Die Reorganisation des preußischen Heerwesens nach dem Schleswig-Holsteinschen Kriege [Reprint 2018 ed.] 9783111512594, 9783111144870


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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Die Lage der Dinge
II. Der Zweck der Reorganisation
III. Die Feld«Armee. Linie und Landwehr
IV. Die Vermehrung der Aushebung und die Verkürzung der Dienstpflicht
V. Die preußische und die französische Armee
VI. Die Belastung des Land
VII. Zwei- oder dreijährige Dienstzeit
VIII. Der Schleswig-Holsteinische Krieg
Schluß
Nachtrag
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Die Reorganisation des preußischen Heerwesens nach dem Schleswig-Holsteinschen Kriege [Reprint 2018 ed.]
 9783111512594, 9783111144870

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Die

Reorganisation des Preußischen Heerwesens nach dem

Schleswig-Holsteinschen Kriege

von

C. Frhrn. von Vincke-Oldendorf.

Preußen muß durch den dreifachen Primat der Waffen, der Wissenschaft und der Konsti­ tution ersetzen, was ihm an äußeren Mitteln abgebt.

Gneisen au.

(Der Ertrag ist zum Besten der Kronprinz-Stiftung bestimmt.)

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer.

1864.

Vorwort. ^)er Streit um die Reorganisation des preußischen Heerwesens zwischen Staatsregierung und Landesvertretung dauert bereits in das fünfte Jahr.

Er hat zu einem tiefen inneren Zwiespalt, zu

einer sehr ernsten Verfassungskrisis geführt. Es ist ein beklagenswerthes Schicksal, daß gerade in Preußen, dessen Heereseinrichtungen seit 1813 die volkstümlichsten waren, dessen Heer sich in der letzten großen Probe (1815) und neuer­ dings in dem schleswig-holsteinschen Kriege

mit unvergänglichem

Ruhm bedeckt hat, für dessen politische Lage in Gegenwart unw Zukunft

eine

tüchtige

Heeresorganisation die

wichtigste

Lebens­

bedingung ist, daß gerade hier aus dieser Frage ein Kampf um die Verfassung entstanden ist. Es ist eine Lebensfrage des Staates, daß dieser Streit been­ digt, daß er baldigst in der Art gelöst werde, daß ein tüchtiges Heer

und

eine

freisinnige

Verfassung

in

Preußen

friedlich nebeneinander ihren Platz finden. Die Verfafsungskrisis kann aber nicht gelöst werden, ohne die Lösung der Heeresfrage, aus welcher sie entstanden ist.

Leider hat der Parteigeist sich dieser Frage bemächtigt, so daß es in den meisten der betreffenden Reden und Schriften sich weniger darum handelt, was zu einer guten, die Sicherheit und Macht­ stellung des Landes verbürgenden Organisation des Heeres praktisch erforderlich ist, als was die politischen Parteien ihren Doctrinen und Idealen, ihren Interessen und ihren Zwecken entsprechend und förderlich erachten. Für die praktische Beantwortung der aufgeworfenen technischen Fragen bietet der zweite schleswig-holsteinsche Krieg neue Erfah­ rungen, welche nicht unbenutzt bleiben dürfen. Vielleicht daß die­ selben dazu beitragen, einer unbefangeneren Erwägung der gesumm­ ten Streitfrage Eingang zu verschaffen. Diese Ansicht veranlaßte die gegenwärtige Schrift. Möge sie zur guten Stunde erscheinen und zum Wohl des Vaterlandes wirken! Olbendorf, im September 1864.

Der Verfasser.

Inhalt.

Seite.

I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

Die Lage der Dinge...................................................................................... 1 Der Zweck der Reorganisation ....................................................................... 10 Die Feld«Armee. Linie und Landwehr........................................................ 13 Die Vermehrung der Aushebung und die Verkürzung der Dienstpflicht . . 24 Die preußische und die französische Armee................................................... 34 Die Belastung des Landes...........................................................................43 Zwei- oder dreijährige Dienstzeit................................................................. 66 Der Schleswig-Holsteinsche Krieg..............................................., . . 77 Schluß...................................................................................................... 86 Nachtrag...................................................................................................... 89

L

Die Lage der Dinge.

3Dte Anstrengungen, welche eine europäische Macht für ihre Wehr­ kraft zu machen hat, werden zu einem guten Theile dadurch bestimmt, auf welche Höhe die übrigen, insbesondere die Nachbarmächte, ihre Armeen gebracht haben. Es bedarf keiner Ausführung,

daß dieser Satz für Preußen,

kleinste Macht unter den Großmächten,

die

welche zugleich die schlechtesten

Grenzen besitzt, und dazu an drei Großmächte, an Frankreich, Rußland und Oesterreich grenzt, deren jede mindestens um das Doppelte an Ein­ wohnerzahl überlegen ist, in ganz besonderem Maße gilt. Lassen wir Oesterreich und Rußland, wie bedeutsam deren Stellung zu Preußen, wie gewichtig und erprobt deren Streitkräfte sind, bei Seite, um Preußens Grenzen und Wehrkraft mit denen Frankreichs zu vergleichen, des mächtigsten seiner Nachbarn, dessen Heerwesen zugleich dem der übrigen Mächte nach unserer Ansicht voransteht. Frankreich ist zunächst stark durch die Größe und vortreffliche Abrun­ dung seines (mit Ausschluß der Kolonieen) 10,034 □Meilen enthaltenden Staatsgebiets.

Preußen (ohne Hohenzollern) hat nur 5082 □Weilen, ist

also nur halb so groß. Trotzdem hat Frankreich, abgesehen von den klei­ nen Krümmungen der Grenze, nur 500 Meilen, Preußen, zersplittert in zwei große Hauptmassen, ohne Berücksichtigung einiger zerstreut liegenden Enklaven, die es militairisch nicht decken kann, 585 Meilen Grenzentwick­ lung. Von jenen 500 Meilen französischer Grenze sind aber 270 Meilen (210 am atlantischen Ocean und am Kanal, 60 am v. Vincke, Militairfrage.

mittelländischen ]

2 Meere) Seeküsten, mit trefflichen, befestigten Kriegshäfen und geschützt durch eine starke Kriegsmarine, auf welche kein Angriff zu befürchten ist, und nur 230 Meilen Landgrenze, wovon 30 Meilen durch die neutrale Schweiz gedeckt, 60 gegen Spanien durch die hohen, nur wenige Uebergangspunkte bietenden Pyrenäen geschützt, 50 gegen 'Italien durch die Alpen verstärkt, und nur 90 gegen Belgien und Deutschland mehr offen aber durch zahlreiche und starke Festungen sowie theilweise durch den Rhein gedeckt sind. Von diesen 90 Meilen sind dazu noch 40 Meilen durch die von Europa anerkannte Neutralität Belgiens wahrscheinlich geschützt. Frankreich hat mithin nur 100—140 Meilen Landgrenze zu vertheidigen. Wie steht dagegen Preußen? Von seinen 585 Meilen Grenze sind nur 105 Seelüfte an der Ostsee, ohne einen guten Kriegshafen, mit einer unbedeutenden Kriegsmarine, drei Seemächten, von denen bis jetzt jede eine stärkere Kriegsflotte als Preußen besitzt, unmittelbar gegenüber. Die sechs östlichen Provinzen haben eine 330 Meilen lange, offene Land­ grenze, ohne nennenöwerthe natürliche Deckungen, von denen 120 von dem übermächtigen Rußland, 50 von dem überlegenen Oesterreich unmittelbar berührt werden. Dem übrigen Theil dieser Grenzen droht allerdings durch die kleineren Bundesstaaten keine unmittelbare Gefahr, aber diese Staaten gewähren demselben auch nur einen sehr zweifelhaften Schutz. Dazu kommt dann eine ganz offene Grenze von 150 Meilen, welche die Provinzen Rhein und Westphalen einschließt, von denen 10 Meilen bad mächtige Frankreich unmittelbar berühren; auch diese gesammte Grenzlinie im Westen ist weder durch Naturhindernisse, noch durch eine für die Ver­ theidigung vortheilhafte Consiguration irgend begünstigt. Welche ungeheure Schwierigkeit bildet die Vertheidigung solcher Grenzen! Frankreich hat bei 10,034 (^Meilen eine Bevölkerung von 37,382,000 Seelen (1861), also 3725 Einwohner auf die Quadratmeile, Preußen (ohne Hohenzollern) bei 5082 (^Meilen 18,432,800 Einwohner, und 3627 Einwohner auf die Quadratmeile. Frankreich ist mithin durch seine Be­ völkerung doppelt überlegen, und, als eines der von der Natur am meisten begünstigten Länder Europas, übertrifft es Preußen an Nationalreichthum wenigstens in demselben Verhältniß. Seit eö den französischen Königen gelungen ist, durch Unterwerfung der großen Vasallen, welche die einzelnen Provinzen Frankreichs fast als unabhängige Souveräne beherrschten, jenes große und reiche Land einer einheitlichen Macht zu unterwerfen und zu centralisiren, hat es keinen An­ griff von außen zu fürchten, könnte also zuerst entwaffnen. Demungeachtet hat es, getrieben sowohl durch den Ehrgeiz seiner Machthaber als durch den rastlosen Geist der Nation, die blutigsten Kriege in Europa hervor­ gerufen.

3 Jedenfalls hat uns die Geschichte unwiderleglich die Lehre gegeben, daß Deutschland und insbesondere Preußen, als die mächtigste, rein deutsche, in Deutschland verwachsene, und Oesterreich als die, mit den deutschen Interessen historisch und materiell eng verbundene Macht, alle Ursache haben, gegen Frankreich auf ihrer Hut zu sein; und wir dürfen diese Warnung nicht vergessen, so sehr wir auch wünschen mögen, daß Frank­ reich durch eine wahre Politik des Friedens den Welttheil beruhigen und den gedeihlichen Fortschritt der europäischen Civilisation sichern möge. Für Oesterreich und Preußen wäre jene Aufgabe in Verbindung mit Deutschland nicht allzuschwer, wenn nicht zwischen ihnen Gegensätze bestän­ den, die ihre Vereinigung gegen einen Angriff von Seiten Frankreichs erfahrungsmäßig durchaus in's Ungewisse stellen. Demnach ist Preußen genöthigt, aus eigenen Mitteln für seine Sicherheit zu sorgen. Ohne allen Schutz durch die natürliche Configuration seines Staats­ gebiets vermag Preußen das nur durch eine sehr tüchtige Organisation seines Heerwesens. Um Zahl und Stärke des französischen Heeres aufzuwiegen, seine schlechten und langen Grenzen zu decken, konnte Preußen kein anderes Wehrsystem annehmen als das der allgemeinen Wehrpflicht, und dies praktisch durchführen, soweit es die staats- und volkswirthschaftlichen Hülfs­ mittel des Landes irgend gestatten. DaS Volk in Waffen — und im Waffengebrauch tüchtig geübt — war und ist das einzige Mittel Preußens und damit Deutschlands Sicherheit, dessen Grenzwacht Preußen zugleich gegen Osten, gegen Westen und gegen Norden obliegt, zu gewähr­ leisten. Aber auch in Frankreich herrscht das durch die erste französische Re­ volution auf dem Continent Europa's fast allgemein gewordene Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht. Wie ist dasselbe in beiden Staaten ausge­ führt, und welche Gestalt und Stärke hat die französische Armee unter der Hand Ludwig Napoleons angenommen? In beiden Ländern tritt die gesetzliche Verpflichtung zum Kriegsdienst für alle Männer mit dem 20. Lebensjahre (in Frankreich eigentlich ein Jahr spä­ ter mit dem 21. Lebensjahre) ein. In Frankreich wird alljährlich ein nur aus dieser Lebensklasse zu nehmendes (Kontingent von der Regie­ rung gefordert und durch ein Gesetz festgestellt. Es bestand dies früher aus 80,000, dann während einiger Kriegsjahre, 1853, 1854, 1855—1858 und 1859, auS 140,000 Mann, jetzt dauernd aus 100,000 Mann, welche Zahl als das Normal-Contingent betrachtet wird. Aus diesem (Kontingent wird die Landarmee nebst den Marinetruppen ergänzt. Die Mannschaft, welche das (Kontingent bildet, wird auS den Waffenfähigen der 20jährigen Alters­ klasse durch das LooS bestimmt, wobei zahlreiche gesetzliche Exemtionen

4 stattfinden. Alle diejenigen, welche in die festgestellte ContingentSliste nicht aufgenommen sind, find definitiv vom Militairdienst frei, alle diejenigen aber, welche, obgleich durch'S LooS getroffen, ihre MilitairPflicht nicht durch persönlichen Dienst leisten wollen, können sich für eine von der Regierung bestimmte, ein für alle Mal zu zahlende Summe, jetzt 2300 FrcS. — 613 */3 Thlr., welche indeß während des Krimkrieges im Jahre 1855 bis auf 2800 FrcS. gestiegen war, frei­ laufen. Die Regierung ersetzt dann ihre Stelle durch Stellvertreter, welche entweder Neuangeworbene, die sich freigeloost haben (Bempla9ants) sind, oder — und dieses ist die große Mehrzahl — Wieder­ angeworbene (Bengag^s), welche ihre 7 jährige gesetzliche Dienstzeit abgedient (liberation) oder schon eine oder zwei 7 jährige Capitulationen ausgedient haben. Ueber 47 Jahr Lebensalter hinaus soll keine Capitulation mehr abgeschlossen werden. Da jeder aus dem Contingent von 100.000 Mann durch Freikauf Ausscheidende durch einen Andern ersetzt wird, selbst die Freiwilligen, die sich vor dem Conscriptionstermine ihrer Alters­ klasse (appel) haben anwerben lassen, auf die Zahl des Contingents in Anrechnung gebracht werden, über die Zahl dieses Contingents hinaus aber Niemand angeworben wird, so ist klar, daß die Regierung nicht über mehr als 7 x 100,000 — 700,000 Mann für Landarmee und Marine­ truppen gesetzlich disponiren kann. Braucht sie mehr — wie daS in Kriegs­ fällen öfter vorgekommen ist — so muß daS durch ein besonderes Gesetz bewilligt werden, sie bekommt aber dadurch nur rohe Rekruten. Mehrere zu verschiedenen Zeiten (namentlich 1832, 1840, 1848) er­ nannte Commissionen (commissions de defense) haben eine Armee von 600.000 Mann auf dem Kriegsfuß*) mit Einschluß der Reserve-, Ersatzund Besatzungstruppen, für Frankreich nothwendig erklärt. Es ist auch wirklich, während des Krimkrieges und des italienischen Krieges, die Armee auf diese Höhe, ja einmal auf 650,000 Mann gebracht worden. Um diese Höhe zu erreichen, wird ein alljährigeS Contingent von 100,000 Mann mit 7jähriger Verpflichtung zum Dienst für nothwendig erachtet, waS bei dem immer stattfindenden natürlichen Abgang während sieben Jahren wohl angemessen erscheint. Der normale Friedensetat der Armee beträgt einschließlich der Stäbe, der Offiziere, der Gendarmerie und Veteranen, der Militair-Equipagen (Train) und Verwaltungstruppen in runder Zahl 400,000 Mann, ist aber zeitweise je nach dem Bedürfniß auch wohl um 30,000 Mann stärker. Von diesen sind im Durchschnitt:

*) Offiziere, Militairbeamte, Train - und Administrationsbranchen sind in dieser Ziffer inbegriffen.

5 1. Wieder««geworbene (rengagds), die also mindestens eine Dienstzeit von mehr als sieben Jahren, zuweilen eine Dienstzeit von 27 Jahren, ausnahmsweise sogar eine noch längere Dienst­ zeit haben........................................................ 125,000 Mann. 2. Stellvertreter (rempla^ants)....................... 38,000 „ 3. Freiwillige (volontairs) . ...... 20,000 „ 4. Stäbe, Offiziere, Gendarmen, Veteranen, Fremden-Regimenter, Spahis und algierische Tirailleurs, die auf andere Weise ergänzt werden........................................................ . 58,000 „ rund Summa 240,000 Mann. *) Die zu 400,000 fehlenden 160,000 müssen durch Conscribirte ergänzt werden, wozu also auf sieben Jahre vertheilt jährlich ungefähr in runder Zahl 24,000 Mann und 6000 für die Marinetruppen wirklich einzustellen sind, welche sich also im Dienstalter von 1 bis 5 Jahren befinden, da die Conscribirten in der Regel im ersten Jahre ihrer Verpflichtung gar nicht eingezogen, im letzten aber, manchmal selbst noch früher, als beurlaubt entlassen werde». So stellt sich die Zahl der wirklich Eingestellten nach Angabe des Kaiserlichen Commissars General Allard, dem es, um das Gesetz zu vertheidigen, darauf ankam, die Zahl der wirklich Eingestellten gering darzustellen. Erwägt man aber, daß, wenn das erste und letzte Jahr :ber Dienstverpflichtung nicht wirklich bei der Fahne zugebracht wird, eigentlich nur fünfjährige praktische Dienstzeit stattfindet, so ergiebt sich, daß, um die Armee vollzählig zu erhalten, jährlich V von 160,000 Mann, also 32,000 Mann, und mit den 6000 für die Marine 38,000 Mann eingestellt werden müssen. Die oben angegebenen Ziffern von 125,000 Wiederangeworbenen und 38,000 Stellvertretern, zusammen 163,000 Mann, welche eben so viele aus den Contingents durch Freikauf ausge­ schiedene Dienstverpflichtete vertreten, vertheilen sich auf 7 Jahre, so daß also */7 davon — 23,300 als die Durchschnittszahl der sich jährlich Frei­ kaufenden betrachtet werden kann. Von dem Contingent der 100,000 Mann bleibt also nach Abzug dieser 23,300, und der 38,000 wirklich Eingestellten (Summa 61,300) ein Ueberschuß von 38,700 Mann, der auch von General Allard nur zu 35 — 40,000 Mann berechnet wird. Diese bilden eine Reserve für die Ergänzung der Armee auf den Kriegs­ fuß, sind zwar bestimmten Truppentheilen überwiesen und werden in ihren Listen geführt, bleiben aber in ihrer Heimath und wurden, bis vor einigen

*) Angaben des Kaiserlichen Commissars General Allard in der Sitzung des Corps vom 14. April 1864.

legislatif

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Jahren, im Frieden gar nicht zur Uebung eingezogen, blieben also rohe Rekruten. Nach dem neuen System werden sie im ersten Jahre ihrer Verpflichtung 3 Monate, im zweiten 2 Monate, im dritten 1 Monat zur Ausbildung bei den Depots der Regimenter eingezogen, und die übrige Zeit in ihre Heimath zur Disposition ihrer Truppe entlassen, dürfen aber, ebenso wie sämmtliche in der Armee wirklich dienende Mannschaft, während der sieben Jahre ihrer Verpflichtung nicht heirathen, ohne ausdrückliche, nur in den seltensten Fällen gewährte Erlaubniß der Militairbehörde. Da die französische Regierung gesetzlich nur über sieben Jahrgänge von 100,000 Mann, also über 700,000 Mann für den Militairdienst verfügen kann, so ergiebt sich aus dieser Heeresverfassung, daß die LandArmee, auch wenn man 10 Prozent Abgang durch Tod, Krankheit u. s. w. rechnet, und dazu in Rechnung zieht, daß aüch die Marinetruppen aus jenen sieben Contingenten ersetzt werden müssen, nicht stärker als 600,000 Mann auf dem Kriegsfuß anzunehmen sein wird. So hoch wird die Kriegsstärke der französischen Landmacht auch von General Allard ange­ geben, der allerdings ein Interesse haben konnte, dieselbe nicht zu stark erscheinen zu lassen. Indeß ist eine Verstärkung dieser Zahl im Kriegs­ fall durch engagirte Freiwillige und andere Mittel auf 650,000 Mann und darüber, wie dies bereits stattgefunden (oben S. 4), nicht ausge­ schlossen. Jene 600,000 Mann der französischen Armee auf dem Kriegsfuß bestehen nur, wie wir gezeigt haben, 1. aus über 7 Jahr Dienenden (oben S. 5 Nr. 1 — 125,000 und Nr. 4 = 58,000) =................................ 183,000 2. aus Mannschaften im ersten bis siebenten Dienstjahre 217,000 3. aus Mannschaften mit 3- bis 6 monatlicher Aus­ bildung ............................................................ .... 200,000 Summa 600,000 Es bedarf keiner Ausführung, welche Festigkeit der Fügung, welche Tüchtigkeit der militairischen Ausbildung in einer auf diese Weise zusam­ mengesetzten Armee vorhanden sein müssen, deren normaler Friedensstand in der ReLel über 400,000 Kombattanten (s. unten) beträgt, deren Feld­ truppen ausschließlich aus geschlossenen Formationen und altgedienten Sol­ daten bestehen, während die nur einem Drittheil des Ganzen gleichkommende Kriegs-Augmentation die Garnisonen und Ersatztruppen bildet, einer Armee, die an Kriegührung durch lange Jahre hindurch fortgesetzte Kämpfe in Algier, dann durch die großen Kämpfe in der Krim wie in Italien, unausgesetzt ge­ wöhntworden ist, deren Institutionen in consequentester Weise darauf berechnet

7 sind, den militairischen Geist zu pflegen und zu nähren, sowohl durch die Zusammensetzung als durch die Garnisonirung der Regimenter, durch das Verbot der Berheirathung, wie durch Uebungslager und reichliche Penstonirung der Altgedienten. Was hatte Preußen dieser Armee des neuen Kaiserreichs entgegen zu stellen? ES hatte die allgemeine Wehrpflicht schärfer durchgeführt, als Frank­ reich, wenigstens in so fern, daß Niemand sich von derselben loskaufen konnte und kann, daß jeder körperlich Befähigte, auf den die sehr be­ schränkten gesetzlichen Befreiungen keine Anwendung finden, den Dienst persönlich leisten muß. Auch den nicht im ersten Jahre ihrer beginnenden Militairpflicht ein­ gestellten Männern bleibt die Verpflichtung, sich später einstellen zu lassen. Die Verpflichtung beträgt nach dem Gesetz vom 14. September 1814 fünf Jahre im stehenden Heere, demnächst sieben Jahre bei der Landwehr ersten, danach wieder sieben Jahre bei der Landwehr zweiten Aufgebots. Die Regierung kann so viel Mannschaften einstellen, als die Kadres und die Finanzlage des Staats gestatten wollen, sie ist nicht an ein bestimmtes jährliches Contingent gebunden. Da man sich indeß begnügte, jährlich nur 40,000 Mann einzustellen, da daö Gesetz vom 14. September 1814 eine dreijährige Dienstzeit bei der Fahne bestimmt, war die stehende Armee Preußens nicht stärker, als 130,000 Mann. Allerdings besaß Preußen vermittelst der eben hervorgehobenen 19jährigen Verpflichtung der Mannschaft 760,000 in den Waffen geübter Männer. Berechnet man den Abgang von dieser Mannschaft für die ersten fünf Jahrgange der Dienstpflicht mit 12 Prozent, für die folgenden sieben Jahrgänge mit 25, für die letzten sieben Jahrgänge mit 33 Prozent, so ergiebt sich, daß Preußen über 580,000 Mann geübter Soldaten zu verfügen hatte, mithin über eine Zahl, die dem des Kriegsfußes der französischen Armee wenig nachstand. Aber wie war diese preußische Wehrkraft organisirt! Die Linie, d. h. die in den ersten drei Jahren dienende Mannschaft, wurde durch den vier­ ten und fünften Jahrgang auf 180—190,000 Mann vermehrt. Die preußische Kriegsarmee bestand somit im Ganzen und Großen zunächst auS Mannschaften, von welchen '/19 im ersten, '/ia im zweiten, Yls im dritten Jahre dienten, weiter aber aus solchen, welche früherhin einmal zwei (f. unten) oder drei Jahre gedient hatten. Auch die Bataillone der Linie waren ohne jeden Kern von Kapitulanten, und mit Unteroffizieren ver­ sehen, welche höchstens mit sehr seltener Ausnahme zwölf Jahre dienten. Dann folgte die Landwehr ersten Aufgebots, mehr als 200,000 Mann, deren Mannschaft indeß zum größeren Theil aus Familienvätern bestand,

8 bereit Bataillone und Schwadronen nur Kadres von wenigen Leuten be­ saßen und erst beim Ausbruche des Krieges formirt werden mußten, deren Schwadronen erst durch im Lande ausgehobene Pferde beritten gemacht werden mußten.

Endlich eine Landwehr zweiten Aufgebots, mit sehr'selte­

nen Ausnahmen ausschließlich Familienväter, von etwa 190,000 Mann, für welche gar keine Kadres bestanden. War diese Armee, zu zwei starken Drittheilen aus erst für den Krieg zu formirenden Truppen, zu einem Drittheil aus festen, um zwei Fünftheile augmentirten Kadres, und mindestens zur Hälfte aus verheiratheten Män­ nern bestehend, der französischen Armee des neuen Kaiserreichs gewachsen? Die Erwägungen der preußischen Staatsmänner und Generale hatten nach dem zweiten Pariser Frieden eine Armee von 9 Armeecorps (1 Garde­ corps und 8 Provinzialcorps nach den 8 Provinzen) für angemessen er­ achtet.

Diese war dann dergestalt organisirt worden, daß die Stärke der

Feldarmee aus 182—192,000 Mann Linientruppen bestand.

Diese Ver­

schiedenheit der Zahl folgt daraus, ob Artillerie und Pioniere nur mit ihrer Kriegs-Augmentation durch Reserven, also ungefähr mit % ihrer Kriegsstärke oder in ihrer nur durch Einziehung der Landwehren erreich­ baren vollen Kriegsstärke in Ansatz gebracht werden.

Mit der Landwehr

ersten Aufgebots besaß Preußen nach dieser Organisation in runder Zahl 320,000 Kombattanten (ohne den Train). Ursprünglich war diese Organisation so gedacht, daß die Linien­ truppen allein die erste, beständig zum Ausrücken in das Feld bereite*) Feldarmee, die unter deren Schutz

formirte Landwehr

ersten Aufgebots aber eine Reserve-Armee „zur Unterstützung jener bei entstehendem Kriege,"**) also für den Fall des Bedürf­ nisses bilden sollte. Es war dieses das durch den Gang der Ereignisse ganz naturgemäß entstandene Verhältniß, in welchem die Landwehr 1813 bei und nach ihrer Gründung zur Linie getreten war.

Diesem Verhältniß

giebt Geist und Wortlaut des Gesetzes vom 3. September 1814 Ausdruck. Und daß der Landwehr keine andere Stellung als diese zugedacht war, wird auch durch die in neuerer Zeit bekannter gewordene Denkschrift des damaligen Kriegsministers von Doyen vom Jahre 1817 bestätigt. Die damalige politische Lage Europas, die allgemeine Erschöpfung nach 23jährigen Kriegen, die Schwächung Frankreichs, und der Schutz, den Preußen voraussichtlich in dauernden Allianzen erwarten durste, recht­ fertigten die Ansicht, daß ein Linienheer von 180—190,000 Mann im Kriege, welches im Frieden nur 120—130,000 Mann stark war, für die

*) §. 4. Gesetz vom 3. September 1814.

**) §. 8. ejdcm.

9 Sicherheit und Machtstellung Preußens stark genug sei. Die gesammte Lage des Landes, die der Staatsfinanzen insbesondere, zwangen gleich­ mäßig zu solcher Beschränkung des stehenden Heeres. Man besaß neben demselben überdies in jenen Jahren eine krieggewohnte Landwehr, und in dieser für unerwartete Fälle eine genügende Verstärkung des stehenden Heeres. Je mehr indeß im Laufe der Zeit die gedienten Leute der letzten Feldzüge, und insbesondere die kriegserfahrenen Offiziere und Unteroffiziere, aus der Landwehr verschwanden, um so stärker mußte die Einbuße sein, welche die Landwehr an kriegerischer Oualification erlitt. Da die Lage der Finanzen eine Vermehrung des stehenden Heeres noch nicht gestattete, suchte man sich durch sorgfältigere Uebung der Landwehr zu helfen, und bestrebte sich, sie der Linie immer mehr anzunähern und in einen engeren Verband mit dieser zu bringen. Indessen wurde noch immer der Gedanke festgehalten, die Landwehr erst dann zum Gebrauch im Felde heranzuziehen, wenn die Linientruppen für den Bedarf nicht mehr ausreichten. Als in den Jahren 1830 —1832 eine Verstärkung der Truppen am Rhein, die Aufstellung eines Beobachtungs-Corps an der belgischen Grenze, und Trup­ pensammlungen an der polnischen Grenze nothwendig wurden, verwendete man dazu nur Linientruppen. Die Ereignisse dieser Jahre hatten jedoch die Möglichkeit eines euro­ päischen Krieges näher gerückt, und damit das Bedürfniß einer größeren numerischen Stärke für die erste, von vorn herein ins Feld zu stellende Armee fühlbar gemacht. In dem Mobilmachungsplan, der in Folge dieser Erwägungen aufgestellt wurde, ward zur Abhülfe jenes Mangels die Land­ wehr enger mit der Linie verbunden und die ganze Landwehr ersten Auf­ gebots zur Feld-Armee geschlagen. Nachdem dieser Weg einmal betreten war, mußte man auf demselben immer weiter vorschreiten, je mehr die europäischen Verhältnisse locker und unsicher wurden, und sich immer weiter von der ursprünglichen Idee der Landwehr, als einer Reserve zur Unterstützung des stehenden Heeres im Fall der Noth, entfernen. Es heißt diesen Thatsachen gegenüber die Wahrheit in's Gesicht schlagen, wenn die Opposition die durch diese Maßnahmen völlig verän­ derte Stellung der Landwehr von 1831 — 1859 als die normale und wünschenswerthe zu preisen nicht aufhört. Die Revolutionen von 1848 und die Erhebung Napoleon III. auf den französischen Thron erschütterten auf's Tiefste den bisherigen, im Ganzen und Großen friedlichen Zustand Europa's, zerstörten die alten Allianzen und kehrten alle politischen Verhältnisse um. Alle Mächte ver­ mehrten ihre Kriegsheere. Das bisher so ruhige, eine friedliche Politik

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verfolgende Preußen sah sich plötzlich mit in den Strudel gerissen. ES wurden mehrere partielle und zwei größere Mobilmachungen (1850 und 1859) ausgeführt. Sie zeigten die Mängel des geltenden Systems, und machten feine Last für das Land fühlbar. Gleich nach der Mobilmachung von 1850 hatten sich gewichtige Stimmen sachkundiger Militairs für die Nothwendigkeit einer durchgrei­ fenden Reform erhoben. Die Nothwendigkeit, die Kriegstüchtigkeit der Landwehr wieder zu erhöhen, wurde als das vorzüglichste Motiv für Wie­ dereinführung der dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie angeführt.*) Man sollte sich heute billig mehr darüber wundern, daß nicht schon damals, nach festem Plan allmälig vorgehend, zu einer gründlichen Reform geschritten wurde, als darüber, daß die Reorganisation nach den neuen Erfahrungen der Mobilmachung von 1859 so plötzlich erfolgt ist. ES war die Folge eines viel zu lange fortgesetzten Zauderns, daß man sich endlich zu einer durchgreifenden Reform gedrängt sah, auf welche die öffentliche Meinung nicht vorbereitet war, die deshalb überraschte und großen Widerstand hervorrief. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Gründe jener Verzögerung und dieses plötzlichen Borschreitens zu entwickeln und die mannigfachen Fehler zu beleuchten, welche, von allen Seiten begangen, die wichtigste Angelegen­ heit Preußens in die gegenwärtige unglückliche Lage gebracht haben. Halten wir uns an das Thatsächliche der eingeführten Veränderung.

