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German Pages 276 Year 1972
Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter
Band 8
Die Republik als Herausforderung Konservatives Denken in Bayern zwischen Weimarer Republik und antidemokratischer Reaktion (1918 – 1925)
Von
Friedhelm Mennekes
Duncker & Humblot · Berlin
FRIEDHELM MENNEKES
Die Republik als Herausforderung
Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter herausgegeben von Prof. Dr. Karl Bosl Institut für Bayerische Geschichte an der Universität München
Band8
Die Republik als Herausforderung Konservatives Denken in Bayern zwischen Weimarer Republik und antidemokratischer Reaktion (1918 -1925)
Von Friedhelm Mennekee
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1972 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1972 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 02805 8
Inhaltsverzeichnis Einleitung
9
Teil A Einführungen I. Der Gegenstand der Untersuchung: Konservative Zeitschriften Bayern
12 in
1. Die ,Historisch-politischen Blätter'
12 13
2. Das ,Neue Reich'
14
3. Die ,Allgemeine Hundschau'
15
4. Die ,Gelben Hefte'
16
5. Das »Hochland'
17
6. Die »Stimmen der Zeit'
17
I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe zum Verständnis eines katholisch-konservativen Denkens i n Bayern
19
1. Politisches Bewußtsein u n d Demokratie i n Deutschland
19
2. Umrisse des sozio-politischen Hintergrundes Bayern v o r Errichtung der Weimarer Republik
26
a) Gesellschaftlicher S t r u k t u r w a n d e l i n Bayern
27
b) Politischer S t r u k t u r w a n d e l i n Bayern
29
c) Die Revolution i n München u n d die Errichtung der Weimarer Republik
31
d) Das Bewußtsein bayerischer Eigenstaatlichkeit
34
3. Der deutsche u n d der bayerische Katholizismus ζ. Z. des sozialen u n d politischen Umbruchs
35
a) Der soziale Wandel innerhalb des deutschen Katholizismus . .
36
b) Historische Wandlungen des Staat-Kirche-Verhältnisses
37
c) Erster Weltkrieg, Revolution u n d Weimarer Reichsverfassung
40
d) Besonderheiten des bayerischen Katholizismus ζ. Z. des U m bruchs aa) Der bayerische Katholizismus bis zum Ende der Monarchie bb) Der bayerische Katholizismus u n d der Erste Weltkrieg cc) Die Münchener Revolution von 1918
42 42 44 45
6
Inhaltsverzeichnis
I I I . Methodologische Orientierungen
47
I V . Theoretische L e i t l i n i e n
50
V. Versuch einer vorgängigen Typologisierung dieses Denkens
58
1. Geistesgeschichtliche Ortung
59
2. Nähere Spezifizierung durch ,geistige Väter' dieses Denkens
60
a) Georg von H e r t l i n g
60
b) Juan F. M . Donoso Cortés
64
c) Konstantin Frantz
69
Teil Β Antidemokratisches Denken in der katholischkonservativen Publizistik Bayerns (1918 - 1925) I. Allgemeine K r i t i k an der demokratischen Idee 1. Begriffliches Verständnis
72 72 74
2. Wertende Einstellungen
78
3. Inhaltliche Vorbehalte
83
a) Weltanschaulich-religiöse Vorbehalte
83
b) Philosophisch-prinzipielle Vorbehalte
87
c) Historisch-politische Vorbehalte
97
I I . K r i t i k am Parlamentarismus
99
1. Begriffliches Verständnis
100
2. Wertende Einstellungen
102
3. Inhaltliche Vorbehalte a) Der Parlamentarismus w i r k t sozial auflösend b) Der Parlamentarismus mißachtet die A u t o r i t ä t u n d ist geistig eineben aa) Notwendigkeit u n d F u n k t i o n der A u t o r i t ä t bb) Der Huf nach dem starken M a n n — Der Einzelne u n d die Masse c) Der Parlamentarismus ist ein Werkzeug sachfremder Mächte .. I I I . K r i t i k an den Parteien u n d a m Parteienstaat
106 108 114 116 118 126 127
1. Begriffliches Verständnis
130
2. Wertende Einstellungen
136
3. Inhaltliche Vorbehalte
138
a) Parteienkritik auf der Basis ständestaatlichen Denkens
139
Inhaltsverzeichnis aa) Organische Gesellschaftsvorstellungen u n d Parteienkritik 140 bb) Ständische Gesellschaftsvorstellungen Exkurs
u n d Parteienkritik 143
über die Episode eines katholischen Rätedenkens 150
b) Parteienkritik auf der Basis föderalistischen Denkens
157
c) Parteienkritik auf der Basis autoritären Denkens
171
d) Verfassungspolitische Alternativvorstellung
174
e) K r i t i k an der Zentrumspartei
177
IV. K r i t i k an der Weimarer Reichs Verfassung
180
1. Begriffliches Verständnis
181
2. Wertende Einstellungen
183
a) Katholische ,Vernunftrepublikaner'
184
b) Katholische Restauration
187
c) Katholische Reaktion
189
3. Inhaltliche Vorbehalte
190
A. Die juristische Ebene: Infragestellung der Legitimität
190
1. Die Weimarer Reichsverfassung u n d die Revolution von 1918 192 a) Verschiedene Revolutionsbegriffe
192
b) Auffassungen über den Zusammenhang von Revolution u n d Republik 195 c) Moralische Einstellungen zur Revolution
196
d) Faulhabers Einstellung zu Revolution u n d Republik
199
2. Neue Verfassung u n d alte Treueverpflichtungen
203
3. Katholisches Legitimitätsdilemma
206
4. Lösungsmodelle dieses Dilemmas
206
a) ,Sich-stellen-auf-den-Boden-der-Tatsachen'
207
b) Resistance i m Rahmen der Verfassung
209
c) Abwartende, zeitlich begrenzte politische Abstinenz
211
B. Die weltanschauliche Ebene: Der Streit u m die antireligiösen I m p l i k a t i o n e n des A r t . 1 W R V 214 C. Die politische Ebene: Die Theorien von Resistance, Reaktion u n d Gegenrevolution 224
Teil C Zusammenfassung und Ansätze für eine Kritik
227
1. Zusammenfassung
277
2. Material-konservative Elemente dieses Denkens
230
8
Inhaltsverzeichnis a) Z u m Begriff »konservativ'
230
b) Konservatives Selbstbewußtsein i n den Zeitschriften
232
3. Formal-systematische Elemente dieses Denkens
237
4. Legitimatorische Stützaktion u n d das Problem der Verdinglichung 242 Scfaluß
244
Literaturverzeichnis
245
Personenverzeichnis
272
Einleitung Das Verhältnis der Katholiken zum modernen Staat — und zur Moderne allgemein — ist seit den kritischen Auseinandersetzungen m i t der Rolle, die die Katholiken 1933 i n Deutschland gespielt haben, zum Gegenstand des Interesses geworden. Wie konnte es dazu kommen, daß maßgebende Führer des Katholizismus i m Jahre 1933 i n Hitler und i m NS-Staat einen Ansatz für eine gesellschaftlich-politische Erneuerung sahen? Wenn man diese Tatsache nicht gänzlich auf einen politischen Opportunismus zurückführen w i l l , muß man — m i t E. W. Böckenförde 1 — nach den inneren Gründen für diese ,Anfälligkeit' fragen. Neben historischen Untersuchungen w i r d dabei auf ,typisch-katholische' Denkgebilde und -strukturen zurückzugreifen sein, so etwa auf Forschungen über die Ideenwelt und Wirksamkeit eines (katholisch-) politischen Föderalismus und Konservativismus, deren Fehlen bei Rudolf Morsey festgestellt w i r d 2 . Das erst jüngst erschienene Buch von Klaus Breuning 3 über die Reichsideologien der deutschen Katholiken versucht hier eine erste Lücke zu schließen. Auch der vorliegende Versuch möchte sich m i t der Untersuchung einer ideengeschichtlichen Position beschäftigen, und zwar einer Untersuchung zum näheren Verständnis des ,Rechtskatholizismus'. Es geht dabei u m die Einstellung katholischer Kreise i n Deutschland zur Republik von 1918. Diese Einstellung war vielfältig. Darum w i r d auch lediglich ein Element dieser verschiedenartigen Einstellungen herausgegriffen: Strömungen i m bayerischen Katholizismus. Bayern bietet sich für eine solche Untersuchung an, w e i l es der einzige größere Flächenstaat i n Deutschland war, der ein katholisches Gepräge besaß. Hier konnte sich Katholizität mehr oder weniger ungebrochen entfalten. Fragwürdige Einstellungskonzepte und -komplexe gab es allerdings nicht nur i m Katholizismus. Sie gab es auch i n einer Reihe von anderen Bevölkerungsgruppen. K u r t Sontheimer 4 hat darüber eine eingehende 1 Ernst Wolf gang Böckenförde, Der deutsche Katholizismus i m Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung, i n : »Hochland4 53 (1960/61), S. 215 - 238, S. 232. 2 Rudolf Morsey, Die deutsche Zentrumspartei 1917 - 1923, Düsseldorf 1966, S. 14. 3 Klaus Breuning, Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie u n d D i k t a t u r (1929 - 1923), München 1969. 4 Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken i n der Weimarer Republik.
10
Einleitung
Untersuchung geliefert, und auch über den protestantischen Bereich ist zu dieser Frage jüngst eine Veröffentlichung erschienen 5. Diese verschiedenen antidemokratischen Vorstellungskomplexe i n der Weimarer Republik waren Antriebe, Instrumente und Träger politischer A k t i v i t ä ten, die dazu dienten, den Antagonismus gegen das ,System' der Repub l i k zu schüren®. Insbesondere liefen diese Auseinandersetzungen i m Laufe der Weimarer Republik auf eine grundsätzliche Konfrontation der demokratischen Kräfte m i t der ,Rechten' hinaus, aus deren Tiefe, vor allem aus legitimistischen und autoritären Gedanken heraus, bald energische Gegenangriffe auf die Republik und ihr politisches System erfolgen sollten 7 . Es bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, dieses Problem i n Bayern zu untersuchen, so etwa die parteipolitische, die kirchengeschichtliche, die theologische Ebene u. a. m. Hier w i r d die ideengeschichtliche Ebene gewählt, w e i l i n diesem Rahmen die Verbindungen zwischen Religion und Politik am ehesten zutage treten. W i l l man sich nicht von vornherein auf die Ebene der Spekulation begeben, dann entsteht das Problem, ein geeignetes Untersuchungsobjekt zu finden. Dieses bietet sich i n einer Reihe von Zeitschriften an, wie sie i m Bayern der Weimarer Republik zu finden sind. Sie bemühten sich u m geistige Zusammenhänge, wie sie hier interessieren, und dürften wegen einiger Verschiedenheiten einen relativ repräsentativen Querschnitt für ein katholisches Denken i n dem interessierenden Fragezusammenhang ergeben. Es handelt sich u m die ,Historisch-politischen Blätter', die ,Gelben Hefte', die ,Allgemeine Rundschau', das ,Neue Reich', das ,Hochland' und die ,Stimmen der Zeit'. Diese Zeitschriften werden i m Rahmen dieser Arbeit i n einem bestimmten Zeitraum nach Aussagen über die Einstellung zur Republik, zur Politik, zum Zusammenhang von Politik und Religion usw. untersucht. Als Zeitraum werden die Jahre 1918 bis 1925 gewählt. Dabei bedarf der zweite Eingrenzungspunkt wohl einer Erklärung. Aber es legt sich diese Eingrenzung nahe, w e i l ein Überblick über die Einstellungen, wie sie sich i m Bayern der Weimarer Republik finden und entwickeln, ein zu umfangreiches Quellenstudium erfordern würde. Bei dem gewählten Zeitraum handelt es sich dagegen weitgehend u m Ausgangspositionen. I m Laufe der Zeit, m i t Beginn einer Konsolidierung der Republik, vor allem aber m i t der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten kamen Die politischen Ideen des deutschen Nationalsozialismus zwischen 1918 u n d 1933, München 21968. 5 Horst Zilleßen (Hrsg.), V o l k — Nation — Vaterland. Der deutsche Protestantismus u n d der Nationalsozialismus, Gütersloh 1970. β Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls i n der Demokratie, Düsseldorf 1955, S. 150 f. 7 Ebd. S. 152.
Einleitung
die anfänglichen Konfrontationen zu einer gewissen Ruhe und wurden dann von anderen, neuen Problemen und Konfrontationen abgelöst oder verdeckt. Die Bewegung für eine monarchische Restauration lief aus, und neue Themen der Auseinandersetzung traten an ihre Stelle. Zudem beendete das Zentrum seine demokratische Phase, und eine neue — durch die Namen Kaas, Brüning und Papen bezeichnete — Epoche begann. Die Arbeit geht auf eine Anregung von Prof. Dr. Hermann Josef Wallraff, Frankfurt, zurück. Sie bezog sich auf eine Untersuchung der geistesgeschichtlichen Bedingtheit des Widerstandes der deutschen, insbesondere der bayerischen Katholiken gegen die Idee der Demokratie zur Zeit der Weimarer Republik. Die Durchführung des Themas ermöglichte mein Doktorvater Prof. Dr. K a r l Dietrich Bracher, Bonn. Prof. Dr. Ernst Deuerlein, München, und das Institut für bayerische Geschichte an der Universität München haben manchen Hinweis und manche Arbeitserleichterung gegeben. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Mein weiterer Dank gilt Prof. Dr. K a r l Bosl, München, und dem Verleger, Herrn Ministerialrat a.D. Dr. Broermann, Berlin, welche die Aufnahme dieser Arbeit i n die Schriftenreihe ,Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns i m Industriezeitalter' befürwortet haben. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei Dr. Manfred Gross, München, für die mühevolle Durchsicht des Manuskripts und das Lesen der Korrek* turen. Frankfurt am Main, i m J u l i 1972 Friedhelm
Mennekes
Teil A Einführungen I. Der Gegenstand der Untersuchung: Konservative Zeitschriften in Bayern Die hier beabsichtigte Untersuchung w i r d an sechs Zeitschriften der Jahrgänge von 1918-1925 durchgeführt. M i t Ausnahme des ,Neuen Reichs' hatten alle Zeitschriften ihre Redaktionen i n München. Das ,Neue Reich' erschien i n Wien, wo sich auch seine Redaktion befand. Als bayerische Zeitschriften i m strengen Sinne können allerdings nur die ,Allgemeine Rundschau', die ,Historisch-politischen Blätter' und die ,Gelben Hefte' angesehen werden, da sie nicht nur i n München erschienen, sondern i n Bayern auch ihre meisten Bezieher hatten und sich i n regelmäßigen Abständen m i t Themen beschäftigen, die einer ausgesprochen bayerischen Problematik entsprangen. Zumeist handelte es sich dabei u m den Themenkreis der Auseinandersetzungen Bayerns m i t dem Reich i m Laufe der Weimarer Republik. A n dieser Auseinandersetzung beteiligte sich allerdings auch das ,Neue Reich', das i n Bayern einen Großteil seiner Bezieher besaß. Über die bayerische Problematik hinaus beteiligte es sich zudem auch an den großen innenpolitischen und ideologischen Auseinandersetzungen, die die Publizistik allgemein i n Bayern beschäftigte. Deshalb ist es i n die Reihe der hier untersuchten Zeitschriften aufgenommen worden. Das ,Hochland' und die ,Stimmen der Zeit' können nicht unter die ausgesprochen bayerischen Zeitschriften gezählt werden, da sie sich vor allem als katholische Zeitschriften für ganz Deutschland verstanden. Doch ergeben sich aus dem gesamten Duktus der politischen Argumentationen und der sie bedingenden geistigen Einstellungen Affinitäten zu den anderen Zeitschriften, welche die Einbeziehung auch dieser Zeitschriften unter die Kategorie katholisch-konservativer Zeitschriften nahelegten. Es w i r d sich dabei erweisen, daß damit der Begriff konservativ' eine größere Spannweite — hier i n Richtung einer größeren A u f geschlossenheit der Republik gegenüber — erhält. Die untersuchten Zeitschriften sind allerdings nicht die einzigen, die sich auf der Basis einer katholischen Weltanschauung und auf bayerischem Boden m i t den politischen Veränderungen auseinandersetzten. So gab es auf der ausgesprochen monarchistischen Seite Zeitschriften bzw.
1. »Historisch-politische Blätter'
13
Wochenschriften wie den ,Bayerischen Königsboten' 1 , die ,Bayerische Heimatzeitung' 2 und später den ,Bayerischen Herold' 3 . Zu nennen wären weiterhin das ,Heimatland' 4 , die ,Süddeutschen Monatshefte' 5 , die ,Soziale Revue' 6 , die ,Politischen Zeitfragen' 7 u. a. m. 8 , die aber durch die Grenzziehung, wie sie i n dieser Untersuchung vorgenommen werden muß, jeweils aufgrund dieser oder jener Grenzüberschreitung außerhalb des Blickfeldes geraten. — I m folgenden sollen die ausgewählten Zeitschriften kurz hinsichtlich ihrer publizistischen Daten vorgestellt werden. 1. Die »Historisch-politischen Blätter^
Die Zeitschrift ,Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland' war die weitaus älteste i n der Reihe der süddeutsch-katholischen Zeitschriften. Sie hatte eine lange Tradition. 1838 von Joseph von Görres mitbegründet, bildete sie das ganze 19. Jahrhundert hindurch das großdeutsche, antipreußische Oppositionsorgan. Seine Abonnenten reichten bis weit nach Ungarn, Österreich, Holland und i n die Schweiz hinein 1 0 . Vor allem i n der Kulturkampfzeit, aber auch darüber hinaus bekämpfte dieses süddeutsche, föderalistische Blatt das protestantische Kaisertum und die Hegemonie Preußens. Es war i n Preußen „lange Zeit das verhaßteste Blatt, und es gab Zeiten, i n denen . . . (es) streng von den preußischen Grenzen ferngehalten wurde" 1 1 . 1 I m Untertitel: »Wegweiser f ü r das bayerische V o l k i n Stadt u n d Land'. Sie w a r die Bundeszeitung f ü r die Bayerische Königspartei. 1920 ff. 2 I m Untertitel: »Leitsatz: Weiß-blau u n d schwarz-weiß-rot zugleich'. Sie w a r Nachfolgerin des »Bayerischen Königsboten'. 1922 ff. 3 I m Untertitel: »Wochenschrift f ü r heimat- u n d königstreue Politik'. 1925 ff. 4 I m Untertitel: »Wochenzeitung der Einwohnerwehren Bayerns'. 1920 ff. 5 Sie erschienen 1919 i m 16. Jahrgang u n d w u r d e n herausgegeben v o n Paul Nikolaus Cossmann. 6 I m Untertitel: »Katholische internationale Halbmonatszeitschrift'. M i t herausgeber w a r der zentrums-orientierte Msgr. C. Walterbach. Die Zeitschrift erschien ab 1901 i n Essen u n d seit 1920 i n München. 7 I m Untertitel: »Lose Mitteilungen über alle Gebiete des öffentlichen Lebens'. Sie erschienen seit 1919 u n d waren ein offizielles Organ der Bayerischen Volkspartei. 8 Einen Überblick über weitere Zeitschriften der hier i n Frage kommenden Richtungen geben die entsprechenden Ausgaben von: Sperlings ZeitschriftenAdreßbuch. Handbuch der deutschen Presse. Die wichtigsten deutschen Zeitschriften u n d politischen Zeitungen Deutschlands, Deutsch-Österreichs u n d des Europäischen Auslandes, bearbeitet v o n der Adreßbücher-Redaktion der Geschäftsstelle des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. E t w a : 50. Ausgabe, Leipzig 1923, S. 28 ff., S. 121 ff.» S. 141 ff.» S. 221 ff. 9 I n den Anmerkungen folgend m i t ,ΗΡΒΙ' abgekürzt. 10 NN, Die »Historisch-politischen Blätter'. Das vorläufige Ende ihres Erscheinens, i n : »Das Neue Reich' 5 (1922/23), S. 850 f. 11 Ebd. S. 850.
14
T e i l A , I. Konservative Zeitschriften i n Bayern
Die Zeitschrift erschien monatlich i n einem Umfang von ca. 80 Seiten. Neben den i m Titel angerissenen Themenkreisen behandelten die ,Historisch-politischen Blätter' religiöse, schöngeistige und allgemeinkulturelle Themen. Ihre Auflagenhöhe nach dem Krieg ist nicht genau zu ermitteln 1 2 . Sie mag auf etwa 2000 geschätzt werden. Bereits vor dem Krieg, vor allem aber danach, muß sich die Auflageziffer ständig vermindert haben. Jedenfalls stellte sie nach dem Tode ihres letzten Herausgebers, Georg von Jochners 13 , i m Jahre 1923 ihr Erscheinen ein. Sie erhielt kurz darauf i n den ,Gelben Heften' eine Nachfolgezeitschrift — wenn auch unter sehr verschiedenen Vorzeichen. 2. Das »Neue Reich'"
Eine weit größere Auflage und Verbreitung besaß die i n Wien herausgegebene Wochenschrift ,Das Neue Reich. Wochenschrift für K u l t u r , Pol i t i k und Volkswirtschaft.' Laut Aufdruck konnte sie seit ihrer Gründung am 1. 10. 1918 ihre Auflage auf 10 000 i m Jahre 1920 und auf 15 000 i m Jahre 1925 steigern 15 . Mitbegründer und langjähriger Schriftleiter bis 1925 war die höchst eigenwillige Persönlichkeit eines Josef Eberle 1 6 . Während noch die ersten Nummern unter dem Titel ,Die Monarchie' erschienen waren, wurde nach den Abdankungen der Monarchien die programmatische Bezeichnung ,Das Neue Reich' gewählt. Eberle schrieb zum Namens Wechsel: „Der Titel ,Das Neue Reich' ist Ausdruck unseres Glaubens an ein aus der alten Monarchie neu entstehendes Reich . . . Sicher ist, daß die staatliche Ordnung i m Herzen Europas ein neues Reich v e r l a n g t . . . 1 7 ." Unter der Leitung Eberles steuerte das ,Neue Reich' einen scharf antidemokratischen, vor allem antirepublikanischen Kurs und berief sich dabei auf religiöse und naturrechtliche Gründe. Es wollte eine monarchische Restauration unter dem Zeichen eines katholischen Kaisertums. 12 Sperlings Zeitschriften-Adreßbuch, 50. Aufl., sowie die Ausgabe v o n 1920 machen darüber keine Angaben. 13 Die Zeitschrift w a r i n Jochners Familienbesitz. Seit 1903 w a r er Mitherausgeber u n d von 1914 an alleiniger Herausgeber. Jochner selbst w a r Generaldirektor der bayerischen Archive. Die meisten A r t i k e l erschienen vielmehr aus der Feder eines Rosenheimers Gymnasialprofessors: Franz X a v e r Hoermann. Vgl. 123, S. 1. (Zitierte Aufsätze der untersuchten Zeitschriften werden i m folgenden unter bestimmten N u m m e r n angegeben, deren Aufschlüsselung i m ersten T e i l des Literaturverzeichnisses i m A n h a n g dieser A r b e i t zu finden ist.) 14 I n den Anmerkungen folgend m i t ,NR' abgekürzt. 15 Eugen Kogon, zeitweiliger Mitarbeiter des langjährigen Schriftleiters Josef Eberle u n d späteren Herausgebers der »Schöneren Zukunft', hält diese Z a h l für übertrieben u n d stufte sie auf unter 10 000 ein. Vgl. Breuning, S. 31, A n m . 27. 18 Vgl. den Nachruf: ,g.m.', Dr. Josef Eberle , i n : ,Wort u n d Wahrheit 4 2 (1947), S.633 - 637. 17 211 (NR), S. 105.
3.,Allgemeine Rundschau'
15
Oskar von Soden preist die Zeitschrift denn auch i n einem A r t i k e l als »getreuen Eckhard der metaphysischen und historischen Güter der Völker' 1 8 , und Peter Wust sieht i n ihr das »geistige Standquartier einer neuen Aktion', einer ,katholischen Kulturfront, die sich von Wien über München und Frankfurt nach K ö l n erstreckt' 19 . Die A r t i k e l des ,Neuen Reiches' erstreckten sich auf alle Bereiche, die i m Untertitel anklingen. Darüberhinaus gibt es ausgesprochen religiöse Betrachtungen und Impressionen. Dem Charakter einer Wochenschrift gemäß, gab sie Kommentare zum laufenden Zeitgeschehen, vor allem aber grundsätzlich gehaltene A r t i k e l und Abhandlungen. Hervorstechend sind ein ausgesprochen antikapitalistischer Geist und ein antisemitischer Zug. 3. Die,Allgemeine Rundschau'2*»
Wie das ,Neue Reich' so war auch die ,Allgemeine Rundschau' eine »Wochenschrift für K u l t u r und Politik' — wie es i m Untertitel heißt. Sie erschien 1918 i m 15. Jahrgang und war 1904 von A r m i n Kausen begründet worden. Ihre genaue Auflagenziffer ist nicht exakt zu ermitteln, doch dürfte sie zwischen 10 000 und 20 000 gelegen haben. Entgegen den beiden anderen vorgestellten Zeitschriften kommen i n ihr die verschiedensten Richtungen konservativer politischer Einstellungen zu Wort. So zählen unter ihren Redakteuren entschiedene Gegner wie Befürworter der Republik. I h r Schriftleiter war seit 1921 Otto Kunze. Er wollte eine Sammlung auf dem Boden des katholischen Glaubens betreiben und die verschiedenen katholischen Richtungen integrieren 2 1 . „Heute, wo sich die Weltanschauungen wieder mehr und mehr aus den brodelnden Revolutionsideen herausheben und hart aneinander sich reiben, genügt es nicht, die Dinge nur negativ am Maßstab der Religion zu messen, sondern sie müssen positiv vom aktiven Programm des Katholizismus aus gefordert oder abgelehnt, gefördert oder bekämpft werden" 2 2 , schreibt Hans Eisele, der vor Kunze die Schriftleitung innehatte 2 3 . »Katholisch', »abendländisch' und »großdeutsch' — das sind die drei Richtungen und Richtlinien, denen sich die »Allgemeine Rundschau' verpflichtet 18
257 (NR), S. 531. 255 (NR), S. 792. 20 I n den Anmerkungen folgend m i t ,AR' abgekürzt. 21 168 a (AR), S. 399. 22 160 (AR), S. 163. 28 Hans Eisele w a r seit 1920 kurz als Schriftleiter der A R tätig. Z u v o r w a r er langjähriger Vertreter der,Kölnischen Volkszeitung' i n Berlin. Eisele hatte 1920 den damaligen Schriftleiter Ferdinand Abel, der die Hauptschriftleitung der »Deutschen Reichszeitung' i n Bonn übernahm, abgelöst. Vgl. die redaktionelle Anzeige, die dem A r t i k e l 160 (AR) vorangestalt ist. 19
16
T e i l A , I. Konservative Zeitschriften i n Bayern
wissen w i l l . Die Lehren der katholischen Kirche sollen maßgebend sein für alles, was i n der Zeitschrift behandelt wird, sei es Politik, Wirtschaft, K u l t u r , Kunst usw. M i t dem Stichwort ,abendländisch4 soll das ,Schlagwort vom Untergang des Abendlandes' bekämpft, i m Zeichen des ,Großdeutschen4 das deutsche Volk wieder frei, einig und glücklich werden 2 4 . 4. Die,Gelben Hefters
Die Zeitschrift ,Gelbe Hefte. Historische und politische Zeitschrift für das katholische Deutschland' wurde 1924 i n der Nachfolge der ,Historisch-politischen Blätter 4 , die schon zuvor wegen ihres Einbandes ,Gelbe Hefte 4 genannt wurden, von dem Münchener Geschichtswissenschaftler Max Buchner 26 herausgegeben. Durch ihre kleindeutsche Richtung und ihr Eintreten für den nationalen Gedanken unterschieden sich die »Gelben Hefte 4 i n diesem Punkte und den sich daraus ergebenden Konsequenzen wesentlich von den anderen Zeitschriften. Als gemeinsam m i t den anderen Richtungen, vor allem mit dem ,Neuen Reich', das zu den ,Gelben Heften 4 sehr bald i n einen scharfen Gegensatz geriet 2 7 , stellte Buchner den Katholizismus, die ,konservative Idee 4 und die Skepsis gegenüber Demokratie und Parlamentarismus heraus. Die Unterschiede skizzierte Buchner so: „Das, was unsere historische und politische Zeitschrift von dieser Gruppe trennt, beruht einmal darin, daß w i r nicht gleich ihr die politische Entwicklung während der letzten sechzig Jahre auszuschalten suchen, daß unser legitimistisches Denken und Fühlen an das Jahr 1918 anknüpft und hier den großen Rechtsbruch i n Reich und Einzelstaaten erblickt, nicht aber anknüpft an das Jahr 1866 oder gar schon an 1806 . . . 2 8 ." Buchner trat dann zunächst für die Restauration der Hohenzollernmonarchie ein, geriet aber später mehr und mehr i n das Fahrwasser des Nationalsozialismus 29 . Die Auflage der Zeitschrift dürfte bei 3000 gelegen haben. Die Thematik der Beiträge dieser Monatszeitschrift, deren einzelne Hefte ca. 100 Seiten umfaßten, beschränkte sich auf historische und politische Problemkreise. 24
191 (AR), S. 461. I n den Anmerkungen folgend m i t ,GH 4 abgekürzt. 26 Z u r Persönlichkeit Buchners siehe: Christoph Weisz, Die Revolution v o n 1918 i m historischen u n d politischen Denken Münchener Historiker der W e i marer Zeit (Konrad Beyerle, M a x Buchner, Michael Doeberl, Erich Mareks, K a r l Alexander v o n Müller, Hermann Oncken), i n : Karl Bosl (Hrsg.), Bayern i m U m bruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, i h r Verlauf u n d ihre Folgen, München 1969, S. 535 - 578, S. 561 ff. 27 Vgl. dazu 137 (GH), S. 1142. Der Gegensatz entzündete sich vor allem an der Auffassung über die richtige Geschichtsinterpretation. E i n Überblick über die Positionen: 263 b (NR), S. 824 ff. u n d 126 (GH), S. 153 ff. u n d 197 ff. 28 137 (GH), S. 1142 f. Vgl. auch 123 (GH), S. 1 ff. 29 Vgl. Weisz, S. 564. 25
6. »Stimmen der Zeit'
17
5. Das »Hochland'30
Das »Hochland. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und der Kunst 4 wurde i m Oktober 1903 von seinem langjährigen Herausgeber Carl M u t h begründet 31 . Es hatte damals dem Willen seines Herausgebers gemäß die Aufgabe, den Katholizismus aus dem geistigen Ghetto herauszuführen, i n das er sich i n den K u l t u r kämpf jähren zurückgezogen hatte. M u t h gelang es, bedeutende geistige Vertreter des Katholizismus zur Mitarbeit zu gewinnen. War es bis i n den Krieg hinein eine nahezu reine Kulturzeitschrift, so nahm es i m Laufe des Krieges zunehmend zu politischen Geschehnissen und Entwicklungen Stellung. Martin Spahn, Max Scheler und Carl Schmitt zählten zu den Autoren. Aber auch sein Herausgeber, Carl M u t h selbst, griff zunehmend i n Fragen politischer Grundsatzprobleme zur Feder 32 . M u t h hatte sich nach langem inneren Ringen — wenn auch mit Vorbehalten — auf den Boden der Republik gestellt. Die Zeitschrift besaß i m deutschen Katholizismus eine hohe Autorität. Peter Wust feiert sie i m ,Neuen Reich' als ,vornehmstes und sublimstes Organ deutscher Geistigkeit' 8 3 . — Das ,Hochland' war i n ganz Deutschland verbreitet. Seine Auflage betrug 1922 10 000 Stück 3 4 . I n seiner Zielsetzung begriff es sich als konservativ. „,Hochland' ist konservativ i n seiner Überzeugung, daß Wachstum nur i n organischer Verbindung m i t dem Alten möglich ist, daß aber alles Unorganische, Gemachte wieder zerfällt, nicht aber konservativ i n dem Sinne, daß es alles Überkommene oder Bestehende für sakrosankt erklärt 3 5 ." 6. Die »Stimmen der Zeit' 3 «
Die ,Stimmen der Zeit. Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart' waren eine Zeitschrift der deutschen Jesuiten. 1864 wurden sie i n 30
I n den Anmerkungen folgend m i t .HL' abgekürzt. Über das ,Hochland' informieren allgemein: Franz Josef Schöningh (der Herausgeber nach dem Zweiten Weltkrieg), Hochland, A r t . i n : Staatslexikon der Görresgesellschaft (im folgenden ,StL' abgekürzt; genauere bibliographische Angaben über die einzelnen Auflagen i m Literaturverzeichnis), 6. Aufl., Bd. 4, Sp. 112 ff. Ferner: NN, 50 Jahre Hochland, i n : »Stimmen der Zeit' 153 (1953/54), S. 138 f. M i t dem H L befaßte sich auch eine Dissertation: J. Gitschner, Die geistige H a l t u n g der Monatsschrift »Hochland' i n den politischen u n d sozialen Fragen ihrer Zeit 1903 - 33, Phil. Diss. München 1952. 32 M i t dem politischen Werdegang Carl Muths beschäftigt sich ein A r t i k e l v o n Clemens Bauer: Carl Muths u n d des Hochlands Weg aus dem Kaiserreich i n die Republik, i n : H L 59 (1966/67), S. 234 - 247. 33 255 (NR), S. 792. 34 Sperlings Zeitschriften-Adreßbuch, 50. Ausg. 35 90 a (HL), S. 5. 36 I n den Anmerkungen folgend m i t ,SdZ' abgekürzt. 31
2 Mennekes
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T e i l A , I. Konservative Zeitschriften i n Bayern
Maria Laach, der damaligen Ausbildungsstätte für deutsche Jesuitenstudenten, als ,Stimmen aus Maria Laach* gegründet 37 . Nach der Vertreibung der Jesuiten aus Deutschland erschienen sie zunächst i n Belgien. Als dann 1914 der Orden nach Deutschland zurückkehren konnte, wurden sie i n München als ,Stimmen der Zeit' herausgegeben. Die Zeitschrift machte es sich zur Aufgabe, verschiedenste Themen der Theologie, Philosophie und der Wissenschaften zu behandeln. Sie tat dies i n der damals gängigen abstrakten und prinzipiellen Weise, die sie darum relativ selten i n die ,Niederungen' politischer Alternativfragen führte. Doch versäumte sie es nicht, sich nach dem politischen Umbruch i n ihrer Tendenz grundsätzlich auf den Boden der Republik zu stellen. Ihre Auflage betrug damals 800038. Insgesamt also dürften die untersuchten Zeitschriften eine Gesamtauflage von 40 000 bis 45 000 gehabt haben, wobei die beiden Wochenschriften eine wöchentliche Auflage von 20 000 bis 25 000 erreichten. Die Leserquote kann als relativ hoch angesetzt werden, da die Zeitschriften i n einer Zeit erschienen, i n der Fragen weltanschaulicher Orientierungen bei bestimmten Bevölkerungskreisen auf ein lebhaftes Interesse gestoßen sein dürften. Nach Inhalt und Stil beurteilt, waren die Zeitschriften für katholische Intellektuelle geschrieben, also mittlere und höhere Beamte, Lehrer, Geistliche, Freiberufliche usw. 3 9 Dieser Leserkreis m i t einer relativ einheitlichen weltanschaulichen Position mag die Tatsache erklären, daß es sich bei den A r t i k e l n nicht so sehr u m Begründungen weltanschaulicher und allgemein politischer Positionen handelt, sondern u m Interpretationen auf der Basis einer gemeinsamen weltanschaulichen Position und unter verschiedenen Interessen. U m den zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrund näher zu umreißen, der das Denken der Autoren mitbeeinflußte, sollen i m folgenden (weiterhin) einführenden Kapitel vier Bezugskreise angerissen werden: Der Komplex eines politischen Bewußtseins i n Deutschland, einige historisch-politische Gegebenheiten i n Bayern und der Bezugspunkt des deutschen und bayerischen Katholizismus. Es ist dabei nicht die Absicht, den laufenden bzw. ausstehenden Bemühungen u m eine nähere Klärung und Untersuchung dieser Bereiche neue Erkenntnisse 87 Über diese Zeitschrift informieren Oskar Simmel, Stimmen der Zeit, A r t . i n StL, 6. A u f l . Bd. 7, Sp. 727 f.; u n d Heinrich Sierp, Fünfzig Jahre »Stimmen*. Was w i r gewollt u n d was w i r wollen, 116 d (SdZ), S. 241 ff. 88 Sperlings Zeitschriften-Adreßbuch ,50. Ausg. 39 Guenter Lewy, Die katholische Kirche u n d das D r i t t e Reich, München 1964 (zuerst engl.: The Catholic Church and Nazi Germany, New Y o r k 1964), bem e r k t allerdings, Zeitschriften w i e A R , H L u n d SdZ hätten sich auch i n nichtkatholischen Kreisen eines hohen Ansehens erfreut. Ebd. S. 17.
1. Politisches Bewußtsein i n Deutschland
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oder Akzentuierungen und Ergebnisse hinzuzufügen. Diese einführenden Bemerkungen haben lediglich den Zweck, einen Verständnishorizont anzudeuten, wie er für das nähere Begreifen der behandelten Schriften und der dort erörterten Problemstellungen wichtig ist. — I n einem weiteren vorbereitenden Kapitel sollen dann theoretische Leitlinien und methodologische Probleme, die dieser Arbeit zugrundeliegen, kurz erörtert werden. I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe zum Verständnis eines katholisch-konservativen Denkens in Bayern 1. Politisches Bewußtsein und Demokratie in Deutschland
N i m m t man die besonderen Entstehungsumstände der ,halben' (Bracher) deutschen Revolution i n eine nähere Betrachtung, dazu die damit aufgeworfenen Strukturprobleme 1 und die lange Reihe der Versuche, diese zu lösen, dann drängt sich ein Problemkreis i n den Vordergrund, der m i t dem deutschen Staatsbewußtsein zu t u n hat und den Ralf Dahrendorf m i t der Formulierung ,deutsche Ideologie' umschrieben hat 2 . Ohne diese besondere A r t des politischen Denkens sind weder die Grundzüge der deutschen geschichtlichen Entwicklung noch die meisten spezifisch deutschen Einzelerscheinungen i n dem allgemeinen Prozeß einer Demokratisierung zu verstehen. Insbesondere w i r d diese »deutsche Ideologie' und die sich aus ihr ergebende politische Praxis als einer der gewaltigen Hemmschuhe, als eine »Barriere' (Dahrendorf 3 ) auf dem Wege Deutschlands i n die Moderne angesehen werden müssen. Welche politische und historische Realität hinter dem Begriff einer ,deutschen Ideologie' — insbesondere i n seiner antidemokratischen Tendenz — steht, hat K u r t Sontheimer 4 eingehend dargestellt. Begriffe, Kategorien, Ideen, die nach 1918 i n diesem Zusammenhang vorgetragen 1
K a r l Dietrich Bracher stellt drei solcher Problemkreise heraus: 1. Der v e r spätete Versuch, die lange zurückgedrängte demokratisch-parlamentarische Bewegung dennoch zur Macht zu bringen; 2. die Zurückdrängung der radikalen Revolutionäre; u n d 3. das Bündnis zwischen den alten Ordnungsprinzipien u n d den demokratischen Kräften, das die staatserhaltende Integration der verschiedenen politischen u n d sozialen Gruppen i n einer Reihe v o n Kompromissen zu erreichen suchte, ein Bündnis, das sich später lediglich als eine K o a l i t i o n des Augenblicks entpuppen sollte, getragen v o n dem tagespolitischen Bedürfnis nach Ruhe u n d Ordnung. I n : K. D. Bracher, I, S. 22. 2 Ralf Dahrendorf, Gesellschaft u n d Demokratie i n Deutschland, München 1965, S. 151 ff. 8 Ebd. S. 154. 4 Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken i n der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalsozialismus zwischen 1918 u n d 1933, zuerst München 1962; hier zitiert nach der zweiten, erweiterten Ausgabe: München 1968. 2·
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T e i l A , I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
und als modern bezeichnet i n die Diskussion geworfen wurden, stammten weitgehend aus der ,kultur- und gesellschaftskritischen Stimmung der Zeit vor 1914'5, die i n kaum einem sachlichen Zusammenhang m i t den politischen und gesellschaftlichen Realitäten der Nachkriegszeit standen 6 . Zwei Gedankenkreise skizzierten hauptsächlich diese Denkrichtung: ein romantisch-gemeinschaftlicher und ein obrigkeitlich-autoritärer. Das romantisch-gemeinschaftliche Denken hatte i n Deutschland eine lange Tradition. Sein Ursprung liegt i m nationalen Rückschlag der deutschen demokratischen Bewegung i m frühen 19. Jahrhundert. Aufgegriffen von der Romantik, begann nun die ,romantisch-mystische Begründung eines nationalen Sonderbewußtseins' 7 i n der deutschen Staatsphilosophie. Einer ihrer Kerngedanken war der Gedanke von der das Individuum umgreifenden Rolle des Volkes. I n bewußter Opposition westlichem und demokratischem Gedankengut gegenüber betonte man die Staatsgemeinschaft als etwas grundlegend anderes als der von Menschen geschaffene Zweckverband, wie der Staat i n der klassischen Vertragstheorie konzipiert worden war 8 . Vielmehr sei der Staat eine die Generationen übergreifende, elementar naturgegebene, ,organische Gemeinschaft 4 , die sich von der bloß mechanistisch gefügten ,Gesellschaft 4 grundlegend unterscheide. Gepriesene Züge des so verstandenen Staates waren seine innere Harmonie, seine Geschlossenheit, soziale Klassenlosigkeit und traditionale Gemeinschaft 0 . Verbunden damit war der Ruf nach dem Ständestaat und das Dogma von der vorgegebenen Größe des Gemeinwohls 1 0 . Das Gemeinwohl war nach dieser Vorstellung nicht etwas, das sich als Resultante aus dem jeweiligen Parallelogramm der ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Kräfte einer Nation 1 1 ergibt, sondern etwas, das vielmehr automatisch erreicht wird, sofern nur die auf freier Verbandsbildung beruhende Vertretung der Interessen verfassungsmäßig institutionalisiert ist 1 2 . I n Deutschland mochte der Gemeinschaftsgedanke w o h l auch deswegen eine so nachhaltige W i r k u n g erfahren, weil er i n einer Zeit, i n der viele gewohnte soziale 5 Walter Bußmann, Politische Ideologien zwischen Monarchie u n d Weimarer Republik, i n : Historische Zeitschrift 190 (1960), S. 55 - 77. S. 57. β Ebd. S. 56. 7 Karl Dietrich Bracher, Die deutsche D i k t a t u r . Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, K ö l n 1969, S. 17. 8 Vgl. ebd. S. 24. 9 Vgl. ebd. 10 Vgl. dazu: Ernst Fraenkel, Historische Vorbelastungen des deutschen Parlamentarismus, i n : E. F., Deutschland u n d die westlichen Demokratien, S t u t t gart 21964, S. 13-37, S. 21. 11 Ebd. 12 Ernst Fraenkel, Deutschland u n d die westlichen Demokratien, i n : Fraenkel I , S. 40.
1. Politisches Bewußtsein i n Deutschland
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Bindungen und Geborgenheiten zerbrachen und i n der der einzelne immer mehr zu einem Massenpartikel zu werden drohte, wieder »Geborgenheit, Sicherheit, einen festen Ort i m sozialen Gefüge und eine warme, heimelige Atmosphäre versprach' 13 . Hier sollte nicht äußerlich-rationale, sondern »wesentliche', natürlich gewachsene Einheit herrschen, ein »organisches' Zusammenwirken der Teile, „gefestigt durch »Eintracht', »Sitte' und »Religion'" 14 . Garant dieses organischen Zusammenwirkens vieler zu einer Gemeinschaft und Garant ihrer Einheit war der Staat. Aus diesem Grunde war man der Meinung, daß der Staat dem Interessenkampf der Parteien und Verbände enthoben sein müsse und die Nation i n Ordnung und Zucht zu halten habe als eine über allen Parteiungen stehende, m i t Macht zur souveränen Entscheidung ausgestattete Instanz 1 5 . Der Pluralismus der gesellschaftlichen und politischen Kräfte, insbesondere der Parteien, wurde nicht als Notwendigkeit eingesehen, sondern als ein Mangel und ein Übel erfahren und erklärt 1 6 . Der Staat sollte nicht als etwas irgendwie Abgeleitetes und Relatives betrachtet werden; er bestand für sie aus eigener K r a f t und Autorität, er war Staat u m seiner selbst willen 1 7 . Diese Staatsvorstellung war so autoritär wie die politischen Gegebenheiten, i n denen sie entwickelt wurde bzw. an denen sie sich orientierte. Ein solcher Staat beruhte — wie Dahrendorf es i m Hinblick auf das Kaiserreich formulierte — auf dem „unbestrittenen Führungsanspruch einer meist traditional legitimierten Schicht, die keiner verbindlichen Kontrolle durch repräsentative Institutionen ausgesetzt ist, die vielmehr die Vielen an politischer Teilnahme hindert, bis sie selbst auf ihren Anspruch verzichten. . . . Der autoritäre Staat ist i n dieser Hinsicht kein Willkürsystem. Seine Träger herrschen nicht m i t Terror, sondern m i t jener Mischung von Strenge und Wohlwollen, die die patriarchalische Familienstruktur kennzeichnet" 18 . Begünstigt wurden solche Theorien und die aus ihnen fließenden politischen Grundhaltungen, als deren Pole Machtkult und Untertanengeist genannt werden können 1 9 , durch eine gut funktionierende, korruptions13
Sontheimer, S. 251. Dahrendorf, S. 153. 15 Sontheimer, S. 193. 18 Vgl. dazu: Thomas Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien v o r 1918, Düsseldorf 1961, S. 393 ff. 17 Sontheimer, S. 193. 18 Dahrendorf, S. 73. 19 Karl Dietrich Bracher, Staatsbegriff u n d Demokratie i n Deutschland, i n : Politische Vierteljahresschrift 9 (1968), S. 2 - 27, S. 7. 14
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T e i l A , I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
freie, fachlich ausgebildete Bürokratie, wie sie das Kaiserreich besaß 20 . Begünstigt wurden sie überhaupt durch mancherlei Vorzüge, m i t denen der Bismarckstaat aufwarten konnte: „Seine Sozialgesetzgebung war die fortschrittlichste i n Europa. Der wirtschaftliche Aufstieg ging i n einem atemberaubenden Tempo vor sich. Die wissenschaftlichen Leistungen der deutschen Gelehrten erfüllten die Welt m i t Bewunderung 2 1 ." Demgegenüber blieb der Rang des Politischen i n der bürgerlichen Wertskala gering und wurde überlagert von der herrschenden Ordnung, von Wohlstand und Aufstiegschancen; das Ausbleiben von ernsthaft erlebten Krisen w i r k t e ebenfalls i n diese Richtung 2 2 . Zudem hatte Bismarck durch die Erfüllung des deutschen Traumes nach einem Nationalstaat allen anderen Bewegungen den Rang abgelaufen 23 . Es war der Stolz der Nation, „nach Jahrhunderten der Schwäche das ihr zukommende Gewicht i n Europa nun endlich geschlossen zur Geltung bringen zu können" 2 4 . Möglich geworden ist eine solche politisch-soziale Wirklichkeit wohl nur, weil es den Herrschenden gelang, i n der angeführten Weise das Augenmerk von den eigentlichen Mißständen eines solchen Systems abzulenken. Die tiefen Diskrepanzen i m politisch-sozialen Bereich zwischen Obrigkeitsstaat und Massengesellschaft, feudal-bürokratischer Regierung und Demokratisierung des allgemeinen Lebens, die Behinderung eines funktionsfähigen parlamentarischen Systems und verfrüht eingeführtes allgemeines Wahlrecht 2 5 — diese Diskrepanzen wurden verdeckt durch eine ,Ablenkung des Interesseneindrucks nach außen', der die Probleme neutralisieren sollte 2 6 . „So stand einer gewaltigen materiellen Entfaltung . . . ein ebenso unbewegliches wie rückständiges politisches System gegenüber 27 ." Die Hauptstütze für das kaiserliche System lag i m Bürgertum und seiner Mentalität. Getrieben von der Furcht vor dem Sozialismus und „ i n der Sekurität und Privilegienstruktur . . . auf Gewinnstreben und 20
Vgl. Fraenkel, Historische Vorbelastungen, i n : Fraenkel I , S. 24. Klaus Epstein, Matthias Erzberger u n d das Dilemma der deutschen Demokratie, B e r l i n 1962, S. 36. 22 Nipperdey, S. 393 f. 23 Die Begeisterung f ü r Bismarck u n d die von i h m installierte Ordnung sollte f ü r weite Kreise der Bevölkerung noch bis w e i t i n die Weimarer Republik hinein andauern. Vgl. dazu auch: Theodor Eschenburg, Aus dem Universitätsleben v o r 1933, i n : Andreas Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben u n d N a tionalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität Tübingen, Tübingen 1965, S. 2 4 - 4 6 , S. 31. 24 Epstein I, S. 36. 25 Vgl. Nipperdey, S. 395. 26 Bracher I V , S. 7. 27 Ebd. 21
1. Politisches Bewußtsein i n Deutschland
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Schutz der ökonomisch-sozialen Position" 2 8 bedacht, hatte es sich daran gewöhnt, Politik als Verwaltung hinzunehmen. I m Gefolge derer, die auszogen, Deutschlands imperialistische Versäumnisse wieder wettzumachen, waren sie bereit, den Wert der inneren Freiheit und Selbstgestaltung dem äußeren Freiheitsbegriff nationaler Selbstbehauptung unterzuordnen 29 . Der so akzentuierte nationale Gedanke wurde dann zum „Instrument einer Ersatz- und Abwehrideologie i m Dienste der bestehenden Machtverhältnisse, die von der politischen Konkretion der Interessen i n eine unpolitische Volksmetaphysik ablenkte" 3 0 . Kerngedanke dieser Staatstheorie war und blieb „das A x i o m einer Ordnung und Obrigkeit, die den Konflikten und Schwankungen des sozio-politischen Lebens entzogen war, die zuverlässig f u n k t i o n i e r t e , . . . Garant der Herrschafts-, Leistungs- und . . . Entscheidungsfähigkeit der Regierung gegen die Gefahren des Pluralismus und der Polykratie" 3 1 . So wurde Deutschland zu einer Nation ohne allen und jeglichen politischen Willen, „gewohnt, daß der große Staatsmann an ihrer Spitze für sie (die Bürger, d. V.) die Politik schon besorgen werde, . . . daran gewöhnt, unter der Firma der ,monarchischen Regierung' fatalistisch über sich ergehen zu lassen, was man über sie beschloß" — wie Max Weber die deutsche Nation skizzierte 32 . Dieser ,politikentwöhnte bürgerliche Geist' 33 , abgelenkt vom Interesse am Unmittelbaren, träumte i n romantischer Sehnsucht nach Feierabend von einem ,wahren Staat', i n dem gleichzeitig die Forderung nach Wiederherstellung des Ständestaates und die Begründung eines die Volksgemeinschaft autoritär repräsentierenden Führerstaates v e r w i r k licht werden sollte, ohne daß an der Widersprüchlichkeit dieser Postulate zunächst allzuviel Anstoß genommen wurde 3 4 . Die politischen Ideen vieler Deutscher waren eben zu einem nicht geringen Teil „Ausfluß eines romantischen, irrationalen Verhältnisses zur Politik. Sie sind ,Betrachtungen Unpolitischer', die vielfach ihren Ästhetizismus für politische Klugheit" hielten 3 5 . Das Mißverhältnis zwischen dieser ästhetisierenden und interesseverbildeten Vorliebe für autoritär-obrigkeitsstaatliche Strukturen und der politischen Wirklichkeit trat hinter seiner Verschleierung hervor, als 28
Ebd. S. 8. Vgl. ebd. S. 9. 80 Ebd. 81 Ebd. S. 14. 32 Max Weber, Parlament u n d Regierung i m neugeordneten Deutschland, i n : M. W., Gesammelte Politische Schriften, Tübingen 1958, S. 307. 33 Sontheimer, S. 314. 34 Fraenkel, Deutschland u n d die westlichen Demokratien, i n : Fraenkel I , S. 40. 85 Sontheimer, S. 20. 29
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T e i l A, I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
i m Laufe des Ersten Weltkrieges viele Deutsche glaubten, die Regierung ziehe aus internen Interessen der regierenden Oberschicht den Krieg unötig i n die Länge 3 6 . Das Bewußtsein von der Selbstverständlichkeit der Monarchie i n Deutschland war damit erschüttert. Daß die Monarchie versagt habe, dieses Empfinden war stark und damit eine wesentliche Voraussetzung für das Zustandekommen der neuen demokratischen und republikanischen Staatsordnung. A n dem politisch orientierungsund führungslos gewordenen deutschen V o l k rächte sich nun das Versäumnis, eine repräsentative und parlamentarische Beziehung zwischen Regierenden und Regierten nicht hergestellt zu haben. Ein gemeinsam realisierbares Staatsbewußtsein war nicht vorhanden. Für kurze Zeit machte sich das Gefühl breit, daß sich die westlichen Demokratien leistungsfähiger erwiesen hatten als die obrigkeitlichen Monarchien 37 . Geängstigt durch eine drohende Bolschewisierung, hatte man dann, als es 1919 die Weimarer Nationalversammlung zu wählen galt, immerhin Instinkt genug denjenigen Parteien zu folgen, die die Republik aufrichten wollten 3 8 . Die Hoffnungen der meisten Menschen richteten sich nun auf die neue Republik. Von ihr erwartete man die Wiederherstellung der zerbrochenen nationalen Größe und Einheit sowie die Schaffung einer neuen sozialen Ordnung 3 9 . Doch diese Verunsicherung bisherigen politischen Denkens und Verhaltens war nur von kurzer Dauer. Von Anfang an standen der Regierung starke, schließlich übermächtige monarchistische und radikale Denkströmungen und Korporationen gegenüber, die den neuen Verhältnissen prinzipiell feindlich gegenüberstanden 40 . Und i n weiten Kreisen bürgerlicher Schichten wich die anfängliche Bereitschaft, es m i t der Republik zu versuchen, der wachsenden Lust, die alten Zeiten wieder zurückzuführen" 41 . Natürlich spielte die Härte der Versailler Friedens86
Vgl. Epstein I, S. 36. Bußmann, S. 57. 38 Friedrich Meinecke, Republik, Bürgertum u n d Jugend, i n : F. M., Politische Schriften und Reden, Darmstadt 1958, S. 376; hier zit. nach Sontheimer, S. 115, A n m . 2. 39 Vgl. Klemens von Klemperer, Konservative Bewegungen. Zwischen K a i serreich u n d Nationalsozialismus, München 1962, S. 81 f. 40 Karl Dietrich Bracher, Entstehung der Weimarer Verfassung, i n : K . D. B., Deutschland zwischen Demokratie u n d D i k t a t u r . Beiträge zur neueren Politik u n d Geschichte, München 1964, S. 11 - 32, S. 30. Weit gefährlicher als der L i n k s radikalismus, der m i t seinen letztlich unzureichenden K r ä f t e n n u r die V e r w i r rung der ersten Stunden ausnutzen konnte, sollte sich die Rechtsopposition u n d der Rechtsradikalismus erweisen, die, parlamentarisch zunächst schwach, über gewaltige gesellschaftliche Reserven verfügten. Vgl. dazu: Karl Buchheim, Militarismus u n d ziviler Geist. Die Demokratie i n Deutschland, München 1964 (zuerst erschienen unter dem T i t e l : Leidensgeschichte des zivilen Geistes, M ü n chen 1951), S. 120. 41 Vgl. Meinecke, Republik, B ü r g e r t u m . . . , i n : Meinecke, S. 376. 37
1. Politisches Bewußtsein i n Deutschland
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bedingungen i n diesem Zusammenhang eine nicht zu gering einzuschätzende Bedeutung. M i t Recht hat Eschenburg festgestellt, daß „die neue Staatsform durch Versailles u m ihre politische Legitimierung gebracht wurde" 4 2 . Aber das eigentliche Problem des Scheiterns der Weimarer Republik dürfte — nach Bussmann — i n tieferen Schichten historischer Erfahrungen und geistiger Traditionen wurzeln 4 3 . Alfred Weber 4 4 charakterisierte Mitte der zwanziger Jahre die organischen Aufbauformen der öffentlichen Macht, wie sie von vielen B ü r gerlichen gefordert wurden, als Lebensformationen einer vormodernen Daseinsepoche, i n welcher der einzelne und die Wirtschaft eingegliedert waren i n umfassende Ordnungen, Rechtsgliederungen einer statisch gewordenen und so gebliebenen Gesellschaft, einer Daseinsepoche, „die das Prinzip ihres . . . hierarchischen Aufbaus aus einem sakral geweihten überindividuellen öffentlichen Glauben zog, der . . . alles i n seine bindende Form zu zwingen suchte" 45 . Die moderne Zeit habe diesen Lebensaufbau zertrümmert und das gesellschaftliche Sein durch die Freisetzung der i n i h r vorhandenen personalen Kräfte dynamisiert. „Keine Phantasie irgendeines sehnsuchtstarken Romantikers kann gegenüber diesen harten Tatsachen das Frühere zurückrufen 4 6 ." Daß die neue Republik einen Kompromiß zwischen diesen rückwärtsorientierten Mentalitäten und den gesellschaftlichen Tatsachen versuchte, hat jenes „Gemenge von traditionellen und modernen Elementen, die Überlagerungen und Verzögerungen, die Zwiespältigkeiten und die halben Lösungen" hervorgerufen 47 . Die gesellschaftliche, wirtschaftliche und bürokratische Machtverteilung ist über die Revolution hinaus erhalten geblieben 48 , machtvolle feudale und obrigkeitsstaatliche Einrichtungen konnten sich und ihre Ansprüche mühelos i n das neue System hinüberbringen 4 9 ; und von Anfang an konnte sich durch die Möglichkeit eines Ermächtigungsgesetzes oder über die präsidiale Diktaturgewalt die Fortdauer und Neubelebung obrigkeitsstaatlicher Strömungen Ausdruck verschaffen 50 . 42 Eschenburg, Theodor: Die Improvisierte Demokratie der Weimarer Rep u b l i k v o n 1919. E i n Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, Laupheim 1954, S. 34. 48
Bußmann, S. 57 f. Alfred Weber, Die Krise des modernen Staatsgedankens i n Europa, S t u t t gart 1925, S. 127 f. 44
45 46 47 48
Ebd. S. 127. Ebd. Nipperdey, S. 395. Bracher, Entstehung der Weimarer Verfassung, i n : Bracher I I , S. 22.
