Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte [1 ed.] 9783428479566, 9783428079568


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German Pages 281 Year 1993

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Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte [1 ed.]
 9783428479566, 9783428079568

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JOHANNES HELLERMANN

Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 645

Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte

Von

Johannes Hellermann

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hellermann, Johannes: Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte / von Johannes Hellermann. — Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 645) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07956-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07956-6

Meinen Eltern

Vorwort Den einzelnen Grundrechten, die die Freiheit bestimmter Handlungen gewährleisten, soll nach verbreiteter Ansicht jeweils auch eine sogenannte negative Seite zukommen, die die Freiheit zum Unterlassen dieser Handlungen vor staatlichen Eingriffen und Beeinträchtigungen durch andere Private schützen soll. Diese negative Seite der Freiheitsrechte stellt ein - als solches bislang nicht hinreichend beachtetes und umfassend untersuchtes - allgemeines grundrechtsdogmatisches Problem dar, dem für das Verständnis der Grundrechte erhebliche Bedeutung zukommt; es ist aufs engste verknüpft mit den grundsätzlichen Fragen nach Art und Umfang der grundrechtlichen Gewährleistung individueller Handlungsfreiheit gegenüber dem Staat und nach der Bedeutung des Grundrechtsschutzes von Handlungs- und Unterlassensfreiheit für das Verhältnis zwischen Privaten. Mit Blick auf diese ihre allgemeine Bedeutung für das Verständnis der Grundrechte des Grundgesetzes geht die vorliegende Untersuchung der dogmatischen Figur einer negativen Seite der Freiheitsrechte kritisch nach. Sie wurde im Sommer 1992 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen. Die Arbeit ist im wesentlichen entstanden während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg i. Br. in den Jahren 1984 bis 1989. Betreut hat sie mein verehrter Lehrer, Herr Richter des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Dr. Dr. h.c. Ernst-Wolfgang Böckenförde, dem ich für die bis in die Anfänge meines Studiums zurückreichende, über viele Jahre währende Förderung von Herzen danke. Zunächst als studentische, dann als wissenschaftliche Hilfskraft und schließlich als wissenschaftlicher Mitarbeiter habe ich fachlich wie persönlich viel von ihm lernen und an der offenen, zu wissenschaftlichem Nachdenken und Disputieren anregenden Atmosphäre seines Lehrstuhls teilhaben dürfen. In den allwöchentlichen Lehrstuhlgesprächen, zu denen er und Herr Professor Dr. Rainer Wahl sich mit ihren Mitarbeitern trafen, und auch in vielen anderen Diskussionen unter den damaligen Kollegen und Freunden an beiden Lehrstühlen - namentlich erwähnen möchte ich Thomas Emde, Christoph Enders, Georg Hermes, Frank Rottmann, Bernhard Schlink, Joachim Wieland - gab es einen lebhaften wissenschaftlichen Meinungsaustausch. Ich habe daraus vielfältige Einblicke und Anregungen gewonnen, die mir bei der Arbeit an der Dissertation hilfreich waren. Allen Genannten möchte ich hierfür danken. Vor allem Joachim Wieland hat mein Dissertationsvorhaben von Beginn

8

Vorwort

an mit Rat und Zuspruch freundschaftlich begleitet. Später hat er mich ermutigt, nach zwischenzeitlicher praktischer Berufstätigkeit an die Hochschule zurückzukehren; als Assistent an seinem Lehrstuhl an der Universität Bielefeld habe ich Ende 1991/Anfang 1992 letzte Hand an das Manuskript gelegt. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. Professor Dr. Dr. h.c. Konrad Hesse. An seinem Urteil war mir besonders gelegen, weil meine Dissertation zwar in manchen zentralen Punkten seinen wissenschaftlichen Auffassungen nicht folgt, aber doch auch unter dem Eindruck des von ihm vertretenen Grundrechtsverständnisses geschrieben worden ist. Schließlich möchte ich mich bei Martina Griesbaum bedanken, die mir mit großer Einsatzbereitschaft und Sorgfalt beim Schreiben des Manuskripts und Erstellen der Druckvorlage geholfen hat.

Freiburg/Bielefeld, im Juni 1993

Johannes Hellermann

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

15

Erster

Teil

Die negative Seite der Freiheitsrechte in Rechtsprechung und Literatur

20

1. Kapitel Die grundsätzliche Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte I.

Umfang und Grad der Anerkennung einer negativen Seite

20

1. Die negative Seite der einzelnen Freiheitsrechte

21

a) Art. aa) bb) cc)

4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Art. 9 Abs. 1 GG Art. 9 Abs. 3 GG

b) Art. 5, Art. 8, Art. 11, Art. 12 Abs. 1 GG c) Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 GG d) Art. 10, Art. 13, Art. 16 a GG e) Art. 6 Abs. 2 GG f) Π.

20

Ait. 2 Abs. 1 GG

21 21 25 .27 28 33 35 35 36

2. Die allgemeine Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte

36

Die Herleitung der negativen Seite

39

1. Die Interpretation der einzelnen Grundrechtsbestimmungen

40

a) Wortlaut

40

b) Sonstige Elemente der Einzelinterpretation

41

2. Die These vom gleichrangigen Schutz der Aktivität und der Passivität

45

a) Die Grundannahme eines negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs .... 46 b) Der Schluß auf eine negative Seite aa) Die negative Seite als logisch-begriffliches Korrelat bb) Die negative Seite als sachlich notwendiges Korrelat cc) Die negative Seite als freiheitsrechtlich notwendiges Korrelat

48 49 50 50

10

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel Die negativen Freiheitsrechte im Staat-Bürger-Verhältnis I.

Π.

54

Die grundsatzliche Bestimmung des Schutzbereichs

55

1. Die spiegelbildliche Schutzbereichsbestimmung

55

2. Die Abgrenzung zwischen positiver und negativer Seite

56

Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentlich-rechtlichen Formen - Insbesondere zum Problem der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden... 59 1. Meinungsstand zur negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden 59 a) Die These von der Unanwendbarkeit des Art. 9 GG

59

b) Vermittelnde Positionen

61

c) Die Annahme einer unbeschränkten Anwendbarkeit des Art. 9 GG 2. Stellungnahme

62 63

a) Die Beschränkung der positiven Seite auf den Schutz privatrechtlicher Betätigung

64

b) Der Umkehrschluß auf eine Beschränkung der negativen Seite

67

ΠΙ. Die Abwehr von Störungen in der geschützten Freiheitssphäre

70

1. Die regelmäßige Beschränkung auf den Schutz vor Betätigungszwang

70

2. Die ausnahmsweise Erstreckung auf die Abwehr von Störungen

73

a) Die beiden anerkannten Ausnahmen

73

aa)

Die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

73

bb)

Das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG

76

b) Das zugrundeliegende Verständnis vom Schutzbereich beider Freiheitsrechte .... 79 IV. Die Rechtfertigung von Eingriffen

80

1. Die allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

81

2. Die Beurteilung der einzelnen aktuell gewordenen Eingriffe

83

a) Der Schutz der negativen Religionsfreiheit

83

b) Der Grundrechtsschutz gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden aa) Die Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft bb) Der Unterlassungsanspruch des Mitglieds gegen den Zwangsverband

84 85 88

3. Kapitel Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis I.

Π.

89

Die prinzipielle Anwendbarkeit der negativen Freiheitsrechte

90

1. Die einschlägigen Grundrechtsfunktionen

90

2. Die Äquivalenz der verschiedenen Grundrechtsfunktionen

92

Inhaltliche Reichweite und Bedeutung der negativen Freiheitsrechte

95

1. Die tatbestandliche Kollision zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten a) Das Bemühen um eine generelle tatbestandliche Grenzziehung

95 96

Inhaltsverzeichnis

aa)

Ansätze in Rechtsprechung und Literatur

bb) Kritik

96

98

b) Die tatbestandliche Unbegrenztheit möglicher Kollisionen

99

2. Die Lösung der tatbestandlichen Kollision zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten

102

a) Dogmatische Vorgaben » aa) Unzulässigkeit einer abstrakten Vorrangentscheidung bb) Ausgleich und verhältnismäßige Zuordnung im konkreten Einzelfall

102 103 104

b) Die Abwägungspraxis aa) Die regelmäßige Unterlegenheit der negativen Freiheitsrechte bb) Die ausnahmsweise Überlegenheit der negativen Freiheitsrechte

107 108 111

4. Kapitel Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur zur negativen Seite der Freiheitsrechte I.

Π.

Resümee des Ersten Teils

116 116

1. Die Anerkennung und Wertschätzung der negativen Seite

116

2. Der Mangel an freiheitsschützender Wirksamkeit

118

a) Staat-Bürger-Verhältnis

118

b) Bürger-Bürger-Verhältnis

121

Ausblick auf den Zweiten Teil

123

1. Die Hypothese

123

2. Der weitere Gang der Untersuchung

126

Zweiter

Teil

Die Handlungsrechte und der grundrechtliche Schutz des Unterlassens im Grundgesetz

130

5. Kapitel Der Schluß von der positiven auf eine negative Seite der speziellen Freiheitsrechte als Auslegungsproblem I.

130

Die Unterscheidung der Handlungsrechte von den sonstigen Freiheitsrechten

131

1. Die Definition der Handlungsrechte

132

a) Der abwehrrechtliche Schutz von Verhaltensmöglichkeiten als gemeinsames Merkmal der Freiheitsrechte

132

b) Präzisierung der Definitionsmerkmale

133

2. Die Einordnung der einzelnen Freiheitsrechte

135

a) Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 GG

136

b) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

138

Inhaltsverzeichnis

12

Π.

aa)

Art. 4 Abs. 2 GG

bb)

Alt. 4 Abs. 1 GG

139 140

c) Alt. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 GG

143

d) Alt. 6 Abs. 1 und Ait. 14 GG

145

Die Auslegung der Handlungsrechte und ihre negative Seite

146

1. Wortlaut

147

2. Geschichtliche Entwicklung

149

a) Freizügigkeit und Freiheit der Berufswahl

150

b) Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit aa) Vereinigungsfreiheit

151 152

bb)

Koalitionsfreiheit

154

c) Kultusfreiheit

156

3. Entstehungsgeschichte

157

a) Die negative Seite in den Beratungen des Parlamentarischen Rates b) Bewertung

157 160

4. Systematik

161

a) Spezielle Gewährleistungen der Unterlassensfreiheit

161

b) Die allgemeine Unterlassensfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG

162

5. Zweck und Folgen

163

a) Dysfunktionalitäten bei Anerkennung einer negativen Seite

163

b) Folgen eines Verzichts auf die negative Seite

165

6. Kapitel Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang I.

166

Ausdrückliche Garantien der Unterlassensfreiheit

166

1. Der Schutz vor Arbeitszwang und Zwangsarbeit

166

2. Gewährleistungen der Unterlassensfreiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich.... 169 a) Materielle Reichweite 169 aa) Der Schutz vor dem Zwang zur Offenbarung des religiösen Standpunkts .170 bb) Der Schutz vor dem Zwang zur Teilnahme an kultischen oder sonstigen religiös geprägten Handlungen 170 b) Das formelle Problem der fehlenden Grundrechtsqualität Π.

172

Die sonstigen speziellen Freiheitsrechte

174

1. Die Handlungsrechte und der Zwang zum Handeln

175

2. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit

178

ΙΠ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen des Grundrechtsschutzes 1. Die Freiheit von Betätigungszwang

180 180

a) Der tatbestandliche Schutz der allgemeinen Unterlassensfreiheit

180

b) Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eingriffen

181

2. Die Freiheit von sonstigen Eingriffen

182

Inhaltsverzeichnis

a) Der Schutz vor hoheitlichen Meinungskundgaben und Einflußnahmen

184

b) Der Grundrechtsschutz gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden aa) Die Eingriffsqualität der Zwangsmitgliedschaft als entscheidende Frage bb) Die grundrechtliche Beurteilung der Zwangsmitgliedschaft

187 188 193

7. Kapitel Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz der Unterlassensfreiheit gegenüber Privaten I.

Der objektiv-rechtlich begründete Grundrechtsschutz im Bürger-Bürger-Verhältnis nach Verabschiedung der negativen Freiheitsrechte

Π.

198

198

1. Der Rückgriff auf andere Grundrechte

199

2. Die Bedeutung für die Abwägung

200

Geltung und Funktion der Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis

202

1. Die Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis..204 a) Die Ausübung grundrechtsgebundener Hoheitsgewalt aa) Öffentlich-rechtliche Regelung von Konflikten bb) Privatrechtliche Regelung von Konflikten

204 204 205

b) Die Unterscheidung zwischen hoheitlichem Eingriff und Nicht-Gewähr staatlichen Schutzes vor privater Beeinträchtigung 208 2. Der staatsgerichtet-abwehrrechtliche Grundrechtsschutz des passiven Bürgers vor Zwang und Störung im Bürger-Bürger-Verhältnis

212

a) Die Reichweite des staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsschutzes 213 aa) Der Schutz vor expliziten hoheitlichen Inpflichtnahmen 213 bb) Der Schutz vor sonstigen staatlich zu verantwortenden Betätigungszwängen und Störungen 214 b) Der Wegfall weiterreichender Grundrechtswirkungen aa) Der Schutz vor störender Aktivität anderer Bürger bb) Der unrelativierte Grundrechtsschutz auch störender Aktivität

218 219 221

8. Kapitel Zur grundrechtstheoretischen Fundierung I.

Die Bewahrung eines negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs

224 224

1. Die Annahme eines zwingenden Zusammenhangs zwischen negativem Freiheitsbegriff und Anerkennung einer negativen Seite 225 2. Widerlegung Π.

227

Das zugrundeliegende Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

229

1. Der Grundrechtsschutz der Handlungsfreiheit im Staat-Bürger-Verhältnis

231

a) Handlungsrechte als besondere grundrechtliche Gewährleistungen der Aktivität 231 b) Die Forderung nach einem gleichrangigen Grundrechtsschutz der Passivität

233

Inhaltsverzeichnis

14

aa) bb)

Der Grundrechtsschutz von Handlungs- und Unterlassensfreiheit im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen 234 Das Streben nach Schutz vor totalitärer Freiheitsbedrohung 236

2. Der grundrechtliche Schutz und die hoheitliche Beschränkung von Handlungsfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis 239 a) Das negative Freiheitsverständnis und der Schutz des Handelns im Bürger-Bürger-Veihältnis 239 b) Die hoheitliche Beschränkung der Handlungsfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis als Aufgabe staatlicher Freiheitsordnung 241 aa) Die Forderung nach beiderseitigem Grundrechtsschutz 241 bb) Der Schutz vor störender Aktivität als grundrechtlich gebundene, nicht gebotene Leistung staatlicher Freiheitsgewähr 244

Zusammenfassung der Ergebnisse

249

Literaturverzeichnis

253

Sachverzeichnis

274

Einleitung Die negative Bekenntnis- oder Religionsfreiheit, die negative Vereinigungs- und die negative Koalitionsfreiheit sind geläufige verfassungsrechtliche Begriffe. Sie bezeichnen die - grundrechtlich gemeinhin in Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG verankerten - sogenannten negativen Freiheiten des Bürgers, ein religiöses Bekenntnis nicht zu haben, zu äussern und auszuüben bzw. sich nicht zu Vereinigungen und Koalitionen zusammenzuschließen, bestehenden fernzubleiben, diese aufzulösen oder aus ihnen auszutreten1. Sie haben im Mittelpunkt umfangreicher und intensiver, auch politisch brisanter wissenschaftlicher Kontroversen gestanden: Die Rechte des Schülers, der sich gegen eine bestimmte religiös-weltanschauliche Ausrichtung des Schulunterrichts oder die Abhaltung gemeinsamer Schulgebete wendet, des Studenten, den die Zwangsmitgliedschaft in der verfaßten Studentenschaft oder die politische Betätigung ihrer Organe stört, des nichtorganisierten Arbeitnehmers, der sich gegenüber Gewerkschaftsmitgliedern benachteiligt und zum Gewerkschaftsbeitritt gedrängt sieht, sind unter diesen Stichworten diskutiert worden. Die Auseinandersetzung um Anerkennung und Reichweite dieser einzelnen negativen Freiheitsrechte ist freilich weitgehend isoliert voneinander, in ihrem jeweils unterschiedlichen - staatskirchenrechtlichen, verwaltungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen - Kontext ausgetragen worden. Andere negative Freiheitsrechte wie etwa die auf negative Meinungsäußerungs-, Versammlungs- oder Berufsfreiheit, die sich möglicherweise ebenso aus den entsprechenden Freiheitsrechten gewinnen lassen, haben bislang weit weniger Aufmerksamkeit gefunden 2. Als ein verfassungsrechtliches Problem der Freiheitsrechte allgemein ist die Ableitung solcher negativer Freiheitsrechte schließlich nur selten und eher beiläufig reflektiert worden. Eben hier setzt die vorliegende Untersuchung an; sie will der Frage nach der Anerkennung negativer Freiheitsrechte und nach deren Reichweite als einem Problem der allgemeinen Grundrechtsdogmatik nachgehen. Diese einzel1 Vgl. dazu vorläufig Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 54 ff.; Scholz, ebd., Ait. 9 RN 88, 226. 2 So hat Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 RN 39, ausgehend von einer allgemeinen Anerkennung negativer Freiheitsrechte, im Jahre 1970 beklagt: "In unserer gesamten Grundrechtsdogmatik verkümmert ziemlich die Erkenntnis, daß jedes Grundrecht auch einen Aussagewert darüber enthält, was man nicht tun muß. Oft ist diese negative Seite des 'Nichttunmüssens' ungleich wichtiger als die positive Seite des freien 'Dürfens'." Immerhin hat das Interesse an einer negativen Seite der Freiheitsrechte seither doch zugenommen.

Einleitung

16

nen negativen Freiheitsrechte (oder negativen Grundrechte, negativen Freiheiten) verbindet ja nicht nur miteinander, daß sie Rechte des Nichttunmüssens, die Freiheit von Betätigungszwang gewährleisten sollen. Das Besondere an ihnen ist, daß sie gerade keine ausdrücklichen und ausschließlichen Garantien der Unterlassensfreiheit sind, sondern dieser grundrechtliche Schutz des Unterlassens sich als negative Seite (negative Komponente, negatives Element) aus Grundrechten ergeben soll, deren Schutzbereich - mit seiner sogenannten positiven Seite - zunächst und vor allem einem bestimmten Tun gilt. In einer zumindest mißverständlichen Umschreibung wird diese negative Seite gelegentlich als Recht auf Nichtausübung des jeweiligen Grundrechts, Freiheit vom Zwang zum Grundrechtsgebrauch oder Recht zum Nichtgebrauch der Freiheit bezeichnet3. Diese Formulierungen verwischen, weil sie die Begriffe Freiheit und (Grund-)Recht undeutlich verwenden und nicht hinreichend zwischen der Ausübung der geschützten Handlung und der Inanspruchnahme der zu ihrem Schutz grundrechtlich gewährleisteten Rechte differenzieren, den Unterschied zwischen verschiedenen grundrechtsdogmatischen Fragen. Sie wecken unzutreffende Assoziationen mit dem Problem des Grundrechtsverzichts, bei dem es darum geht, ob und inwieweit ein Verzicht des Bürgers darauf, die zum Schutz bestimmter Handlungen garantierten Rechte wahrzunehmen, wirksam und verbindlich sein kann4. Die negative Seite der Freiheitsrechte erschöpft sich auch nicht allein in der Aussage, daß die Grundrechte die Freiheit zur Nichtausübung der geschützten Handlung unberührt lassen, insoweit also keine Verpflichtung begründen. Gegenstand der Frage nach der negativen Seite ist vielmehr, ob dem Bürger, der die geschützte Handlung nicht vornehmen will, gegenüber einem hierauf gerichteten Zwang auch die durch das jeweilige Grundrecht verbürgten (Abwehr-)Rechte zustehen; es geht also um einen zur positiven Seite hinzutretenden Aspekt des Schutzbereichs, in dem das Grundrecht Rechte verleiht. Damit wird schließlich deutlich, daß die negative Seite der Freiheitsrechte jedenfalls begrifflich auch von der Kennzeichnung der Grundrechte als Gewährleistungen des status negativus im Sinne der Jellinekschen Statuslehre zu unterscheiden ist: Die Freiheitsrechte sind sowohl mit ihrer negativen wie mit ihrer positiven Seite zunächst Rechte des status negativus, die das Tun oder Unterlassen der Bürger gegen staatliche Beeinträchtigungen schützen5; die Frage, ob sie möglicher-

3

Vgl. etwa Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon Π, Sp. 3112; Huber, DÖV 1956, 135 (137); Merten, VenvArch 73 (1982), 103 (121). 4 Zur Unterscheidung zwischen Grundrechtsverzicht und negativer Seite vgl. Bethge, JA 1979, 281 (283); von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Vor Art. 1 - 19 RN 62; Sturm, in: FS Geiger, S. 173 (185). 5 Vgl. Bethge, a.a.O.; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 74.

Einleitung

weise auch darüber hinausgehende Rechte vermitteln, kann fur beide Seiten des Schutzbereichs gleichermaßen aufgeworfen werden. Der Begriff der negativen Seite steht also für eine Aussage zur Reichweite der grundrechtlichen Schutzbereiche, die - korrekter formuliert - lautet, daß ein Grundrecht mit dem Schutz der Vornahme einer bestimmten, tatbestandlich umschriebenen Handlung zugleich auch deren Nichtausübung schütze6. In diesem Begriff mit dem ihm innewohnenden normativen Gehalt für die Freiheitsrechte des Grundgesetzes sieht die vorliegende Untersuchung eine allgemein-grundrechtsdogmatische Figur. Die Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte zu überprüfen, ist ihr zentrales Anliegen. Ein solcher allgemein-grundrechtsdogmatischer Ansatz verspricht für die Klärung der Frage nach Anerkennung und Reichweite der einzelnen negativen Freiheitsrechte Ertrag in doppelter Hinsicht. Zum einen richtet er das Interesse über die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG hinaus auch auf jene Grundrechte, deren - möglicherweise gegebene - negative Seite bislang wenig beachtet worden ist. Zum andern kann er auch die Diskussion um die negative Bekenntnis- bzw. Religionsfreiheit, die negative Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit weiterführen, weil er die dort ausgetauschten Argumente aus ihrem jeweiligen sachlichen Kontext löst und auf ihre Übertragbarkeit und Verallgemeinerbarkeit testet. Wenn sie sich auch an inhaltlich anders gelagerten, politisch vielleicht anders bewerteten Sachverhalten bewähren müssen, kann deutlich werden, ob und inwieweit sie möglicherweise ideologisch gefärbt und juristisch nicht haltbar sind; so wird sich etwa eine politisch vielleicht als progressiv geltende Position fragen lassen müssen, ob sie die negative Koalitionsfreiheit nichtorganisierter Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Gewerkschaften hintanstellen, die negative Religionsfreiheit areligiöser Bürger gegenüber religiösen Aktivitäten der christlichen Großkirchen aber hervorheben kann, und umgekehrt eine konservative Position, ob sie den Freiraum, den sie den christlichen Großkirchen gewähren möchte, nicht auch den religiösen oder politischen Aktivitäten gesellschaftlicher Außenseiter gegenüber negativen Freiheitsrechten anderer zugestehen muß. Die Frage nach Anerkennung oder Ablehnung einer Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte fuhrt über ihren eigentlichen Gegenstand, das begrenzte grundrechtsdogmatische Problem noch hinaus, denn in ihm treffen zwei gegenläufige Anliegen von grundsätzlicherer Bedeutung aufeinander. Indem sie den Bürger vor dem staatlichen, möglicherweise auch dem gesellschaftlichen Zwang zu bestimmter Tätigkeit - etwa zur Äußerung des religiö-

6

So etwa Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, Π RN 40; Schwabe, a.a.O.

2 Hellennann

18

Einleitung

sen Bekenntnisses oder der politischen Meinung, zur Teilnahme an Versammlungen, zum Beitritt zu Vereinigungen oder Koalitionen, zu beruflicher Betätigung - schützen will, zielt die Figur der negativen Seite einerseits auf eine Stärkung der individuellen Freiheit dessen, der das gesellschaftliche Leben meiden und in zurückgezogener Privatheit leben möchte; mit Recht wird diese Freiheit, die auch die Freiheit zu Trägheit und Faulheit, zu Desinteresse und Dummheit einschließe, als notwendiges Element eines freiheitlichen Gemeinwesens bezeichnet7. Andererseits wird, ebenfalls mit Recht, betont, daß dieses freiheitliche Gemeinwesen auf die aktive Mitarbeit der Bürger angewiesen ist: "Die Demokratie stürbe ab, wenn sich nicht Bürger in hinreichender Zahl zum freien politischen Engagement fanden. Die Wirtschaft und ihr Kostgänger, der Sozialstaat, brächen zusammen, wenn sich alle arbeitsfähigen Bürger zum Aussteigen entschlössen"8. Als der "äußerste verfassungsrechtliche Ausdruck einer ... staatlichen und gesellschaftlichen Funktionslosigkeit der Grundrechte" ist die These, daß den Grundrechten auch die Befugnis innewohnen soll, von der von ihnen umschriebenen Freiheit keinen Gebrauch zu machen, deshalb gebrandmarkt worden 9. So stellt die Frage nach der negativen Seite der Freiheitsrechte ganz grundsätzlich den grundrechtlichen Schutz von Passivität und Aktivität der Bürger, von privater und öffentlicher, politischer Freiheit zur Diskussion, und die Antwort auf diese Frage wird insoweit eine Aussage über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte, d. h. über die Grundrechtstheorie10 des Grundgesetzes einschließen. Die Untersuchung geht in zwei großen Schritten vor. Bevor in ihrem Zweiten Teil eine eigene Antwort auf die Frage nach der Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte und eigene Lösungsvorschläge für die im Zusammenhang mit den negativen Freiheitsrechten sich stellenden Probeme gesucht werden, unternimmt der Erste Teil eine kritische Bestandsaufnahme von Rechtsprechung und Literatur zur negativen Seite der Freiheitsrechte. Dabei soll es nicht darum gehen, die Diskussion um einzelne Freiheitsrechte oder gar um einzelne, in der Literatur erörterte und in der Rechtsprechung entschiedene Konflikte nachzuzeichnen; eine zusammenfassende und kritische Betrachtung dieser einzelnen Stellungnahmen soll vielmehr die Entwicklung und den heutigen Stand der allgemein-grundrechtsdogmatischen Figur der negativen Seite, von deren Existenz diese Untersuchung ausgeht, in Recht7

Isensee, DÖV 1982, 609 (615); vgl. auch Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (116 ff.). Isensee, a.a.O.; vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 288. Die genannten Autoren wollen gleichwohl negative Freiheitsrechte anerkennen. 9 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 538 f. 10 Vgl. die weithin akzeptierte Definition von "Grundrechtstheorie" bei Böckenförde, NJW 1974, 1529. 8

Einleitung

sprechung und Literatur unter dem Grundgesetz herausarbeiten. Zu diesem Zweck wird zunächst, im anschließenden 1. Kapitel der Untersuchung, nach der grundsätzlichen Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte in Rechtsprechung und Literatur gefragt. Danach wird die grundrechtsdogmatische Anwendung der einzelnen negativen Freiheitsrechte näher untersucht, wobei sich das 2. Kapitel dem Verhältnis des Bürgers zum Staat, das 3. Kapitel dem Verhältnis der Bürger untereinander zuwendet. Das 4. Kapitel zieht dann, zum Abschluß des Ersten Teils, eine Zwischenbilanz: Im Rückblick resümiert und bewertet es die Ergebnisse aus den Überlegungen der Kapitel 1 bis 3 ; darauf aufbauend wirft es einen Blick voraus auf den weiteren Gang der Untersuchung in ihrem Zweiten Teil.

Erster

Teil

Die negative Seite der Freiheitsrechte in Rechtsprechung und Literatur L Kapitel

Die grundsätzliche Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte Dieser Untersuchung liegt die Hypothese zugrunde, daß es in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur eine allgemein-grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte gibt. Diese Einschätzung des derzeitigen Diskussionsstandes ist freilich bislang nur eine Vermutung. Es gilt deshalb zunächst zu fragen, inwieweit Rechtsprechung und Literatur tatsächlich den Freiheitsrechten eine negative Seite zuerkennen (I.) und wie diese negative Seite hergeleitet wird (II.).

L Umfang und Grad der Anerkennung einer negativen Seite Eine Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur auf Aussagen über die Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte als eine allgemeingrundrechtsdogmatische Figur ist auf den ersten Blick nicht sehr ergiebig; Bemerkungen zur negativen Seite der Freiheitsrechte allgemein sind nicht häufig, zudem meist eher beiläufig und knapp. Die Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, die sich in einer Vielzahl von Entscheidungen mit der negativen Seite verschiedener Grundrechte befaßt hat, hat sich - unter Vermeidung allgemeiner Aussagen - auf eine Erörterung dieser speziellen negativen Freiheitsrechte beschränkt. Auch in der Literatur haben sich an einzelnen negativen Freiheitsrechten ausführliche, teils heftige Diskussionen entzündet. Die Untersuchung geht deshalb induktiv vor und nimmt zunächst die Stellungnahmen zu den einzelnen negativen Freiheitsrechten in den Blick (1.), darauf aufbauend dann die allgemeinen Aussagen zur negativen Seite der Freiheitsrechte (2.).

I. Umfang und Grad der Anerkennung

21

1. Die negative Seite der einzelnen Freiheitsrechte Was die Anerkennung und Bedeutung der negativen Seite der einzelnen Freiheitsrechte angeht, so ist der Diskussionsstand sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von einstimmiger Anerkennung und vielfacher Anwendung über bloß gelegentliche, folgenlose Erwähnung und völlige Nichtbeachtung bis zur übereinstimmenden Ablehnung einer negativen Seite der einzelnen Grundrechte. a) Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG Ganz im Vordergrund des Interesses stehen die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG, deren negative Seite die mit Abstand ausführlichste Erörterung und stärkste Anerkennung gefunden hat. aa) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Die negative Seite des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist schon früh anerkannt worden und im Grundsatz unbestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der Ludendorff-Entscheidung, seiner ersten wichtigen Entscheidung zur Religionsfreiheit, einleitend ausgeführt, die Glaubensfreiheit erlaube auszusprechen oder auch zu verschweigen, daß und was man glaubt oder nicht glaubt, und für einen Glauben zu werben oder von einem Glauben abzuwerben1. Hierauf Bezug nehmend hat es im Lumpensammler-Fall weiter ausgeführt, der Begriff der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit umfasse "gleichgültig, ob es sich um ein religiöses Bekenntnis oder eine religionsfremde oder religionsfreie Weltanschauung handelt, nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt, einen Glauben zu bekennen, zu verschweigen, sich von dem bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern ebenso die Freiheit des kultischen Handelns, des Werbens, der Propaganda"2. Der Begriff der negativen Seite, der in diesen Entscheidungen noch nicht verwandt wird und erstmals in dem Tatbestand eines Beschlusses3, dann beiläufig als "Grundrecht ... auf negative Vereinigungsfreiheit im weltanschaulich-religiösen Bereich"4 auftaucht, wird schließlich im

1

BVerfGE BVerfGE 29 (49). 3 BVerfGE 4 BVerfGE 2

12, 1 (4). 24, 236 (245); hieraufnehmen Bezug BVerfGE 32, 98 (106); 33, 23 (26); 41, 24, 289 (293). 30, 415 (426).

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1. Kap.: Die grundsatzliche Anerkennung einer negativen Seite

Beschluß zur christlichen Gemeinschaftsschule badischer Überlieferung resümierend eingeführt: "Art. 4 GG schützt die negative wie die positive Außerungsform der Religionsfreiheit gleichermaßen gegen Beeinträchtigung durch den Staat"5. Später spricht das Gericht auch schlicht von der durch Art. 4 GG garantierten negativen Religionsfreiheit 6. Sie findet auch in der Literatur praktisch allgemeine Anerkennung7. Vereinzelte kritische Bemerkungen richten sich nicht eigentlich gegen ihren grundrechtlichen Schutz, sondern mit unterschiedlicher Zielrichtung - allenfalls gegen die begriffliche Unterscheidung und Entgegensetzung von positiver und negativer Religionsfreiheit und eine daraus möglicherweise folgende inhaltliche Akzentuierung des Grundrechtsschutzes. So hat vor allem Fischer - gerade im Streben nach effektivem grundrechtlichem Schutz der anders- oder nichtgläubigen Minderheiten - diese Unterscheidung als sinnlos und unhaltbar angegriffen. Das Attribut "negativ" erscheint ihm nur zur Qualifizierung des Grundrechts auf Religionsfreiheit insgesamt als einer Gewährleistung des status negativus gerechtfertigt; in der Unterscheidung von positiver und negativer Religionsfreiheit innerhalb des Schutzbereichs dieses Grundrechts sieht er eine - dem Staat verwehrte - Bewertung des Freiheitsgebrauchs, bei der die religiösen Aktivitäten der Mehrheit als positiv hervorgehoben werden, und die grundrechtliche Etablierung einer positiven Religionspflege 8 im Sinne einer staatlichen Förderung dieser religiösen Aktivitäten angelegt9. Fischer reagiert damit auf Äußerungen Heckeis in seinem Referat vor der Staatsrechtslehrertagung 1967 und auch anderer, die ihrerseits einen religionsfeindlichen Akzent beklagen, den das Grundrecht auf Religionsfreiheit unter dem Begriff der negativen Religionsfreiheit erhalten habe, ohne damit freilich deren grundrechtlichen Schutz grundsätzlich bestreiten zu wollen 10 . Aus dieser, gegen 5

BVerfGE 41, 29 (49). BVerfGE 46, 266 (267). 7 Vgl. Bleckmann, Staatsrecht Π - Die Grundrechte, S. 636 ff.; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 59; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 93 ff.; Hamann/Lenz, GG, Art. 4 Anm. Β 3; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 54; ders., in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1162); Hollerbach, AöR 92 (1967), 99 (105); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 RN 8; Usti , in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (370); ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 176; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 13 ff.; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1059 (1071); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, RN 591; Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 17, 23; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 89; Steiner, JuS 1982, 157 (158 f.); Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 33, 99, 111. 8 Vgl. dazu etwa Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 82; von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 38. 9 Fischer, Trennung von Staat und Kirche, S. 56 ff., insb. 61; ders., Vorgänge 1970, 4; ders., NJW 1974, 1185 (1186); vgl. auch/tern*, JuS 1989, 451 (455). 10 Heckel, in: WDStRL 26 (1968), S. 5 (13 f., 28 ff.); vgl. auch von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 59; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 93; Rüfrier, NJW 1974, 491 (492). 6

I. Umfang und Grad der Anerkennung

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eine Aufwertung der Negation des Freiheitsgebrauchs sich wendenden Haltung heraus ist insbesondere Hamel der Anerkennung negativer Aspekte der Religionsfreiheit entgegengetreten11. Wie sich bereits angedeutet hat, wird die negative Seite der Religionsfreiheit - anknüpfend an die dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nach unterscheidbaren einzelnen Gewährleistungen, mögen sie nun verschiedene Grundrechte oder nur Aspekte eines einheitlichen Grundrechts sein - in Richtung auf verschiedene negative Einzelfreiheiten hin entfaltet. Dabei findet die - wohl als auf das forum internum begrenzt und deshalb wenig konfliktträchtig eingeschätzte - negative Glaubensfreiheit vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit, erweist sich aber bei näherer Betrachtung als durchaus nicht unumstritten. So wird für die Freiheit einer areligiösen oder antireligiösen Weltanschauung wegen des Schutzes durch die Gewissensfreiheit und die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses der Rückgriff auf eine negative Seite der Glaubensfreiheit als unnötig abgelehnt12. Der Schutz völliger religiös-weltanschaulicher Indifferenz wiederum, für den folglich der Begriff der negativen Glaubensfreiheit reserviert bliebe, wird von gewichtigen Stimmen in der Literatur bestritten 13. Überwiegend freilich gilt mit der negativen Glaubensfreiheit die Freiheit gewährt, eine religiöse oder weltanschauliche Auffassung nicht zu haben, gleich ob die Glaubenslosigkeit ihrerseits auf einer religiösweltanschaulichen Position oder aber auf bloßer Indifferenz beruht 14 . Von Beginn an weit größerer Beachtung erfreut sich die negative Bekenntnisfreiheit, das heißt die Freiheit zu verschweigen, was man glaubt oder nicht glaubt; sie ist in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 WRV ausdrücklich erwähnt und soll nach übereinstimmender Ansicht in Art. 4 GG grundrechtlich garantiert sein 15 . Zu praktischer Relevanz in der Rechtsprechung ist die11 Hamel, in: Die Gmndrechte IV/1, S. 37 (64); ders., NJW 1966, 18 (19); ders., Deutsches Staatsrecht I, S. 105. 12 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 55; von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Ait. 4 RN 23; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 33. 13 Hamel, in: Die Grundrechte IV/1, S. 37 (64); von Münch, a.a.O.; Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 18; Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, § 2 RN 40; Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 195 f., der die Annahme, Art. 4 Abs. 1 GG schütze die Glaubens- und Gewissenlosigkeit, für eine "Unterschreitung des Wesens des Freiheitsrechts in negativer Richtung" erklärt; Zippelius, a.a.O., RN 31. 14 So ausdrücklich von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 44; Herzog, a.a.O., RN 78 f.; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 4 Anm. Π 3. In diesem Sinne ist auch das Bundesverfassungsgericht zu verstehen, wenn es feststellt, der weltanschaulich neutrale Staat könne und dürfe den Inhalt der Glaubensfreiheit nicht näher bestimmen, weil er den Glauben oder Unglauben seiner Bürger nicht bewerten dürfe (BVerfGE 12, 1 [4]). Vgl. weiter Hamann/Lenz, GG, Art. 4 Anm. Β 3; von Mangoldt/KLein/Starck, GG, Ait. 4 Abs. 1, 2 RN 13, 20; Steiner, JuS 1982, 157 (159). 15 Badura, Staatsrecht, C 55; Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32); ders., in: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (56); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 59; ders., in: Handbuch des Staatsrecht VI, § 136 RN 56; Hamann/Lenz, GG, Art. 4 Anm. Β 3; Herzog, in:

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1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

ses Recht in verschiedenen Hinsichten gekommen: bei hoheitlicher Befragung nach der Religionszugehörigkeit16 oder bei deren Offenbarung durch Eintrag auf der Lohnsteuerkarte 17, vor allem aber als Recht des betunwilligen Schülers im Zusammenhang mit der Abhaltung eines Schulgebets zu Unterrichtsbeginn. Die hierzu ergangenen Entscheidungen zunächst des Hessischen Staatsgerichtshofs und schließlich des Bundesverfassungsgerichts sind fur die Diskussion um die negative Bekenntnisfreiheit und die negative Religionsfreiheit insgesamt von überragender Bedeutung gewesen18. Im Schulgebetsstreit ist auch und vor allem die sogenannte negative Kultusfreiheit tangiert, das heißt das Recht, die Teilnahme an religiösen Handlungen zu verweigern; in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV besonders garantiert, soll es in Art. 4 GG grundrechtlich geschützt sein 19 . Ebenfalls in Anknüpfung an die Freiheit der Religionsausübung, die in positiver Hinsicht auch und gerade die kollektive Religionsausübung und den Zusammenschluß zu diesem Zwecke schützen soll, wird die negative Vereinigungsfreiheit in religiös-weltanschaulicher Hinsicht als Teil der negativen Religionsfreiheit anerkannt; sie ist insbesondere im Zusammenhang mit staatlichen Regelungen über den Kirchenaustritt aktuell geworden 20. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht, nachdem es zunächst den Grundrechtsschutz gegen Kirchensteuerpflichten aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 140 GG gefolgert hatte 21 , Art. 4 GG auch eine negative religiöse Finanzierungsfreiheit entnommen, die den Bürger davor schützt, durch Besteuerung von Staats wegen zur finanziellen Unterstützung

Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 56 f., 98; Listi , in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (370); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 13, 20; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 192; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1059 (1071); von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 4 RN 39; Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 23; Röhl/, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 144; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 99. Kritisch zur Bezeichnung des Rechts zum Verschweigen der eigenen religiösen Übeizeugung als negative Bekenntnisfreiheit Hamel, NJW 1966, 18 (19), und ders., Deutsches Staatsrecht I, S. 105. 16 BVerfGE 46, 266 (267); BVerwG, DÖV 1976, 273; BVerfGE 65, 1 (39). 17 BVerfGE 49, 375 (376); BFHE 116, 485; BayVerfGH 20, 171 (179). 18 HessStGH, ESVGH 16, 1; BVerfGE 52, 223. Vgl. weiter aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwG, DVB1. 1970, 929; BVerwGE 44, 196. 19 BVerfGE 52, 223 (239); BVerwGE 73 , 247 (249); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 59; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 58, 119 ff.; Listi , in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (370); von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, GG, Ait. 140 GG/136 WRV RN 40; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 13 f.; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 149; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 111. 20 BVerfGE 30, 415 (426); 42, 312 (332); 44, 37 (49); 55, 32 (36); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 60; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 46; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 4 Anm. V i f . ; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 193; Steiner, JuS 1982, 157 (159); Zippelius, a.a.O., RN 115. Kritisch dazu Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 20. 21 BVerfGE 19, 206 (216); 19, 226 (237); 19, 242 (247); 30, 415 (421 f.).

I. Umfang und Grad der Anerkennung

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einer Religionsgemeinschaft herangezogen zu werden, deren Mitglied er nicht ist 2 2 . Im übrigen ist im Anschluß an diese negativen Aspekte der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, insbesondere an die negative Glaubensfreiheit auch eine negative Gewissensfreiheit, die dem einzelnen das Recht gewähren soll, für sich keine Gewissensfragen zu erwägen und zu entscheiden, als durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt angesehen worden 23 . Diese Annahme hat freilich mehr noch als die der negativen Glaubensfreiheit - auch entschiedenen Widerspruch erfahren 24. bb) Art. 9 Abs. 1 GG Auch die negative Vereinigungsfreiheit - das Recht, eine Vereinigung nicht zu bilden, einer Vereinigung fernzubleiben oder aus einer Vereinigung auszutreten - findet als Bestandteil der in Art. 9 Abs. 1 GG gewährleisteten Vereinigungsfreiheit schon von Beginn an nahezu unbestritten Anerkennung. Einzelne, zumeist frühe Stellungnahmen, die insoweit auf Art. 2 Abs. 1 GG verwiesen 25 , sind ohne große Resonanz geblieben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage in zwei frühen Entscheidungen noch offengelassen, weil es einmal schon am Zwang fehlte 26 und andermal um nur Vermögens-, nicht mitgliedschaftsrechtliche Verpflichtungen ging 27 . Im Erftverband-Urteil hat es 22 BVerfGE 44, 37 (49); 44, 59 (66 f.); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 60 FN 40; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 46; Damkowski, DÖV 1987, 705 (709); Hamann/Lenz, GG, Art. 4 Anm. Β 3; Listi, in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (371); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 22; Steiner, JuS 1982, 157 (159). 23 Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 137 RN 16; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 55, 158; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 4 Anm. Π 3. Herzog, a.a.O., RN 59, will darüber hinaus auch Art. 4 Abs. 3 GG als negative Komponente das Recht, den Kriegsdienst nicht zu verweigern, abgewinnen; kritisch dazu Stern, Staatsrecht m/1, S. 615 FN 555, 632 FN 42, 638. 24 Hamel, in: Die Grundrechte IV/1, S. 37 (64); ders., Deutsches Staatsrecht I, S. 105; Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 22 FN 17; Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 18; Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 195; Zippelius, in: BK, Ait. 4 (Drittbearb.) RN 31. 25 Ehrengerichtshof der Rechtsanwaltskammern der Britischen Zone, DVB1. 1952, 371. In der Literatur ist hervorzuheben die grundsätzliche Kritik von Friauf, in: FS Reinhardt, S. 389; vgl. weiter Brinkmann, Grundrechts-Kommentar, Ait. 9 Anm. I 5 a; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 277 ff.; ders., in: FS von Unruh, S. 777 (790); Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Anm. A 4; Reinhardt, in: FS Draheim, S. 227 (228); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 345 f.; Wernicke, in: BK, Art. 9 (Erstbearb.), Anm. Π 1 d; Zinn/Stein, Die Verfassung des Landes Hessen, Art. 15 Anm. 3. Bedenken auch bei Jäkel, DVB1. 1983, 1133 (1135). 26 BVerfGE 1, 264 (274). 27 BVerfGE 4, 7 (26). Kritisch dazu Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN

57.

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1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

dann erstmals ausgesprochen, Art. 9 Abs. 1 GG garantiere neben der Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen oder ihnen beizutreten, auch das Recht, ihnen fernzubleiben 28. An dieser Feststellung hat es auch später festgehalten29, und die ganz herrschende Ansicht in der Literatur stimmt ihm darin zu 3 0 . Durch die Beschränkung auf den Schutz vor privatrechtlichen Zwangszusammenschlüssen und den Rekurs auf Art. 2 Abs. 1 GG zum Schutz gegen öffentlich-rechtliche Zwangsverbände31 ist die negative Seite von Art. 9 Abs. 1 GG jedoch niemals entscheidungserheblich geworden und in ihrer praktischen Bedeutung sehr beschränkt geblieben. In der Literatur ist gelegentlich der gesetzlich oder durch wirtschaftlichen Druck bewirkte Zwangszusammenschluß von Wirtschaftsunternehmen oder die Zwangsmitgliedschaft in Verbänden und Vereinigungen als Problem von Art. 9 Abs. 1 GG diskutiert worden 32 , und verschiedentlich sind zwangskorporative Elemente der Unternehmensmitbestimmung als unzulässig angesehen worden 33 , doch hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Mitbestimmungsgesetz 1976 einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 1 GG knapp verneint 34 .

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BVerfGE 10, 89 (102). BVerfGE 38, 281 (297 f.); 50, 290 (354). 30 Badura, Staatsrecht, C 63; Bethge, JA 1979, 281 (283); Däubler, in: Däubler/MayerMaly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (34); Düng, in: FS Nawiasky, S. 157 (184 FN 61); Erichsen, Jura 1987, 390; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 90 ff.; Füßlein, in: Die Gmndrechte Π, S. 425 (435); Gastroph, Die politischen Vereinigungen, S. 66 f.; Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Anm. A 4 a; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 412; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 198, 252 und Π, S. 122; Ipsen, AöR 78 (1952/53), 284 (313); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 RN 5; F. Klein, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 9 RN 3; Krüger, BB 1956, 969 (970); Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 9 RN 17; von Mangoldt/KLein, GG, Art. 9 Anm. ffl 8, Art. 18 Anm. m 3 b; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 RN 171; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 202; Merten, in: Handbuch des Staatsrecht VI, § 144 RN 53 f.; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 57 f.; von Münch, in: BK, Art. 9 (Zweitbearb.) RN 51; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 816; Quidde, DÖV 1958, 521; Reuß, in: Die Grundrechte m/1, S. 91 (111 ff.); Rinken, in: AK-GG, Art. 9 Abs. 1 RN 57; Scheuner, in: WDStRL 11 (1954), S. 1 (62); ders., in: FS Peters, S. 797 (819); Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 272 f.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 88; Weber, in: FS Bogs, S. 211 (216). 31 Dazu näher unten 2. Kapitel, Abschnitt Π. 32 Vgl. etwa Etzrodt, a.a.O., S. 150 ff.; Friauf, in: FS Reinhardt, S. 389 (391); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Π, S. 122 f.; Nicklisch, BB 1979, 1153; Reinhardt, in: FS Draheim, S. 227; Schlink, RsDE Heft 11/1990, 1 (11). 33 Vgl. Badura/Rittner/Rüthers, Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz, S. 215 ff.; Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht, S. 39 ff.; Ramm, JZ 1972, 137 (144); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 94, 237. 34 BVerfGE 50, 290 (367). 29

I. Umfang und Grad der Anerkennung

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cc) Art. 9 Abs. 3 GG Zu erheblich größerer Relevanz - in der Sache vor allem im Hinblick auf die Stellung des gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmers, der sich gegen unmittelbaren oder mittelbaren Organisationszwang wehren will - ist die negative Seite von Art. 9 Abs. 3 GG gelangt. Es entwickelte sich unter dem Grundgesetz ein lebhafter Meinungsstreit darum, ob die negative Koalitionsfreiheit möglicherweise - wie anfangs gelegentlich angenommen wurde gar nicht 35 , nur durch das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG oder wie vereinzelt vorgebracht worden ist - durch die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 G G 3 6 oder aber durch Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützt ist. Während Gerichte unterer Instanzen schon früh der Anerkennung einer negativen Seite des Art. 9 Abs. 3 GG zuneigten37, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung, hier neben der des Bundesverfassungsgerichts vor allem die des Bundesarbeitsgerichts, die Frage lange offengelassen. Wenn das Verfassungsgericht in der Erftverband-Entscheidung pauschal von Art. 9 GG und dessen negativer Seite gesprochen hatte 38 , durfte man dem kaum eine klare Aussage zur negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG entnehmen 39 . Dementsprechend haben das Bundesverfassungsgericht und auch das Bundesarbeitsgericht in nachfolgenden Entscheidungen noch ausdrücklich offengelassen, ob bzw. durch welches Grundrecht die negative Koalitionsfreiheit geschützt sei, weil sie in den anstehenden Fällen jedenfalls keinen unzulässigen Zwang oder Druck auf den Nichtorganisierten erkennen konnten40. Im Differenzierungsklausel-Beschluß aus dem Jahr 1967 hat dann das Bundesarbeitsgericht nach ausfuhrlicher Erörterung erstmals festgestellt, die negative Koalitionsfreiheit sei durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet 41. Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht, das sich auch danach noch mehrfach einer klaren Aussage enthalten hat 4 2 , im Mitbestimmungsurteil - nunmehr wie

35 Siehe etwa Bachmann, Von der Zwangskoalition zum Koalitionszwang, S. 9 f.; Kastner, AuR 1953, 161 (163); Vìe, DV 1949, 333 (335). 36 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (38); ders., Das Arbeitsrecht I, S. 89; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 89 (RN 174); Kittner, in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 RN 41; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 49. 37 ArbG Hameln, DB 1950, 595; LAG Frankfurt, JZ 1951, 181; OLG Koblenz, NJW 1951, 366; LAG Hamm, BB 1952, 549 und DB 1954, 1048. 38 BVerfGE 10, 89 (102). 39 Dies unternimmt das Bundesarbeitsgericht in seinem späteren Differenzierungsklausel-Beschluß (BAGE 20, 175 [210, 217]). Vgl. dazu auch Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 113 (m. w. N.); Monjau, in: FS Küchenhoff, S. 121 (124). 40 BVetìSE 20, 312 (321 f.); BAG 19, 217 (227). 41 BAGE 20, 175 (213 ff.) 42 BVerfGE 31, 297 (202); 44, 322 (352).

1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

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selbstverständlich - übernommen 4 3 . Auch in der literarischen Diskussion hat inzwischen die These von der negativen Seite des Art. 9 Abs. 3 G G deutlich die Oberhand gewonnen 4 4 , doch finden sich nach wie vor zahlreiche und namhafte Kritiker, die vor allem auf den Wortlaut der Norm, die Geschichte der Koalitionsfreiheit und die Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 G G sowie - wegen der drohenden Behinderung gewerkschaftlicher Betätigung auf den Zweck des Grundrechts hinweisen 4 5 .

b) Art. 5, Art. 5, Art. 11, Art. 12 Abs. 1 GG Für eine Reihe weiterer Grundrechte, die vor allem den Bereich gesellschaftlich-politischer und wirtschaftlicher Betätigung betreffen,

namentlich

die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 8, Art. 11, Art. 12 Abs. 1 G G , 43

BVerfGE 50, 290 (367 ff.). Vgl. weiter BVerfGE 55, 7 (21); 57, 220 (245); 64, 208 (213); 73, 261 (270). 44 Badura, Staatsrecht, C 93; Dietz, in: Die Grundrechte m/1, S. 417 (453 ff.); Födisch, RdA 1955, 88; Gernandt, Der Arbeitgeber 1954, 154; Hamann, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, S. 60; Hesse y Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 415; von Hoyningen-Huene, ARBlattei SD 1650.1 "Vereinigungsfreiheit/Koalitionsfreiheit Γ RN 71 f.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Π, S. 383; Hueck y Tarifausschlußklausel und verwandte Klauseln im Tarifvertragsrecht, S. 33; Jarassy in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 RN 21; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 6 ff.; Krüger, BB 1956, 969; ders.y in: 46. DJT 1/1, S. 7 (93 ff., mit gewissen Vorbehalten); Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 25; Löwer y in: von Münch/Kunig, GG, Art. 9 RN 70; von Mangoldt, BB 1951, 621; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 9 Anm. ΠΙ 8; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 205; MayerMaly, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (18, 23 f.); Monjau, in: FS Küchenhoff, S. 121 (122 ff.); von Münch, in: BK, Art.9 (Zweitbearb.) RN 140; Neumann, DB 1967, 1545 (1546 ff.); ders.y RdA 1989, 243 (246); Mkischy Arbeitsrecht Π, S. 28 ff.; Pieroth/Schlinky Grundrechte Staatsrecht II, RN 826; Scheuner, in: Scheuner/Reuß, Die Verfassungsmäßigkeit des Zweiten Vermögensbildungsgesetzes, S. 31; Schwerdtfeger t Individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit, S. 29; ScholZy Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 41 f., 64 ff., 150, 274 ff.; ders.y in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 226; ders.y in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 82 ff.; Steinbergy RdA 1975, 99 (100 ff.); Ule f in: Die Grundrechte IV/2, S. 537 (636); Weber y in: FS OLG Celle, S. 239 (242); Zöllner Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 25 ff.; ders.y AöR 98 (1973), 71 (101). 45 Arndty in: FS Kunze, S. 265; Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 190 ff.; Biedenkopf\ JZ 1961, 346 (352); ders.y Grenzen der Tarifautonomie, S. 93 ff. mit FN 127; ders.y in: 46. DJT 1/1, S. 97 (127); Däubler y in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (35 ff.); Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 86 ff. (RN 169 ff.); Fechnery Rechtsgutachten zur Vorsorgekasse des Deutschen Holzgewerbes, S. 33; Galperiny Die Stellung der Gewerkschaften im Staatsgefiige, S. 17; ders.y in: FS Bogs, S. 87 (92 ff.); Gamillschegy Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 53 ff.; ders.y BB 1967, 45 (47); ders.y BB 1988, 555 (556 f.); ders.y Die Grundrechte im Arbeitsrecht, S. 101 f.; Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Anm. A 4; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/l, S. 156 ff; Kittnery in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 RN 41; Lauschkey AuR 1965, 102 (110); LeventiSy Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 48 f.; Radkey AuR 1971, 4 (9); Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 35 ff. (differenzierend); Söllner y Grundriß des Arbeitsrechts, S. 65; Wernickey in: BK, Art. 9 (Erstbearb.), Anm. Π 3e.

I. Umfang und Grad der Anerkennung

29

spielt die Frage nach einer negativen Seite eine zwar immer noch untergeordnete, aber doch zunehmende Rolle. Immer häufiger wird ihnen in der Literatur und auch in der Rechtsprechung eine negative Seite ausdrücklich zuerkannt. Bei der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 G G ist in früheren Kommentierungen meist nur die positive Seite beachtet und erwähnt w o r d e n 4 6 . Die negative Seite ist zunächst zum Schutz vor Meinungsäußerungszwängen i m Beamten- und Soldatenverhältnis aktiviert w o r d e n 4 7 . Später ist dann häufiger der Versuch unternommen worden, mit Hilfe der negativen Seite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 G G das Datenschutzproblem, insbesondere das Problem staatlicher Befragungen anzugehen 48 . Das Bundesverfassungsgericht hat eine negative Meinungsäußerungsfreiheit erstmals i m Volkszählungsurteil in einem obiter dictum anerkannt 4 9 . Auch in der Literatur hat sich diese Ansicht heute durchgesetzt 50 . Einen aktuellen Anwendungsfall hat man dort zuletzt in der hoheitlichen Auferlegung von Produkthinweispflichten, insbeson-

46 So bei Wernicke , in: BK, Art. 5 (Erstbearb.) Anm. Π le, und Hamann, GG, Art. 5 Anm. C 4. Eine negative Seite wird bereits anerkannt bei von Mangoldt, GG, Art. 5 Anm. 1; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm. ΠΙ 3b; Brinkmann, Grundrechts-Kommentar, Art. 5 Anm. la. 47 Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 42 f.; Köttgen, in: Von den Grundrechten des Soldaten, S. 47 (66 ff.); Lerche, in: Die Grundrechte IV/1, S. 447 (483). 48 So insb. Eberle , DÖV 1977, 306 (308); vgl. weiter Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, II RN 40 ff.; Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, S. 41 f.; Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, S. 90 f. mit FN 323; Schwan, VerwArch 66 (1975), 120 (146). Kritisch dazu Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), 52 (61 ff.). 49 BVerfGE 65, 1 (40). Im Volksbefragungs-Urteil war ein möglicher Konflikt mit der Meinungsäußerungsfreiheit nur kurz angesprochen worden (BVerfGE 8, 104 [122]). Vgl. weiter bereits BVerwG, DVB1. 1970, 929 (930), und BVerfGE 57, 170 (192) - abweichende Meinung des Richters Hirsch -. 50 Vgl. neben den bereits Genannten Götzfiied, NJW 1963, 1961 (1962); Hesse, Gnindzüge des Verfassungsrechts, RN 288; Hoßnann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 24; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 RN 4; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 64 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 42; Löffler/Ricker. Handbuch des Presserechts, Kap. 7 RN 11; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 RN 171, Art. 5 RN 12; Merten, DÖV 1990, 761; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, RN 635; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 183 f.; Rupp-von Brünneck, Die Grundrechte im juristischen Alltag, S. 19; Schmidt-Jortzig, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 141 RN 27; Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 RN 18; Zeidler, in: Zeidler u. a., Das Recht auf Demonstration, S. 3 (8). Die Anerkennung der negativen Meinungsäußerungsfreiheit wird offengelassen bei Krause, DB Beilage 23/1983, S. 6. Bedenken äußert Scholler, DÖV 1967, 469 (470). Ablehnung bei Hamel, Deutsches Staatsrecht I, S. 105, und Reh, in: Simitis/Dammann/Mahlmann/Reh, BDSG, § 1 RN 4e.

1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

30

dere der Pflicht zur Anbringung von Warnhinweisen bei Tabakwaren, gesehen51. Sozusagen als Gegenstück hierzu hat im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 G G auch die Freiheit, fremde Meinungen nicht empfangen, insbesondere hören zu müssen, einige Beachtung gefunden. Es geht dabei um den Schutz des Bürgers vor aufgezwungenen staatlichen Informationen, etwa in Form von Pflichtlektüren für Beamte oder Schüler oder durch Ladung zum Verkehrsunterricht, aber auch um Schutz vor aufdringlicher öffentlicher Werbung oder Musikberieselung. Vereinzelt und eher vorsichtig ist der Schutz dieser Freiheit als Teil der negativen Meinungsäußerungsfreiheit erwogen w o r d e n 5 2 ; i m Ausgangspunkt zutreffender aber wird die negative Rezipientenfreiheit zumeist bei der Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 G G angesiedelt 53 und als deren negative Seite angesehen 54 . Gerade wegen der potentiellen Schutzrichtung gegenüber anderen Privaten, die deren aktive Meinungsbetätigung beschränken und damit die öffentliche Kommunikation hindern könnte, sind aber auch zweifelnde und ablehnende Stimmen laut geworden 5 5 . Das Interesse an einer negativen Seite der übrigen Grundrechtsgewährleistungen des Art. 5 G G tritt dahinter deutlich zurück. Einige pauschale Aussa51 Kirchhof/Frick Produkthinweispflichten bei Tabakwaren y Afp 1991, 477 (479); Kloepfer, als Verfassungsfrage, S. 19 ff.; Merten, DÖV 1990, 761 (767 f.); Pieroth/Schlink, a.a.O., RN 635 a; Scholz, NJW 1990, 941 (942). 52 OLG Stuttgart, NJW 1976, 201 (203). Vgl. dazu Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (71 ff.); Steinberg/Herbert, JuS 1980, 108 (112); Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 RN 18. 53 Ihre Ableitung aus der Meinungsäußerungsfreiheit würde deren Verständnis als einer zweiseitigen Kommunikationsfreiheit, die auch den Empfanger grundrechtlich schützt, voraussetzen (so Kimminich, a.a.O., S. 71). Ein solches Verständnis aber ist höchst fragwürdig. In ihrer positiven Richtung gibt die Meinungsäußerungsfreiheit zwar dem Äußernden das Recht, nicht von seinen Zuhörern getrennt zu werden (Wendt, a.a.O.), nicht aber den Zuhörern ein korrespondierendes Grundrecht, zuhören zu dürfen. Entsprechend kann sie auch in ihrer negativen Richtung dem unfreiwilligen Zuhörer keinen Grundrechtsschutz geben. Subjektive Rechte des Empfangers werden in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG allein durch die Informationsfreiheit begründet (vgl. BVerfGE 30, 336 [352]). 54 Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten, S. 145 f.; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearb.) RN 286; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 118 f.; Göttfied, NJW 1963, 1961 (1962); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Ait. 5 Abs. I, Π RN 40 und Ait. 8 RN 29; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 64 ff.; ders., in: FS Bundesverfassungsgericht II, S. 405 (420); ders., Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 63 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 12, 27; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 641 a; Wendt, a.a.O, RN 26; Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 123; Zeidler, in: Zeidler u.a., Das Recht auf Demonstration, S. 3 (8). 55 Hoffinann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 95; Kimminich, a.a.O., S. 73 f.; Bedenken auch bei Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 63 f., und bei Steinberg/Herbert, a.a.O., S. 112 FN 49. Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 163, stützt seine Ablehnung auf den Topos der Gemeinschaftsgebundenheit des einzelnen, welche einen staatlichen Informationszwang zur Herbeiführung sozialverantwortlichen Verhaltens erlaube.

I. Umfang und Grad der Anerkennung

31

gen zu Art. 5 Abs. 1 G G oder Art. 5 G G schließen sie e i n 5 6 . D i e Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und F i l m (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G ) und die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 G G ) finden i m übrigen - soweit ersichtlich insoweit keine gesonderte Erwähnung. D i e negative Seite der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G ) und der Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 G G ) werden gelegentlich, teilweise aber unter Hinweis auf die von der Presse zu erfüllende öffentliche Aufgabe und die grundrechtlichen Bindungen der individuellen Lehrfreiheit auch ablehnend erwähnt 5 7 . Auch die negative Seite des Art. 8 G G ist eher beiläufig, meist i m Zusammenhang mit anderen, insbesondere den sogenannten Kommunikationsgrundrechten (Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 G G ) behandelt worden und ohne praktische Bedeutung geblieben. W o sie erwähnt wird, wird sie jedoch fast einhellig anerkannt 5 8 , und in seiner Brokdorf-Entscheidung hat auch das Bundesverfassungsgericht das Fernbleiberecht wie selbstverständlich als Teil der Versammlungsfreiheit genannt 5 9 . D e m durch Art. 11 G G verbürgten Recht, an jedem Ort Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, wird in der Literatur eine negative Seite des Nichttunmüssens in mehrerlei Hinsicht zuerkannt. Die negative Freizügigkeit soll zu56 Zu Ait. 5 Abs. 1 GG von Mangoldt/ßein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 12. Zu Art. 5 GG insgesamt Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 117 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, Π RN 40. 57 Anerkennend zur negativen Äußerungsfreiheit der Presse Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearb.) RN 349; zu Pressefreiheit und Lehrfreiheit von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm. ΠΙ 3b; zu Art. 5 Abs. 3 GG Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 118, und ders., VerwArch 73 (1982), 103 (104 FN 2). Ablehnend zur Pressefreiheit und mit Bedenken hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit Scholler, DÖV 1967, 469 f.; ablehnend zu Art. 5 Abs. 3 GG Hamely Deutsches Staatsrecht I, S. 105, sowie Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 65 FN 10 (wegen des in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltenen Pflichtmoments), und ders.y in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. ΠΙ RN 174 (Die positive Lehrfreiheit impliziere - mit Rücksicht auf die institutionelle Ausbildungsaufgabe der Universität - keine negative Ausbildungsfreiheit). 58 Bethge, ZBR 1988, 205 (206); Bleckmann, Staatsrecht Π - Die Grundrechte, S. 789 f.; Böttcher y Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten, S. 43; Dietel/Gintzel/Kniesel Demonstrations- und Versammlungsrecht (10. Aufl.), § 1 RN 75, § 15 RN 105; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8 RN 26; Hoffinann-Riem, in: AK-GG, Ait. 8 RN 27; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8 RN 4; Kloepfery in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 143 RN 5; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 8 RN 19; Lerche t in: Die Grundrechte IV/1, S. 447 (483); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 42; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm. ΠΙ 3b; Merten, MDR 1968, 621 (629 FN 59); ders.y Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 118; ders.y VerwArch 73 (1982), 103 (104); Pieroth/Schlinky Grundrechte Staatsrecht Π, RN 791; Röhl/, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 183; Scholler, DÖV, 1967, 469 (470); Schwabe, Gnindkurs Staatsrecht, S. 74, der in ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 345, allerdings Bedenken geäußert hatte; Stree 9 Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 166 f.; Zeidler t in: Zeidler u. a., Das Recht auf Demonstration, S. 3 (8). Ablehnend zur Annahme einer negativen Versammlungsfreiheit Gusyy JuS 1986, 608 (609). 59 BVerfGE 69, 315 (343).

y

32

1. Kap.: Die grundsatzliche Anerkennung einer negativen Seite

nächst das Recht gewähren, nicht ziehen zu müssen, also das Bleiberecht am Aufenthaltsort 60, das allerdings gelegentlich auch ohne ausdrücklichen Rückgriff auf eine negative Seite begründet wird 6 1 . Als weiteren negativen Aspekt gewinnt Merten Art. 11 GG auch das Recht ab, überhaupt nicht im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und im Ausland zu bleiben 62 . Diese These hat geteilte Auihahme gefunden 63; insbesondere steht sie in gewissem Widerspruch zu der seit dem Elfes-Urteil des Bundesverfassungsgerichts herrschenden Ansicht, die Ausreisefreiheit sei nicht durch Art. 11 GG, sondern nur durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgt 64. Schließlich kann man durch die negative Freizügigkeit auch bewußt nicht seßhafte bzw. aus gewerblichen Gründen umherreisende Personen vor dem Zwang zur Begründung eines festen Lebenskreises oder Wohnsitzes geschützt sehen65. Die negative Seite des Art. 12 Abs. 1 GG schließlich - verstanden als Freiheit, nicht zu einem (bestimmten) Beruf gezwungen zu werden - ist in der Literatur schon recht früh anerkannt worden 66 . Im Jahr 1981 hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, Art. 12 Abs. 1 GG gewährleiste auch die Freiheit, überhaupt keinen Beruf zu ergreifen und auszuüben, die Nichtwahl eines Berufs sei die negative Inanspruchnahme der Freiheit der Berufswahl 67. Diese Feststellung hat in der Folgezeit vielfache Zustimmung und - soweit ersichtlich - keinen Widerspruch gefunden 68. Außer in diesem Fall einer unzu60 Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 RN 39; Hailbronner, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 131 RN 28; Kimig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 11 RN 18; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 41 f.; Pieroth, JuS 1985, 81 (84 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, RN 890; Randelzhofer, in: BK, Ait. 11 (Zweitbearb.) RN 55; Scholler, DÖV, 1967, 469 (470). 61 Rittstieg, in: AK-GG, Art. 11 RN 30. Nach Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 84, bedarf es dieses Rückgriffs nicht, weil die Freizügigkeit ohne Bleiberecht ein "nudum ius" ware. 62 Merten, MDR 1964, 806; ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 117 ff. 63 Zustimmend etwa Pieroth, JuS 1985, 81 (85). Ablehnend Hailbronner, a.a.O.; Scholler, a.a.O. 64 BVerfGE 6, 32 (34 ff.). Der Versuch von Merten, a.a.O., S. 119, seine These mit dem Elfes-Urteil zu harmonisieren, indem er einen sachlichen Unterschied zwischen "'Wegzugsfreiheit" und "negativem Zuzugsrecht" behauptet, überzeugt nicht; Ausreisefreiheit und Bleiberecht im Ausland erscheinen ebenso notwendig miteinander verknüpft wie freies Umzugsrecht und Bleiberecht an einem Ort im Inland. 65 Tiemann, NVwZ 1987, 10 (13); zustimmend Kunig, a.a.O. 66 Bachof in: Die Grundrechte EŒ/1, S. 155 (195); Hamann, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, S. 89; Krüger, BB 1956, 969; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 12 Anm. Π 3a; Uber, Freiheit des Berufs, S. 19, 86 f.; ders., in: FS Schack, S. 167 (174 ff.). Anderer Ansicht wohl Loppuch, DÖV 1951, 123 (124), der die Berufsfreiheit als Freiheit vom Zwang zu einem bestimmten Beruf versteht. 67 BVerfGE 58, 358 (364 f.); implizit bestätigt in BVerfGE 74, 102 (125 f.); 83, 119 (129). 68 Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 147 RN 56; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 12 RN 37; Gusy, JuS 1989, 710 (711); Isensee, DÖV 1982, 609 (615); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 RN 8; Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestands-

I. Umfang und Grad der Anerkennung

33

lässigen strafgerichtlichen Verpflichtung zu beruflicher Betätigung ist die negative Berufsfreiheit freilich praktisch bedeutungslos geblieben. c) Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 GG Für die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 GG spielt die Figur der negativen Seite nur eine marginale Rolle. Zumeist gegen die herrschende Interpretation dieser Grundrechte, die diesen Begriff gar nicht verwendet, wird die Frage nach einer negativen Seite nur vereinzelt bejaht. Im Hinblick auf die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG könnte eine negative Seite das Recht auf Selbsttötung bzw. Zerstörung der eigenen Gesundheit vermitteln; praktisch könnte es etwa bei der Ablehnung lebensrettender bzw. die Gesundheit wiederherstellender Maßnahmen, ζ. B. einer Zwangsernährung werden. Einige Autoren neigen in der Tat der Annahme eines Rechts auf Selbsttötung - konstruiert durch Übertragung der Figur der negativen Seite auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG - zu, wenn auch gelegentlich mit gewissem Vorbehalt 69 . Diesen wenigen, vorsichtigen Ansätzen steht eine deutlich überwiegende Meinung entgegen, die - zumeist ohne auf den Begriff der negativen Seite einzugehen - in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein Recht auf Selbsttötung, auf Verfügung über das eigene Leben und die eigene Gesundheit nicht erblickt und insoweit auf andere Grundrechte, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG verweist oder jeglichen Grundrechtsschutz verneint 70 . schütz, S. 87; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 502; Merten, in: FS Stingi, S. 285; Papier, DVB1. 1984, 801 (806); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 908; Pitschas, JA 1982, 313; Rittstieg, in: AK-GG, Ait. 12 RN 159; SchmidtBleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 12 RN 5; Schneider, in: WDStRL 43 (1985), S. 7 (27); Zöbeley, in: FS Faller, S. 345 (354). Auch die gelegentlich als ablehnende Stimme zitierte (vgl. Breuer, a.a.O, RN 56 FN 211; Luchterhandt, a.a.O., S. 501 FN 254; Zöbeley, a.a.O., S. 345 FN 2) Kommentieiung von Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 RN 2 f., bestreitet wohl nicht grundsätzlich die negative Berufsfreiheit, sondern allein das Bestehen eines ranggleichen negativen Rechts, und zwar insbesondere mit Blick auf mögliche Ansprüche auf staatliche Leistungen; dies bestätigt sich in RN 477, wo die hoheitliche Aufnötigung eines Berufs als Problem von Art. 12 Abs. 1 GG bezeichnet wird. 69

Hamann/Lenz, GG, Art. 2 Anm. Β 8; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon Π, Sp. 3112 f.; ders., in: Gentechnologie. Chancen und Risiken 11, S. 23 (30); Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 35, der sich freilich einer klaren verfassungsrechtlichen Antwort auf diese "letztlich unlösbaren, weltanschaulich getränkten" Fragen entzieht, indem er unter Hinweis auf einfachgesetzliche Beschränkungen eine schrankenlose Sicherung dieser vorstellbaren Freiheit ablehnt; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 88 (anders noch ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 39 FN 9). 70 Den Schluß auf eine negative Seite lehnen ausdrücklich ab Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 128 RN 62, der jeglichen Grundrechtsschutz der Selbsttötung verneint (m.w.N. in FN 287), Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings das Recht auf einen menschenwürdigen Tod entnehmen will (RN 66), und Scholler, DÖV 1967, 469 f. Vgl. weiter Düng, in: 3 Hellermann

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1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

Bei Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG wird - ausgehend von den Problemen der Vorladung zur Zeugenaussage oder zum Verkehrsunterricht - als negative Seite zumeist die Freiheit bezeichnet, einen bestimmten Ort zu meiden; diese negative Freiheit - und damit ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG - wird überwiegend abgelehnt71. Als negative Freiheitsbeschränkung bezeichnet wird die Hinderung, einen bestimmten Ort aufzusuchen; hiergegen sieht die herrschende Ansicht durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG Grundrechtsschutz gewährt 72 . Bei Art. 6 Abs. 1 GG stellt sich unter dem Aspekt der negativen Seite die Frage, ob auch die Freiheit gewährleistet ist, eine Ehe nicht einzugehen und eine Familie nicht zu gründen bzw. eine bestehende Ehe oder Familie wieder aufzulösen. Als Gegenstück zum Recht auf Eheschließung wird insbesondere ein Schutz des negativen Rechts auf Ehelosigkeit und Ehescheidung durch Art. 6 Abs. 1 GG zunehmend in der Literatur anerkannt 73, doch erheben einige Autoren auch Bedenken dagegen und sehen einen Zwang zur Ehe nur durch Art. 4 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 oder - mit dem Bundesverfassungsgericht74 - Art. 2 Abs. 1 GG ausgeschlossen75. Zu einer negativen Seite des Art. 14 GG finden sich nur ganz vereinzelte Stimmen, die darunter im übrigen auch noch Verschiedenes verstehen wollen. Teils beziehen sie sich auf den Aspekt, etwas nicht zu Eigentum haben oder behalten zu müssen76, teils auf die Freiheit, das Eigentum nicht zu nutzen 77 .

Maunz/Dürig, GG, Ait. 2 Abs. Π RN 12; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Ait. 2 RN 44; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 RN 50; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 181; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 449; Podlech, in: AK-GG, Ait. 1 Abs. 1 RN 55, Ait. 2 Abs. 2 RN 24; Uhlenbruch ZRP 1986, 209 (214); Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (42). 71 BVerwGE 6, 354 (355); BVerfGE 22, 21 (26); Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. Π RN 50; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 RN 42. Anderer Ansicht Pieroth/Schlink, a.a.O., RN 475; Podlech, a.a.O., Art. 2 Abs. 2 RN 45. Vermittelnd, einen Eingriff bejahend, wenn die (mögliche) Ausübung unmittelbaren Zwangs hinzutritt, Jarass, a.a.O., RN 61; Kunig, a.a.O., RN 76. 72 Dürig, a.a.O.; Podlech, a.a.O., RN 44. 73 Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 RN 171; Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (111); ders., in: FS Stingi, S. 285; Pieroth/Schlink, a.a.O., RN 724; Ritter, in: AK-GG, Art. 6 RN 38; Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (42). 74 BVerfGE 56, 363 (384). 75 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 54; Lecheler, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 133 RN 74; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 RN 3; Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 155, 165; £. Wolf, JZ 1967, 659. 76 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (31); Herzog, in: Gentechnologie. Chancen und Risiken 11, S. 23 (30); von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm.

m3b. 77

Pieroth/Schlink, a.a.O., RN 1007; vgl. auch Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 495, 513 ff., der unter der - durch die Sozialpflichtigkeit aller-

I. Umfang und Grad der Anerkennung

35

d) Art. 10, Art. 13, Art. 16 a GG Bei den Grundrechten des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung sowie beim Asylrecht, denen unbestritten eine negative Seite nicht zukommt, findet die Frage so gut wie gar keine Beachtung. Eine erste einschlägige Bemerkung findet sich im Zusammenhang mit der Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG bei von Mangoldt/Klein; dort wird festgestellt, Art. 10 GG sowie Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. seien Grundrechte ohne negative Seite und deshalb - anders als Grundrechte mit negativer Seite, die insoweit nicht der Verwirkung unterlägen - voll verwirkbar 7 8 . Wilke nimmt dies zustimmend auf; da die genannten Grundrechte nicht das Recht gewährten, irgendwelche Handlungen vorzunehmen, könnten sie auch nicht die Befugnis verleihen, sie zu unterlassen79. Aus eben diesem Grund stellt sich auch fur Merten bei Art. 10 und Art. 13 GG die Frage nach einer negativen Seite erst gar nicht 80 . e) Art. 6 Abs. 2 GG Eine unbestrittene, stillschweigend allseits akzeptierte und häufig ausdrücklich erwähnte Ausnahme von der allgemeinen Geltung der Figur der negativen Seite stellt schließlich Art. 6 Abs. 2 GG dar. Wegen des Pflichtmoments, das diesem Grundrecht - ungeachtet der genauen Bedeutung dieser Pflicht - jedenfalls eigen ist, umfaßt das elterliche Erziehungsrecht nicht auch die Freiheit der Eltern, ihre Kinder nicht zu erziehen 81. Der Umkehrschluß von der Freiheit zum Tun auf die Freiheit zur Unterlassung ist durch dieses Pflichtmoment gesperrt.

dings eingeschränkten - negativen Komponente der Eigentumsgarantie die Abwehr einzelner, an die Eigentümerstellung anknüpfender Handlungspflichten zusammenfaßt. 78 Von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm. ΠΙ 3b. 79 Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, S. 24 FN 36. 80 Merten, VerwArch 73 (1982), 103; zu Art. 13 GG vgl. auch Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, S. 38 f. 81 BVerfGE 24, 119 (143 f.); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 63; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 120; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 116 FN 10; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 54 und Art. 5 Abs. I, II RN 40; Isensee, DÖV 1982, 609 (614); Luchterhandt, a.a.O., S. 486 f. der allerdings (a.a.O., S. 495) die Freiheit des Rechtsinhabers zur Entscheidung darüber, ob er sich gegen eine Beeinträchtigung wehren will, als eine negative Grundrechtsfreiheit des Art. 6 Abs. 2 GG ansieht, womit er sich der Sache nach jedoch im Problemfeld nicht der negativen Seite der Freiheitsrechte, sondern des Grundrechtsverzichts bewegt; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 118 FN 7; Scholler, DÖV 1967, 469; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 65 FN 10. 3*

1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

36

f)Art.

2 Abs. 1 GG

Kraft seiner besonderen Funktion als Auffanggrundrecht nimmt Art. 2 Abs. 1 GG auch in der Diskussion um den Schutz der Unterlassensfreiheit eine Sonderstellung ein. Unter Bezugnahme auf die allgemeine Annahme einer der positiven Seite korrespondierenden negativen Seite, aber ohne daß es - wie bei den bislang erörterten speziellen Freiheitsrechten - dessen zur Begründung eigentlich bedürfte, wird mit der Anerkennung allgemeiner Handlungsfreiheit selbstverständlich auch der umfassende subsidiäre Schutz der Unterlassensfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG bejaht 82 . Dies kommt schon in der klassischen Umschreibung des Schutzbereichs allgemeiner Handlungsfreiheit im Elfes-Urteil zum Ausdruck, wonach jeder tun und lassen kann, was er will83. Als subsidiäre Unterlassensfreiheit ist Art. 2 Abs. 1 GG in Rechtsprechung und Literatur in vielen verschiedenen Richtungen aktualisiert worden: als Recht, ein Ehrenamt aufzugeben 84, als negative Vertragsfreiheit 85, als Recht, nicht zuhören bzw. hören zu müssen86, als Recht, keine Steuern zu zahlen 87 . Besonders hervorzuheben ist die negative Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden, die von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur - wegen der Beschränkung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 1 GG auf privatrechtliche Vereinigungen - ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird 8 8 .

2. Die allgemeine Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte Soweit in der Literatur - vornehmlich bei Gelegenheit der Erörterung einzelner negativer Freiheitsrechte - Aussagen über die allgemeine Anerkennung der negativen Seite der Freiheitsrechte getroffen werden, ist diesen Stellungnahmen eine eindeutige Tendenz zu entnehmen.

82

Vgl. etwa Degenhart, JuS 1990, 161 (166); Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I RN 10; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 RN 17; Merten, JuS 1976, 345 (346); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 425; Rupp-von Brünneck, Die Grundrechte im juristischen Alltag, S. 19; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 100. 83 BVerfGE 6, 32 (36). 84 VGH Mannheim, VB1BW 1984, 281 (282). 85 Huber, DÖV 1956, 135 (137); Krüger, BB 1956, 969; Merten, a.a.O. 86 Göttfried, NJW 1963, 1961 (1962 f.); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (74 ff.). 87 Degenhart, a.a.O.; Pieroth/Schlink, a.a.O.; Schwabe, a.a.O. 88 Vgl. dazu ausfuhrlich unten 2. Kapitel, Abschnitte Π und m 2 a) bb), und 6. Kapitel, Abschnitt m 2 b).

I. Umfang und Grad der Anerkennung

37

Eine generelle Ablehnung findet sich nur ganz vereinzelt. Mit besonderer Vehemenz ist sie von Hamel vorgetragen worden. Er wendet sich gegen den "absurden Begriff 'negative Freiheit' ('negative Bekenntnisfreiheit', 'negative Koalitionsfreiheit'), der heute bedenkenlos von der Praxis und von der Wissenschaft verwendet wird. 'Bastard-Erklärung' nennt Kant die Ansicht, daß die Fähigkeit, von der Freiheit keinen Gebrauch zu machen, zur Freiheit gehöre. Die Möglichkeit, von einem Rechte nicht Gebrauch zu machen, ist nicht Inhalt eben dieses Rechts"89. Auch Kruger hat in seiner Allgemeinen Staatslehre angezweifelt, daß die Freiheitsrechte, jedenfalls soweit sie über den Bereich der Privatsphäre hinausragen, auch die Befugnis zum Nichtgebrauchmachen von der Freiheit garantieren; er postuliert vielmehr stattdessen eine Pflicht zum Gebrauchmachen, hinter der zwar keine staatliche Sanktion stehen könne, die aber von der Gesellschaft mit den ihr eigenen Ordnungs- und Zuchtmitteln eingefordert werde 90 . Im übrigen wird auch dort, wo die Existenz einzelner negativer Freiheitsrechte bestritten wird, die Figur der negativen Seite nicht generell verworfen, allenfalls zur Zurückhaltung und Differenzierung bei ihrer Anwendung auf die einzelnen Freiheitsrechte gemahnt91, ja sogar ihre Geltung fur die Freiheitsrechte im allgemeinen bestätigt92. Auch Befürworter bestimmter einzelner negativer Freiheitsrechte verzichten mitunter auf eine allgemeine Anerkennung der negativen Seite 93 . Sehr häufig aber trifft man auf die Auffassung, den Freiheitsrechten - mit Ausnahme von Art. 6 Abs. 2 GG - komme generell eine der positiven Seite korrespondierende negative Seite zu 9 4 . Diese 89

Hornel, Deutsches Staatsrecht I, S. 105; vgl. auch ders., NJW 1966, S. 18 (19). Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 542 f.; vgl. auch bereits S. 538 f. Krüger setzt sich dabei nicht mit seinen früheren Äußerungen zur negativen Koalitionsfreiheit und den negativen Freiheitsrechten allgemein auseinander, in denen er - bereits ausgehend von der Annahme, die Grundrechte riefen den Bürger, wenn auch ohne Zwang und Strafe, zum tätigen Freiheitsgebrauch auf und setzten ihn dabei bewußt gesellschaftlicher Einflußnahme aus - zu dem Schluß kam: "Eine Würdigung der Grundrechte sowohl auf ihren persönlichen Sinn wie vor allem auf ihre staatliche Funktion hat ergeben, daß mit jedem Grundrecht auch die Freiheit gesetzt ist, von den in ihm steckenden Möglichkeiten keinen Gebrauch zu machen, und daß auch dieser Sektor der einzelmenschlichen Selbstbestimmung nicht mit Mitteln beeinflußt werden darf, angesichts derer - analog den typisch staatlichen Mitteln des Befehls, des Zwanges und der Strafe - von einer Freiheit der Wahl nicht mehr gesprochen werden könnte." (BB 1956, 969 [971]); vgl. auch ders. t in: 46. DJT 1/1, S. 7 (92). 91 Amelungy Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S. 27 ff.; Scholler, DÖV 1967, 469; Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 163, 166. 92 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (33 f.); vgl. auch Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 87 (RN 170 f.); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 42. 93 Vgl. etwa Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 117 f. 94 Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); ders., ZBR 1988, 205 (206); Blankenagel, DÖV 1985, 953 (955, 957); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 63; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit (10. Aufl.), § 1 RN 75; Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157 90

38

1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

These ist i m Laufe der Zeit zunehmend verbreiteter und selbstverständlicher geworden. Es ist bezeichnend, daß sie heute in allgemeine Darstellungen der Grundrechte, also in Grundgesetzkommentare, verfassungsrechtliche Lehrbücher,

grundrechtstheoretische

und allgemein-grundrechtsdogmatische

Ab-

handlungen und Aufsätze weithin Eingang gefunden h a t 9 5 . Sie wird schließlich auch in der einzigen ausfuhrlicheren Untersuchung, die der Frage einer allgemeinen Anerkennung der negativen Seite gewidmet ist, von Merten mit Nachdruck vertreten 9 6 . U m eine bis dahin wohl schon stillschweigend mitbedachte, in einzelnen Bemerkungen insbesondere zu Art. 10 und Art. 13 G G sowie Art. 16 G G a . F . 9 7 auch schon angedeutete und aktuell gewordene Einschränkung und Präzisierung hat Merten dabei diese allgemeine Aussage ergänzt. Er unterscheidet zwischen Abwehrrechten

(Schutzrechten)

und

Handlungsrechten

(Darfrechten), welche durch Vornahme tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Handlungen in dem grundrechtlich geschützten Lebensbereich verwirklicht

(184 FN 61); Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 119 f.; Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, S. 31; Geiger, in: Staatslexikon (6. Aufl.) ΠΙ, Sp. 1122 (1125); Götz, in: WDStRL 41 (1983), S. 7 (15 f.); Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 116 FN 10; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1162); ders., in: Evangelisches Staatslexikon Π, Sp. 3112; ders., in: Gentechnologie. Chancen und Risiken 11, S. 23 (30); Hesse, in: Staatslexikon (7. Aufl.) Π, Sp. 1111 (1114); Huber, DÖV 1956, 135 (137); Isensee, DÖV 1982, 609 (615); H.H. Klein, Der Staat 10 (1971), 145 (164); KJoepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 26; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 19 f.; Krüger, BB 1956, 969 (971); Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 486; Merten, in: FS Stingi, S. 285; ders., DÖV 1990, 761; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 183; Rupp-von Brünneck, Die Grundrechte im juristischen Alltag, S. 19; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 42; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 61; Soell, Aspekte der Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18; Stober, NVwZ 1982, 473 (474); ders., Rechtstheorie 15 (1984), 39 (44); Uber, in: FS Schack, S. 167 (174); Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, S. 24 FN 36; Zeidler, in: Zeidler u. a., Das Recht auf Demonstration, S. 3 (8). 95 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 206; Bleckmann, Staatsrecht Π - Die Grundrechte, S. 285 f.; Brugger, JZ 1987, 633 (639); Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I RN 10, Art. 11 RN 39; Gallwas, Grundrechte, S. 21; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 54, Art. 5 Abs. I, Π RN 40, 47, Art. 8 RN 26; Hesse, Gnindzüge des Verfassungsrechts, RN 288; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 60; Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 128 RN 62; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Ait. 1 Abs. 3 RN 171; Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 53; Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1059 (1071); Randelzhofer, in: BK Art. 11 (Zweitbearb.) RN 55; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 74, 88. Eine Ausnahme bildet Stern, Staatsrecht ΙΠ/1, S. 629 f., wonach keineswegs jedem Grundrecht eine negative Dimension zukommen müsse, diese Feststellung vielmehr der Auslegung der einzelnen Grundrechte vorbehalten bleibe; in der Tendenz anders Stern, Staatsrecht I, S. 323: "Im Wesen eines subjektiven Rechts, zumal eines höchstpersönlichen, liegt es jedenfalls auch, von dem Recht nicht Gebrauch machen zu müssen". 96 Merten, VerwArch 73 (1982), 103 ff. 97 Wilke, a.a.O.

. Die Herleitung der negativen Seite

39

werden. Nur bei diesen Handlungsrechten könne sich überhaupt die Frage nach einer negativen Seite stellen, und fur diese sei sie zu bejahen: Jedes Grundrecht, welches die Vornahme bestimmter (positiver) Handlungen schütze, garantiere auch die Freiheit des Unterlassens entsprechender Handlungen 98 . Diese Präzisierung wird auch sonst in den jüngeren Stellungnahmen zumeist beachtet". Im Ergebnis läßt sich also feststellen, daß in der verfassungsrechtlichen Literatur die ganz vorherrschende, als selbstverständlich geltende Ansicht besteht, daß - mit Ausnahme von Art. 6 Abs. 2 GG - allen Freiheitsrechten, die als Handlungsrechte qualifiziert werden können, eine negative Seite zukommt.

I I . Die Herleitung der negativen Seite Der unterschiedlichen Beachtung und Bedeutung entsprechend sind auch die Bemühungen um die Herleitung der negativen Seite der einzelnen Freiheitsrechte in Rechtsprechung und Lehre von sehr unterschiedlicher Intensität gewesen. Die mit Abstand ausführlichste Diskussion hat es um die Anerkennung der - praktisch bedeutsamen und zugleich lange umstrittenen - negativen Koalitionsfreiheit gegeben, während für die Annahme der - im Grundsatz unbestrittenen - negativen Religionsfreiheit und der - praktisch bedeutungslos gestellten - negativen Vereinigungsfreiheit schon sehr viel weniger Rechtfertigungsbedarf bestanden hat. Zur negativen Seite der übrigen Freiheitsrechte findet sich selten mehr als eine apodiktische Feststellung. Ahnliches gilt - mit wenigen Ausnahmen - für die allgemeine Anerkennung einer negativen Seite der Freiheits- bzw. Handlungsrechte. Angesichts dieses uneinheitlichen Befundes fragt sich zunächst, ob es überhaupt eine gemeinsame Begründung für die Annahme der einzelnen negativen Freiheitsrechte gibt, diese also auf eine übergreifende, allgemeine Figur der negativen Seite zurückgeführt werden können (1.). Ist diese Feststellung getroffen, kann dann näher untersucht werden, was den Grund für die Anerkennung der allgemein-grundrechtsdogmatischen Figur der negativen Seite ausmacht (2.).

98 Merten, a.a.O.; ebenso ders., in: FS Stingi, S. 285; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 53; ders., DÖV 1990, 761. 99 Vgl. etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 206; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 23 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 RN 171; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 74.