II. Der Zweck der Reorganisation. Die Reorganisation der preußischen Armee soll eine Verstärkung der Wehrkraft des Landes nicht durch eine Vermehrung der Zahl, sondern der innern Kriegstüchtigkeit der ersten FeldArmee bewirken. Zu dem Ende wird die ganze erste Feld-Armee aus Linientruppen gebildet, die Landwehr ersten Aufgebots in die Stellung einer Reserve für die erste Feld-Armee zurückversetzt, und, behufs Ausführung dieser Hauptzwecke, die jährliche Rekruten-AuShebung von 40,000 auf 63,000 Mann erhöhet, die Dienstpflicht für daS stehende Heer von 5 Jahr auf 7 verlängert, dagegen *) Siehe: Lebensfragen der Landwehr 1851 (vom General v. Griesheim).

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aber die in der Landwehr ersten Aufgebots von 7 Jahr auf 4, in der Landwehr zweiten Aufgebots von 7 Jahr auf 5, die gesammte Dienstverpflichtung in Linie und Landwehr zusammen von 19 auf 16 Jahre herabgesetzt. Die Reorganisation verstärkt mithin die erste Feld-Armee der Zahl nach nicht, aber vermehrt die Reservetruppen sehr bedeutend, durch Ueberweisung der ganzen Landwehr ersten Aufgebots, welche bisher zur ersten Feld-Armee gehörte, an jene, und sorgt dadurch, besser als bis­ her, für die nachhaltige Ergänzung der ersten Feld-Armee, indem außer den, wie bisher, beim AuSmarsch der Regimenter zu formirenden Ersatz­ bataillonen, 116 Bataillone Landwehr ersten Aufgebots als Re­ serve-Armee disponibel bleiben, neben den wie bisher bestehenden 116 Bataillonen zweiten Aufgebots für die innere Vertheidigung des Landes und die Besetzung der Festungen. Daß trotz der Verkürzung der gesummten Dienstpflicht um 3 Jahre die Reorganisation dem Lande mehr ausgebildete Dienstpflichtige zur Ver­ fügung stellt als bisher, beweisen unanfechtbare Zahlen. Bei 19jähriger Gesammt-Dienstpflicht und 40,000 Mann jährlicher Aushebung wurden für jene 19 Jahrgänge 19 X 40,000 — 760,000 Mann, bei 16 jähriger Gesammt-Dienstpflicht und 63,000 Mann jährlicher Rekruten-Einstellung werden 16 X 63,000 — 1,008,000 Mann ausexercirt. Berücksichtigt man, daß naturgemäß in den älteren Altersklassen der Abgang größer ist als in den jüngeren, so wird überdies in den 16 Jahr­ gängen der Reorganisation ein geringerer Prozentsatz ausfallen, als in jenen 19 Jahrgängen, in der That also sich das Verhältniß noch günstiger für die neue Einrichtung gestalten. Dazu kommt, daß die drei älteren Jahrgänge, vom 37. bis zum 39. Jahre, wenn auch nicht mehr dienst­ pflichtig doch in größerer Zahl als früher diensterfahren sein werden. Sie würden in einem ähnlichen Fall der Noth wie 1813 nicht minder zu den Waffen eilen, um das Vaterland zu vertheidigen. Um dieses System durchzuführen, ohne die schon vor der Reorgani­ sation bestehende 3jährige Friedensdienstzeit bei der Fahne zu vermindern, mußte die Stärke deS stehenden Friedensheeres um ungefähr 70,000 Mann über die bis 1840 bestandene Zahl, um ungefähr 50,000—60,000 über die bis 1859 bestandene Zahl vermehrt werden. Die neue HeereS-Organisation vermehrt jedoch dadurch die Kopfzahl der ersten Feld-Armee nicht. Mit einigen für die Gesammtzahl un­ wesentlichen Veränderungen in der Stärke einzelner Waffengattungen ist es dieselbe des Mobilmachungsplanes von 1831.*) *) Die erste Feldarmee von 1831—1859 auf dem Kriegsfuß bestand unter Hinzu.

12 Diese Beibehaltung der früheren Stärke ist zwar von der Opposition nicht entschieden angegriffen worden, man hat aber doch der Reorgani­ sation hier und dort vorgeworfen, daß sie trotz ihrer bedeutenden Mehr­ kosten die erste Feld-Armee nicht zahlreicher mache als früher. Vorwurf ist unbegründet.

Dieser

Die Größe der Feld-Armee findet ihre Grenze

in der Möglichkeit, sie zu leiten, zu verpflegen und zu ergänzen.

Ueber

ein gewisses Maaß hinaus gewährt die Vermehrung der Zahl nicht mehr eine verhältnißmäßige Verstärkung des Heeres.

Mit Armeen von 100 bis

150,000 Mann sind in der neueren Zeit in den meisten Fällen die größ­ ten Schlachten geschlagen worden. Für Preußen genügt entschieden, wenn es mit 320,000 Mann eine Haupt-Armee von 150—200,000 Mann, und» je nach dem Bedürfniß des Kriegstheaters und der politischen und strate­ gischen Verhältnisse, einige Nebencorps von 30—60,000 Mann, oder auf einem zweiten Kriegstheater 120,000 Mann in's Feld stellen kann. Statt die erste Feld-Armee übermäßig stark zu machen, ist es besser, die Mittel zu ihrer nachhaltigen Ergänzung gut vorbereitet zu haben, und eine zweite oder Reserve-Armee hinter der ersten Feld-Armee bereit zu halten. Diese überaus wichtigen Zwecke werden bei der neuen Organisation weit besser und sicherer als bei der früheren erreicht.

rechnung der in den vierziger Jahren erfolgten Vermehrung der Schützen au« Abtheifangen zu Bataillonen und der in den fünfziger Jahren erfolgten Vermehrung der Land­ wehr-Kavallerie-Regimenter von 3 auf 4 Schwadronen aus: 14 Bat. Garde, 112 Bat. Linien-Jnfanterie, 2 Bat. Garde-Jäger und Schützen, 8 Bataill. Jäger und Schützen der Linie, zu­ sammen .....................................................................................136 Bat. 12

Garde-, 104 Provinzial-Landwehr-Bat...............................116 „ Summa

6 Garde-, 32 Linien-Kavallerie-Regimenter

.

.

252 Bat.

--- 252,000 Mann.

152 Escadr.

2 Garde-, 32 Landw,-Kavallerie-Regimenter, aus­ schließlich von 8 Landw.-Reserve-Schwadr., ä 4

136



1

Summa 288 Escadr, Garde-, 8 Linien-Artillerie-Regimenter ä ca. 3000 . . . .

1

Garde«, 8 Pionier-Abtheilungen

k

---—

500 ..........................................

=

Summa

42,200 27,000

„ „

4,500



326,700 Mann.

Nach der Reorganisation: 9

Garde-, 72 Linien-Regimenter ä

3Bat. und 10 Jäger-

Schützen-Bat......................................................................... 8 Garde-, 48 Linien-Kavallerie-Regimenter ä 4

.

224

und

253 Bat.

---

EScadr.



33,600

253,000„

=

27,000 „ 9,000



Die Feld-Artillerie kann ihrer Kriegsstärke nach unverändert ange­ 1

nommen werden......................................................................... = Garde-, 8 Linien-Pionier-Bat. . . .-................................. 9 Bat.

Summa

322,600 Mann.

13

LH. Die Feld-Armee. Linie und Landwehr. Der Grundgedanke, per eigentliche Kern der Reorgani­ sation ist: die Bildung der ersten Feld-Armee nur aus Linien ­ truppen. Ist dieser Grundgedanke richtig? Ob diese Frage zu bejahen ober zu verneinen ist, hängt ab von dem Werth für den Krieg, welcher einem preußischen Linienbataillon neuer Formation und einem preußischen Landwehrbataillon alter Formation zuzuerkennen ist. Aehnlich stellt sich die Frage für die Kavallerie. Ein preußisches Linienbataillon jetziger Art hat im Frieden die nahezu vollzählige Kriegsstärke an Berufs-Offizieren und Unteroffizieren und die Hälfte bis drei Fünftel der dazu erforderlichen Gemeinen bestän­ dig bei den Fahnen. Bei eintretender Mobilmachung wird eS auf die Kriegsstärke ergänzt durch Mannschaften, welche in der Regel in demselben Bataillon vor einem, zwei, drei oder vier Jahren ihre gesetzliche Dienst­ zeit abgeleistet haben. Die Mannschaft ist in dem Alter von 20 bis 27 Jahren. Ein preußisches Landwehrbataillon ersten Aufgebots bestand nach der alten Organisation aus einem Bataillons-Kommandeur und sei­ nem Adjutanten, welche Berufs-Offiziere waren, 4 Feldwebeln und einigen Unteroffizieren und Gefreiten, welche das Listenwesen und die sorgfältige Aufbewahrung der Waffen, Ausrüstungs- und Bekleidungs-Gegenstände besorgten. Alle übrige Mannschaft — Offiziere, Unteroffiziere und Ge­ meine — befand sich in der Heimath, ihren bürgerlichen Geschäften nach­ gehend. Erst in den vierziger Jahren, besonders aber seit 1851 und 1852, waren, um dem Mangel an dienstgeübten Offizieren einigermaßen abzu­ helfen, Linien- (Berufs-) Offiziere als Kompagnieführer eingeführt; auch wurden, im Falle einer Mobilmachung oder Uebung, Offiziere und Unter­ offiziere des entsprechenden Linienbataillons zu dem Landwehrbataillon kommandirt, um dessen Formation und Einübung zu fördern. Die Mann­ schaften gehörten dem Lebensalter vom 26. bis 32. Jahre, und hatten sämmtlich vor drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht oder neun Jahren ihre Dienstpflicht in der Linie erfüllt. Von ihrem 26. bis zu ihrem 32. Jahre sollten diese Mannschaften in der Regel alle zwei Jahre auf 14 Tage zur Uebung eingezogen werden.

14 Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Formationen besteht also (abgesehen für jetzt von den verschiedenen Lebensaltern der Mannschaft) darin: 1) daß jenes im Frieden stets in voller Organisation wirk­ lich vorhanden ist, und für den Krieg nur einer einfachen Verstärkung bedarf, während dieses im Frieden wesentlich nur auf dem Papiere organisirt ist, und erst bei drohendem Kriege, wenn die Mobilmachungs­ Ordre angekommen ist, seine wirkliche Organisation vornehmen muß; 2) daß es dem Landwehrbataillon an Unteroffizieren fehlt, da die Unter­ offiziere der Linie, welche länger in dieser dienen, durch ihr Lebensalter wie durch Eivilversorgungen der Landwehr verloren gehen.

Diese muß

mithin ihre Unteroffiziere aus Leuten entnehmen, die bisher nicht als Unteroffiziere gedient und bewährt sind; 3) daß die Mehrzahl der eigent­ lichen Landwehr-Offiziere, die aus einjährig gedienten Freiwilligen der Linie, die zu Lieutenants avancirt sind, bestehen, militairisch nur unvoll­ kommen ausgebildet, nicht fest und sicher im Dienst sein kann.

Nicht alle

Mitglieder dieses Offiziercorps können einen militairischen Beruf in sich fühlen, sie erfüllen eine gesetzliche,

manchem lästige Pflicht, nicht einen

Beruf, den sie, wie die Offiziere der Linie, freiwillig als Lebenszweck ge­ wählt hätten, um sich ihm ganz zu widmen. Der Kriegswerth zweier Truppenkörper derselben Nation wird aber immer abhängen von dem Grade der Festigkeit ihrer Organisation, von dem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, in welcher sich alle Einzelnen unter sich und zum Ganzen fühlen, von der Gewöhnung an Ordnung, Disziplin und Gehorsam, von der Vollkommenheit ihrer taktischen Aus­ bildung, Eigenschaften, welche nur durch ein längeres Zusammensein in einem militairischen Verbände erworben werden können; endlich von der Gewöhnung an die Entbehrungen und Beschwerden des militairischen Lebens. Was das Alter der Mannschaften betrifft, die im Linienbataillon im 20. bis zum 27. Lebensjahre, im Landwehrbataillon im 26. bis zum 32. Lebensjahre stehen, so kommen die des letzteren an Körperkraft und Aus­ dauer, an Ernst und Besonnenheit denen deS ersteren gewiß gleich oder übertreffen

sie vielmehr

hierin.

Aber

die Mannschaften

jener

For­

mation besitzen dagegen bei meist vollkommen ausgebildeter Körperkraft größere Gewandtheit, fröhlicheren Lebensmuth, Frische und Kühnheit der Jugend d. h. vortreffliche kriegerische Eigenschaften, während die Mann­ schaft des Landwehrbataillons zu zwei Drittheilen aus verheirateten Leuten besteht, welche sich von ihrem Berufe, von Weib und Kind losreißen und diese schlecht versorgt hinter sich lassen müssen.

Dies muß den kriegerischen

Geist dieser Formation hemmen, wenn nicht der Feind im Lande ist und

15 Jedermann empfindet, daß alle Kraft aufgeboten werden muß, den häus­ lichen Heerd, die Weiber und Kinder zu schützen. Es sollte nun wohl einem jeden, der sehen will, einleuchtend sein müssen ■— denn es folgt zu sehr aus der Natur der Sache — daß unter übrigens gleichen Umständen eine alt und fest formirte Truppe in jenen kriegerischen Eigenschaften einer neu formirten Truppe überlegen sein, also für den Krieg einen größeren Werth haben muß, wenn bei dieser letzteren nicht ganz besondere Umstände — Begeisterung, ausgezeichnete Persönlich­ keit der Führer rc. — eintreten, welche die durch die mangelhafte Forma­ tion nothwendig gegebenen und unvermeidlichen Mängel ersetzen und über­ tragen. Auf solche Ausnahmen indeß, auf exceptionelle Verhältnisse hin, läßt sich niemals weder eine Regel, noch weniger eine Organisation basiren. Die Kriegsgeschichte bestätigt dies auf jeder ihrer Seiten durch die Erfahrung. Eben diese Erfahrung ist es, welche zur Einführung der stehenden Heere überhaupt geführt hat. Man mag dieselben aus idealen, humanen oder merkantilen Gesichtspunkten beklagen; aber wer im Staate mitsprechen will, darf sich den Realitäten nicht verschließen. Auch für die Ueberlegenheit alter und fester formirter Truppen innerhalb des Kreises der stehenden Heere fehlen die Erfahrungen nicht. Wir wollen, um eins von tausenden von Beispielen anzuführen, nur erinnern an die Ueberlegen­ heit der preußischen, im Frieden fest formirten Truppen in den ersten schlesischen Kriegen (Schlacht bei Mollwitz) über die österreichischen, welche damals noch zu jedem Kriege, wenigstens theilweise, neu formirt und ge­ worben wurden. Jene Ueberlegenheit zwang Oesterreich zur Nachahmung ihrer Ursache. In dell Feldzügen von 1792, 93 und 94 waren die deut­ schen Truppen den neugebildeten französischen Truppen im Gefecht ent­ schieden überlegen; der Mißerfolg des Krieges lag in der politischen Un­ haltbarkeit der Koalition. Dagegen waren wieder int Jahre 1806 die seit 1802 im Lager und im Felde unausgesetzt geübten Truppen Napoleon'S den übereilt mobil gemachten preußischen Truppen, deren Jnfanteriestänime aus Sparsamkeit außerordentlich schwach gehalten worden waren, an inne­ rer Tüchtigkeit, auch abgesehen von ihrer besseren Bewaffnung, abgesehen von ihrer Ueberzahl und ihrer Führung, überlegen. Im Jahre 1813 war das Verhältniß der neu formirten Truppen auf beiden Seiten ziem­ lich gleich. Es dürfte demnach durchaus nicht zweifelhaft sein, welcher von den beiden oben geschilderten Formationen für den Krieg der größere Werth zugestanden werden muß. Ist dem aber so, so muß auch folgerichtig eine nur aus Linienbataillonen bestehende erste Feld-Armee militairisch den Vorzug verdienen vor einer zur Hälfte aus Linien-, zur Hälfte aus Landwehrtruppen zusammengesetzten.

16

Schon hierdurch würde der Grundgedanke der Reorganisation gerechtfertigt sein, aber es kommen noch einige andere Umstände hinzu, welche diese Rechtfertigung bedeutend verstärken. Bei der bis 1860 bestehenden Einrichtung war es, wie schon erwähnt, um die Kriegstüchtigkeit der Landwehr einigermaßen zu fördern, nothwen­ dig, bei Mobilmachungen einen nicht unbedeutenden Theil der Offiziere und Unteroffiziere von der Linie zur Landwehr zu kommandiren. Dadurch wurden die Linienbataillone gerade in dem Moment, wo sie, wegen der einzustellenden Reservisten, ihre Offiziere und Unteroffiziere dringend ge­ brauchten, um ihre Augmentirung und Bereitschaft für den Krieg rasch und tüchtig auszuführen, in ihrer inneren Fügung wesentlich geschwächt. Preußen war mithin in der sehr üblen Lage, mit einer in ihrer inneren Formation erschütterten Linie und einer eben erst in der Eile formirten Landwehr in's Feld rücken zu müssen. Dieser schwere Uebelstand wurde aber um so bedenklicher, je mehr durch die in neuerer Zeit in's ungeheuere vermehrten und beschleunigten Kommunikationsmittel (Eisenbahnen, Telegraphen rc.) der rasche Aus­ bruch der Kriege in größere Nähe gerückt, ja fast zur Regel gewor­ den ist. Man denke nur an den italienischen Krieg! Während sonst Monate erforderlich waren, um eine schlagfertige Armee an der Grenze des angreifenden Staates zu versammeln, wodurch auch der Vertheidiger Zeit zu Gegenmärschen gewann, — während so, auf lange dauernden Märschen zu den Sammelplätzen auch erst kürzlich formirte Truppen sich innerlich zu bilden und zu befestigen Zeit gewannen, gestatten es jetzt die Eisenbahnen, solche Concentration in 10 bis 20 Tagen auszuführen. Um so mehr muß sich der Vertheidiger beeilen, seine Gegenmaßregeln zu treffen; er hat nicht mehr Zeit, sich mit der Einrichtung und Einübung seiner Truppen zu befassen. Aber nicht nur dieser Umstand nöthigt in ganz anderer Weise schlagfertig zu sein, als früherhin nöthig war. Es ist die natürliche Folge jener rascheren Zusammenziehung großer Kriegsheere, daß auch die Entscheidung des Krieges beschleunigt wird, ja gleich in die ersten Wochen nach seiner Eröffnung fallen kann. Mit großen, einmal versammelten Heeren kann man nicht lange müßig stehen, man kann sie nicht lange in derselben Gegend unterhalten, ohne unerschwingliche An­ strengungen und Aufopferungen an Material und Kosten. Um so mehr drängt die Entscheidung, und wird in der Regel für den ausfallen, der zuerst und gut fertig ist. Alle diese Erwägungen fallen für Preußen doppelt und dreifach in's Gewicht, wenn nian sich seiner ungünstigen, langgedehuten und zerrissenen Grenzen erinnert, die wir uns oben näher vergegenwärtigt haben.

17 Diesen Anforderungen der Gegenwart an die größere Kriegsbereit­ schaft der europäischen Großstaaten hat die Reorganisation, so

weit es

irgend die finanzielle Lage des Landes gestattet, vollständig Rechnung ge­ tragen. Die Linienbataillone der Reorganisation auf dem Kriegsfuß find Hinsichts ihrer Kriegstüchtigkeit nicht nur eben so gut, sondern höher zu stellen, als die der früheren Organisation, denn nicht nur, daß jetzt jedes Bataillon die sämmtlichen ihm im Frieden angehörigen Offiziere und Un­ teroffiziere behält und also der bestehende feste Rahmen in keiner Weise erschüttert wird, auch die 26. und 27. Altersklasse ist ihnen als Reserve zur Einstellung für den Krieg überwiesen. Dadurch erhalten die Ba­ taillone einen bedeutenden Zuwachs an reiferen und tüchtigeren Leuten, die sich im besten Mannesalter zur Ausdauer in Strapazen befinden, und Damit einen bedeutenden Zuwachs an innerer Kraft.

Freilich gehen diese

Altersklassen dadurch der Landwehr verloren, aber nicht der Armee, und bei der Verwendung der Menschenkräste im Kriege kann es doch nicht an­ kommen auf den Namen der Truppe, in welcher jemand dient, sondern darauf, daß die Kraft jedes Einzelnen möglichst gut verwendet und genützt werde.

Dies wird aber ohne Zweifel besser geschehen in einem altfor-

mirten, wohl eingeschulten Linienbataillon, als in einem eben in der Eile zusammengerafften Landwehrbataillon. Es ist deshalb wohl keine Frage, daß bei der neuen Organisation die

gesammte Infanterie der

ersten Feld-Armee früher im Stande sein

wird, kriegstüchtig in's Feld zu rücken, als bei der alten, wo sie halb aus Linie, halb aus Landwehr bestand.

Wenn man dagegen erwidert:

daß ein Landwehrbataillon alter Formation eben so rasch ganz neu ver­ sammelt, als ein

Linienbataillon

auf die Kriegsstärke gebracht werden

könne — so kann das zugegeben werden; aber damit ist keineswegs zuge­ standen, daß dieses Landwehrbataillon auch eben damit in demselben Zustande der Kriegstüchtigkeit sei. Um diesen zu erreichen, wer­ den Wochen, ja Monate erforderlich sein, und eben über solche hat man in der heutigen politischen und militairischen Lage Europas nicht zu disponiren.

Es war geradezu der wesentlichste Mangel "bet alten Organisa­

tion, daß man durch sie genöthigt war, das vortreffliche und unschätzbare Material, welches in der Landwehr ersten Aufgebots steckte, in den Krieg zu werfen, ohne ihm die zur nachhaltigen Wirkung erforderliche Zeit ge­ währen, und ohne hinreichend erfahrene Offiziere an dessen Spitze stellen zu können, daß man sich in der traurigen Nothwendigkeit befand, die beste Kraft des Landes übereilt nicht nur auszugeben, sondern unverantwortlich zu verschwenden. Von den Gegnern der Reorganisation ist gerade der Punkt am hef­ tigsten angegriffen worden: daß sie die Landwehr aus der ersten Feldv. Vincke, Müttairfrage.

Z

18 Armee zurückdränge und diese gewissermaßen herabwürdige zu einer bloßen Landesvertheidigungstruppe. ES ist als ein gesetzliches Recht der Landwehr in Anspruch genommen worden, ebenbürtig mit der Linie, mit dieser gleichzeitig in's Feld zu rücken. Es ist gesagt wor­ den, man dürfe an einem Institute nicht rütteln, welches hervorgegangen auS den Erfahrungen eines glorreichen Krieges, von den besten Generalen und den besten Männern jener großen Zeit geschaffen sei. Zuvörderst muß dagegen bemerkt werden, daß die Landwehr ersten Aufgebots allerdings aus der ersten Feldarmee in die Reserve-Armee zurückversetzt ist, damit aber gar nicht in die Lage einerblos zur Ver­ theidigung des Landes bestimmten Truppe gebracht wird,

vielmehr ihre

ursprüngliche Bestimmung „Unterstützung des stehenden Hee­ res" vollständig behält, und mit diesem „im In- und Auslande zu fech­ ten" verpflichtet bleibt.

Der Anspruch übrigens, mit der Linie gleichzeitig

bei jedem Kriege in's Feld zu rücken, ist freilich von einigen Gegnern der Reorganisation im Abgeordnetenhause und in Zeitschriften erhoben worden, dürfte aber bei der großen Masse der Landwehrmänner selbst keine Unter­ stützung finden.

Diesen möchte es wohl viel natürlicher und vernünftiger

erscheinen, daß man zuerst die jüngere, durch bürgerliche Verhältnisse weniger gebundene Mannschaft in's Feld schickt, und erst dann, wenn diese nicht hinreicht, wenn Noth am Mann ist, die ältere nachrücken läßt. Um jene Angriffe der Opposition richtig zu würdigen, muß man auf die Motive derselben zurückgehen, welche sehr scheinen.

verschiedenartig zu sein

Bei den Einen ist es die erhebende Erinnerung an eine große

Zeit, in welcher die Landwehr,

kaum entstanden, Bewundernswürdiges

leistete, ist es die Pietät gegen jene Zeit, in welcher sie in Jugendkraft mitwirkten, und die Macht der Gewöhnung an das bisher seit 50 Jahren Bestandene; bei Andern die humane,

ideale Ansicht,

daß die stehenden

Heere überhaupt ein Uebel, ein Krebsschaden der modernen Staaten seien, von dem sie sich losmachen müßten, wozu die Errichtung der Landwehr ein erster Schritt gewesen, den man nicht zurückthun dürfe; bei Andern die Besorgniß, man wolle durch Vermehrung der Linie und Zurückdrängung der Landwehr die Armee immer mehr vom Volke absondern, eine exklusivere, dem Volke entgegenstrebende Stellung geben.

ihr

Diese mei­

nen: die Vermehrung der Linie würde die konstitutionellen Rechte, die politische Freiheit des Landes gefährden, während die Erhaltimg der Land­ wehr in ihrer bisherigen Stellung einen Schütz für dieselben gewähre. Andere endlich hegen den Wunsch, das Heer überhaupt mehr zu demokratisiren,

oder wie es auch ausgedrückt wird:

volksthümliches

Heer.

Es

sie wollen nur ein

liegt dabei der unklare Gedanke zum

Grunde, daß der Linie gegenüber, welche mehr für die Macht des Königs

19



und seiner Regierung einstehe, die Landwehr ein Gegengewicht für daS Recht und die Freiheit des Volkes bilden solle.

Aus allen diesen Moti­

ven hat sich eine starke Meinung gegen den Grundgedanken der Reorga­ nisation gebildet. Allen diesen Gegnern ist Folgendes zu erwidern. Der Hauptzweck der bewaffneten Macht überhaupt ist:

Sicher­

heit des Staats und seiner Machtstellung gegen außen,

der

Nebenzweck ist Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung

im

Innern.

Dieser wird,

wenn die für jenen erforderlichen Mittel gut

organisirt sind, immer von selbst mit gesichert werden, und es wäre un­ möglich, eine bewaffnete Macht zu bilden, welche,

wenn sie für jenen

Hauptzweck genügt, nicht auch für diesen Nebenzweck zu gebrauchen wäre. Kein kontinentaler, europäischer Großstaat kann aber jenen Haupt­ zweck so

aus den Augen setzen, und aus Besorgniß vor der Macht,

welche es der Regierung gewähren könnte, das stehende Heer so vermin­ dern und dessen Existenz von dem Parlament so abhängig machen, wie es England, gegen außen geschützt durch seine insulare Lage, nach seiner Re­ volution

versucht hat.

Und

auch hier ist dieser Versuch im Laufe der

Zeit und nach Befestigung der englischen Staatsverhältnisse zu nicht mehr als einer bloßen Form geworden.

Preußen kann ein starkes stehendes Heer

für seine äußere Sicherheit nicht entbehren,

für jenen Nebenzweck aber

wäre eine Vermehrung desselben gar nicht nöthig gewesen, denn selbst 1848 hat die Erfahrung bewiesen, daß zur Unterdrückung von Aufständen das stehende Heer allenthalben

hinreichend

war*).

Selbst wo Landwehr­

bataillone einberufen wurden, folgten sie willig dem Königlichen Ruf.

Es

wäre deshalb gewiß eine falsche Unterstellung, wenn man behaupten wollte, daß die Staatsregierung aus solchen Rücksichten die Vermehrung der Linie unternommen hätte. Die Reorganisation des Heeres konnte lediglich im Hinblick auf jenen Hauptzweck angelegt werden, und muß demgemäß auch beurtheilt werden. Wenn man aber in diese Organisation einen politischen Dualismus bringen will, eine Art von Gleichgewicht politischer Gewalten, so würde man damit den größten Unsinn begehen, dessen Ausführung den Staat zu Grunde richten mußte. Auch haben die Schöpfer der preußischen Land­ wehr gewiß nie einen solchen Gedanken gehegt, und die Landwehr hat nie die politische Rolle gespielt, welche man ihr zutheilen möchte.

Sie hat

sich bei Preußens politischer Entwicklung völlig passiv verhalten, — und

*) Es wird wohl niemand einfallen,

hiergegen das Beispiel von Berlin in den

Märztagen 1848 anfuhren zu wollen, wo die Truppen, allenthalben siegreich, aus höhe. reu Befehl die Stadt räumten, ohne allen äußeren Zwang.

20 mit Recht!

Wäre ein solcher politischer Geist in ihr erwacht, so würde

kein anderer Ausweg geblieben sein, als dieselbe abzuschaffen.

Nach jeder

gesunden Staatstheorie muß der Charakter der bewaffneten Macht ein wesentlich gehorchender sein; sie kann aber nur Einem ge­ horchen, der exekutiven Gewalt, dem Oberhaupt des Staats, also in Preußen dem Könige.

Wehe dem Staate, wo es anders wäre, wo die

bewaffnete Macht der Spielball der politischen Partheien würde!

Die

politische Freiheit würde am meisten darunter leiden. Die Sicherheit

gegen außen kann aber nur durch Mittel gewährt

werden, welche denen gewachsen sind, die der feindliche Staat oder die feindlichen Staaten gegen uns aufzubieten vermögen.

Es wird deshalb

ein frommer Wunsch bleiben, die stehenden Heere abzuschaffen, wenn nicht alle europäischen Staaten eS gleichzeitig thun; — denn bloße Milizen sind gut disziplinirten, stehenden Heeren nie gewachsen oder überlegen gewesen, wenn diese nicht vorher durch Verrath oder Naturereignisse aufgelöst waren. DaS beweist die Geschichte. Preußen aber, als die kleinste unter den Großmächten, könnte wohl am wenigsten mit Verwandlung des stehen­ den Heeres in eine Miliz den Anfang machen. tralisirt durch

europäische Verträge,

Was die Schweiz, neu*

und andere Staaten zweiten und

dritten Ranges, die durch das gegenseitige Interesse der Großmächte ge­ schützt werden, thun können, kann für Preußen nicht maßgebend sein.

