

1990-1999

347,0

2000-2010

> 600

„Die Stiftungen sind nach zwei Höhepunkten [...] im hohen Mittelalter und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so etwas wie eine Neuentdeckung der Gesellschaft der sozialen Marktwirtschaft [...]"776, konnte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 1989 verkünden, allerdings nicht in dem Sinne, daß Stiftungen die „einzigartige amerikanische Antwort" auf das Problem überschüssigen Wohlstands in Gesellschaften mit begrenzter Einkommensumverteilung seien, wie es ein amerikanischer Beobachter schon in den 1930er Jahren formuliert hatte. 777 Vielmehr kristallisierte sich, öffentlichen Äußerungen zum angeblich vorbildlichen amerikanischen Stiftungswesen zum Trotz, zunehmend ein eigenständiger europäischer Reformansatz heraus, der sich auf eine breite Palette von Stiftungstypen, -großen, -formen und -tätigkeiten bezog. 774 Hierzu ausführlich Strachwitz, Operative und fördernde Stiftungen, Anmerkungen zur Typologie; in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, 1998, S. 673 ff. 775 Rainer Sprengel, Stiftungen in der Gesellschaft aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher Statistik; in: Strachwitz/Mercker, loc. cit., S. 110. 776 Ute Berkel u.a., Stiftungshandbuch, Baden-Baden 1989, S. 16. 777 S. Helmut K. Anheier/Stefan Toepler, Das Stiftungswesen in internationaler Perspektive; in: Helmut K. Anheier (Hrsg.), Stiftungen für eine zukunftsfahige Bürgergesellschaft, München 1998, S. 12.

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Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Stiftungen (heute Bundesverband Deutscher Stiftungen) leistete zu diesem Bewußtwerdungsprozeß einen wichtigen Beitrag, indem sie 1989 erstmals eine Erfassung aller bekannten Stiftungen (ohne Kirchen- und Kirchenpfründestiftungen) in Auftrag gab. 7 7 8 „Das Recht der Bürger, Stiftungen zu errichten, ist Ausdruck der Freiheit in einem sozialen Rechtsstaat. [...] So sind Stiftungen stets ein Indiz für die Achtung von Freiheit und Menschenwürde gewesen," mit diesen Worten beschrieb Rolf Hauer, Vorsitzender, später Ehrenvorsitzender des Verbandes, den Leitgedanken. 7 7 9 Erklärtes Ziel war es, ein Verzeichnis in Buchform herauszubringen, das unabhängig von Rechtsform und Art der Zweckverwirklichung sowie von Größe und Alter alles enthalten sollte, was über die Organisationen, die sich Stiftung nannten, zu ermitteln war. Die Einrichtung einer Datenbank ermöglichte eine spätere Fortschreibung und die Erstellung statistischer Auswertungen. Für die Erfassung mußten allerdings erst die Grundlagen geschaffen werden. Deutsche Vorbilder gab es nicht, da die letzten regionalen Verzeichnisse vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht worden waren und nie auch nur annähernd ganz Deutschland erfaßt hatten (s.o.). Vorbilder aus anderen Ländern waren nur bedingt tauglich, da die deutschen Stiftungen nicht nur gesetzlich nicht verpflichtet waren, irgendwelche Auskünfte zu erteilen, sondern es auch nicht gewohnt waren, um diese gebeten zu werden. Schon die Ermittlung von Anschriften war eine Sisyphusarbeit. Letztlich gelang es, innerhalb von anderthalb Jahren 6.000 Datensätze anzulegen sowie knapp 5.000 mit einigermaßen aussagefähigen Angaben zu veröffentlichen. Noch wichtiger ist, daß die Datenbank als empirische Forschungsbasis den Stiftungen Eingang sowohl in den zu Beginn der 1990er Jahre einsetzenden internationalen Diskurs zum Stiftungswesen 7 8 0 als auch in einen sich weltweit konstituierenden sozialwissenschaftlichen Forschungsverbund verschaffte, der sich mit dem erstarkenden Phänomen eines Dritten Sektors neben Markt und Staat auseinandersetzte. 7 8 1 Geradezu gegen den Willen vieler Stiftungen, die nicht einmal an einer aggregierten Publizität interessiert waren, wurde das Stiftungswesen zunehmend als Subsektor

778 Auftragnehmerin war die auf den gemeinnützigen Sektor spezialisierte Beratungs- und Dienstleistungsgesellschaft Maecenata Management GmbH, München. Aufbau, Fortschreibung und Auswertung der für dieses Projekt angelegten Datenbank führten ursächlich zur Gründung des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt Universität zu Berlin (1997). 779 Rolf Hauer, Einleitung; in: Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V. (Hrsg.), Verzeichnis der deutschen Stiftungen 1991, Darmstadt 1991, S. VII. 780 Vgl. z.B. Foundations, An International Research Symposium, Organized by VOLUNTAS, The International Journal of Voluntary and Nonprofit Organisations, and Laboratoire d'Economie Sociale, Sorbonne, Université Paris I, Paris, 1993 (unveröffentl. Konferenzpapiere); Ergebnisse teilweise veröffentlicht in: Voluntas, Heft 6/3, 1995. 781 S. insb. das Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project, Ergebnisse z.B. veröffentlicht in: Lester M. Salamon/Helmut Κ. Anheier, Defining the Nonprofit Sector, A Cross-national Analysis, Manchester, New York 1997; Eckhard Priller/Annette Zimmer, Wachstum und Wandel: Aktuelle deutsche Trends, The Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project, Phase II, Gütersloh 2001. vgl. auch: Ilka Ahrens, Braucht der gemeinnützige Sektor Think-Tanks?, Eine Analyse zu Notwendigkeit und Möglichkeiten der Nonprofit-Forschung in Deutschland, Arbeitshefte des Maecenata Instituts Heft 1, München 1999, S. 48 ff.

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dieser Zivilgesellschaft klassifiziert und konnte nur so seine Legitimationsbasis erneuern. Wenn Sybille Kalupner 2000 im Rückblick auf den gerade abgeschlossenen Reformprozeß im Stiftungssteuerrecht feststellen konnte: „In der Stiftungsrechtsdebatte tauchen [...] neue politische Leitbegriffe und starke Wertungen auf, die in den Debatten [des Deutschen Bundestages (Anm. d. Verf.)] zur Gemeinnützigkeit bis 1989 noch nicht vorhanden waren: das Stiftungswesen wird mit dem Begriff der Bürgeroder Zivilgesellschaft in Verbindung gebracht [.,.]"782, so ist dies auch ein Ergebnis der Tatsache, daß die empirische Forschung die zum Stiftungswesen verfügbaren Daten in die Forschungsfragen zur Zivilgesellschaft miteinbeziehen konnte. Die Widerstände gegen die Veröffentlichung von Daten nahmen über die Jahre hinweg ab. Ebenso wie Medien und Öffentlichkeit gewöhnten sich auch die Stiftungen daran, daß über sie in zusammengefaßter Form berichtet wurde. Allerdings bot das knappe Datenmaterial noch keine Grundlage für eine kritische Evaluation von Leitbildern, Organisationsprozessen und Ergebnissen der Stiftungstätigkeiten. Wer hierzu Stellung nehmen wollte, mußte sich auf einzelne Fallbeispiele, ausländische, insbesondere amerikanische Analogien und induktive Erkenntnisse stützen. 783 1997 legte Antje Vollmer dem Deutschen Bundestag relativ detaillierte Vorschläge für eine Reform des Stiftungswesens vor. 784 Wegen der damit verbundenen, durch die Aussicht auf Stiftungsmittel für öffentliche Aufgaben bedingten Popularität sah sie dies bewußt als Einstieg in eine grundlegende Reform der Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft. Sie war gern bereit, den Stiftungen „innerhalb des Dritten Sektors eine strategische Schlüsselrolle" 785 zuzugestehen. .Allerdings", so betonte sie, „müssen sie diese Rolle auch übernehmen wollen. Gerade in Deutschland sind viele Stiftungen sehr staatsnah oder in ihren Strukturen erstarrt. Nicht alle verstehen sich als Institutionen einer Bürgergesellschaft." 786 Das Entstehen von Stiftungen blieb gesellschaftlich erwünscht, doch die Definitionshoheit über die Zulässigkeit der Ziele solcher Stiftungen lag bei der Staatsmacht. Daß sich seit etwa 1990 mit dem Aufkeimen der Idee einer unabhängigen Zivilgesellschaft das Gewicht und die Legitimation der Stiftungen erneut veränderte, 787 mußte erst noch öffentlich rezipiert werden. Diese Fragestellungen interessieren vor dem Hintergrund eines neuen Gesellschaftskonzepts ebenso wie vor dem Hintergrund der zumindest vermuteten schichtspezifischen Herkunft der Stifter, sie sind aber auch unter dem Vorzeichen spezifischer Prinzipien des Konstrukts Stiftung, die ungeachtet eines evolutionären Prozesses

782 Sibylle Kalupner, Das Stiftungswesen im politischen Diskurs, Eine Evaluationsstudie zur Reform des Stiftungsrechts und zur Rolle der Politikberatung in diesem Prozeß, Arbeitshefte des Maecenata Instituts Heft 4, Berlin 2000, S. 14. 783 S. Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen - nutzen, führen und errichten, ein Handbuch, 1994. 784 Bundestagsdrucksache 13/9320. 785 Vollmer, Stiftungen im Dritten Sektor, S. 62. 786 Ibid. 787 Ibid., S. 57 ff. Siehe auch: Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen in einer modernen Gesellschaft, Versuch einer Theoriebildung; in: Kohl/Kübler/Ott/Schmidt (Hrsg.), Zwischen Markt und Staat, Köln 2008. S. 725 ff.

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Stiftungen in der Zivilgesellschaft

innerhalb der Stiftung weit überproportional dem bei der Gründung formulierten Stifterwillen verhaftet bleiben, interessant. Weicht die negative Konnotation der ,toten Hand' bzw. der .Herrschaft der Toten über die Lebenden' in der Priorität der Beurteilungskriterien dem positiven Prinzip der Nachhaltigkeit? Der erklärte Mangel an demokratischer Legitimation dem Lob des bürgerschaftlichen Engagements in Form von Zeit, Ideen, Empathie und Geld? Hegels alles überwölbender Staat der Chaostheorie, die eine vollständige Organisierbarkeit eines so komplexen Zusammenhangs wie der menschlichen Gesellschaft für prinzipiell unmöglich hält? Bedarf andererseits Borgoltes Diktum, „daß Stiftung weniger als die Tat eines Tages, sondern eher als ein längerfristiger Prozeß zu deuten ist" 7 8 8 , im Lichte einer stiftungsinhärenten Verspätung gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen einer Relativierung? Und können Stiftungen die ihnen zugemessene Aufgabe von Innovatoren in der Gesellschaft 7 8 9 tatsächlich und langfristig erfüllen? Oder sind sie, ganz im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, zu Exponenten eines strukturellen Konservatismus geworden? Eine Belebung des Stiftungswesens auch durch steuerliche Anreize würde, so hoffte Frau Vollmer, über zahlreiche Neugründungen diese Defizite beseitigen helfen. Darüber hinaus würden mehr Stiftungsmittel der Zivilgesellschaft Auftrieb geben, sie als gleichrangigen Akteur etablieren und damit die Voraussetzungen für eine demokratietheoretisch erwünschte Neukonzipierung der Rahmenbedingungen schaffen. „Immer deutlicher wird, daß auch eine ihrer Entstehungsgeschichte nach vormoderne Institution wie die Stiftung für den neuerwachten Gestaltungswillen der Bürger und Bürgerinnen interessant wird." 7 9 0 Die Vollmer-Initiative blieb aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag zunächst ohne Erfolg. Erst der 14. Deutsche Bundestag nahm sich ab 1998 des Themas erneut an. Zwar kam der Entwurf von 1997 nicht gänzlich zum Tragen, doch gelang es, 2000 die steuerlichen Anreize für Stifter und 2002 den zivilrechtlichen Rahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu reformieren. Neben dem Ergebnis, daß die Reformen zu einem ganz erheblichen Anstieg der Neugründungen beitrugen, 7 9 1 hat letztere Reform, zunächst als „Reförmchen" skeptisch beurteilt, über die dadurch notwendig gewordene Reform der Landesgesetze zumindest in den Ländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg einen Reformschub ausgelöst, der dem Grundgedanken eines veränderten Staatsverständnisses weitgehend Rechnung trägt. 7 9 2 Freilich steht die von Beginn an als Teil des Paketes angesehene grundlegende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts bis dato aus. Die Handlungsempfehlungen der Enquete Kommission .Zukunft des bürgerschaftlichen

788 Borgolte, Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen, S. 18. 789 Vgl. Reinhard Mohn, Ziele einer operativen Stiftung; in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Operative Stiftungsarbeit: Strategien - Instrumente - Perspektiven, Gütersloh 1997, S. 30. 790 Vollmer, Stiftungen im Dritten Sektor, S. 58. 791 Rainer Sprengel, Stiftungen in der Gesellschaft aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher Statistik, 2005, S. 109. 792 Vgl. Gunnar Folke Schuppert, Zur Neubestimmung der Stiftungsaufsicht, eine Skizze; in: Bertelsmann Stiftung / Maecenata Institut (Hrsg.), Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, Materialien, Gütersloh 2000 (2), S. 2 9 7 - 3 2 2 ,

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Engagements' des 14. Deutschen Bundestages wurden nicht nur, was den Gesetzgeber betrifft, bisher kaum umgesetzt. Auch die Integration der Stiftungen in die Zivilgesellschaft ist keineswegs umfassend verwirklicht worden. 793 Dazu trägt paradoxerweise auch die kontinuierliche Professionalisierung der Stiftungsarbeit bei. Die Zahl der von den Stiftern selbst bzw. bürgerschaftlich engagierten Mitstreitern geführten Stiftungen nimmt proportional ab. Angesichts der ständig zunehmenden Anforderungen der Behörden an Aktenführung, Jahresabschlüssen, Berichten und dergl. ist dies kaum verwunderlich. So bietet etwa der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft schon seit den 1960er Jahren die vollständige Verwaltung von Stiftungen an; in der Regel übt der Verband bzw. dessen Verwaltungsgesellschaft die Funktion des Treuhänders aus, auf den hinsichtlich der Inhalte der Stiftungsarbeit auch der Stifter nur einen begrenzten Einfluß ausübt. Während sich die Maecenata Management GmbH als Werkbank für maßgeschneiderte Stiftungskonstrukte sieht, sind seit den 1990er Jahren zahlreiche Stiftungskonglomerate entstanden, die, wie im Falle der Bürgerstiftungen, regelmäßig von einem relativ stark ausgebildeten, wenn auch oft nicht expliziten bürgergesellschaftlichen Impuls getragen werden. 794 Diese tendieren im Falle der bei Banken angesiedelten Stiftungsverwaltungen eher zu Stiftungen „von der Stange" und können oder wollen an einem zivilgesellschaftlich bestimmten Stiftungsdiskurs gar nicht teilnehmen. 795 Auch die von vornherein gänzlich auf die Unterstützung einer einzelnen Organisation hin orientierten Gemeinschaftsstiftungen verstärken den Eindruck der rein finanziellen Funktion von Stiftungen und lassen ihre originär stiftende Rolle außer Betracht. Sie knüpfen damit in gewisser Weise durchaus an alte Traditionen an. Auch Stiftungen zugunsten der Kirche, durch Jahrhunderte der Regelfall des Stiftens, galten als Schenkungen an (Gott und) seine Institution Kirche und entzogen sich einer fortdauernden Verfügung durch den Stifter oder der von ihm eingesetzten Organe. In Ergänzung zum empirischen Befund von Adloff und Schwertmann 7 9 6 wird man daher in einem theoretischen Sinne von zwei Grundtypen sprechen müssen, die sich hinsichtlich ihrer durch den Stifter vorgegebenen Handlungsautonomie prinzipiell unterscheiden. Nimmt man das Prinzip der Bindung jeder Stiftung an ihre Gründungsidee ernst, 797 so wird man die deutschen Stiftungen, die Mehrheit der nach 1945 entstandenen weltlichen ebenso wie die über-

793 S. Enquete Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements (Hg.), Deutscher Bundestag, Bericht, Bürgerschaftliches Engagement, Auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft, Opladen 2002, S. 243 ff. u.a. 794 Vgl. Philipp Hoelscher/Eva Maria Hinterhuber, Von Bürgern für Bürger? Bürgerstiftungen in Deutschlands Zivilgesellschafit, Berlin 2005. 795 Horst Schröder/Frank Adloff, Unselbständige Stiftungen in der Verwaltung von Kreditinstituten, Ein Trend zur Standardisierung?; in: Susanne Rindt/Rainer Sprengel/Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Maecenata Jahrbuch für Philanthropie und Zivilgesellschaft 2004. Berlin 2005, S. 205 f. 796 Frank Adloff/Philipp Schwertmann/Rainer Sprengel/Rupert Graf Strachwitz, Germany; in: Helmut K. Anheier/Siobhan Daly (eds.), The Politics of Foundations, A Comparative Analysis, London/New York 2007, S. 176 f. 797 Rupert Graf Strachwitz, Die Stiftung und ihre Idee; in: Strachwitz/Mercker, Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, S. 123 ff.

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wiegend sehr viel älteren Kirchenstiftungen danach unterscheiden müssen, ob ihnen diese Handlungsautonomie tatsächlich eingeräumt wurde. Nur dort, wo dies der Fall ist, kann der Prozeß der Stiftungsarbeit tatsächlich mit einer gesellschaftlichen Entwicklung verknüpft werden. An der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert hat sich, so läßt sich zusammenfassen, nach einer langen Phase der engen Verschränkung des Stiftungswesens mit der Staatsmacht in Deutschland ein Stiftungswesen herausgebildet, das bedingt durch Gesetzesreformen einerseits(2000 und 2002) so stark wächst wie noch nie zuvor, andererseits in einen korporatistischen und einen als liberal bezeichneten Subsektor zerfällt. 7 9 8 Quer zu Tätigkeitsfeldern, Rechtsformen und anderen Kategorisierungen können Stiftungen anhand ihres Selbstverständnisses in Bezug auf ihre Rolle in der Gesellschaft in diese zwei Subsektoren unterteilt werden. Inwieweit sich diese Subsektoren quantitativ in die Gesamtheit der Stiftungen einordnen, kann nicht präzise bestimmt werden. 7 9 9 Die Untersuchung zeigt, daß vor allem die im sozialen Bereich tätigen Stiftungen (Dies sind, wenn auch im Einzelfall nicht notwendigerweise ausschließlich, über 50°/o.) wegen ihrer Abhängigkeit von staatlich reglementierter Finanzierung dem korporatistischen Subsektor zuzuordnen sind, während Stiftungen mit anderen Zielen eher dem liberalen Subsektor angehören. Allerdings bedeutet dies in Bezug auf Funktionen wie Innovation, sozialer und politischer Wandel, Förderung des Pluralismus oder Gewinnung von symbolischem Kapital noch nicht, daß diese Stiftungen formend und gestaltend tätig werden. Häufiger anzutreffen ist eine begleitende Rolle, die oft genug eher die vorsichtigeren Reformansätze begünstigt. Damit gleichen sie sich in dieser Beziehung den amerikanischen Stiftungen an, ohne jedoch ihre erheblich ausgeprägtere Heterogenität in Bezug auf Größe, Entstehungsgeschichte, Vermögensausstattung usw. aufzugeben. Im Gegenteil: Eine vereinheitlichende Tendenz ist diesbezüglich nicht erkennbar. Die schon 1997 gestellte Frage, ob die Neupositionierung des Staates seit den späten 1980er Jahren zu einer Umkehrung des im 20. Jahrhundert entwickelten Rollenverständnisses der Stiftungen führen könnte, 8 0 0 bleibt daher nach wie vor auf der Tagesordnung. Es gibt Anzeichen dafür, daß sie es tatsächlich tut, bzw., daß die Stiftungen ein zivilgesellschaftliches Selbstverständnis entwickeln, das sie zu einem aktiven Beitrag zu dieser Entwicklung führt 8 0 1 Doch ob sich dies durchsetzt, bleibt abzuwarten.