40

1. Kap.: Die grundsatzliche Anerkennung einer negativen Seite

1. Die Interpretation der einzelnen Grundrechtsbestimmungen Hinter der Anerkennung der einzelnen negativen Freiheitsrechte steht in der Tat eine einheitliche Begründung, eine allgemein-grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite. Dies wird - sozusagen im Wege des Negativbeweises - dadurch belegt, daß es keine auf die Besonderheiten einzelner Grundrechtsbestimmungen abzielenden Argumente, in diesem Sinn keine Elemente der Einzelinterpretation der Grundrechte sind, die die Annahme der negativen Seite stützen sollen. a) Wortlaut Von hervorgehobener Bedeutung unter diesen Auslegungselementen ist der Wortlaut, denn der Text der fraglichen Grundrechtsbestimmungen erwähnt allein die positive Seite des aktiven Verhaltens; die negative Seite des Unterlassens ist gerade nicht angesprochen. Es ist eben dieser Umstand, der die Frage nach der Anerkennung der negativen Seite zu einem grundrechtsdogmatischen Problem werden läßt. Es kann deshalb nicht verwundern, daß der Wortlaut in den Stellungnahmen der Befürworter einer negativen Seite meist überhaupt keine Erwähnung findet. Wo sie darauf eingehen, reichen die Aussagen vom offenen Eingeständnis, daß der Normtext der Annahme einer negativen Seite eher entgegenstehe 100 oder jedenfalls für ihre Anerkennung nichts hergebe 101 , über die gängige Feststellung, die negative Seite sei im Wortlaut nicht ausdrücklich erwähnt und gehe über diesen hinaus 102 , bis zu der eleganten Wendung, das positive Tun sei im Verfassungswortlaut oftmals zumindest herausgehoben103. Für die Anerkennung der negativen Seite wird allerdings ins Feld geführt, daß die Grundrechte schon dem Begriff nach nur eine freiwillige bzw. "freie" Betätigung, eine "Freiheit" zur bzw. ein "Recht" auf Betätigung gewährleisten wollen 1 0 4 . Daß zu dieser "Freiheit" bzw. diesem "Recht" 105 auch die negative 100 Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 42; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 28; Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 123. 101 Bethge, JA 1979, 281 (283); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Π, S. 384; Monjau, in: FS Küchenhoff, S. 121 (126). 102 BAGE 20, 175 (216); Etzrodt, Der Gnindrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 93; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 252; Merten, MDR 1964, 806; ders., DÖV 1990, 761; Mronz, Köiperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 58 mit FN 5. 103 Merten, in: FS Stingi, S. 285. 104 BAGE 20, 175 (213); Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (33 f.); Eberle , DÖV 1977, 306 (308); Födisch, RdA 1955, 88 (90); von Münch, in: BK, Art. 9 (Zweitbearb.) RN 140; vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 412;

. Die Herleitung der negativen Seite

41

Seite gehört, ergibt sich aber nicht schon aus dem schlichten Wortsinn. Der Rekurs auf die Begriffe "Freiheit" oder "Recht" ist mehr als bloße Wortlautinterpretation, öffnet den Tatbestand der Grundrechte vielmehr dem Einfließen bestimmter Vorstellungen von grundrechtlicher Freiheit, die über die bloße Einzelinterpretation hinausgehend dem allgemeinen Grundrechtsverständnis gelten. Erst auf dieser abstrakteren Argumentationsebene soll der tragende Grund fur die Anerkennung der negativen Seite liegen. b) Sonstige Elemente der Einzelinterpretation Auch die sonstigen Elemente einer Einzelinterpretation, namentlich (entstehungs-)geschichtliche und systematische Erwägungen zu den einzelnen Grundrechten sollen die Annahme einer negativen Seite nicht eigentlich tragen. Immerhin aber werden sie - in unterschiedlichem Maß - zu ihrer Unterstützung herangezogen. Vor allem die Anerkennung der negativen Religionsfreiheit findet auf solche Weise Bestätigung. Im verfassungsgeschichtlichen Rückblick erkennt man in ihr den eigentlichen Ursprung des Grundrechts auf Religionsfreiheit 106, und es wird darauf verwiesen, daß die negative Bekenntnis- und Kultusfreiheit schon im 19. Jahrhundert und unter der Weimarer Reichsverfassung, insbesondere in der Anschütz'sehen Kommentierung der Preußischen Verfassung und der Art. 135, 136 W R V 1 0 7 , vom grundrechtlichen Schutz der Religionsfreiheit umfaßt waren 1 0 8 . Auch der heutige Art. 4 GG enthielt bis zur 57. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates in seinen Absätzen 3 und 4 besondere Bestimmungen zum Schutz vor jedem Zwang zur Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Π, S. 386; Müsch, Arbeitsrecht Π, S. 29; Hueck, Tarifausschlußklausel und verwandte Klauseln im Tarifvertragsrecht, S. 33. 105 Beide Begriffe sollen fur die Annahme einer negativen Seite gleichbedeutend sein. Das ist im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG betont worden, weil das Grundgesetz von dem "Recht" zur Bildung von Vereinigungen statt von "Vereinigungsfreiheit" wie in Art. 159 WRV spricht; so etwa Dietz, in: Die Grundrechte ΙΠ/1, S. 417 (456); Huber, a.a.O., S. 384 f.; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 21 f., und auch Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 54. Anderer Ansicht Bachmann, Von der Zwangskoalition zum Koalitionszwang, S. 10; Brinkmann, Grundrechts-Kommentar, Art. 9 Anm. I 5 a); Radke, AuR 1971, 4 (9 f.). 106 Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 59; Listi, in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (367); ders., in: FS Klecatsky, S. 571 (572). 107 Anschütz, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts Π, S. 675 (681 f., 684); ders., Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 135 Anm. 4, 5 (S. 619 ff.), Ait. 136 Anm. 4, 5 (S. 625 ff.); ders., Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, S. 192 f. 108 Darauf verweisen etwa Hess StGH, ESVGH 16, 1 (7); Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32 FN 9); ders., in: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (56 mit FN 40); Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1059 (1071).

42

1. Kap.: Die grundsatzliche Anerkennung einer negativen Seite

Teilnahme an Religionsübungen und zur Offenbarung der religiösen Überzeugung; diese Absätze fielen eher zufallig wieder aus der Grundrechtsbestimmung des Art. 4 GG heraus, weil man sich - aus anderen Gründen - zur pauschalen Übernahme der Weimarer Kirchenrechtsartikel durch Art. 140 GG entschloß 109 . Die besonderen grundgesetzlichen Gewährleistungen negativer Bekenntnis- und Kultusfreiheit in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 und 4 WRV werden üblicherweise als Konkretisierung und besondere Hervorhebung der entsprechenden negativen Freiheitsrechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu deren Bestätigung in Anspruch genommen 110 . Auch in den Begründungen für die Annahme einer negativen Seite des Art. 9 Abs. 3 GG nehmen historische und entstehungsgeschichtliche Ausführungen einigen Raum ein. Sie messen sich jedoch schon selbst einen geringeren Stellenwert, eine eher defensive Funktion bei, weil sie sich mit verbreiteten und gewichtigen Argumenten für einen ausschließlichen Schutz der positiven Koalitionsfreiheit auseinandersetzen müssen. Insbesondere die erste Phase der Entstehung des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit - ausgehend von der koalitionsfeindlichen Gesetzeslage in der Mitte des 19. Jahrhunderts über die Schaffung der §§ 152, 153 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund bzw. das Deutsche Reich und die Aufhebung des § 153 Gewerbeordnung im Jahre 1918 bis zur erstmaligen verfassungsrechtlichen Gewährleistung in Art. 159 WRV - wird häufig verstanden als ein Kampf allein um die Freiheit koalitionsmäßiger Betätigung, um die positive Seite 111 . Aus Sicht ihrer Befürworter ist die negative Seite freilich nur deshalb unbeachtet geblieben, weil sie in dieser Zeit wegen des Fehlens mächtiger Koalitionen noch selbstverständlich gegeben, in den Worten des Bundesarbeitsgerichts "allein maßgebend" war; ihrer Anerkennung unter veränderten Umständen könne dieser Befund deshalb nicht entgegenstehen112. Die weitere Entwicklung in der Weimarer Zeit brachte zwar Bemühungen um eine Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit, der Streit hierüber blieb jedoch - nach allseits geteilter Ein109

Vgl. von Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), S. 73 if., insb. 78 f. So bereits Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 135 Anm. 4, 5 (S. 619, 621), zum Verhältnis von Alt. 135 WRV zu Art. 136 Abs. 3, 4 WRV. Zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG vgl. BVerfGE 30, 415 (426); 46, 266 (267); 49, 375 (376); 65, 1 (39); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 59 FN 36; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 56, 58, 119 f.; ders., in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1162); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 13 f. 111 Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 192 f.; Däubler, in: Daubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (35); Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 88 (RN 172); Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 54; Hueck/Mpperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/Ι, S. 156; Radke, AuR 1971, 4 (8 f.). 112 BAGE 20, 175 (217); Dietz, in: Die Grundrechte m/1, S. 417 (454 f.); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 10 ff.; von Mangoldt, BB 1951, 621 (622 FN 7); Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 28; vgl. auch Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 48. 110

. Die Herleitung der negativen Seite

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Schätzung - in Rechtsprechung und Literatur unentschieden113, so daß die negative Koalitionsfreiheit nicht zum gesicherten Bestandteil des Grundrechts wurde. Auch bei der Schaffung des Grundgesetzes scheiterte der Versuch, den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG festzuschreiben; wie schon ein entsprechender Vorschlag im Herrenchiemseer Konvent, so wurde auch im Parlamentarischen Rat ein vom Grundsatzausschuß bzw. Allgemeinen Redaktionsausschuß vorgeschlagener Zusatz, der jeglichen Zwang zum Koalitionsbeitritt untersagen sollte, nach ausfuhrlichen, wechselhaft verlaufenden Beratungen schließlich vom Hauptausschuß in zweiter Lesung abgelehnt 114 . Nipperdey, Gamillscheg und andere sehen hierin ein durchschlagendes Argument gegen die Anerkennung der negativen Seite 115 . Entgegengehalten wird ihnen, diese Ablehnung habe nicht der negativen Koalitionsfreiheit als solcher, der Freiwilligkeit des Beitritts und dem Verbot von Koalitionszwang gegolten, sondern nur auf der Befürchtung beruht, eine ausdrückliche Gewährleistung im Text des Grundgesetzes könne in der Anwendung durch die Gerichte zu einer überzogenen Beschränkung gewerkschaftlicher Aktivitäten fuhren 116 . Angesichts dieser Diskussionslage können auch die Befürworter einer negativen Seite allenfalls das Resümee ziehen, historische Entwicklung und Entstehungsgeschichte sprächen zwingend weder für noch gegen die Anerkennung einer negativen Koalitionsfreiheit; ein Indiz für ihre Annahme können sie daraus kaum gewinnen 117 . Bei den sonstigen Freiheitsrechten spielen Argumente, die ihrer spezifischen Auslegung gelten, so gut wie keine Rolle. Zur negativen Seite des Art. 9 Abs. 1 GG - freilich weniger zu ihrer allgemeinen Herleitung als zur darauf aufbauenden Frage ihrer Anwendbarkeit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden - wird gelegentlich darauf hingewiesen, daß die Vereinigungsfreiheit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade auch in Ablö-

113 Dietz, a.a.O., S. 454; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 17 ff.; Galperin, in: FS Bogs, S. 87 (93 f.); Hueck/Nipperdey, a.a.O., S. 154 f.; Koch, a.a.O., S. 6; Monjau, in: FS Küchenhoff, S. 121 (123); Neumann, RdA 1989, 243 (244); Nikisch, a.a.O. 114 Vgl. von Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), S. 116 if.; näher dazu unten 5. Kapitel, Abschnitt Π 3. 115 Berghäuser, a.a.O., S. 194 f.; Galperin, a.a.O., S. 94; Gamillscheg, a.a.O., S. 55 ff.; ders., BB 1988, 555 (557); Hueck/Nipperdey, a.a.O., S. 157 mit FN 10; Wernicke, in: BK, Art. 9 (Erstbearb.), Erl. A II 1 a; siehe auch Ehrengerichtshof der Rechtsanwaltskammern der Britischen Zone, DVB1. 1952, 371. 116 BAGE 20, 175 (215 f.); Dietz, a.a.O., S. 456; Etzrodt, a.a.O., S. 104 f.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Π, S. 384 f.; Koch, a.a.O., S. 15; Nikisch, a.a.O., S. 30. 117 Vgl. etwa BAG, a.a.O.; Gernandt, Der Arbeitgeber 1954, 154; Koch, a.a.O., S. 9 ff. insb. S. 12, 16; Mayer-Maiy, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (20, 23); Monjau, a.a.O., S. 127 f.; Neumann, DB 1967, 1545 (1546); weitergehende Bewertung der Entstehungsgeschichte bei OLG Koblenz, NJW 1951, 366.

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1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

sung von herkömmlichen Zwangskorporationen entstanden sei 1 1 8 . Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 9 GG, soeben im Zusammenhang mit der negativen Koalitionsfreiheit bereits kurz wiedergegeben, wird mit Blick auf die negative Vereinigungsfreiheit herangezogen, ebenso die des Art. 5 Abs. 1 GG, dem nach einem später fallengelassenen Vorschlag des Grundsatzausschusses eine besondere Regelung zum Schutz vor dem Zwang zur Offenbarung der politischen Uberzeugung hatte beigefugt werden sollen 119 ; die Genese erlaubt aber auch hier selbst bei wohlwollender Interpretation kaum mehr als die Feststellung, daß sie der Anerkennung einer negativen Seite der beiden Freiheitsrechte nicht entgegenstehe120. Im Zusammenhang mit den verschiedensten Grundrechten werden schließlich zwei historisch bzw. systematisch ansetzende Argumente vorgebracht, um die Anerkennung der negativen Seite zu stützen. Entstehungsgeschichtlich wird auf die bewußte Distanzierung des Grundgesetzes vom totalitären System des Dritten Reichs hingewiesen, zu dessen Praxis der Zwang zum Bekunden einer bestimmten Meinung, zur Teilnahme an bestimmten Versammlungen, zum Anschluß an bestimmte Vereinigungen, zu bestimmter Berufstätigkeit gehört habe 1 2 1 . Und in einem weitreichenden systematischen Schluß wird die Anerkennung einzelner negativer Freiheitsrechte immer wieder gefolgert aus der mehr oder weniger gesicherten Anerkennung der negativen Seite anderer Grundrechte; dabei bezieht man sich auf die negativen Freiheitsrechte aus Art. 4 und Art. 9 GG, deren Anerkennung als paradigmatisch gewertet w i r d 1 2 2 , oder auf Art. 2 Abs. 1 GG, der als allgemeines Freiheitsrecht in sich den Schutz von Tun und Unterlassen vereine und dem darin die speziellen Freiheitsrechte als seine Konkretisierung fur einzelne Lebensbereiche entsprechen

118

Etzrodt, a.a.O., S. 9 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 819; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29), alle unter Bezugnahme auf Müller, Korporation und Assoziation, insb. S. 231 ff., 344. 119 Vgl. von Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), S. 84 f., 88. 120 Vgl. zu Art. 5 Abs. 1 GG von Mangoldt, GG, Art. 5 Erl. 1; Merten, DÖV 1990, 761. Zu Art. 9 Abs. 1 GG Etzrodt, a.a.O., S. 104 f.; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 59 FN 5; von Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (82); kritisch dazu jedoch Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 277 FN 22, und Rübenach, "Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit" und Vereinigungsfreiheit, S. 22 ff. 121 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (33); ders., Das Arbeitsrecht I, S. 88; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 87 (RN 171); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 17 ff.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifveitragsgesetz, S. 42; Merten, in: FS Stingi, S. 285 (286, 303); Mronz, a.a.O., S. 230; Weber, in: FS Bogs, S. 211 (216). 122 So ausdrücklich Merten, a.a.O., S. 285; vgl. weiter Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 43; Lerche, in: Die Grundrechte IV/1, S. 447 (483); Merten, MDR 1964, 806; Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 124; Zeidler, in: Zeidler u.a., Das Recht auf Demonstration, S. 3

(8).

II. Die Herleitung der negativen Seite

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müßten 123 , oder schließlich auf die - übrigen - Grundrechte ganz allgemein 1 2 4 . Wie sich hierin zeigt, gelten diese Erwägungen freilich nicht mehr der historischen Entwicklung und Entstehung und systematischen Stellung einer bestimmten einzelnen Grundrechtsbestimmung, sondern dem allgemeinen Verständnis von Funktion und Reichweite der Freiheitsrechte des Grundgesetzes.

2. Die These vom gleichrangigen Schutz der Aktivität und der Passivität Die - gegen den ersten Anschein des Wortlauts und im wesentlichen ohne Rechtfertigung durch die sonstigen Gesichtspunkte der Auslegung einzelner Grundrechtsbestimmungen - ausgesprochene Anerkennung der negativen Seite einzelner Freiheitsrechte bzw. der Handlungsrechte allgemein hat eine übereinstimmende Grundlage auf abstrakterer Argumentationsebene: "Die Anerkennung einer negativen Grundrechtskomponente oder negativer Grundrechte schlechthin hängt entscheidend von dem Zweck und der Funktion der Grundrechte ab" 1 2 5 . Ihr tragender Grund ist die grundrechtstheoretisch begründete These vom gleichrangigen Schutz der Aktivität und der Passivität durch die Freiheitsrechte des Grundgesetzes; diese sollen nicht eine bestimmte, nämlich die aktive Verhaltensform privilegieren und deshalb - nach der Formulierung Mertens - nicht nur eindimensionale Handlungs-, sondern mehrdimensionale Verhaltensgarantien darstellen 126.

123 Etzrodt, a.a.O., S. 107; Gernandt, Der Arbeitgeber 1954, 154 (155); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Π, S. 385; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 117 f.; Mronz, a.a.O., S. 58; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung, S. 61. 124 Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit (10. Aufl.), §1 RN 75; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon Π, Sp. 3112 f.; Krüger, BB 1956, 969; Röhl/, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 183. 125 Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (104); vgl. auch Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (31). 126 Merten, a.a.O., S. 106; ders., JuS 1976, 345 (346); ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 53. Ähnlich prägnante Formulierungen dieser These finden sich etwa auch bei Bethge, NJW 1982, 2145 (2147): "Freiheit ist ein Tun und Unterlassen."; Brugger, JZ 1987, 633 (639): "Verfassungsrechtlich sind positive und negative Grundrechtsfreiheit gleichwertig ..."; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 RN 112: "Ob der Bürger sich mehr passiv oder mehr aktiv in den öffentlichen Dingen verhält, beeinflußt seinen Status bei der Abwehr staatlicher Eingriffe nicht. Beides wird von den Grundrechten geschützt."; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 42: "Grundrechtliche Freiheit heißt also Einheit von positiver und negativer Rechtsgewährleistung."

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1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

a) Die Grundannahme eines negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs Ausgangspunkt und elementarste Voraussetzung für die Herleitung dieser These ist die Grundannahme eines negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs, der - thesenartig zusammengefaßt - Freiheit als individuelles Belieben, als "Freiheit schlechthin" versteht und den grundrechtlichen Schutz von Freiheit in der Abwehr äußerer, insbesondere hoheitlicher Einwirkungen auf die subjektive Willkür des einzelnen Grundrechtsträgers sieht 127 . Ein positiver (objektiver, materialer) Freiheitsbegriff zeichnet sich demgegenüber - wie auch immer er inhaltlich gefaßt sein mag - dadurch aus, daß die Freiheit inhaltlich determiniert erscheint; die Freiheitsbetätigung des einzelnen wird von vornherein an vorgegebenen Werten oder Zwecken orientiert, in objektiv-rechtliche oder institutionelle Freiheitsordnungen eingefugt gedacht. Wird ein solches Freiheitsverständnis der Interpretation der Grundrechte zugrunde gelegt, so folgt daraus eine grundrechtlich legitimierte Bewertung des individuellen Freiheitsgebrauchs und in letzter, meist freilich nicht ausdrücklich gezogener Konsequenz die rechtliche Verpflichtung des einzelnen zu einem bestimmten Freiheitsgebrauch 128. Von einer solchen grundrechtstheoretischen Position aus ist die Herleitung der negativen Seite ausgeschlossen, weil die ausdrücklich genannte Vornahme und die Unterlassung einer bestimmten Handlung im Hinblick auf die vorgegebenen Zwecke der Freiheitsgewährleistung, im Rahmen der objektiven Freiheitsordnung nicht - wie es erforderlich wäre - als prinzipiell gleichrangig, gleichermaßen schützenswert dargestellt werden können 129 . Der Versuch, die Annahme einer - nicht nur moralischen, sondern rechtlichen, wenn auch vielleicht sanktionslosen - Pflicht zum "rechten" Grundrechtsgebrauch mit der Anerkennung einer negativen Seite zu verbinden, kann deshalb nicht gelingen 130 . Schon das Beispiel des Art. 6 Abs. 2 GG belegt, daß ein - hier im Normtext ausdrücklich genanntes 127 Zur grundrechtstheoretisch zentralen Unterscheidung von formalem und materialem bzw. subjektivem und objektivem, negativem und positivem Freiheitsverständnis - die Terminologie ist insoweit nicht ganz einheitlich - vgl. zuletzt ausführlich und mit umfangreichen Nachweisen Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 54 ff. 128 Vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533, 1535). 129 Geradezu schulmäßig führt das Arndt, in: FS Kunze, S. 265 (266), vor: "Die Grundrechtsnormen der Verfassung sind Grundwert-Entscheidungen. Der Art. 9 Abs. 3 GG konstituiert die Grundentscheidung, daß Koalitionen von Wert sind und sie deshalb als Verfassungsgüter zu schützen sind. Die Entscheidung, daß es für die Gemeinschaft wertvoll ist, die Koalitionsfreiheit durch das Bilden von Koalitionen zu verwirklichen, würde sinnlos, wollte man behaupten, es sei ebenso wertvoll, die Koalitionsfreiheit nicht zu verwirklichen, also keine Koalitionen zu bilden." 130 So aber Geiger, in: Staatslexikon (6. Aufl.) ΙΠ, Sp. 1122 (1125 f.). Ähnlich unstimmig erscheint, nimmt man seine verschiedenen Äußerungen zusammen, auch die Position Krügers (vgl. oben bei und in FN 90).

. Die Herleitung der negativen Seite

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Pflichtmoment der Anerkennung einer negativen Seite entgegensteht. Dies wird bestätigt durch einzelne Beispiele einer Ablehnung des Schlusses auf eine negative Seite bei Grundrechten, die nicht ausdrücklich als Pflichtrecht formuliert sind, deren Interpretation aber ein positives Freiheitsverständnis, ζ. B. in Gestalt der Menschenbildformel des Bundesverfassungsgerichts mit ihrer Betonung der Gemeinschaftsbindung oder eines funktionellen, institutionellen, werthaften Grundrechtsverständnisses, unterlegt w i r d 1 3 1 . Ein solches Freiheitsverständnis ist auch die Grundlage fur die generelle Ablehnung negativer Freiheitsrechte bei Hamel und Krüger. Hamel geht von der Sinnbestimmtheit der Freiheit und der Grundrechte aus, die für ihn Institutionen der Freiheit, nicht Garantien beliebigen Verhaltens sind 1 3 2 . Krüger sieht die Grundrechte in ihrer Funktion als Elemente der Staatshervorbringung und gelangt so zu einer nicht mit staatlichen Sanktionen versehenen, aber von der Gesellschaft eingeforderten Pflicht zum Gebrauchmachen von der Freiheit 133 . Gerade aus der Ablehnung einer inhaltlichen Überdetermination des individuellen Grundrechtsgebrauchs heraus wird die negative Seite der Freiheitsrechte anerkannt. Sie erscheint dabei mal vermittelnd als immanente Begrenzung eines Grundrechtsverständnisses, das auch die überindividuellen Zwecke und Funktionen der Grundrechtsgewährleistung mit in den Blick nimmt; dafür steht exemplarisch die allgemeine Anerkennung der negativen Seite durch Hesse: "Die Grundrechte normieren den Status von Bürgern, die sich nicht bloß in einer Sphäre privater Beliebigkeit gegen den 'Staat' abschirmen, sondern die frei und selbstverantwortlich ihr Leben gestalten und an den Angelegenheiten des Gemeinwesens mitwirken sollen. Solche 'positive' Freiheit ist freilich mißverstanden, wenn aus ihr die Verpflichtung zu einem bestimmten Gebrauch der Freiheit hergeleitet wird, mit der Konsequenz, daß jeder andere Gebrauch nicht mehr durch die Grundrechte geschützt wird. Denn wenn es der Verfassung auch um die positive Aktualisierung der Inhalte der Grundrechte geht, so geht es ihr doch ebenso um die Freiheit dieser Aktualisierung, die nur gegeben ist, wo eine Alternative besteht. Deshalb ist stets nicht nur die positive Freiheit, einen Glauben zu bekennen, eine Meinung zu äußern, eine Vereinigung zu bilden usw. gewährleistet, sondern ebenso die negative Freiheit, keinen Glauben zu bekennen, keine Meinung zu äußern, keiner Ver131 Vgl. zu Art. 5 Abs. 1, 3 GG Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 163, und die weiteren Beispiele oben in FN 57 sowie zu Art. 9 Abs. 3 GG Arndt, a.a.O.; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 59; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 36. Wenn Götz, in: WDStRL 41 (1983), S. 7 (16), die Vereinbarkeit der Bejahung negativer Freiheitsrechte mit der Menschenbildformel betont, beruht dies darauf, daß er diese nur "zur Verdeutlichung von Grenzen der Grundrechte und als Legitimation zulässiger Grundrechtsbeschränkungen" verwendet wissen will; vgl. auch Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 20. 132 Hamel, Deutsches Staatsrecht I, S. 80 ff., 105 f. 133 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 538 ff.

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1. Kap.: Die grundsatzliche Anerkennung einer negativen Seite

einigung beizutreten usw. . . . " 1 3 4 . Zumeist aber ist die Anerkennung der negativen Seite der Freiheitsrechte verbunden mit der - teils scharf formulierten - Kritik an grundrechtstheoretischen Ansätzen, die die individuelle Freiheit in institutionellen, funktionalen oder werthaften Zusammenhängen sehen, und wird ihnen gerade als Zeichen strikter Ablehnung entgegengesetzt 135 .

b) Der Schluß auf eine negative Seite Diesen negativen Freiheitsbegriff - ausdrücklich oder stillschweigend - zugrundelegend erfolgt die Ableitung der negativen Seite aus diesem Freiheitsbegriff zumeist wie selbstverständlich. Sie erscheint als notwendiges Korrelat, als Kehrseite, Gegenstück oder Spiegelbild der ausdrücklich genannten positiven S e i t e 1 3 6 . W i e eine nähere Betrachtung der einschlägigen Stellungnahmen zeigt, wird der Zusammenhang zwischen dem ausdrücklichen Schutz der positiven Seite und der Anerkennung der negativen Seite des Freiheitsrechts auf mehreren, wenn auch keineswegs immer scharf unterschiedenen Ebenen dargelegt, wobei er zugleich unterschiedlich eng erscheint.

134 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 288. Vgl. auch Brugger, JZ 1987, 633 (639); Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 25 f.; Krüger y BB 1956, 969 (971); Soell, Aspekte der Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18. 135 So insb. bei Merten, VenvArch 73 (1982), 103. Vgl. weiter Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, Π, RN 13; Isensee, DÖV 1982, 609 (614 f.); H.H. Klein, Der Staat 10 (1971), 145 (163 f.); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 19 ff.; Merten, BayVBl. 1978, 554 (557); ders., DÖV 1990, 761 (768 f.). 136 Zur Verwendung dieser und ähnlicher Begriffe vgl. bereits Oertmann, Deutsches Arbeitsvertragsrecht, S. 272, der die negative Koalitionsfreiheit als "selbstverständliche Kehrseite" in Art. 159 WRV verankert sah, sowie unter dem Grundgesetz etwa Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 42 f. mit FN 37; Dietlein, AuR 1970, 200 (202); Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 152 RN 69; von Hoyningen-Huene, AR-Blattei, SD 1650.1 "Vereinigungsfreiheit/Koalitionsfreiheit I" RN 74; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 198, 252; Hueck, Tarifausschlußklausel und verwandte Klauseln im Tarifvertragsrecht, S. 33; Lerche, in: Die Grundrechte IV/1, S. 447 (481); Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 9 RN 70; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 205; Monjau, in: FS Küchenhoff, S. 121 (130, 132); Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 58; Neumann, DB 1967, 1545 (1546); Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 29; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 88, 221; ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 42, 64 FN 9; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 82; ders., NJW 1990, 941 (942); Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 123 f.; Zeidler, in: Zeidler u. a., Das Recht auf Demonstration, S. 3 (8); Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 25; Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 89.

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aa) Die negative Seite als logisch-begriffliches Korrelat Am direktesten erfolgt die Ableitung, wenn dieser Zusammenhang als logisch oder begrifflich zwingend, die negative Seite als logisch-begriffliches Korrelat der positiven Seite behauptet w i r d 1 3 7 . Diese Annahme beruht in ihrem Kern darauf, daß die - mitunter ausdrücklich der Philosophie oder Staatstheorie entlehnte 138 - These von der Untrennbarkeit der Freiheit zum Tun und der Freiheit vom Zwang zum Tun als unabdingbarer Bestandteil auch eines negativen Begriffs grundrechtlicher Freiheit angesehen wird. So hat zuletzt etwa Alexy argumentiert, rechtliche Freiheit müsse, solle sie negative Freiheit sein, immer Handlungsalternativen, also auch die negative Handlungsalternative gewährleisten 139; darauf aufbauend qualifiziert er die Grundrechte als explizite Erlaubnisnormen, die offenbar sowohl eine Handlung als auch deren Unterlassung erlauben sollen 1 4 0 . Dies entspricht dem verbreiteten Schluß von der durch die Grundrechte gewährleisteten Freiheit der Auswahl und des Wechsels unter verschiedenen Handlungsalternativen auf den Schutz auch des Nicht-Tuns, von der Freiheit des "Wie" auf die des "Ob" des Handelns 141 . Schließlich wird der so gefaßte Begriff grundrechtlicher Freiheit nicht selten implizit vorausgesetzt: Das Argument, die Grundrechte enthielten schon in ihrem Tatbestand das Merkmal der "Freiheit" der geschützten Betätigung und müßten deshalb begriffsnotwendig auch vor dem Zwang zu dieser Tätigkeit schützen 142 , wird ebenso erst mit dieser Prämisse schlüssig wie auch die Annahme, ohne Schutz der negativen Seite würden die Grundrechte ihren Cha-

137 So bereits zu Art. 136 WRV Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 136 Anm. 4 (S. 625); vgl. auch ders., Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat, S. 192. Zur Rechtsprechung unter dem Grundgesetz siehe etwa OLG Koblenz, NJW 1951, 366; HessStGH, ESVGH 16, 1 (7); BAGE 20, 175 (215); zur Literatur unter dem Grundgesetz Gastroph, Die politischen Vereinigungen, S. 67; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 54; von Hoyningen/Huene, a.a.O.; Huber, a.a.O., S. 252; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 26; von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, GG, Art. 140 GG/Art. 136 WRV RN 35; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 12; Monjau, a.a.O., S. 130; Mronz, a.a.O., S. 57; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 42. 138 So Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 107, Gastroph, a.a.O.; Scholz, a.a.O., S. 42 FN 7, unter Verweis auf Nicolai Hartmann; Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (105), unter Bezugnahme auf Pufendorf. 139 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 197 ff., 203. 140 Alexy, a.a.O., S. 206; ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 288. 141 Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 64; Koch, a.a.O., S. 19, 25; von Mangoldt, BB 1951, 621; von Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O.; Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 55 ff.; Monjau, a.a.O., S. 127, 130; Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 28 f.; Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 RN 26; Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 124. 142 Vgl. dazu oben in FN 104.

4 Hellermann

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1. Kap.: Die grundstzliche Anerkennung einer negativen Seite

rakter als subjektive Rechte 143 bzw. als Freiheitsverbürgungen verlieren und zu "gesellschaftspolitischen Lenkungsvorschriften" denaturiert, umgewandelt in Grundpflichten 144. bb) Die negative Seite als sachlich notwendiges Korrelat In anderen Stellungnahmen wird zwar kein unmittelbarer Umschlag in verfassungsrechtliche Grundpflichten befurchtet, wegen des sonst mangelnden Grundrechtsschutzes gegenüber einer - gesetzlichen - Inpflichtnahme jedoch die negative Seite als sachlich notwendiges Korrelat angesehen und ihre Anerkennung um der Effektivität der Grundrechtsgewährleistung willen gefordert 1 4 5 . Damit wird der faktische Zusammenhang zwischen der ausdrücklich geschützten positiven Seite und der negativen Seite der Freiheitsrechte betont. Die ausdrückliche Garantie freien Tuns - so lautet die Überlegung - könne umgangen werden und leerlaufen, wenn in dem jeweiligen Lebensbereich die Bürger zur Betätigung gezwungen und damit ihre Möglichkeiten zu eigener, freier Betätigung absorbiert werden könnten 146 . Zur Bekräftigung wird dabei auf eine verstärkte Tendenz zu solcher Vereinnahmung des Individuums unter den heutigen Bedingungen des interventionistischen Sozialstaats und der technisierten Industriegesellschaft hingewiesen147. cc) Die negative Seite als freiheitsrechtlich notwendiges Korrelat Diese Begründungsansätze, insbesondere die logisch-begriffliche Ableitung, werden freilich auch unter den Befürwortern einer negativen Seite als unzureichend, weil dem normativen Gehalt dieser grundrechtsdogmatischen 143

Vgl. dazu Koch, a.a.O., S. 19 f., 22 f. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Ait. 4 RN 78, Art. 5 Abs. I, Π RN 40; von Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 226; ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 42. 145 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 252; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 58. 146 Vgl. zu Art. 9 GG, wo dieses Argument - zur Herleitung der negativen Seite und zu ihrer Erstreckung auf öffentlich-rechtliche Zwangsverbände - eine hervorgehobene Rolle spielt, BVerfGE 38, 281 (302); Dietz, in: Die Grundrechte m/1, S. 417 (455 f.); von Mangoldt, BB 1951, 621; Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 55; Mronz, a.a.O., S. 222 f.; von Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (83); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 816, 819; Quidde, DÖV 1958, 521 (522 f.); Rode, DÖV 1976, 841 (845); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 90. Vgl. weiter Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 118; ders., in: FS Stingi, S. 285 (286). 147 Dietz, a.a.O., S. 453; Eberle, DÖV 1977, 306 (310); Lerche, in: Die Grundrechte IV/1, S. 447 (484); von Münch, in: BK, Art. 9 (Zweitbearb.) RN 140; Randelzhofer, in: BK, Art. 11 (Zweitbearb.) RN 55; Weber, in: FS OLG Celle, S. 239 (242). 144

Π. Die Herleitung der negativen Seite

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Figur noch nicht gerecht werdend, kritisiert 148 . Für ihre Anerkennung wird damit eine über die Grundannahme eines negativen Freiheitsbegriffs hinausgehende, weitere interpretatorische und insbesondere grundrechtstheoretische Rechtfertigung erforderlich. Das deutet sich schon sprachlich an, wenn die negative Seite als "freiheitsrechtlich notwendiges Korrelat", als Bestandteil jedes "echten", "wahren" oder "wirklichen", jedes "eigentlich rechtsstaatlichen" Freiheitsrechts bezeichnet w i r d 1 4 9 . Zu dieser weiteren Rechtfertigung sollen manchmal schon bloße Plausibilitätsargumente reichen; die Einbeziehung der Unterlassensfreiheit in den Schutzbereich des thematisch einschlägigen speziellen Freiheitsrechts gilt als "Selbstverständlichkeit" oder jedenfalls als "nächstliegende Möglichkeit", eine andere Interpretation als nicht recht einsichtig 150 . Andere rekurrieren auf allgemeine Auslegungsmaximen wie die des "in dubio pro libertate" oder den "Grundsatz der Grundrechtseffektivität" 151 oder beschwören die Menschenwürdegarantie, den personalen Bezug oder den verstärkten Individualschutz im Grundrechtsteil des Grundgesetzes 152. Der zentrale, zugleich grundrechtstheoretisch gehaltvollste Begründungstopos aber ist der Hinweis darauf, daß die Grundrechte "Freiheitssphären" (Freiheitsbereiche, Freiheitsräume, freie Rechtsräume, die Freiheit von Lebensbereichen) garantieren wollen 1 5 3 .

148 Eberle , a.a.O., S. 308; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 95, 98; Gernandt, Der Arbeitgeber 1954, 154; Mayer-Maly, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (20); Neumann, DB 1967, 1545 (1546). 149 Vgl. dazu etwa Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32); Dietz, a.a.O., S. 455; Huber, DÖV 1956, 135 (137); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 88, 221; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 82. 150 Vgl. etwa Bethge, JA 1979, 281 (283); Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 43; Däubler, in: Däubler/MayerMaly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (33); Etzrodt, a.a.O., S. 95 f., 106 f.; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon Π, Sp. 3112; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 494; Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 61. 151 Vgl. dazu Bethge, a.a.O.; Etzrodt, a.a.O., S. 93 f.; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 217 (zur Erstreckung der negativen Vereinigungsfreiheit auf öffentlich-rechtliche Zwangsverbände). 152 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearb.) RN 286; Dietz, a.a.O., S. 456; Födisch, RdA 1955, 88 (90 ff.); Gernandt, a.a.O., S. 154 f.; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 17 ff.; Merten, in: FS Stingi, S. 285 (303); Nikisch, Arbeitsrecht Π, S. 29; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 890; Schmidt-Jortzig, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 141 RN 27. 153 Zur Verwendung dieser Begriffe im Zusammenhang mit der Herleitung negativer Freiheitsrechte vgl. u. a. BVerfGE 12, 1 (3); 44, 37 (49); 58, 358 (364); Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32); Dietlein, AuR 1970, 200 (202); Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 24, 26; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 RN 112; Mayer-Maly, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (21); Merten, MDR 1964, 806; ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 118; ders., JuS 1976, 345 (346); ders., VeiwArch 73 (1982), 103 (104); ders., in:

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1. Kap.: Die grundsatzliche Anerkennung einer negativen Seite

Diese - häufig nur schlagwortartig in Bezug genommene - Freiheitssphären-Vorstellung bringt ein spezifisch liberal-rechtsstaatliches Verständnis von Funktion und Reichweite der Grundrechte auf den Begriff, das deren eigentliches Anliegen darin sieht, einzelne Lebensbereiche als staatsfreie Sphären, als Bereiche individueller bzw. gesellschaftlicher Freiheit auszugrenzen und gegen jegliche Eingriffe abzuschirmen. Sie gewinnt noch deutlichere Konturen, wo sie näher - unter einem rein individuellen oder einem gesellschaftlichglobalen Blickwinkel, mit Augenmerk auf das Verhältnis Bürger-Staat oder das Bürger-Bürger-Verhältnis - betrachtet wird. Mit Blick auf den einzelnen Grundrechtsträger geht es ihr um die Sicherung eines persönlichen Freiraums, in dem das Individuum in völliger Souveränität, ohne Beschränkung durch andere, ohne Zwang zur Rechtfertigimg oder auch nur Offenbarung der Motive gegenüber anderen über sein Tun und Lassen befinden kann. Hinsichtlich der Handlungsrechte mit ihrer negativen Seite steht im Vordergrund die Vorstellung umfassender Entscheidungs- oder Entschließungsfreiheit über das "Ob" und "Wie" des äußeren Verhaltens 154 , dahinter aber auch das Anliegen einer noch weitergehenden Abschirmung der individuellen Privat- und Intimsphäre, Persönlichkeit, Würde 1 5 5 . So gilt als Schutzzweck der - durch die Annahme einer negativen Seite tatbestandlich abgerundeten - Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG die informationelle oder kommunikative Selbstbestimmung bzw. die Möglichkeit zur Wahrung der Übereinstimmimg mit sich selbst in der Kundmachung seines Inneren nach außen 156 . Auch sonst soll die - durch die Freiheitsrechte mit ihrer positiven und negativen Seite gewährleistete - Freiheitssphäre den einzelnen auch in ideeller oder informationeller Hinsicht gegenüber der Außenwelt schützen, indem sie ihn davor bewahrt, sich durch ein erzwungenes (Mit-)Tun mit dessen innerlich abgelehnten Inhalten identifizieren lassen oder aber, bei einer Weigerung, die zugrundeliegenden Überzeugungen oder Motive offenbaren zu müssen 157 . Diese persönliche Freiheitssphäre ist in erster Linie gedacht als Schutzschild gegen staatliche Einwirkungen; dieses wird Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 53; Rupp-von Brünneck, Die Grundrechte im juristischen Alltag, S. 19. 154 Vgl. dazu beispielsweise Badura, Staatsrecht, C 93; Dietz, in: Die Grundrechte m/1, S. 417 (455); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8 RN 26; Koch, a.a.O., S. 19; Merten (an den vorstehend zitierten Stellen). 155 Zur Berufung hierauf vgl. bereits oben FN 152. In diesem Sinn attestiert Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 64, der negativen Koalitionsfreiheit eine "starke ideelle Seite". 156 Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 43 f.; Eberle, DÖV 1977, 306 (308); Merten, DÖV 1990, 761 (768); Röhl/, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 185. 157 Vgl. etwa zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG HessStGH, ESVGH 16, 1 (9), und BVerfGE 52, 223 (248 f.), sowie zu Art. 9 Abs. 3 GG BAGE 20, 175 (215).

. Die Herleitung der negativen Seite

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aber auch, im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG sogar vorrangig gegen mögliche Beeinträchtigungen durch andere Private gewendet. In einer über den einzelnen Grundrechtsträger hinausblickenden Betrachtungsweise sieht die Freiheitssphären-Vorstellung in den Grundrechten Bereiche gesellschaftlicher Freiheit und Pluralität umschrieben, also etwa in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG die Freiheitlichkeit des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses 158, in Art. 9 Abs. 1 GG das freie Vereins- oder Gruppenwesen 159 und in Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionspluralismus 160 garantiert. Die so formulierte Freiheitssphären-Vorstellung präsentiert sich als ein Gegenmodell zu ständisch-korporativen und insbesondere zu totalitären Systemen 161 . Indem sie sich in erster Linie gegen staatliche Interventionen in diese gesellschaftlichen Bereiche richtet, ist sie deutlicher Ausdruck der liberal-rechtsstaatlichen Maxime der Trennung von Staat und Gesellschaft; wird der Akzent stärker auf die notwendige Pluralität innerhalb dieser gesellschaftlichen Bereiche gesetzt, kann sie aber auch auf Freiheitsschutz gegenüber gesellschaftlichen Kräften abzielen.

158

Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearb.) RN 286. BVerfGE 38, 281 (303); Gastroph, Die politischen Vereinigungen, S. 67; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 410, 414; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 198, 252; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 224; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 88. 160 BAGE 20, 175 (215); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 24 f.; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 25. 161 Zum entstehungsgeschichtlichen Argument der bewußten Distanzierung vom nationalsozialistischen Regime vgl. bereits oben FN 121. Vgl. weiterhin zu dieser anti-korporativen und anti-totalitaren Abwehrrichtung der negativen Seite BVerfGE 38, 281 (303); Böttcher, a.a.O., S. 42 f.; Dietel/Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsrecht (8. Aufl.), § 1 RN 17; Hesse, a.a.O., RN 410; Röttgen, in: Von den Grundrechten des Soldaten, S. 47 (66 ff.); Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (119 ff.); Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 123. 159

2. Kapitel

Die negativen Freiheitsrechte im Staat-Bürger-Verhältnis In der durch die einzelnen Freiheitsrechte jeweils gewährleisteten Freiheitssphäre obliegt der negativen Seite der Schutz einer rein privaten, staatsabgewandten Freiheit des Individuums. Dem ist im Verhältnis zum Staat - jedenfalls solange dies ein bloß zweipoliges zwischen dem einen Grundrechtsträger und dem Staat ist und nicht durch Einbeziehung Dritter mit den daraus entstehenden Konflikten zum dreipoligen Verhältnis wird - Genüge getan, wenn der Bürger nicht in Anspruch genommen wird. Eines staatlichen Verfahrens, einer helfenden Organisation bedarf er zur Realisierung seiner Unterlassensfreiheit nicht. Allein die Frage, ob er in seinem Unterlassen Anspruch auf staatliche Hilfe in Gestalt finanzieller Unterstützung haben kann, kann sich stellen1 ; sie ist auch - im Zusammenhang mit der negativen Berufsfreiheit - gelegentlich gestellt, zugleich aber mit der entschiedenen Ablehnung eines solchen Leistungsanspruchs beantwortet worden 2. So sind im Staat-Bürger-Verhältnis die negativen Freiheitsrechte zunächst nur in der klassischen, liberal-rechtsstaatlichen Grundrechtsfunktion als subjektive Abwehrrechte gegen hoheitlichen Zwang gefordert. Die Wirkung der negativen Freiheitsrechte in dieser staatsgerichteten Abwehrfunktion näher zu untersuchen, ist Aufgabe dieses Kapitels. In den ersten drei Teilkapiteln geht es der Frage nach, wann ein hoheitlicher Eingriff in den Schutzbereich der negativen Freiheitsrechte vorliegt. Dabei geht es zunächst um die allgemeine Bestimmung des Schutzbereichs der negativen Seite der Freiheitsrechte (I.), sodann um zwei besonders wichtige Einzelprobleme zur Reichweite der negativen Freiheitsrechte: Anknüpfend an die vieldiskutierte Frage des Grundrechtsschutzes gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden wird einerseits untersucht, ob ihr Schutz auf den Bereich privatrechtlicher Betätigungen beschränkt sein muß (II.); insbesondere mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 1 GG wird andererseits gefragt, ob und inwieweit ihr Schutz auf die Abwehr jeglicher Störung in der

1

Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 110, meint zu Unrecht, alle negativen Freiheiten seien vom finanziellen Status völlig unabhängig; Mangel an Geld dürfte wohl die größte faktische Bedrohung der Freiheit zur Berufslosigkeit sein. 2 Merten, in: FS Stingi, S. 285 (295, 303 ff.); Papier, DVB1. 1984, 801 (806); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Ait. 12 RN 2 f.; Zöbeley, in: FS Faller, S. 345 (355); vgl. auch Bachof\ in: Die Grundrechte ΙΠ/1, S. 155 (257), zur Annahme einer Pflicht, erforderlichenfalls nach Maßgabe der Kräfte zur Beschaffung des eigenen notwendigen Lebensunterhaltes zu arbeiten.

I. Die grundsatzliche Bestimmung des Schutzbereichs

55

geschützten Freiheitssphäre auszudehnen ist (III.). Abschließend, im vierten Teilkapitel, interessiert dann, ob und inwieweit Eingriffe in die negativen Freiheitsrechte als verfassungsrechtlich gerechtfertigt gelten (IV.).

I . Die grundsätzliche Bestimmung des Schutzbereichs Der Ableitung von der ausdrücklich normierten positiven Seite der Freiheitsrechte entsprechend erfolgt die nähere Bestimmung des Schutzbereichs der negativen Seite in Anlehnung an die positive Seite und in Abgrenzung von dieser.

1. Die spiegelbildliche Schutzbereichsbestimmung Wie schon aus ihrer Herleitung als deren Gegenstück oder Korrelat folgt und deshalb weiterer Darlegung und Begründung kaum mehr bedürftig erscheint, soll die thematische Reichweite der negativen Seite sich aus einer spiegelbildlichen Umkehrung der positiven Seite ergeben. Der durch die negative Seite begründete Schutz des Unterlassens soll so weit reichen wie der des Tuns durch die positive Seite des jeweiligen Freiheitsrechts, aber auch nicht weiter 3. Beide gemeinsam haben die dort umschriebene Betätigung, ihre Ausübung und ihre Unterlassung, zum Schutzobjekt. Diese spiegelbildliche Betrachtung kommt in der Umschreibung des jeweiligen Schutzbereichs deutlich zum Ausdruck, wenn Art. 4 Abs. 1 GG das Äußern und das Verschweigen des Bekenntnisses oder Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG die Beteiligung an und das Fernbleiben von Versammlungen, Vereinigungen bzw. Koalitionen schützen sollen. Es ist auch etwa angemerkt worden, daß deshalb die negative Informationsfreiheit keinen Schutz gegen bloßen Lärm vermitteln 4 und die negative Berufsfreiheit nicht das Recht, nicht zu arbeiten, begründen kann5. Insbesondere kann die negative Meinungsäußerungsfreiheit, wenn man für die Auslegung des Meinungsbegriffs an der Unterscheidung von Werturteilen und reinen Tatsachenbehauptungen festhält, nicht vor staatlicher Befragung nach Tatsachen schützen, wie

3 Ausdruckliche Berufung auf diese spiegelbildliche Schutzbereichsbestimmung etwa bei von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 63; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 78, 121, Art. 8 RN 28; Lerche, in: Die Grundrechte IV/1, S. 447 (483); Merten, in: FS Stingi, S. 285 (302); ders., DÖV 1990, 761; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 59; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 59. 4 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 67 FN 255; ders., Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 69. 5 Merten, in: FS Stingi, S. 285 (285, 302).

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2. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Staat-Bürger-Veriiältnis

das Bundesverfassungsgericht im Volkszahlungsurteil festgestellt hat 6 ; in der Literatur ist eine solche Erweiterung des Schutzbereichs verschiedentlich vorgeschlagen worden, um Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG als Datenschutzgrundrecht Effektivität zu verleihen 7.

2. Die Abgrenzung zwischen positiver und negativer Seite Eine - zumindest terminologische - Unsicherheit besteht mitunter über die Abgrenzung zwischen positiver und negativer Seite des Freiheitsrechts hinsichtlich des Schutzes vor Betätigungszwängen in dem jeweils grundrechtlich geschützten Bereich freien Verhaltens. Das deutet sich an, wenn verschiedene Ebenen und Richtungen der negativen Seite eines Freiheitsrechts diskutiert werden, etwa bei Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG die Freiheit von Befragung nach der eigenen Meinung und die Freiheit vom Zwang zur Äußerung einer bestimmten Meinung, sei es als eigene oder als fremde 8, oder bei Art. 11 GG die Freiheit, im Bundesgebiet nicht ziehen zu müssen, und die Freiheit, im Ausland bleiben bzw. im Bundesgebiet ohne Begründung eines festen Aufenthalts ziehen zu dürfen. Insbesondere Merten hat im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verschiedene negative Garantiefunktionen dieser Grundrechte unterscheiden wollen. Neben der Unterlassensfreiheit als der elementaren negativen Freiheit, sich der Äußerung seiner Meinung zu enthalten, Vereinigungen fernzubleiben bzw. sich überhaupt nicht beruflich zu betätigen9, nennt er weiter die "negative Auswahlfreiheit", die vor dem Zwang zur Äußerung einer bestimmten Meinung oder zur Aufnahme eines bestimmten Berufs, darüber hinaus aber auch vor der Aufhötigung einzelner Modalitäten einer Betätigung in dem jeweiligen Bereich schützen soll; die negative Auswahlfreiheit soll sich danach im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch gegen staatliche Eingriffe, durch die Meinungsäußerungen des Bürgers unter Mißachtung seiner freien Adressatenwahl anderen, ihm mißliebigen Personen oder Stellen zugänglich gemacht 6

BVerfGE 65, 1 (40 f.). Eberle , DÖV 1977, 306 (310); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, Π RN 43; wohl auch Schwan, VenvArch 66 (1975), 120 (146)· Ablehnend dazu Hoffinann-Riem, in: AKGG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 24 FN 51; Merten, DÖV 1990, 761 (762 ff.); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 635; Rohlf Der gnindrechtliche Schutz der Privatssphäre, S. 184 f.; Schmidt-Jortzigy in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 141 RN 27 mit FN 67; Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), 52 (61 f.). 8 Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 27 ff., unterscheidet insoweit zwischen der einfachen negativen Meinungsaußerungsfreiheit (d. h. völligen Unterlassungsfreiheit), der qualifizierten negativen Meinungsaußerungsfreiheit und der negativen Meinungsverbreitungsfreiheit. 9 Merten, DÖV 1990, 761 (768); ders., in: FS Stingi, S. 285 (301); ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 57. 7

I. Die grundsätzliche Bestimmung des Schutzbereichs

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werden, oder im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG gegen einzelne Handlungspflichten richten, durch die der Staat eine freigewählte berufliche Tätigkeit reglementiert, ζ. B. Investitions-, Produktions-, Absatz- oder Vorratshaltungspflichten 10 . Schließlich erwähnt Merten als Gegenstück zur positiven Aufgabe· oder Wechselfreiheit auch noch die "negative Bleibefreiheit", eine einmal freigewählte Tätigkeit nicht aufgeben zu müssen11. In dieser Verwendung des Begriffs scheinen die negativen Garantiefunktionen alle Wirkungen eines Grundrechts umfassen zu sollen, die sich gegen einen - wie auch immer gearteten - Betätigungszwang richten. Damit löst dieser Begriff sich freilich von der spezifischen Bedeutung, die ihm im Zusammenhang mit der dogmatischen Figur der negativen Seite und dem auf sie zurückzuführenden Teil des Schutzbereichs der Freiheitsrechte zukommt. Diese wird deutlich, wenn man sich des "Ob" und des "Wie" der Ausübung der im Freiheitsrecht umschriebenen Betätigung als zweier verschiedener Ebenen grundrechtlicher Entschließungsfreiheit besinnt12. Der notwendige Zusammenhang zwischen beiden wird vielfach als Argument zur Herleitung der negativen Seite herangezogen; erst ihre Unterscheidung ermöglicht aber die Bestimmung des jeweiligen Schutzbereichs von positiver und negativer Seite. Die - auf der Ebene des "Ob" liegende - Entscheidung des Bürgers, eine grundrechtlich geschützte Betätigung ausüben zu wollen, und seine weitere Entscheidung über das "Wie" dieser Betätigung sind bereits durch die positive Seite des jeweiligen Freiheitsrechts vor staatlichen Eingriffen, Verboten wie auch Geboten, geschützt. Das positive Freiheitsrecht ist deshalb betroffen, wenn der Bürger zur Aufgabe seiner freigewählten Betätigung gezwungen wird und diese deshalb nicht ausüben bzw. fortsetzen kann; das Verständnis der Bleibefreiheit, also ζ. B. der Freiheit, am gewählten Aufenthaltsort zu bleiben oder den gewählten Beruf weiter auszuüben, als eines negativen, weil vor dem Zwang zur Aufgabe schützenden Aspekts des Freiheitsrechts erscheint vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Schutzrichtung als eine unglückliche Verkehrung der Begriffe, weil es der Sache nach um die Hinderung an der weiteren Ausübung einer freigewählten Betätigung geht 13 . Ebenso

10 Merten, DÖV 1990, 761 (765 f.); ders., in: FS Stingi, S. 285 (287 f.); vgl. auch ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 55. 11 Merten, in: FS Stingi, S. 285 (299); ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 56. 12 Vgl. dazu etwa Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 19; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 485 ff.; Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 57. 13 Daß das Bleiberecht nicht eigentlich Teil der negativen Seite ist, spiegelt sich wider, wenn die Freizügigkeit ohne Bleiberecht als nudum ius (Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 84), das Bleiberecht als logische Konsequenz der Freizügigkeit

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2. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Staat-Büger-Verältnis

ein Problem der positiven Freiheitsrechte sind einzelne Betätigungspflichten, etwa bestimmte Berufsausübungsregelungen, die - an eine freiwillige Betätigung in diesem Lebensbereich anknüpfend - allein das "Wie" dieser Betätigung einschränkend regeln; den Schutz vor solchen Zwängen über den Begriff der "negativen Auswahlfreiheit" in die Nähe der negativen Berufsfreiheit zu bringen, erscheint deshalb wenig sinnvoll. Die negative Seite schützt hingegen den Bürger - auf der Ebene des "Ob" in seiner Entscheidung gegen eine Betätigung in dem grundrechtlich geschützten Lebensbereich. Dieser Schutz kommt nicht nur dem von vornherein Passiven zugute, sondern auch demjenigen, der bislang eine solche Betätigung ausgeübt hat, diese aber nicht fortsetzen und aufgeben möchte; die Aufgabefreiheit ist deshalb, auch wenn man sie aktivisch wenden und dann als positiven Freiheitsaspekt deklarieren kann, von der negativen Seite umfaßt 14 . Diese richtet sich damit zunächst gegen das allgemeine Gebot, sich in einem solchen Bereich zu betätigen, also ζ. B. irgendeinen Beruf zu ergreifen oder irgendwo im Bundesgebiet Wohnsitz oder Aufenthalt zu nehmen; denn sie schützt auch denjenigen, der sich in dem fraglichen Lebensbereich überhaupt nicht (mehr) betätigen möchte. Sie wendet sich weiter gegen Gebote, die - mit dem "Ob" auch das "Wie" der Betätigung in diesem Lebensbereich reglementierend - den Bürger zu einer bestimmten Betätigung in diesem Lebensbereich, auch zur Fortsetzung seiner zunächst freigewählten Betätigung, zwingen. Gegenüber solchen Betätigungszwängen erlaubt die negative Seite nicht nur den - schon von der positiven Seite erfaßten - Einwand, daß man sich in diesem Lebensbereich anders betätigen möchte und durch das Gebot daran gehindert werde; sie eröffnet darüber hinaus auch hier die schlichte Berufung darauf, die gebotene Tätigkeit nicht (mehr) ausüben zu wollen. Wie - ganz typisch - im Fernbleibe- und Austrittsrecht als der negativen Seite der individuellen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit zum Ausdruck kommt, ist der spezifische Schutzbereich der negativen Seite der Freiheitsrechte - für dessen Bezeichnung hier die Verwendimg des Attributs "negativ" reserviert bleiben soll - also dadurch gekennzeichnet, daß sie die völlige Unterlassung bzw. Aufgabe der in der jeweiligen Grundrechtsbestimmung umschriebenen Tätigkeit garantiert. Diese Unterlassens- bzw. Aufgabefreiheit wird durch die Figur der negativen Seite in den Rang eines prinzipiell gleichrangigen Schutzguts der Handlungsrechte neben der Freiheit des Tuns erhoben.

0Oürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 11 RN 39) bezeichnet wird; vgl. auch Rittstieg, Art. 11 RN30. 14 So zu Recht Zöbeley, in: FS Faller, S. 345 (348).

in: AK-GG,

Π. Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentl.-rechtl. Formen

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II· Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentlich-rechtlichen Formen - Insbesondere zum Problem der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden Das wohl meistdiskutierte Einzelproblem, das die negativen Freiheitsrechte in der staatsgerichteten Abwehrfunktion aufgeworfen haben, ist die Frage des Grundrechtsschutzes vor der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden. Im Streit steht dabei nicht so sehr das Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der bestehenden öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände, sondern die richtige grundrechtsdogmatische Herleitung dieses Ergebnisses. Kontrovers ist insbesondere, ob die negative Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Verbänden aus Art. 9 Abs. 1 GG oder aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt. Die - auch über Art. 9 GG hinaus bedeutsame - Kernfrage ist dabei, ob ein Grundrecht, dessen positive Seite auf den Schutz einer Betätigung in privatrechtlichen Formen beschränkt ist, auch mit seiner negativen Seite auf den privatrechtlichen Bereich beschränkt sein muß und folglich gegen Zwang zum Handeln in öffentlich-rechtlichen Formen nicht schützen kann. Dieser Frage soll im folgenden nachgegangen werden.

1. Meinungsstand zur negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zur Frage der negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Verbänden weist eine deutlich vorherrschende Position auf, die von der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts und der überwiegenden Meinung in der Literatur vertreten wird, aber auch eine eher zunehmende Kritik an dieser Position. a) Die These von der Unanwendbarkeit

des Art. 9 GG

Jene ganz vorherrschende Position nimmt eine Beschränkung der negativen Seite von Art. 9 GG auf den privatrechtlichen Bereich an. Dieser Annahme liegt ein Umkehrschluß zugrunde, den schon früh Huber in exemplarischer Weise formuliert hat: "Art. 9 GG spricht zwar nur allgemein von dem Recht, 'Vereine und Gesellschaften' zu bilden, ohne ausdrücklich zu sagen, daß es sich dabei um das Recht zur freien Bildung privatrechtlicher Organisationen handelt. Doch liegt diese begriffliche Beschränkung in der Natur der Sache. Körperschaften des öffentlichen Rechts können nicht im Wege der freien Vereinsbildung geschaffen werden; vorausgesetzt ist bei ihnen, daß die öf-

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2. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Staat-Bürger-Verältnis

fentlich-rechtliche Korporationsqualität durch staatlichen Verleihungsakt übertragen wird. ... Besteht somit eine positive Vereinigungsfreiheit bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht, so ist bei ihnen auch die Grundlage, von der aus bei privatrechtlichen Vereinigungen auf eine negative Vereinigungsfreiheit geschlossen wird, nicht gegeben"15. Dieser Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht im Erftverband-Urteil zum Durchbruch verholfen, in dem es knapp und bestimmt formulierte: "... die Frage nach den verfassungsrechtlichen Schranken einer Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband ... läßt sich nicht aus Art. 9 GG beantworten, denn diese Bestimmung garantiert lediglich die Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben" 16. Diese These hat das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Kette weiterer Entscheidungen wiederholt 17, in der Arbeitnehmerkammer-Entscheidung noch einmal ausfuhrlicher begründet 18 und auch in jüngster Vergangenheit bestätigt19. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit 20 und der überwiegende Teil der Literatur 21 sind ihm darin gefolgt. Zum grundrechtlichen Prüfungsmaßstab wird in dieser Rechtsprechung das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG. Kraft seiner weitgefaßten Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung eröffnet es dem Gesetzgeber einen weitgehenden Spielraum zur Schaffung öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände.

15

Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 198 f. BVerfGE 10, 89 (102). 17 BVerfGE 10, 354 (361 ff.); 11, 105 (126); 12, 319 (323); 15, 235 (239); 32, 54 (64 f.). 18 BVerfGE 38, 281 (297 f.). 19 Vgl. zuletzt etwa BVerfG, NJW 1986, 1095; BVerfGE 78, 320 (329); BVerfG, NJW 1990, 1653. 20 BVerwGE 23, 304 (307); 27, 228 (230); 32, 308 (311 f.); 34, 69 (74); 39, 100 (102); 42, 210 (217); zuletzt BVenvG, NJW 1990, 589, und DÖV 1991, 645. 21 Vgl. an Stellungnahmen aus den ersten Jahren unter dem Grundgesetz noch von Mangoldt, BB 1951, 621 (622), der allerdings mit der unterschiedlichen Zweckrichtung privater Vereinigungen und öffentlich-rechtlicher Verbände argumentiert, und Füßlein, in: Die Grundrechte Π, S. 425 (435), der auf die Freiwilligkeit des Ein- und Austritts und der Konstituierung als Wesensmerkmal des Vereins abhebt, sowie als Belege fur die heute vorherrschende Ansicht Badura, Staatsrecht, C 63; Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Anm. A 4b; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 RN 4; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 9 RN 17; F. Klein, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Ait. 9 RN 4; von Mangoldt/Klein, GG, Art. 9 Anm. III 8; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 RN 89 ff.; Maunz/ZippeliuSy Deutsches Staatsrecht, S. 202 f.; Merten y in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 58 f.; von Münch f in: BK, Art. 9 (Zweitbearb.) RN 28, 52. 16

Π. Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentl.-rechtl. Formen

b) Vermittelnde

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Positionen

Die Kritik an diesem vielfach und zunehmend als unzureichend empfundenen Grundrechtsschutz hat einige vermittelnde Positionen hervorgebracht, die einen verstärkten Schutz dort anstreben, wo öffentlich-rechtliche Zwangsverbände nicht originär staatliche, sondern auch Privaten offenstehende Zwecke verfolgen und so in direkte Konkurrenz zu privaten Vereinigungen treten. Sie tun zwar nicht den ganzen Schritt zur vollen Anwendung der negativen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 GG, postulieren aber - deren Anerkennung zugrundeliegende Gesichtspunkte aufnehmend - eine dogmatisch im einzelnen unterschiedlich konstruierte, begrenzte Schutzwirkung des Art. 9 GG gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden. Den zurückhaltendsten Ansatz hierzu, in der Literatur etwa von Brohm und Friauf vorgeschlagen22, hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Arbeitnehmerkammer-Entscheidung aufgenommen; von Art. 2 Abs. 1 GG als dem einschlägigen subjektiven Abwehrrecht ausgehend, hat es in dessen Prüfung Art. 9 GG als objektiv-rechtliches Prinzip, als Grundsatznorm mit einbezogen. Das Gericht verweist auf das in Art. 9 Abs. 1 GG zum Ausdruck gebrachte "Prinzip freier sozialer Gruppenbildung" als ein "wesentliches Prinzip freiheitlicher Staatsgestaltung" sowie auf die Gewährleistung von Bestand und Tätigkeit der freigebildeten Koalitionen in Art. 9 Abs. 3 GG und führt dann aus: "Die grundsätzlich bestehende Freiheit des Staates, nach seinem Ermessen öffentliche Aufgaben durch öffentlich-rechtliche Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft wahrnehmen zu lassen, erfährt von diesen Verfassungsgrundsätzen her eine gewisse Einschränkung. Bei echter Konkurrenz der solchen Körperschaften zugedachten Aufgaben mit solchen, die von freigegründeten Vereinigungen ebenso gut erfüllt werden können, kann der in der Pflichtmitgliedschaft liegende Eingriff in die Freiheit des Einzelnen sich als übermäßig, weil nicht unbedingt erforderlich, und deshalb als verfassungswidrig erweisen" 23. In der Anwendung dieser Grundsätze durch das Bundesverfassungsgericht läßt sich freilich eine Verschärfung gegenüber der früheren Rechtsprechung kaum beobachten; auch die zur Entscheidung stehende, in der Literatur nicht ganz unumstrittene24 Frage nach der Zulässigkeit von Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland wird im Ergebnis bejaht.

22 Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 279; ders., in: FS von Unruh, S. III (791); Friauf, in: FS Reinhardt, S. 389 (397); vgl. auch Jäkel, DVB1. 1983, 1133 (1136). 23 BVerfGE 38, 281 (303). 24 Vgl. Nachweise bei Peters, Arbeitnehmerkammern in der BRD?, S. 163 FN 2.

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2. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Staat-Bürger-Verältnis

In der Sache nicht viel weiter fuhren die Stellungnahmen in der Literatur, die Art. 9 GG zwar unmittelbar als subjektives Abwehrrecht anwenden, dessen tatbestandliche Reichweite aber begrenzen wollen. Als maßgeblich erscheint dabei mal ausdrücklich, mal unter dem Etikett der negativen Seite die - großzügig verstandene, auch faktische Behinderungen abwehrende - positive Vereinigungsfreiheit der Bürger. In diesem Sinne meint etwa Jäkel, die negative Vereinigungsfreiheit könne "gegenüber hoheitlich angeordneter Zwangsmitgliedschaft - sei es in privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich verfaßten Verbänden - nur in dem Umfang wirken, in dem die positive Vereinigungsfreiheit ein negatives Korrelat voraussetzt. Das positive Recht der freien Verbandsbildung muß also, um seine Schutzwirkung in jeder Richtung zu entfalten, ohne negative Flankensicherung in Frage gestellt sein" 25 . Auch hier sind die leitenden Gesichtspunkte die Befürchtung, öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen könnten die Chance zur Neugründung bzw. den Bestand privater Vereinigungen mit gleichgerichteter Zielsetzung gefährden, und die Warnung, der Staat könne bislang privatrechtlich strukturierte gesellschaftliche Bereiche durch öffentlich-rechtliche Zwangsverbände organisieren und disziplinieren. Auf dieser Linie liegt es auch, wenn das Eingreifen der negativen Vereinigungsfreiheit davon abhängen soll, ob einem Zwangsverband die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben obliegt 26 . Die Anwendbarkeit des Art. 9 GG soll danach nicht mehr vom bloß formellen Kriterium der öffentlich-rechtlichen Form, wohl aber von materiell-funktionalen Differenzierungen zwischen verschiedenen öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden abhängen. c) Die Annahme einer unbeschränkten Anwendbarkeit

des Art. 9 GG

Die von solchen Differenzierungen unabhängige, umfassende Anwendbarkeit des Art. 9 GG wird schließlich begründet, wenn die Kritik nicht nur der Aushöhlung der positiven Vereinigungsfreiheit bzw. des Prinzips freier sozialer Gruppenbildung wehren will, sondern den die negative Seite der Vereinigungsfreiheit begrenzenden Umkehrschluß der herrschenden Meinung prinzipiell verwirft. Seine Kritiker sehen in diesem Umkehrschluß ein bloß formales, dabei logisch nicht zwingendes und in der Sache nicht treffendes

25 Jäkel, DVB1. 1983, 1133 (1135); ähnlich bereits Quidde, DÖV 1958, 521 (522); Rode, DÖV 1976, 841 (845). 26 Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 152 RN 68 ff.; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 123 ff.; Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, S. 19; Jung, JA 1984, 467 (469); Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 221 ff., 232 ff.; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 150 f.

Π. Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentl.-rechtl. Formen

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Argument. Die Unterlassensfreiheit sei hier - so wird im wesentlichen übereinstimmend entgegengehalten - nicht nur das Spiegelbild der korrespondierenden positiven Freiheit, sondern könne durchaus weiter reichen als die positive Gestaltungsfreiheit. Auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden gehe es der negativen Seite des Art. 9 GG nur um die Abwehr eines staatlichen Eingriffs, nicht um die Privaten verwehrte Inanspruchnahme hoheitlicher Handlungsformen. Die negative Vereinigungsfreiheit werde durch privat- und öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen gleichermaßen beeinträchtigt und habe sich historisch gerade auch gegen letztere gerichtet. Ohne Erstreckung des grundrechtlichen Schutzes hierauf könne der Staat, indem er im Rahmen seiner Formenwahlfreiheit auf öffentlich-rechtliche Gestaltungsformen ausweicht, die negative Vereinigungsfreiheit aushöhlen27. Diese Auffassung hat zur Folge, daß jede Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband als Eingriff in das Grundrecht auf negative Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG anzusehen ist. Das aber führt sie auf der Ebene der Grundrechtsschranken in Probleme, denn Art. 9 GG ist vorbehaltlos gewährleistet und ein Eingriff deshalb nur durch sogenannte verfassungsimmanente Schranken zu rechtfertigen.

2. Stellungnahme Die hier aufgeworfene Frage macht über die Wiedergabe des Meinungsstandes in Rechtsprechung und Literatur hinaus eine eigene - die Existenz einer negativen Seite der Freiheitsrechte voraussetzende und insofern immanent kritische - Stellungnahme erforderlich, denn der Umkehrschluß der herrschenden Meinung macht die von ihr selbst getragene, vorausliegende Anerkennung der negativen Seite praktisch weitgehend hinfällig, indem er ihr in der zentralen staatsgerichteten Abwehrfunktion jegliche Bedeutung nimmt. Dies hat sich in Rechtsprechung und Literatur am konkreten Beispiel der

27 So - mit im wesentlichen übereinstimmender Begründung - insb. Bethge, JA 1979, 281 (284 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 414; von Mutius, VeiwArch 64 (1973), 81 (82 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 819. Vgl. weiter kritisch zum Umkehrschluß der h. M. Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, S. 91; Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (47); Hamann, Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, S. 60; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29); Rinken, in: AK-GG, Art. 9 Abs. 1 RN 58; Steinberg, RdA 1975, 99 (101); Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 272 f.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 89 f. Die gleiche Kritik am Umkehrschluß üben auch Brohm und Friauf, die aber die Annahme einer negativen Seite des Art. 9 Abs. 1 GG insgesamt verwerfen und so zum Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG kommen (Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 275 f.; Friauf, in: FS Reinhardt, S. 389 [394 f.]) bzw. überhaupt den subjektiv-grundrechtlichen Schutz bezweifeln (Brohm, in: FS von Unruh, S. 777 [790]).

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

negativen Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG praktisch gezeigt 28 , gilt aber auch etwa fur Art. 8 GG, auf den der Umkehrschluß schon vereinzelt übertragen worden ist 2 9 , und - wie sich zeigen wird - darüber hinaus für die negative Seite der Freiheitsrechte allgemein. Die Anerkennung einer negativen Seite des Art. 9 GG wie der sonstigen Freiheitsrechte vorausgesetzt und ernstgenommen, schützen die negativen Freiheitsrechte - so lautet die These dieser eigenen Stellungnahme - im Verhältnis des Bürgers zum Staat gegen jeglichen Zwang zu der im Grundrecht umschriebenen Tätigkeit, also auch umfassend gegenüber Zwang zu öffentlich-rechtlicher Betätigung. Ein Rückzug auf vermittelnde Positionen, die der negativen Seite nicht als Unterlassensfreiheit Wert an sich, sondern nur die begrenzte, unselbständige Funktion eines flankierenden Schutzes der positiven Betätigungsfreiheit beimessen und sie als subjektives Freiheitsrecht funktionell beschränken oder auf ein bloß objektiv-rechtliches Prinzip reduzieren wollen, ist deshalb nicht möglich, die Annahme ihrer vollständigen Unanwendbarkeit gegenüber Zwang zu öffentlich-rechtlicher Betätigung vollends unhaltbar. Dabei wird nicht bestritten, daß im allgemeinen der Umkehrschluß von der positiven Seite seine Berechtigung hat; er umschreibt die negative Seite in ihrer tatbestandlichen Reichweite und begrenzt sie damit auch. In der hier interessierenden Frage fuhrt er aber gerade nicht zur teilweisen oder vollständigen Unanwendbarkeit der negativen Freiheitsrechte, begründet er insbesondere nicht den Ausschluß öffentlich-rechtlicher Betätigungen. Dies ist näher zu begründen. a) Die Beschränkung der positiven Seite auf den Schutz privatrechtlicher Betätigung Die entscheidende Weichenstellung liegt bereits in der Formulierung der dem Umkehrschluß zugrunde liegenden Ausgangsthese zur positiven Seite der Freiheitsrechte. Das Bundesverfassungsgericht fuhrt zu Art. 9 GG aus, diese Bestimmung garantiere "lediglich die Freiheit, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, ihnen beizutreten . . . " 3 0 ; ähnlich ließe sich für die anderen positiven Freiheitsrechte etwa des Art. 5 Abs. 1 oder Art. 8 GG sagen, daß sie auf

28 Bezeichnend die Feststellung Dürigs, in: FS Nawiasky, S. 157 (184 FN 61): "Vor dem Zwang, außerstaatlichen Verbänden beitreten zu müssen, schützt seit jeher das Grundrecht der 'negativen Vereinigungsfreiheit'. Dieses Grundrecht ist das stärkste Beispiel eines in der Drittrichtung wirkenden Grundrechts.". 29 Gusy, JuS 1986, 608 (609); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8 RN 28. 30 BVerfGE 10, 89 (102).

Π. Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentl.-rechtl.

F o r m e n 6 5

den Schutz privater oder privatrechtlicher Betätigung beschränkt sind. Der Ausschluß öffentlich-rechtlicher Betätigung erscheint sozusagen als negatives Tatbestandsmerkmal der positiven Freiheitsrechte, als ein Element ihres Schutzbereichs. Dem Schutzbereich der einzelnen Grundrechtsbestimmungen, durch den die jeweils geschützte Handlung tatbestandlich umschrieben wird, ist der teilweise oder vollständige Ausschluß öffentlich-rechtlicher Betätigungen jedoch kaum zu entnehmen. Wenn Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Äußern von Meinungen schützt, scheint darunter - um ein Beispiel aus der Rechtsprechung aufzugreifen - nicht nur die Rede eines Politikers auf dem Parteitag, sondern auch der Debattenbeitrag eines Bundestagsabgeordneten im Parlament zu fallen 31 . Dem Versammlungsbegriff des Art. 8 GG müßte auch eine gemeindliche Bürgerversammlung genügen. Die für Art. 9 Abs. 1 GG maßgeblichen Begriffe des Vereins bzw. der Gesellschaft, die ganz unstreitig im Sinne der Legaldefinition in § 2 Vereinsgesetz interpretiert werden 32 , sollen danach ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung einer Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck und unter einer organisierten Willensbildung erfassen. Diese Merkmale erfüllen auch alle mitgliedschaftlich verfaßten Organisationen, namentlich also Körperschaften des öffentlichen Rechts. Daß nur Private bzw. privatrechtliche Vereinigungen erfaßt werden, läßt sich weder umfassend mit der Rechtsform, die in der Definition gerade als unerheblich bezeichnet wird, noch mit funktionellen Überlegungen begründen, denn Art. 9 Abs. 1 GG schützt nicht nur Vereine mit typisch privater, sondern - bis zu den nach Abs. 2 gesetzten Grenzen - mit jeglicher und also auch öffentlicher Zwecksetzung33; die Diskussion um die öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften gewinnt ihre Brisanz ja auch gerade daraus, daß öffentliche und private Zwecksetzungen nicht streng geschieden sind, öffentlich-rechtliche Körperschaften und privatrechtliche Vereinigungen auf denselben Tätigkeitsfeldern agieren und in Konkurrenz treten können. Wenn § 2 Vereinsgesetz weiter das Definitionsmerkmal des "freiwilligen Zusammenschlusses" nennt, worauf insbesondere Füßlein hingewiesen hat 3 4 , hat das dort seine Berechtigung, weil es den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die privat und freiwillig, in Ausübung der positiven Vereinigungsfreiheit gebildeten Vereine beschränken soll.

31

Vgl. BVerfGE 60, 374. Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 57. 33 Diese funktionelle Offenheit der Vereinigungsfreiheit betonen Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 276 f., und Scholz, DVB1. 1974, 100 (in einer Besprechung von Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft), gegenüber Versuchen einer funktionellen Differenzierung hinsichtlich der negativen Vereinigungsfreiheit. 34 Füßlein, in: Die Grundrechte Π, S. 425 (435). 32

5 Hellcrmann

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

Daß sich die positive Vereinigungsfreiheit nur auf die Bildung freiwilliger und privatrechtlicher Vereinigungen erstreckt und auch die sonstigen Freiheitsrechte keine öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten erfassen, hat seinen Grund nicht in der tatbestandlichen Abgrenzung der jeweils geschützten Handlung, sondern vielmehr in einer bereits vorausliegenden, allgemeinen Bestimmung der möglichen Reichweite des grundrechtlichen Schutzes bürgerlicher Handlungsfreiheit. Daß die Reichweite der Freiheitsrechte nicht nur durch ihren Schutzbereich, sondern in zwei verschiedenen Richtungen begrenzt ist, haben insbesondere Pieroth und Schlink mit der von ihnen hervorgehobenen Unterscheidung von Schutzbereich und Gewährleistungsinhalt deutlich gemacht: Der Schutzbereich (Normbereich, Tatbestand) eines Grundrechts umschreibt den von ihm erfaßten Lebensbereich oder Wirklichkeitsausschnitt; die bestimmten, rechtlich ausgeformten Schutzwirkungen in Gestalt subjektiver Rechte oder auch objektiv-rechtlicher Verbürgungen, die das Grundrecht in diesem Schutzbereich gewährt, machen seinen Gewährleistungsinhalt aus 35 . Daß der Frage nach dem Gewährleistungsinhalt damit eigenständige Bedeutung zugemessen wird, findet seine Erklärung und seine Berechtigung darin, daß in der Grundrechtsdiskussion die möglichen rechtlichen Schutzwirkungen der Grundrechte vielschichtiger und ungewisser geworden, neben den anerkannten staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Unterlassungsanspruch möglicherweise auch grundrechtliche Teilhabe-, Schutz- oder Leistungsansprüche getreten sind 36 . Art und Umfang des Gewährleistungsinhalts, der den Grundrechten in dieser Diskussion zugebilligt wird, hängen ganz entscheidend von grundrechtstheoretischen Prämissen ab. Ausgehend von einem strikt liberalrechtsstaatlichen Verständnis der grundrechtlichen Schutzfunktion sollen die Freiheitsrechte allein subjektive Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe in die - vorstaatlich gedachte - individuelle Freiheitssphäre gewährleisten 37. Der so geschützte Bereich natürlicher Freiheit ist überschritten, wenn eine Handlung rechtlich erzwungen bzw. öffentlich-rechtlich normiert ist; zu einer solchen Handlung fehlt dem Bürger in seiner natürlichen Freiheit die Rechtsmacht, an ihr ist der Staat notwendigerweise immer schon beteiligt. Soll die Beschränkung einer solchen Betätigung abgewehrt werden, impliziert das ein

35 Pieroth/Schlink, Gnindrechte Staatsrecht Π, RN 225 ff.; zustimmend Wahl, Freiburger Universitätsblätter, Heft 95/1987, S. 19 (32 f.), der allerdings im folgenden dem Gewährleistungsinhalt Aussagen zur beschränkten Reichweite des Grundrechts auf Wissenschaftsfreiheit abgewinnt, die m. E. eher dem Schutzbereich zu entnehmen sind (so wohl auch Pieroth/Schlink, a.a.O., trotz der mißverständlichen Überschriften in RN 698, 708, wie sich aus RN 700, 709 ergibt). In der Sache übereinstimmend betonen bereits Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogma ti k, S. 13 ff., 152 f., und Stern, Staatsrecht m/1, S. 623, die sachliche Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen dem Schutzgut eines Grundrechts und dem daran bestehenden (Ab wehr-)Recht. 36 Wahl, a.a.O., S. 33. 37 Vgl. Böckenfirde, NJW 1974, 1529 (1530 f.).

Π. Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in öffentl.-rechtl. Formen

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Recht auf Freiheitsgebrauch im staatlichen Bereich, auf Inanspruchnahme des Staates. Hierauf aber soll sich der grundrechtliche Gewährleistungsinhalt von vornherein nicht erstrecken können. Ganz in diesem Sinne hat das Bundesverfassungsgericht schon in seinem frühen Volksbefragungsurteil festgestellt, die Teilnahme der Bürger an der amtlichen Volksbefragung stelle "sich essentiell als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus dar. In dieser Eigenschaft macht der Bürger nicht von seinen gegen den Staat gerichteten Grundrechten der freien Meinungsäußerung oder des Petitionsrechts Gebrauch" 38. Von der Position der Gerichte und Autoren aus, die eine negative Seite der Freiheitsrechte anerkennen und sich damit zu einem liberal-rechtsstaatlichen, dem abwehrrechtlichen Schutz einer vorstaatlichen Freiheitssphäre des Bürgers verpflichteten Grundrechtsverständnis bekennen, ist diese Annahme im Ergebnis folgerichtig; sie ist deshalb hier nicht in Frage zu stellen, sondern zugrunde zu legen. Es ist aber festzuhalten, daß der Ausschluß öffentlichrechtlicher Betätigungen bereits aus der vorausliegenden Bestimmung der Freiheitssphäre des Bürgers und des daraus folgenden, beschränkten Gewährleistungsinhalts seiner Freiheitsrechte resultiert, nicht erst aus der Bestimmung des Schutzbereichs des jeweiligen Freiheitsrechts. b) Der Umkehrschluß auf eine Beschränkung der negativen Seite Bleibt diese Ungenauigkeit der These vom tatbestandlichen Ausschluß öffentlich-rechtlicher Betätigung in bezug auf die positive Seite unschädlich, so wird sie in ihrer Umkehrung auf die negative Seite folgenreich. Der spiegelbildlichen Schutzbereichsbestimmung entsprechend soll sie vor dem Zwang zu jener Tätigkeit bewahren, deren Vornahme die positive Seite schützt. Durch die Einbeziehung des vermeintlichen weiteren Tatbestandsmerkmals einer nur privatrechtlichen Betätigung in den Umkehrschluß auf die negative Seite fallt der Schutz vor öffentlich-rechtlicher Zwangsbetätigung aus deren Schutzbereich. Die Unrichtigkeit dieser Anwendung des Umkehrschlusses läßt sich nunmehr näher und präziser begründen. Dies kann zunächst auf jener begrifflich-konstruktiven Ebene, auf welcher dieser angeblich logisch zwingende Umkehrschluß selbst sich bewegt, geschehen. Denn der Umkehrschluß, der den von der negativen Seite erfaßten Lebensbereich - konkret die Handlung, deren Unterlassung geschützt werden soll - umschreiben soll, kann sich allein auf die Merkmale des Schutzbereichs

38 BVerfGE 8, 104 (115); vgl. auch BVerfGE 60, 374 (380), zu dem oben erwähnten Beispiel der Abgeordnetenrede im Bundestag.

5*

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

der positiven Seite in dem oben dargelegten, präzisen Sinn beziehen; Grenzen des Gewährleistungsinhalts der positiven Seite unterfallen diesem Schluß nicht. Seine Anwendung hierauf fuhrt denn auch zu einem zwar plausibel klingenden, aber schon in sich logisch nicht stimmigen Ergebnis: Wird die privatrechtliche Form als Merkmal der positiven Seite auf die geschützte Handlung - und damit das Schutzgut des positiven Freiheitsrechts - bezogen, so wird in der Umkehrung auf die negative Seite daraus eine Anforderung an das abzuwehrende, durch den staatlichen Eingriff erzwungene Tun; wieso die Qualifizierung dieses erzwungenen Tuns maßgeblich sei für das - durch die negative Seite geschützte - Unterlassen, ist nicht dargetan. Die logische Unstimmigkeit wird noch offensichtlicher, wenn man mit Füßlein die Unanwendbarkeit der negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden nicht mit der privatrechtlichen Form, sondern mit dem Wesensmerkmal der Freiwilligkeit begründet, welches dem Verein im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG eigen sei 39 : Da das positive Freiheitsrecht nur die rechtlich freie, freiwillige Betätigimg schützt, könnte das negative Freiheitsrecht - in der Umkehrung - nur vor dem Zwang zu rechtlich freier, freiwilliger Betätigimg schützen - eine sinnlose Gewährleistung, die die negative Seite in sich zusammenfallen läßt 40 . Hierin zeigt sich aber vor allem, daß diese Position, die eine negative Seite zwar grundsätzlich anerkennt, dann aber in der beschriebenen Weise beschränkt, mit ihren eigenen grundrechtstheoretischen Prämissen, einem liberal-rechtsstaatlichen Grundrechtsverständnis in eklatanten Widerspruch gerät. So prinzipiell sie den Gewährleistungsinhalt der positiven Freiheitsrechte in dem abwehrrechtlichen Schutz privater und privatrechtlicher Betätigungen erkennt und hierauf begrenzt, so prinzipiell bestreitet sie den Schutz der negativen Freiheitsrechte gegenüber Zwang zu öffentlich-rechtlichen Betätigungen und liefert damit die von der negativen Seite gerade zu schützende individuelle Freiheitssphäre dem staatlichen Zugriff aus. Nicht nur die negative Seite des Art. 9 Abs. 1 GG, sondern auch die der anderen speziellen Freiheitsrechte wäre entsprechend begrenzt: Art. 8 GG könnte nicht gegen hoheitlich organisierte Versammlungen, Art. 5 Abs. 1 GG nicht vor staatlicher Volksbefragung, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht vor einem als staatliche Veranstaltung abgehaltenen Schulgebet schützen. Vor allem aber müßte in diesen Fällen - und das ist die gravierendste, bislang nicht erkannte und vollzogene Folgerung - auch der Rückgriff auf die subsidiäre Unterlassensfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG versagen. Das Verhältnis von allgemeiner Betätigungs- und allgemeiner Unterlassensfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG soll kein anderes sein

39 40

Füßlein, in: Die Gnindrechte Π, S. 425 (435). Vgl. dazu auch Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 276.

Π. Die negative Seite und der Zwang zum Handeln in ffentl.-rechtl.

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als das von Betätigungs- und Unterlassensfreiheit in einzelnen Lebensbereichen, wie sie von positiver und negativer Seite der speziellen Freiheitsrechte garantiert werden soll. Die allgemeine Handlungsfreiheit aber gewährt so wenig wie die speziellen Freiheitsrechte ein Recht auf öffentlich-rechtliche Betätigung41; ist dieser Ausschluß auf die negative Seite umkehrbar, schützt Art. 2 Abs. 1 GG auch nicht gegen Zwang zu öffentlich-rechtlicher Betätigung. Am Ende entfallt so jeglicher Grundrechtsschutz der individuellen Unterlassensfreiheit, wenn der Staat den Bürger in öffentlich-rechtlicher Form in Anspruch nimmt. Anders als hinsichtlich der positiven Freiheitsrechte markiert aber hier die Qualifizierung der Betätigung als öffentlich-rechtlich nicht die Grenze jener vorstaatlichen Freiheitssphäre, deren abwehrrechtlicher Schutz den Grundrechten nach liberal-rechtsstaatlichem Verständnis obliegt. Diese Qualifizierung hat grundrechtlich Folgen für das Recht des Bürgers auf und seine Rechtsposition bei Vornahme dieser Tätigkeit, nicht aber für die - dem Zwang zu ihrer Vornahme entgegengesetzte - Unterlassensfreiheit. Auch eine öffentlich-rechtliche Betätigung kann der Bürger aus eigener Kraft unterlassen; die Berufimg auf die Unterlassensfreiheit bedeutet keine Inanspruchnahme des Staates, der Bürger wendet sich gerade gegen seine Einbeziehung in die öffentlich-rechtlich organisierte, staatliche Sphäre 42. So bereitet es offenbar auch keine Schwierigkeiten, anderen abwehrrechtlich verstandenen Grundrechten die Freiheit des Unterlassens gegenüber öffentlich-rechtlichen Handlungspflichten abzugewinnen: Art. 4 Abs. 1 GG soll von der prozeßund damit öffentlich-rechtlichen Eidespflicht dispensieren können, Art. 4 Abs. 3 GG befreit ausdrücklich vom Wehrdienst, Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3 GG von schulischen Pflichten, und bei der Frage nach der Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände scheint der Rückgriff auf die allgemeine Unterlassensfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG problemlos. Nichts anderes aber kann für jene grundrechtliche Unterlassensfreiheit, die als negative Seite der Freiheitsrechte anerkannt wird, gelten. Die grundrechtsgeschützte Freiheit des Unterlassens endet also nicht schon vor öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Bürger, sondern erst da, wo die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Individuum nicht mehr außen-, sondern bloß innenrechtlicher Natur sind. Erst wenn das Individuum, bereits in einer rechtlichen Sonderverbindung mit dem Staat stehend und so in die staatliche Sphäre eingebunden, sich gegen ein Betätigungsgebot, durch welches es nur in seiner Funktion, nicht aber in seiner persönlichen Rechtssphäre betroffen ist,

41

Vgl. BVerfGE 60, 374 (380). Vgl. etwa Bethge, JA 1979, 281 (285); Friauf Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrechte Π, RN 819. 42

in: FS Reinhardt, S. 389 (394 f.);

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

wendet, kann es sich nicht mehr auf eine vorstaatliche, individuelle Freiheitsposition berufen. Im (Außen-)Verhältnis des Staates zum Bürger aber gewährleisten die negativen Freiheitsrechte einen umfassenden, auch und gerade hoheitlichen Zwang zu Tätigkeit in öffentlich-rechtlicher Form abwehrenden Schutz der individuellen Unterlassensfreiheit.

I I I . Die Abwehr von Störungen in der geschützten Freiheitssphäre Die persönliche Freiheitssphäre, deren Schutz die negative Seite der Freiheitsrechte dienen soll, kann nicht nur durch Handlungsgebote, sondern auch anders gestört werden; der Staat kann etwa, statt den Bürger zum Handeln zu zwingen, selbst mit rechtlichen Wirkungen für oder faktischen Auswirkungen auf den Bürger handeln oder aber an eine Unterlassung des Bürgers nachteilige Rechtsfolgen knüpfen. Beidemal wird der Bürger in seiner Zurückgezogenheit vom Staat gestört. Es stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit die negative Seite der Freiheitsrechte den Grundrechtsschutz gegen solche Störungen und Beeinträchtigungen soll leisten können.

1· Die regelmäßige Beschränkung auf den Schutz vor Betätigungszwang Für jene speziellen Freiheitsrechte, denen eine negative Seite zuerkannt wird, wird - mit einer sogleich darzustellenden Ausnahme43 - regelmäßig eine Beschränkung auf den Schutz der Unterlassensfreiheit angenommen. Ansätze dazu, einzelnen negativen Freiheitsrechten Schutz nicht nur gegen Handlungsgebote, sondern auch gegen sonstige Störungen abzugewinnen, sind vereinzelt und erfolglos geblieben, insbesondere vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen worden. Relativ offen und deutlich sind solche Ansätze zur Ausdehnung des Schutzbereichs der negativen Seite bei Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zutage getreten, und zwar insbesondere bei dem Versuch, das Grundrecht auf negative Meinungsäußerungsfreiheit zur verfassungsrechtlichen Grundlage des Datenschutzes zu machen. Dies setzt zunächst die problematische Einbeziehung bloßer Tatsachenmitteilungen in den Schutzbereich voraus 44 . Darüber hinaus hat Eberle den Versuch unternommen, aus der positiven und negativen Seite der Meinungsäußerungsfreiheit über den Schutz kommunikativen Verhaltens hinaus auch einen umfassenden Schutz der informationellen Dispositionsfreiheit abzuleiten und damit jede Informationsbeschaffung ohne Wissen und

43 44

Vgl. unten Abschnitt m 2 a) aa). Vgl. dazu oben Abschnitt 11, mit Nachweisen in FN 6, 7.