ES

kann aber auch, gerade weil es an Umfang, Bevölkerung und Volkswohl­ stand die kleinste unter den Großmächten ist, eben so wenig daran denken, ein vom Volke isolirteS Heer zu unterhalten.

Seine Sicherheit kann

nur das ganze Volk, das „Volk in Waffen" sein.

Das ist keine bloße

Redensart, es ist für Preußen ein politischer Grundsatz, eine Noth­ wendigkeit.

Wegen der Größe, die sein Heer im Falle eines Krieges

haben muß, ist es gezwungen, den möglichst größten Theil des Volks in den Waffen auszubilden, und dieses

nöthigt wieder die Dienstzeit der

großen Mehrzahl, die den Soldatenstand nicht zu ihrem Lebensberuf macht, auf die möglichst geringe,

für die nothwendige militairische Ausbildung

eben noch hinreichende Zeit herabzusetzen.

Dabei kommt nicht das Min­

deste auf den Namen an, ob Linie, ob Landwehr.

Ein Linienheer, wie

eö die neue Organisation bietet, aus lauter Landeskindern bestehend, mit höchstens dreijähriger Dienstzeit der gemeinen Soldaten, mit Unteroffizieren, die höchstens 12 Jahre dienen Augen haben,

und als Ziel eine Civilversorgung vor

mit Offizieren, von denen

ein großer Theil nur wenige

Jahre dient, und dann in seine bürgerlichen Verhältnisse zurücktritt, — ein Heer endlich, welches auf dem Kriegsfuß seine Offiziere und Unter­ offiziere durch Subaltern-Ofsiziere (Landwehr- oder Reserve-Offiziere) und Unteroffiziere, welche dem bürgerlichen Leben angehören, ergänzen muß,



21

die nach beendigtem Kriege in ihre bürgerlichen Verhältnisse zurückkehren, kurz ein Heer, dessen Mannschaft sich fortwährend aus dem Volke ergänzt und meist nach kurzer Zeit in dasselbe zurückkehrt, wird immer ein volksthümliches Heer im wahren Sinne des Worts sein und bleiben. Ge­ wiß diejenigen haben eben so sehr Unrecht, welche von einem solchen Heere die Unterdrückung der politischen Freiheit hoffen sollten, als diejenigen, welche sie fürchten. Die Ansicht, welche, auch ohne daß die Noth dazu zwingt (wie 1813), die Hälfte der ersten Feld-Armee aus Landwehr bestehen lassen will, hat nur da einen begreiflichen Grund, wo die falsche Meinung herrscht, daß diese Landwehr, d. h. eine eben erst für den Krieg neuformirte Truppe, unter allen Umständen eben so viel leisten könne und müsse, als eine altformirte und gut eingeschulte Linientruppe. Denen aber, welche bona fide, wegen der Thaten der Landwehr 1813 —1815, und weil sie 50 Jahre bestanden, die Landwehr in der ersten Feld-Armee beibehalten wollen, versuchen wir nachzuweisen, daß hier der Fall vorliegt, wo das, was für einen gegebenen Fall ganz vortrefflich war, nicht für alle Fälle paßt. Die Noth war es, die 1813 die Landwehr in's Leben rief. Die Landwehr war im eigentlichsten Sinne eine Nothwehr. Unter Napoleon's Druck von 1807 bis 1812 durfte Preußen nur 42,000 Mann bei der Fahne halten. Um eine größere Anzahl Soldaten auszubilden, wurde durch Scharnhorst das sogenannte Krümpershstem eingeführt, nach welchem eine möglichst große Zahl ausexercirter Leute, nach einjähriger, ja selbst halbjähriger und kürzerer Dienstzeit in die Heimath entlassen wurde, aber dem betreffenden Regiment zum Dienst verpflichtet blieb (Krümper), während an Stelle dieser Entlassenen neue Rekruten eingezogen wurden. Die Armee zählte damals nur 46 Bataillone zu 800 Mann. Beim Ausbruche und im Verlauf des Krieges 1813 wurden aus Abkommandirten von jenen und Krümpern und Rekruten noch 60 Reservebataillone gebildet, aus welchen später die Linien-Regimenter 13 bis 32 entstanden sind. Man wird zugeben, daß dadurch die alten Bataillone bedeutend ge­ schwächt wurden, und die neuen mit sehr übereilter Formation und un­ vollkommener Ausbildung in'S Feld rücken mußten. Das Linienheer, mit Einschluß der Kavallerie und Artillerie, wurde so auf 96,700 Mann gebracht. Aber auch diese Zahl reichte, auch an der Seite starker Bun­ desgenossen, entfernt nicht aus, den gewaltigen Feind irgend bestehen, geschweige denn ihn mit Erfolg angreifen zu können. Alte Kadres, um Rekruten einzustellen, waren nicht mehr vorhanden, die vorhanden gewesenen waren durch die Errichtung von mehr als einmal so viel Bataillonen, als beim Ausbruch des Krieges bestanden hatten, übermäßig ausgebeutet;

22 die alten und neuen Bataillone hatten sofort in'S Feld rücken müssen, um die vom Feinde besetzten Provinzen zu Kriegsleistungen disponibel zu machen.

So führte die Noth zur Errichtung ganz neuer Truppen,

die man bilden mußte, so gut es eben gehen wollte.

Man raffte zusam­

men, was an Resten der alten Armee von 1806, an Offizieren, Unter­ offizieren ic. noch irgend im Lande brauchbar war, um als Exerciermeister zu dienen, und was an waffenfähigen, irgend abkömmlichen, jüngeren und alten Leuten übrig geblieben war, nachdem die Linie und die FreiwilligenEorps schon die Elite des Volks vorweg genommen hatten.

Wären noch

alte Kadres von Linientruppen vorhanden gewesen, die Schöpfer der Land­ wehr hätten gewiß alle disponible Mannschaft in diese eingestellt, und nicht daran gedacht, ganz neue Truppenkörper zu formiren.

Aber man konnte

nicht fragen, ob das, was man schuf, das militairische Beste sei?

ES

war das einzig Mögliche, und deshalb unter den gegebenen Umständen das Beste. So entstand die Landwehr, die Erhebung des Volks in Waffen, vorbereitet durch den siebenjährigen ffremden Druck, allgemeine Begeisterung. der preußischen Ruhm;

getragen durch die

Ihre Errichtung wird ein ewiger Glanzpunkt in

Geschichte sein;

ihren Thaten gebührt unvergänglicher

ohne sie wäre die Freiheit des Vaterlandes nicht erkämpft wor­

den, aber eben so wenig ohne die Linie — jede für sich allein war zu schwach;

beide vereint bildeten das Volk in Waffen, und erkämpften

gemeinschaftlich ihre Lorbeeren.

Es wäre ungerecht, die eine auf Kosten

der andern erheben zu wollen. Bei alle dem ist nicht zu übersehen, daß es den in Eile verdoppelten Linientruppen und ihren Freiwilligen sehr zu Statten kam, daß die da­ malige französische Armee auch nur aus Resten der in Rußland aufge­ lösten,

alten,

kriegserfahrenen Armee und jungen Eonscribirten

bestand. Noch weniger ist zu übersehen, daß die blutigen Schlachten von Großgörschen und Bautzen nur mit Linientruppen ausgefochten werden mußten, da es unmöglich gewesen war, die Formirung der Landwehr vor dem Waffenstillstand so weit zu bringen, daß mehr als einige Bataillone derselben

zur Blokirung von Festungen zur Verfügung gestanden hätten,

daß es nur unter Benutzung der durch diesen Waffenstillstand gewonnenen Frist möglich gewesen ist, die Formation der Landwehr zu beenden, deren Bildung mithin eine Zeit von fast fünf Monaten in Anspruch genommen hat.

Demungeachtet — und es soll dies der Landwehr nicht zum Vor­

wurf gereichen, denn es liegt so sehr in der Natur der Sache, daß es fast nicht anders möglich war — wird Niemand, der die Kriegsgeschichte jener großen Zeit kennt, läugnen, daß die Landwehr, theils wegen man­ gelhafter Bekleidung und Ausrüstung,

theils wegen Ungewohntheit der

23 großen Strapazen und Mangel an Disziplin und taktischer Ausbildung, namentlich in der ersten Zeit des Lehrgeldzahlens, viel größere Verluste erlitt, als eö bei wohlgeschulten Linientruppen gewöhnlich der Fall ist, und auch damals bei den Linientruppen wirklich der Fall war. Die Ge­ schichte der ersten Operationen und Schlachten nach dem Waffenstillstände von 1813, besonders bei der schlesischen Armee und beim Kleist'schen Corps, hat es aufgezeichnet. Es wäre thöricht,

zu verkennen, daß die Landwehr der Gegenwart,

wie sie sich seit 50 Jahren im Frieden gebildet, in Bezug auf Bekleidung, Ausrüstung, Disziplin und Taktik, weit besser gestellt ist, als die Land­ wehr von 1813; daß sie also, wenn die übrigen im Kriege mitwirkenden Faktoren nicht fehlen, unfehlbar Aehnliches, ja Besseres leisten müßte, als jene.

Aber wir haben auch andere, besser gerüstete Gegner.

Alle Groß­

mächte haben ihre Armeen verstärkt und verbessert, alle sind fortgeschritten, alle haben mehr Kriegserfahrung als wir. Die Frage steht demnach praktisch so, was haben wir zu thun, waS haben wir vorzukehren, um ihnen gewachsen, um hinter den Fortschritten unserer Nachbarn nicht zurück zu bleiben? Sollen wir wirklich diesen Fort­ schritten gegenüber auf einer minder zweckmäßigen, unwirksameren, und die beste Kraft des Landes zu früh erschöpfenden, und zu früh gefährdenden Organisation beharren,

zu welcher uns einst die Noth

gezwungen hat?

Wird nicht der Schiffbrüchige, der in der ersten Noth sich mit einer Hütte begnügte, sich ein Haus bauen, so bald Zeit und Mittel dazu vorhanden sind?

Sollen wir heute die bessere Organisation nicht wählen,

da wir

sie haben können, weil damals unter ganz andern Umständen die geringere ausgereicht hat? Wir ziehen aus allen diesen Erwägungen das Resultat: es ist ein richtiger Grundgedanke der Reorganisation, die ganze bilden.

erste Feld-Armee aus

Linientruppen

zu

24

IV.

Die Vermehrung der Aushebung und die Ver­ kürzung der Dienstpflicht.

Die Bildung der ganzen, der Zahl nach unverminderten, ersten FeldArmee

aus Linientruppen,

wodurch die Zahl der Garde- und Linien­

bataillone von 136 auf 253 gebracht, also um 117 Bataillone vermehrt worden ist, machte es nothwendig, die jährliche Relruten-Aushebung von 40,000 auf 63,000 Mann, und die Verpflichtung zum Dienst in der Linie von 5 auf 7 Jahre zu erhöhen.

Ohne diese Maßnahmen wäre es

nicht möglich gewesen, den ausrückenden Stand der ersten Feld-Armee, der bisher aus der Linie und Landwehr ersten Aufgebots, d. h. aus den ausexercirten und gedienten Mannschaften bestand, beizubehalten.

vom 20. bis 32. Lebensjahre

Trotz der um 23,000 Mann vermehrten jährlichen

Aushebung würden auch die Mannschaften vom 20. bis 25. Lebensjahre dazu nicht hingereicht haben — da die Aushebung nur um wenig mehr als die Hälfte, die Zahl der Bataillone aber fast um das Doppelte ver­ mehrt worden war — wenn man nicht gleichzeitig die Dienstpflicht in der Linie um zwei Jahre verlängert hätte.

Zwölf Jahrgänge zu 40,000

Mann geben 480,000 ausexercirte Leute; sieben Jahre zu 63,000 Mann dagegen 441,000 Mann, also noch 39,000 Mann weniger, was aber wohl dadurch ausgeglichen werden dürfte, daß in den älteren Jahrgängen vom 28. bis 32. Lebensjahre durch Tod, Invalidität und Unabkömmlichkeit be­ deutend mehr Abgang stattfindet, als in den jüngeren. Auf den ersten Blick scheint es, daß durch diese Maßregel dem Lande im Allgemeinen, und dem einzelnen Verpflichteten insbesondere, eine bedeu­ tende Last auferlegt worden ist.

Die Opposition hat diesen Schein leb­

haft aufgegriffen; sie hat darauf hin behauptet, und behauptet noch heute, daß die Reorganisation den Verpflichteten wie dem Lande die schwersten Leistungen zumuthe.

Man wird indeß

nicht in

Abrede stellen können,

daß die großen Vortheile, welche die Reorganisation für die Wehrkraft des Landes herbeigeführt hat,

auch ein selbst bedeutendes Opfer werth

seien, und mit einem solchen nicht zu theuer erkauft sein würden.

Aber

eine eingehendere Betrachtung zeigt, daß die Lasten, welche dem Einzelnen wie dem Lande durch die Reorganisation auferlegt werden, keineswegs so groß sind, wie es beim ersten Anblick erscheint, ja, daß eine Vermehrung derselben dem früheren System gegenüber gar nicht stattfindet. Zuvörderst ist es augenscheinlich eine sehr bedeutende Steigerung der

25 Wehrkraft des Landes, wenn statt, wie vor der Reorganisation, 40,000, nunmehr 63,000 Rekruten alljährlich ausgebildet werden, denn die effektiv beim Ausbruch eines Krieges disponible Wehrkraft eines Landes ist nicht nach der Anzahl der im dienstpflichtigen Alter sich befinden­ den, sondern nach der Anzahl der im Waffengebrauch ausgebildeten dienstpflichtigen Mannschaft zu bemessen. Wenn alljährlich 40,000 Mann ausgebildet werden, so werden bei der bisherigen 19jährigen Ver­ pflichtung zum Dienst in Linie und Landwehr 1. und 2. Aufgebots in 19 Jahren 760,000 Mann ausexercirt;

wenn dagegen 63,000 jährlich

ausgebildet werden, so wird jene Zahl unter gleichen Verhältnissen auf 1.197.000 steigen.

Man konnte also ohne Verminderung, vielmehr noch

unter Vermehrung der bisherigen Wehrkraft, die ganze Dienstverpflichtung von 19 auf 16 Jahre herabsetzen; denn 16 Jahrgänge zu 63,000 Mann geben noch immer 1,008,000 ausexercirte Mannschaften, welche zum Kriegs­ dienst disponibel bleiben, so weit nicht (was aber für beide Fälle und für die höheren Altersklassen steigend gilt) deren Zahl durch Tod, Invalidität oder Unabkömmlichkeit im Laufe der Zeit vermindert worden. Wenn nun aber, wie oben nachgewiesen, die Aushebung von alljähr­ lich 63,000 Mann, bei 7 jähriger Verpflichtung zur Linie, eine Anzahl von 441.000 ausexercirten Leuten gewährt, welche im Fall eines Krieges, selbst bei einem zu '/„ des Ganzen oder 12% pCt. reichlich berechneten Aus­ fall genügen, um eine erste Feld-Armee von 320 bis 330,000 Mann auf­ zustellen,

und noch einen ansehnlichen Theil als Stamm für die Ersatz­

bataillone zu behalten,

so

entstand

dadurch der große Vortheil für alle

einzelnen Verpflichteten, daß man sie nach vollendetem 27. Lebensjahre von dem Dienst in der ersten Feld-Armee entbinden,

und

fünf bisher zum

Dienste in erster Linie, in der ersten Feld-Armee verpflichtete Jahrgänge, die Mannschaften vom 28. bis 32. Lebensjahre, als Landwehr 1. Aufgebots zur Reserve-Armee überweisen konnte.

Weiter aber gestattete die stärkere

Aushebung den Dienst in der Landwehr ersten Aufgebots,

d. h. in der

ersten Reserve-Armee um ein Jahr zu verkürzen, die Mannschaften im 32. Lebensjahre der Landwehr zweiten Aufgebots zu überweisen, und die Dienstpflicht in diesem Aufgebot überhaupt um drei Jahre zu verringern, d. h. dieselbe auf den Zeitraum vom 32. bis zum 36. Lebensjahre zu be­ schränken,

so

daß durch die Reorganisation die Verpflichteten ein Jahr

früher als bisher vom Dienst in der Landwehr ersten Aufgebots und drei Jahre früher von allem Kriegsdienst befreit sind. Wahrlich sehr bedeutende Vortheile,

sowohl für den einzelnen Ver­

pflichteten, als für daö Land im Allgemeinen, die aber leider bisher von der Opposition, wir lassen dahingestellt ans welchen Gründen, verkannt oder wegdemonstrirt worden sind.



26

Man behauptet von Seiten der Opposition, die Verlängerung der Verpflichtung zur Linie um zwei Jahre (von 5 auf 7) sei eine so große Belastung für den Einzelnen, daß sie durch die Verkürzung der Dienst­ verpflichtung in der Landwehr 1. Aufgebots um drei Jahre, in der Land­ wehr 2. Aufgebots um zwei Jahre, oder der gesammten Dienstverpflich­ tung um drei Jahre, nicht ausgewogen würde.

Man behauptet, in der

Reserve zu dienen sei eine bei weitem größere Behinderung für die bür­ gerlichen Verhältnisse, als in der Landwehr ersten Aufgebots. Das ist durchaus falsch, wenn man sich oder andere nicht absicht­ lich durch den Namen irre machen lassen will.

Schon bisher standen die

Reserve-Mannschaften hinsichts ihrer freien Bewegung und ihrer Rechte im bürgerlichen Leben (mit alleiniger Ausnahme des Falles der Auswan­ derung, zu welcher die Reservisten eines Consenses der Militairbehörde bedurften) ganz in demselben Verhältniß wie die Landwehrmänner;

die

neuen Gesetzvorlagen der Regierung stellten aber ausdrücklich ein ganz gleiches Verhältniß für beide Kategorieen fest. Ferner konnte und kann der Reservist eben so wenig als der Landwehrmann nach dem bloßen Be­ lieben seines Kompagniechefs oder Regiments-Kommandeurs zum Dienst einberufen werden, sondern nur, bei einer Vermehrung der Etatsstärke seines Truppentheils, auf besondern Königlichen Befehl, sei es zu kriege­ rischen Zwecken

oder zu den herkömmlichen Uebungen.

Wenn die ent­

gegengesetzte Behauptung aufgestellt worden ist, so beruht dies vielleicht auf einer Verwechselung der mit sogenanntem „Königs-Urlaub" oder „Urlaub zur Disposition" in die Heimath Entlassenen, d. h. solcher Soldaten, welche noch vor Ablauf ihrer gesetzlichen dreijährigen Dienst­ zeit auf unbestimmte Zeit beurlaubt wurden, und deshalb bei eintretendem Bedürfniß, z. B. bei unvorhergesehenem Abgang rc., durch den KompagnieChef wieder einberufen werden konnten.

Es ist also für den Einzelnen

völlig gleich, ob er, wenn er nach beendeter gesetzlicher Dienstzeit in der Linie in seine Heimath entlassen ist, der Linie oder der Landwehr an­ gehört, ob er Reservist oder Landwehrmann ist; wohl aber macht es für ihn einen großen Unterschied:

ob er bei jeder Mobilmachung der

ersten Feld-Armee (bisher Linie und erstes Aufgebot der Landwehr, nach der Reorganisation nur Linie) bis zu seinem vollendeten 32. Lebensjahre zum Kriegsdienst eingezogen werden kann, wie es nach der bis 1860 bestandenen Einrichtung der Fall war; oder

ob er mit vollen­

detem 27. Lebensjahre von dieser Pflicht entbunden wird, wie es nach der Reorganisation eintreten soll. Dies ist die allein richtige

Stellung der

Alternative,

welche zur Entscheidung steht, und wir können deshalb nicht oft genug darauf aufmerksam machen, daß früher, um eine gleich starke Feld-

27 Armee zu

formtreu,

sofort Linie und Landwehr 1. Aufgebots auf die

Kriegsstärke gesetzt werden, also alle dienstpflichtige Mannschaft vom 20. bis 32. Lebensjahre eingezogen werden mußte, nach der Reorgani­ sation aber es zu demselben Zweck nur der Mannschaft bis zum vollen­ deten 27. Lebensjahre bedarf. Statt hervorzuheben: die Dienstzeit im stehenden Heere soll durch die Reorganisation um zwei Jahre verlängert werden, wird das richtige Verhältniß viel treffender durch den Ausdruck bezeichnet:

die Dienstzeit in der ersten Feld-Armee (sonst soll nm 5 Jahre vermin­

12 Jahre, 5 Linie, 7 Landwehr 1. Aufgebots)

dert werden. Es

bleibt deshalb

die

Mannschaft vom 28. Lebensjahre ab zwar

immer noch verpflichtet, nöthigenfalls als Landwehr 1. Aufgebots in die Reserve-Armee einzutreten, aber diese braucht erst dann gebildet zu wer­ den, wenn der Ausbruch eines großen Krieges wirklich entschieden ist, wenn dieser gefährlichere Wendungen anzunehmen droht, so daß das ganze Va­ terland von der Gefahr betroffen wird; betritt,

wenn

es

wenn der Feind

dessen Boden

sich wirklich um Unterstützung der dagegen nicht aus­

reichenden ersten Armee handelt; aber nicht mehr bei jedem partiellen Kriege, oder bei Truppenzusammenziehungen, die nothwendig werden, um drohende Kriegsgefahr wo möglich abzuwenden, politische Zwecke zu unter­ stützen — Unternehmungen,

die man als Demonstrationen bezeichnet

— die gewiß jeder einsichtige Staatsmann möglichst vermeiden wird, denen sich aber eine Großmacht, die einmal zur Theilnahme an den Verwicklun­ gen der europäischen Politik berufen ist, nicht immer entziehen kann. Welche Bedeutung die Verkürzung der Dienstzeit in der ersten FeldArmee um fünf Jahre,

die Befreiung der Mannschaften vom 27. bis

zum 32. Lebensjahre vom Dienste in derselben habe, bedarf keiner wei­ teren Ausführung. veranschaulichen.

Ein paar Bemerkungen genügen, diese Bedeutung zu In den Altersklassen

vom 20. bis 27. Jahre werden

sich naturgemäß wenig Verheirathete befinden, desto mehr in dem Lebens­ alter vom 28. bis 32. Jahre, und es ist gewiß nicht dasselbe, ob 20 unverheirathete Söhne oder 20 Familienväter ausrücken müssen.

In den

höheren Jahrgängen besteht die große Mehrzahl der Dienstpflichtigen aus Familienvätern, oft mit zahlreichen und unerzogenen Kindern, aus Be­ sitzern von Haus und Hof, aus Handwerksmeistern, Führern von Han­ delsgeschäften, Gewerben und Fabriken, oder Inhabern derselben, welche stocken, sobald die Leiter derselben in's Feld ziehen müssen.

Dazu kommt,

daß eine große Zahl von Familien, die von der unmittelbaren Arbeit des Vaters leben, sobald dieser zur Armee gerufen ist, von den Stadt- und Kreisgemeinden theils unterstützt, theils erhalten werden müssen. Das Aufgebot von Familienvätern ist nothwendig und damit gewiß gerechtfertigt,

28 wenn das Vaterland selbst in Gefahr schwebt, nicht aber bei jeder Mobil­ machung aus geringeren politischen Gründen. Und selbst in jenem Falle ist es billig, und für den Einzelnen und seine Familie ein Vortheil, mög­ lichst in der Nähe seiner Heimath als Reserve, und erst im dringend­ sten Falle zur blutigen Aktion verwendet zu werden. Nach der Reor­ ganisation braucht man auf die Landwehr 1. Aufgebots erst in dem Falle zurückzugreifen, wo man früher bereits das 2. Aufgebot einberufen mußte. Hiernach ist es sonnenklar, daß die Reorganisation die Kriegsver­ pflichtung des Einzelnen wesentlich erleichtert, dem Familien- und ErwerbsVerhältnisse bei weitem mehr Rechnung trägt, und dieselben in viel größerem Maße schont, als früher der Fall war. Damit ist dann auch bereits der Beweis dafür gegeben, daß die neue Heeres-Organisation auch das Land nicht übermäßig belaste, daß sie viel­ mehr für Land und Volk im Ganzen und Großen Vortheile gewährt, denn das Volk besteht nur in und aus zur Gesammtzahl seiner Familien. Man beruft sich freilich dagegen aus die stärkere Aushebung. ES soll nicht geläugnet werden, daß die jährliche Aushebung von 63,000 Mann eine größere Belastung enthalte, als eine von 40,000. Wir wer­ den später hierauf zurückkommen. Zunächst bemerken wir jedoch, daß diese Erhöhung der jährlichen Aushebung nichts weiter als die Wiederher­ stellung des ursprünglichen Verhältnisses der Aushebung zur Gesammtzahl der Bevölkerung ist, welche das Gesetz von 1814 und das darauf basirte System unserer Heeresverfassung festgestellt hat. Ja die Aushebung von 63.000 Mann jährlich erreicht noch nicht einmal den Procentsatz, welcher bei Einführung des jetzigen Wehrsystems vom Lande erhoben wurde; denn 40.000 Mann, im Jahre 1816 bei etwa 10 Mill. E. ausgehoben, betragen 0,40 pCt. der Bevölkerung, während heute 63,000 Mann Ersatz bei etwa 18 Mill. E. mir 0,35 pCt. betragen. Ferner aber ist diese Steigerung nicht sowohl eine Folge der Reorganisation als eine Konsequenz der seit 1814 eingeführten allgemeinen Wehrpflicht. Wenn einmal das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen als Gesetz gilt, wenn dieselbe, wovon wir fest überzeugt sind, das einzig richtige Mittel ist, um Preußens Sicherheit und Machtstellung in seiner ganz eigenthümlichen, man kann wohl sagen abnormen, Stellung unter den übrigen weit stärkeren europäi­ schen Großmächten zu wahren, so muß dieselbe auch möglichst zur prak­ tischen Geltung kommen, zur Wahrheit werden, d. h. es müssen, so viel wie möglich, alle Waffenfähige ihre Wehrpflicht wirklich erfüllen, also in den Waffen geübt werden. Es ist als ein großer Mangel der älteren Organisation bei den seit 15 Jahren stattgefundenen Mobilmachungen bitter empfunden worden — und zwar weit mehr in den Landgemeinden, wo jeder den andern kennt, als in den größeren Städten, wo dieses

29 weniger der Fall ist ■— daß, währ end Familienväter und Wirthe, die nur mit großen Nachtheilen ihren heimischen Heerd verlassen konnten, bis zum 32. Lebensjahre, ja bei der Artillerie noch aus älteren Jahrgängen des 2. Aufgebots bis zum 39. Lebensjahre aufwärts zu den Fahnen eingezogen wurden, andere jüngere, zum Theil ledige, weit leichter abkömmliche Leute ganz frei und ruhig zu Hause bleiben konnten, weil sie nicht zur Linie eingestellt worden, also nicht waffengeübt waren, weil, trotz einer von 10 auf 18 Millionen gestiegenen Bevölkerung, die für 10 Millionen berech­ nete Zahl von 40,000 Rekruten festgehalten worden war. Wir begnügen uns, über diese schreienden Mißverhältnisse eine Stimme aus dem Volke, eine Stelle aus

dem Jahresbericht der Handelskammer

von Elberfeld und Barmen vom Jahre heißt:

1860 anzuführen, in der

es

„Je länger der Frieden und die allgemeine Prosperität dauert,

desto mehr Verheirathete und Familienväter, vor allen Dingen aber er­ werbende und steuerzahlende Bürger finden sich in den ältesten Jahrgän­ gen des 1. Aufgebots der Landwehr. Während reife Männer von Frau und Kindern aus blühendem Erwerb hinweg zu den Fahnen berufen wurden, sahen sich junge Leute, robust und tüchtig, von aller Verpflichtung frei. Während Besitzer und Leiter von großartigen Fabrikanlagen, die Ernährer von Tausenden von Arbeitern, als Landwehrmänner des ersten Aufgebots bei der Mobilmachung des verflossenen Jahres Alles ver­ lassen mußten, um den gesetzlichen Anforderungen der bestehenden Wehr­ verfassung zu genügen, hatte ein Theil ihrer waffenfähigen Arbeiter durch hohe Loose sich frei gezogen, und wurde nun durch diese Ein­ berufung des Fabrikunternehmers mehrfach brodloö.

Während die ein­

berufenen verheiratheten Landwehrmänner des ersten Aufgebots ihre zahl­ reichen Familien zurückließen, und diese zunächst von den Kommunen, für die Dauer der Abwesenheit des Familienvaters, unterhalten werden mußten, wanderte ein Theil der unverheiratheten Mannschaft ohne Arbeit im Lande umher,

ohne eintreten zu können."*)

Man kann diese Mißverhältnisse nicht klarer darstellen. Auch von anderen Seiten wurde das Bedürfniß der Abhülfe jener Uebelstände lebhaft gefühlt, und vielfach der Wunsch ausgesprochen, eine größere Anzahl von jungen Leuten auszubilden, um die Last des Kriegs­ dienstes auf eine größere Zahl jüngerer Schultern zu vertheilen und den älteren mehr abzunehmen.

Es war dieses nur eine Forderung der Ge­

rechtigkeit und Billigkeit.

Diesem Bedürfniß hat die Organisation ent­

sprochen, und wenn man die Frage stellt: was ist eine größere Belastung

*) Denkschrift; reicht.

Elberfeld, im Januar 1863, dem Hause der Abgeordneten über­

30 für das Land, was verlangt vom Volke mehr Opfer, eine gleich große erste Feld-Armee, gebildet aus der waffengeübten Mannschaft vom 20. bis 32. Lebensjahre, oder eine solche aus der Mannschaft vom 20. bis 27. Lebensjahre;

so kann wohl die Antwort „jene!" nicht zweifelhaft sein;

denn sie entzieht dem Volke viel mehr Familienväter, Landwirthe, Gewerbe­ meister, Fabrik- und Handlungsbesitzer oder deren Führer, und Steuerzahler; sie greift die produktiven, volkswirthschaftlichen und steuerzahlenden Kräfte des Landes

weit stärker

an und würde dieselben schneller

erschöpfen.

In dieser Beziehung erscheint also die Reorganisation auch vor dem Forum der Volks- und Finanzwirthschaft gerechtfertigt. Wer dies

nicht einsehen will oder kann, dem ist freilich nicht zu

helfen, mit dem ist nicht weiter zu streiten.

Dagegen steht fest, daß die

Verpflichteten selbst wie die Bevölkerung die Vortheile der Reorganisation in dieser Beziehung vollkommen anerkennen — das

haben wir vielfach

erfahren. Der eben glücklich beendigte schleswig-holsteinsche Krieg giebt ein schlagendes Beispiel für die eben angedeuteten, sehr gewichtigen Vortheile der Reorganisation.

