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German Pages 491 Year 2010
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 401
Die sogenannte actio quasinegatoria Zur Frage der quasinegatorischen Unterlassungsansprüche
Von Jan Christoph Funcke
a Duncker & Humblot · Berlin
JAN CHRISTOPH FUNCKE
Die sogenannte actio quasinegatoria
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 401
Die sogenannte actio quasinegatoria Zur Frage der quasinegatorischen Unterlassungsansprüche
Von Jan Christoph Funcke
a Duncker & Humblot · Berlin
Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-12962-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung konnten Rechtsprechung und Literatur bis zum 15. November 2009 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Ingo Reichard, der die Untersuchung angeregt und mich während meiner Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Römisches Recht stets konstruktiv und wohlwollend unterstützt hat. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Oehler danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Besonders danken möchte ich schließlich meinem damaligen Lehrstuhlkollegen Herrn Rechtsassessor Hanno Schaper für den stets wertvollen wissenschaftlichen Meinungs- und Gedankenaustausch. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern, die mir alle erdenkliche Unterstützung und Hilfe haben zukommen lassen und hierdurch das Entstehen dieser Arbeit überhaupt erst möglich gemacht haben. Berlin, im Februar 2010
Jan Christoph Funcke
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 17
Teil 1 Die Annahme eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs
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§ 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2 Die Entwicklung des materiellrechtlichen Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das „Aktionensystem“ des klassischen römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung unter dem Einfluss der Naturrechtslehre . . . . . . . . . . . . . III. Das materielle Aktionenrecht v. Savignys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung des Anspruchsbegriffs durch Windscheid . . . . . . . . . . . . 1. Der Anspruch als materiellrechtlicher Aussagegehalt des Begriffs der actio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis des Anspruchs zu den Obligationen und zum Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verhältnis des Anspruchs zum Klagerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Verlust des Bezugs des materiellen Rechts zur prozessualen Durchsetzung in der Lehre Windscheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 32 36 38 42
§ 3 Der Anspruch des Bürgerlichen Gesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Motive und Protokolle zum BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Anspruch als reines Sollen (Materielles Recht als System von verhaltensbestimmenden Normen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wachs Lehre vom Rechtsschutzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unterscheidung von Anspruch und Klagerecht in der Lehre Hellwigs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Lehre vom materiellen Ziviljustizrecht (J. Goldschmidt, Th. Kipp) 4. Kritik der normativen Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Durchsetzbarkeit als Wesensmerkmal von Rechtsnormen . . . . b) Die Duplizierung des materiellen Rechts als Konsequenz der normativen Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis c) Die fehlende Belegkraft der zivilprozessualen Vorschriften über die Feststellungsklage und Verurteilung zu künftiger Leistung (§§ 256, 257–259 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d) Die Relativität der privatrechtlichen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 e) Keine Erklärung für den Inhalt des „Verlangenkönnens“ im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 III. Der Anspruch als Rechtsschutzmöglichkeit (Materielles Recht als System von Normen der richterlichen Entscheidungsfindung) . . . . . . . . . . . . 88 1. Das Einheitskonzept J. Binders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Berührungspunkte des Einheitskonzepts Binders mit der Prozesstheorie O. Bülows und dem Ansatz Pawlowskis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Kritik des Einheitskonzepts Binders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4. Die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht als Problem der Abgrenzung zwischen empirischer und normativer Rechtsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Zusammenfassung des eigenen Ansatzes (Materielles Recht als System von im Wege des Zivilprozesses durchsetzbaren Verhaltensnormen) . . . . 102
§ 4 Der Unterlassungsanspruch als materielles Substrat der Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die materielle Bedeutung des Unterlassungsanspruchs (Der Einwand der materiellen Bedeutungslosigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auffassung von Esser/Weyers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Ansatz Sibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Anspruch und die ihm korrespondierende Verhaltenspflicht (Der Einwand, dass der Unterlassungsanspruch keine aktuellen Anforderungen an das Verhalten des Gegners stellt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Erfordernis eines Willensentschlusses zur Normbeachtung . . . . 2. Die Unselbständigkeit des Pflichtbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfolgsbezogene und verhaltensbezogene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Anspruch im System der subjektiven Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis des Anspruchs zum absoluten Recht bzw. zur absolut geschützten Rechtssphäre (Der Einwand, dass der Unterlassungsanspruch ein Anspruch gegen jedermann wäre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis des Anspruchs zur ,Forderung‘ (Der Einwand, dass der Unterlassungsanspruch nicht die Eigenschaften eines schuldrechtlichen Anspruchs aufweist) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Anspruch als subjektives Recht (Die Frage, ob formale Berechtigungen Ansprüche sind) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106 106 107 111
117 117 118 118 125
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133 143
Inhaltsverzeichnis
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Teil 2 Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
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Abschnitt 1 Die Entwicklung des quasinegatorischen Rechtsschutzes in Rechtsprechung und Literatur § 5 Die Entwicklung der quasinegatorischen Unterlassungsansprüche durch das Reichsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ableitung eines Unterlassungsanspruchs aus deliktischen Schadensersatznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Analogie zu den negatorischen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Ausschluss der Unterlassungsklage im Falle der Strafbarkeit der zu unterlassenden Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die „wiederherstellende“ Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Verzicht auf das Erfordernis einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 6 Die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 § 7 Die Behandlung der quasinegatorischen Unterlassungsklage in der Rechtsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schluss von der deliktischen Schadensersatzpflicht auf eine primäre Unterlassungsverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Unterlassen als Teil der nach § 249 BGB geschuldeten Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Begründung von Unterlassungsansprüchen durch Anerkennung weiterer absoluter Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelne Theorien zur Begründung der „allgemeinen“ Unterlassungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Lehre Eltzbachers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Trennung von Recht und Rechtsschutz als Grundlage von Eltzbachers Lehre von der allgemeinen Unterlassungsklage . . . . . . b) Die These der mittelbaren Anerkennung von Privatrechten in Vorschriften anderer Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unterlassungsklage als Schutzmittel für mittelbar anerkannte Privatrechte auf Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Lückenhaftigkeit von Eltzbachers Schluss von der individualschützenden Norm auf die Befugnis zur Unterlassungsklage . . . . . e) Keine Rechtfertigung einer Korrektur des gesetzlichen Sanktionensystems durch angebliche Unzulänglichkeit des Strafrechts . . .
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Inhaltsverzeichnis f) Die fehlende Tragfähigkeit des Analogieschlusses zu den gesetzlich geregelten Fällen von Unterlassungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lehre Lehmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lehmanns Definition des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unterscheidung zwischen subjektivem Recht und sonstigen rechtlich geschützten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lehmanns Ansatz zur Ausweitung des Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voraussetzen einer nur formalen Willensmacht . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Bedeutung von § 823 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die fehlende Eignung des Ansatzes Lehmanns zur Begrenzung des Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes . . 3. Der Ansatz von Enneccerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das „deliktsrechtliche Prinzip“ K. Schmidts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abschnitt 2 Quasinegatorische Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen § 8 Das Problem der Doppelbestrafung bei Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermeidung von Doppelbestrafungen durch eine teleologische Reduktion des Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes (Henckel)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Maßnahmen nach § 890 ZPO – „Strafen“ oder „Beugemaßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Strafen im Sinne des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine reinen „Beugemaßnahmen“ (Pastor u. a.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein wesensmäßiger Unterschied zwischen Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO und Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausschluss quasinegatorischer Unterlassungsansprüche durch Art. 103 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Quasinegatorischer Rechtsschutz – Grundrechtseingriff ohne gesetzliche Grundlage oder zulässige richterliche Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . I. Quasinegatorische Unterlassungsansprüche als Grundrechtseingriff . . . . . 1. Grundrechtseingriff durch Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtseingriff durch Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewährung eines materiellrechtlichen Anspruchs als Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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199 199
200 203 205 206 212 215 224 224 224 226 227
Inhaltsverzeichnis
II. III.
IV. V.
4. Keine Differenzierung zwischen straf- bzw. öffentlich-rechtlicher auf der einen und zivilrechtlicher Sanktionierung von Normverstößen auf der anderen Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtfertigung als richterliche Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung in der Methodenlehre . . a) Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . a) Die Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die verfassungsrechtlich notwendige Unterscheidung zwischen richterlicher Rechtsfindung innerhalb des normativen Entscheidungsspielraums und richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . c) Keine Kompetenz der Gerichte zur richterlichen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausnahme vom Vorbehalt des Gesetzes bei schwerwiegendem gesetzgeberischem Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine Rechtfertigung des quasinegatorischen Rechtsschutzes als Gewohnheitsrecht bzw. vorkonstitutionelles Richterrecht . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Problematik des Verbots der Doppelsanktionierung im Rahmen des quasinegatorischen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 10 Der § 823 Abs. 2 BGB als „Transformationsnorm“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die gebotene Differenzierung bei der Sanktionierung von Normverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die besondere Problematik der Gewährung quasinegatorischer Ansprüche bei Publikumsschutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kein Schaden durch bloßen Normverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Der Begriff des subjektiven Rechts (Vereinbarkeit der quasinegatorischen Unterlassungsklage mit der Struktur des privatrechtlichen Interessenschutzes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Willenstheorie des subjektiven Rechts (v. Savigny, Windscheid) . . . . II. Die Formalisierung des Willenselements in der heutigen Dogmatik des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Buchers Lehre vom subjektiven Privatrecht als Normsetzungsbefugnis . . IV. Das subjektive Recht auf der Grundlage der hier vertretenen Konzeption des materiellen Privatrechts als Anspruchssystem – Konsequenzen für den quasinegatorischen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abweichende Konzeptionen des subjektiven Rechts und der Struktur des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Interessentheorie v. Jherings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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233 236 239 240 242 246 248 248
250 252 256 258 259
260 262 264 267 273
276 279 280 283
288 294 294
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Inhaltsverzeichnis a) v. Jherings Definition des subjektiven Rechts als „rechtlich geschütztem Interesse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vernachlässigung von Form und Struktur des Interessenschutzes in v. Jherings Lehre vom subjektiven Recht . . . . . . . . . . . c) Die Trennung von Willen und Interesse in v. Jherings Lehre . . . . d) v. Jherings Abgrenzung des subjektiven Rechts zur unbeabsichtigten bloßen Reflexwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine Einordnung der Interessentheorie v. Jherings als Kombinationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der Einfluss v. Jherings Interessentheorie auf den quasinegatorischen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die These Raisers vom Institutionenschutz als Aufgabe des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der privatrechtliche Anspruch als angebliches Mittel auch zum Zweck des Institutionenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Belege für Institutionenschutz im Bürgerlichen Recht . . . . . c) Die fehlende Überzeugungskraft des soziologischen und theologischen Begründungsversuchs Raisers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Zweckbindung des subjektiven Rechts bei Raiser . . . . . . . . . . e) Parallelen der Institutionenlehre Raisers zu früheren Privatrechtskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 12 Der Gesichtspunkt der Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Entwicklung und Hintergrund der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 II. Die Bedeutung der Unterscheidung für den quasinegatorischen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Abschnitt 3 Quasinegatorische Unterlassungsansprüche zum Schutz der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter
325
§ 13 Unterlassungsansprüche zum Schutz der Gesundheit und des Lebens? 325 I. Quasinegatorischer Rechtsschutz nach dem GewSchG . . . . . . . . . . . . . . . . 326 II. Quasinegatorischer Rechtsschutz gegenüber sonstigen Gesundheitsgefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 § 14 Die Rechtsgutsgefährdung als abwehrfähige Beeinträchtigung – Die Frage der vom Eintritt des Erfolges unabhängigen Rechtswidrigkeit fahrlässiger Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 1. Mögliche Funktionen des Tatbestandsmerkmals der „Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Inhaltsverzeichnis
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2. Positivrechtlicher Ausgangspunkt der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik der Lehre vom Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Rechtfertigung der Lehre vom Handlungsunrecht durch die sogenannte Bestimmungsfunktion der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lehre vom Handlungsunrecht als Verabsolutierung eines isoliert auf den repressiven Rechtszwang bezogenen Unrechtsbegriffs . . . . . . III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347 351 355 362 366
Abschnitt 4 Das Nachbarrecht als Anwendungsgebiet des Quasinegatorischen Rechtsschutzes? § 15 Einführung: Privates Nachbarrecht und öffentliches „Nachbarrecht“ . . . I. Das private Nachbarrecht des BGB und der privaten Nachbarrechtsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das öffentliche Nachbarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die sogenannte Zweigleisigkeit des Nachbarrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Keine quasinegatorischen Ansprüche auf der Grundlage von Normen des öffentlichen Baurechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlegung: Die Rechtsnatur des Nachbarrechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts als öffentliches Recht „im formellen Sinne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Normen des materiellen Baurechts als Entscheidungsnormen für die zur Entscheidung berufenen Verwaltungsbehörden . . . . . . . b) Keine Korrektur der positivrechtlichen Zuständigkeitsverteilung unter Anwendung der Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts als öffentliches Recht „im materiellen Sinne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Baurechtliche Bestimmungen als „objektive“ Verhaltensnormen . . b) Die fehlende Eignung des Zivilprozesses als Verfahren zur Durchsetzung „objektiver“ Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Gefahr divergierender Entscheidungen von Zivilgerichten und Verwaltungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Gefahr divergierender Entscheidungen der Zivilgerichte im Falle mehrerer Klagen durch die Norm geschützter Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Im Einzelnen: Die verschiedenen Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quasinegatorische Ansprüche gegen genehmigte Bauvorhaben . . . . . . a) Baugenehmigungen mit Ausnahmen und Befreiungen (Dispens) von nachbarschützenden Normen des materiellen Baurechts . . . . . b) „Einfache“ Baugenehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369 369 369 371 375 378 378 379 380 386 392 392 394 394
397 399 399 399 401
16
Inhaltsverzeichnis 2. Quasinegatorische Ansprüche gegen nicht genehmigte und genehmigungsfreie Bauvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte in Bezug auf die materielle Baurechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte hinsichtlich der Folgen der Baurechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine quasinegatorischen Ansprüche auf der Grundlage baubehördlicher Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
405 405 412 425
Teil 3 Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung
435
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
Einleitung I. Problemstellung Außervertragliche Unterlassungsansprüche sind im BGB nur zum Schutz vor Verletzungen des Namensrechts (§ 12 S. 2), des Besitzes (§ 862 Abs. 1 S. 2), des Eigentums (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB) und kraft Verweisung zum Schutz von sonstigen dinglichen Rechtsgütern (z. B. §§ 1027, 1065, 1090 Abs. 2, 1227 BGB) vorgesehen. Bereits kurz nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ließ das Reichsgericht in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung Unterlassungsklagen zum Schutz vor Verletzungen aller deliktisch geschützten Rechtsgüter über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus zu. Dabei stützte es sich vor allem auf eine Analogie zu § 1004 BGB, der das Institut der quasinegatorischen Unterlassungsklage seinen Namen verdankt. In Anlehnung an die actio negatoria, den entwicklungsgeschichtlichen Vorgänger des § 1004 BGB, sprach das Reichsgericht von einer actio quasi negatoria. Die Rechtsprechung hat in der Folge quasinegatorische Unterlassungsklagen in einer Vielzahl von Fallgestaltungen zugelassen. Diese reichen von der Klage auf Unterlassung einer Beeinträchtigung der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter über die Klage auf Unterlassung des Verstoßes gegen – im Wege des § 823 Abs. 2 BGB ins Zivilrecht inkorporierte – strafrechtliche Verbotsnormen bis hin zur Klage auf Durchsetzung einer dem öffentlichen Baurecht zuzuordnenden behördlichen Auflage. Die von dem RG für den quasinegatorischen Rechtsschutz entwickelten Grundsätze werden in der heutigen Rechtsprechung als auch Literatur zumeist keiner Überprüfung unterzogen, sondern als feststehende Rechtssätze behandelt. Indes sind sie geprägt von den am Ende des 19. und Beginn der 20. Jahrhunderts vorherrschenden rechtstheoretischen und rechtsdogmatischen Lehren. Gegenstand der Dissertation ist es insoweit, die vom Reichsgericht aufgestellten, von der Literatur aufgegriffenen und ausgearbeiteten und bis heute angewendeten Grundsätze einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
II. Gang der Untersuchung In Teil 1 der vorliegenden Abhandlung soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit der (quasi)negatorischen Unterlassungsklage ein materiellrechtlicher
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Einleitung
Anspruch zugrunde liegt. Dies macht eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem der Bürgerlichen Rechtsordnung zugrundeliegenden Anspruchsbegriff erforderlich. Hierbei wird zunächst auf die historische Entwicklung des Anspruchsbegriffs von der römischrechtlichen actio zum Windscheid’schen Anspruchsbegriff einzugehen sein (§ 2). Auf dieser rechtshistorisch gesicherten Basis ist sodann zu bestimmen, welche Eigenschaften der Anspruch des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufweist (§ 3). In diesem Zusammenhang sollen die maßgeblichen rechtstheoretischen Zivilrechtskonzeptionen, die sich in eine normative und eine empirische Richtung aufteilen lassen, einer kritischen Betrachtung unterzogen und im Anschluss ein eigener Ansatz entwickelt werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wird auch in grundsätzlicher Weise auf das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht einzugehen sein. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen sodann auf die (quasi)negatorische Unterlassungsklage angewandt werden (§ 4) und die gegen einen materiellen Unterlassungsanspruch vorgebrachten Einwände entkräftet werden. Im zweiten Teil der Arbeit sollen sodann auf der Grundlage der erarbeiteten Anspruchskonzeption die für die quasinegatorische Unterlassungsklage entwickelten Begründungsansätze auf ihre Stimmigkeit überprüft werden. Am Anfang steht dabei eine Analyse der Rechtsprechung des Reichsgerichts (§ 5) und des BGHs (§ 6). Dem folgt eine Auseinandersetzung mit den wesentlichen, in der Literatur entwickelten Begründungsansätzen (§ 7). Es wird zu zeigen sein, dass letztlich keiner dieser Ansätze zur Begründung einer quasinegatorischen Unterlassungsklage geeignet ist. In Abschnitt 2 soll sodann die der Durchsetzung strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen dienende Unterlassungsklage als eines der Hauptanwendungsgebiete des quasinegatorischen Rechtsschutzes untersucht werden. Dabei wird zunächst auf das sich vor allem bei Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen stellende Problem der Doppelbestrafung einzugehen und zu erörtern sein, ob solche Ansprüche durch Art. 103 Abs. 3 GG („ne bis in idem“) ausgeschlossen werden (§ 8). Hiernach bedarf die Frage, inwieweit eine in Ermangelung einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage rechtsfortbildende Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche durch die Rspr. zulässig ist, der Überprüfung (§ 9). Von besonderer Relevanz ist dabei, ob die Bewilligung eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs mit einem Eingriff in Grundrechte des Anspruchsgegners verbunden ist, dessen Zulässigkeit eine gesetzliche Eingriffsgrundlage voraussetzen würde. Im Anschluss daran wird der Frage nachgegangen, inwieweit § 823 Abs. 2 BGB, der eine Inkorporation strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen in das zivilrechtliche Deliktsrecht zu bewirken scheint, als Anzeichen für einen zivilrechtlichen Anspruch auf Einhaltung derartiger Normen gewertet werden kann (§ 10).
Einleitung
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Der Begriff des subjektiven Rechts, der im Rahmen der theoretischen Begründung von quasinegatorischen Unterlassungsklagen in der Rechtslehre eine bedeutende Rolle gespielt hat, wird im Anschluss daran als Instrument zur Erörterung der Frage dienen, ob quasinegatorische Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher und strafrechtlicher Verbotsnormen mit den strukturellen Rahmenbedingungen des zivilrechtlichen Rechtsgüterschutzes zu vereinbaren sind (§ 11). Die Tatsache, dass durch die Gewährung privatrechtlicher Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen die zwischen beiden Rechtsgebieten verlaufende Grenze überschritten wird, erfordert es schließlich, den quasinegatorischen Rechtsschutz in Bezug zu dem Dualismus von öffentlichem Recht und Privatrecht zu setzen (§ 12). Abschnitt 3 widmet sich der Frage quasinegatorischer Unterlassungsansprüche zum Schutz der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter. Dabei wird zunächst zu zeigen sein, dass quasinegatorischer Rechtsschutz nur nach Maßgabe des Gewaltschutzgesetzes gegenüber zielgerichteten Angriffen in Betracht kommt, es im Übrigen jedoch keine quasinegatorischen Unterlassungsansprüche zum Schutz dieser Rechtsgüter geben kann (§ 13). Die Frage, worauf quasinegatorische Unterlassungsansprüche zum Schutz der in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter – deren Existenz unterstellt – gerichtet wären, wird in § 14 erörtert. Dabei wird gezeigt werden, dass die von den Befürwortern solcher Ansprüche als selbstverständlich vorausgesetzte Annahme, dass solche Ansprüche zur Unterlassung rechtsgutsgefährdender Tätigkeiten unabhängig vom Eintritt einer Rechtsgutsverletzung verpflichten würden, nicht zu begründen ist, weil sich eine vom Eintritt des Erfolges unabhängige Rechtswidrigkeit rechtsgutsgefährdender Handlungen aus der Deliktsnorm des § 823 Abs. 1 BGB nicht herleiten lässt. Der dritte und letzte Abschnitt der Arbeit (§ 15, 16) setzt sich mit der Möglichkeit, Bestimmungen des öffentlichen Baurechts im Wege zivilrechtlicher Klagen durchzusetzen, als eines besonderen, in sich geschlossenen Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes auseinander.
Teil 1
Die Annahme eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs § 1 Problemstellung Die Frage der Existenz quasinegatorischer Unterlassungsansprüche, mit anderen Worten die Frage, ob der Kläger mit der Unterlassungsklage einen entsprechenden materiellrechtlichen Anspruch geltend macht, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Dies wird heute ganz überwiegend bejaht.1 Demgegenüber wurde in der älteren Literatur zum Teil davon ausgegangen, dass sowohl die negatorische wie auch die quasinegatorische Unterlassungsklage rein prozessuale Institute seien, denen keine materiellrechtlichen Ansprüche zugrunde lägen.2 Heute wird noch vereinzelt angenommen, dass es zwar materiellrechtliche Ansprüche auf Unterlassung zum Schutz absoluter Rechte gibt, die Unterlassungsklage zum Schutz von nicht zu absoluten Rechten ausgestalteten Rechtsgütern und -positionen jedoch ein bloßes Institut des Prozessrechts ist.3 Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 107 ff.; Wolff/Raiser, Sachenrecht10 (1957), § 87 I 4; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil I15 (1959), § 72 I 3 a; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand (1961), S. 78 ff.; Blomeyer, Zivilprozeßrecht (1963), S. 169 f.; F. Baur, JZ 1966, 381 (383 f.); Lehmann/Hübner, Allg. Teil16 (1966), § 19 III; Pecher, Schadensersatzansprüche (1967), S. 49 ff.; Münzberg, JZ 1967, 689 ff.; Wesel, FS von Lübtow (1970), 787 (799 ff.); Heinze, Rechtsnachfolge (1972), S. 8 ff., 52; Henckel, AcP 174 (1974), 97 (121 ff.); Larenz, Schuldrecht II12 (1981), S. 696 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 213 (1994), § 87 I 2; MünchKomm4 /Medicus (2004), § 1004 Rn. 92; Erman11 /Hefermehl (2004), § 1004 Rn. 27; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006), § 118 Rn. 1723 f.; Staudinger2006 /Gursky, § 1004 Rn. 212; Jauernig, Zivilprozessrecht29 (2007), § 35 II 1 (S. 113 f.); Stein/Jonas22 /Roth (2008), Vor § 253, Rn. 77; Palandt68 /Bassenge (2009), § 1004 Rn. 31; offen gelassen bei Erman12 /Westermann (2008), § 241 Rn. 9. 2 Siber, Rechtszwang (1903), S. 99 ff., 108 ff.; Planck4 /Siber (1919), § 241 Anm. 2 (S. 38); Siber, Schuldrecht (1931), S. 470 ff.; Husserl, FS Pappenheim (1931), 162 ff.; Nikisch, Zivilprozeßrecht (1950), S. 149; Neumann-Duesberg, JZ 1955, 480; von Caemmerer, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 49 (54 ff.); F. Baur, AcP 160 (1961), 465 (466); Rabel, Gesammelte Aufsätze III (1967), Nr. 7 B, S. 116; Theuerkauf, FamRZ 1964, 487 (489). 3 Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV nimmt an, dass „jedenfalls“ die quasinegatorische Unterlassungsklage ein reines Institut des Prozeßrechts sei; zwischen negatorischen und quasinegatorischen Klagen differenzierten Esser, Schuldrecht II4, § 113 I (1971) und ursprünglich auch Larenz (zuletzt Schuldrecht II4 (1960), S. 408 mit Fn. 5; s. dazu u. § 4 III. 1. Fn. 84). 1
§ 1 Problemstellung
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Diese bis heute geführte Kontroverse scheint in erster Linie ein terminologisches Problem zu sein,4 dessen Relevanz für die Klärung von Sachfragen zweifelhaft erscheint. Dementsprechend ließe sich das Problem auf die Frage reduzieren, ob schon die reine Befugnis zur Durchsetzung eines Verbots den Namen Anspruch verdient, oder ob der Begriff des Anspruchs mehr impliziert.5 Selbst wenn es sich um ein rein begriffliches Problem handeln sollte, so ist eine Auseinandersetzung damit trotzdem erforderlich, weil die Dogmatik und das System des Zivilrechts unnötig verkompliziert wird, wenn man die Annahme von Unterlassungsansprüchen mit im Ergebnis nicht überzeugenden Gründen ablehnt.6 Es würde dadurch ein neuer Klagetyp („Die Unterlassungsklage“) geschaffen, dessen Urteil zwar vollstreckbar wäre, dem jedoch keine zivilrechtlichen Ansprüche zugrunde lägen.7 Im materiellen Recht gäbe es eine 4 So z. B. v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II (1960), 49 (54): „weitgehend ein terminologisches Problem“ Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV: „Sie stellt sich weitgehend als Problem der . . . Terminologie“; vgl. a. Henckel, AcP 174 (1974), 97 (138): „Gewiß ist es weitgehend nur noch eine terminologische Frage, ob man hier noch von einem Anspruch spricht oder nicht.“ 5 Siehe Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307): „. . . ob eine materielle Beziehung besteht, die nach ihrem Inhalt die spezielle Bezeichnung ,Anspruch‘ verdient, ist . . . nicht gesagt. Zeuner (ebd. S. 306 ff.) hält es terminologisch sicher für möglich, „auch die Befugnis ein für jedermann geltendes Verbot nach eigenem Entschluß geltend zu machen, als ,Anspruch‘ zu bezeichnen“, gibt demgegenüber aber zu Bedenken, „ob der Begriff des Anspruchs . . . nicht erheblich in seiner Fähigkeit beeinträchtigt wird, Beziehungen mit einer bestimmten rechtlich wesentlichen Eigenart zu bezeichnen.“; in diesem Sinne auch Henckel, AcP 174 (1974), 97 (127 f.), der die Beantwortung der Frage davon abhängig macht, ob „es eine singuläre und systemwidrige Annahme wäre, eine rechtliche Beziehung als Anspruch zu bezeichnen, die keine andere Funktion hat als die, dem Kläger das Geltendmachen einer Pflicht des Beklagten zu gestatten.“ Henckel geht dabei davon aus, dass die „dogmatische Funktion des materiellen Anspruchs . . . die Verknüpfung der Pflicht mit der Person eines Rechtsträgers“ sei, „dem mit der Gewährung des Anspruchs das Fordernkönnen als eigenes materielles Innehaben zugewiesen ist.“ Die Annahme eines materiellen Unterlassungsanspruchs sei insoweit problematisch, da dieser anders als schuldrechtliche Ansprüche auf positive Leistung keinen selbständigen wirtschaftlichen Wert zuweise und sich daher das „Innehaben“ auf die Möglichkeit, der Geltendmachung der Pflicht beschränke; vgl. bereits Husserl, FS Pappenheim (1931), S. 162: „Soll wirklich zwischen dem Eigentümer . . . und allen Personen . . . ein Rechtsverhältnis bestehen, das den Namen ,obligatio‘ verdient? Den gleichen Namen, den wir einem iuris vinculum zwischen diesen individuellen Rechtssubjekten vom Charakter eines Schuldverhältnisses . . . geben?“. 6 Vgl. Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (789): Wer den Grundsatz, dass Verurteilungsklagen „das Bestehen eines materiellen Anspruchs zur Voraussetzung haben“, „durchbrechen will, muß Gründe haben“ und Münzberg, JZ 1967, 689 (693): Es sei „unbedenklich . . ., sich an die alte Regel zu halten, daß eine Leistungsklage einen Anspruch voraussetzt, anstatt vielleicht zu voreilig neue Formen des prozessualen Rechtsschutzes aufzustellen“. 7 Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307 f.) weist darauf hin, dass es – auch wenn man die Annahme von Unterlassungsansprüchen ablehne, bei den Unterlassungsklagen genauso wie bei den „gewöhnlichen“ Leistungsklagen darum gehe, „eine vom materiellen Recht vorgeschriebene Verhaltensweise zu erzwingen“.
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Teil 1: Die Annahme eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs
Kategorie von Beziehungen, die darin bestehen, dass eine Person von einer anderen ein Unterlassen verlangen kann, die jedoch, obwohl sie bei unvoreingenommener Betrachtung die Definition des § 194 Abs. 1 BGB erfüllen, keine Ansprüche sind. Die Schaffung immer neuer Sonderkategorien und Ausnahmen stellt ein dogmatisches System in Frage und ist daher abzulehnen. Indes handelt es sich bei der Kontroverse darüber, ob der quasinegatorischen Unterlassungsklage ein materiellrechtlicher Anspruch entspricht, keineswegs um einen Streit über eine reine Terminologiefrage.8 Vielmehr geht es um grundlegende, zum Teil weit in die Rechtstheorie hineinreichende Fragen des Grundverständnisses des Privatrechts: Es geht um das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht,9 die Frage der Durchsetzbarkeit des Privatrechts und letztlich darum, wie man sich die Struktur des materiellen Rechts als Kern des Privatrechts vorstellt: Besteht dieses ausschließlich aus Verhaltensnormen, ist es die Summe der Klagemöglichkeiten oder eine Kombination aus beidem? Tangiert werden dabei die Fragen, ob die Durchsetzbarkeit Wesensmerkmal von Rechtsnormen ist, ob diese als Imperative oder als hypothetische Urteile aufzufassen sind und wodurch sich das Privatrecht vom öffentlichen Recht unterscheidet. Die unterschiedlichen Auffassungen zu den oben genannten Fragestellungen sind es, die zu der Kontroverse über die Existenz materiellrechtlicher Unterlassungsansprüche führen, die insoweit nur die sprichwörtliche ,Spitze des Eisberges‘ darstellt. Insoweit hängt die Beantwortung der Streitfrage in der Tat von der Perspektive ab, aus der man das Privatrecht betrachtet. Mehr als voreilig wäre es jedoch, die Kontroverse als eine Frage nur der Perspektive zu bezeichnen10 und ihr die Bedeutung für die Beantwortung von Sachfragen abzusprechen. Mag der eigene rechtstheoretische Standpunkt die Beantwortung von Sachfragen wenig beeinflussen, wo in Tatbestand und Rechtsfolge klar formulierte Normen die Antwort determinieren, so gewinnt er dort einen entscheidenden Einfluss, wo solche Normen nicht existieren und die maßgebenden Regeln erst im Wege der Analogie erschlossen werden müssen.11 Die Fragestellung des quasinegatorischen Rechtsschutzes ist aber die, ob man dem Privatrechtssubjekt, das im Falle 8 Nach Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (788) ist die Frage „nicht nur von einiger dogmatischer Bedeutung für das Zivilrecht“, sondern ihre Beantwortung könne „durchaus praktische Folgen haben“, etwa für das Mitverschulden, die Nebenpflichten, das Zurückbehaltungsrecht, die Abtretbarkeit oder die Verjährung. 9 Vgl. auch Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (297). 10 Nach Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV soll es sich „weitgehend“ um ein „Problem der Perspektive und Terminologie“ handeln. 11 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (98) weist im Zusammenhang mit dem vorbeugenden Rechtsschutz auf „methodisch bedenkliche Begriffsdeduktionen“ bei der Rechtsfortbildung hin, deren Grund möglicherweise darin liege, „daß, wer unsicheres Eis betritt, für jeden auch nur vermeintlichen Halt dankbar ist“.
§ 1 Problemstellung
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einer Interessenverletzung zur Forderung von Schadensersatz berechtigt ist, im Wege des Analogieschlusses die im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit einräumt, zum Schutz seines Interesses vorbeugend die Unterlassung und Beseitigung von Beeinträchtigungen gerichtlich zu verlangen. Dass die Kontroverse um das Bestehen materieller Unterlassungsansprüche ihre Existenz nicht der Uneinigkeit in Terminologiefragen, sondern in Sachfragen verdankt, zeigt sich bereits darin, dass die Auffassung Sibers, der als erster und am nachhaltigsten vertreten hat, dass die quasinegatorische Unterlassungsklage ein rein prozessuales Rechtsinstitut sei, dem kein materiellrechtlicher Unterlassungsanspruch zugrunde liegt, letztlich auf der Ablehnung von vorbeugenden zivilrechtlichen Unterlassungsklagen überhaupt beruhte.12 Wie sehr die jeweilige Auffassung zur Struktur des materiellen Rechts und dessen Verhältnis zum Prozessrecht nicht nur die Position im Streit um die Existenz materieller Unterlassungsansprüche, sondern auch die Beurteilung weiterer Fragestellungen des quasinegatorischen Rechtsschutzes vorbestimmt, soll einleitend zunächst noch anhand zweier Beispiele skizziert werden. Als erstes Beispiel soll die Fragestellung dienen, ob man im Wege des quasinegatorischen Rechtsschutzes die Unterlassung von pflichtwidrigen Handlungen verlangen kann, die geeignet sind, eine Gesundheitsschädigung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB herbeizuführen. Dies hätte zur Konsequenz, dass man unter näher zu bestimmenden Voraussetzungen vorbeugend die Beachtung der von der Rechtsprechung zu § 823 BGB entwickelten so genannten Verkehrspflichten verlangen könnte. Diese Frage stellt sich schon abhängig von dem jeweiligen systematischen Standpunkt in ganz unterschiedlicher Weise. Die heute ganz vorherrschende Betrachtungsweise des materiellen Rechts als einem System von Verhaltensnormen13 – insoweit lässt sich von der normativen Sichtweise14 sprechen – führt dazu, dass man den Grund der in § 823 Abs. 1 12 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (106) betont, dass Siber „gerade aus der Gestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes wichtige Folgerungen für die Struktur und die dogmatische Erfassung der Unterlassungsklage gewinnen wollte.“ Demgegenüber ist klarzustellen, dass Siber nicht aufgrund einer Untersuchung der Dogmatik des einstweiligen Rechtsschutzes zu dem Ergebnis kam, dass die Unterlassungsklage ein rein prozessuales Institut sein müsse. Sibers Gedankengang war umgekehrt: Da er Ansprüche auf Unterlassung von Delikten für ein Unding hielt (vgl. ders., Rechtszwang (1903), S. 109), musste es sich bei der Unterlassungsklage um ein prozessuales Institut ohne zugrunde liegenden Anspruch handeln. Erst danach wurden passende Parallelerscheinungen gesucht. Der vorbeugende Rechtsschutz diente dann zur Untermauerung der These, dass es Rechtsschutz auch ohne materiellen Anspruch geben könne (vgl. ebd. S. 109 ff., 113). 13 Z. B. Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis, S. 5 ff., 43. 14 Zur Begriffsbildung vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 42: Die Rechtsnorm ist eine Verhaltensregel, „nach der man sich nicht bloß zu verhalten pflegt, sondern verhalten soll. In diesem Sinne versteht der Jurist die Rechtsnormen und ist die Rechtswissenschaft normativ“.
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Teil 1: Die Annahme eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs
BGB vorgesehenen Schadensersatzpflicht wiederum in dem Verstoß gegen eine Verhaltenspflicht sieht.15 Derjenige, der eine Gesundheitsschädigung verursacht hat, haftet unter der weiteren Voraussetzung des Verschuldens auf Schadensersatz, weil sein Verhalten gegen eine Verhaltensnorm verstieß und damit rechtswidrig war. Diese Verhaltensnorm ist unabhängig vom Eintritt des Schadens, d. h. sie gilt auch dann, wenn der Schaden noch nicht eingetreten ist oder gar nicht eintritt.16 Die Frage stellt sich bei dieser Sichtweise dann nur dahingehend, ob der Verstoß gegen das Verbot nur reaktiv zum Schadensersatz berechtigt, oder ob auf die Beachtung des Verbots bereits vorbeugend im Wege der Unterlassungsklage hingewirkt werden kann.17 Es steht also bereits fest, dass die potentiell zur Schadensverursachung geeignete Handlung nach materiellem 15 So z. B. auch Henckel, AcP 174 (1974), 97 (110): „Die Schadensersatzpflicht ist Sanktion für begangene Pflichtverletzung“; vgl. auch Esser, Schuldrecht1 (1949): „Die sogenannte ,primäre Norm‘, die den mißbilligten Übergriff verbietet, ist im BGB . . . vorausgesetzt.“; nach Esser, Grundbegriffe (1949), S. 140 setzt Unrecht „voraus, daß ein ursprüngliches Ge- oder Verbot verletzt wurde. Esser weist jedoch auch darauf hin, dass Schäden auch da verteilt werden müssen, wo kein Unrecht vorliege. In solchen Fällen läge „der Schadensverteilung kein verletztes Verbot zugrunde“, sondern „die ursprüngliche Ordnungsbedürftigkeit des menschlichen Zusammenlebens und Miteinander-Teilens von Gütern und Gefahren“ (ebd.); vgl. insb. Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 111: Jede Gesetzesnorm, die einen Schadensersatzanspruch aufgrund Unrechts gewährt, „weist notwendig auf eine andere Vorschrift zurück, die dieses Unrecht . . . verbietet“. Diese primäre Norm „muß . . . als bestehend gelten, weil sie die notwendige Voraussetzung der ausgesprochenen sekundären [Schadensersatz-] Vorschrift ist.“; nach Siber, Rechtszwang (1903), S. 68 sind die Verbote der unerlaubten Handlungen „durch Androhung der Schadensersatzpflicht und häufig auch noch durch Androhung öffentlicher Strafen gesichert.“, vgl. auch S. 101: „das in § 823 enthaltene Verbot des Eingriffs“; – zwar ist es auch nach der normativen Auffassung nicht zwingend, § 823 Abs. 1 BGB nicht nur die Pflicht zur Leistung von Schadensersatz, sondern auch die zur Unterlassung der schädigenden Handlung zu entnehmen. Der Verzicht auf eine insoweit primäre Schadensvermeidungspflicht würde jedoch der hinter dieser Auffassung stehenden Grundkonzeption, das gedeihliche Zusammenleben der Individuen mit einem ideellen Anspruch durch Auferlegung von Pflichten zu regeln, widersprechen (Vgl. Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), S. 43: Das Recht als eine „der Idee nach vollständige[n] Sollensordnung“; Esser, Grundbegriffe (1949), S. 137: Das Recht „muß dem Rechtssuchenden für jede Situation eine entsprechende Regelung zur Verfügung stellen“ und v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II (1960), 49 (129): „Jedermann soll wissen, welches Verhalten in einer bestimmten Situation geboten, erlaubt oder verboten ist.“). 16 Vgl. Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 92: „Ein gegen die objektiven Anforderungen des Rechts verstoßendes Verhalten [kann] das Prädikat der Rechtswidrigkeit nicht dadurch verlieren . . . daß infolge günstiger Umstände kein schädlicher Erfolg eintritt.“ 17 Siehe Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (309): „Die deliktischen Schadensersatzansprüche beruhen auf denselben allgemeinen Verboten, die . . . mit den negatorischen und quasi-negatorischen Unterlassungsansprüchen geltend gemacht werden.“ und Münzberg, JZ 1967, 689 (692): „§ 1004 BGB schafft nicht etwa neue Unterlassungspflichten, sondern er stattet ohnehin vorhandene . . . Unterlassungspflichten ausnahmsweise mit dem Attribut der Klagbarkeit aus, wenn einem konkreten absoluten Recht durch ihre Nichterfüllung Gefahr droht.“
§ 1 Problemstellung
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Recht nicht vorgenommen werden darf. Fraglich ist nur noch, ob der Gefährdete dies auch auf dem Gerichtswege verlangen kann.18 Bei einer solchen Betrachtungsweise bleibt bei der Beantwortung der Frage kein Raum zur Berücksichtigung des Aspekts, ob durch die Schaffung der zusätzlichen Klagemöglichkeit die Handlungsfreiheit des Klagegegners zusätzlich eingeschränkt wird. Da dessen Verhalten gegen eine materiellrechtliche Pflicht verstößt, hat dieser insoweit keine Handlungsfreiheit, die weiter eingeschränkt werden könnte.19 Von diesem Standpunkt aus betrachtet bewegt sich die Frage, ob in den angeführten Fällen quasinegatorischer Rechtsschutz besteht, in der Tendenz am Rande des materiellen Rechts. Ob die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage besteht oder nicht, scheint auf das materielle Recht keinen Einfluss zu haben, da nach diesem die fragliche Handlung in beiden Fällen unerlaubt ist.20 Ob und in welchen Fällen eine solche Möglichkeit besteht, bestimmt sich dann vor allem nach Gesichtspunkten der Prozessökono18 Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (308 f.) meint insoweit, dass „die Klagbarkeit allgemeiner Verbote sicherlich nicht schlechthin angenommen werden“ könne, so dass sich stets die Frage stelle, „inwieweit die Rechtsordnung dem einzelnen jeweils zivilprozessualen Schutz zur Verfügung stellt“. 19 In dem Sinne z. B. auch Henckel, AcP 174 (1974), 97 (114), nach dem dem vorbeugenden Rechtsschutz eine freiheitsbeschränkende Tendenz „per se nicht eigen sei“. Dieser wolle „nicht den Pflichtenkreis erweitern, sondern bestehende Pflichten bewusst machen“ und somit die „von Rechts wegen bestehenden Grenzen der Handlungsfreiheit markieren“. Auffällig ist, dass Henckel im Gegensatz dazu bei vertraglichen Nebenpflichten anscheinend anerkennt, dass deren Klagbarkeit zu einer Einschränkung der Freiheit des Gläubigers führt. In diesen Fällen ist nach Henckel wohl zu beachten, „dass dem Verpflichteten grundsätzlich die Entscheidung darüber vorzubehalten ist, welche Risiken er zum Zweck der Vertragserfüllung eingeht“ (vgl. ders., AcP 174 (1974), 97 (112 Fn. 28)). Hinsichtlich der außervertraglichen Pflichten dagegen erörtert Henckel zwar, dass sie im Deliktsrecht „Maßstab zur Beurteilung früheren Verhaltens“, im vorbeugenden Rechtsschutz dagegen „Maßstab für künftiges Verhalten“ seien (ebd. S. 110). Dass es zu einer qualitativen Änderung der materiellen Rechtslage führen könnte, wenn Verhaltensmaßstäbe, die bisher nur zur Bewertung eines schadensverursachenden Verhaltens im Hinblick auf die Schadensersatzpflicht dienten, nunmehr zur Bewertung jedweden Verhaltens im Hinblick darauf, ob dessen Unterlassen verlangt werden kann, herangezogen werden, zieht Henckel anscheinend anders als bei den vertraglichen Pflichten nicht in Betracht. Statt dessen geht er davon aus, dass es „hier wie dort . . . um die Verletzung von Pflichten“ gehe (ebd. S. 110) und die „Ausweitung des vorbeugenden Rechtsschutzes“ nur zu einer „Verstärkung von Pflichten, die im Zivilrecht bereits angelegt sind, zu selbständig einklagbaren“ führe (ebd. S. 112). Dieser Divergenz liegt womöglich die Vorstellung zu Grunde, dass, während die Nichteinklagbarkeit von vertraglichen Nebenpflichten auf der bewussten Entscheidung des materiellen Rechts beruht, es dem Gläubiger zu überlassen, auf welche Weise er den Leistungserfolg herbeiführt, die Nichteinklagbarkeit von deliktischen Pflichten nur durch den unzureichenden (im BGB vernachlässigten vorbeugenden) Rechtsschutz zu erklären ist und nicht auf einer bewussten materiellen Entscheidung beruht. 20 So z. B. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307): keine „Veränderung der allgemeinen Verbotslage“; Siber, Rechtszwang (1903), S. 100 f.: „Der Eingriff . . . ist aber schlechthin verboten . . .“.
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mie, namentlich danach, ob ein Anlass besteht, das Handlungsverbot gerichtlich festzustellen und für den Fall des Verstoßes die Verhängung eines Zwangsgeldes anzudrohen.21 Diese Tendenz, das Problem als ein außerhalb des materiellen Rechts stehendes anzusehen, wird bei der Theorie, dass es sich bei der quasinegatorischen Klage um ein rein prozessuales Institut ohne materiellrechtliche Grundlage handelt,22 besonders deutlich. Doch auch die Lehre, die annimmt, dass die Unterlassungsklagen der gerichtlichen Durchsetzung der ,Ansprüche gegen jedermann‘, aus denen sich die absoluten Rechte zusammensetzen sollen,23 dient, sieht das Problem als ein prozessuales an: Ob man diese Ansprüche gerichtlich verfolgen kann, ist eine Frage des prozessual verstandenen Rechtsschutzbedürfnisses und gleichfalls ohne Einfluss auf die materielle Rechtslage.24 Die Unannehmbarkeit der von dieser Lehre propagierten Ansprüche gegen jedermann ist bis heute ein zentrales Element in der Argumentation derer, die die Unterlassungsklage als rein prozessuales Institut ansehen.25 In einer anderen Weise stellt sich die Frage, ob es Unterlassungsansprüche gegen gesundheitsgefährdende Handlungen gibt, wenn man das materielle Recht als ein System von gerichtlich durchsetzbaren Ansprüchen ansieht. Dem § 823 21 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (104) betont, dass die in § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB vorausgesetzte Beeinträchtigungsgefahr mit dem in § 259 ZPO normierten Merkmal der Besorgnis, der Schuldner könne sich der rechtzeitigen Leistung entziehen, die Funktion gemeinsam habe, „den Gegner und das Gericht vor einem überflüssigen Prozess zu bewahren.“ 22 Vgl. die o. Fn. 2 und 3 genannten. 23 So Windscheid, Pandekten6 (1887), § 43, S. 111 (dazu u. § 2 IV. 2. im Text nach Fn. 94); v. Schey, Grünhuts Zeitschrift 7 (1880), 746 (768); Cosack, Lehrbuch Bd. 1 (1898), § 74 IV 2 a) (S. 254): „Daraus folgt, dass jedes absolute Recht eine ungezählte Menge von Ansprüchen darstellt. Denn es geht gegen jedermann, enthält also Ansprüche gegen jedermann“; Langheineken, Urteilsanspruch (1899), S. 122 ff.; Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 3 I 1, S. 25 (dazu u. § 3 II. 2. im Text bei Fn. 109); Langheineken, Anspruch (1903), S. 8 f.; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 107 ff. unter Beschränkung der Anspruchsgegner auf diejenigen, die „in den dem Berechtigten abgegrenzten Machtbereich“ gelangen – sollte Lehmann das Erfordernis der „Berührung“ „mit der Machtssphäre des Betroffenen“ im Sinne der Gefahr einer ersten Beeinträchtigung verstehen, wofür die Ausführungen ebd. S. 110 u. sprechen, würde Lehman im praktischen Ergebnis mit der heute h. M. übereinstimmen; Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 237: „Ansprüche, die bei den Ausschließungsrechten jedermann gegenüber begründet sind“; Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 46; Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 35 f.; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand (1967), 82 f.; Bacher, Beeinträchtigungsgefahr (1996), S. 83 f. (dazu u. § 4 III. 1. Fn. 78); Nachweise von ablehnenden Stellungsnahmen der älteren Literatur bei Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 107 Fn. 1. 24 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), Vorwort S. VIII, §§ 17 III (S. 123 ff.), 50 I 3 (S. 350 f.); dazu u. § 3 II. 2. im Text nach Fn. 109. 25 Mit der Unannehmbarkeit des Anspruchs gegen jedermann argumentieren insb. Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV; Esser, Schuldrecht II4, § 113 II 4; Larenz, NJW 1955, 263 (264); Larenz, Schuldrecht II9 (1968), § 70 II (S. 481), Siber, Schuldrecht (1931), § 76 V 4 c, S. 470; vgl. auch Siber, Rechtszwang (1903), 99 ff., 108 ff.
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Abs. 1 BGB lässt sich dann zunächst nur entnehmen, dass der Geschädigte unter den genannten Voraussetzungen das Recht hat, Schadensersatz von dem Verursacher der Verletzung zu verlangen. Das Verhalten des Verursachers wird nur im Hinblick darauf beurteilt, ob der Geschädigte Schadensersatz verlangen kann. Darüber, ob das Verhalten an sich unterbleiben soll, ob es also erlaubt oder verboten ist, trifft § 823 Abs. 1 BGB bei dieser Betrachtungsweise keine direkte Aussage.26 Solange das Verhalten zu keinem Schaden geführt hat, ist es zivilrechtlich irrelevant, weil es keine Ansprüche entstehen lässt und damit sanktionslos bleibt.27 Dies ändert sich sofort, wenn dem potentiell Gefährdeten ein Anspruch auf Unterlassung der Handlung zugesprochen wird.28 Stand es dem anderen vorher jedenfalls insoweit frei, die fragliche Handlung vorzunehmen, als diese nicht zum tatsächlichen Eintritt eines Schadens führte, so kann der Berechtigte ihn nun wirksam daran hindern. Die vorher bestehende Handlungsfreiheit wird insofern eingeschränkt. Bei dieser Sichtweise wird deutlich, dass die Schaffung von Unterlassungsansprüchen zumindest faktisch den Handlungsspielraum des Anspruchsgegners beschränkt und einer materiellen Wertung bedarf, bei der auch die persönliche Freiheit des Anspruchsgegners zu berücksichtigen ist. Nun soll aus dieser von der normativen Betrachtung abweichenden Sichtweise keineswegs bereits das Ergebnis abgeleitet werden, dass die Abwägung zwischen dem Schutzinteresse des Rechtsgutsinhabers und der Handlungsfreiheit des potentiellen Schadensverursachers für die Frage der Unterlassungsansprüche zu einem anderen Ergebnis führen muss als für die Frage der deliktischen Schadensersatzpflicht. Mit anderen Worten ist die Betrachtung des Privatrechts als Summe von Rechtsschutzmöglichkeiten als solche nicht geeignet, darzulegen, dass es sich bei § 823 BGB ganz oder zumindest in Teilbereichen um eine Haftung für Verhaltensweisen handelt, die zivilrechtlich, solange sie keinen Schaden herbeigeführt haben, gewissermaßen erlaubt oder zumindest neutral sind. Die Sichtweise des materiellen Rechts als Summe von Ansprüchen, die im Wesentlichen als Rechtsschutzmöglichkeit zu verstehen sind, gibt aber Raum dafür, Unterlassungsansprüche und Schadensersatzansprüche erst einmal unabhängig voneinander zu untersuchen, und lässt es zu, die Bewertungen eines Verhaltens hinsichtlich der Fragen, ob es zum Schadensersatz verpflichtet, und ob sein Unterlassen verlangt werden kann, unabhängig voneinan26 Vgl. z. B. Schapp, Das subjektive Recht (1977), S. 104 f., der ausgehend von seinem Ansatz, die Gewährung des Anspruchs als Folge der Entscheidung des Rechts über einen Interessenkonflikt zu begreifen (vgl. ebd. S. 14), feststellt, dass „der allgemein auf Nichtbeschädigung von Sachen gerichtete Befehl . . . in unserer Rechtsordnung keine Realität“ habe und „nur die Anordnung, . . . bei Beschädigung von Sachen Ersatz zu leisten“, nachzuweisen sei. 27 Dies erkennt Henckel, AcP 174 (1974), 97 (111 f.) nur für vertragliche Nebenpflichten, wie die Verpackungspflicht an. Siehe dazu o. Fn. 19. 28 Vgl. v. Bar, 25 Jahre Karlsruher Forum, S. 80.
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der vorzunehmen. Auf diese Weise wird die Basis für eine unvoreingenommene Untersuchung geschaffen, deren Ergebnis durchaus sein kann, dass – eine entsprechende Gefährdungslage vorausgesetzt – ein Anspruch auf Unterlassung jedes zum Schadensersatz verpflichtenden Verhaltens besteht und umgekehrt jedes Verhalten, dessen Unterlassung verlangt werden kann, sofern es zugleich schuldhaft vorgenommen wird, zum Schadensersatz verpflichtet.29 Dieses Ergebnis würde sich dann jedoch aus einer unabhängigen Untersuchung des Sinnes und Zwecks der jeweiligen Normen und der durch sie geschützten Interessen ergeben und nicht als zwangsläufiges, nicht weiter hinterfragtes Ergebnis einer bestimmten Betrachtungsweise des Privatrechts. Insbesondere bestünde auch mehr Raum dafür, kritisch zu untersuchen, ob die Grenze zwischen Handlungen, die unterbleiben sollen und daher Gegenstand einer Unterlassungsklage sein können und solchen, die vorgenommen werden dürfen, entlang des Merkmals der Rechtswidrigkeit in § 823 Abs. 1 BGB verläuft,30 während es nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, die als Verschulden aufgefasst werden, vorliegen.31 Die andere Fragestellung, die geeignet ist, exemplarisch aufzuzeigen, wie die verschiedenen Sichtweisen des Privatrechts, die den Hintergrund der Kontroverse um die Existenz materiellrechtlicher Unterlassungsansprüche bilden, die Beurteilung von offenen Sachfragen beeinflussen, ist die folgende: Es geht dabei darum, ob und unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit besteht, vorbeugend die Einhaltung von Schutzgesetzen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, die dem Bereich des öffentlichen Rechts entstammen, im Wege der quasinegatorischen Unterlassungsklage durchzusetzen.32 Die Sichtweise des materiellen 29 Vgl. Münzberg, JZ 1967, 689 (694): „Während es im Schadensersatzrecht darauf ankommt, ob diese Pflichten nicht erfüllt . . . wurden, interessiert bei der Unterlassungsklage lediglich, ob sie bestehen . . . Die Besonderheit der Unterlassungsklage liegt darin, dass solche Pflichten gerichtlich erzwingbar gemacht werden, sobald die Gefahr einer Beeinträchtigung . . . droht“; vgl. auch die in Fn. 17 genannten. 30 Für die Unabhängigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage von einem Verschulden des Beklagten auch Henckel, AcP 174 (1974), 97 (113). Henckels Ausführungen sind, was die Handlungsfreiheit des Verpflichteten anbelangt, durchaus nicht widerspruchsfrei: Der Schadenersatzanspruch als nachträgliche Sanktion müsse verschuldensabhängig sein, weil die Handlungsfreiheit „missachtet würde, wenn eine im vermeintlichen Freiheitsraum begangene Handlung nachträglich zu ungewollten Vermögenseinbußen führen könnte“ (ebd. S. 113). Dies sei bei dem vorbeugenden Rechtsschutz nicht erforderlich, „weil er der Motivation künftigen Verhaltens“ diene und dem Beklagten „die Grenze seiner Handlungsfreiheit bewusst“ mache und damit ausschließe, „dass er in Wahrnehmung eines vermeintlichen Freiheitsraumes Rechtspflichten verletzt“ (ebd. S. 113). Die Handlung des nicht schuldhaft handelnden Schädigers soll also zugleich in dessen Handlungsfreiheit fallen und sich nur in dessen vermeintlichem Freiheitsraum bewegen, d. h. also außerhalb dessen liegen. 31 So ausdrücklich bereits Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 119 ff.: Recht darauf, dass das Verhalten „überhaupt nicht, weder schuldhaft noch schuldlos“ stattfindet. 32 Vgl. u. Teil 2.
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Rechts als Anspruchssystem sieht dieses als eine Summe von dem Einzelnen gegebenen Möglichkeiten an, zu verlangen und durchzusetzen, dass eine andere Person sich in einer bestimmten Weise verhält. Bei dieser Sichtweise werden die Anforderungen, die das Recht an das Verhalten eines Privatrechtssubjekts stellt, stets mit den durch sie geschützten Privatrechtssubjekten in der Weise verknüpft, dass letztere allein berechtigt sind, die Beachtung der Verhaltensanforderungen einzufordern. Dass diese Berechtigungen den Privatrechtssubjekten die bloße Möglichkeit geben, ein bestimmtes Verhalten einzufordern, aber sie nicht dazu verpflichten, verdeutlicht, dass diese Verhaltensnormen nicht unabhängig von dem Interesse und dem Willen der geschützten Subjekte bestehen. Von diesem Standpunkt aus erscheint es nicht selbstverständlich, dass die Einhaltung der Verbote des öffentlichen Rechts, die unabhängig vom Willen der geschützten Subjekte beachtet werden wollen, und deren Beachtung durch Behörden, die zur Einschreitung gegen Normverstöße verpflichtet sind, sichergestellt wird, auch von den durch sie bestimmungsgemäß geschützten Personen im Wege der Privatklage erzwungen werden können. Die normative Sichtweise, die das materielle Recht als einen Inbegriff von Verhaltensnormen ansieht, rückt die schützende Verhaltensanforderung in den Mittelpunkt, zu der die Befugnis, deren Einhaltung zu verlangen, als etwas Sekundäres hinzutritt.33 Der einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten gewährende Rechtssatz34 wird zerlegt in die ein bestimmtes Verhalten vorschreibende Norm und die Befugnis, die Normbefolgung gerichtlich durchzusetzen.35 Wenn man die der Gefahrenabwehr dienenden Verbote des öffentlichen Rechts ebenfalls unabhängig von den behördlichen Befugnissen zu ihrer Durchsetzung betrachtet, so scheinen Privatrecht und öffentliches Gefahrenabwehrrecht einheitlich strukturiert zu sein: Beide bestehen aus an die Privatperson adressierten Ge- und Verboten. Ob es sich um öffentliches oder um Privatrecht handelt, hängt dann nur noch davon ab, ob eine Behörde oder ein Privater zur Durchsetzung berufen sind. Die Norm selbst lässt nicht mehr erkennen, ob sie dem öffentlichen oder dem Privatrecht angehört, da sie die für die Unterscheidung – sofern diese nach der modifizierten Subjektstheorie vorgenommen wird36 – entscheidende Information, wer zur Durchsetzung berechtigt ist, nicht mehr enthält. Da sich die Normen des öffentlichen Gefahren33 Vgl. schon Windscheid, Actio (1856), S. 3: „Für das heutige Rechtsbewußtsein ist das Recht das Prius, die Klage das Spätere“ und S. 6: Unsere „Rechtsanschauung, für welche die gerichtliche Verfolgbarkeit erst die Consequenz des Rechtes ist“. 34 Nach Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 53 sind es im BGB die „anspruchsbegründenden Normen“, die „dem vollständigen Rechtssatze am nächsten stehen.“ 35 Vgl. z. B. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (309): Die „Frage nach dem materiellen Recht“ ist „von der nach dem prozessualen Rechtsschutz grundsätzlich zu unterscheiden“. 36 Nach der modifizierten Subjektstheorie liegt öffentliches Recht immer dann vor, „wenn und soweit (!) ein Rechtssatz einen Träger hoheitlicher Gewalt als solchen be-
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abwehrrechts bei dieser Sichtweise von denen des materiellen Privatrechts nicht zu unterscheiden scheinen, ist es sowohl für diejenigen, die die quasinegatorische Unterlassungsklage als rein prozessuales Institut ansehen,37 als auch für die Anhänger des Anspruchs gegen jedermann38 nur noch eine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses, ob eine Privatperson die Normbefolgung verlangen kann. Dieses Rechtsschutzbedürfnis scheint ohne weiteres vorzuliegen, wenn die Besorgnis der Verletzung einer Norm besteht, die bestimmungsgemäß dem individuellen Schutz des Klägers dient.39 Aufgrund der Relevanz der den tieferen Grund der Kontroverse um die Existenz materieller Unterlassungsansprüche bildenden unterschiedlichen Auffassungen über Struktur und Wesen des Privatrechts, insbesondere des materiellen Rechts, ist dieser Kontroverse hier weiter nachzugehen. Dabei ist insbesondere zu zeigen, dass die quasinegatorische Unterlassungsklage kein rein prozessuales Institut und ihre materielle Grundlage nicht der Anspruch gegen jedermann ist, sondern die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Klagemöglichkeit besteht, eine Frage des materiellen Rechts ist. Nicht ohne Bedeutung ist die Anerkennung der Existenz materieller quasinegatorischer Unterlassungsansprüche auch für das Verhältnis des allgemeinen Begriffs des Anspruchs zu dem der schuldrechtlichen Forderung, insbesondere für die Frage, ob die schuldrechtlichen Regelungen auch auf dingliche Ansprüche anwendbar sind.40 Zunächst wird dabei die Annahme materieller Unterlassungsansprüche gegen den Einwand zu verteidigen sein, dass diesen die für Ansprüche wesensnotwendige Eigenschaften fehlen würden, die insbesondere für schuldrechtliche Ansprüche charakteristisch seien.41 Die Annahme materieller, nicht schuldrechtlicher Unterlassungsansprüche im Bereich des § 1004 BGB führt dabei zu der Erkenntnis, dass es eine Kategorie von Ansprüchen gibt, die sich grundlegend von schuldrechtlichen Ansprüchen unterscheiden und für die die schuldrechtlichen Regelungen nicht sachgerecht sind. Wenn man dann die Verwandtschaft der anderen dinglichen Ansprüche (Herausgabeanspruch, Beseirechtigt oder verpflichtet“ (Bachof, Festgabe 25 Jahre Bundesverwaltungsgericht (1978), S. 1 (13)). 37 Vgl. die o. Fn. 2 und 3 genannten. 38 So z. B. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 3 I 1, S. 25; Bacher, Beeinträchtigungsgefahr (1996), 83 f. 39 Vgl. z. B Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 III, S. 263: „Eine Unterlassungsklage steht dem zu, der Grund zu der Befürchtung hat, ein anderer werde . . . gegen eine zugunsten eines anderen bestehende Verhaltensnorm verstoßen“. 40 Die ganz h. M. bejaht die grundsätzliche Anwendbarkeit schuldrechtlicher Regelungen auf dingliche Ansprüche (vgl. u. § 4 III. 2. Fn. 105); demgegenüber hat insb. Henckel, AcP 174 (1974), 97 (122 ff.) auf die Unterschiede zwischen dinglichen Ansprüchen und schuldrechtlichen Ansprüchen auf positive Leistung hingewiesen. 41 Vgl. dazu schon o. Fn. 5. Nach Henckel, AcP 174 (1974), 97 (127 f.) handelt es sich bei dem Unterlassungsanspruch um einen „funktionsbeschränkten Anspruch“.
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tigungsanspruch) zu dem Unterlassungsanspruch betont, so wird die in relativ weitem Umfang, geradezu grundsätzlich angenommene Anwendbarkeit schuldrechtlicher Vorschriften auf diese noch zweifelhafter.42 Auch Pickers These, dass die Beseitigung der Beeinträchtigung etwas grundsätzlich anderes als Schadensersatz ist, erfährt eine gewisse Unterstützung durch die Annahme von Ansprüchen, die mit schuldrechtlichen Forderungen wenig gemeinsam haben.43
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Vgl. Henckel, AcP 174 (1974), 97 (122 ff.). Vgl. Picker, Beseitigungsanspruch (1972), S. 158 ff.
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§ 2 Die Entwicklung des materiellrechtlichen Anspruchs Der Anspruch wird in § 194 Abs. 1 BGB als das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ definiert. Schon die Motive zum BGB1 weisen mit der Formulierung, dass unter Anspruch „das Recht in seiner Richtung gegen eine bestimmte Person verstanden [wird]“, auf den maßgeblichen Einfluss Bernhard Windscheids auf den Anspruchsbegriff des BGB hin.2 Ausgehend von dem Befund, dass „für das heutige Rechtsbewusstsein . . . das Recht das Prius, die Klage das Spätere“3 ist, führte Windscheid den Begriff des Anspruchs ein, um den Bedeutungsgehalt dessen, was im klassischen römischen Recht als actio bezeichnet wurde, „in die Sprache unserer Rechtsordnung zu übertragen“.4 Die Entwicklung des Anspruchsbegriffs durch Windscheid steht damit in Verbindung mit der Trennung von materiellem Zivilrecht und Prozessrecht,5 die in dem Verständnis der Funktion des Prozesses als Mittel zur Feststellung und Verwirklichung des vorprozessual gedachten materiellen Rechts zum Ausdruck kommt.6 I. Das „Aktionensystem“ des klassischen römischen Rechts Eine derartige systematische Aufteilung der Rechtsmaterie in materielles Recht und Prozessrecht wurde von der klassischen römischen Jurisprudenz nicht vorgenommen, obwohl man sich des Unterschiedes zwischen beiden Rechtsgebieten durchaus bewusst war.7 Das materielle Recht und der dazugehörige Prozess wurden vielmehr als Einheit angesehen, was in den Begriffen der actio und exceptio, die beiden Gebieten angehörten, seinen Ausdruck fand.8 Der Begriff der actio, der ursprünglich ein rein prozessualer war und die Verfahrenshandlung des Klägers bezeichnete, die zur Einsetzung eines Spruchgerichts (iudicium) führte, bekam mit der Zeit auch eine materiellrechtliche Bedeutung im Sinne des Rechts, vom Beklagten das zu erzwingen, was mit dem Prozessverfahren erreicht werden kann.9 Diese spezifische Betrachtungsweise 1
Mot. I, 291. Vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 81 f.; zum Einfluss Windscheids auf den Anspruchsbegriff in der 1. Kommission vgl. Kollmann, Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht (1996), S. 607 ff. 3 Windscheid, Actio (1856), S. 3. 4 Windscheid, Actio (1856), S. III. 5 Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968). 6 Larenz, Allg. Teil7 (1989), § 14 I, S. 245. 7 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (483). 8 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 2 (1996), S. 11. 9 Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 12 (1971), S. 223 f.; vgl. auch die Definition der actio von Celsus 3 dig. („celsinische actio“; D.44.7.51): Nihil aliud est actio quam ius quod sibi debeatur iudicio persequendi. 2
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des Rechts, die von der Fragestellung ausgeht, unter welchen Voraussetzungen für ein bestimmtes Begehren eine Klage zur Verfügung gestellt wird, bezeichnet man heute als aktionenrechtliches Denken der Römer. Kennzeichnend für diese Denkweise ist, dass die Tatbestände, die nach den Normen der heutigen kodifizierten Rechtsordnungen zu Rechten und Pflichten führen, bei den Voraussetzungen, unter denen der Prätor eine Klage gewährt, erörtert werden. Der materiellrechtliche Gehalt der actio, den man heute als privatrechtlichen Anspruch bezeichnen würde, wurde dabei nur als ein Reflex des unter bestimmten Voraussetzungen durch eine actio gewährten Rechtsschutzes angesehen.10 Von Interesse sind die Gründe, die zu einer derartigen Sichtweise des Rechts führten. Sie stehen in enger Verbindung zu den Eigenarten des Formularprozesses, der offiziell seit Augustus (lex Iulia iudiciorum privatorum, 17 v. Chr.) das allgemeine Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit für privatrechtliche Streitsachen war.11 Der Formularprozess wurde beherrscht von der Einteilung in die Verfahrensabschnitte vor dem Gerichtsmagistrat (in iure) und vor dem Urteilsgericht (apud iudicem). Im Verfahren vor dem Magistrat musste der Kläger die Erteilung einer bestimmten actio beantragen. Neben die actiones civiles, die nach ius civile anerkannten Begehren,12 traten die actiones honorariae, die vom Prätor aufgrund seiner Jurisdiktionsgewalt gewährten Klagen, die dieser am Anfang des Amtsjahres in seinem Edikt (edictum) festlegte,13 aber auch für den konkreten Fall gewähren konnte.14 Sofern der Prätor bereit war, die beantragte actio zu erteilen und sich der Beklagte auf das Streitverfahren einließ, kam es zur Einsetzung des Urteilsgerichts, das gemäß der Klagformel ein Urteil fällte.15 Die vom Prätor festgesetzte Klagformel (formula) stellte sich dabei als an den iudex gerichtete, diesen bindende, alternative Verurteilungs- oder Freisprechungsanweisung16 (si paret . . . condemnato, si non paret, absolvito) dar, die die Voraussetzungen einer Verurteilung aufführte. Jeder actio entsprach eine ihren Eigenarten angepasste formula. Die Klagformeln des größten Teils der honorarrechtlichen Klagen zeichneten sich dadurch aus, dass sie nicht durch gewisse Stichworte auf eine materiellrechtliche Grundlage verwiesen, sondern die Verurteilungsvoraussetzungen des konkreten Sachverhalts einzeln aufzählten (formulae in factum conceptae).17 Daneben stehen im Honorarrecht die actiones, die der Prätor durch Abwandlung von zivilrechtlichen Klagformeln schuf, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht19 (2008), § 4 Rn. 7. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht2 (1996), § 23 I. 12 Ebd. § 47 I. 13 Ebd. § 47 II. 14 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht19 (2008), § 82 Rn. 4. 15 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht19 (2008), § 82 Rn. 13, 18. 16 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (483). 17 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2 (1996) § 47 II.1; Honsell/MayerMaly/Selb, Römisches Recht4 (1987) § 90 (S. 218). 10 11
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indem er Tatbestandsmerkmale wegließ, hinzufügte, abänderte oder insbesondere fingierte (actiones utiles).18 Wenn der Prätor aufgrund seiner Jurisdiktionsgewalt zum einen neue Klagen schaffen konnte, die in den Gesetzen und gesetzesgleichen Quellen keine Grundlage fanden, und zum anderen nach den Gesetzen begründete Rechte, die ihm veraltet vorkamen, nicht anerkannte,19 so rückt für den Rechtssuchenden und die Juristen die Frage in den Mittelpunkt, unter welchen Voraussetzungen der Prätor eine Klage gewährt, während es weniger entscheidend ist, was nach dem Gesetz Recht oder Unrecht ist.20 Daher widmeten sich die Juristen mit ihrem wissenschaftlichen Interesse besonders den Prozessvorgängen vor dem Prätor und den in den Edikten niedergelegten, für die Perspektive des iudex formulierten Klagformeln.21 Noch entscheidender war vielleicht, dass die jeweilige actio Rechtsschutz für das Begehren des Klägers nur im Hinblick auf die in ihrer formula enthaltenen oder in Bezug genommenen materiellrechtlichen Regeln gewährte.22 Durch die Auswahl einer bestimmten actio legte sich der Kläger auf eine formula und damit einen Rechtsgrund für sein Begehren fest. Das Verfahren vor dem iudex führte nur dann zum Erfolg der Verurteilung, wenn das Begehren nach der in der formula enthaltenen Rechtsregel begründet war, selbst wenn eine andere actio zum Erfolg geführt hätte, also nach der formula einer anderen actio eine entsprechende Verurteilung hätte erfolgen müssen.23 Aufgrund der eine weitere Klage ausschließenden Wirkung der Litiskontestation musste sich der Kläger auch dann auf eine actio festlegen, wenn ihm aus einem Sachverhalt mehrere Klagen de eadem re zustanden.24 Diese Verknüpfung der materiellen Rechtssätze mit bestimmten Rechtsbehelfen ließ das Recht als ein System von verschiedenen Klagen erscheinen im Gegensatz zu einem einheitlichen Recht, das im Wege der (einen) Klage durchgesetzt werden kann.25 Mit der Verdrängung des Formularprozesses durch den Kognitionsprozess verlor auch das Aktionensystem seine Bedeutung. Im Kognitionsprozess gab es keine Zweiteilung des Verfahrens in einen Abschnitt in iure und einen Abschnitt Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2 (1996) § 47 II.2. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht19 (2008), § 2 Rn. 11; Kollmann, Begriffsund Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, S. 48. 20 Windscheid, Actio (1856), S. 4; de Boor, Gerichtsschutz (1941), S. 11. 21 Coing in: ders./Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Schutz der Persönlichkeit (1959), S. 11; F. Schulz, Prinzipien (1934), S. 29. 22 Nach Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit2 (1967), § 10 IV 3 c) (S. 187) ist dies die conditio sine qua non, um vom aktionenrechtlichen Charakter eine Rechtsordnung im eigentlichen Sinne sprechen zu können. 23 Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968), S. 13. 24 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (483). 25 Vgl. Sohm/Mitteis/Wenger, Institutionen17 (1949), § 115 (S. 685). 18 19
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apud iudicem, sondern das gesamte Verfahren wurde von beamteten Richtern durchgeführt,26 die bei der Rechtsfindung nicht mehr durch ein in einer formula bestimmtes Prozessprogramm festgelegt waren, sondern über das Begehren des Klägers nach der materiellen Rechtsordnung entschieden.27 Die Gerichtspraxis, dass im Rahmen der Delegation des Verfahrens an Unterrichter diesen eine den formulae vergleichbare Instruktion mitgegeben wurde,28 fand ihr Ende in der Kaiserkonstitution aus dem Jahre 342,29 in der die „silbenstecherischen Formeln“ (iuris formulae aucupatione syllaborum insidiantes) verboten wurden.30 Die infolge dieser Entwicklung stattfindende Loslösung vom aktionenrechtlichen Denken hin zu einer Betrachtung der Rechtsordnung als System von materiellen Regeln fand im Corpus iuris civilis, in dem die vom aktionenrechtlichen Denken geprägten Schriften der klassischen Juristen und Kaisererlasse zusammengefasst wurden, allerdings nur begrenzten Ausdruck.31 Wenn heute allgemein von der Überwindung des aktionenrechtlichen Denkens gesprochen wird, so kommt darin implizit eine negative Bewertung32 dieser Art von Betrachtungsweise des Rechts zum Ausdruck. Indes gilt es, hinsichtlich der Frage, worin der „Fehler“ dieser Sichtweise liegt, zu differenzieren: Mit Sicherheit kann man die Festlegung des Rechtsschutzsuchenden auf einen bestimmten Entscheidungssatz, die mit dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit kaum zu vereinbaren ist, als durch den Grundsatz ,iura novit curia‘ überwunden ansehen. Darüber hinaus erschöpft sich die Funktion des Rechts auch nicht darin, ausschließlich als Entscheidungsnorm für Gerichte zu fungieren und insofern die 26 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht19 (2008), § 87 Rn. 1; Honsell/Mayer-Maly/ Selb, Römisches Recht4 (1987), Anhang § 26 (S. 555 f.); vgl. zusammenfassend Mayer-Maly, Römisches Recht2, § 52 (S. 217). 27 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2 (1996), § 73 I; vgl. zusammenfassend Mayer-Maly, Römisches Recht2 (1999), § 52 (S. 217). 28 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht4 (1987), Anhang § 26 (S. 556). 29 C. 2, 57, 1 (Impp. Constantius et Constans a. 342): Iuris formulae aucupatione syllabarum insidiantes cunctorum actibus radicitus amputentur. [Die Rechtsformeln, welche durch Silbenstecherei den Verhandlungen aller Gefahr bringen, sollen von Grund aus vertilgt werden.] 30 Vgl. Sohm/Mitteis/Wenger, Institutionen17 (1949), § 121 (S. 733). 31 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (484); Coing in: ders./Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Schutz der Persönlichkeit (1959), S. 11 f.; Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968), S. 25; vgl. a. F. Schulz, Prinzipien (1934), S. 29; Kunkel, SZ 49, 158 (160 Fn. 2); Erman, SZ 19 (1898), 261 (305 f. Fn. 1) der Justinian als Wiederentdecker des Aktionen bezeichnet; Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozesses (1925), § 28 Fn. 8; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht4 (1987), § 22 (S. 45). 32 Vgl. z. B. Adomeit, Gestaltungsrechte (1979), S. 32: „Damit bliebe also nur ein prozessuales Verständnis des Anspruchsbegriffs gewissermaßen ein Regreß auf die römische Vorstellung von der actio.“; Larenz, FS Sontis (1977), S. 129 (136): das „in der heutigen Zivilistik überwundene . . . ,Aktionendenken‘“; H. J. Wolff, Studi in memoria di Paolo Koschaker II (1954), S. 403 ff., wo in Bezug auf die aktionenrechtliche Betrachtungsweise wiederholt das Attribut „primitiv“ verwendet wird; Schilcher, FS Bydlinski (2002), 353 (359): „Rückfall in das ,Aktionendenken‘“.
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Bedingungen für den Eintritt staatlicher Zwangsakte anzugeben.33 Hier darf jedoch nicht übersehen werden, dass die aktionenrechtliche Betrachtungsweise zwar die Funktion des Rechtes als Entscheidungsnorm in den Mittelpunkt rückt, es aber keineswegs auf diese Funktion beschränken muss. Ein Nachteil des römischen Denkens in Aktionen könnte allerdings in der Verwobenheit von materiellen und prozessualen Vorschriften zu sehen sein, d. h. darin, dass man weniger deutlich als heute zwischen den Normen, die regelten, was sein bzw. geschehen sollte und denen, die der Ermittlung des für jene Normen maßgeblichen Tatbestandes dienten, unterschied.34 Von diesen Punkten abgesehen, steht einer Betrachtungsweise des Privatrechts als die Summe von klagbaren Ansprüchen nichts entgegen. In Bezug auf die von Windscheid monierte Verkehrung des Begründungszusammenhangs zwischen Recht und Rechtsschutz im römischen Recht35 ist festzustellen, dass es, solange subjektives Recht und Rechtsschutz korrespondieren, keine Auswirkungen hat, ob man annimmt, dass der Rechtsschutz die Folge des Bestehens eines Rechts ist oder ob man umgekehrt ein Recht annimmt, weil Rechtsschutz besteht. Die Sichtweise des Privatrechts als eine Summe von Ansprüchen stellt gegenüber der Darstellung des Rechts als einem System von Pflichten die dem Einzelnen eingeräumten Aktionsmöglichkeiten und damit auch die Freiheit des Rechtsinhabers in das Zentrum des Rechtssystems.36 So stellt sich der im Rahmen der „nationalsozialistischen Rechtserneuerung“ geführte „Kampf gegen das aktionenrechtliche Denken“37 vor allem als ein solcher gegen die mit dem Begriff des subjektiven Rechts (im Sinne der Willenstheorie38) verbundene Freiheit dar. Dass schließlich durch den klagbaren Anspruch „das Element des Gerichts“ in das materielle Recht miteinbezogen bleibt, ist angesichts des (weitestgehenden) Ausschlusses der eigenmächtigen Durchsetzung von Rechten im Wege der Selbsthilfe, der zweifellos eine zivilisatorische Errungenschaft darstellt, eine Denknotwendigkeit. II. Die Entwicklung unter dem Einfluss der Naturrechtslehre Mit der Rezeption des von den mittelalterlichen Glossatoren bearbeiteten justinianischen Rechts und der damit verbundenen Übernahme des römisch-italie33
Vgl. dazu u. § 3 III. im Text nach Fn. 226. Vgl. zur Unterscheidung von materiellem Recht und Prozessrecht § 3 III. 4. im Text nach Fn. 239, insb. nach Fn. 243. 35 Windscheid, Abwehr (1857), S. 13 f. (vgl. dazu u. § 2 IV.). 36 Vgl. insb. Bucher, AcP 186 (1986), 1 (14 ff.). 37 Vgl. den Untertitel von de Boor, Gerichtsschutz (1941); „Ein Beitrag zum Kampf gegen das aktionenrechtliche Denken“. 38 Nachweise der Vertreter u. § 4 III. 3. Fn. 139. 34
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nischen Prozesses im Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts hielt auch die aktionenrechtlich geprägte Libelliteratur und demzufolge aktionenrechtliches Denken Einzug in Deutschland.39 Der usus modernus pandectarum führte allerdings bereits zu einer Auflockerung der Prozesspraxis, da man nunmehr annahm, dass der Kläger die ihm günstigste actio geltend machen wollte. Außerdem war der Kläger nun nicht mehr gezwungen, sich und das Gericht durch Benennung einer actio auf einen Rechtstatbestand festzulegen, was in dem Jüngsten Reichsabschied (recessus imperii novissimus) von 1651 seine gesetzliche Verankerung fand.40 Die entscheidende Entwicklung zu einer Ausbildung eines rein materiellen Rechts, das vom Prozessrecht geschieden ist, vollzog sich jedoch erst unter dem Einfluss der naturrechtlichen Lehren im 18. Jahrhundert und fand zunächst ihren Abschluss um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hin in den naturrechtlichen Kodifikationen, denen jeweils eine gesetzgeberisch gesonderte Prozessrechtsordnung gegenüberstand.41 Die Naturrechtslehre beruht auf dem Gedanken eines durch die menschliche Vernunft erkannten, von staatlicher Setzung unabhängigen Rechts. Im Wege der Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden sollte auch für den Bereich der Gesellschaft ein geschlossenes System von „Naturgesetzen der sozialen Welt“ entworfen werden.42 Der durch die Überwindung des autoritätsgläubigen Denkens ermöglichten kritischen Auseinandersetzung mit dem römischen Recht diente das so entwickelte System als Maßstab.43 Dieses System von Rechtsregeln, die sich aus der sozialen Natur des Menschen ergaben und auf evidente Naturrechtsprinzipien gegründet waren, sollte schließlich eine Basis für künftige Kodifikationen bieten.44 Die Betrachtungsweise des Rechts aus der Sicht eines Gelehrten (Naturrecht als „Professorenrecht“45), losgelöst von der Rechtspraxis, ließ dieses nicht mehr als ein System von Rechtsbehelfen, sondern als eine soziale Ordnung erscheinen, aus der sich freiheitssichernde Rechte und Pflichten des Einzelnen ergaben. Neben diesem als soziale Ordnung begriffenen materiellen Recht kam dem Prozessrecht eine nur noch sekundäre, dienende Funktion zu.46
39 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (487); Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit2 (1967), § 10 IV 3 c) (S. 187); Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968), S. 27. 40 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (487). 41 H. Kaufmann, JZ 1964, 482 (487). 42 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit2 (1967), § 15 I 4, S. 257. 43 Koschaker, Europa und das römische Recht4 (1966), S. 252 f. 44 Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte 10 (2005), § 4 V 2, S. 97 f. 45 Koschaker, Europa und das römische Recht4 (1966), S. 248, 251. 46 de Boor, Gerichtsschutz (1941), S. 13; Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968), S. 28.
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Dementsprechend zielten auch die Naturrechtskodifikationen auf eine umfassende Gesellschaftsplanung durch eine systematische Neuordnung des Rechts ab.47 Montesquieus Grundsatz, dass Gesetze auch für den gemeinen Staatsbürger verständlich sein sollen,48 und dem Verständnis des Gesetzes als unmittelbar an den Bürger gerichtete Handlungsnorm49 entsprechend wurde das PrALR „zum Inbegriff aller Normen über Rechte und Pflichten der Staatsbürger, und zwar untereinander und gegenüber dem Staat“.50 III. Das materielle Aktionenrecht v. Savignys Dieses neue Rechtsverständnis des materiellen Rechts als einer die zwischenmenschlichen Beziehungen durch Rechte und Pflichten regelnden sozialen Ordnung findet sich in der Lehre v. Savignys wieder. Savigny geht davon aus, dass der Mensch, der zwangsläufig mit anderen Menschen in Berührung kommt, wenn er durch diese Berührung in seiner Entwicklung nicht behindert, sondern gefördert werden soll, einen Freiraum für seine Existenz und Entfaltung benötige51 („die nothwendigen Bedingungen des Zusammenlebens freyer Wesen“52). Dieser Freiraum werde „durch Anerkennung einer unsichtbaren Gränze“ geschaffen, deren Verlauf das Recht bestimmt.53 Das Privatrecht ist für Savigny demnach die Gesamtheit der durch solche Rechtsregeln bestimmten „Beziehungen zwischen Person und Person“.54 Das Privatrecht als solches existiert für Savigny nur unsichtbar in „übereinstimmenden Gefühlen, Gedanken und Sitten“,55 oder prägnanter formuliert im „gemeinsamen Volksgeist“.56 „Leben und Wirklichkeit“ erhalte es erst im Staat durch die Gerichtsbarkeit. Dessen Hauptaufgabe ist es demnach auch, das Recht „in der sichtbaren Welt herrschend zu machen“.57 Im Falle der Verletzung des Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit2 (1967) § 19 I. 1., S. 323. Montesquieu, Esprit des lois XXIX. 16; vgl. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte II (1966), S. 283. 49 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte4 (2004), Rn. 284. 50 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte4 (2004), Rn. 285. 51 v. Savigny, System I (1840), § 52, S. 331 f. 52 v. Savigny, System V (1841), § 204, S. 1. 53 v. Savigny, System I (1840), § 52, S. 332. 54 Im Rahmen der Abgrenzung vom Privatrecht zum öffentliche Recht definiert v. Savigny, System I (1840), § 9, S. 22 das Privatrecht als „die Gesammtheit der Rechtsverhältnisse, welche den einzelnen Menschen umgeben, damit er in ihnen sein inneres Leben führe und zu einer bestimmten Gestalt bilde.“ Den Begriff des privatrechtlichen Rechtsverhältnis konkretisiert er an späterer Stelle (ebd. § 52, S. 333) „als eine Beziehung zwischen Person und Person, durch eine Rechtsregel bestimmt“. 55 v. Savigny, System I (1840), § 9, S. 23. 56 Ebd. § 9, S. 23. 57 Ebd. § 9, S. 25. 47 48
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Rechtes eines Einzelnen müsse der Staat diesem Schutz gegen die Verletzung gewähren. Die Bestimmungen, die für diese Schutzgewährung gelten, machen den Zivilprozess aus, der nach dem Wesen der Sache dem Staatsrecht zuzuordnen ist,58 wobei Savigny, um der Verwobenheit der Staatstätigkeit mit den Rechten des Einzelnen und den „mehr praktischen Beziehungen“ Ausdruck zu verleihen, es vorzieht, in diesem Zusammenhang den allgemeineren Begriff des öffentlichen Rechts zu verwenden.59 Auch wenn Savigny aufzeigt, dass das Recht der staatlichen Durchsetzung bedürfe, um „bestehen und herrschen“ zu können,60 und er anmerkt, dass eine vollständige Trennung der Regeln der staatlichen Durchsetzung von dem materiellen Recht nicht möglich sei,61 so sieht er von der Grundkonzeption her die zwangsweise Durchsetzbarkeit im Gerichtswege nicht als dem Privatrecht immanent an. Äußere Geltung wird den Bestimmungen des Privatrechts erst dadurch zuteil, dass der Zivilprozess als Teil des Staatsrechts dafür Sorge trägt, dass Rechtsverletzungen „vernichtet“ werden.62 Einen inneren Bezug des Privatrechts auf den Prozess und die zwangsweise Durchsetzung lehnt Savigny vom Prinzip her jedoch ab: Er verwahrt sich ausdrücklich dagegen, das Wesen des Rechts in der Abwehr „der Störung der Freyheit“ zu sehen,63 und somit „das Negative an die Spitze“ zu stellen und das Recht als „die Gesetze des Lebens“ „vom Zustand der Krankheit“ aus erkennen zu wollen.64 Dementsprechend hat auch das Urteil für das materielle Recht keine wesentliche Bedeutung: Zwar zeigt sich das subjektive Privatrecht insbesondere im Urteil, in der Situation, wo „es bezweifelt oder bestritten“ wird, „in sichtbarer Gestalt“, jedoch ist das Bedürfnis eines Urteils nur ein „zufällige[s]“.65 Das Verhältnis zwischen Privatrecht und Prozessrecht bei Savigny lässt sich daher vorerst folgendermaßen skizzieren: Das Privatrecht bestimmt die Grenzen der Freiräume des Einzelnen und ist als solches zunächst auf freiwillige Befolgung aufgrund „einer verbreiteten gerechten Gesinnung“ ausgelegt, im Falle derer das Recht „um so herrlicher und kräftiger“ hervortritt.66 Da der Einzelne infolge seines freien Willens sich gegen dieses Recht auflehnen, es verletzen
58
v. Savigny, ebd. § 9, S. 26. v. Savigny, ebd. § 9, S. 27; zum öffentlichen Recht in diesem weiteren Sinne gehören nach v. Savigny neben dem Staatsrecht (im engeren Sinne) der Zivilprozess und das Kriminalrecht. 60 Ebd. § 9, S. 24. 61 Ebd. § 9, S. 27. 62 Ebd. § 9, S. 24. 63 Ebd. § 52, S. 332. 64 Ebd. § 52, S. 333. 65 Ebd. § 4, S. 7. 66 Vgl. ebd. § 52, S. 332 mit den zitierten Stellen ebendort. 59
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könne, müsse der Staat, um die Herrschaft dieses Rechts sicherzustellen, die Rechtsverletzung unterbinden. Dazu dient – neben „Criminalrecht und Criminalprozeß“ – der Zivilprozess, welcher dem öffentlichen Recht angehört.67 Die Verbindung zwischen materiellem Recht und Prozess stellt Savigny durch das „Actionenrecht“ her, das Rechtsgebiet, das sich mit den Veränderungen befasst, die das subjektive Recht durch die Verletzung und ihre „Bekämpfung“ erfährt.68 Dieses Aktionenrecht sieht Savigny als Teil des materiellen Rechts selbst an und nicht des Prozessrechts, das die „auf die Herstellung des gestörten Rechtszustands abzweckenden Formen“ enthält und außerhalb des Gegenstandes seiner Untersuchung liegt.69 Er räumt jedoch ein, dass das Aktionenrecht so eng mit dem Prozessrecht verbunden ist, dass die Einordnung „dem Urtheil eines jeden Bearbeiters der einen oder anderen Disciplin überlassen bleiben muß.“70 Innerhalb des Aktionenrechts ist das Klagerecht das verbindende Element zwischen dem subjektivem Recht und der Klage. Dieses Klagerecht sieht Savigny nicht als ein eigenständiges Recht an,71 das neben die übrigen subjektiven Rechte träte, sondern es ist das subjektive Recht selbst, das aufgrund der Verletzung in eine „Metamorphose“72 eingetreten ist, „im Zustand der Vertheidigung“73 „die besondere Gestalt einer Klage“74 angenommen hat und insoweit „in einer neuen Gestalt erscheine“.75 Beschreiben lässt sich das Klagerecht als die Befugnis des Verletzten, im Wege der Klage von dem Gegner die Aufhebung der Verletzung zu fordern“76
67
Vgl. ebd. § 9, S. 26. v. Savigny, System V (1841), § 204, S. 2. 69 Ebd. § 204, S. 2. 70 Ebd. § 204, S. 2 Fn. (a). 71 Ebd. § 204, S. 3. 72 Ebd. § 204, S. 3. 73 Ebd. § 204, S. 2. 74 Ebd. § 205, S. 6. 75 Ebd. § 204, S. 2. 76 Es findet sich bei v. Savigny keine diese Verbindung zwischen materiellem Recht und Prozess unmittelbar herstellende Definition des Klagrechts. Zunächst bestimmt er den Inhalt des Rechtsverhältnisses, in das der Berechtigte durch die Verletzung zum Verletzer eintritt, rein materiellrechtlich als „Anspruch“ (!) gegen den Verletzer auf Aufhebung der Verletzung. Sodann bezeichnet er dieses Verhältnis jedoch „als Klagrecht oder auch Klage, wenn man diesen Ausdruck auf die bloße Befugnis des Verletzten bezieht.“ Später heißt es dann, dass ohne eine Verletzung „das Recht nicht die besondere Gestalt der Klage annehmen“ könne und nicht „actio nata“ sei. Aus dem Vorstehenden, aber insb. daraus, dass v. Savigny das beschriebene Rechtsverhältnis erst dann „als wahre vollendete Obligation“ ansehen will, wenn es „zu einer bestimmten Thätigkeit des Verletzten geführt habe“ – dieses kann eigentlich nur die Klaghandlung sein – erhellt sich, dass v. Savigny unter dem Klagerecht wohl die Befugnis versteht, im Prozess die Aufhebung der Verletzung durchzusetzen. 68
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Das Bestehen eines Klagerechts hängt nach Savigny von zwei Voraussetzungen ab: zum einen von dem Bestehen eines subjektiven Rechts und zum anderen von der Verletzung dieses Rechts, wobei diese sowohl in der Verneinung des Rechts oder dessen Verletzung als auch in einem „bloß factische[n] Eingriff in das unbestrittene Recht“ liegen kann.77 Obwohl Savigny von der Grundkonzeption ausgeht, dass das Privatrecht nur die Verhaltensregeln enthält, durch die die Freiheitsräume der Individuen voneinander abgegrenzt werden, und diese Regeln äußere Wirksamkeit erst durch die staatliche Sanktion von Verletzungen derselben nach den Vorschriften des Zivilprozesses erhalten, ordnet er – in einem gewissen Widerspruch dazu78 – das Aktionenrecht doch dem materiellen Recht zu79 und stellt damit bereits innerhalb des letzteren die Verbindung zwischen subjektivem Privatrecht und prozessualer Durchsetzung her. Das Klagerecht ist keine Folge des subjektiven Rechts, nichts von diesem zu unterscheidendes, sondern das subjektive Recht selbst, betrachtet „in der besonderen Beziehung auf die Verletzung desselben“.80 Der Versuch Savignys, materielles Recht und Zivilprozess systematisierend zu unterscheiden, ist geprägt von der Diskrepanz des naturrechtlich beeinflussten Verständnisses des Privatrechts als reiner Verhaltensordnung und der Erkenntnis, dass Recht nur dann ,wirkliches‘ Recht ist, wenn es in einem geordnetem, staatlichen Verfahren durchgesetzt wird.81 Diese Diskrepanz löst Savigny m. E. zutreffend dahingehend, dass er das Klagerecht als die Befugnis, die Aufhebung der Rechtsverletzung zu verlangen, als Eigenschaft des Privatrechtes selbst – wenn auch nicht als die wesentliche bzw. „wesensbestimmende“ 82 – ansieht und dem materiellen Recht zuordnet.
77
v. Savigny, System V (1841), § 205, S. 6. Allerdings betont v. Savigny, System I (1840), dass „in dem Zivilprozeß . . . die Thätigkeit des Staats mit den Rechten des einzelnen so verwoben [ist], daß eine vollständige Trennung praktisch nicht möglich ist“ (§ 9, S. 27) und schränkt die Aussage, in der er dem Privatrecht „nur ein unsichtbares Daseyn“ (§ 9, S. 23) zuschreibt, sogleich dahingehend ein, dass damit nicht gesagt sein solle, dass es eine Zeit gegeben hätte, in der ein Privatrecht „diese unvollkommene Natur“ (Hervorh. d. Verf.) gehabt hätte. Diese Ausführungen bezögen sich nur auf den „Zustand des Volkes, welcher uns in Gedanken übrig bleibt, wenn wir von seiner Eigenschaft als Staat künstlich abstrahiren“ (§ 9 S. 23). 79 So auch Simshäuser, Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht (1965), S. 49, 55. 80 v. Savigny, System V (1841), § 204, S. 2. 81 v. Savigny, System I (1840), § 9, S. 23 f. 82 Vgl. v. Savigny, System I (1840), § 4, S. 7: „logische Form eines Urteils“, die „das Wesen der Sache nicht erschöpft“ und § 52, S. 333: Sie verfahren so, „als ob wir vom Zustand der Krankheit ausgehen wollten, um die Gesetze des Lebens zu erkennen“. 78
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IV. Die Entwicklung des Anspruchsbegriffs durch Windscheid 1. Der Anspruch als materiellrechtlicher Aussagegehalt des Begriffs der actio Windscheid ging von demselben Begriff des materiellen Rechts aus wie Savigny. Er definiert dieses als den „Inbegriff der Bestimmungen darüber, inwiefern jedes Individuum seinen Willen den übrigen Individuen zur Geltung bringen dürfe“.83 Entschieden wendet er sich jedoch gegen die Interpretation des Begriffs der actio durch die damals herrschende Meinung: Die actio des römischen Rechts sei weder „das durch die Verletzung eines Rechtes entstandene Recht auf Schutz in demselben“ noch „die Befugnis, Schutz für das Recht auf den Fall der Verletzung zu verlangen“ gewesen. Sie sei die von keinem anderen Recht abgeleitete, keine Verletzung eines solchen voraussetzende, ursprüngliche Befugnis gewesen, „seinen Willen durch gerichtliche Verfolgung durchzusetzen“.84 Windscheids Gedankengang dabei war folgender: Aufgrund der besonderen Stellung des Prätors, der – obwohl er ein Rechtsprechungsorgan war, dem keine Rechtssetzungsbefugnis zustand – nach ius civile begründete Klagen ablehnen und umgekehrt unbegründete Klagen gewähren konnte und so letztlich über die effektive Geltung des Rechts entschied,85 stand nicht die Frage im Mittelpunkt, ob das Begehren von der geschriebenen Rechtsordnung rechtlich anerkannt war, sondern, ob der Prätor es durch Gewährung einer Klage anerkennen würde.86 Dies führte dazu, dass im Rechtsbewusstsein die Gewährung der Klage durch den Prätor zum Maßstab dessen, was Recht war, schlechthin wurde: Etwas war Recht, weil der Prätor es als solches anerkannte, anstatt dass der Prätor es anerkannte, weil es Recht war.87 So wurde auch der Begriff der actio zum selbständigen Ausdruck des Rechts, der dazu benutzt wurde, allgemein auszusagen, dass jemand etwas von einem anderen zu Recht verlangen könne,88 ohne dass 83 Windscheid, Abwehr (1857), S. 11; siehe bereits Windscheid, Actio (1856), S. 3: „Das Recht weist jedem Individuum den Herrschaftskreis zu, in welchem sein Wille Gesetz für die anderen Individuen ist.“ 84 Windscheid, Actio (1856), S. 3; vgl. auch ders., Abwehr (1857), S. 7; vorsichtiger ders., Pandekten5 (1879), § 44 Fn. 5: Es müsse „gefragt werden, ob denn die Römer in allen Fällen, wo sie von actio reden, gerade dieses Moment der gerichtlichen Verfolgbarkeit im Auge haben, und ob, was sie von der actio aussagen, immer in diesem Momente seinen Grund hat“. 85 Vgl. Windscheid, Abwehr (1857), S. 10: „Wenn man ein Recht nur durch den Schutz des Prätors hat, wenn dasselbe erst durch den Schutz des Prätors seine Existenz gewinnt . . .“. 86 Vgl. Windscheid, Actio (1856), S. 4. 87 Windscheid, Abwehr (1857), S. 13 f. 88 Windscheid, Pandekten 5 (1879), § 44, S. 106; vgl. ders., Abwehr (1857), S. 7; ders., Actio (1856), S. 3 ff.
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dabei auf das Moment der gerichtlichen Verfolgung ein besonderes Gewicht gelegt werden sollte.89 Diese „vom Rechte zuerkannte[n] Befugnis, von einem Anderen etwas zu verlangen“, bezeichnet Windscheid als Anspruch90 und benutzt diesen Begriff dazu, dasjenige, was die Römer durch die Aussage, dass jemand eine actio habe, ausdrückten, „in die Sprache unserer Rechtsanschauung, für welche die gerichtliche Verfolgbarkeit erst die Consequenz des Rechtes ist“, zu übersetzen.91 2. Das Verhältnis des Anspruchs zu den Obligationen und zum Eigentum Dem Grundgedanken entsprechend, dass der Begriff der actio als selbständiger Ausdruck für das subjektive Recht gedient habe, bezieht Windscheid auch die Einteilung der Klagen in actio in rem und actio in personam auf die Rechte selbst: Er unterscheidet zunächst zwischen Ansprüchen auf die Sache und Ansprüchen auf die Person, überträgt diese Unterscheidung sodann jedoch weiter auf die Rechte und teilt sie in Rechte an Sachen und Forderungsrechte bzw. Obligationen ein.92 Nun ergibt sich folgendes Problem: Während Savigny in der actio das Klagerecht sieht und dieses mühelos in sein „System des . . . römischen Rechts“ einordnen kann, steht für Windscheid der Begriff der actio anstelle dessen des heutigen subjektiven Rechts, und er weist dementsprechend dem materiellrechtlichen Gehalt der actio unter der Bezeichnung „Anspruch“ einen Platz im System des materiellen Rechts zu. Auf der Ebene des materiellen Rechts gibt es jedoch mit dem Eigentum und den Obligationen schon Rechtsfiguren, die losgelöst von der prozessualen Durchsetzung Berechtigungen ausdrücken. Daher stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Windscheids Ansprüche zu diesen subjektiven Rechten stehen. Das Verhältnis des persönlichen Anspruchs zum Forderungsrecht bestimmt Windscheid dahingehend, dass diese identisch sind und das Forderungsrecht daher im Anspruch seinen „vollkommen erschöpfenden Ausdruck“ gefunden habe.93 Bei der Bestimmung des Verhältnisses des Anspruches zum dinglichen Recht zeigt sich in den Arbeiten Windscheids eine Entwicklung: Zunächst bestimmt er den unmittelbaren Inhalt des dinglichen Rechts dahingehend, dass es die Beziehung einer Person zu einer Sache ordne, indem es der Person die Herrschaft über eine Sache verleihe.94 Eine persönliche Beziehung bekomme das 89 90 91 92 93 94
Windscheid, Pandekten5 (1879), § 44, S. 106, vgl. auch ebd. § 44 Fn. 5. Windscheid, Actio (1856), S. 5. Ebd. S. 6. Ebd. S. 14 f. Windscheid, Actio (1856), S. 5, 39; Pandekten5, § 43, S. 103. Vgl. Windscheid, Actio (1856), S. 5, 20.
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dingliche Recht erst durch eine Verletzung, die dazu führe, dass sich dasselbe zu einem Anspruch auf Wiederaufhebung der Verletzung gestalte.95 Bereits in der Abwehrschrift gegen Muther nimmt Windscheid jedoch einen allgemeinen Anspruch des Eigentümers „gegen alle anderen Mitmenschen auf thatsächliche Anerkennung der Macht des Berechtigten über die Sache“ an.96 Dieser Anspruch konkretisiere sich durch eine Verletzung zu einem Anspruch gegen eine bestimmte Person auf Aufhebung der Verletzung.97 In seinem Lehrbuch des Pandektenrechts verdeutlicht Windscheid seine veränderte Auffassung dahingehend, dass die dinglichen Rechte, deren unmittelbarer Gegenstand die Sache ist, mittelbar eine persönliche Richtung hätten.98 Der Inhaber des dinglichen Rechtes habe „einen Anspruch gegen jedermann“. Mit dem Ausdruck des Anspruchs „gegen alle anderen Mitmenschen“ bzw. „gegen jedermann“ war zunächst wohl ein Anspruchsrecht zu verstehen, das keine „bestimmte Person zum Gegner“ hatte und daher sich insoweit gegen jedermann richtete. In der 6. Auflage des Lehrbuchs schloss sich Windscheid dann der Auffassung an, dass das dingliche Recht „durch eine unbegrenzte Vielheit von Ansprüchen gebildet wird.“99
95 Vgl. Windscheid, Actio (1856), S. 223: „In dieser letzteren Hinsicht ist namentlich die Bemerkung von Wichtigkeit, daß alle dinglichen Rechte . . . durch ihre Verletzung eine persönliche Beziehung gewinnen, welche sie bis dahin nicht hatten, sich . . . zu einem Anspruche gegen den Verletzer gestalten.“ 96 Windscheid, Abwehr (1857), S. 28, 37; wobei er jedoch ebd. S. 7 Fn. 1 noch anmerkt, dass die übrigen Rechte die „persönliche Richtung anders als das Forderungsrecht, bei dem diese stets vorhanden“ sei, „nur möglicherweise annehmen“ können. 97 Windscheid, Abwehr (1857), S. 28. 98 Windscheid, Pandekten5 (1879), § 43, S. 102; in dem Sinne schon, wenn auch weniger deutlich, Pandekten1 (1862), § 43, S. 90 f. 99 Windscheid, Pandekten6 (1887), § 43, S. 111. Ursprünglich meinte Windscheid, Actio (1856), S. 20, dass die Auffassung, nach der „der Inhalt eines jeden Rechts der [ist], eine Verpflichtung zu begründen“, „sehr zu vermeiden ist“. Allerdings bemerkt er schon jetzt, dass sich auch aus dem dinglichen Recht Verpflichtungen ergeben, „die aber von ganz anderer Art [seien] als die Verpflichtungen, welche die andere Seite des persönlichen Rechts bilden.“ Im Lehrbuch des Pandektenrechts (Pandekten1 (1862), § 43 S. 90) heißt es dann schon, dass die „den dinglichen Rechten entsprechenden Ansprüche . . . den Willen Aller, welche dem Berechtigten gegenüberstehen . . .“ binden und in § 43 Fn. 5 wird angemerkt, dass „es eine ganze Reihe von Lehren“ gibt, die sowohl auf die schuldrechtlichen Ansprüche als auch auf die aufgrund der Verletzung des dinglichen Rechts entstehenden Ansprüche anwendbar seien. Die in der 6. Auflage vollzogene Wendung hin zur Konstruktion des Eigentums als ein Bündel von Ansprüchen kündigt sich bereits in der 5. Auflage (1879), § 43 Fn. 1 an: Dort heißt es, man habe die Erläuterungen zur persönlichen Richtung der dinglichen Rechte „aus den früheren Auflagen unverändert herübergenommen, [müsse] aber jetzt hinzufügen, daß in der neueren Zeit die Ansicht, nach welcher das dingliche Recht sich in eine Summe von Ansprüchen . . . auflöst, sich wieder mit Lebhaftigkeit zu regen beginnt.“; zur überwiegend ablehnenden Resonanz auf Windscheids „Bündeltheorie“ in der Pandektistik vgl. Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (795) mit Nachweisen in Fn. 5.
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3. Das Verhältnis des Anspruchs zum Klagerecht Die von Savigny als Aktionenrecht bezeichneten Bestimmungen über die Veränderungen der Rechte infolge ihrer Verletzung übernimmt Windscheid in seine Rechtssystematik, wobei er seinem Ansatz entsprechend das Recht, in welches sich ein Recht durch seine Verletzung umgestaltet, nicht als Klagerecht, sondern wiederum als materiellrechtlichen Anspruch versteht.100 Dieses begründet er nun allerdings nicht damit, dass sich nach dem modernen Rechtsverständnis die Klagbarkeit eines Anspruchs auf Aufhebung der Verletzung von selbst verstehen würde, sondern damit, dass die Bezeichnung als Klagerecht voraussetzen würde, dass „unmittelbar die gerichtliche Hülfe durch Klage angerufen werden kann“, gerichtlicher Schutz für das Recht auf Aufhebung der Verletzung aber erst dann erlangt werden könne, wenn der Verletzer seine Befriedigung verweigere.101 Auf die Kritik Muthers hin ordnet Windscheid auch das Klagerecht „als Recht auf Hülfe des Staates“ in seine Systematik ein. Dieses Klagerecht gehöre in den Prozess und sei ein Recht gegen den Staat, das voraussetze, dass die Befriedigung des Anspruchs auf Aufhebung der Verletzung nicht erfolgt.102 Somit ergibt sich für Windscheid folgende Systematik: Zunächst bestehen Forderungsrechte, die sich jeweils in dem aus ihnen entstehenden Anspruch erschöpfen, und dingliche Rechte, die sich aus einer unbegrenzten Vielzahl von Ansprüchen auf Anerkennung der Sachherrschaft zusammensetzen. Im Falle der Verletzung dieser Rechte entstehen wiederum Ansprüche auf Aufhebung der Verletzung, die allerdings im Falle der Verletzung des Forderungsrechts, wenn kein Verzug vorliegt, auf dasselbe gerichtet sind wie das verletzte Recht selbst. Und erst wenn die Erfüllung dieser letzteren, aus der Verletzung entspringenden Ansprüche verweigert wird, entsteht ein Klagerecht, das gegen den Staat gerichtet ist und nicht dem Zivilrecht, sondern dem Prozessrecht zuzuordnen ist.
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Windscheid, Actio (1856), S. 222 f. Windscheid, Actio (1856), S. 222. In der 5. Auflage des Lehrbuchs des Pandektenrechts (Pandekten5 (1879), § 122, S. 160 f.) muss Windscheid einräumen, dass wenn eine Klage erfolgte, „ohne daß ein Widerstreben des Verletzenden gegen den berechtigten Willen zu Tage getreten sei“ dennoch „in der Praxis ein Urtheil gegen den Beklagten erlassen“ werde. Dass dennoch kein Klagerecht bestanden habe, will Windscheid nun damit begründen, dass der Kläger nach § 89 CPO die Prozesskosten trage, wenn der Beklagte sofort anerkenne und keinen Anlass zur Klage gegeben habe. Dem erlassenen Urteil schreibt er „lediglich declaratorische Bedeutung“ zu. Dass dies nicht haltbar ist, zeigt sich schon daran, dass Windscheid sich so mit seiner eigenen Definition des Klagerechts in Widerspruch setzt. 102 Windscheid, Abwehr (1857), S. 26; ders., Pandekten 6 (1887) § 122 Fn. 5; im Lehrbuch des Pandektenrechts (siehe nur die 6. Auflage, ebd.) fügt Windscheid jedoch stets hinzu, dass man „unter Klagerecht aber auch ein Recht gegen den Gegner verstehen [kann], die Befugnis durch Klage zu verfolgen, was man von ihm in Anspruch nimmt“. 101
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4. Der Verlust des Bezugs des materiellen Rechts zur prozessualen Durchsetzung in der Lehre Windscheids Windscheids Anspruchsbegriff führt zusammen mit der Zuordnung des Klagerechts zum Prozessrecht dazu, dass das materielle Recht den Bezug zur prozessualen Durchsetzung weitgehend verliert.103 Obwohl er es „im Wesen des (Privat-)Rechtes begründet [sieht], dass es durch gerichtlichen Schutz gegen Widerstreit durchgeführt wird“, gibt sein System des materiellen Rechts keine Auskunft mehr darüber, für welche Rechtsansprüche gerichtlicher Schutz erlangt werden kann. Unterschiedslos bezeichnet er die aus der Verletzung entstehenden Rechte auf Aufhebung der Verletzung wie die Beziehungen, die er schon aufgrund des Eigentums allein zwischen dem Berechtigten und allen anderen annimmt, als Ansprüche, obwohl gerichtlichen Schutz nur erstere erlangen können.104 Somit eignet sich per se nur ein Teil der Ansprüche zur gerichtlichen Durchsetzung. Deren Möglichkeit hängt dann jedoch vom Bestehen eines prozessualen Klagerechts ab, das neben einem insoweit ,gerichtsfähigen‘ Anspruch noch von zumindest einer weiteren prozessrechtlichen Voraussetzung abhängt, nämlich davon, dass die Befriedigung dieses Anspruchs verweigert wurde.105
103 Vgl. auch Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (795 f.), der zu Recht darauf hinweist, dass die „völlige Trennung vom Prozeß“ eine große Schwäche von Windscheids Anspruchsbegriff war. 104 Vgl. Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (796), der anmerkt, dass Windscheid sich über die Klagbarkeit der Ansprüche gegen jedermann nicht nur aus dem Grund, dass die „Klagbarkeit . . . nicht zum Begriff seines Anspruchs gehörte“, sondern schon deshalb keine Gedanken machen musste, weil es die Unterlassungsklage, die erst durch das BGB geschaffen wurde, noch gar nicht gab. 105 Windscheid ging davon aus, dass die prozessuale Durchsetzbarkeit von keinen weiteren Voraussetzungen als der Verweigerung der Anspruchsbefriedigung abhängt, so dass die Klagbarkeit allen aus der Verletzung entstandenen Ansprüchen zukommt (vgl. Windscheid, Abwehr (1857), S. 29). Doch schon Muther, Zur Lehre von der römischen actio (1857), S. 48 ff. hält nicht nur die aus der Verletzung entstehenden Ansprüche im Sinne Windscheids bloß für gegen den Staat gerichtete Klagrechte (dagegen Windscheid, a. a. O., S. 26 ff.), sondern lehnt bereits – insoweit von Windscheid nicht ausdrücklich beanstandet – die Existenz eines allgemeinen Rechtssatzes ab, „wonach der Staat jedem in seinem Recht Gekränkten . . . gerichtlichen Schutz gewähre“, wobei er einräumt, „daß die Fälle . . . viel seltener geworden sind, wo ein in seinem Recht Verletzter ohne . . . Recht auf gerichtlichen Schutz bleibt“. So viel sei hier schon gesagt: Die dogmatische Figur des gegen den Staat gerichteten und damit außerhalb des materiellen Privatrechts stehenden Klagerechts bietet die Möglichkeit, die Gewährung staatlichen Rechtsschutzes von weiteren Voraussetzungen als der des Bestehens eines materiellen Privatrechts abhängig zu machen und damit, durch Versagung des Rechtsschutzes trotz bestehendem subjektivem materiellem Privatrecht, das materielle Privatrecht im objektiven Sinne zu verändern, ohne an seinen geschriebenen Bestimmungen selbst etwas zu ändern – genauso wie der Prätor durch die Gewährung und Versagung von actiones das römische Privatrecht veränderte, ohne das ius civile selbst abändern zu können.
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Windscheid geht davon aus, dass die römische actio keine Rechtsverletzung voraussetzte, und folgert daraus, dass sie nicht, wie Savigny annahm, das aus der Verletzung eines Rechts entstehende Klagerecht, sondern ein Ausdruck für das Recht selbst sei. Der Grund dafür, dass die actio nicht in jedem Fall eine Rechtsverletzung voraussetzte, war jedoch zunächst der, dass der Prätor Klagen gewährte, die im ius civile keine Grundlage mehr hatten und ohne auf dieses Bezug zu nehmen, die Voraussetzungen der erfolgreichen Klage in ihrer Formel selbst vollständig angaben. Daher konnten sie nicht auf der Verletzung eines nach dem ius civile bestehenden Rechts beruhen. Insofern waren sie in der Tat ein selbständiger Ausdruck des Rechts – allerdings, und das ist entscheidend, ein Ausdruck des Rechts in dem Stadium, in welchem es sich unmittelbar zur gerichtlichen Durchsetzung eignete.106 Wenn man dasjenige, was die Römer mit „actio nata est“ ausdrückten, in ein Rechtssystem übertragen will, das das Recht als Inbegriff der Regeln des Zusammenlebens versteht, so muss man es als die Lage beschreiben, in der jemand aufgrund der Verletzung einer solchen Regel nun unmittelbar gegen den Verletzer gerichtlichen Schutz erlangen kann, wobei sich allerdings die verletzte Regel der Klagformel nicht unmittelbar entnehmen lässt, sondern erst aufgrund einer Analyse deren materiellen Gehalts konstruiert werden muss. Insofern war Savignys Einordnung der actio in das „System des heutigen römischen Rechts“ entgegen Windscheids Kritik durchaus zutreffend.107 106 Windscheid betonte zwar stets das in der actio enthaltene Moment der gerichtlichen Verfolgung (siehe ders., Actio (1856), S. 7: „sie sprechen deswegen nicht weniger von gerichtlicher Verfolgung“), löste den Begriff des Anspruchs aber nicht nur von gerichtlicher Verfolgung, sondern auch von der Verfolgbarkeit ab, und bezeichnete mit dem Anspruchsbegriff auch Beziehungen zwischen Personen, die schon von ihrem materiellen Gehalt her sich nicht zur gerichtlichen Verfolgung eigneten. 107 An v. Savignys Systematik fraglich ist allerdings, ob für den Fall des Forderungsrechts das Ineinandergreifen von subjektivem Recht und Rechtsschutz dadurch zutreffend beschrieben wird, dass man aufgrund der Verletzung des Forderungsrechts ein auf Aufhebung der Verletzung gerichtetes Klagerecht annimmt. Daran ist weniger problematisch, dass dieses Klagerecht inhaltlich auf dasselbe gerichtet ist wie das Forderungsrecht: v. Savigny sieht es schließlich nicht als neues Recht im eigentlichen Sinne, sondern als das ursprüngliche Recht aus der Perspektive des Rechtsschutzes betrachtet an. Es fragt sich jedoch, ob es richtig ist, die Voraussetzung, die außer dem Bestehen des Forderungsrechts gegeben sein muss, damit die Möglichkeit der Klage besteht, als Verletzung des ursprünglichen Leistungsgebots zu beschreiben. Diese Voraussetzung besteht, da das Moment der nichterfolgten Leistung schon im Fortbestehen des Rechts mitinbegriffen ist, letztlich nur – um es in heutiger Terminologie auszudrücken – in der Fälligkeit des Forderungsrechts. Daher ließe sich der Zusammenhang von Recht und Klage wohl besser dadurch beschreiben, dass man im Zeitpunkt der Fälligkeit zugleich nebeneinander das Leistungsgebot und die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung entstehen lässt. Dieses würde jedoch nicht mit v. Savignys Grundkonzeption in Einklang stehen, nach der das Recht aus einer Summe von Verhaltensnormen besteht, zu deren Schutz der Staat erst im Falle der Verletzung aktiv wird. Hier zeigt sich gerade, dass schon bei v. Savigny der Zwang etwas außerhalb des Privatrechts stehendes ist. Sollte Windscheid mit der Beobachtung, dass die actio
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Der erste Schritt Windscheids besteht nun im Wesentlichen darin, dass er das Klagerecht im Sinne Savignys unter Ausschaltung des Moments der unmittelbaren gerichtlichen Verfolgbarkeit unter der Bezeichnung des Anspruchs in sein System des materiellen Rechts übernimmt, wobei er allerdings auch das Forderungsrecht bereits vor seiner Verletzung als Anspruch bezeichnet. Auf dieser Stufe der Entwicklung von Windscheids Lehre ist der Begriff des Anspruchs noch die Bezeichnung für eine reale Beziehung zwischen zwei Personen, die darin besteht, dass die eine von der anderen etwas verlangen kann. Die Realität dieser Beziehung, des Verlangenkönnens, besteht nun aber gerade darin, dass der Berechtigte – und das gerät hier durch die Trennung von Anspruch und Klagerecht schon ein wenig aus dem Blick – sich das, was er verlangen kann, durch Inanspruchnahme der staatlichen Hilfe verschaffen kann. Durch Windscheids zweiten Schritt, das Eigentum als ein Bündel von Ansprüchen zu konstruieren und somit schon aufgrund des Eigentums Ansprüche geempti keine Rechtsverletzung voraussetzte, auch auf die vorstehende Problematik abgezielt haben, so wäre es jedoch noch unverständlicher, dass die Einklagbarkeit einer Forderung bei Windscheid nicht nur von der Verletzung des Forderungsrechts als Voraussetzung des Entstehens des Anspruchs auf Aufhebung der Verletzung, sondern auch noch als Voraussetzung des Klagerechts von der Verweigerung der Befriedigung dieses durch die Verletzung entstandenen Anspruchs abhängen soll: Da die Verletzung des Forderungsrechts und die Verweigerung der Befriedigung des aus der Verletzung entstandenen Anspruchs vollkommen zusammenfallen müssen, ist die Duplizität dieser Voraussetzung nicht zu erklären. – Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 17 f. merkt zu dieser Frage an, dass Windscheid es sich „vielleicht etwas zu leicht gemacht habe“, wenn er gegen v. Savignys Verständnis der actio als das aufgrund einer Rechtsverletzung entstehende Klagerecht einwandte, dass die actio empti dem Käufer „bereits vor der Verweigerung“ zustand. v. Savigny habe selbst darauf hingewiesen, dass die richtige Ausgestaltung des Merkmals entscheidend sei. Wenn man wie v. Savigny bereits das Ausbleiben der Leistung als Verletzung auffasse, so wandele sich das Recht „sofort“ in ein Klagerecht. Gegen v. Savignys Standpunkt spreche jedoch, wie Rimmelspacher (ebd.) zu Recht hervorhebt, der Widerspruch, dass der als Ausnahme gedachte Zustand der Rechtsverletzung, der als Störung der Rechtsordnung (v. Savigny, System V (1841), § 204, S. 1) begriffen wird, bei den Obligationen zur Regel werde. Entgegen Rimmelspacher bietet Windscheids Lehre in diesem Punkt jedoch keinen Vorteil: Nach ihr wandelt sich der mit dem Forderungsrecht identische Anspruch durch die Verletzung in einen Anspruch auf Aufhebung der Verletzung, der (abgesehen von eventuellen Verzugszinsen) denselben Inhalt hat, wie der ursprüngliche Anspruch. Bei Windscheid befände sich das Forderungsrecht daher genauso regelmäßig wie bei v. Savigny im Zustand der Verletzung. Während bei v. Savigny das Wesen dieser ,Metamorphose‘ in der Begründung der Klagbarkeit liegt, macht die Annahme einer solchen Umwandlung bei Windscheid, der das Moment der Klagbarkeit aus dem materiellen Recht ausscheidet, keinen Sinn: Wenn ursprünglicher und umgewandelter Anspruch in ihrem Inhalt identisch sind, lässt sich kaum erklären, worin die Umwandlung besteht. – Im Ergebnis spricht – auch wenn die Ausführungen an dieser Stelle (Windscheid, Actio (1856), S. 3) manche Interpretation zulassen – viel dafür, dass es Windscheid nicht darum ging, dazutun, dass die actio empti bereits ohne eine Verletzung im Sinne v. Savignys actio nata war, sondern dass die Römer schon dann sagten, jemand habe eine actio empti, wenn diese keine actio nata war, und sie damit das Recht bzw. die Rechtsinhaberschaft selbst meinten.
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gen Personen anzunehmen, die in keinem Bezug zu der geschützten Verfügungsgewalt des Eigentümers über die Sache stehen, verliert der Begriff des Anspruchs die Fähigkeit, aufgrund des Rechts bestehende reale Beziehungen, d. h. Beziehungen zwischen zwei Personen, über die sich aufgrund der eingetretenen Tatsachen über die vom Recht vorgesehenen Folgen eine sinnvolle Aussage machen lässt, zu bezeichnen. Die Beziehung, die Windscheid zwischen dem Eigentümer und jedem beliebigen Dritten108 herstellt, ist vollkommen hypothetisch: Worin das aktuell gegebene Moment des Verlangenkönnens in dieser Beziehung besteht, lässt sich nicht mehr feststellen. Dass der Eigentümer ein bestimmtes Verhalten des beliebigen Dritten gerichtlich erzwingen kann, setzt zumindest eine Verletzung des Eigentums voraus. Eine Verletzung des Eigentums gerade durch diesen beliebigen Dritten ist jedoch derart unwahrscheinlich, dass es keinen Sinn macht, diese im Falle der Verletzung entstehende Beziehung bereits vorher als bestehende Beziehung aufzufassen. Inhaltslos muss Windscheid daher diese Beziehung als „Befugnis zum Ansprechen“109 bezeichnen. Windscheids Systematik unterscheidet sich von derjenigen Savignys dadurch, dass er das Konzept, das materielle Recht nur als Inbegriff der Normen zu verstehen, die ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbieten, um den Freiraum der Mitmenschen zu sichern, konsequent durchführt: Bestand Savignys Konzeption noch darin, dass innerhalb des materiellen Rechts das passive „Bekommensollen“ des Forderungsrechts und des Eigentums sich durch die Verletzung in ein aktives „Verlangenkönnen“ des Berechtigten, d. h. in die Möglichkeit verwandelt, das, was man bekommen soll, durch gerichtliche Hilfe zu erlangen, so führt die Verletzung bei Windscheid zu einem erneuten „Bekommensollen“. Auch wenn Windscheid den Anspruch als „das Recht von einem anderen etwas zu verlangen“110 definiert, so versteht er darunter nur ein vom Willen des Berechtigten abhängiges Sollen:111 Die Rechtsordnung befiehlt dem Anspruchsgegner 108 Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (164) weist darauf hin, dass das passiv beteiligte Rechtssubjekt „weder ,irgendeiner‘ noch ,einer unter vielen anderen‘, die sich in der gleichen Rechtslage befinden“, sei, sondern „die Person auf den gemeinsamen Nenner Rechtsgenosse gebracht, das, was von dem Menschen bleibt, wenn und indem das Recht von allen vorrechtlichen Individualgegebenheiten absieht.“ 109 Windscheid, Pandekten1 (1862), § 43, S. 89. 110 Pandekten1 (1862), § 43, S. 89 111 Von der Imperativentheorie beeinflusst (vgl. Raiser, JZ 1961, 465) definiert Windscheid, Pandekten9 (1906), § 37, S. 155 f. das subjektive Recht in der Bedeutung von „Recht auf ein gewisses Verhalten der dem Berechtigten gegenüberstehenden Person“ als von der Rechtsordnung erlassenen „Befehl zu einem Verhalten bestimmter Art“, den diese „demjenigen, zu Gunsten dessen sie ihn erlassen hat, zur freien Verfügung hingegeben hat“. Insb. überlasse sie es ihm auch, „ob er die gegen den Widerstrebenden von der Rechtsordnung gewährten Mittel zur Anwendung bringen will . . .“. Damit ist allerdings dann nicht gesagt, dass dem Berechtigten diese Mittel auch ohne weiteres zur Verfügung stehen: „Daß die Rechtsordnung dem Berechtigten auf sein
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das den Anspruchsinhalt darstellende Verhalten. Dieser Befehl ist zwar insofern vom Willen des Berechtigten abhängig, als dieser auf die Geltung verzichten kann. Es ist dem Anspruch jedoch nicht immanent, dass der Berechtigte die Befugnis hat, sich das, was er angeblich „verlangen“ kann, im Gerichtswege zu verschaffen. Diese letztere Befugnis – das Klagerecht – gehört nicht mehr dem Zivilrecht, sondern dem Prozessrecht an. Dass Windscheid Rechtspositionen, die sich nicht zur gerichtlichen Durchsetzbarkeit eignen, als Rechtsansprüche bezeichnet und die gerichtliche Verfolgbarkeit im Übrigen von dem Bestehen eines außerhalb des materiellen Rechts stehenden Klagerechts abhängig macht, führt dazu, dass entgegen Windscheids ursprünglicher Zielsetzung sein System des materiellen Rechts keines ist, in dem die gerichtliche Erzwingbarkeit von Rechten und Pflichten unmittelbar aus deren Anerkennung als solchen folgt.
Verlangen Zwangsmittel zur Durchsetzung der von ihr verliehenen Herrschaft gewähre, gehört zum Begriff des Rechtes nicht.“ (ebd. § 37, S. 164.)
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§ 3 Der Anspruch des Bürgerlichen Gesetzbuchs Unter der Voraussetzung, dass weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, wird dem Rechtsinhaber bzw. dem Besitzer in den §§ 12, 862 und 1004 BGB die Befugnis verliehen, auf Unterlassung zu klagen. Ob es sich bei diesen Befugnissen und den in Analogie zu ihnen geschaffenen Berechtigungen, auf Unterlassung von Beeinträchtigungen der deliktisch geschützten Rechtsgüter zu klagen, um Ansprüche im Sinne der Legaldefinition des § 194 Abs. 1 BGB handelt oder sie zumindest auf solchen basieren, hängt davon ab, welchen Inhalt und welche Funktion das BGB dem Begriff des Anspruchs zuweist. Verbirgt sich hinter dem Begriff des Anspruchs in der Sache nichts anderes als die actio des klassischen römischen Rechts1 oder bezeichnet er zumindest das materielle Klagerecht im Sinne der Lehre Savignys,2 so handelt es sich bei den aufgeführten Befugnissen, auf Unterlassung zu klagen, eindeutig um Ansprüche im Sinne des BGB. Folgt das BGB hingegen nicht nur in der Formulierung sondern auch in der Sache der Lehre Windscheids, so bezeichnet der Begriff des Anspruchs eine Verhaltenspflicht, deren Geltung vom Willen des Berechtigten abhängig ist.3 Er trifft jedoch keine Aussage darüber, ob der Berechtigte die Beachtung der Verhaltenspflicht im Klagewege verfolgen kann.4 Daher würde es sich bei den Befugnissen zur Klage auf Unterlassung selbst nicht um Ansprüche handeln. Sie wären jedoch ein prozessuales Mittel dazu, die Beachtung der Verhaltenspflichten und damit der Ansprüche durchzusetzen. Bei diesen Ansprüchen würde es sich dann um die so genannten Ansprüche gegen jedermann handeln, aus denen nach der Lehre Windscheids das absolute Recht im unverletzten Zustand gebildet wird.5 In Betracht kommt auch, dass das BGB der frühen Anspruchslehre Windscheids gefolgt ist. Nach dieser begründet das absolute Recht im unverletzten Zustand zwar Pflichten, jedoch sind diese von grundlegend anderer Natur als diejenigen, die den Inhalt eines Anspruchs ausmachen.6 Auf diese Weise wäre der Anspruchsbegriff des BGB nicht den Bedenken ausgesetzt, die gegen die Konstruktion des Anspruchs gegen jedermann bestehen. Das absolute Recht würde sich nicht aus Ansprüchen gegen jedermann zusammensetzen. Als Anspruch würden nur Pflichten in Sonderverbindungen bezeichnet, die aufgrund von vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen oder einer Verletzung 1 2 3 4 5 6
s. o. s. o. s. o. s. o. s. o. s. o.
§ § § § § §
2 2 2 2 2 2
I. III. IV. 4. IV. 4. IV. 2. IV. 2.
Fn. 111. bei Fn. 111. bei Fn. 99. im Text nach Fn. 94; vgl. auch § 2 IV. 2. Fn. 99.
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des absoluten Rechts bestünden.7 Für die quasinegatorische Unterlassungsklage hätte das zur Konsequenz, dass ihr kein Anspruch zugrunde läge, da es an einer durch eine Verletzung des absoluten Rechts – sofern man nicht die drohende Beeinträchtigung bereits als eine solche auffassen will – konstituierten Sonderverbindung zwischen Kläger und Beklagtem fehlt.8 Für die Beantwortung der Frage, ob die quasinegatorische Unterlassungsklage auf materiellen Ansprüchen beruht, erweist es sich somit als wesentlich, ob der Anspruch des BGB die Befugnis, das den Anspruchsgegenstand ausmachende Verhalten unmittelbar zu erzwingen, beinhaltet, und ob umkehrt diese Befugnis nur aufgrund eines Anspruchs bestehen kann, mit anderen Worten, ob jedes einer Leistungsklage stattgebende, vollstreckbare zivilgerichtliche Urteil, dessen Inhalt mit der materiellen Rechtslage übereinstimmt, das Bestehen eines materiellen Anspruchs voraussetzt.9 Die Alternative dazu ist, dass die Bedeutung des Anspruchs sich darin erschöpft, den Anspruchgegner zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten und die Frage, inwiefern der Anspruchsinhaber gerichtlichen Schutz erlangen kann, eine außerhalb des materiellen Rechts stehende, mithin eine Frage des Prozessrechts ist.10 Wenn das Prozessrecht bestimmt, ob die Möglichkeit gerichtlichen Schutzes gegeben ist, so stellt sich anschließend die Frage, ob es prozessualen Schutz auch zugunsten von Pflichten geben kann, die nicht Inhalt eines Anspruchs sind.11 7
Vgl. Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (166 ff.). Vgl. die in § 1 Fn. 3 genannten und dazu u. § 4 III. 1. im Text nach Fn. 84. 9 Siber, Rechtszwang (1903), S. 83 f. nimmt an, dass der Anspruch stets „ein Klageund Vollstreckungsrecht wider den Schuldner enthalte“. Die ZPO kenne jedoch „auch . . . Klagrechte ohne materielle Ansprüche“ (ebd. S. 109); nach Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 4 I 5 c) stehen „alle Mittel des Rechtszwangs . . . außerhalb der Forderung . . .“ Die Klagbarkeit und Durchsetzbarkeit von Forderungen in der Zwangsvollstreckung beruhe „vielmehr auf dem Justizgewährungsanspruch“ des Gläubigers gegen den Staat. In diesem öffentlichrechtlichen Anspruch fänden sich „die sachlichen Entscheidungsnormen für die zur Entscheidung berufenen Gerichte.“ (Der Rechtsschutzanspruch sei jedoch nur ein heuristisches Prinzip); Henckel, AcP 174 (1974), 97 (112, 139 Fn. 81) meint es hingegen offen lassen zu können, ob die Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung eine Frage des materiellen Rechts ist. Eine Unterlassungsklage ohne zugrunde liegenden Anspruch hält er für eine zumindest „möglich[e] und denkbar[e]“ Konstruktion, auch wenn er feststellt, dass Leistungsklagen regelmäßig ein – wenn auch nicht notwendig eigener – Anspruch zugrunde liegt (ebd. S. 127). Vor allem aufgrund der Beobachtung, dass das Gesetz auch in anderen Fällen Ansprüche nur zu dem Zweck gewährt, dem Inhaber die Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung zu verleihen, gelangt Henckel dann doch zur Annahme materieller Unterlassungsansprüche (ebd. S. 134 ff.). Vgl. zu Henckel noch ausführlich § 3 II. 4. d) Fn. 183 und § 4 III. 2. im Text bei Fn. 106. 10 So z. B. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (309) der annimmt, dass „die Frage nach dem materiellen Recht von der nach dem prozessualen Rechtsschutz grundsätzlich zu unterscheiden“ sei. 11 So ausdrücklich Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307) nach dem „die Klagbarkeit der Verbotsbeziehung nicht ohne weiteres auf das Vorliegen eines Anspruchs 8
§ 3 Der Anspruch des Bürgerlichen Gesetzbuchs
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In der zivilistischen Literatur wird die Frage der Klagbarkeit des Anspruchs – sofern sie überhaupt thematisiert wird12 – überwiegend bejaht.13 Demgegenüber schließen läßt“ und „prozessualer Rechtsschutz keineswegs immer die Geltendmachung subjektiver Rechte“ voraussetze. 12 Insb. in der Lehrbuchliteratur zum Allgemeinen Teil des BGB wird mitunter zu der Frage keine Stellung genommen; so z. B. bei Herrmann, Allg. Teil (1997); Medicus, Allg. Teil9 (2006), Rn. 73 ff.; Rüthers/Stadler, Allg. Teil16 (2009), § 4; Bork, Allg. Teil2 (2006); Brox/Walker, Allg. Teil32 (2008); Schack, Allg. Teil12 (2008); dies ließe sich durchaus dahingehend interpretieren, dass die genannten Autoren davon ausgehen, dass es sich um eine Frage handelt, die nicht zum „Stoff“ des materiellen Rechts gehört, sondern in der Prozessrechtsliteratur zu erörtern ist. 13 So von Hölder, ZZP 29 (1901), 50 (51 ff.); ders., AcP 93 (1902), 1 (9 ff.); Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (757 ff.): „Erzwingbarkeit . . . ist . . . eines der den Anspruch karakterisierenden Momente“ (ebd. S. 761)); Endemann, Lehrbuch I9 (1903), § 86 Nr. 1 mit Fn. 6 (S. 451 f.); Siber, Rechtszwang (1903), S. 69 ff., 83–84 und 253 ff.; Dernburg, Bürgerliches Recht I3 (1906), § 42 III (S. 115); Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 87 ff. nach dem die Klagbarkeit zwar keine privatrechtliche Eigenschaft ist, der jedoch den Anspruch als die durch das zur Seite stehende Klagerecht „charakterisierte wertvolle“ materiellrechtliche Position des Begünstigten ansieht – da Lehmann die potentielle Klagbarkeit ausreichen lässt, nimmt er jedoch ebd. S. 107 ff. an, dass das absolute Recht sich aus Ansprüchen gegen jedermann zusammensetze; Kleinfeller, AcP 137 (1933), 129 (148): „Mit dem Begriff ,Anspruch‘ . . . ist die rechtliche Möglichkeit untrennbar verbunden, . . . mit Erfolg zu klagen und . . . die Vollstreckung . . . zu erreichen.“; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil II15 (1960), §§ 222 II 5, 224 I; Lehmann/Hübner, Allg. Teil16 (1966), § 13 I 2: „Klagbarkeit ist eine notwendige Eigenschaft des Anspruchs“; Pecher, Schadensersatzansprüche (1967), S. 169 ff. m.w. N. der älteren Literatur in Fn. 24 a. E.: Erzwingbarkeit gehört zum „selbstverständlichen Inhalt des subjektiven Rechts“; Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968), S. 132 f., 139; Larenz/M. Wolf, Allg. Teil9 (2004), § 18 Rn. 68: Es steht „grundsätzlich die Möglichkeit offen“, den „Anspruch im Wege der . . . Leistungsklage durchzusetzen. Diese Möglichkeit ist im Begriff des Anspruchs als des ,Verlangenkönnens‘ mitgedacht“; – die Klagbarkeit bejahen wohl auch Eisenhardt, Allg. Teil4 (1997), Rn. 533; Leipold, Allg. Teil5 (2008), § 35 Rn. 1; Staudinger11 /Weber (1967), Einl. §§ 241 ff., Rn. C16: „In jedem Fall gehört es zum Wesen des Anspruchs, daß er einklagbar ist.“; – unklar dagegen Okuda, AcP 164 (1964), 536 ff.: Einerseits wird die Unentbehrlichkeit des Begriffs des Anspruchs „als Zwischenglied zwischen materiellem subjektivem Recht . . . und Rechtsschutz (Klage)“ (ebd. S. 546 und bereits S. 542) und die Funktion des Anspruchs als „die materiell-rechtliche . . . Seite des Rechtsschutzes“ hervorgehoben (ebd. S. 545). Andererseits aber werde der Anspruch vom BGB „materiell-rechtlich“ und nicht „prozessual“ im Sinne der „Klagemöglichkeit des subjektiven Rechts“ aufgefasst (ebd. S. 540 f.); – ablehnend dagegen Hübner, Allg. Teil2 (1996), Rn. 425 ff., der die materiellrechtliche Klagbarkeit des Anspruchs von der prozessualen unterscheidet. Letztere könne „aus öffentlich-rechtlichen Gründen auch bei Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen“ fehlen; zwischen materieller und prozessualer Klagbarkeit unterschieden bereits Leonhard, Der allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzes (1900), § 55 I sowie Wach (dazu u. § 3 II. 1. im Text nach Fn. 79); Ernst Wolf, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 1 C II b 1; vgl. auch Staudinger13 /J. Schmidt (1995), Einl. zu §§ 241 ff., Rn. 122, 141, der eine von der Klagebefugnis unabhängigen „Einziehungsbefugnis“ des Gläubigers annimmt (dazu u. § 3 II. 4. e) Fn. 195) und Staudinger2004 /Peters, § 194 Rn. 9: Ob „die Klagbarkeit zum Begriff des Anspruchs gehört“, sei zweifelhaft. Dagegen spreche, „daß Schadensersatzansprüche . . . Pflichten, und damit Anspruchverletzungen voraussetzen, dieser verletzte Anspruch aber schwerlich (immer) zum Gegenstand einer Klage gemacht werden könne.“; vgl.
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wird im prozessrechtlichen Schrifttum bis heute davon ausgegangen, dass das Prozessrecht als „Rechtsschutzordnung“ darüber entscheide, „ob und wann, wie und worüber das ordentliche Gericht angerufen werden darf“.14 Dementsprechend soll die Gewährung des Rechtsschutzes von der Klagbarkeit des geltend gemachten Anspruchs15 und dem Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses16 abhängig sein. Das Fehlen einer dieser beiden Voraussetzungen, die insofern den Sachurteilsvoraussetzungen zugeordnet werden,17 soll dazu führen, dass die Klage als unzulässig durch Prozessurteil abzuweisen ist.18 Die Klagbarkeit wird dabei als eine dem materiellen Anspruch vom Prozessrecht verliehene Eigenschaft angesehen, in dem Sinne, dass der Anspruch grundsätzlich des Rechtsschutzes fähig und insofern ein gerichtsfähiger ist.19 Dabei wird davon ausgegangen, dass die Klagbarkeit „vom Fehlen der mate-
auch MünchKomm5 /Kramer, Bd. 2 (2007), Einl. Rn. 49 in Anlehnung an Gernhuber: Die sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten sind „Schulden mit unvollkommener (oder gar keiner) Haftung“; Erman11 /J. Schmidt-Räntsch (2008), § 194 Rn. 7: „unklagbare Ansprüche“; Langheineken, Anspruch (1906), S. 191 f.; Wolff, Verbotenes Verhalten (1923), S. 159. 14 Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 81; so auch Simshäuser, Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht (1965), S. 152: Das „öffentlichrechtliche Zivilprozeßrecht hat die Aufgabe zu bestimmen, an welche ,Tatbestände‘ „das Zwangsrecht der Klage sich anschließ[t], für welche Sachverhalte und Lebensvorgänge . . . die Durchsetzung und Verwirklichung überhaupt möglich“ sein soll (vgl. dazu u. § 3 II. 4. c) Fn. 169). 15 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 16 (2004), § 89 III (S. 594 ff.); Stein/Jonas22 /Roth (2008), Vor § 253 Rn. 126 ff.; Musielak/Foerste, ZPO7 (2009), Vor § 253 Rn. 6; Baumbach/Lauterbach67 /Hartmann (2009), Grundz. § 253 Rn. 25; Zöller27 /Greger (2009), Vor § 253 Rn. 19. 16 So Jauernig, Zivilprozessrecht29 (2007), § 35; Zeiss/Schreiber, Zivilprozeßrecht 10 (2003), § 43; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 89 Rn. 29 ff., Paulus, Zivilprozeßrecht3 (2004), § 4 III 1; Baumbach/Lauterbach67 /Hartmann (2009), Grundz. § 253 Rn. 33 ff.; Musielak/Foerste, ZPO7 (2009), Vor § 253 Rn. 7 ff.; Zöller27 /Greger (2009), Vor § 253 Rn. 18 ff. 17 Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 81: „Rechtsschutzvoraussetzungen als weitere allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen“; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 89 III 1 (Rn. 21), IV 1 (29): „Prozeßvoraussetzung“; Zöller27 /Greger (2009), Vor § 253 Rn. 18: „Allgemeine Prozeßvoraussetzung“; Jauernig, Zivilprozessrecht29 (2007), §§ 33 IV 3; a. A. für die Klagbarkeit noch Jauernig, Zivilprozeßrecht28 (2003), § 33 IV 3 (S. 134 f.) und nunmehr Stein/Jonas22 /Roth (2008), Vor § 253 Rn. 121: Frage der Begründetheit. 18 Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 87, 128; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 89 III 1 (Rn. 21), IV 1 (Rn. 29); Baumbach/Lauterbach67 /Hartmann (2009), Grundz. § 253 Rn. 35; Zöller27 /Greger (2009), Vor § 253 Rn. 9, 18; Jauernig, Zivilprozessrecht29 (2007), §§ 33 IV 3; a. A. für die Klagbarkeit noch Jauernig, Zivilprozeßrecht28 (2003), § 33 IV 3 (S. 135): „Sachabweisung, weil der behauptete Anspruch als rechtlich verfolgbarer . . . nicht besteht.“ und nunmehr auch Stein/Jonas22 /Roth (2008), Vor § 253 Rn. 121. 19 Vgl. Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 84 ff., 87, 97.
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riell-rechtlichen Einforderungsbefugnis“ zu unterscheiden sei,20 m. a. W., dass mit dieser Voraussetzung nicht nur die unvollkommenen Verbindlichkeiten ausgeschieden werden sollen, sondern dass auch „materiell vollkommen ausgestalteten Ansprüchen“ die Klagbarkeit fehlen könne.21 Überwiegend wird auch davon ausgegangen, dass die so verstandene Klagbarkeit durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden kann, ohne dass über den materiellen Anspruch selbst verfügt werde.22 Abgesehen von seiner Funktion als Ansatzpunkt zur Regelung von Rechtsbehelfskonkurrenzen liegt dem Rechtsschutzbedürfnis nach wie vor der Gedanke zugrunde, dass der Kläger ein besonderes berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme der staatlichen Zivilgerichte haben müsse:23 Niemand dürfe „die Gerichte unnütz oder gar unlauter bemühen“.24 Daher soll das Rechtsschutzbedürfnis insbesondere dann fehlen, wenn der Kläger „rechtlich missbilligte“ 25 bzw. „prozesszweckwidrige“26 Ziele verfolgt. Auch wenn gegenüber der Voraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses vermehrt Bedenken vorgebracht werden,27 so hält die h. M. doch an diesem Erfordernis fest.28 Dass das Rechts-
Zöller27 /Greger (2009), Vor § 253 Rn. 19. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 89 III 2 (Rn. 22); Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 87: „Klagbarkeit fehlt einem materiellrechtlichen Anspruch, dem die gerichtliche Geltendmachung verschlossen ist, der aber außergerichtlich . . . durchgesetzt werden kann.“; Musielak/Foerste, ZPO7 (2009), Vor § 253 Rn. 6: „Klagbarkeit fehlt . . . solchen Ansprüchen, die zwar außergerichtlich, aber nicht gerichtlich durchsetzbar sind.“; Baumbach/Lauterbach67 /Hartmann (2009), Grundz. § 253 Rn. 25: „Nicht jeder sachlichrechtliche Anspruch ist auch klagbar“. 22 Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 90; Zöller27 /Greger (2009), Vor § 253 Rn. 19; a. A. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 89 III 2 (Rn. 34): „Zutreffender erscheint hingegen, daß die Parteien durch den Vertrag über den materiellen Anspruch selbst disponieren, nicht aber ersatzlos auf den Anspruch auf Justizgewährung verzichten können.“ 23 Vgl. Musielak/Foerste, ZPO7 (2009), Vor § 253 Rn. 7: „Rechtsschutzbedürfnis als berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme des Zivilgerichts“. 24 Vgl. Baumbach/Lauterbach67 /Hartmann (2009), Grundz. § 253 Rn. 33: „Der Zivilprozeß gewährt dem einzelnen Schutz nur im Rahmen der Gemeinschaft . . . Das Rechtsschutzbedürfnis begründet einen Anspruch gegen den Staat. Schon daraus folgt: Niemand darf die Gerichte als Teil der Staatsgewalt unnütz oder gar unlauter bemühen . . .“; BGH, GRUR 1976, 257; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2002, 1475. 25 Siehe nur Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 16 (2004), § 89 IV 1 (Rn. 30). 26 Vgl. nur Jauernig, Zivilprozessrecht 29 (2007), § 35 I (S. 113). 27 Siehe vor allem Stein/Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 102 ff. und Stein/Jonas22 /Roth (2008), Vor § 253 Rn. 133 ff.; kritisch auch Paulus, Zivilprozeßrecht3 (2004), § 4 III 1. 28 So die o. Fn. 16 genannten; trotz erheblicher Einschränkungen auch Stein/ Jonas21 /Schumann (1997), Vor § 253 Rn. 101, 105 ff. und Stein/Jonas22 /Roth (2008), Vor § 253 Rn. 148. 20 21
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schutzinteresse bei der Leistungsklage in aller Regel zu bejahen sei29 und nicht besondert dargelegt werden müsse,30 kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rechtsschutz über das Bestehen eines Anspruchs hinaus von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird: „Die Gewährung von gerichtlichem Rechtsschutz“ hänge „nicht allein vom Bestehen des materiellen Rechts ab“.31 Die Frage, ob die Klagbarkeit, also die unmittelbar bestehende Möglichkeit des Rechtsschutzes, eine – wenn nicht die wesentliche – Eigenschaft des materiellen Anspruchs ist, steht in engem Zusammenhang mit der dem materiellen Recht zugrunde liegenden Konzeption. Die beiden grundsätzlich in Betracht kommenden, sich jedenfalls im Grundansatz deutlich unterscheidenden Betrachtungsweisen bzw. Konzeptionen hat bereits die vorstehende Untersuchung der Rechtsentwicklung von der actio des klassischen römischen Rechts zu Windscheids Anspruch aufgezeigt. Die Betrachtungsweise des römischen Aktionenrechts war auf den Prozess ausgerichtet. Sie sah die Bestimmungen des Rechts in erster Linie als streitentscheidende Bestimmungen an, als Regeln, nach denen der Richter die Entscheidung trifft.32 Vom rechtstheoretischen Standpunkt aus gesehen folgte sie der Sichtweise der Rechtssätze als hypothetische Urteile.33 Sollte die Bedeutung des materiellen Rechts vor allem darin liegen, dass es den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung bestimmt, so könnte es unproblematisch auch Bestimmungen darüber enthalten, unter welchen Voraussetzungen Rechtsschutz gewährt wird. Die Konzeption, die den Lehren Savignys und Windscheids zugrunde liegt, betont die Funktion des Rechts, Einfluss auf das Verhalten der Individuen zu nehmen, um auf diese Weise ein geordnetes Zusammenleben zu ermöglichen.34 Sie sieht daher die Bestimmungen des Rechts als Verhaltensbestimmungen an, in dem Sinne, dass sie dem Einzelnen ein bestimmtes Verhalten verbieten oder gebieten. Rechtstheoretisch basiert diese Auffassung auf der Theorie, dass das Recht aus Imperativen bestehe.35 Ob der Anspruch als solcher unmittelbar des Musielak/Foerste, ZPO7 (2009), Vor § 253 Rn. 7: „grundsätzlich gegeben“; Jauernig, Zivilprozessrecht29 (2007), § 35 II (S. 113); Paulus, Zivilprozeßrecht3 (2004), § 4 III 1. 30 So Jauernig, Zivilprozessrecht29 (2007), § 35 I (S. 113); Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 89 IV 1 (Rn. 29). 31 Jauernig, Zivilprozessrecht 29 (2007), § 35 I (S. 113). 32 s. o. § 2 I. 33 Vgl. auch Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 16: „Die Herkunft von der Gerichtsstätte hat . . . dem Rechtssatze, ein für allemal, seine eigentliche Form gegeben, die des hypothetischen Urteils“. 34 Vgl. o. § 2 III. im Text nach Fn. 86 und § 2 IV. 1. bei Fn. 83. 35 So die Vertreter der Imperativentheorie. Für die Frage, welche Bedeutung den Rechtssätzen des materiellen Zivilrechts zukommt, muss allerdings zwischen denjenigen Vertretern der Imperativentheorie, nach denen sich die Gebote nur gegen den Staat richten können (so u. a. M. E. Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen (1903), 29
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Rechtsschutzes fähig ist, hängt bei dieser Konzeption davon ab, wie konsequent man sie durchführt. Geht man davon aus, dass das materielle Recht als Privatrecht ausschließlich die Beziehungen zwischen Privaten durch die Auferlegung von Pflichten regelt und daher keinen Bezug zum gerichtlichen Verfahren hat, so kann es keine Regelungen über die Möglichkeit des Rechtsschutzes enthalten.36 Die Klagbarkeit kann dann keine Eigenschaft des materiellen Anspruchs sein. Ob dieser klagbar ist, ist eine Entscheidung, die dem Recht über das gerichtliche Verfahren vorbehalten bleibt.37 Im Folgenden ist daher zu untersuchen, welcher dieser Konzeptionen das BGB folgt und welche Funktion es davon abhängig dem Anspruch zuweist. Nach einer Auswertung der Gesetzmaterialien in Bezug darauf, ob der Anspruch klagbar ist, sollen dazu die grundlegenden Lehren zum Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht untersucht werden, die jeweils auf einer der beiden Grundkonzeptionen basieren und die in Abhängigkeit davon den Inhalt des Anspruchs unterschiedlich bestimmen. I. Motive und Protokolle zum BGB Ausgangspunkt der Untersuchung der Gesetzesmaterialien zu der Frage der Durchsetzbarkeit muss das klare Bekenntnis des Gesetzgebers zur Klagbarkeit des Anspruchs sein, das sich in den Beratungen zu E I § 190, einer Vorschrift, die vergleichbar mit den heutigen §§ 257 ff. ZPO die besonderen Voraussetzungen der Verurteilung wegen erst künftig fällig werdender Leistungen regelt, findet.38 Dort heißt es: „Der Begriff des subjektiven Privatrechts bedingt für das moderne Recht die gerichtliche Klagbarkeit. Die Klagbarkeit kann dem AnS. 4, 30 ff.), und denen unterschieden werden, nach denen sich das Recht sowohl aus Imperativen an der Staat als auch an den Einzelnen zusammensetzt. Nach den erstgenannten richten sich auch die Rechtssätze des Privatrechts in letzter Konsequent an den Staat und damit an den Richter. Diese Auffassung kommt für das Privatrecht derjenigen, die dessen Rechtssätze als hypothetische Urteile auffasst, sehr nahe, wie J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925) zu Recht feststellt. 36 Vgl. J. Goldschmidt, Materielles Justizrecht (1905), S. 18 f.: „Sobald als wir das Privatrecht ernstlich beschränken auf die Beziehungen der Individuen zueinander . . .“; siehe auch J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 236: „Von den rechtlichen Imperativen richten sich die des Privatrechts ausschließlich . . . an die Untertanen.“; die Argumentation mit der öffentlich-rechtlichen Natur des Klagerechts, die es ausschließt, die Klagbarkeit als Eigenschaft des materiellen (Privat-) Anspruchs anzusehen, findet sich noch bei Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), S. 9, 12, 18, 41. 37 Bzw. nach der Lehre J. Goldschmidts und Kipps dem „materiellen Ziviljustizrecht“, vgl. dazu u. § 3 II. 3. im Text nach Fn. 137. 38 Mot., Mugdan I, 548; in Mot. III, 426 gingen die Gesetzesverfasser allerdings davon aus, dass der Anspruch auf Unterlassung „ohne besondere Bestimmung nicht klagend geltend gemacht werden“ könne, weil er auf ein „zukünftiges Verhalten“ und „niemals auf eine fällige Leistung“ gerichtet sei. Die Annahme, dass Unterlassungsan-
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spruch fehlen, aber sie fehlt ihm nur, wenn sie ihm abgesprochen wird. Die Klagbarkeit der Rechte ist eine selbstverständliche Regel“. Aus der Nichtübernahme von E I § 190 in den 2. Entwurf kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber von der Klagbarkeit als selbstverständlicher Eigenschaft des materiellen Anspruchs abrücken wollte. Der Verzicht beruhte darauf, dass man die Bestimmung, dass eine Verurteilung wegen fälliger Leistungen nicht von weiteren Voraussetzungen abhängt, für entbehrlich hielt, ansonsten jedoch in der Sache die Ausdehnung der Möglichkeit zur Verurteilung zu künftigen Leistungen, die durch E I § 190 gegenüber den vorher bestehenden Regelung der CPO bewirkt worden wäre, ablehnte.39 Keinesfalls lässt sich in dem Verzicht auf E I § 190, so wie es einige Vertreter der Lehre vom Rechtsschutzanspruch propagieren,40 eine systematische Berichtigung des Gesetzgebers in dem Sinne sehen, dass er die Klagbarkeit nunmehr als eine originäre Frage des Prozessrechts ansah, die für das materielle Recht nicht von Bedeutung sei. Dass in den Gesetzesmaterialien zwischen dem Anspruch und dem (materiellen) Klagerecht unterschieden wird,41 ist nicht dadurch begründet, dass man meinte, die Frage der Möglichkeit des Rechtsschutzes sei unabhängig davon, dass sich das Bürgerliche Gesetzbuch dazu entschieden hat, einen Anspruch zu gewähren, auf einer zweiten Wertungsebene zu entscheiden. Die Unterscheidung dient vielmehr der Klarstellung, dass die Entstehung des Anspruchs und damit der Beginn der Verjährung nicht davon abhängt, dass der Verpflichtete ihn bestritten oder seine Anerkennung verweigert habe.42 Sie ist damit im Zusammenhang mit der von Windscheid entwickelten Theorie zu sehen, nach der die Entstehung des Klagerechts voraussetzt, dass der Verpflichtete die Befriedigung des Anspruchs verweigert.43 An dieser Theorie hielt Windscheid auch dann noch fest, als er einräumen musste, dass das Fehlen dieser Voraussetzung einer Verurteilung nicht entgegensteht, sondern nur für die Tragung der Prozesskosten von Bedeutung ist.44 Die Gesetzesverfasser gingen also davon aus, dass das sprüche auf eine zukünftige Leistung gerichtet seien, wird jedoch in § 3 II. 4. c) im Text zu Fn. 174 ff. widerlegt werden. 39 Prot., Mugdan I, 809. 40 In diesem Sinne z. B. Hellwig (vgl. u. Fn. 118); dazu, dass man aus der Tatsache, dass sich die von den §§ 257–259 ZPO getroffenen Regelungen in der Prozessrechtsordnung und nicht im BGB befinden, nicht schließen lässt, dass die Klagbarkeit eine Frage des Prozessrechts und nicht des materiellen Rechts ist, u. § 3 II. 4. c) im Text nach Fn. 170. 41 Mot., Mugdan I, 521: „Wird davon ausgegangen, daß der Anspruch, nicht das Klagerecht verjährt . . .“. 42 Mot., Mugdan I, 521 f.: „Der Berechtigte kann seines Anspruchs verlustig gehen, obwohl der Verpflichtete ihn nie bestritten hat.“ 43 s. o. § 2 IV. 3. bei Fn. 101. 44 s. o. § 2 IV. 3. Fn. 101.
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Klagerecht außer von dem Bestehen des Anspruchs allenfalls noch von der Verweigerung des Verpflichteten abhängig ist, ohne die ein Prozess unnötig erscheint. Dass die Klagbarkeit des Anspruchs nach der Auffassung der Gesetzesverfasser eine Selbstverständlichkeit war, ergibt sich schließlich auch aus der ratio des § 203 BGB a. F.,45 der anders als der ansonsten sachlich unveränderte heutige § 206 BGB den Stillstand der Rechtspflege als einen Unterfall der den Ablauf der Verjährungsfrist hemmenden Hinderung der Rechtsverfolgung durch höhere Gewalt ausdrücklich erwähnte.46 II. Der Anspruch als reines Sollen (Materielles Recht als System von verhaltensbestimmenden Normen) Die Prämisse, dass das materielle Recht ausschließlich aus verhaltensbestimmenden Normen besteht, die sich unmittelbar an die Privatsubjekte richten, hat zur Konsequenz, dass auch der Anspruch als rein materielles Institut auf der Basis von solchen Normen zu erklären ist. Insbesondere kann der materielle Anspruch nicht die Befugnis der gerichtlichen Durchsetzung beinhalten, weil diese entsprechende, sich an die Gerichte richtende Verhaltensbefehle voraussetzen würde.47 Diese kann das materielle Recht aber als Privatrecht definitionsgemäß nicht enthalten.48 Dies hat zur Folge, dass ein anderes Rechtsgebiet – sei es das Prozessrecht,49 sei es ein Zwischengebiet zwischen diesem und dem materiellem Recht50 – die 45 Vgl. Mot., Mugdan I, 524: „So lange die Geltendmachung des Anspruchs rechtlich ausgeschlossen ist, muss die Verjährung der Regel nach ruhen – agere non valenti non currit praescriptio.“ 46 Auch vor dem Hintergrund, dass der Verjährung das Moment des Rechtsuntergangs aufgrund von Nichtausübung innewohnt, lässt sich die hervorgehobene Stellung der Klageerhebung unter den Gründen für den Neubeginn der Verjährung nur damit erklären, dass die Klage eine wesentliche Form der Ausübung des Anspruchs ist; siehe nur Mot., Mugdan I, 532: „Die wichtige Frage, mit welchem Zeitpunkte die Verjährung im Falle der klageweisen Geltendmachung des Anspruchs als unterbrochen gilt . . .“; vgl. dazu auch Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (761). 47 Vgl. die o. Fn. 36 genannten. 48 Vgl. J. Goldschmidt, Materielles Justizrecht (1905), S. 18 f., dessen Aussage „Sobald als wir das Privatrecht ernstlich beschränken auf die Beziehungen der Individuen zueinander“ zeigt, dass er wohl bereits selbst erkannt hat, dass mit dieser Prämisse die Berechtigung der Annahme eines „materiellen Ziviljustizrechts“ steht und fällt. 49 So auch noch Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (309): Die „Frage nach dem materiellen Recht“ ist „von der nach dem prozessualen Rechtsschutz grundsätzlich zu unterscheiden“. 50 Nach der Lehre J. Goldschmidts und Kipps: das „materielle Ziviljustizrecht“ (vgl. dazu u. § 3 II. 3. nach Fn. 137); von einem ganz anderen Standpunkt aus auch de Boor, Gerichtsschutz (1941), S. 51 ff. und Esser, Schuldrecht1 (1949), S. 493 f.: Ein
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Aufgabe übernehmen muss, zu bestimmen, wer unter welchen Voraussetzungen mit Erfolg Rechtsschutz erlangen und damit auf dem Rechtswege die Einhaltung der Verhaltensnormen des materiellen Rechts erreichen kann.51 Zwischengebiet zwischen Lebensordnung und Prozessrecht gebe an, wann „zur Wahrung der Lebensordnung der Gerichtsschutz zur Verfügung steht“ (vgl. dazu u. § 4 III. 1. Fn. 92). 51 Die Konstruktion des materiellen Rechts auf der Basis von Verhaltensnormen, die vom Bezug zu der prozessualen Durchsetzung losgelöst sind, ist in der Regel mit der expliziten Ablehnung der Annahme verbunden, dass die Durchsetzbarkeit das wesensbestimmende, sie von anderen Verhaltensregeln unterscheidende, Merkmal von Rechtsnormen ist (siehe z. B. Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 4 I 4: „Rechtliches Sollen ohne Sanktion . . . ist kein Widerspruch in sich“, sondern „lediglich ein Sollen dessen Verwirklichung gefährdet ist.“) Die Ansicht, dass es die spezifische Eigenschaft des Rechts ist, dass ihm in einem staatlich geordnetem Verfahren zur Geltung verholfen wird, ist – wie noch zu zeigen sein wird – mit der Annahme eines nur an die Privatperson gerichteten materiellen Rechts kaum zu vereinbaren. Das Postulat der strikten Trennung zwischen dem materiellen Recht und der Rechtsschutzordnung, die selbständig festlegt, wann zum Schutz des materiellen Rechts ein positives Urteil ergeht, ließe sich nicht aufrechterhalten. Hinzukommt, dass die Sichtweise des materiellen Rechts als System von Verhaltensnormen mit der Idee einer allumfassenden Regelung verbunden ist: Das materielle Recht – so die Idee – hält für das Verhältnis zwischen den Privatpersonen für jede Gelegenheit Verhaltensregeln bereit, an denen der Einzelne sein Verhalten ausrichten und anhand derer sich der rechtstreue Bürger orientieren können soll. (vgl. Esser, Grundbegriffe (1949), S. 137: Das Recht „muß dem Rechtssuchenden für jede Situation eine entsprechende Regelung zur Verfügung stellen“; Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), S. 43: „– der Idee nach vollständige – Sollensordnung“; v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II (1960), 49 (129): „Jedermann soll wissen, welches Verhalten in einer bestimmten Situation geboten, erlaubt oder verboten ist.“). Gerichtsschutz hingegen soll nur dann gewährt werden, wenn ein entsprechender Anlass besteht. Würde man die Verhaltensnormen dieses allumfassenden Regelungssystems unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit betrachten und diese nur insoweit als Rechtsnormen anerkennen, als eine hinreichende Durchsetzungsmöglichkeit besteht, so ergäbe sich folgendes Dilemma: Entweder man schafft für alle bisher anerkannten Verhaltensnormen dieses allumfassenden Regelungssystems eine entsprechende Durchsetzungsmöglichkeit. Dies würde dann jedoch möglicherweise dazu führen, dass Rechtszwang auch dann eintritt, wenn dafür kein entsprechender Anlass besteht. Mitunter würde auch deutlich, dass die Schaffung einer derartigen Menge von Wohlverhaltensnormen nur möglich war, weil ihnen keine allgemeine Durchsetzbarkeit zukam (zumal wenn man bedenkt, dass die Funktion der Verkehrspflichten zum Teil darin gesehen wird, „die Fahrlässigkeitshaftung der Ideenwelt der Gefährdungshaftung zugänglich zu machen“; so v. Bar, Verkehrspflichten (1980), S. 129) und es insoweit an einer Überprüfung der Übereinstimmung mit der Lebenswirklichkeit fehlte. Letztlich würde für den Fall, dass alle diese Verhaltensnormen erzwingbar und damit für den Einzelnen wirklich verbindlich würden, ein Zustand der Reglementierung eintreten, der mit einer nicht hinzunehmenden Beschränkung der Freiheit des Einzelnen verbunden wäre. Die andere Alternative wäre es, den Normenbestand daraufhin zu untersuchen, ob für die jeweilige Norm eine entsprechende Möglichkeit des gerichtlichen Schutzes besteht, und Normen, bei denen das nicht der Fall ist, in ihrer Eigenschaft als Verhaltensnormen aus dem materiellen Recht auszuscheiden. Dies hätte jedoch zur Konsequenz, dass das materielle Recht keine allumfassende Regelung mehr enthalten würde, son-
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Der in den §§ 12, 862, 1004 BGB enthaltene Rechtssatz, dass der Berechtigte bzw. der Besitzer für den Fall, dass weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, auf Unterlassung klagen kann, wird auf der Basis der Konstruktion des materiellen Rechts als reinem System von Verhaltensnormen folgendermaßen interpretiert: Das Verbot der Beeinträchtigung, deren Unterlassung nach §§ 12, 1004 BGB verlangt werden kann, besteht unabhängig davon, ob die Voraussetzung der Besorgnis der Beeinträchtigung erfüllt ist.52 Bei diesen Beeinträchtigungsverboten handelt es sich – zumindest in den Fällen der §§ 12, 1004 BGB – um die Verbote, aus denen sich das absolute Recht in seiner Abwehrfunktion zusammensetzt. Das Erfordernis der Besorgnis der Beeinträchtigung – insoweit spricht man heute verbreitet von Wiederholungs- bzw. Begehungsgefahr – ist somit keine Voraussetzung des Entstehens der materiellen Pflicht, sondern nur des gerichtlichen Schutzes.53 Dieses Erfordernis wird überwiegend als Sonderfall des prozessualen Rechtsschutzbedürfnisses angesehen.54 Während dieses Merkmal heute weitgehend die Funktion übernommen hat, die statthafte Verfahrensart zu bestimmen, indem es ausnahmsweise die Möglichkeit einer Leistungsklage ausschließt und den Kläger auf eine einfachere Rechtsschutzmöglichkeit verweist,55 übernimmt es als vermeintliche Voraussetzung der quasinegatorischen Unterlassungsklage die ihm ursprünglich zugedachte Funktion: nämlich nicht nur über das Wie, sondern über das Ob des Rechtsschutzes überhaupt zu entscheiden. Da die §§ 12, 862, 1004 BGB nicht selbst materielle Pflichten regeln, sondern nur Klagemöglichkeiten zu deren Durchsetzung gewähren, handelt es sich bei ihnen nicht um Rechtssätze des materiellen Rechts. Ihre Einordnung in das bürgerliche Gesetzbuch lässt sich nur dadurch erklären, dass dieses nicht durchgehend konsequent die Trennung zwischen den Rechtsgebieten einhält und zum Teil auch nicht dem materiellen Recht zugehörige Rechtssätze enthält.56
dern sich darauf beschränkte, gezielt in Konfliktsituationen durch entsprechende Verhaltensbefehle einzugreifen, was im Widerspruch zu der o. erwähnten Grundidee steht. 52 So z. B. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307): Die „Berührung der Schutzsphäre“ führt zu keiner „Veränderung der allgemeinen Verbotslage“; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand (1967), S. 81 ff. 53 Vgl. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (308 f.); so auch Bacher, Beeinträchtigungsgefahr (1996), S. 83 f.; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand (1967), S. 83. 54 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 17 III, S. 124 f. und ders., Lehrbuch I (1903), § 57 III 4 a, S. 373 f. (s. u. § 3 II. 2. im Text zu Fn. 117). 55 Für eine Beschränkung auf diese Funktion Henckel, Prozeßrecht und Materielles Recht (1970), S. 116; nach Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925) ist „das spezifische Rechtsschutzinteresse das Interesse an der Klageerhebung im Gegensatz zu anderen Möglichkeiten der Rechtsausübung“. 56 Vgl. u. im Text nach § 3 II. 2. Fn. 118.
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Ob der in den §§ 12, 862, 1004 BGB gewährten Klagemöglichkeit ein Anspruch zugrunde liegt, hängt auf der Basis der Annahme einer rein normativen Struktur57 des materiellen Rechts davon ab, ob mit dem Begriff des Anspruchs nur eine besondere Art von Pflichtbeziehungen bezeichnet wird.58 Sofern man jegliche Pflicht, deren Bestehen vom Willen des Verpflichteten abhängt, als Anspruch bezeichnet,59 ist diese Frage zu bejahen. Dies führt zur 57 Rein normativ im Sinne von ausschließlich aus verhaltensbestimmenden Normen bestehend. 58 Vgl. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (308): „Was mit der Unterlassungsklage geltend gemacht wird, ist auf jeden Fall materielles Recht, und die Frage kann nur sein, wie die zur Entscheidung gestellte Rechtslage innerhalb des materiellen Rechts zu qualifizieren ist.“. 59 So wohl Staudinger2004 /Peters, § 194 Rn. 9: Schadensersatzansprüche setzen „Pflichten, und damit Anspruchsverletzungen voraus . . .“; auch Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952) sieht in dem Anspruch nur eine Sollensnorm (am deutlichsten ebd. S. 47: „einfachste[. . .] Sollensnorm“). Die Funktion des Anspruchs besteht nach Neussel vor allem darin, dass er das sich ständig verändernde Rechtsverhältnis fixiert (ebd. S. 52 ff.) und konkretisiert, indem er die, „vielfältigen Sollensnormen, die alle auf derselben systematischen Verbindungslinie liegen“ (ebd. S. 7) bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt „in einer einzigen Sollensnorm“ (ebd. S. 7, 47, 55) zusammenfasst. Der Anspruch sei daher „in erster Linie . . . ein Erkenntnismittel“ (ebd. S. 56), um zu ermitteln, was im Einzelfall rechtens ist, und somit die notwendige „Verbindung der materiellen Rechtsordnung mit dem praktischen Leben und unter Umständen mit dem Prozeß“ herzustellen. Obwohl Neussel erörtert, „dass ein Normensystem nicht allein in der Welt des Irrealen stehen kann, sondern eine Verbindung mit der Lebenswelt erstrebt in dem Sinne, dass die Lebenswelt sich nach den Normen richten soll“ (ebd. S. 7), dass der Anspruch die Verbindung zum Prozessrecht herstellt (ebd. S. 7, 46 f.) und obwohl er davon ausgeht, dass die Klagbarkeit der materiellen Rechte selbstverständlich ist (ebd. S. 15, 17), gehört diese Möglichkeit des Rechtsschutzes für ihn begrifflich nicht zum Anspruch, weil das Klagerecht unumstritten „nur noch prozessuale[n] Charakter habe“ und „streng genommen dem öffentlichen Recht“ angehöre. Das Privatrecht begrifflich mit dem Klagerecht zu verbinden, würde „die Begriffsanalyse, die einen großen Fortschritt der Jurisprudenz darstellte, wieder zurück[. . .]voll-ziehen in die Begriffssynthese des römischen Rechts“. (ebd. S. 12). Da Neussel auf eine Untersuchung des Klagerechts (ebd. S. 17) und damit auch des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozessrecht verzichtet, umgeht er es, zu erörtern, wie sich die „moderne differenzierte Betrachtungsweise“, die zwischen Privatanspruch und öffentlich-rechtlichem Klagerecht unterscheide, damit verträgt, dass – wie Neussel, ebd. S. 41 selbst ausführt – „die Frage, ob der Rechtsschutzsuchende das Gericht mit Erfolg um ein ihm günstiges Urteil ansprechen kann, . . . im wesentlichen eine materielle Frage“ ist. Obwohl Neussel, ebd. S. 54 den Anspruch „als den Überrest subjektiver Berechtigung, ohne den eine Zivilrechtsordnung nicht auskommen kann“ bezeichnet, bleibt unklar, worin diese subjektive Berechtigung besteht. Es wird nicht erörtert, worin – bei einer Unterscheidung von Anspruch und Klagerecht – die Beziehung des Anspruchsinhabers zur Sollensnorm besteht, die diese zu seinem Recht macht und damit subjektiviert (vgl. dazu auch u. § 3 II. 4. e) bei Fn. 186). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich Neussels Untersuchung vor allem den Funktionen des Anspruchsbegriffs (vgl. ebd. S. 44, 56) im Prozess der Rechtserkenntnis, nicht aber dem Begriffsinhalt, also der Frage, was das Gesetz meint, wenn es von einem „Recht ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ spricht, widmet. Dies ist jedoch für eine Untersuchung des Anspruchsbegriffs unerlässlich.
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Konstruktion des absoluten Rechts als Bündel von Ansprüchen gegen jedermann.60 Anders stellt sich die Lage dar, wenn man ausgehend von dem Befund, dass der Begriff des Anspruchs offensichtlich eine Relation zwischen Anspruchsinhaber und Anspruchsgegner herstellt, voraussetzt, dass es sich bei dieser um eine Sonderverbindung zwischen den bezeichneten Personen handelt.61 Sonderverbindung ist dabei in dem Sinne zu verstehen, dass aufgrund eines Tatbestandes eine Rechtsbeziehung zwischen zwei Personen entsteht, die sich von den Beziehungen unterscheidet, die zwischen jeweils einer der beiden Personen und allen anderen Rechtsgenossen bestehen.62 Sofern man als Tatbestand nur ein Schuldverhältnis oder die Verletzung eines absoluten Rechts ausreichen lässt, so scheiden quasinegatorische Unterlassungsansprüche jedenfalls insoweit aus, als man davon ausgeht, dass es sich bei den durch sie geschützten Rechtsgütern gerade nicht um absolute Rechte handelt.63 Ist man darüber hinaus nicht bereit, die bloße Besorgnis einer Beeinträchtigung der Verletzung gleichzustellen und insoweit als Tatbestand anzusehen, so muss man auch die Existenz negatorischer Unterlassungsansprüche leugnen.64 Die Konzeption eines rein normativ verstandenen materiellen Rechts, das vom Recht des gerichtlichen Verfahrens strikt getrennt ist, wurde am konsequentesten von der Lehre vom Rechtsschutzanspruch verfolgt. Sie unterscheidet scharf zwischen dem materiellen Anspruch und dem Recht auf gerichtlichen Schutz, als dessen allgemeine Voraussetzung das Merkmal des Rechtsschutzbedürfnisses entwickelt wurde.65 60 Vgl. dazu auch Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (797), der meint, dass wenn man (unrichtigerweise; dazu ebd. S. 799) davon ausgehe, dass die Besorgnis der Beeinträchtigung zum Rechtsschutzbedürfnis gehöre, „als einzige Möglichkeit nur der Anspruch gegen jedermann, der eben erst schutzwürdig wird, wenn Störungen drohen“ bliebe. 61 Vgl. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (306), der befürchtet, dass durch die Annahme von negatorischen und quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen die Fähigkeit des Anspruchsbegriffs, Sonderbeziehungen „mit einer bestimmten rechtlich wesentlichen Eigenart“ zu bezeichnen, beeinträchtigt werde; siehe auch Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (165): Die Rechtstheorie des 19. Jahrhunderts habe es zu Recht „abgelehnt, ,die allgemeine Bürgerpflicht‘, welche ,einem jeden Rechtsverhältnis correspondiert‘ . . . als eine Obligation zu bezeichnen . . .“. 62 Vgl. Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV. 63 Vgl. insb. Esser, Schuldrecht II4 (1971), § 113 I und ursprünglich auch Larenz (zuletzt Schuldrecht II4 (1960), S. 408 mit Fn. 5) – s. zu diesen u. § 4 III. 1. Fn. 84. 64 Jedenfalls insoweit als man eine bereits erfolgte Beeinträchtigung nicht mehr als Voraussetzung der Unterlassungsklage ansieht, sondern die Gefahr einer erstmaligen Beeinträchtigung ausreichen lässt. 65 Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch lässt sich daher auch nicht, wie Henckel, AcP 174 (1974), 97 (142) meint, als der Versuch einer Korrektur der Anspruchslehre Windscheids für den Prozess werten. Die Loslösung des materiellen Anspruchs vom Rechtsschutz, wie sie in Windscheids Anspruchsbegriff schon angelegt ist, stellt die
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Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch wurde bereits 1885 von Wach66 begründet. Unter der Geltung des BGB wurde sie insbesondere von R. Schmidt,67 Hellwig,68 J. Goldschmidt 69 und Kipp70 weiterentwickelt und bestimmte die Diskussion über das Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und damit in derselben Zeit, in der die wesentlichen dogmatischen Grundlagen des quasinegatorischen Rechtsschutzes geschaffen wurden. Auch wenn die Lehre vom Rechtsschutzanspruch heute in dieser Form praktisch nicht mehr vertreten wird, beeinflussen die auf ihrer Basis entwickelten Begriffe und gezogenen Schlussfolgerungen weiterhin das Verständnis des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozessrecht, was anhand des Merkmals des Rechtsschutzbedürfnisses,71 das bis heute als Voraussetzung prozessualen Schutzes eine Bedeutung beibehalten hat,72 besonders deutlich wird. Die enge Verbindung der Lehre vom Rechtsschutzanspruch mit der Fragestellung, ob es materielle Unterlassungsansprüche gibt, zeigt sich darin, dass Hellwig als einer ihrer wichtigsten Vertreter auf ihrer Basis als einer der ersten für das BGB annahm, dass die absoluten Rechte aus Ansprüchen gegenüber jedermann gebildet würden.73 Umgekehrt vertrat auch Siber, der materielle Unterlassungsansprüche aufgrund absoluter Rechte ablehnte, – allerdings in stark abgewandelter Form – diese Lehre.74 Während sich die Kritik an der Lehre des Rechtsschutzanspruchs überwiegend damit auseinandergesetzt hat, ob man von einem Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat auf eine bestimmte Rechtsschutzmaßnahme sprechen könne Grundvoraussetzung für das die Existenz dieser Lehre rechtfertigende Dogma von der Unabhängigkeit des gerichtlichen Schutzes vom materiellen Recht dar. Allenfalls lässt sich sagen, dass sie die Konsequenz aus Windscheids Konzeption ist, nach der dem materiellen Recht die Befugnis zur Klage nicht mehr immanent ist. Vgl. auch Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (795) der darauf hinweist, dass „die völlige Trennung vom Prozeß“ als eine der beiden großen Schwächen von Windscheids Anspruchsbegriff zur „endlose[n] Diskussion über das Klagerecht“ geführt habe. 66 Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 2 IV, S. 19 ff.; ders., ZZP 32 (1904), 1 ff. 67 R. Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts 2 (1910). 68 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1903). 69 J. Goldschmidt, Zwei Beiträge zum materiellen Ziviljustizrecht, FS Brunner (1914), S. 109 ff. 70 Kipp in: Windscheid/Kipp, Pandekten9 (1906). 71 Vgl. zur Herkunft des Merkmals des Rechtsschutzbedürfnisses Simshäuser, Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht (1965), S. 130 – ob die Lehre vom Rechtsschutzanspruch das Merkmal des Rechtsschutzbedürfnisses „erfunden“ oder nur „in den Vordergrund“ zivilprozessualer Betrachtung gerückt hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. 72 Vgl. o. Fn. 55. 73 Vgl. u. § 3 II. 2. bei Fn. 109. 74 Vgl. u. § 4 I. 2. im Text nach Fn. 41.
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und ob dieses angesichts der Unwägbarkeit des Prozessausganges bereits vor diesem bestehen könne,75 wird im Folgenden vor allem zu untersuchen sein, ob die strikte Trennung des materiellen Anspruchs von der Möglichkeit seiner prozessualen Geltendmachung möglich ist. Eine Auseinandersetzung soll dabei zunächst mit Wach als dem Begründer der Lehre erfolgen. Sodann wird die Konzeption Hellwigs zu untersuchen sein, der die Lehre vom Rechtsschutzanspruch für das BGB durchführte und dabei zu der Frage des quasinegatorischen Rechtsschutzes Stellung nahm. Den Schluss bildet eine Auseinandersetzung mit J. Goldschmidts Lehre vom materiellen Justizrecht, die den Gedanken des Rechtsschutzanspruchs konsequent zu Ende führte und dabei seine Zweifelhaftigkeit am deutlichsten hervortreten lässt. 1. Wachs Lehre vom Rechtsschutzanspruch Wach geht davon aus, dass der unabhängig von ihrer Durchsetzung bestehenden Privatrechtsordnung durch die staatliche Privatrechtspflege zur Geltung verholfen werde. Insoweit trete zu der Privatrechtsordnung die Rechtsschutzordnung als „sekundäres Gebilde, Mittel zum Zweck der Privatrechtsbewährung“.76 Demjenigen, der ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse hat, steht ein Anspruch gegen den Staat „auf die prozessuale Rechtsschutzhandlung“ zu.77 Dieser so genannte Rechtsschutzanspruch setzt das Vorliegen eines außerprozessualen Tatbestandes voraus.78 Als Urteilsanspruch des Klägers gibt er diesem ein Recht auf ein ihm günstiges Urteil.79 Dieser Rechtsschutzanspruch muss als gegen den Staat gerichteter Anspruch streng von dem gegen den Verpflichteten gerichteten materiellen Anspruch unterschieden werden. Er gehört dem Prozessrecht an und seine Voraussetzungen sind demgemäß prozessualer Natur.80 Insbesondere ist der Rechtsschutzanspruch weder die „publizistische Seite des subjektiven Rechts“ noch die diesem „immanente Erzwingbarkeit“.81 Dass er nicht einmal von dem Bestehen eines subjektiven Privatrechts abhängt, zeige das Beispiel der negativen Feststellungsklage.82 Das Privatrechtsverhältnis ist lediglich Gegenstand des Rechtsschutzanspruchs,83 der darüber hinaus das Bestehen des Rechtsschutzinteresses voraus75 76 77 78 79 80 81 82 83
Dies ist vor allem Gegenstand der Kritik von Bülow, ZZP 31 (1903), 191 ff. Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 1 I, S. 3 f. Ebd. § 2 IV, S. 19. Ebd. § 2 IV, S. 19; Wach, ZZP 32 (1904), 1 (1). Wach, ZZP 32 (1904), 1 (1). Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 9 IV, S. 119. Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 2 IV, S. 19. Ebd. § 2 IV, S. 19; § 9 IV, S. 119. Ebd. § 3 VI, S. 24.
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setzt.84 Im Falle eines subjektiven Rechts besteht das Rechtsschutzinteresse darin, dass es nicht befriedigt wird, obwohl es befriedigungsbedürftig ist. Nur bei einem bereits entstandenen und befriedigungsbedürftigen Anspruch führt das dazu, dass sich in diesem Fall die Voraussetzungen des Rechtsschutzanspruchs mit denen des materiellen Anspruchs decken, während dies sonst nicht der Fall ist.85 Dass Rechtsschutzanspruch und materieller Anspruch unabhängig voneinander sind, zeigt sich schließlich auch darin, dass die Befriedigung des ersten nur durch den Staat durch Gewährung von Rechtsschutz möglich ist und dieser nicht als solcher zur Befriedigung des materiellen Rechts führt, und umgekehrt die Befriedigung des materiellen Rechts den Rechtsschutzanspruch nicht befriedigt, sondern nur gegenstandslos macht.86 Bezüglich der Einordnung des Merkmals der Klagbarkeit unterscheidet Wach: Die Klagbarkeit eines Rechtes „an und für sich“ in dem Sinne, dass es sich nicht lediglich um eine zur Aufrechnung und zum Behalten der Leistung berechtigende Naturalobligation handelt, ist eine Eigenschaft des materiellen subjektiven Rechts. Die Erzwingbarkeit hingegen, die u. a. über die Begründetheit einer Leistungsklage vor Fälligkeit entscheidet, ist ein prozessuales Merkmal des Rechtsschutzanspruchs.87 Wachs Lehre vom Rechtsschutzanspruch wird von zwei Momenten wesentlich bestimmt: Zum einen ist dies das durch die als Gegensatz verstandene Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht geprägte Verständnis des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozessrecht, das jede unmittelbare Verknüpfung auszuschließen scheint.88 Zum anderen ist es das Bestreben, 84 Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 2 IV, S. 20; in ZZP 32 (1904), 1 (32 f.) nennt Wach Schutzobjekt („gewöhnlich ein Recht oder Rechtsverhältnis des Klägers“) und Schutzgrund („das berechtigte Rechtsschutzinteresse“) als Voraussetzungen des Urteilsanspruchs. 85 Wach, Civilprozessrecht I (1885), § 2 IV, S. 20 f. 86 Ebd. § 2 IV S. 21 f. mit Fn. 22. 87 Ebd. § 9 VI 3, S. 122 f. Zu der begrifflichen Unterscheidung von ,Klagbarkeit an und für sich‘ und ,Erzwingbarkeit‘ ist anzumerken, dass Wach, ebd. § 2 IV, S. 19 „das was man Klagbarkeit, Klagrecht, klagbares Recht zu nennen beliebt“ als die dem subjektiven Recht „immanente Erzwingbarkeit“ bezeichnet. Dass der Rechtsschutzanspruch nicht die immanente Erzwingbarkeit des subjektiven Rechts ist (ebd. § 2 IV, S. 19), andererseits die Erzwingbarkeit Merkmal des Rechtsschutzanspruchs ist (ebd. § 9 VI 3, S. 123), spricht dafür, dass Wach die Frage der Klagbarkeit grundsätzlich als Frage des Rechtsschutzanspruchs ansieht, während die ,Klagbarkeit an und für sich‘ lediglich die Funktion hat, Naturalobligationen auszuscheiden. Andererseits soll die von Wach materiellrechtlich aufgefasste Einrede der Verjährung „den Anspruch als erzwingbaren und daher schutzberechtigten“ verneinen (ebd. § 9 VI 4, S. 124). 88 Vgl. Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 9 IV. S. 119: Auch wenn Privat- und Prozessrecht sich bei materiellem Anspruch und prozessualem Rechtsschutzanspruch „durchsetzen und durchkreuzen“, müssen diese Ansprüche dennoch gesondert werden, da der Rechtsschutzanspruch „auf Staatsakt, Rechtsschutzakt gerichtet ist“ und daher „unter allen Umständen prozessrechtlich sein“ muss. Vgl. auch ebd. § 2 IV, S. 19: Der
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eine einheitliche Lehre für die Leistungsklage und die damals neu eingeführte Feststellungsklage zu schaffen, wobei die Feststellungsklage gleichsam den Beweis für die Unabhängigkeit des Prozessrechts vom materiellen subjektiven Recht liefert.89 Das Verhältnis zwischen materiellem Recht und Prozessrecht, zwischen materiellem Anspruch und dem entwickelten Rechtsschutzanspruch bleibt ein Stück weit unbestimmt.90 Genauer gesagt, es bewegt sich zwischen der Einsicht, dass der Rechtsschutzanspruch des Klägers bei einer Leistungsklage zumindest in der praktischen Konsequenz das Bestehen eines materiellen Anspruchs voraussetzt, und dem Postulat, dass dies aufgrund der durchzuführenden Trennung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht nicht sein könne.91 Dennoch wird man feststellen müssen, dass in der Tendenz schon bei Wach eine aufeinander abgestimmte Koexistenz von materiellem Recht und Prozessrecht besteht, so wie später bei J. Goldschmidt und Kipp zwischen Privatrecht und materiellem Ziviljustizrecht:92 Materielles Recht und Prozessrecht bestehen Rechtsschutzanspruch ist „nicht die publicistische Seite des subjektiven Rechts“, sondern der „an den außerprozessualen Thatbestand angeknüpfte Anspruch“ gegen den Staat. 89 Vgl. dazu, dass der Feststellungsklage kein materiellrechtlicher Anspruch zugrunde liegt, Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 2 II, S. 16; dies wird als Beleg dafür angeführt, dass der Rechtsschutzanspruch kein materielles Recht voraussetzt, vgl. unter anderem ebd. § 2 IV. S. 19; § 9 IV, S. 119; dass das Verhältnis zum materiellen subjektiven Recht bei der Leistungsklage anders zu beurteilen sein könnte als bei der Feststellungsklage wird offensichtlich nicht in Betracht gezogen. 90 Im Handbuch des Civilprocessrechts (Civilprocessrecht I (1885)) geht Wach „auf das Wesen des Rechtsschutzanspruchs . . . im Verhältnis und Gegensatz zum Rechtsanspruch . . . nur ganz allgemein und einleitungsweise“ ein, während „[a]lles Nähere . . . der Lehre von der Klage vorbehalten [bleibt]“ (ebd. § 19 IV, S. 19 Fn. 15). Auch in ZZP 32 (1904), 1 (30) behält es sich Wach für „spätere Zeit vor“, den Rechtsschutzanspruch „eingehender dogmatisch zu begründen“. 91 Vgl. dazu Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 9 IV, S. 119. 92 Dafür, dass Wachs Lehre diese Tendenz innewohnt, sprechen insb. folgende Belege aus dem Civilprocessrecht I (1885): 1. Der Rechtsschutzanspruch ist nicht die „publicistische Seite des subjektiven Rechts“ und ist auch nicht durch ein solches „bedingt“ (ebd. § 2 IV, S. 19). 2. Der Rechtsschutzanspruch setzt einen „außerprozessualen Tatbestand“ voraus (ebd. § 2 IV, S. 19), seine Voraussetzungen sind prozessrechtlich (a. a. O., § 9 IV, S. 118). Dem wird der materielle Anspruch gegenübergestellt, dessen Voraussetzungen privatrechtlich sind (a. a. O., § 9 IV, S. 118). 3. Die Voraussetzungen von Rechtsschutzanspruch und materiellem subjektivem Recht „decken“ sich nur bei dem „schon existenten und an und für sich befriedigungsbedürftigen Recht (dem Anspruch). Im Übrigen unterscheiden sie sich in Voraussetzungen und Inhalt (ebd. § 2 IV, S. 21). 4. In der o. im Text zu Fn. 90 und Fn. 91 bezeichneten Weise unentschieden sind die Ausführungen ebd. § 9 IV, S. 119: Die Prämissen, dass „das materielle Recht selbst zur Voraussetzung des Rechtsschutzanspruchs“ gehört und dass die Klagbarkeit und Erzwingbarkeit zum Inhalt des subjektiven Privatrechts gehört, sind wohl nur als Hypothesen gemeint, die zusammen mit der aus ihnen gezogenen Schlussfolgerung, dass sich materieller Anspruch und Rechtsschutzanspruch nicht trennen ließen, verworfen werden. Die erste Prämisse würde der Annahme widerspre-
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völlig unverbunden nebeneinander und beeinflussen sich nicht gegeneinander. Allerdings können Tatbestände sowohl materielle als auch prozessuale Rechtsfolgen haben.93 So führt der Tatbestand, der materiellrechtlich einen befriedigungsbedürftigen Anspruch zur Folge hat, prozessual zum Entstehen eines Rechtsschutzanspruchs. Dennoch besteht kein rechtlicher Zusammenhang zwischen beiden, sondern die Rechtssätze der beiden unabhängig nebeneinander bestehenden Ordnungen, Privatrechtsordnung und Rechtsschutzordnung, decken sich nur in ihren Tatbeständen. Diese Deckung ist in diesem Fall freilich keine zufällige, so dass man von einem abgestimmten Nebeneinander sprechen kann. 2. Die Unterscheidung von Anspruch und Klagerecht in der Lehre Hellwigs Auf dem Gedanken des prozessualen Rechtsschutzanspruchs basiert Hellwigs Lehre von „Anspruch und Klagerecht“.94 Ausgehend von der Annahme, dass das Privatrecht, das als solches nicht die „Kraft“ hat, den „Genuß des Rechtes zu gewährleisten“,95 und das Prozeßrecht, das „durchweg öffentliches Recht ist“, als „heterogene Elemente“ zu trennen sind,96 unterscheidet Hellwig „scharf“ zwischen dem materiellrechtlichen Anspruch und dem publizistischen Klagerecht.97 chen, dass der Rechtsschutzanspruch nicht durch ein subjektives Privatrecht bedingt ist, während von der zweiten jedenfalls dadurch Abstand genommen wird, dass das Merkmal der Erzwingbarkeit alsbald (ebd. § 9 VI 3, S. 122 f.) dem Rechtsschutzanspruch zugeordnet wird. Wenn es sodann heißt, das Prozessrecht bestimme, ob der Rechtsschutzanspruch ein materielles Recht voraussetze, während das Privatrecht bestimme, ob ein solches vorhanden sei, so hört sich dies so an, als knüpfe der Rechtsschutzanspruch in manchen Fällen doch unmittelbar an das Bestehen eines Privatrechts an. Die sich unmittelbar anschließenden Ausführungen über die prozessualen Handlungen, mit denen es „[a]ehnlich steht“, sprechen jedoch m. E. dafür, dass dem auch hier tendenziell bereits die Vorstellung eines ,Imports‘ der zivilrechtlichen Normen zugrunde liegt, so wie dies J. Goldschmidt und Kipp für das materielle Ziviljustizrecht annahmen. Vgl. auch Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), S. 27 f., der konstatiert, dass bei der Lehre vom Rechtsschutzanspruch dessen Verhältnis zum materiellen subjektiven Recht „durchaus unklar bleibe“ und fragt, was es für einen Sinn hat, neben dem Rechtsschutzanspruch noch ein subjektives Privatrecht anzunehmen. Er erörtert, dass es in der Konsequenz dieser Lehre liegt, dass die privatrechtlichen Normen, von denen das Bestehen des Rechtsschutzanspruchs als Anspruch auf günstiges Urteil abhängen muss, eigentlich prozessrechtliche sein müssten. Es sei jedoch nicht zulässig, eine Norm „wegen der allgemeinen Beziehung zum Prozeß“ dem Prozessrecht zuzuordnen (ebd. S. 6). 93 Dazu in anderem Zusammenhang Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 9 II, S. 116 f. 94 So der Titel der 1900 erschienenen Monographie von Hellwig. 95 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 1 I, S. 1. 96 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 17 I, S. 121 f. 97 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 22 II 2, S. 147 f.; ders., Lehrbuch I (1903), § 22 III 3, S. 148.