ΠΙ. Die Abwehr von Störungen in der geschützten Freiheitssphäre

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Wollen des Betroffenen, also auch die heimliche Datensammlung und die Datenweitergabe, als Eingriff in die negative Meinungsäußerungsfreiheit zu behandeln45. Dieser Ansatz hat aber - auch bei Autoren, die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Bedeutung für den Schutz gegen staatliche Meinungsbefragung und insoweit fur den Datenschutz beimessen - kaum Zustimmung gefunden 46; das Bundesverfassungsgericht hat ihn im Volkszählungsurteil mit der knappen Bemerkung abgetan: "Ein solcher Schutz würde von vornherein bei Informationseingriffen durch Datenerhebungen versagen, die bei Dritten oder durch heimliche Beobachtungen (Observationen) vorgenommen werden" 47 . Ebenso auf Kritik und Ablehnung gestoßen ist die vereinzelte Annahme, die unzulässige Äußerung öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände in allgemein-politischen Angelegenheiten stelle eine Verletzung der negativen Meinungsäußerungsfreiheit der Mitglieder dar, weil diesen in der Öffentlichkeit die Verbandsmeinung als eigene zugerechnet werde 48 . Auch die Verbreitung von Meinungen, die man so nicht geäußert hat, und von unrichtigen Zitaten wird vom Bundesverfassungsgericht, obwohl in diesen Fällen die Zurechnung noch deutlicher ist, nicht als Eingriff in die negative Meinungsäußerungsfreiheit, sondern als Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen 4 9 . Eine subtilere Form der Erweiterung stellt es dar, wenn sehr weitgehend und großzügig auch der bloß mittelbare staatliche Zwang zum Handeln als Eingriff in das negative Freiheitsrecht gewertet wird. Dies ist bei allen Freiheitsrechten denkbar, bei Art. 9 Abs. 1 GG etwa mit Blick auf die wirtschaft45

Eberle , DÖV 1977, 306 (308 ff.)· Ablehnend dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, Π RN 41, 47; Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, S. 41 f.; Krause, DB Beilage 23/1983, S. 5; Loschelder, Der Staat 20 (1981), 349 (365); Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), 52 (61); Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, S. 91 FN 323; Schwan, VeiwArch 66 (1975), 120 (146). Hingegen sieht Merten, DÖV 1990, 761 (765), durch das heimliche Abhören von Gesprächen oder den staatlichen Zugriff auf private Aufzeichnungen die negative Meinungsäußerungsfreiheit tangiert. 47 BVerfGE 65, 1 (41). 48 So VG Sigmaringen, DVB1. 1968, 267 (270); OVG Hamburg, NJW 1977, 251 (252); zustimmend von Mutius, VenvArch 63 (1972), 453 (455), und - fur Körperschaften mit relativ eng begrenztem Aufgabenkreis und homogener Mitgliederstruktur - Ress, WiVerw 1979, 157 (174 f.). Ablehnend dazu Damkowsid, DVB1. 1978, 229 (235 ff.); Kluth, DVB1. 1986, 716 (726, jedenfalls für den Regelfall); Laubinger, VerwArch 74 (1983), 175 u. 263 (279); Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (396 f.); Pietzcker, JuS 1985, 27 (28). 49 BVerfGE 54, 148 (152 f., 155); 54, 208 (217); vgl. auch Krause, a.a.O. und Schmitt Glaeser, a.a.O. Hingegen sieht Merten, a.a.O., S. 766, die negative Meinungsfreiheit in Form der Identifizierungsfreiheit tangiert, wenn dem Bürger eine fremde Meinung als eigene untergeschoben wird; der von Merten, a.a.O., zitierte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19.04.1990 (BVerfGE 82, 43 [52 f.]) galt allerdings der positiven Meinungsäußerungsfreiheit, weil es um die Kontrolle der strafrichterlichen Beurteilung einer Meinungsäußerung der Beschwerdefuhrerinnen ging. 46

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liehe Vereinigungsfreiheit unter dem Aspekt mittelbaren Fusionierungszwangs durch Subventionsentzug diskutiert worden 50 , vor allem aber bei Art. 9 Abs. 3 GG praktisch geworden. Der behauptete mittelbare Organisationszwang liegt dabei in staatlicherseits, durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung tarifvertraglicher Regelungen oder durch Gesetz gewährten Vergünstigungen fur Koalitionen und deren Mitglieder bzw. auferlegten Belastungen fur Nichtkoalierte. Als Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit wurden in diesem Sinne vor dem Bundesverfassungsgericht etwa die gesetzliche Verleihung der Tariffahigkeit an Innungen und Innungsverbände51, die Zulassung von Vertretern der Gewerkschaften bzw. Arbeitgebervereinigungen als Prozeßvertreter vor dem Arbeitsgericht 52, die Unterwerfung nichtorganisierter Arbeitnehmer unter tarifvertragliche Regelungen durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung 53 bzw. die dynamische Verweisung in einem Gesetz54 gerügt; mit Blick auf diese letztere Frage ist in der Literatur diskutiert worden, ob das Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit als einen besonderen Garantiegehalt die Freiheit des Außenseiters von der Normsetzungsbefugnis der Koalitionen einschließt55. Diese Fälle entziehen sich - sind mittelbare Beeinträchtigungen erst einmal prinzipiell zugelassen - zwar einer klaren, schneidigen Lösung. Das Bundesverfassungsgericht hat aber im Ausgangspunkt klargestellt, daß die negative Koalitionsfreiheit dem Außenseiter keinen Anspruch auf gleiche Vorteile bzw. keine Freiheit von Nachteilen verbürgt, sondern allein die Freiheit vom Zwang zum Koalitionsbeitritt 56. Allein die staatliche Ungleichbehandlung von Organisierten und Nichtorganisierten und den daraus folgenden faktischen Anreiz 57 , ja gewissen Druck 58 zum Beitritt hat es ausdrücklich nicht zur Annahme eines Eingriffs fur ausreichend erachtet; nur Zwang oder Druck, der die Entschließungsfreiheit fühlbar beeinträchtigt 59, will es als Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit ansehen. Die Annahme eines solchen Eingriffs hat es in allen bislang zur Entscheidung stehenden Fällen eindeutig, mit knapper Begründung abgelehnt.

50 Vgl. etwa zu dem vom Steinkohleanpassungsgesetz vom 15. Mai 1968 (BGBl. I 365) ausgehenden Druck zur Bildung der Ruhrkohle AG Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 166 ff. 51 BVerfGE 20, 312. 52 BVerfGE 31, 298. 53 BVerfGE 44, 322; 55, 7. 54 BVerfGE 64, 208. 55 Vgl. dazu ausfuhrlich und mit Nachweisen, im Ergebnis ablehnend Leventis, Tarifliche Differenzieningsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 37 ff., 49. 56 BVerfGE 31, 298 (302); 44, 322 (352). 57 BVerfGE 41, 298 (302). 58 BVerfGE 20, 312 (322); 55, 7 (22); 64, 208 (213 f.). 59 BVerfGE 31, 298 (302).

ΠΙ. Die Abwehr von Störungen in der geschützten Freiheitssphäre

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Diese zurückhaltende Position insbesondere des Bundesverfassungsgerichts ist - von der Figur der negativen Seite ausgehend - folgerichtig. Diese beruft sich zu ihrer Begründung zwar auf die durch die Freiheitsrechte abzuschirmende Freiheitssphäre. Sie folgert daraus aber nicht den umfassenden grundrechtlichen Schutz dieser Sphäre, sondern beschränkt sich darauf, die Unterscheidung der Handlungsrechte von den bloßen Abwehrrechten zugrundelegend, den Schutzbereich der Handlungsrechte um die negative Seite des Unterlassens zu ergänzen. Sie begründet so den grundrechtlichen Schutz der Freiheit, die tatbestandlich umschriebene Handlung vorzunehmen und zu unterlassen, nicht aber der Freiheit von jeglicher Störung im grundrechtlich angesprochenen Lebensbereich.

2. Die ausnahmsweise Erstreckung auf die Abwehr von Störungen Die Ausdehnung auf die Abwehr jeglicher Störung in dieser Freiheitssphäre setzt also einen Begriff der negativen Freiheitsrechte voraus, der über die Annahmen und Folgerungen der allgemeinen Figur der negativen Seite hinausgeht. a) Die beiden anerkannten Ausnahmen Eine solche Annahme eines erweiterten Begriffs der negativen Freiheitsrechte in Rechtsprechimg und Literatur, insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, läßt sich hinsichtlich zweier Grundrechte feststellen. aa) Die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Unter den speziellen Freiheitsrechten bildet insofern die Religionsfreiheit eine Ausnahme. Ihre Sonderstellung hat sich schon bei der Frage nach der grundsätzlichen Anerkennung einer negativen Seite darin gezeigt, daß sie unter dem Begriff der Religionsfreiheit in positiver wie in negativer Hinsicht eine Reihe einzelner Gewährleistungen zusammenfaßt, die sich teilweise an die ausdrücklich genannten Begriffe der Glaubens-, Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit anlehnen. Insbesondere die Teilgewährleistungen der als religiös-weltanschauliche Meinungsäußerungsfreiheit verstandenen - Bekenntnisfreiheit und der Religionsausübungsfreiheit können zwar als tatbestandlich begrenzte Handlungsrechte verstanden, die korrespondierenden Rechte der negativen Bekenntnis- und negativen Kultusfreiheit, die vor dem Zwang zum Äußern des Bekenntnisses bzw. zur Teilnahme an religiösen Übungen schützen, auf die allgemeine Figur der negativen Seite zurückgeführt

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

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werden; diese beiden Rechte werden auch häufig als die Bestandteile der negativen Religionsfreiheit ausdrücklich benannt und hervorgehoben. Über eine solche Annahme einzelner Freiheitsrechte im religiösen Bereich aber fuhrt jene Interpretation des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, fur die hier der Oberbegriff der Religionsfreiheit - auch der Begriff der Glaubens- und/oder Bekenntnisfreiheit wird in diesem übergreifendem Sinn verwandt 60 - stehen soll, hinaus. Die Begriffe Glaube, Bekenntnis und Religionsausübimg kennzeichnen danach nicht verschiedene, als tatbestandlich begrenzte Handlungs- oder Abwehrrechte zu qualifizierende Grundrechte, sprechen vielmehr nur verschiedene Aspekte, nämlich das Haben, das Bekennen und das Ausüben von Glaube und Weltanschauung, eines einheitlichen umfassenden Grundrechts der Religionsfreiheit an. Dieses gewährleistet "dem Einzelnen einen von staatlichen Eingriffen freien Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht ... Sie umfaßt ... nicht nur die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten ... Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln"61. Das daraus folgende Abwehrrecht der Bürger gegen "staatliche Maßnahmen ..., die beeinträchtigend in ihren persönlichen, grundrechtlich geschützten Bereich hineinwirken" 62, das "Freiheitsrecht, von staatlichen Zwängen in weltanschaulich-religiösen Fragen unbehelligt zu bleiben" 6 3 , kann sich gleichermaßen gegen hoheitliche Gebote wie Verbote und auch gegen andere, nicht unmittelbar verhaltensbezogene Eingriffe wenden. Von der positiven Seite dieser Religionsfreiheit wird gesprochen, wo es um den Schutz eigener, aktiver Religionsausübung der Bürger geht. Der nach Abzug dieser positiven Religionsausübungsfreiheit verbleibende Bereich der Religionsfreiheit wird mit dem Begriff der negativen Religionsfreiheit - in dieser Bedeutung weitgehend austauschbar mit dem Begriff der Glaubensfreiheit - belegt. Sie soll ganz allgemein die "schützende, gegen den Staat

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Vgl. etwa BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106 f.); 33, 23 (28); 41, 29 (49). BVerfGE 32, 98 (106); vgl. bereits BVerfGE 12, 1 (3), sowie weiteiiiin BVerfGE 33, 23 (28); 41, 29 (49); 44, 37 (49). Zur Rezeption dieses Verständnisses von Art. 4 Abs. 1, 2 GG als eines einheitlichen umfassenden Grundrechts der Religionsfreiheit in der Literatur vgl. Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 24; von Campenhausen,, Staatskirchenrecht, S. 52; Listi , in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (380 ff.); ders., in: FS Klecatsky, S. 571 (574); Mikat, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 1059 (1064 f.); Steiner, JuS 1982, 157 (158 f.). 62 BVerfGE 41, 29 (48). 63 BVerfGE 35, 366 (376); vgl. auch BVerfGE 44, 37 (49), wonach Art. 4 GG "jeden staatlichen Zwang in Glaubensangelegenheiten ausschließt... 61

ΠΙ. Die Abwehr von Störungen in der geschützten Freiheitssphäre

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gerichtete abwehrende Funktion" der Religionsfreiheit 64 darstellen, sie dispensiert von der Forderung einer bestimmten religiösen Haltung oder Betätigung und bewahrt davor, "durch Eingriffe in religiösen Dingen vergewaltigt zu werden" 65 . Von diesem Verständnis des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und seiner negativen Seite ausgehend hat die negative Religionsfreiheit gerade in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber den verschiedenartigsten hoheitlichen Eingriffen Aktualität erlangt. Sie umfaßt zunächst die negative Bekenntnisfreiheit in dem engeren Sinne eines Rechts zum Verschweigen des eigenen Bekenntnisses und die negative Kultusfreiheit. Darüber hinaus - und damit den sonst üblichen Begriff der negativen Seite überschreitend - soll sie aber auch die sogenannte negative religiöse Vereinigungsfreiheit 66 und - als Abwehrrecht gegen Einzelverpflichtungen, die an die Mitgliedschaft anknüpfen - die sogenannte negative religiöse Finanzierungsfreiheit 67 gewährleisten und so gegen staatliche Beschränkungen des Kirchenaustritts bzw. die Besteuerung von Nichtkirchenmitgliedera schützen. Noch weitergehend hat das Gericht die negative Religionsfreiheit schließlich auch dort betroffen gesehen, wo der Bürger, ohne selbst zu einem Handeln gezwungen zu werden, vom Staat einer religiös-weltanschaulichen Beeinflussung ausgesetzt oder auch nur mit religiös-weltanschaulichen Fakten konfrontiert wird. In diesem Sinn ist sie vor allem religiös-weltanschaulichen Erziehungseinflüssen in der Schule entgegengesetzt worden 68 . Am weitesten ist das Gericht in diese Richtung in der sogenannten Kruzifix-Entscheidung gegangen; in dieser - in der Literatur überwiegend kritisch kommentierten - Entscheidung hat es einen Eingriff in die Glaubensfreiheit bzw. negative Religionsfreiheit schon darin gesehen, daß ein Anwalt gegen seine eigene religiöse Uberzeugung in einem mit Kreuz ausgestatteten Gerichtssaal verhandeln mußte69 . Auch eine jüngere Entschei-

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Mikat, a.a.O., S. 1071. Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 62; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 95. 66 BVerfGE 30, 415 (426); 42, 312 (332); 44, 37 (49); 55, 32 (36). 67 BVerfGE 44, 37 (49); 44, 59 (66 f.). 68 BVerfGE 41, 29 (49); 41, 65 (78); 41, 88 (108). Vgl. auch VGH München, BayVBl. 1985, 721 (722), und NVwZ 1986, 405; OVG Hamburg, NVwZ 1986, 406 (407); BVenvG, NVwZ 1988, 937 (938), wonach das Auftreten eines nach Sannyasin-Art gekleideten Lehrers die negative Religionsfreiheit der Schüler beeinträchtigen soll; kritisch dazu Alberts , NVwZ 1985, 92 (95 mit FN 40). 69 BVerfGE 35, 366 (375 f.). Zustimmend, allerdings unter stärkerer Betonung des Gebots weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates Fischer, NJW 1974, 1185; vgl. weiter Böckenförde, ZevKR 20 (1975), 119, der mit dem Bundesverfassungsgericht im Ergebnis übereinstimmt (a.a.O., S. 119), jedoch die objektiv-rechtliche Verfassungswidrigkeit hervorhebt und in grundrechtlicher Hinsicht nicht die Religionsfreiheit als betroffen ansieht (S. 139 f.), wohl aber eine Verletzung der Gewissensfreiheit fur möglich hält (S. 140 ff.). Kritisch zu der Ent65

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-Bürger-Verältnis

dung des V G H München, die das Anbringen eines Kruzifixes in Unterrichtsräumen öffentlicher Schulen im Ergebnis zugelassen hat, hat darin zunächst eine Beeinträchtigung der negativen Religionsfreiheit derer gesehen, die die Kreuzesdarstellung aus religiös-weltanschaulichen Gründen ablehnen70. bb) Das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG Die zweite Ausnahme bildet das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG. Als umfassendes Grundrecht auf allgemeine Eingriffsfreiheit verbürgt es, wie das Bundesverfassungsgericht schon früh formuliert hat, den "grundrechtlichen Anspruch, durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist" 7 1 . Dementsprechend erstreckt sich sein Schutz nicht nur auf Handlungen, sondern auch auf Zustände und Rechtspositionen des Grundrechtsträgers 72. Dabei wird der Begriff der allgemeinen Handlungsfreiheit unterschiedlich verwandt: Mal erscheint er als inhaltsgleich mit der Nachteilsformel bzw. dem Begriff des allgemeinen Freiheitsrechts 73; mal wird er als umfassende Verhaltensfreiheit, die alles zu tun und zu lassen erlaubt, umschrieben und so von der Freiheit von sonstigen Eingriffen unterschieden74, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches in seinen verschiedenen Ausprägungen einzelne Eigenschaften und Positionen der Person schützt, entgegengesetzt75. In Abgrenzung hiervon wird er schließlich häufig als das aktive Element der Persönlichkeitsentfaltung gekennzeichnet und damit allein auf den Schutz der positiven Handlungsfreiheit bezogen76. Ahnlich unscharf ist scheidung des Bundesverfassungsgerichts von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61 mit FN 47; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 95 mit FN 318; Hollerbach, AöR 106 (1981), 218 (234); Usti, in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (371 mit FN 29); von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, GG, Ait. 140 GG/136 WRV RN 48; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 14; Rüjher, NJW 1974, 491. 70 VGH München, NVwZ 1991, 1099 (1100). 71 BVerfGE 9, 83 (88); vgl. auch BVerfGE 19, 206 (215); 19, 253 (257); 29, 402 (408); 33, 44 (48); 42, 20 (27 f.). 72 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 311 f.; Schmitt Glaeser, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 129 RN 18. 73 BVerfGE 9, 3 (11); Pieroth/Schlink, Gmndrechte Staatsrecht Π, RN 421. 74 BVerfGE 19, 206 (215). 75 Enders, in: Mellinghoff/Trute, Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 157 (176 f., insb. FN 81), im Anschluß an Podlech, in: AK-GG, Art. 2 Abs. 1 RN 41 ff., 44 ff., der innerhalb des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG zwischen einem handlungs- (verhaltens-)bezogenen und einem informationsbezogenen Aspekt unterscheidet. 76 BVerfGE 9, 83 (88), und insbesondere BVerfGE 54, 148 (153); Alexy, a.a.O., S. 333; Badura, Staatsrecht, C 31; Degenhart, JuS 1990, 161 (162); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 428; ders., in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 79 (86); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 RN 64; Schmitt Glaeser, a.a.O., RN 19.

ΠΙ. Die Abwehr von S t ö n g e n in der geschützten Freiheitssphäre

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auch die Vorstellung davon, was innerhalb des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG die negative Seite der allgemeinen Handlungsfreiheit sei. Sie wird dem aktiven Element der Freiheit des Tuns zunächst als korrespondierende Freiheit des Unterlassens, dann aber auch allgemeiner als Freiheit von jeglicher Inanspruchnahme77 oder Recht, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden 78 , entgegengesetzt. Auch der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz vor staatlichen Eingriffen, die nicht unmittelbar verhaltensbezogen sind, wird deshalb teilweise der negativen Seite der allgemeinen Handlungsfreiheit bzw. daraus abgeleiteten negativen Einzelrechten zugeschrieben. Ein erstes Beispiel dafür, zugleich der Anlaß fur die Entwicklung der Nachteilsformel des Bundesverfassungsgerichts, ist die Freiheit von Abgabenpflichten 79. Sie wird üblicherweise zu den negativen Freiheiten des Art. 2 Abs. 1 GG gerechnet 80, auch wenn in der Heranziehung zu Abgaben möglicherweise kein Handlungsbefehl, sondern die Zufugung eines Vermögensnachteils zu sehen ist, der allenfalls mittelbar die (wirtschaftliche) Handlungsfreiheit tangiert. Ein weiteres Beispiel bildet der Bereich der kommunikativen Freiheit und informationellen Selbstbestimmung, wo sich die aus der allgemeinen Handlungsfreiheit abgeleiteten negativen Einzelrechte immer wieder mit einzelnen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überschneiden. So dient etwa das zum Schutz vor aufgedrängter fremder Information aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Recht, nicht zuzuhören bzw. nicht zu hören 81 , weniger der Abwehr von Verhaltenszwang als der von informationeller Beeinflussung und Ruhestörung, worin es sich mit dem als einem Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bekannten Recht, in Ruhe gelassen zu werden 82 , trifft. Und mit Blick auf den Schutz eigener Daten des Bürgers ist etwa aus dem negativen Aspekt der Handlungsfreiheit, auf staatliche Befragung hin schweigen zu dürfen, auch ein Abwehrrecht des Bürgers gegen mittelbare Datenerhebung und -beschaffung abgeleitet worden 83 ; das Bundesverfassungsgericht hingegen

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Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 425. Gusy, JuS 1986, 608 (609); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (77 ff.); Zeidler, in: Zeidler u.a., Das Recht auf Demonstration, S. 3 (8). 79 Vgl. BVerfGE 9, 3 (11); 19, 206 (215 f.); 19, 253 (257); 29, 402 (408); 37, 1 (17 f.); vgl. zuletzt BVerfGE 75, 108 (154); 78, 249 (277); 82, 159 (190). 80 Vgl. etwa Degenhan, JuS 1990, 161 (166); Pieroth/Schlink, a.a.O.; Schwabe, Gnindkurs Staatsrecht, S. 100. 81 Götzfiied, NJW 1963, 1961 (1962 f.); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (74 ff.). 82 Vgl. BVerfGE 27, 1 (6); 44, 197 (203). 83 So Schlink, Die Amtshilfe, insb. S. 188, 198, 201, mit dem Argument der "Ersatzvornahme "; ders., Der Staat 25 (1986), 233 (247 f.). Kritisch dazu Krause, DB Beilage 23/1983, S. 7. 78

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greift auch bei unmittelbarer staatlicher Befragung auf das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurück 84 . Vor allem aber geht auch die aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitete negative Vereinigungsfreiheit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden, auch wenn sie durchweg als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit bezeichnet wird, über den Schutz eigenen Unterlassens hinaus. Schon die Pflichtmitgliedschaft als solche, gegen die der Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG, nachdem Art. 9 GG unanwendbar sein soll, als selbstverständlich angenommen und kaum in Frage gestellt wird 8 5 , ist kein unmittelbarer Eingriff in die Verhaltensfreiheit. Sie entsteht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen kraft gesetzlicher Anordnung und verlangt als solche keine Handlung des Bürgers; es wird auch nicht der Austritt verboten, vielmehr die rechtliche Möglichkeit des Austritts gar nicht erst vorgesehen. Es ist deshalb nicht eigentlich und unmittelbar die verhaltensbezogene Freiheit des Fernbleibens und Austritts tangiert. Was den Eingriff in das Grundrecht der Bürger, die sich durch die Zwangsmitgliedschaft beschwert fühlen 86 , ausmacht, bleibt in aller Regel unklar; wo etwas dazu ausgeführt wird, wird auf die mit der Selbstverwaltung verbundenen Lasten 87 und faktische Rückwirkungen 88, die Unterwerfung unter Aufsicht und Lenkung durch eine autonome Verbandsgewalt 8 9 , die Zwangsidentifikation des Bürgers mit dem Verband 90 hingewiesen. Art. 2 Abs. 1 GG erscheint damit in einem zustandsbezogenen Recht von der Art betroffen, wie sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt. Dies wird noch deutlicher, wenn diesem Abwehrrecht gegen staatlichen Organisationszwang darüber hinaus und darauf aufbauend ein Anspruch des Mitglieds auf Unterlassung gegenüber unzulässiger Aufgabenwahrnehmung durch den Zwangsverband entnommen wird, wie dies die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung91 mit überwiegender Billigung durch die Literatur 92 tut 84

BVerfGE 65, 1 (41 ff.). Vgl. in der Rechtsprechung BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (363); 12, 319 (323); 15, 235 (239); 38, 281 (297 f.); 78, 320 (329); BVerwGE 32, 308 (312); 39, 100 (102); 39, 110 (115); 42, 210 (217). Vgl. in der Literatur von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 RN 90; Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 62; Pietzcker, NJW 1987, 305. Bedenken gegen die Annahme eines Grundrechtseingriffs äußern allerdings Brohm, in: FS von Unruh, S. III (790 f.); Kluth, DVB1. 1986, 716 (720 ff.); ders., Jura 1989, 408 (413); Laubinger, VenvArch 74 (1983), 175 und 263 (277 f.). 86 Vgl. BVerfGE 38, 281 (297). 87 Meßerschmidt, VeiwArch 81 (1990), 55 (65). 88 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, S. 149. 89 Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 279 f.; vgl. BVerfGE 10, 89 (102). 90 Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 61; Steinberg, RdA 1975, 99 (102). 91 Grundlegend BVerwGE 34, 69 (74). In der weiteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. insb. BVerwGE 59, 231 [238]; 59, 242 [245]; 64, 115 [117]; 64, 298 [301]) 85

ΠΙ. Die Abwehr von Störungen in der geschützten Freiheitssphäre

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und das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen zur Finanzierung nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche durch die gesetzlichen Krankenkassen prinzipiell gebilligt, wenn auch nicht mitvollzogen hat 9 3 . Um die Freiheit eigenen Tuns oder Unterlassens des Mitglieds und damit die Handlungsfreiheit in einem engeren Sinne geht es hier nicht. Das Tätigwerden des Verbandes selbst - die Abgabe allgemein-politischer Meinungsäußerungen durch Verbandsorgane, die Beteiligung des Verbandes an Unternehmen oder Organisationen, die Verteilung von Fachzeitschriften an die Mitglieder 94 soll einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und - im Falle seiner Rechtswidrigkeit - einen "Widerstreit der in der Verbandsbildung betätigten öffentlichen Gewalt mit dem allgemeinen Freiheitsrecht der Verbandsmitglieder"95 begründen. b) Das zugrundeliegende Verständnis beider Freiheitsrechte

vom Schutzbereich

Die Grundlage dieser Annahme einer so weitreichenden negativen Religionsfreiheit und negativen allgemeinen Handlungsfreiheit ist, wie sich in den bisherigen Ausführungen bereits angedeutet hat, eine bestimmte Interpretation des Schutzbereichs von Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 1 GG, die bei diesen beiden Grundrechten strukturell übereinstimmt, sie von den anderen hier interessierenden Freiheitsrechten jedoch grundlegend unterscheidet. Jene anderen Freiheitsrechte, denen eine negative Seite zuerkannt wird, erscheinen zunächst als Verbürgungen bestimmter Handlungsrechte. Von deren ausdrücklich geschützter positiver Seite aus kann sodann auf eine das korrespondierende Unterlassen schützende negative Seite geschlossen werden. Die Vorstellung einer grundrechtlichen Freiheitssphäre ist nur die Begründung für

deutet sich zwar gelegentlich eine gewisse Neigung zur restriktiven Anwendung, jedenfalls aber keine Aufgabe der grundsätzlichen Annahme eines mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruchs an; vgl. dazu Meßerschmidt, VerwArch 81 (1990), 55 (70 ff.). Ablehnend hingegen BSG, MDR 1966, 541; NJW 1987, 517. 92 Zustimmend etwa Bachof, DÖV 1980, 607 f.; Krause, NVwZ 1985, 87 (88 f.); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 RN 91; Maurer, Allgemeines Veiwaltungsrecht, § 23 RN 43; Meßerschmidt, a.a.O., S. 74 ff., 85 f.; Pietzcker, NJW 1987, 305 (306); Redeker, NJW 1982, 1266 (1267). Für eine entsprechende Ableitung des Unterlassungsanspruchs aus Art. 9 Abs. 1 GG tritt ein Jung, JA 1984, 467 (469). Kritisch zu diesem Unterlassensanspruch Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, S. 77; dies., GewArch 1975, 7 (8); Hendler, DÖV 1986, 675 (683); Kluth, DVB1. 1986, 716 (723 ff.); Laubinger, VerwArch 74 (1983), 175 und 263 (272 ff.); Ress, WiVerw 1979, 157 (168 ff., mit differenzierender Stellungnahme); Stober/Domke, GewArch 1985, 145 (152 ff.). 93 94 95

BVerfGE 67, 26 (38); 78, 320 (330 f.). Vgl. Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (396). BVerwGE 59, 231 (238).

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

die Annahme einer - auf das Unterlassen beschränkten - negativen Seite des Schutzbereichs. Bei Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 1 GG wird die Freiheitssphäre, der freie Rechtsraum selbst und unmittelbar zum Schutzgut des Grundrechts. Der Begriff der religiös-weltanschaulichen Freiheitssphäre des einzelnen definiert den Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 und 2 G G 9 6 , der der individuellen Freiheitssphäre den von Art. 2 Abs. 1 GG. In diesem geschützten Bereich ist das Individuum umfassend - in seinem freien Verhalten, aber auch vor nicht unmittelbar verhaltensbezogenen Beeinträchtigungen in bestimmten Eigenschaften, Situationen oder Positionen - geschützt. Die mit dem Begriff der positiven Seite, der positiven Religionsfreiheit oder der Handlungsfreiheit als dem aktiven Element des Art. 2 Abs. 1 GG belegte Freiheit, aus dieser geschützten Sphäre heraus nach außen zu handeln, ist damit von vornherein nur ein Ausschnitt der umfassenden Grundrechtsgewährleistung. Soweit diese im übrigen der Abschirmung der eigenen Freiheitssphäre gegenüber Inanspruchnahme und Störung von außen dient, soll es sich um die negative Seite dieser Freiheitsrechte handeln. Das Attribut "negativ" erhält in dieser Verwendung eine changierende Bedeutung. Teils soll es noch - der allgemeinen Figur der negativen Seite entsprechend - die Freiheit zur Unterlassung einer Handlung, deren Vornahme durch das positive Freiheitsrecht geschützt ist, kennzeichnen. Sich davon lösend und darüber hinausgehend, Unterlassensfreiheit und Freiheit von sonstigen Störungen zusammenfassend, aber kennzeichnet es den rein staatsabwehrenden Charakter dieses Teils der Grundrechtsverbürgung, womit es eher dem Begriff der negativen Freiheit bzw. des status negativus entlehnt scheint.

IV. Die Rechtfertigung von Eingriffen Welchen Beitrag die negativen Freiheitsrechte am Ende zum Schutz der Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staat leisten, hängt davon ab, wann ein Verstoß gegen diese Grundrechte anzunehmen ist. Soweit hoheitliche Maßnahmen als Eingriffe in negative Freiheitsrechte qualifiziert werden, stellt sich deshalb die weitere Frage nach deren möglicher verfassungsrechtlicher Rechtfertigung.

96

Vgl. insb. BVerfGE 12, 1 (3); 32, 98 (106); 33, 23 (28).

I V . Die Rechtfertigung von Eingriffen

81

1. Die allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen Hinsichtlich der allgemeinen Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen soll für die negativen Freiheitsrechte nichts anderes gelten als fur die Grundrechte im übrigen. Das bedeutet für Eingriffe in negative Freiheitsrechte zunächst unterschiedslos, daß sie von vornherein verfassungswidrig sind, wenn sie nicht dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes entsprechend - durch Gesetz oder aufgrund einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung erfolgen. Schon hieraus folgte in dem einzigen Fall, in dem das Bundesverfassungsgericht über einen Eingriff in die negative Berufsfreiheit zu befinden hatte, der Grundrechtsverstoß. Für die Bewährungsauflage, sich zum Zweck der Schadenswiedergutmachung arbeitslos zu melden und ein Arbeitsverhältnis zu begründen, fehlte es an einer gesetzlichen Grundlage 97. Die inhaltlichen Anforderungen an einen - durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes erfolgenden - Eingriff sind hingegen durchaus unterschiedlich, denn die negativen Freiheitsrechte sollen grundsätzlich denselben Schranken und Schranken-Schranken unterliegen wie die jeweils entsprechenden positiven Freiheitsrechte 98. Am weitesten einschränkbar ist danach die negative Seite der mit schlichtem Gesetzesvorbehalt versehenen Freiheitsrechte. Das betrifft vor allem die negative Seite des Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, der alle im übrigen verfassungsmäßigen Eingriffe zuläßt. Soweit nicht besondere Verfassungsrechtssätze wie das objektivrechtliche Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates eingreifen, ergeben sich materiell-rechtliche Grenzen danach im wesentlichen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der alle zur Erreichung eines legitimen Zwecks ungeeigneten, nicht erforderlichen oder unzumutbaren Maßnahmen verbietet. Auch im Hinblick auf die Auferlegung bestimmter Handlungspflichten muß deshalb "der Einzelne sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt" 99 . Vor diesem Maßstab hat die Rechtsprechung eine ganze Reihe angegriffener Betätigungszwänge - von der Schutzhelm- und Gurtanle-

97

BVerfGE 58, 358 (365). So ausdrücklich etwa Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, S. 44; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 63; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 121; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 35. 99 BVerfGE 59, 275 (279). 96

6 Hellermann

. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

82

-Bürger-Verältnis

gepflicht 100 über die Pflicht, Straßen und Gehwege zu reinigen 101 , bis zur Pflicht zur Übernahme und Ausübung von Ehrenämtern 102 - als verfassungsmäßig bestätigt. Grundrechtsdogmatisch Ähnliches gilt fur Eingriffe in die negative Berufsfreiheit, die durch den Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gedeckt sind, sofern sie im Sinne der sogenannten Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichs verhältnismäßig sind 1 0 3 . Bei den mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt ausgestatteten Grundrechten ist die Eingriffsmöglichkeit des Gesetzgebers darüber hinaus im Grundrecht selbst inhaltlich beschränkt. In den einschlägigen Stellungnahmen zu Art. 5 Abs. 1 und 2 1 0 4 , Art. 8 1 0 5 und Art. 11 G G 1 0 6 ist unbestritten, daß diese ausdrücklichen Beschränkungen auch der jeweiligen negativen Seite gelten, und nach diesem Maßstab die Zulässigkeit bestimmter Eingriffe untersucht worden. Die Freiheitsrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG schließlich sind vorbehaltlos gewährleistet. So bleibt für die Rechtfertigung von hoheitlichen Eingriffen in die negative Religions-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nur der Rückgriff auf die sogenannten verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken, die das Bundesverfassungsgericht so umschrieben hat: "Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen. Dabei auftretende Konflikte lassen sich nur lösen, indem ermittelt wird, welche Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat ... Die schwächere Norm darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muß in jedem Fall respektiert werden" 107 .

100

BVerfGE 59, 275 (278 f.); BVerfG, NJW 1987, 180; BGHZ 74, 25 (33 ff.). Bay VGH 17, 19 (27). 102 VGH BW, VB1BW 1984, 281 (282). 103 BVerfGE 58, 358 (365); Merten, in: FS Stingi, S. 285 (303); Zöbeley, in: FS Faller, S. 345 (348, 354). 104 Eberle , DÖV 1977, 306 (309, 310 ff.); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, II RN 43; Kirchhof/Frick, AfP 1991, 677 (679); Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 65; ders., Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 33 ff., 72 f.; Rohlf Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 184. 105 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8 RN 27; Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 167. 106 Merten, MDR 1964, 806 (808); ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 120; Scholler, DÖV 1967, 469 (470 ff.). 107 BVerfGE 28, 243 (261); vgl. weiter BVerfGE 30, 173 (193). 101

I V . Die Rechtfertigung von Eingriffen

83

2· Die Beurteilung der einzelnen aktuell gewordenen Eingriffe In der Umsetzung dieser allgemeinen Anforderungen in den praktisch bedeutsamen Themenbereichen, in denen die verfassungsrechtliche Prüfung von Eingriffen des Staates in negative Freiheitsrechte der Bürger in der Literatur und insbesondere der Rechtsprechung größere Aktualität erlangt hat, sind allerdings einige Besonderheiten zu vermerken. a) Der Schutz der negativen Religionsfreiheit Unter den speziellen Freiheitsrechten ist nur das aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG abgeleitete Grundrecht auf negative Religionsfreiheit in diesem Sinne aktuell geworden. Die Rechtfertigung von Eingriffen in dieses - vorbehaltlos gewährleistete - Grundrecht aber wirft besondere Schwierigkeiten auf. Für einen Teilbereich ist dieses Problem dadurch entschärft worden, daß dem Eingriffsvorbehalt des Art. 140 GG i. V.m. Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV - anders als der Gewährleistung des Schweigerechts in Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV, der nur deklaratorische Bedeutung bleibt - konstitutive Wirkung beigemessen und diese Schranke auf die negative Bekenntnisfreiheit des Art. 4 GG übertragen w i r d 1 0 8 . Hierauf gestützt ist das staatliche Verlangen der Konfessionsangabe in einer Reihe von Entscheidungen, ζ. B. die Eintragung der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte 109 und die diesbezügliche Frage bei der Volkszählung 110 betreffend, als verfassungsgemäß beurteilt worden. Im übrigen aber müssen hoheitliche Eingriffe in die negative Religionsfreiheit - soweit sie nicht dem Schutz der positiven Religionsfreiheit anderer Privater dienen und durch deren entgegenstehende Grundrechte gerechtfertigt werden können - in aller Regel an der Hürde der verfassungsimmanenten Schranken scheitern; staatliche bzw. Gemeinwohlinteressen, die, selbst mit Verfassungsrang ausgestattet, eine Begrenzung der negativen Religionsfreiheit erforderlich machen können, sind kaum vorstellbar, da der Staat doch zur Neutralität im religiös-weltanschaulichen Bereich verpflichtet ist. Eine gewisse Ausnahme gilt insoweit fur den Schulbereich, wo aus der staatlichen

108

BVerfGE 30, 415 (426); 46, 266 (267); 49, 375 (376); 65, 1 (39). Vgl. auch von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 58 f.; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 56; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Ait. 4 RN 98; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 13; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 145; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 100. Kritisch dazu Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 155. 109 BVerfGE 49, 375 (376); BFH 116, 485; BayVerfGH 20, 171 (179). 110 BVerfGE 65, 1 (39). 6*

84

. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) ein eigenständiger Erziehungsauftrag des Staates mit dem Recht zur Einführung religiös-weltanschaulicher Bezüge in den Schulunterricht abgeleitet und mit herangezogen wird, um eine Beschränkung der Grundrechte von Kindern und Eltern, die solche religiös-weltanschaulichen Erziehungseinflüsse ablehnen, verfassungsrechtlich zu rechtfertigen 1 1 1 ; in der Sache geht es freilich bei den dort auftretenden Streitigkeiten vornehmlich um den vom Staat in der Schule zu leistenden Ausgleich zwischen den konfligierenden Interessen verschiedener Eltern und Schüler, die sich jeweils auf ihre Grundrechte, insbesondere die positive und negative Religionsfreiheit berufen. Hingegen kann, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Kruzifix-Entscheidung festgestellt hat, das "Freiheitsrecht, von staatlichen Zwängen in weltanschaulich-religiösen Fragen unbehelligt zu bleiben, ... einen Minderheitenschutz selbst vor verhältnismäßig geringfügigen Beeinträchtigungen jedenfalls dort rechtfertigen, wo - wie im Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit - die Inanspruchnahme dieses Schutzes nicht mit Rechten einer Bevölkerungsmehrheit zur Ausübimg ihrer Glaubensfreiheit kollidiert" 112 . Dieser strengen Linie folgen auch die Entscheidungen zu staatlichen Beschränkungen der sogenannten negativen religiösen Vereinigungsfreiheit und Finanzierungsfreiheit. Eine gesetzliche Uberlegungsfrist, aufgrund deren die rechtlichen Wirkungen einer Kirchenaustrittserklärung erst nach einem Monat eintreten, hat das Gericht, weil es an einem kollidierenden Verfassungsgut fehlt, als grundrechtswidrig beurteilt 113 ; eine gesetzliche Nachbesteuerungsfrist, während deren Dauer ein aus der Kirche Ausgetretener weiter zur Kirchensteuer herangezogen wird, soll immerhin zur Gewährleistung einer geordneten Besteuerung unter Rückgriff auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV, der die Mitwirkung des Staates bei der Kirchensteuererhebung verfassungsrechtlich absichert, gerechtfertigt werden können, jedoch nur in engen zeitlichen Grenzen vertretbar sein 1 1 4 .

b) Der Grundrechtsschutz

gegenüber öffentlich-rechtlichen

Zwangsverbänden

Der zweite praktisch bedeutsame Problembereich ist der Grundrechtsschutz vor öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden, also die verfassungsrechtliche Prüfung von Eingriffen in das sogenannte Abwehrrecht gegen hoheitlichen Organisationszwang. 111

BVerfGE 41, 29 (45 ff.); 52, 223 (236 ff.); VGH München, NVwZ 1991, 1099 (1100). BVerfGE 35, 366 (376). 113 BVerfGE 44, 37 (52 ff.); 55, 32 (36). 114 Nach BVerfGE 44, 59 (67 ff.), soll eine Nachbesteuerung bis zum Ablauf des auf die Austrittserklärung folgenden Kalendermonats noch zulässig, nach BVerfGE 44, 37 (54 ff.), eine (mindestens) dreimonatige Nachbesteuerung nicht gerechtfertigt sein. 112

I V . Die Rechtfertigung von Eingriffen

85

aa) Die Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden als solcher wird dabei im Ergebnis kaum je bezweifelt. Die Rechtsprechung hat bislang - soweit ersichtlich - alle angegriffenen öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften als verfassungsgemäß angesehen; auch in der Literatur findet sich kaum Kritik 1 1 5 . Die Rechtfertigung dieses Ergebnisses vor den Grundrechten der Mitglieder beruht allerdings auf dogmatisch fragwürdigen Annahmen zu den Grundrechtsschranken. Die Schrankenproblematik ist offenkundig, wenn man mit einem Teil der Literatur annimmt, daß die Zwangsmitgliedschaft einen Eingriff in das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht aus Art. 9 GG darstellt. Da die - vereinzelt erwogene - Übertragung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG auf das Grundrecht aus Art. 9 G G 1 1 6 wegen der Spezialität auch der Schrankenregelungen der Grundrechte 117 ausgeschlossen ist, bleibt als Ausweg nur die Konstruktion weitreichender immanenter Grundrechtsschranken. Die "Erfordernisse sachgemäßer öffentlicher Verwaltung" 118 , "dringende Belange der staatlichen Gemeinschaft" 119, "echte Staatsaufgaben" oder die "Notwendigkeit staatlichen Tätigwerdens" 120 sollen die Beeinträchtigung der negativen Vereinigungsfreiheit rechtfertigen können. Die einschlägigen Stellungnahmen bleiben freilich nicht nur die Erklärung schuldig, inwieweit und aus welchem Grund es sich bei diesen Belangen und Erfordernissen um verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter handelt, wie dies die Annahme verfassungsimmanenter Schranken voraussetzen würde. Schon das Ergebnis macht ihre Annahme fragwürdig: Indem sie Art. 9 GG unter einen Gemeinschaftsvorbehalt stellen, der sich in seiner Reichweite - zugestandenermaßen - von dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. 1 GG praktisch nicht unterscheidet 121, öffnen sie ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht gleichermaßen dem 115 Zur Einschätzung, die Frage nach den Zulässigkeitsvoraussetzungen öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände sei gegenwärtig eher von theoretischem Interesse, vgl. etwa Brohm, in: FS von Unruh, S. 777 (792); Jung, JA 1984, 467 (468); KLeine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, S. 148; Redeker, NJW 1982, 1266 (1267). Vereinzelte Kritik findet etwa die Einrichtung der verfaßten Studentenschaft; vgl. Wahlers, NVwZ 1985, 804 ff. 116 Vgl. etwa von Münch, in: BK, Art. 9 (Zweitbearb.) RN 90 ff. (allgemein zu Art. 9 Abs. 1 GG); Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 495 FN 219 (speziell zur negativen Vereinigungsfreiheit). Kritisch dazu Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 129 ff.; von Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (84). 117 Vgl. BVerfGE 30, 173 (192); 32, 98 (107). 118 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 414. 119 Quidde, DÖV 1958, 521 (524). 120 Rode, DÖV 1976, 841 (846). 121 So ausdrücklich Bethge, JA 1979, 281 (285); vgl. auch Hesse, a.a.O., RN 414; Jäkel, DVB1. 1983, 1133 (1136).

86

. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

gesetzgeberischen Zugriff wie ein mit schlichtem Gesetzesvorbehalt ausgestattetes Grundrecht 122 . Vor diesem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. 1 GG, den insbesondere die Rechtsprechung fur einschlägig erachtet, soll die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes zulässig sein, wenn dieser der Wahrnehmung legitimer öffentlicher Aufgaben dient 1 2 3 und die Anordnung der Zwangsmitgliedschaft den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt 124 . Auch vor diesen Anforderungen ist die Rechtfertigung der Zwangsmitgliedschaft nicht so unproblematisch, wie sie gelegentlich erscheint. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist denn auch in der Literatur häufig, insbesondere unter Hinweis auf die Unschärfe des Begriffs der "legitimen öffentlichen Aufgaben", als zu großzügig kritisiert worden 125 . Zugleich wird aber anerkannt, daß eine größere Strenge kaum bei der ersten Frage einer inhaltlichen Begrenzung möglicher Aufgabenfelder von öffentlich-rechtlichen Körperschaften eingefordert werden kann, weil der Staat - abgesehen von wenigen notwendig staatlichen oder ausschließlich privaten Aufgaben - es weithin in der Hand hat, Aufgaben legitimerweise zu öffentlichen bzw. staatlichen zu erklären und sich ihrer Erledigung anzunehmen126, sei es in unmittelbarer, sei es in mittelbarer Staatsverwaltung. Aus grundrechtlichem Blickwinkel liegt das eigentliche Problem vielmehr in der Behandlung der weiteren Frage, ob zur Verfolgung dieser Aufgabe die Organisationsform eines öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes

122 Vgl. dazu Friauf\ in: FS Reinhardt, S. 389 (396), der dieses Ergebnis gegen die Annahme einer negativen Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG wendet. 123 BVerfGE 10, 98 (102); 10, 354 (363); 38, 281 (299); 78, 320 (329). 124 BVerfGE 38, 281 (301 f.); vgl. auch ebd., S. 298, und BVerwGE 59, 231 (233), wonach Art. 2 Abs. 1 GG das Recht gewährt, von der Mitgliedschaft in einem "unnötigen" Verband verschont zu bleiben. 125 Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 274, 280; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, S. 145, 148; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 RN 43; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 98, 100; von Muti us, VerwArch 64 (1973), 81 (85); Quidde, DÖV 1958, 521 (522); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 90; ders., Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 272; Steinberg, RdA 1975, 99 (101). 126 Vgl. Bethge, JA 1979, 281 (286 f.); Brohm, in: FS von Unnih, S. III (792); KleineCosack, a.a.O., S. 145 f.; Mronz, a.a.O., S. 66 ff., 235 ff.; von Mutius, a.a.O., Pietzcker, JuS 1985, 27 (29 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, a.a.O. Auch der Versuch einer Konkretisierung der legitimen öffentlichen Aufgaben in BVerfGE 38, 281 (299: "Damit sind die Aufgaben gemeint, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber so geartet sind, daß sie weder im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muß.") bringt keine schärferen Konturen (so auch Laubinger, VerwArch 74 [1983], 175 und 263 [278 FN 54]) und verwischt zudem die Grenze zur weiteren Frage nach der Erforderlichkeit der Organisationsform.

I V . Die Rechtfertigung von Eingriffen

87

im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich i s t 1 2 7 . Als milderes Mittel ist zum einen die Aufgabenerfullung durch private Träger, insbesondere durch freiwillige privatrechtliche Vereinigungen, in Betracht zu ziehen; dieser Gesichtspunkt ist vor allem im Hinblick auf die verfaßte Studentenschaft 128 und die Arbeitnehmerkammern 129 diskutiert worden. Zum zweiten und vor allem aber wäre als milderes Mittel die Aufgabenerledigung in unmittelbarer Staatsverwaltung, die den in der Zwangsinkorporation liegenden Grundrechtseingriff vermeiden könnte, zu erwägen. Das Bundesverfassungsgericht sieht das zwar, nimmt seine diesbezügliche Prüfungskompetenz jedoch weit zurück; fur das Gericht "ist es Sache des gesetzgeberischen Ermessens, zu entscheiden, welche dieser Aufgaben der Staat nicht durch seine Behörden, sondern durch eigens gegründete öffentlich-rechtliche Anstalten oder Körperschaften erfüllt. ... In einem Staat, der den Gedanken der Selbstverwaltung bejaht und in seiner Gesetzgebung weitgehend verwirklicht, kann die Wahl der Organisationsform einer Körperschaft nicht schon als solche verfassungswidrig sein" 130 . Diese These läßt die Grundrechtsprüfung vollends leerlaufen: Die Wahl der Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft ist ein Grundrechtseingriff, dieser Eingriff ist bei Mißachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtswidrig, die Mißachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist wegen des gesetzgeberischen Ermessens bei der Wahl der Organisationsform grundsätzlich nicht festzustellen; der Eingriff ist - praktisch - immer gerechtfertigt. Allenfalls eine Mißbrauchs- oder Willkürkontrolle behält das Gericht sich noch v o r 1 3 1 . Eine echte Grundrechtsprüfung aber findet in der Tat nicht statt.

127

Die Unterscheidung zwischen der Verstaatlichung einer Aufgabe und ihrer Zuweisung an einen bestimmten Veiwaltungsträger, ζ. B. auch an eine öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaft, hat vor allem Kluth, DVB1. 1986, 716 (insbesondere 718, 720), und Jura 1989, 408 (412), hervorgehoben. Vgl. auch Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 272 f., der im Hinblick auf den fur ihn einschlägigen Art. 9 Abs. 1 GG daraus folgert, auch die Vollzugsform des öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes müsse dringend erforderlich sein. 128 BVerwGE 59, 231 (237). 129 BVerfGE 38, 281 (302 ff.), wobei das Gericht sich mit der Rechtfertigung erkennbar schwer tut, dafür wenig mehr als die Tradition aufzubieten hat (S. 309) und zu dem schwachen Resümee kommt, den Arbeitnehmerkammern könne "trotz der auf dem Gebiet der freien Interessenwahrung unzweifelhaft bestehenden Konkurrenz mit den Gewerkschaften die Daseinsberechtigung nicht völlig abgesprochen werden", auch wenn sie keine "für die Gemeinschaft oder auch nur fur die Gruppe der Arbeitnehmer schlechthin notwendige Einrichtung" seien (S. 308). 130 BVerfGE 10, 89 (102, 104); vgl. auch BVerfGE 15, 235 (242). 131 BVerfGE 10, 89 (103).

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. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im

-Bürger-Verältnis

bb) Der Unterlassungsanspruch des Mitglieds gegen den Zwangsverband Im Ergebnis erfolgreicher war vor den Verwaltungsgerichten die Geltendmachung des mitgliedschaftlichen Anspruchs auf Unterlassung kompetenzwidriger Betätigungen des öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes. Auch in der Literatur wird die größere Effektivität des Grundrechtsschutzes, den Art. 2 Abs. 1 GG insoweit entfaltet, konstatiert^und begrüßt 132 . Diese Einschätzung bedarf einer gewissen Relativierung. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG hat insoweit prozessual dem Mitglied die - gesetzlich nicht eingeräumte - Klagemöglichkeit vermittelt. In der Sache aber hat es vornehmlich dazu gedient - und schien es mitunter darauf beschränkt zu sein 1 3 3 -, die Gesetzesbindung der öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände durchzusetzen ; eine unmittelbar verfassungsrechtliche Überprüfung und Begrenzung der - gesetzlich zugewiesenen - Aufgaben von Zwangsverbänden hat es nicht bewirkt. Auch die umfangreicheren Ausführungen in Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit einer allgemein-politischen Betätigung von öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden, insbesondere in bezug auf die Wahrnehmung des allgemein-politischen Mandats durch Organe der verfaßten Studentenschaft, sind nicht tragend fur die Entscheidung, bestätigen vielmehr nur die bestehende gesetzgeberische Aufgabenumschreibung und verteidigen sie gegen das Vorbringen, diese sei, insbesondere aus grundrechtlichen Erwägungen, zu eng und deshalb verfassungswidrig 134. Von dieser Verwaltungsrechtsprechung ausgehend hat das Bundesverfassungsgericht - in seiner ersten Entscheidung zur Finanzierung nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche durch die gesetzlichen Krankenkassen - sogar ausdrücklich eine verfassungsrechtliche Überprüfung der gesetzlichen Aufgabenzuweisung auf den mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruch hin verweigert 135 .

132 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, S. 149 f.; Redeker, NJW 1982, 1266 (1267). 133 BVerwGE 34, 69 (74); 64, 115 (117); vgl. jedoch auch BVerwGE 59, 231 (237 f.). 134 BVerwGE 34, 69 (74 ff.); 59, 231 (238 ff.). 135 BVerfGE 67, 29 (38).

3. Kapitel

Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis Die Freiheit des Bürgers, eine bestimmte Tätigkeit zu unterlassen, ist nicht nur durch - unmittelbar und allein - dem Staat zurechenbare Zwänge gefährdet. Sie kann auch durch die Mitbürger und deren Aktivitäten bedroht werden. Derartige Konflikte zwischen Privaten können in den verschiedensten Lebensbereichen - und damit auch im Schutzbereich verschiedener spezieller Freiheitsrechte und des allgemeinen Freiheitsrechts - auftreten. Zum Gegenstand des verfassungsrechtlichen Interesses sind etwa die mögliche Beeinträchtigung der Freiheit, sich nicht zu informieren und nicht zu hören, durch die Berieselung mit Werbimg oder Musik in Kaufhäusern, Bussen etc., vor allem aber zwei Problembereiche geworden: Zum einen ist der Konflikt zwischen dem Wunsch nach religiöser Betätigung von Bürgern, insbesondere im Rahmen des Krankenhaus-, Strafgefangenen-, Militär- und Schulverhältnisses, und der negativen Religionsfreiheit nicht- oder andersgläubiger Bürger in einer Reihe von Gerichtsentscheidungen und Stellungnahmen erörtert worden; hervorzuheben ist insbesondere die Kontroverse um die Abhaltung eines Schulgebets zu Beginn des Unterrichts. Zum anderen ist der Schutz des nichtorganisierten Arbeitnehmers in seiner negativen Koalitionsfreiheit gegenüber den Gewerkschaften und ihren Aktivitäten von besonderem Interesse gewesen, wobei die Diskussion um die Zulässigkeit sogenannter tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln herausragt. Die Anwendung der negativen Freiheitsrechte auch in solchen Konflikten mit anderen Privaten führt in ein zentrales Problem, das das grundlegende Problem jeglicher Grundrechtsgewährleistung im Bürger-Bürger-Verhältnis 1 ist: Allfallige Schutzwirkungen der negativen Freiheitsrechte treffen - jedenfalls mittelbar - einen anderen grundrechtsberechtigten Privaten, dessen - als Betätigungszwang empfundenes - Verhalten ebenfalls grundrechtlichen Schutz beansprucht. So stehen sich in diesem Konflikt Berufung auf negatives und positives Freiheitsrecht, zumeist auf negative und positive Seite desselben Freiheitsrechts entgegen, und nur eine der beiden behaupteten Grundrechtspositionen wird sich im Ergebnis durchsetzen können: Entweder fuhrt die

1 Vgl. dazu etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 354; ders., Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 24 f.; Rupp, in: Handbuch des Staatsrechts I, § 28 RN 34; Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, S. 1513.

90

3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

Berufung auf das negative Freiheitsrecht zum Verbot (oder zu einer anderen Sanktionierung) der Betätigung des anderen, oder aber die geltend gemachte Unterlassensfreiheit muß dem grundrechtlichen Schutz dieser Betätigung weichen. Vor dem Hintergrund dieses zentralen Problems untersucht dieses Kapitel die Rechtsprechung und Literatur darauf, ob die negativen Freiheitsrechte auch in derartigen Konflikten mit anderen Privaten prinzipiell anwendbar sein sollen (I.) und - gegebenenfalls - wieweit ihr Schutz gegenüber den anderen Privaten reichen soll (II.).

I. Die prinzipielle Anwendbarkeit der negativen Freiheitsrechte Es scheint Gemeingut heutigen Grundrechtsverständnisses zu sein, daß die Freiheitsrechte nicht mehr nur die Funktion subjektiver Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates in die individuelle Freiheitssphäre haben, wie dies einem herkömmlichen liberal-rechtsstaatlichen Freiheitsverständnis entspricht. Ausgehend von der These, die Freiheitsrechte enthielten auch objektive Wertentscheidungen oder objektiv-rechtliche Grundsatznormen, wird ihnen heute eine weiterreichende Bedeutung fur die gesamte Rechtsordnung und eine Reihe weitergehender Schutzfunktionen zuerkannt2. Auf der Grundlage dieses allgemeinen Grundrechtsverständnisses stellt die prinzipielle Anwendbarkeit der negativen Freiheitsrechte - wie auch der entgegenstehenden positiven Freiheitsrechte - auf Konflikte zwischen Privaten kein besonderes Problem und keinen Gegenstand ausfuhrlicherer Erörterungen dar. Es gilt als selbstverständlich, daß beide Kontrahenten sich auf ihre Grundrechte - soweit diese tatbestandlich einschlägig sind - berufen können.

1. Die einschlägigen Grundrechtsfunktionen Dabei ist allerdings eine Differenzierung hinsichtlich der Grundrechtsfunktionen, in welchen die negativen Freiheitsrechte jeweils wirksam werden können, erforderlich, weil die sozialen Beziehungen zwischen Privaten, in denen Konflikte zwischen dem Tun des einen und dem Nichttunwollen des anderen entstehen können, unterschiedlichen rechtlichen Regelungssystemen unterfallen können.

2 Vgl. dazu nur Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1; Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 79 (94 f.); Jarass, AöR 110 (1985), 363; Stern, Staatsrecht m/1, S. 907 ff.

I. Die prinzipielle Anwendbarkeit

91

Wo sie - wie das ζ. B. in den zivil- oder arbeitsgerichtlich ausgetragenen Streitigkeiten um die negative Koalitionsfreiheit der Fall ist - unmittelbar in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten entstehen und privatrechtlich geregelt sind, stellt sich in dem engeren und üblichen Sinn die Frage nach einer Drittwirkung der Grundrechte. Sie wird heute im allgemeinen zwar nicht im Sinne einer unmittelbaren Geltung als subjektiv-öffentliche Rechte auch in privatrechtlichen Streitigkeiten, wie Schwabe sie zu begründen versucht hat 3 , oder einer unmittelbaren Drittwirkung, wie insbesondere Nipperdey und das Bundesarbeitsgericht sie angenommen haben4, jedenfalls aber im Sinne einer mittelbaren Drittwirkung oder Ausstrahlungswirkung bejaht5. Diese hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt so umschrieben: "Eine Bindung des Richters an die Grundrechte kommt bei dieser streitentscheidenden Tätigkeit auf dem Gebiet des Privatrechts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht unmittelbar, wohl aber insoweit in Betracht, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente objektiver Ordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung fur alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen können ... Hier wirkt der Rechtsgehalt der Grundrechte über das Medium der das einzelne Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere der Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Begriffe, die im Sinne dieses Rechtsgehalts ausgelegt werden müssen, auf dieses Rechtsgebiet ein ..." 6 . Daß zumindest eine solche mittelbare Drittwirkung oder Ausstrahlungswirkung auch den negativen Freiheitsrechten zukommt, ist unstreitig7. Dem Grundrecht der negativen Koalitionsfreiheit wird darüber hinaus - unter Hinweis auf die in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG angeordnete unmittelbare privatrechtliche Wirkung - als einzigem negativem Freiheitsrecht unmittelbare Drittwirkung zugesprochen8.

3 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, insb. S. 16 if., 149, 154 ff.; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 213; ders., AcP 185 (1985), 1. 4 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14 ff.; ders., in: Die Grundrechte IV/2, S. 741 (747 ff.); BAGE 1, 185 (193 f.); 1, 258 (262); 4, 240 (243); 4, 274 (276 ff.); 7, 256 (260); 13, 168 (174 ff.); 24, 438 (441); NJW 1978, 1874 f. 5 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (204 ff.). In der Literatur vgl. insb. Düng, in: FS Nawiasky, S. 157 ff., und ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. m RN 127 ff., Art. 2 Abs. I RN 56 ff.; zur heutigen Anerkennung der mittelbaren Drittwirkung vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 356; von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Vor Art. 1 - 19 RN 31; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 RN 191 ff. 6 BVerfGE 73, 261 (269). 7 Vgl. etwa Düng, in: FS Nawiasky, S. 157 (184 FN 61); Eberle, DÖV, 1977, 306 (311); Göttfried, NJW 1963, 1961 (1963); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (66 f., 73 f.). 8 Dietz, in: Die Grundrechte m/1, S. 417 (457 f.); Neumann, DB 1967, 1545 (1547); Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 84; Steinberg, RdA 1975, 99 (102).

92

3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

Der soziale Konflikt zwischen Privaten kann sich aber auch nur vermittelt, in öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen beider bzw. des einen von beiden zu einem Hoheitstrager widerspiegeln. In der gesellschaftlichen Öffentlichkeit ist das insbesondere möglich, wenn der Staat Straf- und Polizeirecht zum Schutz anderer Privater einsetzt; mehr noch interessieren hier Konflikte im Rahmen öffentlich-rechtlicher Sonderstatusverhältnisse, die der Staat in hoheitlicher Form, insbesondere durch Ge- oder Verbote gegenüber einem der beiden Kontrahenten löst oder lösen soll. Auch hier sieht sich der Staat der Berufung auf zwei entgegenstehende Grundrechtspositionen ausgesetzt. Die negativen Freiheitsrechte können entweder als staatsgerichtete Abwehrrechte tangiert sein, wenn sie den Bürger vor einem Betätigungszwang bewahren sollen, den der Staat im Interesse der Betätigung anderer ausübt, oder sie werden in der aus dem Verständnis der Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung gewonnenen Schutzpflichtfunktion 9 geltend gemacht, wenn der Bürger aus ihnen einen Anspruch auf hoheitliches Einschreiten gegen die Betätigung anderer ableiten will. Ganz entsprechend können auch die entgegenstehenden positiven Freiheitsrechte in einer dieser beiden Grundrechtsfunktionen Anwendung finden.

2. Die Äquivalenz der verschiedenen Grundrechtsfunktionen Die Differenzierung zwischen verschiedenen Grundrechtsfunktionen und die Unterschiede in der Konstruktion der Grundrechtsgeltung haben jedoch keine vorentscheidende Bedeutung fur die Qualität des Grundrechtsschutzes, den die negativen wie auch die positiven Freiheitsrechte im Konflikt mit anderen Privaten gewähren können. Es besteht - wie Alexy zum Verhältnis der verschiedenen Drittwirkungstheorien zueinander formuliert 10, aber auch in bezug auf die Grundrechtsgeltung in öffentlich-rechtlich geregelten BürgerBürger-Verhältnissen gesagt werden kann - Ergebnisäquivalenz in dem Sinn, daß in allen Konstellationen eine nach Wirkungsweise und Inhalt gleichartige Grundrechtsgeltung zumindest möglich ist. Übereinstimmung besteht darin, daß die Grundrechte dem einzelnen subjektive, mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbare Rechte einräumen, und zwar nicht nur in der herkömmlichen Funktion als staatsgerichtetes Abwehrrecht, sondern auch in den sogenannten neueren, objektiv-rechtlich begründeten Funktionen. Für die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte in privatrechtlichen Streitigkeiten ist das schon von Beginn an - wenn auch ohne

9 Vgl. dazu allgemein nur Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 350; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 103 ff. 10 Alexy, a.a.O., S. 483.

I. Die prinzipielle Anwendbarkeit

93

dogmatisch überzeugende Begründung - anerkannt 11. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht haben Stimmen in der Literatur stärker zwischen der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Staates und dem subjektiven Recht oder Schutzanspruch des Bürgers unterschieden und die notwendige Kongruenz beider bezweifelt 12 . Mit Recht sind freilich der Charakter der Grundrechte als individueller Rechte und die verstärkte Chance ihrer Realisierung als - durch keine zwingenden Gegenargumente zu entkräftende - Argumente für eine umfassende Subjektivierung der Schutzpflichten ins Feld gefuhrt worden 13 . Das Bundesverfassungsgericht, das lange eine Festlegung vermieden, allerdings auch in keinem Fall einer bejahten objektiv-rechtlichen Grundrechtspflicht die erforderliche subjektiv-rechtliche Umsetzung verweigert hatte 14 , hat sich inzwischen wohl darauf festgelegt, die subjektiv-rechtliche Geltendmachung des objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalts generell für zulässig zu halten 15 . Das erscheint um so einleuchtender, wenn der einzelne Grundrechtsschutz nicht wie es etwa im Problemfeld des Umweltschutzes häufig der Fall ist - neben vielen anderen Betroffenen gegen diffuse, komplex verursachte Beeinträchtigungen, sondern - wie es in den hier interessierenden Konstellationen der Fall ist - in einem konkreten Konflikt gegen bestimmte andere Private begehrt. Auch hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite und Bedeutung der Freiheitsrechte ergeben sich keine zwingenden Unterschiede. Wie vor allem Schwabe in seinen Ausführungen zur sogenannten Drittwirkung gezeigt hat, kann allein die öffentlich- oder privatrechtliche Form der Entscheidung einen materiellen Unterschied nicht begründen 16. Der Zivilrichter einerseits und der Strafrichter, der Verwaltungsbeamte und Verwaltungsrichter andererseits stehen vor der prinzipiell gleichen Aufgabe einer Grenzziehung zwischen den Freiheitssphären zweier Bürger. Der grundrechtlich vorgegebene Grenzverlauf, gleich ob er im Rahmen einer Polizeiverfügung, eines verwaltungs-, straf- oder zivilgerichtlichen Urteils festzustellen ist, ist der nämliche, solange ein vergleichbarer oder gar der identische Konflikt um den Freiheitsgebrauch zwischen beiden Bürgern zu beurteilen ist. Auch ob der Bürger sich - im Bereich des öffentlichen Rechts - auf sein Grundrecht schon in der ursprünglichen 11

BVerfGE 7, 198 (206 f.); kritisch zur dogmatischen Herleitung Canaris , AcP 184 (1984), 201 (224); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 110 f. 12 Badura, in: FS Eichenberger, S. 481 (491 f.); Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 50; Steinberg, NJW 1984, 457 (460 f.). 13 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414; ders., Der Staat 29 (1990), 49 (60 ff.); Hermes, a.a.O., S. 208 ff. 14 Vgl. Jarass, AöR 110 (1985), 363 (369). 15 BVerfGE 76, 1 (49 f.); 77, 170 (214 f.). Vgl. dazu Böckenförde, Der Stoat 29 (1990), 1 (17); Stern, Staatsrecht m/1, S. 985. 16 Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 26 ff.; vgl. auch Canaris, AcP 184 (1984), 201 (212); Rüjher, in: Gedächtnisschrift Martens, S. 215 (221).

94

3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Funktion oder erst in einer der sogenannten neueren, aus dem objektiv-rechtlichen Verständnis der Grundrechte hergeleiteten Funktionen berufen kann, bleibt ohne ausschlaggebende Bedeutung, wo es um das Gewicht der Grundrechtspositionen im Konflikt zweier Privater geht. Ein gewisser Vorrang fur das abwehrrechtlich geltend gemachte Grundrecht wird zwar mitunter behauptet17, doch soll und kann das nicht im Sinne einer abstrakten rechtlichen Vorentscheidung fur den Kollisionsfall gemeint sein. Bezeichnenderweise bleibt in der Schulgebetsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts letztlich unklar, in welcher Funktion, ob als Abwehrrecht oder in einer Schutzpflichtfunktion, das negative und das positive Freiheitsrecht aus Art. 4 GG sich gegenüberstehen sollen, wenn es vom Aufeinandertreffen von "zwei Grundrechtsausübungen" spricht 18. Ergebnisäquivalenz besteht insoweit schließlich auch - im Bereich des Privatrechts - zwischen sogenannter unmittelbarer Drittwirkung, wie sie der negativen Koalitionsfreiheit zukommen soll, und mittelbarer Drittwirkung, wie sie allen negativen Freiheitsrechten jedenfalls zuerkannt wird; auch die scheinbar schwächere, bloß mittelbare Drittwirkung führt nicht notwendig zu einer geringeren Wirksamkeit 19 . Auch als Elemente objektiver Ordnung, die auf das Privatrecht und seine Anwendung ausstrahlen, gelten die Grundrechte nicht bloß als außerrechtliche Wertungsgesichtspunkte, wie sie der Richter sonst bei der Anwendung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen heranziehen kann, sondern als zwingend zu beachtendes höherrangiges Recht. Als solches können sie den Grund abgeben für eine Erweiterung oder Beschränkung der Rechte und Pflichten von Privaten in ihren wechselseitigen Rechtsverhältnissen und so privatrechtlich wirksam werden. Der Versuch, diese Wirkung dem Umfang nach auf die Anwendung des Privatrechts und insbesondere die Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechts-

17

Jarass, AöR 110 (1985), 363 (384); Rüfher, in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (464 f.); vgl. auch Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (559), die sich dabei aber nicht auf die materielle Gewichtigkeit, sondern auf den formellen Aspekt der Vollzugsbedürftigkeit der Schutzpflicht im Gegensatz zur spezifisch-konkreten Wirkung des Abwehrrechts beziehen. 18 BVerfGE 52, 223 (251, vgl. auch 241); vgl. dazu näher unten 7. Kapitel, Abschnitt II 2 a) bb). 19 Vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 483 f.; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (10 f.); Eckhold-Schmidt, Legitimation durch Begründung, S. 71 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 RN 194; Stern, Staatsrecht m/1, S. 1550. Die in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG angeordnete umfassende und direkte Drittwirkung begründet deshalb keinen spezifischen, durchschlagenden Einwand gegen die Annahme einer negativen Koalitionsfreiheit, wie gelegentlich (vgl. etwa Arndt, in: FS Kunze, S. 265 [266, These 6]; Biedenkopf, JZ 1961, 346 [352]; Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 [37]; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/l, S. 157 f.) wegen der drohenden Einschränkung der positiven Koalitionsfreiheit angenommen wird.

II. Inhaltliche Reichweite und Bedeutung

95

begriffen zu beschränken20, ist mit dem Geltungsvorrang rechtlich nicht zu vereinbaren 21. Diese Begrenzung kann und soll bei genauerer Betrachtung auch nicht die Grenze der Grundrechtsgeltung gegenüber dem Privatrecht markieren, sondern dem Zivilrichter, auf den die Theorie der mittelbaren Drittwirkung abzielt, lediglich die Grenze angeben, bis zu der er selbst in der Gesetzesanwendung - im Wege verfassungskonformer Auslegung - dem Grundrecht Geltung verschaffen kann; jenseits dieser Grenze müßten, da die Grundrechtsbindung des Privatrechtsgebers vorausgesetzt wird, die einschlägigen privatrechtlichen Normen selbst als grundrechtswidrig verworfen werden. Im übrigen ist diese Beschränkung aber auch schon praktisch kaum tauglich, weil sich im Privatrecht selbst Lösungen, die durch nicht auslegungsfähige Regelungen vorgegeben scheinen, vom Richter durch Rückgriff auf allgemeine Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe weithin wieder korrigieren lassen. So können die Grundrechte, soweit ihr objektivrechtlicher Gehalt reicht, auch nach der Theorie der mittelbaren Drittwirkung ihren Vorrang in vollem Umfang und mit direkter privatrechtlicher Wirkung zur Geltung bringen.

IL Inhaltliche Reichweite und Bedeutung der negativen Freiheitsrechte Das eingangs beschriebene zentrale Problem einer Anwendung der Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis ist damit allgemein aufgeworfen. In den verschiedenen rechtlichen Konstellationen prinzipiell gleich, ist es für die negativen Freiheitsrechte bei der weiteren Frage nach ihrer inhaltlichen Reichweite und Bedeutung im Verhältnis zu anderen Bürgern zu bewältigen.

1. Die tatbestandliche Kollision zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten Der Klärung bedarf zunächst, ob und inwieweit nunmehr die Möglichkeit tatbestandlicher Kollisionen zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten - und damit überhaupt die Möglichkeit, daß die Berufung auf negative Freiheitsrechte der Ausübung positiver Freiheitsrechte durch andere Private Grenzen setzt - eröffnet ist. 20

So insb. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 355 f. Für das Bundesverfassungsgericht wirken die Grundrechte lediglich vornehmlich, nicht aber ausschließlich über die Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und -bedürftigen Begriffe; vgl. BVerfGE 7, 198 (206); 73, 261 (269). 21 Böckenförde, a.a.O.; Canaris , AcP 184 (1984), 201 (223); Rüfrier, in: Gedächtnisschrift Martens, S. 215 (225 f.).

96

3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

a) Das Bemühen um eine generelle tatbestandliche

Grenzziehung

Von vorrangigem Interesse muß der Versuch sein, das Problem einer möglichen Kollision bereits durch eine generelle tatbestandliche Grenzziehung zwischen positiven und negativen Freiheitsrechten aufzuheben. Ansätze auf dieser Ebene - also, in der Terminologie des subjektiven Abwehrrechts gesprochen, auf der Ebene von Schutzbereich und Eingriff - verheißen die dogmatisch sauberste Lösung, weil sie die größtmögliche Annäherung an die grundrechtstypische Staat-Bürger-Konstellation erreichen: Ergibt die Bestimmung des Schutzbereichs der beiderseits in Rede stehenden Grundrechte, daß nur einem der beiden Kontrahenten der Grundrechtsschutz zusteht, so stehen sich zwar zwei potentielle Grundrechtsträger, aber doch nicht zwei aktuelle Grundrechtspositionen gegenüber; nur vor dem einen Grundrecht muß sich die staatliche Entscheidung der Streitigkeit rechtfertigen. aa) Ansätze in Rechtsprechung und Literatur In diese Richtung deutende Ansätze in Rechtsprechung und Literatur bleiben teilweise bei harmonisierenden Aussagen etwa des Inhalts stehen, Kollisionsprobleme entstünden nur bei Überdehnung des Schutzbereichs der beiden Freiheitsrechte 22 oder, weil die positive, kollektive Koalitionsfreiheit nicht das Recht enthalte, sich widerstrebende einzelne zwangsweise zu inkorporieren, bestehe der angebliche Widerspruch zwischen beiden Freiheitsrechten nicht 23 . Sie versprechen freilich allenfalls scheinbar eine tatbestandliche Klärung, weil sie sich einer generellen inhaltlichen Abgrenzung enthalten und lediglich die im Einzelfall erforderliche und inhaltlich zu leistende Grenzziehung zwischen den beiden Grundrechtspositionen als Auslegungsproblem statt als Kollisionslösung deklarieren. Eine wirkliche tatbestandliche Klärung muß auch inhaltlich eine der beiden Seiten im Konflikt prinzipiell favorisieren, indem sie einem der sich entgegenstehenden Freiheitsrechte die tatbestandliche Einschlägigkeit (oder jedenfalls die Fähigkeit zur Beschränkung des anderen Freiheitsrechts) generell abspricht. Solche Thesen sind am deutlichsten im Schulgebetsstreit vertreten worden.

22

Vgl. etwa Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 110 f. mit FN 1, der dabei allerdings auch auf die Grundrechtsschranken verweist. 23 Von Münch, in: BK, Art. 9 (Zweitbearb.) RN 140.

. Inhaltliche Reichweite und Bedeutung

97

Für die der negativen Seite, konkret der negativen Religionsfreiheit günstige Position steht vor allem die - in der Literatur heftig kritisierte 24 und in der Rechtsprechung später ausdrücklich zurückgewiesene25 - Schulgebetsentscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs 26. Das Gericht sieht durch das gemeinsame Schulgebet im Klassenverband den betunwilligen Schüler gezwungen, durch eine Nichtteilnahme am Gebet seine abweichende Überzeugung zu offenbaren, und so in seiner negativen Bekenntnisfreiheit tangiert 27 . Bereits zuvor fuhrt es aus, dieses Recht zum Verschweigen der eigenen religiösen Überzeugung gelte, auch gegenüber den Rechtsgenossen, "unbedingt und ausnahmslos. Da es nicht in fremde Rechtskreise eingreift, ist es weder eingeschränkt noch einschränkbar "; jede Ausübung von Zwang zur Offenbarung sei unbedingt und ohne Vorbehalt untersagt 28. Das möglicherweise entgegenstehende Grundrecht der betwilligen Schüler auf positive Religionsausübungsfreiheit wird damit zwar nicht tatbestandlich ausgeschlossen, aber doch wirkungslos gestellt, weil es von vornherein das negative Freiheitsrecht nicht einzuschränken vermöge, vielmehr seinerseits durch dieses beschränkt werde 29 . Mit der Feststellung, daß der Schutzbereich der negativen Bekenntnisfreiheit betroffen ist, ist zugleich deren Verletzung und auch die Verletzung des Grundrechts auf negative Kultusfreiheit festgestellt. Der Konflikt ist im Sinne eines absoluten Vorrangs des negativen Freiheitsrechts entschieden. Die Kritik an dieser Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs hat teilweise zu Stellungnahmen geführt, die nun ihrerseits die positive Religionsausübungsfreiheit im Verhältnis zu anderen, die jeweilige religiöse Betätigung ablehnenden Privaten absolut zu stellen scheinen. Die Gegenthese lautet, das Grundrecht auf negative Religionsfreiheit sei kein Verhinderungsrecht, gebe dem Bürger keinen Anspruch darauf, daß andere ihre grundrechtlich geschützte, religiöse Betätigung unterlassen30; eine solche Betätigimg anderer 24

Vgl. insb. Böckenförde, DÖV 1966, 30; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 62 ff.; Hamel, NJW 1966, 18; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 60 f., 121; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 15; Scheuner, DÖV 1966, 145 (151 ff.). 25 Vgl. BVerwGE 44, 196 (200); BVerfGE 52, 223 (245 ff.). 26 HessStGH, ESVGH 16, 1. 27 A.a.O., S. 9. 28 A.a.O., S. 8. 29 A.a.O., S. 10. Der Hessische Staatsgerichtshof legt dabei die Annahme zugrunde, die Religionsausübungsfreiheit unterliege als Anwendungsfall der allgemeinen Handlungsfreiheit den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG, die zu Recht als unhaltbar kritisiert worden ist; vgl. Böckenförde, DÖV 1966, 30 (33 f.); Hamel, NJW 1966, 18 f.; BVerfGE 52, 223 (246). 30 Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 94; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1163); ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 60 f., 121; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 13; vgl. BVerwGE 44, 196 (200). 7 Hellermann

98

3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

Privater, die Konfrontation damit und die Notwendigkeit der Distanzierung davon begründeten keinen Zwang und keinen Eingriff in das negative Freiheitsrecht, vor dem der Staat den Bürger zu bewahren hätte 31 . bb) Kritik Diesen tatbestandlichen Abgrenzungsversuchen ist gewiß zuzustimmen, soweit sie nur klarstellen wollen, daß nicht ohne weiteres aus den negativen Freiheitsrechten ein Anspruch gegen Dritte auf Unterlassung ihrer Betätigung32 und aus den positiven Freiheitsrechten ein Anspruch auf MitTun anderer 33 folgt. Wenn sie aber darüber hinaus meinen, zu einer Grundrechtskollision und im Ergebnis zu einem solchen Anspruch könne es überhaupt nicht kommen, weil der Bürger durch die Ausübung des einen Freiheitsrechts nicht in das Freiheitsrecht des anderen eingreifen könne, so ist ihnen entgegenzuhalten, daß sie sich auf eine verengte, an den Grundrechten als staatsgerichteten Abwehrrechten orientierte Auffassung von Schutzbereich und Eingriff stützen. Auf dieser Grundlage - und nur auf dieser - ist die Behauptung in ihrer tatbestandlichen Striktheit zutreffend: Der Bürger kann in der Tat die rechtliche Freiheit eines anderen zum Tun oder Unterlassen nicht einseitig beeinträchtigen, denn für Eingriffe durch Ge- oder Verbote, wie sie der Staat kraft seiner Hoheitsgewalt vornehmen kann, fehlt ihm von vornherein die Rechtsmacht; diese wird auch nicht verliehen durch die positiven oder negativen Freiheitsrechte. Gerade weil das im Verhältnis Privater notwendig so ist, darf aber dieses enge Verständnis von Schutzbereich und Eingriff der Anwendung der Grundrechte im BürgerBürger-Verhältnis nicht zugrunde gelegt werden. Es nimmt den Freiheitsrechten, genauer gesagt jeweils einem der beiden widerstreitenden Freiheitsrechte auf der Tatbestandsebene das vollständig wieder, was den Grundrechten allgemein zunächst als Schutzfunktion zuerkannt worden ist; denn mit der Anerkennung ihrer - mittelbaren - Drittwirkung und der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates ist für die Freiheitsrechte grundsätzlich entschieden, daß sie nicht nur gegenüber Eingriffen in diesem engeren Sinn hoheitlichen Zwangs, sondern auch gegenüber anderen, privat bewirkten Freiheitsgefahrdungen rechtlichen Schutz gewähren sollen, so daß

31 Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61 f.; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 94; Hornel, NJW 1966, 18 (20); von Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O. 32 Vgl. etwa Hufen, DÖV 1983, 353 (358 mit FN 47), kritisch zur Uminterpretation der negativen Kunstfreiheit in eine Freiheit, nicht mit Kunst behelligt zu werden, bzw. in ein Recht, andere an künstlerischer Betätigung zu hindern. 33 Vgl. dazu etwa Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 110; Suhr, NJW 1982, 1065 (1067); Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 RN 19.

Π. Inhaltliche Reichweite und Bedeutung

99

die staatlichen Instanzen durch sie verpflichtet sein können, die Freiheitsrechte eines anderen Bürgers zu beschränken34. Auch zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten sind danach tatbestandliche Kollisionen oder Spannungslagen keineswegs ausgeschlossen. Denn einerseits schützen die positiven Freiheitsrechte Handlungen, die auf andere Private" störend wirken und Druck ausüben können; andererseits können auch die negativen Freiheitsrechte nicht auf die Privatsphäre des einzelnen beschränkt, vom Tun anderer gänzlich unabhängig gedacht werden. Böckenförde hat dies - am Beispiel der negativen Bekenntnisfreiheit - in seiner Kritik an der Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs, der eine Kollision zwischen dem Recht auf Schweigen als einem Nicht-Handeln und Rechten anderer für begrifflich ausgeschlossen hielt, deutlich gemacht: "Diese Annahme ist irrig; sie verkennt die soziale Bezogenheit, die jedem Recht und seiner Ausübung innewohnt, auch wenn es sich um ein Recht zum Schweigen handelt. Denn zu jedem subjektiven Recht des einen gehört notwendig eine entsprechende Verpflichtung eines oder der anderen; ... Dem Recht zum Schweigen, das jemand hat, entspricht die Verpflichtung der anderen, das Schweigenkönnen nicht zu stören oder gar durch ein bestimmtes Verhalten unmöglich zu machen"35. Sind aber Beeinträchtigungen dieser Art einmal als grundrechtlich erheblich anerkannt, so kann keineswegs mehr generell ausgeschlossen werden, daß - je nachdem, wie der Konflikt am Ende zu lösen ist entweder die positiven Freiheitsrechte einen auf andere ausgehenden Betätigungsdruck, eine Beeinträchtigung ihrer negativen Freiheitsrechte rechtfertigen oder aber die negativen Freiheitsrechte einen Anspruch auf Unterlassung einer störenden Betätigung, also der Ausübung positiver Freiheitsrechte geben können.

b) Die tatbestandliche

Unbegrenztheit

möglicher Kollisionen

Jenseits der Entscheidung für eine prinzipielle Geltung der Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis kann es überhaupt keine generelle tatbestandliche Begrenzung der grundrechtlich erheblichen Freiheitsbeeinträchtigungen unter Privaten - und damit der möglichen Grundrechtskollisionen - mehr

34

Die Reduktion des negativen Freiheitsrechts auf ein staatsgerichtetes Abwehrrecht wird ganz deutlich, wenn die Möglichkeit eines Anspruchs gegen den Staat auf Einschreiten gegen die störende Tätigkeit Dritter bestritten wird; vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 62; dersin: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 95; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 149. Vgl. weiter Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 75, der Art. 4 Abs. 1 GG gegenüber missionierender Tätigkeit anderer ausdrücklich die Drittwirkung bestreitet. 35 Böckenförde, DÖV 1966, 30 (33); vgl. auch von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 64; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 98. 7»

100

3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

geben. Das Bemühen um eine grundrechtsdogmatische Lösung mit solch klaren Konturen, wie sie im Staat-Bürger-Verhältnis die Begriffe von Schutzbereich und Eingriff versprechen, muß hier scheitern. Wenn auch im Verhältnis der Bürger zueinander gelegentlich von (rechtswidrigen) "Eingriffen" des einen in das Grundrecht des anderen die Rede ist 3 6 , so kann diesem Begriff doch nicht mehr der definitorische Gehalt zukommen, wie ihn jedenfalls der traditionelle Eingriffsbegriff im Staat-Bürger-Verhältnis besitzt. Nur in diesem asymmetrischen Verhältnis, in dem einerseits die Rechtsmacht des Staates zu einseitig-verbindlicher Regelung gegenüber dem Bürger, andererseits der prinzipielle Vorrang der grundrechtlichen Freiheit des Bürgers und die prinzipielle Rechtfertigungsbedürftigkeit staatlichen Eingriffshandelns vorausgesetzt sind, können die Freiheitsrechte nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip der Eingriffs- und Schrankendogmatik konstruiert werden, so daß alles dem Begriff des Eingriffs unterfallende staatliche Handeln nur dann ausnahmsweise erlaubt ist, wenn es sich vor den Schranken des Freiheitsrechts rechtfertigen kann 37 . Im symmetrisch gedachten Verhältnis zweier Privater, die sich beide gleichermaßen auf die grundrechtlich vorausgesetzte Erlaubtheit und Unbegrenztheit ihres Freiheitsgebrauchs berufen können, zueinander aber gibt es keine prinzipielle Entscheidung darüber, wessen Freiheitsgebrauch sich vor dem Freiheitsrecht des anderen rechtfertigen muß, und kann es deshalb auch kein generelles Kriterium dafür geben, wann das Verhalten des einen einen Eingriff in das Freiheitsrecht des anderen darstellt. Die Freiheitsrechte können hier - in der Terminologie von Alexy - nicht als Regeln wirken, die gelten oder nicht gelten, also tatbestandlich einschlägig sind oder nicht und Ausnahmen zulassen oder nicht; sie wirken vielmehr als Prinzipien, d. h. Optimierungsgebote, die ein relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohes Maß an Realisierung gebieten38. Als solche sind die beiderseitigen Freiheitsrechte anwendbar und erlauben nur quantitative oder graduelle Abstufungen hinsichtlich ihrer jeweiligen Bedeutung für die Lösung des Konflikts 39 . Auf dieser gleitenden Skala ist ein Nullpunkt, unterhalb dessen ein Freiheitsrecht keinerlei Wirkung mehr ausstrahlt, nicht zwingend festzumachen, sondern allenfalls in pragmatischer Absicht, sozusagen als vorweggenommenes Ergebnis einer Einschätzung

36

BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 54, 148 (152, 155); 56, 54 (73); vgl. auch, sich eher davon distanzierend, BVerfGE 66, 116 (135). 37 Zur Verteilung von Rechtfertigungslasten bzw. zum Regel-Ausnahme-Prinzip als Charakteristikum der Eingriffs- und Schrankendogmatik vgl. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 67 f.; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467). Zu dem darin wiederkehrenden, sogenannten rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. 38 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 39 Alexy, a.a.O., S. 78 f.

. Inhaltliche Reichweite und Bedeutung

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der beiderseitigen Grundrechtspositionen anzunehmen, wenn der Berufung auf ein Freiheitsrecht im Ergebnis keinerlei Erfolgschance beigemessen wird. In ihrer objektiv-rechtlichen Bedeutung bzw. Ausstrahlungswirkung können die negativen Freiheitsrechte deshalb tatbestandlich angesprochen sein und in eine Kollision mit entgegenstehenden positiven Freiheitsrechten geraten, wann immer die Betätigung eines Bürgers die Sphäre eines anderen, diese Betätigung ablehnenden Bürgers berührt. Nicht nur eine Tätigkeit wie die Nötigung mit Gewalt oder Drohung oder die Werbung in ihren verschiedenen Varianten, die gezielt einen anderen zu einem Tun bewegen will, sondern letztlich jede Betätigung eines Privaten, die nicht völlig zurückgezogen, sondern von anderen wahrnehmbar erfolgt, kann zunächst als - wenn auch im Ergebnis vielleicht hinzunehmende - Einschränkung negativer Freiheitsrechte dargestellt werden. Im Verhältnis der Bürger zueinander folgt erst aus den verschiedensten objektiven Gegebenheiten und notwendig auch aus subjektiven Einstellungen, ob, in welcher Intensität und in welcher Richtung der eine Bürger durch das Tun eines anderen in seiner Freiheit beeinträchtigt wird, ob er sich dadurch zu eigenem Tun - sei es zum Mit-Tun, sei es zur Distanzierung - gedrängt, bloß gestört oder gar nicht beeinträchtigt sieht. So ist ζ. B. von außen unentscheidbar, ob der nichtorganisierte Arbeitnehmer sich durch die Vereinbarung tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft tatsächlich zum Gewerkschaftsbeitritt gedrängt oder lediglich um einen möglichen finanziellen Vorteil gebracht sieht 40 . Auch im Schulgebetsstreit fließen in der "negativen Bekenntnisfreiheit anderer Eltern und Schüler, die das Schulgebet ablehnen"41, verschiedene sachliche Aspekte ineinander; geht es im Ausgangspunkt um einen möglichen Zwang zur Teilnahme 42 und sodann um den Zwang zur konkludenten Offenbarung der eigenen abweichenden Überzeugung 43, so wird schließlich zum ausschlaggebenden Gesichtspunkt die allgemeine Frage, welche - potentiell willensbeeinflussenden - Nachteile dem betunwilligen Schüler durch die Abhaltung des Schulgebets in seiner Klasse drohen 44. In diese Richtung weiter-

40 Aus der entgegengesetzten Blickrichtung meint auch BAGE 20, 175 (227 f.), es müsse "hingenommen und berücksichtigt werden, daß sich bei den angestrebten Differenzierungen nicht unterscheiden läßt, wieweit sie lediglich eine Anerkennung und einen Ausgleich für die von den Organisierten für die gewerkschaftliche Arbeit erbrachten finanziellen und sonstigen Opfer bewirken sollen und inwieweit sie zum Beitritt zur Gewerkschaft veranlassen wollen. Sie dienen, wenn letztlich auch mit dem Ziel, den Beitritt zu erreichen, ununterscheidbar beiden Zwecken." 41 BVerfGE 52, 223 (241). 42 A.a.O., S. 241, 247, wo die Garantie der Freiwilligkeit der Teilnahme unterstrichen wird. 43 A.a.O., 245 f. (in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des HessStGH, die hierauf entscheidend abgestellt hat). 44 A.a.O., S. 248 ff.; vgl. hierzu insb. Böckenförde, DÖV 1974, 253 (257).

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

gehend können die negativen Freiheitsrechte auch beeinträchtigt gesehen werden, wo ein Zwang zu eigener Betätigung kaum noch auszumachen ist, allenfalls noch anderweitige Störungen geltend gemacht werden können. Das gilt etwa fur die verwaltungsgerichtlichen Urteile, die das Tragen der bhagwantypischen rötlichen Kleidung durch Lehrer im Unterricht als Beeinträchtigung der negativen Religionsfreiheit der Schüler ansehen45. Von dieser Warte aus können schließlich - wenn auch eine Grundrechtsverletzung von vornherein zu verneinen sein wird - auch das Glockenläuten der benachbarten Kirche 46 , das Abhalten von Prozessionen47 oder Demonstrationen48 vor der eigenen Wohnung, die Berieselung mit Informationen oder Musik in öffentlichen Verkehrsmitteln 49 oder die Leuchtreklame auf dem Weg zur Arbeit 50 als mögliche Beeinträchtigungen negativer Freiheitsrechte diskutiert werden.

2. Die Lösung der tatbestandlichen Kollision zwischen negativen und positiven Freiheitsrechten Wenn also in diesen Konflikten die Ausstrahlungswirkung oder objektivrechtliche Bedeutung der beiden widerstreitenden Freiheitsrechte - mehr oder weniger intensiv - zu berücksichtigen ist, so wird die Lösung der tatbestandlichen Kollision von negativem und positivem Freiheitsrecht zur ausschlaggebenden Aufgabe, weshalb bezeichnenderweise einschlägige Entscheidungen und Stellungnahmen unmittelbar bei der Suche nach einem gerechten Ausgleich zwischen den beiden Grundrechtspositionen ansetzen51. a) Dogmatische Vorgaben Uber die dogmatischen Vorgaben, die fur diese Kollisionslösung gewonnen werden können, besteht heute zwar keineswegs einhellige Zufriedenheit, aber doch im wesentlichen Einigkeit. 45 VGH München, BayVBl. 1985, 721 (722), und NVwZ 1986, 405; OVG Hamburg, NVwZ 1986, 406 (407); BVenvG, NVwZ 1988, 937 (938). 46 Vgl. dazu, von vornherein ablehnend, Baldus, DÖV 1971, 338 (339); von Campenhausen, DVB1. 1972, 316 (317); Stolleis, ZevKR 17 (1972), 150 (154). 47 Von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 14. 48 Merten, MDR 1968, 621 (626 FN 59). 49 Vgl. dazu Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearb.) RN 286; Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 64; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (73 f.). 50 Faber, a.a.O. 51 Vgl. etwa BVerfGE 41, 29 (49 ff.); 52, 223 (241, 246 f.); BVerwG, NVwZ 1988, 937 (938); Böckenförde, DÖV 1966, 30 (33 f.); von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 101; Hollerbach, ebd., § 140 RN 31; Scholz, ebd., § 151 RN 87; Steinberg, RdA 1975, 99 (102).