49
Ebd. S. 17. Karl Dietrich Bracher, Bracher I I , S. 33-49, S. 43. 50
Parteienstaat - Präsidialsystem - Notstand, i n :
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T e i l A , I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
I n der Praxis bisheriger Führungsauslese, unzureichender Politisierung, fehlender Gewöhnung an Verantwortung und Macht, räsonierender K r i t i k 5 1 usw. dominierte wieder der alte autoritäre Staatsbegriff, der, seines monarchischen und obrigkeitlichen institutionellen Rahmens entkleidet, nun als ,Gegenideologie4 (Bracher) auftrat, die „großartig historisch, philosophisch, moralisch begründet", „gegenüber der kurzatmigen, verwirrend krisenreichen, als schmutzig 4 denunzierten Tagespolitik demokratischer A r t " ihre Wirkung nicht verfehlte 5 2 . Schnell traten Begriffe wie »autoritäres Führertum' und ,organische Gliederung' an die Stelle von solchen wie parlamentarisch kontrollierter Regierung 4 und demokratischer Gleichheit' 53 . „Wenn . . . schon i m Vorkriegsdeutschland weite Kreise des Bürgertums insgeheim durch den Mangel an Bindung und Autorität zur Verzweiflung getrieben wurden, dann ist einsichtig, daß den gleichen Kreisen die Republik eben wegen ihres völligen Mangels an autoritärer Bindung geradezu als ein schauerlicher Abgrund' erscheinen mußte und schließlich jeder sich bietende, wenn auch noch so fragwürdige Ausweg ergriffen wurde, wenn er nur . . . neue Autoritäten und Bindungen versprach 54 ." Die Zauberformel hieß „Ordnung — und Ordnung hatte die Republik noch keine gebracht. Instinktiv stand man also rechts" 55 . Der Durchschnittsbürger war für die schwarz-weiß-rote Vergangenheit, er war gegen die Weimarer Republik und für die Wiederkehr der Monarchie — und vielleicht auch für eine A r t von Diktatur 5 6 . 2. Umrisse des sozio-politischen Hintergrundes Bayern vor Errichtung der Weimarer Republik
Es geht i n diesem Kapitel darum, einige Entwicklungszüge i n Bayern nachzuzeichnen, die sich i n der Zeit vor dem politischen Umbruch und während desselben ergeben haben 57 . Wie sehr die i m vorangehenden Kapitel angerissenen Probleme eines politischen Bewußtseins i n Bayern ihre Entsprechungen haben, w i r d sich ohnehin i n der Durchführung der Untersuchung selbst zeigen. Hier geht es u m die konkreten politischen 51
Vgl. Nipperdey, S. 405. Bracher I V , S. 15. 53 Vgl. Bußmann, S. 77. 54 ChHstian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt u n d M a r t i n Heidegger, Stuttgart 1958, S. 41. 55 Hanns Hubert Hofmann, Der Hitlerputsch. Krisenjahre deutscher Geschichte 1920 - 1924, München 1961, S. 34. 56 Vgl. dazu: Arthur Rosenberg, Entstehung u n d Geschichte der Weimarer Republik, hrsg. v. K u r t Kersten, Frankfurt 1955, S. 410. 57 Nähere Untersuchungen über diese Komplexe sind erst i n jüngster Zeit i n A n g r i f f genommen worden. Einen Überblick über den Stand der Forschungen bietet: Bosl V. 52
2. Sozio-politischer H i n t e r g r u n d Bayern
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und sozialen Umwälzungen, ohne die auch die Hintergründe nicht verständlich sind. Auch dies waren Fakten, von denen die Menschen geleitet wurden und sich leiten ließen, soweit sie handelnd, entscheidend, formulierend, kommentierend und kritisierend am politischen Geschehen Anteil nahmen 5 8 . a) Gesellschaftlicher
Strukturwandel
in Bayern
Die sozialen Veränderungen, die sich aus der beginnenden und sich sprunghaft ausbreitenden Industrialisierung des 19. Jahrhunderts ergaben, brachten auch i n Bayern grundlegende Veränderungen. Unter dem Einfluß des stetigen Wandels der wirtschaftlichen Struktur, der K u l t u r und der Geisteswelt brachen neue Formen des menschlichen Zusammenlebens auf. Während noch i n der vorindustriellen, traditionsbestimmten Gesellschaft der Mensch weitgehend i n stabile Sozialordnungen hineinwuchs, hat die Expansion der Industriegesellschaft i m letzten Jahrhundert diese geistig und emotional begründeten Ordnungen und die sie tragenden Haltungen von Grund auf verändert 5 9 . Wirtschaftliche Umorganisation, Rationalisierung der Arbeit, zunehmende Verstädterung und Binnenwanderung, Ausdehnung der Frauenarbeit, Erweiterung des Verkehrswesens — das sind nur einige Aspekte der sich anzeigenden Neuerungen 60 . Dieser Umbau vollzieht sich aber nicht gleichmäßig. Die Teilnahme an diesem Umstrukturierungsprozeß ist unterschiedlich, und es gibt auch Kräfte, die daran überhaupt keinen oder nur einen sehr zögernden Anteil nehmen und i n ihren bisherigen Daseinsformen verharren. Das gilt zunächst insbesondere für die Agrarwirtschaft 6 1 . I n dieser sich wandelnden Umwelt verliert die Arbeit ihren ursprünglichen Charakter. Insbesondere i n den Städten wächst die Anzahl der Großbetriebe, die Arbeitsprozesse werden zerlegt, die Tätigkeit w i r d geplant und die Arbeit damit sinnentleerend. Hand i n Hand damit geht die unbedingte Forderung nach Einpassung und Disziplin. Hinzu kommt das Problem der Unsicherheit. Wenn auch die größere verkehrstechnische Mobilität eine größere Zahl von Arbeitsmöglichkeiten eröffnet, so sind 58 Vgl. dazu: Heinz Gollwitzer, Bayern 1918 - 1933, i n : Vierteljahreshefte f ü r Zeitgeschichte 3 (1955), S. 363 - 387, S. 387. 59 Dazu u n d zum Folgenden: Karl Bosl, Gesellschaft u n d P o l i t i k i n Bayern vor dem Ende der Monarchie. Beiträge zu einer sozialen u n d politischen Strukturanalyse, i n : »Zeitschrift f ü r bayerische Landesgeschichte' (ZbLG) 28 (1965), S. 1 - 31, S. 21. 60 Vgl. dazu: Axel Schnorbus, Wirtschaft u n d Gesellschaft i n Bayern v o r dem Ersten Weltkrieg (1890 - 1914), i n : Bosl V, S. 97 - 164. 61 Vgl. dazu Bosl I , S . 6.
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doch Arbeitslosigkeit, Saisonarbeit und häufiger Stellenwechsel Fakten, die große Probleme stellen. Aber auch i n der Landwirtschaft treten allmählich Wandlungen auf. Grundsätzlich unterscheidet sich die bayerische Landwirtschaft etwa von der des deutschen Ostens dadurch, daß hier nicht der Großgrundbesitz, sondern der bäuerliche Besitz überwiegt. „Die vorherrschende Betriebsgröße i n der bayerischen Landwirtschaft ist der mittelbäuerliche Besitz von 5 - 2 0 ha. Etwa ein Drittel aller Betriebe gehört zu dieser Gruppe 8 2 ." Daneben gibt es großbäuerliche Wirtschaften und eine starke Anzahl von bäuerlichen Kleinbetrieben. Durch eine rationellere Bewirtschaftung setzt auch hier eine Produktionssteigerung ein und damit der Geist größerer Wirtschaftlichkeit. Auch i m gewerblichen Mittelstand setzt sich eine Änderung durch die äußeren Umstände durch. Die große Zahl der kleineren und mittleren Betriebe nimmt ab. Organisation, Konzentration und Produktionsverbilligung sind auch hier die kennzeichnenden Stichworte. Eine Folge ist die Verschiebung innerhalb dieser Berufsgruppe. Viele ihrer Angehörigen geraten i n abhängige Stellungen als Angestellte und Beamte. Diese sozialen Wandlungen bringen dem einzelnen zwar eine Reihe neuer Freiheiten, doch werden diese durch seine Ohnmacht als einzelner neu wieder eingeengt. Diese Situation bedeutet ein weiteres Neuerungsmoment: die einzelnen Schichten greifen zur Selbsthilfe i n der Form von Organisationen. So treten ζ. B. i n der Arbeiter- und Bauernbewegung, aber auch i n Beamten- und Industriellenvereinen neue Machtgebilde auf, die ein Mitspracherecht an politischen Entscheidungen fordern. Diese einzelnen genossenschaftlichen Vereinigungen bilden sich i m Laufe der Zeit zu staatsfreien Machtsphären heraus. „Der Bereich des kollektiven Lebens gleitet somit allmählich aus den Händen des Staates. Immer häufiger muß er auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, immer gebieterischer fordern die Parteien und Verbände von i h m Eingriffe i n die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und wälzen damit große Teile der persönlichen Verantwortung auf den Staat ab, . . . e s . " Der Staat verliert zwar durch das Auftreten dieser Massenorganisationen und durch die damit Hand i n Hand gehende Demokratisierung der Volksvertretung, der ,Kammer der Abgeordneten 1 , an Selbständigkeit auf dem Gebiete der Gesetzgebung, andererseits aber w i r d sein Verwaltungsapparat bedeutend gestärkt und nimmt er i n dem oftmaligen Gegeneinander der streitenden Interessen eine Schiedsrichterrolle ein.
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Schnorbus, S. 108. E b d S. 130 f.
2. Sozio-politischer H i n t e r g r u n d Bayern
b) Politischer Strukturwandel
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in Bayern
1870/71 trat Bayern unter Aushandlung von Reservatrechten dem Bismarckreiche bei. Es gelangte zu politischer Stärke und wirtschaftlicher Stabilität. „ I m ganzen war der Schein einer Souveränität weitgehend gewahrt 6 4 ." Der E i n t r i t t der Massenbewegungen i n das politische Leben veränderte aber auch hier die Struktur. So förderte die Aufhebung der Sozialistengesetze die Gewerkschaftsbewegung und die Entfaltung einer sozialdemokratischen Parteiorganisation. Die Caprivischen Handelsverträge verursachten eine Existenzangst unter den Bauern und beschleunigte deren Organisation. Der radikal-bäuerliche Flügel spaltete sich vom Zentrum ab und stellte sich gegen Adel, hohen Klerus und Großbauerntum. Dadurch fühlte sich das Zentrum getroffen, w e i l es i n seiner verläßlichsten Position, auf dem Lande, angegriffen wurde und zudem ein Abwandern der Arbeiter zur Sozialdemokratie i m Gange war. Diese Tatsache begünstigte den linken Flügel, der sich 1890 - 1893 i n der Partei dann durchsetzte und geführt wurde von Leuten wie Heim, Schirmer, Daller und Orterer 6 5 . Über fünfzehn Jahre hindurch sollten sie die Entwicklung des bayerischen Zentrums maßgeblich beinflussen. „Die Geschichte des bayerischen Zentrums i n den Jahrzehnten seit 1890/93 ist bestimmt von dem tiefen Gegensatz zwischen hochklerikal-adeligem und bäuerlich-sozialniederklerikalem Flügel. Letzterer hat die Partei für die Erfordernisse der modernen Massengesellschaft bereit gemacht und sie zur ,Volkspartei 4 umgewandelt; ersterer hat durch seine reaktionäre Haltung die Wege für die Revolution von 1918 ebnen helfen, nachdem es i h m gelungen war, seit 1910/12 die Partei wieder zu beherrschen 66 ." Entscheidend für das Verständnis der bayerischen Politik vor Ausbruch des Krieges und der Revolution ist das Verständnis der spezifischen Eigenart des Regierungsmechanismus 67 . Bayern war seit der napoleonischen Herrschaft Königreich. Es war eine konstitutionelle Monarchie und als solche eine Mischung aus aristokratischen und demokratischen Elementen. Der König war nicht Organ, sondern ,Oberhaupt des Staates'. Alle Gewalt war i n seiner Hand vereinigt. Der Landtag, die Kammer der Abgeordneten, war ständisch gegliedert und galt nicht als Repräsentant des Staates, sondern vertrat lediglich die Interessen des
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Bosl I , S. 4. ® 5 Karl Bosl, Heinrich Held. Journalist - Parteipolitiker - Staatsmann, i n : Z b L G 31 (1968), S. 747 - 767, S. 749. ββ Ebd. 67 Z u m Folgenden: Karl Möckl, Gesellschaft u n d P o l i t i k während der Ä r a des Prinzregenten Luitpold. E i n Beitrag zur Vorgeschichte der Revolution i n Bayern, i n : Bosl V, S. 5 - 36.
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T e i l A , I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
Volkes gegenüber dem Monarchen. Instrumente der monarchischen Spitze waren die Bürokratie und das Militär. „Die Schwäche eines so geordneten Staatswesens liegt i m möglichen Versagen des Monarchen, aber auch schon darin, daß i m Zuge gesellschaftlicher Emanzipationsprozesse das monarchische Prinzip seines Gottesgnadentums entkleidet wurde 6 8 ." Beide Zerfallsprozesse kamen i n Bayern zum Durchbruch, aber sie begünstigten nicht etwa den Prozeß der Parlamentarisierung, sondern w i r k t e n sich vielmehr aus zugunsten der Regierungsbürokratie, die sich zu einer A r t Nebenregierung entwickelte. Die Nebenregierung der königlichen Geheimkanzlei machte das Auseinandertreten von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit deutlich. Der Regent trat als politisch Handelnder faktisch i n eine repräsentative Rolle zurück und wurde zu einer A r t Integrationsfaktor der gesellschaftlichen Oberschicht: hohes Beamtentum, Großkapital und Großgrundbesitz sowie hoher Klerus. Diese Schicht erlangt dabei eine Vereinheitlichung ihrer Interessen, daß sie weitgehend die politische Gewalt i n Händen hielt. „ I n der öffentlichen Meinung lag i m Einfluß nicht verfassungsmäßiger Institutionen . . . ein wichtiges K r i t e r i u m der Schwächung des monarchischen Prinzips, denn die ständigen Angriffsflächen, die sie boten, mußten indirekt den Monarchen, bzw. den Regenten treffen 6 9 ." Die Institutionalisierung einer solchen Gewalt außerhalb der Verfassung ist nur möglich, wenn sie von einer starken gesellschaftlichen Schicht getragen wird. „Der Hintergrund letzterer sind gesellschaftlichwirtschaftliche Integrationsfaktoren, die ihre Ausmündung i m kulturellen und politischen Leben finden 70." Sie ist insofern unterschiedlich zum Reich, als es hier kein Hervortreten einer bestimmten Gruppe gab. Entscheidend war außerdem, daß sie eine genügend vertikale Mobilität besaß und somit eine gewisse Stabilität erreichte. „Die Pluralität ihrer Interessen fanden i n verbindenden Gemeinsamkeiten ihren Ausgleich 71 ." Gemeinsam war außerdem ein Elitebewußtsein, liberal-konservative und reaktionäre Ideologien und der adelige Charakter der Mitglieder. Die regierende Schicht war unangefochten, es war erstrebenswert, i n sie aufzusteigen, und durch Erfolge auf wirtschaftlichem, kulturellem und politischem Gebiet wußte sie ihre Stellung erfolgreich zu bewahren. Sie dachte selbstverständlich nicht daran, ihre Vorrangstellung m i t dem Mann auf der Straße zu teilen. Er war für sie ein ungebildeter', besitzloser' und ,vaterlandsloser' Geselle. Erst die Wahlerfolge der SPD und das Oppositionsbündnis des Zentrum m i t den Sozialdemokraten seit den 68 69 70 71
Ebd. S. 8. Ebd. S. 9. Ebd. S. 21. Ebd. S. 22.
2. Sozio-politischer H i n t e r g r u n d Bayern
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Jahren 1890/93 zwang sie zu einer Änderung. Sie kamen den sich vollziehenden Egalisierungs- und Demokratisierungsprozessen i n den M i t t e l und Unterschichten durch eine großzügige Gesetzgebung soweit entgegen, „daß das Verlangen nach Ausübung der Macht i m Staate i n diesen Schichten vor dem Ersten Weltkrieg nicht virulent wurde" 7 2 . I m Jahre 1912 berief König L u d w i g I I I . den Führer des hochklerikaladeligen Flügels des Zentrum, der wieder die Führung innerhalb der Partei erlangt hatte, zum bayerischen Ministerpräsidenten. Die Gründe für diese Berufung lagen allerdings eher i n der Persönlichkeit des Grafen Georg von Hertling 7 3 als i n seiner parlamentarischen Stellung. Durch seine konsequent konservative Politik hat er die K l u f t zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und politischer Machtverteilung gewaltig vertieft 7 4 . Es ist i n diesem Zusammenhang zu fragen, ob die führenden Schichten des konstitutionellen Bayern die sich anzeigenden Veränderungen i m gesellschaftlichen und politischen Raum nicht sahen oder ob sie, soweit sie sie erkannten, die Energie nicht aufbrachten, sie i n die Tat umzusetzen 75 . Die A n t w o r t darauf gibt die Tatsache der Revolution. Es ist nicht gelungen, die monarchisch-konstitutionelle Ordnung den Wandlungen innerhalb der Gesellschaft anzupassen. „Eine zu große Ängstlichkeit und Unentschlossenheit verhinderte auch bei den einsichtigen Persönlichkeiten der Regierung und Verwaltung ein wirkliches Engagement u m die rechtzeitige Reform des Regierungssystems 76 ." c) Die Revolution in München und die Errichtung der Weimarer Republik Durch die allgemeine Kriegsverdrossenheit begünstigt, die sich 1918 i n ganz Deutschland breit gemacht hatte, griff die Bewegung der No72
Bosl I V , S. 751. H e r t l i n g wurde 1843 i n Darmstadt geboren, w a r v o n Beruf Professor f ü r christliche Philosophie, seit 1875 M i t g l i e d der Zentrumsfraktion des Reichstages, 1891 lebenslängliches M i t g l i e d der bayerischen K a m m e r der Reichsräte, seit 1909 Fraktionsvorsitzender des Zentrums i m Reichstag; von 1912 - 1917 Staatsminister des K g l . Hauses u n d des Äußeren, Vorsitzender des Ministerrats. 1917 Berufung zum Reichskanzler u n d preußischen Ministerpräsidenten. 1918 Rückt r i t t . Gestorben 1919. 74 Dazu: Willi Albrecht, Das Ende des monarchisch-konstitutionellen Regierungssystems i n Bayern. König, Regierung u n d Landtag i m Ersten Weltkrieg, i n : Bosl V, S. 263-299. 75 Dazu: Willy Albrecht, Landtag u n d Regierung i n Bayern am Vorabend der Revolution von 1918. Studien zur gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung Deutschlands von 1912 - 1918. Phil. Diss. München 1968, S. 14. 76 Ebd. S. 434. 73
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vemberereignisse von der Küste aus i m ganzen Lande rasch u m sich. A m 7. November wurde i n München die erste deutsche Monarchie gestürzt 7 7 . Der Führer der bayerischen Revolution, K u r t Eisner, schrieb darüber später: „Es war ein Stück Überraschungsstrategie, m i t der w i r das alte Bayern aus den Angeln gehoben haben. Niemand hat vor zwei Tagen noch dergleichen für möglich gehalten 78 ." Keiner stellte sich der Bewegung entgegen, auch nicht diejenigen, die als besondere Stützen des monarchischen Staates galten: Offiziere und Beamtenschaft 79 . Die Ursachen für das Gelingen dieses Handstreiches lagen i n der allgemeinen Abneigung gegen Berlin, i m Autoritätsverlust der Regierung und w o h l auch i n der Unglaubwürdigkeit der Krone. Diese Ursachen waren sicher nicht i m Krieg begründet; er aber hat sie offenbar und damit politisch wirksam gemacht 80 . Der Makel, der der Münchener Revolution von Anfang an anhaftete, bestand darin, daß sie von landfremden' Köpfen (Eisner und seine engsten Mitstreiter kamen aus Berlin) angeführt wurde. Die Revolutionsregierung ist denn auch i m Volke nie anerkannt worden, was jedoch nicht ausschloß, daß man sich kurzfristig m i t ihr arrangierte. A u f die Barrikaden wollte niemand 8 1 . „Die Räterepublik, die m i t persönlichen Querelen ebenso wie m i t unlösbaren sachlichen Schwierigkeiten kämpfen mußte, hatte die gesellschaftliche Revolution bringen wollen, deren Notwendigkeit i m Kriege offen vor aller Augen lag. Der Haß, den sie dabei auf sich gezogen hatte, machte eben diese gesellschaftliche Revolution auf die Dauer unmöglich, da man sie jederzeit als Schreckgespenst an die Wand malen konnte 8 2 ." Die Masse des Volkes — i n Bayern wie i m Rest Deutschlands — blieb i n obrigkeitsstaatlicher Gesinnung befangen. Was man noch an Respekt für die überlieferte Machtstruktur besaß oder wieder neu entdeckte, fehlte an Phantasie für die Neuordnung 8 3 . „Es blieb bei der halben, unvollendeten Revolution" 8 4 — auch i n Bayern.
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Helmut Heiber, Die Revolution von Weimar, München 1966, S. 14. Kurt Eisner, Die neue Zeit. Folge I u n d I I , München 1919,1, S. 9 (vgl. auch I , S. 82). 79 Karl Ludwig Ay, Appelle einer Revolution. Dokumente aus Bayern zum Jahre 1918/1919. Das Ende der Monarchie — das revolutionäre Interregum — die Rätezeit, München 1968, S. 13. 80 Georg Kalmer, Beamtenschaft u n d Revolution. Eine sozialgeschichtliche Studie über Voraussetzungen u n d W i r k l i c h k e i t des Problems, i n : Bosl V, S. 201 -299, S. 220 f. 81 Joachim Reimann, Der politische Liberalismus i n der Krise der Revolution, i n : Bosl V, S. 165 - 199, S. 173. 82 Ay I I , S. 37. 78
88
Karl
Dietrich
Bracher,
1918 — Problem einer deutschen Revolution, i n :
2. Sozio-politischer H i n t e r g r u n d Bayern
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Während nun i n München i n der Abfolge der revolutionären Ereignisse die Räterepublik ausgerufen wurde, verlegten Regierung und Landtag ihren Sitz nach Bamberg. Zunächst war Bayerns sozialdemokratischer Ministerpräsident, Johannes Hoffmann, bemüht, die revolutionäre Entwicklung i n verfassungsmäßige Bahnen zu lenken, doch dann wurde auf Drängen der bürgerlichen Kräfte i m Parlament die Mobilisierung einer allgemeinen Volkswehr durchgesetzt, u m das militärische Unternehmen einer Befreiung Münchens zu beginnen 85 . „Aber ohne die entscheidende M i t w i r k u n g württembergischer und preußischer Verbände, wie der 4. preußischen Garde-Kavallerie-Division aus Berlin, hätte die L i q u i dierung der Räteherrschaft i n Südbayern am 1. M a i 1919 nicht durchgeführt werden können 8 6 ." Die Kämpfe u m die Befreiung Münchens durch die ,Weißen' brachten Greueltaten der ,Befreier' unvorstellbarer A r t m i t sich, die alles i n den Schatten stellten, was jemals i n der gesamten Revolutions- und Rätezeit i n München geschehen w a r 8 7 . So wurden am Abend des 6. Mai 1919 i m Keller eines Münchener Hauses 21 Kolpingsgesellen, die man bei einer Versammlung angetroffen hatte, „auf bestialische Weise von Angehörigen der Regierungstruppen niedergemetzelt" 88 . A m 31. Mai 1919 w i r d dann i n Bamberg eine Koalitionsregierung nach Weimarer Vorbild aus Sozialdemokraten, Bayerischer Volkspartei und Demokraten gegründet. Damit beginnt eine kurze Phase des politischen Zusammenwirkens der Kräfte, die bereit waren, die Verantwortung für die rechtsstaatliche parlamentarische Demokratie zu übernehmen 89 . Sie hielt knapp ein Jahr. Das politische Leben i n Bayern war bestimmt von dem weitergehenden inneren Aufbau des staatlichen Lebens, dessen Grundlagen den Umbruch überdauert hatten. Vor allem wurde die parlamentarische Demokratie eingerichtet, die von oben herab, d. h. von Reichsebene errichtet wurde. Die Verfassung von Weimar wurde vor den Länderverfassungen erlassen. Damit waren die Grundstrukturen des neuen Staates festgelegt, Alice Gräfin W a l l w i t z (Hrsg.), Panorama 1918. E i n Jahr i m Spiegel der Presse, München 1968, S. 5 - 11, S. 11. 84 Ebd. 85 Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie u n d D i k t a t u r . Beiträge zur bayerischen Frage i n der Zeit v o n 1918 bis 1933, München 1954, S. 92. 86 Ebd. S. 93. 87 Ay I I , S. 34. 88 So der Bericht der ,Münchener Katholischen Kirchenzeitung' Nr. 18 v o m 4. M a i 1969 anläßlich der 50. Wiederkehr der Ermordung. E r enthält außerdem eine ausführliche Schilderung der Umstände. 89 Vgl. dazu: Ernst Deuerlein, Der Freistaat Bayern zwischen Räteherrschaft und Hitler-Putsch, i n : Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung ,Das Parlament' 14 (1964), Heft 44, S. 3 - 24, S. 5. 3 Mennekes
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die Wirklichkeit eines zentralisierten Bundesstaates gesetzt. Als solcher konnte die Republik keine Sonderrechte irgendeines Freistaates anerkennen und i h m nur Teilsouveränitäten wie die Kulturautonomie überlassen. Der Gedanke des Föderalismus, dem Bundesstaat nur soviel an Kompetenzen zuzugestehen, als für eine wirksame Repräsentation nach außen und als Ganzes unbedingt nötig war — dieser Gedanke kam nicht zum Durchbruch. Die Länder brauchten sich erst gar nicht zusammenzusetzen, u m eine solche Verfassung auszuarbeiten. I m Zuge dieser Neuordnung wurde Bayern u m einige Sonderrechte gebracht und die zentralen Zuständigkeiten wurden erweitert. Diese Tatsache und die sich i n der Gesetzgebungspraxis andeutende Tendenz nach weiterer Vereinheitlichung wurde von Bayern aus stark beargwöhnt. Aus dem sich daraus entwickelnden Widerstand resultierte der lange Jahre hindurch anhaltende Konflikt Bayerns mit dem Reich, i n dem Bayern energisch eine Reform der Reichsverfassung betrieb, die den föderalistischen A n sprüchen Bayerns Rechnung tragen sollte, wenn auch erfolglos 90 . Was sich aber am schwerwiegendsten für die Zukunft und für die B i l dung des politischen Bewußtseins auswirken sollte, das waren vor allem zwei Tatsachen: die Begründung der Dolchstoßlegende und die Verketzerung der Revolution überhaupt 9 1 . Das Programm nämlich, das sich für weite Kreise des politisch bestimmenden Bürgertums daraus ergab, war das Bemühen u m den »weitgehenden Abbau der Revolution von 1918' 92 und ihrer Errungenschaften. d) Das Bewußtsein bayerischer Eigenstaatlichkeit Als eine besondere Größe für das Verständnis und die Beurteilung bayerischer Politik und bayerischer Entwicklungen ist das Bewußtsein von der Eigenständigkeit und Eigenstaatlichkeit Bayerns anzusetzen. Hans Nawiasky, einer der Väter der bayerischen Verfassung von 1919 beschreibt i n einer späteren Veröffentlichung das bayerische Staatsbewußtsein. Das politische Interesse gelte i n Bayern i n erster Linie und grundsätzlich dem engeren Heimatstaat 93 . „Das Reich ist den Bayern 90 Karl Bosl, Der bayerische Staat: Sein Eigengewicht i n der Vergangenheit — seine Chancen i n Gegenwart u n d Zukunft. Festrede zum Bayerischen V e r fassungstag am 2. Dezember 1967, in:,Bayernspiegel· (1968) Nr. 1/2 v. Jan./Febr. 1968 (Dokumentation zum Bayerischen Verfassungstag 1967), S. 9 - 1 5 , S. 12. Vgl. zum Gesamtkomplex: Werner Gabriel Zimmermann, Bayern u n d das Reich 1918 - 1923. Der bayerische Föderalismus zwischen Revolution u n d Reaktion, München 1953. 91 Ay I I , S. 34. 92 Bosl I I I , S. 12. 93 Hans Nawiasky, Die föderalistische Ausgestaltung der Reichsverfassung, Separatabdruck aus der »Allgemeinen Zeitung', Nr. 5, 6, u n d 12 v o m 6., 9. u n d 13. Jan. 1924, S. 3, hier zit. nach Konrad Beyerle, Föderalistische Reichspolitik, München 1924, S. 14.
3. Deutscher u n d bayerischer Katholizismus
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etwas Fernerstehendes. Sie empfinden seine Angelegenheiten nicht so sehr als die eigenen, sie fühlen sich nicht gleichermaßen als Bayern und Reichsangehörige, sondern i n erster Linie als Bayern und erst kraft der Zugehörigkeit Bayerns zum Reich auch als Deutsche 94 ." Die Begründungen für diese unbezweifelbare Tatsache fallen verschieden aus. Die einen sehen es i m ,Volksgeist' und i m Stammescharakter begründet — die Vertreter dieser Theorie werden i m Laufe der Untersuchung selbst zu Wort kommen — andere sehen die Tatsache eines solchen Staatsbewußtseins i n den gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen und i n den gemeinsamen Realitäten des Alltags begründet. Heinz Gollwitzer 9 5 beispielsweise gehört dazu: „Die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer einheitlichen Verwaltung und Justiz, die innerbayrischen W i r t schaftsbeziehungen, die bindenden Kräfte der Krone und des Parlaments, die Entstehung ganz Bayerns übergreifender Parteien — alle diese Tatsachen haben auch i n Neubayern 9 6 ein starkes bayerisches Staatsbewußtsein erzeugt, das als politische K r a f t i n die Waagschale geworfen werden konnte 9 7 ." 3. Der deutsche und der bayerische Katholizismus zur Zeit des sozialen und politischen Umbruchs
Es kann i m folgenden nicht darum gehen, auch nur einen Überblick über die gesamte soziale und politische Entwicklung der katholischen Kirche i n die Zeit der Weimarer Republik hinein zu geben. Es geht hier lediglich darum, einige geschichtliche Elemente anzugeben, die den Bewußtseinsgehalt des Begriffes ,Katholizismus' bestimmt haben. Unter ,Katholizismus' w i r d dabei m i t Clemens Bauer 9 8 eine besonders geartete Wirklichkeit verstanden: „eine Einheit des Selbstbewußtseins, eine Einheit aus dem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und spezifischer Eigenart, eine historisch gewordene Einheit" 9 9 . Der Bewußtseinsgehalt ,Katholizismus' setzt natürlich die i h m zugrunde liegenden realen Verhältnisse und sich vollziehenden Veränderungen voraus. Dieses Einheitsbewußtsein erfährt nun i m 19. Jahrhundert eine bedeutende Stärkung, 94
Ebd. Gollwitzer, S. 371 f. u n d 374. 98 Neubayern i m Gegensatz zu Altbayern. Gemeint sind damit v o r allem die nach dem Wiener Kongreß zu Bayern geschlagenen protestantischen Gebiete Frankens. Was hier v o n Neubayern gesagt w i r d , k a n n auf ganz Bayern v e r a l l gemeinert werden. 97 Gollwitzer, S. 374. 98 Clemens Bauer, Der deutsche Katholizismus u n d die bürgerliche Gesellschaft, i n : C. B., Deutscher Katholizismus, Entwicklungslinien u n d Profile, Frankfurt/M. 1964, S. 28 - 53. 99 Ebd. S. 28. 95
3·
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die rückverankert ist i n einem vor allem kirchenpolitischen Motiv, daß nämlich die seit 1815 errichteten staatskirchlichen Systeme das Wesen und die Substanz der Kirche gefährdeten. Daran entwickelt sich eine A r t polemisches und,apologetisches' Einheitsbewußtsein, „das sich steigernde und immer mehr akzentuierte Wissen u m Werte und Leistungen der Kirche und der Katholiken i n Deutschland i n der Vergangenheit. Es w i r d zum Kern eines kulturellen Selbstbewußtseins, das sich integriert zum Gegen-Weltbild und Inbegriff der Gegenwerte der liberalen Weltanschauung des neunzehnten Jahrhunderts" 1 0 0 . Diese Einheit entsteht und verfestigt sich unter dem Eindruck einer nachhaltigen Politisierung, ehe noch die Prozesse des sozialen Wandels weitergehende Änderungen m i t sich bringen, die i n ihrer Folge den K a tholizismus wieder differenzieren sollen 1 0 1 . a) Der soziale Wandel innerhalb des deutschen Katholizismus Der Bewußtseinsgehalt des Begriffes ,Katholizismus' entwickelt sich an Hand der konkreten historischen Vorgänge und Entwicklungen. Innerhalb der allgemeinen sozialen Entwicklung i n Deutschland i m 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gibt es nun einige katholische Besonderheiten. So gibt es bedeutende katholische Gebiete, die bis ins 20. Jahrhundert hinein sogenannte ,Rückzugsgebiete oder Reservaträume' (Bauer) vorkapitalistischer und vorindustrieller Wirtschaft sind. Sie sind zum Großteil agrarisch und sozial gekennzeichnet durch ein kräftiges Mittel- und Kleinbauerntum m i t einer ausgeprägten ständischen Gliederung i n Dorf und Kleinstadt innerhalb dieses agrarischen Raumes 102 . Innerhalb dieser katholischen Gebiete bleibt das Handwerk Kernstück eines Mittelstandes neben einem einzel- und kleinhändlerischen Mittelstand 1 0 3 . Auffallend ist das fast völlige Fehlen eines katholischen Unternehmertums, so daß eine katholische Beteiligung i n der Führung der Industrialisierung nahezu ausbleibt 1 0 4 . Dieser Rückstand w i r d auch i n den folgenden Jahrzehnten nicht mehr aufgeholt. Anders i n der Arbeiterschaft: Hier w i r d durch die christliche Gewerkschaftsbewegung das anfängliche Zurückbleiben i n den oberen Schichten der Arbeiterschaft allmählich wieder wettgemacht. Schon vor dem Ersten Weltkrieg ist das Überwiegen der ungelernten Arbeiter 100 101 102 108 104
Ebd. S. 29. Ebd. S. 29 f. Ebd. S. 33 f. Ebd. S. 35. Ebd. S. 38 f.
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3. Deutscher u n d bayerischer Katholizismus
innerhalb der katholischen Arbeiterschaft verschwunden 105 . Besonders nachhaltig war allerdings der katholische Zustrom zur neu sich formierenden Angestelltenschicht sowohl i m öffentlichen Sektor wie i n der privaten Wirtschaft 1 0 6 . „ I m Ausgang des Kaiserreichs präsentiert sich somit die Sozialstruktur des deutschen Katholizismus als eine Pyramide mit Industriearbeiterschaft und Kleinbauerntum als breiter Basis, m i t einer relativ breiten Schicht neuen Mittelstandes, zu dem auch der katholische A n t e i l am nicht-akademischen Beamtentum zu rechnen ist, m i t einer beinahe ebenso breiten Schicht alten Mittelstandes aus Mittel- und Großbauern innerhalb der ländlichen und aus handwerklichem, kleinunternehmerischem und händlerischem Mittelstand innerhalb der städtischen Bevölkerung. A u f diesen Unter- und Mittelbau folgt nach oben eine sehr dünne Schicht wirtschaftlich unabhängiger und selbständiger als Bürgertum qualifizierbarer mittelgroßer Unternehmer aus allen Wirtschaftszweigen und die relativ dünne Schicht der Akademiker i n Beamtentum und freien Berufen, zu welcher bis zu einem gewissen Grad auch der Klerus zu rechnen ist. U n d als Spitze mag der katholische Adel gelten 1 0 7 ." b) Historische Wandlungen des Staat-Kirche-Verhältnisses Der politische Katholizismus i m neunzehnten Jahrhundert entsprang nach K a r l Buchheim dem Widerstreben gegen die übermäßigen A n sprüche der Staatsgewalt, gegen den gallikanischen Cäsaropapismus Napoleons 108 . Dieser aufgeklärte Absolutismus betrachtet die Kirche als Teil des Staates und wollte die Religion auf sittenpolizeiliche Aufgaben reduzieren. Diese Tendenz griff der moderne Verfassungsstaat auf und leitete davon die bedingungslose Einordnung der Kirche i n den nationalen Staat ab. Gegen diese Tendenz wehrt sich die Kirche auf das heftigste, und das ganze 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet von dem Ringen der katholischen Kirche u m die Freiheit von der Herrschaft des konfessionell neutralen, aber seine Staatskirchenhoheit weiterhin ausübenden Staates. I m einzelnen geht es dabei u m die kirchliche Selbstverwaltung, die öffentliche Kulturausübung, u m die Abschaffung des staatlichen Plazets für kirchliche Erlasse und den freien Verkehr der Bischöfe m i t Rom. I m Zuge dieser Entwicklung machte sich die Kirche (freilich aus Selbstinteresse) die gängigen Freiheits- und Gleichheitsgrundsätze zu eigen, u m sich ein Lebensrecht i m modernen Staat zu sichern 109 . 105
Ebd. S. 39. Ebd. S. 41 f. 107 Ebd. S. 42. 108 Karl Buchheim I I I , S. 43. 109 y g i dazu: Hans Maier u n d Otto Heinrich 106
von der Gablentz,
Kirche und
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T e i l A , I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
Ein anderer Strang der Entwicklung ist die kirchliche Auseinandersetzung m i t der Demokratie, genauer: m i t der Stellungnahme zur Volkssouveränität. Die Kirche hatte zunächst ein Interesse daran, die Macht der Fürsten gegen die aufbegehrenden Volksinteressen zu schützen, schon deswegen, w e i l ein Niedergang der Monarchien auch ihre Herrschaftsansprüche i m Kirchenstaat ernsthaft gefährdet hätte 1 1 0 . Gegen die Verabsolutierung der Revolution, daß es für die Volkssouveränität keinerlei Beschränkungen mehr gebe, setzte sie die (zunächst ebenso verabsolutierte) Gegenposition, daß das Volk seinen (rechtmäßigen) Herrschern, deren Macht von Gott stamme, demütig Untertan zu sein habe. Die Päpste weigerten sich denn auch, dem Gedanken der Volkssouveränität einen irgendwie akzeptablen Sinn zu unterlegen. Das ging bis zum Pontifikat Leos X I I I . Aber auch er wollte den einmal eingeschlagenen Kurs nur bedingt korrigieren. Auch er konnte der kirchlichen Interessenslage nicht entgehen. „ U m die (noch) bestehenden Fürstenhäuser i n ihrem Bestand nicht zu gefährden, wurde die mittelalterliche Lehre vom Volk als dem ersten Träger der staatlichen Gewalt umfunktioniert zu einer Lehre, nach welcher das Volk lediglich den Träger der Macht bezeichnet, dieser aber seine Macht von Gott erhalte — womit zumindest scheinbar sowohl die traditionelle Doktrin als auch jedes darauf sich berufende Revolutionsrecht entschärft waren 1 1 1 ." Die Lehre von der Volkssouveränität wurde zwar nie dogmatisch, aber doch faktisch abgelehnt. Das setzte die Kirche i n die Lage, i m Laufe der Zeit bis heute hin manche Kehrtwendung mitzumachen. Einer Zeit der Ablehnung folgte jedenfalls bis i n die Zeit der Weimarer Republik hinein eine Zeit der Indifferenz bzw. rein pragmatischen Duldung. Leo X I I I . näherte sich zwar i n seinen Enzykliken dem modernen Verfassungsstaat, anerkannte aber die Demokratie nur als formales Prinzip politischer Willensbildung und verlagerte das katholische Wirken i n den „transpolitischen, faktisch aber apolitischen Bereich der kirchlichen Soziallehre und -praxis als einer ,actio benefica i n populum Christiana'" 112 hinaus. „Besondere geschichtliche Umstände wie die Römische Frage und der laizistische Charakter der kontinentalen Demokratie haben die Staat, A r t . i n : Staat u n d Politik, Fischerlexikon, hrsg. v. E. Fraenkel u n d K . D. Bracher, Neuausgabe F r a n k f u r t / M . 1964, S. 149 - 159, S. 156 f. 110 Vgl. dazu u n d zum Folgenden: Albert P. Gnägi, Römische Kirche und Demokratie, i n : ,Neue Zürcher Zeitung 4 Nr. 10 (FA) v o m 11.1.1970, S. 37. Gnägi hat inzwischen eine umfangreiche Studie zu diesem Thema vorgelegt: Albert Gnägi, Katholische Kirche u n d Demokratie. E i n dogmengeschichtlicher Überblick über das grundsätzliche Verhältnis der katholischen Kirche zur demokratischen Staatsform, Zürich - K ö l n , 1970. 111 Gnägi I , S. 37. 112 Hans Maier, Strukturen demokratischer Ordnung u n d die deutschen K a tholiken, i n : Zentralkomitee der deutschen K a t h o l i k e n (Hrsg.), Arbeitstagung Münster 18. - 21. März 1964, Paderborn 1964, S. 190 - 208, S. 191.
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Fremdheit zwischen Kirche und Demokratie noch verschärft und dazu beigetragen, daß der Demokratisierungsprozeß i n und nach dem ersten Weltkrieg außerhalb der Steuerung und Leitung durch katholische Kräfte blieb, da sich die Katholiken seit dem Ende der neunziger Jahre — ζ. T. ausdrücklicher kirchlicher Weisung folgend — i n die Autonomie einer reinen Sozial- und Kulturbewegung zurückgezogen hatten 1 1 3 ." Das Reagieren des deutschen Katholizismus auf die Wandlungen der Zeit verkörpert sich i n der Intensivierung der Vereinsarbeit und gipfelte i n der Gründung des ,Volksvereins für das katholische Deutschland 4 i m Jahre 1890 114 . Er war eine Organisation soizalpädagogischer Diskussion und Schulung sowie praktischer Sozialarbeit. Hier wurden die Auseinandersetzungen m i t der sich neu stellenden Wirklichkeit ausgetragen. Dazu gibt es eine Reihe von Standesvereinen und -Organisationen. Wenn auch anfänglich erhebliche Elemente Marxscher Kapitalismuskritik übernommen werden, bleibt doch der Generalnenner sozialer Vorstellungen die soziale Stabilität und die ,organische 4 Gliederung der Gesellschaft nach Berufen, die zu Ständen werden sollen 1 1 5 . Wenn diese vielfältigen katholischen Vereine auch an sich eher unpolitisch und m i t der Pflege kirchlicher Gesinnung, Wohltätigkeit und Geselligkeit befaßt waren, prägten sie indirekt doch, „häufig unter geistlicher Leitung, autoritativ die Meinung ihrer Mitglieder auch i n Fragen des öffentlichen Lebens 44116 . I m Rahmen dieser sich für die Kirche stellenden neuen Herausforderungen wurden vor allem unter dem Pontifikat Leos X I I I . die kirchlichen Soziallehren systematisch erneuert. Ihre wachsende Entfaltung hatte eine doppelte Bedeutung 1 1 7 : Einmal sollten sie Normen für eine Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigen, innerhalb der ein Christ sein Leben zu führen vermochte; zum andern aber hatten sie gleichzeitig die Aufgabe, „ i n einer neuen Ordnung von relativer Stabilität und gebändigter Dynamik die Kirche aus ihrer sozialen Standortslosigkeit innerhalb der modernen Industriegesellschaft herauszuführen und sie wieder einen festen Platz gewinnen zu lassen 44118 . 113
Ebd. Über die Wirksamkeit u n d Tätigkeit dieser f ü r die innere Entwicklung des deutschen Katholizismus bedeutenden Massenorganisation orientiert: Emil Ritter, Die katholisch-soziale Bewegung Deutschlands i m neunzehnten Jahrhundert u n d der Volksverein, K ö l n 1954. 115 Bauer, Katholizismus u n d bürgerliche Gesellschaft, i n : Bauer I, S. 44. 116 Nipperdey, S. 265. Es wäre interessant, die Bedeutung des ,Volksvereins' f ü r die Beständigkeit der Zentrumswählerschaft zu untersuchen. Vgl. dazu: Bracher I, S. 89 f. 117 Nach Clemens Bauer, B i l d der Kirche — A b b i l d der Gesellschaft, i n : Bauer I, S. 9 - 27, S. 26 f. 118 Ebd. S. 27. 114
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Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist eine Unterscheidung verdeutlichend, die Hans Maier 1 1 9 i m Anschluß an Clemens Bauer 1 2 0 t r i f f t : die Unterscheidung zwischen ,politischem Katholizismus' und ,katholischer Politik'. Unter ,politischem Katholizismus' w i r d dabei die eher defensive Zielrichtung katholisch-politischer Initiativen und Ideenformationen verstanden, die i n erster Linie auf die Sicherung bestimmter kirchlicher Rechte und Freiheiten abzielt, aber nicht unmittelbar auf die Neugestaltung des gesamten öffentlichen Lebens i m katholischen Geist aus ist. ,Katholische Politik' dagegen ist ein eher offensives Programm, das, inhaltlich unbestimmt, sich m i t den wechselnden politischen Strömungen verbindet und seine jeweils konkrete Gestalt aus der jeweiligen geschichtlichen Situation bezieht. Sie „ist überzeugt von der zeitüberdauernden Richtigkeit ihrer Ansätze und neigt daher dazu, bestimmte Formen — bis hin zur Staatsform — als ein für allemal gültige katholische Formen für sich i n Anspruch zu nehmen" 1 2 1 . c) Erster Weltkrieg, Revolution und Weimarer Reichsverfassung Das Verhältnis der Katholiken zum Bismarckschen Staat war ein gebrochenes Verhältnis. Es resultierte nicht zuletzt aus dem K u l t u r kampf-,Erlebnis' und aus dem Bewußtsein, nicht zur staatstragenden Elite zu gehören 122 . Dieses wettzumachen, war erklärtes Ziel i n der Periode nach dem Kulturkampf. Nach dem Regierungsantritt W i l helms II. wagte man den ,Auszug aus dem Ghetto' 1 2 3 . Man war entschlossen, den i n Zusammenhang m i t dem Schlagwort ,Ultramontanismus' 1 2 4 erhobenen V o r w u r f nationaler Unzuverlässigkeit abzuwehren. Über das Zentrum bekamen die Katholiken einigen Einfluß auf die Regierungspolitik und der Kaiser selbst suchte ein gutes Verhältnis zur Kirche. „Vor allem kamen aber auch seine Vorstellungen über Reich, Kaisertum, Autorität, Gehorsam usw. denen der Katholiken sehr nahe 1 2 5 ." Innenpolitisch trat eine Entspannung ein.
119 Hans Maier, Revolution u n d Kirche. Studien zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie 1789 - 1901, Freiburg 21965, S. 26 ff. 120 Clemens Bauer, Politischer Katholizismus i n Württemberg bis zum Jahr 148, Freiburg 1929. 121 Maier I , S . 28. 122 Vgl. dazu: Bauer, Katholizismus u n d bürgerliche Gesellschaft, i n : Bauer I, S. 52 f. i2» y g i dazu: Robert Grosche, Der geschichtliche Weg der deutschen K a t h o l i k e n aus dem Ghetto, i n : Der Weg aus dem Ghetto, K ö l n 1955, S. 9 ff. 124
Dazu: Karl Buchheim, Ultramontanismus u n d Demokratie. Der Weg der deutschen K a t h o l i k e n i m 19. Jahrhundert, München 1963. 125 Hans Müller, Der deutsche Katholizismus 1918/19, i n : »Geschichte i n Wissenschaft u n d Unterricht 4 17 (1966), S. 521 - 536, S. 522.
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Der Weltkrieg war denn auch eine willkommene Gelegenheit, die Wandlung der Verhältnisse zu honorieren und zu demonstrieren, wie national man gesonnen war. Man machte sich die These von dem Deutschland aufgezwungenen Verteidigungskampfe und die Annexionspolitik genauso zu eigen wie der Großteil der deutschen Öffentlichkeit. I n der Diskussion der Kriegsziele kam dabei lediglich der Gedanke einer Verbesserung der Lage des Papstes hinzu 1 2 8 . Die ,Umkehr' eines Matthias Erzberger 1 2 7 fand keinen bedeutenden Anhang außerhalb der parteilich engagierten Katholiken. Betäubend w i r k t e für die Katholiken der 9. November 1918. „Wenn selbst die Führer der Sozialdemokraten weinten, als sie sahen, daß die Monarchie nicht mehr zu retten war, was war da von den Katholiken zu erwarten 1 2 8 ?" Sie wurden von den Ereignissen der Revolution überrollt und waren weder handelnd noch widerstehend an dem Umsturz beteiligt 1 2 9 . Doch die anfängliche Ohnmacht wurde bald überwunden. Wenn auch das Zentrum sich ,auf den Boden der Tatsachen' stellte 1 3 0 , so fand diese Entscheidung keineswegs ungeteilten Beifall. Man erkannte zwar die neu geschaffenen Machtverhältnisse als notwendige Ordnungsverhältnisse an, doch waren die Vorbehalte, die man vor allem von Seiten der Bischöfe der Revolution und der neuen Regierung gegenüber machte, nicht zu übersehen 131 . Bei der Formulierung einer politischen Neuorientierung i n Deutschland entschied sich der politische Katholizismus, vor allem aber das Zentrum, zu einer pragmatischen Mitarbeit auf dem Boden der Verfassung. A u f die Formulierung neuer politischer Normen glaubte man verzichten zu können. Dabei wurde dieses Verhalten von zwei Gründen bestimmt: „Der eine war das Bewußtsein, daß unter allen Umständen die staatliche Ordnung oder eine staatliche Ordnung erhalten werden müsse, wenn nicht Anarchie und Bürgerkrieg das deutsche Volk zerfleischen, das deutsche Reich auseinanderreißen sollten. Der andere war die Überzeugung, daß ein neuer Kampf gegen die religiösen Ideale des katholischen Volkes, gegen das Recht und den Bestand seiner Barche nur abgewendet werden konnte, wenn das Zentrum mit,dabei w a r ' 1 3 2 . "
12e Vgl. dazu: Hellmuth Auerbach, Katholizismus u n d Demokratie, i n : Z b L G 29 (1966), S. 281 - 289. 127 Vgl. dazu: Epstein I, S. 116 ff. 128 Heinrich Lutz, Demokratie i m Zwielicht. Der Weg der deutschen K a t h o l i k e n aus dem Kaiserreich i n die Republik 1914 - 1925, München 1963, S. 67. 129 130 131 132
Ebd. Ernst Deuerlein, Der deutsche Katholizismus 1933, Osnabrück 1963, S. 25. Dazu: Hans Müller, S. 525 f. Deuerlein I I I , S. 26.