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Der Begriff des materiellrechtlichen Anspruchs bezeichnet die „aktive Seite“ des Verpflichtungsverhältnisses und damit das Recht, von einem anderen etwas zu verlangen, wobei „das Element des gerichtlichen Schutzes“, welches in der römischen actio mitgedacht wurde, ausgeschieden worden ist.98 Unter welchen Voraussetzungen der Kläger für sein materielles Recht Schutz durch ihm günstiges Urteil erlangen kann, ist hingegen eine rein prozessuale Frage,99 die vom Bestehen des so genannten Klagerechts abhängt.100 Dieses allein gegen den Staat gerichtete Klagerecht ist eine Unterart des von Wach entwickelten Rechtsschutzanspruchs101 und wird definiert als „das Recht, von den Gerichten ein Urteil bestimmten Inhalts zu verlangen“.102 Die Klagevoraussetzungen, d. h. die Voraussetzungen, von denen das Bestehen des Klagerechts und damit der Erfolg der Klage abhängt, sind von denen der Existenz und der Fälligkeit des Privatrechts auseinanderzuhalten.103 Bei den Klagevoraussetzungen unterscheidet Hellwig zwischen materiellen und prozessualen Klagevoraussetzungen.104 Bezüglich ersterer nehme das Prozessrecht „stillschweigend auf das Privatrecht Bezug“.105 Materielle Klagevoraussetzung der Leistungsklage ist es, dass dem Kläger ein nach materiellem Recht anerkannter Anspruch auf die Leistung zusteht.106 Zur Begründung des Klagerechts muss jedoch als prozessuale Klagevoraussetzung zusätzlich ein Rechtsschutzgrund bestehen. Ein solcher setzt verallgemeinert gesagt ein Rechtsschutzinteresse, also „eine solche Gestaltung der konkreten Verhältnisse“ voraus, „in der das Prozessrecht ein genügendes Interesse an der Erlangung des Rechtsschutzes erblickt“.107 Während bei der Klage auf eine fällige Leistung der Rechtsschutzgrund in der Fälligkeit der Leistung besteht, liegt er bei der Klage auf zukünftige Leistungen in den in §§ 257, 259 ZPO normierten besonderen Umständen vor.108 Wie Windscheid nimmt Hellwig an, dass die negative Seite des Eigentums aus der Summe der gegen jedermann gerichteten Ansprüche auf Unterlassung 98
Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 32 II, S. 216. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), Vorwort, S. VIII. 100 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 22 III, S. 146. 101 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 22 III, S. 146: „spezielle Erscheinungsform“; vgl. auch Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 22 I, S. 145 Fn. 1. 102 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 22 I, S. 145 f.; ders., Lehrbuch I (1903), § 22 III 2, S. 147. 103 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 1 III, S. 8. 104 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 21, S. 141. 105 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 23 I, S. 150. 106 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 23 II, S. 150; vgl. auch Anspruch und Klagrecht (1900), § 16 I 2, S. 117 f.; § 18, S. 127. 107 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 23 III 5, S. 160; ders., Anspruch und Klagrecht (1900), § 18 III, S. 130. 108 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 23 III 5, S. 160. 99
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von Beeinträchtigungen bestehe.109 Solche Unterlassungsansprüche, die nicht erst durch eine Zuwiderhandlung, sondern bereits mit dem Recht als solchem entstehen,110 bestehen ebenso bei den übrigen absoluten Rechten,111 die Persönlichkeitsrechte miteinbezogen.112 Da diese Unterlassungsansprüche zum einen „durch das Unterbleiben der Zuwiderhandlung fortdauernd befriedigt“ werden113 und zum anderen „eine Zuwiderhandlung . . . nicht ungeschehen gemacht werden kann“,114 kommt ihre gerichtliche Geltendmachung nur als Klage auf das zukünftige Unterlassen der Vornahme der Handlung, mithin als Klage auf künftige Leistung in Betracht.115 Das Klagerecht lässt sich daher nicht aus der Regel, dass ein existenter fälliger Anspruch stets klagbar ist, herleiten,116 sondern wird zum Teil in den Vorschriften der §§ 12, 862 Abs. 1, 1004 BGB, allgemein jedoch durch § 259 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen verliehen.117 Dabei nahm Hellwig zunächst an, dass durch die später erlassene und weitergehende Vorschrift des § 259 ZPO die erstgenannten, sich prinzipienwidrig im BGB befindenden118 Vorschriften überflüssig geworden seien.119 Wohl als Reaktion auf kritische Stellungnahmen des Schrifttums,120 die darauf hinwiesen, dass man kaum annehmen könne, dass die Vorschriften des BGB noch vor ihrem Inkrafttreten durch eine auf dieselbe Gesetzgebungskommission zurückgehende Vorschrift der ZPO derogiert worden seien, revidierte Hellwig seine Auffassung später dahingehend, dass diese Vorschriften als lex specialis
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Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 3 I 1, S. 25. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 1 III, S. 6. 111 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 54 II 2, S. 390. 112 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 31 D, S. 214: „Recht auf Unterlassung einer Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte“; vgl. auch ders., Anspruch und Klagrecht (1900), § 4 I, S. 37 f. 113 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 50 I 3, S. 350; § 3 I 1, S. 26. 114 Ebd. § 50 I 3, S. 351. 115 Ebd. § 50 I 3, S. 351. 116 Ebd. § 50 I 3, S. 351. 117 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 17 III, S. 124 f. und ders., Lehrbuch I (1903), § 57 III 4 a, S. 373 f. 118 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 17 III, S. 125: „. . . und es ist lediglich aus dem Umstande, daß die Revision der CPO. nach Abschluß des BGB. stattfand, zu erklären, dass diese vereinzelten Bestimmungen stehen blieben.“; vgl. auch ebd. § 17 III, S. 123 f.: „Erfreulicherweise“ sei die „Prinzipienlosigkeit“ vermieden worden, „die Voraussetzungen der Verurteilung zu einer Leistung“ – wie dies in § 190 E I BGB vorgesehen war – generell im BGB zu regeln. 119 Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 54 II 2, S. 393 f.; vgl. auch ebd. § 17 III, S. 124 f.; demgegenüber haben Zeuner und Henckel nachgewiesen, dass aufgrund der Unterschiede zwischen der Klage auf künftige Leistung und der vorbeugenden Unterlassungsklage eine Anwendung der §§ 257 ff. ZPO auf letztere nicht in Betracht kommt; vgl. dazu u. § 3 II. 4. c) im Text nach Fn. 173. 120 Nachweise bei Hellwig, System I (1912), § 104 Fn. 21; vgl. ferner Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 69 f. 110
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für die Fälle drohender Wiederholung „unberührt“ blieben und durch § 259 ZPO „für den Fall der Böswilligkeit“ ergänzt würden.121 Die Verbindung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht stellt Hellwig dadurch her, dass er die Voraussetzungen des Klagerechts als Recht auf günstiges Urteil teils dem einen Rechtsgebiet, teils dem anderen entnimmt.122 Durch die Annahme von im materiellen Recht geregelten Klagevoraussetzungen setzt er sich jedoch in Widerspruch zu den Prämissen der Lehre vom Rechtsschutzanspruch. Der Grund für die Annahme eines vom privatem Recht zu unterscheidenden prozessualen Rechtsschutzanspruchs liegt schließlich weitgehend darin, dass man das Verhältnis des Bürgerlichen Rechts zum Prozessrecht von dem Gegensatz Privatrecht – öffentliches Recht bestimmt sieht und die Frage der Voraussetzungen des Rechtsschutzes in Form eines Urteils bestimmten Inhalts als „eine in ihrem Wesen prozessuale Frage“ betrachtet.123 Die Formulierung, dass das Prozessrecht wegen eines Teils der Klagevoraussetzungen „stillschweigend auf das Privatrecht Bezug“124 nimmt, verträgt sich zwar besser mit den Grundannahmen des Rechtsschutzanspruchs, geht aber ebenso wie die entsprechenden Ausführungen Wachs bereits in die Richtung einer Duplizierung der materiellen Tatbestände, wie J. Goldschmidt und Kipp sie annehmen. Indem Hellwig annimmt, dass eine Verurteilung zur Leistung stets einen Anspruch voraussetzt,125 räumt er zwar für den Bereich der Leistungsklage die Abhängigkeit des prozessualen Rechtsschutzes vom materiellen Anspruch ein. Das Ausscheiden des Elements des gerichtlichen Schutzes führt jedoch ebenso wie bei Windscheid dazu, dass die materielle Privatrechtsordnung eine rein imperative Struktur126 erhält, was maßgeblichen Einfluss auf den Begriff des Anspruchs hat. In einem nur aus Verhaltensbefehlen bestehenden Privatrecht besteht die Beziehung, die der Anspruch zwischen dem Anspruchsinhaber und der dem Anspruchsgegner auferlegten Pflicht herstellt, nur darin, dass das pflichtgemäße Verhalten dem Anspruchsinhaber zugute kommt.127 Der Anspruch als subjektives Recht ist nur die sich aus der Auferlegung des Verhaltensbefehls Hellwig, System I (1912), § 104 II 2 b) a), S. 273. Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 18, S. 127: „Die Voraussetzungen, welche vorliegen müssen, damit eine Klage als begründet erscheint . . . sind also teils in dem bürgerlichen Rechte, teils in dem Prozeßrechte normiert.“ 123 Vgl. dazu Hellwig selbst in Anspruch und Klagrecht (1900), § 17 I, S. 121 f. 124 Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 23 I, S. 150. 125 Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 16 I 2, S. 117: „Urteile, welche zu einer Leistung verurteilen, sind nur denkbar über Rechte, deren Inhalt die Verbindlichkeit zu einer Leistung ist, also über ,Ansprüche‘ . . .“; siehe auch ders., Lehrbuch I (1903), § 32 IV, S. 220 f.: „. . . daß zweifellos eine Klage und eine Verurteilung auf Unterlassung zulässig, aber ohne einen Anspruch auf sie nicht denkbar sind.“ 126 Vgl. Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 1 I, S. 1: „Befehl der Rechtsordnung“. 127 Vgl. auch Siber, Rechtszwang (1903), 70: „Ein Recht, die Leistung als Erfüllung anzunehmen, hat keine Richtung wider den Schuldner . . .“. 121 122
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ergebende Begünstigung, mit den Worten Hellwigs „die aktive Seite des Verpflichtungsverhältnisses“. Anders als Windscheid muss Hellwig jedoch den als „Bekommensollen“ verstandenen Anspruchsinhalt mit der Gesetz gewordenen Anspruchsdefinition, die vom „Recht, . . . zu verlangen“ spricht, in Einklang bringen, was Probleme bereitet: Eine „Befugnis zum Ansprechen“128 bzw. zur außergerichtlichen „Einforderung der Leistung“129 ist, wenn man dies wörtlich nimmt, eine derart schwache Befugnis, dass sich nicht überzeugend annehmen lässt, dass sie das Wesen des Anspruchs ausmachen soll.130 Zudem bleibt fraglich, ob nicht auch jeder andere den Verpflichteten auf die zu erfüllende Pflicht aufmerksam machen und ihn daher in diesem Sinne ansprechen darf. Wenn die Ausübung des Anspruchs hingegen in der passiven „Entgegennahme der Leistung“131 bestehen soll, so steht dies im Gegensatz zu dem Wortlaut des § 194 Abs. 1 BGB, der von einem insoweit aktiven Verlangen spricht. 3. Die Lehre vom materiellen Ziviljustizrecht (J. Goldschmidt, Th. Kipp) Auch J. Goldschmidt unterscheidet zwischen dem privatrechtlichen Anspruch und dem gegen den Staat gerichteten Recht „auf Rechtsschutz durch günstiges Urteil“.132 Da das Prozessrecht aber nur regele, wie das Urteil zu finden sei und nicht, welchen Inhalt es habe,133 sei der Rechtsschutzanspruch kein prozessuales, sondern ein materielles Recht. Der Rechtsschutzanspruch und seine Voraussetzungen gehören jedoch auch nicht dem Privatrecht an,134 dessen Gegenstand nur die „Beziehungen der Individuen zueinander“135 und nicht die „zwischen der staatlichen Justiz und der Gliedperson“136 sind. Vielmehr gehören sämtliche Voraussetzungen des erfolgreichen Rechtsschutzes dem materiellen öffentlichen Ziviljustizrecht an.137 Den Hauptbestandteil des materiellen Ziviljustizrechts bilden die „für das Verhältnis der Individuen zum rechtsschutz128
So Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 32 II, S. 216 Fn. 12. Vgl. Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 32 III, S. 219: „Die Ausübung des Anspruchs besteht privatrechtlich . . . in der Einforderung der Leistung . . . und in ihrer Entgegennahme . . .“. 130 Vgl. dazu auch Siber, Rechtszwang (1903): Der Anspruch muss mehr sein als das „verblasste“ Aufforderungsrecht Hellwigs, „von kräftigerer Beschaffenheit sein, er muss eine Macht des Gläubigers zum Leistungszwang in sich schließen.“. 131 Vgl. Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 32 III, S. 219: „Die Ausübung des Anspruchs besteht privatrechtlich . . . in der Einforderung der Leistung . . . und in ihrer Entgegennahme . . .“. 132 J. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht 2 (1932), § 12, 1, S. 52. 133 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (126 f.). 134 J. Goldschmidt, Materielles Justizrecht (1905), S. 5 f. 135 Ebd. S. 18. 136 Ebd. Materielles Justizrecht (1905), S. 5. 137 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (139 f.). 129
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pflichtigen Staat“ umgedachten Regeln des Privatrechts selbst.138 Darüber hinaus gehören ihm rein justizrechtliche Bestimmungen über die Rechtsschutzfähigkeit und das Rechtsschutzbedürfnis an.139 Nach der Theorie vom materiellen Justizrecht hat das Vorliegen einer „Privatrechtslage“ als Tatbestand eine „Doppelwirkung“: Das Privatrecht knüpft an den Tatbestand die Rechtsfolge des privatrechtlichen Anspruchs an und erlegt dem privaten Anspruchsgegner eine Verpflichtung auf.140 Nach materiellem Justizrecht führt der Tatbestand zur Entstehung des Rechtsschutzanspruchs, zu der Verpflichtung des Richters, „auf Anruf in dem Sinne zu urteilen, wie es der privatrechtlichen Verpflichtung entspricht“.141 Allerdings hängt die Entstehung des Rechtsschutzanspruchs noch von dem Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der Rechtsschutzfähigkeit und des Rechtsschutzbedürfnisses ab,142 so dass ein Tatbestand, der einen privatrechtlichen Anspruch erzeugt, keineswegs immer zum Entstehen eines Rechtsschutzanspruchs führt. So führt eine Zuwiderhandlung gegen ein Unterlassungsgebot zur Entstehung eines rechtsschutzfähigen Unterlassungsgebots. Ein Rechtsschutzanspruch tritt jedoch erst bei Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses hinzu, welches die §§ 12, 862, 1004 BGB von der Besorgnis weiterer Störungen abhängig machen.143 J. Goldschmidt versucht durch seine Lehre vom materiellen Justizrecht die Trennung von Privatrecht und Prozessrecht zu überwinden.144 Er erkennt, dass es nicht die Aufgabe des Prozessrechts selbst sein kann, den Inhalt („die Materie“) der zivilgerichtlichen Entscheidung zu bestimmen, sondern dass sich dieser nach dem „bürgerliche[n] Recht in seiner Eigenschaft als Jurisdiktionsnorm“145 richtet. Die Einführung der Kategorie des materiellen Justizrechts führt indessen dazu, dass endgültig keine Verbindung mehr zwischen Privatund Prozessrecht besteht. Der Grund dafür ist, dass auch J. Goldschmidt daran festhält, dass das Privatrecht gerade wegen seiner Eigenschaft als solches nicht den Inhalt des richterlichen Urteils bestimmen könne. Von dieser Prämisse aus138 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (120), unter wörtlicher Übernahme der Formulierungen von Kipp, FS Martitz (1911), 211 (213) („Über Doppelwirkungen im Recht“), der sich ebd. J. Goldschmidts Lehre angeschlossen hat. 139 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (139 ff., 120 f.) 140 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (130 f.); vgl. auch ders., Materielles Justizrecht (1905), S. 19 f. 141 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (119 f., 130 f.). 142 J. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht 2 (1932), § 12, 4, S. 52 f.; vgl. auch J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 139 f. 143 J. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht 2 (1932), § 13, 2c, S. 55 f. 144 Vgl. J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 131: „die seit alters her gesuchte Brücke zwischen Privat- und Prozeßrecht“ und ebd. S. 133. 145 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (120 Fn. 3).
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gehend, verarbeitet er in seiner Lehre die Erkenntnis, dass die Rechtssätze des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugleich als Bestimmungsnormen dem Einzelnen ein bestimmtes Verhalten vorschreiben und als Urteilsnormen den Inhalt des richterlichen Urteils determinieren, dahingehend, dass er sie nach diesen beiden Funktionen aufspaltet: Als Bestimmungsnormen gehören sie dem Privatrecht an, als Urteilsnormen dem materiellen Justizrecht. Wenn aber der Inhalt des gerichtlichen Urteils nicht durch das Privatrecht, sondern durch das materielle Justizrecht bestimmt wird, so wird die „von alters her gesuchte Brücke“146 auch nur zwischen diesem und dem Prozessrecht geschlagen, während das Privatrecht in keiner Verbindung zum Prozess steht. Dies wäre indes eine rein terminologische Erwägung,147 wenn Privat- und materielles Justizrecht insofern kongruent wären, als dass unter den Voraussetzungen eines Privatanspruchs stets auch die Möglichkeit des Rechtsschutzes bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall: Der Rechtsschutzanspruch hängt neben dem privatrechtskongruenten Tatbestand noch von den Voraussetzungen der Rechtsschutzfähigkeit und des Rechtsschutzbedürfnisses ab. Und J. Goldschmidt selbst betont die logische Gleichwertigkeit dieser Voraussetzungen für den Rechtsschutz, wenn er feststellt, dass auch „der Tatbestand, insoweit er als Rechtsschutzvoraussetzung in Betracht kommt, eben nur als solche in Betracht kommt“.148 Besonders deutlich werden die Folgen der Scheidung von Privatrecht und materiellem Justizrecht, wenn man sie mit dem von J. Goldschmidt angenommenen Dualismus von Rechtsordnung und Gerichtsordnung149 verbindet. Danach schafft „der Richter . . . durch die Anwendung des Rechts so, wie er es 146
J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (131). Nach J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (123) sollen Privatrecht und materielles Ziviljustizrecht nur „zwei Seiten eines und desselben Rechtsgebietes“ sein. Das materielle Justizrecht sei „nur die öffentlichrechtliche Seite des Zivilrechts“ (ebd. S. 123 Fn. 1) und der Rechtsschutzanspruch „in der Hauptsache trotz aller Unabhängigkeit von ihm das subjektive Privatrecht in seiner Richtung gegen den rechtsschutzpflichtigen Staat“ (ebd. S. 119). Wenn dem privatrechtlichen Anspruch stets ein Rechtsschutzanspruch zur Seite stünde, so würde – zumindest für den Bereich der Leistungsklage – die Konstruktion eines vom Privatrecht unabhängigen Rechtsschutzanspruchs und damit auch die eines eigenen dessen Voraussetzungen regelnden Rechtsgebietes überflüssig. Wenn man hingegen annimmt, dass gerichtlicher Rechtsschutz für das Privatrecht nur unter der Voraussetzung eines besonderen Rechtsschutzinteresses gewährt wird, so muss man erklären, welche Bedeutung ein Privatrecht haben soll, dem die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung fehlt. Da ein solches keine gesicherte Position verleihen kann, wird die entscheidende Frage für den Rechtsverkehr sein, ob ein Rechtsschutzanspruch besteht. Die Frage nach dem Bestehen des privaten Rechts wird demgegenüber so weit in den Hintergrund gedrängt, dass die Annahme eines Privatrechts neben dem materiellen Justizrecht eine theoretische Konstruktion bleibt. 148 J. Goldschmidt, FS Brunner (1914), S. 109 (140). 149 J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 227 ff., 245 ff. 147
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versteht, eine zweite Ordnung.“150 Dies gehe „der Rechtsordnung im Konfliktfall nach dem soziologischen Machtprinzip“ vor.151 Diese zweite Ordnung sei im Recht, dessen Geltung von dem prozessualen Standpunkt aus „auf dem psychischen Zwang der Aussicht“ beruhe, dass die richterliche Entscheidung den Jurisdiktionsnormen entsprechend ergeht, bereits angelegt.152 Wenn demnach diejenigen Rechtssätze in der sozialen Wirklichkeit gelten, die die Gerichte bei ihren Entscheidungen tatsächlich anwenden, so kann zunächst nur das materielle Justizrecht geltendes Recht sein, da sich die Entscheidung der Gerichte nur nach diesem bestimmt.153 Das Privatrecht hingegen, das quasi per definitionem für den Inhalt des gerichtlichen Urteils nicht maßgebend ist, kann zumindest insofern nicht die in der Realität maßgebende Ordnung sein. Daher stellt sich die Frage, wodurch sich die Annahme eines neben dem materiellen Justizrecht bestehenden Privatrechts rechtfertigen lässt. J. Goldschmidt selbst erkennt an, dass neben dem Rechtsschutzanspruch ein Privatanspruch nur dann angenommen werden könne, wenn es zivilrechtlich noch eine andere „Möglichkeit der Rechtsausübung als die durch Herbeiführung bejahenden Sachurteils und der Zwangsvollstreckung“154 gibt. Die dem Privatrechtsanspruch korrespondierende Verpflichtung des Anspruchsgegners kann zwar außerhalb des Prozesses beachtet werden. Jedoch gibt der Anspruch seinem Inhaber wegen des grundsätzlichen Verbots der Selbsthilfe gerade nicht das Recht, die Einhaltung der Verpflichtung außerhalb des staatlich geordneten Rechtsschutzverfahrens zu erzwingen. Die das subjektive Recht ausmachende „Macht, die Imperative des Rechts wirksam werden zu lassen“ besteht nach J. Goldschmidt dementsprechend nur darin, „dass die Auslösung des . . . Imperativs vom Willen des Berechtigten abhängt.“155 Dass der Ausübung dieses Rechts eine reale Bedeutung zukommt, setzt jedoch voraus, dass der „ausgelöste“ Imperativ beachtet wird. Die auf der Hoffnung, dass der Imperativ vermöge seiner selbst motiviere, beruhende Aussicht, dass dies auch dann geschieht, wenn dem Privatanspruch kein Rechtsschutzanspruch zur Seite steht, ist derart unsicher, dass sie die Annahme eines von der Möglichkeit des Rechtsschutzes unabhängigen Rechts, ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, nicht rechtfertigen kann. Ein Recht, Verpflichtungen zu begründen, bleibt dort, wo die Einhaltung der Verpflichtungen nicht sichergestellt wird, von rein theo150
Ebd. S. 227. Ebd. S. 245 f. 152 Ebd. S. 227. 153 Vgl. auch Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), S. 19, der fragt, „wodurch . . . die Privatrechtsnormen den Charakter als Rechtsnormen“ gewinnen, „wenn die Beziehung auf die staatliche Sanktion nicht ihnen, sondern den Normen des materiellen zivilen Justizrechts eigenartig sind“. 154 J. Goldschmidt, Materielles Justizrecht (1905), S. 30. 155 J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 233 mit Fn. 1279. 151
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retischer Natur. Die Annahme eines Privatrechts, das durch einen Rechtsschutzanspruch geschützt werden muss, ist daher genauso wenig sinnvoll wie J. Goldschmidt dies für einen rechtsschutzbedürftigen „Strafanspruch“156 annimmt.157 4. Kritik der normativen Auffassung Gegen die Annahme, dass dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Konzeption eines materiellen Rechts zugrunde liegt, welches nur aus an die einzelnen Privatpersonen gerichteten Verhaltensnormen besteht, die als solche nur auf freiwillige Beachtung angelegt sind und daher keinen Bezug zur prozessualen Durchsetzung haben, spricht die Überlegung, dass es sich bei den Normen des Privatrechts nur deshalb um Rechtsnormen handelt, weil diese im Zivilprozess Berücksichtigung finden:158 a) Die Durchsetzbarkeit als Wesensmerkmal von Rechtsnormen Ausgangspunkt für diese Überlegung ist die Frage, was die Verhaltensnormen des materiellen Rechts zu Rechtsnormen macht, und sie von anderen Normen wie zum Beispiel moralischen oder ethischen Normen unterscheidet. Wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem Bürgerlichen Gesetzbuch um positives und geltendes, also wirksames Recht handelt, so ist dieser Unterschied in der Art und Weise der Geltung der Rechtsnormen zu suchen: Diese unterscheiden sich von allen anderen Normen dadurch, dass sie „in einem rechtlich organisierten und normierten Verfahren“ durchgesetzt werden können.159 Dem liegt die Über156 J. Goldschmidt, Materielles Justizrecht (1905), S. 59: „Jeder Gedanke, die strafrechtliche Parallele zu den zivilistischen Rechtsschutzbedingungen in Bedingungen des Rechtsschutzes für das Strafrecht selbst, in Bedingungen des Rechtsschutzes für den Rechtsschutz, in Bedingungen des Rechtsschutzes für einen rechtsschutzbedürftigen ,Strafanspruch‘ finden zu wollen, ist abwegig.“. 157 Vgl. auch Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), S. 19, der fragt, was „das Zivilrecht als selbständige Disziplin“ dann „noch für eine Bedeutung habe“. 158 Vgl. bereits Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), S. 6 und Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 54: „Wer immer sonst ihr [der Vorschriften der Gesetze] Adressat auch sein mag, an den Richter wenden sie sich ausnahmslos, nicht etwa nur die anspruchsbegründenden.“. 159 Zippelius, Rechtsphilosophie4 (2003), § 5 I 2, S. 25; § 5 IV 1, S. 31 f.; vgl. Henkel, Rechtsphilosophie2 (1977), § 7 III 2 c), S. 63; § 11 III 2, S. 120: Die Durchsetzbarkeit und damit Erzwingbarkeit gehört „begriffsnotwendig zum Recht als verbindlich-maßgeblicher Verhaltensordnung“; nach Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 41 ist das Recht der staatlichen Gesellschaft „der Inbegriff aller durch organisatorischen Zwang gesicherten Normen“; Bork, Allg. Teil2 (2006) Rn. 4; Köhler, Allg. Teil32 (2008), § 1 Rn. 1; vgl. a. Siber, Rechtszwang (1903), S. 66 f. nach dem ein rechtliches Leistensollen zwar auch schon dort vorliegen kann, wo die Rechtsordnung „Vorteile für eine freiwillige Leistung in Aussicht stellt“ oder „Nachteile für ein Handeln oder Unterlassen androht“, sein Vorhandensein jedoch erst dann „unter allen Umständen“ gewiss sei, „wo die Leistung auch dem Widerstrebenden gegenüber im Prozeßwege . . .
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legung zu Grunde, dass das Recht nicht aus bloßen Verhaltensempfehlungen besteht, sondern sich dadurch auszeichnet, dass es unter festgelegten Bedingungen ein bestimmtes Verhalten verbindlich fordert. Mit dieser allgemeinen Verbindlichkeit, die es beansprucht, wäre es nicht vereinbar, zuzulassen, dass die Rechtssätze nur von einem Teil der Normadressaten befolgt werden. Dies würde dazu führen, dass das Recht nicht mehr als maßgebliche Verhaltensordnung anerkannt würde und somit seine Geltung in Frage stellen. Seinem Ziel entsprechend, die für die Wirklichkeit maßgebliche und damit geltende Verhaltensordnung zu sein, muss das Recht daher zugleich Möglichkeiten vorsehen, durch die es die Beachtung seiner Verhaltensanforderungen sicherstellt.160 Das Recht erreicht dies, und das ist sein charakteristisches Merkmal, durch ein staatlich organisiertes Erzwingungsverfahren.161 Wenn die Durchsetzbarkeit zum Wesen der Rechtsnormen des „garantierten Rechts“ gehört und Vorraussetzung ihrer Geltung ist, so ist hinsichtlich der Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs von Bedeutung, dass diese, da die Selbsthilfe bis auf wenige Ausnahmen ausgeschlossen ist, nur im Wege des Zivilprozesses durchgesetzt werden können. Daraus folgt, dass eine Norm des Zivilrechts Geltung nur dadurch erlangt, dass sie im Zivilprozess Beachtung finden kann. Diejenigen, die das materielle Privatrecht als ein zwangfreies Normensystem begreifen, leugnen nun zwar nicht, dass dieses System, um äußere Wirksamkeit zu erlangen, der Ergänzung durch den Zivilprozess bedarf. Aber sie sehen diesen Zwang als etwas von außen hinzutretendes an und machen sein Hinzutreten von weiteren Bedingungen abhängig, insbesondere vom Vorliegen eines so genannten Rechtsschutzinteresses. Dadurch bedingen sie jedoch auch die Geltung der Norm um das Vorliegen dieses Rechtsschutzinteresses. Wenn man zum Beispiel Klagen, die auf die Zahlung eines Geldbetrags von 10 ct gerichtet sind, wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig abweist,162 so gilt z. B. erzwungen werden kann.“ Nur in letzteren Fällen komme dem Leistensollen „eine gleichmäßige rechtliche Bedeutung zu“ und erkenne das BGB ein Schuldverhältnis an. In den Fällen der Naturalobligation hingegen liege überhaupt kein rechtliches Leistensollen vor, sondern nur eines „kraft der Sittlichkeit, des Anstandes, der Sitte“; v. Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 15 (1904), S. 261: „Das Kriterium aller rechtlichen Normen ist die zwangsweise Verwirklichung derselben durch die dazu bestellte Staatsbehörde . . .“; Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 7, 79: „sanctionslose Norm ist contradictio in adiecto“. 160 Henkel, Rechtsphilosophie 2 (1977), § 11 I, S. 117 f. 161 Vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie4 (2003), § 5 IV 1, S. 32; vgl. a. Henkel, Rechtsphilosophie2 (1977), § 7 III 2 c), S. 63. 162 Vgl. die Entscheidung des AG Stuttgarts, NJW 1990, 1054: Kein Rechtsschutzbedürfnis bei einer Klage auf Zahlung von 0,41 DM; In der prozessrechtlichen Literatur wird die Problematik unter dem Stichwort der „Minimalforderungen“ behandelt; die ganz herrschende Literatur lehnt insoweit die Versagung des Rechtsschutzes ab; vgl. ferner Musielak/Foerste, ZPO7 (2009), Vor § 253 Rn. 9; Jauernig, Zivilprozess-
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der Rechtssatz des § 433 II BGB, dass der Käufer den Kaufpreis zu bezahlen hat, nur, soweit es sich um einen Kaufpreis von über 10 ct handelt. Man könnte auch sagen, dass der geltende Rechtssatz nun lautet: Der Käufer ist zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, sofern dieser 10 ct überschreitet. Nun ist es allerdings nicht nur umstritten, ob die generelle Durchsetzbarkeit zum Wesen des Rechts gehört, sondern auch, ob eine Vorschrift, deren zwangsweise Durchsetzung in einem sich sonst der Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung bedienenden Rechtssystem ausnahmsweise ausgeschlossen ist, aufgrund dieses Ausschlusses ihre Qualität als Rechtsnorm verliert. Hierzu ist zum einen festzustellen, dass solche so genannten leges imperfectae anerkannterweise eine Ausnahme in unserem Rechtssystem bilden.163 Zum anderen muss man beachten, dass solchen Normen, auch wenn man sie schon aufgrund ihrer äußerlichen Zugehörigkeit zum Rechtssystem als Rechtsnormen bezeichnet, nicht die spezifisch rechtliche Wirkungsweise zukommt, die darin besteht, dass die Norm entweder schon so befolgt wird oder ihre Befolgung durch Zwang durchgesetzt wird. Gerade wenn man beachtet, dass die Pflichten, die sich aus den Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergeben, grundsätzlich durchsetzbar sind, so ist festzustellen, dass die Erfüllung der Pflicht – auf welchem Grund der Verzicht auf die Durchsetzbarkeit im Einzelfall auch beruhen mag – in einer für das Recht ganz und gar untypischen Art und Weise in letzter Konsequenz in die Entscheidung des Einzelnen gestellt wird. Dies bedeutet aber dann auch, dass derjenige, zu dessen Schutz das BGB einem anderen eine solche Verpflichtung auferlegt hat, sich im Fall einer lex imperfecta weit weniger auf deren Einhaltung verlassen kann als bei einer „echten“ Rechtspflicht. b) Die Duplizierung des materiellen Rechts als Konsequenz der normativen Rechtsauffassung Ein System des materiellen Rechts, das die Durchsetzbarkeit seines Normenbestandes nicht einschließt, sondern einem anderen Rechtsgebiet – dem Prozessrecht – die Festlegung überlässt, welche seiner Normen sich zur prozessualen Durchsetzung eignen, enthält nebeneinander zwei aus sich heraus ununterscheidbare Arten von Verpflichtungen: „echte“ Rechtspflichten und leges imperfectae. Das Eingehen von Rechtsbeziehungen beruht jedoch in weitem recht29 (2007), § 35 V (S. 116 f.); Zöller27/Greger (2009), Vor § 253 Rn. 18d („solange nicht Schikane des Klägers ersichtlich ist“); a. A. Baumbach/Lauterbach67/Hartmann (2009), Grundz. § 253 Rn. 46: „(. . . es geht um eine Form von Rechtsmißbrauch. Er verdient keinen Schutz). Grundsätzlich Vorsicht, aber bitte auch nicht deutsche Überperfektion.“ 163 So bereits Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 91; vgl. auch Soergel12 /Teichmann (1990), Vor § 241 Rn. 5 f.: Das Schuldrecht geht „von der generellen Durchsetzbarkeit der Forderung . . . aus“, unvollkommene Verbindlichkeiten sind demgegenüber die Ausnahme.
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Umfang auf dem Vertrauen, dass die anderen Beteiligten ihre Verpflichtungen, wenn nicht schon aus eigenem Antrieb, so aufgrund des Rechtszwangs einhalten werden. Ein materielles Rechtssystem, innerhalb dessen sich unerzwingbare nicht von erzwingbaren Rechtspflichten unterscheiden lassen, ist nicht nur nicht geeignet, dieses notwendige Vertrauen zu schaffen, sondern birgt im Gegenteil noch die Gefahr, unberechtigtes Vertrauen hervorzurufen. In letzter Konsequenz führt die Annahme, dass die Durchsetzbarkeit dem materiellen Recht nicht als solchem zukommt, sondern erst beim Vorliegen weiterer, nicht auf die besondere Prozesssituation bezogenen Voraussetzungen verliehen wird, zu einer Duplizierung des materiellen Rechts: Neben das aus durchsetzbaren und undurchsetzbaren Rechtssätzen bestehende, in dieser Zusammensetzung nicht geltende Recht tritt ein geltendes System des materiellen Rechts, das aus den Rechtssätzen besteht, die durchsetzbar sind und von den Gerichten angewendet werden, mit der Folge, dass nur letzteres als Recht beachtet wird. Ein historisches Beispiel ist das ius civile, das in seinem geschlossenen Normenbestand von dem Zeitpunkt an Bedeutung verlor, als der Prätor nach ihm begründeten Rechten den Rechtsschutz versagte und umgekehrt für nach ihm nicht geschützten Interessen Rechtsschutz gewährte.164 Eine modernere Form hat dieser Dualismus in der von J. Goldschmidt und Kipp vertretenen Theorie vom so genannten materiellen Privatjustizrecht bekommen:165 Neben dem für die richterliche Entscheidung maßgeblichen materiellen Ziviljustizrecht besteht ein Privatrecht fort, dessen praktische Bedeutung nicht zu erklären ist.166 Aus diesen Gründen ist die Annahme, dass die Durchsetzbarkeit der Verhaltenspflichten des materiellen Rechts nicht gleichmäßig sichergestellt ist, sondern von weiteren außerhalb stehenden Voraussetzungen abhängig ist, abzulehnen.167 Das materielle Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist in seiner Eigenschaft als staatlich garantiertes Recht zugleich Privatrecht und materielles Justizrecht in der Terminologie der Lehre J. Goldschmidts.168 Es enthält an den einzelnen Privaten gerichtete Verhaltenspflichten, deren Verbindlichkeit durch die unmittelbar gegebene Durchsetzbarkeit im Zivilprozess begründet wird.
164 s. § 2 I. nach Fn. 12; vgl. zu Windscheids Ausführungen zur Stellung des Prätors § 2 IV. 1. im Text nach Fn. 84. 165 Vgl. § 3 II. 3., insb. im Text nach Fn. 144. 166 Vgl. § 3 II. 3. im Text nach Fn. 155 und Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), S. 19. 167 So auch Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (789): „Die Frage, ob ein Recht schutzwürdig ist, muß im materiellen Recht beantwortet werden.“ 168 Vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (172): „Auf den Prozeß hin betrachtet, stellt sich der Anspruch mithin als materielles Prozeßrecht dar.“
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c) Die fehlende Belegkraft der zivilprozessualen Vorschriften über die Feststellungsklage und Verurteilung zu künftiger Leistung (§§ 256, 257–259 ZPO) Die gegenteilige Auffassung, nach der es eine Frage des Prozessrechts ist, unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit zur Durchsetzung der Pflichten des materiellen Rechts besteht,169 kann sich weder darauf stützen, dass das Prozessrecht eine Feststellungsklage nur dann gewährt, wenn ein besonderes Feststellungsinteresse besteht,170 noch darauf, dass die Voraussetzungen einer Verurteilung zu künftiger Leistung in den §§ 257–259 ZPO und nicht im materiellen Recht geregelt sind.171 Für die materiellen Pflichten ist es nämlich wesentlich, dass sie nicht nur in einem Gerichtsverfahren festgestellt, sondern im Anschluss daran mit Rechtszwang durchgesetzt werden können. Im Wege der Zwangsvollstreckung sind jedoch nur Leistungsurteile, nicht aber Feststellungsurteile vollstreckbar. Die für die Eigenschaft als Rechtspflicht konstitutive Möglichkeit der Erzwingbarkeit in einem staatlich geordneten Verfahren wird für die Verhaltensnormen des materiellen Rechts daher dadurch hergestellt, dass zu ihrer Durchsetzung unmittelbar die Leistungsklage mit der sich anschließen169 So aber auch Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht seit Savigny (1965), S. 152 (vgl. o. § 3 Fn. 14). Das einzige Argument, das Simshäuser (abgesehen von der Forderung, dass das Prozessrecht keine bloße „Funktion des materiellen Rechts“ sein dürfe; vgl. ebd. S. 151 ff.) nach eingehender rechtshistorischer Untersuchung der Rechtsschutzlehren zur Begründung dieser Ansicht vorbringt, kann nicht überzeugen: Simshäusers Annahme, dass ohne eine solche prozessuale Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten „die auf die materielle Privatrechtsordnung bezogene Zivilrechtspflege ins Uferlose ausgedehnt“ würde und der Prozess zu einem „Spielball unbestimmter subjektiver Bedürfnisse des einzelnen“ würde (ebd. S. 153), ließe sich zunächst entgegnen, dass die regulative Wirkung der Kostenfolge des § 93 ZPO ausreicht, um das Einreichen offensichtlich unbegründeter Klagen zu verhindern. Abgesehen davon könnte auch das Bedürfnis nach einer prozessualen Vorprüfung zur Ausscheidung von Rechtsschutzgesuchen, die auf die Behauptung rechtlich offensichtlich nicht erheblicher Tatsachen gestützt werden, nichts daran ändern, dass allein die Normen des materiellen Rechts durch Gewährung bzw. Versagung von Ansprüchen bestimmen, ob ein „Lebensvorgang“ „rechtserheblich“ ist. Wenn Simshäuser, ebd. S. 160 f. schließlich unter der Rubrik der rechtsfremden Klagen nicht nur solche als unzulässig abweisen will, die auf eine „ihrer Art nach dem geltenden Recht unbekannte Rechtsfolge . . .“ (ebd. S. 15) zielen, sondern auch aufgrund einer Spiel- oder Wettschuld erhobene Klagen (bei denen die Rechtsfolge – Zahlung einer Geldsumme – dem geltenden Recht gewiss bekannt ist), so würde das dazu führen, dass alle unschlüssigen Klagen konsequenterweise als unzulässig abzuweisen wären: Der vom Kläger behauptete Anspruch wäre, da das materielle Recht an den behaupteten Tatbestand diese Rechtsfolge nicht knüpft, ein Anspruch, „der seiner Art nach unserem Recht fremd ist.“ 170 Auch Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307) bemüht die negative Feststellungsklage, um die Unabhängigkeit des prozessualen Rechtsschutzes vom materiellen Recht darzulegen. 171 Vgl. dagegen Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 17 III, S. 123 f.; zu Hellwigs Auffassung der §§ 257–259 ZPO o. § 3 II. 2. bei Fn. 108 und 118.
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den Zwangsvollstreckung zur Verfügung steht.172 Ob und unter welchen Bedingungen darüber hinaus noch die zusätzliche Möglichkeit besteht, das Bestehen von Pflichten oder von Rechtsverhältnissen, aus denen solche entstehen können, mit der Klage nach § 256 ZPO lediglich feststellen zu lassen, ist für das Bestehen der materiellen Rechtspflichten in ihrer Eigenschaft als solche unerheblich.173 Auf den funktionalen Unterschied zwischen den in §§ 257–259 ZPO normierten Voraussetzungen für eine Verurteilung zu künftiger Leistung und der für die Verurteilung zur Unterlassung erforderlichen Beeinträchtigungsgefahr haben bereits Zeuner und Henckel hingewiesen: Bei der Verurteilung wegen einer Klage auf künftige Leistung wird festgestellt, dass der Beklagte in Zukunft zu einem Verhalten verpflichtet sein wird.174 Diese Klage dient damit dem Zweck, dass der Kläger schon im zukünftigen Zeitpunkt des Entstehens der Pflicht einen vollstreckbaren Titel hat und somit der Rechtsschutz nicht verspätet ist.175 Bei einer Unterlassungsklage wird hingegen wegen einer schon aktuell bestehenden Unterlassungspflicht verurteilt.176 Von dem Vorliegen der Beeinträchtigungsgefahr hängt es nicht nur ab, ob der Kläger rechtzeitig, sondern ob er überhaupt Rechtsschutz erhält.177 Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn man das Augenmerk auf die Erzwingbarkeit der Pflicht in der Zwangsvollstreckung richtet und die Leistungsklage nur als eine Station auf dem Wege zur zwangsweisen Durchsetzung der Pflicht betrachtet. Während grundsätzlich die Pflichten erst mit ihrem Entstehen klagbar und erzwingbar werden, kann das Erkenntnisverfahren unter den Voraussetzungen der §§ 257–259 ZPO vorgezogen werden. Die zwangsweise Durchsetzung kann jedoch auch in diesen Fällen erst bei Fälligkeit der Leistung, also mit Entstehen der Leistungspflicht erfolgen.178 Daher haben die §§ 257–259 ZPO keinen Einfluss auf den Zeitpunkt Vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 53: „Statuiert das Privatrecht also eine Verpflichtung, so werden diese Möglichkeiten [Verurteilung, Vollstreckung] grundsätzlich jedesmal eröffnet.“ 173 Vgl. auch Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 176: Das Prozessführungsrecht ist „nur eine Seite oder ein Ausfluß“ des materiellen Rechts. Es könne jedoch wie bei der Feststellungsklage „neben dem aus dem Recht selbst fließenden Prozeßführungsrecht“ noch „selbständige Prozeßführungsrechte geben“. 174 Vgl. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (311); Henckel, AcP 174 (1974), 97 (105). 175 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (105); vgl. bereits Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 88. 176 Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (311); dagegen geht Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 83 f. davon aus, dass die Unterlassungsklage „niemals eine fällige Leistung zum Gegenstande habe“; ebenso Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 94: Erfolgreich kann der Unterlassungsanspruch „nur soweit geltend gemacht werden . . ., als er auf künftige Leistung zielt“. 177 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (105). 178 Vgl. auch Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), der darauf hinweist, dass wenn durch die §§ 257 ff. ZPO eine vorbeugende Unterlassungsklage ermöglicht hätte wer172
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der Erzwingbarkeit und mithin auch keinen Einfluss auf das Bestehen der materiellen Pflicht. Die §§ 257–259 ZPO sorgen im Gegenteil dafür, dass die Geltung der Pflichten des materiellen Rechts, die auf dem Zusammenfallen von Entstehungszeitpunkt, Klagbarkeit und Erzwingbarkeit beruht, nicht aufgrund des empirischen Moments der Prozessdauer durch eine zeitliche Verschiebung der Erzwingbarkeit beeinträchtigt wird.179 Während die §§ 257–259 ZPO somit in der Tat nur eine prozessuale Bedeutung haben, führt das Fehlen der Beeinträchtigungsgefahr dazu, dass die vermeintliche Pflicht zumindest zur Zeit nicht einklagbar und damit auch nicht erzwingbar ist. Daher hat das Merkmal der Beeinträchtigungsgefahr Einfluss auf das Bestehen der materiellen Pflicht selbst und ist daher eine materielle Voraussetzung. d) Die Relativität der privatrechtlichen Pflichten Um auf der Basis der Betrachtung des materiellen Rechts als einem System von im Zivilprozess durchsetzbaren Verhaltensnormen die Bedeutung des materiellen Anspruchs zu erklären, muss das Augenmerk noch auf eine charakteristische Besonderheit der Verhaltensanforderungen des Privatrechts gerichtet werden. Diese besteht darin, dass ihre Durchsetzung für den Fall der nicht freiwilligen Befolgung vollkommen in das Belieben desjenigen gestellt wird, zum Schutz dessen Interesses sie dienen sollen.180 Auf diese Weise wird die verhaltensbestimmende Rechtsnorm zu seinem Recht, zum subjektiven Recht.181 Dies hat zum Beispiel zur Konsequenz, dass es für den Käufer, solange der Verkäufer sein Recht nicht durchsetzt, vollkommen folgenlos bleibt, wenn er seine Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung nicht erfüllt: Die zwangsweise Durchsetzung der Forderung setzt die Erhebung der Klage sowie den Antrag auf die Zwangsvollstreckung des Verkäufers voraus. Aufgrund der Verletzung der Verbindlichkeit können zwar neue Rechte des Verkäufers entstehen, wie z. B. Schadensersatz- und Zinsforderungen, doch auch deren Durchsetzung ist völlig in das Belieben des Verkäufers gestellt. Auf diese Weise hängt die Geltung der rechtlichen Verpflichtungen des Privatrechts vollkommen von dem Willen des Geschützten ab. Dritte hingegen können keinen Einfluss darauf nehmen, ob die Einhaltung der Verhaltensnorden sollen, die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung einer Ergänzung bedurft hätten. 179 Vgl. Siber, Rechtszwang (1903), S. 80: Die Klage auf künftige Leistung wird zugelassen, um dem Kläger „beim Eintritt der Fälligkeit sofortige, nicht um die Prozeßdauer verzögerte Befriedigung zu verschaffen“; ähnlich Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 90: „alsbaldige Beseitigung einer künftigen Rechtsverletzung“. 180 Vgl. Bucher, AcP 186 (1986), 1 (15); Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 122 f. 181 Vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 60 f.
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men sichergestellt wird, und können sich auf ihre Geltung weder verlassen noch berufen. Für solche Dritte, die weder Adressat noch Begünstigter der Verhaltensnorm sind, gelten diese letztlich nicht. Daher kann sich ein materielles Privatrecht nicht damit begnügen, nur die Verhaltensanforderungen zu benennen, die es zum Schutz von Privatinteressen aufstellt, sondern muss zugleich auch angeben, wer als Inhaber des geschützten Interesses zur Durchsetzung der Verhaltenanforderung befugt ist. Dies ist die Funktion des Anspruchsbegriffs.182 Er setzt die Verhaltenspflicht in Beziehung zu dem Inhaber des geschützten Interesses, der die Befugnis hat, ihre Einhaltung im Rechtswege durchzusetzen,183 und der durch den Willen, dies gegebenenfalls auch zu tun, die Pflicht zu einer geltenden Rechtspflicht macht.
182 So schon Bucher, AcP 186 (1986), 1 (15): Die Funktion des subjektiven Rechts bestehe darin, die Normen „in Abhängigkeit von der Entscheidung des Trägers der subjektiven Rechte zu stellen“. „Da privatrechtliche ,Normen‘ . . . nur auf Betreiben der Interessierten durchgesetzt werden, wäre die Annahme der ,Geltung‘ oder ,Existenz‘ derartiger Normen, wenn diese ,objektiv‘, d. h. ohne Abstützung auf einen deren Beachtung verlangenden Willen des Privaten verstanden würde, realitätsfern“; vgl. auch Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (801), der den Anspruch als den „notwendigen Mechanismus für die Verbindung von materiellem Recht und Prozeß“ bezeichnet. 183 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (138) stellt fest, dass Ansprüche, die anders als die schuldrechtlichen Ansprüche auf positive Leistung nur die begrenzte Funktion eines Schutzmittels hätten, „nur der Anknüpfung einer Pflicht an die Person desjenigen dienen, in dessen Interesse die Pflicht besteht und die regelmäßig die Einhaltung der Pflicht durchsetzen kann.“ Dass die Verknüpfung auf der Ebene des materiellen Rechts zwischen den Verhaltensnormen und den Rechtssubjekten, die ihre Beachtung gerichtlich erzwingen können, unverzichtbar ist und der Anspruch in dieser Bedeutung das wesentliche Strukturelement des materiellen Rechts ist, sieht Henckel hingegen nicht. Statt dessen legt er anhand der Prozeßstandschaft dar, dass die „Befugnis zum [gerichtlichen] Geltendmachen der Pflicht“ nicht notwendigerweise „mit einer subjektiven Anspruchsberechtigung verbunden“ sein muss (ebd. S. 127) und hält daher auch eine Unterlassungsklage ohne zugrunde liegenden Anspruch für eine zumindest „möglich[e] und denkbar[e] Konstruktion – auch wenn bei dieser anders als bei der Prozeßstandschaft nicht mal der Anspruch eines Dritten bestünde. Zwar kommt Henckel schließlich zu dem Ergebnis, dass sein „Schutzanspruch“ „kein bloßes Institut des Prozeßrechts, sondern auch die materielle Grundlage“ sei (ebd. S. 139), begründet aber nicht, warum nicht nur die Pflicht, sondern auch die Befugnis zu ihrer Geltendmachung Teil des materiellen Rechts sind. Ob die Klagbarkeit „eine Frage des materiellen Rechts oder des Prozeßrechts ist“, hält er im Gegenteil für ein „schier unlösbare[s] Problem“ (ebd. S. 112), und stimmt Rimmelspacher (Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 126) darin zu, dass man die Frage, „ob der Schutzanspruch . . . eine materielle oder prozessuale Erscheinung sei“, offen lassen könne (ebd. S. 139 Fn. 81). Henckels Ausführungen lässt sich daher nur entnehmen, dass jedenfalls die Pflicht, die geltend gemacht wird, eine materiellrechtliche ist. Dass die Unterlassungsklage ein Mittel zur Sicherstellung der Beachtung von materiellen Pflichten ist, haben jedoch weder Siber (vgl. Rechtszwang (1903), S. 113: „Sicherung des zu Gunsten des absolut Berechtigten . . . erlassenen Verbotsgesetzes“; möglicherweise ist dieses Verbotsgesetz nach Siber allerdings öffentlich-rechtlicher Natur) noch die Anhänger der Lehre vom Rechtsschutzanspruch bestritten. Vor allem hat dies Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (304) bereits in aller Deutlichkeit gesagt. – Ob man den „materiellen Grund der Unter-
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Der Anspruch lässt sich daher als die Kompetenz184 des Berechtigten definieren, die Beachtung des Verhaltens – des Tuns oder Unterlassens –, das er verlangen kann, im Wege der Klage und Zwangsvollstreckung durchzusetzen.185 Solange der Berechtigte bereit ist, von dieser Kompetenz Gebrauch zu machen, entspricht ihr eine echte Rechtspflicht des Anspruchsgegners im Verhältnis zum Berechtigten. Das Verlangenkönnen des Anspruchsinhabers besteht darin, dass er den Anspruchsgegner vor die (unechte) Alternative stellen kann, dass dieser dem Verlangen des Anspruchsinhabers entweder von sich aus nachkommt oder dazu gezwungen wird. e) Keine Erklärung für den Inhalt des „Verlangenkönnens“ im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB Die Auffassung, die das materielle bürgerliche Recht als Normensystem ohne Bezug zum Rechtszwang versteht, kann hingegen die Bedeutung des Rechts, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, nicht überzeugend erklären.186 Die Verbindung, die der Anspruchsbegriff zwischen der Person des lassungsklage“ als Anspruch bezeichnet, stellt sich für Henckel nach alledem als eine rein terminologische Frage dar (vgl. dazu u. § 4 III. 2. Fn. 108). 184 Vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 60 zum Begriff des subjektiven Rechts: „Die Rechtsordnung eröffnet dem einzelnen die Möglichkeit, seine . . . Interessen nach seinem Willen zu verfolgen und notfalls mit ihrer Hilfe durchzusetzen. Indem sie ihm diese Möglichkeit gibt, gibt sie ihm Macht (denn eine Möglichkeit ist für den ein Können, der sie hat, und was er kann ist in seiner Macht)“. 185 Vgl. auch Siber, Rechtszwang (1903), S. 70 f.: Der (schuldrechtliche) Anspruch schließt „die Macht des Gläubigers zum Leistungszwang“ mit ein. Er ist „das dem Schuldner gegenüber durchsetzbare Recht auf die Leistung (ebd. S. 78); wie hier wohl auch Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 61: „die dem Berechtigten gegebene Befugnis, den ihm Verpflichteten gerichtlich ,anzusprechen‘.“ – zumindest unglücklich sind dagegen die sich anschließenden Erörterungen („jeder ist verpflichtet, mein Eigentum zu achten, aber ich kann nicht jeden beliebigen bloß schon deshalb verklagen, weil ich Eigentümer bin“; ebd. S. 62), die den Eindruck erwecken könnten, die materiellrechtliche Rechtspflicht sei unabhängig von der Klagebefugnis gegeben und der Anspruch damit materiellrechtlich bedeutungslos (dies vertritt Esser, s. o. § 3 IV. Fn. 262)). Dass Rehfeldt indes nicht davon ausgeht, dass das Eigentum über die gewährten Ansprüche hinaus Pflichten begründet, ergibt sich bereits daraus, dass er in dem subjektivem Recht schließlich „nichts als die objektivrechtliche Verbindung bestimmter Folgen mit einem bestimmten Tatbestande“ sieht (ebd. S. 75), wobei er als vollständige Rechtssätze im Privatrecht nur die anspruchsbegründenden Normen anerkennt (ebd. S. 52 f.). Vgl. zur weitgehenden Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung auch ebd. S. 61 f.: „Soweit die . . . Willensmacht reicht, verpflichtet sie . . .“ und S. 66: „Damit ist auch unser heutiges Privatrecht ein Aktionensystem“. 186 Vgl. bereits Kleinfeller, AcP 137 (1933), 129 (153): „Sobald aber die Rechtsstellung des Fordernden vom guten Willen des angeblichen Schuldners abhängt, kann von einem Rechte, zu verlangen, nicht mehr die Rede sein“; siehe auch Georgiades, Anspruchskonkurrenz (1968), S. 130: „Die rein materiellrechtliche Auffassung . . . hat vor allem nicht erklären können, welches der Wesensgehalt des Anspruchs als eines rechtstechnischen Begriffs ist.“
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Berechtigten und der Pflicht des Anspruchsgegners herstellt, soll darin bestehen, dass diese Pflicht als in der Weise durch den Willen des Berechtigten bedingt angesehen wird, dass dieser sie durch seine Einwilligung außer Kraft setzen kann.187 Für das Entstehen der Pflicht ist danach jedoch gerade keine besondere Rechtsausübung des Berechtigten im Sinne eines Verlangens erforderlich, so dass es sich hiernach nicht um ein Verlangenkönnen, sondern um ein Verzichtenkönnen handeln würde.188 In der bestehenden Verhaltenspflicht selbst würde der Berechtigte nur als Objekt auftauchen, um das gesollte Verhalten zu beschreiben.189 Die Möglichkeit des Verzichts auf die Geltung der begründeten Pflicht spielt aber gerade bei vertraglichen Verpflichtungen eine derart untergeordnete Rolle, dass sie die zwischen Berechtigten und Verhaltenspflicht hergestellte Beziehung nicht erklären kann. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit, über die Geltung einer Verhaltensnorm zu bestimmen, praktisch bedeutungslos bleibt, wenn einem die Möglichkeit fehlt, ihre Beachtung im Rechtswege durchzusetzen.190 Auch die Versuche, die Bedeutung des Anspruchs allein durch so genannte materielle Befugnisse zu erklären, überzeugen nicht. Eine Befugnis, den Anspruchsgegner zur Beachtung der Pflicht aufzufordern,191 würde zunächst nur dann einen Sinn machen, wenn ein allgemeines Verbot bestünde, unbefugt pflichtgemäßes Verhalten einzufordern.192 Darüber hinaus ist es auch nicht plausibel, dass eine derart schwache Befugnis allein den Inhalt des Anspruchs
187 So Windscheid, Pandekten9 (1906), § 37, S. 155 f. (dazu o. § 2 IV. 4. im Text nach Fn. 109). 188 Siehe auch Siber, Rechtszwang (1903), 69: „das Sollen des Schuldners ist unabhängig davon, ob der Gläubiger fordert oder nicht“. 189 Vgl. bereits Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 61: „Ein Verhalten ,gegenüber‘ jemandem im logischen Sinne gibt es nicht; die Drittbezogenheit einer Verhaltenspflicht ist nur eine besondere Form der Umschreibung dieser Verhaltensweise.“ 190 Zutreffend Siber, Rechtszwang (1903), 70: „Ein Recht, die Leistung zu verlangen, ohne die Mittel, dies[es] Verlangen auch dem Widerstrebenden gegenüber durchzusetzen . . ., wäre praktisch von verschwindend geringer Bedeutung. Aber auch wo solche Zwangsmittel gegeben sind, ist die blosse Aufforderung oft nur deshalb von Erfolg, weil der Schuldner in ihr die künftige Anwendung von Zwangsmitteln angedroht findet.“ 191 In dem Sinne aber auch Adomeit, Gestaltungsrechte (1969), S. 32 f.: Der Anspruch hat „den Charakter einer Eingriffsbefugnis, eines Rechtfertigungsgrundes, einer Erlaubnisnorm“, die den Inhaber u. a. dazu berechtigt, Mahnschreiben zuzustellen, die der Verpflichtete sich sonst „als fremde Einmischung in seine Angelegenheiten verbitten“ könnte. 192 Dagegen mit überzeugenden Argumenten Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (322); vgl. auch Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 85: „Ein Unrecht begeht auch derjenige Dritte nicht ohne weiteres, der aus einem zu seinen Gunsten geschlossenen Vertrag nur ermächtigt wird, trotzdem aber den Schuldner im Hinblick auf dessen Verbindlichkeit anspricht“.
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ausmachen soll.193 Die Ausübung der Befugnis zur Mahnung führt, sofern die weiteren Verzugsvoraussetzungen vorliegen, zum Entstehen weiterer Ansprüche. Ihre Bedeutung lässt sich daher auch nur dann erklären, wenn wenigstens letztere mit der Möglichkeit des Rechtszwangs verbunden sind, denn ansonsten würde – um es mit den Worten Muthers zu sagen – an die Stelle der einen Ohnmacht eine andere treten.194 Daher lässt sich auf der Basis der Annahme, dass das materielle Recht ein reines Normensystem ohne Bezug zum Gerichtsverfahren ist, nicht erklären, worin die besondere Beziehung des Anspruchsinhabers zu der Verhaltensnorm besteht, die es erlaubt, von einem Recht, ihre Beachtung zu verlangen,195 zu sprechen. 193 Siehe auch Siber, Rechtszwang (1903), S. 70: „In der Hauptsache muß der Anspruch von kräftigerer Beschaffenheit sein.“; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), 85: „der tatsächliche Wert der günstigen Privatrechtsstellung [wird] durch das nackte Aufforderungsrecht um nichts erhöht“. 194 Muther, Zur Lehre von der römischen actio (1857), S. 43: „das hieße an die Stelle der einen Ohnmacht eine andere setzen“; vgl. auch Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis (1903), S. 70: „Ein nicht erzwingbares Sollen“ kann „durch Erweiterung um nicht erzwingbare Nebenansprüche kaum wertvoller werden . . . , als es vorher war“. 195 Aus diesem Grund ist auch die Annahme einer von der Klagebefugnis unabhängigen „Einziehungsbefugnis“ des Gläubigers durch Staudinger13 /J. Schmidt (1995), Einl. zu §§ 241 ff., Rn. 122, 141 abzulehnen. Unter Einziehungsbefugnis versteht J. Schmidt die Berechtigung des Gläubigers, „ein Sollen des Schuldners für seine Zwecke in Anspruch zu nehmen“ (ebd. Rn. 121) und damit den Anspruch im Sinne von Windscheids Definition (vgl. o. § 2 IV. 4. Fn. 111). Die Klagebefugnis soll „überwiegend öffentlich-rechtlich geordnet (,Rechtsschutzanspruch‘ . . .)“ sein, aber dennoch zum Komplex der Forderung gehören (ebd. Rn. 142). Als „Meta-Befugnis“ könne sie zwar auf die Einziehungsbefugnis bezogen sein (ebenso wie auf jedes andere Recht auch; ebd. Rn. 143), die beiden Befugnisse müssten aber nicht begriffsnotwendig zusammen vorkommen (ebd. Rn. 141). So soll es insb. möglich sein, dass die Klagebefugnis durch Verwirkung ausgeschlossen ist, während die Einziehungsbefugnis bestehen bleibt (ebd. Rn. 156, 173). Auch die Verjährung soll die Einziehungsbefugnis unberührt lassen (ebd. Rn. 170). Die Bedeutung einer Befugnis, über eine Pflicht zu verfügen ohne die Befugnis, die Beachtung derselben zu erzwingen, lässt sich jedoch nicht erklären (s. soeben im Text nach Fn. 186). Insb. die Annahme, dass die Pflicht nach der Verjährung bestehen bleibe, widerspricht der materiellrechtlichen Konzeption der Verjährung. – Im Übrigen wird nicht deutlich, wie sich diese mit der Terminologie des BGB fremden Begriffen bezeichneten Befugnisse zum Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB verhalten: In Staudinger13 /J. Schmidt (1995), Einl. zu §§ 241 ff., Rn. 319 wird der Anspruch mit der Einziehungsbefugnis identifiziert. Nach Staudinger13 /J. Schmidt (1995), Einl. zu §§ 241 ff., Rn. 125, J. Schmidt, FS Jahr (1993), 401 (415 ff.) soll der Anspruch jedoch „die materiellrechtliche Sanktion“ für die Verletzung der Einziehungsbefugnis und die „Befugnis zur Haftungsrealisierung“ bzw. zum „Erfüllungszwang“ verleihen (an die dann wiederum die öffentlich-rechtliche Klagebefugnis „anknüpft“; ders., FS Jahr (1993), 401 (417)). Dazu, dass sich der anspruchsbegründende Tatbestand im Falle von schuldrechtlichen Primärrechten nicht als Pflichtverletzung begreifen lässt, sondern die Pflicht erst mit dem Anspruch entsteht, s. o. § 2 IV. 4. Fn. 107. Bei Annahme einer von der Möglichkeit der Erzwingung unabhängigen Einziehungsbefugnis lässt sich zudem nicht erklären, was die Sanktion zu einer „ma-
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Die Definition des Anspruchs als Kompetenz des Anspruchsinhabers, sich das, was er verlangen kann, im Wege der Klage und Zwangsvollstreckung zu verschaffen, macht hingegen deutlich, dass der Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB zugleich dasjenige mitumfasst, was in der Lehre vom Rechtsschutzanspruch196 als Rechtsschutzanspruch oder auch als Klagerecht bezeichnet wurde.197 Gleichwohl sollte man, um Missverständnisse zu vermeiden, diese Kompetenz des Anspruchsinhabers nicht als Klagerecht bezeichnen. Zum einen wäre dieses konkrete Klagerecht vom so genannten abstrakten Klagerecht198 bzw. vom Recht auf Rechtsschutz199 abzugrenzen: Letztere setzen nur die Behauptung eines Anspruchs voraus und stehen daher jedem zu. Daher müsste man klarstellen, dass mit dem Klagerecht das Recht bezeichnet wird, erfolgreich zu klagen, d. h. auch wirklichen staatlichen Schutz durch positives Urteil und Zwangsvollstreckung zu erlangen. In diesem Fall ist jedoch die Bezeichnung als Recht problematisch. Sie suggeriert, dass eine Rechtsverletzung vorliegen müsste, wenn eine Klage trotz bestehenden Klagerechts abgewiesen wird. Eine Klage kann jedoch, obwohl ein solches Klagerecht besteht, vom Richter vollkommen rechtmäßig abgewiesen werden, z. B. weil der Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht gelungen ist. Während das Bestehen der Verpflichtung des Anspruchsgegners allein vom tatsächlichen Vorliegen der materiellen Voraussetzungen abhängt, ohne dass es dabei auf deren Beweisbarkeit ankommt, muss der Richter seinem Urteil die Beweisvorschriften im gleichen Maße wie die materiellen Vorschriften zugrunde legen.200 In diesem Zusamteriellrechtlichen“ macht: Auf der Basis dieser Betrachtungsweise führt die Verletzung, solange die Verzugsvoraussetzungen nicht vorliegen, zu keiner Veränderung der materiellrechtlichen Lage: Der Schuldner ist nach wie vor nur zur Erbringung der Leistung verpflichtet (s. o. § 2 IV. 4. Fn. 107). Es ist gerade charakteristisch für den Begriff des Anspruchs, dass der Inhalt der Pflicht und der Inhalt der Sanktion sich gleichen (insofern ist es doch von Bedeutung, dass unser Zivilrecht nicht dem Prinzip der reinen Pekuniarkondemnation folgt; vgl. dagegen J. Schmidt, FS Jahr (1993), 401 (414)). 196 Zur Lehre vom Rechtsschutzanspruch s. o. § 3 II. 1.–3. 197 So auch Kleinfeller, AcP 137 (1933), 129 (148 f.): „Neben dem Anspruch besteht kein selbständiges Klagerecht . . . Das sogenannte Klagerecht und der Rechtsschutzanspruch sind vielmehr im materiellrechtlichen Anspruch als Wesensbestandteile enthalten.“; vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (172): „Auf den Prozeß hin betrachtet, stellt sich der Anspruch mithin als materielles Prozeßrecht dar.“ – Vgl. bereits o. § 3 II. 4. b) Fn. 168. 198 Vgl. z. B. Nikisch, Zivilprozeßrecht 2 (1951), § 2 V: Klagerecht als „das Recht auf Rechtsschutz im Sinne prozeßordnungsmäßiger Erledigung jedes Rechtsschutzgesuchs“; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil II15 (1960), § 224 II 2. 199 Vgl. dazu z. B. Zöller27 /Vollkommer (2009), Einl. Rn. 48: „gegen den Staat gerichtete[r] Anspruch auf Rechtsschutz (Justizgewährungsanspruch, auch Justizanspruch genannt)“, dem die „Pflicht der Gerichte [entspricht], als Rechtspflegeorgane tätig zu werden.“ 200 In diesem Sinne kann ein Urteil „prozessualisch richtig, aber materiell unrichtig sein“ (Siber, Rechtszwang (1903), S. 72 mit Verweis auf den Widerspruch zwischen Zitelmann 1 und Hölder, ZZP 29, 61). Materiell unrichtig bedeutet in diesem Zusam-
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menhang muss bedacht werden, dass auch die prozessualen Vorschriften einen Gerechtigkeitsgehalt haben und daher nicht jede Klageabweisung trotz bestehenden materiellen Rechts als tendenziell zu beseitigende Ungerechtigkeit zu verstehen ist.201 Der Anspruch als Strukturelement des materiellen Rechts entspricht somit der relativen Geltung der Verhaltensnormen:202 zum Schutz eines Interesses verleiht die Privatrechtsordnung das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, wobei das Kennzeichnende des Rechts die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung ist, wenn das verlangte Verhalten nicht „freiwillig“ erfolgt. III. Der Anspruch als Rechtsschutzmöglichkeit (Materielles Recht als System von Normen der richterlichen Entscheidungsfindung) Im vorhergehenden Abschnitt wurde erörtert, dass sich das materielle Recht nicht als reines System von verhaltensbestimmenden Normen ohne Bezug auf das gerichtliche Verfahren auffassen lässt. Dabei wurde gezeigt, dass die Normen des materiellen Rechts neben der Funktion der Verhaltensbestimmung zumindest auch als urteilsbestimmende Normen fungieren müssen. Es wurde hingegen nicht in Frage gestellt, dass sie sich überhaupt an das Privatrechtssubjekt richten, indem sie diesem ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbieten.203 Dies menhang, dass der vom Richter festgestellte Anspruch zwischen den Parteien nicht bestand, bzw. der abgewiesene Anspruch bestand. Der Fehler der Lehre vom Rechtsschutzanspruch besteht nicht darin, dass sie überhaupt auf der Grundlage des außerprozessualen Tatbestandes Rechte und Pflichten annahm, sondern darin, dass sie aufgrund des außerprozessualen Tatbestandes einen Anspruch gegen das Gericht auf das günstige Urteil annahm. Ein solcher Anspruch setzt aber begriffsnotwendig eine entsprechende Pflicht des Gerichts zum Erlass des günstigen Urteils voraus. Eine solche besteht hingegen, wenn das Gericht in Übereinstimmung mit den prozessualen Regelungen ein der materiellen Rechtslage widersprechendes Urteil erlässt, gerade nicht; darüber hinaus bedarf es auch abgesehen davon keiner Konstruktion eines Rechtsschutzanspruchs – vgl. die insoweit treffenden Ausführungen von Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (768): „An ihn [den Richter] wird kein Anspruch erhoben. Seine öffentlich-rechtliche Stellung, dass er kraft seines Amtes verpflichtet ist, auf die bei ihm eingereichten Klagen und die aus diesem Anlasse erfolgten Verhandlungen ein Urtheil zu fällen, wird ja von Niemandem bestritten. Wenn aber der Richter dem vo[m] Kläger gestellten Antrage stattgiebt, so geschieht das nicht, weil der Richter dahin dem Kläger verpflichtet wäre, sondern weil der Kläger Recht hat, und der Beklagte Unrecht“. 201 Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 59, 62 f. – s. dazu aber u. § 3 III. 4. im Text nach Fn. 246. 202 Siehe auch Bucher, AcP 186 (1986), 1 (14): „durch das Vorliegen der Gefährdung von Drittinteressen bedingte Geltung der . . . Normen“. 203 Vgl. Siber, Rechtszwang (1903), S. 70: Im Anspruch „ist ein Leistensollen des Schuldners enthalten“ und S. 82: „Zum Vorhandensein des Anspruchs gehört ein sofortiges Leistensollen des Schuldners . . .“; vgl. auch Georgiades, Anspruchskonkur-
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wäre hingegen ausgeschlossen, wenn die materiellen Rechtssätze als reine Entscheidungsnormen aufzufassen wären und ihre alleinige Aufgabe demgemäß darin bestünde, den Inhalt der zivilgerichtlichen Entscheidung zu bestimmen. 1. Das Einheitskonzept J. Binders Dieser Ansatz wurde insbesondere von J. Binder vertreten. Binder geht davon aus, dass die materiellen Rechtsnormen als bloße Anweisungen an den Richter zu verstehen sind, ein Urteil bestimmten Inhalts zu fällen.204 Einen Anspruch gegenüber einem anderen Privatrechtssubjekt habe man daher nur dadurch, dass man „einen Anspruch gegen den Staat auf Gewährung des Rechtsschutzes“ habe.205 Dieser Anspruch sei jedoch, solange über ihn noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, von rein hypothetischer Natur.206 Dies begründet Binder damit, dass für den Richter das Recht nur existiert, wenn es bewiesen wird,207 und daher auch die Existenz des Anspruchs erst durch den Prozess begründet werde.208 Da der Ausgang des Prozesses ungewiss sei, könnten sich weder der Berechtigte, der Verpflichtete, noch ein objektiver Dritter vor dem Prozess der Existenz des Anspruchs sicher sein.209 Erst durch das Urteil werde der Anspruch „aus dem Zustand der Hypothese und Prätention ins Objektiv-Gewisse“ herausgehoben.210 Das, was als vorprozessualer Anspruch bezeichnet wird, ist für Binder nur die Aussicht, dass das Interesse, das der Kläger zu haben behauptet, durch gerichtliche Maßnahmen geschützt wird, „sofern ihm der Beweis gelingt, dass der Tatbestand vorliegt, unter dessen Voraussetzungen das Gesetz ihm Schutz verheißt.“211 Der Konzeption der Trennung von materiellem Recht und Prozess setzt Binder sein Einheitskonzept212 entgegen. Als reine Entscheidungsnormen können renz (1968), S. 132: Die Bedeutung des Anspruchs „erschöpft sich aber nicht in dem Einklagendürfen, sondern umfasst auch die materiellrechtliche Befugnis, vom Verpflichteten eine bestimmte Leistung zu verlangen“. 204 Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 99, 242, 285; ebd. S. 105 sieht Binder zumindest die „bedeutsamere Funktion“ der Privatrechtsnorm darin, dass sie den Richter in bestimmter Weise entscheiden lasse. 205 Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 33; vgl. auch ebd. S. 225. 206 Ebd. S. 207. 207 Ebd. S. 153. 208 Ebd. S. 334. 209 Ebd. S. 207. 210 Ebd. S. 334; vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (174): „Erst der durch Urteil fixierte Anspruch . . . ist so etwas wie ein ,wirklich bestehender Anspruch‘.“ 211 Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 386; vgl. Bruns, FS Ekelöf (1972), 161: „Allenfalls könnte man sagen, daß für den materiellrechtlichen Anspruch eine spezielle prozessuale Lage (sichere Zeugen etc.) ,ausgeklammert‘ sei.“ 212 Vgl. Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 11 f.: „Identitätstheorie“, S. 46 f.: „Der . . . Dualismus von Privatrechtsordnung und Rechtsschutzordnung besteht nicht.“;
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nach seiner Auffassung die Vorschriften des materiellen Rechts nicht unabhängig von den prozessualen Vorschriften, insbesondere von denen des Beweises, betrachtet werden.213 Ein Anspruch, der vor Gericht nicht bewiesen werden S. 167: „Rechtsordnung als eines Ganzen, als einer Einheit“; – Auch Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), nimmt an, dass Privat- und Prozessrecht „eine untrennbare Einheit“ bildeten (ebd. S. 6) und die systematisierende Unterscheidung daher „keine logische Notwendigkeit“ sei, sondern nach „Zweckmäßigkeitserwägungen vorzunehmen“ sei (ebd. S. 13). Das Kriterium für die zweckmäßige Unterscheidung sieht Neuner darin, dass die Vorschriften, die die „Voraussetzungen eines jeden Urteils regeln“ dem Prozessrecht angehören, während die Normen des materiellen Rechts „den stets wechselnden Inhalt des Urteils bestimmen“ (ebd. S. 11 f.). Eine Unterscheidung nach diesem Kriterium ist jedoch nicht möglich, weil einerseits auch die Abweisung aufgrund fehlender Prozessvoraussetzungen durch Urteil erfolgt und andererseits der Erlass eines Urteils bestimmten Inhalts gleichermaßen von den materiellen und prozessualen Voraussetzungen abhängig ist. Wenn man bei der Unterscheidung, wie Neuner, ebd. S. 6 es vorschlägt, von dem „Staatsakt . . ., der die Sanktion enthält,“ ausgeht, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass alle seine Voraussetzungen gleichwertig sind. Dies erkennt auch Neuner (ebd. S. 7 f.: „keine logisch notwendige“ Unterscheidung) und will daher im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung des zivilrechtlichen Urteils danach differenzieren, ob das Fehlen einer Voraussetzung zur Prozessabweisung oder zur Sachabweisung führt (ebd. S. 8 f.). Dabei soll sich die Sachabweisung von der Prozessvoraussetzung dadurch unterscheiden, dass bei ihr „eine Wiederholung mit demselben Klagantrag nicht möglich ist“. Problematisch ist dabei zunächst, dass dieses Unterscheidungskriterium dann nicht weiterhilft, wenn es gerade in Frage steht, ob die nicht erfüllte Voraussetzung prozessualer Natur mit der Folge der Prozessabweisung oder materieller Natur mit der Folge der Sachabweisung ist (vgl. auch Bacher, Beeinträchtigungsgefahr (1996), S. 34), wie das z. B. hinsichtlich der Frage der Qualifikation des Merkmals der Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen in § 1004 BGB durchaus der Fall war. Der Gefahr einer Zirkeldefinition (Materielle Voraussetzungen sind solche, deren Fehlen zur Sachabweisung führen. Eine Sachabweisung erfolgt dann, wenn materielle Voraussetzungen nicht erfüllt sind.) wird man zwar dadurch begegnen können, dass man die Unterscheidung danach vornimmt, ob es sachgerecht ist, dass bei Fehlen der Voraussetzung eine Wiederholung der Klage nicht möglich ist. Was jedoch entscheidend gegen dieses Differenzierungskriterium spricht ist, dass nach heute wohl allgemeiner Meinung auch Prozessurteile der Rechtskraft fähig sind (Stein/ Jonas22 /Leipold (2008), § 322 Rn. 55, 126 ff.). Das Fehlen von prozessualen und materiellen Voraussetzungen wird nämlich insofern gleichbehandelt, als eine erneute Klage nur aufgrund einer nach dem Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung veränderten Rechtslage zulässig ist (Grunsky, Zivilprozessrecht13 (2008), Rn. 236 und 243), wenn also aufgrund neuer Tatsachen der prozessuale Mangel nun behoben ist (vgl. Stein/Jonas21 /Leipold, § 322 Rn. 127) oder das im ersten Prozess nicht vorliegende materielle Tatbestandsmerkmal nun gegeben ist (vgl. Stein/Jonas22 /Leipold (2008), § 322 Rn. 232 f.). Daher ist eine Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht nach diesem Kriterium nicht möglich. Vor allem aber „verkürzt Neuner die Bedeutung des materiellen Rechts“ (so Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 19), wenn er anscheinend im Ergebnis (trotz der Ausführungen ebd. S. 5 mit Fn. 1) den Normen des materiellen Rechts doch nur eine Bedeutung als Voraussetzungen des staatlichen Zwangsakts zuerkennt. Neuner, ebd. S. 5 ist zwar von dem hier vertretenen Standpunkt darin zuzustimmen, dass eine verbindliche Privatrechtsnorm nur dann anzuerkennen ist, wenn sie „im Zivilprozeß zu berücksichtigen“ ist und daher die Möglichkeit des gerichtlichen Zwangs besteht. Die Bedeutung einer solchen Privatrechtsnorm erschöpft sich dann jedoch nicht darin, den Urteilsinhalt zu bestimmen, sondern sie richtet sich als verhaltensbestimmende Norm unmittelbar an
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konnte, war für Binder niemals ein Recht, sondern hat „von vornherein nur eine äußerst prekäre Geltung“ gehabt und im Falle der Unbeweisbarkeit „überhaupt keine Existenz“.214 2. Berührungspunkte des Einheitskonzepts Binders mit der Prozesstheorie O. Bülows und dem Ansatz Pawlowskis In diesem Punkt weist die Auffassung Binders deutliche Berührungspunkte mit der Prozesstheorie O. Bülows auf, die der Gegenpart zu der „metaphysischen“215 Lehre vom Rechtsschutzanspruch war. O. Bülow geht davon aus, dass der für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche materiellrechtliche Tatbestand erst durch die Gerichtsverhandlung hervorgebracht werde und aufgrund der Ungewissheit ihres Verlaufs nicht im Voraus festgestellt werden könne.216 Auf dieser Grundlage lehnt er die Annahme, dass im Prozess die vor demselben bestehenden Privatrechtsansprüche geltend gemacht würden, mit dem Argument ab, dass auch Klagen wegen nicht bestehender Ansprüche zu stattgebenden Urteilen führen können.217 Eine solche Annahme beruhe auf einer „Vorwegnahme die Privatperson, und das unabhängig davon, ob ihre Voraussetzungen in dem gerichtlichen Verfahren zu beweisen sind. Daher ist Neuner darin zu widersprechen, dass „die Privatrechte . . . nicht unabhängig von der Verwirklichung“ (ebd. S. 12) bestünden. Die Annahme, „daß das Privatrecht unabhängig vom Prozeßrecht gegeben sei“, ist mehr als nur „ein Mittel der systematischen Darstellung“ (so Neuner, ebd. S. 13), sondern ist darin begründet, dass die Regeln des materiellen Rechts unabhängig von dem empirischen Moment der Beweisbarkeit ihrer Voraussetzungen Geltung beanspruchen. Freilich darf man, weil die Erzwingbarkeit Voraussetzung jeder Rechtsnorm ist, die Unabhängigkeit nicht in dem Sinne verstehen, wie sie etwa der Lehre vom Rechtsschutzanspruch zu Grunde liegt. 213 Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 295. 214 Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 314. 215 Vgl. Wach, Civilprocessrecht I (1885), § 1 III 1, S. 7 Fn. 7: „Wir haben . . . den der Sache, ihrem Wesen adäquaten, den sog. metaphysischen Begriff . . . zu suchen“ und § 2 V, S. 23 Fn. 27; dagegen Bülow, ZZP 31 (1903), 191 (227 Fn. 2): „Noch weniger ist mir verständlich, daß es metaphysische Prozeßrechtsbegriffe geben könnte, vollends daß die Jurisprudenz überhaupt nur mit solchen, nicht mit empirischen Begriffen zu tun habe . . .“; dagegen wiederum Wach, ZZP 32 (1904), 1 (4 ff.): „Den methodischen Differenzpunkt, welcher die ganze Kontoverse beherrscht, bezeichnete ich durch den Unterschied der empirischen und der metaphysischen Betrachtungsweise.“ – Zur „Lösung des Prozeßproblems“ führe „nur die metaphysische Betrachtungsweise“; vgl. auch Kohler, ZZP 33 (1904), 211 ff.; J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 150 f. 216 Bülow, ZZP 31 (1903), 191 (250); vgl. auch Bruns FS Ekelöf (1972), 161 (162): Soweit in einem Rechtsstreit Sätze des positiven Rechts angewendet werden – einzige Funktion der Gesetze nach der „realistischen“ nordischen Rechtstheorie –, ist das Schwanken der Situation nicht zu verkennen, die sich aus dem hic et nunc der Rechtsanwendung, der Geschicklichkeit der Parteien und ihrer Vertreter in der Beziehung der erheblichen Tatsachen nebst der Beweise, auch der Auffassung des Richters ergibt“. 217 Bülow, ZZP 31 (1903), 191 (257).
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des . . . im Voraus noch gar nicht bestimmbaren Prozessergebnisses“.218 Die Bestimmungen des materiellen Rechts gäben für sich allein noch keine Auskunft darüber, was im Einzelfall Recht ist, so dass es sich insofern bei diesem um eine „nicht völlig fertiggestellte Privatrechtsordnung“ handele.219 Sofern die Privatpersonen diese unfertige Rechtsordnung nicht einvernehmlich konkretisierten, würden die „abstrakten, hypothetischen Privatrechtsbestimmungen“ im Zivilprozess nach den dafür vorgesehenen Verfahrensregeln „in konkrete unbedingte Rechtsbestimmungen umgesetzt“ und dadurch zu „volle[m] wirklichen Recht“.220 In neuerer Zeit geht Pawlowski in Anlehnung an die Lehre Bülows221 davon aus, dass das materielle Recht vor dem Prozess unbestimmt ist und dieser daher die Aufgabe habe, festzustellen, was im Einzelfall Recht sei.222 Obwohl Pawlowski das Hauptaugenmerk auf die Unbestimmtheit des Rechts richtet, die sich aus dessen fortlaufender Veränderung ergibt, bezieht er die Unbestimmtheit auch auf „die Ungewissheit, die sich aus den Beweisschwierigkeiten ergibt.“ 223
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Ebd. 260. Ebd. 267 f.; vgl. zu weiteren Vertretern der Konzeption einer „unfertigen“ Rechtsordnung“ die Nachweise der älteren Literatur bei J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 151 Fn. 827. 220 Bülow, ZZP 31 (1903), 191 (269 f.); vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (174 f.): Der Anspruch hat keinen „Stabilisierungswert“. Die „Qualität einer ,festgelegten‘ Forderung“ erlangt er – abgesehen von den schuldrechtlichen Primäransprüchen – erst „durch gerichtliche oder außergerichtliche Fixierung“. 221 Den Unterschied seiner Auffassung gegenüber der Bülows sieht Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (369 Fn. 103) darin, dass er „die Feststellung des heutigen Rechts . . . als Folge eines von den Parteien betriebenen Verfahrens“ versteht im Gegensatz zu Bülow, der die Aufgabe des Prozesses darin sehe, dass das unfertige Gesetz „durch die Entscheidung eines staatlichen Beamten“ konkretisiert werde. Doch auch Bülow hat keineswegs das Element der autoritativen staatlichen Entscheidung in den Mittelpunkt gestellt, sondern davon gesprochen, dass „der Staat den Beteiligten auf ihr Verlangen bei der Ermittlung dessen, was in concreto Rechtens ist, seine Hülfe gewährt“ (Bülow, ZZP 31 (1903), 191 (267) bzw. „eine Veranstaltung bereit“ hält, in der „die abstrakten hypothetischen Privatrechtsbestimmungen auf Verlangen und unter Mitwirkung der Beteiligten in konkrete unbedingte Rechtsbestimmungen umgesetzt werden“ (Bülow, ZZP 31 (1903), 191 (270). In der Sache ist der Unterschied daher gering. 222 Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (368 f.); bereits Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951), S. 1 ff. ging davon aus, dass das „wirkliche Recht“ (ebd. S. 18 f.) erst vom Richter aus der unfertigen abstrakten Rechtsordnung geschaffen werde; vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (162): „Mögen die Gesetze zu irgendeiner Entscheidung des Streitfalls dienlich sein, die Stabilität der materiellrechtlichen Situation vermögen sie allein noch nicht zu garantieren. Stabilität erlangt erst das Ergebnis, gerüttelt im Instanzenzug, einer Wiederaufnahme nicht ausgesetzt. Durch das Institut der materiellen Rechtskraft ist also nicht die Stabilität des materiellrechtlich gerechtfertigten subjektiven Rechts, sondern die Stabilität des Prozeßergebnisses gesichert, wenngleich sich jenes mit diesem decken kann (und decken sollte)“. 223 Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345 (364 f.) 219
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Vom Standpunkt Binders ausgehend, dass das materielle Recht nur Entscheidungsnormen beinhaltet, ergeben sich gegenüber der Annahme materieller Unterlassungsansprüche keine Bedenken. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sie nach der Auffassung Binders zum einen nur ein Recht auf die staatliche Rechtsschutzhandlung geben224 und zum anderen, solange sie nicht rechtskräftig festgestellt werden, nur hypothetischer Natur sein sollen.225 Somit stellt der nicht rechtskräftig festgestellte Unterlassungsanspruch nicht mehr als die Aussicht auf ein Unterlassungsurteil für den Fall dar, dass es gelingt, das Vorliegen des anspruchsbegründenden Tatbestandes zu beweisen. Binder gibt damit zum einen die Sichtweise auf, dass das Privatrecht rechtliche Beziehungen unmittelbar zwischen den Privaten begründet, und zum anderen diejenige, dass Rechte vor, außerhalb und unabhängig von ihrer gerichtlichen Feststellung bestehen. 3. Kritik des Einheitskonzepts Binders Die Annahme Binders, dass das materielle Recht nur die Funktion hat, den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung zu bestimmen, verkürzt jedoch den Bedeutungsgehalt des materiellen Rechts in unzulässiger Weise.226 Während oben dargelegt worden ist, dass die Annahme eines Systems von Verhaltensnormen, deren Einhaltung nicht hinreichend sichergestellt ist, dem verbindlichen Charakter des Rechts nicht gerecht wird, so erschöpft sich auf der anderen Seite die Funktion des Rechts nicht darin, anzukündigen, unter welchen Voraussetzungen gerichtliche Zwangsmaßnahmen eintreten werden.227 Die Rechtssätze des materiellen Rechts sind als unmittelbar an die Privatperson gerichtete Gebote und Verbote formuliert,228 die unabhängig von der Durchsetzung im Einzelfall Geltung beanspruchen. In der überwiegenden Zahl werden sie beachtet, ohne dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Dieser Funktion des Rechts, das individuelle Verhalten zu bestimmen, widerspricht es, das Recht nur von der staatlichen Maßnahme als scheinbar einzig empirisch feststellbarem229 zu erklären.
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Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 33; vgl. auch ebd. S. 225. Binder, Prozeß und Recht (1927), S. 207. 226 Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 19 zu der Theorie Neuners (dazu u. § 3 III. 4. Fn. 239). 227 Vgl. auch den Satz des berühmten amerikanischen Richters Oliver Wendell Holmes: „The prophecies of what the Courts will do in fact and nothing more pretentious are what I mean by the law“ (zitiert nach W. Friedmann, Legal Theory2 (1949), S. 190); vgl. dazu Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 43. 228 Vgl. Esser, Grundbegriffe (1949), S. 142: „Die Verhaltensnormen als Gebote und Verbote wenden sich ersichtlich an den, dem ein Verhalten geboten oder verboten wird.“ und S. 143: „Die Rechtssätze richten sich an den Pflichtträger selbst, aber auch an den Amtsträger . . .“. 229 Was die Frage aufwirft, ob es empirisch nicht ebenso sehr feststellbar ist, dass sich die Privatpersonen nach Maßgabe des materiellen Rechts verhalten, wie dass die 225
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Insbesondere ist auch die Ansicht abzulehnen, dass die Vorschriften des materiellen Rechts nur in Abhängigkeit von den Beweisregeln zu sehen sind. Die Rechtsfolgen der materiellen Rechtssätze sind zunächst einmal durch den tatsächlich vorhandenen und nicht durch den gerichtlich festgestellten Tatbestand bedingt.230 Dies bedeutet, dass die Normadressaten ihr Verhalten anhand der Norm ausrichten sollen, wenn deren Tatbestand vorliegt, und nicht nur dann, wenn dieser gerichtlich feststellbar ist. Es ist zwar richtig, dass es aufgrund der beschränkten menschlichen Erkenntnismöglichkeiten in letzter Konsequenz keine objektive Wahrheit geben kann und man sich daher auch bei der Rechtsanwendung mit einer Evidenz des Tatbestandes begnügen muss. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass sich nur der gerichtlich festgestellte Tatbestand zur Subsumtion unter das Gesetz eignen würde. Die letztlich hinter einem solchen Subsumtionsmonopol des Gerichts stehende Annahme, dass die Parteien nicht in der Lage seien, die für die Rechtsanwendung maßgeblichen Umstände zu erkennen, und von vornherein nur die gerichtliche Feststellung als die im Verhältnis zu der Erkenntnis der Beteiligten objektivere Evidenz maßgeblich sein könne,231 ist unbegründet. Es ist Teil der Rechtstechnik, dass die pflichtbegründenden Tatbestände des Zivilrechts so beschaffen sind, dass ihr Vorliegen von den Normbetroffenen mit hinreichender Objektivität festgestellt werden kann.232 Zumeist werden die Pflichten an Tatbestände angeknüpft, an denen der Verpflichtete entweder selbst beteiligt war oder die eine gewisse Offenkundigkeit haben (man denke an das Prinzip der Publizität im Sachenrecht). Die Ungewissheit, die im Prozess bezüglich des Vorliegens der relevanten Tatumstände besteht, beruht zumeist nicht darauf, dass den Beteiligten seinerzeit die zur Wahrnehmung der Umstände nötigen Fähigkeiten fehlten, sondern hat ihren Grund darin, dass der Richter als eine am Geschehen unbeteiligte Person über ihr Vorliegen entscheiden soll.
Gerichte nach ihrem Maßstab entscheiden; vgl. auch Esser, Grundbegriffe (1949), S. 143: Binder erkenne „nur die Gewaltanwendung als Rechtssymptom“ an. 230 A. A. aber auch Kelsen, Reine Rechtslehre 2 (1960), S. 245: „Nicht die Tatsache an sich, daß ein Mensch einen Mord begangen hat, sondern die Tatsache, daß ein nach der Rechtsordnung zuständiges Organ . . . festgestellt hat, daß ein Mensch einen Mord begangen hat, ist die von der Rechtsordnung statuierte Bedingung“. 231 Vgl. Binder, Prozeß und Recht (1927): Die Existenz eines Rechts sei weder für den dritten Beurteiler, noch für den Berechtigten oder Verpflichteten selbst gewiss (ebd. S. 207). Die Partei, die die materielle Richtigkeit eines Urteils bestreite, tue dies nicht aufgrund einer objektiven Existenz des Rechts, sondern aufgrund einer nicht minder subjektiven, vermutlich viel subjektiveren Evidenz (ebd. S. 217). 232 Insb. in der Dogmatik des Deliktsrechts („Lehre vom Verhaltensunrecht“) hat die Ausrichtung des Umfangs der Verhaltenspflichten anhand dessen, was dem Pflichtadressaten möglich ist, eine wichtige Rolle gespielt; vgl. das „Prinzip des Könnens“ bei Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 191 ff.
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4. Die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht als Problem der Abgrenzung zwischen empirischer und normativer Rechtsbetrachtung Die Annahme, dass sich das materielle Recht aus durchsetzbaren Verhaltensnormen zusammensetzt und die Normen damit zugleich Verhaltens- und Entscheidungsnormen sind, führt zu einem diffizilen Abgrenzungsproblem, das sich zwischen den Ebenen empirischer und normativer Rechtsbetrachtung bewegt.233 Auf der einen Seite hindert es die Annahme einer rechtlichen Verpflichtung nicht, wenn die zwangsweise Durchsetzung im Einzelfall aus rein faktischen Gründen misslingt. So lässt sich eine Zahlungspflicht nicht deshalb verneinen, weil der Schuldner sich durch sein Untertauchen der Vollstreckung entzieht. Auf der anderen Seite ist eine rechtliche Verpflichtung zu verneinen, wenn die Durchsetzbarkeit dieser Verpflichtung allgemein von Rechts wegen ausgeschlossen ist.234 Die Frage, die sich nun stellt, ist folgende: Ob ein Urteil 233 Vgl. J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 227 ff., der zwischen einer „materiellrechtliche[n] (statische[n])“ und einer „prozessuale[n] (dynamische[n]) Rechtsbetrachtungsweise“ unterscheidet. Nach der materiellrechtlichen Betrachtungsweise sei das Recht „ein Inbegriff von Imperativen“ (ebd. S. 227). Für die für die Prozessrechtswissenschaft maßgebende dynamische Rechtsauffassung sei das Recht „Maßstab für die Urteilstätigkeit des Richters“ (ebd. S. 228). Von ihrem Standpunkt ausgehend seien die durch das materielle Recht begründeten Rechte und Pflichten lediglich „Aussichten auf ein verheißenes günstiges oder angedrohtes ungünstiges richterliches Urteil“ (ebd. S. 251). Die Geltung des Rechts beruhe nach ihr nur „auf dem ,psychischen Zwange der Aussicht . . ., daß . . . die Verheißungen und Androhungen eines richterlichen Urteils bestimmten Inhalts auch wirklich durch den Richter erfüllt werden“ (ebd. S. 251). In letzter Linie sei daher auch das Recht des Einzelnen „nichts als ein Inbegriff von Möglichkeiten und Lasten im Kampf um das, was als Recht gelten wird“ (ebd. Vorwort S. V). Nach J. Goldschmidt, ebd. S. 227 soll diese „zwiefache Möglichkeit der Rechtsbetrachtung . . . den Schlüssel für das Verhältnis des Prozesses zum materiellen Recht“ liefern. – Ob J. Goldschmidts dynamische Betrachtungsweise sich zum Aufbau eines Prozessrechtssystems eignet, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Der richtige Kern von J. Goldschmidts Ausführungen liegt m. E. aber darin, dass, weil das Recht ein Sollen und kein Sein ist, ein subjektives Recht immer nur mit der Aussicht verbunden sein kann, dass der dem Recht entsprechende reale Zustand auch wirklich eintritt. Der Prozess ist insofern das Verfahren, dass der (zwangsweisen) Herbeiführung des dem Recht entsprechenden Zustandes dient, und die Aussicht daher zu einer berechtigten macht. Die Unterscheidung zwischen den prozessualen und materiellen Normen, die gleichermaßen den Inhalt des Urteils beeinflussen (vgl. J. Goldschmidt, ebd. S. 248 f.), ist m. E. daher darin zu suchen, ob durch diese schon das rechtliche Sollen an sich ausgeschlossen wird oder nur die Aussicht auf die faktische Geltung des Rechts enttäuscht wird. 234 Die Bedeutung dieser Unterscheidung sieht auch Siber, Rechtszwang (1903), S. 75: „Soweit die . . . materielle Unrichtigkeit des Urtheils . . . auf nothwendigen Unvollkommenheiten jeder prozessualen Wahrheitsermittlung beruht, hat sie keine prinzipielle Bedeutung. . . . Anders steht es aber in Fällen, wo die Rechtsordnung ein der materiellen Rechtsordnung möglicherweise widersprechendes, vorbehaltloses Urteil nicht als ein durch die Unvollkommenheit der prozessualen Ermittlung bedingtes notwendiges Übel in Kauf nimmt, sondern trotz der Möglichkeit besserer Ermittlung, ja
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bestimmten Inhalts ergehen soll und eine bestimmte Zwangsmaßnahme erfolgen soll, hängt sowohl von materiellen als auch prozessualen Voraussetzungen ab. Alle diese Voraussetzungen sind insofern gleichwertig.235 Das Vorliegen welcher dieser Voraussetzungen ist nun aber erforderlich, damit man eine rechtliche Pflicht annehmen kann? Das Fehlen welcher Voraussetzungen ist hingegen für den Bestand der rechtlichen Pflicht unerheblich, sondern führt nur dazu, dass diese im Einzelfall nicht durchsetzbar ist? Die Abgrenzung ist im Ausgangspunkt darin zu suchen, dass es für den Bestand einer Pflicht unerheblich ist, dass der Beweis des Vorliegens ihrer Tatbestandsvoraussetzungen vor Gericht aller Voraussicht nach ausgeschlossen ist. Zwar ist die Beweisbarkeit vor Gericht eine Voraussetzung der zwangsweisen Durchsetzung. Dies resultiert jedoch daraus, dass, bevor die Durchsetzung erfolgen kann, das Gericht als unabhängige, unparteiische Stelle darüber befinden muss, ob die Pflicht besteht.236 Die Diskrepanz, die zwischen den Tatsachen, dass einerseits die materiellrechtlichen Rechtssätze, die durch das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen bedingt sind, durchsetzbar sein müssen, um Rechtsnormen zu sein, und dass andererseits die Durchsetzung nicht vom tatsächlichen Vorliegen der Voraussetzungen, sondern davon abhängt, ob das Vorliegen im Erkenntnisverfahren festgestellt wird,237 lässt sich nur durch die Annahme beheben, dass das Ergebnis des Erkenntnisverfahrens die Feststellung der tatsächlich vorliegenden Umstände ist.238 Dass nach den prozessualen Beweisregeln eine gerichtliche Feststellung des Anspruchs voraussichtlich ausgeschlossen sein wird, führt als rein faktisches Hindernis der Rechtsdurchsetzung nicht dazu, dass keine materiellrechtliche Pflicht vorliegt.
unter Umständen im Widerspruch mit dem Ergebnis besserer Ermittlungen, gebietet.“ Ebd. S. 75 scheint möglicherweise aufgrund eines Satzfehlers ein Textabschnitt zu fehlen (nach dem Gliederungspunkt b) müsste vermutlich erst der Gliederungspunkt 5. auf der nächsthöheren Gliederungsebene mit einem einleitenden Text kommen, bevor a) folgt), wodurch eine volle Würdigung von Sibers Gedankengang erschwert wird. 235 s. o. bei § 3 II. 3. Fn. 148. 236 Vgl. auch Larenz/M. Wolf, Allg. Teil9 (2004), § 18 Rn. 5: „Bevor der Staat seine Machtmittel zur Durchsetzung von Ansprüchen gewährt, muss grundsätzlich im gerichtlichen Erkenntnisverfahren durch unabhängige Richter geprüft und durch deren Urteil ausgesprochen werden, dass der Anspruch besteht.“ 237 Vgl. auch Pecher, Schadensersatzansprüche (1967), S. 157 Fn. 113: „Auf der einen Seite ergibt sich materielles Recht nur, insofern ,an sich‘ Rechtsschutz garantiert wird . . . Auf der anderen Seite verlangt aber die prozessuale Ordnung der Rechterkenntnis und -verwirklichung nach einem eigenständigen, an der institutionellen Eigenart der gerichtlichen Tätigkeit ausgerichteten Maßstab für die Rechtfertigung ihrer Ergebnisse.“ 238 Vgl. Pecher, Schadensersatzansprüche (1967), S. 51: „Der Prozeß ist von der materiellen Rechtsordnung her nur unter einem seiner Zwecke zu erfassen, nämlich dem, die richtige Erkenntnis der zwischen den Parteien streitigen Rechtsbeziehungen zu erbringen.“
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Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn das Recht vorsieht, dass wegen einer vermeintlichen Verpflichtung auch dann keine Verurteilung erfolgen kann, wenn das Gericht zur Feststellung aller tatbestandsbegründenden Umstände gelangt. In einem solchen Falle fehlt dem Rechtssatz die für die Annahme einer Rechtspflicht notwendige Verbindlichkeit. Es liegt eine bewusste Entscheidung vor, unter bestimmten Voraussetzungen auf Rechtszwang zu verzichten und somit die Befolgung der Norm der Entscheidung des Einzelnen zu überlassen, wodurch eine Rechtspflicht ausgeschlossen wird. Anhand dieses Kriteriums muss auch idealiter die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht erfolgen.239 Das Prozessrecht regelt das Verfahren, das dazu dient, den wahren Tatbestand festzustellen („Erkenntnisverfahren“!). Die Rechtsfolgen, die sich aus diesem Tatbestand ergeben, legt hingegen das materielle Recht fest. Auf diese Weise bestimmt es, wie sich die Privatrechtssubjekte verhalten sollen, wenn ein bestimmter Tatbestand eintritt, aber auch wie das Gericht, das im Erkenntnisverfahren den wahren Tatbestand verbindlich festgestellt hat, zu entscheiden hat. Dass das Erkenntnisverfahren das Ziel, den „wahren Tatbestand“ zu erfassen, nicht in allen Fällen erreicht und dies aufgrund der Verfahrensregeln im Einzelfall bereits im vornherein absehbar sein kann, bleibt hingegen für die Frage der Geltung des materiellen Rechts als nicht vermeidbare empirische Fehlleistung unberücksichtigt. Der Versuch, aus der Beobachtung, dass man ein erfolgreiches Urteil auch erstreiten kann, indem man den Richter von dem Bestehen eines in Wirklichkeit nicht existierenden Anspruchs überzeugt, Erkenntnisse über das Verhältnis von materiellem Recht zum Prozessrecht zu erlangen, muss hingegen scheitern. Von diesem Ausgangspunkt kommt man unweigerlich zur Nichtgeltung des materiellen Privatrechts. Dessen Funktion wäre es nur noch, anzugeben, welche Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts vorgebracht werden müssen, um erfolgreich zu prozessieren.240 Demgegenüber kann das zutreffende Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht nur von der Annahme ausgehend, dass es auch im Zivilprozess um die Feststellung der „Wahrheit“ geht241 und dieses Ziel in 239 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Kriterien der Unterscheidung von Prozessrecht und materiellem Recht von der übergeordneten Fragestellung abhängen, in deren Rahmen diese Unterscheidung vorgenommen wird (vgl. insoweit Stein/ Jonas22 /Brehm (2003), Vor § 1 Rn. 34) und die hier vorgenommene Abgrenzung daher nicht den Anspruch haben kann, ein zur Beantwortung aller in diesem Rahmen auftauchenden Fragestellungen gültiges Kriterium zu liefern. 240 Vgl. auch Wach, ZZP 32 (1904), 1 (26) gegen eine Lehre, „die das Recht zum Spielballe . . . der prozessualischen Geschicklichkeit und Klopffechterei“ mache. 241 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 144: „keine mindere Wahrheit“; vgl. auch Siber, Rechtszwang (1903), S. 75: „Auszuscheiden ist dabei das Gebiet der Verhandlungsmaxime, auf dem die materielle Wahrheit im Verhältnis zur formellen nicht als die bessere gilt“; Stein/Jonas22 /Leipold (2005), Vorbem. § 128 Rn. 152; Schilken, Zivilprozeßrecht5 (2006), Rn. 11: Das Erkenntnisverfahren „kann
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der Mehrzahl der Fälle auch erreicht wird, erkannt werden. In der Tat würde es die Geltung des Zivilrechts in Frage stellen, wenn im Zivilprozess in der Mehrzahl der Fälle materiellrechtlich begründete Ansprüche abgewiesen und unbegründeten stattgegeben würde. Nicht unproblematisch ist der Einfluss von prozessbeschleunigenden Vorschriften auf die Geltung des materiellen Rechts.242 Diese machen den Erfolg der Rechtsverfolgung davon abhängig, dass der Kläger bestimmte Prozesshandlungen innerhalb eines festgelegten Zeitraums vornimmt. Solche Vorschriften wird man solange als „materiellrechtlich neutral“ bewerten können, wie den Beteiligten die faire Chance bleibt, auf die Feststellung des tatsächlich vorliegenden Sachverhalts hinzuwirken und so ein Urteil in ihrem Sinne zu erlangen. Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass, je höher man die Anforderungen an das für einen erfolgreichen Prozessverlauf erforderliche Verhalten der Parteien schraubt, das Vorliegen des materiellen Rechts immer mehr als nur eine unter vielen Voraussetzungen für den Rechtsschutz erscheint. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die materiellen Vorschriften nicht als für das individuelle Verhalten maßgebende Vorschriften, sondern nur als materielle Rechtsschutzvoraussetzungen erscheinen. Der Unterscheidung von materiellem Recht und Prozessrecht liegt insofern auch eine Abschichtung von Wertungen zugrunde.243 Die Normen des materiellen Rechts bewerten den außerprozessualen Tatbestand unter Berücksichtigung der Interessen der Privatrechtssubjekte, indem sie Ansprüche gewähren und diesen entsprechende Pflichten auferlegen. Die Regelungen des Prozessrechts hingegen müssen sich aus der Notwendigkeit der Herbeiführung einer Entscheidung über das Vorliegen dieses Tatbestandes rechtfertigen lassen. Dies bedeutet, dass der Verwirklichung des materiellen subjektiven Privatrechts Regelungen des Prozessrechts nur noch insoweit entgegenstehen können, als diese Hindernisse auf jener prozessualen Notwendigkeit beruhen.244 Insoweit ist es zutref-
unterschiedlich ausgestaltet sein und in Konsequenz der Privatautonomie der Parteidisposition Rechnung tragen, muß aber in diesem Rahmen insgesamt ausreichende, umfassende Mittel der Wahrheitsfindung enthalten.“ 242 Schon Siber, Rechtszwang (1903), 75 wies in diesem Zusammenhang auf die Problematik der vorbehaltlosen Zurückweisung verspäteter Verteidigungshandlungen in erster Instanz (§ 279 ZPO a. F.) und der Folgen der Terminsversäumnis hin. 243 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 16 (2004), § 1 VI 2 (Rn. 23): „verschiedene Ziele und verschiedene Denkweisen“; Stein/Jonas20 /Schumann (1984), Einl I D: „Beachtung der eigenen Wertungssphäre“ des Zivilprozessrechts; MünchKommZPO3 /Rauscher (2008), Einl. Rn. 25: „getrennte Rechtsgebiete mit eigenen Regelungsgegenständen und Aufgaben“. 244 So auch Arens, AcP 173 (1973), 250 (255): „Einschränkungen des materiellen Rechts . . ., die . . . nicht weitergehen dürfen als die prozessualen Notwendigkeiten es erfordern.“
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fend, von einem Primat des materiellen Rechts zu sprechen245 und den Zivilprozess als ein Verfahren zur Durchsetzung materieller Privatrechte anzusehen.246 Wenn Henckel dagegen davon ausgeht, dass das Prozessrecht der Ausübung von Rechten im Prozess „Grenzen setzt, die in ihren Wirkungen den materiellrechtlichen Schranken der Rechtsausübung vergleichbar sind“ und auch auf vergleichbaren Wertungen beruhen, und daher den Prozess nicht als ein Verfahren zur Durchsetzung, sondern zur qualifizierten Ausübung von Privatrechten ansieht,247 so wird dies der Abschichtung von Wertungen, die der Unterscheidung von materiellem Recht und Prozessrecht zugrunde liegt, nicht gerecht.248 Wenn man bedenkt, dass ein Recht nur in der Möglichkeit seiner Ausübung besteht, die zwangsweise Durchsetzung eines subjektiven Privatrechts aber nur im Wege des Zivilprozesses möglich ist, so wird deutlich, dass die Aussage, dass ein subjektives Recht nach materiellem Recht besteht, nur dann sinnvoll ist, wenn die 245 Vgl. Arens, AcP 173 (1973), 250 (255): „dienende[. . .] Funktion, die das Prozeßrecht gegenüber dem materiellen Recht hat“; dagegen wendet sich Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (475) ausdrücklich gegen die „Fehlvorstellung vom Primat des materiellen Rechts“ und meint, „daß materielles Recht und Prozeßrecht nicht im Sinn einer bloß dienenden Rolle des Prozesses für die Verwirklichung materiellen Rechts aufeinander bezogen sind, sondern eine Sinneinheit bilden müssen . . .“ (ebd. S. 481). Zöllner ist zwar zuzugeben, dass das Vollstreckungsrecht zu einem erheblichen Teil „materielles Haftungsrecht“ enthält (ebd. S. 478 f.) und die Funktion dieser Vorschriften im Verhältnis zu denen des BGB eher eine ergänzende als eine dienende ist, wobei jedoch angemerkt werden muss, dass die wissenschaftliche Unterscheidung von materiellem Recht und Prozessrecht auch nicht mit der zwischen BGB und ZPO zusammenfällt. Selbstverständlich trifft für die von Zöllner, ebd. S. 479 angeführte Vorschrift des § 721 ZPO die Vorstellung eines Primats des im BGB geregelten materiellen Rechts nicht zu (Zöllner hält selbst „die Lozierung . . . in der ZPO für verfehlt“ (ebd. S. 480)). Durch die vermehrte Schaffung solcher materiellrechtlichen Vorschriften im prozessualen Gewand, die das materielle Recht bei unverändertem Normenbestand verändern, würde der Gesetzgeber jedoch die Unterscheidung von materiellem Recht und Prozessrecht selbst aufheben. Wenn sich den Normen des materiellen Rechts allein keine relevante Aussage mehr entnehmen lässt, sondern eine solche sich nur noch aus der Zusammenschau der Normen des materiellen Rechts und des Prozessrechts ergibt, so wird eine Unterscheidung der beiden Rechtsgebiete unmöglich. Aus diesem Grund ist an der Vorstellung des „Primats“ des materiellen Rechts gegenüber der Vorstellung einer Sinneinheit zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht festzuhalten. 246 Siehe Jauernig, Zivilprozessrecht 29 (2007), § 1 II 1 (S. 2); Stein/Jonas22 /Brehm (2003), Vor § 1 Rn. 5; MünchKommZPO3 /Rauscher (2008), Einl. Rn. 8; Zöller27 /Vollkommer (2009), Einl. Rn. 39 weitestgehend auch Schilken, Zivilprozeßrecht5 (2006), Rn. 8, 10. 247 Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 62 f.; vgl. auch Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (493). 248 Kritisch auch Bötticher, ZZP 85 (1972), 1 (20): Die prozessualen Regelungen müssen, „um sich zu rechtfertigen, nicht notwendig bei den Grundsätzen und Schranken der außerprozessualen Ausübung von Privatrechten“ anknüpfen“ und Arens, AcP 173 (1973), 250 (255): Die prozessualen Einschränkungen des materiellen Rechts „beruhen angesichts der Notwendigkeiten eines geordneten Verfahrens auf eigenen Wertungen, die sicher zum Teil mit denen des materiellen Rechts übereinstimmen, zum Teil aber auch nicht.
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Voraussetzungen, von denen das Prozessrecht die Rechtsdurchsetzung abhängig macht, sich wertungsmäßig von den materiellen Voraussetzungen unterscheiden.249 Wesentlich ist dabei, dass das materielle Recht mit der Gewährung eines Anspruchs schon die Entscheidung, dass Rechtsschutz gewährt werden soll, getroffen hat. Die Notwendigkeit eines Erkenntnisverfahrens ergibt sich nur daraus, dass kein Gericht allwissend sein kann und daher zunächst eine Entscheidung darüber gefällt werden muss, ob dem Kläger die behauptete Befugnis nach materiellem Recht wirklich zusteht.250 Dabei ist nicht zu verkennen, dass aus dem Erfordernis einer Entscheidung zugleich folgt, dass das Verfahren endlich sein muss, d. h. notwendig innerhalb eines begrenzten Zeitraums zu einer Entscheidung führen muss.251 Dass es im Erkenntnisverfahren, auch aufgrund von Vorschriften, die das Verfahren zügig einer Entscheidung zuführen sollen, nicht immer gelingt, die materielle Rechtslage festzustellen, ist kein Grund, sein Ziel nicht in der Durchsetzung subjektiver Privatrechte zu sehen. Aus dem, was „geschieht und geschehen kann“, lässt sich insofern keine Zielsetzung ableiten.252
249 Henckel (Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 60) weist selbst auf die Gefahr hin, „das materielle Privatrecht unter äußerer Aufrechterhaltung seines Normenbestandes . . . zu verfälschen“. Diese Gefahr besteht jedoch nicht nur dann, wenn man „öffentlichrechtliche Gesichtspunkte“ in den Zivilprozess einführt. Die Einführung einer zweiten gleichberechtigten Wertungsebene bringt immer die Gefahr der Veränderung des materiellen Rechts unter „Aufrechterhaltung seines Normenbestandes“ mit sich, auch wenn man sicher nicht im gleichen Maße von einer Verfälschung sprechen kann, wenn die Wertungen auf der zweiten Ebene „privatrechtskonform“ sind. Henckel tritt allerdings selbst zu Recht „einer unbedachten Auflockerung des Prozeßrechts durch materiellrechtliche Generalklauseln“ entgegen (ebd. S. 117). 250 Vgl. auch Schilken, Zivilprozeßrecht 5 (2006), Rn. 11: „Jede materiell gerechte Entscheidung setzt voraus, daß das Gericht die tatsächliche Wahrheit erkennt. Daher muß . . . zunächst der wahre Sachverhalt vollständig aufgeklärt werden . . .“. 251 Vgl. auch Arens, AcP 173 (1973), 250 (258): „Abschluß des Verfahrens“, nachdem „alles mögliche geschehen ist, die wahre Rechtslage zu finden und festzustellen.“. 252 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 53, gibt selbst zu bedenken, dass der Prozesszweck „nicht aus der Beobachtung des Prozesses, wie er ist, sondern daraus, wie er sein soll“, herzuleiten ist. Auf S. 61 stellt er jedoch dann darauf ab, „was im Prozeß mit dem materiellen Recht geschieht und geschehen kann“; dagegen zutreffend Arens, AcP 173 (1973), 250 (258 Fn. 26) unter Berufung auf Gaul, AcP 168 (1968), 27 ff., 57 f.): Kein Rückschluss von den Prozessfolgen auf den bestimmungsgemäßen Prozesszweck. – Henckel ist insb. darin zu widersprechen, dass es das Ziel der Vorschriften über Rechtskraft, Präklusion und Versäumnisurteil ist, als Sanktion eines Fehlverhaltens einer Partei („Prozessuale Verwirkung“) ein der materiellen Rechtslage widersprechendes Urteil herbeizuführen (vgl. ebd. S. 13 ff., 20, 44, 93 ff.). Auch diese Vorschriften bezwecken die Herbeiführung einer richtigen Entscheidung, aber damit eben auch einer Entscheidung (Gegen die Verwirkungstheorie auch Arens, AcP 173 (1973), 250 (257 f.) sowie Bötticher, ZZP 85 (1972), 1 (20 ff.): „Die Zumutbarkeit für den Verlierer wurzelt hier nicht in einem Fehlverhalten, sondern im Rechtsfrieden, an dem alle teilhaben wollen.“). Daher ist an der Kennzeichnung des Prozesses als eines Verfahrens zur Durchsetzung der nach materiellem Recht begründeten Privatrechte festzuhalten.
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Auch das von Henckel zur Unterscheidung von prozessrechtlichen und materiellrechtlichen Normen entwickelte Kriterium,253 ob sie „menschliches Verhalten in einem auf ein Rechtspflegeziel ausgerichteten Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen“ oder „in Lebensbereichen, in denen sich die Rechtssubjekte unmittelbar ohne Vermittlung eines zu einem Rechtspflegeakt angerufenen Rechtspflegeorgans begegnen“, regeln,254 berücksichtigt nicht in ausreichendem Maße die Abhängigkeit der außerprozessualen Bedeutung des materiellen Rechts von der Möglichkeit seiner Durchsetzung im Prozess. Dieser Abgrenzung liegt letztlich die Vorstellung von zwei verschiedenen Lebensbereichen zugrunde, in denen für das menschliche Verhalten jeweils eigene Regelungen bestünden, insbesondere was den Schutz und die Schranken der Ausübung von subjektiven Rechten anbelangt. Wenn Henckel insoweit von dem außerprozessualen Lebensbereich spricht, „in dem sich die Privatrechtssubjekte unmittelbar begegnen ohne Vermittlung eines . . . Rechtspflegeorgans“,255 beachtet er nicht, 253 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 19 ff., 25; diesem Abgrenzungskriterium hat sich Blomeyer, Zivilprozessrecht2 (1985), § 1 II angeschlossen, der jedoch darauf hinweist, dass Normen, die reine Entscheidungsnormen sind, sich „von vornherein“ der Unterscheidung „entziehen“; vgl. auch Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (485); kritisch dagegen MünchKommZPO2 /Lüke (2000), Einl. Rn. 24: „wenig leistungsfähig, da sie gerade Zweifelsfälle nicht erfaßt.“ und MünchKommZPO3 /Rauscher (2008), Einl. Rn. 26: „für die Lösung von Einzelfragen wenig geeignet.“ – bereits J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 249 hat sich im Hinblick auf die Funktion des Rechts als Urteilsmaßstab dagegen gewandt, die Unterscheidung zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht darin zu sehen, „daß das Prozeßrecht der Maßstab zur Beurteilung der prozessualen Beziehungen und Handlungen der Parteien, das materielle Recht der Maßstab zur Beurteilung ihrer außerprozessualen Beziehungen und Handlungen ist.“; vgl. zu der Problematik von Henckels Unterscheidungskriterium im Hinblick auf die urteilsbestimmende Funktion von Rechtsnormen auch sogleich Fn. 254. 254 Dass Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 21 dieses Abgrenzungskriterium nicht nur auf das Verhalten der Prozessparteien bzw. Privatrechtssubjekte sondern auch auf das von Rechtspflegeorganen (ebd. S. 21 auf das Verhalten des Gerichtsvollziehers) bezieht, wirft unweigerlich die Frage auf, ob sich der Inhalt des Urteils, das der Richter fällen soll, weil es sich bei der Urteilsfällung um ein „Verhalten im Lebensbereich ,Prozess‘“ handelt, allein nach dem Prozessrecht bestimmt. Man gelangt mit anderen Worten zu der im Zusammenhang mit der Lehre vom prozessual verstandenen Rechtsschutzanspruch (Wach, Hellwig; s. dazu o. § 3 II. 1. und 2.) hinlänglich bekannten Frage, ob eine Rechtsnorm allein dadurch, dass sie von dem Richter beachtet werden muss und ihm dementsprechend zu einer Entscheidung bestimmten Inhalts verpflichtet, zu einer prozessualen Norm wird. (Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 18: „Die Lehre Goldschmidts, die den Rechtsschutzanspruch wegen seines materiellrechtlichen Charakters aus dem Prozeß verwies . . . verkürzt . . . das Prozeßrecht um ein wesentliches Element.“ Dieser könne „nicht aus dem Prozeßrecht verwiesen werden.“ – Die Formulierung, dass der Richter „durch das Prozeßrecht verpflichtet ist, . . . nach Maßgabe des Rechts zu entscheiden verdeckt ebenso wie Hellwigs Formulierung, dass das Prozessrecht insoweit „stillschweigend auf das Privatrecht Bezug“ nehme, nur die Problematik. Vgl. dazu bereits o. § 3 II. 2. im Text zu Fn. 124). 255 Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 19 ff., 25.
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dass sich aufgrund des Verbots der Selbsthilfe in dem so definierten Lebensbereich die Privatrechtssubjekte ohne die Einrichtung des Zivilprozesses überhaupt nicht „gegenüberstehen“ würden. M. E. läuft Henckels Abgrenzung nach Lebensbereichen daher – auch wenn dies gewiss nicht in seiner Intention lag – letztlich auf den Dualismus von Privatrechtsordnung und Gerichtsordnung hinaus, wobei er dann allerdings insofern zu Recht die für die Gerichtsordnung maßgeblichen Wertungsmaßstäbe nicht aus deren öffentlich-rechtlicher Eigenschaft herleitet, sondern auf privatrechtskonforme Wertungen zurückgreift.256 Für den Anspruch ergibt sich zusammenfassend, dass sich seine Bedeutung nicht in einer nur unter der Voraussetzung der Beweisbarkeit bestehenden rein faktischen Aussicht auf Rechtsschutz erschöpft. Er entsteht vielmehr aufgrund des außerprozessualen Tatbestandes und ist mit einer potentiellen Verpflichtung des Anspruchsgegners verbunden. Bei dieser Pflicht handelt es sich um eine echte Rechtspflicht, wenn und weil diese zur Durchsetzung im Rechtswege geeignet ist. Für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs ist es ausreichend, dass der Berechtigte den anspruchsbegründenden Tatbestand vor Gericht beweist. Dies bedeutet, dass der Rechtsdurchsetzung des Anspruchsinhabers vom Prozessrecht her keine Hindernisse mehr entgegenstehen, die sich nicht aus der Notwendigkeit der Herbeiführung einer abschließenden Entscheidung über das Bestehen des materiellen Rechts ergeben. Insbesondere ist das Vorliegen eines prozessualen Rechtsschutzbedürfnisses keine Voraussetzung der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs. Die Abweisung einer Klage ist bei bestehendem Anspruch nur möglich, wenn materielle Gegenrechte bestehen.257 Das Rechtsschutzbedürfnis ist daher eine Frage des materiellen Rechts,258 die durch die Gewährung eines einredefreien Anspruchs schon positiv beantwortet ist. IV. Zusammenfassung des eigenen Ansatzes (Materielles Recht als System von im Wege des Zivilprozesses durchsetzbaren Verhaltensnormen) Das Privatrecht schützt die Interessen von Privatrechtssubjekten, indem es Ansprüche gewährt.259 Der Anspruch ist die Befugnis, durch die Inanspruch256
Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 41 ff. So denn auch ebd. S. 116: „Einen Schutz gegen einen Anspruch, für den noch kein Rechtsschutz gewährt wird oder gewährt ist, erhält der Beklagte nur durch das materielle Recht.“ 258 So auch Wesel, FS Lübtow (1979), 787 (789): „Die Frage, ob ein Recht schutzwürdig ist, muß im materiellen Recht beantwortet werden“ und Salinger, Gruchots Beitr. 64 (1920), 263 (275 f.): Frage vom Gesetzgeber durch Gewährung des Anspruchs bereits „im bejahenden Sinne“ entschieden; vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (167) (für die Feststellungsklage): „Auch das Rechtsschutzbedürfnis folgt aus der materiellen Situation der Beteiligten“. 257
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nahme der Gerichte zu erzwingen, dass ein anderer eine bestimmte Handlung vornimmt oder unterlässt.260 Zugleich ist jedoch mit dieser Befugnis die Erwartung verbunden, dass der Anspruchsgegner sich in der bezeichneten Weise verhält, ohne dass die Gerichte in Anspruch genommen werden.261 Insoweit ist der Anspruch mit einer Verhaltensanforderung – einer Pflicht – des Anspruchsgegners verbunden.262 Bei dieser Pflicht handelt es sich um eine Rechtspflicht, weil 259 Vgl. Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753, der darauf hinweist, dass allen subjektiven Rechten die Persönlichkeit des Menschen voransteht (ebd. S. 777) und dass daher auch bei Ansprüchen aus subjektiven Rechten neben diesen stets „das thatsächlich verletzte Interesse der Person“ zu berücksichtigen ist. Bolze, ebd. S. 787, definiert den Anspruch schließlich im Sinne eines Rechts auf den Schutz „eines Privatrechts oder eines rechtliche[n] Interesses“ durch Gerichtsspruch; vgl. ferner Kleinfeller, AcP 137 (1933), 129 (143): „Der Anspruch ist doch nichts anderes als ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass der eine dem anderen gegenüber sich in bestimmter Weise verhalte“. 260 Vgl. auch Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (757 ff., 787): „Der . . . Anspruch läßt sich charakterisieren als das Recht, durch richterliches Urtheil . . . zu erlangen, was [der] Antragsteller verlangt“ (ebd. S. 760), und ist damit das, „was früher die Pandektisten als Klagerecht zu bezeichnen pflegten“ (ebd. S. 757). Der Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung besteht darin, dass sich (zumindest nach der Definition) die Bedeutung des Anspruchs in seiner Beziehung auf den Rechtsschutz erschöpft. – Vgl. jedoch Bolze, ebd. S. 787: „Das zum Schutze eines Privatrechts oder eines rechtlichen Interesses bei Gericht . . . gestellte Begehren auf . . . Herbeiführung eines rechtlichen Erfolgs . . . und das Recht auf all dieses, sei es, daß der Anspruch erhoben ist, sei es auch nur, daß er erhoben werden könnte. Denn es versteht sich völlig von selbst, daß . . . der Anspruchsberechtigte auch vor dem Urteile . . . befriedigt werden kann“ (Hervorh. d. Verf.); deutlicher im Sinne der hier vertretenen Auffassung Kleinfeller, AcP 137 (1933), 129 (166): Der Anspruch schließt „mit dem Rechte auf das Verhalten des Gegners auch das Recht auf Rechtsschutz durch Urteil und Vollstreckung in sich . . .“ ein. 261 Vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 61: „So weit die . . . gewährte Willensmacht reicht, verpflichtet sie andere, ihr leistend oder unterlassend zu entsprechen . . .“. 262 Nach Esser, Grundbegriffe (1949), S. 162, 168 ist der Anspruch im Sinne von § 194 BGB nichts weiter als die Befugnis, für das subjektive Recht Gerichtsschutz zu verlangen, es gerichtlich durchsetzen zu können. Da Esser Verpflichtungen und subjektive Rechte unabhängig von der Möglichkeit ihrer gerichtlichen Erzwingung annimmt (ebd. S. 167 f.), ist der Anspruch für ihn kein Element des materiellen Rechts (kein „Baustein der Lebensordnung“) (ebd. S. 168), sondern nur ein Begriff des Gerichtsschutzes (ebd. S. 159 f., 168). Diese Konzeption beruht auf der Vorstellung des Privatrechts als einer gesetzlich vorgegebenen Ordnung, die es den Individuen nicht überlässt, ihre Beziehungen autonom zu gestalten (auch wenn die letzte Ordnung dem pflichtgemäßen Ermessen des Einzelnen überlassen bleibt, ebd. S. 148), sondern selbst die sozialen Beziehungen gestaltet (vgl. ebd. S. 137 f.). In diesem Rahmen verteilt die Rechtsordnung die zur Verfügung stehenden Güter (ebd. S. 150), in dem sie diese Einzelnen zuweist. Die Funktion des subjektiven Rechts besteht demgemäß in der Zuweisung der Güter an den Einzelnen, wobei diese dem Rechtsinhaber nicht zur freien Lebensgestaltung, sondern zu der von der Ordnung bezweckten „sozialen Verwertung“ (ebd. S. 153 f.) zugeteilt sind. Die Zuweisung ist daher „nur Ausdruck einer besonderen Ordnungstechnik der Gemeinschaft“ (ebd. S. 154) und der Rechtsinhaber erscheint eher als Verwalter des ihm zugewiesenen Guts (beachte auch den Vergleich der Stellung des Rechtsinhabers mit dem nach pflichtgemäßen Ermessen handelnden Beamten, ebd. S. 150). Dementsprechend wird die mit dem Anspruch verbundene Entschei-
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sie – wenn sie nicht freiwillig beachtet wird – in einem staatlich geordneten Verfahren durchgesetzt werden kann. Obwohl das Privatrecht und insbesondere der Anspruch als das Recht, von einem anderen Tun oder Unterlassen zu verlangen, nicht ohne die verlässlich zur Verfügung stehende Ziviljustiz denkbar ist, fasst man den Anspruch doch unter Ausblendung der Ziviljustiz als eine Rechtsbeziehung unmittelbar zwischen den beteiligten Privatrechtssubjekten auf.263 Dies ist deshalb berechtigt, weil das öffentliche Interesse bei der staatlichen Aufgabe der Ziviljustiz dem privaten Interesse vollkommen untergeordnet ist. Das Gericht erscheint in der Beziehung zwischen Anspruchsinhaber und -gegner nur als ein verlässlich nach festgelegten Regeln funktionierendes Werkzeug,264 das dem Anspruchsinhaber in die Hand gegeben wurde, um sein vom materiellen Recht als berechtigt anerkanntes Interesse daran, dass der Anspruchgegner sich in einer bestimmten Weise verhält, durchzusetzen. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Gericht im Normalfall nicht in Anspruch genommen werden muss, da dessen Entscheidungsfreiheit des Inhabers kritisch betrachtet. Die Verletzung subjektiver Rechte wird als Verletzung der objektiven Zuweisung der Lebensordnung und nicht als Missachtung des Willens des Berechtigten verstanden (ebd. S. 152; wobei sich die Frage ergibt, wie Esser entscheiden würde, wenn der Berechtigte im Widerspruch zur Lebensordnung den Eingriff erlaubt). Ob „Gerichtsschutz in der nachgesuchten Form zur Verfügung steht“, soll nicht nur davon abhängen, ob der Anspruch nach materiellem Recht begründet ist, sondern auch davon, ob „seine Ausübung rechtsschutzwürdig ist“ (ebd. S. 169). Die Konzeption eines materiellen Rechts, das aus Regeln besteht, deren gleichmäßige Durchsetzbarkeit nicht sichergestellt ist, sondern bei denen auf einer zweiten Wertungsebene entschieden wird, ob sie im Einzelfall der Durchsetzung „würdig“ und damit verbindlich sind, ist aus den o. genannten Gründen (s. o. § 3 II. 4. a) im Text nach Fn. 163) abzulehnen. Des weiteren kann die Frage der Zuordnung nicht von der Frage des Schutzes der Zuordnung getrennt werden: Das Recht kann nur dadurch zuordnen, dass es menschliches Verhalten regelt, und es ordnet nur insoweit zu, als es diese Zuordnung durch entsprechende Verhaltensregeln schützt (s. dazu u. § 4 III. 2. im Text nach Fn. 128 und Fn. 134). Daher ist es auch nicht möglich, Verhaltensnormen und Verteilungsnormen als nebeneinander stehende Normkategorien anzusehen (so aber Esser, ebd. S. 138). Vor allem aber ordnet das Privatrecht nicht das menschliche Zusammenleben durch objektive Regeln, deren Durchsetzung aus Zweckmäßigkeitsgründen in das Ermessen des Einzelnen gestellt werden (Esser, ebd. S. 148, 152, 154 oder aber auch einer Behörde (vgl. ebd. S. 156 § 75 a. E.; freilich im offenen Widerspruch zu S. 157 u.) obliegen kann. Das Privatrecht gewährt vielmehr dem Einzelnen Freiräume zur autonomen Lebensgestaltung (vgl. v. Savigny, o. § 2 III. im Text bei Fn. 52) und verleiht zu diesem Zwecke Ansprüche. 263 Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 64: Die Parteien stehen „sich auch im Zivilprozeß als Privatrechtssubjekte gegenüber[. . .]“ und streiten „um ihre privaten Rechtsbeziehungen“. 264 Vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 58: „Der Staatsapparat . . . wird zur Verfügung des Interessenten gestellt.“; Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1969), S. 130 ff.: „Konditionelle Programmierung“ des gerichtlichen Verfahrens; vgl. im Anschluss an Luhmann auch Jauernig, JuS 1971, 329 (330); vgl. auch Affolter, ZZP 31 (1903), 453 (459): „Das eigentliche subjektive Recht gewährt . . . eine rechtliche Herrschaft auch über die staatliche Willenspotenz, deren Träger die staatlichen Organe sind.“
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dung sicher vorhersehbar ist, und der Anspruchsgegner der ihm gestellten Verhaltensanforderung daher nachkommen wird. Da der Inhalt, den die gerichtliche Entscheidung haben wird, durch die Rechtssätze des materiellen Rechts festgelegt ist, wird durch das Urteil die Pflicht des Anspruchsgegners nicht erst begründet, sondern als bereits vor dem Prozess bestehende Pflicht festgestellt. Aufgrund der mit dem Begriff des Anspruchs verbundenen vorprozessualen Sichtweise, nach der durch das Zivilgerichtsverfahren eine bereits vorher bestehende Pflicht festgestellt und danach durchgesetzt werden kann, handelt es sich bei Befugnissen zur Inanspruchnahme des Zivilgerichts nur unter folgenden Voraussetzungen um materielle Ansprüche: Zunächst setzt die Annahme einer vorprozessualen Pflicht voraus, dass die Entscheidung des Gerichts aufgrund feststehender Entscheidungsnormen im Voraus zu prognostizieren ist und der Anspruchsgegner daher weiß, welches Verhalten von ihm erwartet wird. Daher schließt ein dem Gericht zur Verfügung stehendes weites Entscheidungsermessen die Annahme eines Anspruchs aus. Des weiteren muss das Interesse, das durch das Gerichtsverfahren befriedigt werden soll, auch durch eine außerprozessuale Handlung des Klagegegners befriedigt werden können.265 Da eine Feststellung durch den Klagegegner nicht die gerichtliche Feststellung ersetzen kann, liegt der Feststellungsklage kein Feststellungsanspruch gegen den Beklagten zu Grunde. Schließlich muss der Zustand, der durch den Einsatz der Zwangsmittel bewirkt wird, zumindest wirtschaftlich so weit mit dem Zustand übereinstimmen, der durch die primär vom Anspruchsgegner erwartete Handlung hergestellt worden wäre, dass der Einsatz der Zwangsmittel als Erzwingung der Pflichterfüllung erscheint. Mit anderen Worten müssen Schuld und Haftung ein Mindestmaß an Kongruenz aufweisen.266
265 Nach Siber, Rechtszwang (1903), S. 81 liegt „kein Anspruch vor, wo der Berechtigte etwas erzwingen kann, was ihm der Gegner nicht auch freiwillig leisten soll“; in dem Sinne auch Hölder, AcP 93 (1902), 1 (10, 13 f.): „Der Erfolg . . . ist im Falle eines . . . privatrechtlichen Anspruchs durch private Tätigkeit herstellbar.“ (ebd. S. 10). Kein Anspruch liegt vor bei einem „nicht durch die Thätigkeit des Anderen, sondern ausschließlich durch Richterspruch bewirkbaren Erfolg.“ (ebd. S. 14) – Vgl. zu dem von Hölder vertretenen Anspruchsbegriff aber u. § 4 II. 3. Fn. 66. 266 Siehe auch Siber, Rechtszwang (1903), S. 81, der darauf hinweist, dass nicht „die Leistung als ein höchstens mittelbar zu erzwingendes Handeln oder Unterlassen des Schuldners“ durchgesetzt wird, sondern der „Erfolg, den auch die freiwillige Leistung haben würde“, erzwungen wird. Dennoch bestimme sich das, was der Gläubiger durchsetzen kann, aus dem im Anspruch enthaltenen Leistensollen des Schuldners. „Neben dem Recht zur Anwendung von Zwangsmitteln“ enthalte der Anspruch auch das Recht „darauf, daß der Schuldner freiwillig leiste“. Der Inhalt des Anspruchs müsse sich daher „mit dem der Leistungspflicht nothwendig decken.“
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§ 4 Der Unterlassungsanspruch als materielles Substrat der Unterlassungsklage Wenn § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB dem Eigentümer die Möglichkeit einräumt, im Falle der Besorgnis von Beeinträchtigungen auf Unterlassung zu klagen, so ist damit zunächst nicht die jedermann zustehende Möglichkeit, eine Klage einzureichen, gemeint, sondern es werden die materiellen Voraussetzungen genannt, die vorliegen müssen, damit der Eigentümer ein Unterlassungsurteil erwirkt, das er dann auch vollstrecken lassen kann. Damit wird der Eigentümer in die Lage versetzt, denjenigen, durch dessen Handlungen die Beeinträchtigungen verursacht werden, vor die Alternative zu stellen, diese Handlungen entweder „freiwillig“1 zu unterlassen oder dazu gezwungen zu werden und somit von diesem das Unterlassen der Handlungen verlangen zu können. Das Recht, in dieser spezifischen Weise das Unterlassen einer Handlung verlangen zu können, ist jedoch nichts anderes als ein materiellrechtlicher Anspruch im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB. I. Die materielle Bedeutung des Unterlassungsanspruchs (Der Einwand der materiellen Bedeutungslosigkeit) Die materielle Bedeutung des Unterlassungsanspruchs besteht demnach darin, dass das Recht das Interesse des Anspruchsinhabers an der Unterlassung der Handlung dadurch schützt, dass sie ihm die Kompetenz einräumt, die Unterlassung unter Inanspruchnahme der Gerichte durchzusetzen. Mit der Einräumung dieser Kompetenz ist der Appell an den Anspruchsgegner verbunden, die Handlung zu unterlassen. Insoweit ist mit dem Anspruch eine Verpflichtung des Anspruchgegners verbunden, bei der es sich um eine echte, weil im Rechtswege unmittelbar durchsetzbare, Rechtspflicht handelt. In der Literatur wird jedoch gegen die Existenz materieller Unterlassungsansprüche deren angebliche materiellrechtliche Bedeutungslosigkeit eingewandt.2 Diese Einwände zielen darauf ab, dass sich die rechtliche Beziehung, die zwischen Inhaber und Gegner eines Unterlassungsanspruchs besteht, nicht in spezifisch materieller Weise von den Beziehungen jeweils eines der beiden zu allen anderen Rechtssubjekten unterscheiden würde.3 Während Esser/Weyers anfüh1
„Coactus tamen voluit.“ Siehe Bacher, Beeinträchtigungsgefahr (1996), S. 78 (dazu u. § 4 III. 1. Fn. 78) und Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (307): keine „Veränderung der allgemeinen Verbotslage“. 3 In diese Richtung gehen auch die Bedenken, die Zeuner, FS Dölle II, 295 (306 f.) gegen die Annahme von negatorischen und quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen vorbringt; vgl. auch Husserl (o. § 3 II. Fn. 61 mit wörtlichem Zitat), der es ablehnt, „die allgemeine Bürgerpflicht“ als Obligation zu bezeichnen. 2
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ren, dass „zur Unterlassung einer Störung . . . definitionsgemäß jeder verpflichtet“ sei und sich daher die Anspruchsbeziehung nicht von der des Anspruchsinhabers zu allen anderen Rechtssubjekten abhebe,4 geht Siber umgekehrt davon aus, dass jeder „die Befugnis zur Geltendmachung des Verbotsgesetzes habe“ und sich daher die Stellung des Anspruchsinhabers nicht von der aller anderen Rechtssubjekte unterscheide.5 1. Die Auffassung von Esser/Weyers Nach der Meinung von Esser/Weyers soll der Versuch, die quasinegatorische Unterlassungsklage als einen aufgrund eines bestimmten Tatbestandes gegebenen Anspruch zu erfassen, zu einem Dilemma führen. Entweder müsse man davon ausgehen, dass schon mit dem Rechtsgut ein Anspruch gegen jedermann bestünde, was dem Anspruch „jede Kontur“ nähme. Oder man nehme an, dass der Anspruch erst aufgrund der Befürchtung einer Rechtsverletzung entstehe. In diesem Fall könnte man jedoch nicht den Unterschied zwischen der Beziehung des Anspruchsinhabers zum Anspruchsgegner und der zu allen anderen Rechtssubjekten, die „definitionsgemäß“ genauso zur Unterlassung verpflichtet wären, erklären. Den einzigen Ausweg sehen Esser/Weyers darin, die Unterlassungsklage „als eigenes prozessuales Institut des Rechtsschutzes – nicht weit weg von der Feststellungsklage –“ zu verstehen.6 Vom hier vertretenen Standpunkt aus, dass eine echte Rechtspflicht erst dann besteht, wenn die Möglichkeit ihrer zwangsweisen Durchsetzung gegeben ist, wird der materiellrechtliche Unterschied zwischen der Beziehung des Rechtsinhabers zum Störer und der Beziehung des Rechtsinhabers zu allen anderen Rechtsgenossen schnell deutlich: Zwar ist davon auszugehen, dass nach der Intention des Gesetzes die Handlung, deren Unterlassung verlangt werden kann, unabhängig davon unterbleiben soll, ob ihre Vornahme zu besorgen ist. Jedoch erst wenn die Besorgnis einer Beeinträchtigung und damit ein tatsächlich bestehender Interessenkonflikt vorliegt, greift das Gesetz regelnd ein, indem es dem potentiellen Störer die beeinträchtigende Handlung verbietet und dem Rechtsgutsinhaber die Kompetenz zuteilt, das Verbot auf dem Gerichtswege durchzusetzen.7 Bevor es zur Besorgnis einer Beeinträchtigung gekommen ist, Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV. Siber, Rechtszwang (1903), S. 99 ff. 6 Esser/Weyers, Schuldrecht II 28 (2000), § 62 IV. 7 Zutreffend, wenn auch auf der Grundlage der abzulehnenden „psychologischen“ Imperativentheorie (vgl. u. § 14 II. 1.), Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 205 ff.: „Das Leben der Menschen ist vielmehr . . . in der Regel in die Finsternis des rechtsfreien Raumes gehüllt. In dem Moment nur, wo Interessen drohend einander gegenübertreten, taucht das Recht als . . . Macht . . . blitzartig auf, um sofort wieder, wenn der Conflict gelöst ist, zu verschwinden“; vgl. auch Wesel, FS Lübtow 4 5
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trifft das Gesetz noch keine konkrete Regelung. Da es insoweit noch an einem Interessenkonflikt mangelt, besteht für ein regelndes Eingreifen des Gesetzes auch kein Bedarf. Dies wird an dem vielzitierten Robinson-Beispiel8 deutlich: Solange Robinson Crusoe sich alleine auf der einsamen Insel befindet, bedarf es keines Eigentumsschutzes. Was schon vor der Besorgnis der Beeinträchtigung vorliegt, ist die abstrakte Gesetzesnorm, der sich für den Fall, dass ein hypothetischer Tatbestand eintritt (z. B. die Besorgnis einer Beeinträchtigung), als Rechtsfolge die dann geltende Regelung entnehmen lässt. An der Auffassung von Esser/Weyers wird eines der Probleme, die mit der Annahme verbunden sind, dass das materielle Recht ein reines System von Pflichten ohne Bezug zum Rechtszwang sei, besonders deutlich. Obwohl man nämlich einerseits den Anspruch gegen jedermann wegen seiner Konturlosigkeit ablehnt, nimmt man andererseits bedenkenlos an, dass absolute Rechte mit Unterlassungspflichten für jedermann verbunden seien. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Windscheid mit dem Begriff des Anspruchs zuletzt nichts weiter als eine Pflicht bezeichnete, wird deutlich, dass man durch den Austausch des Anspruchs gegen jedermann durch die jedermann treffende Pflicht den Fehler dieser Konstruktion nicht beseitigt hat.9 Der Verzicht auf die Annahme von Ansprüchen gegen jedermann bietet zwar den Vorteil, dass es weniger offensichtlich wird, dass hier etwas Hypothetisches als unmittelbar existent dargestellt wird. Dass sich über das Verhältnis des Rechtsgutsinhabers zu einem beliebigen Dritten noch keine sinnvolle auf Tatsachen beruhende Aussage machen lässt, liegt zu sehr auf der Hand. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass das eigentlich problematische beim Anspruch gegen jedermann nicht die Aussage über den Anspruchsinhaber, sondern über den Anspruchsgegner ist: Dieser steht noch nicht fest, so dass zwar jeder Anspruchsgegner werden kann, die bei weitem überwiegende Zahl es jedoch niemals sein wird.10 Durch die Annahme, dass das absolute Recht kraft seiner Existenz mit jedermann treffenden Pflichten verbunden sei, wird aber genauso eine Aussage über Dritte getroffen, die weder mit dem Rechtsgut jemals in Kontakt kommen, noch in eine Situation geraten werden, in der sie die Möglichkeit zur Vornahme der zu unterlassenden (1970), 787 (800) nach dem ein rechtsschutzwürdiger Anspruch nicht nur aus der Verletzung, sondern auch aus der Gefährdung des dinglichen Rechts entsteht. 8 Vgl. u. a. Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit (1907), S. 42; Fischer, Rechtswidrigkeit (1911), Stammler, Aufgaben aus dem römischen Recht3 (1910), Einl.; S. 15; Brox/Walker, Allg. Teil32 (2008), Rn. 1: „Das Zusammenleben der Menschen bedarf einer Ordnung. Der allein auf einer Insel lebende Robinson brauchte eine solche Ordnung nicht“; vgl. ferner Hölder, KritVjschr. 37 (1895), 1 (14). 9 Vgl. auch Münzberg, JZ 1967, 689 (693 Fn. 41): „Überhaupt muß nicht erst dem ,Anspruch‘, sondern schon der ,Pflicht‘ eines jeden gegenüber jedem der Kampf angesagt werden“. 10 Vgl. Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (163 ff.): „Der dem absoluten Recht . . . korrespondierenden negativen ,obligatio‘ fehlt mithin jeder Individualbezug.“ (ebd. S. 164 f.).
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Handlung haben. Durch die Bezeichnung als Pflicht entsteht der Eindruck, dass aufgrund des Bestehens des absoluten Rechts an das Verhalten des mit dem Rechtsgut niemals in Kontakt kommenden Unbeteiligten in gleicher Weise Anforderungen gestellt werden, wie an den Käufer, der den Kaufpreis zu bezahlen hat. Die hypothetische Verhaltensanforderung, die das Recht an den jetzt noch vollkommen Unbeteiligten stellen wird, sofern er sich dem Rechtsgut gefährlich nähern sollte,11 wird dadurch, dass gleichermaßen der Begriff ,Pflicht‘ verwendet wird, auf eine Ebene gestellt mit der Pflicht einer bestimmten Person, die aufgrund eines von ihr abgeschlossenen Kaufvertrags den inzwischen fälligen Kaufpreis bezahlen soll. Das dahinter stehende Problem ist, dass sich auf der Basis der normativen Betrachtungsweise nicht bestimmen lässt, wann das abstrakt-generelle Gesetz in den individuell-konkreten Einzelbefehl umschlägt.12 Wenn man sich die Pflicht einmal wirklich als Imperativ eines gedachten Gebieters vorstellt, stellt sich die Frage, wie konkret dieser Befehl ist und wann er erfolgt.13 Ergeht von vornherein ein allgemeiner Befehl „Zerstöre keine fremden Sachen!“ oder erst dann, wenn eine Person Eigentum an einer bestimmten Sache erworben hat, der Befehl „Zerstöre nicht die Fensterscheiben von Herrn X!“ oder aber wird erst relativ spät, wenn Y droht, den Fußball in die Fensterscheibe zu schießen, diesem befohlen „Schieße nicht14!“? Jeder dieser Befehle von unterschiedlicher Konkretisierung lässt sich als Pflicht bezeichnen und es lässt sich nicht ohne weite11 Vgl. bereits Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1(1903), S. 205 (allerdings auf Grundlage der abzulehnenden „psychologischen“ Imperativentheorie; vgl. u. § 14 II. 1.): „Alles Recht ist Situationsrecht“. Es kommt auf die Sachlage an, ob der Imperativ, den das Recht oft scheinbar unbedingt aufstellt, ergeht oder nicht ergeht.“; auch Münzberg, JZ 1967, 689 (693): „Es gibt keine ,allgemeinen‘ Pflichten, sondern . . . nur einzelne Pflichten, die in einer bestimmten Situation . . . aus konkreten Anlässen entstehen. ,Das‘ für jedermann geltende Verbot, fremde Rechtsgüter zu beeinträchtigen ist ebenso eine unwirkliche Abstraktion wie ,die‘ Pflicht, Schuldverhältnisse zu erfüllen.“; dem folgend Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 25 f. 12 Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 95: „Das Unterlassungsurteil ist eine Norm und weicht damit strukturell grundlegend von der Rechtsfolgefeststellung retrospektiver Rechtssprechungsakte ab.“ – dies trifft allerdings nur insoweit zu, als man die Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO im Gegensatz zu anderen Akten der Zwangsvollstreckung nicht als Rechtsfolge ansieht. Man wird hingegen in Bezug auf alle Urteile feststellen, dass sie, soweit sie die bestehende Pflicht feststellen, nur eine konkretisierte Norm enthalten, die Strukturierung der Rechtssätze in Tatbestand und Rechtsfolge jedoch vor allem auf die mögliche Erzwingung als realen Akt bezogen ist. 13 Die Problematik kommt auch bei Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 71 zum Tragen, der die Wirkung des Rechts nicht in erster Linie durch den Imperativ an den Einzelnen, sondern durch die massenpsychologische Wirkung der Normen begründet sieht (ebd. S. 4 ff.): „Der Wille des objektiven Rechts kann sich in doppelter Weise auf ein Verhalten richten: entweder bezweckt er dasselbe als ein sofort zu beobachtendes oder er erstrebt es als ein in einem späteren Zeitpunkt zu beobachtendes. . . . Ich kann ebensogut sagen: ich habe einen Anspruch, die Leistung in vierzehn Tagen zu verlangen, wie ein Recht, sie jetzt zu verlangen“.
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res bestimmen, wann aus einer verhaltenen Pflicht eine aktuelle Pflicht wird. Wenn man davon ausgeht, dass Rechtssätze so strukturiert sind, dass sie an einen Tatbestand eine Rechtsfolge knüpfen, so lässt sich auf der Basis der normativen Auffassung nicht ohne weiteres bestimmen, wo die Grenze zwischen Tatbestand und Rechtsfolge verläuft. Einzelne Tatbestandsmerkmale lassen sich jederzeit als Teil der dann abstrakter gefassten Rechtsfolge auffassen. So lässt sich zum Beispiel der Rechtssatz „Wenn es regnet und man einen Pkw mit Anhänger führt, dann soll man nicht schneller als 60 km/h fahren“ in „Wenn man einen Pkw mit Anhänger führt, dann soll man bei Regen nicht schneller als 60 km/h fahren“ umformulieren. Wenn man das Recht konsequent als System nur von verhaltensbestimmenden Normen ansieht, kann es nur allgemeinere und konkretere Normen geben. Die Grenze zwischen Tatbestand und Rechtsfolge, verhaltener und aktueller Pflicht, ist dann nur davon abhängig, ab wann man es für möglich hält, nicht nur eine allgemeine Aussage über die Rechtslage, sondern über die rechtliche Bewertung einer konkret gegebenen Situation zu treffen. Dass man keine jeden treffende, aktuelle Pflicht annimmt, den Preis für die Sachen zu bezahlen,15 die man in Zukunft kaufen wird, liegt zum einen daran, dass man die Pflicht zur Kaufpreiszahlung nicht aus dem Gesetz, sondern aus dem Vertrag selbst ableitet, zum anderen aber daran, dass man bei Verhaltensnormen, die eine bestimmte Handlung gebieten, einen klaren Anhaltspunkt dafür hat, ab wann die Vornahme der Handlung verlangt wird. Dass das Gesetz im Falle der absoluten Rechte an den unbeteiligten Dritten keine Anforderungen stellt, solange keine Situation eintritt, in der das Rechtsgut gefährdet ist, wird hingegen nicht weiter beachtet, da die Annahme von Pflichten zur Unterlassung von Handlungen, die der Betroffene im Moment gar nicht vornehmen kann geschweige denn will, nicht weiter ,störend‘ ist. Die Annahme von Esser/Weyers, dass alle anderen Rechtssubjekte genauso wie der potentielle Störer zur Unterlassung verpflichtet seien, beruht somit ebenso wie die Annahme eines Anspruchs gegen jedermann darauf, dass der hypothetische Rechtssatz des Gesetzes nicht von der sich im konkreten Fall aufgrund der Anwendung dieses Rechtssatzes ergebenden Regelung unterschieden wird. Der Störer als Anspruchsgegner unterscheidet sich dadurch, dass ihn in dem konkreten Fall eine Unterlassungspflicht trifft, von allen anderen Rechts14 Im Sinne der letzten Alternative Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 216 auf Grundlage der „psychologischen“ Imperativentheorie: Pflicht als „Motiv im Widerstrebenden“ entsteht in dem Augenblick, in dem sich in diesem „die Disposition regt“, die verbotene Handlung auszuführen. 15 Vgl. insoweit den Gedanken von J. Schmidt, FS Jahr (1993), 401 (406): Wenn man die Konstruktion der Ansprüche gegen jedermann für zutreffend halten würde, müsse man konsequenterweise davon ausgehen, dass „alle Ansprüche vor Tatbestandserfüllung als ,verhaltene‘ Ansprüche“ bereits bestünden.
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subjekten, die zwar hypothetisch auch zur Unterlassung verpflichtet sein können, an deren Verhalten das Recht im Moment aber noch keine Anforderungen stellt. Der potentielle Störer zeichnet sich dadurch aus, dass ihm gegenüber überhaupt ein Anlass für das Recht besteht, durch Auferlegung von Pflichten und Gewährung von Rechtsschutzmöglichkeiten einen Interessenkonflikt zu regeln. Der Unterschied ist damit ein spezifisch materiellrechtlicher. 2. Der Ansatz Sibers Auch wenn die Argumentation von Esser/Weyers, dass „zur Unterlassung einer Störung . . . definitionsgemäß jeder verpflichtet sei“, auf den ersten Blick eine Verwandtschaft mit Sibers Annahme aufweist, dass eine Pflicht zur Unterlassung von Eingriffen in absolute Rechte und Rechtsgüter unabhängig von der Gewährung eines Anspruchs besteht, geht der Einwand Sibers gegen die Existenz materieller Unterlassungsansprüche in eine ganz andere Richtung als die jüngere Kritik von Esser/Weyers. Da Siber von der Durchsetzbarkeit des Privatrechts ausgeht und Pflichten nur dort anerkennt, wo das Recht eine hinreichende Möglichkeit zur Durchsetzung verleiht, argumentiert er nicht wie Esser/Weyers damit, dass eine Pflicht schon unabhängig von jeder konkreten Gefahrensituation bestehe. Seine Kritik setzt daran an, dass für die aufgrund absoluter Rechte und Rechtsgüter bestehenden Pflichten schon andere hinreichende Durchsetzungsmöglichkeiten bestünden. Die Annahme, dass es keine materiellen Unterlassungsansprüche zum Schutz von absoluten Rechten und vor Delikten geben könne,16 begründet Siber damit, dass Unterlassungsansprüche nur da bestehen können, wo ohne sie die Zuwiderhandlung erlaubt wäre.17 Der Eingriff in absolute Rechte sei, sofern keine Einwilligung vorliegt, ohnehin verboten,18 und die Befugnis zur Geltendmachung des Verbotsgesetzes stehe dem Berechtigten auch ohne Anspruch ebenso wie jedem anderen zu. Da der Berechtigte durch einen Anspruch nur etwas bekäme, was ihm ohnehin zusteht, könne es einen solchen Anspruch nicht geben.19 Von einem prinzipiellen Standpunkt aus lässt sich bereits der Annahme, Unterlassungsansprüche bestünden nur, wenn ohne sie die Zuwiderhandlung er16 Siber, Rechtszwang (1903), S. 99 ff., 108 ff.; Siber, Schuldrecht (1931), § 76 V 4. c, S. 471 ff. 17 Siber, Rechtszwang (1903), S. 88, 99, 108, 110; Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (305) meint dem „mit der Frage begegnen [zu] können, ob es nicht denkbar ist, daß ein allgemeines Verbot zu der engeren Beziehung eines Anspruchs verdichtet wird.“ 18 Im Sinne einer Objektivierung des Schutzes des absoluten Rechts auch Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (166): „Das geforderte negative Verhalten . . . schuldet B der Rechtsgemeinschaft, nicht einem Gläubiger.“ 19 Siber, Rechtszwang (1903), S. 99 f.; gegen Siber bereits Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 111 f.
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laubt wäre, entgegenhalten, dass es nicht die Aufgabe des Bürgerlichen Rechts ist, die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem zu bestimmen, sondern Privatinteressen durch die Gewährung von Schutzmitteln zu schützen.20 Durch die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs erhält der Berechtigte zumindest die Möglichkeit, der Verletzung seiner berechtigten Interessen durch eine Unterlassungsklage vorzubeugen. Diese Möglichkeit steht ihm ohne Anspruch selbst nach der Theorie vom Rechtsschutzanspruch nicht ohne weiteres zu,21 und sie steht wegen des Ausschlusses des Popularrechtsschutzes gewiss nicht jedem anderen ebenso zu.22 Von diesem Standpunkt aus ist nicht ersichtlich, wieso die Gewährung eines Anspruchs als Schutzmittel dadurch ausgeschlossen sein soll, dass das Interesse noch auf andere Weise rechtlich geschützt wird. Doch auch die Annahme, dass der Eingriff in ein absolutes Recht ohnehin – auch ohne Unterlassungsanspruch – verboten sei, ist nicht ohne weiteres richtig.23 Ausgehend von dem auch von Siber geteilten Standpunkt, dass rechtliche Pflichten nur vorliegen, wenn das Verhalten zumindest mittelbar erzwingbar ist,24 würde dies voraussetzen, dass der Verstoß gegen die Unterlassungspflicht anderweitig sanktioniert wird. Wenn man das Zivilrecht als ein in sich geschlossenes Rechtsschutzsystem betrachtet, spricht viel dafür, auch nur auf zivilrechtliche Sanktionen abzustellen, weil es eben darum geht, ob eine zivilrechtliche Pflicht vorliegt. Indes ist es zumindest nach der heutigen Rechtslage keineswegs so, dass das Verbot der Verletzung absoluter Rechte stets durch strafrechtliche Sanktionen oder verwaltungsrechtliche Eingriffsbefugnisse abgesichert wäre: Für das Strafrecht zeigt dies bereits die Straflosigkeit der Gebrauchsanmaßung von fremden Sachen25 und in den Polizei- und Ordnungsgesetzen findet sich die so genannte Subsidia20
Vgl. Bucher, AcP 186 (1986), 1 (11 ff.). Auch wenn die Vertreter der Lehre vom Rechtsschutzanspruch dessen Unabhängigkeit vom privaten Anspruch betonen, nehmen sie doch als dessen regelmäßige Voraussetzung das Bestehen eines – wenn auch nicht notwendigerweise fälligen – materiellrechtlichen Anspruchs an. 22 So auch Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 111 f. gegen Siber: „In diesem Sinne [auf dem Gerichtswege] kann ein Verbot sicherlich nicht von jedermann durchgesetzt werden.“ 23 Ablehnend auch Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 60 f.: Siber nehme zu Unrecht an, „daß der Eingriff in ein dingliches Recht schlechthin verboten ist und infolgedessen der Anspruch bereits überflüssig sei. Vielmehr ist es ja gerade erst die Gewährung des Unterlassungsanspruchs, die den Schutz des dinglichen oder sonstigen absoluten Rechts ausmacht. Und gerade weil dieser Unterlassungsanspruch besteht, ist auch die Unterlassungsklage gegeben . . .“. 24 Siber, Rechtszwang (1903), S. 68. 25 Vgl. nur Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch11 /Ruß (2005), § 242 Rn. 53: Die Gebrauchsanmaßung (furtum usus) ist keine Zueignung und daher auch nicht nach § 242 StGB strafbar. Strafbarkeit kommt nur nach § 248b StGB (Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs) und § 290 StGB (Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen) in Betracht. 21
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ritätsklausel, die für den Schutz von Privatrechten den zivilgerichtlichen Schutz für vorrangig erklärt.26 Auch Sibers offenbar auf die Befugnis zur Nothilfe anspielender Hinweis, man dürfe „auch die Beschädigung und Entwendung von Sachen eines Anderen, der einen gar nicht angeht, verbieten und verhindern, so lange nicht der Berechtigte mit dem Eingriff einverstanden ist“,27 stimmt zumindest nicht mit der heutigen Rechtsauffassung überein: Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Vorschriften über die Nothilfe nur dann zur Abwehr des Eingriffs berechtigen, wenn diese Abwehr mit dem Willen des Berechtigten in Einklang steht.28 Dieser kann sich dazu entschließen, den Eingriff hinzunehmen, ohne in diesen einzuwilligen, oder diesen ohne die fremde Hilfe abzuwehren. In diesem Fall besteht zumindest grundsätzlich kein Recht Dritter, sich in die insoweit nur den Berechtigten und den Angreifer betreffende Angelegenheit einzumischen. Auch die Befugnis des Berechtigten selbst, gegen drohende Beeinträchtigungen von absoluten Rechten Notwehr zu üben, rechtfertigt es nicht, ein ohnehin bestehendes Verbot anzunehmen, das einen Anspruch überflüssig erscheinen lässt. Kennzeichen des entwickelten Rechts ist seine Durchsetzbarkeit in einem geordneten Verfahren.29 Daher setzt auch ein Verbot in diesem Sinne voraus, dass ihm in einem solchen Verfahren zu Geltung verholfen werden kann. Den Berechtigten auf die Selbsthilfe zu verweisen, die ein Mittel des weniger entwickelten Rechts ist30 und bei der eine Abhängigkeit der Rechtsverwirklichung von den faktischen Machtverhältnissen besteht,31 und aus deren Möglichkeit ein „ohnehin“ bestehendes Verbot herzuleiten, das die Möglichkeit des Rechtsschutzes im geordneten Verfahren ausschließt, würde zu einer Rückentwicklung des Rechts führen und ist daher abzulehnen.
26 Vgl. § 1 II des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (1975/1976; abgedruckt in Heise/Riegel, Musterentwurf2 (1978); Nachweise der entsprechenden Normen in den jeweiligen Landesrechten z. B. bei Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht11 (2007), Rn. 135); vgl. Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts4 (2007), Rn. E 28 und Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht11 (2007), Rn. 135: Schutz privater Rechte primär durch die staatliche [Zivil-]Gerichtsbarkeit. 27 Siber, Rechtszwang (1903), S. 100; im Sinne Sibers bereits Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 15: „Allgemein ist in unseren Quellen das ,vim vi repellere licere‘ anerkannt. Nicht demjenigen allein ist Abwehr gestattet, der einen Angriff auf seinen eigenen Güterkreis erfährt“. 28 Vgl. Kühl, Strafrecht AT6 (2008), § 7 Rn. 143 m.w. N. 29 Zu den Stufen der Rechtsentwicklung vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 41. 30 Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie2 (1977), § 15 II: In den frühen Gesellschaften ist „die Rechtsverfolgung noch fast ganz in die Macht des einzelnen . . . gestellt.“ Erst später „pflegt die Aufgabe des Rechts erweitert zu werden, indem das Ziel nun auf die Ausschaltung der gewaltsamen Hilfe in der Rechtsverfolgung gerichtet ist.“; „Höhere Rechtskultur erweist sich . . . im Ausschluß der Gewalt in den Sozialbeziehungen“. 31 Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 41.
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Somit könnte nur noch die Tatsache, dass der Verstoß gegen die Unterlassungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, die Annahme rechtfertigen, dass eine zivilrechtliche Unterlassungspflicht auch ohne Unterlassungsanspruch besteht. Für diese Annahme könnte die verbreitete Auffassung sprechen, dass sowohl die Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB als auch die aus § 823 Abs. 1 BGB auf dem Verstoß gegen Verhaltenspflichten beruht.32 Insoweit diese Verhaltenspflichten nicht einklagbar, sondern nur für die Frage von Bedeutung sind, ob ein Verhalten zum Schadensersatz verpflichtet, spricht man von unselbständigen Pflichten.33 Bezüglich dieser unselbständigen Pflichten muss man sich jedoch Folgendes vergegenwärtigen: Auch wenn das Gesetz die deliktische Schadensersatzpflicht als eine Haftung für unerlaubte Handlungen ansieht, also für Handlungen, die nach dem Recht unterbleiben sollen, muss berücksichtigt werden, dass nach der Regelung des § 823 BGB der Verstoß gegen die unselbständige Verhaltenspflicht als solcher nicht sanktioniert wird, sondern erst dann, wenn zum einen ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß vorliegt,34 und zum anderen, wenn auch ein Schaden eingetreten ist. Auch wenn es in der Intention der Schadensersatznorm des § 823 BGB liegen sollte, dass die gefährliche Handlung auch unabhängig vom Verschulden und vom Eintritt eines Schadens unterbleiben soll,35 so lässt sich – dies zeigt sich insbesondere dann, wenn die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit gering ist –
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Vgl. v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II (1960), 49 (75 f.): Auch bei der Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB kommt es allein darauf an, „ob die Verletzung von Leben, Gesundheit oder Eigentum auf einem Verhalten beruht, das nach der Anschauung des Verkehrs gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen hat.“; vgl. ferner ebd. S. 127: „Im Deliktsrecht geht es allein um Handlungen oder Unterlassungen, die den Verboten oder Geboten der Rechtsordnung widersprechen“. 33 Vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 11: Eine Pflicht ist dann eine selbständige, wenn sie „nicht nur ausgesprochen, sondern auch ein selbständiges Klagerecht auf Unterlassung gegeben“ ist; für vertragliche Schutzpflichten vgl. z. B. auch MünchKomm5 /Kramer, Bd. 2 (2007), § 241 Rn. 12; Staudinger13 /J. Schmidt (1995), Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 317. 34 Ein Verstoß gegen eine solche indirekte Verhaltenspflicht, wenn weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorliegt, ist allerdings nur solange denkbar, als man diese Voraussetzungen als Verschuldensmerkmale von der Pflichtwidrigkeit trennt. Da für die Frage des Bestehens einer Schadensersatzpflicht aus § 823 BGB die Unterscheidung zwischen (verhaltensbezogener) Rechtswidrigkeit und Verschulden unerheblich ist – es handelt sich insofern um gleichwertige Haftungsvoraussetzungen – ist es zweifelhaft, ob der Regelung des § 823 BGB eine solche Unterscheidung zugrunde liegt und davon ausgegangen werden kann, dass das Verbot auch für Handlungen gilt, die weder vorsätzlich noch fahrlässig vorgenommen werden. 35 Dies ist der grundlegende Gedanke der Lehre vom Handlungsunrecht und zugleich auch eine der Prämissen der Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen in Analogie zu §§ 823, 1004 BGB. Die Annahme, dass auch die in § 823 BGB angeordnete Haftung auf einer unabhängig vom Verschulden und Schadenseintritt bestehenden Pflicht beruht, schlägt die Brücke zu § 1004 BGB. Vgl. zur Problematik ausführlich u. § 14.
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eine Rechtspflicht im oben genannten Sinne erst dann annehmen, wenn dem Berechtigten ein Unterlassungsanspruch eingeräumt wird. Materielle Unterlassungsansprüche zum Schutz von absoluten Rechten und Rechtsgütern lassen sich somit nicht mit der Erwägung leugnen, dass der Verpflichtete ohnehin verpflichtet ist und der Berechtigte daher nichts erhalte, was ihm nicht ohnehin zustehe. Die Argumentation Sibers beruht denn letztlich auch auf einer petitio principii: Siber nimmt nämlich an, dass es im Bereich des Bürgerlichen Rechts zwei Klassen von Pflichten gebe: Bei den Schuldverhältnissen werde die für eine Rechtspflicht konstitutive Möglichkeit des Rechtszwangs durch die Gewährung eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs geschaffen.36 Die deliktischen Unterlassungspflichten würden dagegen durch „anders beschaffen[e]“ Sanktionen geschützt, durch die Schadensersatzpflicht der §§ 823, 826 BGB und oft auch durch Androhung von strafrechtlichen Sanktionen.37 Der präventive Schutz vor Verstößen gegen diese Unterlassungspflichten obliege den Polizeibehörden.38 Daher sei es absonderlich, zum gleichen Zweck eine Zivilklage zuzulassen und man solle dem „nicht durch die Annahme von Ansprüchen auf Unterlassung solcher Handlungen eine zweite Absonderlichkeit hinzufügen . . .“.39 Siber lehnt somit im Grunde bereits die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage an sich ab.40 Von dem Prinzip ausgehend, dass die Deliktsverbote zwar durch die Anordnung der Schadensersatzpflicht, in keinem Fall aber durch Ansprüche auf ihre Einhaltung geschützt würden,41 verweist Siber die durch das BGB neu geschaffenen Möglichkeiten, die Einhaltung von Unterlassungspflichten gerichtlich zu erzwingen, in den Bereich des rein Prozessualen: Während Siber sonst die Annahmen eines gegen den Staat gerichteten Rechtsschutzanspruchs des Berechtigten und einer abstrakten Duldungspflicht des Gegners gegenüber der Staatsgewalt im Bereich der Leistungsklagen für un36
Vgl. Siber, Rechtszwang (1903), S. 68. Siber, Rechtszwang (1903), S. 68; ders., Schuldrecht (1931), § 76, S. 447. 38 Siber, Rechtszwang (1903), S. 109. 39 Siber, Rechtszwang (1903), S. 109. 40 Und nicht wie anscheinend Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (797) meint, nur die dogmatische Figur des Unterlassungsanspruchs wegen Windscheids Ansprüchen gegen jedermann. 41 Vgl. Siber, Rechtszwang (1903), S. 68: Die Sanktion ist „anders beschaffen“ „als die klagbaren Schuldverhältnisse“, S. 99 ff., 109: Ansprüche auf Unterlassung unerlaubter Handlungen sind eine „Absonderlichkeit“, S. 111: Der Annahme eines Unterlassungsanspruchs zum Schutz absoluter Rechte steht entgegen, dass „auch er auf die Nichtbegehung von Delikten gerichtet wäre; vgl. auch Siber, Schuldrecht (1931), § 1 I 2 a), S. 3: „es bestehen Pflichten zur Unterlassung . . . unerlaubter Eingriffe in fremdes Rechtsgut, aber keine Ansprüche darauf . . .“ und § 76 V 4. c, S. 471: Deliktische Schadensersatzansprüche sind primär; daher keine Ansprüche „auf Unterlassung von Vergehen“. 37
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zureichend hält und darüber hinaus einen gerichtlich durchsetzbaren privatrechtlichen Anspruch annimmt,42 der ein Recht enthält, den gegen den Staat gerichteten Rechtsschutzanspruch gegenüber dem Gegner durchzuführen,43 verzichtet er bei den negatorischen und quasinegatorischen Unterlassungsklagen vollkommen auf dieses materielle Substrat und kehrt zu einer aktionenrechtlichen Betrachtungsweise zurück: Er sieht in ihnen einen mit der in § 935 ZPO geregelten einstweiligen Verfügung verwandten44 prozessualen Rechtsbehelf, der „nicht aus dem materiellen Recht, sondern nur aus dem prozessualen Rechtsschutzbedürfnis hergeleitet werden kann“45 und dessen „einziger Zweck . . . die Herbeiführung richterlicher Strafandrohung für künftige Zuwiderhandlungen (ZPO 890)“46 ist.47 Dass diese Annahme mit der heutigen Sichtweise des Privatrechts als System materieller Rechte und nicht als System von Klagen nicht übereinstimmt, wird offensichtlich, wenn Siber die Unterlassungsklage in Anknüpfung an römische prohibitorische Interdikte als „prohibitorische Klage auf richterliche Untersagung“ 48 bezeichnet. Nach heutigem Rechtsverständnis schafft der Richter nicht Verpflichtungen, sondern stellt bestehende fest.49 Diese Sichtweise gibt Siber für die Unterlassungsklage auf, weil für ein Recht, die Unterlassung von Handlungen zu verlangen, die zur Schadensersatzpflicht aus Delikt führen können, in seiner Konzeption des materiellen Rechts kein Raum ist. Da Sibers Argumente nicht überzeugen, muss eine solche inhaltliche Beschränkung des materiellen Rechts, die zur Schaffung von neuen Klagearten ohne Grundlage im materiellen Recht und damit zu einer Wiedergeburt von aktionenrechtlichen Elementen führt,50 abgelehnt werden.
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Siber, Rechtszwang (1903), S. 74 Siber, Ebd. S. 77 f. 44 Siber, Ebd. S. 114 f. 45 Siber, Schuldrecht (1931), § 76 V 4. c, S. 471. 46 Siber, Schuldrecht (1931), § 76 V 4. c, S. 472. 47 Oder kurz gesagt: einen Rechtsschutzanspruch gegen den Staat auf Herbeiführung der richterlichen Strafandrohung. Zur Rechtfertigung einer Unterlassungsklage ohne Unterlassungsanspruchs bedient sich Siber, Schuldrecht (1931), § 76 V 4. c, S. 471 denn auch der für die Lehre vom Rechtsschutzanspruch typischen Argumentation mit der Feststellungsklage. 48 Siber, Schuldrecht (1931), § 76 V 4 c, S. 472; im Anschluss an Siber auch Rabel, Gesammelte Aufsätze III (1967), Nr. 7 B, S. 116: Es erscheine „hier aufs neue die altbekannte und im Ausland viel verwendete prohibitorische Klage auf richterliche Untersagung“. 49 So auch Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (304): Das Gericht stellt das bereits bestehende Verbot fest. 50 Vgl. Pecher, Schadensersatzansprüche (1967), S. 49 f. Fn. 5: Die „Ansicht, die das Rechtsschutzprinzip der vorbeugenden Unterlassungsklage für ,rein prozessual‘ hält“, steht „auf der Ebene des von Windscheid methodisch überwundenen Klagebegriffs“. 43
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II. Der Anspruch und die ihm korrespondierende Verhaltenspflicht (Der Einwand, dass der Unterlassungsanspruch keine aktuellen Anforderungen an das Verhalten des Gegners stellt) Im Rahmen der Untersuchung der materiellrechtlichen Bedeutung des Unterlassungsanspruchs wurde bereits aufgezeigt, dass der Begriff der Pflicht dazu verwendet wird, Verhaltensnormen unterschiedlichster Konkretisierung zu bezeichnen. Es stellt sich nun die Frage, wie die Verhaltenpflicht, die durch die Gewährung des Anspruchs dem Anspruchsgegner auferlegt wird, beschaffen ist. 1. Kein Erfordernis eines Willensentschlusses zur Normbeachtung Ernst Wolf geht davon aus, dass eine Pflicht immer auf einen bestimmten Willensentschluss des Verpflichteten gerichtet ist. Daher könne nur ein individuell bestimmtes Verhalten Gegenstand einer Pflicht sein. Eine Pflicht zur dauernden Unterlassung würde bedeuten, dass der Verpflichtete sich andauernd dazu entschließen soll, eine bestimmte Handlung nicht vorzunehmen. Da dies nicht möglich sei, könne es eine solche Verpflichtung nicht geben.51 Daher könne es zwar einen Anspruch auf Unterlassung der „Beeinträchtigung . . . durch eine bestimmte einzelne Störungshandlung“ geben, im Übrigen habe die Unterlassungsklage „lediglich eine prozessuale Wirkung“.52 Sobald man anerkennt, dass zur Beachtung der Unterlassungspflicht kein Willensentschluss erforderlich ist,53 sondern die rein faktische Beachtung des Verbots ausreichend ist,54 verliert das Argument E. Wolfs an Bedeutung. Was allerdings fraglich bleibt, ist, welchen Konkretisierungsgrad die Verpflichtung, die die Kehrseite des Anspruchs bildet, hat. Wenn man annimmt, dass sich eine aktuell bestehende Pflicht nur auf eine Handlung beziehen kann, die der Verpflichtete unmittelbar in der nächsten Sekunde vornehmen könnte, so müsste 51 Ernst Wolf, Lehrbuch des Schuldrechts, Allg. Teil (1978); vgl. bereits Windscheid/Kipp, Pandekten9 (1906), § 252 A 1a), nach dem das Unterlassen eine Bestimmung des Willens zur Untätigkeit darstelle; vgl. auch Husserl, FS Pappenheim (1931), S. 107 ff., der den Handlungsbegriff Lessers (Inhalt der Leistungspflicht (1909), S. 19, 25), der „den Unterlassungstatbestand in eine Vielheit einzelner Unterlassungsakte auflöst“, als „psychologistisch“ bezeichnet (Husserl, ebd. S. 108 Fn. 1 a. E.). 52 Ernst Wolf, Sachenrecht2 (1979), S. 159 f. 53 Vgl. Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (119): „Das effektive ,konkrete‘ Unterlassen fordert daseinsmäßig nicht den Vollzug von Akten einer positiven Aktualisierung des generellen negativen Normwillens.“; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 18: „Die Unterlassung kann Handlung sein, braucht es aber nicht“ und S. 22: „[Es] folgt sofort, daß man sich auch dann rechtmäßig verhält, wenn man nicht gerade durch den Befehl . . . zur Unterlassung bestimmt worden ist“. 54 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 200 ff.; Lesser, Inhalt der Leistungspflicht (1909), S. 15 ff.; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 18 ff., 210; Leonhard, Allg. Schuldrecht des BGB (1929), S. 77 f.; Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 46.
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man entweder annehmen, dass dem Unterlassungsanspruch keine aktuelle Pflicht des Anspruchsgegners entspricht oder dass es einen solchen Anspruch nicht geben kann. Die Lösung liegt darin, dass der Begriff der Pflicht im soeben genannten Sinne etwa für das Deliktsrecht seine Berechtigung haben mag, dem Anspruch jedoch eine Pflicht im abstrakteren Sinne entspricht. 2. Die Unselbständigkeit des Pflichtbegriffs Die Pflicht des Anspruchsgegners ist etwas gegenüber dem Anspruch unselbständiges. Sie besteht dadurch, dass der Anspruchsinhaber das Recht hat, die Unterlassung der Handlung auch im Gerichtswege zu verlangen und dass an den Anspruchsgegner der Appell gerichtet wird, dem Verlangen des Anspruchsinhabers nachzukommen, ohne dass es zum Rechtszwang kommt.55 Dies bedeutet, dass nicht der Anspruchsbegriff auf der Basis eines festgelegten Pflichtbegriffs zu bestimmen ist, sondern umgekehrt der Inhalt der dem Anspruch entsprechenden Pflicht aus dem des Anspruchs abgeleitet werden muss. Der Konkretisierungsgrad der Pflicht ergibt sich in erster Linie daraus, dass das Gesetz durch die Anspruchsvoraussetzung der Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen an eine hinreichend konkretisierte Gefährdungssituation für das Rechtsgut anknüpft.56 Die Unterlassungspflicht ist daher nicht notwendig auf eine Handlung, die der Verpflichtete akut vornehmen kann, gerichtet. Sie muss durch die Gefahrensituation jedoch soweit konkretisiert sein, dass eine gerichtliche Durchsetzung möglich ist. 3. Erfolgsbezogene und verhaltensbezogene Pflichten Dass der Begriff des Anspruchs nicht auf der Basis eines vordefinierten einheitlichen Pflichtbegriffs definiert ist, zeigt sich auch hinsichtlich der Frage, ob 55 Vgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 61: „So weit die . . . gewährte Willensmacht reicht, verpflichtet sie andere, ihr leistend oder unterlassend zu entsprechen . . .“. 56 Vgl. auch Münzberg, JZ 1967, 689 (693): Die Pflichten sind konkretisiert „a) auf der Seite des Begünstigten durch ein bestimmtes Recht oder Rechtsgutobjekt, dessen Gefährdung in Frage steht, b) auf der Seite des Verpflichteten durch den . . . Sachverhalt, aus dem sich die drohende Gefährdung ergibt“; vgl. auch Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 72 nach dem der Streitgegenstand in einem Unterlassungsprozess „nicht ein reales Geschehen, sondern ein durch die Wiederholungsgefahr umgrenzter hypothetischer Sachverhalt ist“ – vom hier vertretenen Standpunkt geht es allerdings auch im Unterlassungsprozess um einen konkreten Sachverhalt, nämlich eine Gefährdungssituation, auf die die Rechtsordnung mit der Gewährung eines Anspruchs als Rechtsfolge reagiert. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass auch die dem Unterlassungsanspruch korrespondierende Unterlassungspflicht insofern eine in gewissem Maße hypothetische Verhaltensanforderung bleibt, als nicht feststeht, ob eine Situation eintritt, in der der Verpflichtete die zu unterlassende Handlung vornehmen kann oder will.
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dem Anspruch ein erfolgsbezogener oder ein verhaltensbezogener Begriff der Pflicht entspricht.57 Bereits die Definition des Anspruchs in § 194 Abs. 1 BGB als das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“ zeigt indes, dass der Gegenstand des Anspruchs jedenfalls kein über das Verhalten des Anspruchsgegners hinausgehender Erfolg als solcher ist. Damit ist jedoch noch nicht entschieden, ob das Verhalten, zu dem der Anspruchsgegner verpflichtet ist, als solches determiniert ist oder ob es durch einen über sich hinausgehenden Erfolg bestimmt wird. Die Antwort darauf kann nur lauten, dass ebenso wie die aufgrund eines Schuldverhältnisses geschuldete Leistung sich in einem bestimmten Verhalten des Schuldners erschöpfen, aber auch in der Herbeiführung eines über das Verhalten hinausgehenden Erfolgs bestehen kann,58 auch die dem Anspruch entsprechende Pflicht sowohl verhaltensbezogen als auch erfolgsbezogen sein kann. Paradigmatische Beispiele für Ansprüche mit erfolgsbezogener Pflicht sind der Anspruch des Bestellers auf Herstellung des Werkes (§ 631 Abs. 1 BGB) oder der des Käufers auf Übereignung einer Sache (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Anspruchsgegner ist in diesen Fällen nicht zu einem vorher individualisierten Verhalten, sondern zu dem Verhalten verpflichtet, das den Erfolg herbeiführt. Dass es sich dabei nicht nur um eine besondere Art der Umschreibung des erwarteten Verhaltens handelt, sondern dass auch die Pflicht dadurch inhaltlich charakterisiert wird, wird am deutlichsten, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Anspruchsgegner durch eine erfolgsbezogene Pflicht sowohl mehr als auch weniger beschwert wird, als bei einer verhaltensbezogenen Pflicht.59 Mehr beschwert ist er insofern, als er, solange der Erfolg durch seine Verhalten herbeigeführt werden kann, auch dann dazu verpflichtet bleibt, wenn sein bisheriges Verhalten zur Herbeiführung des Erfolges bereits geeignet war und diesen nur z. B. aufgrund nicht vorhersehbarer äußerer Umstände wider Erwarten nicht herbeiführt hat. Dies gilt jedenfalls solange, wie eine bestimmte Opfergrenze
57 Vgl. dazu Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (15), der allerdings mit den Formulierungen, dass die Pflicht „nichts anderes als“ die „Passivseite“ des schuldrechtlichen Anspruchs sei und damit „kaum mehr als eine Begriffsabschattung“, die verhaltensregulierende Funktion des Rechts zu sehr in den Hintergrund stellt. Treffend jedoch Bruns, ebd. zu schuldrechtlichen Ansprüchen mit erfolgsbezogener Pflicht: „Das Pflichtgebot betrifft . . . die ,globale‘ Aufnahme jenes ,Bekommensollens‘ in den Motivationskreis des Schuldners für die zeitliche Dauer der Forderung“. 58 Diese Unterscheidung entspricht in einem gewissen Sinne der Unterscheidung von obligations de résultat und obligations de moyens im französischem Recht; nach Ernst Wolf, AcP 153 (1953), 97 (112 f.) hat hingegen eine Unterscheidung zwischen (erfolgsbezogenen) Leistungspflichten und Verhaltenspflichten keine Berechtigung: „Jede Leistungspflicht ist eine Verhaltens-, jede Verhaltens- eine Leistungspflicht (§ 241)“. 59 Siehe bezüglich dieses „Mehr“ und „Weniger“ die treffende Darstellung von Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (13 f.)