Dieser Krieg war ein politisch

nothwendiger

und ein populärer, wobei wir absehen von der verdeckten und unklaren Art, in welcher derselbe begonnen wurde.

Jedermann wird zugeben müssen,

daß, nach der allgemeinen politischen Lage der Dinge, dieser Krieg weit größere Dimensionen annehmen, daß er einen anderen Krieg mit stärkeren Mächten als Dänemark Hervorrufen konnte.

Ueberdem waren einige der

östlichen Armee-Corps bereits durch die polnischen Wirren in Anspruch genommen, und die Deckung der Küsten erforderte bedeutende Kräfte.

Bei

der geringen Stärke der früheren Linien-Armee von 136 Bataillonen hätte die Staatsregierung deshalb nicht daran denken können, den Krieg in Schleswig-Holstein nur mit Linientruppen zu führen, und, durch Zusam­ menziehung von 56 Bataillonen Linie

aus

per ganzen Monarchie, die

Organisation aller Armee-Corps aufzulösen,

um vielleicht später in die

Lage zu kommen, einen Krieg gegen besser organisirte und kriegserfahrenere Truppen als die Dänen, mit den übrigen 80 Linienbataillonen und einer überwiegenden Zahl von Landwehren zu führen.

Es wäre also in diesem

Falle ganz gerechtfertigt, ja unerläßlich gewesen (wie dies ja auch im holsteinschen Kriege von 1849 geschehen war), nach der alten Organisation die Hälfte der für Schleswig-Holstein bestimmten mobilen Armee und der als Reserve für unvorhergesehene Fälle in Kriegsbereitschaft zu haltenden Truppen aus Landwehren zu bilden. Versuchen wir zu vergleichen, wie viel Mannschaften des Beurlaub­ tenstandes (Reservisten und Landwehrmänner)

und

aus welchen Alters­

klassen für den schleswigschen Krieg wirklich eingezogen worden sind, und

31 wie viel nach der alten Organisation hätten eingezogen werden müssen, um die gleich starke Truppenmacht aufzustellen. Wir beschränken uns da­ bei auf die Infanterie, weil uns für diese hinreichendes und zuverlässiges Material vorliegt, und diese ja auch den Ausschlag in dieser Beziehung giebt, da auf die Ergänzung der übrigen Truppen behufs der Mobil­ machung die Reorganisation weniger Einfluß gehabt hat. Die mobile Armee in Schleswig-Holstein bestand aus 56 Bataillonen Infanterie, einschließlich zweier Iägerbataillone, jedes zu 802 Mann*) Kriegsstärke — 44,912 Mann. Für jedes Infanterie-Regiment (3 Ba­ taillone) sollte ein Ersatz-Bataillon von 1002 Mann errichtet werden, zu welchem ein Stamm von mindestens 420 altgedienten Leuten, theils aus den Regimentern selbst, theils aus Beurlaubten gebildet werden sollte; für jedes Jägerbataillon eine Ersatz-Kompagnie zu 201 Mann mit einem Stamm von 115 Mann. Rechnen wir hier nur die Stämme von 18 Ersatzbataillonen ä 420 Mann, und 2 Ersatz-Kompagnieen zu 115 Mann, und lassen wir die dazu eingezogenen Rekruten, sowie die noch über jenen Etat eingezogenen Handwerker (160 p. Ersatzbataillon und 51 p. JägerErsatz-Kompagnie), welche aus der allgemeinen Ersatz-Reserve entnommen worden, außer Acht, so erhalten wir 7790 Mann an Stamm-Mannschaft. In Kriegsbereitschaft waren außerdem im Innern des Landes gesetzt die 15 alten Garde-Jnfanterie-Bataillone in der Stärke von 1002 Mann p. Bataillon, und 56 Bataillone Infanterie, einschließlich von 5 Jäger- und Schützenbataillonen, zu 802 Mann, also 59,942 Mann. Die ganze des Krieges wegen aufgestellte Infanterie betrug also in 127 Kriegs- und 18% Ersatzbataillonen 44,912 + 7790 + 59,942 Mann = 112,644 Mann, wobei 10,648 Rekruten und 2982 Handwerker bei den Ersatzbataillonen nicht mit in Ansatz gebracht sind. Will man hiernach berechnen, wie viel Mannschaften des Beurlaubten­ standes eingezogen worden, d. h. also, wie viel Mannschaften des Krieges wegen ihre Heimath und ihre bürgerlichen Beschäftigungen verlassen muß­ ten, so ist zunächst zu beachten, daß die Friedensstärke der 15 alten Garde­ bataillone 686 Mann, die aller übrigen 112 Bataillone 534 Mann be­ trägt. Es ergiebt sich hieraus, daß jene 112,644 Mann zusammengesetzt sind aus 70,098 Mann der präsenten Friedensstärke und 42,546 Mann des Beurlaubtenstandes. Es sind aber nach zuverlässigen Angaben für die gesammte Infanterie nur 40,340 Mann des Beurlaubtenstandes ein­ gezogen worden, also 2216 Mann weniger, und unter diesen 40,340 Mann befinden sich 37,414 Reservisten, d. h. Mannschaften des 4. und 5. Jahr*) Kombattanten, d. h. Unteroffiziere, Gemeine nnd Spiellente, ohne Offiziere.

32



ganges, oder der 24- und 25 jährigen Altersklasse (Reserve der alten Or­ ganisation) und nur 2916 Landwehrmänner, worunter 2651 des 6. und 7. Jahrganges, d. h. der 26- und 27jährigen Altersklasse (der beiden jüngsten Jahrgänge der Landwehr nach der alten Organisation) und nur 265 aus älteren Jahrgängen, worunter ein Theil Freiwilliger. Bedenkt man, daß erst im Jahre 1859 die vermehrte Aushebung begonnen hat, daß die Truppen mithin heute noch nicht mehr als zwei von 40,000 auf 63,000 verstärkte Jahrgänge in der Reserve hatten, die beiden 1862 und 1863 entlassenen Jahrgänge, die Reorganisation aber auf vier solcher Jahrgänge zur Erfüllung der Kriegsstärke der Bataillone von 1002 Mann rechnet, so ist begreiflich, Kriegsstärke von 802 Mann

und von

daß

zur Erreichung einer

140 Mann für das von jedem

Bataillon zu dem Ersatzbataillon zu stellenden Kontingent, in dem vorlie­ genden Falle auf die Landwehr recurrirt werden mußte. Stellen wir zur Vergleichung eine gleich starke Infanterie für den Krieg nach der alten Organisation, d. h. halb Linie, halb Landwehr ersten Aufgebots, auf, so kann dieses auf zweierlei Weise geschehen, entweder A. indem man nach damaliger Art alle Bataillone zu 1002 Mann formirt, mit Ausnahme der Jäger und Schützen, welche nur Kriegsstärke von 802 Mann erhielten, oder B. indem man die sämmtlichen Bataillone zu 802 Mann formirte, wie dies gegenwärtig, mit Ausnahme der 15 alten GardeBataillone, wirklich geschehen ist. A.

Um eine Infanterie von 44,912 Mann für die mobile Armee

aufzustellen, sind, bei 2 Jägerbataillonen ä 802 Mann, 44 InfanterieBataillone k 1002, wovon 22 Linie und 22 Landwehr, erforderlich; ferner 15 Ersatzbataillone, von denen wir 8 auf die Linie, 7 auf die Landwehr rechnen wollen, ä 1002 Mann, mit einem Stamm von 420 Mann und 2 Jäger-Ersatz-Kompagnieen wie oben formirt.

Endlich um in zweiter

Linie 59,942 Mann kriegsbereiter Infanterie aufzustellen (worunter fünf Jäger- und Schützenbataillone ä 802 = 4010 Mann), so wären 56 Ba­ taillone Infanterie ä 1002 Mann, wovon 28 Linien- und 28 LandwehrBataillone, erforderlich

gewesen.

Die Friedensstärke aller Infanterie-

Bataillone vor der Reorganisation betrug 686 Mann, die der Jäger- und Schützenbataillone 402 Mann, so daß die Ergänzung der letzteren auf den Kriegsfuß etwa halb aus Reservisten, halb aus Landwehrmännern bestand.

Der Friedensstamm eines Landwehrbataillons bestand aus 25

Mann.

Berechnet man hiernach die Stärke, so ergiebt sich, daß die 107

Kriegsbataillone (einschließlich 7 Jägerbataillone) und 15% Ersatzbataillone, zusammen 112,344 Mann ausmachen, von denen 38,370 Mann dem Frie­ densstande, 20,554 der Reserve und 53,420 der Landwehr angehört haben würden.

33 B. Man formirt alle Bataillone, mit Ausnahme der 15 alten Gardebataillone, welche 1002 Mann behalten, zu 802 Mann, also eben so stark, wie es jetzt wirklich geschehen ist, so daß 15 Bataillone zu 1002 Mann und 105 Bataillone

(53 der Linie, 52 der Landwehr) zu 802

Mann, nebst 7 Jägerbataillonen zu 802 Mann, im Ganzen 127 Bataillone gebildet werden. Legt man dieselbe Friedensstärke wie unter A. zu Grunde, so ergießt sich im Ganzen eine Truppenzahl von welcher 50,762 Mann dem Friedensstande,

112,644 Mann,

von

16,183 der Reserve, und

45,699 der Landwehr angehören, wobei das Verhältniß noch insofern für die Landwehr günstig gestellt ist, daß wir die Formation zu 68 Linienund nur zu 52 Landwehrbataillonen angenommen haben. Zur besseren Uebersicht stellen wir die Resultate zusammen, wobei wir das Minus von 2116 Mann, welches effektiv weniger eingezogen ist, sub 1. der Landwehr zurechnen Aus dem Friedens-

Art der Formation.

stände.

Aus dem Beurlaubtenstande.

TotalSumme.

Reserven. Landwehr. Sa.2.u.3.

1.

2,

70,098

37,414

5,132

42,546

112,644

38,370

20,554

53,420

73,974

112,344

50,762

16,183

45,699

61,882

112,644

3.

1. Formation nach der Re­ organisation, u.

2.

18 %

127 Kriegs-

Ersatz-Bataill.

Formation ad A.,

107

Kriegs- u. 15% ErsatzBataillone ....

3.

Formation ad B.,

127

Kriegs- u. 18% ErsatzBataillone ....

ES ergießt sich hieraus: 1.

Daß bei einem partiellen Kriege, wo nicht die ganze Armee ge­

braucht wird, die Formation B. vortheilhafter für das Land ist, weil ein größerer Theil der doch schon durch den Friedensdienst der bürgerlichen Arbeit entzogenen und vom Staat besoldeten Mannschaft im Kriege ver­ wendet, dagegen ein bedeutend geringerer erst zu diesem Zweck seiner Heimath und der bürgerlichen Arbeit entrissen wird, außerdem aber auch die Last des Krieges sich auf einen größeren Theil des Landes vertheilt. 2. Daß die Reorganisation den großen Vortheil gewährt, daß im Kriegsfälle überhaupt ein bedeutend geringerer Theil Mannschaft ans v. Vincke, Mllitairfrage.

Z

34 seinen bürgerlichen Beschäftigungen herausgerissen wird, insbesondere aber diese Belastung am meisten die jüngeren, leichter abkömmlichen Männer im 24. und 25. Lebensjahre, weit weniger aber die älteren im 26. und 27. Lebensjahre,

und am wenigsten die in höheren,

über jene hinauS-

reichenden Altersklassen trifft, von welchen letzteren, wie schon oben er­ wähnt, nur 265 Mann wirklich eingezogen worden sind; während im Falle A. 48,288, im Falle B. 40,567 Landwehrmänner, fast alle von dem Alter über 27 Jahre, hätten eingezogen werden müssen, die jetzt ungestört zu Hause geblieben sind. Wie schon oben gesagt, verzichten wir darauf ■— theils aus Mangel an Material, theils weil es weniger erheblich ist — eine gleiche Zusam­ menstellung

für die übrigen Waffen zu versuchen.

Für die Kavallerie,

welche in dem letzten Kriege nur eine untergeordnete Rolle zu spielen be­ rufen war, können die Wirkungen der Reorganisation nicht bedeutend gewesen sein, da man auch bei der alten Organisation für diesen Krieg schwerlich Landwehr-Eskadrons formirt haben würde.

Für die Artillerie

und Pioniere aber kann die Reorganisation, in Folge der seit 1859 ver­ mehrten Rekruteneinstellung, die einberufene Zahl der Landwehrmänner, welche früher wegen des zu geringen Friedensstandes beider Waffengattun­ gen stets bis in die höchsten Jahrgänge hinauf eingezogen wurden, nur bedeutend vermindert haben, im Vergleich mit derjenigen, welche vor der Reorganisation im gleichen Falle hatte eingezogen werden müssen. Eine unbefangene Erwägung dieser Verhältnisse führt zu dem Resul­ tat: daß Preußen einen Krieg, wie den eben glücklich beendeten für eine deutsche Rechts- und Machtfrage, mit der Energie und der ausgedehnten, allen Eventualitäten durch eine bedeutende Machtentfaltung begegnenden Vorsicht, wie er geführt worden ist,

vor der Reorganisation gar

nicht hätte führen können, ohne die tiefste Störung der bür­ gerlichen, wirthschaftlichen und industriellen Thätigkeit sei­ nes Volks, während

man jetzt in allen diesen Sphären von solchen

Störungen wenig verspürt hat.

V.

Die preußische und die französische Armee.

Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß es eine der wesentlichsten Anforderungen an eine gute Heeresorganisation ist, nicht nur wohlgeübte Ersatztruppen für die erste Feld-Armee, um deren Verluste schleunig

35 ersetzen zu können, bereit zu haben, sondern auch für die Aufstellung einer Reserve-Armee zu sorgen. Es ist oben schon ausgeführt worden, daß die Gründer unserer Heeres-Organisation von 1814 die Landwehr 1. Aufge­ bots zu dieser Reserve-Armee bestimmt hatten, daß diese aber, in Folge der zu gering bemessenen Zahl der Linientruppen, nach und nach ein integrirender Theil der ersten Feld-Armee geworden war. Die Reorganisation stellt den ursprünglichen Gedanken wieder in sein Recht,

sie konstituirt die Landwehr 1. Aufgebots wieder als Reserve-

Armee.

Während vor der Reorganisation nach dem Ausmarsch der ersten

Feld-Armee (Linie und Landwehr 1. Aufgebots) nur 116 Bataillone Land­ wehr 2. Aufgebots als Reservetruppen zur Besatzung der Festungen und inneren Landesvertheidigung verwendbar blieben, bleibt nach der Reorga­ nisation eine Reserve-Armee zur Unterstützung der ersten (Linien-) Armee im Felde von 116 Bataillonen Landwehr 1. Aufgebots, während daneben zu anderweiter innerer Landesvertheidigung noch eine Zahl von 116 Ba­ taillonen Landwehr 2. Aufgebots zur Verfügung steht. Machen wir den Vergleich nach wehrfähigen Mannschaft.

dem Bestände der ausgebildeten,

Vor der Reorganisation gab es an Reserve­

truppen nur die Landwehr 2. Aufgebots, für welche in 7 Jahrgängen zu je 40,000 Mann — 280,000 Mann ausgebildet waren.

Nach der Reorga­

nisation dagegen wird es geben: im 1. Aufgebot 4 Jahrgänge zu je 63,000 Mann mit 252,000 Mann, und im 2. Aufgebot 5 Jahrgänge zu je 63,000 mit 315,000 Mann, in Summa 567,000 Mann, also 287,000 Mann mehr — oder — wenn nach den bisher üblichen Sätzen 25 pCt. oder l/4 der Gesammtzahl bei der Landwehr 1. Aufgebots, und 33 pCt. bei der Landwehr 2. Aufgebots als Abgang wegen Tod, Invalidität und Unab­ kömmlichkeit in Abzug gebracht werden, so waren vor der Reorganisation 187,600 Mann 2. Aufgebots als Reservetruppen vorhanden, während die Zahl der Reservetruppen nach Durchführung der Reorganisation 189,000 Mann des ersten und 211,050 Mann des zweiten Aufgebots betragen wird, also in Summa 400,000 Mann, d. i. 212,400 Mann mehr als früher. Wir sehen mithin, daß es der Reorganisation gelungen ist, sowohl die Formation der Feld-Armee sehr wesentlich zu verbessern, als auch die Zahl der geübten Mannschaften so zu vermehren, daß dieselbe der Zahl der französischen Armee auf dem Kriegsfuße nicht nur gleichkommt, sondern dieselbe

sogar übertrifft.

Die Reorganisation hat eine

.Wehrkraft geschaffen, wie sie kein anderer Staat besitzt!

so nachhaltige

Und diese enorme

Vermehrung der Wehrkraft des Landes für den Fall der Noth, die nicht aggressiv, sondern defensiv ist, legt dem Lande im Frieden keine großen Kosten auf.

Denn cs würde unnöthig fehl, in der Folge die Landwehr

1. Aufgebots mit so viel Uebungen zu belästigen, und also so viel Kosten

36 auf sie zu verwenden, wie es früher geschehen mußte, wo sie in die erste Feld-Armee

einzutreten bestimmt war, weil sie hinfort beim Ausbruch

eines Krieges als Reservetruppe, unter dem Schutz der nur aus Linien­ truppen bestehenden ersten Feld-Armee, Zeit genug haben wird, sich durch Sammlung und Wiedereinübung der schon früher vollständig ausexercirten Mannschaft kriegstüchtig zu formiren.

Es können also, nachdem in Preußen

während 40 Jahren hinreichende Erfahrungen gemacht worden, wie in einigen Wochen aus altexercirten Leuten neuformirte Bataillone herzustellen sind, die längeren Friedensübungen der Landwehr 1. Aufgebots wegfallen; es wird genügen, deren Bataillone auf dem Papiere formirt zu haben, und in den Mannschaften durch Kompagnie-Versammlungen behufs Kontrollirung des Präsenzstandes und kurze Schießübungen das Bewußtsein ihrer Kriegsdienstpflicht lebendig zu erhalten.

Es tritt also hier eine wesent­

liche Ersparniß, sowohl für die finanziellen, als für die volkswirthschaftlichen Arbeitskräfte ein, ohne daß zu befürchten stände, die im Frieden weniger oft und weniger lange geübte Landwehr werde nicht im Nothfall Aehnliches leisten, wie die von 1813, welche gar keine Uebung besaß. Wenn die heutige französische Armee, deren Zusammensetzung und außerordentlich feste Fügung wir oben kennen gelernt haben, für den Krieg nur über 700,000 Mann verfügen und daraus, nach Abzug der Abgänge, eine effektive Kriegsstärke von 600,000 Mann aufstellen kann, so erhält dagegen Preußen

gegenwärtig vermittelst einer jährlichen Aushebung von

63,000 Mann, ohne die außer diesen eintretenden dreijährigen und ein­ jährigen Freiwilligen mitzurechnen, 1,008,000 in den Waffen geübte, für den Kriegsfall dienstpflichtige Männer, aus welchen sich, auch trotz deS natürlichen Abgangs und bei reichlicher Berücksichtigung der Unabkömm­ lichkeiten, eine der französischen mindestens an Zahl gleiche Armee auf­ stellen lassen

wird,

bestehend

auS einer mit festen Kadres

versehenen

Feld-Armee von 320,000 Mann, einer ersten Reserve von über 200,000 Mann, für deren größere Hälfte schwache Kadres bestehen, und einer zweiten Reserve von gegen 200,000 Mann, für welche gar keine Kadres bestehen; im Ganzen also 720,000 Mann. Diese Armee würde im Großen und Ganzen sich zusammensetzen aus Mannschaften, von denen l/u im ersten, '/,« im zweiten, ‘/lä im dritten Jahre diente, deren übrige Mannschaften sämmtlich drei Jahre gedient hätten.

Freilich ist unter dieser Mannschaft nur ein sehr schwacher Kern

von in Folge freiwilliger Kapitulation länger dienender Leute, und auch die Feld-Armee besitzt nur junge, höchstens zwölf Jahre dienende Unter­ offiziere, aber Niemand kann verkennen, daß die Reorganisation die vor­ handenen Schwächen der früheren Organisation in sehr vortheilhafter Weise verbessert hat.

37 Wer irgend den großen Vortheil fester, im Frieden eingewöhnter Kadres, und alter, im Dienst geübter und sicherer Soldaten zu schätzen weiß, ein Vortheil, den jeder erfahrene Militair anerkennt und den die Kriegsgeschichte in unzähligen Beispielen beweist, wird zugeben, daß die Ueberlegenheit der französischen Armee darin liegt, daß sie, für alle im Kriegsfall erforderliche Truppen jeder Art, fertige, starke Kadres besitzt, und zwei Drittheile ihrer Mannschaft, wie wir oben nachgewiesen haben, aus alten, eingeschulten und erfahrenen Soldaten bestehen. Hierin ihr einigermaßen nachzukommen hat die Reorganisation gestrebt, indem sie, wenigstens für die erste Feld-Armee, lauter feste Kadres geschaffen hat. Eine größere Anzahl von länger dienenden Soldaten, besonders Unteroffizieren, heran­ zuziehen, bleibt immer noch ein sehr fühlbares Bedürfniß. Vergleicht man die Belastung Frankreichs durch sein Heerwesen mit der Belastung, welche Preußen durch die Reorganisation aufgelegt ist, so­ wohl für beide Länder im Allgemeinen, als für den einzelnen Verpflich­ teten, so gelangt man zu folgendem Ergebniß. Preußen unterhält nach der Reorganisation im Frieden eine Armee von 201,500*) Kombattanten, d. h. einschließlich der Offiziere, aber ohne Beamte, Aerzte, Geistliche und Invaliden, mit welchen zusammen der Friedensetat höchstens 205,000 Mann betragen dürfte — Frankreich, nach seinem normalen Friedensetat, unter gleicher Voraussetzung, 370,573 Mann Kombattanten, oder mit Einschluß aller Beamten und Nebencorps 400,000 Mann, in Wirklichkeit aber gewöhnlich 420—430,000 Mann — also nahezu das Doppelte wie Preußen, ein Verhältniß, wie es mit dem Bevölkerungsverhältniß beider Länder etwa in Uebereinstimmung stehen würde. Preußen verwendet zur Unterhaltung dieser Friedensstärke von 201,500 Kombattanten 40,318,207 Thlr., Frankreich für 370,573 Kom­ battanten 114,307,935 Thlr., welche Summe öfter durch Credits supplementaires bedeutend überschritten wird, so z. B. 1861, in einem Frie­ densjahre, um 37 Millionen. Abgesehen von diesen kostet also im Durchschnitt die jährliche Unterhaltung eines Combattanten in Preußen 200 Thlr. 2 sgr. 9 pf., in Frankreich 308 Thlr., 13 sgr. 10 pf. Nach Czörnig's sehr sorgfältiger Vergleichung der verschiedenen Bud­ gets der vorzüglicheren europäischen Staaten**) verwendet Frankreich *) Wir nehmen hier die in der erwähnten Schrift „zur finanziellen Vergleichung der preußischen Heeresorganisation mit den Groß- und Mittelstaalen Europas" darge­ botenen Zahlen an, da uns kein Material zur unmittelbaren Prüfung derselben zugäng­ lich ist. Die Zahlen sind für Preußen dem Budget für 1861, für Frankreich dem für 1862 entsprechend. **) Wir legen dieser Vergleichung das äußerst interessante und gründliche Werk: „Das österreichische Budget für 1862, in Vergleichung mit jenem der vorzüglicheren

38 25,„ Prozent seiner gesummten Staatsausgaben auf die Landmacht, 8,26 Prozent auf die Flotte, im Ganzen also 34,05 Prozent auf die gestimmte anderen europäischen Staaten von Carl Frhrn. v. Czörnig, Wien 1862" unverändert zu Grunde, schon deshalb, weil man ihm keine Parteilichkeit zwischen Frankreich und Preußen vorwerfen wird, während der oben angeführten offiziösen Schrift: „Zur finan­ ziellen Vergleichung der preußischen Heeresorgaaisation mit den Groß- und Mittelstaaten Europas, Berlin bei Decker 1862" eine bestimmte tendenziöse Absicht vorgeworfen wer­ den könnte, in der Presse auch schon vorgeworfen worden ist. Ueberdem hat Herr von Czörnig das Verdienst, die verschiedenen Budgets auf die sorgfältigste Weise erörtert, durch Anwendung gleicher Grundsätze im Rechnnngsverfahren und in der Aufstellung der Etats vervollständigt, und so erst zur Vergleichung geeignet gemacht zu haben. Wir geben hier zu unserer Kontrolle die Originalzifsern des Herrn v. Czörnig, welche, so weit sie Geldsummen betreffen, in österreichischen Gulden in Wiener Währung angegeben sind, und führen die gleichnamigen Posten des österreichischen Budgets an. In Preußen ist das Budget von 1861 (weil das von 1862 nicht zn Stande gekommen), in Frankreich nnd Oesterreich das Budget von 1862 zur Vergleichung gezogen. Es betragen in ... . Frankreich Preußen Oesterreich die Staatseinnahmen 668,915,000 217,030,000 398,658,000 die Staatsausgaben 665,370,000 220,230,000 457,240,000. Es kommen danach auf den Kopf der Bevölkerung an Staatsausgaben in Frank­ reich 18,io, in Preußen 12,«, in Oesterreich 12,70 Gulden. Von den Staatseinnahmen werden durch Stenern (Brutto) aufgebracht, bilden also die eigentliche Belastung des Landes in Preußen Oesterreich Frankreich 43,764,982 110,796,400 direkte Steuern . . 135,386,982 112,169,727 232,369,267 indirekte „ . . 434,912,177 155,934,709 343,165,667. Summa beider 570,299,159 Die Bevölkerung ist, nach Czörnig 17,745,707 36,003,173 36,760,788 angenommen................... 8,79 15,51 9,53 Gulden, Die Besteuerung pro Kopf ist also oder................... 10Thlr.6sgr. 5Thlr. 25sgr. 10 pf. 6Thlr. 10sg.3pf. Von den Staatsauögaben wer­ den verwendet: 103,070,500 60,477,310 Auf das Landheer .... 171,461,903 6,000,000 3,170,892 55,070,403 Für die Flotte....................... 63,648,202 109,070,500 Summa auf die bewaffnete Macht 226,532,306 Also nach Prozenten der Gesammtausgabe 22,54 25,77 27,46 Landheer................................. 1,31 1,43 8,28 Flotte................................. 23,85 PCt. 28,89 PCt. Summa für die bewaffnete Macht 34,05 pCt. und es fällt auf den Kopf der Bevölkerung 3,03 3,41 4,67 für das Laudheer................... 0,17 0,18 1,50 für die Flotte....................... 3,03 3,59 6,17 Summa für die bewaffnete Macht 4,11 2,39 2,03 oder in Prenß. Thalern . . .

39 bewaffnete Macht; Preußen dagegen 27,46 Prozent auf das Landheer, 1M3 Prozent auf die Flotte, mithin im Ganzen 28,6g Prozent auf die bewaff­ nete Macht. Es fallen davon auf den Kopf der Bevölkerung in Frank­ reich 3,u Thlr. für das Landheer, 1 Thlr. für die Flotte, im Ganzen also 4m Thlr. oder 4 Thlr. 3 sgr. 4 pf. für die gesammte bewaffnete Macht; in Preußen dagegen 2,26 Thlr. für das Landheer und 0,12 Thlr. für die Flotte, also 2,4 Thlr. oder 2 Thlr. 12 sgr. für die bewaff­ nete Macht. Betrachtet man die Staatseinnghmen eines Landes als einen Maaß­ stab für seinen Reichthum, so verhält sich Preußen mit 144,686,667 Thlr. zu Frankreich mit 445,943,333 Thlr. wie 1:3,og.

Die Verwendung für

die gesammte bewaffnete Macht von 42,432,134 Thlr. in Preußen zu der Verwendung von 151,021,530 Thlr. in Frankreich verhält sich wie 1:3,,,. Diese Vergleichungen, in so fern sie die Repartition auf die Kopf­ zahl betreffen, würden aber für Preußen noch günstiger ausfallen, wenn man statt der von Czörnig wahrscheinlich approximativ nach der Zählung von 1858 für das Jahr 1861 ermittelten Volkszahl von 17,745,707, die bei der Zählung vom 3. Dezember 1861

wirklich gefundene Volkszahl,

welche dem Verfasser bei seiner Arbeit noch nicht bekannt sein konnte, zum Grunde legt.

Diese beträgt 18,432,800 für Preußen ohne Hohenzollern,

18,497,258 mit Hohenzollern. Für jenen verhältnißmäßig geringeren Aufwand hat aber Preußen im Fall eines Krieges über eine Million Streiter, Frankreich nur 700,000 disponibel.

Die jährliche Aushebung beträgt nach der Reorganisation in

Preußen 63,000 ohne Freiwillige, in Frankreich 100,000 Mann mit Ein-

Hiernach

scheint Oesterreich für seine bewaffnete Macht

sten Aufwand zu machen.

den

verhältnißmäßig

gering­

Es ist aber zu bemerken, daß Czörnig selbst angiebt, daß

hier nur das vorgelegte Normalbudget in Anschlag gebracht sei, und daß das Kriegs­ ministerium zugleich noch einen Mehrbedarf von 45 Mill. Gulden für die Armee (II, pag. 529) und 7 Mill. Gulden für die Flotte (II. Pag. 531) in Aussicht gestellt habe, der Aufwand um diese Summen also wirklich steigen würde. Es würde mithin nach seiner eigenen Angabe jener Prozentsatz für das Landheer auf 29,48 und für die Flotte auf 2,si, im Gan­ zen für die bewaffnete Macht auf 32,29 steigen; die Ausgabe ans den Kopf der Bevöl­ kerung berechnet sich danach auf 4,n G. für das Landheer und 0,36 G. für die Flotte, also im Ganzen für die bewaffnete Macht auf 4,4? Gulden oder 2,98 Thlr. — 2 Thlr. 29 sgr. 5 pf.

erhöhen.

Seite 533 vermindert Czörnig zwar jene Steigerung nach Schätzung

auf resp. 35 und 7 Millionen, wonach der Prozentsatz nur auf 30,oi kommen würde. Es ist dies aber eine willkürliche Annahme.

Bei Frankreich sind ebenfalls die fast nie

ausbleibenden Credits supplementäres für die bewaffnete Macht nicht berücksichtigt; da­ gegen sind bei Preußen die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben schon mit zuge­ zogen.

Es ist also wohl unzweifelhaft, daß in Preußen das Volk durch den Aufwand

für die bewaffnete Macht unter diesen drei Staaten am wenigsten belastet ist.