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Die politische A k t i o n war getragen von den Pragmatikern. Man war eingeschworen auf die Politik des Augenblicks, die Politik der Durchsetzung der Chancen partikularer Interessen, vor allem kulturpolitischer A r t . Revolution und insbesondere republikanische Demokratie waren Dinge, denen gegenüber man sich erst hilflos, dann, sich mehr und mehr sammelnd, skeptisch und gar ablehnend gegenüber verhielt. Man bejahte den neuen Staat nur teilweise „als Provisorium und kleines Übel . . . und (hatte) ringsum Fluchtwege i n eine monarchische Vergangenheit oder i n die ,schönere Zukunft 4 eines christlichen Ständestaates oder eines christlichen Sozialismus offengehalten . . ." 1 3 3 . d) Besonderheiten des bayerischen Katholizismus
zur Zeit des Umbruchs
I n Bayern hielt der politische Katholizismus und der Katholizismus allgemein eine bedeutende Position inne 1 3 4 . Bayern war das deutsche Land, i n dem der katholische Bevölkerungsanteil relativ am stärksten vertreten war. I n Oberbayern, Niederbayern, i n der Oberpfalz und i n Schwaben machte er einen Anteil von 91,8 % aus; i n Unter- und Oberfranken, i n den ehemaligen geistlichen Fürstentümern Mainz, Würzburg und Bamberg 79,5 % ; während lediglich i n Mittelfranken, i m östlichen Oberfranken und i n Nürnberg der evangelische A n t e i l den der Katholiken überflügelte 135 . aa) Der bayerische Katholizismus bis zum Ende der Monarchie Auch i n Bayern war zunächst durch lange Strecken des 19. Jahrhunderts hindurch das aufklärerische Staatskirchenkonzept bestimmend für die Spannungen zwischen Kirche und Staat. Man versuchte zunächst, sich die Kirche untertänig zu machen, „sie ,als eine wohltätige Stütze der sittlichen Ordnung und K u l t u r 4 , wie es i n einem Regierungserlaß der Zeit . . . heißt, seiner Auffassung vom allgemeinen Wohlfahrtszweck des Staates einzuordnen und als eine ,Staatsanstalt' i n seine Obhut zu nehmen, i n Verfolgung und Ausweitung des alten und i n Kurbayern besonders stark ausgebildeten staatskirchlichen Territorialismus" 1 3 6 . Es ist jedoch ein besonderes bayerisches Kennzeichen i n dieser Auseinandersetzung, daß sie i m großen und ganzen mehr auf juristischer Ebene ge133 Hans Maier, Unser politischer Auftrag, i n : A u f Dein W o r t hin. 81. Deutscher Katholikentag v o m 13. J u n i bis 17. J u l i 1966 i n Bamberg, Paderborn 1966, S. 150 - 182, S. 173. Jetzt auch i n : H. M., Der Christ i n der Demokratie, Augsburg 1968, S. 59 - 102. 184 Vgl. W. G. Zimmermann, S. 127. 135 Alfred Milatz, Wähler u n d Wahlen i n der Weimarer Republik (Schriftenreihe der Bundeszentrale f ü r politische Bildung, Heft 66, Bonn 1966, S. 79. 138 Max Spindler, Der neue bayerische Staat des neunzehnten Jahrhunderts, i n : Andreas Kraus (Hrsg.), Erbe u n d Verpflichtung. Aufsätze u n d Vorträge zur bayerischen Geschichte, München 1966, S. 202.
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führt wurde 1 3 7 . Deshalb schlugen hier auch die Wogen des Kulturkampfes nicht so hoch und eine tiefgreifende Entfremdung zwischen den führenden katholischen und liberalen Kreisen trat nicht ein. Der Regent m i t seiner Umgebung und die Kammer der Reichsräte bildeten dabei vielfach die verbindende Brücke 1 3 8 . Die Demokratisierung und Parlamentarisierung der Politik eröffneten den neu entstehenden und sich erneuernden katholischen Massenorganisationen neue Möglichkeiten. Dabei kam der geistlichen Gruppe i n der Kammer der Abgeordneten eine besondere Bedeutung zu. Sie ergriff die Gelegenheit, den gegen die kirchlichen Interessen laufenden Maßnahmen der Regierung soweit als möglich entgegenzuwirken 139 . „Daher auch die verhältnismäßig hohe Zahl der sich zur Wahl stellenden Geistlichen, die auch, zumal auf dem Lande, meist gewählt wurden 1 4 0 ." So wich i n den beiden letzten Jahrzehnten vor Kriegsende die mehr juristische Tonart i n der Behandlung der konfessionspolitischen Fragen „häufig der kräftigeren Sprache der Agitatoren" 1 4 1 , und die alte, religiösliberale Beamtenschaft wurde zu einem guten Teil durch Männer abgelöst, die den katholischen Akademikerverbänden entstammten 1 4 2 . Die Erfolge dieser Aktionen mögen ihren Grund auch i n der Tatsache eines gefühlsmäßigen Demokratismus des Südens' 143 haben, der sich u. a. darin äußerte, daß die bayerische Regierung zwar immer eine eigenständige Politik zu betreiben suchte, es jedoch stets vermied, gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheit des Parlaments zu regieren 1 4 4 . „Auch aus diesem Grund erfolgte die Ablösung des Kabinetts Podewils i m Jahre 1912, daß m i t seiner Politik . . . den Unwillen des Zentrums geweckt hatte 1 4 5 » 1 4 6 ." Unangefochten war die Position der Kirche i m bayerischen Volk indes nicht. Neben ständigen Angriffen der Liberalen 1 4 7 und Sozialdemokraten 137
Gollwitzer, S.385. Möckl, S. 24. 139 Schlosser, Erich: Presse u n d Landtag i n Bayern von 1850 bis 1918, München 1968, S. 12. 140 Ebd. 141 Gollwitzer, S.385. 142 Ebd. 143 Ebd. S. 380. 144 Schnorbus, S. 153. 145 Ebd. 146 Vgl. oben, T e i l A , I I 2 b. 147 So erklärte etwa der Führer der Liberalen auf einem Parteitag 1910, Ernst Müller-Meiningen: „Der Feind schlechthin ist f ü r uns i n Bayern der K l e r i k a l i s mus als Träger einer k u l t u r w i d r i g e n , lediglich von kirchenpolitischen Machtzielen geleiteten Priesterherrschaft", i n : Ε. M.-M., Die gottgewollte Unabhängigkeit. Z w e i Reden zur Gründung der FVP, München 1910, S. 12. Hier zit. n. Reimann I I , S. 174. 138
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waren es vor allem zwei Momente, die ihre Stellung gefährdeten. Das eine lag i n der u m sich greifenden Entfremdung zwischen den Kirchen und fast allen Gesellschaftsschichten 148 . Viele Menschen befanden sich i m Sog der u m sich greifenden Säkularisierung, i n der die Religion m i t zunehmender Skepsis betrachtet wurde 1 4 9 . Vor allem aber war „der Geist der Religion . . . aus dem stahlharten Gehäuse der modernen, an die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen maschineller Produktion gebundenen Wirtschaftsordnung entflohen, die i m 20. Jahrhundert den allgemeinen Lebensstil bestimmte" 1 5 0 . Das zweite Moment lag darin, daß sich der bayerische Klerus zu sehr i n die Kriegspropaganda einspannen ließ 1 5 1 . Durch seine ,Aufklärungstätigkeit 4 hatte er die Fühlung mit der bäuerlichen Bevölkerung, die ja schon durch die Bauernbundbewegung angegriffen w a r 1 5 2 , noch mehr verloren. Erst nach der Revolution sollte sich durch die kulturpolitischen Erlasse des Kultusministers und späteren Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann und der damit wieder eingeleitete Kampf der Kirche u m die Schulen die politische Position der Dorfgeistlichkeit verbessern 153 . bb) Der bayerische Katholizismus und der Erste Weltkrieg A m 24. März 1916 schickte der bayerische Kultusminister eine Note an die katholischen Bischöfe m i t der Bitte, durch Predigt und persönliches Wort zur allgemeinen Hebung der Volksstimmung beizutragen 154 . Diese Initiative blieb nicht ohne Erfolg. Während sich die meisten Bischöfe damit begnügten, die Bitte des Kultusministers i n Form einer vertraulichen Mitteilung ihren Amtsblättern beizufügen, antwortete der damalige Bischof von Speyer und spätere Erzbischof von München, Michael von Faulhaber, m i t einem persönlichen Brief, i n dem er die Zusicherung gab, i n seinen eigenen Predigten und durch persönliche Aussprachen m i t der Geistlichkeit i n dem gewünschten Sinne vorzugehen 155 .
148 Vgl. dazu: Ursula Haaß, Die K u l t u r p o l i t i k des Bayerischen Landtags i n der Zeit der Weimarer Republik 1918 - 1933, Phil. Diss., München, 1967, S. 166 ff. 149 Bosl I, S. 21. 150
Ebd. Albrecht I , S. 127 ff. 152 Vgl. dazu: Ludwig Thoma, Erinnerungen, München 1958, S. 128 f. 153 Herbert Speckner, Die Ordnungszelle Bayern. Studien zur P o l i t i k des bayerischen Bürgertums, insbesondere der Bayerischen Volkspartei v o n der Revolution bis zum Ende des Kabinetts Dr. v. Kahr. Phil. Diss. Erlangen 1955, S. 9, A n m . 10. 151
154
Allgemeines Staatsarchiv München (AStAM) M K 19 288; zit.nach Albrecht, Landtag i n Bayern, a.a.O., S. 129. 155
Ebd. S. 130.
3. Deutscher u n d bayerischer Katholizismus
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Die kirchliche Propaganda war dabei getragen von einer Verketzerung der Westmächte als Umsturzmänner, die i n der Französischen Revolution Gott abgesetzt hätten. Die Angriffe der Feinde richteten sich gegen „die mit fester Hand geschützte Aufrechterhaltung des Rechtes und der von Gott gewollten segensreichen Glaubens- und Sittengesetze" 156 . Der Krieg, das war der Kampf der Revolution gegen die Ordnung, des Atheismus gegen die Religion, des Atomismus gegen den Staatsorganismus; letztlich der Kampf u m den Bestand des Bündnisses von Thron und Altar157. Trotz der Diskretion, m i t der sich die staatlich-kirchlichen Kontakte i n dieser Angelegenheit vollzogen, blieb nicht verborgen, daß die Kirche mit ihrer Durchhaltepropaganda i m Auftrage von Regierung und Verwaltung tätig w a r 1 5 8 . Die Folge war ein Autoritätsverlust der Kirchen. „Die Kleriker wurden als Mitschuldige für die etwaigen Kriegsverlängerungen, als Mitschuldige für die etwaigen Verluste bei den Kriegsanleihen verschrien 159 ." cc) Die Münchener Revolution von 1918 Der Zusammenbruch des Krieges und der Ausbruch der Revolution wirkte auf die Katholiken wie auf weite Kreise der Bevölkerung wie ein Schock 160 . Insbesondere die bald erfolgte Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht und der Erlaß über den Religionsunterricht rief den erklärten Widerstand der Kirche hervor. Er führte ζ. B. allein am 3. Februar 1919 zu acht Protestversammlungen. Außerdem verfehlte der Versuch, den Erzbischof zu verhaften und den damaligen päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli zu bedrohen, nicht seine W i r k u n g 1 6 1 . Beschlagnahmungen, Plünderungen und Geiselmord steigerten dieses Schockerlebnis, das zu „Verdrängungsversuchen (führte), indem der Kausalnexus umgekehrt wurde, so daß der Revolution und dem notwendig gewordenen Wechsel i n der Staatsform die Schuld an dem Zusammenbruch des alten Systems gegeben w u r d e " 1 6 2 . 156 So der Bischof v o n Passau, Sigismund v. Ow, A S t A M : M K 19 288; zit. n.: Karl-Ludwig Ay, Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung i n Bayern während des Ersten Weltkrieges. Phil. Diss. München 1968, S. 90. 157 Ebd. S. 91. 158 Albrecht I, S. 131. 159 Michael Doeberl, Sozialismus, soziale Revolution, sozialer Volksstaat, München 1920, S. 36. Vgl. dazu auch Heinrich Hillmayr, München u n d die Revol u t i o n v o n 1918/19. E i n Beitrag zur Strukturanalyse v o n München am Ende des Ersten Weltkrieges u n d seiner F u n k t i o n bei Entstehung u n d A b l a u f der Revolution, i n : Bosl V, S. 453 - 505, S. 469. 160 Vgl. dazu: Weisz, S. 542. 1β1 Hillmayr, S. 481. 1β2 Weisz, S. 543.
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T e i l A, I I . Historisch-geistesgeschichtliche Hintergründe
Dieser Schock sollte für viele Katholiken noch bis weit i n die Weimarer Republik hinein anhalten. Der Abscheu vor der Revolution wandelte sich großenteils i n fundamentale Vorbehalte der Republik gegenüber. Sie konnte nicht vom Guten sein — gemäß einer damals gängigen Schlußfolgerung — da sie ursprungsmäßig m i t der Revolution zusammenhing. Revolution bedeutete nach einem späteren, berühmten und oft bemüht wordenen Wort Faulhabers ,Meineid und Hochverrat'; sie bleibe i n der Geschichte erblich belastet und m i t dem Kainsmal gezeichnet 163 . Von der moraltheologischen Position der sittlichen Unerlaubtheit der Revolution glaubte man von der Wurzel her auch den Weimarer Staat i n Zweifel ziehen zu können 1 6 4 . M i t einer inneren Gewißheit wartete man auf seinen Zusammenbruch. Diese Gewißheit kommt beispielsweise zum Ausdruck i n der Trauerrede zur Beisetzung König Ludwigs I I I . und seiner Frau i m Münchener Dom: „Könige von Volkes Gnaden sind keine Gnade für das Volk, und wo das Volk sein eigener König ist, w i r d es über kurz oder lang auch sein eigener Totengräber sein 1 6 5 ." Die Position des Münchener Erzbischofs kann als repräsentativ gelten für eine Reihe von konservativ-katholischen und katholisch-konservativen Kreisen i m Bayern der entstehenden und sich einrichtenden Weimarer Republik. Aus solchen Kreisen stammt auch das Denken, das i m folgenden Gegenstand der Untersuchung ist: ein Denken, das sich zwar auffächert von radikalisierenden Restaurationsparolen bis hin zu einer konstruktiven Politik auf dem Boden der neuen Verfassung, ein Denken, das sich insgesamt aber als konservativ erweisen wird, da es eine letzte Skepsis — aus diesem oder jenem Grunde — den neuen Zuständen gegenüber nicht los wird. Dieses Denken erschöpft sich i n der verbalen Neuauflage alter Parolen und gleicht auch da, wo es sich auf den Boden der Republik stellt, eher jenem verspäteten Reisenden, der durch einen Trittbrettsprung den abgefahrenen Zug zwar noch erreicht, die Türen aber nicht zu öffnen vermag.
163 Gesprochen auf dem Münchener Katholikentag 1922, dem ersten allgemeinen deutschen Katholikentag nach dem Krieg. Zit. n.: Ludwig Volk, Der bayerische Episkopat u n d der Nationalsozialismus 1930 - 1934, Mainz 1965, S. 5. Spätere Interpretationsversuche, den Zusammenhang zwischen Revolution u n d Weimarer Republik zu lösen, w i e es etwa der A r t i k e l v o n Friedrich Fuchs, 94 (HL), S. 101 ff., versucht, sind nicht überzeugend. „Denn Revolution u n d Republik ließen sich eben nicht w i e disparate Geschehnisse betrachten, sondern standen i n einem klaren Ursache-Wirkungsverhältnis. Anderfalls wäre j a Faulhabers Aussage selbst sinnlos geworden." V o l k , ebd. 164 Vgl. dazu: Lutz, S. 82 f. les /Trauerrede bei der Beisetzung I h r e r Majestäten des Königs L u d w i g I I I . v o n Bayern u n d der K ö n i g i n M a r i a Theresia i m Liebfrauendom zu München am 5. November 1921 von Michael K a r d i n a l Faulhaber, Erzbischof von MünchenFreising — zit. nach Volk, S. 5.
T e i l A, I I I . Methodologische Orientierungen
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I I I . Methodologische Orientierungen Das konkrete vorliegende Material, an dem die Untersuchung vorgenommen wird, sind die oben beschriebenen Zeitschriften: Es sind also Texte, die i n eine nähere Betrachtung genommen werden. Diese A r t des Untersuchungsgegenstandes verweist auf die Methode der Inhaltsanalyse. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich dabei u m eine Forschungstechnik, die sprachliche Eigenschaften eines Textes objektiv und systematisch identifiziert und beschreibt, u m daraus Schlußfolgerungen auf nicht-sprachliche Eigenschaften von Personen und gesellschaftlichen Gruppierungen zu schließen 1 . Wenngleich dem Verlangen nach Objektivität und intersubjektiver Überprüfbarkeit beizupflichten ist, bleibt die Schwierigkeit doch unverkennbar, derart verläßliche Methoden zu erstellen, daß sie den aufgestellten Kriterien v o l l Genüge leisten. Solche Schwierigkeiten verdeutlichen sich an der Gegenüberstellung der beiden grundsätzlichen Methoden der Inhaltsanalysen, wie sie sich bisher darbieten: der quantitativen und der qualitativen. Der quantitativen Analyse geht es u m die Erfassung eindeutiger semantischer Einheiten, die einen Text von anderen unterscheiden und etwas über seine Bedeutung aussagen. Dabei handelt es sich zumeist u m Klassifikationen von sprachlichem Material, u m sie dann i m Rahmen von quantitativen Frequenz-, Valenz-, Intensitäts- und Kontingenz-Analysen bestimmten Kategorien zuzuordnen. Sie begnügt sich dabei nicht m i t reiner Deskription, sondern w i l l zusätzliche Aussagen über den Gehalt und die A r t des Textes machen, denn sie geht davon aus, daß einer bestimmten Häufigkeit beispielsweise bestimmte Bedeutungsgehalte zukommen. Über eine solche Textanalyse hinaus versucht sie dann Schlußfolgerungen über latente Intentionen des Urhebers zu ziehen. Hauptvertreter einer solchen Richtung sind Harold D. Lasswell 2 und Bernard Berelson 3 . Die qualitative Richtung der Inhaltsanalyse geht von der Auffassung aus, daß es sich bei textlichen Vorkommnissen u m Ganzheiten handelt und deshalb nur vor dem Hintergrund solcher Ganzheiten Einzelanalysen vorgenommen werden können. Einer ihrer Hauptvertreter ist Siegfried 1 Renate Mayntz, K. Holm, P. Hübner: Einführung i n die Methoden der empirischen Sozialforschung, K ö l n u n d Opladen 1969, S. 151. Vgl. zum Folgenden das ganze K a p i t e l über die Inhaltsanalyse, S. 151 - 167. 2 Harold D. Lasswell, N. Lettes et altera: Language of politics. Studies i n quantitative semantics, Cambridge, Mass., 1968 (Erstausg. New Y o r k 1949). Vgl. besonders das K a p i t e l ,Why to be quantitative'?. 3
Barnard 1952.
Berelson , Content Analysis i n Communication Research, Glencoe
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T e i l A, I I I . Methodologische Orientierungen
Kracauer 4 . Nach i h m bemüht sich die qualitative Analyse u m ein Erfassen des Textes ohne eine spezielle Aufmerksamkeit für bestimmte Häufigkeiten. A l l e i n wichtig sei dabei die Bestimmung und Anordnung solcher Kategorien, die eine Aufschlüsselung von Grundbedeutungen eines Textes ermöglichen und die dabei zugrundegelegten Annahmen und H y pothesen i m Blick halten 5 . Kracauer möchte dabei aus dem Dilemma einer unter dem Primat der Quantifizierung stehenden Aufschlüsselung herauskommen, einerseits m i t zu großen Kategorien kompliziertere Zusammenhänge zu verdecken, andererseits m i t zu feinen statistisch kaum signifikante Resultate zu erzielen. „Kracauers K r i t i k zielt insbesondere auf das isolierende, Zusammenhänge auflösende Verfahren, das er für ein Merkmal der quantitativen Inhaltsanalyse hält 6 ." Während nun die qualitativen Analytiker oft schnell bei der Hand sind, Unzulänglichkeiten der quantitativen Methoden aufzudecken — verallgemeinert: die Bereiche nicht-eindeutiger und nicht-manifester Nebenbedeutungen und kontextlicher Zusammenhänge zu vernachlässigen — w i r d umgekehrt den qualitativen Analytikern vorgehalten, daß ihr Vorgehen zu sehr subjektiv und i n t u i t i v sei. Eine solche generelle K r i t i k impliziert meist — vereinfacht — a) den Vorwurf, daß der qualitative Analytiker seine eigene Vorgehensweise selbst nicht genügend kritisiert und die von i h m herausgestellten charakteristischen Inhalte und kontextlichen Faktoren nicht genügend spezifiziert, von denen er seine Inhalte ableitet; und b) den Vorwurf, daß die Bedingungen seiner Folgerungen nicht genügend artikuliert sind 7 . Obwohl nun einzuräumen ist, daß die Ergebnisse der quantitativen Analysen i n der Regel zuverlässiger und ihre Hypothesen überprüfbarer sind, w i r d hier die Orientierung an der qualitativen Vorgehensweise gewählt. I n beiden Fällen ist ja ein intuitives Moment nicht ganz auszuschließen. Denn auch bei der quantitativen Vorgehensweise muß sich der Inhaltsanalytiker bei der Zuordnung von Bedeutungen zu sprachlichen Einheiten auf sein eigenes intuitives Sprachverstehen stützen 8 . Es mag dabei zutreffen, daß sich eine so allgemein verstandene 4 Siegfried Kracauer, The Challenge of Qualitative Content Analysis, i n : »Public Opinion Quaterly' 16 (1952), Nr. 4, S. 631 - 641. 5 Ebd. S. 637 ff. β Jürgen Ritsert, Merkmale der qualitativen Inhaltsanalyse — Über den Essay m i t schlechtem Gewissen. Unveröffentlichtes Manuskript zu einem P r a k t i k u m zur Inhaltsanalyse an der Universität F r a n k f u r t / M . i m WS 1968/69, S. 9. Der Verfasser verdankt diesem S k r i p t u m manche Anregung zur K l ä r u n g seiner eigenen methodologischen Position. 7 Alexander L. George, Qualitative and quantitative procedures i n content analysis, i n : Publications. The Rand Corporation, Santa Monica, Calif., 1954. Vgl. a u d i : A. L . George, Propaganda Analysis. A Study of Inferences Made f r o m Nazi Propaganda i n W o r l d W a r I I , Evanston, 111., 1959. 8 Vgl. Mayntz u. a., S. 152 f .
T e i l A , I I I . Methodologische Orientierungen
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qualitative Analyse nicht sehr von einer traditionellen philologischen Text-Interpretation unterscheidet, weil sich die Interpretationen aus mehr oder weniger i n t u i t i v erfaßten Auffälligkeiten speist und von dort her ihre interpretatorischen Schlüsse zieht. Die durch die methodologische Diskussion innerhalb der Inhaltsanalyse geweckte Aufmerksamkeit den Schlußfolgerungen gegenüber soll dennoch für diese Untersuchung bestimmend sein und spekulative Deduktionen oder Konstruktionen verhindern 9 . I n einer ersten groben Übersicht sind die Zeitschriften beschrieben worden, aus denen die untersuchten Texte bezogen werden 1 0 . Es ist nun noch auf das nähere Auswahlkriterium einzugehen, nach denen die Texte ausgewählt worden sind. Aus den beschriebenen Zeitschriften werden — i m Rahmen der angegebenen Jahrgänge — alle relevanten Texte (also Aufsätze, Abhandlungen, Kommentare, Besprechungen usw.) herangezogen, die sich i n irgendeiner grundsätzlichen Weise auf die laufenden politischen Umstrukturierungsprozesse oder deren Ergebnisse beziehen. »Grundsätzliche' soll dabei den Unterschied zum Tagespolitischen bezeichnen. Es geht also bei den Texten nicht so sehr u m politische Kommentare zu bestimmten politischen Ereignissen (etwa den laufenden Konkordatsverhandlungen oder bestimmten Regierungsbildungen), sondern u m allgemeine Stellungnahmen zu Fragen der Staatsform, der politischen Prinzipien usw. Dabei gilt das Hauptinteresse dem antidemokratischen Zug, der die meisten einschlägigen Texte durchzieht. Bei diesen antidemokratischen und antirepublikanischen Texten geht es dann i n der näheren Darstellung u m die Erfassung von mitschwingenden Bedeutungen und insbesondere u m die Erfassung von normativen Gehalten, wie sie der K r i t i k zugrundeliegen; weiterhin u m eine Rekonstruktion von Argumentationsketten (soweit das mögliche ist) und u m Vergleiche, Typisierungen und Klassifikationen. I n der Durchführung der Untersuchung soll vom Allgemeinen zum Besonderen vorangegangen werden. Zunächst erfolgt eine Untersuchung allgemeiner K r i t i k an der Demokratie als Idee. Dann w i r d der Weg institutioneller Ausformungen dieser Idee beschritten: Parlamentarismus, Parteienstaat, Verfassung. Aus dieser Aufgliederung ergeben sich die einzelnen Hauptkapitel. I n den einzelnen Kapiteln selbst w i r d zunächst versucht, das für die Analyse bestimmte Wortfeld auszubreiten, u m dann über die Darlegung verschiedener begrifflicher Füllungen und wertbesetzte Einstellungen die eigentlichen kritischen Gehalte und bedingenden Alternativvorstellungen darzulegen und zu untersuchen. Die theore9 Eine ähnliche Position n i m m t auch ein: Hans Dieter Zimmermann, politische Rede. Der Sprachgebrauch Bonner Politiker, Stuttgart 1969. 10 Vgl. ebd. S. 1 ff.
4 Mennekes
Die
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tischen Leitlinien, die uns dabei zur Orientierung dienen, sollen i m folgenden angegeben und kurz erläutert werden. IV. Theoretische Leitlinien Die i n dieser Arbeit untersuchten theoretischen Vorkommnisse sollen unter folgende theoretische Leitlinien gestellt werden; sie werden begriffen: 1. als ein Komplex systematisierter und reflektierter .symbolischer Sinnwelten 4 , deren Funktion darin besteht, für eine bestimmte gesellschaftliche Wirklichkeit eine entsprechende Legitimation zu liefern; 2. als ein konservatives Phänomen, das i n einer Zeit des vollzogenen geistigen und politischen Umbruchs die Ideale und Vorstellungen der vorangegangenen Epoche weitgehend aufrechterhält und verteidigt. 1. Über die Darstellung und grobe Untersuchung eines bestimmten politischen Denkens, wie es zu Beginn der Weimarer Republik i n Bayern anzutreffen ist hinaus, soll i n dieser Arbeit ansatzweise versucht werden, dieses Denkphänomen i n einen größeren Zusammenhang zu stellen und von dorther zu begreifen. Dieses Denken steht ja nicht i n einem ,luftleeren Raum* bzw. i n einem ,kräftefreien Feld'. Es hat seine geschichtlichen und theoretischen Bedingtheiten so wie es seine Interessengerichtetheiten hat, i n deren Zielrichtung es wirken w i l l . I m Rahmen einer wissenssoziologischen Theorie eröffnet sich eine Reihe von Aspekten, die ein solches geistiges Vorkommnis näher aufschlüsseln. I n Zusammenhang mit einer solchen wissenssoziologischen Reflexion soll als theoretische Leitlinie der wissenssoziologische Ansatz dienen, wie i h n Peter L. Berger und Thomas Luckmann 1 vorgelegt haben, ohne allerdings dabei die anthropologische und philosophische Problematik, die er impliziert, zu verkennen. Es ist aber hier nicht der Raum, und es liegt auch nicht i n der Absicht der Arbeit, solche Problemstellungen auszubreiten und zu diskutieren. Ohnehin w i r d sich zeigen, ob sich diese Theorie an den,Fakten' bewährt oder nicht. Als Ausgangspunkt für die Überlegungen, wie sie Berger und Luckmann vorlegen, kann das anthropologische Paradox einer Instinktungesichertheit des Menschen 2 bei dem Phänomen eines gleichzeitig geord1 Peter L. Berger u n d Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche K o n s t r u k t i o n der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, F r a n k f u r t 1969; erstmals: The Social Construction of Reality, Garden City, Ν . Y., 1966. 2 Arnold Gehlen, Anthropologische Forschung. Z u r Selbstbegegnung u n d Selbstentdeckung des Menschen, Reinbeck bei Hamburg 1961, S. 69 ff.; Arnold
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neten Ablaufs seiner Lebensweise gelten. Dem mangelhaften biologischen Instrumentarium steht das Phänomen menschlichen Seins als ein Geflecht aus Ordnung, Gerichtetheit und Stabilität gegenüber 8 . Der Versuch einer Erklärung dieses Paradoxes läuft auf eine Theorie der I n stitutionalisierung hinaus. Eine solche Theorie der Institutionalisierung kann ihren Ansatz von der These des Menschen als eines handelnden Wesens nehmen, wie sie Arnold Gehlen entwickelt hat 4 . A u f der Basis einer solchen, empirisch abstützbaren These erweist sich — allgemein — die menschliche Umwelt, und erweist sich damit die menschliche Gesellschaft als ein Produkt menschlichen Handelns. Die Gesellschaft i n ihrer Geordnetheit und Struktur erweist sich danach als ein Produkt menschlichen Tuns. Wiewohl sie biologisch nicht als solche abgeleitet werden kann, ist ihre Notwendigkeit dennoch i n der biologischen Verfassung des Menschen angelegt. Innere Voraussetzung der These vom Menschen als eines handelnden Wesens ist die bewußtseinsmäßige Intentionalität des Menschen. Der Mensch ist — antropologisch besehen — kein Wesen der reinen Innerlichkeit, sondern er ist ,stets sich bewegende Intentionalität' 5 . Er steht i n einem ständigen Prozeß des Handelns (Gehlen), der Produktion (Berger/Luckmann), der ,Entäußerung' (Hegel, Marx), die sich auf der inneren Voraussetzung der Intentionalität i n einem ständigen Prozeß vollzieht, indem menschliche Subjektivität sich ,entäußert', i n Produkten ,externalisiert', d. h. subjektiv gemeinten Sinn ,ver-gegenständlicht'. Wo sich dieser Prozeß der Entäußerung i n Produkten äußert, sprechen w i r vom Prozeß der Vergegenständlichung. I n diesem Prozeß der Vergegenständlichung gibt es ein Moment, das i n diesem Zusammenhang der besonderen Aufmerksamkeit bedarf: das Vergegenständlichte bzw. das Objektivierte. Es ist dies jenes Moment, i n dem der Mensch sozusagen Intentionalität fixiert und Gegenständliches schafft, produziert, so daß das Produkt selbst Gegenstand seines Bewußtseins wird. So werden beispielsweise Werkzeuge, Bauten, Kunstgegenstände, Ideen usw. produziert, die der Mensch gleichzeitig benennt, als solche erkennt, zum Gegenstand der Sprache werden läßt, auf den Begriff bringt, somit vergegenständlicht und über die er dann m i t anderen kommunizieren kann. Signale sind weiterhin solche Vergegenständlichungen, Zeichen und Gehlen, Urmensch u n d Spätkultur. Philosophische Ergebnisse u n d Aussagen, F r a n k f u r t / M . 21964. 3 Berger/Luckmann, S. 54 f. 4 Arnold Gehlen, Der Mensch. Seine N a t u r u n d seine Stellung i n der Welt, F r a n k f u r t / M . 81966. 5 Peter L. Berger u n d Stanley Pullberg, Verdinglichung u n d die soziologische K r i t i k des Bewußtseins, i n : »Soziale Welt' 16 (1965), S. 97 - 112, S. 101. 4·
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Zeichensysteme, von denen die Sprache das bedeutsamste ist, andere. Solche Objektivationen sind mehr oder weniger dauerhafte Indikatoren subjektiver Empfindungen 6 , sie ,proklamieren' subjektive Intentionen, ermöglichen dadurch Kommunikation und den Aufbau der sozialen Welt. I m Rahmen dieses Prozesses w i r d Vorgegebenes, ζ. B. unstrukturierte Natur, so verändert, daß es Struktur erhält und als sinnvolle Einheit erscheint. Es ist an diesem Punkt auf die Beziehung zwischen der gesellschaftlichen Welt und dem einzelnen Menschen einzugehen, die eine dialektische ist. Wiewohl gesellschaftliche Welt ihren ,Bestand' menschlichem Hervorbringen verdankt 7 , w i r k t sie doch und w i r d sie erlebt als eine objektive, vorgegebene Wirklichkeit 8 . Die gesellschaftliche Welt i n der Form ihrer Vergegenständlichungen hat ihre eigene Tradition. Sie steht dem Menschen als objektive, unabweisbare Faktizität gegenüber, und sie nimmt so weitgehend dem einzelnen gegenüber die Gestalt zwingender Macht an. „Die Gesellschaft zwingt und kontrolliert den einzelnen, ja sie vermag i h n als Individuum zu zerstören. Mittels ihrer Einrichtungen der sozialen Kontrolle umstellt die Gesellschaft den einzelnen überall. . . . die Gesellschaft (übt) als Recht und Gesetz von außen, als Gewissen von innen ihren Zwang auf den einzelnen aus 9 ." Dennoch aber bleibt demgegenüber festzuhalten, daß diese gesellschaftliche Faktizität produzierte Faktizität ist. Die Gegenständlichkeit der gesellschaftlichen Welt ist eine vom Menschen gemachte, konstruierte Gegenständlichkeit. Obwohl sie einen beeinflussenden und bestimmenden Charakter besitzt, ist i h r dennoch kein ontologischer Status zuzuschreiben, i n dem die Abhängigkeit von ihrem Produzenten aufgehoben wäre. Das Paradox, daß i n der Erfahrung gesellschaftlicher Gegenständlichkeit dieser eher ein solcher unabhängiger, ontologischer Status zugeschrieben wird, der diese Abhängigkeit vergessen läßt und dem Menschen das Gefühl der Ohnmacht verleiht, dieses Paradox w i r d noch i n einem anderen Zusammenhang zu betrachten sein. Hier bleibt festzustellen, daß die Beziehung zwischen dem Menschen und seiner gesellschaftlichen Welt eine dialektische ist. Der Mensch produziert i m M i t einander gesellschaftliche Welt (Entäußerung), diese erreicht dadurch zwar abhängige, dennoch aber objektive Wirklichkeit (Vergegenständlichtes), die als solche auf ihren Produzenten zurückwirkt, i h n prägt, einschränkt und zwingt; i h m aber auch den Mangel an instinkthaft-biologischer Ungesichertheit wettmacht und dadurch sein Überleben sichert. Z u m Zwecke dieses Überlebens ist der Mensch gezwungen, diese gesell6 7 8 9
Berger/Luckmann, S. 36 f. M a x Weber als Theoretiker dieses Poles! Emile D ü r k h e i m als Theoretiker dieses Poles! Berger/Pullberg, S. 104 f.
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schaftliche Welt entgegenzunehmen, sie sich ,einzuverleiben'. Diese drei Bestandteile: Entäußerung (Externalisierung), Vergegenständlichtes (Objektiviertes) und Verinnerlichung (Internalisierung) machen die Dialekt i k menschlicher Gesellschaft aus. Sie ist das wesentlichste Merkmal der sozialen Welt. Berger und Luckmann bringen diese Dialektik auf die Formel: „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt 1 0 ." Ein Bereich dieses Prozesses der Vergegenständlichung ist der Bereich der Fixierungen von Handlungen zu übertragbaren Habitualisierungen. Bestimmte Handlungen werden i m Laufe der Geschichte über die Stadien der Gewohnheit, der Typisierung und Habitualisierung so qualifiziert, daß sie gleichsam typisierte Handlungsschemata geworden sind. Solche typisierten Handlungsschemata machen das aus, was i n der Soziologie mit dem Wort »Institutionen* belegt wird. Ohne auf die lange Diskussion um diesen Begriff i n der Soziologie einzugehen 11 , w i r d man darunter allgemein klar umrissene Komplexe sozialen Handelns verstehen können: Recht, Staat, Ehe usw. sind solche Institutionen. Ausgehend von der Institutionenlehre Gehlens, der darunter allgemein Kanalisationsvorrichtungen für menschliches Verhalten versteht, fassen Berger und Luckmann darunter die i n einer jeweiligen Gesellschaft oder Gruppe für alle Mitglieder erreichbaren Verhaltensgeneralisierungen, »regulative Instanzen', abgezogene Verhaltensmuster, Schablonen der Orientierung, die innerhalb einer bestimmten Gesellschaft gültig und weitgehend monopolisiert sind 1 2 . Eine Theorie der Institutionalisierung führt zu dem Problem der Legitimation. Wo nämlich Institutionen nachfolgenden Generationen übermittelt werden müssen, innerhalb des Prozesses der Sozialisation also, bedürfen die Institutionen und die institutionellen Ordnungen der ,Erklärung' und Rechtfertigung' 1 3 . Sie müssen die ,Sinnhaftigkeit' von Institutionen ,einsichtig' machen, damit sie vom einzelnen Individuum übernommen werden. Solche Legitimationen breiten sich i n Form von kognitiven und normativen Interpretationen schützend über die Institutionen. Sie ,erklären' die institutionelle Ordnung dadurch, daß sie ihrem objektivierten Sinn kognitive Gültigkeit zuschreiben, und Rechtfertigen' sie, indem sie ihren pragmatischen Imperativen die Würde des Normativen verleihen.
10
Berger/Luckmann, S. 65. Gustav Gundlach, Chemens Bauer, Alfred Bellebaum: Institution, A r t . i n StL, 6. Aufl., 4. Bd., Sp. 324 - 334, bes. S. 330 ff. 12 Vgl. dazu: BergerlLuckmann, S. 58; auch: Peter L. Berger, Einladung zur Soziologie. Eine humanistische Perspektive, München 1971, S. 99 f. 13 Z u m Folgenden: Bergerl Luckmann, S. 68 ff. u n d 98 ff. 11
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Eine solche Legitimation hat aber auch die Aufgabe, die verschiedenen, teils disparaten institutionellen Bereiche zu einer sinnhaften Einheit zu integrieren. I n diesem anthropologischen Phänomen der Einheitsstiftung sehen Berger und Luckmann ein psychologisches Bedürfnis, das seinerseits physiologisch begründbar sei. Die Notwendigkeit einheitsstiftender Reflexion hat i n einem anderen Zusammenhang schon Kant herausgestellt, und zwar i n der Konzeption des ,Ich denke': „Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas i n m i r vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein 14 ." Schon aufgrund also der transzendentalen Einheit des Ichbewußtseins oder der transzendentalen Apperzeption' muß das Ich seine Bewußtseinsgehalte notwendig i n einen mehr oder weniger deutlichen Einheitszusammenhang bringen. Eben diese Notwendigkeit, gegebene, objektivierte Wirklichkeit m i t dem übrigen Bewußtsein i n Verbindung zu bringen, stellt das Problem der Legitimation dar 1 5 . Es ist aber hier wieder zu betonen, daß eine solche vereinheitlichende Reflexion, solche Einheitsstiftung wiederum ein menschliches Produkt ist. „Größte Vorsicht ist demnach i m Hinblick auf alle Behauptungen über die angebliche ,Logik' von Institutionen geboten. Die Logik steckt nicht i n den Institutionen und ihrer äußeren Funktionalität, sondern i n der A r t , i n der über sie reflektiert w i r d 1 6 . " Eine solche integrierende Reflexion des Bewußtseins geschieht nun wiederum i n einem dialektischen Prozeß, und zwar hier auf der Grundlage theoretischer Vergegenständlichung, auf ,Wissen'. Wissen ist der Sammelbegriff für alle Gewißheiten über die Objektivität einer gesellschaftlichen Welt. Es bedeutet das Erfassen der jeweiligen gesellschaftlichen Welt als objektiver Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit i n einem. Berger und Luckmann unterteilen es i n ,Primärwissen' und »theoretisches Wissen'. Primärwissen ist sozusagen vortheoretisch. Es ist das, ,was jedermann weiß', die Summe von Maximen, Moral, Sprichwortweißheiten, Werten, Glauben, Mythen usw. Demgegenüber tauchen i n der Geschichte immer wieder von Zeit zu Zeit theoretisch durchdachte Legitimationen auf, die die Integration dieser Wissensgehalte zu leisten versuchen 17 . 14
Immanuel Kant, K r i t i k der reinen Vernunft, Β 132. A u f diesen Zusammenhang hat mich Johannes Heinrichs aufmerksam gemacht. Vgl. seinen grundlegenden Aufsatz: J. H., Der Ort der Metaphysik i m System der Wissenschaften bei Paul Tillich. Die Idee einer universalen Sinnhermeneutik, i n : ,Zeitschrift f ü r Katholische Theologie' 92 (1970), S. 249 - 286, bes. S. 251 ff. 16 Bergerl Luckmann, S. 68 f. 17 Dazu u n d zum Folgenden: Bergeri Luckmann, S. 69 ff. Z u m Bereich des 15
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Solche Versuche theoretischer Totalreflexionen speisen sich — u m auf die zu erläuternde Ausgangsthese zurückzukommen — aus verschiedenen Faktoren: aus einfachen Versicherungen, rudimentären theoretischen Postulaten, begrenzten Legitimationstheorien oder sog. symbolischen Sinnwelten', die alle anderen Formen i n sinnstiftender Universalität überragen. Sie integrieren sämtliche Institutionsbereiche noch so verschiedenster A r t durch Rückgriffe auf theoretische Faktoren außerhalb der erfahrbaren Außenwelt. Damit erreichen sie, daß eine jegliche menschliche Erfahrung nurmehr innerhalb eines solchen symbolischsinnweltlichen Bezugssystems stattfindet. Alles bekommt innerhalb einer solchen ,symbolischen Sinnwelt' seinen Platz. Es gibt nichts, was innerhalb eines solchen Systems nicht mehr ,verstehbar' wäre. Geschichtliche Formen solcher reflektierter und theoretisierter ,symbolicher Sinnwelten' sind nach Berger und Luckmann Mythologien, Theologien, Philosophien und die modernen Wissenschaften. Ohne nun auf die — hier nicht zu erörternde — Problematik einer solchen Systematisierung einzugehen, soll das Phänomen eines konservativen Denkens, wie es uns i n den hier zu untersuchenden Zeitschriften begegnet, der Stufe der Theologien und Philosophien zugeordnet werden. Es handelt sich bei diesem theoretischen Vorkommnis u m ein Denken, das Zusammenhänge und Strukturen, Sinnstrukturen vor allem, i n die Geschichte und i n die Gesellschaft zu stiften versucht, indem es eine ,objektiv vorgegebene' gottgewollte Ordnung aufrichtet. Anlässe solch systematisierter Theoretisierungen von symbolischen Sinnwelten' sind zumeist deren Problematisierung und Verunsicherung. Es ist nämlich ein allgemeines Merkmal von Legitimationen und universal-sinnstiftenden Theorien, daß ihre Gültigkeit nicht so sehr von rational stichhaltigen, objektiv zwingenden Argumentationen abhängig ist als vielmehr von außertheoretischen gesellschaftlichen Faktoren. Die Grundthese der Wissenssoziologie von der gegenseitigen Verwiesenheit der beiden Faktoren ,Wissen' und gesellschaftliche Wirklichkeit' nimmt hier derart Gestalt an, daß sowohl reflektierte Einsicht wie unreflektierte Plausibilitäten 1 8 menschlicher Wirklichkeitsvorstellungen, also des,Primärwissens' vgl. auch die Ausführungen Luckmanns zum Begriff W e l t anschauung i n : Thomas Luckmann, Das Problem der Religion i n der modernen Gesellschaft. Institution, Person u n d Weltanschauung, Freiburg 1963, S. 37 ff. Inzwischen liegt eine überarbeitete englische Fassung vor: T. L., The invisible Religion. The Problem of Religion i n modern Society. (The Transformation of Symbols i n Industrial Society), New Y o r k 1967. 18 M i t diesem Begriff w i r d zum Ausdruck gebracht, daß das, was Menschen f ü r w i r k l i c h halten, abhängig davon ist, daß u n d wie diese Vorstellungen gesellschaftlich abgestützt u n d abgesichert sind. „Die K r a f t der Plausibilität, die v o n nicht i n Frage gestellter Gewißheit über hohe Wahrscheinlichkeit bis zur bloßen .Meinung' reicht, steht i n direktem Abhängikeitsverhältnis zur K r a f t der jeweiligen Stützstruktur." Peter L. Berger, A u f den Spuren der Engel. Die
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sen, was i n einer Gesellschaft als gültig und sinnvoll angesehen wird, abhängig ist davon, ob diese Vorstellungen gesellschaftlich abgestützt sind oder nicht. Hauptstütze aber für geltende Plausibilitäten ist vor allem die (aus anderen gesellschaftlichen Bedingungen resultierende) Tatsache, ob die Menschen des jeweils unmittelbaren Lebensraumes die jeweils gleichen Vorstellungen untereinander teilen. Die Plausibilität also dieser oder jener Auffassung — etwa dessen, was i n einer Gesellschaft oder gesellschaftlichen Gruppe für ,normal· gilt — hängt ab von der — bewußt oder unbewußt — ständig vollzogenen Zustimmung der Mitmenschen. Hauptgefahren solcher Wirklichkeitsvorstellungen und ihrer entsprechenden Strukturen ist das Auftauchen alternativer Gesamtkonzeptionen, die sich zumeist auf der Grundlage anderer Gesellschaften oder auf der Grundlage gesellschaftlicher Veränderungen entwickelt haben. Ein Auftauchen solcher alternativer, all-integrierender symbolischer Sinnwelten' ist vor allem deshalb eine Gefahr, w e i l ihr bloßes Vorhandensein empirisch demonstriert, daß die bisher gültigen Vorstellungen nicht eigentlich zwingend waren. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der verschiedenen Positionen. Vertreter der bisher gültigen Vorstellungskomplexe werden dabei versucht sein, den Prozeß der Verunsicherung aufzufangen, sei es daß sie die Theorie den neuen Verhältnissen anpassen wollen, oder sei es umgekehrt, daß sie die gesellschaftlichen Verhältnisse unter die weitere Herrschaft der Theorien stellen und ihnen anpassen wollen. Ein Beispiel solcher Auseinandersetzungen bieten die Dispute u m die neue Staatsordnung und der sie tragenden Legitimationskonzeptionen i n der Weimarer Republik. Eine solche Position sinnweltlich orientierter gesellschaftlich-politischer Gesamtvorstellungen bieten die Texte, die hier untersucht werden sollen. Sie stehen ja i m Jahre 1918 nahezu allesamt auf der Basis der abgelösten obrigkeitsstaatlich-monarchisch orientierten Gesellschafts- und Staatsvorstellung. Sie stehen auf der Basis eines an der damals gängigen christlichen Soziallehre orientierten organischen, korporativen und autoritativen Denkens. Ihre Autoren befanden sich damals i n Bayern auf dem Boden der untergegangenen Gesellschaftsordnung — mag auch das protestantische Hohenzollernkaisertum und Bismarcks kleindeutsche Lösung manche Makel am damals bestandenen Gesamtsystem gelassen haben. Innerhalb des untergegangenen Systems durften sie sich gewissermaßen zu der Schicht von Intellektuellen zählen, die die Aufgabe innehatte, die bestehende Ordnung durch die Die moderne Gesellschaft u n d die Wiederentdeckung der Transzendenz, F r a n k f u r t / M . 1970, S. 59. Vgl. zum Ganzen: Ebd. S. 56 ff.; Berger/Luckmann, S. 165 ff.; u n d Peter L. Berger, The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theorie of Religion, Garden City, Ν. Y., 1969, S. 45 ff.
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ständige Reproduktion ihrer theoretischen Grundlagen zu legitimieren. Diese Ordnung und die damit i n Zusammenhang stehende Privilegierung einer bestimmten konservativ-katholischen Schicht 19 war i n der Folge der Kriegsereignisse, vor allem aber zufolge der Revolution durch eine neue, demokratische, parlamentarische und pluralistische Ordnung ersetzt, welche die privilegierten Stellungen von einst stark erschütterte 20 und andere gesellschaftliche Kräfte an der Gestaltung des staatlichen Willens mitbeteiligte. 2. Wenn i m folgenden eine so geartete denkerische A k t i v i t ä t als ,konservativ' bezeichnet wird, dann steht dies i n Einklang m i t der bekannten Konservativismus-Kritik, die K a r l Mannheim 2 1 entwickelt hat. Er versteht darunter einen Denkstil, der „durch eine Transformation des religiösen Bewußtseins und anderer durch den modernen Rationalismus verdrängten Denkweisen ein Organon zur Erfassung der irrationalen Elemente i n der Geschichte geschaffen worden ist" 2 2 . Mannheim unterscheidet zwischen dem psychologischen Tatbestand des Traditionalismus und dem spezifisch historischen Phänomen des Konservativismus. Traditionalismus sei „eine allgemein menschliche seelische Veranlagung, die sich darin äußert, daß w i r am Althergebrachten zäh festhalten und nur ungern auf Neuerungen eingehen" 23 . Eine solche Veranlagung sei auch bei progressiven' Persönlichkeiten ein mögliches Merkmal. Konservativismus dagegen meine nicht ein solches „bloß formales reaktives Handeln" 2 4 , sondern ein „bewußtes oder unbewußtes Sich-Orientieren an einer Denk- und Handlungsweise" 25 , an einem „objektiv-geistigen Strukturzusammenhang" 26 . Konservativismus ist nach Mannheim somit eine „historisch und soziologisch erfaßbare Kontinuität, die i n einer bestimmten soziologischen und historischen Situation entstanden ist und i n unmittelbarem Konnex m i t dem historisch Lebendigen sich entwikk e l t " 2 7 . Als solcher ist er der zum Bewußtsein seiner selbst gelangte Traditionalismus, eine reflexe Gegenbewegung, die „gleichsam als eine A n t 19 Stellvertretend f ü r viele einzelne Privilegierungen mag an dieser Stelle lediglich das kirchliche Schulmonopol genannt sein. 20 Beispielsweise durch die Abschaffung des Schulmonopols. 21 Karl Mannheim, Das konservative Denken. Soziologische Beiträge zum Werden des politisch-historischen Denkens i n Deutschland, i n : Archiv f ü r Sozialwissenschaften u n d Sozialpolitik, 57 (1927): jetzt i n : Karl Mannheim, Wissenssoziologie. A u s w a h l aus dem Werk, hrsg. v. K u r t H. Wolff, Neuwied 1964, S. 408 - 508. 22 Ebd. S. 411. 28 Ebd. S. 412. 24 Ebd. S. 413. 25 Ebd. 26 Ebd. S. 414. 27 Ebd. S. 417.
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T e i l A , V. Vorgängige Typologisierung dieses Denkens
wort auf das ,Sich-Organisieren' und Agglomerieren der progressiven' Elemente i m Erleben und Denken zustande gekommen" 2 8 ist. Bereits Mannheim machte auf den hier zugrundegelegten Zusammenhang zwischen einer geistigen Position, wie der Konservativismus sie darstellt, und der hinter ihr stehenden, sie m i t bedingenden sozialen Wirklichkeit, dem historisch-sozial bedingten Lebensraum, aufmerksam 29 , und er sprach von solchen Lebenskreisen, i n denen besonders deutlich konservatives Erleben und Denken faßbar sei. Es handle sich dabei u m Lebenskreise, die sich zwar i m Umbruch befinden, wo aber die Lebenskreise, aus welchen sie ihre geistige und seelische Nahrung bezögen, noch nicht ganz zerstört seien. Dieses Erleben und Denken werde reflex und sich seiner Eigenart bewußt, „wo i n dem Lebensraume, i n welchem es vorhanden ist, bereits andersgeartete Lebenshaltungen und Denkweisen auftreten" 3 0 . — Daß es sich i n der vorliegenden Untersuchung u m einen solchen Lebenskreis handelt, w i r d die Untersuchung selbst erweisen. Hier sei nur noch auf eine weitere Eingrenzung hingewiesen. Es w i r d i n der Arbeit nicht der dialektische Zusammenhang zwischen Wissen und Gesellschaft behandelt, sondern jenes i m Prozeß der Legitimation produzierte und vergegenständlichte Denken, das Moment des Gedachten also, untersucht. Einige Strukturen und Merkmale dieses Denkens i n einer fixierten Theorie herauszustellen, sei unsere Aufgabe. Die genauen gesellschaftlichen Bedingtheiten aufzuzeigen, den dialektischen Prozeß selbst zu untersuchen — bedürfte einer wesentlich breiteren A n lage der Arbeit. V. Versuch einer vorgängigen Typologisierung dieses Denkens Die antidemokratische K r i t i k , die i n den hier behandelten Publikationen untersucht wird, geht von einem ganz bestimmten theoretischen Selbstverständnis aus. Die K r i t i k i n ihrer allgemeinen Richtung wie i n ihren einzelnen Inhalten ist nur zu verstehen, wenn dem ,Wogegen' das ,Wofür' gegenübergestellt wird. Dieses ,Wofür' t r i t t selten systematisch i n Erscheinung; es w i r d als selbstverständliche Voraussetzung mitgeschleppt. Oft werden bestimmte Gehalte nur angesprochen und mögen bei einem entsprechenden Leserkreis die relevanten Assoziationen ausgelöst haben. Dieser Zusammenhang ist aber dem heutigen Leser nicht ohne weiteres gegeben und muß i m Rahmen einer Analyse und K r i t i k thematisch gemacht werden. Es soll i m folgenden versucht werden, einen solchen Zusammenhang zu einem positiven Selbstverständnis anzudeuten. Soweit er sich aus den Schriften selbst herstellen läßt, soll dies i m Laufe 28 29 30
Ebd. S. 419. Ebd. S. 447 ff. Ebd. S. 445; vgl. auch S. 444.