798 Frank Adloff/Philipp Schwertmann/Rainer Sprengel/Rupert Graf Strachwitz, Visions and Roles of Foundations in Europe - The German Reports, insb.: Adloff/Schwertmann, Leitbilder und Funktionen deutscher Stiftungen, S. 97 ff. 799 Adloff/Schwertmann, Leitbilder und Funktionen, S. 101. 800 Stefan Toepler, Myths and Misconceptions?, S. 12. 801 Adloff/Schwertmann, Leitbilder und Funktionen, S. 123 ff.

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Es ist unbestritten, daß diese Entwicklung einem internationalen Trend entspricht. Die Zahl der Stiftungen in den USA hat von 1990 bis 2003 um rd. 40.000 auf rd. 100.000 zugenommen, 8 0 2 in Deutschland von 1990 bis 2005 um rd. 10.000 auf mindestens 18.000. 8 0 3 Um so erstaunlicher ist es, daß die Forschung erst allmählich damit beginnt, sich dieser Entwicklung anzunehmen. Noch gilt weitgehend, was Michael Borgolte 2002 formuliert hat: „Statt die Geschichte der Stiftung in ihren großen Zusammenhängen zu schreiben, ist es der Lage der Forschung angemessen, von der Geschichte der Stiftungen zu erzählen." 804 „Die jüngere Forschung hat gezeigt, daß Stiftung weniger als die Tat eines Tages, sondern eher als ein längerfristiger Prozeß zu deuten ist, ja daß sich erst vom Ergebnis der Stiftungswirklichkeit her erkennen läßt, was der Stifter gewollt hat." 805 Eine solche, die reine Rechtsgeschichte aus dem Mittelpunkt der Betrachtung verdrängende Sichtweise, ist bis heute in der Literatur nur in Ansätzen verwirklicht. 806 Das Verhältnis der deutschen Stiftungen zu der sie umgebenden Gesellschaft, und die gesellschaftlich-kulturellen Rahmenbedingungen von Stiftungen herauszuarbeiten, wie es etwa die Historikerin Elisabeth Kraus, die Soziologen Frank Adloff, Helmut Anheier, Andreas Hansert oder Steffen Sigmund oder auch Ökonomen wie Stefan Toepler, Juristen wie Andreas Richter oder Politikwissenschaftler wie Philipp Schwertmann versucht haben, ist noch nicht abschließend gelungen. 8 0 7 Ansätze, etwa von Mohammed Rassem, der seit den 1950er Jahren mehrfach versucht hat, sich der Thematik aus Sicht des Kultursoziologen zu nähern, 808 blieben weitgehend unrezipiert. Monographien erweisen sich geradezu ausschließlich

802 National Council of Non-profit Associations, The United States Non-profit Sector, www.ncna.org/ uploads/documents/live/us sector report 2003.pdf - 2/21/06. 803 Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft (Hrsg.), Bürgerengagement und Zivilgesellschaft in Deutschland, Stand und Perspektiven, März 2006, www.maecenata.de. 804 Borgolte, Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen, S. 18. 805 Ibid. 806 Eine Ausnahme s.: Theo Schiller, Stiftungen im gesellschaftlichen Prozeß, Ein politikwissenschaftlicher Beitrag zu Recht, Soziologie und Sozialgeschichte der Stiftungen in Deutschland, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Schriftenreihe zum Stiftungswesen, Bd. 2, Baden-Baden 1969. 807 S. u.a.: Elisabeth Kraus, Philanthropieforschung in stadtgeschichtlicher Retrospektive; in: Maecenata Actuell Nr. 18, 1999, S. 17. Frank Adloff, Wozu sind Stiftungen gut? Zur gesellschaftlichen Einbettung des deutschen Stiftungswesens; in Leviathan, 32. Jg., Heft 2, Wiesbaden 2004. Helmut Anheier (Hrsg.), Stiftungen für eine zukunftsfahige Bürgergesellschaft. München 1998. Andreas Hansert, Das Eigeninteresse am Gemeinwohl, Familiengründung und Stiftung als alternative Modelle; in: Roland Becker / Andreas Franzmann / Axel Jansen / Sascha Liebermann (Hrsg.), Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Konstanz 2001. Steffen Sigmund, Zwischen Altruismus und symbolischer Anerkennung - Überlegungen zum stifetreischen Handeln in modernen Gesellschaften; in Becker et al., loc. cit. Steffen Sigmund, Solidarität durch intermediäre Institutionen: Stiftungen; in: Jens Beckert / Julia Eckert / Martin Kohli / Wolfgang Streeck (Hrsg.), Transnationale Solidarität - Chancen und Grenzen. Frankfurt/Main 2004. Stefan Toepler, Das gemeinnützige Stiftungswesen in der modernen demokratischen Gesellschaft. München 1996. Andreas Richter, Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation. Berlin 2001. Philipp Schwertmann, Stiftungen als Förderer der Zivilgesellschaft. BadenBaden 2006. 808 Zusammengefaßt veröffentlicht in: Mohammed Rassem, Stiftung und Leistung, Essais zur Kultursoziologie, Minenwald 1979.

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Stiftungen in der Zivilgesellschaft

als von den Stiftungen selbst oder in ihrem Auftrag herausgegebene Darstellungen. 809 Kritische Aufarbeitungen haben in diesem Kontext Seltenheitswert. 810

809 S. z.B.: Rainer Nicolaysen, Der lange Weg zur Volkswagen Stiftung, Geleitwort, Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagen Stiftung, Göttingen 2002; Robert Bosch Stiftung (Hrsg.), Chronik 1964-2000, Stuttgart 2000; Winfried Schulze, Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 1 9 2 0 - 1995, Berlin 1995, S. 9; Josef Schmid/Dirk Wegner, Kurt A. Körber, Annäherangen an einen Stifter, Hamburg 2002, erarbeitet im Auftrag der Körber Stiftung, hg. i.d. Reihe Edition Körber Stiftung. 810 Eine Ausnahme bildet die Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., die die Biographie ihres Stifters bewußt mit dem Untertitel „eine kritische Bestandsaufnahme" herausgebracht hat: Georg Kreis, u. a. (Hrsg.), Alfred Toepfer, Stifter und Kaufmann, Bausteine einer Biographie - kritische Bestandsaufnahme, Hamburg 2000.

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X.

A u f dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

X.1

Eine neue Legitimitätskrise?

„In der politischen Öffentlichkeit agieren [...] staatsbezogen gesellschaftliche Organisationen, sei es durch Parteien vermittelt, sei es unmittelbar im Zusammenspiel mit der öffentlichen Verwaltung. [...] Zusammen mit den politisch wirksamen Repräsentanten der kulturellen und religiösen Kräfte führt diese Konkurrenz der organisierten Privatinteressen gegenüber dem ,Neomerkantilismus' einer interventionistischen Verwaltung zu einer .Refeudalisierung' der Gesellschaft insofern, als mit der Verschränkung von öffentlichem und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre [...] der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen. - Deshalb erstreckt sich diese politische ,Refeudalisierung' auf die politische Öffentlichkeit selbst: in ihr streben die Organisationen mit dem Staat und untereinander politische Kompromisse, möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit an, müssen sich aber dabei durch Entfaltung demonstrativer oder manipulierter Publizität beim mediatisierten Publikum plebiszitärer Zustimmung versichern." 811 Mit diesen Worten beschrieb Jürgen Habermas schon im Jahre 1962 ein Arrangement, das die gegenwärtige Diskussion um Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft exakt widerspiegelt. Zum Ende des 20. Jahrhunderts schien es hingegen, als hätten sich die Stiftungen in gerade diesem System, im Wohlfahrtsstaat, im Korporatismus und in der Pfadabhängigkeit gut eingerichtet. Ob dennoch der von allen Exponenten des Nationalstaates relativ einmütig vertretene Anspruch auf Gestaltungshoheit eingelöst wird, mag bezweifelt werden. Zumindest ist der europäische Nationalstaat durch supranationale Vertragsbindungen einerseits und die Macht der globalen Wirtschaftsunternehmen andererseits in seiner Machtausübung beschränkt worden. Dies gilt selbst für das staatliche Gewaltmonopol, das durch kommerzielle Sicherheitsdienste und Souveränitätsverzichte etwa gegenüber der Europäischen Union oder durch einseitige oder vertragliche Bindungen engen Grenzen unterworfen ist. Auf der anderen Seite ist die Finanzkraft der großen Unternehmen um ein so vieles größer als die zivilgesellschaftlicher Organisationen, daß dagegen selbst große Stiftungen kaum als bedeutende Akteure erscheinen können. In Deutschland besteht zudem weniger als anderswo die Bereitschaft, sich mit einer Neopositionierung der Gesellschaft insgesamt diskursiv auseinanderzusetzen. „Während angelsächsisches und französisches Staatsdenken im Kontext des Parlamentarismus längst dazu neigte, den Staat als abhängiges Produkt der Gesellschaft und ihrer Gruppen anzusehen, setzte sich diese Perspektive in Deutschland erst in jüngster Zeit gegen die von Hegel im Kontext des Obrigkeitsstaates geprägte Vorstellung durch, der Staat müsse ein von den gesellschaftlichen Kräften unabhängi-

811 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 337.

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Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

ges Konkret-Allgemeines verkörpern (Emst Forsthoff® 12 ). Auch wenn diese Sicht der Dinge schon längst als .Lebenslüge des Obrigkeitsstaates' erkannt ist [...] lebt sie im populären deutschen Diskurs immer noch in der Rede vom ,Vater Staat' weiter." 813 Zugleich sieht sich jedoch dieser Staat mit dem Problem konfrontiert, daß er von den Bürgerinnen und Bürgern immer weniger als bestimmender Faktor wahrgenommen wird. Die von ihm beanspruchte alleinige Gestaltungsmacht im Sinne Hegels ist obsolet geworden, nicht zuletzt deshalb, weil zahlreiche Akteure sich mit Hilfe der modernen Kommunikationsinstrumente ein Auditorium verschaffen können, deren rational oder irrational gewonnene Meinungen hinsichtlich der demokratischen Möglichkeiten politikbestimmend werden können. Zugleich mangelt es dem Staat zunehmend an der zur Lösung komplexer Fragen notwendigen Kompetenz. Diese findet sich zunehmend im Markt, aber auch in der Zivilgesellschaft. Letztere ist seit den 1970er Jahren durch obrigkeitsstaatliche Regulierung immer weniger beherrschbar. Neue soziale Bewegungen, Umwelt- und Bürgerinitiativen haben den Staat oft genug konzeptionell ,vor sich hergetrieben'. Er mußte auf Druck von selbstermächtigten Gruppierungen seine Politik ändern. Schließlich hat der Staat in den letzten Jahrzehnten trotz seines gewaltigen Finanzvolumens immer größere Schwierigkeiten gehabt, die Aufgaben zu finanzieren, an denen die Bürgerinnen und Bürger ein besonderes Interesse haben. Ein immer größerer Anteil mußte für die Erhaltung der inneren und äußeren Staatsautorität, die Unterhaltung - und Ruhigstellung - der Staatsverwaltung, die Abtragung von Lasten der Vergangenheit und die Reparatur von Mißständen aufgewendet werden. In diesem Arrangement erscheinen die Stiftungen, jedenfalls in ihrer Mehrheit, dem Staat als relativ verläßliche Partner. Eine dort tatsächlich vorhandene Kompetenz paart sich, jedenfalls überwiegend, mit verfügbaren Ressourcen und wird ihm meist in einer auf Kooperation angelegten Form angeboten. Die Schichtspezifik der handelnden Personen sorgt dafür, daß hier, wie bei kaum einer anderen Gruppe nichtstaatlicher Akteuren im öffentlichen Raum, Hegels System weiterhin bestimmend ist. Sie vermittelt geradezu den Eindruck, dieses System sei noch intakt und beruhigt durch diese Illusion Parlamentarier ebenso wie Beamte. An diese Illusion klammert sich auch ein Großteil der Stiftungen selbst, 814 obwohl sie zivilgesellschaftliche Strukturen repräsentieren und sich eigentlich vom traditionellen Staatsverständnis absetzen müßten. Wenn sich also ein neues, die Zivilgesellschaft anders bestimmendes Gesellschaftsverständnis durchsetzt, könnten die Stiftungen delegitimiert erscheinen. Dies hat in den letzten Jahren zu einem schleichenden Paradigmenwechsel geführt. Turgot hatte seinem Negativbild der Stiftungen das Modell des Vereins positiv gegenüberstellt, und auch Hegel konnte Zusammenschlüssen von Individuen, Korporatio-

812 Emst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, München 1971. 813 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 19. 814 Adloff/Schwertmann, Leitbilder und Funktionen, S. 106 f.

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nen, letztlich mehr abgewinnen. Noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erschien das Problem der ,toten Hand' als ein reales volkswirtschaftliches und staatstheoretisches Problem. Stiften, so kritisierte Heinrich Rittershausen im Jahre 1929, entziehe der deutschen Volkswirtschaft umfassendes Kapital und sei schon deswegen ein Hindernis für die industrielle Entwicklung Deutschlands. 815 Durch das ganze 20. Jahrhundert zieht sich, übrigens auch in den USA und anderen Ländern, ein latenter Diskurs darüber, ob die Festlegung großer Kapitalien nicht das Demokratieprinzip der Gesellschaft durch die Einschränkung des permanenten Willensbildungsprozesses zu stark belastet und darüber hinaus einzelnen Akteuren zu großen Einfluß einräumt. Letzteres entzündet sich immer wieder einmal am Beispiel der Bertelsmann Stiftung 816 , deren Stifter, Reinhard Mohn, ganz ausdrücklich durch die· Stiftungsarbeit politische Entscheidungen beeinflussen wollte: „In dieser Situation rufe ich die Stiftungen auf, die vorhandenen Ordnungen zu hinterfragen und sie den Zwängen des Wettbewerbs auszusetzen! Stiftungen können und brauchen nicht alle Einzelheiten einer Ordnung auszuarbeiten. Sie sind aber in der Lage, den Wettbewerb in Staat und Politik so zu gestalten, daß die Zwänge zur Reform unausweichlich werden." 817 Mohn hatte hierbei die privaten Stiftungen, noch mehr vielleicht deren Stifter im Blick. Daß ihm nicht zuletzt wegen der Verbindung der Stiftung zu einem international operierenden Medienkonzem mißtraut wurde, verwundert angesichts dieser Programmatik nicht. Mehr noch: Demokratietheoretisch ist zu fragen, ob ein solcher Anspruch mit einem modernen Verständnis von Bürgergesellschaft, an der alle Mitglieder ohne allzu große Unterschiede partizipieren, vereinbar ist. Paradoxerweise hat sich der lange Zeit so mißtrauische Staat diesen Argumenten am wenigsten geöffnet. Die seit 1997 offenkundige Präferierung der Stiftungen gegenüber den Vereinen stellt insofern einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel dar. Hier wird, unterstützt von singulären hoheitlichen Mechanismen wie der Stiftungsaufsicht, ein Gesellschaftsbild nach Hegels Vorstellungen konserviert, das der Realität kaum noch entspricht. Die Gerechtigkeitsfrage wird vom Tisch gewischt, die Legitimation wird allein dem Rechtsstaat zugewiesen. In den Diskussionen um neue Rahmenbedingungen hat denn auch das .Recht auf Stiftung' eine große, die gesellschaftliche Akzeptanz hingegen nur mittelbar eine Rolle gespielt, auch wenn letztlich dieses Recht nur mit einigen, durchaus an Hegel erinnernden Kautelen, etwa der

815 Heinrich Rittershausen, Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen und der industrielle A n l a g e kredit. Zugleich ein Beitrag zum Erwerbslosenproblem. Jena 1929, S. 8. S. Hierzu ausführlich: Thomas Adam, Die volkswirtschaftliche Bedeutung v o n Stiftungen und .totem Kapital'; in: Thomas Adam/ Simone Lässig/Gabriele Lingelbach (Hrsg.) Stifter, Spender und Mäzene, Stuttgart 2009. 816 S. hierzu bspw.: Wemer Biermann/Amo Klönne, Agenda Bertelsmann, Ein Konzern stiftet Politik. Köln 2007. Gian Trepp, Bertelsmann, Eine deutsche Geschichte. Zürich 2007. Jens Wemicke/Torsten Bultmann (Hrsg.), Netzwerk der Macht - Bertelsmann, Der medial-politische Komplex aus Gütersloh. Marburg 2007. 817 Reinhard Mohn, Vorwort: Die Rolle v o n Stiftungen in einer modernen Gesellschaft; in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Ziele - Projekte - Management - Rechtliche Gestaltung, Wiesbaden 1998, S. XV.

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Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

notwendigen Anerkennung durch den Staat, 818 in die Neufassung des BGB im Jahr 2002 Eingang fand. Aus der Sicht einer politischen Wissenschaft ist dies unbefriedigend. Eine Perspektive, die sich nur auf Rechte stützt und infolgedessen nur um Rahmenbedingungen, steuerliche Erleichterungen, Gesetzesänderungen und dergleichen rankt, wäre unzureichend. Sie beantwortet nämlich nicht die entscheidende Frage, ob Stiftungen in einer demokratisch verfaßten Bürgergesellschaft überhaupt eine Daseinsberechtigung haben, d.h., welchen Dienst an der Gesellschaft sie erbringen. 819 Es geht um ihre Legitimität, eine Fragestellung, die offenkundig über die der Legalität weit hinausreicht. Diese Frage braucht dann nicht gestellt zu werden, wenn man das Stiften und damit auch die Stiftung ausschließlich als Recht begreift, als Ausdruck des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. 820 Ohne Zweifel tragen Rechte im Rechtsstaat weit und ohne Zweifel sind das Recht zu stiften und das Recht, eine Stiftung zu betreiben, wichtige Rechte; und doch haben viele Rechte das Schicksal erlitten, daß sie von der Gesellschaft nicht mehr eingesehen wurden oder dieser nicht mehr vermittelbar waren und in Folge dessen marginalisiert oder im breiten Konsens beseitigt wurden. Beispiele aus anderen gesellschaftlichen Bereichen gibt es zu Häuf. 821 Die Geschichte der Marginalisierung der Stiftungen im aufkommenden Wohlfahrtsstaat ist dafür ein prägnantes Indiz. Selbst zugemessene Attribute wie jenes, Stiftungen seien Motoren der Innovation, oder - etwas volkstümlicher - das ,Salz in der Suppe', erscheinen von daher nicht ungefährlich. Sie fordern zur Nachprüfung und zur Stellungnahme heraus. Das Verhältnis zwischen organisierter Philanthropie, d.h. vor allem den Stiftungen, und der sie umgebenden Gesellschaft erscheint darüber hinaus belastet. Während manche Stiftungen dazu neigen, ihre Umgebung pauschal als potentielle Antragsteller zu sehen und sie mit ein wenig Geringschätzung zu behandeln, werden sie ihrerseits nicht selten latent verdächtigt, nicht mehr als die Spielwiesen reicher Leute oder ein Art Beschäftigungstherapie für gelangweilte Erben zu sein. Mehr noch: Nicht wenige vermuten hinter einer Stiftungsfassade grundsätzlich geheimnisvolle Zentren der Verfolgung nicht nachvollziehbarer Ziele, ein Eindruck, der sich durch das

818 Präzise ausgedrückt, wird seit 2002 nicht mehr die Stiftung als solche anerkannt (oder wie es bis 2002 hieß, genehmigt), sondern nur deren Rechtsfähigkeit. Welchen Status eine Stiftung hat, die gegründet, aber nicht anerkannt ist, blieb im Gesetzgebungsverfahren offen. 819 Vgl. hierzu: Steven Heydemann/Stefan Toepler, Foundations and the Challenge of Legitimacy in Comparative Perspective; in: Kenneth Prewitt/Mattei Dogan/Steven Heydemann/Stefan Toepler (Hrsg.), The Legitimacy of Philanthropic Foundations: United States and European Perspectives, New York 2006, S. 3 ff. S. auch: David C. Hammack, American Debates on the Legitimacy of Foundations, loc. cit., S. 49 ff.; Giuliana Gemelli, Historical Changes in Foundation Functions and Legitimacy in Europe, loc. cit. S. 177 ff. 820 Grundgesetz Art. 2, 1 und 19, 3. 821 Hin Beispiel ist die Diskussion um die Restitution von Immobilien in Ostdeutschland, die ausschließlich unter dem Vorzeichen angeblicher oder tatsächlicher politischer Zweckmäßigkeit und Verträglichkeit geführt und selbst vom Bundesverfassungsgericht so entschieden wurde.