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aa) Unzulässigkeit einer abstrakten Vorrangentscheidung Eine generelle Entscheidung der Kollision zugunsten einer Seite, wie sie in der Literatur insbesondere zugunsten der positiven Freiheitsrechte gelegentlich vorgeschlagen worden ist, ist danach ausgeschlossen. Nicht haltbar ist also die Annahme eines abstrakten Vorrangs für eines der beiden Freiheitsrechte, welcher im Kollisionsfall das höherwertige, vorrangige Freiheitsrecht obsiegen, das andere zurücktreten läßt. Ein solcher Vorrang ist vor allem - bezeichnenderweise insbesondere von Autoren, die keinen Hehl daraus machen, daß sie die Annahme einer negativen Seite des Art. 9 Abs. 3 GG für zweifelhaft halten - für die positive im Verhältnis zur negativen Koalitionsfreiheit vertreten worden, weil der aktiven Gestaltung der Arbeits· und Wirtschaftsbedingungen ein höherer Wert zukomme als der passiven Haltung des Fernbleibens und Einzelgängertums52. Von der Grundannahme des Bestehens einer negativen Seite aus aber geht es nicht an, einer der beiden Seiten des Freiheitsrechts einen abstrakten Vorrang zuzuerkennen. Dem steht nicht nur die - heute wohl allseits akzeptierte - allgemeine Kritik an der Behauptung einer Wertrangordnung der Grundrechte entgegen, deren zentraler Einwand lautet, daß eine solche Wertrangordnung rational nicht begründbar sei und der Rückgriff darauf zu interpretatorischer Beliebigkeit führe 53 . Die rang- und wertmäßige Differenzierung zwischen der positiven und der negativen Seite ein- und desselben Freiheitsrechts setzt sich darüber hinaus in Widerspruch zu der These von der gleichrangigen grundrechtlichen Schutzwürdigkeit von Aktivität und Passivität, die als zentraler Topos der Herleitung der negativen Seite zugrundeliegt 54. Ebenso unzureichend bleibt es, wenn die Aufgabe der negativen Freiheitsrechte in der Abwehr rechtswidrigen Betätigungszwanges gesehen wird 5 5 . Vor 52 Fechner, Rechtsgutachten zur Vorsorgekasse des Deutschen Holzgewerbes, S. 33, 71; Fioretta , DRdA 1968, 1 (8); Galperin, in: FS Bogs, S. 87 (98, 101); Gitter, JurA 1970, 148 (151); Kittner, in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 RN 41, der davon ausgehend annimmt, die Kollisionslinie zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit verlaufe dort, wo der Wesensgehalt des Fernbleiberechts angetastet werde; Kunze, in: 46. DJT Π, S. D 84 (D 89); Krüger, in: 46. DJT 1/1, S. 7 (79 f., 92); Nitschke, DÖV 1972, 41 (46). Hingegen zu einem Vorrang der individuellen (Fernbleibe-)Freiheit tendierend Födisch, RdA 1955, 88 (93); Hueck, Tarifausschlußklausel und verwandte Klauseln im Tarifvertragsrecht, S. 27. 53 Vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 138 ff.; Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1534); Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, insb. S. 133 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 252 f.; Rüßier, in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (461 ff.); Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, insb. S. 127 ff.; ders., EuGrZ 1984, 457 (462). 54 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2. 55 Vgl. BAGE 20, 175 (225), wonach die negative Koalitionsfreiheit vor gesetzwidrigem, darüber hinaus allerdings auch vor sozialinadäquatem Druck schützen soll; ebenso Scholz, in:

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

dem negativen Freiheitsrecht unzulässig sind danach - nur - Betätigungen, die bereits im übrigen, einfachgesetzlich rechtswidrig, ζ. B. ohnehin im Sinne von § 138 BGB sittenwidrig sind. Auch darin liegt eine abstrakte Vorrangentscheidung. Daß solche Vorschriften des einfachen Gesetzesrechts, die eine Betätigung fur rechtswidrig erklären, sich an dem tangierten positiven Freiheitsrecht messen lassen müssen, ist vorausgesetzt; ob sie aber die durch die negativen Freiheitsrechte gewährleistete Unterlassensfreiheit hinreichend schützen oder eine weitergehende Beschränkung geboten ist, wird grundrechtlich nicht geprüft. Die negativen Freiheitsrechte gelten in ihrer inhaltlichen Reichweite nach Maßgabe der einfachen Rechtsordnung, sind selbst nicht deren Maßstab und können inhaltlich nicht auf diese ausstrahlen. Hingegen betont die ganz vorherrschende Ansicht völlig zu Recht und folgerichtig auch mit Blick auf mögliche Kollisionen die prinzipielle Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit von positivem und negativem Freiheitsrecht 56. bb) Ausgleich und verhältnismäßige Zuordnung im konkreten Einzelfall Ist eine generelle Entscheidung ausgeschlossen, so muß im konkreten Rechtsstreit am Ende doch die Entscheidung fur eine der beiden Positionen stehen. Diese Kollisionslösung soll - weil positive und negative Freiheitsrechte prinzipiell gleichrangig ihre optimale Gewährleistung bei der rechtlichen Lösung des Konflikts einfordern und ihr Geltungsvorrang auch dem Verweis auf die gesetzgeberische Regelung entgegensteht - unmittelbar auf Verfassungsebene durch Ausgleich und verhältnismäßige Zuordnung beider Grundrechtspositionen im konkreten Einzelfall erfolgen, wobei beide Grundrechtspositionen soweit wie möglich bewahrt und nur soweit wie zwingend nötig

Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 231 ; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 RN 13, wonach Art. 4 Abs. 1 GG kein Recht gewährt, "die rechtmäßige Bekenntnisäußerung anderer zu verhindern". Vgl. allgemein zur grundrechtlichen Pflicht des Staates, den Bürger vor "rechtswidrigen Fingriffen von seilen anderer" zu bewahren, BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 56, 54 (73); mit Recht kritisch dazu Hermes, a.a.O., S. 227; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 107. 56 BVerfGE 41, 29 (49); BVerwGE 44, 196 (200); Bethge, JA 1979, 281 (283); Böckenförde, DÖV 1966, 30 (33); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 63; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 101; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 110 f.; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 61; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1163); Listi, in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (372); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 221, 226; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 83, 87; Steinberg, RdA 1975, 99 (102). Vgl. auch, mit einer etwas schwankenden Beurteilung, Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 26.

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zurückgedrängt werden sollen 57 . Bei der nötigen Grenzziehung zwischen beiden Freiheitssphären sollen - insbesondere im Kontext der Religionsfreiheit das Toleranzgebot 58 und - insbesondere im Verhältnis von positiver und negativer Koalitionsfreiheit - das Kriterium der Sozialadäquanz59 Orientierungshilfe geben. Die somit zu treffende (Abwägungs-)Entscheidung erhält hierdurch freilich kaum mehr an inhaltlichen Vorgaben. Das Kriterium der Sozialadäquanz fuhrt, wie in der Differenzierungsklausel-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts deutlich wird, schnell zurück zu allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. Vorstellungen davon, welches Verhalten in der Gesellschaft angemessen sei 60 . Das Toleranzgebot bleibt ein rechtlich inhaltsloses Postulat. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß Toleranz im pluralistischen, freiheitlichrechtsstaatlich verfaßten Gemeinwesen als eine vom Bürger zu übende moralische Haltung, die sich auch in der - freiwilligen - Nichtausübung bestehender Rechte mit Rücksicht auf andere äußern kann, und nicht als rechtliches Gebot zu verstehen ist; was der Staat von seinen Bürgern an wechselseitiger Rücksichtnahme hoheitlich einfordern darf, ergibt sich aus der Rechtsordnung mit ihren Freiheitsgarantien und ist keine Frage der Toleranz 61 . Wenn aber gleichwohl vom Staat bei der rechtlichen Beurteilung von Konflikten zwischen Bürgern die Wahrung des Toleranzgebots gefordert wird, so vermag dieses jedenfalls inhaltlich auch nicht mehr beizutragen, als die Formel von der verhältnismäßigen Zuordnung oder das Prinzip der praktischen Konkor-

57 Vgl. dazu im Zusammenhang mit den negativen Freiheitsrechten BVerfGE 41, 29 (49 ff.); 52, 223 (241, 247, 251); BVenvG, NVwZ 1988, 937 (938); Bethge, a.a.O.; von Campenhausen, a.a.O.; Hollerbach, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 140 RN 31; Loschelder, ZBR 1977, 337 (346); Scholz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 87; Steinberg, a.a.O., S. 102 f. Vgl. allgemein zur Kollisionslösung im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 ff., 143 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 72, 317 f.; Rüfher, in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (465 ff.). 58 BVerfGE 41, 29 (51); 41, 65 (78); 41, 88 (108); 52, 223 (247, 251); BVerwGE 44, 196 (200); BVerwG, NVwZ 1988, 937 (938); VGH München, NVwZ 1991, 1099 (1100); Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 88; Hamel, NJW 1966, 18 (20); Hollerbach, JZ 1974, 578 (580); Usti, in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 363 (373 ff.); ders., in: FS Klecatsky, S. 571 (581 ff.); Lorenz, JuS 1974, 436 (440); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 15 ff.; Scheuner, DÖV 1967, 585 (592 f.). 59 BAGE 20, 175 (225 ff.); ihm folgend Scholz f in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 231; vgl. bereits Monjau, in: FS Küchenhoff, S. 121 (131). 60 Vgl. BAGE 20, 175 (228); kritisch dazu Gitter, JurA 1970, 148 (151 f.); Krüger, in: 46. DJT Vi, S. 7 (94); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 43 f.; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S. 127 FN 315. 61 Vgl. Böckenförde, DÖV 1974, 253 (257); Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 85; Schnapp, JZ 1985, 857 (860).

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

danz bereits liefern; auch das Toleranzgebot sagt nicht, wem die Rücksichtnahme auf den anderen rechtlich abverlangt werden soll. Dem Mangel an inhaltlichen Vorgaben vermag auch die versuchte Rückbindung an den aus dem Staat-Bürger-Verhältnis vertrauten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz62 nicht abzuhelfen. Dort, wo es um die Rechtfertigung eines staatlichen Eingriffs vor dem Grundrecht des Bürgers geht, gilt er der Relation zwischen einem bestimmten, konstanten Zweck und einem oder mehreren variablen Mitteln und kann für deren Prüfung strikte rechtliche Maßstäbe angeben 63 . Im Bürger-Bürger-Verhältnis aber wandelt der Begriff der Verhältnismäßigkeit seine Bedeutung und bezeichnet nun eine Relation zweier variabler Größen, von denen nicht eine an der anderen zu messen, sondern die beide einander zuzuordnen sind 64 . Solange man für beide Kontrahenten daran festhält, daß sie in der Wahl der von ihnen zu verfolgenden Zwecke und einzusetzenden Mittel prinzipiell frei sind, kann eine - auch modifizierte - Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die auf der Verfassungsebene nach der Zulässigkeit der verfolgten Zwecke und der Erforderlichkeit der eingesetzten Mittel fragt, im Bürger-Bürger-Verhältnis nicht gelingen65. In diesem Verhältnis zweier prinzipiell Gleichberechtigter sind die Maßstäbe des Staat-Bürger-Verhältnisses unanwendbar; es bleibt bei der Aufgabe einer Abwägung und Zuordnung der Grundrechtspositionen 66.

62 Vgl. insb. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 253 f.; Rüfiier, in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (467 f.). 63 Zur Verteidigung gegen den Einwand, die dritte Stufe der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne führe bereits im Staat-Bürger-Verhältnis in eine der Kollisionslösung im Bürger-BürgerVerhältnis vergleichbare Abwägung (Hermes, a.a.O., S. 202 ff.; vgl. auch Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 [238 FN 16]), vgl. Böckenförde, Der Stoat 29 (1990), 1 (20 mit FN 81). Zur Vermeidung der gleichwohl verbleibenden Abwägung will Schlink, EuGRZ 1984, 457 (462), auf diese dritte Stufe verzichten und nur die Wahrung einer Mindestposition im Sinne eines absolut verstandenen Wesensgehalts prüfen. 64 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 72. 65 Anderer Ansicht Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 215 ff.; ders. EuGRZ 1984, 457 (464). Der Versuch von Hermes, a.a.O., S. 254, die staatsgerichteten Verhältnismäßigkeitsanforderungen auf die Schutzpflicht im Bürger-Bürger-Verhältnis zu übertragen, zeigt, daß dies nur gelingt, wenn - unter der Hand - eine der konfligierenden Grundrechtspositionen nicht mehr als in der Wahl der Zwecke und Mittel prinzipiell frei, sondern als rechtfertigungsbedürftig angesehen wird, so daß die von ihr ausgehende Freiheitsbeeinträchtigung sich im Hinblick auf einen legitimen Zweck als geeignet und erforderlich erweisen muß; in seinem Kernenergie-Beispiel wird vorausgesetzt, daß der - private - Betrieb von Kernenergieanlagen sich als geeignet und erforderlich zur Sicherung der Energieversorgung, zur Erreichung von Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung etc. rechtfertigen muß. 66 Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (20); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 170 ff. Vgl. bereits BVerfGE 30, 173 (199), sowie - in anderem rechtlichen Zusammenhang Brohm, NVwZ 1985, 1 (6), und - allerdings nur bezogen auf die dritte Stufe der Verhältnismäßigkeit - Riifher, in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (468); ders., in: Gedächtnis-

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Ohne die vielfältige Kritik an dem Konzept der Abwägimg oder praktische^ Konkordanz und die Versuche zu seiner Verteidigung referieren zu müsefcfi, darf man feststellen, daß der konkreten Einzelfallentscheidung damit jeden* falls nur sehr begrenzt generelle verfassungsrechtliche Maßstäbe vorgegeben sind. Die geringere Determinationskraft der Grundrechte in ihrer Funktion als Abwägungsgesichtspunkte wird zwar im Vergleich zu ihrer staatsgerichtetabwehrrechtlichen Wirkungsweise unterschiedlich gewichtet und verschieden bewertet, aber doch allseits erkannt 67. Das wird auch bei Alexy deutlich, der in seiner Theorie der Grundrechte die theoretische Fundierung dieser objektiv-rechtlichen, die Grundrechte als Prinzipien oder Grundsatznormen verstehenden Grundrechtsdoktrin unternimmt. Für die Losimg der Kollision zweier Grundrechte, die - als verfassungsrechtliche Optimierungsgebote - jeweils ein relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohes Maß an Realisierung gebieten, formuliert er zwar ein "Abwägungsgesetz"68; dieses gibt aber - wie er selbst sagt - "keinen Maßstab, mit dessen Hilfe Fälle definitiv entschieden werden können" 69 , sondern verweist, indem es sagt, was rational zu begründen ist, allein auf die Rationalität juristischen Argumentierens 70 . In dem Prozeß grundrechtlichen Argumentierens und Entscheidens, dessen Rationalität Alexy die Abwägungentscheidungen anvertraut, aber sind diese in weitem Maße offen fur - letztlich (verfassungs-)richterliche - Wertungen und Gewichtungen. b) Die Abwägungspraxis Diese Wertungsoffenheit der Kollisionslösung entzieht schon im Einzelfall der rechtlichen Kritik an einzelnen Entscheidungen und Stellungnahmen und erst recht einer vergleichenden Betrachtung der Lösung verschiedener Konflikte, die ohnehin dem Hinweis auf jeweils abweichende Umstände ausgeliefert ist, ein Stück weit den Boden. Auf die abschließend interessierende, über ihre Bedeutung im Bürger-Bürger-Verhältnis entscheidende Frage nach dem Gewicht der negativen Freiheitsrechte in der Abwägungsentscheidung lassen

schrift Martens, S. 215 (224); deutlicher noch ders. y in: Handbuch des Staatsrechts V, § 117 RN 70. 67 Böckenförde, a.a.O., S. 22; Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 (240); Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 25, 28; Rüjher, in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (471 f.); ders., in: Gedächtnisschrift Martens, S. 215 (224, 229); Schlink, EuGRZ 1984, 457 (462); Wahl, Freiburger Universitätsblätter Heft 95/1987, 19 (29). 68 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 146: "Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, um so größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein." 69 A.a.O., S. 152; ähnlich S. 143, 149. 70 A.a.O., S. 152; vgl. weiter S. 520 f.

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Veriiältnis

sich deshalb Antworten mit dem Anspruch auf rechtliche Verbindlichkeit nicht formulieren. Es bleibt allenfalls der Versuch, in der Abwägungspraxis von Rechtsprechung und Literatur Leitlinien und Tendenzen auszumachen. In diesem zurückhaltenden Sinn seien zwei Thesen dazu gewagt, wie die Position der negativen und die der positiven Freiheitsrechte im Kollisionsfall gewichtet werden. aa) Die regelmäßige Unterlegenheit der negativen Freiheitsrechte Wenn man die einschlägigen Entscheidungen und Stellungnahmen insgesamt betrachtet, so darf man - dies ist die erste These - eine regelmäßige Unterlegenheit der negativen Freiheitsrechte im Kollisionsfall konstatieren. In dieser Gewichtung der kollidierenden Grundrechtspositionen kommt das - bereits angeklungene - Anliegen zur Geltung, zu verhindern, daß die negativen Freiheitsrechte zu Obergrundrechten 71 oder Verhinderungsrechten 72 werden, die am Ende - so ist befürchtet worden - grundrechtlich geschützte Betätigungen wie insbesondere die Religionsausübung, aber auch andere Aktivitäten bis hin zur Werbung, völlig aus dem öffentlichen Leben verdrängen könnten 73 . Vor der Gefahr einer solchen Überbewertung der negativen Freiheitsrechte ist gelegentlich mit deutlichen Worten gewarnt worden; sie leiste einer "Intoleranz der Negation" 74 , einem "zu Minimalismus und Nivellierung fuhrende(n) Diktat der Minderheit" 75 Vorschub. Daraus ergeben sich Leitlinien für die Abwägung, die nur ganz ausnahmsweise zulassen, den negativen Freiheitsrechten einen Anspruch auf staatliche Untersagung bestimmter Aktivitäten anderer zu entnehmen. Grundsätzlich soll der Bürger die bloße Konfrontation mit fremder Betätigung und auch den davon auf ihn ausgehenden Angebotsdruck, solange dieser nicht nötigend oder nachhaltig belästigend wird, hinzunehmen haben 76 . Es ist seine Sache, sich der als störend empfundenen Aktivität mit eigenen Mitteln zu erwehren - nach einem beliebten Diktum ist es Sache des Aufgesuchten, dem ihm lästigen

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Von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 17. Hollerbach, JZ 1974, 578 (579); vgl. weiter oben in FN 30. 73 Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32); von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 98; Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 64; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (73); Rüjher, NJW 1974, 491 (492). 74 Heckel f in: WDStRL 26 (1968), S. 5 (14). 75 Hollerbach, in: WDStRL 26 (1968), S. 57 (98); vgl. auch Krüger, in: 46. DJT 1/1, S. 7 (79), der vor der "Gefahr einer Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit" warnt. 76 Vgl. bereits oben FN 31 sowie weiter etwa Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 74; Suhr, NJW 1982, 1065 (1067). 72

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Missionar die Tür zu weisen 77 - oder ihr auszuweichen. Auch der Staat hat, wo er zur Lösung von Konflikten aufgerufen ist, den Ausgleich zunächst nicht im Verbot der als störend empfundenen Betätigung, sondern in einer Regelung zu suchen, die dem sich gestört fühlenden Bürger ein Ausweichen ermöglicht 78 . Allein die Tatsache, daß er ausweichen und dadurch möglicherweise seine ablehnende Einstellung konkludent offenbaren muß, soll dabei noch keine unzumutbare Belastung begründen; dies gilt als grundrechtlich vorausgesetzt, weil doch erst das Stattfinden religiöser Übungen oder sonstiger Veranstaltungen dem Bürger die Möglichkeit eröffnet, von der ihm gewährten Freiheit der Entscheidung, ob er daran teilnehmen will oder nicht, Gebrauch zu machen79. Erst da, wo der Bürger der störenden Aktivität anderer unentrinnbar, ohne daß eine zumutbare Möglichkeit des Ausweichens besteht oder geschaffen werden kann, ausgeliefert ist, kann ein grundrechtlicher Anspruch auf deren Untersagung in Betracht kommen 80 . Hiervon ausgehend gewähren die negativen Freiheitsrechte gegenüber Betätigungen in der allgemeinen gesellschaftlichen Öffentlichkeit praktisch keinen zusätzlichen, das bereits sonst rechtlich gewährleistete Maß überschreitenden Schutz. Der Passant kann deshalb ζ. B. das Abhalten von Demonstrationen und Prozessionen, das Anbringen von Werbung in den Straßen - solange diese Veranstaltungen nicht in nötigender oder erheblich belästigender Weise durchgeführt werden und damit ohnehin straf- oder polizeirechtswidrig sind - nicht unter Berufung auf negative Freiheitsrechte verhindern 81. Ein intensiverer Schutz wird zwar postuliert, wo der Bürger fremden Betätigungen nicht ohne weiteres ausweichen kann, ζ. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Geschäften und vor allem in der eigenen Wohnung. Dennoch gilt als selbstverständlich, daß die negative Religionsfreiheit durch das Glockenläuten benachbarter Kirchen nicht verletzt wird 8 2 . Die Grenze des Zumutbaren sehen einige Autoren im Hinblick auf die negative Informationsfreiheit oder das all77 BVerwGE 30, 29 (33); von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 62; Häberle, JuS 1969, 265 (270). 78 Von Campenhausen, a.a.O., S. 64 f.; vgl. auch BVerfGE 52, 223 (241): "Der Ausgleich erfolgt... grundsätzlich durch die Garantie der Freiwilligkeit der Teilnahme 79 BVerfGE 52, 223 (246); vgl. dazu auch BVeiwG, DVB1., 1970, 929 (930); BVerwGE 72, 183 (187); Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32 f.); Hornel, NJW 1966, 18 (20); Hesse, ZevKR 25 (1980), 239 (253 f.). 80 Vgl. dazu etwa BVerfGE 52, 223 (248); BVerwGE 44, 196 (200); Degenhart, in: BK, Alt. 5 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearb.) RN 286; Hoffinann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 95; Hufen, DÖV 1983, 353 (358); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (73 f.); Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 68. 81 Hoffinann-Riem, a.a.O.; Kloepfer, a.a.O., S. 69; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 149; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 14; Merten, MDR 1968, 621 (626 FN 59). 82 Vgl. oben FN 46.

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

gemeine Persönlichkeitsrecht erreicht, wenn der Bürger, wie in dem vom Supreme Court entschiedenen Pollak-Fall, in einem öffentlichen Verkehrsmittel der Berieselung mit Informationen, insbesondere mit Werbung, ausgesetzt ist 8 3 . Besonders gefährdet und besonders schutzbedürftig erscheinen die Interessen des mit der Betätigung eines anderen konfrontierten Privaten, wenn beide sich nicht in der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern in einem engeren sozialen Rahmen begegnen, der ihnen ein Ausweichen, eine Abschirmung voneinander erschwert oder unmöglich macht. Diese Konstellation kann unter Umständen an der Arbeitsstelle im Betrieb gegeben sein 84 , aber auch in staatlichen Einrichtungen wie etwa Schulen, Kasernen oder Strafanstalten, wenn man der Störung durch Mitschüler und Lehrer, andere Soldaten oder Mitgefangene ausgesetzt ist 8 5 . Gerade in diesen Einrichtungen sind die praktisch relevanten, auch in der Rechtsprechung aktuell gewordenen Kollisionsfälle aufgetreten. Daß auch hier dem Passiven eine weitgehende Duldungspflicht auferlegt wird, belegt insbesondere die - insoweit in der Literatur zustimmend aufgenommene 86 - Beurteilung des Schulgebets durch das Bundesverfassungsgericht 87 . Angesichts eines zu Unterrichtsbeginn von der Schulklasse gemeinsam mit dem Lehrer gesprochenen, überkonfessionellen Gebets ist die Position des betunwilligen Schülers doppelt schwierig: Zum einen ist der unter der Leitung des Lehrers stehende Klassenverband ein dichtes soziales Gebilde mit intensiver Kommunikationsstruktur, in dem eine abweichende Verhaltensweise leicht zur Zuweisung einer diskriminierenden Außenseiterrolle führt 88 ; zum andern ging es im Schulgebetsstreit gerade um "das jüngere Schulkind, das noch kaum zu kritischer Selbstbehauptung seiner eigenen Position gegenüber seiner Umgebung in der Lage ist" 8 9 . Das Bundesverfassungsgericht hat es deshalb nicht mit dem Hinweis auf die rechtliche Möglichkeit der Nicht-

83

Degenhart, a.a.O.; Kimminich, a.a.O.; Kloepfer, a.a.O., S. 69. Vgl. etwa zur gewerkschaftlichen Werbung im Betrieb und deren Grenzen BAGE 19, 217 (insb. 221 ff., 227). 96 Zu der Frage, inwieweit die störende Aktivität als private Freiheitsbetätigung anzusehen oétt «ber dem Staat zuzurechnen ist, vgl. näher und differenzierend unten 7. Kapitel, Abschnitt 0 2 a) bb). ** Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 63; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 97 ff.; Höllerbach, ebd., § 140 RN 31; ders., AöR 106 (1981), 218 (269); Unk, JZ 1980, 564; Usti, in: FS Klecatsky, S. 571 (579 ff.); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 15; Scheuner, DÖV 1980, 513; vgl. auch - grundsätzlich ebenfalls zustimmend, «Uerdings mit einigen kritischen Anmerkungen - Böckenförde, DÖV 1980, 323 (326 f.). 97 BVerfGE 52, 223; vgl. auch die Vorinstanz BVerwGE 44, 196, sowie bereits BVerwG, DVB1. 1970, 929. m BVerfGE 52, 223 (248); vgl. dazu insb. Böckenförde, DÖV 1974, 253 (257); Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 109 f. 89 BVerfGE 52, 223 (249). 84

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teilnähme90 bewenden lassen. Es hat vielmehr auch die Gefahr einer unzumutbaren, diskriminierenden Außenseiterrolle fur den nicht teilnehmenden Schüler in Betracht gezogen und deshalb gewisse Rahmenbedingungen bei der Abhaltung des Schulgebets für nötig erachtet, zum einen äußerlich - organisatorische Vorkehrungen (Begrenzungen hinsichtlich Dauer und Häufigkeit des Gebets, Information der Erziehungsberechtigten über die Abhaltung und die Möglichkeit der Nichtteilnahme), zum anderen eine erzieherische Einflußnahme des Lehrers auf die Klasse im Sinne wechselseitiger Duldsamkeit91. Den verbleibenden Rest einer Sonderstellung aber glaubt das Bundesverfassungsgericht - in aller Regel, von Ausnahmesachverhalten abgesehen - dem andersdenkenden Schüler zumuten und ihm insoweit Duldsamkeit gegenüber dem Interesse der anderen an der Abhaltung des Schulgebets abverlangen zu dürfen 92 . So steht am Ende der Abwägung zwischen den Interessen der betwilligen Schüler und des widersprechenden Schülers doch eine Entscheidung zugunsten der positiven Religionsfreiheit. bb) Die ausnahmsweise Überlegenheit der negativen Freiheitsrechte Wo den negativen Freiheitsrechten einmal ein effektiver, das bereits sonst rechtlich gewährleistete Maß übersteigender Grundrechtsschutz entnommen wird, richtet sich dieser vornehmlich gegen solche Betätigungen, die sozial unüblich oder mißbilligt sind; in diesem Sinn läßt sich - in einer zweiten These - die ausnahmsweise Überlegenheit der negativen Freiheitsrechte insbesondere gegenüber Betätigungen - vermeintlicher - gesellschaftlicher Außenseiter feststellen. Das Bedenken, die negativen Freiheitsrechte könnten aufgrund eines entsprechenden Vorverständnisses bestimmte Aktivitäten vergleichsweise stärkeren, unangemessenen Beschränkungen unterwerfen, ist insbesondere in bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG erhoben worden. Im Unterschied zu anderen, zunächst staatsgerichtet gedachten negativen Freiheitsrechten hat die negative Koalitionsfreiheit ihre Zielrichtung ja von vornherein in der - insbesondere die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit begrenzenden - Drittwirkung. Aus diesem Grunde war schon in den Beratungen zum Grundgesetz die zunächst beabsichtigte Aufnahme einer besonderen Gewährleistung der negativen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit in den heutigen Art. 9 GG auf - schließlich erfolgreichen - Widerstand gestoßen93. Auch unter dem Grundgesetz ist der 90 91 92 93

A.a.O., S. 239, 241; vgl. auch BVerwGE 44, 196 (198). A.a.O., S. 248 ff. A.a.O., S. 252. Vgl. unten 5. Kapitel, Abschnitt Π 3 a).

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

Anerkennung und drittgerichteten Anwendung der negativen Koalitionsfreiheit von gewerkschaftsfreundlicher Warte aus entgegengehalten worden, sie sei ein Instrument zur Zurückdrängimg gewerkschaftlicher Aktivität und Einflußnahme im Arbeitgeberinteresse 94. Es soll hier nicht untersucht werden, ob und inwieweit sich dieses Bedenken insbesondere in der Entscheidungspraxis der Gerichte allgemein bestätigt hat oder nicht. Daß es aber im Einzelfall eine gewisse Berechtigung gewinnen kann, zeigt die Leitentscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur negativen Koalitionsfreiheit, der DifferenzierungsklauselBeschluß aus dem Jahr 1967. Das Gericht hat darin solche Tarifvertragsklauseln, durch die der Arbeitgeber verpflichtet wird, bestimmte Vorteile wie zusätzliches Urlaubsgeld allein Gewerkschaftsmitgliedern zu gewähren, a limine fur unzulässig erklärt, weil sie von der Tarifmacht nicht gedeckt und mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht vereinbar seien. In diesem letzteren, hier interessierenden Zusammenhang fuhrt es aus, "nicht auf die Intensität, den Grad des Drucks, ... sondern auf die Sozialadäquanz" komme es an; es verletze aber "das Gerechtigkeitsempfinden gröblich, wenn die Gewährung des Urlaubs, Urlaubsentgelts und zusätzlichen Urlaubsgeldes und ähnlicher tariflicher Leistungen von Fragen der Organisationszugehörigkeit abhängig gemacht wird. Deshalb üben derartige Differenzierungsklauseln einen sozialinadäquaten Druck aus . . . " 9 5 . Das Gericht hat damit im Ergebnis den Außenseiter praktisch vor jeder obligatorischen Schlechterstellung durch Tarifvertrag geschützt. Diese Beurteilung ist teils begrüßt 96 , teils aber auch heftig kritisiert worden 97 . Ihr ist unter Hinweis auf parallele Konstellationen in anderen Bereichen zunächst entgegengehalten worden, daß eine Vereinbarung über die exklusive Gewährung bestimmter Sondervorteile zwischen zwei Vertragspartnern in unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung keineswegs per se sozialinadäquat sei 98 . Aus Sicht der Kritiker bedarf es einer differenzierten Beurteilung je nach Art und Höhe der vorbehaltenen Sondervorteile, wobei im

94

Berghäuser y Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 191 f.; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 86 f. (RN 169). 95 BAGE 20, 175 (228). 96 Vgl. etwa Mayer-Maly, ZAS 1969, 81 (86 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 RN 231; ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 151 RN 85, sowie bereits zuvor Hueck, Tarifausschlußklausel und verwandte Klauseln im Tarifvertragsrecht, S. 37 ff.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/l, S. 165 ff.; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, S. 26 ff. 97 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (38 ff.); Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 90 (RN 176); Gitter, JurA 1970, 148 (151 f.); Hanau, JuS 1969, 213 (216 ff.); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 51, 64 f.; Radke, AuR 1971, 4 (11 ff.); Steinberg, RdA 1975, 99 (102 ff.). 98 Däubler, a.a.O., S. 39; Däubler/Hege, a.a.O., S. 87 (RN 170); Radke, in: 46. DJT II, S. D 128 (D 132).

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Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit jedenfalls Zusatzleistungen bis zur Höhe des Gewerkschaftsbeitrags unproblematisch erscheinen, weil sie noch keinen finanziellen Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt bewirken". Auch manche Entscheidungen, die sich mit der politischen oder religiösen Betätigung von Außenseitern im Rahmen öffentlich-rechtlicher Sonderstatusverhältnisse befassen, zeigen eine vergleichsweise restriktive Beurteilung. Deren Ausgangspunkt bilden jene öffentlich-rechtlich geregelten Pflichten, die etwa den Soldaten zur Wahrung der Kameradschaft und Disziplin und damit letztlich der Verteidigungsbereitschaft, den Lehrern mit Blick auf ihre Beamtenstellung und den Erziehungsauftrag der Schule auferlegt sind. Zum ausschlaggebenden Gesichtspunkt der Auslegung und Anwendung dieser Regelungen aber werden die Störung und Beeinflussung der Kameraden bzw. Schüler und der dagegen gerichtete Schutz ihrer Grundrechte. Für die Zurückdrängung unliebsamer politischer Betätigungen steht exemplarisch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, in dem es die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Wehrpflichtigen bestätigt, der während der Freizeit in der Kaserne seine Kameraden für die Unterzeichnung einer zur Veröffentlichung bestimmten, gegen den Bau des Atomkraftwerks Wyhl gerichteten Solidaritätsadresse hatte gewinnen wollen 1 0 0 . Zur Begründung stellt das Gericht das entgegenstehende Grundrecht der Kameraden heraus: " § 1 5 Abs. 2 SG will jedes Verhalten ausschließen, das einen Kameraden in seiner dienstfreien Zeit gegen seinen Willen in eine politische Auseinandersetzung drängt. Bei der Anwendung der Vorschrift darf nicht außer Betracht bleiben, daß der Soldat in der Kaserne nicht abgeschlossen wohnt und deshalb seine Privatsphäre nur unter wesentlich erschwerten Bedingungen schützen kann. Politischen Aktivitäten anderer Soldaten ist er ausgesetzt, ohne ihnen ohne weiteres aus dem Wege gehen zu können. Sein Grundrecht auf unbedingte Achtung eines privaten Lebensbereichs (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), sein Anspruch, 'in Ruhe gelassen zu werden' ..., sind in dieser besonderen Situation von vornherein besonders gefährdet und deshalb in besonderem Maße schützenswert. Diese Sachlage schließt es aus, § 15 Abs. 2 SG allein im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG zu sehen und unter dem Blickpunkt nur des Interesses an einer 'aktiven' Ausübung dieses Grundrechts restriktiv auszulegen. Vielmehr gebietet unter den besonderen Bedingungen des militärischen Lebensbereichs der Schutzanspruch der anderen, sich nicht gegen ihren Willen

99 Gamillscheg y Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 63; Gitter, a.a.O., S. 151; Leventis y a.a.O., S. 51. Nach Ansicht von Däubler, a.a.O., S. 45, sind dem Nichtorganisierten auch Sondervorteile fur Gewerkschaftsangehörige bis zur Höhe des doppelten Mitgliedsbeitrags zumutbar, weil sie die Betroffenen um keinen höheren Betrag bevorzugen, als diese bisher gegenüber den Außenseitern benachteiligt waren. 100 BVerfGE 44, 197.

8 Hellennann

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3. Kap.: Die negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verältnis

einer sie bedrängenden Inanspruchnahme oder Beeinflussung seitens ihrer Kameraden mit deren Gedankenwelt aussetzen lassen zu müssen, eine gleichrangige Berücksichtigung" 101. Daran knüpfen, teils ausdrücklich, Entscheidungen an, die das Abstellen eines mit politischen Aufklebern versehenen privaten Kraftfahrzeugs auf dem Kasernengelände102 oder das Tragen von Anti-Atomkraft-Plaketten durch Lehrer während des Unterrichts 103 mit Blick auf die drohende Beeinflussung der Schüler für unzulässig halten. In diesen Zusammenhang gehören auch die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die es als Verletzung der negativen Bekenntnisfreiheit der Schüler bzw. Eltern angesehen haben, wenn ein Lehrer während des Unterrichts die bhagwan-typische, rotgetönte Kleidung trägt 1 0 4 . Diesen Entscheidungen ist gelegentlich schon die Frage entgegengehalten worden, ob sie ebenso ausgefallen wären, wenn es statt um Anti-Atomkraft-Unterschriftslisten um "Unterschriften für eine Aktion engagierter Christen gegen die Todesstrafe oder gegen die Straflosigkeit der Abtreibung oder gegen die Schließung eines Kindergartens" 105, statt um bhagwan-typische Kleidung um christliche Glaubenssymbole (Kreuz, Ordenszeichen, Ordenskleidung) gegangen wäre 1 0 6 . Gemessen an den Maßstäben der Schulgebetsentscheidung wird man das bezweifeln müssen: Im Vergleich zu dem Druck, den ein vom Lehrer zumeist begonnenes und jedenfalls mitgesprochenes, von der gesamten Klasse abgehaltenes Schulgebet auf einen einzelnen andersdenkenden Schüler, insbesondere in unteren Schulklassen, ausübt, erscheint die Beeinträchtigung gering, die eine einzelne Person, auch der Lehrer, durch das bloße Tragen einer bestimmten Kleidung oder Plakette oder die Bitte um eine Unterschrift, noch dazu unter erwachsenen Menschen, ausübt. Offenkundig verkehrt sich die Bewertung der beiden widerstreitenden Grundrechtspositionen: Liegt in der Schulgebetsentscheidung die Betonung auf dem notwendigen, von den anderen zu duldenden Freiraum für aktive religiöse - Betätigung auch im Rahmen staatlicher Einrichtungen, so gewinnt hier der Anspruch des passiven Teils, nicht durch politische oder religiöse Aktivitäten anderer gestört zu werden, die Oberhand. Es soll nicht behauptet werden, daß die negativen Freiheitsrechte in der Abwägungspraxis etwa durchgehend und womöglich absichtsvoll gegen Aussenseiterbetätigungen mobilisiert würden. Die Abwägungsdogmatik vermag aber jedenfalls nicht zu verhindern, daß sie stärkeren Beschränkungen unter101

A.a.O., S. 203 f. BVerwGE 53, 327 (328); BVeiwG, DVB1. 1981, 1066 (insb. 1068). 103 VG Hamburg, NJW 1979, 2164; BAG, NJW 1982, 2888 (2890). 104 Vgl. oben FN 45. 105 BVerfGE 44, 209 (210) - abweichende Meinung des Richters Hirsch -. 106 Alberts , NVwZ 1985, 92 (95); vgl. auch Usken, NJW 1980, 1503 (1504), sowie - zu BVerfGE 12,1 - Böckenförde, in: WDStRL 28 (1970), S. 33 (59 FN 79). 102

. Inhaltliche Reichweite und Bedeutung

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worfen werden; eher scheint in ihr eine gewisse Tendenz zur rechtlichen Bevorzugung von Mehrheitspositionen bereits angelegt. Denn die zu treffende Abwägung empfangt ihre inhaltlichen Vorgaben allein von den widerstreitenden Grundrechtspositionen. Diese geben den Privaten das Recht, einerseits ihre religiösen, politischen oder sonstigen Anschauungen auszuleben, andererseits aber auch gegen davon ausgehende Störungen und Beeinträchtigungen in den eigenen Vorstellungen Schutz zu beanspruchen. Dabei werden Außenseiterbetätigungen von anderen sehr viel eher und stärker als störend empfunden werden als die - häufig kaum noch wahrgenommenen - Bekundungen der herrschenden religiösen, politischen oder sonstigen Auffassungen. Wenn die negativen Freiheitsrechte gegenüber solchen Betätigungen deshalb mit größerer Dringlichkeit in die von der staatlichen Entscheidungsinstanz zu treffende Abwägung eingebracht werden, kann es - angesichts des Mangels an gesicherten rechtlichen Maßstäben für eine objektive Bewertung der widerstreitenden subjektiven Grundrechtspositionen im Rahmen der Abwägung - nicht überraschen, wenn am Ende Außenseiterbetätigungen tendenziell eher als sozialinadäquat und intolerabel erscheinen.

4. Kapitel

Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur zur negativen Seite der Freiheitsrechte In der Untersuchung der sogenannten negativen Seite der Freiheitsrechte ist es nunmehr möglich, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Erste Teil der Untersuchung hat in den Kapiteln 1 bis 3 diese von Rechtsprechung und Literatur hervorgebrachte grundrechtsdogmatische Figur - sie als solche nicht in Frage stellend und insofern immanent kritisch - in ihrer Herleitung und Anwendung betrachtet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse resümierend, soll zunächst eine abschließende Bestandsaufnahme von Rechtsprechung und Literatur zur Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte vorgenommen werden (I.). Die Annahmen von Rechtsprechung und Literatur einer grundsätzlichen kritischen Überprüfung zu unterziehen und eine eigene Position zu den unter dem Begriff der negativen Seite aufgeworfenen Fragen zu entwickeln, wird die Aufgabe des anschließenden Zweiten Teils der Untersuchung sein. Welche Ansatzpunkte sich dafür aus der immanent kritischen Betrachtung der Figur der negativen Seite haben gewinnen lassen, soll dann in einem Ausblick auf den Zweiten Teil gefragt werden (II.)

I. Resümee des Ersten Teils Die einzelnen kritischen Beobachtungen, die die vorangegangenen Kapitel zu bestimmten negativen Freiheitsrechten und zu einzelnen Richtungen ihrer Anwendung erbracht haben, sollen nun - in einer abschließenden Bestandsaufnahme - zusammengefaßt und wieder auf jene allgemein-grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite rückbezogen werden, die verbindend hinter den einzelnen negativen Freiheitsrechten steht und deren Anerkennung trägt. Die Frage, welcher Stellenwert dieser allgemein-grundrechtsdogmatischen Figur zum derzeitigen Stand von Rechtsprechung und Lehre zukommt, kann danach nicht mit einer einheitlichen Bewertung beantwortet werden. Die negative Seite der Freiheitsrechte gibt vielmehr ein widersprüchliches Bild ab.

1. Die Anerkennung und Wertschätzung der negativen Seite Einerseits ist festzustellen, daß die Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte unter der Geltung des Grundgesetzes allgemeine Anerkennung und zunehmende Wertschätzung in Rechtsprechung und Literatur gewonnen hat.

I. Resümee des Ersten Teils

117

Die Entwicklung der Diskussion vom Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zum heutigen Stand macht deutlich, daß diese dogmatische Figur sich allmählich in Rechtsprechung und Literatur durchgesetzt hat. Von Beginn an akzeptiert war nur die negative Religionsfreiheit in dem engen Sinn als negative Bekenntnis- und Kultusfreiheit, deren Anerkennung an Verfassungsrecht und Verfassungsrechtslehre der Weimarer Zeit anknüpfen und sich auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 und 4 WRV stützen konnte. Auch die negative Koalitionsfreiheit, über die bereits in Weimar und in den Beratungen zum Grundgesetz debattiert worden war, war schon früh ein Thema; sie blieb aber lange heftig umstritten, und erst ihre späte Anerkennung durch Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht hat ihr auch in der Literatur zum Durchbruch verholfen. Die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG hingegen wurde anfangs teils noch nicht erwähnt, teils bestritten und auch vom Bundesverfassungsgericht zunächst nicht anerkannt, dann aber bald allgemein - im Erftverband-Urteil auch vom Bundesverfassungsgericht - grundsätzlich bejaht. Zugleich aber wurde sie durch die Annahme ihrer Unanwendbarkeit gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden bedeutungslos gestellt; immerhin zeugt die wachsende, in der Arbeitnehmerkammer-Entscheidung auch vom Bundesverfassungsgericht vorsichtig aufgenommene Kritik an dieser Annahme von der Absicht, der negativen Seite des Art. 9 GG allmählich auch hier zu größerem argumentativen Gewicht zu verhelfen. Die negative Seite weiterer Freiheitsrechte wurde erst nach und nach entdeckt. Insbesondere die negative Meinungsäußerungs-, Berufs- und Versammlungsfreiheit tauchten zunächst in einzelnen Bemerkungen auf, bis sie in den letzten Jahren auch vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich akzeptiert und in der Literatur geläufig wurden, so daß heute die Anerkennung der negativen Seite der Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1, Art. 8, Art. 12 Abs. 1 und auch Art. 11 GG zum gesicherten Erkenntnisstand zählt. Schließlich finden sich in der Literatur zunehmend Versuche, die Figur der negativen Seite auch noch auf weitere Grundrechte, etwa die aus Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG, zu übertragen. Dieser Entwicklung in den Stellungnahmen zu einzelnen Freiheitsrechten entspricht es, wenn heute die allgemeine Anerkennung der negativen Seite der Freiheitsrechte bzw. - präziser - der Handlungsrechte in der Literatur verbreitete und gefestigte Auffassung ist. Diese allgemeine Anerkennung und ihre besondere Wertschätzung als essentieller und unverzichtbarer Bestandteil der Freiheitsrechte verdankt die Figur der negativen Seite der Tatsache, daß ihre Anerkennung aus grundrechtstheoretischen Gründen zwingend erscheint. Sie beruht unmittelbar auf der Annahme, daß die Freiheitsrechte ihrem Wesen und ihrer Funktion nach Gewährleistungen der individuellen Freiheitssphäre darstellen. Dieser Freiheitssphären-Vorstellung erscheint es zur Sicherung der individuellen Freiheit erforderlich, die jeweils geschützten Lebensbereiche - das dem Wortlaut nach

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4. Kap.: Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur

gewährleistete Maß an Grundrechtsschutz verstärkend und ergänzend - umfassend abzuschirmen, so daß der Bürger in völliger Entschließungsfreiheit über sein Tun und auch Unterlassen befinden kann. Zunächst und vor allem verlangt sie deshalb eine weitergehende Abwehr staatlicher Interventionen in diese Lebensbereiche. Die individuelle Freiheitssphäre soll aber auch gegenüber Störungen durch Betätigung anderer Bürger Grundrechtsschutz genießen, womit die Anwendung der negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis vorgezeichnet ist.

2. Der Mangel an freiheitsschützender Wirksamkeit Dieser grundrechtstheoretisch begründete Anspruch auf einen verstärkten grundrechtlichen Schutz der individuellen Freiheitssphäre ist freilich weitgehend folgenlos geblieben. In ihrer grundrechtsdogmatischen Anwendung ist die Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte - andererseits - durch einen Mangel an praktischer Relevanz und Wirksamkeit für den Freiheitsschutz des Bürgers gekennzeichnet. a) Staat-Bärger-Verhältnis Daß die allgemein-grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite im Staat-Bürger-Verhältnis keine nennenswerte Effektuierung des Grundrechtsschutzes geleistet hat, bedarf einer eingehenderen, differenzierenden Begründung, denn die verschiedenen negativen Freiheitsrechte haben sich in ihrer Anwendung als staatsgerichtete Abwehrrechte ganz unterschiedlich präsentiert. Effizienz erlangt hat in dieser Funktion auch und gerade in der Rechtsprechung - als einziges unter den speziellen negativen Freiheitsrechten - die negative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Wie sich gezeigt hat, stellt diese aber auch grundrechtsdogmatisch in mehrfacher Hinsicht einen von der allgemeinen Figur der negativen Seite, wie sie auf die anderen Freiheitsrechte Anwendung findet, abweichenden - Sonderfall dar. Schon in ihrem engeren Verständnis als negative Bekenntnis- und Kultusfreiheit ist sie ein Sonderfall, weil diese Freiheiten in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 und 4 WRV bereits ausdrücklich grundgesetzlich garantiert sind; diese besonderen Garantien werden auch, wie insbesondere die Übertragung der Schranke aus Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG belegt, in der Sache als maßgeblich betrachtet. Was das darüber hinausgehende Verständnis der negativen Religionsfreiheit als Freiheit von jeglichem Zwang im religiös-weltanschaulichen Bereich angeht, so hat sich diese Interpretation des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als von der anderer spezieller Freiheitsrechte

I. Resümee des Ersten Teils

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grundverschieden erwiesen; die Freiheitssphären-Vorstellung, die bei den sonstigen speziellen Freiheitsrechten den Schluß auf die negative Seite und damit den grundrechtlichen Schutz eines bestimmten Unterlassens begründet, wird hier zur Umschreibung des grundrechtlichen Schutzbereichs selbst. Das so weitgefaßte Verständnis von grundrechtlicher Religionsfreiheit ist damit der allgemeinen Figur der negativen Seite zwar durch die übereinstimmende Bezeichnung als negatives Freiheitsrecht und die gemeinsame Freiheitssphären-Vorstellung verbunden, aber doch ein ganz eigenständiges, singuläres Phänomen. Effektiven Grundrechtsschutz schien auch die negative Seite des Art. 9 GG zu versprechen, und zwar in der Abwehr öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände. Diese vermeintliche Effektivität aber hat die negative Vereinigungsfreiheit von vornherein nicht gehabt. Rechtsprechung und herrschende Lehre haben sie ihr durch den - wie sich in der Kritik gezeigt hat - unhaltbaren Umkehrschluß und die Beschränkung auf die Abwehr privatrechtlicher Zwangsverbände genommen, die Kritiker dieses Umkehrschlusses, die von einem Eingriff in das Grundrecht des Art. 9 GG ausgehen, durch die fragwürdige Annahme weitreichender verfassungsimmanenter Schranken dieses vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts. Beide - grundrechtsdogmatisch nicht überzeugenden - Wege führen zu dem übereinstimmenden Ergebnis, daß Art. 9 GG kaum Grundrechtsschutz gegen die Eingliederung in öffentlich-rechtliche Zwangsverbände bieten kann. Eben dieses Ergebnis gilt freilich im allgemeinen wohl auch als der grundrechtlichen Prüfung zwingend vorgegeben, denn insbesondere aus Entstehungsgeschichte und Systematik wird einhellig herausgelesen, daß das Grundgesetz die überkommene Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände keineswegs habe abschaffen oder auch nur wesentlich zurückdrängen wollen1. Die negative Seite der anderen speziellen Freiheitsrechte ist - soweit ersichtlich - schon tatbestandlich nicht ernsthaft gefordert gewesen. Die Freiheit des Bürgers, seine Meinung nicht zu äußern, sich nicht zu informieren, zu versammeln, privaten Vereinigungen oder Koalitionen anzuschließen oder beruflich zu betätigen, wird zwar durch staatliches Handeln in mancher Hinsicht berührt: Der Staat bietet die Möglichkeit zu solcher Betätigung; er setzt ihre Vornahme im Sinne einer Obliegenheit des Bürgers sich selbst gegenüber voraus2; er belohnt auch unter Umständen ihre Vornahme mit Begünsti-

1 Vgl. etwa Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, S. 24; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 201 f.; Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 60; Quidde, DÖV 1958, 521 (523). 2 Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 65 mit FN 246, und Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, S. 123 FN 56, verweisen als

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4. Kap.: Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur

gungen, indem er ζ. B. Gewerkschaftsmitgliedern gewisse Sonderrechte einräumt, und straft ihre Unterlassung mit der Nichtgewährung von Vorteilen, etwa durch den Entzug von Sozialleistungen bei der Weigerung, eine zumutbare Berufstätigkeit aufzunehmen 3. Darin aber liegt - wird nicht der grundrechtliche Eingriffsbegriff bis zur völligen Konturenlosigkeit ausgedehnt kein hoheitlicher Eingriff in die Freiheit, diese Tätigkeit zu unterlassen. Einen - die Kriterien des Eingriffsbegriffs erfüllenden - Zwang zur Vornahme der Handlungen, die in den speziellen Freiheitsrechten ausdrücklich umschrieben und geschützt sind, aber hat der Staat - jedenfalls im allgemeinen StaatBürger-Verhältnis - kaum ausgeübt. Eine Ausnahme bildet der vom Bundesverfassungsgericht 4 entschiedene Fall einer strafrichterlichen Weisung zur Berufsaufhahme, für die es freilich schon an einer gesetzlichen Grundlage fehlte und die deshalb auch an Art. 2 Abs. 1 GG gescheitert wäre. Außerdem ist zuletzt diskutiert worden, ob und inwieweit die Auferlegung von Produkthinweispflichten bei Tabakwaren nicht nur die Berufs- und Eigentumsfreiheit, sondern auch die negative Meinungsäußerungsfreiheit tangiert5. In erster Linie aber ist die Abwehr hoheitlicher Betätigungszwänge die Angelegenheit anderer, von der Figur der negativen Seite unabhängiger Grundrechtsgewährleistungen geblieben. Wird der Bürger im Rahmen einer Betätigung, die durch ein spezielles Freiheitsrecht besonders geschützt ist, d. h. praktisch vor allem in seiner Berufstätigkeit, zu bestimmten Handlungen verpflichtet, so schützt ihn hiergegen bereits die positive Seite dieses Freiheitsrechts. Wird er in seiner allgemeinen Stellung als Bürger in die Pflicht genommen, so ist in der Regel Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig. Art. 2 Abs. 1 GG aber schützt die Unterlassensfreiheit nicht erst - wie bei den speziellen Freiheitsrechten - aufgrund eines besonderen Schlusses auf eine negative Seite, sondern schon kraft seiner Funktion als allgemeines Freiheitsrecht bzw. Auffanggrundrecht. Die Intensität des von Art. 2 Abs. 1 GG ausgehenden Grundrechtsschutzes ist freilich begrenzt, denn die in der Regel einzige und maßgebliche inhaltliche Begrenzung für hoheitliche Betätigungszwänge stellt der Verhältnismässigkeitsgrundsatz dar. Bemerkenswert ist, daß die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG in der hier, unter dem Stichwort der negativen Seite besonders interessierenden Frage der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen

Beispiel darauf, daß die Weigerung, sich über bestehende Verbots- oder Strafvorschriften zu informieren, nicht vor späteren Sanktionen schütze. 3 Vgl. dazu Pitschas, JA 1982, 313 (314). 4 BVerfGE 58, 358. 5 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 b), FN 51.

I. Resümee des Ersten Teils

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Verbänden noch hinter dessen Anforderungen zurückgeblieben ist. Eine echte Prüfung, ob die Organisationsform eines öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes bzw. die Zwangsmitgliedschaft des Bürgers zur Erfüllung der jeweiligen öffentlichen Aufgaben erforderlich ist, und damit eine echte Grundrechtsprüfung finden insbesondere in der Rechtsprechung nicht statt. In ihrer Wendung gegen öffentlich-rechtliche Zwangsverbände ist die negative Vereinigungsfreiheit des Bürgers ohne effektiven grundrechtlichen Schutz. b) Bürger-Bürger- Verhältnis Im Verhältnis der Bürger zueinander sind die negativen Freiheitsrechte gestützt auf die herrschende Grundrechtsdoktrin, die neben der subjektiv-abwehrrechtlichen Funktion eine weitergehende sogenannte objektiv-rechtliche Bedeutung der Grundrechte annimmt - zwar prinzipiell anwendbar; sie vermitteln dem Bürger zunächst den grundrechtlichen Schutz gegen jede Betätigung eines anderen, durch die er sich zu eigenem Tun gedrängt oder auch nur im eigenen Unterlassen gestört sieht. Diesem Grundrechtsschutz stehen jedoch die Grundrechte des anderen Bürgers, die diesen in seiner Betätigung schützen, entgegen. Es kollidieren somit zwei prinzipiell gleichrangige Grundrechtspositionen, zwischen denen ein Ausgleich zu finden und letztlich eine Entscheidung zu treffen ist. Erst das Gewicht der negativen Freiheitsrechte in dieser Entscheidung bestimmt deshalb abschließend über ihre Wirksamkeit für den Freiheitsschutz gegenüber anderen Bürgern. Die Wirksamkeit der negativen Freiheitsrechte steht damit zunächst unter einer - methodisch begründeten - Unsicherheit. Wie sich insbesondere an der Verwendung des Eingriffs- und des Verhältnismäßigkeitsbegriffs gezeigt hat, verlieren diese Kategorien, die der Anwendung der Freiheitsrechte als subjektiver staatsgerichteter Abwehrrechte generelle, nachprüfbare Maßstäbe geben, ihre Gültigkeit oder jedenfalls ihre feste Bedeutung, wo zwei Grundrechte als objektiv-rechtliche Grundsatznormen oder Prinzipien anwendbar sind und miteinander kollidieren. Die Lösung dieser Kollision hängt von einer Abwägungsentscheidung ab, für die es jedenfalls nur sehr begrenzt rationale Kriterien gibt und die deshalb in weitem Maße offen ist für vor- und außerrechtliche Wertungen. Diese methodische Unsicherheit mündet in eine inhaltliche Unzulänglichkeit: Die negativen Freiheitsrechte haben kaum zu einem verstärkten Freiheitsschutz des Bürgers gegenüber seinen Mitbürgern beitragen können. In der Regel sollen sie keinen rechtlichen Schutz gegen fremde Betätigungen entfalten, der nicht bereits sonst, d. h. insbesondere polizei- oder strafrechtlich gewährleistet wäre. Dies belegen bereits eine ganze Reihe von Stellungnahmen in der Literatur, die gerade wegen einer möglichen weiterreichenden

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4. Kap.: Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur

Drittwirkung die Anerkennung negativer Freiheitsrechte ablehnen6, diesen prinzipiell die tatbestandliche Reichweite zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs gegen andere Private absprechen7, einen generellen Vorrang der positiven Freiheitsrechte behaupten oder den Schutz durch die negativen Freiheitsrechte auf die Abwehr ohnehin rechtswidriger Betätigungen beschränken8. Im übrigen fallt insbesondere in der Rechtsprechung die konkrete Abwägungsentscheidung, auf die esrichtigerweise ankommen muß, trotz der behaupteten prinzipiellen Gleichrangigkeit der beiden kollidierenden Freiheitsrechte regelmäßig zugunsten der positiven Seite der Freiheitsrechte aus. Obsiegt haben die negativen Freiheitsrechte in der Kollision mit positiven Freiheitsrechten insbesondere dort, wo sie sich gegen Betätigungen - zumindest vermeintlicher - gesellschaftlicher Außenseiter gewandt haben. In dieser Abwägungspraxis erlangen die negativen Freiheitsrechte weniger die Funktion, nicht betätigungswillige Außenseiter im Bürger-Bürger-Verhältnis gegen die herrschenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse grundrechtlich effektiv zu schützen; eher haben sie - die sozialen Kräfteverhältnisse wiedergebend und rechtlich verstärkend - Betätigungen gesellschaftlicher Außenseiter zurückgedrängt. Nicht ohne Berechtigung ist gelegentlich eine inhaltliche Umkehrung des in diesem Zusammenhang bemühten Toleranzprinzips beklagt worden: Wenn es zunächst, als eine vom einzelnen zu übende moralische Haltung, Duldsamkeit und Rücksichtnahme gegenüber Andersdenkenden meint und so vornehmlich Minderheitspositionen zugute kommt9, dient es nun mitunter der rechtlichen Begründung von hoheitlichen Kollisionsentscheidungen, die Minderheiten zu besonderer Rücksichtnahme auf die Mehrheit verpflichten 10. Die Anwendung der negativen Freiheitsrechte in der - mit dem Anspruch einer Verstärkung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes angetretenen 11 - objektiv-rechtlichen Grundrechtsfunktion des Schutzes gegenüber stö-

6 Vgl. etwa zu Art. 9 Abs. 3 GG Arndt, in: FS Kunze, S. 265 (266, These 6); Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (36 f.); Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 58 f.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/Ι, S. 157 f.; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 44 ff. Zu einem aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleiteten Recht, nicht zu hören, Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 64; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (73 f.); Steinberg/Herbert, JuS 1980, 108 (112 FN 49). 7 Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt U 1 a) aa), bei und in FN 30, 31. 8 Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 2 a) aa). 9 Böckenförde, DÖV 1974, 253 (257); vgl. auch BVerfGE 33, 23 (32), zur staatlichen Toleranz gegenüber Minderheiten. 10 Kritisch zu einer solchen Umkehrung des Toleranzgebots Renck, JuS 1989, 451; Suhr y NJW 1982, 1065 (1068). 11 Vgl. BVerfGE 7, 198 (205).

Π. Ausblick auf den Zweiten Teil

123

renden Dritten steht immer auch in der Gefahr, Freiheitsverkürzungen zu legitimieren.

I I . Ausblick auf den Zweiten Teil

1. Die Hypothese Was folgt aus diesem Befund als Hypothese für die eigene Antwort auf die Frage nach einer negativen Seite der Freiheitsrechte, deren Darlegung das zentrale Anliegen des Zweiten Teils der Untersuchung sein wird? Schon der soeben konstatierte Mangel an aktueller Wirksamkeit fur den Freiheitsschutz des Bürgers muß eine gewisse Skepsis gegenüber dieser allgemein-grundrechtsdogmatischen Figur wecken. Er könnte zwar einfach für die Liberalität der bisherigen Staatspraxis und müßte im allgemeinen nicht gegen die Geltung grundrechtlicher Freiheitsverbürgungen sprechen. Wenn aber der fragliche Aspekt des grundrechtlichen Freiheitsschutzes in den einzelnen Grundrechten insbesondere ihrem Wortlaut nach nicht zwingend angelegt und erst mit einigem interpretatorischen Aufwand und einer hochstufigen grundrechtstheoretischen Argumentation herzuleiten ist, ist das anders. In der Anwendung der Grundrechte durch Bundesverfassungsgericht und Lehre erfolgt der Rekurs auf material-grundrechtstheoretische Argumente - wie mit Recht zur Berufung auf den Charakter der Grundrechte als Wertentscheidungen oder objektiv-rechtliche Grundsatznormen beobachtet worden ist 1 2 - dort, wo der Grundrechtsschutz in seinem klassischen Gehalt zweifelhaft, andererseits aber eine Verweigerung des grundrechtlichen Schutzes nicht akzeptabel erscheint. Auch die auf die grundrechtstheoretische Vorstellung einer individuellen Freiheitssphäre gestützte Ableitung der negativen Seite hat sich teilweise ausdrücklich als der Versuch zu erkennen gegeben, die speziellen Freiheitsrechte - und nicht nur das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG - gegenüber zunächst nicht erfaßten, möglicherweise neuartigen Freiheitsgefahrdungen zu aktivieren 13. Wenn die negativen Freiheitsrechte dann von vornherein ohne nennenswerte praktische Relevanz bleiben, läßt schon das an der Berechtigung der grundrechtsdogmatischen Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte zweifeln. Diese Skepsis wird dadurch bestärkt, daß die grundrechtsdogmatischen Schwächen und Unstimmigkeiten bei der Anwendung der negativen Freiheits-

12 13

Jarass, AöR 110 (1985), 363 (365). Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b), bei und in FN 147.

124

4. Kap.: Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur

rechte auch in der Sache auf die allgemeine, grundrechtstheoretische Fragwürdigkeit der zugrundeliegenden Freiheitssphären-Vorstellung hindeuten. Sie scheinen den - an unterschiedlichen Punkten ansetzenden und zu verschiedenen Folgerungen fuhrenden, insoweit aber übereinstimmenden - zentralen Vorwurf zu bestätigen, dem dieses spezifisch liberal-rechtsstaatliche Grundrechtsverständnis, insbesondere die verräumlichende Vorstellung individueller Freiheitssphären in der grundrechtstheoretischen Diskussion ausgesetzt ist: Die Annahme eines abgegrenzten Bereichs, in dem das Individuum souverän, nach freiem Belieben über sein Verhalten entscheiden könne, sei eine Fiktion, die keine taugliche Grundlage fur die grundrechtliche Behandlung der tatsächlich bestehenden Freiheitsprobleme abgeben könne 14 . Damit wird zum einen im Verhältnis des Bürgers zum Staat eine zu strikte Unterscheidung und Entgegensetzung von individueller bzw. gesellschaftlicher Freiheitssphäre und staatlichem Herrschaftsbereich moniert. Dieser Vorwurf ist ein doppelter: Einerseits enthalte die Freiheitssphären-Vorstellung den Freiheitsrechten das aktiv-bürgerliche Moment der Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten, der Einwirkung auf den demokratischen Prozeß vor 1 5 ; andererseits und umgekehrt unterschlage sie die unabweisbare staatliche Ingerenz in den vermeintlich staats- und rechtsfreien gesellschaftlichen Lebensbereichen16. Dieses zweite Bedenken findet in der grundrechtsdogmatischen Figur der negativen Seite, die ja die einzelnen grundrechtlich geschützten Betätigungen insgesamt der privaten Freiheitssphäre zuweisen und Privaten zur Verfolgung ihrer Zwecke vorbehalten, den Staat insoweit ausschließen will, bei verschiedenen Grundrechten in unterschiedlicher Weise Bestätigung. Für die meisten negativen Freiheitsrechte, insbesondere die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8, Art. 11, Art. 12 Abs. 1 GG, ist dieses Bedenken allerdings nicht grundrechtsdogmatisch virulent geworden, weil der Staat die durch sie geschützten Lebensbereiche jedenfalls insoweit als Bereiche privater und gesellschaftlicher Betätigung respektiert, als er kaum unmittelbaren Zwang auf einzelne Bürger zur Vornahme dieser Betätigungen ausübt. Anders verhält es sich bereits mit der Vorstellung, der religiös-weltanschauliche Raum sei durch die Grundrechte als ein rein privater Freiheitsbereich definiert, die mit der nur unvollständig durchgeführten Trennung von Staat und Kirche bzw. Religion im Staat des Grundgesetzes konfligieren kann, weshalb etwa die Annahme einer negativen Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG den Rückgriff auf die

14

Zur Kritik an einer verräumlichenden Freiheitssphären-Vorstellung vgl. etwa Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 18; Rupp, AöR 101 (1976), 161 (173); vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 282, zur Annahme eines vor-staatlichen und vor-rechtlichen Status natürlicher Freiheit und Gleichheit. 15 Vgl. Häberle, a.a.O. 16 Vgl. Hesse, a.a.O.

Π. Ausblick auf den Zweiten Teil

125

Schrankenregelung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV bedingt. Besonders deutlich aber wird diese Problematik der grundrechtlichen Freiheitssphären-Vorstellung in der Diskussion um die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG; sie scheitert an dem eigenen Anspruch, die Existenz öffentlich-rechtlicher Zwangskörperschaften in einem Gemeinwesen, das neben der Form unmittelbarer, dem Bürger obrigkeitlich entgegentretender Staatsverwaltung auch diese Form von Selbstverwaltung kennt, in ihrem Verhältnis zu den frei gebildeten, gesellschaftlichen Vereinigungen adäquat zu erfassen und die nötige Vermittlung zwischen beiden zu leisten. Art. 9 GG scheint danach zunächst das Vereinigungswesen insgesamt - und vorbehaltlos - der vorstaatlichen, gesellschaftlichen Sphäre zuzuweisen; die Existenz hoheitlich gebildeter Vereinigungen von Bürgern, öffentlichrechtlicher Zwangskörperschaften, wird damit grundrechtlich ignoriert. Der Umkehrschluß, der Art. 9 GG gegenüber öffentlich-rechtlichen Verbänden für unanwendbar erklärt, setzt dann der grundrechtlich gestützten Behauptung einer gesellschaftlichen Freiheitssphäre die These eines impermeablen staatlichen Bereichs, der sich auf alle öffentlich-rechtlich geregelten Rechtsbeziehungen ausdehnen soll, entgegen und verdrängt nunmehr diese völlig. Diese Widersprüchlichkeit der grundrechtlichen Argumentation setzt sich im übrigen auch bei der Prüfung der Zwangsmitgliedschaft an Art. 2 Abs. 1 GG fort: Einerseits wird die Zwangsmitgliedschaft selbstverständlich als Grundrechtseingriff angesehen, obgleich sie den Bürger gar nicht zu eigener Betätigung zwingt und eine sonstige Beeinträchtigung seiner Freiheit kaum näher dargelegt wird; andererseits wird die Wahl der als grundrechtsbeeinträchtigend angesehenen Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft trotz der an sich gebotenen Prüfung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Hinblick auf die nicht eingreifende Alternative unmittelbarer Staatsverwaltung - dann doch weitgehend in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt. Spätestens hier drängt sich die Frage auf, ob das Grundrecht der Bürger auf freie Assoziation und seine Grundrechte überhaupt tatsächlich einen geeigneten Ansatzpunkt für eine verfassungsrechtliche Beurteilung öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände abzugeben vermögen 17, die dahinterstehende Vorstellung einer grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre insoweit zur Abgrenzung von der staatlichen Sphäre taugt. Zum anderen bestätigt sich in der Anwendung der positiven und negativen Freiheitsrechte im Verhältnis der Bürger zueinander ein zweiter Einwand: Dieses Grundrechtsverständnis sei, weil es nur das isolierte, asoziale Indi17 Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 279 mit FN 30, sieht zutreffend die "einem rein individualrechtlichen Verständnis der Grundrechte" entspringende "These der negativen Vereinigungsfreiheit" bei der Frage öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände "in einem widersprüchlichen Formalismus versanden".

126

4. Kap.: Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur

viduum als Grundrechtsträger in den Blick nehme, unfähig, die Freiheitsverwirklichung in der Sozialdimension, in der Geselligkeit der Menschen mit ihren Möglichkeiten und Problemen grundrechtlich adäquat zu erfassen 18. Für dieses Freiheitsverständnis bleibt die Ausübung der positiven Freiheitsrechte, auch wenn sie doch regelmäßig Wirkungen auf andere Private besitzt, Betätigung innerhalb einer individuellen Freiheitssphäre. Zugleich aber soll sie die durch die negative Seite geschützte - Freiheitssphäre eines anderen, dadurch gestörten Privaten tangieren, bildlich gesprochen: auch in dieser stattfinden. So wird der Raum, den diese umstrittene Betätigung einnimmt, von zwei individuellen, den anderen jeweils ausschließenden Freiheitssphären beansprucht. Daß die Kollision dieser unvermittelt aufeinander prallenden Grundrechtspositionen nur methodisch unbefriedigend, letztlich dezisionistisch aufgelöst werden kann, ist dann nicht überraschend. So legen diese Bedenken gegen die grundrechtstheoretische Vorstellung einer durch die Grundrechte geschützten Freiheitssphäre in sachlicher Hinsicht die Hypothese nahe, daß die - darauf gegründete - Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte aufgegeben werden sollte.

2. Der weitere Gang der Untersuchung Zugleich stellen sie in methodischer Hinsicht für den weiteren Gang der Untersuchung eine Warnung dar vor einem grundrechtlichen Argumentieren, das seine Inhalte auf abstrakter, grundrechtstheoretischer Ebene gewinnt und diese dann als grundrechtsdogmatische Aussagen von dort deduziert. Die eigene, der herrschenden Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte entgegentretende Position soll deshalb auf dem entgegengesetzten Weg entwickelt werden, indem sie bei der Auslegung der einzelnen Grundrechtsbestimmungen ansetzt und dann fragt, ob die so gewonnenen Aussagen auch einer abstrakteren, letztlich einer grundrechtstheoretischen Überprüfung standhalten. Das anschließende 5. Kapitel unternimmt deshalb zunächst den Versuch, die Figur der negativen Seite als Problem der Auslegung der einzelnen speziellen Freiheitsrechte anzugehen und auf dieser Ebene zu widerlegen. Untersuchungsgegenstand sind dabei alle speziellen negativen Freiheitsrechte, die durch den Schluß von der positiven auf eine - spiegelbildlich konstruierte, das dem geschützten Tun korrespondierende Unterlassen schützende - negative Seite gebildet werden, von den vereinzelt erwähnten negativen Freiheits18 Vgl. dazu etwa Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, insb. S. 150 if.; Krüger, in: FS Maunz, S. 249 (261 f.); Scheuner, DÖV 1971, 505 (506 f.); Suhr, EuGRZ 1984, 529 (532 f.).

Π. Ausblick auf den Zweiten Teil

127

rechten aus Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 oder Art. 14 GG über die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8, Art. 11, Art. 12 Abs. 1 GG bis - schließlich und vor allem - zu denen aus Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG. In diesem Zusammenhang ist auch das - in seiner Reichweite über diesen allgemeinen Schluß hinausreichende, besondere - negative Freiheitsrecht zu untersuchen, das durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet sein soll. Das weite Verständnis von negativer - und positiver - Religionsfreiheit, wie es insbesondere vom Bundesverfassungsgericht angenommen worden und heute herrschend ist, erscheint dabei insgesamt fragwürdig. Es stellt eine im Vergleich zu den anderen Grundrechten ganz einzigartige Interpretation dar, die Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die grundrechtsdogmatische Struktur weniger eines begrenzten speziellen Freiheitsrechts (bzw. mehrerer spezieller Freiheitsrechte) denn eines partiellen Auffanggrundrechts nach Art des Art. 2 Abs. 1 GG verleiht. Gegen diese Interpretation erheben sich schon deshalb Bedenken, weil der Wortlaut der Norm nicht ernstgenommen wird und die einzeln genannten Gewährleistungen der Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 WRV in ihrem Verhältnis zueinander unklar, neben dem als zentral angesehenen Art. 4 Abs. 1 GG bloß deklaratorische Teilgarantien werden 19 . Außerdem zwingt die Ausdehnung des Schutzbereichs auf den Schutz allen religiös-weltanschaulich motivierten Verhaltens wegen der danach unausweichlichen Kollision mit anderen, durch die allgemeine Rechtsordnung geschützten Rechtspositionen zu problematischen Reduktionen des Schutzes durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, sei es - auf der Tatbestandsebene - mit der Begrenzung auf diejenigen Glaubensbetätigungen, die sich "im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker" halten 20 , der windigen Differenzierung zwischen religiös motivierten und bloß religiös verbrämten, etwa kommerziellen Betätigungen21 oder dem Abstellen darauf, ob das Auftreten und Handeln seinem Erscheinungsbild nach dem Wirken eines seinen Glauben bekennenden oder dafür werbenden Menschen entspricht 22, sei es - auf der Schrankenebene - mit dem Rückgriff auf die Vorbehalte aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 WRV oder der Annahme weitreichender sogenannter verfassungsimmanenter

19 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 582; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 97. 20 BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (246); vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 41, 29 (50) wohl aufgegeben; vgl. aber BVerwGE 61, 152 (160); Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 42 ff 21 Vgl. dazu BVerwGE 61, 152 (160 f.); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 21; von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 4 RN 44. 22 OVG Hamburg, NJW 1986, 209; OLG Hamburg, NJW 1986, 2841; VG Düsseldorf, Gew Arch 1988, 16 (19 f.).

128

4. Kap.: Fazit aus der Untersuchung von Rechtsprechung und Literatur

Schranken 23. Es kann nicht das Anliegen dieser Untersuchung sein, dieses Verständnis des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfassend zu kritisieren und eine Alternative dazu zu entwerfen. Die genannten Bedenken sind jedoch Rechtfertigung genug, um fur die begrenzte Fragestellung dieser Untersuchung dieses heute herrschende Verständnis des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zunächst zu ignorieren und sich diesen Vorschriften noch einmal unbefangen, wie den anderen speziellen Freiheitsrechten auch, zu nähern 24. Der Frage, ob bzw. inwieweit man bei Art. 4 Abs. 1 und 2 GG von einer negativen, das Unterlassen schützenden Seite sprechen kann, wird deshalb noch einmal ganz von vorn, die herrschende Auffassung grundsätzlich in Frage stellend, nachzugehen sein. Die beiden anschließenden Kapitel präsentieren - in Grundzügen - eigene Lösungsvorschläge fur jene grundrechtsdogmatischen Probleme, die in Rechtsprechung und Literatur unter dem Begriff der negativen Seite thematisiert worden sind. Sie streben damit den Nachweis an, daß die aufgetretenen grundrechtsdogmatischen Unstimmigkeiten bei Verzicht auf diese Figur vermieden werden können und gleichwohl der grundrechtliche Schutz der Unterlassensfreiheit hinreichend gewährleistet ist. Wie dieser Schutz im Staat-Bürger-Verhältnis - ohne die unter dem Begriff der negativen Seite erfolgende Erweiterung der speziellen Freiheitsrechte als staatsgerichteter subjektiver Abwehrrechte - aussieht, soll im 6. Kapitel skizziert werden. Dabei wird auch und besonders auf Art. 2 Abs. 1 GG einzugehen sein. Seine Interpretation als allgemeines Freiheitsrecht, das mit der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die allgemeine Unterlassensfreiheit und darüber hinaus die Freiheit von sonstigen Eingriffen gewährleistet, soll in diesem Rahmen nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden; sie hat sich - ungeachtet der nach wie vor erhobenen Einwände - in Rechtsprechung und Lehre als herrschend etabliert 25. Es bleibt allerdings - insbesondere im Hinblick auf den Grundrechtsschutz gegen öffentlich-rechtliche Zwangsverbände - die Frage nach den Grenzen des Schutzbereichs. Das 7. Kapitel wendet sich dann dem Bürger-Bürger-Verhältnis zu und fragt, wie dort der Grundrechtsschutz angemessen zu konstruieren ist,

23

Vgl. dazu Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 25. Vgl. zu einem solchen Vorgehen auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 5; von vornherein ablehnend dazu von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 36, der eine begriffliche Abgrenzung heute eher als Betätigungsfeld für im wesentlichen folgenlosen Scharfsinn betrachtet. 25 Das Bundesverfassungsgericht hat seine auf das Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32 [36]) zurückgehende Rechtsprechung zuletzt auch gegenüber neueren Einwänden (BVerfGE 80, 164 ff. - abweichende Meinung des Richters Grimm -; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 426 ff.) bestätigt (BVerfGE 80, 137 [152 ff.]); vgl. dazu ausführlich, im Ergebnis ebenfalls für das weite Verständnis als allgemeines Freiheitsrecht plädierend Degenhart, JuS 1990, 161 (162 ff.); Pieroth, AöR 115 (1990), 33. 24

Π. Ausblick auf den Zweiten Teil

129

wenn der problematische Schutz individueller Freiheitssphären unter Privaten vermieden werden soll, wie er durch die - über die sogenannte objektiv-rechtliche Grundrechtsbedeutung vermittelte - Anwendung der negativen Freiheitsrechte erfolgt. Im 8. Kapitel soll gefragt werden, ob die zuvor gefundenen Ergebnisse auch grundrechtstheoretisch bestehen können. In der abschließenden Auseinandersetzung mit der Freiheitssphären-Vorstellung, die die Figur der negativen Seite zum Schutz der individuellen Freiheit fur unabdingbar hält, ist darzulegen, daß auch bei Verzicht auf diese Figur der elementare liberal-rechtsstaatliche Anspruch nicht aufgegeben wird, in den Freiheitsrechten die individuelle Freiheit wahren und sichern zu wollen.

9 Hellermann

Zweiter

Teil

Die Handlungsrechte und der grundrechtliche Schutz des Unterlassens im Grundgesetz 5. Kapitel

Der Schluß von der positiven auf eine negative Seite der speziellen Freiheitsrechte als Auslegungsproblem Die allgemein-grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite nimmt eine generelle Erweiterung des Schutzbereichs der speziellen Freiheitsrechte vor. Ihr normativer Gehalt liegt in dem Schluß von der ausdrücklich gewährleisteten positiven auf eine negative Seite der Freiheitsrechte, die ihnen nach Wortlaut, Geschichte, Entstehungsgeschichte etc. zunächst nicht zukommt. Daß diese herkömmlichen Gesichtspunkte einer Auslegung der einzelnen Grundrechtsbestimmungen die tatbestandliche Erweiterung um eine negative Seite nicht nur nicht tragen1, sondern ihr geradezu entgegenstehen, soll im folgenden dargelegt werden. Im Rahmen dieser allgemein-grundrechtsdogmatischen Studie ist es freilich nicht möglich, eine ausführliche und intensive Einzelauslegung der verschiedenen Grundrechtsbestimmungen vorzunehmen. Es soll deshalb versucht werden, die fur die Frage der negativen Seite relevanten Auslegungsgesichtspunkte - soweit wie möglich - zusammenfassend, die einzelnen Grundrechtsbestimmungen übergreifend zu behandeln. Die Darstellung erfolgt deshalb in zwei großen Schritten, die an bestimmte Strukturmerkmale der verschiedenen Freiheitsrechte anknüpfen. Zunächst ist innerhalb der Freiheitsrechte nach der Kategorie der sogenannten Handlungsrechte zu fragen (I.). Das Interesse daran gilt der Eingrenzung des selbst gesteckten Anwendungsbereichs der Figur der negativen Seite: Es ist eine allgemein akzeptierte Prämisse des Schlusses auf eine negative Seite, daß er nur auf solche Freiheitsrechte Anwendung fmden kann, deren Schutzbereich zunächst ausdrücklich ein bestimmtes Tun erfaßt; bei den sonstigen

1

Vgl. dazu bereits oben 1. Kapitel, Abschnitt II 1.

I. Die Unterscheidung der Handlungsrechte

131

Freiheitsrechten, die keine solche "positive" Seite haben, ist die Annahme einer negativen Seite von vornherein ausgeschlossen2. Sodann soll fur diese Kategorie der Handlungsrechte dargelegt werden, daß die grundrechtliche Gewährleistung von Handlungsfreiheit sich auf den Schutz der aktiven Form des Verhaltens, des Tuns, beschränken und nicht die umfassende, das Unterlassen einschließende Verhaltensfreiheit verbürgen will (II.). Damit ist der Schluß auf die negative Seite in seinem eigentlichen Anwendungsbereich zu widerlegen.

I . Die Unterscheidung der Handlungsrechte von den sonstigen Freiheitsrechten Mit Blick auf typische Handlungsrechte wie die der Meinungsäußerungsoder Versammlungsfreiheit einerseits, die Grundrechte des Briefgeheimnisses oder der Unverletzlichkeit der Wohnung andererseits erscheint eine Unterscheidung zwischen solchen Freiheitsrechten, die die freie Betätigung der Bürger gewährleisten, und solchen, die - rein negatorisch - den einzelnen und seine Rechtsgüter vor staatlichen Eingriffen bewahren, auf Anhieb plausibel. Diese Differenzierung klingt denn auch bei vielen Autoren an und ist gelegentlich zur Grundlage einer systematischen Unterteilung der Grundrechte gemacht worden 3. Sie ist allerdings, weil sie für die Lösung konkreter grundrechtsdogmatischer Probleme kaum erheblich schien, meist im Bereich des Plausiblen und Ungefähren verblieben und hinsichtlich ihrer Kriterien und der Zuordnung einzelner Freiheitsrechte nicht näher untersucht worden. Die Frage nach der Anwendbarkeit des Schlusses auf eine negative Seite macht es nun - mit Blick auf jene Grundrechte, deren Zuordnung nicht so evident ist erforderlich, der Möglichkeit einer Unterscheidung der Handlungs- von den sonstigen Freiheitsrechten und der Qualifizierung der einzelnen Freiheitsrechte genauer nachzugehen.

2

Vgl. bereits oben 1. Kapitel, Abschnitte I 1 d) und I 2, bei und in FN 79 f. bzw. 97 ff. So zuerst Giese, Die Grundrechte, S. 61, 90, 97 ff.; ders., Preußische Rechtsgeschichte, S. 198; vgl. weiter Baumgartner, in: Staatslexikon (5. Aufl.) Π, Sp. 938 (940); Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 373. 3

132

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

1. Die Deßnition der Handlungsrechte Gefordert ist damit eine präzise Definition der Handlungsrechte, in der Literatur auch als "Darfrechte" 4 oder als "Freiheitsrechte" bzw. "Freiheitsrechte im engeren Sinn"5 bezeichnet, denen die sonstigen Freiheitsrechte als "Abwehrrechte" 6 oder "Schutzrechte"7 entgegengestellt werden. Als deren Kennzeichen gilt, daß sie kein bestimmtes Verhalten schützen und durch Handlungen nicht ausgeübt werden, sondern dem Bürger lediglich Unterlassungsansprüche gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen an bestimmten Rechts- oder Lebensgütern gewähren; Handlungsrechte hingegen werden dadurch charakterisiert, daß sie das freie Verhalten in bestimmten Lebensbereichen schützen, die Befugnis des Bürgers, etwas zu tun, und entsprechend einen Duldungsanspruch des Bürgers gegen den Staat enthalten8. a) Der abwehrrechtliche Schutz von Verhaltensmöglichkeiten als gemeinsames Merkmal der Freiheitsrechte Eine gewisse Unschärfe der hier einander entgegengesetzten Begriffe und der angegebenen Definitionsmerkmale resultiert daraus, daß sie - ohne das Unterscheidende klar genug herauszustellen - an grundlegende Gemeinsamkeiten aller Freiheitsrechte in ihrer Funktion als staatsgerichtete Abwehrrechte anknüpfen. Denn zum einen sind alle Grundrechte, soweit sie nicht Gleichheitsrechte sind, in einem weiteren Sinn Freiheitsrechte. Es ist terminologisch üblich, sie unter diesem Begriff zusammenzufassen, und es erscheint deshalb untunlich, nur einen Teil von ihnen mit diesem Begriff belegen zu wollen; der begrifflichen Klarheit halber soll deshalb hier vom "Handlungsrecht"9 gesprochen werden. Und auch in der Sache dienen alle diese Freiheitsrechte - ihrer Natur

4

Bettermann, DVB1. 1975, 548; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, S. 21; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 37 ff., spricht von Rechten des Dürfens. 5 Baumgartner, a.a.O.; Giese, a.a.O., S. 61, 90; Herzog, a.a.O. 6 Herzog, a.a.O.; Merten, VeiwArch 73 (1982), 103. 7 Baumgartner, a.a.O.; Giese, a.a.O.; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 23. Die Wahl dieses Begriffs erscheint heute unglücklich, da er unzutreffende Assoziationen mit der grundrechtlichen Schutzpflicht weckt. 8 Vgl. Kloepfer, a.a.O., S. 23 f.; Merten, a.a.O., S. 103 f.; Wilke, a.a.O. Giese, a.a.O., betont besonders den Duldungsanspruch als Charakteristikum der Freiheitsrechte; ähnlich: Baumgartner y a.a.O. Herzog, a.a.O., kennzeichnet die Freiheitsrechte im engeren Sinn durch den Befehl "Du darfst nicht hindern! die Abwehrrechte durch den Befehl "Du darfst nicht nehmen!"; zu Recht kritisch zu letzterer Formulierung Schwabe, a.a.O., S. 39 FN 11. 9

So auch Merten, a.a.O.

I. Die Unterscheidung der Handlungsrechte

133

als rechtliche, auf das äußere Verhältnis der Menschen abzielende Garantien entsprechend - jedenfalls mittelbar dem Schutz des freien Verhaltens der Bürger. Das gilt nicht nur fur die deutlich handlungsbezogen, sondern auch fur die weniger eindeutig oder eindeutig nicht handlungsbezogen, rein abwehrrechtlich formulierten Freiheitsrechte. Auch von der Freiheit in einzelnen Lebensbereichen, die diese reinen Abwehrrechte durch das Verbot staatlicher Eingriffe gewährleisten, macht der Bürger in seinem Verhalten Gebrauch 10. Um es am Beispiel von Art. 13 GG zu verdeutlichen: Die dadurch verbürgte Unverletzlichkeit der Wohnung nimmt in Anspruch, wer dort jemanden vor der Polizei verbirgt oder dem Gerichtsvollzieher die Tür nicht öffnet. Zum anderen sind, was den Gewährleistungsinhalt angeht, alle Freiheitsrechte zumindest auch Abwehrrechte, die dem Bürger einen staatsgerichteten Unterlassungsanspruch gewähren - auch die sogenannten Handlungsrechte11. Daß diese darüber hinausgehend Duldungsansprüche und Befugnisse vermitteln sollen, ist als Unterscheidungskriterium fragwürdig. Es spricht ohnehin manches dafür, daß der Unterlassungsanspruch den normativen Gehalt auch der Handlungsrechte erschöpfend wiedergibt; denn der Duldungsanspruch ist nur ein Unterfall des Unterlassungsanspruchs12, und die Befugnis oder Erlaubnis, das Dürfen ist eher wohl nur als Schutzobjekt des Unterlassungsanspruchs, nicht aber als eigener rechtlicher Gehalt des Grundrechts zu verstehen 13 . Jedenfalls aber ist nach dem vorher Gesagten der Schutz des Handelndürfens kein alleiniges Privileg der Handlungsrechte; auch reine Abwehrrechte wie das aus Art. 13 GG können einzelne Befugnisse, Ansprüche auf Duldung bestimmter Handlungen vermitteln. b) Präzisierung

der Definitionsmerkmale

Wenn also in diesem weiteren Sinn alle Freiheitsrechte das freie Handeln in einzelnen Lebensbereichen ermöglichen und schützen, indem und soweit sie staatliche Eingriffe abwehren, bedarf es für eine sinnvolle Unterscheidung der Handlungs- von den sonstigen Freiheitsrechten einer Präzisierung der Definitionsmerkmale.

10

Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 231 f. So auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 177 FN 63; entsprechend bereits Giese, Die Grundrechte, S. 61 FN 2 (zu dem von ihm verwandten Begriff des Schutzrechts). 12 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 15; Stern, Staatsrecht m/1, S. 420. 13 So Schwabe, a.a.O., S. 40 ff., 46, 53; a.A. Alexy, a.a.O., S. 206 ff., der Grundrechtsnormen, soweit sie eine Handlung zum Schutzgut haben, (auch) als Erlaubnisnormen qualifiziert. 11

134

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

Ein Handlungsrecht kann danach nicht schon dann gegeben sein, wenn ein Handeln nur vor bestimmten staatlichen Eingriffen geschützt wird - so wie Art. 10 GG das Briefeschreiben und Telefonieren nicht umfassend, sondern nur vor Verletzungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses schützt oder sein Schutz sich nur mittelbar, abgeleitet aus dem eigentlichen Schutzobjekt des Grundrechts ergibt - so wie aus dem grundrechtlich gewährleisteten Asylrecht über das Verbot der Zurückweisung an der Grenze 14 ein Recht politisch Verfolgter auf ungehinderte Einreise gefolgert worden ist. Das eigentliche Schutzgut dieser Freiheitsrechte, in den Beispielen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses bzw. des Asylrechts, ist nicht das jeweilige Handeln als solches. Als Handlungsrechte kann man vielmehr nur jene Freiheitsrechte bezeichnen, die eine bestimmte Handlung als solche zum Schutzgut haben15 und diese vor jeglichem staatlichen Eingriff bewahren. Die Vorstellung einer grundrechtlichen Befugnis oder Erlaubnisnorm taugt damit jedenfalls als Testfrage: Ein Handlungsrecht liegt vor, wenn es als Erlaubnissatz, der dem Bürger das Recht zur freien, von staatlichen Eingriffen ungehinderten Vornahme einer bestimmten Handlung gewährt, formuliert ist bzw. sich in einen solchen umformulieren läßt, ohne daß sein Schutzbereich inhaltlich unzulässig verändert, erweitert oder verkürzt wird. Nur auf Handlungsrechte in diesem Sinne ist auch der Schluß von der positiven auf eine negative Seite gemünzt. Die ihm zugrunde liegende Annahme, daß mit der Freiheit einer Handlung - wegen des prinzipiell gleichrangigen Schutzes des Unterlassens durch die Grundrechte des Grundgesetzes - zugleich eine umfassende, das Unterlassen einschließende Verhaltensfreiheit gewährleistet sei 16 , kann nur ansetzen, wenn zunächst die Freiheit dieser Handlung als solche garantiert ist; die generelle Erweiterung um den Schutz eines Unterlassens setzt voraus, daß zunächst das entsprechende Tun generell geschützt ist. Bei den sonstigen, nicht unmittelbar ein Handeln schützenden Freiheitsrechten orientiert sich die Reichweite des Schutzbereichs an deren Schutzgütern. Das schließt - wie gesehen - den begrenzten bzw. mittelbaren Schutz einzelner Handlungen und ebenso den einzelner Unterlassungen ein; es erfordert aber keineswegs notwendig mit dem Schutz bestimmter Handlungen auch den der entsprechenden Unterlassungen. Das wird an den beiden genannten Beispielen deutlich: Weil Art. 10 GG in gewissem Umfang das Briefeschreiben schützt, begründet das Briefgeheimnis doch keinen Schutz vor dem Zwang zum Schreiben eines Briefs 17 ; und wenn das Asylrecht das Recht auf 14

BVerwGE 49, 202 (205); 62, 206 (210); 65, 244 (247). Vgl. Alexy, a.a.O., S. 273 f., zu Tatbestand bzw. Schutzbereich grundrechtlicher Erlaubnisnormen. 16 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2. 17 Von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm. ffl 3b (S. 530 FN 5). 15

I. Die Unterscheidung der Handlungsrechte

135

freie Einreise zur Voraussetzung hat, so nimmt ein politisch Verfolgter dieses Grundrecht doch nicht bei der Ausreise aus dem Bundesgebiet bzw. beim Verbleiben im Ausland in Anspruch. Weder mit dem Wortlaut noch mit dem Schutzzweck dieser Freiheitsrechte wäre ein genereller Schluß auf den Schutz des korrespondierenden Unterlassens vereinbar.