40 schluß der Freiwilligen, ist aber oft azrch schon über diese Zahl hinauSgeschritten.

Es wird also in Preußen eine im Verhältniß zur Bevölke­

rung größere Zahl zum Militairdienst herangezogen, dagegen die Dienstzeit verkürzt, und dadurch die Last mehr vertheilt.

In Preußen ist die den

Verpflichteten eigentlich nur drückende Dienstzeit bei der Fahne höchstens 3 Jahre, in Frankreich mindestens 5, gesetzlich 7 Jahre, die Verpflichtung zum Dienst im Fall eines Krieges dauert dagegen dort 16 Jahre, hier nur 7 Jahre, aber während dieser 7 Jahre ist der Verpflichtete weit mehr dem militairischen Belieben überwiesen und von seinem Militairverhältniß abhängig als in Preußen.

Er darf nicht heirathen, kann also keinen

Hausstand begründen, während er in Preußen nach Ablauf der dreijähri­ gen Präsenzzeit bei der Fahne hinsichts aller bürgerlichen Verhältnisse freier, und namentlich nicht behindert ist zu heirathen. In Preußen sind die 3 x 63,000 — 189,000 Soldaten, welche sich bei der Fahne befinden, und deshalb nicht heirathen, im 21., 22. und 23. Lebensjahre, in welchem das Schließen von Heirathen weder gewöhnlich noch im Allgemeinen wünschenswerth ist. In Frankreich dagegen, wo die Aushebung ein Jahr später erfolgt (nämlich für diejenigen, welche in dem der Gestellung vor­ hergehenden Kalenderjahre das 20. Lebensjahr vollendet haben), dürfen 700,000 Mann vom 22. bis inet. 28. Lebensjahre sich nicht verheirathen, wenngleich im letzten Dienstjahre, wenn der Soldat beurlaubt ist, der Consens in der Regel nicht verweigert wird; also sind 400,000 Män­ ner im kräftigsten Lebensalter, vom 24. bis 28. Lebensjahre, in Iwelchem insbesondere auf dem Lande die mehrsten Heirathen geschlossen werden, verhindert zu heirathen und einen Hausstand zu gründen.

Unter diesen

werden die ca. 180,000 Mann, welche sich mehrmals wieder anwerben lassen, zum größten Theile alte Junggesellen und heirathen gar nicht.

Es

kann dies nur einen nachtheiligen Einfluß auf das Wachsthum der Be­ völkerung und auf die sittlichen Zustände des Volkes haben, Uebelstände, die sich bereits fühlbar zu machen beginnen. Während in Frankreich in Folge des Systems des Loskaufs und der Stellvertretung der Dienst in der Armee von den ärmeren und weniger gebildeten Klassen allein geleistet wird, indem der Wohlhabende sich durch Geld davon frei macht, also die gemeinsame und ehrenvolle Pflicht und Last der Vertheidigung des Vaterlandes auf eine gehässige Weise vertheilt ist, und dadurch die reichere und gebildete Klasse der Nation der Armee fern und fremd steht, — ist in Preußen diese Pflicht mit ihrer Ehre und ihrer Last,

ohne Unterschied der Geburt oder des Reichthums, auf alle

Klassen des Volks gleich vertheilt. Es ist richtig, daß es in Frankreich für den Einzelnen eine große Annehmlichkeit ist, mit der ersten Gestellung (appcl) vor der Kommission

41

sicher zu erfahren, wie er für Zeitlebens daran ist, ob er Soldat werden muß, oder definitiv frei ist, während in Preußen jeder Waffenfähige, auch der nicht Eingestellte, feine Verpflichtung behält, so lange er sich im dienst­ pflichtigen Alter befindet, allein dieser Uebelstand ist in der Wirklichkeit weniger groß, als er auf den ersten Blick erscheint. Denn für die Frie­ denszeit (im Fall der zeitweisen Zurückstellung wegen Körperschwäche oder häuslicher Verhältnisse) dauert die Ungewißheit nur zwei Jahre; für den Fall der Gefahr des Vaterlandes ist es aber eine unabweisliche Nothwen­ digkeit, jene Verpflichtung aufrecht zu erhalten, weil bei der geringeren Volkszahl des Landes zur Vertheidigung desselben kein wehrhafter Arm entbehrt werden kann. Aber auch in diesem Falle werden die bürgerlichen Verhältnisse möglichst berücksichtigt. Der größte Kontrast liegt jedoch in der politischen Bedeutung beider Heerwesen. Während in Frankreich alles darauf berechnet ist, ein mög­ lichst soldatisches, vom Volke isolirtes Heer zu bilden, hat Preußen ein völksthüml'iches Heer in der tiefsten Bedeutung des Worts. Die Länge der gesetzlichen Dienstzeit, die große Anzahl der die beste Zeit ihres Lebens, bis zum 47. Lebensjahre, im Dienst bleibenden Leute, für die durch Pensionen hinreichend gesorgt wird (365 Frcs. jährlich nach 25jähriger Dienstzeit für den Soldaten, also täglich 8 sgr.); das System des Freikaufs vom Dienst und die Stellvertretung, in deren Folge die die Entfernung der wohlhabenderen und gebildeteren Klassen aus dem Heere und die Ergänzung desselben durch die ärmeren und abhängigeren, die Bertheilung der Rekruten aus dem ganzen Lande durch alle Truppentheile, — es giebt keine Militair-Kantons, keine provinziellen und lokalen Ersatzbezirke der Regimenter, — und der häufige Garnisonwechsel — welche bewirken, daß selten ein Soldat in der Nähe seiner Heimath bleibt —, die sorgfältig erhaltene Trennung der Soldaten von den Bür­ gern, die strenge Abgeschlossenheit der Uebungslager — alles dieses wirkt zusammen, in Frankreich ein rein soldatisches Heer zu erziehen, und bil­ det zusammen ein consequent durchgeführtes, dem Cäsarismus dienendes System, was für Frankreich nothwendig und heilsam sein mag, aber für Preußen nicht paßt, weil es auf Preußen angewendet eines Theils nicht die hinreichende Anzahl von Streitern liefern würde, welche Preußen nach seiner politischen Lage bedarf, anderen Theils zu kostbar sein, und die Fi­ nanzen des im Vergleich mit Frankreich armen Landes erschöpfen würde. In Preußen dagegen machen die Kürze der Dienstzeit, die Nähe der Heimath, das raschere Zurückströmen der ausexercirten Soldaten in das Volk, ohne daß sie ihrer bürgerlichen Gewohnheiten und Beschäftigungen fremd geworden, die gleiche Theilnahme aller Klassen der Bevölkerung, der reicheren wie der ärmeren, der gebildeteren wie der ungebildeteren, der

42 vornehmen wie der geringeren, die nicht vorhandene Trennung des Sol­ daten vom Bürger weder in den

Garnisonen

noch bei

den Uebungen

(häufige Kantonnirungsquartiere), die sogar zu geringe Anzahl eigentlicher Berufssoldaten die Armee zu einem eigentlichen Volksheere, zu einer Bildungsschule des Volks für den Krieg. Es ist Grundsatz, den Soldaten nicht länger dienen zu lassen, als durchaus nothwendig ist, um ihn in den Waffen und im Dienst hinreichend auszubilden, und wenn auch darüber Streit ist:

wie lange zu diesem Zweck die Dienstzeit nothwendig

sein muß, ob sie sich nicht noch mehr verkürzen ließe; so trifft dieser Streit doch nur das Maaß, nicht den Grundsatz, welcher schon dem Gesetze von 1814 zum Grunde liegt, und seitdem praktisch durchgeführt ist. Wahrlich

es

ist

eine unbegreifliche Verkennung aller thatsächlichen

Verhältnisse, wenn man das französische Heer als ein volksthümliches, im Gegensatz zu dem Preußischen als ein soldatisches Heer gepriesen hat — vielleicht blos, weil in dem französischen der einfache Conscribirte leichter zum Offizier avanciren kann, als im preußischen der ausgehobene Soldat. Grundsätzlich kann dieser auch in Preußen bis zu den höchsten Stellen avanciren, und es giebt berühmte Beispiele, von der alten bis in die neueste Geschichte, daß es geschehen ist, ja es wäre vielleicht wünschenswerth, wenn es öfter geschähe, daß sehr ausgezeichnete Unteroffiziere zu Offizieren avancirt würden; aber im Großen muß doch das historisch her­ kömmliche und in den socialen Verhältnissen unseres Landes begründete System aufrecht erhalten werden, daß sich in den Offiziercorps die allge­ meine Bildung und das Ehrgefühl der

gebildeten Stände

repräsentirt

und dadurch in ihnen eine gewisse geistige Einheit der Lebensanschauungen erhalten wird.

In einem Heere, wo die gebildetesten jungen Leute der

Nation als Gemeine dienen müssen, kann man ihnen nicht Offiziere vor­ setzen ohne diese Bildung.

Es giebt in allen Fächern des Civildienstes

eine höhere und eine niedere Carriere, eine höhere Klasse von Beam­ ten, welche sich durch Gymnasial- und Universitäts-Studien die höhere allgemeine Bildung erworben, und eine niedere, welche, so brauchbar, durch jene nicht zu ersetzen sie in ihrer Art des Dienstes

ja

ist, doch jene

Bildung nicht besitzt, und deshalb in der Regel zu jenen höheren Stellen nicht gelangt,

es sei denn, daß einzelne, besonders takentvolle, sich später

dazu durcharbeiten, wofür

es auch sehr beachtenswerthe Beispiele giebt.

So ist es auch in der Armee, und wenn irgendwo solch eine Trennung in zwei Klassen stattfinden muß, so ist es besser, sie findet auf der natür­ lichen Gränze zwischen Offizieren und Unteroffizieren statt, als daß sie einen Riß mitten in den Offiziercorps macht, wie es in Frankreich der Fall ist. Es sei noch erlaubt, auf den unvermeidlichen wichtigen Einfluß beider

43 Systeme für die Erziehung des Volks zu Vaterlandsliebe und kriegerischer Tüchtigkeit hinzuweisen. Das französische System, indem es die wohl­ habenden und gebildeten Klassen, welchen cs nur zu verführerisch ist, sich durch ein Stück Geld von den Beschwerden des Kriegsdienstes loszukaufen, von der Armee fern hält, muß jene gleichgültig gegen diese und die Waffen­ ehre machen, muß sie verweichlichen.

Das preußische System dagegen er­

zieht und bildet in allen Ständen die kriegerischen Tugenden, die Theil­ nahme an der Ehre der Waffen, an dem Schicksal seiner Söhne in Waffen, es schützt auch die wohlhabenderen Stände gegen Erschlaffung und Ver­ weichlichung, es verschmilzt das Volk trotz aller individuellen und Fami­ lienunterschiede in der Theilnahme an das aus allen Klassen hervorge­ gangene Heer zu einer wahren Einheit. wiederum bewiesen.

Die letzten Monate haben das

In welchem Volke hätte eine größere oder nur gleiche

Theilnahme und Opferwilligkeit für sein in einen auswärtigen Krieg gezo­ genes Heer leben können, als in unserem Volke für unsere in SchleswigHolstein kämpfenden tapferen Truppen!

VI.

Wir

Die Belastung des Landes.

glauben im Vorhergehenden den ausreichenden Beweis dafür

geführt zu haben, daß die Verstärkung und Verbesserung der Armeen der übrigen Großmächte, namentlich die der französischen Armee, daß die po­ litische Lage Europas eine verhältnißmäßige Steigerung

der Wehrkraft

und Schlagfertigkeit Preußens gebietrisch forderten, daß dieselben durch die Reorganisation sowohl intensiv als extensiv wesentlich erhöht worden sind und damit für Preußen ein großer militairischer und politischer Vortheil erreicht ist. Vortheile dieser Art sind nicht ohne Opfer zu erlangen, und der für Preußen erreichte ist gewiß eines bedeutenden Opfers werth. groß ist dieses Opfer?

Aber wie

Ist cs nicht ein zu großes, übersteigt es nicht die

Kräfte deö Landes? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir aber bereits ausgeführt, daß die

Verlängerung des Dienstes in der Linie um zwei Jahre, der

Herabsetzung der gesummten Dienstzeit von 19 auf 16 Jahre gegenüber nicht nur keine Erschwerung des persönlichen Dienstes für den einzelnen.

44 vielmehr eine wesentliche Erleichterung für diesen enthalte, daß die Reorga­ nisation durch diese Veränderung sowie durch die Verstärkung der Linie und die Ausscheidung

der Landwehr aus der ersten Feld-Armee, d. h.

durch stärkere Heranziehung der Jugend und Erleichterung der reiferen Männer,

die Familien- und Erwerbsverhältnisse,

und damit die volks-

wirthschaftlichen Kräfte des Landes in weit höherem Maße schone, als das frühere System. Wir haben die Beweise dieser Erleichterung in Folge der Reorganisation, obwohl sie heute noch nicht in ihrem Umfange eintreten kann,

vollen

gleich für den dänischen Krieg in sehr deutlich

sprechenden Zahlen gegeben. Wir haben ferner bewiesen, daß die per­ sönliche Dienstpflicht für den Einzelnen in Preußen entschieden leichter ist, als, abgesehen von Rußland und Oesterreich, in Frankreich (wenn der verwerfliche Loskauf der begüterten Klassen außer Rechnung bleibt), daß der preußische Soldat dem Staate geringere Unterhaltungs- und Ausrüstungs­ kosten verursacht als der französische, daß das preußische Armeebudget im Verhältniß zum Gesammtbudget niedriger ist als das französische. Da jedoch gerade dieser Punkt — die größere Belastung des Landes — von der Opposition unermüdlich hervorgehoben und entstellt worden ist, wollen wir denselben noch einer genaueren Betrachtung unterziehen.

Ab­

gesehen

deS

von der Behauptung der größeren

persönlichen Belastung

Verpflichteten durch die Reorganisation, die wir oben ausreichend wider­ legt haben, wird die Mehrbelastung des Landes Stand des stehenden Heeres in zwei Richtungen

durch den vermehrten behauptet:

1) volks-

wirthschaftlich dadurch, daß durch diesen vermehrten Stand der Armee der produktiven Arbeit zu viele Arme entzogen würden; 2) finanziell dadurch, daß die baaren Mehrkosten der Armee so hoch gesteigert seien, daß die Steuerlast des Landes dadurch wesentlich vermehrt und die Ord­ nung des preußischen Staatshaushalts bedroht fei. Stellen wir zunächst das Maaß der Mehrbelastung des Landes fest. Statt der früheren Aushebung von 40,000 Mann werden jetzt 63,000 ausgehoben.

Die stehende Armee ist also bei dreijähriger Dienstzeit der

Mannschaften um 3 x 23,000 Mann, d. h. um 69,000 Mann stärker als vor der Reorganisation.

Dazu würde noch die volle Kopfzahl der

prima plana der neuen Regimenter hinzutreten, wenn nicht diese für alle Regimenter durch die Reorganisation schwächer bestimmt worden wäre und schwächer gehalten würde, als sie vor derselben war. Wenn die Ziffer des stehenden Friedensheeres nach der Reorganisa­ tion auf 205,000 Mann angegeben wird, so würde die Vermehrung gegen 1840, wo sie 131,000 Mann betrug,

74,000 Mann betragen.

Jene

Ziffer betrug aber schon 1858, nach Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie, 151,000 Mann, und danach würde die Ver-

45 Mehrung nur 54,000 Mann Betragen. Man muß aber Bedenken, daß einige Neuformationen der Reorganisation noch zurückstehen, so sind z. B. 24 neue Linien-Eskadrons noch nicht gebildet. Wir können mithin, um die Mehrbelastung nicht zu gering anzuschlagen, annehmen, daß die Ver­ mehrung des stehenden Friedensheeres 60,000 Mann beträgt. Dies vorausgeschickt betrachten wir zunächst die volkswirthschaftliche Seite der Mehrbelastung, die also darin besteht, daß jährlich 60,000 Menschen mehr der produktiven Arbeit des Landes entzogen werden. Wir behaupten nun, und erwarten von den National-Oekonomen den Beweis des Gegentheils, daß Preußen seit 1815, trotz verhältnißmäßig großer Anstrengungen für seine Kriegsmacht, hinter keinem der von Natur gleich begünstigten Staaten, hinsichts seiner landwirthschaftlichen und industriellen, kommerciellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Entwickelung zurückge­ blieben ist. Mag nun die von Natur größere Regsamkeit und Anstren­ gungsfähigkeit, mag das System feiner agronomischen und volkswirthschaftlichen Gesetzgebung die Ursache davon sein, mag vielleicht auch gerade die allgemeine Wehrpflicht und der dadurch eingeimpfte Sinn für regel­ mäßige und anstrengende Beschäftigung, für Ordnung und Entweichlichung, daran seinen Antheil haben, die Thatsache — das glauben wir fest — besteht. Deshalb erscheint uns auch die Gefahr, die durch Ent­ ziehung einer größeren Zahl von produktiven Arbeitskräften durch die erhöhte Aushebung eintritt, volkswirthschaftlich nicht so bedrohlich, wie von der 'Opposition behauptet wird. Denn keineswegs werden dem Lande verhältnißmäßig mehr Arbeitskräfte entzogen, als in den Jahren, die den Befreiungskriegen unmittelbar folgten, wo das Land sehr erschöpft war und seiner Arbeitskräfte weit dringender bedurfte. Damals, 1816, betrug der Friedensstand der Armee in runder Zahl 130,000 Mann bei 10,349,031 Einwohnern, also 1,„ pCt. der Bevölkerung,*) im Jahre 1861, nach der Reorganisation der Armee, mit Einschluß der Flotte, 205,000 Mann bei 18,497,458 Einwohnern, also 1,10 pCt. der Bevölkerung, mithin 0,l5 pCt. weniger als damals. Die Naturalleistung des Landes, welche heute in dieser Beziehung gefordert wird, ist mithin in keinem Falle überspannt, und läßt nicht im Mindesten befürchten, daß die Fortschritte der Landwirthschaft, der In­ dustrie, des Handels, der Wissenschaft und Kunst auf irgend bedenkliche Weise dadurch gehemmt werden dürften. Ist von 1815 bis 1860 die *) Vergleiche die offiziöse Schrift: „Zur finanziellen Seite der Militairfrage, Ber­ lin 1862 bei Decker." Für 1861 ist oben die durch die Zählung vom 3. Dezember 1861 ermittelte Volkszahl, statt der in dieser Schrift zu 18,246,760 angegebenen, zu Grunde gelegt.

46 Kultur in Preußen in so erfreulicher Weise fortgeschritten, so wird sie auch heute durch den erhöheten Stand des Friedensheeres nicht aufgehalten werden. Herr Dr. Faucher hat kürzlich in einem Aufsatze:

„Zur Frage bar

besten Heeresverfassung" in der „Vierteljahresschrift für Volkswirthschaft und Kulturgeschichte" (Jahrgang 1864, Band I.) in geistreicher und scharf­ sinniger Weise die wichtige Frage der Heeresvcrfassung vom volkswirthschaftlichen Standpunkte aus behandelt. Seine Auffassung ist zu bedeutend, und enthält zu viel Beherzigenswerthes, mit sie mit Stillschweigen zu übergehen, zumal die Resultate seiner Untersuchung für Preußen sehr un­ günstig ausfallen, Geist und Form der Schrift aber glänzend genug sind, um ihren Räsonnements Eingang und Glauben zu verschaffen. Wir erkennen gern an, daß es dem Verfasser um die Sache zu thun ist, daß er weder auf einem absolut idealistischen noch absolut merkantilistischen Standpunkte steht. freund

Er selbst verwahrt sich dagegen, Friedens­

quand m6me wie Cobden und Bright zu sein; er weiß die

Fragen der Ehre, der Würde, der Machtstellung und Sicherheit des Staates zu würdigen; er gesteht Epochen der auswärtigen Politik und der Kriege zu und räumt

ihnen eine Berechtigung ein; die Ucbermacht Frankreichs

und die Gefahren, welche von dorther drohen können, so lange dort eine auf die Armee basirte Herrschaft besteht und der Rechtsstaat nicht wieder­ hergestellt ist, sind ihm gegenwärtig.

Ja mehr als das; er selbst erkennt

in Preußen einen tonangebenden militairischen Staat. der auf solchem Standpunkte steht,

Mit einem Gegner,

der die Staatszwecke, die concrete

Wirklichkeit der Staaten, die Bedürfnisse und die Nothwendigkeiten des europäischen Staaten-Complexes anerkennt, kann man streiten. Als Volkswirth betrachtet Faucher den Staat wie ein Kapital, welches nicht nur zu erhalten, sondern auch zu vermehren ist. Er meint deshalb:

Die Volkswirthschaft habe vor allen Wissen­

schaften mit dem Heerwesen zu thun, sie müsse in erster Linie zu Rathe gezogen werden.

Er erkennt vom volkswirthschaftlichen Gesichtspunkte aus

die Militairlast als eine durchaus verständliche Last, bei der es sich um die richtige Ausdehnung und volkswirthschaftlich beste Bertheilung handle. Ihm stießt „die Nothwendigkeit des Krieges aus der Nothwendigkeit ■— welche eine Nothwendigkeit der Kultur ist — die Gewalt im Complex der

Staaten zu regeln."

Er verwahrt die wahre Volkswirth­

schaft gegen den Vorwurf: den Soldatenstand für überflüssig zu erklären. Ihm ist die Wehrverfaffung eines Staates „der Vorrath des Staates an Wehrkraft, durch welche allerdings,

wie bei jedem Vorrath, eine

gewisse Summe von Kräften lahm gelegt werden muß."

Die unvermeidliche

Folge jedes Heerwesens ist demnach: „eine gewisse Ausdehnung menschlicher

47 Arbeitskraft lahm zu legen; ferner ein spezifisches Bildungskapi­ tal zu beschaffen, welches sich nicht spontan sammeln kann, weil es entweder gar nicht an den Broderwerb geknüpft ist, oder weil, in so weit das der Fall, die Gesetze des freiwilli­ gen Tausches unter den Einzelnen den Broderwerb nicht her­ geben. Dazu kommt dann, daß für denjenigen Theil des Kraftvorraths, der durch aufgespeicherte Arbeitserzeugnisse ver­ treten ist — die Waffen, die Befestigungswerke, die Schiffe rc. — Ausdehnung, Behandlung und Bertheilung durch keinen per­ sönlichen Schaden controllirt werden, der den persönlichen Mißbrauch bestraft, endlich daß wenigstens bei derjenigen mit dem Heerwesen verknüpften Last, welche durch die Pflicht auf­ erlegt wird, sich nicht in der Verbesserung überholen zu lassen, alle Freiheit der Wahl nach wirthschaftlichem Urtheil aufhört.« In der vorliegenden Abhandlung beschäftigt sich Faucher ausschließlich mit der Untersuchung des ersten und volkswirthschaftlich wichtigsten Theils des Heerwesens, mit der Last, welche durch Lahmlegung menschlicher Arbeitskraft für Nation und Staat herbeigeführt wird. Er erkennt das Bedürfniß, und deshalb auch die Verpflichtung des Staates an, nicht nur die Wehrhaftigkeit des Volks durch dauernde Ein­ richtungen, durch eine besondere Berufsklasse, die er zum Bildungskapital rechnet, zu erhalten, sondern auch das besondere Bedürfniß der Sch lag fertigkeit, d. i. eines permanenten Friedensstandes des Heeres, welchem Arbeitskraft zu opfern ist, um „Schildwacht an der Thüre des Schatzes nationaler Würde und Unabhängigkeit zu stehen." Er vergleicht nach volkswirthschaftlichen Begriffen die Wehrhaftigkeit mit dem „Vermögen", die Schlagfertigkeit mit der „bereiten Kasse". Er beschäftigt sich zunächst mit dieser und warnt davor: die Schlag fertigkeit auf Kosten der Wehrhaftigkeit zu sehr zu steigern, weil zur Erhaltung der letzteren auch der fortschreitende Nationalreichthum erforderlich ist, dieser aber durch zu große Verwendungen auf die beständige Schlagfertigkeit gefährdet werden würde. Danach ist ihm die Hauptfrage: wie viel darf der Staat auf den permanenten Friedensstand der Armee ver­ wenden? Diese Untersuchung führt ihn zu dem Satze: Das Heerwesen im Frieden darf kein solches Bleigewicht in der wirthschaftlichen Entwicklung der Nation bilden, daß es mit dem Natio­ nalreichthum rückwärts statt vorwärts gehe; und in weiterer Entwickelung zu dem Satze: Das Heerwesen im Frieden darf auch nicht einmal die Entwickelung des Nationalreichthums

48 im Verhältniß zur Entwickelung, die in

andern Staaten

vor

sich geht, zurückhalten. Vom politisch-militairischen Standpunkte aus — von einem einseitig militairischen kann hier natürlich nicht die Rede sein — haben wir gegen den ersten dieser Sätze nichts einzuwenden;

dem zweiten aber können wir

nur bedingungsweise eine Berechtigung zuerkennen. Es läßt sich sehr wohl der Fall denken, daß irgend ein Staat die volkswirthschaftliche Entwick­ lung zum Nachtheil der Wehrhaftigkeit und Schlagfertigkeit so überwiegend begünstigte und ausbildete, daß die Sicherheit der volkswirthschaftlichen Ent­ wickelung selbst beständig in Frage gestellt, d. h. von dem guten Willen der Nachbarmächte abhängig würde.

Eine Unsicherheit dieser Art würde

das stärkste Bleigewicht sein, das der volkswirthschaftlichen Entwickelung angelegt werden könnte; es würde dieselbe vollständig lähmen, ganz abge­ sehen davon, daß damit auch die Existenz des Staates von den Nachbarn abhängig würde, und der Staat, der sein Heerwesen in dieser Weise be­ handelte, in Machtfragen gar nicht mitzureden hätte, d. h. niemals bestim­ mend oder mitbestimmend auf andere Staaten einwirken könnte, sondern sich stets von diesen bestimmen lassen müßte.

Wenn nun ein Nachbar­

staat, vielleicht durch seine geographische Lage begünstigt, das Hauptgewicht auf seine volkswirthschaftliche Entwickelung legte, während ein

anderer

ein entgegengesetztes System überwiegender Schlagfertigkeit befolgte, welches einen dritten Nachbarstaat bedroht, wie soll der letztere in solcher Lage verfahren?

Soll er mit der

volkswirthschaftlichen

Entwickelung jenes

ersten Staates rivalisiren, und sich dem Druck des letzteren blosstellen? Und wird der erste Staat schließlich dem zweiten widerstehen können oder ihm erliegen, nachdem die überlegene Schlagfertigkeit des zweiten ihn zuerst Schritt

vor Schritt geschädigt?

In Ackerbau, Handel und

Industrie

waren die Karthager den Römern überlegen, wo blieb zuerst die Volks­ wirthschaft Karthagos und schließlich Karthago selbst?

England wird so

oft als Muster volkswirthschaftlicher Entwickelung gepriesen; aber es ist eine Thorheit, wenn gewisse Schriftsteller nicht müde werden, England als den stärksten Staat Europas hinzustellen.

Die Ausbreitung seiner Macht

bis in die entferntesten Gegenden des Erdballs, sein Nationalreichthum, sein Handel, seine Industrie blenden und verführen dazu. Aber welchen Umständen verdankt es diesen Glanz? Die Thätigkeit und Tüchtigkeit der englischen Nation hat gewiß einen großen Antheil daran, aber einen noch weit größeren der Umstand, daß die gesegnete Insel Großbritannien seit Wilhelm III. — mit Ausnahme der kaum nennenswerthen Unternehmun­ gen des Prätendenten — eines fortwährenden, mehr als anderthalbhun­ dertjährigen Friedens genoß, während Central-Europa, vor allem Deutsch­ land, durch lange Kriege verheert wurde.

Aber England hatte nicht blos

49 den negativen Vortheil, von diesen Verheerungen verschont zu sein und seine Industrie auf seiner Insel ruhig entwickeln zu können. Es hatte noch einen größeren Vortheil davon. In den langen Kämpfen gegen Frankreich, die von 1689—1697, von 1701 — 1714, von 1740 — 1748, von 1756—1763, von 1792>—1815 geführt wurden, waren es wesentlich deutsche Kräfte, welche die überlegenen Armeen und Streitmittel Frank­ reichs beschäftigten. So gewann England während derselben Zeit, Gele­ genheit und das maritime Uebergewicht, mit seinen Flotten sich der reichsten Theile der Welt bemächtigen, dort Kolonieen gründen und die Reichthümer derselben in das Mutterland ziehen zu können. Das ist das einfache Geheimniß der Größe des modernen Karthago. Aber würde sein immenser Volkswohlstand ausgereicht haben, im Jahre 1805 der Landung Napo­ leons glücklich zu widerstehen, wenn es Pitt nicht gelungen wäre, Oester­ reich wiederum gegen Frankreich in die Waffen zu bringen; würde Eng­ lands großer Volkswohlstand und geringe Schlagfertigkeit es heute in den Stand setzen, eine französische Landung glücklich zurückzuschlagen? Wir wollen mit diesen Andeutungen Herrn Faucher nur bemerklich machen, daß die Allgemeinheit seines Satzes bedenklich ist, daß es sich immer um konkrete Situationen handelt, die auch die richtigsten Sätze modificiren. Wir geben vollkommen zu, daß der Hintergrund einer tüchtig ent­ wickelten Volkswirthschaft nothwendig ist zur nachhaltigen Führung eines Krieges; daß die Militairlast die Entwickelung der Volkswirthschaft in ihren verschiedenen Zweigen nicht hemmen, ihr nicht zu viel Kräfte ent­ ziehen darf. Wir geben auch den Vergleich der Schlagfertigkeit mit der bereiten Kasse, und der Wehrhaftigkeit mit dem Vermögen als völlig zu­ treffend zu. Wir erkennen es vollständig an: daß derjenige Staat im Vortheil sein wird, der es verstanden hat, das nothwendige Maaß der Schlagfertigkeit mit der größtmöglichen Entwickelung der wirthschaftlichen, intellektuellen und psychischen Grundlagen der Wehrhaftigkeit zu paaren. Es ist vollkommen richtig, daß man der Volkswirthschaft gegen­ über für die Schlagfertigkeit zu viel thun kann, wie Kaiser Nicolaus; aber — setzen wir hinzu — man kann auch zu wenig dafür thun, wie Preußen vor 1806 (siehe v. Bohen'S Denkschrift von 1817) und vor 1859. Es kommt eben darauf an, das richtige Maaß für die Asse­ kuranzprämie zu finden, die jeder Staat jährlich für seine Sicherheit zu zahlen hat, die in erster Linie auf der bereiten Kasse, d. i. auf der Schlagfertigkeit beruht. Ungünstiger, gefährlicher gestellte Staaten haben höhere Assekuranzprämien zu zahlen, als andere günstiger gestellte, wie die Versicherung für gefährliche Seefahrten, für erfahrungsmäßig oft verv. Bincke, Milttciirfrage.