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nicht überschritten wird (vgl. z. B. §§ 275 Abs. 2 und 3, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB). Auf der anderen Seite ist er weniger beschwert, weil ihm die Entscheidungsfreiheit bleibt, auf welche Art und Weise er den Erfolg herbeiführt,60 sofern nur das Herbeiführen des Erfolges als Bewirken der Leistung anerkannt wird.61 Die Wahl zwischen den endlos vielen Wegen, die potentiell zum Erfolg führen, wird in seine autonome Entscheidung gestellt.62 Dieser Sachverhalt lässt sich nicht in eine Abfolge von Verhaltensnormen umdeuten, die den Verhaltenspielraum des Anspruchsgegners gleich einem immer enger werdenden Korridor immer mehr beschränkt und ihn so zwangsläufig zum Erfolg führt (ähnlich einem Autonavigationssystem, das es an der ersten Kreuzung zulässt, sowohl rechts als auch links abzubiegen – jedenfalls die Wahl keiner der beiden Alternativen mit dem Befehl „Wenden“ quittiert –, nach dem Rechtsabbiegen an der nächsten Kreuzung aber dann unweigerlich Linksabbiegen gebietet, um den Autofahrer ans Ziel zu bringen). Besonders offensichtlich wird dies, wenn der Anspruchsinhaber den Anspruchsgegner als Vertragspartner gerade in seiner Eigenschaft als eine der wenigen Personen ausgewählt hat, die über die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zur Herbeiführung des Erfolgs verfügen. Der Weg zum Erfolg ist hier nicht durch Bestimmungsnormen des Rechts vorgezeichnet, sondern es ist Teil der Leistung des Gläubigers, ihn zu finden. Das Gebot des Rechts beschränkt sich darauf, ihn zur Herbeiführung des Erfolgs anzuhalten.63 Es ge- oder verbietet ihm hingegen nicht bestimmte Handlungen64 und lässt ihm damit die zur Herbeiführung des Erfolgs notwendige Freiheit. Erst im Falle des endgültigen Misserfolgs vollzieht das Recht den vom Anspruchsgegner gewählten Weg nach, um für die Frage der sekundären Schadensersatzansprüche zu ermitteln, ob das Ausbleiben des Erfolgs dem Anspruchsgegner vorzuwerfen ist.65 Die mögliche Erfolgsbezogenheit der dem Anspruch korrespondierenden Pflicht darf nicht dahingehend missinterpretiert werden, dass der Anspruch ein
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Siehe Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (14). Namentlich müssen die Leistungsmodalitäten eingehalten werden. 62 So auch Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (14). 63 Vgl. Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (15): „Das Pflichtgebot betrifft . . . die ,globale‘ Aufnahme jenes ,Bekommensollens‘ in den Motivationskreis des Schuldners für die zeitliche Dauer der Forderung“. 64 Vgl. demgegenüber den Versuch von Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 10 f., 167 aus der Pflicht, zu einem zukünftigen Zeitpunkt einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, Verbote von erfolgsvereitelnden bzw. erfolgsgefährdenden Verhaltensweisen abzuleiten. Bei der Frage, ob sich aus einer Pflicht zur Übereignung zugleich ein Verbot des anderweitigen Verkaufs ergibt, gerät Lehmann, ebd. S. 11 ins Zweifeln für den Fall, dass ein Wiedererwerb möglich ist. Ebd. S. 90 verneint Lehmann die Klagbarkeit von Unterlassungspflichten, wo diese „nur die negative Seite einer positiven [vertraglichen] Leistungspflicht“ sind. 65 Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (15 f.) 61
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Recht auf den Erfolg schlechthin wäre. Gegenstand des Anspruchs ist weder der Erfolg, noch die Herbeiführung des Erfolgs an sich,66 sondern stets die Herbei66 In diesem Sinne aber weitestgehend Hölder, AcP 93 (1902), 1 (14), nach dem der Anspruch im Sinne des § 194 BGB das „einem Anderen gegenüber bestehende[. . .] und durch seine Belangung realisierbare[. . .] Recht[. . .] auf eine bestimmte Änderung des zur Zeit bestehenden Zustandes“ ist, wobei dieser Zustand „durch private Thätigkeit herstellbar“ (ebd. S. 10) ist. Dagegen bereits Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 87. – Wenn nach Hölder (ebd. S. 10) der Anspruch auf eine Leistung sowohl das Recht umfasst, den Erfolg von dem anderen zu verlangen, als „auch das Recht, ihn dem Anderen gegenüber durch dessen [gerichtliche] Belangung zu erlangen“, so kommt darin in Verbindung mit den Ausführungen ebd. S. 8 f. zwar doch ein gewisse Verhaltensbezogenheit des Anspruchs zum Ausdruck. Dies wird aber bereits dadurch wieder relativiert, dass ebd. S. 9 „das Recht von einem anderen etwas zu erlangen“ doch nur als das Recht, „das Verlangen . . . zwangsweise durchzusetzen“ definiert wird „und auch der privatrechtliche Anspruch . . . nicht sowohl ein Recht, von einem Andern, als ein Recht, einem anderen gegenüber etwas zu verlangen“, sein soll. Das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs ist für Hölder jedenfalls nicht das Verpflichtetsein des Anspruchsgegners, sondern allein die Möglichkeit, den Erfolg dem anderen gegenüber durch gerichtliche Belangung „unabhängig von dessen Willen“ durchzusetzen (deutlich insoweit ebd. S. 41 f.). – Der Unterlassungsklage liegt dementsprechend nach Hölder, ebd. S. 34 f. kein Anspruch im Sinne des § 194 BGB zugrunde, da diese „nicht den Eintritt einer Änderung, sondern das Unterbleiben einer solchen“ bezwecke und daher von den beiden für den Anspruch des BGB charakteristischen Merkmale, „daß ich dem Anderen gegenüber auf die gegenwärtige Existenz eines Zustandes ein Recht habe, und daß der Zustand zur Zeit nicht existiert“ (ebd. S. 27), eines fehlt. Die Unterlassungsklage sei daher „nichts anderes als eine Feststellungsklage“ (ebd. S. 34). Hölder ignoriert durch die Ablehnung des Unterlassungsanspruchs die Anspruchsdefinition des § 194 Abs. 1 BGB, die er schlichtweg als unzutreffend darstellt (ebd. S. 34, 36). Sein Anspruchsbegriff baut allein auf dem Zwangsvollstreckungsakt auf, wobei – offensichtlich weil er nur vis absoluta als Mittel der Zwangsvollstreckung ansieht (vgl. ebd. S. 7) – ein Unterlassen nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung und daher auch nicht des Anspruchs sein kann. Insofern erkennt er zwar die präventive Wirkung der Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO an (ebd. S. 37), als tauglicher Gegenstand eines Anspruchs kommt aber nur das verwirkte Ordnungsgeld selbst in Betracht. Dieses kann aber zum einen nur den bereits erfolgten Verstoß ahnden und nicht das Unterbleiben der Handlung sicherstellen, so dass ein Anspruch auf Unterlassen ausscheidet. Aber auch ein Anspruch auf das Ordnungsgeld selbst liegt der Verurteilung zu diesem nicht zugrunde, „da die Strafe nicht dem Kläger geschuldet wird“ (vgl. ebd. S. 35). – Hölder verengt den Anspruchsbegriff in unzulässiger und mit der Legaldefinition des § 194 Abs. 1 BGB nicht vereinbarer Weise. Wesentliches Element des Anspruchs ist die Pflicht des Anspruchsgegners, die allerdings – darin ist Hölder zuzustimmen – im Wege des Gerichtsverfahrens erzwingbar ist. Als Mittel der Erzwingung kommen jedoch alle in der ZPO vorgesehenen Mittel in Betracht, auch die Erzwingung im Wege der Einwirkung auf das Verhalten des Beklagten durch vis compulsiva nach den §§ 888, 890 ZPO; vgl. auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (167), der den Anspruch in Anlehnung an Hölder als „ein gegenwärtiges Recht“ auf den „Eintritt eines Erfolges“ ansieht, der „die nunmehrige Änderung eines zur Zeit bestehenden Zustandes ist“. Nach Bruns ist der Anspruch zwar gleichermaßen „ein materielle[r] und auf den Prozeß zugeschnittene[r] Begriff[. . .]“ Da nach Bruns der Anspruch jedoch als solcher „keinen Stabilisierungswert“ (ebd. S. 174) hat und damit unbestimmt ist, bedarf er einer „Festlegung“, die in erster Linie durch die gerichtliche Fixierung erfolgt (ebd. S. 172 ff. und schon S. 161 ff.): „Erst der durch Urteil fixierte Anspruch . . . ist so
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führung des Erfolgs durch ein Verhalten des Schuldners67 – mag sich dieses auch darin erschöpfen, dass er, weil er nicht zur Leistung in Person verpflichtet ist, andere Personen (Erfüllungsgehilfen) zur Bewirkung des Erfolgs anhält. Dies zeigt sich u. a. darin, dass der Anspruch gemäß § 275 Abs. 1 Var. 1 BGB bereits dann erlischt, wenn der Erfolg zwar durch das Verhalten anderer Personen, nicht aber durch das Verhalten des Anspruchsgegners herbeizuführen ist. Dass umgekehrt der Anspruch auch dann erlischt, wenn der Erfolg unabhängig von dem Verhalten des Anspruchsgegners eintritt – sei es, weil das Interesse des Gläubigers auch durch die von ihm nicht veranlasste Leistung eines Dritten befriedigt wird (vgl. § 267 BGB), sei es, weil Unmöglichkeit eintritt („Zweckerreichung“68) –, ändert nichts daran, dass Gegenstand des Anspruchs das den Erfolg herbeiführende Verhalten des Anspruchsgegners ist. Und auch wenn in der Zwangsvollstreckung nicht das den Erfolg herbeiführende Verhalten des Anspruchsgegners selbst, sondern der Erfolg selbst – was keineswegs stets der Fall ist69 – erzwungen wird, so wird dieser doch stets als ein vom Anspruchsgegner etwas wie ein ,wirklich bestehender Anspruch‘“ (ebd. S. 174). Der vorprozessuale Anspruch hat demgemäß „nur eine methodische Funktion“, die darin besteht, „die zwischen zwei Personen in einem bestimmten . . . Zeitpunkt vorhandenen Rechtsbeziehungen zu formulieren“ (ebd. S. 171), wobei „eine spezielle prozessuale Lage (sichere Zeugen etc.) ausgeklammert wird“ (ebd. S. 174). Es liegt in der Konsequenz der Annahme einer Unbestimmtheit des nicht gerichtlich (bzw. außergerichtlich; ebd. S. 176) fixierten Anspruchs, dass dieser nicht eine verhaltensbestimmende Funktion im Sinne der Begründung einer Verpflichtung hat, sondern dass sich dessen Bedeutung weitgehend in der eines Hilfsmittels zur prozessualen Rechtsfeststellung erschöpft (s. ebd. S. 173: „Funktion des personalen Indikators der Prozeßführungsbefugnis und des inhaltlichen Indikators für die Rechtserkenntnis“; zum Bezug des Anspruchs auf Prozess und Rechtszwang siehe auch S. 165, 175: Der Anspruch bezieht sich „auf die Geltendmachung, äußerstenfalls den Rechtsschutz“; vgl. auch ebd. S. 162, 177: „einzige Funktion der Gesetze nach der ,realistischen‘ nordischen Rechtstheorie“ ist die Anwendung im Rechtsstreit“ (ebd. S. 162). Wenn demnach der Anspruch vor allem auf den Prozess und den Rechtszwang bezogen ist (vgl. ebd. S. 165), so verwundert es nicht, dass Bruns auch bei der Bestimmung des Inhalts des Anspruchs bei der Zwangsvollstreckung ansetzt und die These, dass abgesehen von der Ausnahmesituation der unvertretbaren Handlung nicht ein Verhalten des Anspruchsgegners, sondern nur ein Erfolg erzwungen werde (ebd. S. 165), dahingehend verallgemeinert, dass der Anspruch ein Recht auf den Erfolg sei (ebd. S. 166). 67 So bereits Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 87 f.: Es ist ein Tun als Mittel zum Erfolg geschuldet; in diesem Sinne für die hiermit korrespondierende Frage, ob der Begriff der Leistung den Leistungserfolg oder das Leistungsverhalten bezeichnet, auch MünchKomm5 /Kramer (2007), § 241 Rn. 8 und Wieacker, FS Nipperdey (1965), 783 (786 f.), nach dem sich der Begriff der Leistung „jedenfalls immer auch auf ein“ Verhalten des Schuldners bezieht. 68 Unter dem Begriff der „Zweckerreichung“ fasst man diejenigen Fälle zusammen, in denen der geschuldete Leistungserfolg ohne Zutun des Schuldners auf andere Weise eintritt. Vgl. dazu Wieacker, FS Nipperdey (1965), 783 (806 ff.), der die „Zweckerreichung“ zu Recht als einen Fall der Unmöglichkeit ansieht. 69 Verpflichtungen zur Vornahme unvertretbarer Handlungen und Verpflichtungen zur Unterlassung oder Duldung von Handlungen werden gemäß §§ 888, 890 ZPO mittelbar durch die Androhung von Zwangsgeld vollstreckt.
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herbeizuführender erzwungen, und nicht nur der Erfolg, sondern auch die den Erfolg herbeiführende Vollstreckungshandlung gelten als solche des Anspruchsgegners.70 Ansprüche mit verhaltensbezogener Pflicht finden sich z. B. im Bereich des Schuldrechts dort, wo sich der Leistungserfolg in einem Verhalten des Schuldners erschöpft, wie das z. B. bei Verträgen über die Leistung von Diensten der Fall ist,71 wobei zu berücksichtigen ist, dass auch hier dem Schuldner ein Rest von „Ausführungsfreiheit“ verbleibt.72 Verhaltensbezogene Pflichten beziehen sich auf einen bestimmten Zeitraum,73 innerhalb dessen dem Verpflichteten ein definiertes Verhalten geboten wird und damit zugleich diesem nicht entsprechende Verhaltensweisen verboten werden. Die den negatorischen und quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen korrespondierende Pflicht wird allgemein verhaltensbezogen verstanden. Durch sie wird der Verhaltenspielraum des Anspruchsgegners in der Weise beschränkt, dass ihm die Vornahme einer bestimmten Handlung verboten ist.74 Die Interpretation der diesen Ansprüchen entsprechenden Unterlassungspflicht als verhaltensbezogene Pflichten entspricht ihrer Bedeutung als Mittel des vorbeugenden Rechtsschutzes. Ihre Gewährung soll dem Anspruchsinhaber die Möglichkeit geben, dem Eintritt einer drohenden Beeinträchtigung oder eines drohenden Schadens vorzubeugen. Würde man die Unterlassungspflicht erfolgsbezogen verstehen in dem Sinne, dass die Herbeiführung des Erfolgs verboten ist, so wäre auch das im Rahmen der gerichtlichen Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs für den Fall der Zuwiderhandlung angedrohte Zwangsgeld erst im Falle des Erfolgseintritts verwirkt. Die Herbeiführung des Erfolgs ist jedoch (abgeseVgl. auch Gernhuber, Erfüllung2 (1994), § 5 I 1 a): Die Fiktionen der §§ 894 Abs. 1 S. 1, 815 Abs. 3, 819 BGB „sind als Handlungsfiktionen zu verstehen und nicht als Erfolgsfiktionen; mit ihrer Hilfe werden die Akte der Zwangsvollstreckung dem Schuldner zugerechnet . . .“; vgl. ferner ebd. § 5 I 1 b): Auch im Falle des § 887 BGB werde „der Vollstreckungsakt dem Schuldner zugerechnet“; anders dagegen Hölder, AcP 93 (1902), 1 (8, 41 f.), nach dem in der Zwangsvollstreckung niemals das „pflichtgemäße Verhalten des Anderen, sondern ein unabhängig von dessen Willen eintretender Erfolg“ (ebd. S. 42) herbeigeführt werde; vgl. zu Hölders Anspruchsbegriff o. Fn. 66; vgl. im Anschluss an Hölder auch Bruns, FS Ekelöf (1972), 161 (165): In der Zwangsvollstreckung gehe „der Anspruch nicht mehr auf ein Verhalten des (Zwangsvollstreckungs-)Schuldners, sondern – sofern es sich nicht um einen der seltenen Fälle unvertretbaren Tuns handelt – auf einen Erfolg“. 71 Vgl. Wieacker, FS Nipperdey (1965), 783 (794). 72 Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (14). 73 Bruns, FS Nipperdey (1965), 3 (20): „Der Begriff des (Handlungs-)Pflicht ist zeitbezogen“; vgl. auch Rödig, Rechtstheorie 1972, 1 (7 ff.), der den Inhalt Pflicht durch eine Aufteilung der „Menge aller während eines beliebigen Zeitraums möglichen Verhaltensweisen“ (bzw. dem Adressaten möglichen Verhaltensweisen) in eine Menge erlaubter und eine Menge verbotener Verhaltensweisen definiert. 74 Vgl. Rittner, Ausschließlichkeitsbindungen (1971), S. 35: Einschränkung der „Wahlfreiheit“. 70
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hen von eventuellen strafrechtlichen Konsequenzen) bereits durch die deliktische Schadensersatzpflicht sanktioniert. Die eingesetzten Zwangsmittel wären gleichfalls nur eine Reaktion auf den eingetretenen Schaden und das Ziel der (quasinegatorischen) Unterlassungsklage, den Schaden zu verhindern anstatt nur auf ihn zu reagieren, wäre verfehlt. Anders bei einer Interpretation der Unterlassungspflicht als verhaltensbezogener Pflicht: Zwar kann auch hier das Ordnungsgeld nur als Sanktion dafür verhängt werden, dass bereits gegen die Pflicht zur Unterlassung der gefährlichen Handlung verstoßen wurde. Aber nicht jeder Pflichtverstoß führt notwendigerweise bereits zum Eintritt des Schadens, so dass die Unterlassungsklage in diesem Fall der ihr zugedachten Funktion, Schäden zu verhüten, gerecht werden kann. Die Kehrseite der verhaltensbezogenen Definition der Unterlassungspflicht ist, dass ein individualisierter Anspruch immer nur die Unterlassung einer bestimmten Verhaltensweise zum Gegenstand haben kann. Dies bedeutet, dass der Anspruchsgegner im Falle der Verurteilung auf andere, das Rechtsgut des Anspruchsinhabers genauso gefährdende Verhaltensweisen ausweichen kann, die zur Erreichung des von ihm verfolgten Interesses gleichermaßen geeignet sind. Die Rechtsprechung versucht dem mit der so genannten Kernbereichstheorie zu begegnen. Ein Fall eines Unterlassungsanspruchs mit erfolgsbezogener Definition der Unterlassungspflicht ist der Anspruch auf Duldung. Hier ist nicht ein vorher bestimmtes Verhalten verboten, sondern der Anspruchsgegner hat alle Handlungen zu unterlassen, die die Vornahme der Handlung des Anspruchsinhabers oder eines Dritten verhindern oder erschweren würden. Zu der Theorie, die das Wesen jeder Pflicht darin sieht, dass sie den in einem bestimmten Zeitraum gegebenen Verhaltensspielraum in eine Menge erlaubter und eine Menge verbotener Verhaltensweisen unterteilt und nach der es sich bei der Pflicht zu einem Tun und der Pflicht zu einem Unterlassen nur um verschieden Modalitäten der Definition der beiden Mengen handelt,75 ist zu sagen, dass sie jedenfalls die erfolgsbezogenen Pflichten nicht adäquat erfassen kann. Doch auch in Bezug auf verhaltensbezogene Pflichten ist die Unterscheidung von Pflichten zu einem Tun und Pflichten zu einem Unterlassen wegen der regel75 So z. B. Rödig, Rechtstheorie 1972, 1 (11 ff.): „Die Struktur der Unterlassungspflicht ist von der Struktur der Pflicht zur Tätigkeit . . . nicht zu unterscheiden“; zumindest missverständlich Lehmann, Die Unterlassungspflicht, S. 6: Der Unterschied des Gebots zum Verbot bestehe darin, dass das Gebot ein aktives Verhalten vorschreibe, während das Verbot „die Willensbestimmung zur Untätigkeit, zu einem untätigen äußeren Verhalten“ sei. Die Unterlassungspflicht gebietet jedoch nicht vollkommene äußere Untätigkeit, sondern verbietet nur ein bestimmtes Verhalten, bindet aber ansonsten dem Verpflichteten nicht in der Wahl seiner Verhaltens; richtig Lehmann, ebd. S. 12: „die Norm bestimmt das angenommene Verhalten rein negativ“ und ebd. S. 237: „Die Unterlassungspflichten [verpflichten] niemals zum absoluten Nichtstun . . ., sondern immer nur zur Unterlassung einer ganz bestimmten Handlung.“
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mäßig unterschiedlichen Bedeutung für die Handlungsfreiheit des Verpflichteten gerechtfertigt:76 Bei einer Pflicht zu einem Tun wird der Spielraum der erlaubten Verhaltensweisen derart eingeengt, dass der verbleibende Entscheidungsspielraum aus der Sicht des Verpflichteten nicht mehr als Entscheidungsfreiheit erscheint. Hinzu kommt, dass sich unter den erlaubten Verhaltensweisen regelmäßig nicht solche befinden, die man wie z. B. Schlafen oder reglos in aktueller Körperstellung verharren gemeinhin als ein Nichtstun bezeichnen würde. Bei der Pflicht zu einem Unterlassen wird regelmäßig der Verhaltensspielraum nur um eine eng begrenzte Menge von möglichen Verhaltensweisen verringert. Der verbleibende Spielraum ist jedoch so groß, dass dem Verpflichteten ansonsten die Möglichkeit verbleibt, autonom über die Verwendung des Zeitraumes zu verfügen. Hinzu kommt, dass der Unterlassungspflicht in aller Regel auch durch ein Nichtstun im oben genannten Sinne genügt wird. III. Der Anspruch im System der subjektiven Rechte 1. Das Verhältnis des Anspruchs zum absoluten Recht bzw. zur absolut geschützten Rechtssphäre (Der Einwand, dass der Unterlassungsanspruch ein Anspruch gegen jedermann wäre) Die vorhergehende Untersuchung77 hat gezeigt, dass sich das absolute Recht weder aus einem Bündel von Ansprüchen gegenüber jedermann78 zusammen76 Rödig, Rechtstheorie (1972), 1 (12) meint dagegen, dass „man sicherlich nicht allgemein behaupten“ könne, dass „im Falle einer Pflicht zur Tätigkeit die aus positiv bewerteten Verhaltensweisen bestehende Menge kleiner als die Menge, welche der Erfüllung einer Unterlassungspflicht entspricht“, sei. Dies ist in der Tat der zentrale Punkt. Entgegen Rödig wird man jedoch annehmen müssen, dass dort, wo das Gesetz von einer Tätigkeitspflicht spricht, der Spielraum des erlaubten Verhaltens derart auf ein Menge sich nicht relevant unterscheidender Verhaltenweisen begrenzt ist, dass dem Verpflichteten, von unwesentlichen Details abgesehen, keine Wahl bleibt, wie er sich zu verhalten hat, während der entsprechende Verhaltensspielraum bei einer Unterlassungspflicht so groß ist, dass der Verpflichtete abgesehen von der gerade verbotenen Verhaltensweise frei über sein Verhalten entscheiden kann. Vgl. dazu auch sogleich im Text. Wenn Rödig (ebd.) meint, dass auch bei einer Tätigkeitspflicht die Menge der erlaubten Verhaltensweisen unübersehbar groß sei, so beruht das zum einen auf einer atomistischen Betrachtungsweise und übersieht zum anderen, dass sich auch unübersehbare Mengen signifikant unterscheiden können. – Vgl. zu Rödigs Ansicht auch Münchkomm5 /Kramer (2007), § 241 Rn. 9 und Staudinger13 /J. Schmidt (1995), § 241 Rn. 58, der meint, dass „derartige Erwägungen zum Zusammenhang von Normstruktur und Verhaltensspielraum“ „für die Dogmatik völlig ohne Belang“ seien. 77 s. o. § 3 und § 4. 78 Die Konstruktion von Ansprüchen gegen jedermann nimmt jedoch noch Bacher, Beeinträchtigungsgefahr (1996), S. 83 f. in Kauf, um die Beeinträchtigungsgefahr nicht als Voraussetzung des materiellen Anspruchs, sondern nur als Voraussetzung für dessen gerichtliche Geltendmachung ansehen zu können. Dabei verzichtet Bacher da-
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setzt, noch dass aufgrund seiner bloßen Existenz alle anderen Rechtsubjekte konkrete Pflichten treffen. Diese Konstruktionen beruhen darauf, dass man, nachdem man dazu übergegangen war, Pflichten unabhängig von der rechtlichen Möglichkeit ihrer Durchsetzung anzunehmen, die hypothetischen Verhaltenanforderungen des Gesetzes als Pflichten aller Rechtssubjekte auffasste, ohne zu berücksichtigen, dass die allermeisten Rechtssubjekte von der Norm gar nicht betroffen sind. Ein weiterer Grund für die Konstruktion des Anspruchs gegen jedermann mag die körperweltliche Vorstellung von Rechten gewesen sein, mit der es schlecht zu vereinbaren ist, dass das absolute Recht im „Ruhezustand“ weder mit Ansprüchen noch mit sonstigen Pflichten Dritter verbunden ist.79 Mit der Erkenntnis, dass es sich bei den Unterlassungsansprüchen des BGB nicht um Ansprüche gegenüber jedermann handelt, erledigen sich die diesbezüglichen Einwände80 gegen die Existenz materiellrechtlicher Unterlassungsansprüche. Das Eigentum als Prototyp des absoluten Rechts lässt sich als Rechtsstellung kennzeichnen, die entsprechend der Zielrichtung des Eigentums, dem Eigentümer einen bewehrten Freiheitsbereich zu gewähren, in erster Linie darin besteht, dass dem Eigentümer im Falle von Störungen oder drohenden Störungen Abwehransprüche zustehen.81 Dies bedeutet zugleich, dass das Eigentum als rauf, zu untersuchen, welche Bedeutung die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung für das materielle Recht hat (ebd. S. 78), und geht im Anschluss an Henckel (s. zu Henckel o. § 3 III. 4. im Text nach Fn. 253) davon aus, dass durch Prozessrecht und materielles Recht zwei verschiedene Lebensbereiche geregelt würden (ebd. S. 35), nimmt damit also an, dass das subjektive Recht im außerprozessualen Bereich losgelöst von der Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung seine Funktion erfüllen könne (vgl. ebd. S. 49, 64, 73 f., 78). Auf dieser Grundlage kommt er zu dem Ergebnis, dass sich der Anspruch gegen jedermann und ein erst aufgrund des Bestehens einer Beeinträchtigungsgefahr entstehender Anspruch nur in Bezug auf den prozessualen Bereich unterscheiden würden (also keine Veränderung der materiellen Rechtslage aufgrund der Gefahr der Beeinträchtigung; vgl. ebd. S. 78) und auch das Merkmal der Beeinträchtigungsgefahr nur Bedeutung für den prozessualen Bereich habe (ebd. S. 83). 79 In diesem Sinne noch Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), S. 51 f. der glaubt, dem Dilemma zwischen der Konstruktion des absoluten Rechts als Bündel von Unterlassungsansprüchen gegen jedermann und der Konsequenz aus deren Ablehnung, die darin besteht, dass „das Eigentum als rechtlich irrelevant angesehen werden müsste, weil es im unverletzten Zustand ohne Anspruch und damit ohne privatrechtliche Sollensnorm“ bestünde (ebd. S. 52, 22, 28), nur durch die Annahme, dass „die Herrschaftsmacht über die Sache auf öffentlichem Recht beruht“ (ebd. S. 30 f., 51 f.), ausweichen zu können; vgl. Stadie, Unterlassungsklage (1922), S. 32 f.: Ohne die Annahme von Ansprüchen gegen jedermann hätte das absolute Recht keinen sinnvollen Inhalt; Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 46: „weil ja sonst gar nichts vorhanden wäre, das verletzt werden könnte“. 80 Vgl. o. § 1 Fn. 25. 81 Siber, Rechtszwang (1903), S. 99 f. nimmt dagegen an, dass „das dingliche Recht eine unmittelbare, d. h. nicht durch Herrschaft über die Person eines Schuldners vermittelte Rechtsherrschaft über die ihm unterworfene Sache und ein Verbot des Eingriffs gegenüber Anderen“ enthält; richtig demgegenüber Rehfeldt, Einführung2
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solches kein Rechtsverhältnis zwischen dem Eigentümer und dritten Personen begründet. Ein solches Rechtsverhältnis, das inhaltlich als Anspruch zu qualifizieren ist, entsteht frühestens, wenn eine Beeinträchtigung des Eigentums zu besorgen ist.82 Voraussetzung für die Rechtsstellung des Eigentümers ist die Erfüllung eines Eigentumserwerbstatbestandes in seiner Person. Seine Rechtsstellung ist dann vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er im Falle der Beeinträchtigung durch Besitzentzug der Sache einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB, bei sonstigen eingetretenen Beeinträchtigungen einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB und bei drohenden Beeinträchtigungen einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB hat. Die Reichweite des Eigentums und damit die Rechtsmacht des Eigentümers ist identisch mit der Summe dieser Ansprüche, die potentiell aus dem Eigentum erwachsen. Dies bedeutet, dass der Eigentümer nicht im Sinne von § 903 S. 1 BGB andere von jeder Einwirkung ausschließen kann und ihm daneben die Eigentumsansprüche zustehen, sondern dass er andere nur insoweit von jeder Einwirkung ausschließen kann, als ihm entsprechende Ansprüche zustehen.83 Dennoch ist die Definition des § 903 S. 1 BGB nicht bedeutungslos. Die anspruchsgewährende Norm des § 1004 BGB sagt nämlich nur, dass der Eigentümer einen Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung von Beeinträchtigungen hat, nicht jedoch was Beeinträchtigungen sind, und ist insofern ausfüllungsbedürftig. Der Inhalt des Eigentums und damit das, was das charakteristische Merkmal des Eigentums ist und dieses von anderen absoluten Rechten unterscheidet, bestimmt sich jedoch danach, was man als Beeinträchtigung auffasst. Zur Ermittlung dessen, was eine Beeinträchtigung ist, bedarf es der Definition des § 903 BGB, wobei insbesondere die in ihr zum Ausdruck kommende Zielsetzung, dass der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren darf, von Bedeutung ist. Die Erkenntnis, dass mit dem Begriff des Eigentums nur die dem Eigentümer zum Schutze seines Interesses an der freien Verfügung über eine Sache poten(1966), S. 74 f.: Das subjektive Recht ist „nichts als die objektivrechtliche Verbindung bestimmter Folgen mit einem bestimmten Tatbestand“. Es ist rechtstechnisches Hilfsmittel, das notwendig ist, weil „es eine unübersehbar schwierige und undankbare Aufgabe sein“ würde, „andere rechtsbegründende Tatbestände mit all ihrem Wenn und Aber zu formulieren, ohne die Erleichterung, Fakta und Folgen in dem einen Begriffe des betreffenden Rechtes zusammenfassen zu können“. 82 So auch Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (800): „Die . . . Beeinträchtigungsgefahr ist der Entstehungsgrund eines materiellen Unterlassungsanspruchs.“ 83 Vgl. Schapp, Das subjektive Recht (1977), S. 115: Die Bestimmung des § 903 BGB fasst „nur abstrakt die entsprechenden Ansprüche der §§ 985, 1004 BGB usw.“ zusammen. Die „Ausschließungsbefugnis ist nur die gattungsmäßige Zusammenfassung der konkreten Ansprüche“ (ebd. S. 115 Fn. 29); vgl. auch Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 (2001), § 42 I 1, S. 336 f.
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tiell vom Gesetz gewährten Ansprüche zusammengefasst werden, erlaubt zugleich eine Auseinandersetzung mit der These, dass Ansprüche auf Unterlassung nur aufgrund absoluter subjektiver Rechte denkbar seien.84 Diese Annahme beruht auf der Beobachtung, dass das BGB und einige Nebengesetze ursprünglich außervertragliche Unterlassungsansprüche nur im Rahmen von 84 Eine Differenzierung hinsichtlich der Annahme materieller Unterlassungsansprüche zwischen dem Schutz absoluter Rechte und sonstiger Rechtsgüter nahmen zunächst Larenz und weniger deutlich auch Esser vor. Während der Unterlassungsklage zum Schutz absoluter Rechte ein Anspruch zugrunde liege, sei die quasinegatorische Unterlassungsklage nur „ein rein prozessuales Rechtsinstitut“ (Larenz, Schuldrecht II4 (1960), S. 408 mit Fn. 5). Diese Unterscheidung beruhte in beiden Fällen auf der Annahme, dass es Ansprüche nur aufgrund der Verletzung subjektiver Rechte geben könne. Larenz, Schuldrecht II4 (1960), S. 407 f. befürchtete, dass man durch Anerkennung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche neue subjektive Rechte auf Unterlassung schaffen und damit die Unterscheidung zwischen Recht und Rechtsgut aufheben würde. Auf die Kritik Zeuners (FS Dölle (1963), 295 (305)) hin, hat Larenz es ab der 5. Auflage (zuletzt Schuldrecht II9 (1968), S. 482 Fn. 1) dahingestellt gelassen, ob es zumindest negatorische Unterlassungsansprüche geben könne. Ab der 10. Auflage (Schuldrecht II10 (1972), S. 532 mit Fn. 1) hat Larenz materielle Unterlassungsansprüche sowohl für absolute Rechte als auch für Rechtsgüter angenommen. Esser geht davon aus, dass sich Unterlassungsansprüche im Falle der vorbeugenden Unterlassungsklage nicht auf die Grundlage eines Deliktsschuldverhältnisses stützen lassen, da es an einer Verletzung noch fehle (Schuldrecht II4 (1971), S. 474). Im Falle der absoluten Rechte ließe sich die Annahme eines Anspruchs aber darauf stützen, dass diesen von vornherein Unterlassungsansprüche „innewohnten“, die bis zur konkreten Gefährdung allerdings „verhalten“ seien (ebd. S. 474). Diese Annahme sei für bloße Rechtsgüter nicht möglich, so dass man in diesen Fällen, sofern man nicht systemwidrig Ansprüche schaffen wolle, die nicht auf subjektiven Rechten beruhten (Schuldrecht II2 (1960), S. 931), einen Anspruch nur dann annehmen könne, wenn man ihm „ein gegen jedermann gerichtetes subjektives Recht auf Wahrung des eigenen Rechtsgüterstands“ zugrunde legt (Schuldrecht II4 (1971), S. 474). Diese Annahme würde aber den Unterschied zwischen subjektivem Recht und Rechtsgut „verwischen, so dass man in diesen Fällen annehmen müsse, dass es sich bei der Unterlassungsklage um „ein bloßes Institut des Prozeßrechts“ handele, dem keine materiellen Ansprüche zugrunde lägen (Schuldrecht II4 (1971), S. 474; vgl. auch Schuldrecht II2 (1960), S. 931). In der 5., von Weyers fortgeführten Auflage des Lehrbuchs wird die Ablehnung der Unterlassungsansprüche nur noch darauf gestützt, dass es an einer Rechtsverletzung und damit an dem für die Annahme eines Anspruchs erforderlichen Entstehungstatbestand fehlt. Wohl aus dem Grund, dass dieser Einwand, wenn er richtig wäre, sowohl auf quasinegatorische wie auch auf negatorische Unterlassungsklagen zuträfe, lässt Weyers seitdem die Frage offen, ob zumindest der negatorischen Unterlassungsklage ein Anspruch zugrunde liegt; vgl. zu Esser und Larenz bereits Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (791 ff.), wozu allerdings anzumerken ist, dass sich der Gedanke, dass durch die Ablehnung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüche die Unterscheidung des Gesetzes zwischen Rechten und Rechtsgütern aufrecht erhalten werde, ausdrücklich zuerst bei Larenz, Schuldrecht1 (1956), S. 381 f. findet. Die Unterscheidung zwischen subjektiven Rechten und Rechtsgütern spielt zwar bereits in der Argumentation von Esser, Schuldrecht1 (1949), S. 492 ff. eine Rolle. Dort wird jedoch auch die Existenz von Unterlassungsansprüchen aus absoluten Rechten zumindest als nicht zweifelsfrei angesehen. Erst in Esser, Schuldrecht2 (1960), S. 931 heißt es, dass man für die Annahme negatorischer Unterlassungsansprüche „zutreffend . . . darauf fußen könne“, dass sie den absoluten Rechten von vornherein als verhaltene Ansprüche innewohnten.
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Rechtsstellungen gewährten, die eine bestimmte Beschaffenheit aufwiesen und die man als dingliche oder absolute Rechte bezeichnete.85 Die gemeinsamen Wesensmerkmale dieser Rechtsstellungen sah man u. a. darin, dass dem Rechtsinhaber durch sie ein Gut zugewiesen werde,86 dass sie einen Freiheitsraum garantierten, aber auch darin, dass sie im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB das Interesse des Berechtigten dadurch umfassend schützten, dass die Rechtswidrigkeit jedes Eingriffs indiziert sei.87 Im Rahmen der Frage, ob man auch zum Schutz anderer Interessen die Befugnis verleiht, auf Unterlassung bestimmter beeinträchtigender Handlungen zu klagen, ist ein Vergleich mit den Fällen, in denen das Gesetz eine Unterlassungsklage vorsieht, sicherlich nicht nur zulässig, sondern im Rahmen einer Analogie auch geboten. Wenn man sich jedoch dazu entscheidet, die Befugnis zur Unterlassungsklage im Wege der Rechtsfortbildung in Fällen zu gewähren, die mit denen im Gesetz bisher vorgesehenen nicht in jeder Hinsicht vergleichbar sind, muss man daraus auch die Konsequenzen für das materielle Recht akzeptieren und darf nicht den Begriff des Anspruchs den Schutzmitteln im Rahmen von so genannten absoluten Rechten vor-
85 Vgl. Esser, Schuldrecht II4 (1971) S. 474: Das Gesetz „kennt“ Ansprüche „nur aufgrund eines Rechtsverhältnisses oder eines subjektiven Rechts“; vgl. auch Larenz, Schuldrecht II4 (1960), S. 204 f., der in dem einklagbaren Anspruch nach dem BGB den Grundgedanken des Aktionensystems wiederzufinden meint, dass man „grundsätzlich aus jedem Recht und nur aus einem Recht“ klagen könne; siehe bereits Kleinfeller, AcP 137 (1933), 129 (133): „. . . wo weder subjektives Recht noch Rechtsverhältnis ist, kann auch kein Anspruch im Rechtssinne vorliegen“; diese Annahme trifft freilich schon für das BGB in seiner ursprünglichen Form nicht ausnahmslos zu: Die Besitzschutzansprüche der §§ 861 f. BGB lassen sich gerade nicht aus einem subjektiven Recht in diesem Sinne herleiten; darauf hat schon Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (773) hingewiesen. 86 So z. B. Larenz, Schuldrecht II9 (1968), S. 481: „Die primäre Funktion der Herrschaftsrechte sehen wir in der Zuordnung.“; mehr als problematisch ist in diesem Zusammenhang der wiederholte Verweis auf de Boor, Gerichtsschutz (1941). Auf den S. 40–69 erörtert de Boor, wie das materielle Recht des geplanten Volksgesetzbuchs und das dem entsprechende Prozessrecht beschaffen sein müssen. Dabei soll der auf der Willenstheorie beruhende, einem „überwundenen, rein individualistischen Freiheitsbegriff“ entstammende Begriff des subjektiven Rechts, durch einen „objektiv bestimmten Begriff des subjektiven Rechts, unter dem Gesichtspunkt, dass die Rechtsordnung dem Volksgenossen ein Gut zuordnet“ ersetzt werden. Das subjektive Recht ist zu achten, „nicht weil der Berechtigte es so will, sondern weil das Recht es so ordnet“ (ebd. S. 41). Der Blickpunkt für jedes Recht sei „das Wohl der Volksgenossenschaft“ und auch „in den privatrechtlichen Pflichten“ klinge „die Pflicht des einzelnen gegen die Volksgemeinschaft“ mit (ebd. S. 40); die wesentliche Funktion des subjektiven Rechts sehen in der Zuordnung auch v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II (1960), 49 (55); Raiser, JZ 1961, 465 ff.; Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (792). 87 So z. B. Larenz, Schuldrecht II12 (1981), S. 693: Die Systematik des Deliktsrechts sei durch die Differenzierung zwischen absoluten Rechten und bloßen Rechtsgütern geprägt. Die Verletzung von absoluten Rechten und die der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich aufgeführten Rechtsgüter sei stets rechtswidrig, die von sonstigen Rechtsgütern nur bei Verstoß gegen eine objektive Verhaltensnorm.
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behalten.88 Wenn man eine Unterlassungsklage auch zum Schutz von nicht zu absoluten Rechten ausgestalteten Rechtsgütern und -positionen zulässt, begründet man dadurch eine echte materielle Unterlassungspflicht und verleiht dem Inhaber der geschützten Position das Recht, ein Unterlassen zu verlangen, mithin die Rechtsstellung, die als materieller Anspruch bezeichnet wird. Dass dem Inhaber des Unterlassungsanspruchs dadurch nicht automatisch die eventuell umfangreichere Rechtsstellung des Inhabers eines absoluten Rechts zukommt, versteht sich von selbst.89 Festzuhalten ist daher, dass die Rechtsfortbildung im Rahmen der Ausdehnung der vorbeugenden Unterlassungsklage jedenfalls auch auf dem Gebiet des materiellen Rechts stattfindet90 und sowohl die Unterlassungsklagen wegen Beeinträchtigungen von absoluten Rechten wie die wegen der Beeinträchtigung sonstiger Interessen auf materiellen Unterlassungsansprüchen beruht.91 Essers Unterscheidung, die auf der Ablehnung des romanistisch geprägten Denkens in Ansprüchen beruht und den Versuch darstellt, wenigstens 88 Vgl. bereits Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (772 f.), der sich gegenüber der Annahme, dass „der Rechtsgrund eines Anspruchs immer ein konkretes subjektives Recht sein müßte“ auf das „naive Bekenntnis von Paulus“ in D.13.2.1 Paulus lib. sec. ad Plautium beruft: „Si obligatio lege nova introducta sit nec cautum eadem lege, quo genere actionis experiamur, ex lege agendum est.“ („Wenn durch ein neues Gesetz ein Schuldverhältnis eingeführt und in diesem Gesetz nicht bestimmt worden ist, mit welcher Art von Klage wir vorgehen sollen, so ist aufgrund des Gesetzes zu klagen“; Übersetzung von Behrends/Knütel/u. a. (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd. III (1999)); siehe auch Okuda, AcP 164 (1964), 536 (545), der darauf hinweist, dass „von der geschichtlichen Entwicklung her gesehen“ immer zunächst der Schutz eines Interesses durch Gewährung von Ansprüchen steht und sich erst später daraus ein subjektives Recht entwickelt, im Verhältnis zu dem die Ansprüche dann nur noch als eine Folge erscheinen. Daher gebe es „Rechtsinteressen . . . die die Rechtsordnung zwar mit einem Anspruch ausstattet, den man aber nicht als eine Wirkung dieser Rechtsinteressen . . . betrachten“ könne; vgl. auch Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 113, der in anderem Zusammenhang darauf hinweist, dass man, wenn man ein Klagerecht auf Unterlassung anerkennt, auch zugeben muss, „daß die durch ein solches Klagerecht garantierten Störungsverbote ein Recht auf die Unterlassung, d. h. einen Anspruch auf sie, gewähren“. 89 So im Ergebnis auch Henckel, AcP 174 (1974), 97 (112 f.); Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (305) meint, dass auch bei der Annahme von Unterlassungsansprüchen bei bloßen Rechtsgütern Unterschiede zu den subjektiven Rechten bestehen blieben; Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (792 f.) weist gegenüber der Argumentation von Larenz (vgl. o. Fn. 87) treffend darauf hin, dass die Frage der Feststellung der Rechtswidrigkeit von der Fragestellung, welche Schutzmittel gegenüber rechtswidrigen Eingriffen zur Verfügung ständen, zu trennen sei. 90 So ausdrücklich schon Henckel, AcP 174 (1974), 97 (139) gegen Esser, Methodik des Privatrechts, in: Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden, S. 17 f. 91 Gegen die Differenzierung zwischen Unterlassungsklagen zum Schutz von absoluten Rechten und solchen zum Schutz von bloßen Rechtsgütern bereits Enneccerus/ Nipperdey, Allg. Teil I15 (1959), § 72 I 3a; F. Baur, JZ 1966, 381 (382 f.); v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II, 49 (54 Anm. 18); Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (305); Wesel, FS Lübtow (1970), 787 (791 ff.); Henckel, AcP 174 (1974), 97 (137); Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 38.
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auf dem Gebiet der Rechtsfortbildung das eigene Konzept eines Rechts „als Lebensordnung“, in dessen Mittelpunkt die objektive Ordnung anstelle der individuellen Berechtigung steht, umzusetzen, ist kategorisch abzulehnen.92 Zu der Frage, ob zur Begründung eines absoluten Rechts neben die an die anderen Rechtssubjekte gerichteten Störungsverbote noch eine positive Berechtigung des Rechtsinhabers treten muss, ist wie folgt Stellung zu nehmen: Zunächst einmal kann der primäre Inhalt des Eigentums nicht die Herrschaft über die Sache als solche sein.93 Da als Adressaten des Rechts nur RechtssubVgl. dazu Esser, Schuldrecht1 (1949), S. 493 f.: Esser geht davon aus, dass das Anspruchssystem, das die materielle Lebensform einseitig unter dem Gesichtspunkt des „vom Gesetz verliehenen Anspruchs“ nach romanistischer Art betrachte, nur aus seiner Herkunft vom Gerichtsschutz zu erklären sei. Die Frage, wann gerichtlicher Schutz zur Verfügung stehe, gehöre jedoch nicht zur „Lebensordnung und ihren Pflichten“, sondern zu einem Zwischenbereich zwischen ihr und dem Prozessrecht. Das Denken des BGB in Anspruch und Einrede sei einzig dadurch zu rechtfertigen, dass dieser Zwischenbereich in das BGB miteinbezogen wurde. Im Rahmen des quasinegatorischen Rechtsschutzes versucht er diese Trennung von Lebensordnung und Rechtsschutz durchzuführen, indem er die vorbeugende Unterlassungsklage als ein Institut des Rechtsschutzes ansieht, dem keine Ansprüche zugrunde liegen. Das bedenkliche dieser Konzeption besteht darin, dass sie mit dem Anspruch – dem subjektivem Recht im Sinne der Willenstheorie – auch das Element der freien Willensentscheidung des Individuums aus der „Lebensordnung“ ausscheidet und dessen Stelle das durch objektive Pflichten geschützte Interesse stellt. Der prinzipielle Unterschied besteht darin, dass das Privatrecht dem Einzelnen nicht mehr einen Bereich von Freiheit einräumt, in dem dieser seine Interessen befriedigen kann, sondern dass das Recht selbst die Interessen des Einzelnen festlegt und diese durch objektive, vom Willen des Einzelnen unabhängige Pflichten schützt. Dies wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Vorschlag einer Aufteilung des Rechts in Lebensordnung, Prozessrecht und einem Zwischengebiet, das angibt, wann „zur Wahrung der Lebensordnung der Gerichtsschutz zur Verfügung steht“ auf de Boor, Gerichtsschutz (1941), S. 51 ff. zurückgeht, und damit auf eine die Schaffung eines Volksgesetzbuchs im Rahmen der nationalsozialistischen Rechtserneuerung vorbereitenden Studie. Die Lebensordnung gibt nach de Boor an, „was die einzelnen Volksgenossen im Verkehr miteinander zu tun und zu lassen haben“ (ebd. S. 40). Da auch der Begriff der Pflicht von dem Willen des Einzelnen ausgeht, will er diese Ordnung nicht als Pflichtenordnung, sondern als objektive Verhaltensordnung konstruieren (ebd. S. 40 f.). In dem Rahmen müsse „die unsachgemäße Verquickung“ des subjektiven Rechts mit dem Willen des Berechtigten verschwinden: „das Eigentum ist zu achten, der Schuldner hat zu leisten, nicht weil der Berechtigte es so will, sondern weil das Recht es so ordnet.“ Er kommt somit „zu einem objektiv bestimmten Begriff des subjektiven Rechts, unter dem Gesichtspunkt, dass die Rechtsordnung dem Volksgenossen ein Gut zuordnet, sei es unmittelbar oder mittelbar durch Anweisung auf das Leistensollen und die Haftung eines anderen.“ (ebd. S. 41); vgl. auch Jauernig, JuS 1971, 329 (332 ff.) zu entsprechenden Tendenzen in der ehemaligen DDR: „Wer das subjektive Recht beseitigen will, ruft nach dem Staatsanwalt im Zivilprozeß“. 93 So aber Siber, Rechtszwang (1903), S. 99 f., der annimmt, dass „das dingliche Recht eine unmittelbare, d. h. nicht durch Herrschaft über die Person eines Schuldners vermittelte Rechtsherrschaft über die ihm unterworfene Sache“ enthält“; Dernburg, Pandekten6 (1900): Dingliche Rechte sind solche, welche uns eine bürgerliche Sache unmittelbar unterwerfen; RGRK12 /Johannson (1982), § 194 Rn. 1: Ein dingliches 92
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jekte in Betracht kommen, kann auch das Eigentum nur in dem Verhältnis des Eigentümers zu anderen Personen bestehen,94 also in dem, was der Eigentümer diesen gegenüber darf, kann oder soll. Die Beschreibung des Eigentumsinhalts als einer unmittelbaren Sachherrschaft kann daher nur als Beschreibung der Zielsetzung des Eigentums dazu dienen, zu ermitteln, wie das Verhältnis des Eigentümers zu Dritten rechtlich beschaffen ist.95 Darüber hinaus besteht im Verhältnis zum Staat aufgrund von § 903 BGB keine Berechtigung des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren.96 Ob der Einzelne im Verhältnis zum Staat dazu berechtigt ist, bestimmte Handlungen vorzunehmen, bestimmt sich nach den verfassungsgemäßen Normen des öffentlichen Rechts.97 Dabei ist zu beachten, dass in diesem Bereich der Möglichkeit des Staates, Handlungen zu verbieten, durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG Grenzen gezogen sind. Im Bereich des Privatrechts kann eine positive Berechtigung des Eigentümers nur als Begrenzung von Ansprüchen Dritter aus deren absoluten Rechten von Bedeutung sein.98 Insoweit ist dann eine Abwägung zwischen der Freiheit des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und der dem Dritten durch dessen absolutes Recht gewährten Freiheit erforderlich.99 Rechtsverhältnis erzeugt „an und für sich eine unmittelbare Herrschaft nur zu der seinen Gegenstand bildenden Sache“. 94 So bereits Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (775 f.) und ders., Der Begriff der juristischen Person (1879), S. 10; vgl. auch Hadding, JZ 1986, 926 ff. und JZ 1987, 454 f.; Niehues, JZ 1987, 453 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1967), S. 135 f.; bei der Auffassung des dinglichen Rechts als Herrschaftsrecht ergibt sich für die sonstigen absoluten Rechte das Problem, worauf Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (776) hinweist, dass es an einem „körperliche[m] Substrat“ fehlt, dessen Unterwerfung positiver Rechtsinhalt sein könne. 95 Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 20: „Die dinglichen und überhaupt die s. g. absoluten Rechte müssen erst in Beziehungen zwischen Menschen aufgelöst werden“; vgl. dazu auch J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 231: „Nur wenn wir uns des Bildhaften dieser Vorstellung bewußt sind, ist es unschädlich, wenn wir die absoluten Rechte als Herrschaft über das Objekt . . . auffassen, das in Wahrheit nur der Beziehungspunkt dieser Herrschaft ist“; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht17 (2007) Rn. 185: „bildhafte Kennzeichnung der Bestimmungsbefugnisse“ des Eigentümers. 96 Siehe Dehner, Nachbarrecht (28. Lieferung 2003), A § 1 2.: § 903 regele „lediglich die Rechtsstellung des Eigentümers gegenüber seinen Rechtsgenossen“, inwieweit „das Eigentum vom Staat . . . in Anspruch genommen werden kann“, regelt das öffentliche Recht; vgl. auch Sontis, FS Larenz (1973), S. 981: „Der wahre Umfang der Freiheit des Eigentümers, ,mit der Sache nach Belieben zu verfahren, ergibt sich nicht aus . . . der gesetzlichen Bestimmung, sondern aus der Gesamtrechtsordnung.“ 97 Vgl. insoweit Staudinger2002 /Seiler, § 903 Rn. 19: Art. 14 GG „regelt das Verhältnis zwischen Eigentum und Staat“. 98 Vgl. auch Adomeit, Gestaltungsrechte (1969), S. 27 f.: Das absolute Recht ist ein geeigneter Rechtfertigungsgrund für die Verletzung fremder Interessen. 99 Vgl. Adomeit, Gestaltungsrechte (1969), S. 27 f.: auch Staudinger2002 /Seiler, § 903 Rn. 5: „In Kollisionsfällen . . . sind angemessene Antworten durch Rückgriff auf
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Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Eigentum potentiell mit Ansprüchen verbunden, die dem Berechtigten eine Kompetenz zur Durchsetzung des Ge- oder Verbots im Rechtsweg und damit eine positive Rechtsmacht einräumen. Diejenigen, die das subjektive Recht als eine Kombination von einem Imperativ an das Privatrechtssubjekt, eine bestimmte Handlung zu unterlassen, und einem durch einen Antrag des Berechtigten bedingten Imperativ an den Staat, die Unterlassung durchzusetzen, auffassen,100 lösen auf diese Weise die mit dem Anspruch verbundene Rechtsmacht in zwei Imperative auf. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die privatrechtliche Dogmatik auf der Annahme von unmittelbar zwischen den Privatrechtssubjekten bestehenden Rechtsbeziehungen beruht. Diese Darstellungsebene wird durch die Annahme eines an den Staat gerichteten Imperativs verlassen. Wenn man hingegen das materielle Recht weiterhin – so wie es sich für die zivilrechtliche Dogmatik als vorteilhaft erwiesen hat – in der Form von Rechtsbeziehungen unmittelbar zwischen Privaten darstellt, ist ohne positive Berechtigungen nicht auszukommen. 2. Das Verhältnis des Anspruchs zur ,Forderung‘ (Der Einwand, dass der Unterlassungsanspruch nicht die Eigenschaften eines schuldrechtlichen Anspruchs aufweist) Gegen die Existenz materieller quasinegatorischer Unterlassungsansprüche wurde der Einwand geltend gemacht, dass diesen die meisten der Eigenschaften fehlen würden, die für Ansprüche, insbesondere für schuldrechtliche Ansprüche, wesentlich seien: Sie seien nicht abtretbar, berechtigten nicht zur Aufrechnung und stellten keinen Rechtsgrund im Sinne von § 812 BGB dar.101 Vor allem aber sei es ein Delikt und keine Forderungsverletzung, wenn der Verpflichtete seiner Unterlassungspflicht nicht nachkomme.102 Die Annahme von quasinegatorischen Ansprüchen würde die Fähigkeit des Anspruchbegriffs beeinträchtiallgemeine Grundsätze und Überlegungen zu suchen. Dazu gehört etwa der Grundsatz, daß . . . Betätigungen innerhalb der räumlichen Grenzen eines Grundstücks prinzipiell zum Eigentumsinhalt gehören“. 100 So z. B. Aicher, Eigentum (1975), S. 50. 101 Vgl. dazu Henckel, AcP 174 (1974), 97 (121 ff.); nach Henckel spricht die Tatsache, dass mit dem Begriff des Anspruchs derart „unterschiedliche Dinge“ bezeichnet würden, gegen eine einwandfreie Begriffsbildung (ebd. S. 139 f.). 102 Nach Siber, Rechtszwang (1903), S. 101 f. wäre die Verletzung der Unterlassungspflicht bei Annahme von Unterlassungsansprüchen eine Nichterfüllung dieser Ansprüche und würde zur Haftung nach § 276 BGB führen, der sich auf alle privatrechtlichen Ansprüche beziehe. Auf diese Weise werde der „Gegensatz von deliktischem und Erfüllungsverschulden“ beseitigt; so schon Hölder, AcP 93 (1902), 1 (21 ff.); demgegenüber hat bereits Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), 112 f. gezeigt, dass dieses Argument nur dann Bestand hat, wenn man die Prämisse anerkennt, dass die §§ 276 ff. BGB auf alle Ansprüche anwendbar seien und es durch die Annahme, dass sich diese Vorschriften nur auf schuldrechtliche Leistungsansprüche beziehen, zu entkräften ist; vgl. a. Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (306).
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gen, Sonderverbindungen mit diesen bestimmten Eigenschaften zu bezeichnen.103 Diese Einwände zielen demnach darauf ab, dass die Beziehung zwischen Kläger und Beklagtem einer Unterlassungsklage nicht das erforderliche Mindestmaß der Eigenschaften von schuldrechtlichen Ansprüchen aufweisen würde, und man sie daher nicht als Anspruch bezeichnen könne. Fraglich ist daher, ob es für Ansprüche wesensnotwendig ist, dass sie zumindest einen Teil der Eigenschaften aufweisen, die dem heute mit dem Begriff der Forderung bezeichneten Rechtsverhältnis zugeschrieben werden. Die heute herrschende Meinung geht davon aus, dass der Begriff der Forderung mit dem des schuldrechtlichen Anspruchs identisch sei.104 Der dingliche Anspruch steht nach ihr zwar als eigene Anspruchskategorie neben dem schuldrechtlichen Anspruch, sie geht jedoch gleichwohl davon aus, dass die für die Forderung geltenden Regelungen auf den dinglichen Anspruch anwendbar seien, sofern keine Sonderregelungen bestünden.105 Hiernach wäre davon auszugehen, dass schuldrechtliche 103 So Zeuner, FS Dölle II (1963), 295 (306): Es ergebe „sich gegenüber einem solchen Sprachgebrauch . . . das Bedenken, ob der Begriff des Anspruchs auf diese Weise nicht erheblich in seiner Fähigkeit beeinträchtigt wird, Beziehungen mit einer bestimmten rechtlich wesentlichen Eigenart zu bezeichnen“; vgl. auch Husserl, FS Pappenheim (1931), S. 162. 104 Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 3 I 5; Hübner, Allg. Teil2 (1996), Rn. 420; Köhler, Allg. Teil32 (2008), § 18 Rn. 3; Larenz/M. Wolf, Allg. Teil9 (2004), § 15 Rn. 56; Lehmann/Hübner, Allg. Teil16 (1966), § 13 II 2 b; Medicus, Allg. Teil9 (2006), Rn. 75; Schwab/Löhnig, Einführung in das Zivilrecht17 (2007), Rn. 190; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil II15 (1960), § 222 II 2; Nachweise der älteren Literatur bei Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), Fn. 71; – Siber, Rechtszwang (1903), S. 92 nimmt an, dass – die Fälligkeit vorausgesetzt – das Schuldverhältnis im engeren Sinne mit dem schuldrechtlichen Anspruch identisch ist; ebenso Okuda, AcP 164 (1964), 536 (541): „Forderungsrecht ist mit dem Anspruch identisch, wenn man von dem Moment der Fälligkeit absieht.“; auch Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht (1925), S. 50 meint, „daß es wohl doch nicht zulässig“ sei, „neben der Forderung einen selbständigen Anspruch . . . anzunehmen, sondern unter Anspruch . . . die Forderung in einem gewissen Zustand und in einer gewissen Richtung“ zu verstehen sei. Eine andere Bedeutung und Berechtigung habe der Anspruchsbegriff jedoch bei den absoluten Rechten; a. A. Langheineken, Anspruch (1906), S. 25 m.w. N. – Pawlowski, Allg. Teil7 (2003), Rn. 327 ff. hingegen unterscheidet die Begriffe Anspruch und Forderung: Das Forderungsrecht versteht er in Anlehnung an die Lehre E. Bucher vom subjektiven Recht (s. zu dieser u. § 11 III.) als eine „Entscheidungs- bzw. Normsetzungsbefugnis (ebd. Rn. 289). Der Anspruch hingegen ist für Pawlowski die aufgrund dieser Befugnis gesetzte Norm (ebd. S. 328). Dass dies mit der Legaldefinition des Anspruchs in § 194 Abs. 1 BGB nicht vereinbar ist, räumt Pawlowski, ebd. Rn. 327 selbst ein: Der Anspruch im Sinne des BGB ist nicht das Ansprechen (im Sinne von Pawlowski: die gesetzte Norm), sondern die Befugnis dazu (so auch Staudinger13 / J. Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 124 – zu J. Schmidt s. o. § 3 II. 4. e) Fn. 195; vgl. bereits Windscheid, Pandekten1 (1862), § 43 S. 89: „die Befugnis zum Ansprechen“). Siehe dazu, dass sich der Begriff des Anspruchs nicht rein normativ im Sinne einer durch den Willen des Berechtigten bedingten Pflicht verstehen lässt, o. § 3 II. 4. e) im Text nach Fn. 186. 105 So z. B. Medicus, Allg. Teil9 (2006), Rn. 75; Hübner, Allg. Teil2 (1996), Rn. 423; § 18 Rn. 2; Siber, Rechtszwang (1903), S. 99; Langheineken, Anspruch (1906), S. 25;
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und dingliche Ansprüche ein Mindestmaß an gemeinsamen Merkmalen aufweisen. Es wäre daher zu untersuchen, ob quasinegatorischen Unterlassungsansprüche diese gemeinsamen Mindesteigenschaften der Ansprüche aufweisen. Henckel hat in seiner Untersuchung nachgewiesen, dass der Grundbuchberichtigungsanspruch aus § 894 BGB sowie der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB mit schuldrechtlichen Ansprüchen nicht mehr Gemeinsamkeiten aufweisen, als die negatorischen und quasinegatorischen Unterlassungsansprüche.106 Daher müsse man, wenn man die Anspruchqualität der § 894, 985 BGB bejahe, auch die negatorischen Unterlassungsansprüche anerkennen.107 Henckel hat daraus den Schluss gezogen, dass man entweder von der grundsätzlich unterschiedlichen Natur von schuldrechtlichen und dinglichen Ansprüchen ausgehen müsse oder die Identität von schuldrechtlichem Anspruch und Forderung aufgeben müsse, indem man den Inhalt des schuldrechtlichen Anspruchs auf die Befugnis zur Geltendmachung der Pflicht beschränke und diesen als eine Folge der Forderung ansehe.108 Diese zweite Alternative weist den Weg in die richtige Richtung.
zurückhaltender hingegen Soergel12 /Teichmann (1990), Vor § 241 Rn. 9: „Einzelprüfung“ und Lehmann/Hübner, Allg. Teil16 (1966), § 13 II 2 b); kritisch auch J. Schmidt, FS Jahr (1993), 401 (403): Schuldrechtliche Regeln treffen nicht „durchweg“ zu. 106 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (121 ff.), siehe insb. das „Prüfungsschema“ auf S. 121 f.; dagegen erkennen Siber, Rechtszwang (1903), S. 95 ff., 99; ders., Schuldrecht (1931), § 76 V 4 c (S. 471 ff.) und Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (169) einen (schuldrechtlichen) Anspruch auf Herausgabe aus § 985 BGB an, während sie negatorische Unterlassungsansprüche ablehnen (zu Siber o. § 4 I. 2.; zu Husserl u. Fn. 137). 107 Vgl. Henckel, AcP 174 (1974), 97 (138): Wenn man die Annahme eines materiellen Unterlassungsanspruchs ablehne, müsse man sich „folgerichtig auch dazu bekennen, die materielle Grundlage der Grundbuchberichtigungsklage nicht als Anspruch zu bezeichnen und ebenso [scil.: wenig] die des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB.“ 108 Vgl. Henckel, AcP 174 (1974), 97 (141 f.); da Henckel die wesensbestimmende Funktion des Anspruchs nicht in der Vermittlung der Klagbarkeit sieht (s. o. § 3 II. 4. d) Fn. 183), stellt es für ihn eine rein terminologische Frage (vgl. ebd. S. 138) dar, ob man den „materiellen Grund der Unterlassungsklage“ als Anspruch bezeichnet. Diese Frage bejaht er, nachdem er festgestellt hat, dass das Gesetz auch an anderer Stelle (§§ 894, 985 BGB) Rechtsverhältnisse mit einer ähnlich begrenzten Funktion als Ansprüche bezeichnet. Henckel hält es nun jedoch für problematisch, mit dem Begriff des Anspruchs sowohl den schuldrechtlichen Anspruch auf positive Leistung, der „den geschützten Wert in sich“ trägt und zugleich Schutzmittel und Rechtsposition sei, und den Unterlassungsanspruch, der nur „Schutzmittel für eine außerhalb seiner selbst liegende Rechtsposition ist“, zu bezeichnen. Dieses terminologische Problem will er durch eine Korrektur von Windscheids Anspruchsbegriff lösen, die darin besteht, dass man entweder die einheitliche Definition von schuldrechtlichem und dinglichem Anspruch aufgibt oder aber beim schuldrechtlichen Anspruch im herkömmlichen Sinne wie Rimmelspacher (Streitgegenstandsprobleme (1970); die inhaltliche und terminologische Verwandtschaft von Henckels Ausführungen zur Anspruchstheorie seines Schülers Rimmelspacher wird durchgehend offensichtlich) zwischen Rechtsposition und Schutzmittel unterscheidet und nur zur Bezeichnung des letzteren von nun an den Begriff des Anspruchs verwendet.
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Man muss sich vergegenwärtigen, dass aus dem Recht, ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, nicht denknotwendig – sozusagen aus der Natur der Sache – folgt, dass man mit diesem Recht aufrechnen kann, dass man die Vorteile, die einem durch das fremde Tun oder Unterlassen entstehen, behalten darf109 oder dass man im Falle, dass der Anspruchsgegner seiner Verpflichtung nicht nachkommt, nach bestimmten Regeln Schadensersatz verlangen kann. Diese Regelungen haben ihren Grund nicht allein darin, dass jemand zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet ist, sondern beruhen u. a. auch auf dem vertraglichen Versprechen der Leistung und dem dadurch erweckten Vertrauen.110 Der Anspruch hingegen verleiht die als Voraussetzung jeder zivilrechtlichen Pflicht notwendige Kompetenz, ein bestimmtes Verhalten gerichtlich zu erzwingen, ohne jedoch darüber Auskunft zu geben, aus welchen Gründen diese Pflicht besteht.111 Allerdings ist die Möglichkeit des Rechtszwangs ein wesentliches Merkmal von Schuldverhältnissen, worauf insbesondere Siber hingewiesen hat.112 Daher ist das Verhältnis von Forderung und schuldrechtlichem Anspruch folgendermaßen zu bestimmen: Die Forderung ist die aufgrund eines Vertrages – oder im Falle der gesetzlichen Schuldverhältnisse: eines gesetzlich bestimmten Tatbestandes – bestehende Rechtsstellung des Gläubigers, durch die dessen Interesse am Eintritt des Leistungserfolgs geschützt wird.113 Das mit Abstand wichtigste zur Befriedigung dieses Interesses gewährte Mittel ist der Anspruch auf die Leistungshandlung, der bei Fälligkeit der Leistung entsteht. Darüber Vgl. auch Staudinger13 /J. Schmidt (1995), Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 133 ff.: Die Befugnis zum Behalten der Leistung ist unabhängig von der Befugnis, die Leistung zu verlangen; vgl. aber zu J. Schmidt o. § 3 II. 4. e) Fn. 195. 110 Dem kann hier nicht weiter nachgegangen werden; vgl. aber z. B. Larenz, Schuldrecht I14 (1987), § 6 I: Die gesetzlichen Regelungen des Schuldrechts orientieren sich „an dem Gedanken eines gerechten Ausgleichs, am Prinzip der Vertragsgerechtigkeit und in machen Fällen auch an dem Schutz des sozial schwächeren Teils.“ und Mot. II, 30: „Wenn der Schuldner eine Leistung versprochen hat, so erblickt der heutige Verkehr in diesem Versprechen auch die Uebernahme einer Garantie für das ordnungsgemäße Verhalten“ seiner Erfüllungsgehilfen (Gedanke einer Garantiehaftung; vgl. hierzu Larenz, Schuldrecht I14 (1987), § 20 I). 111 Siehe nur Windscheid/Kipp, Pandekten9 (1906), § 43: „Die Richtung des Rechts . . . als solche, unabhängig, ob das Recht ein dingliches oder persönliches, ein absolutes oder relatives ist“; vgl. dazu auch Okuda, AcP 164 (1964), 536 (537): „Es scheint mir unmöglich, darüber hinaus eine einheitliche Lehre vom Anspruchsbegriff aufzustellen“; RGRK12 /Johannson (1982), § 194 Rn. 1: „Auf die Natur des dem Anspruch zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses kommt es nicht an.“ 112 Siber, Rechtszwang (1903), S. 68 f. 113 Vgl. Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), S. 22 mit Nachweisen der älteren Literatur in Fn. 72: „Nach anderer Auffassung soll das subjektive Recht die gesamte Gläubigerstellung innerhalb der Obligation ausdrücken . . .“ und S. 35: „In der früheren Lehre wurde unter Forderungsrecht meist das relative subjektive Recht verstanden, wenn letzteres – weiter als der relative Anspruch – das gesamte Gläubigerrecht aus der Obligation, einschließlich die Gestaltungsrechte, ausdrücken sollte“. 109
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hinaus verleiht die Gläubigerstellung jedoch unter anderem auch die Berechtigungen, das Interesse an der Leistung im Wege der Aufrechnung zu befriedigen und die erhaltene Leistung selbst dann zu behalten, wenn der Anspruch auf die Vornahme der Leistungshandlung verjährt ist.114 Dass im Mittelpunkt des geschützten Interesses nicht unbedingt die Vornahme einer bestimmten Handlung des Schuldners stehen muss, sondern häufig ein zu bewirkender objektiver Leistungserfolg,115 zeigt sich nicht nur daran, dass eine Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB nur das objektive Ausbleiben des Leistungserfolgs voraussetzt, unabhängig davon, ob der Schuldner überhaupt die Möglichkeit hatte, durch sein Verhalten den Leistungserfolg herbeizuführen.116 Auch die Nebenrechte, die wie z. B. die Bürgschaft, die Hypothek oder das Pfandrecht die Gläubigerstellung ergänzen können, sichern das wertmäßige Interesse am Leistungserfolg und nicht dasjenige an der Vornahme einer bestimmten Handlung des Schuldners. Durch die Abtretung schließlich wird nicht nur das Recht, die Vornahme der Leistungshandlung zu verlangen, sondern die gesamte Gläubigerstellung übertragen.117 114 Vgl. auch Bolze, Gruchots Beitr. 46 (1902), 753 (762): Die „Weiterwirkung des einmal begründeten Rechts hätte vor der Identifizierung des Anspruchs mit dem Forderungsrecht bewahren sollen“. 115 Vgl. Husserl, FS Pappenheim (1931), 87 (S. 129 f.): „Der positive Inhalt der Schuldpflicht wird durch das ,Wofür‘ der Haftung: den Leistungserfolg bestimmt, der mit einem vom Schuldner zu verwirklichenden Handlungsziel nicht einfach gleichgesetzt werden darf. Es liegt keineswegs so, dass notwendig und begriffsmäßig eine Willensaktion als solche durch die Obligation erstrebt würde. . . . Der Schuldner schuldet den Leistungserfolg, nicht sein Bemühen, diesen herbeizuführen. Erst wenn bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses Leistungshindernisse auftreten, fällt der Blick, vom Schulderfolg zurückgleitend, auf das Schuldnerverhalten selbst.“ 116 Vgl. BT-Drucks. 16/6040, S. 235 f.: „Die ,Pflichtverletzung‘ im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 RE besteht hier [bei der Unmöglichkeit respektive beim Verzug] ganz einfach darin, dass die geschuldete Leistung nicht bzw. nicht pünktlich erbracht wird; die Verletzung der verkehrserforderlichen Sorgfalt liegt demgegenüber darin, dass der Schuldner z. B. den Vertragsgegenstand unsorgfältig behandelt und so die Unmöglichkeit herbeigeführt hat, oder etwa darin, dass er die geschuldete Ware nicht frühzeitig genug auf den Weg gebracht hat, obgleich mit einem Eisenbahnerstreik oder dgl. zu rechnen war.“; – dem folgend die ganz h. M., vgl. MünchKomm5 /Ernst (2007), § 280 Rn. 12 und 17; Staudinger2004 /Otto, § 280 Rn. C 4 m.w. N.; – nach der Gegenauffassung (insbes. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht (2002), S. 64 ff. und 83 f.) ist für das Vorliegen einer Pflichtverletzung i. S. v. § 280 Abs. 1 BGB stets ein vom durch das Schuldverhältnis vorgegebenen Pflichtenprogramm abweichendes Verhalten erforderlich, eine nicht auf einem rechtswidrigen Verhalten des Schuldners beruhende Nichterfüllung einer Leistungspflicht sei daher keine Pflichtverletzung. Eine solche Konzeption der Pflichtverletzung ist indes nicht Gesetz geworden, und sie kann weder die Einordnung der Unmöglichkeit als Pflichtverletzung noch die vertragliche Garantiehaftung aus § 276 Abs. 1 S. 1 BGB erklären (siehe hierzu MünchKomm5 / Ernst (2007), § 280 Rn. 17). 117 Siehe auch J. Schmidt, FS Jahr (1993), 401 (416): „Übertragen wird nicht der Anspruch, sondern jeweils das Recht . . .“; vgl. zu J. Schmidt aber o. § 3 II. 4. e) Fn. 195.
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Für den Begriff der Fälligkeit bedeutet dies, dass er keine mögliche Eigenschaft des Anspruchs bezeichnet. Der Anspruch beinhaltet immer das Recht, jetzt sofort die Vornahme der Leistungshandlung zu verlangen.118 Fällig kann nur die aufgrund des Schuldverhältnisses geschuldete Leistung sein. Mit der Fälligkeit der Leistung entsteht ein Anspruch auf die Vornahme der Leistungshandlung. Auch wenn sich in der Verwendung der Begriffe ,Anspruch‘, ,Forderung‘ und ,Schuldverhältnis‘ die terminologische Unsicherheit des Gesetzgebers in diesem Bereich widerspiegelt, so spricht doch insbesondere der Wortlaut des § 241 S. 1 BGB für die hier angenommene genetische bzw. kausale Beziehung zwischen der Forderung als dem Schuldverhältnis im engeren Sinne und dem (schuldrechtlichen) Anspruch.119 Es ist allerdings zu bemerken, dass der historische Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien 120 mit dem Begriff der Forderung in § 241 BGB tatsächlich zunächst nur den schuldrechtlichen Anspruch, also das Recht, die Vornahme der Leistungshandlung zu verlangen, bezeichnen wollte.121 Zur Bezeichnung der gesamten Gläubigerstellung wurde der Begriff des Schuldverhältnisses benutzt. Bereits im BGB diente der Begriff der Forde118 Vgl. Crome, System I (1900), § 35 S. 180: Der Anspruch ist die Befugnis „im Augenblick eine Leistung von einer gewissen Person verlangen zu können“; Siber, Rechtszwang (1903), S. 83: „Danach enthält jeder Anspruch das Recht auf sofortige freiwillige Leistung . . . und das Recht, diese Leistung sofort durch Verurteilungsklage mit anschließender Vollstreckung zur erzwingen“; Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965); S. 67 f.; a. A. Langheineken, Anspruch (1906), S. 21; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 70 ff. nimmt einen gegenwärtig bestehenden Anspruch auf künftige Leistung an; Brox/Walker, Allg. Teil32 (2008), Rn. 642: „Zum Begriff des Anspruchs gehört nicht dessen Fälligkeit“; Staudinger2004 /Peters, § 194 Rn. 9; Hübner, Allg. Teil2 (1996), Rn. 424: „Der Anspruch setzt nicht notwendig Fälligkeit voraus.“; Lehmann/Hübner, Allg. Teil16 (1966):, § 13 I 2: „Die Fälligkeit ist keine begriffsnotwendige Eigenschaft des Anspruchs“; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil II15 (1960), § 222 II 4. 119 Siehe bereits Siber, Rechtszwang (1903), 89: „In Wahrheit dürfte § 241 BGB keine Begriffsbestimmung des Anspruchs enthalten, sondern eine Folgerung aus diesem Begriff. Er sagt nicht, dass das Schuldverhältnis ein Anspruch ist, sondern dass es einen solchen begründe.“; vgl. auch MünchKomm5 /Kramer (2007), § 241 Rn. 1: Der Gesetzgeber hat in § 241 BGB den Begriff des Schuldverhältnisses nicht definiert, sondern „es wird lediglich die Wirkung des Schuldverhältnisses, die Einklagbarkeit der Leistungsverpflichtung genannt.“ 120 Vgl. Prot., Mugdan II, 501: Der angenommene Antrag zur Fassung des § 206 (E I = § 205 E II = § 241 BGB) weiche „vom Entw. darin ab, dass er einerseits es vermeidet, die Leistung als ,Gegenstand‘ des Schuldverhältnisses zu bezeichnen, andererseits in Satz 1 das Forderungsrecht als den wesentlichen Inhalt des Schuldverhältnisses hervorhebt, dessen rechtliche Gestaltung durch den Zweck bestimmt werde, dem Gläubiger die Leistung zu verschaffen.“ 121 Siehe auch Siber, Rechtszwang (1903), 69: „Unter ,fordern‘ im Sinne des § 241 ist Durchführung des Schuldverhältnisses . . . durch Anwendung von Zwangsmitteln, vor allem durch Klage zu verstehen. § 241 BGB bleibt so im Einklange mit einem deutschrechtlichen Sprachgebrauch, . . . nach dem ,fordern‘ soviel wie ,klagen‘ bedeutet“.
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rung jedoch dann dazu, als pars pro toto die gesamte übertragbare Gläubigerstellung zu bezeichnen.122 Es ist daher vor allem das Schuldverhältnis im engeren Sinne von dem aus ihm erwachsenden Anspruch zu unterscheiden. Für den Begriff der Forderung ist sodann zu entscheiden, ob mit ihm das Schuldverhältnis im engeren Sinne oder der Anspruch bezeichnet werden soll. Es entspricht der heutigen Terminologie mit dem Begriff der Forderung ersteres zu bezeichnen, woran hier festgehalten werden soll. Was jedenfalls nicht geschehen darf, ist die Annahme der Identität aller drei Begriffe in dem Sinne, dass man annimmt, dass die Forderung als das Schuldverhältnis im engeren Sinne mit dem schuldrechtlichen Anspruch identisch sei.123 Aufgrund dieser Betrachtung wird auch deutlich dass nicht der dingliche Anspruch, sondern das dingliche Recht das Pendant zur Forderung ist. Bei beiden handelt es sich um die aufgrund eines bestimmten Tatbestandes – etwa einem Vertrag oder einem Eigentumserwerbstatbestand – bestehende Rechtsstellung eines Rechtssubjekts, die darin besteht, dass ein bestimmtes Interesse – an dem Erhalt einer Leistung oder daran, über eine Sache nach Belieben zu verfügen – im gegebenen Fall durch die Gewährung von Ansprüchen geschützt wird. Dem unterschiedlichen Schutzumfang entspricht es, dass in einem Fall nur der Schuldner Anspruchsgegner sein kann, im anderen Fall jedermann als Anspruchsgegner in Betracht kommt. Des weiteren kommen die Unterschiede zwischen den beiden Rechtsstellungen darin zum Ausdruck, dass sich die Folgen der Verletzung des geschützten Interesse nach unterschiedlichen Regelungen bemessen und auch für deren Übertragbarkeit verschiedene Bestimmungen gelten. Ob man das Verhältnis der Begriffe Forderung und Eigentum zu den jeweiligen Ansprüchen eher genetisch124 oder synthetisch125 auffasst, hängt davon ab, ob man mit diesen Begriffen eher den zugrundeliegenden Tatbestand126 (ob man 122
So vor allem in § 398 BGB. So aber z. B. Hübner, Allg. Teil2 (1996), Rn. 420. 124 In dem Sinne, dass die Ansprüche aus dem Eigentum bzw. aus der Forderung entstehen; vgl. auch Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis (1952), S. 33, nach dem der „Zusammenhang zwischen den Ansprüchen und dem Recht . . . heute . . . nicht mehr in dem Bereich des Analytisch-Begrifflichen gesucht“ wird, „sondern in einem genetischen Bereich“. Es sei „eine morphologische Entwicklung, die zum Anspruch führt, im Gegensatz zu der rein anatomischen Betrachtung der früheren Lehre“. 125 In dem Sinne, dass sich die Forderung bzw. das Eigentum aus den Ansprüchen zusammensetzt. 126 Widersprüchlich insofern Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 2 I 3, der einerseits darauf besteht, dass das Schuldverhältnis kein anspruchserzeugender Tatbestand sei, andererseits aber meint, dass „alle Elemente . . . die Rechtsfolgen bestimmter Tatbestände (zu denen auch die Existenz eines Schuldverhältnisses gehören kann) und keines die unmittelbare Folge eines Schuldverhältnisses“ sei. Wenn man mit dem Begriff des Schuldverhältnisses den Tatbestand der vertraglichen Einigung bezeichnet, so ist „das Schuldverhältnis“ in jedem Fall ein Teil des anspruchsbegründenden Tatbestands, bei sofort fälligen Leistungen sogar ein für die Begründung des Anspruchs auf die Leistungshandlung hinreichender Tatbestand. 123
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also bei dem Schuldverhältnis an den Vertrag denkt und beim Eigentum an den Erwerbstatbestand) oder, angesichts der Übertragbarkeit der Rechtsstellungen als Ganzes, die mit dem Tatbestand verbundenen Befugnisse bezeichnet.127 Nicht weiterführend ist dagegen die Sichtweise Henckels, der die hier vorgenommene terminologische Unterscheidung von schuldrechtlichem Anspruch und Forderung dahingehend interpretiert, dass nach dieser die schuldrechtlichen Ansprüche ebenso wie die dinglichen „keinen selbständigen Wert“ mehr verkörperten, sondern nur noch ein Mittel zum Schutz „der Rechtsposition . . ., die außerhalb ihrer selbst liegt“ und die nun mit dem Begriff der Forderung bezeichnet wird, seien.128 Mit dieser Annahme übernimmt Henckel Elemente aus der Anspruchslehre Rimmelspachers.129 Dieser geht davon aus, dass der materielle Kern des schuldrechtlichen Anspruchs – der Forderung in der hier gewählten Terminologie – eine „des Verpflichtungsmoments ledige Rechtsposition sei“,130 die als „Anwartschaft auf die Erlangung einer bestimmten Leistung“131 beschrieben wird, und die unabhängig132 von den zu ihrem Schutz zur Verfügung stehenden „Rechtsbehelfen“ – etwa dem Klaganspruch oder dem davon zu unterscheidenden Schutzanspruch als dem Recht, „außergerichtlich das Verhalten zu verlangen, mit dem der Anwartschaft genügt wird“133 – sei. In der Annahme, dass die so beschriebene Rechtsposition unabhängig von den Mitteln zu ihrem Schutz sei, liegt jedoch der entscheidende Fehler134 der Lehre RimmelsVgl. Rehfeldt, Einführung2 (1966), S. 75: „Dafür müssen wir dann freilich die Ungelegenheit in Kauf nehmen, dass beim Gebrauch des Wortes Recht (oder der Bezeichnung eines konkreten subjektiven Rechts) zuweilen unklar bleibt, ob damit jeweils das Faktum, oder die Folgen oder beides ausgedrückt sein soll.“. 128 So Henckel, AcP 174 (1974), 97 (141 f.), zum dinglichen Anspruch bereits S. 134; die Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Ansprüchen ist weit verbreitet, vgl. etwa Brehm, Allg. Teil6 (2008), Rn. 612; Larenz/M. Wolf, Allg. Teil9 (2004), § 15 Rn. 61 f.; Pawlowski, Allg. Teil7 (2003), Rn. 345. 129 Deren zentraler Gedanke, dass der Anspruchsbegriff verschiedene Funktionen erfülle, die von der Dogmatik zu unterscheiden seien, wobei der Funktion des Anspruchs als wirtschaftlicher Wert und Gegenstand rechtsgeschäftlicher Verfügungen ein besonderer Stellenwert zukomme, wiederum auf Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand (1961), S. 256 ff. zurückgeht. 130 Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 58; vgl. auch S. 48, 56; das Konstrukt eines Anrechts auf die Leistung ohne Zwangsbefugnisse findet sich bereits bei v. Lübtow, FS Lehmann I (1956), 328 ff.; dagegen zutreffend Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 4 I 2. 131 Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 81. 132 So ausdrücklich Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 63: „der hiervon unabhängigen Position“; auch Henckel, AcP 174 (1974), 97 (138) meint, „daß die Verjährung nicht die Rechtsposition, sondern nur den Schutzanspruch betrifft“. 133 Zu den „Rechtsbehelfen“ siehe Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 113 ff. 134 Abgesehen davon, dass die Betrachtung eines als Rechtsposition bezeichneten Interesses am Erhalt einer Leistung ohne Bezug auf menschliches Verhalten schon deshalb wenig sinnvoll ist, weil dem Recht als Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen 127
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pachers.135 Diese beachtet nicht, dass die Forderung als Rechtsposition keine reale Existenz hat, sondern nichts anderes ist als die Summe der Befugnisse, die das Gesetz dem Gläubiger zum Schutze seines Interesses verleiht. Nach Aussonderung aller Schutzmittel verbleibt nur das rein faktische vom Recht nicht geschützte Interesse des Gläubigers an der Leistung.136 Wirtschaftlich nur die Einflussnahme auf menschliches Verhalten zur Verfügung steht und es die sich gegenüberstehenden Interessen nur dadurch zum Ausgleich bringen kann, dass es Pflichten auferlegt oder eben darauf verzichtet; zutreffend dagegen Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 2 I 2 in Bezug auf das gesamte Schuldverhältnis: „Zu erfassen ist das Phänomen rein deskriptiv“. 135 Vgl. auch Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 3 I 2. zu dem Anrecht v. Lübtows (FS Lehmann I (1956), 328 ff.): Verselbständigung von Vorstellungsteilen, „die der Verselbständigung wegen ihrer Abhängigkeit von den anderen Vorstellungsteilen gar nicht fähig sind.“ Der Grund für das Anrecht kann „nur in der Verpflichtung des Schuldners gesehen werden“. 136 Dass Rimmelspacher überhaupt zur Annahme einer Rechtsposition gelangt, liegt daran, dass er die aus § 214 Abs. 2 BGB hergeleitete „Befugnis, das Geleistete zu behalten als Teil der Rechtsposition selbst“ (Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 26) und nicht als Rechtsbehelf ansieht. Seine Konzeption beruht also letztlich darauf, dass er aus den rechtlichen Mechanismen, die zum Schutz des Vertrauens eines Vertragspartners auf den Erhalt der Leistung bestehen, eines herausnimmt und den durch dieses Mittel bewirkten Schutz vergegenständlicht als Rechtsposition bezeichnet (Gernhuber, Schuldverhältnis (1989), § 3 I 2 spricht von „Rechtsverdoppelung“), während er die anderen Schutzmechanismen als bloße Rechtsbehelfe betrachtet, die keinen Einfluss auf den Umfang der Position haben. Der materielle Gehalt des Anspruchs erschöpft sich jedoch keinesfalls darin, einen Rechtsgrund für „ohnedies“ erlangte Leistungen abzugeben. Obwohl aus Rimmelspachers eigenen Ausführungen deutlich wird, dass das geschützte Interesse durch die Verjährung eine Veränderung erfährt (Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 52), erwägt dieser anscheinend nicht, dass die Rechtsposition vor der Verjährung eine umfassendere war, sondern geht im Gegenteil davon aus, dass die Verjährung das „hervorragendste Beispiel“ für Veränderungen sei, die allein das Schutzrecht betreffen (ebd. S. 126). – Wenn Rimmelspacher daher versucht, den materiellen Kern des Anspruchs von dem angeblich noch vorhandenen Rechtsschutzelement zu trennen, so betrachtet er den Anspruch nicht losgelöst von den Mitteln des Rechtsschutzes, sondern losgelöst von dem Bezug auf menschliches Verhalten. Es überrascht insofern, wenn Rimmelspacher zumindest suggeriert, er würde mit seiner Anspruchslehre Windscheids eigenes rechtstheoretisches Programm, „den materiellrechtlichen Gehalt der actio rein zu erfassen“, zu Ende führen (Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 20, 23). Es lag in keiner Weise in der Intention Windscheids, das Moment der Pflicht aus dem materiellen Recht auszuscheiden. Windscheids normatives Verständnis des materiellen Rechts zeigt sich ebenso deutlich in der Auffassung, dass das dingliche Recht aus einer Vielzahl von Unterlassungsansprüchen gebildet wird, wie darin, dass dieser unter dem Begriff des Anspruchs schließlich nichts anderes als eine Verhaltenspflicht verstand. Dass eine Theorie, die verpflichtungslose Rechtsposition und Rechtsbehelf trennt, im Gegensatz zu Windscheids Lehre steht, wird nirgendwo deutlicher als bei Windscheids Ausführungen zur Zession, wo dieser die Annahme, dass die Ausübung eines Rechts, nicht aber das Recht übertragen werde, als ein „Spiel mit Worten“ bezeichnet und von dem verbleibendem Recht ohne Willensherrschaft als „leeren Körper“ spricht (Actio (1856), S. 174 – Es überrascht kaum noch, dass Rimmelspacher neben das verkürzte materielle Recht ein deutlich aktionenrechtlich geprägtes Rechtsschutzsystem (de lege ferenda schlägt er vor, das Erkenntnisverfahren nach der Art
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wertvoll ist aber nicht dieses faktische Interesse an der Leistung, sondern die unter dem Begriff der Forderung zusammengefassten Mittel zum Schutz dieses Interesses. Daher ist die Annahme, die Ansprüche – in der Terminologie Henckels und Rimmelspachers: Schutz- bzw. Klagansprüche – verkörperten keinen eigenen wirtschaftlichen Wert, sondern schützten eine außerhalb ihrer selbst liegende Wertposition, verfehlt. Die Werthaftigkeit der Summe dieser Ansprüche konstituiert den Wert dieser „außerhalb liegenden Rechtsposition“. Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass der Begriff des Schuldverhältnisses (im engeren Sinne) von dem des Anspruchs zu unterscheiden ist.137 Bei dem Verhältnis zwischen Anspruchsinhaber und Anspruchsgegner eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs handelt es sich nicht um ein Schuldverhältnis und damit auch nicht um eine Forderung im dem Sinne, wie der Begriff der ,Forderung‘ heute verwandt wird. Dies ist jedoch für die Annahme eines Anspruchs nicht erforderlich, da der Begriff des Anspruchs nicht dazu dient, ein Schuldverhältnis im Sinne von § 241 BGB zu bezeichnen.
der Vollstreckungshandlungen aufzufächern, s. Rimmelspacher, Streitgegenstandsprobleme (1970), S. 132) stellt und die Frage, inwieweit gerichtlicher Schutz für eine ,Rechtsposition‘ zu erlangen ist – ganz im Sinne der Lehre vom Rechtsschutzanspruch, zu der sich Rimmelspacher dann auch bekennt (ebd. S. 168 mit Fn. 1) – von einem vom Sachinteresse zu unterscheidenden Schutzinteresse abhängig macht (ebd. S. 107 f.). 137 Ohne den Begriff des Anspruchs, wie ihn das BGB in § 194 BGB verwendet, zu untersuchen, geht Husserl, FS Pappenheim (1931), S. 162 ff. im Gegensatz dazu davon aus, dass der Begriff des Anspruchs mit dem der Obligation identisch ist. Davon ausgehend, schlussfolgert Husserl (ebd. S. 166), „daß die Geltendmachung der Norm negativen Sollens . . . nicht den Sinn der Erhebung eines schuldrechtlichen Anspruchs haben kann“. Der Kläger mache hingegen „einen Rechtsschutzanspruch gegen die staatliche Rechtsgemeinschaft geltend, dem ein privatrechtlicher (vermögensrechtlicher) Anspruch nicht zugrunde liegt.“ Demgegenüber ist festzustellen, dass aufgrund der Besorgnis einer Beeinträchtigung ein Rechtsverhältnis zwischen dem Inhaber des absoluten Rechts und dem potentiellen Störer entsteht, das zwar nicht als Schuldverhältnis im Sinne von § 241 BGB, wohl aber als Anspruch im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist (vgl. dagegen ebd. S. 164 ff.). Es ist nicht nur so, dass erst dann von „einem effektiven Unterlassen gesprochen werden kann, wenn das verbotene Verhalten in greifbare Wirklichkeitsnähe dieser Person gerückt worden ist“ (ebd. S. 126), sondern die Besorgnis der Beeinträchtigung ist zugleich auch Voraussetzung der Unterlassungspflicht, die erst mit der Gewährung des Anspruchs als echte Rechtspflicht entsteht. Erst die Besorgnis der Beeinträchtigung führt zur Normbetroffenheit des Anspruchgegners und hebt ihn dadurch aus dem Kreis aller Rechtsgenossen hervor. Die Norm betrifft ihn nicht mehr nur rein hypothetisch in seiner Eigenschaft als Rechtssubjekt und damit möglicher Pflichtadressat, sondern er befindet sich in einer Rechtslage, in der die Norm Anwendung auf ihn findet. – Unzutreffend ist insb. die Annahme, „daß das geforderte negative Verhalten . . . der Rechtsgemeinschaft, nicht einem Gläubiger“ geschuldet sei (ebd. S. 166). Auch die Geltung der dem absoluten Recht entsprechenden Verpflichtungen ist derart in das Belieben des Berechtigten gestellt, dass ihre Beachtung im gewissen Sinne nur ihm „geschuldet“ wird.
§ 4 Unterlassungsanspruch als materielles Substrat der Unterlassungsklage
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3. Der Anspruch als subjektives Recht (Die Frage, ob formale Berechtigungen Ansprüche sind) Der Anspruch wird heute allgemein als eine Kategorie der subjektiven Rechte angesehen.138 Insbesondere die Willenstheorie hat das Wesen des subjektiven Rechts darin gesehen, dass dem Rechtsinhaber eine Freiheit gewährt werde. Sie hat das subjektive Recht als Willensmacht gekennzeichnet, als Bereich, wo der Wille des Einzelnen herrscht.139 Windscheid hat ausgehend von diesem Begriff des subjektiven Rechts den Anspruch als den durch den Willen des Einzelnen bedingten Imperativ angesehen.140 Oben wurde gezeigt, dass sich das Wesen des Anspruchs nicht allein auf der Basis von an das Privatsubjekt gerichteten Imperativen erklären lässt, sondern dass für den Anspruch die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung wesentlich ist. Fraglich ist jedoch, ob der Anspruch notwendig eine Willensbedingtheit der ihm entsprechenden Pflicht in dem Sinne voraussetzt, dass der Anspruchsinhaber die Pflicht durch seine Einwilligung beseitigen kann und der Anspruchsgegner dann zur Vornahme der Handlung berechtigt ist. Diese Voraussetzung würde von einem Teil der heute angenommenen quasinegatorischen Unterlassungsansprüche nicht erfüllt werden. Dabei handelt es sich um die Ansprüche, die zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Verbotsgesetzen mit Schutzgesetzqualität im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dienen. Bei diesen Verbotsnormen fehlt dem Anspruchsberechtigten die Dispositionsmöglichkeit über den Bestand der Pflicht. Verzichtet er auf die Geltendmachung des Anspruchs, so ist die zuständige Behörde trotzdem dazu befugt, die Beachtung der Pflicht durchzusetzen. Ob solche Befugnisse zur Geltendmachung einer Pflicht, die nicht mit der Dispositionsmöglichkeit über deren Geltung verbunden sind – zum Teil spricht man insoweit von formalen Berechtigungen141 –, Ansprüche im Sinne des BGB sind, ist differenzierend zu beantworten.
138 Vgl. nur die Behandlung der Ansprüche im Lehrbuch von Larenz/M. Wolf, Allg. Teil9 (2004), § 15 Rn. 56 ff. innerhalb des Abschnitts „Arten subjektiver Rechte“. 139 Siehe bereits v. Savigny, System I (1840), § 4, S. 7; Windscheid/Kipp, Pandekten9 (1906), § 37; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil I15 (1959), § 72 I; auch im englischen Recht wird die Willenstheorie vertreten, vgl. insoweit H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 162 ff., 181 ff. 140 Windscheid/Kipp, Pandekten9 (1906), § 43 Fn. 2: „Den der Person zu eigen hingegebene Rechtsbefehl“; vgl. auch J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 233 mit Fn. 1279: Das subjektive Recht ist „die Macht, die Imperative des Rechts wirksam werden zu lassen.“ 141 So Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 120 f. für die Ansprüche aus § 23 Abs. 1 GüKG. Da deren Nichtgeltendmachung zum Übergang auf die Bundesanstalt für den Güterkraftverkehr führt, fehle es an der für die subjektiven Rechte charakteristischen Verleihung einer Willensmacht zur freien Disposition. Einen
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Teil 1: Die Annahme eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs
Die für den Anspruch wesentliche Freiheit des Anspruchsinhabers besteht darin, dass es in seiner alleinigen Entscheidungsmacht liegt, ob er die Vornahme oder das Unterlassen der Handlung des Anspruchsgegners im Zivilgerichtsverfahren erzwingt. Sofern die oben angesprochenen formalen Berechtigungen existieren, würde es sich bei ihnen daher um Ansprüche im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB handeln. Die andere Frage, die es zu beantworten gilt, ist diejenige, ob das Privatrecht solche formalen Berechtigungen verleiht. Es spricht viel dafür, dass solche formalen Berechtigungen mit der charakteristischen Eigenschaft des Privatrechts, Berechtigungen zu gewähren, um Freiräume des Individuums zu schaffen, nicht vereinbar sind, und daher die analoge Gewährung von Unterlassungsansprüchen zum Zwecke der Durchsetzung von Pflichten aus öffentlich-rechtlichen Schutzgesetzen abzulehnen ist. Die Untersuchung dieser Frage bleibt dem zweiten Teil dieser Arbeit vorbehalten.
Zwang zur Ausübung würde das subjektive Recht aufheben und sei daher mit diesem nicht vereinbar.
Teil 2
Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche Abschnitt 1
Die Entwicklung des quasinegatorischen Rechtsschutzes in Rechtsprechung und Literatur § 5 Die Entwicklung der quasinegatorischen Unterlassungsansprüche durch das Reichsgericht I. Ableitung eines Unterlassungsanspruchs aus deliktischen Schadensersatznormen Der erste Schritt zur Entwicklung einer „allgemeinen“, in ihrem Anwendungsgebiet über die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgehenden, Unterlassungsklage durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde bereits in einer Entscheidung des 2. Senats zum Badischen Landrecht aus dem Jahre 1890 vollzogen.1 Die Klägerin begehrte in dem zu entscheidenden Fall, den Beklagten zur Unterlassung des Verkaufs minderwertiger, nicht aus der Herstellung der Klägerin stammender, Schuhwaren als deren Fabrikat zu verurteilen. Der entscheidende Senat nahm an, dass der Beklagte durch den Verkauf der Schuhwaren unter der falschen Herkunftsangabe eine unerlaubte, nach L. R. S. 13822 zum Schadensersatz verpflichtende Tat begehen würde. Aus der Tatsache, dass eine Handlung nach L. R. S. 1382 zum Schadensersatz verpflichte, zog der Senat die Schlussfolgerung, dass das Gesetz in diesem Fall „notwendig“ von einer Verpflichtung zur Unterlassung dieser Handlung ausginge, die nicht bloß „aus Gründen der öffentlichen Ordnung“, sondern auch aus „Gründen des Privatrechts“ gegenüber dem Schadensersatzberechtigten bestünde.3 Durch die unerlaubte Handlung werde das Recht desjenigen, der infolge der Verletzung Schadensersatz verlangen kann, auf Unterlassung dieser 1
RGZ 25, 347 f. – Urt. des 2. Senats v. 6.3.1890, II 11/90. Landrechts-Rechtssatz 1382 des bad. Landrechts (= Art. 1382 Code civil): Jede unrechte That eines Menschen, welche einen Anderen schädigt, verbindet den Thäter zu Entschädigung. (wiedergegeben nach Ruef, Code Napoléon. Badisches Landrecht mit Anmerkungen (1872)). 3 RGZ 25, 347 f. – Urt. des 2. Senats v. 6.3.1890, II 11/90. 2
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Handlung verletzt. Wenn aber ein Anspruch auf Unterlassung der unrechten Tat bestünde, so müsse dieser, „auf dem auch sonst für Bürgerliche Rechtsansprüche“ vorgesehenen Klagewege verfolgbar sein, ohne dass es einer ausdrücklichen, die Möglichkeit der Klage einräumenden Vorschrift bedürfe.4 Dies müsse jedenfalls dann gelten, „wenn das unrechte Verhalten bereits verwirklicht wurde und daher mit der Klage auf Unterlassung die Fortsetzung eines unrechten Verhaltens verhütet werden will“.5 Aus den selben Erwägungen hielt der 2. Senat in der Entscheidung RGZ 38, 379 ff.6 auch eine Klage sich um den Wert ihrer Grundstücke sorgender Eigentümer gegen ein in der Nachbarschaft betriebenes Bordell für begründet: Der Betrieb des Bordells sei gemäß § 180 StGB a. F. strafbar und stelle damit ein an sich verbotenes Unternehmen im Sinne des L. R. S. 1382a7 dar.8 Die Pflicht zur Unterlassung des Bordellbetriebs bestehe somit „auch gegenüber den Klägern, deren Vermögen er schuldhafterweise . . .“ beschädige. Daher müsse ebenso wie in der soeben behandelten Entscheidung RGZ 25, 347 f. „umsomehr dann“ die Möglichkeit zur Klage auf Pflichterfüllung bestehen, wie „es sich um eine auf Dauer berechnete Anstalt handelt, durch deren Unterhaltung, solange sie besteht, der Schaden fortdauernd erzeugt wird“.9 Der 6. Senat, der es noch in RGZ 35, 166 ff.10 aufgrund des Fehlens „eines besondere[n] Rechtsverhältnisse[s]“ zwischen Kläger und Beklagten abgelehnt hatte, dem Beklagten im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung ein Verhalten zu untersagen, obgleich dieses strafbar war und nach §§ 8 ff. ALR I. 6 dem Kläger gegenüber eine Schadensersatzpflicht begründen
4
Ebd. 348. Ebd. 348 a. E. 6 Urt. des 2. Senats v. 8.1.1897, II 263/96. 7 Landrechts-Rechtssatz 1382a des bad. Landrechts: Unrecht ist die That, womit entweder ein an sich verbotenes Unternehmen vollführt, oder eine in sich erlaubte Unternehmung von einer unberechtigten Person, oder auf eine widerrechtliche Weise wissentlich verrichtet wird. (wiedergegeben nach Ruef, Code Napoléon. Badisches Landrecht mit Anmerkungen (1872)). 8 RGZ 38, 379 (380) – Urt. des 2. Senats v. 8.1.1897, II 263/96; in der Entscheidung v. 6.11.1896, II 224/96, JW 1896, 709 Nr. 56 leitete der 2. Senat eine Unterlassungsklage, ohne den Weg über eine zivilrechtliche Schadensersatzvorschrift als „Transformationsnorm“ zu nehmen, direkt aus einer strafrechtlichen Norm: § 40 Nr. 2 PatG bezwecke auch den Schutz der Privatinteressen derjenigen Personen, die durch Patentanmaßungen geschädigt werden könnten. Daher könne jeder, der ein Interesse an dem Unterbleiben habe, auf Unterlassung klagen; vgl. auch im Anschluss an diese Entscheidung das Urt. des 1. Senats v. 28.11.1900, I 266/1900, JW 1901, 13 Nr. 8; im Urteil v. 6.2.1903, II, 340/02, RGZ 53, 400 leitet der 2. Senat aus der Strafvorschrift des § 7 UWG einen Unterlassungsanspruch unter der Erwägung her, dass sich aus der Strafdrohung eine Verbindlichkeit zur Unterlassung der unrechten Handlung herleiten lasse, die „auch aus Gründen des Privatrechts und gegenüber demjenigen, in dessen Rechtssphäre . . . widerrechtlich eingegriffen wird“, besteht. 9 RGZ 38, 379 (383) – Urt. des 2. Senats v. 8.1.1897, II 263/96. 10 Urt. des 6. Senats v. 24.1.1895, VI 297/94. 5
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konnte,11 übertrug die für das badische Landrecht aufgestellten Grundsätze in der Entscheidung RGZ 48, 114 ff.12 auf § 826 BGB. Auch diese Vorschrift enthalte „der Sache nach zugleich den Ausdruck“ für eine Unterlassungspflicht, der ein im Wege der Klage verfolgbarer Anspruch korrespondieren müsse.13 Dies müsse zumindest da gelten, wo „ein unerlaubtes Verhalten bereits verwirklicht wurde, aber weitere Eingriffe zu besorgen sind, wo mit der Klage die Fortsetzung oder Vollendung der verübten bzw. begonnenen Schädigung verhütet werden soll.14 Bereits jetzt lassen sich Bezüge der Herleitung einer allgemeinen Klage auf Unterlassung unerlaubter Handlungen zur Entwicklung des materiellen Anspruchsdenkens durch Windscheid aufzeigen: Das Reichsgericht stützt sich zur Begründung der Möglichkeit der Unterlassungsklage auf den von Windscheid geprägten Satz, dass die Klagbarkeit nach der heutigen Rechtsauffassung die selbstverständliche Konsequenz der Anerkennung einer Rechtsverpflichtung ist. Dabei verwirklichte sich jedoch eine auf der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht beruhende Unschlüssigkeit in Windscheids Lehre: Der Satz, dass die Klagbarkeit die selbstverständliche Folge der Anerkennung eines Anspruchs ist, behält bei der gedanklichen Umformung eines Aktionensystems in ein System materieller Ansprüche nur solange seine Richtigkeit, wie man Ansprüche nur dort annimmt, wo bisher eine Klagemöglichkeit bestand. Windscheid ging jedoch alsbald dazu über, den von Klagbarkeit abstrahierten Anspruchsbegriff auch zur Bezeichnung von Rechtsbeziehungen zu verwenden, denen keine Klagbarkeit zukam. Auf diese Weise gelangt er zu der Annahme, dass das absolute Recht aus einem Bündel von Unterlassungsansprüchen bestünde. Auf diese Art von Unterlassungsansprüche wendet nun das Reichsgericht den Satz an, dass die Klagbarkeit eines Anspruchs ohne weiteres gegeben sei und verändert auf diese Weise den vorher bestehenden Rechtszustand. Ausgehend von der hier vertretenen Grundannahme, dass eine Rechtspflicht nur dort anzuerkennen ist, wo eine entsprechende Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzbarkeit besteht, stimmt die vom RG getroffene Annahme, dass „das Gesetz, wenn es . . . eine Verpflichtung auferlegt, auch die Möglichkeit gewähren muss, den Anspruch hierauf . . . im Wege der Klage verfolgen zu lassen“,15 selbstverständlich nur insoweit, als das Gesetz eine klagbare Verpflichtung normieren will. „Ausdrücklich“, wie das RG selbst einräumt,16 und damit zweifelsfrei lässt sich § 826 BGB nur die klagbare Verpflichtung zur Leistung von Schadens-
11 12 13 14 15 16
RGZ 35, 166 (169) – Urt. des 6. Senats v. 24.1.1895, VI 297/94. Urt. des 6. Senats v. 11.4.1901, VI 443/00. RGZ 48, 114 (120) – Urt. des 6. Senats v. 11.4.1901, VI 443/00. Ebd. Ebd. Ebd.
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ersatz entnehmen. Die Annahme, dass § 826 BGB zugleich eine klagbare Unterlassungsverpflichtung statuieren will, hätte hingegen einer genaueren Überprüfung bedurft. II. Die Analogie zu den negatorischen Ansprüchen Wurde es vom Reichsgericht in RGZ 48, 114 noch offen gelassen, ob zur Begründung eines allgemeinen Anspruchs auf Unterlassung unerlaubter Handlungen eine Analogie zu den negatorischen Klagen herangezogen werden könne,17 so sah sich der 6. Senat im Urteil v. 5.1.190518 dazu gezwungen, zur Begründung eines Anspruchs auf Unterlassung unwahrer kreditgefährdender Äußerungen die Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB heranzuziehen. Die Besonderheit des Falls lag darin, dass der Beklagte die Unwahrheit seiner bereits gemachten Äußerungen zwar hätte kennen können, aber nach § 824 Abs. 2 BGB nicht zum Schadensersatz verpflichtet war, weil er in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hatte. In Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts wäre es folgerichtig gewesen, aus § 824 BGB zugleich eine Verbindlichkeit zur Unterlassung unwahrer kreditgefährdender Tatsachenbehauptungen herzuleiten, deren Bestand unabhängig von dem subjektiven Erfordernis der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis des Verpflichteten ist. Auf diese Weise hätte sich der Unterlassungsanspruch in diesem Fall ebenso wie in den vorhergehenden Entscheidungen problemlos rechtfertigen lassen. Indessen hatte das Reichsgericht in diesen Entscheidungen die Gewährung einer Unterlassungsklage – offensichtlich weil es die Klagbarkeit einer allgemeinen Verbindlichkeit zur Unterlassung von Delikten für doch nicht so selbstverständlich hielt – zusätzlich mit der Erwägung abgesichert, dass bereits eine unerlaubte Handlung stattgefunden hatte. Die Bedeutung des Erfordernisses einer bereits erfolgten unerlaubten Handlung verschob sich in der Entscheidung RGZ 60, 6 jedoch dahin, dass dieses nicht mehr nur die Klagbarkeit der in den Deliktsnormen zugleich enthaltenen Unterlassungsverpflichtungen zweifellos stellte, sondern nunmehr zur materiellen Grundlage des Unterlassungsanspruchs selbst wurde.19 Dieser wurde nunmehr als ein Anspruch aus begangenem Delikt behandelt und das Berufungsgericht verneinte daher den Anspruch, da es nach seiner Ansicht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen an dem Tatbestand einer unerlaubten Handlung fehle.20 Das RG ließ es offen, ob die Wahrnehmung berechtigter Interessen schon die Unerlaubtheit der Handlung oder nur die Schadensersatzpflicht entfallen lässt, und leitete aus einer Analogie 17 18 19 20
Ebd. 120 f. RGZ 60, 6 ff. – Urt. des 6. Senats v. 5.1.1905, VI 38/04. Vgl. dazu auch Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 11. Vgl. RGZ 60, 6 f. – Urt. des 6. Senats v. 5.1.1905, VI 38/04.
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zu den § 12, 862, 1004 BGB ab, dass ein Unterlassungsanspruch schon aufgrund eines objektiv widerrechtlichen Eingriffs in ein geschütztes Rechtsgut gegeben sei, ohne dass es auf ein Verschulden oder die Wahrnehmung berechtigter Interessen seitens des Verpflichteten ankäme.21 Obgleich die in RGZ 60, 6 ff. herangezogene Analogie sich im Ergebnis nur als eine Konkretisierung der bisherigen Dogmatik dahingehend darstellt, dass bereits das Vorliegen eines objektiv widerrechtlichen Eingriffs zur Begründung einer Unterlassungsklage ausreichen kann, ist der Wortlaut der Entscheidung geeignet,22 den Eindruck zu erwecken, als wolle das Reichsgericht nunmehr zwischen zwei konkurrierenden Instituten, nämlich der deliktischen Unterlassungsklage, die die Verwirklichung des vollen Deliktstatbestands voraussetzt, und der quasinegatorischen Unterlassungsklage aufgrund objektiv widerrechtlicher Handlung in Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB unterscheiden. Eine solche Unterscheidung lässt sich tatsächlich in einer Reihe von Entscheidungen nachweisen,23 verliert sich dann jedoch im Zuge der weiteren Entwicklung. Mit der Analogie zur actio negatoria hatte das RG jedoch die Problematik des Unterlassungsanspruchs bei in Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellter, objektiv unwahrer Behauptungen noch nicht abschließend gelöst. Da es in dem bereits erfolgten objektiv widerrechtlichen Eingriff in das geschützte Rechtgut den materiellen Grund für den Unterlassungsanspruch erblickte, stellte sich weiterhin die Frage, ob die Wahrnehmung berechtigter Interessen einen Rechtfertigungsgrund darstellte, der die Rechtswidrigkeit des erfolgten Eingriffs aufhob und damit einen Unterlassungsanspruch ausschloß. Dabei bezog das RG die Rechtswidrigkeit zunächst auf die Äußerungshandlung und hätte dementsprechend zu dem Ergebnis kommen müssen, dass aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen der Eingriff nicht rechtswidrig war. Mit der Erwägung, dass durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen zwar „zunächst“ die Rechtswidrigkeit der Äußerung ausgeschlossen sei, die Interessen jedoch aufhörten, berechtigte zu sein, wenn der Kläger die objektive Unwahrheit der Äu-
21
Ebd. 7. Ebd. 7: „Der Anspruch auf Unterlassung der Vornahme von Handlungen beschränkt sich nicht auf das Gebiet der unerlaubten Handlungen. Jeder auch nur objektiv widerrechtliche Eingriff in ein vom Gesetz geschütztes Recht berechtigt zu einer Klage auf Unterlassung, wenn weitere Eingriffe zu befürchten sind; das Schuldmoment kommt bei einer solchen Klage nicht in Betracht.“ 23 So z. B. RG, JW 1911, 586 Nr. 11 – Urt. des 6. Senats v. 22.4.1911, VI 180/10 und RG, JW 1913, 543 Nr. 8 – Urt. des 6. Senats v. 3.3.1913, VI 362/12: „mag sie auf ein Abwehrrecht gegenüber der unerlaubten Handlung gestützt oder als sog. quasinegatorische Klage erhoben sein“; RGZ 78, 256 (257 f.) – Urt. des 6. Senats v. 15.1.1912, VI 128/11: „Sondern die Klage ist eine sog. deliktische Unterlassungsklage, die auf der vorsätzlichen Verletzung eines fremden Rechtsguts beruht. Eine solche Klage ist jedenfalls dann eine Klage aus unerlaubter Handlung, wenn sie . . . in einer vorausgegangenen unerlaubten Handlung ihren Grund hat.“ 22
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ßerungen bewiesen habe,24 rechtfertigte es jedoch die Gewährung des Unterlassungsanspruchs und verdeckte mit seiner Begründung, dass es damit der Sache nach – bei Zugrundelegung eines verhaltensbezogenen Rechtswidrigkeitbegriffs – auf das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des bereits erfolgten Eingriffs verzichtet hatte. Nachdem der 6. Senat des Reichsgerichts in seinem Urteil v. 3.7. 191925 bereits eingeräumt hatte, dass eine Äußerungshandlung, die bei ihrer Vornahme aufgrund Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt war, nicht nachträglich durch die gerichtliche Feststellung der Unwahrheit rechtswidrig werden könnte, verstand der 4. Senat das Merkmal der Rechtswidrigkeit von nun an erfolgsbezogen und verlangte, dass „gegenständlich“ ein widerrechtlicher Eingriff vorliegt.26 Eine solcher sei, wenn die Behauptung objektiv unwahr ist, trotz Wahrnehmung berechtigter Interessen von vornherein gegeben.27 Allerdings behielt die Wahrnehmung berechtigter Interessen Bedeutung für die Beweislast hinsichtlich der Unwahrheit der behaupteten Tatsache bei Unterlassungsklagen gegen ehrverletzende Äußerungen, die nun ebenfalls als quasinegatorische Unterlassungsklagen zum Schutz des durch § 823 Abs. 2 i.V. mit §§ 185 ff. StGB geschützten Rechtsguts der Ehre auf die Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB gestützt wurden:28 Kann der Beklagte sich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, muss der Kläger die Unwahrheit der Behauptung beweisen, während es sonst entsprechend der Beweislast des § 186 StGB zur Begründung der Klage ausreicht, dass der Beklagte den Beweis der Wahrheit nicht erbringen kann.29 Eingeschränkt hat das Reichsgericht den Grundsatz, dass ein Unterlassungsanspruch gegenüber objektiv unwahren Behauptungen trotz Wahrnehmung berechtigter Interessen bestünde, jedoch in Bezug auf Tatsachenbehauptungen, bei denen wie etwa bei einer Zeugenaussage „die Bekundung nach bestem Wissen ohne Rücksicht darauf, ob die Tatsache anderweit bewiesen oder erweislich ist,“30 durch eine öffentlichrechtliche Pflicht geboten ist oder wie bei einer Strafanzeige sich als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Befugnisse darstellt.31 24 So in RG, Seuffert 69 (1914), 196 Nr. 105 (198) – Urt. des 6. Senats v. 25.10.1913, VI 349/09; RGZ 95, 339 (343) – Urt. des 6. Senats v. 12.5.1919, VI 374/18. 25 JW 1919, 993 Nr. 3 (994) – Urt. des 6. Senats v. 3.7.1919, VI 105/19. 26 RG, JW 1925, 1393 Nr. 23 (1393 f.) – Urt. des 4. Senats v. 21.2.1925, IV 466/ 24; RGZ 115, 416 (416 f.) – Urt. des 4. Senats v. 13.1.1927, IV 489/26. 27 RG, JW 1925, 1393 Nr. 23 – Urt. des 4. Senats v. 21.2.1925. 28 So erstmals in RGZ 82, 59 (62 f.) – Urt. des 6 Senats v. 15.3.1913, VI 315/12. 29 So RG, JW 1933, 1400 Nr. 16 (1402) – Urteil des 2. Senats v. 28.3.1933, II 182/32. 30 RGZ 78, 210 (215) – Urt. des 6. Senats v. 29.1.1912, VI 131/11; RG, JW 1912, 587 Nr. 7 – Urt. des 6. Senats v. 7.3.1912, VI 250/11; RGZ 124, 253 (261 f.) = JW 1929, 2393 – Urt. des 6. Senats v. 13.5.1929, VI 571/28; RGZ 140, 392 (402 f.) = JW 1932, 2858 Nr. 5 – Urt. des IX. Senats v. 6.4.1932, IX 306/31.
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Dabei erkannte die Rechtsprechung, dass solche Äußerungen von einer Unterlassungsklage schlechthin nicht erfasst werden können, diese selbst dann nicht Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs sein können, wenn die bereits erfolgte Behauptung unwahrer Tatsachen als Anspruchsgrund außerhalb einer solchen Situation erfolgt war.32 Indessen handelt es sich hierbei überhaupt nicht um ein Problem der Reichweite des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Denn auch eine vorsätzlich unwahre Tatsachenbehauptung im Rahmen einer Zeugenaussage oder einer Strafanzeige, bei der ein Ausschluss der Schadensersatzpflicht wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen, wie sich aus § 824 Abs. 2 BGB ergibt, nicht in Betracht kommt und deren ,Rechtswidrigkeit‘ sich unter Zugrundelegung eines einheitlichen, Strafrecht und Bürgerliches Recht gleichermaßen wie vorbeugenden und repressiven Rechtsschutz erfassenden Rechtswidrigkeitsbegriff schon aus dem strafrechtlichen Verbot der Falschaussage (§§ 153 ff. StGB) bzw. der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) ergeben müsste, kann nicht Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs sein. Es liegt also offensichtlich ein Fall vor, in dem kein Anspruch auf Unterlassung der nach den Maßstäben des Deliktsrechts ,rechtswidrigen‘ Handlung besteht, der Schluss von der deliktischen Schadensersatzpflicht auf eine primäre einklagbare Verbindlichkeit zur Unterlassung also nicht zutrifft. Und umgekehrt kann selbstverständlich aus der Tatsache, dass ein Unterlassungsanspruch gegenüber dieser Handlung nicht begründet ist, nicht geschlossen werden, dass die Handlung ,rechtmäßig‘ ist und daher die Schadensersatzpflicht ausgeschlossen wäre. Der Versuch, vorbeugenden und repressiven Rechtsschutz auf die Basis eines einheitlichen Rechtmäßigkeitsmaßstabs zu stellen, in dem Sinne, dass eine Handlung entweder rechtswidrig ist, d. h. gegen eine einklagbare Unterlassungspflicht verstößt und zum deliktischen Schadensersatz verpflichtet, oder rechtmäßig, d. h. weder Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs noch Grund einer Schadensersatzpflicht sein kann, schlägt hier fehl. III. Der Ausschluss der Unterlassungsklage im Falle der Strafbarkeit der zu unterlassenden Handlung Zu einer bedeutsamen Einschränkung der Zulässigkeit der Unterlassungsklage führte die Entscheidung des RG v. 28.9.1911.33 Nachdem der 6. Senat bereits in 31 RGZ 78, 210 (215) – Urt. des 6. Senats v. 29.1.1912, VI 131/11; in RG, JW 1912, 587 Nr. 7 – Urt. des 6. Senats v. 7.3.1912, VI 250/11 darüber hinaus für die „Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Zivilrechtswege“; RGZ 124, 253 (261 f.) = JW 1929, 2393 – Urt. des 6. Senats v. 13.5.1929, VI 571/28; RGZ 88, 129 (131) – Urt. des 6. Senats v. 24.2.1915, VI 463/15. 32 RGZ 140, 392 (402 f.) = JW 1932, 2858 Nr. 5 – Urt. des 9. Senats v. 6.4.1932, IX 306/31. 33 RGZ 77, 217 ff. – Urt. des 6. Senats v. 28.9.1911, VI 407/10.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
RGZ 71, 8534 eine Klage auf Unterlassung ehebrecherischer Handlungen mit der Erwägung abwies, dass aufgrund des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Ehe eine zivilgerichtliche Verfolgung ebenso wie die strafrechtliche ausgeschlossen sei, solange die Ehe Bestand habe,35 stellte er in Anlehnung daran den Grundsatz auf, dass eine Unterlassungsklage „zu versagen sei, wenn das öffentliche Recht einer zivilrechtlichen Verfolgung entgegenstehe“.36 Dies sei aber allgemein dann der Fall, wenn die zu unterlassende Handlung strafbar sei, weil neben die öffentliche Strafe des Strafgesetzes nicht die Androhung einer privaten Strafe treten könne, deren Vollstreckung gleichsam durch den Staat als zivilprozessuales Zwangsvollstreckungsorgan vollzogen werde.37 Um die eigentliche Bedeutung dieses Grundsatzes einordnen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass abgesehen von den Fällen kreditgefährdender Äußerungen im Sinne von § 824 BGB das Reichsgericht das Bestehen einklagbarer Unterlassungspflichten stets – wenn auch zum Teil auf dem Umweg über die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB – aus strafrechtlichen Sanktionsnormen hergeleitet hatte. Wenn es nunmehr betonte, dass die strafrechtliche Sanktion das alleinige Mittel zur Erzwingung dieser Pflichten sei, so stellte es damit die Herleitung der Unterlassungsklagen überhaupt in Frage.38 An diesem Grundsatz hielt der 6. Senat zwar bis zu seiner Auflösung nominell fest.39 Zudem bejahte er die zunächst offengelassene Geltung des Grundsatzes für Privatklagedelikte. 40 Indessen wurde der Grundsatz des Ausschlusses von Unterlassungsklagen gegenüber strafbaren Handlungen bereits in der Rechtsprechung des 6. Senats dadurch weitestgehend eingeschränkt, dass Unterlassungsklagen trotz der Strafbarkeit der zu unterlassenden Handlung zugelassen 34
RGZ 71, 85 ff. – Urt. des 6. Senats v. 22.4.1909, VI 27/09. Ebd. 87 ff. 36 RGZ 77, 217 ff. – Urt. des 6. Senats v. 28.9.1911, VI 407/10. 37 Ebd. 222 f. 38 Vgl. auch Rosenthal, JW 1914, 1059 (1060): Die neue Rechtsauffassung „steht in einem unlöslichen Widerspruch zu denjenigen Urteilen des RG, in denen eine Unterlassungsklage gerade daraus hergeleitet wird, daß jemand eine unter öffentlicher Strafdrohung stehende Handlung vornimmt“. 39 RG, JW 1912, 587 Nr. 7 – Urt. des 6. Senats v. 7.3.1912, VI 250/11; RG, JW 1913, 34 Nr. 23 (35) – Urt. des 6. Senats v. 3.10.1912, VI 153/12; RG, Gruchots Beiträge 57 (1913), 966 Nr. 17 (969) – Urt. des 6. Senats v. 18.1.1913, VI 438/12; RGZ 82, 59 (63 f.) – Urt. des 6. Senats v. 15.3.1915, VI 315/12; RGZ 88, 129 (132) – Urt. des 6. Senats v. 24.2.1915, VI 463/15; RGZ 91, 265 – Urt. des 6. Senats v. 5.11.1917; RGZ 91, 350 (354 f.) – Urt. des 6. Senats v. 3.12.1917, VI 370/17; RG, Warneyer 11 (1918), 144 Nr. 95 (145) – Urt. des 6. Senats v. 21.3.1918, VI 436/17; RGZ 95, 339 (341 f.) – Urt. des 6. Senats v. 12.5.1919, VI 374/18; RG, JW 1919, 993 Nr. 3 (994 f.) – Urt. des 6. Senats v. 3.7.1919, VI 105/19; RGZ 98, 36 (39) – Urt. des 6. Senats v. 15.1.1920, VI 328/19. 40 RGZ 82, 59 (64) – Urt. des 6. Senats v. 15.3.1913, VI 315/12; RGZ 95, 339 (342) – Urt. des 6. Senats v. 12.5.1919, VI 374/18. 35
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wurden, wenn der Kläger ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis geltend machte. Dies sollte insbesondere dann gegeben sein, wenn die Strafverfolgung wegen der „Hartnäckigkeit des Beklagten“ zur Verhinderung der Rechtsverletzungen unzureichend sei,41 oder wenn sie dadurch erschwert oder unmöglich sei, dass der Beklagte entmündigt ist42 oder sich im Ausland aufhalte.43 Vollends derogiert wurde der Grundsatz jedoch dadurch, dass sich ein Rechtsschutzbedürfnis unter Umständen gerade daraus ergeben sollte, dass die Strafverfolgung aufgrund Verjährung oder Ablaufs der Strafantragsfrist ausgeschlossen ist.44 Wurde der Ausschluss der Unterlassungsklage noch damit begründet, dass ansonsten die zu unterlassende Handlung sowohl mit öffentlicher Strafe als auch mit der des § 890 ZPO bedroht sei, so rückt nunmehr anstelle des künftigen der bereits begangene Normverstoß in den Mittelpunkt, was sich wohl aus der Tendenz erklärt, den Unterlassungsanspruch als Sanktion für die bereits – wenn auch schuldlos – erfolgte Rechtsverletzung anzusehen. Dass die bereits erfolgte Rechtsverletzung strafrechtlich nicht mehr verfolgbar ist, ändert jedoch nichts daran, dass im Falle der Zulassung einer Unterlassungsklage für die Zukunft strafrechtliche und zivilprozessuale Strafandrohung konkurrieren würden und sich daher die Frage des Verhältnisses zwischen beiden Rechtsschutzsystemen unverändert stellt. Darüber hinaus stellt sich grundsätzlich die Frage, ob man, wenn man die prinzipielle Ausschließlichkeit des strafrechtlichen Schutzes anerkennt, nicht auch dessen vom Gesetzgeber festgelegte Grenzen akzeptieren muss – dies gilt namentlich auch für die Einschränkung des Legalitätsprinzips durch den neu eingeführten § 253 StPO, die in späteren Urteilen zur Begründung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses herangezogen wird. Der 6. Senat hatte zwar in einer seiner letzten Entscheidungen zur Unterlassungsklage45 seinen Standpunkt noch einmal durch die Feststellung untermauert, dass die „staatliche Rechtspflege in Zivil- und Strafgerichten . . . als höhere Einheit aufgefasst werden müsse“ und daher davon auszugehen sei, dass der Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht ausreichend sei,46 jedoch zuvor wiederholt festgestellt, dass in dem konkreten zu entscheidenden Einzelfall der strafrechtliche Schutz doch nicht ausreichte. Der prinzipielle Ausschluss der Unterlassungsklage war somit schon im Begriff, sich zum Erfordernis eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses für die im Gesetz nicht vorgesehenen Unterlassungsklagen zu wandeln. Ungelöst
41 RG, Gruchots Beiträge 57 (1913), 966 Nr. 13 (969) – Urt. des 6. Senats v. 18.1. 1913, VI 438/12. 42 Ebd. 43 RGZ 82, 59 (64) – Urt. des 6. Senats v. 24.2.1915, VI 315/12. 44 RGZ 91, 350 (355) – Urt. des 6. Senats v. 3.12.1917, VI 370/17. 45 RGZ 98, 36 ff. – Urt. des 6. Senats v. 15.1.1920, VI 328/19. 46 Ebd. 39.
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blieb jedoch das Problem, dass auch im Falle der Annahme eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses der Beklagte sich nunmehr sowohl einer öffentlichen wie einer zivilprozessualen Strafdrohung ausgesetzt sah und dem Kläger damit zwei Wege offen standen, eine Bestrafung zu erreichen.47 Nachdem der 1. Senat im Urteil v. 6.12.192648 bereits Zweifel an der bisherigen Rechtsprechung im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Unterlassungsklage gegen strafbare Handlungen bekundet hatte, stellte der 2. Senat im Urteil v. 15.2.192749 ausdrücklich fest, dass eine „quasinegatorische Unterlassungsklage . . . nicht dadurch ausgeschlossen“ werde, „dass die Kläger auch auf strafrechtlichem Wege Schutz . . . erlangen könnten“. Dies begründet der 2. Senat damit, dass „das Recht nirgends einen Zwang“ kenne, „die Sühne für begangenes Unrecht auf strafrechtlichem Wege suchen zu müssen, wenn sie mit Mitteln des Zivilprozesses erreichbar ist“.50 Der strafrechtliche Schutz diene nicht nur, wie der aufgelöste 6. Senat meinte, in den Fällen der gewerblichen Schutzrechte, wo ein Nebeneinander von Unterlassungsklage und strafrechtlichem Schutz ausdrücklich vorgesehen ist, sondern „regelmäßig zur Verstärkung der sonst zum Schutze von Rechtsgütern gegebenen Rechtsbehelfe“.51 Daher werde ein Rechtsschutzbedürfnis für die Unterlassungsklage nicht erst durch das Fehlen strafrechtlichen Schutzes begründet, der vielfach zu spät komme und dessen Unzulänglichkeit sich bereits in der Zuwiderhandlung manifestiert habe.52 Die Begründung des 2. Senats übergeht weitgehend die Tatsache, dass in den Fällen der quasinegatorischen Unterlassungsklage ein primärer zivilrechtlicher Schutz durch das Gesetz gerade nicht vorgesehen ist. Es geht daher nicht um die Frage, ob ein solcher durch eine strafrechtliche Sanktionsanordnung ausgeschlossen wird, sondern umgekehrt darum, ob sich aus einer strafrechtlichen Sanktionsnorm ein zivilrechtlicher Schutz herleiten lässt. Eine solche Möglichkeit zivilrechtlichen Schutzes lässt sich jedoch nicht schon damit begründen, dass in Fällen eines Nebeneinanders von straf- und zivilrechtlichen Schutzeinrichtungen kein Zwang zur Nutzung der ersteren bestehe. Auch die Erwägung, dass durch die Androhung der Strafe im Strafgesetz das Rechtsgut nicht geschaffen werde, sondern dies nur ein Anzeichen für die Anerkennung des Rechtsguts durch die Rechtsordnung sei, kann in Fällen, wo das Rechtsgut nur 47 In RGZ 98, 36 (39) – Urt. des 6. Senats v. 15.1.1920, VI 328/19 führte der 6. Senat noch ausdrücklich an, dass die Zivilgerichte nicht dazu berufen seien, eine zweite Möglichkeit zur Sühnung von Beleidigungen zu schaffen. 48 RGZ 115, 74 (84 f.) – Urt. des 1. Senats v. 6.12.1926, I 137/26. 49 RGZ 116, 151 (152 ff.) = JW 1927, 1471 – Urt. des 2. Senats v. 15.2.1927, II 317/26; ebenso in RGZ 138, 219 (232) – Urt. des 2. Senats v. 28.10.1932, II 59/32 und RG, JW 1400 Nr. 16 (1401) – Urt. des 2. Senats v. 28.3.1933, II 182/32. 50 RGZ 116, 151 (153). 51 Ebd. 154. 52 Ebd. 154.
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durch strafrechtliche Normen anerkannt ist, einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch nicht begründen. Insofern wird das Rechtsgut als rechtlich geschütztes Interesse eben doch durch den Schutz, den ihm die Rechtsordnung zuteil werden lässt, als solches erschaffen. Wenn aber das Gesetz ein Interesse nur strafrechtlich schützt, so lässt sich daraus nicht deshalb, weil die Rechtsordnung in anderen Fällen Interessen sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich schützt, schließen, dass hier auch ein zivilrechtlicher Schutz gegeben sein müsse. Vielmehr ist das Interesse nur in einer bestimmten Weise geschützt, und ein darüber hinaus gehendes Rechtsschutzbedürfnis stellt sich zunächst als ein durch die Rechtsordnung nicht anerkanntes subjektives Interesse an weitergehendem Schutz dar. Nachdem in der darauf folgenden Zeit zunächst der 4. Senat,53 der neugegründete 6. Senat54 und der 9. Senat55 des Reichsgerichts eine grundsätzliche Stellungnahme zur Frage, ob die Strafbarkeit der Handlung die Zulässigkeit einer Unterlassungsklage ausschließen könne, insbesondere unter Gebrauchmachen von der Möglichkeit der Begründung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses trotz Strafbarkeit, stets vermieden hatten, lehnte zwar noch der 4. Senat in einem Urteil v. 23.4.193656 die Rechtsprechung des 2. Senats für das Eherecht als zu weitgehend ab. Im Übrigen wurde die Kontroverse jedoch dadurch, dass der 6. Senat im Urteil v. 24.5.192657 an seiner früheren Rechtsprechung nicht festhielt, dahingehend entschieden, dass die Unterlassungsklage auch da zulässig sei, wo die Handlung mit öffentlicher Strafe bedroht ist. IV. Die „wiederherstellende“ Unterlassungsklage Neben die Begründungen einer Unterlassungsklage mit der Annahme einer den Deliktsvorschriften immanenten Unterlassungsverbindlichkeit (zum Teil als ,deliktische Abwehrklage‘ bezeichnet) und der Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB (,quasinegatorische Unterlassungsklage‘) trat in der Entscheidung 53 RG, JW 1927, 2422 Nr. 12 (2423) – Urt. des 4. Senats v. 20.6.1927, IV 860/26: Besonderes Rechtsschutzbedürfnis liegt vor, weil der beklagte Verein selbst als juristische Person nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. 54 RGZ 123, 271 (274) – Urt. des 6. Senats v. 31.1.1929, VI 290/28; RGZ 124, 253 (258) – Urt. des 6. Senats v. 13.5.1929, VI 571/28; RGZ 128, 298 (307 f.) – Urteil des 6. Senats v. 20.4.1930, VI 373/29. 55 RG, Gruchots Beiträge 72, 319 Nr. 22 (320) – Urt. des 9. Senats v. 6.2.1932, IX 315/31: Besonderes Rechtsschutzbedürfnis, weil strafrechtliche Belangung aufgrund Vergleichs ausgeschlossen; RG, JW 1932, 2706 Nr. 5 (2707 f.) – IX 18/32, Urt. des 9. Senats v. 7.5.1932: Besonderes Rechtsschutzbedürfnis, weil die beklagte Gesellschaft als solche nicht strafrechtlich verfolgt werden kann; RG, JW 1932, 3608 (3609) – Urt. des 9. Senats v. 2.7.1932, IX 164/32: Besonderes Rechtsschutzbedürfnis wegen Ablaufs der Strafantragsfrist. 56 RGZ 151, 159 (166 f.) – Urt. des 4. Senats v. 23.4.1936, IV 304/35. 57 RGZ 155, 92 (93 f.) – Urt. des 6. Senats v. 24.5.1937, VI 379/36.
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des 6. Senats v. 28.9.191158 der Versuch, einen Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen, dass die Unterlassung eine Form der Wiederherstellung des früheren Zustands gemäß § 249 BGB sei. Eine Klage auf Unterlassung sei auch dann begründet, „wenn durch eine vorausgegangene unerlaubte Handlung ein den klagenden Teil dauerhaft schädigender Zustand geschaffen wurde, der durch den Zwang zur Unterlassung weiterer Störungen beseitigt wird, so dass die Unterlassung die Wiederherstellung des früheren Zustandes im Sinne des § 249 BGB bedeutet.“ Dieser Begründungsansatz geht zurück auf die Kommentierung in der 1. Auflage des Kommentars der Reichsgerichtsräte.59 Bemerkenswert ist insofern, dass in der Kommentierung eine Reihe von Reichsgerichtsentscheidungen unter diesem Gesichtspunkt für gerechtfertigt erachtet werden, obwohl das Reichsgericht selbst keine dieser Entscheidungen auf diese Weise begründet hatte. Die Entscheidungen aber, in denen nach Angabe der Kommentierung diese Begründung durch das Reichsgericht entwickelt wurde,60 handeln, insoweit in ihnen Bezug auf § 249 BGB genommen wird, nicht von Unterlassungs- sondern von Widerrufs- und Beseitigungsansprüchen. Das Reichsgericht selbst hatte in RGZ 48, 114 ff. die Herleitung eines Unterlassungsanspruchs aus § 249 BGB noch ausdrücklich abgelehnt.61 Der oben angeführten Entscheidung legte der 6. Senat die Kommentierung des Reichsgerichtsrätekommentars als Prüfungsschema zugrunde und gab die in der Kommentierung enthaltene Begründung einer Unterlassungsklage mit § 249 BGB so wieder, als handele es sich dabei um ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts. Indessen kann die Unterlassung zukünftiger rechtswidriger Eingriffe nicht die nach § 249 BGB geschuldete Beseitigung des durch den vorherigen Eingriff verursachten Schadens sein. Wenn der Zustand, der ohne den rechtswidrigen Eingriff bestanden hätte, schon dadurch wiederhergestellt wird, dass der Schädiger in Zukunft keine weiteren rechtswidrigen Eingriffe verübt, so fehlt es gerade an einem zu beseitigenden Schaden. Weder die Verletzung selbst noch ihre Folgen werden dadurch beseitigt, dass künftige Eingriffe unterlassen werden.62 Zwar ist es so, dass durch die Begehung weiterer unerlaubter Handlungen auch die Wiederherstellung des ohne die bereits begangene unerlaubte Handlung bestehenden Zustands vereitelt wird. Selbst wenn man daher die Pflicht zur Unterlassung weiterer Verletzungen als Nebenpflicht oder Schutzpflicht des Schadensersatzanspruchs ansähe, würde sich jedoch in gleicher Weise die Frage der
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RGZ 77, 217 (219) – Urt. des 6. Senats v. 28.9.1911, 407/10. RGRK1 (1910), Vorbem. 6b) zu § 823. 60 Angeführt werden die Urteile RGZ 56, 271 ff. – Urt. des 6. Senats v. 14.12.1902, VI 167/03 und RGZ 60, 12 ff. – Urt. des 6. Senats v. 9.1.1905; VI 104/04. 61 RGZ 48, 114 (116) – Urt. des 6. Senats v. 11.4.1901, VI 443/00. 62 So denn auch RGRK2 (1913), Vorbem. 6b) zu § 823 a. E. 59
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Klagbarkeit dieser Pflicht stellen, die im Ergebnis nicht anders zu beurteilen wäre, wie die der ursprünglichen deliktischen Unterlassungspflicht. Das Reichsgericht selbst hat in keiner seiner weiteren Entscheidungen, in denen die „wiederherstellende Unterlassungsklage“ Erwähnung findet, einen Anspruch auf Unterlassung damit gerechtfertigt, dass durch die Unterlassung der frühere Zustand wiederhergestellt würde.63 Vielmehr hat es wiederholt festgestellt, dass ein Zustand, der durch die Unterlassung künftiger Eingriffe beseitigt werden könne, nicht vorliegt64 oder schlichtweg, dass es sich in dem zu entscheidenden Fall nicht um eine „wiederherstellende Unterlassungsklage“ handele.65 Das Institut der wiederherstellenden Unterlassungsklage hat insofern keinen weiteren Einfluss auf die Dogmatik der Unterlassungsansprüche gehabt,66 so dass ihm an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden soll. V. Der Verzicht auf das Erfordernis einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung Nach der ursprünglichen Rechfertigung der Unterlassungsklage durch Annahme von in den deliktsrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Unterlassungspflichten, die nach allgemeinen Grundsätzen einklagbar sein müssten, kam dem Erfordernis einer schon begangenen unerlaubten Handlung nur die Bedeutung zu, die Annahme der Einklagbarkeit der in Frage stehenden allgemeinen Unterlassungspflicht zusätzlich zu rechtfertigen. Eine bereits begangene unerlaubte Handlung erschien daher nicht als notwendiges Erfordernis für die Begründetheit der Unterlassungsklage. Im Zuge der Begründung der Unterlassungsklage mit einer Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB, die dem Wortlaut nach für den Unterlassungsanspruch eine bereits eingetretene Beeinträchtigung voraussetzen, aber auch der Entwicklung des Gedankens einer ,wiederherstellenden Unterlassungsklage‘ wurde der bereits erfolgte Eingriff zu dem materiellen Grund der Unterlassungsklage. Der quasinegatorische Unterlassungsanspruch wurde als Anspruch aufgrund gegenständlich rechtswidrigen Eingriffs behandelt, ebenso wie die wiederherstellende 63 Vgl. RG, JW 1913, 34 Nr. 23 (35) – Urt. des 6. Senats v. 3.10.1912, VI 153/12; RGZ 82, 59 (62) – Urt. des 6. Senats v. 15.3.1913, VI 315/12; RG, Seuffert’s Archiv 69 (1914), 196 Nr. 105 (197) = Recht 1914 Nr. 37 – Urt. des 6. Senats v. 25.10.1913, VI 349/13; RG, Warneyer Bd. 9 (1915/1916), 160 f. Nr. 105 – Urt. des 5. Senats v. 8.3.1916, V 4/16; RGZ 91, 265 (267) – Urt. des 6. Senats v. 5.11.1917, VI 232/17; RGZ 91, 350 (354) – Urt. des 6. Senats v. 3.12.1917, VI 370/17; RGZ 95, 339 (341) – Urt. des 6. Senats v. 12.5.1919, VI 374/18. 64 So in RGZ 82, 59 (62) – Urt. des 6. Senats v. 15.3.1913, VI 315/12; RGZ 95, 339 (341) – Urt. des 6. Senats v. 12.5.1919, VI 374/18. 65 So in RGZ 91, 265 (267) – Urt. des 6. Senats v. 5.11.1917, VI 232/17; RGZ 91, 350 (354) – Urt. des 6. Senats v. 3.12.1917, VI 370/17. 66 So auch Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 64 f.
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Unterlassungsklage eine Klage aus Delikt war. Hinter dieser Entwicklung stand wohl auch die bereits in RGZ 35, 166 ff.67 zum Ausdruck gekommene Vorstellung, dass eine einklagbare Verbindlichkeit nur aufgrund eines besonderen, vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsverhältnisses denkbar sei. Wenn nicht schon ein deliktisches Schuldverhältnis gegeben war, durch das sich ein Unterlassungsanspruch rechtfertigen ließ, so bildete wenigstens der deliktsähnliche Tatbestand des gegenständlich rechtswidrigen Eingriffs die Grundlage für die Annahme eines besonderen Rechtsverhältnisses. Dementsprechend hat der 6. Senat, auch wenn sich so gut wie keine veröffentlichten Entscheidungen finden lassen, in denen eine Unterlassungsklage wegen fehlenden Ersteingriffs zurückgewiesen wurde,68 anders als der 2. Senat, der wiederholt Unterlassungsklagen gegen drohende erstmalige Beeinträchtigungen stattgegeben hatte,69 auch nie grundsätzlich auf das Erfordernis einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung verzichtet. Um dennoch Unterlassungsklagen trotz fehlendem Ersteingriffs zuzulassen, hat er sich damit beholfen, dass „schon die Bedrohung mit einem Eingriff . . . eine so erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen könne, dass darin ein widerrechtlicher Eingriff im Sinn der Voraussetzungen für die Gewährung der vorbeugenden Unterlassungsklage gefunden werden kann“.70
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RGZ 35, 166, (169) – Urt. des 6. Senats v. 24.1.1895, VI 297/94. In RG, JW 1912, 290 Nr. 11 (293) – Urt. des 6. Senats v. 11.12.1911, VI 156/11 ist der 6. Senat auf die Annahme des Berufungsgerichts, dass „es an dem mindestens objektiv gegebenen Tatbestand einer unerlaubten Handlung fehle“ nicht eingegangen, und hat die Abweisung der Klage mit dem Fehlen der Wiederholungsgefahr und der Rechtmäßigkeit der Handlungsweise des Beklagten gerechtfertigt; in RGZ 91, 350 (359) – Urteil des 6. Senats v. 3.12.1917, VI 370/12 ging der 6. Senat auf das Vorliegen der Wiederholungsgefahr nicht mehr ein, nachdem er festgestellt hatte, dass das bisherige Verhalten des Beklagten weder den Tatbestand des § 189 StGB i.V. mit § 823 Abs. 2 BGB noch des § 826 BGB erfüllt hatte, obwohl das Wissen des Beklagten um die Unrichtigkeit seiner Veröffentlichung für die Zukunft als durchaus gegeben angenommen werden konnte; in RG, Warneyer Bd. 9 (1915/1916), 160 f. Nr. 105 – Urt. des 5. Senats v. 8.3.1916, V 4/16 lehnte allerdings der 5. Senat eine Unterlassungsklage ab, „weil nicht schon die Abtretung der Zinsforderung, . . . sondern erst deren Geltendmachung“ gegen das Recht der Klägers verstoßen könnte und es somit an einem objektiv rechtswidrigen Eingriff fehlte. 69 RGZ 54, 414 (425) – Urt. des 2. Senats v. 12.5.1903, II 482/02; RGZ 104, 376 (379) – Urt. des 2. Senats v. 30.5.1922, II 269/21; RGZ 151, 239 – Urt. des 2. Senats v. 15.5.1936, II 196/35; anders aber in RG, JW 1911, 760 Nr. 18 – Urt. des 2. Senats v. 16.5.1911: „Denn der Unterlassungsanspruch kann sich nur gegen die Wiederholung derjenigen Handlungen richten, die bereits begangen worden sind, nicht gegen die Wiederholung irgendwelcher noch gar nicht verübter Rechtsverletzungen.“; keine bereits eingetretene Beeinträchtigung verlangte auch der 1. Senat in RG, JW 1895, 485 f. Nr. 33 – Urt. v. 2.10.1895, I 162/95. 70 RGZ 101, 335 (339 f.) – Urt. des 6. Senats v. 17.2.1921, VI 473/20. 68
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§ 6 Die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche in der Rechtsprechung des BGH Der BGH hat die Annahme des Reichsgerichts, dass zum Schutze vor Beeinträchtigungen jedes durch deliktsrechtliche Schadensersatznormen geschützten Rechtsguts Unterlassungsansprüche bestehen können, zur Grundlage seiner eigenen Rechtsprechung gemacht und diese dabei als allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz behandelt, den er keiner weiteren Überprüfung unterzogen hat.1 Dabei hat der BGH schon früh festgestellt, dass ein bereits erfolgter Eingriff keine notwendige Voraussetzung einer Unterlassungsklage darstellt.2 Infolgedessen kam dem Ersteingriff auch nicht mehr die Bedeutung des materiellen Anspruchsgrundes zu. Dieser wurde von nun an wieder – wie in der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts3 – in der drohenden rechtswidrigen Beeinträchtigung des Rechtsguts gesehen, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen wiederholten oder erstmaligen Eingriff handelt. Die Bedeutung des Ersteingriffs beschränkt sich darauf, eine Vermutung für die Besorgnis eines künftigen rechtswidrigen Eingriffs zu begründen. Die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Rechtsprechung4 führte zum einen dazu, dass der Schutz durch quasinegatorische Unterlassungsansprüche in diesem Bereich über die Abwehr ehrverletzender Meinungsäußerungen und Verbreitung unwahrer rufschädigender Tatsachenbehauptungen hinaus ausgedehnt wurde.5 Zum anderen hatte die Behandlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB zur Folge,6 dass als Grundlage von Unterlassungsansprüchen gegenüber 1 Bereits kurz nachdem das Reichsgericht die quasinegatorische Unterlassungsklage entwickelt hatte, beklagte Oertmann, DJZ 1904, 616 (616), dass dieser Rechtsprechung von der Praxis und einem Teil der Literatur „allem Anschein nach bereits wie einem unanfechtbaren Dogma“ gefolgt würde. 2 BGHZ 2, 394 (395 f.) = NJW 1951, 843 ff. – Urt. des 1. Senats v. 19.6.1951; I ZR 77/50, dem folgend BGH, NJW 1957, 1762 (1763) – Urt. des 1. Senats v. 12.7. 1957, I ZR 52/55. 3 s. o. § 5 I. 4 BGHZ 13, 334 (338) – Urt. des 1. Senats v. 25.5.1954, I ZR 211/53; 15, 249 (257 f.) – Urt. des 1. Senats v. 26.11.1954, I ZR 266/52; 20, 345 (351) – Urt. des 1. Senats v. 8.5.1956, I ZR 62/54; 24, 72 (76 ff.) – Urt. des 6. Senats v. 2.4.1957, VI ZR 9/56; 24, 200 (208 f.) – Urt. des 1. Senats v. 10.5.1957, I ZR 234/55; 26, 349 (354) –, Urt. des 1. Senats v. 14.2.1958, I ZR 151/56. 5 Vgl. BGHZ 27, 284 (2899) – Urt. des 6. Senats v. 20.5.1958, VI ZR 104/57 (Beseitigungsanspruch) und BGHZ 30, 7 (14) – Urt. des 4. Senats v. 18.3.1959, IV ZR 182/58; BGH, NJW 1988, 1016 (1017) – Urt. des 6. Senats v. 13.10.1987; VI ZR 83/87 (Beseitigungsanspruch); BGHZ 107, 384 (391 f.) – Urt. des 1. Senats v. 8.6. 1989, I ZR 135/87 (Beseitigungsanspruch). 6 BGHZ 24, 72 (77 f.) – Urt. des 6. Senats v. 2.4.1957, VI ZR 9/56; ebenso BGHZ 27, 284 (286) – Urt. des 6. Senats v. 20.5.1958, VI ZR 104/57 und BGHZ 30, 7 (10 f.) – Urt. des 4. Senats v. 18.3.1959, IV ZR 182/58.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen neben §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 185 ff. BGB auch §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB zur Verfügung standen.7 Ebenso wie schon bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb8 wurde mit der Ausprägung eines neuen absoluten Rechts der Schutz, der schon zuvor bestand, auf eine neue Grundlage gestellt. Daneben kommt jedoch den auf die drohende Verletzung von Schutzgesetzen im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB gestützten Unterlassungsansprüchen, die gemeinsam mit Unterlassungsklagen gegenüber kreditgefährdenden Äußerungen den Ursprung des quasinegatorischen Rechtsschutzes bilden, weiterhin Bedeutung zu. Neben Konkurrentenklagen, die der Durchsetzung der Verbote des § 49 PBefG9 bzw. des Art. 1 § 1 RBeratG10 dienten, gewinnen in jüngster Zeit vor allem nachbarrechtliche Klagen auf Einhaltung von drittschützenden Baurechtsnormen an Bedeutung. In BGHZ 122, 1 ff. – Ballettschule11 – entschied der BGH, dass Nachbarn zur Durchsetzung einer bestandskräftigen, ihrem Schutz vor Lärm dienenden Auflage ein quasinegatorischer Unterlassungsanspruch auch dann zusteht, wenn sie den Lärm eigentlich nach § 906 BGB hinnehmen müssten. Dabei hielt es der BGH für „unbedenklich“, dass durch die Gewährung des Anspruchs die Möglichkeit der Durchsetzung einer verwaltungsrechtlichen Norm im Zivilrechtswege eröffnet wird.12 Die Begründung des BGH, dass „diese Konsequenz unmittelbar in § 823 Abs. 2 BGB angelegt und für den Fall einer Schadensersatzforderung unbestritten“ sei,13 überzeugt in ihrer Kürze nicht. Ihr ist zu entgegnen, dass allein die Schadensersatzpflicht bei Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Verhaltensnorm sich unmittelbar aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben kann, während die zivilrechtliche Möglichkeit der Durchsetzung der Verhaltensnorm selbst vom Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Hier stellt sich die Frage des Verhältnisses des öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzsystems zu dem System des bürgerlich-rechtlichen Rechtsschutzes. Ebenso wie beim Nebeneinander von zivilrechtlichem und strafrechtlichem In7 Vgl. BGHZ 31, 308 (318 f.) – Urt. des 1. Senats v. 22.12.1959, VI ZR 175/58; BGH, LM Art. 5 GG Nr. 40 Bl. 763 – Urt. des 6. Senats v. 1.2.1977, VI ZR 204/74; BGHZ 99, 133 (136) – Urt. des 6. Senats v. 25.11.1986, VI ZR 57/86. 8 Vgl. z. B. BGHZ 3, 270 (278 f.) – Urt. des 1. Senats v. 26.10.1951, I ZR 8/51; BGHZ 38, 200 (204) – Urt. des 1. Senats v. 5.11.1962, I ZR 39/61; BGHZ 45, 296 (302 f.) – Urt. des 6. Senats v. 21.6.1966, VI ZR 261/64. 9 BGH, LM PBefG Nr. 1 – Urt. des 1b. Senats v. 21.2.1964, I b ZR 109/62. 10 BGH, NJW 1967, 1558 ff. – Urt. des 1b Senats v. 9.5.1967, I b ZR 59/65. 11 Urt. des 5. Senats v. 26.2.1993; V ZR 74/92; dem folgend BGH, NJW 1995, 132 (134) – Urt. des 6. Senats v. 14.10.1994, V ZR 76/93; BGH, NJW 1997, 55 – Urteil des 5. Senats v. 27.9.1996, V ZR 335/95; vgl. auch bereits BGH, WM 1974, 572 ff. – Urt. des 5. Senats v. 21.12.1974, V ZR 107/72: Anspruch auf Beseitigung eines baurechtswidrigen Gebäudes als actio quasinegatoria. 12 BGHZ 122, 1 (8). 13 Ebd. 8.
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dividualschutz, das der BGH im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts für unbedenklich hält,14 schließt er hier aus dem Eingreifen des verwaltungsrechtlichen Schutzes unmittelbar auf die Begründetheit zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche. Dies würde dazu führen, dass dem Geschützten neben der Möglichkeit der Geltendmachung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf behördliches Einschreiten stets noch eine weitere Möglichkeit offen steht, die Einhaltung der schützenden Norm zu erreichen. Ob die Annahme einer solchen zweifachen Rechtsschutzmöglichkeit sich im Wege einer Analogie begründen lässt, bedarf jedoch einer genaueren Untersuchung. Obwohl der Grundsatz der quasinegatorischen Unterlassungsklage Schutz gegenüber der drohenden Beeinträchtigung jedes deliktisch geschützten Rechtsguts verheißt, ist das tatsächliche Anwendungsgebiet auch in der Rechtsprechung des BGH vergleichsweise beschränkt geblieben.15 Es beschränkt sich in seinem Kern bis heute auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,16 insbesondere des Ehrschutzes,17 den gewerblichen Bereich, d. h. dem Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs18 sowie Konkurrentenklagen,19 und auf den Bereich des Nachbarrechtsschutzes.20 Demgegenüber sind Klagen, die sich auf drohende Beeinträchtigungen eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Güter beziehen, die Ausnahme geblieben.21 In einer veröffentlichten Entscheidung des AG Marbach22 wird die Möglichkeit eines quasinegatorischen Anspruchs zur Abwehr der Gefahr, die von dem Gartenteich des Beklagten für die Gesundheit und das Leben des klagenden Kindes ausgeht, grundsätzlich bejaht, die Sicherheitsvorkehrungen im gegebenen Fall allerdings 14 Vgl. BGH, NJW 1967, 1558 (1559) – Urt. des 1b Senats v. 9.5.1967, I b ZR 59/ 65 in Anlehnung an RGZ 116, 151. 15 Bereits in der Rechtsprechung des RG übertraf die Reichweite des aufgestellten Grundsatzes bei weitem das Anwendungsgebiet, das die Unterlassungsklage in der Rechtsprechungspraxis tatsächlich hatte. Der innere Grund dafür ist, dass das RG zu Beginn der Rechtsprechung zur quasinegatorischen Unterlassungsklage sich nicht auf eine Entscheidung der im Einzelnen vorliegenden Fälle beschränkte, sondern einen über diese hinausgehenden allgemeinen Rechtsgrundsatz aufstellte; vgl. Salinger, Gruchots Beitr. 64 (1920), 263 (279, 283 f.) 16 Vgl. die o. Fn. 5 und 7 angeführten Entscheidungen. 17 Vgl. o. Fn. 7. 18 Vgl. o. Fn. 8. 19 Vgl. o. Fn. 9 und 10. 20 Vgl. die o. Fn. 11 angeführten Entscheidungen. 21 Vgl. AG Marbach, NJW-RR 1988, 346 f. – Urt. v. 15.10.1987; I C 401/87; AG Bonn, NJW 2000, 1877 – Urt. v. 9.3.1999; 6 C 510/98: Kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB auf Unterlassung des Tabakrauchens auf dem Balkon gegen den Nachbarn; vgl. auch LG Braunschweig, NJW-RR 2001, 802 – Urt. v. 5.5.2000; 6 S 972/99: Beseitigungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB gegenüber der Chlorung des Trinkwassers ist nicht begründet, weil die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung nicht überschritten werden. 22 AG Marbach, NJW-RR 1988, 346 – Urt. v. 15.10.1987; I C 401/87.
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für ausreichend erachtet. Die grundlegende Frage, ob die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten, deren Verletzung zu einer Schadensersatzhaftung des Gartenteicheigentümers führen würden, von dem Gefährdeten eingeklagt werden können, hat das Gericht in dem vorliegenden Fall mit der Begründung bejaht, dass der Kläger wegen seines Alters nicht in der Lage sei, „die Gefahrenstelle zu meiden und eigenverantwortlich Schadensvorsorge“ zu treffen.23 Auch wenn der Ansatz der Begründung von Unterlassungsklagen mit den Deliktsvorschriften immanenten Unterlassungspflichten vom Reichsgericht zugunsten der Rechtfertigung durch den Analogieschluss zu den §§ 12, 862, 1004 BGB nicht weiter verfolgt wurde,24 so bildet diese Annahme doch weiterhin die Basis des quasinegatorischen Rechtsschutzes. Präziser gesagt sind es zwei Prämissen, die der quasinegatorischen Unterlassungsklage zugrunde liegen: Die erste besteht darin, dass die Vorschriften über die deliktische Verantwortlichkeit nicht bloß Schadensverteilungsregelungen darstellen, sondern dass die Schadensersatzpflicht die Folge eines Verstoßes gegen eine primäre Unterlassungspflicht ist. Diese Pflicht ist nicht allein auf das Nichtbewirken des Verletzungserfolges gerichtet, sondern hat das Unterlassen der gefährdenden Handlung schlechthin, d. h. unabhängig vom Eintritt des Erfolges zum Gegenstand. Die zweite Prämisse ist die, dass die Schadensersatzpflicht nicht nur auf der Verletzung einer „echten“, im Zweifel auch durchsetzbaren Rechtspflicht beruht, sondern dass es sich bei dieser Pflicht auch um eine zivilrechtliche Pflicht handelt, die im Wege der zivilrechtlichen Klage durchgesetzt werden kann. Dabei wird implizit die Möglichkeit von Pflichten abgelehnt, die zwar die Grundlage einer zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht der Geschützten bilden können, deren Einhaltung jedoch allein durch ordnungsbehördliche Maßnahmen oder strafrechtliche Sanktion sichergestellt werden. Zur Beurteilung der Begründetheit eines Unterlassungsanspruchs in Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB bedarf es daher einer näheren Untersuchung, ob die beiden Prämissen zutreffend sind. Diese Untersuchung wird – im Anschluss an eine Analyse der in der Rechtsliteratur entwickelten Ansätze zur Begründung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche – Gegenstand des 2. Abschnitts dieses Teils der Arbeit sein.
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Ebd. 347. Vgl. o. § 5 II.
§ 7 Die Behandlung in der Rechtsliteratur
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§ 7 Die Behandlung der quasinegatorischen Unterlassungsklage in der Rechtsliteratur Die vom Reichsgericht entwickelte quasinegatorische oder auch „allgemeine“ Unterlassungsklage hat als rechtswissenschaftliche „Modeerscheinung“1 zu Beginn des 20 Jahrhunderts zu einer Fülle zustimmender wie ablehnender Stellungnahmen des Schrifttums geführt. Neben einer Vielzahl zum Teil kürzerer Abhandlungen, insbesondere Dissertationen,2 befinden sich darunter auch die beiden die Diskussion der damaligen Zeit dominierenden Monographien Eltzbachers und Lehmanns.3 Im Folgenden soll zunächst versucht werden, einen Überblick über die wesentlichen, in der Literatur vorhandenen Begründungsansätze zu geben, um sodann die bedeutendsten in sich geschlossenen Theorien zur Rechtfertigung der „allgemeinen“ Unterlassungsklage einer Analyse zu unterziehen.
1 Vgl. Lehmann, Zeitschr. f. das ges. Dienstrecht (1915), S. 302 (302): „. . . die Modeklage des Tages, die Klage auf Unterlassung. Das Streben, ihr Anwendungsgebiet zu erweitern, hat zuweilen schon Formen angenommen, die den Vergleich mit einer Modekrankheit nahelegen. Nur die suggestive Kraft, die derartigen Modeerscheinungen eignet, vermag z. B. die Idee zu erklären, auf Unterlassung ehebrecherischen Verhaltens zu klagen (RG i. Zivils. 71, 85)“; Flad, JherJb 70 (1921), 336 (347): „,Die Modeklage des Tages‘ nennt sie einer ihrer Bearbeiter.“ 2 Vgl. u. a. die Dissertationen von Stephan, Die Unterlassungsklage (1908); Hoche, Der allgemeine Unterlassungsanspruch (1914); Karl Goldschmidt, Die allgemeine Unterlassungsklage gegen unerlaubte und besonders gegen „strafbare“ Handlungen (1914); Naef, Unterlassungsklage und Unterlassungsanspruch im schweizerischen Recht (1919); Stadie, Die allgemeine Unterlassungsklage. Der heutige Stand der Kontroverse (1922); Béranger, Über die Ausdehnung der im BGB gewährten Unterlassungsklagen (1923); Simons, Die allgemeine Unterlassungsklage in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (1928); Friedrich, Die Begründung einer allgemeinen Unterlassungsklage als Mittel des vorbeugenden Rechtsschutzes (1931); Timm, Die vorbeugende Unterlassungsklage (1931); Koppert, Die allgemeine Unterlassungsklage als Institut des bürgerlichen Rechts (1933); Waltzog, Die allgemeine Unterlassungsklage in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (1936); Lewald, Rechtsvergleichende Betrachtungen über Fragen zur vorbeugenden Unterlassungsklage im Rahmen bürgerlich-rechtlichen vorbeugenden Rechtsschutzes überhaupt (1937); Zimmer, Die vorbeugende Unterlassungsklage (1938); weitere zeitgenössische Monographien sind z. B. Rosenthal, Die Unterlassungsklage – eine Übersicht für den Praktiker (1916) und die vom Nationalsozialismus geprägte Schrift von Geipel, Die vorbeugende Unterlassungsklage2 (1938); aus dem neueren Schrifttum zur quasinegatorischen Unterlassungsklage Andreae, Die vorbeugende Unterlassungsklage im Verhältnis zum Schadensersatzanspruch (1947); Lohse, Vorbeugende Unterlassungsklage und Klage auf Widerruf (1948); Knöpfle, Die allgemeine Schadenverhütungsklage (1952); Duvigneau, Die Entwicklung des Unterlassungsanspruchs als Instrument vorbeugenden Rechtsschutzes im Privatrecht (1969). 3 Eltzbacher, Die Unterlassungsklage. Ein Mittel des vorbeugenden Rechtsschutzes (1906); Lehmann, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht (1906).
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
I. Überblick Die in der Rechtsliteratur vorhandenen Begründungsansätze lassen sich im wesentlichen in drei Gruppen unterteilen:4 Neben dem Schluss von der Schadensersatzpflicht auf eine primäre Unterlassungsverbindlichkeit (1) sind dies der Ansatz, die Unterlassung als Bestandteil der aufgrund unerlaubter Handlung geschuldeten Naturalrestitution anzusehen (2) sowie die Rechtfertigung der Unterlassungsansprüche durch Anerkennung neuer absoluter Rechte (3). 1. Der Schluss von der deliktischen Schadensersatzpflicht auf eine primäre Unterlassungsverbindlichkeit Der wichtigste Begründungsansatz der Rechtsliteratur stimmt mit dem vom Reichsgericht gewählten Ansatz darin überein, dass von der zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht bzw. – im Falle von Eltzbacher – auch von strafrechtlichen Sanktionsnormen auf primäre, dem Rechtsgüterschutz dienende Unterlassungspflichten geschlossen wird. Anders als vom Reichsgericht wird die Klagbarkeit dieser Pflichten jedoch nicht mit dem Grundsatz der Einklagbarkeit aller zivilrechtlichen Verbindlichkeiten begründet, sondern aus § 259 ZPO hergeleitet (Hellwig) bzw. durch eine Analogie zu den im Gesetz geregelten Fällen einzelner Unterlassungsklagen gerechtfertigt (Eltzbacher, Enneccerus). Den Grundsatz, dass jeder zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht aus Delikt ein einklagbarer Anspruch auf Unterlassung vorausgeht, hat Karsten Schmidt später zum „deliktsrechtlichen Prinzip“ erhoben. Da der von Eltzbacher, Enneccerus und K. Schmidt gewählte Ansatz der heutigen Dogmatik des quasinegatorischen Rechtsschutzes gedanklich zugrunde liegt, sollen die Auffassungen dieser Autoren unten eingehend untersucht werden. Auf eine weitere Erörterung der Lehre Hellwigs5 kann hingegen verzichtet 4
Vgl. auch die Einteilung bei Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 16 f. Hellwig nimmt infolge der von ihm strikt durchgeführten Trennung von materiellem Anspruch und Klagrecht an, dass die absoluten Rechte durch Ansprüche gegen jedermann auf Unterlassung jeder unbefugten Beeinträchtigung geschützt würden (Lehrbuch I (1903), § 31 A. 2., S. 200 f.). In dieser Weise wird auch „das Recht, die Persönlichkeit innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu betätigen“ (ebd. § 31 D., S. 213), das Recht „auf Integrität der Rechtssphäre“ (ebd. § 57 Fn. 42) geschützt. Unter diesem Aspekt sei anzunehmen, dass in all den Fällen, in denen das Gesetz aufgrund einer begangenen unerlaubten Handlung einen Schadensersatzanspruch gewähre, auch ein Anspruch auf Unterlassung der unerlaubten Handlung bestehe (ebd. § 31 Fn. 97, 57 Fn. 42). Die Klagbarkeit dieser Unterlassungsansprüche ergibt sich aber nach Hellwig über die im BGB geregelten Fälle hinaus ganz allgemein aus § 259 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl. Hellwig, ebd. § 57 III 4 a, S. 373 f.). – Die Annahme Lehmanns (Unterlassungspflicht (1906), S. 131.), dass Hellwigs Ansicht zu keiner Erweiterung des Kreises der Unterlassungsklagen führen würde, trifft nicht zu. Zwar ist es richtig, dass Hellwig als materielle Voraussetzung der Unterlassungsklage einen Unterlassungsanspruch angibt und nur die prozessuale Voraussetzung 5
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werden, da bereits oben6 nachgewiesen wurde, dass § 259 ZPO nicht die von Hellwig angenommene Funktion hat: Diese Vorschrift regelt nur die Frage, ob der Kläger vorzeitig, d. h. bereits vor Fälligkeit der Verbindlichkeit, ein Urteil erlangen kann, nicht aber, ob er überhaupt Rechtsschutz erlangen kann.7 Es ist daher nicht möglich, aus § 259 ZPO die allgemeine Zulässigkeit einer Unterlassungsklage herzuleiten. Die Konstruktion Hellwigs ist insoweit von der Rechtslehre mit zum Teil abweichenden Begründungen beinahe allgemein ablehnt worden.8 Gegen die Annahme Eltzbachers und des Reichsgerichts, dass jede deliktische Schadensersatzpflicht auf die Verletzung eines subjektiven Rechts – Anspruchs – auf Unterlassung zurückzuführen sei, haben zuerst Oertmann9 und Lehmann10 und ihnen folgend der wohl überwiegende Teil der Literatur11 eingedes Klagerechts dem § 259 ZPO entnimmt. Dadurch, dass Hellwig die Frage der Einklagbarkeit einer Unterlassungspflicht auf die prozessuale Ebene verlagert, kann er aber innerhalb des materiellen Rechts die im Wege der Unterlassungsklage durchsetzbaren Unterlassungspflichten nicht von den nicht in dieser Weise durchsetzbaren Pflichten unterscheiden. Die insb. von Lehmann für entscheidend gehaltene Unterscheidung der individualschützenden Rechtsstellungen danach, ob der Begünstigte selbst in der Lage ist, den Schutz im Wege der Klage geltend zu machen (Unterlassungspflicht (1906), S. 65 f.), kann bei Hellwig erst auf der prozessualen Ebene stattfinden. Auf dieser Ebene entnimmt aber Hellwig dem § 259 ZPO, dass jeder Unterlassungsanspruch unter den dort genannten Voraussetzungen klagbar ist. Da die Klagbarkeit aber kein Merkmal des Anspruchs ist, erschöpft sich dessen Inhalt darin, eine den Anspruchsinhaber begünstigende Verpflichtung zu bezeichnen. Solche Verpflichtungen zur Unterlassung kann aber Hellwig nun ebenso wie das RG und Eltzbacher den Deliktsvorschriften implizit entnehmen, ohne eine materielle Norm nachweisen zu müssen, die einen einklagbaren Unterlassungsanspruch ausdrücklich vorsieht. Zur Begründung der Einklagbarkeit dieser Unterlassungspflicht dient Hellwig ja gerade die Generalklausel des § 259 ZPO. 6 Vgl. o. § 3 II. 4. c). 7 Dies wird insoweit von § 259 ZPO bereits vorausgesetzt. 8 Siber, Rechtszwang (1903), S. 109; Mannhardt, DJZ 1903, 416 (417); Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 85 ff.; Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 62 ff.; Jacobsohn, Die Unterlassungsklage (1912), S. 46 f.; Flad, JherJb. 70 (1921), 337 (350 ff.); Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 49 ff.; Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 17; Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 19 f.; Zimmer, Unterlassungsklage (1939), S. 41 f.; – Hellwig gefolgt sind nur Allfeld, Kommentar zum LitUrhG (1902), S. 217; ders., Kommentar zu den Gesetzen über das gewerbliche Urheberrecht (1904), S. 93, 354: Hellwig stütze die Zulässigkeit der allgemeinen Unterlassungsklage „mit guten Gründen“ auch auf § 259 ZPO; vgl. auch Wendt, AcP 92 (1902), 1 (85 f. mit Fn. 45a); v. Seuffert, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. 1, 11. Aufl. (1910), § 259 Anm. 2. 9 DJZ 1904, Sp. 616 (Sp. 619 ff.). 10 Unterlassungspflicht (1906), S. 63 ff. 11 Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 146 f.; Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (109); Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (238 f.); Salinger, Gruchots Beitr. 64 (1920), 263 (271); Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 11 ff.; Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 15 f.; Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 48; Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 75 f.; Zimmer, Unterlassungsklage (1938), S. 39.
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wandt, dass durch diese Annahme die im BGB angelegte Unterscheidung zwischen Rechten einerseits und Rechtsgütern bzw. rechtlich geschützten Interessen andererseits missachtet würde. Die Schadensersatzpflicht setze nicht die Verletzung eines subjektiven Rechts, sondern nur die der im Interesse einer bestimmten Person erlassenen Rechtsnorm voraus, aus deren Bestehen sich nicht ohne weiteres ein Unterlassungsanspruch herleiten lasse.12 Dass nicht jede dem Interesse einer bestimmten Person dienende Rechtspflicht dieser einen Erfüllungsanspruch verleihe, zeige der Unterschied zwischen dem echten und dem unechten Vertrag zugunsten Dritter:13 Auch beim unechten Vertrag zugunsten Dritter, bei dem der Dritte kein eigenes Forderungsrecht erwirbt, habe dieser ein Interesse an der Leistung, das durch die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung geschützt werde. Das gleiche Bild zeige sich im Gegensatz von Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) und erbrechtlicher Auflage (§§ 2192 ff. BGB):14 In beiden Fällen lege das Recht dem Beschwerten eine Rechtspflicht im Interesse des Begünstigten auf, aber nur im Falle des Vermächtnisses habe dieser einen Erfüllungsanspruch (vgl. § 2174 BGB im Gegensatz zu § 2194 BGB). Schließlich sei die Unterscheidung zwischen subjektivem Recht und rechtlich geschütztem Interesse in § 823 BGB selbst angelegt. Wenn wirklich jede Rechtnorm, die den Schutz eines Einzelnen bezwecke, ein subjektives Recht begründete, so fielen alle Fälle der Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB zugleich als Verletzung eines sonstigen Rechts unter § 823 Abs. 1 BGB, so dass § 823 Abs. 2 BGB überflüssig wäre.15 2. Das Unterlassen als Teil der nach § 249 BGB geschuldeten Naturalrestitution Einen breiteren Raum als in der Rechtsprechung nahmen in der Rechtslehre die Versuche ein, die Unterlassung als Bestandteil der infolge einer unerlaubten 12
Oertmann, DJZ 1904, 616 (621). Vgl. Oertmann, DJZ 1904, Sp. 616 (619); Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 69; Fischer, Rechtswidrigkeit (1911), S. 55; Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 147; Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (109); Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (238); Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 22; Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 17; Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 74. 14 Vgl. Oertmann, DJZ 1904, Sp. 616 (619); Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 70; Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 147; Fischer, Rechtswidrigkeit (1911), S. 55; Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (109); Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (239); Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 22; Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 17 f.; Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 74. 15 Vgl. Oertmann, DJZ 1904, Sp. 616 (619 f.); Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 68 f.; Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 146; Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (109); Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (239); Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 11 f.; Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 18 f.; Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 53; Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 74, 77 f.; Zimmer, Unterlassungsklage (1938), S. 39. 13
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Handlung geschuldeten Naturalrestitution anzusehen und das Bestehen von Unterlassungsansprüchen aus § 249 BGB abzuleiten. Eine Reihe von Autoren, darunter Kohler, Oertmann und Lehmann, hielten in unterschiedlichem Umfange die Begründung von Unterlassungsklagen mit der Pflicht zur Naturalrestitution gemäß § 249 BGB für möglich.16 Grundgedanke dabei war überwiegend im Anschluss an Oertmann, dass die unerlaubte Handlung neben dem materiellen Schaden auch einen „Zustand der Unruhe und Unsicherheit“17 verursacht, der einen nach § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution zu beseitigenden moralischen Schaden darstelle. Die künftige Unterlassung sei als geeignetes Mittel anzusehen, diesen „eingetretenen Zustand der Beunruhigung, Verwertungsbeschränkung usw.“18 zu beseitigen. Ein wesentlicher Unterschied zu dem soeben (unter 1.) behandelten Begründungsversuch der Unterlassungsklage bestand hierbei darin, dass die Unterlassungsklage aus § 249 BGB die Erfüllung des kompletten Deliktstatbestandes erforderte, also sowohl eine bereits eingetretene Verletzung wie das Vorliegen des Verschuldens19 voraussetzte. Einige Vertreter dieser Auffassung setzten sich über das Erfordernis der bereits eingetretenen Verletzung jedoch partiell dadurch hinweg, dass sie bereits die Androhung der unerlaubten Handlung als Verletzung des entsprechenden Rechtsguts ansahen bzw. dieser zumindest gleichstellten. 20 Gegen die Herleitung einer Unterlassungsklage aus § 249 BGB spricht bereits, dass der durch die unerlaubte Handlung verursachte Zustand der Beunruhigung als Schaden sich außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm befinden dürfte. Die Angst vor künftigen Verletzungen kann man allenfalls als 16 Vgl. Oertmann, DJZ 1904, Sp. 616 (Sp. 621 ff.); Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 134 f., 223 ff.; Kohler, in: v. Holtzendorff/Kohler (Hrsg.), Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. 27 (1914), S. 85; vgl. ferner Fuld, SächsArch 12 (1902), 257 (258 f., 260, 264); Stephan, Unterlassungsklage (1908), S. 148, 154 ff.; Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (112 ff.); Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (244 ff.); Stadie, Unterlassungsklage (1922), S. 44; Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 30 f., 73 f.; F. Leonhard, Schuldrecht BT (1931), § 356, S. 640 f.; Lewald, Unterlassungsklage (1937), S. 20, 25 ff.; einschränkend Salinger, Gruchots Beitr. 64 (1920), 263 (266): nur wenn der widerrechtliche Zustand sich als ein gegenwärtiges unerlaubtes Handeln darstellt; – a. A. v. Blume, FS Güterbock (1910), 381 (394); Jacobsohn, Die Unterlassungsklage (1912), S. 34 f.; Neukamp, FS Zitelmann (1913), 1 (17); Rosenthal, JW 1914, 1059 (1061); v. Gierke, Deutsches. Privatrecht III (1917), § 215 III, S. 975; Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 84 ff.; Flad, JherJb 70 (1921), 337 (357); Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 40; Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 20, 29 f.; Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 15; Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 95 f. 17 Oertmann, DJZ 1904, Sp. 616 (621 ff.). 18 Ebd. 19 Anders aber Fuld, SächsArch 12 (1902), 257 (260) und Lewald, Unterlassungsklage (1937), S. 26 f. 20 Vgl. Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (112 ff.); Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 60; Leonhard, Schuldrecht BT (1931), § 356, S. 640 f.; Lewald, Unterlassungsklage (1937), S. 20, 25 ff.
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durch die Tatsache der deliktischen Handlung an sich verursacht ansehen, aber nicht als einen aufgrund des Verletzungserfolgs eingetretenen Schaden: Die Befürchtung, dass jemand weitere Sachbeschädigungen begehen könnte, hat ihren Grund mit Sicherheit auch darin, dass diese Person bereits eine Sachbeschädigung begangen hat. Sie ist aber keine Folge der an der Sache eingetretenen Substanzverletzung und der dadurch eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers. Dass die dem Deliktsrecht zugrundeliegenden Verbote aber neben dem Schutz vor Einbußen an den geschützten Rechtsgütern zugleich noch bezwecken, dass der Rechtsgutsinhaber ohne Sorge vor künftigen Rechtsgutsverletzungen leben kann, ist kaum anzunehmen, da abgesehen von besonderen Verboten, wie dem des § 241 StGB, die Verursachung entsprechender Befürchtungen keine unerlaubte Handlung darstellt. Lesser, der davon ausgeht, dass das „Gefühl der Unruhe“ in aller Regel nicht durch die unerlaubte Handlung selbst, sondern durch deren Begleitumstände (z. B. „das drohende Verhalten des Verletzers“) verursacht wird, nimmt deshalb an, dass bereits diese Drohung eine Verletzung des entsprechenden Rechts bzw. Rechtsguts darstellt.21 Dem kann jedoch schon deshalb nicht gefolgt werden, weil dadurch das Konzept des § 823 BGB, keine deliktische Generalklausel zu schaffen, sondern die Schadensersatzpflicht nur im Falle der Verletzung bestimmter Rechte bzw. Rechtsgüter und im Falle des Verstoßes gegen bestimmte Verbotsgesetze vorzusehen, aus den Angeln gehoben würde. Entgegen der Ansicht Lessers ist es „logisch“ nicht möglich, „in der ernstlichen Androhung einer unerlaubten Handlung letztere selbst zu erblicken“.22 Insoweit hat bereits Ulrich23 darauf hingewiesen, dass z. B. die Androhung eines Raubes niemals ein Raub selbst, dessen Tatbestand die Wegnahme und Zueignung einer fremden beweglichen Sache erfordert, sein kann. Die Verursachung der Angst vor der Begehung eines Delikts kann nur unter zwei Aspekten eine unerlaubte Handlung darstellen: Zum einen kann die Art und Weise, wie diese Befürchtung verursacht wird, durch ein Schutzgesetz als Nötigung, Bedrohung, o. ä. selbst verboten sein. Ansonsten kommt nur in Betracht, dass die Verursachung der Angst eine Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB darstellt, was jedoch voraussetzen würde, dass es sich bei dem verursachten Angstzustand um einen krankhaften handelt, was in aller Regel nicht der Fall sein wird. Aber selbst dann würde sich die Frage stellen, ob die Verursachung dieses Angstzustandes nicht innerhalb des erlaubten Risikos liegt: Grundsätzlich muss jeder sein Verhalten so einrichten, dass er die Rechtsgüter der anderen nicht verletzt und darf andere nicht bedrohen (§ 241 StGB) oder nötigen (§ 240 21 Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (112 f.); ähnlich wieder Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 20: Beim vorbeugenden Unterlassungsanspruch liege „die Beeinträchtigung . . . in der akuten Gefährdung des Rechtsguts“. 22 Lesser, ArchfBürgR 38 (1913), 102 (113). 23 Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (253).
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StGB). Er muss sich aber darüber hinaus nicht auch noch grundsätzlich so verhalten, dass erst gar nicht der Eindruck entsteht, er könnte eine unerlaubte Handlung begehen. Hiervon ausgehend ergibt sich, dass im Interesse einer nicht zu weitgreifenden Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit prinzipiell jeder darauf vertrauen muss, dass andere die bestehenden Verbote nicht verletzen und solange sie dies nicht getan haben, die Angst vor solchen Verletzungen selbst bewältigen muss. Ein weitergehender Schutz ließe sich nur aus den Vorschriften über Unterlassungsklagen herleiten. Solche bestehen hier aber gerade nicht, bzw. es ist gerade fraglich, ob eine Unterlassungsklage gegeben ist. Im Übrigen aber halten selbst die gesetzlichen Vorschriften über Unterlassungsklagen daran fest, dass ein solcher Schutz gegen drohenden Rechtsverletzungen nur dann gegeben ist, wenn bereits eine Rechtsverletzung vorliegt. Noch ausschlaggebender gegen die Herleitung einer Unterlassungsklage aus § 249 BGB ist aber vielleicht die Tatsache, dass die Unterlassung weiterer Delikte überhaupt nicht geeignet ist, den Zustand der Beunruhigung zu beseitigen. Dass jemand zeitweise die Begehung von Delikten unterlässt, gibt keine Gewähr dafür, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Daher ist es, worauf schon mehrfach hingewiesen wurde,24 nicht die Unterlassung selbst, sondern die Strafandrohung durch das Gericht, die geeignet ist, die Befürchtung, weitere Delikte könnten begangen werden, zu mindern. Ein Schadensersatzanspruch kann aber nur auf etwas gerichtet sein, was der Anspruchsgegner auch selbst zu leisten vermag, was bei der durch das Gericht auszusprechenden Strafdrohung nach § 890 ZPO nicht der Fall ist.25 Auch insofern ist es daher nicht möglich, die Unterlassung künftiger Delikte als Teil des nach § 249 BGB zu bewirkenden Schadensersatzes anzusehen. Es ist zwar Lehmann zuzugeben, dass der Zustand der Beunruhigung sich kaum beseitigen lässt, soweit der Täter seiner Unterlassungspflicht nicht nachkommt, also weitere Delikte begeht.26 Aus der positiven Leistungspflicht kann man aber nicht beliebig klagbare Pflichten auf Unterlassung aller möglichen Handlungen, die der Herbeiführung des Leistungserfolgs entgegenstehen würden, herleiten. Insofern nimmt Lehmann selbst an, dass die Unterlassungspflicht, die nur die „negative Seite einer positiven Leistungspflicht“ ist, „immer nur auf dem Umwege über den positiven Anspruch“ geltend gemacht werden kann.27 Insbesondere wird man aber, da es sich bei diesen Nebenpflichten doch letztlich nur um die allgemeinen Deliktsverbote handelt, deren Klagbarkeit auf24 Zuerst wohl von v. Blume, FS Güterbock (1910), 381 (394); vgl. ferner Flad, JherJb 70 (1921), 337 (357); Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 40; Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 95 f. 25 Vgl. insb. Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 40. 26 Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 224. 27 Vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 90 f.; vgl. auch ebd. S. 12, 167.
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grund der Deliktsobligation nicht anders zu beurteilen haben, m. a. W. sofern man grundsätzlich von deren Unklagbarkeit ausgeht, wird man diese nicht aufgrund des deliktischen Schuldverhältnisses bejahen können. Fraglich bleibt nur, ob man nicht zumindest in Fällen, in denen die „zu unterlassenden Handlungen der Gegenwart angehören“28 bzw. in denen sich der widerrechtliche Zustand als ein gegenwärtiges unerlaubtes Handeln darstellt,29 die Beseitigung dieser „gegenwärtigen“ Verletzung als Teil der Naturalrestitution ansehen kann. Auch dies ist jedoch nicht möglich, da man vergangenes und zukünftiges Handeln, auch wenn es „durch einheitlichen Plan und Zweck zusammengehalten, den Tatbestand eines einzigen Deliktes“30 bilden würde, nicht zu einer einheitlichen, zu beseitigenden Verletzung zusammenfassen kann. Die Annahme einer für die Zukunft durch Unterlassung zu beseitigenden Verletzung unterstellt bereits, dass der Schadensersatzpflichtige sich auch in Zukunft pflichtwidrig verhalten werde. Eine solche zukünftige Entwicklung kann man aber, da sie von autonomen menschlichen Entscheidungen abhängt, nicht einfach entsprechend dem Gedanken des § 252 BGB als nach den Umständen zu erwartende Folge des bereits begangenen Teils der unerlaubten Handlung ansehen, die schon jetzt ausgeglichen werden müsste. Abgesehen davon könnte man auf diesem Weg auch überhaupt nicht zu der erwünschten Verurteilung zum dauerhaften Unterlassen kommen. In dem Moment, wo der vorherige Zustand wieder vollkommen hergestellt wäre, müsste auch die Unterlassungspflicht aufgrund von § 249 BGB erlöschen: In dem Fall des den Grundstückswert mindernden Bordellbetriebs in der Nachbarschaft müsste, wenn dieser wenige Tage eingestellt worden wäre und potentielle Käufer des Grundstücks wieder zur Zahlung des ursprünglichen Preises bereit wären, die Unterlassungspflicht erlöschen. Und selbst bei der Pflicht zur Beseitigung eines Plakats mit ehrverletzendem Inhalt könnte der Berechtigte aufgrund des § 249 BGB nicht verlangen, dass dieses, nachdem es abgenommen und damit der alte Zustand wiederhergestellt worden ist, nicht wieder plakatiert wird. Wollte man anders entscheiden, so käme man zu dem nicht überzeugenden Ergebnis, dass der Schadensersatzberechtigte sich aufgrund des Delikts in einer rechtlich besseren Lage befände, als er sich ohne dessen Begehung befunden hätte: Er hätte auch nach Beseitigung aller Folgen des Delikts noch einen klagbaren Unterlassungsanspruch, den er ohne die Begehung des Delikts nicht gehabt hätte.31
28 Oertmann, DJZ 1904 Sp. 616 ( 622 f.); ebenso Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 30 f., 73 f.). 29 Salinger, Gruchots Beitr. 64 (1920), 263 (266). 30 Oertmann, DJZ 1904 Sp. 616 (622 f.). 31 Siehe Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 84.