2. Die Einordnung der einzelnen Freiheitsrechte Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Definition ist die Qualifizierung der einzelnen Freiheitsrechte des Grundgesetzes als Handlungsrechte teilweise eindeutig und unumstritten. Die Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 8, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG sind schon als Erlaubnissatze - die das Recht, etwas Bestimmtes zu tun, gewährleisten - formuliert; die in Art. 11 GG verbürgte Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet läßt sich nach allgemeiner Meinung in derselben Weise als das Recht umschreiben, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen 18 . Sie alle sind in dem beschriebenen Sinn Handlungsrechte, die die jeweilige Handlung als solche schützen19. Andererseits ist unbestritten, daß die Grundrechte aus Art. 10, Art. 13, Art. 16 a GG (Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG a.F.) keine Handlungsrechte sind 20 und folglich von vornherein keine negative Seite besitzen können. Art. 10 und Art. 13 GG machen das sprachlich besonders deutlich, wenn sie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bzw. die Wohnung für "unverletzlich" erklären. Der Begriff der "Unverletzlichkeit" - der schon dem allgemeinen Sprachempfinden nach darauf hindeutet, daß etwas Gegebenes von Verletzungen, Beeinträchtigungen freibleiben soll - ist im grundrechtlichen Kontext in besonderer Weise mit den reinen Abwehrrechten verbunden; Giese hat sie -

18

BVerfGE 2, 266 (273); 43, 203 (211); 80, 137 (150). Vgl. etwa Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 373; Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (S. 104, zur Meinungsaußerungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit); ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 5, 53 (zur Vereinigungsfreiheit); Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, S. 55, 156; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, S. 22 (zur Meinungsäußerungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit). 20 Vgl. zu Art. 10 GG Herzog, a.a.O.; Merten, VerwArch 73 (1982), 103; ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 53 f.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 38; Wilke, a.a.O., S. 23. Zu Art. 13 GG BVerfGE 7, 230 (238); Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, S. 38; Hamann/Lenz, GG, Art. 13 Anm. A; Herzog, a.a.O.; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 53 f. Zu Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG a.F. Wilke, a.a.O., S. 23. Beim Asylrecht, das jedenfalls kein Handlungsrecht ist, ist umstritten, ob es ein liberal-rechtsstaatliches Abwehrrecht oder aber ein positives Statusrecht darstellt; dazu ausführlich Rottmann, Der Staat 23 (1984), 337 (346 ff.). 19

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5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

soweit sie nicht Gleichheitsrechte sind - ausdrücklich unter diesem Begriff zusammengefaßt 21. Für eine Reihe von Grundrechten aber ist die Einordnung als Handlungsrechte unsicherer und umstrittener: Zum einen für Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der in der weiten Auslegung als umfassende Religionsfreiheit diese Unterscheidung in sich aufhebt; zum anderen fur Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2, Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG, die gelegentlich explizit als Handlungsrechte angesehen oder implizit, durch Zuerkennung einer negativen Seite, als solche behandelt werden. Alle diese Freiheitsrechte haben ohne Frage einen engen Bezug zum Schutz freien Verhaltens. Das darf freilich - nach den gerade angestellten Überlegungen - nicht zu ihrer vorschnellen Qualifizierung als Handlungsrechte verführen. Diese Qualifizierung impliziert - ohne daß dies immer recht bewußt wird - eine Interpretation dieser Freiheitsrechte, wonach sie bestimmte Handlungen (z.B. die körperliche Fortbewegung, Bekenntnishandlungen oder künstlerische Betätigungen) als solche und umfassend, gegenüber jeglichem hoheitlichen Eingriff und damit auch vor jeglicher Beschränkung durch die allgemeine Rechtsordnung schützen. Ob die fraglichen Freiheitsrechte die Betätigung in ihrem Schutzbereich so weitgehend privilegieren oder aber als reine Abwehrrechte nur vor bestimmten hoheitlichen Eingriffen schützen wollen, wird genauer zu prüfen sein. a) Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 GG In diesem Sinne sind die in Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 2 GG vereinten Grundrechte keine Handlungsrechte. Die Grundrechte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, auch wenn sie aktivisch formuliert scheinen, lassen sich erst gar nicht sinnvoll als Befugnis zu einer bestimmten Tätigkeit, sondern nur abwehrrechtlich umschreiben22. Leben und körperliche Integrität des Menschen sind keine einzelnen Handlungen, die er vornehmen oder unterlassen kann, sondern ein Zustand, in dem er sich befindet und der durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vor staatlichen Beeinträchtigungen bewahrt wird. Weil Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Leben und Gesundheit rein abwehrrechtlich als vorgegebene Eigenschaften des Menschen schützt und keine Handlungen zum Schutzgut hat, ist der gelegentlich vorgeschlagene Schluß auf eine negative Seite, die das Recht auf Selbsttötung bzw. Selbstschädigung

21 Giese, Die Grundrechte, S. 97 ff.; vgl. auch Baumgartner, in: Staatslexikon (5. Aufl.) II, Sp. 938 (940). 22 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 38 f., 59; zum abwehrrechtlichen Charakter vgl. auch Herzog, a.a.O.

I. Die Unterscheidung der Handlungsrechte

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garantieren sollte, ausgeschlossen23; Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt nicht die menschliche Selbstbestimmung oder Verfugungsfreiheit über Leben und Gesundheit. Wer sich selbst an der Gesundheit schädigen oder das Leben nehmen will, steht deshalb nicht unter dem Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Daraus folgt freilich nicht - dies sei zur Klarstellung gesagt -, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fur eine Pflicht oder auch nur ein Recht des Staates zur Verhinderung von Selbsttötung bzw. Selbstschädigung etwas hergäbe und ein anderweitiger Grundrechtsschutz durch Art. 2 Abs. 1 GG insoweit ausgeschlossen sein müßte. Auch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG enthält mit der Gewährleistung der Freiheit der Person ein reines Abwehrrecht 24, kein Handlungsrecht25. Die gängige Umschreibung seines Schutzbereichs mit der körperlichen Bewegungsfreiheit, die das Recht gewähren soll, jeden beliebigen Ort aufzusuchen 26, scheint darauf zwar hinzudeuten. Schon dieses Recht wird aber nicht als Handlungsfreiheit vor jeglicher Beschränkung geschützt; das generelle Verbot des Zutritts zu bestimmten Orten, etwa durch Jugendschutzbestimmungen oder aufgrund der Erklärung eines Gebiets zum militärischen Schutzbereich, berührt den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht 27 . Darüber hinaus ist den Befürwortern einer negativen Seite des Inhalts, jeden beliebigen Ort auch meiden zu dürfen, zuzugestehen, daß ein völliger Ausschluß dieser Freiheit aus dem Schutzbereich inkonsequent wäre, da das Gebot, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, logisch nichts anderes ist als ein Bündel unendlich vieler Verbote, beliebige andere Orte aufzusuchen 28; auch die Freiheitsentziehung, unstreitig der stärkste Eingriff in die Freiheit der Person, bewirkt eben dieses Festhalten an einem Ort. Die Annahme einer umfassend geschützten Verhaltensfreiheit, jeden beliebigen Ort aufzusuchen oder zu meiden, aber würde den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG überdehnen; jede hoheitliche Verpflichtung, deren Erfüllung an einen bestimmten Ort gebunden ist, wäre ein Eingriff in die Freiheit der Person. Der Schutzbereich dieses

23 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 c), bei und in FN 69, 70 mit Nachweisen zu beiden Ansichten. Auf den rein abwehrrechtlichen Charakter des Grundrechts weist - zur Begründung fur die Ablehnung des Schlusses auf eine negative Seite - zu Recht Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 128 RN 62, hin. 24 Herzog, a.a.O.; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 57 f. 25 So aber Stern, Staatsrecht ΙΠ/1, S. 645. 26 Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. Π RN 50; Grabitz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 130 RN 1, 4; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 RN 131. 27 Grabitz, a.a.O., RN 7; Merten, a.a.O., S. 56 f.; Tiemann, NVwZ 1987, 10 (12 FN 25); a.A. Düng, a.a.O., Art. 104 RN 12. 28 Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 475; Podlech, in: AK-GG, Ait. 2 Abs. 2 RN 45 f. Ablehnend dazu Düng, a.a.O.; kritisch zu der darin liegenden Inkonsequenz auch Merten, a.a.O., S. 56.

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5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

Grundrechts kann deshalb nur aus einer abwehrrechtlichen Sicht, die die spezifisch gegen die Freiheit der Person gerichteten Eingriffe erfaßt, bestimmt werden. Die vorherrschende Ansicht sieht danach durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Verhaftungen, Festnahmen, Internierungen und ähnliche Maßnahmen unmittelbaren Zwangs ausgeschlossen29. b)Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Vor dem in Rechtsprechung und Lehre herrschenden Verständnis von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, in der Literatur dem Schutz von Handlungsfreiheiten zugeschlagen30, muß - wie sich gezeigt hat - die bei den speziellen Freiheitsrechten sonst mögliche Unterscheidung von Handlungs- und sonstigen Freiheitsrechten versagen. Dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG strukturell vergleichbar, verbindet das einheitliche und umfassende Grundrecht der Religionsfreiheit den Schutz der Verhaltensfreiheit und die Abwehr sonstiger Freiheitsbeschränkungen, indem es den religiös-weltanschaulichen Bereich insgesamt abschirmt. Es sind nur einzelne Aspekte dieses einheitlich verstandenen Schutzbereichs, wenn Art. 4 Abs. 1 und 2 GG das Denken, Reden und Handeln in diesem Bereich schützen soll, wie in lockerer, auf eine tatbestandliche Abgrenzung verzichtender Anknüpfung an die Begriffe Glaube, Bekenntnis und Religionsausübung festgestellt wird 3 1 . Soll aber der Frage nach einer negativen Seite und damit auch der Vorfrage nach der Gewährleistung von Handlungsrechten in bezug auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG noch einmal unbefangen, wie bei den sonstigen Freiheitsrechten auch, nachgegangen werden, müssen diese in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einzeln genannten Schutzgüter als voneinander unterscheidbare, tatbestandlich begrenzte Grundrechtsgewährleistungen im religiös-weltanschaulichen Bereich begriffen werden. In dieser Sichtweise enthält Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mehrere selbständige, spezielle Freiheitsrechte, deren Schutzgüter - Glaube, Gewissen, Bekenntnis und Religionsausübung - je für sich, unter Absehen von ihrer inhaltlichen Aufladung durch die Vorstellung einer umfassenden Religionsfreiheit zu definieren sind. Diese einzelnen speziellen Freiheitsrechte können dann darauf befragt werden, ob sie Handlungsrechte sind.

29 BVerfGE 22, 21 (26); Grabitz, a.a.O., RN 5; Merten, a.a.O., S. 56. Weitergehend sehen Pieroth/Schlink, a.a.O., RN 476, und Podlech, a.a.O., RN 46, einen Eingriff in jeder hoheitlichen Verpflichtung, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein. 30 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 373; Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, S. 55, 156. 31

Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitte ffl 2 a) aa) und m 2 b).

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aa) Art. 4 Abs. 2 GG Das Grundrecht auf freie Religionsausübung ist danach - der verbreiteten Einschätzung, die durch Art. 4 Abs. 2 GG die Religionsfreiheit auf der Ebene des Handelns geschützt sieht 32 , entsprechend - als Handlungsrecht zu qualifizieren. Die Ausübung der Religion, eine bestimmte Handlung also, wird durch Art. 4 Abs. 2 GG in ihrer Freiheit garantiert. Daß Art. 4 Abs. 2 GG nicht wie sonstige Handlungsrechte als Erlaubnissatz, sondern substantivisch formuliert ist, geht auf sein Vorbild in Art. 135 S. 2 WRV zurück; dieser Formulierung wird, auch wenn die ergänzende, ausdrückliche Erwähnung staatlichen Schutzes in Art. 135 S. 2 WRV hier entfallen ist, überwiegend entnommen, daß das Grundrecht nicht nur jeglichen staatlichen Eingriff verbiete, sondern darüber hinausgehend auch Schutz vor Störungen durch Private verbürge 33. Gerade weil Art. 4 Abs. 2 GG die Religionsausübung so umfassend, gegenüber Staat und Privaten, und vorbehaltlos, ohne ausdrückliche Schranken, grundrechtlich schützen soll, muß die tatbestandliche Begrenztheit dieses Handlungsrechts ernstgenommen werden. Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistet, wie es der historischen Bedeutung des Begriffs der Religionsausübung entspricht und auch unter dem Grundgesetz anfangs als selbstverständlich galt, die sogenannte Kultusfreiheit und erfaßt damit kultische Handlungen und religiöse Gebräuche (wie Gottesdienst, Prozessionen, Glockengeläut etc.) 34 . Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der sogenannten LumpensammlerEntscheidung eine extensive Auslegung vertreten, nach welcher zur Religionsausübung "auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens", im konkreten Fall z.B. eine karitativ-religiös motivierte Sammlung von Kleidung, Lumpen und Altpapier gehören sollen 35 . Die dafür angegebenen Auslegungsgesichtspunkte bleiben freilich pauschal und - das gilt vor allem für den Hinweis auf den fehlenden Gesetzesvorbehalt - ambivalent; im übrigen be32 Vgl. etwa von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 52; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 8; ders., in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1158 f.). 33 Badura, Staatsrecht, C 56; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 5, 11, 77; von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 4 RN 48; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 108; a.A. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Ait. 4 RN 108. 34 Vgl. zu Art. 135 WRV Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Ait. 135 Anm. 5 (S. 620 f.), sowie Herzog, a.a.O., RN 100 f.; Preuß, in: AK-GG, Ait. 4 Abs. 1, 2 RN 24 f. 35 BVerfGE 24, 236 (246 f.). Zustimmend etwa Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 34; von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 68; Usti, in: FS Klecatsky, S. 571 (574 ff.). Kritisch insbesondere zur Aufgabe der staatlichen Kompetenz-Kompetenz mit dem Verweis auf das Selbstverstandnis der Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften Herzog, a.a.O., RN 104 f.

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5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

ziehen sie sich nicht eigentlich auf die spezielle Gewährleistung des Art. 4 Abs. 2 GG, sondern dienen eher dazu, den Begriff der Religionsausübung sozusagen nachträglich dem weiten Verständnis von Religions- und Weltanschauungsfreiheit anzupassen36. Für dieses weite Verständnis ist auch dem Bundesverfassungsgericht nicht Art. 4 Abs. 2 GG, sondern Art. 4 Abs. 1 GG der eigentliche Ansatzpunkt: Bezeichnenderweise sieht das Gericht auch in der Lumpensammler-Entscheidung Art. 4 Abs. 2 GG nur als eine in Art. 4 Abs. 1 GG schon enthaltene Teilgewährleistung an 3 7 , und in anderen Entscheidungen bezieht es sich ausdrücklich auf Art. 4 Abs. 1 GG, wenn es den grundrechtlichen Schutz eines über die Kultusfreiheit hinausreichenden religiös-weltanschaulich motivierten Verhaltens annimmt 38 . bb) Art. 4 Abs. 1 GG Die in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Grundrechte der Glaubens-, Gewissens« und Bekenntnisfreiheit aber verbürgen, indem sie die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des Bekenntnisses - in der üblichen Terminologie des bloßen Abwehrrechts - für "unverletzlich" erklären, keine Handlungsrechte, die ein bestimmtes Handeln im religiös-weltanschaulichen Bereich oder gar jegliches religiös-weltanschaulich motivierte Handeln als solches schützen. Allerdings ist ihr abwehrrechtlicher Schutz deshalb nicht auf das bloße "forum internum" begrenzt, sondern erstreckt sich - je nach der Eigenart ihrer Schutzgüter, in denen in unterschiedlicher Weise ein Bezug zum äußeren Verhalten angelegt ist - in diesen Bereich hinein. Dem Schutz des Bereichs der inneren Überzeugungen dient zunächst die Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG. Der danach geschützte Glaube wird von Preuß etwa als "die subjektive Gewißheit von einer überweltlichen Macht, die in einer persönlichen oder unpersönlichen Gottheit oder in der Wirksamkeit einer überweltlichen Kausalität bestehen kann", definiert 39. Einen solchen Glauben hat man oder hat man nicht, übt ihn aber nicht - als eine Handlung - aus; ein Schluß auf den grundrechtlichen Schutz des Nichtausübens kommt daher nicht in Betracht, und das bloße Nichthaben eines Glaubens ist durch die Glaubensfreiheit nicht geschützt40. Wenn Art. 4 Abs. 1 GG 36 Vgl. BVerfGE 24, 236 (246), wonach es nicht gerechtfertigt sei, die Kultusfreiheit enger auszulegen als die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. 37 BVerfGE 24, 236 (245). 38 BVerfGE 32, 98 (106); 33, 23 (28); 42, 29 (49). Im Anschluß daran ebenso von Campenhausen, a.a.O., § 136 RN 36, 61; von Mangoldt/Klein/Sx&Tck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 21, 33; von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 4 RN 22. 39 Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 14. 40

Hornel, in: Die Gnindrechte IV/1, S. 37 (64); Preuß, a.a.O., R N 18.

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die Freiheit des Glaubens von Verletzungen erklärt, bedeutet das die Abwehr äußerer Einflußnahmen auf die Überzeugungen der Bürger in Glaubensangelegenheiten, also das Verbot von Glaubenszwang und - jedenfalls systematischer, gezielter - Beeinflussung in Glaubensfragen. Dieses Verbot muß sowohl fur den Zwang zur Abwendung vom eigenen Glauben wie auch fur den Zwang zu bestimmten Glaubensinhalten gelten, so daß das Abwehrrecht der Glaubensfreiheit nicht nur dem Gläubigen, sondern auch dem Nichtgläubigen und dem Indifferenten zugute kommen kann 41 . Insoweit ist die - von einer verfehlten handlungsrechtlichen Sicht ausgehende und eine negative Glaubensfreiheit behauptende - Formulierung, Art. 4 Abs. 1 GG schütze die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben42, im Ergebnis nicht unzutreffend. Mit der Gewissensfreiheit schützt Art. 4 Abs. 1 GG ein geistig-seelisches Phänomen43, dessen Bezug zum Verhalten schon im Begriff des Gewissens deutlich wird. Als Gewissensposition versteht das Bundesverfassungsgericht "jede ernste sittliche, d.h. an den Kategorien von 'Gut' und 'Böse' orientierte Entscheidung ..., die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte" 44 . Diese Definition zeigt, daß die Gewissensfreiheit nur wirksam werden kann, wo eine Gewissensposition gegeben ist; der Schutz der Gewissenlosigkeit, gelegentlich als negative Seite des Schutzbereichs angesehen, vor Verletzungen ist danach nicht denkbar 45. Wo aber - glaubensmäßig oder anders motivierte - Gewissenspositionen bestehen und dem einzelnen ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbieten, wendet sich der grundrechtliche Schutz der Gewissensfreiheit gerade gegen damit unvereinbare hoheitliche Handlungsgebote und -verböte. Die Gewissensfreiheit führt so zu einem gewissen Grundrechtsschutz im äußeren Verhalten. Der eigentliche Sinn und die beschränkte Reichweite dieses verhaltensbezogenen Grundrechtsschutzes aber bleiben nur deutlich, wenn man im Blick behält, daß es um den - abwehrrechtlichen - Schutz der Unverletzlichkeit des Gewissens als eines seelischen Phänomens geht 46 . Das verbreitete handlungsrechtliche Verständnis der Gewissensfreiheit als Handlungsfreiheit gemäß dem Gewissen47 verfehlt diesen Sinn und verfuhrt zu einer unzulässigen - nicht nur

41

Preuß, a.a.O.; Zippelius, in: BK, Ait. 4 (Drittbearb.) RN 31, 43. BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106); 33, 23 (28); 41, 29 (49). 43 BVerfGE 12, 45 (54). 44 BVerfGE 12, 45 (55). 45 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 a) aa), FN 23, 24. 46 Böckenförde, in: WDStRL 28 (1970), S. 33 (53, 63 f.); Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 42; vgl. auch die abwehrrechtliche Formuliening in BVerfGE 78, 391 (395). 47 Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 137 RN 14; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 132 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 37. 42

142

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

gewissensgebotenes, sondern auch bloß gewissenskonformes Verhalten erfassenden - Ausdehnung des Schutzbereichs. Im Begriff des Bekenntnisses schließlich liegt notwendig das Bezeugen, die Kundgabe des inneren religiös-weltanschaulichen Standpunktes nach außen. In welchem Umfang und in welcher Weise damit der Grundrechtsschutz in die Sozialsphäre erstreckt wird, ist freilich nicht einfach zu bestimmen, weil der Interpretation dieses Grundrechts zwei verschiedene Begriffe von "Bekenntnis" - die in der Regel nicht streng unterschieden, sondern miteinander verknüpft werden und nahtlos ineinander überzugehen scheinen - zugrundegelegt werden. Das Bekenntnis wird zunächst im Sinne von "Bekennen" als das "Äußern", "Aussprechen" der religiös-weltanschaulichen Überzeugung und damit als ein spezieller Fall von Meinungsäußerung angesehen48. In diesem tatbestandlich engen, auf kommunikatives Handeln begrenzten Sinn ließe sich die Bekenntnisfreiheit als ein Handlungsrecht verstehen, welches das Bekennen umfassend schützt und von welchem aus dann möglicherweise auch auf den Schutz des Schweigerechts geschlossen werden könnte; schon die Annahme, Art. 4 Abs. 1 GG gewährleiste - vorbehaltlos - ein solches tatbestandlich begrenztes Handlungsrecht, erscheint freilich problematisch 49. In Rechtsprechung und Literatur hat sich aber ein tatbestandlich weiterreichender Bekenntnisbegriff durchgesetzt, dessen Ausgangspunkt die - zutreffende These ist, daß man den religiös-weltanschaulichen Standpunkt nicht nur durch Reden, sondern auch im sonstigen Leben und Handeln bekennen könne 50 . Jedes den religiös-weltanschaulichen Standpunkt ausdrücklich mitteilende oder konkludent offenbarende, überhaupt jedes religiös-weltanschaulich motivierte Verhalten als Bekenntnishandlung, als "Bekennen" verstehen zu wollen, aber würde diesen Begriff - jedenfalls als einen Rechtsbegriff, der den Tatbestand eines speziellen Freiheitsrechts begrenzen soll - überstrapazieren, kommt doch potentiell jedes Verhalten in Betracht. Wenn also die (Glaubens- und) Bekenntnisfreiheit auch die Freiheit garantieren soll, sein gesamtes Verhalten an der inneren Glaubensüberzeugung auszurichten51, kann das nicht heißen, daß

48

So bereits Anschiitz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 135 Anm. 4 (S. 619); ders., in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts Π, S. 675 (684). Vgl. weiter Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 82 ff.; ders., in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 1153 (1157); Preuß. in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 19; Zippelius, in: BK, Art. 4 (Drittbearb.) RN 98. 49 Anschütz, a.a.O., auf den sich dieses Verständnis von Bekenntnisfreiheit bezieht, sah diese insofern als in der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 118 WRV Inbegriffen und jedenfalls unter deren Beschränkungen stehend. 50 von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 52; Hornel, in: Die Grundrechte IV/1, S. 37 (61); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 21. 51 BVerfGE 41, 29 (49); in BVerfGE 32, 98 (106); 33, 23 (28), ist allein auf die Glaubensfreiheit Bezug genommen.

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Art. 4 Abs. 1 GG alles glaubensgeleitete Verhalten als solches und umfassend schützt. Spätestens dieser weite Begriff von Bekenntnis führt dazu, das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit nicht als Handlungsrecht zu verstehen, sondern als ein reines Abwehrrecht, dessen Schutzwirkung sich nur insoweit auf das äußere Verhalten erstreckt, als es die Freiheit des Bekenntnisses spezifisch vor Verletzungen bewahren will. Für den Schutzbereich dieses Grundrechts bedeutet das das Verbot solcher hoheitlichen Eingriffe in die Freiheit äußeren Verhaltens, die sich spezifisch gegen ein darin zutage tretendes Bekenntnis richten52. Eine solche abwehrrechtliche Sicht kann der Gewährleistung der Bekenntnisfreiheit eine begrenzte, aber sinnvolle Funktion geben: Sie eröffnet dem Bürger die Möglichkeit zur Offenbarung seines religiös-weltanschaulichen Standpunktes durch Missionierungstätigkeit, Verkauf religiöser Schriften oder sonstiges Verhalten, indem sie ihn vor spezifisch an sein Bekenntnis anknüpfenden Eingriffen schützt. Sie vermeidet hingegen die weitgehende Privilegierung und Dispensierung von der Beachtung der allgemeinen Rechtsordnung, die sich ergibt, wenn aus der Feststellung, daß Glaube und Weltanschauung im gesamten Verhalten bekannt werden, gefolgert wird, daß alles religiös-weltanschaulich motivierte Verhalten als solches durch die Bekenntnisfreiheit geschützt sei; da hiernach zunächst jede hoheitliche Beschränkung dieses Verhaltens als Eingriff in das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit erscheinen muß, bedarf es der bekannten, problematischen Begrenzung des Grundrechtsschutzes auf der Tatbestands- oder Schrankenebene53, um der allgemeinen Rechtsordnung auch gegenüber diesen religiös-weltanschaulich motivierten Verhaltensweisen ein Mindestmaß an Geltung zu verschaffen. c) Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 GG Ihrer geringen Bedeutung in der Diskussion um die negative Seite 54 entsprechend knapp sei auf die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3

52 Diese nicht-handlungsrechtliche Interpretation berührt sich mit der Unterscheidung von sachspezifischen und grundrechtlich nicht geschützen, unspezifischen Modalitäten der Grundrechtsausübung (Müller, Die Positivitat der Grundrechte, S. 99 f.). Gegenüber der hieran geübten Kritik, der zunächst umfassende Schutz einer bestimmten Tätigkeit (Religionsausübung, künstlerische Betätigung) werde mit Rücksicht auf kollidierende öffentliche oder private Interessen hinsichtlich einzelner Modalitäten ihrer Ausübung auf der Tatbestandsebene relativiert, statt diese Konflikte als Schrankenproblem zu lösen {Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 283 ff.; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 179 f.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 161 ff.), verdeutlicht sie, daß das Grundrecht von vornherein nicht eine bestimmte Handlung als solche "erlaubt" bzw. schützt, sondern lediglich bestimmte Eingriffe untersagt. 53 Vgl. oben 4. Kapitel, Abschnitt Π 2, bei und in FN 20, 21, 22, 23. 54 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 b), bei und in FN 56, 57.

144

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

GG eingegangen. Sie werden beiläufig ebenso als Handlungsrechte angesehen wie die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 G G 5 5 . Anders als Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG haben diese Grundrechtsbestimmungen jedoch keine bestimmten individuellen Kommunikationshandlungen zum Schutzgut. Indem sie die Freiheit der Presse und der Film- und Rundfunkberichterstattung, der Kunst und der Wissenschaft schützen, sind ihre Schutzbereiche nicht unmittelbar handlungsbezogen, sondern sachbezogen, objektiv gefaßt, weshalb bezeichnenderweise bei allen diesen Grundrechten - in verschiedenen Ausprägungen - objektiv-rechtliche oder institutionelle Deutungen mit ihrem individualrechtlichen Verständnis konkurrieren 56. Ohne in eine nähere Interpretation dieser Grundrechtsbestimmungen einzutreten, läßt sich daraus die These ableiten, daß sie jedenfalls keine individuellen Handlungsrechte in dem oben beschriebenen Sinn verbürgen. Am deutlichsten wird das bei der Freiheit der Rundfunkberichterstattung, die eine private Rundfunkberichterstattung jedenfalls nicht einfach grundrechtlich erlaubt, sondern allenfalls nach Maßgabe einer am Schutzgut einer freien Rundfunkberichterstattung orientierten gesetzlichen Regelung zuläßt 57 . Bei der Pressefreiheit ist das weniger augenfällig, weil sie gerade voraussetzt, daß die Presse den gesellschaftlichen Kräften zur freien Betätigung in privater Konkurrenz überlassen ist 5 8 ; die Reichweite des grundrechtlichen Schutzbereichs orientiert sich jedoch nicht an einer tatbestandlich abgegrenzten individuellen Handlung, sondern an der Garantie des Instituts einer freien Presse und deren notwendigen Bedingungen59. Auch Art. 5 Abs. 3 GG, der "Kunst" und "Wissenschaft" für frei erklärt, benennt damit als Schutzobjekt zwei Lebensbereiche, die in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit - vorbehaltlos - gewährleistet sein sollen 60 . Hiervon leitet sich auch die individuelle Grundrechtsposition derer ab, die in diesen Bereichen tätig werden. Wenn sie so am Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 3 GG partizipieren, üben sie damit aber nicht einfach ein individuelles (Handlungs-)Recht auf freie künstlerische bzw. wissenschaftliche Betäti-

55

Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 373 (zur Freiheit der Massenmedien); Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, S. 55, 156; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, S. 22, 25 (zur Presse- und Lehrfreiheit). 56 Vgl. in diesem Zusammenhang nur zur Pressefreiheit BVerfGE 10, 118 (121); 20, 162 (175); 80, 124 (133); zur Rundfunkberichterstattungsfreiheit BVerfGE 12, 205 (260 f.); 31, 314 (326); zur Kunstfreiheit BVerfGE 30, 173 (188); 67, 213 (224); zur Wissenschaftsfreiheit BVerfGE 35,79 (112). 57 Vgl. zuletzt BVerfGE 83, 238 (296 f.). 58 BVerfGE 20, 162 (175); 66, 116 (133). 59 BVerfGE 10, 118 (121); 50, 234 (240); 66, 116 (134); 77, 346 (354). 60 BVerfGE 30, 173 (191); 67, 213 (228); vgl. auch BVerfGE 35, 79 (112 f.).

I. Die Unterscheidung der Handlungsrechte

145

gung 61 aus. Das findet seinen Niederschlag in jenen Entscheidungen und Stellungnahmen, die die künstlerische und wissenschaftliche Betätigung durch Art. 5 Abs. 3 GG nicht von allen Beschränkungen durch die allgemeine Rechtsordnung freigestellt, sondern nur vor solchen hoheitlichen Eingriffen geschützt sehen, die die spezifischen Eigengesetzlichkeiten von Kunst und Wissenschaft mißachten62. Der Begrenzung des Schutzbereichs auf die Abwehr solcher spezifischen Eingriffe - deren Notwendigkeit einerseits schon wegen der vorbehaltlosen Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG kaum bestreitbar ist, die aber andererseits die Freiheitsgewährleistung keineswegs sinnlos macht - gibt die sach-, nicht handlungsbezogene Formulierung des Grundrechts eine tragfähige interpretatorische Stütze. d) Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG Zu klären bleibt schließlich die Qualifizierung der Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG, insbesondere des Grundrechts auf Schutz der Ehe und des Eigentumsgrundrechts. Beide werden, weil sie wichtige Betätigungsfreiheiten wie das Recht zur Eheschließung bzw. das Recht zur Nutzung von und Verfügung über Eigentum vermitteln, mitunter (auch) als Handlungsrechte angesehen63 und um die entsprechende negative Seite ergänzt 64. Eine Qualifizierung als Handlungsrecht wird der - insoweit vergleichbaren - rechtlichen Struktur der Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG jedoch nicht gerecht. Ihr Schutzbereich wird nicht durch bestimmte individuelle (Rechts-)Handlungen, sondern durch die Begriffe Ehe und Familie, Eigentum und Erbrecht und damit durch den Verweis auf - zunächst objektiv-rechtliche - Institute des Privatrechts definiert. Erst die Feststellung, inwieweit die Gewährleistung dieser grundrechtlich garantierten, einfachgesetzlich ausgeformten Institute bestimmte Befugnisse der einzelnen einschließt, entscheidet dann darüber, ob bestimmte individuelle (Rechts-)Handlungen vom Schutzbereich erfaßt werden.

61 So aber BVerfGE 15, 256 (263 f.); vgl. auch BVerfGE 30, 173 (191); 35, 79 (112), und zum Umfang des individuellen Freiheitsrechts zurückhaltender formuliert - BVerfGE 67, 213 (224). 62 Vgl. zur Kunstfreiheitsgarantie BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294); Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, S. 105; ders., Die Positivität der Grundrechte, S. 99 f. Zum Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit Wahl, Freiburger Universitätsblätter, Heft 95/1987, 19 (33 f.). 63 Vgl. zu Art. 14 GG Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 61 FN 236; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 16 FN 31; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, S. 23. 64 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 c), bei und in FN 73, 76, 77.

10 Hellermann

146

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

So hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß der grundrechtliche Schutz der Ehe - im Rahmen ihrer objektiv-rechtlichen Ordnung, die auch gewisse Ehehindernisse vorsehen dürfe - ein individuelles Grundrecht der Eheschließungsfreiheit hervorbringt 65. Ein Recht auf Ehescheidung hingegen ist aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht ableitbar, solange zwar eine gesetzliche Zulassung der Ehescheidung verfassungsrechtlich akzeptiert, die grundsätzliche Unauflöslichkeit der Ehe als verfassungsrechtlich vorgegebenes Strukturmerkmal der Ehe aber festgehalten wird 6 6 . Die gesetzlich zugelassene Möglichkeit der Ehescheidung ist dann eine - an das geschützte Institut sozusagen von außen, begrenzend herantretende und daran zu messende, wenn auch weithin damit vereinbare - Ausnahme, hat aber nicht selbst teil am verfassungsrechtlichen Schutz des Instituts der Ehe; das einfachgesetzlich eröffnete Recht des einzelnen, die Scheidung der Ehe zu begehren, kann dann keine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte individuelle Position sein. Daran ändert im übrigen auch die Tatsache nichts, daß die Scheidung der Ehe die Eheschliessungsfreiheit wieder eröffnet 67: Art. 6 Abs. 1 GG gewährt wie allen Unverheirateten auch dem Geschiedenen das Recht auf Eingehung einer Ehe; daß Art. 6 Abs. 1 GG aber auch dem noch Verheirateten ein Recht auf Wiedererlangung der Eheschließungsfreiheit verbürgen müßte, ist damit keineswegs gesagt68. Nur kurz sei angemerkt, daß es sich beim Eigentumsgrundrecht, wenn man so mag, gerade umgekehrt verhält: Das - negative - Recht zur Aufgabe der Eigentumsposition und wohl auch das Recht, erst gar nicht in eine Eigentumsposition gezwungen zu werden, sind vom Schutz des Grundrechts umfaßt 69 ; ob aber auch das individuelle Recht auf Begründung dieser Position, d.h. ein Recht auf Eigentumserwerb, durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet ist, erscheint mehr als fraglich 70.

I I . Die Auslegung der Handlungsrechte und ihre negative Seite Die Gruppe der Handlungsrechte, auf die der Schluß von der positiven auf eine negative Seite Anwendung finden soll, wird also namentlich von den

65

BVerfGE 29, 166 (175); 31, 58 (67 ff.); 36, 146 (161 f.).

66

BVerfGE 31, 58 (82 f.); 53, 224 (245 f.). Ritter, in: AK-GG, Art. 6 R N 38, der den

grundrechtlichen Schutz der Ehescheidungsfreiheit behauptet, bestreitet konsequent die grundsatzliche Unauflöslichkeit der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG. 67 Daraufheben Pieroth/Schlink, Gnindrechte Staatsrecht Π, RN 724, ab. 68 Vgl. auch Lecheler, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 133 RN 74. 69 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Ait. 14 RN 14. 70

Papier, a.a.O., R N 209 ff.

. Die

s e u n g der Handlungsrechte

147

Grundrechten aus Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 GG gebildet. Die Annahme, daß diese Handlungsrechte über den Schutz des aktiven Tuns hinaus eine umfassende, das Unterlassen einschließende Verhaltensfreiheit verbürgen wollen, wird aber durch die Auslegung dieser einzelnen Freiheitsrechte widerlegt; gegen die allgemeine Annahme einer negativen Seite sprechen Überlegungen zu Wortlaut, geschichtlicher Entwicklung und Entstehungsgeschichte, systematische und zweck- und folgenorientierte Erwägungen, die - auf Besonderheiten in der Interpretation der einzelnen Grundrechtsbestimmungen eingehend, wo das nötig wird - zusammenfassend dargestellt werden können.

1. Wortlaut Es liegt schon in der Definition der Handlungsrechte und begründet gerade die normative Bedeutung des Schlusses auf deren negative Seite, daß sie ihrem Wortlaut nach zunächst ein bestimmtes Tun, die positive Seite schützen. Dieser Wortlaut soll allerdings der Erstreckung ihres Schutzbereichs auf das entsprechende Unterlassen, wenn er sie auch nicht trägt, zumindest nicht entgegenstehen. Dafür spricht ganz allgemein, daß - wie mit Recht betont wird die Grundrechtsbestimmungen von knapper und lapidarer Sprachgestalt sind, so daß ihr Wortlaut allein häufig keine erschöpfende Antwort auf Interpretationsfragen gibt 71 . Für das hier anstehende Auslegungsproblem aber lassen sich, wenn man sich auf eine akribische Betrachtung des in der Tat knappen und lapidaren Normtexts der Handlungsrechte einläßt, doch bereits deutliche Fingerzeige gewinnen. Zunächst ist noch einmal zu vergegenwärtigen, daß diese Grundrechtsbestimmungen allein aktives Tun als geschütztes Verhalten benennen: Art. 4 Abs. 2 GG schützt die Ausübung der Religion, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Äußern einer Meinung und das Sich-Informieren, Art. 8 GG das Sich-Versammeln, Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG das Bilden von Vereinigungen72 bzw. Koalitionen, Art. 11 GG das Nehmen von Aufenthalt und Wohnsitz und Art. 12 Abs. 1 GG das Wählen (und Ausüben) eines Berufs. Verhalten in Form des Unterlassens erscheint im Normtext nicht. Daß allein das aktive Tun geschützt sein soll, bekräftigt der Wortlaut mancher Handlungsrechte in der Umschreibung weiterer Modalitäten des ge-

71 BVerfGE 74, 51 (57); 74, 102 (116); 79, 127 (143 f.); vgl. bereits Böckenförde, NJW 1974, 1529. 72 Zum Wortlautargument gegen die Annahme einer negativen Vereinigungsfreiheit vgl. Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 277 f.; Friauf\ in: FS Reinhardt, S. 389 (392); Jäkel, DVB1. 1983, 1133 (1135).

1

148

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

schützten Verhaltens. Wenn in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG die sogenannte Informationsfreiheit auf allgemein zugängliche Quellen beschränkt wird, so wird der Schutzbereich deutlich aus der Perspektive des Bürgers umschrieben, der Zugang zu Informationsquellen sucht. Auch die nähere Fassung des Art. 8 Abs. 1 GG ist deutlich auf die aktive Verhaltensform bezogen: Die ausdrückliche Freistellung von Anmeldungs- und Erlaubnisvoraussetzungen kann sich nur auf eine freiwillige, aktive Betätigung des Bürgers beziehen, ebenso die tatbestandliche Begrenzung des Schutzbereichs auf friedliche und unbewaffnete Versammlungen 73. Entsprechende Bedenken sind vor allem gegen die Annahme einer negativen Koalitionsfreiheit vorgebracht worden, und zwar wegen des in Art. 9 Abs. 3 GG enthaltenen Zusatzes, wonach das Recht gewährleistet ist, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" Vereinigungen zu bilden. Seiner Stellung nach ist dieser Zusatz nicht etwa auf den Begriff der "Vereinigung" bezogen, so daß er nur die von Art. 9 Abs. 3 GG erfaßten Vereinigungen nach dem von ihnen verfolgten Zweck näher definierte; eine solche Formulierung hätte die Umkehrung auf eine negative Seite sprachlich noch zugelassen. Der Zusatz ist aber sprachlich eindeutig auf das Verb, als Zweck der geschützten Betätigung, bezogen; daß es aber ein Recht geben soll, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine Vereinigung nicht zu bilden, vermag in der Tat schon sprachlich nicht einzuleuchten74. Bei Art. 11 GG schließlich spricht gegen die Annahme einer negativen Seite, die das Recht gewähren könnte, keinen Aufenthalt und Wohnsitz im Bundesgebiet zu nehmen, die tatbestandliche Begrenzung auf Freizügigkeit "im ganzen Bundesgebiet". Auch unter Hinweis auf dieses Element des Wortlauts hat das Bundesverfassungsgericht im Elfes-Urteil Art. 11 GG nicht den Schutz der Ausreisefreiheit entnommen 75 ; ebenso spricht es gegen die Annahme eines Rechts, außerhalb des Bundesgebiets bleiben zu dürfen. Für die Möglichkeit der Annahme einer negativen Seite wird schließlich sozusagen als Einbruchstelle für die ihr zugrundeliegenden Vorstellungen von grundrechtlicher Freiheit im Wortlaut der Handlungsrechte - die Gewährleistung der "Freiheit" der geschützten Handlung bzw. eines "Rechts" darauf angeführt 76. Jedoch lassen sich diesem Hinweis bei genauerer Betrachtung der

73

Gusy, JuS 1986, 608 (609), weist zu Recht daraufhin, daß schon die negative Umformulierung zeigt, daß Art. 8 GG eine negative Seite nicht umfaßt. 74 Berghäuser y Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 196; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 54; ders., BB 1988, 555 (557); ders., Die Grundrechte im AAeitsrecht, S. 101 f.; Radke, AuR 1971, 4 (10). 75 BVerfGE 6, 32 (34); zustimmend Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 11 RN 15; Rittstieg, in: AK-GG, Art. 11 RN 38. 76

Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 1 a), bei und in F N 104.

. Die

s e u n g der Handlungsrechte

149

einzelnen Bestimmungen schon Gründe bloßer Wortlautinterpretation entgegenhalten. Überhaupt keinen sprachlichen Anhaltspunkt dafür bieten die atypisch, weil substantivisch formulierten Handlungsrechte aus Art. 4 Abs. 2 und Art. 11 GG. Wenn Art. 4 Abs. 2 GG davon spricht, daß die ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird, drückt er damit aus, daß die Religionsausübung gegen Störungen geschützt wird, gibt aber sprachlich keinen Anhalt dafür, auch die Nichtvornahme von Kultushandlungen als geschützt anzusehen. Ebensowenig läßt der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 GG, wonach alle Deutschen Freizügigkeit im Bundesgebiet genießen, die Annahme zu, dieser Genuß müsse auch die Möglichkeit der Aufenthalt- und Wohnsitznahme außerhalb des Bundesgebiets umfassen. Die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG garantieren allerdings ein "Recht". Daß sie nicht von einer Freiheit, sondern von einem Recht sprechen, hat für die Frage nach der negativen Seite noch wenig Aussagekraft 77. Sie umschreiben aber auch den Umfang dieses Rechts, nämlich in der daran anknüpfenden infinitivischen Wendung; diese aber nennt - wie soeben gesehen - nur das aktive Tun. Aus ähnlichem Grund führt es auch nicht weiter, daß in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG das Wort "frei" auftaucht. Es ist adverbial auf das umschriebene Tun bezogen und bedeutet nichts anderes als das dem Sich-Informieren geltende "ungehindert" in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Bei genauerer Betrachtung ihres Wortlauts verbürgen die genannten Handlungsrechte also nicht - wie es das verknappte Reden von Meinungsäußerungsfreiheit, Versammlungsfreiheit etc. insinuiert - die Freiheit der Meinungsäußerung, des Versammelns etc. 7 8 ; eine solche Formulierung würde in der Tat eine Interpretation nahelegen, wonach das geschützte Verhalten insgesamt frei zu sein hat, weder gehindert noch erzwungen werden darf. Die Handlungsrechte gewährleisten vielmehr - sinngemäß zusammengefaßt - das Recht, etwas Bestimmtes frei, d. h. ungehindert zu tun; diese Formulierung aber zielt allein auf das Verbot von Hinderungen am eigenen aktiven Tun.

2. Geschichtliche Entwicklung Das Verständnis der Handlungsrechte des Grundgesetzes muß sich auch bewähren vor der geschichtlichen Entwicklung, die diese Grundrechte - mit

77 Hierüber ist, da Art. 9 Abs. 3 GG vom "Recht" zur Bildung von Koalitionen und nicht mehr - wie Art. 159 WRV - von "Vereinigungsfreiheit" spricht, kontrovers diskutiert worden; vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 1 a), FN 105. 78 Vgl. die Kritik von Friauf\ in: FS Reinhardt, S. 389 (392), an der Behauptung einer "Freiheit der Vereinigung".

150

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

Ausnahme des Grundrechts auf Informationsfreiheit, welches eine Erfindung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist 79 - in Deutschland von den Anfangen ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis zu der dem Grundgesetz vorausgehenden Weimarer Reichsverfassung genommen haben. Die hier einzig interessierende Frage ist, ob und inwieweit eine negative, das Unterlassen schützende Seite im Laufe dieser Zeit - sei es durch ausdrückliche Regelung im Verfassungstext, sei es im Verständnis der Staatsrechtslehre - zum Bestandteil dieser Handlungsrechte geworden ist. a) Freizügigkeit

und Freiheit der Berufswahl

In aller Kürze kann zunächst festgestellt werden, daß die Ablehnung einer negativen Seite von Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 GG mit der geschichtlichen Entwicklung der Grundrechte auf Freizügigkeit und Freiheit der Berufswahl übereinstimmt. Im Hinblick auf Art. 11 GG ist das zentrale verfassungsgeschichtliche Argument für die Ablehnung einer negativen Seite, daß die grundrechtliche Gewährleistung der Freizügigkeit im Staatsgebiet und die der Freiheit zur Ausreise und Auswanderung historisch deutlich getrennte Wege gegangen sind 80 . So enthielten zwar zahlreiche frühkonstitutionelle Verfassungen ausdrückliche Bestimmungen über die Wegzugsfreiheit 81; die Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit im Territorium hingegen war in die Konstitutionen nicht aufgenommen, blieb vielmehr zumeist sehr restriktiv geregelt 82. Verfassungsrechtlich besonders geschützt wurde sie erstmals in § 133 der Paulskirchenverfassung, die bezeichnenderweise daneben in § 136 die unbeschränkte Auswanderungsfreiheit gewährleistete83. Nachdem der Norddeutsche Bund und das Deutsche Reich verfassungsrechtlich das gemeinsame Indigenat aller Reichsangehörigen mit dem gleichen Recht zur Niederlassung und eine gesetzliche Regelung der Freizügigkeit gebracht hatten84, bekräftigte die Weimarer

79

Von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 26. Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 110. 81 Vgl. etwa § 24 Verfassungsurkunde fur das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 {Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 190); Art. 24 Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen vom 17. Dezember 1820 {Huber, a.a.O., S. 224); § 29 Verfassungsurkunde fur das Königreich Sachsen vom 4. September 1831 {Huber, a.a.O., S. 268); weitere ausführliche Nachweise bei Merten, a.a.O., S. 110 FN 21. 82 Rohmer, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung I, S. 232 (233). 83 Huber, a.a.O., S. 390. 84 Art. 3 Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 {Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Π, S. 272); Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 80

I . Die

s e u n g der Handlungsrechte

151

Reichsverfassung - in deutlicher Anlehnung an § 133 Paulskirchenverfassung - mit dem Grundrecht des Art. 111 WRV die Freizügigkeit im ganzen Reichsgebiet; wieder war die Freiheit der Auswanderung in Art. 112 Abs. 1 WRV besonders geregelt. Das - in der Weimarer Reichsverfassung und auch in der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850 nicht besonders geregelte - Grundrecht auf freie Berufswahl hat seine verfassungsgeschichtlichen Vorläufer im Vormärz in zahlreichen Verfassungen der deutschen Länder sowie in § 158 der Paulskirchenverfassung 85. Diese frühkonstitutionelle Gewährleistung der Berufsfreiheit hat ihren Grund und ihr Ziel gerade in der Abwehr staatlichen Berufszwangs, wie er in der merkantilistisch geprägten Wirtschaftsordnung des aufgeklärten Absolutismus verbreitet gewesen war 8 6 . Ungeachtet dieser staatsabwehrenden, negativen Schutzrichtung aber schützen bereits diese Grundrechtsbestimmungen übereinstimmend - in einer positiven Wendung - die Freiheit des Bürgers, selbst seinen Stand und sein Gewerbe bzw. seinen Beruf zu wählen. Die Berufsfreiheit ist von Beginn an in ihrer positiven Seite, um der Möglichkeit eigener freier Betätigung willen, geschützt. b) Meinungs-, Versammlungs-,

Vereinigungs-

und Koalitionsfreiheit

Ebenso spricht gegen die Annahme einer negativen Seite der Meinungsund Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, daß es in der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung dieser Freiheitsrechte allein um die grundrechtliche Sicherung der Möglichkeit freier, insbesondere politischer Aktivität ging. Für die Grundrechte der Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit ist das ganz unstreitig; ihre Geschichte gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß diese Freiheitsrechte auch gegen staatliche Zwänge zur Be-

1867 (Huber, a.a.O., S. 304); Art. 3 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (Huber, a.a.O., S. 385). 85 Vgl. etwa § 29 Verfassungsurkunde fur das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 (Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 191); Art. 36 Satz 1 Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen vom 17. Dezember 1820 (Huber, a.a.O., S. 225); § 27 Satz 1 Verfassungsurkunde fur das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831 (Huber, a.a.O., S. 241); § 28 Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4. September 1831 (Huber, a.a.O., S. 268); § 158 Paulskirchenverfassung (Huber, a.a.O., S. 392); ebenso § 156 Erfurter Unionsverfassung (Huber, a.a.O., S. 558). 86 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 I, S. 358; Wieland, Die Freiheit des Rundfunks, S. 213 f., 216.

152

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

tätigung hätten schützen sollen 87 . Diese Beurteilung findet sich auch im Hinblick auf die Vereinigungsfreiheit 88 und ist im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit 89 verbreitet, sieht sich hier aber mit Stellungnahmen konfrontiert, die der historischen Entwicklung dieser Freiheitsrechte Anhaltspunkte fur eine Betätigungszwang abwehrende Schutzrichtung, fur eine negative Seite glauben entnehmen zu können. aa) Vereinigungsfreiheit Die historischen Argumente fur eine Anerkennung der negativen Seite der allgemeinen Vereinigungsfreiheit gehen zurück auf die Epoche des Vormärz. Unter Berufung auf die grundlegende Untersuchung Müllers, der fur diese Zeit die Gleichrangigkeit und Untrennbarkeit von positiver und negativer Vereinigungsfreiheit konstatiert 90, verweisen sie auf die Ablösung herkömmlicher Zwangszusammenschlüsse wie Zünfte, Innungen etc. 9 1 , den Prozeß der Dekorporierung der alten Gesellschaft um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. So sieht Müller erste Ansätze zur rechtlichen Gewährleistung von negativer Vereinigungsfreiheit bereits im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794, das in § 182 I I 6 ALR bestimmte: "In der Regel kann jedes Mitglied einer Corporation dieselbe nach Gutbefinden wieder verlassen" 92. Auch die Stein-Hardenberg'sehen Reformen der Jahre 1806 - 1811 rechnet er unter die Anfange der Vereinsfreiheit 93. Diese dekorporierenden Reformen, deren Zielrichtung ganz auf wirtschaftlichem Felde lag, sind freilich grundrechtsgeschichtlich eher der Entstehung von Berufs- und Gewerbefreiheit und Freizügigkeit zuzuordnen. Allenfalls in einem sehr allgemeinen Sinn, wegen der in

87 Gusy, JuS 1986, 608 (609), verweist zu Recht auf den historischen Sinn und Zweck der Garantie der Versammlungsfreiheit, der allein ihrer positiven Seite gelte. Zur Darstellung der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung vgl. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 25 ff. 88 Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 277 mit FN 22; Rübenach, "Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit" und Vereinigungsfreiheit, S. 25. 89 Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 192 f.; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 88 (RN 172); Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 54; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts H/1, S. 156 f.; Kittner, in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 RN 41; Radke, AuR 1971, 4 (8 f.). 90 Müller, Korporation und Assoziation, S. 17, 238 f., 344, der sich allerdings zugleich zurückhaltend zur Bedeutung dieses Befundes fur die heutige Verfassungsauslegung äußert (a.a.O., S. 344). 91 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 9 ff.; KleineCosack, Berufsstandische Autonomie und Grundgesetz, S. 144; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 819; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29). 92 Müller, a.a.O., S. 238. 93

Müller, a.a.O., S. 231 ff.

. Die

s e u n g der Handlungsrechte

153

ihnen sich allmählich durchsetzenden Prinzipien staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit, kann man sie - wie Müller selbst einmal formuliert - als "Grundlage für die spätere Gewährung allgemeiner liberal konzipierter Vereinigungsfreiheit" 94 bezeichnen. Sie sind aber nicht schon selbst Bestandteil der Geschichte des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit; die in diesen Reformen bewirkte negative Korporationsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet steht in keinem inneren verfassungsgeschichtlichen Zusammenhang mit der positiven Assoziationsfreiheit der Bürger, um die es dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit geht 95 . Diese positive Vereinigungsfreiheit blieb bezeichnenderweise im deutschen Vormärz nur sehr beschränkt gewährleistet. Der liberalen Haltung auf wirtschaftlichem Gebiet entsprach in der Praxis Preußens - und auch in den Vorstellungen der Preußischen Reformer Stein und Hardenberg - keineswegs eine großzügige Gewährung positiver Vereinigungsfreiheit9 6 . Die diesbezüglichen Versprechungen des Allgemeinen Preussischen Landrechts waren schon früh wieder beschränkt worden. Im weiteren Verlauf geriet die Vereinigungsfreiheit - ebenso wie die Versammlungs- und die Presse- und Meinungsfreiheit - insbesondere nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 und durch die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni 1832 bzw. 5. Juli 1832 in die Mühlen der Reaktion. Ausdrückliche verfassungsrechtliche Gewährleistungen der Vereinigungsfreiheit (wie auch der Versammlungsfreiheit) fehlen in den frühkonstitutionellen Verfassungen der deutschen Länder, sieht man von einer zaghaften Regelung in der Verfassung SachsenMeiningens aus dem Jahre 1829 ab 9 7 . Auch der Staatsrechtslehre des Vormärz läßt sich wohl kein so enger Zusammenhang zwischen einer negativen Schutzrichtung und der Forderung von liberaler Vereinigungsfreiheit entnehmen, wie Müller dies annimmt 98 . Allerdings betonen die von ihm angeführten Autoren mit Blick auf Assoziationen der Bürger, daß diese ihrem Wesen nach freiwillig seien, nur durch Zustimmung der Mitglieder begründet werden könnten und insoweit keine Zwangspflicht auferlegt werden könne 99 ; die Mißachtung dieser Freiheit durch Vereine, die Zwang auf ihre Mitglieder ausüben, gilt darüber hinaus als Grund

94

Müller, a.a.O., S. 239. Rübenach, "Wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit" und Vereinigungsfreiheit, S. 22 ff. 96 Hierzu und zum folgenden Müller, a.a.O., S. 235 f., 250 f., 253 f.; vgl. auch Gastroph, Die politischen Vereinigungen, S. 35 f.; Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts Π, S. 637 (639). 97 Vgl. dazu Müller, a.a.O., S. 252 f. 98 Müller, a.a.O., 238 f.; zustimmend Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 11, 13. 99 Vgl. etwa Ahrens, Das Naturrecht, S. 351; Mohl, System der Präventiv-Justiz oder Rechts-Polizei, S. 236. 95

154

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

fur polizeiliches Einschreiten und Verbot 100 . Das Fernbleibe- und Austrittsrecht erscheint damit als eine im Wesen der freien Assoziation liegende, nötigenfalls polizeilich durchzusetzende Grenze der positiven Vereinigungsfreiheit, aber doch nicht als eigener Schutzgegenstand einer zu fordernden Vereinigungsfreiheit. Diese wird - in engem Zusammenhang mit der Meinungsund Presse- sowie Versammlungsfreiheit - um der Aktivität, der aktiven Teilnahme der Bürger am Gemeinwesen willen postuliert 101 . In Reaktion auf die polizeistaatliche Unterdrückung freier Vereinstätigkeit und in Erfüllung dieser liberalen Forderung ist das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit in der Paulskirchenverfassung erstmals verfassungsrechtlich garantiert worden. § 162 bestimmt in einer der heutigen schon ähnlichen Fassung: "Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maaßregeln beschränkt werden" 102 . Die Vereinigungsfreiheit erscheint - wie die unter demselben Artikel VIII in § 161 geschützte Versammlungsfreiheit - als politisch-demokratisches Bürgerrecht. Als ein solches wird es auch in Art. 30 der Preußischen Verfassungsurkunde 103 und zwar gerade auch in den vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeiten - erkennbar. Wenn auch nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolution die Vereinigungsfreiheit in der staatsrechtlichen Theorie ihren demokratisch-politischen Impetus verlor und in der staatlichen Praxis wieder stärkeren Restriktionen unterworfen wurde, wird diese Sicht der Vereinigungsfreiheit durch die weitere verfassungsgeschichtliche Entwicklung bis zu ihrer Gewährleistung in Art. 124 WRV insoweit bestätigt, als das Thema der Vereinigungsfreiheit - weiterhin in engem systematischem Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit - die positive Betätigungsfreiheit bzw. deren Beschränkung blieb. Eine negative Seite der Vereinigungsfreiheit hingegen fand - soweit ersichtlich - keinerlei Beachtung und erst in der Weimarer Zeit eine vereinzelte, von der Annahme einer negativen Koalitionsfreiheit inspirierte Erwähnung 104 . bb) Koalitionsfreiheit Die geschichtliche Entwicklung eines eigenständigen Grundrechts der Koalitionsfreiheit nahm ihren Anfang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

100 101 102 103 104

(650 f.).

Vgl. Welcher, in: Rotteck/Welcker, Das Staatslexikon I, S. 723 (746). Vgl. dazu Gastroph, a.a.O., S. 37 f.; Müller, a.a.O., S. 295 ff. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 392. Huber, a.a.O., S. 504. Waldecker, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts II, S. 637

. Die

s e u n g der Handlungsrechte

155

mit der Aufhebung der bestehenden Koalitionsverbote zunächst in einigen Ländern, dann 1869 durch § 152 GewO für den Norddeutschen Bund bzw. ab 1872 fur das Deutsche Reich. Die rechtliche Stellung der damit für die gewerblichen Betriebe geduldeten Koalitionen war in der Gewerbeordnung freilich sogleich beschränkt, weil § 152 Abs. 2 GewO die Koalitionsabrede für unverbindlich und unklagbar erklärte und durch § 153 GewO mit Gefängnisstrafe bedroht war, wer einen anderen durch Gewalt, Drohung oder Ehrverletzung zum Anschluß an eine Koalition zu bestimmen oder seinen Austritt zu verhindern suchte. Der Kampf der Gewerkschaften gegen diese Vorschrift führte, nachdem der Erste Weltkrieg die bis dahin bestehende koalitionsfeindliche Haltung des Kaiserreichs notgedrungen gelockert hatte, zur Aufhebung des § 153 GewO durch Gesetz vom 22. Mai 1918 1 0 5 . Darin lag zwar, weil der Zweck dieser Vorschrift allein die Beschränkung der positiven Koalitionsfreiheit insbesondere der Gewerkschaften gewesen war und nicht der Schutz von Außenseitern in ihrer negativen Koalitionsfreiheit, keine ausdrückliche Entscheidung gegen eine negative Koalitionsfreiheit 106. Auch Formulierungen wie die des Bundesarbeitsgerichts, die negative Koalitionsfreiheit sei "ursprünglich allein maßgebend"107 gewesen, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese zwar tatsächlich nicht gefährdet war, rechtlich aber auch als solche nicht besonders geschützt werden sollte. Gerade weil bis dahin nicht der rechtliche Schutz der negativen Koalitionsfreiheit, sondern nur die positive Koalitionsfreiheit und deren Beschränkung Gegenstand der Auseinandersetzung gewesen war, läßt sich die Aufhebung des § 153 GewO nur als Schritt auf dem Weg zur positiven Koalitionsfreiheit verstehen. Der dabei erreichte Stand sollte dann 1919 festgeschrieben werden, als in Art. 159 WRV das Grundrecht der Koalitionsfreiheit erstmals ausdrücklich und verfassungsmäßig garantiert wurde. Mit Recht wird die Geschichte des Grundrechts der Koalitionsfreiheit bis zu diesem Zeitpunkt als Kampf um das Recht zum ungehinderten Zusammenschluß, d. h. um die positive Seite der Koalitionsfreiheit charakterisiert 108. Erst in der Interpretation des Art. 159 WRV durch die Weimarer Staatsund Arbeitsrechtslehre tritt die Frage nach dem rechtlichen Schutz der negativen Koalitionsfreiheit ins Blickfeld 109 . Es kam zur Entdeckung des Grundrechts der negativen Koalitionsfreiheit in Art. 159 WRV und zu seiner Aner-

105 106 107 108

Vgl. Dietz, in: Die Grundrechte III/l, S. 417 (424). Dietz, a.a.O., S. 454; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, S. 11. BAGE 20, 175 (217).

Vgl. insb. Nipperdey, in: ders., Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, S. 385 (420 f.), sowie die oben in FN 89 Genannten. 109 Ausfuhrliche Nachweise dazu bei Dietz, a.a.O., S. 454, FN 132; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts U/1, S. 154 FN 2, 3.

156

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

kennung durch einen Teil der Lehre und der unterinstanzlichen Rechtsprechung. Die Gegenposition sah hierin vor allem den Versuch, den Schutz der (positiven) Koalitionsfreiheit wieder auf den Stand vor 1918/1919 zurückzudrängen und lehnte - insbesondere unter Hinweis auf geschichtliche Entwicklung und Entstehungsgeschichte des Art. 159 WRV - die Annahme einer negativen Koalitionsfreiheit ab. Reichsgericht und Reichsarbeitsgericht ließen die Streitfrage unentschieden110, und auch in der Lehre blieb sie umstritten 1 1 1 . So war gegen Ende der Weimarer Zeit die Frage, ob die negative Seite Bestandteil des Grundrechts der Koalitionsfreiheit sei, historisch zwar gestellt, aber noch nicht beantwortet. c) Kultusfreiheit Anders ist der Befund hinsichtlich der Kultusfreiheit, deren negative Seite sich im Laufe der Entwicklung allmählich als fester Bestandteil grundrechtlicher Gewährleistung von Religionsfreiheit etabliert hat. In Reaktion auf den bayerischen Kniebeugungserlaß von 1838, der allen, auch den protestantischen Soldaten den Besuch des katholischen Gottesdienstes und den Kniefall vor dem Allerheiligsten befahl, wurde die negative Kultusfreiheit erstmals in § 148 der Paulskirchenverfassung ausdrücklich normiert: "Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden" 112 . In die nachfolgenden einzelstaatlichen Verfassungen wurde sie in der Regel nicht ausdrücklich aufgenommen; sie galt der Staatsrechtslehre wohl als ohnehin in der Gewährleistung der Gewissensfreiheit enthalten, fand aber in der Praxis durchaus nicht immer die volle Beachtung113. Ihre explizite Gewährleistung findet sich dann wieder im Aufruf des Rats der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 1 1 4 und schließlich in Art. 136 Abs. 4 WRV. Der Weimarer Staatsrechtswissenschaft erscheint sie als selbstverständlicher Bestandteil der Kultusfreiheit; dafür steht vor allem Anschütz, der lapidar feststellt: "Zur Kultusfreiheit gehört es, daß niemand zu einer Kultushandlung oder zur Teilnahme an einer solchen staatlich gezwungen werden darf, eine Folgerung, die

110

RGZ 104, 327 (329); 111, 199 (201); RAG, ARS 6, 427 (430); ARS 9, 55 (58 f.). Vgl. zu dieser Einschätzung der Weimarer Diskussion bereits oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 1 b), FN 113. 112 Huber y Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte I, S. 391; vgl. dazu Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach seiner geschichtlichen Entwickelung und heutigen Geltung in Deutschland, S. 184 f.; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 486. 113 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 136 Anm. 5 (S. 627); Fürstenau, a.a.O.; Kühne, a.a.O. 111

114

Huber y Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte ΠΙ, S. 6.

. Die

s e u n g der Handlungsrechte

157

von der Verfassung in Art. 136 Abs. 4 und Art. 149 Abs. 2 ausdrücklich gezogen wird" 1 1 5 .

3. Entstehungsgeschichte Das Dritte Reich, welches das Individuum in vielen Lebensbereichen in die Pflicht zu bestimmtem Tun nahm, brachte damit eine Mißachtung auch jener Freiheiten, wie die negativen Freiheitsrechte sie schützen wollen. Daß das Grundgesetz aus der Erfahrung dieses totalitären Regimes heraus und in bewußter Distanzierung davon entstand, wird für eine Anerkennung der Figur der negativen Seite angeführt 116. Als Argument aus der Entstehungsgeschichte für die Interpretation der einzelnen Handlungsrechte aber wäre dieser Gesichtspunkt nur aussagekräftig, wenn er sich in den Beratungen zu diesen einzelnen Grundrechtsbestimmungen niedergeschlagen hätte. a) Die negative Seite in den Beratungen des Parlamentarischen

Rates

Die Behandlung einer negativen Seite der einzelnen Handlungsrechte, soweit es zu einer solchen in den Beratungen zum Grundgesetz gekommen ist, läßt sich in den beiden Feststellungen zusammenfassen, daß es zwar Vorbilder und Vorschläge für eine Aufnahme besonderer Regelungen zur Gewährleistung dieser negativen Seite gab, der Parlamentarische Rat aber auf ihre Aufnahme in den Text des Grundgesetzes verzichtete. Den größten Raum nahm die Frage nach dem Schutz der negativen Seite im Zusammenhang mit dem heutigen Art. 9 GG ein 1 1 7 . Vorbilder für eine ausdrückliche Gewährleistung der negativen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit gab es in den 1946 und 1947 erlassenen Verfassungen der deutschen Länder 1 1 8 und auch in Art. 20 Abs. 2 der am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ein erster Vorschlag zu ihrer

115 Anschütz, a.a.O., Art. 135 Anm. 5 (S. 621); vgl. auch ders., in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts II, S. 675 (689). 116 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 1 b), bei und in FN 121. 117 Vgl. zum folgenden von Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), S. 116 ff., sowie die ausführlichen Darstellungen bei Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 25 ff., und Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 55 ff. 118 Art. 15 Abs. 2 Verfassung von Württemberg-Baden vom 28.11.1946 (Reg.Bl. S. 277); Art. 179 Bayerische Verfassung vom 2.12.1946 (GVB1. S. 333); Ait. 36 Abs. 2 Hessische Verfassung vom 11.12.1946 (GVB1. S. 229); Art. 13 Abs. 3 Verfassung von Württemberg-Hohenzollern vom 20.5.1947 (Reg.Bl. S. 1); Art. 19 Abs. 2 Badische Verfassung vom 22.5.1947 (Reg.Bl. S. 129); Art. 48 Abs. 2 Bremer Verfassung vom 21.10.1947 (GBl. S. 251).

158

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

Aufnahme ins Grundgesetz war im Herrenchiemseer Konvent abgelehnt worden, und zwar wegen der "möglicherweise bestehende(n) Notwendigkeit, auch künftig Angehörige bestimmter Berufe in öffentlich-rechtlichen Organisationen verpflichtend zusammenzufassen. Ein Koalitionszwang im üblichen Sinn sollte damit nicht anerkannt werden" 119 . In die Beratungen des Parlamentarischen Rates brachten dann der Grundsatzausschuß und der Allgemeine Redaktionsausschuß - in redaktionell etwas unterschiedlicher Fassung - den Vorschlag ein, in einem Zusatz zum heutigen Art. 9 Abs. 3 GG die Ausübung von Zwang zum Beitritt zu untersagen 120. Eine dagegen gerichtete Eingabe des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen löste im Grundsatzausschuß eine längere Diskussion aus und führte dazu, daß keine Entscheidung getroffen, sondern zwei Alternatiworschläge, mit und ohne Zusatz, dem Hauptausschuß vorgelegt wurden 121 . Dieser entschied in erster Lesung - nach längerer Debatte und mit knapper Mehrheit von elf zu zehn Stimmen - für die Aufnahme des Zusatzes. In einer anschließenden Sitzung des Grundsatzausschusses wurde ein Vorbehalt, den die Abgeordneten von Mangoldt und Heuß im Hinblick auf Ärztekammern, Apothekerkammern etc. für notwendig hielten, angefügt: "Ausnahmen von diesem Verbot können für öffentlich-rechtliche Berufsverbände durch Gesetz zugelassen werden" 122 . In der zweiten Lesung des Hauptausschusses123 wurde dann die Streichung des so gefaßten Verbots von Beitrittszwang beantragt, insbesondere mit Blick auf die Stellung der Gewerkschaften. Im wesentlichen übereinstimmend mit der Eingabe des Gewerkschaftsrates und Argumenten der vorhergehenden Debatten wurde ins Feld geführt, daß die Gewerkschaften das Prinzip der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft anerkennen, sich an die allgemeinen Gesetze halten und keinen unzulässigen Koalitionszwang ausüben. Es wurde aber auch verschiedentlich die Unabweisbarkeit eines gewissen mittelbaren Drucks auf Außenseiter betont und die Befürchtung geäußert, durch eine lange Tradition sanktionierte, mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinbare gewerkschaftliche Aktivitäten könnten durch die (unterinstanzliche) Rechtsprechung beanstandet werden, wenn das Koalitionszwangsverbot ausdrücklich gewährleistet werde 1 2 4 . Mit

119 Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, S. 22. 120 Von Doemming/Füßlein/Matz, a.a.O., S. 117 f. 121 Von Doemming/Füßlein/Matz, a.a.O., S. 119 f.; die einschlägigen Passagen der Eingabe des Gewerkschaftsrates sind dort abgedruckt (a.a.O., S. 119 FN 13). 122 Von DoemmingfFüßleinfMatZy a.a.O., S. 123 f. 123 Von Doemming/FüßleinfMatz, a.a.O., S. 124 f. 124 Vgl. insb. die Beiträge der Abg. Dr. Eberhard (in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 569 f.), Schönfelder (a.a.O., S. 570) und Dr. Schmid (a.a.O., S. 571).

II. Die Auslegung der Handlungsrechte

159

zwölf gegen sechs Stimmen beschloß der Hauptausschuß die Streichung dieser Bestimmung. Art. 9 GG wurde schließlich von Hauptausschuß und Plenum ohne besonderen Schutz der negativen Seite angenommen. Auch die Fassung des heutigen Art. 4 GG, die seiner Beratung im Parlamentarischen Rat zugrunde lag, enthielt zunächst - neben einem Absatz 4, der vor dem Zwang zur Offenbarung der religiösen Überzeugung schützte - in Abs. 3 eine besondere Gewährleistung der negativen Kultusfreiheit 125. Diese Absätze blieben im Hauptausschuß bis zuletzt ohne große Veränderung aufrechterhalten und wurden erst in der 57. Sitzung des Hauptausschusses am 5. Mai 1949 auf Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses gestrichen, weil nunmehr die Übernahme von Art. 136 WRV in das Grundgesetz durch den heutigen Art. 140 GG vorgesehen war und damit auch die negative Bekenntnisfreiheit in Art. 136 Abs. 3 WRV und die negative Kultusfreiheit in Art. 136 Abs. 4 WRV ihre Regelung fanden 126 . Auf einen Vorschlag seines Vorsitzenden von Mangoldt hin beschloß der Grundsatzausschuß in der 27. Sitzung am 1. Dezember 1948, auch dem heutigen Art. 5 GG eine besondere negative Freiheitsgewährleistung anzufügen 127. Im weiteren Verlauf der Beratungen sah ein - wenig diskutierter - Absatz 5 bzw. 6 die Bestimmung vor: "Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben" (bzw. "... zu offenbaren", wie der Allgemeine Redaktionsausschuß formulierte). Diese Vorschrift entfiel erst in der erheblich gekürzten und neugeordneten Fassung des Art. 5, die der Allgemeine Redaktionsausschuß am 2. Mai 1949 formulierte und die dann unverändert verabschiedet wurde; die Streichung wurde weder vom Allgemeinen Redaktionsausschuß begründet noch in den anschließenden Lesungen in Hauptausschuß und Plenum erörtert 128 . Zu Art. 11 GG und dem Recht auf freie Ausreise, das als seine negative Seite in Betracht kommt, ist schließlich anzumerken, daß die Aufnahme der Auswanderungsfreiheit in den Grundrechtskatalog im Parlamentarischen Rat in der 5. Sitzung des Grundsatzausschusses am 29. September 1948 diskutiert und schließlich abgelehnt wurde. Man sah die Auswanderungsmöglichkeit zwar durch die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes gesichert, wollte jedoch eine besondere Hervorhebung dieses Rechts vermeiden,

125

Vgl. von Doemming/Füßlein/Matz, a.a.O., S. 73. Von Doemming/Füßlein/Matz, a.a.O., S. 78 f. 127 Von Doemming/Füßlein/Matz, a.a.O., S. 84 f.; vgl. auch von Mangoldt, GG, Art. 5 Anm. 1 (S. 60). 126

128

Von Doemming/Füßlein/Matz,

a.a.O., S. 88 f.

160

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

um keinen Anreiz zum Auswandern zu schaffen und Beschränkungen zu ermöglichen 129 . b) Bewertung Es bleibt die Frage nach der Bewertung dieser entstehungsgeschichtlichen Vorgänge, die in Rechtsprechung und Literatur keineswegs einheitlich vorgenommen wird. Befürworter der negativen Seite der Handlungsrechte verweisen darauf, daß man sich in den Beratungen der Existenz einer negativen Seite der Handlungsrechte bewußt gewesen sei und sie in der Sache bejaht habe; der Verzicht auf ihre ausdrückliche Gewährleistung habe keine Entscheidung gegen ihren grundrechtlichen Schutz dargestellt 130. Ihnen ist zuzugestehen, daß die Nichtaufnahme der negativen Freiheitsrechte keine Entscheidung für eine verfassungsrechtliche Pflicht bzw. fur die Zulässigkeit von Zwang zum jeweiligen Tun enthielt, auch keine grundsätzliche Entscheidung gegen die Möglichkeit eines (sonstigen) grundrechtlichen Schutzes gegen solchen Zwang. Der Versuch einer ausdrücklichen Regelung ist aber Ausdruck der Annahme, daß der Schutz der negativen Seite nicht ohne weiteres schon in den Handlungsrechten enthalten sei. Das läßt sich gerade am Beispiel des Art. 9 GG belegen: Als für den heutigen Art. 9 Abs. 3 GG eine besondere Regelung der negativen Koalitionsfreiheit vorgesehen war, hielt man auch einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt zugunsten öffentlich-rechtlicher Berufsverbände für notwendig; dieser schien, da das Grundrecht nunmehr offenbar als nicht mehr einschlägig galt, entbehrlich, als das ausdrückliche Verbot von Koalitionszwang gestrichen wurde und nur die (positive) Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit bestehen blieb. Die Ablehnung der Vorschläge für eine ausdrückliche Gewährleistung der negativen Seite ist deshalb eine Entscheidung gegen den grundrechtlichen Schutz dieser Unterlassensfreiheiten durch die jeweiligen speziellen Freiheitsrechte. Das ist besonders einleuchtend, wenn die Nichtaufnahme der negativen Seite sich auf inhaltliche Bedenken gegen ihren Schutz zurückführen läßt, wie das bei Art. 9 Abs. 1 und 3 und Art. 11 GG der Fall ist; dort wollte man den besonders herausgehobenen und intensiven Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit und der Auswanderungsfreiheit vermeiden und ihre stärkere Beschränkbarkeit ermöglichen. Es gilt aber auch sonst, also auch für die negative Seite von Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, deren Verbannung nach Art. 140 GG bzw. Streichung eher auf redaktionellen denn auf sachlichen Gründen beruht.

129

Von Doemming/Füßlein/Matz, a.a.O., S. 44. Vgl. zu Alt. 9 GG bereits oben 1. Kapitel, Abschnitt II 1 b), bei und in FN 116, sowie zu Art. 5 GG von Mangoldt, GG, Art. 5 Anm. 1 (S. 60); Merten, DÖV 1990, 761. 130

I . Die

s e u n g der Handlungsrechte

161

Es ist immer noch das stärkste, dem Vorwurf der Beliebigkeit am wenigsten ausgesetzte entstehungsgeschichtliche Argument, daß im Gesetzgebungsverfahren eine bestimmte Regelung ausdrücklich abgelehnt wurde; diese darf nicht im Wege der Auslegung der - anders beschlossenen - Vorschriften rekonstruiert werden. Die ausdrückliche Entscheidung des Verfassungsgebers gegen die Aufnahme besonderer negativer Freiheitsgewährleistungen verbietet deshalb die interpretative Annahme einer negativen Seite von Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 9 Abs. 1 und 3 1 3 1 und Art. 11 G G 1 3 2 .

4. Systematik Die Freiheit zur Unterlassung bestimmter Handlungen hat in anderen Vorschriften des Grundgesetzes ihre rechtliche Gewährleistung gefunden. Insofern spricht auch die Systematik der Grundrechte des Grundgesetzes gegen die Annahme einer negativen Seite der Handlungsrechte. a) Spezielle Gewährleistungen der Unterlassensfreiheit Zunächst kennt das Grundgesetz - in Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3, Art. 12 Abs. 2 und 3 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV - besondere grundrechtliche (und grundrechtsähnliche) Gewährleistungen der Unterlassensfreiheit. Schon die bloße, von ihrem Inhalt und Umfang unabhängige Tatsache des Bestehens solcher Gewährleistungen spricht gegen die Anerkennung einer negativen Seite der Handlungsrechte, weil sie für die Grundrechte des Grundgesetzes die Notwendigkeit der Annahme einer unteilbaren, Handeln und Unterlassen umfassenden Verhaltensfreiheit widerlegt. Wenn das Grundgesetz in bestimmten Grundrechtsvorschriften gerade und nur ein bestimmtes Unterlassen schützt, so werden auch die Vorschriften, die ihrem Wortlaut nach die Freiheit eines bestimmten Tuns garantieren, gerade und nur die aktive Verhaltensweise - und nicht auch ein Unterlassen - meinen. Diese Annahme wird noch bestärkt durch einen Blick auf den Inhalt dieser besonderen Gewährleistungen von Unterlassensfreiheit. In ihnen haben gerade jene einzelnen Unterlassensfreiheiten ihre Regelung gefunden, deren aus-

131 So etwa Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 195; Gamillschegy Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 58; ders., BB 1988, 555 (557); Galperin, in: FS Bogs, S. 87 (94); Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/l, S. 157. 132 Vgl. BVerfGE 6, 32 (34 f.).

11 Hellermann

162

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

drückliche grundrechtliche Sicherung im Grundgesetz sich historisch und entstehungsgeschichtlich besonders dringlich darstellt 133 . In Art. 12 Abs. 2 und 3 GG, die vor Arbeitszwang und Zwangsarbeit schützen, hat sich der antitotalitäre Impetus der Nachkriegszeit konkret niedergeschlagen; in bewußter Abkehr von Praktiken des nationalsozialistischen Systems und auch der damaligen kommunistischen Herrschaftssysteme in den Ostgebieten wollen sie bestimmte Formen der Inpflichtnahme der Bürger verhindern 134 . Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV übernehmen den Schutz der Unterlassensfreiheit im religiös-weltanschaulichen und damit in dem Bereich, wo die verfassungsrechtliche Gewährleistung auch der negativen Seite sich historisch bis zur Weimarer Reichsverfassung durchgesetzt hatte und im Grundgesetz, in der Sache ganz unumstritten, fortgesetzt werden sollte. Daß diesen besonderen Regelungen - mit Ausnahme des Vorbehalts in Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV - bei Annahme einer negativen Seite von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nur noch deklaratorische Bedeutung zukäme, muß gegen diese Annahme sprechen; es ist ein Gebot systematischer Auslegung, Normen so zu interpretieren, daß sie einen eigenständigen Regelungsgehalt haben. b) Die allgemeine Unterlassensfreiheit

des Art. 2 Abs. 1 GG

Schon in der Weimarer Diskussion ist darauf hingewiesen worden, daß die negative Koalitionsfreiheit, wenn sie nicht von Art. 159 WRV erfaßt werde, doch Bestandteil der allgemeinen, damals nur einfachgesetzlich geschützten bürgerlichen Freiheit sei 1 3 5 . Dieser Hinweis hat unter der Geltung des Grundgesetzes entscheidend an Gewicht gewonnen, weil nunmehr - nach dem ganz herrschenden, hier nicht in Frage zu stellenden Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG - ein allgemeines Freiheitsrecht grundrechtlich verbürgt ist. Das Grundgesetz enthält deshalb - neben den speziellen Gewährleistungen von Unterlassensfreiheit - die subsidiäre allgemeine Unterlassensfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Die Ablehnung einer negativen Seite der Handlungsrechte führt also nicht zu einem völligen Verlust des Grundrechtsschutzes gegenüber den verschiede-

133

Vgl. auch Merten, DÖV 1990, 761 (764): "Verfassungshistorisch hat sich in Bereichen, die durch staatliches Auskunftsverlangen besonders gefährdet waren, ein ausdrücklicher Grundrechtsschutz herausgebildet"; es folgt ein Hinweis auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 WRV, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. 134 Vgl. BVerfGE 74, 102 (116 ff.); dazu näher und differenzierend unten 6. Kapitel, Abschnitt I 1. 135 Nipperdey, in: ders., Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung III, S. 385 (420); vgl. auch RGZ 104, 327 (328); RAG, ARS 6, 427 (430).

II. Die Auslegung der Handlungsrechte

163

nen Betätigungszwängen, sondern nur zu seiner Verlagerung von speziellen Freiheitsrechten auf das allgemeine Freiheitsrecht. Diese Konsequenz, die in Rechtsprechung und Literatur vielfach gezogen worden ist 1 3 6 , entspricht genau der Haltung des Verfassungsgebers, wie sie bei der Ablehnung eines besonderen Schutzes der negativen Koalitionsfreiheit und der Ausreisefreiheit deutlich geworden ist: Der grundrechtliche Schutz dieser Freiheiten soll nicht prinzipiell aberkannt, ihre besondere Hervorhebung aber vermieden und eine größere Einschränkbarkeit ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund spricht die Tatsache, daß Art. 2 Abs. 1 GG mit der allgemeinen Handlungs- zugleich die allgemeine Unterlassensfreiheit garantiert, nicht fur 1 3 7 , sondern gegen die Annahme einer negativen Seite der speziellen Handlungsrechte.

5. Zweck und Folgen Daß der Schutz der Unterlassensfreiheit im Grundgesetz nicht einer negativen Seite der Handlungsrechte obliegt, wird schließlich auch durch zweckund folgenorientierte Erwägungen bestätigt. a) Dysfunktionalitäten

bei Anerkennung einer negativen Seite

Weil es der - alleinige - Zweck dieser Handlungsrechte ist, ein bestimmtes Tun der Bürger vor Eingriffen zu bewahren, und ihr Schutzbereich und ihre Schranken im Hinblick auf diesen Zweck gefaßt sind, ergäben sich auffällige Dysfunktionalitäten bei Anerkennung einer negativen Seite. Der Schutzbereich einer negativen Seite verschiedener Handlungsrechte wiese Lücken auf, die vor dem ihr zugedachten Schutzzweck kaum erklärlich wären. Zum einen gibt es Beschränkungen hinsichtlich der sachlichen Reichweite, die wohl in bezug auf die positive, nicht aber in bezug auf eine eventuelle negative Seite des Schutzbereichs sinnvoll erscheinen. Die negative In136 Bereits das Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32), die Grundsatzentscheidung zur allgemeinen Handlungsfreiheit, beruht auf der Ablehnung einer negativen Seite des Art. 11 GG. Allgemein zum Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG bei Ablehnung einer negativen Seite der Einzelfreiheitsrechte Düng y in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I RN 10. Vgl. weiter etwa Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 54 f., 59; Gusy, JuS 1986, 608 (609); Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/l, S. 159. Der nicht näher begründete Einwand von Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 64 FN 9, das Generalfreiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG könne "schon aus systematischen Gründen nicht dazu dienen, eine positiv gewährte Spezialfreiheit zu negieren", überzeugt vor dem Verständnis von Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeines Freiheitsrecht und Auffanggrundrecht nicht. 137

11

Vgl. dazu oben 1. Kapitel, Abschnitt II 1 b), bei und in FN 123.

164

5. Kap.: Der Schluß auf eine negative Seite als Auslegungsproblem

fonnationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG könnte nur vor dem Zwang zur Informationsaufhahme aus allgemein zugänglichen Quellen und nicht auch vor individuell gezielter informationeller Beeinflussung, die negative Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG nicht auch vor dem Zwang zur Teilnahme an unfriedlichen und bewaffneten Versammlungen schützen138. Zum anderen mag die Beschränkung des personellen Geltungsbereichs auf Deutsche in Art. 8, Art. 9 Abs. 1, Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 GG ihren Sinn haben, wenn auf verschiedenen Feldern insbesondere des politischen und wirtschaftlichen Lebens der besondere Schutz der aktiven Betätigung im Gemeinwesen den Staatsangehörigen vorbehalten werden soll. Daß aber auch umgekehrt Ausländer weniger als Deutsche davor geschützt sein sollen, an bestimmten Versammlungen teilnehmen, bestimmten Vereinigungen angehören, im Bundesgebiet bleiben, einen Beruf ergreifen zu müssen, ist nicht einleuchtend139; im demokratischen Verfassungsstaat ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Betätigimg im bzw. für das Gemeinwesen eher Sache der Staatsangehörigen als von Ausländern. Entsprechend verhält es sich mit der Fassung der Schranken der Handlungsrechte. Soweit ihnen ausdrückliche qualifizierte Eingriffsvorbehalte beigefügt sind, sind diese auf die positive Seite des Schutzbereichs und deren allfallige Beschränkung zugeschnitten. In Art. 5 Abs. 2 GG zielen die Einschränkungsgründe des Ehr- und Jugendschutzes auf Gefahrdungen aus der aktiven Meinungsbetätigung der Bürger 140 . Daß Art. 8 Abs. 2 GG gerade und nur Versammlungen unter freiem Himmel für beschränkbar erklärt, hat seinen Grund darin, daß in dieser Weise abgehaltene Versammlungen wegen der Kommunikation mit der Außenwelt in besonderer Weise potentiell störend sind, während ein Grund dafür, daß Bürger eher zu Zwangsversammlungen unter freiem Himmel als zu solchen in geschlossenen Räumen sollen befohlen werden dürfen, nicht erkennbar ist. Die Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG gelten freigebildeten Vereinigungen von Bürgern 141 . Die Einschränkungstatbestände des Art. 11 Abs. 2 GG schließlich zielen erkennbar auf die innerstaatliche Freizügigkeit 142 . Für gesetzliche Beschränkungen der negativen Seite der Freiheitsrechte, deren sachliche Berechtigung und Notwendigkeit allgemein anerkannt ist, aber fehlen den Handlungsrechten die erforderlichen

138

Vgl. Gusy, JuS 1986, 608 (609). Auf diesen Aspekt weist Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 345 ff., zu Recht hin. 140 Schmitt Glaeser, AöR 113 (1988), 52 (62), folgert aus den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedenfalls kein spezielles Datenschutzgrundrecht darstelle. 141 Vgl. dazu Bethge, JA 1979, 281 (283); Reinhardt, in: FS Draheim, S. 227 (228). 142 BVerfGE 6, 32 (35) zustimmend Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 11 RN 15; Rittstieg, in: AK-GG, Art. 11 RN 38. 139

I . Die

s e u n g der Handlungsrechte

165

Eingriffsvorbehalte. So hat das Bundesverfassungsgericht in Art. 11 Abs. 2 GG den traditionell anerkannten und auch im Paßgesetz vorgesehenen Paßverweigerungs- und Ausreisebeschränkungsgrund der Gefahrdung der Staatssicherheit vermißt und auch deshalb die freie Ausreise nicht in Art. 11 GG gewährleistet gesehen143. Vor allem aber fehlt dem Art. 9 GG ein Gesetzesvorbehalt, der die Anordnung der Zwangsmitgliedschaft in öffentlichrechtlichen Körperschaften zuließe; eines solchen Vorbehaltes aber bedürfte jene herrschende Meinung, die in Art. 9 GG die negative Vereinigungsfreiheit gewährleistet sieht, um auf dogmatisch überzeugende Weise, ohne den fragwürdigen Rückgriff auf den Umkehrschluß des Erftverband-Urteils oder auf weitreichende verfassungsimmanente Schranken, das Verdikt einer verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände vermeiden zu können 144 . b) Folgen eines Verzichts

auf die negative Seite

Was andererseits die Folgen bei Verzicht auf eine negative Seite der Handlungsrechte angeht, so scheinen diese - nach dem im 4. Kapitel zusammengefaßten Befund des Ersten Teils der Untersuchung - gering, denn die speziellen negativen Freiheitsrechte haben in der praktischen Umsetzung durch Rechtsprechung und Literatur nur wenig Bedeutung erlangt. Ob der grundrechtliche Schutz der Unterlassensfreiheit durch die negative Seite der Handlungsrechte im Hinblick auf die Folgen verzichtbar ist, hängt vor allem aber davon ab, ob auch ohne diese negative Seite ein hinreichender Grundrechtsschutz gegenüber Betätigungszwängen gewahrt bleibt. Dieser - über die Auslegung der Handlungsrechte hinausführenden - Frage nachzugehen, wird Aufgabe der folgenden Kapitel sein.

143

BVerfGE 6, 32 (35). In diesem Sinne meint Friauf, in: FS Reinhardt, S. 389 (396 f.), nachdem er den beschränkenden Umkehrschluß des Erftverband-Uiteils (BVerfGE 10, 89 [102]) als unhaltbar verworfen hat: "Die Notwendigkeit der Konstruktion ungeschriebener, immanenter Schranken zur Bändigung eines zuvor konstruierten, ebenfalls ungeschriebenen Grundrechts der negativen Vereinigungsfreiheit, zu der die h. M. zwangsläufig hingeführt wird, erweist ihre Konzeption als unhaltbar. " 144

6. Kapitel

Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang Der Schutz der Unterlassensfreiheit der Bürger obliegt den Grundrechten jedenfalls vorrangig - gegenüber staatlichen Eingriffen. Es muß deshalb zunächst interessieren, wie die Grundrechte des Grundgesetzes diese Aufgabe erfüllen, wenn man die dogmatische Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte und damit den Schutz durch die speziellen negativen Freiheitsrechte aufgibt. Ein allgemeiner Überblick - dessen besonderes Augenmerk den mit dem Begriff der negativen Freiheitsrechte verknüpften Aspekten und Problemen und der Frage ihrer Erfassung durch die anderen grundrechtlichen Gewährleistungen gilt - soll den verbleibenden Grundrechtsschutz in seiner Reichweite und Intensität in Umrissen erkennen lassen und verdeutlichen, daß dieser grundrechtsdogmatisch stimmig und sachlich hinreichend entwickelt werden kann. Die Darstellung wendet sich dabei zunächst den ausdrücklichen Garantien der Unterlassensfreiheit (I.), sodann den übrigen speziellen Freiheitsrechten (II.) und schließlich dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG zu (III.).

I. Ausdrückliche Garantien der Unterlassensfreiheit Daß das Grundgesetz spezielle grundrechtliche und grundrechtsähnliche Garantien kennt, deren unmittelbares Schutzgut ein bestimmtes Unterlassen ist, ist bereits festgestellt worden 1. Nunmehr interessieren Zielrichtung und Reichweite des Freiheitsschutzes, den sie gewährleisten.

1. Der Schutz vor Arbeitszwang und Zwangsarbeit Der grundrechtliche Schutz vor Arbeitszwang und Zwangsarbeit in Art. 12 Abs. 2 und 3 GG hat zunächst einen weiten Anwendungsbereich insofern, als er nicht einem bestimmten, begrenzten Lebensbereich des Individuums gilt; insbesondere ist er nicht etwa allein auf den Bereich der beruflichen Betätigung bezogen. Näher als Art. 12 Abs. 1 GG stehen die Gewährleistungen des Art. 12 Abs. 2 und 3 GG vielmehr Art. 2 Abs. 1 GG, indem sie den Grund-

1

Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 4 a).