1. Geistesgeschichtliche Ortung
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der Untersuchung geschehen. Aber das theoretische Gebäude und die formale Denkstruktur geht aus den Schriften allein nicht hervor. Sie verweisen aber an vielen Stellen, i n denen es u m grundsätzliche philosophische, politische oder theologische Fragen geht, auf einige ,Autoritäten', an denen sich die meisten Autoren orientieren. Einige solcher »Autoritäten' werden hier zunächst herangezogen, u m einen ersten Überblick über dieses Denken zu erstellen. 1. Geistesgeschichtlichte Ortung
Die geistesgeschichtliche Ortung der vorliegenden Denkrichtung geschieht i n einem ersten Ansatz i n der Zuordnung zum naturrechtlichen Deduktionismus, wie er allgemein i m katholischen Bereich philosophischen und politischen Theoretisierens und Spekulierens der damaligen Zeit üblich war. Dieser naturrechtliche Deduktionismus unterscheidet sich grundsätzlich von den beiden anderen damals relevanten Richtungen: Liberalismus und Sozialismus. Das naturrechtliche Denken katholischer Richtung versteht sich als Konsequenz theistischer Weltanschauung, wie sie auf dem Boden des Christentums vertreten wird, und läßt sich — nach der Meinung seiner Väter — objektiv metaphysisch begründen. Es geht von dem (für beweisbar gehaltenen) Gedanken aus, daß die Welt eine Schöpfung Gottes ist. Wenn nun Gott i m Menschen eine freie Kreatur geschaffen hat — so die allgemeinste Schlußfolgerung dieses Denkens — so muß er i h m notwendigerweise ein sittliches Gut als Ziel vorgeben, insoweit dieses für die Erreichung seines moralischen Zieles auf Erden notwendig ist, und verbieten, was i h n daran hindert 1 . Leitend ist dabei der Gedanke, die Normen und Orientierungen für sittliches Handeln einer bloßen Konvention der Menschen zu entziehen und sie i n einem Raum allgemein einsichtiger ethischer, religiöser und soziologischer Überlegungen zu verankern 2 . Orientierungspunkt ist hierbei eine sog. Natur- und Seinsordnung, die durch Abstraktion wesentlicher Gehalte aus dem Bereich der Erscheinungen i n t u i t i v begriffen werden könne. Durch eine von einer sog. ,materia' abstrahierte sog. ,forma' eröffne sich die wahre Wesensstruktur der betreffenden Seienden, worauf diese sich ausrichteten. Dieses sei Ziel und Ursache i n einem 3 . 1 Diese Auffassung bezeichnet der scholastische Theoretiker Joseph de Vries als ,sententia communis' innerhalb der scholastischen Philosophie. Vgl. dazu: J. de Vries, Ethica, Pullach 1963 (als Manuskript gedruckt), S. 51. 2 Vgl. dazu den A r t i k e l , N a t u r r e c h t ' v o n Max Müller, i n : StL, 6. Aufl., Bd. V , Sp. 929 f f , Sp. 929. 3 Vgl. dazu das K a p i t e l über die ,ontologisch-normative Theorie i n den Sozialwissenschaften' bei Wolf-Dieter Narr, Theoriebegriff e u n d Systemtheorie, Stuttgart 1969, S. 41 f f , bes. S. 42.
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T e i l A, V. Vorgängige Typologisierung dieses Denkens
Durch ein systematisches Vorgehen w i r d dann auf eine sog. Seinsordnung m i t ganz bestimmten Ordnungen geschlossen. Da i n ihnen das Gute und das Sollen als grundgelegt angesehen wird, ergäben sich aus solchen erkennbaren Seinsordnungen bestimmte sittliche Verpflichtungen. Die Schwierigkeit solcher Ableitungen i n konkreten geschichtlichen Situationen, wie sie sich aus den geschichtlichen Wandlungsprozessen ergeben, w i r d dabei zugestanden. Doch glaubt man einen stets gleichbleibenden, durch alle geschichtlichen Wandlungen sich durchhaltenden Wesenskern entdecken zu können, aus dem sich dann ebenso unwandelbare ethische Prinzipien ableiten ließen. Je grundlegender und allgemeiner dabei solche Normen sind, u m so leichter ließen sie sich ableiten 4 . Sie stellten die leitenden Prinzipien dar, an denen sich konkrete Ableitungen ergäben, die ζ. T. zeitbedingt sind. Leitend ist dabei immer der Grundgedanke, daß die erkennbaren Seinsordnungen als von Gott geschaffen angesehen werden müßten und damit als zur vertieften Realisierung aufgegeben 5 . 2. Nähere Spezifizierung durch »geistige Väter* dieses Denkens
a) Georg von Hertling Freiherr Georg von Hertling (1843 - 1919) war eine bedeutende Gestalt i n der Geschichte des konservativen Flügels des deutschen Katholizismus. Als Philosoph und Politiker hatte er einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die praktische und theoretische Entwicklung desselben. Philosophieprofessuren i n Bonn und München sowie zahlreiche Veröffentlichungen kennzeichnen seinen Weg als Wissenschaftler. Bedeutsamer aber waren seine Stationen als Politiker: 1875- 1890 und 1896- 1912 Reichstagsabgeordneter des Zentrum, 1909 - 1912 Vorsitzender der Zen4 Vgl. dazu: Joseph de Vries, Sittengesetz, A r t . i n : Walter Brugger (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch, Freiburg 12 1965, S. 292 ff., S. 293. 5 A u f eine nähere logische Durchführung dieser Ableitungen kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu etwa Victor Cathrein, Moralphilosophie, 2 Bde., 1924; de Vries I . Z u r K r i t i k : Ernst Topitsch, V o m Ursprung u n d Ende der Metaphysik, Wien 1958; ders., Über Leerformeln. Z u r Pragmatik des Sprachgebrauches i n Philosophie u n d politischer Theorie, i n : E. T., Probleme der Wissenschaftstheorie. Festschrift f ü r V i k t o r K r a f t , Wien 1960, S. 233 - 264; ders., Mythos Philosophie Politik. Z u r Naturgeschichte der Illusion, Freiburg 1969; August M. Knoll, Katholische Kirche u n d scholastisches Naturrecht. Z u r Frage der Freiheit, Neuwied 1968; Hans Albert, Probleme der Theoriebildung. E n t wicklung, S t r u k t u r u n d A n w e n d u n g sozialwissenschaftlicher Theorien, i n : H. A . (Hrsg.), Theorie u n d Realität. Ausgewählte Aufsätze zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften, Tübingen 1964, S. 3 - 70; Klaus Ritter, Zwischen Naturrecht u n d Rechtspositivismus. Eine erkenntnistheoretische Auseinandersetzung m i t den neueren Versuchen zur Wiederherstellung einer Rechtsmetaphysik, Witten/Ruhr 1956.
2. »Geistige Väter' dieses Denkens
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trumsfraktion i m Reichstag, 1912-1917 bayerischer Ministerpräsident, 1917-1918 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident 6 . Sein besonderes Interesse als Philosophieprofessor galt den Fragen der Rechts- und Staatsphilosophie 7 . „Die Autorität des Staates zu wahren, war i h m politische Maxime, sein persönliches Bekenntnis zur Monarchie und ihre Erhaltung Herzensbedürfnis und heiliger Grundsatz 8 ." M i t der naturrechtlichen Begründung der menschlichen Sollensordnung und damit der Staatsordnung steht Hertling i n der Tradition der katholischen Moral- und Staatsphilosophie. Auch für i h n bestimmt sich vom Naturrecht her Wert und Unwert einer Handlung 9 . I n diesem Naturrecht sind für i h n die Grundsätze des Rechts und der Sittlichkeit niedergelegt und als solche die erste Voraussetzung für eine sichere und zielbewußte Politik 1 0 . Für Hertling ergibt sich das sittliche Naturgesetz als eine Tatsache der Vernunft, insofern ein jeder seine Handlungen i n ihrem sittlichen Wert prüft und von anderen Werten unterscheidet. Dieses sittliche Naturgesetz vermittelte dem Menschen einen Begriff des Guten, der m i t einem Sollensanspruch an i h n herantritt 1 1 . Der Sollensanspruch unterscheidet sich insofern von einem ,müssen', wie es sich aus der Logik und den Naturwissenschaften ergibt, als der Mensch sich i h m entziehen kann, ohne es aber mißachten zu können. Das Problem ist, wie es angemessen begriffen werden kann. Für Hertling weist die Wesensbeschaffenheit des sittlichen Handelns selbst den Weg, „wenn sie nur i n ganzer Schärfe ergriffen und i n voller Tiefe aufgefaßt w i r d . . . Denn sie weist m i t Notwendigkeit über den Menschen hinaus und auf einen umfassenden Zusammenhang h i n " 1 2 . Dieser ,umfassende Zusammenhang' könne aber nur vom Boden einer ganz bestimmten Weltanschauung, nämlich der ,theistisch-teleologischen Weltansicht' verstanden werden. Der Ausgangspunkt ist für Hertling so zu sehen, „daß . . . (der) ganze Mechanismus des Naturlaufs nicht als eine auf sich selbst gestellte Macht angesehen werden kann, sondern als ein System von M i t t e l n zur V e r w i r k -
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Vgl. Hugo Graf Lerchenfeld, Hertling, A r t . i n StL, 5 .Aufl., 2. B d , Sp. 1168 f f , Sp. 1168. 7 Einen Überblick über Hertlings Publikationen gibt Max Ettlinger, Georg von H e r t l i n g als Gelehrter, i n : H L 11 (1913/14) I, S. 227 - 231. 8 Hans Eisele, Dr. Georg Freiherr v o n Hertling, i n : H L 10 (1913) I I , S. 750 - 755, S.751. 9 Vgl.: Georg von Hertling, Naturrecht u n d Socialpolitik, K ö l n 1893, S. 12. 10 Antonius Friedrich Eickhoff, Georg v o n H e r t l i n g als Politiker, K ö l n 1932, S.l. 11 Hierzu u n d zum Folgenden: Georg von Hertling, Recht, Staat u n d Gesellschaft, München 21907, S. 19 f f , hier S. 19 f. 12 Ebd. S. 23.
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lichung ewiger Ideen, und die unübersehbare Vielheit von Elementen, deren Wechselspiel i h n vorwärtstreibt, bestimmt ist durch einen ursprünglichen Plan" 1 8 . Leitend bei dieser Vorstellung ist das B i l d der Natur, die nach bestimmten inneren Gesetzmäßigkeiten abläuft. Dies w i r d als Beispiel genommen für den menschlichen Bereich. Dem Menschen sei ebenso eine ganz bestimmte Gesetzmäßigkeit vorgegeben, die es lediglich zu erkennen gelte, u m sie dann frei zu erfüllen 1 4 . Das Naturgesetz ist dabei also die Norm, die jedem Bestandteil der Weltwirklichkeit die besondere Weise seiner Wirksamkeit vorgezeichnet hat, den Atomen wie den Organismen 15 . Der i m Naturgesetz enthaltene Sollensanspruch t r i t t an den Menschen mit der Forderung, den erkannten Weltplan zu realisieren und ihn zur Erfüllung zu bringen — so entwickelt Hertling seine Theorie weiter. — Der Mensch soll vor allem den erkannten Zweck seines Eigenwesens realisieren. Der Zweck seines Eigenwesens gliedert sich auf i n Sollensforderungen sich selbst gegenüber und seinen Mitmenschen i n Familie, Verband, Gesellschaft und Staat. Hertling stellt dabei eigens heraus, daß sich der verpflichtende Charakter der Sollensforderungen nicht etwa daraus ergibt, daß ein Gebot als vernünftig erkannt wird, sondern vielmehr, weil es zurückgeht auf den Willen einer obersten vernünftigen Weltursache, die i n christlicher Interpretation Gott sei. I n einer solchen Gesetzeserfüllung vollziehe sich die menschliche Vervollkommnung, und i n der Gewißheit, diese anzustreben, realisiere sich menschliches Glück 1 6 . Die Herleitung des Staates als von der natürlichen Ordnung gefordert ergibt sich für Hertling aus der Überlegung, daß sich die Menschen der oben angedeuteten sittlichen Aufgabe auf Erden nur dann i n vollem Umfange widmen könnten, wenn sie sich i n solcher Weise, wie sie der Staat darstellt, zusammenschließen, denn die Menschen seien von ihrer natürlichen Anlage für das Gemeinschaftsleben bestimmt, und die von ihnen gemeinsam zu lösenden Aufgaben verlangten dabei nach familiärem, verbandsmäßigem und staatlichem Zusammenhalt. Dabei ergäbe sich die Forderung nach einer Rechtsordnung, die ihre Prinzipien ebenso aus der natürlichen Ordnung beziehe. Beide Elemente, Staat und Recht, seien letztlich erforderlich, „damit menschliches Gemeinschaftsleben seinen geordneten Verlauf gewinnen, und die Menschheit auf den verschiedenen Punkten der Erde zur Entfaltung ihrer Kräfte, zur Unterwerfung der Natur und Erzeugung aller Kulturwerke i n Wirtschaft und Technik, i n Wissenschaft und Kunst gelange" 17 . 13 14 15 16 17
Ebd. S. 24. Vgl. dazu: Hertling I, S. 13. Hertling I I , S. 24. Ebd. S. 30 u n d 33. Ebd. S. 69 f. (Zit. S. 70).
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Eine solche staatliche und rechtliche Geordnetheit verlange aber nach einer anerkannten Autorität, die ihre Legitimation aus der Aufrechterhaltung der sittlichen Ordnung herleitet und damit ebenfalls ihren Grund i n dem natürlichen Recht selbst besitzt und demgemäß auch befugt ist festzustellen, was für einen entsprechenden Menschenkomplex i m Rahmen des Sittengesetzes als Recht zu gelten hat. — I n dieser Hinsicht sei also der Staat i n die sittliche Ordnung einbeschlossen und der W i l l k ü r einzelner entzogen und „sind Aufrechterhaltung der staatlichen Gemeinschaft, Befolgung der staatlichen Gesetze, Unterordnung unter die staatliche Autorität an sich selbst sittliche Forderungen" 1 8 . So besehen ist für Hertling der Staat dann auch i n keiner Weise eine bloß »mechanische Zusammenfügung' oder gar ,aus bloßer Übereinkunft' geschaffen. Vielmehr ist er ein Organismus, ein Naturprodukt. Der Unterschied zwischen dem Unorganischen und dem Organischen besteht dabei i n dem dem Organischen zugrundeliegenden erkennbaren Zweck. „Ein Organismus ist nicht die bloße Summe seiner Teile . . . , sondern die Teile sind durch das Ganze bestimmt, aus dem Ganzen entworfen und i n Bau und Beschaffenheit und gegenseitiger Anordnung auf das Ganze angelegt, welches nach dem Ausdruck des Aristoteles früher ist als die Teile. Nur durch die zusammenstimmende Tätigkeit der einander angepaßten, w e i l sämtlich zum Ganzen hingeordneten Teile, seiner Glieder und Werkzeuge, kann dieses sich entwickeln und erhalten 1 9 ." Hertlings Naturrechtskonzeption stellt den Versuch dar, aus der Ebene allgemeiner, abstrakter Reflexion über den Menschen und seine Natur hinabzusteigen auf die der Grundsätze, Normen und Gesetze der Gesellschaft, des Staates, des Rechtes und der Politik. Ausgangspunkt für i h n ist eine bestimmte Sicht notwendiger Selbstverwirklichung des Menschen, wie sie sich aus dem Blickwinkel damaliger scholastischer Reflexion ergab. Über die formale Überlegung, daß das, was notwendig ist für die Erreichung dieses Zieles, auch sittlich gesollt ist, gelangt er zu metaphysischen Begründungen des Rechtes, des Staates, der Staatsgewalt, der Autorität. Z u einer einheitlichen Vorstellung werden diese Deduktionen verbunden durch das B i l d vom Organismus. Der Organismus selbst erhält dann bei verschiedenen Autoren verschiedene weitere naturrechtliche Untermauerungen und Ausweitungen, wie sie teilweise i n den untersuchten Texten vorgenommen werden. Alle orientieren sich aber an dem grundsätzlichen Bemühen, staatliche und gesellschaftliche Institutionen, ausgehend von einer bestimmten Intuition vom Menschen durch Formalschlüsse naturrechtlicher Reflexion »abzuleiten'. I n diesem Bemühen, sozusagen ein gesellschaftlich-politisches Totalmodell zu er18
Ebd. S. 71. Georg von Hertling, Sp. 1362 f. 19
Staat, A r t . i n : StL, 3. u n d 4. Aufl., 4. Bd., Sp. 1356 ff.,
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stellen, kann Hertling als Beispiel gelten, was durch die vielen Berufungen, wie sie i n einzelnen Texten auf Hertling h i n geschehen, unterstützt wird. b) Juan F. M. Donoso Cortés Während der scholastisch-systematische Denkansatz eines Georg von Hertling Leitlinien für die Denkstrukturen vieler Autoren der behandelten Zeitschriften bot, ließen sich viele Redakteure i n ihren materialen Denkgehalten über Hertling hinaus von dem Spanier Juan Fernando Maria Donoso Cortés orientieren. Donoso Cortés hatte u m die Mitte des 19. Jahrhunderts als spanischer Diplomat, Politiker und Parlamentarier über sein Heimatland hinaus einen großen Einfluß auf das konservative Denken seiner Zeit gehabt. Insbesondere fanden seine Schriften eine weite Verbreitung i n den konservativen Lagern Europas 20 . Das Charakteristische seiner Schriften und theoretischen Position ist die starke analoge Zuordnung der Bereiche Religion und Politik. „Jede große politische Frage schließt immer eine große theologische Frage i n sich." — so formuliert er den viel bemühten Satz zu seinem theoretischen Hauptwerk 2 1 . „Meine Methode, die Dinge zu beurteilen, ist sehr einfach" — schreibt er 1851 i n einem Brief 2 2 —: „ich erhebe meine Augen zu Gott und sehe i n ihm, was ich i n den Ereignissen vergeblich suche, wenn ich sie ausschließlich i n sich selbst betrachte. Diese Methode ist ursprünglich und außerdem jedermann zugänglich." Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind die sozialen und politischen Unruhen i m Zusammenhang der sich anbahnenden, stattfindenden und vollzogenen Revolutionen i m Europa des Jahres 1848. Sie werden formuliert i n der polemischen Auseinandersetzung mit entsprechenden liberalen und frühsozialistischen Theorien, insbesondere Proudhon. Dabei stellt er dem optimistischen Fortschrittsgedanken seine pessimistische Gegenwarts- und Geschichtsinterpretation gegenüber und versucht, religiöse Dimensionen i n der geschichtlichen und politischen Analyse 4 herauszuarbeiten.
20 Vgl.: Carl Schmitt, Der unbekannte Donoso Cortes, i n : H L 27 (1930) I I , S. 491 - 496, S. 491 : „ A n vielen Zeugnissen läßt sich die große W i r k u n g noch feststellen (so z.B., d.V.) f ü r das protestantische Deutschland insbesondere durch die Äußerungen v o n Schelling, Ranke u n d Friedrich W i l h e l m I V . " 21 Donoso Cortés , Versuch über den Katholizismus, den Liberalismus u n d Socialismus, a. d. Französischen übersetzt v o n Carl B. Reiching, Tübingen 1854, S. 1. 22 Brief v o m 7. 12. 1851; zit. nach: Dietmar Westermeyer, Donoso Cortés, Staatsmann u n d Theologe. Eine Untersuchung seines Einsatzes der Theologie i n die Politik, Münster 1940, S. 232.
2. Geistige Väter dieses Denkens
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Das Fundament des Verhältnisses zwischen Religion und Politik sieht er, entsprechend dem scholastisch-naturrechtlichen Ansatz, i n dem Umstand, daß Gott der Welt und dem Wirken der Menschen feste Grenzen gesetzt habe, die unter allen Umständen einzuhalten seien. Nur i m Rahmen einer Politik innerhalb dieser Grenzen und entsprechend diesen Gesetzen werde eine Politik der Erhaltung und Sicherung ermöglicht. Praktische Religion und Kenntnis der göttlichen Geheimnisse, Gesetze und Ordnungen seien die unentbehrlichen Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung und Ordnung der irdischen Verhältnisse 28 . Eine weitere Voraussetzung für sein Denken — und diese ist i n unserem Zusammenhang von besonderem Interesse — bildet die Behauptung, daß die Glaubenshaltung einer jeweiligen Epoche zum jeweiligen Grundprinzip ihrer entsprechenden K u l t u r werde. Somit habe die Zivilisation 2 4 zwei Epochen aufzuweisen: eine »affirmative 4 , »progressive 4 und »katholische 4 ; und eine »negative4, »dekadente4 und »revolutionäre 4 . Die erste Epoche enthalte drei religiöse Affirmationen: „(1.) Es gibt einen persönlichen Gott und dieser Gott ist allgegenwärtig. . . . (2.) Dieser persönliche Gott, der allgegenwärtig ist, herrscht i m Himmel und auf Erden. . . . (3.) Dieser Gott, der herrscht i m Himmel und auf Erden, regiert absolut die göttlichen und die menschlichen Dinge 26 . 44 Überall nun, wo i n der religiösen Ordnung diese drei Affirmationen anzutreffen seien, fänden sich i n der politischen drei andere Afirmationen, die diesen analog seien, nämlich: „1. Es gibt einen König, der durch seine Beamten überall gegenwärtig ist. 2. Dieser König, der überall gegenwärtig ist, herrscht über seine Untertanen. 3. Dieser König, der über seine Untertanen herrscht, regiert seine Untertanen 26 . 44 Demnach ist also die politische Affirmation die bloße Konsequenz aus der religiösen; und die politischen Institutionen, die der angesprochenen religiösen Affirmation entsprechen, sind die absoluten und die konstitutionellen Monarchien. Sie seien gleichsam das Echo auf die religiösen Affirmationen 2 7 . Die zweite Epoche enthalte i n der religiösen Ordnung 1. die deistische Negation der religiösen Ordnung, der i n der politischen die Einstellung 23
Vgl. Westermeyer, S. 229. V o n »Zivilisation 4 könne eigentlich n u r i m Zusammenhang m i t dem Christentum gesprochen werden, denn es habe die Welt i n einer dreifachen Weise zivilisiert: „Es machte aus der A u t o r i t ä t eine unverletzliche, aus dem Gehorsam eine heilige u n d aus der Selbstverleugnung u n d dem Opfer oder, besser gesagt, aus der Nächstenliebe eine übernatürliche Sache." D. C., Rede über die allgemeine Lage i n Europa, gehalten am 30. 1. 1850 i n den spanischen Cortes, i n : Katholische Politik. I n Reden v o n Donoso Cortés , Schriften der V e r einigung ,Glaube u n d Treue', Heft 1, München 1920, S. 36 ff., S. 53. 25 Donoso Cortés, Rede über die allgemeine Lage i n Europa, i n : Donoso Cortés I I I , S. 46. 26 Ebd. 27 Ebd. S. 46. 24
5 Mennekes
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der progressiv-konstitutionellen Monarchisten entspreche; 2. der pantheistischen Negation der persönlichen Existenz Gottes entspreche die republikanische Negation der persönlich gebundenen Macht; 3. der atheistischen Negation Gottes überhaupt entspreche die sozialistische Negation der Herrschaft 28 . „Über diese letzte Negation hinaus, welche der Abgrund selbst ist, gibt es nichts, nichts als Finsternis 2 9 ." Aufgrund seiner ,Analyse', Europas gegenwärtige Lage sei die der zweiten Negation, und seiner ,Prognose', Europa bewege sich auf die dritte Negation zu, entwickelt sich seine pessimistische Geschichtsauffassung 30 . I n der Revolution von 1848 sah er einen ,Aufstand des von Gott emanzipierten Menschen gegen die gottgewollte Ordnung' 8 1 . Er wendet sich m i t Schärfe gegen die sozialistische Auffassung, alles Übel läge i n der Gesellschaft begründet, die deshalb radikal geändert werden müsse 32 . Auch die Regierungen seien nicht dafür verantwortlich zu machen. Vielmehr läge es an den Regierten, die i n ihrem Autonomiestreben unregierbar geworden seien: „Der wahre Grund dieses schweren und tiefen Übels liegt darin, daß die Idee von der göttlichen und menschlichen Autorität verschwunden ist. Das ist das Übel, an dem Europa, die Gesellschaft und die Welt leidet und das . . . ist der Grund, warum die Völker nicht mehr zu regieren sind 3 3 ." Eine derart negative Perspektive ergibt sich auch von seiner Anthropologie her. „Die menschliche Natur ist eine unharmonische Natur, eine Natur voller Widersprüche und eine zum Widerspruch angelegte Natur. Der Mensch ist dazu verurteilt, die Kette all seiner Widersprüche bis zum Grabe zu tragen 3 4 ." Den Schlüsselbegriff für das Erfassen dieser Widersprüchlichkeit bilde die Lehre von der Erbsünde. A n diesem Begriff scheiden sich für i h n die Geister. M i t dem Bekenntnis zum persönlichen Gott, der alle Dinge persönlich leite, und zur Erbsündigkeit des Menschen sind für Donoso Cortés alle anderen Lehren des Katholizismus, m i t dem Glauben an die völlige Unabhängigkeit des Menschen und die radikale Güte seiner Natur alle übrigen Anschauungen der negierenden Philosophismen gegeben 35 . Ein weiterer zentraler Begriff seiner Anthro28 Ebd. S. 47 f. " Ebd. S. 48. 80 Ebd. 81 Edmund Schramm, Donoso Cortés, A r t . i n StL, 6. Aufl., 2. Bd., Sp. 941 ff., Sp. 942. 82 Donoso Cortés, Rede über die allgemeine Lage i n Europa, i n : Donoso Cortés I I I , S. 40. 88 Ebd. S. 44 f. 84 Ebd. S. 37. 85 Brief Donoso Cortés' an K a r d i n a l Fornari v. 19. 6.1852 ,Über die I r r t ü m e r unserer Zeit', i n Donoso Cortés, K u l t u r p o l i t i k , Kirche, Glaube, Zivilisation,
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pologie ist der Begriff der Freiheit. M i t der menschlichen Freiheit, der Freiheit also, sich auch gegen Gottes Willen stellen zu können, trete i n die Geschichte das Böse ein und damit der Kampf des Guten m i t dem Bösen. Der orientierungslose Mensch, der sich nicht mehr u m die Gesetze Gottes kümmere, verweise Gott auf den Himmel und die Kirche i n das Heiligtum. Der Mensch wende seine Augen der Erde zu und widme sich ausschließlich der Pflege materieller Interessen. „Das ist dann die Zeit der Utilitätsprinzipien, der großen Handelsunternehmungen, des Industriefiebers, der übermütigen Reichen und der unwilligen Armen. Aber auf eine solche Zeit materiellen Reichtums und religiöser A r m u t folgte noch immer eine jener gewaltigen Katastrophen, welche die Ueberlieferung und die Geschichte ewig dem Gedächtnis der Menschen einprägen. Zu ihrer Beschwörung kommen alsdann die Klugen und Schlauen i m Rate zusammen; allein der Sturm braust daher, w i r f t ihre Pläne über den Haufen und fegt sie samt ihren Beschwörungen hinweg 3 6 ." Donoso Cortés ist davon überzeugt, daß der Siegeszug des Bösen i m Menschen nicht aufzuhalten sei, und er verweist dabei auf eine drohende Verbindung zwischen Sozialismus und Slaventum, die so die dritte Stufe der Negation herbeiführen werde 3 7 . Verzweifelt sucht er i n seinen »apokalyptischen' Visionen nach Bollwerken; er glaubt sie i n der katholischen Kirche und i n der »Diktatur des Säbels' gefunden zu haben, wenn er auch selbst wohl nicht an die Realisierbarkeit eines solchen Bollwerkes glaubt und somit seine ,Prophetien' so pessimistisch ausfallen 38 . Die Freiheit sei tot — schreibt er — und sie werde nicht wieder auferstehen. Darum sei das Gegensatzpaar Freiheit und Autorität, ja sogar das von Freiheit und Diktatur hinfällig. Es gehe jetzt nur noch u m Diktatur und Diktatur; er unterscheidet zwischen der »Diktatur der Auflehnung' und der »Diktatur der Regierung', zwischen der ,Diktatur von unten' und der »Diktatur von oben', zwischen der ,Diktatur des Dolches' und der des ,Säbels'. Und er entscheidet sich dabei für die zweite Alternative, die, wie er meint, die ehrenvollere und weniger drückende sei; sie hebe vorübergehend die nur i n einer normalen Lage
Staatspolitik, hrsg. v. Josef Hermann Hess, Basel 1945, S. 13. Vgl. auch Westermeyer, S. 231. 38 Ebd. S. 20 f. 37 Hanno Resting, Die K a t h o l i k e n u n d die Revolution: Juan Donoso Cortés, i n : Klaus v. Bismarck, Walter Dirks (Hrsg.), Christlicher Glaube u n d Ideologie, Stuttgart 1964, S. 47 - 50, S. 49. 38 H. Tuebben faßt die Prognose eines Endkampfes so zusammen: „ I m E n d kampf w i r d der Katholizismus gegen den atheistischen Sozialismus stehen u n d — unterliegen, u n d n u r ein unmittelbares Eingreifen Gottes w i r d seiner Sache zum T r i u m p f verhelfen." H. Tuebben, Donoso Cortés, A r t . i n StL, 5. Aufl., 1. Bd., Sp. 1501 ff., Sp. 1505. 5*
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normal funktionierende Legalität auf und sei i m Rahmen einer politischen Theologie dem Wunder vergleichbar, das die Naturgesetze durchbricht 39 . Die autoritativen Gedankengänge Donoso Cortés' übten auch über seine Zeit hinaus eine Faszination auf konservative Denker aus. Carl Schmitt sieht i n i h m den Denker, der i n der Geschichte der K r i t i k des Parlamentarismus „alle entscheidenden Gesichtspunkte endgültig formuliert hat". Er habe „die Problematik der bürgerlichen Diskussion i n ihrem letzten K e r n erkannt, indem er die Bourgeoisie als eine »diskutierende Klasse' definiert und dem Versuch, einen Staat auf Diskussion aufzubauen, m i t großer K r a f t den Gedanken der Dezision entgegengestellt hat". Auch glaubt er i n i h m den politischen Theoretiker zu erkennen, der „durch alle trügerischen und betrügerischen Verschleierungen hindurch . . . hinter den tagespolitischen die große geschichtliche und wesentliche Unterscheidung von Freund und Feind zu bestimmen sucht" 4 0 . Der antiparlamentarische, antiliberale und antisozialistische Zug der Schriften Donoso Cortés sowie der radikale Bezug des Politischen auf das Religiöse mögen auch die Gründe dafür sein, daß Donoso Cortés bei den katholischen Konservativen i n Bayern so große Beachtung behielt 4 1 . A n K r i t i k e r i m eigenen, katholisch-konservativen Lager hat es nicht gefehlt. So hat schon zu seinen Lebzeiten der französische Theologe Gaduel 4 2 Einwände gegen die laienhaften Theologisierungen seiner politischen Theorien erhoben. Aber auch von anderer Seite hat er sich vielfältige Vorwürfe, vor allem den eines widerchristlichen Pessimismus, den manichäischer Verewigung des Widerstreites und den des Quietismus zugezogen 43 . Was aber seine Anhänger und Bewunderer immer wieder bestochen hat, ist das Problem seiner sog. zutreffenden Prognosen. Donoso Cortés soll auf den Tag genau die Erhebung Napoleons I I I . zum Kaiser am 2. Dezember 1853 vorausgesagt haben 44 . Auch für die Zuspitzung der großen politischen Epochen auf eine Synthese von Sozialismus und Sla39
Nach Resting, S. 49 f. Carl Schmitt, Der unbekannte Donoso Cortés, a.a.O., S. 495 f. Carl Schmitt hat sich mehrfach i m Rahmen seiner Veröffentlichungen m i t den Gedankenkreisen des Donoso Cortés beschäftigt. Vgl. dazu seine Aufsatzsammlung: C. S., Donoso Cortés i n gesamteuropäischer Interpretation, 4 Aufsätze, K ö l n 1950. 41 Carl Schmitt dürfte daher auch nicht m i t seiner Behauptung Recht haben, der Name Donoso Cortés sei außerhalb Spaniens k a u m noch bekannt, was a u d i durch die Neuauflage seiner parlamentarischen Reden i m Jahre 1920 (vgl. A n m . 24 dieses Kapitels!) widerlegt w i r d . 42 Vgl. Carl Schmitt I I I , S. 492. 43 Tuebben, Sp. 1505. 44 Z u den Voraussagen Donoso Cortés* vgl.: Resting , S. 50; Carl Schmitt I I ; Schramm, Sp. 943; u n d besonders Tuebben, Sp. 1504 f. 40
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ventum, für eineEntchristlichung und Vermaterialisierung, die preußische Hegemonie über Deutschland, die Vorherrschaft der,deutschen und slawischen Rassen' über Europa und die Niederwerfung des verfallenden Westeuropa durch Rußland hatte er Voraussagungen — und das alles hat seine Wirkung bei den Konservativen nicht verfehlt; für viele seiner ,Prophetien' glaubte man eine Bestätigung durch die Geschichte sehen zu können. Wenn es ein K r i t e r i u m für Wahrheit gebe — schreibt Kesting 4 5 — dann liege dieses „vielleicht i n der Prognose, i n der Voraussage nicht der »richtigen' Zukunft, sondern i n deren zutreffender Voraussage". Es ist allgemein ein Kennzeichen politischer Ideologien, daß sie nicht ohne empirische Gehalte sind. Donoso Cortés verfügte über ausgezeichnete politische Detailkenntnisse und -Informationen. Er war i n diplomatischer und politischer Tätigkeit lange Jahre i n Berlin und Paris. I m innenpolitischen Leben Spaniens spielte er eine zentrale Rolle 4 6 . Auch Schmitt hebt i n seiner Charakterisierung den theoretischen Doktrinär und Impressionisten von dem ,klaren und praktischen Diplomaten' ab 4 7 . Problematisch ist aber nicht nur die Übernahme seiner impressionistischen Prognosen, sondern auch die seiner nicht weniger impressionistischen Theorien. Ohne eine kritische Unterscheidung zwischen historischer Information und ,historizistischer' (Popper) Interpretation einerseits, und brauchbaren politischen Maximen und phantasierten politischen Totalentwürfen andererseits können auch Politiker und politische Theoretiker, welche die Tradition zu Rate ziehen, nicht auskommen. Darum ist es auch unverständlich, wenn ζ. B. die sonst so kritische Aufsatzsammlung über den Zusammenhang von Christentum und Ideologie 48 i n ihrem Beitrag über Donoso Cortés die Bezeichnung ,Ideologie' für seine Thesen damit abwehrt, daß dieser Begriff i n seiner Geschichte allzusehr marxistisch belastet sei. Die inzwischen ζ. B. positivistische Begriffstradition w i r d verschwiegen und auf eine kritische Anwendung des Begriffes selbst und eine angemessene K r i t i k der Thesen Cortés* verzichtet. c) Konstantin
Frantz
Eine weitere ,Autorität' vieler Autoren der hier untersuchten Zeitschriften ist Konstantin Frantz m i t seinen föderalistischen Ideen 49 . Für 45
Kesting, S. 50. Vgl. die Einleitungen zu: Donoso Cortés I I I , S. 3 - 13. 47 Carl Schmitt I I I , S. 493 f. 48 Vgl. A n m . 37 dieses Kapitels. 49 W i r folgen hier weitgehend den Ausführungen v o n Ernst Deuerlein über das föderative System v o n Konstantin Frantz: E. D., Föderalismus. Die historischen u n d philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, i n : ,Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte 1 18 (1968), Heft 1 u n d 5; 19 (1969), Heft 38; 21 (1971), Heft 35 - 36. Die Ausführungen über Frantz finden sich i n Heft 5, Jg. 1968, S. 33 ff. 46
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T e i l A , V. Vorgängige Typologisierung dieses Denkens
i h n ist der Föderalismus nicht nur ein staatliches Gliederungsprinzip, sondern ein allgemeines, gemeinschaftsordnendes und gemeinschaftsgestaltendes Prinzip. A l l e i n der Bundesgedanke werde den menschlichen Gegebenheiten von Individualität und Gemeinschaftlichkeit gerecht. Seine ursprüngliche Ausgestaltung besitze er i n der Ehe. Sie ist für ihn der »Prototyp aller gesellschaftlichen Ordnung' und des Föderalismus. Die Ehe — so sagt er — hat zwei Seiten, „indem einerseits sich dadurch die Individualität der einzelnen Familien fortpflanzt, andererseits aber die verschiedenen Familien dadurch i n Verbindung treten, und so die Familie durch sich selbst i n die Gesellschaft übergeht. Oder kurz gesagt: das Prinzip der Individualität und das Prinzip der Gemeinschaft sind hier i n ganz natürlicher Weise i n eins verbunden. Und eben darum ist die Ehe der Prototyp des Föderalismus" 50 . Der Staat ist für Frantz weder von Gottes Gnaden noch eine Vertragsangelegenheit noch eine mechanische Zusammenfassung einzelner. Er versteht i h n als ,Behörde der Gesellschaft'. Zwischen Familie und Staat aber steht für i h n die Gesellschaft, die er nach dem organischen Modell begreift. Das organische Prinzip müsse deshalb auch der Volksvertretung zugrundegelegt werden: „Menschenhaufen, welche lediglich zu dem Wahlakt zusammenkommen, sind überhaupt nicht vertretungsfähig. Was vertreten werden soll, muß schon an und für sich einen lebendigen Körper bilden, i n welchem durch den persönlichen Verkehr der Glieder, durch die Gemeinschaft der Sitten und Gewohnheiten, wie andererseits der Bedürfnisse und Interessen, sich wirklich auch ein gemeinsames Wollen und Streben erzeugt. M i t einem Worte: vertretungsfähig sind nur organisierte Körperschaften 51 ." Insbesondere Deutschland war für i h n das Land des Föderalismus. I n der Bismarckschen Staatsgründung sah er eine Gewaltanwendung am ,Deutschtum'. Deutschland war nach seiner Meinung ein m i t dem ganzen Kontinent verwachsener Körper und sein Staatsproblem könne nur von der Reichsidee her gelöst werden, da es andernfalls i n Deutschland zwangsläufig zu einer Machtkonzentration kommen müsse, die ihrerseits die Abwehr der Umwelt herausfordere. Ernst Deuerlein weist darauf hin, daß die unsystematischen und auf weiten Gebieten unwirklichen Vorstellungen von Frantz gegensätzliche Interpretationen zuließen, deren Problematik sich i n der Unklarheit und Unsicherheit des Begriffes ,Föderalismus' niederschlage. Die häufig 50 Constantin Frantz, Der Föderalismus als das leitende Prinzip f ü r die soziale, staatliche u n d internationale Organisation unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland kritisch untersucht u n d k o n s t r u k t i v dargestellt. I n A u s zügen herausgegeben von Walter Ferber, Koblenz 1948, S. 13. 51 Ebd. S. 14.
2. Geistige Väter dieses Denkens
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zu beobachtende Abstützung des föderativen Gedankens durch Verweise auf Konstantin Frantz sei daher nicht nur unvollständig, sondern sie sei auch problematisch 52 . M i t diesem Rückgriff auf »Autoritäten', die von den hier behandelten Autoren vielfach zitiert werden und auf die sie sich berufen, sollte ein erster Überblick über das Denken erstellt werden, wie es i n seinen positiven Gehalten der negativen K r i t i k an der Weimarer Republik und ihren Institutionen wie Prinzipien zugrundeliegt. Dies sind i m großen und ganzen drei Elemente: 1. das formale Element naturrechtlicher Deduktionen. M i t ihrer Hilfe gelang es, sozusagen vorgegebene ,natürliche' Gesellschaftsstrukturen zu »entdecken', die man dann zur Norm für das politische Handeln erheben konnte. Vor allem aber ließen sich nach diesem Modell beliebig viele andere Institutionen ableiten, wie es für ständestaatliche Modelle, autoritäre Ausformungen usw. versucht wurde. Als 2. Element stellt sich die enge Verbindung von Religion und Politik dar, die zwar selten direkt i n der kritischen Auseinandersetzung mit der Demokratie und der Republik beschworen, dennoch aber an anderen Stellen besprochen und entwickelt wird. Schließlich muß als 3. Element die materielle Füllung des Föderalismus genannt werden. Der Rückgriff auf die drei ,Autoritäten' macht aber noch ein weiteres Moment deutlich: Die konservativen Autoren i n Bayern stehen i n einer Entwicklungslinie. Wie es hier Entwicklungslinien i n die Vergangenheit hinein gibt, so gibt es mancherlei Berührungspunkte, die auf andere konservative Gruppierungen und Gedankenformationen außerhalb Bayerns verweisen, etwa auch nach Preußen, wenngleich sie hier unter anderen Vorzeichen und unterschiedlichen zusätzlichen Besetzungen auftreten. Doch kann solchen geistigen Verbindungslinien hier nicht nachgegangen werden.
M
Ernst Deuerlein V, S. 35 (2. Teil).
Teil Β Antidemokratisches Denken in der Katholisch-konservativen Publizistik Bayerns (1918-1925) Die K r i t i k an der Demokratie und am Parlamentarismus war ausgelöst durch die Errichtung der Weimarer Republik. Ob es sich bei den theoretischen Auseinandersetzungen u m politische Grundsatzfragen oder u m institutionelle Einrichtungen wie Parlament, Partei, Verfassung usw. handelte — die K r i t i k zielte weiter. Kritisiert wurden Einzelerschein u n g e n — gemeint war die Republik als Ganzes. Sie war für viele gleichsam die Inkarnation aller dieser Ideen. Die Republik war darum für viele K r i t i k e r Feind Nummer eins, und sie führten auf weiten Strecken den Kampf gegen sie total. Für andere, die politisch weitsichtiger dachten, war die Republik nicht Feind, sie war vielmehr Sorgenkind, ein Sorgenkind, das sich vieler Einwirkungen negativer A r t zu erwehren hatte. Derartige Einflüsse kamen nicht zuletzt aus den eigenen Reihen. So auch i m katholisch-konservativen Bereich, i n dessen Publizistik i n Bayern sich ein solches Ringen u m eine politische Neuorientierung niederschlug. Quantitativ dominierend waren allerdings die negativen Kritiker. Diese Auseinandersetzung soll i m folgenden zur Darstellung kommen. Dabei w i r d vom Allgemeinen zum Besonderen vorgegangen. Der K r i t i k an der Demokratie als Idee (I.) folgen die K r i t i k e n am Parlamentarismus (II.), am Parteienstaat (III.) und schließlich an der Weimarer Verfassung selbst (IV.).
I. Allgemeine Kritik an der demokratischen Idee Die K r i t i k an der Demokratie ist zunächst die K r i t i k an einer Idee, ist die K r i t i k an neuen Vorstellungen der Legitimation staatlicher Machtausübung und Organisation. Diese neuen demokratischen Legitimationsvorstellungen besagen, daß die Ausübung staatlicher Macht nur dann rechtens sei, wenn sie vom Volke ausgehe und i n Übereinstimmung m i t dem Willen des Volkes ausgeübt werde, das sich ein seine wesentlichen Strömungen repräsentierendes Organ zum Zwecke ständiger Legitimation und Kontrolle schafft. Diese Vorstellung setzt sich damit ab von und gegen bisher geltende Legitimierungen außerpolitischer A r t , wie die,überkommener Traditionen 4 , die eines,angestammten Herrscher-
T e i l Β , I. Allgemeine Demokratiekritik
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hauses' oder sonstiger faktizistischer oder auch metaphysisch oder religiös sanktionierter Vorstellungen. Die Tatsache der K r i t i k erklärt sich formal aus dem aufgebrochenen Widerspruch theoretisch sich ausschließender Ansätze, konkret aus den damit verbundenen sozialen und politischen Dimensionen solcher Auseinandersetzungen, die i n ihrer Theoretisierung lediglich ihre Formalisierungen erfahren. Letztlich war die m i t der Errichtung der Weimarer Republik aufbrechende K r i t i k , die von sachlichen Einsprüchen und Einwänden bis zur beißend-aggressiven Negation reichte, ein Indiz dafür, daß den neuen staatlichen Verhältnissen keineswegs sie stützende und tragende Einstellungen seitens der Bevölkerung entsprachen. I n A b wandlung eines bekannten Wortes kann man sagen: Deutschland besaß eine Demokratie, ehe es Demokraten besaß. Damit ist nichts darüber ausgesagt, daß es nicht starke demokratische Einstellungspotenzen bei vielen Bürgern des Weimarer Staates gab. Die sicherlich breite Schicht derer, die zu den ,Vernunftrepublikanern' zu zählen war, und die sich zunehmend von alten überkommenen Vorlieben weg zu neuen Vorstellungen h i n überzeugen ließen, mag grundsätzlich dafür sprechen, daß der ,kairós' für die Errichtung der Demokratie — insbesondere angesichts der geschichtlichen Verhältnisse — gekommen war. Aber es sollte sich herausstellen, daß diese Schicht nicht breit genug war, die neuen Verhältnisse zu tragen. K a r l Dietrich Bracher hat wohl recht m i t seiner Feststellung, dem Demokratisierungsprozeß von unten, der sich unter dem Druck der außerordentlichen Verhältnisse trotzdem angebahnt hatte, habe keine wirkungsvolle geistige Vorbereitung und zielbewußte organisatorische Leitung entsprochen. Damit fielen entscheidende Möglichkeiten einer Aktivierung solcher vermutlich breit vorhandenen demokratischen Einstellungstendenzen i m Bewußtsein der Bevölkerung aus 1 . Darüber besteht kein Zweifel: das Phänomen der K r i t i k und der Charakter dieser Zeitschriften, die hier untersucht werden, haben ihren erklärenden Hintergrund und ihren ständigen Auslöser i n der Tatsache der Weimarer Republik. Diese neue Republik und die neuen staatlichen Institutionen waren die eigentlichen Herausforderungen an die Konservativen, die hier i n Erscheinung treten. Die Republik als neue politische Tatsache löste die vielen kritischen Auseinandersetzungen, K a m pagnen und Propagandaaktionen aus. Aber die K r i t i k wollte grundsätzlich sein. Deshalb griff man nicht nur die Republik selbst an, sondern ebenso die hinter ihr stehende Idee. Konservative sind allgemein geneigt, stets hinter einer Sache nach der hinter ihr stehenden Idee zu suchen. Diese Ideenbezogenheit w i r d es gewesen sein, die zuzüglich zu den demokratischen Institutionen auch die dahinterstehende demokratische 1
Bracher I , S. 16; weitere bedingende Faktoren ebd. S. 16 ff.
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T e i l Β , I. Allgemeine D e m o k r a t i e k r i t i k
Idee zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht hat. Dieser Streit u m die Prinzipien staatlichen und politischen Lebens soll hier zuerst dargestellt werden, da sich vor diesem Hintergrund die Leitlinien und Kategorien für die weitere Darstellung der K r i t i k an den demokratischen Institutionen ergeben. Nach einem Überblick über das Wort-, Begriffs- und Einstellungsfeld »Demokratie 4 soll auf einzelne inhaltliche Einwände ein gegangen werden. Hier spielt die allgemeine Auseinandersetzung m i t dem Liberalismus und Sozialismus hinein; insbesondere die Auseinandersetzung u m das Stichwort ,Volkssouveränität 4 bedarf einer Erörterung, die sich allerdings an den von den Texten vorgezeichneten Rahmen halten muß. Weitere Auseinandersetzungspunkte sind der Organismusgedanke und immer wieder der Traditionsbegriff. Diese Punkte werden die einzelnen Unterpunkte für die inhaltliche Darstellung ergeben. 1. Begriffliches Verständnis
Einen ersten Einstieg i n das besondere Verständnis des Begriffes »Demokratie 4 samt seinen kritischen Implikationen bietet das Wortfeld, wie es sich i n den verschiedenen Zeitschriften i n seinen verschiedenen Ausprägungen darbietet. Ein erstes auffallendes Merkmal an diesem Wortfeld ist eine i n allen Zeitschriften anzutreffende Unterscheidung zwischen einem positiven und negativen Demokratieverständnis. Das Wort und der Begriff werden also nicht eindeutig abgelehnt; dazu hat dieses Wort und dieser Begriff inzwischen auch i m katholischen Bereich eine zu wichtige Tradition. So ist vor allem der i n päpstlichen Verlautbarungen aufgetauchte Begriff einer »christlichen Demokratie 4 , m i t dem sich allerdings weniger politische als sozial-caritative Vorstellungen verbinden lassen2, Gegenstand der Diskussion. I m einzelnen finden sich etwa folgende Unterscheidungen: berechtigte und einseitige Demokratie 4 8 ; die ,formale Demokratie 4 i m Gegensatz zur ,föderativen Demokratie 4 4 ; eine ,deutsche Demokratie 4 i m Unterschied zur ,formalen Demokratie 4 5 ; eine ,Demokratie, deren Forderungen der katholische Christ billigen (kann) 4 und »demokratische Forderungen, welche von wirklichkeitsfremder Ideologie oder von stürmischer Leidenschaft eingegeben sind4®. Weitaus häufiger sind allerdings Wendungen, i n denen das Wort m i t negativen Adjektiven versehen w i r d und i n denen sich erste negative Klassifika2 Vgl. dazu die Enzyklika »Graves de communi' v o n Papst Leo XIII. Jahre 1901 ; i n : Acta Leonis X I I I , Vol. X X I , Romae 1902, p. 3 ss. 8 157 (AR), S. 694. 4 170 (AR), S. 488. 5 235 (NR), S. 690. • 106 (SdZ), S. 383.
aus dem
1. Begriffliches Verständnis
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tionen andeuten: etwa ,die Demokratie der Liberalen, Sozialisten, Freidenker' 7 ; die,einseitige parlamentarische Demokratie' 8 ; der,Formaldemokratismus' 9 ; die individualistische Demokratie' 1 0 ; die importierte abstrakte Demokratie' 1 1 ; die ,revolutionäre Demokratie' 1 2 ; der ,Zahlen(statt Hände-)Demokratismus' 13 ; oder auch einfach das Wort Demokratie, sei es m i t oder ohne Anführungszeichen, dessen negative Wertbesetzung aus dem Zusammenhang hervorgeht 1 4 . Demgegenüber finden sich auch Wendungen, die außerhalb ausdrücklicher Unterscheidungen die Existenz positiver Demokratievorstellungen andeuten, die allerdings kaum eine systematische Behandlung erfahren und lediglich i n Ansätzen ausformuliert werden. Verzichten wollte man also auf den Begriff nicht 1 5 . So formulierte man Wendungen wie: w a h r haft demokratisch' 16 ; ,wahre und gerechte Demokratie' 1 7 ; freiheitliche Demokratie' 1 8 ; urdemokratische Forderungen' 1 9 ; ,die i m tiefsten Gehalt erfaßte Demokratie' 2 0 . Einen näheren Einstieg i n das Verständnis dieser zum Teil sehr unterschiedlichen Positionen bietet ein grober Überblick über die begrifflichen Füllungen, die m i t diesem Wort verbunden werden. Wenn auch nicht sehr viele A r t i k e l gefunden werden, i n denen man sich der Mühe unterzieht, das, wogegen man ist, auf einen Begriff zu bringen — über die reinen Abwertungen und Diskreditierungen hinausgehend — so verdienen es die auffindbaren begrifflichen Präzisierungen, i n ihren Tendenzen aufgezeigt zu werden. Dabei soll die Sklala von den extremen Gegnern bis hin zu den gemäßigten K r i t i k e r n die Gliederung ergeben. Die extremen Gegner finden sich vor allem i m ,Neuen Reich', aber teilweise auch i n der ,Allgemeinen Rundschau'. Für Robert Mäder vom ,Neuen Reich' ist die Demokratie die „allgemeine Auffassung, daß die Regierung auf den Schultern des Volkes zu ruhen habe, daß das V o l k 7
224 (NR), S. 574. 252 (NR), S. 318. 9 235 (NR), S. 689; vgl. auch: 59 (HPB1), S. 99. 10 198 (AR), S. 50. 11 Ebd. 12 57 (HPB1), S. 58. 18 220 (NR), S. 445. 14 E t w a : 240 (NR), S. 735; 44 (HPB1), S. 322 ff. u. a. m. 15 Parallelerscheinungen finden sich übrigens auch i n der sonstigen a n t i demokratischen Bewegung. Vgl. dazu etwa: Sontheimer, S. 172 ff. 16 66 a (HPB1), S. 490. 17 154 (AR), S. 455. 18 Ebd. 19 198 (AR), S. 50. 20 Ebd. 8
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regieren müsse und daß alle Regierungsvollmachten vom Volk gegeben und darum auch wieder genommen werden können" 2 1 . Die moderne Demokratie — so führt er weiter aus — sei die Lehre von der Volkssouveränität und Volksherrschaft. Josef August L u x dagegen hält i n einem anderen A r t i k e l eine Definition der Demokratie für nicht möglich, da ihre Anhänger sich i n allen Lagern fänden. Auch gäbe es eigentlich kein demokratisches Programm. Allenfalls eine Idee. U n d diese könne man vielleicht dahingehend exemplifizieren, daß Demokratie Volksherrschaft bedeute, d. h. daß das Volk sich selbst regiere 22 . A n einigen Unterscheidungen w i r d i n der ,Allgemeinen Rundschau' der Terminus ,Demokratie' zu klären versucht. So unterscheidet Otto Kunze zwischen einer berechtigten und einer einseitigen Demokratie und versteht unter der ersteren, daß sie dem freien, vernünftigen Menschen i m Staat das Seine gebe, und unter der letzteren, daß sie alles, den Staat selbst mit seinem Dasein und Wirken dem Menschen übergebe. U n d er fährt fort, es gäbe aber doch noch andere Kräfte, die den Staat erhalten und gestalten, genau wie Vernunft und freier Wille nicht den ganzen Menschen bildeten 2 3 . Otto Sachse unterscheidet zwischen einer formalen und einer föderativen Demokratie: „ . . . was heutzutage für gewöhnlich als Demokratie herumgereicht w i r d . . . das ist die formale Demokratie, die atomistische Gleichheit der Menschen. Sie gehört zum zentralistischen, mechanischen Staat und verbürgt keine Freiheit. Sie führt stets zur Tyrannei eines Einzelnen oder der Masse. Die föderative Demokratie ist das gerade Widerspiel der formalen. Sie ist die Überzeugung, daß der Mensch eigene, angeborene Rechte hat, i m Staat und kraft seiner unsterblichen Seele außer dem Staat, selbst wider den Staat 2 4 ." Hier werden also über die bloßen formalen Inhalte und über eine Polemik gegenüber der Demokratie, wie sie besteht, hinaus positive demokratische Vorstellungen, wie die eines vorstaatlichen Grundrechtes, angeführt. I n einem später erschienenen A r t i k e l wendet sich Alfons W i l d gegen eine Demokratie des Individualismus. Unter seinem geistigen Einfiuß sei man zu sehr von den Rechten des Einzelnen ausgegangen, habe die Menschenrechte formuliert und immer nur daran gedacht, dem einzelnen ein möglichst großes Maß von Freiheit zu geben, alle Sonderrechte abzuschaffen und die Gleichheit aller zu verkünden 2 5 . Dem Individuum w i r d hier das ,Volksganze' als eine politische Grundkategorie gegenüberge21 22 28 24 25
224 (NR), S. 574. 240 (NR), S. 736. 157 (AR), S. 694. 170 (AR), S. 488. 198 (AR), S. 49.