4

50 hagelnde Gegenden höher ist, als für solche, die von geringeren Gefahren bedroht sind. Faucher vergleicht die Anstrengungen der Hauptstaaten Europas für ihre Schlagfertigkeit, und glaubt einen richtigen Maaßstab für diese, speziell für die volkswirthschaftliche Belastung, zu finden, indem er ermittelt: wie viele von 10,000 Seelen der Bevölkerung durch den permanenten Frie­ densstand der stehenden Heere absorbirt, also der produktiven Arbeit ent­ zogen „lahm gelegt" werden.

Er rechnet heraus, daß in England 76, in

Frankreich 105, in Rußland 76, in Oesterreich 77, in Preußen aber die enorme Zahl von 116 männlichen Arbeitskräften, auf je 10,000 Seelen, durch die Schlagfertigkeit der bewaffneten Macht (Heer und Flotte) lahm gelegt werden. Zugegeben, daß der Staat als ein Kapital zu betrachten sei, welches nicht nur zu erhalten, zu erneuen, sondern auch zu mehren ist — so han­ delt es sich hier zuerst um die Frage:

ist wirklich die im stehenden

Heere dienende Mannschaft eine für die Zwecke des Staates lahm gelegte Arbeitskraft? Worin besteht das Kapital des Staates? Werthzeichen,

Arbeitstagen,

Besteht es aus­

schließlich

in

Rohprodukten,

Stoffen?

Gehört nicht neben diesen auch physische Kraft, Gewandtheit,

verarbeiteten

Uebung des Körpers, gehören nicht Intelligenz, Willen, sittliche Kraft zu diesem Kapital?

Es scheint doch, daß das Kapital und die Arbeit nicht

blos aus dem Triebe zu leben und zu genießen hervorgehen; es dürften doch auch die sittlichen Mächte des Wollens und Könnens, die nicht ausschließlich auf die Fristung und den sinnlichen Genuß des Lebens gerichtet sind, einen wesentlichen Theil dieses Kapitals bilden.

Nicht Alles

läßt sich wägen und zählen, auf Werthzeichen und Arbeitstage reduciren! Ist etwa die Arbeit der Männer der Wissenschaft — wir rechnen Hrn. Faucher zu ihnen — auch wenn sie sich nicht auf Chemie, Agrikultur und Fabrikwesen richtet,

eine lahm

gelegte

Arbeitskraft?

Oder etwa

die Arbeit des Predigers, des Richters, des Verwaltungsbeamten? — Wie viele Arbeitstage werden dem Staatskapital dadurch entzogen? wie viele ferner durch den Schulbesuch der Jugend? Warum sollten nicht schon die Knaben vom zehnten Jahre an auf dem Acker und in den Fa­ briken arbeiten können? Wir antworten:

es kommt für das Staatskapital nicht sowohl auf

die Arbeit überhaupt, als auf geschulte Arbeit an.

Diese Schu­

lung besteht nicht nur in der direkten Vorbereitung auf die Tagelöhner-, die Handwerker-, die Acker- und die Fabrikarbeit, sondern in der Schulung des ganzen

Menschen.

Also

erstens

durch

die Unterrichts-Schule zur

Uebung des Verstandes, zur Sammlung gewisser Einsicht, zur Uebung des

51 Willens an Gehorsam und Fleiß; zweitens durch die Uebung und Schu­ lung in der Armee zur Kraft, Gewandtheit und Gesundheit des Körpers, zur Gewöhnung an Ordnung,

Reinlichkeit,

Pünktlichkeit, Anspannung,

Anstrengung und vor Allem an Selbstbeherrschung. Unser preußischer Militairdienst mit seiner nur dreijährigen aktiven Dienstzeit erhöht somit intensiv das im Staate vorhandene Kapital an Arbeitskraft, durch eine zweckmäßige Schulung desselben.

Die angebliche

Lahmlegung an Arbeitskraft im Militairdienst ist vielmehr eine Steigerung derselben durch körperliche und geistige Schulung. Faucher erklärt selbst: „daß die männliche Arbeitskraft nicht durch die weibliche ersetzt werden könne. liche Arbeitskraft schlechter,

Wir sagen, daß die ungeschulte männ­ und deßhalb weniger wirksam ist,

als die

durch die Schule des Militairs erzogene männliche Arbeitskraft, abge­ sehen von dem Kapital, welches der so geschulte Arbeiter an Reinlichkeit, Ordnungsliebe und Gewohnheit des Gehorsams und Befehlens, an Selbstund Ehrgefühl,

an Trieb sich auszuzeichnen, für sich, sein Haus, seine

Zukunft und seine Familie mitbringt.

Wenn wir unsere Arbeitskräfte im

Militairdienst schulen lassen, so gewinnen wir dadurch bessere Arbeiter, d. h. bessere Werkzeuge für die nationale Arbeit, die durch ihre größere Gewandtheit und schärfere Schneide reichlich für das National­ kapital wie

für sich nachholen,

was sie an Lohnarbeitstagcn versäumt

haben. Faucher behauptet (S. 162), daß die Höhe der männlichen physischen Arbeitskraft in den Jahren unseres aktiven Militairdienstes, also vom 20. bis 23. Lebensjahre liege, während sie doch notorisch zwischen dem 26. und 38. Lebensjahre liegt, und der Mann erst in diesen Jahren für schwere wie für besondere Fertigkeit verlangende Arbeit heranreift.

Wenn

Hr. Faucher hervorhebt, welche Früchte dem nationalen Kapital an Ge­ sundheit und Lebenskraft die Arbeit der englischen Frauen in der Kinder­ stube rc. zubringt, so machen wir ihn darauf aufmerksam, ob nicht der preußische Exerzierplatz, einschließlich der Paradedressur, der viel berufenen, dem preußischen Nationalkapital noch viel bessere Früchte trägt, indem er nämlich, außer dem physischen Kapital der Gesundheit, Gewandtheit, Stärke und Lebenskraft, die sittlichen Mächte des Wollens und Könnens, auf welche schließlich — selbst in der Arbeit des Tagelöhners — Alles ankommt, erhöht. Gerade deshalb ist auch in volkswirthschaftlicher Be­ ziehung die kurze preußische Dienstzeit von höchstens drei Jahren, und die Einstellung möglichst vieler eine vortreffliche Einrichtung unseres Vater­ landes. Nur in den Ländern, wo für alle Dienenden, wie in Rußland und England, oder für einen sehr großen Theil derselben, wie in Oester­ reich und Frankreich, eine so lange Dienstzeit gesetzlich ist, daß sie den

52 endlich ausgedienten Soldaten für den Rücktritt in das bürgerliche Leben mehr oder weniger unfähig macht, kann von einer wirklichen Lahmlegung eines bedeutenden Theils der im Staate vorhandenen Arbeitskraft die Rede sein. Dagegen macht unsere kurze Dienstzeit, im jugendlichen Alter, gerade für die bürgerliche Arbeit fähig, was der Hr. Vf. am wenigsten läugnen kann, der doch das Hauptgewicht auf die körperliche Arbeit legt (S. 162), für welche unstreitig der Militairdienst außerordentlich gut vorbereitet und allseitig vorübt. Das sich selbst schaffende Kapital des Staates, die Bedin­ gung alles anderen Kapitals Wille.

und aller anderen Arbeit ist Kraft und

Dieses wird durch den kurzen Dienst in der Armee nicht lahm

gelegt, sondern erhöht.

Die Arbeit des Militairdienstes im Frieden ist

mithin produktive Arbeit, wenn man die Dinge nur etwas genauer ansieht. Aber auch abgesehen von diesem wichtigsten Einwand gegen die Theorie des Hrn. Faucher können wir den von ihm aufgestellten Maaßstab für die Anstrengungen der Staaten für ihre Schlagfertigkeit und die Opfer, welche sie dafür bringen, nicht als richtig anerkennen. Ackerbau und Industrie weit fortgeschrittenes

Ein dicht bevölkertes, in Land

wie England wird

weit leichter, ohne Gefahr für seinen volkswirthschaftlichen Fortschritt, ja vielleicht mit Nutzen für denselben, einen gleichen oder selbst höheren Pro­ zentsatz seiner Bevölkerung für nicht produktive Zwecke verwenden können, als ein dünn bevölkertes, in Ackerbau stehendes wie Rußland.

und Industrie noch weit zurück­

Ein gleicher Prozentsatz würde deshalb für Ruß­

land schon ein weit größeres Opfer für seine Schlagfertigkeit anzeigen, als für England.

Jener Maaßstab trifft also nicht das Richtige.

Hr. Faucher hat aber nun einmal Zahlen aufgestellt und in die Welt gesendet.

„Zahlen beweisen," sagt man, aber sie blenden auch, und des­

halb halten wir uns verpflichtet, seine Zahlen näher zu beleuchten.

Wir

folgen der von ihm beobachteten Reihenfolge. 1. die

England.

Es handelt sich zunächst

nur um die Naturallast,

durch den persönlichen Militairdienst der Mannschaft im Frieden,

welcher diese für die produktive Arbeit „lahm legt," dem Lande aufgebürdet wird, denn von den aus Staatsmitteln zu beschaffenden Unterhaltungs­ kosten

(der

finanziellen

Vorrathskapital, die Rede sein.

soll,

Belastung), wie

es

dem

scheint,

Betriebskapital, erst

in

spätern

und

Aus diesem Grunde erscheint es uns, trotz

Hrn. Faucher dafür angeführten Gründe,

dem

Abschnitten der von

völlig ungerechtfertigt, wenn

er für England die 63,970 Mann europäischer Truppen

in Ostindien,

welche doch auch aus den vereinigten Reichen, England, Schottland und

53 Irland, geworben und ergänzt werden, von der Berechnung ausschließt, weil sie aus den Revenüen Ostindiens bezahlt werden. Der Abgang an Arbeitskraft trifft doch das Mutterland; die Erleichterung aber, welche für dieses durch die Unterhaltung aus den ostindischen Revenüen entsteht, würde erst bei der Ermittelung der finanziellen Belastung in Rechnung zu bringen sein. Ferner bringt Hr. Faucher nicht den im Budget von 1861 (für welches Jahr die Vergleichung angestellt wird) veranschlagten Flotten­ etat von 85,500 Mann in Ansatz, sondern nur 75,000, weil es „wahr­ scheinlich sei (?), daß der Voranschlag nicht erfüllt worden." Die „Miliz" und die „Freiwilligen" endlich werden von Hrn. Faucher gar nicht in Anschlag gekracht; wir lassen die Gründe dafür passiren und wollen sie auch nicht weiter berücksichtigen. Rechnen wir aber, indem wir die übrigen Positionen beibehalten, jene 63,970 Mann in Ostindien be­ findlicher Truppen mit, und jene 85,500 Mann für die Flotte, wie wir müssen, voll, so stellt England nicht 222,380 Mann, wie Faucher annimmt, sondern 295,880 Mann. Es kommen demnach bei 29,307,199 Einwoh­ nern nicht 76, sondern nahezu 101 lahm gelegte männliche Arbeitskräfte auf 10,000 Seelen. 2. Frankreich. Hr. Faucher legt die Bevölkerungszisfer nach der Zählung von 1861, nämlich 41,530,683 Einwohner, zum Grunde, in welcher aber die von Algerien mit inbegriffen ist, weil auch Algerien Rekruten stellt, wenn auch in weit geringerem Verhältniß als Frankreich selbst. Es ist aber gewiß richtiger, Algerien und die dort ausgehobenen Truppen so­ wie die Fremdenregimenter aus der Berechnung ganz auszuscheiden. Nach dem Vorbericht zum Budget extraordinaire für 1863, vom 25. März 1862, beträgt die Bevölkerung von Frankreich, mit Corsica aber ohne Algerien, 37,328,000 Einwohner. Den normalen Friedensstand der Armee rechnen wir mit Hrn. Faucher nach dem Budget zu 400,000 Mann, ob­ gleich der effektive Stand unter dem Kaiserreich immer höher gewesen und noch ist. Von diesen 400,000 Mann sind 11,000 Mann an Truppen, die in Algerien rekrutirt werden, und an Fremdenregimentern abzuziehen; es bleiben mithin 389,000 Mann. Hierzu kommen aber alljähr­ lich 40,000 Reserven, welche nicht wirklich in die Armee eingestellt, son­ dern im ersten Dienstjahre 3 Monate, im zweiten 2 Monate, im dritten 1 Monat bei den Depots eingestellt und geübt werden, so daß alle Jahre 40,000 Mann nur 6 Monate der produktiven Arbeit entzogen werden, was 20,000 Mann gleich zu rechnen ist, die ein ganzes Jahr hindurch der produktiven Arbeit entzogen sind. Ferner kommen noch hinzu in run­ der Zahl 24,000 Mann Marine- und Kolonialtruppcn, und 40,000 Mann der Flotte, was einen Bestand von 473,000 Mann bildet, welche thatsäch-

54 lich der produktiven Arbeit entzogen werden. Danach kommen in Frank­ reich auf 10,000 Seelen nicht 105 (wie Faucher rechnet), sondern 126 lahm gelegte männliche Arbeitskräfte. 3. Rußland. Hier erscheint Hrn. Faucher die Angabe des „russischen Invaliden" vom Februar 1862, wonach für 1858 der wirkliche Präsenzstand der regulären und irregulären Armee 1,058,911 Mann be­ tragen hat, was also bei 74,272,490 Einw. auf je 10,000 Seelen 143 Soldaten geben würde, zu hoch, „weil es, im Gegensatz zu Frankreich, russischer Grundsatz zu fein scheine, die Streitkräfte immer zu hoch anzu­ geben."

Wir wissen auch, daß sehr häufig, namentlich in früheren Zeiten,

vor Kaiser Nicolaus, die russischen Truppen auf dem Papier stärker an­ gegeben

wurden

als

sie in

Wirklichkeit

waren; aber eine

Reduktion

bis auf 538,884 Landtruppen und 24,911 Flottenmannschaften, also im Ganzen auf 563,795 Mann im Dienst, vorzunehmen, und daraus die Zahl von 76 lahm gelegten männlichen Arbeitskräften auf 10,000 Seelen herzuleiten, erscheint uns doch eine zu willkürliche Annahme. In dem Gothaischen genealogischen Taschenbuch von 1864 wird die Armee zur Stelle, nach den Berichten des Kriegsministeriums im Jahre 1858, und nach bedeutenden Reduktionen im Jahre 1859, zu 977,325 Mann, ein­ schließlich der Offiziere, und die Flottenmannschast am 1. Januar 1862 zu 59,691 Mann angegeben, Arbeitskräfte

auf

waö immer

10,000 Seelen

noch geben

140 lahm gelegte würde.

Eine

neuere

Schrift „Die militairischen Machtverhältnisse der sechs europäischen Grcßstaaten, nach den besten Quellen zusammengestellt, Berlin 1863" giebt den augenblicklichen, also doch wohl zu Anfang 1863, d. h. vor Ansbruch des polnischen

Aufstandes,

vorhandenen Bestand

der

russischen Armee

zu

650.000 Kombattanten, d. h. ohne Offiziere an, der also mit Offizieren dann 670.000 Mann betragen dürfte;

dazu ungefähr 40,000 Mann Flotten­

mannschaften würde 710,000 Mann und also bei 74,272,490 Einw. auf je 10,000 Seelen 96 lahm gelegte Arbeitskräfte ergeben. sind weit entfernt,

diese Zahlen

als

Wir

die richtigen aufstellen zu wollen,

glauben aber aus alledem so viel schließen zu dürfen, daß die von Hrn. Faucher angegebene Zahl 76 eben so wenig zuverlässig, und demnach als Grundlage für so weit gehende Folgerungen wie die seinigen völlig un­ zulässig ist. 4.

Oesterreich.

Wir wissen nicht, woher Hr. Faucher hier seine

Zahlen nimmt, wenn er sagt (S. 154): „Durch die Reduktionen ist der Friedensstand für das Jahr 1861 auf 280,061 Mann herabgebracht worden," und „noch weitere Reduktionen traten für 1862 ein, durch welche

55 der Friedenöstand auf 269,103 Mann herabgebracht ward."

Diese Zahl

nun legt Hr. Faucher, ohne auch nur einen Mann für die Marine hin­ zuzufügen, znm Grunde, gegenüber einer Bevölkerungsziffer von 35,019,038 Einwohnern, und erhält so einen Arbeitsverlust von 77 Köpfen auf 10,000 Seelen.

Diese Zahl würde auf 74 herabzusetzen sein, wenn Faucher die

aus späteren Zählungen (nach 1858) hervorgegangene, schon von Czörnig und andern angewendete, Einwohnerzahl von 36,003,000 Cinw. — wir wissen nicht,

warum

nicht — berücksichtigt hätte.

Heeresstärke Oesterreichs liegen zuverlässige Angaben

Aber auch für die vor in dem sorg­

fältig gearbeiteten offiziösen Werke des Herrn von Czörnig:

„Das öster­

reichische Budget für 1862, verglichen mit jenen der vorzüglicheren andern europäischen Staaten; Wien 1862." Nach diesem betrug (wie II. p. 43 speziell nachgewiesen ist) die gesammte Kopfzahl der Armee für 1862: 380,469 Mann, der Flotte 11,887, beide zusammen also 392,356 Mann; mithin kommen bei 36,003,000 Einw. auf je 10,000 Seelen 109 „lahm gelegte Arbeitskräfte."

Rechnet man aber bei der Armee die Militair-

parteien und Beamten,

die Unterparteien,

Armeediener,

Weiber (21)

und das Grenzverwaltungspersonal (im Ganzen 15,756 Köpfe), und die enorme Zahl von 61,993 Invaliden und Pensionisten (im Ganzen 77,749 Köpfe),

sowie bei der Flotte für Geistlichkeit, Kommissariat, Auditoriat,

Medizinalwesen, Beamte, Diener und Unterparteien, Gendarmerie und Schiffsbau 3694 Mann ab, so bleiben für die Armee 302,720 Mann, für die Marine 8193 Mann, für beide zusammen 310,913 Mann.

Diese

Zahl ergießt bei der Annahme von 35,019,058 Einw. (nach Hrn. Faucher) 89, in der That bei 36,003,000 Einw. 86 lahm gelegte Arbeits­ kräfte auf 10,000 Seelen.

Das eben angezogene Budget war indeß

nur ein ideales, ein in Aussicht gestelltes Ziel.

Nach dem Bericht der

betreffenden Seeticn des Finanzausschusses des österreichischen Reichstages vom 24. Mai 1862 betrug der wirkliche Bestand der Armee damals noch 543,673 Mann. Rechnet man davon die oben angegebene Zahl von 77,749 Mann für Militairparteien re., und für die in Folge der Ab­ setzung von 8 Millionen Gulden vom Budget stattgehabte Reduktion von 26,065 Mann ab, so bleibt immer noch eine Effektivstärke der Landmacht von 439,859 Mann, und, mit Zurechnung von

8193 Mann

Flotte, von 448,052 Mann für die bewaffnete Macht.

für die

Danach würden,

je nachdem man 36,003,000 oder (mit Hrn. F.) 35,019,058 als die Be­ völkerungszahl annimmt:

124 ober 127 männliche Arbeitskräfte

auf je 10,000 Seelen lahm gelegt sein. 5.

Preußen.

Hr. Faucher nimmt die Bevölkerung nach der Zäh­

lung von 1861 zu 18,497,458 Einwohnern, die Friedensstärke der reorgani-

56 sirten Armee zu 213,000 Mann an.

Letztere Ziffer ist zu hoch.

Eine halb

offizielle Schrift,*) welche wir bei mehreren Prüfungen zuverlässig gefun­ den haben, berechnet die Land-Armee im Jahre 1861 zu 201,500 Mann, die Flotte zu 2727 Mann, die ganze bewaffnete Macht also zu 204,227 Mann, wobei, um gleiches Verfahren wie bei den übrigen Armeen zu beobachten, Invaliden (etwa 1200 Mann), Halbinvaliden, Beamte, Aerzte, Geistliche rc. nicht mitgerechnet sind.

Diese Zahl von 204,227 Mann bei

18,497,458 Einw. giebt auf je 10,000 Seelen 110 lahm gelegte männ­ liche Arbeitskräfte. langen,

In einer Zeit großer Erschöpfung des Landes nach

schweren Kriegen,

welche dann allmälig

im Jahre 1816, betrug dieselbe Ziffer 125,

bis 79 herabsank.

Seit 1850 ist dieselbe wieder

gestiegen, und welche volkswirthschaftliche Fortschritte hat Preußen trotzdem nicht gerade seit 1850 gemacht! Vergleichen wir die angeblichen Exponenten der Anstrengungen, welche die Staaten Europas nach den sehr willkürlichen Ansätzen Faucher's für ihre Schlagfertigkeit machen, mit unserer Berechnung derselben, so legt auf 10,000 Seelen der Bevölkerung an männlichen Arbeitskräften lahm: nach Dr. Faucher 1. England............................... 76 2. Frankreich ......

nach unserer Berechn. 101 126

105

3. Rußland.................................. 76 4. Oesterreich, ideal .... 77 (74)**) Oestr. nach d. wirklichen Stande

96—140 89(86) 127 (124)

5. Preußen............................ 116

110.

DaS ganze,

sehr scharfsinnig ausgeführte Raisonnement des Herrn

Faucher über die gefährliche Ueberbürdung Preußens

im Vergleich mit

den übrigen Großstaaten, steht also auf einer sehr unsichern Basis;

mit

dieser Basis fallen aber auch die aus derselben gezogenen Folgerungen. Eine dieser Folgerungen müssen wir jedoch noch näher beleuchten. Hr. Faucher, in der vorgefaßten Meinung der Schädlichkeit ja der Ge­ fährlichkeit des vermehrten Friedensstandes der Armee für die volkswirth­ schaftliche Entwicklung Preußens, bemüht sich, durch Thatsachen nach­ zuweisen, wie bei uns die durch jenen eingeschränkte Kapitals-Neu­ bildung einen eingeschränkten Bevölkerungszuwachs herbeiführe (S. 166 ff.).

Er sagt (S. 167):

„Für denjenigen, der so die Statistik

*) Zur finanziellen Vergleichung der Preußischen Heeres-Organisation mit den Groß- und Mittelstaalen Europas; Berlin 1862 bei Decker. **) Die eingeklammerten Ziffern beziehen 36,003,000 Einw.

sich

aus die BevölkernugSzifscr von

57 des Bevölkerungszuwachses in Preußen lieft, und sie mit der Geschichte der Friedensstärke des preußischen Heeres vergleicht, enthüllt sich der Parallelismus beider im umgekehrten Verhältniß leicht genug, und er wundert sich nicht, den jährlichen Zufluß, der unter dem Ein­ fluß der Friedensstärke von 120,000 Mann (NB. diese betrug vielmehr 134 bis 135,000 Mann!), der faktisch eingeführten zweijährigen Dienst­ zeit, in der Jahrestrias von 1838 bis 1840 bis auf 196 auf 10,000 angeschwollen war, nach Erhöhung des Präsenzstandes auf 153,700 Mann in der Jahrestrias von 1855 bis 1858 bis auf 104 auf 10,000 herab­ gesunken zu sehen, während der gewaltige wirthschaftliche Aufschwung, der seit jenen Jahren, unter dem Einfluß der jetzt erst mit Macht in Preußen sich einbürgernden modernen Jndustrieformen stattgefunden, es in der letzten Trias, für welche die Zählung vorliegt, erst bis zu 142 auf 10,000 gebracht hat." Auch diese Behauptung Faucher's,ist grundfalsch. Um dies zu er­ weisen, legen wir die Bevölkerungsziffern PreußenK zum Grunde, wie sie sich für die Jahre 1816 bis 1860 in einer Abhandlung des Dr. Engel:*) „Die Sterblichkeit und Lebenserwartung im preußischen Staate, von 1816 bis 1860, Berlin 1863" S. 19 vorfinden, und stellen, um nicht etwa die Meinung zu erregen, einzelne dieser oder jener Ansicht günstige Perioden ausgewählt zu haben, die Resultate aus allen Jahren tabellarisch zu­ sammen: 1. Jahr­ gang. 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 1823 1824 1825

2.

3.

10,349,031 10,572,795 10,796,874 10,981,934 11,272,482 11,480,815 11,664,133 11,843,870 12,031,694 12,256,725

223,764 224,079 185,060 290,558 208,333 183,318 179,737 187,824 225,031

4. 5. 6. Zuwachs Jährlicher Friedens­ «ZG Anzahl aus 10,000 Zuwachs der Seelen des stand des |of der Einwohner. Bevölkerung. Vorjahres. Heeres. SS OST • g=

216 213 171 264 184 160 154 158 186

130,000 130,000 130,000 130,000 130,000 130,000 129,800 130,000 130,000 130,000

7. Dreijähriger Durchschnitt von 6o(.4.| Col. 6.

125 123 \ 120 200 ) 119 116 \ 113 203 111 ) 109 \ 108 166 106 )

121 114 108

*) Auch in der Zeilschrist des statistischen Biireau's, Jahrgang 1. Nr. 12. II. Nr. 3. 9. 10 abgedruckt.

58 1. Jahr­ gang. 1826 1827 1828 1829 1830 1831 1832 1833 1834 *) 1835 1836 1837 1838 1839 1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846 1847 1648 1849 1850 1851 1852 1853 1854 1855 1856 1857 1858 1859 1860 1861

2.

3.

4. 5. 6. . Zuwachs FriedenSJährlicher Anzahl auf 10,000 Zuwachs der Seelen des staud des =. og der Einwohner. Bevölkerung. Vorjahres. Heeres. ?sg

12,427,216 12,556,502 12,726,110 12,857,438 12,988,172 13,038,960 13,138,683 13,303,160 13,507,999 13,708,195 13,931,103 14,098,125 14.385,679 14,645,599 14,928,501 15,110,721 15,305,213 15,471,084 15,708,742 15,941,155 16,112,938 16,157,121 16,165,387 16,331,187 16,608,039 16,829,440 16,935,420 17,044,676 17,164,145 17,202,831 17,349,645 17,530,353 17,739,913 17,993,188 18,262,623 18,497,458

170,491 129,286 169,608 131,328 130.734 50,788 99,723 164,477 204,839 200,196 222,908 167,022 287.554 259.920 282.902 182,220 194,492 165,871 237,658 232,413 171,583 44,183 8,265 165,800 276.852 221,401 105,980 109,256 119,469 38.686 146,814 180,708 209,560 253,275 269,435 234,835

140 104 135 103 109 39 76 125 154 148 162 120 204 180 193 122 128 108 153. 148 107 27 5 102 169 133 63 64 70 22 85 104 119 143 149 128

130,000 130,000 130,000 130,000 130,000 131,000 132,000 132,000 134,000 134.000 134,000 134,000 134,000 134,000 135,000 135,000 135,000 135,000 135,000 135,000 135,000 134,000 135,000 131,000 131,000 134,000 138,000 139,000 139,000 140,000 140,000 140,000 151,000 151,000 199,000 205,000

105 104 102 101 100 100 100 99 99 98 96 95 93 91 90 89 88 87 86 85 84 83 83 80 79 80 81 82 81 81 81 80 85 84 109 110

7. Dreijähriger Durchschnitt von Col.4. Col. 6.

)

126

104

84

100

118

99

143

96

192

91

119

88

136

85

j

45

82

j

123

80

51

81

106

82

142

101

)

) 1 j ) \

I ) 1 \

) j

)

;

Ein aufmerksamer Blick auf diese Tabelle genügt, um zu erkennen, daß die von Faucher behauptete Thatsache gar nicht besteht, daß *) Von 1834 an zählt Lichtenberg, von 1850 Hohenzollern, von 1855 das Jahdegebiet mit.