I. Ausdrückliche Garantien der Unterlassensfreiheit

167

rechtsträger in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit vor Eingriffen schützen2. Allerdings schützen sie ihn in seiner Unterlassensfreiheit nicht vor jeder hoheitlich gegen seinen Willen geforderten Tätigkeit, sondern nur vor bestimmten Inpflichtnahmen und Zwängen. An deren Definition entscheidet sich die Bedeutung von Art. 12 Abs. 2 und 3 GG für den Grundrechtsschutz. Eine tendenziell restriktive Interpretation, die Art. 12 Abs. 2 und 3 GG im freiheitlichen Staat weitgehend bedeutungslos macht, nimmt das Bundesverfassungsgericht vor. Es geht zwar von einem umfassenden Arbeitszwangsund Zwangsarbeitsverbot aus, betont aber, daß dieses Verbot in seinem Randbereich der - fallbezogenen - Grenzziehung bedürfe 3. Als Bezugspunkt dafür sieht es den entstehungsgeschichtlich hergeleiteten Zweck dieser Vorschriften, "eine Herabwürdigung der Person durch Anwendung bestimmter Methoden des Arbeitseinsatzes, wie sie in totalitär beherrschten Staaten üblich sind, sicher auszuschließenM4. Davon ausgehend nennt das Gericht - sozusagen als Regelbeispiele für die Auslegung - folgende Inpflichtnahmen, die jedenfalls erfaßt seien: "Vom Verbot uneingeschränkt erfaßt werden erzwungene Arbeiten, die in einer die Menschenwürde mißachtenden Weise unter gleichzeitigem Verstoß gegen bestimmte Grundrechte gefordert werden, etwa als Maßnahme der Arbeitsdisziplin ..., als Sanktion für die Teilnahme an Streiks ... oder als Maßnahme rassischer, sozialer, nationaler oder religiöser Diskriminierung ... Das Verbot erfaßt ebenfalls uneingeschränkt eine Verpflichtung zur Arbeit, die 'ungerecht' oder 'bedrückend' ist oder deren Durchführung 'eine vermeidbare Härte' darstellt, mit anderen Worten 'unnötig beschwerlich' oder 'in gewisser Weise schikanös' ist ... Der grundrechtliche Schutz richtet sich aber auc^ gegen Zwangs- oder Pflichtarbeit als Methode der Rekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung ... " 5 . Die hierin angelegte Reduktion des Schutzbereichs auf die Abwehr besonders gravierender, durch bestimmte Motive und Modalitäten qualifizierter Formen der Inanspruchnahme der Arbeitskraft leuchtet wohl ein für das Verbot der Zwangsarbeit in Art. 12 Abs. 3 GG 6 . Aus den vom Bundesverfassungsgericht angeführten entstehungsgeschichtlichen Belegen wird deutlich, daß gerade das Zwangsarbeitsverbot sich gegen solche totalitären Praktiken 2 3 4

Gusy, JuS 1989, 710 (711); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 957. BVerfGE 74, 102 (119). BVerfGE 74, 102 (118); vgl. bereits BVerfGE 22, 380 (383), sowie BVerfGE 83, 119

(126). 5

BVerfGE 74, 102 (121 f.). So auch Zöbeley, in: FS Faller, S. 345 (350 f.); weitergehend Gusy, JuS 1989, 710 (714), der Zwangsarbeit als "jede einseitige Heranziehung eines Menschen zu einer selbständigen Arbeit zu anderen als staatlichen Zwecken" definiert. 6

168

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang

wenden sollte7. Dieser Regelungszweck gibt der Gewährleistung im freiheitlichen Staat, in dem eine so gravierende Inanspruchnahme der Arbeitskraft nur im Rahmen gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehungen in Betracht kommt, wo Zwangsarbeit durch Art. 12 Abs. 3 GG ausdrücklich zugelassen wird, nur eine geringe praktische Bedeutung8. So hat das Bundesverfassungsgericht aufgrund dieser entstehungsgeschichtlichen Überlegungen auch die Verpflichtung zu Arbeitsleistungen aufgrund einer jugendrichterlichen Weisung bzw. einer strafrichterlichen Bewährungsauflage nicht als verbotene Zwangsarbeit angesehen9. Für Art. 12 Abs. 2 GG aber ist eine solche restriktive Interpretation nicht nachzuvollziehen. Ihr steht zwingend entgegen, daß der Verfassungsgeber es fur nötig ansah, die herkömmlichen allgemeinen, fur alle gleichen öffentlichen Dienstpflichten, unter denen er sich namentlich die gemeindlichen Handund Spanndienste, den Deich- und Feuerwehrdienst vorstellte 10, als ausdrückliche Ausnahme vom Arbeitszwangsverbot zuzulassen. Schon diese Ausnahmen deuten an, daß Art. 12 Abs. 2 GG auch im nichttotalitären, freiheitlichen Staat eine gewisse Bedeutung zukommen kann, die darin liegt, den Zugriff des Staates auf die Arbeitskraft der Menschen zur Erledigung bestimmter staatlicher Aufgaben zu begrenzen. Im einzelnen ist dabei manches unklar und umstritten: ob nur - wofür einiges spricht - höchstpersönliche Arbeitspflichten 11 oder auch Pflichten zu vertretbarer Arbeit 12 erfaßt sind, ob danach das Grundrecht auch auf juristische Personen anwendbar ist 1 3 , ob die Verpflichtung zur Übernahme eines Ehrenamtes - wie herkömmlich angenommen wird - schon tatbestandlich vom Arbeitszwang zu unterscheiden14 oder nur im Rahmen herkömmlicher, allgemeiner Dienstpflichten zulässig

7

Vgl. BVerfGE 74, 102 (116 ff.). Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 962. 9 BVerfGE 74, 102 (122 ff.); 83, 119 (126 ff.), mit dem ergänzenden entstehungsgeschichtlichen Hinweis darauf, daß das Strafrecht bereits zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes Arbeit zur Vermeidung der Haftstrafe vorsah. Im Ergebnis zustimmend Gusy, a.a.O., S. 715 f., der den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 3 GG hier berührt sieht, den Eingriff jedoch durch eine - problematische - Erweiterung des Vorbehalts rechtfertigt, wonach die Auferlegung von Zwangsarbeit auch außerhalb einer gerichtlich angeordneten Freiheitserziehung als milderes Mittel erlaubt sein soll, wenn auch die Anordnung der Freiheitsentziehung zulässig wäre; ähnlich Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 147 RN 95 FN 378. 10 Vgl. BVerfGE 22, 380 (383). 11 BVerwGE 22, 26 (29); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 RN 483. 12 Gusy, a.a.O., S. 712. 13 Ablehnend dazu Ipsen, in: FS Kaufmann, S. 141 (157 f.); a. A. hingegen Bachof, in: Die Grundrechte m/1, S. 155 (258); Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 12 RN 77. 14 BayVGHE 7, 77 (80); Götz, in: WDStRL 41 (1983), S. 7 (27); Merten, in: FS Stingi, S. 285 (291); Scholz, a.a.O., Ait. 12 RN 481. 8

I. Ausdrückliche Garantien der Unterlassensfreiheit

169

ist 1 5 . Im Ergebnis besteht Einigkeit, daß eine Vielzahl von Inpflichtnahmen durch Art. 12 Abs. 2 GG nicht ausgeschlossen ist: Nicht erfaßt sind unselbständige, etwa mit einer Berufstätigkeit oder der Eigentümerstellung verknüpfte Pflichten 16 , Handlungspflichten des Bürgers wie die ordnungsbehördliche Meldepflicht, die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen oder zur Aussage vor Gericht 17 . Ein mögliches, unterschiedlich beurteiltes Anwendungsbeispiel des Arbeitszwangsverbots ist die Heranziehung von Bürgern als Volkszähler, deren Rechtfertigung damit, daß die Zählertätigkeit ein Ehrenamt und keine Dienstleistung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 GG sei 1 8 , mit guten Gründen angezweifelt worden ist 1 9 .

2. Gewährleistungen der Unterlassensfreiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich Die übrigen speziellen Gewährleistungen von Unterlassensfreiheit in Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3 GG und Art. 140 GG i. V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV sind Garantien im religiös-weltanschaulichen Bereich. Wie schon im Ersten Teil der Untersuchung die vergleichsweise große praktische Bedeutung des Grundrechts auf negative Religionsfreiheit bestätigt hat, besteht gerade in diesem Bereich ein besonderer Bedarf an grundrechtlichem Schutz vor staatlichen Zwängen und Störungen. Es fragt sich, inwieweit die genannten besonderen Garantien diesen Schutz bieten können, wenn man auf die Annahme einer aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG abgeleiteten, umfassenden (positiven und negativen) Religionsfreiheit verzichtet. a) Materielle Reichweite Hinter dem, was diese Annahme an Grundrechtsschutz verspricht, bleiben diese einzelnen Garantien in ihrer materiellen Reichweite zwar notwendigerweise zurück, weil sie deren tatbestandliche Konturenlosigkeit vermeiden. In ihrer tatbestandlich begrenzten Fassung aber wehren sie, die einzelnen Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in verschiedener Hinsicht flankierend, die zentralen Gefährdungen individueller Unterlassensfreiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich ab.

15

Gusy, a.a.O., S. 713. Breuer, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 147 RN 89 f.; Gusy, a.a.O., S. 712; Scholz, a.a.O., Art. 12 RN 478, 491; vgl. BVerfGE 22, 380 (383); 30, 292 (310 f.); 47, 285 (319). 17 Gubelt, a.a.O., Art. 12 RN 79; Gusy, a.a.O., S. 713; Scholz, a.a.O., Art. 12 RN 481. 18 VGH München, NJW 1987, 2538 (2539); Götz, a.a.O. 19 Günther, DVB1. 1988, 429 (430). 16

170

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang

aa) Der Schutz vor dem Zwang zur Offenbarung des religiösen Standpunkts Sozusagen als eine vorgelagerte Sicherung der Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 GG schützt Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV vor dem Zwang zur Offenbarung des religiösen Standpunkts: Dem Staat ist nicht nur eine Nachteilszufügung wegen des Bekenntnisses bzw. eine Differenzierung nach Glaube und religiöser Anschauung untersagt; er soll sich grundsatzlich erst gar nicht Kenntnis vom religiösen Standpunkt seiner Bürger verschaffen können. Art. 136 Abs. 3 WRV garantiert dem Bürger deshalb, daß er seine (innere) religiöse Überzeugung gar nicht und seine (äußere) Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nur dann offenbaren muß, wenn entweder für ihn selbst bestimmte Rechte und Pflichten davon abhängen oder eine statistische Erhebung durchgeführt wird. Diese begrenzten Ausnahmen vom Recht zum Verschweigen des eigenen religiösen Standpunkts werden auch von der herrschenden Auffassung, die die sogenannte negative Bekenntnisfreiheit als Teil der negativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ansieht, akzeptiert, indem sie die Schranke des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überträgt 20. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV bildet somit eine sachlich allgemein als zureichend und erschöpfend angesehene Regelung der sogenannten negativen Bekenntnisfreiheit. bb) Der Schutz vor dem Zwang zur Teilnahme an kultischen oder sonstigen religiös geprägten Handlungen Die anderen Vorschriften sind sich darin verbunden, daß sie vor dem Zwang zur Teilnahme an kultischen oder sonstigen religiös geprägten Handlungen oder Veranstaltungen schützen. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV gewährt - neben der Freistellung von der Benutzung religiöser Eidesformeln - ganz allgemein die sogenannte negative Kultusfreiheit. Die übrigen Vorschriften ergänzen dies durch besondere Schutzbestimmungen für sogenannte Sonderstatusverhältnisse: Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV verbietet jeden Zwang bei der Vornahme religiöser Handlungen durch Religionsgesellschaften in öffentlichen Anstalten, Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3 GG verbürgt Lehrern und Schülern (durch das Entscheidungsrecht ihrer Erziehungsberechtigten) die Freiheit von der Beteiligung am Religionsunterricht in der Schule. Diese Vorschriften zeichnet aus, daß sie ihren Schutzbereich unter Verzicht auf innere, allein unter Bezug auf äußere tatbestandliche Merkmale be20

Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitt IV 2 a), bei und in F N 108.

I. Ausdrückliche Garantien der Unterlassensfreiheit

171

stimmen. Die fraglichen Handlungen und Veranstaltungen sind solche objektiv religiösen Charakters. Auch im Hinblick auf den geschützten einzelnen geht es nicht um innere Anteilnahme, sondern um die nach äußeren Merkmalen bestimmte Teilnahme; Podlech definiert sie in diesem Sinn als "diejenige räumlich-zeitliche Anwesenheit, die infolge der Ausgestaltung der betreffenden Situation die Unterscheidung nicht ermöglicht, ob eine innere Teilnahme vorliegt oder nicht ... " 2 1 . Das Recht zur Nichtteilnahme ist ohne weitere Voraussetzung gewährleistet. So hat der Verfassungsgeber im Hinblick auf die genannten Handlungen schon die bloß potentielle Beeinträchtigung der Bürger in ihrer eigenen religiös-weltanschaulichen Überzeugung für die Gewährung von Grundrechtsschutz genügen lassen. Gerade in diesem Punkt reichen diese Vorschriften in der Abwehr hoheitlichen Zwangs zu religiöser Betätigung weiter als die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG, die von solchem Zwang nur dispensieren können, wenn eine Beeinträchtigung individueller Glaubens- bzw. Gewissenspositionen dargetan werden kann. Sie enthalten insofern auch eine Erweiterung, jedenfalls aber eine Verdeutlichung des Freiheitsschutzes gegenüber dem einheitlichen und umfassenden Grundrecht der Religionsfreiheit, wie die herrschende Meinung es dem Art. 4 Abs. 1 und 2 GG entnimmt; auch das so verstandene Grundrecht hat, nachdem seine Reichweite auf das gesamte äußere Verhalten erstreckt wird, seinen letzten tatbestandlichen Bezugspunkt in den religiös-weltanschaulichen Überzeugungen des einzelnen Grundrechtsträgers, die es vor Beeinträchtigungen schützen will. Die genannten besonderen Regelungen negativer Freiheit im religiösen Bereich stellen demgegenüber zum einen klar, daß schon der Zwang zu bloß äußerer Teilnahme eine Beeinträchtigung von Freiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich darstellt und deshalb der denkbare Einwand nicht verfangen kann, der einzelne sei nicht zu einer individuellen Bekenntnishandlung gezwungen, nicht als Person in seinen religiösen Überzeugungen gefordert 22. Schon für die ausdrückliche Regelung der negativen Kultusfreiheit in § 148 der Paulskirchenverfassung hat man die Rechtfertigung darin gesehen, daß man Anordnungen wie dem bayerischen Kniebeugungserlaß von 1838 und "ganz allgemein allen Anordnungen vorbeugen wollte, durch welche etwa der Staat die Teilnahme an einer religiösen Feier-

21 Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 107. 22 Daß es nicht um die Frage geht, ob der einzelne zum Beten gezwungen wird, sondern um den Zwang zur äußeren Teilnahme an einer religiösen Übung, ist etwa bei der Prüfung des militärischen Zeremoniells des Großen Zapfenstreichs, in dem unter anderem der Befehl "Helm ab zum Gebet" erteilt wird und anschließend religiöse Lieder erklingen, an Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV zu beachten; vgl. dazu einerseits - kritisch - Kiskalt, NJW 1986, 2479, andererseits von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 99 FN 326; R. Wolf NJW 1987, 36.

172

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

lichkeit mit Berufung darauf verlangen könnte, daß es sich dabei nicht sowohl um die Offenbarung religiöser Überzeugung als vielmehr um die Erfüllung einer bürgerlichen Pflicht handele"23. Zum anderen und vor allem stellen diese Vorschriften klar, daß die Freiheit zur Nichtteilnahme unabhängig von der Geltendmachung entgegenstehender Glaubens- oder Gewissenspositionen oder einer Beeinträchtigung der eigenen religiös-weltanschaulichen Überzeugung besteht. Der Bürger kann sich der Teilnahme an diesen Handlungen und Veranstaltungen aus beliebigen Motiven, auch aus schlichter Faulheit oder Unlust, entziehen; liegen seiner Entscheidung religiös-weltanschauliche Motive zugrunde, wird ihm deren Offenlegung nicht zugemutet. Die Gewährleistungen aus Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4, Art. 141 WRV haben allerdings eine scharfe tatbestandliche Begrenzung insofern, als sie nur vor dem Zwang zu bestimmten Handlungen bzw. zur Teilnahme daran schützen. Darin unterscheiden sie sich von der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG abgeleiteten negativen Religionsfreiheit, die nicht nur vor Zwang zu diesen bestimmten Handlungen, sondern auch vor sonstigen Betätigungszwängen und vor anderen Störungen im religiös-weltanschaulichen Bereich schützen will und damit schließlich - wie insbesondere das Beispiel der Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 24 zeigt - auch schon die bloße Konfrontation mit religiös-weltanschaulichen Fakten erfaßt 25 . Gegenüber diesen hoheitlichen Maßnahmen versagen die genannten Vorschriften den Schutz; zu ihrer Abwehr bleibt, wenn sie im Einzelfall individuelle Gewissenspositionen verletzen, der Rückgriff auf Art. 4 Abs. 1 GG oder schließlich der auf Art. 2 Abs. 1 GG, sofern sie überhaupt die individuelle Freiheit grundrechtserheblich beeinträchtigen und nicht bloß subjektive Empfindlichkeiten berühren. b) Das formelle Problem der fehlenden Grundrechtsqualität Auch im Vergleich zu der heute aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hergeleiteten, weitgefaßten negativen Religionsfreiheit liegt das entscheidende Defizit des Schutzes der Unterlassensfreiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich durch diese besonderen Garantien nicht in der mangelnden materiellen Reichweite, sondern in dem formellen Problem der fehlenden Grundrechtsqualität von Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV. Diese ausdrücklichen Gewährleistungen negativer Bekenntnis- und Kultusfreiheit sind ein -

23 Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit nach seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen Geltung in Deutschland, S. 185. 24 BVerfGE 35,366. 2

V g l . oben 2. Kapitel, Abschnitt

2 a)

.

I. Ausdrückliche Garantien der Unterlassensfreiheit

173

nur durch die Entstehungsgeschichte von Art. 4 und Art. 140 G G 2 6 erklärliches - verfassungsrechtliches Kuriosum: Sie verleihen dem Bürger von Verfassungs wegen bestimmte subjektive Rechte und sind in der Sache Verbürgungen grundrechtlichen Charakters; sie sind aber, weil sie nicht in den Katalog der Art. 1 bis 19 GG aufgenommen worden sind, keine Grundrechte im formellen Sinn und werden diesen auch nicht, wie die anderen materiellgrundrechtlichen Verbürgungen aus Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103, Art. 104 GG, durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG verfassungsprozessual gleichgestellt. Aus dieser Vorschrift und aus § 90 Abs. 1 BVerfGG ergibt sich die zentrale Folge, daß die Rechte aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können 27 . Zur Lösung dieses Problems ist die ausdehnende, die Gewährleistungen aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV inhaltlich in sich aufnehmende Interpretation des Art. 4 Abs. 1 und 2 G G 2 8 ein ungeeigneter Versuch. Sie verleiht der negativen Bekenntnis- und Kultusfreiheit zwar die zunächst fehlende Grundrechtsqualität und behebt so das formelle Problem, aber um den Preis der gravierenden materiellen Folgeprobleme, die die inhaltliche Umgestaltung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu einem einheitlichen und umfassenden Grundrecht auf Religionsfreiheit aufwirft 29 ; in vorliegendem Zusammenhang nötigt sie etwa zu der - im Falle des Art. 136 Abs. 1 WRV vom Bundesverfassungsgericht abgelehnten30 - Übertragung der Schranke des Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Das Grundrechtssystem des Grundgesetzes weist einen anderen Weg zur Lösung dieses Problems, nämlich den des Rückgriffs auf das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 G G 3 1 . Die Subsidiarität des Grundrechts steht dem nicht entgegen. Sie gilt nur im Verhältnis zu speziellen grundrechtlichen Frei-

26

Vgl. dazu von Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), S. 73 ff., 899 ff., sowie die Darstellung bei Hollerbach, in: Handbuch des Staatskirchenrechts I, S. 215 (218 ff.). 27 Vgl. BVerfGE 19, 129 (135); von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 136 RN 92. Mit Blick auf Art. 137 Abs. 3 WRV kritisch dazu Hollerbach, AöR 92 (1967), 99 (125); ders., in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 138 RN 145. 28 Vgl. dazu zuletzt BVerfGE 83, 341 (354 f.), wo das Gericht die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV ausdrücklich gewährleistete religiöse Vereinigungsfreiheit als von der umfassenden Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mitumfaßt angesehen hat. 29 Vgl. dazu bereits oben 4. Kapitel, Abschnitt Π 2, bei und in FN 19 ff. 30 Vgl. BVerfGE 33, 23 (31). 31

Vgl. dazu auch Hollerbach, a.a.O., § 138 R N 146.

174

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

heitsverbürgungen 32. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV aber enthalten keine Grundrechte, sind diesen auch nicht verfassungsrechtlich gleichgestellt. Daß ihnen, obgleich sie subjektive Rechte des Bürgers enthalten, diese Grundrechtsqualität fehlt, ist auch nicht etwa eine bewußte Entscheidung des Verfassungsgebers, die zu respektieren wäre und durch Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG nicht umgangen werden dürfte. Die Verschiebung der fraglichen Absätze aus dem Grundrecht des heutigen Art. 4 GG in die Vorschrift des Art. 140 GG im Laufe der Beratungen zum Grundgesetz verfolgte keineswegs diesen Zweck; sie beruhte nicht auf inhaltlichen Erwägungen zur grundrechtlichen Sicherung individueller Religionsfreiheit und insbesondere ihrer negativen Aspekte, sondern war eine redaktionelle Folge der Tatsache, daß der Streit um das Verhältnis von Staat und Kirche schließlich in der Inkorporation der Weimarer Kirchenrechtsartikel einschließlich des Art. 136 WRV endete33. Der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG bietet sich geradezu an, weil der dadurch bewirkte Grundrechtsschutz inhaltlich genau so weit reicht, wie der Schutz aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV, aber auch nicht weiter als dieser: einerseits genügt Zwang im Sinne dieser Vorschriften tatbestandlich immer den Kriterien eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit; andererseits sind mit Art. 2 Abs. 1 GG aufgrund des Vorbehalts der verfassungsmäßigen Ordnung - alle Eingriffe, die vor der verfassungsmäßigen Rechtsordnung im übrigen rechtmäßig sind, vereinbar. Art. 2 Abs. 1 GG leistet nicht mehr und nicht weniger, als das Problem der fehlenden Grundrechtsqualität zu beheben und die Verfassungsbeschwerdemöglichkeit zu eröffnen.

II. Die sonstigen speziellen Freiheitsrechte Auch die speziellen Freiheitsrechte, die nicht ein bestimmtes Unterlassen, sondern andere Rechtsgüter, auch ein bestimmtes Tun zum eigentlichen und unmittelbaren Schutzgut haben, gewährleisten dem Bürger eine Freiheit, von der er in seinem Verhalten, in einzelnen Handlungen und Unterlassungen, Gebrauch macht. So können auch diese Freiheitsrechte durch einzelne Handlungsverbote und auch -geböte tangiert sein. Wieweit dieser Grundrechtsschutz gegenüber hoheitlichen Betätigungszwängen reicht, ist eine Frage der Auslegung der einzelnen Freiheitsrechte und ihrer Anwendung auf einzelne Sachverhalte, der in diesem Rahmen nicht allgemein nachgegangen werden kann.

32 33

Vgl. etwa BVerfGE 6, 32 (37); 23, 50 (55 f.); 67, 157 (171). Vgl. von Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), S. 78 f., 907.

Π. Die sonstigen speziellen Freiheitsrechte

175

Besonders einzugehen aber ist auf zwei Aspekte, die in der Begründung für die Annahme der Figur der negativen Seite eine Rolle spielen: Zum einen wird - auf die äußere Sphäre des freien Verhaltens bezogen - darauf hingewiesen, der Zwang zu einem bestimmten Tun könne die Freiheit zu eigener anderweitiger Betätigung im jeweiligen Lebensbereich faktisch gefährden 34; zum anderen wird - auf die innere Sphäre der Persönlichkeit bezogen - der Schutz vor Betätigungszwängen fur nötig erachtet, um dem Bürger ein mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmendes, in sich konsistentes Verhalten in den einzelnen Lebensbereichen zu ermöglichen 35. Auch ohne Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte sind diese beiden Aspekte in den speziellen Freiheitsrechten des Grundgesetzes - in bestimmter Weise und bestimmtem, gegenüber der Figur der negativen Seite freilich begrenztem Umfang - aufgehoben.

1. Die Handlungsrechte und der Zwang zum Handeln Was zunächst die Sphäre des äußeren Verhaltens betrifft, so kann der hoheitliche Betätigungszwang als Eingriff in das (positive) Handlungsrecht anzusehen sein. Dieses gibt dem Bürger das Recht, sich im jeweiligen Lebensbereich zu betätigen, und schützt ihn hinsichtlich des "Wie" der Ausübung dieser Tätigkeit; es umschließt damit das Recht, unter den verschiedenen in Betracht kommenden Handlungsalternativen auszuwählen (sogenannte Auswahlfreiheit), die einmal gewählte Alternative weiterzuverfolgen (sogenannte Bleibefreiheit) oder auch - sei es unter Aufgabe der bisherigen, sei es hinzutretend - eine neue Alternative zu wählen (sogenannte Wechselfreiheit) 36. In dieses Freiheitsrecht wird nicht nur eingegriffen, wenn dem Bürger eine bestimmte Betätigung explizit untersagt wird; sie kann auch schon durch den Zwang zu einer Tätigkeit in diesem Lebensbereich beeinträchtigt sein, wenn die erzwungene Tätigkeit den Bürger an einer von ihm gewünschten Betätigung in eben diesem Lebensbereich hindert. Das Bedenken, durch staatliche Betätigungszwänge könne die Möglichkeit eigener, freier Betätigung beeinträchtigt werden, hat in der Figur der negativen Seite seinen Niederschlag gefunden. Diese Figur freilich vermittelt gegenüber der angenommenen faktischen Freiheitsgefährdung einen überschiessenden Gehalt an Freiheitsschutz, denn sie bewirkt eine vom konkreten Nachweis einer Gefahrdung der Handlungsfreiheit losgelöste, generelle Erweiterung des Schutzbereichs um den Schutz der Unterlassensfreiheit. Der 34 35 36

Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) bb). Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) cc), insbes. bei und in FN 155 ff. Vgl. dazu, in Abgrenzung zur negativen Seite, bereits oben 2. Kapitel, Abschnitt I 2.

176

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

grundrechtliche Schutz durch die positive Seite der Freiheitsrechte ist hingegen enger begrenzt; er kann nur soweit reichen, wie die faktische Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit des einzelnen Grundrechtsträgers festgestellt werden kann, und setzt eben diesen konkreten Nachweis voraus. Auf die Frage, wieweit der Schutz der Handlungsrechte gegen hoheitlichen Zwang zur Vornahme der in ihnen umschriebenen Tätigkeit reicht und inwieweit er die Annahme einer negativen Seite zu ersetzen vermag, kann es nur wenige generelle Antworten geben. Eine klare Unterscheidung kann getroffen werden zwischen dem - allein die Frage des "Ob" betreffenden - Zwang, überhaupt (irgend-)eine Betätigung der im Handlungsrecht umschriebenen Art aufzunehmen, und dem - das "Ob" und das "Wie" reglementierenden - Zwang zu einer bestimmten Tätigkeit. Letzterer kann einen Eingriff in die Handlungsfreiheit bedeuten, weil der Zwang zu einer bestimmten Tätigkeit die Aufnahme oder Fortsetzung einer anderweitigen Betätigung in demselben Lebensbereich hindern kann. Inwieweit das der Fall ist, hängt nicht zuletzt von der Eigenart der verschiedenen Lebensbereiche ab, nämlich davon, inwieweit der Bürger mehrere solche Tätigkeiten nebeneinander ausüben kann. Insbesondere im Schutzbereich von Art. 11 GG wird ein Eingriff vorliegen, wenn dem Bürger, der bereits einen bestimmten Wohnsitz oder Aufenthalt im Bundesgebiet hat oder nehmen will, ein bestimmter Aufenthaltsort aufgezwungen wird; für ihn fällt die - mitunter als negative Freiheit angesehene - Freiheit, nicht ziehen zu müssen, mit dem aus der positiven Seite des Freiheitsrechts folgenden Bleiberecht in der Sache zusammen37. Auch der Zwang zu einem bestimmten Beruf wird, da man in der Regel nur einen Beruf ausüben kann, die positive Berufswahlfreiheit eines berufstätigen oder einen anderen Beruf anstrebenden Bürgers beeinträchtigen 3 8 ; so bestätigt sich die Erkenntnis schon des historischen Rückblicks, daß das Grundrecht auf Berufsfreiheit als (positives) Handlungsrecht sich auch und gerade gegen staatlichen Zwang wenden kann 39 . Im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 1 und 3 GG stellt sich dieses Problem kaum in bezug auf die Freiheit des einzelnen Zwangsmitglieds eines öffentlich-rechtlichen Verbandes, einer anderen Vereinigimg oder Koalition beizutreten, da diese Freiheit, wo sie nicht ausdrücklich beschränkt wird, nicht beeinträchtigt sein wird 4 0 . Fragen läßt sich allerdings, ob das Bestehen öffentlich-rechtlicher Zwangs37

Vgl. dazu bereits oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 b), bei und in FN 60, 61, und 2. Kapitel, Abschnitt I 2, bei und in FN 13. 38 Vgl. Merten, in: FS Stingi, S. 285 (286): "Für Art. 12 Abs. 1 trifft in besonderem Maße das Argument zu, daß von der positiven Auswahlfreiheit nur Gebrauch machen kann, wer nicht gleichzeitig zu einer anderen Entscheidung gezwungen wird." 39 Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 2 a). 0

Vgl.

a

b i t

,

8.

Π. Die sonstigen speziellen Freiheitsrechte

177

verbände die Gründung bzw. den Fortbestand privater Vereinigungen mit ähnlicher Zielsetzung hindert, etwa im Verhältnis von öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerkammern und Gewerkschaften, Handwerksinnungen und Arbeitgebervereinigungen, berufsständischen Kammern und privaten Berufsverbänden, verfaßter Studentenschaft und studentischen Vereinigungen. Manche Autoren haben hier ganz erhebliche Gefahrdungen und Beeinträchtigungen gesehen41. Die Gerichte und andere Literaturstimmen erkennen zwar gewisse Auswirkungen auf die Bereitschaft der einzelnen, sich neben ihrer Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden noch einem privaten Verband anzuschließen, an, bewerten diese aber, auch unter Hinweis auf das bestehende Nebeneinander solcher öffentlich- und privatrechtlichen Verbände, mit Recht zurückhaltender 42. So kann dieses Problem allenfalls im Rahmen eines Art. 9 Abs. 1 und 3 GG entnommenen objektiv-rechtlichen Prinzips freier Verbandsbildung diskutiert werden 43 ; ein Eingriff in das subjektive Abwehrrecht aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG aber wird kaum jemals vorliegen können. Das gilt erst recht für die übrigen Handlungsrechte aus Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8 GG; in aller Regel wird der Zwang zur Vornahme einer kultischen Handlung, zur Äußerung einer Meinung oder zur Teilnahme an einer Versammlung es dem Bürger nicht unmöglich machen, selbst kultische Handlungen vorzunehmen, auch seine eigene Meinung zu äussern oder an anderen Versammlungen teilzunehmen. In besonderen Konstellationen ist freilich auch das denkbar: Der Zwang zur Teilnahme an einer staatlichen Veranstaltung zum 1. Mai etwa kann die Teilnahme an einer gleichzeitig stattfindenden Gewerkschaftskundgebung verhindern und so in die (positive) Versammlungsfreiheit dessen, der daran teilnehmen will, eingreifen. Prinzipiell ausgeschlossen ist der Schutz der positiven Seite der Handlungsrechte schließlich gegenüber dem - nur das "Ob" der Betätigimg betreffenden - Zwang, sich überhaupt in dem von ihnen erfaßten Lebensbereich zu betätigen, also etwa gegenüber dem Zwang, irgendeinen Beruf zu ergreifen oder irgendwo im Bundesgebiet Wohnsitz bzw. Aufenthalt zu nehmen. Wer den Schutz des (positiven) Handlungsrechts genießt, kommt mit einem solchen Gebot nicht in Konflikt, weil er die aufgegebene Handlung bereits ausübt oder jedenfalls ausüben will. Wer sich aber im fraglichen Lebensbereich überhaupt

41 Vgl. etwa Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 222 f.; von Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (83 f.); Quidde, DÖV 1958, 521 (522 f.); Rode, DÖV 1976, 841 (846). 42 BVerfGE 20, 312 (322); BVerwGE 59, 231 (237); Brohm, Stnikturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 278 f.; Fröhler/Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, S. 20 f.; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29 FN 19). 43

Vgl. BVerfGE 38, 281 (303 f.).

12 Hellennann

178

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

nicht betätigen will, also ζ. B. keinen Beruf ausüben bzw. sich nicht im Bundesgebiet aufhalten will, kann sich auf die positive Seite der jeweiligen Handlungsrechte von vornherein nicht berufen.

2. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit Wo dem Bürger eine eigene durch eine hoheitlich erzwungene Betätigung nicht faktisch unmöglich gemacht wird, kann es ihm doch unzumutbar erscheinen, in einem bestimmten Lebensbereich sich in der erzwungenen Betätigung mit dem eigenen, frei gewählten Verhalten bzw. seinen Vorstellungen vom richtigen Verhalten, sei dies ein anderes Tun, sei es auch völlige Untätigkeit, in Widerspruch setzen zu müssen. Unter diesem, die innere Sphäre der Persönlichkeit berührenden Aspekt kann sich Betätigungszwang als Eingriff in die Gewissensfreiheit, die in Art. 4 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt ist, darstellen. Allerdings greift dieser grundrechtliche Schutz vor Verhaltenszwängen nur im Einzel- und im Ausnahmefall, nämlich erst da, wo der Zwang zu bestimmtem Verhalten das Gewissen eines einzelnen verletzen, d. h. die Persönlichkeit als solche in ihrer Identität mit sich selbst bedrohen würde 44 . In dieser engen Begrenztheit des Grundrechtsschutzes, der dem einzelnen Bürger gegenüber einem bestimmten von ihm geforderten Verhalten gewährt wird, unterscheidet sich das Grundrecht auf Gewissensfreiheit grundlegend von dem Schutz durch die speziellen negativen Freiheitsrechte, die dem Bürger die Freiheit von Betätigungszwängen verbürgen wollen, ohne daß er Gewissensgründe oder auch nur weniger tiefgreifende persönliche Vorbehalte gegen die geforderte Tätigkeit haben und vorbringen müßte; mit dem Schutz der Unterlassensfreiheit wollen sie schon der bloßen Möglichkeit des Bestehens persönlicher Vorbehalte und der Belastung durch die Offenbarung solcher Vorbehalte und abweichenden Vorstellungen Rechnung tragen. Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit bleibt auch hinter der sogenannten negativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zurück, die das Recht umfassen soll, das gesamte Verhalten an den inneren, glaubensmäßigen bzw. weltanschaulichen Überzeugungen auszurichten und folglich auch damit unvereinbare Handlungen zu verweigern. Zum einen können religiös-weltanschauliche Überzeugungen zwar Gewissenspositionen begründen, haben aber keineswegs notwendig diese Qualität; zum anderen sol-

44 Grundlegend zur Funktion des Gewissens, die Identität der Persönlichkeit mit sich selbst zu bewahren, Luhmann, AöR 90 (1965), 257 (264 if.); vgl. weiter: Bethge, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 137 RN 11; Böckenförde, in: WDStRL 28 (1970), S. 33 (67 ff.); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 36.

Π. Die sonstigen speziellen Freiheitsrechte

179

len Handlungen unter Berufung auf das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht nur verweigert werden dürfen, wenn sie gegen zwingende Gebote der religiösweltanschaulichen Uberzeugung verstoßen, sondern schon dann, wenn ihre Unterlassung der religiös-weltanschaulichen Überzeugung entspricht und von ihr motiviert ist 4 5 . Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit bietet dem einzelnen aber umfassend und vorbehaltlos Grundrechtsschutz durch partielle Entpflichtung, wo ihn hoheitliche Anforderungen in einen für seine Persönlichkeit unerträglichen, inneren Konflikt bringen würden. Der Schutz der Gewissensfreiheit ist - darüber besteht heute Einigkeit - thematisch nicht begrenzt, kann sich auf jegliches Verhalten erstrecken 46. Ihm kommt dabei zwar nicht ausschließlich, aber doch gerade in der Abwehr von Betätigungszwängen besondere Bedeutung zu 4 7 . Der Grund dafür liegt darin, daß der einzelne angesichts bestimmter Handlungsverbote in aller Regel über (rechtmäßige) Alternativen verfügt, um den Geboten seines Gewissens zu genügen, so daß die Notwendigkeit und die Möglichkeit der Berufung auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit entfallen 4 8 . Gegenüber dem hoheitlichen Gebot zu bestimmten, mit dem Gewissen unvereinbaren Handlungen aber liegt die Verfügung über gewissenskonforme Alternativen nicht beim einzelnen, sondern beim Staat. Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit verpflichtet ihn, wo er dem Bürger solche gewissenskonformen Alternativen nicht eröffnet hat 4 9 , diesen aus der Pflicht zum gewissenswidrigen Handeln zu entlassen. Er ist dazu im übrigen hier auch eher als bei Handlungsverboten in der Lage, denn das Gemeinwesen kann sich auf zunächst rechtswidrige - gewissensgebotene Unterlassungen leichter als auf gewissensgebotene, unter Umständen aggressive Handlungen einzelner einstellen50.

45

Vgl. BVerfGE 32, 98 (106 f.); von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 21. Böckenßrde, a.a.O., S. 68. 47 Bethge, a.a.O., § 137 RN 16; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 RN 140. 48 Böckenförde, a.a.O. 49 Zur Vermeidung von Gewissenskonflikten durch das Angebot gewissenskonformer Alternativen vgl. Bethge, a.a.O., § 137 RN 35; Böckenförde, a.a.O., S. 61 f.; Herzog, a.a.O., Art. 4 RN 170; Luhmann, a.a.O., S. 273 ff.; Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 35 ff. 46

50

12·

Luhmann, a.a.O., S. 282 f.

180

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

III. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen des Grundrechtsschutzes Was sich schon - von der Annahme einer negativen Seite der Freiheitsrechte ausgehend - im Resümee zum Ersten Teil der Untersuchung gezeigt hat 5 1 , tritt nun ganz deutlich hervor: Die Aufgabe des grundrechtlichen Schutzes vor hoheitlichem Betatigungszwang obliegt im wesentlichen dem allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, das - subsidiär, soweit nicht spezielle Freiheitsrechte eingreifen - die individuelle Freiheit vor Eingriffen schützt.

1. Die Freiheit von Betätigungszwang Da das Schutzgut der hier interessierenden allgemein-grundrechtsdogmatischen Figur der negativen Seite die Unterlassensfreiheit in den verschiedenen Lebensbereichen ist, steht im Vordergrund die Frage nach der Freiheit von Betätigungszwang, die Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisten kann. a) Der tatbestandliche

Schutz der allgemeinen Unterlassensfreiheit

Es ist zunächst noch einmal festzustellen, daß der tatbestandliche Schutz der allgemeinen Unterlassensfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG umfassend geleistet wird. Diesen Schutz vermittelt bereits die sogenannte allgemeine Handlungsfreiheit, die der eine Aspekt des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist. Allerdings wird in einer Reihe von Entscheidungen und Stellungnahmen die allgemeine Handlungsfreiheit als das "aktive" Element des Art. 2 Abs. 1 GG gekennzeichnet und damit auf den Schutz des Tuns beschränkt gesehen; ihr entgegengesetzt werden dann - als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als des anderen, "passiven" Elements - die Freiheit von hoheitlicher Inanspruchnahme oder das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, welche Betätigungszwänge und sonstige Störungen der individuellen Freiheitssphäre gleichermaßen abwehren sollen 52 . Das Kriterium der "Aktivität" aber trifft den Punkt der Unterscheidung zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, wie sie in der Rechtsprechimg des Bundesverfassungsgerichts angelegt ist und dem allgemeinen Freiheitsrecht eine dogmatisch sinnvolle Struktur gibt, nicht. Das Spezi fikum der allge-

51 52

Vgl. oben 4. Kapitel, Abschnitt I 2 a). Vgl. dazu oben 2. Kapitel, Abschnitt m 2 a) bb), mit Nachweisen in FN 76, 77, 78.

181

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

meinen Handlungsfreiheit liegt vielmehr darin, daß sie den einzelnen vor hoheitlichen Eingriffen schützt, die unmittelbar seinem eigenen Verhalten gelten. Wo eine hoheitliche Maßnahme einem einzelnen die Möglichkeit nimmt, sich nach seiner eigenen freien Entscheidung zu verhalten, indem sie ihm eine bestimmte Handlung verbietet oder gebietet, ist immer die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, seine individuelle Freiheit tangiert; dies erklärt die besondere Hervorhebung der allgemeinen Handlungsfreiheit innerhalb des allgemeinen Freiheitsrechts und rechtfertigt die Annahme ihres umfassenden Schutzes. Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt also Verhalten in der aktiven und passiven Variante, Tun und Unterlassen gleichermaßen53. Der Verzicht auf die Figur der negativen Seite hat deshalb keinen völligen Verlust des Grundrechtsschutzes zur Folge. Soweit nicht nach den vorangegangenen Ausführungen in Ausnahmefallen spezielle Freiheitsrechte eingreifen und dann vorgehen, wehrt Art. 2 Abs. 1 GG hoheitlichen Zwang zur Betätigimg jeglicher Art ab. Sein Schutzbereich schließt insoweit auch alle jene einzelnen Unterlassensfreiheiten ein, die mit Hilfe der Figur der negativen Seite von den speziellen Handlungsrechten erfaßt werden sollen, also die Freiheit von Zwang zur Teilnahme an kultischen Handlungen, zur Äußerung von Meinungen und Aufnahme von Informationen, zur Teilnahme an Versammlungen, zur Bildung von bzw. zum Beitritt zu Vereinigungen und Koalitionen, zur Wohnsitz- und Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet und auch zur Wahl eines Berufs. b) Die verfassungsrechtliche

Zulässigkeit

von Eingriffen

Den Maßstab für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eingriffen in die allgemeine Unterlassensfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG bildet der Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, der alle mit der verfassungsmäßigen Rechtsordnung im übrigen vereinbaren Eingriffe zuläßt 54 . Wegen dieses schlichten Gesetzesvorbehalts erweitert die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG im Vergleich zu der spezieller negativer Freiheitsrechte einerseits die gesetzgeberischen Beschränkungsmöglichkeiten. Sie vermeidet so die Schwierigkeiten, in die die Annahme einer negativen Seite führt, weil den - auf ihre positive Seite hin gefaßten - Handlungsrechten kein oder ein bloß inhaltlich beschränkter, qualifizierter Gesetzesvorbehalt beigefugt ist 5 5 .

53

Vgl. bereits BVerfGE 6, 32 (36), sowie oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 f). Grundlegend BVerfGE 6, 32 (37 f.); vgl. zuletzt insb. BVerfGE 80, 137 (153). 55 Vgl. beispielsweise BVerfGE 6, 32 (35), sowie allgemein dazu oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 5 a). 54

182

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

Art. 2 Abs. 1 GG läßt aber andererseits nicht beliebige hoheitliche Betätigungszwänge zu; materielle verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich zwar nicht aus Art. 2 Abs. 1 GG selbst, wohl aber aus den sonstigen, nicht grundrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes. So statuiert, wie gesehen, das Grundgesetz in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV ausdrückliche Grenzen der Zulässigkeit staatlichen Betätigungszwangs im religiös-weltanschaulichen Bereich, die im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geltend gemacht werden können 56 . Im übrigen unterliegt der Staat bei der Ausübung von Betätigungszwang auf seine Bürger den auch sonst bei hoheitlichen Eingriffen geltenden Beschränkungen. Er darf dabei also zunächst keine ihm verfassungsrechtlich von vornherein versagten Zwecke verfolgen. Das begrenzt die Zulässigkeit hoheitlichen Betätigungszwangs vor allem in zwei Bereichen, nämlich in dem religiös-weltanschaulicher Betätigung und dem der politischen Willensbildung. Der Staat darf also - auch über Art. 140 GG i.V.m. mit Art. 136 Abs. 3 und 4, Art. 141 WRV hinaus - keinen Betätigungszwang auf seine Bürger ausüben, der mit dem Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates unvereinbar wäre; daraus hat etwa das Bundesverfassungsgericht in seinen früheren einschlägigen Entscheidungen die Unzulässigkeit der Kirchensteuererhebung von Nichtkirchenmitgliedern gefolgert 57. Der Staat darf weiterhin keinen Betätigungszwang auf seine Bürger ausüben, der gegen die Grundsätze des freien und offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes bzw. der politischen Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin 5 8 verstieße; daraus würde etwa die Unzulässigkeit einer Verpflichtung der Bürger zur Äußerung einer bestimmten politischen Meinung oder zum Anschluß an eine bestimmte politische Partei folgen. Soweit der Staat mit der Auferlegung von Betätigungszwang legitime Zwecke verfolgt, sind schließlich die weiteren Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten; der Betätigungszwang ist danach nur zulässig, wenn er zur Erreichung des Zwecks ein geeignetes und erforderliches Mittel ist und den Bürger nicht unzumutbar belastet. Auch darin findet hoheitlicher Betätigungszwang eine wirksame materielle Begrenzung.

2. Die Freiheit von sonstigen Eingriffen Wie sich gezeigt hat, erstrecken Rechtsprechung und Literatur zwar nicht im allgemeinen, aber doch in bestimmten Fällen den Schutz der negativen

56 57 58

Vgl. oben Abschnitt I 2 b). Vgl. BVerfGE 19, 206 (216); 19, 226 (237); 19, 242 (247); 30, 415 (421 f.). Vgl. dazu BVerfGE 20, 56 (97 ff.); 44, 125 (139 ff.).

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

183

Freiheitsrechte - über die Abwehr von Betatigungszwang und damit den eigentlichen Anwendungsbereich der allgemeinen Figur der negativen Seite hinaus - auch auf die Abwehr sonstiger Beeinträchtigungen und Störungen 59. Aus der kritischen Untersuchung der negativen Freiheitsrechte heraus besteht deshalb Anlaß zu fragen, inwieweit Art. 2 Abs. 1 GG auch die Freiheit von sonstigen Eingriffen, die nicht unmittelbar verhaltensbezogen sind, sondern bestimmte tatsächliche Zustände oder Rechtspositionen des einzelnen tangieren 6 0 , gewährleistet. Daß sein Grundrechtsschutz sich prinzipiell auch auf die Abwehr solcher Eingriffe erstrecken muß, folgt aus seiner Funktion als allgemeines Freiheitsrecht. Soll es die freie Entfaltung der Persönlichkeit umfassend garantieren, kann es sich nicht auf die - unter dem Aspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit anerkannte - Abwehr an den einzelnen gerichteter, unmittelbarer Handlungsverbote und -geböte beschränken, sondern muß es auch darüber hinaus die Bedingungen der Möglichkeit freier Bestimmung über das eigene Verhalten gewährleisten; dieser andere, dem Schutz freien Verhaltens vorgelagerte und mittelbar dienende Aspekt des allgemeinen Freiheitsrechts ist unter dem Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geläufig 61. Eben diese Sicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat auch das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil der Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG zugrunde gelegt 62 . Es stellt sich aber auch besonders dringlich die Aufgabe einer tatbestandlichen Begrenzung des allgemeinen Freiheitsrechts, wenn ein nicht unmittelbar gegen das äußere Verhalten eines einzelnen gerichtetes Staatshandeln an ihm gemessen werden soll 63 , denn eine mittelbare Beeinträchtigung der Bedingungen freier Selbstbestimmung läßt sich, wenn man diesen Begriff weit faßt, wohl für beinahe jedes Staatshandeln behaupten. In einem so weiten Verständnis würde das allgemeine Freiheitsrecht in der Tat zum allgemeinen Anspruch auf objektive Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns und zum Vehikel

59

Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitt ffl. Vgl. zu dieser Differenzierung des Schutzguts des allgemeinen Freiheitsrechts Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 311. 61 Vgl. zu diesem Verständnis des sogenannten allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Grundlage oder mittelbarer Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit: Alexy, a.a.O., S. 311 f.; Enders, in: Mellinghoff/Trute, Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 157 (176 f. mit FN 81); Jarass, NJW 1989, 857 (859); Podlech, in: AK-GG, Art. 2 Abs. 1 RN 44 ff., der Art. 2 Abs. 1 GG von der Unterscheidung zwischen Handlung und Information als den grundlegenden Kategorien individueller Selbstbestimmung aus interpretiert; Schmitt Glaeser, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 129 RN 18. 62 BVerfGE 65, 1 (42 f.). 60

Vgl.

ef

,

.

184

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

von Popularklage und Popularverfassungsbeschwerde 64. Soll dieses Bedenken entkräftet werden, darf das allgemeine Freiheitsrecht über den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus nur auf den Schutz begrenzter individueller Freiheitspositionen erstreckt werden. Wo diese Grenze des individuellen Grundrechtsschutzes verläuft und inwieweit also Art. 2 Abs. 1 GG auch solche nicht unmittelbar verhaltensbezogenen Beeinträchtigungen grundrechtlich erfaßt, ist im Rahmen dieser Untersuchung insbesondere auf zwei Problemfeldern zu überprüfen, die mit dem Begriff der negativen Freiheitsrechte verknüpft sind. a) Der Schutz vor hoheitlichen Meinungskundgaben und Einßußnahmen Zunächst ist kurz auf den grundrechtlichen Schutz des Bürgers vor der Konfrontation mit hoheitlichen Meinungskundgaben und Einflußnahmen einzugehen, wie er den negativen Freiheitsrechten entnommen worden ist. Gegenüber Äußerungen religiös-weltanschaulicher Art haben Rechtsprechung und Literatur Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einschlägig gesehen; die sogenannte negative Religionsfreiheit hat etwa Prozeßbeteiligte vor dem Anblick eines Kruzifixes im Gerichtssaal65 oder auch Schüler vor religiös geprägten Erziehungseinflüssen in der Schule66 bewahren sollen. Gegenüber anderen Äußerungen ist der Grundrechtsschutz auf die negative Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 G G 6 7 oder auf Art. 2 Abs. 1 (teils i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG gestützt worden, der als eine negative Einzelfreiheit das Recht, nicht zu hören bzw. nicht zuzuhören 68, oder ein Recht, in Ruhe gelassen zu werden 69 , gewährleisten soll. Ob der ihnen unfreiwillig ausgesetzte Bürger gegenüber solchen hoheitlichen Meinungskundgaben und Einflußnahmen grundrechtlich geschützt ist, wird differenziert zu beurteilen sein. Wo es um mehr als nur um die Konfrontation mit der hoheitlichen Äußerung von Meinungen und Anschauungen geht, erscheint ein grundrechtlicher Schutz unter zwei Aspekten möglich.

64 Zu dem Bedenken einer zu weitreichenden Ausdehnung der Verfassungsbeschwerdemöglichkeit, dort bezogen auf das Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit, vgl. zuletzt BVerfGE 80, 164 (168) - abweichende Meinung des Richters Grimm -; vgl. weiter, gegen ein Verständnis von Art. 2 Abs. 1 GG als Freiheit von allen rechtswidrig belastenden Maßnahmen gerichtet, Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 152 RN 17 ff. 65 BVerfGE 35, 366 (375 f.). 66 BVerfGE 41, 29 (49); 41, 65 (78); 41, 88 (108). 67 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt 11 b), bei und in FN 54. 68 Göttfied, NJW 1963, 1961 (1962 f.); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (74 ff.).

Vgl.

e

2,

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1

0

.

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

185

Zum einen kann ein Grundrechtseingriff vorliegen unter dem Aspekt der staatlichen Einflußnahme auf die Bildung eigener Anschauungen und Einstellungen, wobei hinsichtlich der religiösen Auffassung die Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 G G 7 0 , im übrigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 G G 7 1 einschlägig erscheint. Allerdings kann dieser Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung, die sich - im Verhältnis zu anderen Privaten - gerade im kommunikativen Austausch vollzieht, auch im Verhältnis zum Staat sich nicht gegen jegliche latente Einflußnahme richten, sondern muß begrenzt bleiben auf Fälle einer manifesten hoheitlichen Einflußnahme auf den einzelnen, wie sie insbesondere im Bereich der Schule mit dem Begriff der Indoktrination umgrenzt werden 72 . Zum anderen erscheint ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch unter dem Aspekt der Selbstdarstellung der Person in der Öffentlichkeit 73 möglich, wenn die staatliche Äußerung aufgrund der gegebenen Situation dem einzelnen Bürger als seine eigene zugerechnet wird; ein - erdachtes, aber vielleicht einigermaßen realitätsnahes Beispiel wäre die Ausstattung von Diensträumen mit Informations- oder Werbeplakaten, die bei Besuchern den Eindruck erwecken, die dort tätigen Bediensteten selbst verträten die dort mitgeteilten Meinungen. Allein die hoheitlich bewirkte, unausweichliche Konfrontation des Bürgers mit bestimmten, fremden Meinungskundgaben aber berührt, auch wenn der Bürger sich durch deren Wahrnehmung in eigenen Empfindungen und Überzeugungen gestört oder einer unerwünschten Beeinflussung ausgesetzt sieht, noch nicht seine grundrechtlich geschützte, individuelle Freiheit. Eine Interpretation von Art. 2 Abs. 1 GG, die solches Staatshandeln als Grundrechtseingriff behandeln wollte, würde den Umfang des Grundrechtsschutzes vom subjektiven Empfinden, unter Umständen von subjektiven Empfindlichkeiten der Bürger abhängig machen und damit jede objektive Begrenzung aufgeben 74. Das Vorhandensein hoheitlicher Meinungskundgaben, deren Wahrnehmung der Bürger sich nicht entziehen kann, zwingt ihn aber weder zu einer besonderen Hand-

70

Von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 19; Preuß, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 1,2RN 18. 71 Vgl. BVerfGE 47, 46 (73), bezüglich der Einflußnahme auf die Einstellung zum Geschlechtlichen; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 RN 102. 72 Vgl. BVerfGE 47, 46 (77); BVerwGE 79, 298 (301). Im Hinblick auf Art. 4 GG deutlich weitergehend Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 601, die jede staatliche Beeinflussung von Bildung und Bestand der religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sowie der moralischen Haltung bzw. sittlichen Wertkonzepte als Eingriff ansehen wollen; auch das von ihnen zitierte Beispiel der staatlichen Warnung vor einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist bislang freilich nicht unter dem Aspekt eines Eingriffs in die Grundrechte der Adressaten dieser Warnung diskutiert worden (vgl. BVerwGE 82, 76; BVerfG, NJW 1989, 3269; BVerwG, NJW 1991, 1770). 73 Vgl. dazu BVerfGE 35, 202 (220); 54, 148 (155); 63, 131 (142); 82, 236 (269). Vgl.

e n e ,

2)

,

9

.

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang

186

lung, so daß die allgemeine Handlungsfreiheit tangiert wäre, noch beeinträchtigt es eine der Voraussetzungen freier Persönlichkeitsentfaltung, wie sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützen will. Gegenüber der Annahme eines Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Freiheit des einzelnen erscheint danach eine größere Zurückhaltung geboten, als sie unter Rückgriff auf die negativen Freiheitsrechte geübt wird. Wer etwa als Beteiligter eines Gerichtsverfahrens mit einem Kruzifix im Gerichtssaal konfrontiert ist 7 5 , als Fahrgast in einem öffentlichen Verkehrsmittel der Berieselung mit Informationen oder Musik ausgesetzt ist, als Passant Informationsplakate der Bundesregierung wahrnimmt, ist durch diese erzwungene Konfrontation mit fremden, hoheitlichen Meinungskundgaben noch nicht in seinen Grundrechten beeinträchtigt. Vor dem Hintergrund einer zurückhaltenderen grundrechtlichen Beurteilung bleibt darauf hinzuweisen, daß solches Staatshandeln gleichwohl rechtlichen Schranken unterliegt und objektiv rechts- und verfassungswidrig sein kann. Staatliche Bekundungen von Meinungen und Auffassungen, staatliche Einflußnahmen auf die Meinungen und Auffassungen der Bürger können, auch wenn sie nicht in die Freiheitsrechte der einzelnen eingreifen, doch eine unzulässige Intervention des Staates in Bereiche darstellen, die allein der gesellschaftlichen Meinungsbildung vorbehalten sind. So ist mit Recht die Anbringung von Kruzifixen in Gerichtssälen als verfassungswidrig kritisiert worden, weil sie gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates verstößt; mit diesem Prinzip ist es nicht vereinbar, wenn der Staat sich in seiner Selbstdarstellung im Bereich der Rechtsprechung als einer staatlichen Hoheitsfunktion durch die Verwendung religiöser Symbole mit einer religiösen Auffassung identifiziert 76. Ebenso ist eine staatliche Informations- und Werbetätigkeit verfassungswidrig, wenn sie sich im Hinblick auf Wahlen mit bestimmten Parteien oder Wahlbewerbern identifiziert und so die für die politische Willensbildung entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätze verletzt 77.

75 Ablehnend zur Annahme eines Grundrechtseingriffs insoweit Böckenförde, a.a.O., S. 139 ff., der allerdings einen Eingriff in das Grundrecht der Gewissensfreiheit fur möglich hält; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 61; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 RN 14; Räjher, NJW 1974, 491. 76 Böckenförde, a.a.O., S. 128 ff.; vgl. auch Fischer, NJW 1974, 1185.

Vgl.

e

, 2

.

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

b) Der Grundrechtsschutz

gegenüber öffentlich-rechtlichen

187

Zwangsverbänden

Schließlich und vor allem ist in diesem Zusammenhang auf die Frage des Grundrechtsschutzes gegenüber öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden zurückzukommen. Rechtsprechung und Literatur, soweit diese nicht noch eine Intensivierung des Grundrechtsschutzes durch den Rückgriff auf die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 GG fordert, nehmen insoweit einen grundrechtlichen Schutz des Bürgers durch Art. 2 Abs. 1 GG an 7 8 . Nach der mit dem Erftverband-Urteil beginnenden ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll das allgemeine Freiheitsrecht den Bürger vor der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden schützen. Darüber hinaus soll es dem Mitglied einen allgemeinen Unterlassungsanspruch gegenüber unzulässiger Aufgabenwahrnehmung durch den Zwangsverband geben, wie die Verwaltungsgerichte zunächst in bezug auf die verfaßte Studentenschaft festgestellt und dann auf berufsständische Körperschaften übertragen haben; in der Literatur wird dieser Unterlassungsanspruch im übrigen gelegentlich auch auf die Gebietskörperschaften, insbesondere die Gemeinden erstreckt, weil zwischen beiden Typen von Zwangskörperschaften kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied bestehe79. Diese Annahme eines grundrechtlichen Schutzes gegenüber Existenz und Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände sieht sich aber auch kritischen Stimmen gegenüber. So ist zuletzt von einzelnen Autoren die Eingriffsqualität der Zwangsmitgliedschaft als solcher bestritten worden; die grundrechtlich geschützte, individuelle Freiheitssphäre werde erst durch einzelne belastende Maßnahmen des Zwangsverbandes, nicht schon durch die bloße Zwangsmitgliedschaft beeinträchtigt 80. Im Zentrum der Kritik aber steht der allgemeine Unterlassungsanspruch des Mitglieds, weil er - partiell - den Anspruch auf objektive Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns und die Popularklage einführe 81; auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinen ersten Stellungnahmen hierzu, in den beiden Entscheidungen zur Finanzierung nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche, diesen verwaltungsgerichtlich entwickelten Unterlassungsanspruch zwar prinzipiell bestätigt, aber

78

Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitt ffl 2 a) bb), bei und in FN 85 ff. Laubinger, VerwArch 74 (1983), 175 und 263 (273), der allerdings den Unterlassungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG insgesamt ablehnt (a.a.O., S. 277 ff.); Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (397); Theis, JuS 1984, 422 (430); kritisch dazu Meßerschmidt, VerwArch 81 (1990), 55 (80 ff.). 80 Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitt ffl 2 a) bb), mit Nachweisen in FN 85. 79

81

Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitt ffl 2 a) bb), mit Nachweisen in F N 92.

188

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang

fur die dort anstehende Frage doch nicht auf das Zwangsmitgliedschaftsverhältnis in gesetzlichen Krankenkassen übertragen 82. aa) Die Eingriffsqualität der Zwangsmitgliedschaft als entscheidende Frage Für das gesamte Problem des Grundrechtsschutzes gegenüber öffentlichrechtlichen Zwangsverbänden ist die Frage nach der Eingriffsqualität der Zwangsmitgliedschaft die entscheidende. Von ihrer Beantwortung hängt auch die praktisch besonders relevante und besonders kontroverse Zuerkennung des allgemeinen mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruchs ab. Nur die Annahme, daß schon die bloße Zwangsmitgliedschaft einen Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht des Bürgers bedeute, erlaubt es, dem Mitglied einen Unterlassungsanspruch gegen das Tätigwerden des Zwangsverbandes zu geben, auch wo dieses dem einzelnen Mitglied keine konkrete Belastung, wie etwa bei der Beitragserhebung, auferlegt. Andere Argumente, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden 83 , können einen solchen individuellen (Grund-)Rechtsschutz nicht, jedenfalls nicht annähernd in diesem Umfang begründen. Das gilt zum einen für das - insbesondere auf ausgabenrelevante Betätigungen gemünzte - Argument, aus der zwangsweisen, in Grundrechte eingreifenden Erhebung von Mitgliedsbeiträgen folge ein Anspruch auf rechtmäßige Verwendung der Beiträge und insoweit auf rechtmäßige Betätigung des Zwangsverbandes. Dieses Argument kann nur zutreffen, soweit zwischen der Rechtmäßigkeit der Erhebung und der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Verwendung (eines Teils) der Beiträge ein unmittelbarer Zusammenhang besteht84. Zwischen dem allgemeinen Mitgliedsbeitrag und einzelnen Betätigungen im Rahmen der gesamten Verbandstätigkeit aber besteht ein solch direkter rechtlicher Zusammenhang nicht; die Rechtswidrigkeit einer einzelnen Verbandsbetätigung und ihre Finanzierung aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen berühren die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung gegenüber dem einzelnen Mitglied nicht, so daß dieses weder ein Recht auf Beitragsverweigerung noch einen Anspruch auf Unterlassung der rechts-

82

BVerfGE 67, 26 (38); 78, 320 (329 ff.); vgl. auch BSG, MDR 1966, 541; NJW 1987,

517. 83 Die anfanglich erwogene Analogie zum privaten Vereinsrecht (vgl. BVerwGE 34, 69 [74 f.]) ist heute obsolet; vgl. dazu Laubinger, a.a.O., S. 177, 274 f.; Ress, WiVerw 1979, 157 (161 f.). 84 Dies bejaht Bachof, DÖV 1980, 607 (609), für den Fall, daß mit den Beitragsmitteln vorsätzlich und gezielt, auf lange oder gar unabsehbare Zeit hinaus außerhalb des gesetzlichen Wirkungskreises liegende Tätigkeiten finanziert werden sollen; vgl. auch OVG Münster, GewArch 1975, 30; NJW 1975, 1475.

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

189

widrigen Mittelverwendung haben kann 85 . Möglich erscheint ein Beitragsverweigerungsrecht ausnahmsweise allenfalls dann, wenn ein Zwangsverband zur Finanzierung einer einzelnen, genau bestimmten Aufgabe, deren Wahrnehmung sich als unzulässig erweist, einen Sonderbeitrag erhebt oder auch ein festgelegter Teil des Mitgliedsbeitrags fur eine unzulässige Verwendung bestimmt ist 8 6 . Ähnlich begrenzt ist die Tragweite des anderen - gerade auf die umstrittenen, meinungsrelevanten Betätigungen des Verbandes zielenden Arguments, solche Verbandstätigkeit beeinträchtige die individuelle Freiheitssphäre des einzelnen Mitglieds, weil sie diesem zugerechnet werde 87 . Rechtlich ist Zurechnungssubjekt dieser Tätigkeiten allein der Zwangsverband als juristische Person des öffentlichen Rechts, nicht aber die einzelnen Mitglieder als natürliche Personen88. Auch die faktische Zurechnung zu den einzelnen Mitgliedern ist zurückhaltend zu beurteilen. Die Äußerungen eines Verbandes mögen unter Umständen auf die darin zusammengeschlossene Bevölkerungsgruppe als Imageverlust zurückfallen, ohne damit bereits die Freiheitssphäre des einzelnen grundrechtserheblich zu tangieren. Daß sie aber einem einzelnen Mitglied als seine eigene, persönliche Meinung zugerechnet werden und ihn so in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen könnten, ist - zumindest in aller Regel - nicht anzunehmen89. Ein umfassender und allgemeiner mitgliedschaftlicher Unterlassungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG ist auf diesen beiden Wegen nicht herzuleiten. Solange man schon die Zwangsmitgliedschaft als Beeinträchtigimg grundrechtlicher Freiheit ansieht, läßt sich umgekehrt das Bestehen eines allgemeinen mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruchs bei unzulässiger Aufgabenwahrnehmung, den das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich darauf auf-

85 BVerwG, NJW 1977, 1893; BVerwGE 59, 242 (245 ff.); BVerfGE 67, 26 (37); 78, 320 (331); Fröhler/Oberndorfer y GewArch 1975, 7 (8); Kluth, DVB1. 1986, 716 (725); Ress, a.a.O., S. 164 f. 86 BVerwG, NJW 1977, 1893; BVerwGE 59, 242 (249); Fröhler/Oberndorfer, a.a.O.; Kluth, a.a.O.; Ress, a.a.O. Zu fordern ist allerdings eine entsprechende Zweckbestimmung bei der Beitragserhebung, nicht nur die Möglichkeit der (späteren) rechnerischen Zuordnung eines bestimmten Beitragsteils zu einer bestimmten Betätigung; so zu Recht Kluth, a.a.O., in der Kritik an weitergehenden Formulierungen bei Jung, JA 1984, 467 (471). 87 So in bezug auf Art. 5 Abs. 1 GG VG Sigmaringen, DVB1. 1968, 267 (270); OVG Hamburg, NJW 1977, 1251 (1252); von Mutius, VerwArch 63 (1972), 453 (455). In bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG OVG Hamburg, DVB1. 1972, 339 (340 f.). 88 Kluth, a.a.O., S. 725; Laubinger, a.a.O., S. 275 f.; Oebbecke, NVwZ 1988, 393 (396 f.); Stober/Domke, GewArch 1985, 145 (153). 89 Damkowslä, DVB1. 1978, 229 (235 ff.); Kluth, a.a.O., S. 726; Oebbecke, a.a.O., S. 397; Pietzcker, JuS 1985, 27 (28). Es erscheint auch sehr fraglich, ob eine andere Beurteilung bei Verbänden mit eng begrenztem Aufgabenbereich und homogener Mitgliedschaftsstruktur möglich ist, wie Fröhler/Oberndorfer, a.a.O., S. 8, offenlassen und Ress, a.a.O., S. 174 f., wohl annimmt.

190

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang

bauend hergeleitet hat 9 0 , auch nicht überzeugend bestreiten. Die Freiheit von Zwangsinkorporation wird gleichermaßen beeinträchtigt durch die Begründung einer Zwangsmitgliedschaft in einem Verband mit bestimmtem Aufgabenkreis wie auch durch die Erweiterung des Aufgabenkreises eines Verbandes, dessen Zwangsmitglied der Bürger bereits ist 9 1 . Daß das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG bei unzulässiger Verbandstätigkeit allenfalls einen Anspruch auf Ausscheiden aus dem Verband, nicht aber den Anspruch auf Unterlassung der rechtswidrigen Betätigung vermitteln könnte 92 , leuchtet nicht ein: Die Verletzung des allgemeinen Freiheitsrechts könnte zwar auf beiderlei Weise vermieden werden; anders als die Ermöglichung des Austritts aber läßt die Zuerkennung des Unterlassungsanspruchs die prinzipielle gesetzgeberische Entscheidung fur die Errichtung eines bestimmten Zwangsverbandes soweit wie möglich unberührt und beschränkt sich darauf, diesen auf sein rechtmäßiges Betätigungsfeld zurückzufuhren 93. Der so begründete Unterlassungsanspruch läßt sich auch nicht auf die Abwehr eigenmächtiger Aufgabenüberschreitungen durch den Verband reduzieren, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Normenkontrollentscheidung zur Finanzierung nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkasse mit der These unternommen hatte, der Anspruch richte sich nur gegen die Überschreitung des gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkreises, nicht aber gegen die Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener Aufgaben durch einen Zwangsverband 94 . Diese These entläßt den Gesetzgeber bei der Aufgabenzuweisung aus der Grundrechtsbindung und spricht ihm die Befugnis zu, durch seine Regelungen über die Reichweite des Grundrechtsschutzes zu verfugen. Für die Mitglieder eines bestehenden öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes haben aber die Verbandstätigkeit aufgrund neuer gesetzlicher Zuweisung und die Betätigung des Verbandes jenseits seiner gesetzlichen Aufgabenumschreibung die gleiche belastende Wirkung; es ist allein die Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe durch den Zwangsverband, die den Eingriff in das allge-

90

BVerwGE 34, 69 (74); 59, 231 (238). Krause, NVwZ 1985, 87 (89); Meßerschmidt, VerwArch 81 (1990), 55 (74); Pietzcker, NJW 1987, 305 (306). 92 Vgl. Ress, WiVerw 1979, 157 (171). 93 Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 78, 320 (330): "Durch die Übertragung zusätzlicher Aufgabenbereiche auf einen Zwangsverband wird die Verfassungsmäßigkeit seiner Errichtung und seines Bestandes nicht berührt, wenn es - wie hier - bei der Erfüllung der ursprünglichen, verfassungsrechtlich unbedenklichen Aufgaben verbleibt und die neuen Aufgaben den Charakter des Zwangsverbands nicht wesentlich verändern." Diese Feststellung ist mit Blick auf den Fortbestand des Zwangsverbandes und der Zwangsmitgliedschaft des einzelnen getroffen und insoweit einleuchtend, besagt aber noch nichts über einen Anspruch der Mitglieder auf Unterlassung der Wahrnehmung der neuen Aufgaben, auch wenn diese von unwesentlicher Bedeutung sind; insoweit a.A. Meßerschmidt, a.a.O., S. 76 f. 91

94

BVerfGE 67, 26 (38).

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

191

meine Freiheitsrecht ausmachen soll. Eine Frage der Rechtfertigung dieses Eingriffs ist es, ob hierfür eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage besteht. Wird der Zwangsverband jenseits seiner gesetzlich zugewiesenen Aufgaben tätig, liegt - nur das ist die Besonderheit dieser Fallgruppe - immer ein Grundrechtsverstoß vor, weil schon der Vorbehalt des Gesetzes mißachtet ist. Das Grundrecht ist aber ebenso verletzt, wenn die gesetzliche Zuweisung einer vom Verband wahrgenommenen Aufgabe sich aus formellen oder materiellen Gründen als verfassungswidrig erweist; auch das ist auf die Klage eines Mitglieds hin zu prüfen 95 . Ebensowenig überzeugend wie diese Annahme des Bundesverfassungsgerichts sind die Versuche zu einer differenzierenden, seine Reichweite zurücknehmenden Formulierung des mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruchs wegen Aufgabenüberschreitung, wie sie sich in einigen Bemerkungen der jüngeren Rechtsprechung andeuten. So hat das Bundesverwaltungsgericht von einem grundrechtlichen Schutz gegen die Tätigkeit einer Zwangskörperschaft, "soweit dadurch die Freiheitssphäre des einzelnen Mitglieds berührt wird", gesprochen96, und in einer weiteren Entscheidung das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs wegen jeglicher Aufgabenüberschreitung offengelassen, einen solchen Anspruch jedoch jedenfalls in den Fällen bejaht, in denen "die Aufgabenüberschreitung den mit der Zwangsmitgliedschaft verbundenen Eingriff in die Freiheitssphäre des Mitglieds erweitert", dieses "mitgliedschaftsmäßig stärker in Anspruch genommen" wird 9 7 . Besonders deutlich hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner späteren Verfassungsbeschwerde-Entscheidung zur Finanzierung nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche gegen eine ungeprüfte und einheitliche Übertragung des von den Verwaltungsgerichten entwickelten Unterlassungsanspruchs auf alle öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände ausgesprochen; die Annahme eines solchen Klagerechts sei naheliegend, wenn "die Tätigkeit des Verbandes über die Beitragspflicht hinaus in eigene Grundrechte des Mitglieds eingreift" 98. Diese Bemerkungen des Bundesverwaltungsgerichts wie des Bundesverfassungsgerichts bleiben in ihrer Unbestimmtheit wenig aussagekräftig und fragwürdig 99. Sie scheinen einerseits ein Abwehr-

95 Ebenfalls kritisch zur These des Bundesverfassungsgerichts Kluth, Jura 1989, 408 (413); Krause, NVwZ 1985, 87 (88); Pietzcker, NJW 1987, 305 (306); ders., JuS 1985, 27 (28 FN 14 a). 96 BVerwGE 64, 298 (301 f.). 97 BVerwG, NJW 1987, 337 (338). 98 BVerfGE 78, 320 (330 f.). 99 Kritisch zur Unbestimmtheit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kluth, DVB1. 1988, 1113 (1114); ders., Jura 1989, 408 (414). Zu den Schwierigkeiten einer Bewertung dieser Rechtsprechung vgl. Meßerschmidt, a.a.O., S. 71 f., 76; Pietzcker, NJW 1987, 305 (306), der die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache jedoch unverändert sieht.

192

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betatigungszwang

recht des Mitglieds nicht nur gegen ihn betreffende Einzeleingriffe wie Beitragserhebungen oder Disziplinarmaßnahmen annehmen zu wollen; dieses Klagerecht ist nicht nur - wie das Bundesverfassungsgericht formuliert - naheliegend, sondern folgt unmittelbar aus den konkret betroffenen Rechten und ist durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantiert. Indem sie einen darüber hinausgehenden mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruch wegen unzulässiger Aufgabenwahrnehmung nicht völlig verwerfen, erkennen sie offenbar die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Freiheit von staatlichem Organisationszwang als dessen rechtliche Grundlage prinzipiell an. Andererseits scheinen sie nicht mehr jede unzulässige Aufgabenwahrnehmung durch einen Zwangsverband zugleich als Eingriff in dieses Grundrecht mit der Folge des Unterlassungsanspruchs ansehen zu wollen, ohne aber ein taugliches Kriterium für die Differenzierung zwischen eingreifenden und nicht eingreifenden Aufgabenüberschreitungen angeben zu können. Zu denken wäre wohl am ehesten an eine Beschränkung auf erhebliche oder wesentliche, den Zwangsverband in seinem Charakter tangierende Aufgabenüberschreitungen 100. Mit Recht wird aber solchen Differenzierungen entgegengehalten, daß es im Hinblick auf den Grundrechtsschutz des Mitglieds keinen wesentlichen Unterschied macht, ob ein bereits bestehender Zwangsverband (mit großem Aufgabenkreis) eine weitere (vielleicht vergleichsweise geringfügige) Aufgabe übernimmt oder ein neuer Zwangsverband zur Erledigung dieser Aufgabe begründet w i r d 1 0 1 . Letzteres würde gewiß als Grundrechtseingriff angesehen. So bleibt es bei der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Klärung: Entweder ist allein die Zwangsmitgliedschaft noch kein Grundrechtseingriff, so daß Grundrechtsschutz gegenüber dem Verband nur bezüglich einzelner eingreifender Maßnahmen besteht, oder sie ist bereits ein Eingriff in die individuelle Freiheitssphäre mit der Folge, daß ein grundrechtlicher Unterlassungsanspruch des Mitglieds gegenüber jeder unzulässigen Aufgabenwahrnehmung durch den Zwangsverband gegeben ist.

100

In diese Richtung will Meßerschmidt, a.a.O., S. 76 f., die Entscheidungen BVerfGE 67, 29 (39); 78, 320 (330 f.), interpretieren und so mit der venvaltungsgerichtlichen Rechtsprechung harmonisieren. Als Aufgabenüberschreitung will er nur die Verletzung des Verbandszwecks, der allgemeinen Aufgabenumschreibung fur den Zwangsverband ansehen; Verstöße gegen die näheren Regelungen über die Verbandstätigkeit erscheinen als bloße Rechtswidrigkeit, die keinen mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruch auslöst. Entgegenzuhalten ist freilich, daß auch der Tätigkeitskatalog im einzelnen, ζ. B. die Regelungen über den Umfang der Leistungsgewährungen durch die Krankenkassen, die Aufgabenumschreibung des Zwangsverbandes enthalten; auch BVerfGE 67, 26 (38), geht doch davon aus, daß die "Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener Aufgaben" im Streit steht. 101

Krause, N V w Z 1985, 87 (89).

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

193

bb) Die grundrechtliche Beurteilung der Zwangsmitgliedschaft Was die somit ausschlaggebende grundrechtliche Beurteilung der Zwangsmitgliedschaft als solcher angeht, tun sich auch das Bundesverfassungsgericht und die seine Position teilende Literatur schwer darzulegen, warum - anders als die Zugehörigkeit des Bürgers zu Bund, Land und Gemeinde 102 - die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden einen Grundrechtseingriff darstellen soll. Ihre Annahme knüpft an die Tatsache an, daß die Existenz von Bund, Ländern und Gemeinden und die Zugehörigkeit der Bürger hierzu vom Grundgesetz bereits vorausgesetzt werden, während die öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände einer besonderen gesetzlichen Errichtung und Aufgabenumschreibung bedürfen 103 . Diese gesetzliche Unterwerfung unter eine besondere, autonome Verbandsgewalt soll - über die einzelnen belastenden Maßnahmen des Zwangsverbandes wie ζ. B. die Beitragserhebung, standesaufsichtliche Maßnahmen oder die Verpflichtung zu ehrenamtlicher Tätigkeit hinaus - eine Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten individuellen Freiheitssphäre darstellen. Die Freiheitsbeeinträchtigung wird freilich eher behauptet denn begründet, wenn sie auf die hoheitliche Aufsicht und Lenkung der Mitglieder und auf gewisse faktische, belastende Wirkungen gestützt w i r d 1 0 4 . So hat das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Arbeitnehmerkammern zugestanden, da es weder Pflichten zu aktiver mitgliedschaftlicher Betätigimg noch die Befugnis zu Berufsausübungsregelungen oder eine Disziplinargewalt des Verbandes gebe, sei "die dem Einzelnen aus der Zwangszugehörigkeit zur Kammer entstehende Belastung geringfügig. Sie erschöpft sich in der formalen Mitgliedschaft und der Beitragszahlung" 1 0 5 . Anders als Beitragserhebungen oder Disziplinarmaßnahmen, die jeweils einzelne Eingriffe der Zwangskörperschaft in die Grundrechte der betroffenen Mitglieder darstellen, ist allein die zwangsweise Begründung dieser formalen Mitgliedschaft in dem Zwangsverband kein Grundrechtseingriff. Das dadurch begründete Zwangsmitgliedschaftsverhältnis unterscheidet sich im Hinblick auf die Gewährleistung der grundrechtlich geschützten Freiheit des Bürgers gegenüber hoheitlichen Eingriffen nicht entscheidend vom allgemeinen StaatBürger-Verhältnis. Der besondere Status, den die Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband begründet, rückt den Bürger zwar in eine 102

Vgl. etwa Meßerschmidt, a.a.O., S. 82 f.; Pietzcker, NJW 1987, 305 (306). Meßerschmidt, a.a.O., S. 82; Pietzcker, a.a.O.; ders., JuS 1985, 27 (28). 104 Vgl. oben 2. Kapitel, Abschnitt m 2 a) bb), mit Nachweisen in FN 87 ff. 105 BVerfGE 38, 281 (310); vgl. auch BVerwGE 59, 231 (237): "Aus der Pflicht, Mitglied der verfaßten Studentenschaft zu werden, ergibt sich für den einzelnen Studenten ... keine übermäßige Belastung." 103

13 Hellermann

194

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Bettigungszwang

besondere Nähe zu einem Hoheitsträger 106. Das hat ambivalente Wirkungen: Es gewährt den Mitgliedern einerseits eine begünstigte Rechtsstellung mit besonderen Möglichkeiten zur Mitwirkung an der hoheitlichen Verbandstätigkeit, kann andererseits aber auch mit besonderen Lasten verbunden sein 1 0 7 . Diese Ambivalenz ist der Grund dafür, daß die sich aufdrängende Alternative der unmittelbaren Staatsverwaltung häufig keineswegs als die freiheitsfreundlichere, sondern eher als die freiheitsfeindlichere g i l t 1 0 8 - eine Bewertung, die sich nur schwer mit der gleichzeitigen Annahme vereinbaren läßt, die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften stelle im Gegensatz zur Unterwerfung unter die staatliche Hoheitsgewalt einen Grundrechtseingriff dar. Man mag dies verfassungspolitisch, im Hinblick auf die erstrebte Freiheitssicherung unterschiedlich beurteilen. Im Hinblick auf die grundrechtliche Freiheitsgewährleistung ist entscheidend, daß im öffentlichrechtlichen Zwangsverband ungeachtet der Verkürzung der Distanz zum Mitglied doch die - für die Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte elementare - Unterscheidung von individueller Freiheitssphäre und hoheitlichem Tätigkeitsbereich unangetastet bleibt. Einerseits berühren deshalb die bloße Existenz und allgemeine Tätigkeit des Zwangsverbandes die Mitglieder noch nicht in ihrer Rechtsstellung als Bürger. Der Zwangsverband besitzt als juristische Person des öffentlichen Rechts eigene Rechtspersönlichkeit; dieser und nicht den Mitgliedern ist die Verbandstätigkeit rechtlich zuzurechnen und wird sie auch faktisch - zumindest in aller Regel - zugerechnet; insofern besteht also allenfalls ein gradueller, kein prinzipieller Unterschied zum Verhältnis des Bürgers zu Bund, Land und (insbesondere) Gemeinde. Andererseits kann sich das Mitglied auf seine Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte berufen, wenn es von einzelnen belastenden Maßnahmen des Zwangsverbandes betroffen ist. Der Hinweis auf die mit der Zwangsmitgliedschaft verbundenen einzelnen Belastungen vermag deshalb den belastenden Charakter der Zwangsmitgliedschaft als solcher ebensowenig zu begründen, wie im Staat-Bürger-Verhältnis das Vorkommen einzelner Grundrechtseingriffe die allgemeine Unterwerfung unter die Staatsgewalt zum Grundrechtseingriff macht. Gerade umgekehrt bestätigt die Gewährung von Grundrechtsschutz gegen belastende Einzelmaßnahmen des Zwangsverbandes, daß die

106

Vgl. Kluth y DVBl. 1986, 716 (720), unter Bezugnahme auf BVerfGE 33, 125 (156 f.). Vgl. dazu BVerfGE 10, 89 (104); Hubery Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 202 ff.; Meßerschmidty a.a.O., S. 64 f. 108 Erichsen, Jura 1987, 390 (391), und Kluth, a.a.O., bezeichnen die öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaft im Vergleich zur unmittelbaren Staatsverwaltung ausdrücklich als milderes Mittel der Aufgabenerledigung; vgl. auch Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koali107

tionsfreiheit?, S. 26 (47); Hubery a.a.O.

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

195

Zwangsmitgliedschaft den grundrechtlichen Schutz der individuellen Freiheitssphäre unberührt läßt. Die Errichtung öffentlich-rechtlicher Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft und die Erledigung öffentlicher bzw. staatlicher Aufgaben durch diese ist - verfassungsrechtlich - kein grundrechtliches, sondern ein staatsorganisationsrechtliches Problem. Dabei besteht Einigkeit darüber, daß das Grundgesetz, wie es Bund, Länder und Gemeinden als Hoheitsträger mit körperschaftlicher Struktur voraussetzt, auch die Organisationsform öffentlich-rechtlicher Körperschaften (mit Zwangsmitgliedschaft) als grundsätzlich möglich akzeptiert hat, wie sich schon aus den Regelungen in Art. 86, Art. 87 Abs. 2 und 3, Art. 130 Abs. 3 GG ergibt und durch die Entstehungsgeschichte bestätigt w i r d 1 0 9 . Uber die rechtlichen Grenzen, die die Verfassung einer Etablierung solcher Zwangsverbände und der Zuweisung von Aufgaben an sie setzt, ist hier im einzelnen nicht zu handeln. Innerhalb dieser Grenzen ist sie, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt hat, eine Sache des gesetzgeberischen Ermessens hinsichtlich der Art und Weise der organisatorischen Bewältigung staatlicher Aufgaben 110 . Wenn die Existenz und die allgemeine Tätigkeit einer autonomen Verbandsgewalt aus der Sicht der Bürger ein spezifisches Freiheitsproblem aufwerfen, so ist dieses nicht grundrechtlicher, sondern anderer Art, nämlich ein Problem der Sicherung demokratischer Teilhabe an der Ausübung von Staatsgewalt. Weil die öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände aus dem demokratischen, auf das Staatsvolk zurückgeführten Staatsaufbau ein Stück weit ausgegliedert sind, ergeben sich aus dem Gebot demokratischer Legitimation, unter dem nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG auch sie stehen, besondere Anforderungen und Begrenzungen für ihre Errichtung und Tätigkeit. Das Demokratieprinzip gebietet insbesondere, daß Organisation, Aufgaben und Befugnisse solcher Träger funktionaler Selbstverwaltung in weitem Umfang gesetzlich geregelt sind und eine demokratisch verantwortliche staatliche Rechtsaufsicht die Einhaltung dieser gesetzlichen Bindungen wirksam kontrolliert 1 1 1 . Das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage für die Errichtung und Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, das mitunter als Indiz für einen darin liegenden Grundrechtseingriff gewertet zu werden scheint, hat also hierin seinen Grund, und mit Recht wird in der Kritik am allgemeinen mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruch darauf verwiesen,

109 110 111

13*

Vgl. oben 4. Kapitel, Abschnitt I 2, bei und in FN 1. BVerfGE 10, 89 (102, 104). Vgl. Böckenförde, in: Handbuch des Staatsrechts I, § 22 RN 34.

196

6. Kap.: Der grundrechtliche Schutz vor staatlichem Betätigungszwang

daß die dauerhafte Sicherstellung der Gesetzesbindung solcher Zwangsverbände gerade der staatlichen Aufsicht obliegt 112 . Daß Defizite in der praktischen Durchführung dieser - demokratisch gebotenen - Aufsicht den Anstoß zur Entwicklung des - grundrechtlich begründeten - Unterlassungsanspruchs der Mitglieder gegeben haben, ist häufiger konstatiert worden 113 . Eine solche Kompensation aber ist rechtlich nicht haltbar. Strenggenommen greift sie zu kurz, weil nicht nur den Mitgliedern, sondern allen Bürgern aus demokratischen (und rechtsstaatlichen) Gründen ein gleichermaßen begründetes Interesse daran zuzusprechen wäre, daß solche Zwangsverbände den Rahmen ihrer gesetzlichen Bindungen nicht überschreiten. Vor allem aber greift sie zu weit, weil auch eine noch so gravierende Mißachtung der demokratisch und rechtsstaatlich begründeten Gesetzesbindung hoheitlichen Handelns allein noch nicht die Darlegung zu ersetzen vermag, daß das fragliche Handeln in ein individuelles Freiheitsrecht des Bürgers eingreift, so daß diesem ein subjektives Recht auf Unterlassung zustehen kann. Wenn also die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften ebensowenig wie die Zugehörigkeit zu Bund, Land oder Gemeinde ein Grundrechtseingriff ist, entfallt zunächst der gegen ihre Begründung gerichtete grundrechtliche Abwehranspruch; ihre Errichtung muß sich also nicht vor den Freiheitsrechten der Mitglieder verantworten, insbesondere in ihrer Erforderlichkeit gegenüber Formen der unmittelbaren Staatsverwaltung als dem milderen Mittel rechtfertigen. Mit Blick auf die bisherige Praxis ist das wenig folgenreich; dem Fehlen einer echten grundrechtlichen Freiheitsbeeinträchtigung entsprechend ist auch bislang eine echte Grundrechtsprüfung insoweit nicht vorgenommen worden. Es entfällt aber auch und vor allem der allgemeine mitgliedschaftliche Unterlassungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG gegen kompetenzwidrige Betätigungen des Zwangsverbandes, weil diese nicht ohne weiteres die grundrechtlich geschützte individuelle Freiheitssphäre der Mitglieder beeinträchtigen. Zur Sicherstellung einer aufgabengemäßen, rechtmäßigen Betätigung von öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden ist der Bürger auf das Funktionieren der staatlichen Rechtsaufsicht angewiesen und im übrigen auf die mitgliedschaftlichen Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten in der Selbstverwaltung verwiesen. Ein grundrechtlicher Abwehranspruch des

112 Fröhler/Oberndorfer, GewArch 1975, 7 (9); Hendler, DÖV 1986, 675 (683); Kluth, DVB1. 1986, 716 (726); Laubinger, VeiwArch 74 (1983), 175 und 263 (280); Ress, WiVerw 1979, 157 (159 f., 170, 175); vgl. auch BVerfGE 38, 281 (312), wo allein die Staatsaufsicht als Mittel genannt wird, eine Betätigung der Arbeitnehmerkammern außerhalb ihres gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkreises zu verhindern. 113 Kluth, DVB1. 1988, 1113 (1114); ders., Jura 1989, 408 (414); Oebbecke, NVwZ 1988, 393.

ΠΙ. Das allgemeine Freiheitsrecht und die Grenzen

197

Mitglieds gegen den Zwangsverband besteht nur dort, wo einzelne seiner Maßnahmen das Mitglied in seinen Freiheitsrechten beeinträchtigen.

7. Kapitel

Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz der Unterlassensfreiheit gegenüber Privaten Nach dem heute herrschenden Grundrechtsverständnis, das in den Grundrechten nicht nur staatsgerichtete Abwehrrechte, sondern auch objektiv-rechtliche Grundsatznormen mit weiterreichender Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung sieht, beanspruchen die Grundrechte prinzipiell auch Geltung in bezug auf die rechtliche Lösung von Konflikten zwischen Privaten. So haben in Rechtsprechung und Literatur auch die negativen Freiheitsrechte die Funktion gewonnen, nicht nur hoheitliche Betätigungszwänge abzuwehren, sondern auch vor Störungen der Unterlassensfreiheit durch andere, in ihrem Tun selbst grundrechtsgeschützte Private zu schützen. Die Anwendung der negativen Freiheitsrechte in dieser Funktion hat sich im Ersten Teil dieser Untersuchung freilich als methodisch und inhaltlich problematisch erwiesen. Nunmehr ist zu fragen, wie das Problem privaten Betätigungszwangs in überzeugenderer Weise grundrechtsdogmatisch erfaßt werden kann. Dabei muß zunächst interessieren, was für den Grundrechtsschutz in solchen Konflikten zwischen Privaten, wie ihn die herrschende objektiv-rechtliche Grundrechtsdoktrin prinzipiell annimmt, aus der Verabschiedung der Figur der negativen Seite und der darauf gestützten negativen Freiheitsrechte folgt (I.). Anschließend wendet sich die Untersuchung - unter dem hier interessierenden Aspekt des Grundrechtsschutzes gegenüber privatem Betätigungszwang - diesem herrschenden objektiv-rechtlichen Grundrechtsverständnis selbst zu und stellt kritische Überlegungen zur Geltung und Funktion der Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis an (II.).

I . Der objektiv-rechtlich begründete Grundrechtsschutz im Bürger-Bürger-Verhältnis nach Verabschiedung der negativen Freiheitsrechte In der Literatur finden sich Stimmen, die einzelnen negativen Freiheitsrechten gerade auch wegen ihrer das grundrechtlich geschützte Tun anderer beschränkenden Wirkung im Bürger-Bürger-Verhältnis die Anerkennung versagen wollen1. Die darin sich ausdrückende Hoffnung, schon der Verzicht auf die negativen Freiheitsrechte ermögliche eine angemessene grundrechtliche

1

Vgl. oben 4. Kapitel, Abschnitt I 2 b), FN 6.