1. Begriffliches Verständnis
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stellt. Dieses ,Volksganze' sei mehr als die Summe einzelner Individuen. Eben von diesem V o l k i n seiner Gemeinschaft als Gesamtheit spreche der Begriff Demokratie und nicht vom Einzelmenschen und seinen Rechten. Und wenn das Wort besage, daß das V o l k die Herrschaft ausübe, dann sei das gleichbedeutend m i t der Einheit von Staat und Volk. Der „Demokrat betrachtet das V o l k als ein Ganzes, als ein Lebendiges, nicht als eine Summe politischer Stimmen. Er weiß, daß gar viele Kräfte i m Volke wirksam sind, lebendige Kräfte des Blutes, der Stammeszugehörigkeit, des Geistes, des Herkommens, des Glaubens, der K u l t u r ; Kräfte, die sich i n Parteiprogrammen nicht einfangen und nicht einregistrieren lassen nach Zahlen und Wählerstimmen . . ." 2 e . Einige andere Begriffsdefinitionen stellen den Gedanken der Gleichheit aller als das entscheidende Merkmal der Demokratie heraus. So besteht für Max Buchner das Wesen der Demokratie darin, daß das ganze Volk den Gang des öffentlichen Lebens bestimme, daß jeder einzelne an sich gleiches Recht habe 27 . Auch Robert von Rostiz-Rieneck von den ,Stimmen der Zeit' stellt die Gleichheit als das deutlichste und echteste Merkmal einer demokratischen Staatsordnung heraus 28 . Eine ausgesprochene Spiritualisierung erfährt der Begriff bei Carl Muth, der eine ,soziale Demokratie' von der ,modernen staatlichen Demokratie' abhebt. Die »moderne staatliche Demokratie' reduziert er auf eine ,rein rationalistische Herrschaftsform'. Dagegen könne die ,soziale Demokratie' nichts anderes sein als „die Verwirklichung des Geistes der Gerechtigkeit, der Nächstenliebe, der willigen Ein- und Unterordnung i m Dienste des Ganzen, der Verantwortung, der Rücksichtnahme und selbst der Opferbereitschaft" 20 . Hier klingen religiös-christlich verbrämte Obrigkeitsvorstellungen an, auf die i n anderem Zusammenhang noch zurückzukommen sein wird. Was allerdings bei M u t h gesehen wird, ist ein notwendiger Zusammenhang zwischen einer staatlichen Demokratie und einer demokratischen Gesinnung. „Eine demokratische Staatsform, die sich nicht auf eine bereits vorhandene, soziale Demokratie stützen kann, ist i n ihrer inneren Gesundheit und i n ihrem äußeren Bestand ständig gefährdet 30 ." U m eine dialektische Begriffsbestimmung endlich bemüht sich i m Rahmen einer relativ sachlichen Auseinandersetzung m i t der neuen Staatsform Heinrich Sierp i n den »Stimmen der Zeit'. Für i h n beinhaltet 26
Ebd. S. 50. 79 (HPB1), S. 655. 28 103 (SdZ), S. 291 ; vgl. auch 259 (NR), S. 673. 2 ® 92 (HL), S. 13. 80 Ebd. Den Gedanken einer »christlichen Demokratie 4 n i m m t auch F. X . Eggersdorf er auf: 241 (NR), S. 422; vgl. dazu auch 262 (NR), S. 772 f.; u n d den Begriff einer »christlich-demokratischen Kulturidee', i n : 179 (AR), S. 401. 27
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der Begriff zwei Tendenzen, die oft zwar demselben Ziele zustrebten, sich aber auch befehden könnten: „Die Herrschaft der Mehrheit auf der einen Seite und die Freiheit des einzelnen auf der anderen." Er kritisiert die Formel ,Herrschaft des Volkes durch das Volk' und fügt folgenden Zusatz bei: „Die Regierung muß auch ,für das Volk' sein, nicht bloß für eine Klasse, selbst wenn diese eine Mehrheit ist, sondern für das Gesamtwohl, die Minderheit eingeschlossen 31 ." 2. Wertende Einstellungen
Die meisten der untersuchten A r t i k e l und Schriften zeichnen sich durch eine auffallend starke und wertgeladene Formulierung aus, die i n kaum einem Verhältnis zum inhaltlichen Gehalt stehen. Oft ist es nicht leicht, über eine drastische und kraftvolle Sprache hindurch zu dem eigentlichen Gehalt vorzustoßen und i h n freizulegen. Die Beschreibungen dessen, was man bekämpft und gegen das man angeht, erscheinen oft i m Gewände apodiktischer, ironischer oder auch theoretischer Verurteilungen. Dieser Stil zieht sich durch die gesamten Jahrgänge hindurch, wenngleich die Themen und Gründe wechseln. Hans Maier hat i n seiner Studie zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie zwischen der Demokratie als einer politischen Form und einem Demokratismus revolutionärer Weltanschauung unterschieden 32 . Eine solche Unterscheidung mag für die Einstellungen derjenigen Katholiken, die sich — aus welchen Gründen auch immer — von Anfang an oder i m Laufe der Zeit m i t der Republik arrangierten, also vor allem für die Politiker u m das Zentrum und die B V P gelten. Für sie gilt, daß sie bei Ablehnung des Demokratismus die Demokratie akzeptierten. Diese Unterscheidung gilt für die meisten der hier behandelten Autoren nicht. Sie lehnen weitgehend beide Aspekte ab. Doch erlaubt diese Unterscheidung, einzelne Aspekte der Motivation voneinander abzuheben, welche die Einstellung zur Demokratie bestimmt haben. Hier spielt ohne Zweifel über die politische Gegnerschaft zur Demokratie als politischer Form der weltanschauliche Aspekt eine weit wichtigere, die Gegnerschaft zur Demokratie überhaupt zuspitzende Rolle. Die Demokratie war eben für die meisten das ,legitime K i n d ' des Liberalismus und des Sozialismus. Deshalb galt die Frontstellung gegen die Demokratie ebensogut diesen beiden weltanschaulichen Positionen. Unter einer wertenden Einstellung w i r d der Teil der Stellungnahmen zur Demokratie verstanden, die sich nicht auf eine Beschreibung eines demokratischen Systems, einer demokratischen Idee, Institution usw. 81 82
106 (SdZ), S. 387 f. Maier I , S. 62 u n d 296 f.
2. Wertende Einstellungen
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beziehen, einschließlich deren Analyse und sachliche Diskussion, sondern solche ,urteilenden' Stellungnahmen, die von einer ganz bestimmten Wertposition ausgehen und, von einer solchen wertenden Position her bestimmt, Werturteile i n die Form von Sachurteilen bringen. Diese fallen dann zumeist negativ aus. Nur wenige Autoren bemühen sich u m eine sachliche Beurteilung und eine angemessene Würdigung 3 3 . Deshalb w i r d sich auch die folgende Darstellung weitgehend auf die der negativen Einstellungen und Wertungen der Demokratie gegenüber erstrecken. Doch sollen die wenigen positiven Ansätze kurz angedeutet werden. Auffallend ist, daß vor allem das ,Neue Reich' und die ,Historischpolitischen Blätter' starke Töne anschlagen, während sich die »Allgemeine Rundschau' i m großen und ganzen mehr zurückhält. Im,Hochland' und i n den ,Stimmen der Zeit' endlich sind es nur noch vereinzelte Autoren, die sich i n einer verurteilend-kritischen Weise m i t der Demokratie auseinandersetzen; von einer Linie der Gesamtredaktion kann hier nicht gesprochen werden. Vor dem Hintergrund vieler Auswürfe gegen die Demokratie steht ein antiindividualistisches Denken. Danach hat die Demokratie das Denken und Fühlen der Völker durchseucht und zersetzt m i t den Ideen der Volkssouveränität und des Materialismus 3 4 . Der „Demokratismus . . . nivelliert, atomisiert, pulverisiert" 3 5 . K a r l M u t h schreibt 1923 i m ,Hochland': „Die moderne staatliche Demokratie ist nur eine auf den Notstand eines völlig atomisierten Gesellschaftskörpers berechnete und angelegte rein rationalistische Herrschaftsform, geeignet das Volk auszubeuten, indem man seinen Instinkten schmeichelt 36 ." A u f einen antichristlichen und häretischen Charakter weist ein an Stärke i n der Formulierung unüberbotener A r t i k e l i m ,Neuen Reich'. Da ist für den Baseler Pfarrer Robert Mäder die demokratische Frage eine religiöse, die auf die Kanzel gehöre: „Wenn der demokratische Rausch nicht m i t aller Entschiedenheit bekämpft wird, so ist bald die ganze Welt verrückt 3 7 ." Die Demokratie steht für i h n i m Widerspruch 33 Über den erkenntnistheoretischen Charakter solcher Aussagen w i r d i m Rahmen einer Gesamtkritik näher einzugehen sein. Z u m Verständnis sei angefügt, daß w i r uns hier der Definition v o n Theodor Geiger anschließen, die er zum Thema W e r t u r t e i l gemacht hat. Nach Geiger objektiviert das W e r t u r t e i l ein subjektives Verhältnis des Sprechenden zu einem Gegenstand u n d macht dieses Pseudo-Objektive zum Aussagebestandteil eines Satzes v o n der F o r m theoretischer Sachaussage, was i n der Form i l l e g i t i m ist. Vgl. Theodor Geiger, Ideologie u n d Wahrheit. Eine soziologische K r i t i k des Denkens, Neuwied 21968, S. 51. 84 213 (NR), S. 547. 85 720 (NR), S. 445. 86 92 (HL), S. 13. 87 224 (NR), S. 574.
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zum christlichen Dogma, sie führe zum praktischen Atheismus und sei m i t ihrem Endziel, der Weltrepublik, ein Werk des Gotteshasses und des Antichristentums. „Die moderne Demokratie . . . ist das Werk der Hölle. Die Volkssouveränität an die Stelle der Souveränität des Allerhöchsten 3 8 !" „Demokratien beweisen . . . , daß Demokratien unmöglich sind 3 9 ." — Das ist der Tenor einiger weiterer A r t i k e l i m ,Neuen Reich'. Die Autoren erklären eine »Herrschaft des Volkes' für ein Unding. Die Folge eines Versuches, sie dennoch zu realisieren, ist für sie eindeutig das Chaos und der Untergang. Die Volksherrschaft „(ist) eine Phrase, w e i l i n der Tat ein V o l k niemals sich selber regieren kann und bei diesem Versuch notwendig ins Chaos, i n die Anarchie gerät, und . . . Volksherrschaft (bedeutet) darum auch nichts weniger als die Herrschaft des Volkes, sondern die Herrschaft von Demagogen oder von Parteien . . . , die wieder nicht das ganze Volk sind" 4 0 . Und weiter: „Demokratie führt immer zur Demagogie; sie empfängt ihre Direktiven von unten herauf; von unten herauf ist sie selbst emporgekommen, ihr Typus ist der P a r v e n ü . . . . Demokratie führt immer zum Umsturz, und Umsturz ist stets ein Absturz. Die Masse siegt, die Maschinerie t r i t t i n Funktion und w i r d allmächtig. Aber sie hat keine Seele; es ist eine Tyrannis ohne Autokratie, die schlimmste von allen. Der Durchschnitt hat das Prestige 41 ." A n derartige Passagen fügt sich die Dolchstoßlegende wie aus einem Guß an, die allerdings nur an vereinzelten Stellen angeführt w i r d 4 2 . Darüber hinaus aber w i r d gleich der ganze ,unselige Weltkrieg' als ein Ergebnis der demokratischen Politik betrachtet und i n Österreich war nach dieser Version die Demokratie bereits vor dem Krieg ,unterirdisch' am Werk, die Fugen des alten Reiches zu Kläften und Rissen zu erweitern, so daß ein Auseinanderfallen unvermeidlich war i n dem Augenblick, als die einzige moralische Instanz, der monarchische Oberbau, der die verhetzten Völker zusammenhielt, durch die Gewalt der geschaffenen Verhältnisse entfernt w a r 4 3 . Eine besondere A r t Zusammenfassung diffamierender Vorbehalte gegenüber der Demokratie gibt Josef Eberle, der Herausgeber des ,Neuen Reiches': „Demokratie heißt Chaos der Meinungen, heißt Existenz von sechs, zehn, fünfzehn Parteien, die alle nach verschiedenen Richtungen treiben wie die Quadrigen auf dem Wiener Parlamentsgebäude, 88
Ebd.; vgl. dazu a u d i 740 (NR), S. 737. 240 (NR), S. 736. 40 Ebd. 41 Ebd. S. 737; vgl. dazu auch: 234 (NR), S. 636; ähnlich äußert sich auch Robert Mäder, i n : 224 (NR), S. 574 f. 42 19 (HPB1), S. 190. 48 240 (NR), S. 735. 39
2. Wertende Einstellungen
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heißt infolgedes Kompromißwirtschaft und weiter Wechsel, infolgedes Zerstörung der Autorität, Pulverisierung alles Festen, Auflösung aller Geschlossenheit, Beseitigung der letzten Dämme vor der Plutokratie und — Lausbubokratie, Kapitulation vor den Geldschränken und der von Preßlakeien der Geldschränke beschwatzten und verführten Volksmenge 44 ." Ähnliche Tiraden finden sich auch i n den ,Historisch-politischen Blättern', die die Wut vor den bestehenden Verhältnissen mit Eberle gemein haben. Nur w i r d hier die Hohlheit der Allgemeinvorwürfe durch drastische Stilistik ersetzt: „ I n allen Parteilagern finden sich Menschen, die von dem wüsten politischen Leben angeekelt werden, die m i t dem Moraste der politischen Volksversammlungen und der Synthese von Hexenküche und Waschküche i m deutschen Reichstage nichts zu t u n haben wollen 4 5 ." „ F ü r die echte Bronze seiner historischen Überlieferung hat es (das deutsche Volk, d. V.) das Gipsprodukt eines Ramschbazars, für das Original einer monarchischen Staatsform hat es eine Dutzendwahre nach Modell 1789 eingetauscht 46 ." Der bestehende demokratische Staat w i r d bezeichnet als ein „seelenloses Unding", als „Koloß, dem außer den rohen Instinkten der Selbstsucht nichts innewohnt, was man Geist nennen könnte". ,Staatssozialistische Vergewaltigung'; ,der geistlose Goldschädel der Geldaristokratie'; die ,herzlose Silberbrust der bureaukratischen Zentralisation, welche wie ein Schnürleib alles organische Leben zusammenpreßt und erstickt' 4 7 — solche und viele andere Beispiele sind Begriffe, Bilder und Metapher, teils aus dem religiösen, teils aus einem biederen und bürgerlichen Jedermannsbewußtsein genommen, m i t denen i n teils »geglückten', teils weniger passenden Formulierungen die demokratischen Zustände und Ideen verunglimpft werden. Einige Einschätzungen besonderer A r t finden sich i m ,Hochland' und i n den ,Stimmen der Zeit'. Da ist zunächst Robert Grosche i m ,Hochland' 4 8 . Er bedauert, daß es nicht gelungen ist, den Rätegedanken i n die Überlegungen zur staatlichen Neugestaltung mit aufzunehmen, und ist überzeugt, daß i m Zeichen der bestehenden parlamentarischen Demokratie, einer Idee der aufgeklärten Bourgeoisie — wie er sie bezeichnet —, die Befreiung des Proletariats nicht erfolgen, sondern es vielmehr i n neue Fesseln schlagen werde. Nicht einmal die Mehrheitssozialdemokraten hätten sich ihrer Parteidoktrinen entledigen können und diesen
44 45 46 47 48
250 (NR), S. 107. 55 (HPB1), S. 558. 60 (HPB1), S. 430. 16 (HPB1), S. 11. 87 (HL).
6 Mennekes
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Gedanken i n ihr Programm aufgenommen 49 . „Hätten wir, unbekümmert darum, ob sich unser Ideal i m Taumel des demokratischen Parlamentarismus von heute auf morgen verwirklichen lasse, und ob es von den anderen als reaktionär verschrieen wurde, es vor der Welt vertreten, dann hätten w i r nicht ratlos wie die anderen vor dem ,Abklatsch' unserer Ideen gestanden 50 ." Die ,Stimmen der Zeit' plädierten für eine Mitarbeit i m Rahmen der bestehenden Demokratie, ebenso wie auch Konrad Beyerle von der ,Allgemeinen Rundschau'. Für Robert von Rostiz-Rieneck gilt es, aus dem Siegeszug der Demokratie zu erkennen, was zu t u n ist: „ i n den Dienst der ansteigenden Klassenbewegung treten" 5 1 , und zwar u m offenbar zu machen, was christliche Demokratie sei und wolle, vor allem aber u m die Leuchtkraft von Christentum und Kirche zu erweisen 52 . Eine offene Aufforderung, die Rückbesinnung auf das vermeintlich ,lichte Reich' der Vergangenheit den Feierstunden zu überlassen, bei der Arbeit aber m i t beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit zu stehen und mit den gegebenen Tatsachen zu rechnen, eine Aufforderung also zu einer positiven Mitarbeit innerhalb der bestehenden Verhältnisse — das ist der Tenor des Neujahrsartikels von Max Pribilla i m Jahre 192053. Ähnlich äußert sich auch Konrad Beyerle i n der ,Allgemeinen Rundschau' 54 . Heinrich Sierp endlich bezieht eine ähnliche Stellung. Er schließt seinen grundsätzlichen A r t i k e l über die ,Grenzen der Demokratie' i m Jahre 1919 m i t folgender Passage: „Soviel steht fest, daß die demokratische Regierung bis heute i n großen Staaten nicht die Hoffnungen erfüllt, die man daran geknüpft hat. W i r d es bei uns besser sein? Wenn ernste Männer i n ernster Arbeit sich der großen Aufgabe widmen, dem Volke eine neue Verfassung auf breiter demokratischer Grundlage zu geben, ist vielleicht die Hoffnung, daß wenigstens etwas Befriedigendes zustandekommt. Aber die Leidenschaft muß schweigen und christliche Grundsätze müssen die Leitsterne sein 55 ." Der erstellte kursorische Überblick über das Wort- und Wertungsfeld des Demokratiebegriffes hat die breite Skala sowohl der Einstellungen wie auch bereits ansatzweise der kritischen Vorbehalte angerissen. Die Skala reicht von voller Ablehnung bis hin zu der besorgten Mahnung, 49 w i r werden das Eintreten f ü r den Rätegedanken, worunter sich auch A r tikel aus den SdZ finden, i n einem anderen Zusammenhang noch eingehend behandeln. 50 87 (HL), S. 4. 51 103 (SdZ), S. 302. 52 Ebd. S. 302 f. 53 116 (SdZ), S. 6. 54 143 (AR), S. 15. 55 106 (SdZ), S. 393.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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sich auf den Boden der Republik zu stellen. Es w i r d i m folgenden die Aufgabe sein, die inhaltlichen bzw. quasiinhaltlichen Vorbehalte näher zu analysieren. Dabei stellt sich heraus, daß diese Vorbehalte i n drei Gruppen zusammengefaßt werden können, die bereits i n den Wort- und Wertungsfeldern aufgetaucht sind: die weltanschaulichen Vorbehalte, die philosophisch-prinzipiellen und schließlich historisch-politische Vorbehalte. 3. Inhaltliche Vorbehalte
Bei dem folgenden Versuch, die inhaltlichen Vorbehalte, soweit sie sich fassen und formulieren lassen, zu systematisieren und vorzustellen, kann es sich nur u m die Andeutungen von Vorbehaltsrichtungen handeln, denn klar umrissene und definierte, vor allem begründete Vorbehalte und Einwände kommen außer i n den ,Stimmen der Zeit' kaum vor. Es handelt sich eben — entsprechend dem Gesamtcharakter dieses untersuchten geistigen Vorkommnisses — i m allgemeinen um eine K r i t i k , die darum bemüht ist, alte Gewißheiten, deren Vergessen man befürchtet, i n die Erinnerung zu rufen. Die K r i t i k erschöpft sich also zumeist darin, neuen herausfordernden Ideen und Gewißheiten alte, bisherige gegenüberzustellen. Dies geschieht meist durch eine bloße Benennung alter Positionen oder auch durch deren Glorifizierung, indem bestimmte Gehalte derart für wesentlich und unverzichtbar erklärt werden, daß demgegenüber das Neue, hier die Demokratie, als ein Abfall erscheinen muß. Darin bestand — so scheint es — die Grundfunktion dieser K r i t i k . a) Weltanschaulich-religiöse
Vorbehalte
Die religiösen Vorbehalte gegenüber der demokratischen Idee kreisen um den Begriff der Volkssouveränität und das Problem der Trennung von Kirche und Staat. Die Lehre von der Volkssouveränität w i r d dabei als häretisch bezeichnet, der dann die Trennung von der Kirche notwendig folgen müsse. Hinter diesen konkreten Vorwürfen steht ein grundsätzlicherer, daß nämlich die beiden zusammengehörenden Bereiche Religion und Politik von der Demokratie künstlich und m i t Gewalt auseinanderdividiert würden. Daß diese beiden Bereiche zusammengehören und aufeinander bezogen sind, daß vor allem der Staat auf die Religion bezogen ist, letztlich alle politischen Probleme auf religiöse zurückzuführen seien — diese Positionen gehören zum weltanschaulichen Selbstverständnis der meisten Autoren. So schreibt etwa Müller-Reif i n der ,Allgemeinen Rundschau': „Die liberalistische Scheidung der religiösen und der profan-weltlichen Sphäre ist dem christlichen Geiste innernotwendig fremd, da der religiöse Wert m i t höchsteigener souveräner Macht β·
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darauf dringt, alle andern Lebenswerte des Politischen, Wirtschaftlichen und Sozialen, sowie des Privaten zu durchdringen i m Sinne einer organischen Harmonie 5 6 ." Ebenso äußert sich etwa auch Franz Wetzel i m ,Neuen Reich 457 . Die Abtrennung des Religiösen vom Politischen hat nach dem Verständnis dieser Autoren die Folge, daß ein Staat, der von solchen Prinzipien getragen sei, notwendig atheistisch ist 5 8 . „Die Republik leugnet i h n (sc. Gott, d. V.) entweder oder verhält sich zu i h m äußerlich neutral. Überall, wo die Republik durch den Sturz des Thrones eingeführt wurde, begann sie sofort den Kulturkampf (Frankreich, Spanien, Portugal, Rußland usw.) und betrieb die Trennung von Kirche und Staat — sicher nicht aus Wohlwollen gegen die Kirche 5 9 !" Ihren Ursprung habe diese Einstellung der Demokratie i m Prinzip der Volkssouveränität Rousseaus, aus dem sie entstanden sei. Sie wolle nicht von Gottesgnaden sein, sondern sei i n ihrer Vollendung der ausgesprochene Laienstaat m i t antikirchlicher und antichristlicher Tendenz 60 . Die Lehre von der Volkssouveränität stehe aber i m Widerspruch zu christlichen Dogmen und sei von Leo X I I I . ausdrücklich verworfen worden; denn nach der Schrift gebe es keine Gewalt außer von Gott. Wer sich ihr widersetze, ziehe sich die Verdammnis zu 6 1 . „ W i r können Regierungsräte bestimmen, aber w i r können aus ihnen keine Regierung machen. W i r können den Regierungsräten nicht die Seele der obrigkeitlichen Autorität einhauchen. Dieses Recht hat sich Gott vorbehalten. . . . Die Theorie von der Volksherrschaft, die moderne Demokratie, ist daher eine Irrlehre 6 2 ." Einige Autoren möchten eine absolute Demokratie und eine rechtsstaatliche identifizieren und argumentieren vornehmlich gegen eine Demokratie, die kein vorstaatliches Recht kennt. Man glaubt damit die Demokratie überhaupt zu treffen 6 3 . Das Recht sei für die Demokratie kein Problem. Es begnüge sich m i t einem Sieg der Mehrheit und frage nicht nach einem Sieg des Rechts 64 . Für Franz Xaver Hoermann, dem Hauptautor der ,Historisch-politischen Blätter', beruht der Staat nach den Vertretern des Rousseauschen Standpunktes nicht auf dem Willen Gottes, sondern auf dem des Volkes. Damit leite sich auch seine Gewalt 56 57 58 59 eo 81 M 68 64
171 (AR), S. 523. 223 (NR), S. 548. E t w a : 223 (NR), S. 548; 224 (NR), S. 574; 178 (AR), S. 282; 46 (HPB1), S. 571. 234 (NR), S. 634. Ebd. 224 (NR), S. 574. Ebd., vgl. auch den A r t i k e l v o n Buchner: 132 (GH), S. 530. 241 (NR), S. 422. Ebd.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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nicht mehr von Gott her. Ohne die Idee eines persönlichen Gottes aber sei keine Rechtsphilosophie und darum auch keine wahre Staatslehre möglich 6 5 . „Der von Gott »unabhängige4 demokratische Staat schwebt i n der L u f t ; er ist haltlos wie sein individualistisches Gleichheitsprinzip, haltlos wie jede Unwahrheit und jede Leugnung unserer Abhängigkeit 8 6 ." Hans Pfeiffer zielt i n einem A r t i k e l i n der gleichen Zeitschrift darauf ab, zu zeigen, wie ohne Religion Demokratie nicht zu verwirklichen sei, sondern sich i n ihr gerade das Gegenteil umkehre. Die moderne Demokratie sei eine ,unchristliche Staatsauffassung 4 , ihre Freiheits- und Gleichheitsvorstellungen bezögen sich „nicht auf das Verhältnis zu G o t t . . . , sondern betonen vielmehr das Losgelöstsein von Gott, das Freisein von Gott. Ohne Beziehung zu Gott, ohne die tätige christliche Nächstenliebe ist aber das ganze Dreigestirn (gemeint ist die demokratische Idealformel: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, d. V.) ein Nebelgebilde, w i r d die Freiheit zur Tyrannis, dient die Gleichheit zur Macht der Starken und Gerissenen und zur Knechtung der Schwachen und Gewissenhaften, w i r d die Brüderlichkeit zur Gewaltigkeit gegenüber Andersdenkenden. Die materialistische Gegenwart, der sozialistische Klassenkampf und die drohende Errichtung des Zuchthauses: Sozialismus sind Belege genug hiefür 4 4 6 7 . Die Möglichkeit eines außerchristlichen Rechtes, das Freiheit und Gerechtigkeit garantiert, w i r d dabei rundweg geleugnet. Demokratische Grundhaltungen ohne religiöse Verankerungen bedeuten demnach ein garantiertes Abgleiten i n die Tyrannis. Solche radikalen Frontstellungen entbehren natürlich nicht eines bedingenden konkret-politischen Hintergrundes. Die revolutionäre und nach-revolutionäre Zeit war gekennzeichnet durch einen scharf antiklerikalen Zug, der von weiten Kreisen der Sozialdemokraten und Liberalen getragen wurde 6 8 . Die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht am 1. Januar 1919 und der Religions-Unterricht-Erlaß des damaligen Kultusminsters Hoffmann forderten sichtlich den Widerstand heraus 69 . Entsprechend nervös und ungehalten war auch die Reaktion i n den Blättern, wenn es u m das grundsätzlich aufgeworfene Problem des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat ging. Als sich aber dann i m Zuge der politischen Entwicklungen eine Konsolidierung der politischen Verhältnisse einstellte und sich zudem i n München zu Beginn der zwanziger Jahre Konkordatsverhandlungen anbahnten und schließlich aufgenommen wurden, wichen solche nervösen Reaktionen mehr und mehr sachlichen 65 ββ 67 68 69
44 (HPB1), S. 323. Ebd. S. 323 f. 46 (HPB1), S. 571. Vgl. Reimann I I , S. 174; u n d Hillmayr, S. 481. Vgl. »Bayrischer K u r i e r 4 Nr. 31 v. 31. Januar 1919.
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Erörterungen. War man noch anfangs geneigt, i n den staatlichen Säkularisierungserlassen grundsätzliche Kampfansagen gegen Kirche und Christentum zu sehen 70 , begannen solche Stimmen i m Zuge der Ereignisse mehr und mehr zu verstummen und machten einer bedingt positiven Stellungnahme Platz. Die Vorwürfe gegen die Demokratie i n diesem Punkte verflüchtigten sich wieder ins Allgemeine. Die Einstellungen aber blieben die gleichen. Für die einen war die Unvereinbarkeit von Christentum und Demokratie eine ausgemachte Sache, für andere stand einem vorurteilslosen Arrangemnt nichts i m Wege, wenn nur beide Bereiche einander respektierten. So konnte man 1919 i n den ,Historisch-politischen Blättern 4 aus anonymer Hand lesen: „Die Kirche, die Stellvertreterin Gottes, hat i n einer gottlosen Republik keinen Platz mehr. . . . Wie die Trennung des Staates von der Kirche, ist die Proklamierung des atheistischen Staates nicht nur eine Loslösung von Gott: ein Raub an göttlichem Rechte und Besitze. Es ist die Aufrichtung des Reiches des Antichrists und die blasphemische Herausforderung der Gerichte Gottes 71 ." Doch gegenüber solchen religiösen Metaphern und Analogien war doch zur gleichen Zeit, i m Januar 1919, i n der ,Allgemeinen Rundschau' folgende Passage zu lesen: „ I n den modernen Verfassungserrungenschaften liegt an sich nichts, was den kirchlichen Interessen notwendig i m Wege stände, und i n der Kirche nichts, was jener unbedingt widerspräche. Was die Kirche ablehnt, ist nur die theoretisch-prinzipielle Zurückführung aller Autorität i n ihrer tiefsten Wurzel auf rein menschliche, diametral von der göttlichen Weltordnung losreißende und ihr widerstreitende Faktoren. So sehr sie aber diese letzten Endes atheistische und absolutistische Begründung moderner Verfassungsfortschritte durch den extremen Rechtspositivismus verwirft, so wenig w i l l sie solche Fortschritte selbst, auch i n ihrer parlamentarischen oder republikanischen Spitze bekämpfen bzw. die Freiheit ihrer Gläubigen darin einengen 72 ." Die Parallelität der Texte steht für eine Parallelität der Einstellungen, die sich i m Laufe der Weimarer Jahre zwar verschieden zu bestimmten Punkten äußerten, ihre Einstellungen aber beibehielten. Eine Entwicklung zueinander war so gut wie ausgeschlossen. Die intransigente Haltung dogmatischer Aprioris stand einer pragmatisch-offenen Haltung gegenüber. Zwischen beiden Extremen gab es einige Verbindungen, die mehr i n die eine oder andere Richtung tendierten.
70 Vgl. etwa: 20 (HPB1), S. 216 f.; 27 (HPB1), S. 476; 81 (HPB1), S. 674; 148 (AR), S. 314 f.; u n d 151 (AR). 71 27 (HPB1), S. 476. 72 143 (AR), S. 15.
3. Inhaltliche Vorbehalte b) Philosophisch-prinzipielle
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Vorbehalte
Die Vorbehalte auf dieser Ebene beziehen sich auf die philosophischen Ansätze des Liberalismus, Sozialismus und Kapitalismus. Alle drei Positionen, so unterschiedlich sie auch untereinander sein mochten, w u r den mehr oder weniger stark als m i t der Demokratie verbunden angesehen. Dabei stand die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus allerdings bei weitem i m Vordergrunde. Viele A r t i k e l setzten sich — meist i n kurzen Passagen — m i t einer seiner philosophischen Grundthesen, dem Individualismus, auseinander. Dagegen nimmt die Auseinandersetzung m i t dem Sozialismus und dem Kapitalismus einen weit geringeren Raum ein. Hier begnügt man sich meist m i t en passant ausgesprochenen Anspielungen und Verdächtigungen. I m Mittelpunkt der Auseinandersetzung m i t dem Liberalismus steht also die Beschäftigung m i t dem Individualismus. Gemeint war damit die These von der Selbstherrlichkeit des Individuums als politischer und gesellschaftlicher Grundkategorie. Wenn es auch nicht ersichtlich ist, auf welche zeitgenössischen oder traditionellen Autoren oder Vertreter dieser Auffassung sich die einzelnen Texte beziehen, läßt sich die These vom Individualismus, die i n den behandelten Schriften vorgestellt wird, dahingehend generalisieren, daß er die Gesellschaft aus lauter isolierten, autarken und autonomen Individuen bestehen läßt, die an keinerlei Obrigkeit gebunden sind. Die gesellschaftliche Dimension sehe diese Position lediglich i n einer A r t Mechanismus, d. h. i n einem auf Nützlichkeitserwägungen gegründeten Interessenausgleich 73 . Eine sich durchhaltende These ist bei vielen Autoren die Gleichsetzung von Demokratie, Liberalismus und Individualismus, sei sie vollkommen oder auch nur teilweise. Für die einen gehören diese Elemente wesentlich zusammen 74 , für andere gibt es gegenseitige, aber nicht notwendige Beeinflussungen 75 . Nahezu eindeutig legen sich die ,Historisch-politischen Blätter', die ,Gelben Hefte' und das ,Neue Reich' auf die These der Identifikation fest. Das »liberal-demokratische System' 76 berufe sich auf ein sozial atomisiertes und individualistisch aufgelöstes Volk: eine Summe gleichwertiger Staatsbürger 77 . Seine theoretischen Grundlagen seien Selbstherrlichkeit, Eigenrecht und Subjektivismus 7 8 . „Dieser Subjektivismus ist nichts anderes als die Autonomie des Ich, die Grundlage 73 Vgl. dazu: Johannes Meßner, Individualismus, A r t . i n StL, 5. Aufl., 2. Bd., Sp. 1459 - 1462. 74 256 (NR), S. 527. 75 106 (SdZ), S. 386. 78 77 (HPB1), S. 391. 77 44 (HPB1), S. 322. 78 77 (HPB1), S. 391.
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des Protestantismus, des Modernismus ebenso gut wie des liberaldemokratischen Systems 79 ." Der religiöse Unterton solcher Formulierungen ist nicht zu verkennen. Die demokratische Bewegung w i r d klassifiziert als eine Bewegung für die Autonomie des Ich, des einzelnen Individuums. Sie unterscheidet sich i n dieser Formulierung grundlegend von der ,christkatholischen' Position, daß der einzelne Mensch sich Gott verantwortlich fühlen müsse. Eine solche Klassifikation ist somit eine indirekte Verurteilung. Darüber hinaus w i r d dem Individualismus vorgeworfen, m i t seinem selbstherrlichen Ansatz der vielgestaltigen, abgründigen und auf äußere Hilfe und Orientierung angewiesenen menschlichen Seele nicht gerecht zu werden. M i t der individualistischen Grundannahme, daß der Mensch gut sei, werde die Tatsache der Erbsünde geleugnet 80 . Eine Politik, ein Staat, der auf solchen falschen anthropologischen Grundvoraussetzungen beruhe, könne nur eine reine Fiktion und eine rationalistische Konstruktion sein. Die ,Fiktion der Gleichheit' sei dabei die oberste 81 . „Daß trotz dieser verfassungsmäßigen politischen ,Gleichheit' die wirtschaftlichen, politischfinanziellen usw. Pflichten der Bürger sehr ungleiche bleiben, beschäftigt die demokratischen Theoretiker und Praktiker nicht weiter 8 2 ." Nun ist das Gleichheitsdenken i n der christlichen Tradition nichts Fremdes; doch w i r d i h m i n den vorliegenden Texten jegliche soziale Dimension entzogen und i n den Bereich des Spirituellen hochmystifiziert: „Gewiß sind alle Menschen vor Gott gleich; daß sie aber auf Erden alle gleich berechtigt seien, ist ein falscher Schluß, der aus den gleichen Menschenrechten nicht gefolgert werden kann. Der Soldat kann nicht die gleichen Rechte haben wie der Offizier. M i t einer solchen Behauptung w i r d jeder Autorität die Grundlage entzogen 83 ." I n einer Sicht, i n welcher der grundherrliche Adel als ,eine befruchtende Quelle für guten und vornehmen Ton und Lebensart' 84 gepriesen wird, ist für ein politisch-soziales Gleichheitsdenken kein Platz. Ein solches Denken würde einem Autoritätsdenken, wie es hier vertreten wird, den Boden entziehen und das Organismusdenken aushöhlen. Immer wieder w i r d dabei m i t dem Verweis auf die Ungleichheiten der Begabung und der sozialen Funktionen gegen ein solches Gleichheitsdenken zu Felde gezogen. Gezielt wurde dabei vor allem auf die Theorien Rousseaus, doch glaubte man damit die Demokratie überhaupt zu tref79 80 81 82 83 84
Ebd. 46 (HPB1), S. 571 ; vgl. auch 256 (NR), S. 527. 44 (HPB1), S. 322. Ebd. 48 (HPB1), S. 672. 44 (HPB1), S. 336.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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fen, deren dialektische Problematik zwischen Freiheit und Bindung nicht begriffen wurde. Dies gilt vor allem für die K r i t i k am Gleichheitsdenken durch Franz Xaver Hoermann. Für Hoermann findet das politische Gleichheitsdenken seinen verfassungsmäßigen Ausdruck i m ,ungeschichtlichen Phantasieprodukt des Rousseauschen Vertragsstaates' 840 . Diese Vertragstheorie impliziert für ihn die ebenso unhaltbare Lehre von Volkswillen und Volkssouveränität. „Die Idee vom Volkswillen schließt einen zweifachen I r r t u m i n sich; erstens den intellektuellen I r r t u m von dem Vorhandensein oder der Möglichkeit eines solchen Willens, zweitens den moralischen Irrtum, daß i m Staate der Volkswille die Regierung, Regierungshandlung und Regierungsform bestimmen soll. Der Volkswille — dessen Existenz vorübergehend vorausgesetzt— kann eine gute oder böse Macht, edle oder schlechte Instinkte repräsentieren und darum soll i m Staate nicht dieser unbestimmbare und fragwürdige Wille, sondern es sollen Vernunft und Gerechtigkeit herrschen 85 ." Das Denken und Wollen der einzelnen sind für Hoermann inkommensurable Größen, die man nicht durch Addition zusammenfassen kann 8 6 . Das Problem der Mehrheitsbildung i m Sinne eines ,common sense' bereitet i h m unüberwindliche Schwierigkeiten. Zudem gilt es für ihn als ausgemacht, daß einer Mehrheitsbildung das Recht zum Opfer fallen würde. Immerhin, theoretisch gibt er zwar die Möglichkeit eines ,Willens der Majorität' zu, versäumt es aber nicht, es sogleich scharf zu diskreditieren. Es gebe also möglicherweise einen ,Willen der Majorität', „insoferne sich bei der parlamentarischen Abstimmung und bei dem ganzen parlamentarischen Regimente die verwandten Willensrichtungen zu einem einstimmigen Beschlüsse verbinden. Das ergibt aber den an kein sittliches Gesetz gebundenen Absolutismus der Majorität: die schlimmste Despotie, welche die Geschichte der Regierungsformen kennt" 8 7 . Politische Überlegungen, insbesondere staatliche Gesetzgebung einer allgemeinen pluralistischen Diskussion auszusetzen, w i r d als gleichbedeutend m i t dem Verlust an Substanz, Gerechtigkeit und Wahrheit angesehen. Eine Diskussion kann es allenfalls innerhalb klar und scharf umgrenzter ,naturrechtlicher' und traditioneller Bahnen geben. Die Struktur solcher vorgezeichneter Bahnen ist samt ihren Voraussetzungen unhinterfragbar. Nur konsequent ist es daher, wenn m i t dem Gedanken des Volkswillens auch der einer Volkssouveränität und Selbstbestimmung verworfen wird. Dies geschieht m i t der Konstruktion, daß die 84
a Ebd. 12 (HPB1), S. 791. 86 31 (HPB1), S. 195. 87 Ebd.
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Volkssouveränität die Negation der Souveränität Gottes bedeutet. Hier wie i n anderen Fällen werden also unter anderem religiöse Konstruktionen benutzt, alternative politische Theorien zu unterdrücken und zu unterbinden. Für Hoermann gibt es keine Souveränität des Volkes, weder praktisch als Selbstbestimmungsrecht und als Unabhängigkeit der Völker, noch theoretisch als Selbstregierung derselben; denn jede Souveränität setze wie jede Herrschaft Über- und Unterordnung voraus. I m übrigen könne die Proklamierung der Volkssouveränität nur die A b setzung Gottes und die Aufrichtung des atheistischen Regimentes bedeuten 8 8 . „Wie der Volkswille ist die Volkssouveränität eine Utopie und zugleich eine Häresie. . . . (Sie) ist ein Ausfluß der Gedankenlosigkeit, der heuchlerischen Volksumschmeichlung oder des atheistischen Wahnsinns, aber ein notwendiges Postulat und unentbehrliches Schlagwort der Sozialdemokratie und der heutigen Demokratie 8 9 ." Man schmeichle dem Volk „ m i t seiner Souveränität und täuscht i h m vor, es regiere sich selbst, w e i l es einige hundert von Parteiklüngeln aufgestellte Vertreter wählen darf, die nach der Wahl praktisch t u n können, was sie wollen, wenn sie es nur verstehen, das Volk zu überreden, es sei zu seinem Heile" 0 0 . Hinter einer solchen Ablehnung steht eine A r t Vernunftspessimismus, der einer offenen Vernunft nicht traut. Es ist die Haltung der Gewißheit, die sich i m Besitze der Wahrheit wähnt, jedenfalls i n ihren letzten Verankerungen. Solche Gewißheitselemente müssen sich bei jeder Diskussion und Änderung unbefragt durchhalten. Eine offene Diskussion, die letztlich alles, vor allem aber das i n Frage Gestellte für hinterfragbar hält, die also für eine rationale Bewältigung des Gesellschaftlichen und Politischen optiert, w i r d abgelehnt. Das Problem einer Begrenzung der Diskussionsbereiche rangiert vor dem seiner bestmöglichen Organisation. I m übrigen w i r d bei der Auseinandersetzung mit der Demokratie die i m Grunde weit geschichtsmächtigere angelsächsische Variante ihrer Entwicklungslinie fast völlig übergangen. Daß Demokratie nicht m i t dem totalen Freiheitspostulat Rousseaus identisch sein muß, daß es durchaus ein ernstes Bemühen gibt, die Polaritäten von Freiheit und Ordnung einzufangen zu suchen, w i r d nicht beachtet 91 . Bei einer derart einseitigen Behandlung des Problems, wie es bei einer Reihe von Autoren der hier behandelten Blätter der Fall ist — als Prototyp kann Franz Xaver Hoermann gelten — drängt sich die starke Vermutung auf, daß nicht die Lösung aufgeworfener politischer Grundsatzprobleme i m Vordergrund 88
31 (HPB1), S. 195; vgl. auch 12 (HPB1), S. 794. 31 (HPB1), S. 196. 90 48 (HPB1), S. 670 f. 91 Vgl. dazu Wäldern. Besson, Die christlichen Kirchen u n d die moderne Demokratie, i n : Walther Peter Fuchs (Hrsg.), Staat u n d Kirche i m Wandel der Jahrhunderte, Stuttgart 1966, S. 201 - 216, S. 206. 89
3. Inhaltliche Vorbehalte
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des Interesses an der Auseinandersetzung stand, sondern die weitere Immunisierung überkommener Anschauungen. Aufbrechende Verunsicherungen sollten durch theoretische Stützkonzeptionen aufgefangen werden 9 1 a . Nun ist es freilich nicht so, daß man vor bestehenden realen sozialen Problemen die Augen verschlösse. Für ihre Lösung muß daher auch eine politische Konzeption angeboten werden. Die Besserung sozialer Zustände ist auch für katholische Konservative ein Problem. Nur ist diese Lösung keine Aufgabe der Politik, sondern der Ethik, bzw. der politischen Ethik: der Tugendlehre, welche die Tugend selbst, die Nächstenliebe und die Verantwortung als Lösungsfaktoren einzusetzen versucht. Doch eine solche Verantwortung ist eine autoritäre Verantwortung, getragen vom caritativen Wohlwollen höherer Schichten für das gemeine Volk, die unterentwickelten Stände und Bevölkerungsschichten 92 . Der Gedanke an eine grundsätzliche Reform muß daher solange verworfen bleiben, als mit dem Gedanken einer vorgegebenen gesellschaftlichen naturhaften Struktur operiert wird. Solange es solche natürlichen' und religiös sanktionierten Ordnungen gibt, bleibt als veränderndes Moment lediglich die Möglichkeit einer tugendhaften Verbesserung der I n d i v i duen und über sie hinaus dann die Möglichkeit, die bestehenden Verhältnisse erträglicher zu machen. Letztlich aber bleibt ein jeder an der Stelle und i n der Funktion, i n die hinein er geboren und zu der hin er ,berufen' wurde. Für eine solche Sicht ist darum der Gedanke an eine ,Regierung des Volkes' absurd. Regierungen sind nicht von des Volkes Gnaden. Aber sie sind für das Volk da. Sie haben die „hohe Aufgabe, das V o l k zu führen, nicht von i h m sich unter allen Umständen führen zu lassen" 93 . Hier w i r d also aus einem Autoritarismus ein weiteres Argument gegen die Demokratie gewonnen. Das Volksleben ist eben „ i n seiner innersten Existenz von den ewigen und unantastbaren Wahrheiten des Sittengesetzes abhängig; an diese Wahrheiten zu rühren hat weder das Volk noch die von i h m gewählte Regierung ein Recht Wert und Allgemeingültigkeit der ewigen Wahrheiten hängt nicht von der Gewogenheit oder Abneigung des menschlichen Herzens ab; sie bleiben von Zeitumständen und sozialen Erschütterungen unberührt" 9 4 . Darum gelte es eben nicht, lediglich Stimmen des Volkes zu zählen, sondern sie zu wägen 9 5 . Soweit Thesen, die auf der Basis der behaupteten grundsätzlichen Identität von Demokratie, Liberalismus und Individualismus entwickelt wurden. Sie können als gemeinsame Position der meisten Autoren der ,Historisch91a 92 93 94 95
Berger/Luckmann, S. 112 ff. Vgl. 48 (HPB1), S. 671 f.; 37 (HPB1), S. 19 f. 20 (HPB1), S. 216. Ebd. 46 (HPB1), S. 571.
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politischen Blätter', des ,Neuen Reiches', der ,Gelben Hefte' und eines Teiles der ,Allgemeinen Rundschau' angesehen werden 9 6 . Vereinzelte Ansätze zu solchen Auffassungen finden sich allerdings auch i m Hochland' und i n den ,Stimmen der Zeit' 9 7 , die aber hier vernachlässigt werden müssen, da sonst der Rahmen der Arbeit gesprengt würde. Ansätze zu einer differenzierteren Betrachtungsweise finden sich sodann i n der ,Allgemeinen Rundschau', i m ,Hochland' und i n den s t i m men der Zeit', I n der ,Allgemeinen Rundschau' sind es vor allem die A r t i k e l von Konrad Beyerle, die sich für eine positive Mitarbeit i n der neuen Republik einsetzen und von der Möglichkeit einer Überwindung liberalistischer Tendenzen i n der Demokratie ausgehen 98 . I m ,Hochland' ist i n diesem Zusammenhang die Position von K a r l M u t h interessant 99 . Die Mitarbeit der Katholiken an der geistigen, sozialen und politischen Neuordnung und Neuorientierung bildete die Leitlinie seiner Artikel. „ W i r stellen uns ruhig und fest auf den Boden des Gegebenen, zunächst i n unserem Vaterland 1 0 0 ." Doch ist er davon überzeugt, daß eine positive Mitarbeit nur i n der Überwindung des liberalen Gedankengutes und seiner Denkungsart geschehen kan. Eine Auseinandersetzung mit dem Liberalismus solle sich aber nicht auf polemisch-apologetische Methoden erstrecken. „Reine Polemik macht . . . , wenn sie nicht schon von einem bereits fruchtbaren Punkte ausgeführt wird, unfruchtbar 1 0 1 ." Sie führe zu keinem Ziele, d. h. zu keiner geistigen Verfassung, aus der heraus eine positive Überwindung des anderen Standpunktes möglich wäre 1 0 2 . „Geister werden nur durch Geister ausgetrieben 108 ." Sein Ziel formuliert er so: „Was hat also zu geschehen? Nicht mehr und nicht weniger als dies, daß w i r unsere, d. h. die katholische, d. h. die m i t allem Wahren, Echten, Positiven, Fruchtbaren i m gesamten Geistesleben der Menschheit verwachsene Eigenart charaktervoll durchbilden und sie i n der beständigen Auseinandersetzung m i t den von ihr abgewandten oder ihr entgegenstrebenden Geistern bewähren. Hier ist so gut wie alles neu zu machen, gleichsam ganz von vorne anzufangen 104 ." 96 Vgl. etwa: 256 (NR); 259 (NR); 262 (NR); 150 (AR); 156 (AR); 198 (AR); 125 (AR); 128 (AR);u. a . m . 97 E t w a 92 (HL); 103 (SdZ). 98 I n der A R die A r t i k e l : 154, 156, 169, 184, 190, 189. W i r werden i m Rahmen der Verfassungskritik noch eingehender auf die Position v o n K o n r a d Beyerle zurückzukommen haben. 99 Vgl. dazu den A r t i k e l von Bauer I I . 100 90 a (HL), S. 4. 101 92 (HL), S. 12. 102 Ebd. 108 Ebd. S. 11. 104 Ebd. S. 12.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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M u t h war ein Mann, der die geistige Auseinandersetzung nicht scheute. Er begriff, daß es kein Widerspruch war, einen festen Standpunkt zu besitzen und dennoch sich auf Diskussionen einzulassen, i n denen i m Rahmen der Diskussion die eigene Position relativiert wurde. M u t h spürte, daß viele Katholiken die echte A r t geistiger Auseinandersetzung noch zu lernen hatten. M u t h war ein Mann klar formulierten Wollens, ein Mann tiefer konservativer Überzeugungen. Aber w o r i n er sich von den meisten Kollegen der anderen Blätter unterschied, war der Stil seiner undogmatischen und anapodiktischen Argumentation. Auch er kämpfte gegen den Liberalismus, doch sah er i n i h m nicht ein Gebäude zu negierender dogmatischer Sätze, sondern ein differenzierteres Gebilde geistiger Haltungen. Als Kerngehalt des Liberalismus sieht M u t h die absolute Autonomie des Individuums an 1 0 5 . Wenngleich er den Katholiken, der das Wesen seiner Religion erfaßt hat, vor den extremen Formulierungen dieses Denkens beschützt weiß, gibt es nach i h m aber doch eine Unmenge vieler Schattierungen dieser »Denkungsart' des liberalen Geistes, die sich über alle Gebiete des Lebens verbreitet und i n allen möglichen Verdünnungen i n diese Eingang gefunden habe. Nicht einmal eine Zeitschrift wie das ,Hochland' würde von einem solchen Einfluß verschont bleiben. Es gelte darum, diesen Einfluß zu erkennen und aufzudecken 106 . Eine solche antiliberalistische Haltung aber führe dann zurück zu einem konservativen Denken. Dies sei dann nicht mehr so sehr die Sache einer Staatsform, oder auch nur die einer Partei 1 0 7 .,Konservativ' bedeute die „Besinnung auf die schöpferischen Kräfte der Vergangenheit, auf unsere ureigensten historischen Ideale, konservativ' bedeute dann die Überzeugung, „daß Wachstum nur i n organischer Verbindung m i t dem A l t e n möglich ist, daß aber alles Unorganische, Gemachte wieder zerfällt"; »konservativ' bedeute dabei aber nicht, daß alles Überkommene und Bestehende für sakrosankt erklärt w i r d 1 0 8 . Diese Haltung ermöglichte i h m schließlich, sich über mancherlei innere Widerstände hinweg zu einem Ja zur Demokratie durchzuringen. Muths Ja zur Weimarer Republik war zwar ein Ja zur Demokratie als solcher, aber nicht zur Demokratie der Verfassung von Weimar. Es war ein Ja zu einem demokratischen Gedanken, wie er i h n verstand, und der zu seiner Voraussetzung die Verwirklichung der »sozialen Demokratie', den »konservativen' Gedanken und einen ständisch-organischen Aufbau der Gesellschaft hatte 1 0 9 . Diese Erwartungen und Vor105 106 107 108 109
Ebd. S. 10. Ebd. Ebd. S. 12. 90 a (HL), S. 4 f. 92 (HL), S. 13.