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Festhalten der Stiftungen an einem relativ hohen Maß an Intransparenz nicht recht verflüchtigen mag. 8 2 2 Ihnen pauschal eine mission to protect the social agenda823 zuzuschreiben oder sie insgesamt für High Risk Venture Capital for Public Programmes824 in Anspruch zu nehmen, erscheint jedenfalls weit überzogen. Eher scheint Herfried Münklers Einschätzung zuzutreffen, „wenn Stiftungen erst die Institutionen schaffen müssen, die das Prestige generieren sollen, das dann als Gegengabe dient, so ist dies eine überaus mißliche Situation." 825 Vor diesem Hintergrund läßt sich fragen, ob das Stiftungswesen seiner dritten Legitimationskrise innerhalb von 250 Jahren entgegengeht und welche Argumente für seine fortdauernde Legitimität vorgetragen werden können. Senge und Hellmann haben sich in ihrer .Einführung in den Neo-Institutionalismus' 826 mit dem Problem der Legitimität auseinandergesetzt, da sie ihn für entscheidend halten. „Der Begriff der Legitimität spielt für den Neo-Institutionalismus eine große Rolle, wenngleich nicht immer klar wird, was damit gemeint ist." 827 „Suchmann 828 [schlägt] folgende Definition vor: ,Legitimacy is a generalized perception or assumption that the actions of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs, and definitions. ' Damit sind drei Elemente markiert: Erstens ist Legitimität eine Zuschreibung, zweitens bezieht sich diese Legitimität auf Handlungen eines sozialen Gebildes, das als handlungsfähig erachtet wird, und drittens werden diesen Handlungen Attribute des Wünschbaren, Korrekten oder Angemessenen zugeschrieben, die einem bestimmten Werte-, Normen-, Glaubens- und Begriffssystem entstammen. Legitimität bezeichnet demnach das Resultat einer Attribution und Evaluation spezifischer Verhaltensmerkmale, die [...] strategischer, normativer oder kognitiver Qualität sein können. [...] Im nächsten Schritt diskutiert Suchmann zwei Unterscheidungen, wie sie in der Forschung häufig in Gebrauch sind:,continuity versus credibility' und ,passive versus active support':

822 W. Rainer Walz, Rechnungslegung und Transparenz im Dritten Sektor. Eine in Deutschland überfällige rechtspolitische Debatte; in: ders. (Hrsg.), Rechnungslegung und Transparenz im Dritten Sektor, Köln 2004, S. 1. S. auch: Theodor Siegel, Rechnungslegung und Transparenzdefizite bei Vereinen und Stiftungen; in: W. Rainer Walz/Rainer Hüttemann/Peter Rawert/Karsten Schmidt (Hrsg.), Non Profit Law Yearbook 2006 (Bucerius Law School, Institut für Stiftungsrecht und das Recht der Non-ProfitOrganisationen), Köln 2007, S. 1 7 7 - 2 0 7 . Rupert Graf Strachwitz, Verschwiegenheit und Transparenz gemeinwohlorientierter Akteure; in: W. Rainer Walz (Hrsg.), Rechnungslegung und Transparenz im Dritten Sektor. Köln 2004. 823 Wally N'Dow, Generalsekretär von Habitat II in einer Ansprache vor der Habitat Π Stiftungskonferenz, Istanbul 1994. 824 Christopher Harris, in dieser Zeit Direktor des (US-amerikanischen) Council on Foundations in einer Ansprache vor der Habitat Π Stiftungskonferenz, Istanbul 1994. 825 Herfried Münkler, Anstifter, Unruhestifter, S. 45. 826 Konstanze Senge/Kai-Uwe Hellmann (Hrsg.), Einführung in den Neo-Institutionalismus. Wiesbaden 2006. 827 Ibid., S. 86. 828 Mark C. Suchmann, Managing Legitimacy: Strategie and Institutional Approaches; in: Academy of Management Review 20, 1995, S. 574.

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Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

Zum ersten kann die Legitimität einer Organisation ebenso zu deren Stabilität wie zu deren Sinnhaftigkeit beitragen, doch selten gelingt beides gleich gut. Insofern gilt es abzuwägen, was man vor allem erreichen möchte.[,..] 829 Zum zweiten hängt die Legitimität einer Organisation davon ab, ob sie bloß passive oder auch aktive Unterstützung erhalten soll. Begnügt sich eine Organisation mit passiver Unterstützung, reicht es auch, wenn sie andere von ihrer Existenzberechtigung zu überzeugen vermag (make sense), will sie hingegen aktive Unterstützung, muß sie bemüht sein, sich in den Augen anderer als besonders wichtig und wertvoll zu inszenieren [have value}".830

Folgt man dem neo-institutionalistischen Ansatz, so wird deutlich, daß eine bloße Rechtsposition oder Legalität zur Aufrechterhaltung von Legitimität nicht genügen kann. Sie wird im vorliegenden Zusammenhang bei Senge und Hellmann bzw. Suchmann nicht einmal erwähnt. Die Autoren stehen damit keineswegs allein. „Der Kampf um den Rechtsstaat stellt sich primär als das Bestreben dar, die Prinzipien eines abstrakten Verfassungsrechts mittels eines wirksamen Verwaltungsrechts in der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Sphäre konkret zu realisieren." 831 So formuliert es Ernst Fraenkel und distanziert sich zugleich kritisch von dieser Beschreibung. Ralf Dahrendorf greift dies mit dem Verweis auf eine deutsche Rechtsstaatstradition auf, die dennoch demokratische und weitergehende theoretische Aspekte der Gesellschaft verschleiern kann. „Für die Verfassung der Freiheit ist die Herrschaft des Rechts weniger wichtig als die Lebendigkeit des Konflikts. Die liberale Demokratie wird weniger dadurch gefährdet, daß sich ein Politiker etwas außerhalb der Legalität bewegt, als dadurch, daß die Suche nach vorgeblich überparteilichen Instanzen in der Überschätzung von Kaiser und Präsident, Einheit und Großer Koalition, Verwaltung und Recht institutionelle Gestalt annimmt." 8 3 2 Vollmer hat 1997 8 3 3 die Stiftung als Relikt der Vormoderne in der modernen Gesellschaft bezeichnet, ohne dies freilich kritisch zu sehen. Im Lichte der Diskussion des letzten Jahrzehnts kann man in der Tat fragen, ob sich der Staat nicht schon im 19., ganz besonders aber im 20. Jahrhundert bei der Setzung von Rahmenbedingungen für Stiftungen an einer vormodernen Gesellschaft orientiert hat. Die Kantsche Vorstellung, ja auch die der britischen Ökonomen des 18. Jahrhunderts, vom Wert der Immobilien und immobilienähnlichen Vermögensanlagen, aber auch der Staatsanleihen und dergl. 8 3 4 wurde schon 1875 von Hecht als Relikt der Vormoderne kritisiert. 835 Rittershausen (1898-1984!) schloß sich 1929 dieser Kritik an, 8 3 6 und doch dauerte es bis 1994, bevor das letzte Land (Bayern) die Bestimmungen über mündel-

829 830 831 832 833 834 835 836

Suchmann, loc. cit., S. 575. Senge/Hellmann, loc. cit., S. 81. Ernst Fraenkel; in: Karl Dietrich Bracher (Hrsg.), Staat und Politik, Frankfurt/Main 1964 (2), S. 243. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, S. 235. Vollmer, loc. cit., S. 5 7 - 6 4 . Kant, loc. cit., S. 443. Hecht, loc. cit., S. 155. Rittershausen, loc. cit.

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sichere Anlagen aus dem Landesstiftungsgesetz strich. Es liegt von daher nahe, dem Stiftungswesen einen strukturellen Konservatismus zu attestieren. Sie pauschal als .Motoren der Innovation' anzupreisen, erscheint wenig glaubhaft. Weniger konservative Bürger stellen demgemäß, zumal wenn sie nicht auf materielle Leistungen von Stiftungen zu warten brauchen, nicht selten dieselben Fragen, die schon Turgot und Kant bewegten: Ist es mit einem modernen Verständnis von politischer Ordnung vereinbar, wenn der Wille eines Stifters lange nach dem Gründungsakt, womöglich lange nach dem Tod des Stifters, Entscheidungen beeinflussen kann, die diese Ordnung selbst tangieren? Kann es sein, daß in der Güterabwägung zwischen Rechtsstaatsund Demokratieprinzip das Gewicht so eindeutig zugunsten des ersteren verschoben wird? Ist es schließlich, so die Anschlußfrage des 21. Jahrhunderts, vertretbar, daß eine Gesellschaft, die auf breiter Front, beispielsweise im Bildungswesen, aber auch im Erb- und Namensrecht, dem Entwicklungspotential des einzelnen Menschen den Vorrang vor ererbtem Potential einräumt, den Stiftungen eine singuläre Ausnahmestellung einräumt? Diese Fragen werden durch den Triumphalismus mancher Stiftungsfunktionäre noch weiter in den Vordergrund gerückt. Das Ende der Marginalsituation, das zumindest auf Basis ihrer erheblich größeren Zahl konstatiert werden muß, verleiht ihnen zusätzliche Aktualität. Sie werden auch auf internationaler Ebene diskutiert. Am 8. November 2007 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem Titel ,Das hatte sich Papa aber anders vorgestellt' über eine Auseinandersetzung zwischen der Universität Princeton und einer 1961 gegründeten Stiftung. Die Erben der Stifter verlangten eine Rückabwicklung der zugunsten der Woodrow-Wilson-School of Public and International Affairs errichteten Stiftung plus Schadensersatz, da nach ihrer Ansicht der Wille der Stifter nicht erfüllt worden sei. 837 Es geht insgesamt um 1,4 Milliarden US-Dollar. Nach mehreren erfolglosen Einigungsversuchen wird der Fall nunmehr die Gerichte beschäftigen. Interessant ist daran neben der Frage, wer dazu legitimiert ist, die Erfüllung des Stifterwillens zu beurteilen, für den vorliegenden Zusammenhang auch der Inhalt der Kontroverse. In der Stiftungsurkunde heißt es, Ziel der Stiftung sei es, „den amerikanischen Staat und seine Fähigkeiten zur Verteidigung und Verbreitung von Freiheit zu stärken". 838 Mit einer so stark normativ aufgeladenen Bestimmung war der Ärger vorprogrammiert. Vor allem aber mußte es einer so renommierten wissenschaftlichen Einrichtung wie der Woodrow Wilson School schwer fallen, sich dauerhaft in den Dienst der Regierung der USA zu stellen und sich dabei überdies an den 1961 diesbezüglich gängigen Vorstellungen zu orientieren. Daß sie das Thema weiter fassen wollte, zeigt aber auch, daß auch hier die Frage des Verhältnisses zwischen Stiftungen und Staat aktuell geworden war. Die Einflußnahme von Stiftern - und gar ihrer Erben - auf ihre Stiftungen und, bei entsprechender

837 Katja Gelinsky, Das hatte sich Papa aber anders vorgestellt; Die Universität Princeton hat Ärger: Stiftererben wollen ihr Vermögen zurück; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. November 2007, S. 39. 838 Ibid.

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Größe, auf ein ganzes Tätigkeitsfeld, ist Gegenstand der Diskussion. Das Beispiel von Princeton ist kein Einzelfall. 839 Zugleich diskutiert die amerikanische Öffentlichkeit relativ intensiv darüber, ob Stiftern hohe Steuervorteile eingeräumt werden dürfen, wenn die Leistungen ihrer Stiftungen nur ihrer sozialen Schicht zugute kommen, wie das etwa im Falle der Kunststiftungen an Hand von Nutzerstatistiken argumentiert wird. Diese Diskussion hat freilich Deutschland noch nicht erreicht. „Wieso sind Stiftungen - angesichts ihrer ambivalenten sozialen Funktion - eine Institution, die so viele Hoffnungen auf sich zieht? Und aus welchem Grund wird ein genaueres Hinschauen vermieden? Der Forschungsstand gibt darauf keine befriedigende Antwort." 8 4 0 Warum haben einige große Stiftungen den Rückzug aus der Innovation angetreten und verhalten sich korporatistischer als zu Beginn ihrer Tätigkeit? Auch hierauf kann nur spekulativ geantwortet werden, etwa unter Hinweis auf die Generation der Verwalter, die die Generation der Stifter abgelöst hat. Warum fördern deutsche Stiftungen, ganz anders als im Ausland, so reichlich die Tätigkeit staatlicher Einrichtungen - Museen, Universitäten usw.? Liegt dies nur daran, daß Ziele von Stiftungsarbeit überproportional in staatlichen Einrichtungen verfolgt werden, oder entspricht dies dem Gemeinwohlverständnis der Stiftungen? Gibt es gar ein Anlehnungs- oder Anerkennungsbedürfnis? Oder sind es taktische Gründe, die die Stiftungen dazu bewegen, willfährige Helfer des Staates zu bleiben, damit dieser aus fiskalischem Interesse heraus seine schützende Hand über eine selbst als Anachronismus empfundene Institution hält? Biedert man sich gar beim öffentlichen fons honorum an? Diese Fragen harren der Aufarbeitung. Eines aber scheint festzustehen: Den Anspruch, Motoren der Innovation, des gesellschaftlichen Wandels zu sein, lösen die meisten Stiftungen im Gegensatz zu dem, was ihnen zugemessen wird, nicht ein. 841 Und wenn sie ihn einlösen, so erscheint dies bei genauerem Hinsehen nicht unproblematisch. Stiftungen bleiben in der deutschen Gesellschaft desungeachtet Instrumente gesellschaftlichen Handelns mit spezifischen Charakteristika. Angesichts ihrer rasanten Entwicklung in den letzten 50 Jahren werden sie und wird die Gesellschaft über ihren Stellenwert neu nachdenken müssen. Die permanente US-amerikanische Debatte um exzessive Machtausübung durch einzelne scheint freilich in diesem Zusammenhang keine Rolle zu spielen. Die deutsche Debatte wird sich auch hier auf den Weg vom Korporatismus hin zu einer offenen Gesellschaft 842 zu konzentrieren haben. Eine Gegenüberstellung dieser beiden Paradigmen hat bislang noch keine Klärung erbracht, obwohl die öffentliche Wahrnehmung all der Tätigkeiten ständig steigt, 839 Weitere kontrovers diskutierte Fälle sind beispielsweise die Bames Collection in Philadelphia oder der beanspruchte Einfluß einer Stifterin auf das Programm der Metropolitan Opera in New York. 840 Frank Adloff, Wozu sind Stiftungen gut?, S. 283. 841 Münkler, Anstifter, Unruhestifter, S. 44. 842 i. S. v. Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde [1945], Tübingen 1992 (7).

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die nicht vom Staat oder vom Markt wahrgenommen werden, sondern sich in dem Aktionsfeld bewegen, das seit einiger Zeit mit dem Begriff Zivilgesellschaft bezeichnet wird. Im Vordergrund steht ein Utilitätsargument, das freilich dem von Turgot vorgetragenen diametral entgegensteht. Die Vermutung, Stiftungen könnten etwa im kulturellen oder sozialen Bereich quantitativ zurückgehende Leistungen der öffentlichen Hand kompensieren, läßt sie zunehmend attraktiv erscheinen, obwohl diese Vermutung insgesamt gesehen keinen realen Hintergrund hat. 8 4 3

X.2

Stiftungen in der Theorie der Zivilgesellschaft

Es gibt „viele Gründe [...] anzunehmen, daß die ethische Reflexion in den gegen Ende des 18. Jahrhunderts gefundenen Formen nicht mehr funktionieren kann. Paradigm lost. Aber Paradigm regained? Schon am Ende des 18. Jahrhunderts sieht man zwar ein neues Interesse aufkommen; [...] Heute mündet dieser Strom in ein breites, verzweigtes Delta und nimmt sogar Momente der alten Rationalitätsdiskussion auf. [...] Man sieht nicht, wie von da aus eine Gesellschaftstheorie entstehen könnte, die die moderne Gesellschaft angemessen beschreibt. Man müßte im theoretischen Design von Sprachhandlungen auf Kommunikation umstellen und von Sprache auf soziales System." So beschreibt Niklas Luhmann das Dilemma des gegenwärtigen Paradigmenwechsels. 844 Dieser Wechsel hat ursächlich damit zu tun, daß die von Hegel definierte Hierarchie der gesellschaftlichen Sphären - Staat und bürgerliche Gesellschaft - nicht mehr gilt. Sie ist ersetzt worden durch das Konzept von drei funktional definierten Arenen gesellschaftlicher Aktion - Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft - , die sich zum Teil überschneiden, und die sich vom Menschen aus entfalten. „Geht man von der Annahme aus, daß die Gesellschaft aus Menschen bestehe, drängt es sich auf, die Gesellschaftstheorie anthropologisch zu fundieren. Es müssen Aussagen über die Natur des Menschen und seine Existenzbedingungen sein, aus denen Aussagen über die Gesellschaft abgeleitet werden. In diesen Aussagenzusammenhang, der Mensch und Gesellschaft verbindet, werden dann sowohl moralische Beurteilungen oder jedenfalls Dualkonstruktionen, die ihnen entsprechen, als auch Strukturrechtfertigungen der Gesellschaft selbst eingebaut." Mit dieser Aussage eröffnet Niklas Luhmann ein neues Paradigma für ein gesellschaftliches Arrangement. 8 4 5 Die genannten Arenen sind durch unterschiedliche Themen, Attribute und Handlungslogiken bestimmt. So verbindet sich Staat mit territorialen Begrenzungen, mit 843 Die Bundesregierung hat beispielsweise am 2. März 2 0 0 6 in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag v o m 16. Februar 2 0 0 6 mitgeteilt, daß die Kulturausgaben v o n Bund, Ländern und Gemeinden v o n 2001 auf 2 0 0 4 um rd. 500 Mio. € a b g e n o m m e n haben. Dies ist erheblich mehr als die Stiftungen insgesamt für kulturelle Zwecke ausgeben (vgl. Rainer Sprengel/ Thomas Ebermann, Statistiken zum deutschen Stiftungswesen 2007, Berlin 2007). 8 4 4 Luhmann, Paradigm Lost. Über die ethische Reflexion der Moral [1990]; in: ders., Moral der Gesellschaft, S. 263. 845 Niklas Luhmann, Soziologie der Moral [1978]; in: dere., Moral der Gesellschaft, S. 85.