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3. Die Begründung von Unterlassungsansprüchen durch Anerkennung weiterer absoluter Rechte Ein weiterer Weg, der in der Literatur zu Gewährung von Unterlassungsklagen über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus beschritten wurde, war der der Schaffung bzw. Anerkennung weiterer absoluter Rechte.32 Auf diese Weise wollte man einen Bruch mit der zeitgenössischen Dogmatik vermeiden, nach der Unterlassungsansprüche im Allgemeinen nur aufgrund absoluter Rechte denkbar waren, deren „negative Seite“ sie bildeten. Der unbestreitbare Vorzug dieser Vorgehensweise liegt darin, dass man nicht abstrakt für einen nicht zu überblickenden Anwendungsbereich („gegenüber jeder unerlaubten Handlung“) die Möglichkeit einer Unterlassungsklage ausspricht, sondern nur für konkrete Fälle, in denen das Bedürfnis für diese Art des Rechtsschutzes bereits tatsächlich festgestellt wurde. Insoweit wurde der rechtspolitische Fehler des Reichsgerichts in seiner Rechtsprechung zur Unterlassungsklage darin gesehen, dass es eigentlich nur einen verstärkten Schutz gegenüber Ehrverletzungen schaffen wollte, aber durch die Aufstellung von allgemeinen, über die zu entscheidenden Fälle hinausweisenden Grundsätze das Anwendungsgebiet der Unterlassungsklagen derart ausdehnte, dass es sich alsbald gezwungen sah, die Zulässigkeit von Unterlassungsklagen durch die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses bei Klagen auf Unterlassung strafbarer Handlungen wieder einzuschränken.33 Das Problem der Schaffung weiterer Unterlassungsklagen durch Ausdehnung des Kreises der absoluten Rechte besteht darin, dass auch die Erfindung eines neuen absoluten Rechts nicht geeignet ist, auf der Grundlage der geltenden Rechtsordnung eine normative Begründung für diese Rechtsschutzmöglichkeiten zu geben. Die Anerkennung als absolutes Recht bedeutet nicht anderes, als das Postulat, dass bestimmte Interessen nun durch Unterlassungsansprüche, Schadensersatzansprüche bei vorsätzlicher und fahrlässiger Verletzung, gegebenenfalls durch Bereicherungsansprüche, etc. geschützt sein sollen. Da es bei dem Schutz durch Unterlassungsklagen um einen eher rechtstechnischen Aspekt geht und zudem die verschiedenen schützenswerten Interessen äußerst heterogen sind, lässt sich aus der Tatsache, dass gewisse Interessen auf bestimmte Weise geschützt sind, kaum im Wege der Analogie ableiten, dass andere Interessen dies auch sein müssten. Dies zeigt sich gerade auch bei dem Schutz der Persönlichkeit: Daraus dass dieser Schutz (nunmehr verfassungsrechtlich) geboten ist, lässt sich wohl ableiten, dass bestimmte Eingriffe verboten sein müssen, aber nicht unbedingt, dass der Schutz vor diesen Eingriffen gerade durch Ansprüche 32 So von Lobe, GRUR 1917, 15 (21 f.); v. Gierke, Deutsches. Privatrecht III (1917), § 215 III, S. 977 f.; Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 34; Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 62 ff.; Stadie, Unterlassungsklage (1922), S. 44; Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 58 ff., 64 f. 33 Vgl. Lehmann, ZHR 76 (1915), 309 (309 f., 318 f.).
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auf Ersatz des immateriellen Schadens entgegen § 253 BGB oder durch Unterlassungsansprüche, die den Sanktionsmechanismus des § 890 ZPO zur Folge haben, bewirkt werden muss. II. Einzelne Theorien zur Begründung der „allgemeinen“ Unterlassungsklage 1. Die Lehre Eltzbachers a) Die Trennung von Recht und Rechtsschutz als Grundlage von Eltzbachers Lehre von der allgemeinen Unterlassungsklage Paul Eltzbachers Lehre von der allgemeinen Unterlassungsklage basiert auf dem Konzept der Trennung von Recht und Rechtsschutz34 in dem Sinne, wie sie von der Lehre vom Rechtsschutzanspruch vertreten wird.35 Sie folgt dabei zugleich einem normativen Verständnis des Rechts,36 das die Rechtspflicht als den zentralen Baustein betrachtet. Grundelement des Privatrechts ist dementsprechend der Anspruch, der jedoch allein eine Verpflichtung des Anspruchsgegners begründet, ohne dem Anspruchsinhaber selbst die Mittel zu seiner Durchsetzung zu verleihen. Zur Durchsetzung der Unterlassungsansprüche ist der Berechtigte auf die „Mittel des Staatsschutzes“37 angewiesen, zu deren Inanspruchnahme er eine besondere Berechtigung, das Klagerecht, benötigt. Folgerichtig gelangt auch Eltzbacher zu der Annahme des Anspruchs gegen jedermann:38 Das Eigentum als „Gesamtrecht“ setzt sich aus Einzelberechtigungen – Ansprüchen – zusammen,39 an deren erster Stelle die Unterlassungsansprüche stehen.40 Es besteht jedoch ein zentraler Unterschied zu dem normativen Konzept Windscheids: Der Willenstheorie folgend definiert dieser den An34
Vgl. Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 220. Vgl. die Unterscheidung von Anspruch und Klagrecht bei Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 81 f.: „Daß die Ansprüche durch Klagrechte geschützt sind, ist keine Notwendigkeit . . . Ja selbst in unserer Rechtsordnung sind nicht alle Ansprüche derart geschützt . . .“. 36 Siehe Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (1903), S. 38 ff.: „Die Rechtsnorm ist eine Norm, die darauf beruht, daß Menschen . . . etwas allgemein getan oder unterlassen sehen wollen.“; der Unterschied zwischen Eltzbachers Normenverständnis und der Deutung der Rechtsnormen als Imperative (sog. Imperativentheorie) kann hier vernachlässigt werden (vgl. Eltzbacher selbst, ebd. S. 43). 37 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 258: „Die Unterlassungsklage ist ein Mittel des Staatsschutzes“. 38 Vgl. Eltzbacher, Die Unterlassungsklage (1906), S. 237: „die Ansprüche, die bei den Ausschließungsrechten jedermann gegenüber begründet sind“. 39 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 122 f. 40 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 135. 35
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spruch als „[d]en der Person zu eigen hingegebene[n] Rechtsbefehl“.41 Auf das für die Willenstheorie wesentliche Element der Disponibilität des Imperativs verzichtet demgegenüber Eltzbacher. Er nimmt ein subjektives Privatrecht auch dann an, wenn der Begünstige nicht über die Geltung der Dritten auferlegten Rechtspflicht disponieren kann und legt den Schwerpunkt insofern auf den Gesichtspunkt des rechtlich geschützten Interesses, wie es der Interessentheorie entspricht. b) Die These der mittelbaren Anerkennung von Privatrechten in Vorschriften anderer Rechtsgebiete Eltzbachers wesentlicher Gedanke ist, dass Privatrechte (Ansprüche) sich nicht nur unmittelbar den Vorschriften des Privatrechts entnehmen lassen, sondern zum Teil auch mittelbar – in privatrechtlichen Normen ebenso wie in den Vorschriften anderer Rechtsgebiete – anerkannt würden. So lasse sich jeder Vorschrift des Privatrechts, „die an ein Unrecht zu jemandes Gunsten eine ausgleichende Rechtsfolge“ knüpft, ein Recht des Begünstigten darauf, dass das Unrecht unterbleibt, entnehmen.42 Ebenso lasse sich aus den Vorschriften des Strafrechts ein Recht desjenigen, zum Schutz dessen die Handlung mit Strafe bedroht ist, darauf herleiten, dass die strafbare Handlung unterbleibe. Zwar würden die Strafgesetze „an sich“ nur auf ein Recht des Staates auf das Unterbleiben der strafbaren Handlung hinweisen. Jedoch existiere ein ungeschriebener Satz des Privatrechts, nach dem jeder ein Recht darauf habe, „dass keine um seinetwillen mit Strafe bedrohte Handlung begangen werde“.43 Es sei daher auch nicht nötig, dieses Recht auf dem Umweg über die Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB herzuleiten.44 Schließlich ergebe sich auch aus sonstigen, nicht strafbewehrten Vorschriften, die zugunsten eines Einzelnen einem anderen ein bestimmtes Verhalten vorschreiben, ein Recht des Einzelnen auf Einhaltung der Verhaltensnorm.45 Verallgemeinert gesagt sei ein privatrechtlicher Anspruch auf Unterlassen immer dann anzunehmen, wenn ein Rechtssatz um eines Einzelnen willen einen anderen zum Unterlassen einer Handlung verpflichte.46
41 Windscheid/Kipp, Pandekten9 (1906), § 43 Fn. 2; vgl. auch J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 233 mit Fn. 1279: Das subjektive Recht ist „die Macht, die Imperative des Rechts wirksam werden zu lassen“. 42 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 110. 43 Ebd. S. 114. 44 Vgl. ebd. S. 117 f. 45 Ebd. S. 118. 46 Ebd. S. 130 f.
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c) Die Unterlassungsklage als Schutzmittel für mittelbar anerkannte Privatrechte auf Unterlassen Das Schutzmittel für die Unterlassungsansprüche ist nach Eltzbacher die Unterlassungsklage. Da mit der Unterlassungsklage nicht ein Anspruch auf eine fällige, sondern auf eine zukünftige Leistung geltend gemacht werde,47 ergebe sich jedoch das für die Unterlassungsklage erforderliche Klagerecht nicht bereits aus dem Grundsatz der Einklagbarkeit aller Verbindlichkeiten,48 der nur für fällige Leistungen zutreffe.49 Entgegen der Annahme Hellwigs lasse sich das erforderliche Klagerecht auch nicht aus § 259 ZPO herleiten.50 Statt dessen sei den Gesetzesbestimmungen über einzelne Unterlassungsklagen, die keine sie von anderen Fällen unterscheidenden Gemeinsamkeiten aufwiesen,51 der verallgemeinerungsfähige Grundsatz zu entnehmen, dass überall dort die Möglichkeit zur Unterlassungsklage bestehe, „wo ein Privatrecht verletzt worden . . . ist und infolgedessen ein künftiges verletzendes Tun . . . befürchtet werden muss“. Ein Klagerecht setze in Analogie zu diesen Vorschriften also voraus, dass bereits eine Verletzung der Unterlassungspflicht erfolgt ist52 und zudem eine weitere verletzende Handlung zu erwarten ist.53 d) Die Lückenhaftigkeit von Eltzbachers Schluss von der individualschützenden Norm auf die Befugnis zur Unterlassungsklage Die zentrale These Eltzbachers lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass jeder Rechtssatz, der unmittelbar oder mittelbar einem anderen eine Unterlassungsverpflichtung auferlegt, die nicht nur reflexartig, sondern vom Normgeber 47 Ebd. S. 83 ff.: Da eine Unterlassung sich nicht nachholen ließe, führe die Zuwiderhandlung gegen die fällige Unterlassungspflicht zur Unmöglichkeit der Leistung. Eine Erfüllung – und dementsprechend eine auf Erfüllung gerichtete Klage – sei nur noch in Bezug auf den erst künftig fällig werdenden Teil der geschuldeten dauernden Unterlassung möglich. 48 Ebd. S. 83. 49 Ebd. S. 81 f. 50 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 87 ff.: Die Bedeutung der §§ 257 ff. ZPO beschränke sich darauf, dem Kläger schon vor Fälligkeit die Erlangung eines Urteils zu ermöglichen, damit dieser im Falle der Nichterfüllung bei Fälligkeit ohne Zeitverlust die nachträgliche Erfüllung im Wege der Zwangsvollstreckung herbeiführen kann. Der Zweck des § 259 ZPO sei somit die unverzügliche „Beseitigung der künftig eintretenden Rechtsverletzung“, nicht aber deren Verhinderung. Da eine Unterlassung sich nicht nachholen lasse, sei auch eine nachträgliche Behebung der eingetretenen Verletzung nicht möglich, so dass sich die Möglichkeit einer allgemeinen Unterlassungsklage nicht aus § 259 ZPO herleiten lasse; vgl. zu Hellwigs Ansicht und dazu, dass sich aus § 259 ZPO nicht die Möglichkeit einer allgemeinen Unterlassungsklage herleiten lässt, bereits o. § 3 II. 2. und § 3 II. 4. c) im Text zu Fn. 169 ff. 51 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 97. 52 Ebd. S. 157 ff. 53 Ebd. S. 179 ff.
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gewollt den Schutz einer anderen Einzelperson bewirkt, eine zivilrechtliche, im Wege der Zivilklage verfolgbare Unterlassungsverbindlichkeit begründet.54 Dabei wird die Lückenhaftigkeit des Schlusses von der individualschützenden Verbotsnorm auf die Befugnis zur Unterlassungsklage durch die Trennung von Recht und Rechtsschutz verdeckt. Anstatt die Unterlassungsverpflichtungen begründenden Normen des öffentlichen Rechts und Strafrechts im Rahmen einer teleologischen Auslegung daraufhin zu untersuchen, ob durch sie zugleich zivilprozessual einklagbare Verpflichtungen begründet werden sollen, findet eine Zweiteilung der Untersuchung statt. Für die Frage, ob ein zivilrechtlicher Anspruch auf Unterlassung besteht, wird ein Begriff des subjektiven Rechts im Sinne einer reinen Interessentheorie zugrunde gelegt,55 d. h. es wird bei der Auslegung der Gesetzesnorm nicht darauf abgestellt, ob dem Begünstigten auch privatrechtliche Mittel zur Durchsetzung der Verpflichtung zustehen bzw. zustehen sollen.56 Wenn im ersten Schritt ein subjektives Privatrecht auf Unterlassung ermittelt wurde, wird sodann jedoch aus dem Begriff des Rechts die Klagbarkeit abgeleitet und damit nunmehr ein anderer Begriff des subjektiven Rechts zugrunde gelegt. Der zur Begründung herangezogene Analogieschluss zu den gesetzlich vorgesehenen Fällen der zivilrechtlichen Unterlassungsklage beruht ja darauf, dass es gleichsam um den Schutz von Privatrechten gehe.57 Die Annahme, dass tatbestandlich eine drittschützende Norm zur Annahme eines subjektiven Rechts ausreicht, aus dem man dann als Rechtsfolge die Möglichkeit der Unterlassungsklage ableitet, setzt aber gerade den zu beweisenden Satz voraus und beweist ihn nicht. Ebenso verhält es sich mit dem „nirgends ausgesprochen[en], aber notwendig“ anzunehmenden Satz des Privatrechts, dass der Einzelne ein Recht darauf habe, „dass keine um seinetwillen mit Strafe bedrohten Handlung begangen wird.“58 Bei diesem Satz handelt es sich nur um eine Umformung der grundlegenden These Eltzbachers, die zu beweisen ist. Die Überzeugungskraft, die dieser Satz prima facie ausüben mag, beruht auf der Verwendung des abstrakten Begriffs des Rechts anstelle der konkreten Bezeichnung der Rechtsfolgen. Durch eine Umformulierung verliert dieses behauptete Prinzip jedoch diese Kraft: Der Satz, dass in allen Fällen, in denen jemand Schutz gegenüber einer ihm nachteiligen Handlung durch deren Strafbarkeit genießt, ihm prinzipiell 54
Vgl. ebd. S. 154, 110 ff., 114 f., 117 f. So auch Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 63 in Bezug auf Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (1903), S. 61, 106 f., 110 f. 56 Vgl. Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 107 ff.: Es ist keine Voraussetzung des subjektiven Rechts, dass dem Berechtigten die Macht zu seiner Durchsetzung eingeräumt wurde. 57 Vgl. ebd. S. 96: „Grundsatz, daß, wo ein Privatrecht verletzt worden . . . ist und infolgedessen ein künftiges verletzendes Tun . . . befürchtet werden muß, der Berechtigte auf Unterlassung klagen kann.“ 58 Ebd. S. 258. 55
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auch zivilprozessualer Schutz zu Verfügung steht, erweckt nicht den Eindruck eines a priori anzunehmenden Prinzips, das keiner weiteren Begründung bedarf. e) Keine Rechtfertigung einer Korrektur des gesetzlichen Sanktionensystems durch angebliche Unzulänglichkeit des Strafrechts Anlass zu Zweifeln an der von Eltzbacher aufgestellten These, dass der Einzelne ein Recht darauf habe, „dass keine um seinetwillen mit Strafe bedrohten Handlung begangen“59 werden, gibt es insbesondere, wenn man berücksichtigt, wie der durch die Möglichkeit einer zivilprozessualen Unterlassungsklage zu erhaltende Schutz beschaffen ist. Nach § 890 ZPO wird eine Strafe für die Zuwiderhandlung gegen die im Urteil festgestellte Unterlassungspflicht angedroht und im Falle der Zuwiderhandlung vollstreckt. Gerade die von Eltzbacher betonte Ähnlichkeit dieser Vollstreckungsart mit dem Mechanismus der strafrechtlichen Sanktionierung60 wirft die Frage auf, warum in allen Fällen, in denen zum intendierten Schutz eines Einzelnen eine strafrechtliche Sanktion vorgesehen ist, daneben automatisch die Möglichkeit des Geschützten treten soll, eine weitere Sanktionsandrohung herbeizuführen. Die Erwägung, dass das Strafrecht den Berechtigten nur dort schützen kann, wo die Verletzung der Unterlassungspflicht einen Straftatbestand erfüllt,61 kann allenfalls da tragen, wo Eltzbacher subjektive Rechte nicht mittelbar aus strafrechtlichen Sanktionsnormen herleitet. Dies entspricht jedoch nicht den Gegebenheiten des quasinegatorischen Rechtsschutzes. Bei den in der Praxis zu entscheidenden Fällen ging es in der Regel darum, ob das in einer strafrechtlichen Sanktionsnorm zum Ausdruck kommende Verbot Grundlage einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage sein könne. Dass die strafrechtlichen Normen „in ihrer unpersönlichen Allgemeinheit vielfach keinen genügenden Druck“ ausüben,62 mag sich als kriminalpolitisches Problem darstellen, ist aber nicht geeignet darzulegen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers, nach Teleologie und Systematik des Gesetzes in allen diesen Fällen der Rechtsschutz durch eine vorbeugende Unterlassungsklage zu ergänzen sei. Abgesehen davon bedürfte diese recht pauschale Annahme einer näheren kriminologischen Untersuchung, bei der unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte – insbesondere auch der möglicherweise „empfindlicheren“ Sanktionen des Strafrechts – darzulegen wäre, inwiefern der „persönlichen“ 59
Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 258. Vgl. ebd. S. 204: „Die Androhung von Ordnungsstrafen durch Gerichte . . . verfolgt in gewissen Maße den gleichen Zweck wie die Vorschriften des Strafrechts und die anderen gesetzlichen Strafdrohungen.“ 61 So Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 101. 62 Ebd. S. 101. 60
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Strafandrohung durch den Richter eine höhere Präventionswirkung zukommt. Nicht tragfähig ist auch die Überlegung, dass die „Unzulänglichkeit der Strafdrohungen“ überall dort deutlich werde, „wo jemand auf Grund einer strafbaren Rechtsverletzung die Unterlassungsklage erheben möchte“.63 Hieraus lässt sich nur auf ein subjektiv empfundenes Bedürfnis nach zivilrechtlichem Schutz schließen, nicht aber auf ein infolge einer Bewertung nach den objektiven Maßstäben der Rechtsordnung als berechtigt anerkanntes Rechtsschutzbedürfnis. f) Die fehlende Tragfähigkeit des Analogieschlusses zu den gesetzlich geregelten Fällen von Unterlassungsklagen Auch der Analogieschluss zu den im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Unterlassungsklagen ist nicht geeignet, die allgemeine Möglichkeit einer Unterlassungsklage bei dem Vorliegen einer im Interesse eines Einzelnen bestehenden Unterlassungspflicht zu begründen. Entgegen Eltzbacher gibt es eine Gemeinsamkeit der im BGB geregelten Unterlassungsklagen, die diese Fälle von einem Teil der anderen individualschützenden Unterlassungspflichten unterscheidet.64 Den gesetzlich geregelten Fällen ist gemein, dass die Geltung der Unterlassungspflicht in das Belieben des Geschützten gestellt ist. Zwar kann der Berechtigte in den Fällen, wo der Verstoß gegen die Unterlassungspflicht strafbar ist, nicht in allen Fällen darauf verzichten, dass gegen denjenigen, der sich bereits eines solchen Verstoßes schuldig gemacht hat, die gesetzlich vorgesehene Sanktion verhängt wird. Aber der Berechtigte ist stets in der Lage, durch eine vorherige Einwilligung auf den Normenschutz zu verzichten und der Handlung somit die Eigenschaft der Rechtsverletzung zu nehmen, sie also zu erlauben. Bei dem durch strafrechtliche und öffentlich-rechtliche Normen bewirkten Individualschutz ist der Wille der Geschützten in vielen Fällen unbeachtlich, so z. B. bei den von Eltzbacher angeführten Beispielen der Verbote der Tierquälerei, der öffentlichen unzüchtigen Handlung und der öffentlichen Gotteslästerung.65 Dass sich Eltzbachers Annahme der Einklagbarkeit jeder individualschützenden Rechtspflicht nicht aus dem Begriff des subjektiven Privatrechts herleiten lässt, wird offensichtlich, wo Eltzbacher sich gegen die Annahme Thons, dass ein subjektives Privatrecht nur dort anzunehmen sei, wo dem Berechtigten ein Rechtsbehelf zur Beseitigung der Rechtsverletzung zustehe, mit der Erwägung wendet, dass man nicht annehmen könne, „dass, je nachdem eine wechselnde Gesetzgebung die Verfolgbarkeit einer Verletzung einführt oder abschafft, bald 63
So Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 101. Siehe dagegen Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 97: „Die Fälle . . . haben nichts miteinander gemeinsam, was sie von anderen Fällen unterschiede.“ 65 Vgl. ebd. S. 118, 126, passim; zweifelhaft ist darüber hinaus allerdings, ob diese Verbote überhaupt Individualschutz bezwecken. 64
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ein Recht auf Unterlassung vorhanden wäre, bald wieder nicht“.66 Hier erkennt Eltzbacher mittelbar die Befugnis des Gesetzgebers zur Regelung der Frage an, welche Mittel zur Beseitigung von Rechtsverletzungen zur Verfügung stehen. Auch bei der Ermittlung der Unterlassungspflichten hält sich Eltzbacher eng an das Gesetz: Solche will er nur dann annehmen, wenn eine entsprechende Gesetzesnorm existiert.67 Ob eine drittschützende Norm ein subjektives Privatrecht begründet, scheint im Gegensatz dazu jedoch nach Eltzbachers Kernthese der Entscheidung des Gesetzgebers entzogen zu sein. Dies führt aber letztlich doch dazu, dass der Gesetzgeber, der eine individualschützende Verbotsnorm erlässt, nicht mehr darüber entscheiden kann, ob diese auch auf dem Zivilprozessweg oder nur durch Behörden oder mittels strafrechtlicher Sanktionen durchgesetzt wird. Zumindest wäre der Gesetzgeber bei jeder individualschützenden Norm, selbst wenn diese Teil eines öffentlich-rechtlichen Gesetzes ist, genötigt, ausdrücklich festzulegen, dass eine Durchsetzung im Wege der quasinegatorischen Unterlassungsklage nicht möglich ist. Die Rechtswissenschaft ist in ihrer Begriffsbildung zwar frei von den Vorgaben des Gesetzgebers, sie darf jedoch nicht den Fehler begehen, aus diesen unabhängig von der gesetzlichen Regelung gebildeten Begriffen Rechtsfolgen abzuleiten. Das Prinzip der zivilrechtlichen Einklagbarkeit aller individualschützenden Rechtspflichten versucht Eltzbacher zwar durchaus anhand des Gesetzes im Wege der Analogie zu begründen.68 Bei der Weite des Analogieschlusses beschränkt sich jedoch die Gemeinsamkeit der Interessenlagen darauf, dass eine individualschützende Rechtspflicht vorliegt, was in der Abstraktheit des Begriffs des subjektiven Rechts seinen Ausdruck findet. Ein Rechtsgrundsatz, dass jede Unterlassungsverpflichtung, die einem Einzelnen im Interesse eines anderen auferlegt wurde, im Wege der zivilrechtlichen Unterlassungsklage geltend gemacht werden kann, ist gesetzlich nicht normiert. Daraus, dass der Gesetzgeber zur Durchsetzung einiger solche Unterlassungspflichten dieses Mittel eingeräumt hat, zu schließen, dass es bei allen Unterlassungspflichten zur Verfügung steht, ist eine Unterstellung, die insbesondere dort, wo der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Aufstellung der Pflicht auch die Mittel zu ihrer Durchsetzung festgelegt hat, dessen Freiheit zur Normierung der für diesen Fall statthaften 66 Vgl. Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 108; siehe dazu Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 32: es erscheint „besonders eigenartig, wenn Eltzbacher gegen verschiedene Schriftsteller, die einen engeren Begriff des Rechts verteidigen, ausführt, dass die Verfolgbarkeit im Wege der Klage keineswegs als Charakteristikum eines Rechts anzusehen sei“. 67 Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 126: „Die Rechtssätze sind die Grenzen der Rechte. Von Rechten kann nur insoweit die Rede sein, als sie unmittelbar oder mittelbar in einem Rechtssatz anerkannt sind.“ 68 Ebd. S. 157: „Eine allgemeine Unterlassungsklage können wir nur deshalb annehmen, weil in den Vorschriften unserer Rechtsordnung über einzelne Unterlassungsklagen ein allgemeiner . . . Grundsatz zur Erscheinung kommt.“
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Rechtsschutzmittel beschneidet. Dass der Gesetzgeber in manchen Fällen ein Verhalten strafrechtlich sanktioniert, in anderen gegenüber diesem Verhalten einen privatrechtlichen Unterlassungsanspruch einräumt, in dritten Fällen beide Mechanismen vorsieht, spricht eher für differenzierte Regelungen, als dafür, dass stets auch die Möglichkeit der Unterlassungsklage besteht. Auf Begrifflichkeiten gestützt erscheint auch die Erklärung Eltzbachers dafür, dass der Gesetzgeber die Unterlassungsklage nur in einzelnen Fällen vorgesehen habe: Diesem sei gar nicht bewusst gewesen, dass er durch die Gewährung von Schadensersatzansprüchen im Falle der Verletzung des Lebens, des Körpers usw. Rechte verliehen habe und er habe daher auch nicht „daran gedacht, zum Schutze dieser Rechte Unterlassungsklagen zu gewähren“.69 Dem Gesetzgeber wird wohl kaum entgangen sein, dass er in diesen Fällen anders als z. B. beim Eigentum nur einen Schadensersatzanspruch, nicht aber eine Unterlassungsklage verliehen hat. Dies ist aber das in erster Linie entscheidende. Eine andere Frage ist freilich die, ob man, wenn der Gesetzgeber sich an der Gewährung von Unterlassungsansprüchen in diesen Fällen nur durch begriffliche Erwägungen (insbesondere die Annahme, dass es Ansprüche nur aufgrund subjektiver Rechte geben könne, bei den aufgeführten Rechtsgütern es sich aber nicht um solche handele) gehindert sah, über diese Erwägung hinweggehen kann. Im Ergebnis stimmt die Lehre Eltzbachers von der allgemeinen Unterlassungsklage mit den Grundsätzen des Reichsgerichts überein, wobei Eltzbacher jedoch noch vehementer als der 6. Senat an dem Erfordernis der bereits eingetretenen Verletzung festhält. Die Trennung der rechtlichen Verhaltensnormen (Recht) von den zur ihrer Durchsetzung vorgesehenen Wegen und Sanktionen (Rechtsschutz) führt zu einem Konzept der Einheit der Rechtsordnung auf der Basis von Rechtspflichten, die grundsätzlich über das Rechtsgebiet hinaus, in dem sie normiert sind, allgemein zu berücksichtigen sind. Auf diese Weise wird versucht, z. B. aus der strafrechtlichen Sanktionierung eines Verhaltens einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch herzuleiten. Das Mittel dazu ist die Abstrahierung der Pflicht aus der Sanktionsnorm und sodann die Transferierung dieser Pflicht aus dem Strafrecht in das Bürgerliche Recht. Schließlich wird in einem letzten Schritt nunmehr aus dem Vorhandensein der zivilrechtlichen Pflicht auf die Möglichkeit der zivilprozessualen Rechtsschutzmittel geschlossen und dabei verdeckt, dass ein Rechtssatz, nach dem die strafrechtliche Sanktionierung zugleich die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage begründet, nicht existiert. Wenn man richtigerweise echte Rechtspflichten nur bei entsprechender Durchsetzungsmöglichkeit annimmt und dementsprechend im Begriff des Anspruchs die Möglichkeit der Durchsetzung der Pflicht im Zivilrechtswege eingeschlossen begreift, so darf diese Übertragung der Pflicht nicht ohne besondere Begründung erfolgen. Wenn man hingegen wie Eltz69
Ebd. S. 102 f.
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bacher von der Trennung von Recht und Rechtsschutz ausgeht und die Möglichkeit des Rechtsschutzes nicht als Voraussetzung der Rechtspflicht anerkennt, so darf man jedenfalls auf die in das Zivilrecht transferierte Pflicht nicht ohne weitere Begründung den Grundsatz der Einklagbarkeit zivilrechtlicher Pflichten anwenden. 2. Die Lehre Lehmanns a) Lehmanns Definition des subjektiven Rechts Auch Heinrich Lehmann bestimmt das Anwendungsgebiet der quasinegatorischen Unterlassungsklage mit Hilfe des Begriffes des subjektiven Rechts. Dabei setzt er jedoch Eltzbachers Begriff eine weitaus engere Definition des subjektiven Privatrechts entgegen. Er geht davon aus, dass man aufgrund des fehlenden Gemeininteresses an der Einhaltung der objektiven Normen des Privatrechts die durch diese begründeten, private Interessen schützenden Rechtsstellungen danach unterscheiden müsse, ob der Begünstigte selbst in der Lage sei, den Schutz im Wege der Klage geltend zu machen.70 Als subjektives Recht, „als den Willen . . . des Berechtigten“ könne man den „in einer Norm geäußerten Gemeinwillen“ nur in den Fällen bezeichnen, wo die Individualität „des einzelnen Wollenden“ berücksichtigt wird. Dies geschehe beim Eigentum dadurch, dass der Eigentümer die Eigentumsansprüche nach Belieben geltend machen könne. Wo der Schutz des Gesetzes hingegen von den tatsächlichen Interessen des Einzelnen abstrahiere und den Schutz danach ausrichte, „was nach der allgemeinen Anlage des menschlichen Denkens und Fühlens jeder wollen muss“, sei eine solche Bezeichnung unberechtigt.71 Es ist Lehmann darin zuzustimmen, dass eine strukturelle Unterscheidung zwischen den verschiedenen Mitteln des Individualschutzes durch die Rechtsordnung danach vorzunehmen ist, ob dem Berechtigten ein Bereich eingeräumt wird, indem er seine tatsächlich individuell empfundenen Interessen verfolgen kann, oder ob die Rechtsordnung selbst die Interessen des Einzelnen vorgibt und schützt, ohne dass der Berechtigte Einfluss nehmen kann. Nicht ausreichend ist allerdings, dass Lehmann die im Falle der subjektiven Rechte Platz greifende Subjektivierung der Normen auf die prozessuale Ebene beschränkt, anstatt sie auf die materiellrechtliche Ebene zu übertragen: Nur im Falle von Gestaltungsrechten habe der Berechtigte Einfluss auf die Geltung der Norm, die Störungsverbote des Eigentums seien in ihrem Bestehen hingegen von seinem Willen unabhängig. Dem subjektiven Willen des Eigentümers werde nur dadurch Rechnung getragen, dass die Geltendmachung der Störungsverbote seiner Willkür 70 71
Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 65 f. Ebd. S. 68.
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überlassen werde.72 Die Unrichtigkeit dieser rechtstheoretischen Konzeption liegt auf der Hand: Die Vorstellung, dass die vom Eigentümer eingeladenen Gäste sich in Widerspruch zu den Normen der Rechtsordnung verhalten würden, wenn sie das Grundstück des Gastgebers betreten, und dieser nur darauf verzichte, die Normwidrigkeit geltend zu machen, kann nicht überzeugen. Vielmehr besteht, solange der Eigentümer mit dem Aufenthalt der Gäste einverstanden ist, für diese überhaupt keine Pflicht, dass Grundstück nicht zu betreten. b) Die Unterscheidung zwischen subjektivem Recht und sonstigen rechtlich geschützten Interessen Die These, dass innerhalb des durch Rechtsnormen bewirkten Individualschutzes zwischen subjektiven Rechten und in sonstiger Weise rechtlich geschützten Interessen zu unterscheiden sei, sieht Lehmann in dem Gegensatz zwischen dem sonstigen Recht in § 823 Abs. 1 BGB und dem Schutzgesetz in § 823 Abs. 2 BGB bestätigt.73 Der Unterschied zwischen den durch Abs. 1 geschützten Rechten und den durch Abs. 2 geschützten sonstigen Interessen sei im Sinne einer „Antithese“ gerade darin zu suchen, „ob der Begünstigte die primären Rechtsbehelfe selbst geltend machen darf oder nicht“.74 Wenn die Beachtung jeder Rechtsnorm, deren Verletzung nach § 823 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichte, vom Berechtigten selbst durchgesetzt werden könne, wie es der Auffassung Eltzbachers entspricht, so würde es sich bei den so geschützten Interessen bereits um subjektive Rechte im Sinne des Abs. 1 handeln, so dass Abs. 2 überflüssig wäre.75 Dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff des sonstigen Rechts in § 823 Abs. 1 BGB gerade in diesem, von Lehmann behaupteten „technischen“ Sinne benutzt hat, lassen sich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine Anhaltspunkte entnehmen.76 Von einer Antithese ließe sich zudem nur dann sprechen, wenn nachzuweisen wäre, dass eine überschneidungsfreie Abgrenzung der Anwendungsgebiete der beiden Absätze erfolgen sollte. Dies lässt sich allein daraus, dass § 823 Abs. 2 BGB von der gleichen Verpflichtung spricht, noch nicht schließen. Gegen einen antithetischen Aufbau der beiden Absätze spricht zudem, dass für die neben dem Eigentum und den sonstigen Rechten aufgezählten Rechtsgüter des Lebens, des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit gerade 72
Ebd. S. 68. Ebd. S. 68 f., 125. 74 Ebd. S. 125. 75 Ebd. S. 69. 76 Gegen ein technisches Verständnis des Begriffs des „sonstigen Rechts“ in § 823 Abs. 1 BGB ferner Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht (1915), S. 109 ff.; Reinhardt, Karlsruher Forum 1961, S. 3 (4); Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 469. 73
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keine Möglichkeit der Geltendmachung der „primären Normen“ ausdrücklich vorgesehen ist. Lehmann hingegen hält die Gewährung einer Unterlassungsklage zugunsten dieser Rechtsgüter gerade deshalb für gerechtfertigt, weil sie in § 823 Abs. 1 BGB neben den sonstigen Rechten stehen, und berücksichtigt dabei nicht, dass diese Positionierung gerade seine These des Verhältnisses der beiden Absätze des § 823 BGB in Frage stellt. Vollends in Frage stellt Lehmann das eigene Konzept, wenn er an anderer Stelle annimmt, dass zugunsten der in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter Unterlassungsansprüche gewährt werden könnten, ohne dass diese dadurch zu subjektiven Rechten würden.77 Wenn hiernach der primäre Klagschutz für individualschützende Verbotsnormen zur Annahme eines subjektiven Rechts nicht ausreicht, sondern dieses noch durch weitere Merkmale gekennzeichnet wird, so lässt sich Lehmanns Argumentation mit dem Gegensatz zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 823 BGB nicht aufrechterhalten: Denn dann würde durch die Einräumung einer Unterlassungsklage nicht jedes durch ein Schutzgesetz geschütztes Interesse zum subjektiven Recht und § 823 Abs. 2 BGB könnte folglich auch nicht überflüssig sein. Von seinem Begriff des subjektiven Rechts ausgehend, zieht Lehmann die Schlussfolgerung, dass nicht jeder durch die Aufstellung von Verbotsnormen begründeten günstigen Rechtsstellung per se die Verfolgbarkeit im Wege der Leistungsklage zukomme, sondern dass diese Eigenschaft „besonders verliehen“ werden müsse und subjektive Rechte somit einer ausdrücklichen Verleihung bedürften. Ebenso wie man eine Schadensersatzpflicht nicht „ohne jeden Anhaltspunkt im positiven Recht“ annehmen könne, müsse sich auch „die Gewährung eines bestimmten Rechtsschutzes . . . stets im positiven Recht nachweisen lassen“.78 Während die Einklagbarkeit der relativen Pflichten durch § 241 BGB allgemein eingeräumt wurde, habe der Gesetzgeber die Befugnis zur Einklagbarkeit der absoluten Rechtsnormen stets ausdrücklich und nur von Fall zu Fall eingeräumt.79 Dies gelte nicht nur für das Bürgerliche Recht,80 sondern auch für das Wettbewerbsgesetz, wo die Unterlassungsklage „an bestimmte, konkret gestaltete, einzelne Tatbestände angeknüpft ist“.81 Daher seien Unterlassungsansprüche nur dann anzunehmen, wenn das Gesetz diese ausdrücklich vorsieht oder aber eine Rechtsstellung unmissverständlich als subjektives Ausschlussrecht qualifiziert.82
77 78 79 80 81 82
Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 128 f. Ebd. S. 225 f. Ebd. S. 119 ff. Ebd. S. 122. Ebd. S. 124 f. Ebd. S. 126.
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c) Lehmanns Ansatz zur Ausweitung des Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes Obwohl Lehmann davon ausgeht, dass der Gesetzgeber außerhalb von Schuldverhältnissen gewissermaßen einen numerus clausus der klagbaren Ansprüche aufgestellt habe, hält er doch eine Ausweitung des Anwendungsgebiets der Unterlassungsklage im weitestem Umfange83 für möglich. Maßgeblich ist dabei die Überlegung, dass zur Zeit der Gesetzesentstehung die Rechtsentwicklung im Gebiet des Persönlichkeitsschutzes noch im Fluss gewesen sei und ein subjektives Recht insofern noch nicht anerkannt gewesen sei. Wenn aber das Gesetz in allen Fällen, „in denen das Bedürfnis nach einem besonderen Schutz der Individualinteressen sich bereits einer allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte“, Unterlassungsansprüche gewährt, sei davon auszugehen, dass auch in diesen Fällen solche Ansprüche normiert worden wären, sofern das Interesse an einem solchen Schutz damals schon anerkannt gewesen sei. Daher sei eine Analogie zu den gesetzlich geregelten Fällen der Unterlassungsklage überall dort zulässig, wo „ein offenbares praktisches Bedürfnis“ vorhanden sei und sich nur der „leiseste [. . .] Anhaltspunkt“ im Gesetz finden lasse.84 Im letzter Konsequenz gibt Lehmann damit jedoch seinen zurückhaltenden Standpunkt auf und nähert sich im praktischen Ergebnis der Theorie Eltzbachers an. Die „allgemeine Anerkennung“85 eines Bedürfnisses nach dem Rechtsschutz der Unterlassungsklage ist gerade kein sachliches Kriterium, das es erlauben würde, die Fälle, in denen dieses Rechtsschutzmittel zur Durchsetzung individualschützender Normen zur Verfügung steht, von denen zu unterscheiden, in denen es versagt wird. Es vermag demjenigen, der sich die Frage nach der Anerkennung eines solchen Bedürfnisses stellt, keine Antwort zu geben. Der Satz, dass ein Unterlassungsanspruch immer dann analog zu gewähren sei, wenn der durch ein drittschützendes Verbot Begünstigte ein „offenbares praktisches Bedürfnis“86 an einem solchen Rechtsschutz habe, führt, sobald man anfängt, ein solches Bedürfnis bei allen drittschützenden Verboten zu entdecken, im Ergebnis zu Eltzbachers Prinzip, dass eine Unterlassungsklage zur Durchsetzung aller drittschützenden Normen gegeben sei, das Lehmann vom prinzipiellen Standpunkt aus als ein mögliches aber nicht das unseres Privatrechts ansieht.87 Von Lehmanns Standpunkt aus erscheint es auch inkonsequent, eine Unterlassungsklage zum Schutz der persönlichen Ehre zuzulassen. Würde der Begriff 83 Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 126 f.: „Es ist kaum anzunehmen, daß . . . viele Individualinteressen übrig bleiben, bei denen das Bedürfnis nach unmittelbarem Klagschutz nicht zu befriedigen wäre.“ 84 Ebd. S. 126 f. 85 Ebd. S. 126 f. 86 Ebd. S. 126 f. 87 Ebd. S. 226.
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des subjektiven Rechts in § 823 Abs. 1 BGB in dem von Lehmann behaupteten technischen Sinne zu verstehen sein, und verhielten sich die beiden Absätze des § 823 BGB in der von ihm angenommenen Weise, so müsste die Streichung des Rechtsguts der Ehre aus § 823 Abs. 1 BGB als zweifelsfreies Anzeichen dafür angesehen werden, dass nach Willen des Gesetzgebers eine Unterlassungsklage hier gerade ausgeschlossen sein sollte.88 d) Voraussetzen einer nur formalen Willensmacht Das zentrale Problem der Lehre Lehmanns besteht darin, dass die Willensmacht, die nach seiner Auffassung die wesentliche Voraussetzung des subjektiven Rechts ist, eine rein formale ist: Zwar geht er davon aus, dass sich „vollkommene subjektive Rechte“ dadurch auszeichnen, dass „das Wollen des einzelnen maßgebend ist für die Geltung der Normen des objektiven Rechts“.89 Obwohl er jedoch unrichtigerweise annimmt, dass bei den absoluten Rechten die Norm „ohne Rücksicht auf den Willen des einzelnen“ gilt, sieht er diese dennoch als subjektive Rechte an, weil der Berechtigte die Mechanismen zur Durchsetzung der Norm nach seinem Belieben in Anspruch nehmen könne.90 Wenn Lehmann sodann annimmt, dass ein subjektives, in Bezug auf diese Eigenschaft mit den absoluten Rechten vergleichbares Recht schon dadurch geschaffen wird, dass dem Berechtigten eine Durchsetzungsmöglichkeit eingeräumt wird, von der dieser nach Belieben Gebrauch machen kann,91 so übersieht er jedoch einen entscheidenden Strukturunterschied. Inwieweit hierdurch „dem subjektiven Willen des Berechtigten Spielraum [ge]lassen“ oder dieser ignoriert wird,92 hängt entscheidend davon ab, ob die Rechtsordnung daneben noch andere, vom Willen des Berechtigten unabhängige Wege zur Durchsetzung der Verhaltensnorm vorsieht. Dies ist bei den absoluten Rechten nicht der Fall, so dass hier in der Tat der Wille des Berechtigten maßgebend ist, man aber deshalb auch entgegen Lehmann annehmen muss, dass die Geltung der Norm von diesem Willen abhängig ist. Anders ist dies jedoch dann, wenn die Norm unabhängig von dem Willen des Geschützten z. B. durch verwaltungsbehördliche Maßnahmen oder strafrechtliche Sanktionen durchgesetzt werden kann. Rein tatsächlich wird die Stellung des Geschützten sicherlich dadurch verbessert, dass er die Möglichkeit hat, die Beachtung der Norm durch zivilprozessuale Klage zu erzwingen, ohne dabei 88 Anders hingegen ebd. S. 130: „Ebensowenig spielt der Umstand eine entscheidende Rolle, daß die Ehre in der ersten Fassung des § 823 Abs. 1 . . . erwähnt war, später aber wieder gestrichen wurde.“ 89 Ebd. S. 68. 90 Ebd. S. 68. 91 Ebd. S. 68 ff., 125. 92 Ebd. S. 68.
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auf die Entscheidungen der Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden angewiesen zu sein. Die Inanspruchnahme dieser Durchsetzungsmöglichkeit ist auch zweifelsohne in das völlige Belieben des Berechtigten gestellt. Dennoch lässt sich nicht von einem Willensspielraum des Berechtigten sprechen, wenn die Norm in dem Fall, wo der Berechtigte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, dennoch durch dazu berufene staatliche Stellen durchgesetzt werden kann und zumeist aufgrund des Legalitätsprinzips auch durchgesetzt werden muss. Deshalb wird in diesen Fällen durch die Gewährung einer Unterlassungsklage auch kein subjektives Recht geschaffen, das, was den Grad der Maßgeblichkeit des individuellen Willens betrifft, auf einer Stufe mit dem Eigentum, dem Namensrecht oder den Forderungen stünde. Daher stellt sich die Frage des quasinegatorischen Rechtsschutzes in diesem Bereich in einer anderen Weise: Während bei den subjektiven Rechten im eigentlichen Sinne die dem Berechtigten freigestellte Möglichkeit der Unterlassungsklage die natürliche Entsprechung der Maßgeblichkeit des Willens des Berechtigten für die Geltung der Norm ist, geht es hier in der Sache darum, ob anzunehmen ist, dass dem Berechtigten die zusätzliche Möglichkeit zur Durchsetzung einer Verhaltenspflicht eingeräumt wird, deren Geltung von seinem Willen unabhängig ist und für deren Durchsetzung auch entgegen seinem Willen andere Wege von der Rechtsordnung ausdrücklich vorgesehen sind. Besonders zu berücksichtigen dürfte hier sein, dass die zur Durchsetzung berufenen staatlichen Stellen aufgrund des Legalitätsprinzips auch zur Durchsetzung verpflichtet sind. e) Die Bedeutung von § 823 Abs. 2 BGB Entgegen der Annahme Lehmanns93 könnte für die Frage, ob dem Berechtigten in diesen Fällen eine Unterlassungsklage einzuräumen ist, der Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB eine entscheidende Rolle zukommen. Aufgrund von § 823 Abs. 2 BGB steht dem Berechtigten bereits die Möglichkeit zu, selbst eine Konsequenz des pflichtwidrigen Verhaltens geltend zu machen. Wenn man insbesondere berücksichtigt, dass nach dem Gesetz die primäre Art des Schadensausgleichs in der Naturalrestitution besteht und daher durch die Schadensersatzpflicht das Integritätsinteresse und nicht nur das Wertinteresse geschützt wird, so erscheint bereits der Schadensersatzanspruch als ein Mittel, die Einhaltung der Norm mittelbar zu erzwingen. Es fragt sich insbesondere, ob sich ein Sinn darin erkennen lässt, dass der Berechtigte eventuell fortlaufend 93 Vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 228 im Anschluss an Oertmann, DJZ 1904, 620: Es lasse sich kein Grund angeben, warum „gerade die in § 823 Abs. 2 BGB angesprochene Rechtsfolge der Ersatzpflicht anders wirken soll“ als „die Sanktionen der Rechtsverbote, die in den außerhalb des BGB bestehenden Schutzgesetzen ausgesprochen sind.“
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berechtigt ist, die Wiederherstellung des Zustandes zu verlangen, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, aber nicht die Unterlassung der Pflichtverletzung selbst zu verlangen. Bereits durch den Schadensersatzanspruch des § 823 Abs. 2 BGB wird der Berechtigte in eine Position versetzt, die „über das bloße Sichgefallenlassen der günstigen Mitwirkungen der Rechtsnormen“94 hinausgeht. Insofern besteht auch ein Unterschied zur Stellung des durch eine erbrechtliche Auflage bzw. einen unechten Vertrag zugunsten Dritter Begünstigten, die Lehmann als Beispiele dafür anführt, dass nicht jede drittschützende Norm durch den Begünstigten eingeklagt werden kann.95 Während die Verletzung der primären Norm im Fall des § 823 Abs. 2 BGB zu einem eigenen Schadensersatzanspruch des Begünstigten führt, ist das weder bei dem unechten Vertrag zugunsten Dritter noch bei der erbrechtlichen Auflage der Fall. Die Nichterfüllung der Primärverpflichtung bei dem unechten Vertrag zugunsten Dritter führt gegebenenfalls zu einem Anspruch des Versprechensempfängers auf Leistung von Schadensersatz an den Begünstigten. Die Unmöglichkeit der Vollziehung einer Auflage führt bei einem Verschulden des Beschwerten nach § 2196 BGB ebenfalls nicht zu einem Schadensersatzanspruch des Begünstigten, sondern nur unter den dort angegebenen Voraussetzungen zu einem Bereicherungsanspruch desjenigen, „welchem der Wegfall des zunächst Beschwerten zustatten kommen würde.“ f) Die fehlende Eignung des Ansatzes Lehmanns zur Begrenzung des Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes Lehmann hat zwar überzeugend nachgewiesen, dass sich die These Eltzbachers, dass jede im Interesse eines anderen aufgestellte Unterlassungspflicht von diesem im Wege der Unterlassungsklage geltend gemacht werden kann, anhand des geltenden Rechts nicht belegen lässt. Aus dem von ihm aufgestellten Begriff des subjektiven Rechts lassen sich jedoch nur in beschränktem Maße Schlussfolgerungen für den quasinegatorischen Rechtsschutz ziehen. Dessen Bedeutung für die Frage der analogen Gewährung von Unterlassungsklagen besteht darin, aufzuzeigen, dass das Gesetz den durch die Auferlegung von Pflichten bezweckten Individualschutz in verschiedener Weise ausgestalten kann und dabei auch einen Interessenschutz beabsichtigen kann, auf dessen Durchsetzung derjenige, dessen Schutz bezweckt wird, keinen Einfluss hat und dem daher auch kein Unterlassungsanspruch zustehen soll. Lehmanns Begriff des subjektiven Rechts ist jedoch nicht geeignet, aufzuzeigen, in welchen Fällen ein Unterlassungsanspruch des Geschützten an94 95
Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 70. Vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 68 ff.; s. o. § 7 I. 1. bei Fn. 14.
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zunehmen ist, obwohl ein solcher vom Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Das Vorliegen des Merkmals, das nach Lehmann entscheidend für die Annahme eines subjektiven Rechts ist, steht hier gerade in Frage: die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs. Wenn man die vom Gesetzgeber in Einzelfällen bewusst verliehene Möglichkeit der Unterlassungsklage für entscheidend hält, wäre es eigentlich konsequent, die Fälle, in denen eine solche Klagemöglichkeit im Gesetz nicht vorgesehen ist, als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu akzeptieren und eine Analogie grundsätzlich abzulehnen. Der von Lehmann eingeschlagene Weg einer weitreichenden Analogie zu den gesetzlich geregelten Fällen der Unterlassungsklagen kann hingegen in der Art und Weise der Durchführung des Analogieschlusses nicht überzeugen. Bei einem Vergleich der Interessenlagen auf der Basis von Lehmanns Begriff des subjektiven Rechts verbleibt, da die Einklagbarkeit als Vergleichselement insofern nicht in Betracht kommt, als Kriterium nur noch das Vorhandensein einer Norm, die den Schutz von Individualinteressen bezweckt. Dieses Kriterium hat aber insofern keine Unterscheidungskraft, da es, wenn man die These Eltzbacher ablehnt, sowohl in Fällen, in denen Unterlassungsansprüche bestehen, als auch in solchen, wo dies nicht der Fall ist, vorliegen kann. Auch Lehmanns Hinweis darauf, dass das Gesetz zumindest einen, wenn „auch nur den leisesten Anhaltspunkt“96 für die Gewährung einer Unterlassungsklage bieten müsse, erscheint insoweit wenig hilfreich. Es fragt sich, welcher Natur dieser Anhaltspunkt sein könnte – ein Unterlassungsanspruch ist ja gerade vom Gesetz nicht vorgesehen, die Schadensersatzpflicht im Falle des Verstoßes hält hingegen Lehmann selbst nicht für entscheidend. Vermutlich, weil Lehmann nicht erkennt, dass im Falle der absoluten Rechte die Geltung der Unterlassungspflichten vom Willen des Berechtigen abhängig ist, übersieht er, dass die Frage des Willensspielraums des Berechtigten nicht nur davon abhängt, dass diesem eine individuelle Durchsetzungsmöglichkeit eingeräumt wird, sondern sich entscheidend danach bemisst, ob die Entscheidung des Berechtigten für den Verzicht auf diese Möglichkeit dadurch konterkariert werden kann, dass zuständige Behörden oder auch andere Private ihrerseits zur Durchsetzung der Norm befugt sind. Insofern unterscheidet Lehmann auch nicht zwischen dem Schutz der subjektiven Rechte des Namens, des Eigentums, etc. im Bürgerlichen Gesetzbuch einerseits und dem durch die Unterlassungsklagen des UWG bewirkten Schutzes andererseits97 und gelangt nicht zu der zentralen Frage, ob über das Wirtschaftsrecht hinaus für das Bürgerliche Recht anzunehmen ist, dass eine Unterlassungsklage auch zur Durchsetzung solcher Pflichten zur Verfügung steht, deren Geltung nicht in das Belieben des Berechtigten gestellt ist. Diese Frage stellt sich dann auch vor allem als eine des Verhältnisses 96 97
Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 126 f. Vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 124 f., 126 f.
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des bürgerlichrechtlichen Schutzes zu dem des Strafrechts und des Verwaltungsrechts. 3. Der Ansatz von Enneccerus Von den Herleitungsversuchen Eltzbachers, Hellwigs sowie des Reichsgerichts unterscheidet sich auch die von Enneccerus gegebene Begründung einer allgemeinen Unterlassungsklage im Ergebnis nicht. Enneccerus geht von allgemeinen, an alle anderen gerichteten Störungsverboten aus, die mit der Gewährung eines absoluten Rechts (Ausschlussrecht, Beherrschungsrecht) verbunden sind und leitet aus den einzelnen Bestimmungen über Unterlassungsklagen zum Schutz solcher absoluten Rechte den allgemeinen Grundsatz ab, dass eine Unterlassungsklage bei jedem absoluten Recht unter der Voraussetzung möglich ist, dass bereits ein Verstoß gegen ein solches Störungsverbot erfolgt ist und weitere zu befürchten sind.98 Auch die Vorschriften, die eine Schadensersatzpflicht aufgrund Delikts vorsehen, enthielten implizit das Verbot der zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung.99 Eine Unterlassungsklage sei auch zum Schutz vor solchen unerlaubten Handlungen begründet, sofern bereits eine Verletzung des deliktischen Verbots erfolgt ist und weitere zu befürchten sind. Das den einzelnen Vorschriften über Unterlassungsklagen entnommene Prinzip beschränke „sich nicht auf die Verletzung subjektiver Rechte oder gar der Ausschlussrechte, sondern gehe dahin, dass der drohenden Wiederholung rechtswidriger, andere schädigender Handlungen ein Riegel vorgeschoben werden soll.“100 Die Begründung Enneccerus’ ist insofern bemerkenswert, als sie die Möglichkeit einer Unterlassungsklage zur Durchsetzung der deliktischen Verbote annimmt, ohne dass diesen Verboten ein subjektives Recht zugrunde liegen müsste und ohne dass durch die Gewährung der Unterlassungsklage ein neues subjektives Recht geschaffen wird. Insofern scheint sie den Einwänden Oertmanns und Lehmanns zu entgehen, was jedoch tatsächlich nur zum Teil der Fall ist: Enneccerus selbst definiert das subjektive Recht als „eine Macht, die dem einzelnen durch die Rechtsordnung verliehen ist, seinem Zwecke nach ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Interessen“.101 Dabei betont er, dass zur Annahme eines subjektiven „Rechts im technisch-juristischen Sinne“ die Existenz individualschützender Normen allein nicht ausreichend sei, sondern darüber hinaus „die Erlaubnis oder Befugnis, irgendwie seinen Willen zu betätigen“ erforderlich sei: „Wer ,durch Normen geschützt‘ ist, ist damit noch nicht ,berechEnneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 210 (1927), § 465 I 1, S. 709. Ebd. § 465 I 2, S. 710. 100 Ebd. § 465 I 2, S. 710. 101 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 65, S. 153. 98 99
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tigt‘.“102 Aber auch die Befugnis zur Willensbetätigung reiche zur Annahme eines subjektiven Rechts noch nicht aus, sondern entscheidend sei, ob die entsprechende Rechtsmacht auch von Vorschriften des positiven Rechts als subjektives Recht angesehen würde, ob mithin „Vorschriften . . . Anwendung finden, die für subjektive Rechte, nicht aber außerhalb des subjektiven Rechtsbegriffs gelten“.103 Gegenüber Eltzbachers Definition des subjektiven Rechts wendet Enneccerus ein, dass sie zur Annahme einer Unzahl subjektiver Rechte auf Unterlassung führen würden, die ansonsten nicht den Regeln über subjektive Rechte unterworfen wären und die auch nicht dem entsprächen, was in anderen Vorschriften als subjektives Recht bezeichnet wird.104 Angesichts der Tatsache, dass auch Enneccerus unter dem Oberbegriff des subjektiven Rechts eine Vielzahl von Berechtigungen (Beherrschungsrechte, Ansprüche, Rechte auf Rechtsänderung bzw. Gestaltungsrechte, u. a.) fasst,105 ist fraglich, wie die Aussage, dass eine Unterlassungsklage auch ohne die Annahme eines subjektiven Rechts möglich sei, zu verstehen ist. Richtig ist, dass die von Eltzbacher angenommenen subjektiven Rechte nicht ohne weiteres als sonstige Rechte im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden können. Durch das Verbot eines bestimmten Verhaltens allein wird kein Schutzbereich in Bezug auf die Person oder ein Rechtsobjekt geschaffen, in den prinzipiell jeder Eingriff durch Dritte verboten ist.106 Dieser Einwand trifft aber weniger Eltzbacher als vielmehr die Kritik an seiner Lehre, die damit argumentierte, dass die von Eltzbacher angenommenen subjektiven Rechte auf Unterlassung als sonstige Rechte von § 823 Abs. 1 BGB geschützt seien: Wenn durch die Gewährung von Unterlassungsansprüchen zum Schutze von rechtlich geschützten Interessen zwar ein Recht auf Unterlassung (eben der Unterlassungsanspruch), aber kein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB geschaffen wird, so fällt der Einwand, dass § 823 Abs. 2 BGB, wenn man Eltzbacher folgen würde, überflüssig wäre, in sich zusammen. Das Recht auf Unterlassung, das Eltzbacher als Grundlage der Unterlassungsklage annahm, ist aber nichts anderes als ein Anspruch auf Unterlassung. Einen solchen Anspruch auf Unterlassung nimmt aber auch Enneccerus an,107 der im 102
Ebd. § 65 I. 1., S. 154. Ebd. § 65 I. 2., S. 154. 104 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 210 (1927), § 465, S. 708 Fn. 1. 105 Vgl. Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 66, S. 157 ff.: „Verschiedenen Natur der Rechtsmacht“. 106 Vgl. zur Bedeutung der im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB aufgeführten Rechtsgüter bzw. Rechte innerhalb des Deliktstatbestandes Reinhardt, JZ 1961, 713 ff. 107 Siehe Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 210 (1927), § 465 II., S. 711 f.: „Der Anspruch auf Unterlassung . . .“; aus Fn. 19 ebd. ergibt sich eindeutig, dass Enneccerus auch bei den Unterlassungsklagen zum Schutz von Rechtsgütern einen Anspruch annimmt und nicht wie später Larenz und Esser von einem rein prozessualen 103
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Übrigen die Ansprüche selbst als eine Art der subjektiven Rechte ansieht.108 Die Kritik an der Lehre Eltzbachers ist jedoch unabhängig von dem nicht tragenden Argument aus dem Gegensatz der beiden Absätze des § 823 BGB und grundlegenderer Natur. Ihr Kern liegt darin, dass der Anspruch als subjektives Recht eine Rechtsmacht zur Durchsetzung der Verpflichtung voraussetzt, die nicht schon aufgrund einer Norm angenommen werden kann, die zwar den Schutz eines Einzelnen bezweckt, aber diesem keinen Einfluss auf ihre Durchsetzung gibt. Dies erkennt Enneccerus bei der Erörterung des Wesens der subjektiven Rechte noch selbst, wenn er feststellt, dass „Normschutz (oder Rechtsbegünstigung) und subjektives Recht . . . nicht identisch seien“ und ein Gesetz, dass jedem zugute kommt, noch nicht die Befugnis verleihe, „von anderen die Vornahme der ihnen gebotenen Handlungen zu verlangen“.109 Bei seiner Begründung der Unterlassungsklage110 schließt er jedoch genauso wie Eltzbacher von einer begünstigenden Verbotsnorm – die als Grundlage der Schadensersatzpflicht unabhängig davon ausreicht, ob mit deren Gewährung auch die Befugnis des Begünstigten zu ihrer Geltendmachung verbunden ist – auf ein Recht im Sinne eines Anspruchs auf Unterlassen und sieht sich damit denselben Einwänden ausgesetzt wie Eltzbacher. Im Übrigen ist noch Folgendes zu bemerken: Unabhängig davon, wie man zu der Anerkennung von Persönlichkeitsrechten als sonstigen Rechten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB steht, ist methodisch nichts daran auszusetzen, dass Enneccerus vor allem anhand der Entstehungsgeschichte versucht nachzuweisen,111 dass der Gesetzgeber Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und dementsprechend auch die Ehre und Persönlichkeit als solche nicht als Rechte im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB angesehen hat, obwohl sich zumindest für einige der genannten Güter ein Schutz durch die Rechtsordnung „nach allen Richtungen“ nachweisen lässt.112 Ein Widerspruch ist es jedoch, wenn Enneccerus bei der Untersuchung, ob diese Rechtsmacht auch von Vorschriften des positiven Rechts als subjektives Recht angesehen wird, insbesondere darauf abstellt, dass in diesen Fällen nur eine Schadensersatzklage, aber keine Unterlassungsklage, die er regelmäßig als wohl zwingendes Indiz für das Vorliegen ein subjektiven Rechts ansieht,113 vom Gesetz vorgesehen ist,114 um dann jedoch an anderer Institut ohne zugrundeliegendem Anspruch ausgeht (vgl. o. § 4 III. 1. Fn. 84 und im Text zu Fn. 84 ff.). 108 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 66 I. 2., S. 157 f. 109 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 65 I. 1., S. 154. 110 Vgl. Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 210 (1927) § 465 I. 2., S. 710 f. 111 Vgl. Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 210 (1927) § 450, S. 663 f. 112 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 71 I., S. 168 f. 113 Vgl. u. a. Enneccerus, Lehrbuch Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 71 I. 3., S. 169 (Namensrecht); § 72 II., S. 175 (Immaterialgüterrechte); § 73 I. 1., S. 177 (Besitz als Recht).
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Stelle diese Positionen, die nach seiner Auffassung gerade wegen des Fehlens des Schutzes durch die Unterlassungsklage keine subjektiven Rechte sind, durch die Unterlassungsklage zu schützen.115 Für die Frage, ob der Gesetzgeber diese Güter als Rechte angesehen hat, kommt es zwar, wenn man denn das Vorhandensein einer Unterlassungsklage als untrügliches Kennzeichen eines subjektiven Rechts ansieht, nur darauf an, ob der Gesetzgeber eine solche vorgesehen hat, und nicht darauf, ob eine solche nachträglich in der Praxis oder Theorie anerkannt wurde. Wenn man aber die Unterlassungsklage als das entscheidende Merkmal eines absoluten Rechts ansieht, wird man, wenn man sich nicht vollkommen in das Begriffliche verlieren will, nicht umhinkommen, anzuerkennen, dass man durch die nachträgliche Gewährung von Unterlassungsklagen insoweit auch neue absolute Rechte geschaffen hat. Das eigentliche Problem ist aber folgendes: Zwar hatte der Gesetzgeber, als er die Verletzung des sonstigen Rechts in § 823 Abs. 1 BGB aufnahm, möglicherweise eine tradierte Vorstellung vom absoluten Recht, im Rahmen derer die Möglichkeit, auf Unterlassung zu klagen, zum Wesen dieses Rechts gehört. In der Sache ist es jedoch für die Frage des deliktischen Schutzes durch Schadensersatzansprüche, unabhängig davon, ob dieser in der Form des § 823 Abs. 1 BGB durch Definition von mehr oder weniger umfassenden Schutzbereichen oder der des § 823 Abs. 2 BGB durch Verbot bestimmter Verhaltensweisen gewährleistet wird, gänzlich unerheblich, ob auch eine Unterlassungsklage gegen drohende Verletzungen möglich ist. Im jeden Fall setzt die deliktische Schadensersatzpflicht nur die Verletzung eines entsprechenden Verbots voraus, nicht aber, dass es sich bei dieser Unterlassungspflicht um eine einklagbare handelt. 4. Das „deliktsrechtliche Prinzip“ K. Schmidts Den Grundsatz, dass jede deliktische Schadensersatzpflicht auf der Verletzung einer vom Berechtigten einklagbaren Norm beruhe, sieht Karsten Schmidt als Teil des dem Deliktsrecht zugrundeliegenden Prinzips an: „Schadensersatzansprüche aus schuldhaftem unerlaubten Verhalten ohne die mindestens theo114 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 71 I., S. 169: „Aber wir suchen vergeblich nach einer Rechtsvorschrift, welche diese Macht, sei es durch Anwendung von Grundsätzen über die Entstehung und den Untergang der Rechte, sei es durch Gewährung einer Zivilklage, als subjektives Recht kennzeichnet.“ 115 Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 210 (1927) § 465, S. 710 f.; vgl. auch Enneccerus, Bürgerl. Recht, Bd. 1 Abt. 112 (1928), § 67 1., S. 160 f., wo der Widerspruch besonders deutlich zu Tage tritt. Zunächst schreibt Enneccerus dort: „So ist z. B. jedermann verpflichtet, anderer Ehre, Freiheit, körperliche Integrität unangetastet zu lassen, ohne daß darum ein subjektives Recht auf Ehre, Freiheit, körperliche Unversehrtheit angenommen werden müßte“. Wenige Sätze danach heißt es aber dann: „Ist aber eine Schadensersatzpflicht an ein schuldhaftes Verhalten geknüpft, so ist damit stillschweigend ausgesprochen, daß die Handlung verboten sein solle, und daraus folgt, daß eine Pflicht zur Unterlassung besteht und auf Unterlassung geklagt werden kann.“
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retische Gewährleistung vorgelagerten vorbeugenden Privatrechtsschutzes“ seien „dem geltenden Recht unbekannt“.116 Diese Behauptung muss bereits auf den ersten Blick insofern überraschen, als den Verfassern des BGB gemeinhin eine Vernachlässigung des vorbeugenden Rechtsschutzes nachgesagt wird:117 Einen außervertraglichen Unterlassungsanspruch gewährt das BGB bekanntlich nur in den §§ 12, 862, 1004 BGB und damit gerade nicht gegenüber jedem drohenden deliktischen Handeln. Angesichts dieses positivrechtlichen Befundes erscheint die Annahme K. Schmidts als nichts anderes als eine zu diesem in Widerspruch stehende petitio principii.118 Die Grundlage dieser Annahme bildet das von K. Schmidt angenommene „deliktsrechtliche Prinzip“. Das Prinzip des Deliktsrecht soll in der Verknüpfung der „objektivrechtlichen Pflicht“ mit dem „sekundären subjektiven Recht“, d. h. der Befugnis „zur Durchsetzung und Sanktionierung solcher Pflichten“119 bestehen. Unabhängig davon, ob man K. Schmidt hinsichtlich der Annahme dieses Prinzips, das rechtstheoretisch auf der Trennung von Rechtsnorm und Sanktionsdrohung im Anklang an die Normenlehre Bindings beruht,120 folgen will, kann es den Grundsatz, „dass . . . jedem Anspruch aus unerlaubter Handlung ein Anspruch ,auf Nichtbegehung von Delikten oder doch von objektiv unerlaubten Handlungen‘ vorgelagert ist“,121 nicht tragen. Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch sind jedenfalls zwei Mittel zur Verhinderung bzw. Sanktionierung des Normverstoßes, die unterschieden werden können. Sofern man den Schadensersatzanspruch im Verhältnis zu einer verletzten Verhaltensnorm als „sekundäres subjektives Recht“ begreifen will, so setzt dieser zwar eine solche Verhaltensnorm, nicht aber dasjenige „sekundäre subjektive Recht“ voraus, das zur Durchsetzung dieser Verhaltensnorm im Wege der zivilen Unterlassungsklage befugt. Eine differenzierende Beurteilung der Frage, ob demjenigen, dessen Schutz durch eine objektivrechtliche Norm bezweckt wird, ein Unterlassungs- oder ein Schadensersatzanspruch zusteht, kann zwar in der Tat zum Teil dazu führen, dass „Geschehenes gutzumachen . . . Aufgabe des privaten“, die Verhinderung 116 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 346 f.; vgl. bereits ebd. S. 344 f. gegen Siber, Rechtszwang, S. 100: „Die Vorstellung, daß . . . jedem Anspruch aus unerlaubter Handlung ein Anspruch ,auf Nichtbegehung von Delikten oder doch von objektiv unerlaubten Handlungen‘ vorgelagert ist, ist indessen keine zivilistische Ungeheuerlichkeit“. 117 Vgl. z. B. Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1982), S. 2: „Stiefkind des BGBGesetzgebers“. 118 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 342 weist selbst darauf hin, dass „sich das Institut einer quasinegatorischen Unterlassungsklage auf der Grundlage des BGB erst gegen erheblichen Widerstand“ habe „durchsetzen müssen“. 119 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 314. 120 Vgl. ebd. S. 329. 121 Ebd. S. 344 f.
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von Normverletzungen hingegen allein „Aufgabe des öffentlichen Rechts“ wäre.122 Darin kann jedoch – jedenfalls außerhalb des Rechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen – keine Verzerrung des „System des Rechtszwangs“123 gesehen werden. Wenn man die Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht als eine rein positivrechtliche begreift, in dem Sinne, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden Rechtsgebiete von der Art der Sanktionierung des Normverstoßes abhängig ist,124 so führt eine solche Differenzierung lediglich dazu, dass in dem jeweiligen Bereich „ein Nebeneinander und Miteinander von Verwaltung und Justiz“ nicht in dem selben Maße wie in der Kartellrechtspflege stattfindet.125 Die These hingegen, dass jedem Schadensersatzanspruch aus schuldhaftem unerlaubtem Verhalten vorbeugender Privatrechtsschutz vorgelagert ist, steht im Widerspruch zu der von K. Schmidt selbst zum „Leitgedanken“ seiner Arbeit erhobenen „Besinnung auf positivrechtliche Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers“, der durch „seine Verbote und Sanktionsdrohungen“ die Zuständigkeiten bestimmt:126 Durch Erlass einer öffentlich-rechtlichen Norm hat dieser insoweit grundsätzlich erst einmal nur die Zuständigkeit von Behörden, nicht aber die der Zivilgerichte begründet. Auch K. Schmidts Warnung vor dem „vorschnellen Umgang mit den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung . . ., der . . . allzu leicht den Blick für Differenzierungen zu verstellen droht“, beansprucht hier Geltung. Die Gründe, die dafür sprechen, die Entscheidung des einfachen Gesetzgebers in § 823 Abs. 2 BGB, demjenigen, dessen Schutz durch ein Verbotsgesetz bezweckt wird, zwar einen Schadensersatzanspruch, nicht aber allgemein einen Unterlassungsanspruch zu gewähren, sind wiederholt selbst Gegenstand der Argumentation K. Schmidts: Es ist zum einen die von K. Schmidt im Anschluss an Rupert Scholz als sog. Breitenwirkung bezeichnete Wirkung öffentlich-rechtlicher Normen, die „in der Berührung vielfältiger Interessen oft namenloser Dritter“ besteht,127 und die eine Entscheidung „im Verhältnis zu allen potentiellen Betroffenen“ erforderlich macht, ohne dass „die Möglichkeit und Gefahr ständig neuer und unterschiedlicher richterlicher“ Prüfung besteht.128 Zum anderen ist es die Notwendigkeit des Ausschlusses des Popularrechtsschutzes, die dort Schwierigkeiten bereitet, wo der Einzelne als Teil der Allgemeinheit geschützt 122
Vgl. ebd. S. 338 f. Vgl. ebd. S. 338 f. in Bezug auf die Rechtsprechung des RG zur Subsidiarität der Unterlassungsklage bei Strafbarkeit der zu unterlassenden Handlung: „Eine solche ,Subsidiarität‘ . . . müßte das System des Rechtszwangs im GWB verzerren.“ 124 K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 91 in Anlehnung an Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 133. 125 Vgl. K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 3. 126 Vgl. ebd. S. 71. 127 Vgl. ebd. S. 62 f. 128 Vgl. ebd. S. 158 f. 123
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ist.129 In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, dass erst der Eintritt eines Schadens zur Möglichkeit subjektiven Privatrechtsschutzes führt, dass, mit anderen Worten gesagt, der Geschützte erst als Geschädigter aus dem Kreis der Allgemeinheit individuell hervortritt. In Bezug auf den künftigen Normverstoß kommen als mögliche Inhaber von Unterlassungsansprüchen eine Vielzahl von Personen, die in den personalen Schutzbereich der Norm fallen, in Betracht. Die Suche nach einem Kriterium zur sinnvollen Begrenzung des Kreises der Anspruchsinhaber erscheint bei Normen, die potentiell jeden schützen, wenig erfolgversprechend. Zudem müsste das gewählte Kriterium mangels gesetzlicher Anhaltspunkte notwendig als willkürlich gewählt erscheinen. Aber selbst wenn es gelänge, ein überzeugendes Kriterium zu finden, so verbliebe doch noch ein Kreis von Anspruchsinhabern, im Verhältnis zu denen sich die Frage eines drohenden Normenverstoßes nicht in individuell verschiedener, sondern in gleicher Weise stellt, so dass die Möglichkeit „ständig neuer und unterschiedlicher richterlicher“ Bewertung als nicht sachadäquat erscheint, während hingegen die einheitlich ausgeübte und zudem gesetzlich vorgesehene Durchsetzung der Norm durch eine Behörde vorzugswürdig ist. Anders ist dies für die Frage des Schadensersatzanspruchs zu beurteilen. Hier ist zum einen der Kreis der Anspruchsinhaber durch das Erfordernis einer eingetretenen Einbuße von persönlichen Rechtsgütern von vornherein begrenzt. Zudem stellt sich die Frage des Schadensersatzes für jeden Geschädigten in individuell unterschiedlicher Weise. Entgegen den Annahmen K. Schmidts ist es unter Berücksichtung des Gedankens der Respektierung der Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers durchaus von Bedeutung, dass der Verstoß gegen die Norm, die im Wege der quasinegatorischen Unterlassungsklage durchgesetzt werden soll, bereits mit öffentlicher Strafe bedroht ist. Schon die Bezeichnung als Frage der „Subsidiarität des privatrechtlichen Unterlassungsanspruchs gegenüber öffentlichrechtlichen Korrekturmitteln“130 trifft nicht den Kern der Sache. Es geht nicht darum, ob hinter den gesetzlich vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Zwangsbefugnissen die ebenfalls gesetzlich vorgesehene private Unterlassungsklage zurücktreten muss, sondern darum, ob aus der Tatsache, dass erstere vorgesehen sind, mittelbar über den Schluss auf eine Verbotsnorm auf private Unterlassungsansprüche geschlossen werden kann. Der Auffassung, dass den Bedenken der älteren Rechtsprechung des Reichsgerichts heute vollkommen durch „das Gebot, die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO auf etwa im Einzelfall drohende oder festgesetzte Sanktionen abzustimmen“,131 Rechnung getragen werden kann, ist entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber die Abstimmung möglicherweise bereits selbst vorgenommen hat: nämlich, indem er keinen Unterlassungsanspruch 129 130 131
Vgl. ebd. S. 356 f., 363. Ebd. S. 338 f. Ebd. S. 338 f.
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gewährte und damit auch keine Sanktionen nach § 890 ZPO vorsah, so dass sich die Frage der Konkurrenz zu den Strafen des StGB nicht stelle. In Frage gestellt werden muss auch das Konzept des sekundären subjektiven Rechts. Seine Bedeutung als Mittel zur Durchsetzung der Normen des objektiven Rechts liegt nach K. Schmidt vor allem im rechtstechnischen Bereich. In der Reduzierung auf den rechtstechnischen Bereich soll zugleich die Stärke dieses Begriff liegen, der offen lässt, ob der Gegenstand des Schutzes ein primäres subjektives Recht ist oder es sich um Institutionenschutz handelt. Gerade in dieser Beschränkung könnte jedoch ein Problem des sekundären subjektiven Rechts liegen. Der von K. Schmidt verwendete Begriff des sekundären subjektiven Rechts lässt nämlich offen, wie die Norm, zu deren Durchsetzung es befugt, beschaffen ist: Handelt es sich bei ihr um eine Norm, deren Geltung vom Willen des Inhabers der Durchsetzungsbefugnis unabhängig ist, oder kann dieser über die Normgeltung verfügen? Mehrdeutig erscheint insofern auch der Begriff der „objektivrechtlichen Pflicht“ bzw. des „objektiven Rechts“: Zum einen kann „objektiv“ in dem Sinne zu verstehen sein, dass die Geltung der Norm unabhängig von dem Willen des geschützten Individuums ist. Zum anderen lässt sich „objektivrechtlich“ auch rein rechtstechnisch als Satz des objektiven Rechts verstehen, was auch solche Pflichten miteinbezieht, deren Geltung von dem Willen des Individuums abhängig sind. In Bezug auf die letzteren Pflichten spiegelt sich dies in der Kontroverse wider, ob solche Pflichten als vom Rechtsinhaber innerhalb einer Normsetzungsbefugnis gesetzt zu betrachten sind oder als vom Gesetzgeber statuierte Normen erscheinen, deren Geltung dieser als durch den Willen des Rechtsinhabers bedingt ausgesprochen hat.132 Dass sich auch die Befugnis zur Durchsetzung einer von dem Willen des Rechtsinhabers unabhängigen Rechtspflicht als Anspruch ansehen lässt, wurde bereits oben festgestellt.133 Die Frage bleibt jedoch, ob das Bürgerliche Recht in seiner Struktur nicht durch subjektive Rechte geprägt ist, die der Freiheit des Willens des Einzelnen dadurch vollkommen Rechnung tragen, dass sie die Geltung der ihn schützenden Normen von seinem Willen abhängig machen und die insofern mehr sind als die bloße Verknüpfung von objektiver Pflicht mit einer Durchsetzungsbefugnis. Sodann fragt es sich, ob der Anspruch des Bürgerlichen Rechts – das sekundäre subjektive Recht – nicht als die dem subjektiven Privatrecht adäquate Art der Durchsetzung zu betrachten ist, also in erster Linie als ein Mittel zu Durchsetzung von Pflichten, deren Geltung in das Belieben des Anspruchsinhabers gestellt sind. Dafür könnten insbesondere die Maximen des Zivilprozessrechts sprechen, die mit dieser Struktur korrespondieren, sowie die auf das Verhältnis zwischen Kläger und Beklagtem beschränkte Geltung des Prozessergebnisses. 132 133
Vgl. noch u. § 11 IV. s. bereits § 4 III. 3.
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Hierbei geht es in erster Linie nicht darum, einen unabänderlichen Begriff des Bürgerlichen Rechts zugrunde zu legen, der etwa auch noch aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben den einfachen Gesetzgeber bindet. Es soll auch nicht geleugnet werden, dass der Gesetzgeber wie etwa im UWG von der Möglichkeit, Unterlassungsansprüche zu gewähren und damit die zivilprozessualen Mittel zur Verfügung zu stellen, auch schon zur Durchsetzung von Rechtsnormen, deren Geltung vom Willen des Anspruchsinhabers unabhängig sind, Gebrauch gemacht hat. Entscheidend ist aber im Rahmen des bei den quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen vorzunehmenden Analogieschlusses, ob nach dem positiven Recht davon auszugehen ist, dass private Unterlassungsansprüche auch zur Durchsetzung von Normen, deren Geltung unabhängig von dem Willen des Berechtigten sind und somit kein subjektives Recht begründen, zur Verfügung stehen sollen. Dies muss aber für den Kernbereich des Bürgerlichen Rechts entschieden verneint werden. Im Rahmen der Untersuchung der sog. Rechtsfolgeanordnungen kraft Verfahrens tritt K. Schmidt entschieden einer Vorwegnahme der erst „kraft Verfahrens auszusprechenden Verbote“ durch einen Durchgriff des Zivilrichters auf die Eingriffsermächtigung entgegen. Den Kern des Problems sieht er dabei nicht „beim Eingriff in kartellbehördliche Ermessenspielräume, sondern beim Vorgriff auf eine erst kraft Verfahrens auszusprechende Rechtsfolge“:134 „Die inter omnes rechtssichernde Funktion von Rechtsfolgenanordnungen kraft Verfahrens verdient auch dann respektiert zu werden, wenn die konstitutive Behördenentscheidung keinen Ermessensspielraum lässt“.135 Es fragt sich jedoch, ob dieser Gedanke nicht über die Rechtsfolgenanordnungen kraft Verfahrens hinaus zu beachten ist. Es ist die Frage zu stellen, ob nicht dort, wo die Durchsetzung einer eo ipso geltenden Verbotsnorm nach dem Gesetzeswortlaut allein in die Hände einer Behörde gelegt wird, anzunehmen ist, dass diese Norm mit der Art ihrer spezifischen Durchsetzung in der Weise verknüpft ist, dass kein Dazwischentreten anderer Möglichkeiten möglich ist. Es ist m. a. W. die Frage, ob da, wo eine Verhaltensweise nach dem Gesetzwortlaut zwar nicht nur verbietbar, sondern verboten ist, die Befugnis zur Durchsetzung jedoch allein einer Behörde eingeräumt wurde, dies nicht ebenfalls so zu verstehen ist, dass im Interesse einer einheitlichen Verbotsanwendung inter omnes die Behörde primär über das Eingreifen des Verbots im konkreten Fall zu entscheiden hat, ohne dass dem durch zivilprozessuale Möglichkeiten vorgegriffen werden können soll. Die gerichtliche Geltendmachung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf behördliches Einschreiten führt hingegen nicht zu einem solchen Vorgriff, sondern führt nur zur Verurteilung der Behörde zu einer dann ebenfalls inter omnes geltenden Entscheidung. 134 135
K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 254. Ebd. S. 267.
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Abschnitt 2
Quasinegatorische Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen Im vorhergehenden Abschnitt wurde im Rahmen einer Analyse von Rechtsprechung und Literatur die der Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche zugrundeliegende Prämisse herausgearbeitet: Es ist dies die Annahme, dass jeder deliktischen Schadensersatzverpflichtung eine zivilrechtliche Pflicht zur Unterlassung des zum Schadensersatz verpflichten Verhaltens zugrunde liegt, deren selbständige Einklagbarkeit sich aus einer Analogie zu § 1004 Abs. 2 S. 1 BGB ergibt. Ob diese Annahme auf die Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB zutrifft und somit strafrechtliche und öffentlich-rechtliche Schutzgesetze im Wege quasinegatorischer Unterlassungsklagen durchgesetzt werden können, ist Gegenstand des nun folgenden Abschnitts. Dabei soll zunächst (§ 8) auf das bereits angesprochene, sich vor allem bei Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen stellende Problem der Doppelbestrafung eingegangen werden und in diesem Rahmen insbesondere erörtert werden, ob solche Ansprüche durch Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen werden. Im Anschluss daran (§ 9) ist zu thematisieren, inwieweit eine in Ermangelung einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage rechtsfortbildende Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche durch die Rspr. zulässig ist. In diesem Rahmen wird insbesondere darauf einzugehen sein, ob die Bewilligung eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs mit einem Eingriff in Grundrechte des Anspruchsgegners verbunden ist, dessen Zulässigkeit eine gesetzliche Eingriffsgrundlage voraussetzen würde. Der Frage, ob § 823 Abs. 2 BGB – einer Vorschrift, die der Verletzung strafund öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen im Hinblick auf eine mögliche Schadensersatzverpflichtung eine zivilrechtliche Relevanz beilegt – als Anzeichen für einen zivilrechtlichen Anspruch auf deren Beachtung gewertet werden kann, widmet sich § 10. Der Begriff des subjektiven Rechts hat in der rechtswissenschaftlichen Diskussion über den quasinegatorischen Rechtsschutz eine bedeutende Rolle gespielt. Entsprechende Definitionen des Begriffs dienten dabei je nach Autor als Argument für oder gegen die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche. Eine Auseinandersetzung mit den Lehren zum subjektiven Recht soll daher in § 11 erfolgen, wobei der Begriff des subjektiven Rechts als Instrument dazu dienen soll, die Struktur des Privatrechts und die Frage, ob sich quasinegatorische Unterlassungsansprüche in diese einfügen, zu untersuchen. Insbesondere wird zu erörtern sein, ob quasinegatorische Unterlassungsansprüche zur
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Durchsetzung objektiver – d. h. in ihrer Geltung vom Willen des Begünstigten unabhängigen – Verbotsnormen (sog. Institutionenschutz) mit einem Privatrecht, das dem Schutz subjektiver Rechte dient, zu vereinbaren sind. Die Tatsache schließlich, dass durch die Gewährung quasinegatorischer und damit privatrechtlicher Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung öffentlichrechtlicher Verbotsnormen die zwischen beiden Rechtsgebieten verlaufende Grenze überschritten wird, gibt Anlass dazu, den quasinegatorischen Rechtsschutz in Bezug zu dem Dualismus von öffentlichem Recht und Privatrecht zu setzen (§ 12).
§ 8 Das Problem der Doppelbestrafung
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§ 8 Das Problem der Doppelbestrafung bei Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen I. Problemstellung Der dem Anspruchsinhaber durch die Einräumung eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs gewährte Rechtsschutz beinhaltet die Möglichkeit, dem Verpflichteten richterlich für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft androhen (§ 890 Abs. 2 BGB) und diese gegebenenfalls vollstrecken (§ 890 Abs. 1 S. 2 BGB) zu lassen. Da es sich bei den anderen Rechtsgebieten entstammenden Verbotsgesetzen, deren Durchsetzung quasinegatorische Unterlassungsansprüche nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 2 BGB dienen, in aller Regel nicht um leges imperfectae handelt, tritt in solchen Fällen die Möglichkeit zivilprozessualen Zwangs neben die in dem jeweiligen Rechtsgebiet bereits vorgesehenen Mechanismen des Rechtszwangs. Angesichts der Ähnlichkeit der Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO zu strafrechtlichen Sanktionen und vor dem Hintergrund des Gebotes ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG) stellt sich insbesondere bei Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen die Frage nach der Legitimität der Verhängung zivilprozessualer Sanktionen zusätzlich zur gesetzlich vorgesehenen Kriminalstrafe. Die Verfechter einer quasinegatorischen Unterlassungsklage sahen in dieser eine effiziente Ergänzung des als unzureichend empfundenen strafrechtlichen Individualrechtsgüterschutzes. Dass die öffentliche Strafandrohung unzulänglich sei, zeige bereits die Tatsache, dass noch so viele Delikte begangen würden.1 Die zivilrichterliche Strafandrohung, die dem potentiellen Rechtsbrecher eigens verkündet werde, habe im Vergleich zu dieser eine viel nachhaltigere Wirkung.2 Ihre Höhe orientiere sich allein am Schutzbedürfnis des individuellen Rechtsgutes;3 im Verfahren nach § 890 ZPO könnten zum Teil höhere Geldstrafen als im Strafprozess verhängt werden4 und Haft auch in solchen Fällen, in denen das Strafgesetzbuch (bzw. heute das Ordnungswidrigkeitenrecht) nur Geldstrafen vorsehe.5 Auch könne der Zivilprozess durch die Möglichkeiten des einstweili1 Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 41; Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 36: Bereits erfolgte Beeinträchtigung beweist, dass Schutz nicht ausreicht. 2 Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 112; Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 41; Friedrich, Unterlassungsklage (1931), S. 89. 3 Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 38. 4 Delius, JW 1913, 6 (8); Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 41: unbeschränkte Höhe; Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (260). 5 Vgl. Rosenthal, LeipZ 1912, Sp. 608 (612); Delius, JW 1913, 6 (8); Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 41 f.; Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 38; Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (260).
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gen Rechtsschutzes rasche Hilfe in Fällen leisten, in denen ein Strafprozess regelmäßig zu spät komme, um weitere Rechtsverletzungen zu verhindern.6 Schließlich werde durch die Möglichkeit der Unterlassungsklage der Geschädigte der Notwendigkeit enthoben, zur Verteidigung seiner Rechte eine ihm unliebsame Privatstrafklage erheben zu müssen.7 Diese Argumente sind von nur beschränkter Überzeugungskraft. Es liegt auf der Hand, dass der quasinegatorische Rechtsschutz nicht als Instrument dienen kann, um das im Strafgesetzbuch vorgesehene Höchstmaß der möglichen Strafe für eine bestimmte Rechtsverletzung zu ignorieren oder in der Strafprozessordnung enthaltene Rechtsschutzgarantien zu übergehen. Bereits Neukamp8 hat überzeugend darauf hingewiesen, dass, wenn die Verhängung einer das im StGB vorgesehene Höchstmaß überschreitenden Strafe durch den Strafrichter Rechtsbeugung ist, es dem Zivilrichter kaum gestattet sein könne, eine solche mit der Begründung zu verhängen, die im Strafgesetzbuch vorgesehene Strafe reiche nicht aus. Dies lässt sich verallgemeinern: Die Platzierung der entsprechenden Verbotsnormen im Strafgesetzbuch ist Ausdruck der Entscheidung des Gesetzgebers, dass Verstöße mit den Strafen des StGBs nach den Verfahrensregeln der StPO geahndet werden sollen. Die Auffassung, das die materiellrechtlichen und prozessrechtlichen Regelungen des Strafrechts unzulänglich seien, kann die Schaffung einer weiteren Sanktionsmöglichkeit nach § 890 ZPO ebenso wenig rechtfertigen, wie in praxi festgestellte Vollzugsdefizite im Bereich der Strafrechtspflege. Hinsichtlich letzterer sei darauf hingewiesen, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht nur einem Verfolgungszwang unterliegen (vgl. § 258a StGB), sondern darüber hinaus Geschädigten im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens (§§ 172 ff. StPO) eine Rechtsschutzmöglichkeit gegenüber dem Untätigbleiben der Verfolgungsbehörden offen steht. II. Vermeidung von Doppelbestrafungen durch eine teleologische Reduktion des Anwendungsgebiets des quasinegatorischen Rechtsschutzes (Henckel)? Henckel hat daher vorgeschlagen, das Anwendungsgebiet der quasinegatorischen Unterlassungsklage anhand der Funktionen des vorbeugenden Rechtsschutzes einzuschränken.9 Nach ihm hat der vorbeugende Rechtsschutz zum 6 Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 114; Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 36; Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 37; vgl. a. Teich, JW 1914, 612 (612): Verletzter wäre bis zur Rechtskraft des Strafurteils schutzlos der Fortsetzung der unerlaubten Handlung preisgegeben. 7 Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 114; Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 38. 8 Neukamp, JW 1915, 113 (118 f.). 9 Henckel, AcP 174 (1974), 97 (117 ff.).
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einen die Funktion, die Grenzen der Handlungsfreiheit aufzuzeigen (Warnfunktion),10 und zum anderen diejenige, dem Kläger einen Vollstreckungstitel zu verschaffen, durch dessen Vollstreckung der Beklagte an der beeinträchtigenden Handlung gehindert wird (Vollstreckungsfunktion).11 In Fällen, in denen die Vornahme der zu unterlassenden Handlung bereits mit öffentlicher Strafe bedroht ist, könne nur die Warnfunktion eine Unterlassungsklage rechtfertigen. Daher sei eine Klage auf Unterlassung strafbarer Handlungen, wie es der bisherigen Rechtsprechung entsprochen habe, nur „in typischen Fallgruppen“ zu gewähren, die durch das Erfordernis einer Warnung des Beklagten gekennzeichnet seien, das sich aus der Unklarheit der Rechtslage oder daraus ergebe, dass dieser „hoffe, der Kläger werde die Handlung nicht bemerken oder darauf nicht reagieren“.12 In diesen Fällen eines Nebeneinanders von Ordnungsstrafe nach § 890 ZPO und Kriminalstrafe bleibe allerdings das Problem der Abstimmung beider Strafen, dessen Lösung Henckel jedoch nicht weiterverfolgt.13 Henckel 14 behandelt den vom RG aufgestellten Grundsatz, dass ein Anspruch auf Unterlassung jeder Handlung besteht, die im Falle ihrer Vornahme zu einem Schadensersatzanspruch führen würde, wie eine gesetzliche Norm, die er dann aufgrund der Bedenklichkeit einer „Ergänzung strafrechtlichen Rechtsschutzes durch funktionsähnliche zivilrechtliche Sanktionen“ anhand der Funktionen des vorbeugenden Rechtsschutzes teleologisch reduziert. Ausgangspunkt muss aber sein, dass eine solche gesetzliche Norm nicht besteht. Auf dieser Grundlage ist zu erörtern, was für (ein möglicherweise effektiverer Rechtsschutz) und was gegen (Doppelbelastung des Schuldners, „ne bis in idem“, u. Ä.) einen solchen Grundsatz spricht. In Frage steht dabei aber nicht nur, ob eine zivilrechtliche Unterlassungsklage, wenn die Begründung mit einem vermeintlichen Sanktionsbedürfnis aufgrund der schon gegebenen Strafbarkeit der zu unterlassenden Handlung versagt, durch andere Erwägungen zu rechtfertigen ist, sondern in erster Linie, ob nicht die gesetzliche Strafandrohung des StGB die richterrechtliche Gewährung einer quasinegatorischen Unterlassungsklage mit der daraus resultierenden Möglichkeit von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO dem Grundsatz „ne bis in idem“ entsprechend zwingend ausschließt: Sofern das Ordnungsgeld bzw. die Ordnungshaft als Strafe oder zumindest als strafähnliche Sanktion zu bewerten sind, könnten insbesondere Art. 103 Abs. 3 GG der analogen Gewährung einer quasinegatorischen Unterlassungsklage als absolute Schranke entgegenstehen.
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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
114 f. 115 ff. 119. 120. 117 f.
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Daher kann auch die Annahme Henckels, dass bereits die Warnfunktion allein die Gewährung einer Unterlassungsklage rechtfertigt,15 nicht überzeugen. Henckel beachtet zu wenig, dass die Unterlassungsklage als Leistungsklage auf die Erlangung eines vollstreckbaren Titels ausgerichtet ist. Insbesondere das Bedürfnis nach Rechtsklarheit16 kann allenfalls die Möglichkeit einer Feststellungsklage plausibel begründen, nicht aber die einer Leistungsklage. Schließlich verschafft auch eine nur aufgrund der Warnfunktion gewährte Unterlassungsklage dem Gläubiger – gewissermaßen überschießend – mit dem vollstreckbaren Titel die Möglichkeit zu einer weiteren Sanktionierung des Normverstoßes, was sämtliche Probleme des Nebeneinanders der Sanktionen nach sich zieht. Diese Probleme lassen sich jedoch kaum lösen: Der Gedanke Henckels, dass die Unterlassungsklage in diesen Fällen immer noch eine Warnfunktion erfülle,17 legt auf den ersten Blick zwar den Gedanken nahe, in solchen Fällen auf ein vollstreckbares Leistungsurteil und die Möglichkeit der Sanktionierung nach § 890 ZPO zu verzichten und statt dessen im Urteil nur die Unterlassungsverpflichtung festzustellen. Mit einem solchen nicht vollstreckbaren Feststellungsurteil wäre dem Gläubiger vor allem in Fällen von Rechtsunklarheit jedoch wenig geholfen, da das zivilgerichtliche Urteil für das Strafgericht nicht bindend ist (vgl. § 262 StPO) und daher die effektive Verhinderung des Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht durch Sanktionsandrohung von der vorhergehenden Beurteilung des Zivilgerichts unabhängig ist. Insofern könnte auf eine Vollstreckbarkeit des zivilgerichtlichen Urteils nicht verzichtet werden, was im Ergebnis dann dazu führt, dass sich der Schuldner wegen der Zuwiderhandlung zweimal vor Gericht verantworten muss. Einer solchen doppelten Belastung des Schuldners, die der Grundsatz „ne bis in idem“ eigentlich gerade verhindern soll, lässt sich durch eine gegenseitige Anrechnung der Sanktionen18 allein nicht erreichen. Ein „Freispruch“ im einen Verfahren lässt sich nicht auf die Sanktion im anderen Verfahren anrechnen. Begegnen könnte man dem Problem daher nur durch eine gegenseitige Bindung der Straf- und Zivilgerichte an die 15
Ebd. 117 f., 119. Ebd. 117 f. 17 Ebd. 117 f. 18 Für eine gegenseitige Anrechnung Deutsch, FS Wahl (1973), 339 (344); Theuerkauf, ZZP 77 (1964), 299 (304): Nichts spreche gegen eine Berücksichtigung der bereits verhängten Sanktion; man müsse sich nur vergegenwärtigen, „daß es sich dabei nicht um das Problem konkurrierender Strafgewalt handelt“; für eine Abstimmung der Sanktionen ohne allerdings den Weg dazu aufzuzeigen Henckel, AcP 194 (1974), 97 (120) u. K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 339; – eine gegenseitige Anrechnung von Sanktionen wird auch im Verhältnis zwischen Vertragsstrafe und Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO (vgl. BGH, NJW 1998, 1138 (1139): gegenseitige Anrechnung „sachgerecht“), zwischen Ordnungsmaßnahmen untereinander bei Zuwiderhandlung gegen inhaltlich übereinstimmende Titel aufgrund mehrerer Unterlassungsklagen nach § 13 UWG (vgl. dazu Tetzner, GRUR 1981, 803 ff.) sowie im Verhältnis zwischen Kriminalstrafen und Disziplinarmaßnahmen (vgl. BVerfGE 21, 379 ff.) befürwortet. 16
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vorherigen Urteile der jeweils anderen Fachgerichtsbarkeit. Eine Bindung des Strafrichters an einen „Freispruch“ im Zivilverfahren scheidet aber zumindest in den Fällen aus, in denen durch die strafrechtliche Sanktionierung das über das Individualinteresse hinausgreifende öffentliche Interesse gewahrt wird. Wenn sich daher im Rahmen der Untersuchung herausstellt, dass ein Nebeneinander der beiden Sanktionen verfassungsrechtlich unzulässig ist, so müsste eine der beiden Sanktionsmöglichkeiten grundsätzlich weichen. Entgegen einigen Stellungnahmen in der Literatur19 steht dann aber auch fest, welche der beiden Sanktionen dies wäre: nämlich die gesetzlich nicht vorgesehene Sanktion des § 890 ZPO. Andernfalls würde man unter Heranziehung einer aus der strafrechtlichen Sanktionsnorm ermittelten Verbotsnorm eine Sanktionsmöglichkeit im Wege der Analogie herleiten, die dann die gesetzlich vorgesehene strafrechtliche Sanktion verdrängen würde. III. Die Maßnahmen nach § 890 ZPO – „Strafen“ oder „Beugemaßnahmen“ Ein Teil der Rechtsliteratur hielt das Nebeneinander von Kriminalstrafe und Ordnungsmaßnahmen allerdings von Anfang an für unproblematisch. Nach ihrer Ansicht handelt es sich bei den Zwangsmaßnahmen des § 890 ZPO und den Kriminalstrafen nach Zweck, Grund und Ausgestaltung um völlig unterschiedlich geartete Maßnahmen,20 so dass sich die Konkurrenzfrage erst gar nicht stelle: Die Maßnahmen nach § 890 ZPO seien ein Mittel des Erfüllungszwanges, das der präventiven Durchsetzung der Unterlassungspflicht diene, während die Kriminalstrafe in der Vergangenheit liegende Verstöße repressiv ahnde und „Sühne für ein begangenes Unrecht“21 sei. Ebenso wenig wie sich die Anwendung präventiver polizeilicher Standardmaßnahmen gegen einen Randalierer und dessen nachträgliche Bestrafung wegen Sachbeschädigung gegenseitig ausschließen, so kann der zentrale Gedanke dieser Auffassung zusammenfasst werden, beeinflussen sich Erfüllungszwang nach § 890 ZPO und repressive Bestrafung aufgrund des StGB gegenseitig. Der Widerlegung dieser Auffassung widmet sich der folgende Abschnitt.
19 Vgl. Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 27; Schaper, NJW 1963, 1764 (1766). 20 Vgl. aus der Literatur zum quasinegatorischen Rechtsschutz Delius, JW 1913, 6 (7 f.); Rosenthal, JW 1914, 1059 (1061); Rosenthal, Die Unterlassungsklage (1916), S. 26; Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 113; Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 35; Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 37; vgl. ferner Béranger, Unterlassungsklagen (1922), S. 80 f. 21 Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 35; vgl. ferner Delius, JW 1913, 6 (7 f.); Rosenthal, JW 1914, 1059 (1061); Rosenthal, Unterlassungsklage (1916), S. 26; Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 37.
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Ob die Ordnungsmittel des § 890 ZPO vor allem bzw. ausschließlich Beugecharakter hinsichtlich der zukünftigen Pflichterfüllung22 oder Straf- bzw. repressiven Charakter in Bezug auf die begangene Zuwiderhandlung haben,23 ist Gegenstand der seit dem Jahre 1900 ausgetragenen Kontroverse um deren so genannte Rechtsnatur.24 Herrschend ist die Auffassung, dass die Maßnahmen nach 22 Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 12 f.: Verhängung der Ordnungsmittel verfolgt (allein) den Zweck „der Willensbeugung für die Zukunft“, „begangene Zuwiderhandlungen . . . können . . . nur Anlaß sein“; ders., WRP 1981, 299 (303); ders., FS Verlag Heymann (1965), 427 (447 f., 455 ff.); Schuschke/Walker, Vollstreckung4 (2008), § 890 Rn. 6; Samwer in: Gloy/Loschelder (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts3 (2005), § 89 Rn. 5; Böhm, MDR 1974, 441 (442 ff.); ders., Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 59: „vollstreckungsrechtliche Beugestrafen“, bei denen „nicht auf den strafrechtlichen Sühnegedanken zurückgegriffen werden“ muss; Zieres, NJW 1972, 751 f.; ders., Grundfragen der Zwangsvollstreckung (1970): „reine Beugemaßnahme ohne jeden Straf- oder Sühnezweck, gleich welcher Art“; OLG Köln, JurBüro 1995, 269; GRUR 1986, 688 f.; LAG Hamburg, MDR 1990, 365 f.; OLG Düsseldorf, WRP 1988, 677 (678); JurBüro 1987, 1261 (1263); OLG Hamm, NJW 1980, 1399 f.; MDR 1965, 585; LAG Hamm, MDR 1975, 696 f.; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allg. Teil11 (2003), § 4 Rn. 19: „Erzwingungsgedanke“ steht „im Vordergrund“. 23 Vor der Änderung des § 890 ZPO durch das EGStGB v. 2.3.1974 (vgl. dazu sogleich III. 1. a)) ging die h. M. davon aus, dass es sich bei den Maßnahmen nach § 890 ZPO um echte kriminelle Strafen handeln würde, um Sühne für begangenes Unrecht (vgl. z. B. OLG Frankfurt, ZZP 67 (1954), 70 (71); NJW 1962, 542 (543); NJW 1958, 2021 (2021 f.); OLG München, NJW 1960, 1726 (1727); KG, GRUR 1956, 97 (98); JR 1951, 217; OLG Stuttgart, MDR 1962, 995 (995); OLG Celle, NJW 1959, 1691 (1691); Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht9 (1974), § 38 III 4; Lent/Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht12 (1972), § 47 IV; vgl. bereits RGZ 36, 417 (418): „nicht . . . eine einfache zivilprozessuale Vollstreckungsmaßregel, sondern Verurteilung zu einer wirklichen Strafe als einer Sühne für begangenes Unrecht“). – In der heutigen Rechtsprechung setzt sich die Formulierung durch, dass die Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO „Neben ihrer Funktion als zivilrechtliche Beugemaßnahmen . . . auch einen repressiven, strafähnlichen Sanktionscharakter“ haben (BGHZ 156, 335 (345 f.); weitere Nachweise in Fn. 25). – In der Literatur wird heute zu Recht wieder vermehrt der repressive Charakter der Ordnungsmittel betont, vgl. Stein/Jonas22 /Brehm (2004), § 890 Rn. 3: „repressive Rechtsfolgen für einen vergangenen Rechtsverstoß, mag auch . . . das verhängte Ordnungsmittel zugleich präventiv wirken“; Musielak/Lackmann, ZPO7 (2009), § 890 Rn. 1 und 14: in erster Linie repressiver Charakter; MünchKommZPO2 /Schilken (2001) § 890 Rn. 21: repressiver Charakter steht „eindeutig im Vordergrund“; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht22 (2007), § 27 IV Rn. 31: § 890 I ZPO enthält „strafrechtliche Elemente“, zielt auf Repression; Rosenberg/Gaul/ Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht11 (1997), § 73 III: repressiver Charakter steht „eindeutig im Vordergrund“; Baur/Stürner/Bruns Zwangsvollstreckungsrecht13 (2006), § 40 Rn. 27: keine Kriminalstrafe, „wohl aber repressive Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen den Titel“; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht3 (1987), § 45 II: „festgesetzte Ordnungsmaßnahme“ ist „repressive Rechtsfolge für einen Ordnungsverstoß“; Brehm, NJW 1976, 1730 (1731): Es handelt sich, „im Gegensatz zum Zwangsmittel, um eine repressive Rechtsfolge“; – vgl. auch aus der strafrechtlichen Literatur Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil5 (1996), § 2 III; Maurach/Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Teilb. 18 (1992), § 1 Rn. 13; Jakobs, Strafrecht Allg. Teil2 (1993), S. 61.
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§ 890 ZPO einen Doppelcharakter haben, also sowohl der Beeinflussung des Willens des Schuldners zur künftigen Pflichterfüllung als auch der Sanktionierung der bereits begangenen Zuwiderhandlung dienen.25 1. Keine Strafen im Sinne des StGB Als unabweisbar steht heute jedenfalls fest, dass es sich bei den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO um keine Strafen im Sinne des StGBs handelt26 und daher die Vorschriften des StGB über „Strafen“ auf die Ordnungsmittel des § 890 ZPO nicht mit der Begründung angewendet werden können,27 dass es sich bei diesen Ordnungsmitteln gleichsam um Strafen handelt. Dies hat der Gesetzgeber durch die Änderung des Wortlauts des § 890 ZPO durch das EGStGB v. 2. März 197428 ausdrücklich klargestellt.29 Da nach Art. 5 EGStGB30 24 Vgl. z. B. Reimer, GRUR 1929, 1347 (1349) m.w. N.; Pastor, WRP 1981, 299 (300) mit Nachweisen der älteren Rspr. und Literatur in Fn. 11–20. 25 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht 8 (2008), Rn. 1097; Zöller27 /Stöber (2009), § 890 Rn. 5; Wiezcorek/Schütze/Storz, ZPO3 (1999), § 890 Rn. 6, 52 f.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche9 (2007), Kap. 57 Rn. 24; Mankowski, WRP 1996, 1144 (1146); Mankowski, EwiR 1995, 1143 (1144); H. Köhler, WRP 1993, 666 (672); Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht3 (1987), § 45 II; Körner, WRP 1982, 75 (77); Jestaedt, WRP 1981, 433 (435); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Vollstreckungsverfahren (1975), § 92 II 1; Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (692); Theuerkauf, MDR 1963, 552 (552 f.): „zwei Leitgedanken“; Lüke, JZ 1959, 369 (369); Kuhnt, DR 1941, 2369 (2370); Schäfer, JW 1935, 1346; Wolfhagen, JW 1933, 1898 f.; v. Kleist, JW 1911, 205 (206 f.); BGHZ 156, 335 (345 f.) – Euro-Einführungsrabatt; BGH, NJW 1994, 45 (46) – Vertragsstrafebemessung; OLG Zweibrücken, OLGR 2003, 410 (412); OLG Dresden, OLGR 2003, 452 (455); OLG Jena, OLGR 2001, 304 (305); OLG Stuttgart, OLGR 2001, 248 (250) m.w. N.; OLG Düsseldorf, WM 2002, 246 (246); OLG München, OLGR 2000, 86 (86); OLGR Zweibrücken, OLGR 1999, 94 (94); OLG Nürnberg, NJW-RR 1999, 723 (724); OLG Koblenz, OLGR 1999, 212 (214); OLG Koblenz, ZMR 1999, 252 (253); OLG Zweibrücken, NJW-RR 1988, 1280 RGZ 77, 217 (222 f.); RGZ 115, 74 (84); vgl. auch BVerfGE 20, 323 (332); 58, 159 (162); 84, 82 (87 f.). 26 Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (690); Wiezcorek/Schütze/Storz, ZPO3 (1999), § 890 Rn. 52; MünchKommZPO2 /Schilken (2001), § 890 Rn. 21; Borck, WRP 1979, 28 (29); Pastor, Unterlassung3 (1981), S. 6 ff. 27 Die Anwendung straf- und strafprozessrechtlicher Vorschriften auf § 890 ZPO a. F. wurde von der älteren Literatur in weitem Umfang bejaht; siehe z. B. Theuerkauf, ZZP 77 (1964), 298 (300); ders., FamRZ 1964, 487 (489); ders., MDR 1963, 552 ff.; Johannes, BB 1961, 577 (579) m.w. N.; Weinkauff, SJZ 1948, 539; Kuhnt, DR 1941, 2369 ff.; vgl. auch noch Körner, WRP 1982, 75 (77): „Übernahme der strafrechtlichen Grundsätze“ liegt wegen des im wesentlichen Umfange vorhandenen Strafcharakters nahe. 28 BGBl. I 1974, 469 ff.; vgl. dazu auch BT-Drucks. 7/550. 29 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht 13 (2006), § 40 Rn. 27; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht11 (1997), § 73 III; MünchKommZPO2 /Schilken (2001), § 890 Rn. 21; Stein/Jonas22 /Brehm (2004), § 890 Rn. 3; Göhler, NJW 1974, 825 (826); Jestaedt, WRP 1981, 433 (433); insoweit ist auch Pastor, WRP 1981, 299 (302) zuzustimmen.
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als Strafen nur noch diejenigen Rechtsnachteile bezeichnet werden sollen, die bei Straftaten angedroht werden, wurden die Begriffe „Geldstrafe“ bzw. „Strafe der Haft“ in § 890 ZPO durch „Ordnungsgeld“ und „Ordnungshaft“ ersetzt. 2. Keine reinen „Beugemaßnahmen“ (Pastor u. a.) Obwohl es sich bei den in § 890 ZPO vorgesehenen Ordnungsmitteln nicht um Strafen im Sinne des StGBs handelt, ist festzustellen, dass sich die Zivilprozessordnung in § 890 ZPO zur Erzwingung der Einhaltung von Unterlassungspflichten in erster Linie der Wirkung des von der Androhung der Ordnungsmittel auf den Schuldner ausgehenden psychischen Zwangs bedient.31 Dieser Erzwingungsmechanismus entspricht aber ganz der generalpräventiven Wirkung der öffentlichen Strafe, wie sie in der „psychologischen Zwangstheorie“ v. Feuerbachs32 beschrieben wird.33 Der Verhängung des Ordnungsmittels selbst hingegen wird man anders als der Androhung der Ordnungsmaßnahmen und dem Vollstreckungsmechanismus des § 890 ZPO als solchem insgesamt keine nennenswerte spezialpräventive Wirkung zusprechen können.34 30 Art. 5 EGStGB kann als einfaches Gesetz allerdings die Gesetzgebungsorgane nicht binden, vgl. Brehm, NJW 1975, 249 (249). 31 Musielak/Lackmann, ZPO7 (2009), § 890 Rn. 14; MünchKommZPO2 /Schilken (2001), § 890 Rn. 21; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht11 (1997), § 73 III; Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht3 (1987), § 45 II; Henckel, AcP 174 (1974), 97 (116); Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (241 f.); vgl. auch Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht3 (1987), § 45 II. 32 v. Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts14 (1847), § 13: „Alle Uebertretungen haben ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Sinnlichkeit, inwiefern das Begehrungsvermögen des Menschen durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung derselben angetrieben wird. Dieser sinnliche Antrieb kann dadurch aufgehoben werden, daß jeder weiß, auf seine That werde unausbleiblich ein Uebel folgen, welches größer ist als die Unlust, die aus dem nicht befriedigten Antrieb zur That entspringt.“; bemerkenswert auch die Ausführungen ebd. § 11 f. zu den verschiedenen Möglichkeiten des Rechtsschutzes durch staatlichen Zwang: „Physischer Zwang reicht aber nicht hin zur Verhinderung der Rechtsverletzungen überhaupt. Denn der zuvorkommende Zwang ist nur möglich unter der Voraussetzung von Thatsachen, aus denen der Staat entweder ihre Gewißheit, oder doch . . . ihre Wahrscheinlichkeit erkennt: nachfolgender Zwang nur unter der Voraussetzung solcher Rechtsverletzungen, deren Gegenstand ein ersetzliches Gut ist. . . . Sollen daher Rechtsverletzungen überhaupt verhindert werden, so muß neben dem physischen Zwange noch ein anderer bestehen, welcher der Vollendung der Rechtsverletzung vorhergeht, und . . . in jedem einzelnen Falle in Wirksamkeit tritt, ohne daß dazu die Erkenntniss der jetzt bevorstehenden Verletzung vorausgesetzt wird. Ein solcher Zwang kann nur ein psychologischer sein.“ (Hervorh. jeweils im Original). 33 So auch Borck, GRUR 1991, 428 (429): vollstreckt wird mit Hilfe des schon von v. Feuerbach empfohlenen psychischen Zwangs. 34 So auch Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (243): „die konkrete Sanktion . . . dient . . . nicht mehr notwendiger-, ja wohl nicht einmal bestimmungsmäßigerweise der Willensbeugung“; vgl. auch Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht11 (1997), § 73 III.
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Im Gegensatz dazu geht vor allem Pastor davon aus, dass der bei der Vollstreckung nach § 890 ZPO bestimmungsgemäß auf den Willen des Schuldners ausgeübte Zwang in erster Linie nicht von der Androhung, sondern von der Anwendung der Ordnungsmittel ausgehe.35 Die Beugung des Willens des Schuldners werde dadurch erreicht, dass die Anwendung der Ordnungsmittel den weiteren Willen beeinflusst.36 Der Zweck der Verhängung der Ordnungsmittel sei insofern ausschließlich die „Willensbeugung für die Zukunft durch Verurteilung für Vergangenes“.37 Diese Beugemittel sollen daher nach Ansicht Pastors „etwas ganz anderes als eine strafrechtliche Strafe für kriminelles Unrecht“38 sein, obwohl sie andererseits als Beugestrafen „begriffsnotwendig“ dasjenige enthalten, „was den Inhalt einer jeden Strafe, insbesondere aber einer strafrechtlichen Strafe ausmacht“.39 Äußerst widersprüchlich40 heißt es auch an anderer Stelle bei Pastor, dass die Ordnungsmittel des § 890 ZPO „keine Strafen, sondern Beugemaßnahmen“ und daher Beugestrafen (?) seien.41 Den eine scharfe Unterscheidung der Ordnungsmittel des § 890 ZPO von Strafen und strafähnlichen Sanktionen rechtfertigenden Umstand sieht Pastor wohl in der von ihm angenommenen spezifischen präventiven Zielsetzung dieser Ordnungsmittel. Nach der Vorstellung Pastors wird bei der Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO zunächst wiederum auf den „guten Willen“ des Schuldners gesetzt, keine Zuwiderhandlungen zu begehen.42 Erst wenn diese Erwartung enttäuscht wird, werde dies zum Anlass genommen, nun den Willen des Schuldners durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes „für die Zukunft zu beugen“.43 Pastor geht demnach von einer Vorstellung der Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO als Erziehungsmaßnahmen („Belehrung“44) aus, durch die der in der Zuwiderhandlung zu Tage getretene „böse Wille“ des Schuldners für die Zukunft in einen „guten Willen“ gewandelt werde. Die Vorstellung aber, dass der Schuldner einen generellen Willen zur Zuwiderhandlung habe, der sich durch die punktuelle Verhängung von Ordnungsmitteln dauerhaft brechen ließe, und dass das Gesetz diese Konzeption verfolge, ist realitätsfern. Auf den Willen des Schuldners, der zur Zuwiderhandlung tendiert (z. B. aufgrund des Erfah35
Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (457). Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (456). 37 Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 13. 38 Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (448). 39 Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (459). 40 Vgl. auch Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht 11 (1997), § 73 III (S. 993): Begriff „Beugestrafe“ ist „ohnehin in sich widersprüchlich“. 41 Pastor, WRP 1981, 299. 42 Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 11; vgl. auch Pastor, WRP 1974, 473 (476 l. Sp. o.). 43 Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 12; vgl. auch Pastor, WRP 1974, 473 (476 l. Sp. o.). 44 Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 78 f. 36
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rungssatzes, „dass sich per saldo jeder Wettbewerbsverstoß bezahlt macht“45) kann nur die Drohung einer künftigen Sanktion, nicht aber die in der Vergangenheit liegende Verhängung des Ordnungsmittels eine Zwangswirkung ausüben. Wenn weitere Sanktionen nicht drohten, müsste es für einen ökonomisch denkenden Schuldner geradezu ein Gebot der Wirtschaftlichkeit sein, die durch das verhängte Ordnungsgeld verursachten Kosten durch weitere Verstöße wieder zu erwirtschaften.46 Wäre es im Übrigen, wie Pastor meint, wirklich die Festsetzung und Vollstreckung des Ordnungsmittels selbst, die präventiv wirken sollen, fragt es sich zudem, warum die Durchführung dieser Maßnahmen von einer weiteren Zuwiderhandlung abhängig sind.47 Dass kein Bedarf für eine Prävention schon vor diesem Zeitpunkt bestünde, kann angesichts der Tatsache, dass der materielle Unterlassungsanspruch selbst die Gefahr der Zuwiderhandlung voraussetzt, kaum behauptet werden. Es wäre auch kaum verständlich, warum dem Kläger, der nach der Vorstellung des Gesetzgebers ja bereits eine Beeinträchtigung hinnehmen musste48 und nun auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen klagen kann, eine weitere Zuwiderhandlung zugemutet werden sollte, bevor Zwangsmaßnahmen gegen den Schuldner Platz greifen. Bemerkenswert ist auch, dass Pastor zur Bestärkung seiner Ansicht die in den Protokollen zur ZPO abgedruckte Äußerung v. Amsbergs falsch zitiert hat. Dort heißt es nicht, wie bei Pastor wiedergegeben,49 dass die „Anordnung“, sondern dass die „Androhung [sic!] von Zwangsmitteln“ eine „sehr beträchtliche Präventivwirkung“ entfalte.50 Dementsprechend kann sich Pastor zur Begründung der Auffassung, die Präventivwirkung gehe in erster Linie nicht von der Androhung, sondern der Anordnung der Ordnungsmittel aus, auch nicht auf die Gesetzesmaterialien berufen. In Betracht zu ziehen ist allerdings, dass sich die von Pastor u. a. vertretene Auffassung, dass es sich bei den Ordnungsmaßnahmen nicht um Strafen, sondern um reine zivilprozessuale Beugemaßnahmen handelt, selbst bewahrheitet. Der Grund dafür ist die begriffsjuristische Komponente des Streites um die Rechtsnatur der Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO in der Zivilprozesslitera-
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Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (430). Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (429) weist selbst darauf hin, dass Schuldner die Zuwiderhandlungen häufig fortsetzen, „um zumindest noch die Kosten des verlorenen Rechtsstreites hereinzubekommen“. 47 So auch Henckel, AcP 74 (1974), 96 (116 Fn. 37); vgl. auch Zieres, Grundfragen der Zwangsvollstreckung (1970), S. 57 l. Abs. 48 Vgl. den Wortlaut des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB: „Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, . . .“. 49 Pastor, FS Verlag Heymann (1965), S. 427 (447). 50 Hahn, Die gesammten Materialien zur ZPO (1880), S. 861. 46
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tur:51 Die Qualifikation als „echte Strafen“ oder umgekehrt als „reine Beugemaßnahmen“ dient zum Teil dazu, aus dem Begriff heraus das Eintreten bestimmter Rechtsfolgen zu begründen, anstatt das gewünschte Ergebnis durch die konkreten Folgen für die beteiligten Interessen zu rechtfertigen. Insoweit könnte die von Pastor u. a. vertretene Auslegung des § 890 ZPO in der Tat zu einer Ausgestaltung der Ordnungsmaßnahmen führen, die diese nicht mehr als Strafen im Sinne von Art. 103 GG erscheinen lässt. Diesen Aspekt hat bereits Böhm für die Ansicht, dass es sich bei den Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO um Beugemaßnahmen ohne Strafcharakter handele, in Anspruch genommen.52 Er meint, dass die Vorschrift des § 890 ZPO den Erfordernissen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht gerecht würde und zudem ein „schlichtes Nebeneinander von ordentlichem Strafverfahren und einem strafrechtlich ausgestalteten Verfahren nach § 890 ZPO durch Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen sein“ dürfte.53 Um diesen Konsequenzen zu entgehen, müsste § 890 ZPO verfassungskonform so interpretiert werden, dass sich die Ordnungsmaßnahmen als reine Beugemaßnahmen und nicht als Strafen darstellten.54 Nach der von Pastor u. a. vertretenen Auffassung kommt die Natur der Ordnungsmaßnahmen als Beugemittel vor allem in den Fällen zum Ausdruck, in denen der Unterlassungsanspruch zeitlich begrenzt ist oder durch die einmalige Zuwiderhandlung selbst entfällt. In diesen Fällen soll eine Bestrafung der Zuwiderhandlung nicht mehr möglich sein, da mangels einer noch zu vollstreckenden Verpflichtung eine weitere Beugung des Schuldnerwillens nicht in Betracht komme.55 Indessen ist auch hier wieder zu berücksichtigen, dass bei der Voll51 Darauf hat in aller Deutlichkeit bereits Adomeit, NJW 1967, 1994 (1996) hingewiesen; vgl. auch Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 12; kritisch Zieres, Grundfragen der Zwangsvollstreckung (1970), S. 7: „Frage nach dem Zweck“ muß trotzdem „primäre Frage sein“. 52 Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 25 ff., 29, 43. 53 Böhm Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 26 f. 54 Vgl. Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 29, 43. 55 Vgl. Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 233 ff.; ders., GRUR 1968, 343 (345); Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 49, 51, 57; Samwer in: Gloy (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts2 (1997), § 89 Rn. 5; Schuschke/Walker, Vollstreckung4 (2008), § 890 Rn. 20; – gegen die Möglichkeit einer Bestrafung in diesen Fällen auch OLG Düsseldorf, JurBüro 1997, 1261 (1262 f.); DB 1992, 1084; NJW-RR 1988, 510 f.; OLG Köln, JurBüro 1995, 269; MDR 1956, 493; LAG Hamburg, MDR 1990, 365 f.; LAG Hamm, MDR 1975, 696 f.; OLG Hamm, MDR 1965, 585; JZ 1959, 413; NJW 1950, 113; Stuttgart, MDR 61, 1021; – für die Möglichkeit der Bestrafung aber die ganz h. M.: Zöller27 /Stöber (2009), § 890 Rn. 10; Stein/Jonas22 /Brehm (2004), § 890 Rn. 31; MünchKommZPO2 /Schilken (2001), § 890 Rn. 15; Hees, GRUR 1999, 128 (130 f.); Brehm, ZZP 111 (1998), 215 (218); Bruns/ Peters, Zwangsvollstreckungsrecht3 (1987), § 45 IV 1.; Jestaedt, WRP 1981, 433 (436); Peters, ZZP 91 (1978), 338 (338); Dietrich, Die Individualvollstreckung (1976), S. 23, 32, 41; Brehm, NJW 1976, 1730 f.; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Vollstreckungs-
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streckung nach § 890 ZPO der Wille des Schuldners nicht durch die Beitreibung des Ordnungsgeldes, sondern durch die psychische Zwangswirkung, die von der Androhung desselben ausgeht, gebeugt wird.56 Angesichts der Tatsache, dass das künftige Verhalten der Vollstreckungsorgane durch die Rechtsnormen notwendig vorbestimmt ist, kann eine solche Drohung nur in der Weise erfolgen, dass das Recht die Sanktion für den Fall der Zuwiderhandlung zwingend vorsieht.57 In diesem Sinne ist es richtig, die Bestrafung als nichts anderes „als die unabweisbare logische Folge der andernfalls völlig wertlosen Drohung“58 anzusehen. Hingegen einen Rechtssatz mit dem Inhalt aufzustellen, dass in Fällen, in denen eine weitere Zuwiderhandlung infolge der zeitlichen Begrenzung oder des Wegfallens des Unterlassungsanspruchs aufgrund der Zuwiderhandlung selbst nicht möglich ist, keine Bestrafung erfolgt, würde die Aufhebung der psychischen Zwangswirkung und damit den Verzicht auf jegliche Zwangsmittel bedeuten.59 Dieses unpraktikable Ergebnis der Auslegung des § 890 ZPO, das zudem Wortlaut und Ratio der Norm widerspricht, müsste als „Preis“ für die Verfassungskonformität der Vorschrift hingenommen werden,60 wenn auf diese Weise den Ordnungsmaßnahmen der Sanktionscharakter genommen würde und somit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 und 3 GG verhindert würde. Dies ist indessen nicht der Fall. Denn auch in den Fällen, in denen nach der Zuwiderhandverfahren (1975), § 92 IV a. E.; Zieres, NJW 1972, 751 (753); Baur, ZZP 83 (1970), 480 (481); Göppinger, NJW 1967, 177 (180); Lüke, JZ 1959, 369 (371); BGHZ 156, 335 (345 f.) – Euro-Einführungsrabatt; OLG Koblenz, ZMR 1999, 252 (253); OLG Dresden, OLGR 2003, 452 (455); OLG Stuttgart, OLGR 2001, 248 (249 ff.); BayOblG, NJW-RR 95, 1040 f.; OLG Hamm, NJW-RR 1990, 1086 f. (Aufgabe der bisherigen Rspr.). 56 s. soeben unter 1. b) (2). 57 In dem Sinne bereits Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (688 f.); vgl. auch Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (242 f.). 58 So zuerst Rospatt, JW 1900, 892 f.; OLG Frankfurt, OLGE 16, 316 (317); vgl. auch Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (243); Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (689): Die Strafe wird schlicht deshalb festgesetzt, „weil das Gesetz es befahl“. 59 Vgl. u. a. Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (242): „Absehen von Bestrafung . . . wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf das Mittel der Beugestrafe . . . überhaupt“; Brehm, NJW 1976, 1730; Dietrich, Die Individualvollstreckung (1976), S. 23; OLG Koblenz, ZMR 1999, 252 (253): „die Vollstreckung . . . wäre ihres einzigen Druckmittels beraubt; – nach Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (243) und Dietrich, Die Individualvollstreckung (1976), S. 32 ff. sind generalpräventive Erwägungen der maßgebliche Grund für die Bestrafung trotz der Unmöglichkeit weiterer Zuwiderhandlungen; m. E. geht es jedenfalls nicht darum, dass „andere Schuldner beeindruckt werden“ (so Dietrich, ebd. S. 32). Grund der Bestrafung ist allein, dass sie gesetzlich vorgesehen ist und sein muss, weil ansonsten der Schuldner selbst dies erfahren würde und durch die dann inhaltslose Androhung nicht zu beeindrucken wäre. 60 Vgl. Böhm, MDR 1974, 441 (444 l. Sp. ob.): es ist der „Preis zu zahlen, daß die Zuwiderhandlung gegen ein Gebot zum einmaligen Unterlassen überhaupt nicht und zum befristeten Unterlassen nicht immer auch zur Bestrafung führt“; ders., Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971): Effizienz nur ein Kriterium.
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lung die Unterlassungspflicht bestehen bleibt, und daher Ordnungsmaßnahmen zum Einsatz kommen, wird der Wille des Schuldners zu künftigem pflichtgemäßen Verhalten nicht durch die Zufügung der Sanktion, sondern allenfalls durch die aufgrund der bereits verhängten Sanktion erhärtete Androhung weiterer Sanktionen für den Fall künftiger Zuwiderhandlungen beeinflusst.61 Die Ordnungsmaßnahmen sind auch diesen Fällen keine Präventivmaßnahmen, sondern sind eine Reaktion auf die begangene Zuwiderhandlung. Von einer Willensbeugung durch die Sanktion selbst ließe sich nur dann sprechen, wenn auf den Schuldner solange fortdauernd eingewirkt wird, bis dieser sich zur Vornahme der von ihm erwarteten Handlung entschließt. Dies ist jedoch nur bei Verpflichtungen zu einem positiven Tun, wie z. B. bei der Pflicht zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung denkbar (vgl. das Verfahren nach §§ 899 ff. ZPO). Und auch eine Beeinflussung des Schuldners für die Zukunft im Sinne einer Besserung oder Belehrung kann nach der Ausgestaltung der Zwangsmittel – Ordnungsgeld und Ordnungshaft, aber eben keine Schulungen in Rechtstreue – nicht bezweckt werden. Überdies ließe sich, selbst wenn man der Durchführung der Ordnungsmittel des § 890 ZPO eine besondere präventive Zielsetzung zuerkennen würde, die Gegenüberstellung von „Beugestrafe“ und „strafrechtlicher Strafe“ bei Pastor ebenso wie die von „Beugecharakter“ und „Strafcharakter“ nur dann rechtfertigen, wenn ansonsten bei Strafen ein solcher spezialpräventiver Zweck nicht verfolgt würde oder zumindest ganz im Hintergrund stünde.62 Angesichts der Tatsache, dass der Zweck des Kriminalstrafe bis heute umstritten ist und nach wie vor verschiedene Strafzwecktheorien konkurrieren, überrascht es, wie zwanglos zum Teil ein Gegensatz konstruiert wird. Die Formulierung Pastors von der „Willensbeugung für die Zukunft durch Verurteilung für Vergangenes“63 hebt insofern nur das spezialpräventive Element jeder Art von Strafe hervor.64 Ausgehend von der Annahme, dass der Zweck der Strafe allein darin liegt, den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten (Theorie der Spezialprävention),65 ist kein wesensmäßiger Unterschied zwischen der Beugestrafe im Sinne Pastors und der Kriminalstrafe ausmachen. 61 Ebenso Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (243): „Der eigentliche psychologische Zwang geht von der . . . Strafdrohung aus, die der Verpflichtete nunmehr . . . gebührend ernst nimmt.“ 62 Vgl. Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (263): „Jede Strafe, gleichgültig welchem Sanktionssystem sie zugehört, verfolgt jedoch immer auch den Zweck, eine Wiederholung des rechtswidrigen und vorwerfbaren Verhaltens für die Zukunft zu verhindern, d. h. spezialpräventiv auf den Rechtsbrecher einzuwirken.“ 63 Pastor, Unterlassungsvollstreckung3 (1981), S. 13. 64 Darauf hat bereits Brehm, NJW 1975, 249 (250) hingewiesen. 65 Vgl. zur Straftheorie der Spezialprävention und deren Einfluß auf das Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland die Darstellung von Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. 14 (2006), § 3 A II.
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3. Kein wesensmäßiger Unterschied zwischen Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO und Strafen Wenn man richtigerweise davon ausgeht, dass der bei der Vollstreckung nach § 890 ZPO ausgeübte mittelbare Zwang in erster Linie von der Androhung der Ordnungsmaßnahmen ausgeht,66 so lässt sich insoweit ein prinzipieller Unterschied zur Kriminalstrafe nur dann feststellen, wenn man das Wesen der Strafe in der Vergeltung (bzw. Sühne) sieht.67 Roxin hat jedoch mit überzeugenden Argumenten nachgewiesen, dass ein Strafzweck der Vergeltung nicht anerkannt werden kann68 und vertritt daher eine rein präventive Vereinigungstheorie.69 Und auch nach der herrschenden Strafrechtslehre kommt dem Gedanken der Vergeltung im Rahmen einer Vereinigungstheorie nur nachrangige Bedeutung zu.70 Davon abgesehen fragt es sich aber, inwieweit es für die Frage der Vergleichbarkeit der Sanktionen auf die mit ihnen vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke ankommen kann. Kelsen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es kaum möglich ist, den Begriff der Strafe nach ihrem Zweck zu bestimmen, da dieser sich nicht unmittelbar aus der Rechtsordnung ergibt: „Lebens- und Freiheitsstrafen bleiben dieselben, ob man mit ihrer Statuierung Prävention bezweckt oder nicht“.71 Insbesondere aus der Sicht des Betroffenen macht es keinen Unterschied, ob er mit dem Zweck der Vergeltung, der Spezial- oder der Generalprävention bestraft wird, solange sich dies nicht in der Art der Bestrafung bemerkbar macht. Dass mit den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO andere Zwecke als mit der Kriminalstrafe verfolgt werden, kann daher nicht die Unterschiedlichkeit begründen, sondern allenfalls das Nebeneinander beider Sanktionen rechtfertigen. Eine solche Rechtfertigung durch unterschiedliche Zwecke ist jedoch nur schwer möglich, wenn jede der beiden Sanktionen nach ihrer Ausgestaltung 66
s. o. III. 1. a). So z. B. Zieres, Grundfragen der Zwangsvollstreckung (1970), S. 25 f.: „Sühne für das schuldhaft verursachte Unrecht“; Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 29: „Sühnemaßnahmen“; Theuerkauf, ZZP 77 (1964), 298 (303): Der Grundsatz „ne bis in idem“ gilt im Verhältnis zwischen Ordnungsmaßnahmen und Kriminalstrafe nicht, weil die Verhängung der Ordnungsmaßnahmen keine Sühne für vergangenes Unrecht bezwecke; in dem Sinne auch Kuhnt, DR 1941, 2369 (2370): „Sühne für die bereits begangene Rechtsverletzung“; richtig demgegenüber Jelinek, Zwangsvollstreckung zur Erwirkung von Unterlassungen (1974), S. 126: „Ausgangspunkt jeder Überlegung über das Ziel der Unterlassungsvollstreckung . . . darf nicht die Strafzwecklehre . . . der Jahrhundertwende sein“. 68 Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. 14 (2006), § 3 Rn. 8 ff., 44 ff. 69 Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. 14 (2006), § 3 Rn. 8 ff., 37 ff. 70 Vgl. Koriath, Jura 1995, 625 (635); Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken? (1995), S. 9; Lüderssen, Abschaffen des Strafens? (1995), S. 9; Schünemann, GA 1995, 201 (226). 71 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), S. 115. 67
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zugleich geeignet ist, den Zweck der jeweils anderen Sanktion zugleich zu erreichen. Daher ist festzustellen, dass sich sowohl die Bestrafung nach dem StGB als auch die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO als Reaktionen auf ein durch die Rechtsordnung bestimmtes, sozial unerwünschtes Verhalten darstellen.72 In beiden Fällen wird versucht, die Einhaltung einer Pflicht sicherzustellen, indem für den Fall der Zuwiderhandlung ein Übel angedroht und im Fall der Zuwiderhandlung angewendet wird. Ein Unterschied zwischen beiden Sanktionen lässt sich auch nicht darin finden, dass mit den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO ein qualitativ anderes Unrecht73 geahndet würde, als durch die Kriminalstrafen. Da die Ordnungsmittel nicht einen besonderen Ungehorsam gegen die richterliche Autorität ahnden,74 sondern die Geltung des materiellen Rechts sicherstellen sollen,75 dienen sie im Bereich des quasinegatorischen Rechtsschutzes ebenso wie das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz. Bereits die notwendige Identität der sanktionierten Tatbestände bei Unterlassungsklagen zur Durchsetzung von aus Strafrechtsnormen abgeleiteten Unterlassungspflichten widerlegt für den Bereich des quasinegatorischen Rechtsschutzes die Annahme, dass es um ein anderes Unrecht gehe. Für solche Differenzierungen gilt daher sinngemäß das gleiche, was Roxin gegenüber der Annahme eines grundsätzlichen Unterschiedes von Disziplinarmaßnahmen und Kriminalstrafen vorge72 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), S. 36 f., 41 f.; Brehm, NJW 1976, 1730 (1731): „Das Ordnungsmittel . . . wirkt nach den gleichen Gesetzen wie die ,echte Strafe‘.“; vgl. auch Dietrich, Die Individualvollstreckung (1976), S. 52. 73 Vgl. dagegen Theuerkauf, ZZP 77 (1964), 299 (302 f.): Selbst wenn man neben dem Vollstreckungszweck einen „selbständigen Sühnezweck berücksichtigen“ wolle, handele es sich eher um einen der Ordnungswidrigkeit vergleichbaren Ungehorsam, als um die Verwirklichung eines „sozialen Unwerts“; dass es sich bei der Kriminalstrafe um ein qualitativ anderes Unrecht handelt, wird z. B. zur Abgrenzung von Ordnungswidrigkeiten etc. angeführt. 74 So aber verbreitet die strafrechtliche Auffassung vor dem EGStGB v. 1974, vgl. z. B. OLG München, NJW 1971, 1756: „Strafgrund ist vorwiegend der Ungehorsam gegen das staatliche Verbot“; Karl E. Meyer, MDR 1956, 577 (578) sieht in den Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO eine Bestrafung des Ungehorsams gegen eine gerichtliche Anordnung, vergleichbar dem contempt of court des englischen Vollstreckungsrechts; richtig dagegen die heute ganz h. M. – keine Bestrafung wegen Missachtung der richterlichen Autorität, kein contempt of court – Lüke, JZ 1959, 369 (369); Theuerkauf, MDR 1963, 552 ff. Fn. 1; Theuerkauf, ZZP 77 (1964), 298 (301 f.), Pastor, FS Verlag Heymann (1965), 427 (444 ff.); Zieres, Grundfragen der Zwangsvollstreckung (1970), S. 37 ff.; Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 34 f.; vgl. Lindacher, ZZP 85 (1972), 239 (241): „Mißachtung richterlicher Autorität“ wird „ja auch sonst nicht als strafwürdig angesehen“; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Vollstreckungsverfahren (1975), § 92 II 1; Dietrich, Die Individualvollstreckung (1976), S. 26 f.; – treffend Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (688 f.), der in Anlehnung an RGZ 43, 396 (398 f.) darauf hinweist, dass durch sie nicht die gerichtliche Autorität aufrechterhalten, sondern die Beachtung der materiellen Unterlassungspflicht sichergestellt werden soll. 75 Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (688 f.).
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bracht hat: Es handelt sich um eine Konstruktion, „die das Nebeneinander von Strafe und Disziplinarmaßnahme rechtfertigen und dem Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) ausweichen will“. Bei den Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO handelt es sich somit um Sanktionen, die sich wesensmäßig nicht von Strafen unterscheiden.76 Ihr Unterschied zu den Strafen des Strafgesetzbuchs ist im Bereich des positiven Rechts zu suchen:77 Ihre Ausgestaltung wird durch § 890 ZPO, aber nicht durch die Vorschriften des StGB, die auf sie nicht anwendbar sind, bestimmt. Anders als die Strafen nach dem StGB setzen sie nicht notwendigerweise die Verletzung einer Strafnorm voraus.78 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Sanktionen werden die Strafen des Strafgesetzbuchs generell, wenn auch nicht unbedingt im Einzelfall, als die gegenüber den Ordnungsmaßnahmen für den Betroffenen belastenderen Sanktionen anzusehen sein. Dabei werden auch die sozialen Nachteile zu berücksichtigen sein, die der Täter dadurch erleidet, dass die strafrechtliche Verurteilung in das Führungsregister aufgenommen wird, und er nunmehr als „vorbestraft“ gilt. Daher gilt insoweit für den Gesetzgeber innerhalb eines weiten Einschätzungsspielraums das Prinzip der Subsidiarität der Kriminalstrafe, d. h. dass er sich dieser als der gravierendsten Sanktion nur dann bedienen darf, wenn der Rechtsgüterschutz mit milderen Mitteln nicht zu erreichen ist.79 Als Argument für den quasinegatorischen Rechtsschutz eignet sich das Prinzip der Subsidiarität der Kriminalstrafe hingegen nicht, da hier die Kriminalstrafe vom Gesetzgeber vorgesehen ist und die Gewährung von Unterlassungsansprüchen eine zusätzliche Belastung für den Täter bedeutet.
Ebenso Jakobs, Strafrecht Allg. Teil2 (1993), S. 61: Bei den Sanktionen des § 890 ZPO, die zu Unrecht verbreitet als Erzwingungsmaßnahmen bezeichnet werden, handelt es sich „sachlich um Strafen“, die jedoch nicht als solche bezeichnet würden, um klarzustellen, dass die Bestimmungen des Strafrechts nicht auf sie anwendbar sind; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allg. Teil5 (1996), § 2 III: „echte (Ordnungs-) Strafe; Maurach/Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Tb. 18 (1992), § 1 Rn. 12 ff.: „Parallele zur Kriminalstrafe“; a. A. Weber in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allg. Teil11 (2003), § 4 Rn. 18 f., 26: Die Sanktion des § 890 ZPO habe „mit echtem Kriminalstrafrecht nichts zu tun“. Es gehe nicht „um Sühne für schuldhaft begangenes Unrecht“. Ganz im Vordergrund stehe der „präventive Gedanke, der Erzwingungsgedanke“. 77 Vgl. auch Jakobs, Strafrecht Allg. Teil2 (1993), S. 61. 78 Vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Tb. 18 (1992), § 1 Rn. 12 ff.: Der Unterschied zu den Sanktionen des Strafrechts besteht darin, dass „mit der Kriminalstrafe . . . die schuldhafte Verletzung strafrechtlicher Normen“ geahndet wird. 79 Vgl. Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. 14 (2006), § 2 Rn. 97 ff. 76
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IV. Ausschluss quasinegatorischer Unterlassungsansprüche durch Art. 103 GG Vor dem Hintergrund der bisherigen Ergebnisse stellt sich nun die Frage, ob die strafähnlichen Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO in den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 3 GG fallen, was zur Konsequenz hätte, dass Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen aufgrund dieser Verfassungsnorm ausgeschlossen wären. Aus Gründen der Prüfungsökonomie soll dabei im Vorgriff auf das folgende Kapitel bereits zugleich die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG thematisiert werden. Bei den grundrechtsgleichen80 Rechten der Art. 103 Abs. 2 und 3 GG handelt es sich insoweit um normgeprägte Grundrechte, als durch die Begriffe der „Strafe“ und der „Strafbarkeit“ in erster Linie der vorgefundene Normenkomplex des Kriminalstrafrechts erfasst werden sollte.81 Inwieweit sie Sanktionen erfassen, die wie die Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO außerhalb des Kriminalstrafrechts stehen, ist umstritten. Das BVerfG hat die Ordnungsmaßnahmen nach § 890 Abs. 1 ZPO als „strafähnliche Sanktion“82 angesehen, für die der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetze („nulla poena sine culpa“ 83) Geltung beanspruche. Bei ihnen handele es sich nicht ausschließlich um ein zivilprozessuales Zwangsmittel, sondern zugleich um eine „Sühne“ für das von dem Schuldner begangene Unrecht. In einem gewissen Widerspruch dazu84 hält es jedoch den Art. 103 Abs. 2 GG für nicht anwendbar.85 In der Zivilprozessrechtsliteratur wird demgegenüber vereinzelt die Anwendbarkeit des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ bejaht.86 80
Vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Vgl. Sachs/Degenhart, Grundgesetz5 (2009), Art. 103 Rn. 57 f.; vgl. in Bezug auf Art. 103 Abs. 3 GG Pieroth/Schlink, Grundrechte25 (2009), Rn. 1207. 82 BVerfGE 20, 323 (332 f.) – Beschl. d. 2. Senats v. 25.10.1966, 2 BvR 506 63; BVerfGE 58, 159 (163) – Beschl. d. 1. Senats v. 14.7.1981, 1 BvR 575/80; BVerfGE 84, 82 (87 f.) – Beschl. d. 1. Senats v. 23.4.1991, 1 BvR 1443/87; ebenso BGH, NJW 1998, 1138 (1139): „strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots“. 83 Vgl. zu diesem Grundsatz außer den in Fn. 82 genannten Entscheidungen BVerfGE 80, 244 (245); BVerfG, NJW 1996, 2567. 84 Borck, WRP 1979, 28 (28, 31 f.) weist mit einer gewissen Berechtigung darauf hin, dass wenn das BVerfG die Anwendbarkeit des Grundsatzes „nulla poena sine culpa“ auf die Sanktionen nach § 890 ZPO bejahe, weil dieser Grundsatz Teil des Rechtsstaatsprinzips sei und ein Verstoß zu einer Verletzung des Schuldners in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG führe, es auch den in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegten Grundsatz „nulla poena sine lege“ zur Anwendung bringen müsse. 85 BVerfGE 84, 82 (89) – Beschl. d. 1. Senats v. 23.4.1991, 1 BvR 1443/87. 86 Blomeyer, FS Heinitz (1972), 683 (697); ders., Zivilprozeßrecht, Vollstreckungsverfahren (1975), § 92 III 1 hält den in Art. 103 II GG niedergelegten Grundsatz „nulla poena sine lege“ über das Gebiet des Kriminalstrafrechts hinaus auch auf straf81
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Für das Verbot der wiederholten Bestrafung hat die Beschränkung auf das Kriminalstrafrecht in dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 3 GG, der von einer Bestrafung „aufgrund der allgemeinen Strafgesetze“ spricht, einen besonderen Ausdruck erhalten. Dieser Passus beruht auf einem Vorschlag des allgemeinen Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates, der befürchtete, dass die Fassung des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Art. 136 Abs. 2 des Herrenchiemseer Entwurfs die Schlussfolgerung zuließe, dass ein Nebeneinander von Disziplinarmaßnahmen und Kriminalstrafen nicht mehr zulässig sei.87 Aus den Beratungen des Rechtspflegeausschusses, der dem Art. 103 Abs. 3 GG die heutige Fassung gab, ergibt sich, dass den Gegensatz zum Begriff der allgemeinen Strafgesetze nicht die Sonderstrafgesetze, sondern das „Dienststrafrecht, das Ordnungsstrafrecht und das Polizeistrafrecht“ 88 bilden sollten.89 Daher entspricht es nahezu allgemeiner Meinung, dass es sich bei den Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO um keine Strafen aufgrund der allgemeinen Strafgesetze handelt.90 Lediglich Schulz91 hat sich vehement für die Anwendung des Grundsatzes „ne bis in idem“ auf die Sanktion des § 890 ZPO eingesetzt. Er betont, dass die Strafe des § 890 ZPO nicht nur wegen „Ungehorsams“, sondern wegen „Unrechts“ verhängt werde und sie daher keine Ordnungsstrafe sondern einer der kriminellen Strafe vergleichbare Sanktion sei. Der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 3 GG erfasse aber alle kriminellen Strafen, da das Merkmal der allgemeinen Strafgesetze insoweit nur das „Dienst-,
ähnliche Sanktionen „in abgewandelter Form“ für anwendbar; auch Borck, WRP 1979, 28 (31 f.), 180 (181) geht von einer Anwendbarkeit des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ auf die Maßnahmen nach § 890 ZPO aus; ebenso Johannes, NJW 1962, 595 f.; für entsprechende Anwendbarkeit auf die „echte Rechtsstrafe“ des § 890 ZPO Schubert, ZZP 85 (1972), 29 (39). 87 Vgl. JöR 1 n. F. (1951), 744 m.w. N. 88 Vgl. JöR 1 n. F. (1951), 744 m.w. N. 89 Vgl. Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (247). 90 Jarass/Pieroth, Grundgesetz10 (2009), Art. 103 Rn. 45; Sachs/Degenhart, Grundgesetz5 (2009), Art. 103 Rn. 60; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2008), Art. 103 II Rn. 21; v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar3 (1996), Art. 103 Rn. 43; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 195; Stein/ Jonas22 /Brehm (2004), § 890 Rn. 54; Zöller27 /Stöber (2009), § 890 Rn. 7; Musielak/ Lackmann, ZPO7 (2009), § 890 Rn. 9; Wieczorek/Schütze3 /Storz (1999), § 890 Rn. 59; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allg. Teil11 (2003), § 4 Rn. 19: „ne bis in idem“ gilt nicht im Verhältnis zwischen Prozessrecht und materiellem Strafrecht; vgl. auch BVerfGE 84, 82 (89); BGH, NJW 1998, 1138 (1139); OLG Köln, GRUR 1986, 688 (689); OLG Saarbrücken, NJW 1980, 461; OLG Köln, WRP 1976, 185 (186 f.); OLG Naumburg, HRR 32 Nr. 1189; – vgl. bereits Kuhnt, DR 1941, 2369 (2379): Grundsatz ne bis in idem sei aufgrund des vollstreckungsrechtlichen Zwecks der Ordnungsmittel nicht anwendbar; demgegenüber hatte bei der 1. Lesung des Entwurfs der ZPO ein Abgeordneter auf den Grundsatz ne bis in idem hingewiesen, vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur ZPO (1880), S. 862. 91 E. Schulz, NJW 1963, 1095 f.
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Ordnungs- und Verwaltungsstrafrecht“ ausschließen soll.92 Dem hat bereits damals Schaper93 mit dem Hinweis widersprochen, dass sich die Reichweite des in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsatzes dem Stand des Prozessrechts bei Inkrafttreten des GG entsprechend „auf das eigentliche (echte) Strafrecht und die darauf beruhenden (allerdings kriminellen) Strafen“ beschränke. Eine Anwendung auf das Verhältnis vom ordentlichen Strafverfahren zur Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO komme nicht in Betracht, da es sich „um zwei völlig verschiedene, nicht miteinander vergleichbare Verfahren“ handele.94 Da spätestens seit dem EGStGB v. 1974 feststeht, dass es sich bei den Sanktionen des § 890 ZPO nicht um Kriminalstrafen handelt, ist die Argumentation Schulzes insoweit nicht haltbar. Andererseits wird man entgegen Schaper aber nicht feststellen können, dass es sich um grundlegend verschiedene Sanktionen handelt. Der Kern des Problems des Anwendungsgebiets der Art. 103 Abs. 2 und 3 besteht darin, dass sie sich zunächst einmal auf ein auf der Ebene des einfachen Gesetzes vorgefundenes, in langer Rechtstradition ausgeprägtes Sanktionensystem beziehen. Andererseits binden sie als Normen von Verfassungsrang, wenn sie nicht sogar nach Art. 79 Abs. 3 GG der Möglichkeit einer Verfassungsänderung entzogen sind, jedenfalls den einfachen Gesetzgeber.95 Ohne eine von den Gegebenheiten des einfachen Gesetzes absehende Definition der „Strafe“ im Sinne des Art. 103 GG könnte der einfache Gesetzgeber diese Bindung jedoch umgehen, indem er andere vergleichbare Sanktionssysteme schafft, deren Sanktionen er nicht als Kriminalstrafe qualifiziert.96 Von der Möglichkeit, Verbotsverstöße nicht mit „Kriminalstrafe“, sondern mit einer anderen Art der Sanktion zu ahnden, hat der Gesetzgeber insbesondere im Jahre 1974 im Zuge der Entkriminalisierung der früheren Übertretungen Gebrauch gemacht, deren Tatbestände er zum Teil in das neu geschaffene Ordnungswidrigkeitenrecht überführt hat.97 Insoweit ist die Anwendbarkeit jedenfalls des Art. 103 Abs. 2 GG auf das Ordnungswidrigkeitenrecht weitgehend anerkannt.98 Andererseits, 92
E. Schulz, NJW 1963, 1095 (1096). Schaper, NJW 1963, 1764 ff. 94 Schaper, NJW 1963, 1764 (1765). 95 Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (259). 96 Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (259). 97 Durch das EGStGB v. 2.3.1974 hat der Gesetzgeber die Deliktskategorie der Übertretung abgeschafft, die bisher neben denen des Verbrechens und des Vergehens stand. Einen Teil des bisherigen Übertretungen wurden dabei in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt, so z. B. der unzulässige Lärm und der grobe Unfug (§ 360 Abs. 1 Nr. 8 StGB a. F. = § 117 f. OWiG). Andere Übertretungen (z. B. Landstreicherei, Bettelei, Verwahrlosung nach § 361 Nr. 3–5 StGB a. F.) wurden ersatzlos gestrichen; vgl. insoweit Art. 13, 19 Nr. 104, 29 Nr. 48 EGStGB v. 2.3.1974; Zusammenfassung der Änderungen bei Göhler, NJW 1974, 825 (827). 98 Jarass/Pieroth, Grundgesetz10 (2009), Art. 103 Rn. 44; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2008), Art. 103 II Rn. 19; v. Münch/Kunig, Grundgesetz3 (1996), 93
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wie insbesondere Art. 103 Abs. 3 GG zeigt, sollten aber auch nicht alle staatlichen Sanktionen erfasst werden. Das Problem besteht daher darin, dass es auch auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht überzeugend gelungen ist, herauszustellen, was die Kriminalstrafe von anderen Sanktionen unterscheidet. Das BVerfG99 und ihm folgend der überwiegende Teil der verfassungsrechtlichen Literatur100 definieren die Strafe als eine „missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten“. Die Problematik bei dieser Definition besteht darin, dass der Begriff der Strafe als einer besonderen Rechtsfolge auch durch den Tatbestand, an den sie angeknüpft wird, bestimmt wird. Deutlich wird dies in Verbindung mit dem vom BVerfG aufgestellten Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetze („nulla poena sine culpa“):101 Setzt man in diesen Grundsatz die Definition der Strafe ein, so ergibt sich der wenig aussagekräftige Satz, dass jede „missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten“ ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt. Dass sich auf diese Weise für eine Sanktion, deren Strafcharakter in Frage steht, keine zwingenden Schlüsse ziehen lassen, wird an den Sanktionen des § 890 ZPO offenbar: Das BVerfG sieht sie als „strafähnliche Sanktion“ an, für die der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetze, Geltung beanspruche.102 Adomeit hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man daraus, dass nach dem Wortlaut einiger Gesetzesbestimmungen die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO auch ohne eigenes Verschulden möglich ist, ebenso gut hätte schließen können, dass es sich dann bei diesen Sanktionen eben nicht um Strafen handeln könne.103 Wenn der verfassungsrechtliche Grundsatz „nulla poena sine culpa“ daher ein Anwendungsgebiet haben soll, muss rein faktisch die Möglichkeit eines Verstoßes, also die Verhängung einer Strafe ohne Schuld, möglich sein. Daher muss der Begriff der Strafe unabhängig von dem zu bestrafenden Tatbestand definiert werden. Zu Bedenken ist dabei auch, dass das Verhalten, das bestraft wird, seine Qualifikation als Unrecht gemäß dem Grundsatz „nullum crimen sine lege“ auch erst durch die Sanktionierung mit Strafe, also durch die gesetzlich vorgesehene missbilligende Reaktion erfährt.104 Art. 103 Rn. 19; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 195; v. Münch/Kunig, Grundgesetz3 (1996), Art. 103 Rn. 19. 99 BVerfGE 26, 186 (204); 42, 261 (262); 45, 346 (351). 100 Sachs/Degenhart, Grundgesetz5 (2009), Art. 103 Rn. 57; Dreier/Schulze-Fielitz; Grundgesetz2 (2008), Art. 103 II Rn. 19; v. Münch/Kunig, Grundgesetz3 (1996), Art. 103 Rn. 19; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 165; Hill in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbdStR VI (1989), § 156 Rn. 58. 101 Vgl. o. Fn. 83. 102 s. soeben Fn. 82. 103 Adomeit, NJW 1967, 1994 (1996 l. Sp.): „logisch beliebig“; vgl. dazu auch Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 23 f.
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Dass die Verhängung der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO ihren inneren Grund darin hat, dass die begangenen Zuwiderhandlungen sozial unerwünscht sind, ist nicht zu bestreiten. Insofern kommt in ihnen, wie in jeder repressiven Sanktion, zweifelsohne eine Missbilligung des Verhaltens zum Ausdruck. Wenn jedoch nur ein Teil der staatlichen Sanktionen als Strafen anzusehen sein sollen, so müsste der Unterschied in der Art und Weise der Missbilligung zu finden sein. Es ist also die Frage zu stellen, worin das spezifische Element der Missbilligung bei der Kriminalstrafe liegt. Nach der Auffassung Schmidt-Aßmanns ist dieses Element, das es rechtfertigt, den staatlichen Strafeingriff gegenüber anderen staatlichen Eingriffen abzugrenzen, die ihm an „Intensität und Nachhaltigkeit . . . nicht nachstehen“, „der unmittelbare wertende Zugriff auf die Persönlichkeit, der in der Missbilligung von Schuld liegt“.105 Diese Missbilligung, „die staatliche Wertung und Persönlichkeit unmittelbar zueinander in Beziehung“ setze, bedürfe „in einer freiheitlichen Verfassungsordnung, die den Staat zur Distanz und Neutralität verpflichtet, besonderer materieller und verfahrensmäßiger Eingrenzungen“.106 Dies läuft darauf hinaus, dass trotz der Unterscheidbarkeit von Recht und Moral durch die Verhängung einer Kriminalstrafe per definitionem „ein mit staatlicher Autorität versehenes sozial-ethisches Unwerturteil“107 über die begangene Handlung gefällt wird. Wenn der Gesetzgeber sich hingegen dazu entscheidet, ein Verhalten nur mit anderen Sanktionen zu bedrohen, so verzichtet er, mag das Verhalten sozialethisch zu beanstanden sein oder nicht, auf dieses Werturteil. Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ würde dann als Maßstab zur Überprüfung dienen, ob der Gesetzgeber sich bei der sozial-ethischen Qualifikation des Verhaltens innerhalb des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums bewegt hat. Fraglich ist jedoch dann, wie diesem Unwerturteil durch den Staat Ausdruck verliehen wird. Die äußere Ausgestaltung der Sanktion kann es nach dieser Auffassung nicht sein, da sich dann ein Unterschied zu äußerlich vergleichbaren Sanktionen nicht feststellen ließe. Daher müssten es außerhalb der Sanktion stehende Gesichtspunkte sein, die es erlauben würden, die Sanktion als Ausdruck einer besonderen sozial-ethischen Missbilligung zu verstehen. Im StGB findet sich jedoch bezeichnenderweise keine Bestimmung des Inhalts, Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), S. 118. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 164 f. 106 Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 165; Hiervon unterscheidet sich die Auffassung Appels, Verfassung und Strafe (1998), S. 475 ff. (trotz der Ausführungen ebd. S. 468 f., S. 482 ff. und S. 496, Fn. 209) letztlich nur in der Formulierung: Die Strafe zeichne sich durch einen „spezifisch strafrechtlichen Eingriffsmehrwert“ (S. 489 f.) aus, der darin liege, dass mit ihrer Verhängung die „autoritative staatliche Feststellung“ getroffen werde, dass „die Einstellung des Betroffenen zur Norm . . . defizitär gewesen“ sei und sich diese Feststellung „gezielt auf dessen sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch richte“ (S. 496, 467 ff.). 107 Vgl. BVerfGE 27, 18 (29). 104 105
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dass die Kriminalstrafe als Ausdruck ganz besonderer Missbilligung zu verstehen sei. Und auch im Schuldspruch des Strafverfahrens, der noch am ehesten als Träger eines solchen Werturteils in Frage käme, wird der Täter nicht eines überpositiven Unrechts, sondern der Verwirklichung des gesetzlich bestimmten Straftatbestandes schuldig gesprochen (vgl. nur §§ 260 Abs. 4 S. 1 u. 2, Abs. 5 S. 1 StPO). Das besondere Unwerturteil könnte sich sodann nur noch aus der Art der unter Strafe gestellten Tatbestände ergeben. Abgesehen davon, dass dies wiederum zu soeben geschilderten Problemen führen würde, wäre spätestens hier festzustellen, dass auch das Strafgesetzbuch Verbote „moral-indifferenter“ Verhaltensweisen enthält,108 so dass sich auch hieraus die Tatsache eines besonderen Unwerturteils nicht entnehmen lässt. Schon aus den soeben genannten Gründen kann diese Auffassung daher nicht überzeugen. Hinzu kommt noch, dass eine Missbilligung der Persönlichkeit gerade auch in Präventivmaßnahmen zum Ausdruck kommen kann, wo nicht in erster Linie die Tat einer Person, sondern allgemein deren Gefährlichkeit beurteilt wird. Vor allem aber ist es angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 2 und 3 GG sowie auch in rechtshistorischer Hinsicht überaus bedenklich, das Besondere der Strafe in dem Zugriff auf die Persönlichkeit zu sehen. Die Aufnahme der Justizgrundrechte der Art. 103 Abs. 2 und 3 in GG beruht auf den Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit.109 Sie sind vor allem vor dem Hintergrund des Missbrauchs der Strafjustiz als Terrorinstrument zu sehen. Es soll verhindert werden, dass ein bestimmtes Verhalten einer Person von der Justiz ohne gesetzliche Grundlage und gegebenenfalls immer wieder110 zum Anlass für Repressalien genutzt werden kann. Art. 103 Abs. 3 GG soll insoweit nicht nur vor der Gefahr eines wiederholten, vergeistigten Unwerturteils schützen, sondern vor allem davor, wiederholt der Gefahr unmittelbarer staatlicher Repressionen ausgesetzt zu sein. Die Möglichkeit des einschneidenden Zugriffs auf die Person selbst ist es, die besondere verfassungsrechtliche Garantien erfordert. Die Strafjustiz ist der Bereich, wo die Gerichte nicht nur die Eingriffe der Exekutive kontrollieren, sondern selbst in einschneidender Weise die Freiheit der Person beschränken können. Im Bereich der Ziviljustiz ist die Gefahr von Eingriffen dieser Art abgesehen von den §§ 888, 890 ZPO begrenzt, seit die Personalhaftung durch die Vermögenshaftung abgelöst wurde. Angesichts der Tatsache, dass sich auf der einen Seite ein überzeugendes Kriterium, das es erlaubt, „Strafen“ von anderen repressiven Sanktionen zu unterscheiden und den Anwendungsbereich der Art. 103 Abs. 2 und 3 GG zu begrenzen, nicht finden lässt, andererseits aber der Verfassungsgeber davon ausVgl. Henkel, Rechtsphilosophie2 (1977), S. 88. Vgl. Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (254); Schaper, NJW 1963, 1764 (1765), F.C. Schroeder, JuS 1997, 227 (228). 110 Vgl. Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (254). 108 109
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gegangen ist, dass diese Garantien nicht uneingeschränkt auf alle Arten von Sanktionen Anwendung finden können, ist nach entsprechenden Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Als Lösung bietet es sich an, das Anwendungsgebiet der Art. 103 Abs. 2 und 3 GG weitgehend auf das Kriminalstrafrecht zu beschränken, um zu verhindern, dass der Garantiegehalt dieser Vorschriften dadurch relativiert wird, dass die an das Kriminalstrafrecht zu stellenden strengen Anforderungen bei anderen Sanktionssystemen nicht durchzuhalten sind.111 Dass die Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO damit außerhalb des Anwendungsbereichs der Art. 103 Abs. 2 und 3 GG liegen, ist im Hinblick auf die allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien, insbesondere den Gesetzesvorbehalt und das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Umfang des durch diese Garantien gewährleisteten Schutzes u. a. nach der Eingriffsintensität richtet112 und dem strafähnlichen Charakter der Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO dabei Rechnung zu tragen ist. In Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG lässt sich die Lösung auch im Hinblick auf die beiden Garantiefunktionen dieser Vorschrift rechtfertigen. Durch den Grundsatz „nulla poena sine lege“ soll zum einen der Normadressat dadurch geschützt werden, dass für ihn die mögliche Strafbarkeit seines Verhaltens vorhersehbar ist, und zum anderen soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung über die Strafbarkeit dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten bleibt.113 Die Vorhersehbarkeit der Ordnungsmaßnahmen als mögliche Folge eines Verhaltens ist aber bereits dadurch hinreichend sicher gestellt, dass diese dem Verbotsadressaten individuell nach § 890 Abs. 2 ZPO vorher angedroht werden müssen. Dass eine hinreichend bestimmte Verbotsnorm sich nicht bereits dem Gesetz entnehmen lässt, sondern erst durch einen besonderen Rechtsakt geschaffen wird, ist ebenso bei Blankettstrafgesetzen, die an eine Verbotsverfügung anknüpfen, der Fall, und wird dort grundsätzlich für zulässig erachtet.114 Der EntscheidungspriVgl. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 196; vgl. auch Bonner Kommentar60. Lfg. 1990 /Rüping, Art. 103 II Rn. 78. 112 Vgl. für das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2008), Art. 103 II Rn. 39. 113 Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz10 (2009), Art. 103 Rn. 49; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2008), Art. 103 II Rn. 28. 114 Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz10 (2009), Art. 103 Rn. 57; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2008) Art. 103 Rn. 37; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 219; v. Münch/Kunig, Grundgesetz3 (1996), Art. 103 Rn. 24a; – zum Teil wurde § 890 ZPO selbst als Blankettstrafgesetz angesehen, vgl. u. a. OLG Frankfurt, NJW 1977, 1204 (1205); NJW 1962, 542 (543); NJW 1958, 2021 (2021); Blomeyer, FS Heinitz (1973), 683 (686 m. Anm. 13, 697); Meyer, MDR 1956, 577 (577); E. Schulz, NJW 1963, 1095 f.; a. A. Schaper, NJW 1963, 1764 (1766): „§ 890 ZPO enthält . . . einen in sich geschlossenen Tatbestand mit vollständigen, aus einem Oberbegriff zu entnehmenden Merkmalen“; – R. Lange, FS Engisch (1969), 621 (632 f.), Zieres, Grundfragen der Zwangsvollstreckung (1970), S. 28 f. 111
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mat des Gesetzgebers wird für den Bereich der Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt für eingreifende Maßnahmen sichergestellt. Art. 103 Abs. 3 GG weist über seinen Anwendungsbereich hinaus darauf hin, dass das mehrfache Eingreifen von staatlichen Sanktionen aufgrund desselben Sachverhalts in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen besondere Probleme aufwirft. Insofern sind spezifische Grenzen für die Zulässigkeit mehrfacher Sanktionen herauszuarbeiten:115 Fliedner hat auf der Grundlage einer extensiven Interpretation des Begriffes der „Strafe“ in Art. 103 Abs. 3 GG Grundsätze für die Zulässigkeit von Doppelsanktionen aufgestellt. Er geht davon aus, dass grundsätzlich „dasselbe Verhalten nur von einem einzigen Sanktionensystem erfasst und demgemäß in einem Verfahren geahndet werden darf“. Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürften der besonderen Rechtfertigung.116 Ein solcher rechfertigender Grund liege z. B. dann vor, wenn, wie durch das Disziplinarrecht oder durch prozessrechtliche Ordnungsstrafen, eine besondere Ordnung geschützt werde, die sich von der durch das Kriminalstrafrecht geschützten Ordnung innerhalb der Gesamtgemeinschaft unterscheide.117 Da im Gegensatz dazu das Ordnungswidrigkeitenrecht keine besondere Ordnung schütze, sei eine gesonderte Sanktion nicht gerechtfertigt, wenn dasselbe Verhalten zugleich nach dem Kriminalstrafrecht zu bestrafen sei.118 Schmidt-Aßmann hält die Ausbildung eines Schutzsystems gegen Doppelsanktionen außerhalb des Anwendungsgebiets der Art. 103 Abs. 3 GG für geboten:119 Abgesehen von einer „Pflicht zur Spezifizierung der Sanktionsziele“ gelte vor allem, „dass Doppelsanktionen desto eher zulässig sind, je deutlicher die mit ihnen verfolgten Aufgaben und Ziele voneinander getrennt sind, und und Böhm, Die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO (1971), S. 26 meinen, dass § 890 ZPO nicht den Anforderungen entspricht, die Art. 103 Abs. 2 GG an Strafgesetze stellt, weil der vollstreckbare Titel, der § 890 ZPO inhaltlich ausfüllt, selbst kein Gesetz ist. 115 Vgl. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 276, 288 f., 292; Jarass/Pieroth, Grundgesetz10 (2009), Art. 103 Rn. 74: „Grenzen mehrfacher Sanktionierung durch nicht unter [Art. 103] Abs. 3 fallende Mittel können sich . . . aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . ergeben“; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2008); Art. 103 III Rn. 23: „allgemeine Grenzen für eine doppelte Sanktionierung . . . aus dem Gedanken der Rechtssicherheit und dem Übermaßverbot“; vgl. auch Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. 14 (2006), § 2 Rn. 139: „Problem der Doppelbelastung“ bei Zusammentreffen von Ordnungsmaßnahmen und Kriminalstrafen, Gesetzgeber habe in § 178 III GVG Lösung versucht. 116 Vgl. Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (264 f.). 117 Siehe Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (266 f. für das Disziplinarrecht, 268 f. für prozessuale Ordnungsmittel). 118 Fliedner, AöR 99 (1974), 242 (273 f.). 119 Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30. Lfg. (1992), Art. 103 Rn. 278 f.
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dass sie desto eher zu unterbleiben haben, je enger ihre Ziele beieinander liegen. Die mehrfache Ahndung desselben Vorgangs mit der gleichen oder einer weitgehend mehrfachen Maßnahme ist verboten“.120 Gemessen an diesen Grundsätzen kann das Nebeneinander von Kriminalstrafe und Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO im Falle von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen nicht gerechtfertigt werden. Es hat sich erwiesen, dass es sich bei der Kriminalstrafe und den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO nicht um grundsätzlich verschiedene Maßnahmen, sondern um in ihrem Wesen vergleichbare Sanktionen handelt. Vermeintliche Effektivitätslücken des Strafrechtssystems sind gegebenenfalls durch entsprechende Reformen des Gesetzgebers zu beseitigen und stellen daher keinen legitimen Grund dafür dar, zu Lasten der Rechtssicherheit neben dem „ineffektiven“ Strafrechtssystem unkoordiniert eine weitere Sanktionsmöglichkeit nach § 890 ZPO einzurichten.
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Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz30.
Lfg.
(1992), Art. 103 Rn. 279.
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§ 9 Quasinegatorischer Rechtsschutz – Grundrechtseingriff ohne gesetzliche Grundlage oder zulässige richterliche Rechtsfortbildung Dass die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche sich nicht auf eine Anspruchsgrundlage des BGB stützen können, sondern auf richterlicher Rechtsfortbildung beruhen, wirft die Frage nach der Zulässigkeit ihrer Gewährung durch die Rechtsprechung auf. Entscheidend dafür ist insbesondere, ob die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche einen Eingriff in Grundrechte des Anspruchsgegners darstellt, und inwieweit das daraus resultierende Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage durch eine den Gerichten unter Umständen zustehende Befugnis zur Rechtsfortbildung eingeschränkt wird. I. Quasinegatorische Unterlassungsansprüche als Grundrechtseingriff Ausgangspunkt der Untersuchung ist daher die Frage, inwieweit durch die Gewährung der Ansprüche und deren Vollstreckung in Grundrechte des Anspruchsgegners eingegriffen wird. Wenn man dabei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung, ebenso wie das BVerfG bei der Überprüfung strafrechtlicher Bestimmungen,1 zwischen Verhaltensnorm und Sanktionsnorm unterscheidet, so kommt durch die Gewährung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs unter zwei Aspekten ein Grundrechtseingriff in Betracht. 1. Grundrechtseingriff durch Verhaltensnorm Zunächst einmal kann dadurch in die grundrechtlich geschützte Freiheit des Anspruchsgegners eingegriffen werden, dass er zur Unterlassung einer bestimmten Tätigkeit verpflichtet ist, ihm also ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts fällt, verboten ist. Welches Grundrecht einschlägig ist – eines der speziellen Freiheitsgrundrechte oder Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht – hängt von der Art der zu unterlassenden Handlung ab. Über die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht herrscht bis heute jedoch keine Einigkeit. Weit verbreitet ist die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung, nach deren Grundgedanken die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe nicht unmittelbar auf die horizontale Beziehung zwischen zwei Privatrechtssubjekten anwendbar sind, aber die Grundrechte in ihrer 1 Vgl. z. B. BVerfGE 92, 191 (196) unter B I.: „Prüfungsmaßstab für die Auferlegung der Geldbuße ist die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit. Bei der Frage, ob diese Sanktion auf einer verfassungsmäßigen Norm beruht . . .“; siehe zu der Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung Appel, Verfassung und Strafe (1998), S. 79 ff. m.w. N. aus der Rspr. d. BVerfG; Poscher, Grundrechte (2003), S. 166 f., 306 f.
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objektiv-rechtlichen Funktion das Privatrecht über die Medien von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen prägen.2 Geht man einmal aus Gründen der Vereinfachung3 von der Extremposition aus, dass die Grundrechte als Abwehrrechte nur das Verhältnis Staat – Bürger erfassen und für das Privatrecht, das Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelt, schlechthin keine Bedeutung haben, so wäre die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs im Hinblick auf die Grundrechte der Anspruchsgegners von vornherein rechtlich indifferent. Der dogmatische Weg, um für das Außervertragsrecht zu dem Ergebnis zu kommen, dass die dem Anspruch korrespondierende Pflicht sich nicht an den Grundrechten des Anspruchsgegners messen lassen muss, ist die immanente Beschränkung der Grundrechte durch die privaten Rechte Dritter, also die Herausnahme der entsprechenden Handlungen aus dem Schutzbereich der Grundrechte.4 2 Die Lehre von der mittelbaren Wirkung der Grundrechte geht zurück auf Dürig, vgl. ZGesStW 109 (1953), S. 326 (339 ff.); FS Nawiasky (1956), S. 157 ff.; DÖV 1958, 194 ff.; das BVerfG tendierte eine Zeit lang stark zu dieser Theorie, vgl. BVerfGE 7, 198 (203 ff.); 25, 256 (263); 42, 143 (148); 52, 131 (166 ff.), 73, 261 (269); vgl. die Analyse der Rechtssprechung des BVerfG von Poscher, Grundrechte (2003), S. 227 ff. – Der Begriff „mittelbare Drittwirkung“ dürfte heute über den Aspekt der nur durch Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe vermittelten Geltung der Grundrechte im Privatrecht in einem weiteren Sinne für eine – in welchem Umfang auch immer – relativierte Geltung der Grundrechte im Privatrecht (im Sinne einer Ausrichtung des Privatrechts an den verfassungsrechtlichen Grundgedanken, Stichwort „objektive Werteordnung“, o. ä.) stehen. Für eine nur mittelbare Geltung der Grundrechte im Privatrecht hat sich zuletzt vehement Diederichsen, AcP 198 (1998), 172 (230 ff.) eingesetzt, dort auch Nachweise weiterer Vertreter des aktuellen Schrifttums in Fn. 276. 3 Die verschiedenen Variationen der Theorie der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Verallgemeinernd lässt sich aber sagen, dass sie die Frage der Grundrechtsgeltung im Privatrecht mit einem „Nein, aber“ beantworten, also die Geltung der Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte für das Privatrecht zunächst verneinen, um dann jedoch den Grundrechten als „objektive Wertordnung“ o. ä. doch eine Bedeutung für das Privatrecht zuzuerkennen, die sich jedoch in unterschiedlich starkem Maße von der sonst geltenden Grundrechtsdogmatik unterscheidet. Auch wenn sie dabei praktisch zu denselben Ergebnissen kommen mögen, die sich bei Anwendung der für die Grundrechte als Abwehrrechte auch sonst geltenden Maßstäbe ergeben würden, müssen sie sich im Rahmen dogmatischer Betrachtung an diesem primären „Nein“ festhalten lassen. Ausführliche Auseinandersetzungen mit den Theorien der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht finden sich u. a. bei Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1960); Schwabe, Drittwirkung (1971); ders., AöR 100 (1975), 442 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), S. 475 ff.; Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 159 ff.); vgl. Poscher, Grundrechte (2003), S. 278, der darauf hinweist, dass der Begriff der mittelbaren Grundrechtswirkung mit einer „Opposition“ verbunden ist. Fraglich ist insofern in der Tat, ob es sich um eine Opposition gegen die unmittelbare Grundrechtsbindung Privater oder gegen die unmittelbare Grundrechtsbindung des Richters bei der zivilrechtlichen Entscheidung handelt. 4 Vgl. z. B. Dürig, FS Nawiasky (1956), 157 (173): „Das Grundgesetz hat bei Anerkennung des allgemeinen Freiheitsrechts die Rechte der ,anderen‘, als bereits in der Privatrechtsordnung normiert hingenommen und Grundrechte . . . dem Staat gegenüber
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2. Grundrechtseingriff durch Sanktionsnorm Des weiteren kann ein Grundrechtseingriff in der Vollstreckung des Anspruchs, hier also in der Androhung und Verhängung von Ordnungsgeldern (Art. 2 Abs. 1 GG) bzw. Ordnungshaft (Art. 2 Abs. 2, 104 GG), begründet sein. Würde man jedoch die Vollstreckung von zivilrechtlichen Ansprüchen uneingeschränkt als Grundrechtseingriffe qualifizieren, weil es nun um Eingriffe der staatlichen Vollstreckungsorgane in die Rechte des Einzelnen und damit um das Verhältnis Staat – Bürger geht,5 würde man dadurch die auf der Ebene des materiellen Rechts durch den Ausschluss oder die Einschränkung der Grundrechtsgeltung erreichten Ergebnisse konterkarieren.6 Die Verpflichtung zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme unterläge insoweit mittelbar doch der Überprüfung anhand der Grundrechte, als diese gegenüber dem Gerichtsvollzieher, der im Wege der Zwangsvollstreckung den entsprechenden Vermögenswert zu realisieren versucht, uneingeschränkt Geltung beanspruchten. Im Ergebnis würde dies dazu führen, dass zwar theoretisch ein privatrechtlicher Anspruch bestünde, dieser aber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht oder nicht in vollem Umfange vollstreckbar wäre und daher das für den Anspruch wesensbestimmende Element fehlen würde. Daher wird die Auffassung vertreten, dass eine unmittelbare Anwendung des Verfassungsrechts auch auf die Vollstreckung privatrechtlicher Titel nicht in Betracht komme.7 Eine Ausnahme wird lediglich für den Fall gemacht, dass nur „das Verhältnis Staat – Bürger betroffen ist“, wie es z. B. bei der Wahl der Ordnungsmittel des § 890 ZPO der Fall sei.8 Wenn man die Ergebnisse der sog. Lehre von der mittelbaren Geltung der Grundrechte im Privatrecht vollstreckungsrechtlich sichern will, bedeutet dies für Unterlassungsannur insoweit anerkannt, als sie nicht die Rechte ,anderer verletzen‘. Das Grundgesetz denkt also die Grundrechte von vornherein vermindert um die den anderen gegenüber bestehenden subjektiven Rechte und setzt voraus, dass die Menschenrechte im Verhältnis der einzelnen untereinander bereits in der Privatrechtsordnung aktualisiert sind.“; vgl. auch Herzog, JR 1969, 441 (443). 5 Vgl. das Sondervotum Boehmers in BVerfGE 49, 228 (231), auf das das Gericht in BVerfGE 52, 131 (153) ohne dazu Stellung zu nehmen, Bezug nimmt: „Wenn auch die Zwangsversteigerung der Durchsetzung privater Interessen dient, geht es nicht wie im Erkenntnisverfahren um eine privatrechtliche Streitigkeit zwischen Schuldner und Gläubiger. Die Vollstreckungsorgane handeln aufgrund des staatlichen Zwangsmonopols, das dem öffentlichen Recht angehört.“; siehe dazu Poscher, Grundrechte (2003), S. 232: es „spricht alles dafür, dass das Gericht . . . die Zwangsvollstreckung nicht als Drittwirkungsproblem einstuft“. 6 Vgl. Stein/Jonas22 /Münzberg (2002), Vor § 704 Rn. 43. 7 Stein/Jonas22 /Münzberg (2002), Vor § 704 Rn. 43 f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (219): Vollstreckung regelmäßig keine gegenüber der materiellen Pflicht selbständige Beschwer. 8 Vgl. Stein/Jonas22 /Münzberg (2002), Vor § 704 Rn. 43 a. E.; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (219): Grundrechtseingriff nur insoweit, „als durch die Art und Weise der Verfahrensgestaltung oder -durchführung ein gegenüber dem Urteil eigenständiger Eingriff . . . stattfindet.“
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sprüche, dass bei der Prüfung, ob die Verhängung des Ordnungsmittels als Grundrechtseingriff gerechtfertigt sind, die Legitimität des verfolgten Zwecks nicht unmittelbar an Grundrechten gemessen werden kann. Ansonsten müsste z. B. die Verhängung von Ordnungsmitteln wegen Zuwiderhandlung gegen das Verbot von Handlungen, die in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen, verfassungsrechtlich unzulässig sein, weil die Gerichte als Träger hoheitlicher Gewalt auch nicht mittelbar auf das Unterbleiben eines Verhaltens hinwirken dürfen, das durch die Grundrechte vorbehaltlos9 geschützt wird. 3. Gewährung eines materiellrechtlichen Anspruchs als Grundrechtseingriff Für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen sind die vorhergehenden Überlegungen vor allem unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes von Bedeutung. Insoweit die Gewährung solcher Ansprüche zu Grundrechtseingriffen führt, ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich. In diesem Bereich zeigt sich jedoch die Eigentümlichkeit des quasinegatorischen Rechtsschutzes: Abgesehen von den nur zum Teil positivierten Verbotsnormen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts finden die Verbote, die im Wege des quasinegatorischen Rechtsschutzes durchgesetzt werden können, in Gesetzen des öffentlichen Rechts und des Strafrechts eine gesetzliche Grundlage. Auch für die Verhängung von Ordnungsmitteln ist eine gesetzliche Grundlage vorhanden: Nach § 890 ZPO kommt der Zwang durch Androhung und Anordnung von Ordnungsmitteln zur Durchsetzung aller Verpflichtungen, die im Wege der zivilrechtlichen Klage durchgesetzt werden können, zum Einsatz. Was jedoch fehlt, ist eine gesetzliche Bestimmung, die vorsieht, dass zur Durchsetzung der außerhalb des Privatrechts normierten Verbote der Vollstreckungszwang nach § 890 ZPO zum Einsatz kommt. Es fehlt also eine Vorschrift, die durch die Gewährung eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs die Verknüpfung zwischen der Verhaltensnorm und dem Rechtszwang des Privatrechts herstellt. Auf eine solche gesetzliche Verknüpfung könnte aber nur dann verzichtet werden, wenn die oben dargelegte Sichtweise der Grundrechtsgeltung im Privatrecht zutreffen würde. Nur wenn sich die Gewährung eines materiellrechtlichen Anspruchs nicht als Grundrechtseingriff darstellte und daher nicht dem Gesetzesvorbehalt unterläge, könnte es verfassungsrechtlich ausreichend sein, eine gesetzliche Grundlage nur für den Einsatz des staatlichen Rechtszwangs an sich vorzusehen, es jedoch offenzulas9 Von dem Problem der Rechtfertigung von Eingriffen in vorbehaltlos gewährte Grundrechte durch verfassungsrechtlich gewährte Rechte Dritter und sonstige Güter von Verfassungsrang soll hier abgesehen werden; das Beispiel ließe sich insofern dahingehend abwandeln, dass es um das Verbot eines Verhaltens handelt, das nicht zu rechtfertigen ist, etwa weil das Verhalten in den Kernbereich eines Grundrechts fällt oder weil das Verbot unverhältnismäßig ist.
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sen, zur Durchsetzung welcher Verpflichtungen dieser in concreto zum Einsatz kommt. § 890 ZPO wäre insofern eine Blankettnorm, die anders als z. B. Blankettstrafgesetze auch durch ungeschriebene Normen ausgefüllt werden kann, weil die ausfüllenden Normen dem Privatrecht angehören, in dem Grundrechte und Gesetzesvorbehalt nicht gelten. Die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche wäre dann insoweit unbedenklich: Aus den in anderen Rechtsgebieten enthaltenen Verboten könnte ohne besondere gesetzliche Grundlage auf ein entsprechendes Privatrecht auf Unterlassung geschlossen werden, für dessen Durchsetzung § 890 ZPO eine ausreichende gesetzliche Grundlage bietet. Die oben dargelegte Sichtweise entspricht durchaus einem im Privatrecht noch weit verbreiteten Selbstverständnis, das jedoch fast nie10 in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird: Es ist die auf der gedanklichen Trennung von Recht und Staat aufbauende Vorstellung eines staatsfreien Zivilrechts,11 das vom Gesetzgeber nicht geschaffen, sondern von ihm vorgefunden und in Teilen kodifiziert wurde. Die Geltung dieser Privatrechtsordnung beruhe daher in erster Linie auf deren Historizität und Gerechtigkeit (Übereinstimmung mit der Rechtsidee), und nicht auf staatlicher Setzung.12 Prozess und Zwangsvollstreckung 10 Vgl. nun aber kürzlich Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 (209 ff.), der auf das „hohe Alter“ der subjektiven Rechte und die „historische Rolle des Zivilrechts“ verweist, um den Geltungsvorrang der Grundrechtsbestimmungen vor dem einfachgesetzlichen Zivilrecht zu leugnen („Souveränität des Zivilrechts“; „neben dem hierarchischen“ sei „durchaus auch ein funktionales Konzept denkbar“; vgl. auch ebd. S. 234). Gegen die unhaltbare These Diederichsens, dass sich Art. 1 Abs. 3 GG keine Bindung des Privatrechtsgesetzgebers entnehmen lasse, zu Recht Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 11 ff. – es passt übrigens nicht gut zusammen, dass Diederichsen einerseits Zivilrechts wohl gerade auch wegen seiner freiheitssichernden Funktion als verfassungsrechtlichen Wert schützen will, andererseits aber die Grundrechte als „Werte eines kollektiv gewordenen Egoismus“ (ebd. S. 215) bezeichnet. 11 Vgl. nur Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 (209), der die Rückführung des Rechts auf den Staat als einen „merkwürdige[n] Rückfall in das etatistische Denken des Gesetzespositivismus des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet. Diederichsen ist freilich darin zuzustimmen, dass es dogmatisch verfehlt wäre, die durch Rechtsgeschäft begründeten Pflichten als gesetzliche, in ihrer Geltung von der Vornahme des Rechtsgeschäfts abhängige Pflichten zu verstehen. Im Übrigen aber hat der Gedanke eines staatlich garantierten Rechts, der keineswegs einfach mit der Imperativentheorie gleichzusetzen ist, nichts mit dem etatistischen Denken des 19. Jahrhunderts zu tun. Es ist die Rückbesinnung darauf, dass auch die Privatrechtsnormen als richterliche Entscheidungsnormen Regeln der Ausübung staatlicher (richterlicher) Gewalt sind. – Vgl. auch Stern, Staatrecht III/1, § 76 III. 3 in Bezug auf die mittelbaren Drittwirkungslehren: „Gesellschaft und Staat bleiben für sie getrennt . . .“. 12 Vgl. Schwabe, Drittwirkung (1971), S. 38: Es „schimmert“ die Vorstellung „durch“, „im Privatrechtsbereich sei etwas anderes als staatliche Machtausübung effektiv“; vgl. zum geschichtlichen Hintergrund dieser Sichtweise Krause, JZ 1984, 656 (657): Soweit man im 18. und 19. Jahrhundert der Bereitschaft des Gesetzgebers zur Schaffung einer freiheitlichen Privatrechtsordnung misstraute, „war die Abschirmung des Privatrechts gegen Interventionen des Staates – sei es durch die Verneinung des staatlichen Berufs zur Gesetzgebung (Savigny), durch Schaffung eines Allgemeinen
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(Gerichtsordnung) sind staatliche Mittel, um die vom Staat vorgefundene Privatrechtsordnung zu schützen und zu verwirklichen.13 Gegenüber diesen staatlichen Zugriffen greifen zwar die freiheitssichernden Schutzmechanismen ein, allerdings nur insoweit, als die materiellrechtlichen Privatrechtssätze dadurch nicht in Frage gestellt werden. Die Vorstellung einer vorbestehenden Privatrechtsstruktur erklärt auch, warum die Handlungen, die dem Anspruchsgegner aufgrund eines Anspruchs untersagt sind, von vornherein nicht in den Schutzbereich eines Grundrechts fallen sollen:14 Das Privatrecht hat die Freiheitsräume im Verhältnis zwischen den Einzelnen bereits zum Ausgleich gebracht, in dem es den Einzelnen Freiheitsräume (subjektive Rechte) zugewiesen und dabei die Willkür der anderen zurückgedrängt hat.15 Der Einzelne hat ein Recht darauf, dass weder der Staat (Grundrechte) noch private Dritte (Privatrechte) in den ihm zugewiesenen Freiheitsraum eindringen,16 jedoch kein Recht, selbst in die Freiheitsräume Dritter einzudringen. Ein darüber hinausgehendes Recht, Handlungen vorzunehmen, die in den Freiheitsraum eines anderen fallen, können auch die Grundrechte ihm nicht verleihen. Um es in der Terminologie LübbeWolffs17 auszudrücken: Im Verhältnis zu den Schutzinteressen der anderen Pri-
Bürgerlichen Gesetzbuchs, das seiner besonderen Eigengesetzlichkeit wegen vom staatlichen Gesetzgeber nur gefunden, aber nicht eigentlich erlassen werden konnte (Zeiler), oder durch verfassungsrechtliche Gewährleistung des bestehenden code civil . . . – ein wesentliches Instrument zur Herstellung und Sicherung bürgerlicher Freiheit und Gleichheit. Eine vergleichbare Abschirmung lässt sich im demokratischen Rechtsstaat nicht mehr durch schlichte Verneinung der Kompetenz des Gesetzgebers erreichen, sondern nur noch durch die Aufrichtung inhaltlicher Verfassungsschranken.“ 13 Vgl. zu dieser Sichtweise auch o. § 3 II. 14 Vgl. auch Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 163: „Geht man von der Annahme eines naturrechtlich präformierten Schutzbereichs der Grundrechte aus, dann stellt sich eine positive Privatrechtsgesetzgebung, soweit sie nur die Linien eines wie immer identifizierten ,natürlichen‘ Privatrechts nachzeichnet, tatsächlich als quasi grundrechtsneutral dar; die naturrechtskongruente positivrechtliche Fixierung privater Rechte und Pflichten . . . erscheint dann jedenfalls nicht mehr als Beschränkung irgendwelcher Freiheiten, und insoweit, allerdings wirklich nur insoweit, ließe sich dann mit Recht vertreten, dass das staatlich gesetzte und durchgesetzte Privatrecht kein Thema für die Grundrechte als Abwehrrechte ist (und umgekehrt)“. 15 Vgl. Dürig, FS Nawiasky (1956), 157 (173): „Das Grundgesetz . . . setzt voraus, daß die Menschenrechte im Verhältnis der einzelnen untereinander bereits in der Privatrechtsordnung aktualisiert sind.“ 16 So dürfte Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 (210) zu verstehen sein, wenn er davon spricht, dass „Grundrechte und subjektive Privatrechte . . . ihrem Inhalt nach weitgehend deckungsgleich“ seien. Die Freiheit des Einzelnen (z. B. des Eigentümers) wird von den ersten gegenüber dem Staat, von den letzteren gegenüber den anderen Privaten geschützt. 17 Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 87 spricht von dem Konzept „naturrechtlich präformierter Freiheit“ im Gegensatz zu dem von ihr für die Frage der Reichweite des grundrechtlichen Schutzbereichs zu Recht favorisierten Konzepts der unbegrenzten natürlichen Freiheit.