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T e i l Β , I. Allgemeine D e m o k r a t i e k r i t i k
Stellungen ließen i h n und seine Zeitschrift oftmals K r i t i k an der Praxis und an der Entwicklung der Weimarer Republik und ihrer Institutionen nehmen 1 1 0 , doch ist er i m Laufe der zwanziger Jahre nachhaltiger i n den Weimarer Staat hineingewachsen. Sein Eintreten für die ,soziale Demokratie' bedeutete zwar ein starkes Bekenntnis zur organischen Staatsordnung, gleichzeitig aber einen Verweis auf die Notwendigkeit, die Demokratie als Staatsform i m Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern. Wenn sie nicht Eingang i n die Haltungen fände, könne sie als politische Form nicht bestehen 111 . Ähnlich wie beim Liberalismus ist auch die Auseinandersetzung m i t m i t dem Sozialismus gelagert. Auch i h m w i r d vorgeworfen, der Autonomie des Ichs zu huldigen. Hoermann bezeichnet den Sozialismus sogar als den Sohn des Liberalismus 1 1 2 . Für A. W. Hopmann i n den ,Historischpolitischen Blättern' behauptet die Sozialdemokratie theoretisch, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, und politisch wolle sie unerfahrenen und unreifen Menschenklassen Aufgaben übertragen, für die sie nicht geschaffen seien 113 . Individualismus und mangelndes Verständnis für natürlich und geschichtlich Gewordenes sind die Hauptvorwürfe, die man i h m macht. Als solcher w i r d er als ein Repräsentant der Demokratie angesehen. Besonders für das ,Neue Reich' und die ,Historisch-politischen Blätter', teilweise aber auch für die ,Allgemeine Rundschau' sind maßlose Übertreibungen und Unterstellungen dem Sozialismus gegenüber charakteristisch. A u f weiten Strecken scheinen sie von Haß und Angst diktiert. Dabei ist die Taktik zu beobachten, sie an die Seite der Bolschewisten zu stellen. „Überall, wo die Sozialdemokratie die Macht und Herrschaft auch nur vorübergehend gehabt hat, hat sie die Macht und Herrschaft dazu mißbraucht, Volk und Staat dem Kommunismus auszulief e r n 1 1 3 a . " I n der zur Propaganda ausartenden Auseinandersetzung brauchte daher die Demokratie lediglich — über den Weg von Unterstellungen — i n die Nähe der Sozialdemokratie gerückt zu werden, u m sie zu diskreditieren. Was Argumente nicht erreichten, besorgten infame Klassifikationen und damit aktualisierte Assoziationen. Die ohnehin vorhandenen Vorurteile konservativer Kreise gegenüber den Sozialdemokraten — gewachsen i n einem langen und komplizierten Prozeß — wurden auf den neuen Staat übertragen. Dieser Stil gilt allerdings nicht für das ,Hochland' und die »Stimmen der Zeit' 1 1 4 . 110
E t w a : 91 (HL); 87 (HL); 93 (HL). Über die weitre Entwicklung Muths vgl. Bauer I I , S. 245 ff. 112 72 (HPB1), S. 3. 113 234 (NR), S. 635. 118a 162 (AR), S. 304. 114 Bei den SdZ w a r es übrigens auch ein A r t i k e l v o n Sierp, der sich v o n der These absetzt, die Volkssouveränität Rousseaus sei identisch m i t der Demo111
3. Inhaltliche Vorbehalte
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Ein weiterer Einwand gegen die Demokratie w i r d von einer katholischen Kapitalismuskritik bezogen, die vor allem von Kreisen u m das ,Neue Reich4 ausgebildet wurde. Josef Eberle, der Schriftleiter des,Neuen Reiches', hat i m Anschluß an Adam Müller, Görres, Ketteier, Vogelsang, Weiß usw. eine Kapitalismuskritik vertreten, die später auch innerhalb der ,Wiener Richtungen' 1 1 5 eine Rolle spielte. Nach F. K e l l e r 1 1 6 besteht zwischen dem kapitalistischen Geist und dem Geist des Christentums ein unüberwindlicher Abgrund. Dem Kapitalisten gehe es i n seinem Glauben an die rein mechanischen Machtmittel i n grenzenlosem Erwerbsstreben darum, diese Machtmittel zu besitzen, und er w i l l dabei fortschreiten auf dem Weg der totalen Verwirtschaftlichung aller menschlichen Verhältnisse. Wie bei Sozialismus und Demokratie, Liberalismus und Demokratie — so w i r d auch hier bei Kapitalismus und Demokratie eine Identifikation vorgenommen. Die Demokratie erliege aus ihrem Wesen heraus, das keine starken Autoritäten aufkommen lasse, dem kapitalistischen Streben, so daß der Staat i n die Hände der Kapitalisten fallen muß. Demokratie w i r d somit gleichbedeutend m i t Plutokratie, Herrschaft der Juden 1 1 7 und Händlerkreise. Dabei werden solche Verbindungen selten entwickelt, u m so häufiger aber en passant gestreift. Dazu ein — allerdings relativ breiteres Beispiel bei Eberle: „Es ist der Fluch der absoluten Demokratie, daß sie, aufgebaut auf fluktuierendes, i n sich zerrissenes und gerissenes und gespaltenes Parlamentstreiben, die starke Staatsautorität pulverisiert. Wie bitter ist doch der Lobpreis der modernen Demokratie angesichts des Uebergangs der eigentlichen Macht an die Plutokraten! Da redet man überglücklich von der Beseitigung der Macht der Monarchen. Und doch hatte diese Macht die Wahrung der Interessen des Volksganzen i m Auge, während der Plutokrat nur den Gewinn kleinster Kreise i m Auge hat. Da ist man überglücklich kratie überhaupt. Eine Verwerfung der Volkssouveränitätslehre habe darum auch keine Verwerfung der Demokratie zur Folge. Vgl. 106 (SdZ), S. 386. 115 »Wiener Richtungen' ist ein Sammelname f ü r i n Wien zuerst geprägte, z. T. gegensätzliche Auffassungen i m Bereich der katholischen Soziallehre der zwanziger u n d dreißiger Jahre. Vgl. dazu: Franz Arnold, Wiener Richtungen, A r t . i n StL, 5. Aufl., 5. Bd., Sp. 1295 - 1305. 116 F. Keller, Kapitalismus, A r t . i n StL, 5. Aufl., 2. Bd., Sp. 1805 - 1822, Sp. 1811 ff. 117 E i n antisemitischer Zug fällt i m Rahmen der hier behandelten Zeitschriften n u r i m ,Neuen Reich' auf. Systematisch entwickelt w i r d er hier aber auch nicht. Doch sind antisemitische Globalverdächtigungen relativ häufig. E i n Beispiel: U n t e r Berufung auf »französische u n d amerikanische Blätter' w i r d erklärt, „aus der Asche der deutschen Autokratie hebe eine neue Weltmacht i h r Haupt, der jüdische Imperialismus, dessen Ziel u n d Zweck die jüdische Weltherrschaft sei. Ueberall seien die Juden emporgekommen, nach Erschöpfung der Christenvölker hätten sie i n Deutschland u n d Österreich Judenrepubliken konstituiert; es sei i h r erster Schritt zur künftigen Weltherrschaft". 220 (NR), S. 447; weitere Beispiele i n : 219, 230, 236, 245. E i n ausführlicher A r t i k e l über die ,Judenfrage': 220 a (alle NR).
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T e i l Β , I. Allgemeine D e m o k r a t i e k r i t i k
über die Bodenreformen, die weitestgehend m i t dem Adelsbesitz aufräumen; aber inzwischen entstehen viel größere neue Industrie-, Bankund Handelslatifundien, die m i t ihrem Raubbau, m i t ihrem Spekulationstreiben die Volkswirtschaft schwerstens schädigen, während die Adelslatifundien i m rechten Ausmaß nützten. Da redet man vom freien Sprechen, Kontrollieren, Regieren des Volkes i m heutigen Staat — tatsächlich gibt sich die heutige Plutokratie absoluter und despotischer als je einmal eine Tyrannis der Weltgeschichte. Alte Tyrannen wurden wenigstens als solche empfunden; die heutigen verstehen es, ihre Schurkereien dem Volke als Erlösungstaten aufreden zu lassen 118 ." Die Kapitalismuskritik war ein Bereich grundsätzlichen Nachdenkens, wie es durch den Krieg i n katholischen Kreisen ausgelöst wurde. Es war Teil einer allgemeinen Reflexion über die moderne K u l t u r , Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kunst usw. und wurde von verschiedenen Richtungen innerhalb des Katholizismus vertreten 1 1 9 . Eberle hatte sich schon während des Krieges i n Buchveröffentlichungen damit auseinandergesetzt 120 . Neben traditionellen Forderungen der katholischen Soziallehre, wie Mittelstandspolitik und berufsständische Ordnung, wandte er sich bereits damals heftig gegen das ,gemeinschädliche4 Bankwesen und die Börsenspekulation 1 2 1 . Bis 1925 arbeitete er zunächst als Schriftleiter, dann als Herausgeber des ,Neuen Reiches4 für seine Vorstellungen, stieg i m Jahre 1925 aus der Redaktion des ,Neuen Reiches4 aus, u m seine neue Zeitschrift, die »Schönere Zukunft 4 , zu gründen. Insgesamt ist zu Eberles Argumentationsweise zu sagen, daß er es stets vermied, sich fachwissenschaftlich und wirtschaftstheoretisch festzulegen, sondern er betrieb seine Kapitalismuskritik eher m i t allgemeinen kultur- und geschichtsphilosophischen Betrachtungsweisen und Historizismen als m i t dem mühsamen Geschäft von Einzeluntersuchungen. Er war davon überzeugt, daß der kapitalistische Geist sich i n den letzten Jahrhunderten aus dem Zersetzungsprozeß des ,abendländisch-katholischen Geistes4 entwickelt hatte. So sei aus diesem Geist heraus ein System geschaffen worden, dessen Lebenswurzel der Zins- und Rentenwucher sei. Als konkreten Träger dieses Systems betrachtete er Bank- und Börsenjuden, die er als solche ständigen Angriffen aussetzte 122 . 118
254 a (NR), S. 736. Einen Überblick über die Geschichte u n d die verschiedenen Richtungen dieser Bewegung gibt Paul Jostock, Der deutsche Katholizismus u n d die Überw i n d u n g des Kapitalismus. Eine ideengeschichtliche Skizze, Regensburg o. J. (1932); vgl. auch: August M . Knoll, Der soziale Gedanke i m modernen K a t h o l i zismus, Wien 1932. 120 »Schönere Z u k u n f t 4 (1916), »Zertrümmert die Götzen 4 (1918) u n d ,Die Überw i n d u n g der Plutokratie' (1918). 121 Vgl. Jostock, S. 173. 122 Vgl. Jostock, ebd. S. 192 f. Z u m Stichwort »Plutokratie 4 siehe auch den v e r 119
3. Inhaltliche Vorbehalte
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Eberle stand unter der Faszination einer feudalkonservativen Gesellschaft i n ihrer historischen Gestalt. Die bourgeoise Industrialisierung war i h m verdächtig. Die Industrialisierung als sozialer Prozeß sollte nach i h m auf einer Weiterentwicklung des feudalen Großgrundbesitzes basieren. Nicht menschliche Arbeit war die Grundkategorie des Produktionsprozesses, sondern die Gaben der Natur. Z u dieser Einstellung ging auch eine liebevolle, fast bewundernde Behandlung des Adels und eine haßgetriebene Verdammung der Demokratie parallel 1 2 3 . c) Historisch-politische
Vorbehalte
Eine weitere Ebene inhaltlicher Vorbehalte entstammt dem Bereich der Geschichtsdeutung und der Sicht gesellschaftlicher Zusammenhänge. Darunter fallen das Problem der Autorität, die These von der geschichtlichen Bewährung oder Nicht-Bewährung der Demokratie, die Frage nach einer spezifisch deutschen Staatsform und — etwa — die Probleme einer mechanischen oder nicht-mechanischen Organisation einer Gesellschaft. Aus all diesen Themenkreisen werden Argumente bezogen, u m sie gegen die Demokratie zu verwenden. Sie lassen sich dahingehend formalisieren, daß der Demokratie eine ungenügende Lösung dieser Bereiche zugeschrieben w i r d und ihr deshalb das Urteil der geschichtlichen Bewährung versagt wird. Es kann sich hier nicht darum handeln, die Ausgangspositionen, wie sie etwa die verschiedenen Stellungen zur Autorität darstellen, darzulegen, da das i n anderem Zusammenhang geschehen wird. Doch sollen hier Stellen angeführt werden, die explizit gegen die Demokratie als Idee sprechen. Der zentrale V o r w u r f i n diesem Zusammenhang gegen die Demokratie ist der, daß sie i n ihren geschichtlichen Ausprägungen keine Autorität aufkommen lasse. I n ihr werden die starken Inkorporationen' der Tradition und des Autoritätsgedankens vermißt 1 2 4 . Einer der Hauptvertreter dieses Vorwurfes ist Josef Eberle und ,Das Neue Reich'. So schreibt Eberle 1923: „Die Demokratie ist die geschichtlich am wenigsten bewährte Staatsform und vor allem gelingt es ihr nie, Völker aus Katastrophen auf die Höhen der Gesundheit und K r a f t zurückzuführen. Denn hiezu gehört ein eindeutiges Programm, ein geschlossener Wille, eine starke Autorität. Das alles geht der Demokratie ab, ja sie w i r k t allem entgegen 125 ." Dem Begriff einer solchen Autorität steht auch der vom gleichsweise sachlichen A r t i k e l v o n Oswald v. Nell-Breuning, Plutokratie, i n NR 8 (1926), S. 684 ff. 123 Ich verdanke i n diesem Zusammenhang H e r r n Prof. Oswald v. N e l l Breuning manchen Hinweis. Vgl. dazu auch Jostock, S. 193. 124 261 (NR), S. 747 (Vorbemerkung der Schriftleitung); vgl. auch: 259 (NR), S. 673 (Vorbemerkung der Schriftleitung). 125 250 (NR), S. 107. 7 Mennekes
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T e i l Β , I. Allgemeine D e m o k r a t i e k r i t i k
»Durchschnittsmenschen 4 gegenüber, von welchem nicht erwartet, was von Engeln allenfalls erhofft werden dürfe 1 2 6 . Der Demokratie als einer Staatsform, die auf solchem Durchschnittsmenschentum basiere, fehle jegliche Autorität. Sie führe vielmehr zu Materialismus und Anarchie. „ I m Zeichen dieser aber werden die Völker Experimentierfeld und Auseinandersetzungsgegenstand der plutokratischen Kreise. Weil gesunde monarchische und aristokratische Bindungen von der Demokratie verabscheut werden, kommt Pseudomonarchie, die Diktatur der goldenen Internationale 1 2 7 ." Die Vorwürfe sind so allgemein gehalten, daß sie es erlauben, beliebig viele andere allgemeine Vorbehalte assoziativ anzugliedern. So folgt aus dem Fehlen von Autorität die Herrschaft der Plutokraten, die Aktionsunfähigkeit, die Anarchie usw. usw. Das Wort Demokratie ist für diese Gruppe von Autoren i m ,Neuen Reich', den ,Historisch-politischen Blättern' und i n der »Allgemeinen Rundschau' lediglich eine A r t Schlüsselreiz, bei dessen Auftauchen eine ganze Skala negativer Gehalte, Verdächtigungen und Unterstellungen assoziiert werden. Damit werden diese Texte eher Gegenstand einer politischen Psychologie als textlicher Untersuchung. Dem entspricht denn auch die Einstellung, daß der Demokratie vieles zuzusprechen sei, nur die »geschichtliche Bewährung', die könne man ihr nicht zusprechen. Die Demokratie habe nie eigentlich lange existiert, sie sei geschichtslos i n ihrem Wesen und widerspreche überhaupt aller Erfahrung und Geschichte 128 . Sehr gern hebt man auf den besonderen Charakter des deutschen Volkes ab, dem eine eigene Staatsverfassung entspreche, dem aber insbesondere die Demokratie widerspreche. Neben dem ,Neuen Reich' finden sich solche Vorbehalte i n der ,Allgemeinen Rundschau', und auch das ,Hochland' trägt solche Bedenken. So bemerkt ein A r t i k e l über staatsbürgerliche Erziehung, daß das deutsche Volk nicht nur noch nicht »reif' sei für die Demokratie, sondern „daß es niemals zu ihr ,reif' werden könne, da die demokratisch-republikanische Staatsform seinem Wesen ganz und gar nicht entspreche" 129 . Die ,Gelben Hefte' beziehen sich i n diesem Rahmen gern auf die ausländische,,westlerische' Herkunft dieser Ideen und meinen, daß sie schon deshalb nicht dem deutschen Volkscharakter entspreche 180 . Dem stellt Max Buchner gern den Hinweis zur Seite, die Demokratie entstamme zudem auch noch unkatholischem Gedankengut 1 3 1 . 126
256 (NR), S. 526. Ebd. S. 554; vgl. auch: 252 (NR), S. 317. 128 224 (NR), S. 574; 235 (NR), S. 688; 250 (NR), S. 107; 252 (NR), S. 317; 44 (HPB1), S. 323. 129 97 a (HL), S. 659; vgl. auch 250 (NR), S. 108. 130 125 (GH), S. 107; 137 (GH), S. 1142 f.; 141 (GH), S. 360 f. 131 137 (GH), S. 1142 f.; 141 (GH), S. 360. 127
T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik
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Soweit einige Einwände, wie sie sich mehr oder weniger explizit gegen die Demokratie allgemein und als Idee aussprechen. Natürlich laufen dazu eine ganze Anzahl indirekter Kampagnen parallel. So stellt beispielsweise das Eintreten für Monarchie und Reaktion, insbesondere durch seine aufgebauschten Formulierungen, einen ständigen Affront gegen die Demokratie dar 1 8 2 . Oft aber richten sie sich nicht gegen die Demokratie i m allgemeinen, sondern haben ihre Angriffsziele i n konkreten institutionellen und ideellen Ausformungen. Einige wichtige sollen i m folgenden untersucht werden. I I . Kritik am Parlamentarismus Die K r i t i k an der Demokratie war nicht nur, nicht einmal zuerst die K r i t i k an einer Idee, sondern vielmehr die K r i t i k an konkreten staatlichen Institutionen und Organisationen. I m Vordergrund solch allgemeiner Institutionenkritik stand die K r i t i k am Parlamentarismus als System, d. h. also an einer Regierungsform, i n der die Regierung i n ihrem Bestand von der Mehrheit einer Kammer der Volksvertretung abhängig ist und i n der eine enge Beziehung zwischen der Regierung und den politischen Mehrheitsparteien konstitutiv ist. Ein solcher Antiparlamentarismus, wie er sich i n der K r i t i k darbietet, war wie die antidemokratische Bewegung keine Besonderheit der bayerischen Konservativen in der Weimarer Republik. Sie war eingebettet i n eine allgemeine Bewegung der K r i t i k und der Negation des »Systems*1. Ihre besondere Durchschlagskraft, durch die sie sich auszeichnete, bezog sie dabei von den bekannten Mißständen der Republik selbst, die vor allem an der konkreten Ausgestaltung und am Vollzug der parlamentarischen Regierungsform offenkundig wurden. Hervorstechendster Gegner des parlamentarischen Regierungssystems i n der Weimarer Zeit war Carl Schmitt 2 . Für i h n war es ein überholtes politisches System, das seine Grundlage i n ganz veralteten Gedankengängen habe und deshalb für die moderne Zeit keine Existenzberechtigung besitze. Es war für i h n eine ,künstliche Maschinerie', eine ,leere und nichtige Formalität', ein Schauplatz pluralistischer Machtkämpfe. Schmitt führte seine geistreiche K r i t i k jenseits der Ebene populärer und gängiger Parlamentarismuskritik auf der Ebene einer geistes- und ideengeschichtlichen Betrachtung und versuchte hier, die geistigen Grundlagen dieser demokratischen Institution aufzuspüren 8 . 132
E t w a : 177 (AR). Vgl. Sontheimer, S. 147 ff. 2 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München - Leipzig 21926, 3 1961 B e r l i n ; vgl. auch: 100 (HL), S. 257 - 270. 3 Eine zusammenfassende Darstellung der politischen Philosophie Carl 1
7·
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T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik
Die Form der Parlamentarismuskritik, die uns i n den vorstehenden Zeitschriften begegnet, erstreckt sich allerdings bei weitem auf der Ebene populärer Polemik: die Herrschaft der Parteien, der Mißbrauch parlamentarischer Privilegien, die Ämterpatronage, die Zwecklosigkeit der Parlamentsreden, das sinkende Niveau der politischen Auseinandersetzung, die Verhinderung von Autoritäten usw. Einige markante Thesen einer solchen Polemik herauszuarbeiten, soll i m folgenden die Aufgabe sein. 1. Begriffliches Verständnis
Waren noch bei den bayerischen Konservativen m i t Wort und Begriff ,Demokratie' positive Vorstellungen verbindbar, so ist Wort und Begriff Parlamentarismus' nahezu eindeutig negativ. Hier war es nicht nötig, zur genaueren Kennzeichnung spezifische Wortverbindungen und distinguierende Adjektive zu verwenden. Der Begriff war als negativ klassifiziert. Daher kommt das Wort auch wenig i n besonders rhetorischen Formulierungen vor. H i n und wieder spricht man vom ,parlamentarischen System' 4 , vom ,individualistischen Parlamentarismus' 5 , dem parlamentarischen Regiment' 6 , dem »modernen, sozial auflösenden Parlamentarismus' 7 usw., doch waren diese Verbindungen lediglich literarische Verzierungen, deren Gehalt bereits i m Wort Parlamentarismus' steckte. Es reichte aus, das Wort ohne weitere Verbindungen zu gebrauchen. Die negative Besetzung war eindeutig; u m weitere spezielle begriffliche Füllungen bemühte man sich wenig bis kaum. I m Begriffsfeld Parlamentarismus' kommen vor allem zwei Richtungen vor: die eine geht i n Richtung auf einen relativen und die andere auf einen absoluten Parlamentarismus. Die eine Richtung — geleitet von der Vorstellung alter Ständevertretungen — versteht unter dem Parlament ein Kontrollorgan, das der Regierung gegenübersteht und es kontrolliert und kritisiert; die andere sieht — i m Rahmen eines modernen demokratischen Verständnis — die Regierung i n Abhängigkeit vom Parlament. Beide Richtungen werden Gegenstand der K r i t i k : die eine wegen der Zusammensetzung, wenn sie auf allgemeinen Wahlen basiert; die andere, w e i l sie verfassungsmäßig die oberste Instanz i m Parlament sieht. Eberle unterscheidet beispielsweise zwischen einem Parlamentarismus als ,Institut der Kontrolle gegenüber unabhängig von i h m besteSchmitts gibt Jürgen Filjakowski, Die Wendung zum Führerstaat. Ideologische Komponenten i n der politischen Philosophie Carl Schmitts, K ö l n 1958. 4 12 (HPB1), S. 795. 5 18 (HPB1), S. 93. 6 53 (HPB1), S. 538. 7 Ebd. S. 533.
1. Begriffliches Verständnis
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henden Regierungen' und als ,Institut der Kontrolle und der Führung' 8 . Lerchenfeld sieht das Wesen des Parlamentarismus i n der ,Beteiligung des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten durch seine Vertretung'. „Volkssouveränität ist keine Voraussetzung für diese Regierungsform, nur . . . eine Begründung 9 ." Für Lerchenfeld ist der Parlamentarismus die Erscheinungsweise der Demokratie, verhalten sich Demokratie und Parlamentarismus wie Begriff zu Erscheinung 10 . Eine Verbindung zwischen Parlament und Souveränität sieht dagegen Otto Kunze 1 1 . Auch für Eugen Amelung scheint sie unter den gegenwärtigen Umständen zu bestehen. Doch sieht er die Entwicklung zu „einer Verstärkung der Vollzugsgewalt auf Kosten der gesetzgebenden Gew a l t " 1 2 , d. h. er sieht für die Zukunft eine Zurückdrängung der Parlamente zugunsten ,überragender politischer Persönlichkeiten' 18 , also eine Entwicklung zu einem relativen Parlamentarismus. Für Heinrich Staab liegt i m parlamentarischen System' der Schwerpunkt der Staatsleitung unmittelbar i n der Volksvertretung 1 4 , und für Heinrich Klinkenberg geschieht i m Parlamentarismus die Regierungsbildung ,νοη unten her' 1 5 . — Hier also zweimal der Begriff eines absoluten Parlamentarismus, dem bei Klinkenberg auch der eines relativen gegenübergesetzt wird. Er legt ein Bekenntnis ab zu einem „autoritativ geleiteten Staatswesen, i n dem das Parlament die Rolle eines Kontrollorgans übernimmt" 1 6 . A n einigen wenigen Stellen w i r d der Begriff neutral verwendet; so etwa i n einem kritischen Aufsatz zum zweiten Entwurf der deutschen Reichs Verfassung i n den ,Historisch-politischen Blättern'. Hier w i r d als sein Wesen die Vorherrschaft des Parlamentes angegeben, und zwar w i r d eingeräumt, daß es u m eine positive Lösung des Problems der Bindung und Beschränkung der Staatsgewalt bemüht ist. Leitender Gedanke sei zwar der Wille der größten Zahl und das Gesetz der Mehrheit, dennoch beruhe aber auch der Idealtypus dieser Staatsform auf der Herstellung eines inneren Gleichgewichtes der Gewalten. M i t einer begrifflichen Unterscheidung zum anstehenden Zusammenhang operiert auch Franz Xaver Hoermann i n den ,Historisch-politi8
228 (NR), S. 876. 259 (NR), S. 674. 10 Ebd. 11 244 (NR), S. 835. 12 173 (AR), S. 581. 13 Ebd. 14 176 (AR), S. 85. 15 139 (AR), S. 104. 16 Ebd.; vgl. auch: 11 (HPB1), S. 712 f. 9
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T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik
sehen Blättern'. Er unterscheidet zwischen einem ständischen (bzw. korporativen) und einem ,individualistischen Parlamentarismus' 17 . Der Begriff eines ständischen Parlamentes kommt vor i n einem Zitat von Donoso Cortés, das angesichts des »revolutionären Parlamentarismus' gesprochen worden sei: „Gebt m i r ein Parlament, das die Stände nicht beseitigt, und zwar deshalb, weil die Stände für die Gesellschaft das sind, was die Einheitlichkeit für die Staatsgewalt ist, nämlich die notwendige Voraussetzung ihrer Existenz 1 8 ." Dieser Unterscheidung entspricht auch die zwischen einem englischen Parlamentarismus und einem solchen, der seit der Französischen Revolution datiert. M i t letzterem habe man es i n Deutschland zu tun. Er gehe auf das Jahr 1789 und weiter zurück, letztlich bis zur Rezeption des Römischen Rechtes. Ein solcher Parlamentarismus habe aber nichts mit dem englischen zu tun, vor allem nichts m i t dem alten englischen Parlament 1 9 . „Das alte englische Parlament war eine aristokratische Körperschaft, die Vertretung der Self governments 20 ." I n solchen Formulierungen deuten sich schon erste Vorbehaltsmomente an. Sie entstammen dem Bereich der Autoritäts- und Obrigkeitsvorstellungen, die dahingehen, i n der Regierung eine unabhängige staatliche Instanz zu sehen und dem Parlament lediglich die Funktion einer Kontrolle zuschreiben wollen. Die Erwartung geht nahezu eindeutig i n Richtung auf einen Abbau des Parlamentarismus i n Deutschland, sei es, daß man i h n von der Entwicklung erwartet, sei es auch, daß man zu einer entsprechenden politischen A k t i v i t ä t aufruft. Ein anderes Moment kommt aus der ständisch-korporativen Vergangenheit dieses Konservativismus und der von daher bestimmten Lieblingsidee eines ständischen Parlaments. 2. Wertende Einstellungen
Vorbehalte, wie sie sich i n der begrifflichen Fassung teilweise schon andeuteten, brechen natürlicherweise deutlicher durch, wo es sich u m Formulierungen handelt, die sich auf die Beurteilung und Einschätzung des Parlamentarismus beziehen. Hier w i r d vor allem sichtbar, daß es sich nicht nur u m sachlich begründete Skepsis oder Einwände handelt: Es geht i n vielen A r t i k e l n nicht mehr u m K r i t i k oder auch nur u m Unverständnis, sondern es geht u m eine klare Negation. Viele Formulierungen klingen wie Kampfansagen. Freilich, solche Offensiven waren 17
24 (HPB1), S. 346. 53 (HPB1), S. 529; zit. aus: Donoso Cortés , Die Kirche u n d die Zivilisation, übers, v. H. Abel, München 1920, S. 74. Vgl. auch 77 (HPB1), S. 399. 19 53 (HPB1), S. 531. 20 Ebd. 18
2. Wertende Einstellungen
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nur verbal — jedenfalls i n den hier behandelten konservativen Kreisen. Aber die Vermutung geht doch sehr stark dahin, daß solche Hetztiraden und unsachlichen Unterstellungen ihre Wirkung auf die Mentalität vieler nicht verfehlten. Wo der Kampf gegen den negierten staatlichen Zustand zur Gewohnheit und zum Stil wird, wo mehr oder weniger einheitliche Einstellungen ständig internalisiert werden, kann die Einwirkung auf die Mentalität nicht ausbleiben, muß die Augenblickseinstellung zur durchhaltenden Haltung werden. So entsteht ein Mentalitätspotential, das sich zunächst zwar rein i m verbalen und bewertenden ,Anti' ausw i r k t , immerhin aber offen bleibt für politische und praktisch-agitatorische Impulse, die i n einem so aufbereiteten Boden fruchtbare Erde finden werden. Die antiparlamentarische Einstellung hält sich nahezu vollständig durch i n den,Historisch-politischen Blättern', den,Gelben Heften' und i m ,Neuen Reich'. Die ,Allgemeine Rundschau' bietet, wie auch sonst, die Plattform für eine pluralistische Haltung. Parlamentarier wie Anti-Parlamentarier erhalten Raum für ihre Meinung. Doch überwiegt die Anzahl der Antiparlamentarier. I m ,Hochland' und i n den ,Stimmen der Zeit' endlich setzt sich zunehmend die Haltung der Demokratie und des Parlamentarismus durch, wenngleich dieser Prozeß explizit wenig i n Erscheinung tritt. Ohne sich groß auf Einzelphänomene des Parlamentarismus einzulassen, t r i t t das ,Neue Reich', allen voran Josef Eberle, m i t globalen Verurteilungen und diffamierenden Ablehnungen auf. Josef August L u x spricht vom Parlament als dem parasitären Organismus' 21 , Otto Kunze vom ,Sumpf des Parlamentarismus' 22 und Josef Eberle gar hat Sehnsucht nach einem Cromwell, der ,das Parlament . . . zum Teufel' jage 2 3 , denn der Parlamentarismus sei aus sich selbst heraus nur zu Taten ,voller Schwäche, Halbheiten, Widersprüche' 24 fähig. Und i n den ,Historischpolitischen Bättern' wünscht Hoermann dem Parlamentarismus gleich ohne Umschweife den Tod: „Das Parlament verdient den Tod. Wer nur schwätzt, verdient zu sterben 25 ." Neben solchen Globalurteilen gibt es eine Reihe von Aussagen, die zwar ebenso unmißverständlich global gemeint, aber doch schon erste 21
240 (NR), S. 736. 244, S. 835 (NR); vgl. auch 178 (AR), S. 281. 23 230 (NR), S. 128. 24 228 (NR), S. 876. Auch Lerchenfelds U r t e i l ist insgesamt negativ. Der Parlamentarismus habe i n seiner rationalen Ausgestaltung versagt, schreibt er 1925, 260 (NR), S. 702. 25 29 (HPB1), S. 23 A n m . 1. Dieser Ausspruch ist nach Angabe v o n Hoermann ein Zitat des Dr. Georg Heim, den dieser als damaliger Bauernführer am 24. M a i 1916 gemacht hat. Vgl. auch 53 (HPB1), S. 538. 22
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inhaltliche Vorbehalte andeuten. Ein solcher Komplex von Einstellungen negierender A r t sind die Verbindungen zwischen Parlamentarismus und politischer Ohnmacht. So schreibt etwa Eberle: „ I n den normaleren Zeiten vor dem Kriege haben die Intellektuellen Europas immer mehr zu fluchen begonnen über den übermächtigen Parlamentarismus angesichts seiner Unfruchtbarkeit, seiner verwirrenden, verhetzenden, alles Stabile und Feste i n Hast, Nervosität, Spiel, Intrigue auflösenden Tätigkeit. Und nun soll der allmächtig gewordene Parlamentarismus Völker aus tiefesten Niederlagen und Sümpfen emporheben? Dazu noch ein Parlamentarismus, aus dessen Reihen der Intellektuelle immer mehr verbannt wird, i n dessen Reihen der ungebildete und halbgebildete Spießer von der Straße immer mehr Platz gewinnt 2 6 ?" Weiterhin w i r d der Parlamentarismus — i n einer A r t weiterentwickelter Dolchstoßlegende — als ein Hemmschuh für die ,Wiedergesundung 4 des Vaterlandes angesehen 27 . Er ist eingeführt ,im Schlepptau der Sozialdemokratie 4 und aus ,Angst vor i h r ' 2 8 , und seine Herkunft ist revolutionär: „Der Beginn des politischen Umsturzes i m Deutsche Reiche — schreibt Hoermann — war nicht der 8. November des Jahres 1918. Der Umsturz des Staates setzte bereits Monate früher: m i t der Parlamentarisierung ein. . . . Denn der Parlamentarismus moderner Form ist, wie Donoso Cortés darlegt, revolutionär. Seine Umgestaltung zum zentralen Regierungsorgane war die Revolution von oben, der die Revolution von unten i n kurzem folgen mußte 2 9 ." Die Beziehung zur Demokratie und damit die Einbeziehung aller Vorbehalte gegenüber der Demokratie betont ebenfalls Hoermann. Was gegen die Demokratie allgemein angeführt wird, w i r d auch auf den Parlamentarismus angewandt. So ist für Hoermann der Parlamentarismus eine notwendige Folgerung aus der ganzen Irrlehre, aus dem „brüchigen Bau der modernen Demokratie heraus . . . und verkörpert nach außen ihre gesamte falsche, unchristliche Staatsauffassung. I n seiner praktischen Betätigung ist das parlamentarische Regierungssystem die Stätte ewiger Kompromisse und Halbheiten, der Tagesarbeit ohne weitsteckende Ziele, ist es Gebundenheit an die vorherrschende kapitalistische Presse, Herrschaft der jeweiligen Mehrheit über die zahlenmäßige Minderheit i n buntem Wechsel; verdunkelt die Grundsätze der Parteien und leistet der Oberflächlichkeit und Halbheit Vorschub, ist endlich der Tummelplatz der Schlauen und Rücksichtslosen und läßt keine wahren Geistesgrößen obenankommen" 30 . 26 27 28 29 30
228 (NR), S. 876. 178 (AR), S. 281. 18 (HPB1), S. 93. 33 (HPB1), S. 525; vgl. auch 178 (AR), S. 282. 46 (HPB1), S. 571 f.
2. Wertende Einstellungen
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Dagegen liest man nicht ohne Verwunderung i n der »Allgemeinen Kundschau' Zeilen aus der Feder eines Konrad Beyerle. Als Mitglied der verfassungsgebenden Nationalversammlung und als BVP-Abgeordneter i m Reichstag war er als Jurist maßgeblich an der Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung von bayerischer Seite mitbeteiligt. Bereits vor dem Kriege war er als Vertreter demokratisch-parlamentarischer Ideen hervorgetreten 31 . Sein Ziel ist der Interessenausgleich verschiedener gesellschaftlicher und politischer Gruppen. Die Erstellung der Weimarer Reichsverfassung bedeutet für ihn, die sozialistische Revolution verhindert zu haben. Die Revolution von 1918 betrachtet er als gescheitert, da entscheidende Faktoren des Staatslebens nicht verändert wurden: Verwaltung, Rechtsprechung und Legislative 3 2 . Energisch setzt er sich für die Anerkennung der Verfassung und ihrer ideellen und institutionellen Grundlagen ein: für Demokratie und Parlamentarismus 33 . Er ist auch der einzige, der den vergiftenden Einfluß der konservativen Kampagnen gegen Demokratie und Parlamentarismus erkennt und i h n als verantwortungslos anprangert: „ I n gewissen Kreisen gehört es heute zum guten Ton, gegen Parlament und Demokratie loszuziehen. Man hofft damit der Wiederkehr vergangener Zustände den Weg zu bereiten. M i t unverholener Freude w i r d da zusammengetragen, was sich gegen Autorität und Ansehen derer vorbringen läßt, die heute die wenig dankbare Aufgabe auf sich genommen haben, ihre beste K r a f t i n den Dienst der Allgemeinheit zustellen. Nicht genug, daß das Parlament als Institution, daß insbesondere das parlamentarische Prinzip bekämpft, lächerlich gemacht, als ,Redebedürfnisanstalt' m i t Schmutz beworfen wird, auch den einzelnen Abgeordneten flickt man gern am Zeuge und spricht von ,Korruption', die ihnen allzu leicht anhafte. Ich w i l l heute nicht davon reden, daß bis jetzt noch niemand einen brauchbaren Weg gezeigt hat, wie der politische Wille der Nation und der einzelnen Länder sich ohne Parlament und zugleich ohne Gewalt und Unterdrückung aller bürgerlichen Freiheitsrechte soll durchsetzen können. Man schädigt aber das Ansehen und die Autorität des Parlaments noch viel mehr durch ungerechtfertigte Angriffe auf einzelne Abgeordnete, mögen sie nun offen oder versteckt vorgebracht sein 3 4 ." Zwischen diesen beiden Positionen der Ablehnung und der Bejahung steht die Haltung derer, die i n der Tendenz am Parlamentarismus eine
31
Vgl. Weisz, S. 547. Ebd. S. 547 ff. Vgl. dazu auch den A r t i k e l »Beyerle 4 von Julius Federer, i n : StL, 6. Aufl., 1. Bd., Sp. 1243 - 1246. 33 Vgl. auch seine Broschüre: Parlamentarisches System oder was sonst?, München 1921. 34 190 (AR), S. 294. 82
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T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik
Reihe von Mängeln erkennen, aber doch zugeben, daß ohne i h n nicht auszukommen sei 35 . 3. Inhaltliche Vorbehalte
Die inhaltlichen Vorwürfe und Einwände lassen sich i m Grunde auf drei Punkte reduzieren. Sie kreisen zunächst einmal um die Form der Zusammensetzung der Parlamente. Die allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen sowie das Mehrheitsprinzip werden als untaugliche M i t t e l angesehen, das Volk zu repräsentieren, und seien geeignet, den wahren Volkscharakter zu vergewaltigen. Hier geht man i n der Argumentation sehr stark von ständischen und korporativen Gedankengängen aus. Hauptverfechter dieser Richtung sind die ,Historisch-politischen Blätter' und ihr Hauptautor Franz Xaver Hoermann. Ein zweiter Punkt beklagt die fehlende Staatsautorität des neuen Staates. Die fehlende Sichtbarkeit staatlicher Macht und Würde, dazu eine offensichtliche Unfähigkeit parlamentarisch-demokratischer Instanzen, auf parlamentarisch-institutioneller Basis demokratische Politik zu machen, denn es gelang dem parlamentarischen Staat nicht, Integrationskraft aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte zu werden. Die Diagnose der parlamentarischen Krise von Weimar, die als einen Punkt eine solche mangelnde Integrationskraft beinhaltete, als einen anderen eine allgemeine Restitution obrigkeitsstaatlicher Zustände, getragen von einer irrationalen Sehnsucht nach der Vergangenheit 36 — diese diagnostischen Ansätze treffen auch für Bayern zu, doch haben sie hier ihre besonderen Konkretionen. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit, insbesondere i n ihren autoritären Staatsinstitutionen trieb i n Bayern ihre besonderen Blüten. Nicht, daß es bis 1924 gedauert hatte, bis sich die Mehrheitspartei, die Bayerische Volkspartei, entschloß, einen eigenen Fraktionsangehörigen für das A m t des Ministerpräsidenten zu benennen, während sie zuvor dreimal auf Angehörige der höheren Ministerialbürokratie zurückgriff 3 7 , nein, die Umstände der Regierungsbildung nach dem Kapp-Putsch 38 , die Ernst Deuerlein m i t der Formulierung ,Wende zu 35
143 (AR), S. 15; 182 (AR), S. 541; 168 (AR), S. 653; u n d 117 (SdZ), S. 247 f. Vgl. Bracher I, S. 26 ff.; 31 ff.; u n d 44 ff. 37 Dem ersten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, Johannes Hoffmann, der anläßlich des Kapp-Putsches i n München (13. 3. 20) aus internen Kabinettsstreitigkeiten seinen Rücktritt einreichte (vgl. Schwend I, S. 148 ff.), folgten die Ministerialbürokraten Gustav v o n K a h r (1920-21), Hugo Graf Lerchenfeld-Köfering (1921 - 22) u n d Eugen v o n K n i l l i n g (1922 - 24) als M i nisterpräsidenten (vgl. dazu Schwend I, S. 151 ff.; 182 ff.; u n d 199 ff.). Eine ausführliche Charakterisierung der Persönlichkeiten gibt auch Georg Franz-Willing , Die Hitlerbewegung. Der Ursprung 1919 - 1922, H a m b u r g 1962, S. 199 ff.; 211 ff. u n d 226 ff. 38 Der Zusammenhang zwischen dem Kapp-Putsch u n d dem Regierungsrück38
3. Inhaltliche Vorbehalte
107
K a h r ' 3 9 bezeichnet h a t ; die P e r s o n des D r . G u s t a v v o n K a h r 4 0 u n d die R o l l e , w e l c h e die i h n t r a g e n d e n E i n w o h n e r w e h r e n s p i e l t e n 4 1 ; d a n n die D i s k u s s i o n u m das A m t des G e n e r a l s t a a t s k o m m i s s a r s 4 2 u n d die E r n e n n u n g K a h r s z u e i n e m solchen, m i t D i k t a t u r v o l l m a c h t e n ausgestatteten obersten E x e k u t i v o r g a n 4 3 ; schließlich d e r R u f nach e i n e m bayerischen S t a a t s p r ä s i d e n t e n — a l l dies s i n d b e g l e i t e n d e politische u n d geschichtliche E n t w i c k l u n g e n , die die bayerischen K o n s e r v a t i v e n i n i h r e m R u f nach d e m s t a r k e n M a n n n u r b e s t ä r k e n k o n n t e n . Das p a r l a m e n t a r i s c h e S y s t e m h a t t e i n i h r e n A u g e n gerade deshalb versagt, w e i l es das P r o b l e m e i n e r s t a a t l i c h e n A u t o r i t ä t , w i e sie sie v e r s t a n d e n , n i c h t gelöst h a t t e , n i c h t lösen k o n n t e . A b e r sie d u r f t e n u m so m e h r a u f W i r k s a m k e i t f ü r i h r e P a r o l e n gefaßt sein, i h r e A r g u m e n t e u n d S c h e i n a r g u m e n t e schienen u m so p l a u s i b l e r z u k l i n g e n — j e m e h r sich das p a r l a m e n t a r i s c h e S y s t e m außerstande zeigte, l e e r g e w o r d e n e staatliche F u n k t i o n e n a u s z u f ü l l e n u n d t r i t t Hoffmans ist umstritten. Es k a n n hier auf die Kontroverse nicht eingegangen werden. Vgl. dazu: W. G. Zimmermann, S. 82 ff.; auch Schwend I geht ausführlich auf den Kapp-Putsch ein: S. 143ff.; vgl. dazu auch die Darstellungen des Demokraten Ernst Müller-Meiningen, der Justizminister i m Kabinett H o f f mann w a r : Ε. M.-H., Aus Bayerns schwersten Tagen. Erinnerungen u n d Betrachtungen aus der Revolutionszeit, B e r l i n 1923, S. 230 ff.; von sozialdemokratischer Seite: Die bayerische Sozialdemokratie. V o m 8. November 1918 bis 2. J u n i 1920, München 1921, S. 105 ff. 39 „ D i e ,Wende zu K a h r ' . . . bedeutet zunächst den Verzicht auf die volle parlamentarische Regierungsform. Die politische Verantwortung w i r d Angehörigen der Ministerialbürokratie überlassen, die i n Bayern zu keiner Zeit v o r der Gefahr bewahrt sind, Verwalten als Regieren anzusehen u n d auszugeben. Die »Wende zu K a h r ' ist eine E r m u t i g u n g der Stimmungen u n d Kräfte, die aus den verschiedensten Gründen das republikanische Reich ablehnen. Die ,Wende zu K a h r ' ist schließlich ein Sieg derer, die zehn Monate vorher, i m M a i 1919, v o n den maßgebenden polizeilichen Positionen . . . i n München Besitz ergriffen h a t ten" (Ernst Deuerlein, Der Freistaat Bayern zwischen Räteherrschaft u n d Hitler-Putsch, i n : ,Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte' 14 (1964), Heft 44, S. 3 - 24, S. 5.) 40 Es k a n n hier nicht weiter auf die Persönlichkeit i m einzelnen eingegangen werden. Bezeichnend u n d aufschlußreich i n diesem Zusammenhang ist jedoch die Charakteristik, die G. F r a n z - W i l l i n g unter Berufung auf den Nachlaß von Dr. Hans Schmelzle, einem hohen Beamten u n d späteren Finanzminister, gegeben hat: „Dr. Gustav von K a h r w a r ein untadeliger königlicher Beamter, ein tiefreligiöser Protestant, i m innersten Wesen Romantiker u n d von starker Abneigung gegen P o l i t i k erfüllt. Die Übernahme der politischen Verantwortung als Ministerpräsident bezeichnete er als das schwerste Opfer seines Lebens u n d ,als die größte Eselei'. F ü r P o l i t i k habe er zehn Daumen, erklärte er zu Beginn seiner Ministerpräsidentschaft. Streng monarchisch gesinnt, w a r er ein heftiger Gegner der Revolution u n d der aus i h r hervorgegangenen neuen V e r hältnisse. Weder die Reichsverfassung noch die neue bayerische Verfassung erachtete er des Lesens würdig. ,Ich lese sie nicht, erst die nächste lese ich', pflegte er zu sagen." (Franz-Willing, S. 199.) 41 Z u m Problem der bayerischen Einwohnerzahlen vgl. Schwend I, S. 159 ff. u n d das 12. K a p i t e l i n : Speckner. 42 Vgl. Schwend I, S. 215 ff. 43 Vgl. W. G. Zimmermann, S. 154 ff. u n d : Leo Hoch, E i n Staatspräsident i n Bayern, Diss. Würzburg 1931 ; ebenso den A r t i k e l 166 (AR).
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T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik
seinen Führungsanspruch als oberste gesellschaftliche und politische Integrationsinstanz zu behaupten. Diese Lage mußte dazu führen, daß sachlich-kritische und abwertend-negierende Argumente friedlich nebeneinander herumgereicht wurden, ohne daß man groß auf ihre Unterschiede einging. Oft reichte das ,Anti' i n der Formulierung — das ,Anti' des Gefühls trug es zu entsprechender Wirksamkeit. Ein weiterer Komplex von Vorbehalten gegenüber dem Parlamentarismus ergab sich durch eine Übertragung der Einwände gegen die Demokratie auf den Parlamentarismus. Sie lassen sich insgesamt dahingehend summieren, als der Parlamentarismus als ein Werkzeug i n den Händen sachfremder Mächte abqualifiziert wurde. Diese drei hauptsächlichen Thesen also sollen i m folgenden zur übersichtlichen Darstellung kommen: Der Parlamentarismus als sozial auflösender Mechanismus, welcher der natürlichen Gliederung des Volkes nicht gerecht werde 4 4 ; der Parlamentarismus als Mißachter der Autorität; und der Parlamentarismus als Werkzeug sachfremder Mächte. a) Der Parlamentarismus
wirkt
sozial
auflösend
Für die Vertreter einer Auffassung, nach der ein jedes V o l k eine seinem Charakter entsprechende organische und somit ,natürlich vorgegebene' Struktur hat, muß eine politische Institution wie der auf gleichem Wahlrecht fußende demokratische Parlamentarismus etwas Unverständliches sein. I n seiner damaligen Form jedenfalls wurde er als der gerade Widerspruch gegen das Stände- und Korporationswesen verstanden. Er war der Repräsentant des Individualismus und des gleichmacherischen Atomismus. Eine Passage i n den ,Historisch-politischen Blättern' verdeutlicht dies: „ . . . der Gedanke und die Forderung der einzelmenschlichen Autonomie und des antisozialen Individualismus haben erstens die alten Stände bzw. ihre rechtliche Stellung und Gliederung beseitigt; sie haben, als Folge dieser Atomisierung des Volkes oder der Gesellschaft, zweitens das rein politische Parlament und das 44 Merkwürdigerweise hat W. G. Zimmermann, S. 186 f., sich noch i n den fünfziger Jahren diese Diagnose zu eigen gemacht. E r spricht v o n einem ,formidablen Versagen des bayerischen Parlamentarismus' u n d pflichtet dem A R - A u t o r Franz Wetzel bei, daß „ m i t der Parlamentarisierung ein verletzender Eingriff i n das . . . politische Wachstum geschehen sei" (ebd. S. 187), die Parlamentarisierung sei — so zitiert er zustimmend Wetzel — „ ,eine Todsünde w i d e r die innere S t r u k t u r des bayerischen Volkes' " (ebd.). Zimmermann bedauert die Abschaffung der Monarchie i n Bayern u n d gibt noch i n den fünfziger Jahren den Rat, an die Traditionen von v o r 1918 anzuknüpfen: „Gerade darin, daß eine politische Renaissance sich genau so vollziehen könnte, w i e es den heute noch verbliebenen politischen K r ä f t e n entspricht, könnte sich der bayerische Staat als ein monarchischer u n d demokratischer, könnte sich der deutsche Staat als ein föderalistischer u n d freiheitlicher wahrhaft erneuern." Ebd. S. 175.
3. Inhaltliche Vorbehalte
109
Parteiwesen, die unorganische und sich täglich ändernde Massenzusammenfassung der Individuen hervorgerufen; und sie haben damit dem Staate die denkbar ungeeignetste, unnatürlichste und unsicherste ,Grundlage' und Voraussetzung geschaffen 45 ." Der Vorwurf gegen den Parlamentarismus läuft also darauf hinaus, daß er dem wirklichen sozialen Leben nicht gerecht werde; i m Gegenteil, er zerstöre die wirklichen natürlichen Grundlagen desselben, ebne sie ein und mache dem sozial tötenden Prinzip der Zahl die Bahn frei. Dieser Gegensatz: Ständewesen — Parlamentarismus erhält seine rationalisierende Illustration durch eine Unterscheidung der Rechtstheorie. Es w i r d von einer römischen und von einer christlich-germanischen Rechtsund Staatsauffassung gesprochen. Für die eine Position sei ,Gesetz' die normale Form der Rechtssetzung; für die andere das Gewohnheitsrecht die anerkannt sittliche Norm 4 6 . Der einen entspreche der Parlamentarismus, der anderen die Ständeverfassung. „Während die vom römischen Staatsgedanken ausgehende Auffassung eine von Natur aus organisierte menschliche Gesellschaft nicht kennt, sondern nur Staatsbürger, Wähler, Listennummern, also trennt und i n Menschenatome zersplittert, ist das Ständewesen die Staatsform, welche schon von sich aus organisatorisch w i r k t , w e i l es den Menschen nicht als Zahl, sondern als Mensch erfaßt, als Mensch i n seiner natürlichen Eigenschaft, i n seiner Rechtsstellung, i n seinem Beruf 4 7 ." Unausgesprochen bleibt i m vorstehend zitierten A r t i k e l die bereits angelegte Behauptung, daß der Parlamentarismus aufgrund seiner falschen Konstruktion dem wahren Volkscharakter nicht gerecht werden könne. Was es brauche, sei die ,rechte Führung', die aus dem ,vollen, ungebrochenen, freilich zuweilen auch überschäumenden Leben des (bayerischen, d. V.) Volksinstinkts' einen ,organischen Volksgemeinschaftsstaat' bilde 4 8 . Franz Wetzel, von dem diese Formulierungen stammen, hatte bereits drei Jahre zuvor i m ,Neuen Reich' von einer ,im Volk lebenden kraftvollen Idee' gesprochen, an der sich seiner Vorstellung nach parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse möglicherweise reiben könnten. Parlamentsminderheiten könnten zwar niedergestimmt, nie jedoch könne eine solche ,im Volke lebende kraftvolle Idee' aus der Welt geschafft werden 4 9 . Gegenüber dem Gedanken einer Volksvertretung w i r d also der eines Volkscharakters, gleichsam einer Volksseele, entwickelt. A n i h m hätte sich ein Parlament zu bewähren, wenn nicht i m vorhinein 45 46 47 48 49
53 (HPB1), S. 526. 77 (HPB1), S. 398. Ebd. S. 399. 194 (AR), S. 565. 225 (NR), S. 584.
T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik
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feststünde, daß es schon allein aufgrund seiner Konstruktion und Zusammensetzung i h m nicht gerecht werden kann. I n den meisten A r t i k e l n der ,Historisch-politischen Blätter', auf die hier vornehmlich Bezug genommen wird, w i r d der Gedanke einer (freilich nur beratenden) Volksvertretung nicht abgelehnt. Man ist zwar gegen den ,modernen, individualistischen Parlamentarismus', gleichzeitig aber für ,eine der natürlichen Struktur des Landes und Volkes angepaßte Vertretung' 5 0 . Eine politische Instanz wie das Parlament verfälsche, ja vergewaltige letztlich nur den wahren Volkswillen 5 1 . Einer der Hauptangriffspunkte innerhalb einer K r i t i k am Parlamentarismus war das Wahlrecht. Das Wahlrecht der Weimarer Republik hatte ja i n dem Bemühen, möglichst vielen Minderheiten eine politische Vertretungschance einzuräumen, versäumt, das jeweilige Zustandekommen einer regierungsfähigen Mehrheit institutionell zu kanalisieren. So kam es i m Reichstag zu einer Vielzahl von Parteien, die zudem noch durch eine mangelnde Koalitionsbereitschaft und -fähigkeit auffielen, w e i l man es nicht gelernt hatte, Kompromisse zu schließen. Der Begriff ,Kompromiß' war für viele wohl nur i n der Vorstellung des ,faulen Kompromisses' vorhanden. Es galt nichts, praktizierbare Meinungsangleichungen zu vollziehen und gemeinsam politisch und sozial den Staat und die Gesellschaft zu gestalten — sondern man wähnte sich als Wächter von Wahrheiten, beschäftigte sich damit, das Unverzichtbare zu pflegen und herauszustellen, und hatte Angst, zu viel geistiges Terrain preisgeben zu müssen. Die rationale Basis der Demokratie, i n Alternativen denken zu können, fehlte bei vielen. Für viele konservative Denker, insbesondere aus dem Kreis der hier behandelten Zeitschriften, bedeutete Politik, bedeutete eine Vertretungskörperschaft wie das Parlament ein Instrument, das natürliche Vorgegebenheiten zu repräsentieren hatte. Es war gleichsam das Organ, i n dem der Volkscharakter, der Volkswille i m plebiszitären Sinne sichtbar wurde und sich artikulierte. Fern war der Gedanke an ein zähes Ringen u m Ausgleich, u m Beschlüsse, die von einer breiten Mehrheit getragen wurden und damit die Aussicht besaßen, auch i m Volke eine entsprechende Anhängerschaft zu finden. Dieser Mechanismus funktionierte nicht, w e i l es an entsprechenden Haltungen und auch philosophisch-weltanschaulichen Einstellungen fehlte. Deshalb bot sich dieser Mechanismus als äußerst krisenanfällig dar. Bereits kurz nach Installierung der neuen Republik entbehrte die Regierung i n Berlin der Mehrheit i m Parlament, waren die bürgerlich-sozialdemokratischen Kabinette und später die bürgerlichen Minderheitskabinette nicht von einer Mehrheit getragen, sondern lediglich toleriert. Diese 60 61
18 (HPB1), S. 93. 59 (HPB1), S. 99
3. Inhaltliche Vorbehalte
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Tatsache zog ein großes Gefühl der Unsicherheit nach sich und machte die Regierungen äußerst krisenanfällig. Der häufige Wechsel an der Spitze der Regierung war nur ein Symptom dafür. Kritisiert wurde das Verhältniswahlsystem. Aber die K r i t i k zielte weiter; sie zielte vor allem auf die Tatsache, daß eine jede Stimme gleiches Gewicht haben sollte. Bei einem Autoritäts- und Hierarchiedenken, wie es i n Kreisen u m die ,Historisch-politischen Blätter' vertreten wurde, war es schier unbegreiflich, daß die Stimme eines Professors von den Stimmen zweier ,Dienstmädchen' aufgehoben werden konnte. Verächtlich w i r d darum i n diesem Zusammenhang von der ,Summenauffassung' des Staates gesprochen. Er kenne nur Zahlen, keine Individuen. Die Stimmen würden lediglich gezählt, nicht gewogen; und das Bestreben gehe dahin, den Zahlenmechanismus so auszubauen, daß nur ja kein Summand verloren gehe 52 . „Aber die Tragik liegt darin, daß, je mehr dieses Verhältniswahlsystem ausgebaut wird, u m so weniger das Volk zu sagen hat bei der Auswahl der Volksvertreter; daß vielmehr die Aufstellung der Kandidaten immer mehr i n die Hände der Parteivorstände gegeben w i r d und das Volk diesen Beschlüssen sich beugen muß 5 3 ." Über allgemeine Verdächtigungen hinaus geht dabei ein anderer Artikel, der u. a. die Listenwahlen aufs K o r n nimmt und dabei ins Schwarze t r i f f t 5 4 . Die ,freie Einzelpersönlichkeit' habe lediglich die Listen zu akzeptieren, die i h m von den Parteivorständen vorgesetzt werden. Das bestehende Wahlsystem wurde m i t dieser K r i t i k an einer empfindlichen Stelle getroffen. Von einer gleichberechtigten Mitbestimmung und Mitbeteiligung aller am politischen Entscheidungs- und Exekutivprozeß kann i n Massendemokratien — i n frisch installierten zumal — keine Rede sein. Doch die K r i t i k ging fehl, wenn man von Diktatur i n den Parteien sprach. Zwar gab es kraft A m t und Position i n Partei und Staat Privilegierte, teilweise neue Privilegierte, doch diese nur kraft Votum. Und ein Votum war grundsätzlich änderbar. Die K r i t i k tat sich aber vor allem deshalb so leicht, als offensichtliche Mißstände angeprangert w u r den; für die grundsätzliche Alternative aber, das Stände- und Korporationswesen, mußte auf eine ferne, glorifizierte Vergangenheit oder eine noch fernere sehnsuchtsvoll erwartete Zukunft verwiesen werden. Ein realistischer Vergleich zwischen beiden Systemen fand nicht statt. Der eine triumphierte i n geblendeter Besserwisserei, der andere schlug sich halt mehr schlecht als recht gerade so durch. „ M a n ist i n der letzten und noch fortdauernden Revolution von der individuellen oder persönlichen Wahl i n naturgemäßer Entwicklung zu 52 53 54
46 (HPB1), S. 571. Ebd. 53 (HPB1), S. 537.