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Hierarchie, Zwang und dem Gewaltmonopol, Wirtschaft mit Märkten und Tausch ohne territoriale Begrenzungen, Zivilgesellschaft mit Themen, Kommunikation und Geschenk, ebenfalls ohne territoriale Begrenzungen, wenngleich mehrheitlich lokal verhaftet. 8 4 6 Die Zivilgesellschaft besitzt folglich nicht mehr eine abgeleitete, sondern eine originäre Legitimation, die robust genug ist, um eigenständig bestehen zu können. „Es ist ganz entscheidend, daß der Staat die Dinge, die er den Bürgern mit deren Steuergeldern zur Verfügung stellt, nicht auch kurzerhand gleich selbst produziert. [...] Wenn es dazu kommt, dann bleibt der Gesellschaft nicht mehr genügend Raum dafür, innovative Lösungen auszuprobieren und Neues zu erlernen. Das gilt übrigens ganz generell: Alles, was die Vielfalt fördert, schafft Sozialkapital und dient so der Gesellschaft. Zentrale Regelsysteme und Einheitslösungen sind nie hilfreich. Das ist mir wirklich wichtig: Die Vielfalt der gesellschaftlichen Optionen ist von überragender Bedeutung." So antwortete Elinor Ostrom auf die Frage, ob eher die Regierung oder die Zivilgesellschaft auf die Bedrohungen der Gesellschaft reagieren müsse. 8 4 7 Die Antwort der liberalen Amerikanerin überrascht nicht. Sehr viel spektakulärer ist im Zusammenhang mit der beschriebenen Hegeischen Staatsdominanz im Paradigma des 19. und 20. Jahrhundert das Zivilgesellschaftskonzept des italienischen marxistischen Staatsphilosophen Antonio Gramsci, der in seinen ,Gefängnisheften' eine Theorie des doppelten Überbaus entwickelte. 8 4 8 „Der Überbau ist nach Gramsci aufgespalten worden in die Zivilgesellschaft, nach Gramsci die zweite Ebene, in der die Intellektuellen und Künstler um die Wertvorstellungen streiten, und die politische Gesellschaft, in der die Politiker um die Macht kämpfen." 8 4 9 Gramsci führt demgemäß in die Diskussion um die Zivilgesellschaft (società civile) früh die Klarstellung ein, daß es sich dabei nicht um die Gesamtheit der Verhältnisse einer Gesellschaft, sondern um Instanzen der nichtstaatlichen Öffentlichkeit handelt, die von der staatlichen Öffentlichkeit (società politica) prinzipiell zu unterscheiden sind. 8 5 0 Die Zivilgesellschaft, deren Sicherung der zentrale Bestandteil von Gramscis Untersuchungen ist, 851 geht von der Person als Subjekt aus und beinhaltet alle Zusammenschlüsse von Menschen in staatlich nicht kontrollierten Organisationen, 8 5 2 wobei die Produktionsverhältnisse hier nicht zuzurechnen sind, da sie in Marxscher Diktion nicht dem Überbau, son846 Zu den Attributen Zwang, Tausch, Geschenk siehe Perroux, loc. cit. und Offe, loc. cit. 847 Elinor Ostrom, Interview mit Karen Horn; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2007, S. 17. 848 Antonio Gramsci, Lettere dal carcere [1927- 1935, erstmals publiziert ab 1948], deutsch: Gefángnishefte, Hamburg 1991 ff. 849 Gregor von Fürstenberg, Religion und Politik, Die Religionssoziologie Antonio Gramscis und ihre Rezeption in Lateinamerika, Mainz 1997, S. 61. Nach Fürstenberg ist die Rezeption Gramscis in Bezug auf das hier zu erörternde Thema nach wie vor mit der Schwierigkeit konfrontiert, daß die (ohnehin nicht sehr zahlreiche) Gramsci-Literatur den Begriff .società civile', den Gramsci ausdrücklich von Adam Ferguson (1723-1816) übernimmt, vielfach noch mit .Bürgerliche Gesellschaft' übersetzt und damit eine Anknüpfung an Hegel suggeriert, die weder intendiert ist noch die Überlegungen Gramscis zutreffend beschreibt (S. hierzu Fürstenberg, loc. cit., S. 52, Anm. 51). Fürstenberg verweist hierzu insbesondere auf (u.a.): Sabine Kebir, Antonio Gramscis Zivilgesellschaft, München 1991. S. hierzu auch: Fürstenberg, loc. cit., S. 49 ff. 850 Ibid., S. 49. 851 Ibid., S. 28. 852 Ibid., S. 53.

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dem der Basis zuzurechnen sind, während die Zivilgesellschaft nur aus Überbauten besteht. Daß sich Gramsci, der sich lebenslang als Bolschewist sah und aus der aus dem Zivilgesellschaftsdiskurs entwickelten Hegemonievorstellung durchaus marxistisch geprägte Folgerungen zog, in diesem Punkt von einem orthodoxen Marxismus entfernt hat, ist offenkundig. Für den vorliegenden Zusammenhang ist vor allem bedeutsam, daß Gramsci die Zivilgesellschaft aus der Marginalisierung befreit und sie antithetisch der politischen Gesellschaft gegenüberstellt. Diese Position steht dem Hegeischen System diametral entgegen. In den letzten 20 Jahren ist deutlich geworden, daß Verordnungen und Gebote die Wirklichkeit weder in den Griff bekommen noch abbilden können, da es ihnen an Akzeptanz mangelt. Insofern befindet sich die hoheitliche Gewalt heute in einer Legitimitätskrise, die dadurch verschärft wird, daß dies innerhalb derselben noch kaum erkannt wird. 8 5 3 Die Sorge des tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus, ob „das parlamentarische System die wachsende Bedeutung der NGOs überleben oder zu einem NGOismus mutieren [wird]" 854 , ist insofern bemerkenswert. Für Gramsci ist die Zivilgesellschaft ein kulturelles Netz, das die Gesellschaft dominiert, während die politische Gesellschaft sie determiniert. 8 5 5 Erstere ist ein Synonym für Gramscis umfassenden Kulturbegriff und beschreibt ein „kulturelles Netz, welches sich über die industriell fortgeschrittenen Gesellschaften spannt" 8 5 6 . Folgerichtig gehören für ihn auch Religion und Kirche dazu. Gramsci unterscheidet in der Entwicklung der Zivilgesellschaft drei Phasen, wobei sich die entwickelten kapitalistischen Gesellschaften Westeuropas in der dritten Phase befinden. Dies ist die ,ethisch-politische Phase' 8 5 7 , in der die „eigenen korporativen Interessen" gesprengt werden und die Überbauten entscheidende Bedeutung gewinnen. Der Staat ist nicht mehr absolut, sondern zwischen Staat und Zivilgesellschaft herrscht ein ausgewogenes Verhältnis. 858 Zwar spricht Gramsci im folgenden von Kampf und Hegemonie, doch bleibt er bei der fortdauernden Einsicht in die Sinnhaftigkeit des Staates bei einer klaren Verteidigung von Menschenrechten und Gewaltenteilung. 8 5 9 Gramscis Theorie läßt sich insofern sowohl für eine Entwicklung der Gesellschaft im Sinne einer Überwindung einer früheren Ordnung als auch für den Kern dieser

853 Wenn die Staatsverwaltung einerseits gem von den Bürgern als Kunden spricht, ohne zu realisieren, daß dies eine Entfremdung beinhaltet und dem propagandistischen Spruch .Der Staat sind wir' eher das Bild vom Bürger als Mitglied oder Eigentümer des Staates gegenüberstehen sollte, und wenn andererseits ein hoher Staatsbeamter wie geschehen die Sozialversicherungsträger anstelle der Patienten als Kunden der Krankenhäuser bezeichnet, dann zeugt dies von einer tiefgehenden begrifflichen und systematischen Verwirrung. 854 Vaclav Klaus in einem Vortrag bei der Bertelsmann Stiftung, Berlin 23. April 2008. 855 Albert Scharenberg u.a., Die Umwälzung der Praxis - Einführung in Gramsci; in: Perspektiven, Sonderheft 1 - Thema: Antonio Gramsci, 1988, S. 11; zit. nach Fürstenberg, loc. cit., S. 54. 856 Fürstenberg, loc. cit., S. 53. 857 S. hierzu Fürstenberg, loc. cit., S. 63, Anm. 80 mit Verweis auf Benedetto Croce. 858 Ibid. 859 Ibid.

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Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

Überwindung, das heißt die Herausbildung einer Zivilgesellschaft als gleichrangigem Partner der politischen Gesellschaft, in Anspruch nehmen. Es gibt keinen Zweifel: Die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft haben sich weltweit fundamental verändert. Die Globalisierung betrifft keineswegs nur die Märkte, sondern die Lebensverhältnisse insgesamt. „Gesellschaft ist das umfassende Sozialsystem aller kommunikativ füreinander erreichbaren Handlungen. In der heutigen Zeit ist die Gesellschaft Weltgesellschaft", stellt Luhmann lapidar fest, 8 6 0 um dann anzufügen: „Im Vergleich zu diesem weiten Gesellschaftsbegriff, hatte die alteuropäische Tradition den Begriff der Gesellschaft enger gefaßt als politisch-rechtlich konstituiertes System, als societas civilis. Auch heute halten viele Soziologen [...] an einem normativen Gesellschaftsbegriff fest. [...] Dabei wird jedoch der strukturell erforderliche ebenso wie der faktisch bestehende Konsens überschätzt." 8 6 1 Der Blick auf die Schwachstellen der Demokratie ist schärfer geworden, unterstützt durch ein globales Informationssystem, das kaum gate keeper kennt, d. h. die Machtausübung über eine Informationssteuerung erheblich erschwert, die weltweite und hierarchiefreie Interaktion von Bürgern und Bürgerinnen aber wesentlich erleichtert, zum Teil erst ermöglicht. Zumindest in Europa haben die Bürger mehr Erfahrung mit der Demokratie; Versuche, sie als Schlagwort zu nutzen, hinter dem sich vieles verstecken läßt - oder in der Definition von Max Weber eine totalitäre Demokratie aufrichten - sind ebenfalls erschwert. Die Beherrschung weiter Lebensbereiche durch den Markt ist nicht nur phänomenologisch offenkundig, sie wird auch absichtsvoll vorangetrieben. Kein Wunder also, daß sich die Bürger nunmehr dem Staat und dem Markt ausgeliefert fühlen und nach Möglichkeiten Ausschau halten, dieser Auslieferung zumindest partiell zu entkommen. Wir wissen heute, daß informelle, netzwerkartige, flexible Strukturen überlebensfähiger sind als festgefügte, starre Ordnungen. 8 6 2 Jeder Unternehmenserfolg basiert letztlich auf diesem Prinzip. Freilich ist dieser Erfolg prinzipiell auch an das Ziel des eigenen Vorteils gebunden: Wer tauscht, will nicht, wie in dem bekannten Märchen, immer weniger, sondern immer mehr haben. Er will gewinnen, nicht verlieren. Insofern teilt der Markt einige Eigenschaften mit dem Staat. Freilich erscheint der Staat dort, wo es um das Gemeinwohl geht, vielfach als „übermächtiger Wettbewerber", indem er eine Definitionskompetenz und ein Handlungsmonopol für sich beansprucht. Keines von beidem steht ihm verfassungstheoretisch zu. 8 6 3 Unserem Verständnis von Demokratie und vom Spiel der Kräfte will dies auch nicht gefallen. Die Mißerfolge und

860 Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft [1975]; in: ders., Moral der Gesellschaft, S. 212. 861 Ibid., S. 213. 862 S. hierzu: Hans-Peter Dürr, Vernetzung der Zivilgesellschaft als Chance für Zukunftsfahigkeit; in: Maecenata Actuell Nr. 44, 2004, S. 29 ff. 863 Christian Flämig, Die intranationale Harmonisierung des Stiftungsrechts und des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts; in: Anderbrügge, Epping, Löwer: Dienst an der Hochschule, Festschrift für Dieter Leuze zum 70. Geburtstag, Berlin 2003, S. 228. S. auch Edzard Schmidt-Jorzig, Stifterfreiheit Bedingungen eines Grundrechts auf Stiftung; in: Strachwitz/Mercker, loc. cit., S. 55 ff.

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Mißstände des Staates sind zu zahlreich, um übersehen zu werden. Das Gemeinwohl gänzlich dem Markt zu überantworten, bietet sich als Lösung nicht an, da der Markt im Hinblick auf seine originäre Gewinnerzielungsabsicht ebenso defizitär erscheint und viele Aspekte der Verfolgung des Gemeinwohls nicht aufgreift. Es gibt eben nicht für alles einen Markt. Man denke nur an die Funktion zahlreicher nichtgewerblicher, privatrechtlicher Organisationen als Themenanwälte oder als Helfer in der Not, oder an die Aufgabe von Stiftungen als „gesellschaftliche Laboratorien". 8 6 4 In den letzten Jahren ist, nicht zuletzt durch die Aufarbeitung sozialistischer Utopien, das zunächst recht unbestimmte, fortschreitend aber klarere Bewußtsein dafür gewachsen, daß der Vertrag mit dem Staat überdehnt worden und die Überantwortung von Leistungen an den Markt keine universelle Lösung ist. Nicht zuletzt die Ereignisse in Mittel- und Osteuropa haben den Blick dafür geschärft. Aber auch empirische Untersuchungen, die berühmteste gewiß von Robert Putnam, haben den Beweis dafür erbracht, daß eine Gesellschaft und damit auch eine öffentliche Verwaltung sowie eine Wirtschaft wesentlich funktionstüchtiger sind, wenn sie von einem möglichst dichten Geflecht informeller Netzwerke gestützt werden. 8 6 5 Soziales Kapital sieht Putnam als notwendigen Beitrag zur Gesellschaft und stellt fest, daß dieses bei Staat und Markt verbraucht, aber nicht erzeugt, in informellen Zusammenschlüssen und Initiativen hingegen gebildet wird. Ähnlich hatte schon Jahrzehnte zuvor Ernst-Wolfgang Bökkenförde mit dem berühmt gewordenen Satz argumentiert: „Der säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann." 8 6 6 Böckenförde dachte, wie aus dem Kontext deutlich wird, insbesondere an die religiöse Dimension. Claus Offe hat mit dem Anspruch „das Theorem ,vom Kopf auf die Füße'" 8 6 7 zu stellen, dem den Satz entgegengesetzt „der freiheitliche Verfassungsstaat hängt in seinem Bestand (weniger von kulturellen als) von ökonomischen Gegebenheiten ab, über die er nicht selbst gebietet. [...] Als freiheitlicher Staat kann er nur bestehen, wenn die Wirtschaftsbürger [...] sich so verhalten, daß daraus wirtschaftliches Wachstum entsteht [,..]." 8 6 8 Diese Auffassung erscheint erstaunlich orthodox, da nur Markt und Staat als maßgebliche Arenen der Gesellschaft einander gegenübergestellt werden. Die überragende, gerade auch politische Wirkmächtigkeit, die sich religiöse und andere Teile der Zivilgesellschaft erobert haben, wird hierbei vollständig ausgeblendet. Viel eher ist

864 Christian Flämig, Theorie der Besteuerung von Stiftungen; in: Strachwitz/Mercker loc. cit., S. 66 ff. 865 Vgl. u.v.a. Veröffentlichungen: Robert Putnam, Soziales Kapital in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA; in: Enquete-Kommission Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements (Hrsg.), Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft, Opladen 2002, S. 257 ff. S. auch Robert Putnam, Making Democracy Work, Civic Traditions in Modern Italy, Princeton 1994; Robert Putnam (Hrsg.), Gesellschaft und Gemeinsinn, Sozialkapital im internationalen Vergleich, Gütersloh 2001. 866 Emst-Wolfgang Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart; in: ders. (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt/Main 1976. S. 185 f. Siehe auch: Ders., Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation; in: Ders. (Hrsg.), loc. cit., S. 42 f. 867 Claus Offe, Über Voraussetzungen des freiheitlichen Staates: Variationen über ein Thema von E.W. Böckenförde; in: Claus Leggewie/Christoph Sachße (Hrsg.), Soziale Demokratie, Zivilgesellschaft und Bürgertugenden (Festschrift für Adalbert Evers). Frankfurt a.M./New York 2008, S. 69. 868 Ibid.

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Putnam zu folgen, der das in zivilgesellschaftlich strukturierten Netzwerken gebildete soziale Kapital für entscheidend hält. Ob allerdings gerade Stiftungen in der Lage sind, soziales Kapital in nennenswertem Umfang zu bilden, kann gewiß in Zweifel gezogen werden.869 Allenfalls sind sie in der Lage, durch Projekte oder Fördermaßnahmen die Bildung von Sozialkapital katalytisch zu fördern. Zivilgesellschaft ist mitnichten ein neues Konzept. Spätestens in der Emanzipationsund Herrschaftsdiskussion des 18. Jahrhunderts tauchte der Begriff zur Beschreibung eines gesellschaftlichen Faktors auf. 8 7 0 Der Aufstieg der Zivilgesellschaft als gesellschaftliche Kraft ist auch nicht durch das Wachstum wohlfahrtsstaatlicher Leistungen bedingt, die im Rahmen des für Deutschland spezifischen Subsidiaritätsprinzips regelmäßig von den zivilgesellschaftlichen Verbänden der Wohlfahrtspflege und ihren Einrichtungen erbracht werden. Im Gegenteil: Diese haben zu einer zunehmenden Ökonomisierung der Zivilgesellschaft bei gleichzeitig steigender Abhängigkeit von staatlichen Regulierungsmechanismen geführt und so die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft eher behindert als gefördert. Vielmehr ist zum einen schon seit den 1970er Jahren die Herausbildung neuer sozialer Bewegungen sowie neuartiger bürgerschaftlicher Aktionsformen zu beobachten, die sich gerade nicht als Zuarbeiter staatlichen Handelns, sondern als kritische Alternativen, Mahner, Wächter oder Interessenvertreter verstehen. Die Umwelt-, Menschenrechts- und Friedensbewegungen sind dafür typische Erscheinungsformen. Zunächst an wenigen markanten Vorbildern (etwa den Protesten gegen den Vietnam-Krieg in den USA oder Regimegegner in Korea) orientiert, sind diese Initiativen inzwischen zu einem festen und weithin akzeptierten Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden. Die Grenzen von zivilgesellschaftlichem Handeln dieser Art werden nicht im unmittelbaren Nutzen für das staatliche Handeln und nicht einmal am sog. zivilen Ungehorsam, sondern im Verzicht auf die Ausübung von Gewalt gegen Personen gesehen. Die zu Recht gefeierten Bürgerrechtsbewegungen Mittel- und Osteuropas der 1980er Jahre haben ohne Zweifel hierfür den Boden bereitet. Angesichts des unterschiedlichen Sprachgebrauchs erscheint an dieser Stelle eine defmitorische Klarstellung unerläßlich. Zivilgesellschaft wird hier, wie international üblich, als die Summe der nichtstaatlichen, nicht gewinnorientierten Akteure in der Gesellschaft verstanden. Der Begriff ist nicht mit dem des Dritten Sektors deckungsgleich, da dieser auch die informellen Initiativen umfaßt. Daher wird der Dritte Sektor, etwa in der Europäischen Union, oft als .organisierte Zivilgesellschaft' bezeichnet, wodurch gleichzeitig die politische Relevanz im Gegensatz zu einer rein ökonomischen und organisationstheoretischen Betrachtung hervorgehoben wird. Vom Begriff der Bürgergesellschaft (civic society) unterscheidet sich der der Zivilgesellschaft (civil society) dadurch, daß jener insgesamt eine Gesellschaft charakteri869 Nicht zufällig finden Stiftungen in Robert Putnams ausführlichen Schlußfolgerungen zur international vergleichenden Untersuchung zum Sozialkapital (in: Putnam (Hrsg.), Gesellschaft und Gemeinsinn, S. 751 ff.) keine Erwähnung. 870 S. hierzu u.a. Adloff, Zivilgesellschaft; Theorie und politische Praxis, loc. cit.