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vatrechtssubjekte ist der grundrechtliche Schutzbereich privatrechtlich „präformiert“. Indes würde eine solche Sichtweise, die zu einer Trennung zwischen einer Privatrechtsordnung ohne Bezug zum staatlichen Zwang auf der einen und einer staatlichen Gerichtsordnung auf der anderen Seite führt, die Fehler der Lehre vom Rechtsschutzanspruch18 wiederholen. In diesem Zusammenhang wurde bereits aufgezeigt,19 dass es nicht möglich ist, das materielle Privatrecht und den Privatrechtsanspruch strikt auf die Beziehung zwischen den Privatrechtssubjekten zu beschränken und den Rechtszwang als etwas von außen Hinzutretendes, das von eigenen Voraussetzungen abhängt, zu begreifen. Dem Privatrechtsanspruch ist seine Beziehung zum Rechtszwang immanent und er begründet auch eine Beziehung zwischen den betroffenen Privatrechtssubjekten und den Rechtsprechungsorganen, die Vollstreckungsorgane miteinbezogen. Der Anspruch ist die vom Gesetzgeber eingeräumte Befugnis, durch die Inanspruchnahme der Gerichte zu erzwingen, dass ein anderer eine bestimmte Handlung vornimmt oder unterlässt.20 Sowohl der Gesetzgeber21 als auch die Gerichte,22 deren 18
s. o. § 3 II. s. o. § 3 II. 4. 20 s. o. § 3 IV. 21 Pieroth/Schlink, Grundrechte25 (2009), Rn. 193; Dreier, Grundgesetz2 (2004), Vor Art. 1 GG Rn. 97; Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 16 ff.; Hager, JZ 1994, 373 (374 f.); Dreier, Jura 1994, 505 (511); Heun, Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit (1992), S. 56; Rüfner in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), HbdStR V (1992), § 117 Rn. 59; Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 76 IV 3; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (210); Canaris, JuS 1989, 161 (162); Krause, JZ 1984, 656 (659); a. A. gegen eine (unmittelbare) oder für eine gelockerte Bindung des Zivilgesetzgebers Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Begr./Hrsg.), Grundgesetz5 (2005), Art. 1 Rn. 310 f.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 172 (231); Hesse, Grundzüge20 (1995), Rn. 352; Zöllner, RDV 1985, 3 (6); Lerche, ZHR 149 (1985), 165 (167 Fn. 10); Kopp, FS Willburg (1975), 141 (149); Bydlinski, ÖZfÖR XII (1962/1963), 423 (442 f.); in der Tendenz auch Rupp, AöR 101 (1976), 161 (170 f.); – Auf der Grundlage einer Theorie der mittelbaren Drittwirkung müsste konsequenterweise auch die unmittelbare Grundrechtsbindung des Gesetzgebers bei der Zivilrechtsgesetzgebung verneint werden: Dass der Gesetzgeber, nicht aber der Richter, der über Konflikte zwischen Privaten entscheidet, unmittelbar an die Grundrechte gebunden sein soll, würde angesichts der Tatsache, dass der Richter nicht nur an das GG, sondern auch an die gesetzliche Entscheidung des Gesetzgebers gebunden ist, jeder Logik entbehren; konsequent daher Zöllner, RDV 1985, 3 (6) analog zu der Formel Doehrings zur Bindung des Richters: „Der Gesetzgeber hat die Grundrechte insoweit zu beachten, wie sie einschlägig sind. Nicht aber sind sie inhaltlich einschlägig, weil der Gesetzgeber die Gesetze erläßt“. – dazu, dass sich die Theorie der mittelbaren Drittwirkung in ihrem ursprünglichen Bedeutungsgehalt (Wirkung durch das Medium der Privatrechtsvorschriften) nicht auf die Bindung des Gesetzgebers übertragen lässt Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 17 f. 22 Differenzierend dagegen die Vertreter der Theorie der mittelbaren Drittwirkung, vgl. die es insoweit auf den Punkt bringende Formulierung Doehrings (Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland3 (1984), D IV 2 a) a. E. (S. 209)): „Das Gericht hat die Grundrechte zu beachten, soweit sie gelten; nicht etwa gelten sie, weil ein Gericht 19
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Funktion sich in vielerlei Hinsicht grundsätzlich von denen von Verwaltungsbehörden unterscheiden mag, bei denen es aber außerhalb jedes Zweifels steht, dass sie „öffentliche Gewalt“ ausüben, sind an die Grundrechte gebunden. Diese Ausübung öffentlicher Gewalt muss sich aber jedenfalls dann, wenn die mit dem Anspruch verbundene Einschränkung des Anspruchsgegners in seiner Handlungsfreiheit nicht auf seiner als Privatautonomie anzuerkennenden Freiheit, sich selbst zu verpflichten, beruht,23 sondern ihm heteronom auferlegt wird, unbeschränkt an den Grundrechten messen lassen.24 Demgegenüber kann die Annahme, dass die Gerichte nur insoweit an die Grundrechte gebunden seien, „wie die für den Rechtsprechungsakt maßgeblichen Rechtsnormen die Beachtung verlangen“, nicht überzeugen.25 Doehrings Argumentation, dass die Gerichte die Grundrechte zu beachten haben, soweit sie gelten, sie aber nicht etwa deshalb gelten würden, weil ein Gericht entscheidet,26 trägt nicht. Ententscheidet“; dieser Formel haben sich u. a. angeschlossen: v. Münch, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz5 (2000), Vorb. Art. 1–19, Rn. 33 a. E.; Rüfner, in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.) HbdStR V (1992), § 117 Rn. 60; Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 75 III. 4.; vgl. auch BVerfGE 73, 261 (269): „Eine Bindung des Richters an die Grundrechte kommt bei dieser streitentscheidenden Tätigkeit auf dem Gebiet des Privatrechts . . . nicht unmittelbar, wohl aber insoweit in Betracht, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt Elemente objektiver Ordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung . . . auch das Privatrecht beeinflussen.“ 23 Zu der Problematik der Bedeutung der Grundrechte für vertragliche Verpflichtungen, insb. dazu, ob die Freiheitsbeschränkungen aufgrund privatautonomer Selbstverpflichtung von vornherein nicht als Grundrechtseingriffe angesehen werden können, soll hier bewusst keine Stellung bezogen werden 24 Vgl. Dreier, Grundgesetz2 (2004), Vor Art. 1 GG, Rn. 99 f.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 31, 37 ff.; Dreier, Jura 1994, 505 (510 f.); Pietzcker, FS Dürig (1990), 345 (350 ff.); Canaris, JuS 1989, 161 (167); Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S.163 ff.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte (1993), S. 212; Heun, Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit (1992), S. 62; Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), S. 486 f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (212 f., 229 f.); – darüber hinaus gehen diejenigen, die in der Versagung eines Anspruchs nicht nur eine Verweigerung staatlichen Schutzes sehen, sondern infolge des allgemeinen Gewaltverbots die Begründung einer auf den Staat zurückzuführenden Duldungspflicht und somit einen staatlichen Eingriff; so vor allem Schwabe, AöR 100 (1975), 442 (459 f.) und zuletzt Poscher, Grundrechte (2003), S. 167 ff.; differenzierend von einem anderen Ansatzpunkt aus Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 174 ff.: wenn eine schutzgewährende Anspruchsgrundlage vorhanden ist, kann deren Nichtanwendung einen Eingriff in die durch sie konstituierte Grundrechtsposition darstellen. 25 So Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 75 III. 4; vgl. auch u. a. v. Münch, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz5 (2000), Vorb. Art. 1–19, Rn. 33 a. E.; Rüfner, in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), HbdStR V (1992), § 117 Rn. 60 26 Doehring, Staatsrecht3 (1984), D IV 2 a) a. E. (S. 209); vgl. aber auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 25: „Nicht weil die Gerichte staatliche Organe sind . . ., wohl aber weil die Anwendung und Fortbildung der Gesetze die notwendige Ergänzung und Vervollständigung ihrer Schaffung durch den Gesetzgeber darstellt, unterliegt somit auch die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Privatrechts der unmittelbaren Bindung an die Grundrechte“. M. E. ist der Zusammenhang (im Bereich der außervertraglichen Pflichten) auf der Grundlage der hier vertretenen, die Durchsetz-
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scheidend ist, dass die Gerichte im Rahmen ihrer rechtsprechenden Tätigkeit öffentliche Gewalt ausüben und daher gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sind, ohne dass dabei eine Ausnahme für das Privatrecht vorgesehen wäre.27 Rechtsnormen sind begrifflich diejenigen Normen, die in der Rechtsgemeinschaft mit Zwang durchgesetzt werden können. Der Rechtszwang ist aber weitestgehend bei den staatlichen Organen monopolisiert, die bei der Ausübung jedweden Zwangs gegenüber dem Einzelnen an die Grundrechte gebunden sind. In ihrer Funktion als Entscheidungsnormen regeln auch die Normen des Privatrechts die Ausübung öffentlicher Gewalt, in diesem Falle durch den Richter.28 Nicht zuletzt muss man sich dabei vergegenwärtigen, dass der Bezug der Privatrechtsnormen zur rechtsprechenden Gewalt des Richters in der zum Teil pejorativ als „aktionenrechtliches Denken“ bezeichneten Sichtweise des Privatrechts beinahe zwei Jahrtausende lang lebendig war. Die materielle Sichtweise, die das Privatrecht unter Ausblendung des Elements des Gerichts ausschließlich als unmittelbare Rechtbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten auffasst, hat sich erst im vorletzten Jahrhundert im Anschluss an Windscheid durchgesetzt. Diese Betrachtungsweise mag für die Dogmatik viele Vorzüge haben und bei richtiger Handhabung zu einer äquivalenten Beschreibung ein und desselben Rechtszustandes geeignet sein.29 Sie ändert aber nichts daran, dass letztlich auch die Privatrechtsnormen Regeln der Ausübung staatlicher Gewalt sind, und sich Regelungen des Nichtvertragsrechts prinzipiell in gleicher Weise wie solche des öffentlichen Rechts als Instrument der Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten durch den Staat eignen. Insofern trifft es zu, dass privatrechtliche Regelungen nicht prinzipiell weniger misstrauisch als öffentlich-rechtliche Regelungen zu sehen sind.30 barkeit des Rechts betonenden Konzeption, eher umgekehrt zu sehen: Weil die Gerichte und in letzter Konsequenz die Vollstreckungsorgane durch die Anwendung staatlichen Zwangs in die Grundrechte des Anspruchsgegners eingreifen, bedarf es für diese Eingriffe einer gesetzlichen Grundlage, die als solche wiederum die ausführenden Organe nicht zu unverhältnismäßigen Eingriffen ermächtigen darf. 27 Vgl. Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 177. 28 Daher ist es unerfindlich, wie Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 (228) meinen kann, dass der Ausgleich zwischen den Individualinteressen im öffentlichen Recht durch den Staat selbst durch „hoheitliche Gewalt bzw. Gesetze, die sich im Gegensatz zu den Normen des Zivilrechts an die jeweiligen Hoheitsträger wenden“, bewerkstelligt wird. Zum einen wenden sich die Normen des Zivilrechts als Entscheidungsnormen auch an die Zivilgerichte, mithin an Hoheitsträger. Zum anderen aber haben Normen des öffentlichen Rechts, insb. des Strafrechts, nicht allein die Funktion, die Voraussetzungen staatlichen Eingreifens zu regeln, sondern auch eine steuernde Funktion in Bezug auf das Verhalten des Einzelnen, „wenden“ sich also auch an ihn. 29 In dem Sinne, dass sich der geltende Rechtszustand sowohl durch die aktionenrechtliche als auch durch die materiellrechtliche Sichtweise korrekt beschreiben lässt, ohne dass die Änderung der Sichtweise auch zu einer Änderung des Rechts führt; vgl. zur Austauschbarkeit der Sichtweisen auch Bucher, AcP 186 (1986), 1 (5): „wenigstens dem Grunde nach austauschbar“. 30 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 76 IV 6; Krause, JZ 1984, 656 (657).
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4. Keine Differenzierung zwischen straf- bzw. öffentlich-rechtlicher auf der einen und zivilrechtlicher Sanktionierung von Normverstößen auf der anderen Seite Bedeutsam in dem soeben geschilderten Zusammenhang ist, dass sich der Gesetzgeber zum Schutze der Rechtsgüter des Einzelnen gegen private Übergriffe verschiedener Mittel bedienen kann und bedient: (1) Er kann entsprechende Handlungen in öffentlich-rechtlichen Gesetzen oder Verordnungen untersagen und Verwaltungsbehörden Befugnisse zu Durchsetzung dieser Verbote einräumen. (2) Er kann ein Gesetz erlassen, das die Übergriffe mit Kriminalstrafe bedroht, mit der Folge, dass die Einhaltung der Verbote durch die Strafvollstreckungsorgane sichergestellt wird. (3) Er kann dem Betroffenen (oder aber auch einem Kreis weiterer Personen) einen Privatrechtsanspruch auf Unterlassung der Handlungen gewähren.31 In dem Fall wird auf die Klage und den Vollstreckungsantrag des Betroffenen hin die Einhaltung des Verbots durch das Zivilgericht mittels des Vollstreckungsverfahrens nach § 890 ZPO sichergestellt. Ein durchschlagender Grund für eine unterschiedliche Behandlung des Falles (3) im Unterschied zu den Fällen (1) und (2) ist nicht ersichtlich.32 Der Adressat des Verbots wird in allen drei Fällen durch öffentliche Gewalt an der Vornahme des Übergriffs gehindert. Allen Fällen ist auch gemeinsam, dass sowohl der Adressat des Verbots als auch der durch das Verbot Geschützte Grundrechtsträger sind und daher die Regelung des Interessenkonflikts sich gegebenenfalls an den Grundrechten beider messen lassen muss.33 Eine charakteristische Besonderheit des Rechtsgüterschutzes durch Privatrecht besteht allerdings darin, dass der Schutz nicht durch ein per se geltendes Verbot der beeinträchtigenden Tätigkeit gewährleistet wird, sondern dass dem Geschützten die Entscheidungsfreiheit darüber eingeräumt wird, ob er die beein31 Vgl. Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 76 IV 3 a) a): „Weiterhin kann die Grundrechtsausübung dadurch begrenzt werden, dass an sie zum Schutz eines gegenläufigen Grundrechts Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche geknüpft werden, was im Ergebnis auf ein zivilrechtliches ,Verbot‘ der Grundrechtsausübung hinausläuft.“ 32 Vgl. u. a. Poscher, Grundrechte (2003), S. 324; Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 13, 19; Hager, JZ 1994, 373 (375, 378); Heun, Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit (1992), S. 56; S. 13; Pietzcker, FS Dürig (1990), 345 (350 f.); Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 76 IV 3 a) a): Im Falle eine Differenzierung „könnte sich der Staat dadurch seinen verfassungsrechtlichen Bindungen entziehen, dass er ein zivilrechtliches Interventionsinstrument wählt.“; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (212); Krause, JZ 1984, 656 (662); Peters, JZ 1983, 913 (914 f.); Schwabe, JR 1975, 13 (14); Schwabe, AöR 100 (1975), 442 (444, 458); Schwabe, Drittwirkung (1971), S. 34 ff. 33 Dass es um das Verhältnis von zwei Rechtssubjekten geht, die beide Grundrechtsträger sind, wird häufig als Grund für die „Relativierung“ der Grundrechtsgeltung im Privatrecht angeführt, vgl. Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 76 III 2.
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trächtigende Tätigkeit hinnehmen will oder nicht.34 Abgesehen davon, dass der Geschützte auch auf den strafrechtlichen Individualgüterschutz in den meisten Fällen durch Einwilligung verzichten kann, rechtfertigt dies jedoch keine andere Bewertung hinsichtlich des Eingriffs in die Freiheitsgrundrechte des Verbotsadressaten. Bereits dadurch, dass dem Geschützten ein Bestimmungsrecht eingeräumt wird, wird in die Grundrechte des Verbotsadressaten eingegriffen. Grundrechtlich geschützt ist die Freiheit, selbst über die Vornahme der Handlung zu entscheiden.35 In diese Freiheit wird aber eingegriffen, wenn einem Dritten die Befugnis eingeräumt wird, heteronom über die Vornahme der Handlung zu bestimmen. Hinzukommt, dass die Fähigkeit, einen anderen durch Anspruchsausübung an der Vornahme einer Handlung zu hindern, keine natürliche Fähigkeit ist, sondern eine vom Gesetzgeber eingeräumte rechtliche Kompetenz zur Inanspruchnahme staatlichen Zwangs ist.36 Wenn eine unterschiedliche Behandlung der drei Fälle nicht in Frage kommt, so könnte es nur noch sein, dass in allen drei Fällen das Verbot der Handlung nicht in die Grundrechte des Verbotsadressaten eingreift.37 Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Aufgabe des Staates als Friedensordnung ist von jeher nicht nur der Schutz des anonymen überindividuellen Gemeininteresses, sondern auch der von individuellen Rechtsgütern. Wenn er zur Erfüllung dieser Aufgabe in Grundrechte Einzelner eingreift, besteht kein Grund, warum er dabei nicht an die Grundrechte gebunden sein sollte. Die Auffassung, dass Individualrechtsgüter beeinträchtigende Handlungen aus dem Schutzbereich der Grundrechte auszunehmen seien, gehört der Sache nach zu den engen Schutzbereichstheorien,38 wie sie vor allem noch zu Art. 2 Abs. 1 GG vertreten werden. Diese Theorien beruhen auf der Annahme eines Bereichs
34 Pietzcker, FS Dürig (1990), 345 (351 f.) gibt als möglichen Grund gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung des Gesetzgebers an, dass die Durchsetzung der Privatrechtsnormen „ins Belieben der Privaten gestellt“ sind, „die von der Durchsetzung absehen oder sich darüber vergleichen können“; Gerade bei der Durchsetzung von Schutzgesetzen i. S. von § 823 Abs. 2 BGB im Wege der quasinegatorischen Unterlassungsklage ist dies jedoch zumeist nicht der Fall. Die fehlende materielle Disponibilität des Schutzes lässt diese Klagen als einen Fremdkörper im Zivilrecht erscheinen; s. dazu ausführlich u. § 11 IV. 35 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), S. 285: Das Recht des Grundrechtsträgers, „selbst zu bestimmen, auf welche Art und Weise er von seiner grundrechtlichen Freiheit Gebrauch macht“, „ist eine wesentliche grundrechtliche Position“. 36 Vgl. o. § 3 IV. 37 So Herzog, JR 1969, 441 (443). 38 Enge Schutzbereichstheorien werden u. a. vertreten von Rüfner, in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2 (1976), 453 (456 ff.); Starck, JuS 1981, 237 (245 f.); Fr. Müller, Die Positivität der Grundrechte (1969), S. 43 ff. – zu Recht gegen Theorien der ,engen‘ Schutzbereiche: Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 278 ff.; Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 87 ff.
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sozialschädlicher Handlungen, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Vorrang gegenüber den Rechten Dritter eingeräumt werden kann. Dass es eine Reihe von Handlungen gibt, bei denen feststehen mag, dass sie im Hinblick auf die schützenswerten Interessen Dritter nicht hingenommen werden können und daher verboten werden, ist jedoch kein Grund, diese Handlungen aus dem Schutzbereich der Grundrechte auszunehmen und die Verbote somit aufgrund des dann nicht eingreifenden Gesetzesvorbehalts39 der Kontrolle des parlamentarischen Gesetzgebers zu entziehen. Die Sozialschädlichkeit ist für die Rechtfertigung des entsprechenden Verbots von Bedeutung, das im Rahmen der grundrechtlichen Schranken selbstverständlich zulässig sein muss.40 Die Entscheidung darüber, inwieweit die Freiheit des Einzelnen zum Zweck des unverzichtbaren Schutzes anderer Individuen einzuschränken ist, obliegt jedoch grundsätzlich dem Gesetzgeber41 und muss sich an den Grundrechten messen lassen. Die Vorstellung, dass solche Eingriffe deshalb weniger rechtfertigungsbedürftig wären, weil es ihm Verhältnis der Interessen von zwei Grundrechtsträgern nur um die Verteilung von Freiheit ginge, wäre abgesehen davon, dass sich auch dann die Frage stellen würde, warum die Verteilung von Freiheit unter den Bürgern in einer demokratischen Gesellschaft nicht primär dem Gesetzgeber vorbehalten sein soll, eine unzulässige Vereinfachung. Im Bereich des Rechtsgüterschutzes entspricht der Einschränkung der Handlungsfreiheit des Anspruchsgegners keineswegs ein proportionaler Zuwachs an Handlungsfreiheit auf Seiten des Anspruchsinhabers, sondern in vielen Fällen nur ein Mehr an Sicherheit.42 Insofern geht es um die im Spannungsverhältnis von Freiheit und 39 Die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes lehnen für den Fall der Grundrechtskollision ab: Loosschelders/Roth, Juristische Methodik (1996), S. 255 Fn. 125; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034 (1042 Fn. 83): Kollidierendes Grundrecht beschränkt bereits den Schutzbereich immanent; Roth, Faktische Eingriffe (1994), S. 482 ff., 515 ff.; offengelassen von Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 90; vgl. auch die Entscheidung BVerfGE 84, 212 (226), die allerdings Lohnansprüche des Arbeitnehmers betraf, und damit nur bedingt auf außervertragliche Konstellationen übertragbar ist: „Bei Eingriffen in die grundrechtliche Freiheitssphäre unterliegt der Staat dem Vorbehalt des Gesetzes. Er darf . . . nur tätig werden, wenn er durch ein . . . Gesetz dazu ermächtigt ist. . . . Im vorliegenden Fall geht es jedoch um das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger.“ 40 Eine weite Schutzbereichstheorie hat insofern nicht unbedingt einen weitreichenderen „definitiven“ (Alexy) bzw. „effektiven“ (Lübbe-Wolff) Schutz zur Folge. Handlungen, die nach einer engen Schutzbereichstheorie vom grundrechtlichen Schutzbereich erst gar nicht erfasst werden, können bei einer weiten Schutzbereichstheorie auf Grund der Schranken durch Gesetz verboten werden, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte (1985), S. 278 f., 294; Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 294 f. 41 Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 99: „Überzeugung, daß die Abgrenzung zwischen akzeptablem und inakzeptablem Freiheitsgebrauch . . . in erster Linie Sache des Gesetzgebers und nicht der Verwaltungsbehörden und Gerichte sein soll.“ 42 Daher trifft es auch nicht zu, wie Poscher, Grundrechte (2003), S. 320 meint, dass solche Konflikte „in der Regel den Charakter von Nullsummenspielen“ haben.
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Sicherheit angesiedelte Frage, welche Gefahren hinzunehmen sind, deren Regelung nicht allein den Gerichten überlassen werden kann. Im Ergebnis bedeutet dies Folgendes: Anders als im Bereich der auf Rechtsgeschäften beruhenden zivilrechtlichen Verpflichtungen, innerhalb dessen sich „die Differenz zwischen einem staatlichen Eingriff und der privatautonomen Selbstbeschränkung nicht einebnen“ lässt, gelten bei den auf Gesetz beruhenden zivilrechtlichen Verpflichtungen bezüglich der Grundrechtsgeltung keine Besonderheiten.43 Die Gewährung von außervertraglichen Unterlassungsansprüchen ist im Hinblick auf die Grundrechte des Anspruchsgegners genauso als Grundrechtseingriff zu beurteilen wie entsprechende Verbote des Strafrechts oder behördliche Unterlassungsverfügungen.44 II. Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage Für die grundrechtsgebundene öffentliche Gewalt führt dies dazu, dass einerseits jeder Eingriff in die Freiheit des Einzelnen rechtfertigungsbedürftig ist und einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Auf der anderen Seite erschöpft sich die Funktion der Grundrechte nicht in ihrer Abwehrfunktion, sondern sie begründen auch Schutzpflichten und gebieten es dem Staat, durch geeignete Maßnahmen den Grundrechtsträger vor Rechtsgutsverletzungen durch Übergriffe Privater zu schützen.45 Zur Erfüllung dieser Schutzpflichten wird in aller Regel ein Eingriff in die Grundrechte anderer erforderlich sein. Für solche Eingriffe gilt aber auch der Vorbehalt des Gesetzes,46 was bedeutet, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten der Judikative nicht unmittelbar die Befugnis zu Grundrechtseingriffen verleihen.47 Dem Maß an Freiheit, das dem einen genommen wird, entspricht keineswegs ein kongruentes Maß an Freiheit des dadurch Begünstigten. 43 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 21 m.w. N.: Die Grundrechte entfalten „ihre ,normalen‘ Funktionen als Eingriffsverbote und Schutzgebote“. 44 Vgl. die o. Fn. 24 angegebenen. 45 Vgl. Dreier, Grundgesetz2 (2004), Vorb. (vor Art. 1 GG), Rn. 101 ff. m.w. N.; Pieroth/Schlink, Grundrechte25 (2009), Rn. 110 ff.; Hesse, Grundzüge20 (1995), Rn. 349 ff.; Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 69 IV; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit (1987), S. 43 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte (1986), S. 410 ff. 46 Pieroth/Schlink, Grundrechte25 (2009), Rn. 113; Dreier, Grundgesetz2 (2004), Vorb. (vor Art. 1 GG) Rn. 103 m.w. N.; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten (1992), S. 67 ff.; M. Bender, Befugnis des BVerfG zur Prüfung gerichtlicher Entscheidungen (1991), S. 334 f.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (557 ff.); Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit (1987), S. 206 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit (1983), S. 42 f.; auch Heun, Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit (1992), S. 69 f. m.w. N.; großzügiger Krause, JZ 1984, 656 (661); Stern, Staatsrecht III/1 (1988), § 76 IV 7 c): Schutzfunktion kann bei lückenhafter oder gänzlich unterbliebener Regelung auch dadurch verwirklicht werden, „daß die Gerichte den gesetzesfreien Raum mit unmittelbar aus den Grundrechten genommenen Maßstäben ausfüllen.“ 47 Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (559); Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 172.
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In ihrer Schutzfunktion richten sich die Grundrechte daher in erster Linie an den Gesetzgeber, der aufgerufen ist, die Handlungsfreiheit des einzelnen Bürgers so zu beschränken, dass die Handlungsfreiheit und die Rechtsgüter der anderen Bürger in ausreichendem Maße geschützt sind. Dabei steht dem Gesetzgeber „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich“ zu.48 Das Grundrecht als Schutzrecht ist nur verletzt, „wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben“.49 In Folge der legislativen Einschätzungsprärogative gilt, dass grundsätzlich nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ der Erfüllung der Schutzpflicht als grundrechtlich geboten angesehen werden kann.50 Daraus ergibt sich, dass die Gewährung eines (quasi-)negatorischen Unterlassungsanspruchs stets mit einem Eingriff in Grundrechte des Anspruchsgegners verbunden ist und einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Die Versagung eines solchen Anspruchs hingegen stellt prinzipiell keinen Eingriff in Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion dar, sondern kann sich nur als Nichterfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht darstellen. Die Versagung des zivilrechtlichen Rechtsgüterschutzes macht aus dem privaten Übergriff keinen Akt öffentlicher Gewalt und hat entgegen der Ansicht Schwabes51 auch nicht die Bedeutung einer staat48 BVerfG, NJW 1995, 2343 m.w. N.; BVerfGE 77, 170 (214); BVerfGE 79, 174 (202); BVerfGE 85, 191 (212). 49 BVerfGE 92, 26 (46). 50 Dreier, Grundgesetz2 (2004), Vorb. (vor Art. 1 GG) Rn. 64; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten (1992), S. 180 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhoff (Hrsg.), HbdStR V (1992), § 111 Rn. 151 f.; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1637 f.); Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht (1988), Rn. 350. 51 Schwabe, AöR 100 (1975), 442 (459 f.); so auch zuletzt Poscher, Grundrechte (2003), S. 320, dessen Kritik (ebd. S. 167 ff.; zur eigenen Konzeption auch noch zusammenfassend S. 404 f.) an Alexys Widerlegung von Schwabe (vgl. Fn. 52) im Ergebnis nicht überzeugt: Die gedankliche Kategorie der normativen Duldungspflicht vermag dem staatlichen Gewaltverbot und der von einem Privaten ausgehenden Beeinträchtigung nichts hinzuzufügen. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich: Poscher meint, „in der Pflicht, eine bestimmte gesundheitsschädliche Immission zu dulden, lieg[e] ebenso ein normativer Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG wie in einer entsprechenden Pflicht hinsichtlich einer staatlich angeordneten Zwangsuntersuchung.“ Dabei übersieht er bereits, dass der Betroffene im letzten Fall verpflichtet ist, den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit hinzunehmen, während er sich im ersten Fall mit allen allgemein erlaubten Mitteln davor schützen darf. (Vgl. insoweit auch Pietzcker, FS Dürig (1990), 345 (355 f.), der zu Recht darauf hinweist, dass die Pflicht zur „Duldung“ riskanten Verhaltens noch nicht unbedingt zu einem Eingriff führt, „zumal, wenn der Belästigte ohne weiteres ausweichen kann“. Es habe „einen guten Sinn, zwischen der klaren Berührung der Freiheit, der Gesundheit oder des Eigentums einerseits und den im Vorfeld angesiedelten Belästigungen und riskanten Verhaltensweisen zu unterscheiden“.) „Dulden“ muss er nur die Vornahme der emittierenden Handlung, aber auch dies nur genau soweit, als es ihm allgemein verboten ist, mit Gewalt, etc. gegen diese Handlung vorzugehen. Die „Duldungspflicht“ ist identisch mit dem allgemeinen Ge-
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lichen Erlaubnis zu der Rechtsgutsverletzung.52 Insofern gilt, dass Grundrechtsadressaten nur Träger öffentlicher Gewalt, nicht aber Private sind und die von Privaten ausgehende Rechtsgutsverletzung als solche keinen Eingriff in Grundrechte darstellt. Für den quasinegatorischen Rechtsschutz ist im Hinblick auf das legislative Ermessen bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflichten Folgendes von ganz entscheidender Bedeutung: Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass aufgrund der Schutzpflichten auf einfachgesetzlicher Ebene die Einrichtung eines subjektivrechtlichen Schutzes erforderlich ist, so stehen dem Gesetzgeber immer noch mehrere Wege zur Einrichtung eines solchen Schutzes offen: Insbesondere hat er die Wahl, ob er den Schutz zivilrechtlich durch Unterlassungsansprüche oder öffentlich-rechtlich durch Verwaltungsbehörden verbunden mit einem subjektiv-öffentlichen Recht des Geschützten auf behördliches Einschreiten bewerkstelligt.53 Daher lässt sich die Gewährung eines quasinegatorischen waltverbot, dessen Eingriffsqualität völlig unbestritten ist. Außer dem Gewaltverbot verbleibt aber nur die Gesundheitsschädigung durch einen Privaten, die, weil dieser nicht grundrechtsgebunden ist, kein staatlicher Eingriff in das Grundrecht als Abwehrrecht ist. Damit diese Grundrechtsbeeinträchtigung zu einem Akt öffentlicher Gewalt wird, bedarf es daher (doch) einer Zurechnung, für die, wie Alexy gezeigt hat, das allgemeine Gewaltverbot keinen hinreichenden Grund darstellt. Im Übrigen sind auch die Beispiele Poschers, in denen der Eigentümer die Nutzung seines Eigentums „dulden“ muss, falsch gewählt. Das Eigentum als solches ist eine rechtlich bewehrte Freiheit, was bedeutet, dass zum Eigentum als solchem privatrechtliche Abwehransprüche, d. h. die Möglichkeit, staatlichen Schutz gegen Beeinträchtigungen dieser Freiheit durch Dritte in Anspruch nehmen zu können, gehört. Diese privatrechtlichen Abwehransprüche sind Teil der Garantie des Art. 14 GG, der insoweit eben nicht nur Abwehrrechte, sondern auch Schutzrechte gegenüber dem Staat gewährt (vgl. insoweit auch Pietzcker FS Dürig (1990), 345 (359)). (Die Frage kann eigentlich nur lauten, ob in den Fällen, wo der Staat seiner Schutzpflicht nicht nachkommt, das Gewaltverbot insoweit verfassungswidrig ist. Die praktischen Konsequenzen könnten verheerend sein . . .). 52 Siehe nur Alexy, Theorie der Grundrechte (1988), S. 416 ff. 53 Dass hinsichtlich des „Wie“ des Schutzes insoweit verschiedene Möglichkeiten offen stehen, sieht auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 71: Es sei z. B. die Frage zu lösen, ob der Staat seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben „mit den Mitteln des Strafrechts oder nur mit denjenigen des Sozialrechts und/oder des Privatrechts zu erfolgen hat“. Der Gedanke, dass grundrechtlichen Schutzgeboten aber auch allein außerhalb des Privatrechts Rechnung getragen werden können und sich für das Privatrecht aus dem Bestehen eines solchen Schutzgebots, wenn keine entsprechenden Schutznormen bestehen, keine Schlussfolgerungen ziehen lassen, wird aber nicht weiterverfolgt. Im Gegenteil wird der negatorische Anspruch „analog § 1004 BGB“ als Beispiel dafür angeführt, dass sich „eine bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlage durchaus konstruieren“ (ebd. S. 65) lasse, obwohl sich das Problem der Unkenntnis des Kindes von der Person seines Vaters bei heterologer Insemination durchaus auch allein im Rahmen des öffentlichen Rechts lösen ließe (behördliche Ermittlung des Vaters durch das Einwohnermeldeamt statt negatorischen Anspruch auf Auskunft). Zudem soll durch eine ersatzlose Abschaffung (!) der negatorischen Rechtsbehelfe „eine so massive Schutzlücke“ entstehen, „daß insoweit dem Erfordernis einer effizienten Verwirklichung der Schutzgebotsfunktion nicht mehr Rechnung getragen wäre“. Vorgesehen sind solche Rechtsbehelfe aber nur in den §§ 12, 862,
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Unterlassungsanspruchs unter Übergehung des Gesetzgebers nicht damit rechtfertigen, dass der Gesetzgeber ohnehin dazu verpflichtet wäre, den Schutz gerade in dieser Weise auszugestalten. Dass der Gesetzgeber bedeutende Rechtsgüter schutzlos gelassen hätte, lässt sich im Anwendungsbereich des quasinegatorischen Rechtsschutzes im Grunde nur für das allgemeine Persönlichkeitsrecht behaupten,54 wo nur ein fragmentarischer Schutz des Namensrechts (§ 12 BGB), des Rechts am eigenen Bild (KunstUrhG) und der Ehre (§§ 185 ff. StGB) vorgesehen war. Unter dem Aspekt der Freiheit des Wettbewerbs kritisch zu beurteilen sind dagegen die Erweiterung von Eingriffsverboten im Zuge der Entwicklung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Von diesen Fällen abgesehen ging es bei der Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsklagen aber stets darum, die Beachtung der in anderen Rechtsgebieten enthaltenen, dem Schutz von Individualrechtsgütern dienenden Verbotsnormen55 zugleich mit zivilprozessualem Zwang sicherzustellen. Dass die in diesen Rechtsgebieten vorgesehenen Zwangsmaßnahmen völlig unzureichend wären, die Geltung der rechtsgutsschützenden Verbotsnormen sicherzustellen und daher eine Ergänzung gerade durch zivilprozessualen Zwang geboten ist, kann jedoch nicht angenommen werden. Dagegen spricht vor allem, dass nach § 890 ZPO die Einhaltung der Verbotsnormen auch nur mittelbar durch Androhung von Ordnungsmaßnahmen sichergestellt wird und daher gegenüber einer Bedrohung mit Kriminalstrafe kein wesentlicher Zuwachs an Rechtsgüterschutz zu erwarten ist. Auf der anderen Seite gebietet die Strafähnlichkeit der Sanktionen nach § 890 ZPO in Zusammenschau mit dem Rechtsgedanken des Art. 103 Abs. 3 GG, ein Nebeneinander des zivilprozessualen und des strafrechtlichen Zwangsmechanismus zu vermeiden, sofern nicht zwingende Gründe für ein solches Nebeneinander sprechen.56 In jedem Fall aber ist diese Entscheidung dem Gesetzgeber vorzubehalten. III. Rechtfertigung als richterliche Rechtsfortbildung Zu erörtern verbleibt noch, ob sich die Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsklagen trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage als richterliche Rechtsfortbildung rechtfertigen lässt. Eine Befugnis des Zivilrichters zur Rechtsfortbildung würde insoweit für Grundrechtseingriffe im Bereich der Zivilrechtspflege die Reichweite des Erfordernisses einer gesetzlichen Grundlage beschränken. Die Frage der richterlichen Befugnis zur Rechtsfortbil1004 BGB. Damit der Gesetzgeber darüber hinaus negatorische Rechtsbehelfe abschaffen kann, müsste er sie erst einmal schaffen. 54 Darin, dass in diesem Bereich eine Schutzlücke bestand, ist Canaris, Grundgesetz und Privatrecht (1999), S. 75 zuzustimmen. 55 Vgl. o. § 5 und § 6. 56 s. o. § 8 IV.
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dung und ihrer Grenzen wird sowohl in der juristischen Methodenlehre als auch im Verfassungsrecht diskutiert, wobei notwendigerweise eine wechselseitige Beeinflussung zu konstatieren ist, da sich einerseits die Methodik der Rechtsfortbildung nicht unabhängig von ihren verfassungsrechtlichen Grenzen betrachten lässt, andererseits bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenzen die traditionellen Methoden der Rechtsfindung nicht völlig unberücksichtigt bleiben können.57 1. Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung in der Methodenlehre In der Methodenlehre dient vor allem der Lückenbegriff dazu, die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung zu bestimmen.58 Von der Erkenntnis ausgehend, dass auf der Grundlage des Gesetzes als rechtliche Entscheidung stets zumindest die Aussage möglich ist, dass für den fraglichen Sachverhalt keine Rechtsfolge angeordnet ist,59 ergibt sich, dass es eine Lücke im absoluten Sinne nicht geben kann. Der Begriff der Lücke ist daher relativ: Er stellt ein Zurückbleiben der gesetzlichen Regelung hinter einem als Vergleichsmaßstab gewählten Regelungsstandard fest, m. a. W., dass das Gesetz für einen bestimmten Fall nicht die eigentlich zu erwartende Rechtsfolge vorsieht.60 In der traditionellen Methodenlehre herrscht trotz beträchtlicher Abweichungen in den Einzelheiten weitgehend Einigkeit darüber, dass im Hinblick auf die Legitimität richterlicher Rechtsfortbildung prinzipiell zwei Fallgruppen des Zurückbleibens der gesetzlichen Regelung auseinanderzuhalten sind, die sich durch den angelegten Vergleichsmaßstab unterscheiden. Auf diese Weise wird die Gesetzeslücke, die sich durch das Zurückbleiben der Regelung hinter der Regelungsabsicht des Gesetzes selbst auszeichnet, von dem fehlerhaften Gesetz, das nur an einem höheren Maßstab gemessen unvollkommen ist, geschieden.61 57 Vgl. auch Ipsen, Richterrecht und Verfassung (1975), S. 47 f. zur „Wechselbeziehung zwischen methodologischer und kompetentieller Problematik“. 58 Vgl. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 69; Canaris, Lücken im Gesetz2 (1983), S. 17, 21, 37; Bydlinski, Methodenlehre2 (1991), 3. Buch 3. Teil I. 2., S. 473: Gesetzeslücke ist „primäre Voraussetzung der ergänzenden Rechtsfindung“. 59 Vgl. Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. a), S. 372. 60 Vgl. Engisch, Einführung9 (1997): „Lücken sind Mängel des positiven Rechts . . ., die als Fehlen rechtlicher Regelungsgehalte dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet sind, spürbar werden . . .“; Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. a), S. 375: Lückenhaft ist ein Gesetz „immer nur im Hinblick auf die von ihm erstrebte . . . in diesem Sinne ,vollständige‘ . . . Regelung.“; Looschelders/Roth, Juristische Methodik (1996), S. 221 f.: relativer Lückenbegriff. 61 Vgl. Engisch, Einführung9 (1997), S. 92; Looschelders/Roth, Juristische Methodik (1996), S. 226 f., 229 f., 288 ff.: Zulässige Rechtsfortbildung innerhalb der Wertentscheidungen des Gesetzgebers ist von der unzulässigen Berichtigung rechtspoliti-
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Obwohl weithin gesehen wird, dass der Beitrag, den die Methodenlehre zur Aufzeigung der Grenzen des Richterrechts beitragen kann, aufgrund der Unschärfe dieser Unterscheidung begrenzt ist,62 soll sie dennoch der Untersuchung, ob bei der Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen die methodischen Anforderungen an Rechtsfortbildung eingehalten wurden, zugrunde gelegt werden. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass die Rechtsfortbildung auf den verschiedenen Stufen sich durch ein unterschiedliches Maß der Entfernung vom Gesetz und damit auch durch ein unterschiedlich hohes Legitimationsbedürfnis auszeichnet.63 Als Ausgangspunkt soll hier die von Larenz vertretene Terminologie und Methodik der richterlichen Rechtsfortbildung dienen, die aufgrund der zumindest vom Ansatz her klar formulierten Unterscheidungen und Grenzen hinsichtlich der Aufgabe der Grenzziehung64 dafür am besten geeignet erscheint. Larenz unterscheidet die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung (Ausfüllung von Gesetzeslücken) von der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Zur gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, die sich „noch im Rahmen des ursprünglichen Planes, der Teleologie des Gesetzes selbst“65 bewegt, sei der Richter nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet.66 Ihre Voraussetzung ist, dass scher Fehler zu unterscheiden; Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. a), S. 374 f.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1977), S. 69 f.; Engisch, FS Sauer (1949), 85 (93 f.): Nach Möglichkeit sind „Lücke und Fehler und entsprechend Lückenergänzung und Gesetzesberichtigung zu unterscheiden“; in der älteren Literatur (Bierling, Elze, Herrfahrdt, Ehrlich, Burckhardt; Nachweise bei Engisch, Einführung9 (1997), S. 92 Fn. 26) wurde vielfach die Lücke scharf vom Mangel unterschieden; vgl. auch Bydlinski, Methodenlehre2 (1991), 3. Buch 3. Teil I. 2., S. 473: „sehr notwendige Abgrenzung der ,Gesetzeslücke‘ gegenüber dem Bereich bloßer . . . rechtspolitischer Wünsche“, für den jedoch Maßstab zur Feststellung einer Rechtslücke nicht die hinter dem konkreten Gesetz stehende Regelungsabsicht, sondern das gesamte Recht ist; ebenso Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung (1969), S. 10: „Rechtsordnung als Ganzes“ muss Wertungsgrundlage für die Ermittlung von Lücken sein. 62 Vgl. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 71 ff., 78 ff., der aber zu Recht darauf hinweist, dass man die Lückendiskussion nicht insgesamt mit der Begründung, dass „kein qualitativer Unterschied zwischen Auslegung, Lückenfüllung und offener Rechtsfortbildung bestehe“, „ad acta legen“ (ebd. S. 74) müsse. Die Methodenlehre könne zwar keine „verbindliche Grenzziehung“ für richterliche Rechtsfortbildung“ leisten, jedoch die Kontrollierbarkeit und Diskussionsfähigkeit der richterlichen Gesetzesinterpretation sicherstellen. 63 Vgl. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1977), S. 74; Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 1., S. 366 f.; Kap. 5 4., S. 413 f. 64 Vgl. Bydlinski, in: Koller u. a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im juristischen Denken (1998), 27 (28): „Einen funktionell und damit praktisch deutlichen Sinn haben Erörterungen zur Rechtsfindung contra legem bloß, wenn sie auf die Herausarbeitung der in aller Regel wirksamen lex-lata-Grenze zulässiger Rechtsgewinnung zielen.“ 65 Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 1., S. 366. 66 Ebd. Kap. 5 1., S. 367.
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das Gesetz gemessen an „der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht, der mit ihm verfolgten Zwecke“67 unvollständig ist, weil eine bestimmte, „nach dem Regelungsplan oder dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartende Regel“ fehlt.68 Begrenzt werde ihr legitimes Anwendungsgebiet durch die Möglichkeit der Lückenausfüllung entsprechend der Teleologie und den zum Ausdruck kommenden Wertungen des lückenhaften Gesetzes.69 Nur in wesentlich engeren Grenzen ist hingegen die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung zulässig, die dadurch gekennzeichnet ist, dass allgemeine Rechtsgedanken über den ursprünglichen Plan des ergänzten Gesetzes hinaus durch die Rechtsprechung verwirklicht würden.70 Sie müsse „im Einklang mit den leitenden Prinzipien der Gesamtrechtsordnung“ stehen und sei nur zulässig „wenn sehr schwerwiegende Gründe eine solche verlangen“.71 Die Grenze der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung liege dort, wo „die geforderte Entscheidung nicht mehr allein mit rechtlichen Erwägungen begründet werden kann, sondern eine an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierte Entscheidung verlangt. Sie zu treffen, ist im demokratischen Staat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers“.72 a) Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung Eine durch den Rechtssatz, dass jedes Rechtsgut, dessen Verletzung zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führt, auch durch zivilrechtliche Unterlassungsansprüche geschützt ist, auszufüllende Gesetzeslücke, würde voraussetzen, dass es in der Absicht des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt, ein insofern vollständiges zivilrechtliches Rechtsschutzsystem gegenüber der Bedrohung jeder Art von Individualrechtsgut zu schaffen, unabhängig von dem Umfang des durch andere Rechtsgebiete gewährleisteten Schutzes. In der Absicht des BGB-Gesetzgebers lag es nicht, im Rahmen des Zivilrechts einen solchen umfassenden Präventivschutz vor drohenden Delikten zu errichten. Im Rahmen des Deliktsrechts sollte die Schadensersatzpflicht als zivilrechtliche Folge des Delikts umfassend geregelt werden. Dass der Gesetzgeber dabei die Frage der Schadensersatzpflicht von derjenigen der Zuständigkeit zur präventiven Verhinderung solcher Delikte zu unterscheiden wusste und dabei – ganz im Gegensatz zu den doktrinären, aber nicht schlüssigen Überlegungen der Rspr. und Literatur, dass die Schadensersatzpflicht notwendigerweise einen Anspruch auf Unterlassung des 67 68 69 70 71 72
Ebd. Kap. 5 2. a), S. 373. Ebd. Kap. 5 2 a), S. 375; vgl. a. Engisch, Einführung9 (1997), S. 180 f. Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 4. d), S. 426. Ebd. Kap. 5 1., S. 351. Ebd. Kap. 5 1., S. 366 f. Ebd. Kap. 5 4. d), S. 428.
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Delikts voraussetzen würde – pragmatisch abgewogen hat, ob ein vorbeugender zivilrechtlicher Schutz neben dem Strafrecht und der Verwaltungsgesetzgebung erforderlich ist, lässt sich anhand mehrerer Stellen der Gesetzgebungsmaterialien nachweisen, die bisher in der Diskussion nicht ausreichend gewürdigt wurden. In den Beratungen der 1. Kommission zum Deliktsrecht wurde erwogen, ob Vorschriften über den privatrechtlichen Schutz des Gemeingebrauchs an öffentlichen Sachen in das BGB aufzunehmen sind.73 Im römischen Recht sei der Gemeingebrauch insoweit nicht nur polizeilich geschützt gewesen, sondern auch durch prohibitorische bzw. auf Wiederherstellung und Schadensersatz gerichtete Interdikte. Dabei habe es sich zum Teil um Popularklagen gehandelt, die von jedermann erhoben werden konnten. Die 1. Kommission entschied sich gegen die Aufnahme von Vorschriften in den Entwurf, die den Gemeingebrauch „nach dem Vorbilde der Interdikte im privatrechtlichen Wege“ schützten. „Nach der modernen Organisation des Staatslebens“ gehöre die Verhütung von Verletzungen der Vorschriften über den Gemeingebrauch und die „Beseitigung nachteiliger Veränderungen“ zu den „Aufgaben der mit Wahrnehmung der öff. Interessen betrauten Organe der Staatsgewalt“. Mit dieser Auffassung hielten sie es allerdings für vereinbar, demjenigen, der infolge einer Verletzung der Vorschriften über den Gemeingebrauch einen Schaden erlitten hat, einen Schadensersatzanspruch nach der dem heutigen § 823 Abs. 2 BGB im Entwurf entsprechenden Vorschrift zuzubilligen. Dies zeigt deutlich, dass der allgemeine Schluss von der Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB auf die Möglichkeit einer Unterlassungsklage mit den Vorstellungen der Gesetzesverfasser nicht zu vereinbaren ist. Ebenso wenig wie einen privatrechtlichen Schutz des Gemeingebrauchs hielt die 1. Kommission es für erforderlich, nach dem Vorbilde des römischen Rechts einen Anspruch auf Unterlassung von Störungen der Beerdigung eines Leichnams oder der Errichtung eines Grabmals vorzusehen.74 Auch insoweit wurde die Meinung vertreten, dass der polizeiliche Schutz in Verbindung mit dem Schutz der dinglichen Rechte und den allgemeinen deliktischen Vorschriften ausreichend sei. Als weiterer Beleg dafür, dass ein umfassender präventiver Zivilrechtsschutz nicht bezweckt wurde, sind die Beratungen über die Aufnahme von Vorschriften über eine Haftung des Gebäudeinhabers für Schäden durch das „Ausgießen, Auswerfen und Herabfallen“ von Sachen auf eine öffentliche Straße nach dem Vorbild der dem prätorischen Edikt entstammenden actio de deiectis vel effusis75 anzuführen. Die Frage der Aufnahme einer solchen Haftung in das BGB 73 74 75
Vgl. Mot., Mugdan II, S. 427. Vgl. Mot., Mugdan II, S. 427 f. Vgl. Digestentitel 9, 3.
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war Gegenstand von Diskussionen in beiden Gesetzgebungskommissionen sowie der Kommission des Reichstags. Die 1. Kommission76 entschied sich für die Aufnahme solcher Vorschriften trotz Bedenken, ob angesichts der Tatsache, dass „der Täter von den mit der Verfolgung betrauten Behörden von Amts wegen zu ermitteln ist“ und „im Wege polizeilicher Verordnungen noch weitere Fürsorge getroffen werden kann“ ein hinreichender Grund dafür bestehe. Maßgeblich für die Aufnahme war die Überlegung, dass angesichts der „hervorragenden privatrechtlichen Bedeutung das Civilrecht nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem wechselnden und zum Theile auf anderen Erwägungen beruhenden Straf- und Polizeirechte gebracht“ werden solle. Die 2. Kommission betonte dagegen, dass die Hauptbedeutung dieser Klage „in Rom darin gelegen“ habe, „dass sie als Popularklage77 im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs von jedermann erhoben werden durfte“ und lehnte sodann mehrheitlich die Aufnahme der im 1. Entwurf enthaltenen Vorschriften in das BGB ab, weil „die Vorschrift des § 366 StGB [a. F.] in Verbindung mit den polizeilichen Verordnungen“ einen hinreichenden Schutz böten und es gerechter sei, wenn sich der Täter auch durch Ermittlungen der Polizei nicht ermitteln lasse, den Beschädigten als einen unschuldigen Dritten den Schaden tragen zu lassen.78 Von der Reichstagskommission wurde der erneute Antrag auf Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift unter Hinweis auf den im Vergleich mit den Verhältnissen in Rom stärker ausgeprägten Schutz durch die Polizei, die unverzüglich zur Ermittlung des Täters schreite, abgelehnt.79 Dass die Gesetzesverfasser die Frage der Schadensersatzpflicht von derjenigen des vorbeugenden Rechtsschutzes zu trennen wussten, wurde in den Beratungen der 2. Kommission über die Schadensersatzhaftung des Besitzers bei Gebäudeeinsturz besonders deutlich. Im Zusammenhang mit diesen Vorschriften war beantragt worden „im Anschlusse an das schweiz. ObligR. 68 und den Gegenentwurf von Bähr § 809“, jedem Dritten, der „wegen der Gefahr des Einsturzes mit Schaden bedroht ist“ einen Anspruch auf Vornahme „der zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln“ einzuräumen. Der Antrag wurde von der 2. Kommission abgelehnt. Bezeichnend sind die angegebenen Gründe: „Der Vorschlag gehe in dieser Allgemeinheit viel zu weit. Im Verhältnisse der Nachbarn zueinander möge es allerdings zweckmäßig sein, eine derartige Verpflichtung zu Vorbeugungsmaßregeln festzustellen. Dagegen erscheine es sehr bedenklich, jedem Dritten, welcher sich angeblich durch den drohenden Einsturz eines Gebäudes beschwert fühle, direkte Ansprüche gegen den Besitzer zu 76 77 78 79
Mot., Mugdan II, S. 449. Vgl. dazu insb. Dig. 9, 3, 5, 5 und Dig. 9, 3, 5, 6. Prot., Mugdan II, S. 1123. Mugdan II, 1303 f.
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geben. In dieser Richtung werde der polizeiliche Schutz genügen. Ob das Nachbarrecht durch eine entsprechende Bestimmung zu ergänzen sei, möge bei der Berathung des Sachenrechts geprüft werden. Hier sei eine allgemeine Vorschrift nicht aufzunehmen.“ Die Beispiele zeigen, dass der Gesetzgeber sich in verschiedenen Fällen in Kenntnis der Möglichkeit der Einrichtung eines präventiven zivilrechtlichen Rechtsschutzes bewusst dazu entschieden hat, in Anbetracht des durch das Straf- und Verwaltungsrecht gewährleisteten Rechtsschutzes hierauf zu verzichten. Dementsprechend kann nicht die Rede davon sein, dass die Einrichtung eines umfassenden vorbeugenden Schutzes vor Delikten in der Regelungsabsicht des Gesetzgebers gelegen habe.80 Eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung kommt daher schon aufgrund des Fehlens einer Gesetzeslücke nicht in Betracht. Abgesehen davon, würde ein Analogieschluss zu den §§ 12, 862, 1004 BGB den Grundsatz des quasinegatorischen Rechtsschutzes, nachdem alle deliktisch geschützten Rechtsgüter Gegenstand einer Unterlassungsklage sein können, auch nicht tragen. Der Analogieschluss als Methode der Lückenfüllung beruht auf der Übertragung der für einen oder mehrere untereinander ähnliche Tatbestände im Gesetz aufgestellten Rechtssätze auf den nicht geregelten ähnlichen Tatbestand.81 Erforderlich ist dabei, dass die Ähnlichkeit gerade im Hinblick auf die für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Gesichtspunkte bestehen muss, die Tatbestände also insoweit übereinstimmen müssen.82 Bei der Analogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB würde es sich methodisch um eine Gesamtanalogie83 handeln. Im Wege des Schlusses vom besonderen auf das allgemeine wird den genannten Vorschriften der allgemeine Rechtsgrundsatz entnommen, dass bei allen subjektiven Rechten und Rechtsgütern Unterlassungsansprüche gegenüber drohenden Verletzungen bestünden. Bedenklich an diesem Induktionsschluss ist bereits, dass erst gar nicht der Versuch unternommen wurde, das Anwendungsgebiet der verschiedenen Vorschriften zu untersuchen. Bei einer solchen Untersuchung hätte auffallen müssen, dass sich die Ansprüche der §§ 862, 1004 BGB primär als Institute des Nachbarrechts darstellten, außerhalb 80 Auch aus der in Mot III, 392 erwähnten Möglichkeit, „eine[r] analoge[n] Anwendbarkeit der Vorschriften über den Eigenthumsschutz“, ergibt sich nichts anderes. Angedacht wird allein die Möglichkeit einer analogen Anwendung auf andere absolute Rechte. Und selbst in Bezug auf diese wird festgestellt, dass sich „allgemeine Grundsätze, welche für die Geltendmachung eines jeden . . . Rechts passen, . . . nicht aufstellen“ lassen. 81 Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. b), S. 381. 82 Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. b), S. 381; Engisch, Einführung9 (1997), S. 188 f. 83 Siehe dazu Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. b), S. 383 ff. m.w. N.; Engisch, Einführung9 (1997), S. 192 m.w. N.; Bydlinski, Methodenlehre2 (1991), 3. Buch 3. Teil III. 2., S. 478.
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des Nachbarrechts aber nur das Namensrecht durch einen Unterlassungsanspruch geschützt war. Ausgehend von diesem Befund bedarf der Schluss von diesem deutlich eingegrenzten Anwendungsgebiet auf eine allgemeine bürgerlich-rechtliche Unterlassungsklage schon einer besonderen Rechtfertigung. Entscheidender ist aber, dass der für die Möglichkeit einer Analogie maßgebliche Bewertungsgesichtspunkt, in dem die geregelten mit den nicht geregelten Fällen übereinstimmen müssen, das Bedürfnis nach Rechtsschutz ist. Auch das Reichsgericht stützt sich zur Rechtfertigung seiner Rechtsfortbildung auf ein bestehendes Rechtsschutzbedürfnis. Die Frage nach dem Bedürfnis nach zivilrechtlichem Rechtsschutz kann aber nur unter Berücksichtigung des bereits zur Verfügung stehenden Rechtsschutzes beantwortet werden. Dabei fällt auf, dass das Namensrechts und das Eigentum in anderen Rechtsgebieten nur unvollkommen geschützt sind, die Aufgabe der Schutzes dieser Rechtsgüter dem Zivilrecht überlassen wurde. Gerade bei den zum Schutz vor Verletzungen von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB gewährten Unterlassungsklagen ist aber – geradezu per definitionem84 – ein Schutz durch andere Rechtsgebiete vorhanden, so dass insoweit eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen nicht gegeben ist. Auch mit einem argumentum a maiore ad minus85 lässt sich die allgemeine Möglichkeit einer bürgerlich-rechtlichen Unterlassungsklage nicht begründen. Die Überlegung, dass wenn schon das materielle Gut des Eigentums in dieser Weise geschützt sei, erst recht die hochrangigeren Rechtsgüter wie Gesundheit und Leben in den Genuss dieses Schutzes kommen müssten,86 würde nur dann überzeugen, wenn der zivilrechtliche Schutz nach § 890 ZPO der einzige in Betracht kommende oder wenigstens der die höchste Sicherheit bietende wäre. Wenn man dagegen richtigerweise berücksichtigt, dass Gesundheit und Leben in weit höherem Maße als das Eigentum bereits durch entsprechend hohe Strafdrohungen, ständig einsatzbereite Gefahrenabwehrbehörden und nicht zuletzt durch vorausschauende staatliche Planung sichergestellt wird, so lässt sich der ErstRecht-Schluss auf die Notwendigkeit des zivilrechtlichen Schutzes nicht halten. b) Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Bei der Gewährung von Unterlassungsklagen zum Schutze aller im Rahmen des Deliktsrechts geschützten Rechtsgüter handelt es sich demnach um eine ge84 Als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB kommen theoretisch auch leges imperfectae in Betracht; in der Praxis handelt es sich aber fast ausschließlich um Normen des Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und Verwaltungsrechts. In den Gesetzesmaterialien zum BGB wurde sogar erwogen, den Schutz des § 823 Abs. 2 BGB auf die Verletzung von Strafgesetzen zu beschränken. 85 Siehe dazu Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. b), Kap. 5. 2 b), S. 389 m.w. N.; Bydlinski, Methodenlehre2 (1991), 3. Buch 3. Teil IV., S. 479 f. 86 So aber Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), 132 f.
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setzesübersteigende Rechtsfortbildung. Ihre Grenzen sollen im Rahmen der Methodenlehre dort liegen, wo sich das Ergebnis der Rechtsfortbildung nicht mehr aus spezifisch rechtlichen, sondern aus Zweckerwägungen ergibt.87 Auf diese Grenze hat insbesondere Flume88 im Anschluss an eine Rektoratsrede Windscheids89 hingewiesen. Im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung könnten nur Fragen geklärt werden, für deren Beantwortung eine berufsmäßige Zuständigkeit des Juristen „als solchem“ bestünde.90 Für die Bestimmung der Sachziele bestehe eine solche besondere Legitimation nicht, sondern zu ihr sei jeder Staatsbürger ebenso berufen wie der Jurist. Daher sei die Bestimmung dieser Sachziele dem Gesetzgeber zu überlassen.91 Ob rechtsgutsschützende Verhaltensnormen im Wege des Strafrechts, des Verwaltungsrechts oder des Bürgerlichen Rechts durchzusetzen sind, ist aber eine solche Frage, die mit rechtlichen Erwägungen nicht zu beantworten ist. Anders als für die Frage, ob solche Verhaltensnormen bestehen, spielen für die Frage, wie diese durchgesetzt werden sollen, rechtsethische Erwägungen von vornherein keine Rolle. Es handelt sich insoweit weitgehend um eine Frage der Zweckmäßigkeit (es fehlt „eine sozusagen technische Regelung“92) für deren Beantwortung insbesondere auch kriminal- und sicherheitspolitische Erwägungen maßgeblich sein können. Welche staatlichen Stellen zur Durchsetzung der Rechtsnormen zuständig sind, regelt aber innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen der Gesetzgeber. Besonders prekär ist insofern, dass sich die Zivilgerichte im Bereich des quasinegatorischen Rechtsschutzes selbst für zuständig erklärt haben. Können sich die Gerichte bei der rechtsfortbildenden Gewährung eines Schadensersatzanspruchs zumindest darauf stützen, dass der unmittelbare Schadensausgleich zwischen Privaten zweifellos in ihr ausschließliches Zuständigkeitsgebiet fällt, so handelt es sich hingegen bei dem präventiven Rechtsgüterschutz um keinen Bereich mit einer umfassenden alleinigen zivilgerichtlichen Zuständigkeit. Dort wo die Gerichte quasinegatorische Unterlassungsansprüche gewähren, begründen sie zugleich selbst ihre Zuständigkeit zur Durchsetzung der betreffenden Normen. Vgl. Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. b), S. 381: Grenze liegt dort, „wo eine Antwort . . . mit spezifisch rechtlichen Erwägungen allein nicht gefunden werden kann, . . . wo es vorwiegend um Fragen der Zweckmäßigkeit geht“; Canaris, Lücken im Gesetz2 (1983), S. 175; Flume, Richter und Recht (1967), S. K 11 f., K 17 ff.; Engisch, FS Sauer (1949), 85 (98). 88 Flume, Richter und Recht (1967), S. K 11 f., K 17 ff. 89 Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen (1904), S. 100 ff. 90 Flume, Richter und Recht (1967), S. K 11 f., K 18. 91 Flume, Richter und Recht (1967), S. K 11 f. 92 Engisch, FS Sauer (1949), 85 (98): Regelungen, „deren näherer Inhalt vom Standpunkt der Gerechtigkeit . . . jedoch gleichgültig sind“ erfordern eine willkürliche Entscheidung, die Sache des Gesetzgebers ist; vgl. auch Canaris, Lücken im Gesetz2 (1983), S. 175. 87
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So ist es insbesondere überaus bedenklich, mit welcher Selbstverständlichkeit93 sich der BGH in der Ballettschulen-Entscheidung über jegliche Bedenken des Berufungsgerichts hinwegsetzte und selbst zur Durchsetzung baurechtlicher Verfügungen für zuständig erklärte. 2. Verfassungsrechtliche Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Darüber hinaus stellt sich die Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung insbesondere im Hinblick auf die Gesetzesbindung des Richters nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG als ein spezifisch verfassungsrechtliches Problem dar. a) Die Rechtsprechung des BVerfG Das BVerfG hatte sich in der Soraya-Entscheidung94 mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines im Rahmen gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung des BGH entgegen § 253 a. F. BGB gewährten Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu befassen. Dabei hat es die Befugnis des Richters zu richterlicher Rechtsfortbildung unter Geltung des Grundgesetzes grundsätzlich anerkannt und nur nach den im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Rechtsprechung zu ziehenden Grenzen gefragt.95 Zwar hat es zunächst betont, dass der Richter „die Wertvorstellungen des Grundgesetzes nicht in beliebiger Weise in seinen Entscheidungen zur Geltung bringen“ dürfe, sondern die Bestimmungen des Grundgesetzes auch dann verletzten würde, wenn er diese auf einem methodischen Wege verwirklichen würde, der die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfindung überschreite.96 Sodann hat es jedoch in der Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG, der von einer Bindung der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ spricht, eine Absage an einen engen Gesetzespositivismus gesehen und daraus gefolgert, dass der Richter nicht darauf beschränkt sei, „gesetzgeberische 93 Vgl. auch F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (74), der in Bezug auf andere Beispiele richterlicher Rechtsfortbildung von einem „Autonomiegefühl“ der höchstrichterlichen Rechtsprechung spricht, von der „Selbstsicherheit . . ., richterrechtliche Sätze nicht so wie ,normale‘ Rechtsprechungsakte am geltenden Recht ausweisen zu müssen“. 94 BVerfGE 34, 269 ff. – Soraya, Beschluss des 1. Senats v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65. 95 BVerfGE 34, 269 (287 f.) – Soraya; Die grundsätzliche Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung wurde von BVerfG in weiteren Entscheidungen stets anerkannt, vgl. BVerfGE 49, 304 (318, Beschluss des 1. Senats v. 11.10.1978 – 1 BvR 84/74); BVerfG 69, 188 (201 ff., Beschluss des 1. Senats vom 12.3.1985 – 1 BvR 571/81) = NJW 1985, 2939; BVerfGE 71, 354 (362, Beschluss des 1. Senats vom 14.1.1986 – 1 BvR 209, 221/79); BVerfG NJW 1993, 2734. 96 BVerfGE 34, 269 (280) – Soraya.
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Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden“.97 Das Recht beschränke sich nicht auf die Gesamtheit der geschriebenen Gesetze, sondern es bestehe über diesen Bestand hinaus „ein Mehr an Recht, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Ordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag“.98 Die Rechtsprechung habe daher die Befugnis, diese „Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind“, durch richterliche Rechtsschöpfung zu realisieren.99 In Abwägung zwischen dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes („formale Gesetzestreue“) und der Einzelfallgerechtigkeit kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn der Schutz eines Rechtsguts, das im Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung steht, auf einem „zivilrechtlich zumindest diskutablen, jedenfalls den Regeln zivilrechtlicher Hermeneutik nicht offensichtlich widersprechendem Wege gewonnen werde“.100 Unter diesen Umständen könne es nicht als geboten angesehen werden, „eine Regelung durch den Gesetzgeber abzuwarten“,101 deren Eintritt fraglich erscheint. Engere Grenzen zog das BVerfG der richterlichen Rechtsfortbildung zehn Jahre später in einer Entscheidung102 über die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung des BAG, die Sozialplanabfindungen kraft Richterrechts als Konkursforderungen im Range von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO behandelte. In dem gegebenen Fall seien die der richterlichen Rechtsfortbildung durch Art. 20 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen eindeutig überschritten, da es aufgrund der bestehenden abschließenden Regelung an einer Gesetzeslücke fehle103 und auch höherrangiges Recht die vom BAG vorgenommene Rechtsfortbildung nicht rechtfertigen könne: Das Sozialstaatsprinzip enthalte „infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten. Insoweit ist es richterlicher Inhaltsbestimmung weniger zugänglich als die Grundrechte . . .; es zu verwirklichen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers . . .“.104
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Ebd. 287. Ebd. 287. 99 Ebd. 287. 100 Ebd. 290 f. 101 BVerfGE 34, 269 (291 f.) – Soraya. 102 BVerfGE 65, 182 ff. – Sozialplanabfindungen, Beschluss des 2. Senats v. 19.10. 1983 – 2 BvR 486/80. 103 Ebd. 191. 104 Ebd. 193. 98
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In zwei neueren Entscheidungen zum Steuerrecht hielt das BVerfG die Grenzen richterrechtlicher Rechtsfortbildung erst dann für überschritten, wenn „die gesetzliche Regelung nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließend gestaltet“105 ist und die von der Rechtsprechung getroffene Entscheidung daher im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung steht.106 In Jahre 1991 hatte das BVerfG107 über die Verfassungsmäßigkeit eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts zu entscheiden, in dem dieses einer Klage auf Zahlung von Arbeitslohn stattgegeben hatte, weil es die vom Arbeitgeber durchgeführte Aussperrung als rechtswidrig erachtet hatte.108 Das BVerfG sah zwar in dem Urteil eine Beschränkung des Arbeitgebers in der „durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährten Freiheit, sich koalitionsmäßig zu betätigen“.109 Obwohl es für diesen Eingriff an einer gesetzlichen Grundlage fehlte, beanstandete das Gericht die Entscheidung nicht. Dabei geht es offenbar davon aus, dass der Gesetzesvorbehalt nicht gelte, weil „es um das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger“110 gehe. Um die Pflicht, „jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden“, zu erfüllen, müssten die Gerichte auch „wenn eine gesetzliche Regelung . . . notwendig wäre“, „das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten“.111 b) Die verfassungsrechtlich notwendige Unterscheidung zwischen richterlicher Rechtsfindung innerhalb des normativen Entscheidungsspielraums und richterlicher Rechtsfortbildung Dass Gesetze, die, wenn sie in Grundrechte eingreifen, nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG „allgemein und nicht nur für den Einzelfall“ gelten müssen, als abstrakt-generelle Regelungen im Rahmen der richterlichen Entscheidung einer Konkretisierung bedürfen,112 die sich nicht als rein technischer Subsumtionsvorgang auffassen lässt, sondern als ein wertender schöpferischer Vorgang zu verstehen ist,113 kann nicht als Argument für eine Lockerung der Rechtsbindung 105
BVerfG, NJW 1985, 2939 (2940). BVerfG, NJW 1985, 2939 (2940); BVerfG, NJW 1993, 2734 f. 107 BVerfGE 84, 212 ff., Beschl. d. 1. Senats v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85. 108 Vgl. BVerfGE 84, 212 (216 ff.). 109 Ebd. 226. 110 Ebd. 226. 111 Ebd. 226 f. 112 Vgl. Gusy, DÖV 1992, 461 (461 f.). 113 Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 4 2. f), S. 346; Herzog, FS Simon (1987), 103 (104); Mayer-Hayoz, JZ 1981, 417 (419); Flume, Richter und Recht (1967), S. K29; vgl. Ipsen, Richterrecht und Verfassung (1975), S. 24 f. m.w. N.; Hergenröder, Rechtsfortbildung (1995), S. 126 m.w. N. 106
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des Richters dienen. Dass die Entscheidung des Richters nur unvollständig rechtlich determiniert ist, bedeutet nicht, dass der unzweifelhaft vorhandene Entscheidungsspielraum durch den möglichen Wortsinn der Gesetzesbestimmungen nicht begrenzt ist.114 Es mag fraglich sein, ob eine Wildkatze oder gar ein Löwe eine „Katze“ im Sinne einer gesetzlichen Vorschrift ist und durchaus anders zu beurteilen sein, je nachdem, ob es sich um einen Steuerrechtstatbestand oder um Vorschriften zur Vorbeugung vor bestimmten Katzen betreffende Tierkrankheiten handelt. Ein Hund aber ist jedenfalls keine „Katze“ im Sinne einer solchen Vorschrift.115 Daher ist trotz eines Grenzbereichs im Grundsatz eine Unterscheidung zwischen der rechtsschöpferischen Tätigkeit innerhalb des Auslegungsspielraums der Normen und der darüber hinausgehenden richterlichen Rechtsfortbildung nicht nur möglich, sondern verfassungsrechtlich auch geboten.116 Da Grundrechtseingriffe nicht nur durch Gesetz, sondern auch aufgrund Gesetzes erfolgen können, kann der Gesetzgeber prinzipiell dem Richter durch Verwendung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen einen Entscheidungsspielraum einräumen.117 Die Zulässigkeit solcher Entscheidungsspielräume ist kein Problem der Gesetzesbindung des Richters, sondern eine Frage dessen, was der Gesetzgeber im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie118 selbst regeln muss. Davon abgesehen muss sich der Richter aber aufgrund seiner Gesetzesbindung innerhalb des durch die gesetzliche Regelung vorgegebenen Entscheidungsspielraums halten.119 Dies bedeutet auch, dass er eine Rechtsfolge nicht aussprechen darf, wenn ein Sachverhalt den Tatbestand einer Norm auch bei der weitesten, im Rahmen des Wortlauts möglichen Auslegung nicht erfüllt, und die Norm nach ihrem Inhalt in dem Sinne abschließend gemeint ist, dass die
114 Vgl. Bydlinski, JZ 1985, 149 (150); Gusy, DÖV 1992, 461 (464 f.); Gusy, JuS 1983, 189 (194). 115 Dieses und ähnliche Beispiele bei Gusy, DÖV 1992, 461 (464 f.); Kirchhof, NJW 1986, 2275 (2278); Gusy, JuS 1983, 189 (194). 116 Vgl. Gusy, DÖV 1992, 461 (462). 117 Vgl. Mayer-Maly, JZ 1986, 557 (560): Die Fälle, in denen der Gesetzgeber dem Richter durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe eine Entscheidungsspielraum einräumt (Stichwort: „Delegationsfunktion einer Generalklausel“), sind von dem Problem richterlicher Rechtsfortbildung zu unterscheiden; Ipsen, DVBl 1984, 1102 (1102), der jedoch diesen „richterliche[n] Anteil an der Rechtsbildung“ nicht ausreichend von der darüber hinausgehenden richterlichen Rechtsfortbildung unterscheidet (vgl. u. Fn. 122); vgl. auch Ipsen, Richterrecht und Verfassung (1975), S. 63 ff. 118 Vgl. dazu Pieroth/Schlink, Grundrechte25 (2009), Rn. 274 ff. m.w. N. 119 Gusy, DÖV 1992, 461 (464); vgl. auch F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (79): Die Richter „dürfen unter dem Grundgesetz nicht Prätor spielen“.
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Rechtsfolge ausschließlich bei Vorliegen dieses Tatbestandes eintreten soll.120 Wenn eine Regelung nicht abschließend in diesem Sinne zu verstehen ist und die Rechtsfolge auch nicht durch andere Normen ausgeschlossen ist, verletzt der Richter durch eine richterrechtliche Ausdehnung zwar nicht den in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes,121 aber sie ist [kann], wenn sie zu einem Grundrechtseingriff führt, wegen des dann eingreifenden Gesetzesvorbehalts unzulässig [sein].122 c) Keine Kompetenz der Gerichte zur richterlichen Rechtsfortbildung Eine darüber hinausgehende Befugnis des Richters zur Rechtsfortbildung lässt sich auch nicht durch die in Art. 20 Abs. 3 GG neben die Gesetzesbindung tretende Rechtsbindung des Richters, die zudem in Art. 97 Abs. 1 GG nicht wiederholt wird, begründen.123 Mit der Rechtsbindung im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG ist die Bindung des Richters an das Grundgesetz gemeint, da es in einem demokratischen Staat kein Recht geben kann, das der Verfassung neben- oder übergeordnet ist.124 Aus der Beschaffenheit des Verfassungsrechts, an das der Richter demnach gebunden ist, ergibt sich jedoch zugleich, wieso eine über den oben geschilderten Bereich hinausgehende Rechtsfortbildungsbefugnis nicht bestehen kann. Teil des Verfassungsrechts sind nämlich ins-
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Vgl. auch Gusy, JuS 1983, 189 (194). Gusy, DÖV 1992, 461 (464); Herzog, FS Simon (1987), 103 (107). 122 Vgl. auch Poscher, Grundrechte (2003), 323: Grenze verläuft dort, „wo sich . . . Entscheidungen nicht mehr als Interpretationen gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen darstellen lassen.“; Gusy, DÖV 1992, 461 (464): „Soweit . . . der Vorbehalt des Gesetzes reicht, ist die Rechtsprechung praeter legem unzulässig“; es gilt „ein allgemeines Verbot analoger Rechtsanwendung im Eingriffsbereich“; demgegenüber hält Ipsen, DVBl 1984, 1102 (1105 f.) richterliche Rechtsfortbildung in weitem Umfang für zulässig, „wenn nicht die Beziehungen des Bürgers zum Staat, sondern das Verhältnis sozialer Mächte zueinander in Rede steht“. Es ist jedoch nicht zu verstehen, warum sich nur die Regelung des Gesetzgebers, nicht aber die durch Richterrecht als „staatliche Rechtsgestaltung“ bzw. „Einmischung des Staates“ darstellen soll; anderer Ansicht auch Herzog, FS Simon (1987), 103 (109): „der Vorbehalt des Gesetzes paßt“ nicht für die dritte Gewalt – F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (84 mit Fn. 84) hält Analogien „als Bestandteil normativer Rechtsarbeit“ im Gegensatz zur eigenständigen Rechtsfortbildung für zulässig, „solange die analog erzeugte Rechts- und Entscheidungsnorm auf . . . Normtexte methodisch rückführbar“ ist. 123 Vgl. Gusy, JuS 1983, 189 (193); F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (67 f., 76); für wenig aussagekräftig in Bezug auf die Frage der Kompetenz zu richterlicher Rechtsfortbildung halten Art. 20 Abs. 3, 97 GG: Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 89; Ipsen, Richterrecht und Verfassung (1975), S. 119 f.; auch aus § 137 GVG lässt sich aufgrund des Vorrangs der Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG keine weitergehende Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung herleiten. Diese Vorschrift muss vielmehr verfassungskonform eingeschränkt werden, vgl. insoweit F. Müller in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 S. 79 f. 124 Vgl. Gusy, JuS 1983, 189 (193). 121
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besondere auch die Kompetenzbestimmung und der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt.125 Die Bindung des Richters an das von der demokratisch legitimierten Legislative erlassene Gesetz kommt insbesondere in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck, der die Gerichte bei nachkonstitutionellen Gesetzen dazu verpflichtet, diese entweder anzuwenden oder wenn sie diese für verfassungswidrig halten, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung eines Verfassungsgerichts einzuholen.126 Allerdings bestehen neben sonstigen Verfassungsprinzipien auch grundrechtliche Schutzpflichten. Diese stellen jedoch keine fertigen Regelungen dar, die den Richter dazu ermächtigen und verpflichten würden, den Schutz durch Anerkennung konkreter zivilrechtlicher Ansprüche zu verwirklichen, sondern sie verpflichten den Gesetzgeber innerhalb eines weiten Beurteilungsspielraums unter Abwägung mit den im Rahmen eines Schutzes einzuschränkenden Grundrechten anderer, eine solche konkrete Reglung zu treffen.127 Die unterschiedliche Struktur der Grundrechte als Abwehrrechte, die in dieser Funktion das strikte Verbot eines Grundrechtseingriffs ohne gesetzliche Grundlage bedeuten, und der Grundrechte als Schutzrechte, die zwar ein Recht auf ein durch den Gesetzgeber zu verwirklichen Schutz an sich, aber nicht auf eine konkrete Schutzmaßnahme geben, führt dazu, dass der Zivilrichter bei fehlender gesetzliche Grundlage die Klage des sich auf die Schutzfunktion der Grundrechte Berufenden abzuweisen hat, weil das Verbot des Eingriffs in die Grundrechte des Beklagten unbedingte Beachtung erfordert, der zivilrechtliche Schutz für den Kläger jedoch nur einer unter mehreren möglichen Schutzmaßnahmen ist, die der Gesetzgeber vorsehen könnte.128 Die Berufung auf das an den Richter gerichtete Verbot der Rechtsverweigerung129 ist demgegenüber weitgehend eine Scheinargumentation. Der Richter, der einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch ablehnt, trifft in Anwendung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes die Entscheidung, dass er den beantragten Schutz nicht gewähren kann, weil die für 125
Vgl. F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (66, 83). Vgl. Hillgruber, JZ 1996, 118 (119); Gusy, JuS 1983, 189 (194); siehe auch Ipsen, Richterrecht und Verfassung (1975), S. 161, 163: Art. 100 I GG „löst eine Konfliktsituation, in der sich der an Gesetz und Verfassung gleichermaßen gebundene Richter befindet“. 127 s. o. § 9 II. im Text zu Fn. 45 ff. 128 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 43 f.: „schwächere Wirkung von Schutzgebotsfunktion und Untermaßverbot“; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (558 f.): „fundamentale Differenz“; Heun, Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit (1992), S. 67 ff.; Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 40 f. 129 Mit dem Rechtsverweigerungsverbot argumentieren Engisch, Einführung9 (1997), S. 177 f., 205; vgl. auch die klassische Formulierung des Rechtsverweigerungsverbots in Art. 4 Cc: Le juge qui refusera de juger, sous prétexte du silence, de l’obscurité ou de l’insuffisance de la loi, pourra être poursuivi comme coupable de déni de justice. 126
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seine Befugnis zum Einschreiten erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, und verweigert damit gewiss kein Recht.130 Da auch die Abweisung der Klage eine Entscheidung ist,131 ließe sich von einer Rechtsverweigerung nur dann sprechen, wenn der Richter eine andere Entscheidung hätte treffen müssen.132 Dies ist aber gerade nicht der Fall, weil der Richter innerhalb der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht allein zur Gewährung von Rechtsschutz zuständig ist. Wenn nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber die für die Gewährung des erforderlichen Schutzes notwendigen Voraussetzungen schaffen muss,133 besteht keine Verpflichtung zu einer anderen Entscheidung und wird von den Gerichten kein Recht verweigert. 130 Vgl. auch Hillgruber, JZ 1996, 118 (122): „Indem der Richter die Lückenfüllung verweigert, begeht er keine Rechtsverweigerung, sondern achtet die Gewaltenteilung“; Schumann, ZZP 81 (1968), 79 (94): Selbst der Richter, der bei einer Unvollkommenheit des Gesetzes zu einer „non liquet“ Entscheidung“ verpflichtet wäre, „übt doch Rechtsprechung aus, gerade dadurch, dass er sagt, für diesen Einzelfall stehe keine Norm zur Verfügung“; vgl. auch Larenz/Canaris, Methodenlehre3 (1995), S. 193: Abweisung einer Klage wegen Fehlens einer gesetzlichen Grundlage kein Verstoß gegen Rechtsverweigerungsverbot, aber in der Regel ein Verstoß gegen das Gebot, Gleiches gleich zu behandeln; Ipsen, Richterrecht und Verfassung (1975), S. 54: Auffassung, dass das Bestehen eines Anspruchs bei fehlender Rechtsgrundlage zu verneinen ist, ist mit dem Rechtsverweigerungsverbot „vereinbar“; – Rechtstheoretisch betrachtet ist die Argumentation mit dem Rechtsverweigerungsgebot aus folgendem Grunde nicht zwingend: Wenn eine bestimmte Tätigkeit durch einen Rechtssatz (Vorrang bzw. Vorbehalt des Gesetzes) scheinbar verboten, durch einen anderen (Verbot der Rechtsverweigerung) aber scheinbar geboten ist, so lässt sich dieser Widerspruch sowohl durch die Annahme, dass ein Verhalten, das geboten ist, nicht verboten sein kann als auch mit der Annahme, dass ein Verhalten, das verboten ist, nicht geboten sein kann, lösen. Entscheidend ist insoweit, welche der beiden Normen im Wege der Auslegung oder kraft ihres Normrangs der Vorrang zukommt. 131 Vgl. Engisch, FS Sauer (1949), 85 (97): „Denn auch eine negative Antwort ist eine Antwort, auch eine ablehnende Entscheidung ist eine Entscheidung.“ 132 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik (1996), S. 287: materielles Verbot der Rechts(schutz)verweigerung verbietet es dem Richter, „in Ermangelung gesetzlicher Entscheidungsmaßstäbe stets Entscheidungen negativer Art zu treffen, etwa jede Klage schlichtweg abzuweisen, sobald es an einem diesbezüglichen Gesetz fehlt“ – Dies ist eine klassische petitio principii: dass der Richter die Klage nicht abweisen muss, sondern die materiell als gerecht empfundene Entscheidung trotz fehlender gesetzlicher Entscheidung treffen muss, gilt es gerade zu beweisen; Schumann, ZZP 81 (1968), 79 (100): „Das Rechtsverweigerungsverbot ist auf ein materiales Prinzip bezogen. Es ist die Rechtsidee, . . . die dazu zwingt, daß der in der lex scripta nicht geregelte Fall seine gerechte Lösung [sic!] . . . findet“; vgl. auch Mayer-Maly, JZ 1986, 557 (560): „Wer sich heute zur Legitimierung von Richterrecht auf das Rechtsverweigerungsverbot beruft, meint aber anderes. Er hat nicht die Ablehnung jedweder Entscheidung, sondern die Herbeiführung einer Entscheidung im Sinn, die als angemessen und wünschenswert erscheint“; Neuner, Die Rechtsfindung contra legem2 (2005) S. 50 ff., 67 f.: „Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, daß der Richter gem. Art. 20 III GG zur Ergänzung des positiven Rechts nach materialen Gerechtigkeitskriterien berufen ist. Es läßt sich dem Grundgesetz kein einziges stichhaltiges Argument entnehmen, das im ,gesetzesfreien‘ Bereich für eine generelle Klageabweisung oder eine ,Non liquet’-Entscheidung spräche.“
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Entgegen der weitverbreiteten Annahme des Schrifttums134 ist der von Zitelmann aufgestellte allgemeine negative Grundsatz, dass, abgesehen von den im Gesetz besonders geregelten Fällen, „alle Handlungen straffrei, ersatzfrei bleiben“135 jedenfalls für das Außervertragsrecht zutreffend. Es handelt sich insoweit nur um die Ausformung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes für das außervertragliche Privatrecht. Vollkommen unzutreffend ist daher der Einwand, dass dieser Grundsatz über das Strafrecht hinaus „in keinem Gesetz“ ausgesprochen sei.136 Auch dass die Beachtung dieses Grundsatzes „angesichts der Vielzahl und der ständigen Fortentwicklung der Lebensverhältnisse völlig unpraktikabel“ wäre, lässt sich nicht behaupten. Insbesondere das Deliktsrecht lässt durch die drei kleinen Generalklauseln der §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 826 BGB ausreichenden Spielraum, um neu auftretenden Entwicklungen Rechnung zu tragen. Insbesondere § 823 Abs. 1 BGB ermöglicht es, neuen Gefahren zu begegnen, indem er die genannten Rechtsgüter gegenüber jeglicher Verletzungsart schützt und eine Erweiterung des Schutzes auf „sonstige Rechte“ zulässt. Dass über diesen Rahmen hinaus137 ein grundsätzliches Bedürfnis nach richterlicher Rechtsfortbildung bestünde, ist nicht zu erkennen und würde zudem im klaren Widerspruch zu der Intention des historischen Gesetzgebers stehen, im Interesse des Schutzes der allgemeinen Handlungsfreiheit die Haftungstatbestände zu begrenzen.138 133 Vgl. Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (559); Hillgruber, JZ 1996, 118 (124): „Ist Schutz ohne eine Beschränkung der Freiheitsrechte anderer nicht möglich, so schuldet diesen Schutz eben nur die Instanz, die ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten bieten kann: der Gesetzgeber . . .“. 134 F. Bydlinski, in: Koller u. a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im juristischen Denken (1998), 27 (50): „rechtspositivistisches Phantasieprodukt“; Looschelders/Roth, Juristische Methodik (1996), S. 287; Bydlinski, Methodenlehre2 (1991), 2. Buch 1. Teil V., S. 236; 3. Buch 3. Teil I., S. 472; Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 2. a), S. 378; Canaris, Lücken im Gesetz2 (1983), S. 49 ff. m.w. N. in Fn. 138; Engisch, FS Sauer (1949), 85 (95): „Phantasieprodukt“; vorsichtiger Engisch, Einführung9 (1997), S. 181: allgemeine Annahme eines negativen Satzes sicher zu weitgehend. 135 Zitelmann, Lücken im Recht (1903), S. 19; ebenso Herrfahrdt, Lücken im Recht (1915), S. 30. 136 Vgl. die Fn. 134 genannten und ferner Engisch, FS Sauer (1949), 85 (95 f.): Aus der Geltung einzelner negativer Grundsätze, wie z. B. im Strafrecht und im „streng liberalen öffentlichen Recht“ darf man „selbst im liberalen Staat . . . keine Verallgemeinerung ableiten“. 137 Vgl. Poscher, Grundrechte (2003), S. 324; vgl. auch Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 102, die darauf hinweist, dass die problematischen Fälle, in denen ein Rechtsgut wegen der umfassenden Geltung des Gesetzesvorbehalts in nicht hinzunehmender Weise schutzlos bleibt, aufgrund der polizeilichen Generalklausel höchst selten sind. 138 Vgl. Prot., Mugdan II, S. 1073 ff.: „Gehe man weiter [d. h. gewährt man Schadensersatz auch ohne Verschulden] . . ., so werde damit . . . die Bewegungsfreiheit des einzelnen allzu sehr eingeschränkt.“ (ebd. S. 1074); „Es liege aber weder in den Tendenz des Entw. noch entspreche dies der im deutschen Volke herrschenden Auffassung von der Stellung des Richteramtes, die Lösung solcher Aufgaben, die durch das Ge-
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d) Ausnahme vom Vorbehalt des Gesetzes bei schwerwiegendem gesetzgeberischem Unterlassen? Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass bei einem Untätigbleiben des Gesetzgebers im Interessenkonflikt zwischen zwei Grundrechtsträgern derjenige, der sein Recht auf staatlichen Schutz geltend macht, sich in der schwächeren Position befinden würde:139 Rechtsprechung und Verwaltung wären durch den Vorbehalt des Gesetzes gehindert, in die Grundrechte des „Angreifers“ einzugreifen, obgleich diese in der vorgegebenen Situation zweifellos (vom Gesetzgeber) hätten eingeschränkt werden können, und müssten daher den „Schutzbedürftigen“ auch dann schutzlos lassen, wenn die Vehemenz des Schutzbedürfnisses den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers auf das Ergreifen konkreter Maßnahmen eingeengt hat. Es fragt sich daher, ob die Rechtsprechung nicht wenigstens in den Ausnahmefällen, wo der Gesetzgeber ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Rechtsgut vollkommen schutzlos gelassen hat und die Abwägung zwischen Schutz- und Abwehrrecht zu dem Ergebnis führt, dass ein bestimmtes Verhalten zu verbieten sei, die entsprechende Verbotsnorm unter Übergehung des Vorbehalts des Gesetzes im Rahmen eines bestehenden Normendurchsetzungsverfahrens durchsetzen kann. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage ist, ob in solchen Fällen eines Konflikts zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht und Gesetzesvorbehalt von Verfassungs wegen dem letzteren Grundsatz ausnahmslos der Vorrang gebührt.140 Bei drohenden schwersten Rechtsgutseinbußen erscheint es zu formal, sich auf den Standpunkt zurückzu-
setz erfolgen müsse, auf die Gerichte abzuwälzen. Es ließe sich auch nicht absehen, zu welchen Konsequenzen die Einräumung einer autoritativen Stellung an den Richter führen und ob nicht die deutsche Rechtsprechung zu ähnlichen Auswüchsen gelangen würde, welche zahlreiche Auswüchse der französischen Gerichte aufwiesen.“ (ebd. S. 1075); „Die Schaffung einer allgemeinen actio culpae könne zu großem Mißbrauche und zu einer erheblichen Gefährdung des Verkehrslebens führen.“ (ebd. S. 1077). 139 Vgl. Hager, JZ 1994, 373 (381); Lübbe-Wolff, Grundrechte (1988), S. 100 f.: „Wird hier der Störer vorm Gestörten, der Verbrecher vor dem Opfer, der Emittent gesundheitsschädlicher Stoffe, vom Raucher bis zum Kraftwerksbetreiber, vor dem bevorzugt, dessen Gesundheit er bedroht?“; dazu auch Canaris, Grundgesetz und Privatrecht (1999), S. 47. 140 Für „eine Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlichen Mangel, der in dem Fehlen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage besteht, und dem verfassungsrechtlichen Defizit, das im Fehlen“ des grundrechtlich gebotenen Schutzes liegt, BVerfG, JZ 1992, 1015 (1017); für eine solche Möglichkeit wohl auch Zippelius, Methodenlehre8 (2003), § 11, S. 67 f.: „Eine richterliche Rechtsfortbildung, die sich vom Gesetz entfernt, ist aber nur zulässig, wenn die Gründe des ,Rechts‘, die für sie sprechen, schwerer wiegen, als die Argumente der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit, die eine strikte Einhaltung des ,Gesetzes‘ verlangen . . . Darüber hinaus und ganz allgemein dürfen durch Richterrecht keine Eingriffstatbestände geschaffen werden, soweit nach der Verfassung ein strenger Gesetzesvorbehalt für solche Eingriffe besteht.“; – prinzipiell ablehnend dagegen Hillgruber, JZ 1996, 118 (123): „Der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt ist . . . kein „abwägungsfähiges Rechtsgut, sondern strikt zu beachten“.
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ziehen, dass der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes keiner Abwägung zugänglich sei. Eine solche Ersatzkompetenz in Notfällen ist in einem gewissen Sinne in der Anerkennung von grundrechtlichen Schutzrechten und der Bindung an die Grundrechte als „unmittelbar geltendes Recht“ schon angelegt.141 Die Anerkennung nicht nur einer Schutzpflicht, sondern eines dieser Pflicht korrespondierenden Schutzrechts wäre wertlos, wenn dieses Recht nicht auch gegenüber dem Gesetzgeber durchgesetzt werden könnte. Findet einerseits im Rahmen des Vorrangs des Gesetzes die Bindung von vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an das legislative Tun dort ihre Grenze, wo diese verfassungswidrig in Grundrechte eingreifen, so hört andererseits die Bindung an ein legislatives Unterlassen im Rahmen des Gesetzesvorbehaltes dort auf, wo der Gesetzgeber unter Überschreitung des ihm zustehenden Spielraums der Pflicht zum Erlass einer durch das Verfassungsrecht bereits hinreichend determinierten Regelung nicht nachkommt. Fraglich bleibt allerdings, ob die Entscheidung darüber nicht entsprechend Art. 100 GG dem BVerfG vorzubehalten ist.142 Rechtfertigen lassen sich mit diesen Erwägungen allerdings nur die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wenn die Verbote bestimmter Verhaltensweisen aufgrund des verfassungsrechtlichen Gebots des Schutzes der Persönlichkeit zwingend geboten sind,
141 Vgl. dazu kritisch Heun, Schranken (1992), S. 67 ff.: Anerkennung grundrechtlicher Schutzpflichten führt zu einer Überschreitung der „grundsätzlichen Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts auf kassatorische Maßnahmen“. 142 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht (1999), S. 90 a. E.; Hillgruber, JZ 1996, 118 (122) meint, dass in Fällen echten gesetzgeberischen Unterlassens die einfachen Gerichte weder das Fehlen der gesetzlichen Grundlage übergehen, noch nach Art. 100 Abs. 1 GG die Frage dem BVerfG vorlegen dürfen, da nicht die Gültigkeit eines Gesetzes in Frage stehe. Rechtsschutz könne nur im Wege der Verfassungsbeschwerde erlangt werden, in deren Rahmen das BVerfG dem Gesetzgeber die Schaffung der erforderlichen Regelung aufgeben könne; dies ist m. E. deshalb zweifelhaft, weil es dazu führen könnte, dass in dem konkreten Einzelfall jeder Schutz zu spät käme. Wenn man den einfachen Gerichten in solchen Fällen gesetzgeberischen Unterlassens die Kompetenz zur eigenen Entscheidung nicht zugesteht, müsste man wenigstens eine Vorlage analog Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG zulassen. Der gegen eine solche Möglichkeit vorgebrachte Grund, dass durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht die Möglichkeit allgemeiner Kontrolle des Gesetzgebers geschaffen werden sollte (Dreier), überzeugt jedenfalls nicht. Bereits in der Anerkennung der Schutzpflichten ist die entsprechende Kompetenzerweiterung des BVerfG begründet, das damit nicht mehr nur auf die Kassation bestehender Gesetze beschränkt ist. Im Übrigen würde die entsprechende Kontrolle im Rahmen der Verfassungsbeschwerde ohnehin erfolgen. Wenn das BVerfG dem Gesetzgeber im Einzelfall eine inhaltlich genau festgelegte Regelung aufgeben kann (ob sich eine solche aus der Verfassung ableiten lässt, wird stets zweifelhaft bleiben), spricht m. E. auch nichts dagegen, dass das BVerfG vorübergehend selbst eine Regelung trifft, auf deren Grundlage die einfachen Gerichte den verfassungsrechtlich erforderlichen Rechtsschutz gewähren können; vgl. auch Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (1978), S. 238.
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so kann deren Einhaltung im Rahmen der Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB aufgrund der Beschränkung der Schadensersatzpflicht durch § 253 a. F. BGB, die die Rechtsprechung freilich alsbald auch überwunden hat, nicht sichergestellt werden. Wenn man bedenkt, dass eine Durchsetzung der Normen des Persönlichkeitsrechts durch Verwaltungsbehörden der Natur der Sache nach weitgehend nicht in Betracht kommen dürfte, so läuft dies mit einer gewissen Zwangsläufigkeit143 auf einen zivilrechtlichen Schutz durch Unterlassungsklagen hinaus. Diese Erwägungen treffen freilich innerhalb des Anwendungsgebiets der §§ 185 ff. StGB nicht zu, wo die strafrechtliche Sanktionierung die Einhaltung der entsprechenden Verbotsnormen jedenfalls in einer der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht genügenden Weise sicherstellt. Somit lässt sich zunächst zusammenfassend feststellen, dass der Gesetzgeber einen allgemeinen negatorischen Schutz gegen Delikte weder vorgesehen hat noch seinem Regelungsplan entsprechend vorsehen wollte. Da ein solcher Schutz auch nicht im Hinblick auf verfassungsrechtliche Erfordernisse oder die höhere Gerechtigkeit erforderlich ist, lässt er sich nach heutigen Maßstäben außerhalb des Bereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weder als gesetzesimmanente noch als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung rechtfertigen. e) Keine Rechtfertigung des quasinegatorischen Rechtsschutzes als Gewohnheitsrecht bzw. vorkonstitutionelles Richterrecht Da die für die quasinegatorischen Unterlassungsklagen maßgeblichen Grundsätze schon vom Reichsgericht aufgestellt wurden, wäre allenfalls noch zu erwägen, dass es sich dabei um Gewohnheitsrecht oder um eine vor Geltung des Grundgesetzes legitime Art richterlicher Rechtsfortbildung handelt, die als vorkonstitutionelles Recht gemäß Art. 123 Abs. 1 GG weitergelten würde. Indes konnten die Gerichte, die zur Streitentscheidung im Einzelfall aufgerufen sind, kein Recht setzen, dem normative Verbindlichkeit zukommt.144 Das „Richterrecht“ ist daher keine Rechtsquelle in diesem Sinne. Es gilt nur kraft der „Anerkennung seiner Richtigkeit“ und „weicht mit Selbstverständlichkeit dem ,alio iure utimur‘, wenn auf Grund des positiven Rechts sich eine andere Rechtsein143 Hillgruber, JZ 1996, 118 (122) hält eine Übergehung des Gesetzgebers allenfalls dann für möglich, wenn die „vom Gericht geschöpfte Rechtsfolge tatsächlich von Verfassungs wegen unmittelbar und zwingend geboten erscheint. In diesem Fall kann geltend gemacht werden, daß ,nur‘ die Zuständigkeit des Gesetzgebers als solche beeinträchtigt ist, weil der Gesetzgeber . . . keine inhaltlich andere Regelung hätte treffen dürfen“. Im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts hält er eine Rechtsfortbildung (jedenfalls durch die einfachen Gerichte) aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen für unzulässig. 144 Vgl. mit Bezug auf die quasinegatorische Unterlassungsklage bereits Neukamp, FS Zitelmann (1913), 1 (13).
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sicht durchsetzt“.145 Insofern konnte die unzutreffende Auffassung der Gerichte im Bereich des quasinegatorischen Rechtsschutzes keine normative Geltung erlangen. Auch eine Geltung kraft Gewohnheitsrecht kommt nicht in Betracht.146 Für die Bildung von Gewohnheitsrecht ist eine allgemeine, über Juristenkreise hinausreichende, Rechtsüberzeugung erforderlich.147 Nicht ausreichend ist insoweit, dass eine bestimmte Rechtsprechung weitgehend kritiklos zur Kenntnis genommen wird.148 Da es sich bei den Grundsätzen des quasinegatorischen Rechtsschutzes um rechtstechnische Regelungen handelt, die nicht rechtsethisch fundiert sind, ist die Ausbildung einer allgemeinen Rechtsauffassung in diesem Bereich praktisch ausgeschlossen.149 Selbst wenn es sich aber bei der Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen um Gewohnheitsrecht oder normative Geltung beanspruchendes Richterrecht handeln würde, so würden diese Grundsätze nach Art. 123 Abs. 1 GG doch nur in dieser Normqualität weitergelten. Insoweit können Grundrechtseingriffe aufgrund fortgeltender Rechtsnormen, die weder selbst formelle Gesetze sind, noch sich auf solche stützen können, nach einer Übergangszeit von über fünfzig Jahren nach Erlass des Grundgesetzes nicht mehr hingenommen werden können.150 IV. Ergebnisse Dass quasinegatorische Ansprüche mit einem Eingriff in Grundrechte des Anspruchsgegners verbunden sind, hat die Geltung des grundrechtlichen Gesetzesvorbehaltes zur Folge. Die Gewährung derartiger Ansprüche setzt daher eine gesetzliche Anspruchsgrundlage voraus, die die Gerichte nicht durch richterliche Rechtsfortbildung ersetzen können. Eine richterrechtliche Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche und ein damit verbundener Verzicht auf das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage kommt nur in den Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Gesetzgeber ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Rechtsgut vollkommen schutzlos gelassen hat. Ein solcher Ausnahmefall kann
145 Flume, Richter und Recht (1967), S. K 24 f.; vgl. auch Larenz, Methodenlehre 6 (1991), Kap. 5 2. f, S. 387, Kap. 5 5., S. 431; Bydlinski, Methodenlehre2 (1991), 3. Buch 4. Teil I. 1. b), S. 503; Bydlinski, JZ 1985, 149 (150, 153 f.); Köhler, JR 1984, 45 (46 f.); Flume, Gewohnheitsrecht und Römisches Recht (1975), S. 37 f.; BVerfGE 84, 212 (227); BVerfGE 38, 386 (396). 146 Gegen eine Rechtfertigung von Richterrecht als Gewohnheitsrecht F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (81 f.) m.w. N. in Fn. 63. 147 Vgl. F. Müller, in: Richterliche Rechtsfortbildung (1986), 65 (81); nach Larenz, Methodenlehre6 (1991), Kap. 5 5., S. 433 kann eine ständige Rechsprechung unter engen Voraussetzungen zur Grundlage von Gewohnheitsrecht werden und so gesetzesgleiche Verbindlichkeit erlangen. 148 Larenz, Methodenlehre 6 (1991), Kap. 5 5., S. 433. 149 Vgl. ebd. Kap. 5 5., S. 433. 150 Vgl. Dreier/Stettner, Grundgesetz2 (2008), Art. 123 Rn. 21 m.w. N.
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allenfalls bei quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen werden. V. Exkurs: Die Problematik des Verbots der Doppelsanktionierung im Rahmen des quasinegatorischen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wenn man demnach den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch quasinegatorische Unterlassungsklagen als verfassungsrechtlich gebotene Rechtsfortbildung für zulässig erachtet, so stellt sich im Bereich des Ehrschutzes die Problematik der Konkurrenz der Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO mit der Bestrafung nach den §§ 185 ff. StGB. Da es sich bei den Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO um strafähnliche Sanktionen handelt und diese ebenso wie die Strafen nach §§ 185 ff. StGB auf die Verhinderung von Ehrverletzungen abzielen, ist eine weitgehende Vermeidung eines Nebeneinanders beider Verfahren verfassungsrechtlich geboten. Die praktische Relevanz dieser Problematik ist allerdings insofern beschränkt, als bei Unterlassungsklagen im Medienbereich der Rechtsschutz zumeist ausschließlich auf privatrechtlichem Wege verfolgt und insoweit von den strafrechtlichen Möglichkeiten wenig Gebrauch gemacht wird. Für einen Schutz gegen Doppelsanktionen ideal, aber im Hinblick auf die Interessen des Geschützten abzulehnen, wäre es, Unterlassungsklagen gegen Handlungen, die nach §§ 185 ff. StGB strafbar sind, überhaupt nicht zuzulassen. Dies hätte jedoch die nicht hinzunehmende Konsequenz zur Folge, dass sich der Kläger, der z. B. einen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung erfundener Interviews geltend macht, dem überraschenden Einwand des Beklagten ausgesetzt sähe, dass ein solcher Anspruch nicht bestünde, weil die Veröffentlichung eine Beleidigung nach § 185 StGB darstellte. Kaum Probleme wirft die Verwirklichung des Gebotes „ne bis in idem“ auf, wenn bereits in einem Verfahren auf Kriminalstrafe oder Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO erkannt wurde. Hier dürfte die Einleitung des jeweils anderen Verfahrens aus verfassungsrechtlichen Gründen für unzulässig erachtet werden, weil insoweit ein „Verbrauch der Sanktionsmöglichkeit“ eingetreten ist. Dies dürfte auch dann weitgehend unproblematisch sein, wenn es um die Frage der Zulässigkeit eines Strafverfahrens nach der Verhängung einer Ordnungsmaßnahme geht, weil es sich bei den Delikten der §§ 185 ff. StGB um Privatklagedelikte handelt, an deren Verfolgung regelmäßig kein über das Privatinteresse hinausgehendes öffentliches Interesse besteht.151 151 Vgl. § 376 StPO; im Hinblick auf das Gebot, Doppelsanktionen zu vermeiden, wäre rechtspolitisch gesehen eine Abschaffung der Privatklagedelikte zu erwägen: Soweit kein öffentliches Interesse an einer Bestrafung besteht, reichen die zivilrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten (Unterlassungsklage, Schmerzensgeld bei Verletzungen
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Schwieriger stellt es sich dar, wenn eines der Verfahren zu keiner Verurteilung des Beklagten (bzw. Angeklagten) geführt hat. Wurde bereits die Unterlassungsklage abgewiesen, weil der Beklagte durch die Handlung nicht die Ehre des Klägers verletzt, so müsste das Urteil in einem späteren Strafverfahren insoweit als Erlaubnissatz behandelt werden. Wenn hingegen im Strafverfahren oder im Vollstreckungsverfahren festgestellt wurde, dass kein Normverstoß vorliegt, so ist ein Ausschluss des jeweils anderen Verfahrens jedoch kaum möglich. Der Grund dafür ist, dass die Urteilsnorm des Unterlassungsurteils einerseits nur einen Teilbereich der nach den §§ 185 ff. StGB strafbaren Handlungen erfassen kann, andererseits aber auch auf Handlungen bezogen sein kann, die kein Vergehen im Sinne dieser strafrechtlichen Normen darstellen. Dass ein Verhalten nicht gegen das Unterlassungsurteil verstößt, besagt insofern nicht, dass es überhaupt keine Beleidigung enthält. Und dass ein Verhalten umgekehrt nicht nach den §§ 185 ff. StGB strafbar ist, bedeutet noch nicht, dass es sich dabei um keine vom Unterlassungsurteil erfasste Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt. In diesen Fällen muss das Nebeneinander beider Verfahren daher als unvermeidlich hingenommen werden. Die vorausgehenden Erörterungen zur Vermeidung einer doppelten Sanktionierung zeigen aber vor allem, dass eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Bedarf nach weiteren Regelungen nach sich zieht. Diese dann erforderlichen Regelungen ergeben sich aber wiederum nicht unmittelbar aus höherrangigen Rechtsgeboten, so dass sich im Wege freier Rechtsfortbildung insoweit kaum überzeugende Ergebnisse erzielen lassen. Zudem entsteht die Notwendigkeit, immer weitere gesetzliche Normen zu derogieren. So muss z. B. konstatiert werden, dass im Strafprozessrecht keine Beschränkung der Befugnis zur Privatklage für den Fall der vorherigen Verhängung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO vorgesehen ist. Gefordert ist insoweit eine Entscheidung des Gesetzgebers, der das Nebeneinander der verschiedenen Rechtsschutzsysteme ordnen müsste, indem er z. B. den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter Integration von Elementen des Privatklageverfahrens ausschließlich privatrechtlich ausgestaltete.
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) aus; in dem Sinne auch Kühne, Strafprozessrecht7 (2007), Rn. 254.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
§ 10 Der § 823 Abs. 2 BGB als „Transformationsnorm“ Im Rahmen des quasinegatorischen Rechtsschutzes wird von der Existenz einer in straf- oder öffentlich-rechtlichen Gesetzen enthaltenen individualschützenden Verbotsnorm auf das Bestehen einer entsprechenden privatrechtlichen Pflicht geschlossen, die im Wege der Unterlassungsklage durchgesetzt werden kann. Dieser Schluss beruht auf der Annahme, dass jeder zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht aus Delikt – also insbesondere auch der Ersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB – ein Anspruch des Ersatzberechtigten auf Unterlassung zugrunde liegt.1 Auf diese Weise wird ein Privatrecht jedes Einzelnen auf Einhaltung aller seinen Schutz bezweckenden Gesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB begründet. Die Möglichkeit von Verbotsnormen, die zwar als Grundlage einer zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht des Geschützten in Betracht kommen, deren Einhaltung jedoch allein durch ordnungsbehördliche Maßnahmen oder strafrechtliche Sanktion sichergestellt wird, wird dadurch zugleich abgelehnt.2 Die Funktion, die § 823 Abs. 2 BGB im Rahmen dieses Schlusses hat, ist die einer „Transformationsnorm“:3 Auf dem Umweg über die Schadensersatzpflicht wegen einer Schutzgesetzverletzung werden strafrechtliche und öffentlich-rechtliche Verbotsnormen in einklagbare zivilrechtliche Unterlassungsverbindlichkeiten umgewandelt.4 § 823 Abs. 2 BGB dient dabei als Beleg für die zivilrechtliche Relevanz solcher, formell einem anderen Rechtsgebiet angehörenden Normen. Insbesondere könnte § 823 Abs. 2 BGB als Beweis für die Einräumung der für die Annahme eines subjektiven Rechts auf Unterlassung erforderlichen Rechtsmacht dienen. Die Rechtsmacht des Inhabers eines Unterlassungsanspruchs besteht in der Befugnis, durch die Inanspruchnahme der Gerichte zu 1
Vgl. zur Rspr. o. § 5 I. u. § 6 sowie zur Literatur o. § 7 I. 1. Vgl. dagegen zutreffend Lau, Gruchots Beitr. 47 (1903), 497 (507). 3 Vgl. auch Brüggemeier, Deliktsrecht (1986), Rn. 792: § 823 Abs. 2 „transformiert . . . außerdeliktische Verhaltensnormen in das Deliktsrecht“; Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 226: „Transmissionsriemen, der die Verhaltensstandards des Bauordnungsrechts, . . ., usw. in das private Deliktsrecht überführt.“; ähnlich auch MünchKomm5 /Wagner (2009), § 823 Rn. 327; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht5 (2009), Rn. 296: Umformungsfunktion – „§ 823 Abs. 2 transponiert Schutznormen aus anderen Rechtsgebieten in das Haftungsrecht“; Soergel12 /Zeuner (1998), § 823 Rn. 287: „Hauptfunktion“ des § 823 Abs. 2 BGB ist es, individualschützende „Rechtsnormen aus anderen Bereichen der Rechtsordnung in das Gefüge des Deliktsrechts einzubeziehen“; Boehmer, Grundlagen der Bürgerlichen Rechtsordnung, Bd. 1 (1950), S. 69: „Brückenschlag zwischen Strafunrecht und Zivilunrecht“. 4 Nach BGHZ 122, 1 (8) ist dies eine „unmittelbar“ in § 823 Abs. 2 BGB angelegte „Konsequenz“; vgl. Staudinger13 /Hager (1999), § 823 Rn. G3: „Verhaltensanforderungen auch aus anderen Rechtsgebieten über § 823 Abs. 2 im Zivilrecht durchgesetzt“; MünchKomm5 /Wagner (2009), § 823 Rn. 327 („Transmissionsriemen“). 2
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erzwingen, dass ein anderer eine bestimmte Handlung unterlässt.5 Die Einhaltung von Unterlassungspflichten wird aber im Allgemeinen und nach § 890 ZPO im Besonderen durch die Androhung einer im Falle der Zuwiderhandlung zu vollstreckenden Sanktion erzwungen. Das Recht, ein Unterlassen zu erzwingen, besteht daher vor allem in der Rechtsmacht, die nachträgliche Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht auszulösen. Wenn man den Sanktionscharakter der Schadensersatzpflicht betont,6 wird dem Schadensersatzberechtigten durch § 823 Abs. 2 BGB die Befugnis eingeräumt, die Zahlung von Schadensersatz als eine Form der Sanktion des schuldhaften Normverstoßes herbeizuführen und damit mittelbar auch die Einhaltung der primären Unterlassungspflicht selbst zu erzwingen. Bereits der Schadensersatzanspruch des § 823 Abs. 2 BGB versetzt den Schadensersatzberechtigten in eine Position, die „über das bloße Sichgefallenlassen der günstigen Mitwirkungen der Rechtsnormen“7 hinausgeht.8 Daher könnte man auf den Gedanken kommen, dass der Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB notwendigerweise ein Anspruch auf Unter-
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s. o. § 3 IV. im Text zu Fn. 259. Die h. M. geht zu Recht davon aus, dass die Ausgleichsfunktion dominiert, vgl. Staudinger13 /Hager (1999), Vorb. §§ 823 ff. BGB, Rn. 9: „Ausgangspunkt“; Deutsch, Allg. Haftungsrecht2 (1996), Rn. 17: steht „im Vordergrund“; Larenz/Canaris, SchR II/213 (1994), § 75 I 2 i) (S. 354): „in erster Linie“; Lange/Schiemann, Schadensersatz3 (2003), Einl. III. 2. a) (S. 9 ff.): „durch das . . . Ausgleichsprinzip beherrscht“; Mertens, Begriff des Vermögensschadens (1967), S. 95 ff.: „Primärzweck“; vgl. auch Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 36 f., wobei m. E. allerdings die Betonung des Aspekts, dass das Schadensrecht nicht den Ausgleich jedweden Schadens, sondern den gerechten Schadensausgleich bezwecke, überflüssig ist: die Scheidung von Tatbeständen, die einen Anspruch begründen von solchen, die (gerechterweise) keinen Anspruch begründen, ist nicht nur Aufgabe des Deliktsrechts, sondern des Zivilrechts überhaupt; kritisch zur Ausgleichsfunktion MünchKomm5 /Wagner (2009), Vor § 823 Rn. 38 f. sowie Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 56 ff.; Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts (1981), S. 185 ff. – Daneben ist die Präventionsfunktion zumindest in dem Sinne, dass die Präventionswirkung ein „erwünschtes Nebenprodukt“ (Lange/Schiemann, Schadensersatz3 (2003) Einl. III. 2. b) (S. 11); Larenz, SchR I14 (1987) § 27 I (S. 423 f.)) der Schadensersatzpflicht ist, weitgehend anerkannt. Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 59 ff.; MünchKomm5 /Wagner (2009), Vor § 823 Rn. 40 f.; Staudinger13 /Hager (1999), Vorb. §§ 823 ff. BGB, Rn. 10; Deutsch, Allg. Haftungsrecht2 (1996), Rn. 18; Larenz/Canaris, SchR II/213 (1994), § 75 I 2 i) (S. 354); Brüggemeier, FS Jahr (1993) 223 (224 ff.); Kötz, FS Steindorff (1990), 643 (645 ff.); Mertens, Begriff des Vermögensschadens (1967), S. 109 f.: „rechtlich intendierter Sekundärzweck“; sowie die weiteren Nachweise bei Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 27 Fn. 27. – Die Bestrafung des Täters wird dagegen überwiegend nicht als Funktion des § 823 BGB angesehen (wobei allerdings implizit der Strafzweck der Vergeltung – und nicht der Präventionszweck der Strafe – in den Vordergrund gestellt wird; siehe dazu MünchKomm5 / Wagner (2009), Vor § 823 Rn. 43), vgl. MünchKomm5 /Wagner (2009), Vor § 823 Rn. 43 f.; Staudinger13 /Hager (1999), Vorb. §§ 823 ff. BGB, Rn. 11; Lange/Schiemann, Schadensersatz3 (2003), Einl. III. 2. d) (S. 12 f.); so schon Mot II 17 f. 7 Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 70; zu Lehmann o. § 7 II. 2. 8 Dazu o. § 7 II. 1. e) im Text zu Fn. 93 ff. 6
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lassung zugrunde liegt, der im Wege der Unterlassungsklage verfolgt werden kann. I. Die gebotene Differenzierung bei der Sanktionierung von Normverstößen Man muss sich jedoch demgegenüber vergegenwärtigen, dass es sich auch dann, wenn man der Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB einen Sanktionscharakter beilegt, bei dieser und den Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO um zwei unterschiedlich geartete und voneinander zu unterscheidende Folgen des Verstoßes gegen eine Unterlassungspflicht handelt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Unterlassung erst durch die Möglichkeit, die Unterlassungspflicht nach § 890 ZPO zu vollstrecken, seine spezifische Bedeutung erhält: Einen Anspruch auf Unterlassung zu haben, bedeutet vor allem, die Möglichkeit zu haben, ein die Unterlassungsverpflichtung aussprechendes und Ordnungsmaßnahmen androhendes Urteil (vgl. § 890 Abs. 2 ZPO) zu erwirken und im Falle der Zuwiderhandlung Ordnungsmaßnahmen zur Anwendung kommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund wird die Berechtigung der von Anfang an gegen die die Herleitung von Unterlassungsansprüchen aus der Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB befürwortende Lehre gerichtete Kritik, sie wolle „ein Recht im subjektiven Sinne auch da sehen . . ., wo der Rechtssatz des bürgerlichen Rechts lediglich ein Pflicht voraussetzt“,9 offenbar. Man kann sicherlich der deliktischen Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB die Bewertung entnehmen, dass die Herbeiführung des zu ersetzenden Schadens unerwünscht ist und daher möglichst unterbunden werden soll. Dass deshalb aber der nach § 823 Abs. 2 BGB die Schadensersatzpflicht begründende Tatbestand nicht nur diese, sondern auch eine Bestrafung nach § 890 ZPO zur Folge haben soll, lässt sich dem § 823 Abs. 2 BGB nicht entnehmen. Vielmehr muss in Betracht gezogen werden, dass es durchaus angemessen sein kann, „die Androhung der Schadensersatzpflicht als alleiniges Zwangsmittel zu verwenden“ oder aber den Primärschutz des geschützten Rechtsguts „anderen Organen als den ordentlichen Zivilgerichten“ zu übertragen.10 Das materielle Denken in an die Einzelperson adressierte primäre Ge- und Verbotsnormen11 verdeckt, dass mit der Entscheidung über die „Rechtswidrigkeit“ einer bestimmten Verhaltensweise nur ein Teil der sich in erster Linie dem Gesetzgeber stellenden Aufgabe erledigt ist. Nicht weniger wichtig ist die Rege9 v. Blume, FS Güterbock (1910), 381 (392); ferner Oertmann, DJZ 1904 Sp. 616 (621); Ulrich, JherJb 64 (1914), 161 (238); Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 20; Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 23. 10 So zu Recht schon Lau, Gruchots Beitr. 47 (1903), 497 (507). 11 Vgl. zu dieser Betrachtungsweise bereits o. § 1 im Text zu Fn. 13 ff., § 2 IV. 4. nach Fn. 109, § 3 II. 1.–4., § 4 I., § 5 I., § 11 I. 1., 3., 4.
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lung der Folgen eines Verbotsverstoßes und der sonstigen, die Beachtung des Verbots sicherstellenden Mechanismen. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass zur Durchsetzung der durch den Erlass einer Verbotsnorm begründeten Unterlassungspflicht zumindest prinzipiell verschiedene Mittel zur Verfügung stehen:12 In Frage kommen unter anderem die Ahndung des Verbotsverstoßes durch strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen, die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht, die Durchsetzung durch staatliche Behörden mittels Verfügungen und Zwangsmaßnahmen sowie die Gewährung von privatrechtlichen Unterlassungsansprüchen. Welche dieser Mittel dabei sinnvollerweise zum Einsatz kommen, richtet sich nach der Eigenart des jeweiligen Verbots, u. a. nach der Bedeutung und Art des geschützten Rechtsguts und der Beschaffenheit der untersagten Tätigkeit. Einen Automatismus in dem Sinne, dass in allen Fällen, in denen eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht als Folge des Normverstoßes angemessen erscheint, auch die Androhung und Anwendung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO als das zur Sicherstellung der Beachtung der Norm gebotene Mittel erscheint, kann es nicht geben.13 Die auf die Annahme, dass alle Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB auch Unterlassungsansprüche des Betroffenen zur Folge haben, gestützte Herleitung von Unterlassungsansprüchen ist in diesem Zusammenhang denselben Bedenken ausgesetzt, die gegenüber der in § 823 Abs. 2 BGB normierten Schadensersatzpflicht bestehen. Vor allem Peters14 hat die bei § 823 Abs. 2 BGB beobachtete Gesetzgebungstechnik im Hinblick darauf, dass sich kein Gesetzgeber finden lasse, der im vollen Maße die Verantwortung für die Anordnung der Schadensersatzpflicht trage, kritisiert: Der Gesetzgeber des BGB könne diese Verantwortung nicht tragen, weil er keinen Überblick darüber hatte, welche damals schon bestehenden und welche erst nach Schaffung des BGB erlassenen Normen einmal als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB in Frage kommen.15 Aber auch der Verfasser des Schutzgesetzes verantworte die Schadensersatzpflicht nicht, da es rein formal der Gesetzgeber des BGB sei, der die Schadensersatzpflicht angeordnet hat.16 Der Grundgedanke dieser Überlegungen stimmt mit den hier gegenüber der Herleitung von Unterlassungsansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB geltend gemachten Einwendungen insoweit über12
Darauf weist auch Peters, JZ 1983, 913 (915 l. Sp., 919 r. Sp.) hin. Gegen einen Automatismus auch Peters, JZ 1983, 913 (919). 14 Peters, JZ 1983, 913 (915 ff.); kritisch auch Bistritzki, Voraussetzungen für die Qualifikation einer Norm als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (1981), S. 93; vgl. a. Knöpfler, NJW 1967, 697 (701). 15 Peters, JZ 1983, 913 (917 f.); vgl. dagegen Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen (1972), S. 48: Es könne „selten der Wille und recht eigentlich auch nicht die Aufgabe des Gesetzgebers sein, von vornherein die zivilrechtlichen Konsequenzen eines öffentlichen oder strafrechtlichen Gesetzes zu überdenken“. 16 Peters, JZ 1983, 913 (918 f.). 13
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ein, als auch die Bedenken Peters auf dem Gedanken beruhen, dass es keineswegs angemessen ist, eine bestimmte Rechtsfolge (bei Peters: die Schadensersatzpflicht; hier: die Androhung und Anwendung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO) generell als Folge der Verletzung jedweder individualschützenden Norm vorzusehen, sondern dass differenzierend für jede Norm ein ihrer Eigenart entsprechendes Sanktionensystem erforderlich ist. Auch wenn der Standpunkt Peters und die daraus gezogenen Konsequenzen nicht von allen geteilt werden,17 ist allgemein anerkannt, dass es nicht sachgerecht wäre, unter Verzicht auf eine privatrechtliche Beurteilung der Interessenlagen bei der Verletzung jedweden Gesetzes, das Individualschutz bezweckt, Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB zu gewähren.18 Vielmehr sei im Hinblick auf den Inhalt und Sinn des Schutzgesetzes und auf mögliche Systemwidersprüche im Deliktsrecht, BGB und der Rechtsordnung insgesamt, eine eigenständige Prüfung der Angemessenheit der Gewährung von Schadensersatz erforderlich.19 Eine solche eigenständige Überprüfung wäre aber genauso für die Gewährung von Unterlassungsansprüchen erforderlich. Die Kriterien dafür, ob ein Schutz durch einen Unterlassungsanspruch gewährt werden soll, können dabei durchaus andere sein als die für die Gewährung von Schadensersatzansprüchen maßgeblichen: Während die Bewehrung einer Verbotsnorm durch die Androhung einer Kriminalstrafe oder einer Geldbuße i. S. des OWiG in aller Regel keinen Grund für die Ablehnung einer Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB darstellen wird, spricht dies entscheidend dagegen, einen Verstoß außerdem noch nach § 890 ZPO zu sanktionieren.20
Ablehnend gegenüber der Kritik Peters etwa Staudinger13 /Hager (1999), § 823 Rn. G5; Brüggemeier, Deliktsrecht (1986), Rn. 792; MünchKomm3 /Mertens (1997), § 823 Rn. 160; Taupitz, FS Steffen (1995), 489 (493 ff.); K. Schmidt, FS Zeuner (1994), 259 (267); K. Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee (1985), S. 45 f. 18 Vgl. zum Erfordernis einer eigenständigen zivilrechtlichen bzw. deliktsrechtlichen Wertung MünchKomm5 /Wagner (2009), § 823 Rn. 328, 351; Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 227; Brüggemeier, Deliktsrecht (1986), Rn. 804: „Es muß . . . begründet werden, daß auch der Schutz mit deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen neben oder statt Straf- bzw. öffentlich-rechtlicher Sanktionen geboten ist.“; Th. Honsell, JA 1983, 101 (105); der BGH hielt es in BGHZ 40, 306 (306) zur Annahme eines Schutzgesetzes sogar für erforderlich, dass „der Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt“ habe; in BGHZ 66, 388 (390 f.) hat er seinen Standpunkt dahingehend relativiert, dass die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs „soweit sie nicht schon erkennbar vom Gesetz erstrebt wird, . . . sinnvoll und im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erschein[en]“ müsse. 19 So Knöpfler, NJW 1967, 697 (700 unter 4.). 20 Vgl. insoweit o. § 8 IV. a. E. 17
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II. Die besondere Problematik der Gewährung quasinegatorischer Ansprüche bei Publikumsschutznormen Als besonders problematisch erweist sich die Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen bei Schutzgesetzen, die nicht den Schutz von Rechtsgütern des Berechtigten allein bezwecken, sondern ihn als Teil der Allgemeinheit oder eines größeren Personenkreises schützen sollen („Publikumsschutznormen“21).22 Bei diesen Schutzgesetzen, die nach üblicher Diktion23 „neben dem Schutz der Allgemeinheit auch dem Schutz von Individualinteressen“24 dienen, handelt es sich in aller Regel um Verbotsnormen, die man im Rahmen der in der Strafrechtslehre gebräuchlichen Unterscheidung verschiedener Typen von Deliktstatbeständen25 in die Kategorien der Tätigkeitsdelikte bzw. der abstrakten Gefährdungsdelikte26 einordnen würde: Es wird eine bestimmte, als generell gefährlich eingestufte Handlung unabhängig davon, ob sie den missbilligten Erfolg herbeiführt, verboten. Wenn man bei solchen Verboten davon ausgeht, dass sie „neben dem Schutz der Allgemeinheit auch dem Schutz von Individualinteressen dienen“, muss man aber folgerichtig annehmen, dass sie den individuellen Schutz jeder zum Kreis der geschützten Personen gehörenden Person bezwecken und in der Konsequenz jeder dieser Personen einen Anspruch auf Einhaltung des Verbots einräumen. Auf diese Weise würde eine Art Popularklage geschaffen: Jeder als Teil der Allgemeinheit Geschützte könnte auf Unterlassung klagen und im Falle des Verstoßes gegen die Norm die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO unabhängig davon verlangen, 21 Vgl. Th. Honsell, JA 1983, 101 (103); vgl. Lenel, DJZ 1897, 409 (411 ff.): „Gesetze, die das gesamte Publikum vor gewissen Gefahren zu schützen bezwecken.“ 22 Treffend die Formulierung in RGZ 138, 219 (231): „Vorschriften, die die Gesamtheit derart schützen sollen, daß der Schutz den einzelnen, die zu dieser Vielheit von Personen gehören, unmittelbar zugute kommt.“ 23 Vgl. Th. Honsell, JA 1983, 101 (103): „ebenso alte[. . .] wie vielbenützte[. . .] Formel“. 24 St. Rspr.; vgl. RGZ 128, 298 (300 f.); BGHZ 12, 146 (148) – Preisstopverordnung; 22, 293 (297); 29, 344 (350 f.) [!]; 40, 306 (306) – Reichsgaragenordnung als Schutzgesetz; 46, 17 (23); 66, 354 (355) – Bauwichvorschrift als Schutzgesetz; 100, 13 (14 f.); 103, 197 (199); 105, 121, (124); 106, 204 (206 f.); 116, 7 (13); 122, 1 (3 f.); 125, 366 (374) und zuletzt BGHZ 160, 134 (139); vgl. ferner aus der Literatur Soergel13 /Spickhoff (2005), § 823 Rn. 195; MünchKomm5 /Wagner (2009), § 823 Rn. 346; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht5 (2009), Rn. 277; Staudinger13 /Hager (1999), § 823 Rn. G 19; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung (1998), S. 111 f.; Deutsch, Allg. Haftungsrecht2 (1996), Rn. 307; Taupitz, FS Steffen (1995), 489 (499); RGRK12 /Steffen (1989), § 823 Rn. 541. 25 Vgl. aus der Strafrechtsliteratur etwa Jakobs, Strafrecht Allg. Teil2 (1993), 6. Abschn. Rn. 77 ff. (S. 168 ff.); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts – Allg. Teil5 (1996), § 26 II (S. 260 ff.); Maurach/Zipf, Strafrecht, Allg. Teil, Tbd. 18 (1992), § 20 III (S. 285 ff.); Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. 14 (2006), § 10 H. 26 Vgl. zu diesem Typus von Schutzgesetz auch Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht5 (2009), Rn. 282 f.
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ob der missbilligte Erfolg, dessen Eintritt durch das Verbot verhindert werden soll, überhaupt, bei ihm oder bei einem anderen (!) eingetreten ist. Einen Anhaltspunkt für die Bewertung dieser Kategorie von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen bietet die Tatsache, dass solche, den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit schützende Verbotsnormen nach Auffassung der Gesetzesverfasser möglicherweise gerade nicht als Schutzgesetze i. S. von § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen sollten. Eine Textstelle in den Protokollen27 deutet darauf hin, dass der von einem „den Schutz eines anderen bezweckende[n] Gesetz[es]“ sprechende Gesetzeswortlaut gerade buchstäblich in Abgrenzung zu Verbotsnormen zu verstehen sein sollte, die den Schutz der Allgemeinheit bezwecken: Als Schutzgesetze sollten nur „solche Gebote und Verbote in Betracht kommen, welche darauf abzielten, die Interessen des Einen vor der Beeinträchtigung durch den Anderen zu bewahren, nicht dagegen die im Interesse der Gesamtheit auferlegten Pflichten, welche, weil sie den Interessen aller förderlich seien, auch jedem irgendwie Beteiligten zu Gute kämen“.28 Als Beispiele für die Gesamtheit schützende und daher nicht als Schutzgesetze in Betracht kommende Normen werden „das Verbot, Warenempfehlungskarten und andere Drucksachen dem Papiergelde ähnlich herzustellen“ (§ 360 Nr. 6 StGB a. F., entspricht weitgehend § 128 Abs. 1 OWiG) und das „Gebot des Raupens“ (§ 368 Nr. 2 StGB a. F.) genannt.29 Als Schutzgesetz in Betracht kommen soll dagegen „das Verbot, einen verschlossenen Brief unbefugt zu öffnen“ (§ 299 StGB a. F., entspricht § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB n. F.), das „nur zum Schutze des Empfängers und des Absenders“ bestimmt sei.30 Auch wenn im Gegensatz dazu in der Reichstagskommission ausgeführt wurde, dass „ein Gesetz, welches die Gesammtheit schützen soll, auch den einzelnen schützt“ und daher als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sei31 und an dieser Stelle zudem nicht zu klären ist, inwieweit eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 823 Abs. 2 BGB auf die Verletzung von Gesetzen, die ausschließlich den Schutz bestimmter einzelner Personen bezwecken, sachgerecht wäre,32 27
Prot., Mugdan II, 1073 ff. Ebd. 1073. 29 Ebd. 1073. 30 Ebd. 1073 f. 31 Kommissionsbericht, Mugdan II, 1300. 32 Eine Beschränkung auf Gesetze, die ausschließlich den Schutz bestimmter einzelner Personen bezwecken, wurde in der älteren Literatur befürwortet von Linckelmann, ArchfBürgR 13 (1897), 79 (88 f.); Lenel, DJZ 1897, 409 (411 f.); Linckelmann, Schadensersatzpflicht (1898), S. 27 f.; Detmold, FG Regelsberger (1901), 317 (328 ff.); G. Müller, SeuffBl. 65 (1900), 373 (379 f.); Hachenburg, Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich2 (1900), S. 425 f.; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 12 (1903), § 231 II. 3. a) a) 1. (S. 884); Jung, JherJb. 69 (1920), 30 (126 ff.); Dernburg, Bürgerliches Recht II/22 (1901) § 383 II 3 (S. 616); a. A. Traeger, Der Kausalbegriff im Straf- und Zivilrecht2 (1929), S. 379 ff.; und noch Cosack, Lehrbuch Bd. 11 (1898), § 163 II 2 b (S. 588), diese Auffassung wird von Cosack in späte28
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so ist doch gerade die Unterscheidung von Normen zum Schutz des einzelnen und solchen, die dem Schutze der Allgemeinheit dienen sollen, für die Frage der Ableitung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB von Bedeutung. Hier ist nämlich zu beachten, dass die Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB nicht nur die Verletzung einer den Schutz des Anspruchsstellers bezweckenden Ge- oder Verbotsnorm voraussetzt, sondern dass darüber hinaus der Eintritt eines durch die Normverletzung verursachten Schadens erforderlich ist.33 Ein solcher Schaden setzt aber eine Einbuße an den dem Anspruchssteller zugewiesenen Gütern voraus.34 Im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB ist insoweit als primäre Einbuße eine Verletzung der dort aufgezählten Rechtsgüter erforderlich und nur im Fall des Eintritts einer solchen Rechtsgutsverletzung werden die durch diese Verletzung adäquat verursachten Einbußen an anderen Rechtsgütern (Folgeschäden) des Verletzten ersetzt.35 Auch die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt grundsätzlich den Eintritt einer solchen Rechtsgutsverletzung, d. h. den Einbruch in einen dem Einzelnen zugewiesenen Rechtskreis, innerhalb dessen er seine „individuelle Freiheit entfalten“ und seine Interessen verfolgen darf, voraus.36 Aus der Verletzung einer die Allgemeinheit vor bestimmten Gefahren schützenden Norm allein kann der Geschützte im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB also noch keine Rechtsfolge herleiten, sondern darüber hinaus muss durch
ren Auflagen nicht mehr aufrechterhalten; – heute wird diese Auffassung allgemein als überholt betrachtet, vgl. Boehmer, Grundlagen der Bürgerlichen Rechtsordnung (1950), S. 70 f.; Schmiedel, Deliktsobligationen (1974), S. 115 ff.; Th. Honsell, JA 1983, 101 (103); Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung (1998), S. 111 f. 33 Vgl. auch Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 597: „ein unverzichtbares Element“; Exner, Fahrlässigkeit (1910), S. 106: „Anders beim Schadensersatz. Nur wenn ein Übel wirklich entstanden ist, kann von Ersatz und Verantwortlichkeit die Rede sein. Der Versuch – im Strafrecht der vollendeten Tat ähnlich oder gleichgestellt – hat hier keine Rechtsfolge . . .“. 34 Vgl. MünchKomm5 /Wagner (2009), § 823 Abs. 2 Rn. 356: trotz „Vorverlagerung der Haftungsgrenze“ entstehe ein ersatzfähiger Schaden „selbstverständlich“ erst mit dem Eintritt der Rechtsgutsverletzung; Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 510: „Anscheinend setzt die Differenzhypothese eine bestimmte Güterzuordnung und Bewertung voraus, die statisch an das Haben von Gütern anknüpft. Wo Sachen beschädigt oder Aufwendungen zum Erhalt oder zur Restitution von Rechtsgütern getätigt werden, . . ., bietet sie nämlich einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung, was der Geschädigte wirtschaftlich verloren habe.“; missverständlich dagegen Jauernig13 /Teichmann (2009), § 823 Rn. 42: „Damit braucht sich auch das zum Schadensersatz verpflichtende Handeln nicht gegen das gesicherte Interesse selbst zu richten, es genügt die Verletzung der Norm selbst“ und Esser/Weyers, SchR II/28 (2000), § 56 I: „Die Haftung nach § 823 II hängt nicht wie in § 823 I von einem Erfolg, der Verletzung eines Rechts oder Rechtsguts, sondern von einem Verhalten, nämlich davon, ob jemand ,gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz‘ verstoßen hat“. 35 Vgl. Stoll, Kausalzusammenhang (1968), S. 25 ff. 36 Siehe U. Huber, JZ 1969, 755 (755).
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die Normverletzung eine Einbuße an ihm zuzurechnenden und durch die Norm geschützten Rechtsgütern eingetreten sein. So kann z. B. bei einem Verstoß gegen das in § 8 Nr. 2 LMBG37 enthaltene Verbot, „Stoffe, deren Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen, als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen“, nur derjenige nach § 823 Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen, dessen Gesundheit durch den Verzehr dieser Stoffe beeinträchtigt wurde. Aus § 823 Abs. 2 BGB lässt sich daher kein Recht auf die Einhaltung dieses Verbots an sich, sondern allenfalls ein Recht des Geschützten darauf, nicht infolge eines Verstoßes gegen die Norm an der Gesundheit beschädigt zu werden, ableiten. Soweit die individualschützende Verbotsnorm nur den Schutz von dem Einzelnen bereits im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB zugewiesenen Rechtsgütern bezweckt, führt die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB zu keiner Erweiterung des Kreises der geschützten Rechtsgüter. Vielmehr erschöpft sich ihre Funktion darin, den Bezug des Verschuldens dahingehend zu verkürzen, dass sich dieses allein auf die Normverletzung beziehen und die Rechtsgutsverletzung selbst nicht umfassen muss.38 Eine wirkliche Erweiterung des Rechtsgüterschutzes im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB ist nur insoweit möglich, als das betreffende Schutzgesetz dem Geschützten über die im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB gegebenenfalls auch als „sonstige Rechte“ in den Schutz miteinbezogenen Rechtsgüter hinaus weitere Rechtsphären ausschließlich zuweist. Die Zuweisung derartiger Rechtssphären wird aber durch Normen, die die Allgemeinheit schützen, nicht bewirkt. Gerade der Umstand, dass sie die Allgemeinheit schützen, schließt aus, dass die Einhaltung einer solchen Norm selbst einen Bereich berührt, der einem bestimmten Einzelnen zu seiner freien Verfügung überlassen ist. Derartige Rechtsgüter werden dem Einzelnen nur durch Normen zugewiesen, die ausschließlich seinen Schutz bezwecken, während die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit schützenden Normen im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB nur insoweit relevant sind, als sie zu Einbußen an Rechtsgütern führen, die bereits im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB berücksichtigt sind. Wenn man daher in der Verkürzung des Verschuldensbezugs keine legitime Funktion des § 823 Abs. 2 BGB sieht,39 hätte eine Beschränkung der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB auf 37 Zur Schutzgesetzqualität des § 8 LMBG vgl. Staudinger13 /Hager (1999), § 823 Rn. G50; BGHZ 116, 104 (114 f.); vgl. auch BGHZ 51, 91 (103) zu § 3 LMBG a. F. 38 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 243: In der Verkürzung des Verschuldensbezugs liege die „praktische Bedeutung“ des § 823 Abs. 2 BGB „im Bereich der Verletzung der in § 823 I enumerierten Rechtsgüter“. 39 Vgl. Stoll, Kausalzusammenhang (1968), S. 22 f.; U. Huber, JZ 1969, 755 (755) (Stoll folgend, anders aber U. Huber, FS Heimpel, Bd. 3 (1972), 440 (461, 468)); (Knobbe-)Keuk, Vermögensschaden und Interesse (1972), S. 228 Fn. 26; v. Falkenhausen, Vorverlegung der Haftung (1981), S. 112 f.; Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung (1979), S. 43 mit Fn. 24; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006), Rn. 1635; MünchKomm3 /Mertens (1997) § 823 Rn. 50, 187; kritisch gegenüber der Verkürzung des Verschuldensbezugs auch Kupisch/Krüger, Jus 1981, 30 (32 f.); für einen „verkürzten“ Verschuldensbezug dagegen die h. M.: MünchKomm5 /Wagner
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die Verletzung von Gesetzen, die den Schutz eines anderen im Gegensatz zur Allgemeinheit bezwecken,40 insoweit einen Sinn, als die Miteinbeziehung von die Allgemeinheit schützenden Normen zu keiner Haftungserweiterung gegenüber § 823 Abs. 1 BGB führen könnte. Um diese Überlegungen an einem Beispiel zu illustrieren, soll noch einmal der oben41 schon angesprochene Fall der quasinegatorischen Unterlassungsklage gegen den unerlaubten Bordellbetrieb auf einem benachbarten Grundstück aufgegriffen werden. In der Literatur und Rechtsprechung wurde, wie oben dargestellt, erörtert, ob ein solcher Anspruch auf Unterlassung nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt sei, dass es sich dabei nur um eine Art der nach § 823 Abs. 2 BGB geschuldeten Naturalrestitution handelt.42 Einmal angenommen, dass das in § 180 StGB a. F. enthaltene Verbot der Kuppelei tatsächlich den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit vor den vom Betrieb eines solchen Bordells ausgehenden Gefahren schützen soll, stellt sich die Frage, worin der nach § 823 Abs. 2 BGB zu ersetzende Schaden des Nachbarn besteht. Dieser hat weder eine gesundheitliche Einbuße erlitten, noch wurde durch den Verstoß sein Grundeigentum beeinträchtigt: Der Betrieb führte zu keinen dem Abwehrrecht des § 1004 BGB unterfallenden Einwirkungen; darüber hinaus verleiht das Eigentumsrecht gerade nicht die Befugnis, die Unterlassung bestimmter Tätigkeiten auf dem Nachbargrundstück zu verlangen.43 Als Einbuße kommt allein der normverletzende Bordellbetrieb selbst in Betracht. Die Unterlassung des Bordellbetriebs könnte der Nachbar nur dann verlangen, wenn ihm die Bordellfreiheit seiner Umgebung durch § 180 StGB a. F. als immaterielles Rechtsgut zugewiesen worden wäre. Nur in diesem Falle könnte der Bordellbetrieb als (2009), § 823 Rn. 358; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht5 (2009), Rn. 292, 297: Verkürzung des Verschuldensbezug als Funktion des § 823 Abs. 2 BGB; Esser/Weyers, Schuldrecht II/28 (2000), § 56 I (S. 199, 201), der allerdings die Verkürzung des Verschuldensbezugs im Ergebnis wieder mit Hilfe des Schutzzweckzusammenhangs einschränkt; Staudinger13 /Hager (1999), § 823 Rn. G35; Soergel13 /Spickhoff (2005), § 823 Rn. 209; Larenz/Canaris, SchR II/213 (1994) § 77 IV. 1. (S. 445); RGRK12 / Steffen (1989), § 823 Rn. 560; Th. Honsell, JA 1983, 101 (108); Larenz, SchR II14 (1981), § 72 II (S. 618 f.); v. Bar, Verkehrspflichten (1980), S. 283; v. Liszt, Deliktsobligationen (1898), S. 35 f.; st. Rspr., vgl. RGZ 66, 251 (255); 91, 72 (76); 145, 107 (115 f.); BGHZ 7, 198 (207); 34, 375 (381); 57, 137 (143); 103, 197 (200). 40 Vgl. zu dieser in der älteren Literatur vertretenen Auffassung die Nachweise o. in Fn. 32. 41 Vgl. o. § 5 I. im Text bei Fn. 6. 42 Vgl. zur Rspr. o. § 5 IV. und zur Literatur o. § 7 I. 2. 43 Vgl. die Ausführungen im Urteil RGZ 38, 379 (382): „Es mag zweifelhaft erscheinen, ob die . . . angenommenen Belästigungen . . . geeignet seien, die . . . Klage als Eigentumsklage (actio negatoria) zu stützen, da sich diese Störungen teilweise auf den Verkehr in der öffentlichen Straße beziehen, die Nachbareigentümer am wenigsten dann treffen, wenn sie sich innerhalb ihrer Grundstücke befinden, . . ., daher wohl geeignet sind, das Wohnen in der Nachbarschaft zu verleiden, aber weniger direkt auf den Gebrauch des Eigentums erschwerend einwirken.“
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Schaden an dem dem Nachbarn zugewiesenen Rechtsgut der Bordellfreiheit seiner Umgebung aufgefasst werden, der im Wege der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 S. 1 BGB zu beseitigen wäre. Die Tatsache, dass das Verbot des Bordellbetriebs nicht allein den klagenden Nachbarn, sondern die Allgemeinheit schützen soll, schließt es jedoch aus, dass diesem die Bordellfreiheit als sein Rechtsgut zur freien Verfügung zugewiesen worden ist. Dass gerade der nach § 823 BGB Anspruchsberechtigte den Schadensersatz und damit die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen kann, beruht darauf, dass die durch die Gesetzesverletzung verursachte negative Zustandsveränderung in einem Bereich eingetreten ist, der ihm allein zugeordnet ist und über den er die Bestimmungsmacht hat. Er kann nicht die Beseitigung irgendeines Schadens, sondern ausschließlich seines Schadens verlangen. Seine Schadensersatzberechtigung setzt voraus, dass er von Rechts wegen zur Entscheidung darüber befugt ist, ob der hypothetische Zustand wiederhergestellt wird, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Besonders offensichtlich wird dies in den Fällen des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB: Der zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag kann nur demjenigen zugesprochen werden, der darüber entscheiden kann, in welcher Art und Weise die Verletzung bzw. Beschädigung behoben wird. Aber auch die Unwandlung des Anspruchs auf Naturalrestitution in einen Anspruch auf Schadenskompensation (§§ 250 f. BGB) setzt voraus, dass die Einbuße in einem Bereich eingetreten ist, der diesem zu seiner Verfügung und Nutzung zugewiesen ist. Der Nachbar in dem oben angegebenen Beispielsfall konnte jedoch, weil das Verbot des § 180 StGB a. F. im Interesse der Allgemeinheit bestand, nicht darüber entscheiden, ob er die Unterlassung des Bordellbetriebes auf dem Nachbargrundstück verlangt oder diesen Betrieb duldet. Die Freiheit der Umgebung von Bordellbetrieben ist nicht sein Rechtsgut, sondern ein Rechtsgut der Allgemeinheit. Daher kann die Einstellung des Bordellbetriebes nicht von ihm, sondern allein von den für den Schutz der Kollektivrechtsgüter zuständigen Behörden verlangt werden. Nicht anders verhält es sich mit den eine Streupflicht der Grundeigentümer bei Eis- und Schneeglätte vorsehenden Rechtsverordnungen. Die Sicherheit auf den öffentlichen Straßen und Wegen ist allein ein Rechtsgut der Allgemeinheit, so dass der durch die Vernachlässigung der Streupflicht verursachte eisglatte Zustand eines Bürgersteigs noch keinen Schaden des gefährdeten Passanten begründet, den dieser nach § 823 Abs. 2 BGB ersetzt verlangen könnte. Zum Schadensersatz berechtigt ist dieser erst dann, wenn er aufgrund der Verletzung der Streupflicht einen Gesundheitsschaden erleidet. Seine Schadensersatzberechtigung ergibt sich dabei aus der Selbstverständlichkeit, dass ihm seine eigene Gesundheit als Rechtsgut zugewiesen ist und er allein darüber entscheidet, auf welche Weise er und sogar, ob er sie überhaupt wiederherstellt.
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III. Kein Schaden durch bloßen Normverstoß Die Begründung von Unterlassungsansprüchen auf der Grundlage von Verboten, die den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit schützen, mit der Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB erweist sich somit als petitio principii: Der zu beweisende Anspruch darauf, dass die Norm unabhängig vom Eintritt einer Verletzung an einem der nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter eingehalten wird, ist gerade die notwendige Voraussetzung dafür, bereits den Verstoß gegen diese Norm selbst als Schaden zu betrachten. Damit löst sich auch der scheinbare Widerspruch auf, dass der Berechtigte zwar fortlaufend die Beseitigung des gegenwärtigen Normverstoßes als Schadensersatz verlangen kann, jedoch nicht berechtigt ist, vorbeugend dessen Unterlassen zu verlangen: Die Beseitigung des Normverstoßes ist nichts anderes als das Unterlassen des Normverstoßes. Wenn nicht der geschützte Einzelne, sondern nur eine staatliche Behörde als Vertreter der geschützten Allgemeinheit zur Durchsetzung der Norm befugt ist, so ist deren Missachtung allein kein Schaden des geschützten Einzelnen, dessen Beseitigung dieser nach § 823 Abs. 2 BGB verlangen kann. Weder im Rahmen eines Schadensersatzanspruches nach § 823 Abs. 2 BGB noch eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs steht ihm die Rechtsmacht zu, die Einhaltung der Norm schlechthin ohne Rücksicht darauf, ob deren Verletzung zu Einbußen an seinen Individualrechtsgütern geführt hat, zu verlangen. Man darf nicht den Fehler begehen, die Verletzung einer Norm mit einem Schaden gleichzusetzen,44 indem man zunächst ein Recht auf Einhaltung dieser Norm behauptet und sodann ein Rechtsgut konstruiert, das bereits durch die Normverletzung selbst beeinträchtigt erscheint. Die in Frage stehenden Verbotsnormen bezwecken nicht den Schutz vor jeglichen Auswirkungen der verbotenen Tätigkeit auf das Vermögen und die allgemeine Handlungsfreiheit des Geschützten.45 Vor allem ist es nicht das Ziel der die Allgemeinheit schützenden Normen, den Einzelnen vor negativen Gefühlsdispositionen zu bewahren, die durch die Tatsache der Normverletzung an sich hervorgerufen werden. Den Einzelnen vor dem Ärger über den Gesetzesverstoß selbst bzw. vor der durch diesen verursachten „Unruhe und Unsicherheit“46 zu schützen, würde nichts anderes bedeuten, als dem Einzelnen ein Recht auf die Einhaltung der Gesetze schlechthin zu verleihen. Ein solches gibt es aber nach dem Grundsatz des Ausschlusses des Popularrechtsschutzes gerade nicht. 44 Vgl. zur Problematik auch Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 53 ff. 45 Siehe Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 236: Als Grundregel gelte, dass ein reiner Vermögensschaden aus dem Schutzbereich eines Gesetzes, das den Schutz von Körper, Gesundheit und Eigentum bezwecke, herausfalle. 46 Vgl. dazu o. § 7 I. 2.
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Hier zeigt sich die Gefahr, die mit der Analogie zu § 1004 BGB verbunden ist: Dass der Eigentümer die Unterlassung von bestimmten Handlungen unabhängig davon verlangen kann, ob diese eine Beschädigung der Sache oder eine bleibende Vermögenseinbuße zur Folge haben, hat seinen Grund darin, dass ihm nach § 903 BGB das Recht zusteht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und jeden anderen von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Diese dem Eigentümer zugewiesene Freiheit ist bereits durch Handlungen, die keine dauerhaften Einbußen zur Folge haben, verletzt. Den durch die Streupflicht geschützten Passanten z. B. fehlt es aber an einem solchen Recht an dem Bürgersteig. Sie können diesen im Rahmen des Gemeingebrauchs benutzen, wobei ihre Benutzung durch die objektiven, die Allgemeinheit schützenden Rechtsnormen (als „protective perimeter“ i. S. der Rechtstheorie H. L. A. Harts47) wie z. B. der Streupflicht einen gewissen Schutz erfährt. Im Verhältnis zu anderen Privatpersonen haben sie jedoch weder ein Recht, diesen Bürgersteig ungefährdet, noch ihn überhaupt zu benutzen. Theoretisch gesehen könnte einem bestimmten Rechtssubjekt ein Recht auf Einhaltung einer x-beliebigen Rechtsnorm zugewiesen werden, so dass sich auch ein Normverstoß, der keinerlei reale Auswirkungen auf den persönlichen Lebenskreis des Rechtsinhabers hat, als Verletzung seines Rechts darstellt. So könnte z. B. bestimmten Münchener Bürgern ein Recht darauf eingeräumt werden, dass bestimmte schützenswerte Bäume in Flensburg nicht gefällt werden. Das Fällen eines der geschützten Bäume würde sich dann als Verletzung des Rechts eines dieser Münchener Bürger darstellen. Wenn man in einem nächsten Schritt die von dem Verbot ausgehende Wirkung zu einem Rechtsgut vergegenständlicht, indem man z. B. die Möglichkeit sich daran, dass es in Flensburg noch Bäume von so hohem Alter gibt, zu erfreuen (also die „Möglichkeit des Rechtsgenusses“), dem Rechtsinhaber als geschütztes Rechtsgut zuweist, kann man zudem auch im Falle, dass der Baum normwidrig gefällt wird, einen Schaden konstatieren. Tatsächlich weist das objektive Recht aber dem Einzelnen nicht irgendwelche beliebigen Rechtsnormen als sein Recht zu, sondern die Rechte des Einzelnen sind so ausgestaltet, dass ihre Verletzung tatsächliche Auswirkungen auf den individuellen Lebenskreis des Rechtsinhabers hat. Eine solche Verletzung des individuellen Lebenskreises des Einzelnen liegt nach der rechtlichen Bewertung bei der Verletzung einer die Sicherheit der Allgemeinheit schützenden Norm noch nicht vor. Zwar schützen solche Normen nicht nur die abstrakte Allgemeinheit, sondern auch den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit persönlich.48 Aus Gründen der Rechtssicherheit, die es grundsätzlich erfordert, dass über 47
Vgl. dazu eingehend u. § 13 II. im Text nach Fn. 33. Vgl. dazu und zur diesbezüglichen Diskussion im öffentlich-rechtlichen Schrifttum nur Dietlein, DVBl 1991, 685 (687 f.). 48
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eine bestimmte Folge eines Normverstoßes verbindlich innerhalb eines Verfahrens entschieden wird,49 und dem damit in engem Zusammenhang stehenden Prinzip des Ausschlusses des Popularrechtsschutzes bedürfte es einer besonderen Rechtfertigung, warum gerade einer bestimmten Person als Teil der Allgemeinheit ein Recht auf die Einhaltung der Norm und damit die Befugnis zu ihrer Geltendmachung eingeräumt werden sollte. Die persönliche Betroffenheit von der Allgemeingefahr reicht dafür nicht aus, weil der Einzelne nur als Teil der geschützten Allgemeinheit und damit in gleicher Weise wie alle anderen Mitglieder dieser Personengruppe geschützt wird. Auch dass sich die Gefahr bei bestimmten Personen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit realisiert, wie z. B. bei dem Nachbarn, der mehrmals täglich den nicht gestreuten Gehweg benutzen muss, hebt diesen noch nicht aus dem Kreis der Allgemeinheit besonders hervor: Rechtlich gesehen schützt die Norm alle Angehörigen der Allgemeinheit gleichermaßen, den Passanten, der nur einmal in seinem Leben den nicht gestreuten Gehweg benutzen wird, wie den Nachbarn, der täglich dazu gezwungen ist. Weil der Einzelne von der Gefahr Betroffene nach der rechtlichen Bewertung genauso wie viele andere betroffen ist, besteht kein Anlass, gerade im Verhältnis zu ihm (d. h. mit Rechtskraft nur ihm gegenüber) in einem zivilgerichtlichen Verfahren über die Einhaltung der Norm zu befinden. Statt dessen wird die Einhaltung der dem Schutz der Allgemeinheit dienenden Normen von Verwaltungsbehörden überwacht und auf diese Weise sichergestellt, dass in einem einheitlichen (Verwaltungs-)Verfahren abschließend im Verhältnis des Normadressaten zur Allgemeinheit darüber entschieden wird, ob die Norm einzuhalten ist bzw. ob sie eingehalten wurde. Erst wenn die Verletzung einer solchen Norm zu einer Verletzung der individuellen Rechtsgüter des Geschützten, d. h. seiner Gesundheit, seines Eigentums, etc. geführt hat, tritt dieser aus dem Kreis der Allgemeinheit hervor und kann sich darauf berufen, dass diese Verletzung seines persönlichen Rechtskreises insbesondere deshalb rechtswidrig war, weil sie auf die Verletzung einer Norm, die die Allgemeinheit und damit auch ihn als dessen Teil schützen soll, zurückführbar ist.
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Vgl. dazu mit Nachweisen u. § 16 II. 1. b) im Text zu Fn. 90 ff.
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§ 11 Der Begriff des subjektiven Rechts (Vereinbarkeit der quasinegatorischen Unterlassungsklage mit der Struktur des privatrechtlichen Interessenschutzes) Bei der Frage nach der Bedeutung des Begriffs des subjektiven Rechts werden auch heute noch zwei verschiedene Grundpositionen vertreten: die einen1 betonen in Anknüpfung an die Willenstheorie Savignys2 das Moment der Bestimmungsmacht des Rechtsinhabers, die anderen3 in Anlehnung an die Interessentheorie v. Jherings4 das Moment des rechtlich geschützten Interesses. Vielfach werden die Elemente der Willensmacht und des geschützten Interesses miteinander kombiniert.5 1 Zu den modernen Vertretern der Willenstheorie sind insb. Bucher (zu diesem ausführlich u. § 11 III.) und Pawlowski (Allg. Teil7 (2003), § 3 I 3, Rn. 289) zu zählen. 2 v. Savigny, System I (1840), S. 6 ff., 331 ff.; vgl. dazu sogleich im Text unter I.; zu den Vertretern der Willenstheorie sind ferner zu rechnen: Puchta, Pandekten12 (1877), § 29; v. Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg geltenden Privatrechts, Bd. 2 (1842), S. 192 f.: Durch das subjektive Recht wird „dem individuellen Willen einer Person eine gewisse Macht, die sie in einem bestimmten Kreis geltend machen kann, eingeräumt . . . Es steht . . . dem Berechtigten frei, sein Recht im gegebenen Falle gar nicht oder nicht im vollen Umfange auszuüben.“; Schuppe, Begriff des subjektiven Rechts (1887), S. 44 f.; Cosack, Lehrbuch Bd. 14 (1903), § 14 II. 2.: „Das subjektive Recht ist . . . eine Macht, aber keine physische, sondern eine Willensmacht“; Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts5 (1892), Bd. 1, § 58 (S. 489): „die von dem objectiven Recht anerkannte Herrschaft des individuellen Willens“; – im englischen Recht: Austin, Lectures on Jurisprudence5, Bd. I (1885), S. 393 ff., 398 („the capacity or power of exacting from another or others acts or forbearances“); H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 181 ff., 183 („The idea is that of one individual being given by the law exclusive control, more or less extensive, over another person’s duty so that in the area of conduct covered by that duty the individual who has the right is a small-scale sovereign to whom the duty is owed.“). 3 Der Interessentheorie näher als der Willenstheorie stehen heute vor allem diejenigen nahe, die den „Zuweisungsgehalt“ des subjektiven Rechts betonen; vgl. Larenz/ M. Wolf, Allg. Teil9 (2004), § 14 III 2. u. 3.: „Daß jemand ein subjektives Recht hat, bedeutet sinngemäß, daß ihm etwas rechtens zukommt und ihm zugewiesen wird. 4 v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 327 ff., insb. die Definition auf S. 339; zu v. Jhering ausführlich u. im Text unter V. 1.; Kuhlenbeck, Von den Pandekten zum BGB, Bd. 1 (1897/1901), § 1 I (S. 69): „ein staatlich geschütztes Interesse“; Dernburg, Pandekten, Bd. 16 (1900), § 39 (S. 84 ff.): „der Antheil an den Lebensgütern, welcher einer Person in der menschlichen Gesellschaft zukommt“; Kohler, JherJb 18 (1880), 129 (186, 196): „Aber das Recht ist nicht Wille, sondern ein geschützter Genußinhalt, ein geschütztes Interesse . . .“; Dernburg, Bürgerliches Recht I3 (1906), S. 112: „Recht im subjektiven Sinn besteht in einem Anteile an den Lebensgütern, welchen der allgemeine Wille als einer Person zukommend anerkennt und ihr gewährleistet.“; – im englischen Recht: Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, Ch. XVI § XXV Fn. 1 (S. 224): („To know then how to expound a right, carry your eye to the act which in the circumstances in question would be a violation of that right: the law creates the right by prohibiting that act“). 5 Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil I15 (1959): „begrifflich eine Rechtsmacht, . . ., seinem Zwecke nach ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Interessen. Erst durch die Würdigung beider Seiten seines Wesens wird das subjektive Recht voll erkannt“;
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Interessen schützt das Recht auf verschiedene Weise: Es kann den Schutz des Interesses in die Hand des Berechtigten legen, indem es ihn selbst über die Verfolgung seiner Interessen entscheiden lässt. Andererseits kann der Schutz auch objektiv ausgestaltet sein, was bedeutet, dass die vom Staat angenommenen Bedürfnisse geschützt werden, ohne dass der Einzelne auf die Art und den Umfang des Schutzes einen Einfluss hat. Die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche bewegen sich zum Teil zwischen diesen beiden Konzeptionen: Einerseits kann der Berechtigte selbst darüber entscheiden, ob er von der ihm eingeräumten Möglichkeit der Unterlassungsklage Gebrauch macht. Andererseits entspricht dieser Möglichkeit kein wirklicher materieller Entscheidungsspielraum. Der Berechtigte kann auf den ihm gewährten Schutz nicht verzichten. Selbst wenn er nicht von seiner Klagemöglichkeit Gebrauch macht, besteht die Möglichkeit, die entsprechenden Schutznormen von seinem Willen unabhängig auf anderem Wege – verwaltungs- oder strafrechtlich – durchzusetzen. Es stellt sich die Frage, ob es im Privatrecht eine solche Art des Schutzes, der sich nach der Willenstheorie nicht als vollwertiges subjektives Recht begreifen lässt, generell gibt. Ludwig Raiser6 hat dies bejaht: Er meint, das Bürgerliche Recht schütze nicht nur subjektive Rechte, sondern auch Institutionen. Indes lassen sich im Bereich des Bürgerlichen Rechts ansonsten im Allgemeinen keine Ansprüche nachweisen, bei denen die Geltung der dem Anspruch korrespondierenden Pflicht nicht vollkommen vom Willen des Berechtigten abhängig ist. Im Rahmen der folgenden Untersuchung soll der Begriff des subjektiven Privatrechts als ein Instrument dienen, um die Struktur des privatrechtlichen Interessenschutzes und damit des Privatrechts überhaupt aufzuzeigen. Gegenstand ist dabei die Frage, ob quasinegatorische Ansprüche mit der so herausgearbeiteten spezifischen Art und Weise, in der das Privatrecht Interessen durch die Gewährung von Ansprüchen auf ein bestimmtes Verhalten anderer Personen schützt, übereinstimmen oder ob sie sich von den sonstigen privatrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten derart unterscheiden, dass die Möglichkeit ihres Bestehens zweifelhaft erscheint. Die in diesem Rahmen aufgeworfene Frage nach der Definition des subjektiven Privatrechts lässt sich als die Frage kennzeichnen, wie der durch an dritte Personen adressierte privatrechtliche Verhaltensnormen bewirkte Schutz einer Person beschaffen ist bzw. beschaffen sein muss, damit man von einem subjektiven Recht dieser Person sprechen kann: Begründet ein objektives, eine beBrox/Walker, Allg. Teil32 (2008), Rn. 619 f.: Eine „Willensmacht“, die den Zweck hat, „menschliche Interessen zu befriedigen“; Fischer, Rechtswidrigkeit (1911), S. 48 m.w. N. der älteren Literatur in Fn. 7; Bernatzik, AöR 5 (1890), 169 (236): „ein menschliches Interesse, dessen Verwirklichung durch ein Wollen-Dürfen sichergestellt ist“. 6 Siehe insb. Raiser in: Summum ius (1963), S. 145 ff.; zu Raiser eingehend u. im Text unter V. 2.
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stimmte Person begünstigendes Ge- oder Verbot ein subjektives Recht dieser Person auch dann, wenn diese auf die Durchsetzung des Ge- oder Verbots keinen Einfluss hat (Eltzbacher7); oder ist für die Annahme eines subjektiven Privatrechts darüber hinaus erforderlich, dass der Berechtigte die Verhaltensnorm im Wege der Zivilklage durchsetzen kann (Lehmann8)? Oder wird die Struktur des privatrechtlichen Interessenschutzes und damit auch der Begriff des subjektiven Privatrechts dadurch gekennzeichnet, dass der Berechtigte über die Geltung des materiellen Ge- oder Verbots selbst verfügen kann (Savigny,9 Windscheid,10 Bucher,11 Pawlowski12)? Gegenstand der folgenden Erörterung und Untersuchung ist allein ein auf diese spezielle Fragestellung zugeschnittener Begriff des subjektiven Rechts, der dazu dient, bestimmte für das Privatrecht charakteristische Strukturen zu bezeichnen und von anderen Arten des Interessenschutzes abzugrenzen. Von vornherein kann es daher nicht darum gehen, einen Begriff des subjektiven Rechts „an sich“ zu entwickeln, der sämtliche rechtlichen Phänomene, die sich in irgendeiner Beziehung als „Recht“ oder „Berechtigung“ bezeichnen lassen, mitumfasst und erläutert.13 Insbesondere geht es hier nicht um die Schaffung eines auch Gestaltungsrechte erfassenden oder das „sonstige Recht“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB erklärenden Begriffs. Von der Aufgabe her, die spezifische Struktur des privatrechtlichen Interessenschutzes gerade auch in Abgrenzung zum administrativen Interessenschutz aufzuzeigen, versteht es sich von selbst, dass es hier allein um das subjektive Privatrecht und nicht um einen Begriff des Rechts gehen kann, der sowohl subjektive Privatrechte als auch subjektive öffentliche Rechte erfasst.
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s. o. § 7 II. 1. s. o. § 7 II. 2. 9 Zu v. Savigny sogleich § 11 I. 10 Zu Windscheid sogleich § 11 I. 11 Zu Bucher u. § 11 III. 12 Pawlowski, Allg. Teil7 (2003), § 3 I 3, Rn. 289 (im Anschluss an Bucher): „eine Entscheidungs- bzw. Normsetzungsbefugnis“. 13 Durch die Miteinbeziehung weiterer Phänomene würde der Begriff des subjektiven Rechts allgemeiner werden und dadurch an Aussagekraft verlieren. Ein solcher allgemeiner Begriff des subjektiven Rechts wäre für die hier anstehende Differenzierungsaufgabe ungeeignet. Vgl. zum „Methodensynkretismus“ Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 151 ff., 160 ff.; Bucher, Rechtstheorie 1970, 23 (32, 34 f.); Aicher, Eigentum (1975), S. 15; vgl. auch bereits Bekker, System des heutigen Pandektenrechts Band 1 (1886), § 18 Beil. I (S. 49): „ebenso ist der Begriff des subjektiven Rechts nicht absolut festzustellen“. 8
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I. Die Willenstheorie des subjektiven Rechts (v. Savigny, Windscheid) Der Begriff des subjektiven Rechts bei v. Savigny wird geprägt durch die allgemeine Zielsetzung des Privatrechts, die Freiheit des freien und zur Selbstbestimmung fähigen Individuums zu sichern.14 Damit die „freye[n] Wesen“ sich nicht gegenseitig in ihrer Entwicklung hemmen,15 wird jedem von ihnen durch das Recht ein Gebiet angewiesen, in dem ihr individueller Wille „unabhängig von jedem anderen Willen zu herrschen hat“.16 Dieses Gebiet ist das subjektive Recht. Die Regel, die dieses Gebiet bestimmt, indem sie anderen eine „unsichtbare[. . .] Gränze“ setzt, ist das objektive Recht. Dementsprechend definiert Savigny das „Recht im subjectiven Sinn“ als „die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unsrer Übereinstimmung herrscht“.17 Ganz entscheidend ist, dass es nach Savigny keine Aufgabe des Privatrechts ist, dem Einzelnen ein bestimmtes Verhalten, das durch die Gebote der Sittlichkeit gefordert wird, vorzuschreiben.18 Innerhalb des „freyen Raum[es]“, dessen Schutz die alleinige Aufgabe ist, soll der Einzelne gerade seinen Willen frei, d. h. aber auch nicht beschränkt durch rechtlich zwingende Regeln, verwirklichen können. Windscheid hat die das subjektive Recht i. S. der Willenstheorie ausmachende Freiheit auf der Grundlage der Imperativentheorie Thons normentheoretisch analysiert. Er beschreibt es als einen aufgrund des Eintritts eines bestimmten Tatbestandes erlassenen Befehl, den die Rechtsordnung (das Recht im objektiven Sinn) „demjenigen, zu Gunsten dessen sie ihn erlassen hat, zur freien Verfügung gestellt hat“.19 Der entscheidende Gesichtspunkt, der Windscheids Auf14 v. Savigny, System I (1840), S. 331 ff.; vgl. zu dem v. Savignys Auffassung vom subjektiven Recht zugrunde liegenden philosophischen Personenbegriff Coing in: ders./Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Schutz der Persönlichkeit (1959), S. 7 (19 f.). 15 v. Savigny, System I (1840), S. 331 f. 16 Ebd. S. 333. 17 Ebd. S. 7. 18 Siehe ebd. S. 332: „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen inwohnenden, Kraft sichert.“ und vgl. dazu Coing in: ders./Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Schutz der Persönlichkeit (1959), S. 7 (19 f.): Das Recht hat nach v. Savigny „seine Aufgabe nicht darin, dem einzelnen moralische Gesetze vorzuschreiben, sondern darin, ihm eine Sphäre der Freiheit zu sichern“. 19 Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 19 (1906), § 37 1. (S. 155 f.); vgl. auch Kipp zu Windscheid, ebd. § 37 2. (S. 162, in der auf S. 156 beginnenden Fn. 3): „Das subjektive R. in dem Sinne, in welchem es der Text unter 1 ins Auge faßt, ist m. E. zu definieren als der Zustand dessen, zu dessen Gunsten die Rechtsordnung entweder einem (oder mehreren) bestimmten Dritten, oder aber unbestimmten Dritten ein bestimmtes Verhalten geboten hat, in dem Sinne, daß es seine Sache ist, ob er diesen Befehl geltend machen will oder nicht.“
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fassung als Willenstheorie im eigentlichen Sinne erscheinen lässt, ist dabei, dass die Verfügungsbefugnis über den Befehl der Rechtsordnung materiell verstanden wird: Die Entscheidungsbefugnis des Rechtsinhabers bezieht sich unmittelbar auf die Geltung der materiellen Verhaltenspflicht des Rechtsgegners. Der Wille des Berechtigten „ist maßgebend für das Verhalten der ihm Gegenüberstehenden, weil er maßgebend ist für einen ihr Verhalten maßgebenden Rechtsbefehl“.20 Damit wird bei Windscheid – anders als z. B. bei Thon21 – die materielle Pflicht selbst subjektiviert,22 indem ihre Abhängigkeit vom Willen des Berechtigten anerkannt wird. Die Entscheidungsbefugnis bezieht sich bei Windscheid noch auf die Norm selbst und beschränkt sich nicht auf die Geltendmachung der Sanktionen im Falle ihrer Nichtbefolgung, also insbesondere auf die Erhebung einer Zivilklage.23 Eine solche Formalisierung der Entscheidungsbefugnis des Rechtsinhabers wäre bei Windscheid im Übrigen schon deshalb nicht möglich, weil für ihn die Klagemöglichkeit kein Bestandteil des materiellen (subjektiven wie objektiven) Rechts ist24 und er die Willensmacht des Berechtigten daher in jedem Fall „materiell“ interpretieren muss. II. Die Formalisierung des Willenselements in der heutigen Dogmatik des Privatrechts Der Grundbaustein der der heutigen Dogmatik des Privatrechts zugrundeliegenden rechtstheoretischen Konzeption ist die Rechtspflicht.25 Dementspre20 Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 19 (1906), § 37 2. (S. 158, in der auf S. 156 beginnenden Fn. 3). 21 Siehe Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 221: Der Schutz durch die Imperative der Rechtsordnung ist unabhängig vom Willen des Berechtigten gegeben; und dazu Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 19 (1906), § 37 1. ], § 37 2. (S. 158, in der auf S. 156 beginnenden Fn. 3): „Nach Thon ist nicht der ursprüngliche Befehl der Rechtsordnung dem Berechtigten zu eigen gegeben, sondern ihm zu eigen gegeben sind erst die weiteren Befehle, welche die Rechtsordnung für den Fall des Ungehorsams gegen den Widerstrebenden erläßt, um ihre Gebote durchzusetzen, im besonderen die Befehle an die Organe der Staatsgewalt zur Gewährung von Rechtshilfe.“ 22 Vgl. Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 19 (1906), § 37 1. (S. 156): „Die Rechtordnung . . . hat ihren Befehl zu seinem Befehl [dem des Berechtigten] gemacht. Das Recht ist sein Recht geworden.“ 23 Vgl. dagegen Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 221. 24 Vgl. o. § 2 IV. 3. im Text bei Fn. 102 ff. 25 Vgl. z. B. Aicher, Eigentum (1975), S. 17 ff.; Engisch, Einführung8 (1983), S. 24 ff., 26: Das subjektive Recht ist eine „façon de parler für eine besonders geartete Konstellation von Imperativen.“; Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 (2001), § 22 I. (S. 167 f.): „Normen sind also die Elementarteilchen des Rechts. . . . Danach sind alle Rechtsnormen als Gebote oder Verbote aufzufassen.“, §§ 27 I, IV., § 44 I (S. 356): „Die Rede von subjektiven Rechten ist also nur eine andere Darstellungsweise des objektiven Rechts . . .“; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht (1915), S. 47 ff., 52: Der „Grundstock der Rechtsordnung“ besteht aus Imperativen; Köhler, Allg. Teil32 (2008), § 1 Rn. 1: „Das Recht hat Normcharakter. Es regelt das menschliche Zusammenleben
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chend soll sich auch das subjektive Privatrecht aus einem oder mehreren dieser Grundbausteine zusammensetzen. Für diejenigen, für die die Durchsetzbarkeit nicht zum Begriff des subjektiven Privatrechts gehört, ist es nichts anderes als die „aktive“ Seite der Verpflichtung, also die Pflicht aus der Perspektive des Begünstigten betrachtet.26 Diejenigen hingegen, die die Durchsetzbarkeit zu Recht für begriffsimmanent halten, stellen sich das subjektive Recht als Kombination von zwei Pflichten vor. Ein subjektives Privatrecht liegt nach ihnen vor, wenn ein privater Normadressat im Interesse des Rechtsinhabers zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist, und eine Verpflichtung der Gerichtsorgane zur Sanktionierung eines Normverstoßes besteht, die durch die Erhebung der Zivilklage bedingt ist.27 Was beide Varianten kennzeichnet, ist die mit dem Verständnis der Rechtsnorm als Grundkategorie einhergehende Objektivierung, d. h. und erlaubt oder verbietet bestimmte Verhaltensweisen.“; Wolff, Verbotenes Verhalten (1923), S. 161, 168; Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (1903), S. 49: „Die Rechtsnormen sind die letzten Einheiten, aus denen sich das Recht, die Rechtsordnung . . . zusammensetzt.“; Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 94: „Der Pflichtbegriff ist der Mittelpunkt des Rechtssystems.“ 26 Eltzbacher, Die Handlungsfähigkeit (1903), S. 106, 110: „Das Recht ist die Stellung dessen, zu dessen Gunsten eine Rechtsnorm etwas vorschreibt.“; Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht (1915), S. 74: „einen Imperativ (. . .) der Rechtsordnung, in Beziehung gesetzt zu demjenigen Rechtssubjekt, dessen Interesse er im konkreten Fall seiner Bestimmung gemäß schützt.“; Hellwig, Anspruch und Klagrecht (1900), § 1 II, S. 3 f.: „das Rechtsverhältnis, betrachtet von Seite des Berechtigten“; Hellwig, Lehrbuch I (1903), § 32 II, S. 216: die „aktive Seite“ des Verpflichtungsverhältnisses; nach Adomeit, Gestaltungsrechte (1969) ist das Herrschaftsrecht „die Position des durch eine Verhaltensnorm Begünstigten (S. 26 ff., insb. S. 28), die durch die „Befugnis, vom Verpflichteten das normgemäße Verhalten zu verlangen“ (Anspruch) ergänzt wird (S. 31 ff.). Der Anspruch wird von Adomeit dabei „materiell“ interpretiert: Er hat die „unverwechselbare Funktion, die vor- und außerprozessuale Geltendmachung durch den Gläubiger zu rechtfertigen“ (S. 33; dazu bereits o. § 3 II. 4. e) in und im Text zu Fn. 191); Wolff, Verbotenes Verhalten, S. 160: „Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten im Interesse eines anderen“; Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 120 ff.: „Das Recht ist der gewollte Reflex der Pflicht.“ 27 Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 (2001), § 44 I, II. (S. 357): „Subjektive Rechte entstehen, wo rechtliche Verhalten- und Sanktionsnormen derart kombiniert sind, daß der Normenbenefiziar bei Verletzung von Verhaltensnormen die Tätigkeit des Staatsapparats zu seinen Gunsten auslösen kann (. . .).“; Engisch, Einführung8 (1983), S. 26 (Kelsen folgend); K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 312 ff., 314 ff.: Sekundäre subjektive Rechte als Mittel zur „Durchsetzung objektivrechtlicher Ge- und Verbote“; Lehmann/Hübner, Allg. Teil16 (1966): § 10 III: „die durch eine Rechtsvorschrift hergestellte günstige Lage einer bestimmten Person . . ., wenn der Schutz dieser Lage von ihrem Willen abhängt.“; Aicher, Eigentum (1975), S. 55 f.: „die ein Verhalten gebietende oder verbietende objektive Rechtsnorm im Verhältnis zu demjenigen Individuum, dem die Rechtsordnung die Rechtsmacht verliehen hat, bei Nichterfüllung dieser Verhaltenspflicht – als ultima ratio – ein staatliches Verfahren in Gang zu setzen, das in der Verhängung einer Sanktion gegenüber dem sich pflichtwidrig verhaltenden Individuum gipfelt.“; Tümmeler, Unterlassungsklage (1936), S. 28 (vom Nationalsozialismus beeinflusst): „Ein ,Recht‘ ist nur dann vorhanden, wenn zu dem durch das objektive Recht dem Einzelnen gewährten Normschutz noch etwas hinzukommt, das sich . . . als eine dem Einzelnen von der Rechtsordnung zuerkannte Befugnis, den Befehl
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Loslösung der Verpflichtung des Adressaten vom Willen des Berechtigten: Der Käufer ist nicht zur Zahlung des Kaufpreises, der Störer nicht zur Unterlassung der Beeinträchtigung verpflichtet, weil der Berechtigte (Verkäufer, Eigentümer) es so will, sondern weil das Gesetz es befiehlt bzw. der Vertrag es vorsieht. Die Verpflichtungen entstehen unmittelbar aufgrund des Gesetzes bzw. der vertraglichen Vereinbarung, ohne dass dem Willen des Berechtigten dafür eine entscheidende Bedeutung zukommt: Der Berechtigte kann zwar die Pflicht durch besonderen Willensakt außer Kraft setzen, indem er den Kaufpreis stundet oder in die Eigentumsstörung einwilligt. Solange er jedoch nichts dergleichen unternimmt, ist weder die Entstehung noch das Bestehen der Pflicht von seinem Willen abhängig.28 Die Willensfreiheit, die nach der Willenstheorie Savignys das Wesen des subjektiven Rechts ausmacht, wird auf diese Weise formalisiert und von der Ebene des materiellen Rechts auf die prozessuale Ebene verlagert.29 Materiellrechtlich wird das subjektive Recht zu einer den Rechtsinhaber begünstigenden objektiven Verhaltensnorm, die gegebenenfalls auf prozessualer Ebene durch eine Klagebefugnis ergänzt wird, von der der Rechtsinhaber nach Belieben Gebrauch machen kann. Eine Rückwirkung der Freiheit des Rechtsinhabers, von dieser Klagebefugnis Gebrauch zu machen, auf das materielle Recht dergestalt, dass auch die Geltung der materiellen Normen auf den Willen des Berechtigten zurückgeführt wird, findet nicht statt. Die Ablösung des Verständnisses des Privatrechts als System subjektiver Rechte durch die normative Betrachtungsweise kann als eine der Rahmenbedingungen für die Entwicklung des quasinegatorischen Rechtsschutzes angesehen werden: Als Normenordnungen scheinen sich öffentliches Recht und Privatrecht in ihrer Struktur nicht voneinander zu unterscheiden. In dem an die einzelne Privatperson gerichteten Gesetzesbefehl haben sie eine gemeinsame Grundkategorie, die es erlaubt, derartige Befehle aus dem öffentlichen Recht in das Privatrecht zu importieren. Öffentliches Recht und Privatrecht erscheinen dabei letztlich als eine einheitliche Rechtsordnung bestehend aus Verhaltenspflichten des Einzelnen, die weitgehend beliebig durch sekundäre Durchsetzungsbefugnisse von Verwaltungsbehörden oder Privatpersonen ergänzt werden können.30 Übersehen wird dabei jedoch, dass die jeweiligen öffentlich-rechtlichen bzw. des Gesetzes . . . selbst im Zwangswege durchzusetzen, darstellt.“; wohl auch Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 40 f., 48 f. (in Anlehnung an Engisch und Kelsen). 28 Vgl. die Kritik an der Lehre Buchers; dazu mit Nachweisen u. § 11 III. in und im Text zu Fn. 46 und 47). 29 Vgl. Fezer, Verantwortung und Teilhabe (1986), S. 240: Die Willensfreiheit wird auf die Ebene des Rechtsschutzes verlagert. 30 Bezeichnenderweise wird denn auch die Unmöglichkeit konstatiert, die Primärnormen als privatrechtlich bzw. öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, vgl. Schwabe, Drittwirkung (1971), S. 31 ff.
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privatrechtlichen Verhaltensnormen durch den jeweiligen verfahrensrechtlichen Kontext, in den sie eingebettet sind, eine ganz unterschiedliche Bedeutung erhalten. Dies wird im Folgenden darzustellen sein. III. Buchers Lehre vom subjektiven Privatrecht als Normsetzungsbefugnis Eugen Bucher ist der Konzeption des Privatrechts als objektiver Verhaltensordnung mit seinem Verständnis des subjektiven Rechts „als Normsetzungsbefugnis“31 entgegengetreten und hat in diesem Rahmen ein rechtstheoretisches Modell des subjektiven Rechts entwickelt, in dem die mit dem subjektiven Recht verbundene Willensfreiheit des Berechtigten auch auf dem Gebiet des materiellen Rechts wieder in den Mittelpunkt gestellt wird. Sein zentraler Gedanke ist, dass auf dem Gebiet des Privatrechts der „in der Einzelpersönlichkeit ruhenden Zwecksetzung des Rechts“ Rechnung getragen werde, indem „die im . . . ausschließlichen Interesse eines Einzelnen aufgestellten Rechtssätze diesem Einzelnen zur Verfügung“ gestellt werden und ihm die Entscheidung darüber überlassen wird, „ob die fraglichen Vorschriften Geltung“ beanspruchen sollen.32 Eine aktuelle Verpflichtung des Adressaten der entsprechenden privatrechtlichen Normen bestehe nur, soweit dies dem Willen des Begünstigten entspricht. Die Abhängigkeit der Geltung der Normen von dem Willen des Begünstigten, der „conditio sine qua non der Gültigkeit“33 sei, mache die Figur des subjektiven Rechts unverzichtbar. Der Gesetzgeber lege nicht selbst abschließend fest, welches Verhalten zu beachten ist, sondern verweise statt dessen „auf den Willen derjenigen Einzelperson . . ., in deren Interesse die fragliche rechtliche Regelung getroffen ist“:34 Diese Einzelperson entscheide als Inhaberin des subjektiven Rechts darüber, ob die „vom objektiven Recht vorgesehene potentielle Norm und die dadurch bedingte potentielle Pflicht aktualisiert und damit tatsächlich normativ verbindlich wird“.35 In dem rechtstheoretischen Modell des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis versucht Bucher, die vorstehenden Erkenntnisse in Übereinstimmung zur „normativen Rechtauffassung“ zu bringen. Er teilt insoweit die „Auffassung, dass das Recht im objektiven Sinne ein Gefüge von Normen . . . und nichts als ein Gefüge von Normen“, d. h. auf menschliches Verhalten bezogenen Sollenssätzen,36 mithin Imperativen37 ist. Entgegen einer verbreiteten Auffassung will 31 32 33 34 35 36 37
Bucher, Ebd. S. Ebd. S. Ebd. S. Ebd. S. Ebd. S. Ebd. S.
Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965). 19 f. 58. 20. 20. 42. 13.