I. Der objektiv-rechtlich begründete Grundrechtsschutz

199

Lösung des Konflikts zwischen einem sich betätigenden und einem sich dadurch in seiner Unterlassensfreiheit gestört fühlenden anderen Privaten, aber trügt. Die Verabschiedung der negativen Seite der Freiheitsrechte, für die diese Untersuchung plädiert, löst noch nicht das zentrale methodische und inhaltliche Problem, das die grundrechtliche Behandlung des Konflikts zweier Privater auf der Basis der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdoktrin aufwirft.

1. Der Rückgriff auf andere Grundrechte Was in bezug auf die negativen Freiheitsrechte festgestellt wurde, gilt für den Grundrechtsschutz ganz allgemein: Die Anwendbarkeit der Grundrechte als objektiv-rechtliche Grundsatznormen oder Prinzipien im Bürger-BürgerVerhältnis entzieht sich einer strikten tatbestandlichen Begrenzung, weil die Begriffe von Schutzbereich und Eingriff hier ihre begrenzende Funktion verlieren 2. Dem Bürger bleibt deshalb - ist ihm die Berufung auf die speziellen negativen Freiheitsrechte versagt - doch immer der Rückgriff auf anderweitigen Grundrechtsschutz, wenn er sich durch das Tun eines anderen in seiner eigenen Passivität gestört fühlt, ohne daß insoweit eine effektive tatbestandliche Begrenzung zu gewinnen wäre. Es kann, wo das thematisch naheliegt, die Geltendmachung anderer spezieller Freiheitsrechte in Betracht kommen. So kann der Bürger sich durch die religiöse Betätigung eines anderen in seinen religiösen Auffassungen beeinflußt sehen und dagegen - statt die negative Religionsfreiheit - die Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG anfuhren. Wo ihn die Betätigung eines anderen etwa wegen davon ausgehenden Lärms in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt, kann Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einschlägig erscheinen. Jedenfalls aber bleibt dem betroffenen Bürger - worauf regelmäßig hingewiesen wird, wenn die Annahme eines speziellen negativen Freiheitsrechts verworfen wird - immer der Rückgriff auf das allgemeine Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG 3 . Bedenken dagegen könnten allein deshalb bestehen, weil die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG in Rechtsprechung und Literatur in der Regel rein staatsgerichtet-abwehrrechtlich verstanden und ein objektivrechtlicher Gehalt, der den grundrechtlichen Freiheitsschutz auch gegenüber anderen Privaten verlangt, üblicherweise nur den aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundrechtspositionen des allgemeinen Per2

Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt II 1 b). Vgl. etwa Galperin, in: FS Bogs, S. 87 (98 ff.); Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 59; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/l, S. 159 ff.; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2 RN 95; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (75 ff.); Kittner, in: AK-GG, Art. 9 Abs. 3 RN 41; Söllner, Grundriß des Arbeitsrechts, S. 65. 3

200

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

sönlichkeitsrechts zuerkannt wird 4 . Auch auf diesen Aspekt des allgemeinen Freiheitsrechts aber kann sich der Bürger, wo er sonst ein spezielles negatives Freiheitsrecht hätte geltend machen können, berufen. Das wird belegt durch Entscheidungen, die zur grundrechtlichen Beurteilung ganz parallel liegender Konflikte, z.B. im Problembereich der Störung anderer durch gewerkschaftliche, politische oder religiöse (Werbe-)Aktivitäten, mal die speziellen negativen Freiheitsrechte, mal das Art. 2 Abs. 1 GG entnommene Recht, in Ruhe gelassen zu werden, bzw. andere aus Art. 2 Abs. 1 und/oder Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Grundrechtspositionen heranziehen5. Der durch Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG vermittelte Grundrechtsschutz gegenüber störenden Betätigungen anderer Privater reicht tatbestandlich - mindestens - so weit wie der der speziellen negativen Freiheitsrechte. Wann immer das Tun eines Bürgers die Sphäre eines anderen, diese Betätigung ablehnenden Bürgers berüht, kann diesem die Berufung auf seine Freiheitsrechte also nicht generell verwehrt werden. Der Konflikt zwischen den beiden Privaten stellt sich grundrechtlich nach wie vor dar als Kollision zweier Freiheitsrechte, deren Lösung schließlich in einer Abwägungsentscheidung zu suchen ist. 2. Die Bedeutung für die Abwägung Die Tatsache, daß der Passive sich statt auf spezielle negative Freiheitsrechte nunmehr in aller Regel nur auf sein allgemeines Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann, hat auch keine ausschlaggebende Bedeutung für die Abwägung zwischen den beiden kollidierenden Grundrechtspositionen, wie das mitunter, insbesondere aufgrund des weiterreichenden Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 1 GG, angenommen wird 6 .

4

Jarass, AöR 110 (1985), 363 (369 f.); vgl. aber etwa Loschelder, ZBR 1977, 337 (344 f.), sowie - im Zusammenhang mit der Schutzpflicht - Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 195 ff., insb. S. 200 f., wo er sich fur eine Erstreckung auf die allgemeine Handlungsfreiheit ausspricht. 5 Vgl. z.B. einerseits BVerwG, NVwZ 1988, 937 (938), wo das Tragen bhagwan-typischer Kleidung als Beeinträchtigung der negativen Religionsfreiheit erscheint, und andererseits BAG, NJW 1982, 2888 (2890), wo das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, durch das Tragen von Anti-Atomkraft-Plaketten beeinträchtigt sein soll; vgl. auch BAGE 19, 217 (227), wo offengelassen ist, ob der grundrechtliche Schutz der negativen Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber bedrängender, über ein gütliches Zureden hinausgehender gewerkschaftlicher Werbung aus Art. 9 Abs. 3 GG oder aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt. 6 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts U/1, S. 159; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 50; Söllner, Grundriß des Arbeitsrechts, S. 65.

I. Der objektiv-rechtlich begründete Grundrechtsschutz

201

Allein die Auswechslung des auf der einen Seite zu beachtenden Grundrechts, auch wenn es sich nun - nur - um das unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt stehende, allgemeine Freiheitsrecht handelt, kann nach den dogmatischen Vorgaben fur die zu treffende Abwägungsentscheidung keinen Einfluß auf ihr Ergebnis haben. In dieser Abwägung treffen die beiderseitig geltend gemachten Grundrechte - wie gesehen7 - als Prinzipien oder Optimierungsgebote aufeinander, die jeweils ein relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohes Maß an Realisierung fordern. Die Kollision zweier verfassungsrechtlicher Optimierungsgebote aber kann, sollen der Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG) gewahrt bleiben, nicht durch den einfachen Gesetzgeber entschieden werden; es kann deshalb fur die Lösung des Konflikts auch nicht maßgebend sein, ob und inwieweit der Gesetzgeber aufgrund von Gesetzesvorbehalten befugt ist, eine Beschränkung des einen oder anderen Grundrechts vorzunehmen. Die richtige, beide Grundrechte möglichst weitgehend realisierende Kollisionslösung, an der gesetzgeberische bzw. gesetzesanwendende, richterliche Entscheidungen des Konflikts zu messen sind, kann nur auf der Verfassungsebene selbst gefunden werden. Auf dieser Ebene aber stehen sich beide Positionen prinzipiell gleichrangig gegenüber. Die Annahme einer abstrakten Höherwertigkeit des einen Grundrechts gegenüber dem anderen, welche ihm von vornherein ein größeres Gewicht bei der Abwägung geben könnte, ist nicht nur im Verhältnis verschiedener spezieller Freiheitsrechte zueinander, sondern auch im hier vor allem interessierenden Verhältnis von speziellem (negativem) Freiheitsrecht und allgemeinem Freiheitsrecht nicht haltbar. Auch insoweit steht ihr der schlichte Einwand entgegen, daß das Grundgesetz die Grundrechte in den gleichen normativen Rang des Verfassungsrechts stellt und fur abstrakte Rangunterschiede zwischen ihnen nichts hergibt 8; insbesondere indizieren auch das Vorhandensein und die Reichweite von Gesetzesvorbehalten keine Wertrangordnung der Grundrechte 9. So bleibt es bei der Aufgabe eines Ausgleichs und einer verhältnismäßigen Zuordnung zweier prinzipiell gleichrangiger Grundrechtspositionen im konkreten Einzelfall, auf deren Lösung es keinen Einfluß haben kann, auf welches, ob auf ein spezielles oder das allgemeine Freiheitsrecht der eine Kontrahent seinen Grundrechtsschutz stützt.

7

Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 1 b). Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 2 a) aa). 9 Hermes y Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 253; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 316; Rüfiier t in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (462 f.). 8

202

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

Daß der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG (und/oder Art. 1 Abs. 1 GG) die Position des durch einen anderen gestörten Bürgers nicht notwendig schwächt, spiegelt sich auch in der Beurteilung einzelner Konfliktfalle wider. Einen besonders sinnfälligen Beleg dafür bildet die umfangreiche Diskussion um die Zulässigkeit tarifvertraglicher Differenzierungsklauseln; Däubler hat darauf hingewiesen, daß es Autoren gibt, die die negative Koalitionsfreiheit nur im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG schützen und dennoch eine Differenzierungsklausel für verfassungswidrig halten, während andere zwar Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde legen, gegen die Rechtmäßigkeit der Klausel aber keine Bedenken erheben 10. Des weiteren sind einige Entscheidungen in Erinnerung zu rufen, die bestimmte religiöse, gewerkschaftliche oder politische Aktivitäten Privater eher bedenklich weitgehend beschränkt haben, weil sie einen anderen in seiner Menschenwürde, in seinem Persönlichkeitsrecht, seinem Recht, in Ruhe gelassen zu werden, verletzten 11. Die Anwendung des allgemeinen Freiheitsrechts an Stelle der speziellen negativen Freiheitsrechte, die nur scheinbar eine Herabstufung des Grundrechtsschutzes bedeutet, kann also der zu treffenden Abwägungsentscheidung auch nicht mehr an generellen, rechtlich verbindlichen Maßstäben liefern und vermag so der Abwägungspraxis, wie sie sich in Rechtsprechung und Literatur darstellt, auch keine größere rechtliche Überzeugungskraft zu geben. Es bleibt bei der befremdlichen Erkenntnis, daß sich in diesen Konflikten zwar beide Kontrahenten auf prinzipiell gleichrangige Grundrechte berufen können, gleichwohl im Ergebnis der aktive Bürger regelmäßig obsiegt, der passive zurückzustehen hat. Darüber hinaus läßt auch der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG zu, daß als störend empfundene Betätigungen von Außenseitern - in Abweichung von diesem regelmäßigen Ergebnis der Abwägung - in besonderem Maße zurückgedrängt werden.

I I . Geltung und Funktion der Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis Nicht durch eine Neubestimmung der thematischen Reichweite der Freiheitsrechte, ihres Schutzbereichs, sondern nur durch eine Überprüfung der mit

10 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (31); vgl. auch Mayer-Maly, ebd., S. 5 (23). Für eine Verfassungswidrigkeit der Differenzierungsklausel wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG insb. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II/l, S. 164 ff.; für die Vereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG etwa Dietlein, AuR 1970, 200 (202 ff.); Gitter, JurA 1970, 148 (151 f.); Hanau, JuS 1969, 213 (216 ff.); Steinberg, RdA 1975, 99 (100 ff., 106). 11 BVerfGE 44, 197 (203 f.); BVerwGE 53, 327 (328); BVenvG, DVB1. 1981, 1066 (1068). Vgl. dazu oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) bb).

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

203

ihnen verknüpften rechtlichen Wirkungen, ihres Gewährleistungsinhalts, kann eine grundrechtsdogmatisch überzeugendere Behandlung des Problems gelingen. Das deuten schon jene zahlreichen Stellungnahmen an, die die Existenz der negativen Freiheitsrechte gar nicht bestreiten, ihnen aber - mehr oder weniger deutlich - die Fähigkeit absprechen wollen, einen Anspruch auf Unterlassung bestimmter Handlungen gegenüber anderen Privaten bzw. einen Anspruch auf staatlichen Schutz gegen deren Betätigung zu begründen 12. Diese These ist als spezielle Aussage zur Reichweite der negativen Freiheitsrechte nicht haltbar, solange sie sich auf der Basis eines allgemeinen objektiv-rechtlichen Grundrechtsverständnisses bewegt 13 . Verallgemeinert man die These, so richtet sie sich überhaupt gegen ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis, welches die Beachtung der Grundrechte auch gegenüber Störungen durch Private und unter Umständen ein hoheitliches Einschreiten gegen deren Tun fordert. Nun reicht die damit angesprochene Frage nach dem allgemeinen Grundrechtsverständnis - ihrer grundrechtstheoretischen Tiefe wie auch der Breite ihrer grundrechtsdogmatischen Folgen nach - weit über den Gegenstand der vorliegenden Arbeit hinaus und kann in deren Rahmen nicht umfassend erörtert und entschieden werden. Die bisherige Untersuchung gibt aber Anlaß genug zu fragen, ob die grundrechtsdogmatische Verarbeitung des Problems von Betätigungszwang unter Privaten nicht gerade wegen der Zugrundelegung eines objektiv-rechtlichen Grundrechtsverständnisses unbefriedigend geblieben ist und ob sie nicht auf der Basis eines Verständnisses der Freiheitsrechte als subjektiver staatsgerichteter Abwehrrechte besser gelingen kann. Ein solches Grundrechtsverständnis verspricht zunächst einen Fortschritt in methodischer Hinsicht, nämlich die Abkehr von jener problematischen, rationalen Kriterien allenfalls begrenzt zugänglichen Abwägungsdogmatik, in die ein objektivrechtliches Grundrechtsverständnis notwendig führt, und die Rückkehr zu einer Eingriffsdogmatik, die sich an den Kategorien von Schutzbereich und Eingriff, Gesetzesvorbehalt und Verhältnismäßigkeit orientiert; in Alexys Begriffen wäre dies der Wechsel von einem Modell der Grundrechte als Prinzipien oder Optimierungsgebote zu einem - zumindest weitgehend reinen Regelmodell14. Die entscheidende Frage bleibt, ob ein solches staatsgerichtet-

12

Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 1 a) aa), bei und in FN 30, 31. Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 1 a) bb). 14 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 100 ff., 113 f.; ders., Der Staat 29 (1990), 49 (54 f.), sieht mit der Annahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der staatsgerichteten Abwehrfunktion bereits das reine Regelmodell verlassen und den Prinzipiencharakter impliziert. Dagegen wendet sich zu Recht Enders, in: Mellinghoff/Trute, Die Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 157 (163 FN 20), fur den Fall, daß mit Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, insb. S. 192 ff.; ders., EuGRZ 1984, 457 (462), die dritte Stufe der Verhältnismäßigkeit abso13

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7. Kap.: Der grundrechtliche Ansprch auf staatlichen Schutz

abwehrrechtliches Modell das Problem des Betätigungszwangs unter Privaten auch in der Sache adäquat zu erfassen vermag; ihre Beantwortung ist das Anliegen der folgenden Ausführungen.

1. Die Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis Dazu bedarf es vorweg einiger allgemeiner Bemerkungen zur Anwendbarkeit und Reichweite der Freiheitsrechte als staatsgerichteter Abwehrrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis. Dieses ist, sobald es rechtlich relevant wird, nicht nur ein zweiseitiges Verhältnis zwischen den beteiligten Bürgern, sondern eigentlich ein dreiseitiges, den Staat in Gestalt des Gesetzgebers, der Behörde, des Richters einschließendes Verhältnis. Bei der Entscheidung des Konflikts zwischen zwei Privaten durch diese staatlichen Instanzen liegt - so lautet die These - immer dann ein Eingriff vor, wenn sich der Staat zur Lösung des Konflikts entschließt, im Interesse des einen Privaten die Freiheit des anderen mit hoheitlichen Mitteln, also durch Gesetz, Verwaltungsmaßnahme oder Urteil, zu beschränken. a) Die Ausübung grundrechtsgebundener

Hoheitsgewalt

Das setzt voraus, daß die Möglichkeit der A n n a h m e eines hoheitlichen Eingriffs nicht nur im bloß zweiseitigen Staat-Bürger-Verhältnis, das die typische Konstellation der Freiheitsrechte in ihrer Funktion als staatsgerichtete Abwehrrechte darstellt, sondern auch im Bürger-Bürger-Verhältnis besteht. aa) Öffentlich-rechtliche Regelung von Konflikten Auch das öffentliche Recht kennt nicht nur das bloß zweiseitige Staat-Bürger-Verhältnis, an dem andere Private allenfalls als Teil der Allgemeinheit, deren Interessen der Staat zur Geltung bringt, mittelbar und reflexhaft partizipieren. Auch im öffentlichen Recht kann es der Sache nach um Konflikte zwischen bestimmten einzelnen Bürgern gehen. Wenn der Gesetzgeber im Interesse der Nachbarn baurechtliche Vorschriften aufstellt, die Polizei zum Schutz anderer Bürger eine Verbotsverfügung erläßt und das Verwaltungsgericht diese bestätigt, wenn der Strafrichter eine Verurteilung wegen Körper-

lut, als Mindestposition bestimmt und nicht als abwägungsfahige und -bedürftige Zumutbarkeitsgrenze angesehen wird; Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 (238 FN 16), sieht diesen Schritt als konsequente Folgerung aus der Kritik an den Rationalitats- und Rechtssicherheitsdefiziten des objektiv-rechtlichen Gnindrechtsverständnisses.

Π . Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

205

Verletzung oder Nötigung ausspricht, sind das Beispiele dafür, daß der Staat solche Konflikte in öffentlich-rechtlicher Form regelt. Daß in diesen Fällen ein hoheitlicher Eingriff in die Freiheit des betroffenen Bürgers vorliegt, ist unbestritten und gilt als selbstverständlich. Hier ist der Staat selbst Beteiligter des öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses, in dem der Bürger eine Beschränkung seiner Freiheit erfahrt. Die Wahrnehmung der hoheitlichen Befugnisse in diesem Rechtsverhältnis unterliegt der Bindung an die Grundrechte. bb) Privatrechtliche Regelung von Konflikten Sehr viel problematischer scheint die A n n a h m e eines hoheitlichen Eingriffs zu sein, wenn der Staat, namentlich in Gestalt des Zivilrichters, über privatrechtlich geregelte Konflikte zwischen Privaten entscheidet. Das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Meinung gehen bislang davon aus, daß die Freiheitsrechte in ihrer Funktion als staatsgerichtete Abwehrrechte im Bereich des Privatrechts unanwendbar sind. Der - nach Art. 1 Abs. 3 GG prinzipiell grundrechtsunterworfene - Zivilrichter sei bei der Urteilsfindung zur Beachtung der Grundrechte nur verpflichtet, soweit die Grundrechte auf das zu beurteilende materielle Rechtsverhältnis anwendbar seien; auf ein privatrechtliches Rechtsverhältnis, an dem zwei - nicht grundrechtsverpflichtete Private beteiligt sind, aber könnten die Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte nicht angewandt werden 15 . Es komme deshalb im Privatrecht allein eine bloß mittelbare Drittwirkung oder Ausstrahlungswirkung der Grundrechte als objektiv-rechtlicher Grundsatznormen in Betracht 16. Indem sie die Grundrechtsgeltung derart relativiert, greift diese - in anderer, sogleich zu besprechender Hinsicht über eine staatsgerichtet-abwehrrechtliche Grundrechtssicht hinausreichende - Annahme freilich zu kurz. Mit Recht wird ihr von Stimmen in der neueren Literatur 17 , denen sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Handelsvertreter-Entscheidung 18 anzuschließen scheint, entgegengehalten, daß - jedenfalls in bestimmtem Umfang auch im privatrechtlichen Bereich die Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte anwendbar sind. Zwar ist der Staat an dem zu beurteilenden

15 Doehringy Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 209; Düng, in: FS Nawiasky, S. 157 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 353; Stern, Staatsrecht m/1, S. 1551; vgl. auch BVerfGE 7, 198 (203 ff.). 16 Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt 11, bei und in FN 5, 6. 17 Canaris, AcP 184 (1984), 201 (212 ff.); Lübbe-Wolff, Die Gnindrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 163 ff.; Schwabe, Grundkurs Staatsrecht, S. 107. 18 BVerfGE 81, 242 (253); vgl. dazu - kritisch - Hermes, NJW 1990, 1764 (1766), und - zustimmend - Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (71 f.).

206

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

privatrechtlichen Rechtsverhältnis nicht selbst beteiligt. Aber er ist es doch, der die privatrechtlichen Rechte und Pflichten der Bürger untereinander gesetzlich statuiert, gerichtlich konkretisiert und am Ende erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzt. Auch im Privatrecht manifestiert sich die Hoheitsgewalt des Staates, der die Bürger als Privatrechtssubjekte unterworfen sind 19 . Diese Hoheitsgewalt zu begrenzen, ist die Aufgabe der Freiheitsrechte als staatsgerichteter Abwehrrechte. Wenn der Staat seinen Bürgern in privatrechtlicher Form Pflichten auferlegt, liegt darin eine hoheitliche Freiheitsbeschränkung, die sich als Grundrechtseingriff rechtfertigen muß und den entsprechenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen unterliegt, also insbesondere durch ein - seinerseits verfassungsmäßiges - Gesetz gedeckt sein muß. Eine solche Anwendung der Freiheitsrechte als staatsgerichteter Abwehrrechte auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse mag zunächst Bedenken konstruktiver Art aufwerfen, sollen danach doch Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat auf Rechtsverhältnisse einwirken, an denen der grundrechtsgebundene Staat selbst gar nicht beteiligt ist, sondern nur die beiden - nicht grundrechtsverpflichteten - Privaten. Diese Bedenken erscheinen freilich nicht durchschlagend; auch die herrschende Meinung setzt sich darüber hinweg. Die Grundrechtsbindung des Zivilrichters erreicht sie auf dem konstruktiven Umweg einer mittelbaren Drittwirkung oder Ausstrahlungswirkung, die am Ende doch eine unmittelbare Einwirkung der Grundrechte auf privatrechtliche Rechte und Pflichten bedeutet. Die Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers wird sogar bedenkenlos als eine unmittelbare angenommen20, obgleich auch er - ebenso wie der Zivilrichter, nur auf der Ebene abstrakt-genereller Regelung - über privatrechtliche Rechtsverhältnisse entscheidet; er müßte deshalb gleichermaßen dem Einwand ausgesetzt sein, seine Grundrechtsbindung könne sich nicht auf Rechtsverhältnisse erstrecken, in denen sich zwei Private gegenüberstehen und an denen der Staat nicht beteiligt ist 2 1 . Gerade am Beispiel des Zivilgesetzgebers zeigt sich, daß die Freiheitsrechte des Bürgers den Staat nicht nur als Träger, sondern als auch als Urheber und Garanten der Durchsetzung einfachgesetzlicher Rechte und Pflichten binden.

19

Vgl. bereits Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 107: "Selbst in jedem - kondemnatorischen oder absolutorischen - Zivilurteil ist auch ein Ausspruch über Freiheit und Subjektion des Beklagten vorhanden." 20 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 355; ders., Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 27 FN 42; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (377); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht Π, RN 207; Stern, Staatsrecht m/1, S. 1514, 1551, 1563, 1565 ff. 21 Canaris , AcP 184 (1984), 201 (205); Eckhold-Schmidt, Legitimation durch Begründung, S.80; Pietzcker, in: FS Dürig, S. 345 (351); vgl. auch Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 88 ff.

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

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Gravierender ist das sachliche Bedenken, die unmittelbare Anwendung der Grundrechte auch auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse sei mit der Privatautonomie der daran beteiligten Bürger nicht zu vereinbaren 22. Problematisch scheint dies insbesondere dort, wo die Grundrechtsbindung rechtsgeschäftlich begründete privatrechtliche Pflichten erfaßt. Auch hier, bei der hoheitlichen Durchsetzung einer früher freiwillig übernommenen Verpflichtung gegen den aktuellen Willen des Betroffenen, wird man einen staatlichen Grundrechtseingriff anzunehmen haben 23 . Für einen solchen Eingriff bedarf der Staat einer gesetzlichen Grundlage, wie sie die Privatrechtsordnung in allgemeinster Form etwa in §§ 241, 305 BGB auch bereitstellt. Die Grundrechte akzeptieren dabei - über die für einseitig hoheitlichen Zwang geltenden Begrenzungen der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinaus - Regelungen, nach denen der einzelne sich selbst freiwillig rechtlichen Bindungen unterwerfen kann 24 . Insoweit liegt jedenfalls eine Grundrechtsverletzung nicht vor, und die im Privatrecht zugelassenen Möglichkeiten privatautonomer Selbstverpflichtung bleiben unberührt. Wo es dagegen um zwingende Normen des Privatrechts oder auf solche Normen gestützte zivilgerichtliche Urteile geht, beispielsweise um die Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung oder zu Unterhaltsleistungen, kann ein Widerspruch zur Gewährleistung von Privatautonomie nicht entstehen. Solche Urteile sind mit den Grundrechten des betroffenen Bürgers nur vereinbar, wenn sie auf einem Gesetz beruhen, das seinerseits formell und materiell verfassungsgemäß, insbesondere mit dem Schrankenvorbehalt des eingeschränkten Grundrechts vereinbar und verhältnismäßig ist 2 5 . Daß die Grundrechte insbesondere hier ihre privatrechtliche Wirksamkeit entfalten, hat bereits das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts treffend hervorgehoben: "Der Einfluß grundrechtlicher Wertmaßstäbe wird sich vor allem bei denjenigen Vorschriften des Privatrechts geltend machen, die zwingendes Recht enthalten und so einen Teil des ordre public - im weiten Sinne - bilden, d. h. der Prinzipien, die aus Gründen des gemeinen Wohls auch für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen verbindlich sein sollen und deshalb der Herrschaft des Privatwillens entzogen sind. Diese Be-

22 Vgl. insb. Düng, in: FS Nawiasky, S. 157 (159 und passim); ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. ffl RN 129; Hesse, Gnindzüge des Verfassungsrechts, RN 354. 23 Lübbe-Wolff\ Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 164; vgl. auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 102 ff. 24 Vgl. BVerfGE 81, 242 (254 ff.), wonach der Staat die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen grundsätzlich zu respektieren hat, allerdings in Fällen gestörter Vertragsparität ein grundrechtlicher Schutzauftrag zugunsten der schwächeren Vertragspartei eingreifen und die Unwirksamkeit vertraglicher Abreden begründen können soll; vgl. dazu Hillgruber, a.a.O., S. 73 ff. 25

Vgl. BVerfGE 57, 361 (378); 63, 88 (109).

208

7. Kap.: Der gmndrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

Stimmungen haben nach ihrem Zweck eine nahe Verwandtschaft mit dem öffentlichen Recht, dem sie sich ergänzend anfügen" 26. Gerade in diesen zwingenden Bestimmungen, deren Zahl und Bedeutung immer mehr zugenommen hat, wird deutlich, daß das staatlich gesetzte und angewandte Privatrecht nicht nur den inhaltlich neutralen Rahmen fur die in Ausübung ihrer Privatautonomie sich frei koordinierenden Privatrechtssubjekte bildet. Vielmehr wird auch im privatrechtlichen Bereich der Staat kraft seiner Hoheitsgewalt gestaltend tätig. Diese hoheitliche Gestaltung der Lebensverhältnisse der Bürger muß sich, auch wenn sie in privatrechtlicher Form erfolgt, vor deren Grundrechten rechtfertigen. b) Die Unterscheidung zwischen hoheitlichem Eingriff und Nicht-Gewähr staatlichen Schutzes vor privater Beeinträchtigung Die spätkonstitutionelle Staatsrechtslehre hatte das wesentliche Merkmal des Gesetzes (im materiellen Sinn) gerade in der Schrankenziehung zwischen Rechtssubjekten gesehen27. Daran wohl anknüpfend ist bis heute die Vorstellung geläufig, bei der Regelung von Rechtsverhältnissen zwischen Privaten nehme der Staat, insbesondere der Zivilgesetzgeber, aber auch der Zivilrichter, eine Abgrenzung zwischen deren Freiheitssphären mit der gleichen verbindlichen Wirkung gegenüber beiden Beteiligten vor. Diese Vorstellung ist in einer globalen Sichtweise auch zutreffend; die staatliche (Privat-)Rechtsordnung insgesamt sagt den Bürgern, was sie im Verhältnis zueinander rechtlich dürfen bzw. hinzunehmen haben. Die Normen des Privatrechts wie auch des öffentlichen Rechts wirken für die Bürger dabei potentiell ambivalent, freiheitsschützend und freiheitsbeschränkend; § 823 BGB kann den Bürger als Schädiger zu Schadensersatz verpflichten, aber auch ihm als Geschädigten einen Anspruch gewähren, ebenso kann die polizeiliche Generalklausel Grundlage einer an ihn selbst adressierten, aber auch einer zu seinem Schutz gegen einen Dritten gerichteten Verbotsverfügung sein. In der Anwendung dieser Normen auf einen konkreten, staatlich zu entscheidenden Konflikt aber aktualisiert und konkretisiert sich diese Wirkung. Die einzelne staatliche Entscheidung und insoweit auch das sie tragende Gesetz wirken dann gegenüber den beiden betroffenen Bürgern in bestimmter, jeweils durchaus unterschiedlicher Weise. Wird eine behauptete Störung als hinzu26 BVerfGE 7, 198 (206). Um solche zwingenden Vorschriften geht es bei der Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers regelmäßig; vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 28. 27 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches Π, S. 73; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 640, 655. Vgl. dazu Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 226 ff., insb.233 f., 245, 255.

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

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nehmen beurteilt, versagt die Entscheidung damit dem erfolglosen Petenten staatlichen Schutz gegenüber der Beeinträchtigung durch den anderen, ohne jedoch selbst seine (natürliche) Freiheit zu beschränken; sie verzichtet auf einen hoheitlichen Eingriff in die Freiheit des anderen. Wenn sie hingegen zum Schutz des einen Bürgers staatliche Sanktionen gegen den störenden anderen verhängt, stärkt und erweitert sie die Position dieses einen und beschränkt sie die Freiheit des anderen. Nur unter diesem letzten Aspekt der hoheitlichen Freiheitsbeschränkung kann eine (öffentlich- oder privatrechtliche) Regelung an den Freiheitsrechten als staatsgerichteten Abwehrrechten gemessen werden. Für deren Anwendbarkeit und Reichweite im Bürger-BürgerVerhältnis ist demnach die Unterscheidung zwischen dem hoheitlichen Eingriff, wie er vorliegt, wenn der Staat zugunsten eines Privaten gegen einen anderen freiheitsbeschränkend tätig wird, und der Nicht-Gewähr staatlichen Schutzes vor privater Beeinträchtigung, wie sie bei der Verweigerung des begehrten staatlichen Tätigwerdens gegen einen anderen gegeben wäre, maßgeblich28. In Frage gestellt wird die Bedeutung dieser Unterscheidung durch einige zunächst und vor allem von Schwabe, dann etwa von Murswiek, zuletzt in zurückhaltenderer Form von Lübbe-Wolff unternommene - Versuche, die im allgemeinen als objektiv-rechtlich bezeichneten Grundrechtswirkungen im Bürger-Bürger-Verhältnis schon mit den Kategorien einer staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtssicht zu erfassen. Ungeachtet mancher - hier nicht weiter zu verfolgender - Unterschiede in Herleitung und Reichweite ihrer Aussagen stimmen diese Ansätze in einem wesentlichen Punkt überein: Sie halten es nämlich für möglich, die staatliche Entscheidung des Konflikts zweier Privater in doppelter Hinsicht - nicht nur dem einen gegenüber wegen einer darin zum Schutz des anderen ausgesprochenen Freiheitsverkürzung, sondern auch diesem anderen gegenüber im Falle der Versagimg von Schutz vor der privaten Freiheitsbeeinträchtigung - als Grundrechtseingriff zu qualifizieren 29 .

28

Zur Unterscheidung zwischen dem Anspruch auf staatliches Tun und dem auf staatliches Unterlassen im Hinblick auf die Grundrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 395, 415 f.; Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 (238); Lübbe-Wolff\ Die Gnindrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 33 ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (558). Darauf baut die Erkenntnis auf, daß die zentrale Voraussetzung aller über die Abwehrfunktion hinausgehenden, sogenannten objektiv-rechtlichen Grundrechtsfunktionen, auch der umfassenden Drittwirkung, in der Annahme einer - den Staat zu einem Tun verpflichtenden grundrechtlichen Schutzpflicht liegt; vgl. etwa Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (12); Canaris y AcP 184 (1984), 201 (225 ff.); Jarass, AöR 110 (1985), 363 (369, 378 ff). 29 Lübbe-Wolff, a.a.O., S. 103 ff., 163, 166 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung fur die Risiken der Technik, S. 89 ff., 106 ff.; ders., WiVerw 1986, 179 (182); Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, insb. S. 16 f., 66; ders., Probleme der Grundrechts14 Hellermann

210

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

Diese Zusammenfassung von hoheitlich bewirkten und hoheitlich nicht verhinderten oder zugelassenen, privat bewirkten Freiheitsbeeinträchtigungen im Begriff des hoheitlichen Grundrechtseingriffs überzeugt nicht. Auf einer grundrechtstheoretischen Ebene - die hier nur kurz betreten werden soll - hat die darin liegende, umfassende Zurechnung privaten Verhaltens zum Staat bereits häufiger Kritik gefunden. Sie wird von Schwabe und Murswiek - knapp zusammengefaßt und insoweit im wesentlichen übereinstimmend - damit begründet, daß der Staat an dem privat bewirkten Verletzungsvorgang in jedem Fall insoweit beteiligt sei, als er die Beeinträchtigung in seiner Rechtsordnung zulasse und dem Betroffenen damit ein Duldungsgebot auferlege 30. Der auf dieses hoheitliche Duldungsgebot gestützten Zurechnung ist zunächst entgegenzuhalten, daß sich allein aus dem fehlenden Verbot bzw. der Zulassung eines bestimmten privaten Verhaltens noch keine - über die Versagung staatlichen Rechtsschutzes hinausgehende - Duldungspflicht der anderen ergibt; die Freiheit der anderen, dem so zugelassenen privaten Verhalten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten und es womöglich zu verhindern, wird - unabhängig von der Erlaubnis oder dem fehlenden Verbot dieses privaten Verhaltens - erst durch weitere Regelungen der staatlichen Rechtsordnung, etwa das Verbot der Beleidigung, Körperverletzung, Nötigung, begrenzt 31. Mit Recht ist konstatiert worden, daß die Zurechnung zum Staat nur auf eine vorausliegende staatliche Pflicht zum Schutz vor privater Beeinträchtigung gegründet werden kann 32 . Während aber die Annahme einer grundrechtlichen Schutzpflicht neben dem abwehrrechtlichen Freiheitsschutz die Unterscheidung zwischen der grundrechtlich geschützten individuellen Freiheit und deren - unter Umständen grundrechtlich gebotenen - staatlichen Beschränkung jedenfalls dem Begriff nach wahrt, trifft die auf eine vorausgesetzte Schutzpflicht gestützte begriffliche Zusammenfassung von privater (Freiheits-)Betätigung und hoheitlichem Eingriff einen liberal-rechtsstaatlichen Freiheitsbegriff im Kern. Die Zurückführung allen erlaubten privaten Verhaltens auf seine Zulassung durch die staatliche Rechtsordnung und seine umfassende Zurechnung zum Staat lassen es einerseits kaum noch zu, private Handlungen als von staatlicher Gewährung unabhängig, dem Staat insofern dogmatik, S. 212 ff.; in gewissem Umfang zustimmend Pietzcker, in: FS Dürig, S. 345 (349 f., 355). 30 Murswiek, Die staatliche Verantwortung tur die Risiken der Technik, S. 62 ff., 89 ff.; ders., WiVerw 1986, 179 (182); Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 16 f.; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 213. 31 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 419; Lübbe-Wolff, a.a.O., S. 173, 187; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 128. 32 Alexy, a.a.O.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 97; Stern, Staatsrecht ffl/1, S. 947; vgl. auch Lübbe-Wolff, a.a.O., S. 119, 122, 145, und Murswiek, a.a.O., S. 109, die die Erforderlichkeit einer zugrundeliegenden grundrechtlichen (Schutz-)Pflicht erkennen.

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

211

vorausliegend anzusehen und den Privaten als ihre freie Betätigung zuzurechnen. Andererseits verlieren Freiheitsbeschränkungen durch die staatliche Rechtsordnung im Bürger-Bürger-Verhältnis ihre eindeutige Qualifizierung als hoheitlicher Grundrechtseingriff, weil sie immer zugleich als Rechtsgrundlage privater Freiheitsbetätigung erscheinen33. Das liberal-rechtsstaatliche Verteilungsprinzip ist ersetzt durch ein Modell staatlicher Freiheitszuteilung 34 . Im übrigen ist dieser Ansatz - das ist an dieser Stelle schon Einwand genug - auch grundrechtsdogmatisch nicht überzeugend. Soweit der Staat danach bei der Entscheidung eines Konflikts zwischen zwei Privaten sowohl mit der Verhängung einer Freiheitsbeschränkung wie auch mit dem Absehen davon, der Versagung von Schutz, einen Grundrechtseingriff vornimmt, ist er zwei konfligierenden Grundrechtsforderungen ausgesetzt, zwischen denen er sich - auf verfassungsrechtlicher Ebene - zu entscheiden hat. Hier mündet der Versuch einer Erweiterung des staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnisses wieder in jene Abwägungsdogmatik35, deren auch ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis zur Auflösung der Kollision zweier grundrechtlicher Grundsatznormen oder Prinzipien bedarf. Eine dogmatisch überzeugendere Alternative hierzu bietet auch dieser Ansatz nicht; eine Eingriffsdogmatik, die sich - so wie im Verhältnis des einzelnen Bürgers zum Staat - an den Begriffen von Schutzbereich und Eingriff, Schranke und Verhältnismäßigkeit orientieren könnte, läßt sich auf eine eingriffsabwehrrechtliche Umformulierung des grundrechtlichen Schutzanspruchs nicht aufbauen. Seinen grundrechtstheoretischen Grundlagen wie auch der darauf gegründeten Dogmatik nach muß also ein staatsgerichtet-abwehrrechtliches Grundrechtsverständnis die Unterscheidung zwischen staatlich zu verantwortenden, grundrechtsgebundenen Maßnahmen und den einzelnen zuzurechnenden, grundrechtlich geschützten Freiheitsbetätigungen aufrechterhalten. In diesem letzteren Sinne ist das Verhalten Privater - ungeachtet der Tatsache, daß es von der staatlichen Rechtsordnung nicht verboten oder zugelassen wird grundsätzlich zu qualifizieren. Die Grundrechte als staatsgerichtete Abwehr-

33 Kritisch zu einem solchen begrifflichen Iiieinanderstehen von Freiheit und Freiheitsbeschränkung - mit einer anschaulichen Illustration am Beispiel des Nötigungsverbots unter Privaten - Alexy, a.a.O., S. 343 f. 34 So sehr deutlich Pietzcker, in: FS Dürig, S. 345 (348); kritisch dazu Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 111 RN 119. 35 Vgl. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 107 ff. Auch nach Lübbe-Wolffs Konstruktion des - zum Schutz der natürlichen Freiheit hinzutretenden - eingriffsabwehrrechtlichen Schutzes einfachgesetzlich konstituierter Positionen kommt es bei der Aufhebung und bei der Anwendung solcher gesetzlichen Regelungen, die zum Schutz der einen Grundrechtsposition einen Eingriff in die - natürliche - Freiheit eines anderen vorsehen, zur Abwägung zwischen den beiden Grundrechtspositionen; vgl. Lübbe-Wolff, a.a.O., S. 167 f.

14*

212

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

rechte können dieser Freiheit Schutz gegenüber beeinträchtigenden hoheitlichen Maßnahmen bieten. Gegenüber Freiheitsbeeinträchtigungen, die von anderen Privaten in Ausübung ihrer Freiheit vorgenommen werden und diesen zuzurechnen sind, versagt ihr Schutz. Wenn der Gesetzgeber bzw. der Richter in Anwendung des Gesetzesrechts keine rechtlichen Sanktionen dagegen verhängen, können auch die Grundrechte keinen - verfassungsgerichtlich zu realisierenden - Anspruch darauf vermitteln. Was für die Reichweite der staatsgerichteten Abwehrrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis daraus folgt, sei an zwei bekannten, in diesem Zusammenhang häufiger gegenübergestellten Fallbeispielen illustriert: der Lüth-Entscheidung einerseits, der Blinkfüer-Entscheidung andererseits. Im Lüth-Fall 36 hatte das Landgericht Hamburg auf Klage von Veit Harlan hin Lüth durch Urteil untersagt, bestimmte Äußerungen zu tun; dieses hoheitliche Verbot war ein Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Lüth, der durch § 826 BGB als allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein mußte - insoweit also trägt die abwehrrechtliche Konstruktion 37. Im Blinkfuer-Fall 38 hatte der Herausgeber der Zeitschrift Blinkfüer gegen das Verlagshaus Springer wegen eines Boykottaufrufs auf Schadensersatz geklagt und war mit dieser Klage vom Bundesgerichtshof abgewiesen worden. Diese Klagabweisung ist anders als etwa Schwabe und Lübbe-Wolff meinen39 - kein hoheitlicher Eingriff in die Pressefreiheit des Blinkfüer-Herausgebers, sondern bedeutet die Verweigerung staatlichen Schutzes gegen eine private, vom Verlagshaus Springer ausgehende Beeinträchtigung. Gegen diese staatliche Entscheidung könnten die Freiheitsrechte nur als einen Schutzanspruch begründende, objektive Grundsatznormen geltend gemacht werden; als subjektive staatsgerichtete Abwehrrechte aber sind sie nicht betroffen 40.

2. Der staatsgerichtet-abwehrrechtliche Grundrechtsschutz des passiven Bürgers vor Zwang und Störung im Bürger-Bürger-Verhältnis Nunmehr gilt es, auf die eingangs gestellte Frage nach der Bewährung dieses staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsmodells am Problem von Zwang und Störung unter Privaten eine Antwort zu geben. Dabei sind all jene - ganz unterschiedlich gelagerten - Fallgestaltungen in den Blick zu nehmen,

36

BVerfGE 7, 198. Vgl. Alexy, a.a.O., S. 486 f.; Canaris , AcP 184 (1984), 201 (211); Lübbe-Wolff, S. 166; Schwabe, AöR 100 (1975), 442 (443 ff.). 38 BVerfGE 25, 256. 39 Lübbe-Wolff, a.a.O., S. 175; Schwabe, a.a.O., S. 459 f. 40 So zu Recht Alexy, a.a.O., S. 487 f.; Canaris, a.a.O., S. 229 f. 37

a.a.O.,

213

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

die von einem objektiv-rechtlichen Verständnis aus als Probleme der speziellen negativen Freiheitsrechte bzw. des allgemeinen Rechts, in Ruhe gelassen zu werden, angesehen werden. Die - im folgenden zu belegende - These lautet, daß ein staatsgerichtet-abwehrrechtliches Grundrechtsverständnis eine taugliche Grundlage fur eine sachlich adäquate grundrechtliche Erfassung dieses Problemkreises abgibt. a) Die Reichweite des staatsgerichtet-abwehrrechtlichen

Grundrechtsschutzes

Der Grundrechtsschutz in diesen Konflikten um Zwang und Störung unter Privaten bemißt sich danach ganz nach der Reichweite des grundrechtlichen Abwehrrechts gegenüber hoheitlichem Zwang. Wo der Gesetzgeber durch abstrakt-generelle Regelungen bzw. der Verwaltungsbeamte und Verwaltungsrichter, der Straf- oder Zivilrichter den einen Bürger im Interesse eines anderen in Anspruch nehmen, besteht für den so in seiner Freiheit beschränkten Bürger Grundrechtsschutz; er kann sich auf seine Freiheitsrechte in dem Umfang, wie er im 6. Kapitel fur das bloß zweiseitige Staat-Bürger-Verhältnis skizziert worden ist, grundsätzlich auch im Bürger-Bürger-Verhältnis berufen. aa) Der Schutz vor expliziten hoheitlichen Inpflichtnahmen Im Zusammenhang mit den negativen Freiheitsrechten kaum diskutiert und deshalb auch hier knapp abzuhandeln - ist dabei der Fall der expliziten hoheitlichen Verpflichtung des einen Bürgers zu einem bestimmten Tun im Interesse eines anderen Bürgers. Er ist gegeben, wenn der Bürger - etwa durch Verwaltungsakt oder Zivilurteil - zu einem solchen Tun verpflichtet oder - etwa durch Straf- oder Zivilurteil - wegen seiner Unterlassung mit Sanktionen belegt wird und stellt den sozusagen klassischen Fall des hoheitlichen Eingriffs in die Unterlassensfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis dar. Daß dieser direkte staatliche Zugriff auf den einen zugunsten des anderen keine besonderen grundrechtsdogmatischen Diskussionen ausgelöst hat, erklärt sich daraus, daß jedenfalls insoweit die individualistisch-liberale, von der Eigenverantwortlichkeit der Personen im Verhältnis zueinander ausgehende Struktur unserer Rechtsordnung theoretisch wie praktisch nicht prinzipiell in Frage gestellt wird. Deshalb besteht zumindest im Ausgangspunkt eine relativ klare grundrechtliche Situation, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen ergibt sich, daß eine einseitig-hoheitliche Auferlegung von Handlungspflichten zugunsten eines anderen Privaten nur in begrenztem Um-

214

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

fang erfolgt und erfolgen darf 41 . Es ist ein legitimes öffentliches Interesse, ja eine zentrale Staatsaufgabe, wechselseitigen Schädigungen bzw. Gefährdungen unter Bürgern entgegenzuwirken. Diese aber gehen zunächst nur von aktiven, potentiell aggressiven Handlungen eines Privaten aus, weshalb deren Verbot zum Schutz anderer Privater auch grundrechtlich gerechtfertigt sein kann. Handlungsgebote können unter diesem Aspekt nur gerechtfertigt werden, wenn der Bürger zuvor eine besondere Gefahr begründet oder eine besondere Verantwortung übernommen hat, für die er nun einzustehen hat, wie das etwa bei der strafrechtlichen Garantenstellung aus Ingerenz oder der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit des Zustandsstörers der Fall ist. Die hoheitliche Inanspruchnahme eines Privaten, die nicht mehr der Abwendung einer von ihm zu verantwortenden Gefahr für einen anderen dient, ist in unserer Rechtsordnung nur ausnahmsweise vorgesehen; hinzuweisen ist auf Sonderfälle wie die in § 323 c StGB strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen oder auch die polizeirechtliche Inanspruchnahme des Nicht-Störers, die ja unter Umständen auch dem Schutz gefährdeter Rechtsgüter eines anderen Privaten dienen kann. Im übrigen aber ist es nicht Sache des Staates, den einen Privaten allein und unmittelbar zum Zweck der Förderung von Interessen eines anderen in Anspruch zu nehmen. Das Tätigwerden Privater füreinander ist vielmehr im allgemeinen eine Angelegenheit ihrer privatautonomen, insbesondere vertraglichen Koordination. Insoweit folgt aus der Anerkennung ihrer Eigenverantwortlichkeit zum anderen, daß die hoheitliche Durchsetzung von Betätigungspflichten, die erlaubtermaßen- vertraglich begründet worden sind, vielleicht einen Grundrechtseingriff, jedenfalls aber grundsätzlich keine Grundrechtsverletzung darstellt, weil der Verpflichtete seine verbindliche Einwilligung erklärt hat. bb) Der Schutz vor sonstigen staatlich zu verantwortenden Betätigungszwängen und Störungen Sehr viel mehr diskutiert - und deshalb näher zu untersuchen - sind die Fallgestaltungen, in denen der Staat nicht so unmittelbar in die Unterlassensfreiheit eines Privaten eingreift, sondern allenfalls in vermittelterer Form eine staatliche Verantwortung für Betätigungszwänge und Störungen unter Privaten in Betracht kommt. Zu denken ist dabei an die zahlreich aufgetretenen Konflikte im Rahmen von Schulen, Kasernen, Haftanstalten. Dem Staat, der 41 Vgl. in diesem Zusammenhang Hofmann , in: WDStRL 41 (1983), S. 42 (56), der Carl Schmitts These, prinzipiell unbegrenzte Pflichten widersprächen der Idee des bürgerlichen Rechtsstaates (Schmitt, Verfassungslehre, S. 174), dahin präzisiert, daß prinzipiell unbegrenzte Handlungspflichten mit dem zugrundeliegenden Verfassungsprinzip der Freiheit unvereinbar wären.

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

215

Schüler der Schulpflicht unterwirft, Soldaten kaserniert, Strafgefangene einsperrt, stellt sich hier eine besondere Aufgabe der Ausgestaltung dieser Einrichtungen 42. In grundrechtlicher Hinsicht macht deren Besonderheit aus, daß es sich um staatlich geleitete und organisierte soziale Gebilde handelt, in denen die einzelnen Mitglieder, Benutzer, Insassen nicht eine bloß organschaftliche Stellung innehaben, sondern als Zivilpersonen, Bürger leben und handeln; das bedeutet, wie Böckenforde formuliert hat, Hdaß nicht erst jenseits, sondern in diesen Einrichtungen sich staatliches Amtshandeln und bürgerliche (gesellschaftliche) Freiheit begegnen und begegnen müssen . . . " 4 3 aber auch unterschieden bleiben müssen, wenn diese Freiheit grundrechtlich gegenüber hoheitlichen Eingriffen geschützt werden soll. Die Möglichkeit der Annahme eines hoheitlichen Grundrechtseingriffs liegt dort besonders nahe, wo es sich - bei genauerer Betrachtung - schon deshalb nicht eigentlich um einen Bürger-Bürger-Konflikt handelt, weil die störende Betätigung nicht den anderen Privaten als Ausübung ihrer eigenen grundrechtlich geschützten Freiheit zuzurechnen ist, sondern um einen Staat-Bürger-Konflikt, weil es eine staatliche Veranstaltung ist, an der teilzunehmen sich der Bürger gezwungen oder durch die er sich sonst in seiner Freiheitssphäre beeinträchtigt sieht. Die Frage nach dieser Konstellation hat sich insbesondere im Streit um das Schulgebet gestellt. Das Bundesverfassungsgericht sieht das Schulgebet zwar nicht als Teil des allgemeinen Schulunterrichts, aber jedenfalls dann, wenn es auf Anregung und unter Mitwirkung des Lehrers und innerhalb der Unterrichtszeit stattfindet, doch als "eine dem Staat zuzurechnende schulische Veranstaltung" 44; folgerichtig verneint es auch einen auf Art. 4 Abs. 2 GG gestützten Anspruch betwilliger Schüler oder Eltern gegen den Staat auf Abhaltung eines solchen Schulgebets45. Zugleich meint es allerdings, die Rolle des Staates beschränke sich auf die Schaffung eines organisatorischen Rahmens, eines Angebots oder Freiraums für die Ausübung positiver Bekenntnisfreiheit durch die betenden Schüler 46; entsprechend soll das ungerechtfertigte "Verbot" eines bislang zugelassenen und tatsächlich abgehaltenen Schulgebets eine Grundrechtsverletzung sein 47 . Diese Ausführungen sind mit Recht als in sich widersprüchlich kritisiert worden 48 . Das Ge-

42

Vgl. BVerfGE 41, 29 (49); 52, 223 (241). Böckenforde, DÖV 1974, 253 (255); ders., DÖV 1980, 323 (324). 44 BVerfGE 52, 223 (240). 45 A.a.O., S. 242, 254. 46 A.a.O., S. 240 f. 47 A.a.O., S. 254. 48 Böckenförde, DÖV 1980, 323 (326); Hollerbach, AöR 106 (1981), 218 (269 f.); Renck, BayVBl. 1980, 338 f.; vgl. auch Unk, JZ 1980, 564 (566), der die Vorenthaltung eines Anspruchs auf Abhaltung des Schulgebets als inkonsequent kritisiert. 43

216

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

rieht entzieht sich darin einer eindeutigen Qualifizierung des Schulgebets, indem es zwischen organisatorische Form und bekenntnishaften Inhalt dieser Veranstaltung einen Keil treibt, wobei es erstere dem Staat, letzteren aber den einzelnen Betenden zuzuschreiben sucht; den entstehenden Spalt überbrückt es dann lediglich, um einen grundrechtlichen Anspruch der Beteiligten auf weitere Abhaltung eines Schulgebets durch den Staat zu begründen. Das Schulgebet in seiner jeweiligen Form und mit seinem jeweiligen Inhalt aber ist entweder staatliche Veranstaltung oder private Freiheitsbetätigung. Die Qualifizierung als Freiheitsbetätigung der betenden Schüler (und Lehrer) wäre möglich, wenn der Staat in der Tat diesen nur den dafür nötigen Freiraum gewährte, indem er ihnen etwa vor Unterrichtsbeginn oder in Unterrichtspausen die Versammlung zum gemeinsamen Gebet ermöglichte, so daß man mit Recht von einer bloßen "Zulassung" des Schulgebets durch den Staat49 sprechen könnte. Der Staat tut aber mehr als dies, wenn er die Abhaltung des Schulgebets anregt und es unter der Leitung und Mitwirkung des Lehrers innerhalb der Unterrichtszeit sprechen läßt; er organisiert damit das Schulgebet, auch wenn er es nicht obrigkeitlich anordnet, sondern nur anbietet, als eine ihm zuzurechnende Veranstaltung. Diese organisatorische Ausgestaltung des Schulgebets läßt aber - ohne daß das hier vertieft werden soll - die Bedenken gegen seine objektiv-rechtliche Verfassungsmäßigkeit außerhalb von Bekenntnisschulen kaum abweisbar erscheinen, weil es sich danach als ein hoheitlicher Bekenntnisakt darstellt, der mit dem Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität unvereinbar ist 50 . Die grundsätzlich anerkannte Zulässigkeit religiöser Bezüge in (christlichen) Gemeinschaftsschulen ist auf die Betonung christlicher Überlieferung ohne bekenntnismäßigen Charakter begrenzt und erstreckt sich nicht auf Bekenntnishandlungen51. Auch der bereits erwähnte Gesichtspunkt, daß die Schule ein soziales Gebilde unter staatlicher Leitung ist, in dem die Schüler Privatpersonen und Grundrechtsträger bleiben, kann in diesem Zusammenhang nur so weit tragen, daß der Staat im Rahmen seiner Einrichtung diesen Gelegenheit zur Ausübung ihrer Religionsfreiheit in der Form privater Bekenntnishandlungen geben kann und vielleicht muß 5 2 ; das spiegelt sich übrigens auch in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV wider, der den Religionsgesellschaften die Zulassung zur Vornahme religiöser

49

So BVerfGE 52, 223 (240 f.); vgl. auch BVerwGE 44, 196 (199). Vgl. dazu Fischer, Trennung von Staat und Kirche, S. 281 ff.; Renck, BayVBl. 1980, 338 f.; vonZezschwitz, JZ 1966, 337 (338); ders., JZ 1971, 11 (13 ff.). 51 Böckenförde, DÖV 1980, 515, unter Bezugnahme auf BVerfGE 41, 29 (51 ff.); 52, 223 (240), in Erwiderung auf Scheuner, DÖV 1980, 513 (514). 52 Diese nötige Differenzierung übergeht Link, JZ 1980, 564 (565), im Anschluß an BVerfGE 52, 223 (240 f.). Böckenförde, DÖV 1980, 323 (324), hingegen vermißt insoweit einen organisatorischen Niederschlag der Trennung des Schulgebets als privater Bekenntnishandlung vom schulischen Unterricht. 50

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

217

Handlungen in Heer, Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Anstalten garantiert. Die weitere Frage ist dann, ob die nicht betwilligen Schüler ein subjektives Abwehrrecht gegenüber der staatlichen Veranstaltung eines Schulgebets aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV besitzen; das hängt davon ab, ob sie zur Teilnahme gezwungen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Annahme, bei Beachtung der von ihm zur Schonung der nicht betwilligen Schüler geforderten Randbedingungen fur die Abhaltung eines Schulgebets werde in aller Regel kein unzulässiger Zwang ausgeübt53, praktisch ungeteilte Zustimmung gefunden 54. Auch wenn man zweifeln kann, ob seine Entscheidung der Situation eines nicht betwilligen Schülers tatsächlich soweit Rechnung trägt, daß von voller Freiwilligkeit der Teilnahme gesprochen werden kann, wird es danach doch regelmäßig an einem subjektiven Abwehrrecht des einzelnen fehlen. Um hier verbleibende Bedenken, insbesondere aber den Einwand objektiver Verfassungswidrigkeit auszuräumen, müßte ein Schulgebet auch organisatorisch, insbesondere durch Herausnahme aus der Unterrichtszeit, als ein vom staatlichen Schulunterricht unterschiedener, privater Bekenntnisakt der Betenden abgehalten werden 55 . Um solche privaten Freiheitsbetätigungen im Rahmen staatlicher Einrichtungen handelt es sich in Fällen wie denen des nach Sannyasin-Art bekleideten oder eine Anti-Atomkraft-Plakette tragenden Lehrers in der Schule oder des politisch werbenden Soldaten in der Kaserne; dementsprechend erkennen auch die Gerichte hier eine Ausübung der Grundrechte auf (positive) Bekenntnisbzw. Meinungsäußerungsfreiheit 56. Es stehen sich deshalb innerhalb einer staatlichen Einrichtung zunächst zwei Private gegenüber, wenn durch diese Aktivitäten des einen ein anderer sich gestört fühlt. Zu dessen Schutz können die Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte erst dann ins Spiel kommen, wenn in bezug auf das als störend empfundene private Verhalten ein hoheitlicher Zwang auf ihn ausgeübt wird. Daß eine hoheitliche Freiheitsbeeinträchtigung durch solchen Zwang - gerade innerhalb staatlicher Einrichtungen - möglich ist, erkennt das Grundgesetz selbst in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4, Art. 141 WRV an, wo es - jedenfalls auch - dem Staat die Ausübung von Zwang zur Teilnahme an religiösen Übungen anderer ausdrücklich untersagt. Ein grundrechtlicher Schutz hiergegen sprengt auch nicht die Möglich-

53

BVerfGE 52, 223 (248 ff.); vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) aa), bei FN 85 ff. Böckenförde, DÖV 1980, 323 (326 f.), der lediglich - zu Recht, da es um einen eingriffsabwehrenden Anspruch geht - für eine materielle Beweislastverteilung zugunsten des nicht betwilligen Schülers plädiert; Hesse, ZevKR 25 (1980), 239 (255 ff.); Hollerbach, AöR 106 (1981), 218 (269); Unk, JZ 1980, 564 (566); Listi , in: FS Klecatsky, S. 571 (579 f.). 55 Vgl. Böckenförde, DÖV 1974, 253 (257). 56 Vgl. BVerfGE 44, 197 (201 ff.); BVerwGE 53, 327 (328); BVerwG, NVwZ 1988, 937 (938); BAG, NJW 1982, 2888 (2890). 54

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7. Kap.: Der grundrechtliche Ansprch auf staatlichen Schutz

keiten eines staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnisses und der darauf gegründeten Eingriffsdogmatik, solange daraus nicht ein Anspruch auf Einschreiten gegen den aktiven Dritten, sondern allein die Abwehr des hoheitlichen Zwangs auf den sich gestört fühlenden Bürger abgeleitet wird 5 7 . Die Qualifizierung der Aktivität als prinzipiell erlaubte Freiheitsbetätigung wird dadurch nicht in Frage gestellt, ihr grundrechtlicher Schutz nicht tangiert; dieser vermittelt dem Handelnden ja keineswegs einen Anspruch auf Beteiligung oder Kenntnisnahme durch andere bzw. darauf, daß der Staat diese mit hoheitlichen Mitteln daran hindert, sich zu entziehen58. Im Hinblick auf eine etwaige Zwangsausübung ist der Staat deshalb auch nicht zwei einander widersprechenden, ihre optimale Realisierung fordernden Grundrechtspositionen ausgesetzt, sondern muß sich nur vor den Freiheitsrechten des in seiner Passivität gestörten Bürgers verantworten. Ein eigenständiger hoheitlicher Eingriff in seine Freiheitsrechte liegt aber nur dann vor, wenn er durch den Staat zu eigener Teilnahme an der fremden Betätigung gezwungen oder dieser in einer grundrechtserheblichen Weise ausgesetzt wird; insoweit kann für die staatlicherseits erzwungene Konfrontation mit fremder, privater Betätigung nicht anderes gelten als für die mit staatlichen Aktivitäten 59 . Der bloße Zwang zur Wahrnehmung fremder politischer oder religiöser Auffassungen, wie er in den genannten Beispielsfällen vorliegt, bleibt danach grundrechtlich irrelevant, auch wenn diese Meinungskundgaben ihres Inhalts oder ihrer Form wegen als Störung oder Belästigung empfunden werden. Daß die Grenze zur indoktrinierenden Beeinflussung überschritten wäre, ist auch im Falle des Lehrers, der in Sannyasinkleidung vor die Schüler tritt, nicht anzunehmen. b) Der Wegfall

weiterreichender

Grundrechtswirkungen

Wo der Staat nicht in dieser Weise für eine grundrechtserhebliche Freiheitsbeeinträchtigung verantwortlich ist, sondern der Zwang oder die Störung des einen Bürgers von einem anderen Bürger zu verantworten ist und vom Staat Schutz gegen dessen mehr oder weniger störendes Tun begehrt wird, bleiben die Grundrechte des sich gestört fühlenden Bürgers nach einem staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnis ohne Bedeutung. Der Wegfall weiterreichender Grundrechtswirkungen, wie sie nur ein objektivrechtliches Grundrechtsverständnis hervorbringen kann, muß den Einwand einer Verkürzung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes provozieren. Dieser Einwand aber sticht - jedenfalls in den hier interessierenden Konfliktlagen 57 Vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 83; Loschelder, ZBR 1977, 337 (339). 58 Vgl. Wendt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 5 RN 19. 59 Vgl. oben 6. Kapitel, Abschnitt ffl 2 a).

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

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nicht. Auch ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis nimmt diese Schutzwirkungen nur vorläufig, vorbehaltlich der letztlich über die Wirksamkeit der Grundrechte entscheidenden Abwägung zwischen den beiden kollidierenden Grundrechtspositionen an. Die danach geübte Abwägungspraxis aber hat sich im Hinblick auf den Freiheitsschutz der Bürger als durchaus problematisch erwiesen. Genau den sachlichen Bedenken gegenüber dieser Abwägungspraxis trägt die Reduzierung auf eine bloß staatsgerichtet-abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte Rechnung; sie hinterläßt dabei einerseits keine inakzeptablen Lücken im grundrechtlichen Freiheitsschutz und wehrt andererseits einer dem objektiv-rechtlichen Gehalt der negativen Freiheitsrechte innewohnenden, potentiell freiheitsgefährdenden Tendenz. aa) Der Schutz vor störender Aktivität anderer Bürger Allerdings gibt es nunmehr - aus der Perspektive des sich gestört fühlenden Bürgers - keinen grundrechtlichen Schutzanspruch gegenüber dem störenden Bürger. Wie gesehen, kann einem staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnis die Nichtgewähr staatlichen Schutzes gegenüber anderen Privaten ganz allgemein kein hoheitlicher Eingriff sein. Auch jene einzelnen Grundrechtsbestimmungen, die ausdrücklich einen besonderen Schutzanspruch gegenüber anderen Privaten normieren, nämlich Art. 4 Abs. 2 GG, der mit der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung auch Schutz vor Störungen durch Dritte verbürgen soll 60 , und Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG helfen nach der hier vertretenen Interpretation nur dem aktiven, nicht dem passiven Bürger; die Ablehnung einer negativen Seite von Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 9 Abs. 3 GG gewinnt so, auf der Basis eines allgemeinen Verständnisses der Freiheitsrechte als staatsgerichteter Abwehrrechte, doch noch Bedeutung für den Schutz der negativen Kultus- und der negativen Koalitionsfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis. Die Gewährleistung von Schutz für den passiven Bürger gegenüber dem Tun anderer wird damit - wie es etwa der Schutz vor Koalitionszwang bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Reichsarbeitsgerichts war 6 1 - ganz zur Aufgabe des einfachen Rechts und seiner Anwendung. In erster Linie stellt sie sich also dem Gesetzgeber, in zweiter Linie, innerhalb des durch die gesetzlichen Regelungen geschaffenen Rahmens, der Verwaltung und den Gerichten; in ihrer Verantwortung liegt es, daß im Einzelfall der gesetzlich gebotene bzw. innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten der bei Ab-

60

Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt I 2 b) aa), bei und in FN 33. RGZ 104, 327 (328 ff.); RAG, ARS 6, 427 (430 f.); vgl. dazu Mayer-Maly, bler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (7 ff.). 61

in: Däu-

220

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

wägung der widerstreitenden Positionen sachlich angemessene Schutz gewährt wird. Die Rechtsordnung hat sich dieser Aufgabe fur das allgemeine BürgerBürger-Verhältnis in einer Vielzahl von besonderen Vorschriften, die das Tun der Bürger wegen drohender Beeinträchtigungen anderer in bestimmter Weise beschränken, angenommen und im übrigen durch allgemeine Regelungen wie die der §§ 823 ff. BGB, der polizeilichen Generalklausel und des § 240 StGB die Möglichkeit eröffnet, gegen Freiheitsbeeinträchtigungen durch andere Private vorzugehen 62. Für jene staatlichen Einrichtungen, in denen der Staat Bürger in eine besondere Nähe zueinander bringt und damit in verstärktem Maße der Gefahr von Störungen durch fremde Aktivitäten aussetzt, bestehen darüber hinaus auch besondere Rechtsgrundlagen, etwa im Rahmen und auf der Grundlage des Strafvollzugsgesetzes, des Soldatengesetzes oder der Schulgesetze, für einen Schutz der Bürger voreinander. Auf der Ebene des einfachen Rechts sind damit - wovon übrigens auch die Theorie der mittelbaren Drittwirkung ausgeht, wenn sie die grundrechtlichen Anforderungen auf der Ebene der Anwendung des Gesetzesrechts erfüllen will - auch ohne Inanspruchnahme einer objektiv-rechtlichen Grundrechtswirkung insbesondere durch den Rückgriff auf die generalklauselartigen Vorschriften weitreichende rechtliche Möglichkeiten zum Schutz des Bürgers gegeben, die im übrigen auch weithin subjektiv-rechtlich, als Anspruch auf hoheitliches Einschreiten ausgestaltet sind 63 . Daß der Bürger sein Schutzbegehren nicht mehr auf die Grundrechte in ihrer sogenannten objektiv-rechtlichen Bedeutung soll stützen können, hat verfahrensmäßige und materiell-rechtliche Aspekte. In verfahrensmäßiger Hinsicht ist die Folge, daß der Bürger zur Durchsetzung seines Schutzbegehrens ganz auf die Geltendmachung seiner einfachgesetzlichen Schutzansprüche vor den zuständigen Behörden bzw. den Gerichten der zuständigen Fachgerichtsbarkeit verwiesen ist. Die dort letztinstanzlich bestätigte Verweigerung staatlichen Schutzes gegenüber einem störenden Privaten kann er nicht mehr mit der Verfassungsbeschwerde angreifen und vom Bundesverfassungsgericht noch einmal darauf überprüfen lassen, ob diese Entscheidung bei Abwägung der kollidierenden (Grundrechts-)Positionen sachlich angemessen ist. In materiell-rechtlicher Hinsicht entfallt mit der grundrechtlichen Schutzpflicht zunächst die Grundlage dafür, die bestehenden einfachgesetzlichen Schutzvorschriften zumindest in einem Kernbestand als grundrechtlich geboten und verfassungsrechtlich garantiert anzusehen, außerdem für die Anwendung dieser Regelungen eine verfassungsrechtliche Position, die, insbesondere bei Ermes62 Auf den - zureichenden - einfachgesetzlichen Schutz des passiven Bürgers verweisen etwa Galperin, in: FS Bogs, S. 87 (104 f.); Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/l, S. 158; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 149. 63 Vgl. dazu Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (561 f.).

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

221

sens- und Beurteilungsspielräumen, den Anspruch des Schutz begehrenden Bürgers argumentativ unterstützen und stärken kann, ohne insoweit aber rechtlich unverzichtbar zu sein. Der eigentliche, sich im rechtlichen Ergebnis notwendig niederschlagende Verlust liegt darin, daß dort, wo die einfachgesetzlich mögliche Schutzgewährleistung im Hinblick auf eine drohende Gefährdung von Seiten anderer Privater als unzureichend beurteilt wird, kein weitergehender verfassungsrechtlicher Schutzanspruch geltend gemacht werden kann. Durch die bestehende Rechtsordnung nicht hinreichend geschlossene, angesichts drohender Freiheitsgefahrdungen nicht hinnehmbare Schutzlücken aber hinterläßt der Verzicht auf diese objektiv-rechtliche Verstärkung des Grundrechtsschutzes jedenfalls im hier interessierenden Problemkreis kaum. Für die Lösung der anstehenden Konflikte haben doch auch die speziellen negativen Freiheitsrechte bzw. das allgemeine Freiheitsrecht in ihrer objektivrechtlichen Bedeutung kaum effektiven, das bereits einfachrechtlich gewährleistete Maß übersteigenden Grundrechtsschutz bewirkt, weil sie in der Abwägung mit den entgegenstehenden, die störende Betätigung schützenden Grundrechten am Ende in aller Regel zurückzustehen hatten; dem Bürger, der sich durch das - nicht bereits gesetzlich verbotene - Tun anderer gestört fühlt, wird regelmäßig zugemutet, sich dieser Störung selbst - mit erlaubten Mitteln - zu erwehren oder sich ihr zu entziehen64. Einem objektiv-rechtlichen Grundrechtsverständnis, das die Kollision zweier prinzipiell gleichrangiger Grandrechtspositionen annimmt, muß dieses tendenziell einseitige Ergebnis befremdlich erscheinen. Die Rückbesinnung auf eine bloß staatsgerichtet-abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte gibt diesem Befund eine überzeugende dogmatische Grundlage, indem sie dem Bürger von vornherein keinen grundrechtlichen Anspruch auf hoheitliche Untersagung der störenden Handlung eines anderen Bürgers zuspricht. bb) Der unrelativierte Grundrechtsschutz auch störender Aktivität Wechselt man die Perspektive, folgt aus der Zugrundelegung eines staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Modells, daß es keine Relativierung des Grundrechtsschutzes für den handelnden Bürger durch die Geltendmachung einer entgegenstehenden Grundrechtsposition mehr geben kann. Wenn der Gesetzgeber bzw. Verwaltung und Gericht dem durch das Tun eines anderen gestörten Bürger den begehrten staatlichen Schutz verweigern, kann dieser sich dagegen nicht unter Berufung auf seine Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte wenden; es bleibt bei der einfachgesetzlich begründeten Entschei64

Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) aa).

222

7. Kap.: Der grundrechtliche Anspruch auf staatlichen Schutz

dung, keinen hoheitlichen Eingriff in die Freiheit des Handelnden vorzunehmen. Wenn hingegen auf sein Begehren hin staatliche Hilfe gewährt und ein solcher Eingriff vorgenommen wird, besteht gegen diese Entscheidung Grundrechtsschutz. Sie kann nur bestehen bleiben und letztlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt werden, wenn sie rechtmäßig, d.h. durch ein seinerseits verfassungsmäßiges Gesetz gedeckt ist. Eine Beschränkung der Freiheit des Handelnden über das gesetzlich erlaubte und durch die Schranken seiner Grundrechte zugelassene Maß hinaus wäre unzulässig, insbesondere nicht mit dem Hinweis auf eine kollidierende Grundrechtsposition der anderen Partei zu rechtfertigen. Hoheitliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit sind damit, auch wenn sie der Lösung von Konflikten zwischen Privaten dienen, den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen hoheitlicher Freiheitseingriffe unterworfen. Die damit einhergehende Eingriffs- und Schrankendogmatik zeichnet sich gegenüber der Abwägungsdogmatik eines objektiv-rechtlichen Grundrechtsverständnisses durch spezifische freiheitssicherade Effekte aus, die gerade den Betätigungen - vermeintlicher - gesellschaftlicher Außenseiter zugute kommen können, deren Grundrechtsposition in der Abwägung mit kollidierenden Grundrechtspositionen anderer mitunter eine geringere Gewichtung erfahren hat 6 5 . Zum einen fordert das Eingriffsmodell aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes für jeden Grundrechtseingriff eine gesetzliche Grundlage, die nicht nur den Einzelfall regelt, sondern abstrakt-generell gefaßt und außerdem hinreichend bestimmt ist. Das unterscheidet es vom Abwägungsmodell, das die optimale Lösung der Kollision zwischen zwei widerstreitenden grundrechtlichen Prinzipien nach Maßgabe der jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten sucht, damit notwendig auf die verfassungsrechtliche Abwägungsentscheidung im konkreten Fall verweist und eine generelle, gesetzliche Normierung nicht als maßgeblich akzeptieren kann. Bereits diese Notwendigkeit einer generellen Normierung von Freiheitsbeschränkungen hat für den einzelnen freiheitssicherade Bedeutung, weil das Gesetz in seiner abstraktgenerellen Fassung eine relative Gleichbehandlung und Unparteilichkeit verbürgt 66 . Zum anderen unterwirft das Eingriffsmodell Freiheitsbeschränkungen den für den Staat geltenden Anforderungen hinsichtlich der erlaubten Zwecke und Mittel; Eingriffe sind nur zulässig, wenn sie - abgesehen von ihrer Vereinbarkeit mit den jeweiligen, besonderen grundrechtlichen Schrankenregelungen - jedenfalls mit dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz übereinstimmen, d.h. insbesondere zur Erreichung eines legitimen staatlichen

65

Vgl. oben 3. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) bb). Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 196; Kloepfer, (1982), 63 (66 f.); Ossenbühl, in: Handbuch des Staatsrechts m, § 61 RN 12. 66

in: WDStRL 40

Π. Geltung und Funktion der Freiheitsrechte

223

Zwecks geeignet und erforderlich sind. Auch die Freiheitsbeschränkung im Interesse Dritter muß sich als hoheitlicher Grundrechtseingriff - anders als im Abwägungsmodell, wo die Beschränkung der grundrechtlichen Handlungsfreiheit des einen materiell durch die kollidierende Grundrechtsposition des anderen gerechtfertigt wird, die ihrerseits solchen Bindungen in der Wahl der Zwecke und Mittel nicht unterliegt - vor diesen inhaltlichen Anforderungen rechtfertigen. Daraus folgt insbesondere, wie sich aus Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und 2 GG ergibt, daß sie nicht gerade wegen einer in der Betätigung zum Ausdruck kommenden religiösen oder politischen Auffassung erfolgen darf, sondern durch einen legitimen öffentlichen Zweck gerechtfertigt sein, insbesondere der Abwehr von Störungen und Gefahren dienen muß; allein um Bürgern die Konfrontation mit mehrheitlich abgelehnten, gesellschaftlich unerwünschten Betätigungen, insbesondere Meinungskundgaben anderer zu ersparen, darf der Staat gegen diese nicht einschreiten67. Das Eingriffsmodell mit den ihm eigentümlichen formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen trägt dazu bei, Aktivitäten gesellschaftlicher Außenseiter grundsätzlich denselben grundrechtlichen Schutz wie sozial akzeptierten Verhaltensweisen zu verbürgen, und dient so der Erfüllung der spezifischen Grundrechtsaufgabe, auch und gerade die Freiheit von Minderheiten in der Gesellschaft zu schützen68.

67 In diese Richtung zielt auch die Kritik von Podlech, in: AK-GG, Art. 2 Abs. 1 RN 57 a, an BVerfGE 44, 197, wenn er im Anschluß an die Sondervoten der Richter Rottmann, a.a.O., S. 205 (207), und Hirsch, a.a.O., S. 209 (210), sich gegen die Argumentation mit dem Recht der anderen Soldaten, in Ruhe gelassen zu werden, aus Art. 2 Abs. 1 GG wendet und stattdessen eine Prüfung der konkreten Bedrohung der Kameradschaft und der Verteidigungsbereitschaft der Truppe fordert. 68 Vgl. dazu etwa Schnapp, JZ 1985, 857 (860 f.); Scholz, NJW 1983, 705 (709).

8. Kapitel

Z u r grundrechtstheoretischen Fundierung Die - der Anerkennung und Anwendung einer negativen Seite der Freiheitsrechte durch Rechtsprechung und Literatur kritisch entgegengesetzte eigene Position ist bislang auf der Ebene der Auslegung und Anwendung der (einzelnen) Gnindrechtsbestimmungen entwickelt worden. Die Aussagen zur Interpretation und Dogmatik der Grundrechte in den vorangegangenen Kapiteln sind freilich - wie spätestens bei den Überlegungen zu Geltung und Funktion der Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis offenkundig geworden ist - geleitet von bestimmten Vorstellungen grundrechtstheoretischer Art. Auch auf dieser Ebene muß sich die eigene Position nun abschließend gegenüber den grundrechtstheoretischen Vorstellungen, von denen die Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte sich - sehr unmittelbar - ableitet, behaupten. Diese grundrechtstheoretische Fundierung der eigenen grundrechtsdogmatischen Position soll auf zweierlei Weise, sozusagen mit defensiver und offensiver Zielsetzung erfolgen. Zunächst muß sie gegen einen zentralen grundrechtstheoretischen Vorwurf, nämlich den der Aufgabe eines negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs, verteidigt werden (I.). Sodann soll gezeigt werden, daß die einzelnen grundrechtsdogmatischen Annahmen dieser Untersuchung sich zu einem Verständnis von grundrechtlicher Handlungsfreiheit zusammenfügen, das eine tragfahige grundrechtstheoretische Basis abgibt (II.).

I . Die Bewahrung eines negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs Im Zusammenhang mit den Grundrechten des Grundgesetzes ist ein positiver (objektiver, materialer) Freiheitsbegriff, der Freiheit von vornherein als inhaltlich determiniert versteht und nur ein danach als richtig erkanntes Handeln des einzelnen als individuellen Freiheitsgebrauch anerkennt, nur vereinzelt ausdrücklich vertreten 1 und jedenfalls nicht mit der letzten sachlichen Konsequenz, die dem grundrechtlichen Schutz dieser Freiheit die rechtliche,

1 Vgl. etwa Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, S. 53; Hantel, Deutsches Staatsrecht I, S. 80 ff.; ders., Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, S. 8; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 538 ff.; ders., in: Seifert/Krüger, Die Einschränkung der Grundrechte, S. 35 (53); deutlich anders noch, für einen subjektiven Freiheitsbegriff ders., Grundgesetz und Kartellgesetzgebung, S. 14 ff.

I. Die Bewahrung eines negativen Freiheitsbegriffs

225

unter Umstanden erzwingbare Pflicht des einzelnen zum rechten Freiheitsgebrauch entnehmen müßte, umgesetzt worden 2. Mit Recht haben dagegen Autoren - nicht nur von der Warte einer liberal-rechtsstaatlichen Grundrechtstheorie, sondern von durchaus unterschiedlichen Standpunkten aus - immer wieder nachdrücklich betont, daß grundrechtliche Freiheit nur als "Freiheit schlechthin", im Sinne von individuellem Belieben des einzelnen Grundrechtsträgers verstanden werden könne3. Die Bewahrung eines solchen negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsbegriffs ist eine - nahezu - allseits anerkannte, unabdingbare Anforderung an jegliche Grundrechtsinterpretation und Grundrechtstheorie unter dem Grundgesetz. Die Ablehnung der Figur der negativen Seite der Freiheitsrechte muß zunächst den Einwand entkräften, gegen diese elementare Anforderung zu verstoßen.

1. Die Annahme eines zwingenden Zusammenhangs zwischen negativem Freiheitsbegriff und Anerkennung einer negativen Seite Sie sieht sich diesem Vorwurf durch die Annahme eines zwingenden Zusammenhangs zwischen negativem Freiheitsbegriff und negativer Seite der Freiheitsrechte ausgesetzt. Diese Annahme begegnet einem in Rechtsprechung und Literatur ganz deutlich in der logisch-begrifflichen Ableitung der negativen aus der positiven Seite der Freiheitsrechte 4. Die Anerkennung einer das Unterlassen schützenden, negativen Seite erscheint ihr geboten, weil andernfalls das Freiheitsrecht, allein mit seiner positiven Seite, nicht den Anforderungen eines negativen Freiheitsbegriffs genügen könne; sein Gegenstand sei dann nicht mehr eine im Belieben des einzelnen Grundrechtsträgers stehende, sondern eine bestimmte Handlung.

2

Vgl. Geiger, a.a.O., der eine zwar rechtliche, aber sanktionslose Pflicht annimmt und sogar den Grundrechtsschutz des Nichtgebrauchs anerkennen will (vgl. ders., in: Staatslexikon [6. Aufl.] m, Sp. 1122 [1125 f.]), sowie Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 543. 3 Vgl. etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 198, 206; Bethge, NJW 1982, 2145 (2148); Bleckmann, Staatsrecht Π - Die Grundrechte, S. 202; Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f., 1537 f.); Denninger, JZ 1975, 545; Höfling, Offene Grandrechtsinterpretation, S. 65; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 38, 61; ders., Der Staat 14 (1975), 153 (158 f., 165); Lübbe-Wolff,\ Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 98; von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 RN 112; Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2102); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 14; Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, S. 628; Suhr, EuGRZ 1984, 529 (532). 4

Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) aa).

15 Hellermann

226

8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

Im übrigen ist diese Annahme auch darüber hinaus latent wirksam. Auch wo sie nicht ausdrücklich als logisch zwingend bezeichnet wird, erscheint die Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte in einer liberalen, dem negativen Freiheitsverständnis verpflichteten Grundrechtsordnung doch so selbstverständlich, daß dieses Vorverständnis häufig in die Bewertung einzelner Auslegungsgesichtspunkte einfließt. Das wird etwa deutlich in der Beurteilung historischer und entstehungsgeschichtlicher Sachverhalte, wenn aus der feststellbaren Ablehnung von Zwang zu bestimmtem Tun ein Argument fur die Anerkennung der negativen Seite der Freiheitsrechte gewonnen wird; Beispiele dafür sind die Bewertung der Geschichte von Korporations- und Assoziationsfreiheit im deutschen Vormärz, wo aus der Vornahme dekorporierender Reformen und der Betonung des Fernbleibe- und Austrittsrechts als Grenze der (positiven) Assoziationsfreiheit der Bürger die Anerkennung eines Grundrechts auf negative Assoziationsfreiheit abgeleitet wird 5 , und die Bewertung der Entstehungsgeschichte von Art. 9 Abs. 3 GG, wo die übereinstimmende Ablehnung der Zulässigkeit von Koalitionszwang als den Willen zur grundrechtlichen Verbürgung negativer Koalitionsfreiheit in sich einschließend gedeutet wird 6 . Ebenso läßt sich dieses Vorverstandnis im Gebrauch und in der Aufnahme bestimmter Begriffe aufweisen. Es ist schon bezeichnend, wenn der von der negativen Seite abzuwehrende Betätigungszwang als Zwang zum Grundrechts- oder Freiheitsgebrauch, das Unterlassen als Nichtgebrauch der Freiheit oder der Grundrechte umschrieben wird 7 ; in dieser Sprachregelung erscheint die Vornahme der im Grundrecht tatbestandlich umschriebenen Betätigung immer als Freiheitsgebrauch und, weil dieser in seiner Freiheit geschützt ist, die grundrechtliche Abwehr des Zwangs von vornherein unabweislich. Sozusagen automatisch assoziiert wird die Annahme einer umfassenden, die negative Seite einschließenden Verhaltensfreiheit schließlich, wenn das grundrechtlich geschützte freie Belieben mit dem Begriff der individuellen Freiheitssphäre oder verwandten Begriffen belegt wird 8 .

5

Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) aa). Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 1 b, bei und in FN 116, sowie 5. Kapitel, Abschnitte Π 3 a) und Π 3 b). 7 Zu diesen und ähnlichen Formulierungen vgl. etwa Düng, in: FS Nawiasky, S. 157 (184 FN 61); ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I RN 10; Födisch, RdA 1955, 88 (92); Huber, DÖV 1956, 135 (137); H.H. Klein, Der Staat 10 (1971), 145 (164); Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, S. 26; Menen, VerwArch 73 (1982), 103 (121); Soell, Aspekte der Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18. 8 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) cc), bei und in FN 153. Dabei wird - z.B. von Menen, VerwArch 73 (1982), 103 (104 FN 12), der diese Entscheidungen neben anderen als Beleg für die Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes von Sphären umfassender individueller Entschließungsfreiheit zitiert - übersehen, daß das Bundesverfassungsgericht den Begriff der 6

I. Die Bewahrung eines negativen Freiheitsbegriffs

227

2. Widerlegung Es ist aber auch von einer Reihe von Autoren - die eine negative Seite der Freiheitsrechte teils gleichwohl anerkennen, teils ablehnen wollen - mit Recht betont worden, daß auch zwei logisch oder begrifflich korrespondierende Seiten einer Freiheit verfassungsrechtlich nicht notwendig gleich geschützt sein müß/ten9. In vorliegendem Zusammenhang ist entscheidend, daß die Ablehnung einer negativen Seite der Freiheitsrechte ohne Aufgabe eines negativen Freiheitsverständnisses möglich ist. Allerdings ist eine rechtliche Freiheit als negative Freiheit nur gegeben, wenn der Freiheitsgegenstand nicht nur eine bestimmte Handlung, sondern eine Handlungsalternative ist. Eine so verstandene rechtliche Freiheit des Bürgers, seine Religion auszuüben, seine Meinung zu äußern, sich zu versammeln etc., besteht nur, wenn es erlaubt ist, dies zu tun, aber auch nicht zu tun 1 0 . Diese rechtlichen Freiheiten würden durch eine Interpretation der Grundrechte beseitigt, nach der allein die Vornahme der geschützten Handlung zulässig und geboten, ihre Unterlassung rechtlich nicht erlaubt wäre; damit würde den Grundrechten ein positiver Freiheitsbegriff unterlegt. Dagegen ist es die zentrale Folgerung aus einem negativen Freiheitsverständnis, daß die Freiheitsrechte nichts über die Verpflichtung des Grundrechtsträgers zu einem bestimmten Verhalten, sondern nur über die ihm eröffneten Möglichkeiten dazu etwas sagen11. Das Bestehen einer rechtlichen Freiheit setzt jedoch nicht voraus, daß die einzelnen Grundrechtsnormen dem Grundrechtsträger die Möglichkeit sowohl zum jeweiligen Tun wie auch zur Unterlassung gewährleisten, beides "erlauben". Wenn man die Grundrechtsnormen - auch als Erlaubnisnormen ansieht12, legt es sich zwar nahe, als Gegenstand dieser Erlaubnis nicht nur ein Tun, sondern auch das Unterlassen, also den Gegenstand der rechtlichen Freiheit insgesamt anzunehmen. Einer besonderen Erlaubnis, sei es in einer speziellen Grundrechtsnorm, sei es in sonstigen

Freiheitssphäre auch auf das Pflichtrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG anwendet (BVerfGE 24, 119 [138]) oder ganz deutlich nur auf die aktive Verhaltensform bezieht, wenn es vom "Freiheitsraum" bzw. "Freiraum des Wissenschaftlers" redet und diesen "jedem ..., der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will", zuspricht (BVerfGE 35, 77 [112]). 9 Vgl. dazu, im Ergebnis für eine negative Seite votierend, Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, S. 95, 98; Mayer-Maly, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 5 (20); Neumann, DB 1967, 1545 (1546). Im Ergebnis eine negative Seite ablehnend etwa Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 87 (RN 171); Fechner, Rechtsgutachten zur Vorsorgekasse des Deutschen Holzgewerbes, S. 32 f.; Galperin, in: FS Bogs, S. 87 (95); Hueck/Nìpperdey , Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/1, S. 158. 10 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 198, 203. 11 Vgl. dazu etwa Alexy, a.a.O., S. 198; Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1531). 12

15'

Vgl. Alexy, a.a.O., S. 206 ff.

228

8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

Normen, bedarf es jedoch zur Herstellung der rechtlichen Freiheit unter dem Grundgesetz nicht. Es ist die grundrechtstheoretische Vorgabe des sogenannten rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips, daß alles private Verhalten prinzipiell, d.h. solange es nicht ausdrücklich untersagt ist, als rechtlich erlaubt gilt. Im übrigen wird in der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes ein von speziellen Freiheitsrechten nicht erfaßtes Verhalten ohnehin durch das subsidiär anwendbare, allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich "erlaubt" 13. Die rechtliche Freiheit, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder auch zu unterlassen, ist nicht aufgehoben, auch wenn ein spezielles Freiheitsrecht nur die Vornahme dieser Handlung schützt. Das wird noch deutlicher, wenn man von vornherein das Dürfen nicht als Bestandteil, sondern nur als Zweck und Schutzobjekt der Grundrechte, als deren normativen Gehalt aber allein den (staatsgerichteten) Unterlassungsanspruch ansieht14. Dieser grundrechtliche Unterlassungs- oder Abwehranspruch ist - als rechtliche Gewährleistung notwendigerweise15 - tatbestandlich begrenzt; bei den Handlungsrechten gilt er einem näher definierten Tun. Daß die besondere grundrechtliche Abschirmung einer bestimmten Verhaltensweise vorbehalten ist, läßt aber die rechtliche Freiheit des Bürgers zu sonstigem aktivem oder passivem Verhalten unberührt. Aus dem grundrechtstheoretischen Gebot, diese rechtliche Freiheit zu wahren, folgen deshalb keine logisch zwingenden Anforderungen an die tatbestandliche Reichweite des grundrechtlichen Abwehranspruchs. Um es am Beispiel des Art. 8 GG zu verdeutlichen: Die rechtliche Freiheit, sich in beliebiger Weise zu versammeln oder auch nicht zu versammeln, ist unangetastet, auch wenn das Grundrecht nur Eingriffe gegenüber friedlichen und unbewaffheten Versammlungen abwehrt, vor Eingriffen gegenüber sonstigen Versammlungen und vor Versammlungszwang jedoch nicht schützt. Damit ist zugleich auch das begriffliche Argument, aus dem Merkmal der Freiheit oder Freiwilligkeit der geschützten Handlung folge notwendig der Schutz vor Zwang zu ihrer Vornahme, widerlegt. Zu Recht wird ihm entgegengehalten, dieses Merkmal betreffe einen vorausgesetzten Wesenszug der geschützten Betätigung, weshalb unfreiwillige Betätigungen nicht unter den grundrechtlichen Schutz der Freiheit fallen könnten; es könne aber nicht von diesem Merkmal auf ein subjektives Recht gegenüber Zwang zu solcher Be-

13

Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 4 b).

14

Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 46.

15 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 308; Müller, rechte, S. 41.

Die Positivität der Grund-

. Das Verständnis gndrechtlicher Handlungsfreiheit

229

tätigung geschlossen werden 16 . Deshalb sind im übrigen auch die Wendungen vom abzuwehrenden Zwang zum Grundrechts- bzw. Freiheitsgebrauch oder vom zu schützenden Recht auf Nicht-Gebrauch der Freiheit bzw. des Grundrechts begrifflich verfehlt; die erzwungene Tätigkeit wäre gerade kein Freiheits- oder Grundrechtsgebrauch der Bürger. Die angeblich logisch oder begrifflich zwingende Herleitung der negativen Seite der Freiheitsrechte erweist sich damit als petitio principii; die zu beweisende These vom umfassenden grundrechtlichen Schutz der Freiheit, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen, durch die speziellen Freiheitsrechte ist stillschweigend schon vorausgesetzt17. Nicht der logisch-begriffliche Gehalt, sondern eine überschießende suggestive Kraft des negativen Freiheitsverständnisses bringt die Annahme einer negativen Seite der Freiheitsrechte hervor. Diese wird - wie gesehen - vor allem freigesetzt, wenn im grundrechtlichen Zusammenhang von Freiheitssphären, Freiheitsräumen etc. die Rede ist; die verräumlichende Begrifflichkeit verfuhrt dazu, sich den grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich auch dem Umfang nach abgerundet, abgeschlossen vorzustellen.

I I . Das zugrundeliegende Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit Daß mit der Ablehnung einer negativen Seite der Handlungsrechte die Handlungsfreiheit als Freiheit individuellen Beliebens rechtlich nicht aufgehoben wird, sondern unangetastet bleibt, ist allein noch nicht zureichend. Das den Handlungsrechten zugrundegelegte Grundrechtsverständnis muß sich darüber hinaus auch fragen lassen, ob es in der Sache einen angemessenen Beitrag zum Schutz der Freiheit gewährleistet. Es sieht sich dabei gleich mit zwei - unterschiedlichen grundrechtstheoretischen Quellen entspringenden, sich in der Anerkennung und Anwendung einer negativen Seite der Handlungsrechte vereinenden - Tendenzen zur Ausweitung und Verstärkung des grundrechtlichen Schutzes individueller Freiheit konfrontiert, die sich in Rechtsprechung und Lehre unter dem Grundgesetz Geltung verschafft haben. Die eine schlägt sich nieder in einer Erweiterung

16 So insb. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts Π/l, S. 159; vgl. auch Arndt, in: FS Kunze, S. 265 (These 4); Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, S. 88 (RN 171); Friaufi in: FS Reinhardt, S. 389 (393). 17 Den Einwand der petitio principii erheben insoweit auch Eberle , DÖV 1977, 306 (308), und Friauf, in: FS Reinhardt, S. 389 (393). Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, S. 102; ders., BB 1988, 555 (557) zitiert Otto Kahn-Freund mit der Bemerkung, der Schluß von der positiven auf eine negative Seite der Koalitionsfreiheit sei "bad logic".