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siert, die genossenschaftlich aufgebaut ist (und theoretisch die zivilgesellschaftliche Komponente ablehnen kann), während letzterer einen Teilaspekt beschreibt, der auch in einer allein von Herrschaft bestimmten Gesellschaftsform möglich erscheint und auch tatsächlich vorkommt. Interaktion von Bürgern auf selbstermächtigter und selbstorganisierter Grundlage ist, so läßt sich zusammenfassen, ein aus der Realität gesellschaftlicher Ordnung schon deshalb nicht mehr wegzudenkender Bestandteil, weil selbst kleine, mit hoheitlicher Gewalt ausgestattete Zwangsgemeinschaften, etwa Gemeinden, für Bürger und Bürgerin so abstrakt erscheinen, daß Identifikation allenfalls partiell erreichbar scheint. Gemeinschaftsbildung erfolgt in Gesellschaften des 21. Jahrhunderts zunehmend unterstützt durch die Mechanismen der modernen Kommunikation - über freiwillige, tendenziell kleine, volatile, nicht unbedingt lokal zuzuordnende Zusammenschlüsse. Darüber hinaus wird Zivilgesellschaft von den Bürgern als ,Störenfried' in der zunehmend als bedrohlich empfundenen Allianz zwischen Staat und Markt geschätzt. Es kann insofern kein vernünftiger Zweifel mehr daran bestehen, daß einerseits die Gesellschaft auf die freiwillig angebotenen Geschenke ihrer Mitglieder angewiesen ist. Zeit, Geld, aber auch Ideen und Kreativität müssen auf dieser Basis einfließen können. Dies tun sie andererseits aber nur, wenn es außerhalb von Staat und Markt dafür Organisationen - Beschenkte - gibt. Daß diese heute eine ganze Reihe von erstrangigen gesellschaftlichen Herausforderungen - etwa die Schaffung von Identifikation, Integration oder Partizipation an der Gesellschaft - an erster Stelle und nicht mehr als Auftragnehmer übernehmen, ist ebenso weithin unbestritten wie die Tatsache, daß sie hierfür in Anspruch und Wirklichkeit der Herausbildung eines neuen polyarchischen Systems Vorschub leisten. 871 „In komplexen Gesellschaftsordnungen gewinnt [...] ein dritter Typ von Sozialsystemen immer größere Bedeutung, der sich in zahlreichen Bereichen gesellschaftlichen Lebens sozusagen zwischen das Gesellschaftssystem und die einzelnen Interaktionssysteme schiebt, nämlich der Typus Organisation. Dabei handelt es sich um eine voll eigenständige Entwicklung, die ein neuartiges Prinzip der Grenzziehung und Selbstselektion verkörpert und sich weder auf den Typus Interaktion noch auf den Typus Gesellschaft zurückführen läßt. Als organisiert können wir Sozialsysteme bezeichnen, die die Mitgliedschaft an bestimmte Bedingungen knüpfen, also Eintritt und Austritt von Bedingungen abhängig machen. [...] Mit Hilfe solcher Mitgliedschaftsregeln [...] wird es möglich, trotz frei gewählter, variabler Mitgliedschaft hochgradig künstliche Verhaltensweisen relativ dauerhaft zu reproduzieren. Man muß nur ein allgemeines Gleichgewicht von Attraktivität des Systems und Verhaltensanforderungen sicherstellen." 872 Elinor Ostrom hebt noch einen anderen Aspekt hervor: „Alles, was die Vielfalt fördert, schafft Sozialkapital und dient so der Gesellschaft. Zentrale Regelsysteme und Einheitslösungen sind nie hilfreich. [...] Die Vielfalt der gesellschaftlichen Optionen ist von überragender Be-

871 Joel Fleishman, The Foundation, A Great American Secret, New York 2007, S. 32 f. 872 Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, S. 214.

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deutung. Nur da gibt es ein Benchmarking, nur da gibt es Konkurrenz." 873 Luhmann drückt dies so aus: „In hochkomplexen Gesellschaften [kann] keine der zentralen Funktionen des Gesellschaftssystems voll und ganz auf ein einheitliches Organisationssystem übertragen werden. [...] Die politischen Funktionen werden [...] nicht nur in der Regierungs- und Verwaltungsbürokratie wahrgenommen, sondern benötigen außerdem spezifisch politische Organisationen wie Parteien und Interessenverbände außerhalb des im engeren Sinne .staatlichen' Apparates. Selbst die historisch gut etablierte Einheit von Kirchenorganisation und Religionssystem gerät gerade durch diese Identifikation heute in vieldiskutierte Anpassungsschwierigkeiten." 874 Auf der Basis dieses Diskurses ist die Frage nach der spezifischen Legitimation der Stiftungen neu zu stellen. Daher sollen im folgenden einige Elemente diskutiert werden, an Hand derer die Legitimität von Stiftungen auch in der Bürgergesellschaft des 21. Jahrhundert begründbar erscheint. Das neue Paradigma eröffnet einer pluralistischen Struktur der Gesellschaft bis hin zu einem gewissem Maß an Polyarchie einen Raum und billigt anderen als staatlich, auch im staatlichen Kontext demokratisch legitimierten Organisationsformen eine originäre Legitimation zu. Insofern können das französische Modell der alleinigen Bindung der Bürger an den Staat unter Verzicht auf Intermediäre sowie das Hegelsche Modell des alles überwölbenden Staates als durch ein Modell der vielfältigen Organisationsformen ersetzt gelten. Zu diesen können Stiftungen gehören, sofern sie nicht durch andere Argumente delegitimiert werden. Dies gilt es im folgenden zu klären. Dazu erscheint es hilfreich, den anfangs angedeuteten Geschenkcharakter der Stiftung nochmals und genauer in den Blick zu nehmen, die Brücke vom Geschenk zur Stiftung zu schlagen. Vorab sei darauf hingewiesen, daß wir uns bei der Betrachtung des Geschenks wesentlich auf den französischen Anthropologen Francois Perroux stützen, der schon um 1960 in seiner Zurückweisung des Konzepts vom homo oeconomicus die Vorstellung entwickelte, daß menschliches Handeln wesentlich durch die drei Attribute Gewalt, Tausch und eben Geschenk bestimmt sei. 875 Die Ausübung von Macht gehört demnach ebenso zu den Attraktionen des Menschenlebens wie der profitable Tausch und das Schenken. Claus Offe hat diese Zuweisung der Attribute mehrfach aufgenommen und dadurch in die heutige Debatte eingeführt. 876 Gewiß wird nicht jedes Geschenk zur Stiftung, 877 und nicht jeder tatsächlich existieren-

873 Elinor Ostrom im Gespräch mit Karen Horn, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2007, S. 17. 874 Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, S. 219. 875 Francois Perroux, Zwang, Tausch, Geschenk: Zur Kritik der Händlergesellschaft; deutsch Stuttgart 1961. Nach Max Weber (in: Politik als Beruf, München 1919, S. 4) geht die unmittelbare Assoziation von Staat mit Gewalt auf Trotzki zurück. 876 Claus Offe, Reproduktionsbedingungen des Sozialvermögens; in: Enquete-Kommission .Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements - Deutscher Bundestag (Hrsg.), Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft (Schriftenreihe der Enquete-Kommission Bd. 1), Opladen 2002. S. 273. 877 S. hierzu: Rupert Graf Strachwitz, Strategische Optionen für Stifter - Überlegungen zu einer investiven Philanthropie; in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, S. 629 ff.

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den Stiftung ist tatsächlich ein Geschenkcharakter zuzubilligen. In der Tat zeigt der empirische Befund, daß Stiftungen durch Personen oder Unternehmen, öffentliche Körperschaften oder Verbände sehr wohl auch ohne Schenkungsabsicht gegründet werden. Als Beispiel bietet sich vordergründig die in Deutschland sogenannte Gemeinschaftsstiftung an, die z.B. von einem Wohlfahrtsverband ins Leben gerufen wird, um Vermächtnisse und große Spenden aufnehmen und erhalten zu können, das heißt, um etwas geschenkt zu bekommen, nicht etwa, um etwas zu schenken. 878 Und doch ist bei näherem Hinsehen gerade eine Stiftung dieser Art ein Beispiel dafür, wie Geschenke in eine neue Form gegossen werden, die Zukunftsperspektiven eröffnet. Daß der Impuls für die Form nicht vom Schenker, sondern vom Beschenkten ausgeht, tut insofern nichts zur Sache. Man denke zum Vergleich nur an ganz ähnliche Phänomene wie die Anregung von Sammelgeschenken zu bestimmten Anlässen, die Veröffentlichung von Wunschlisten für Hochzeitsgeschenke usw. Der Charakter des Geschenks selbst wird, so ist zu folgern, nicht notwendigerweise durch die Umstände seiner Entstehung beeinträchtigt. Ob es sich dabei letztlich um Pseudostiftungen handelt, kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen. Wer schenkt, erwartet im übrigen allenfalls, daß man sich seines Geschenks erinnert. Mehr zu erwarten, ist nicht realistisch. Insbesondere kann im Gegensatz zum Mechanismus des Tauschs keine konkrete Erwartung an eine Gegenleistung geknüpft werden. Ob eine solche erfolgen und welcher Gestalt sie sein wird, kann dem Schenker zum Zeitpunkt des Geschenks prinzipiell nicht bekannt sein. Wie oft hat jeder Schenker schon erfahren müssen, daß der erwartete Dank nicht nach seiner Vorstellung ausfallt. Die Reziprozität ist notwendigerweise zufallig. Die Überlegenheit einer auf Tausch, damit auch auf Wettbewerb ausgerichteten Produktion von Gütern und Dienstleistungen hat sich gerade in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts an vielen Stellen erwiesen und kann daher als Beweis für diese Behauptung dienen. Trotz der Notwendigkeit einer staatlichen Ordnung siegt schon hier meist die Unordnung (des Marktes) über die Ordnung (des Gesetzes), während andererseits kleinmütige Angst vor Unordnung katastrophale Folgen in Form von Unrechtssystemen gezeitigt hat. Von daher kann es eigentlich nicht erstaunen, daß auch gesellschaftliches Handeln ohne Tausch- aber mit Geschenkabsicht, um in dieser Sprache zu bleiben, noch unordentlicher ist. Langfristig erfolgreicher ist jenes in Mechanismen von Befehl und Gehorsam, auch wenn manche Menschen mit dem Menschen- und Bürgerrecht der Freiheit im konkreten Leben überfordert zu sein scheinen. Der Mensch ist keine Maschine, die sich beliebig einteilen und führen läßt, und unsere Welt ist, wie uns die Naturwissenschaft und Wissenschaftstheorie lehren, viel zu komplex, als daß sie durch ein monolithisches, pyramidales System beherrschbar wäre. Hans Peter Dürr hat bei der Erarbeitung gesellschaftlicher Konzepte diese

878 Thomas Reuther, Die Gemeinschaftsstiftung - ein Bericht aus der Praxis. CaritasStiftung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart; in: Rupert Graf Strachwitz/Florian Mercker (Hrsg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, S. 1013 ff.

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Erkenntnis in den Mittelpunkt gestellt. 879 Der Bedeutungszuwachs nichtstaatlicher Akteure ist daher keine Chimäre, schon gar nicht Wunschdenken einiger Protagonisten. 8 8 0 Dem persönlichen Antrieb zu schenken steht vielmehr der gesellschaftliche Bedarf an Gütern und Dienstleistungen gegenüber, die weder nach den Gesetzen des Marktes, noch aus der Position des Gewaltmonopolisten mit allen Konsequenzen für die Positionierung auf anderen Gebieten sinnvoll bereitgestellt werden können. Insoweit ist das Geschenk auch nicht unilateral, sondern bi- oder multilateral. Es fordert dem Schenker mehr ab als die gute Intention oder gar nur die materielle Leistung. Es ist offenkundig nie gelungen, solches Engagement zu unterbinden. Der Drang dazu, den weder der Wohlfahrtsstaat noch der immer stärker werdende Markt haben auslöschen können, gehört offensichtlich zu den anthropologischen Faktoren, die in der Gestaltung einer politischen Ordnung ins Kalkül zu ziehen sind, wenn Fehlschlüsse vermieden werden sollen. Freilich wäre auch ein Schenken an den Staat möglich. Staaten haben vielfach zu solchem Schenken aufgefordert, 8 8 1 in der Regel mit sehr begrenztem Erfolg, wenn sie selbst die Beschenkten sein wollten und kein hoheitlicher Zwang dahinterstand. Das Schenken vollzieht sich vorzugsweise nicht im immer stärker politisch und verwaltungsmäßig durchgestalteten Staatsverband, sondern in den prinzipiell unorganisierten gesellschaftlichen Prozessen außerhalb desselben. Schenken ist prinzipiell Ausdruck von Selbstermächtigung und Selbstorganisation. Zur Freiwilligkeit des Schenkens paßt daher offenkundig ein Rahmen von Freiwilligkeit. Dem Staat als Beschenkten wird von vielen eben nicht getraut; ein Monopol auf Geschenke kann er schon gar nicht beanspruchen; tut er es doch, ist die Chance des Mißerfolgs relativ hoch. Mißerfolge dieser Art zu minimieren sollte im Interesse der Gesellschaft liegen; anders ausgedrückt: Eine Gesellschaft, die einerseits die Bedeutung des Geschenks, andererseits die Bedeutung gesellschaftlich relevanten Handelns außerhalb der Sphären von Staat und Markt unterschätzt, ist relativ arm und funktionsuntüchtig. Beispiele, etwa totalitäre Systeme, belegen, daß sie wohl nicht einmal überlebensfähig ist. Der Verweis auf die gesellschaftliche Bedeutung des Schenkens kann daher als Indiz für die Legitimität des Stiftens dienen, er genügt jedoch freilich schon deshalb nicht zur vollständigen Untermauerung der Legitimität von Stiftungen, weil die Schenkung von Zeit, von der Stiftungen nur sehr wenig profitieren, insgesamt eine größere Bedeutung hat 8 8 2 und letztlich auch andere Ausdrucksformen, wie die Schenkung von Empathie, Kreativität oder Reputation, zu berücksichtigen sind.

879 S. u. a. Hans Peter Dürr, Das Ziel der Zivilgesellschaft; in: Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Dritter Sektor - Dritte Kraft, S. 583 ff. 880 Gunnar Folke Schuppen, Zu der sich verändernden Rolle des Staates im Spiegel des Bedeutungsgewinns nicht-staatlicher Akteure; in: Rainer Sprengel (Hrsg.), Philanthropie und Zivilgesellschaft, Frankfurt/Main 2007, S. 139 ff. 881 Zu denken ist bspw. an das Winterhilfswerk im Dritten Reich. Auch die immer weniger erfolgreichen Haus- und Straßensammlungen der Wohlfahrtsverbände sind in diesem Kontext zu sehen. 882 S. bspw. für den Kulturbereich: Rainer Sprengel/Rupert Graf Strachwitz, Private Spenden fur Kultur, Bestandsaufnahme - Analyse - Perspektiven. Stuttgart 2008, S. 21 f., 71 et passim.

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Empirisch ist nachweisbar, daß Geschenke dieser Art überwiegend in Zeit angeboten werden. Der Zahl derer, die freiwillig Zeit zur Verfügung stellen, stehen jedoch 37% der Bürgerinnen und Bürger über 14 Jahre gegenüber, die als Spender ermittelt sind. 883 Es ist daher nicht zu verkennen, daß auch das materielle Schenken in unserer Gesellschaft tief verankert ist. Dem gesellschaftlichen Bedarf steht tatsächlich ein Angebot gegenüber, das jedenfalls nicht von vornherein als unzureichend abgetan werden kann. 80% der Spenden von Zeit, Ideen, Empathie und Vermögenswerten, erreichen die Organisationen und Initiativen, die autonom, kraft eigener Satzung, ohne Verpflichtung und ohne das Ziel, für ihre Mitglieder materielle Vorteile zu erzielen, tätig werden. Es besteht also kein Zweifel daran, daß nicht nur eine abstrakte Norm, sondern der Wille der Bürgerinnen und Bürger diese Blickweise stützt. Ein weiteres, hier einzuführendes Element ist die Nachhaltigkeit. Nicht die Herrschaft der .toten Hand' stellt heute ein politisches Ordnungsproblem dar, sondern die Kurzfristigkeit politischen Handelns zu Lasten künftiger Generationen. Es mangelt der Gesellschaft an nachhaltig gebundenen Institutionen, die - jedenfalls nach besten Kräften - versuchen, Bestände an materiellen und ideellen Werten zu bewahren. Soweit dies in anderen Kontexten verträglich ist, können daher Organisationen, die infolge ihrer Bindung an ihren eigenen Anfang auf diese Bewahrung festgelegt sind und die darüber hinaus in der Lage sind, langfristig zu denken und zu agieren, wertvolle Beiträge leisten. Es überrascht insofern nicht, daß in politischen Umbruchszeiten Stiftungen in besonders großer Zahl entstehen, auch wenn die volatilen Rahmenbedingungen das Überleben nicht unbedingt garantieren können. Das Geschenk erhält somit in der Stiftung einen investiven und nachhaltigen Charakter. Das aktuelle Gebot der Nachhaltigkeit scheint inzwischen die Wettbewerbsfurcht der Träger hoheitlicher Gewalt zu überlagern. Insoweit lassen sich Stiftungen als Teile der Zivilgesellschaft begreifen, allerdings nur dann, wenn ein wesentlich deskriptiverer Zivilgesellschaftsbegriff zugrunde gelegt wird. Stiftungen können vor allem keinen internen Demokratieanspruch einlösen, da sie in ihren wesentlichen Entscheidungen an den Stifterwillen gebunden bleiben. Im Sinne der oben dargelegten Argumente erscheint dies jedoch nicht nur zulässig, sondern geradezu zwingend, nicht nur, weil sonst wesentliche andere Akteure der Zivilgesellschaft, beispielsweise die Kirchen, ebenfalls ausgeschlossen wären, 8 8 4 sondern weil sonst das Paradigma der drei Arenen nicht die Wirklichkeit abbilden würde. Das Verfassungsrecht leistet zu dieser Begründung insofern einen wichtigen Beitrag, als es die Unterscheidung zwischen forma externa und forma interna trifft. 8 8 5 Danach ist

883 Ingrid-Hélène Guet, Monitoring Fundraising, A Comparative Survey oflCFO Members and their Countries, Berlin: ICFO General Secretariat, c/o DZI: 2002, S. 12. 8 8 4 S. hierzu: A m d Bauerkämper/Jürgen Nautz (Hrsg.), Zwischen Fürsorge und Seelsorge, Christliche Kirchen in europäischen Zivilgesellschaften seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt/Main 2009. 8 8 5 S. hierzu Juliane Kokott, Kommentar zu Art. 4 GG (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, Kriegsdienstverweigerung); in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar. München 1996, S. 2 4 9 - 2 7 5 .