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ihrem Gegensatze, zur Massen-, d. h. Listenwahl gelangt. Nicht die freie Einzelpersönlichkeit wählt heute, sondern die befehlende Partei, i n Wirklichkeit die paar treibenden Kräfte derselben. Wenn die Abgeordneten eines halben Landes nach einer von einem wenig bekannten Parteikomitee aufgestellten Liste gewählt werden müssen, wenn keine Streichungen usw. erlaubt sind, dann wählt eben jener wenigköpf ige Parteiausschuß — und die Wählermasse akzeptiert gehorsam die von i h m beliebte Auswahl. Die Diktatur i n den Parteien ist heute gesetzlich befestigt durch die Einrichtung der Listenwahl. Die Wahlfreiheit ist i m modernen revolutionär-demokratischen Staate — Humbug geworden 5 5 ." Auch Lerchenfeld wendet sich i n seinen Artikeln, die er als zurückgetretener bayerischer Ministerpräsident i m ,Neuen Reich' — allerdings nicht ohne relativierende Vorbemerkungen der Schriftleitung — veröffentlicht, gegen das Verhältniswahlrecht. Es sei zu rational konzipiert und werde der Struktur der Bevölkerung nicht gerecht. Dennoch aber bekennt er sich zu der Auffassung, daß es die Parteien begünstigt, die ein notwendiger Bestandteil des parlamentarischen Wesens bildeten 5 6 . Einen gewissen Raum nimmt auch der Streit u m die rechte Vertretung des Volkswillens ein. Teilweise — so etwa bei Hoermann — w i r d der Begriff abgelehnt oder nur i n Anführungszeichen gebraucht 57 , teilweise w i r d er übernommen und verwendet 5 8 . Der Wille des Volkes, oder auch nur eine Vertretung des Volkes — darin sind sich auch die Konservativen einig — solle seine Vergegenständlichung finden, damit das Volk an der Entwicklung des Staates — beratend freilich — m i t w i r k e n kann 5 9 . Der Vorwurf, der auf dieser Ebene dem Parlamentarismus gegenüber erhoben wird, geht dahin, daß behauptet wird, i m demokratisch-parlamentarischen System werde der Wille des Volkes nicht nur nicht angemessen vertreten, sondern sogar verfälscht, vergewaltigt 6 0 und unterdrückt 6 1 . „Der moderne Parlamentarismus und die modernen Parteien vermögen den ,Willen des Volkes' nicht zur Geltung zu bringen. Der Parlamentarismus, das ,System von Fiktionen', hat i n diesem Sinne abgewirtschaftet. Soll das Volk an den Aufgaben und der Entwicklung des Staates mitwirken, dann kann es nur, wie ausgeführt, durch Abgesandte 55
Ebd.
" 259 (NR), S. 674 f. 57 12 (HPB1), S. 791. 58 59 (HPB1), S. 99. 89 53 (HPB1), S. 537. 60 59 (HPB1), S. 99. 61
Ebd. S. 103; vgl. auch 251 (NR), S. 127.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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seiner rechtlich gegliederten beruflichen Schichten, nicht durch Vertreter der ungegliederten Masse geschehen. Nur Korporationen, nicht Individuen können vertreten werden 6 2 ." Der Gedanke, der hier ins Spiel gebracht wird, läuft darauf hinaus, daß nicht eigentlich Personen repräsentiert werden sollen, sondern vielmehr »natürlich gebildete 4 Lebensbereiche, organische Gebilde, sog. Stände 63 . Erst wenn nach dem gleichen Prinzip, nach der gleichen Struktur, die sich i n solchen Gebilden niederschlägt', die Volksvertretung geschaffen wird, kann die wahre Wirklichkeit des Volkes, sein Wesen repräsentiert werden. Bei solchen Ständen bzw. Korporationen, also kleineren Lebens- und Berufseinheiten, geht man davon aus, daß es sich dort nicht u m eine A r t Willensbildung als Prozeß handelt. Hier gibt es nach der Vorstellung seiner Vertreter vorgegebene Erfahrungs-, Interessens- und Ideeneinheiten, die nicht erst durch Meinungsbildung artikuliert und geschaffen werden müssen, sondern vorgängig zu einem solchen Prozeß existieren und von den Mitgliedern solcher Einheiten lediglich abgelesen und i n größeren Vertretungskörperschaften vertreten werden können 6 4 . „Einem atomisierten Volke fehlt die Möglichkeit, seinen Willen durch den Wahlakt und durch sein Parlament zum Ausdrucke zu bringen; denn die Übertragung des Willens auf einen zweiten ist, wie selbst Rousseau erkannte, eine psychologische Unmöglichkeit. Nur eine korporativ organisierte Gesellschaft kann aus ihren Korporationen heraus Vertreter i n die regierenden kleinen und großen Parlamente entsenden, die das Vertrauen der korporierten Wähler, ihren Willen und ihre Anschauungen besitzen 65 ." Bei einem solchen korporativen Gedanken liegt also die Überlegung zugrunde, i n den Korporationen bzw. Ständen veräußerliche sich gleichsam der Wille des Volkes. Hier decke sich i m Grund der Wille der Wähler m i t dem zu Wählenden, denn nur hier trage der zu Wählende den Willen der Wähler gleichsam i n sich 66 .
62
53 (HPB1), S. 537. Vgl. Hoermanns Definition des Standes: „ U n t e r .Stand' begreifen w i r eine sozial u n d k u l t u r e l l nahezu gleichartige, historisch gewordene Volksschichte, welche f ü r die Gesellschaft bestimmte, vorab wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen hat." 53 (HPB1), S. 526. 64 F ü r Hoermann bestehen die Stände nicht n u r aus wirtschaftlich-materiellen Interessen u n d Ideen, sondern sie werden auch von sittlichen u n d geistigen Ideen durchdrungen u n d umschlungen'. Sie seien somit also auch Sittenkörper u n d besäßen innere Einigungskräfte u n d sittliche Einigungsmotive. 44 (HPB1), S.332. 65 31 (HPB1), S. 198 A n m . 1 ; vgl. auch 51 (HPB1), S. 252. M 51 (HPB1), S. 252. 68
8 Mennekes
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T e i l Β , I I . Parlamentarismuskritik b) Der Parlamentarismus mißachtet die und ist geistig eineben
Autorität
Als das eigentliche politische Gegenprinzip, das gegenüber dem auf demokratischer Grundlage konzipierten Parlamentarismus entwickelt wurde, erweist sich das Prinzip der Autorität. Die Sichten und Ansichten über dieses Gegenprinzip erzeugen die hauptsächlichsten Angriffspunkte gegen das System des Parlamentarismus und das System des Staates von Weimar. Leitend bei den hier gängigen Autoritätsvorstellungen dürfte wohl für nahezu alle Autoren der untersuchten Zeitschriften ein A r t i k e l des 1919 verstorbenen Georg von Hertling sein, der noch i n der fünften Auflage des Staatslexikons, die 1926 zu erscheinen begann, zu finden ist 6 7 . Danach bedeutet Autorität das Ansehen, welches eine Person innerhalb eines größeren oder kleineren Kreises genießt und ihr den A n spruch verleiht, das Denken, Wollen und Handeln der übrigen mehr oder weniger zu beeinflussen 68 . Für eine Staatsphilosophie, der der Staat „ein i n der sittlichen Ordnung begründeter Menschheitszweck" 69 ist, ist die Erkenntnis dieses Menschheitszweckes aber gleichbedeutend m i t der Erkenntnis der vorgegebenen sittlichen Naturordnung; für eine solche Sicht sind dann Autoritäten notwendig, die diese vorgegebenen Strukturen erkennen und sie i n die Tat umzusetzen verstehen. Alle Autorität, sei es die des Königs oder sei es die der demokratischen Träger der Staatsgewalt, gründe sich auf die Forderung des Sittengesetzes, sich u m der Aufrechterhaltung des Staates w i l l e n den Anordnungen der bestehenden Obrigkeit zu unterwerfen. Jede staatliche Autorität habe sich an eine solche, die Einzelwillen übersteigende sittliche Ordnung zu halten. Und nur i m Namen eines von hierher legitimierten Rechtes, also des sittlich und rechtlich Zulässigen, kann staatliche Autorität mit innerlich bindender K r a f t Anordnungen treffen und Gesetze erlassen 70 . Was das für Grundsätze sind, wieweit solche erkennbar und wieweit sie verwirklichbar sind, darüber schweigt man sich i m allgemeinen i n den Blättern aus. Sie sind hier auch nicht Gegenstand der Reflexion. Das überläßt man weitgehend theologischen und philosophischen Einrichtungen. Was aber bei der näheren Betrachtung der Texte ins Auge fällt, ist die Übertragung (hier nicht zu diskutierender) staatsphilosophischer Grundüberlegungen auf das Politische, etwa auf den Begriff der Politik. Hier w i r d der Bereich philosophisch-theologischer Grundüberlegungen über Staat und Gesellschaft, insbesondere über Zielsetzungen und Sol87 68 69 70
Georg von Hertling, Ebd. Sp. 537. Ebd. Sp. 538. Vgl. Ebd. Sp. 539.
Autorität, A r t . i n StL, 5. Aufl., 1. Bd., Sp. 537 - 540.
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lensforderungen, nicht genügend vom Bereich des politisch Machbaren getrennt. Auch für politische Sachfragen also werden vorpolitische Festsetzungen, i n der Natur der Dinge angelegte Sachlichkeiten angenommen. Ohne sich i m einzelnen über solche Festsetzungen weiter auszusprechen, w i r d ihre Existenz behauptet, bzw. durch fragwürdige Deduktionen ,bewiesen' bzw. ,aufgewiesen'. Da es als sittliches Gebot herausgestellt wird, solchen i n der Natur angelegten und erkennbaren Festsetzungen zu folgen, w i r d der Bereich des Politischen dem Bereich des Moralischen eingegliedert. Politik w i r d damit zu einer moralischen Angelegenheit. Sie w i r d weiterhin eine Sache der Weltanschauung. Dies aber macht Politik mehr und mehr zu einer Sache, die man nur besonders qualifizierten, charakterfesten und einsichtigen — also ,weisen' — Persönlichkeiten anvertrauen kann. Vor dem Hintergrund einer solchen Sicht der Politik muß der Gedanke an politische Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen gar, die sich möglicherweise gegen solche Einsichten stellen, zur Banalität werden. Die Alternative: Autoritarismus — Parlamentarismus w i r d somit zu Alternativen wie: Qualität — Quantität; Einsicht — Beschluß; Begabung — Machenschaften; usw. hochkonstruiert. Noch einmal: wo Politik verstanden w i r d als eine Kunst, welche die Aufgabe hat, die i n der Natur der Dinge vorgezeichneten Strukturen zu erkennen und sie, verbunden m i t den Gaben einer schöpferischen, großen Persönlichkeit, zu realisieren, dort ist der Gedanke an ein Parlament, das sich als bestimmende Instanz den Weg zur Lösung anstehender Fragen erst über den Umweg der Diskussion bahnen muß, eine lächerliche Farce. Wo die Gesellschaft verstanden w i r d als von Natur aus geschichtet, wo einem bestimmten Stand, also etwa der Aristokratie und der Intelligenz, von Natur aus bestimmte Aufgaben anvertraut sind, da ist eine Beteiligung aller an der politischen Urteilsfindung, der Gedanke der Gleichheit und gar der Souveränität des Volkes ein gefährliches Spiel, das nur das Unheil des Volkes heraufbeschwören kann. Die vorstehende Skizze des politischen Denkens, das i n diesem Kapitel behandelt wird, kann nur die Herausarbeitung einer Tendenz sein. I m einzelnen werden bei den verschiedenen Zeitschriften und bei den verschiedenen Autoren unterschiedliche Akzente herausgestellt. Sie herauszuarbeiten, mehr aber die einzelnen inhaltlichen Konkretisierungen und Vorstellungen zu skizzieren, soll i m folgenden die Aufgabe sein. A u f grund eines Überblickes über die einzelnen Textstellen und Begriffsfelder zeigt es sich dabei als sinnvoll, einmal über die Notwendigkeits- und Funktions vor Stellungen von Autorität und Autoritäten zu handeln; zum anderen aber bekommt die Auseinandersetzung eine besondere Note durch eine A r t ,Ruf nach dem Führer' bei einer gleichzeitigen Verachtung all dessen, was nach ,Masse' und ,Mehrheiten' aussieht. Die jeweiligen Darstellungen entbehren nicht des antiparlamentarischen Untertones; 8·
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Teil Β , I I . Parlamentarismuskritik
d. h. die formale Struktur der Texte ist weitläufig kontrapunktisch: Vor dem Hintergrund positiver Erörterungen zum Thema Autorität erscheinen demokratisch-parlamentarische Alternativen wie ein kläglicher Abfall; umgekehrt autoritär-obrigkeitliche Lösungen wie ein Segen, der sich dadurch als die einzig sinnvolle Alternative empfiehlt. aa) Notwendigkeit und Funktion der Autorität Einen eigentlichen Aufweis für die Notwendigkeit von Autorität gibt es i n den untersuchten Blättern nicht. Es gibt lediglich Hinweise. Solche Aufweise werden wohl auch nicht als notwendig erachtet. Worum es hier geht, läßt sich i m Rahmen einer Theorie über die Funktion dieser Schriften dahingehend bestimmen, daß angegriffene und i n Frage gestellte Plausibilitäten i n die Erinnerung zurückgerufen werden, und zwar dadurch, daß man sie als plausibel behandelt, d. h. ihre eigentlichen Beweise nicht für nötig erachtet. Für Max Pribilla können Friede und Wohlfahrt eines Landes nur „unter dem Schutze einer starken Autor i t ä t " 7 1 erblühen. Für ihn genügt schon das bloße Vorhandensein einer Autorität, u m ihr Eingreifen unnötig zu machen. Lediglich Hinweise auf die Notwendigkeit einer Autorität sind die Passagen bei Hoermann. Seine Hinweise beziehen sich einmal auf die Notwendigkeit einer Verankerung irdischer Autoritäten i n göttlichen 72 , zum anderen auf ihre Kontinuität i n der Geschichte, i n der sie stehen müßten. Hoermanns Autoritätsbegriff hat eine ausgesprochen institutionelle Dimension: die der Tradition. Wahre Politik setze eben Überlieferung und Erfahrung voraus 73 , sie halte sich an die Erkenntnis der Väter 7 4 und das Empfinden der Alten 7 5 , insbesondere der mittelalterlichen Väter 7 6 ; das durch die Vergangenheit Erprobte 7 7 , das Vermächtnis einer langen Tradition 7 8 , die heilig gehaltene Überlieferung 7 9 werde sie treu bewahren. Dazu zähle sie die tausendjährigen Stammesbräuche 80 , das historische Recht 81 und die geheiligten alten Institutionen 8 2 . Das aber heiße konkret für Deutschland: lebendig gegliederter Organismus 71 72 78 74 75 76 77 78 79 80 81 82
111 (SdZ), S. 167. 44 (HPB1), S. 334 f. 34 (HPB1), S. 700. 41 (HPB1), S. 373. 44 (HPB1), S. 327. 70 (HPB1), S. 677. 72 (HPB1), S. 8. 44 (HPB1), S. 328. 41 (HPB1), S. 372. 49 (HPB1), S. 14. Ebd. 58 (HPB1), S. 7.
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als einer germanischen Tradition 8 3 , Föderalismus, als von der gesamten geschichtlichen Entwicklung Deutschlands gefordert 84 : Deutschland und der nationale Gedanke als geistiger Grund und innere Wahrheit 8 5 . Hier w i r d Autorität derart m i t Traditionsvorstellungen gefüllt, daß Autorität m i t Tradition durchaus synonym und austauschbar wird, was auch M a r t i n Greiffenhagen i n anderem Zusammenhang für Konservative festgestellt hat 8 6 . Einen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Autorität impliziert auch der Ruf nach der überragenden Persönlichkeit, wie er bei Eberle, Amelung und Pfeiffer i n der ,Allgemeinen Rundschau' und i m ,Neuen Reich' erhoben w i r d 8 6 3 . Gewisse Zeitaufgaben sind für Eberle so groß, daß sie eben nur von ,ganz überragenden Persönlichkeiten' geleistet und bewältigt werden können 8 7 . Wo — wie bei Hoermann i n den ,Historisch-politischen Blättern' — Politik nicht so sehr der gelehrten Theorien und theoretischen Systeme bedarf als vielmehr der Grundsätze und haltbaren Grundlagen 8 8 ; Politik weniger eine Sache der Wissenschaft ist, als der Kunst 8 9 , weniger eine Sache des Wortes als vielmehr der Tat 9 0 , die Übung, Erfahrung und zudem bestimmte Traditionen voraussetzt 91 , da erweist sich die Notwendigkeit einer Autorität, d. h. einer einsichtig leitenden, überragenden Persönlichkeit nur von selbst und bedarf keiner weiteren Begründung. A n Hand der ,zerfahrenen Zustände der Gegenwart' kommt Pribilla i n den ,Stimmen der Zeit' zu der Überzeugung, daß der eigentliche K e r n und Stern der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eine rechtmäßige und starke Autorität ist 9 2 . A u f dieser Ebene argumentiert fünf Jahre auch Eberle. Die Autorität steht hier für Sicherheit, Geordnetheit, Festigkeit, Kraft, Stärke, nationale Gesundung. Sie w i r d zum Garanten der gestuften Ordnung des gesellschaftlichen Organismus. Diesen Organismus i n seiner Gliederung gilt es unter dem Zeichen des Gemeinwohls zu 83
41 (HPB1), S. 363. 41 (HPB1), S. 362. 85 41 (HPB1), S. 358. 88 Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservativismus, i n : Gesellschaft i n Geschichte u n d Gegenwart. Beiträge zu sozialwissenschaftlichen Problemen. Festschrift f ü r Friedrich Lenz, hrsg. v. Siegfried Wendt, B e r l i n 1961, S. 13 - 59, S. 37. 8 «a 219 (NR), S. 389; 178 (AR), S. 282; 173 (AR), S. 581. 87 219 (NR), S. 389. 88 45 (HPB1), S. 412 f. 89 34 (HPB1), S. 700. 90 41 (HPB1), S. 358. 91 34 (HPB1), S. 700. 92 111 (SdZ), S. 167. 84
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erhalten. Eine solche kraftvolle Integration und Festigung des Bestehenden w i r d zur Hauptaufgabe und Hauptfunktion der Autorität, deren Notwendigkeit sich durch diese anderen Notwendigkeiten nur u m so mehr erweist. Weil es i m Staate und i n der Politik aber auf Festigkeit ankommt — so die Quintessenz —, kann eine demokratisch-parlamentarische Fundierung der Autorität nicht genügen. Demokratische Autorität ist eben bestimmt von Wechsel und Agitation. Sie ist — nach Eberle — auf Flugsand gebaut. „Ohne starke Autorität kein Gehorsam i n der Familie, keine Zucht i n der Schule, keine Disziplin i m Heer, keine Ordnung i m Staatsleben. Zur starken Autorität aber gehört Kraft, Stabilität, eine gewisse Unabhängigkeit. Durch Alter ehrwürdig, muß die Autorität i n der Höhe thronen, mächtig über den Parteien als Instrument der geistig-sittlichen Mission eines Volkes, ein Schutz der Schwachen, eine Fessel der Uebermütigen, Kerker der Bösen, stark genug, u m die Interessen des Ganzen gegen das Auswuchern von Gruppenegoismen zu schützen, stark genug vor allem, u m den Geist gegen die Materie, die K u l t u r gegen das Kapital, die Dauerwerte gegen Tageslaunen zu schützen 93 ." I n dem vorstehenden Text klang neben der Beschwörung der Stärke auch die Aufgabe einer sittlichen Führung an. Solche Aufgaben werden der Autorität an verschiedenen Stellen zugewiesen. A m deutlichsten bei Otto Kunze i n der ,Allgemeinen Rundschau': Für i h n besteht geradezu das Wesen und die Würde der Autorität und Obrigkeit darin, „daß sie eine natürliche Vermittlerin der Sittlichkeit an den Menschen ist" 9 4 . So spiritualisiert, w i r d die Autorität konzipiert als der Garant der Glückseligkeit, soweit diese auf Erden erreichbar und verwirklichbar ist. bb) Der Ruf nach dem starken Mann — Der Einzelne und die Masse — Die antiparlamentarische Kampagne auf der Basis eines ausgesprochenen Autoritarismus erhält ihre besondere Note und einen vertiefenden Aspekt i n der Herausarbeitung der idealen politischen Führerpersönlichkeit. Dies geschieht i n deutlichem Affront gegen die parlamentarische Demokratie, die nach der Meinung der Autoren das Emporkommen starker Führerpersönlichkeiten verhindere und i n sich lediglich »schwache Geister' versammle. Dieser Vorwurf w i r d nicht von allen vertreten, doch überwiegt er bei weitem und Gegenthesen finden sich nur vereinzelt. Die besondere Pflege des autoritären Gedankens kam nicht von ungefähr, durfte sie doch wie kaum ein anderer Gedanke auf eine breite 93 94
256 (NR), S. 527. 157 (AR), S. 695.
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Resonanz i n der Bevölkerung, besonders i n den Leserkreisen hoffen, die sich m i t dem alten Staat und seinen Institutionen verbunden fühlten. Die symbolträchtige Monarchie vergangener Epochen mußte zwar nicht gleich als das unersetzte „ A r k a n u m gerade des bayerischen politischen und kulturellen Lebens" 9 5 bezeichnet werden, wie es W. G. Zimmermann tut, dennoch gab es zweifellos eine monarchische Stimmung, die sich aus der Monarchie i n die gesamte Weimarer Zeit hineingerettet hatte. Schwend spricht von einer ,tiefeingewurzelten monarchischen Gefühlshaltung' i n Bayern 9 6 » 9 7 . Wenn auch die Entwicklung des monarchischen Bewußtseins i n Bayern während der letzten Jahrzehnte vor dem Weltkrieg und vor der Revolution einige Rückschläge erlitten hatte 9 8 , so hatten sich doch Personen wie König L u d w i g II. und der Prinzregent Luitpold tief i n das Bewußtsein breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere auf dem Land eingeprägt, Personen, die dann auch stark glorifiziert und mystifiziert worden sind 9 9 . Sieht man dazu das reichhaltige und kräftige Symbolangebot der Monarchie, dann dazu die entsprechenden Symbole der katholischen Religion samt der hier einhergehenden ständigen Rationalisierungen' der Symbole 1 0 0 — dann w i r d man die Bedeutung dieser Einrichtungen für die Identifizierung des einzelnen m i t dem Staat und das psychische Wohlbefinden i m Staat nicht verkennen können 1 0 1 . Ein Mann wie etwa Gustav von Kahr besaß i n der Republik sicherlich breiten Anhang. Auch war er sehr beliebt. Man w i r d i h m ebenfalls eine 95
W. G. Zimmermann, S. 173. Karl Schwend, Die Bayerische Volkspartei, i n : E. Matthias u n d R. Morsey (Hrsg.), Das Ende der Parteien, Düsseldorf 1960, S. 455 - 519, S. 482. 97 Einen Überblick über die monarchische Bewegung i m Bayern der beginnenden Weimarer Republik gibt das entsprechende K a p i t e l i n : Franz Ludwig Gengier, Die deutschen Monarchisten 1919 - 1925. E i n Beitrag zur Geschichte der politischen Rechten v o n der Novemberrevolution 1918 bis zur ersten Übernahme der Reichspräsidentenschaft durch Generalfeldmarschall v o n Hindenburg 1925, Diss. Erlangen 1932, S. 90 - 140. 98 Nach M a x Spindler w a r nicht zuletzt das mangelnde Bewußtsein der inneren geistigen Werte der Monarchie Schuld an ihrem Niedergang. Vgl. dazu: Max Spindler, Ungekrönt — u n d doch ein König, i n : M. S., Erbe u n d Verpflichtung. Aufsätze u n d Vorträge zur bayerischen Geschichte, hrsg. v o n Andreas Kraus, München 1966, S. 358. Insbesondere die Umstände der Thronbesteigung des letzten Bayernkönigs, L u d w i g I I I . , der eine Unmündigkeitserklärung des legitimen Königs Otto vorausging, welcher i n geistiger Umnachtung lebte, v e r letzte das legitimistische Gefühl mancher Monarchisten empfindlich. Vgl. dazu W. G. Zimmermann, S. 25 f.; auch Ay I I , S. 12. 99 Vgl. dazu das Nachwort von Karl Buchheim zu: E r w e i n v o n Aretin, Krone u n d Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes, hrsg. v. K a r l Buchheim u n d K a r l Otmar von Aretin, München 1955, S. 391 - 408, S. 399 f. 100 Vgl. dazu ebd.; auch: Benno Hubensteiner, Bayerische Geschichte. Staat u n d Volk, K u n s t u n d Kirche, München 41963, S. 370. 101 A u f die hier auftauchenden Fragen einer Sozial- u n d Massenpsychologie k a n n n u r verwiesen werden. Arbeiten zu einem hier relevant werdenden Thema »Massenpsychologie des Monarchismus 4 stehen noch aus. 96
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gewisse Autorität i m Bewußtsein des Volkes nicht absprechen können. A n die Autorität eines bayerischen Königs aber, geschweige denn an dessen Popularität hat er und haben andere nie reichen können. Für die Pflege solchen Personenkultes war eben i n der Republik kein Platz mehr. Dazu war sie, verglichen mit der Monarchie, viel zu kalt, symbolkarg und rational. Daß daraus bestimmte psychische Bedürfnisse entsprangen, die sich i n einer A r t Ruf nach dem Führer äußerten, durfte darum niemand verwundern. Wie diese Bedürfnisse rationalisiert w u r den, soll — soweit es die hier behandelten Zeitschriften betrifft — i m folgenden dargestellt werden. Einen ersten diesbezüglichen Unterschied zwischen parlamentarischen und monarchischen Obrigkeiten sieht Gustav Stezenbach i n der A l l g e meinen Rundschau 4 : „Der republikanische Präsident ist nur Beamter, auf einige Jahren gewählt, von einer Partei, deren Interessen er selbst dann unbewußt wahren wird, wo er glaubt, für das ganze Volk zu handeln. Das naive Volk schätzt i h n auch gar nicht anders ein. Was ist dem Volke ein . . . Ebert usw. A n i h m nimmt es keinen Anteil; es kennt i h n fast nicht oder überhaupt nicht, dagegen kennt es die tausendjährige Dynastie seiner Könige. Und selbst, wo die Republik besteht, nimmt das Volk mehr Anteil am ehemaligen Herrscherhause, als an dem vorübergehenden Staatsoberhaupte, Herrn Müller, Mayer oder Schulze. . . . Das gesunde Volk ist naiv und kindlich. Es empfindet noch natürlich und wahr. Es freut sich auch gern an seinem Oberhaupte. Es w i l l seine Obrigkeit genießen; sie muß für ein gesund empfindendes Volk mit Prunk, Pracht und Herrlichkeit angetan sein 1 0 2 ." Ähnlich äußert sich auch Otto Kunze i m ,Neuen Reich4. Wenn Stezenbach mehr auf die Anonymität der demokratischen Macht abhebt, so kritisiert Kunze (in einer K r i t i k an Ebert) ein mangelndes Verhältnis zum deutschen Volkstum. Er sei Parteimann und repräsentiere nicht das ganze Volk. Zudem könne eine kommende Wahl zum Reichspräsidenten gar nicht genug von allem Parteiwesen und Parlamentarismus entrückt werden. I n einem solchen Reichspräsidentenamt allerdings sieht er dann die einzige mögliche Rettung aus dem ,Sumpf des Parlamentarismus 4 . Die Verfassung lasse die Möglichkeit — sofern sie i m entsprechend autoritativen Sinne zur Anwendung gelange — über einen richtigen Präsidenten wieder zu einer Wahl- oder Erbmonarchie zu kommen 1 0 8 . Die Tendenz ist eindeutig: Reinstallierung obrigkeitsstaatlicher Institutionen i m Namen einer politischen, sozialen oder auch religiösen Autoritätsideologie. Diese Tendenz hält sich durch, sie w i r d aber von verschiedenen Seiten i n verschiedenen Theoretisierungen und Verbalisierungen angegangen. 102 103
177 (AR), S. 272. 244 (NR), S. 834 f.
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Eine extreme Position i n dieser Frage nimmt auch hier wieder Josef Eberle ein. I n einem A r t i k e l entwickelt er seine sonst vielfach nur anklingenden Vorstellungen i n diesem Punkt besonders deutlich 1 0 4 . Er redet zwar nicht einem völligen Absolutismus das Wort, w i l l vielmehr Autoritarismus und Parlamentarismus dem Anspruch nach verbinden, aber doch so, daß er die Volksvertretung der Autorität unterordnet, d. h. — i n seiner Formulierung — eine ,Beschneidung und richtige Verbindung beider Potenzen' 105 . „Beste Staatskunst hat immer darin bestanden, den rechten Ausgleich zu schaffen zwischen einer bestehenden starken Regierungsgewalt oben, welche die Macht, die Autorität, die Tradition, das Herkommen des Regierens und die bewährten Regierungsgrundsätze, das Allgemeininteresse vertritt — und einer Parteien vertretenden, kontrollierenden, Anregungen gebenden, i n manchen Fragen mitbestimmenden Volksvertretung 1 0 6 ." Geleitet von der Vorstellung einer souveränen Machtausübung — daß also, „wer regieren soll, überhaupt von vornherein eine bestimmte Summe von Recht, Macht und Unabhängigkeit haben m u ß " 1 0 7 — bedeutet für i h n parlamentarisches Regieren gleichsam Nicht-Regieren, ist i h m parlamentarischen Regieren die Negation von Regieren. Qualitative Entscheidungen — das ist i h m eine Gewißheit — können nur i n Unabhängigkeit gefällt werden. Abhängigkeiten gebe es nur dem Naturrecht und dem göttlichen Recht gegenüber 108 . Eberle läßt an dem Gedanken einer demokratisch-parlamentarischen Regierung kein gutes Haar. Diskutieren und Ringen u m Entscheidungen bedeuten i h m nur ,Reden'. Regieren nach demokratischen Prinzipien bedeutet i h m Schwäche und Ohnmacht und Anarchie. Es ist i h m Gewißheit, daß qualitative Mehrheitsentscheidungen nicht möglich sind. Das Parlament könne nur Jämmerliche Kompromisse' aushandeln. Der Gedanke an einen möglichen positiven Kompromiß, der Gedanke also, daß es sich lohnt, eine Angelegenheit von verschiedenen Seiten zu beleuchten, verschiedene Einstellungen und Sichtweisen an sie heranzuführen, der Glaube an die K r a f t von Argumenten — all diese Grundvoraussetzungen und Optionen eines demokratischen Gedankens sind i h m fremd. Sie werden negiert. Eberle optiert dagegen. Er setzt auf Intuition und Wesenseinsicht, auf Tradition und Autorität. Ohne Auseinandersetzung w i r d dann die Gegenseite diffamiert, Unterstellungen an die Stelle von Sachargumenten gesetzt. Von diesen seinen Voraussetzungen aus ge104 105 106 107 108
230 (NR). Ebd. S. 128. Ebd. Ebd. Ebd.
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sehen steht er dann auch fassungslos vor dem politischen Geschehen seiner Zeit. „ I n den Tagen — so klagt er —, wo w i r einzusehen beginnen, daß das Unglück neuerer Tage nicht mitbedingt ist von der zu großen Macht der Hegenten und der zu geringen Macht der Untertanen, sondern umgekehrt von der allzu großen Einschnürung der Regierenden und den zu großen Kompetenzen der Parlamente, w i r d der starke Regent überhaupt abgeschafft 109 !" Eberles Ausführungen bringen starke Worte und drastische Bilder. Der Ohnmacht seiner Einstellungen aber scheint er sich streifenweise bewußt zu sein. Er flüchtet sich ins Religiöse, indem er u m einen Rudolf von Habsburg betet, „der das Parlament nützlich macht, indem er es auf das einschränkt, wo es allein nützen kann: A u f Anregung, Kontrolle und Mitbestimmung" 1 1 0 . Seine Zukunftserwartungen reduzieren sich auf eine passive Heilserwartung. Unter Anspielung auf religiöse Parallelen erwartet er eine A r t Rettung von irgendwoher. Sein Politikbegriff scheint sich weniger an Problemen des Machbaren und Nicht-Machbaren als an mythischen und schicksalhaften Eingriffen bzw. entsprechend beeinflußten Entwicklungen zu orientieren. Der Gegensatz Autoritarismus — Parlamentarismus weitet sich aus zu einem Gegensatz von rationalem und irrationalem Politikbegriff. A u f einer ähnlichen politikbegrifflichen Ebene bewegen sich auch die Angriffe gegen den Parlamentarismus bei Hans Pfeiffer i n der ,Allgemeinen Rundschau' 111 , ein Artikel, auf den bereits mehrmals Bezug genommen wurde. Seine Vorstellungen von politischer Tätigkeit klingen an i n der Formulierung, daß dem Vaterlande große, weitsichtige Arbeit, Ruhe und Stetigkeit der Führung und eine ,starke Hand' nottäte, die unbeirrt von Gefahren, unbeirrt von den Angriffen einer geschäftigen Presse sicher und fest das Steuer i n Händen halte 1 1 2 . Auch hier w i r d also ein autoritärer Politikbegriff entwickelt, m i t dem eine Diffamierung parlamentarischer Politik einhergeht: „Wie können die Regierungsmänner große Ziele verfolgen, wenn sie dauernd auf dem Stengele sitzen, wie kann eine Regierung nach bestem Wissen und Können arbeiten, wenn sie dauernd Gefahr läuft, i n Ungnade beim Parlament und damit selbst zu fallen 1 1 3 ?" Ähnliche Auffassungen finden sich i m übrigen auch i n den ,Historisch-politischen Blättern'. Hier ist vor allem Hoermann ihr eifrigster Verfechter 1 1 4 . 109 Ebd. Weitere Formulierungen, die i m Gehalt zwar nichts Neues, inhaltsanalytisch besehen aber zusätzliche Aspekte liefern, finden sich ebd. 110 Ebd. 111 178 (AR). 112 Ebd. S. 282. 113 Ebd. 114 Vgl. dazu die A r t i k e l 34 (HPB1), 41 (HPB1) u n d 44 (HPB1).
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Ihre Fortsetzung erhalten derartige Gedankengänge i n der Herausarbeitung einer sozusagen idealen politischen Persönlichkeit. Ansatzweise werden die Aufgaben und Funktionen entwickelt, die eine ,große Persönlichkeit', einen Führer, auszeichnen soll. Damit geht an manchen Stellen eine elitäre Anthropologie einher, die an Nietzsche erinnert. Da der sonst allgemein gehaltene Autoritarismus hier nähere Konturen erhält, soll i m folgenden darauf eingegangen werden. I n einem 1922 erschienenen Buch macht der katholische Theologe C. Walterbach 1 1 5 seinem Kollegen Philipp Häuser den Vorwurf, i n manchen Passagen seiner Veröffentlichungen 1 1 6 Nietzsches Lebensphilosophie nahezustehen. Max Buchner kommt i m Rahmen von Buchbesprechungen i n den ,Historisch-politischen Blättern' 1 1 7 auf diesen Vorwurf zu sprechen und führt eine für i h n selbst bezeichnende und hier interessierende Unterscheidung an: „ . . . während nach Nietzsche die Persönlichkeit souverän, unbeschränkt durch göttliches Gesetz, als voller ,Herrenmensch' schalten soll, steht die Persönlichkeit, welche über die Masse hinausragt, nach Häusers Auffassung i m Dienste des Kreuzes 1 1 8 ." Nietzsches bekannte Formulierung w i r d zwar nicht v o l l übernommen, grundsätzlich aber anerkannt und religiös sanktioniert. Wenn diese Position auch keine breite Anhängerschaft findet, so weisen immerhin Teile von Gegensatzformulierungen wie »Dutzendmensch' bei Josef Eberle 1 1 9 und ,Vollmensch' bei Eugen Amelung 1 2 0 darauf hin, daß sie nicht völlig isoliert ist. Den beiden Kategorien von Menschen entspricht auch eine unterschiedliche Einschätzung ihrer geschichtlichen Wirksamkeit. Bei Buchner und Amelung werden solche unterschiedlichen Einschätzungen explizit. Buchner spricht von einer „Überschätzung der Bedeutung der Massen gegenüber jenen einzelner Männer für die geschichtliche Entwicklung" 1 2 1 . Wenngleich er auch nicht — wie etwa Amelung 1 2 2 — die Geschichte einzig als Produkt von Einzelnen aufgefaßt wissen w i l l , so hat man seiner Ansicht nach aber doch gelernt, welche Bedeutung der »starke A r m einzelner Persönlichkeiten' auf den Verlauf der Geschichte ausgeübt habe 1 2 3 . Eine besondere Illustration erfährt die Skizze der politischen Persönlich115
C. Walterbach, K a t h o l i k e n u n d Revolution, B e r l i n 1922. Hier gemeint: Philipp Häuser, W i r deutschen K a t h o l i k e n u n d die moderne revolutionäre Bewegung, Regensburg 31922. 117 78, 79 u n d 81 (alle HPB1). 118 81 (HPB1), S. 676; vgl. dazu auch S. 675. 119 245 (NR), S. 872. 120 173 (AR), S. 580. 121 81 (HPB1), S. 679. 122 173 (AR), S. 580. 123 81 (HPB1), S. 679. 119
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keit durch folgende Passage: „Was einzelne Persönlichkeiten bedeuten können für die Entwicklung eines Landes, haben w i r , meine ich, gerade i n Bayern an Herrn von Kahr und seinem Regiment erfahren. Es war eine größere Tat als geschicktes taktisches Manöverieren, daß Kahr, als er das Steuerruder übernahm, erklärte, er tue dies ,im Namen Gottes 4 , daß er damit zum erstenmale wieder unseren Herrgott i m öffentlichen Leben zu nennen wagte 1 2 4 ." Auch Buchners Auffassung läuft letztlich darauf hinaus, die Autorität von der Volksvertretung unabhängig zu machen 125 . Die großen Einzelnen sind es also, die den qualitativen Bestand der K u l t u r garantieren, weil sie ihren Wert zu schätzen wissen. Sie haben nicht nur Sinn für Religion, sondern ebenso für Tradition, Organismusdenken, Naturrecht usw. Vor diesem Hintergrund werden die ,Massen4, das ,gemeine, naive Volk', und w i r d darüber hinaus die ,massenorientierte' parlamentarische Demokratie abgewertet. Franz Xaver Hoermann versteht i n den ,Historisch-politischen Blättern' unter Masse eine ungegliederte, künstlich zusammengefaßte, lediglich durch den Zahlenmechanismus verbundene breite Schicht des Volkes. Der Geist der Masse bleibe stets „befangen . . . i n den Grenzen seiner niederen Bildung, eines einseitigen Urteils und der Schwäche gegenüber agitatorischen Schlagworten und Verhetzungen. . . . die Masse w i r d immer bleiben, was sie i s t " 1 2 6 . I n die gleiche Richtung zielt auch Eberle. „Wohl 80 Prozent der Parlamentsmitglieder fehlt jene philosophischsoziologische, jene geschichtlich-volkswirtschaftliche Schulung, die zur Gesetzgebung und Staatsführung nötig sind 1 2 7 ." Es kann hier nicht verkannt werden, daß hinter einer Diffamierung der Massen eine Diffamierung der Organisatoren von Massenbewegungen steht, allen voran der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. I h r Ausgriff nach Beteiligung an politischer Macht sollte abgewehrt werden. Wer sozialdemokratische und liberale Politik i n ihren theoretischen Grundlagen negiert, sie für Augenwäscherei, L u g und Trug hält, der kann nur konsequenterweise entsprechende parteiliche und soziale Gruppierungen als Agitation diffamieren, i n der politische Schlaumeier die blinde Masse führen und gängeln. Auch an dieser Stelle werden ja nicht einzelne konkrete Punkte benannt und kritisiert, sondern es w i r d pauschal verurteilt und pauschalierend abgewertet. Daß dabei ebensogut konservative Massenbewegungen mitgetroffen werden, wie sie etwa der Bayerische Bauern-
124
Ebd. 125 Vgl. 132 (GH); darauf zielen auch die Vorstellungen v. Aretins u n d v. Lerchenfelds (259 u n d 261 [NR]) ab. 128 127
37 (HPB1), S. 18 f. 230 (NR), S. 127.
(125 [GH])
3. Inhaltliche Vorbehalte
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bund 1 2 8 unter der Führung eines H e i m - 1 2 9 und Schlittenbauers darstellen, schien die Autoren wenig zu kümmern. Die Seitenhiebe auf die Sozialdemokratie und den politischen Liberalismus, verbunden m i t einem monopolistischen Politikbegriff, der nur eine bestimmte Schicht und eine bestimmte Kategorie von Bürgern als zur Politik berufen deklariert, kommt deutlich i n folgendem Text zum Ausdruck: „Auch muß einmal offen gesagt werden, daß der werktätige Mann und die traditionslose Intelligenz sich nicht zum Staatsmann oder Politiker eignen. Der Arbeiter, der Gewerbetreibende, der Bauer sind sehr achtenswert, wenn sie rechtschaffen und fleißig die Stelle ausfüllen, zu welcher sie bestimmt sind, aber zum Minister, Diplomat oder Politiker mangelt ihnen Erziehung und Kenntnisse, und diese Tätigkeit ist nur geeignet ihnen den Charakter zu verderben. Die traditionslose Intelligenz aber ist gefährlich, gleichgültig unter welcher Parteiflagge sie segelt 130 ." A u f der Basis eines organizistischen Staatsdenkens w i r d hier also an die alte Tradition deutschen Staatsbewußtseins appelliert, Obrigkeit Obrig^ keit sein zu lassen, ihre besondere Berufung passiv und gehorsam anzuerkennen und i m übrigen seiner Tagespflicht nachzugehen. Politik w i r d zur Sache der Berufenen, die der einzelne Mann nicht durchschaut, w e i l er sie nicht durchschauen kann. Den Beleg für ihre Auffassung glauben die betreffenden Autoren i n den Verhältnissen und Erfahrungen der Weimarer Republik zu sehen, indem sie sich gängige Parolen von der Korruption usw. zueigen machten. Das parlamentarische System hatte ihrer Ansicht nach zur Folge, daß sich i n den Berliner Ämtern und Ministerien politische Günstlinge und Streber ohne Fachkenntnisse befinden, die diese ,Druckposten' von Partei- und persönlicher Protektion ,zugeschoben' bekommen haben 1 3 1 — so i n Formulierungen von Eisele i n der,Allgemeinen Rundschau' 132 . Die i m Rahmen dieses Zusammenhanges — i n systematisierter Form — dargestellte antiparlamentarische Propaganda erreicht ihren Höhepunkt i n einer A r t Ruf nach dem Führer. Das Wort kommt an verschiedenen Stellen beiläufig vor, wenn es u m die Bezeichnung der Funktion der Autorität geht 1 3 3 . Die Autorität soll führen. Das Volk braucht Führer, sonst i r r t es willenlos umher. I n seiner stärksten Formulierung bringt es 128 Über die bayerische Bauernbewegung informiert kurz: Bosl I V , S. 748 ff. Dort auch weitere Literatur. 129 Über die Persönlichkeit Georg Heims informiert Hermann Renner, Georg Heim, der Bauerndoktor. Lebensbild eines ungekrönten Königs, Regensburg 1960. 130 59 (HPB1), S. 99. 131 162 (AR), S. 304. 132 Vgl. dazu auch 89 (HPB1), S. 508; 173 (AR), S. 580. 133 89 (HL), S. 508; u n d etwa 173 (AR), S. 580.
126
Teil Β , I I . Parlamentarismuskritik
Hans Eisele zum Ausdruck: „Das Volk sucht und seufzt nach starken Männern, nach dem großen Führer, der m i t starker Hand das Staatssteuer festhält 1 3 4 ." Solche Passagen werden allerdings nicht breit entwickelt. Sie sind so lediglich punktuelle Aufgipfelungen einer antiparlamentarischen K r i t i k auf der Basis des autoritär-obrigkeitlichen Denkens, dessen kritischer Gehalt nicht i n einer A r t , alternativierend zu diskutieren, besteht, sondern der von bestimmten metaphysischen Setzungen und dogmatisierten Politikvorstellungen ausgeht und von dorther bestehende politische Verhältnisse — psychisch motiviert durch den Schmerz über den Verlust vergangener Zeiten — kritisiert, gegen sie polemisiert und propagiert 1 3 5 . c) Der Parlamentarismus
ist ein Werkzeug sachfremder
Mächte
Unter diesem Leitsatz kommen all die Deklassierungen wieder zum Vorschein, m i t denen schon die Demokratie i m allgemeinen verdächtigt und diffamiert wurde: Der Parlamentarismus gestattet wenigen, viele zu manipulieren. Parlamentarismus bedeutet Herrschaft der Presse, vor allem Herrschaft aber der Börse, der Plutokraten und der Sozialdemokratie. Eine parlamentarische Regierung ist i n ihrer Ohnmacht und politischen Einflußlosigkeit anfällig für Mächte, die anonym hinter ihr stehen und sie für ihre partikulären Interessen mißbrauchen. „ I n seiner praktischen Betätigung ist das parlamentarische Regierungssystem die Stätte ewiger Kompromisse und der Halbheiten, der Tagesarbeit ohne weitsteckende Ziele, ist es Gebundenheit an die vorherrschende kapitalistische Presse, Herrschaft der jeweiligen Mehrheit über die zahlenmäßige Minderheit i n buntem Wechsel; verdunkelt die Grundsätze der Parteien und leistet der Oberflächlichkeit und Halbheit Vorschub, ist endlich der Tummelplatz der Schlauen und Rücksichtslosen und läßt keine wahren Geistesgrößen obenankommen 136 ." Was diese anonymen Kräfte i m einzelnen angeht, so werden darunter teils ,Geheime Gesellschaften und Finanzmächte' 137 , Jüdische und christlich-jüdische Händlerkreise' 1 3 8 , politische Streber und Geschäftsleute' 139 und ähnliche Bezeichnungen gebraucht. Durchhaltend ist der Vorwurf, i m demokratischen Parlamentarismus herrschten — entgegen seinem A n 134
162 (AR), S. 304. Vgl. dazu: 87 (HL), S. 3; 127 (GH), S. 293; 178 (AR), S. 282; 238 (NR), S. 38; 242 (NR), S. 509. 136 46 (HPB1), S. 572. 137 58 (HPB1), S. 7 A n m . 1. 138 19 (HPB1), S. 187. 139 7 7 (HPB1), S. 395. 135
Teil Β , I I I . Parteienkritik
127
spruch — geschäftlerisch-kapitalistische Kräfte mehr und mehr als das Volk. Das Zeitalter der »Demokratie 4 habe an die Stelle des geborenen Königtums den König Mammon, den Kapitalismus gesetzt, „so daß jetzt äußerlich zwar eine ,Demokratie 4 , i n Wirklichkeit aber eine Plutokratie, verkörpert durch Bank- und Industriekapital herrscht 4 4 1 4 0 . A u f den damaligen Fraktionsvorsitzenden der B V P i m bayerischen Landtag und späteren bayerischen Ministerpräsidenten Held beruft sich ein Artikel, der am 1. J u l i 1922 zur Auslieferung kam. Held habe am 11. Juni erklärt: „Die parlamentarische Republik führe zur Volks Verführung, zur Korruption. W i r haben jetzt eine Masse Zwergkaiser und Zwergkönige. Wer das nötige Kleingeld besitzt, regiert heute; nicht das Volk. Das deutsche Volk sei zur Republik weder reif noch geeignet 141 . Hauptmerkmal der neuen Republik sei eben die »Verschmelzung von Politik und Geschäft 4142 und es sei das erklärte Staatsziel der »offen oder geheim regiereden Logenmänner 4 , den Staat zu sozialisieren 143 . I m Gegensatz zur Monarchie, die sich von Gottesgnaden nenne und noch ethische Momente i n der Politik kenne, sei die Demokratie utilitaristisch; Politik sei ihr eben ein Geschäft wie jedes andere 144 . Soweit einige Einwände, wie sie speziell gegen den Parlamentarismus als System geführt wurden. Die K r i t i k w i r d i n der K r i t i k an den Parteien und dem Parteienstaat ihre Fortsetzung finden. I m Rahmen dieser K r i t i k werden dann auch noch weitere positive Vorstellungen zum Vorschein kommen, von denen aus man den Weimarer Staat bekämpft. I I I . Kritik an den Parteien und am Parteienstaat Eine besondere Ausformung der K r i t i k am Weimarer Staat war — i n Weiterführung der Parlamentarismuskritik — die K r i t i k an den Parteien und am Parteienstaat. Parlamentarismus, Parteiwesen und Parteipresse 4 bildeten i n der Vorstellung vieler — hier i n den Formulierungen Hoermanns — das ,System von Fiktionen 4 : das ,sogenannte repräsentative Verfassungswesen 41 . I n ihrer Gegnerschaft zu den Parteien standen die meisten Autoren der hier behandelten Zeitschriften i n breiter Front m i t vielen anderen Gesinnungsfreunden i n Deutschland. Parteien waren i n Deutschland — wie K u r t Sontheimer festgestellt hat — nie beliebt. Das größte Maß an Desinteresse und Haß ernteten sie jedoch i n der Weimarer 140
82 (HPB1), S. 597. 63 (HPB1), S. 60. 142 59 (HPB1), S. 99. 143 19 (HPB1), S. 187. 144 60 (HPB1), S. 428. 1 53 (HPB1), S. 533 A n m . 1. 141
128
Teil Β, I I .
Partikritik
Zeit 2 . Dieses traditionelle Desinteresse verwandelte sich seit der Einführung der Republik i n Argwohn, Diskreditierung und haßerfüllte Anklagen, welche die Parteien zu Hauptschuldigen an den herrschenden politischen Zuständen abstempelten. Eine solche antiparteiliche Kampagne entwickelte sich zu einem der wirkungsvollsten Instrumente gegen den Weimarer Staat. Inhaltlich wurzelte sie dabei i n der obrigkeitsstaatlichen, antiparlamentarischen Tradition des deutschen Staatsdenkens, doch wurde die K r i t i k i n den verschiedensten Lagern m i t den verschiedensten zusätzlichen Motiven und Alternativvorstellungen gekoppelt und verstärkt 3 . Die Parteien des Weimarer Staates 4 standen indes von Anfang an i n einer für sie sehr ungünstigen Lage. Denn neben die üblichen parteilichen Gegensätze traten nach der »abgebrochenen, nicht eigentlich ausgetragenen Revolution' (Bracher) von 1918 eine Fülle allgemein politischer und sozialer Gegensätze, die zuvor von einem fast allmächtigen Staat zwangsweise niedergehalten und verdeckt worden waren 5 . Unintegriert traten sie nun zutage, und die Parteien erwiesen sich außerstande, hier die ihnen zukommende integrierende Funktion auszuüben. Für eine solche A u f gabe waren die deutschen Parteien nur ungenügend gerüstet. Weit davon entfernt, sich soziologisch als Zwischenbildungen zwischen dem Individuu m und der Gesamtheit der Bürger, bzw. sich politisch als ,Transmissionsriemen zwischen öffentlicher Meinung, öffentlichem Interesse und Regierung' 6 zu verstehen, formierten sie sich nicht als ,Plattformparteien', die eine pragmatische Politik zu verwirklichen suchten, sondern vielmehr als weltanschauliche Programmparteien alten Stils, die zwar gegenüber früher ihren Status als Honoratiorenparteien weitgehend abgestreift hatten, über die straffere Organisation hinaus aber ihre alten Grundsätze eher polierten als unabdingbar festsetzten, statt sich auf die ihnen zugefallenen integratorischen und führenden Funktionen umzustellen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war die mangelnde Definition und Umschreibung ihrer Rolle, die sie i m neuen Staate einzunehmen hatten. Nicht nur blieben sie als Einrichtungen des Staates i n der Weimarer Verfasung unerwähnt; während der gesamten Weimarer Zeit blieb darüberhinaus ihre staatsrechtliche Bestimmung und ihre Rolle i n der parlamentarischen Demokratie bezeichnenderweise kontrovers 7 . 2
Sontheimer, S. 155. Bracher I, S. 37. 4 Den Versuch einer topologischen Erfassung bietet Wolf-Dieter SPD. Programm u n d Praxis seit 1945, Stuttgart 1966, S. 63 ff. 5 Vgl. Bracher I, S. 30. 6 Narr I, S. 53. 7 Vgl. Bracher I , S . 37. 8
Narr, CDU/
T e i l Β , I I I . Parteienkritik
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Ihre Funktionsunsicherheit und damit mangelhafte Selbstidentität hatte aber wohl ihren Hauptgrund i n dem geistesgeschichtlichen Phänomen ideologischer Verbohrtheit und Kompromißunfähigkeit. Statt die »normative Ortsbestimmung' auf die für eine jede pluralistische Demokratie notwendige Herausstellung und Konstatierung eines gemeinsamen Wertekodexes zu konzentrieren, vertiefte man sich i n die Beschwörung altbekannter staatlicher Lieblingsutopien vergangener (und verklärter) Epochen bzw. ferner nachrevolutionärer Zeiten 8 . Bracher reißt als Hintergrund dieses Mißverhältnisses den grundsätzlichen Widerspruch zwischen einer demokratischen Idealvorstellung und der konkreten politisch-sozialen Wirklichkeit einer Demokratie an. Die demokratische Idealvorstellung, inbesondere i n ihrer plebiszitären Komponente 9 , ging von den Vorstellungen und Axiomen der Volkssouveränität, der Identität der Regierenden und Regierten 10 , von der freien, unbeeinflußten Entscheidungsfähigkeit sowohl des Wählers wie des Abgeordneten aus — doch diese Vorstellungen ließen eigentlich für eine Partei, geschweige denn für mehrere Parteien, keinen Platz. Dagegen aber stand die soziale Wirklichkeit moderner Massenstaaten m i t den verschiedenen Gruppen, Klassen und Interessengemeinschaften. „Die Entwicklung zum Parteienstaat war insofern unvermeidlich, als jede Meinungs- und W i l lensbildung i m umfassenden Rahmen des Staates sich auf gesellschaftlicher Grundlage und daher m i t Hilfe von organisatorischen Zwischenbildungen zwischen Individuum und Gesamtheit vollziehen mußte 1 1 ." Dieser Widerspruch ist aber auf demokratischer Basis nicht gelöst worden; d. h. nicht einmal die demokratischen Parteien des Weimarer Staates konnten sich auf die Lösung dieses Widerspruches und auf ein einheitliches Rollenverständnis der Parteien i m Staat einigen. Die Geschichte der Regierungsbildungen mag ein Hinweis auf dieses Phänomen sein, u m von den nichtdemokratischen Parteien und Gruppierungen innerhalb der verschiedenen Parteien i n diesem Zusammenhang erst gar nicht zu reden. I m einzelnen war die formulierte K r i t i k am Weimarer Parteiwesen 12 von den Vorstellungen einer einflußfrei, unabhängigen Zone staatlichen 8 A u f die Notwendigkeit einer solchen Besinnung auf die gemeinsamen u n d gewissen Werte u n d Normen einer Gesellschaft, zumal einer demokratischen, hat Ernst Fraenkel an verschiedenen Stellen herausgestellt. Vgl. v o r allem hierzu: E. F., Demokratie u n d öffentliche Meinung, i n : Fraenkel I, S. 131 - 154, bes. S. 142 ff. Vgl. auch Bracher I, S. 43. 9 Vgl. dazu Ernst Fraenkel, Die repräsentative u n d die plebiszitäre K o m p o nente i m demokratischen Verfassungsstaat, i n : Fraenkel I, S. 71 - 109. 10 Z u demokratischen Identitätsvorstellungen vgl. Carl Schmitt I, S. 35. 11 Bracher I , S. 38. 12 Überblicke liefern Bracher I, S. 38 ff.; Klaus von Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme i n Europa, München 1970, S. 276 ff. Nähere D a r stellungen bieten Sontheimer, S. 155 - 165; f ü r die staatsrechtliche Diskussion:
9 Mennekes
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Teil Β, I I .