59 sich nirgends „ein Parallelismuö zwischen dem Friedensstande deS Heeres und dem Zuwachs der Bevölkerung in umgekehrtem Verhältniß" vorfindet, daß man aus obigen Ziffern eben so gut das Gegentheil her­ leiten könnte. Das periodische Steigen und Fallen des Bevölkerungs­ zuwachses hat offenbar ganz andere Ursachen, z. B. herrschende Krank­ heiten, Theuerung, Unruhen, Kriege u. s. w., wie besonders das sehr ausfallende Sinken in einzelnen Jahren andeutet. Wenn Hr. Faucher aber ganz besonders betont, daß, in der Trias 1855 bis 1858 der auf 153,700 Mann vermehrte Präsenzstand der Armee auf die Abnahme des Bevölkerungszuwachses bis zu 104 auf 10,000 Seelen gewirkt habe, so hat er gänzlich übersehen, daß diese Vermehrung des Präsenzstandes erst im Jahre 1858 eingetreten ist, also auf jene Trias selbst auf das Jahr 1858 noch gar keinen Einfluß haben konnte, da, wie er selbst wenige Zeilen vorher (S. 167) sehr richtig auseinandersetzt, „der Einfluß sowohl störender als fördernder Ursachen auf den Bevölkerungs­ zuwachs, nach den Gesetzen der vis inertiae, sich nicht unmittelbar, sondern erst nachträglich zeigt;" er auch einige Zeilen später ausspricht: wie wir von der Wirkung der Erhöhung des Friedensstandes auf 213,000 Mann (im Jahre 1859/60) erst nach dem 1. Dezember 1864 (neue Zählung) die ersten Merkzeichen zu Gesicht bekommen werden. Wenden wir dieses Gesetz Fauchers an und betrachten hiernach die vorstehende Tabelle, so finden wir, daß in den sechs Triaden, von 1841 bis 1858, wo noch zweijährige und wenige Jahre zweieinhalbjährige Dienstzeit be­ stand, und der Exponent der Lahmlegung an Arbeitskraft nur 82 bis 88 betrug, der Bevölkerungszuwachs bedeutend geringer war, als in der letz­ ten Trias (1858—1861), in welcher die Vermehrung der Arbeitslahmlegung von 1851 an nach Fauchers Gesetz schon herabdrückend auf den Bevölkerungs­ zuwachs hätte wirken müssen. Noch auffallender aber wird die Unhaltbar­ keit der Theorie Fauchers, wenn man auf die früheren Triaden von 1816 bis 1825 zurückgeht, wo bei dreijähriger Dienstzeit und den hohen Be­ lastungsexponenten von 121, 113 und 108 die Bevölkerung am stärksten ge­ wachsen ist. Es ist nicht wohl einzusehen, warum man nach solchen Er­ scheinungen den vermehrten Bevölkerungszuwachs nicht eben so wohl der Erhöhung der Friedensstärke der Armee zuschreiben sollte, als, wie Hr. Faucher, „dem gewaltigen, wirthschaftlichen Aufschwung der erst seit jenen Jahren, unter dem Einfluß der jetzt erst mit Macht in Preußen sich ein­ bürgernden, modernen Jndustrieformen stattgefunden hat." Unsers Wissens hat dieser Aufschwung und dieses Einbürgern auch schon von weit frühe­ rem Datum her begonnen. Wir glauben überhaupt, daß es wenig oder gar keinen Einfluß auf das Wachsthum der Bevölkerung haben wird, ob aus den Altersklassen

60 vom 20. bis 23. Lebensjahre 50,000 Mann mehr oder weniger im Frie­ den in der Armee dienen. Die wenigsten Männer heirathen in diesem Lebensalter; die von Männern in diesem Alter erzeugten Kinder sind größtentheils uneheliche, und darin übt der Militairdienst keine Störung. Wen das Bisherige nicht schon zur Genüge lehrt, wie leicht eine selbsterfundene Theorie verführt, sich die Thatsachen nach ihr zurecht zu legen, der lese, wie Faucher (S. 154) einen namhaften Bevölkerungszu­ wachs in Oesterreich im Jahre 1861, der nahe eine Million beträgt und wahrscheinlich theilweise in einem bei der früheren oder späteren Zählung begangenen Fehler beruht, als „vielleicht das Resultat der Re­ duktion (der Armee)" bezeichnet, während diese Reduktion damals noch gar nicht stattgefunden hatte. Indem wir von dieser interessanten Abhandlung Fauchers, mit der wir uns vielleicht zu lange beschäftigt haben, scheiden, können wir nur wiederholen, daß wir der Volkswirthschaft eine vollberechtigte Stimme bei jeder Armee-Organisation einräumen, ebenso bestimmt müssen wir aber her­ vorheben, daß die großen Regenten Preußens, wenn auch nicht in wissen­ schaftlicher Form, dennoch mit ihrem gesunden praktischen Verstände diese Stimme immer wohl beachtet haben. Dem großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm I., Friedrich II. lag neben der Sorge für ihre Armee, wie jedermann bekannt ist, auch die Konservation und der Wohlstand deS Bauernstandes, die Entwickelung der Industrie und des Handels gar sehr am Herzen. Seit Friedrich des Großen Tode bis 1806 vermehrte man sogar aus Sparsamkeit, aus Rücksichten der Schonung des Landes die Armee nicht mehr im Verhältniß mit dem Wachsthum der Monarchie; man schritt mit der Armee nicht vorwärts, um die Finanzen, den Wohl­ stand und das'Wohlleben des Landes nicht zu schädigen. Man lese über jene Berabsäumung die Klagen eines freisinnigen Mannes wie Boyen (Denkschrift von 1817). Wie theuer ist diese Schonung Preußen zu stehen gekommen! Das Unglück von 1806 strafte die Versäumniß schwer an dem Staate und an seiner Volkswirthschaft! Alle preußischen Könige hatten bis 1806 an dem Werbeshstem fest­ gehalten d. h. zuerst über die Hälfte, dann die Hälfte, endlich ein Drit­ tel der Armee aus Ausländern bestehen lassen, „um möglichst wenig Ar­ beitskräfte des eigenen Landes lahm zu legen." Hr. Faucher wird zugeben, daß die Consequenz seiner volkswirthschaftlichen Anschauung dahin führen würde, eine geworbene, nur aus Ausländern bestehende Armee auf­ zustellen, weil dadurch gar keine einheimische Arbeitskraft lahmgelegt wer­ den würde; aber wir sind auch überzeugt, daß sein politischer Sinn ihn vor dieser Consequenz zurücktreten lassen würde.

61 Das im Jahre 1814 angenommene Landwehrsystem läuft auf den­ selben Gedanken möglichster Schonung der Arbeitskraft des Landes, möglichster finanzieller Ersparnis hinaus. Aber, gegenüber der „Schlagfertigkeit," welche sich seit 1850 Frankreich, Oesterreich und Rußland ge­ geben hatten, noch mehr gegenüber den Eisenbahnen, konnte dieses System nicht unverändert beibehalten werden, wie die Erfahrung von 1859 schlagend bewies.' Es hatte sich nicht bewährt. Das neue System hält nichts­ destoweniger denselben Gedanken fest, vervollkommnet ihn in mancher Be­ ziehung und setzt ihn in größere Uebereinstimmung mit dem militairischen Bedürfniß der Neuzeit, wie wir oben ausreichend nachgewiesen zu haben glauben. Nicht viel anders als mit der volkswirthschaftlichen Verderb­ lichkeit der Reorganisation, mit der angeblichen Lahmlegung unverhältnißmäßig großer Arbeitskräfte, die der erhöhten Aushebung der Reorganisa­ tion zugeschrieben wird, steht es mit der finanziellen Mehrbelastung, welche die Reorganisation dem Lande auflegen soll, mit jener angeblichen Ueberbürdung der Staatsfinanzen, welche dieselbe zur Folge gehabt haben oder doch in Zukunft haben soll. Auch hier wird sich ergeben, daß das finanzielle Opfer der dadurch erlangten Vortheile werth ist und die Steuer­ kraft des Landes weder übersteigt noch in vclkswirthschaftlich nachtheiliger Weise in Anspruch nimmt. Wir haben bereits dargethan, daß die Aus­ hebung und der Friedensstand der Armee nach der Reorganisation noch nicht das Verhältniß der Aushebung und des Standes von 1820 erreiche; wir werden darthun, daß weder der verhältnißmäßige Aufwand für die Armee, noch die Steuerlast der Steuerzahler auch in ihrem nominellen Betrage durch die Reorganisation höher gesteigert sind, als bereits im Jahre 1821 der Fall war, während doch inzwischen der Geldwerth erheb­ lich gesunken und der Wohlstand Preußens bedeutend gestiegen ist. Der Gesammtertrag der Steuern ist allerdings in Preußen seit 1816 gestiegen. Nicht nur durch das Wachsthum der Bevölkerung, des Wohl­ standes und die dadurch herbeigeführte Steigerung der nicht fixirten Steuern, sondern auch durch Einführung neuer Steuern z. B. der Einkommensteuer. Aber der Wohlstand ist in noch ungleich höherem Maße gestiegen als der Gesammtertrag der Steuern — das weiß jeder von uns, der die ersten Jahre nach den Befreiungskriegen, der die zwanziger Jahre dieses Jahr­ hunderts erlebt hat, das beweist der täglich weiter und tiefer hinab sich verbreitende Luxus und Comfort; aber die Höhe des Steuerbeitrags zu den Staatslasten ist für den Kopf seitdem gar nicht oder doch nur um einen Bruchtheil gewachsen. Mag man also die Steuern in Preußen an sich hoch oder zu hoch finden, die gegenwärtige Generation wenigstens hat im Vergleich zu den vorhergehenden sich nicht zu beklagen.

62 Vergleichen wir die Belastung des Landes in den Jahren 1821 und 1861, also in einem Zwischenraum von 40 Jahren. Wir wählen dazu das Jahr 1821, weil damals zuerst ein Finanz-Etat (Gesetzsammlung S. 50 und 51) publizirt worden ist. 1821 betrug die Bevölkerung 11,480,815 Einwohner, das stehende Friedensheer 130.000 Mann, also 1,13 pCt. der Bevölkerung oder 113 Mann auf 10,000 Seelen.

1861 betrug die Bevölkerung 18,497,458.

Das stehende Heer mit Einschluß der Flotte rund 205,000 Mann, also l,l0 pCt. der Bevölkerung; mithin 0,03 pCt. weniger als 1821. 1821 betrugen bei 11,430,815 Einwohnern die gesummten Staats­ ausgaben 71,360,886 Thlr. Es kamen also auf den Kopf der Bevölke­ rung 6 Thlr. 6,24 Sgr. 1861 betrugen die Staatsausgaben bei 18,497,458 Einwohnern 138,585,051 Thlr. Es kamen also 7 Thlr. 14,76 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung, mithin 1 Thlr. 8,ä2 Sgr. mehr als 1821. Es ist aber in

dieser Vergleichung die Belastung der Einwohner

durch die Steuern nicht richtig zu beurtheilen, weil in neuerer Zeit ein großer Theil der Staatsausgaben durch die bedeutend gestiegenen Ueberschüsse aus andern produktiven Quellen, aus der Verwaltung der Domai­ nen und Forsten, der Bergwerke und Salinen, der Eisenbahnen rc. gedeckt wird,

in jenen Gesammt-Ausgaben aber auch die sehr bedeutenden Be­

triebskosten dieser Verwaltungszweige, welche von der Bevölkerung nicht als Steuern aufgebracht werden, mit enthalten sind. tiger die Brutto-Einnahmen aus

Es ist deshalb rich­

den Steuern zu vergleichen

und als Maaßstab der Volksbelastung anzuwenden. Im Jahre 1821 betrug die Brutto-Einnahme auö den direkten und indirekten Steuern, dem Salzmonopol und der Lotterie, 45,480,260 Thlr.*) Es kamen also bei 11,480,815 Einwohnern auf den Kopf der Bevölke­ rung 3 Thlr. 28,g Sgr.

Im Jahre 1861

betrug

dieselbe

Einnahme

73,632,664 Thlr., also bei 18,497,458 Einwohnern auf den Kopf der Bevölkerung 3 Thlr. 29,4 Sgr., also 0,6 Sgr. oder 7,2 Pf. auf den Kopf mehr als 40 Jahre früher.

Wenn der Betrag der Gesammtausgaben

*) Wir können diese Zahl nur durch einen Schluß annähernd richtig angeben.

Der

im Jahre 1821 unterm 7. Juli pnblicirte StaatöhauShaltsetat (GS. S. 50 u. 51) giebt nur die Netto-Erträge jener Steuern zu 40,165,650 Thlr. an. aber die Brutto-Erträge.

Das Volk zahlt

Um also diese für 1821 zu ermitteln, haben wir aus der

Differenz zwischen den Brutto- und Netto-Einnahmen, d. h. aus dem Betrage der Er­ hebungskosten für 1861 berechnet, welchen Prozentsatz der Nettobeträge dieselben aus­ machen, und angenommen, daß im Jahre 1821 die Betriebskosten denselben Prozentsatz der Netto-Einnahme betragen haben werden.

Die so ermittelten Betriebskosten pro 1821

sind in obiger Ziffer jenen im Budget von 1821 angegebenen Nettoziffern hinzugerechnet. In beiden Jahren sind natürlich die Solleinnahmen zusammen verglichen, da die IstEinnahmen pro 1821 nicht bekannt waren.

63 des Staats pro Kopf 1861 so viel größer ist als

pro 1821, so beweist

dies nur, wieviel mehr jetzt als damals für gemeinnützliche Ausgaben, ohne irgend erhebliche Mehrbelastung des Landes, verwendet wird. Im Jahre 1821 betrug die Gesammt-Staatsausgabe 71,360,886 Thlr., die Ausgabe für die Armee 25,131,268 Thlr., also 35,22 pCt. der gesammten Staatsausgaben; dagegen im Jahre 1861 nach der Reorgani­ sation die gestimmte Staatsausgabe 138,585,051 Thlr., die Ausgabe für die Armee aber 40,361,104 Thlr., also 29,12 pCt. derselben. Es sind mithin im Jahre 1861 6„ pCt. der Staatsausgaben weniger für die Armee ver­ wendet worden als im Jahre 1821.

In jenen gesammten Staatsaus­

gaben sind aber auch die Betriebs-, Erhebungs- und Verwaltungskosten sowie die Ausgaben für das Staatsschuldenwesen enthalten; alle diese müssen von jenen abgezogen werden, um zu beurtheilen, was für die eigentlichen Staatszwecke und Aufgaben: als Rechtspflege, Unterricht, Heer und son­ stige gemeinnützige Zwecke übrig bleibt, und wie dieser Betrag sich auf diese vertheilt.

Untersuchen wir in dieser Beziehung das Verhältniß der Aus­

gaben für die Armee zwischen 1821 und 1861. Im Jahre 1821 betrugen die Staatsausgaben im engeren Sinne 42,771,633 Thlr., und die Ausgaben für das Heer 25,131,268 Thlr., also 58,76 pCt. von jenen; im Jahre 1861 dagegen jene 71,355,852 Thlr. und diese 40,361,104 Thlr., also 56,50 pCt. von jenen, mithin immer noch 2,2 pCt. weniger als im Jahre 1821 darauf verwendet wurden. Vertheilt man die Ausgaben für die Armee aus den Kopf der Be­ völkerung, so ergiebt sich, unter Anwendung der oben festgestellten Zahlen, daß im Jahre 1821 2 Thlr. 5 Sgr. 8 Pf.,

im Jahre 1861 dagegen

2 Thlr. 5 Sgr. 5'/2 Pf., also im Jahre 1861 2‘/t Pf. weniger auf den Kopf der Bevölkerung fallen, als im Jahre 1821. Wir sahen, daß 1861 die Steuerlast pro Kopf um 7,2 Pf. höher war als 1821. Die letzte Vergleichung zeigt aber, daß 1861 pro Kopf der Bevölkerung 2‘/2 Pf. weniger auf die Armee verwendet wurden. Es wurden also nicht nur jene Steuererhöhung von 7,2, sondern auch diese 2,s Pf., im Ganzen also 9„ Pf. der Steuern pro Kopf der Bevölkerung für andere Staatsbedürfnisse als für das Heer ausgegeben. Wir dürfen jedoch hier nicht unerwähnt lassen,

daß unter diesen

Staatsbedürfnissen sich eines befindet, welches erst in den letzten andert­ halb Decennien erwacht und zu dem Aufwands für die bewaffnete Macht hinzugetreten ist; — wir meinen die Flotte. Den durch diese vermehrten Bedarf an Mannschaft haben wir oben schon in Rechnung gestellt. Der Kosten­ aufwand war 1861 für die Flotte: 2,113,928 Thlr.

Rechnet man diesen zu

dem für das Landheer von 40,361,104 Thlr. hinzu, so beträgt das ge­ stimmte Budget für die bewaffnete Macht pro 1861: 42,475,092 Thlr., oder

64 30,6I pCt. der gesammten Staatsausgaben,

also immer noch 4,61 pCt.

weniger als 1821; aber 59,4li der Staatsausgaben im engeren Sinne, also 0,7 pCt. mehr als im Jahre 1821.

Es kommen dann auf den

Kopf der Bevölkerung von den Kosten der bewaffneten Macht im Jahre 1861 2 Thlr. 8 Sgr. 6 Pf., während 1821 nur 2 Thlr. 5 Sgr. 8 Pf. darauf fielen, also im Jahre 1861 2 Sgr. 10 Pf. mehr.

Das Bedürfniß

einer Flotte ist aber allgemein anerkannt und niemand wird ernstlich ver­ langen, daß man deshalb das Landheer vernachlässigen müsse. Vergleichen wir nun mit der eben nachgewiesenen, gewiß unerheb­ lichen Steigerung der Steuerlast die Steigerung des Wohlstandes des Volks. Leider giebt uns die Statistik, so große Fortschritte sie auch in neue­ rer Zeit gemacht hat, zu diesem Vergleich weniger zuverlässige Zahlen als zur Vergleichung der Besteuerung, weil der Wohlstand des Landes sich seiner Natur nach nicht in gleich sichere Zahlen bringen läßt. Indeß haben, von dem gewiß richtigen Gedanken geleitet: „daß, je wohlhabender ein Volk ist, es desto mehr zur Befriedigung seiner Bedürf­ nisse verwenden werde; daß die Steigerung der Verwendung solcher Ge­ genstände, die nicht zu den nothwendigsten Lebensmitteln (wie Getreide, Fleisch, Salz) gehören sondern mehr dem Luxus sich nähern (wie Zucker, Kaffee rc.), auf einen verhältnißmäßig steigenden Volkswohlstand Hinweise", die Direktoren des preußischen statistischen Büreaus, die Herren Dieterici und Engel, der erste für die Konsumtion der Jahre vor 1806, sodann der Jahre 1831 und 1846, der zweite für die Jahre 1849 und 1864, Ermittelungen angestellt, deren Ergebnisse wir hier folgen lassen.*) Von nachstehenden Gegenständen der Konsumtion kommen auf den Kopf der Bevölkerung:

Getreide, Scheffel................... Fleisch, Zoll-Psd........................ Bier, Quart ........................ Branntwein, Quart .... Wein „ . . : . Reis, Zoll-Psd.......................... Zucker „ ................... Kaffee it. Surrogate, Zoll-Pfd. Salz zur Nahrung „ Taback „

vor

im Jahre

im Jahre

im Jahre

im Jahre

1806.

1831.

1842.

1849.

1863.

4

4

.

30,84

32,48

32,71

37,42

35,50

.

15

15

13

12

12

.

3

8

6

8

8,50

.

3Z

272

2

2

2,03

0,28

0,47

0,64

0,70

1,97

1,40

4,25

4,68

6,55

7,50

.

4

.

4

4

0,62

2,15

2,34

3,74

4,00

15,89

15,89

15,89

16,37

15,10

1,40

3,09

2,90

2,34

2,41

*) Dieterici, der Volkswohlstand im preuß. Staate, S. 29, 152, 218, und Zeitschr. des preuß. stat. Büreaus, Jahrg. 1864, S. 128 n. ff.

65

Tuch u. andere Wollenwaaren, Elle

„ „ „

Leinwand, Baumwollenwaar en, Seidene Waaren, Kartoffeln, Scheffel

.

.

.

vor

im Jahre

int Jahre

im Jahre

im Jahre

1806.

1831.

1842.

1849.

1863.

7g

1 5%

4

y4 y4

7





/

3

i y,

1

2,io

5

5

4,80

13

16

13,29

% —

2A

0,67

10

10

Wir verkennen nicht, wie mißlich es um die absolute Sicherheit sol­ cher statistischer Ermittelungen steht, welche von Dr. Engel in keiner Weise übersehen worden ist. Aber die Autorität der beiden rühmlichst be­ kannten Statistiker giebt wenigstens die Gewähr, daß sie für jede dieser Epochen dieselbe gewissenhafte Prüfung angewendet haben werden.

Damit

aber steht denn auch als Resultat die sehr beachtenswerthe Erscheinung fest, daß, während die Konsumtion pro Kopf an den nothwen­ digsten Lebensbedürfnissen, als Getreide und Salz, dieselbe ge­ blieben, an Fleisch nur wenig gestiegen, die an weniger dringlichen Bedürfnissen, insbesondere an Branntwein, Kaffee,

Wein, Zucker und

so wie an Dckleidungsstoffen sehr bedeutend,

theilweise

um das Doppelte, drei- und mehrfache gestiegen ist, abgesehen davon, daß auch, wie a. a. O. nachgewiesen ist, der Geldwerth aller dieser Produkte sich bedeutend erhöhet hat.

Das läßt unzweifelhaft auf einen

sehr gestiegenen Wohlstand schließen, welchem gegenüber die oben nachge­ wiesene

Vermehrung der

Steuerlast um 7,t Pfennig pro Kopf in 40

Jahren als ganz unbedeutend erscheint. Wir glauben hiermit ausreichend bewiesen zu haben, daß die Kla. gen über unerträglichen Steuerdruck und die daraus abgeleiteten Gründe gegen die Vermehrung des Militairbudgets vollständig unbe­ gründet sind. Und wenn auch wirklich in Volks- und staatswirthschaftlicher Be­ ziehung ein größeres Opfer für die Wehrkraft des Landes gefordert würde, als es in der That der Fall ist — ist denn der volkswirthschäftliche, der finanzielle Maaßstab der einzige und allein richtige für das Wohl und die Kraft von Volk und Staat?

Sind es Geldanhäufung, Produktion und

Handel allein, die das Staatswohl begründen?

Giebt es nicht auch an­

dere als die erwerbenden Eigenschaften des Volks, die geweckt und gepflegt werden müssen, um das Staatswohl dauernd zu sichern? Gehört dazu nicht vorzugsweise die kriegerische Tugend (virtus) d. h. Tapferkeit, Entsagung, Unterordnung unter einen höheren Willen zur Erfüllung des Kriegszwecks, und die bürgerliche Tugend der Opferwilligkeit für das Allgemeine, für das Wohl des Ganzen?

Nur wo diese gepflegt werden — und das ist

nur durch Opfer möglich, — ist Volks- und Staatswohl dauernd gesichert. v. Vincke, ÜViilitahfrage.

5

66 Das erste und wirksamste Mittel dazu ist aber eine tüchtige Wehrver­ fassung. Solche hat Preußen seit dem großen Kurfürsten besessen und nach dem Fortschritt der Zeit aufmerksam und sorgfältig fortgebildet — als es nicht geschehen war (1806) ist es hart dafür gestraft worden —, solcher verdankt es seinen Wachsthum, seine Größe, seine Machtstellung in Europa, von solcher hängt seine Zukunft ab.

VH.

Zwei- oder dreijährige Dienstzeit?

Der Streit über die Reorganisation hat zu vielfacher Erörterung der erforderlichen Länge der Dienstzeit Veranlassung gegeben. Die dreijährige Dienstzeit ist keine neue Einrichtung der Reorganisation, sie ist viel­ mehr eine alte, durch das Gesetz vom 4. September 1814 eingeführte, eingewurzelte, und bevor dieses Gesetz nicht auf verfassungsmäßigem Wege abgeändert worden, zu Recht bestehende Einrichtung, deren unbe­ dingte Ausführung zwar zwanzig Jahre lang für die Infanterie durch eine effektiv nur zweijährige Dauer der Dienstzeit thatsächlich unterbro­ chen worden ist, die jedoch bereits mehrere Jahre vor der Reorganisation unter Zustimmung der Landesvertretung, welche die dazu erforderlichen Kosten bewilligte, wieder in voller Geltung hergestellt worden ist. Diese Einrichtung ist demnach nicht aus der Reorganisation entstan­ den, sie hat an sich gar nichts mit der Reorganisation zu schaffen; diese ist vielmehr auf die schon vorhandene Institution basirt. Aber die Lan­ desvertretung, indem sie eifrig nach Mitteln zur Erleichterung des Landes bei den bedeutenden Mehrkosten der Reorganisation suchte, griff nach einer Verkürzung der Dienstzeit, als dem wirksamsten Mittel, um finanziell und volkswirthschaftlich Ersparnisse herbeizuführen. Die Nothwendigkeit drei­ jähriger Dienstzeit für Kavallerie, Artillerie, Pioniere wurde nicht nach­ drücklich in Frage gezogen; nur für die Infanterie hielt man zwei Jahre ausreichend. So ist die Frage: „zwei- oder dreijährige Dienstzeit" der Hauptpunkt in dem Streit über die Heeresverfassung zwischen der Staats­ regierung und der Majorität des Abgeordnetenhauses geworden. Es ist wahrscheinlich, daß, wenn die erstere sich in diesem Punkte nachgiebiger gezeigt hätte, schon in der Session 1860, oder doch wenigstens 1861, die Reorganisation durchgegangen wäre. Auch heute noch ist eine Einigung

67 über diesen Punkt der wichtigste Schritt zur Lösung dieses Konflikts.

Er

verlangt mithin, so viel auch schon darüber geredet und geschrieben wor­ den, eine eingehende Erörterung. Die Frage ist an sich schwierig zu entscheiden; sie wird noch schwie­ riger dadurch, daß der subjektiven, der persönlichen Ansicht ein gewisser Spielraum dabei nicht wohl abgeschnitten werden kann.

Es ist in erster

Linie eine technische Frage, die jedoch nicht wie ein mathematischer Lehr­ satz sich unwiderleglich für jedermann beweisen läßt, die zunächst nach dieser technischen

Seite hin nur durch eine gewissenhafte Empirie, d. h.

durch unbefangene Beobachtung des unbefangenen Technikers sicher zu er­ ledigen steht. Nun sind aber auch hier, wie bei so vielen anderen Gegen­ ständen der Erfahrung, die Sachverständigen selbst nicht durchweg einer Meinung.

Es kommt hinzu, daß diese Frage zugleich über den militairi-

schen Standpunkt hinausgreift.

Sie kann weder aus

dem militairischen,

noch dem volkswirthschaftlichen, noch dem finanziellen, noch endlich dem politischen Standpunkt allein entschieden werden, sondern nur unter Be­ rücksichtigung, nur in einem sicheren Durchschnitt aller dieser Standpunkte. Vergegenwärtigen wir uns die wesentlichen in Betracht kommenden Mo­ mente. Zu einem guten Soldaten sind natürliche angeborene Eigenschaften die erste Bedingung; sie erfordern aber hier, wie in jedem andern LebenSberuf, Ausbildung und Erziehung, wenn etwas Tüchtiges geleistet werden soll.

Eine gewisse Zeit ist überall

des Berufs zu bemächtigen. zeit) bei den Fahnen.

erforderlich, um sich der Aufgaben

Das ist die aktive Dienstzeit (Präsenz­

Es fragt sich: wie viel Zeit ist dazu erforderlich?

Wir können hier nur wiederholen, was wir vor bald fünf Jahren, ehe der gegenwärtige Kampf über zwei- oder dreijährige Dienstzeit entbrannte, niedergeschrieben haben. „Im Allgemeinen halten wir es für daS Zweckmäßigste, den gemei­ nen Soldaten im Frieden nicht länger im aktiven Dienst zu behalten, als Zeit erforderlich ist, um ihn mit der Handhabung der Waffen in jeder Beziehung und mit dem Dienst der Truppe vertraut zu machen, sowie an Gehorsam und Disziplin zu gewöhnen, auch in allem diesem eine gewisse Sicherheit zu verschaffen.

Eine längere Dienstzeit im Frieden halten

wir geradezu für nachtheilig. seinem Berufe bedarf,

Ist dem Soldaten alles das, was er zu

zur mechanischen Gewohnheit geworden,

hat er

nichts mehr hinzuzulernen, so beschleicht ihn unwillkührlich das Gefühl, daß er eigentlich kein ernstes Geschäft treibe, sondern nur ein Spiel, eine Uebung für ein ernstes Geschäft, zu deut er vielleicht nie gelangt; er fängt an sich zu langweilen, — und Langeweile ist aller Laster Anfang.

Wir

sind überzeugt, daß Männer, die ihre vollständige Ausbildung in den

68 Waffen erhalten, dann aber vier, fünf bis ach't Jahre in tüchtiger Arbeit den Ernst des Lebens kennen gelernt haben, wenn sie dann wieder zum Kriegsdienst herangezogen werden, bessere Soldaten sein werden, als solche, welche während dieser Zeit als Gemeine bei der Fahne geblieben sind. Mit den Unteroffizieren ist es etwas Anderes, denn diese haben in der stets sich erneuernden Ausbildung der Rekruten, in der Führung ihrer Korporalschaft u. s. w. wirkliche Geschäfte. Viele praktische Offiziere, die noch heute in den Kompagnieen die Leute zu beobachten Gelegenheit haben, theilen mit uns diese Ansicht. Wenn man aber auch in diesem allgemeinen Prinzip einverstanden ist, so kann man doch in der positiven Zahlbeftimmung, ob 2, 3 oder 4 Jahre zur Erreichung jenes Ziels erforderlich sind, verschiedener Meinung sein.

Es wird, je nach der Waffe, der Fähigkeit des Auszubildenden und

der Geschicklichkeit, dem Talent und dem Eifer des Lehrers, längere oder kürzere Zeit erforderlich sein.

Auch das Maaß der Ansprüche, die man

macht, kann diese Zeit sehr verlängern.

Es geht hier, wie in so vielen

Gewerben, Kräften und Arbeiten des Lebens.

Ein mäßiges, für das ge­

wöhnliche, praktische Bedürfniß genügendes Maaß der Fertigkeit ist bald erreicht; die höchste Vollkommenheit über dieses hinaus erfordert aber ein Uebermaaß von Zeit und Uebung, oft ungewöhnliches Talent.

Spannt

man die Anforderung an die Truppe durch eine übertriebene Gleichför­ migkeit in Griffen, Evolutionen, sowie im Anzuge und allen militairischen Verrichtungen im Frieden, aus Liebe zu dem „guten Aussehen" — zur Parade, zu hoch, so kann man viel mehr Zeit zur Ausbildung nöthig haben, aber man wird damit gewiß keine bessere Feldsoldaten ausbilden, im Gegentheil, bei Offizieren und Soldaten den frohen, frischen Sinn, die Lust und Liebe zur Sache, die Erkenntniß dessen, was wichtig und praktisch ist, die Selbstthätigkeit — kurz, den Geist ertödten. Nach dieser allgemeinen Andeutung über das

für die militairische

Ausbildung Erforderliche bleibt uns nur unsere Ansicht dahin auszusprechen,' daß in der preußischen Armee — alle mit einwirkende Elemente zusammen berücksichtigt — drei Jahre Dienstzeit im Frieden für alle Waffen voll­ kommen genügen, daß aber, wenn andere triftige Gründe eine Kürzung verlangen, auch 2 Jahre, höchstens 2'/2 Jahre für die Infanterie aus­ reichend sein würden.

Die Größe der disponiblen Mittel und die Zahl

der auszubildenden Rekruten muß über diese Frage entscheiden. Wenn man übrigens nur den Hauptzweck, alle waffenfähige Mann­ schaft auch wirklich in den Waffen auszubilden, fest im Auge behält, so dürfte, in Berücksichtigung der oben angedeuteten, bei der Ausbildung des Soldaten mitwirkenden Elemente, ein System einzuführen sein, nach wel­ chem die wirkliche Dauer der activen Dienstzeit von der Führung und

69 erworbenen Ausbildung des Einzelnen abhängig gemacht würde, aber in der Art, daß man zwei Jahre als die regelmäßige, kürzeste Dienstzeit fest­ setzt, nach welcher Jeder, dessen Ausbildung die Vorgesetzten für vollendet halten, entlassen wird, den Lässigen, weniger Vorgeschrittenen aber 2l/u und den in dieser Zeit noch nicht den Anforderungen Genügenden 3 Jahre bei der Fahne behält.

Es ist wohl sehr natürlich, daß Jeder, der nicht

das Soldatenleben zu seinem Lebensberuf macht, gern so bald als möglich zu

seinem

bürgerlichen

Beruf zurückkehrt;

welch ein mächtiger Sporn

würde also eine solche Einrichtung für die exemplarisch-militairische Füh­ rung und

den Diensteifer

der Soldaten

werden.

Wir verkennen nicht

die Schwierigkeiten, die in der Ausführung liegen, und die große Resig­ nation, die für einen Kompagnie-Chef darin liegt, sich von seinen bestausgebildeten Soldaten am frühesten zu trennen;

aber wir hallen jene nicht

für unüberwindlich, und der Compagnie-Chef möge erwägen, daß er die Leute ja für den Kriegsfall wieder bekommt." Wir halten diese Ansichten im Prinzip noch heute aufrecht, aber wir geben zu, daß die Entwickelung, welche die Kriegführung und die Schuß­ waffen seitdem erfahren haben, noch weitere Gesichtspunkte für deren Er­ örterung herbeigeführt haben. Für die

unbedingte Hinlänglichkeit der zweijährigen Dienstzeit läßt

sich etwa Folgendes anführen.