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Gesetzestreue von allen Staatsbürgern zu verlangen (forma externa); in der privaten Lebensgestaltung [forma interna) sind diese jedoch frei. Übertragen auf die Zivilgesellschaft ist also die Anerkennung allgemeiner, die übrigen Akteure tangierender Grundsätze, etwa der Gewaltlosigkeit und der Anerkennung der Pluralität, zwingend zu verlangen; auf einheitliche Grundsätze hinsichtlich der inneren Ordnung der einzelnen Akteure ist jedoch zu verzichten. Diese Argumente lassen noch nicht den Schluß zu, daß Stiftungen in der Gesellschaft unverzichtbar wären. „Die Koppelung von privater Initiative und öffentlichem Wohl und Nutzen, die in der Sozialfigur des Stifters als eines kulturellen Unternehmers, das heißt der Verknüpfung von bürgerlichem Unternehmertum, ausgeprägtem Individualismus und spezifischem Sendungsbewußtsein, und in der Organisation Stiftung als einer besonderen Institutionaliserungsform gemeinwohlorientierten Handelns deutlich gezeigt werden kann, ist die Ambivalenz inhärent, daß sie einerseits in spezifischer Weise zum Aufbau von Sozialkapital, Vertrauensbeziehungen beziehungsweise allgemeinen bürgerlichen Idealen beiträgt und demnach auf die Integration sozialer Gemeinwesen abzielt, daß stifterisches Handeln andererseits aber auch ein zentrales Medium symbolischer Differenzierungsprozesse darstellen kann." 8 8 6 Die Analyse zeigt, daß historische Gesellschaften in der Regel nicht auf Stiftungen verzichtet haben. Ihre Gründung mag also einem anthropologischen Urbedürfnis entsprechen. Diesem kann sich am ehesten dadurch genähert werden, daß dem Fortschrittsglauben moderner Gesellschaften die Mythen älterer gegenübergestellt werden. Bodo Gatz hat darauf aufmerksam gemacht, daß „der in der Hauptsache dem Mythos [...] vorbehalten gebliebenen Deszendenzidee des Weltaltermythos und des goldenen Zeitalters in allen Schattierungen [...] die in den philosophischen Systemen von den Vorsokratikern an behandelte Idee der Aszendenz entgegensteht], dem am A n f a n g angesetzten existentiellen Höchststand der Tiefstand." 8 8 7 Gatz unterstreicht die grundlegende Legitimität beider Positionen. „Der Paradiesgedanke ist [...] eine Grundäußerung des menschlichen Wunschdenkens, als solche in irgendeiner Form allen Völkern gemeinsam." 8 8 8 Die rasche Überwindung der ersten Legitimitätskrise, die, wie gezeigt wurde, außer in Frankreich die Stiftungen in der Praxis kaum tangierte, ist möglicherweise einer baldigen Einsicht in die Kraft solcher Mythen geschuldet. 8 8 9 Gatz weist auch darauf hin, daß solche Mythen säkularisierungsfähig waren. 8 9 0 Schließlich arbeitet er drei Ansätze einer Ursprungslehre heraus: „1. Mythische Deszendenz, 2. Sophistisch-atomistische Aszendenz, 3. Dialektische Synthese von Des-

886 887 888 889

Sigmund, Solidarität durch intermediäre Prozesse: Stiftungen, S. 101 Bodo Gatz, Weltalter, goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen. Hildesheim 1967, S. 144. Ibid., S. 201. Ibid., S. 1. Gatz verweist hier auf F. v. Schlegel, der sich ausführlich mit dem Weltaltermythos bei Hesiod auseinandergesetzt und eine historisch-antiquarische Position vertreten hat. (Schlegel, Geschichte der epischen Dichtkunst der Griechen, Kap. 9: Über die hesiodischen Weltalter und die homerische Heldenzeit; in: Sämtliche Werke, Bd. 3, Wien 1846, S. 158 ff.) 890 Ibid., S. 205.

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zendenz und Aszendenz" 891 und spricht ausdrücklich von der ,,rückwärtsgewandte[n] Sehnsucht versus das Gelten-lassen des Fortschritts" 892 . Wenn es, so kann man mit Blick auf die Stiftungen folgern, diese Sehnsucht gibt, dann haben die alten Mythen auch in der modernen Gesellschaft ihre Bedeutung nicht gänzlich verloren. Stiftungen sind dann Ausdruck einer Sehnsucht nach in der Vergangenheit verankerten, an diese anknüpfende Institutionen. In der Zivilgesellschaft haben auch solche, von individuellen Bedürfnissen getriebene Initiativen ihren legitimen Platz, sofern sie ihrerseits die Existenzberechtigung anderer anerkennen und diese nicht bei der Verwirklichung ihrer Ziele behindern. Es scheint, daß sich das Paradox der Stiftung auflöst, wenn die von Gatz benannte Dialektik von Deszendenz und Aszendenz zum Maßstab genommen wird.

X.3

Elemente einer neuen Stiftungstheorie

Kann aus dem bisher dargelegten gefolgert werden, daß die Legitimität von Stiftungen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht auszuschließen ist, sollim folgenden versucht werden die Stiftung als zivilgesellschaftliches Element in einer demokratisch bestimmten politischen Ordnung zu verankern, obwohl sie selbst nicht dem demokratischen Verfahren verhaftet ist. In der öffentlichen Diskussion 893 geschieht dies regelmäßig dadurch, daß sie durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit legitimiert erscheint. 894 Dieses Grundrecht wird durch die zum Teil sehr individuellen Charaktere der Stiftungen in Anspruch genommen. In der Reform des Stiftungsrechts im BGB (2002) wurde diesem Recht, allerdings in besonderem Maß auch der Nützlichkeit der Stiftungen, mit dem Ersatz des Genehmigungsanspruchs durch den schwächeren Anerkennungsvorbehalt hinsichtlich der Rechtsfähigkeit der Stiftung Rechnung getragen. Hinzu tritt die in internationalen Verträgen immer wieder niedergelegte Erkenntnis, daß das demokratische Prinzip nur im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip, der Bürger- und Menschenrechtsprinzipien und dem Prinzip der kulturellen Tradition die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Ordnung widerzuspiegeln vermag. Die Legitimation von Stiftungstätigkeit wird femer mit den von Stiftungen tatsächlich wahrgenommenen oder ihnen zugeschriebenen Funktionen in Verbindung ge-

891 Ibid., S. 161. 892 Ibid., S. 145. 893 Die Zusammenstellung der in der öffentlichen Diskussion vorgetragenen Argumente erfolgte im Rahmen der Erarbeitung der Studie .Stiftungen und bürgerschaftliches Engagement' im Auftrag des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Für die Erarbeitung ist Herrn Henrik Neuke herzlich zu danken. S. Rupert Graf Strachwitz/Thomas Ebermann/Henrik Neuke, Stiftungen und bürgerschaftliches Engagement; Expertise für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) im Rahmen des Berichts zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Reihe Opuscula des Maecenata Instituts Nr. 36, Berlin 2009. 894 Grundgesetz Art. 2,1

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Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

bracht, die zum Teil durchaus ambivalent sind und mangels entsprechender Überprüf u n g meist spekulativ bleiben. Dies wird bei den auf staatliches Handeln bezogenen Funktionen Substitution und Komplementarität deutlich. 8 9 5 Eng damit verbunden ist die These Stefan Toeplers, daß Stifteraktivität unter anderem eine abhängige Variable der Intensität staatlichen Handelns ist. 896 Die in der Literatur 8 9 7 diskutierten theoretischen Begründungsansätze bilden einen breiten Fächer, der nachfolgend, zum Teil in Wiederholung, zusammengefaßt vorgestellt und kurz kommentiert werden soll: 8 9 8 Substitution: Privates Engagement übernimmt Verantwortung für ursprünglich staatliche Zuständigkeiten. Hintergrund sind die anwachsenden staatlich wahrgenommenen Aufgaben und die nicht in gleicher Weise steigenden Staatseinnahmen. Gleichzeitig verändert sich aber die Eigenverantwortung der Bürger. Sie soll die Leistungskürzungen u. a. durch Stiftungen auffangen. Dies ist angesichts der begrenzten Stiftungsmittel skeptisch zu sehen. Komplementarität: Ebenfalls auf staatliches Handeln ausgerichtet, gewinnt die Stiftungsarbeit ihre Berechtigung aus gesellschaftlichen Heterogenitäten, die infolge der Globalisierung und Individualisierung zunehmen. Staatliches und Stiftungshandeln ergänzen und stimulieren sich gegenseitig. Je höher die gesellschaftliche Heterogenität, gemessen beispielsweise an der Einkommensverteilung oder der ethnischen, sprachlichen oder religiösen Zugehörigkeit, desto schwieriger ist es für die öffentliche Hand, den unterschiedlichen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. 8 9 9 Stiftungen wirken diesem Defizit entgegen. Pluralismus: Die Förderung von gesellschaftlichem Pluralismus geht mit der Komplementarität Hand in Hand. Durch die Vielfalt der Stiftungen wird auch eine Vielfalt an Kulturen, Ideen und Idealen gefördert. Sie wird als Grundlage einer liberalen Gesellschaft gesehen, in der es keine alleinigen Antworten oder universellen Wahrheiten gibt und eine Definitions- und/oder Gestaltungshoheit des Staates zunehmend problematisiert wird. Der Ausdruck dieser Vielfalt ist eine grundlegende Bedingung individualisierter und funktionell unterteilter Gesellschaften. Umverteilung: Gesellschaftliche Ressourcen werden von Reichen zu Armen umverteilt. Stiftungen dienen damit dem sozialen Frieden. Angesichts der Förderziele (Universitäten, Museen, Opernhäuser, Umweltbelange etc.) wird dies jedoch bezwei-

895 Schwertmann, loc. cit., S. auch: Adloff/Schwertmann, loc. cit., S. 91. 896 Vgl. Toepler, Das gemeinnützige Stiftungswesen. 897 Vgl. bspw. Toepler, loc. cit., Kennth Prewitt, Auftrag und Zielsetzung einer Stiftung: Stifterwille, Stiftungspraxis und gesellschaftlicher Wandel, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 1998, S. 3 2 1 - 3 5 8 , Adloff/Schwertmann loc. cit. 898 S. Schwertmann 2006, S. 91- 94. S. hierzu auch: Rupert Graf Strachwitz/Thomas Ebermann/Henrik Neuke, Stiftungen und bürgerschaftliches Engagement, Expertise für den Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung; im Text veröffentlicht: Maecenata Institut, Opusculum Nr. 36, Berlin 2009 (www. maecenata.eu). 899 Vgl. Toepler, loc. cit.

Elemente einer neuen Stiftungstheorie

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feit: Von Stiftungsausgaben profitieren alle gesellschaftlichen Schichten zumindest gleichermaßen, die gebende Schicht sogar überproportional. 900 Bewahrung von Traditionen und Kultur: Aufgrund der Bindung an ihren Ursprung als zentralem Merkmal sind Stiftungen Garanten einer kontinuierlichen Entwicklung gesellschaftlicher Werte. Damit können sie aber auch zum Erhalt überkommener sozialer Machtstrukturen, der Reproduktion von Eliten und damit von sozialen Ungleichheiten beitragen. Innovation: Angesichts der im Vergleich zu staatlichen Ausgaben geringen finanziellen Mittel wird der gesellschaftliche Beitrag nicht im quantitativen (finanziellen), sondern im qualitativen Bereich gesehen. Stiftungen betätigen sich als Impulsgeber und regen politischen und sozialen Wandel an. Stiftungsarbeit bezieht sich nicht nur auf Symptome gesellschaftlicher Problemlagen, sondern auch auf deren Ursachen. Ihre besondere Eignung hierfür ist in der Unabhängigkeit der Stiftungen von Mehrheitsmeinungen und externer Finanzierung, also der Orientierung auf die Linderung unmittelbarer Nöte verankert. Zum anderen ist eine gesellschaftliche Vision als Voraussetzung für strategisch ausgerichtete Innovation bei Stiftungen wenig ausgeprägt. 901 Der Anspruch, Stiftungen seien innovativ tätig, wird durch Mängel in der Konkretisierung und Überprüfbarkeit stark beeinträchtigt. Insbesondere wird Innovation in der Praxis häufig mit Kurzfristigkeit der Programme verwechselt. Nachhaltigkeit: Stiftungshandeln unterliegt schon wegen der definitorischen Geschichtlichkeit und Langlebigkeit der Stiftungen einer inhärenten Nachhaltigkeitsoption, die mit oft kurzatmigem Handeln von Staat, Wirtschaft und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren kontrastiert. Allerdings gerät diese nicht selten mit dem selbst auferlegten Innovationsziel in Konflikt. Nachhaltigkeit ist auch kein Wert an sich; vielmehr „hängt die Beurteilung der Nachhaltigkeit davon ab, ob das Zielsystem der Gesellschaft im Hinblick auf die Ziele der Stiftung konstant bzw. einschließlich des ökonomischen und politischen Umfeldes hinreichend stabil bleibt". 902 Effizienz: Stiftungen setzen ihre Mittel im Vergleich zur staatlichen Mittelverwendung effizienter ein. Weiter wird vermutet, daß Stiftungs- und Spendengelder eher als staatliche Mittel weitere Ressourcen (z.B. Engagement in Kreativität oder Zeit) für das Gemeinwohl katalysieren. Diese Argumentation spielt bei der Umwandlung von öffentlichen Einrichtungen in private Rechtsformen wie Stiftungen eine zentrale Rolle. 903 Da sich gerade Stiftungen durch mangelnde Information der Öffentlichkeit einer externen Effizienzkontrolle entziehen und zivilgesellschaftliche Organisationen

900 Prewitt, Auftrag und Zielsetzung, S. 324. 901 Adloff/Schwertmann, loc. cit. 902 Clemens Dölken, Sub specie aeternitatis... Der Ewigkeitscharakter der Stiftungen; in: Saenger/Bayer/ Koch/Körber (Hrsg.), Gründen und Stiften, S. 367. 903 Rupert Graf Strachwitz/Volker Then (Hreg.), Kultureinrichtungen in Stiftungsform. Gütersloh 2004.

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insgesamt als „erfolgreich scheiternde" Organisationen bezeichnet werden, 9 0 4 ist fraglich, inwieweit diese Funktion für Stiftungen gilt. Effektivität: Angesichts der postulierten höheren Flexibilität von Stiftungen im Vergleich mit staatlicher Verwaltung sowie ihrer relativen Nähe zum geförderten Subjekt kann Stiftungsarbeit bessere Resultate erzielen. Die Beurteilung, ob diese Funktion erfüllt wird, leidet ebenfalls an der schwierigen Meßbarkeit. Stiftungen evaluieren ihre Arbeit nur in seltenen Fällen; Evaluationskriterien und -methoden sind bisher kaum entwickelt. 9 0 5 Überwindung struktureller Grenzen: Stiftungen können darauf angelegt sein, gesellschaftliche Grenzen zu überwinden, beispielsweise zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, zwischen den Konfessionen oder der föderalen Gliederung Deutschlands. Dies gilt sowohl für die organisatorische Gestaltung der Stiftung, in der Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Segmente gleichermaßen präsent sein können, als auch für die Stiftungsarbeit selbst. Sie kann einen beispielsweise mediatisierenden Charakter haben und gesellschaftliche Konfliktlinien überwinden helfen. 9 0 6 Betreuung v o n nicht mehrheitsfähigen Ansätzen, Projekten u n d Themen: Zu den herausragenden Aufgaben von Stiftungen zählt ihre Möglichkeit, sich Themen nachhaltig zuzuwenden, für die es in demokratischen Strukturen keine Mehrheit gibt. Dies ist unter dem Gesichtspunkt von Pluralität und Minderheitenschutz zu begrüßen, findet allerdings im weitgesteckten Rahmen der Verfassungs- und Gesetzestreue seine Grenzen. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang ist diese übliche, eher positivistische Reihung von Begründungen für eine Daseinsberechtigung von Stiftungen unbefriedigend, ergänzungsbedürftig und greift theoretisch zu kurz. Zur Erarbeitung von Elementen einer Stiftungstheorie muß vielmehr auf andere Ansätze zurückgegriffen werden: „Bei Veränderungen des Zielsystems der Gesellschaft können die ideellen Ziele einer Stiftung möglicherweise irgendwann einmal nicht mehr mit den Gemeinwohlzielen [...] der Gesellschaft übereinstimmen." 9 0 7 Karl Popper hat im 6. Kapitel des ersten Bandes seines Hauptwerks ,Die offene Gesellschaft und ihre Feinde' 9 0 8 , in dem er sich mit Piatons politischem Programm auseinandersetzt, das Problem des Individualismus und Kollektivismus behandelt. Dabei weist er zunächst auf die Begriffspaare .Individualismus' als Gegensatz von .Kollektivismus' und .Egoismus' als Gegensatz von .Altruismus' hin und macht da904 Wolfgang Seibel, Der Funktionale Dilettantismus. Zur politischen Soziologie von Steuerungs- und Kontrollversagen im „Dritten Sektor" zwischen Markt und Staat, Baden-Baden 1991. 905 Vgl. Philipp Schwertmann: Evaluation von Stiftungsarbeit. Mitarbeiter europäischer Stiftungen tauschen Erfahrungen aus; in: Maecenata Actuell, Nr. 37, 2002. 906 Peter L. Berger, Private Interest and Common Good - Foundations and NGO's as Intermediary Institutions of Civil Society between State and Individual; in: Fritz Erich (Hrsg.), Stiftungen und NGOs als Architekten des Wandels, Wertekonflikte und Kooperationen über Ländergrenzen hinweg. Loccum 1999. 907 Dölken, loc. cit., S. 367. 908 Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, [1945] deutsch 1957. Tübingen 1992, S. 120 ff.

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rauf aufmerksam, daß Individualismus und Egoismus voneinander getrennt werden müssen. 909 „Ein Gegner des Kollektivismus, also ein Individualist, [kann] zur gleichen Zeit ein Altruist sein." 910 Hier setzt Poppers Kritik an Piaton an, er habe „bis auf unsere Tage die größte Verwirrung in vielen ethischen Fragen und in ihrer theoretischen Bearbeitung hervorgerufen". 911 Piaton, so wirft Popper ihm vor, identifiziere den Individualismus mit dem Egoismus, verknüpfe daher unzulässig Selbstlosigkeit mit kollektivem Handeln und brandmarke Individualisten als selbstsüchtige Menschen. 912 Diese Grundhaltung habe Piaton dazu geführt, anzumerken, der Staat bringe nicht Menschen hervor, „um jeden nach Belieben handeln und wandeln zu lassen". 913 Er stelle sich damit gegen die „Emanzipation des Individuums [...], die große geistige Revolution, die", so Popper, „[...] zum Aufstieg der Demokratie geführt hatte." 914 Individuelles Handeln stellt demnach nicht eine Gefahrdung des Staatswesens dar, sondern ist für ein demokratisches Staatswesen geradezu Voraussetzung, mehr noch, dieser „mit dem Altruismus vereinigte Individualismus ist die Grundlage unserer abendländischen Zivilisation geworden. [...] [E]r ist der Kern aller ethischen Lehren, die aus unserer Zivilisation erwuchsen und sie anregten." 915 Ähnliches hatte schon Jean-Jacques Rousseau im Sinn, wenn er im .Contrat Social' davon spricht, daß die (von ihm stets bewunderte) politische Totalität der Antike „gegründet war auf Irrtum und Lüge" 916 , nämlich auf dem Aberglauben des Polytheismus, auf einer staatsbezogenen Religion. Das Christentum hingegen emanzipiert den Menschen als Menschen und löst seine Identifikation mit der Polis auf. 917 Piaton, so folgert Popper, „haßte das Individuum und seine Freiheit [...]. Auf dem Gebiet der Politik ist das Individuum für Piaton der Böse selbst." 918 Die von Piaton vollzogene Gleichsetzung von Individualismus und Egoismus wirkte als ein „erfolgreicher antihumanitärer Propagandatrick". 919 Wir müssen uns, so Popper, darüber klar werden, daß „alle Denker, die durch diese Identifikation und durch die hochtrabenden Worte Piatons getäuscht, seinen Ruf als Sittenlehrer in den Himmel heben, [...] den totalitären Ideen und insbesondere einer totalitären antichristlichen Interpretation des Christentums den Weg bereiten." 920 Wenn Karl Marx der Individualität

909 910 911 912 913 914 915 916 917 918 919 920

Ibid., S. 120. Ibid., S. 121. Ibid., S. 121 f. Ibid., S. 122. Ibid., S. 122; s. dazu Anm. 31 (S. 323); Piaton, Der Staat (519 ff.). Ibid. Vgl. hierzu: Karen Armstrong, The Great Transformation, The World in the Time of Buddha, Socrates, Confucius and Jeremiah, London 2006. Popper, loc. cit., S. 123. Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social [1762], Paris 1960, S. 465. Robert Spaemann, Rousseau - Mensch oder Bürger, Das Dilemma der Moderne, Stuttgart 2008, S. 123. Popper, loc. cit., S. 124 f. Ibid., S. 125. Ibid., S. 125. Popper macht an dieser Stelle auf Unterschiede zwischen dem Piaton des Gorgias und dem des Staates aufmerksam.