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Bucher den Begriff der Norm nicht auf abstrakt-generelle Normen, also in erster Linie Gesetzesvorschriften beschränken, sondern „auch die individuell-konkreten Rechtssätze, d. h. die an eine individuell bestimmte Person gerichteten Befehle konkreten Inhalts“ in den Normenbegriff miteinbeziehen. In Anlehnung an Kelsens Stufenmodell der Rechtsordnung sollen auf dem Gebiet des Privatrechts die Gesetzesvorschriften noch nicht die unterste Stufe der Normenordnung darstellen.38 Der Gesetzgeber habe die zu beobachtenden Verhaltensnormen noch nicht selbst erlassen, sondern die Normsetzungsbefugnis durch die Gewährung subjektiver Privatrechte delegiert.39 Durch Ausübung der ihm eingeräumten Normsetzungsbefugnis erzeuge der Inhaber des subjektiven Rechts selbst die maßgeblichen Verhaltensnormen und begründe erst damit „aktuelle“ Pflichten.40 Für die Ausübung der Normsetzungsbefugnis soll die Bildung des Willens des Berechtigten (der selbst die Struktur einer Rechtsnorm hat) allein nicht ausreichen, sondern zur Entfaltung normativer Wirkung soll darüber hinaus die Äußerung, d. h. Bekanntmachung gegenüber dem Verpflichteten erforderlich sein.41 Eine solche Äußerung des Willens des Berechtigten ist jedoch in vielen Fällen weder nachweisbar noch überhaupt möglich, so z. B. bei der Zerstörung einer Sache durch einen Fremden, die, ohne dass sich eine entsprechende Ausübungshandlung des Berechtigten nachweisen ließe, rechtswidrig ist. Bucher verzichtet in solchen Fällen auf eine Willensäußerung des Berechtigten und behilft sich mit einer auf der allgemeinen Lebenserfahrung beruhenden, widerlegbaren Vermutung einer entsprechenden Normsetzung durch den Berechtigten.42 Die Gegner von Buchers Auffassung sehen in der Notwendigkeit, auf eine solche Vermutung zurückzugreifen, den Beweis für die Fehlerhaftigkeit der Konstruktion des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis.43 Die Fiktion der Ausübung der Normsetzungsbefugnis verdecke, dass in diesen Fällen die Verhaltensnorm gerade nicht durch eine Willensäußerung des Berechtigten gesetzt werde, sondern infolge der Vermutung und damit aufgrund objektiven Rechts entstehe.44 Dies zeige, dass eine Normsetzung durch den Berechtigten in Wahrheit über38
Ebd. S. 60. Ebd. S. 56, 60; insoweit zustimmend Aicher, Eigentum (1975), S. 23 in der auf S. 22 beginnenden Fn. 27. 40 Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 62. 41 Ebd. 68 f. 42 Ebd. 68 f. 43 Vgl. Aicher, Eigentum (1975), S. 40, 42; Larenz, FS Sontis (1977), 129 (135); Fezer, Verantwortung und Teilhabe (1986), S. 346; vgl. auch Kasper, Das subjektive Recht (1967), S. 149: die Fiktion hat keine Beweiskraft für die Richtigkeit Buchers Theorie; Pieper, AcP 168 (1968), 532 (534). 44 Siehe Aicher, Eigentum (1975), S. 42: „Freilich ist in diesem Falle nicht mehr der Wille des Berechtigten die Verhaltensnorm für den Verpflichteten, sondern die widerlegliche Vermutung einer bestimmten Anspruchserhebung.“ 39
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flüssig sei.45 Dementsprechend müsse daran festgehalten werden, dass die privatrechtlichen Pflichten unmittelbar aus dem Gesetz oder aufgrund des Vertrages entstehen.46 Insbesondere bei vertraglichen Verpflichtungen sei der Schuldner bereits aufgrund der vertraglichen Einigung zur Leistung verpflichtet, ohne dass der Gläubiger darüber hinaus ein weiteres Mal sein Interesse an der Leistung kundtun müsse.47 Die Kritik lässt den richtigen Grundgedanken Buchers, dass die privatrechtlichen „Pflichten“ in ihrer Geltung vollkommen vom Willen des Begünstigten abhängig sind, und diesem Umstand bei der Darstellung des materiellen Rechts Rechnung zu tragen ist, jedoch vollkommen unberührt. Dass die Durchsetzung der privatrechtlichen „Normen“ in das freie Belieben des Berechtigten gestellt wird, führt dazu, dass ihre Verbindlichkeit für den Adressaten von seinem individuellen Willen abhängt. Der Verzicht des Berechtigten darauf, Verhaltens„normen“ im Wege der Zivilklage durchzusetzen, lässt sich nicht als „Unfall“ bei der Durchsetzung des Rechts deuten, der die normative Geltung der materiellen Pflicht ebenso unberührt lässt, wie es auf das Verbotensein einer Trunkenheitsfahrt keinen Einfluss hat, dass der Täter unentdeckt bleibt und mit einer Entdeckung von vornherein nicht zu rechnen war.48 45 Larenz, FS Sontis (1977), 129 (135): Die Normsetzung erweise sich „praktisch als überflüssig“. 46 Kasper, Das subjektive Recht (1967), S. 149 f.; Adomeit, Gestaltungsrechte (1969), S. 30: Man sollte „das bisherige Verständnis beibehalten, das schon die Gesetzesnorm oder Vertragsnorm als Verhaltensnorm ansieht . . . Anders formuliert: die Verhaltensnorm gilt unabhängig davon, ob sie geltend gemacht wird.“ Adomeit (ebd.) wirft Bucher eine „mangelnde Differenzierung zwischen Herrschaftsrechten und Gestaltungsrechten“ vor, ohne jedoch das Erfordernis einer derartigen Differenzierung i. S. eines Gegensatzes (vgl. Adomeit ebd. S. 28: „Gegensatzpaar“) überzeugend darzulegen. Dass Unterschiede zwischen der Art und Weise, in der sich die Willensmacht bei Herrschaftsrechten, und derjenigen, wie sie sich bei Gestaltungsrechten auswirkt, konstatiert werden können, soll nicht bestritten werden. Es ist jedoch festzustellen, dass auch der Anspruch als subjektives Recht mit einer Gestaltungsmacht verbunden ist: der Anspruchsinhaber entscheidet durch Geltendmachung bzw. Nichtgeltendmachung des Anspruchs über die (soziale) Geltung der korrespondierenden Pflicht und gestaltet insoweit die Wirklichkeit. Diese Abhängigkeit der Geltung der privatrechtlichen Pflichten vom Willen des Berechtigten und die diesem dadurch zukommende Gestaltungsbefugnis leugnet Adomeit m. E. ohne Grund; Fezer, Teilhabe und Verantwortung (1986), S. 346: „Die Verpflichtungskraft der objektiven Rechtsnorm und des subjektiven Rechts erleidet Schaden.“; Aicher, Eigentum (1975), S. 43; Larenz, FS Sontis (1977), 129 (133); Pieper, AcP 168 (1968), 532 (534). 47 Vgl. Kasper, Das subjektive Recht (1967), S. 149; Larenz, FS Sontis (1975), 129 (133 f.); Aicher, Eigentum (1975), S. 43: Bei einem „kalendermäßig befristeten Darlehen“ sei „der Schuldner ohne Mahnung des Gläubigers zur Leistung verpflichtet“. 48 Verfehlt dagegen Adomeit, Gestaltungsrechte (1969), S. 30: „Der Umstand, daß mancher Gläubiger . . . zu nachlässig ist, die Durchsetzung seines Anspruchs in die Hand zu nehmen, wodurch dann eine Pflichtversäumnis des Schuldners ohne Sanktion bleibt, läßt sich als ein überall mögliches Auseinanderklaffen zwischen Rechtslage und Rechtswirklichkeit (die Dunkelziffern im Strafrecht!) begreifen . . .“ – Bei einer Ver-
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Die Kontroverse, ob die privatrechtlichen Pflichten aufgrund des objektiven Rechts oder erst durch Ausübung der Normsetzungsbefugnis des Inhabers des subjektiven Rechts entstehen, ist letztlich nur eine Folge des herrschenden Verständnisses des Privatrechts als einer Normenordnung.49 Die Probleme, die Bucher in Bezug auf die Ausübung der Normsetzungsbefugnis hat, beruhen darauf, dass er an diesem Verständnis festhielt und versuchte, die Funktionsweise des subjektiven Rechts auf der Grundlage eines feststehenden Begriffs der Rechtsnorm zu erklären. Eine Rechtskonzeption, die die Rechtspflicht zu ihrem Grundelement erhebt, ist jedoch als solche ganz auf die Person des Pflichtadressaten ausgerichtet und eignet sich daher nur bedingt als Grundlage eines rechtstheoretischen Modells, das die Person des Berechtigten in den Mittelpunkt stellt. Der zentrale Punkt ist, dass auf der Grundlage des Verständnisses des materiellen Privatrechts als Normenordnung zu jedem Zeitpunkt feststehen muss, ob eine bestimmte Verhaltensnorm gilt oder nicht gilt.50 Dass die Normgeltung auch davon abhängen kann, dass der Berechtigte erst nach dem „Normverstoß“ eine Sanktion herbeiführt oder darauf verzichtet, ist von diesem Standpunkt aus eine Unmöglichkeit: aus der Perspektive des Normadressaten muss im Zeitpunkt seiner Handlung feststehen, ob er soll oder nicht soll bzw. ob ihm befohlen oder nicht befohlen wird. Die Abhängigkeit der Geltung der privatrechtlichen Pflichten von dem Willen des Berechtigten beruht jedoch vor allem darauf, dass dem Berechtigten die klageweise Geltendmachung der Pflicht selbst, sowie aller Folgen ihrer Verletzung freigestellt ist. Der Gläubiger einer kalendermäßig bestimmten Leistung kann dadurch, dass er schließlich weder die Leistung selbst noch Verzugszinsen einklagt, dafür sorgen, dass sich die scheinbare Pflicht des Schuldners als real nicht existent herausstellt. Gleiches gilt für den Eigentümer, der auf die Geltendmachung des ihm wegen der Beschädigung der Sache zustehenden Schadensersatzanspruchs verzichtet. Sieht man die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung als das wesentliche Merkmal von Rechtsnormen an,51 so folgt daraus, dass die Geltung privatrechtlicher Normen durch die Bereitschaft des pflichtung, die nur um des Gläubigers Willen existiert und deren Geltendmachung notwendig von dessen Willensentscheidung abhängt, kann ein von einem entsprechenden Durchsetzungswillen des Gläubigers unabhängiges Sollen nicht angenommen werden; vgl. zu der Unbeachtlichkeit des Ausbleibens einer Sanktion aufgrund der Nichtnachweisbarkeit des Normverstoßes für die Normgeltung o. § 3 III. 4. im Text nach Fn. 233. 49 Vgl. die Nachweise o. § 11 II. in Fn. 25. 50 Vgl. die zentrale These der Lehre vom Handlungsunrecht: „Jedermann soll wissen, welches Verhalten in einer bestimmten Situation geboten, erlaubt oder verboten ist.“ (so v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II (1960), 49 (129); Welzel, Abhandlungen (1975), S. 329 Fn. 42; vgl. zu dieser Grundthese auch F. Baur, AcP 160 (1961), 465 (468)). 51 s. o. § 3 II. 4. a) mit Nachweisen der Literatur in Fn. 159.
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Berechtigten zu ihrer Durchsetzung bzw. Sanktionierung konstituiert wird. Der Berechtigte muss vor dem Normverstoß überhaupt keine Entscheidung darüber treffen, ob er aus der „hypothetischen Pflicht des Gesetzes“ eine „aktuelle Pflicht“ macht. Ihm verbleibt über den Zeitpunkt des Normverstoßes – also dem Zeitpunkt, in dem die Norm ihre Funktion als verhaltensbestimmende Norm letztmals erfüllen kann – hinaus die Freiheit, zu entscheiden, ob er die Norm – als Entscheidungsnorm – zur Anwendung bringen möchte oder nicht. Das hypothetische Moment privatrechtlicher Pflichten kann also über den Zeitpunkt des Normverstoßes hinaus bestehenbleiben, wobei die Hypothese in nichts anderem besteht als darin, dass der Berechtigte sich auf die Norm beruft, d. h. sein Recht, ihre Einhaltung bzw. die Sanktionierung ihrer Verletzung zu verlangen, ausübt. Dieses Phänomen lässt sich auf der Grundlage einer normativ-statischen Betrachtungsweise auch dadurch nicht adäquat beschreiben, dass man eine vorausgehende Normsetzung durch den Berechtigten fingiert. Buchers Vermutung der Rechtsausübung in einer bestimmten Weise ist letztlich nur eine Umschreibung der Tatsache, dass regelmäßig davon auszugehen ist, dass der Berechtigte die ihm zustehenden Ansprüche – z. B. der Eigentümer die Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung der Sache – geltend machen wird, d. h. sich diese der sozialen Wirksamkeit privatrechtlicher Pflichten zugrunde liegende Hypothese bewahrheitet. Widerlegen kann der Berechtigte diese Hypothese einfach dadurch, dass er – auch wider Erwarten – von seinem Recht, zu verlangen, keinen Gebrauch macht. Eugen Bucher hat später selbst in einem Appell „Für mehr Aktionendenken“52 konstatiert, dass sich die privatrechtlichen Verhältnisse durch objektive Verhaltensnormen ohne eine Bezugnahme auf die Klagemöglichkeit des Berechtigten nicht adäquat darstellen lassen.53 Der Unterschied zu dem Modell des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis besteht darin, dass letzteres noch vollkommen „materiellrechtlich“ im Sinne der normativen Betrachtungsweise konstruiert war54 und daher den Entscheidungsspielraum, der dem Berechtigten daraus erwächst, dass er die ihm zustehenden Ansprüche gerichtlich geltend machen kann, aber nicht muss, nur bedingt verwerten konnte. Auf den Einwand Adomeits hin, Bucher würde sich durch die Einbeziehung aktionenrechtlicher Überlegungen in Widerspruch zu seinen früheren Ausführungen setzen, hat dieser m. E. zutreffend darauf hingewiesen, dass beide Ansätze in ihrer „Grund-
52 So der Titel des von Bucher am 30.9.1984 in Passau vor der Vereinigung der Zivilrechtslehrer gehaltenen Referats; die Ausarbeitung ist abgedruckt in AcP 186 (1986), 1 ff. 53 Bucher, AcP 186 (1986), 1 (14). 54 Vgl. Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 31, 85 f.: „Wenn man wie der Verfasser eine vollständige Ablösung der Betrachtung des Privatrechts unter prozessualem Gesichtspunkt (Aktionendenken) durch eine materiellrechtliche Auffassung für richtig hält . . .“
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tendenz“ übereinstimmen, und dass das Modell des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis auf der Basis der normativ-statischen Rechtsauffassung die „nächstmögliche Annäherung an das überlieferte, aktionenrechtlich konzipierte Verständnis des Privatrechts“ erlaubte. IV. Das subjektive Recht auf der Grundlage der hier vertretenen Konzeption des materiellen Privatrechts als Anspruchssystem – Konsequenzen für den quasinegatorischen Rechtsschutz Dem in dieser Arbeit vertretenen Verständnis des materiellen Privatrechts als System von Ansprüchen, die den Privatrechtssubjekten zum Schutz ihrer Interessen gewährt werden,55 bereitet es naturgemäß keine Probleme, die Abhängigkeit der Verhaltenspflichten von dem Willen des Berechtigten darzustellen. Dem Anspruchsinhaber wird durch die Gewährung von Ansprüchen nur das Angebot gemacht, durch Inanspruchnahme der Gerichte ein bestimmtes Verhalten anderer Personen zu erzwingen und auf diese Weise seine Interessen zu schützen. Er kann ein Tun oder Unterlassen verlangen, muss dies aber nicht. Da bei dieser Sichtweise der Begriff der Pflicht von dem des Anspruchs abgeleitet wird, kann kein Widerspruch zu einem vordefinierten Pflichtbegriff entstehen.56 Die Unterworfenheit des Anspruchsgegners unter die Zwangsbefugnis bzw. – in der pandektistischen Terminologie – Willensmacht des Berechtigten, die mit einem an den Anspruchsgegner gerichteten Appell verbunden ist, dem Verlangen des Anspruchsinhabers nachzukommen, ohne dass die Gerichte und der Rechtszwang in Anspruch genommen werden müssen, lässt sich auch auf Grundlage dieser Sichtweise des Privatrechts zwanglos als Verhaltenspflicht des Anspruchsgegners auffassen und damit „normativ deuten“.57 Aus der Perspektive des Anspruchsgegners betrachtet dürfte für die Annahme einer Pflicht insoweit die Möglichkeit, dass sein normwidriges Verhalten zu Sanktionen führen kann – ungeachtet der bestehenden Abhängigkeit des Eintritts der Sanktionen vom Willen des Berechtigten – ausreichen. Im Gegensatz dazu lässt sich dieser Sachverhalt weder aus der Perspektive des Anspruchsinhabers noch aus der von Dritten ohne weiteres – wie es der normativen Rechtsauffassung entsprechend bei Annahme einer objektiven materiellen Rechtslage der Fall sein müsste – als Pflicht auffassen. In Bezug auf den Berechtigten schließt die Tatsache, dass eine Pflicht 55
s. o. § 3 IV. Vgl. bereits o. § 4 II. 57 Vgl. Bucher, AcP 186 (1986), 1 (17): „Wenn hier . . . ein Zurückdrängen ,normativer‘ Betrachtung zugunsten ,aktionenrechtlicher‘ Überlegung vorgeschlagen wird, will damit nicht in Abrede gestellt werden, daß die zu gewinnenden Resultate ihrerseits ,normativ‘ gedeutet werden können, d. h. sich als eine Summe von Verhaltensvorschriften darstellen lassen.“ 56
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entgegen und ohne seinen Willen und damit letztlich auch unabhängig von seiner Person nicht bestehen kann, es aus, eine Pflicht als etwas objektiv Existentes „anzunehmen“. Die Abhängigkeit der Pflicht von dem Willen des Berechtigten führt zugleich dazu, dass diese nur relativ zu seiner Person besteht58 und aus der Sicht von Dritten, die keinen Einfluss auf die in das Belieben des Berechtigten gestellte Anspruchausübung haben, als nicht existent zu betrachten ist. Dass die Geltung der privatrechtlichen Pflichten jeweils vom individuellen, ungebundenen Willen des Berechtigten abhängt, führt dazu, dass sich das materielle Privatrecht nicht als eine Ordnung objektiv geltender Pflichten darstellen lässt, sondern jeweils angegeben werden muss, von wessen Willen die Gültigkeit der jeweiligen Pflicht abhängt. Daher ist das materielle Privatrecht in erster Linie eine Ordnung subjektiver Rechte und keine Pflichtenordnung. Dass sich im Gegensatz dazu weite Teile des öffentlichen Rechts als objektive Pflichtenordnung darstellen lassen, hat seinen Grund darin, dass die jeweiligen zur Durchsetzung dieser Pflichten wahrnehmungsbefugten Organe in ihren Entscheidungen gebunden und oftmals (im Anwendungsbereich des Legalitätsprinzips) zur Sanktionierung von Normverstößen strikt verpflichtet sind. Da es auf die Individualität des jeweils zuständigen Organs nicht ankommt, lässt sich die Gesamtheit dieser Pflichten als eine Ordnung „gleichmäßig“ geltender Normen darstellen, ohne dass jeweils angegeben werden müsste, welchem Organ die Durchsetzungsbefugnis zusteht. Vergegenwärtigt man sich dies, ist es kein Zufall, dass auch im Rahmen der sog. „nationalsozialistischen Rechtserneuerung“ das Privatrecht nicht mehr als System subjektiver Rechte sondern als Pflichtenordnung dargestellt werden sollte.59 Nach der nationalsozialistischen Privatrechtskonzeption waren alle Privatrechtspflichten – auch oder in erster Linie – Pflichten gegenüber der Gemeinschaft.60 Der Berechtigte hatte die Stellung eines von der Volksgemeinschaft mit bestimmten Aufgaben betrauten Organs ohne eigentliche Entscheidungsfreiheit. Seine Individualität war für die Frage der Geltung einer Pflicht folglich ebenso bedeutungslos, wie heute diejenige des wahrnehmungsbefugten Staatsorganes für die Geltung öffentlich-rechtlicher Pflichten. Dies hat zur Konsequenz, dass sich ein derart gestaltetes „Privatrecht“ in der Tat rechtstheore58
Vgl. H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 182 ff.: „relative duties“. Vgl. Lehmann, FS Deinhardt, S. 108 (108) m.w. N. 60 Siehe Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht (1935), S. 245 f.: „Die Pflichten aus dieser Rechtsstellung sind in erster Linie Pflichten gegenüber der Gemeinschaft (dem Volk, der Sippe), erst in zweiter Linie und durchaus nicht alle auch Pflichten gegenüber den Volksgenossen . . .“ sowie S. 250: „ . . . aber die Pflicht, etwa den Kaufpreis zu zahlen, ist nicht so sehr eine von der Gemeinschaft übertragene Aufgabe, als eine der Gemeinschaft und dem anderen Volksgenossen gegenüber (beides darf nicht auseinandergedacht werden) übernommene Schuld . . .“. 59
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tisch zutreffend als Pflichtenordnung darstellen lässt. An die Stelle des subjektiven Rechts sollte in dieser Pflichtenordnung die Rechtsstellung des Volksgenossen treten.61 Die in dieser Stellung enthaltenen Berechtigungen und Befugnisse waren pflichtgebunden, d. h. sie wurden dem Volksgenossen nur zur Erfüllung der ihm aus seiner Rechtsstellung gegenüber der Volksgemeinschaft erwachsenden Pflichten verliehen.62 Ihre Ausübung war daher nicht in das Belieben des Berechtigten gestellt, sondern durfte nur dem Zweck ihrer Gewährung entsprechend erfolgen und musste dann allerdings auch erfolgen.63 Zwar wurde dem aus einem Vertrag Berechtigten im Rahmen der Gläubigerstellung ein größerer Entscheidungsspielraum zugebilligt.64 Doch auch hier galt, dass die Verpflichtung des Schuldners nicht nur dem Gläubiger, sondern auch der Volksgemeinschaft gegenüber bestand und es folglich keine Rechtsbeziehungen geben konnte, „die nur die beteiligten Rechtgenossen angingen“ und daher die Ordnung der Gemeinschaft nicht berührten.65 Jegliche Angelegenheit konnte für die Volksgemeinschaft bedeutend werden, so dass ihre Besorgung zur Pflicht wurde.66 Eine absolute Bestimmungsfreiheit des Einzelnen sollte es nirgends geben.67 Die mit dem Anspruch des Bürgerlichen Rechts verbundene Freiheit des Anspruchsinhabers ist materieller Natur. Indem dem Anspruchsinhaber die Befugnis eingeräumt wird, eigenverantwortlich von der ihm eingeräumten Klagebefugnis Gebrauch zu machen, wird auch die Geltung der zivilrechtlichen Pflicht seiner freien Entscheidung überlassen. Der Anspruch ist insofern ein echtes subjektives Recht im Sinne der Willenstheorie und damit mehr als eine Kombination aus einer objektiven Verhaltensnorm und einer Klagebefugnis.68 Dies bedeutet zugleich, dass es auf der Grundlage von Schutzgesetzen im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die ein bestimmtes Verhalten ohne Rücksicht auf den Willen des Begünstigten vorschreiben, keine privatrechtlichen Ansprüche in diesem Sinne geben kann.
61
Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht (1935), S. 244 ff. Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht (1935), S. 245 ff.; Tümmeler, Unterlassungsklage (1936), S. 14 m.w. N. 63 Vgl. Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht (1935), S. 246 zur Rechtsstellung des Bauern: „Keine dieser Befugnisse ist ein nur ,eigennütziges‘ Recht; ihre Ausübung darf nur in der Weise geschehen, die durch die konkrete Pflicht zur Bewirtschaftung und zur Erhaltung des Hofs gefordert wird, und ist in diesem Rahmen zugleich eine Pflicht des Bauern; Tümmeler, Unterlassungsklage (1936), S. 14 m.w. N. 64 Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht (1935), S. 253 ff. 65 Ebd. S. 251. 66 Ebd. S. 257 f. 67 So Larenz, ebd. S. 258. 68 Vgl. Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 51 f., der daraus jedoch nicht die notwendigen Konsequenzen zieht (s. sogleich Fn. 69). 62
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Dass die Möglichkeit quasinegatorischer Klagen aufgrund objektiver Verhaltensnormen nicht anerkannt werden kann, lässt sich dabei nicht mit der Begründung zurückweisen, dieser Befund sei nur die Konsequenz aus einem idealistischen Konzept des Privatrechts, das den heutigen Gegebenheiten nicht mehr gerecht würde.69 Der Ausschluss quasinegatorischer Klagen ist vielmehr die Folge davon, dass unser Zivilprozess als ein Verfahren zur Durchsetzung subjektiver Privatrechte im oben dargestellten Sinne ausgestaltet ist70 und sich daher nicht dazu eignet, die Geltung objektiver Verhaltensnormen unabhängig vom Willen des Begünstigten sicherzustellen. Der Zivilprozess wird heute wieder als eine private Angelegenheit zwischen den Parteien angesehen, so dass der Staat auf Einleitung und Durchführung des Prozesses keinen unmittelbaren Einfluss nimmt. Dementsprechend kann der Kläger frei über die Erhebung der Klage entscheiden, die Parteien über den Prozessgegenstand und das Verfahren disponieren. Schließlich erlangt das Prozessergebnis grundsätzlich Verbindlichkeit nur zwischen den Parteien. Ein Zivilprozess, der die Durchsetzung objektiver, d. h. zur Geltung unabhängig vom Willen des Berechtigten bestimmte Verhaltensnormen bezweckte, müsste anders ausgestaltet werden.71 Der Staat müsste auf Einleitung und Durchführung des Prozesses Einfluss nehmen, um zu verhindern, dass der Berechtigte durch den Verzicht auf eine Klage oder durch eine nachlässige Prozessführung das Ziel der objektiven Geltung der Verhaltensnormen vereitele. Unsere Rechtsordnung trennt daher zwischen den Rechtsnormen, die im ausschließlichen Interesse einer Individualperson aufgestellt wurden und denjenigen, die der Verfolgung von Interessen der Gemeinschaft dienen: Die Rechtsnormen der ersten Art werden dem Begünstigten zur freien Verfügung überlassen. Der Berechtigte kann über ihre Geltendmachung nach seinem Belieben entscheiden, ohne dem Staat oder der Gemeinschaft Rechenschaft darüber 69 Vgl. dagegen Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 52, der sich bezeichnenderweise auf die Erörterungen Raisers (vgl. Grosch, ebd. Fn. 223, 224, 226; zu Raiser ausführlich u. § 11 V. 2.) bezieht: „Der schutzgesetzliche Unterlassungsanspruch ist insoweit Sinnbild und Reaktion der Rechtsordnung auf die Forderungen der Moderne, die sich mit der klar konturierten Aufteilung zwischen der öffentlichrechtlichen, objektiven Rechtsordnung und dem System subjektiver Privatrechte nicht bescheiden kann“. Grosch setzt sich damit in Widerspruch zu dem von ihm soeben festgestellten Befund, dass das Privatrecht nicht als System objektiver Pflichten verstanden werden kann, sondern ein System subjektiver Rechte ist (vgl. Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 52: „daß das subjektive Privatrecht mehr als die gesetzlich zugewiesene formale Willensmacht zur Durchsetzung einer Sanktion für die Verletzung objektiven Rechts ist.“). Mit Siber, Rechtszwang (1903), S. 103 ist daran festzuhalten, dass es Privatrechte des Einzelnen im Interesse der Allgemeinheit nicht geben kann. 70 Den Schutz subjektiver Rechte geben als Zweck des Zivilprozesses an: MünchKommZPO3 /Rauscher (2008), Einl. Rn. 8; Musielak, ZPO7 (2009), Einl. Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht16 (2004), § 1 III 1 (Rn. 7); Stein/Jonas22 / Brehm (2003), Einl. Vor § 1, Rn. 9. 71 Vgl. Jauernig, JuS 1971, 329 (371 ff.).
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ablegen zu müssen. Rechtsnormen, deren Geltung im gemeinschaftlichen, d. h. öffentlichen Interesse sind, werden unmittelbar durch staatliche Behörden, unabhängig von dem Willen der durch sie begünstigten Personen, durchgesetzt. Diese klare Trennung der beiden Arten von Rechtsnormen ist rechtspolitisch zu begrüßen, weil sie eine Gewähr dafür bietet, dass nicht in einem schleichenden Prozess bei einer immer größeren Anzahl von ursprünglich ausschließlich privatnützigen Pflichten ein Gemeinschaftsinteresse an deren Einhaltung entdeckt wird, und die den Einzelnen zustehenden subjektiven Rechte einer Gemeinschaftsbindung unterzogen werden. Um die dem Privatanspruch entsprechende Pflicht des Anspruchsgegners zu einer objektiven, d. h. in ihrer Geltung vom Willen des Anspruchsberechtigten unabhängigen Pflicht umzuwandeln, gibt es auf der Grundlage der bestehenden Ausgestaltung des Zivilprozesses nur zwei Wege. Der eine besteht darin, dass man einen großen Kreis von Berechtigten schafft, d. h. eine Vielzahl von Personen, die ein hinreichendes Interesse an der Einhaltung der Verhaltensnorm haben, die voneinander unabhängige Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung eröffnet.72 Man schafft eine Art Popularklage in der Hoffnung, dass die im öffentlichen Interesse bestehende Norm dadurch objektive Geltung erlangt, dass sich im Einzelfall zumindest einer unter den vielen Berechtigten findet, der gegen die Normverletzung einschreitet. Diesen Weg ist der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts73 gegangen, wo es keine Wettbewerbsbehörden gibt, sondern die Überwachung der Lauterkeitsregeln weitgehend den Wettbewerbern überlassen wird. Der andere Weg besteht in der Kombinierung von privaten Berechtigungen mit behördlichen Wahrnehmungsbefugnissen. Neben die einzelnen Interessierten eingeräumte Befugnis, die Einhaltung der Verhaltensnorm vor den ordentlichen Gerichten nach ihrem Belieben einzuklagen, treten behördliche Durchsetzungsbefugnisse, mit deren Hilfe die im öffentlichen Interesse stehende objektive Normgeltung sichergestellt wird. Eine solche Kombination von privaten und behördlichen Durchsetzungsbefugnissen findet sich z. B. auf dem Gebiet des Kartellrechts.74 Durch die Zulassung quasinegatorischer Klagen zur Durchsetzung objektiver Pflichten aus Schutzgesetzen i. S. des § 823 Abs. 2 BGB werden beide der beschriebenen Wege zugleich beschritten. Zum einen handelt es sich bei den dem öffentlichen Recht und dem Strafrecht entstammenden Schutzgesetzen in der Praxis um keine leges imperfectae, was bedeutet, dass bereits in dem Rechtsgebiet, dem diese Normen angehören, Möglichkeiten der unmittelbaren Erzwingung ihrer Beachtung ebenso wie der Sanktionierung von Normverstößen bestehen. Diese Möglichkeiten blieben durch die 72 Vgl. Wagner, NuR 1992, 201 (209 f.) zur Einräumung einer zivilrechtlichen Verbandsklage im Bereich des Umweltschutzes. 73 Vgl. § 8 UWG n. F. 74 Vgl. K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 291 ff.
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praeter legem erfolgende Schaffung privater Klagemöglichkeiten unberührt. Zum anderen bezwecken objektive Verhaltensnormen, die im öffentlichen Interesse aufgestellt wurden, in aller Regel den Schutz nicht nur einer bestimmten Person, sondern eines größeren Personenkreises, was zur Konsequenz hat, dass entsprechende quasinegatorische Unterlassungsansprüche nicht nur einem einzelnen Berechtigten, sondern einer größeren Gruppe von Personen eingeräumt würden, und mithin eine Art der Popularklage geschaffen würde. Es ist jedoch zu beachten, dass die beschriebenen Mechanismen zur Gewährleistung einer objektiven Normgeltung durch voneinander unabhängige Durchsetzungsbefugnisse für den Normadressaten mit ganz entscheidenden Nachteilen verbunden sind. Da sich die Rechtskraft eines von ihm erstrittenen, eine quasinegatorische Unterlassungsklage abweisenden, Urteils weder auf andere Klageberechtigte und deren quasinegatorische Ansprüche erstreckt,75 noch die Ausübung der behördlichen Durchsetzungsbefugnisse ausschließt, muss er gegebenenfalls in verschiedenen Verfahren nachweisen,76 dass das von ihm gezeigte oder beabsichtigte Verhalten nicht die in Frage stehende Norm verletzt. Gleiches gilt auch im Falle einer Verurteilung auf Grund einer quasinegatorischen Unterlassungsklage für das zivilprozessuale Vollstreckungsverfahren: Der Normadressat muss sich für ein dem Urteil nach Ansicht des Klägers widersprechenden Verhalten sowohl in diesem Verfahren als auch möglicherweise in einem Straf- oder Bußgeldverfahren verantworten. Für ihn besteht die Gefahr einer mehrfachen Sanktionierung desselben Normverstoßes. Er muss gegebenenfalls mehrfach nachweisen,77 dass er sich nicht normwidrig verhalten hat. Dass eine solche Art der Durchsetzung von objektiven Normen durch die Schaffung einer Art Popularklage auch im Bereich des allgemeinen Zivilrechts 75 Im Bereich des Wettbewerbsrechts wird heute allgemein angenommen, dass keine Rechtskrafterstreckung auf die Ansprüche anderer Klagberechtigter stattfindet, vgl. BGH, GRUR 1960, 379 (380) – Zentrale; darüber hinaus soll die Tatsache, dass ein anderer Berechtigter geklagt hat, auch das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen lassen („Mehrfachverfolgung“), vgl. BGH, GRUR 1994, 307 (308) – Mozzarella I, OLG Hamburg, WRP 1996, 31 (34); vgl. aus der Literatur Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht27 (2009), § 8 Rn. 3.25; Köhler/Piper, UWG3 (2002), § 13 Rn. 9; Köhler, WRP 1992, 359 (361 f.); Ahrens, WRP 1983, 1 (1); Tetzner, GRUR 1981, 803 (805 f.); a. A. Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (166 ff.) – Eine erfolgte Verurteilung soll aber ebenso wie eine strafbewehrte Unterlassungserklärung regelmäßig zum Wegfall der Wiederholungsgefahr und damit der materiellen Ansprüche der anderen Klagberechtigten führen, vgl. nur Baumbach/Hefermehl/Bornkamm, Wettbewerbsrecht27 (2009), § 8 Rn. 1.46 ff. 76 Nota bene: Nachweisen hier nicht in dem Sinne, dass er die Beweislast für das Unterbleiben eines Normverstoßes tragen müsste. Teile der Literatur wollen jedoch dem Vollstreckungsschuldner im Rahmen des § 890 ZPO die Beweislast für das Vorliegen von entschuldigenden Umständen aus seinem internen, vom Gläubiger nicht überschaubaren Bereich aufbürden, vgl. Stein/Jonas22 /Brehm (2004), § 890 Rn. 34 mit Nachweisen der Rspr. 77 Vgl. Fn. 76.
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trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Grundlagen dem geltenden Recht entspricht, muss entschieden verneint werden.78 Anders als im Wettbewerbsrecht oder Kartellrecht ist die Durchsetzung der abstrakten, im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit aufgestellten Verbote Aufgabe der zuständigen Ordnungs- und Strafbehörden.79 Daneben ist für eine Durchsetzung der entsprechenden Verhaltensnormen im Zivilrechtsweg weder Bedürfnis noch Raum. V. Abweichende Konzeptionen des subjektiven Rechts und der Struktur des Privatrechts Im Folgenden soll die hier entwickelte Auffassung von der Funktionsweise und Struktur des privatrechtlichen Interessenschutzes und die darauf beruhende Ablehnung von auf objektiven Verhaltensnormen beruhenden quasinegatorischen Ansprüchen gegenüber zwei abweichenden Konzeptionen verteidigt werden. Es sind dies die von v. Jhering begründete Interessentheorie des subjektiven Rechts sowie die These Raisers vom Schutz objektiver Verhaltensregeln (Institutionen) als Aufgabe des Privatrechts. 1. Die Interessentheorie v. Jherings Im vorangehenden Abschnitt wurde die Bestimmungsmacht des Berechtigten über die Geltung der ihn schützenden Ge- und Verbotsnormen als wesentliches Merkmal des subjektiven Privatrechts und damit charakteristische Eigenschaft des privatrechtlichen Interessenschutzes überhaupt herausgearbeitet. Es wurde dargelegt, dass der Zivilprozess ein auf den Schutz von subjektiven Rechten dieser Art zugeschnittenes Verfahren ist und zur Sicherstellung der Geltung objektiver Verhaltensnormen nicht geeignet ist. Dementsprechend wurde die Herleitung quasinegatorischer Ansprüche aus objektiven Verhaltensnormen des öffentlichen Rechts und des Strafrechts abgelehnt. Von einer Theorie des subjektiven Rechts, die nicht die Bestimmungsmacht des Rechtsinhabers, sondern das rechtlich geschützte Interesse in den Mittelpunkt stellt, kann mit einiger Berechtigung angenommen werden, dass sie zu Ergebnissen führt, die von der hier vertretenen Meinung abweichen. Und in der Tat hat die Interessentheorie des subjektiven Rechts bei der Entwicklung der quasinegatorischen Ansprüche und 78 Zutreffend Koppert, Unterlassungsklage (1933), S. 86 f.: „Man kann aus einem Sondergesetz, das nur für einen speziellen Zweig menschlicher Betätigung die Normen gibt, nicht allgemeine Grundsätze ableiten, die für das gesamte umfassende bürgerliche Recht gelten sollen.“ 79 Vgl. Lau, Gruchots Beitr. 47 (1903), 497 (499 f.): „Diese Aufgabe fällt dem objektiven Rechtssatz und dem zum präventiven Schutze der Rechtsordnung berufenen staatlichen Organen anheim“; Siber, Rechtszwang (1903), S. 109: die Verhütung unerlaubter Handlungen obliegt den Polizeibehörden.
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der dadurch ausgelösten rechtswissenschaftlichen Diskussion eine bedeutende Rolle gespielt: Eltzbachers Lehre von der Unterlassungsklage beruht auf einem Begriff des subjektiven Rechts,80 der den Schwerpunkt – wie es der Interessentheorie entspricht – auf den Gesichtspunkt des rechtlich geschützten Interesses legt. Die Kritiker des quasinegatorischen Rechtsschutzes hingegen haben Eltzbacher und dem Reichsgericht vor allem vorgeworfen, dass sie „subjektives Recht“ und „rechtlich geschütztes Interesse“ verwechseln würden.81 Aus diesen Gründen soll im Folgenden die Interessentheorie v. Jherings im Hinblick auf die Aussagen, die auf ihrer Grundlage zur Problematik des quasinegatorischen Rechtsschutzes getroffen werden können, einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden. a) v. Jherings Definition des subjektiven Rechts als „rechtlich geschütztem Interesse“ Subjektive Rechte sind nach der Definition Rudolf v. Jherings „rechtlich geschützte Interessen“.82 Der Begriff des Rechts werde durch ein „substantielles“ und ein „formelles Moment“ bestimmt. Das „substantielle Moment“, der Kern des subjektiven Rechts, sei „der Nutzen, Vorteil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll“.83 Zu einem Recht werde der „tatsächliche Zustand des Nutzens oder Genusses“ (faktisches Interesse) erst durch das formelle Moment, den Schutz des Gesetzes, der den Genuss rechtlich sichert.84 Für die subjektiven Rechte des Privatrechts hält v. Jhering daran fest, dass das formelle Element die Möglichkeit der Klage, d. h. „der Anrufung des zur Gewährung dieses Schutzes verpflichteten Zivilrichters“ sei und definiert das subjektive Privatrecht dementsprechend als „Selbstschutz des Interesses“.85 Das subjektive Recht v. Jherings ist somit ein Interesse, dem eine besondere Eigenschaft zukommt, nämlich diejenige, dass es vom objektiven Recht, vom Gesetz geschützt wird. Nicht der Schutz, den das objektive Recht dem Interesse zukommen lässt, sondern das (geschützte) Interesse selbst ist das subjektive Recht.86 Dies gilt uneingeschränkt auch für das subjektive Privatrecht, obwohl die Definition als „Selbstschutz des Interesses“ (das demnach der Schutz und nicht das geschützte Interesse wäre) im Widerspruch dazu steht. Inhalt des subjektiven Privatrechts ist ein vom Recht gewährter Vorteil, eine Genussmöglich-
80 81 82 83 84 85 86
Vgl. o. § 7 II. 1. b) im Text bei Fn. 42 ff. s. o. § 7 I. 1. mit Nachweisen in Fn. 9–11. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 339. Ebd. Ebd. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 353. Vgl. die Erörterung v. Jherings Lehre bei Kelsen, Hauptprobleme2 (1923), S. 572 ff.
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keit87 und nicht deren Schutz. Das Wesen des Eigentums besteht dementsprechend in der rechtlich gesicherten Möglichkeit der Benutzung einer Sache (dem uti, frui, etc.).88 Die bereits von Thon gegen v. Jherings Definition des subjektiven Rechts als „rechtlich geschütztem Interesse“ vorgebrachte Kritik, dass das subjektive Recht selbst allein das „Schutzmittel des Interesses“ ist und niemals das geschützte Interesse selbst sein könne,89 ist immer noch aktuell. Die Kontroverse, ob das subjektive Recht der Schutz oder das geschützte Interesse, ob es Form oder Inhalt (des Schutzes) ist, lebt heute vor allem in der Frage weiter, ob das Eigentum nur – wie es Binding90 formuliert hat – „das Loch im Centrum eines Normenkreises“ ist, es also allein durch ein an alle Nichtberechtigten adressiertes Störungsverbot konstituiert wird, oder ob daneben als positiver Inhalt des Eigentums eine gewährende Norm vorhanden ist, die dem Eigentümer die Nutzung der Sache als sein Recht zuweist.91 Zu den Theorien des subjektiven Rechts, die als primären Inhalt eine positive Berechtigung des Rechtsinhabers zu bestimmten Handlungen annehmen bzw. eine solche zu den Störungsverboten als dem negativen Inhalt des Rechts hinzutreten lassen, ist an dieser Stelle Folgendes zu bemerken: Zwar geht es auf der einen Seite gewiss zu weit, den positiven Inhalt des Eigentums, also die dem Eigentümer eingeräumte Möglichkeit, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren, als „juristisch irrelevante Tatsache“ zu bezeichnen.92 Die auf die Gewährung dieser Möglichkeit abzielende Zwecksetzung des Eigentums ist für den Prozess der Rechtsgewinnung von ganz enormer Bedeutung, weil das Eigentum gesetzestechnisch nicht durch Aufzählung der Beeinträchtigungen, deren Unterlassung der Eigentümer von jedem anderen verlangen kann, definiert wird, sondern umgekehrt Inhalt und Reichweite der dem Eigentümer zustehenden Abwehransprüche durch eine Abwägung der Freiheit des Eigentümers, die 87 Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 340 ff., 346: Der „Genuß des Rechts“ ist die Ausnutzung der vom Recht gewährten Vorteile. 88 Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 346 f. 89 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 218 f.; vgl. ferner Cosack, Lehrbuch Bd. 14 (1903): „nicht selber das Interesse, sondern höchstens das Mittel zum Schutz des Interesses“. 90 Binding, Krit. Vierteljahresschrift 21 (1879), 542 (563). 91 Für ausschließliche Relevanz der Ausschlussbefugnis: Aicher, Eigentum (1975), S. 53; Thon, Rechtsnorm und Subjektives Recht (1878), S. 218 ff., 288 ff.; Schloßmann, JherJb. 45 (1903), 289 (325, 327 f.); Darmstaedter, AcP 151 (1950/1951), S. 311 (334 ff.); Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), S. 137; Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 151 f.; – für Wesentlichkeit des positiven Inhalts: Zitelmann, Begriff und Wesen der sogenannten juristischen Person (1873), S. 50, 62; Wolff/Raiser, Sachenrecht10 (1957), § 51 II 1 (S. 174); Westermann, Sachenrecht5 (1966), § 28 I 2 (S. 114); Koziol, JBl 1966, 278 (279); Larenz, FS Sontis (1977), S. 129 (138 ff.); Wolff/Raiser, Sachenrecht10 (1957), § 51 II 1 (S. 174). 92 So Kelsen, Hauptprobleme2 (1923), S. 571.
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geschützt werden soll, und der allgemeinen Handlungsfreiheit des Anspruchsgegners ermittelt werden. Es wird nicht durch eine Definition des „Normenkreises“ das „Loch“ in seiner Mitte fixiert, nicht anhand der Bewehrung die bewehrte Freiheit ermittelt, sondern umgekehrt zunächst die zu schützende Freiheit determiniert, anhand deren der Umfang der erforderlichen Bewehrung bestimmt wird. Die Vertreter der Auffassung, dass die Rechtsordnung ein Gefüge von Sollensnormen und nichts als ein Gefüge solcher Normen ist, haben zwar stets betont, dass zwischen der Gesetzestechnik, dem Satz des Gesetzes und der Rechtsnorm zu unterscheiden sei.93 Aber dennoch lässt die Tatsache, dass die Rechtsnormen, aus denen sich das subjektive Recht allein zusammensetzen soll, die nicht positivierten Unbekannten sind, die erst anhand der zu schützenden Freiheit ermittelt werden müssen, daran zweifeln, dass es der Sache gerecht wird, diese den positiven Gehalt des Eigentums ausmachende Freiheit in den Bereich des rechtlich Irrelevanten, des vom Recht nicht Erfassbaren bzw. zu Erfassenden zu verweisen. Auf der anderen Seite aber kann das Recht eine Freiheit oder einen Vorteil als solchen nicht erschaffen, sondern ihn nur mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schützen,94 d. h. indem es den Nichtberechtigten ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbietet bzw. – für den Fall des subjektiven Privatrechts präziser formuliert – indem es dem Berechtigten bestimmte Ansprüche gewährt. Rechtlich geschützt ist das Interesse dabei immer nur soweit, wie dem Berechtigten entsprechende Schutzmittel zustehen. Wenn auch die Reichweite der Abwehransprüche des Eigentümers anhand der Zielsetzung des Eigentums, die Freiheit der Nutzung zu garantieren, ermittelt wird, so besteht diese Freiheit als rechtlich geschützte nur, soweit dem Berechtigten auch schließlich (am Ende des Vorgangs der Rechtsgewinnung, der Subsumtion und Abwägung) diese Abwehransprüche zur Verfügung gestellt werden. Gewähren kann das Recht dem Berechtigten allein diese Schutzmittel, niemals die Freiheit oder den Vorteil selbst. Ist der Schutz lückenhaft, so dass dem Nichtberechtigten „Schlupflöcher“ bleiben, so ist der Berechtigte vor diesen Beeinträchtigungen nicht geschützt. Sein Interesse ist insoweit ein rechtlich nicht bzw. nur unzureichend geschütztes Interesse. Wenn das Recht trotz der immensen Bedeutung des zu schützenden Interesses für den Prozess der Rechtsgewinnung in letzter Konse93 Siehe etwa Engisch, Einführung8 (1983), S. 22: „Zunächst einmal bezieht sie [die Imperativentheorie] sich natürlich nicht auf die einzelnen grammatischen Sätze in einem Gesetzbuch.“; Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (1903), S. 45: „Der Rechtssatz ist nur die zufällige Form, in der uns die Rechtsnorm entgegentritt.“; Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 107, 114: „Es ist wesentlich zwischen den ,Rechtssätzen‘ im Sinne von: in den Gesetzen niedergelegten Sätzen, und ,Rechtssätzen‘ im Sinne von Normen, Imperativen zu unterscheiden.“ (ebd. S. 107); vgl. auch Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1930), S. 341 Fn. 33 m.w. N.; Binding, Normen I4 (1922), S. 3 ff. 94 Zutreffend insoweit Engisch, Einführung8 (1983), S. 26 f.
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quenz nur den Schutz für das Interesse, aber niemals das Interesse selbst gewährt, so spricht dies zwingend gegen die Definition des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztem Interesse. b) Die Vernachlässigung von Form und Struktur des Interessenschutzes in v. Jherings Lehre vom subjektiven Recht Im Rahmen dieser Untersuchung ist vor allem die mit der Fokussierung auf den Inhalt verbundene Vernachlässigung der Form und damit der Struktur des zivilrechtlichen Schutzes von Bedeutung.95 Die Definition des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztem Interesse differenziert gerade nicht nach der Art und Weise, in der die Interessen geschützt werden. Für das subjektive Privatrecht führt v. Jhering zwar die Möglichkeit der Zivilklage und damit eine besondere Form des Schutzes als formelles Begriffsmerkmal ein. Ob mit dieser Zivilklage aber eine echte Verfügungsmöglichkeit des Berechtigten über die materielle Norm im Sinne der Willenstheorie verbunden ist oder ob es sich nur um eine zu einer objektiven Norm hinzutretende formelle Klagebefugnis handelt, bleibt dabei offen. Die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten gehört für v. Jhering gerade nicht zu den Begriffsmerkmalen des subjektiven Rechts. Er erkennt zwar an, dass eine solche Entscheidungsfreiheit bei zahlreichen subjektiven Rechten vorhanden ist, behandelt sie aber als etwas, was zum subjektiven Recht noch hinzutritt und damit gerade nicht begriffswesentlich ist. Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Untersuchung der Rechtsinhaberschaft von Willensunfähigen, bei denen die mit dem Recht verbundene Bestimmungsmacht vom Vormund ausgeübt wird.96 Aus der Tatsache, dass in diesem Fall der Willensunfähige und damit der Destinatär des Rechts und nicht der die Bestimmungsmacht ausübende Vormund als Rechtsinhaber betrachtet wird, schließt v. Jhering, dass die Bestimmungsmacht des Rechtsinhabers für den Begriff des subjektiven Rechts nicht entscheidend sei.97 Einmal abgesehen davon, dass es vor allem eine – in anderen Rechten durchaus anders gelöste98 – Frage der Konstruktion ist, ob man als Rechtsinhaber den Willensunfähigen, dessen Recht durch den Vormund nur ausgeübt wird, oder aber den Vormund, der dann bei der Ausübung seines Rechts durch den fremdnützigen Zweck gebunden ist, ansieht, ist es m. E. ein grundlegender methodischer Fehler, von einer Sonderproblematik ausgehend den Begriff des subjektiven Rechts zu bestimmen. Dass Willensunfähige nicht selbst über die Befriedigung ihrer Bedürfnisse bestimmen 95 Vgl. bereits Oertmann, DJZ 1904, Sp. 616 (619 f.): „handgreifliche Ueberspannung des ,substantiellen Momentes‘ auf Kosten der juristischen Struktur“. 96 Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 332 ff. 97 v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 332 ff. 98 Vgl. Jahr, GS Kunkel (1984), 69 (71 ff., 90, 102).
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dürfen und man sie dennoch als Inhaber von Rechten begreift, die von anderen nur ausgeübt werden, bedeutet nicht, dass das subjektive Privatrecht dem Inhaber nicht generell eine größere Bestimmungsfreiheit einräumt. So würde auch niemand bezweifeln, dass das Eigentum die Freiheit gewährt, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, nur weil dem geschäftsunfähigen Eigentümer diese Freiheit eventuell nicht zusteht. Wer den Willensunfähigen als Ausgangsfall wählt, indem er ihn seiner Begriffsbildung zugrunde legt, kann keinen Gegensatz zwischen administrativer Wohlfahrt und subjektivem Recht erkennen. Bei der Aufstellung von objektiven Normen zum Schutz eines vermeintlichen Bedürfnisses des Einzelnen und der Ausübung des subjektiven Rechts eines Willensunfähigen durch den Vormund handelt es sich unterschiedslos um Fälle der Fremdbestimmung („Bevormundung“). Die Struktur des zivilrechtlichen Schutzes wird jedoch entscheidend durch die Anerkennung der Selbstbestimmung (Autonomie) des Einzelnen geprägt, der als Inhaber subjektiver Rechte selbst über die Geltung der korrespondierenden Pflichten entscheiden und damit seine Lebensverhältnisse eigenverantwortlich gestalten kann. c) Die Trennung von Willen und Interesse in v. Jherings Lehre Die Begriffsbildung v. Jherings beruht zudem auf einer eigentümlichen Trennung von Willen und Interesse. Als Interesse bezeichnet man herkömmlicherweise eine bestimmte subjektive Einstellung einer Person zu einem Sachverhalt.99 Als ein solcher „individual-psychischer Tatbestand“100 unterscheidet sich jedoch das Interesse nicht kategorial von dem Willen: der Wille und das Interesse daran, dass sich eine dritte Person in bestimmter Weise verhält, lassen sich kaum voneinander trennen.101 Wenn man dennoch das „substantielle Moment“ des subjektiven Rechts, das Interesse, sorgsam von dem Willen scheidet, so kann man dieses nur objektiv102 in dem Sinne verstehen, dass eine be99 Vgl. v. Jhering, JherJb 18 (1880), 1 (96) selbst: „Interesse im subjectiven Sinn bezeichnet das Gefühl der Lebensbedingtheit. Der Grund, warum ich mich für eine Person, einen Gegenstand, ein Verhältnis interessiere, besteht darin, daß ich mich selbst in meinem Dasein oder Wohlsein, in meiner Zufriedenheit oder in meinem Glück von denselben abhängig fühle. Interessen sind also Lebensbedingungen im weiteren Sinne.“ 100 Kelsen, Hauptprobleme2 (1923), S. 573: „ein rein psychischer und zwar ein individual-psychischer Tatbestand, über dessen Existenz oder Nichtexistenz ausschließlich und allein der Seelenzustand eines Einzelmenschen maßgebend ist.“ 101 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme2 (1923), S. 586: „Das psychische Moment, das Jhering ,Interesse‘ nennt, dürfte mit dem psychischen Moment, das Windscheid als ,Wille‘ bezeichnet, ziemlich identisch sein.“ 102 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme des Staatsrechtslehre 2 (1923), S. 575; Kuhlenbeck, Von den Pandekten zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1 (1898), S. 69 f.: „objektiver Interessenmaßstab“; Bernatzik, AöR 5 (1890), 169 (234 f.): „das Interesse, das man . . . durchschnittlich hat.“
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stimmte Gegebenheit vom Standpunkt eines neutralen Beobachters aus vorteilhaft für den Rechtsinhaber erscheint. Damit würde aber nicht mehr das Interesse des Rechtsinhabers geschützt, sondern das des neutralen Beobachters – des Gesetzgebers – daran, dass dem Rechtsinhaber als Destinatär bestimmte vermeintliche Vorteile zugute kommen bzw. vom objektiven Standpunkt aus angenommene Bedürfnisse des Rechtsinhabers befriedigt werden. Das subjektive Privatrecht schützt aber nicht objektive, „wohlverstandene“ Interessen des Rechtsinhabers, sondern gewährt ihm die Möglichkeit, seine tatsächlich vorhandenen Interessen zu schützen bzw. seinen Willen umzusetzen. Das subjektive Recht ist insoweit eine Willensmacht, weil es dem Rechtsinhaber die Möglichkeit einräumt, seinen Willen (bzw. sein Interesse daran), dass der Anspruchsgegner etwas tut oder unterlässt, mit den Mitteln des Rechtszwangs in die Realität umzusetzen. Die Polemik v. Jherings gegen die Interessentheorie, die „die Freude an der reinen Macht“, den „Hochgenus, einen Willensakt vorzunehmen“ schütze, ist unberechtigt.103 Die Willenstheorie des subjektiven Rechts trägt nur konsequent dem Umstand Rechnung, dass allein der Berechtigte entscheiden kann, ob etwas für ihn von Vorteil, Nutzen oder Interesse ist, und das Recht daher seinen Willen für beachtlich erklärt. Wer diese Beachtlichkeit des individuellen Willens mit dem Schutz von Willkür gleichsetzt, übersieht, dass nirgends behauptet wird, dass diese Willensmacht eine unbegrenzte ist: Die Willenstheorie erklärt genauso wenig jeden Willen des Rechtsinhabers für beachtlich, wie nach der Interessentheorie jedwedes Interesse geschützt wird. Was das Recht im Einzelnen schützt, welchen Willen und welche Interessen, lässt der abstrakte Begriff des subjektiven Rechts in jedem Falle offen. d) v. Jherings Abgrenzung des subjektiven Rechts zur unbeabsichtigten bloßen Reflexwirkung Dass die Art und Weise des Interessenschutzes von nur nachrangiger Bedeutung für die Annahme eines subjektiven Rechts im Sinne der Definition v. Jherings ist, zeigt sich vor allem im Bereich des öffentlichen Rechts. Hier nimmt v. Jhering in den späteren Auflagen des „Geist[s] des römischen Rechts“ ein subjektives Recht auf Leben und Freiheit an, das ausdrücklich in seiner Existenz unabhängig sein soll von der Form des Schutzes, den diese Rechtsgüter
103 Vgl. auch Coing in: ders./Lawson/Grönfors, Das subjektive Recht und der Schutz der Persönlichkeit (1959), S. 7 (21): v. Jhering habe sich „über die alten Definitionen des subjektiven Rechts in ziemlich plumper Weise lustig gemacht“. Die Kritik sei jedoch „nicht sehr entscheidend“, weil Schutz der Freiheit und Interessenschutz keinen Gegensatz bildeten. „Das einzelne subjektive Recht schützt“, so Coing, „sicherlich spezifische Einzelinteressen, aber es schützt sie eben, weil die Rechtsordnung im ganzen die menschliche Freiheit auch in Richtung auf die in Rede stehenden Interessen schützen will.“
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durch das momentan geltende Recht erhalten.104 Aufgrund des Verzichts auf das Erfordernis einer Klagebefugnis und damit der expliziten Einräumung einer Rechtsmacht durch das objektive Recht hat v. Jhering Schwierigkeiten zu begründen, warum nicht auch andere öffentlich-rechtliche Normen (Schutzzölle im Interesse bestimmter Industriezweige), die bei unbefangener Betrachtung Belange des Einzelnen schützen sollen, subjektive Rechte des Einzelnen begründen. Bei einer Abstraktion des Begriffs des subjektiven Rechts von der Art und Weise des Interessenschutzes muss sich konsequenterweise das Nichtvorliegen eines subjektiven Rechts aus der Beschaffenheit des geschützten Interesses ergeben. Dass den Schutzzollvorschriften keine subjektiven Rechte der geschützten Produzenten korrespondieren, begründet v. Jhering dementsprechend damit, dass der Staat diese Gesetze „in Wirklichkeit“ nicht im Interesse der Produzenten, sondern in seinem eigenen Interesse erlassen habe, und bedient sich damit eines Erklärungsmusters, das bis heute die praktische Anwendung der Schutznormtheorie im öffentlichen Recht prägt (Normen, die keine subjektiven Rechte des Einzelnen begründen, obwohl ihre Anwendung augenscheinlich dem Einzelnen bestimmungsgemäß zugute kommt, werden als allein das „öffentlichen Interesse schützend“ interpretiert, um so auf dem Boden der Schutznormtheorie das richtige Ergebnis zu begründen105). Die von v. Jhering anhand einer Untersuchung des Privatrechts gewonnene Unterscheidung zwischen subjektivem Recht und unbeabsichtigter Reflexwirkung lässt sich nicht auf das öffentliche Recht übertragen. Anders als im Privatrecht, wo das Interesse des Einzelnen nur in der Form von subjektiven Rechten, d. h. durch Einräumung einer Klagemöglichkeit zur eigennützigen Verwendung, geschützt wird, und wo, wenn eine solche Klagemöglichkeit nicht vorhanden ist, ein faktisches, d. h. rechtlich nicht geschütztes Interesse vorliegt, dem allenfalls „Reflexwirkungen“ von Rechten Dritter zugute kommen, bestehen im Bereich des öffentlichen Rechts Normen zum Schutz vermeintlicher Interessen des Einzelnen, ohne dass dem geschützten Einzelnen eine Klagemöglichkeit oder vergleichbare Durchsetzungsbefugnisse zustehen. Die Geltung dieser Normen wird vielmehr „fremdnützig“ zum Schutz der einzelnen Destinatäre durch Verwaltungsbehörden, denen die entsprechenden Befugnisse zustehen, sichergestellt. Um das als richtig empfundene Ergebnis, dass bei einer solchen Konstellation kein subjektives Recht vorliegt, zu rechtfertigen, ist die Interessentheorie dazu gezwungen, die Interessenwahrnehmung durch die Behörden als „eigennützige“, allein das im Gegensatz zum Privatinteresse stehende „öffentliche Interesse“ verfolgende, aufzufassen, um den Schutz des Einzelnen sodann als reine Reflexwirkung kennzeichnen zu können.
104 Siehe v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 352: „Nur die Form des Schutzes ist in der modernen Welt . . . eine andere geworden, aber den Charakter eines Rechts hat es dadurch nicht eingebüßt . . .“. 105 Vgl. Dietlein, DVBl 1991, 685 (687 f.).
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In einem ganz anderen Sinne trifft es allerdings zu, dass bei individualschützenden Normen, denen kein subjektives Recht des geschützten Individuums gegenübersteht, allein das Interesse des Staates geschützt wird: Wenn man zwischen Träger und Destinatär des Interesses unterscheidet und damit anerkennt, dass das Interesse eines Subjekts (des Trägers) auch darauf gerichtet sein kann, eine andere Person (den Destinatär) zu begünstigen, so ist diese Art des rechtlichen Schutzes Ausdruck eines staatlichen, „öffentlichen“ Interesses daran, dass vermeintliche Bedürfnisse von bestimmten Individuen (als Destinatären des öffentlichen Interesses) geschützt werden. Ob dementsprechend der Einzelne als Träger eines bestimmten Interesses oder aber nur als Destinatär des staatlichen Interesses geschützt wird, lässt sich den materiell formulierten Ge- und Verbotsnormen jedoch nicht entnehmen, sondern allein aufgrund des verfahrensrechtlichen Kontextes bestimmen, d. h. danach, ob dem Einzelnen die (ausschließliche) Befugnis zur Geltendmachung der entsprechenden Norm (insb. im Wege der Zivilklage) eingeräumt wurde oder ob diese allein durch Verwaltungsbehörden durchgesetzt wird, ohne dass der geschützte Einzelne einen Einfluss darauf hätte. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen den „lediglich durch die Staatsbehörden geschützten Interessen“, denen subjektive Rechtsqualität zukommt, und den reinen Reflexwirkungen der allein im staatlichen Interesse erlassenen Gesetzesnormen ist nach v. Jhering die „Möglichkeit der Konstatierung einer individuellen Rechtsverletzung“.106 Diese Möglichkeit sei, wie z. B. im Falle der Schutzzölle, dort nicht gegeben, wo sich „die Wirkungen der mangelhaften Handhabung des Gesetzes . . . ins Allgemeine, Unbestimmte“ verlieren.107 Auf die Ungeeignetheit dieses bei formeller Betrachtung auf einer Tautologie (das Recht wird durch die Möglichkeit seiner Verletzung definiert) beruhenden Unterscheidungskriteriums, insbesondere darauf, dass man auch in dem von v. Jhering gewählten Beispiel der Verletzung des Zollgesetzes durchaus eine individuelle Rechtsverletzung einzelner Produzenten des jeweiligen Produktes feststellen kann, hat bereits Kelsen hingewiesen.108 Darüber hinaus ist die Ablehnung eines subjektiven Rechts durch v. Jhering in diesem Falle schon deshalb widersprüchlich, weil sich hier zumindest ein „Gesamt- oder Gemeinrecht“109 aller Produzenten des jeweiligen Produktes annehmen ließe. Ein solches „Gesamt- oder Gemeinrecht“, dessen Charakter durch die „ungeteilte [. . .] und unteilbare [. . .] Gemeinsamkeit des Genusses“ geprägt ist,110 nimmt 106
v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 353. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 353. 108 Kelsen, Hauptprobleme2 (1923), S. 580 f.; vgl. aber Hart, Essays on Bentham (1982), S. 177 ff., 181. 109 Vgl. zur Einteilung der Rechte in „Individualrechte“ und „Gemein- oder Gesamtrechte“ v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 363 ff. 110 v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 363 f. 107
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v. Jhering für den Gemeingebrauch an,111 obwohl sich die Interessen auch hier – wie er selbst ausdrücklich feststellt112 – „ins Unbestimmte, Allgemeine“ verlieren. Die Beschädigung einer öffentlichen Straße113 hat für die Verkehrsteilnehmer eine vergleichbare Breitenwirkung wie die Verletzung von Zollvorschriften für die einzelnen Produzenten. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Konstellationen ist in Wahrheit allein ein formeller, der darin besteht, dass das römische Recht im Falle der Beschädigung öffentlicher Straßen eine Popularklage gewährte, während die Zollvorschriften nach heutigem Recht allein von Behörden durchgesetzt werden. Ein entscheidendes Kriterium ist die „Möglichkeit der Konstatierung einer individuellen Rechtsverletzung“ allerdings für den Gesetzgeber im Hinblick auf die technische Ausgestaltung des Rechtsschutzes. Soll dieser auf dem Prinzip des Ausschlusses des Popularrechtsschutzes aufbauen, so muss der Gesetzgeber zunächst gedanklich eine Abgrenzung der zu schützenden Interessensphären der einzelnen Personen vornehmen. Davon ausgehend muss er sich die Frage stellen, ob bestimmte als interessenverletzend eingeschätzte Tätigkeiten nur eine bestimmte Person in der ihr gedanklich zugeordneten Interessensphäre verletzen oder ob sie die Interessen vieler Personen und damit der Allgemeinheit beeinträchtigen. Wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass durch die betreffende Tätigkeit nur jeweils eine bestimmte Person in ihrer Interessensphäre individuell betroffen ist, kann er dieser Person die entsprechende Verbotsnorm zu ihrer freien Verfügung überlassen, d. h. ihr ein subjektives Privatrecht auf Unterlassung verleihen. Ist von der in Frage stehenden Tätigkeit nicht das Interesse einer bestimmten Person individuell beeinträchtigt, sondern verletzt sie die Interessen einer Vielzahl von Personen in gleicher Art und Weise, so würde durch die Einräumung von subjektiven Privatrechten an jede dieser Personen eine Art Popularklage geschaffen. Ein Gesetzgeber, der dies vermeiden will, wird daher das entsprechende Verbot, dessen Beachtung im allgemeinen, d. h. öffentlichen Interesse steht, von Verwaltungsbehörden durchsetzen lassen, denen er zu diesem Zweck die entsprechenden Durchsetzungsbefugnisse verleiht.
111
Ebd. S. 348, 364 o. Ebd. S. 355. 113 Vgl. D. 43.8.2.20: Ait praetor: „in via publica itinereve publico facere immittere quid, quo ea via idve iter deterius sit fiat, veto“ („Der Prätor sagt: ich verbiete auf einer öffentlichen Straße oder [auf einem öffentlichen] Wege etwas zu unternehmen und hineinzuschieben, wodurch diese Straße oder dieser Weg schlechter wird.“; Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Iuris civilis, Bd. 4 (1832)); als Beispiel einer Popularklage angeführt von v. Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 3 (1894), S. 355 Fn. 465. 112
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e) Keine Einordnung der Interessentheorie v. Jherings als Kombinationstheorie Die Bewertung, dass bereits v. Jherings Lehre eine Kombinationstheorie war,114 ist zurückhaltend zu beurteilen. Elemente der Willenstheorie kann man in der Lehre v. Jherings nur dann erkennen, wenn man das für die Willenstheorie entscheidende Moment der Beachtlichkeit des individuellen Willens des Rechtsinhabers auf den freien Gebrauch der Klagemöglichkeit verkürzt. Nach der Willenstheorie verleiht jedoch das subjektive Recht eine Bestimmungsmacht über die Geltung der materiellen Norm.115 Nach der Interessentheorie v. Jherings dagegen reicht jedenfalls eine formelle Klagemöglichkeit für die Annahme eines subjektiven Rechts aus. Aufgrund dieser fundamentalen Differenz sollte man es m. E. vermeiden, v. Jherings Lehre als Kombinationstheorie zu bezeichnen. Zutreffend ist allerdings, dass die heutigen Formeln der Kombinationstheorie keinen wirklichen Fortschritt gegenüber v. Jherings Begriff des subjektiven Rechts bedeuten.116 Auch sie117 lassen es letztlich vollkommen offen, ob die Willensmacht beim subjektiven Recht eine echte Entscheidungsfreiheit oder nur eine formelle Klagebefugnis ist. f) Der Einfluss v. Jherings Interessentheorie auf den quasinegatorischen Rechtsschutz Der Einfluss von v. Jherings Interessentheorie auf die in dieser Arbeit untersuchte Fragestellung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass quasinegatorischer Rechtsschutz letztlich eine Suche nach noch unentdeckten subjektiven Privatrechten außerhalb der Normen des (objektiven) Privatrechts ist. Daher ist die von der Willenstheorie abweichende Schwerpunktsetzung der Interessentheorie, die das geschützte Interesse und nicht die Ausgestaltung des Schutzes in den Mittelpunkt rückt, durchaus von Bedeutung. Sie legt es zumindest nahe, dass nicht unbedingt nach ausdrücklichen Klagebefugnissen gesucht werden muss, sondern es gegebenenfalls zur Annahme eines subjektiven Rechts ausreicht, dass das schützenswerte Interesse anderweitig von der Rechtsordnung anerkannt wird.118 Offensichtlich wird dies bei Eltzbacher: Indem er aus dem 114
Wagner, AcP 193 (1993), 319 (341). s. o. § 11 I. 116 Vgl. Wagner, AcP 193 (1993), 319 (340): „An derjenigen Variante der Kombinationstheorie, die den Begriff des subjektiven Rechts mit Hilfe des Willens- und des Interessenmoments bestimmt, verblüfft nicht so sehr ihr Inhalt, sondern der Glaube mancher ihrer Vertreter, sie würden das Konzept Jherings modifizieren, indem sie das Willenselement einbeziehen.“ 117 Nachweise von Vertretern von „Kombinationstheorien“ o. Fn. 5. 118 Vgl. Kasper, Das subjektive Recht (1967), S. 143: die Befugnis des Berechtigten zur Geltendmachung sei normalerweise nicht präzise geregelt; vgl. zu diesem Aicher, Eigentum (1975), S. 22. 115
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Begriff des subjektiven Rechts mehr herausholt (die Klagebefugnis) als er vorher bei seiner Definition (keine Klagebefugnis zur Annahme eines subjektiven Rechts erforderlich) in ihn hineingelegt, unterläuft ihm der typische119 Fehler der Begriffsjurisprudenz. Es ist zwar kaum anzunehmen, dass v. Jhering im Bereich des Privatrechts ein vergleichbarer Fehler unterlaufen wäre. Allerdings muss bemerkt werden, dass die Annahme von subjektiven öffentlichen Rechten in Fällen, wo keine ausdrückliche Klagebefugnis bestand, auch damals wohl nicht nur von theoretischer Bedeutung war, sondern – auch wenn es noch keine den Verwaltungsgerichtsweg allgemein eröffnende Generalklausel gab – zumindest als Argument für die Schaffung entsprechender Rechtsschutzmöglichkeiten relevant war. Die heute zur Ermittlung subjektiver öffentlicher Rechte herrschende Schutznormtheorie stimmt übrigens in ihrer praktischen Handhabung weitgehend mit der Lehre Eltzbachers überein: Auch nach der Schutznormtheorie ist es keineswegs so, dass der Begriff des subjektiven Rechts keine Klagebefugnis beinhaltete. Verzichtet wird vielmehr nur auf die ausdrückliche gesetzliche Einräumung einer solchen Möglichkeit, um sodann bereits aus dem Vorliegen einer drittschützenden Norm auf ein subjektives Recht und in dessen Konsequenz (Art. 19 Abs. 4 GG) auf eine Klagemöglichkeit zu schließen. 2. Die These Raisers vom Institutionenschutz als Aufgabe des Privatrechts Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Aufgabe des Privatrechts der Schutz subjektiver Rechte in dem oben dargestellten Sinne. Dies bedeutet zugleich, dass das Privatrecht kein Mittel für den Staat oder die Gesellschaft ist, bestimmte objektive – unabhängig vom Willen einzelner, speziell betroffener Privatrechtssubjekte Geltung beanspruchender – Verhaltensnormen durchzusetzen. Raiser ist diesem, der klassischen Privatrechtskonzeption entsprechenden und hier geteilten Standpunkt mit der These entgegengetreten, dass es neben dem Schutz subjektiver Rechte auch Aufgabe des Privatrechts sei, solche objektiven Verhaltenregeln – sog. „Institutionen“ – zu schützen und durchzusetzen.120 Der Widerlegung dieser These gilt der folgende Abschnitt.
119 Vgl. zu dem Vorwurf gegenüber der Begriffsjurisprudenz, „aus Begriffen mehr herauszuholen, als bei ihrer Bildung hineingelegt wurde“ Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 11. 120 Ähnlich Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte (1970), S. 122 ff.; vgl. ferner Grosch, Rechtswandel und Rechtskraft (2002), S. 52.
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a) Der privatrechtliche Anspruch als angebliches Mittel auch zum Zweck des Institutionenschutzes Im Rahmen seiner Institutionenlehre ordnet Ludwig Raiser die quasinegatorischen Ansprüche als Mittel des Institutionenschutzes ein.121 Grundlage dieser Einordnung ist die von Raiser vorgenommene Unterscheidung zwischen primären und sekundären subjektiven Rechten – eine Begriffsbildung, die später von K. Schmidt122 übernommen wird. Neben die „primären, die Rechtsordnung strukturierenden“ Rechte, zu denen Raiser insbesondere die sog. absoluten Rechte, Forderungen und Mitgliedschaftsrechte zählt, treten Ansprüche und Gestaltungsrechte, die als Rechte „sekundärer“ Natur nur „Werkzeuge der Rechtstechnik“ zum „Schutz“ und zur „Verwirklichung“ der primären Rechtsstellungen sind. Von „rechtspolitischer Bedeutung“ ist für Raiser dabei, dass die sekundären Rechte nicht nur dem Schutz primärer subjektiver Rechte, sondern auch dem von Rechtsinstituten dienen können.123 Der Begriff des Rechtsinstituts soll dabei „im Sinne eines vom objektiven Recht geordneten typischen Lebensverhältnisses zu verstehen sein.124 Die Sicherung solcher objektiver Verhaltensregelungen soll neben dem Schutz subjektiver Rechte gleichwertige Aufgabe des Privatrechts sein.125 Dieses könne „sich nicht damit begnügen, die Rechtssphären von Individuen gegeneinander abzugrenzen und zu schützen oder Verträge zu sanktionieren, die im herrschaftsfreien Raum zwischen diesen Individuen zur selbstverantwortlichen Ordnung ihrer Beziehungen geschlossen werden“,126 sondern müsse auch objektive Verhaltensregeln für die „überindividuellen Ordnungen“ des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens aufstellen, in die der Einzelne durch das Recht „einzufügen“ ist und innerhalb deren er „eine Gliedstellung einnimmt“.127 Die auf Institutionen bezogenen sekundären Rechte wer121
Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (155 f.); vgl. auch ders., JZ 1961, 465
(472). 122 Vgl. K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 314 ff., der „Raisers Sprachregelung“ dahingehend korrigieren will, „daß ,sekundäre‘ subjektive Rechte ,sekundär‘ nicht im Hinblick auf ihre Anknüpfung an ,primäre‘ subjektive Rechte, sondern im Hinblick auf ihre Anlehnung an objektivrechtliche Pflichten sind.“; angesichts der Tatsache, dass schon bei Raiser die sekundären Rechte nicht ausschließlich Schutzmittel primärer subjektiver Rechte sind, sondern in gleichem Maße dem Schutz von Institutionen und damit objektiver Verhaltensregeln dienen sollen, kann kaum ein Unterschied zu Raisers Sprachgebrauch festgestellt werden. Zu K. Schmidt ausführlich o. § 7 II. 4. 123 Vgl. Raiser, JZ 1961, 465 (466 f., 472). 124 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (148). 125 Vgl. Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (148): „Privatrecht . . . an zwei Systemgedanken orientiert“ und ebd. S. 167: „zwei gleichwertige Prinzipien“; ders., JZ 1961, 465 (472): „Ethisch und politisch gleich wichtig.“ 126 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (146). 127 Siehe Raiser, JZ 1961, 465 (472): „Ethisch und politisch gleich wichtig . . . ist es, den Einzelnen auch durch das Recht in die ihn übergreifenden, mit anderen verbin-
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den dem Einzelnen nicht um seiner Person willen, „sondern als Mittel zum Zweck des Institutsschutzes“ gewährt.128 Er mache diese Ansprüche „als Funktionär [. . .] der Gesamtrechtsordnung“ geltend129 bzw. das „objektive Recht bedien[e]“ sich seiner zur Wiederherstellung der objektiven Ordnung.130 Die ideologisch geprägte und gegen die liberale Tradition des Privatrechts gewandte Konzeption Raisers131 steht in diametralem Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung des Privatrechts. Das Privatrecht ist kein Mittel, um einzelnen Privatpersonen durch Aufstellung objektiver Verhaltensnormen eine bestimmte Ordnung und Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse vorzuschreiben. Das Privatrecht ordnet nicht und gestaltet nicht, sondern gibt den Einzelnen durch Gewährung subjektiver Rechte und Anerkennung der Privatautonomie die Instrumente in die Hand, mit denen sie ihre Lebensverhältnisse eigenverantwortlich selbst gestalten können. Diese subjektiven Rechte werden dem Einzelnen ausschließlich in seinem eigenen Interesse verliehen. Dies ergibt sich in letzter Konsequenz aus der Ausgestaltung des Zivilprozessrechts, das die Entscheidung über die Erhebung einer Klage und die Geltendmachung des materiellen Rechts allein dem Berechtigten überlässt. Selbst in den seltenen132 Fällen, in denen ein Privatrecht unverzichtbar ist, kann der Berechtigte auf die klageweise Geltendmachung dieses Rechts verzichten und dem Verpflichteten – ohne dass die staatliche Gemeinschaft eine Handhabe dagegen hätte – einen Normenverstoß ermöglichen. Insbesondere darf auch die scheinbar so „objektive“ Nichtigkeit von Verträgen nach §§ 134, 138 BGB nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vertragsparteien – jedenfalls zivilrechtlich – nicht daran gehindert sind, den vereinbarten Leistungsaustausch faktisch durchzuführen und ihre Rückforderungsansprüche aus den §§ 812 ff. BGB nicht geltend zu machen. Auch wenn der Gesetzgeber in die Abwägung der widerstreitenden Interessen hat miteinfließen lassen, dass die Einhaltung bestimmter Verpflichtungen auch dem Allgemeininteresse förderlich ist, so ändert dies nichts daran, dass die Entscheidung über die prozessuale Geltendmachung allein dem Berechtigten überlassen ist, und der
denden, als Ordnungsgefüge geregelten Wirkungszusammenhänge auszubilden und zu sichern, in denen der Einzelne eine Gliedstellung einnimmt.“; ders., in: Summum ius (1963), S. 145 (165): „Hier geht es . . . um diejenigen Ordnungsgefüge, die den festen Rahmen für unser gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben abgeben, in die der Einzelne also, soweit er an diesem Leben teilnimmt, notwendig eingefügt ist.“ 128 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (159). 129 Ebd. S. 159. 130 Ebd. S. 155. 131 Vgl. Raiser, JZ 1961, 465 (473): „Aufgabe . . ., der sich die Rechtswissenschaft hier in Ablösung von der liberalen Tradition stellen muß.“; vgl. auch ebd. S. 468 und ders., in: Summum ius (1963), S. 145 (146, 165). 132 In aller Regel kann der Berechtigte nur nicht im Voraus, wohl aber nach Entstehung auf seine Rechte verzichten; so z. B. der Käufer auf seine Gewährleistungsansprüche beim Verbrauchsgüterkauf, vgl. § 475 Abs. 1 und 2 BGB.
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Anspruch daher in diesem Sinne ihm allein zum Schutz seines Interesses gewährt worden ist. Um die Geltung von „objektiven“, im Interesse der Allgemeinheit aufgestellten Privatrechtspflichten sicherzustellen, müsste daher entweder der Zivilprozess entsprechend umgestaltet werden oder neben diesem weitere (behördliche) Verfahren zur Durchsetzung jener Pflichten etabliert werden,133 was zu den oben aufgezeigten Problemen der Abstimmung verschiedener Verfahren führt.134 In diesem Kontext fragt sich nicht nur der „ungeduldige Praktiker“135 nach der Quintessenz der Forderung, dass das Privatrecht auch dem Schutz objektiver Institutionen dienen müsse. Solange man – wie wohl auch Raiser136 – daran festhält, die Erhebung der Klage und die Durchführung des Zivilprozesses allein der Initiative des „in seinen Interessen betroffenen Einzelnen“137 zu überlassen, bleibt, worauf bereits Jauernig138 in aller Deutlichkeit hingewiesen hat, die Annahme, dass bestimmte Ansprüche dem Berechtigten nicht um seiner Person willen, sondern ausschließlich im Allgemeininteresse „als Mittel zum Zweck des Institutsschutzes“ verliehen werden, konsequenz- und damit auch inhaltslos. Da sich das Anliegen Raisers gewiss nicht darauf beschränkt, aufzuzeigen, dass die Ausübung subjektiver Rechte mitunter für die Allgemeinheit positive Auswirkungen hat, die man im wirtschaftlichen Kontext als „gesamtwirtschaftlich“ positive Effekte bezeichnen würde, verlangt die Auffassung, dass das materielle Recht auch objektive Institute schützt, geradezu nach einer Ergänzung durch eine zivilprozessuale Lehre, die den Zweck des Prozesses (auch) in der Bewahrung objektiven Rechts sieht und durch eine entsprechende Ausgestaltung des Zivilprozesses für die Verwirklichung des im materiellen
133
s. o. § 11 IV. im Text zu Fn. 69 ff. Vgl. o. § 9 V. 135 Vgl. Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (159): „Ich bin längst auf den ungeduldigen Einwand des praktischen Juristen gefaßt, was denn die Unterscheidung zwischen Einzelrechts- und Institutsschutz im Ergebnis austragen solle, da doch die Folgen . . . ganz die gleichen sind.“ 136 Vgl. Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (155): „Grundprinzip des Privatrechts . . ., daß es der Initiative eines in seinen Interessen betroffenen Einzelnen bedarf, um diesen Schutz wirksam werden zu lassen.“; vgl. auch bereits Raiser, ebd. S. 153 a. E. 137 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (155). 138 Vgl. Jauernig, JuS 1971 329 (331 f.): „Verlangt jemand im Prozeß eine Sache heraus, so ist es sinnlos anzunehmen, er schütze damit als Funktionär der ,Gesamtrechtsordnung‘ zugleich die Institution ,Eigentum‘. Solche Annahme bliebe ebenso folgenlos wie die Behauptung, der Prozess bezwecke den Schutz subjektiver Rechte und damit auch des objektiven Rechts.“ (Hervorh. im Original); unreflektiert dagegen Medicus, Allg. Teil9 (2006), Rn. 72: „Auch mit dem Institutionenschutz sind das subjektive Recht und dessen Schutz keineswegs unvereinbar. So dient der Schutz des konkreten Eigentums oder konkreter Vereinigungen zugleich dem Schutz der Institutionen ,Eigentum‘ oder ,Vereinigungsfreiheit‘ “. 134
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Recht begründeten Gemeinschaftsschutzes Sorge trägt.139 Eine solche Ausgestaltung des Zivilprozesses, die die Dispositionsfreiheit der Parteien über das Verfahren (teilweise) beseitigen würde, ist jedoch kategorisch abzulehnen. b) Keine Belege für Institutionenschutz im Bürgerlichen Recht Die von Raiser angeführten Beispiele lassen sich nicht als gesetzlich geregelte Fälle eines bürgerlich-rechtlichen Institutionenschutzes interpretieren. Am wenigsten eignet sich der Besitzschutz als Beleg dafür, dass im Rahmen des Bürgerlichen Rechts auch „vom objektiven Recht geordnete[. . .] typische[. . .] Lebensverhältnisse[. . .]“140 geschützt werden. Es ist zwar richtig, dass das Verbot der Eigenmacht als Ausprägung des allgemeinen Gewaltverbots (bzw. aus umgekehrter Perspektive formuliert: des staatlichen Gewaltmonopols) die Grundregel für jede entwickelte Rechtsordnung darstellt. Von dem Schutz einer durch objektive Verhaltensregeln konstituierten „Besitzordnung“ kann im Rahmen des Bürgerlichen Rechts dennoch nicht die Rede sein. Schon begrifflich setzt die verbotene Eigenmacht als zentrale Voraussetzung des Besitzschutzes eine Handlung voraus, die ohne einen diese Handlung gestattenden Willen des Besitzers (§ 858 Abs. 1 BGB) vorgenommen wird. Insofern ist die Eigentumsstörung eine Verletzung des Besitzwillens (im Sinne eines Widerspruchs zur Bestimmungsmacht des Besitzers und nicht zu einem aktuellen oder mutmaßlichen entgegenstehenden Willen des Besitzers) und gerade kein Verstoß gegen eine „objektive“, d. h. in ihrer Geltung vom Willen des Besitzers unabhängige Verhaltensnorm. Im Übrigen lässt sich der durch verbotene Eigenmacht erlangte gesicherte Besitz nicht als Störung einer objektiven Besitzordnung begreifen. Einen Verstoß gegen das objektive, im Allgemeininteresse stehende Gewaltverbot, der im Übrigen keineswegs in allen Fällen mit öffentlicher Strafe bedroht ist, stellt allein die verbotene Eigenmacht selbst, nicht aber der durch sie geschaffene Besitzzustand dar. Es gibt keine objektive Regelung, die die Beseitigung des fehlerhaften Besitzzustandes im Sinne einer Wiederherstellung der gestörten objektiven – eventuell sogar im Widerspruch zur dinglichen Besitzrechtslage stehenden – (Besitz-)Ordnung fordern würde. Vielmehr geben die §§ 861, 862 BGB dem früheren Besitzer ein Mittel zur Wiederherstellung des ihm widerrechtlich entzogenen Besitzes an die Hand, von dem er nach seinem
139 In diesem Sinne Stein/Jonas17 (1949–1960), Vor § 1 Einl. D. I., ferner Schönke, Rechtsschutzbedürfnis (1950), S. 11 f. („so kommt es bei ihm auf die Verwirklichung des objektiven Rechts an; es ist nicht der Zweck des Zivilprozesses, ,dem einzelnen behilflich zu sein zur Ausübung und Durchsetzung seines Privatrechts‘“); de Boor, Auflockerung (1939), 35 ff.; Bülow, ZZP 27 (1900), 201 (221); Sauer, Grundlagen (1929), § 3 III 1 b (S. 44). Gegen diese Tendenzen Pohle, FS Lent (1957), 195 (197 ff.); Brehm, FS BGH (2000) Bd. 3, 89 (91 ff.). 140 Vgl. o. § 11 V. 2. a) Fn. 124 und im Text dazu.
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freien Belieben (und auf sein eigenes Risiko141) Gebrauch machen kann und das ihm dementsprechend allein in seinem eigenen Interesse verliehen ist. Die Annahme, dass sich im Falle des Besitzschutzes „das objektive Recht . . . nur des zufällig betroffenen Besitzers“ bedient, „um . . . die gestörte Ordnung wiederherstellen zu lassen“,142 berücksichtigt zudem nicht, dass das allgemeine Gewaltverbot nicht allein im Interesse der abstrakten Allgemeinheit, sondern vor allem im individuellen Interesse des Betroffenen besteht. Allein diese individualschützende Komponente findet in den Besitzschutzansprüchen des BGB ihren Ausdruck. An der Annahme Raisers, dass die Sicherung der Rechtsinstitute des Privatrechts „einer der Zwecke“ des § 823 Abs. 2 BGB sei, ist allein richtig, dass die Schadensersatzpflicht aus der Sicht des Verpflichteten eine Sanktion des Normverstoßes darstellt und dementsprechend eine präventive Wirkung haben kann, die vom Gesetzgeber im Sinne eines erwünschten Nebeneffekts durchaus mitbeabsichtigt worden sein kann.143 Dies ändert jedoch nichts daran, dass es dem Geschädigten allein überlassen bleibt, ob er den ihm zustehenden Schadensersatzanspruch geltend macht. Er kann sich bei dieser Entscheidung allein von seinen individuellen Zwecken leiten lassen und muss dabei Gemeinschaftsinteressen keine Rechnung tragen. Auch der Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist dem Berechtigten daher in seinem alleinigen Interesse verliehen. Die Annahme, dass die Gewährung solcher Ansprüche über die Tatsache hinaus, dass die Schadensersatzpflicht de facto wünschenswerte generalpräventive Effekte haben kann, den Schutz der objektiven Verbotsnormen bezwecken würde, bliebe in dem oben bezeichneten Sinne inhaltslos und ist daher zurückzuweisen. c) Die fehlende Überzeugungskraft des soziologischen und theologischen Begründungsversuchs Raisers Weder die soziologische noch die theologische Begründung Raisers für die Erforderlichkeit eines Institutsschutzes im Bürgerlichen Recht können überzeugen. Zwischen dem soziologischen Befund, dass das Zusammenleben zwischen Menschen bestimmte Formen annimmt und sich im Rahmen empirischer Be141 Selbst wenn man eine petitorische Widerklage für nicht statthaft hält, muss der Besitzer damit rechnen, im Anschluss an die Wiedererlangung des Besitzes auf Herausgabe und gegebenenfalls auch Schadensersatz verklagt zu werden. 142 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (154). 143 Damit soll keinesfalls gesagt sein, dass der Gesetzgeber dem § 823 Abs. 2 BGB eine „Präventionsfunktion“ oder „Sanktionsfunktion“ beilegen wollte. Die Frage, ob das Deliktsrecht neben der Ausgleichsfunktion auch solche Ziele mitverfolgt, ist bekanntlich umstritten. Nach h. L. steht die Ausgleichsfunktion jedenfalls ganz im Vordergrund.
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trachtung bestimmte Ordnungsmuster erkennen lassen144 und der – abzulehnenden – rechtspolitischen Forderung, dass es für den Einzelnen zur Rechtspflicht wird, sich in die Gemeinschaft und bestehende Ordnungen einzufügen, besteht ein fundamentaler Unterschied. Auch durch den Verweis auf die protestantische Sozialethik145 kann eine stärkere Pflichtenbindung im Bürgerlichen Recht nicht gerechtfertigt werden. Hier muss scharf zwischen einer Verantwortung gegenüber Gott im Rahmen der Religion und der rechtlichen Verantwortung gegenüber dem Staat unterschieden werden. Auch wenn man die Überzeugung teilt, dass das Eigentum ein von Gott nur anvertrautes Gut, ein Lehen ist, über dessen Verwaltung der Einzelne Rechenschaft abzulegen hat,146 kann man daraus nicht folgern, dass der Einzelne dem Staat gegenüber in gleicher Weise verantwortlich wäre. Eine solche umfassende Pflicht zur Rechenschaft über die Verwendung des Eigentums würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass man für den Staat eine nur mit der göttlichen Allmacht und Allwissenheit vergleichbare Befugnis zur Überwachung des Eigentümers in Anspruch nehmen würde.147 Auf diese Weise würde jedoch das Eigentum in seiner Eigenschaft als subjektives Recht negiert. d) Die Zweckbindung des subjektiven Rechts bei Raiser Von einem echten Dualismus von subjektiven Rechten und Institutionen in der Konzeption Raisers kann jedoch trotz der Beteuerungen, dass das subjektive Recht gleichberechtigt148 neben den Institutionen „einen notwendigen Platz in einem freiheitlichen Privatrecht“149 habe, nicht die Rede sein. Es ist keineswegs so, dass neben der dem Einzelnen im Rahmen des Institutionenschutzes eingeräumten zweckgebundenen Rechtsstellung subjektive Rechte stehen sollen, die dem Berechtigten zur freien, willkürlichen Verwendung überlassen werden. Vielmehr sollen sich bei der Ordnung ein und desselben Lebensverhältnisses die Gestaltungsprinzipien der Zuteilung subjektiver Rechte und des Schutzes von Institutionen „durchdringen“. Dies bedeutet aber im Ergebnis nichts anderes, als dass auch die Ausübung subjektiver Rechte durch die Normen des Institutsschutzes reglementiert wird: Diese müsse sich, so Raiser, „den objektiven, mit der Ordnung des Rechtsinstituts gesetzten Zwecken einordnen“.150 Ein „zweck144
Vgl. Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (146 f.). Raiser, JZ 1961, 465 (471). 146 Ebd. 473. 147 Ebd. 473: „. . . so berechtigt ist auch die Forderung an die Person, sich mit dem ihr anvertrauten Gut in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. . . . Darüber zu wachen gehört zum öffentlichen Amt der Juristen.“ 148 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (167): „zwei gleichwertige Prinzipien“. 149 Ebd. S. 159. 150 Ebd. S. 152. 145
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widriger Gebrauch“ werde als „Missbrauch empfunden und“ erhalte daher „keinen Rechtsschutz“.151 Eine solche Zweckbindung subjektiver Rechte würde aber gerade die Freiheit beseitigen, die für den Begriff des subjektiven Privatrechts wesentlich ist. Zwar hat die durch die Verleihung eines subjektiven Rechts eingeräumte Bestimmungs- bzw. Gestaltungsmacht (selbstverständlich) Grenzen. Unvereinbar mit der Gewährung eines subjektiven Privatrechts wäre es jedoch, wenn der Rechtsinhaber auch noch innerhalb dieser äußeren Grenzen seine Entscheidung an ihm heteronom vorgegebenen Zwecken ausrichten müsste. In Bezug auf ein und denselben Gegenstand schließen sich subjektives Recht (Ungebundenheit) und Institutionenschutz (objektive Regelung, Gebundenheit) notwendig aus: Entweder kann der Einzelne frei nach seinen eigenen Maßstäben und Zielsetzungen entscheiden, oder aber er muss die Entscheidung nach objektiven, ihm vorgegebenen Regelungen und Zwecksetzungen treffen. Tertium non datur. Rein quantitativ betrachtet fehlt es im Übrigen bei Raiser schon deshalb an einer Gleichwertigkeit des Schutzes subjektiver Rechte und des Institutionenschutzes, weil dieser das Eigentum als das bedeutendste und zugleich dasjenige subjektive Privatrecht mit dem höchsten Freiheitsgehalt mehr im Sinne eines „anvertrauten Guts“, „das in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen“ ist,152 verstanden wissen will und es somit als pflichtgebundene Rechtsstellung, als Institution ansieht. In Bezug auf die Frage eines privatrechtlichen Pflichtgehalts des Eigentums sollte man sich übrigens nicht von dem Hinweis darauf täuschen lassen, dass die Freiheit des privatrechtlichen Eigentums von einem Pflichtgehalt ohnehin nur auf der „schulmäßige[n] Trennung von öffentlichem und Privatrecht“ beruht, die „der herrschenden Doktrin die Möglichkeit“ gab, „alles das, was etwa den Grundstückseigentümer an Pflichten traf, dem öffentlichen Recht zuzuschieben“.153 Dass das Grundeigentum (öffentlich-rechtlich) auch Verpflichtungen des Grundstückseigentümers mit sich bringen kann, ist offensichtlich und wohl niemals vollständig ausgeblendet worden. Bei der Diskussion um den privatrechtlichen Pflichtgehalt des Eigentums geht es dagegen ausschließlich darum, den Grundstückseigentümer über die ihn schon treffenden öffentlich-rechtlichen Beschränkungen und Verpflichtungen der lex scripta hinaus noch weiteren (ungeschriebenen und insofern dem vermeintlich nur im öffentlichen Recht geltenden Gesetzesvorbehalt nicht genügenden) Bindungen zu unterwerfen.
151 Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (152) unter Verweis (Fn. 15) auf dens., Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935), S. 279, 282 a. E. sowie Siebert, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), 189 (203). 152 Raiser, JZ 1961, 465 (473). 153 Raiser, JZ 1961, 465 (473).
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Der Begriff des subjektiven Rechts und die Reichweite der Vertragsfreiheit sind die beiden Kristallisationspunkte für die Frage der Bedeutung der Freiheit des Einzelnen im Privatrecht. Nicht unerwähnt bleiben kann daher hier, dass Raiser auch die Vertragfreiheit in erheblichem Maße beschränken will. An die Stelle der allgemeinen Vertragsfreiheit treten im Rahmen von Raisers institutioneller Rechtsbetrachtung von der Rechtsordnung ausgeformte, für einen bestimmten Zweck geschaffene Rechtsinstitute, von denen der Einzelne im Einklang mit dieser Zwecksetzung Gebrauch machen kann.154 Auf diese Weise will er die vertraglichen Rechtsgeschäfte „einer mehr als nur formalen Kontrolle durch die Rechtsordnung“155 unterwerfen. e) Parallelen der Institutionenlehre Raisers zu früheren Privatrechtskonzeptionen Bei aller gebotenen Vorsicht können an dieser Stelle Parallelen zwischen der Institutionenlehre und der von Larenz u. a. in der Zeit vor 1945 vertretenen Privatrechtskonzeption nicht unerwähnt bleiben. Über die gegen den „Individualismus des 19. Jahrhunderts“ gerichtete Grundtendenz hinaus156 bestehen u. a. Übereinstimmungen im Hinblick auf die Herabwürdigung des Begriffs des autonomen Individuums als Abstraktion,157 das Verständnis des Rechts als einer Ordnung, die das Zusammenleben in der Gemeinschaft regelt und den Einzel154
Vgl. Raiser in: Summum ius (1963), S. 145 (162 ff.): „die institutionelle Betrachtungsweise, die mit der Einsicht ernst macht, daß das Handeln im Recht immer nur auf Rechtsinstitute bezogen und in sie eingebunden ist. Das heißt aber, daß sich die Grenzen rechtswirksamen Verhaltens nicht nur nach den allgemeinen Geboten der guten Sitten oder der öffentlichen Ordnung, sondern zugleich nach dem Zweck des jeweils in Frage stehenden Instituts bestimmen.“ 155 Raiser in: Summum ius (1963), S. 145 (162). 156 Vgl. Raiser, JZ 1961, 465 (471 r. Sp., 472): „Faßt man es [das Privatrecht] nur als ein System subjektiver Rechte des einzelnen zur Sicherung seiner Freiheitssphäre auf, so leistet man einer individualistischen Isolierung der Rechtsgenossen Vorschub.“; ders., Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935), S. 279 (von Raiser selbst zitiert in: Summum ius (1963), S. 145 (152 Fn. 15)). 157 Siehe Raiser, in: Summum ius (1963), 145 (146 f.): „Auch die Privatrechtswissenschaft muß sich der Einsicht heutiger Anthropologie und Soziologie öffnen, daß der Begriff des autonomen Individuums eine Abstraktion darstellt, deren Grenzen nicht verkannt werden dürfen, daß das Personsein des Menschen sich nur im mitmenschlichen Zueinander und Füreinander entfaltet . . .“ – und vgl. Larenz, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), 225 (241): „Nur als in der Gemeinschaft lebendes Wesen, als Volksgenosse, ist der Einzelne eine konkrete Persönlichkeit“ sowie ebd. S. 229: „Es ist also immer noch das individualitätslose Individuum der Aufklärung, dieses Atom der sozialen Welt, das hier [bei der auf v. Savigny folgenden Jurisprudenz] genauso wie im Naturrecht zum Grundbegriff des Privatrechts erhoben wird.“ und ebd. S. 226 Fn. 1: „In meiner Schrift ,Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie‘, 1934, S. 40, habe ich mich bereits gegen den abstrakten Begriff der Person gewandt und gesagt, daß nicht das Person-Sein überhaupt, sondern das konkrete Glied-Sein maßgebend sein müsse.“
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
nen in die vorhandenen Ordnungsgefüge eingliedert,158 die Ersetzung bzw. Ergänzung subjektiver Rechte durch übertragene (und damit zweckgebundene) Aufgaben und Zuständigkeiten159 bzw. deren immanente Beschränkung durch die Lehre vom Rechtsmissbrauch160 und Ergänzung durch eine Pflichtenlehre,161 sowie die Unterscheidung (vor allem im Hinblick auf den unterschiedlichen Grad der Zweckbindung) zwischen vertraglichen Rechtsstellungen (Institutionen) und „denjenigen Ordnungsgefügen, die den festen Rahmen für unser ganzes gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben abgeben“.162 Es ist zu158 Siehe Raiser, JZ 1961, 465 (472): „Ethisch und politisch gleich wichtig . . . ist es, den Einzelnen auch durch das Recht in die ihn umgreifenden, mit anderen verbindenden, als Ordnungsgefüge geregelten Wirkungszusammenhänge einzufügen, also die Rechtsinstitute auszubilden und zu sichern, in denen der Einzelne eine Gliedstellung einnimmt.“; ders, in: Summum ius (1963), 145 (147): „Rechtsordnung, die das Zusammenleben in der Rechtsgemeinschaft zu ordnen hat“ und ebd. S. 165: „Ordnungsgefüge, die den festen Rahmen für unser ganzes gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben abgeben, in die der einzelne also, soweit er an diesem Leben teilnimmt, notwendig eingefügt ist“ – und vgl. Larenz, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), S. 239: Das Recht ist die der Volksgemeinschaft „immanente Gliederung und Ordnung“ und S. 240: Das Recht ist die Ordnung, in der die Glieder eines Volkes stehen, die sie umfängt und hält und in der sie ihren besonderen Ort und damit ihre Aufgabe und Gliedstellung haben. Im Rechte stehen . . . heißt, in der Ordnung eines Volkslebens seine bestimmte Stelle, seine Funktion, seine Gliedstellung haben.“ 159 Vgl. Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (162): „. . . Übertragung von Aufgaben und Zuständigkeiten zum Handeln und Gestalten, die der Träger der Aufgabe in eigener Verantwortung wahrzunehmen hat.“ – vgl. Larenz, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), S. 245 ff., 248: „zielgebundene und pflichtbestimmte Befugnisse“, „Aufgabe und Pflicht“ und ebd. S. 257: von der Volksgemeinschaft „zu eigenverantwortlicher Fürsorge und Gestaltung“ anvertrauter „Aufgabenbereich“. 160 Siehe Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (149 ff., insb. 152): „Die Ausübung subjektiver Rechte muß sich den objektiven, mit der Ordnung des Rechtsinstituts gesetzten Zwecken einordnen; zweckwidriger Gebrauch wird als Mißbrauch empfunden und erhält darum keinen Rechtsschutz“; ders., Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (1935), S. 279 (von Raiser selbst zitiert in: Summum ius (1963), S. 145 (152 Fn. 15)): „Das Individuum gilt nur, was es an seinem Platz für die Gemeinschaft leistet, . . . Befugnisse und Freiheiten werden ihm zugeteilt im Dienste der Gemeinschaft; jedes Sonderinteresse einzelner Personen hat sich bedingungslos den Erfordernissen des Gesamtwohls unterzuordnen. Das Recht hat in seinem Bereich diesen Vorrang der Gemeinschaft zu sichern. Die Erkenntnis nun, daß die bloße Einsetzung jener Befugnisse und Freiheiten nicht von selbst auch der Gemeinschaft zugute kommt, muß dazu führen, . . . allgemein zwischen rechtem und falschem Gebrauch der Befugnisse und Freiheiten zu unterscheiden. Nur zum rechten Gebrauch sind sie verliehen. Der falsche ist nicht mehr rechtmäßig.“; vgl. Siebert, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), S. 189 ff. (von Raiser zitiert in: Summum ius (1963), S. 145 (150 Fn. 11, 152 Fn. 15). 161 Raiser, JZ 1961, 465 (472 f.) unter 2.; bei Larenz (Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), insb. S. 245 ff.) ist ohnehin die Pflicht gegenüber der Gemeinschaft das allein bestimmende; Befugnisse werden nur zum Zweck der Erfüllung dieser Pflichten verliehen. 162 Siehe Raiser, in: Summum ius (1963), S. 145 (164 f.); vgl. Larenz, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft (1935), S. 257: „Es bleibt ein nicht zu übersehender Unterschied, ob mir die Volksgemeinschaft eine Sache oder einen Aufgabenbe-
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mindest bedenklich und methodisch zu kritisieren, dass Raiser eine Auseinandersetzung und explizite Abgrenzung zu dieser vor 1945 vertretenen Konzeption des Privatrechts versäumt.
reich zu eigenverantwortlicher Fürsorge und Gestaltung anvertraut und mir damit meine Gliedstellung, meinen Pflichtenkreis innerhalb der Gemeinschaft umschreibt, oder ob ich lediglich verpflichtet werde, einem anderen etwas zu leisten und dieser andere in die Lage versetzt wird, diese Leistung zu verlangen . . .“.
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§ 12 Der Gesichtspunkt der Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht Durch die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche haben die Gerichte die Möglichkeit eröffnet, öffentlich-rechtliche Normen im Zivilrechtsweg durchzusetzen. Ob die damit verbundene Überschreitung der Grenze zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht „unbedenklich“1 ist, kann nicht beurteilt werden, ohne die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche in Bezug zu dem Dualismus von öffentlichem Recht und Privatrecht zu setzen, der unsere Rechtsordnung prägt. In diesem Zusammenhang ist auch zu erörtern, inwieweit sich aus den Topoi der Einheit der Rechtsordnung und der Eigenständigkeit des Privatrechts Argumente für die Gewährung solcher Ansprüche herleiten lassen. Als Grundlage der Erörterung dient ein Abriss von Entwicklung und Hintergrund der Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht. I. Entwicklung und Hintergrund der Unterscheidung Die im heutigen deutschen Recht vorhandene Aufteilung der Rechtsordnung in Privatrecht und öffentliches Recht hat historische Gründe: Sie beruht – stark verkürzt dargestellt – auf der Rechtsentwicklung des 18. und 19. Jahrhunderts, die die Staatsgewalt, die bis dato der noch weitgehend als einheitlich verstandenen allgemeinen Rechtsordnung unterstand, von der Bindung an das Recht löste.2 Das öffentliche Recht zu dieser Zeit war – mit den Worten Otto Mayers3 überspitzt formuliert – nur eine „euphemistische“ Umschreibung für „das Gebiet, auf dem es im Gegensatz zu dem des Zivilrechts für das Verhältnis zwischen Staat und Untertan kein Recht gibt“. Als nach der Abkehr vom Absolutismus die Bindung des Staates an das Recht wiederhergestellt wurde und sich der Staat allmählich zu einem konstitutionellen Rechtsstaat entwickelte, wurde die Staatsgewalt nicht mehr der allgemeinen Rechtsordnung, die im Wesentlichen nur noch die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander erfasste, sondern einer Sonderrechtsordnung – dem öffentlichen Recht – unterstellt, über deren Einhaltung schließlich eine eigene Gerichtsbarkeit – die Verwaltungsgerichtsbarkeit – zu entscheiden hatte.4 Die Probleme, die sich heute insbesondere bei der Abgrenzung der Rechtswege im Rahmen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO stellen, beruhen zu einem gro1
So BGHZ 122, 1 (8) (vgl. zu dieser Entscheidung ausführlich u. § 16 II. 3.). Vgl. Bullinger, FS Rittner (1991), 69 (71 ff.); Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht (1968), S. 49 ff.; Kelsen, AöR 31 (1913), 53 (62 ff., 71 ff.). 3 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I (1895), S. 54; siehe dazu Kelsen, AöR 31 (1913), 53 (71 f.). 4 Vgl. zur Schaffung eines vom Privatrecht abgesonderten „Vollrechtssystem des öffentlichen Rechts“ Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht (1968), S. 60 ff. 2
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ßen Teil darauf, dass die Staatsgewalt in einem gewissen Umfang stets der allgemeinen Rechtsordnung unterstellt blieb und es bis heute ist, d. h. dass sie in manchen Zusammenhängen Rechte und Pflichten aus Normen des Privatrechts haben kann.5 Die Unklarheiten in Bezug darauf, welche Gerichtsbarkeit zuständig ist, haben ihren Grund daher oft nicht in der Unkenntnis der – privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen – Qualität einer Norm, sondern darin, dass nicht geklärt ist, inwieweit bestimmte Sachverhalte, an denen die öffentliche Gewalt beteiligt ist, nach den Bestimmungen des Zivilrechts oder denen des öffentlichen Rechts zu beurteilen sind.6 In Bezug auf die Bestimmung des Rechtswegs beschreibt die wohl herrschende Sonderrechtstheorie7 die formale Aufteilung der Rechtsnormen in öffentliches Recht und Privatrecht im Ansatz zutreffend: Die Rechtsnormen, bei denen eines der Zurechnungssubjekte notwendig ein Träger der Staatsgewalt ist, gehören dem öffentlichem Recht als dem Sonderrecht des Staates an und unterliegen der Entscheidungsgewalt der Verwaltungsgerichtsbarkeit.8 Die Rechtsnormen der allgemeinen Rechtsordnung, bei denen keines der Zurechnungsobjekte ein Träger von Hoheitsgewalt sein muss, unterliegen dagegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Das Problem ist jedoch, dass die einzelne, dem Privatrecht als der allgemeinen Rechtsordnung angehörende Norm keineswegs notwendigerweise jedes beliebige Rechtssubjekt berechtigen oder verpflichten können muss. Auch wenn es in unserer Rechtsordnung keine bestimmten Ständen vorbehaltene Privilegien mehr gibt, existieren dennoch Rechtsnormen, die z. B. ausschließlich natürliche Personen oder bestimmte Typen juristischer Personen berechtigen oder verpflichten. Weil aber das Privatrecht Normen aufweisen kann, die nur Rechtssubjekte bestimmter Personengruppen berechtigen oder verpflichten, kann es auch Normen enthalten, die Hoheitsträgern besondere Rechte (z. B. Fiskusprivilegien) verleihen und besondere Verpflichtungen auferlegen.9 Die Sonderrechtstheorie versucht diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, 5 Die Privatrechtsfähigkeit des Staates wird im öffentlich-rechtlichen Schrifttum überwiegend anerkannt; vgl. die Nachweise bei Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 68 Fn. 104. 6 Vgl. Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384 (387); Ipsen/Koch, JuS 1992, 809 (813); Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 55 m.w. N. 7 Grundlegend Wolff, AöR 76 (1950/51), 205 ff.; Bachof, FG BVerwG (1978), 1 ff.; heute (mit verschiedenen Modifikationen) u. a. vertreten von Ehlers in: Erichsen/ Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht13 (2006), § 3 Rn. 18 ff.; Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 112 (2007), § 22 Rn. 28 ff.; D. Schmidt, Unterscheidung (1985), S. 254 ff.; MünchKomm5 /Säcker (2006), Bd. 1, Einl. Rn. 3 m.w. N. in Fn. 8. Palandt68 /Heinrichs (2009), Einl. Rn. 2 f.; Hübner, Allg. Teil2 (1996), Rn. 6; Brox/ Walker, Allg. Teil32 (2008), Rn. 10; ähnlich – jedoch in Kombination mit Elementen der Subordinationstheorie – GrS OBG, BGHZ 97, 312 (314) sowie BGHZ 102, 280 (283). 8 Vgl. Wolff, AöR 76 (1950/51), 205 (210). 9 Vgl. Kelsen, AöR 31 (1913), 53 (97 f.).
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
dass sie nur die Normen, die einen Hoheitsträger in seiner Eigenschaft als solchen berechtigen oder verpflichten, dem öffentlichen Recht zuweist.10 Da es aber kein auf den Inhalt der Norm bezogenes Kriterium dafür gibt, wann eine Norm einen Hoheitsträger in seiner Eigenschaft als solchen verpflichtet,11 ist die Sonderrechtstheorie, soweit sie den Anspruch erhebt, eine Definition für das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Norm aufzustellen, zirkulär:12 Eine Norm berechtigt oder verpflichtet einen Hoheitsträger genau dann in seiner Eigenschaft als solchen, wenn sie dem öffentlichen Recht angehört und der Entscheidungsgewalt der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegt. Dieser Befund ist jedoch weit weniger bedenklich, als es auf den ersten Blick scheint: Dass man bei der Auslegung des Begriffs „öffentlich-rechtlich“ bereits auf die damit verbundene Rechtsfolge „schielt“, diesen Begriff also im Hinblick darauf auslegt, ob die mit ihm verbundene Folge der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte sachlich angemessen ist, ist – wenn man sich dessen bewusst ist – zur Vermeidung des typischen Fehlers der Begriffsjurisprudenz13 geeignet: Anstatt das Eintreten der gewünschten Rechtsfolge mit dem angeblichen Bedeutungsgehalt eines abstrakten Begriff zu begründen, wird das gewünschte Ergebnis rational durch die konkreten sachlichen Folgen gerechtfertigt. Privatrecht und öffentliches Recht sind zwei Teilmengen der Gesamtmenge aller Rechtsnormen. Die Zugehörigkeit einer Norm zu einer der beiden Teilmengen beruht in letzter Konsequenz auf einer entsprechenden Qualifikation des Gesetzgebers.14 Sie ergibt sich in aller Regel aus dem kodifikatorischen 10
Siehe nur Bachof, FG BVerwG (1978), 1 (13). Bachof, FG BVerwG (1978), 1 (17) will die Frage, ob eine Norm einen Hoheitsträger „als solchen“ verpflichtet, danach entscheiden, ob „ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verwirklichung des Rechtssatzes“ besteht. Dies kann schon deshalb kaum überzeugen, weil Bachof kein Kriterium dafür angibt, in welchen Fällen ein solches Interesse vorliegen soll. Bachof selbst stellt insoweit fest, dass es die „freie [!] Entscheidung“ des Gesetzgebers sei, ob er ein solches Interesse bejaht und die Durchsetzung der Norm „einem Hoheitsträger mit spezifischer Durchsetzungsmacht“ anvertraut (ebd.). Dass es sich um eine freie Entscheidung handelt, bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass kein zwingendes Entscheidungskriterium vorhanden ist. Im Übrigen rekurriert Bachof damit auf den zweifelhaften Gegensatz von öffentlichem und privatem Interesse, dessen Ungeeignetheit als Entscheidungskriterium nahezu allgemein anerkannt ist. Auch Bachofs Definition bleibt zirkulär, weil der Begriff des „öffentlichen Rechts“ durch den des „öffentlichen Interesses“ bestimmt wird und beide Begriffe ihren spezifischen Sinn allein durch das Attribut „öffentlich“ erhalten. 12 Vgl. Ipsen/Koch, JuS 1992, 809 (812) m.w. N. 13 Vgl. o. § 11 V. 1. f) Fn. 119. 14 Siehe auch Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 98: „Öffentliches Recht ist das, was der Gesetzgeber . . . als öffentliches Recht, privates Recht das, was er insoweit als privates Recht erlassen hat“ und letztlich auch Bachof, FG BVerwG (1978), 1 (2 f.): „Sie [die Gesetzgebung] hat es in der Hand, durch ausdrückliche Qualifizierung eines Rechtssatzes oder durch Festlegung des Rechtswegs den Bürger vom Risiko falscher Anrufung zu befreien und zugleich den Gerichten viel überflüssige Arbeit zu ersparen.“ 11
§ 12 Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht
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Zusammenhang, in dem die einzelne Norm steht.15 Betrachtet man die Rechtsnormen in ihrer Eigenschaft als Bestimmungsnormen für das Verhalten von Trägern öffentlicher Gewalt und von Privatrechtssubjekten, so lässt sich kein allgemeingültiges, auf den Inhalt der jeweiligen Norm bezogenes Kriterium dafür angeben, ob sie dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht angehören. Die Zugehörigkeit zu einem der beiden Rechtsgebiete ist insofern ein Attribut, das der jeweiligen Rechtsnorm unabhängig von ihrem Inhalt als Bestimmungsnorm von außen zugewiesen wird. Als Rechtsnormen sind die bei der Unterscheidung von öffentlichem und Privatrecht in Frage stehenden Normen jedoch notwendigerweise auch Entscheidungsnormen, d. h. Normen, die den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung bestimmen. In ihrer Eigenschaft als solche gehört zu ihrem Inhalt notwendigerweise auch die Bestimmung des Gerichts, an das sich der in ihnen enthaltene Jurisdiktionsbefehl richtet. Im formalen Sinne unterscheiden sich die Normen des Privatrechts von denen des öffentlichen Rechts daher in letzter Konsequenz dadurch, das erstere der Entscheidungsgewalt der Zivilgerichte, letztere derjenigen der Verwaltungsgerichte unterliegen.16 Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass man bei den Normen der einen oder anderen Gruppe keine typischerweise vorhandenen inhaltlichen Unterschiede feststellen könnte, die diese von den Normen der anderen Gruppe unterscheiden.17 Die so festgestellten Merkmale sind jedoch nicht allgemeingültig, d. h. nicht notwendig bei jeder Norm des jeweiligen Rechtsgebiets vorhanden und daher als Merkmal für eine trennscharfe Unterscheidung nicht geeignet.18 II. Die Bedeutung der Unterscheidung für den quasinegatorischen Rechtsschutz Der quasinegatorische Rechtsschutz berührt einen besonderen Aspekt der Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Es geht hier nicht um die Frage, wie der Schutz des Bürgers vor der öffentlichen Gewalt bewerkstelligt wird (ob allein durch das öffentliche oder auch durch das Privatrecht), sondern geradezu umgekehrt darum, wie der Schutz des Bürgers vor Beeinträchtigungen anderer Bürger durch die öffentliche Gewalt ausgestaltet ist. Der 15
Vgl. Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 98. So bereits Kelsen, AöR 31 (1913), 190 (228 f.): „Die Grenze zwischen dem, was man Privatrecht und dem, was man öffentliches Recht nennt, wird nicht nach einem formalen, allgemein gültigen theoretischen Prinzip, sondern im großen und ganzen nach der positiv rechtlichen Zuteilung zu Gericht oder Verwaltungsbehörde . . . fixiert.“ 17 Vgl. Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 102: „Es bleibt . . . dabei, daß sich beide Gebiete in vielfachen Zusammenhängen unterscheiden, unterscheiden lassen und unterschieden werden müssen.“ 18 Vgl. Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 101: „. . . einen durchgehenden Wesensunterschied von öffentlichem und privatem Recht gibt es . . . nicht . . .“. 16
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Rechtsschutz gegenüber Rechtsverletzung durch andere Bürger erscheint dabei als die natürliche Aufgabe der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit, die insoweit Garant für die Geltung der die Rechtsverhältnisse zwischen den Bürgern bestimmenden Privatrechtsordnung ist. Der Schutz des Bürgers vor anderen Bürgern wurde jedoch stets auch durch Verwaltungs-, insbesondere Polizeibehörden und durch die Organe der Strafrechtspflege gewährleistet. Dieser Umstand wurde jedoch lange Zeit aus der juristischen Betrachtung weitgehend ausgeblendet: Die Tatsache, dass der Bürger diesen Schutz im Zuge der oben beschriebenen Entwicklung der Loslösung der öffentlichen Gewalt von der Bindung an das Recht lange Zeit nicht gerichtlich einfordern konnte, wurde dahingehend interpretiert, dass die Behörden nur zum Schutze des übergeordneten öffentlichen Interesses im Gegensatz zum Individualinteresse des einzelnen Bürgers tätig wurden.19 Dies wirkt bis heute in Vorstellungen nach wie derjenigen, dass der Schutz des Einzelnen nicht zu den „eigentlichen“ Aufgaben der Verwaltung gehöre.20 Im Zuge der Ausdehnung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Verwaltungstätigkeit unter der Geltung des Grundgesetzes erkannte man, den individualschützenden Charakter von öffentlich-rechtlichen Normen „entdeckend“, vor den Verwaltungsgerichten einklagbare Ansprüche auf behördliches Einschreiten gegenüber rechtsverletzenden Beeinträchtigungen durch andere Bürger an.21 Seitdem stehen dem Bürger zum Schutz vor seinesgleichen im Prinzip zwei vollwertige Rechtsschutzsysteme zur Verfügung: Er kann bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen privatrechtlichen Anspruch gegen den Verletzer einklagen und damit die Erfüllung seines „Rechtsschutzanspruchs“ gegenüber den Zivilgerichten einfordern. Gegebenfalls kann er auch von den Verwaltungsbehörden ein Einschreiten gegenüber der Rechtsverletzung des anderen Bürgers verlangen und diesen Rechtsschutzanspruch gegenüber der Verwaltung vor den Verwaltungsgerichten einklagen. Ob der Rechtsschutzanspruch des Bürgers auf Schutz durch die Zivilgerichte oder auf Schutz durch Verwaltungsbehörden gerichtet ist, hängt von der Zugehörigkeit der an den Verletzer adressierten Verbotsnorm zum Zivilrecht bzw. zum öffentlichen Recht ab, die sich in aller Regel aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesetzeskodifikation ergibt.
19
Vgl. nur Dietlein, DVBl 1991, 685 (687 f.). So insb. die Vertreter der „privatrechtlichen Nachbarrechtstheorie, vgl. u. § 16 I. 1. und § 16 II. 2. b); vgl. ferner Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 41; Waltzog, Unterlassungsklage (1936), S. 37: Öffentliche Strafdrohung schützt die Allgemeinheit und nur mittelbar den Einzelnen und kann daher den unmittelbaren Zivilrechtsschutz nicht verdrängen. 21 Vgl. die wegweisende Entscheidung BVerwGE 11, 95, Urt. v. 18.8.1960: „nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts“ begründen ein subjektives öffentliches Abwehrrecht des Nachbarn (vgl. dazu u. § 15 II.). 20
§ 12 Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht
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Dem steht der – zutreffende – Befund Schwabes,22 dass sich die sog. Primärnormen, die einer Privatperson ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbieten, als solche „nicht in den Dualismus des öffentlichen oder privaten Rechts einfügen“ lassen, nicht entgegen. Dass hier dennoch von der Zugehörigkeit der Primärnormen zu einem der beiden Rechtsgebiete gesprochen wird, hat seinen Grund darin, dass diese Normen als Rechtsnormen nicht nur Bestimmungsnormen für den Verpflichteten, sondern zugleich Entscheidungsnormen sind, die darüber bestimmen, ob ein Verhalten des Verpflichteten als Normverstoß zu bewerten ist und daher die vorgesehene Sanktion nach sich zieht. Der so genannte vollständige Rechtssatz, der Primärnorm und Sanktionsnorm vereinigt, lässt sich aber anhand dessen, ob die für den Fall des Normverstoßes vorgesehene Sanktion von Verwaltungsbehörden oder von dem Zivilgericht zu verhängen ist, als öffentliches Recht oder als Zivilrecht qualifizieren.23 Richtig ist, dass Primärnormen, deren Verletzung sowohl verwaltungsbehördliche als auch zivilgerichtliche Sanktionen nach sich ziehen, und die dementsprechend Bestandteil zweier verschiedener, vollständiger Rechtssätze sind, sowohl dem Zivilrecht als auch dem öffentlichen Recht zugerechnet werden müssten. Die hier vorgenommene Zuordnung der Primärnormen bezieht sich auf diejenigen mit einem Normverstoß verbundenen Maßnahmen und Sanktionen, die der unmittelbaren Erzwingung des normgerechten Verhaltens dienen. Dem Gebot entsprechend, Doppelsanktionen zu vermeiden,24 ist in aller Regel für eine Primärnorm nur ein Weg der unmittelbaren Erzwingung – also entweder durch zivilgerichtliche oder durch verwaltungsbehördliche Mittel – vorgesehen. Welcher der beiden Wege dies ist, ergibt sich dabei aus der Zugehörigkeit der Primärnorm zu einem zivilrechtlichen oder aber öffentlich-rechtlichen Gesetz: Explizit in Zivilrechtskodifikationen enthaltenen Primärnormen entspricht ein zivilrechtlicher Primäranspruch des Begünstigten. Die Einhaltung der in verwaltungsrechtlichen Gesetzen enthaltenen Primärnormen wird dagegen von Verwaltungsbehörden aufgrund besonderer Befugnisse, die ihnen in der Regel in demselben Gesetz, das die primäre Verhaltensnorm enthält, verliehen werden, gegebenenfalls erzwungen. Dass die Zugehörigkeit der Primärnormen im soeben dargelegten Sinne zu einem der beiden Rechtsgebiete keine rechtspositivistische Zufälligkeit ist, 22 Schwabe, JZ 1987, 1073; ders., Drittwirkung (1971), S. 35 ff.; ebenso Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 (2001), § 26 III, (S. 196); so bereits auch Binding, Krit. Vierteljahresschrift 21 (1879), 542 (578 f.). 23 So bereits Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 120 f.: Das „unterscheidende Moment“ ist „in den Rechtsfolgen zu suchen, welche die Uebertretung der Norm nach sich zieht“; vgl. denn auch Schwabe, Drittwirkung (1971), S. 34 f.: „Erst in Zusammenschau mit diesen sekundären Normen und nur für deren Anwendungsbereich ließe sich nun die Aussage vertreten, es handele sich . . . um öffentliches Recht; es kann dahingestellt bleiben, ob man auch das ablehnen und die Qualifizierung als öffentliches Recht ganz den sekundären Normen vorbehalten muß.“ 24 Vgl. dazu o. § 8 IV. a. E.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
wurde bereits oben in § 11 IV. im Rahmen der Frage nach dem zutreffenden Begriff des subjektiven Privatrechts dargelegt: Die charakteristische Eigenschaft der privatrechtlichen Normen ist die Abhängigkeit ihrer Geltung von dem Willen des Privatrechtssubjekts, dessen Begünstigung durch sie bezweckt wird.25 Das öffentliche Interesse, das auch in diesen Normen zum Ausdruck kommt, ist durch das Vorhandensein eines tatsächlichen Interesses des Begünstigten an der Normgeltung bedingt. Die Normen des öffentlichen Rechts im engeren Sinne und ein großer Teil der den strafrechtlichen Sanktionen gedanklich zugrunde liegenden Primärnormen ist dagegen in ihrer Geltung vom Willen und vom Interesse eines bestimmten Begünstigten unabhängig. Auch die Gründe, die dagegen sprechen, Privatrechtsansprüche zur Durchsetzung solche „objektiver“ Normen zu gewähren, wurden oben bereits dargelegt. An dieser Stelle ist noch auf eine rechtssystematische Konsequenz der hier vorgenommenen Unterteilung der individualschützenden Primärnormen in privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Normen einzugehen: Sie führt nämlich dazu, dass bestimmte, der Schadensersatzpflicht gedanklich zugrunde liegende „Primärpflichten“ nicht dem Zivilrecht angehören, wie z. B. die Pflicht, niemanden zu töten oder auch niemanden an seiner Gesundheit zu verletzen. Dass solche kapitalen Pflichten nicht Bestandteil des Privatrechts sind, verträgt sich zugegebenermaßen schlecht mit dem Anspruch des Privatrechts als einer Privatrechtsordnung, die die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander erschöpfend regelt. Demgegenüber ist jedoch zu beachten, dass die Aufteilung der Rechtsordnung in Privatrecht und öffentliches Recht und die damit verbundene Rechtswegspaltung dazu geführt hat, dass nicht mehr alle individualschützenden Normen der Rechtsprechung der Zivilgerichte unterliegen, sondern, dass der Rechtsschutz des Bürgers gegen den Bürger in sog. verwaltungsrechtlichen Dreieckskonstellationen, also z. B. bei Klagen auf verwaltungsbehördliches Einschreiten auch vor den Verwaltungsgerichten stattfindet. Wenn man dem Zivilrecht, wie es hier geschieht, nur diejenigen individualschützenden Primärnormen zurechnet, die zugleich materielles Justizrecht für die Zivilgerichte sind, so liegt es in der Natur der Sache, dass diejenigen Primärnormen, die durch Verwaltungsbehörden durchgesetzt werden und damit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unterliegen, nicht zum Zivilrecht gezählt werden. Wer an dem Modell einer Privatrechtsordnung festhalten will, die alle Ge- und Verbotsnormen umfasst, die im Interesse des einen Bürgers an den anderen adressiert sind, muss sich zumindest vergegenwärtigen, dass dem nicht notwendig ein zivilrechtlicher Primäranspruch entspricht,26 sondern zum Teil ein sog. Anspruch auf behördliches Einschreiten, d. h. ein Anspruch darauf, dass eine Verwaltungsbehörde die Beachtung der Norm erzwingt. 25 26
So auch H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 182 ff. Vgl. bereits o. § 7 II. 1. a. E. zu Eltzbacher.
§ 12 Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht
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Weder der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung27 noch derjenige der Eigenständigkeit des Privatrechts28 können die Herleitung von quasinegatorischen Ansprüchen aus Verbotsnormen anderer Rechtsgebiete rechtfertigen. Wenn man einen Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung postuliert und daraus einen einheitlichen, für alle Rechtsgebiete geltenden Begriff der Rechtswidrigkeit folgert,29 was nichts anderes bedeutet, als dass die in einem Rechtsgebiet normierten Verbote Geltung auch für die anderen Rechtsgebiete beanspruchen, so rechtfertigt dies nicht, an den Verstoß gegen eine bestimmte Verbotsnorm wahllos sämtliche in den einzelnen Rechtsgebieten vorhandenen Rechtsfolgen zu knüpfen. Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung muss vielmehr dazu führen, dass man bei der Frage, ob ein Normverstoß bestimmte Sanktionen zur Folge hat, auch die in anderen Rechtsgebieten schon vorgesehenen Sanktionen berücksichtigen muss. Gegen eine quasinegatorische Klage auf Unterlassung von Körperverletzungen spricht z. B., dass dasjenige, was mit einer solchen Klage erreicht werden kann, nämlich die Androhung einer Sanktion für den Fall der (schuldhaften) Verursachung einer Körperverletzung, bereits durch das Strafrecht gewährleistet wird. Es ist versucht worden, die Gewährung quasinegatorischer Ansprüche ungeachtet des Vorhandenseins eines in anderen Rechtsgebieten vorhandenen ausreichenden Schutzes mit der Eigenständigkeit des Privatrechts30 zu rechtfertigen. Wenn man den Gedanken einer staatsfreien Privatrechtsordnung betont, auf deren Grundlage die Bürger ihre Angelegenheiten eigenständig „unter sich“ regeln können,31 liegt der Gedanke nahe, dass es im Falle einer drohenden Rechtsverletzung durch einen anderen Bürger, abgesehen von der Anrufung der „Obrigkeit“, möglich sein muss, den Konflikt auf gesellschaftlicher Ebene vor den Zivilgerichten zu klären. Dabei ist jedoch zunächst zu beachten, dass die Zivilgerichte staatliche Gerichte sind und es im Rahmen des quasinegatorischen Rechtsschutzes oft nicht in erster Linie darum geht, eine streitige Rechtsfrage zu klären, sondern den staatlichen Vollstreckungsapparat in Anspruch zu nehmen. Gegen die Rechtfertigung quasinegatorischen Rechtsschutzes mit dem Gedanken der Eigenständigkeit des staatsfreien Zivilrechts spricht aber vor allem Fol27 Zum Topos der „Einheit der Rechtsordnung“ siehe u. a. Engisch, Einheit der Rechtsordnung (1935); Wagner, Öffentlich-rechtliche Genehmigung und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit (1989), S. 90 ff. 28 Vgl. z. B. Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 114: Postulat der vollständigen Trennung beider Rechtsmaterien. 29 Nachweise der Befürworter und Gegner eines für alle Rechtsgebiete einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs bei Wagner, Öffentlich-rechtliche Genehmigung und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit (1989), S. 90 Fn. 132, S. 92 Fn. 137 ff. 30 Vgl. Naef, Unterlassungsklage (1919), S. 114. 31 Vgl. zu dieser Sichtweise nur Bydlinski, AcP 194 (1994), 319 (320 ff., 340): „Recht der relativ staatsunabhängigen Gesellschaft“.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
gendes: Dass das Zivilrecht als staatsfreies Recht der Bürger untereinander verstanden werden kann, hängt damit zusammen, dass der Staat, obwohl die zivilrechtlichen Gesetze durch die staatliche Legislative erlassen werden und staatliche Gerichte über Zivilrechtsstreitigkeiten entscheiden, die Lebenswirklichkeit nicht selbst unmittelbar gestaltet, sondern dem einzelnen Bürger Gestaltungsmacht einräumt, indem er ihm die begünstigenden Normen zur freien Verfügung überlässt. Die Disponibilität der privatrechtlichen Normen ermöglicht es den Bürgern untereinander, ihre Angelegenheiten von der gesetzlichen Regelung abweichend im Wege des gegenseitigen Nachgebens und des Vergleichs zu regeln. Bei den objektiven Normen des öffentlichen Rechts, die nicht zur Disposition der durch sie Begünstigten stehen, fehlt hingegen diese Möglichkeit. Daher können quasinegatorische Ansprüche auf der Grundlage solcher Normen nicht durch die Eigenständigkeit des Privatrechts gerechtfertigt werden. Durch die objektive Norm des öffentlichen Rechts wird der geregelte Sachverhalt zum Gegenstand öffentlichen Interesses gemacht und damit zugleich klargestellt, dass es sich bei der in Frage stehenden Rechtsverletzung nicht um eine Privatangelegenheit handelt. Die Einräumung von quasinegatorischen Ansprüchen auf Einhaltung solcher Normen würde daher nur dazu führen, dass das staatliche Zivilgericht, neben der eigentlich zuständigen staatlichen Behörde, auf die Einhaltung der objektiven Norm hinwirkt.
§ 13 Unterlassungsansprüche zum Schutz der Gesundheit und des Lebens? 325
Abschnitt 3
Quasinegatorische Unterlassungsansprüche zum Schutz der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter § 13 Unterlassungsansprüche zum Schutz der Gesundheit und des Lebens? Das die Grundlage der Rechtsprechung zum quasinegatorischen Rechtsschutz bildende Prinzip, dass jedem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch ein klagbarer Anspruch auf Unterlassung der zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung zugrunde liegt, beansprucht nominell auch für den Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB Geltung.1 Dementsprechend könnte derjenige, dessen Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, oder sonstiges Recht widerrechtlich beeinträchtigt oder gefährdet wird, einen quasinegatorischen Anspruch auf Unterlassung analog §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB geltend machen. Neben den Ansprüchen zum Schutz des als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschützten so genannten allgemeinen Persönlichkeitsrechts haben Unterlassungsansprüche zur Abwehr von Gefährdungen der übrigen in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter in der bisherigen Rechtspraxis kaum eine Rolle gespielt.2 Zu den quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, deren Behandlung Gegenstand einer umfassenden Spezialliteratur ist, soll an dieser Stelle nur Folgendes bemerkt werden: Aufgrund der Abhängigkeit der Geltung der dem Persönlichkeitsrecht entsprechenden Verletzungsverbote vom Willen des Rechtsträgers handelt es sich bei den diesbezüglichen Unterlassungsansprüchen um echte subjektive Rechte im Sinne der Willenstheorie. Die Struktur des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspricht somit der allgemeinen Struktur des zivilrechtlichen Schutzes, so dass insoweit gegen diese Ansprüche keine Einwendungen geltend zu machen sind. Bedenken bestehen gegenüber diesen Ansprüchen nur im Hinblick darauf, dass sie, gestützt auf einen dem Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG entnommenen Schutzauftrag, im Wege der freien richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen wurden und aus diesem Grund einer gesetzlichen Grundlage ermangeln.3 Anders als bei den auf § 823 Abs. 2 BGB gestützten quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen fehlt es nicht allein an einer einen zivilrechtlichen Anspruch gewährenden Norm, sondern darüber hinaus an einer das Verbot der in Frage stehenden Handlung aussprechenden Gesetzesvorschrift. Dies ist deshalb bedenklich, weil durch den Schutz des allgemeinen 1
Vgl. o. § 6 im Text zu Fn. 15 ff. Vgl. o. § 6 im Text zu und in Fn. 15. 3 Vgl. zur Rechtfertigung von Unterlassungsansprüchen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts o. § 9 III. 2. d). 2
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Persönlichkeitsrechts in der Regel der sensible Bereich der Meinungsfreiheit berührt wird, wo eine Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Anspruchsstellers und der Meinungsfreiheit des Anspruchsgegners erforderlich ist, deren Ergebnis durch das Grundgesetz nicht hinreichend determiniert ist, sondern das im Grundsatz einer Bestimmung durch den Gesetzgeber bedarf, der die Grenzen der Meinungsfreiheit, aber auch des Persönlichkeitsschutzes aufzeigen muss. Im Hinblick auf die Frage, ob quasinegatorische Unterlassungsansprüche zum Schutz vor Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit bestehen, ist zu unterscheiden: Gegenüber zielgerichteten Angriffen ist quasinegatorischer Rechtsschutz nach der Maßgabe des Gewaltschutzgesetzes möglich. Gegenüber sonstigen Gefährdungen, die sich nicht gezielt gegen einen bestimmten Rechtsgutsträger richten, kann es dagegen keine quasinegatorischen Unterlassungsansprüche geben. I. Quasinegatorischer Rechtsschutz nach dem GewSchG Das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG4) ermöglicht es dem Zivilgericht gegenüber dem Täter, Anordnungen zum Schutz des Opfers zu treffen. Diese Anordnungen zielen nach dem Inhalt der gesetzlichen Regelbeispiele insbesondere darauf ab, das Opfer vor weiteren Gewalttaten dadurch zu schützen, dass dem Täter der Aufenthalt im räumlichen Lebensumfeld des Opfers (§ 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 bis 4 GewSchG) sowie die Kontaktaufnahme unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (§ 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 GewSchG) untersagt wird. Voraussetzung solcher Anordnungen ist die Begehung einer vorsätzlichen Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzung (§ 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG) bzw. die widerrechtliche Drohung mit einer solchen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 GewSchG), das Eindringen in die Wohnung oder das befriedete Besitztum (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 a) GewSchG) oder aber das wiederholte Nachstellen oder Verfolgen unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG). Für die effektive Wirksamkeit dieser Schutzanordnung bedeutsamer als die Möglichkeit, die Unterlassung nach § 892a ZPO durch den Gerichtsvollzieher im Wege des unmittelbaren Zwangs vollstrecken zu lassen, ist die Tatsache, dass die Zuwiderhandlung gegen eine Schutzanordnung nach § 4 GewSchG eine (Kriminal-)Straftat darstellt, was ein präventives polizeiliches Einschreiten gegen solche Zuwiderhandlungen ermöglicht.5
4 Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen v. 11.12. 2001, BGBl. I S. 3513. 5 Vgl. BT-Drucks. 14/5429, S. 10.
§ 13 Unterlassungsansprüche zum Schutz der Gesundheit und des Lebens? 327
Dass es sich bei § 1 GewSchG um eine Vorschrift mit materiellrechtlichem Gehalt handelt, unterliegt keinem Zweifel. Das in der „Gegenäußerung der Bundesregierung“ für die Auffassung, dass es sich um eine „rein verfahrensrechtliche Bestimmung“ handele, angeführte Argument, § 1 GewSchG würde sich allein an das Gericht als Normadressaten wenden,6 beruht auf der bereits oben als unrichtig erwiesenen Trennung von Rechtsordnung und Gerichtsordnung. Wer erreichen kann, dass das Gericht dem Antragsgegner untersagt, bestimmte Orte aufzusuchen, kann damit auch „materiell“ verlangen, dass der Antragsgegner diese Orte nicht aufsucht. Der Grund dafür, dass hier dennoch kein materiell-rechtlicher Anspruch i. S. des § 194 BGB auf Unterlassen vorliegt, der bereits durch die Erfüllung eines der Tatbestände des § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GewSchG entsteht, ist allein, dass die richterliche Anordnung konstitutiv für das Verbot des Aufsuchens bestimmter Orte ist und dieser Rechtsbehelf sich daher in die vorprozessuale Sichtweise, dass der Anspruchsgegner auch ohne und vor einer Verurteilung zu dem entsprechenden Verhalten verpflichtet ist, nicht einfügt.7 Überdies steht auch das dem Richter zustehende Ermessen, das eine Vorhersage der richterlichen Entscheidung und damit einen „vorauseilenden Gehorsam“ zumindest erschwert, der Annahme eines vorprozessualen Anspruchs entgegen.8 Es ist allerdings zu beachten, dass sich die Rechtsbehelfe nach dem GewSchG, in deren Rahmen erst die richterliche Anordnung die entsprechende materiellrechtliche Pflicht begründet, in dieser Beziehung nur unwesentlich von Unterlassungsansprüchen unterscheiden, bei denen die Verletzung der ihren Gegenstand bildenden Pflicht in aller Regel keinen Schadensersatzanspruch begründen wird: Abgesehen von der Möglichkeit der Selbsthilfe ist es auch hier erst das Unterlassungsurteil mit der in ihm enthaltenen Androhung von Ordnungsmaßnahmen, das eine erzwingbare Rechtspflicht begründet. § 1 GewSchG ist eine materiellrechtliche Vorschrift, weil sie den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung in Abhängigkeit von der wirklichen (und nicht der im Prozess festgestellten) Tatsachenlage bestimmt.9 Die Besonderheit der Rechtsbehelfe nach § 1 GewSchG besteht darin, dass sie aufgrund des richterlichen Ermessens und der konstitutiven Wirkung der richterlichen Entscheidung im Rahmen der das Element des Gerichts ausblendenden Darstellungsweise des materiellen Rechts nicht darstellbar sind. Wenn man nichtsdestotrotz die Rechtsbehelfe des GewSchG in das herkömmliche, zwischen vorprozessualem materiellem Recht und Zwangsvollstreckungsrecht trennende Schema einordnen will, so ließe sich als vorprozessuales materiell-rechtliches Substrat ein Anspruch auf Unterlassung von Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzungen annehmen, 6
Siehe BT-Drucks. 14/5429, S. 41. Vgl. zu den gedanklichen Voraussetzungen für die Annahme eines materiellen Anspruchs o. § 3 II. 3. a. E. (S. 91). 8 Vgl. o. § 3 II. 3. a. E. (S. 91). 9 s. o. § 3 III. 4. im Text bei Fn. 239. 7
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
der durch die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 1 GewSchG nur in einer Art und Weise durchgesetzt würde, die für den Anspruchsgegner mit bestimmten, über die materielle Unterlassungspflicht hinausgehenden Beschränkungen seiner Handlungsfreiheit verbunden sind. Dass eine solche dogmatische Interpretation der präzisen Darstellung der durch das GewSchG geschaffenen Rechtslage förderlich ist, muss jedoch bezweifelt werden. Auffallend an der Regelung des § 1 GewSchG ist, dass die Schutzbehelfe, abweichend von der heutigen Dogmatik des negatorischen und quasinegatorischen Rechtsschutzes10 aber in Übereinstimmung mit der im BGB getroffenen Regelung, grundsätzlich den Eintritt einer vorsätzlich begangenen Primärverletzung voraussetzen. Die Gefahr einer erstmaligen Verletzung ist nur dann ausreichend, wenn sie auf einer widerrechtlichen Drohung i. S. des § 1 Abs. 2 Nr. 1 GewSchG beruht. Die Möglichkeit, vom Gericht Schutzmaßnahmen anordnen zu lassen, stellt sich damit als eine neben die Schadensersatzpflicht aus § 823 BGB tretende Rechtsfolge eines vorsätzlich begangenen Delikts dar, so dass die in § 1 GewSchG getroffene Regelung im Ergebnis mit den zum Beginn der Entwicklung des quasinegatorischen Rechtsschutzes vertretenen Auffassungen übereinstimmt, die den Unterlassungsanspruch als eine sich aus § 249 BGB ergebende Folge des vollendeten schuldhaften Delikts konstruierten.11 Im Gegensatz dazu werden heute die quasinegatorischen Ansprüche in Fällen, in denen eine erstmalige Verletzung erst droht, nicht als Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung angesehen.12 Die Besorgnis einer erstmaligen Beeinträchtigung könne sich vielmehr auch aus einem „erlaubten“ Verhalten des Anspruchsgegners ergeben.13 Die Regelung des § 1 GewSchG führt demgegenüber vor Augen, dass der generelle Verzicht auf den Eintritt einer Primärverletzung durchaus zweifelhaft ist. Die zusätzliche Freiheitsbeschränkung, die die Schutzmaßnahmen nach § 1 GewSchG für den Antragsgegner bedeuten, bedürfen einer besonderen materiellen Rechtfertigung, die in Fällen, in denen der Antragsgegner durch „rechtmäßige“ Handlungen die Besorgnis erweckt, er könne eine Gewalttat gegenüber dem Antragssteller begehen, gerade nicht vorliegt: Allein eine schon begangene vorsätzliche Tat kann es rechtfertigen, dem Täter über das selbstverständliche, an jeden gerichtete Verbot einer Körper-, Gesundheits-, Freiheitsverletzung hinaus zu gebieten, sich aus dem räumlichen Lebensumfeld des Opfers 10 Dass ein Unterlassungsanspruch auch im Falle einer drohenden erstmaligen Beeinträchtigung bestehen kann, ist heute allgemeine Meinung; vgl. nur Staudinger2006 / Gursky, § 1004 Rn. 214 m.w. N. 11 Vgl. o. § 7 I. 2. 12 Vgl. nur Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 385 u. JZ 1967, 689 (691): „Die Ansprüche aus § 1004 setzen keine Rechtswidrigkeit voraus.“; kritisch zur Rechtswidrigkeit als Voraussetzung negatorischer Ansprüche Fuchs, Deliktsrecht7 (2009), 2. Kap. A VII. 2.2 (S. 121) m.w. N. 13 Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 385 u. JZ 1967, 689 (692): „Entstehung einer Pflicht aus einem (noch) nicht rechtswidrigen Verhalten.“
§ 13 Unterlassungsansprüche zum Schutz der Gesundheit und des Lebens? 329
fernzuhalten, und auf diese Weise die Freizügigkeit des Täters nicht unerheblich zu beschränken. Diese Erwägungen beanspruchen sinngemäß auch Geltung für den Fall, dass man bereit ist, aus den Verletzungsverboten des § 823 Abs. 1 BGB Ansprüche auf Unterlassung bestimmter rechtsgutsgefährdender Tätigkeiten schlechthin abzuleiten. Auch hier stellt sich die Frage, ob nicht erst die Tatsache, dass der Einzelne gegen eines der in § 823 Abs. 1 BGB enthaltenen Erfolgsvermeidungsgebote verstoßen hat und auf diese Weise die mangelnde Fähigkeit zur Steuerung der von seinem Verhalten ausgehenden Gefahren unter Beweis gestellt hat, es rechtfertigt, ihm bestimmte, als rechtsgutsgefährdend erachtete Tätigkeiten unabhängig vom Eintritt einer Rechtsgutsverletzung zu verbieten. Darüber hinaus ist bereits die Kennzeichnung der quasinegatorischen Unterlassungsansprüche als Ansprüche aus „erlaubtem“ Verhalten mit einiger Zurückhaltung zu beurteilen. Eine im Sinne des Zivilrechts unerlaubte Handlung zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass ihre Begehung bestimmte, als Unrechtssanktionen anzusehende Folgen hat. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob nicht bereits die Unterworfenheit unter einen Unterlassungsanspruch das die Anspruchsvoraussetzungen erfüllende „erlaubte Verhalten“ als unerlaubt erscheinen lässt. Es kann nicht außer acht gelassen werden, dass es nicht zuletzt wegen der Kostenfolge des § 91 ZPO oder auch der Möglichkeit etwaiger Abmahnungen für den Einzelnen ratsam ist, bereits solche „erlaubten“ Verhaltensweisen zu unterlassen, die einen Unterlassungsanspruch gegen ihn begründen können. Wenn man in Rechnung stellt, dass das Zivilrecht bei der Bewertung menschlichen Verhaltens nicht auf die pauschale Einteilung in die Kategorien „rechtmäßiges Verhalten“/„rechtswidriges Verhalten“ beschränkt ist, sondern die einzelnen Verhaltensweisen differenzierter beurteilen kann, indem es an sie jeweils spezifische Rechtsfolgen knüpft, so wird man zumindest feststellen können, dass die durch eine bestimmte Handlung verursachte Besorgnis einer Rechtsgutsverletzung, der durch die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs begegnet werden soll, als „unerwünscht“ beurteilt wird. Jedenfalls muss bei der Frage, ob Unterlassungsansprüche bereits dann anzuerkennen sind, wenn Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer erstmaligen Verletzung begründen, berücksichtigt werden, dass die Gewährung solcher Ansprüche geeignet ist, den Einzelnen von der Vornahme von Handlungen abzuhalten, die bisher keinem ausdrücklichen Verbot und daher als „erlaubte“ Handlungen seiner allgemeinen Handlungsfreiheit unterfallen. Die zu Beginn der Entwicklung des quasinegatorischen Rechtsschutzes vertretene Auffassung, dass der Anspruchsgrund für die Unterlassungsansprüche eine unerlaubte (wenn auch schuldlos begangene) Handlung sein müsse,14 hat daher eine gewisse Berechtigung. Sie lehnt sich an den gemeinrechtlichen 14
Vgl. o. § 5 IV. und § 7 I. 2.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Grundsatz an, dass eine Obligation nur aufgrund eines besonderen Verpflichtungsgrundes entstehen kann,15 wobei sie die bloße Gefahr der erstmaligen Begehung eines Delikts für nicht ausreichend erachtet. Dieser Grundsatz, der letztlich besagt, dass niemand ohne besonderen Grund den durch die Gewährung eines Anspruchs in die Hand eines anderen gegebenen Befugnissen, ein Urteil zu erlangen und die Zwangsvollstreckung zu betreiben, unterworfen ist, hat eine nicht zu unterschätzende freiheitssichernde Funktion. Es ist fraglich, ob jemand, der, ohne einen ausdrücklichen Verbotstatbestand wie dem der Nötigung (§ 240 StGB) oder Drohung (§ 241 StGB) zu erfüllen, aus irgendwelchen Gründen den objektiven Anschein erweckt, dass er mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine unerlaubte Handlung begehen werde, dadurch schon ausreichend Anlass dafür gibt, dass ein sich als bedroht fühlender Rechtsgutsinhaber ihn berechtigt verklagen kann. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers16 und dem Wortlaut des § 892a S. 3 ZPO, der § 890 ZPO auf die Unterlassungsanordnungen nach dem GewSchG für anwendbar erklärt, soll das Zivilgericht die Möglichkeit haben, ungeachtet der Strafbarkeit des Verstoßes gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach § 4 GewSchG zusätzlich Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO anzudrohen und gegebenenfalls zu vollstrecken. Ein solches Nebeneinander von Kriminalstrafe und prozessrechtlichen Ordnungsmaßnahmen, die beide jeweils den Verstoß gegen die richterliche Anordnung sanktionieren, ist jedoch, weil es gegen das verfassungsrechtliche Gebot, Doppelsanktionierungen zu vermeiden,17 verstößt, unzulässig. Für ein solches Nebeneinander sind keine hinreichenden Gründe ersichtlich. Das unkoordinierte Nebeneinander beider Sanktionen ergibt allein von dem oben widerlegten Standpunkt aus, dass Kriminalstrafen und prozessrechtliche Ordnungsmaßnahmen sich nach ihrem Zweck und ihrer Funktion grundlegend unterscheiden,18 einen Sinn. Gegen eine solche Annahme verschiedener Funktionen der Kriminalstrafe nach § 4 GewSchG und der Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO spricht schon, dass in der Gesetzesbegründung wiederholt die Funktion der Kriminalstrafe nach § 4 GewSchG als ein Mittel zur Sicherstellung der effektiven Durchsetzung der Schutzanordnungen betont wird.19 Selbst wenn man die Vergeltungsfunktion der Kriminalstrafe betonen würde, ist die Strafdrohung nach § 4 GewSchG jedenfalls neben dieser Funktion ein geeignetes Mittel, um die Geltung der gerichtlichen Anordnungen sicherzustellen, so dass auch unter dieser Voraussetzung kein rechtfertigender Grund für die zusätzliche Verhängung von Ordnungsmaßnahmen bestünde. Es spricht daher alles
15 16 17 18 19
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
dazu Husserl, FS Pappenheim (1931), S. 87 (162 ff.). BT-Drucks. 14/5429, S. 23, 35. o. § 8 IV. o. § 8 III. BT-Drucks. 14/5429, S. 10, 23.
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dafür, die ipso iure gegebene Strafbarkeit des Verstoßes gegen die gerichtlichen Anordnungen als ausschließliches Zwangsmittel zur Durchsetzung solcher Anordnungen anzusehen. Dies hätte darüber hinaus den Vorteil, dass der mit der Erfüllung weiterer Straftatbestände (der Körperverletzung, Nötigung, des Hausfriedensbruchs, etc.) einhergehende Verstoß gegen Schutzanordnungen in einem Strafverfahren einheitlich nach den Grundsätzen der strafrechtlichen Konkurrenzlehre beurteilt werden könnte. Über die in den Bestimmungen des Gewaltschutzgesetzes enthaltenen Rechtsschutzmöglichkeiten hinaus gibt es keinen präventiven zivilrechtlichen Rechtsschutz gegenüber drohenden Körper- und Freiheitsverletzungen. Der durch das Gewaltschutzgesetz gewährte präventive Rechtsschutz erhält seinen Sinn durch die Möglichkeit, dem Täter bestimmte, nicht schon den ohnehin vorhandenen Strafvorschriften unterfallende Verhaltensweisen, die im Vorfeld möglicher künftiger Deliktsbegehungen angesiedelt sind, zu untersagen. Die Zulässigkeit solcher Anordnungen ist aber über den Bereich des Gewaltschutzgesetzes hinaus für den Bereich des „allgemeinen“ quasinegatorischen Rechtsschutzes mangels gesetzlicher Grundlage nicht anzuerkennen. Die Gewährung solcher Ansprüche hätte daher allein zur Folge, dass eine bereits nach §§ 223 ff., 239 ff. StGB strafbare Körper- oder Freiheitsverletzung zusätzlich noch mit den Sanktionen des § 890 ZPO geahndet werden könnte. Abgesehen davon, dass dafür kein praktisches Bedürfnis zu erkennen ist, wäre eine solche Doppelsanktionierung, die zudem ohne gesetzliche Grundlage erfolgen würde, unzulässig. II. Quasinegatorischer Rechtsschutz gegenüber sonstigen Gesundheitsgefährdungen Gegenüber sonstigen Gesundheitsgefährdungen, die sich nicht als gezielter Angriff gegen einen bestimmten Rechtsgutsträger richten, gibt es keine quasinegatorischen Unterlassungsansprüche. Dies ist vor allem in dem Unterschied zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem der allgemeinen Handlungsfreiheit begründet: Der Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit dient allein dem Schutz der Gesundheit.20 Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch, der die im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB zum Schutz der Gesundheit entwickelten Verkehrspflichten zu selbständig einklagbaren Rechtspflichten erheben würde, würde demgegenüber die allgemeine Handlungsfreiheit des Rechtsgutsträgers schützen. Ein solches „Recht“ auf Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit besteht jedoch zivilrechtlich im Verhältnis von Privatpersonen zueinander nicht. Der Grund dafür, dass es durch die Gewährung von vorbeugenden Unterlassungsansprüchen zu einer solchen Auswechslung des Schutzguts kommen 20
Vgl. Reinhardt, Karlsruher Forum 1961, 3 (9 unter III. 2.).
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würde, ist, dass im Falle von nicht zielgerichteten Gefährdungen grundsätzlich zwei Möglichkeiten bestehen, um den Eintritt einer Verletzung zu vermeiden: Der Verursacher kann zum einen die Gefahr beseitigen, indem er die gefährdende Tätigkeit unterlässt oder entsprechende Schutzmaßnahmen ergreift. Zum anderen kann der Rechtsgutsträger den Eintritt einer Verletzung auch dadurch verhindern, dass er der Gefahr ausweicht, indem er z. B. den örtlichen Bereich der Gefahr meidet (Gedanke des Selbstschutzes21). Während unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes beide Möglichkeiten zur Vermeidung einer Rechtsgutseinbuße gleichwertig sind, käme im Hinblick auf eine geschützte Handlungsfreiheit des Rechtsgutsträgers die zweite Variante grundsätzlich nicht in Betracht. Wenn der Rechtsgutsträger ein „Recht“ auf Vornahme bestimmter Handlungen bzw. auf Aufenthalt im Gefahrenbereich hat, so wird er durch die Gesundheitsgefahr in der Ausübung dieses Rechts beeinträchtigt. Es kann nicht von ihm verlangt werden, dass er der Gesundheitsgefahr durch Meidung des Gefahrenbereichs begegnet, weil dies ein Verzicht auf die geschützte Handlungsfreiheit und damit bereits eine Rechtsgutseinbuße wäre. Die Gewährung eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs auf Einhaltung der Verkehrspflicht beinhaltet die Entscheidung, dass der Gesundheitsverletzung allein durch das Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit begegnet werden soll, während dem Rechtsgutsträger entsprechende Selbstschutzmaßnahmen nicht abverlangt werden. Dadurch wird aber dem Rechtsgutsträger gegenüber dem Verursacher der Gefahr ein durch quasinegatorische Unterlassungsansprüche geschütztes „Recht“ darauf eingeräumt, bestimmte Handlungen vorzunehmen. Der Konflikt zwischen dem Interesse des Rechtsgutsträgers, sich an dem bezeichneten Ort aufzuhalten und zwar ungefährdet aufzuhalten, und dem Interesse des Gefahrenverursachers, dort seiner gefährlichen Tätigkeit nachgehen zu können, wird durch die Gewährung eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs zu Gunsten der Handlungsfreiheit des gefährdeten Trägers des Rechtsguts der Gesundheit entschieden. Diese Entscheidung zuungunsten der Handlungsfreiheit des Gefahrenverursachers lässt sich aber daraus, dass dieser im Falle einer Gesundheitsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet ist, nicht herleiten. Die Lösung dieses „Nutzungskonflikts“ und die sich aus dem Gebot, niemanden an seiner Gesundheit zu verletzen, ergebenden Pflichten sind vielmehr unabhängig voneinander: Der Gefahrenverursacher muss, um Gesundheitsverletzungen zu verhindern, seine gefährliche Tätigkeit auch dann unterlassen bzw. einstellen, wenn ihm diese am fraglichen Ort an sich erlaubt ist, und der gefährdete Rechtsgutsträger sich dort zu Unrecht aufhält. Daraus folgt aber gerade nicht, dass auch dann, wenn es wie im Rahmen des quasinegatorischen Rechtsschutzes darum geht, der Gefahr vorausschauend zu begegnen, die Lösung in dem Verbot der gefährlichen Tätigkeit liegt. Im Gegenteil: Wenn der 21
Vgl. dazu z. B. Kötz/Wagner, Deliktsrecht10 (2006), Rn. 148.
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Gefahrenverursacher zu seiner Tätigkeit „materiell“ berechtigt ist und der Rechtsgutsinhaber sich widerrechtlich im Gefahrenbereich aufhält, kann die vorausschauende Lösung zur Beseitigung der Gefahr allein darin bestehen, dass der Rechtsgutsinhaber auf die Möglichkeit des Selbstschutzes durch Meidung der Gefahrenzone verwiesen wird. Um dies an einem extremen Beispiel zu verdeutlichen: Einmal angenommen, dass die körperliche Anwesenheit von Demonstranten allein nicht nur keine Gewalt im Sinne des § 240 StGB22 darstellt, sondern auch keinen notwehrfähigen Angriff i. S. des § 32 StGB begründet,23 so ist ein Autofahrer, der seine Fahrt ungeachtet der sich auf der Autobahn befindenden Demonstranten unbeirrt fortsetzt, gegebenenfalls nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz aufgrund rechtswidriger Körperverletzung verpflichtet. Geradezu absurd wäre es jedoch, daraus abzuleiten, dass den Demonstranten ein entsprechender quasinegatorischer Unterlassungsanspruch zustünde.24 In Bezug auf die Kollision der Handlungsfreiheit der Demonstranten und der Autofahrer gebührt der Vorrang eindeutig der Handlungsfreiheit der Letzteren: Diese sollen auf der Autobahn fahren können, während den Demonstranten als Fußgängern der Aufenthalt verboten ist (§ 18 Abs. 9 S. 1 StVO). Wenn es daher um den vorausschauenden Schutz der Gesundheit von Demonstranten vor den Gefahren des Autobahnverkehrs geht, so ist die einzig rechtlich richtige Lösung, die Demonstranten auf die Möglichkeit des Selbstschutzes durch Beachtung des Verbots des Betretens der Autobahn zu verweisen. Quasinegatorische Ansprüche, die den unerlaubten Aufenthalt auf der Fahrbahn gegen die Gefahren des fließenden Verkehrs sichern würden, kommen dementsprechend nicht in Betracht. Wenn die Gesundheit der Demonstranten im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB auch dann rechtlichen Schutz genießt, wenn diese rechtswidrig die Autobahn blockieren, so kann dieser Schutz als Instrument benutzt werden, um die Hand22
BVerfGE 92, 1. In der strafrechtlichen Lehre wird zum Teil davon ausgegangen, dass ein notwehrfähiger Angriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit erst dann vorliege, wenn dieser die Schwelle der strafbaren Nötigung überschritten habe (Nachweise bei Kühl, Strafrecht AT6 (2008), § 7 Rn. 35 Fn. 45). Für die Sitzblockaden-Fälle wird demgegenüber vertreten, dass „ein rechtswidriger Angriff auf die Fortbewegungsfreiheit des blockierten Autofahrers selbst dann vorliegen“ könne, „wenn eine Strafbarkeit des Sitzblockierers mangels Verwerflichkeit i. S. v. § 240 II nicht bejaht werden kann“ (Kühl, Strafrecht AT6 (2008), § 7 Rn. 59 m.w. N.). Dies ist nicht unzweifelhaft: Während der Staat durch die Zurücknahme der Strafdrohung auf ein Mittel zur Erzwingung des rechtmäßigen Verhaltens verzichtet, soll der Einzelne abweichend von dem allgemeinen Gewaltverbot befugt sein, das rechtmäßige Verhalten mittels „Faustrechts“ zu erzwingen? Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des allgemeinen Rechtsfriedens erscheint diese Lösung jedenfalls nicht begrüßenswert. 24 Davon, dass das Vorliegen weiterer Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruches, wie z. B. der Wiederholungsgefahr, in solchen Fällen ausgeschlossen ist, soll hier einmal abgesehen werden. 23
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
lungsfreiheit der Autofahrer einzuschränken. Das eigentliche Hindernis für die Autofahrer ist weniger die von Demonstranten ausgehende körperliche Zwangswirkung, als die Tatsache, dass das Überfahren der Demonstranten nicht nur ethischen Grundsätzen widerspricht, sondern auch – wenn man es nicht als durch Notwehr gerechtfertigt ansieht – empfindliche rechtliche Konsequenzen für den Autofahrer hat. Vom Standpunkt des Rechtsgüterschutzes aus besteht nicht der geringste Grund, den Demonstranten durch quasinegatorische Unterlassungsansprüche weitere Nötigungsmittel zur Verfügung zu stellen. Das Verhältnis des Schutzes der Freiheit zur Vornahme bestimmter Handlungen zu dem Schutz des Gesundheit nach § 823 Abs. 1 BGB kann man sich in manchen Beziehungen dem Verhältnis zwischen petitorischer und possessorischer Ordnung entsprechend vorstellen: Ebenso wie der nach § 903 BGB zur Nutzung berechtigte Eigentümer auf einer vordergründigen Ebene die Sache nicht nutzen darf, wenn er dabei verbotene Eigenmacht gegenüber dem unberechtigten Besitzer verüben würde, so muss auch derjenige, der „an sich“ zu bestimmten Tätigkeiten berechtigt ist, diese unterlassen, wenn er dadurch die Gesundheit des Rechtsgutsträgers verletzen würde. Wenn es aber auf einer tiefgründigeren Ebene darum geht, für die Zukunft zu klären, wer zu bestimmten Handlungen berechtigt ist, setzt sich der zur gefährlichen Tätigkeit Berechtigte ebenso durch, wie der Eigentümer mit den petitorischen Rechtsbehelfen gegenüber dem unberechtigten Besitzer. Für den Bereich der Verkehrspflichten im engeren Sinne ist anerkannt, dass vorbeugende Ansprüche gegenüber demjenigen, der den Verkehr eröffnet hat, nicht bestehen:25 So haftet z. B. der Kaufhausinhaber auf Schadensersatz, wenn ein Kunde auf nassem Fußboden ausrutscht und sich verletzt. Die entsprechende Verkehrspflicht beruht aber nicht darauf, dass die Kunden ein „Recht“ darauf haben, sich ungefährdet im Kaufhaus aufzuhalten, sondern auf dem Schutz der Erwartung des Verkehrs, dass in der eröffneten Verkehrsfläche keine nicht erkennbaren Gesundheitsgefahren bestehen. Ein Unterlassungsanspruch gegen den Kaufhausinhaber kann nicht bestehen, weil dieser einer Gesundheitsverletzung des Kunden stets dadurch vorbeugen kann, dass er diesen von der Benutzung ausschließt. Er kann die Wahl zwischen den beiden bei vorausschauender Betrachtung zur Vermeidung von Gesundheitsverletzungen prinzipiell in Frage kommenden Möglichkeiten (Beseitigung der Gefahrenquelle, Selbstschutz des Rechtsgutsinhaber durch Meidung der Gefahrenzone) für sich entscheiden, weil er als Eigentümer bzw. Inhaber des Hausrechts vom Kläger eine zur Beseitigung der Gefahr geeignete Selbstschutzmaßnahme (das Nichtbetreten des Kaufhauses) verlangen kann. Die dargestellten Beispielsfälle (Sitzblockade auf der Autobahn, Verkehrspflicht des Kaufhausinhabers) stimmen insoweit überein, als in beiden Fällen 25
Vgl. für den Regelfall MünchKomm3 /Mertens (1997), § 823 Rn. 64 m.w. N.
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der gefährdete Rechtsgutsinhaber von der Nutzung des Gefahrenbereichs ausgeschlossen war: im ersten Fall aufgrund eines allgemeinen Verbotsgesetzes (§ 18 Abs. 9 S. 1 StVO), im zweiten Fall aufgrund des absoluten Ausschließungsrechts des Kaufhausinhabers (§§ 862, 1004 BGB). Quasinegatorische Ansprüche schieden aus, weil der Rechtsgutsinhaber auf die Möglichkeit des Selbstschutzes durch die ihm ohnehin gebotene Meidung des Gefahrenbereichs verwiesen werden konnte. Die oben angestellten Überlegungen lassen sich jedoch sinngemäß auch auf Gesundheitsgefährdungen im öffentlichen Raum übertragen, dessen Nutzung dem gefährdeten Rechtsgutsinhaber, ohne dass er dazu besonders berechtigt ist, erlaubt ist. Die Tatsache, dass dem Rechtsgutsinhaber und dem Gefahrenverursacher die Nutzung des öffentlichen Raumes gleichermaßen erlaubt und keiner von beiden gegenüber dem anderen bevorrechtigt ist, hat zur Konsequenz, dass weder der Gefahrenbeseitigung durch den Verursacher noch dem Selbstschutz des Rechtsgutsinhabers der Vorrang gebührt. Da dem Rechtsgutsinhaber gegenüber dem Gefahrenverursacher kein (Vor-)Recht auf Nutzung und damit ungefährdete Nutzung eines bestimmten Teils des öffentlichen Raumes zusteht, ist ihm grundsätzlich ein Ausweichen vor der Gefahr im gleichen Maße zuzumuten, wie dem Verursacher die Beseitigung der Gefahr. So besteht z. B. kein privates „Recht“ gegenüber einem anderen Privatrechtssubjekt darauf, den Bürgersteig zu benutzen und dementsprechend auch kein „Recht“ darauf, ihn ungefährdet zu benutzen. Wenn sich auf dem Bürgersteig eine Gefahrenstelle befindet, ist der Gefährdete genauso gehalten, die Straßenseite zu wechseln, wie dies der Fall ist, wenn ihm dort eine Menschenmenge das Durchkommen unmöglich macht. Die prinzipielle Zumutbarkeit des Ausweichens als Selbstschutzmaßnahme schließt aber quasinegatorische Unterlassungsansprüche zum Schutz des Rechtsguts der Gesundheit vor Gefahren im öffentlichen Raum aus. Ein gegenüber anderen Privatpersonen vorrangiges Recht auf Nutzung und damit auch auf ungefährdete Nutzung gibt es privatrechtlich nur im Rahmen des Eigentums- und Besitzschutzes. Der Eigentumsschutz sichert, wie vor allem die in § 906 BGB aufgezählten Beeinträchtigungsarten zeigen, nicht nur vor Gefahren, die der Sachsubstanz drohen, sondern vor allem auch vor Gefahren, die den berechtigten Benutzern der Sache drohen und die Ausübung der durch § 903 BGB geschützten Freiheit be- oder verhindern.26 26 Zutreffend daher Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 37 f.: Die Gefährdung der Gesundheit des seine Gartensitzecke nutzenden Grundstückseigentümers durch Nachbarskinder, die Schießübungen mit Pfeil und Bogen durchführen, beeinträchtigt diesen (noch) nicht in dem Rechtsgut der Gesundheit, sondern allein in seinem Eigentum und Besitz. Sein aus dem Eigentum folgendes Recht auf Nutzung des Grundstücks ist beeinträchtigt, weil kein „vernünftig denkender Mensch“ die Sitzecke, ungeachtet der von den Pfeilen ausgehenden Gesundheitsgefahr, nutzen würde; vgl. aber für das Eigentum an beweglichen Sachen Reinhardt, Karlsruher Forum 1961, 3 (9 f. unter III. 2.).
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Der Schutz vor Gesundheitsgefahren im öffentlichem Raum ist dem zugrundeliegenden Interessenkonflikt entsprechend abweichend organisiert. Zum einen ist von den im öffentlichen Raum bestehenden Gesundheitsgefahren in aller Regel nicht ein bestimmter, sondern viele im Voraus nicht individualisierbare Rechtsgutsträger betroffen, so dass das Maß des erlaubten Risikos nicht in Bezug auf eine bestimmte Einzelperson, sondern in Bezug auf die Allgemeinheit bestimmt wird. Zum anderen müssen auch innerhalb des öffentlichen Raums Bereiche für Tätigkeiten geschaffen werden, die für andere Personen mit Gesundheitsgefahren verbunden sind. Dies hat zur Folge, dass die abstrakte Erlaubtheit einer bestimmten Tätigkeit nicht von den mehr oder weniger zufällig anwesenden Rechtsgutsträgern, sondern von der Örtlichkeit, an der sie vorgenommen wird, abhängt. Weil nicht die Gesundheit des einzelnen Betroffenen der Maßstab für das Bestehen einer Unterlassungspflicht ist, besteht kein Anlass dem Einzelnen eine Unterlassungsklage zu gewähren. Gegenstand des Rechtsstreites wäre nicht eine Beeinträchtigung der individuellen Gesundheit des Klägers, sondern die Frage, inwieweit die Tätigkeit mit den allgemeinen, ortsbezogenen und den Schutz der Allgemeinheit bezweckenden Verbotsnormen in Einklang steht. Da alle Gefährdeten konsequenterweise klagebefugt sein müssten, würde eine Art Popularklage geschaffen, die zu einer Häufung von nach identischem Maßstab zu entscheidenden Prozessen führen würde. Dass vom AG Marbach in der oben angesprochenen Entscheidung27 quasinegatorische Ansprüche auf Unterlassung der von einem Zierteich ausgehenden Gesundheitsgefährdungen prinzipiell für möglich gehalten wurden, muss vor dem Hintergrund, dass die Kläger minderjährig waren, beurteilt werden. Allein die Tatsache, dass den vier- und fünfjährigen Klägern die Fähigkeit fehlte, sich selbst vor den vom Zierteich ausgehenden Gefahren zu schützen, indem sie in Achtung des fremden Eigentums das Nachbargrundstück nicht betraten, könnte diese Ansprüche rechtfertigen. Dennoch bestehen gegenüber der Anspruchsgewährung erhebliche Bedenken. Die Verkehrspflicht, keine ungesicherten Zierteiche auf für Kinder zugänglichen Grundstücksflächen zu unterhalten, besteht nicht allein zum Schutz der Kläger, sondern prinzipiell zum Schutz aller Kinder, die, von der Faszination des Wassers angelockt, in den Teich fallen können. Selbst wenn man den Kreis der Kläger auf die Kinder der Nachbarschaft begrenzen würde (die Kläger in der Entscheidung des AG Marbach waren nicht einmal die unmittelbar angrenzenden Nachbarn28), würde potentiell in einer Vielzahl von Verfahren gegebenenfalls divergierend über dieselbe Rechtsfrage (ausreichende Sicherung des Teichs) entschieden. Dem allgemeinschützenden Charakter der Verkehrspflicht würde es dagegen entsprechen, wenn in einem 27
s. o. § 6 im Text zu Fn. 22 ff. Vgl. AG Marbach, NJW 1988, 346 (346 l. Sp. o.): „zwischen den Hausgrundstücken der Parteien liegen 3 Reihenhäuser“. 28
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(behördlichen) Verfahren einheitlich über die Einhaltung der Verpflichtung im Verhältnis zu allen Geschützten entschieden würde. Durch die Einräumung quasinegatorischer Ansprüche würde den Klägern zudem die Möglichkeit eingeräumt, ein Schutzniveau einzufordern, das nur im Hinblick auf die Interessen der Allgemeinheit, nicht aber im Hinblick auf ihre isoliert betrachtete Schutzbedürftigkeit gerechtfertigt ist: Es steht keineswegs fest, dass eine entsprechende Sicherung der Zierteichs auch dann geboten wäre, wenn die Kläger die einzigen Kinder wären, die in einem größeren Umkreis wohnen. Eng damit zusammen hängt der zweite Einwand gegen die Gewährung quasinegatorischer Ansprüche, die auf das Rechtsgut der Gesundheit gestützt werden. In der Sachverhaltsbeschreibung des AG Marbachs selbst wird deutlich, dass es bei dem Rechtsstreit nicht (allein) um den Schutz der Gesundheit der minderjährigen Kläger geht, sondern um deren „Recht“, auf dem Zugangsweg zu den Reihenhäusern, in denen die Kläger und die Beklagte wohnen, – ungefährdet, und man wird ergänzen dürfen: zumindest teilweise unbeaufsichtigt – spielen zu können.29 Der Schluss von der Unzumutbarkeit des Selbstschutzes bei Kindern auf quasinegatorische Unterlassungsansprüche erweist sich möglicherweise als vorschnell. Gerade weil Kindern die Fähigkeit fehlt, eigenverantwortlich Verletzungen vorzubeugen, unterliegen sie dem Sorgerecht der Eltern,30 die durch entsprechende Beaufsichtigung die Kinder zu schützen haben. Wenn auch im vorliegenden Fall der Verweis auf die Möglichkeit des Schutzes der Kinder durch Beaufsichtigung durch die Eltern gewiss nicht besonders kinderfreundlich wäre, wird man konstatieren müssen, dass es im öffentlichen Raum zahlreiche Orte gibt, wo Kinder aufgrund der an diesen Orten rechtmäßig bestehenden Gefahren sich nicht ohne ununterbrochene Beaufsichtigung durch Erziehungsberechtigte aufhalten können. Der Schluss von der deliktischen Schadensersatzberechtigung auf ein primäres Recht auf ungefährdetem Aufenthalt erweist sich daher auch im Falle von Kindern als unzutreffend. Ob und wo Kinder sicher und unbeaufsichtigt im öffentlichen Raum spielen können, ist ebenfalls eine Frage der örtlichen Planung. Der vom AG Marbach entschiedene Fall liegt allerdings insoweit anders, als der Zugangsweg, auf dem die Kinder spielten, keine öffentliche Straße war, sondern sich offensichtlich im Gemeinschaftseigentum der anliegenden Reihenhausbesitzer befand.31 Man hätte die Sache daher zutreffend als eine nachbarrechtliche Streitigkeit behandeln und darauf abstellen können, ob den Eltern, die neben ihren Kindern geklagt hatten, aufgrund des Gemeinschafts29 Vgl. AG Marbach, NJW 1988, 346 (346 l. Sp.): „Die Kl. behaupten . . . Der gemeinsame Zugangsweg zu den Reihenhäusern eigne sich vortrefflich als Spielfläche für die Kl. zu 3 und 4 und die Nachbarkinder.“ 30 Siehe § 1631 Abs. 1 BGB: „die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen“. 31 Vgl. AG Marbach, NJW 1988, 346 (346 l. Sp.): „der gemeinsame Zugangsweg zu den Reihenhäusern“.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
eigentums ein „Recht“ zustand, den Zugangsweg als Spielfläche für ihre Kinder zu benutzen und ob dieses „Recht“ durch den sich allerdings auf dem im Alleineigentum des Beklagten befindenden Zierteich beeinträchtigt wurde. Das Grundeigentum und nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist entgegen mancher Äußerungen des Schrifttums32 auch für Klagen gegenüber so genannten ideellen Immissionen der zutreffende Ansatzpunkt. Nicht die Verletzung des ästhetischen Gefühls einer mehr oder weniger zufällig anwesenden Person, sondern allein die Tatsache, dass diese Person als Eigentümer zur unbeeinträchtigten Nutzung des Grundstücks berechtigt ist und von ihr daher ein Ausweichen vor dem unästhetischen Anblick nicht verlangt werden kann, eignet sich als Grundlage einer solchen negatorischen Klage. Ein auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestütztes Abwehrrecht würde auch hier verdecken, dass sich der Maßstab für die Zulässigkeit einer bestimmten Tätigkeit oder eines baulichen Zustands unter ästhetischen, moralischen oder ethischen Aspekten nicht auf den räumlich beweglichen Träger des Persönlichkeitsrechts bezieht, sondern ortsbezogen ist. Unterlassungsansprüche auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wären zudem mit der Systematik der dinglichen Rechte nicht vereinbar. Würde man ideelle Immissionen als abwehrfähige Beeinträchtigungen ansehen, müsste es möglich sein, das Abwehrrecht gegen solche Beeinträchtigungen durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit zu Lasten des Nachbargrundstücks auszuschließen. Dass die Grunddienstbarkeit als Eigentumsbelastung auch ein dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entstammendes Abwehrrecht ausschließen soll, könnte jedoch kaum überzeugen.33 Wenn in diesem Abschnitt von einem „Recht“ auf Vornahme einer bestimmten Handlung die Rede ist, wird der Begriff des Rechts hier im Anschluss an die Arbeiten Benthams,34 Harts35 und Alexys36 im Sinne einer „bewehrten Freiheit“ verwendet und damit abweichend von dem oben in § 11 entwickelten Begriff des subjektiven Rechts. Ein Recht im Sinne einer bewehrten Freiheit (liberty-right) liegt danach vor, wenn einem Rechtssubjekt die Möglichkeit der tatsächlichen Vornahme einer ihm rechtlich freigestellten (d. h. weder gebotenen noch verbotenen) Handlung durch entsprechende Verpflichtungen anderer Rechtssubjekte, die Vornahme der freigestellten Handlung weder zu be- noch 32
Vgl. Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 102 m.w. N. Bei den Rechten, deren Ausübung nach § 1018 Var. 3 BGB ausgeschlossen werden können, muss es sich um Rechte aus dem Eigentum und nicht nur um sonstige Rechte des Eigentümers handeln (vgl. MünchKomm4 /Falckenberg (2004), § 1018 Rn. 37; Soergel13 /Stürner (2001), § 1018 Rn. 33). Ein dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entstammendes Abwehrrecht gegenüber ideellen Immissionen könnte daher durch eine Grunddienstbarkeit nicht ausgeschlossen werden. 34 Bentham, in: The works of Jeremy Bentham (1962), Vol. 3, S. 159 f., 218 f. 35 H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 166 f., 171 ff. 36 Alexy, Theorie der Grundrechte (1996), S. 208 f. 33
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zu verhindern, gesichert wird.37 Hart will neben den durch eine „strictly correlative obligation“ auch die lediglich durch einen „protective perimeter“ geschützten Handlungsfreiheiten als Recht der Kategorie der „liberty-rights“ erfassen.38 Seine Überlegung dabei ist, dass die Freiheit zur Vornahme der meisten erlaubten Handlungen einen gewissen Schutz durch einen so genannten „protective perimeter“, d. h. durch Verbote und Gebote erhalten, die zwar nicht auf die Freiheit zur Vornahme der in Frage stehenden Handlung bezogen sind, die jedoch deren Vornahme dadurch schützen, dass sie bestimmte Arten der Verhinderung, z. B. die Gewaltausübung, allgemein verbieten.39 So erfahre z. B. die Freiheit, sich an der Nase zu kratzen, ohne dass ein dieser Freiheit korrelierendes Störungsverbot bestünde, bereits dadurch einen effektiven Schutz, dass praktisch keine legale Möglichkeit bestehen dürfte, jemanden daran zu hindern, sich an der Nase zu kratzen.40 Anders als die „nackte“, ungeschützte Freiheit zur Vornahme einer Handlung, deren Bezeichnung als Recht irreführend41 sei, hält Hart die Bewehrung durch solche allgemeinen Ge- und Verbote für die Annahme eines „liberty-right“ für ausreichend.42 Aber gerade die Tatsache, dass der „protective perimeter“ keinen spezifischen Bezug zu der durch ihn faktisch geschützten Freiheit aufweist, schließt es m. E. aus, eine nur auf diese Weise geschützte Freiheit als Recht zu erfassen.43 In einer Rechtsordnung, die einen Normenbrecher nicht per se rechtlos stellt, würde auch ein Verbot der bisher freigestellten „geschützten“ Tätigkeit den Schutz durch den „protective perimeter“ nicht entfallen lassen. Mit anderen Worten: der Schutz der Möglichkeit, sich ungestört vor Übergriffen anderer Privatpersonen an der Nase zu kratzen, ist grundsätzlich unabhängig davon gegeben, ob das Sich-an-der-Nase-Kratzen eine erlaubte oder eine verbotene Tätigkeit darstellt. Aufgehoben wird der „protective perimeter“ durch die Befugnis zur Notwehr erst dann, wenn die verbotene Tätigkeit ihrerseits ein Rechtsgut oder echtes Freiheitsrecht (i. S. einer durch korrespondierende Störungsverbote bewehrten Freiheit, wie z. B. dem Eigentum) einer anderen Privatperson verletzt, und auch dann grundsätzlich nur insoweit, als das jeweilige, den „protec-
37 H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 172: „a man has a wested or established right when he has a right that others should abstain from interfering with a liberty which he has“. 38 Siehe H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 171: „a liberty-right protected only by a normally adequate perimeter of general obligations“. 39 Ebd. S. 171. 40 Ebd. S. 171. 41 Ebd. S. 173: „not only strange but misleading“. 42 Vgl. ebd. S. 171: „the protection . . . will be adequate“. 43 Im Ergebnis ebenso Wolff, Verbotenes Verhalten (1923), S. 158: kein Recht auf „den besten Platz in der Straßenbahn“, weil jeder einem zuvorkommen darf, wenn nicht das von ihm gebrauchte Mittel als solches verboten ist.
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tive perimeter“ mitkonstituierende Verbot, nur Rechtsgüter des Rechtsverletzers, nicht aber solche der Allgemeinheit oder dritter Personen schützen soll. Dies wurde bei dem oben angeführten Beispiel der die Autobahn blockierenden Demonstranten deutlich. Der Verstoß gegen § 18 Abs. 9 S. 1 StVO als solcher verletzt keine Rechte der Autofahrer, so dass ihr unerlaubter Aufenthalt auf der Autobahn gegenüber gewaltsamen Übergriffen der Autofahrer weiterhin durch einen „protective perimeter“ geschützt wird. Dieser Schutz würde nur dann aufgehoben, wenn der Aufenthalt auf der Autobahn seinerseits einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf Rechtsgüter der Autofahrer darstellen würde. Da den Autofahrern aber durch die Straßenverkehrsordnung ebenso wenig ein Recht auf ungehinderte Autobahnbenutzung wie ein „Recht auf einen Parkplatz“ eingeräumt wird, liegt lediglich eine Beeinträchtigung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit vor. Gegenüber einer solchen Beeinträchtigung besteht aber, wenn man nicht bereit ist, die alleinige Anwesenheit der Demonstranten, die die von den Autofahrern erstrebte (kurzfristige) Anwesenheit an gleicher Stelle ausschließt, als Gewalt im Sinne des § 240 StGB anzusehen,44 im Grundsatz kein Schutz. Der wichtigste Grund, der dagegen spricht, den vor allem durch das allgemeine Gewaltverbot als „protective perimeter“ bewirkten Freiheitsschutz als Freiheitsrecht zu bezeichnen, ist, dass das allgemeine Gewaltverbot als Grundregel unserer Rechtsordnung45 die Voraussetzung dafür ist, dass man überhaupt sinnvoll zwischen dem Bestehen und Nichtbestehen von Pflichten unterscheiden kann. Wenn das wesentliche Merkmal für das Bestehen einer Rechtsnorm die Möglichkeit der staatlichen Durchsetzung oder Sanktionierung eines Normverstoßes ist, so zeichnet sich das Nichtbestehen einer Rechtsnorm vor allem durch das Nicht-Vorhandensein dieser Möglichkeit aus. In einem Unrechtsstaat, in dem der Bürger dem vollkommen willkürlichen Zugriff der Staatsmacht ausgesetzt ist, hat die Aussage, dass nach dem effektiv geltenden Recht eine bestimmte Tätigkeit erlaubt oder verboten ist, offensichtlich keinen Sinn. In dem von Hart gebildeten Beispiel46 der Heloten, denen ein bestimmtes Verhalten weder geboten noch verboten ist, gegenüber denen jedoch freie Bürger in beliebiger Weise Gewalt ausüben dürfen, hat bereits die Annahme des Nichtvorhandenseins einer Verhaltenspflicht allenfalls dann einen Sinn, wenn es zumindest einer von den freien Bürgern zu unterscheidenden Staatsmacht an dem Recht fehlt, die Heloten an der Vornahme der Handlung zu hindern.
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Vgl. soeben Fn. 22. Vgl. Bydlinski, System (1996), S. 137 f.: Selbsthilfeverbot als Kern der friedensstiftenden staatlichen Durchsetzung subjektiver Rechte ist eines der drei Grundprinzipien der subjektiven Rechte. 46 H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 173. 45
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Für das Privatrecht ist das Verbot der Gewaltausübung zwischen den einzelnen Privatpersonen konstitutiv. Ein System von gerichtlich durchsetzbaren Ansprüchen auf bestimmte Handlungen anderer Personen setzt voraus, dass es dem Anspruchinhaber nicht ohnehin erlaubt ist, mit beliebigen Mitteln von ihm erwünschte Handlungen anderer Personen zu erzwingen und dass sich umgekehrt der Anspruchsgegner seiner Pflicht nicht durch beliebige Gewaltanwendung entziehen darf. Wenn man zudem die Bedeutung des Prinzips des Ausschlusses des Popularrechtsschutzes für das Privatrecht berücksichtigt, das insoweit besagt, dass nur derjenige sich auf eine Norm berufen kann, dem diese ausdrücklich als sein Recht zugewiesen wurde, so zeigt sich, dass das, was als durch einen „protective perimeter“ geschütztes Freiheitsrecht bezeichnet wird, in Wirklichkeit nur den privatrechtlichen Ausgangszustand bezeichnet, in dem auf das Unterlassen bzw. die Vornahme der in Frage stehenden Handlung kein Anspruch eines anderen Privatrechtssubjekts besteht.47 Die Aussage, dass dem Privatrechtssubjekt A im Verhältnis zum Privatrechtssubjekt B eine bestimmte Tätigkeit nicht verboten ist, beinhaltet schon den Schutz durch den „protective perimeter“: B hat kein Recht, den A mittels des geordneten Rechtszwangs oder der – selbst im Falle des Bestehens eines Anspruchs weitestgehend ausgeschlossenen – privaten Gewaltausübung zur Unterlassung der Tätigkeit zu zwingen. Es wäre daher irreführend, diesen Zustand der Nichtunterworfenheit unter fremde Ansprüche mit dem gleichen Begriff des Freiheitsrechts zu bezeichnen wie das Eigentum, bei dem die Freiheit des Eigentümers zur Nutzung der Sache durch Ansprüche auf Unterlassung jedweder Störung durch Dritte geschützt wird. Das Verbot, Gesundheitsverletzungen zu verursachen, gehört zu den Regeln, die den privatrechtlichen Ausgangszustand begründen, in dem niemandem die Möglichkeit der Vornahme bestimmter Handlungen als Privileg gesichert wird, sondern in dem alle gleichberechtigt in der Ausübung ihrer Handlungsfreiheit miteinander konkurrieren. Insofern treffend bezeichnet Hart den „protective perimeter“ als den (Kampf-)Ring, innerhalb dessen die Einzelnen in der Ausübung ihrer Freiheit konkurrieren.48 Auf diesem Ausgangszustand aufbauend wird die Freiheit Einzelner zur Vornahme bestimmter Handlungen durch absolute Rechte gegen Beeinträchtigungen anderer geschützt. Dabei setzen diese besonderen Befugnisse zur Vornahme bestimmter Handlungen in aller Regel die Grundregeln des „protective perimeter“ nicht außer Kraft, d. h. der Berechtigte darf sein 47 Es ist gewissermaßen nur der Zustand der natürlichen Freiheit, vgl. D.1.5.4 pr (Florent. l. 9 inst): Libertas est naturalis facultas eius quod cuique facere libet, nisi si quid vi aut iure prohibitur. (Die Freiheit ist die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem jeden zu tun beliebt, sofern man daran nicht durch das Recht oder durch Gewalt gehindert wird) – wobei die Gewalt selbst aufgrund des Gewaltverbots verboten ist. 48 H. L. A. Hart, Essays on Bentham (1982), S. 172: „The perimeter of obligations . . . constitutes the ring within which the competitors compete in the exercise of their liberties.“
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Recht nicht unter Verletzung des Verbots von Gewalt und Gesundheitsverletzungen im Wege der Selbsthilfe verwirklichen, sondern muss den Gerichtsweg beschreiten. Aus der Tatsache allein, dass eine Handlung gegen das Verbot der Verursachung von Gesundheitsverletzungen verstoßen würde, kann daher nicht auf ein privilegiertes „Recht“ zur Vornahme bestimmter Handlungen geschlossen werden. Soweit die Handlungen, bei denen der Rechtsgutsinhaber der Gesundheitsgefährdung ausgesetzt ist, nicht in Ausübung eines besonderen Freiheitsrechts, sondern nur der allgemeinen Handlungsfreiheit erfolgen, setzt sich seine Handlungsfreiheit gegenüber der des Gefahrenverursachers nicht durch. Er ist für die Vermeidung von Verletzungen seiner Gesundheit im gleichen Maße verantwortlich wie derjenige, der sich gefährlich verhält, und muss daher der Gefahr gegebenenfalls ausweichen. Quasinegatorische Unterlassungsansprüche stehen ihm nicht zu.