Partikritik
Tätigkeitsbereiches getragen, die von gesellschaftlichen Antagonismen unberührt blieb; weiterhin von der Vorstellung des Staates und des Volkes als geschlossener Einheit und — damit zusammenhängend — von der Vorstellung des Staates als eines natürlichen Organismus 4 . Gegner der Parteien waren vor allem die monarchisch-konservativen und nationalistisch-autoritären Kräfte. Sie brandmarkten diese Parteien als scheußliche Erfindungen des Liberalismus, die nicht dem Gemeinwohl sondern schäbigen Interessen nachgingen und die der Sozialdemokratie eine wichtige Rolle i m politischen Leben sichern sollten 1 3 . Trotz der Stärke der K r i t i k war aber von eigentlichen Alternativvorstellungen nicht die Rede. Zwar nährten sich die meisten antiparteilichen K r i t i k e n von solchen allgemeinen Alternativvorstellungen wie Förderalismus, ständischem Denken, dem Ruf nach einer starken Autorität usw., aber von einer konkreten verwirklichbaren Alternative konnte keine Rede sein 14 . Die Parteikritik, wie sie sich i n den hier untersuchten Blättern findet, geht i n ihren großen Zügen m i t den kritischen Gehalten der allgemeinen Parteienkritik i n der Weimarer Republik überein. Antiliberalistische und antisozialistische Vorbehalte bilden zusammen m i t den alternativen förderalistischen, ständestaatlichen und obrigkeitsorientierten Gegenvorstellungen auch hier die Hauptpunkte der K r i t i k und Polemik. Doch sind sie i n der A r t der Durchführung der Formulierung, und der Argumentation von dem allgemeinen Duktus konservativ-katholischer Staatsvorstellungen geprägt. Einen besonderen Raum nimmt hier vor allem die K r i t i k an der katholischen Zentrumspartei ein, die weitgehend als demokratisch und parlamentarisch diffamiert, und von der Basis eines BVP-orientierten bayerischen Förderalismus aus Gegenstand der K r i t i k ist. I m einzelnen soll die grundsätzliche Gliederung beibehalten werden. Neben einem Überblick über das Wort- und Begriffsfeld soll nach einer entsprechenden Untersuchung des Wertungsfeldes die inhaltliche K r i t i k i n einigen markanten Gehalten dargestellt und analysiert werden. 1. Begriffliches Verständnis
Das Wort,Partei 4 kommt, da es einen zentralen Begriff der parlamentarischen Demokratie und der Weimarer Verhältnisse bezeichnet, sehr häufig vor. Schwierig indes ist es, den näheren — vor allem oft außersachlichen — Gehalt zu bezeichnen, wenn das Wort gebraucht wird. Es Friedrich Glum, Das parlamentarische Regierungssystem i n Deutschland, Großbritannien u n d Frankreich, München 21965; über die Position v o n Carl Schmitt orientiert Filjakowski. 13 Vgl. dazu Bracher I, S. 38 ff., u n d Sontheimer, S. 155 ff. 14 Vgl. Bracher I , S . 41.
1. Begriffliches Verständnis
131
soll i m folgenden bei der Darstellung des Wortfeldes eine Unterscheidung i n drei Ebenen vorgenommen werden: die deskriptive, die klassifikatorische und die wertende Ebene. Je nachdem, welche Wortverbindung konstruiert wird, soll es einer der drei Ebenen zugeordnet werden. Deskriptiv kommt das Wort »Partei 4 ohne jede direkte Verbindung oder auch ohne bestimmte Adjektive vor. Deskriptiv können aber Verbindungen wie ,Parteiwesen 415 , ,Parteiorganisation 416 und ,Parteiverhältnisse 417 sein, wie sie von Lerchenfeld benutzt werden. Bei anderen Autoren weisen solche Verbindungen aber auf einen eher abwertenden Gehalt hin. So verhält es sich beispielsweise bei der Formulierung ,Parteiwesen 418 i n dem grundsätzlichen A r t i k e l der ,Gelben Hefte 4 . Deskriptiv i n der Formulierung, aber abwertend i m Gebrauch sind auch eine Reihe anderer Verbindungen wie ,Parteileben 419 , ,Parteibureaukratie 420 , die ,sich bekämpfenden Parteien 4 2 1 usw. Eine andere Kategorie von Wortverbindungen sind die klassifikatorischen. Hier werden bestimmte parteiliche Phänomene von anderen abgesetzt. Es handelt sich dabei vor allem u m Unterscheidungen zu einer allgemeinen Phänomenologie der Parteien. Formulierungen wie ,politische Partei 4 , ,Weltanschauungsparteien 422 , ,christliche Partei 4 2 3 , ,katholische Partei 4 , ,bürgerliche Parteien 4 2 4 usw. gehören hierzu. Sie werden meist gebraucht, wenn man die parteipolitischen Gruppierungen i n Deutschland aufzuzählen sucht 25 , bzw. wenn man einen Unterschied zwischen der katholischen Partei (meist dem Zentrum) und anderen Parteien zu konstruieren sucht 26 . Überwiegend ist aber der wertende Gebrauch des Wortes ,Partei 4 . Es bieten sich eine Fülle von Wortverbindungen an, die von dem eindeutig negativen Gebrauch des Wortes Zeugnis geben. Sie gehen meist m i t thematischen Auseinandersetzungen über das Parteiwesen einher und verzieren die ohnehin schon ablehnende Haltung durch kräftige Formulierungen. Diese Richtung findet sich i n allen Zeitschriften bis hinein i n die ,Stimmen der Zeit 4 und das ,Hochland 4 . Einige Beispiele sollen das i l l u 15
259 (NR), S. 675. Ebd. 17 Ebd. 18 128 (GH). 19 176 (AR), S. 85; 178 (AR), S. 282. 20 89 (HL), S. 501. 21 128 (GH), S. 322. 22 205 (AR), S. 423; 118 (SdZ), S. 140; 176 (AR), S. 85. 23 228 (NR), S. 876. 24 205 (AR), S. 423. Vgl. auch 118 (SdZ), S. 137, wo »konfessionelle 4 gegen »politische4 Partei gesetzt w i r d . 25 E t w a : 156 (AR), S. 665; 178 (AR), S. 282. 26 205 (AR) u n d 204 a (AR). 16
9·
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Teil Β, I I .
Partikritik
strieren. Man spricht von ,Parteirücksichten' und ,Parteizugehörigkeit' i m Gegensatz zu ,persönlicher Tüchtigkeit' 2 7 ; man stellt eine ,Parteigesinnung' einer ,Staatsgesinnung' 28 gegenüber; man redet von ,Parteimännern' 2 0 , ,Parteidisziplin' 30 und dem ,Parteistandpunkt' 3 1 und zählt sich selbst zu den ,Feinden der Parteien' 3 2 . Die sonst so zurückhaltenden »Stimmen der Zeit' gebrauchen Wendungen wie ,Parteigeist' 33 , ,Parteigetriebe' 3 4 und ,Hader der Parteien' 35 . Die ,Historisch-politischen Blätter' endlich bieten eine Fülle von abwertenden Formulierungen, von denen Wendungen wie »modernes Parteiwesen' 36 , schwankende Parteiverhältnisse' 37 und ,einseitige und rücksichtslose Parteiherrschaft' 38 nur wenige Beispiele sein sollen. Über einen Überblick über das Wortfeld ,Partei' hinaus soll i m folgenden versucht werden, das begriffliche Verständnis dessen zu skizzieren, was man kritisiert und teilweise scharf bekämpft. Sachliche Auseinandersetzungen und Bemühungen u m eine neutrale Fassung dessen, was eine Partei bedeutet, insbesondere was sie innerhalb einer parlamentarischen Demokratie bedeutet, finden sich selten, und wenn, dann meist nur i m Vorübergehen. Doch soll versucht werden, solche auffindbaren begrifflichen Ansätze und Bemühungen u m eine begriffliche Fassung zu skizzieren. Solche Bemühungen lassen sich auf drei Ansätze reduzieren: Einmal versucht man ,Partei' vor dem Hintergrund eines (wie immer verstandenen) parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem zu begreifen und positiv zu verstehen. Sodann faßt man ,Partei' vor dem Hintergrund andrer (meist ständisch-autoritativer) Staatsformen auf; schließlich geht man darauf aus — teils widersprüchlicherweise —, i n den ,Parteien', insbesondere aber i n den christlichen Parteien ein Sammelbecken konservativer Reaktion zu sehen und sie als eine Institution gegen den Staat von Weimar zu begreifen. ,L' — ein Autor der ,Historisch-politischen Blätter' — versteht die parlamentarische Demokratie als eine Staatsform, die u m die Schranken und 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
128 (GH), S. 322. 176 (AR), S. 85; 139 (GH), S. 200. 128 (GH), S. 304. Ebd. S. 321. Ebd. S. 304. Ebd. S. 328. 119 (SdZ), S. 170. Ebd. S. 171. 117 (SdZ), S. 241. 44 (HPB1), S. 322. 57 (HPB1), S. 59. 31 (HPB1), S. 195.
1. Begriffliches Verständnis
133
Bindungen der Staatsgewalt und u m ein inneres Gleichgewicht der Gewalten bemüht ist 8 9 . Als eine ihrer Voraussetzungen aber bedürfe sie ,festgefügter, dauernder, wohldisziplinierter Parteien' 4 0 . Getragen von der Vorstellung einer möglichst starken und weithin unabhängigen Regierung, und einem Parlament, das den Rahmen einer allgemeinen Pol i t i k absteckt, sieht er i n diesen beiden Gewalten und ihrer Zuordnung Konflikte angelegt, die einer Schlichtungsinstanz bedürfen. Das M i t t e l dieser Schlichtung ist die Volksbefragung, die Instanz ist das Staatsoberhaupt, das die Aufgabe hat, das Gleichgewicht der Kräfte herzustellen 41 . Damit sich nun Parteien konstituieren, die den Bestand einer solchen Regierungsform möglichst garantieren, sollen sie sich nicht an ihren romanischen Vorbildern orientieren, da sonst die Regierung mehr m i t dem Prozeß ihrer eigenen Konstitution und Erhaltung beschäftigt ist als m i t der Wahrung der Staatsaufgaben. Deshalb sollen nach Möglichkeit — getreu dem englischen Vorbild — die Parteien i n sich selbst bereits die staatlichen Gesamtfunktionen ausbilden. „ N u r wo die Organisation der Parteien soweit gediehen ist, daß sie i m Innern die staatlichen Gesamtfunktionen bereits ausgebildet haben und lediglich gleichsam das außerkonstitutionelle Gewand m i t der verfassungsrechtlichen Form zu vertauschen brauchen, wo also ein festes Regierungsprogramm, eine allseitig anerkannte Parteileitung, die Fähigkeit und der Wille zur Übernahme der Staatsgeschäfte vorhanden ist, nur da ist die Selbständigkeit der Exekutive einigermaßen verbürgt; nur dann ist das Kabinett nur i n den großen Zügen des Programms, nicht aber i n Einzelfragen vom Parlament abhängig. Ob der Dualismus der Parteien begriffliche oder auch nur tatsächliche Voraussetzung für eine derartige Ausreifung der außerkonstitutionellen Organisation ist, mag dahingestellt bleiben 4 2 ." Den sicheren Vorstellungen von Parteien i m allgemeinen entspricht allerdings eine Skepsis i n der Anwendung dieses Modells auf Deutschland. Zwar seien straffe und disziplinierte Parteien gegeben, aber es fehle an ausgebildeten ,Leadern', die zu Staatsleitern hinreichend befähigt sind. Weiterhin bestehe nicht die Gewißheit, daß der Parteidisziplin auch eine u. U. notwendig werdende Staatsdisziplin entspreche. Jedenfalls gelte es, m i t aller Entschiedenheit Schranken gegen ein System der Parteiherrschaft zu entwickeln 4 8 . 89
24 (HPB1), S. 346. Ebd. S. 347. 41 Ebd. S. 346 f. Der A u t o r orientiert sich i n diesem Zusammenhang an Robert Redslob, Die parlamentarische Regierung i n ihrer wahren u n d i n ihrer unechten Form, Tübingen 1918. 42 Ebd. S. 348. 48 Ebd. S. 350 f. 40
134
Teil Β, I I .
Partikritik
Auch Lerchenfeld kommt i m Rahmen seiner Ausführungen über die ,Krise der Demokratie' auf den Parlamentarismus und die Parteien zu sprechen 44 . Für i h n besteht die Gewißheit, daß sich der Parlamentarismus nur durchführen lasse, wenn es Parteien gebe. Ohne eine nähere Definition zu geben, weist er ihnen doch nur die Aufgabe zu, i m Wettstreit bzw. Meinungskampf Richtlinien zu gewinnen und Meinungen zu klären, i n denen sich die menschlichen Verschiedenheiten i n Fühlen, Denken und Wollen ausdrücken. Der Idealtyp des Parteiwesens bestehe i n der Beschränkung desselben, etwa auf eine Zweiteilung wie i n Amerika oder eine Dreiteilung wie i n England 4 5 . Ansätze zu einer begrifflichen Auseinandersetzung finden sich auch i n den ,Stimmen der Zeit'. Matthias Reichmann versucht eine begriffliche Fassung an Hand der Unterscheidung zwischen einer ,konfessionellen' und einer ,politischen' Partei 4 6 . Die Bemühungen gelangen aber über rein phänomenologische Ansätze nicht hinaus. Von einer verfassungsrechtlichen Bestimmung ist nicht die Rede. Anlaß seiner Ansführungen ist die Bestimmung des Zentrums als einer konfessionellen Partei, wie sie von deutschnationaler Seite vorgenommen wurde 4 7 . Reichmann versucht, diese Bestimmung zurückzuweisen. Zwar habe das Zentrum eine bestimmte Weltanschauung, wie jede politische Partei i n irgendeiner Weise Stellung nehme zu den Streitfragen der Religion, der Moral, der Rechtsund Gesellschaftsordnung, des Christentums, der Erziehung, der Schule und der Kirche, kurz: der Weltanschauung. Diese Beziehung aber erlaube nicht die Bezeichnung des Zentrums als einer ,konfessionellen' Partei. Vielmehr sei es eine politische' Partei, und zwar deshalb, w e i l es dem sittlichen, staatlichen und materiellen Wohl des ganzen deutschen Volkes dienen wolle. Selbstverständlich sei es bestrebt, i m Rahmen dieser Aufgabe und i m Rahmen strenger Parität und Gleichberechtigung auch der , angemessenen Förderung des katholischen Volksteils und dem Schutze der katholischen Kirche und ihrer Rechte1 Rechnung zu tragen. Doch geschehe dies nach politischen Grundsätzen und m i t politischen Mitteln. Über weitere Ausführungen zu diesem Punkt schweigt sich der Verfasser aus 48 . 44
259 (NR), S. 675. Ebd. 46 118 (SdZ). 47 Gemeint ist der A r t i k e l v o n K. Ziesché, i n : Katholisches Korrespondenzblatt. Organ des Reichsausschusses der K a t h o l i k e n i n der Deutschnationalen Volkspartei, Nr. 2 v o m 14. Januar 1922. 48 Reichmanns These blieb i n ihrer Anwendung auf die Wirklichkeit nicht unwidersprochen. Vgl. dazu etwa: Oswald v. Nell-Breuning, Z u r Programmatik politischer Parteien, i n : Ο. v. N.-B., Wirtschaft u n d Gesellschaft heute, 3 Bde., Bd. 2, Freiburg 1957, S. 253 ff., S. 261: I h r e m Programm nach habe das Zentrum zwar »politische4 Partei sein w o l l e n — tatsächlich aber u n d i m Bewußtsein des Volkes sei sie zweifellos Weltanschauungspartei, »konfessionelle Partei' gewesen. 45
1. Begriffliches Verständnis
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Ein Vertreter der Gruppe, die von einer alternativen Gesamtvorstellung der Staatsordnung ausgeht und eine negative Begriffsbestimmung von ,Partei' gibt, ist Franz Xaver Hoermann. I n einem A r t i k e l über ,Stand, Partei und Staat' 4 9 umreißt er seine Vorstellungen, die eher von einer Deklassierung als von dem Bemühen u m ein sachliches Begreifen des Gegenstandes bestimmt ist. »Parteien', notwendig m i t dem ,modernen Parlamentarismus' gegeben, bedeuten für i h n ,Gruppierung oder besser Zerteilung des Volkes nach politischen Tendenzen und Weltanschauungen' 50 . „Parteien sind keine realen Grundlagen des Staates, sondern i n vielen Fällen Schädlinge desselben. Sie sind keine natürlichen, sozialrechtlichen, sondern künstliche Erscheinungsformen. Sie sind zudem keine rein politischen, sondern vor allem Weltanschauungsgebilde 51 ." Seine weiteren Ausführungen reichen noch weit mehr als die vorstehende Formulierung i n den Bereich der Wertungen und können hier kaum erwähnt werden. Interessant i n diesem Zusammenhang ist allerdings, daß Hoermann m i t seinen Vorstellungen einer Umgestaltung des Weimarer Staates innerhalb der verfassungsmäßigen Möglichkeiten 5 2 auf den Gedanken einer katholischen Partei und eines christlichen Parteikartells verfällt, u m seine politischen Vorstellungen durchzusetzen, also die Partei als ein M i t t e l betrachtet, politisch tätig zu sein und bestimmte politische Vorstellungen durchzusetzen 53 . Eine der ausführlichsten Auseinandersetzungen m i t den Parteien findet sich i n den,Gelben Heften' 5 4 . Obwohl es der Verfasser darauf absieht, sie als das ,Krebsübel unserer Z e i t ' 5 4 a darzustellen, w i l l er sich nicht damit aufhalten, die zahlreichen, verschiedenen Definitionen von dem, was eine politische Partei i m heutigen Sinne ist', durchzugehen, sondern w i l l seine Auffassungen eher auf die Entstehungsgeschichte der Parteien stützen, wie er sie versteht 5415 . Unter ,Parteien' versteht der Verfasser willkürliche, unorganische Bindungen 5 5 , die zu ihrer Voraussetzung die ,Formal-Demokratie' haben 56 . Solche Parteien bildeten sich vielfach je nach den Auffassungen ihrer Mitglieder vom Staat und seinen Aufgaben 5 7 . Die Parteien trügen i n sich die Tendenz zur Aufsplitterung, und 49
53 (HPB1). Ebd. S. 533. 51 Ebd. 52 Vgl. ebd. S. 530. » Ebd. S. 534 f. 54 139 (GH). 54a Ebd. S. 325. 54 b Ebd. S. 313. 85 Ebd. S. 317. 59 Ebd. S. 318. 67 Ebd. S. 322. 50
136
Teil Β, I I .
Partikritik
deshalb werde es immer mehr Parteien geben. Die Parteien lebten von einer A r t Krankheitszustand des Volkes, sie lebten von der »Atomisierung' und ,Pulverisierung' des Volkes und seien — darin einem ,Krebsübel· gleich — darauf aus, diesen Zustand zu erhalten 5 8 . Dadurch, daß jede Partei i m Grunde ihre eigenen Sonderziele verfolge, zerteile sich der Staatsgedanke auf verschiedene Parteien und verliere somit seine Einheit und Geschlossenheit. Er müsse dadurch unbeständig und machtlos werden 5 9 . Dieses Wesen der Parteien gelte es zu erkennen, u m dann dieser Übelerscheinung abzuhelfen, d. h. die Parteien zu beseitigen 60 . 2. Wertende Einstellungen
Wie das Wort »Parlamentarismus' so sind auch Wörter wie ,Partei', ,Parteienstaat' usw. zumeist i n ihrem Gebrauch negativ wertbesetzt. Sie sind gleichsam assoziationsgeladene Schlüsselwörter, deren Gebrauch oft eher auf eine entsprechende Klassifikation abzielt denn als Beschreibung bestimmter politischer Zustände verwendet wird. Es kann sich i m folgenden nicht darum handeln, die verschiedenen ausdrücklichen oder auch unausdrücklichen Abwertungen zu untersuchen. Der Akzent liegt auf den inhaltlichen Vorbehalten. Sie stellen freilich den Bereich dar, aus denen sich die verbalisierten und rhetorischen Abwertungen rekrutieren. Stellvertretend für viele sollen hier einige wenige Beispiele vorgestellt werden. Das Besondere an dem Wertungsfeld ,Partei' liegt gegenüber dem von ,Parlament' darin, daß die Herkunft und konkrete sachliche Begründung dieser negativen Wertungen meist nicht ohne weiteres zu erkennen sind. Die meisten Vorbehalte steigern sich so sehr ins allgemeine, daß vielfach nur noch die reine Negation, nicht einmal mehr die dahinterstehende A l ternative zum Durchschein kommt. So etwa verhält es sich m i t der Bezeichnung der Parteien als eines ,Krebsübels' am Organismus des Volkes 61 . Oder wenn die »wechselnde Parteienherrschaft die ,fruchtbare M u t ter der Revolution' genannt w i r d 6 2 . Weniger starke Formulierungen finden sich i n vielen Ausführungen. So hält man den Parteien beispielsweise Grundsatzlosigkeit v o r 6 3 ; der
58
Ebd. S. 328 f. Ebd. S. 335. Ebd. S. 336 ff. 61 128 (GH), S. 313 u n d 325; 129 (GH), S. 385. Hoermann gebraucht zwar ein weniger starkes Wort, nennt die Parteien aber i m m e r h i n auch eine »Krankheitserscheinung am Volkskörper', 53 (HPB1), S. 534. 62 31 (HPB1), S. 195. 63 172 (AR), S. 568. 59
2. Wertende Einstellungen
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,Parteigeist' sei »zersetzendes G i f t ' 6 4 ; man spricht vom ,Parteibetrieb' als »Geschäftsbetrieb' 65 und für Hoermann sind die Parteien »fließende Sandhaufen der Individuen' 6 6 . Ein Textbeispiel aus den »Stimmen der Zeit': „Der Parteigeist ist ein zersetzendes Gift, das sich i n alle Adern des staatlichen Lebens ergießt und jede aufbauende Arbeit unmöglich macht. Er beurteilt alle Vorkommnisse aus dem engen Gesichtspunkt des Eigennutzes, mag darüber das Ganze zu Grund gehen; ja er hat nur mehr Auge und Sinn für den Kampf gegen die eigenen Volksgenossen. Während bei der eigenen Partei das Schwärzeste weiß gewaschen und jeder Klüngel gerechtfertigt wird, muß bei dem Gegner auch der kleinste Fehler aufgebauscht und ausgeschlachtet werden. Kein Wunder, daß edlere, zartere Naturen, von der innern Verlogenheit der öffentlichen Verhältnisse angewidert, die Flucht aus dieser vergifteten Atmosphäre ergreifen 67 ." Insgesamt lassen sich auch i n diesem Bereich der Einstellungen zu den Parteien grundsätzlich zwei Gruppen feststellen: die einen lehnen das Parteiwesen rundum ab und wollen für eine solche Ablösung — meist zugunsten korporativer Volksvertretungen — arbeiten. Dazu zählen Buchner 68 von den ,Gelben Heften' und Hoermann von den ,Historischpolitischen Blättern'. Daneben gibt es eine Reihe von Autoren, die zwar manches an den gegenwärtigen Zuständen der Parteien und ihrer Rolle i m Staat auszusetzen haben, aber dennoch der Meinung sind, daß ohne sie nicht auszukommen sei und deshalb an einer Verbesserung ihrer Verfassungen gearbeitet werden müsse. Dazu zählen Autoren der ,Allgemeinen Rundschau' 69 , des ,Hochland' 70 und der ,Stimmen der Zeit' 7 1 . Die Reformvorschläge reichen von einer Vertiefung weltanschaulicher Grundlagen (etwa des Zentrums) der Parteien und ihrer Programme über die Forderung nach einer weitgehenden Entradikalisierung des Parteispektrums bis hin zu der Forderung nach mehr Autorität und einer größeren Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament und damit von den Parteien. I n einem ähnlichen Sinne äußert sich auch Lerchenfeld i m ,Neuen Reich'. Was er vom System als Ganzes sagt, gilt auch für die Parteien: „Die grundsätzliche Beibehaltung der frei gebildeten Vertretung des ganzen Volkes als rein demokratischer Einrichtung erweist sich für das staatliche Leben unserer Zeit als Notwendigkeit und es kann sich also nur 84
119 (SdZ), S. 170.
85
87 (HL), S. 3. 53 (HPB1), S. 538. 119 (SdZ), S. 170. Vgl. hierzu den f ü r Buchner bezeichnenden A r t i k e l 129 (HG). E t w a : 160 u n d 176 (AR). E t w a : 89 (HL). E t w a : 117 u n d 119 (SdZ).
88 87 88 89 70 71
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darum handeln, das System wirksamer zu verbessern 72 ." I m übrigen plädiert er für eine größere Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament und damit von den Parteien und insbesondere für eine zweite Volksvertretung, eine zweite Kammer also, auf föderativ-aristokratischer Grundlage durch mittelbare Volkswahl 7 3 . 3. Inhaltliche Vorbehalte
Die Auseinandersetzung auf der Ebene der Parteienkritik, also die Frage nach der politischen Organisiertheit einer Gesellschaft, die Frage nach der vorpolitischen Gliederung der Gesellschaft selbst und die Fragen nach einer Volksvertretung, brachte die Gegner des bestehenden Systems zur Besinnung auf die eigenen Grundlagen, die sie diesem System gegenüberstellen wollten. Bei diesen eigenen Vorstellungen handelt es sich aber nicht u m einen — i m Rahmen eines einfachen konservativen Mechanismus bestehenden — restaurativen Mechanismus, der die durch die neuen und sozialen und politischen Verhältnisse abgelösten alten Zustände lediglich dadurch zurückruft, daß er die alten Legitimationstheorien repetiert. Vielmehr werden die verblichenen alten Legitimationstheorien neu reflektiert, vor allem aber neu systematisiert; und dabei w i r d nicht nur auf die jüngst vergangenen Verhältnisse rekurriert, sondern auch auf fernere Zustände wie etwa das Mittelalter zurückgegriffen, Zustände, die — je mehr sie zurücklagen — i m Rahmen einer ideologischen Geschichtsphilosophie idealisiert und insbesondere idealtypisiert werden können. Solche Unternehmungen konnten i m Zuge dieser Systematisierungen neue, teilweise utopische, teilweise auch nur theoretische Elemente aufnehmen, und es entstanden dann alte Gesellschaftskonzeptionen i n neuer, verbesserter Auflage, wie etwa i n Gestalt eines organischen Staatsdenkens, i m Föderalismus, i m ständischen Denken, i n A n sätzen einer Re-aristokratisierung, i n monarchischem Gedankengut usw. Da diese Vorstellungen nicht nur rein theoretische Gegenständlichkeiten waren, sondern m i t ihnen gleichzeitig außertheoretische, gefühlsmäßige Assoziationen zu verbinden waren, konnte dieses Denken die Funktion einnehmen, die es innehatte: der Versuch einer theoretischen Stützkonzeption ins Wanken geratener Legitimation m i t Hilfe einer ,theoretischen Systematisierung symbolischer Sinnwerte' 7 4 . I m folgenden w i r d i m Verlaufe eines Versuches, die antidemokratischen, antiparlamentarischen und (hier besonders) antiparteilichen Gedankengänge i n ihrer kritischen Funktion systematisierend zu rekonstruieren, sich als Gliederung ergeben, Hauptzüge solchen alternativen Den72 73 74
261 (NR), S. 748. Ebd. S. 748 f. Vgl. Berger/Luckmann,
S. 112 ff.
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3. Inhaltliche Vorbehalte
kens nachzuzeichnen, insoweit sie die Basis für eine antiparteiliche K r i t i k abgaben. Dabei werden sich zunächst drei Hauptpunkte ergeben: die Basis eines ständestaatlichen Denkens, dann die eines föderativen und schließlich die eines autoritativen Denkens. Alle drei — so erweist sich — implizieren als innere Voraussetzung die Vorstellung eines organischen Staatsdenkens, das allerdings weitgehend die Form eines »organizistischen' (Gundlach) 75 Denkens annimmt. I m Rahmen der Erörterung eines ständestaatlichen Denkens w i r d auch kurz auf die Episode eines katholischen Rätedenkens einzugehen sein. Als eine besondere Weise katholisch-konservativer Parteienkritik stellt sich die K r i t i k am Parteienstaat als eines Produktes' der Sozialdemokratie und des Liberalismus dar, was teils i n anderen Zusammenhängen bereits anklang. Besonders eingegangen werden soll aber auf eine spezifische Variante katholisch-konservativer Parteienkritik: die K r i t i k am demokratischen Zentrum. Von einer solchen K r i t i k wurde die bayerische Schwesterpartei, die BVP, zumeist ausgenommen, da sie sich i n ihrem Verhältnis zum Weimarer Staat wesentlich weiter ,rechts' festgelegt hatte und viele Forderungen der hier vertretenen katholisch-konservativen Theoretiker zumindest nicht ausdrücklich negierte. a) Parteienkritik
auf der Basis ständestaatlichen
Denkens
Das ständische und ständestaatliche Denken hat i n der katholischen Soziallehre eine lange und breit gefächerte Tradition 7 6 . Ohne auf seine einzelnen Ausprägungen hier einzugehen, w i r d man verallgemeinernd sagen können, daß es zwei logische Voraussetzungen i n sich trägt: 1. den Gedanken eines wie immer gefaßten Naturrechtes, also die Vorstellung von existierenden und erkennbaren Grundstrukturierungen menschlichen Lebens i n der Umwelt und i m Miteinanderleben; 2. die Vorstellung eines wie immer gearteten organischen Wesens der menschlichen Gesellschaft. A u f diesen beiden Voraussetzungen bauen sich ständische, föde75 Gustav Gundlach, einer der bedeutenden katholischen Sozialphilosophen (1892 -1963), hat diesen Begriff i m Rahmen einer K r i t i k am organischen Gesellschaftsmodell geprägt. E r hielt die Übertragung »organischer* Vorstellungen auf die Gesellschaft n u r i n einem analogen Sinne f ü r möglich u n d bezeichnete als ,organizistisch' jegliche univoke A n w e n d u n g dieses Vergleichs. Vgl. Gustav Gundlach, Grundzüge einer Gesellschaftslehre, i n : G. G., Die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, hrsg. v o n der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, 2 Bde., K ö l n 1964,1. Bd., S. 67 ff., S. 70 f. 78 Nach Gustav Gundlach hat die katholische Sozialphilosophie v o n jeher i n der ständischen Gliederung w e n n nicht einen wesentlichen so doch einen n a t ü r lichen Zustand u n d A u f b a u der Gesellschaft betrachtet. Dazu u n d zur außerkatholischen Begriffsgeschichte: die A r t i k e l über ,Stand', »Ständestaat', »Stand u n d Klasse' u.a. von Gustav Gundlach, i n : Gundlach, Bd. 2, bes. S. 193 ff. u n d 247 ff.
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Teil Β, I I .
Partikritik
ralistische und autoritative Vorstellungen auf und gestalten sie zu gesellschaftlichen und politischen Totalvorstellungen. Der besondere Charakter dieser Zeitschriften als publizistische Organe, also nicht als wissenschaftliche oder philosophisch-theologische Fachzeitschriften, bringt es m i t sich, daß eine eigentliche Erörterung der Naturrechtsproblematik ausbleibt. Zur Darstellung gelangen allerdings ansatzweise organische bzw. weitgehend ,organizistische' Vorstellungen. aa) Organische Gesellschaftsvorstellungen und Parteienkritik Das organische Denken von der Gesellschaft ist eine Weise, das Phänomen menschlichen Zusammenlebens unter eine einheitliche Zusammenschau zu bringen 7 7 . Es besitzt eine lange Tradition i n der abendländischen Geistesgeschichte, ist aber i m Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem antiliberalen Und damit antiparlamentarischen Topos i n der Auseinandersetzung m i t den sozialphilosophischen Gegenströmungen geworden und war vor allem als Gegenbegriff zu Mechanismus und Atomismus i n Gebrauch. I n seiner begrifflichen Akzentuierung w i l l es das Ganze einer Gesellschaft i n den Griff bekommen. Leitend ist dabei die Analogie zum biologischen Organismus, d. h. eines einheitlichen, gegliederten Ganzen, das nur als solches lebensfähig ist, i n der die einzelnen Glieder i n ihrer besonderen, ihnen zubestimmten Funktion für das Ganze w i r k e n und so dem Ganzen Leben ermöglichen. I m Rahmen der antiparlamentarischen K r i t i k bildet dieses Denken i n den vorstehenden Zeitschriften ein reichlich bemühtes Reservoir für eine antiliberale und antidemokratische Polemik. A n vielen Stellen ist nur beiläufig die Rede von der ,organischen Staatsauffassung', dem ,organischen Denken' usw., doch beschäftigen sich eine Reihe von A r t i k e l n ausdrücklich m i t diesem Vergleich, ohne allerdings die methodologische Problematik eines solchen Analogiedenkens näher zu beachten 78 . I m Verlauf seiner ausführlichen Parteienkritik kommt Th. Ewerword (Pseudonym) i n den ,Gelben Heften' zu einer Darstellung organisch-ständischer Gegenvorstellungen zum Parteiensystem 79 : „ . . . die ganze menschliche Gesellschaft (ist) ein Organismus . . . ähnlich dem menschlichen K ö r per m i t vielen verschiedenen Organen, die zueinander i n vielfachen Be77 Über die innerkatholische Auseinandersetzung u m diesen Begriff informiert Peter Tischleder, Organismus, A r t . i n : StL, 5. Aufl., 3. Bd., Sp. 1745 - 1753; dort auch weitere Literaturangaben. 78 Ansätze zu einer K r i t i k bei Gundlach, Bd. I, S. 72 f. 79 128 (GH); M a x Buchner nennt i n einer einleitenden A n m e r k u n g diesen A r t i k e l , der i n der Ausführung hält, was er i m U n t e r t i t e l verspricht (,Ein K a m p f r u f gegen seine [des Parteiswesens, d. V.J Schäden') eine „sehr beachtenswerte Studie". Ebd. S. 304 A n m . 1.
3. Inhaltliche Vorbehalte
141
Ziehungen stehen, welche sich m i t größerer oder geringerer Notwendigkeit aus der menschlichen Natur ergeben. Wohl nie war die menschliche Gesellschaft so gut und ihrer Natur entsprechend organisiert, wie sie es i m Mittelalter war. Dieser i m wesentlichen berufsständische Organismus wurde i n jahrhundertelanger, recht fleißiger Arbeit aller Beteiligten nach und nach zerstört, so daß die von der Natur gewollten Ober- und Unterorgane i n Auflösung begriffen oder bereits aufgelöst sind" 8 0 . Ein A r t i k e l i n der ,Allgemeinen Rundschau' hebt i n seinen Ausführungen insbesondere den Gegensatz zu Individualismus und Mechanismus hervor 8 1 . Nach einem alten katholischen Dialektikmodell, das seinem Selbstverständnis nach bestrebt ist, übersteigerte Gegensätze i n ihrer Gegensätzlichkeit integratorisch zu vermitteln, w i r d dem Individualismus, als seinem Vertreter des übersteigerten Freiheitsgedankens und dem Mechanismus als einem Vertreter des übersteigerten Gleichheitsgedankens der ,Organismus' als das Prinzip der Liebe gegenübergestellt. „Der Organismus ist die echteste und höchste Lebensform. Er baut auf dem Prinzip der Liebe, der großen, vereinigenden Kraft, dem Urquell des Lebens, dem Triebe der Weltenuhr. Der Liebe gelingt es, i m lebendigen Leben die beiden Polarprinzipien der Freiheit und der Gleichheit zu einer höheren, harmonischen Lebenseinheit zu verbinden. Auch diese Einheiten werden dann weiter immer wieder verbunden, bis als letzte die große, unendliche Welteneinheit entsteht, ein ungeheures, harmonisches, beseeltes Ganzes, das wahrhaftige Sphärenharmonie austönen läßt, die bis ins letzte Glied vernehmlich wird. Freiheit und Gleichheit aber werden i m ,Organismus' so aufgehoben, daß nun ein lebendiges Ganzes entsteht, ein corpus, dessen Glieder (membra) als notwendig zur Vollkommenheit des Organismus gleichwertig sind, aber auch Freiheit besitzen, da jedes seine Aufgabe erfüllen muß 8 2 ." Der Text fällt auf durch seine quasimystischen Erhebungen und Visionen, die neben den ins pantheistische umschlagenden christlich-religiösen Parallelen zu gesellschaftstheoretischen Erwägungen ihre besonderen assoziativen Wirkungen haben dürften. Darüberhinaus ist der Verfasser bestrebt, den Organismusgedanken als ,im Mittelpunkte der Kulturbewegung' stehend darzustellen 83 : Föderalismus gegen Einheitsstaat: ,nur Nationalstaat' gegen ,Glied des Weltstaates zur allgemeinen Wohlfahrt'; Berufsdenken gegen Klassendenken; usw. Das organische Denken,durchwalte' die Jugendbewegung, beeinflusse die Sittenlehre und äußere sich 80 81 82 83
Ebd. S. 314 f. Vgl. auch 90 (HL), S. 230 u n d 111 (SdZ), S. 167 ff. 187 (AR). Ebd. S. 731. Ebd.
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i n den religiösen Gemeinschaften, besonders i n der katholischen Kirche 8 4 . Der Aufsatz schließt m i t der folgenden bezeichnenden Passage: „ W i r sehen: der organische Gedanke als das Einheitliche i n dem W i r r w a r r des modernen geistigen Lebens fast überall. . . . Eine lebensfähige Zukunft kann man i h m durchaus zuschreiben, da er tief fundiert ist, vor allem aber, da er die beiden Hauptelemente unserer K u l t u r umschließt und weit ausbeutet; er ist echt germanisch und christlich zugleich 85 !" Ein weiterer A r t i k e l muß wegen seiner Aufschlüsse, die er über eine mögliche Deduktionskette i m Rahmen dieses Denkens gibt, erwähnt werden. Zudem erlaubt er Einblicke i n die Methodik dieses Denkens. Es handelt sich u m einen A r t i k e l über den ,sozialen Organismus 4 i n den ,Historisch-politischen Blättern' 8 6 . Der Aufsatz steht unter dem Motto, daß der Mensch von der Natur nur dann ,Segen' erwarten könne, wenn er die von Gott hier niedergelegten Gesetze zuvor anerkenne 87 . Als solche Naturgesetze des sozialen Lebens werden hingestellt: Die Familie, die Ehe, das Wachstum und die gegenseitige Beeinflussung'. Sodann w i r d gefragt, ob diese ,erkennbaren Naturgesetze' befolgt wurden, und es w i r d folgende A n t w o r t gegeben: „Während das Naturgesetz des sozialen Lebens klar und deutlich auf die Verbindung von Autorität (Vater) und Unterordnung (Mutter und Kinder), Recht und Liebe, Geben und Nehmen, opferwilliges Einstehen des Einen und Aller für Einen hinweist, hat man i m modernen Verkaufssyndikat, i n der Gewerkschaft und ähnlichen Gebilden nur einseitige Interessen, einseitig das Fordern von Rechten, das Nehmen von Preisen organisiert. Man lehnt es ab, sich m i t dem anderen Teile zur Berufsfamilie (Meister, Geselle, Lehrling oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer) zu verbinden. Während i n der Familie gewissermaßen die Liebe die gewonnenen Güter verteilt, diktiert das K a r t e l l die Preise der Waren, w i r d die Lohnhöhe durch Machtkampf entschieden 88 ." Zunächst werden also — i n verallgemeinernder Nachkonstruktion der Methodik — bestimmte bestehende Verhältnisse beschrieben und gemeinsam m i t ethisch-religiösen Maximen i n den Stand von vorgegebenen Naturgesetzen versetzt und verdinglicht. Dann w i r d i n einer zweiten Stufe diese ,Gesetzlichkeit' transponiert auf die Ebene der Gesellschaft. Aus — fixierten — familiären Verhältnissen werden gesamtgesellschaftliche: Autorität, Ordnung, Solidarität usw. Die ganze Konstruktion gelangt dann zu einem Vergleich mit den bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zuständen und w i r d zu einer Bezugsquelle für diffamie84 85 86 87 88
Ebd. S. 731 f. Ebd. S. 732. 50 (HPB1). Ebd. S. 231 f. Ebd. S. 234.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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rende Quasianalysen. Als Quintessenz w i r d geschlossen: „ W i r müssen eben zukünftig solche Organisationen aufbauen, die den naturgesetzlichen Anforderungen des sozialen Lebens, dem Vorbilde der Familie entsprechen. W i r müssen vom sozialen Mechanismus zum sozialen Organismus kommen 8 9 ." Es folgt i m weiteren noch eine ,organische 4 Anwendung, die m i t religiösen Zusatzmotiven versehen wird. Das vorstehende Beispiel kann nicht unbedingt verallgemeinert werden. I n seiner Weise stellt es ein Paradebeispiel für ein nicht mehr »organisches4 sondern ,organizistisches 4 Denken dar. W i r werden i m Rahmen einer Gesamtkritik dieses konservativen Denkens noch auf solche und weniger platte Arten solchen Denkens zurückzukommen haben. bb) Ständische Gesellschaftsvorstellungen und Parteienkritik Grundgedanke des ständischen, ständestaatlichen und berufsständischen Denkens, das innerhalb der katholischen Sozialphilosophie gegen liberale und sozialistische Gesellschaftsvorstellungen entwickelt w u r d e 9 0 - 9 2 , ist die Überlegung, daß eine Gesellschaft immer irgendwelche Strukturierungen hat. Die von liberaler Seite vertretene ,Atomisierung 4 des Volkes sei eine Fiktion. I n jedem Falle würden sich Gruppierungen i n einer Gesellschaft bilden. Wenn dies aber eine Tatsache sei, dann solle der Prozeß einer solchen Gruppenbildung ordnungsgemäß, vernünftig und nach Plan geschehen. Positiv gewendet kann man sagen, daß die Vertreter des ständischen Denkens für eine rationale Planung des gesellschaftlichen eintreten, wobei allerdings der Inhalt von »rational 4 von den philosophischen Positionen der einzelnen Vertreter abhängig ist. Die gesellschaftlichen Strukturierungsvorstellungen des ständestaatlichen Denkens, vor allem wie es i n den untersuchten Zeitschriften anzutreffen ist, gehen davon aus, daß die gesellschaftlichen Gruppenbildungen und die politischen Willensbildungen (soweit man diese für nötig hält) vom alltäglichen Lebensraum ausgehen müßten. Dieser Lebensraum wurde früher nach Geburtsständen bestimmt, heutzutage aber sei er durch Leistungsgemeinschaften charakterisiert. 89
Ebd. S. 235 f. »0.92 Einen Überblick über die katholische Ständelehre u n d die Theorien einer berufsständischen Ordnung geben die A r t i k e l von Gustav Gundlach i n der fünften u n d sechsten Auflage des Staatslexikons, insbesondere die A r t i k e l : »Stand; Ständewesen 4 (im 1. Bd. der 5. Aufl., Sp. 45 -62) u n d »Ständestaat4 (ebd. Sp. 67 - 71); »Berufsständische Ordnung 4 (im 1. Bd. der 6. Aufl., Sp. 1124 - 1136) u n d »Stand4 (ebd., 7. Bd., Sp. 653 f.), die jetzt auch i n seinen gesammelten Schriften zu finden sind: Gundlach, Bd. I I ; kritische Ansätze, die über eine innerkatholische Diskussion hinausgehen, finden sich bei Joseph H. Kaiser, Ständestaat, A r t . i n StL, 6. Aufl., 7. Bd., Sp. 655 -658; dort auch weitere L i t e r a t u r angaben.
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Teil Β, I I .
Partikritik
Das Spektrum solchen ständischen Denkens reicht von der Restauration vergangener, teilweise mittelalterlicher Zustände bis h i n zu rein berufsständischen Konzeptionen, aus denen die alten geburtsständischen Vorstellungen eliminiert wurden. Bis zum Erscheinen der Enzyklika »Quadragesimo anno 4 i m Jahre 1931 lassen sich zwei Linien i m katholischen Ständedenken feststellen: eine romantische Richtung und eine solidaristische. Die romantische Richtung entstand bereits i m 19. Jahrhundert und wurde von katholischen Restaurationspolitikern und deutschen Romantikern i m Zuge einer allgemeinen Hinwendung zum Mittelalter entwickelt. Z u ihnen zählen Männer wie Bonald, de Maistre, Donoso Cortés, Müller, Baader, Haller, Jarcke, Görres usw. I h r Vorstellungen waren jedoch keineswegs einheitlich 9 3 . Die solidaristische Richtung des ständischen Denkens geht auf Heinrich Pesch zurück. Hier wurden scholastisch-naturrechtliche Prinzipien m i t Erkenntnissen der modernen Gesellschaftslehre, vor allem der Nationalökonomie, verknüpft 9 4 . Während die solidaristische Ständelehre, deren Ausbau nach dem Kriege die katholischen Sozialphilosophen Gustav Gundlach und Oswald von Nell-Breuning fortgesetzt hatten, bemüht war, liberal-individualistische und sozialistische Ansätze i n die katholische Soziallehre aufzunehmen und sie i n das System des Solidarismus zu integrieren, bestand die romantische Linie nach dem Krieg vor allem i n einer Wiederaufnahme romantischrestaurativer Vorstellungen. Sie mündet i n ihrer Entwicklung teilweise i n den Universalismus eines Othmar Spann 95 . Die Ständelehre findet i n allen Zeitschriften beiläufig zwar viel Beachtung, doch w i r d sie kaum systematisch entwickelt. Auch die Unterschiede zwischen den beiden Richtungen treten wenig hervor 9 6 . Die,Historisch-politischen Blätter' dagegen legen sich eindeutig auf die romantische Linie fest, wo sie ihr Hauptautor, F. X . Hoermann, entwickelt. Seine Vorstellungen sollen i m folgenden zur Darstellungen gelangen, u m sie i m Ansatz zu analysieren. Bei fast allen Artikeln, die Hoermann i n den Jahren nach der Revolution schreibt, klingen ständische Vorstellungen an und basiert insbesondere seine K r i t i k am Weimarer Staat auf solchen ständischen Gesellschaftskonzepten. A m ausführlichsten und i n Zusammenhang einer Parteien93 Vgl. Gustav Gundlach, Christlich-soziale Tragik, ein A r t i k e l i n den SdZ aus dem Jahre 1928, jetzt i n : Gundlach, 1. Bd., S. 471 - 480, S. 475. 94 Heinrich Pesch, Lehrbuch der Nationalökonomie, 4 Bd., 1905 - 1913. 95 Othmar Spann, Der wahre Staat, 1923. 98 Näheres über die beiden Schulen u n d ihre Kontroversen bei Justus Beyer, Die Ständeideologien der Systemzeit u n d ihre Überwindung, Darmstadt 1941, bes. die S. 117 ff. Das Buch ist auf der Basis des Nationalsozialismus geschrieben u n d weitgehend i n seinen Beurteilungen davon bestimmt. Doch hat Beyer i m einzelnen brauchbare Analysen u n d interessante Überblicke geboten. Das Buch ist die Veröffentlichung seiner Dissertation i n Erlangen 1939.
3. Inhaltliche Vorbehalte
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k r i t i k kommt er i n seinem A r t i k e l ,Stand, Partei und Staat' 9 7 auf diese Gedankengänge zu sprechen. Für i h n setzt sich ein Staat einerseits aus Provinzen oder Kronländern, Bezirken und Gemeinden zusammen; andererseits aus Berufsständen: aus Bauern, Handwerkern, Kaufleuten, I n dustriellen und Industriearbeitern, Geistlichen und Gelehrten usw. A l l diese politischen und sozialen Gebilde besitzen nun seiner Ansicht nach eine A r t Eigenleben und entwickeln ihr eigenes, »zentripetal wirkendes' Interesse, ihre eigene Gestaltung, Geschichte und Sitte 9 8 . Unter ,Stand' versteht Hoermann „eine sozial und kulturell nahezu gleichartige, historisch gewordene Volksschicht, welche für die Gesellschaft bestimmte, vorab wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen hat" 9 9 . Für Hoermann ist der Stand aber nicht nur eine wirtschaftliche und politische Einheit, sondern enthält darüberhinaus auch noch religiöse, sittliche, erlebnis- und traditionsgebundene Momente. „ E i n Stand — so zitiert er den Kölner Mittelstandstag von 1920 — ist ein Sittenkörper, keine nur materielle Zusammenfassung der Angehörigen desselben Berufes ...,Stand' und ,Organisation' verlangen innere Einigungskräfte und sittliche Einigungsmotive 1 0 0 ." Stände ergeben sich für Hoermann aus einer natürlichen Entwicklung. Historisch besehen hätten sie sich aus dem ältesten Stand überhaupt, dem Bauernstand, entwickelt, und zwar durch Differenzierung der Arbeit, durch Teilung des Besitzes und der Herrschaft. Und so sei dann aus den ,um das Volk verdienten und angesehenen Familien' der Adel entstanden; aus der alten Hauswirtschaft das Handwerk und aus diesem der Handelsstand usw 1 0 1 . „Die Stände sind so gleichsam ein Naturprodukt; nur ein Stand ist von Gott unmittelbar eingesetzt: das Priestertum oder der Klerus 1 0 2 ." I m Laufe der weiteren Geschichte sind dann die Stände zu geschlossenen Gebilden geworden, mit eigener Verwaltung und eigenem Recht 1 0 8 . „Die Stände wurden zu unentbehrlichen und unantastbaren Gliedern des einheitlichen staatlichen Körpers 1 0 4 ." Ohne die Stände könnte nach Hoermann der Staat eigentlich gar nicht existieren; ohne ihre Arbeit wäre er gar nicht zu denken: ihre wirtschaftlich-kulturelle Tätigkeit, ihre Erwerbsarbeit und ihr Besitz, ihr Steueraufkommen, ihre Mission auf ad97
53 (HPB1). 44 (HPB1), S. 331. 99 53 (HPB1), S. 526. 100 44 (HPB1), S. 332. 98
101 102 103 104
53 (HPB1), S. 526. Ebd. Ebd. S. 527. Ebd.
10 Mennekes
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Teil Β, I I .
Partikritik
ministrativem, kulturellem, politischem und militärischem Felde 1 0 5 . M i t Donoso Cortés umschreibt er ihr Verhältnis zum Staat: „Die Staatsgewalt und die Stände sind wie die Einheit und die Verschiedenheit, deren Repräsentanten sie sind, unverletztlich und heilig, w e i l durch ihr Dasein Gottes Gesetz erfüllt und zugleich die Freiheit des Volkes gewährleistet wird106." Worauf letztlich diese ganze »natürliche 4 Konstruktion hinauslaufen soll, umreißt er unverblümt unter Berufung auf die idealen mittelalterlichen Zustände: „Er (sc. der ständische Staat, d. V.) war einer wohlgegliederten Pyramide vergleichbar, deren Spitze der Monarch oder das Staatsoberhaupt bildete und dem sich i n den abwärts liegenden und sich verbreiternden Stufen der Adel und der Klerus, das städtische Bürgerund das Bauerntum anschlossen. Ein Stand trug so den anderen, es war ein System sich gegenseitig stützender und erhaltender Kräfte, i n dem keine K r a f t ausgeschaltet werden konnte, ohne das Ganze zu schädigen 1 0 7 ." Solche Vorstellungen wurden i n „Gegensatz zu dem i n Parteien zersplitterten modernen Staat 4 4 1 0 8 entwickelt. Hoermann gab sich allerdings insofern keinen Illusionen mehr hin, als er zugab, daß von den ,natürlich ausgebildeten 4 Ständen nicht mehr viel zu spüren war. Dafür gab es das moderne Parteiwesen als politisches Gliederungsprinzip, „die Gruppierung oder besser Zerteilung des Volkes nach politischen Tendenzen und Weltanschauungen 44109 . Die beruflichen oder sozialen Gruppierungen waren dagegen ,aufgehoben und verboten 4 . Deshalb mußte sich die neue staatliche Gesellschaft, u m überhaupt die Wahl ihrer Vertreter zu ermöglichen, i n ,politische Wählermassen, d. h. i n Parteien 4 gliedern und sich i n der Folge i n Parteien bekämpfen. Diese Parteien waren daher keine natürlichen sondern vielmehr künstliche ,Erscheinungsformen