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eine klare Absage erteilt, dann beweist dies die Poppersche These, 921 wobei Marx mit seinem berühmten Diktum „Bisher haben die Philosophen die Welt nur interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern" geradezu klassisch die Position des individuell handelnden, aktiven Stifters einnimmt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Stiften in einer modernen Bürgergesellschaft legitim ist, ist diese Auseinandersetzung von fundamentaler Bedeutung. Denn während das traditionelle Demokratieverständnis das individuelle Handeln als Stifter eher mit monarchischen Prinzipien verbunden und im Sinne der französischen Verfassung von 1791 die kollektive Willensbildung der Bürger im Staat zur Grundlage eines demokratischen Staatswesens reiner Lehre erhoben hat, verweist Popper auf die totalitären Aspekte des modernen Staates, die diese kollektive Willensbildung bedingen. „Piaton ersetzt die Lehre des Thrasymachos (Recht ist die Macht des Individuums) durch die gleiche barbarische Lehre, daß Recht ist, was die Stabilität und die Macht des Staates fördert." 9 2 2 In die theoretische Begründung der modernen Demokratie hat sich, so muß man Poppers Ausführungen zusammenfassen, seit Piaton, der dies vorsätzlich betrieben hatte, 9 2 3 ein Argument eingeschlichen, das in Wirklichkeit nicht hierfür eine Begründung liefert, sondern für den das Monopol der hoheitlichen Gewalt beanspruchenden Staat. Anders ausgedrückt, die französischen Revolutionäre haben Turgots Argumente bezüglich der Ablehnung individuellen Handelns, die dieser aufgrund von Nützlichkeitserwägungen der Monarchie Ludwigs XV. geliefert hatte, nicht daraufhin überprüft, ob sie zur Überwindung der Monarchie taugen. Es wird deutlich, daß Popper dieser Argumentation auch bei der Diskussion Hegels 9 2 4 folgt, was den Bogen hinsichtlich der Einbettung individuellen Handelns in eine moderne Gesellschaft schließt. Wie aktuell diese Debatte ist, zeigt Putnam, wenn er die Analysen des Sozialkapitals in mehreren Ländern 9 2 5 wie folgt bewertet: „[...] die meisten Autorinnen und Autoren in diesem Band [befürchten], daß die neuen individualistischen Formen des bürgergesellschaftlichen Engagements weniger zur Verfolgung gemeinsamer Ziele beizutragen vermögen. [...] Die neuen Formen des sozialen Engagements sind [...] enger, weniger brückenbildend und weniger auf kollektive oder der Allgemeinheit dienende Zwecke fokussiert. Aus unserer ersten Untersuchung ergibt sich die wichtige Hypothese, daß die neueren Formen zwar befreiender wirken mögen, jedoch weniger solidarisch sind - sie kennzeichnen eine Art Privatisierung des Sozialkapitals." 926 Putnam bezieht sich ausdrücklich nicht auf Stiftungen im engeren Sinn, sondern allgemeiner auf 921 Weischedel, Die philosophische Hintertreppe, S. 252. W. bezieht sich offenkundig auf Karl Marx, Thesen über Feuerbach. S. hierzu: Vitali Stoljarow, Die gesetzmäßige Ordnung der Welt; in: Marxistische Philosophie, Lehrbuch. Berlin (Ost) 1967, S. 230. 922 Ibid., S. 127. 923 Ibid., S. 122. 924 Popper, loc. cit., Bd. 2, s. insb. Kap. 11 und 25. S. hierzu: Arno Baruzzi, Hegel; in: Hans Maier/Heinz Rausch/Horst Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, 2. Bd., Von Locke bis Max Weber. München 1968, S. 215, insb. Anm. 33. 925 Robert Putnam, Schlußfolgerungen; in ders. (Hrsg.), Gesellschaft und Gemeinsinn, S. 751 ff. 926 Ibid., S. 781.

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die „informellen, fließenden und persönlichen Formen sozialer Beziehungen" 927 , die „Rothstein .solidarischen Individualismus' nennt" 9 2 8 . Dieser Sichtweise schließen sich auch Annette Zimmer und Eckhard Priller an, wenn sie unter Verweis auf Putnam auf „die Rolle der Organisationen [des Dritten Sektors (Anm. d. Verf.)] für die individuelle Identitätsbildung bzw. die Ausbildung einer .bürgerschaftlichen Gesinnung' sowie eines Zugehörigkeits- bzw. Selbstwertgefühls" 929 hinweisen. Ausgangspunkt sind für Zimmer und Priller „die von verschiedenen Seiten ausgemachten, mit Modernisierungsprozessen einhergehenden und durch zunehmende Individualisierung bedingten gesellschaftlichen Bindungsverluste". 930 Die Stiftungen ordnen sich in diese Überlegungen im Grundsatz ein, auch wenn sie nicht im Mittelpunkt der Betrachtung stehen und sich das Verhältnis zwischen Individuum und Organisation für sie anders darstellt als für eine Assoziation. Sie gelten jedoch ebenfalls als Subsektor des Dritten Sektors 931 und werden insgesamt, wenn auch gelegentlich mit Einschränkungen, der Zivilgesellschaft zugerechnet. 932 So haben Sachße und Tennstedt im Zusammenhang mit der Armenfürsorge die Individualisierung neben der Subsidiarität als eines der tragenden Funktionsprinzipien herausgearbeitet. 933 Bedenkt man, daß die Armenfürsorge über Jahrhunderte eine der wesentlichen piae causae, d. h. legitimen Ziele einer Stiftung darstellte, wird der Zusammenhang zwischen individuellem Ansatz und individuellem Funktionsprinzip deutlich. Darüber hinaus relativiert das Individualitätsprinzip den Einwand der .Herrschaft der toten Hand', indem der demokratiebildende Wert individuellen Handelns in den Vordergrund gestellt und in Verknüpfung mit anderen positiv konnotierten gesellschaftlichen Zielen wie Investition und Nachhaltigkeit eine Akzeptanz der Legitimität von Stiftungshandeln nahelegt. Ob als Unternehmer Begründer einer großen Stiftung, oder ob engagierte Stiftergruppe einer Bürgerstiftung, ein hohes Maß an Selbstermächtigung und damit Individualität ist jeder Stiftung eigen. Sie bildet in ihrer Genese einen Akt eigener Rechtsetzung, agiert gegen den Druck des nivellierenden Verwaltungsstaates. Die Gestaltungsfreiheit des Stifters ist dafür ebenso kennzeichnend wie die überschätzte, in der Realität meist überschaubare Größenordnung. Die Stiftung bildet zugleich, auch und gerade kombiniert mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit, eine Gegenbewegung zur Flüchtigkeit der Ideen in der modernen Gesellschaft. Insoweit stellt sie eine individuelle Investition dar, deren wie auch immer geartete Früchte auf Dauer gesellschaftlich wirken

927 Ibid., S. 780. 928 Ibid. 929 Annette Zimmer/Eckhard Priller, Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel, Ergebnisse der Dritte-Sektor-Forschung, Wiesbaden 2004, S. 26. 930 Ibid., mit Verweis auf: Ulrich Beck, Kinder der Freiheit, Frankfurt 1997, S. 206. 931 Ibid., S. 33, 45 f. 932 Frank Adloff, Wozu sind Stiftungen gut?, S. 279 et passim. 933 Sachße/Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge Bd. 1, S. 14.

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können. 9 3 4 Partizipation sowie Integration in die Gesellschaft sind ebenfalls wesentliche Attribute. Untersuchungen zu Motiven deutscher und amerikanischer Stifter im 19. Jahrhundert zeigen dies beispielsweise deutlich. 935 Niklas Luhmann verwirft in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Talcott Parsons das gegen die Stiftungen geführte Argument, diese würden der prinzipiellen Gleichheit der Menschen entgegenarbeiten: „Sympathie und Altruismus bedeuten nicht, sich selbst an die Stelle des anderen zu setzen, sondern sich in den anderen als anderen einzufühlen. Damit sind alle Freundschaftstheorien (und abhängig davon alle Gesellschaftstheorien) unterlaufen, die irgendeine Art von natürlicher Gleichheit der Menschen voraussetzen. Statt dessen wird die Andersheit des anderen zu dem Befund, der Sozialität nicht nur notwendig oder förderlich, sondern überhaupt erst möglich macht." 936 Diesen Merkmalen, die Stiftungen in der Tat kennzeichnen, steht ein anderes gegenüber, das schon oft Anstoß erregt hat: Jeder Stiftungsakt ist Ausdruck der Bindung des Menschen, in diesem Fall des Stifters, in der Zeitachse und steht damit im expliziten Gegensatz zur horizontalen Bindung an die gleichzeitig existierende Mitwelt. Eine Stiftung ist und bleibt, wie dargelegt, an den bei der Gründung niedergelegten Willen des Stifters oder der Stifterin gebunden. Er oder sie bestimmt Ziel und Zwecke, die Art der Verwirklichung, in der Regel die Vermögensausstattung und - besonders wichtig - den Entscheidungsspielraum späterer Stiftungsverwalter. Ob und in welchem Umfang der Stifterwille späteren Erfordernissen angepaßt werden kann, ist in sich Ausdruck des Stifterwillens und entzieht sich insoweit der Entscheidungshoheit späterer Generationen. Infolgedessen sind, entgegen landläufiger Meinung, nicht die Stiftungen unecht, die nicht oder kaum über Vermögen verfügen, sondern diejenigen, in denen diese Bindung nicht verankert ist. Rechtsform und andere Formalia, auf die im Stiftungsrecht oft so großer Wert gelegt wird, sind im Verhältnis zu diesem Kern des Stiftungsgedankens peripher. Das investive Geschenk, das zur Stiftung führt, ist der Beginn einer Reise auf der Zeitachse der Gesellschaft. So gesehen ist die Bindung an den Stifterwillen keineswegs nur rückwärts gewandt, sondern auch zukunftsorientiert, in der Tat ein Ausdruck von Herrschaft der Toten über die Lebenden. Diese Bindung in der Zeitachse soll im folgenden als vertikale Bindung bezeichnet werden, während die Bindungen an die gleichzeitig existierende Mitwelt als horizontale Bindungen bezeichnet werden sollen.

934 Wir würden dies mit geringen Einschränkungen auch für die (in Deutschland sehr wenigen) Stiftungen behaupten, die aufgrund ihres engen Destinatärkreises vom Staat nicht als gemeinwohlorientiert angesehen werden und denen infolgedessen die Freistellung von Ertrags- und Vermögenssteuern versagt wird. Dies zu begründen, würde hier zu weit führen. 935 Thomas Adam: Transatlantic Trading, The Transfer of Philanthropie Models between European and North American Cities during the Nineteenth and Early Twentieth Centuries; in: Journal of Urban History, Vol. 28 No. 3, März 2002, S. 3 2 8 - 3 5 1 . Vgl. auch: Birgit Biedermann, Bürgerliches Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Petersberg 2001; Bernd Schultz (Hrsg.), James Simon, Philanthrop und Kunstmäzen, München 2006; Alexis Gregory, Families of Fortune, Life in the Golden Age, New York 1993. 936 Niklas Luhmann, Arbeitsteilung und Moral [1992]; in: ders., Die Moral der Gesellschaft, Frankfurt/ Main 2008, S. 9.

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Das Beziehungsgeflecht zwischen vertikalen und horizontalen Bindungen bestimmt unser Leben in vielfacher Hinsicht. Insofern ist die Stiftung keineswegs der Sonderfall, als der sie oft dargestellt wird. So ist die Sicherheit im Rechtsstaat der vertikale Komplementär zur legitimen (horizontalen) ständigen Willensbildung in der Demokratie. Unser Leben wäre ohne vertikale Bindungen ebenso unerträglich unsicher, wie es dies ohne horizontale Bindungen wäre. Zu viele vertikale Bindungen wären ebenso beengend wie zu viele horizontale Bindungen. Jedes Gebäude ist beispielsweise Ausdruck vertikaler Bindung. Eine Gesellschaftsordnung, in der jedes legal errichtete Gebäude jederzeitnach demokratischer Beschlußfassung wieder abgetragen werden müßte, würde einen weder praktikablen noch erstrebenswerten Lebensraum bieten. Insofern ist es durchaus zutreffend, wenn eine Stiftung als virtuelles Gebäude bezeichnet wird. Wie dieses, ist sie im Wortsinn gegründet. 937 Alle Gesellschaften, die wir kennen, sind durch ihre Religion, ihre Kultur, ihre Traditionen ausgesprochen und unausgesprochen vertikal gebunden. 9 3 8 Der Grad dieser Bindung im Verhältnis zum Grad der horizontalen Bindung ist freilich unterschiedlich. Das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Bindungen bestimmt letztlich den Charakter einer Gesellschaft. So wie eine zu ausgeprägte Vertikalbindung - etwa im Beispiel historischer Erbmonarchien, aber auch anderer verkrusteter Machtstrukturen wie Parteien oder Gewerkschaften - zu Stagnation und letztlich über Unzufriedenheit zur Revolution führen können, werden ganz und gar horizontal gebundene Gesellschaftsordnungen dem Wunsch ihrer Mitglieder nach Aufbau und Kontinuität nicht gerecht. Insofern haben die Prinzipien des Rechtsstaates und der kulturellen Traditionen eine hohe Akzeptanz. In der modernen Zivilgesellschaft haben die auf dem kontinuierlichen und kollektiven Willensbildungsprozeß von Mitgliedern oder Aktivisten aufbauenden Organisationen zu Recht das größte Gewicht. In ihnen manifestiert sich Selbstermächtigung, Selbstorganisation und Solidarität in vorzüglicher Weise, in ihnen wird Sozialkapital vor allem generiert, hier findet vorrangig Integration und Partizipation statt. Man mag über Vereine und ihre manchmal quälenden Entscheidungsprozesse spötteln; sie sind die Schule der Demokratie. Man mag an der Qualität eines Laienchores mäkeln; hier wird die Herausforderung der Integration des Menschen in seine Mitwelt in exemplarischer Weise angenommen. Ein Defizit weisen diese Organisationen aber inhärent auf: Sie sind wesentlich horizontal bestimmt, während die Vertikalbindung unterentwickelt bleibt. Es ist nur logisch, daß ein Verein jederzeit im Konsens seiner Mitglieder über alle auch noch so grundsätzlichen Bedingungen des Vereinslebens Entscheidungen treffen kann. Assoziative Organisationen bilden jedoch damit die Wirklichkeit der Gesellschaft nicht in vollem Umfang ab. Vereinstypische Regularien, wie das oft übersteigerte Feiern von Jubiläen, können als Versuche gewertet werden, dieses Defizit auszugleichen. 937 In den entsprechenden Begriffen in anderen Sprachen, etwa foundation, fondation, fondazione usw., kommt die Gründung noch stärker zum Ausdruck. 938 Ein prägnantes Beispiel ist der übersteigerte Totenkult post-revolutionärer sozialistischer Eliten.

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Die vertikal gebundene Stiftung ist in der Zivilgesellschaft der geborene Komplementär zum horizontal gebundenen Verein. Sie scheint dem von Popper als Voraussetzung für den Erfolg einer Demokratie herausgearbeiteten Individualismus besser oder zumindest gleich gut gerecht zu werden. Nur in ihrer Gesamtheit kann die Zivilgesellschaft selbstbewußt anderen Kräften gegenübertreten; ohne den vertikal gebundenen Teil wäre sie und ist sie in der Realität kurzlebig, wenig verwurzelt und dementsprechend verwundbar. Sie kann leichter als chaotische, unverantwortliche Marginalie abgetan werden. Daß die Zivilgesellschaft in der Öffentlichkeit nach wie vor weitgehend als zwar nett, allenfalls als nützlich, aber kaum als notwendig angesehen wird, verdankt sie unter anderem diesem Defizit, das nur zu beheben ist, wenn die Stiftungen ihr spezifisches Gewicht in die Zivilgesellschaft einbringen. 9 3 9 . Die derzeitige Popularität des zivilgesellschaftlichen Handlungsinstruments Stiftung kann insofern als Ausdruck der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft im Sinne Poppers positiv gedeutet und der von vielen beklagten Vermassung und Verflachung entgegengesetzt werden. Aus Sicht der Gesellschaft haben Stiftungen insofern einen spezifischen Stellenwert, der eben gerade nicht in ihrer Funktion als Quelle finanzieller Ressourcen besteht. Ein Blick auf die Stiftungswirklichkeit zeigt, daß diese Funktion tatsächlich nur einen Teil der Stiftungen, die Förderstiftungen und die mildtätigen Stiftungen, beschreibt, so daß der empirische Befund dem normativ bestimmten Gedankengang in der Tat entspricht. Die operativen Stiftungen - man denke nur an die mächtigen Anstaltsträger, von den Bodelschwinghschen Anstalten bis zur Zeit-Stiftung als Trägerin der Bucerius Law School - wären durch eine solche Reduktion ebensowenig beschrieben wie die Eigentümerstiftungen, die nach wie vor, berücksichtigt man die Kirchenstiftungen, mit Abstand die größte Gruppe bilden. 9 4 0 Dazu gehört auch die den Stiftungen eigentümliche Gewichtung von Schenker und Beschenkten. Viele Stiftungsverwaltungen leben in dem Irrglauben, sie seien, gewissermaßen stellvertretend für den Stifter, Schenker, die Destinatare seien die Beschenkten. Davon kann jedoch keine Rede sein. Das Geschenk hat der Stifter zunächst der Gesellschaft gemacht. Die Destinatäre schenken ihm Erfüllung. So ist auch der Stifter ein Beschenkter. Die Verwalter sind Verwalter; die Rolle des Gnadenspenders ist ihnen unangemessen, oft ist sie geradezu peinlich. Hingegen kann ihnen das Annehmen des Beschenktwerdens Erfüllung geben. Zum spezifischen Gewicht gehört somit auch die Vertrauensbildung über dieses heikle Verhältnis. Vertrauen aber gehört nicht nur zu den Merkmalen einer guten Zivilgesellschaft, sondern zum sozialen Kitt der Gesellschaft schlechthin. Das überbordende Mißtrauen und Kontrollbedürfnis der staatlichen Verwaltung gegenüber den Bürgern (die „amtliche Obsession mit Sicherheitsfragen" 941 ) führt täglich vor Augen, wohin eine vertrauenslose und geschenklose Gesellschaft führt. 939 Vgl. Schwertmann, Stiftungen als Förderer der Zivilgesellschaft, loc. cit. 940 Sprengel/Ebermann, loc. cit. 941 Offe, Über Voraussetzungen des freiheitlichen Staates, S. 68.