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§ 14 Die Rechtsgutsgefährdung als abwehrfähige Beeinträchtigung – Die Frage der vom Eintritt des Erfolges unabhängigen Rechtswidrigkeit fahrlässiger Handlungen I. Einführung 1. Mögliche Funktionen des Tatbestandsmerkmals der „Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen“ Die Entstehung negatorischer Unterlassungsansprüche setzt nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB voraus, dass „weitere Beeinträchtigungen zu besorgen“ sind. Versteht man unter dem Begriff der Beeinträchtigung den Beeinträchtigungserfolg, wäre Anspruchsvoraussetzung demnach die Besorgnis, dass der Anspruchsgegner durch sein Verhalten den Beeinträchtigungserfolg herbeiführen wird. Die den Gegenstand des Anspruchs darstellende Unterlassung der Beeinträchtigung müsste dementsprechend ebenfalls erfolgsbezogen verstanden werden, d. h. von dem Anspruchsgegner könnte nur die Nichtherbeiführung des Beeinträchtigungserfolgs, nicht aber die Unterlassung bestimmter erfolgsgefährlicher Verhaltensweisen schlechthin verlangt werden. Die Konsequenz eines erfolgsbezogenen Verständnisses des Unterlassungsanspruches wird vor allem im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO deutlich: Eine Anspruchsverletzung, d. h. eine Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht, die nach § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO mit einem Ordnungsgeld (bzw. einer Ordnungsmaßnahme) geahndet werden kann, läge erst mit dem Eintritt des Beeinträchtigungserfolgs vor. Für den Rechtsgutsinhaber bedeutet dies, dass er selbst gegenüber solchen Handlungen des Anspruchsgegners, die aus seiner Sicht mit einem enorm hohen Risiko für das Rechtsgut behaftet sind, keine unmittelbare Handhabe hätte. Eine Ahndung dieser Verhaltensweisen mit Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO könnte er erst dann herbeiführen, wenn sich das mit ihnen verbundene Risiko im Eintritt des Erfolgs realisiert hat. Um die Verletzung bzw. Beeinträchtigung des Rechtsguts zu verhindern, ist es dann allerdings zu spät. Es liegt auf der Hand, dass die dem quasinegatorischen Rechtsschutz zugedachte Funktion, Schäden zu verhüten, anstatt sie im Rahmen des deliktischen Schadensersatzanspruchs aus § 823 BGB nur zu vergüten,1 im Rahmen des soSiehe u. a. Staudinger2007 /Bund, § 862 Rn. 2; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Band II (1999), Rn. 119; Lewald, Unterlassungsklage (1937), S. 12, 16 mit Begründung durch nationalsozialistisches Gemeinschaftsdenken (Grundsatz der Werterhaltung im Interesse der Gesamtheit: ausgeglichen werden kann der Schaden nur für den Einzelnen, für die „Volksgesamtheit bleibt die ,Vernichtung eines Wertes‘“); Timm, Unterlassungsklage (1931), S. 12); Simons, Unterlassungsklage (1928), S. 8 f.; Flad, JherJb 70 (1921), 337 (338); – vgl. auch CTh. 9.14.2 [= brev.9.11.2]: „melius est enim occurrere in tempore, quam post exitum vindicari.“; C. 3.27.1 pr.: „melius enim est occurrere in tempore, quam post exitum vindicare.“; a. A. Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 556. 1
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eben dargelegten erfolgsbezogenen Verständnisses der Unterlassungspflicht nicht erfüllt werden kann. Anstatt Rechtsgutsgefährdungen im Vorfeld der Entstehung eines Schadens zu unterbinden, würde der quasinegatorische Rechtsschutz im Ergebnis nur dazu führen, dass im Falle der eingetretenen Verletzung eines Rechtsguts neben den Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB unter im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme nach § 890 Abs. 1 ZPO treten würde. Auf diese Weise würde die von der Schadensersatzverpflichtung nach § 823 Abs. 1 BGB ohnehin ausgehende Präventionswirkung lediglich dadurch geringfügig verstärkt, dass die Rechtsgutsgefährdung für den Handelnden durch die Kumulation von Schadensersatzverpflichtung und Ordnungsmaßnahme mit einem höheren Haftungsrisiko verbunden wäre. Als effektives Mittel zum Rechtsgüterschutz im Vorfeld drohender Schädigungen kommen quasinegatorische Unterlassungsansprüche daher nur dann in Betracht, wenn ihr Gegenstand die Unterlassung rechtsgutsgefährdender Handlungen an sich ist, unabhängig davon, ob sich die Gefahr in der Rechtsgutsverletzung realisiert. In diesem Fall könnte bereits die rechtsgutsgefährdende Handlung selbst mit Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO geahndet und ihre Vornahme auf diese Weise verhindert werden. Als Beeinträchtigung, die nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB zu unterlassen ist, würde nicht der Beeinträchtigungserfolg, also z. B. die eingetretene Gesundheitsschädigung angesehen, sondern bereits die das Rechtsgut gefährdende Handlung. Rechtstheoretisch liegt dem die Vorstellung zugrunde, dass die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Schutzobjekte (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit) durch einen Kranz von Normen geschützt werden,2 die jegliche, ein hinreichend großes Risiko für die Schutzobjekte bergende Handlungen verbieten. Die primäre Schutznorm, deren Verletzung im Falle des Hinzutretens einer Objektverletzung zum Entstehen des sekundären Schadensersatzanspruchs führt, wird im Rahmen des quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs selbst geltend gemacht, um auf diese Weise Schaden zu verhüten statt nur zu vergüten. Conditio sine qua non für einen derart konzipierten quasinegatorischen Rechtsschutz ist allerdings der Nachweis, dass die in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter durch einen Kordon solcher erfolgsunabhängiger Unterlassungspflichten geschützt werden, m. a. W., dass bereits die rechtsgutsgefährdende Handlung, unabhängig vom späteren Eintritt des Erfolgs, rechtswidrig bzw. verboten ist. Inwieweit sich die Rechtswidrigkeit einer Handlung auf die Verursachung des missbilligten Erfolgs (Erfolgsunrecht) oder den Verstoß gegen eine Verhaltenspflicht (Verhaltensunrecht) gründet, ist Gegenstand der bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion um den § 823 Abs. 1 BGB zugrundeliegen2 Vgl. Eltzbacher, Unterlassungsklage (1906), S. 122 f.; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906), S. 108.
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den Unrechtsbegriff. Für die traditionelle Lehre wird die Rechtswidrigkeit einer Handlung, soweit keine Rechtfertigungsgründe eingreifen, bereits durch die Verursachung des missbilligten Erfolges begründet.3 Gegen diese Annahme richtet sich die sog. Lehre vom Handlungsunrecht. Ihre Kernthese ist, dass das Rechtswidrigkeitsurteil notwendig voraussetzt, dass die Handlung gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Sorgfaltsnorm verstößt. Ob darüber hinaus der Eintritt des missbilligten Erfolgs zur Begründung des Rechtswidrigkeitsurteils erforderlich ist, wird von den Anhängern der Lehre vom Handlungsunrecht unterschiedlich beantwortet: Während Wiethölter an dem Erfolg als zwingender Voraussetzung der Rechtswidrigkeit festhält4 und der Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt eine rechtswidrigkeitsbegrenzende Funktion zuerkennt,5 ist nach Münzberg die Verletzung der Sorgfaltsnorm allein zur Begründung des Rechtswidrigkeitsurteils hinreichend.6 Der Erfolg ist nach ihm lediglich Haftungsvoraussetzung im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB.7 Für die Rechtswidrigkeit der Handlung ist sein Eintreten oder Ausbleiben dagegen irrelevant.8 Die Entwicklung der zivilrechtlichen Lehre vom Handlungsunrecht wurde erheblich durch die analog geführte Diskussion um die Bestandteile des straf3 Fuchs, Deliktsrecht5 (2009), 2. Kap. A II. 3. (S. 75 f.); Jauernig13 /Teichmann (2009), § 823 Rn. 48, 50; RGRK12 /Steffen (1989), § 823 Rn. 107; Weitnauer, NJW 1962, 1190 f.; Reinhardt, JZ 1961, 713 (716); Stoll, JZ 1958, 137 (139 ff.); Lehmann, FS Hedemann (1958), 177 (189); Oertmann, Schuldverhältnisse5 (1929), § 823 Anm. 7 (S. 1394); Planck4 /Flad (1928), § 823 II. 3. vor a) (S. 1730); v. Tuhr, Allg. Teil II/2 (1918), § 88 IV (S. 466); Fischer, Rechtswidrigkeit (1911), S. 96 f., 137; Kipp, Berliner FS Gierke Bd. 2 (1910), 3 (10 f., 13); Zitelmann, AcP 99 (1906), 1 (2 Fn. 1); F. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I (1903), § 201 2 c (S. 1268); v. Liszt, Deliktsobligationen (1898), S. 28, 85; Linckelmann, Schadensersatzpflicht (1898), S. 17 f., 70 ff.; – für „unmittelbare Eingriffe“ bzw. „direkte Verletzungen“ ferner Medicus, Schuldrecht II14 (2007) Rn. 748 ff.; Soergel13 /Spickhoff (2005), § 823 Rn. 18; Erman12 /Schiemann (2008), § 823 Rn. 146. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/213 (1994), § 75 II 2 c), II 3. (S. 363, 364 ff.). 4 Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens (1960), S. 34: „Ohne Erfolg . . . kein zivilrechtliches Unrecht, weil es Schadensrecht ist, nicht Gesinnungsrecht.“, S. 36 f., 40. 5 Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens (1960), S. 13, 25 (im Text zu Fn. 69). 6 Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 56, 60, 62 f., 92 ff.; in diesem Sinne bereits Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 79 in der auf S. 78 beginnenden Fn. 20; deutlicher Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 289: „In Wahrheit ist immer nur der Versuch verboten“; Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1930), S. 342 f.; Zippelius, AcP 157 (1958/59), 390 (398). 7 Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 63 (in der auf S. 62 beginnenden Fn. 123), S. 75, 79 ff. mit Fn. 160 (gegen Wiethölter). 8 Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 63 (in der auf S. 62 beginnenden Fn. 123), S. 92 ff.: „. . . daß ein gegen die objektiven Anforderungen des Rechts verstoßendes Verhalten das Prädikat der Rechtswidrigkeit nicht dadurch verlieren kann, daß infolge günstiger Umstände kein schädlicher Erfolg eintritt.“, S. 109, 119 f.; Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 45 (Münzberg folgend).
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
rechtlichen Unrechts gefördert. Unter dem Einfluss der finalen Handlungslehre Welzels9 setzte sich in der Strafrechtsdogmatik die Auffassung durch, dass das strafrechtliche Unrecht nicht allein durch die „von der Täterperson inhaltlich abgelöste Erfolgsverursachung“ konstituiert wird, sondern beim vollendeten Delikt sowohl einen Handlungs- wie auch einen Erfolgsunwert voraussetzt (sog. „Lehre vom personalen Unrecht“). Auch die extremere Auffassung, nach der der verursachte Erfolg außerhalb des Unrechts steht, das ausschließlich durch den Handlungsunwert konstituiert wird, wurde von einer Reihe namhafter Strafrechtslehrer10 vertreten. Der Auffassung Münzbergs vergleichbar gehen sie davon aus, dass der eingetretene Erfolg allein für die Frage der Haftung – in diesem Fall der Strafbarkeit – von Bedeutung ist und qualifizieren ihn dementsprechend als sog. objektive Bedingung der Strafbarkeit.11 Diese Auffassung vermochte sich in der Strafrechtslehre jedoch nicht durchzusetzen; die ganz h. M. hält daran fest, dass die (objektiv zurechenbare) Verursachung des missbilligten Erfolgs unrechtsrelevant ist.12 Da diese Untersuchung der Frage gewidmet ist, inwieweit ein gefährliches Verhalten unabhängig vom Erfolgseintritt verboten ist und damit Gegenstand eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs sein kann, wird Gegenstand der Erörterung im Folgenden nur diejenige Variante der Lehre vom Handlungsunrecht sein, nach der der verursachte Erfolg außerhalb des Unrechts steht. Diese Variante wird in der Strafrechtsliteratur zum Teil als „monistisch-subjekWelzel, Strafrecht11 (1969), § 8 (S. 31 ff.); ders., Das neue Bild des Strafrechtssystems: eine Einführung in die finale Handlungslehre4 (1961). 10 Dornseifer, GS Armin Kaufmann (1989), 427 (433); Silva-Sanchez, ZStW 101 (1989), 352 (369 f.); Armin Kaufmann, FS Welzel (1974), 393 (410 f.); Suarez Montes, FS Welzel (1974), 379 (390 f.); Zielinski, Unrechtsbegriff (1973), S. 135 ff.; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte (1973), S. 78 ff.; Lüderssen, ZStW 85 (1973), 288 (292); Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch (1995), 135 f.; Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre (1988), S. 81; Hoyer, Strafrechtsdogmatik (1997), S. 230. 11 Dornseifer, GS Armin Kaufmann (1989), 427 (435); Armin Kaufmann, FS Welzel (1974), 393 (411); Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte (1973), S. 97 ff.; Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 41 (43 f.); offen gelassen bei Schaffstein, FS Welzel (1974), 557 (561 f.); a. A. Welzel, Abhandlungen (1975), S. 330 f.: limitierendes Element des strafrechtlich-tatbestandsmäßigen Unrechts. 12 Roxin, Strafrecht Allg. Teil4 (2006), § 10 Rn. 96; Schönke/Schröder/Lenckner/ Eisele, Strafgesetzbuch27 (2006), Vor § 13 Rn. 59; Lackner26 /Kühl (2007), Vor § 13 Rn. 21; Roxin, ZStW 116 (2004), 929 (937 ff.); Samson, FS Grünwald (1999), 585 (596 ff.) Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5 (1996) § 24 III 2 (S. 239 f.); Rehr-Zimmermann, Struktur des Unrechts (1994), S. 24 f., 27 f., 90 ff.; Jakobs, Strafrecht AT2 (1993), 6. Abschn. Rn. 72 ff.; Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch11 /Jescheck (1992), Vor § 13 Rn. 44; Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (240 ff.); Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht (1981), S. 80 ff.; Paeffgen, Verrat (1979), S. 103 ff., 110 ff.; Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt (1972), 120 ff.; Krauß, ZStW 76 (1964), 19 (61 ff.); Gallas, FS Bockelmann (1979), 155 (161 ff.); mit Einschränkungen auch Wolter, Zurechnung (1981), 25 ff. 9
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tive Lehre“ bezeichnet.13 Da diese Bezeichnung in der Zivilrechtslehre nicht gebräuchlich ist, soll hier deskriptiv von der Lehre von der Unrechtsirrelevanz des Erfolges die Rede sein. 2. Positivrechtlicher Ausgangspunkt der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung geht davon aus, dass die Struktur des Unrechts kein der jeweiligen Rechtsordnung vorgegebenes Faktum ist. Was Unrecht ist und welche Struktur es hat, ob es allein durch einen sog. Handlungsunwert oder durch einen Erfolgsunwert oder nur durch beide zusammen konstituiert wird, lässt sich nur in Bezug auf eine bestimmte Rechtsordnung und anhand deren positiven Bestimmungen feststellen. In Übereinstimmung mit der von Schreier14 und Deutsch15 befolgten Methode wird dabei von der Bewehrtheit eines Verhaltens mit einer spezifischen Unrechtsfolge – Sanktion – auf die Rechtswidrigkeit eben dieses Verhaltens zurückgeschlossen. Ein Verhalten ist somit genau dann rechtswidrig, wenn es einen Tatbestand erfüllt, der als Rechtsfolge eine Sanktion vorsieht. Der Begriff der Rechtswidrigkeit wird damit zugleich relativ aufgefasst. Dies bedeutet, dass ein Verhalten immer nur in Relation zu einem bestimmten Sanktionstatbestand rechtswidrig ist. Ob der Eintritt eines Erfolges im Sinne einer Rechtsgutsverletzung für die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens von Bedeutung ist, lässt sich somit nicht für die Rechtsordnung an sich, sondern nur hinsichtlich eines bestimmten Tatbestandes beantworten.16 Maßgeblich im Rahmen dieser Untersuchung ist dabei der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB. Die gewählte Methode steht im Einklang mit dem hier vertretenen Rechtsverständnis, das die Erzwingbarkeit als das wesensbestimmende Merkmal der Rechtspflicht ansieht.17 Wenn die Erzwingbarkeit konstitutiv für das Bestehen einer Rechtspflicht ist, so ist das rechtspflichtwidrige Verhalten gerade dadurch gekennzeichnet, dass es Voraussetzung für einen Zwangsakt ist, der der Herbeiführung des pflichtgemäßen Verhaltens dient. Das Unrecht ist – mit den Worten Kelsens gesprochen – „die Bedingung eines von der Rechtsordnung statuierten Zwangsakts“:18 So wie im Speziellen die Pflicht des Anspruchsgegners die Kehrseite des zivilrechtlichen Anspruchs ist, d. h. aus den mit einer gewissen Verhaltenserwartung an den Anspruchsgegner verbundenen Zwangsbefugnissen 13 Gallas, FS Bockelmann (1979), 155; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Strafgesetzbuch27 (2006), Vor § 13 Rn. 59; Roxin, ZStW 116 (2004), 929 (937). 14 Schreier, Schuld und Unrecht (1935), S. 88, 91. 15 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt2 (1995), S. 200 ff. 16 Ebenso Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken? (1995), S. 180. 17 s. o. § 3 II. 4. a). 18 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960), IV. 27. b), S. 116; vgl. ferner Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 48.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
des Anspruchsinhabers resultiert, so wird im Allgemeinen eine Rechtspflicht dadurch begründet, dass das entgegengesetzte Verhalten die Voraussetzung für Erfüllungszwang oder Sanktionen ist. Als Unrechtsfolge par excellence und damit sicheres Anzeichen für die Rechtswidrigkeit der sie auslösenden Handlung wird allgemein die öffentliche Strafe angesehen.19 Ob auch die deliktische Schadensersatzpflicht den Rückschluss auf die Rechtswidrigkeit des zum Ersatz verpflichtenden Verhaltens zulässt, ist angesichts der zumindest nach h. M. im Vordergrund stehenden Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes nicht ganz so eindeutig. In jüngster Zeit hat vor allem Jansen bestritten, dass es sich bei der deliktischen Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 1 BGB um eine Haftung für rechtswidriges Verhalten handelt.20 Nicht zuletzt die Überschrift des 27. Titels „Unerlaubte Handlungen“ sollte aber keine Zweifel daran lassen, dass das Gesetz die Schadensersatzpflicht aus § 823 BGB als Folge eine Handlung ansieht, die von Rechts wegen unterbleiben sollte.21 Demnach ist der Schluss von der Ersatzverpflichtung aus § 823 Abs. 1 BGB auf das Verbot der sie auslösenden Handlung zulässig.22 Rechtswidrig ist eine Handlung in dem oben beschriebenen Sinne nur dann, wenn sie alle Voraussetzungen eines Unrechtstatbestandes erfüllt. Dies bedeutet, dass eine Handlung nur dann rechtswidrig im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist, wenn sie alle dessen Tatbestandsvoraussetzungen einschließlich des Eintritts des Erfolges und des Verschuldens erfüllt. Es lässt sich im Rahmen des § 823 Abs. 1 somit weder eine Vorrangstellung des Handlungsunwertes23 noch des Erfolgs19
Schreier, Schuld und Unrecht (1935), S. 88. Jansen, AcP 202 (2002), 517 ff.; im Ansatz auch schon Wieacker, JZ 1957, 535 (536): „weniger Sanktionsvorschriften für ,Privatunrecht‘ als eine Ordnung des Schadensausgleichs“ unter Verweis auf Esser, Gefährdungshaftung (1941), S. 69 ff. sowie Esser, JZ 1953, 129; – Jansen AcP 202 (2002), 517 ff.; verwechselt jedoch die Frage einer Haftung für rechtmäßiges Verhalten mit der einer verschuldensunabhängigen Haftung: Soweit man eine „echte“ Rechtspflicht nur im Falle des Vorhandenseins eines (zivil)rechtlichen Primäranspruchs annimmt (ebd. S. 520 f.), so handelt es sich bei der Schadensersatzpflicht aus § 823 Abs. 1 BGB, soweit ein Anspruch auf Unterlassung der unerlaubten Handlung fehlt, mangels Verstoßes gegen eine „echte“ Pflicht um eine Haftung für „rechtmäßiges“ Verhalten (ebd. S. 531 und 533). Von dieser formellen Definitionsfrage scharf zu unterscheiden ist jedoch die andere, ob im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB auch solche Verhaltensweisen zum Schadensersatz verpflichten können, deren Unterlassung vom Handelnden im Rahmen der erforderlichen Sorgfalt nicht ernsthaft verlangt werden können (so Jansen, ebd. S. 547 ff.). Dies ist eine Frage des gesetzlichen Haftungsmaßstabes. 21 Angesichts der Tatsache, dass dies unveränderte Gesetzeslage ist, besteht für eine Ausdehnung der deliktischen Haftung durch sog. „Garantiepflichten“ auf Fälle, in denen der Sorgfaltsmaßstab des diligens pater familias eingehalten wird, kein Raum. Bezeichnenderweise muss dies auch Jansen, ebd. S. 553 zugeben. 22 Ebenso im Ergebnis Schreier, Schuld und Unrecht (1935), S. 88; Tümmeler, Unterlassungsklage (1936), S. 26. 23 So aber Welzel, Abhandlungen (1975), S. 321, 323; Schaffstein, FS Welzel (1974), 557 (561); beschränkt auf das Strafrecht Niese, JZ 1956, 457 (460). 20
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unwertes feststellen; beide Elemente sind vielmehr für die Rechtswidrigkeit der Handlung in gleichem Maße konstitutiv. Gegen ein solches, die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale voraussetzendes Verständnis des Begriffs der Rechtswidrigkeit scheint der Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB zu sprechen, der die Rechtswidrigkeit nur als eines unter mehreren Tatbestandsmerkmalen nennt. Indes muss man sich vergegenwärtigen, wie eigenartig die Aufnahme eines Tatbestandsmerkmals der Rechtswidrigkeit in einen Sanktionstatbestand, gemessen an dessen Aufgabe, ist. So wie es die Aufgabe eines jeden Straftatbestandes ist, strafbares von straflosem Verhalten abzugrenzen, dient der § 823 Abs. 1 BGB der Unterscheidung von Verhaltenweisen, die zum Schadensersatz verpflichten, von solchen, die keine Ersatzpflicht begründen. Durch die Sanktionierung mit der Ersatzpflicht wird dabei zugleich die Rechtswidrigkeit des im Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB beschriebenen Verhaltens begründet. Das Adjektiv „rechtswidrig“ als Tatbestandsmerkmal ist hingegen zur Beschreibung der zum Ersatz verpflichtenden Handlung nicht geeignet, weil es keine Eigenschaft der Handlung bezeichnet, sondern selbst nur eine Relation, nämlich die Übereinstimmung der Handlung mit einem Sanktionstatbestand (bzw. umgekehrt formuliert: die Nichtübereinstimmung der Handlung mit einer Sollensnorm) bezeichnet. Das Tatbestandmerkmal „rechtswidrig“ könnte dementsprechend nur als Verweis auf andere Rechtsnormen verstanden werden, die ihrerseits durch deskriptive Merkmale definieren, wann eine Handlung rechtswidrig ist. Welche Eigenschaften eine Handlung positiv haben muss, damit sie als rechtswidrig im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB und daher zum Schadensersatz verpflichtend ist, ist jedoch in keiner anderen Rechtsnorm definiert. Dass die Handlung mitunter einen anderen Sanktionstatbestand erfüllt und in Bezug auf diesen als rechtswidrig bezeichnet werden kann, ist hingegen im Hinblick auf die Schadensersatzverpflichtung aus § 823 Abs. 1 BGB irrelevant, weil es insoweit nur darauf ankommt, ob der Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB mit seinen Zurechnungsvoraussetzungen erfüllt ist.24 Das Merkmal der „Rechtswidrigkeit“ in § 823 Abs. 1 BGB wird durch andere Rechtsnormen nur negativ bestimmt. Nicht rechtswidrig im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB und daher nicht zum Ersatz verpflichtend ist ein Verhalten, das die Tatbestandsmerkmale einer Rechtfertigungsnorm erfüllt. Diese Zusammenhänge werden im Rahmen der normativen Rechtsauffassung, wie sie insbesondere auch der Lehre vom Handlungsunrecht zugrunde liegt, zum Teil in eigenartiger Weise verkehrt: Grundlage der Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 1 BGB soll nicht die reale Verletzung eines der genannten 24
Ansonsten fehlt es am Zurechnungszusammenhang.
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Rechtsgüter, sondern der Verstoß gegen eine diese Rechtsgüter schützende Rechtspflicht sein.25 Zugrunde liegt dem die Vorstellung, dass es unabhängig und außerhalb von § 823 Abs. 1 BGB einen Katalog von rechtsgutsschützenden Pflichten gibt, auf den in § 823 Abs. 1 BGB Bezug genommen wird.26 Konsequenterweise müsste dies dazu führen, dass die für die Schadensersatzpflicht entscheidende Frage, ob ein Verhalten sorgfaltswidrig im Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsgut ist, nicht anhand des Tatbestandes des § 823 Abs. 1 BGB, sondern unter Bezugnahme auf einen mit Hilfe allgemeiner Rechtswidrigkeitslehren gebildeten,27 dem § 823 Abs. 1 BGB vorgelagerten Pflichtenkatalog zu beantworten wäre.28 Ein solcher vorgelagerter Pflichtenkatalog existiert indes nicht. Ob eine Handlung im Hinblick auf eine Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz als sorgfaltswidrig oder rechtswidrig angesehen werden muss, ist genuin durch Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der entsprechenden Schadensersatznorm zu ermitteln. Aufgabe des § 823 Abs. 1 BGB ist es dementsprechend, die zum Schadensersatz verpflichtenden Verhaltensweisen so präzise, wie es die Materie zulässt, zu beschreiben. Im Rahmen dieser Tatbestandsbildung ist insbesondere die Voraussetzung einer Verletzung eines der genannten Rechtsgüter im Ausgangspunkt rein deskriptiv und nicht normativ zu verstehen: Dies bedeutet, dass z. B. mit dem Tatbestandsmerkmal der ,Lebensverletzung‘ nicht der Verstoß gegen eine das Leben schützende Verhaltensnorm, sondern die Verursachung des Todes eines anderen Menschen, mit dem der ,Körperverletzung‘ nicht die Verletzung einer entsprechenden Sorgfaltsnorm, sondern die reale Herbeiführung z. B. eines Knochenbruchs gemeint ist.29 Ob die Verursa25 Vgl. Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965), S. 113 ff. und insbes. S. 121: „das den Tatbestand der Rechtsverletzung ausmachende Element [kann] nur im Verstoß gegen den in Ausübung des Rechts geäußerten Willen, den Anspruch, erblickt werden.“; gegen diesen Schapp, Das subjektive Recht (1977), S. 106 ff. 26 Vgl. nur Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 68 ff.: Es sei „grundsätzlich nicht Aufgabe des Gesetzgebers, das konkrete materiell rechtswidrige Verhalten erschöpfend zu beschreiben und damit unmittelbare Auskunft zu geben über die Frage, welches Verhalten richtig oder falsch ist“ (S. 68). „Gerade im Strafrecht“ gehe „es niemals um den Ausspruch des Gesetzes, welches Verhalten rechtswidrig ist . . ., sondern um die Auswahl der strafwürdigen aus den rechtswidrigen Verhaltensweisen“ (S. 68 f. Fn. 136). Im zivilrechtlichen Deliktsrecht stehe „die Frage im Vordergrund, welche rechtswidrigen Verhaltensweisen zum Schadensersatz verpflichten sollen“ (S. 68 f. Fn. 136). Die Annahme, dass ein Verhalten erst durch die tatbestandliche Umschreibung rechtswidrig werde, sei ein „Fehlschluss“. Es werde „nur gesetzlich formuliert, um es strafbar zu machen“. Rechtswidrig könne „es schon vorher gewesen sein, wenn auch ohne Sanktion“ (S. 70 f.). 27 Davon handelt der 2. Abschnitt des 2. Teils (S. 141–338) von Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966). 28 Vgl. insoweit auch die Kritik von Larenz, FS Dölle, Bd. 1 (1963), 169 (172). 29 Zutreffend Reinhardt, Karlsruher Forum 1961, 3 (6 f.): Die in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechte und Rechtsgüter kennzeichnen „Bereiche, die dem einzelnen ausschließlich zugeordnet sind und daher fremder Disposition entzogen sind“. „Verlet-
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chung einer entsprechenden Verletzung auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten beruht, ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB (erst) bei dem Tatbestandsmerkmal der Fahrlässigkeit zu erörtern. Insbesondere ist es sinnlos, die Verletzung einer Pflicht als Voraussetzung der Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB anzunehmen. Sofern keine Rechtfertigungsgründe eingreifen, ist die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung eines der genannten Rechtsgüter zur Begründung der Schadensersatzpflicht hinreichend, ohne dass es darüber hinaus der Feststellung eines Pflichtverstoßes bedürfte. Dies darf nicht missverstanden werden: Selbstverständlich ist im Rahmen der Subsumtion unter den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB zu überlegen, inwieweit die Unterlassung der schädigenden Handlung vom Handelnden erwartet werden konnte. Wird dies jedoch im Ergebnis bejaht und dementsprechend eine Verpflichtung zum Schadensersatz anerkannt, so wird damit uno actu auch die Verpflichtung zur Unterlassung der in Frage stehenden Handlung begründet. Prägnant formuliert: Die Norm des § 823 Abs. 1 BGB setzt kein Verbot voraus, sondern enthält selbst das Verbot bestimmter in ihrem Tatbestand beschriebener Verhaltensweisen, deren Begehung sie durch die Schadensersatzfolge sanktioniert. Sie ist keine isolierte Sanktionsnorm, die auf in anderen Normen enthaltene Verbotstatbestände (d. h. Unterlassungspflichten) verweist, sondern enthält selbst den Verbotstatbestand. II. Kritik der Lehre vom Handlungsunrecht Vom reinen Standpunkt der Logik aus lässt sich niemals von einem den Eintritt eines Erfolges voraussetzenden Sanktionstatbestand auf eine erfolgsunabhängige Verbotsnorm schließen. Wenn nur ein fahrlässiges Verhalten (a) zusammen mit einem dadurch verursachten Erfolg (b) zu einer als Ausdruck der Missbilligung (M) zu wertenden Sanktion führt, so kann daraus auch nur geschlossen werden, dass ein Tatbestand, der (a) und (b) zusammen erfüllt, missbilligt wird, nicht aber, dass ein nur die Merkmale (a) oder (b) für sich allein erfüllender Tatbestand missbilligt würde. Es gilt:
a ^ b ! M 6!
a ! M. Aus der Missbilligung des erfolgsverursachenden fahrlässigen Verhaltens lässt sich nicht eo ipso auf die Missbilligung fahrlässigen Verhaltens schlechthin schließen.30 Wenn man die Existenz einer erfolgsunabhängigen Verhaltensnorm
zung“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB ist der „Einbruch in einen solchen Schutzbereich“ und nicht die Verletzung eines „Anspruchs auf Unterlassen“ (ebd. S. 7 unter II. 1. gegen Nipperdey); vgl. bereits M. E. Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen (1903), S. 62 ff.: „Rechtsverletzungen sind nicht Verletzungen des Rechts, sondern rechtlich erhebliche Verletzungen“; vgl. auch Jansen, Struktur des Haftungsrechts (2003), S. 469. 30 So bereits Wolff, Verbotenes Verhalten (1923), S. 210 f.: „Nun ist aber mangels besonderen Rechtssatzes der Versuch als solcher nicht rechtswidrig. . . . Das gleiche gilt im Verhältnis von Verletzung und Gefährdung.“
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durch einen Sanktionstatbestand beweisen will, so steht entgegen Engisch31 diesem Beweis die Tatsache, dass die Drohung der Sanktion an den Eintritt des Erfolges geknüpft ist, sehr wohl „hinderlich im Wege“. Die Theorie von der Unrechtsirrelevanz des Erfolges stützt sich daher in erster Linie auf sog. „normlogische“, d. h. an der Funktion der Norm als Bestimmungsnorm orientierte, psychologische Argumente. Ausgangspunkt ist dabei die Erwägung, dass das Recht die tatsächlichen Geschehensabläufe nur dadurch beeinflussen kann, dass es auf den Willen von Menschen zur Vornahme oder Unterlassung von Handlungen einwirkt, die dann ihrerseits die realen Kausalverläufe beeinflussen.32 Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass die Rechtsnormen Imperative, d. h. Bestimmungsnormen seien, die versuchten, den Willen der Normadressaten durch Gebote oder Verbote zu motivieren. Hervorzuheben ist dabei, dass es sich bei der Identifizierung der Norm mit einem Imperativ gerade nicht nur um eine bildhafte Veranschaulichung des recht abstrakten Bedeutungsgehalts des Begriffes Pflicht, also mehr oder weniger nur um eine façon de parler handelt, sondern dass gerade aus dem Wesen der Norm als Imperativ Rückschlüsse auf die Struktur der Normen und dementsprechend auch der Normwidrigkeit gezogen werden. Die bestimmungsgemäße Motivationswirkung soll der Imperativ dadurch entfalten, dass er dem tatgeneigten, d. h. sich im Begriff der Vornahme einer rechtsgutsgefährdenden Handlung befindenden Einzelnen als individualisiertes, auf die konkrete Situation bezogenes Ge- oder Verbot ins Bewusstsein tritt und ihn so von der zunächst angestrebten Handlung abhält. In diesem Rahmen ist der Imperativ nicht nur ein beliebig-geartetes Instrument, um den Adressaten zu einer bestimmten Willensbetätigung zu motivieren, sondern er hat zugleich genau diese Willensbetätigung, zu der er motivieren soll, zum Gegenstand.33 Durch den Imperativ wird dem Handelnden der rechtlich korrekte, zur Übernahme durch den Handelnden bestimmte Handlungswille vorgegeben:34 „Das 31 Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1930), S. 342; gegen Engisch zutreffend Schünemann, FS Schaffstein (1975), 159 (173 f.): „strafrechtliche Verbotsmaterie und der Strafbarkeitsbereich sind . . . als prinzipiell deckungsgleich anzusehen“. 32 Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 289: „Als Motiv kann das Recht keine andere Function üben, als Menschen zu Handlungen oder zu Unterlassungen zu determinieren“; Zippelius, AcP 157 (1958/59), 390 (395 f.); Zippelius, Unrechtslehre (1953), S. 11; Struensee, GS Armin Kaufmann (1989), 523 (536); Zielinski, Unrechtsbegriff (1973), S. 121 m.w. N. 33 Zippelius, AcP 157 (1958/59), 390 (395 f.): „Gegenstand des Unrechtsurteils ist also nur das menschliche Verhalten“; Zielinski, Unrechtsbegriff (1973), S. 126 f., 136: „(Bestimmungs-)Norm und sekundäres Werturteil haben identische Gegenstände: die wertwidrige bzw. werthafte Handlung“ (S. 126). 34 Schönke/Schröder27 /Lenckner/Eisele (2006), Vor § 13 Rn. 54/55: „Sinn dieser Verhaltensnormen ist es . . ., . . . den Einzelnen zu einem . . . ,inhaltlich richtigen Wollen‘ zu bestimmen“; Wessels/Beulke38 (2008), Rn. 140: „[Die Rechtsordnung] . . . sucht . . . ihren bestimmenden Einfluß gerade bei der Willensentschließung des Täters zur
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Recht“ (als „imaginärer Imperator“) befiehlt „Du sollst deinen Willen nicht in der Weise X betätigen“ und der Adressat verinnerlicht den Imperativ zunächst als „Ich soll meinen Willen nicht in der Weise X betätigen“ und befolgt ihn schließlich durch den Entschluss „Ich betätige meinen Willen nicht in der Weise X“.35 Da die pflichtbegründenden Imperative den Stoff bilden sollen, aus dem sich die Rechtsordnung zusammensetzt, wird die Rechtswidrigkeit ohne weiteres mit Norm-, d. h. Imperativenwidrigkeit und Pflichtwidrigkeit gleichgesetzt.36 Die Irrelevanz des Erfolgseintritts für die Rechtswidrigkeit folgt aus der sich aus dem soeben beschriebenen Motivationskonzept notwendig ergebenden Unabhängigkeit des Inhalts der Imperative vom Erfolg. Wird die Norm zwar nicht als tatsächlicher, aber doch als möglicher Bewusstseinsinhalt37 des Handelnden betrachtet, der den vom Handelnden zu übernehmenden, rechtlich richtigen Handlungsentschluss zum Gegenstand hat, so muss, weil der Handelnde sich nur unabhängig vom erst nachfolgenden Erfolgseintritt für oder gegen die Vornahme der Handlung entscheiden kann, auch die ihm vom Recht vorgegebene Entscheidung von diesem unabhängig sein.38 Die Anhänger der Theorie von der Unrechtsirrelevanz des Erfolges stützen sich zum Teil auf die finale Handlungslehre. Aus dieser leiten sie die Konsequenz ab, dass die Rechtsnorm und dementsprechend auch das Rechts-, d. h. Normwidrigkeitsurteil auf finale Handlungen bezogen sein muss.39 Im Falle des Geltung zu bringen“; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5 (1996), § 24 III. 4 c) (S. 241 f.): Strafrechtsnorm zielt darauf ab, „den Willen des Menschen . . . zu bestimmen“; Wolter, Zurechnung (1981), S.152 f.: „[Es ist] Aufgabe des Strafrechts und damit der Verbotsnorm und Erlaubnissätze . . . den Bürger im Hinblick auf den Schutz der für die Gemeinschaft unentbehrlichen Werte anzuleiten.“ 35 Vgl. Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 73: „Der Befehlende . . . sagt . . .: Ich will. Und wenn der Widerstrebende erwidert: Ich will nicht, so gebiete der Befehlende: Du sollst. Genauer genommen sagt der Befehlende: Wie Du willst, ist mir an sich gleichgültig. Du sollst handeln, wie ich will, nicht wie Du willst; d. h. Du sollst nicht Deinen Willen ausführen, sondern meinen.“; vgl. dazu Kelsen, Hauptprobleme2 (1923), S. 319 f. 36 Zippelius, AcP 157 (1958/59), 390 (393). 37 Siehe Zippelius, AcP 157 (1958/59), 390 (396). 38 Eine Handlung könne zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nur rechtswidrig oder verboten sein, nicht aber durch die Verursachung des Erfolges nachträglich rechtswidrig werden, vgl. Welzel, Abhandlungen (1975), S. 335; Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 78 f. Fn. 20; Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1930), S. 339 ff.; Zippelius, AcP 157 (1958/59), 390 (395 f.); Zippelius, Unrechtslehre (1953), S. 16; Struensee, GS Armin Kaufmann (1989), 523 (536); Zielinski, Unrechtsbegriff (1973), S. 137, 142 f.; v. Caemmerer, FS 100 Jahre DJT II, S. 127 f.; Nipperdey, Karlsruher Forum 1959, 3 (4 f.). 39 Vgl. Gallas, FS Bockelmann (1979), 155 (156, 158); Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte (1973), S. 78 ff., 82: „Als Unrechtsgegenstand allein in Frage kommt die finale Handlung, der ,Akt‘.“; Zielinski, Unrechtsbegriff (1973), S. 135 ff.
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Fahrlässigkeitsdelikts war die Handlung aber gerade nicht final auf den tatsächlich eingetretenen missbilligten Erfolg gerichtet, sondern zielte auf einen davon abweichenden Handlungserfolg ab. Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteil könne daher nur die finale, auf einen anderen als den tatbestandsmäßigen Erfolg abzielende Handlung sein, während der reale Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für die Rechtswidrigkeit irrelevant sei. Der grundlegende Fehler der Lehre von der Unrechtsirrelevanz des Erfolges besteht in der Konfundierung der Verbotsnorm mit der von ihr möglicherweise erstrebten psychischen Wirkung auf den Normadressaten bzw. – neutraler gefasst – mit den Folgen, die die Existenz von Verbotsnorm und Sanktionsdrohung für den Normadressaten hat. Wenn es z. B. verboten ist, eine Fensterscheibe durch einen fahrlässigen Schuss mit einem Fußball zu zerstören, so ist die Konsequenz für jemanden, der diese Verbotsnorm in jedem Fall einhalten will, dass er in einem von Schaufenstern umgebenen Hof nicht Fußball spielen kann. Dies führt jedoch nicht dazu, dass das Fußballspielen im Hof als solches nun Gegenstand der Verbotsnorm wäre.40 Verboten und damit Normgegenstand ist es vielmehr allein, die Fensterscheibe zu zerstören. Selbst das prinzipielle Unterbleiben des Fußballspielens im Hof als vom Recht erstrebte Wirkung der Norm anzusehen, dürfte nicht richtig sein: Dass das Recht das Unterbleiben ex ante gefährlich erscheinender Handlungen auch dann erstrebt habe, wenn diese den missbilligten Erfolg nicht herbeigeführt und sich zum Teil sogar ex post als völlig ungefährlich erwiesen haben, wäre auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB eine reine Spekulation. Das Recht kann die Vermeidung bestimmter unerwünschter Erfolge gebieten, ohne vorzuschreiben, wie diese Erfolge vermieden werden. Plakativ könnte man sagen, dass es „dem Recht“ gleichgültig ist, wie der Eintritt des Erfolge verhindert wird, solange er nur verhindert wird. Ob und wie ein Erfolg zu vermeiden ist bzw. war, wird erst im Falle seines Eintrittes relevant. Der Rechtswidrigkeitsbegriff des § 823 Abs. 1 BGB ist somit erfolgsbezogen. Im Folgenden wird zu zeigen sein (1.), dass die Lehre von der Unrechtsirrelevanz des Erfolges nicht durch die sog. Bestimmungsfunktion der Normen gerechtfertigt werden kann, weil die Argumentation insoweit auf der Annahme eines unzutreffenden Motivationskonzepts des Rechts beruht. Zudem ist der Nachweis zu führen, dass das Rechtswidrigkeitskonzept dieser Lehre eine Verengung auf die Mechanismen des repressiven Rechtszwangs beinhaltet und den Möglichkeiten unmittelbaren physischen Zwanges, insbesondere des Erfüllungszwanges nicht gerecht wird (2.).
40 Unrichtig daher auch die Schlussfolgerung Welzels, Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie (1975), S. 319, dass der Autofahrer in dem von ihm gebildeten Fallbeispiel überhaupt nicht fahren dürfte.
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1. Keine Rechtfertigung der Lehre vom Handlungsunrecht durch die so genannte Bestimmungsfunktion der Norm Die Kritik an dem Ausschluss des Erfolges aus dem Unrechtsbegriff durch Teile der Lehre vom Handlungsunrecht stützt sich hauptsächlich darauf, dass die Normen nicht nur eine Funktion als Bestimmungsnormen, sondern auch als Bewertungsnormen haben.41 Für die soziale Bewertung einer Tat sei die Frage, ob der tatbestandliche Erfolg eingetreten ist, von durchaus entscheidender Bedeutung. Nicht in Zweifel gezogen wird dagegen in aller Regel, dass die Funktion von Sanktionstatbeständen, auf den Handelnden im Vorfeld der Erfolgsverursachung motivierend einzuwirken, auch den Schluss rechtfertigt, dass die entsprechenden Bestimmungsnormen in ihrem Inhalt und ihrer Geltung vom realen Eintritt des Erfolges unabhängig sein müssten.42 Im Folgenden soll daher die These, dass die Primärnormen ihre Funktion als Bestimmungsnormen nur dann erfüllen könnten, wenn sie erfolgsunabhängig formuliert sind, d. h. bestimmte Verhaltensweisen unabhängig vom Eintritt des missbilligten Erfolges verbieten, einer kritischen Prüfung unterzogen und im Ergebnis abgelehnt werden. Um zu zeigen, dass die in letzter Konsequenz auf die Imperativentheorie rekurrierende Argumentation mit der Bestimmungsfunktion der Norm nicht stichhaltig ist, müssen die dieser Annahme zugrundeliegenden unausgesprochenen Prämissen und Vorstellungen beleuchtet werden. Dass im Falle der Reinigung eines geladenen Gewehrs im Beisein Dritter43 der Imperativ bzw. die Bestimmungsnorm gerade nicht „Verhalte dich so, dass du nicht den Tod eines anderen Menschen verursachst“, sondern „Hör augenblicklich auf, das Gewehr zu reinigen“ lauten muss, ließe sich zunächst nur auf Grundlage der Vorstellung eines – möglicherweise selbst zur Anwendung der Kausalgesetze nicht fähigen – Normadressaten rechtfertigen, dem das Recht fortlaufend durch einen Knopf im Ohr Handlungsanweisungen gibt. Dass ein solcher omnipräsenter Befehlsbzw. Ratgeber nicht existiert, ist nicht nur offensichtlich, sondern, was das Strafrecht und andere repressive Sanktionssysteme anbelangt, geradezu systemimmanent: Ihre Existenz trägt gerade auch dem Umstand Rechnung, dass es 41 Gallas, FS Bockelmann (1979), 155 (158 ff.); Schönke/Schröder27 /Lenckner/Eisele (2006), Vor § 13 Rn. 57 ff.; Lackner26 /Kühl (2007), Vor § 13 Rn. 21; Samson, FS Grünwald (1999), 585 (599 f.); Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungsund Erfolgsunwert im Strafrecht (1981), S. 84 ff.; Paeffgen, Verrat (1979), S. 117 ff., 120 ff.; Krümpelmann, Bagatelldelikte (1966), 95 ff. 42 Grund dafür ist, dass die im Strafrecht herrschende subjektive Unrechtslehre das normtheoretische Motivationskonzept ihrer ,extremeren‘ Variante (der „monistisch-subjektiven“ Lehre) teilt und sich von dieser nur dadurch unterscheidet, dass sie dem Erfolg hinsichtlich der Bewertung der Tat eine Bedeutung für die Quantität des Unrechts zuspricht; kritisch aber auch Schünemann, FS Schaffstein (1975), 159 (174 ff.). 43 Beispiel bei Niese, JZ 1956, 457 (460).
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nicht möglich bzw. nicht erwünscht ist, jede missbilligte Verhaltensweise durch präsenten physischen Staats- bzw. Rechtszwang zu unterbinden, und daher statt dessen „psychischer Zwang“ zum Einsatz kommt.44 Dass die bildhafte Vorstellung einer permanenten Befehlserteilung („Ein Rundfunksender (Staat, ,Wille der Gesamtheit‘) sendet ständig den Spruch: „An Alle! An Alle! Ihr sollt nicht töten, stehlen, unterschlagen, betrügen, usw.!“45) der präventiven Funktionsweise des Rechts nicht gerecht wird, hat bereits Armin Kaufmann nachgewiesen.46 Er unterscheidet zwischen der abstrakten, „von einzelnen Menschen und konkreten Akten“ losgelösten, sich an jedermann richtenden Norm und der höchstpersönlichen, hic et nunc zu erfüllenden Pflicht, zu der sich die Norm für den Einzelnen konkretisieren kann. Als von außen kommender Befehl („input“) kommt nur die abstrakte Norm in Frage, von der der Adressat vor und ohne jeden Bezug auf die spätere Gefahrensituation, in der er sich von der Norm bestimmen lassen soll, erfährt. In Betracht käme allenfalls, dass zumindest diese abstrakte Verbotsnorm, um in späteren Situationen eine präventive Funktion erfüllen zu können, erfolgsunabhängig gefasst sein muss. Davon geht offensichtlich Armin Kaufmann aus: Er meint, dass die Norm „Vermeide Tatbestandsverwirklichungen“ den unbewusst fahrlässig Handelnden nicht zu motivieren vermöge, weil er gerade die (mögliche) Ursächlichkeit seines Verhaltens nicht erkenne.47 Dem Einzelnen müsse daher durch Erfahrungsregeln „konkret gesagt werden, was er zu tun oder zu unterlassen hat“.48 An diesen Erfahrungsregeln könne der Einzelne sein Verhalten auch dann „ausrichVgl. v. Feuerbach, Lehrbuch des peinlichen Rechts14 (1847), §§ 11 f (S. 37 f.): „§ 11 Physischer Zwang reicht aber nicht hin zur Verhinderung der Rechtsverletzungen überhaupt. Denn der zuvorkommende Zwang ist nur möglich unter der Voraussetzung von Thatsachen, aus denen der Staat entweder die Gewissheit oder doch . . . ihre Wahrscheinlichkeit erkennt: nachfolgender Zwang nur unter Voraussetzung solcher Rechtsverletzungen, deren Gegenstand ein ersetzliches Gut ist. Physischer Zwang ist daher nicht hinreichend a. zum Schutze unersetzlicher Rechte, weil der hier allein mögliche, zuvorkommende Zwang von der ganz zufälligen Erkenntniss der bevorstehenden Verletzung abhängt, auch nicht b. zum Schutze der an sich ersetzlichen Rechte, weil sie oft unersetzlich werden und für den zuvorkommenden Zwang jene blos zufällige Voraussetzung ebenfalls eine nothwendige Bedingung ist. § 12 Sollen daher Rechtsverletzungen überhaupt verhindert werden, so muß neben dem physischen Zwang noch ein anderer bestehen, welcher der Vollendung der Rechtsverletzung vorhergeht und, vom Staate ausgehend, in jedem einzelnen Falle in Wirksamkeit tritt, ohne daß dazu die Erkenntniss der jetzt bevorstehenden Verletzung vorausgesetzt wird. Ein solcher Zwang kann nur ein psychologischer sein.“ (Hervorh. im Original). 45 A. Kaufmann, Normentheorie (1954), S. 124; vgl. im Gegensatz dazu Münzberg, Verhalten und Erfolg (1966), S. 60 f. Fn. 120: Die Unterscheidung möge „für die Schuldlehre (Verbotsirrtum?) wichtig sein“. Für die Frage der Rechtswidrigkeit habe „nur der Begriff der Rechtspflicht als bereits konkretisierter Bestimmungsnorm Bedeutung“. 46 A. Kaufmann, Normentheorie (1954), S. 123 ff. 47 Ebd. S. 120. 48 Ebd. S. 120 (Hervorh. im Original). 44
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ten, wenn er die Verursachungskette, die sein Handeln anstößt, nicht in allen Teilen überblickt“.49 Die für den oben gebildeten Beispielsfall maßgebliche Verhaltensnorm müsste den Überlegungen Kaufmanns entsprechend in etwa lauten: „Wenn dein Gewehr noch geladen ist bzw. du nicht weißt, ob dein Gewehr geladen ist und andere Menschen anwesend sind, dann reinige es nicht bzw. – in der Diktion der finalen Handlungslehre – führe keine Reinigungshandlungen, d. h. final auf die Reinigung gerichtete Handlungen aus.“ Es ist jedoch zu bedenken, dass sich durch eine abstrakte Norm nicht einmal annähernd im Voraus bestimmen lässt, welches ganz konkrete Verhalten in einer bestimmten Situation geboten ist. Träfen die Erwägungen Kaufmanns zu, so würde von dem einzelnen Normadressaten erwartet, dass er eine unendlich große Menge derartiger, jede denkbare Gefahrensituation erfassender Verhaltensnormen auswendig lernt. Eine solche Gedächtnisleistung würde die menschlichen Fähigkeiten übersteigen. Zudem könnte derjenige, der die Folgen seines Tuns nicht erkennt bzw. nicht zu erkennen vermag, sich auch kaum durch solche Normen motivieren lassen. Demjenigen, der nicht erkennt oder nicht erkennen kann, dass sich aus dem geladenen Gewehr ein Schuss lösen und einen Menschen töten kann, wird es unbegreiflich bleiben, warum er in der durch die Norm beschriebenen Situation aufhören soll, das Gewehr zu reinigen. Das Recht verlangt jedoch nicht, dass der Einzelne derartige Normen auswendig lernt, um sie dann blind – ohne ihren Sinn zu verstehen – zu befolgen. Auch das Recht kann in rechtsgutsbedrohenden Situationen nur auf die Fähigkeit des Handelnden setzen, die Situation richtig zu erfassen, die Folgen seines Handelns zu erkennen und sein Verhalten an der Maxime auszurichten, dass die Verursachung des rechtlich missbilligten Erfolgs unterbleibe. Der „Befehl“, den die Rechtsordnung erteilt, kann also allenfalls lauten „Verursache keine missbilligten Erfolge!“50 Seine Steuerungsfunktion entfaltet das Recht in der Weise, dass es den Handelnden zur Beachtung dieses Gebots des neminem laedere animiert, indem es den Eintritt des Erfolges mit einer dem Handelnden unvorteilhaften Rechtsfolge verknüpft.51 Trotz Eintritts des Erfolges verzichtet das Recht auf den Eintritt dieser Rechtsfolge, wenn der Handelnde das ihm Zumutbare zur Vermeidung des Erfolges getan hat. Die Voraussicht negativer Folgen des eigenen Verhaltens ist Teil der Leistung, die das Recht dem Einzelnen abverlangt und auf die das Recht nicht verzichten 49
Ebd. S. 120. Im Ergebnis ebenso Stoll, JZ 1958, 137 (140): „Das Gesetz geht von dem generellen Verbot aus: „Jede Verletzung des Lebens oder anderer absoluter Rechtsgüter ist unstatthaft“. 51 In dem Sinne auch Niese, JZ 1956, 457 (460): Rechtsordnung gebietet „den Rechtsgenossen auch, bei ihren erlaubten Handlungen das ,im Sozialleben zur Vermeidung von Rechtsgüterverletzungen gebotene Maß an finaler Steuerung‘ zu erbringen (Welzel), m. a. W. die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten zu lassen.“ 50
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kann. Indem die Vertreter eines vom Erfolg losgelösten Unrechtsbegriffs „konkrete“ Normen aufstellen, tun sie nichts anderes, als diese vom einzelnen Normadressaten erwartete Leistung selbst zu vollbringen. Sie konstruieren gedanklich eine Gefahrensituation und ermitteln mit Hilfe ihrer Fähigkeit, die Folgen einzelner Handlungen vorauszusehen, was ein Normadressat in der gedachten Situation tun muss, um nicht gegen das Verbot der Verursachung des missbilligten Erfolges zu verstoßen. Diese Leistung können aber weder sie noch das Recht dem Einzelnen abnehmen: in der konkreten Gefahrensituation nicht, weil niemand vor Ort ist, der für ihn sein Verhalten im Hinblick auf die Verursachung missbilligter Erfolge untersucht; im Voraus nicht, weil es nicht möglich ist, jedwede Gefahrensituation vorherzusehen, und zudem niemand die Gedächtniskapazität hat, sich für jede erdenkliche Situation Verhaltensnormen zu merken, die ihn auch dann leiten, wenn er die Gefahr selbst, also die Erfolgsgeeignetheit seines Tuns nicht erkennt. Es entbehrt übrigens nicht einer gewissen Ironie, dass gerade eine Normentheorie, die nicht unerheblich auf Erkenntnissen der finalen Handlungslehre – einer Lehre, die mit der Fähigkeit des Menschen zu zweckgerichtetem Handeln auch die Fähigkeit, die Folgen des eigenen Handelns gedanklich zu antizipieren, in den Mittelpunkt stellt – basiert, im Rahmen der Prävention fahrlässig verursachter Rechtsgutsverletzungen auf die Inanspruchnahme dieser Fähigkeit verzichten will und die Erforderlichkeit von Normen postuliert, wie sie allein zur Programmierung eines kausalblinden Roboters erforderlich wären. Wenn man erkennt, dass zwischen der Norm und der sich aus ihr für den Adressaten ergebenden Konsequenzen bzw. der mit ihr erstrebten Wirkung zu unterscheiden ist, wird deutlich, dass sich noch aus einem anderen Grund aus der Bestimmungsfunktion der Norm nicht ableiten lässt, dass diese ein bestimmtes Verhalten unabhängig vom Eintritt des Erfolges zum Gegenstand haben müsse. Von der Norm, verstanden als erfolgsbezogene Bewertungsnorm geht eine Präventionswirkung aus, ohne dass es hinsichtlich der sog. Bestimmungsfunktion besonderer Anpassungen bedürfte. Mit anderen Worten: Um die gewünschte Präventionswirkung zu erzielen, reicht es vollkommen aus, die Missbilligung der (sorgfaltswidrigen) Erfolgsverursachung als etwas Nicht-seinSollendes durch eine mit einer Strafandrohung verbundenen Norm zum Ausdruck zu bringen. Dass der Normadressat zur Vermeidung von Normverstößen gegebenenfalls auch ex ante gefährlich erscheinende Handlungen unterlassen muss, die sich ex post als nicht erfolgstauglich erweisen würden, ist die persönliche Konsequenz der Norm für ihn.52 Dass das Recht aber, um präventive Wir52 Vgl. Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt (1972), S. 120, 122: „Im Versuchsfalle gibt es keinen Erfolg, der nicht auch ohne Normbefolgung vermieden würde, und infolgedessen für eine auf Vermeidung bestimmter Erfolge zielende Norm nichts zu regeln. Wer freilich der Norm genügen . . . will, kann nicht auf die Bestäti-
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kung entfalten zu können, die beschränkte ex-ante-Perspektive des sog. Normadressaten teilen müsste und das Unterlassen gefährlich erscheinender Handlungen auch dann gebieten müsste, wenn diese den Erfolg – wie sich ex post herausstellt – nicht verursachen, stimmt nicht. Das Recht kann sich – von der gewissermaßen überlegenen Position der ex-post-Betrachtung53 – auf den Standpunkt stellen, dass es ihm gleichgültig ist, auf welche Weise der Eintritt des Erfolges verhindert wird, solange er nur verhindert wird, und dem Handelnden auf diese Weise seine Handlungsfreiheit belassen. Erst der Eintritt des Erfolges gibt in diesem Fall den Anlass zur Frage, ob der Handelnde im Rahmen der ihm belassenen Handlungsfreiheit die in Bezug auf das Motiv der Erfolgsvermeidung richtige Entscheidung getroffen hat. Im Hinblick auf die erwünschte Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen ist es geradezu der „natürliche“ logische erste Schritt, dass man deren Verursachung für unerwünscht erklärt und demjenigen, der eine solche Rechtsgutsverletzung verursacht, mit empfindlichen Konsequenzen droht. Vom Standpunkt der Prävention aus wäre es nicht einmal erforderlich, diese Konsequenzen auf den Fall der schuldhaften Erfolgsverursachung zu begrenzen. Der Einzelne wird sich kaum dadurch, dass er auch im Falle schuldloser Erfolgsverursachung die angedrohten Konsequenzen auf sich zieht, davon abhalten lassen, im eigenen Interesse das in seiner Macht Stehende zu tun, um eine Erfolgsverursachung zu verhindern. So ist es wohl unbestritten, dass auch von objektiven Haftungstatbeständen eine erhebliche Präventionswirkung ausgeht.54 Um das Verhalten des Handelnden zu beeinflussen, reicht es, sein für das fremde Rechtsgut riskantes Verhalten auch für ihn selbst riskant zu gestalten, indem die Verletzung des fremden Rechtsguts mit ihn treffenden Nachteilen verknüpft wird.55 Der Einwand, dass der Handelnde im Vorhinein erkennen können muss, ob sein Verhalten erlaubt oder verboten ist und Geltung und Inhalt des Imperativs daher von dem nachträglichen Eintritt des missbilligten Erfolges unabhängig sein müssten,56 trifft nicht zu. Die Abhängigkeit der rechtlichen Missbilligung seines Verhaltens von dem ungewissen späteren Eintritt des Erfolgs beruht weder auf der Willkür der Lehre vom Erfolgsunrecht noch ist sie eine Laune des Rechts. Sie
gung durch den realen Verlauf warten; für ihn . . . muß die (potentielle) Vorstellung vom Erfolgseintritt entscheidend sein“ (ebd. S. 120). 53 Vgl. auch Stoll, JZ 1958, 137 (142 f.). 54 Vgl. eingehend MünchKomm5 /Wagner (2009), Vor § 823 ff. Rn. 18, 48 f.; Staudinger13 /Hager (1999), Vor §§ 823 ff. Rn. 28. 55 Zutreffend Schünemann, FS Schaffstein (1975), 159 (174 f.): Der Fahrlässigkeitstäter soll nicht (nur) durch „ex ante erkannte bzw. erkennbare Ge- und Verbote, sondern daneben oder sogar in der Regel durch Risikoabschätzung geleitet“ werden. 56 Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1930), S. 337 in der auf S. 336 beginnenden Fn. 23: Der Imperativ „Du sollst nicht auf andere Menschen in lebensgefährlicher Weise schießen, es sei denn, daß Du sie nicht triffst“ kann nicht befolgt werden.
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ist schlicht und einfach die Konsequenz daraus, dass sich Kausalverläufe immer nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit voraussagen lassen. Weil der Eintritt des missbilligten Erfolges ungewiss ist, bleibt auch die rechtliche Missbilligung des Handelns zunächst ungewiss. Gegen den Handelnden wendet sich allein die fehlende Gewissheit der Folgen seines Handelns. Es besteht kein Anlass, den Handelnden von dieser sachgesetzlichen Ungewissheit57 zu entlasten, zumal dies ja auch nur zu Ausdehnung der rechtlichen Missbilligung zu seinen Ungunsten auf Sachverhalte, in denen trotz sorgfaltswidrigen Verhalten kein Erfolg eintritt, führen würde. Umgekehrt lässt sich die Notwendigkeit einer vom Eintritt des Erfolgs unabhängigen Norm auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, dass die Erfolgsabhängigkeit der Rechtswidrigkeit „faktisch dazu führen“ würde, „die Befolgungsbereitschaft zu unterminieren, weil beim Handlungsvollzug immer darauf gehofft werden kann, dass der glückliche Zufall eintritt, der das Unrecht eigentlich tragende Erfolg werde ausbleiben.“58 Einmal abgesehen davon, dass die Präventionswirkung des Straf- oder Deliktsrechts realistischerweise wohl kaum davon abhängen dürfte, ob die Lehre vom Handlungsunrecht oder die vom Erfolgsunrecht gerade die Oberhand gewinnt, wäre dies nichts anderes als eine Forderung danach, die Rechtsunterworfenen zur Erzielung einer besseren Präventionswirkung über den wahren Rechtszustand zu täuschen: Die keine Rechtsgutsverletzung verursachende fahrlässige Handlung bleibt deliktsrechtlich und prinzipiell auch strafrechtlich folgenlos. Die Geltung der vom Erfolg unabhängig konstruierten Norm wird im Falle des Ausbleibens des Erfolges durch keine Sanktion bestätigt, was zugleich impliziert, dass die Geltung der Norm in solchen Fällen auch ex ante durch keine Sanktionsdrohung verstärkt wird. An dieser Stelle liegt wohl – zumindest, was das Strafrecht anbelangt – der springende Punkt der Auseinandersetzung um die Rolle des Erfolges für den Unrechtsbegriff. Im Kern dürfte es bei der Auseinandersetzung weit weniger darum gehen, wie auf der Grundlage der positivierten Straf- und Deliktstatbestände der korrekte theoretische Unrechtsbegriff zu bilden ist, als um das trotz Ausbleibens des Erfolges empfundene (oder aber nicht empfundene) Strafbedürfnis.59 Häufig schließt sich dann auch der Erörterung, dass das Unrecht weiter als die Strafbarkeit reichen könne und daher auch mangels eines verursachten Erfolges strafloses sorgfaltswidriges Verhalten rechtswidrig sein könne, alsbald die Feststellung an, dass das Strafbedürfnis bzw. die Strafwürdigkeit bei 57 Vgl. Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (246): „Ungewißheit spiegelt nur das Faktum wider, daß noch offen ist, ob der . . . Erfolg verwirklicht wird . . .“. 58 Dornseifer, GS Armin Kaufmann (1989), 427 (438). 59 So im Ergebnis auch Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (249): „In Wahrheit geht es sachlich . . . nicht um die Begrenzung des Handlungsunrechts auf den beendeten Versuch“, sondern um ein „Problem . . . der Strafzumessung“.
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Ausbleiben des Erfolges genauso groß sei wie im Falle dessen Eintritts.60 Überzeugende Argumente gegen eine Bestrafung der folgenlosen Fahrlässigkeit hat Stratenwerth vorgebracht.61 An dieser Stelle kann nur darauf hingewiesen werden, dass sich das Gesetz zumindest de lege lata gegen eine solche Strafbarkeit und demgemäß auch gegen ein solches Strafbedürfnis entschieden hat. Ergänzend sei hier nur auf zwei Punkte hingewiesen: Wie bereits oben nachgewiesen, ist es zur Prävention von Rechtsgutsverletzungen nicht unbedingt nötig, auch die keine Rechtsgutsverletzung verursachende Fahrlässigkeit („fahrlässiger Versuch“) zu sanktionieren.62 Beim fahrlässigen ebenso wie beim vorsätzlichen Delikt ist eine „Versuchs“strafbarkeit eine mögliche, aber keine denklogisch zwingende Ergänzung des Sanktionensystems. Die Strafwürdigkeit der erfolglosen fahrlässigen Handlung wird zumeist damit begründet, dass zu dem Zeitpunkt, in dem die erfolgstaugliche Handlung vollendet ist und der Handelnde infolge dessen keinen Einfluss mehr auf den Eintritt des Erfolges hat, endgültig feststeht, dass die Norm ihre Bestimmungsfunktion nicht erfüllt habe. Der Normadressat habe sich durch die Norm nicht bestimmen lassen und die Strafbarkeit könne nicht mehr von dem nun „zufälligen“63 Eintritt oder Ausbleiben des Erfolges abhängen. Soweit die Strafbedürftigkeit damit begründet wird, dass die Norm verletzt sei, handelt es sich bereits um eine petitio principii.64 Dass die Norm das Verhalten ohne Rücksicht auf den Eintritt des Erfolges verbietet und folglich auch in solchen Fällen verletzt ist, in denen der Erfolg nicht oder noch nicht eingetreten ist, gilt es gerade zu beweisen. Soweit in der Sache darauf abgestellt wird, dass bereits derjenige, welcher es zulässt, dass die mit dem Eintritt des Erfolges einhergehende Tatbestandsverwirklichung nur noch vom Zufall abhängt, zeigt, dass er die Norm nicht achtet, ist darauf hinzuweisen, dass in einem auf Rechtsgüterschutz abzielenden Tatstrafrecht der bloße Ungehorsam gegenüber der Norm keine Strafbarkeit zur Folge haben muss.65 Schon früh ist 60 Siehe etwa Dornseifer, GS Armin Kaufmann (1989), 427 (438 f.); A. Kaufmann, FS Welzel (1974), 393 (403). 61 Stratenwerth, FS Schaffstein (1975), 177 (187 ff.). 62 Ebenso Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt (1972), S. 120; zutreffend auch insoweit Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 290 in Bezug auf Vorsatzdelikte: „Die abhaltende Wirkung der Drohung ist wesentlich dieselbe, ob der Versuch bzw. die Vorbereitungshandlung mit Strafe bedroht ist oder nicht. Denn der Versuchende erhofft immer die Vollendung, widrigenfalls er nicht handeln würde. Daher kann für den Fall, dass die Handlung beim Versuch stehen blieb, von der Vollziehung der Sanction Umgang genommen werden, . . . ohne dass die abhaltende Wirkung der Drohung abgeschwächt würde.“ 63 Welzel, Abhandlungen (1975), S. 329; Zielinski, Unrechtsbegriff (1973), S. 142; Exner, Fahrlässigkeit (1910), S. 83; Krauß, ZStW 76 (1964), 19 (62); Kadecka, MonKrim 1931, 65 (69 ff.); A. Kaufmann, ZfRV 1964, 41 (42 f.). 64 Vgl. auch Stratenwerth, FS Schaffstein (1975), 177 (184) in Bezug auf das Verschulden. 65 Gallas, FS Bockelmann (1979), 155 (159, 164 f.); Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (241 f.).
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darauf hingewiesen worden, dass die Normen nur Mittel zum Zweck sind und das Ziel des Imperativs keine Willenszucht sei.66 2. Die Lehre vom Handlungsunrecht als Verabsolutierung eines isoliert auf den repressiven Rechtszwang bezogenen Unrechtsbegriffs Schließlich verabsolutiert die Lehre vom Handlungsunrecht einen Unrechtsbegriff, der ausschließlich auf die Funktionsweise des repressiven Rechtszwangs gemünzt ist. Der Rechtszwang ist jedoch unterschiedlich geartet: Neben dem repressiven Zwang durch nachträgliche Sanktionierung kann sich das Recht zur Verfolgung seiner Zwecke auch des unmittelbar physischen Zwanges, insbesondere des Erfüllungszwanges bedienen. Um unerwünschte Handlungen zu unterbinden, ist das Recht nur im Falle des repressiven Rechtszwanges auf den Willen des sog. Normadressaten und dessen Motivierung angewiesen.67 Die Fokussierung des Pflicht- und Rechtswidrigkeitsbegriffes auf die Perspektive des Normadressaten, darauf, ob er die Unerwünschtheit seines Handelns anhand der äußeren Gegebenheiten erkennen kann, ist daher allenfalls in Bezug auf den repressiven Rechtszwang gerechtfertigt. Im Wege des unmittelbaren Erfüllungszwanges lassen sich Verhaltenspflichten hingegen auch dann durchsetzen, wenn der Verpflichtete das Bestehen der Pflicht nicht erkennen kann. Auch die Möglichkeit, ein Verhalten durch unmittelbaren Rechtszwang zu unterbinden, ist Ausdruck der Bewertung dieses Verhaltens als ein objektiv nicht sein sollendes und berechtigt zur Annahme einer entsprechenden Unterlassungspflicht. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es sich in Fällen, in denen der Normadressat die pflichtbegründenden Umstände nicht erkennen kann, nicht um eine Pflicht im eigentlichen Sinne handele, weil der eingesetzte Zwang gerade nicht (zumindest nicht zwingend) darauf abziele, den Willen des „Normadressaten“ zu beeinflussen.68 Eine solche, an der Psychologisierung des Rechts nach Art 66 Siehe nur Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 3 f., 200: „Die Rechtsordnung bezweckt mit ihren Imperativen die Förderung realer Interessen: Willenszucht zu üben ist nicht ihre Aufgabe.“ 67 Zutreffend insoweit bereits Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (1903), S. 41, der darauf hinweist, dass Rechtsnormen nicht nur durch ein Gebot an den Verpflichteten durchgesetzt werden können, sondern auch dadurch, dass einem anderen (z. B. dem Gerichtsvollzieher) geboten wird, die Einhaltung der Norm durch Zwang sicherzustellen; Stoll, AcP 162 (1963), 203 (210 f.): Rechtsnormen sind nicht nur Appelle an den Normadressaten, sondern enthalten darüber hinaus „eine verbindliche Richtschnur für die staatlichen Organe bei der Entscheidung, ob das Verhalten zugelassen werden darf oder zu unterbinden ist“. 68 In dem Sinne aber Bierling, Prinzipienlehre I (1894), S. 50: „Wenn jemand durch Anwendung sog. absoluten oder physischen Zwangs, d. h. einfach durch fremde Kraft in eine gewisse äussere Lage gebracht wird, so ist das schliessliche äussere ,Verhalten‘ des Gezwungenen auch dann keine Normen-Befolgung oder -Erfüllung, wenn dasselbe objektiv einer an ihn gerichteten Norm entspricht“; zustimmend Fischer, Rechtswidrigkeit (1911), S. 10; vgl. auch Binding, Normen I4 (1922), S. 493.
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der frühen Imperativentheorie festhaltende Monopolisierung des Pflichtbegriffs übersieht gerade, dass die Beeinflussung des Willens des Handelnden nicht das einzige Mittel ist, das dem Recht zur Unterbindung nicht sein sollender Handlungen zur Verfügung steht. Ihr ist in Anlehnung an Worte v. Jherings69 entgegenzuhalten: Wie soll man diese Handlung sonst bezeichnen? Eine rechtmäßige ist es nicht; also bleibt nichts anderes übrig, als sie eine rechtswidrige zu nennen. Dass die Existenz einer Rechtspflicht von deren Erkennbarkeit durch den Normadressaten unabhängig ist, entspricht – zumindest was schuldrechtliche Erfüllungsansprüche anbelangt – auch der zivilrechtlichen Dogmatik: Ein Anspruch und damit auch die ihm korrespondierende Pflicht des Anspruchsgegners entsteht mit dem objektiven Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen unabhängig davon, ob der Anspruchsgegner diese kannte oder kennen konnte. In letzter Konsequenz beruht dies darauf, dass weder eine zivilgerichtliche Verurteilung noch deren Vollstreckung von den Erkenntnismöglichkeiten des Anspruchsgegners abhängig sind. Mag das Recht auch in erster Linie darauf setzen, dass der Anspruchsgegner seinen Verpflichtungen „freiwillig“, d. h. ohne Einsatz von Rechtszwang nachkommt, ist der in die Hand des Anspruchsinhabers gegebene Einsatz von zivilprozessualen Zwangsmitteln von Willen und Erkenntnis des Anspruchsgegners doch unabhängig. Und die potentielle Unterworfenheit des Anspruchsgegners unter diese Zwangsmittel begründet dessen Pflicht auch dann, wenn im Einzelfall eine freiwillige Pflichterfüllung notwendig daran scheitern muss, dass der Anspruchsgegner seine Pflicht nicht erkennen kann. Aus diesem Grund sind auch zivilrechtliche Unterlassungsansprüche zunächst einmal davon unabhängig, ob die Vornahme der zu unterlassenden Handlung einen Sorgfaltsverstoß des Handelnden begründen würde. So ist z. B. weder der Unterlassungsanspruch aus § 12 Abs. 1 S. 2 BGB davon abhängig, dass der Anspruchsgegner erkennen kann, dass er unbefugt den Namen des Berechtigten gebraucht, noch der Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 davon, dass der Beeinträchtigende erkennen kann, dass er fremdes Eigentum beeinträchtigt. Im Falle des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB bedeutet dies, dass ein potentieller Störer zur Unterlassung nicht zu duldender Beeinträchtigungen schlechthin verurteilt werden kann und nicht nur dazu, sorgfaltswidrige Grenzwertüberschreitungen zu unterlassen. Und von dem Herausgeber einer Zeitung kann – sofern man quasinegatorische Unterlassungsansprüche zum Schutze des allgemeinen Per69 Vgl. v. Jhering, Schuldmoment (1867), S. 5 f. gegen Merkel, Abhandlungen I (1867), S. 46 ff.: „Wie sollen wir denn den Zustand des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache bezeichnen. Ein rechtmäßiger ist er nicht; also bleibt nichts übrig, als ihn einen unrechtmäßigen zu nennen. Ich sehe gar nicht ein, wie der Jurist dieser Bezeichnung sollte entbehren können, und so viel ich weiß, ist der Gebrauch des Wortes Unrecht in diesem Sinn eben so alt wie das Recht selbst!“.
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sönlichkeitsrechts anerkennt – die Unterlassung der Veröffentlichung einer Ausgabe, die ehrverletzende unwahre Tatsachenbehauptungen enthält, auch dann verlangt werden, wenn im Vorfeld den journalistischen Sorgfaltspflichten vollkommen Genüge getan wurde. Von der Verschuldensunabhängigkeit des negatorischen bzw. quasinegatorischen Rechtsschutzes zu sprechen,70 wäre jedoch in Bezug auf Unterlassungsansprüche geradezu irreführend: Das Verschulden kommt im Rahmen solcher Unterlassungsansprüche durch die Hintertür des Vollstreckungsrechts doch noch zu seinem Recht. Abweichend von dem oben aufgestellten Grundsatz, dass die zivilprozessuale Erzwingung der Pflichterfüllung von Willen und Erkenntnis des Anspruchsgegners unabhängig ist, wird versucht, die Einhaltung von Unterlassungspflichten nach § 890 ZPO durch Einwirkung auf den Willen des Verpflichteten mittels gerichtlicher Androhung von Ordnungsmaßnahmen durchzusetzen. Diese Ordnungsmaßnahmen werden jedoch nur im Falle schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die im Urteil festgestellte Unterlassungspflicht verhängt. Zur Verhinderung von Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommt somit vom Prinzip her derselbe Erzwingungsmechanismus wie im Strafrecht zum Einsatz. Anspruchsgegner eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs, d. h. Verpflichteter einer selbständig einklagbaren, zivilrechtlichen Unterlassungspflicht zu sein, bedeutet somit nichts anderes als dass man – ein entsprechendes Unterlassungsurteil vorausgesetzt – für die schuldhafte Verletzung der Unterlassungspflicht mit den Sanktionen des § 890 ZPO bestraft werden kann. Der Unterlassungsanspruch erweist sich somit weder als ein ausgesprochen präventiver Rechtsbehelf, noch bietet er einen expliziten Schutz gegen schuldlos verursachte Beeinträchtigungen. Ist es für den zur Unterlassung Verurteilten nicht erkennbar, dass er durch sein Verhalten gegen die titulierte Unterlassungspflicht verstößt, so drohen ihm – mangels Verschuldens – auch nicht die Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO. Den Einsatz unmittelbaren physischen Zwangs zur Unterbindung des Pflichtverstoßes sieht die Zivilprozessordnung nicht vor. Einen gewissen Schutz gegen schuldlose Rechtsgutsbeeinträchtigungen können Unterlassungsklagen nur dadurch bieten, dass die abstrakte Verbotsnorm in dem Unterlassungsurteil konkretisiert wird und dadurch die Möglichkeit gewisser Subsumtionsirrtümer des Verpflichteten ausgeräumt wird: So wird z. B. durch ein die Pflicht des S zur Unterlassung von Beeinträchtigungen des Grundstücks des E aussprechenden Urteils die dingliche Rechtslage zwischen den Parteien außer Streit gestellt und somit verhindert, dass S das Grundstück schuldlos in Unkenntnis des fremden Eigentums bzw. der Annahme einer eigenen Berechtigung beeinträchtigt.
70 RGRK12 /Steffen (1989), Vor § 823 Rn. 126; Medicus, Schuldrecht II14 (2007), Rn. 944; Erman12 /Schiemann (2008), Vor § 823 Rn. 20.
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Wenn man nun noch berücksichtigt, dass – entsprechend dem eben Gesagten – das Bestehen einer vom Eintritt der Rechtsgutsverletzung unabhängigen Pflicht zur Unterlassung bestimmter gefährlicher Verhaltensweisen nichts anderes bedeutet, als dass bereits die schuldhafte Vornahme dieser Handlung und nicht erst die schuldhafte Verursachung der Rechtsgutsverletzung „zivilprozessual“ gemäß § 890 ZPO „strafbar“ ist, so wird man – ohne in unzulässige Polemik zu verfallen – feststellen dürfen, dass die Herleitung einer so strukturierten selbständigen zivilrechtlichen Unterlassungspflicht durch die Lehre vom Handlungsunrecht wie ein Taschenspielertrick anmutet: Ausgangspunkt ist die Bestimmung des § 823 Abs. 1 BGB, die u. a. besagt, dass derjenige, der fahrlässig das Eigentum eines anderen widerrechtlich verletzt, mit der Sanktion des Schadensersatzes belegt wird, und die damit in ihrer Struktur vollkommen strafrechtlichen Erfolgsdelikten, wie z. B. dem § 229 StGB entspricht. Das Endergebnis nach Durchführung diverser normtheoretischer Operationen ist sodann, dass die zivilprozessuale Sanktion des § 890 ZPO nicht erst – wie die Kriminalstrafe nach § 229 StGB und die Schadensersatzpflicht – durch die vollendete Rechtsgutsverletzung, sondern bereits durch den Eintritt einer rechtsgutsgefährdenden Situation ausgelöst wird. Dies kann nicht richtig sein: Aus einer Norm, die die Sanktion vom Eintritt eines bestimmten Erfolges abhängig macht, lässt sich niemals allein mittels logischer Erwägungen auf eine andere Norm schließen, die die Sanktion gerade unabhängig vom Eintritt dieses Erfolges anordnet. Die Trennung von Verhalten und Erfolg und die Ausweisung des Erfolges aus dem Unrecht durch Teile der Lehre vom Handlungsunrecht führt im Ergebnis nicht zur Unabhängigkeit des Unrechts von jedwedem äußeren Erfolg, sondern nur dazu, dass zur Begründung von Unrecht an die Stelle der Rechtsgutsverletzung selbst ein anderer, dieser vorgelagerter Erfolg getreten ist.71 Ein Blick auf die ausdifferenzierten Tatbestände des Strafrechts zeigt aber, dass der Gesetzgeber nur enumerativ bestimmte, als besonders gefährlich angesehene Handlungen (abstrakte Gefährdungsdelikte) und auch nur bestimmte, der eigentlichen Verletzung vorangehender Gefährdungserfolge (konkrete Gefährdungsdelikte) als ausreichend angesehen hat, um eine vom Verletzungserfolg unabhängige Haftung zu begründen. Davon, dass jede irgendwie geartete Gefährdung jedweden Rechtsguts geeignet sein soll, unabhängig vom Eintritt der Rechtsgutsverletzung Sanktionsfolgen nach sich zu ziehen, kann nicht die Rede sein. Konsequent zu Ende gedacht müsste die Lehre vom Handlungsunrecht im Übrigen dazu führen, jegliche äußeren Erfolge, was den objektiven Tatbestand der Handlung als äußerlich wahrnehmbarer Körperbewegung einschließt – aus der Verbotsmaterie und dem Unrecht auszuschließen: Verboten wäre nur die Erzeugung des Hand-
71 Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt (1972), S. 123; vgl. Paeffgen, Verrat (1979), 112 ff.
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lungsimpulses im Gehirn.72 Allenfalls dieser ist vom Menschen steuerbar und durch die Gebote des Rechts beeinflussbar. Alles weitere ist nur die kausale, nicht mehr steuerbare, „zufällige“ Folge des Handlungsimpulses. Damit ist man geradewegs wieder bei der früheren „psychologischen“ Imperativentheorie angelangt.73 Wenn man schon die primäre Funktion des Rechts – was zweifelhaft ist – darin sehen will, dass es an den Einzelnen gerichtete Verhaltensnormen aufstellt, so fordern diese Normen jedenfalls nicht eine bestimmte Impulserzeugung oder -unterdrückung, sondern im Großen und Ganzen allein äußerlich rechtstreues Verhalten. Selbst wenn man im Übrigen den erfolgsunabhängigen Unrechtsbegriff der Lehre vom Handlungsunrecht zu Grunde legen würde, so könnte man daraus dennoch nicht ableiten, dass mit Hilfe der negatorischen oder quasinegatorischen Unterlassungsklage gefährliche und nach der Lehre vom Handlungsunrecht schon deshalb rechtswidrige Handlungen, unabhängig vom Erfolgseintritt, abgewehrt werden können. Auch wenn man den Erfolg im Falle der strafrechtlichen Fahrlässigkeitsdelikte als objektive Strafbarkeitsbedingung und bei § 823 Abs. 1 BGB als reine Haftungsbedingung ansieht, steht jedenfalls fest, dass nach dem positiven Recht der Eintritt derart gearteter Sanktionen grundsätzlich vom Eintritt des Verletzungserfolges abhängig ist. Warum dies im Falle der Sanktionierung nach § 890 ZPO grundlegend anders und auf die Haftungsvoraussetzung bzw. objektive Strafbarkeitsbedingung des Erfolgseintritts zu verzichten sein soll, ist nicht zu erkennen. III. Ergebnisse Die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens nach § 823 Abs. 1 BGB setzt zwingend den Eintritt des missbilligten Erfolges, d. h. eine Verletzung eines der geschützten Rechtsgüter voraus. Das Rechtswidrigkeitsurteil hat somit im Falle des § 823 Abs. 1 BGB einen sich von der Handlung bis zum tatbestandlichen Erfolg einschließlich erstreckenden Geschehensablauf zum Gegenstand. Argumente dafür, diesen Geschehensablauf in eine – dann den alleinigen Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils bildende – Handlung und einen für die 72 Vgl. Bierling, Prinzipienlehre I (1894), S. 173: „Rechtswidrig ist schon der blosse Wille, der sich wider eine Rechtsnorm richtet, selbst wenn er zu keinem entsprechenden rechtswidrigen Thun führt.“; dem folgend Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, Bd. 1 (1903), S. 212; vgl. auch die Kritik von Wolff, Verbotenes Verhalten (1923), S. 211: „Nach der Normentheorie ist jeder Wille, etwas Rechtswidriges zu begehen, selbst rechtswidrig.“ 73 Eine Nähe zur älteren Imperativentheorie attestiert Gallas, FS Bockelmann (1979), 155 (157 f.), dem folgend Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (241 f. mit Fn. 102): „psychologisierender Begriff des Unrechts“ [. . .] „diese Lehre hat die Konsequenz, daß allgemein in den Strafgesetzen auf die Vollendung der Tat verzichtet werden müßte.“; vgl. auch Stoll, JZ 1958, 137 (143).
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Rechtswidrigkeit irrelevanten weiteren Geschehensverlauf zu unterteilen, haben sich nicht als stichhaltig erwiesen. Hinsichtlich quasinegatorischer Unterlassungsansprüche, die eine nach § 823 Abs. 1 BGB rechtswidrige Handlung zum Gegenstand haben, hat dies zur Konsequenz, dass nur die Unterlassung eines den Verletzungserfolg tatsächlich herbeiführenden Verhaltens, nicht aber die Unterlassung erfolgsgefährlicher Verhaltensweisen schlechthin verlangt werden. Eine „Beeinträchtigung“ im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB, die die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO nach sich ziehen kann, liegt erst bei Eintritt des Beeinträchtigungserfolges, also einer Rechtsgutsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB vor. Gegenstand des Unterlassungsanspruchs ist ein den Verletzungserfolg objektiv zurechenbar bewirkendes Verhalten des Anspruchsgegners. Darauf, ob der Anspruchsgegner fahrlässig handelt, kommt es erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO an: Eine Ordnungsmaßnahme nach § 890 ZPO kann nur im Falle einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Erfolgsverursachung verhängt werden, so dass auf diese Weise die strukturelle Übereinstimmung des der Verhängung der Ordnungsmaßnahme nach § 890 ZPO zugrundeliegenden Sanktionstatbestandes mit dem des § 823 Abs. 1 BGB wiederhergestellt wird. Der Einwand, dass dieses Ergebnis nicht interessengerecht sei, weil es den Rechtsgutsinhaber gegenüber Gefährdungen, die nunmehr scheinbar rechtmäßig seien, schutzlos ließen, ist unberechtigt. Das Rechtsgut ist gegenüber Gefährdungen nicht schutzlos, weil die Sanktionsbewehrtheit der Rechtsgutsverletzung dazu führt, dass das fahrlässige Verhalten für den Handelnden selbst im Hinblick auf die drohende Strafe riskant ist. Der Gesetzgeber hat bestimmten Rechtsgütern in Bezug auf bestimmte Gefährdungen einen verstärkten Schutz zuteil werden lassen, indem er Sanktionstatbestände geschaffen hat, in denen er bereits einen vorgelagerten Gefährdungserfolg als Anknüpfungspunkt für Sanktionen bestimmt hat. Ein solcher vorgelagerter Schutz mag in Bezug auf manche weitere Fallgruppen von Rechtsgutsgefährdungen wünschenswert sein, in Bezug auf andere sicher aber auch nicht. Dass jede irgendwie geartete Gefährdung eines Rechtsguts i. S. von § 823 Abs. 1 BGB bereits als solche sanktioniert werden können soll, lässt sich jedenfalls nicht durch normtheoretische Erwägungen begründen. Wenn der Gesetzgeber der Rechtsprechung im Rahmen der Ausfüllung des Rechtsbegriffs der Fahrlässigkeit auch weitgehend die Bestimmung des rechtswidrigen und sanktionsbewehrten Verhaltens im Einzelnen überlassen hat, so hat er dem durch das Erfordernis des Eintritts des Verletzungserfolgs doch eine klare Grenze gesetzt,74 die der Zivilrichter ebenso wenig wie der Strafrichter 74 Ähnliche Überlegung bei A. Kaufmann, ZfRV 1964, 41 (54): Im Hinblick darauf, dass eine tatbestandliche Umschreibung der Sorgfaltsverletzung fehle und vom Richter
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überschreiten darf. Die Wahl des Sanktionspunktes, d. h. die Entscheidung darüber, ob erst die Rechtsgutsverletzung oder bereits dieser vorgelagerte Gefährdungserfolge zu Sanktionen führen, beinhaltet eine Abwägung zwischen dem Schutzinteresse des Rechtsgutsinhabers und der allgemeinen Handlungsfreiheit des Handelnden. Durch eine Vorverlagerung des Sanktionspunktes wird diese Abwägung zum Nachteil des Handelnden und der das Rechtsgut umgebende „Verbotsbereich“ zu Lasten der allgemeinen Handlungsfreiheit verschoben. Der Handelnde müsste im Falle einer solchen Vorverlagerung sein Verhalten nicht mehr nur daraufhin ausrichten, dass es keine Rechtsgutsverletzung verursacht, sondern bereits darauf, dass es keine Rechtsgutsgefährdungen bewirkt. Die Vorverlagerung des Sanktionspunktes infolge normtheoretischer Erwägungen ist insbesondere auch deshalb bedenklich, weil sich das zugrunde liegende Argumentationsmuster ad infinitum anwenden und der Bereich verbotenen Verhaltens beliebig ausweiten ließe: Hält man den Schluss von dem Verbot der Verletzung auf das Verbot der Gefährdung für zulässig, so kann man, nachdem man die Gefährdung nun selbst als Verletzung des in seinem Schutzbereich ausgeweiteten Rechtsguts ansieht,75 wiederum vom Verbot der Verletzung auf das der Gefährdung schließen, so dass es nunmehr bereits verboten ist, die Gefahr einer Rechtsgutsgefährdung zu schaffen. Dieses Verfahren ließe sich beliebig fortsetzen.
ersetzt werden müsse, würde ein Verzicht auf das Erfordernis der realen Erfolgsverursachung dazu führen, dass „der klare und gesetzlich fixierte Ansatzpunkt für das Fragen nach der Sorgfalt verloren ginge“. 75 Vgl. in der Tendenz auch Heinze, Rechtsnachfolge (1974), S. 20: Beim quasinegatorischen Unterlassungsanspruch liege die nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Beeinträchtigung bereits in der „akuten Gefährdung des Rechtsguts“; OLG Zweibrücken, NJW 1992, 1242.
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Abschnitt 4
Das Nachbarrecht als Anwendungsgebiet des Quasinegatorischen Rechtsschutzes? § 15 Einführung: Privates Nachbarrecht und öffentliches „Nachbarrecht“ I. Das private Nachbarrecht des BGB und der privaten Nachbarrechtsgesetze Das Bürgerliche Gesetzbuch weist zwar in § 903 BGB darauf hin, dass die Befugnis des Eigentümers, das Grundstück nach seinem Belieben zu nutzen, durch das Gesetz und die Rechte Dritter beschränkt ist. Das BGB selbst enthält indes für die Nutzung des Grundeigentums kaum Beschränkungen. Geradezu selbstverständlich ist es zwar, dass im Verhältnis benachbarter Grundstücke die Freiheit des § 903 BGB, mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren, dem Eigentümer nicht das Recht gibt, im Rahmen der Nutzung seines Grundstücks (unbegrenzt) auf Nachbargrundstücke einzuwirken. Der Eigentümer des Nachbargrundstücks kann insoweit nach § 1004 Abs. 1 BGB im Verbindung mit § 906 BGB insbesondere die Unterlassung der Zuführung von Immissionen verlangen, die sein Grundstück nicht nur unwesentlich beeinträchtigen. Solange der Eigentümer eines Grundstücks nicht durch Immissionen auf Nachbargrundstücke einwirkt (d. h. „sich in den räumlichen Grenzen seines Grundstücks hält“1), wird er jedoch durch die im BGB befindlichen Regelungen bei der Gestaltung und Nutzung seines Grundstücks weitgehend nicht durch die Interessen der Nachbarn beschränkt. Diese haben insoweit keine Ansprüche darauf, dass er sein Grundstück in einer bestimmten Weise gestaltet und nutzt bzw. dieses unterlässt. Beschränkte Ausnahmen von diesem Grundsatz enthalten lediglich die §§ 907 – 909 BGB: Nach diesen Vorschriften können die Nachbarn verlangen, dass auf dem Grundstück keine Anlagen hergestellt oder gehalten werden, deren Bestand oder Benutzung mit Sicherheit zu unzulässigen Einwirkungen führt (§ 907 BGB), dass einsturzgefährdete Gebäude, die die Nachbargrundstücke gefährden, gesichert werden (§ 908 BGB),2 und dass das Grundstück nicht in einer Weise vertieft wird, dass der Boden der Nachbargrundstücke die erforderliche Stütze verliert (§ 909 BGB). Davon abgesehen sichert der von der h. M. zu Recht vorgenommene Ausschluss von sog. negativen und ideellen Einwir-
Vgl. Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 125. Anspruchsgegner ist allerdings gemäß §§ 908, 836 Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 BGB der Eigenbesitzer. Dies ändert im Ergebnis aber nichts daran, dass der Grundstückseigentümer in der Nutzung des Grundstücks durch § 908 BGB beschränkt wird. 1 2
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kungen aus dem Anwendungsbereich der §§ 1004, 906 BGB3 die Freiheit des Eigentümers, sein Grundstück innerhalb dessen Grenzen unbeeinflusst von den Interessen und Ansichten der Nachbarn zu bebauen und zu nutzen:4 Er muss bei der Bebauung seines Grundstücks weder darauf Rücksicht nehmen, ob er den Nachbarn Licht, Luft oder Funkwellen entzieht, noch ob die Bebauung bzw. Nutzung des Grundstücks im Widerspruch zu dem ästhetischen bzw. moralischen Empfinden der Nachbarn steht. Von einer solchen Freiheit des Grundeigentümers auszugehen, wäre nicht erst heute infolge der bestehenden bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Bestimmungen eine Illusion. Ungeachtet des liberalen Eigentumsverständnisses der BGB-Verfasser waren sich diese dessen bewusst, dass die Freiheit des Grundstückseigentümers (bereits damals) vielfältigen Beschränkungen sowohl im öffentlichen wie im Interesse des Nachbarn unterworfen war. In den Regelungsbereich des Bürgerlichen Rechts fielen dabei von vornherein nur die Beschränkungen der Eigentümerbefugnisse „im Interesse des privaten Rechtslebens“.5 Von den Beschränkungen des Eigentums im privaten Interesse wurden nur diejenigen in das BGB aufgenommen, die für alle „lokalen Verhältnisse“ passend waren.6 Im Übrigen ordnete Art. 124 EGBGB die Fortgeltung der partikularrechtlichen Vorschriften an, die „das Eigentum an Grundstücken noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen unterwerfen“. Bereits die in den Partikularrechten enthaltenen Eigentumsbeschränkungen blieben in Art und Umfang bei weitem hinter denen der heutigen Gesetze des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts zurück. Die Nachbarrechtsgesetze, die in den meisten Bundesländern gemäß Art. 1 Abs. 2 EGBGB die partikularrechtlichen Bestimmungen weitgehend ersetzt haben,7 enthalten aber abgesehen von 3 Vgl. für negative Immissionen BGHZ 88, 344 (345) = NJW 1984, 729 (729) m.w. N.; BGHZ 113, 384 (386) = NJW 1991, 1671 (1671 f.); BGH, NJW 1992, 2569 (2670); OLG Hamburg, MDR 1963, 135; Palandt68 /Bassenge (2009), § 903 Rn. 9; Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 818; Hagen, WM 1984, 677 (677); Karsten, Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch (1988), S. 57; a. A. F. Baur, BB 1963, 483 (486 f.); Ostendorf, JuS 1974, 756 (758); P. Tiedemann, MDR 1978, 272 ff.; für ideelle Immissionen BGHZ 51, 396 (397 f.) – Lagerplatz für Baumaterialien und Baugeräte in einer Wohngegend; BGHZ 54, 56 (59 f.) – Schrottfahrzeuge; BGHZ 95, 307 (309 f.) – Bordell auf Nachbargrundstück; BGH, NJW 1975, 170 – Wand aus Eisenstangen und Blechen; RGZ 76, 130 (131 f.) – Nacktbaden; Palandt68 /Bassenge (2009), § 903 Rn. 10; Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 820; a. A. Jauernig, JZ 1986, 605 (606 f.); M. Wolf/Wellenhofer, Sachenrecht24 (2008), § 24 Rn. 8; Lang, AcP 174 (1974), 381 (390); Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 101 f. 4 Vgl. für den Regelfall auch Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 125. 5 Mot. III, 258. 6 Mot. III, 259. 7 Zu den Rechtsquellen des privaten Nachbarrechts vgl. Dehner, Nachbarrecht7, A § 3: Mehrere Länder haben bereits in den Ausführungsgesetzen zum BGB die vor
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den Regelungen des Fenster- und Lichtrechts8 kaum noch nennenswerte Beschränkungen der Baufreiheit des Eigentümers. Einen privatrechtlichen Anspruch auf Einhaltung eines Grenzabstandes von Gebäuden sehen nur die Nachbarrechtsgesetze Baden-Württembergs, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und Schleswig-Holsteins vor.9 Die Gesetze in Baden-Württemberg und Niedersachsen regeln dabei allerdings nur einen Mindestabstand von Gebäuden im Außenbereich (§ 19 Abs. 2 BauGB) gegenüber landwirtschaftlich oder erwerbswirtschaftlich genutzten Grundstücken. Das Nachbarrechtsgesetz SchleswigHolstein legt keine eigenen Mindestgrenzabstände fest, sondern gibt den Nachbarn in § 43 einen privatrechtlichen Anspruch auf Einhaltung der öffentlichrechtlich festgesetzten Abstandsvorschriften. Allein das Nachbarrecht Nordrhein-Westfalens trifft in § 1 eine eigenständige, allgemeine privatrechtliche Regelung des Grenzabstandes von Gebäuden (2 m von der Grenze) und gewährt dem Nachbarn insoweit einen Beseitigungsanspruch gegenüber Gebäudeteilen, die den erforderlichen Abstand nicht einhalten. In § 3 sind Ausschlussgründe für den Beseitigungsanspruch vorgesehen. II. Das öffentliche Nachbarrecht Die Tatsache, dass die Freiheit des Eigentümers durch bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Bestimmungen in weitaus größerem Umfang als durch privatrechtliche Bestimmungen eingeschränkt wird, erweckt bei den Nachbarn, denen diese weitergehenden Beschränkungen zunächst rein faktisch zugute kommen, ein nachvollziehbares Interesse daran, dass diese Vorschriften auch von dem Bauherrn eingehalten werden. Wenn die zuständigen Baubehörden bei der Durchsetzung dieser Vorschriften nachlässig sind, werden die Nachbarn ihre Einhaltung zu erzwingen suchen.
1900 geltenden partikularrechtlichen Bestimmungen aufgehoben (darunter Bayern) und durch neue Bestimmungen ersetzt. Die alten Bundesländer haben mit Ausnahme von Bremen, Hamburg und Bayern zwischen 1959 und 1973 Nachbarrechtsgesetze erlassen. In den neuen Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind nach der Wiedervereinigung neue Nachbarrechtsgesetze erlassen worden. 8 §§ 3 ff., 31 NRG BW, §§ 20 ff. NRG Bbg, §§ 11 ff. NRG Hess., §§ 23 ff. NRG Nds., §§ 4 ff. NRG NRW, §§ 34 ff. NRG RP, §§ 22 ff. NRG SH (Synopse bei Dehner, Nachbarrecht7, im Anhang zu B § 25; vgl. zu den Begriffen des Fensterrechts und des Lichtrechts Schäfer, Nachbarrechtsgesetz für Nordrhein-Westfalen15 (2008), B II. Abschnitt Vorbemerkungen Rn. 1; Staudinger2005 /Albrecht, Art. 124 EGBGB Rn. 22 f.: Als Fensterrecht bezeichnet man diejenigen privatrechtlichen Bestimmungen, die die Anlage von Fenstern insb. im Hinblick auf den Schutz des Nachbarn vor Beobachtung regeln. Unter dem Begriff des Lichtrechts fasst man diejenigen Normen des privaten Nachbarrechts zusammen, die dem Schutz bestehender Fenster vor dem Entzug des Lichts durch Verbauung dienen. 9 Vgl. § 7 NRG BW, §§ 61 f. NRG Nds, §§ 1 ff. NRG NRW, § 43 NRG SH.
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Im Hinblick darauf stellte sich nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Frage, ob dem Nachbarn ein subjektives öffentliches Recht darauf zustand, dass die Baubehörde bei der Erteilung von Baugenehmigungen bestimmte Vorschriften beachtete, die für den Nachbarn objektiv günstig waren.10 Das Preußische OVG verneinte ein solches Recht mit der Begründung, dass die baupolizeilichen Bestimmungen „wie alle polizeilichen Vorschriften ihrer Natur nach nicht das Einzelinteresse, sondern lediglich die Interessen der Gesamtheit oder doch diejenigen eines weiteren unbestimmten Kreises von Beteiligten zur Grundlage und zugleich zum Ziele haben“.11 Der Dritte könne zwar ein Interesse daran haben, dass eine Baugenehmigung in einer bestimmten Beziehung nicht erteilt werde, ein subjektives Recht darauf habe er aber selbst dann nicht, wenn die betreffende Bestimmung „neben den zunächst maßgebenden öffentlichen allgemeinen bis zu einem gewissen Grade auch die besonderen Interessen der Nachbarn zu schützen bestimmt sein mag.“ Das Interesse des Nachbarn stehe „wie das der Gesamtheit lediglich unter dem Schutze einer geordneten Verwaltung“. Er habe die Möglichkeit wie jeder andere auch, die Verwaltung auf die Rechtslage hinzuweisen, Zuwiderhandlungen anzuzeigen und Beschwerden vorzubringen. Eine verwaltungsrechtliche Klage stehe ihm aber genauso wenig „wie irgendeinem ganz unbeteiligten anderen Dritten zu“.12 Nach Gründung der Bundesrepublik hielt die überwiegende Ablehnung der öffentlich-rechtlichen Baunachbarklage in der Rechtsprechung zunächst an.13 Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts setzte dann ein grundlegender Wandel in der Rechtsprechung ein.14 1960 entschied das Bundesverwaltungsgericht,15 dass „nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts“ ein subjektives öffentliches Abwehrrecht des Nachbarn begründen können und dass diesem unter Berücksichtigung des behördlichen Ermessens zugleich ein Anspruch ge10 Vgl. zur Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes Sellmann, DVBl 1963, 273 ff.; Tiltag, Baunachbarklage (1966), S. 51 ff.; Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 9 ff.; Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 2 ff.; Preu, Genese der Bau- und Gewerbenachbarklagen (1990), S. 51 ff.; Haag, Nachbarrecht (1996), S. 22 ff.; Dehner, Nachbarrecht7, A § 7, S. 3 ff. 11 PrOVGE 2, 351 (354 f.). 12 Eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Baurecht wurde ebenfalls vom Badischen, vom Württembergischen Verwaltungsgerichtshof und vom Thüringischen OVG abgelehnt. Anders entschieden jedoch das Sächs. Oberverwaltungsgerichts bis 1933 und der Braunschweigische Verwaltungsgerichtshof, die davon ausgingen, dass der Nachbar ein subjektives öffentliches Recht auf Einhaltung der seinem Schutze dienenden Bauvorschriften hatte, das er im Verwaltungsrechtsweg geltend machen kann. Vgl. dazu eingehend Sellmann, DVBl 1963, 273 (275). 13 Vgl. Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 13. 14 Vgl. Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 13 a. E. mit Nachweisen der Rspr. in Fn. 30; Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 4 f. mit Nachweisen der Rspr. in Fn. 25 ff. 15 BVerwGE 11, 95, Urt. v. 18.8.1960.
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gen die Baubehörde auf Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände zustehen kann. Eine besondere Bedeutung für diese Entwicklung kam dabei Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zu, der den Rechtsweg bei jeder Verletzung von subjektiven Rechten durch die öffentliche Gewalt eröffnet. Dabei schafft Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zwar keine neuen subjektiven Rechte, sondern setzt solche gerade voraus.16 Nach der Schutznormtheorie ist zur Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts eine Rechtsnorm erforderlich, die zumindest auch im Individualinteresse eine Verhaltenspflicht für die öffentliche Gewalt begründet und zudem dem Inhaber des geschützten Interesses die Rechtsmacht zu ihrer Durchsetzung einräumt.17 Art. 19 Abs. 4 GG wurde aber insoweit eine rechtsschutzfreundliche Gesinnung des Grundgesetzes entnommen, und daraus die Vermutung abgeleitet, dass eine Rechtsnorm, die dem Schutz von Individualinteressen dient, dem Träger des geschützten Interesses auch die Rechtsmacht zu ihrer Durchsetzung verleiht,18 was dazu führte, dass das Erfordernis der Verleihung einer solchen Rechtsmacht als Voraussetzung für die Annahme eines subjektiven Rechts in der Praxis bedeutungslos wurde.19 Darüber hinaus dürfte die rechtsschutzfreundliche Einstellung in der Praxis dazu geführt haben, dass man auch bei der Feststellung, ob eine Norm den Schutz des Einzelnen bezweckt, großzügig verfahren ist und in Zweifelsfällen davon ausgegangen ist, dass ein objektiv bewirkter Schutz auch bezweckt ist. Heute ist anerkannt, dass eine Vielzahl von Vorschriften des Bauordnungsund Bauplanungsrechts zumindest auch den Schutz des Nachbarn bezweckt und diesem ein subjektives Recht auf Beachtung und gegebenenfalls Durchsetzung
16 Vgl. Breuer, DVBl 1983, 431 (432); Dolderer, DVBl 1998, 19 (22); Wilke, GS Grabitz (1995), 905 (914); BVerfGE 15, 275 (281); 51, 176 (185); 61, 82 (110); 78, 214 (226); 83, 182 (194 f.). 17 Erichsen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht12 (2002), § 11 II 5, Rn. 31. 18 Vgl. Bachof, DVBl 1961, 128 (131): „Aus der – gerade durch Art. 19 IV mitgeprägten – Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des einzelnen zum Staat folgt, dass im Zweifel diejenige Interpretation den Vorzug verdient, die dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumt.“; ders., GS Jellinek (1955), 287 (301); ders., Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung2 (1968), S. 84 f.; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 12 (1953), § 57 I 4 d) a. E. (S. 685 o.); Evers, JuS 1962, 87 (90); Rüfner, DVBl 1963, 609 (610); Tiltag, Baunachbarklage (1966), S. 23; Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35 (48 f.); D. Lorenz, Rechtsschutzgarantie (1973), S. 55; Maunz, BayVBl 1977, 135 (137); Schenke, in Bonner Kommentar46 Lfg. (1982), Art. 19 Rn. 288 m.w. N.; Haag, Nachbarrecht (1996), S. 24 f.; BVerfGE 15, 275 (281 f.). 19 Vgl. maßgeblich Bachof, DVBl 1961, 128 (129): Es ist „davon auszugehen, daß unter der heutigen Verfassungsordnung alle objektivrechtlich gewollten Begünstigungen des Bürgers im Verhältnis zum Staat grundsätzlich und in der Regel keine bloßen Reflexe, sondern subjektive Rechte sind.“; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht12 (2002), § 11 II 5, Rn. 33.
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dieser Normen durch die Baubehörden verleiht.20 Dabei hat sich inzwischen eine Systematik entwickelt, die zwischen generell nachbarschützenden und partiell nachbarschützenden Normen unterscheidet.21 Die Einhaltung von generell nachbarschützenden Bestimmungen können die Nachbarn per se verlangen, ohne nachweisen zu müssen, dass die Verletzung der Bestimmung tatsächlich zu einer Beeinträchtigung ihres individuellen Interessenkreises führt.22 Als generell nachbarschützend werden im Bauplanungsrecht vor allem die Festsetzungen in den Bebauungsplänen über die Art der baulichen Nutzung nach den §§ 2–10 BauNVO angesehen,23 so dass die Nachbarn ein subjektives öffentliches Recht darauf haben, dass in dem jeweiligen Gebiet keine nach diesen Vorschriften unzulässigen Bauvorhaben genehmigt werden. Einen entsprechenden Anspruch haben Nachbarn in so genannten faktischen Plangebieten (§ 34 Abs. 2 BauGB) darauf, dass keine dem tatsächlichen Gebietscharakter widersprechenden Bauvorhaben genehmigt werden.24 Im Bauordnungsrecht sollen vor allem die Regelungen über Abstandsflächen25 generell nachbarschützend sein, so dass der Nachbar deren Einhaltung verlangen kann, ohne eine besondere Betroffenheit in seinen Interessen nachweisen zu müssen.26 Partiell nachbarschützende Normen sind dadurch gekennzeichnet, dass der durch sie geschützte Personenkreis ihre Beachtung nicht schlechthin verlangen kann, sondern nur insoweit, als die Normverletzung zu einer qualifizierten Beeinträchtigung des individuellen Interessenkreises führt.27 Partiell nachbarschützend sind insbesondere diejenigen Tatbestandsmerkmale bauplanungsrechtlicher Bestimmungen, die als Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme verstanden werden, so z. B. die „öffentlichen Belange“ bzw. „schädlichen Umwelteinwirkungen“ in § 35 BauGB, das „Einfügen“ in § 34 Abs. 1 BauGB, die „nachbarlichen Interessen“ in § 31 Abs. 2 BauGB sowie die in § 15 Abs. 1 BauNVO aufgeführten Merk20 Vgl. nur Battis, Öffentliches Baurecht5 (2006), § 8 IV 2 (S. 246 f.); Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht3 (2004), § 18 Rn. 41 und 60 m.w. N. 21 Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 236 ff.; Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), § 16 IV 6. 22 Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 248 ff., insb. 255; Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), § 16 VI 2. 23 Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), §§ 16 VI 2, 17 I 2 b); Muckel JuS 2000, 132 (133). 24 Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 445 ff.; Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), § 17 I 7. 25 § 6 MBO; § 5 BauO BW; Art. 6 BauO Bay; §§ 7 ff. BauO Nds; § 8 BauO RP und jeweils § 6 aller übrigen Landesbauordnungen. 26 Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 482 ff., insb. 490 f.; Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 252; Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), §§ 16 VI 2, 17 II 3; Muckel, JuS 2000, 132 (134); Ortloff, NVwZ 1998, 581 (586); Bönker, in: Hoppe/ Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht3 (2004), § 18 Rn. 39, 63; Temme, in: Gädtke u. a., BauO NRW11 (2008), § 6 Rn. 42. 27 Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 236 ff., insb. 242; Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), § 16 VI 3 b).
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male.28 Drittschützend ist das in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende Gebot der Rücksichtnahme dabei nur insoweit, als der Dritte in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise“ 29 in seinen Rechtspositionen betroffen wird. III. Die sogenannte Zweigleisigkeit des Nachbarrechts Die Anerkennung subjektiver öffentlicher Nachbarrechte hat zu einer prinzipiellen Zweigleisigkeit30 des Nachbarschutzes geführt. Einem Grundstückseigentümer, der sich durch den Nachbarn in seinen Interessen beeinträchtigt sieht, stehen zwei Wege des Rechtsschutzes offen: Zum einen kann er im Wege der Zivilklage einen privatrechtlichen Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung geltend machen, der sich auf § 1004 BGB in Verbindung mit den §§ 903 ff. BGB bzw. auf Bestimmungen des privaten Nachbarrechts stützt. Zum anderen aber kann er gegen eine dem Nachbarn für ein bestimmtes Bauvorhaben erteilte Genehmigung mit Widerspruch und Anfechtungsklage vorgehen oder gegenüber der Baubehörde einen Anspruch auf behördliches Einschreiten gegen den Nachbarn geltend machen und diesen gegebenenfalls im Verwaltungsrechtsweg verfolgen. Es bleibt allerdings zu beachten, dass der Bereich, in dem sich die zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Beeinträchtigungen durch den Nachbarn überschneiden, durch die unterschiedliche Reichweite des in dem jeweiligen Rechtsgebiet gewährten Interessenschutzes begrenzt wird: So kann der Grundstückseigentümer – abgesehen von dem Fenster- und Lichtrecht der Nachbarrechtsgesetze und den in diesen Gesetzen noch vereinzelt enthaltenen Abstandsvorschriften – zivilrechtlich grundsätzlich nicht gegen eine bestimmte, seinen Interessen widersprechende Bebauung des Nachbargrundstücks vorgehen. Eine wirkliche Zweigleisigkeit besteht daher in erster Linie bei Einwirkungen der in § 906 BGB genannten Art, die von nicht nach § 4 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen ausgehen: Hier hat der Eigentümer zum einen die Möglichkeit, einen privatrechtlichen Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 BGB geltend zu machen. Zum anderen kann er eine für das Vorhaben erteilte Baugenehmigung mit der Begründung anfechten, dass dieses nicht den Anforderungen der als entgegenstehende öffentlich-rechtliche Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu beachtenden §§ 22 f. BImSchG entspricht. Darüber hinaus kann er einen Anspruch gegenüber der Behörde auf Erteilung von Anordnungen (§ 24 BImSchG) oder Untersagung (§ 25 BImSchG) geltend machen. 28
Zusammenstellung von Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 365. BVerwGE 52, 122 (131). 30 Vgl. Vieweg/Röthel, DVBl 1996, 1171 (1172); Dolderer, DVBl. 1999, 19 (21 f., 23 l. Sp.); Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); Dürr, DÖV 1994, 841 (841 f.); Haag, Nachbarrecht (1996), S. 26 ff., 40 ff., 67, 87 ff.; Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 9 ff. 29
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Zu einer wesentlichen Erweiterung des privatrechtlichen Nachbarschutzes und damit auch der Möglichkeit, für eine bestimmte Art von Beeinträchtigung sowohl zivilrechtlichen als auch öffentlich-rechtlichen Rechtsschutz zu erlangen, hat die Anerkennung der nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB durch den BGH31 geführt.32 Dabei soll eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Rechts nicht nur bei Verschulden einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nach sich ziehen, sondern auch Grundlage eines verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB sein.33 Darüber hinaus soll der Inhaber des geschützten Interesses auch die Möglichkeit haben, die Einhaltung der Vorschriften gegebenenfalls präventiv durch einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB sicherzustellen.34 Allein diese Erweiterung des privatrechtlichen Nachbarschutzes durch Ansprüche, die auf Normen des öffentlichen Baurechts als Schutzgesetzen im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beruhen (sog. derivatives Nachbarrecht35), ist Gegenstand der folgenden Erörterung. Im Rahmen der Frage, ob es möglich ist, aus den nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts privatrechtliche Ansprüche herzuleiten, ist dabei insbesondere auch darauf einzugehen, inwieweit die Gewährung solcher Ansprüche mit den Entscheidungsbefugnissen der Baubehörden zu vereinbaren ist. Nicht thematisiert wird hingegen das Verhältnis des öffentlichen Baurechts zu den nachbarrechtlichen Bestimmungen 31 BGHZ 40, 306 ff. – Reichsgaragenordnung; BGHZ 66, 354 ff.; BGH, NJW 1979, 1408 (1408 f.). 32 Vgl. Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 9: „Eine weitere Konkurrenz von öffentlichem und privatem Recht ist in umgekehrter Richtung entstanden, . . .“; Haag, Nachbarrecht (1996), S. 30: „Entdeckung der individualschützenden Normen im öffentlichen Recht hat . . . gleichsam im Rückstoß auch die zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten enorm erweitert.“ 33 Vgl. etwa Seidel, NVwZ 2004, 139 (143); Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 55; Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 810; Oeter, DVBl 1999, 189 (196); Manssen, NVwZ 1996, 145 (146); Schmaltz, NdsVBl 1995, 241 (247 f.); Konrad, BayVBl 1984, 34 (37); Steinberg, NJW 1984, 457 (462); Kübler/Speidel, Baunachbarrecht (1970), Rn. I 96; Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 4; Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 221 ff.; Redeker, NJW 1959, 749 (752); im Ergebnis auch Picker, AcP 176 (1976), 28 ff., der die Umsetzung der nachbarschützenden Vorschriften in zivilrechtliche Abwehransprüche mittels § 823 Abs. 2 BGB jedoch ablehnt (ebd. S. 38 ff.) und diese statt dessen unmittelbar als Inhaltbestimmungen des zivilrechtlichen Eigentums ansehen will (S. 41 ff.) und dementsprechend § 1004 BGB in unmittelbarer Anwendung als Anspruchsgrundlage ansieht (S. 48 ff.); einschränkend Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern7 (1986), § 39 Rn. 7; ablehnend Bender/Dohle, Nachbarschutz (1972), Rn. 122. 34 Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 810; Kübler/Speidel, Baunachbarrecht (1970), Rn. I 96; Schmaltz, NdsVBl 1995, 241 (247 f.); Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 4; Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 228 ff. 35 Die Begriffe „derivatives“ und „originäres“ Nachbarrecht gehen zurück Breuer, DVBl 1983, 431 (436 l. Sp. o., 438).
§ 15 Einführung
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und Ansprüchen, die im BGB und den Nachbarrechtsgesetzen der Bundesländer ausdrücklich geregelt sind (sog. originäres Nachbarrecht36). Vor allem zu den vieldiskutierten Fragen, inwieweit die originär privatrechtlichen Ansprüche des Nachbarn durch die Festsetzung von Bebauungsplänen37 oder – jenseits des Anwendungsgebiets expliziter Präklusionsvorschriften (wie z. B. § 14 BImSchG) – durch behördliche Genehmigungen38 beeinflusst werden, wird keine Stellung bezogen.
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Siehe ebd. Siehe dazu etwa Dolderer, DVBl 1998, 19 (22); Haag, Nachbarrecht (1996), S. 118 ff.; Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 881 ff. m.w. N.; J. F. Baur, GS Martens (1987), 545 (548 ff.); Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 117 ff.; Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C104 ff.; B. Kipp, Einfluß des öffentlichen Baurechts auf den privatrechtlichen Immissionsschutz (1993), S. 61 ff. 38 Siehe dazu etwa Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 32; Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 875 f. m.w. N.; Dolderer, DVBl 1998, 19 (24 f.); Haag, Nachbarrecht (1996), S. 246 ff.; Papier, FS Weyreuther (1993), 291 (301 ff.); Hagen, NVwZ 1991, 817 (822); J. F. Baur, GS Martens (1987), 545 (550 f.); Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 135 ff.; Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 46 ff.; BGH, NJW 1959, 2013 (2014); NJW 1983, 751 f. – Tennisplatz; NJW 1999, 356 (358); Schapp, Nachbarrecht (1978), S. 162 ff.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen (1992), S. 127 ff. 37
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§ 16 Keine quasinegatorischen Ansprüche auf der Grundlage von Normen des öffentlichen Baurechts I. Grundlegung: Die Rechtsnatur des Nachbarrechtsstreits Grundlage jeglichen quasinegatorischen Rechtsschutzes auf dem Gebiet des sog. öffentlichen Nachbarrechts ist die Annahme, dass sich aus den Normen des öffentlichen Baurechts subjektive Privatrechte herleiten lassen, über deren Bestehen in einem Zivilprozess zu befinden ist. Vorausgesetzt wird damit, dass es sich bei dem nachbarrechtlichen Konflikt, über den auf Grundlage der öffentlich-rechtlichen Normen des Baurechts zu entscheiden ist, um eine privatrechtliche und nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Dies wird besonders offensichtlich bei der privatrechtlichen Nachbarrechtstheorie, trifft aber auch auf die Annahmen der Theorie der Doppelgleisigkeit zu: Die privatrechtliche Nachbarrechtstheorie geht davon aus, dass es sich bei dem nachbarschaftlichen Konflikt strukturell um eine „zivilrechtliche Auseinandersetzung zwischen Bauherrn und Nachbarn“1 handelt, die vor den Zivilgerichten auszutragen ist. Die nachbarschützenden Normen des Baurechts sollen eine Doppelfunktion2 haben: Soweit sie das öffentliche Interesse schützen, sind sie Bestandteil des öffentlichen Baurechts. In ihrer nachbarschützenden Funktion hingegen gehören sie dem Privatrecht an und verleihen dem Nachbarn privatrechtliche Abwehransprüche gegenüber dem Bauherrn. Erklärtes Ziel der privatrechtlichen Nachbarrechtstheorie ist es, die nachbarschaftlichen Streitigkeiten, die im Rahmen des Verwaltungsprozesses einen „Fremdkörper“3 darstellen, zurück zu den Zivilgerichten zu verlagern.4 Diese klare Tendenz fehlt bei den Vertretern der Theorie der Doppelgleisigkeit, die grundsätzlich akzeptieren, dass Nachbarschutz sowohl durch die Zivilals auch durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird.5 Mit der zivilrechtlichen 1
So Redeker, NJW 1959, 749 (751 f.). Redeker, NJW 1959, 749 (751 f.): „Doppelfunktion“; Kniestedt, DÖV 1962, 89 (90): „Doppelwirkung der in der Form des öffentlichen Rechts verkündeten Vorschriften“; Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 216: „öffentlichrechtlich-zivilrechtliche Doppelnatur“; Konrad, BayVBl 1984, 33 (36 f.): „ein Art Doppelnatur“; vgl. auch Fischer, Baunachbarklage (1965), S. 14: „Doppelfunktion“. 3 So Redeker, NJW 1959, 749 (751): „nach Aufgabenstellung und Verfahrensordnung des Verwaltungsprozesses“ ein „Fremdkörper“; Rüfner, DVBl 1963, 609 (609): ein „Fremdkörper“, der „Streitigkeiten zwischen Nachbarn betrifft, die eigentlich vor die Zivilgerichte gehörten“; vgl. auch Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (602): „Kampf an der falschen Front“; a. A. (gegen Redeker) Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 5 f. 4 Konrad, BayVBl 1984, 70 (70 ff., insb. 72); für eine Zurückverlagerung der „Fallgruppe der Nachbarverpflichtungsklage“ zu den Zivilgerichten auch Schmidt-Aßmann, DVBl 1987, 216 (221). 5 Nachweise o. § 15 III. Fn. 30. 2
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Nachbarrechtstheorie übereinstimmend gehen jedoch auch sie davon aus, dass die Normen des öffentlichen Baurechts ein „unmittelbares“ zivilrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Nachbarn und Bauherrn begründen und dementsprechend Grundlage zivilrechtlicher Abwehransprüche des Nachbarn sein können.6 Im Unterschied zu dieser erkennen die Vertreter der Theorie der Doppelgleisigkeit des Nachbarschutzes in aller Regel an, dass die Baubehörden im Rahmen der Erteilung einer Baugenehmigung zugleich über das Rechtsverhältnis zwischen den Nachbarn befinden und ihre Entscheidung insofern Auswirkungen auf die aus dem öffentlichen Baurecht abgeleiteten zivilrechtlichen Abwehransprüche des Nachbarn hat.7 Im Unterschied dazu wird von den Vertretern der zivilrechtlichen Nachbarrechtstheorie überwiegend angenommen, dass die Erteilung einer – „einfachen“ zum Teil aber auch einer Dispens erteilenden – Baugenehmigung keine Auswirkungen auf die derivativen zivilrechtlichen Ansprüche des Nachbarn hat.8 Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts als Grundlage für subjektive Zivilrechte – quasinegatorische Ansprüche – des Nachbarn nicht in Betracht kommen, sondern dass auch das Rechtsverhältnis zwischen Bauherrn und Nachbarn, soweit es durch diese Vorschriften bestimmt wird, ausschließlich dem öffentlichen Recht angehört. Der Grund dafür ist, dass die dieses Rechtsverhältnis bestimmenden und damit streitentscheidenden nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts sowohl in einem formellen wie in einem materiellen Sinne öffentliches Recht sind. 1. Die nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts als öffentliches Recht „im formellen Sinne“ Die nachbarschützenden materiellen Vorschriften des Baurechts sind insofern öffentliches Recht „im formellen Sinne“, als sie Teile von Gesetzen sind, die nicht isoliert materielle Regelungen enthalten, sondern zugleich die Art und Weise der Durchsetzung regeln und festlegen, dass ein bestimmtes staatliches Organ – eine Behörde, nicht das Zivilgericht – für ihre Anwendung zuständig ist.9 Dieser positiven gesetzlichen Aufgabenzuweisung10 entspricht es, dass der 6 Vgl. z. B. Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 25, 76: „Offenkundig um eine privatrechtliche Streitigkeit, für die der ordentliche Rechtsweg gegeben ist, handelt es sich hingegen, wenn der Nachbar Ansprüche unmittelbar gegen den privaten Eigentümer eines störenden Grundstücks richtet.“ 7 s. u. § 16 II. 1. mit Fn. 79 und 84. 8 s. u. § 16 II. 1. mit Fn. 80 und 85. 9 Vgl. auch Schapp, Nachbarrecht (1978), S. 206 f. 10 Vgl. § 47 Abs. 1 LBauO BW, Art. 60 Abs. 2 S. 1, 2 LBauO Bay., § 52 Abs. 2 LBauO Bbg., § 61 Abs. 1 LBauO Brem., § 58 LBauO Hamb., § 53 Abs. 2 LBauO Hess., § 60 Abs. 1 LBauO MV, § 65 Abs. 1 LBauO Nds., § 61 Abs. 1 LBauO NRW,
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nachbarrechtliche Konflikt auf der Grundlage der Vorschriften des Baurechts von den Baubehörden mit den ihnen dazu zur Verfügung stehenden Mitteln (Erteilung oder Versagung einer Baugenehmigung, Anordnung von bestimmten Maßnahmen, etc.) zu entscheiden ist.11 Sowohl dem Bauherrn als auch dem Nachbarn steht dabei die Möglichkeit offen, die Entscheidung der Baubehörden verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen.12 Dieser Zuweisung der primären (Baubehörde) und sekundären Entscheidungskompetenz (Verwaltungsgerichtsbarkeit) würde es widersprechen, die Zivilgerichte auf Grundlage derselben Entscheidungsnormen in derselben Sache ebenfalls entscheiden zu lassen. a) Die Normen des materiellen Baurechts als Entscheidungsnormen für die zur Entscheidung berufenen Verwaltungsbehörden Die heute im Rahmen der Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Streitigkeiten wohl vorherrschende Sonderrechtstheorie13 geht zu Recht von der Annahme aus, dass die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht eine solche zwischen objektiven Rechtssätzen ist und sich die Art der Streitigkeit nach der Rechtsnatur der streitentscheidenden Norm richtet.14 Die Eigenschaft des Baurechts als Sonderrecht im Sinne dieser Theorie bleibt auch dann unberührt, wenn sich zwei Privatpersonen über ihre Rechte und Pflichten auf der Grundlage dieser Normen streiten. Es scheint zwar so, als könne die „unmittelbare“ Beziehung zwischen dem Nachbarn und dem Bauherrn mangels Beteiligung „eines Trägers öffentlicher Gewalt“ nur zivilrechtlich ausgestaltet sein. Tatsächlich würde es sich jedoch auch bei diesem scheinbar rein „horizontalen“ zivilrechtlichen Rechtsverhältnis15 um eine Dreiecksbeziehung zwischen Bauherrn, Nachbarn und staatlichem § 59 Abs. 1 LBauO RP § 57 Abs. 2 LBauO Saarl., § 58 Abs. 2 LBauO Sa., § 64 Abs. 2 LBauO LSA, §§ 66 Abs. 1 LBauO SH, § 60 Abs. 2 LBauO Thür. 11 Vgl. auch Schapp (1978), S. 206 f. 12 Die Möglichkeit des Nachbarn, den Verzicht auf die behördliche Anordnung der Beseitigung eines unter Verletzung nachbarschützender Vorschriften errichteten Gebäudes verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen, wird allerdings von denjenigen verneint, die subjektive Rechte des Nachbarn auf behördliches Einschreiten kategorisch ablehnen; vgl. die u. § 16 II. 2. Fn. 120 angegebenen. 13 Nachweise der Vertreter o. § 12 I. Fn. 7. 14 Wolff, AöR 76 (1950/51), 205 (207 ff.); vgl. auch Ehlers in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht13 (2006), § 3 Rn. 14. 15 Vgl. z. B. Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 216: „Da die nachbarschützenden baurechtlichen Normen nicht nur öffentlich-rechtliche Verhältnisse zwischen Nachbar und Baubehörde gestalten, sondern auch unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Nachbarn und Bauherrn als zwei einander gleich geordneten Subjekten des privaten Rechts schaffen, . . .“; Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 24 ff.: „Im Zivilrecht: zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen Nachbarn und Bauherrn“ – „Im öffentlichen Recht: ,Dreiecksbeziehung‘ “; Vieweg/Röthel, DVBl 1996, 1171 (1172): „einer-
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Entscheidungsträger – dem Zivilgericht – handeln, nur dass die Beziehungen von Bauherrn und Nachbarn zum Zivilgericht im Rahmen der materiellrechtlichen Betrachtungsweise üblicherweise ausgeblendet werden. Dem privatrechtlichen Anspruch des Nachbarn auf Einhaltung der nachbarschützenden Bestimmungen durch den Bauherrn korrespondiert notwendigerweise ein „Anspruch“ gegenüber dem Zivilgericht auf Einschreiten gegen den Bauherrn – der (altbekannte) „Rechtsschutzanspruch“16 – sowie im Verhältnis vom Bauherrn zum Zivilgericht die Unterworfenheit des Bauherrn unter die zivilgerichtliche Vollstreckungsgewalt. Auf der anderen Seite beschränken sich im Falle eines subjektiven öffentlichen Rechts auf behördliches Einschreiten die Beziehungen zwischen Bauherrn, Nachbarn und Baubehörde nicht auf die jeweils „vertikalen“ Rechtsverhältnisse des Nachbarn zur Behörde einerseits und der Behörde zum Bauherrn andererseits.17 Auch dieses „unvollkommene Dreieck“ lässt sich durch die Annahme eines unmittelbaren „horizontalen“ Verhältnisses zwischen Nachbarn und Bauherrn, über das die Baubehörde entscheidet, vervollständigen.18 Indem dem Nachbarn die Rechtsmacht zukommt, die Behörde zu einem Einschreiten gegen den Bauherrn zu veranlassen, kommt ihm eine Rechtsposition zu, die insoweit mit der eines zivilrechtlichen Anspruchs übereinstimmt: Er kann vom Bauherrn die Einhaltung der nachbarschützenden Vorschrift verlangen, nur dass dieser Anspruch nicht vor dem Zivilgericht, sondern bei der Baubehörde geltend zu machen ist. Der Ausgleich zwischen den entgegengesetzten Interessen des Bauherrn und des Nachbarn wird in diesem Fall durch die Entscheidung der Bau-
seits einer direkten Rechtsbeziehung zwischen Störer und Beeinträchtigtem und andererseits einer durch Einschaltung der Behörden lediglich vermittelten rechtlichen Beziehung.“; Seidel, NVwZ 2004, 139 (141): „Das unmittelbare Verhältnis zwischen dem Bauherrn und seinem Nachbarn bleibt . . . rein privatrechtlicher Natur“, dem allerdings zuzugeben ist, dass Ortloffs Annahme, der Nachbar könne vor den Verwaltungsgerichten unmittelbar gegen den Nachbarn klagen (vgl. Ortloff NVwZ 1998, 932 (933 f.); NVwZ 1999, 955 (959 f.), NVwZ 2001, 997 (1001)), abwegig ist; siehe auch noch Bönker (Fn. 17). 16 Ob sich die Beziehung des Nachbarn zum Zivilgericht – der so genannte Rechtsschutzanspruch – als wirkliches „Recht“ bzw. wirklicher „Anspruch“ auffassen lässt, ist hier nicht weiter von Bedeutung. Der ebenfalls vorprozessuale Anspruch des Nachbarn gegen die Baubehörde auf Einschreiten dürfte die Schwächen des Rechtsschutzanspruchs (Beweisbarkeit seiner Voraussetzungen) insoweit teilen. 17 Vgl. dagegen Bönker in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht3 (2004), § 18 Rn. 31: „Anders als im privatrechtlichen Nachbarrecht, wo der Nachbar seine Ansprüche unmittelbar gegen den Bauherrn richtet, besteht im öffentlich-rechtlichen Baunachbarrecht ein Verhältnis vom Bauherrn und vom abwehrenden Nachbarn jeweils nur zur Bauaufsichtsbehörde, aber nicht untereinander.“ 18 Vgl. di Fabio, VerwArch 86 (1995), 214 (231): „das tatsächlich schon immer vorhandene – aber durch das zweiwertige Verwaltungsdenken kaschierte – Interessendreieck von untereinander im Streit befindlichen Bürgern und eines ausgleichsuchenden Staates“.
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behörde herbeigeführt, die damit in gewissem Umfang die Rolle eines Richters19 einnimmt. Bei isolierter Betrachtung lässt sich die durch die nachbarschützenden Normen des Baurechts begründete „Beziehung“ zwischen Nachbarn und Bauherrn weder als öffentlich-rechtlich noch als privatrechtlich einordnen. Das liegt daran, dass die nachbarschützende Vorschrift allein das nach der Sonderrechtstheorie für die Qualifizierung wesentliche Merkmal nicht mehr enthält. In ihrer Eigenschaft als an den Bauherrn – eine Privatperson – adressierte Verhaltensnorm kann sie naturgemäß keinen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten. Erst wenn man die nachbarschützende Norm als Entscheidungsnorm und damit im Zusammenhang mit ihrer staatlich garantierten Durchsetzung und den im Falle ihrer Verletzung drohenden Sanktionen betrachtet, lässt sich ihre Zugehörigkeit zu einem der beiden Rechtsgebiete bestimmen.20 Dabei muss die Sonderrechtstheorie in diesem Zusammenhang dahingehend präzisiert werden, dass für die Rechtsqualität nicht entscheidend ist, ob irgendein Träger hoheitlicher Gewalt zur Durchsetzung und Sanktionierung verpflichtet ist,21 sondern es darauf ankommt, ob die an die Verletzung der Verhaltensnorm geknüpften Sanktionen durch Verwaltungsbehörden (öffentliches Recht) oder durch Zivilgerichte (Zivilrecht) zu verwirklichen sind. Ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Nachbarn und Bauherrn wird somit durch die nachbarschützenden Normen des Baurechts allein nicht begründet, sondern erst dadurch, dass man die Zivilgerichte für zuständig erklärt, eine Verletzung der ent19 So bereits VGH Braunschweig, Urt. v. 5.2.1902, Braunschw. Zeitschr. 49, Beiheft S. 37 (39 f.); vgl. zur Rspr. des VGH Braunschweig Preu, Genese der Bau- und Gewerbenachbarklagen (1990), S. 57 ff.; Dehners Einwand (Nachbarrecht7, A § 7, S. 15 f.), man würde den bei den Bauaufsichtsbehörden beschäftigten Beamten, indem man sie „zum Schiedsrichter zwischen den einander widersprechenden Interessen des Bauherrn und seiner Nachbarn macht“, eine Aufgabe „zumuten“, „für die sie nicht ausgebildet“ seien, geht fehl. Bei den zu treffenden Entscheidungen geht es, auch soweit sich gegenüberstehende Interessen abzuwägen und zu würdigen sind, immer um die Beurteilung bestimmter baulicher Zustände. Und zu deren Beurteilung sind Architekten und Bauingenieure mit Sicherheit befähigter als Juristen. Ganz im Gegenteil spricht die Tatsache, dass für die Anwendung der nachbarschützenden Baurechtsnormen nach den ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen Baubehörden zuständig sind, die nach den Bauordnungen der Bundesländer ausreichend mit fachlich geschultem Personal (vgl. nur § 60 Abs. 3 LBauO NRW: „Personen . . ., die aufgrund eines Hochschulabschlusses der Fachrichtungen Architektur oder Bauingenieurwesen die Berufsbezeichnung ,Ingenieurin‘ oder ,Ingenieur‘ führen dürfen“) zu besetzen sind, dagegen, über die Anwendung dieser Normen in einem (Zivilprozess-)Verfahren zu entscheiden, an dem die fachkundigen Baubehörden nicht beteiligt sind. 20 Vgl. Bachof, FG BVerwG (1978), S. 1 (13); Schwabe, Drittwirkung (1971), S. 34 f. 21 Ansonsten würde man die „staatliche Garantiertheit“ des Rechts, d. h. die Rechtsnormen allgemein zukommende Eigenschaft der Durchsetzbarkeit mit staatlichem Zwang, zum Anlass nehmen, diese als öffentliches Recht zu qualifizieren. Dies hätte zur Folge, dass alles Recht „öffentliches“ Recht wäre.
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sprechenden Normen mit Rechtszwang zu sanktionieren. Soweit die Zuständigkeit der Zivilgerichte damit begründet wird, dass ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis vorliegt, handelt es sich daher um eine petitio principii. Umgekehrt lässt sich das auf der drittschützenden Baurechtsnorm beruhende Nachbarrechtsverhältnis auch nur deshalb und soweit als öffentlich-rechtlich qualifizieren, wie die Normverletzung durch behördliche Sanktionen geahndet werden kann. Der entscheidende Punkt ist hier jedoch, dass solche Sanktionen – anders als die zivilgerichtlichen – durch die Bauordnungen ausdrücklich vorgesehen sind. Genau genommen begründet eine Norm, die den Nachbarn dadurch zu schützen bezweckt, dass sie dem Bauherrn ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbietet, für sich genommen noch überhaupt kein Rechtsverhältnis zwischen Bauherrn und Nachbarn. Als bloßer Destinatär erscheint der Nachbar vorerst allenfalls als Objekt der Pflicht des Bauherrn.22 Seine rechtliche Stellung unterscheidet sich zunächst nicht von derjenigen dessen, dem nicht beabsichtigte Reflexwirkungen einer Rechtsnorm zugute kommen. Zum Subjekt, das in eine rechtliche Beziehung zum Bauherrn tritt, wird der Nachbar in diesem Kontext erst dadurch, dass ihm die Möglichkeit gegeben wird, die Einhaltung der Norm, d. h. die Sanktionierung eines Normverstoßes durch behördliche (subj. öff. Recht) bzw. zivilgerichtliche Sanktionen (subj. Zivilrecht – Anspruch), rechtlich einzufordern. Eine solche Rechtsmacht muss aber durch das Recht besonders verliehen werden,23 so dass für die Annahme eines privaten wie eines öffentVgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1967), S. 133 f. Dies ist letztlich nur die Konsequenz aus der Anerkennung eines Ausgestaltungsspielraums des Gesetzgebers, der auch die Entscheidung darüber umfasst, „ob der Ausgleich zwischen kollidierenden Privatinteressen objektivrechtlich oder subjektivrechtlich vorgenommen wird“; vgl. zur Anerkennung eines solchen Spielraums des Gesetzgebers Wahl, DVBl 1996, 641 (647 l. Sp.); Oeter, DVBl 1999, 189 (194): „Der Gesetzgeber befindet (unter der Direktion der Grundrechte) darüber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll.“; Kraft, VerwArch 89 (1998), 264 (279): „Teil dieser Ausgestaltung ist neben den modalen materiellrechtlichen Regelungen auch die konstitutive Zubilligung subjektiver Abwehrrechte, zu deren Gewährung der Gesetzgeber nicht grundsätzlich verpflichtet ist“; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen (1992), S. 37 f.: Der Gesetzgeber „hat das Mandat zur Konfliktschlichtung, das ihm die Wahl zwischen einer subjektiv-rechtlichen oder rein objektiv-rechtlichen Regelung eröffnet. Im zweiten Fall beschränkt er sich auf eine gewollte Begünstigung, ohne damit die Rechtsmacht ihrer Durchsetzung zu verbinden“; Dietlein, DVBl 1991, 685 (686): „Ausgestaltung der Rechtsordnung, zu der grundsätzlich auch die Frage der Konstituierung subjektiv-öffentlicher Rechte zählt, ist . . . primär Aufgabe . . . des einfachen Gesetzgebers“; Scherzberg, Jura 1988, 455 (457); Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (200): „Der Gesetzgeber entscheidet auch, ob dieser Individualschutz im Bereich des objektiven Rechts verbleibt oder ob dem objektivrechtlich geschützten Individuum das (materielle) subjektive Recht eingeräumt wird, die Einhaltung der Norm selbst verlangen zu können.“; Sendler, BauR 1970, 4 (11): „ . . . doch wenn der Gesetzgeber – selbstverständlich in gewissen Grenzen – frei ist, objektivrechtliche Positionen subjektivrechtlich anzureichern oder dies auch zu unterlassen . . .“; Sellmann, DVBl 1963, 274 (279): „Ausschlaggebend kann . . . nur sein, ob dem Einzelnen . . . die Befugnis zusteht, seine . . . geschützten Belange nicht allein 22 23
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lich-rechtlichen subjektiven Rechts die Existenz einer individualschützenden Verhaltensnorm nicht hinreichend ist, sondern darüber hinaus erforderlich ist, dass dem Berechtigten normativ die Rechtsmacht zur Durchsetzung der seine Interessen schützenden Verhaltensnorm eingeräumt worden ist.24 Auf die Feststellung, dass eine Norm dem Berechtigten die entsprechende Rechtsmacht einräumt, wird jedoch bei der Untersuchung, ob ein subjektives Recht gegeben ist, zumeist verzichtet: Nach den Grundsätzen des quasinegatorischen Rechtsschutzes, die auf Eltzbachers unrichtige Definition des subjektiven Rechts25 bzw. der damit inhaltlich übereinstimmenden Rechtsprechung des RG26 zurückgehen, reicht für die Annahme eines subjektiven Privatrechts bereits das Vorhandensein einer individualschützenden Verhaltensnorm aus. Im öffentlichen Recht wird auf die gesonderte Feststellung der erforderlichen Einräumung von Rechtsmacht mit der Erwägung verzichtet, dass aus der rechtsschutzfreundlichen Einstellung des Grundgesetzes die Vermutung folge, dass jede individualschützende Verhaltensnorm zugleich dem Geschützten die entsprechende Befugnisse verleihen solle.27 Das Resultat ist, dass die Voraussetzungen für einen quasinegatorischen Unterlassungsanspruch nach §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB mit denen, die die Schutznormtheorie für subjektive öffentliche Nachbarrechte stellt, identisch sind28 und abhängig von dem Befinden der . . . Behörde, sondern auch nach seinem eigenen Willen . . . geltend zu machen. Diese Willens- oder Rechtsmacht kann jedoch, wenn es sich nicht um Auswirkungen von Grundrechten handelt, nur der Gesetzgeber dem Individuum einräumen und beilegen.“; BVerfGE 78, 214 (226); 83, 182 (194 f.); Röhl, Allgemeine Rechtslehre2 (2001), § 43 II, S. 350; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetz2 (2004), Art 19 IV Rn. 63. 24 Erichsen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht12 (2002), § 11 Rn. 31, 33; Scherzberg, Jura 1988, 455 (457) gegen Bachof, D. Lorenz a. a. O. (§ 15 II. Fn. 18): „Das Bestehen subjektiver Rechte ist . . . von einer Entscheidung des Normgebers über die individuelle Berechtigung zur Durchsetzung einer objektivrechtlich intendierten Begünstigung abhängig. . . . Soweit in der Literatur versucht wird, aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes den subjektiv-rechtlichen Charakter jeder objektiv intendierten Begünstigung eines Individualinteresses herzuleiten, . . . wird damit . . . der bestehende gesetzgeberische Entscheidungsfreiraum verkannt“; Bühler, GS Jellinek (1955), 269 (272, 281 ff.); offengelassen bei Dietlein, DVBl 1991, 685 (689); Sachs, NVwZ 1988, 127, 129 ff. 25 s. o. § 7 II. 1. 26 s. o. § 5 I. 27 Vgl. die o. § 15 II. Fn. 18 genannten; die Konsequenz dieser Vermutung ist, dass auch im öffentlichen Recht auf die gebotene Unterscheidung zwischen „subjektiven Rechten“ und „rechtlich geschützten Interessen“ weitgehend verzichtet wird, vgl. nur Peters, DÖV 1968, 547 (548); Achterberg, Allg. Verwaltungsrecht6 (1986), § 20 Rn. 7, der daraus den Schluss ziehen will, dass das subjektive öffentliche Recht „seine Daseinsberechtigung eingebüßt“ habe; Gegen die Anwendbarkeit dieser Vermutung auf „Dreieckverhältnisse“ Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (200); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG42. Lfg. (2003), Art. 19 IV GG Rn. 144. 28 Konrad, BayVBl 1984, 34 (37); Haag, Nachbarrecht (1996), S. 29 f.; Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C33: „völlig gleichartige [. . .]“ Fragestellungen; vgl. auch Dürr, DÖV 2001, 625 (626); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern7 (1986), § 39 Rn. 17; Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (200 l. Sp. o.); 555 f.;
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dem Geschützten de facto zwei Arten von Rechtsmacht zur Durchsetzung der nachbarschützenden Norm offen stehen: die Befugnis zur Veranlassung von zivilprozessualen zum einen und von behördlichem Zwangmaßnahmen zum anderen. Dass durch die nachbarschützenden Normen des Baurechts dem Geschützten die zur Annahme eines subjektiven Rechts erforderliche Rechtsmacht eingeräumt wird, lässt sich jedoch letztlich weder für subjektive öffentliche Rechte29 noch für subjektive Privatrechte nachweisen. Die Konsequenzen, die diese Einsicht für den öffentlich-rechtlichen Drittschutz haben könnte, sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.30 Dagegen ist an dieser Stelle das Augenmerk darauf zu lenken, dass der direkte Anknüpfungspunkt des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes nicht die Verhaltensnorm ist, die dem Bauherrn ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbietet, sondern die Sanktionsnormen, die die Baubehörde zur Durchsetzung dieser Verhaltensnorm verpflichten. Dem Nachbarn wird die Rechtsmacht eingeräumt, die Durchführung der zur Durchsetzung dieser Verhaltensnorm gesetzlich vorgesehenen Zwangsmittel und dadurch auch der Verhaltensnorm selbst zu erzwingen. Wenn man die Entwicklung des öffentlichrechtlichen Drittschutzes als einen Vorgang richterlicher Rechtsfortbildung begreift,31 so wird dem bis dato bestehenden Recht nur die Befugnis des Nachbarn hinzugefügt, die nachbarrelevanten Entscheidungen der Baubehörde im Rechtsbehelfs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu überprüfen32 und gegebenenfalls die Baubehörde zum Einsatz der ihr zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes zur Verfügung stehenden Mitteln zu zwingen. Die Mittel hingegen, die gegenüber dem Bauherrn zur Sicherstellung des Interesses des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Baurechts zum Einsatz kommen, sind die durch die Bauordnung ohnehin vorgesehenen Sanktionen, was zugleich bedeutet, dass auch die diesen Sanktionsmöglichkeiten zum Schutze des Bauherrn gezogenen Grenzen zum Tragen kommen.
Kleinlein, System des Nachbarrechts (1997), S. 7; Bender/Dohle, Nachbarschutz (1972), Rn. 105: „Nachbarschützende Normen sind prinzipiell . . . als Schutzgesetze zu qualifizieren.“; Evers, JuS 1962, 87 (91). 29 Vgl. Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (200 f.): „mit den Mitteln herkömmlicher Gesetzesexegese nicht“ zu begründen; Breuer, DVBl 1983, 431 (436): „Schutznormtheorie kann nicht darüber hinweglenken, dass das öffentliche Baurecht keine Anspruchsgrundlagen i. S. der gesetzlichen Verleihung einer subjektiven Rechtsmacht zugunsten des Nachbarn enthält“. 30 Vgl. dazu etwa Kraft, VerwArch 89 (1998), 264 (281 ff.). 31 Vgl. Kraft, VerwArch 89 (1998), 264 (265): Der Richter „nimmt . . . bei der Bestimmung der subjektiven Abwehrrechte nur eine Ersatzfunktion für den Gesetzgeber wahr“. 32 Allerdings stellt auch dies eine zusätzliche Belastung für den Bauherrn da, weil die ihn begünstigende Baugenehmigung erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfristen des bzw. der Nachbarn bestandskräftig wird.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Bei der Einräumung subjektiver Privatrechte – quasinegatorischer Ansprüche –, die „unmittelbar“ an die an den Bauherrn gerichtete Verhaltensnorm anknüpfen, wird dem Nachbarn nicht Einfluss auf die vorgesehenen und ohnehin zum Einsatz kommenden Sanktionen eingeräumt, sondern es werden neue – zivilgerichtliche – Sanktionsmöglichkeiten geschaffen, deren Einsatz in der Rechtsmacht des Nachbarn liegt. Die nachbarschützende Norm des Baurechts wird aus dem Zusammenhang zu den für sie vorgesehenen Verfahrens- und Sanktionsnormen herausgerissen33 und in den Kontext entsprechender Normen des Zivil- und Zivilprozessrechts gestellt. Auf diese Weise werden neue Sanktions- und Eingriffsmöglichkeiten, die vom Gesetz für den Fall der Verletzung einer Baurechtsnorm nicht vorgesehen sind (Problem der fehlenden gesetzlichen Grundlage für den Eingriff in Grundrechte des Bauherrn34), geschaffen, die zudem – selbst dann, wenn dem Nachbarn nicht auch noch zusätzlich ein subjektives öffentliches Recht zusteht – neben die gesetzlich vorgesehenen behördlichen Sanktionen treten (Problem der Doppelsanktionierung35). Daher können die nachbarschützenden Normen des Baurechts nur Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte und damit öffentlich-rechtlichen Drittschutzes sein, der an die vorhandenen und gesetzlich vorgesehenen Verfahren und Sanktionen anknüpft, anstatt neue zu schaffen und eine zusätzliche Belastung daher in erster Linie für die Baubehörden schafft und nicht – zumindest in nicht vergleichbarem Maße wie quasinegatorische Ansprüche – für den Bauherrn. b) Keine Korrektur der positivrechtlichen Zuständigkeitsverteilung unter Anwendung der Interessentheorie Die zivilrechtliche Nachbarrechtstheorie versucht dagegen die – ausschließliche – Entscheidungszuständigkeit der Zivilgerichte mit der vorgegebenen Struktur des nachbarlichen Konflikts und somit der realen Beschaffenheit des sozialen Lebensverhältnisses zu begründen. Sie entscheidet nicht danach, wie der Konflikt durch das positive Rechte bewältigt wird, sondern schließt aus der Tatsache, dass sich zwei Privatpersonen mit entgegengesetzten Interessen gegenüberstehen, dass eine privatrechtliche Streitigkeit vorliegt.36 Dadurch ignoriert 33 Vgl. bereits Schapp, Nachbarrecht (1978), S. 206 f., der betont, dass die materiellen Normen des Baurechts „ihren Sinn nur im Zusammenhang eines ganz bestimmt ausgestalteten Entscheidungsverfahrens haben“, aus dem sie sich nicht „herausbrechen“ ließen „ohne dass man ihnen Gewalt antäte“; Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 53 f.: „aus ihrem verfahrensrechtlichen Zusammenhang herausgenommen und in das andersgeartete Anspruchssystem des Zivilrechts übertragen“. 34 s. dazu o. § 9. 35 s. dazu o. § 8 IV. 36 Vgl. Redeker, NJW 1959, 749 (751): „zivilrechtliche Auseinandersetzung zwischen Bauherrn und Nachbarn unmittelbar um die allgemeine Frage, ob der Bauherr . . . die Rechte des Nachbarn an seinem Eigentum . . . beeinträchtigt“ – „ein typisch
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sie die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, zu entscheiden, inwieweit er den Besonderheiten des jeweiligen sozialen Lebensverhältnisses durch privat- und öffentlich-rechtliche Regelungen Rechnung trägt.37 Nominell wird von den Anhängern der zivilrechtlichen Nachbarrechtstheorie zwar zunächst anerkannt, dass die nachbarschützenden Bauvorschriften dem öffentlichen Recht angehören.38 Dieser Befund wird sodann jedoch mit Hilfe der zivilrechtlicher Tatbestand“; Kniestedt, DÖV 1962, 89 (90): „Rechtsstreit zweier Privatrechtssubjekte“; Konrad, BayVBl 1984, 33 (71): „Nachbarstreitigkeiten in Gestalt von Konflikten zwischen Privatpersonen in der Zuständigkeit der Zivilgerichte systemgerechter aufgehoben“; vgl. auch Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (603): „der materielle Kern des Interessenkonflikts liegt auf dieser ,nachbarlichen‘ Ebene“; am extremsten Dehner, Nachbarrecht7, A § 7, S. 9 ff., der von einer vorgegebenen, unveränderbaren Unterscheidung zwischen Privat- und öffentlichem Recht ausgeht: „Das bürgerliche Recht regelt die Rechtsbeziehungen und Interessenkonflikte zwischen Privaten untereinander, das öffentliche Recht die zwischen Privaten einerseits und der Gesamtheit (dem Staat) andererseits“ (ebd. S. 15). Das öffentliche Baurecht könne daher bereits begrifflich keine nachbarschützenden Normen enthalten (ebd. S. 9, 12). Dem Landesgesetzgeber fehle die Kompetenz, solche nachbarschützenden Normen als öffentliches Baurecht zu erlassen. Gültig seien sie – trotz des gesetzlichen Kontextes, in dem sie stehen – aufgrund von Art. 124 EGBGB, der auf dem Gebiet des (privaten) Nachbarrechts den Erlass landesrechtlicher Bestimmungen zulasse (ebd. S. 12 f.). Diese Bestimmungen könne der Landesgesetzgeber jedoch nicht der Entscheidungszuständigkeit der Zivilgerichte entziehen (ebd. S. 12a). Die Baubehörden müssen sie bei der Entscheidung über die Erteilung einer Baugenehmigung unbeachtet lassen (ebd. S. 13). Dass – was Dehner (ebd. S. 15a f.) erkennt, aber nicht zu akzeptieren vermag – die Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht von den „zur Entscheidung berufenen Organen“ abhängt, ist nur die Konsequenz aus der rechtstheoretischen Erkenntnis, dass ein grundlegender vorgegebener Unterschied zwischen den beiden Rechtsgebieten nicht existiert, sondern die Unterscheidung auf der Ausgestaltung des positiven Rechtes beruht. Der Einwand, dass die Zuordnung zu einem der beiden Rechtsgebiete nicht von der Zuständigkeitsverteilung zwischen Zivilgerichten und Verwaltungsbehörden abhängen könnte, ist begriffsjuristischer Natur: Im Rahmen der Darstellung und Erörterung des Rechtes, steht es der Rechtswissenschaft frei, die Begriffe des privaten und öffentlichen Rechts nach den jeweiligen Bedürfnissen zu prägen. Es muss dann jedoch berücksichtigt werden, dass kein Rechtssatz existiert, der die unter den so geprägten Begriff des Privatrechts zu subsumierenden Rechtssätze der Entscheidungszuständigkeit der Zivilgerichte zuweist. Es besteht keine derartige pauschale Zuständigkeitsregelung, die alle privaten Interessen dienenden Rechtssätze der Entscheidungsbefugnis der Zivilgerichte zuordnet. Wenn man hingegen die Begriffe des privaten und des öffentlichen Rechts so bildet, dass sie mit der Entscheidungszuständigkeit der Zivilgerichte bzw. Verwaltungsbehörden/-gerichte korrespondieren, so kann man die Zuständigkeit der Zivilgerichte nicht damit begründen, dass ein Rechtssatz nach anderen Kriterien dem Zivilrecht zuzuordnen sei. 37 Das Nachbarschaftsverhältnis an sich ist kein Rechtsverhältnis (und somit weder ein privatrechtliches noch öffentlich-rechtliches), sondern ein sozialer Tatbestand, der sowohl Gegenstand privatrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Regelung sein kann; vgl. Wolff, AöR 76 (1950/51), 205 (211 ff., 213). 38 Vgl. Redeker, NJW 1959, 749 (751 f.): „Gegenstand öffentlichen Baurechts“, „ihrer Rechtsqualität nach Bestandteil öffentlichen Rechts“; Konrad, BayVBl 1984, 33 (34, 36): „von diesem Ansatz her spezifisch öffentliches Recht“ – „vordergründig öffentlich-rechtlicher Nachbarschutzbestimmungen“; bereits dies leugnet Dehner, Nach-
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Interessentheorie korrigiert,39 wobei die Normen des Baurechts (und mit ihnen die Entscheidungsbefugnisse) in einen privatrechtlichen und einen öffentlichrechtlichen Teil aufgespaltet werden: Soweit sie die Baufreiheit des Eigentümers im privaten Interesse des Nachbarn beschränken, sollen sie – ungeachtet des gesetzlichen Kontextes, in dem sie stehen – dem Privatrecht angehören.40 Die Entscheidung über diesen privatrechtlichen Anteil und dessen Durchsetzung soll primär in die Zuständigkeit der Zivilgerichte fallen. Zum Teil wird – insofern konsequent – jede Befugnis der Verwaltungsbehörden zur Entscheidung über den nachbarschützenden Gehalt dieser Normen geleugnet.41 Inkonsequent ist es dagegen anzuerkennen, dass die Baubehörden im Rahmen der Erteilung einer Baugenehmigung auch hinsichtlich der privaten Interessen der Nachbarn verbindlich über die Einhaltung der Bauvorschriften befinden, bei der Frage eines barrecht7, A § 7, S. 12 f. (vgl. zu Dehner ausführlich o. Fn. 36), nachdem es sich um (rein) privatrechtliche Normen „in einem Gesetz mit vorwiegend öffentlich-rechtlichem Inhalt“ handelt. 39 Vgl. Redeker, NJW 1959, 749 (751): „Die Übernahme dieser Bestimmungen in das Baupolizeirecht hat ihre Rechtsqualität zwar verändert, diesen Inhalt aber nicht beseitigt. [!?] . . . Tatsächlich gehört die unmittelbar nachbarschützende Funktion baurechtlicher Vorschriften dem Zivilrecht an.“; Konrad, BayVBl 1984, 33 (36): „In Wahrheit vermitteln Bestimmungen wie . . . in nicht geringerem Maße zugleich zivilrechtlichen Nachbarschutz“ (Hervorh. d. Verf.); vgl. ferner Picker, AcP 176 (1976), 28 (46 f.): „Gegenüber der Argumentation mit dem publizistischen Charakter des Baurechts hat man schon früher darauf verwiesen, dass Elementarregelungen wie die des Grenzabstandes früher durchweg in privatrechtlichen Nachbarrechtsgesetzen geregelt waren . . . Durch die Überführung in öffentlichrechtliche Gesetze hat sich aber an dieser Funktion nichts geändert“; Pickers Hinweis, ebd. S. 46 mit Fn. 59, dass es bei dieser Argumentation nicht um eine Qualifizierung der nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts als öffentlich- oder privatrechtliche Normen gehe, sondern nur darum, die Funktion dieser Vorschriften als Inhaltsbestimmungen des privaten Eigentums aufzuzeigen, bewegt sich allein auf der begrifflichen Ebene. Die Charakterisierung dieser Vorschriften als „eigentumsinhaltsbestimmende“ Normen hat allein die Funktion, dem Nachbarn entsprechende Abwehransprüche aus § 1004 BGB zu verleihen. In ihrer Funktion als Grundlage solcher zivilrechtlichen Abwehransprüche wären sie als privatrechtliche Bestimmungen einzuordnen. Die Qualifizierung als öffentlichrechtlich weist demgegenüber zutreffend darauf hin, dass nach dem Kontext, in dem diese Normen stehen, Verwaltungsbehörden und nicht die Zivilgerichte für ihre Durchsetzung zuständig sind und die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts daher als Grundlage (quasi-)negatorischer Ansprüche nicht in Betracht kommen; vgl. dazu auch Dolderer, DVBl 1998, 19 (21): Sie erklären die „drittschützende[n] Normen des öffentlichen Rechts kurzerhand zu Zivilrecht“. 40 Redeker, NJW 1959, 749 (751); Konrad, BayVBl 1984, 33 (36). 41 Redeker, NJW 1959, 749 (752): Dispens sagt nichts darüber aus, „ob das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis nicht die Abweichung von der Norm für den Nachbarn unzumutbar erscheinen lässt“; Kniestedt, DÖV 1962, 89 (89): „Über die materiellen Interessen des Nachbarn . . . wird nicht entschieden. Die Baubehörde entscheidet lediglich, dass aus Gründen des öff. Interesses keine Bedenken . . . bestehen, und erteilt die Bauerlaubnis“; am extremsten auch in diesem Punkt Dehner, Nachbarrecht7, A § 7, S. 13: Baubehörden dürfen nur „diejenigen Bestimmungen der LBO berücksichtigen . . ., die im öffentlichen Interesse erlassen sind“.
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Anspruchs auf behördliches Einschreiten jedoch davon auszugehen, die Behörden seien allein dem Schutze des öffentlichen, d. h. überindividuellen Interesses verpflichtet.42 Die Interessentheorie kann die gesetzliche Zuordnung und Festlegung der Entscheidungsbefugnisse nicht überspielen.43 Die Baugesetze beschränken den Eigentümer in seiner Baufreiheit und weisen den Baubehörden die Aufgabe zu, die Einhaltung dieser Beschränkungen zu überwachen.44 Das öffentliche oder private Interesse an diesen Beschränkungen ist als solches nicht Gegenstand, sondern Motiv der entsprechenden Regelungen. Die private Nachbarrechtstheorie versucht unter Rückgriff auf diese Motivebene den Inhalt der gesetzlichen Regelung mit Hilfe einer übergesetzlichen, auf den höchst abstrakten Begriffen des privaten und öffentlichen Interesses beruhenden Zuständigkeitsverteilung zwischen Zivilgerichten und Verwaltungsbehörden zu korrigieren. Es gibt jedoch keinen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass Verbote des öffentlichen Rechts begrifflich nicht den Schutz bestimmter Individualpersonen bezwecken können und entsprechende Normen daher dem Zivilrecht angehören müssen. Insbesondere aber besteht die von der privatrechtlichen Nachbarrechtstheorie angenommene Dichotomie zwischen öffentlichem Interesse und privaten Interessen nicht.45 Bei dem Begriff des öffentlichen Interesses (d. h. dem Interesse der Öffentlichkeit) ist zwischen der Öffentlichkeit als Subjekt und als Gegenstand des Interesses zu unterscheiden.46 Subjekt des öffentlichen Interesses ist 42 Siehe z. B. Konrad, BayVBl 1984, 70 (73): „Die Formel täuscht. In Wahrheit bleiben unberührt nur diejenigen privaten Rechte . . .“ und ebd. S. 72 ff. andererseits: „für Leistungsansprüche auf nachbarschützendes Einschreiten generell kein Raum.“; gegenüber der h. M. weist Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 316 zu Recht darauf hin, dass es „ein Widerspruch in sich“ sei, „die Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes zu betonen, zugleich aber mit dem Bemerken, im Grunde sei die Leistung individuellen Nachbarschutzes eine Aufgabe der Zivilgerichtsbarkeit, dem privatrechtlichen Drittschutz eine Vorrangstellung einzuräumen“. 43 Vgl. i. E. auch Schapp, Nachbarrecht (1978), S. 174, 177; Dolderer, DVBl 1998, 19 (22); Haag, Nachbarrecht (1994), S. 83; i. E. auch Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35 (58 f.). 44 Nachweise der gesetzlichen Aufgabennormen o. in § 16 I. 1. Fn. 10. 45 Vgl. Bull/Mehde, Allg. Verwaltungsrecht8 (2009), Rn. 147: „Die strenge Entgegensetzung von Interessen des Einzelnen und Interessen der Allgemeinheit ist fragwürdig, wenn man die Interessen der Allgemeinheit als gebündelte und gefilterte Interessen vieler Einzelner versteht – was durchaus angebracht ist . . .“; Bleckmann, DVBl 1986, 666 (667): „Wenn etwa eine baurechtliche Norm das Gesundheitsinteresse schützt, stellt sich im Gegensatz zur Auffassung von Lehre und Rechtsprechung eben nicht die Frage, ob diese Norm neben dem Allgemeininteresse auch Individualinteressen der Bürger schützt; denn das Allgemeininteresse an der Gesundheit ist notwendig mit der Summe der entsprechenden Gesundheitsinteressen der einzelnen Bürger identisch.“; vgl. ferner Erichsen in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht12 (2002), § 11 Rn. 39, 40 m.w. N. 46 Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff (1969), S. 176.
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in einem demokratischen Gemeinwesen die staatsbürgerliche Allgemeinheit.47 Welche Interessen dabei von den staatlichen Behörden als „maßgebende öffentliche Interessen“ zu verfolgen sind, wird innerhalb der bestehenden Kompetenzordnung von dem demokratisch gewählten Gesetzgeber gesetzlich festgelegt.48 Zum Gegenstand des Interesses der Öffentlichkeit in diesem Sinne können auch die Bedürfnisse von Einzelpersonen gemacht werden. So sind z. B. nachbarschützende Abstandsvorschriften Ausdruck eines öffentlichen, von den Baubehörden wahrzunehmenden Interesses daran, dass der Nachbar nicht durch eine zu enge Bebauung bestimmte Nachteile erleidet.49 Die – nicht nur von der privatrechtlichen Nachbarrechtstheorie vorgenommene – Gegenüberstellung von öffentlichem und Privatinteresse bezieht sich auf den Gegenstand des Interesses. Als eigentliche Aufgabe der Verwaltungsbehörden und damit Gegenstand des öffentlichen Interesses wird der Schutz der Allgemeinheit im Gegensatz zu dem von Individualpersonen angesehen. Dieser Gegensatz kann jedoch in dieser Form nicht bestehen, da die geschützte Allgemeinheit selbst nichts anderes als ein – individuell zum Teil noch unbestimmter – Kreis von Individualpersonen ist.50 Der wahre Kern des Gedankens, dass öffentlich-rechtliche Verbote den Schutz der Allgemeinheit und nicht den einer Individualperson bezwecken, liegt darin, dass der Gesetzgeber in Fällen, in denen von einer bestimmten Gefahr nur eine von vornherein individualisierbare Person betroffen ist, oftmals (aber nicht zwangsläufig) auf den Erlass eines öffentlich-rechtlichen, von Verwaltungsbehörden durchzusetzenden Verbots zugunsten eines privaten Abwehranspruchs dieser Individualperson verzichten wird.51 Ebenso richtig ist aber auch, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung eines solchen, den Schutz der Allgemeinheit bezweckenden Verbots ohne entsprechende gesetzliche Bestimmung nicht dadurch entfällt, dass die Gefahr im konkreten Einzelfall nur für eine oder wenige bestimmte Individualpersonen besteht.52 Und vor allem hört eine Individualperson, die zu dem durch die Verbotsnorm geschützten Personen47
Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff (1969), S. 185. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff (1969), S. 185 f.; der Begriff „maßgebende öffentliche Interesse“ geht zurück auf H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I7 (1968), § 29 IV a (S. 151). 49 Vgl. auch Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35 (59): „In der Hauptsache jedoch . . . ist das bauliche Nachbarrecht eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses geworden.“; Erichsen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. Verwaltungsrecht12 (2002), § 11 Rn. 39: „Die Gegenüberstellung öffentlicher und privater Interessen ist untauglich vor allem zur Lösung der Fälle, in denen der Gesetzgeber – wie etwa im Baurecht – die Regelung der zwischen Privaten bestehenden Konflikte in das öffentliche Recht verlagert, an deren Schlichtung also ein öffentliches Interesse begründet und sie den Staatorganen anvertraut.“ 50 Vgl. Martens, DÖV 1976, 457 (458 f.): „Allgemeininteressen . . ., die als Summe inhaltsgleicher Individualinteressen erscheinen.“ 51 Vgl. Leuthold, Annalen des Deutschen Rechts 1884, 321 (354): „beachtlich und richtig als Motiv der Normgebung“. 52 Vgl. Leuthold, Annalen des Deutschen Rechts 1884, 321 (354 f.). 48
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kreis gehört, nicht dadurch auf, Teil dieser „geschützten Allgemeinheit“ zu sein, dass sie als individualisierte Person von der Gefahr konkret betroffen ist. Das absurde Ergebnis der durch einen konstruierten Gegensatz von öffentlichem Interesse und Individualinteresse bestimmten Aufgabenverteilung wird besonders im Zusammenhang mit der Art und Weise deutlich, wie im Rahmen der Schutznormtheorie bestimmt wird, ob eine Norm dem Schutz von Individualinteressen dient. Um den Kreis der Klageberechtigten nicht ausufern zu lassen, wird herkömmlicherweise verlangt, dass die Norm einen hinreichend bestimmten und abgrenzbaren Kreis geschützter Personen,53 einen „Personenkreis . . ., der sich von der Allgemeinheit unterscheidet“,54 erkennen lässt. Dies führt in der Praxis dazu, dass aus dem Kreis der durch eine Norm geschützten Personen nur denjenigen ein subjektives Recht zugesprochen wird, deren Betroffensein durch die Normverletzung mit hoher Sicherheit abzusehen ist, während die übrigen nur „als Teil der Allgemeinheit“ am objektiven Normschutz teilhaben. Die paradoxe Folge der von der zivilen Nachbarschaftstheorie propagierten Dichotomie von öffentlichem und Individualinteresse ist, dass der Schutz derjenigen Personen, die durch eine Normverletzung am offenkundigsten und nachhaltigsten betroffen sind, aus dem öffentlichen Interesse und damit der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden heraus fällt. Um dies mit einem von Konrad gebildeten Beispiel55 zu verdeutlichen: Art. 13 BayImSchG verbietet es „mit Hilfe von Geräten Schallzeichen zu geben, . . . wenn andere dadurch gestört werden“. Diese Vorschrift bezweckt den Schutz der Allgemeinheit vor Lärm, d. h. sie soll jeden, der durch die Schallzeichen belästigt oder gesundheitlich gefährdet werden könnte, schützen. Nach Ansicht der zivilen Nachbarschaftheorie soll der Schutz der „Nachbarschaft“, also derjenigen Personen, die durch verbotswidrige Schallzeichen derart qualifiziert betroffen sind, dass es vertretbar erscheint, ihnen – ohne dass dadurch eine Art Popularklage geschaffen würde – ein subjektives Recht einzuräumen, aus dem von den Behörden wahrzunehmenden öffentlichen Interesse herausfallen, so dass letzteren nur noch der Schutz der anonymen „weiteren Allgemeinheit“ (also von zufälligen Passanten, u. Ä.) obliegt. Nicht anders verhält es sich bei den bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften.56 Durch die Festlegung eines einheitlichen Mindestabstandes soll eine ganz Reihe unterschiedlicher Belange gewahrt werden.57 Zumindest soweit Brandschutz bezweckt wird, schützen diese Vorschriften jeden, der durch einen Brand zu Schaden kommen könnte, und damit die Allgemeinheit. Dass nun ausgerechnet der Schutz des Nachbarn, also desjenigen, dessen Belange durch eine Unter53
Vgl. BVerwGE 27, 29 (33); 52, 122 (129); vgl. auch BGHZ 40, 306 (307). BVerwG, NVwZ 1987, 409 (409); BVerwGE 94, 151 (158). 55 Konrad, BayVBl 1984, 33 (35 r. Sp. u.). 56 Vgl. Fall 2 bei Konrad, BayVBl 1984, 33 (36 l. Sp. o.). 57 Vgl. Krebs in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht14 (2008), Kap. 4 Rn. 198. 54
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schreitung des Grenzabstandes offensichtlich am meisten gefährdet werden, als Individualinteresse aus dem öffentlichen Interesse ausgeschieden und diesem gegenübergestellt bzw. neben dieses gestellt wird, steht im eklatanten Widerspruch zu dem durch die Abstandsvorschriften bezweckten einheitlichen Schutz. Tatsächlich verhält es sich mit dem den Normen des Baurechts zugrunde liegenden öffentlichen Interesse folgendermaßen: Sollte durch solche Normen in gewisser Hinsicht ausschließlich der Schutz des Nachbarn bezweckt sein, so werden seine Belange durch diese Normen zum Gegenstand des öffentlichen Interesses gemacht. Soweit die Normen den Schutz eines – individuell zum Teil noch unbestimmten – Kreises von Individualpersonen bezwecken, dem der Nachbar angehört, so ist der Schutz des Nachbarn nicht neben der Allgemeinheit sondern als deren Teil Gegenstand des öffentlichen Interesses. In beiden Fällen fällt die Durchsetzung der Normen des Baurechts in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und nicht der Zivilgerichte. 2. Die nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts als öffentliches Recht „im materiellen Sinne“ Wurde durch die Kennzeichnung der nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts als öffentliches Recht im formellen Sinne der Zusammenhang zu den bauordnungsrechtlichen Verfahrenbestimmungen und damit die gesetzlich vorgegebene Verteilung der Entscheidungszuständigkeiten verdeutlicht, soll hier gezeigt werden, dass es sich bei dieser Zuständigkeitsverteilung um keine gesetzespositive Zufälligkeit handelt, die von Rechtsprechung und Rechtslehre unter Rückgriff auf allgemeine Rechtsprinzipien korrigiert werden könnte. Es geht dabei um den Nachweis, dass die nachbarschützenden Normen eine für öffentlich-rechtliche Regelungen charakteristische Eigenschaft haben, die sie von zivilrechtlichen Bestimmungen grundlegend unterscheiden, so dass sie – anders als wiederholt behauptet58 – nicht genauso gut Bestandteil einer zivilrechtlichen Regelung, etwa der privaten Nachbarrechtsgesetze, sein könnten. a) Baurechtliche Bestimmungen als „objektive“ Verhaltensnormen Im materiellen Sinne öffentliches Recht sind die Normen des Baurechts, weil es sich bei ihnen um „objektive“ Verhaltensnormen handelt, an deren Einhal58 Redeker, NJW 1959, 749 (750): Die nachbarschützenden Vorschriften des Baurecht sind auch heute dort noch Teil des Privatrechts, „wo aus mehr oder weniger zufälligen Gründen es entsprechendes Baupolizeirecht nicht gibt“; vgl. auch Oeter, DVBl 1999, 189 (195): „Umgekehrt wäre . . . vieles von dem, was als nachbarschützende Regelungen im Bauleitplanungs- und Bauordnungsrecht enthalten ist, auch genauso gut und – zumindest im Prinzip – genauso effektiv über den zivilrechtlichen Nachbarschutz zu gewährleisten.
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tung ein öffentliches Interesse besteht, das nicht zur Disposition der geschützten Personen steht. Sie sind in ihrer Geltung unabhängig von dem Willen bestimmter Individualpersonen und werden von den Behörden von Amts wegen durchgesetzt, ohne dass es einer privaten Initiative zur Einleitung des Verfahrens bedürfte. Die Geltung privatrechtlicher „Normen“ ist aufgrund der Ausgestaltung des Zivilprozesses in letzter Konsequenz immer von dem ungebundenen Willen einer Individualperson – dem Inhaber des entsprechenden subjektiven Rechts – abhängig. Die Willensmacht, die für den Inhalt des subjektiven Privatrechts charakteristisch ist, erschöpft sich nicht in der Befugnis, eine Verhaltensnorm gerichtlich geltend zu machen, sondern sie beinhaltet die Freiheit, durch die Möglichkeit der Ausübung dieser Befugnis zugleich über die Geltung der Norm bestimmen zu können.59 Diese Freiheit aber fehlt den durch eine objektive Norm des Baurechts geschützten Personen.60 Der strukturelle Unterschied zwischen den subjektiven Rechten des privaten Nachbarrechts und den objektiven Normen des öffentlichen Baurechts liegt in der Einräumung von Gestaltungsmacht begründet: Durch eine privatrechtliche Regelung wird dem Einzelnen die Möglichkeit zur privatautonomen Gestaltung seines Lebensraumes gegeben.61 Der Einzelne kann – als Inhaber eines subjektiven Rechts – z. B. entscheiden, ob er von seinem Nachbarn die Einhaltung des maximal einforderbaren Grenzabstandes für Bepflanzungen verlangt,62 ob er sich dieses Recht auf Einhaltung des Grenzabstandes abkaufen lässt oder ob er mit dem Nachbarn im Wege des gegenseitigen Nachgebens eine einvernehmliche Regelung über die jeweils grenznahe Bepflanzung der beiden Grundstücke trifft. Die objektiven Normen des Baurechts verleihen den Nachbarn nicht die Möglichkeit zu eigener Gestaltung, sondern der Staat in Form des Gesetzgebers und der staatlichen Behörden gestaltet selbst die Lebensumwelt, indem er z. B. Art und Maß der baulichen Nutzung eines Grundstückes, bauordnungsrechtliche Abstandsflächen, u. v. m. festlegt.63 Während das öffentliche Interesse, das einer 59
Vgl. o. § 3 IV. Siehe nur die treffenden Ausführungen von Evers, JuS 1962, 87 (92): „Der Nachbar hat keine Möglichkeit, über dieses Verbot eine Verfügung zu treffen, selbst ein Verzicht auf die Ausübung des Verbotsrechts ist nicht vorstellbar; die Untätigkeit oder das Einverständnis des Nachbarn ist für die Verwaltung unerheblich. Sie allein entscheidet, ob eine Befreiung erteilt werden soll . . .“. 61 Vgl. o. § 11 IV. 62 Vgl. z. B. §§ 41, 42 Nachbarrechtsgesetz NRW. 63 Oeter, DVBl 1999, 189 (196) verkennt, dass der Abbau der Genehmigungserfordernisse im Baurecht weder mit einer „Deregulierung“ noch mit „einer Zurücknahme des staatlichen Gestaltungsanspruchs“ verbunden ist: Die Normen des materiellen Baurechts bleiben als solche unberührt und gestalten durch ihre zwingenden Anforderungen die Lebenswirklichkeit; zutreffend dagegen Breuer, DVBl 1983, 431 (438): „Die Verlagerung des materiellen Nachbarrechts . . . in die öffentlichrechtlichen Gesetze . . . beinhaltet zugleich eine Umschichtung von der privatautonomen in die administrative Wahrnehmungssphäre.“ 60
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privatrechtlichen Regelung zugrunde liegt,64 darauf abzielt, dem Einzelnen die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zur Verfügung zu stellen, ist es bei den objektiven Normen des Baurechts unmittelbar auf die Herstellung bestimmter baulicher Verhältnisse gerichtet, von denen angenommen wird, dass durch sie dem Wohl der Bewohner, Nachbarn, u. a. am besten gedient wird. b) Die fehlende Eignung des Zivilprozesses als Verfahren zur Durchsetzung „objektiver“ Verhaltensnormen Der Zivilprozess ist kein geeignetes Verfahren zur Durchsetzung von Verhaltensnormen, an deren Einhaltung ein unmittelbares öffentliches Interesse besteht. Ein derartiges Interesse des Staates daran, dass die Geltung bestimmter Verbotsnormen unabhängig davon sichergestellt wird, ob die Personen, deren Schutz durch diese Normen bezweckt wird, ein tatsächliches Interesse an der Durchsetzung haben, ließe sich privatrechtlich nur dann verwirklichen, wenn die Freiheit dieser Personen zu entscheiden, ob sie die ihnen verliehenen Ansprüche gerichtlich geltend machen wollen, beschränkt würde und der Staat Einfluss auf diese Zivilprozesse nähme, indem er zur Wahrung des öffentlichen Interesses im Prozess einen mit eigenen Verfahrensrechten ausgestatteten Vertreter entsenden würde.65 Ein Klagezwang und die Beteiligung von Vertretern des öffentlichen Interesses sind dem heutigen, der Dispositionsmaxime verpflichteten Zivilprozess jedoch grundsätzlich fremd.66 Das unmittelbare öffentliche Interesse wird statt dessen von Verwaltungsbehörden wahrgenommen, die die Geltung der objektiven Verhaltensnormen gegebenenfalls durch verwaltungsverfahrensrechtlichen Zwang sicherstellen. Die zivilprozessuale Geltendmachung im Wege quasinegatorischer Klagen kann nur neben diese das öffentliche Interesse verwirklichenden behördlichen Befugnisse zur Rechtsdurchsetzung treten. aa) Die Gefahr divergierender Entscheidungen von Zivilgerichten und Verwaltungsbehörden Die Zulassung quasinegatorischer Klagen würde somit zu einer grundsätzlich voneinander unabhängigen Entscheidungskompetenz von Zivilgerichten und Verwaltungsbehörden führen, die die Gefahr divergierender Entscheidungen ber64 Ohne ein entsprechendes Interesse würde der mit der privatrechtlichen Regelung verbundene Gerichtsschutz dem Einzelnen von der Rechtsgemeinschaft nicht zur Verfügung gestellt: Wer mit Erfolg klagt, hat das Recht und damit die Rechtsgemeinschaft auf seiner Seite. 65 Vgl. hierzu auch Jauernig, JuS 1971, 329 (332 f.) mit Beispielen aus dem Privatrecht der DDR. 66 Vgl. zur Problematik auch H. Roth, Jahrb. d. Umwelt- und TechnikR 1990, 329 (335): „Die Behörde kann nämlich nach geltendem Prozessrecht ihre öffentlichen Interessen nicht als Verfahrensbeteiligte zur Geltung bringen.“
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gen würde. Durch eine Bindung an die Entscheidung des jeweils anderen Entscheidungsträgers kann diese Gefahr nicht ausgeräumt werden: Die Verwaltungsbehörden können an das im Zivilprozessverfahren ergangene abweisende Urteil nicht gebunden sein, weil vom Standpunkt des öffentlichen Interesses aus immer in Betracht gezogen werden muss, dass die Abweisung der Klage auf der mangelnden Prozessführung des Nachbarn beruht, die nicht zu Lasten des nicht zu seiner Disposition stehenden öffentlichen Interesses gehen darf. Entscheidend gegen die Zulassung quasinegatorischer Klagen spricht, dass das Risiko einander widersprechender Entscheidungen der Baubehörden und der Zivilgerichte nicht beide Beteiligten gleichermaßen trifft, sondern einseitig zu Lasten des Bauherrn gehen würde.67 Während die Interessen des klagenden Nachbarn im Falle des Obsiegens im Zivilprozess durch den Erlass des vollstreckbaren Urteils befriedigt würden, käme der klageabweisenden Entscheidung, dass die nachbarschützende Norm nicht verletzt ist, aufgrund der fehlenden Dispositionsbefugnis keine Verbindlichkeit zu. Die Verwaltungsbehörde wäre durch die Entscheidung nicht daran gehindert, die vom Zivilgericht verneinte Verletzung nachbarschützender Vorschriften festzustellen und zudem die Ermessenentscheidung zugunsten einer Beseitigungsanordnung damit zu begründen, dass der rechtswidrige Zustand im Interesse der Nachbarn nicht hingenommen werden könne. Der Nachbar könnte trotz seines Unterliegens im Zivilprozess versuchen, die Behörde zu einem Einschreiten zu bewegen bzw. – soweit man dem Nachbarn zusätzlich zu den quasinegatorischen Ansprüchen subjektive öffentliche Rechte auf behördliches Einschreiten zugesteht – zu zwingen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Zivilprozessverfahren nicht ausschließlich den Interessen des Klägers zu dienen bestimmt ist, sondern die Aufgabe hat, für beide Parteien Rechtsgewissheit zu schaffen und die Diskussion um die Frage, wer im Recht ist, durch verbindliche Entscheidung zu beenden,68 so wird deutlich, dass es im Hinblick auf die Interessen des Bauherrn nicht sachgerecht ist, in einem Zivilprozess mit dem Nachbarn über die Frage zu befinden, ob die nachbarschützenden Vorschriften eingehalten wurden bzw. einzuhalten sind. Das berechtigte Bedürfnis des Bauherrn nach einer endgültigen Befriedigung des Streitverhältnisses kann durch einen Prozess mit einem Kläger, der über die ihm zustehenden „Rechte“ nicht verfügen kann, nicht befriedigt werden.
67 Vgl. Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C42: „. . . die ungeordnete Verfahrenskumulierung setzt den Bauherrn . . . unabsehbaren Verzögerungen und Komplizierungen der abschließenden Streitentscheidung aus. Überdies erzeugt sie Rechtsunsicherheit, namentlich die Gefahr divergierender Entscheidungen.“ 68 Dies kommt in § 269 ZPO zum Ausdruck, vgl. MünchKommZPO2 /Lüke (2000) § 269 Rn. 1; Stein/Jonas22 /Brehm (2003), Einl. Vor § 1, Rn. 14 f.
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Konrad, der die Zuständigkeit der Zivilgerichte zur Durchsetzung der nachbarschützenden Bestimmungen des Baurechts mit der Aufgabe des Zivilprozesses, individuelle subjektive Rechte zu schützen, begründet,69 übersieht, dass die objektiven Normen des Baurechts keine subjektiven Rechte des Bauherrn in diesem Sinne begründen können.70 Die „die Arbeit der Zivilgerichte beherrschenden“ Verfahrensgrundsätze71 stehen in einem inneren Zusammenhang zu der mit der Gewährung eines subjektiven Privatrechts verbundenen Dispositionsbefugnis des Berechtigten.72 Nur wenn die Geltung der entsprechenden Verhaltensnormen in das Belieben des Anspruchsstellers gestellt ist und ein öffentliches Interesse an der Geltung dieser Normen nur insoweit besteht, wie dies dem Willen des Rechtsinhabers entspricht, ist es möglich, auf die Prozessführung der Parteien keinen Einfluss zu nehmen, sondern Versäumnisse mittels prozessualer Lasten der jeweiligen Partei zu ihrem eigenen Nachteil gereichen zu lassen.73 Auch die Rechtskraft des Urteils, die grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen Kläger und Beklagtem besteht, steht in einem Zusammenhang mit der auf subjektiven Rechten basierenden Struktur des materiellen Privatrechts. Weil die „Normen“ des Privatrechts in ihrer Geltung vollkommen von dem Willen des Inhabers des subjektiven Rechts abhängig sind, beanspruchen sie auch nur im Verhältnis zwischen diesem und dem Anspruchgegner Geltung, während sich Dritte auf die Verpflichtung des Anspruchsgegners prinzipiell weder berufen noch auf deren Einhaltung vertrauen können. Aufgrund dieser relativen Geltung der zivilrechtlichen Pflichten ist es sinnvoll, über sie in einem Prozess zu entscheiden, an dem nur der sich als Anspruchsinhaber gerierende Kläger und der Beklagte beteiligt sind und dessen Entscheidung Verbindlichkeit nur für diese Parteien untereinander hat. Bei der im Zivilprozess zu entscheidenden Streitigkeit handelt es sich gewissermaßen um eine „Privatangelegenheit“ der beteiligten Parteien: ob der betreffenden Verhaltensnorm durch zivilprozessuale Sanktionen zur Geltung verholfen wird, ist allein Sache des Inhabers des subjektiven Rechts und betrifft keine rechtlich erheblichen Interessen Dritter.
69
Konrad, BayVBl 1984, 70 (70 f.). Zutreffend Evers, JuS 1962, 87 (92): „. . . an einer solchen verselbständigten Herrschaftsmacht fehlt es dem Nachbarn gerade“. 71 Konrad, BayVBl 1984, 70 (70 f.). 72 Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 119 ff. insb. 122, 132 (für die Dispositionsmaxime), S. 143 ff., insb. 144 m.w. N. in Fn. 283 (für die Verhandlungsmaxime): „Die Verhandlungsmaxime gilt als die angemessene Verfahrensgestaltung für die prozessuale Ausübung subjektiver Rechte und als prozessuale Konsequenz der im subjektiven Privatrecht verbürgten Freiheit.“ 73 Vgl. nur Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970), S. 17: „Da das Prozeßrecht den Verfahrensablauf regelt, kann es in starkem Maße die Folgen eines prozessualen Fehlverhaltens auf die Parteien lenken. Nur wo das nicht möglich ist, weil der Gesetzgeber das Fehlverhalten nicht mit einem nachteiligen Prozeßverlauf ahnden kann und will, weil die Partei über ihre Interessen nicht disponieren kann . . .“. 70
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bb) Die Gefahr divergierender Entscheidungen der Zivilgerichte im Falle mehrerer Klagen durch die Norm geschützter Personen Die Möglichkeit, objektive Verhaltensnormen des Baurechts neben den verwaltungsrechtlichen Durchsetzungsmechanismen auch im Wege quasinegatorischer Klagen durchzusetzen, führt auch im Verhältnis mehrerer Zivilprozessverfahren verschiedener durch die Norm geschützter Kläger zueinander zu der Gefahr divergierender Entscheidungen und dem Problem der aufeinander nicht abgestimmten mehrfachen Sanktionierung desselben Normverstoßes.74 Maßgeblicher Gesichtspunkt dabei ist, dass durch die von dem öffentlichen Baurecht an Bauvorhaben gestellten Anforderungen in der Regel nicht allein die Interessen einer bestimmten Individualperson, sondern die eines mehr oder weniger großen Kreises von Personen, dessen Mitglieder sich ex ante nicht vollständig individualisieren lassen, geschützt werden sollen. Dies hat zur Konsequenz, dass man die Abwehr der diesen Interessen drohenden Gefahren nicht einzelnen, von ihnen besonders betroffenen Personen überlassen konnte, sondern die Einhaltung der Verbote im Interesse aller, deren Rechtsgüter gefährdet werden könnten, insbesondere wenn die Gefahr für diese vorher nicht erkennbar ist, sicherstellen musste. Der hinter den objektiven Normen des Baurechts stehende Gedanke ist dabei, dass durch ein einheitliches Anforderungsmaß die Belange aller zu schützenden Personen gleichermaßen gewahrt werden können.75 Dies zeigt sich auch in der Ausgestaltung dieser Normen, die als „abstrakte Gefährdungsdelikte“ Anforderungen unmittelbar in Bezug auf das Verhalten bzw. das Bauwerk formulieren und nicht auf die konkrete Verletzung bzw. Gefährdung einzelner Personen abstellen. Angesichts der Tatsache, dass nach der diesen Normen zugrunde liegenden rechtlichen Bewertung die Interessen aller geschützten Personen gleich bewertet werden, ist es nicht sachgerecht, den einzelnen Betroffenen voneinander unabhängige quasinegatorische Abwehransprüche einzuräumen: Ob jemand z. B. durch den baulichen Zustand seines Hauses eine rechtlich nicht hinzunehmende Gefahr für Passanten schafft, ist in Bezug auf den Passanten A, der gezwungen ist, täglich auf dem Weg zur Arbeit an dem Haus vorbeizugehen, nicht anders zu beurteilen als in Bezug auf den Passanten B, der nur im Rahmen seines Sonntagsspazierganges den Gefahrenbereich betritt. Über eine Verhaltenspflicht, die in diesem Sinne dem Schutze der Allgemeinheit, d. h. aller potentiell gefährdeten Personen dient, kann sinnvoller Weise auch nur in einem Verfahren entschieden werden, dessen Ergebnis für und gegen diese Allgemeinheit Geltung beansprucht. Die Gewährung quasinegatorischen Rechtsschutzes würde dazu führen, dass eine solche Verhaltenspflicht, die im Interesse der Allgemeinheit besteht, umgewandelt wird in eine Vielzahl von identischen 74
Vgl. dazu allgemein o. § 8 IV. Vgl. hinsichtlich bauordnungsrechtlicher Abstandsflächen Krebs in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. Verwaltungsrecht14 (2008), Kap. 4 Rn. 198. 75
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Verhaltenspflichten, die jeweils im Interesse eines bestimmten Individuums als Teil dieser Allgemeinheit bestehen und über die dann in jeweils unabhängigen Verfahren zu befinden ist. Die Konsequenz ist, dass eine Art der Popularklage geschaffen würde und der Beklagte in immer neuen Zivilprozessverfahren nachweisen müsste, dass er die Sicherheitsanforderungen eingehalten hat, die trotz der unterschiedlichen Kläger, die den Schutz begehren, rechtlich immer dieselben sind. Im Hinblick darauf, dass die Einhaltung dieser Verhaltenspflichten bereits im Interesse aller durch Verwaltungsbehörden sichergestellt wird, kann kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis der Kläger76 anerkannt werden, das das berechtigte Interesse des Beklagten an Rechtssicherheit überwiegen würde und durch die Gewährung einer zusätzlichen Möglichkeit des Rechtsschutzes durch quasinegatorische Klagen rechtfertigen könnte. Wenn man dem Einzelnen die Möglichkeit einräumen möchte, den durch Verbotsnormen des öffentlichen Rechts bezweckten Schutz auch seiner Interessen rechtlich einzufordern, so ist nicht zuletzt im Hinblick auf das Erfordernis der Rechtssicherheit für den Normadressaten, der öffentlich-rechtliche Drittschutz die einzig sachgerechte Möglichkeit. Es handelt sich dabei um die Kontrolle der Tätigkeit von Verwaltungsbehörden, denen die Überwachung von Normen zum Schutz der „Allgemeinheit“ übertragen wurde, durch Teile dieser „Allgemeinheit“. Der durch diese Kontrolle über die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden vermittelte Schutz bewirkt eine Verfahrenskonzentration im Verhältnis zu dem Normadressaten. Ihm gegenüber tritt ausschließlich die Verwaltungsbehörde auf, die durch Verwaltungsakt eine Entscheidung treffen kann, die prinzipiell77 geeignet ist, allen Personen gegenüber Bestandskraft zu erlangen, die als Teil der Allgemeinheit durch die Norm geschützt werden. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die – nicht aufgehobene – Entscheidung im Verhältnis zu dem Adressaten der Verhaltenspflicht gebunden, unabhängig davon, welche durch die Verhaltenspflicht geschützte Person einen Anspruch auf Einschreiten geltend macht. Auf diese Weise wird dem Normadressaten gegenüber Rechtssicherheit gewährleistet, die in einem Verfahren zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung gesichert und die Möglichkeit von Doppelsanktionen verhindert. Dies kann im Rahmen quasinegatorischen Rechtsschutzes nicht gewährleistet werden, da die einzelnen von verschiedenen Klägern angestrengten Zivilprozessverfahren voneinander unabhängig sind.78 Das Zivilgericht ist naturgemäß
76 Es sei daran erinnert, dass das RG den rechtfertigenden Grund für die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche in einem besonderen bzw. dringenden Rechtsschutzbedürfnis des Klägers gesehen hat, vgl. o. § 5. 77 Nachbarn gegenüber, denen die Baugenehmigung nicht bekannt gegeben wird, beginnt die Rechtsmittelfrist der §§ 70 I und 74 I VwGO nicht zu laufen. Allerdings kommt eine Verwirkung in Betracht. 78 Soweit ersichtlich, wird nirgendwo vertreten, dass die Kläger eine notwendige Streitgenossenschaft i. S. d. § 62 ZPO bilden würden.