230

8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

des Schutzbereichs der einzelnen Handlungsrechte; diese, vom Verfassungsgeber als Garantien eines bestimmten Tuns beschlossen18 und anfangs auch in Rechtsprechung und Literatur noch eher so verstanden, werden heute weithin als umfassende Verhaltensgarantien angesehen, deren sogenannte negative Seite auch das jeweils entsprechende Unterlassen vor hoheitlichen Eingriffen schützt19. Die andere gilt der Erweiterung der grundrechtlichen Schutzwirkungen über die Abwehr hoheitlicher Eingriffe hinaus auch auf den Schutz vor sonstigen Freiheitsbedrohungen. Auch dies ist eine Entwicklung unter dem Grundgesetz: Hatte der Verfassungsgeber klassische Grundrechte, subjektive staatsgerichtete Freiheitsrechte garantieren wollen, so hat sich daneben, insbesondere im Anschluß an das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sogenannte objektiv-rechtliche Grundrechtsverständnis etabliert, das den Grundrechten weitergehende Funktionen abgewinnt20. Diese Ausdehnung der grundrechtlichen Schutzwirkungen hat sich mit den um die negative Seite erweiterten Handlungsrechten im grundrechtlichen Schutz des passiven Bürgers gegenüber Zwängen und Störungen durch seine aktiven Mitbürger getroffen. Die Grundlage des so in zweifacher Hinsicht erweiterten grundrechtlichen Schutzes durch die Handlungsrechte ist treffend zusammengefaßt in der grundrechtstheoretischen Vorstellung einer durch sie nach außen, gegenüber dem Staat und gegenüber Dritten, abgeschirmten Freiheitssphäre des einzelnen. Dieses Streben nach umfassender und allseitiger grundrechtlicher Sicherung der individuellen Verhaltensfreiheit überanstrengt jedoch die Handlungsrechte - so ist die Auffassung der vorliegenden Untersuchung - in ihren Möglichkeiten, zu einer freiheitlichen Ordnung des Gemeinwesens beizutragen. In ihren grundrechtsdogmatischen Aussagen plädiert sie für eine Abwendung von dieser grundrechtstheoretischen Vorstellung einer staats- und drittgerichtet geschützten Freiheitssphäre und eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen, inhaltlich bescheideneren Gehalt der Handlungsrechte des Grundgesetzes. Diese Handlungsrechte sind danach nicht mehr und nicht weniger als grundrechtliche Sicherungen individueller Handlungsmöglichkeiten der Bürger gegenüber hoheitlicher Beschränkung. Daß dieses Verständnis der Handlungs-

18

Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 3. Zur nach und nach gewachsenen Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte vgl. zusammenfassend bereits oben 4. Kapitel, Abschnitt I 1. 20 Zum anfänglichen Verständnis der Freiheitsrechte des Grundgesetzes vgl. als zeitgenössische, authentisch interpretierende Stimme von Mangoldt, AöR 75 (1949), 273 (275); ders., GG, I. Die Grundrechte, Vorbemerkungen Anm. 2, Art. 12 Anm. 3, sowie aus heutiger Sicht Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1537); ders., Der Staat 29 (1990), 1 (2 f.); Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, S. 168, 205 f. Zur Entwicklung des objektiv-rechtlichen Grundrechtsverständnisses unter dem Grundgesetz vgl. etwa Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1; Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 79 (94 f.); Jarass, AöR 110 (1985), 363; Stern, a.a.O., S. 907 ff. 19

II. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

231

rechte den Aufgaben und Möglichkeiten grundrechtlichen Freiheitsschutzes im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen gerecht wird, soll im folgenden - in Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von anderen grundrechtstheoretischen Positionen - dargelegt werden.

1. Der Grundrechtsschutz der Handlungsfreiheit im Staat-Bürger-Verhältnis Wenn man zunächst nur Art und Umfang des grundrechtlichen Schutzes der Handlungsfreiheit im Verhältnis des Bürgers zum Staat in den Blick nimmt, so ist das liberal-rechtsstaatliche Bedenken zu entkräften, die in den Handlungsrechten verbürgte Freiheit werde in ihrem vorstaatlichen Charakter nicht hinreichend geschützt. Im Vordergrund des grundrechtstheoretischen Interesses stehen dabei die sogenannten Kommunikationsgrundrechte 21 aus Art. 5, Art. 8 und Art. 9 GG. Insbesondere für ihr Verständnis ist der kritische Punkt des Verzichts auf eine negative Seite die sogenannte Privilegierung der Aktivität gegenüber der Passivität und besonders die drohende Präponderanz des Politischen22. Insoweit steht das hier zugrundegelegte Freiheitsverständnis im Spannungsfeld von liberal-rechtsstaatlicher FreiheitssphärenVorstellung einerseits und demokratisch-funktionaler Grundrechtssicht andererseits. a) Handlungsrechte als besondere grundrechtliche Gewährleistungen der Aktivität In der Tat sieht diese Untersuchung in Grundrechten wie insbesondere denen aus Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8, Art. 9, Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 GG besondere grundrechtliche Gewährleistungen der Aktivität, also der Betätigung der Bürger auf den verschiedenen Feldern des gesellschaftlichen (wirtschaftlichen, kulturellen, politischen) Lebens. Sie stimmt darin mit den Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zu den sogenannten Kommunikationsgrundrechten überein, in denen es deren Funktion gerade im Schutz der aktiven Teilnahme und Teilhabe der Bürger an der öffentlichen Meinungsbildung, am politischen Prozeß sieht und ihre konstituierende Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung

21 Zu dem Begriff vgl. Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 35; Ossenbühl, Der Staat 10 (1971), 53 (60). 22 Kritisch dazu insb. H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 43 ff.; Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (116 ff.); Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2103); Starck y JuS 1981,237 (240).

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8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

des Grundgesetzes betont 23 . Auch in der Literatur ist der Aspekt der Grundrechtsgewährleistung um der aktiv-bürgerlichen Teilnahme der Bürger am Leben des Gemeinwesens, insbesondere am freiheitlich-demokratischen Prozeß willen hervorgehoben worden 24 . Die unter den Begriff der demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie gefaßten Positionen stoßen freilich aus liberal-rechtsstaatlicher Sicht, die auf einem negativen Freiheitsverständnis insistiert, auf berechtigte Kritik, soweit sie diese Funktion der Freiheitsrechte so verstehen wollen, daß die Sicherstellung dieses Prozesses aktiver Teilhabe der Bürger am Gemeinwesen zu ihrem rechtlichen Inhalt wird und in der Konsequenz eine daran orientierte Bewertung des individuellen Freiheitsgebrauchs im grundrechtlichen Schutzbereich und schließlich eine Verpflichtung des Grundrechtsträgers zur Freiheitsbetätigung legitimiert wird 2 5 . Gegenüber solchen Tendenzen gilt es festzuhalten, welchen rechtlichen Inhalts der besondere grundrechtliche Schutz bestimmter aktiver Verhaltensweisen ist: Die genannten Freiheitsrechte sichern - ohne über das "Ob" und "Wie" ihrer Wahrnehmung durch die Bürger etwas auszusagen - allein die Möglichkeit des individuellen Freiheitsgebrauchs im Rahmen ihres Schutzbereichs, indem sie hoheitliche Beschränkungen dieses Tuns abwehren; daß die Bürger von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen und der Prozeß aktiver Teilnahme und Teilhabe am Gemeinwesen stattfindet, setzen sie voraus, ohne es garantieren zu wollen und zu können 26 . Daß der freiwillig - Aktive in seinem Tun besonderen Schutz gegenüber hoheitlichen Freiheitsbeschränkungen genießt, läßt den Freiheitsstatus des Passiven gegenüber dem Staat unberührt; mit Blick auf den abwehrrechtlichen Schutz der Bürger vor dem Staat vermögen deshalb die Warnungen vor einer Privilegierung der Aktivität, einer Präponderanz des Politischen nicht zu überzeugen. Der besondere abwehrrechtliche Schutz bestimmter Aktivitäten der Bürger hat seinen guten Grund in der Funktion, die dieses Tun der Bürger für das Gemeinwesen hat. Gerade weil die Ausübung dieser Freiheiten Wirkungen in die gesellschaftliche Öffentlichkeit und staatliche Sphäre hinein entfalten und 23 Vgl. etwa BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (125); 20, 56 (97 f.); 25, 256 (265); 42, 163 (169); 50, 290 (353); 69, 315 (343 ff.). 24 Vgl. insb. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 17 f.; Hesse, Grundzûge des Verfassungsrechts, RN 288, 294; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 542 f.; ders. y in: Seifert/Krüger, Die Einschränkung der Grundrechte, S. 35 (44 f.); Scheuner, in: WDStRL 22 (1965), S. 1 (19 f.). 25 Kritisch dazu etwa Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1535); H.H. Klein, a.a.O.; Ossenbühl, a.a.O. 26 Vgl. etwa Böckenförde, a.a.O., S. 1531; Brugger, JZ 1987, 633 (639); Hesse, Grondzüge des Verfassungsrechts, RN 288; Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 115 RN 163 ff., 222 ff.; H.H. Klein, Der Stoat 10 (1971), 145 (167 f.); Soell, Aspekte der Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18; Starck, JuS 1981, 237 (240).

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damit politische Relevanz gewinnen können soll, stehen sie auch besonders in der Gefahr hoheitlicher Beschränkungen durch die jeweiligen Inhaber der staatlichen Herrschaftsgewalt; einem Gemeinwesen, das als ein freiheitlichdemokratisches konstituiert sein soll, müssen sie deshalb - um des Schutzes der Minderheit und der Wahrung ihrer gleichen Chance zur Erlangung der Mehrheit willen - besonders schutzwürdig erscheinen. Im übrigen gehört zu ihrem grundrechtlichen Schutz auch die Zulassung und nähere Regelung besonderer Beschränkungen zum Schutz des Gemeinwesens bzw. der Öffentlichkeit vor Störungen und Gefährdungen, die von dem aktiven Gebrauch dieser Freiheiten ausgehen können 27 . Diese Freiheitsrechte verkörpern damit geradezu das Modell eines demokratisch-liberal verfaßten Gemeinwesens, fur das zugelassene und geregelte Möglichkeiten gesellschaftlicher Einwirkung auf die politische Willensbildung, in den staatlichen Entscheidungsbereich hinein, kennzeichnend sind. Indem sie sich als liberal-rechtsstaatliche Sicherungen gegen repressive, die Mitwirkung und Einflußnahme der Bürger unterdrückende hoheitliche Maßnahmen richten, ist ihr Gegenmodell das autoritäre Modell, in dem die politische Entscheidungssphäre des Staates gegen gesellschaftliche Einwirkungen abgeschirmt ist 2 8 . b) Die Forderung nach einem gleichrangigen Grundrechtsschutz der Passivität Mit der Ablehnung einer negativen Seite der Handlungsrechte widerspricht diese Untersuchung der Forderung eines gleich intensiven grundrechtlichen Schutzes der Passivität, wie sie die liberal-rechtsstaatliche Grundrechtstheorie in der spezifischen inhaltlichen Ausprägung der Freiheitssphären-Vorstellung erhebt.

27 Vgl. zu der auf die Handlungsfreiheit zugeschnittenen Fassung der Schranken der Handlungsrechte oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 5 a). Auch die Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) wird bezeichnenderweise, auch wo eine negative Seite anerkannt wird, nur auf den grundrechtlichen Schutz aktiven Verhaltens bezogen; vgl. Köngen, in: Von den Grundrechten des Soldaten, S. 47 (66); von Mangoldt/Klein, GG, Art. 18 Anm. ffl 3b. 28 Zum demokratisch-liberalen und zum autoritären Modell der Zuordnung von Staat und Gesellschaft vgl. Böckenßrde, in: FS Hefermehl, S. 11 (19).

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8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

aa) Der Grundrechtsschutz von Handlungs- und Unterlassensfreiheit im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen Diese Freiheitssphären-Vorstellung wird der - differenzierter zu beurteilenden - Bedeutung der grundrechtlichen Gewährleistungen von Handlungs- und Unterlassensfreiheit im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen nicht gerecht, indem sie das aktive Tun und das Unterlassen der Bürger gleichermaßen in eine individuelle Sphäre freien Verhaltens verweisen und gegenüber dem Staat abschirmen will. Im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz der Aktivität trifft diese grundrechtstheoretische Vorstellung vom Schutzgegenstand der Freiheitsrechte - und nicht etwa die Annahme einer staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion - der berechtigte Vorwurf eines übertrieben staatsfernen und apolitischen Freiheitsverständnisses. Dadurch, daß sie das Tun der Bürger ebenso wie ihr Unterlassen in einer individuellen Freiheitssphäre verortet, verschließt sie sich der soeben dargelegten Erkenntnis, daß die grundrechtlich geschützte, freie Aktivität der Bürger über eine bloß private Sphäre hinausreichende, öffentliche Wirkungen im Gemeinwesen entfalten kann und soll 29 . Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in einigen Entscheidungen zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts Formulierungen gefunden, die die Freiheitssphären-Vorstellung dieser Erkenntnis zu öffnen scheinen, indem es bemerkt, die Freiheitsrechte dienten vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt, insoweit zugleich30 bzw. darüber hinaus sicherten sie Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen31. Beide Aspekte bleiben dabei aber in einem eher unvermittelten, unklaren Verhältnis zueinander und geben so keine in sich konsistente Beschreibung der Funktion grundrechtlicher Gewährleistungen von Handlungsfreiheit. Erst die Aufgabe der Vorstellung einer individuellen Sphäre umfassender, Tun und Unterlassen einschließender Verhaltensfreiheit läßt erkennen, daß in den Handlungsrechten das individuelle Tun gerade auch in seiner öffentlichen Funktion gegen staatliche Eingriffe geschützt wird; erst so wird deutlich, daß in Freiheitsrechten wie insbesondere

29 Kritisch zur Freiheitssphären-Vorstellung insofern etwa Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 18; Ossenbühl, Der Staat 10 (1971), 53 (62). Daß ein liberalrechtsstaatliches Grundrechtsverständnis sich des politischen Charakters bestimmter von ihm geschützter Freiheiten bewußt sei, betonen etwa Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1531); H.H. Klein, Der Staat 10 (1971), 145 (167 f.). 30 So die - treffendere - Formulierung in BVerfGE 21, 362 (369), wo außerdem ausdrücklich von der freien aktiven Mitwirkung die Rede ist. 31 So in BVerfGE 61, 82 (101); 68, 193 (205); 75, 192 (195).

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denen auf Meinungsäußerungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit eine Freiheit aktiver Teilnahme der Bürger, insbesondere auch eine politische Freiheit grundrechtlich verbürgt ist. Wenn der Bürger die Äußerung von Meinungen, die Teilnahme an Versammlungen, den Beitritt zu Vereinigungen und Koalitionen, die Ausübung eines Berufs unterläßt, zieht er sich hingegen in der Tat in einen der Gesellschaft und dem Staat abgewandten, privaten Bereich und damit einen Bereich apolitischer, bürgerlicher Freiheit zurück. Gewiß steht auch diese Freiheit unter dem Schutz des rechtsstaatlichen Vorbehalts des Gesetzes, im Grundgesetz darüber hinaus - jedenfalls durch Art. 2 Abs. 1 GG - unter Grundrechtsschutz. Aus liberal-rechtsstaatlicher Perspektive bedarf sie aber keineswegs auch wenn die Berufung auf die Freiheitssphären-Vorstellung diesen Eindruck erweckt - desselben grundrechtlichen Schutzes durch die einzelnen Freiheitsrechte wie die jeweils entsprechende Handlungsfreiheit. Das bestätigt bereits der historische Rückblick, wie Däubler - sehr pointiert - festgestellt hat: "Ein klassisch-liberales Grundrechtsverständnis vermag der Freiheit des Fernbleibens keinen besonderen Stellenwert beizumessen. Bezieht man die Grundrechte auf einen Staat, der sich darauf beschränkt, die Spielregeln der Gesellschaft zu überwachen, so besteht für einen Schutz negativer Freiheiten keine Veranlassung. Der Nachtwächterstaat läßt jeden nach seiner Façon selig werden, er achtet den Eigenbrötler ebenso wie den Geselligkeitsfanatiker, den Eigentümer ebenso wie den Habenichts. Er verzichtet darauf, den Einzelnen für seine Zwecke in Dienst zu nehmen, sondern gewährt ihm eine Sphäre persönlicher Freiheit, mit der er nach Gutdünken verfahren kann. Es ist daher mit Sicherheit kein Zufall, daß weder in der Erklärung der Menschenrechte von 1793 noch in der Paulskirchenverfassung von negativen Freiheiten die Rede war - das ohnehin Selbstverständliche bedurfte keiner ausdrücklichen Normierung" 32. Daran ist zutreffend und zugleich bezeichnend, daß in der Tat die negativen Freiheitsrechte - mit Ausnahme der negativen Kultusfreiheit, die wegen der nicht durchgeführten Trennung von Staat und Kirche insbesondere in besonderen Gewaltverhältnissen schutzbedürftig erschien - im 19. Jahrhundert keine Rolle gespielt haben 33 . Auch auf die gewandelten Bedingungen des interventionistischen sozialen Rechtsstaates, auf die zur Begründung für die Annahme einer negativen Seite mitunter hingewiesen

32 Däubler, in: Däubler/Mayer-Maly, Negative Koalitionsfreiheit?, S. 26 (32); zustimmend Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, S. 42. Anderer Ansicht Krüger, BB 1956, 969 (970), der die Frage nach der negativen Koalitionsfreiheit fur den klassischen Liberalismus - vorschnell - als im positiven Sinn entschieden ansieht, sowie Nitschke, DÖV 1972, 41 (45). 33 Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 2, zur negativen Kultusfreiheit Abschnitt Π 2 c).

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8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

wird 3 4 , muß ein liberal-rechtsstaatliches Grundrechtsverständnis nicht mit einer solchen pauschalierenden, rigorosen grundrechtlichen Abschirmung privater bzw. gesellschaftlicher Freiheitsbereiche reagieren. Es muß zwar daran festhalten, daß Freiheitsbeschränkungen den elementaren grundrechtlichen Anforderungen insbesondere des Gesetzesvorbehalts und des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes unterworfen sind; es ist aber offen fur die Erkenntnis, daß unter den veränderten Bedingungen zur Erfüllung der gewachsenen staatlichen Aufgaben weitergehende Freiheitsbeschränkungen, auch Inpflichtnahmen der Bürger, erforderlich werden 35 . Allerdings hat sich gezeigt, daß auch unter diesen heutigen Bedingungen der staatliche Zugriff auf den einzelnen kaum je soweit reicht, ihn mit hoheitlichen Mitteln zur Vornahme jener Handlungen zu zwingen, die in den Handlungsrechten um der freien Aktivität der Bürger willen besonders geschützt sind 36 . Auch den Zwang zu einer solchen Handlung, wenn er zur Erreichung eines legitimen staatlichen Zwecks erforderlich ist, kann ein liberal-rechtsstaatliches Freiheitsverständnis akzeptieren; die Verpflichtung zur Verbreitung wertender Hinweise des Staates auf die Gefährlichkeit des Rauchens auf Tabakwarenverpackungen mag dafür ein Beispiel sein 37 . Daß es auch der Freiheitssphären-Vorstellung nicht eigentlich um die Abwehr solcher einzelnen, jeweils auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfenden hoheitlichen Inpflichtnahmen des Bürgers geht, zeigt die Diskussion um die Zwangsmitgliedschaft in einzelnen öffentlich-rechtlichen Personenverbänden; solange die Mitgliedschaft des Bürgers als gesetzlich angeordnet, der Zwangsverband als durch staatliche Aufgaben gerechtfertigt und seine Tätigkeit als dem Staat zuzurechnen erscheinen, wird dagegen die negative Vereinigungsfreiheit nicht ernsthaft aktiviert 38 . bb) Das Streben nach Schutz vor totalitärer Freiheitsbedrohung Die Forderung nach einem gleichrangigen Grundrechtsschutz der Passivität hat einen anderen Hintergrund. Das deutet sich schon darin an, daß die grundrechtsdogmatische Figur der negativen Seite nicht aus der Befürchtung hoheitlicher Freiheitsbeeinträchtigungen, sondern in der Weimarer Zeit in

34

Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) bb), bei und in FN 147. Zur Offenheit des abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnisses als eines rechtstechnischkonstruktiven Denkens gegenüber den Aufgaben staatlicher Sozialgestaltung vgl. Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467). 36 Vgl. oben 4. Kapitel, Abschnitt I 2 a). 37 Vgl. dazu oben 1. Kapitel, Abschnitt I 1 b), bei und in FN 51. 38 Aufschlußreich insofern die sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen grundrechtlichen Beurteilung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Zwangsverbände bei Merten, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 144 RN 61. 35

. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

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Gestalt der negativen Koalitionsfreiheit aus einer Abwehrhaltung gegenüber erstarkenden gesellschaftlichen Mächten entstand39. Deutlicher noch wird dies, wenn ihre Anerkennung unter dem Grundgesetz, wo sie sich erst hat durchsetzen können, auf dessen antitotalitäre Grundentscheidung, seine bewußte Distanzierung vom totalitären Regime des Nationalsozialismus gestützt wird 4 0 . Diese Forderung erweist sich darin als Versuch der Abwehr von Freiheitsgefährdungen totalitären Charakters. Nicht die Abwehr einzelner hoheitlicher Inanspruchnahmen der Bürger zu bestimmtem Tun, die die Möglichkeit freier gesellschaftlicher Betätigung prinzipiell unberührt lassen, sondern einem umfassenden, totalitären Zugriff zu wehren, durch den das Tätigkeitsfeld insgesamt seines freiheitlichen Charakters beraubt und unter fremde, staatliche Regie genommen wird, ist in der Tat das eigentliche Anliegen der Freiheitssphären-Vorstellung, wenn sie die einzelnen Betätigungen, die in speziellen Freiheitsrechten um der freien Aktivität der Bürger im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen willen besonders geschützt sind, als Bereiche individueller bzw. gesellschaftlicher Freiheit abzuschirmen sucht. Deutlich wird das, wenn es ihr um die Verteidigung des freien Prozesses gesellschaftlicher Kommunikation, des freien Vereins - oder Koalitionswesens geht 41 . Noch klarer zeigt es sich, wenn - auf den einzelnen bezogen - von dem drohenden Zwang zum Grundrechts- oder Freiheitsgebrauch und der Gefahr einer Umwandlung der Grundrechte in Lenkungsvorschriften oder Grundpflichten gesprochen wird 4 2 ; diese Wendungen offenbaren als die eigentliche Sorge hinter der Forderung nach einer negativen Seite die Befürchtung einer umfassenden staatlichen Inpflichtnahme des individuellen Grundrechtsgebrauchs, wie er für ein totalitäres Regime kennzeichnend ist. Zugespitzt formuliert: Nicht um den grundrechtlichen Schutz des Unterlassens, sondern um die Freiheitlichkeit des grundrechtlich geschützten Tuns geht es ihr. Diesem Anliegen der Freiheitssphären-Vorstellung aber wollen und können die Handlungsrechte durch den gleichzeitigen Schutz des Unterlassens nicht Rechnung tragen. Dieser Versuch des Schutzes individueller bzw. gesellschaftlicher Freiheit wäre untauglich, weil in einem totalitären Regime, das sich der Bereiche ehedem gesellschaftlicher Aktivität umfassend bemächtigt hat und auch den einzelnen zu - scheinbar freiwilliger - konformer Betätigung 39

Vgl. oben 5. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) bb). Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 1 b), bei und in FN 121. 41 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) cc), bei und in FN 158 ff. 42 Vgl. oben 1. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) aa), bei und in FN 144, sowie etwa bei Bethge, NJW 1982, 2145 (2147 f.); Isensee, DÖV 1982, 609 (615); Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (insb. 107, 119, 121), wo die Annahme einer negativen Seite der Freiheitsrechte der (totalitären) Annahme einer Pflicht zum Grundrechtsgebrauch entgegengesetzt wird. 40

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8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

zwingt, der staatsgerichtet-abwehrrechtliche Grundrechtsschutz überhaupt an seine Grenzen stößt. Es kennzeichnet das moderne totalitäre Regime, daß die politische Macht sich in Händen einer Partei oder Bewegung befindet, die sich zu ihrer Ausübung gleichermaßen und untrennbar hoheitlich befehlender und indirekt steuernder, staatlicher und gesellschaftlicher Instrumente bedient 43 . Zur Äußerung bestimmter politischer Ansichten, zur Teilnahme an Massenkundgebungen und zum Beitritt in gleichgeschaltete Organisationen wird der einzelne im totalitären Regime vorzugsweise nicht durch expliziten hoheitlichen Befehl, sondern durch einen diffusen, von verschiedenen Stellen wie dem Betrieb, der Gewerkschaft, der Partei, einer geheimen Staatspolizei, den Massenmedien mittelbar ausgeübten Druck gezwungen. Gegenüber dieser Beeinträchtigung oder besser Aufhebung individueller Freiheit muß das - ganz am hoheitlichen Eingriff ausgerichtete - rechtstechnische Instrumentarium der staatsgerichteten Abwehrrechte versagen. Es fehlt im totalitären Regime an dem von der Gesellschaft unterscheidbaren, die politische Herrschaftsmacht in sich konzentrierenden Staat, gegenüber dem erst der Freiheitsschutz durch liberal-rechtsstaatlich verstandene Freiheitsrechte sich aktualisieren kann. Die Handlungsrechte des Grundgesetzes setzen als staatsgerichtete Abwehrrechte also voraus, daß die von ihnen geschützten Betätigungen nicht dem umfassenden Zugriff eines totalitären Regimes ausgesetzt sind, sondern in einem prinzipiell freiheitlichen System der freien individuellen bzw. gesellschaftlichen Aktualisierung offenstehen, um sie dann vor staatlicher Beschränkung schützen zu können. Die Freiheitssphären-Vorstellung formuliert insofern eine Voraussetzung des staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsschutzes von Handlungsfreiheit; diese Voraussetzung mit der Forderung nach einer negativen Seite der Handlungsrechte grundrechtlich garantieren zu wollen, aber überzeugt nicht. In einem totalitären Regime, in dem diese Voraussetzung entfallen wäre, wären zugleich auch die Voraussetzungen für ein Wirksamwerden des staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsschutzes durch die negativen Freiheitsrechte nicht mehr gegeben. Für das freiheitlich verfaßte Gemeinwesen, in dem die Handlungsrechte des Grundgesetzes ihre Wirksamkeit entfalten sollen, aber verfehlt die Annahme einer negativen Seite deren Funktion.

43 Zu Typus und Techniken des modernen totalitären Staates vgl. Bracher, in: Staatslexikon V, Sp. 491; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 272 f.

Π. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

239

2. Der grundrechtliche Schutz und die hoheitliche Beschränkung von Handlungsfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis Wenn man die Perspektive erweitert und den Grundrechtsschutz der Handlungsfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis und seine hoheitliche Beschränkung betrachtet, so bewegt sich das hier zugrundegelegte Grundrechtsverständnis zwischen einer liberal-rechtsstaatlichen Sichtweise, der vorgehalten wird, die zwischen Bürgern auftretenden Freiheitsprobleme völlig zu negieren und deshalb nicht adäquat lösen zu können, und einem Verständnis der Grundrechte als objektiv-rechtlicher Grundsatznormen, das die Lösung dieser Konflikte unmittelbar und umfassend in den Grundrechten und ihrer Anwendung finden will. Beides vermeidend, bemüht es sich um eine grundrechtliche Beurteilung der hoheitlichen Entscheidung dieser Konflikte, die den freiheitssicheraden Aufgaben und Möglichkeiten der Freiheitsrechte im freiheitlichdemokratischen Gemeinwesen entspricht. a) Das negative Freiheitsverständnis und der Schutz des Handelns im Bürger-Bürger-Verhältnis Das setzt zunächst eine adäquate grundrechtliche Erfassung des Handelns der einzelnen in ihrem Verhältnis zueinander voraus. Das negative Freiheitsverständnis der liberal-rechtsstaatlichen Grundrechtstheorie steht insoweit in der Kritik. Seine Vorstellung von Freiheit wird als übertrieben individualistisch und isolationistisch, asozial und ungesellig charakterisiert 44. Zuletzt hat insbesondere Suhr der Freiheitssphären-Vorstellung, wie er sie namentlich bei Carl Schmitt vorfindet 45 , ihre Blindheit gegenüber den Chancen und Problemen der Freiheitsbetätigung in der Sozialdimension vorgehalten; sie konstruiere die Freiheit nach dem Modell des Sacheigentümers als Herrschaft über eine als unbeseelt gedachte Welt der Freiheit und setze dabei im Verhältnis der Bürger zueinander eine Gleichheit der jeweiligen Freiheitssphären in dem Sinne voraus, daß die eine mit der des anderen verträglich sei und an dieser ihre Grenze finde 46 . In dieser kritischen Feststellung wurzelt sein - an anderer Stelle erhobener - Vorwurf, das negative Freiheitsverständnis transformiere die Freiheit dessen, der seine Freiheit aktiv und

44

Vgl. etwa Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, insb. S. 150 ff.; Krüger, in: FS Maunz, S. 249 (261 f.); ders., Rechtsstaat - Sozialstaat - Staat, S. 14 ff.; Scheuner, DÖV 1971, 505 (506 f.). 45 Vgl. insb. Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 ff.; ders., in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 181 (207 f.). 46

Suhr, EuGRZ 1984, 529 (532 f.).

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8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

aggressiv nutze, von einer Freiheit vom staatlichen Eingriff in eine Freiheit zum privaten Eingriff in die Freiheitssphäre des Drittbetroffenen 47. Daran erscheint folgerichtig und zutreffend, daß eine harmonisierende Vorstellung von gleichen, miteinander verträglichen Freiheitssphären der Bürger, der die potentielle Gefährlichkeit der aktiven Freiheitsbetätigung des einen fur die Interessen des davon betroffenen, passiven Dritten nicht bewußt wird, auch zu einer strikten Abschirmung dieser Freiheitssphären, auch der des Aktiven, gegenüber dem Staat tendieren wird, weil ihr die Notwendigkeit seines Eingreifens nicht erkennbar wird. So berechtigt diese Kritik an bestimmten inhaltlichen Implikationen einer Vorstellung von Freiheitssphären des isolierten Individuums ist, zwingt sie doch nicht zu einer Preisgabe jenes negativen (subjektiven, formalen) Freiheitsverständnisses48, dessen Bewahrung als unabdingbare Anforderung an eine Grundrechtstheorie des Grundgesetzes angesehen worden ist 4 9 . Ein solches negatives Freiheitsverständnis muß nicht die von Suhr kritisierte, mit der Vorstellung gleicher, voneinander geschiedener Freiheitssphären einhergehende Ignoranz gegenüber dem interaktiven Charakter der Freiheitsbetätigungen Privater, den Prozessen wechselseitiger Instrumentalisierung zu Zwecken der Freiheit aufweisen 50. Es sieht eine Freiheitsbetätigung als im Belieben des einzelnen stehend an und kann dabei in Rechnung stellen, daß er zu ihrer Vornahme auf die Mitwirkung anderer angewiesen ist oder mit ihrer Vornahme - erwünschte oder auch störende - Auswirkungen auf andere erzielt. Dieser letztere - hier mit Blick auf die Konflikte zwischen aktiven und passiven Bürgern besonders interessierende - Aspekt ist insbesondere im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG seit dem Lüth-Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht über "die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der

47 Suhr, JZ 1980, 166 (168); ders., Gleiche Freiheit, S. 47, 56 ff.; zustimmend Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 206; Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 111 RN 85. 48 Suhr, EuGRZ 1984, 529 (S. 534 f.), hält es fur erforderlich, dieses alte Freiheitsverständnis durch ein neues Paradigma der Freiheit zu ersetzen, das der Freiheit durch Geselligkeit oder durch wechselseitige Instrumentalisierung der Menschen zu Zwecken der Freiheit, in dem die anderen zunächst und vorrangig als Mittel zur Erweiterung der Freiheit, nicht als potentielle Störer erscheinen sollen; dabei will aber auch Suhr am subjektiven Belieben des einzelnen als Bestandteil der Freiheit festhalten (a.a.O., S. 532). Etwas zurückhaltender zu diesem Paradigmenwechsel ders., Gleiche Freiheit, S. 21. Kritisch zu Erforderlichkeit und Ertrag dieses neuen Paradigmas Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 69; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 99 mit FN 85; Stern, Staatsrecht III/1, S. 635 f. 49 Vgl. oben Abschnitt I, bei und in FN 3. 50 Zur Verteidigung des liberal-rechtsstaatlichen Freiheitsverständnisses gegenüber diesem Vorwurf vgl. etwa Höfling, a.a.O.; H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 38.

Π. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

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Meinungen" spricht 51, geläufig; es läßt sich entsprechend auch von Grundrechten wie denen aus Art. 4 Abs. 2, Art. 8 5 2 , Art. 9 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG oder auch Art. 12 Abs. 1 GG sagen, deren Ausübung ebenfalls Wirkungen auf die Mitbürger einschließt. Die Freiheitsrechte überlassen, indem sie hoheitliche Beschränkungen des freien Handelns auch in seinen Wirkungen auf andere abwehren, diese Prozesse wechselseitiger Instrumentalisierung zu Zwecken der Freiheit zunächst der freien Aktualisierung durch die Bürger und begreifen es auch als Teil der "Staatsfreiheit" der Grundrechtsausübung, daß die Bürger dabei auftretende Konflikte mit ihren Mitteln untereinander austragen 53 . Daraus folgt im Ergebnis nicht notwendig die von Suhr beklagte grundrechtliche Privilegierung privater Übergriffe. Die Freiheitsrechte verschließen nicht die Augen vor den Problemen und Konflikten, die sich aus dem grundrechtlich geschützten Handeln zwischen Bürgern ergeben können. Vielmehr sehen sie die Notwendigkeit eines regelnden, hoheitlichen Eingreifens zum Schutz derer, denen in ihrer Passivität inakzeptable Störungen und Nachteile aus dem aktiven Freiheitsgebrauch anderer drohen. b) Die hoheitliche Beschränkung der Handlungsfreiheit im Bürger-Bürger-Verhältnis als Aufgabe staatlicher Freiheitsordnung Mit dieser Sicht der grundrechtlichen Handlungsfreiheit im Verhältnis der Bürger zueinander, die die Position des Aktiven wie auch des Passiven als Freiheitsproblem erkennen läßt, tritt die hoheitliche Beschränkung der Handlungsfreiheit im Interesse anderer Bürger als Aufgabe staatlicher Freiheitsordnung ins Blickfeld. Die Untersuchung ist allerdings, indem sie einen grundrechtlichen Anspruch auf staatlichen Schutz vor Zwang und Störung durch andere Private verneint, der Auffassung, daß die Erledigung dieser Aufgabe nicht umfassend, sondern nur im Hinblick auf die Rechtfertigimg etwaiger hoheitlicher Beschränkungen der Freiheit des einen Bürgers unter der Bindung an die Freiheitsrechte steht. aa) Die Forderung nach beiderseitigem Grundrechtsschutz Das heute herrschende Verständnis der Grundrechte als objektiv-rechtlicher Grundsatznormen leitet hingegen aus der Erkenntnis der beiderseitigen Frei-

51 BVerfGE 7, 198 (208; vgl. auch 212); nachdrücklich zustimmend etwa Düng, DÖV 1958, 194 (197); vgl. auch BVerfGE 61, 1 (7); Suhr, NJW 1982, 1065 (1067 f.), der die Meinungsfreiheit als "Freiheit zum geistigen Angriff" apostrophiert. 52 Vgl. BVerfGE 69, 315 (345); 73, 206 (249 f.). 53

Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464).

16 Hellermann

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8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

heitsgefahrdung in solchen Konflikten die Forderung nach einem beiderseitigen grundrechtlichen Freiheitsschutz ab, um das Verhältnis zwischen den Bürgern - bzw. das Dreiecksverhältnis von Staat, Störer, Opfer - auch grundrechtlich symmetrisch zu gestalten54. Der zur Lösung des Konflikts berufene Staat steht damit sowohl vor der grundrechtlichen Forderung nach Einschreiten gegen den Handelnden wie auch vor der grundrechtlichen Abwehr von Beschränkungen seiner Handlungsfreiheit; aus der Abwägung zwischen diesen beiden Grundrechtspositionen soll sich ergeben, ob und inwieweit der Staat eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des einen zum Schutz der Freiheit des anderen vornehmen darf und muß. Die Frage nach dem Umfang staatlicher Gewährleistung der Freiheit im Verhältnis der Bürger untereinander wird insgesamt zu einem Problem der Grundrechte und ihrer Anwendung erklärt. Das zentrale Bedenken gegen die Annahme einer so weitreichenden freiheitsgewährleistenden Funktion der Grundrechte liegt in der damit einhergehenden - im demokratisch und gewaltenteilig verfaßten Staat des Grundgesetzes inakzeptablen - Verlagerung eigentlich politischer Gestaltungsaufgaben auf die Rechtsprechung, insbesondere die für die Kontrolle der Grundrechtsbindung letztlich zuständige Verfassungsgerichtsbarkeit 55. Allerdings wird auch von Befürwortern einer solch erweiterten Grundrechtsfunktion betont, daß die Lösung von Freiheitsproblemen unter Bürgern in erster Linie eine Aufgabe der Gesetzgebung und die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit zu respektieren sei 56 ; dieser Respekt aber ist auf der Basis eines Verständnisses der Grundrechte als objektiv-rechtlicher Grundsatznormen rechtlich nicht gewährleistet. Das Problem bleibt bestehen, auch wenn man - mit dem Ziel einer Bewahrung formalrechtsstaatlicher freiheitssichernder Errungenschaften auch unter der materiellen Bindung an die Grundrechte als objektiv-rechtliche Grundsatznormen - darauf insistieren will, daß auch grundrechtlich gebotene Freiheitsbeschränkungen im Bürger-Bürger-Verhältnis eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage voraussetzen57. Diese - auf die Form des Vollzugs be54

Hermes y Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 204 ff.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34 f.; Pietzckery in: FS Dürig, S. 345 (348); Stern, Staatsrecht m/1, S. 945 f.; Suhr, Gleiche Freiheit, S. 56 ff.; vgl. auch Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556). 55 Vgl. dazu insb. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (24 f., 29 f.); berechtigte Bedenken sieht insofern auch Hesse, in: FS Huber, S. 261 (270). 56 Hermes y Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 201; Hesse y Grundzüge des Verfassungsrechts, RN 350; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1637 f., 1640); Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 46; Jarassy AöR 110 (1985), 363 (383 ff.); Rüjher t in: FS Bundesverfassungsgericht Π, S. 453 (472). 57 Hermes, a.a.O., S. 208; Isensee y in: Handbuch des Staatsrechts V, § 111 RN 151 f.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 164, 169, 178; Wahl/Masingy JZ 1990, 553 (559), in der Kritik an der Entscheidung des VGH Kassel, JZ 1990, 87 (89). Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nicht in seinen Entscheidungen zur grundrechtlichen Schutz-

Π. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

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zogene - Forderung kann allein darauf abzielen, daß eine materiell bestehende grundrechtliche Eingriffspflicht bei Fehlen einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht unmittelbar von Verwaltungsbehörden und Fachgerichten durch Vornahme eines Eingriffs erfüllt werden darf, sondern zunächst an den Gesetzgeber zu richten ist, dessen Verpflichtung zum Erlaß eines grundrechtsgebotenen Eingriffsgesetzes nur das Bundesverfassungsgericht soll aussprechen können 58 . Spätestens im Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber wird also das Problem der Reichweite verfassungsgerichtlicher Kontrolle aktuell. Hierfür sind nicht die formellrechtlichen Fragen des Vollzugs, sondern allein die materiell-rechtlichen Vorgaben entscheidend, die ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis fur die hoheitliche Lösung von Konflikten unter Privaten bietet. Diese erscheint danach als das Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Abwägung zwischen zwei kollidierenden Grundrechtspositionen. Die Grundrechte, die in dieser Abwägung als Prinzipien oder Optimierungsgebote wirksam werden und als solche ein relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohes Maß an Realisierung gebieten59, hat nach Art. 1 Abs. 3 GG dabei auch der Gesetzgeber zu beachten, und die von ihm gefundene Abwägungsentscheidung unterliegt danach der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts. Die inhaltliche Unbestimmtheit der Grundrechte als objektiv-rechtliche Grundsatznormen erlaubt es dem Verfassungsgericht zwar, aus Respekt vor der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit die im Gesetz getroffene Regelung weithin bestehen zu lassen, gibt ihm aber ebenso weithin die Möglichkeit, sie durch eine eigene Abwägungsentscheidung zu ersetzen 60. Über diese auf das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip gegründeten Bedenken hinaus stellt sich allerdings auch die Frage, ob es unter dem Aspekt des individuellen Freiheitsschutzes tatsächlich keine inhaltliche Rechtfertigung mehr für die grundrechtliche Differenzierung zwischen staatsgerichtetem Abwehrrecht und Anspruch auf staatliches Tun, insbesondere auf Schutz gegenüber privaten Übergriffen gibt. Unbestreitbar und heute unumstritten ist, daß allein die Abwehr hoheitlicher Freiheitsbeeinträchtigungen keine hinreichende Bedingung der Gewährleistung einer freiheitlichen und gerechten Ordnung ist, es dazu vielmehr in weitem Umfang auch staatlicher Vorkehrungen und

pflicht (vgl. dazu Wahl/Masing, a.a.O., S. 557), wohl aber bereits in der Soraya-Entscheidung (BVerfGE 34, 269 [280 ff.]) eine - privatrechtliche - Eingriffsbefugnis unmittelbar aus den Grundrechten, dort sogar contra legem gewonnen (vgl. dazu Lübbe-Wolff\ a.a.O., S. 164 f., 169 FN 294). In der Literatur fur einen unmittelbaren Eingriffstitel Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 28 (anders aber S. 42 ff.); Jarass, a.a.O., S. 385. 58 E. Klein, a.a.O., S. 1640; Wahl/Masing, a.a.O., S. 562. 59 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff. 60

16'

Vgl. Böckenförde,

a.a.O., S. 29.

244

8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

Leistungen bedarf, unter anderem auch des effektiven Schutzes vor Freiheitsbedrohungen durch andere Private 61 . Allerdings darf daraus nicht vorschnell geschlossen werden, daß auch diese weiteren, notwendigen Bedingungen einer freiheitlichen Ordnung grundrechtlich verbürgt sein müßten 62 . Daß die Freiheitsrechte des Grundgesetzes ihren Teilbeitrag zur Gewährleistung individueller Freiheit in der Abwehr hoheitlicher Eingriffe sehen, findet seine Rechtfertigung nach wie vor in der - vom Grundgesetz Vorausgesetzen prinzipiellen Unterschiedlichkeit des Rechtsverhältnisses von Staat und Bürger und des Verhältnisses der Bürger zueinander; während die Bürger sich als gleichgeordnete Rechtssubjekte mit der gleichen rechtlichen Freiheit gegenüberstehen, ist das Verhältnis des Bürgers zum Staat durch dessen Befugnis zur einseitig-verbindlichen, hoheitlichen Regelung, seine hoheitliche Herrschaftsgewalt gekennzeichnet. In einem Gemeinwesen, in dem einerseits die Staatsgewalt demokratisch organisiert ist, andererseits gesellschaftliche Kräfte über ein Maß an sozialer Macht verfügen, das im Verhältnis zum Staat gewiß nicht dem Bild von Unter- und Überordnung entspricht und im Verhältnis zu anderen Privaten gravierende faktische Freiheitsbedrohungen auslösen kann, ist die Relevanz dieser Unterscheidung fragwürdig geworden. Daß sie aber ihre sachliche Berechtigung als zugrundeliegendes rechtliches Modell auch für das heutige Gemeinwesen noch nicht verloren hat, nimmt nicht nur eine liberal-rechtsstaatliche Grundrechtstheorie an; auch jüngere grundrechtstheoretische Ansätze mit ihrer Annahme grundrechtlicher Schutzpflichten leben von dieser Hoffnung, wenn sie sich vom Einsatz staatlicher Mittel gegen andere, mit überlegener sozialer Macht ausgestattete Private eine Lösung der Freiheitsprobleme unter Privaten versprechen. Es ist diese - als zum Schutz der Freiheit gegenüber anderen Bürgern fähig vorausgesetzte - Hoheitsgewalt, gegen die die Freiheit der Bürger grundrechtlich besonders geschützt werden soll.

bb) Der Schutz vor störender Aktivität als grundrechtlich gebundene, nicht gebotene Leistung staatlicher Freiheitsgewähr Die Beschränkung der Freiheitsrechte auf eine staatsgerichtet-abwehrrechtliche Funktion hat zur Folge, daß es eine grundrechtlich nicht gebotene, sondern gebundene Leistung staatlicher Freiheitsgewähr ist, wenn der Staat das

61

Vgl. etwa Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 (227); Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 79 (92 f.); Lübbe-Wolff,\ a.a.O., S. 37 f. Von liberal-rechtsstaatlicher Warte aus Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1531 f.); H.H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 61. 62

H.H. Klein, a.a.O., S. 61, 71.

Π. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

245

Handeln Privater wegen davon ausgehender Beeinträchtigungen fur andere Private beschränkt. Im Hinblick auf die freiheitssicherade Bedeutung, die der Wahrnehmung dieser hoheitlichen Aufgabe zukommt, kann ein Verständnis der Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte nur überzeugen, wenn es deren Erfüllung nicht durch eine unangemessene Abschirmung freiheitsbeeinträchtigender privater Handlungen gegenüber hoheitlichen Beschränkungen im Wege steht. Das sogenannte rechtsstaatliche Verteilungsprinzip, das die private Freiheit als prinzipiell unbegrenzt und die staatlichen Eingriffsbefugnisse als prinzipiell begrenzt ausweist63, darf deshalb - wie vor allem Schlink hervorgehoben hat - nicht als inhaltliche Vorentscheidung fur eine enge Begrenzung der hoheitlichen Eingriffsbefugnisse verstanden werden; es ist nicht mehr als ein Prinzip zur Verteilung der Rechtfertigungslast, das staatliche Freiheitsbeschränkungen zwar als rechtfertigungsbedürftig, aber auch rechtfertigungsfähig ansieht, soweit diese zur Erfüllung freiheitssichernder Aufgaben erforderlich sind 64 . Das muß sich im übrigen auch in der Auslegung der einzelnen Freiheitsrechte widerspiegeln; im Rahmen dieser Untersuchung gilt es etwa für das Verständnis der vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte der Bekenntnis- sowie der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit nicht als Handlungsrechte, die jegliche hoheitliche Beschränkung der Betätigimg in diesem Lebensbereich abwehren, sondern als reine Abwehrrechte, die nur spezifische Eingriffe abwehren, Beschränkungen durch die allgemeine Rechtsordnung aber nicht ausschließen. Die Erledigung dieser staatlichen Aufgabe der Freiheitssicherung im Verhältnis der Bürger zueinander obliegt im demokratischen und gewaltenteiligen Staat des Grundgesetzes vornehmlich dem - hierzu durch die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte ermächtigten - Gesetzgeber. Seine Tätigkeit erscheint dabei keineswegs, wie dem Eingriffs- und Schrankendenken der liberalrechtsstaatlichen Grundrechtstheorie vorgehalten worden ist, nur unter dem Aspekt der Freiheitsbeschränkung 65. Dieser Einwand hat seine Berechtigung nur vor dem Hintergrund der - mit dem Eingriffs- und Schrankendenken keineswegs notwendig verbundenen und auch hier nicht geteilten66 - Vorstellung einer vorstaatlich gegebenen bzw. sich herstellenden gerechten Ordnung der Gesellschaft, die staatliche Regelungen in der Tat nur als Eingriffe in diesen

63

Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126. Schlink, EuGRZ 1984, 457 (467); vgl. auch Lübbe-Wolff, Die Gmndrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 67 f.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (563). 65 Vgl. etwa Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 163; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 66 ff. 64

66

Vgl. dazu Abschnitt Π 2 a).

246

8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

vorstaatlich gegebenen Freiheitszustand ansehen kann. Wenn die Kritik hieran die gesetzgeberische Ordnung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse als Grundrechtsausgestaltung mit dem Inhalt der grundrechtlichen Freiheitsgarantie identifiziert, wie dies insbesondere die sogenannte institutionelle Grundrechtstheorie getan hat 6 7 , verfehlt sie freilich im Grunde ihr eigenes Anliegen einer Aufwertung des Gesetzes: Zwar eröffnet sie damit einerseits dem Gesetzgeber größere Gestaltungsmöglichkeiten im Schutzbereich grundrechtlicher Garantien 68, andererseits aber unterwirft sie ihn, soll nicht die durch Art. 1 Abs. 3 GG angeordnete Grundrechtsbindung vollends überspielt werden, der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, das damit letztlich die Verantwortung für die Erfüllung dieser Aufgabe durch den Gesetzgeber erhält. Erst wenn einerseits die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Ordnung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse erkannt, andererseits aber deren Herstellung nicht unter die Grundrechtsverpflichtung des Gesetzgebers gestellt wird, wird die freiheitskonstituierende Funktion des staatlichen Gesetzes deutlich. Die zur Herstellung einer gerechten und freiheitlichen Ordnung des Gemeinwesens erforderlich erscheinenden Beschränkungen der rechtlichen Freiheit der Bürger vorzunehmen, ist die ureigene Aufgabe des Gesetzgebers. Verfassungsrechtlich entsteht damit allerdings eine asymmetrische Situation, die den Handelnden als potentiellen Störer grundrechtlich zunächst schützt, das potentielle Opfer hingegen ohne grundrechtlichen Schutzanspruch läßt und auf die Schutzvorschriften des einfachen Rechts und ihre Anwendung verweist. Grundrechtstheoretisch, mit Blick auf den hinreichenden Freiheitsschutz des Bürgers erscheint das deshalb vertretbar, weil das Grundgesetz, um dessen Freiheitsrechte es hier geht, "das Grundgesetz einer entwickelten und ausgearbeiteten Rechtsordnung (ist), die mit Spezialgesetzen zu zahllosen gefahrträchtigen und sonst sozial relevanten Betätigungen und der polizeilichen Generalklausel über ein Netz gesetzlicher Beschränkungen grundrechtlicher Freiheit verfügt, dem ohne bewußte Billigung oder Inkaufnahme durch den Gesetzgeber so leicht keine schädliche oder gefährliche Grundrechtsausübung entgeht"69. Im Regelfall - wie auch in den unter dem Begriff der negativen Freiheitsrechte erörterten Konflikten, die keine neuartigen Freiheitsprobleme aufwerfen und deshalb in der Rechtsordnung ihre Regelung gefunden haben 70 - wird danach auch einfachrechtlich an Schutz gewährleistet sein, was grundrechtlich eingefordert werden könnte. Allerdings ist der Schutz suchende Bürger darauf angewiesen, daß die Verwaltung und die Fachgerichtsbarkeit 67

Vgl. Häberle, a.a.O., insb. S. 180 ff. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1532). 69 Lübbe-Wolff\ Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 101; vgl. auch Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (561 f.). 68

70

Vgl. oben 7. Kapitel, Abschnitt Π 2 b) aa).

II. Das Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit

247

die gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten des Freiheitsschutzes angemessen einsetzen; bei Nicht- oder Falschanwendung einfachgesetzlicher Schutzvorschriften sind ihm die Geltendmachung der Grundrechte und die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts versagt. Ebensowenig ist er grundrechtlich davor geschützt, daß bestehende Schutzvorschriften vom Gesetzgeber aufgehoben werden 71 . Die Verfassung setzt damit voraus, daß die evidenten Fälle privater Ubergriffe wie etwa Tötung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, deren Verbot zum Kernbestand einer staatlichen Rechtsordnung gehört, auch unter dem Grundgesetz verboten bleiben; im übrigen, für die Fälle weniger eindeutig als Übergriff zu beurteilenden und insoweit umstrittenen privaten Tuns, mutet sie dem Bürger die Abhängigkeit von der politischen Entscheidung des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu, die unter Umständen auch zur Zurücknahme bestehender Schutzvorschriften führen kann. Hauptanwendungsfeld der grundrechtlichen Schutzpflicht ist aber weniger die Gewährleistung bestehenden Schutzes im Bereich klassischer Freiheitsgefahrdungen unter Privaten als vielmehr die Forderung nach neuen, weitergehenden Schutzvorkehrungen im Bereich neuartiger Freiheitsgefährdungen, insbesondere im Bereich des Umwelt- und Technikrechts72. Hier für einen angemessenen Freiheitsschutz zu sorgen, bleibt nach einem staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnis der Politik überantwortet. Ein liberal-rechtsstaatliches Grundrechtsverständnis muß voraussetzen, daß der Gesetzgeber die Aufgabe des Schutzes der Bürger vor privaten Übergriffen erfüllt. Es kann von dieser " Verfassungsvoraussetzung " nicht - wie Murswiek meint 73 - auf eine verfassungsrechtliche und insbesondere grundrechtliche Pflicht des Staates zum Schutz der Bürger vor solchen privaten

71

Gerade auf Anwendung und Bestand vorhandener Schutzvorschriften zielt Lübbe-Wolffs Konstruktion des grundrechtlichen Schutzes einfachgesetzlich konstituierter Rechtspositionen ÇLübbe-Wolff\ a.a.O., S. 103 ff.). Der - von ihr nicht abschließend erörterten - Möglichkeit originärer grundrechtlicher Ansprüche auf Erlaß freiheitsschützender Normen steht sie wegen der inhaltlichen Unbestimmtheit an den Gesetzgeber gerichteter Verfassungsaufträge, inbesondere der grundrechtlichen Schutzpflichten zurückhaltend gegenüber (a.a.O., S. 145 ff.). Erst die einmal getroffene gesetzgeberische Entscheidung fur einen bestimmten Weg der Erfüllung des Verfassungsauftrags reduziere die justiziabilitätshemmende Komplexität so, daß der Bestand und die Anwendung dieser einfachgesetzlich konstituierten Rechtspositionen nunmehr grundrechtlich, und zwar eingriffsabwehrrechtlich geschützt und damit auch verfassungsgerichtlich garantiert werden könne (a.a.O., S. 146). Diese Konstruktion erscheint im Hinblick auf den Vorrang der Verfassung und die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers in doppelter Hinsicht problematisch: einerseits setzt sie das Bestehen einer verfassungsrechtlichen, insbesondere grundrechtlichen Verpflichtung des Gesetzgebers voraus, der aber wegen ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit kaum Bindungswirkung beigemessen wird; andererseits und vor allem aber soll der Gesetzgeber, nachdem er diesen Verfassungsauftrag selbst - weitgehend frei - konkretisiert hat, verfassungsrechtlich an diese einfachgesetzlichen Regelungen gebunden sein. 72 Vgl. Grimm, in: Die Zukunft der Verfassung, S. 221 (231); Wahl/Masing, a.a.O., S. 560. 73 Murswiek, Die staatliche Verantwortung fur die Risiken der Technik, S. 103 ff.

248

8. Kap.: Zur grundrechtstheoretischen Fundierung

Übergriffen schließen, ohne mit seinen eigenen Grundannahmen in Widerspruch zu geraten. Murswiek selbst macht das deutlich, wenn er das sogenannte rechtsstaatliche Verteilungsprinzip so umformuliert, daß man zwar prinzipiell tun und lassen dürfe, was man will, das Mittel der Gewalt, des Zwanges, dabei aber ausgeschlossen sei 74 . Die Differenzierung zwischen legitimem Freiheitsgebrauch und unzulässigem Übergriff wird damit schon in den Begriff grundrechtlicher Freiheit hineinverlegt. Die liberal-rechtsstaatliche Pointe des Verteilungsprinzips, an der ungeachtet der Einsicht in die Notwendigkeit hoheitlicher Freiheitsbeschränkungen festgehalten werden kann, geht damit verloren; sie liegt gerade darin, daß alles private Verhalten, auch wenn es andere stört oder schädigt, als erlaubt gilt, solange es nicht gesetzlich ausdrücklich verboten ist.

74 Murswiek, a.a.O., S. 106; vgl. auch Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 111 RN 171 ff.; § 115 RN 114, der fur eine enge Tatbestandstheorie plädiert, nach der die eindeutige Verletzung von Grundrechtsgütern Dritter, insbesondere die Ausübung privater Gewalt von vornherein nicht dem tatbestandlichen Schutz der Freiheitsrechte unterfallt.

Zusammenfassung der Ergebnisse Das zentrale Ergebnis dieser Untersuchung ist die These, daß die allgemein-grundrechtsdogmatische Figur einer negativen Seite der Handlungsrechte aufzugeben ist. Damit wird der generelle Schluß von einer ausdrücklich normierten positiven, ein bestimmtes Tun schützenden Seite des Schutzbereichs spezieller Freiheitsrechte auf eine negative Seite, die die entsprechende Unterlassung schützen soll, verworfen. Die Herleitung dieser zentralen These und die Darlegung ihrer Folgen haben es erforderlich gemacht, zu einer Reihe von einzelnen Fragen der Auslegung und Anwendung der Freiheitsrechte Stellung zu nehmen. Die wichtigsten dieser einzelnen grundrechtsdogmatischen Aussagen sollen noch einmal thesenartig zusammengefaßt werden: (1) Sogenannte Handlungsrechte, auf die die Frage nach einer negativen Seite von vornherein beschränkt ist, sind nur solche Freiheitsrechte, die ein bestimmtes Handeln als solches, gegenüber jeglichem hoheitlichen Eingriff schützen; Handlungsrechte in diesem Sinne sind allein die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 11 und Art. 12 Abs. 1 GG. Die Freiheitsrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG sind hingegen - entgegen mancher abweichender Einschätzung keine Handlungsrechte, weil sie individuelle Handlungen nicht als solche und umfassend, sondern nur gegenüber spezifischen Eingriffen bzw. mittelbar, abgeleitet von einem anderen, ihrem eigentlichen Schutzgut schützen. Daß die Freiheitsrechte aus Art. 10, Art. 13, Art. 16 a GG keine Handlungsrechte sind, ist unumstritten. (2) Die Auslegung der genannten Handlungsrechte ergibt, daß sie allein die aktive Verhaltensform, also die Möglichkeit des Handelns vor Eingriffen schützen, den Schutz auch des entsprechenden Unterlassens hingegen nicht einschließen. Das bedeutet im einzelnen, daß Art. 4 Abs. 2 GG nicht die negative Kultusfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht die negative Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit, Art. 8 GG nicht die negative Versammlungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 GG nicht die negative Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG nicht die negative Koalitionsfreiheit, Art. 11 GG nicht die negative Seite der Freizügigkeit und Art. 12 Abs. 1 GG nicht die negative Berufsfreiheit gewährleisten. (3) Die Kritik an der heute herrschenden Interpretation von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Sinne eines einheitlichen und umfassenden Grundrechts auf

250

Zusammenfassung der Ergebnisse

(positive und negative) Religionsfreiheit, das jegliche Beeinträchtigung im religiös-weltanschaulichen Bereich abwehrt, und der Versuch, fur die hier interessierende Frage nach einer negativen Seite sich dieser Grundrechtsbestimmung noch einmal unbefangen zu nähern, haben zu Vorschlägen fur eine differenzierte Interpretation gefuhrt, die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV jeweils eigene, tatbestandlich begrenzte Grundrechte bzw. grundrechtsähnliche Rechte sieht. Verfassungsprozessual ist dabei wichtig, daß die über Art. 140 GG vermittelten Rechte im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geltend gemacht werden können. Materiell ergänzen die genannten und die sonstigen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes einander zu einem sinnvollen, keine wesentlichen Schutzlücken aufweisenden Grundrechtsschutz der Freiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV verwehrt es zunächst dem Staat grundsätzlich, den religiösen Standpunkt seiner Bürger zu erforschen. Die in Art. 4 Abs. 1 GG garantierte Glaubensfreiheit gewährt besonderen Grundrechtsschutz vor Zwang und indoktrinierender Beeinflussung in den inneren Glaubensüberzeugungen. In bezug auf das äußere Verhalten gilt besonderer Grundrechtsschutz solchen Handlungen und Veranstaltungen, die objektiv religiösen Charakters sind: Das in Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf freie Religionsausübung verbürgt umfassend und vorbehaltlos die sogenannte Kultusfreiheit, also die Freiheit zur Vornahme kultischer Handlungen und Ausübung religiöser Gebräuche; Art. 7 Abs. 2 und 3 Satz 3 GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 und Art. 141 WRV schützen die negative Kultusfreiheit, d.h. die Freiheit vom Zwang zur Teilnahme an kultischen Handlungen, außerdem vor dem Zwang zur Teilnahme am Religionsunterricht und zum Gebrauch religiöser Eidesformeln. In seinem sonstigen, religiös-weltanschaulich motivierten Verhalten wird der Bürger durch die Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG insoweit geschützt, als alle hoheitlichen Eingriffe, die sich spezifisch gegen das in diesem Verhalten zutage tretende Bekenntnis richten, verboten sind. Gegenüber sonstigen Beschränkungen durch die allgemeine Rechtsordnung werden auch religiös-weltanschaulich motivierte, nicht kultische Aktivitäten (wie etwa die religiöse Werbung, der Verkauf religiöser Schriften oder religiöse Versammlungen) ebenso wie politisch oder kommerziell motivierte Aktivitäten - nur - durch die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8, Art. 12 Abs. 1 GG und schließlich Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Wo hoheitliche Handlungsgebote und -verböte den einzelnen in Konflikt mit - religiös oder anders motivierten - zwingenden Gewissensgeboten bringen, kann ihm schließlich das Grundrecht auf Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ausnahmsweise Dispens erteilen. (4) Der grundrechtliche Schutz vor Betätigungszwängen und sonstigen Störungen der individuellen Freiheitssphäre, der von der heute herrschenden Meinung der negativen Seite der Freiheitsrechte entnommen wird, obliegt im

Zusammenfassung der Ergebnisse

wesentlichen - wo nicht ausnahmsweise spezielle Freiheitsrechte wie etwa das grundrechtliche Verbot von Arbeitszwang oder das Grundrecht auf Gewissensfreiheit eingreifen - dem allgemeinen Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Es schützt den Bürger unter dem Aspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit auch in seiner allgemeinen Unterlassensfreiheit; hoheitliche Betätigungszwänge sind deshalb, wenn sie keinen legitimen Zweck verfolgen oder den Bürger unverhältnismäßig belasten, grundrechtswidrig. Wie unter dem Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt ist, kann das allgemeine Freiheitsrecht darüber hinaus auch vor sonstigen, nicht unmittelbar verhaltensbezogenen hoheitlichen Störungen der individuellen Freiheit schützen, doch stellt sich hier besonders dringlich die Aufgabe einer tatbestandlichen Begrenzung der grundrechtserheblichen Beeinträchtigungen. (5) Allein die erzwungene Konfrontation des Bürgers mit hoheitlichen Meinungskundgaben (insbesondere religiös-weltanschaulichen oder politischen Inhalts) ist - solange er nicht einer indoktrinierenden Einflußnahme auf die Bildung eigener Anschauungen und Einstellungen unterworfen wird oder die hoheitliche Meinungskundgabe aufgrund der gegebenen Situation ihm als seine eigene zugerechnet wird - kein Eingriff in seine Grundrechte. (6) Die Errichtung und allgemeine Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände ist verfassungsrechtlich kein Grundrechtsproblem, sondern eine Frage staatsorganisationsrechtlicher Art. Die Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände wirft besondere Probleme im Hinblick auf die gebotene demokratische Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt auf; aus diesem Grund bedürfen die Errichtung und die Aufgabenumschreibung des öffentlich-rechtlichen Zwangsverbandes einer gesetzlichen Grundlage und steht der Verband unter staatlicher Aufsicht. Die Grundrechte der Zwangsmitglieder gewähren keinen Abwehranspruch gegen die Zwangsmitgliedschaft als solche und keinen allgemeinen mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruch gegenüber rechts-, insbesondere kompetenzwidriger Betätigung des Verbandes. Grundrechtsschutz für die Mitglieder besteht - wie auch im Verhältnis des Bürgers zur unmittelbaren Staatsverwaltung - erst gegenüber einzelnen eingreifenden Maßnahmen des Verbandes wie insbesondere der Beitragserhebung. (7) Aus der Kritik an der Anwendung der negativen Freiheitsrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis heraus wendet sich die Untersuchung gegen die auf ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis gestützte - Annahme, daß die Freiheitsrechte einen Anspruch auf staatlichen Schutz vor störendem Tun anderer Privater verbürgen; auch im Hinblick auf Konflikte unter Beteiligung mehrerer Privater folgt sie einem ausschließlich staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Grundrechtsmodell. Danach schützen die Freiheitsrechte den Bürger in seiner Unterlassensfreiheit nur gegenüber hoheitlichen Eingriffen, durch die

252

Zusammenfassung der Ergebnisse

er zu einem (Mit-)Tun gezwungen oder den - grundrechtlich erheblichen nötigenden oder störenden Wirkungen des Tuns anderer aussetzt wird. Gegenüber Freiheitsbeeinträchtigungen und Störungen, die von anderen Privaten ausgehen und von diesen zu verantworten sind, insbesondere gegenüber religiöser Missionierung, politischer Agitation oder gewerkschaftlicher Werbung durch andere Private vermitteln die Freiheitsrechte hingegen keinen Anspruch auf Gewährung staatlichen Schutzes. Der sich gestört fühlende Bürger ist insoweit auf das einfache Recht und seine Anwendung verwiesen. Wird der vom Bürger begehrte Schutz durch die staatliche Rechtsordnung bzw. die Gerichte versagt, sind ihm gegen diese Entscheidung die Berufung auf die Grundrechte und der Gang zum Bundesverfassungsgericht versagt. Die Untersuchung sieht also in den Handlungsrechten des Grundgesetzes Handlungsmöglichkeiten des Bürgers vor staatlichen Beschränkungen geschützt. Mit diesem Verständnis grundrechtlicher Handlungsfreiheit wendet sie sich - auf grundrechtstheoretischer Ebene - gegen die Vorstellung einer individuellen, gegenüber dem Staat und gegenüber Dritten abgeschirmten Freiheitssphäre, wie sie der Annahme und Anwendung einer negativen Seite der Freiheitsrechte zugrunde liegt. Indem sie in den Handlungsrechten nur die Möglichkeit des Handelns geschützt sieht, widerspricht sie einerseits der Annahme der Freiheitssphären-Vorstellung, der grundrechtliche Schutz von Handlungsfreiheit müsse als Gewährleistung einer umfassenden, immer auch den gleichrangigen Schutz des jeweiligen Unterlassens einschließenden Verhaltensfreiheit verstanden werden; insoweit distanziert sie sich von liberalrechtsstaatlichen Vorstellungen einer möglichst umfassenden und strikten grundrechtlichen Abschirmung bürgerlicher Freiheit gegenüber dem Staat. Andererseits bestreitet sie, daß eine solche individuelle Freiheitssphäre grundrechtlich auch gegenüber störendem Tun Dritter abgeschirmt sei, indem sie einen grundrechtlichen Anspruch auf Schutz vor Betätigungszwang oder Störung durch Dritte ablehnt; damit wendet sie sich gegen ein objektiv-rechtliches Grundrechtsverständnis, das die hoheitliche Lösung von Freiheitsproblemen zwischen Bürgern zu einem Problem der (richterlichen) Abwägung zwischen prinzipiell gleichrangigen Grundrechtspositionen erklärt, und plädiert sie für ein Verständnis der Freiheitsrechte als staatsgerichtete Abwehrrechte, das ihnen nur für das Verhältnis zwischen freiheitsbeschränkendem Staat und eingriffsbetroffenem Bürger Wirkung beimißt und dort an der ungleichen Verteilung von Rechtfertigungslasten zwischen beiden festhält.

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1

Hellermann

averzeichnis Abgaben-, Steuerpflicht 36, 77 Abwägung 105 ff., 111, 114 f., 121 f., 200 ff., 211, 219, 221 ff., 242 f. Aktivität, aktive Mitwirkung der Bürger 18, 47, 124, 151, 154, 231 f., 234 - grundrechtliche Privilegierung 45, 231 f. Aktivität und Passivität, Tun und Unterlassen 18, 44, 233 f. - differenzierte grundrechtliche Bewertung 234 - gleichrangiger Schutz, Untrennbarkeit 45 f., 49, 58, 103, 134, 161 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 157 allgemeine Handlungsfreiheit 36, 68 f., 76 ff., 166 f., 180 f., 183, 186, 199 f. allgemeine Rechtsordnung 136, 143, 145, 245 allgemeines Freiheitsrecht, Auffanggnindrecht 27, 32, 34, 36, 44, 60, 76, 79 ff., 85 f., 88, 120, 123, 125, 128, 138, 162 f., 172 ff., 180 ff., 199 ff., 228, 235 allgemeines Persönlichkeitsrecht 71, 76 ff., 109 f., 180, 183, 185 f., 189, 199 f., 202 Allgemeines Preußisches Landrecht 152 f. Anspruch auf staatliche Leistungen 33, 54 Arbeitnehmerkammer(-Entscheidung) 60 f., 87, 117, 177, 193 Arbeitszwang 161 f., 166 ff., Asylrecht 35, 38, 134 f. Aufgabefreiheit 57 f. Aufruf des Rats der Volksbeauftragten 156 Ausgleich (s. verhältnismäßige Zuordnung) Auslegung, Interpretation der einzelnen Grundrechtsbestimmungen 40 ff., 45, 126, 130, 147, 224 Ausreisefreiheit, Auswanderungsfreiheit 32, 148, 150 f., 159 f., 163 ff. Außenseiter(-betätigungen) 17, 111 ff., 122, 202, 222 f. Ausstrahlungswirkung 91, 94, 101 f., 205 f.

Austrittsfreiheit, Austrittsrecht 58, 78, 154, 226 Auswahlfreiheit 49, 56, 58, 175 f. Ausweichen, Sich-Distanzieren von störender Aktivität 98, 109 f., 221 autoritäres Staatsmodell 233 Beamte(-nverhältnis) 29 f., 113 Befragung 29, 71, 77 f. - nach der Religionszugehörigkeit 24, 83, - nach Tatsachen 55 f. Befugnis, Erlaubnisnorm 49, 132 ff., 227 Beitragserhebung durch öffentlich-rechtlichen Zwangsverband 188 f., 192 f. Bekenntnisfreiheit 15, 17, 21, 23 f., 41 f., 55, 73 ff., 83, 97, 99, 101, 117 f., 124, 138, 140, 142 f., 159, 170, 173,223, 245 - ausdrückliche Gewährleistung der negativen B. (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV) 23, 41 f., 83, 117 f., 159, 161 f., 169 f., 172 ff., 182 Berieselung mit Informationen, Musik etc. 30, 89, 102, 110, 186 Berufsfreiheit 15, 28, 32 f., 54 ff., 81 f., 117, 119 f., 124, 135, 147, 149 ff., 164, 166, 176 ff. Bewährungsauflage zur Aufnahme einer Berufstätigkeit 32 f., 81, 120 Bewertung des individuellen Freiheitsgebrauchs 22, 46, 232 Bleibefreiheit, Bleiberecht 57, 175 f. - am Aufenthaltsort 32, 57, 176 Blinkfuer-Entscheidung 212 Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis 35, 38, 134 f. Brokdorf-Entscheidung 31 Bund und Länder als Zwangsverbände 193 ff. Bundesverfassungsgericht 220, 242 f., 246 f. christliche Gemeinschaftsschule 22, 216

Sachverzeichnis

Datenschutz 29, 56, 70 f., 77 Demokratieprinzip 195, 242 f. Demonstrationen 102, 109 Deutschenrechte 164 Dienstleistungspflichten, herkömmliche 168 Differenzierungsklausel(-Beschluß) 27, 89, 101, 105, 112 f., 202 Diskriminierungsverbot 170, 223 Drittes Reich, nationalsozialistisches Regime 44, 53, 157, 162, 237 Drittwirkung 91 ff., 98, 205 f., 209, 220 Duldungsanspruch 132 f. Duldungspflicht gegenüber privater Freiheitsbeeinträchtigung 210 Ehe und Familie 33 f., 117, 136, 145 f. Ehescheidung 34, 146 Ehrenamt 36, 82, 168 f. Eid 69, 170 Eigentum 33 f., 117, 136, 145 f. Eigenverantwortlichkeit 213 f. einfaches Recht, einfachgesetzlicher Schutz 104, 162, 219 ff., 246 einfachgesetzlich konstituierte Grundrechtspositionen 211, 247 Eingriff 98, 100, 120 f., 185, 199, 203 - hoheitlicher E. im Bürger-Bürger-Verhältnis 204 ff., 209, 213 ff., 222 - mittelbarer staatlicher Druck, Zwang als E. 71 f. - Nicht-Gewähr staatlichen Schutzes als E. 209 ff., 219 Eingriffsmodell, Eingriffs-(und Schranken-) dogmatik 100, 203, 211, 218, 222 f. Eingriffs- und Schrankendenken 245 Eintragung der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte 24, 83 Elfes-Urteil 32, 36, 148, 163 elterliches Erziehungsrecht 35, 37, 39, 46 f. Entstehungsgeschichte 28, 41 ff., 53, 111, 157 ff., 161 f., 167 f., 173,226 Erftverband-Urteil 25 ff., 60, 117, 165, 187 Erklärung der Menschenrechte 235 Fernbleiberecht 26, 31, 55, 58, 78, 154, 226

18'

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forum internum, innere Freiheit 21, 23, 140 f. Freiheit 16, 40 f. - als individuelles Belieben, F. schlechthin 46, 225, 229, 240 - als Merkmal der grundrechtlich geschützten Handlung 40, 49, 68, 148 f., 228 - F. vom staatlichen Eingriff als F. zum privaten Eingriff 240 f. - individualistische, asoziale Vorstellung 125 f., 239 f. - liberal-rechtsstaatlicher Begriff 210 - negativer (subjektiver, formaler) Begriff 46, 48 f., 51, 224 ff., 229, 232, 239 f. - öffentliche, politische F. 18, 232 f., 235 - positiver (objektiver, materialer) Begriff 46 f., 224, 227 - private, apolitische F. 18, 54, 234 f. - zur Nichtausübung der grundrechtlich geschützten Handlung 16, 228 Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film 28, 31, 136, 143 f. Freiheit der Person 33 f., 117, 136 ff. freiheitliches, freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen 18, 167 f., 231, 233 f., 237 ff., 243 f. Freiheitssphäre 51 ff., 66 ff., 70, 73, 79 f., 117 ff., 123 ff., 129, 226 f., 229 ff., 233 ff., 239 f. Freiwilligkeit - als Merkmal der grundrechtlich geschützten Handlung 40, 60, 65 f., 68, 153, 228 - der Teilnahme an religiösen Übungen oder sonstigen Veranstaltungen 101, 109, 217 Freizügigkeit 28, 31 f., 56 ff., 82, 117, 124, 135, 147 ff., 159 ff., 163 ff., 176 ff. Frühkonstitutionalismus, frühkonstitutionelle Verfassungen 150 f., 153 Gemeinde(-zugehörigkeit) 187, 193 ff. Generalklauseln 91, 94 f., 220 Geschichte 28, 41 ff., 63, 149 ff., 161 f., 226, 235 Gesetz, Gesetzgeber 201, 206 ff., 219, 222, 242 f., 245 ff.

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averzeichnis

Gesetzesvorbehalte, Schrankenregelungen 81 f., 85, 164 f., 181, 200 f., 203, 207, 222, 245 Gestaltungsfreiheit (des Gesetzgebers) 242 f. Gewährleistungsinhalt 66 ff., 133, 203 Gewaltenteilung 242 f. Gewerbeordnung 42, 155 Gewerkschaft, gewerkschaftliche Betätigung 15, 17, 28, 43,89, 101, 111 f., 155, 158, 177, 200 Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen 158 Gewissensfreiheit 23, 25, 75, 140 ff., 156, 172, 178 f. Glaubensfreiheit 21, 23, 25, 73 ff., 138, 140 ff., 185, 199 Glaubenswerbung, Missionierung 21, 99, 108 f. Glockenläuten 102, 109 Großer Zapfenstreich 171 Grundrechte - als Elemente objektiver Ordnung, objektivrechtliche Grundsatznormen, objektivrechtlicher Gehalt 90 ff., 101 f., 107, 121 ff., 198 ff., 203, 205, 209, 211 f., 218 ff., 230, 239, 241 ff. - als Optimierungsgebote, Prinzipien 100, 107, 121, 199, 201,203,211,243 - als Regeln 100, 203 - als staatsgerichtete Abwehrrechte 54, 66, 90, 92, 94, 107, 121, 132 f., 194, 203 ff., 209, 211 ff., 217 ff., 221, 230, 234, 238, 243 ff., 247 - Umwandlung in Grundpflichten, Lenkungsvorschriften 50, 237 Grundrechtsbindung, Grundrechte als höherrangiges Recht 94 f., 104, 201, 205, 243, 246 f. Grundrechtseffektivitat 50 f. Grundrechtseingriff (s. Eingriff) Grundrechtskollision 89 f., 92, 94, 98 f., 101 ff., 121 f., 126, 200 f., 211, 218 f., 221 ff., 242 f. Grundrechtstheorie, allgemeines Grundrechtsverstandnis 18, 41, 45, 51, 66, 117 f., 123 f., 126, 203, 224, 229 f. - (demokratisch-)funktionale G. 46 ff., 231 f. - institutionelle G. 46 ff., 246

- liberal-rechtsstaatliche G. 52, 66 ff., 90, 124, 225, 231 ff., 235 f., 239, 244 f., 247 f. - wertorientierte G. 46 ff. Grundrechtsverwirkung 35, 233 Grundrechtsverzicht 16, 35 Handlungsrechte 58, 79, 117, 228 - Abwehr von Betätigungszwang 175 ff. - als Erlaubnisnormen 49, 132 ff., 227 - als Garantien individueller Handlungsmöglichkeiten 131, 149, 230 ff. - als mehrdimensionale, umfassende Verhaltensgarantien 45, 52, 131, 134, 147, 149, 227, 230 - Schranken 164, 181,233 - Unterscheidung von den sonstigen Freiheitsrechten 38 f., 73, 131 ff., 245 Herrenchiemseer Konvent 43, 158 Hilfeleistungspflicht 214 Identität der Persönlichkeit mit sich selbst 178 in dubio pro übertäte 51 Indigenat 150 Indoktrination 185, 218 informationelle Selbstbestimmung, Dispositionsfreiheit 52, 70, 77 f., 183 Informationsfreiheit 28, 30, 55, 89, 109, 119 f., 135, 144, 147 ff., 163 f., 184 interventionistischer Sozial-, sozialer Rechtsstaat 50, 235 Kammern, berufsständische 157 f., 160, 177, 187 Kirchenaustritt 24, 75, 84 Kirchenrechtsartikel 42, 174 Kirchensteuerpflicht 24 f., 75, 84, 182 Kniebeugungserlaß 156, 171 Koalitionsfreiheit 15, 17, 21, 27 f., 39, 41 ff., 53, 55, 58, 61, 72, 82, 89, 91, 94, 96, 103, 105, 111 ff., 117, 119 f., 135, 147 ff., 151 f., 154 ff., 160 ff., 176 f., 200, 202, 219, 226, 237 Koalitionspluralismus 53 Kommunikationsgrundrechte 31, 52, 231

Sachverzeichnis

Konfrontation - mit fremder, privater Aktivität 98, 108, 110,218,223 - mit hoheitlichen Meinungskundgaben 184 ff. - mit religiös-weltanschaulichen Fakten, Einflußnahmen 75, 172, 184 Korporationen, dekoiporierende Reformen 44, 152 f., 226 Krankenkassenfinanzierung nicht medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche 79, 88, 187 f., 190 ff. Kriegsdienstverweigerung 25, 69 Kruzifix 75 f., 84, 172, 184, 186 Kultusfreiheit (s. Religionsausübungsfreiheit) Kunstfreiheit 28, 31, 98, 136, 143 ff., 245 Länderverfassungen 157 Leben und Gesundheit 33, 117, 136 f., 199 Lehrer - in baghwan-typischer (Sannyasin-)Kleidung 75, 102, 114, 200, 217 f. - mit Anti-Atomkraft-Plakette 114, 200, 217 Ludendorff-Entscheidung 21 Lüth-Uiteil 207 f., 212, 230, 240 f. Lumpensammler-Entscheidung 21, 139 f. Meinungs-(äußerungs-)freiheit 15, 28 ff., 44, 55 f., 64 f., 67 f., 70 f., 82, 113, 117, 119 f., 124, 135, 144, 147, 149, 151, 153 f., 159 ff., 164, 177, 223, 240 f. Menschenbild-Formel 47 Menschenwürde, Würde 51 f., 202 Merkantilismus 151 Minderheit - Diktat, Herrschaft der M. 108 - grundrechtlicher Schutz der M. 22, 84, 223 - Verpflichtung der M. zu besonderer Rücksichtnahme 122 Mitbestimmung(-surteil) 26 ff. Nachteilsformel 76 f. negative Seite der Freiheitsrechte, negative Freiheitsrechte - Ablehnung, Anerkennung 15, 20 ff., 47 f., 116 f., 122, 198, 230

277

- als allgemein-grundrechtsdogmatische Figur 15, 17 f., 20, 40, 116, 123, 130, 175 - als freiheitsrechtlich notwendiges Korrelat 51 - als Korrelat, Kehrseite, Gegenstück, Spiegelbild 48, 55 - als logisch-begriffliches Korrelat, logischbegriffliche Ableitung 49 f., 225, 227, 229 - als sachlich notwendiges Korrelat 50, 62 - Anspruch auf hoheitliches Einschreiten, auf Unterlassung störender Aktivität gegen Dritte 90, 92, 97 ff., 108 f., 122, 203 - Begriff(-sdefinition) 16 f., 57 f., 73, 80 - Beschränkung auf Handlungsrechte 35, 38 f., 117, 130, 134 - Drittwirkung 91, 94, 99 - Erstreckung auf die Abwehr staatlicher Störungen 70 ff., 182 f. - Gefahrdung durch, Schutz gegen andere Private 17, 30, 53, 89 ff., 118, 121 f., 198, 230 - in der Schutzpflichtfunktion 92, 94 - in der staatsgerichtet-abwehrrechtlichen Funktion 54, 59, 63 f., 68, 70, 92, 94, 118 ff. - Kollision mit positiven Freiheitsrechten anderer 89 f., 92, 94 ff., 98 f., 101 ff., 121 f. - Schranken, Schranken-Schranken 81 f. - Schutz vor Zwang zur Betätigung in öffentlich-rechtlicher Form 59 ff., 64, 67 ff. - Schutzbereich, tatbestandliche Reichweite 55 ff., 64, 67 - Über-, Unterlegenheit in der Abwägung mit positiven Freiheitsrechten anderer 107 ff., 122 - Vor-, Gleich-, Nachrangigkeit im Verhältnis zu positiven Freiheitsrechten 97, 103 f., 122 nichtorganisierte Arbeitnehmer 15, 17, 27, 72, 89, 101 "Ob" und "Wie" des Grundrechtsgebrauchs 49, 52, 57 f., 176 f.

278

averzeichnis

Offenbarung von Motiven, abweichenden Überzeugungen (durch Nichtteilnahme) 52, 97, 101, 109 Öffentlich-rechtliche (Zwangs-)Verbände, Körperschaften - (allgemein-)politische Betätigung 71, 79, 88 - Aufgaben, legitime 62, 86, 88 - Beitragserhebung 188 f., 192 f. - belastende Wirkungen fur Mitglieder 78, 193 f. - Gesetzesbindung 88, 195 f. - gesetzliche Grundlage 193, 195 - Konkurrenz zu privaten Vereinigungen 61 f., 65, 176 f. - mitgliedschaftliche Mitwirkungsrechte 194, 196 - staatliche Aufsicht 195 f. - verfassungsrechtliche Zulässigkeit 59 f., 85 ff., 119, 125, 165, 195 öffentlich-rechtliche Regelung von Konflikten zwischen Bürgern 92 ff., 204 f., 208 öffentliches Leben, gesellschaftliche Öffentlichkeit 108 ff. Parlamentarischer Rat 41, 43, 157 ff. Paulskirchenverfassung 150 f., 154, 156, 171,235 Pflicht zum Grundrechtsgebrauch 37, 46 f., 160, 225, 227, 232, 237 Pluralität 53 politische Willensbildung 182, 186 Popularklage, Popularverfassungsbeschwerde 184, 187 positive Religionspflege 22 positive Seite der Freiheitsrechte, positive Freiheitsrechte - Ableitung der negativen Seite 48 ff., 55, 225 - Abwehr von Betätigungszwang 56 ff., 175 ff. - als zunächst, ausdrücklich geschützte Seite 16, 40, 147 - Anspruch auf Mit-Tun anderer 98 - Beschränkung auf den Schutz privatrechtlicher Betätigung 59 f., 64 ff., 68 f.

- tatbestandliche Abgrenzung von der negativen Seite 56 ff. - Vorrang vor negativer Seite 103 praktische Konkordanz 105 ff. Pressefreiheit 28, 31, 136, 143 f., 153 f. Preußische Verfassung 41, 151, 154 Prinzip freier sozialer Gruppenbildung, freies Vereins- und Gruppenwesen 53, 61 f., 177 Privatautonomie 207 f., 214 Privatrecht 91 ff., 205 ff. Produkthinweispflichten, Warnhinweise bei Tabakwaren 29 f., 120, 236 Prozessionen 102, 109 Recht, in Ruhe gelassen zu werden 77, 113, 180, 184, 200, 202, 213, 223 Recht, nicht (zu-)hören zu müssen 30, 36, 77, 89, 184 rechtsgeschäftlich, vertraglich begründete Pflichten 207, 214 Rechtsprechung, Richter, Fachgerichtsbarkeit 91, 94 f., 219 f., 243, 246 rechtsstaatliches Verteilungsprinzip 100, 211, 228, 245, 248 rechtswidriger Eingriff, Zwang 103 f., 122 Religionsausübungsfreiheit 24, 41 f., 73 ff., 97, 108 f., 117 f., 138 ff., 147, 149, 156, 159 ff., 173, 177,215,219, 235 - ausdrückliche Gewährleistung der negativen R. (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4, Art. 141 WRV) 24, 42, 117 f., 159 ff., 169 ff., 182 Religionsfreiheit 15, 17, 21 ff., 39, 41, 44, 68, 73 ff., 79 f., 82 ff., 89, 97, 102, 105, 109, 111, 117 ff., 127 f., 136, 138, 162, 169 ff., 178 f., 184, 199 f. Religionsunterricht 69, 161 f., 169 f., 172 religiös-weltanschauliche Neutralität 23, 75, 81, 83, 182, 186, 216 religiöse Finanzierungsfreiheit, negative 24 f., 75, 84 religiöse Vereinigungsfreiheit 21, 24, 75, 84, 173 Schule, Schulunterricht (religiös-weltanschauliche Bezüge) 15, 75, 84, 184, 216

Sachverzeichnis

Schulgebet 15, 24, 68, 89, 94, 96 f., 99, 101, 110 f., 114, 215 ff. Schutzbereich - und Eingriff 96, 98, 100, 199, 203, 211 - und Gewährleistungsinhalt 66 f. Schutzpflicht 92 ff., 98, 106, 209 ff., 220 f., 244, 247 Selbstdarstellung der Person 185 Selbsttötung, Selbstschädigung 33, 136 f. Soldaten(-verhältnis) 29, 113 f., 156, 217, 223 Sozial-(in-)adäquanz 103, 105, 112, 115 staatliche Einrichtungen, Sonderstatusverhältnisse 92, 110, 113 f., 170, 215 ff., 220 staatliche Hoheitsgewalt 98, 206, 208, 244 staatlicher Schutz vor privater Freiheitsbeeinträchtigung - einfachrechtliche Gewährleistung durch Gesetzgeber 219 ff., 245 ff. - (kein) grundrechtlicher Anspruch 241 ff., 246 - Nicht-Gewähr als Grundrechtseingriff 209 ff., 219 ständisch-koiporatives System 53 status negativus 16, 22, 80 Stein/Hardenberg'sehe Reformen 150 f. Studentenschaft, verfaßte 15, 85, 87 f., 177, 187 subjektiv-rechtliche Geltendmachung der Grundrechte in den objektiv-rechtlich begründeten Funktionen 92 f. subjektives Recht, Recht 38, 40 f., 50, 148 f. Systematik 41, 44 f., 161 ff. Tarifmacht, Tarifvertrag 72, 112 Teilnahme (an religiösen Übungen) 171 f. Toleranz(-gebot) 105 f., 115, 122 totalitäre Freiheitsbedrohung, totalitäres Regime 44, 53, 157, 162, 167, 237 f. Trennung von Staat und Gesellschaft 53, 124 Trennung von Staat und Kirche, Religion 124, 235 Umweltschutz, Umwelt- und Technikrecht 93, 247

279

unmittelbare Staatsverwaltung 86 f., 125, 194, 196 Unterlassungsanspruch 132 f., 228 Unterlassungsanspruch des Mitglieds öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände 78 f., 88, 187 ff., 195 ff. Unverletzlichkeit 135, 140 Unverletzlichkeit der Wohnung 35, 38, 133, 135 Verbreitung unrichtiger Zitate 71 Vereinigungsfreiheit 15, 17, 21, 25 ff., 39, 43 f., 55 f., 58, 64 ff., 68, 71 f., 82, 117, 135, 147, 149, 151 ff., 157 f., 160 f., 164 f., 176 f., 226 f. - negative V. gegenüber öffentlichrechtlichen Zwangsverbänden 26, 36, 43, 59 ff., 69, 78 f., 84 ff., 117, 119 ff., 125, 187 ff., 236 Verfassungsbeschwerde 92, 173 f., 184, 220 verfassungsimmanente Schranken 63, 82 f., 85, 119, 127 f., 165 verfassungsmäßige Ordnung 60, 81, 85 f., 174, 181 verhältnismäßige Zuordnung 104 ff., 201 Verhältnismäßigkeit 81 f., 86 f., 106, 120 f., 125, 182, 203 f., 207, 211, 222, 236 Verkehrsunterricht 30, 34 Versammlungsfreiheit 15, 28, 31, 55, 64 f., 68, 82, 117, 119, 124, 135, 147 ff., 151, 153 f., 164, 177, 228 Vertragsfreiheit, negative 36 Verwaltung(-sbehörden) 219 f., 243, 246 Volksbefragung(-surteil) 29, 67 f. Volkszähler 169 Volkszählung(-surteil) 29, 56, 71, 83, 183 Vorbehalt des Gesetzes 81, 222, 235 f., 242 Vormärz 151 ff., 226 Vornahme religiöser Handlungen durch Religionsgesellschaften in Heer etc. 170, 216 Vorrang der Verfassung 201, 247 Wahlgeheimnis 161 Wechselfreiheit 49, 57, 175 Weimarer Reichsverfassung, Republik, Zeit 41, 117, 150 f., 154 ff., 162, 236 f.

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averzeichnis

Werbung 30, 89, 102, 108 ff. Wertrangordnung der Grundrechte 103, 201 Wissenschaftsfreiheit 28, 31, 66, 136, 143 ff., 245 Wortlaut 28, 40 f., 45, 123, 127, 135, 147 ff. Zivilgesetzgeber 95, 206, 208 Zivilrichter 91, 93, 95, 205 f., 208 zulässiger Anreiz, Druck, Zwang 27, 71 f. Zumutbarkeit 109, 111 Zurechnung - der Betätigung öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände 71, 189, 194

- des Verhaltens Privater zum Staat 210, 215 - staatlicher Meinungskundgaben zum Bürger 185 Zwang zur "Grundrechtsausübung", zum "Freiheitsgebrauch" 16, 226, 229, 237 Zwangsarbeit 161 f., 166 ff. Zwangsmitgliedschaft 15, 26, 59 ff., 78, 85 ff., 120 f., 125, 165, 176 f., 187 ff., 236 Zwangszusammenschluß, Fusionierungszwang 26, 72 Zweck (und Folgen) 28, 135, 163 ff. zwingende (Privatrechts-)Normen 207 f.