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Aus ihrer Vertikalbindung folgt die Aufgabe jeder Stiftung, sich in jeder Generation neu horizontal zu vernetzen, nicht in erster Linie mit anderen Stiftungen, um eine Wagenburg zu bilden, sondern mit anderen Akteuren, um an Entwicklungen zu partizipieren. Es liegt an den Stiftungen selbst, ihren Stellenwert in jeder Generation neu zu gestalten. Tun sie dies nicht, handeln sie nicht autonom, sondern autistisch und werden für jede Gesellschaft zur Gefahr. Wächst die Gefahr, wird die Gesellschaft sie delegitimieren, nach ihrer Beseitigung trachten. 942 Auf ihren Charakter als Paradox allein kann sie sich in der Erarbeitung einer Legitimierungs- und Überlebensstrategie nicht verlassen. Stiftungen waren über lange Zeit eine Marginalie. Sie sind es, vielleicht zum Leidwesen einiger ihrer Exponenten, womöglich heute noch. Ihre jüngste Geschichte sowie ihre Geschichten haben ihr aber eine erhöhte Aufmerksamkeit gesichert, auch dies ganz überwiegend zu ihrer Freude, ja auf ihr ausdrückliches Betreiben hin. Wozu dieses Betreiben stattfindet, ist freilich oft nicht erkennbar. Insofern fallt den Stiftungen heute die Aufgabe zu, sich ihrer Sache auch in dem Sinne anzunehmen, daß sie ein zukunftsorientiertes, gesellschaftlich akzeptables Leitbild entwerfen und die Konsequenzen daraus ziehen. Adloff und Schwertmann haben gezeigt, daß für die meisten Stiftungen die Sache der Stiftungen keine oder kaum Bedeutung hat. Ihre Studie zeigt auch, daß ein bedeutender Teil der Stiftungen sich nicht als eigenständiger Akteur in der Zivilgesellschaft, sondern im weitesten Sinne als Erfüllungsgehilfe des Staates empfindet. 943 Auch dies ist in gewisser Weise vom jeweiligen Stifter vorgegeben und daher nicht ohne weiteres zu ändern. Aber es gehört zu den Perspektiven der Stiftungen, eine Theorie des Stiftungswesens zu entwickeln, die kritischer Nachfrage Stand hält. Hierzu gehört, daß sich Stiftungen als Teil der Zivilgesellschaft begreifen. 944 Dies bedeutet, daß sie sich nicht nur die Sache der Stiftungen, sondern die Sache der Zivilgesellschaft insgesamt zu eigen machen müssen. Dabei geht es wohlverstanden nicht um eine unbegrenzt wachsende Rolle, sondern um eine Rolle mit allen zu diskutierenden Begrenzungen, aber auch Chancen und Herausforderungen. Dies liegt im ureigenen Interesse der Stiftungen selbst. Seit 100 Jahren hat es in Deutschland keine große öffentliche Debatte um ihre Existenzberechtigung gegeben. Es erscheint schlechthin unvorstellbar, daß dies in Zukunft so bleibt. Das Mißtrauen gegen ihre angebliche oder tatsächliche Sonderstellung ist größer, als die Stiftungen dies meist vermuten. Der Verdacht der Narretei ist ebensowenig ausgeräumt wie der der Fassade

942 John W. Meyer und Brian Rowan haben das Phänomen der Akzeptanz als Legitimitätsgrundlage 1977 beschrieben und damit den sog. Neoinstituüonalismus begründet. (Institutionalized Organizations: Formal Structures as Myth and Ceremony; in: American Sociology, vol. 83, S. 3 4 0 - 3 6 3 ) S. hierzu auch: Konstanze Senge/Kai-Uwe Hellmann, Einführung in den Neo-Institutionalismus. Wiesbaden 2006. Ebenso: Paul J. DiMaggio/Walter W. Powell, The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organized Fields; in: Dies. (Hrsg.), The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago/London 1991, S. 1 - 3 8 . 943 S. Adloff/Schwertmann/Sprengel/Strachwitz, Visions and Roles of Foundations in Europe, loc. cit. 9 4 4 Vgl. Schwertmann, loc. cit.

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zur Verfolgung anderer Interessen. Die Vorwürfe Turgots stehen nach wie vor im Raum. Sie auszuräumen, liegt an den Stiftungen selbst. Angesichts der Bedeutung ihrer Akzeptanz als Bedingung für ihre fortdauerende Legitimität und der wachsenden Demokratisierung gesellschaftlicher Prozesse tun die Stiftungen gut daran, sich der Bundesgenossen zu versichern, denen sie in der Tat nahestehen: Zu einer zivilgesellschaftlich mitbestimmten Ordnung vorzustoßen, bleibt ein Anliegen von fundamentaler Bedeutung. Geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung zum Stiftungswesen ist nach wie vor dürftig. Zu einer konsequenten Leitbildentwicklung gehört auch die Erhärtung von Behauptungen durch empirische, historische und demokratietheoretische Analysen. Weder der Staat noch andere gesellschaftliche Gruppen haben ein sonderliches Interesse daran, diese den Stiftungen zur Verfügung zu stellen; dies müssen die Stiftungen selbst leisten. Den Stiftungen muß auch daran gelegen sein, den Begriff der Stiftung sauber zu halten. Weder ein Aufblühen unechter Stiftungen im oben skizzierten Sinn, noch ein Erscheinungsbild, das durch Selbstüberschätzung oder Unbescheidenheit gekennzeichnet ist, liegen im Interesse der Stiftungen. In diesen Zusammenhang gehört auch das Phänomen, daß Stiftungen, nicht zuletzt unter dem Druck, sich stärker für Kooperationen zu öffnen, dies insoweit mißverstehen, als daß sie stärker mit anderen Stiftungen kooperieren. So sinnvoll die gemeinschaftliche Entwicklung eines state of the art durch die Stiftungen ist, so natürlich die Kooperation bei Projekten von gemeinsamen Interesse, so viel wichtiger erscheint unter den Bedingungen der Zivilgesellschaft und damit der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt, die Kooperation, ja Netzwerkbildung mit anders strukturierten Akteuren. Ein Prozeß hin zu mehr Verantwortlichkeit, verbesserter Kommunikation mit den anderen sog. Stakeholdern und ein geläutertes Verhältnis zur Transparenz sind unabdingbar. Gerade Transparenz hat sich als Gradmesser der Qualität der Zivilgesellschaft durchgesetzt. Dem Vorwurf mangelnder demokratischer Legitimation, der den Vereinen ebenso wie den Stiftungen gemacht wird, wenn sie für öffentliche Belange eintreten, kann nicht durch eine Pseudodemokratie im Sinne von Verbandsstrukturen, sondern nur durch Transparenz in Bezug auf Finanzen und Tätigkeit begegnet werden. Kurz: Stiftungen haben eine spezifische Bringschuld gegenüber der Gesellschaft. Sie müssen zeigen, daß sie eben nicht Spielwiesen, sondern zwar individualistische, aber eben doch verläßliche, freilich auch kreative Akteure sind. Dies wird ihnen weder von ihren Stiftern, noch von der Umwelt leicht gemacht. Um so mehr müssen sie dafür kämpfen. Sie müssen zeigen, daß sozialer Wandel ihre Sache ist - das Voranschreiten auf der Zeitachse, nicht das Stehenbleiben, das die vertikale Bindung schnell an die horizontalen Kräfte verrät. Bleibt sie stehen, wird die Stiftung zum Spielball von Moden, Einflüssen und Vorurteilen, denen sie doch gerade widerstehen sollte. Sie bleiben stets angreifbar, denn „in welcher Form auch immer, innerhalb der Demokratie ist, im guten wie im bösen, die Stiftung das Mittel, dominierende und stetige Gebilde zu schaffen, welche im Interessenkampf und gegenüber der Staatsmacht

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selbständige, stille Macht aufbauen und erhalten". 945 Es liegt daher an den Stiftungen, den allgemeinen Wechsel des gesellschaftlichen Paradigmas mitzuvollziehen, zu demonstrieren, daß individuelles, nachhaltiges, subjektiv gemeinwohlorientiertes Handeln die Entwicklung einer Bürgergesellschaft, einer Gesellschaft also, die vom Menschen, vom Bürger her definiert ist, nicht behindert, sondern fördert. Als vor hundert Jahren der Wert von Stiftungen zum zweiten Mal nach 1750 in Frage gestellt wurde, geschah dies in der Form, daß die konservative Presse und Politik in Beobachtung des Wirkens von Ernst Abbe und anderen den Stiftungen den Vorwurf machten, sie seien zu progressiv. 946 Dies ist schon deshalb von besonderem Interesse, als neben anderen Faktoren die Bindung an den Ursprung einen inhärenten Konservatismus der Stiftungen begründet. Dieser wiederum war vor 250 Jahren Anlaß für ihre Delegitimierung. Nicht zuletzt wegen dieses strukturellen Konservativismus werden sie zur Zeit von der Staatsmacht in der Regel eher geschätzt als die Vereine. Daraus erklärt sich letztlich sowohl die Vorzugsbehandlung, die der Gesetzgeber den Stiftungen gewährt, seit er 1998 daran ging, die Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft zu erneuern, als auch die scharfe Reaktion, wenn, wie im Falle Abbes, eine Stiftung bewußt aus dieser Grundhaltung ausbricht. Heute lautet ein vielfach erhobener, latenter Vorwurf, daß Stiftungen sich für neue Entwicklungen, neue Akteure nicht hinreichend öffnen. Artikuliert wird dies freilich kaum, im Gegensatz etwa zum angeblichen Stiftungswunderland USA, wo Stiftungen seit Jahrzehnten eine mal mehr, mal weniger heftige, insgesamt aber kontinuierliche kritische Begleitung erfahren. 947 Auch Europa ist sicherlich nicht davor gefeit, daß sich diese Debatte plötzlich an irgendeiner einzelnen Stiftung, an einem Skandal oder was auch immer entzündet. Jeder weiß, wie schnell dies geschehen kann und wie gering der Anlaß sein muß. Zum Leitbild tritt daher die Offenheit des Diskurses als wesentliche Forderung einer Perspektive für die Stiftungen. Folgen sie dieser Perspektive, bleiben sie im Trend. Es gibt im Hinblick auf die anthropologische Grundkonstante des Schenkens und auf alle historischen Erfahrungen in allen Kulturen keinen Grund zu vermuten, daß das Konzept des Stiftens aus unserer Gesellschaft verschwindet. Als konkrete Wirklichkeit freilich wird die Stiftung durch eigenes Handeln wahrgenommen. Daß sie kein Hort des Konservativismus, sondern eine im demokratisch-bürgergesellschaftlichen Sinne revolutionäre Zelle sein kann, hat sie unter Beweis zu stellen. Daß empirischer Befund und normative Bewertung nicht kongruent sind, muß sie stets aufs neue zeigen. In einer überwiegend horizontal bestimmten demokratischen Gesellschaft wie der unseren gibt es keine Garantie dafür, daß die Stiftung nicht als konkretes Konstrukt hinweggefegt wird, auch wenn sie zur Zeit geradezu als Gegenbewegung zur oft beklagten Schnellebigkeit gedeutet werden kann - und vielleicht gerade deshalb, weil sie sich als individualistische Gegenbewegung zum Druck des machtvollen, nivellie945 Rassem, Entwurf einer Stiftungslehre, S. 169 f. 946 Vgl. Jürgen John, Ernst Abbes Sozialpolitik in ihrer Zeit (1); in: Rüdiger Stolz/Joachim Wittig (Hrsg.), Carl Zeiss und Emst Abbe, Leben, Wirken und Bedeutung, Jena 1993, S. 458 ff. 947 Vgl. Toepler, Myths and Misconceptions.

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Auf dem Weg zu einer neuen Stiftungslegitimation

renden Verwaltungsstaat interpretieren läßt. Sie muß sich in der Horizontalität durch den unverwechselbaren Beitrag ihrer Vertikalität immer wieder neu bewähren. Nur dann gilt, was Rassem 1952 formuliert hat: „Die aus der Praxis und aus der Jurisprudenz wohlbekannte Stiftung erscheint uns als Lehrmodell der gesellschaftlichen Institution überhaupt." 948 Nur dann hat auch die These von Andreas Hansert ihre gesellschaftliche Relevanz, „es handle sich bei der Familiengründung um eine Art Urform von Stiftung, nämlich um die Stiftung von Zukunft als solcher." 949 Nur dann kann sie privates Vermögen und individuell gestaltete und ausgelebte Kreativität legitimer- und tolerierbarerweise nachhaltig für das Gemeinwohl nutzbar machen, der Zivilgesellschaft einen Kapitalmarkt bieten und den notwendigen kollektiven Prozessen in der Gesellschaft das punktuell notwendige (Fichtesche) ,Ich' entgegensetzen. Dementsprechend können abschließend die Ergebnisse der Untersuchung wie folgt zusammengefaßt werden: 1. Die Legitimationskrise des Stiftungswesens im 18. Jahrhundert erfolgte in dieser Form erstmalig, war fundamental und erfaßte ganz Europa. Sie war Teil einer grundsätzlichen Diskussion um die Rolle unterschiedlicher Akteure in der Gesellschaft. Die Krise wurde mit graduellen Unterschieden zwischen Deutschland und anderen Ländern im Sinne einer Relegitimierung, bei gleichzeitiger hierarchischer Unterordnung unter die Staatsautorität, theoretisch gelöst. Die Forderung nach Auslöschung der Stiftung als Handlungsinstrument setzte sich nicht durch. 2. Mit diesem Konzept gelang den Stiftungen im 19. und 20. Jahrhundert eine Entwicklung von erstaunlicher Kontinuität und erheblichem Umfang. Allerdings trieb der Wohlfahrts- und Gewährleistungsstaat die Stiftung in eine Marginalsituation, die sich von der Gegnerschaft totalitärer Ideologien zwar faktisch, theoretisch jedoch nur graduell unterschied. Paradoxerweise gelang es den Stiftungen aber, die politischen und gesellschaftlichen Diskontinuitäten des 20. Jahrhunderts nicht nur zu überstehen, sondern aus ihnen gestärkt hervorzugehen. 3. Es stellt sich die Frage, ob die neuerliche, grundlegende Änderung des gesamtgesellschaftlichen Paradigmas im Sinne einer Überwindung des überwölbenden Staates und der Entwicklung der Bürgergesellschaft sowie die damit einhergehende Neubestimmung der Rollen und Funktionen unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure zu einer neuerlichen Legitimitätskrise des Stiftungswesens führen kann. Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen, auch wenn sie in Deutschland noch nicht aktiv diskutiert wird, und zwar insbesondere deshalb, weil die Stiftungen in ihrer Mehrheit die Unterordnung unter den Staat für sich akzeptiert haben und somit dem modernen zivilgesellschaftlichen Selbstverständnis skeptisch gegenüberstehen.

948 Rassem, Entwurf einer Stiftungslehre, S. 180. 949 Hansert, Das Eigeninteresse am Gemeinwohl, Familiengründung und Stiftung als alternative Modelle, loc. cit., S. 179

Elemente einer neuen Stiftungstheorie

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4. Die Überwindung der neuerlichen Krise erscheint dennoch möglich, da zum einen anthropologische Grundkonstanten eine Existenzberechtigung der Stiftung nahezulegen scheinen, zum anderen aber die moderne Gesellschaftstheorie robuste Legitimationsansätze bereithält. Insofern muß die Stiftung nicht als Paradoxon, sondern kann als akzeptierter Akteur der Bürgergesellschaft bestehen. 5. Das Stiften kann bei gesellschaftlich akzeptabler Handhabung ein individualisiertes, über Sozialdruck funktionierendes Umverteilungssystem darstellen, das seine Attraktivität aus der Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Schenken und Memoria bezieht und einem von hoheitlicher Gewalt gestützten Umverteilungssystem wegen der partizipativen und identitätsstiftenden Komponenten teilweise überlegen ist.

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Dank Die hier vorgelegte Untersuchung hätte ohne vielfache Unterstützung nicht entstehen können. Dafür danke ich von Herzen. Dank schulde ich der Stiftung Dr. Robert und Lina Thyll-Dürr, die mir im Sommer 2007 einen mehrwöchigen Aufenthalt in der stiftungseigenen Casa Zia Lina ermöglichte. Dort konnte ich konzentriert Gedanken und Textsplitter ordnen und ein Konzept für diese Arbeit entwickeln. Eine erste Frucht, entstanden aus dem Zugang zu der dortigen Bibliothek, war ein Aufsatz über Kant und die Stiftungen, dessen wesentliche Aussagen in diese Arbeit übernommen worden. Dank schulde ich meinem akademischen Lehrer und väterlichen Freund Nikolaus Lobkowicz, der mich beim Wiedereinstieg in das Studium von Hegel an die Hand genommen hat. Dank schulde ich meiner Schwester Ilona Gräfin La Rosée, in deren Haus auf Gozo ich im Sommer 2008 in völliger Ruhe einen ersten Entwurf des ganzen Textes erstellen konnte. Dank schulde ich besonders Frau Professor Dr. Annette Zimmer, die die Untersuchung begleitet und das Ergebnis begutachtet hat, ebenso Herrn Professor Dr. Thomas Sternberg MdL für seine weitere Begutachtung. Dankbar bin ich dem Zentrum für Nonprofit Management an der Universität Münster, namentlich Herrn Dr. Matthias Freise, für vielfältige Hilfestellung in praktischen Fragen. Dank schulde ich meinen Kindern und vielen Freunden, die mich in der Realisierung dieses Vorhabens bestärkt haben. Dank schulde ich zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, zum Beispiel Thomas Adam, Frank Adloff, Helmut Anheier, Thomas Ebermann, Joel Fleishman, Bernd Matzak, Herfried Münkler, Eckhard Priller, Christian Schreier, Rainer Sprengel und Stefan Toepler. Sie haben mich ermuntert, mir Hinweise gegeben, mir bei Literaturrecherchen geholfen, mich vor Fehleinschätzungen bewahrt. Alle Irrtümer und Fehler, die desungeachtet im Text verblieben sind, gehen freilich allein auf mein Konto. Dank schulde ich den Mitarbeitern und Fellows von Maecenata Institut und Maecenata Management, namentlich meiner engsten Mitarbeiterin Sylvia Schweikl, für die kollegiale Unterstützung dieses Vorhabens, ebenso Andrea Sorgenfrei für die sorgfältige Lektorierung des Textes.

Berlin, im Dezember 2009 Rupert Graf Strachwitz

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MAECENATA INSTITUT FÜR PHILANTHROPIE UND ZIVILGESELLSCHAFT AN DER HUMBOLDT UNIVERSITÄT ZU BERLIN

In der Maecenata-Schriftenreihe sind bisher folgende Bände erschienen: Band 1 Rainer Sprengel Thomas Ebermann mit einem Beitrag von Karin Fleschutz

Statistiken zum Deutschen Stiftungswesen 2007 2007. VIII/111 S.,kt. € 3 4 , ISBN 978-3-8282-0422-5 Zum vierten Mal legt das Maecenata Institut einen statistischen Forschungsbericht zum deutschen Stiftungswesen vor. Anhand der im Institut geführten Datenbank, in der rd. 12.000 Stiftungen verzeichnet sind, haben die Autoren Rainer Sprengel und Thomas Ebermann, beide seit vielen Jahren mit der empirischen Sozialforschung zum Stiftungswesen befaßt, eine Reihe von Untersuchungen fortgeschrieben und neue erstmals hinzugefügt. Auch ein Vergleich mit anderen verfügbaren Datenquellen findet statt. Die Untersuchung wird eindrucksvoll ergänzt durch einen Sonderbericht von Karin Fleschutz zu unternehmensverbundenen Stiftungen.

Band 2 Rainer Sprengel Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.)

Private Spenden für Kultur Bestandsaufnahme, Analyse, Perspektiven 2008. XI1/116 S., kt. € 34,ISBN 978-3-8282-0430-0 „ Der größte Kulturfinanzierer in Deutschland ist der Bürger. Zunächst als Marktteilnehmer,

LUCIUS LUCIUS

dann als Spender und in dritter Linie als Steuerzahler. " Diese Aussage ist vor dem Hintergrund einer Tradition, die stets ,den Staat' als größten Kulturförderer sieht und das private Engagement in eine Ergänzungsfunktion abdrängen will, ein Paradigmenwechsel. Dass nach der Kulturwirtschaft, deren Beitrag seit langem bekannt ist, das bürgerschaftliche Engagement den zweiten Rang in der Finanzierung von Kultur in Deutschland hat, ist ein überraschendes Ergebnis. Diese Aussage wurde nur möglich, weil die EnqueteKommission dieses Engagement, das private Spenden für Kultur in einem Outachten eigens untersuchen ließ, ausdrücklich unter Einbeziehung der Zeitspenden. Mit der Erstellung war das Maecenata Institut beauftragt. Das Gutachten wurde im September 2006 von der Enquete-Kommission ,Kultur in Deutschland' angenommen.

Band 3 Thomas Adam Manuel Frey Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.)

Stiftungen seit 1800

Kontinuitäten und Diskontinuitäten

2009. VIII/204S., kt. € 4 2 , ISBN 978-3-8282-0432-4 Stiftungen sind traditionsreiche Institutionen der Zivilgesellschaft. Seit Jahrhunderten tragen sie zum Gemeinwohl bei. In den letzten Jahren hat die Zahl der Stiftungsgründungen einen beispiellosen Aufschwung genommen. Doch wie lässt sich diese Zunahme erklären? Welche sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen müssen gegeben sein, damit es zu einer Stiftungsgründung kommt?

Stuttgart