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bei der Entscheidung über die Klage eines Nachbarn nicht an das in dem Parallelverfahren eines anderen Nachbarn ergangene Urteil gebunden, so dass ein „ne bis in idem“ auf diese Weise zugunsten des Beklagten nicht verhindert werden kann. II. Im Einzelnen: Die verschiedenen Fallkonstellationen Wurde im vorangegangen Abschnitt anhand von generellen übergreifenden Erwägungen dargelegt, dass die Normen des öffentlichen Baurechts quasinegatorischen Ansprüchen keine Grundlage bieten können, soll das so gewonnene Ergebnis an dieser Stelle anhand einzelner Fallgestaltungen verifiziert und verdeutlicht werden. Die dabei vorgenommene Unterteilung in verschiedene Fallgruppen orientiert sich an dem in Rechtsprechung und Literatur vorgefundenem Meinungsbild: Ausgehend von der grundsätzlichen Anerkennung quasinegatorischer Ansprüche ist im Einzelnen umstritten, ob solche Ansprüche durch Dispens erteilende (unten 1. a)) oder auch „einfache“ Baugenehmigungen ausgeschlossen (unten 1. b)) werden. Im Folgenden wird in Auseinandersetzung mit der überwiegenden Literatur darzulegen sein, dass quasinegatorische Ansprüche nicht nur gegen genehmigte (unten 1.) sondern auch gegen nicht genehmigte bzw. nicht genehmigungsbedürftige Bauvorhaben (unten 2.) aufgrund der alleinigen Entscheidungskompetenz der Baubehörden ausgeschlossen sind. Eine eigenständige Fallgruppe stellen die quasinegatorischen Unterlassungsansprüche auf der Grundlage baubehördlicher Auflagen dar (unten 3.). Auch hier wird nachzuweisen sein, dass – entgegen der Rechtsprechung des BGHs – quasinegatorische Ansprüche nicht in Betracht kommen. 1. Quasinegatorische Ansprüche gegen genehmigte Bauvorhaben Quasinegatorische Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche kommen zunächst dann nicht in Betracht, wenn für ein Bauvorhaben eine wirksame Baugenehmigung vorliegt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Baugenehmigung einen Dispens von der in Frage stehenden nachbarschützenden Vorschrift bewilligt oder ob sie als „einfache Baugenehmigung“ die Konformität des Bauvorhabens mit der betreffenden Norm feststellt. a) Baugenehmigungen mit Ausnahmen und Befreiungen (Dispens) von nachbarschützenden Normen des materiellen Baurechts Dass das Zivilgericht bei seiner Entscheidung an einen durch die Baubehörde bewilligten Dispens gebunden ist und keine quasinegatorischen Ansprüche gewähren kann, die ihre Grundlage in der nachbarschützenden Vorschrift finden, von der ein Dispens erteilt wurde, entspricht seit jeher nahezu allgemeiner Mei-
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nung.79 Abweichend davon entscheiden nur einige der Vertreter der sog. zivilrechtlichen Nachbarrechtstheorie, die annehmen, dass die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts eine „Doppelnatur“ haben:80 Nach ihnen bewirkt die Erteilung eines Dispenses nur eine Befreiung von der nachbarschützenden Vorschrift in ihrer Eigenschaft als öffentlich-rechtliche Vorschrift und enthält mithin nur die Entscheidung, dass die Einhaltung der Vorschrift aus Gründen des öffentlichen Interesses nicht erforderlich ist. In ihrer Eigenschaft als privatrechtliche Vorschrift, als Inhaltsbestimmung des Eigentums, wird sie hingegen durch die Erteilung des Dispenses nicht berührt. Daher könne der Nachbar trotz eines Dispenses einen quasinegatorischen Anspruch auf Einhaltung der betreffenden nachbarschützenden Vorschrift des Baurechts geltend machen. Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit dem geltenden Recht. Die Baubehörde entscheidet durch die Erteilung eines Dispenses nicht nur darüber, ob die in Frage stehende nachbarschützende Vorschrift aus Gründen des öffentlichen Interesses eingehalten werden muss, sondern darüber, ob sie überhaupt eingehalten werden muss. Dass die Entscheidung sich nicht nur auf die Erforderlichkeit der Einhaltung der betreffenden Vorschrift im Hinblick auf „das öffentliche Interesse“ – was auch immer darunter zu verstehen sein mag – bezieht, sondern auch auf die Erforderlichkeit im Hinblick auf die geschützten Interessen der Nachbarn,81 ergibt sich bereits daraus, dass eine Abweichung von Vorschriften nur dann gestattet werden kann, wenn dies unter „Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist“.82 Dasselbe Ergebnis ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass die Behörde ihr Ermessen nach § 40 VwVfG „entsprechend dem Zweck der Ermächtigung“ auszuüben hätte. Soweit sich dem Gesetz keine besonderen Gründe für die Ertei79 Mühl, NJW 1958, 769 (770 f.); Evers, JuS 1962, 87 (91); Rüfner, DVBl 1963, 609 (609); Dörffler, NJW 1963, 14 (18); Schrödter, DVBl 1968, 37 (39); Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 234, 238 ff.; Sendler, BauR 1970, 4 (14); Kübler/Speidel, Baunachbarrecht (1970), Rn. I 97, II 49; Bender/Dohle, Nachbarschutz (1972), Rn. 105, 438; Picker, AcP 176 (1976), 28 (45 f.); Breuer, DVBl 1983, 431 (433 f., 438); Konrad, BayVBl 1984, 70 (73) m.w. N. in Fn. 40; Bettermann, DVBl 1984, 473 (474); Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C43, C46 f.; J. F. Baur, GS Martens (1987), 545 (556); Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 141 f.; v. Mutius, Jura 1989, 297 (308); Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 878; Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 34; Seidel, NVwZ 2004, 139 (143); Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), S. 4 f.; BGHZ 66, 354 (356 f.); BGH, WM 1974, 572 (574). 80 Redeker, NJW 1959, 749 (752); Kniestedt, DÖV 1962, 89 (89 ff.); Fischer, Baunachbarklage (1965), S. 12 ff.; vgl. auch OLG München, NJW 1959, 1184 f. 81 Vgl. Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 239 f.: „die nachbarlichen und öffentlichen Interessen gemeinsam hinter die Interessen des Bauherrn zurücktreten zu lassen“; Rüfner, DVBl 1963, 609 (609, 611 ff.). 82 So § 73 Abs. 1 S. 1 BauO NRW; vgl. Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 878.
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lung eines Dispenses entnehmen ließen, wäre insoweit insbesondere maßgeblich, ob der Zweck der Vorschrift, von der befreit werden soll, eine solche Befreiung zulässt. Wenn diese Vorschrift aber den Schutz des Nachbarn bezweckt, sind insoweit die Belange des Nachbarn zu berücksichtigen. Die Entscheidung über die Bewilligung einer Ausnahme beinhaltet somit nicht nur eine partielle, sondern vielmehr eine abschließende materielle Entscheidung darüber, ob die Anforderungen, die die entsprechende Norm an ein Bauvorhaben stellt, eingehalten werden müssen.83 Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzessystematik. Wenn in ein und demselben Gesetz eine bestimmte Regelung getroffen wird und zugleich die Möglichkeit einer Ausnahme zugelassen wird, so bedeutet dies auch, dass im Falle des Eingreifens der Ausnahme die (grundsätzliche) Regelung keine Geltung beansprucht. Die Erteilung des Dispenses bedeutet daher nicht nur den Verzicht auf die Geltendmachung der betreffenden Vorschrift durch die Behörde, sondern die Entscheidung, dass diese Vorschrift materiell nicht gilt, d. h. die entsprechende Anforderung an das Bauvorhaben in dem konkreten Fall nicht gestellt wird. Alles andere ist bloße Konstruktion, für die es im Gesetz keinerlei Anhaltspunkt gibt. b) „Einfache“ Baugenehmigungen Ganz überwiegend ist heute anerkannt, dass auch eine sog. „einfache Baugenehmigung“, also eine solche, die keine Ausnahmen und Befreiungen von Vorschriften des öffentlichen Baurechts enthält, quasinegatorische Unterlassungsund Beseitigungsansprüche, die sich auf die Verletzung von Vorschriften stützen, die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens waren, ausschließt.84 Demgegenüber wird zum Teil vertreten, dass zwar die Erteilung einer Befreiung oder Ausnahmegenehmigung entsprechende zivilrechtliche Abwehransprüche des Nachbarn ausschließe, eine „einfache Baugenehmigung“ hingegen auf diese Ansprüche ohne Einfluss bleibe.85 Diese Differenzierung wird mit der gestalten83 Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 240: „einheitliche[n] und absolut wirkende[n] Entscheidung“. 84 Evers, JuS 1962, 87 (91); Schrödter, DVBl 1968, 37 (39); Bartlsperger, VerwArch 60 (1969), 35 (62 f.); Sendler, BauR 1970, 4 (8); Breuer, DVBl 1983, 431 (438); Konrad, BayVBl 1984, 70 (73) m.w. N. in Fn. 40; Schmidt-Aßmann, FS 600-Jahr-Feier Uni Heidelberg (1986), 107 (132); J. F. Baur, GS Martens (1987), 545 (556); Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 75, 142 ff.: Papier, FS Weyreuther (1993), 291 (302); Haag, Nachbarrecht (1995), S. 257 ff., 350 m.w. N. S. 261 Fn. 1; Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht in Bayern7 (1986), § 39 Rn. 7 f.; Dolderer, DVBl 1998, 19 (24 f.); Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 879; Seidel, NVwZ 2004, 139 (143); Roeser in: Berliner Kommentar zum BauGB3. Lfg. (2004), Vor §§ 29–38, Rn. 4; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB11 (2009), § 31 Rn. 54; BVerwGE 22, 129 (133 o.). 85 Rüfner, DVBl 1963, 609 (609); Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 235 ff.; Papier, NJW 1974, 1797 (1801); Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (201); Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 46 f.: Zivilrechtliche Abwehransprüche
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den Wirkung von Befreiung und Ausnahmegenehmigungen begründet, die einfachen Baugenehmigungen fehle.86 Die Erteilung eines Dispenses ändere das materielle Baurecht für den Einzelfall ab. Eine normale Baugenehmigung stelle werden von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht betroffen.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen (1992), S. 127 ff.; v. Mutius, Jura 1989, 297 (308); vgl. auch Gaentzsch, NVwZ 1986, 601 (605): „Die Genehmigung ist nur ein Kontrollinstrument, das die Einhaltung der Vorschriften sicherstellen soll. Scheitert das Sicherungsinstrument, bedeutet das nicht, dass damit der Abwehranspruch des Drittgeschützten verbraucht sei.“; vgl. auch Peters, DÖV 1965, 744 (747): „Damit ist deutlich gesagt, dass der zivilrechtliche Abwehranspruch vom öffentlichen Recht unberührt bleibt. Das gilt auch dort, wo der Bundesgerichtshof eine öffentlichrechtliche Vorschrift als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB angesehen und . . . eine . . . zivilrechtliche Abwehrklage zugelassen hat.“; vgl. auch Sellmann, DVBl 1963, 274 (281), der jedoch wohl – von Ausnahmen abgesehen – die Herleitung subjektiver Rechte (öffentlich-rechtlicher wie privatrechtlicher Natur) aus den Vorschriften des Baurechts ablehnt (vgl. ebd. S. 284 r. Sp. u.); möglicherweise auch Staudinger2002 /Roth, § 906 Rn. 33 (Umkehrschluss zu Rn. 34); vgl. auch BayObLG, NJW-RR 1997, 269; unklar BayObLG, NJW-RR 1991, 19 ff.: Der Senat lässt es zwar offen, ob eine bestandskräftige Baugenehmigung eine rechtsgestaltende Auswirkung auf aus der Verletzung des öffentlichen Baurechts abgeleiteter Ansprüche hat; der vom Kläger geltend gemachte Anspruch kann jedoch eigentlich nur auf eine Verletzung des öffentlichen Baurechts (und nicht auf originär zivilrechtliches Nachbarrecht) gestützt werden – die verbreitet (Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (201), Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 53 Fn. 137; Haag, Nachbarrecht (1996), S. 258 mit Fn. 1; Dolderer, DVBl 1998, 19 (22 Fn. 34, 24 Fn. 69)) als Beleg für diese Unterscheidung zitierten BGH-Urteile (BGHZ 66, 354 ff.; WM 1974, 572 f.; NJW 1959, 2013; DVBl 1971, 744 f.) stützen diese Ansicht hingegen nicht; in BGH, NJW 1959, 2013; DVBl 1971, 744 f. geht es nur um das Verhältnis der Baugenehmigung zum originären privaten Nachbarrecht, also letztlich darum, dass eine Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter ergeht und daher Ansprüche aus den § 1004 BGB (direkte Anwendung) nicht ausschließen kann; in BGHZ 66, 354 (356 f.) stellt der BGH fest, dass die entscheidende Voraussetzung eines zivilrechtlichen Schadensersatz- oder Beseitigungsanspruchs fehle, wenn eine Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften erteilt worden sei. Den sicheren Umkehrschluss, dass eine „einfache“ Baugenehmigung solche Ansprüche nicht ausschließen kann, lässt das Urteil (ebenso wie die von Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 53 Fn. 137 zitierte Entscheidung BGH, LM § 823 (Bf) BGB Nr. 61) hingegen nicht zu; am ehesten spricht das in WM 1974, 572 f. abgedruckte Urteil dafür, dass der BGH dieser Ansicht zuneigen könnte: an die Feststellungen in dem vorausgegangenem verwaltungsgerichtlichen Verfahren fühlt er sich offensichtlich nicht gebunden; indes lässt auch dieses Urteil keinen sicheren Schluss zu, da in dem vorliegenden Fall die Baugenehmigungen bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgehoben wurden. – Die Rechtsprechung zur Frage der fehlenden Bindung der Zivilgerichte an bestandskräftige Verwaltungsakte im Rahmen von Amtshaftungsprozessen lässt sich ohnehin nicht auf die hier aufgeworfene Fragestellung übertragen (so der BGH selbst in BGHZ 122, 1 (5) unter 2.); zudem befasst sich keines der von Haag, Nachbarrecht (1996), S. 259 Fn. 2–8 angeführten Urteile mit der Frage, ob auf die Verletzung nachbarschützender Vorschriften gestützte Amtshaftungsansprüche des Nachbarn durch die bestandskräftige Baugenehmigung des Bauherrn ausgeschlossen werden. 86 Siehe z. B. Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 235: „Die Baugenehmigung verändert das materielle Baurecht nicht . . .“ im Gegensatz zu S. 239: „Der Dispens ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt: er setzt eine baurechtliche Norm für den Einzelfall außer Kraft“; Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 46 f.:
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dagegen nur fest, dass das Bauvorhaben mit dem materiellen Baurecht im Einklang stehe, könne jedoch nicht die materielle Rechtslage verändern. Diese Differenzierung kann nicht überzeugen. Quasinegatorische Ansprüche, die auf Normen des öffentlichen Baurechts gestützt werden, werden auch durch eine Baugenehmigung, die lediglich die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit diesen Vorschriften feststellt, ausgeschlossen. Der Grund dafür ist nicht eine besondere Gestaltungswirkung, die nur einer Dispens erteilenden Baugenehmigung zukäme, sondern die Funktion der Baugenehmigung, eine verbindliche und abschließende Entscheidung über die Übereinstimmung des konkreten Bauvorhabens (Einzelfall) mit den Normen des öffentlichen Baurechts (abstrakt-generelle Regelung) zu treffen.87 Die Baugenehmigung enthält somit – ganz wie es der klassischen Definition des Verwaltungsakts Otto Mayers entspricht88 – einen Ausspruch darüber, was im Einzelfall „Rechtens sein soll“. Sie schafft damit gerade auch im Interesse des Bauherrn Rechtssicherheit und verleiht ihm eine nicht ohne weiteres entziehbare Grundlage für die erheblichen Dispositionen, die er im Rahmen des Bauvorhabens tätigt.89 Diese Funktion der Baugenehmigung würde in Frage gestellt, wenn andere Staatsorgane – Behörden oder Gerichte – die in ihr getroffene Regelung ihren eigenen Entscheidungen nicht zugrunde legen müssten. Um Rechtssicherheit im Interesse des Bürgers zu verwirklichen, besteht das Gebot, im Rahmen der staatlichen Aufgabenverteilung eine eindeutige Abgrenzung der Zuständigkeiten und Kompetenzen der einzelnen Organe vorzunehmen.90 Um divergierende Entscheidungen zu verhindern, ist es erforderlich, dass die Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung über eine bestimme Rechtsfrage nur einem Organ einzig und ausschließlich zukommt und diese Entscheidung für die anderen Organe, sofern die Rechtsfrage für deren eigene Aufgabenwahrnehmung von Bedeutung ist, verbindlich ist.91 Daher ist es weitgehend anerkannt, dass auch die Gerichte aller Gerichtsbarkeiten, die nicht selbst zur Überprüfung oder Aufhebung des Verwaltungsakts befugt sind, an die in diesem wirksamen Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden sind.92 „der Dispens . . . hat . . . rechtsgestaltende, auch die Zivilgerichte bindende Wirkung. Der einfachen Baugenehmigung fehlt dagegen diese Kraft“. 87 Vgl. Haag, Nachbarrecht (1996), S. 273 f. m.w. N. 88 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I (1895), S. 95: „ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unterthanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll“. 89 Vgl. auch Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 879. 90 Vgl. Broß, VerwArch 78 (1987), 91 (92); Seibert, Bindungswirkung (1989), S. 259 ff. 91 Vgl. Bachof, SJZ 1949, 378 (388). 92 Vgl. Broß, VerwArch 78 (1987), 91 (103); Bachof, SJZ 1949, 378 (388); Ortloff, NJW 1987, 1665 (1667, 1670); Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre (1983), S. 317.
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Für die Normen des öffentlichen Baurechts bedeutet dies zunächst, dass die Baubehörden im Rahmen einer Baugenehmigung verbindlich darüber entscheiden können, ob ein Bauvorhaben den Anforderungen dieser Normen entspricht.93 Die Kontrolle dieser Verwaltungstätigkeit obliegt den Verwaltungsgerichten, die im Rahmen einer Anfechtungsklage die Baugenehmigung aufheben können. Für die Zivilgerichte hingegen ist die in der Baugenehmigung getroffene Feststellung, dass das Bauvorhaben mit den Normen des materiellen Baurechts im Einklang steht, verbindlich. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Zivilgerichte unter Rückgriff auf die materiellen Vorschriften des öffentlichen Baurechts und damit auf der Grundlage derselben Entscheidungsnormen eine Entscheidung treffen, die von derjenigen der Baubehörden abweicht.94 Wenn Timmermann demgegenüber davon ausgeht, dass die Baubehörden im Genehmigungsverfahren nur zu prüfen haben, „ob das Bauwerk mit den öffentlichen Interessen nicht in Widerspruch steht“ und daher nicht „,automatisch‘ über die Interessen des Nachbarn mitentschieden“ werde,95 so übersieht er, dass sowohl die Entscheidung der Baubehörden wie die der Zivilgerichte durch die Normen des Baurechts determiniert wird. Es ist nicht so, dass die Baubehörden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens weitgehend frei darüber entscheiden können, ob ein öffentliches Interesse dem Bauvorhaben entgegensteht oder ob aus Gründen des öffentlichen Interesses die Einhaltung der Vorschriften des materiellen Baurechts geboten ist. Vielmehr wird die Entscheidung der Baubehörde durch das materielle Baurecht bestimmt: Wenn das Bauvorhaben den Vorschriften nicht entspricht und auch keine Befreiung in Betracht kommt, ist die Baugenehmigung zu versagen; wenn alle Voraussetzungen hingegen erfüllt sind, ist die Baugenehmigung zu erteilen. Und auch die Zivilgerichte entscheiden nicht frei über die entgegengesetzten privaten Interessen, sondern aufgrund von Normen, die die Entscheidung bestimmen. Wenn die Baubehörden daher im Rahmen ihrer Aufgabe, über die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften zu wachen,96 eine Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung treffen, so entscheiden sie dabei primär darüber, ob das Bauvorhaben diesen Vorschriften entspricht und implizit damit auch über die öffentlichen und privaten Interessen, deren Ausgleich und Schutz durch diese Normen bezweckt wird.97 Im Rahmen der zivilgerichtlichen Entscheidung, die im Rahmen einer
93 Vgl. Seidel, Nachbarschutz (2000), Rn. 879: „Die Baugenehmigung stellt mit Wirkung gegenüber jedermann verbindlich fest, daß das Vorhaben mit den . . . öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmt.“; Haag, Nachbarrecht (1996), S. 273: „Feststellung der Rechtslage gegenüber allen von ihm Betroffenen.“ 94 Vgl. Haag, Nachbarrecht (1996), S. 273: „Verwaltungsakt . . . verwehrt . . . den Rückgriff auf das hinter ihm stehende materielle Recht.“ 95 Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 235 f. 96 Nachweise der gesetzlichen Aufgabennormen o. § 16 I. 1. in Fn. 10.
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quasinegatorischen Klage auf der Grundlage derselben Normen des Baurechts zu treffen ist, finden die Interessen des Klägers und des Beklagten auch nur in dem Umfang Berücksichtigung, in dem sie in der entsprechenden Entscheidungsnorm berücksichtigt wurden. Daher sind die von Timmermann angeführten Erwägungen nicht geeignet, eine Bindung des Zivilrichters (im Rahmen einer quasinegatorischen Klage) an eine Baugenehmigung zu verneinen. 2. Quasinegatorische Ansprüche gegen nicht genehmigte und genehmigungsfreie Bauvorhaben Sofern eine das Zivilgericht bindende wirksame Baugenehmigung nicht oder nicht mehr vorliegt, wird inzwischen verbreitet angenommen, dass Nachbarn auf die Verletzung sie schützender Vorschriften des materiellen Baurechts gestützte quasinegatorische Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche vor den Zivilgerichten geltend machen können. In Betracht kommen dabei Fälle, in denen für ein Bauvorhaben eine Baugenehmigung nicht erforderlich ist, in denen ein Bauvorhaben ohne die erforderliche Baugenehmigung durchgeführt wurde (sog. Schwarzbauten) oder in denen die zunächst erteilte Baugenehmigung zurückgenommen oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgehoben wurde. In solchen Fällen soll es dem Zivilgericht nicht verwehrt sein, selbst über die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den nachbarschützenden Vorschriften des Baurechts zu entscheiden. Die Gewährung quasinegatorischer Ansprüche auf der Grundlage nachbarschützender Vorschriften des Baurechts setzt eine entsprechende Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte voraus. Im Folgenden wird nachzuweisen sein, dass die Entscheidung über die Frage der Rechtwidrigkeit des Bauvorhabens (unten a)) und die sich daraus ergebenden Folgen (unten b)) in die ausschließliche Zuständigkeit der Baubehörden fällt und eine diesbezügliche Entscheidungsbefugnis der Zivilgerichte daher ausgeschlossen ist. a) Keine Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte in Bezug auf die materielle Baurechtswidrigkeit Wird der Ausschluss quasinegatorischer Ansprüche durch wirksame Baugenehmigungen mit deren Bindungswirkung begründet, so scheint bei ungenehmigten bzw. nicht genehmigungsbedürftigen Bauvorhaben einer eigenständigen Entscheidung der Zivilgerichte über die Einhaltung der materiellen Bestimmungen des Baurechts nichts entgegenzustehen. In Ermangelung einer bereits von 97 Vgl. Broß, VerwArch 78 (1987), 91 (105 f.): „. . . öffentlich-rechtliche Gestattungen wirken gleichsam interessenausgleichend oder interessenentscheidend zwischen Privaten.“
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den Baubehörden getroffenen Entscheidung kommt eine Bindung an eine solche Entscheidung nicht in Betracht.98 Begreift man die so genannte Bindungswirkung der Baugenehmigung jedoch nicht als Eigenschaft, die Verwaltungsakten ihrer Natur entsprechend zukommt, sondern sieht sie in einem größeren Zusammenhang als ein Mittel, divergierende Entscheidungen dadurch zu verhindern, dass einem Organ allein die Kompetenz zugewiesen wird, eine Rechtsfrage für alle anderen Organe verbindlich zu entscheiden,99 so erscheint die Kompetenz der Zivilgerichte zur Entscheidung über die Baurechtmäßigkeit eines Bauvorhabens zweifelhaft: Die Funktion baubehördlicher Entscheidungen, Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, wird durch die Möglichkeit, einer solchen Entscheidung im Wege einer quasinegatorischen Klage zuvorzukommen und eventuell durch Vollstreckung des Urteils bereits vollendete Tatsachen zu schaffen, nicht weniger in Frage gestellt, als durch ein zeitlich späteres abweichendes Urteil der Zivilgerichte. In der Literatur wird zwar angenommen, dass aus der Tatsache, dass ein bestimmter Verwaltungsakt im Falle seines Erlasses Bindungswirkung entfalten würde, noch nicht notwendig folgt, dass anderen Entscheidungsträgern die Kompetenz fehlt, insoweit die als Vorfrage für die eigene Entscheidung notwendigen rechtlichen Feststellungen selbst zu treffen (sog. Vorfragekompetenz).100 Entscheidend für den Ausschluss der Kompetenz der Zivilgerichte zur Entscheidung über die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem materiellen Baurecht ist hier jedoch, dass die Zivilgerichte im Rahmen quasinegatorischer Klagen über die Frage entscheiden, ob das Bauvorhaben errichtet werden darf bzw. beseitigt werden muss. Bei der Entscheidung über die Baurechtmäßigkeit bzw. Baurechtswidrigkeit handelt es sich insofern nicht um eine Vorfrage für eine Entscheidung, die in die alleinige Kompetenz der Zivilgerichte fällt, sondern das Zivilgericht entscheidet über Rechtsfolgen, die von den Baubehörden selbst durch bauordnungsbehördliche Verfügungen angeordnet werden können. Der Hintergrund hierfür ist, dass das Baurecht primär nicht das Verhalten des Bauherrn durch das Verbot bestimmter Tätigkeiten regelt,101 sondern unmittelbar 98
Vgl. auch Oeter, DVBl 1999, 189 (195 f.). Vgl. o. § 16 II. 1. b) im Text zu Fn. 91. 100 Ortloff, NJW 1987, 1665 (1666) unter II. 2. b). 101 Vgl. auch Schapp, (1978), S. 174, 236 f., dessen Annahme, dass die Normen des materiellen Baurechts „zu dem Verhalten des Bauherrn in keiner unmittelbaren Beziehung“ stünden, allerdings zu weitgehend und im Übrigen durch die im erheblichen Umfang erfolgte Freistellung bestimmter Bauvorhaben vom Genehmigungserfordernis überholt ist (vgl. Seidel, NVwZ 2004, 139 (139 r. Sp.): Die Normen „sind nunmehr in erster Linie an den Bauherrn adressiert, der . . . selbst für die Einhaltung der gesetzlichen Standards in Pflicht genommen wird“). Der für den Ausschluss von quasinegatorischen Beseitigungsansprüchen ebenso wie von Schadensersatzansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB entscheidende Gesichtspunkt ist nicht, dass diese Normen in keiner Weise eine Steuerung des Verhaltens des Bauherrn bezweckten, sondern dass die Verletzung dieser „primären Normen“ – auch was die Wiederherstellung des alten „bau99
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Aussagen über den zulässigen baulichen Zustand von Grundstücken trifft. Insofern beschränkt sich die Aufgabe der Baubehörden nicht darauf, die Tätigkeit des unerlaubten Bauens zu unterbinden, deren Folgen allein zivilrechtlich durch Schadensersatz- und Beseitigungsansprüche bewältigt würden, sondern erstreckt sich auch auf die Wiederherstellung eines rechtmäßigen – den Anforderungen des Baurechts entsprechenden – Zustands. Ist Gegenstand der öffentlich-rechtlichen Regelung allein das Verbot einer bestimmten Handlung, so ist es im Hinblick auf das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zwar nicht optimal, wenn die Zivilgerichte als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs in eigenständiger Prüfung einen Gesetzesverstoß feststellen, den die Verwaltungsbehörden später verneinen und auf dieser Grundlage von der Verhängung einer Geldbuße absehen oder – dann allerdings nur für die Zukunft – die Rechtmäßigkeit des Verhaltens im Rahmen einer Genehmigung ausdrücklich feststellen. Dies kann aber im Ergebnis hingenommen werden, weil in jedem der Verfahren jeweils über eine andere Rechtsfolge abschließend entschieden wird: Wird der Gesetzesverstoß im Zivilverfahren rechtskräftig verneint, so ist damit abschließend festgestellt, dass der Beklagte den geltend gemachten Schaden nicht ersetzen muss; kann im Ordnungswidrigkeits- oder aber auch im Strafverfahren ein solcher Verstoß nicht festgestellt werden, so ist über die Frage der staatlichen Sanktionierung des Verhaltens abschließend entschieden. Für den Handelnden, der für sein Verhalten keine ausdrückliche Genehmigung besitzt, verwirklicht sich insofern nur das Risiko eigenverantwortlichen Handelns, das verschiedene in ihren Voraussetzungen und ihrer Feststellung voneinander unabhängige Rechtsfolgen nach sich ziehen kann. Im Unterschied dazu würde auf der Grundlage einer Beurteilung der Baurechtmäßigkeit bzw. Baurechtswidrigkeit eines Bauvorhabens weder im Zivilprozessverfahren, in dem über die quasinegatorische Klage des Nachbarn zu befinden ist, noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren abschließend über eine Rechtsfolge entschieden werden können. In beiden Verfahren könnte die (weitere) Durchführung des Bauvorhabens untersagt bzw. dessen Beseitigung angeordnet werden. Die Feststellung des Zivilgerichts, dass das Bauvorhaben den Vorschriften des öffentlichen Baurechts entspricht, könnte von den Verwaltungsbehörden nicht nur im Hinblick auf andere mögliche Folgen des Normverstoßes, sondern in Bezug auf dieselbe Rechtsfolge der Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes korrigiert werden. Da auf diese Weise die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bauherrn in einer nicht mit dem Rechtsstaatprinzip zu vereinbarenden Weise geschwächt würden, kann dem Zivilgericht nicht die Befugnis zustehen, eigenständig über die Baurechtswidrigkeit zu entscheiden. Die rechtsgemäßen“ Zustandes anbetrifft – ausschließlich behördliche (und nicht zivilgerichtliche) Sanktionen und Maßnahmen zur Folge hat.
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Kompetenz in Bezug auf die Frage, ob ein Bauvorhaben errichtet werden darf bzw. beseitigt werden muss, d. h. die Befugnis, über die Einhaltung der Bestimmungen der Vorschriften des öffentlichen Baurechts zu entscheiden, steht vielmehr allein den Verwaltungsbehörden (und den Verwaltungsgerichten, soweit ihnen die Kontrolle der behördlichen Entscheidungen obliegt) zu. Die Ausrichtung des materiellen Baurechts als Entscheidungsmaßstab auf die ausschließliche Entscheidungskompetenz tritt besonders deutlich bei den Bestimmungen über Ausnahmen und Befreiungen (Abweichungen) zu Tage. Diese Normen sind nicht materiell, sondern aus der Sicht des Entscheidungsträgers als Entscheidungsnormen formuliert: Es heißt insoweit nicht, dass unter bestimmten Umständen von Anforderungen des Baurechts abgewichen werden kann, sondern dass „die Genehmigungsbehörde Abweichungen von Anforderungen“ des Baurechts zulassen kann. Dadurch wird bereits in der eine Abweichung zulassenden Norm verdeutlicht, dass die verbindliche Entscheidung, ob eine Fallgestaltung vorliegt, die eine Abweichung zulässt, von der Baubehörde (und gegebenenfalls den Verwaltungsgerichten) als staatlichem Entscheidungsträger zu treffen ist. Durch die Zulassung von Abweichungen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es nicht möglich ist, durch abstrakt-generelle Normen, die die Anforderungen an Bauvorhaben zum Teil bis auf den Zentimeter genau festlegen, eine Regelung zu treffen, die allen in der Realität auftretenden Sonderfällen gerecht wird.102 Vergegenwärtigt man sich dies, wird deutlich, dass durch die Bewilligung einer Abweichung nicht das bestehende materielle Baurecht partiell aufgehoben wird, sondern – genauso wie bei einer einfachen Baugenehmigung – nur festgestellt wird, dass das Bauvorhaben den Anforderungen, die nach dem Maßstab des materiellen Baurechts in diesem speziellen Einzelfall zu stellen sind, genügt. Ergibt sich der Entscheidungsmaßstab für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens erst gemeinsam aus den „materiellen“ Normen und den Bestimmungen über die Möglichkeit von Befreiungen, so kann eine abschließende Beurteilung der Baurechtswidrigkeit bzw. Baurechtsmäßigkeit eines Bauvorhabens nur durch die Baubehörden erfolgen, denen die Ermessensentscheidung über die Bewilligung einer Abweichung vorbehalten ist. Das Zivilgericht könnte allenfalls entscheiden, dass ein Bauvorhaben jedenfalls deshalb rechtswidrig ist, weil nicht einmal die Voraussetzungen für eine Abweichung vorliegen, die das Ermessen der Baubehörden erst eröffnen würden.103 Dies kann aber schon deshalb kaum überzeugen, weil sich diese Voraussetzungen kaum von den die Ermessensentscheidung leitenden Gesichtspunkten unterscheiden lassen.104 Vgl. Böckenförde, in: Gädtke u. a., BauO NRW11 (2008), § 73 Rn. 1. Vgl. Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), Einl. II 3. a. E. (S. 7 o.): „so daß der Nachbar . . . im Ergebnis kaum mehr als die Einhaltung der Dispensvoraussetzungen verlangen könnte“. 104 Treffen in einer Norm unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessen (sog. „Koppelungsvorschriften“ oder „Mischtatbestände“) aufeinander, so ist es in vielen Fällen 102 103
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Die überwiegende Meinung sieht im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung die Möglichkeit einer Befreiung nicht als immanente Beschränkung der nachbarschützenden Vorschriften an. Diese werden vielmehr isoliert als Grundlage eines subjektiven Privatrechts des Nachbarn angesehen: Durch die Entscheidung der Baubehörde, eine Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften zu bewilligen, wird nicht die von Anfang an vorhandene immanente Beschränkung dieses Rechtes realisiert, sondern dem Nachbarn das Recht konstitutiv entzogen;105 er wird nach altem Eigentumsverständnis – im öffentlichen Interesse oder in dem des Bauherrn – enteignet.106 Dementsprechend wird eine quasinegatorische Klage, solange eine entsprechende Befreiung nicht erteilt worden ist, in vollem Umfang für begründet erachtet. Ein nachträglich erteilter Dispens soll vom Vollstreckungsschuldner im Wege der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend zu machen sein.107 Diese Sichtweise kann aus den soeben angeführten Gründen nicht überzeugen: Soweit die Voraussetzungen einer Befreiung vorliegen und diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu erteilen ist, kommt eine Verletzung von Nachbarrechten nicht in Betracht, weil die nachbarschützende Norm, die als Grundlage des subjektiven Rechts des Nachbarn dient, von vornherein immanent beschränkt ist.108 Dem Nachbarn wird kein ihm ursprünglich zustehendes Recht entzogen, sondern es wird festgestellt, dass sein Recht im konkreten Fall nicht so weit reicht, der von der Norm bezweckte Schutz nach den Umständen des sowohl möglich davon auszugehen, dass bereits bei der Subsumtion unter den unbestimmten Rechtsbegriff alle für die Ermessensausübung bestimmenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, so dass für das Ermessen nichts „übrig“ bleibt (sog. „Ermessensschwund), als auch anzunehmen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff einen ermessensleitenden Gesichtspunkt bestimmt und daher dem Ermessen zuzurechnen sei; vgl. allgemein zu dieser Problematik Maurer, Allg. Verwaltungsrecht17 (2009), § 7 Rn. 48 ff. mit Beispielen aus der Rspr.; siehe insb. auch Starck, FS Sendler (1991), 167 (168), der zu Recht darauf hinweist, dass sich Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff durch einfachste Umformulierungen gegeneinander austauschen lassen; zur Austauschbarkeit von Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriff vgl. ferner die Nachweise bei Brohm, JZ 1995, 369 (373 Fn. 35). 105 Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 241: „. . . ist der . . . Anspruch des Nachbarn nachträglich entfallen.“ Sowie in Bezug auf Ausnahmebewilligungen: „Ist . . . die Abweichung von einer besonderen Genehmigung . . . abhängig gemacht, so bleibt die mit der Ausnahmeermächtigung belastete . . . Vorschrift auch innerhalb des Ausnahmetatbestandes zwingend, solange die Bewilligung nicht erteilt ist.“ 106 Diese Vorstellung tritt am deutlichsten bei Rüfner, DVBl 1963, 609 (613) zu Tage: „Auch bei einem dringenden öffentlichen Interesse oder einer besonders großen Härte für den Bauherrn ist es der Behörde nicht erlaubt, durch Wertminderung des Nachbargrundstücks Abhilfe zu schaffen. Im ersten Falle läge einer Vermögensentziehung zugunsten der Allgemeinheit vor, im zweiten einer Wertverschiebung zwischen Privaten, die der Behörde nicht zusteht.“ (Hervorh. d. Verf.). 107 Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 241. 108 Vgl. bereits Kemnade, Rechtsschutz des Nachbarn (1965), Einl. II 3. a. E. (S. 7 o.).
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Einzelfalls nicht erforderlich bzw. nicht geboten ist. Durch die Gewährung eines quasinegatorischen Anspruchs gegen ein Vorhaben, für das unter Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften eine Baugenehmigung erteilt werden kann, aber noch nicht erteilt wurde, würde dem Nachbarn daher mehr Schutz zugesprochen, als ihm nach dem Maßstab des materiellen Baurechts zusteht. Gegen einen solchen Anspruch spricht schon, dass dem Nachbarn auf diese Weise mehr Rechtsmacht eingeräumt würde als der Baubehörde:109 Ihr ist es von vornherein verwehrt, die Beseitigung eines Bauvorhabens zu verfügen, wenn sie dieses nach pflichtgemäßem Ermessen unter Erteilung einer Befreiung genehmigen kann.110 Der Nachbar kann keine weitergehende Position haben.111 Hielte man das Zivilgericht für befugt, eigenständig über die Übereinstimmung von Bauvorhaben mit dem materiellen Baurecht zu befinden, so hätte dies zudem zur Konsequenz, dass eine nach dem Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung des Zivilprozesses ergangene Baugenehmigung nicht mehr berücksichtigt werden könnte. Weder eine nach diesem Zeitpunkt erlassene „einfache“ Baugenehmigung, noch eine solche, die Abweichungen von nachbarschützenden Vorschriften erlaubt, begründet eine materiell-rechtliche Einwendung im Sinne des § 767 ZPO,112 die den Anspruch nachträglich entfallen lässt. Durch die Baugenehmigung wird nicht der bisher vorhandene Abwehranspruch des Nachbarn nachträglich vernichtet, sondern es wird – inso109 Vgl. die allgemeinen Überlegungen von Evers, JuS 1962, 87 (91): „Da der Nachbar aber sein Recht auf Einhaltung des Bebauungsplanes durch die Verwaltung gerade nicht mehr gegen die Verwaltung durchsetzen kann, ist es seiner wesentlichen Funktion entkleidet. Gegenüber dem Bauherrn kann er keine stärkere Position haben; auch er muß den Bau dulden.“ 110 Vgl. Heintz, in: Gädtke u. a., BauO NRW11 (2008), § 61 Rn. 69; vgl. auch den Wortlaut der § 65 LBauO BW, Art. 82 LBauO Bay., § 69 LBauO Berl., § 74 LBauO Bbg., § 82 Abs. 1 LBauO Brem., § 76 S. 1 LBauO Hamb., § 72 Abs. 1 S. 1 LBauO Hess, § 80 Abs. 1 S. 1 LBauO MV, § 81 S. 1 LBauO RP, § 82 Abs. 1 LBauO Saarl., § 80 S. 1 LBauO Sa, § 84 Abs. 3 S. 1 LBauO LSA, § 86 Abs. 1 S. 1 LBauO SH, § 77 S. 1 LBauO Thür.: Die Baubehörden können die Beseitigung der Anlagen anordnen, „wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können“. 111 Abweichend Seidel, NVwZ 2004, 139 (145), der dem Nachbarn „den privatrechtliche[n] Nachbarschutz über den quasinegatorischen Abwehranspruch“ als die „sinnvollere Alternative“ empfiehlt, „wenn eine nachträgliche Abweichungszulassung bzw. eine Dispenserteilung, die der bisherigen Nachbarrechtsverletzung den Boden entziehen würde, im Bereich des rechtlich Möglichen liegt.“ Wird noch während des Zivilprozesses ein Dispens erteilt, soll die Klage dadurch zwar unbegründet werden, der beklagte Bauherr jedoch gemäß § 91a ZPO die Kosten zu tragen haben. Dies ist i. E. aus den im Text angeführten Gründen unhaltbar; es wird allerdings nicht mit letzter Sicherheit deutlich, ob Seidel dies als das rechtlich zutreffende Ergebnis betrachtet, oder ob er rechtsschutzsuchenden Nachbarn nur auf Grundlage der vorhandenen Gerichtspraxis zu einem bestimmten Vorgehen raten will. 112 Anderer Ansicht Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 241 ff. (für den Dispens, eine „einfache“ Baugenehmigung hat nach der Ansicht Timmermanns (ebd. S. 235 ff.) ohnehin keinen Einfluss auf die quasinegatorischen Ansprüche des Nachbarn).
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weit abweichend von der Auffassung des Zivilgerichts – festgestellt, dass ein solcher Anspruch bzw. die materielle Baurechtswidrigkeit als dessen zentrale Voraussetzung von Anfang an nicht vorliegt. Hinsichtlich der nachträglichen Erteilung einer „einfachen“ Baugenehmigung ist dieses Ergebnis auch für diejenigen zwingend, die an der gestaltenden Wirkung Abweichungen zulassender Baugenehmigungen festhalten.113 Nach ihrer Ansicht zeichnen sich „einfache“ Baugenehmigungen gerade dadurch aus, dass sie die materielle Baurechtslage nicht ändern, sondern nur feststellen. Die Annahme einer nur feststellenden Wirkung schließt es aber aus, die Baugenehmigung als eine Einwendung anzusehen, die den materiellen Anspruch nachträglich entfallen lässt. Der dem Dogma der statischen Rechtsbetrachtung, dass die Baugenehmigung die materielle Baurechtslage nicht ändert, sondern nur feststellt, zugrunde liegende richtige Gedanke ist, dass es sich bei der Baugenehmigung selbst um keine Tatsache handelt, die nach dem Entscheidungsmaßstab des materiellen Rechts von Bedeutung ist, sondern um eine – allerdings verbindliche – Entscheidung aufgrund dieses Entscheidungsmaßstabes. Dies trifft aber genauso auf die angeblich „gestaltenden“ Baugenehmigungen zu: auch sie enthalten nur die verbindliche Entscheidung, dass das Bauvorhaben dem – durch die Vorschriften über Abweichungen flexibler gestalteten – Maßstab des materiellen Baurechts entspricht. Selbst wenn man – um unhaltbare Ergebnisse zu vermeiden – die nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung aufgrund deren Legalisierungswirkung als Einwendung im Sinne des § 767 ZPO behandeln würde, besteht immer noch die Gefahr, dass der Kläger einer auf eine nachträgliche Baugenehmigung gestützten Vollstreckungsgegenklage zuvorkommt. Mag dies in der Praxis auch unwahrscheinlich sein, so wirft es doch in aller Deutlichkeit die Frage auf, welchen rechtlichen Wert ein Urteil haben kann, das auf einer eigenständigen, d. h. eine Entscheidung der Baubehörden nicht abwartenden Beurteilung der Zivilgerichte beruht. Es bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder wartet der Kläger die Entscheidung der Baubehörden114 nicht ab und kommt dadurch eventuell tatsächlich der Erteilung einer Baugenehmigung zuvor, indem er vollendete Tatsachen schafft. Dass dies ein rechtlich wünschenswertes Ergebnis ist, muss bezweifelt werden, da der Beklagte im Falle der Erteilung der Baugenehmigung das gerade beseitigte Gebäude wieder errichten dürfte. Die Alternative ist, dass der Kläger die Vollstreckung bis zum Abschluss des baurechtlichen Genehmi113
Vgl. o. § 16 II. 1. b) Fn. 86. Bzw. der Verwaltungsgerichte; vgl. insoweit Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 241, dessen Annahme, dass die Begründetheit der quasinegatorischen Klage – wenn die Zivilgerichte das Verfahren nicht nach § 148 ZPO aussetzen – von der Zufälligkeit abhängen soll, ob während eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, in dem über Anfechtung des Dispenses durch den Nachbarn entschieden werden soll, der Suspensiveffekt hergestellt oder wieder aufgehoben wurde. 114
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gungsverfahrens aufschiebt, was zur Folge hat, dass aufgrund der Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage der Bestand des vollstreckbaren Urteils dann doch von der Entscheidung der Baubehörde abhängt und die im Erkenntnisverfahren vorgenommene eigene Prüfung des Zivilgerichts wertlos wird. Deutlich wird hierdurch eines: Die Möglichkeit der Baubehörden, jederzeit verbindlich durch eine Baugenehmigung über die Übereinstimmung eines Bauwerks mit dem öffentlichen Baurecht zu entscheiden und auf diese Weise selbst bereits errichtete Gebäude noch nachträglich zu „legalisieren“, schließt es aus, dass Zivilgerichte über quasinegatorische Nachbarklagen urteilen, ohne eine verbindliche Entscheidung der Baubehörden abzuwarten. Aufgrund der ausschließlichen Entscheidungskompetenz der Baubehörden über die Einhaltung der Baurechtsnormen müssten die Zivilgerichte, wenn man quasinegatorische Klagen auf diesem Gebiet für zulässig hielte, den Prozess abweichend von § 148 ZPO, der insoweit die Entscheidung in das Ermessen des Gerichtes stellt, zwingend bis zu einer abschließenden Entscheidung der Baubehörden aussetzen.115 b) Keine Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte hinsichtlich der Folgen der Baurechtswidrigkeit Die ausschließliche Zuständigkeit der Baubehörden zur Beurteilung der Übereinstimmung von Bauvorhaben mit dem materiellen öffentlichen Baurecht schränkt die Entscheidungsbefugnis der Zivilgerichte bei einer auf nachbarschützende Vorschriften des Baurechts gestützten Klage erheblich ein. Die Gewährung von quasinegatorischen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen könnte demgemäß nur die Funktion haben, dem Kläger eine von dem Entschluss der Baubehörde unabhängige Möglichkeit des Einschreitens gegen baurechtswidrige Vorhaben zu geben. Anders als auf die Aufhebung einer Baugenehmigung, die ein nachbarschützende Vorschriften verletzendes Bauvorhaben genehmigt, hat der Nachbar nach h. M. auf ein tatsächliches Einschreiten der Baubehörden gegen ein solches Vorhaben grundsätzlich nur ein formelles subjektiv-öffentliches Recht, also einen Anspruch darauf, dass die Behörden das ihnen zustehende Ermessen fehlerfrei ausüben.116 In Teilen der Literatur – vor allem der öffentlich-rechtlichen – wird dies als Rechtsschutzdefizit bzw. Durchsetzungsschwäche des öffentlichen Rechts angesehen. Als Mittel zum Ausgleich dieses Defizits wird die Gewäh115 Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 241 geht davon aus, dass das Zivilgericht – ohne dazu verpflichtet zu sein (vgl. ebd. Fn. 39) – „von der in § 148 ZPO in sein Ermessen gestellten Möglichkeit Gebrauch machen wird“, bis über die Anfechtung eines Dispenses verwaltungsgerichtlich entschieden ist. 116 Vgl. nur Bönker in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht3 (2004), § 18 Rn. 100.
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rung quasinegatorischer Ansprüche vorgeschlagen, die den Kläger aus der Abhängigkeit von der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde befreien würden.117 Von manchen Vertretern des Schrifttums wird die Gewährung solcher Ansprüche aber gerade auch als Instrument begriffen, den Verwaltungsbehörden den Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage des Einschreitens zu erhalten.118 Insbesondere sollen die Behörden ein Eingreifen zugunsten des Nachbarn unter Hinweis auf dessen quasinegatorische Ansprüche rechtmäßig ablehnen können. Insoweit soll eine Reduzierung des behördlichen Ermessens seltener in Betracht kommen.119 Noch weiter gehen diejenigen, die aufgrund der Möglichkeit quasinegatorischen Rechtsschutzes ein subjektives Recht auf behördliches Einschreiten generell ablehnen. Neben den zivilrechtlichen Ansprüchen sei die Gewährung subjektiver Rechte gegen die Behörde im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht – insbesondere auch nicht verfassungsrechtlich – geboten.120 Bei der Frage, ob dem Nachbarn eine von dem Ermessen der Baubehörde unabhängige Möglichkeit des Einschreitens gegen baurechtswidrige Vorhaben zustehen soll, ist man, was die Motivation für die Gewährung quasinegatorischer Ansprüche betrifft, am Kern des Problems angelangt. Im größeren Zusammenhang gesehen geht es bei der Gewährung solcher Ansprüche um die Frage, 117 Vgl. Seidel, NVwZ 2004, 139 (141 ff.): „Schutzansprüche vermögen den Nachbarn . . . nur begrenzt zu sichern, sofern es bei einem behördlichen Entscheidungsspielraum bleibt.“; Dolderer, DVBl 1998, 19 (26): „entscheidende Schwäche“; Fritzsche, NJW 1995, 1121 (1125): „Vollzugsdefizit“; auch H. Roth, Jahrbuch des Umwelt- und TechnikR 1990, 329 (340): „Der . . . Anspruch gegen die Behörde kann in aller Regel nicht ebenso ,schneidig‘ durchgesetzt werden, wie ein dasselbe Ziel verfolgender Anspruch des Bürgerlichen Rechts . . . Das bedeutet zunächst das ,Ermessensproblem‘: Ein mühsam erstrittenes Bescheidungsurteil . . . gibt dem Bürger in aller Regel Steine statt Brot. . . . In der Sache ergibt sich für den gestörten Bürger gegenüber dem Zivilrechtsweg eine deutliche Verkürzung des Rechtsschutzes“; Hagen, ZfIR 1999, 413 (417): „empfindliche Rechtsschutzlücken . . ., die von den Zivilgerichten geschlossen werden können und geschlossen werden müssen“; Manssen, Privatrechtsgestaltung (1994), S. 107: „Stein statt Brot“. 118 Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); Sarnighausen, NJW 1993, 1623 (1625): „Handlungsfreiheit der vollziehenden Gewalt . . . darf auch durch übertriebene Beckmesserei der Gerichte nicht über Gebühr eingeengt werden“; vgl. auch Dürr, DÖV 1994, 841 (853). 119 Kraft, BayVBl 1992, 456 (460): „. . . eine Ausdehnung der Folgenbeseitigung nicht geboten, da nach Aufhebung der Baugenehmigung ein unmittelbarer deliktischer Beseitigungsanspruch im Verhältnis Nachbar–Bauherr . . . besteht“; Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); vgl. auch Schmidt-Aßmann, FS 600-Jahr-Feier Uni Heidelberg (1986), 108 (132 f.); Schmidt-Aßmann, DVBl 1987, 216 (220 f.): Die behördliche Interessenverfolgung „steht unter der Leitung des Opportunitätsprinzips und muß es bleiben. Folglich sollte eher darüber nachgedacht werden, die Fallgruppe der Nachbarverpflichtungsklage in einen zivilrechtlichen Nachbarstreit zurückzuverlagern“. 120 Vgl. Schwerdtfeger, NVwZ 1983, 199 (201); Oeter, DVBl 1999, 189 (194 r. Sp. u., 195); vgl. auch Kraft, BayVBl 1992, 456 (461); Maunz, BayVBl 1977, 135 (139); Steinberg, NJW 1984, 457 (462).
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inwieweit man im Hinblick auf rechtsstaatliche Gesichtspunkte bereit ist, eine Befugnis der Verwaltungsbehörden zu letztverbindlichen, gerichtlich nicht oder nur beschränkt überprüfbaren Entscheidungen zu akzeptieren. Die Gewährung subjektiver öffentlicher Nachbarrechte ist im Zusammenhang mit der Tendenz des Abbaus gerichtlich nicht überprüfbarer Behördenentscheidungen121 zu sehen. Während Baugenehmigungen im Hinblick auf die Verletzungen von nachbarschützenden Vorschriften vollständig gerichtlich überprüfbar geworden sind, scheint bei der Frage des tatsächlichen Einschreitens der Baubehörde ein rechtsstaatlich bedenklicher Freiraum zu verbleiben, dem aufgrund des gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Ermessens mit dem Mittel der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht beizukommen ist. Die Baubehörde, die aus sachfremder Motivation an der Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes nicht interessiert ist, scheint immer einen Vorwand finden zu können, mit dem sie gegenüber dem gestörten Nachbarn ihr Nichteinschreiten ermessensfehlerfrei begründen und sich ihrer Pflicht entziehen kann.122 Der Gewährung quasinegatorischer Ansprüche ist damit letztendlich Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber der Entscheidung staatlicher Behörden123 verbunden mit wenig Vertrauen in die Effektivität verwaltungsgerichtlicher Ermessenskontrolle. Dass den Nachbarn gegenüber der Baubehörde nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zusteht, hat seinen Grund darin, dass die Entscheidung, ob (sog. Entschließungsermessen) und welche Maßnahmen (sog. Auswahlermessen) zur Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustandes ergriffen werden, nach der h. M. vom Gesetz in das Ermessen der Behörde gestellt werden.124 Der Inhalt der sich aus diesen Vorschriften für die Behörden ergebenden Pflichten wird dadurch, dass ihnen ein subjektives Recht auf pflichtgemäßes Verhalten gegenübergestellt wird, nicht verändert.125 Streng genommen müsste an dieser 121 Vgl. zu den Entwicklungstendenzen in Rechtsprechung und Rechtslehre, Starck, FS Sendler (1991), 167 (172 f.). 122 Vgl. auch Konrad, BayVBl 1984, 70 (72 Fn. 29): „Will die Behörde den Bau dulden, so können Nachbarrechte ihr diesen Weg vielleicht ein wenig verengen oder versperren, aber eben nie völlig versperren“; vgl. auch Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 327, der dem Nachbarn allerdings durch eine strikten Anspruch auf behördliches Einschreiten (vgl. ebd. Rn. 331 ff., 388) helfen will: „Eine nicht zur Mitwirkung bereite Behörde hat es . . . weitgehend in der Hand auch nach Aufhebung einer Baugenehmigung die Herbeiführung des normgemäßen Zustands . . . zu verhindern, und so den Erfolg des Nachbarrechtsschutzes zu . . . vereiteln.“ 123 Vgl. zu dem „nicht weiter reflektierte[n] Grundmißtrauen gegen die Verwaltung“ als Beweggrund für die Einschränkung des den Behörden eingeräumten Ermessens, Starck, FS Sendler (1991), 167 (172 f.). 124 Anders in Bezug auf das Ermessen der Polizeibehörden Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht11 (2007), Rn. 126 unter Hinweis auf § 14 I i.V. m. § 16 I BGSG: Kein Entschließungsermessen. 125 Steinberg, NJW 1984, 457 (462); Maunz, BayVBl 1977, 135 (137 r. Sp. o.); Bachof, DVBl 1961, 128 (129): „niemals kann der Anspruch des Begünstigten weitergehen als die korrespondierende Verpflichtung“ der belasteten Behörde.
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Stelle allerdings zwischen Befugnis- und Aufgabennormen unterschieden werden: Die Befugnisnorm, die die Behörde dazu ermächtigt, bestimmte Maßnahmen nach ihrem Ermessen zu ergreifen, sagt nichts darüber aus, inwieweit die Behörde auch verpflichtet ist, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen.126 Eine solche Verpflichtung ergibt sich erst aus der Aufgabennorm, die die Baubehörde mit der Überwachung der Einhaltung der baurechtlichen Bestimmungen beauftragt. Allerdings stellen auch die Aufgabennormen die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, in das Ermessen der Behörde.127 Zudem besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Aufgaben und den Befugnissen: Da die Behörden auch im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgabe einer ausdrücklichen gesetzlichen Befugnis bedürfen, um in die Rechte des Einzelnen eingreifen zu können, sind der Aufgabenerfüllung durch die der Behörde zustehenden Befugnisse Grenzen gesetzt. Umgekehrt sind der Behörde die entsprechenden Befugnisse nur zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben verliehen und werden durch diese Zwecksetzung beschränkt. Die Einräumung von Ermessen hat zunächst die Bedeutung, dass die Entscheidung durch das Gesetz nur unvollständig determiniert wird.128 Bei Vorliegen des Tatbestandes soll nicht eine vom Gesetz bestimmte Rechtsfolge zwingend eintreten, sondern nach den besonderen Umständen des Einzelfalls gegebenenfalls unter Abwägung aller beteiligten Interessen die Rechtsfolge gewählt werden, die dem Zweck der Ermächtigung am besten gerecht wird.129 In Bezug auf das Ermessen der Baubehörden impliziert dies, dass ein Verstoß gegen das materielle Baurecht nicht zwingend die behördliche Anordnung gesetzlich festgelegter Maßnahmen – insbesondere nicht des Abrisses eines Gebäudes – zur Folge haben soll, sondern dass nach den Umständen des Einzelfalls über die zu ergreifenden Maßnahmen zu befinden ist. Bei der Ermessensentscheidung handelt es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung, d. h. es soll nicht irgendeine der vom Gesetz zur Auswahl gestellten Rechtsfolgen bestimmt werden,130 sondern diejenige, die dem Zweck der Ermächtigung am meisten gerecht wird, und somit die rechtlich richtige131 ist. Vgl. auch Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht11 (2007), Rn. 126, 131, der auf die Bedeutung der Trennung von Aufgabe und Befugnis für den Anspruch auf behördliches Einschreiten hinweist. 127 Nachweise der Aufgabennormen in den Bauordnungen der einzelnen Bundesländer o. § 16 I. 1. in Fn. 10. 128 Vgl. Starck, FS Sendler (1991), 167 (167, 170 f.); Hain/Schlette/Schmitz, AöR 122 (1997), 32 (37). 129 Vgl. Starck, FS Sendler (1991), 167 (167, 170 f.). 130 Siehe Starck, FS Sendler (1991), 167 (168): „nicht irgendein blankes Ermessen, nach dem die Behörde entscheiden oder auswählen kann, wie sie will“. 131 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr9 (1986), § 24 2., S. 373: „Ziel der Ermessensausübung ist die – verwaltungsmäßig – richtige Entscheidung. Auch dies ist eine rechtliche Bindung.“ 126
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Das Dogma, das es nur eine einzige rechtlich richtige Entscheidung gibt, beansprucht als „regulative Idee“132 bei Ermessenentscheidungen nicht weniger Geltung als bei Entscheidungen, die von der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe abhängig sind. Ermessensentscheidungen zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass die verbindliche Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabes nicht nur durch die (höchstrichterliche) Rechtsprechung, sondern auch durch die Verwaltungsbehörden erfolgt.133 Wird der Inhalt unbestimmter Rechtsbegriffe in letzter Konsequenz durch die Gerichte der höchsten Instanz bestimmt, die das Urteil der Behörden und der Gerichte unterer Instanzen darüber, was die rechtlich einzig richtige Entscheidung ist, durch ihr eigenes Urteil ersetzen können, so können die Verwaltungsgerichte die im Rahmen von Ermessenentscheidungen erfolgende Rechtskonkretisierung nur nachvollziehen und auf Fehler kontrollieren, ohne aber ihre eigene Bewertung an die Stelle derjenigen der Verwaltungsbehörde zu setzen.134 Die Bestimmung, dass eine Entscheidung nach Ermessen der Behörden zu fällen ist, trifft somit auch eine Aussage über die Verteilung von Kompetenzen zwischen Verwaltungsgerichten und Verwaltungsbehörden,135 denen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens eine Zuständigkeit zu letztverantworteter, durch Gerichte nicht korrigierbarer Gesetzeskonkretisierung zusteht. Sofern den Verwaltungsbehörden vom Gesetz die Kompetenz zugestanden wird, innerhalb eines bestimmten Rahmens letztverbindlich zu entscheiden, ob eine Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften dazu führt, dass eine Beseitigung des Bauvorhabens rechtlich erforderlich ist, kann man diese gesetzgeberische Entscheidung nicht einfach dadurch korrigieren, dass man die Entscheidung der Baubehörden, nach der eine Beseitigung des baurechtswidrigen Zustands nicht geboten ist, ignoriert136 und durch eine zivilgerichtliche Entscheidung ersetzt.137 Es soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass die 132 Siehe Alexy, JZ 1986, 701 (715 f.) (mit Nachweisen der rechtstheoretischen Literatur zur Frage, ob es eine „einzig richtige“ Entscheidung geben kann, in Fn. 138), der jedoch nicht explizit dazu Stellung nimmt, ob dieses Dogma auch bei Ermessensentscheidungen Geltung beansprucht. 133 Bullinger, JZ 1984, 1001 (1006). 134 Vgl. Alexy, JZ 1986, 701 (714), der zwischen einer „positiven“ und einer „negativen“ Kontrolle der Verwaltungsentscheidungen unterscheidet. Gegenstand der positiven Kontrolle „ist allein, ob die rechtlich einzig richtige Entscheidung getroffen wurde.“ Das Verwaltungsgericht ersetzt dabei die (fehlerhafte) Entscheidung der Verwaltung durch diejenige die nach seiner Auffassung die einzig richtige ist. Bei der „negativen“ Kontrolle überprüft das Gericht hingegen nicht das Ergebnis an sich, sondern nur, ob in den Entscheidungsprozeß der Behörde bestimmte Fehler (Ermessensfehler) vermieden wurden. 135 Starck, FS Sendler (1991), 167 (172 bei Fn. 19); Ossenbühl, DÖV 1976, 463 (464): „Ermessen und Beurteilungsspielraum sind nichts anderes als eingefahrene Topoi für die Grenzmarkierung der Demarkationslinie, die zwischen zweiter und dritter Gewalt verläuft.“ 136 Vgl. Dolderer, DVBl 1998, 19 (26): Das private Nachbarrecht „überwindet behördliche Ermessensvorbehalte“ (Hervorh. d. Verf.).
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Entscheidung des Verzichts auf ein behördliches Einschreiten in der Praxis mehr oder weniger häufig durch sachfremde, namentlich wirtschaftliche Motive, bestimmt wird. Solchen – zunächst einmal rein faktischen – Missständen kann man aber nicht dadurch begegnen, dass man einfach einem weiterem Organ, in dessen Unabhängigkeit man ein größeres Vertrauen hat, eine Entscheidungskompetenz einräumt, mit der Konsequenz, dass der Bauherr in seinem Bestandsinteresse erst dann geschützt wird, wenn weder Verwaltungsbehörden noch Zivilgerichte die Rechtsfolge der Beseitigung für angemessen halten. Der rechtlich richtige Weg zur Beseitigung solcher Missstände ist durch die Erkenntnis, dass durch die Einräumung von Ermessen vor allem die Zuständigkeitsverteilung zwischen Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten berührt ist, bereits gewiesen. Ihnen ist durch eine effektive – gegebenenfalls strengere – verwaltungsgerichtliche Kontrolle zu begegnen, die auch im Rahmen der im Hinblick auf Ermessensentscheidungen eingeschränkten Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte möglich ist. An dieser Stelle reicht es aus, darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsgerichte eine auf sachfremden Erwägungen beruhende Ermessensentscheidung aufheben können und müssen. Dass der Kläger vor Gericht scheitert, weil im Prozess die wahre Sachlage nicht erkannt wird, ist ein übergreifendes, das gesamte Rechtssystem betreffendes Problem, das jedenfalls nicht durch eine beliebige Vermehrung von Rechtsschutzmöglichkeiten beseitigt werden kann. Allein Gegenstand und Funktion des den Baubehörden eingeräumten Ermessens können darüber entscheiden, ob es den Zivilgerichten möglich ist, ungeachtet dessen dieselbe Rechtsfolge als Inhalt eines zivilrechtlichen Urteils anzuordnen. Nur wenn der Zweck der Einräumung von Ermessen darin liegt, den Behörden einen Freiraum für taktische Überlegungen138 oder zur Verwirk137 In diesem Sinne auch Bender/Dohle, Nachbarschutz (1972), Rn. 122: „Ihr [der Behörde] ist . . . ein Entschließungsermessen eingeräumt . . . Dem entspricht es, daß nachbarschützende Normen des öffentlichen Baurechts . . . prinzipiell nicht zu einem privatrechtl., sondern zu einem öff.-rechtl. Anspruch des N [des Nachbarn] führen.“ Die von Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 54 (vgl. a. S. 115) gegen eine „Ausklammerung“ des behördlichen Ermessens geltend gemachten Bedenken („grundsätzlicher Wertungswiderspruch), werden letztendlich (ebd. S. 144) mit der Erwägung abgetan, es würde „gerade dem Sinn und Zweck des § 823 BGB“ entsprechen, „daß der Nachbar die ihn schützenden Vorschriften . . . ohne Rücksicht auf die Ermessensausübung der Behörde durchsetzen kann.“ Die Erwägung Kleinleins, „der notwendig entstehende Widerspruch zu den verfahrensrechtlichen Wertungen des öffentlichen Rechts“ ließe sich nicht korrigieren, weil die Voraussetzungen einer gesetzesübersteigernden Rechtsfortbildung nicht vorlägen, verkehrt die Tatsachen: Die Gewährung der quasinegatorischen Ansprüche, nicht der den Wertungswiderspruch vermeidende Verzicht auf sie, ist eine Rechtsfortbildung. 138 Zum „taktischen Ermessen“ (in erster Linie der Polizeibehörden) vgl. Bullinger, JZ 1984, 1001 (1007); Ossenbühl, DÖV 1976, 463 (468): Polizeiliche Taktik kann es gebieten, von einem Einschreiten abzusehen; Brohm, JZ 1995, 369 (371 f.); Waechter, VerwArch 88 (1997), 298 (306 f., 317 ff.).
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lichung eigener Zielvorstellungen zu gewähren, ist es denkbar, dass auch die Zivilgerichte über die Rechtsfolge der Beseitigung entscheiden. In diesem Fall würden sich die Entscheidungen der Baubehörden nur auf die Frage beziehen, ob ihre eigenes Einschreiten opportun ist und keine Aussage darüber treffen, ob der baurechtswidrige Zustand im Hinblick auf die Interessen des Bauherrn und der Nachbarn zu dulden ist oder beseitigt werden muss. Einzig ein in dieser Weise beschränkter Aussagegehalt der behördlichen Entscheidung würde die Möglichkeit einer ergänzenden Tätigkeit des Zivilgerichts eröffnen: Die Baubehörde entschiede im Kern nur darüber, ob ein Einschreiten mit den ihr eigenen Mitteln aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist, und ließe damit Raum für eine zivilrechtliche Auseinandersetzung darüber, ob ein Einschreiten im privaten nachbarlichen Interesse geboten ist. Anders verhält es sich jedoch, wenn das Ermessen in erster Linie der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit,139 also vor allem der Vermeidung unbilliger Härten für den Bauherrn dient. Gegenstand der Ermessenentscheidung wäre in diesem Fall die Frage, ob die Rechtsfolge der Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes als solche angemessen ist. Zivilgerichtliche Entscheidungen über die Rechtsfolge der Beseitigung müssten ausgeschlossen sein, weil durch sie in die den Baubehörden vorbehaltene Entscheidungskompetenz eingegriffen würde. Um zu zeigen, dass quasinegatorischer Rechtsschutz auch in der hier noch allein in Frage stehenden eingeschränkten Funktion nicht in Betracht kommt, ist daher nachzuweisen, dass die Baubehörden im Rahmen der Entscheidung über ihr eigenes Einschreiten zugleich darüber befinden, ob eine Beseitigung des baurechtwidrigen Zustandes die unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen angemessene Rechtsfolge ist. Voraussetzung dafür ist die Verpflichtung der Baubehörde, im Falle der Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch Anordnung der Beseitigung des Bauwerks einzuschreiten, soweit nicht sachliche Gründe, insbesondere die Vermeidung von Härten für den Bauherrn, dem entgegenstehen. Nur im Fall einer solchen Verpflichtung der Baubehörden kann der Verzicht auf ein Einschreiten als verbindliche Entscheidung begriffen werden, dass die Beseitigung auch unter Berücksichtung des privaten Interesses des Nachbarn nicht in Betracht kommt und von diesem daher geduldet werden muss. Dass die entgegengesetzte Annahme, die Baubehörden würden durch den Verzicht auf den Erlass einer Beseitigungsanordnung nicht verbindlich über die im Verhältnis zwischen Bauherrn und Nachbarn geboten Rechtsfolge entscheiden, nicht zutrifft, ist offensichtlich, wenn eine solche Anordnung die Grenzen der Befugnisse der Baubehörden überschreiten würde, weil sie gegenüber dem 139 Siehe zum Ermessen „als Mittel zur Gewährleistung von Einzelfallgerechtigkeit“ Hain/Schlette/Schmitz, AöR 122 (1997), 32 (35); Waechter, VerwArch 88 (1997), 298 (300 ff.); vgl. auch Bullinger, JZ 1984, 1001 (1007 f.).
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Bauherrn unverhältnismäßig wäre. In Fällen, in denen die Anordnung der Beseitigung des Gebäudes zur einer unverhältnismäßigen Belastung für den Bauherrn führen würde, könnte diese Rechtsfolge auch durch das Zivilgericht nicht ausgesprochen werden. Wie bereits oben dargelegt wurde,140 ist auch die Gewährung von quasinegatorischen Ansprüchen mit einem Eingriff in die Grundrechte des Anspruchsgegners verbunden, so dass auch das Zivilgericht an den Verhältnismäßigkeitsmaßstab gebunden ist. Der zum Teil vermittelte Eindruck, dass die Verletzung nachbarschützender Bauvorschriften, die nach öffentlichem Recht aufgrund des Ermessens der Behörde zu milde geahndet werde, zivilrechtlich die strikte Sanktion eines Beseitigungsanspruchs nach sich zieht,141 trügt zumindest in diesen Fällen. So ist auch im Rahmen quasinegatorischer Nachbarklagen anerkannt, dass in Fällen der Verletzung nachbarschützender Vorschriften nicht in jedem Fall die Beseitigung des entsprechenden Bauwerks verlangt werden kann. Für den Bauherrn unverhältnismäßige Ergebnisse sollen durch analoge Anwendung der Vorschriften über den Überbau (§§ 912 ff. BGB)142 bzw. durch Heranziehung zivilrechtlicher Billigkeitsmaßstäbe143 vermieden werden. Nach Auffassung des BGH144 kann sich die Geltendmachung eines quasinegatorischen Anspruchs „als rechts140
s. o. § 9 I. Vgl. Haag, Nachbarrecht (1996), S. 80: „Wertungswiderspruch besteht . . . darin, daß das öffentliche Recht der Verwaltungsbehörde . . . einen Ermessenspielraum einräumt, . . . während das Zivilrecht . . . einen direkten und unbedingten Anspruch gewährt.“ 142 Vgl. Seidel, NVwZ 2004, 139 (143): „Anwendung des § 912 BGB“ ist einzukalkulieren; Meisner/Ring/Götz, Nachbarrecht7 (1986), § 21 Rn. 58 (S. 346 f.); Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 226 ff.; OLG Karlsruhe, NJW 1993, 665 (666); OLG Hamm, BauR 1994, 782 (783); a. A. RGZ 87, 371 (374); ablehnend ferner Picker, AcP 176 (1976), 28 (57 ff.) mit nicht haltbarer Begründung: Die Regelung des § 912 BGB sei allein auf das Eigentum als sachlichen Wert bezogen. Die nachbarschützenden Vorschriften zielten im Gegensatz dazu „auch und sogar primär auf den Schutz persönlichkeitsbezogener Interessen und Bedürfnisse ab.“ Die seltsame Konsequenz dieser Ansicht wäre, dass derjenige, der ein Gebäude auf seinem Grundstück innerhalb der freizuhaltenden Grenzflächen baut, vom Nachbarn auf Beseitigung in Anspruch genommen werden kann, während derjenige, der (wenn kein Grenzabstand einzuhalten ist) über die Grenze auf das Nachbargrundstück baut, sich auf den Schutz der Überbauvorschriften berufen kann. Nicht zu halten ist ferner angesichts des den Baubehörden eingeräumten Ermessens die Annahme, dass „die Beseitigungspflicht die einzige und ausnahmslos angeordnete Rechtsfolge des Gesetzes“ sei (so Picker, ebd. S. 64). 143 Dolderer, DVBl 1998, 19 (26): „Flexibilisierung . . . durch die entsprechende Anwendung des § 251 II BGB“; Kleinlein, System des Nachbarrechts (1987), S. 53 f.: durch Anwendung des § 253 II BGB „ist der privatrechtliche Interessenausgleich sogar flexibler als der des öffentlichen Rechts“; Timmermann, Nachbarschutz (1969), S. 222: „Anspruch entfällt nur ausnahmsweise, wenn der Geschützte an der Beseitigung des schadensstiftenden Zustandes selbst kein schutzwürdiges Interesse hat“; die Anwendung von § 251 Abs. 2 BGB scharf ablehnend dagegen Picker, AcP 176 (1976), 28 (53 f.). 144 BGH, Urt. v. 22.6.1974 – V ZR 107/72, WM 1974, 572 (573). 141
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missbräuchlich erweisen“, „wenn die Herstellung des gebotenen Zustands nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich wäre“. Dies werde „stets unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles und mit dem Blick auf die Vorstellungen des Gesetzgebers über die Zumutbarkeit, wie sie im Schadensersatz- und im Nachbarrecht zum Ausdruck kommen, vom Tatrichter zu bestimmen sein“.145 Dies bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass es sich auch dabei um eine Ermessensentscheidung handelt, nur dass hier das Ermessen des Tatrichters an die Stelle der eigentlich zuständigen Behörde tritt.146 Diese zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen des Bauherrn vorgeschlagenen Lösungen beachten nicht, dass die Entscheidung über den Abriss eines baurechtswidrigen Gebäudes sich weder nach den Vorschriften über den Überbau, noch nach anderen zivilrechtlichen Maßstäben bemisst, sondern nach dem Ermessensmaßstab der entsprechenden Eingriffsnormen der Baurechtsordnungen zu entscheiden ist.147 Letztlich ausschlaggebend für die Zulässigkeit einer ergänzenden Entscheidungszuständigkeit der Zivilgerichte ist, ob die Baubehörden von der Anordnung der Beseitigung baurechtswidriger Zustände auch dann – aus taktischen Erwägungen bzw. wegen fehlenden öffentlichen Interesses – ermessenfehlerfrei absehen können, wenn ihre Befugnisse ein solches Einschreiten zulassen würden, d. h. der Erlass einer Beseitigungsanordnung gegenüber dem Nachbarn ermessensfehlerfrei wäre. Nur unter dieser Voraussetzung ist es denkbar, dass der behördliche Verzicht auf ein Einschreiten nicht auf der Feststellung beruht, dass die Korrektur des baurechtswidrigen Zustandes im Hinblick auf die überwiegenden Interessen des Bauherrn unangemessen ist, und daher über diese Frage zivilgerichtlich noch zu entscheiden ist. Mit der wohl überwiegenden Meinung in Rechtsprechung148 und Literatur149 ist jedoch davon auszugehen, dass die Baubehörden bei einer Verletzung nach145
Ebd. Widersprüchlich insoweit auch Dolderer, DVBl 1998, 19 (26), der zunächst das den Behörden eingeräumte Ermessen als „Schwäche“ des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsschutzes beklagt, sodann jedoch feststellt, dass man „unangemessene Ergebnisse in Einzelfällen“ im Rahmen quasinegatorischer Ansprüche des Nachbarn durch „eine, den behördlichen Ermessensvorbehalten immerhin ähnliche, Flexibilisierung“ vermeiden könne. 147 Vgl. auch Bender/Dohle, Nachbarschutz (1972), Rn. 122, die einen quasinegatorischen Beseitigungsanspruch schon wegen dessen Verschuldensunabhängigkeit als unbillig ablehnen, wenn der (schuldlos herbeigeführte) baurechtswidrige Zustand nach öffentlichem Recht zu dulden ist. 148 OVG Bremen, NVwZ-RR 2002, 488; OVG Münster, NVwZ-RR 2000, 205; OVG Saarlouis, NVwZ 1983, 685; OVG Bautzen, NVwZ 1997, 922; VGH München, NVwZ 1997, 923; OVG Münster, BauR 1990, 341 (342); OVG Münster, BauR 1993, 713 (717), VGH Baden-Württemberg, BauR 1995, 219 (219 ff.). 149 Uechtritz, BauR 1998, 719 (726); Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 388 f.; Hahn in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW43 Lfg. (2002), § 61 Rn. 39, 41, 42e; 146
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barschützender Vorschriften zu einem Einschreiten verpflichtet sind, sofern nicht besondere Gründe gegen die Herstellung des den Anforderungen des Baurechts entsprechenden Zustands sprechen. Der Grund dafür ist, dass ein nicht durch solche Gründe gerechtfertigter Verzicht auf ein Einschreiten mit der Aufgabe der Baubehörden, die Einhaltung der Vorschriften des öffentlichen Baurechts zu gewährleisten (vgl. z. B. § 61 Abs. 1 S. 1 BauO NRW150) unvereinbar und daher ermessensfehlerhaft wäre. Die Entscheidung, von der Anordnung der Herstellung baurechtskonformer Verhältnisse dauerhaft abzusehen, kann zunächst nicht durch taktische Erwägungen151 gerechtfertigt werden. Überlegungen, die begrenzten personellen Ressourcen so einzusetzen, dass das Gesamtmaß von Rechtsverstößen insgesamt minimiert wird,152 können im Hinblick auf Verletzung des materiellen Baurechts keine Rolle spielen. Der baurechtswidrige Zustand von Gebäuden erledigt sich nicht von selbst, sondern bleibt als „Dauergefahr“ bestehen, so dass sich die Frage des Einschreitens immer wieder von neuem stellen würde. Überlegungen, die Baubehörden durch quasinegatorische Ansprüche von der Bewältigung von Nachbarschaftskonflikten zu entlasten, damit sie ihre „eigentlichen Aufgaben“ erfüllen können,153 gehen fehl. Die Einhaltung der Vorschriften des öffentlichen Baurechts zu gewährleisten, ist auch „innerhalb nachbarschaftlicher Verhältnisse“ Aufgabe der Baubehörden. Es wäre höchst befremdlich, die Baubehörden von der Erfüllung dieser ihnen vom Gesetz zugewiesenen Aufgabe zu befreien, indem man diese den – nicht weniger überlasteten – Zivilgerichten überträgt, die nicht die Möglichkeit haben, eine Bearbeitung der Sache einfach abzulehnen, so dass die durch die Zuweisung weiterer Aufgaben gesteigerte Belastung zwangsläufig eine weitere Verlängerung der Verfahrensdauer von Zivilprozessen zur Folge hätte. Finkelnburg/Ortloff, Öff. Baurecht, Bd. 25 (2005), § 19 II 2; Schapp, Nachbarrecht (1978), S. 234 ff.; a. A. Hain/Schlette/Schmitz, AöR 122 (1999), 32 (60 ff.); Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); Kraft, BayVBl 1992, 456 (462); Schmidt-Aßmann, FS 600Jahr-Feier Uni Heidelberg (1986), 107 (133). 150 Die entsprechenden Normen der Bauordnungen der übrigen Bundesländer sind o. in § 16 I. 1. Fn. 10 nachgewiesen. 151 Zum „taktischen Ermessen“ vgl. die Nachweise o. in Fn. 138. 152 Vgl. zu diesbezüglichen Erwägungen in Bezug auf die polizeiliche Generalklausel di Fabio, VerwArch 86 (1995), 214 (222 f.): „Bild der zu kurzen Decke“ – „wenn Gerichte die Polizei zu einem bestimmten Tun an der einen Stelle verurteilen, kann dies bei begrenzten personellen Ressourcen leicht zu Grundrechtsgefährdungen an anderer Stelle führen“; Waechter, VerwArch 88 (1997), 298 (320 ff.). 153 In dieser Richtung aber Überlegungen von Konrad, BayVBl 1984, 70 (72): „Ist eine Verwaltung frei von Überkapazitäten, werden ihre Amtsträger ohne Zurückstellung vorrangiger öffentlicher Aufgaben gar nicht in der Lage sein, solchen quasi-zivilrichterlichen Neigungen nachzugehen.“; vgl. auch Oeter, DVBl 1999, 189 (196 r. Sp.): „Dies wird sich vielfach als eine Arbeitserleichterung auswirken, die zum Freiwerden personeller und sachlicher Mittel führt.“
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Auch ein Verzicht auf ein Einschreiten wegen vermeintlich fehlenden öffentlichen Interesses ist mit der als solcher nicht zur Disposition der Baubehörden stehenden154 Aufgabe, die Einhaltung der Vorschriften des öffentlichen Baurechts zu überwachen, nicht vereinbar. Die Behörden haben über die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften zu wachen, nicht nur darüber, ob durch die Nichtbeachtung ein darüber hinausgehendes öffentliches Interesse verletzt wird. Die zu wahrenden Interessen sind den Behörden durch das materielle Baurecht vom Gesetzgeber vorgegeben. Soweit der Gesetzgeber vorschreibt, dass ein Bauvorhaben zum Schutz des Nachbarn bestimmten Anforderungen genügen muss, ist damit bereits zum Ausdruck gebracht, dass ein öffentliches, von den Behörden wahrzunehmendes Interesse an der Einhaltung dieser Vorschriften besteht. Die Behörden sind an diese Interessenbestimmung gebunden und haben daher, von besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen, dafür Sorge zu tragen, dass diesen Vorschriften Folge geleistet wird.155 Soweit Normen des Baurechts den Schutz des Nachbarn bezwecken, sind die Behörden verpflichtet, diesen Schutz wahrzunehmen. Die Entscheidung, aus Rücksichtnahme auf den Bauherrn nicht einzuschreiten, kann nur dann rechtmäßig sein, wenn dies auch im Hinblick auf die zu wahrenden Interessen des Nachbarn vertretbar ist.156 Durch eine solche Entscheidung wird abschließend unter Berücksichtigung aller nach dem materiellen Baurecht zu beachtenden Interessen über die Frage entschieden, ob ein Bauvorhaben, das in Widerspruch zu den Normen des Baurechts errichtet wurde, bestehen bleiben darf. Für eine ergänzende Entscheidungszuständigkeit der Zivilgerichte ist kein Raum.
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Vgl. Waechter, VerwArch 88 (1997), 298 (303). Für die ordnungsrechtliche Bewertung von Bauvorhaben gibt das materielle Baurecht einen präzisen Maßstab vor, anhand dessen sich die Baurechtskonformität bzw. Baurechtswidrigkeit eines Vorhabens beurteilen lässt, ohne dass im Rahmen der Frage des behördlichen Einschreitens weitere Prognoseentscheidungen erforderlich wären. Im Rahmen der Vorschriften über die Bewilligung von Ausnahmen und Befreiungen steht den Behörden bereits ein Ermessensspielraum zur Berücksichtigung besonders gelagerter Einzelfälle zu. Wenn eine solche Ausnahme oder Befreiung nicht in Betracht kommt, muss davon ausgegangen werden, dass die Baubehörden grundsätzlich zu einem Einschreiten verpflichtet sind. Ansonsten würden sie für sich die Möglichkeit in Anspruch nehmen, durch Duldung baurechtswidriger Zustände faktisch Befreiungen unter Missachtung der gesetzlichen Grenzen zu erteilen (vgl. HessVGH, BauR 1994, 229 (231). Ausnahmen davon sind nur im Hinblick auf schon begonnene oder fertiggestellte Vorhaben denkbar. Hier kann es auch in Fällen von Abweichungen, die hinsichtlich erst zu verwirklichender Bauvorhaben nicht im Rahmen von Befreiungen und Ausnahmen zugelassen werden könnten, ein Bedürfnis geben, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf die Herstellung des grundsätzlich nach dem materiellen Baurecht erforderlichen Zustands zu verzichten. Insb. der Verwirklichung dieser Einzelfallgerechtigkeit dient das Ermessen, das der Behörde im Rahmen ihrer reaktiven Eingriffsbefugnisse eingeräumt wurde. 156 Vgl. bereits Evers, JuS 1962, 87 (91). 155
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Insbesondere können die Baubehörden gegenüber dem Nachbarn ein Einschreiten nicht unter Hinweis auf quasinegatorische Abwehransprüche ablehnen.157 Die Baubehörden sind die nach den Kompetenznormen der Bauordnung primär zur Überwachung der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften berufenen Stellen. Ihre Zuständigkeit ist auch im Bezug auf diejenigen Normen des Baurechts, die den Schutz des Nachbarn bezwecken, keine subsidiäre.158 Die durch solche Normen dem Nachbarn verliehenen Rechtspositionen sind keine „privaten Rechte“,159 auf die die Subsidiaritätsklauseln der allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze160 entsprechend angewendet werden könnten. Abgesehen davon, dass solche Subsidiaritätsklauseln in den Bauordnungen nicht vorgesehen sind, wäre das Subsidiaritätsprinzip hier nicht anzuwenden, weil die Verletzung „privater Rechte“ zugleich einen Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Verbotsvorschriften (nämlich die des Baurechts) darstellen würde.161 Weil aber die Überwachung der Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften in die originäre Zuständigkeit der Baubehörden fällt, kommen quasinegatorische Ansprüche, die eine hinzutretende Entscheidungskompetenz der Zivilgerichte begründen würden, nicht in Betracht. Die Gewährung quasinegatorischer Ansprüche könnte auch völligen Verzicht auf öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz den.162 Stünden dem Nachbarn den Baubehörden gegenüber öffentlichen Rechte mehr zu, hätte dies keinen Einfluss auf
nicht durch einen ermöglicht werkeine subjektiven die Zuständigkeit
157 So auch Steinberg, NJW 1984, 457 (464); Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 314 ff.; Schmaltz in: Große-Suchsdorf u. a., Nds. BauO8 (2006), § 89 Rn. 69; Uechtritz, NVwZ 1996, 640 (643 f.); a. A. Peters, DÖV 1968, 547 (549); Bender/ Dohle, Nachbarschutz (1972), Rn. 430: Frage des Einzelfalls; Ossenbühl, DÖV 1976, 463 (468 a. E.); Sarnighausen, NJW 1993, 1623 (1625); Wiechert in: Große-Suchsdorf u. a., Nds. BauO8 (2006), § 65 Rn. 3; Kraft, BayVBl 1992, 456 (460 f.); Kraft, VerwArch 89 (1998), 264 (286); Schapp, Nachbarrecht (1978), S. 234 ff. 158 Der Grund dafür, dass die Polizeibehörden im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips von einem präventiven Einschreiten rechtmäßig absehen können, ist gerade, dass andere staatliche Entscheidungsträger primär für die Durchsetzung der entsprechenden Gesetze zuständig sind. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass auch im Falle eines Nichteinschreitens die Geltung der entsprechenden rechtlichen Normen durch die anderweitigen Sanktionsmechanismen gewährleistet ist. Für die primär zur Überwachung der Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften berufenen Baubehörden scheidet ein entsprechender Verzicht auf das Einschreiten aus, weil sonst die entsprechenden Normen des Baurechts überhaupt nicht durchgesetzt würden und ihre soziale Geltung nicht sichergestellt wäre. 159 Steinberg, NJW 1984, 457 (464). 160 Steinberg, NJW 1984, 457 (464). 161 Steinberg, NJW 1984, 457 (464); vgl. auch Mampel, Nachbarschutz (1994), Rn. 317: es wird „vernachlässigt, daß es sich gleichwohl um öffentlich-rechtlich begründete und anerkannte Rechtspositionen handelt“. 162 Im Schrifttum werden zum Teil materielle wie formelle subjektive öffentliche Rechte des Nachbarn auf ein behördliches Einschreiten (bzw. diesbezügliche ermessensfehlerfreie Entscheidung) abgelehnt, vgl. die Nachweise in Fn. 120.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
der Baubehörden für die Einhaltung der nachbarschützenden Normen des Baurechts, deren Existenz gerade die zwingende Grundlage jeglichen Drittschutzes ist. Das Problem divergierender Entscheidungen bliebe bestehen. Auch die in den letzten Jahren verstärkt erfolgte Freistellung von Bauvorhaben von dem Erfordernis einer Baugenehmigung kann nicht dahingehend gewertet werden, dass der baurechtliche Nachbarschutz nun durch quasinegatorische Ansprüche zu bewerkstelligen sei. In der Literatur wird dagegen zum Teil vertreten, dass diesen Verfahrensnovellierungen der Gedanke zugrunde liege, dass die genehmigungsfreien Vorhaben möglichst ohne Eingriff der Behörde („Entstaatlichung“) zu verwirklichen seien und Rechtsschutz unter Nachbarn in erster Linie im Wege der quasinegatorischen Nachbarrechtsklage verfolgt werden sollte.163 Dabei wird jedoch übersehen, dass die Aufgabe der Aufsichtsbehörden, über die Einhaltung des öffentlichen Baurechts zu wachen, unverändert bestehen bleibt.164 Die Novellen haben an der Qualität des Baurechts als öffentliches Recht, das von den Baubehörden durchzusetzen ist, nichts geändert. Durch den Verzicht auf präventive Kontrolle wird dem Bauherrn, der nun in verstärktem Maße selbst auf die Einhaltung der Bauvorschriften zu achten hat, mehr Eigenverantwortung abverlangt. Eine Verlagerung der Entscheidungszuständigkeit hinsichtlich baurechtlicher Normen auf Zivilgerichte kann daraus nicht abgeleitet werden.165 Bei einer Verletzung nachbarschützender Vorschriften sind die Baubehörden regelmäßig zu einem Einschreiten verpflichtet.166 Ein Verzicht auf ein Einschreiten kommt nur dann in Betracht, wenn die Herstellung des baurechtmäßigen Zustandes auch unter Berücksichtigung der Interessen des Nachbarn dem Bauherrn gegenüber unzumutbar ist. Indem die Behörde über die Frage des Einschreitens entscheidet, befindet sie zugleich darüber, ob der Nachbar den entsprechenden baulichen Zustand trotz des Widerspruchs zu nachbarschützenden Normen zu dulden hat. Neben dieser Entscheidungsbefugnis der Baubehörden kommt eine durch quasinegatorische Ansprüche begründete Zuständigkeit der Zivilgerichte in dieser Frage wegen des dadurch entstehenden Problems divergierender Entscheidungen nicht in Betracht. 163 So Manssen, NVwZ 1996, 144 (146); Seidel, NVwZ 2004, 139 (142); vgl. auch Schmaltz, NdsVBl 1995, 241 (248): „Gedanke, daß die . . . Vorhaben ohne Einmischung der Bauaufsichtsbehörde verwirklicht werden sollen.“; Oeter, DVBl 1999, 189 (192 l. Sp., 195 r. Sp.). 164 Uechtritz, NVwZ 1996, 640 (641 f.); dies wird auch von Schmaltz, NdsVBl 1995, 241 (248) anerkannt; so ausdrücklich § 53 Abs. 2 S. 2 der LBauO Hessens: „Sie [die Baubehörden] haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen zu treffen; dies gilt auch, soweit eine präventive bauaufsichtliche Prüfung entfällt.“ 165 Vgl. Uechtritz, BauR 1998, 719 (727); Uechtritz, NVwZ 1996, 640 (641 f.); Kraft, VerwArch 89 (1998), 264 (287). 166 Ebenso die h. M.; vgl. o. Fn. 148 und 149.
§ 16 Keine quasinegatorischen Ansprüche
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3. Keine quasinegatorischen Ansprüche auf der Grundlage baubehördlicher Auflagen Baugenehmigungen können aufgrund besonderer Vorschriften der Bauordnungen im Übrigen unter den Voraussetzungen des § 36 VwVfG mit Nebenbestimmungen versehen werden. Insbesondere kann durch entsprechende Nebenbestimmungen die Einhaltung der Anforderungen des öffentlichen Rechts sichergestellt und auf diese Weise eine Baugenehmigung erteilt werden, die ansonsten wegen entgegenstehender öffentlich-rechtlicher Vorschriften hätte versagt werden müssen.167 Eine besondere Bedeutung im Baurecht kommt dabei den Auflagen i. S. von § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zu.168 Die Auflage ist eine Nebenbestimmung zur Baugenehmigung, durch die dem Bauherrn ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Auflage hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gültigkeit der Baugenehmigung.169 Die Nichterfüllung der Auflage eröffnet der Behörde allerdings grundsätzlich die Möglichkeit, die Baugenehmigung nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG zu widerrufen. Davon abgesehen ist die Auflage aber selbst ein vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt, den die Behörde mit den in den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen vorgesehenen Zwangsmitteln durchsetzen kann.170 Es ist daher nicht nötig, dass die Behörde zur Durchsetzung der entsprechenden Pflichten des Bauherrn noch eine gesonderte Bauordnungsverfügung erlässt.171 Unter anderem können Auflagen auch erteilt werden, um sicherzustellen, dass durch die bauliche Nutzung eines Grundstücks die Nachbarschaft nicht entgegen § 22 Abs. 1 BImSchG vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt wird.172 Insoweit durch solche Auflagen der Schutz der Nachbarn bezweckt wird, ist wiederum fraglich, ob der einzelne Nachbar im Wege einer quasinegatorischen Klage von dem Bauherrn die Beachtung des ihm durch die behördliche Auflage vorgeschriebenen Verhaltens verlangen kann. Der BGH hat sich in zwei Entscheidungen mit dieser Frage auseinandergesetzt.173 Vgl. Schmaltz in: Große-Suchsdorf u. a., Nds. BauO8 (2006), § 75 Rn. 56. Vgl. Schmaltz in: Große-Suchsdorf u. a., Nds. BauO8 (2006), § 75 Rn. 66: „häufigste Nebenbestimmung“. 169 Schenke in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Bes. Verwaltungsrecht2, Bd. 1 (2000), § 9 Rn. 133 (S. 795). 170 Heintz in: Gädtke u. a., BauO NRW11 (2008), § 75 Rn. 151 m.w. N.; Knack/Henneke, VwVfG8 (2004), § 36 Rn. 40 f.; Kasten in: Hoppenberg/de Witt (Hrsg.), Handbuch des öff. Baurechts, A I Rn. 133; Schenke in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Bes. Verwaltungsrecht2, Bd. 1 (2000), § 9 Rn. 132 (S. 795). 171 Kasten in: Hoppenberg/de Witt (Hrsg.), Handbuch des öff. Baurechts, A I Rn. 133; Stelkens/Bonk/Sachs7 /U. Stelkens (2008), § 36 Rn. 84 f. 172 Vgl. Porger in: Kotulla (Hrsg.), BImSchG1. Lfg. (2004), § 22 Rn. 50. 173 Zustimmend zur Rechtsprechung des BGH Hagen, ZfIR 1999, 413 (417); Fritzsche, NJW 1995, 1121 (1123 f.); Broß, FS Hagen (1999), 357 (364 ff.); Broß, VerwArch 89 (1998), 489 (495 ff.): „uneingeschränkte Zustimmung“. 167 168
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
In der sog. Ballettschulen-Entscheidung 174 sind der beklagten Betreiberin einer Ballettschule von der zuständigen Baubehörde die für einen Umbau und eine Nutzungsänderung erforderlichen Baugenehmigungen erteilt worden. Aufgrund dessen ist die Beklagte nunmehr befugt, das Souterrain des Gebäudes als Ballettsaal zu nutzen. Neben der Festlegung von Immissionsrichtwerten, die im Einwirkungsbereich der Ballettschule nicht überschritten werden dürfen, wurden beide Baugenehmigungen mit der Auflage verbunden, dass die nach Süden gehenden Fenster „während der Übungsstunden bzw., wenn Tonwiedergabegeräte an sind, grundsätzlich geschlossen zu halten“ sind. Die Anfechtungsklage der späteren Klägerin, die dingliche Nießbraucherin eines Wohngrundstücks ist, das an die Westseite des Grundstückes der Ballettschule angrenzt, wurde rechtskräftig abgewiesen.175 Daraufhin hat die Nachbarin im Zivilgerichtsverfahren erster Instanz beantragt, die beklagte Inhaberin der Ballettschule zur Einhaltung beider Auflagen (Einhaltung der Immissionsrichtwerte, Geschlossenhalten der Fenster) zu verurteilen. Nachdem die Klage vom Landgericht abgewiesen wurde, hat die Klägerin mit der Berufung nur noch den Antrag weiterverfolgt, die Beklagte dazu zu verurteilen, die Fenster gemäß der Auflage geschlossen zu halten. Das Berufungsgericht hat die Inhaberin der Ballettschule dazu verurteilt, die Fenster ab 19 Uhr geschlossen zu halten, soweit Tonbandgeräte am Laufen sind, im Übrigen die Klage aber als unbegründet abgewiesen.176 Die teilweise Abweisung der Klage hat das Berufungsgericht damit begründet, dass der Anspruch des Klägers aus § 1004 BGB insoweit durch § 906 BGB ausgeschlossen sei. Die Auflagen der Baubehörden kämen als Grundlage eines weitergehenden zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht. Nachbarschützende Auflagen ließen sich zwar als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ansehen. Dies führe jedoch nicht zu einer Bindung des Zivilrichters an die Auflagen, die „auf Erfahrungswerten und nicht auf einer konkreten Einzelfallprüfung“ beruhten. Nach Auffassung des Berufungsgerichts wäre es „systemwidrig“, wenn eine Bindung der Zivilgerichte an die Auflagen nur zugunsten des Nachbarn bestehen würde, während eine solche zu seinen Lasten nicht eintreten könne: Da Baugenehmigungen unbeschadet der Rechte Dritter ergingen, stehe dem Nachbarn bei unzulässigen Immissionen zivilrechtlich ein weitergehender Rechtsschutz zu. Es wäre daher nicht systemgerecht, wenn im Gegensatz dazu eine Bindung der Zivilgerichte in den Fällen eintreten soll, in denen nach den zivilrechtlichen Maßstäben unzulässige Immissionswerte nicht erreicht werden.177 Zudem würde durch eine Bindung des Zivilgerichts an die behördlichen Auf174 175 176 177
BGHZ 122, 1 ff., Urt. d. 5. Senats v. 26.2.1993 – V ZR 74/92. Vgl. ebd. S. 1. Vgl. ebd. S. 2. Vgl. ebd. S. 2.
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lagen „der elementare Grundsatz“ derogiert, dass der Störer selbst entscheiden könne, auf welche Weise er die Entstehung unzulässiger Immissionen verhindere.178 Der BGH hat zunächst erörtert, dass die Auflage – genauer gesagt die der Auflage zugrunde liegende Ermächtigungsnorm, in der Konkretisierung, die sie durch die Auflage erhalten hat – ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt.179 Sodann hat er das Berufungsgericht in der Annahme korrigiert, dass das Zivilgericht nicht an Verwaltungsakte gebunden sei. Die ordentlichen Gerichte hätten vielmehr grundsätzlich „Existenz und Inhalt“ eines wirksamen Verwaltungsaktes zu beachten, solange dieser nicht „in den dafür vorgesehenen Verfahren“ aufgehoben wurde.180 Allerdings wäre es dem Berufungsgericht, als es die Bindung an die Auflage im Hinblick auf § 906 BGB verneinte, auch gar nicht um die Frage der Bindungswirkung in diesem Sinne, d. h. darum, „ob das ordentliche Gericht den Bestand der entsprechenden Verhaltensanordnung in Frage stellen darf“, gegangen. Vielmehr handele es sich „um das Problem der Rechtswidrigkeit und das der Konkurrenz von Ansprüchen“.181 Doch auch insoweit – und dies ist der Kern der Entscheidung – tritt der BGH den Auffassungen des Berufungsgerichts entgegen. Die §§ 906 ff. BGB begrenzten nur die originär zivilrechtlichen Befugnisse aus § 903 BGB unmittelbar und hätten keinen Einfluss auf eine speziellere Regelung durch Schutzgesetze und dementsprechend auch nicht auf quasinegatorische Ansprüche auf der Grundlage solcher Schutzgesetze.182 Durch die Verhaltenanordnungen der Verwaltungsbehörde werde „ein abstrakter Gefährdungstatbestand normiert, der den Schutz des Nachbarn vorverlagert, ohne dass an einen Verletzungserfolg angeknüpft“ werde.183 Die Klägerin könne diese ihr „zusätzlich eingeräumte Rechtsposition . . . über eine quasinegatorische Unterlassungsklage verteidigen, weil das Verhaltensgebot gegenüber der Beklagten seinem Zweck nur dann gerecht wird, wenn seine Durchsetzung unabhängig von den Auswirkungen im jeweiligen Einzelfall gewährleistet ist“.184 Diese „spezifische und abstrakte Regelungsfunktion der Schutznorm“ würde leer laufen, wenn im Fall einer Schutzgesetzverletzung die Rechtswidrigkeit noch in jedem Einzelfall anhand des Maßstabes des § 906 BGB überprüft werden müsse.185 178 179 180 181 182 183 184 185
Vgl. ebd. S. 3. Ebd. S. 3 ff. Ebd. S. 5. Ebd. S. 6. Ebd. S. 6. Ebd. S. 6. Ebd. S. 6 f. Ebd. S. 7.
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
Insoweit stehe der Klägerin ein gegenüber dem negatorischen Anspruch aus § 1004 BGB selbständiger und in seinem Inhalt von diesem zum Teil abweichender quasinegatorischer Anspruch zu.186 Dass der Nachbar insoweit öffentlich-rechtliche Verhaltensnormen im Zivilrechtsweg durchsetzen könne, sei „in § 823 Abs. 2 BGB unmittelbar angelegt“ und daher „unbedenklich“.187 Aus denselben Erwägungen hat der BGH188 der Klage eines Nachbarn gegen den Eigentümer des „übernächsten“189 Reihenhauses auf Einhaltung der behördlichen Auflage, den genehmigten Notkamin „nur bei Ausfall der Primärenergie“ zu verwenden, für begründet erachtet. Nach dem maßgeblichen Bebauungsplan war „aufgrund der konzentrierten Bebauung und der bestehenden Waldnähe . . . eine Beheizung mit festen und flüssigen Brennstoffen“ nicht zugelassen. Der Beklagte betrieb den genehmigten Notkamin – ebenso wie auch andere Grundstückseigentümer – entgegen der behördlichen Auflage nach seinem Belieben, wodurch sich die Kläger durch die dadurch entstehenden Ruß- und Rauchimmissionen beeinträchtigt fühlten.190 Der BGH betonte in der Entscheidung, dass der quasinegatorische Unterlassungsanspruch insoweit nicht voraussetze, dass „der Betrieb des Notkamins schon zu konkreten Beeinträchtigungen auf dem Grundstück der Kläger geführt hat oder zukünftig führen wird“.191 Offengelassen wurde dabei allerdings, ob dies auch dann noch gelte, wenn „zweifelsfrei feststünde, dass die Kläger . . . unter keinen Umständen beeinträchtigt werden können“.192 Insoweit beruft sich der BGH wiederum darauf, dass das entsprechende Verhaltensgebot seinen Zweck nur erfüllen könne, wenn seine Durchsetzung unabhängig von den Auswirkungen im jeweiligen Einzelfall gewährleistet ist.193 Zuzustimmen ist dem BGH lediglich insoweit, als das für die Entscheidung der beiden Fälle maßgebliche Problem nicht die Frage der Bindungswirkung von Verwaltungsakten ist, sondern sich auf dem Gebiet der Rechtswidrigkeit bewegt. Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit die allgemeine, durch die Verletzung einer Verhaltensnorm des öffentlichen Rechts194 konstituierte Rechtswidrigkeit zugleich eine Rechtswidrigkeit im Verhältnis zum Kläger darstellt. Dies hängt davon ab, ob der verletzten Verhaltensnorm ein subjektives 186
Ebd. S. 7. Ebd. S. 8. 188 BGH, NJW 1997, 55, Urt. des 5. Senats v. 27.9.1996 – V ZR 335/95. 189 Die Häuser von Kläger und Beklagten werden durch ein weiteres Reihenhaus voneinander getrennt. 190 Vgl. ebd. l. Sp. 191 Ebd. l. Sp. u.–r. Sp. o. 192 Ebd. r. Sp. o. 193 Ebd. r. Sp. o. 194 Unwesentlich ist dabei, ob sich die Verhaltenspflicht unmittelbar aus einem formellen Gesetz, aus einer Verordnung oder einem Verwaltungsakt ergibt. 187
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Recht des Geschützten entspricht und welchen Inhalt dieses Recht hat. Fraglich ist dabei vor allem, ob das subjektive Recht dem Inhaber die Befugnis verleiht, die Einhaltung der Verhaltensnorm schlechthin oder aber nur insoweit zu verlangen, als die Nichteinhaltung zu einer Einbuße von bestimmten, durch die Norm geschützten Interessen des Rechtsinhabers führt. Auszugehen ist dabei davon, dass die Auflagen in beiden Fällen, die der BGH zu entscheiden hatte, dem Schutz der Nachbarschaft und damit einem größeren Kreis von Personen zu dienen bestimmt waren. Insoweit liegt der Fall einer Schutznorm vor, die – wie die Rechtsprechung seit jeher formuliert – auch den Schutz des Klägers, damit aber eben auch nicht ausschließlich den Schutz des Klägers bezweckt. Würde man allen durch die Auflage geschützten Personen einen Anspruch auf Einhaltung der auferlegten Verhaltenspflicht zusprechen, so würde es sich dabei um Popularrechtsschutz handeln. Da es insoweit auf eine individuelle Betroffenheit nicht ankäme, wäre auf die Klage verschiedener Nachbarn hin unabhängig voneinander über dieselbe Rechtsfrage – die subjektiven Rechte der einzelnen Nachbarn wären in ihrem Inhalt vollständig identisch – zu entscheiden, was zu Lasten des Beklagten zu der Gefahr divergierender Entscheidungen und mehrfacher Sanktionierung des Normverstoßes nach § 890 ZPO führen würde. Davon abgesehen stünde überhaupt nicht fest, ob dem Adressaten der Verhaltensnorm die entsprechende Pflicht auch dann auferlegt worden wäre, wenn allein der Schutz des Klägers bezweckt worden wäre. Die abstrakte Fassung solcher Verhaltensnormen beruht auch darauf, dass eine Vielzahl von Personen geschützt werden soll und insoweit nicht zu überblicken ist, inwieweit ein bestimmtes Verhalten im Einzelfall zu Folgen für eine einzelne geschützte Personen führen kann, die nach der Intention der Regelung verhindert werden sollen. Auch dies ist daher einer der Gründe dafür, dass ein Verhalten schlechthin verboten wird und nicht darauf abgestellt wird, ob es im Einzelfall solche Konsequenzen hat. Der Kläger, der die Einhaltung einer solchen Verhaltensnorm einklagt, macht insoweit immer ein Stück weit nicht nur den ihm zukommenden Schutz, sondern den Schutz der Allgemeinheit geltend. Die Geltendmachung des Schutzes der Allgemeinheit steht dem Einzelnen aber nach der fast einhelligen Rechtsauffassung nicht zu. Was der BGH völlig unbeachtet lässt, ist die Tatsache, dass Schutzgesetze nicht einfach nur den Schutz bestimmter Personen, sondern den Schutz bestimmter Personen vor bestimmten Gefahren bzw. Schäden bezwecken. Im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB ist daher anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Eine Ersatzpflicht besteht nur insoweit, als die Norm, als Folge deren Verletzung der verursachte Schaden entstanden ist,195 auch den Schutz vor dieser Art von Schäden bezweckt. Wenn ein Schaden, der innerhalb des Schutzzwecks der entsprechenden Norm liegt, nicht 195
Vgl. o. § 10 II. Fn. 33.
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eintreten kann, so wird der Geschützte im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB niemals aus der Verletzung der Schutznorm eine Rechtsfolge ableiten können. In dem Fall des Notkamins wird insofern besonders deutlich, dass der BGH sich durch die Gewährung des Unterlassungsanspruchs von den Grundlagen des quasinegatorischen Rechtsschutzes entfernt. Die Argumentation, dass „Schadensverhütung“ besser als „Schadensvergütung“ ist,196 kann in Fällen, in denen der Eintritt eines ersatzfähigen Schadens ausgeschlossen ist, jedenfalls nicht greifen. Die Auffassung, dass der durch die Auflage geschützte Nachbar ein Recht auf Einhaltung der Verhaltenspflicht unabhängig davon hat, ob der Verstoß zu einer Verletzung von seinen Rechtsgütern führt, steht dabei im Widerspruch zur eigenen Rechtsprechung des BGH, nach der Straftatbestände zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum nicht als Grundlage von Ansprüchen auf Ersatz primärer Vermögensschäden in Frage kommen.197 Grundgedanke ist dabei, dass solche Normen gerade nicht dem Schutz der „allgemeinen Vermögensinteressen“198 dienen. Auch die Auflagen in den beiden vom BGH entschiedenen Fällen dienten nicht dem Schutz des allgemeinen – materiellen oder immateriellen – Interesses daran, dass der Nachbar seine Fenster nicht öffnet bzw. seinen Kamin nicht benutzt, sondern sollten die übrigen Anwohner davor schützen, dass sie durch Immissionen des Nachbarn in ihren Individualrechtsgütern (in erster Linie der Gesundheit) geschädigt oder zumindest belästigt werden. Die „Rechtsposition“ aber, die ihnen nach Auffassung des BGH durch den abstrakten Gefährdungstatbestand eingeräumt wird, schützt in den Fällen, in denen nicht einmal eine Gefährdung der geschützten Rechtsgüter in Betracht kommt, gerade das allgemeine Interesse daran, dass der Nachbar schlechthin eine bestimmte Handlung nicht vornimmt. Der Schutz dieses Interesses wird aber durch die Verhaltensnorm gerade nicht bezweckt. Dass das Interesse des Einzelnen daran, dass andere schlechthin die Normen der Rechtsordnung einhalten, nicht geschützt wird, bildet gerade die Grundlage der Lehre vom Schutzzweck der Normen. Die Ansicht, dass eine Ersatzpflicht für jegliche, durch die Verletzung einer solchen Norm verursachten Schäden zu weitgehend sei, führte dazu, dass die Ersatzpflicht von der 2. Kommission auf die Schäden solcher Personen beschränkt wurde, deren Schutz durch die Norm bezweckt wird.199 Heute ist man sich weitestgehend darüber einig, dass eine Verhaltensnorm nicht an sich Schutzgesetz ist, sondern immer nur in Bezug auf den Schutz bestimmter Personen (persönlicher Schutzbereich) vor der Verlet196
Nachweise o. § 14 I. 1. Fn. 1. Vgl. BGHZ 19, 114 (125 f.), Urt. d. 6. Senats v. 23.11.1955 – VI ZR 193/54; BGHZ 39, 366 (367 f.), Urt. d. 7. Senats v. 30.5.1963 – VII ZR 236/61; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/213 (1994), § 77 III 3 a) mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung in Fn. 443. 198 BGHZ 19, 114 (126). 199 Prot. II, 566 ff., insb. 569. 197
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zung bestimmter Rechtsgüter bzw. dem Eintritt bestimmter Arten von Schäden (sachlicher Schutzbereich). Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB beruht auf der Konzeption der Zuweisung von Rechtsgütern, die durch einen Bereich definiert werden, über den der Inhaber nach Belieben tatsächlich (nicht notwendig rechtlich) verfügen und in Bezug auf den er andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Der Einbruch anderer in diesen Schutzbereich stellt dementsprechend eine Verletzung des Rechts des Inhabers des Schutzbereichs dar. Larenz/Canaris bezeichnen in diesem Zusammenhang Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion als „optimale Grundlagen des Deliktsschutzes“.200 Jedoch auch im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB kann auf das Erfordernis der Verletzung eines solchen einer bestimmten Person zugeordneten Schutzbereichs nicht vollständig verzichtet werden, wenn auch dieser Schutz nicht so umfassend gestaltet sein muss, wie in den Fällen des § 823 Abs. 1 BGB. Einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass dem Anspruchsteller ein Schaden entstanden ist. Ein solcher Schaden als eine Einbuße von Rechtsgütern setzt aber voraus, dass die Verletzung der Norm eine negative Auswirkung auf die dem Anspruchsteller zugewiesenen Güter hat. Selbst in Fällen des reinen Vermögensschutzes ist es erforderlich, dass die Normverletzung sich in irgendeiner Weise auf die dem Einzelnen zugewiesenen Vermögensbestandteile auswirkt. Wenn die Pflichtverletzung keine Auswirkungen auf die dem Einzelnen normativ zugewiesene persönliche Sphäre hat, ist diesem kein Schaden entstanden, dessen Ausgleich er nach § 823 Abs. 2 BGB verlangen könnte. Erforderlich ist daher, dass die Verletzung der Schutznorm entweder zu einer Einbuße an Rechtgütern führt, die dem Anspruchsteller bereits durch § 823 Abs. 1 BGB (insoweit hat § 823 Abs. 2 BGB dann nur „Ergänzungsfunktion“) oder anderweitig zugewiesen sind oder aber dass die Schutznorm selbst neue Rechtsgüter zuordnet. Dass dem Nachbarn aber das Geschlossensein der Fenster bzw. die Nichtbenutzung des Kamins selbst – wie z. B. die körperliche Unversehrtheit – als persönliches Rechtsgut zugeordnet wird, das bereits allein durch die Zuwiderhandlung verletzt wird, kann – wie oben bereits dargelegt – nicht angenommen werden. Gegen eine solche Zuordnung spricht schon, dass die betreffende Position allen geschützten Nachbarn gleichsam zugeordnet werden müsste. Zudem kann der Nachbar über diese Position in keiner Weise verfügen: Er darf weder selbst die Fenster öffnen bzw. den Kamin nutzen, noch kann er anderen dies gestatten. Im Rahmen des durch § 823 Abs. 2 BGB gewährten Schutzes wird der persönliche Bezug zur Rechtssphäre des Geschützten durch das Erfordernis eines Schadens, der innerhalb des Schutzbereichs der Norm liegt, sichergestellt.201 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/213 (1994), § 76 I 1 b). Vgl. Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 34: „Die notwendige . . . Individualisierung geschieht dann erst auf einer zweiten Stufe, nämlich der 200 201
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Erst der Eintritt einer solchen Schädigung des durch die Norm geschützten Rechtsguts macht aus einer Verletzung der objektiven Rechtsordnung eine im Verhältnis zum Schadensersatzberechtigten rechtswidrige Handlung. Dass der Verstoß gegen die Verhaltensnorm schon als solcher rechtswidrig ist, hat insoweit keine Aussagekraft. Da dem Einzelnen gerade nicht das allgemeine Recht auf Einhaltung der Normen der objektiven Rechtsordnung zusteht, kann er aus der objektiven Rechtswidrigkeit allein keine Folgen herleiten. Wenn man bedenkt, dass die Rechtswidrigkeit einer Handlung letztlich bedeutet, dass sie den Tatbestand einer Unrechtsfolge bildet, so können diese Rechtsfolgen zunächst einmal nicht von dem Einzelnen, sondern nur von der Behörde, die den Verstoß gegen die Auflage mit Sanktionen belegen kann, geltend gemacht werden. Der Einzelne durch die Norm Geschützte kann im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB eine Rechtsfolge aus dem entsprechenden Verstoß gegen die Auflage hingegen erst dann ableiten, wenn dieser zu einer Rechtsgütereinbuße bei ihm geführt hat. Daher liegt auch erst dann ihm gegenüber ein Unrechtstatbestand bzw. eine unerlaubte Handlung vor. Dass ein bestimmtes Verhaltensgebot als abstrakter Gefährdungstatbestand seinen Zweck nur erfüllt, wenn seine Durchsetzung (d. h. der Eintritt von Sanktionen bei Verletzung) unabhängig vom Eintritt des unerwünschten Erfolgs im Einzelfall gewährleistet ist, trifft zwar zu, sagt jedoch nichts darüber aus, ob auch dem Einzelnen das Recht zusteht, das dem Schutz der Allgemeinheit dienende Verbot im Zivilrechtsweg durchzusetzen. Aus § 823 Abs. 2 BGB, der über den Normverstoß hinaus eine persönliche Betroffenheit in Form eines Schadens des durch die Norm Geschützten voraussetzt, lässt sich dies jedenfalls nicht ableiten. Daher lässt sich die Tatsache, dass „der Nachbar eine öffentlich-rechtliche Verhaltensanordnung im Zivilrechtsweg durchsetzen kann“, auch nicht wie der BGH meint, als eine in § 823 Abs. 2 BGB „unmittelbar angelegte“ Konsequenz ansehen. Abgesehen davon, dass es infolge der nach der h. M. ganz im Hintergrund stehenden Sanktionsfunktion des Deliktsrechts schon zweifelhaft ist, ob durch einen Schadensersatzanspruch überhaupt die der Schadensersatzpflicht zugrunde liegende Verhaltenspflicht durchgesetzt wird, kann im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB eben nicht die Einhaltung der öffentlichrechtlichen Verhaltensnorm per se durchgesetzt werden, sondern nur die Achtung der eigenen Rechtsgüter. Soweit der BGH eine konkrete Beeinträchtigung der Rechtsgüter (in den beiden Entscheidungen: des Grundeigentums) der Kläger nicht für erforderlich hält, verzichtet er auf die individuelle Betroffenheit und damit auch auf das Element, was die Rechtsbeziehungen der einzelnen durch die Schutznorm geschützten Personen zu dem mutmaßlichen Störer individualisiert. Auf diese des . . . ,Schutzbereichs der Norm‘: . . . es muß das Interesse verletzt sein, das durch die Norm geschützt werden soll.“
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Weise verleiht er allen Personen, die vom personalen Schutzbereich der Norm erfasst werden, das Recht, die Einhaltung der im Interesse der Allgemeinheit (bzw. eines Teils davon) bestehenden Verhaltensnorm einzuklagen. Eine solche Art der Durchsetzung von Normen, deren Einhaltung im öffentlichen Interesse ist, durch die Gewährung von Popularklagen ist zwar ein prinzipiell denkbares System. Dass dieses aber außerhalb des Wettbewerbsrechts auch im Bereich des allgemeinen Zivilrechts trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Grundlagen dem geltenden Recht entspricht, muss entschieden verneint werden. Anders als im Wettbewerbsrecht, wo es keine zentrale Wettbewerbsbehörde gibt, ist die Durchsetzung der abstrakten, im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit aufgestellten Verbote Aufgabe der zuständigen Ordnungsbehörden. Daneben aber ist für eine Durchsetzung der entsprechenden Verhaltensnormen im Zivilrechtsweg weder Bedürfnis noch Raum. Der einzig sachgerechte Weg, den durch die abstrakten Verbotsnormen geschützten Personen einen Einfluss auf deren Durchsetzung zu geben, ist daher auch hier die Gewährung von subjektiven Rechten auf Einschreiten (bzw. auf diesbezügliche ermessensfehlerfreie Entscheidung) der zuständigen Behörde. Gerade bei den behördlichen Auflagen, die die entsprechenden Verhaltensnormen nicht nur begründen, sondern zugleich der Behörde den zur Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung erforderlichen Titel verleihen, wird der Zusammenhang zwischen der Verhaltensnorm und dem für sie vorgesehenen Weg der Durchsetzung besonders deutlich. Für eine daneben tretende Durchsetzung durch das Zivilgericht, für die es zudem an einer gesetzlichen Grundlage fehlt und die die mehrfache Sanktionierung desselben Normverstoßes zur Folge haben, besteht kein Bedürfnis. Davon abgesehen steht die Rechtsprechung des BGH übrigens auch im Widerspruch zu der Dogmatik des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes. Dort hat sich inzwischen im Rahmen der Unterscheidung von generell und partiell drittschützenden Normen die Auffassung durchgesetzt, dass bestimmte Normen den Schutz des Nachbarn nur hinsichtlich besonderer individueller Beeinträchtigungen bezwecken. Zu diesen partiell drittschützenden Normen werden auch die Normen des Immissionsschutzes gerechnet. Auf die Einhaltung dieser Normen hat der Nachbar daher nur insoweit ein Recht, als deren Verletzung zu vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 3 BImSchG) auf sein Grundstück führen. Wenn man davon ausgeht, dass die Schutzniveaus von § 906 BGB und § 3 BImSchG identisch sind, so wären die beiden Kläger in den BGH-Urteilen mit einer Klage auf behördliches Einschreiten vor den Verwaltungsgerichten gescheitert. Und wenn man mit dem BGH die Möglichkeit von Unterlassungsansprüchen auf der Basis von öffentlich-rechtlichen Normen überhaupt annimmt, so muss man – wenn man sich nicht in Widerspruch zu dem Verständnis dieser Schutznormen in der Dogmatik des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes setzen will – zu dem Ergebnis kommen, dass auch ein quasinegatorischer Anspruch
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Teil 2: Die Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche
auf der Basis dieser Normen nur insoweit bestehen kann, wie der Kläger durch den Normverstoß nach dem Maßstab des § 3 BImSchG persönlich betroffen ist.202
202 Eindrucksvoll insoweit Marburger, Ausbau des Individualschutzes (1986), S. C 36, der in Bezug auf das Erfordernis einer konkreten Beeinträchtigung als Voraussetzung öffentlich-rechtlicher Abwehransprüche darauf hinweist, dass dieses Erfordernis im Bereich der negatorischen und quasinegatorischen Ansprüche (!) „zweifelsfrei“ sei.
Teil 3
Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung A. Zum Anspruchsbegriff des BGB und zur Annahme eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs I. Der Anspruch i. S. des BGB verleiht dem Berechtigten die Kompetenz, durch die Inanspruchnahme der Gerichte zu erzwingen, dass ein anderer eine bestimmte Handlung vornimmt oder unterlässt. Solange der Berechtigte bereit ist, von dieser Kompetenz Gebrauch zu machen, entspricht ihr eine echte Rechtspflicht des Anspruchsgegners im Verhältnis zum Berechtigten. Das Verlangenkönnen des Anspruchsinhabers i. S. von § 194 BGB besteht darin, dass er den Anspruchsgegner vor die (unechte) Alternative stellen kann, dass dieser dem Verlangen des Anspruchsinhabers entweder von sich aus nachkommt oder dazu gezwungen wird. Durch Einräumung der Möglichkeit, im Falle der Besorgnis von Beeinträchtigungen auf Unterlassung zu klagen, ermöglicht es § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB dem Eigentümer denjenigen, durch dessen Handlungen die Beeinträchtigungen verursacht werden, vor die Alternative zu stellen, diese Handlungen entweder „freiwillig“ zu unterlassen oder dazu gezwungen zu werden und somit von diesem das Unterlassen der Handlungen verlangen zu können. Das Recht, in dieser spezifischen Weise das Unterlassen einer Handlung verlangen zu können, ist ein materiellrechtlicher Anspruch im Sinne der oben genannten Definition. II. Das materielle Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist in seiner Eigenschaft als staatlich garantiertes Recht zugleich Privatrecht und materielles Justizrecht in der Terminologie der Lehre Goldschmidts. Es enthält an den einzelnen Privaten gerichtete Verhaltenspflichten, deren Verbindlichkeit durch die unmittelbar gegebene Durchsetzbarkeit im Zivilprozess begründet wird. Der Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB als die Kompetenz des Anspruchsinhabers, sich das, was er verlangen kann, im Wege der Klage und Zwangsvollstreckung zu verschaffen, mitumfasst zugleich dasjenige, was in der Lehre vom Rechtsschutzanspruch als Rechtsschutzanspruch oder auch als Klagerecht bezeichnet wurde. III. Die Funktion des materiellen Rechts erschöpft sich nicht darin, anzukündigen, unter welchen Voraussetzungen gerichtliche Zwangsmaßnahmen eintreten werden. Die Normen des materiellen Rechts dienen zugleich der Bestimmung des individuellen Verhaltens der Privatrechtssubjekte. Insbesondere ist die An-
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Teil 3: Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung
sicht abzulehnen, dass die Vorschriften des materiellen Rechts nur in Abhängigkeit von den Beweisregeln zu sehen sind. Die Rechtsfolgen der materiellen Rechtssätze sind durch den tatsächlich vorhandenen und nicht durch den gerichtlich festgestellten Tatbestand bedingt. Dies bedeutet, dass die Normadressaten ihr Verhalten anhand der Norm ausrichten sollen, wenn deren Tatbestand vorliegt und nicht nur dann, wenn dieser gerichtlich feststellbar ist. IV. Die Diskrepanz zwischen den Tatsachen, dass einerseits die materiellrechtlichen Rechtssätze, die durch das tatsächliche Vorliegen ihrer Tatbestandsvoraussetzungen bedingt sind, durchsetzbar sein müssen, um Rechtsnormen zu sein, und dass andererseits die Durchsetzung nicht vom tatsächlichen Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen, sondern davon abhängt, ob ihr Vorliegen im Erkenntnisverfahren festgestellt wird, lässt sich nur durch die Annahme beheben, dass das Ergebnis des Erkenntnisverfahrens die Feststellung der tatsächlich vorliegenden Umstände ist. Dass nach den prozessualen Beweisregeln eine gerichtliche Feststellung des Anspruchs voraussichtlich ausgeschlossen sein wird, führt als rein faktisches Hindernis der Rechtsdurchsetzung nicht dazu, dass keine materiellrechtliche Pflicht vorliegt. Wenn demgegenüber das Recht vorsieht, dass wegen einer vermeintlichen Verpflichtung auch dann keine Verurteilung erfolgen kann, wenn das Gericht zur Feststellung aller tatbestandsbegründenden Umstände gelangt, fehlt dem vermeintlichen Rechtssatz die für die Annahme einer Rechtspflicht notwendige Verbindlichkeit. Es liegt eine bewusste Entscheidung des Gesetzes vor, unter bestimmten Voraussetzungen auf Rechtszwang zu verzichten und somit die Befolgung der Norm der Entscheidung des Einzelnen zu überlassen, wodurch eine Rechtspflicht ausgeschlossen wird. V. Der Unterscheidung von materiellem Recht und Prozessrecht liegt insofern auch eine Abschichtung von Wertungen zugrunde. Die Normen des materiellen Rechts bewerten den außerprozessualen Tatbestand unter Berücksichtigung der Interessen der Privatrechtssubjekte, indem sie Ansprüche gewähren und diesen entsprechende Pflichten auferlegen. Die Regelungen des Prozessrechts hingegen müssen sich aus der Notwendigkeit der Herbeiführung einer Entscheidung über das Vorliegen dieses Tatbestandes rechtfertigen lassen. Dies bedeutet, dass der Verwirklichung des materiellen subjektiven Privatrechts Regelungen des Prozessrechts nur noch insoweit entgegenstehen können, als diese Hindernisse auf jener prozessualen Notwendigkeit beruhen. Insoweit ist es zutreffend, von einem Primat des materiellen Rechts zu sprechen und den Zivilprozess als ein Verfahren zur Durchsetzung materieller Privatrechte anzusehen. Insbesondere ist das Vorliegen eines prozessualen Rechtsschutzbedürfnisses keine Voraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Die Abweisung einer Klage ist bei bestehendem Anspruch nur möglich, wenn materielle Gegenrechte bestehen. Das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses ist daher eine Frage des materiellen Rechts, die durch die Gewährung eines einredefreien Anspruchs schon positiv beantwortet ist.
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VI. Da die Geltung der Privatrechtspflichten vollkommen von dem Willen des Geschützten abhängig ist, kann sich ein materielles Privatrecht nicht damit begnügen, nur die Verhaltensanforderungen zu nennen, die es zum Schutz von Privatinteressen aufstellt, sondern muss zugleich auch angeben, wer als Inhaber des geschützten Interesses zur Durchsetzung der Verhaltenanforderung befugt ist. Dies ist die Funktion des Anspruchsbegriffs. Er setzt die Verhaltenspflicht in Beziehung zu dem Inhaber des geschützten Interesses, der die Befugnis hat, ihre Einhaltung im Rechtswege durchzusetzen und der durch den Willen, dies gegebenenfalls auch zu tun, die Pflicht zu einer geltenden Rechtspflicht macht. VII. Die Pflicht des Anspruchsgegners ist gegenüber dem Anspruch unselbständig. Sie besteht dadurch, dass der Anspruchsinhaber das Recht hat, die Handlung bzw. Unterlassung auch im Gerichtswege zu verlangen und dass an den Anspruchsgegner der Appell gerichtet wird, dem Verlangen des Anspruchsinhabers nachzukommen, ohne dass es zum Rechtszwang kommt. Nicht der Anspruchsbegriff ist auf der Basis eines festgelegten Pflichtbegriffs zu bestimmen, sondern umgekehrt der Inhalt der dem Anspruch entsprechenden Pflicht aus dem des Anspruchs abzuleiten. VIII. Das Eigentum als Prototyp des absoluten Rechts lässt sich als Rechtsstellung kennzeichnen, die entsprechend der Zielrichtung des Eigentums, dem Eigentümer einen bewehrten Freiheitsbereich zu gewähren, in erster Linie darin besteht, dass dem Eigentümer im Falle von Beeinträchtigungen oder drohenden Beeinträchtigungen Abwehransprüche zustehen. Die Reichweite des Eigentums und damit die Rechtsmacht des Eigentümers ist identisch mit der Summe dieser Ansprüche, die potentiell aus dem Eigentum erwachsen. Dies bedeutet, dass der Eigentümer nicht im Sinne von § 903 S. 1 BGB andere von jeder Einwirkung ausschließen kann und ihm daneben die Eigentumsansprüche zustehen, sondern dass er andere nur insoweit von jeder Einwirkung ausschließen kann, als ihm entsprechende Ansprüche zustehen. Das Eigentum als solches („das Eigentum im Ruhezustand“) begründet kein Rechtsverhältnis zwischen dem Eigentümer und dritten Personen. Es setzt sich weder aus einem Bündel von Ansprüchen gegenüber jedermann zusammen, noch treffen aufgrund seiner bloßen Existenz alle anderen Rechtsubjekte konkrete Pflichten. Ein inhaltlich als Anspruch zu qualifizierendes Rechtsverhältnis zu dritten Personen entsteht frühestens, wenn eine Beeinträchtigung des Eigentums zu besorgen ist. IX. Der Begriff der Forderung ist nicht mit dem des schuldrechtlichen Anspruchs identisch. Das Verhältnis von Forderung und schuldrechtlichem Anspruch ist vielmehr folgendermaßen zu bestimmen: Die Forderung ist die aufgrund eines Vertrages – oder im Falle der gesetzlichen Schuldverhältnisse: eines gesetzlich bestimmten Tatbestandes – bestehende Rechtsstellung des Gläubigers, durch die dessen Interesse am Eintritt des Leistungserfolgs geschützt wird. Das
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mit Abstand wichtigste zur Befriedigung dieses Interesses gewährte Mittel ist der gerichtlich durchsetzbare Anspruch auf die Leistungshandlung, der bei Fälligkeit der Leistung entsteht. Darüber hinaus verleiht die Gläubigerstellung jedoch unter anderem auch die Berechtigungen, das Interesse an der Leistung im Wege der Aufrechnung zu befriedigen und die erhaltene Leistung selbst dann zu behalten, wenn der Anspruch auf die Vornahme der Leistungshandlung verjährt ist. Der Begriff der Fälligkeit bezeichnet dementsprechend keine mögliche Eigenschaft des Anspruchs. Der Anspruch beinhaltet immer das Recht, jetzt sofort die Vornahme der Leistungshandlung zu verlangen. Fällig kann nur die aufgrund des Schuldverhältnisses geschuldete Leistung sein. Mit der Fälligkeit der Leistung entsteht ein Anspruch auf die Vornahme der Leistungshandlung. B. Zu den Prämissen der Theorie der sog. quasinegatorischen Unterlassungsklage I. Die quasinegatorische Unterlassungsklage beruht auf der Annahme, dass zum Schutze vor Beeinträchtigungen jedes durch deliktsrechtliche Schadensersatznormen geschützten Rechtsguts Unterlassungsansprüche bestehen können. Ein Rechtsgrundsatz, dass jede Unterlassungsverpflichtung, die einem Einzelnen im Interesse eines anderen auferlegt wurde, im Wege der zivilrechtlichen Unterlassungsklage geltend gemacht werden kann, ist dem geltenden Recht fremd. II. Präziser gefasst sind es zwei Prämissen, die der quasinegatorischen Unterlassungsklage zugrunde liegen: 1. Die erste besteht darin, dass die Vorschriften über die deliktische Verantwortlichkeit nicht bloß Schadensverteilungsregelungen darstellen, sondern dass die Schadensersatzpflicht die Folge eines Verstoßes gegen eine primäre Unterlassungspflicht ist. Diese Pflicht ist nicht allein auf das Nichtbewirken des Verletzungserfolges gerichtet, sondern hat das Unterlassen der gefährdenden Handlung schlechthin, d. h. unabhängig vom Eintritt des Erfolges zum Gegenstand. 2. Die zweite Prämisse ist die, dass die Schadensersatzpflicht nicht nur auf der Verletzung einer „echten“, im Zweifel auch durchsetzbaren Rechtspflicht beruht, sondern dass es sich bei dieser Pflicht auch um eine zivilrechtliche Pflicht handelt, die im Wege der zivilrechtlichen Klage durchgesetzt werden kann.
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C. Widerlegung der Begründbarkeit quasinegatorischer Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen C 1. Quasinegatorische Unterlassungsansprüche als Doppelbestrafung
I. Die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen nach §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 2 BGB hätte zur Konsequenz, dass neben die vom Gesetzgeber vorgesehene Kriminalstrafe die Möglichkeit der Verhängung zivilprozessualer Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO träte. II. Bei den Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO handelt es sich um Sanktionen, die sich wesensmäßig nicht von Strafen unterscheiden. Sowohl die Bestrafung nach dem StGB als auch die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO stellen sich als Reaktionen auf ein durch die Rechtsordnung bestimmtes, sozial unerwünschtes Verhalten dar. In beiden Fällen wird versucht, die Einhaltung einer Pflicht sicherzustellen, indem für den Fall der Zuwiderhandlung ein Übel angedroht und im Fall der Zuwiderhandlung angewendet wird. Der Unterschied zwischen beiden Sanktionsarten ist allein in der unterschiedlichen positivrechtlichen Ausgestaltung zu suchen. III. Art. 103 Abs. 2 und 3 GG sind auf die Ordnungsmaßnahmen des § 890 ZPO nicht unmittelbar anwendbar. Aufgrund des strafähnlichen Charakters gelten jedoch auch im Bereich der Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO spezifische verfassungsrechtliche Grenzen für die Zulässigkeit mehrfacher Sanktionen. An den in diesem Rahmen aufzustellenden Maßstäben gemessen kann das Nebeneinander von Kriminalstrafe und Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO im Falle von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen nicht gerechtfertigt werden. Vermeintliche Effektivitätslücken des Strafrechtssystems sind gegebenenfalls durch entsprechende Reformen des Gesetzgebers zu beseitigen und stellen daher keinen legitimen Grund dafür dar, zu Lasten der Rechtssicherheit neben dem „ineffektiven“ Strafrechtssystem unkoordiniert eine weitere Sanktionsmöglichkeit nach § 890 ZPO einzurichten. IV. Auch der Vorschlag Henckels, das Anwendungsgebiet der quasinegatorischen Unterlassungsklage anhand der Funktionen des vorbeugenden Rechtsschutzes einzuschränken, löst das Problem nicht. Henckel beachtet nicht ausreichend, dass auch eine nur aufgrund der Warnfunktion gewährte Unterlassungsklage dem Gläubiger – gewissermaßen überschießend – mit dem vollstreckbaren Titel die Möglichkeit zu einer weiteren Sanktionierung des Normverstoßes verschafft, so dass sich in solchen Fällen die Problematik der Doppelsanktionierung unvermindert stellt. Diese Problematik ist aber nicht zu lösen, da eine Bindung des Strafrichters in Fällen, in denen durch die strafrechtliche Sanktionie-
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rung das über das Individualinteresse hinausgreifende öffentliche Interesse gewahrt wird, ausscheidet. C 2. Quasinegatorische Unterlassungsansprüche als nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff
I. Quasinegatorische Unterlassungsansprüche stellen einen Eingriff in Grundrechte des Anspruchsgegners dar und bedürfen daher einer gesetzlichen Grundlage. In Ermangelung einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage ist die Gewährung derartiger Ansprüche durch die Rechtsprechung grundsätzlich unzulässig. II. Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates gegenüber bedrohten Rechtsgutsinhabern verleihen der Judikative keine unmittelbare Befugnis zu Grundrechtseingriffen, sondern richten sie in erster Linie an den Gesetzgeber, dem „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich“ zusteht. Insbesondere hat der Gesetzgeber die Wahl, ob er den Schutz zivilrechtlich durch Unterlassungsansprüche, strafrechtlich oder öffentlich-rechtlich durch Verwaltungsbehörden verbunden mit einem subjektiv-öffentlichen Recht des Geschützten auf behördliches Einschreiten bewerkstelligt. III. Nur in den besonderen Ausnahmefällen, in denen der Gesetzgeber ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Rechtsgut vollkommen schutzlos gelassen hat, kommt eine richterrechtliche Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche und ein damit verbundener Verzicht auf das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall kann allenfalls bei quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen werden. IV. Die Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsklagen trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage lässt sich nicht als richterliche Rechtsfortbildung rechtfertigen. Die in der Methodenlehre anerkannten Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung liegen nicht vor. 1. Im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung lassen sich quasinegatorische Ansprüche nicht begründen, weil es an einer Regelungslücke fehlt. Eine durch den Rechtssatz, dass jedes Rechtsgut, dessen Verletzung zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führt, auch durch zivilrechtliche Unterlassungsansprüche geschützt ist, auszufüllende Gesetzeslücke würde voraussetzen, dass es in der Absicht des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt, ein insofern vollständiges zivilrechtliches Rechtsschutzsystem gegenüber der Bedrohung jeder Art von Individualrechtsgut zu schaffen, unabhängig von dem Umfang des durch andere Rechtsgebiete gewährleisteten Schutzes. Die Errichtung eines solchen umfassenden Präventivschutzes vor drohenden Delikten im Rahmen des Zivilrechts lag nicht in der Absicht des BGB-Gesetzgebers.
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2. Zudem lassen sich die in §§ 12, 862, 1004 BGB getroffenen Regelungen nicht ohne weiteres im Wege der Analogie auf den Schutz anderer Rechtsgüter übertragen. Der für die Möglichkeit einer Analogie maßgebliche Bewertungsgesichtspunkt, in dem die geregelten mit den nicht geregelten Fällen übereinstimmen müssen, ist das Bedürfnis nach Rechtsschutz. Die Frage nach dem Bedürfnis nach zivilrechtlichem Rechtsschutz kann aber nur unter Berücksichtigung des bereits zur Verfügung stehenden Rechtsschutzes beantwortet werden. Während das Namensrecht und das Eigentum in anderen Rechtsgebieten nur unvollkommen geschützt sind und die Aufgabe des Schutzes dieser Rechtsgüter dem Zivilrecht überlassen wurde, ist bei den zum Schutz vor Verletzungen von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB gewährten Unterlassungsklagen – geradezu per definitionem – ein Schutz durch andere Rechtsgebiete vorhanden, so dass eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen nicht gegeben ist. 3. Bei der Gewährung von Unterlassungsklagen zum Schutze aller im Rahmen des Deliktsrechts geschützten Rechtsgüter handelt es sich demnach um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung. Ihre Grenzen sollen im Rahmen der Methodenlehre dort liegen, wo sich das Ergebnis der Rechtsfortbildung nicht mehr aus spezifisch rechtlichen, sondern aus Zweckerwägungen ergibt. Bei der Frage, ob rechtsgutsschützende Verhaltensnormen im Wege des Strafrechts, des Verwaltungsrechts oder des Bürgerlichen Rechts durchzusetzen sind, handelt es sich um eine solche Zweckmäßigkeitsfrage, die mit rechtlichen Erwägungen nicht zu beantworten ist. Die fehlende Anspruchsnorm kann als „eine sozusagen technische Regelung“ nicht im Wege gesetzesübersteigernder Rechtsfortbildung geschöpft werden. IV. Eine darüber hinausgehende Befugnis des Richters zur Rechtsfortbildung wäre zudem – zumindest im Bereich des Außervertragsrechts – nicht mit der Gesetzesbindung des Richters zu vereinbaren. Der von Zitelmann aufgestellte allgemeine negative Grundsatz, dass, abgesehen von den im Gesetz besonders geregelten Fällen, „alle Handlungen straffrei, ersatzfrei bleiben“ ist insoweit zutreffend. C 3. Rechtstheoretische Widerlegung der Herleitung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche zur Durchsetzung strafrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen aus „Primärnormen“
I. Grundlage des quasinegatorischen Rechtsschutzes ist die Abstrahierung von an den Einzelnen adressierten Verhaltensnormen aus den Sanktionsnormen der verschiedenen Rechtsgebiete, die als Ordnungen solcher Verhaltensnormen einheitlich strukturiert zu sein erscheinen: In der an die einzelne Privatperson gerichteten Verhaltensnorm haben sie eine gemeinsame Grundkategorie, die es erlaubt, derartige Normen aus dem öffentlichen Recht in das Privatrecht zu im-
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portieren. Öffentliches Recht und Privatrecht erscheinen dabei letztlich als eine einheitliche Rechtsordnung bestehend aus Verhaltenspflichten des Einzelnen, die weitgehend beliebig durch sekundäre Durchsetzungsbefugnisse von Verwaltungsbehörden oder Privatpersonen ergänzt werden können. II. Das materielle Denken in an die Einzelperson adressierte primäre Ge- und Verbotsnormen verdeckt, dass mit der Entscheidung über die „Rechtswidrigkeit“ einer bestimmten Verhaltensweise nur ein Teil der sich in erster Linie dem Gesetzgeber stellenden Aufgabe erledigt ist. Nicht weniger wichtig ist die Regelung der Folgen eines Verbotsverstoßes und der sonstigen, die Beachtung des Verbots sicherstellenden Mechanismen. Welche Maßnahmen und Sanktionen zur unmittelbaren Erzwingung normgerechten Verhaltens zur Verfügung stehen und welche staatlichen Organe in welchem Verfahren zur Entscheidung über ihren Einsatz befugt ist, ergibt sich aus dem Gesetzeskontext, in dem die entsprechende Verhaltensnorm steht. 1. Der Schutz des Bürgers vor anderen Bürgern wird nicht allein durch die Zivilgerichte, sondern in gleichem Maße durch Verwaltungs-, insbesondere Polizeibehörden und durch die Organe der Strafrechtspflege gewährleistet. Aus diesem Grund kann aus dem individualschützenden Charakter einer Norm nicht auf die Zuständigkeit der Zivilgerichte für die Durchsetzung der Norm geschlossen werden. Ob der Rechtsschutzanspruch des Destinatärs einer Schutznorm auf Schutz durch die Zivilgerichte oder auf Schutz durch Verwaltungsbehörden gerichtet ist, hängt von der Zugehörigkeit der an den Verletzer adressierten Verbotsnorm zum Zivilrecht bzw. zum öffentlichen Recht ab, die sich in aller Regel aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesetzeskodifikation ergibt. Im Falle von privatrechtlichen Normen kann der Begünstigte einen privatrechtlichen Anspruch gegen den Verletzer auf Einhaltung der Norm gerichtlich geltend machen und damit die Erfüllung seines „Rechtsschutzanspruchs“ gegenüber den Zivilgerichten einfordern. Im Falle einer öffentlich-rechtlichen Norm kann er gegebenenfalls von den Verwaltungsbehörden ein Einschreiten gegenüber der Rechtsverletzung des anderen Bürgers verlangen und muss diesen Rechtsschutzanspruch gegenüber der Verwaltung vor den Verwaltungsgerichten einklagen. Dem Gebot, Doppelsanktionen zu vermeiden, entsprechend, steht dem durch eine Norm Begünstigten nur einer der beiden Wege offen. 2. Die Einräumung quasinegatorischer Ansprüche auf Einhaltung öffentlichrechtlicher Normen würde hingegen dazu führen, dass dem durch die Norm Begünstigten, nicht nur – wie bei Gewährung öffentlich – rechtlichen Drittschutzes – Einfluss auf die vorgesehenen und ohnehin zum Einsatz kommenden Sanktionen eingeräumt wird, sondern dass darüber hinaus neue – zivilgerichtliche – Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden, deren Einsatz in der Rechtmacht des Nachbarn liegt. Die öffentlich-rechtlichen Normen würden aus dem Zusammenhang zu den für sie vorgesehenen Verfahrens- und Sank-
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tionsnormen herausgerissen und in den Kontext entsprechender Normen des Zivil- und Zivilprozessrechts gestellt. Auf diese Weise würden neue Sanktions- und Eingriffsmöglichkeiten, die vom Gesetz für den Fall der Verletzung einer Baurechtsnorm nicht vorgesehen sind (Problem der fehlenden gesetzlichen Grundlage für den Eingriff in Grundrechte des Bauherrn), geschaffen, die zudem – selbst dann, wenn dem Nachbarn nicht auch noch zusätzlich ein subjektives öffentliches Recht zusteht – neben die gesetzlich vorgesehenen behördlichen Sanktionen treten (Problem der Doppelsanktionierung). Daher können die drittschützenden Normen des öffentlichen Rechts nur Grundlage öffentlicher subjektiver Rechte und damit öffentlich-rechtlichen Drittschutzes sein, der an die vorhandenen und gesetzlich vorgesehenen Verfahren und Sanktionen anknüpft, anstatt neue zu schaffen und eine zusätzliche Belastung daher in erster Linie für die Behörden schafft und nicht – zumindest in nicht vergleichbaren Maße wie quasinegatorische Ansprüche – für die Normadressaten. III. Übersehen wird zudem, dass die jeweiligen öffentlich-rechtlichen bzw. privatrechtlichen Verhaltensnormen durch den jeweiligen verfahrensrechtlichen Kontext, in den sie eingebettet sind, eine ganz unterschiedliche Bedeutung erhalten: 1. Bei den individualschützenden Verbotsnormen des öffentlichen Rechts handelt es sich in aller Regel um „objektive“ Verhaltensnormen, an deren Einhaltung ein öffentliches Interesse besteht, das nicht zur Disposition der geschützten Person(en) steht. Sie sind in ihrer Geltung unabhängig von dem Willen bestimmter Individualpersonen und werden von den Behörden von Amts wegen durchgesetzt, ohne dass es einer privaten Initiative zur Einleitung des Verfahrens bedürfte. 2. Die Geltung privatrechtlicher „Normen“ ist aufgrund der Ausgestaltung des Zivilprozesses in letzter Konsequenz immer von dem ungebundenen Willen einer Individualperson – dem Inhaber des entsprechenden subjektiven Rechts – abhängig. Die Willensmacht, die für den Inhalt des Anspruchs als subjektives Recht im Sinne der Willenstheorie charakteristisch ist, erschöpft sich nicht in der Befugnis, eine Verhaltensnorm gerichtlich geltend zu machen, sondern sie beinhaltet die Freiheit, durch die Möglichkeit der Ausübung dieser Befugnis zugleich über die Geltung der Norm bestimmen zu können. 3. Der Zivilprozess ist kein geeignetes Verfahren zur Durchsetzung von Verhaltensnormen, an deren Einhaltung ein unmittelbares öffentliches Interesse besteht. Ein derartiges Interesse des Staates daran, dass die Geltung bestimmter Verbotsnormen unabhängig davon sichergestellt wird, ob die Personen, deren Schutz durch diese Normen bezweckt wird, ein tatsächliches Interesse an der Durchsetzung haben, ließe sich privatrechtlich nur dann verwirklichen, wenn die Freiheit dieser Personen zu entscheiden, ob sie die ihnen verliehenen An-
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sprüche gerichtlich geltend machen wollen, beschränkt würde und der Staat Einfluss auf diese Zivilprozesse nähme, indem er zur Wahrung des öffentlichen Interesses im Prozess einen mit eigenen Verfahrensrechten ausgestatteten Vertreter entsenden würde. Ein Klagezwang und die Beteiligung von Vertretern des öffentlichen Interesses sind dem heutigen, der Dispositionsmaxime verpflichteten Zivilprozess jedoch grundsätzlich fremd. Das unmittelbare öffentliche Interesse wird statt dessen von Verwaltungsbehörden wahrgenommen, die die Geltung der objektiven Verhaltensnormen gegebenenfalls durch verwaltungsverfahrensrechtlichen Zwang sicherstellen. Die zivilprozessuale Geltendmachung im Wege quasinegatorischer Klagen kann nur neben diese das öffentliche Interesse verwirklichenden behördlichen Befugnisse zur Rechtsdurchsetzung treten. Die Zulassung quasinegatorischer Klagen würde somit zu einer grundsätzlich voneinander unabhängigen Entscheidungskompetenz von Zivilgerichten und Verwaltungsbehörden führen, die die Gefahr divergierender Entscheidungen bergen würde. IV. Die Gewährung von quasinegatorischen Unterlassungsansprüchen bei Schutzgesetzen, die nicht den Schutz von Rechtsgütern des Berechtigten allein bezwecken, sondern ihn als Teil der Allgemeinheit oder eines größeren Personenkreises schützen sollen („Publikumsschutznormen“) führt zudem auch im Verhältnis mehrerer Zivilprozessverfahren verschiedener durch die Norm geschützter Kläger zueinander zu der Gefahr divergierender Entscheidungen und dem Problem der aufeinander nicht abgestimmten mehrfachen Sanktionierung desselben Normverstoßes. 1. Wenn man bei solchen Verboten davon ausgeht, dass sie „neben dem Schutz der Allgemeinheit auch dem Schutz von Individualinteressen dienen“, müsste man aber folgerichtig annehmen, dass sie den individuellen Schutz jeder zum Kreis der geschützten Personen gehörenden Person bezwecken und in der Konsequenz jeder dieser Personen einen Anspruch auf Einhaltung des Verbots einräumen. Dies aber würde dazu führen, dass in jeweils voneinander unabhängigen Zivilverfahren über die Frage eines drohenden Normverstoßes zu befinden wäre. Weil die Abweisung der Klage einer durch die Norm geschützten Person keine Rechtskraft im Verhältnis zu den anderen durch die Norm geschützten Personen entfaltet, müsste der Beklagte gegebenenfalls in immer neuen Zivilverfahren die Einhaltung der Norm nachweisen. 2. Weil der Einzelne nach der rechtlichen Bewertung nur als Teil der geschützten Allgemeinheit geschützt wird und sich daher die Frage eines drohenden Normverstoßes nicht in individuell verschiedener, sondern in gleicher Weise wie bei allen anderen Mitgliedern dieser Personengruppe stellt, besteht kein Anlass, gerade im Verhältnis zu ihm allein (d. h. mit Rechtskraft nur ihm gegenüber) in einem zivilgerichtlichen Verfahren über die Frage eines drohenden Normverstoßes zu befinden.
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3. Über eine Norm, die dem Schutze der Allgemeinheit im Sinne von allen potentiell gefährdeten Personen („Publikum“) dient, kann sinnvollerweise auch nur in einem Verfahren entschieden werden, dessen Ergebnis für und gegen diese Allgemeinheit Geltung beansprucht. Indem die Befugnis zur Geltendmachung der dem Schutz der Allgemeinheit dienenden Normen Verwaltungsbehörden übertragen wird, wird sichergestellt, dass in einem einheitlichen (Verwaltungs-)Verfahren abschließend im Verhältnis des Normadressaten zur Allgemeinheit darüber entschieden wird, ob die Norm einzuhalten ist bzw. ob sie eingehalten wurde. 4. Im Hinblick darauf, dass die Einhaltung dieser Verhaltenspflichten bereits im Interesse aller durch Verwaltungsbehörden sichergestellt wird, kann kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis der Kläger anerkannt werden, das das berechtigte Interesse des Beklagten an Rechtssicherheit überwiegen würde und die Gewährung einer zusätzlichen Möglichkeit des Rechtsschutzes durch quasinegatorische Klagen rechtfertigen könnte. 5. Wenn man dem Einzelnen die Möglichkeit einräumen möchte, den durch Verbotsnormen des öffentlichen Rechts bezweckten Schutz auch seiner Interessen rechtlich einzufordern, ist der öffentlich-rechtliche Drittschutz die einzig sachgerechte Möglichkeit. Es handelt sich dabei um die Kontrolle der Tätigkeit von Verwaltungsbehörden, denen die Überwachung von Normen zum Schutz der „Allgemeinheit“ übertragen wurde, durch Teile dieser „Allgemeinheit“. Der durch diese Kontrolle über die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden vermittelte Schutz bewirkt eine Verfahrenskonzentration im Verhältnis zu dem Normadressaten. Ihm gegenüber tritt ausschließlich die Verwaltungsbehörde auf, die durch Verwaltungsakt eine Entscheidung treffen kann, die prinzipiell geeignet ist, allen Personen gegenüber Bestandskraft zu erlangen, die als Teil der Allgemeinheit durch die Norm geschützt werden. 6. Im Falle des Verstoßes gegen eine „Publikumsschutznorm“ lässt erst die durch den Verstoß verursachte Einbuße an persönlichen Rechtsgütern den Geschädigten aus dem Kreis der Allgemeinheit individuell hervortreten und begründet in Form des Schadensersatzanspruches die Möglichkeit subjektiven Privatrechtsschutzes. V. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB lässt sich nicht herleiten, dass dem Schadensersatzberechtigten ein zivilrechtlicher Primäranspruch auf Einhaltung des Schutzgesetzes zusteht. Die Schadensersatzpflicht des § 823 Abs. 2 BGB setzt lediglich das Bestehen einer Unterlassungspflicht, nicht aber das eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs voraus. 1. Begreift man die deliktische Schadensersatzpflicht als Sanktion des Normverstoßes, so lässt sich feststellen, dass § 823 Abs. 2 BGB es demjenigen, dessen Schutz durch eine Norm des öffentlichen Rechts oder des Strafrechts bezweckt wird, ermöglicht, durch Forderung von Schadensersatz einen Norm-
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verstoß zu sanktionieren und somit auf die Beachtung der Norm hinzuwirken. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass diesem zugleich die mit der Gewährung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch verbundene Möglichkeit, ein die Unterlassungsverpflichtung aussprechendes und Ordnungsmaßnahmen androhendes Urteil (vgl. § 890 Abs. 2 ZPO) zu erwirken und im Falle der Zuwiderhandlung Ordnungsmaßnahmen zur Anwendung kommen zu lassen, zustehen müsste. Vielmehr kann es durchaus angemessen sein, „die Androhung der Schadensersatzpflicht als alleiniges Zwangsmittel zu verwenden“ oder aber den Primärschutz des geschützten Rechtsguts „anderen Organen als den ordentlichen Zivilgerichten“ zu übertragen. Einen Automatismus in dem Sinne, dass in allen Fällen, in denen zivilrechtliche Schadensersatzpflicht als Folge des Normverstoßes angemessen erscheint, auch die Androhung und Anwendung von Ordnungsmaßnahmen nach § 890 ZPO als das zur Sicherstellung der Beachtung der Norm gebotene Mittel erscheint, kann es nicht geben. 2. Insbesondere lässt sich aus § 823 Abs. 2 BGB nicht herleiten, dass dem durch eine „Publikumsschutznorm“ Geschützten ein Anspruch darauf zusteht, dass diese Norm unabhängig von dem Eintritt der Verletzung einer seiner persönlichen Rechtsgüter eingehalten wird. Zur Begründung einer Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB ist über die Verletzung einer den Schutz des Anspruchsstellers bezweckenden Ge- oder Verbotsnorm hinaus der Eintritt eines durch die Normverletzung verursachten Schadens erforderlich. Ein solcher Schaden setzt aber eine Einbuße an den dem Anspruchssteller zugewiesenen Rechtsgütern voraus, d. h. den Einbruch in einen dem Einzelnen zugewiesenen Rechtskreis, innerhalb dessen er seine „individuelle Freiheit entfalten“ und seine Interessen verfolgen darf. Erst der Eintritt einer solchen macht aus einer Verletzung der objektiven Rechtsordnung eine im Verhältnis zum Schadensersatzberechtigten rechtswidrige Handlung. Sofern durch die Normverletzung keine Einbuße an ihm zuzurechnenden und durch die Norm geschützten Rechtsgütern eingetreten ist, kann der Geschützte im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB aus der Verletzung einer die Allgemeinheit vor bestimmten Gefahren schützenden Norm keine Rechtsfolge herleiten. Weder im Rahmen eines Schadensersatzanspruches nach § 823 Abs. 2 BGB noch eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs steht ihm die Rechtsmacht zu, die Einhaltung der Norm schlechthin ohne Rücksicht darauf, ob deren Verletzung zu Einbußen an seinen Individualrechtsgütern geführt hat, zu verlangen. Die Missachtung einer die Allgemeinheit schützenden Norm allein führt nicht zu einer Einbuße an Individualrechtsgütern (Schaden) des einzelnen Geschützen. Gerade der Umstand, dass solche Normen die Allgemeinheit schützen, schließt aus, dass schon die Missachtung der Norm an sich einen Bereich berührt, der einem bestimmten Einzelnen zu seiner freien Verfügung überlassen ist, d. h. ihm in diesem Sinne als Rechtsgut zugewiesen ist.
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D. Rechtstheoretische Widerlegung der Herleitung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche zum Schutz der in § 823 I BGB genannten Rechtsgüter I. Gegenüber zielgerichteten Angriffen auf eines der in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter ist quasinegatorischer Rechtsschutz nach der Maßgabe des Gewaltschutzgesetzes möglich. Gegenüber sonstigen Gefährdungen, die sich nicht gezielt gegen einen bestimmten Rechtsgutsträger richten, kann es dagegen keine quasinegatorischen Unterlassungsansprüche geben. Die Gewährung quasinegatorischer Unterlassungsansprüche würde in solchen Fällen die Entscheidung beinhalten, dass der Gefahr einer Rechtsgutsverletzung allein durch das Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit begegnet werden soll, während dem Rechtsgutsträger keine Selbstschutzmaßnahmen abverlangt werden. Der Konflikt zwischen dem Interesse des Rechtsgutsträgers, sich an dem bezeichneten Ort aufzuhalten und zwar ungefährdet aufzuhalten, und dem Interesse des Gefahrenverursachers, dort seiner gefährlichen Tätigkeit nachgehen zu können, würde so zu Gunsten der Handlungsfreiheit des gefährdeten Trägers des Rechtsguts der Gesundheit entschieden. Diese Entscheidung zuungunsten der Handlungsfreiheit des Gefahrenverursachers lässt sich aber aus § 823 Abs. 1 BGB nicht herleiten. II. Als effektives Mittel zum Rechtsgüterschutz im Vorfeld drohender Schädigungen kämen quasinegatorische Unterlassungsansprüche ohnehin nur dann in Betracht, wenn ihr Gegenstand die Unterlassung rechtsgutsgefährdender Handlungen an sich ist, unabhängig davon, ob sich die Gefahr in der Rechtsgutsverletzung realisiert. Conditio sine qua non für einen derart konzipierten quasinegatorischen Rechtsschutz ist der Nachweis, dass im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB bereits die rechtsgutsgefährdende Handlung unabhängig vom späteren Eintritt des Erfolgs rechtswidrig bzw. verboten ist. III. Dieser Nachweis kann im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nicht geführt werden: Da die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB zwingend den Eintritt einer Erfolges i. S. einer Rechtsgutsverletzung voraussetzt, kann, wenn man diese als Sanktion auffasst, allein auf die Missbilligung des erfolgsverursachenden fahrlässigen Verhaltens geschlossen werden. Die Rechtswidrigkeit des (noch) folgenlos gebliebenen fahrlässigen Verhaltens lässt sich aus § 823 Abs. 1 BGB nicht herleiten, weil dieses im Rahmen des Deliktsrechts irrelevant ist. IV. Auch aus der Funktion der Normen als Bestimmungsnormen lässt sich nicht herleiten, dass diese bestimmte Verhaltensweisen unabhängig vom Eintritt des missbilligten Erfolges verbieten müssten. 1. Von den Normadressaten wird und kann nicht erwartet werden, dass diese eine letztlich unendlich große Anzahl erfolgsunabhängig formulierter Verhaltensnormen auswendig lernen, um diese dann kausalblind und folglich ohne ihren Sinn zu verstehen zu befolgen. Vielmehr kann auch die Rechtsordnung in rechtsgutsbedrohenden Situationen nur auf die Fähigkeit des Handelnden
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setzen, die Situation richtig zu erfassen, die Folgen seines Handelns zu erkennen und sein Verhalten an der Maxime auszurichten, dass die Verursachung des rechtlich missbilligten Erfolgs unterbleibe. Der „Befehl“, den die Rechtsordnung erteilt, kann also allenfalls lauten „Verursache keine missbilligten Erfolge!“ Seine Steuerungsfunktion entfaltet das Recht in der Weise, dass es den Handelnden zur Beachtung dieses Gebots des neminem laedere animiert, indem es den Eintritt des Erfolges mit einer dem Handelnden unvorteilhaften Rechtfolge verknüpft. 2. Von der Norm, verstanden als erfolgsbezogene Bewertungsnorm, geht eine Präventionswirkung aus, ohne dass es hinsichtlich der sog. Bestimmungsfunktion besonderer Anpassungen bedürfte. Um die gewünschte Präventionswirkung zu erzielen, reicht es vollkommen aus, die Missbilligung der (sorgfaltswidrigen) Erfolgsverursachung als etwas Nicht-sein-Sollendes durch eine mit einer Strafandrohung verbundenen Norm zum Ausdruck zu bringen. Dass der Normadressat zur Vermeidung von Normverstößen gegebenenfalls auch ex ante gefährlich erscheinende Handlungen unterlassen muss, die sich ex post als nicht erfolgstauglich erweisen würden, ist die persönliche Konsequenz der Norm für ihn. Das Recht ist nicht gezwungen, diese beschränkte ex-ante-Perspektive des sog. Normadressaten zu teilen, sondern kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es ihm gleichgültig ist, auf welche Weise der Eintritt des Erfolges verhindert wird und dem Handelnden auf diese Weise seine Handlungsfreiheit belassen. Erst der Eintritt des Erfolges gibt Anlass zur Frage, ob der Handelnde im Rahmen der ihm belassene Handlungsfreiheit die in Bezug auf das Motiv der Erfolgsvermeidung richtige Entscheidung getroffen hat. V. Die Annahme einer einklagbaren, vom Eintritt der Rechtsgutsverletzung unabhängigen Pflicht zur Unterlassung bestimmter gefährlicher Verhaltensweisen würde nichts anderes bedeuten, als dass bereits die schuldhafte Vornahme dieser Handlung und nicht erst die schuldhafte Verursachung der Rechtsgutsverletzung zivilprozessual gemäß § 890 ZPO „strafbar“ ist. Die zivilprozessuale Sanktion des § 890 ZPO würde nicht erst – wie die Kriminalstrafe nach § 229 StGB und die Schadensersatzpflicht – durch die vollendete Rechtsgutsverletzung, sondern bereits durch den Eintritt einer rechtsgutsgefährdenden Situation ausgelöst werden. Dies kann angesichts der Tatsache, dass die eingeklagte Unterlassungspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB hergeleitet wurde, nicht richtig sein: Aus einer Norm, die die Sanktion vom Eintritt eines bestimmten Erfolges abhängig macht, lässt sich niemals allein mittels logischer Erwägungen auf eine andere Norm schließen, die die Sanktion gerade unabhängig vom Eintritt dieses Erfolges anordnet. VI. Die Trennung von Verhalten und Erfolg und die Ausweisung des Erfolges aus dem Unrecht durch Teile der Lehre vom Handlungsunrecht führt dazu, dass zur Begründung von Unrecht an die Stelle der Rechtsgutsverletzung selbst ein
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anderer, dieser vorgelagerter Erfolg getreten ist. Ein Blick auf die ausdifferenzierten Tatbestände des Strafrechts zeigt aber, dass der Gesetzgeber nur enumerativ bestimmte, als besonders gefährlich angesehene Handlungen (abstrakte Gefährdungsdelikte) und auch nur bestimmte, der eigentlichen Verletzung vorangehenden Gefährdungserfolge (konkrete Gefährdungsdelikte) als ausreichend angesehen hat, um eine vom Verletzungserfolg unabhängige Haftung zu begründen. Davon, dass jede irgendwie geartete Gefährdung jedweden Rechtsguts geeignet sein soll, unabhängig vom Eintritt der Rechtsgutsverletzung Sanktionsfolgen nach sich zu ziehen, kann nicht die Rede sein.
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Personenverzeichnis Die Zahlen sind Seitenangaben. Hauptfundstellen sind durch Kursivdruck hervorgehoben. Adomeit, Klaus 218, 285 Fn. 46 u. 48, 287 Alexy, Robert 237 Fn. 51, 338 Bentham, Jeremy 338 Binder, Julius 89 ff., 93 ff. Binding, Karl 192, 296 Böhm, Wolfgang 209 Bucher, Eugen 83 Fn. 182, 278, 283 ff. Bülow, Oskar 91 f. Canaris, Claus-Wilhelm 238 Fn. 53, 431 de Boor, Hans Otto 129 Fn. 86, 131 Fn. 92 Dehner, Walter 381 Fn. 19, 386 f. Fn. 36 Deutsch, Erwin 347 Döhring, Karl 230 Fn. 21 f., 231 f. Eltzbacher, Paul 163 ff., 172 ff., 180 ff., 186 f., 188 ff., 278, 295, 304 f., 384 Enneccerus, Ludwig 164, 188 ff. Esser, Josef 103 Fn. 262, 106, 107 ff., 111, 128 Fn. 84, 130 f., 131 Fn. 92 Fliedner, Ortlieb 222 Flume, Werner 247 Goldschmidt, James 64 f., 67, 71, 72 ff., 79, 95 Fn. 233 Hart, H. L. A. 274, 338 ff.
Hellwig, Konrad 64 f., 68 ff., 164 f., 174, 188 Henckel, Wolfram 21 Fn. 5, 25 Rn. 19, 28 Fn. 30, 81, 83 Fn. 183, 99 ff., 135, 140 ff., 200 ff. Hölder, Eduard 121 Fn. 66 Husserl, Gerhart 142 Fn. 137 Jansen, Nils 348 Jauernig, Othmar 308 Kaufmann, Armin 356 f. Kelsen, Hans 212, 284, 302, 347 Kipp, Theodor 64, 67, 71, 72 ff., 79 Kohler, Josef 167 Konrad, Horst 391, 396 Larenz, Karl 128 Fn. 84, 241, 289 f. Fn. 60 ff., 313 ff., 431 Lehmann, Heinrich 109 Fn. 13, 120 Fn. 64, 163, 165, 167, 169, 180 ff., 188, 278 Lesser, Martin 168 Lübbe-Wolff, Gertrude 229 Mayer, Otto 316, 403 Montesquieu 38 Münzberg, Wolfgang 335 Fn. 26, 345 f., 350 Fn. 26 Muther, Theodor 44 f., 46 Fn. 105, 86 Neuner, Robert 67 f. Fn. 92, 89 ff. Fn. 212 Neussel, Julius 62 Fn. 59
Personenverzeichnis Oertmann, Paul 165, 167, 188
Stratenwerth, Günter 361
Pastor, Wilhelm L. 206 ff. Pawlowski, Hans-Martin 91 ff., 134 Fn. 104, 278 Peters, Frank 265 f. Picker, Eduard 31, 388 Fn. 39, 419 Fn. 142
Thon, August 177, 279 f., 296 Timmermann, Franz Hubert 404 f.
Raiser, Ludwig 277, 294, 305 ff. Rimmelspacher, Bruno 47 f. Fn. 107, 83 Fn. 183, 135 Fn. 108, 140 ff. Roxin, Claus 212 f. Schaper, Philipp 217 Schmidt, Jürgen 86 Fn. 195 Schmidt, Karsten 164, 191 ff., 306 Schmidt, Richard 64 Schmidt-Aßmann, Eberhard 219, 222 Scholz, Rupert 193 Schreier, Fritz 347 Schulz, Ekkehard 216 f. Schwabe, Jürgen 237, 321 Siber, Heinrich 23, 64, 95 Fn. 234, 107, 111 ff., 136 Simshäuser, Wilhelm 80 Fn. 169
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Ulrich, Robert 168 v. Feuerbach, Paul Johann Anselm 206, 356 Fn. 44 v. Jhering, Rudolf 276, 294 ff., 363 v. Savigny, Friedrich Carl 38 ff., 42 f., 45, 47 ff., 51, 56, 276, 278, 279 f., 282 Wach, Adolf 64, 65 ff., 69, 71 Welzel, Hans 346 Weyers, Hans-Leo 106, 107 ff., 111, 128 Fn. 84 Wiethölter, Rudolf 345 Windscheid, Bernhard 18, 32, 36, 42 ff., 51, 56, 58, 69, 71 f., 108, 143, 147, 172, 232, 247, 278, 279 f. Wolf, Ernst 117 Zeuner, Albrecht 81 Zitelmann, Ernst 255, 441
Sachwortverzeichnis Die Zahlen sind Seitenangaben. Hauptfundstellen sind durch Kursivdruck hervorgehoben. Absolutes Recht 20, 26, 51 f., 61, 63 f., 70, 108 ff., 111 ff., 125 ff., 147, 160, 164, 171, 184, 187 f., 191 – Loch im Zentrum des Normenkreises 296 f. – Robinson-Crusoe-Beispiel 108 – Verhältnis zum Anspruch 125 ff. Actio 32 ff., 37, 40, 42 ff., 47 f., 51, 56, 69 Actio negatoria 17, 149 Aktionenrecht (v. Savigny) 38 ff. Aktionenrechtliches Denken 33, 35 f., 37, 116, 141 Fn. 136, 232, 287 f. Allgemeine Handlungsfreiheit 25, 27, 125, 169, 201, 231, 235, 237, 255, 273, 297, 328 f., 331 ff., 339 ff., 359, 368 Allgemeiner negativer Grundsatz 255 Allgemeines Gewaltverbot 75, 77, 102, 231 Fn. 24, 237 f. Fn. 51, 309 f., 339 ff. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 70, 159, 161, 190, 227, 239, 248, 257 f., 260 f., 325 f., 338, 363 f. Allgemeinheit, Schutz der 193 f., 267 ff., 273 ff., 294, 303, 336 f., 389 ff., 397, 429, 432 f. Anspruch – als subjektives Recht 143 f. – auf Unterlassen s. Unterlassungsanspruch – Begriff 82 ff., 84, 87 f., 102 – gegen jedermann 26, 30, 44, 51, 63 f., 69, 107 f., 110, 125 ff., 172 – Klagbarkeit 39, 45 f., 53 ff., 57 ff., 66, 69, 87, 102 ff., 147
– mit erfolgsbezogener Pflicht 119 ff. – mit verhaltensbezogener Pflicht 123 ff. – Verhältnis zum absoluten Recht 125 ff. – Verhältnis zur Forderung 133 ff. – Verhältnis zur Pflicht 117 ff., 288 ff. – Verlangenkönnen i. S. von § 194 Abs. 1 BGB 49 f., 72, 75 f., 84 ff. Auflage – baubehördliche 160, 425 ff. – erbrechtliche 166, 186 Beeinträchtigung – Beeinträchtigungsgefahr 61, 63, 81 f., 107 f., 118, 125 f. Fn. 78, 127, 328, 343 ff. – vorangegangene (Ersteingriff) 157 ff., 159, 179, 328 Begriffsjurisprudenz 208, 305, 318, 386 f. Fn. 36 Behörde s. Verwaltungsbehörde Besitzschutz 17, 51, 61, 309 f., 334 f. Bindungswirkung von Entscheidungen 202 f., 395, 405 ff., 426 ff. Doppelbestrafung, Verbot der 18, 151 ff., 199 ff., 215 ff., 239, 260 f., 321, 330 f., 386, 398 Dreiecksverhältnis, rechtliches 322, 380 f. Ehre (§ 823 Abs. 1 BGB) 150, 183 f., 190, 239, 261
Sachwortverzeichnis Eigenständigkeit des Privatrechts 316, 323 f. Eigentum 43 f., 46, 48 f., 69 f., 106, 108 f., 125 ff., 139 f., 172 f., 180 f., 246, 271 f., 274 f., 286 f., 295 ff., 311 f., 334 ff., 338 ff., 364 f., 369 ff. – Anspruch gegen jedermann 26, 30, 44, 51, 63 f., 69, 107 f., 110, 125 ff., 172 – These von der Gemeinschaftsbindung 311 f. – Verhältnis zu den dinglichen Ansprüchen 125 ff. Ermessen – legislatives 238 – richterliches 105, 327, 412 – verwaltungsbehördliches 196, 372, 395, 400, 408 ff., 412 ff., 433 Forderung 30 f., 43, 45, 48 f., 133 ff., 185, 306 – Fälligkeit 47 Fn. 107, 66, 69, 81, 136, 138, 165 – Verhältnis zum Anspruch 133 ff. Formularprozess 33 f. Freiheit (§ 823 Abs. 1 BGB) 190, 325, 344 Gebrauchsanmaßung 112 Gefährdungsdelikt – abstraktes 267, 294, 365, 397, 427, 430, 432 f., 449 – konkretes 365 Gemeingebrauch 243, 274, 303 Gesundheit (§ 823 Abs. 1 BGB) 23 f., 26, 161, 168, 181, 190, 246, 270 ff., 275, 322, 325 ff., 331 ff., 344, 430 Gewaltschutzgesetz 326 ff. Gewohnheitsrecht 258 f. Grundrechte – Anspruchsgewährung als Eingriff 224 ff. – Gesetzesvorbehalt 236 ff.
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– Grundrechtliche Schutzpflichten 236 ff., 253 – Privatrechtsgeltung 224 f., 227 ff. Handlungsfreiheit s. Allgemeine Handlungsfreiheit Immissionen, ideelle/negative 338, 369 f. Imperativentheorie 22, 49 Fn. 111, 56, 71, 75, 95 Fn. 233, 109 ff., 133, 143, 228 Fn. 11, 279, 352 f., 355, 363, 366 Institutionenschutz, These vom (Raiser) 195, 198, 277, 294, 305 ff. Interessentheorie – subjektives Recht 173, 175, 276, 294 ff. – Unterscheidung Öffentliches Recht – Privatrecht 386 ff., 389 Kartellrecht 193, 196, 292, 294 Körper (§ 823 Abs. 1 BGB) 179, 181, 190, 323, 325 ff., 331 ff., 344, 350, 431 Kriminalstrafe s. Strafe, öffentliche Leben (§ 823 Abs. 1 BGB) 161, 179, 181, 190, 190, 246, 325 ff., 331 ff., 344, 350, 430 Leges imperfectae 78, 199, 292 Materielles Privatrecht – als Anspruchssystem 102 ff., 288 ff. – als System verhaltensbestimmender Normen 59 ff. – als System von Entscheidungsnormen 88 ff. – Durchsetzbarkeit 39, 45 f., 53 ff., 57 ff., 66, 69, 147 – Trennung bzw. Unterscheidung vom Öffentlichen Recht 22, 29, 61, 71, 193, 198, 282, 312, 316 ff., 379 ff., 392 ff. – Trennung bzw. Unterscheidung vom Prozessrecht 18, 22 f., 32, 36 f.,
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Sachwortverzeichnis
39 ff., 46 ff. 64, 66 ff., 71, 73 f., 89, 95 ff., 147 Materielles Ziviljustizrecht, Lehre vom 65, 67, 72 ff., 79, 322 Nachbarrecht – derivatives privates Nachbarrecht 376 – Doppelgleisigkeit, Theorie der 378 f. – partiell und generell drittschützende Normen 374 f., 433 – privates und öffentliches 369 ff., 371 ff., 375 ff. – Privatrechtliche Nachbarrechtstheorie 378 f., 386 ff. – quasineg. Ansprüche auf Grundlage des öffentlichen Baurechts 378 ff., 399 ff. Namensrecht 17, 185, 239, 246 Nationalsozialistische Rechtserneuerung, sog. 36, 131 Fn. 92, 289, 313 ff. Naturalobligation 66 Naturalrestitution 155 ff., 164, 166 ff., 185, 271 f., 328 Naturrecht 36 ff., 41, 229 Fn. 14 u. 17 Ne bis in idem s. Doppelbestrafung, Verbot der Normen s. Rechtsnormen Nötigung (§ 240 StGB) 168 f., 330 f., 340 Nothilfe 113 Notwehr 113, 333 f., 339 Nulla poena sine culpa 215, 218 f. Nullum crimen, nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) 215 ff. Objektive Bedingung der Strafbarkeit 346, 366 Öffentliches Interesse 104, 152, 203, 260, 292 f., 301 ff., 322, 324, 370, 372, 378 f., 389 ff., 394 ff., 400, 404, 409, 418, 420, 422, 433 Öffentliches Recht – Interessentheorie 173, 175, 276, 294 ff.
– Schutznormtheorie 301, 305, 373, 384, 391 – Sonderrechtstheorie 317 f., 378, 380, 382 – subjektives öffentliches Recht 161, 196, 238, 278, 300 f., 305, 372 ff., 381, 385 f., 395, 412, 414, 423 – Trennung bzw. Unterscheidung vom Zivilrecht 22, 29, 61, 71, 193, 198, 282, 312, 316 ff., 379 ff., 392 ff. – Unterlassungsklage zur Durchsetzung öffentl.-rechtl. Schutznormen 28 ff., 143 f., 160 f., 177 f., 193 f., 227 ff., 233 ff., 316 ff., 319 ff., 371 ff., 378 ff. – Zivilprozessrecht als Öffentliches Recht 39, 40, 68 Ordnungsmaßnahmen (§ 890 ZPO) – Doppelbestrafung, Verbot der 18, 151 ff., 199 ff., 215 ff., 239, 321, 330 f., 386, 398 – Rechtsnatur 203 ff. – Sanktionscharakter 203 ff., 212 ff. – Theorie der „Beugestrafe“ 206 ff. Pflicht – als Kehrseite des Anspruchs 118 – Begriff 103 f., 117 ff., 288 f. – Relativität 82 ff., 88, 289, 396 Popularklage 243 f., 267, 292 f., 303, 336, 391, 398, 429, 433 Popularrechtsschutz, Ausschluss des 112, 193, 273, 275, 303, 341 Prätor 33 f., 42, 47, 79 Privatautonomie 231, 236, 307, 393 Privatklagedelikte 152, 260 f. Protective Perimeter 274, 339 ff. Prozessrecht s. Zivilprozessrecht Publikumsschutznormen s. Allgemeinheit, Schutz der Räum- und Streupflicht, Unterlassungsklage zur Durchsetzung 272, 274 f. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 160 f., 239
Sachwortverzeichnis Rechtsmissbrauch, Lehre vom 311 f., 314 Rechtsnormen – als Entscheidungsnormen 35 f., 56, 73 ff., 88 ff., 93, 95, 105, 232, 287, 319 ff., 355, 358, 380 ff., 404 f., 408 – als Imperative s. Imperativentheorie – als verhaltensbestimmende Normen 23 f., 29, 41, 56, 59 ff., 93, 95, 110, 172, 224 f., 280 ff., 283 ff., 345 ff., 351 ff., 382, 384 ff. – Durchsetzbarkeit als Eigenschaft 76 ff. Rechtsschutzbedürfnis /-interesse 54 f., 61, 63 f., 65 f., 69, 73 f., 102, 116 Rechtsverweigerung, Verbot der (déni de justice) 253 f. Rechtswidrigkeit – Begriff 347, 366 ff. – Einfluss der finalen Handlungslehre 346, 353, 357 f. – Lehre vom Erfolgsunrecht 344, 359 f. – Lehre vom Handlungsunrecht 345 ff., 349, 351 ff. – Lehre von der Unrechtsirrelevanz des Erfolgs 346 f., 351 ff. Richterliche Rechtsfortbildung 129 ff., 239 ff., 248 ff. – Methodenlehre 239 ff. – Verfassungsrechtliche Grenzen 248 ff. Robinson-Crusoe-Beispiel 108 Schadensersatzpflicht – Beunruhigung/Unruhe als Schaden 166 ff., 271 f., 273 ff. – Eingetretener Schaden als Voraussetzung 27, 114, 269 ff., 351 ff. – Sanktionsfunktion 263, 348 – Schutzbereich der Norm 167, 189, 368, 430 f., 433 – Vorrang der Schadensverhütung 343 f., 430 Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) 262 ff.
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Schutznormtheorie 301, 305, 373, 384, 391 Selbsthilfe 36, 75, 77, 102, 113, 327, 342 Selbstschutz, Gedanke des 332 ff. Staatsfreiheit des Zivilrechts 228, 323 f. Strafe, öffentliche (Kriminalstrafe) 112, 115, 124, 146, 151 ff., 162, 176 f., 178 f., 184, 194 f., 197 ff., 233 ff., 239, 243, 246 f., 258, 260 ff., 265 f., 309, 330, 348, 365 – Begriff d. Strafe in Art. 103 GG 215 ff. – Doppelbestrafung, Verbot der 18, 151 ff., 199 ff., 215 ff., 239, 260 f., 321, 330 f., 386, 398 – Strafzweck 203 ff., 211, 212 ff., 330 Strafrecht – Unterlassungsklage zur Durchsetzung strafrechtlicher Verbotsnormen 151 ff., 199 ff. – Unzulänglichkeit des 154 f., 176 f., Stufenmodell der Rechtsordnung 284 Subjektives Recht – Abgrenzung zur Reflexwirkung 174, 300 ff., 383 – als „Normsetzungsbefugnis“ (Bucher) 283 ff. – Begriff 276 ff., 288 ff. – Bewehrte Freiheit 126, 297, 338 f. – Gestaltungsrecht 180, 189, 278, 285 Fn. 46, 306 – Interessentheorie 173, 175, 276, 294 ff. – sekundäres subjektives Recht, sog. 192 ff., 282, 306 f. – „Sonstiges Recht“ i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB 159, 166, 181 f., 189 ff., 255, 258, 270, 278, 325 – Unterscheidung vom sonstigen rechtlich geschützten Interesse 128 Fn. 84, 181 ff., 188 f. – Vereinigungstheorie 276, 304
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Sachwortverzeichnis
– Willenstheorie 36, 129 Fn. 86, 131 Fn. 92, 143, 172 f., 276 f., 279 f., 282, 290, 298, 300, 304, 325 – Zweckbindung, These der 291 f., 311 ff. Subsidiaritätsklausel, Polizeirechtliche 112 f., 423 Unterlassungsanspruch – als Grundlage der Unterlassungsklage 106 ff. – Unterlassung als Naturalrestitution 155 ff., 166 ff., 271 f. Unterlassungsklage – als reines prozessuales Institut 20, 23, 26, 30, 107, 115 f., 117, 128 Fn. 84 – Analogieschluss zu § 12, 862, 1004 BGB 22 f., 51, 129, 148 ff., 164, 171, 174 f., 177 ff., 183, 187, 196, 203, 242 ff., 245 f., 274 – Funktionen 200 ff. – gegen Errichtung eines Gartenteichs in der Nachbarschaft (AG Marbach, NJW-RR 1988, 346 f.) 161 f., 336 ff. – gegen Immissionen eines Notkamins (BGH, NJW 1997, 55) 428 ff. – gegen Lärmstörungen durch Ballettschule (BGHZ 122, 1 ff.) 160 f., 248, 426 ff. – gegen unerlaubten Bordellbetrieb (RGZ 38, 379 ff.) 146, 170, 271 f. – materiellrechtlicher Anspruch als Grundlage 106 ff. – Strafbarkeit der zu unterlassenden Handlung 151 ff., 171, 199 ff., 330 f. – „wiederherstellende“ 155 ff., 166 ff., 271 f. Unvollkommene Verbindlichkeiten 55 Verbot der Doppelbestrafung s. Doppelbestrafung Verbotene Eigenmacht 309, 334 Verkehrssicherungspflicht 23, 162, 331 ff., 345 Vermächtnis (§ 2147 ff. BGB) 166
Verschulden 24, 28, 114, 148 ff., 263, 270 f., 348, 359, 364 f. Versuch (Delikt) 361 Vertrag zugunsten Dritter 166, 186 Verwaltungsakt 398, 403, 406, 425, 427 f. Verwaltungsbehörde 29, 115, 143, 178, 185, 187, 193 f., 196, 231, 233, 238, 244, 246, 258, 265, 272 f., 275, 282, 292, 294, 301 ff., 320 ff., 371 ff., 378 ff., 399 ff. Vollstreckungsgegenklage 409, 411 f. Wahrnehmung berechtigter Interessen 148 ff. Wettbewerbsrecht – Kartellrecht 193, 196, 292, 294 – Lauterbarkeitsrecht 187, 196, 292, 294, 433 Zivilprozess – als Verfahren zur Durchsetzung subjektiver Privatrechte 99 f., 291 – Prozessmaximen 195, 308 f., 394 – Prozesszweck 32, 98 ff., 291, 294 – Ungeeignetheit zur Durchsetzung objektiver Verhaltensnormen 291 ff., 394 ff. Zivilprozessrecht – Feststellungsklage 65, 67, 80 ff., 105, 107, 202 – Klage auf zukünftige Leistung 57, 69 ff., 80 ff., 164 f., 174 – prozessbeschleunigende Vorschriften 98 – Rechtsschutzbedürfnis /-interesse 54 f., 61, 63 f., 65 f., 69, 73 f., 102, 116 – Trennung bzw. Unterscheidung vom materiellen Zivilrecht 18, 22 f., 32, 36 f., 39 ff., 46 ff., 64, 66 ff., 71, 73 f., 89, 95 ff., 147 Zwangsgeld s. Ordnungsmaßnahmen