Alte, bewährte Generale, die aus der Er­

fahrung der Freiheitskriege schöpften, Grolmann, Müffling, Krauseneck rc. haben sich für die Hinlänglichkeit der zweijährigen Dienstzeit bei der In­ fanterie erklärt, wenn auch zum Theil bedingungsweise, in Berücksichtigung der finanziellen und der besonderen Verhältnisse, der politischen Lage in den Jahren 1832 und 1833, wie der damaligen Zusammensetzung der Bataillone. Sie ist in Folge dieser Gutachten durch König Friedrich Wil­ helm III. für die Linien-Jnfanterie eingeführt worden, und zwanzig Jahre hindurch in Uebung geblieben.

Regimenter, bei welchen sie bestand, kamen

plötzlich aus tiefstem Frieden 1848 in die Straßenkämpfe Berlins, in die Aufregungen einer tiefbewegten Zeit, in die Gefechte des polnischen Auf­ standes, in die schleswig-holsteinschen und badenschen Expeditionen.

Es

sind keine daraus herzuleitende Unzuträglichkeiten bei diesen Regimentern, wie bei der Linien-Jnfanterie überhaupt entstanden, wenigstens nirgends bekannt geworden.

Wenn bei der Landwehr solche vorgekommen sind, so

ist zu bedenken, daß jene Verhältnisse solche waren, für welche die Land­ wehr ihrem Zwecke und dem Gesetze nach eigentlich nicht bestimmt und geschaffen war, und ferner, daß bei jeder Armee, die einen langen Frieden durchlebt hat — und damals war für Preußen 33 Jahre, % Jahrhun­ dert hindurch Frieden gewesen — erfahrungsmäßig im Anfange Schwachheiten

70 immer vorgekommen sind,

auch bei rein stehenden Heeren und längerer

Dienstzeit. Das eigentliche Ausexerciren der Rekruten — die Einübung in den Gebrauch der Waffen und die taktischen Bewegungen — geschieht in weit kürzerer Zeit, in 6 bis 8 Wochen; die übrige Zeit ist nur zur Gewöh­ nung an die unerläßliche Disziplin und die Ausbildung im Dienst, nament­ lich im Felddienst, erforderlich, um den Soldaten in allen Zweigen seines Berufs fest und sicher zu machen.

Um ihm den eigentlichen Soldatengeist

einzuimpfen, um ihn zu einem alten Soldaten im militairischen Sinne zu machen, reichen auch drei Jahre nicht hin, das ist aber überhaupt im Frieden nicht möglich, auch in Betracht der besonderen Verhältnisse unseres Heeres nicht ausführbar, kaum wünschenswerth. Die entgegengesetzte Ansicht — und wir glauben, daß diese unter den Sachverständigen die Majorität für sich hat — bestreitet die Hinlänglichkeit der zweijährigen Dienstzeit, weil der Soldat zwar schon im ersten Jahre die nothwendigen Kenntnisse erwerbe, aber das zweite Jahr nicht hinreiche, um ihn im Dienst fest und sicher zu machen; sie hält das dritte Jahr

dazu für nothwendig;

erst

im

dritten Jahre werde der

Rekrut wirklich Soldat, so daß er mit Bewußtsein sich sicher in sei­ nem Beruf bewege.

Es sei ja nicht das der Zweck der soldatischen Aus­

bildung, daß der Soldat die Evolution im zerstreuten und geschlossenen Gefecht kenne, sondern daß er dieselbe so time habe, daß er sie auch unter den erschwerendsten Umständen bei abgezogenster Aufmerksamkeit instinkt­ mäßig sicher besitze. Diese Ansicht weist ferner darauf hin, daß die GefechtSweise der Gegenwart eine erheblich größere

Uebung im Schießen, im

Bajonnetfechten, in der Gymnastik, im zerstreuten Gefecht, eine ungleich größere Gewandtheit, eine ungleich gesteigerte Vielseitigkeit der Ausbildung neben unbedingter Festigkeit der Bewegungen in Linie und Kolonne for­ dere als früherhin.

Bei diesen Anforderungen, die heute für die Aus­

bildung des Soldaten gemacht werden müßten, würde, auf zwei Jahre be­ schränkt, die Ausbildung nothwendig übereilt betrieben und das Lehrpersonal, Offiziere und Unteroffiziere, übermäßig angestrengt und dadurch zu sehr consumirt werden. Diese Ansicht hebt,

und

wir glauben

mit Recht,

hervor,

daß

unsere so sehr vervollkommnete Schußwaffe eine weit größere, nur durch ruhige, dauernde Uebung zu erreichende Ausbildung erfordere, als früher, wo wegen der Unsicherheit des Treffens wenig Gewicht auf gutes Schießen zu legen war; nur

gute Schützen könnten all den Nutzen aus dieser

trefflichen Waffe ziehen,

den sie gewährt.

Hauptleute,

die im jetzigen

schleswigschen Kriege Kompagnieen geführt, versichern uns, daß wie für den Patrouillen-,

den Postendienst der Feldwachen nur im

dritten Jahre

71 dienende Leute sich als zuverlässig bewährt, so auch in die Schützenlinie nur im dritten Jahre dienende Leute, und nur mit sehr seltenen Aus­ nahmen jüngere hätten eingestellt werden können, und zwar nicht blos, weil durch unsichere Schützen die kostbare Munition unnütz verfeuert würde — was das kleinere Uebel sei — sondern weil nur durch gute Schützen die unerläßliche moralische Wirkung auf den Feind, wie auf die eigenen Truppen zu erreichen stehe, die den Feind von vorn herein erschüttere, die eigenen Leute ermuthige, und damit den Ausgang des Gefechts sichere, indem sie zugleich das Blut der Landeskinder schone. Nicht sicher treffende Schützen erhöhen allerdings den Muth des Feindes und stärken seinen Widerstand, und dieser Umstand nöthigt dann die diesseitigen Truppen, viel mehr Menschen daran zu setzen, als im anderen Falle. Auf diese ihre Erfahrung gestützt, halten diese Offiziere eine dreimalige, ohne Uebereilung, mit Ruhe und Gründlichkeit abgehaltene Schießübung im Sommer für unerläßlich, um gute Schützen zu bilden. Es sei ferner zu beachten, daß die heutige Kriegführung nach dem von den Franzosen in der Krim und in Italien gegebenen Beispiele — hinter welchem die anderen Mächte nicht ohne Nachtheil zurückbleiben können ■— eine große Ausbildung der einzelnen Individuen im Gebrauch ihrer Waffe, in Benutzung des Ter­ rains, in Selbstständigkeit und Umsicht, bei fortdauernder Rücksicht auf Unterordnung unter das Ganze, sei es Zug, Kompagnie oder Bataillon, dem der Einzelne angehört, erfordere, wie sie früher gar nicht nöthig ge­ wesen, und wie sie nur durch eine längere, sorgfältigere Uebung und Er­ ziehung gewonnen werden könnte, wozu die Franzosen bei % ihrer Armee dauernde Dienstzeit durch Kapitulanten, bei */, mindestens 5 Jahre un­ unterbrochene Dienstzeit, bei % freilich nur sechsmonatliche Dienstzeit im Frieden verwenden, welches letztere Drittel aber auch nur zum Nachfolgen in der Masse dienen solle. Es habe ferner Preußen ohnehin unter allen Großmächten — die übrigen kleineren Staaten sind natürlich hier gar nicht mit in Vergleichung zu ziehen — in der dreijährigen Prüfung die kürzeste aktive Dienstzeit, welche nur wegen des vortrefflichen militairischen Geschickes und Geistes unseres Volkes überhaupt hinlänglich sei. Endlich macht diese Ansicht bemerklich, daß ein Bataillon bei zwei­ jähriger Dienstzeit keinen festen Zusammenhang und keinen Halt gewinnen könne. ES bestehe dann mit Ausnahme der prima plana zur Hälfte aus Rekruten, zur Hälfte aus Leuten, die ein Jahr gedient hätten. Es habe sich für den Kriegsfall auf 1000 Mann zu ergänzen durch fünf Jahr­ gänge, deren Mannschaften ebenfalls nur zwei Jahre im Dienst gewesen und das übereilt Erlernte nicht mehr sicher time hätten; namentlich die älteren Jahrgänge nicht, die bereits drei bis vier Jahre in der Heimath gewesen. Wie könne man aus einem Jahrgang im zweiten Jahre dienen-

72 der Mannschaften von 160 Mann und 800 Mann nur zwei Jahre lang geübter Reserven ein Bataillon formiren wollen, welches einem französi­ schen Bataillon gewachsen sei? Und endlich, wenn man von der Frage der Einübung eines gegenwärtig so vielseitigen Dienstes, von der Frage der Erziehung zum Kriege, so wie von der Frage der unmöglichen Organisa­ tion der Bataillone auf Grundlage zweijähriger Dienstzeit ganz absehe — gedenke man die Unteroffiziere, diese unentbehrliche Muskulatur des Ba­ taillons, aus zweijährig gedienten Leuten entnehmen zu können? Die meisten dieser Argumente sind nicht zu

bestreiten.

Ueberhaupt

ist es wohl unzweifelhaft, daß, rein militairisch betrachtet, drei­ jährige Dienstzeit besser ist als zweijährige. Auch dem Laien muß das schon darum einleuchten, weil ja auch in jedem praktischen Ge­ schäft eine dreijährige Uebung erfahrener, fester und sicherer macht, als eine zweijährige.

Wir glauben ferner, daß die für die zweijährige Dienst­

zeit oben angeführten Autoritäten, wenn sie die Frage rein militairisch, ohne andere Rücksichten hätten beantworten dürfen, für drei Jahre votirt haben würden.

Aber die damalige Beschränktheit der finanziellen Mittel

zwang zu Ersparnissen und nöthigte zu der Alternative: entweder Lerkürzung der Dienstzeit

oder Verminderung der Zahl der Feld-Armee im

Kriege, oder Ergänzung derselben durch Leute mit sechswöchentlicher oder dreimonatlicher Dienstzeit, unter Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit für die übrigen, d. h. für den Friedens-Stamm, und unter diesen drei Uebeln wählten jene Generale das erstere als das geringere; und sie konn­ ten dies um so eher, als unsere Bataillone damals noch neben einer an­ sehnlichen Zahl altgedienter und kriegserfahrener Unteroffiziere Kapitulan­ ten in hinreichender Menge besaßen, welche neben dem zweijährigen Wechsel der Mannschaft dem Bataillon einen bleibenden und festen Kern gewähren mußten.

Wir vermögen nicht anzugeben, wie hoch sich die Gesammtzahl

der Kapitulanten damals belief; die Bestimmung aber, welche in jenen Jahren erging, daß kein Bataillon mehr als hundert Kapitulanten anneh­ men solle, beweist, daß dieselbe nicht gering war. Jene Rücksicht auf die finanzielle und volkswirthschaftliche Lage des Landes, welche damals so bestimmend einwirkte, macht sich aber auch heute noch und muß sich stets bei Bestimmung des Aufwands für den Friedens­ stand des Heeres geltend machen, denn es wäre eine sehr unweise Politik, diese im Frieden zu erschöpfen oder auch nur zu sehr anzugreifen,

um

dann beim wirklichen Ausbruch eines Krieges denselben aus Mangel an finanzieller und Steuerkraft des Landes nicht nachhaltig

unterhalten zu

können. Nach der gegenwärtigen Lage der Staatseinnahmen, der volköwirthschaftlichen Entwickelung und dem Wohlstände des Landes, nach den Nach-

73 Weisungen, die wir oben gegeben, ist es nicht zweifelhaft, daß Preußen ein dauerndes Militairbudget von 42 Millionen ohne Gefahr für Staats­ haushalt und Bolkswirthschaft ertragen kann, aber es sind noch für andere Kriegsbedürfnisse der Landmacht und für die

nicht mehr

ZU

ent­

behrende Marine

so bedeutende Ausgaben erforderlich, daß nach der alt­ preußischen Erbweisheit gespart werden muß, allenthalben, wo es ohne wesentlichen Nachtheil geschehen kann.

Es kommt mithin darauf an, in

jedem einzelnen Falle die gegenseitigen Vortheile und Nachtheile genau ab­ zuwägen.

Wir wünschen, und zweifeln nicht daran, daß in dem Schooß

der Regierung diese gewiß durchaus begründete Ansicht zur Geltung kom­ men und

aus ihr selbst die Vorschläge zu Ersparnissen hervorgehe»

mögen. Wir halten für den vorliegenden Fall die faktische Einführung einer 2 l/j jährigen Dienstzeit für die Infanterie für einen für alle Parteien und Interessen annehmbaren Ausweg.

Nehmen wir an, daß in runder Zahl

jährlich 40,000 Rekruten bei der Infanterie eingestellt werden,

also bei

der dreijährigen aktiven Dienstzeit 120,000 Soldaten sich bei der Fahne befinden, so würden bei 2'/^jähriger aktiver Dienstzeit in dem einen halben Jahre 120,000, in dem andern 80,000, im Jahre durchschnittlich also 100,000 Mann im Dienst stehen. Es würden also bei 2X jähriger Dienst­ zeit 20,000 männliche Arbeitskräfte dem Lande, und die Unterhaltung von eben so viel Mann dem Militairfiökus, d. h. wenn die jährliche Unter­ haltung eines Infanteristen im Dienst 75 Thlr. kostet, 1 % Millionen er­ spart werden. Militairisch betrachtet würde das dritte Winterhalbjahr bei den Fahnen mit dem mindesten Nachtheil zu entbehren sein; die Rekruten also im Frühjahr eingestellt, im dritten Herbst entlassen werden müssen. Eine solche Einrichtung hat im Anfang der fünfziger Jahre bereits mehrere, wenn ich nicht irre fünf Jahre hindurch bestanden, und fand damals viel Beifall; gegenwärtig wird faktisch schon ein ähnliches Verfahren angewen­ det, um die nothwendigen Ersparnisse zu machen. Rekruten im

Die Ausbildung der

Winter wie sie bei dreijähriger Dienstzeit stattfindet, hat

im Vergleich mit der im Früjahr mancherlei Nachtheile.

Sie ist insbe­

sondere für die Lehrer, aber auch für die Schüler, der Witterung wegen, viel beschwerlicher, vielfach behindert und deshalb langsamer; sie konsumirt weit mehr die Kräfte der damit beschäftigten Offiziere und Unteroffiziere, sie ist mit einigem Erfolg fast nur da ausführbar, wo die Truppen Exerzirhäuser oder wenigstens sehr geräumige Kasernen haben. allen

durch die Reorganisation sehr vermehrten

Jene aber in

Garnisonen zu

bauen,

würde neue, große Kosten verursachen. Gegen die Einstellung am 1. April kann eingewendet werden, daß sich dadurch die Ausbildung der Rekruten zu sehr in den Sommer hinein-

74 ziehen würde, so daß die Truppen mit ihren Uebungen in Bataillonen und Regimentern für die Herbstmanöver zu spät fertig würden. Dem dürfte sich vielleicht dadurch abhelfen lassen, daß man die Rekruten am 15. Februar einstellte,

dagegen,

um die erforderliche halbjährige Sold-

ersparniß einzubringen, dem ältesten Jahrgange in den Monaten Juli und August, nachdem er zuvor seine dritte Schießübung abgehalten, einen sechs­ wöchentlichen Ernte-Urlaub gewährte, nach dessen Ablauf die Mannschaft zu den größeren Uebungen wieder einkäme.

Es würde dadurch zugleich

dem Soldaten und dem Lande, jenem durch lohnende Arbeit, diesem durch Vermehrung der Arbeiter in der bedrängtesten Arbeitszeit ein Vortheil zugewendet. Wir glauben, daß für einen Theil (nicht für alle) der Mannschaften der Artillerie und der Pioniere eine ähnliche Ersparniß zulässig ist; die Artillerie, weil dort nicht alle Mannschaft derselben

für

vollkommenen

Ausbildung bedarf, nicht von allen dasselbe gefordert wird, weil ein Theil der weniger wichtigen Nummern der Geschützbedienung mehr Handlanger­ dienste leistet, — bei den Pionieren, weil ein großer Theil derselben das Handwerk,

weswegen er gerade zum Pionierdienst bestimmt ist,

auch in

seinem bürgerlichen Beruf übt, und weniger taktische Ausbildung erfor­ dert wird. Es ist von vielen Seiten vorgeschlagen worden und in manchen Ar­ meen üblich, daß die Reservisten nach ihrer Entlassung aus dem stehenden Dienst noch ein oder mehrere Male zur Uebung auf 14 Tage bis 4 Wochen eingezogen werden.

Dieses zeitweise Herausreißen aus ihren bürgerlichen

Verhältnissen ist sehr lästig und oft mit großen Opfern verbunden.

Wir

halten es für besser, daß man den Soldaten in der Jugend d. h. in der Präsenzzeit gründlich ausbildet, ihn dann aber bis zur nothgedrungenen Verwendung im Kriege möglichst frei lasse.

Wer in der Jugend körper­

liche Fertigkeiten, wie Fechten, Reiten oder Schwimmen gründlich erlernt hat, vergißt sie nie oder lernt sie wenigstens bald wieder, auch wenn er sie lange nicht geübt hat.

War es

aber in der Jugend nicht gründlich

erlernt, so geht das unvollkommen Erlernte bald wieder ganz verloren. Wir glauben deshalb, wenn der Soldat durch 3- oder LXjährige Dienst­ zeit den Dienst gründlich erlernt und fest darin geworden ist, so ist eine solche nachträgliche Uebung entbehrlich; wird er zum ernstlichen Gebrauch im Kriege einberufen, so wird er sich sehr bald wieder einrichten.

Die

einzige allerdings sehr wichtige Fertigkeit, welche fortgesetztere Uebung ver­ langt, ist das Schießen, welches in der heutigen Kriegstaktik eilte ganz andere Rolle einnimmt, als früher.

Es dürfte daher zu empfehlen sein,

für die Reserven, verbunden mit den nothwendigen Controllversammlungen, alljährlich Schießübungen in der Nähe ihrer Heimath durch dazu kom-

75 mandirte Offiziere und Unteroffiziere abhalten zu lassen, unter möglichster Berücksichtigung der bürgerlichen Erwerbsverhältnisse der Mannschaft. Diese Uebungen würden gewiß mit Lust und Liebe betrieben werden, und das Bewußtsein ihrer militairischen Pflicht und die Uebung im Gebrauch ihrer Waffe bei den Leuten lebendig erhalten werden. Ebenso glauben wir, wie oben bereits angedeutet ist, daß es genügen würde, jeden Landwehrmann während seiner 4jährigen Verpflichtung zur Landwehr 1. Aufgebots einmal im Bataillon zu einer I4tägigen Uebung einzuziehen, etwa in dem ersten Jahre, in welchem er der Landwehr an­ gehört, oder wenn dabei das Bataillon zu schwach würde, die Mannschaft des 1. und 2. Jahres ihrer Landwehrverpflichtung gleichzeitig, wodurch dann in jedem Landwehrbezirk alle 2 Jahre eine vierzehntägige Landwehr­ übung stattfände. Die größeren und häufigeren Uebungen, welche durch die Landwehrordnung vorgeschrieben waren und auch theilweise ausgeführt sind,

obgleich

nie vollständig,

waren unerläßlich, so

in der dort vorgeschriebenen Ausdehnung,

lange die Landwehr ersten Aufgebots zur ersten

Feldarmee gehörte, so lange aus längere Zeit entlassenen Mannschaften kriegstüchtige Bataillone in wenigen Tagen vollständig zu formiren waren. Nachdem die Reorganisation der Landwehr hinreichende Zeit gewährt, sich hinter der Linie als Reservearmee zu formiren, kann und muß der Staat den Verpflichteten jede zulässige Erleichterung, die zugleich eine Ersparniß für seine Finanzen ist, gewähren, wodurch dann zugleich dem Verpflichteten eine

größere

Erleichterung verschafft wird, als durch Verkürzung seiner

ersten Schulzeit, des aktiven Dienstes in der Linie. Eine kürzere Dienstzeit als die von 2‘/2 Jahren für die Infanterie, die den Verpflichteten den gesammten Kursus der Ausbildung weniger als drei Sommer hindurch, d. h. weniger als dreimal, durchmachen ließe, würden wir für Preußen nur dann ohne Gefährdung der Armee und ohne Gefährdung der Sicherheit des Staats bei der Infanterie für möglich halten, wenn: erstens die obligatorische Einführung des Turnens und die wirklich er­ folgte Ausbreitung desselben für alle Stadt- und Landschulen stattgefunden hat, wenn dasselbe nicht als Spiel sondern als ernster Gegenstand des Unterrichts im Betrieb stehen wird. Es muß kein Knabe zum Jüngling heranwachsen, ohne Turner zu sein. Die militairische Wichtigkeit liegt zunächst in der Ausbildung der Kraft und Gewandtheit des Körpers, in der Erweckung und Belebung des Muthes, der Entschlossenheit.

Der Ge­

winn für die erleichterte Ausbildung der Rekruten und die dadurch ermög­ lichte Abkürzung der Dienstzeit liegt aber nicht nur hierin, sondern auch in der dadurch gewonnenen Gewöhnung an Ordnung, an Reihenfolge, an Unterordnung, Folgsamkeit und Gehorsam auf dem Turnplätze; alles Eigen­ schaften, die der Soldat durch die längere Dienstzeit erwerben soll, die

76 also seine Dienstzeit abkürzen können, wenn er wenigstens die Grundlage dazu schon mitbringt. Zweitens aber müßte ein größerer Stamm von länger dienenden Soldaten und Unteroffizieren für jede Truppe gewonnen worden sein, in welchem die militairischen Traditionen des Waffengebrauchs, des Dienstes jeder Art, der Disziplin, der Geschichte der Armee und des Truppentheils, mit einem Worte, des kriegerischen Geistes,

sicherer bewahrt

und fortgepflanzt werden. Es ist gerade der Mangel an Kapitulanten als ein Grund für die Nothwendigkeit der dreijährigen Dienstzeit angeführt worden.

Man sagt,

weil wir keine länger dienenden Leute finden, müssen wir volle dreijährige Dienstzeit haben,

um aus

der im dritten Jahre dienenden Mannschaft

Unteroffiziere zu machen. Es würde ein unverhältnißmäßiger Aufwand an Kräften sein — vorausgesetzt, daß bei einem genügenden Stamm von Kapitulanten zweijährige Dienstzeit für die übrige Mannschaft hinreichend wäre — wenn man, blos um Unteroffiziere aus den im dritten Jahre dienenden Mannschaften gewinnen zu können, genöthigt wäre, die gesammte Mannschaft drei Jahre bei den Fahnen zu halten.

Es wäre unter solchen

Umständen nur eine Ersparniß für das Land — finanziell und noch mehr volkswirthschaftlich ■— durch höhere Soldsätze für Kapitulanten, durch Ver­ besserung der Lage der Unteroffiziere in Gehalt und durch Pension für längere Dienstzeit, länger dienende Leute, Unteroffizier-Aspiranten zu gewinnen. Aber bevor das nicht geschehen ist, kann man nicht verlangen, daß die Armee mit zweijähriger Dienstzeit auskomme. Fassen wir die Ergebnisse unserer Betrachtung kurz zusammen.

Mi-

litairisch ist dreijährige Dienstzeit auch bei der Infanterie der zweijährigen unbedingt vorzuziehen.

Persönlich werden durch jene von dem Einzelnen

keine größere Opfer verlangt, als bisher.

Volkswirthschaftlich und finan­

ziell werden verhältnißmäßig keine größere Lasten dem Lande auferlegt als es früher.unter weit ungünstigeren Umständen getragen hat, ohne daß der Aufschwung der Volkswirthschaft dadurch gehindert worden wäre.

Drei­

jährige Dienstzeit besteht gesetzlich, und kann durch ein Gesetz nur in Uebereinstimmung

der drei Faktoren der Gesetzgebung verkürzt werden.

Dagegen erscheint die Herabsetzung der Dienstzeit aus finanziellen Grün­ den und zur Erleichterung des Landes auf 2'/* Jahre wünschenswert unv thunlich. Ein entscheidender Faktor hat sich indeß bis jetzt auf das Bestimm­ teste gegen jede gesetzliche Verkürzung der Dienstzeit ausgesprochen und es ist bis jetzt kein Zeichen vorhanden, daß dort eine Ansichtsverändernng eingetreten ist.

Die Ansicht beruht dort auf gewissenhafte« Ueber­

zeugung und eine Nachgiebigkeit gegen diese, obne innere Aenderung derselben ist nicht einmal zu wünschen.

Dagegen ist faktisch die Dienstzeit

77 auf 2’/i Jahr herabgesetzt.

Diese ist die Praxis.

Der Staat als der

Berechtigte, die Leistung der gesetzlichen Verpflichtung zu fordern, hat un­ zweifelhaft das Recht, auf einen Theil dieser Leistung zu verzichten, wenn er diesen Theil entbehren zu können glaubt. Außerdem hat es wohl gerechte Bedenken, die im Gesetz ausgesprochene allgemeine gleiche Verpflichtung schiedene Verpflichtung je Waffengattungen abzuändern.

für

Alle,

in

eine gesetzlich ver­

nach dem Dienste in den verschiedenen Es scheint mithin zweckmäßig, die Fest­

stellung des durch besondere Umstände bedingten Erlasses eines Theils jener Verpflichtung der Budgetberathung und Budgetfeststellung zu überlassen. Wenn

sich die Unzulänglichkeit der

vorhandenen Mittel durch die oben

angedeuteten, für Armee und Marine anderweit nothwendigen Ausgaben herausstellt, so wird die Staatsregierung nicht umhin können, die Dienst­ zeit der Infanterie faktisch auf 2% Jahre zu beschränken oder vielmehr be­ schränkt zu lassen. Was die gesetzliche Feststellung dieser Veränderung be­ trifft, so ist es, wie eine vielfache Erfahrung lehrt, besser, daß eine solche später eingeführt werde, wenn sich alle Theile davon überzeugt haben, daß sie eine Verbesserung oder eine Nothwendigkeit ist, als daß sie, selbst wenn ein Theil die Macht dazu

hätte,

ohne diese Ueberzeugung, gegen den

Widerwillen und Widerspruch mächtiger Faktoren

eingeführt werde und

dadurch einen inneren Riß hervorbringe. Möge das Abgeordnetenhaus sorgfältig erwägen, ob es der Wohl­ fahrt des Landes nicht mehr Nutzen schafft, wenn es die thatsächliche Lage berücksichtigt, seine reale Macht ernstlich prüft und einen unfruchtbaren, alle übrigen Verhältnisse der inneren Entwickelung vergiftenden Kampf aufgiebt, als wenn es in mißverstandener Consequenz und unfruchtbarer Theorie in demselben beharrt.

VIII.

Bedeutung des schleswigschen Krieges.

Der Krieg ist der entscheidende Prüfstein für die Tüchtigkeit einer Armee.

Die vollgültige Probe, welche das preußische Heer in dem schles-

wig-holsteinschen Kriege bestanden hat, namentlich in den glänzenden Siegen von Düppel und Alsen, beweist unwiderleglich ihre kriegerische Tüchtigkeit. Es ist natürlich, daß die Ursachen dieses, jedes Preußenherz erhebenden Resultats,

je nach beit verschiedenen Ansichten der Parteien,

verschieden

78 aufgefaßt, dargestellt und für ihre Zwecke zurecht gelegt werden. Während die Einen den glänzenden Erfolg lediglich als eine Frucht der Reor­ ganisation preisen, wollen die andern davon nichts anerkennen, son­ dern finden darin den Beweis für eine von ihnen angestrebte, weitreichende Verkürzung der Dienstzeit, weil junge Soldaten, die erst 4 Monate, 1 Jahr, 2 Iah; dienten, dort tapfer gefochten haben. Beide Parteien möchten wir zunächst darauf aufmerksam machen, daß die Entscheidungen im Kriege aus so vielen und mannigfaltigen Faktoren her­ vorgehen, daß es in hohem Maße voreilig und gefährlich ist, ohne die gründ­ lichste Untersuchung dem ersten besten die Entscheidung zuzuschreiben.

Wenn

wir auch von Hause anerkennen und nachweisen zu können glauben, daß die Reorganisation bei dieser Gelegenheit sich bewährt hat und ihr ein nicht geringer Antheil an dem Resultate gebührt, so haben doch auch viele nicht mit ihr zusammenhängende Umstände wesentlich mitgewirkt; auf der an­ dern Seite aber darf, den Anhängern kürzerer Dienstzeit gegenüber, be­ hauptet werden, daß gerade in diesem Kriege die längere Dienstzeit ihre Ueberlegenheit über kürzere Dienstzeit entschieden bewiesen hat. Die Ueberlegenheit der in den Kampf geführten geistigen und materiellen Mittel giebt die Entscheidung im Kriege.

Es hat

zwar etwas Peinliches, wenn der entschieden Stärkere den Schwächeren bekriegt.

Wenn aber der Schwache auf dieses Gefühl trotzend, sich gegen

den Stärkeren alles erlaubt,

so wäre es eine Thorheit des Stärkeren,

sich alles ruhig bieten zu lassen, gerade weil er stark ist, — dann ist der Krieg des Stärkeren gegen den Schwachen gerechtfertigt, dann tritt das Sprüchwort in Kraft: „wer nicht hören will, muß fühlen." Zum Kriege gehört ein Heer, Kriegsmaterial und Geld, und, um alles dieses gut zu benutzen, gute Führung, ohne welche auf keinen Er­ folg zu rechnen ist. Wir haben es Hauptfaktoren,

hier nur mit dem Heere zu thun.

die seine Wirksamkeit bestimmen:

Es sind drei

1) die numerische

Stärke, 2) die innere Tüchtigkeit, 3) die Führung. Hinsichts der numerischen Stärke der kämpfenden Heere war die alliirte Armee den Dänen entschieden überlegen.

Es

fehlen uns zwar

authentische Nachrichten über die Stärkeverhältnisse, insbesondere der Dä­ nen; wir glauben jedoch nicht erheblich fehl zu greifen, wenn wir die Gesammtstärke in der ersten Zeit am Danewerk etwa wie 46,000 zu 35,000 Mann, später wie 70,000 zu 40,000 Mann annehmen.

Aber die Vor­

theile des Terrains lagen so sehr auf Seiten der Dänen, daß sie jene numerische Ueberlegenheit reichlich aufwogen.

Den Kriegsschauplatz bildete

ein Land von breiten und schwierigen Wasserlinien, von Gräben, Hecken und Dämmen durchschnitten, mit mehreren durch die Natur gebildeten,

79 sehr starken Positionen, welche, von lange her, durch sorgfältig mit allen Mitteln der Kunst angelegte, sehr starke Berschanzungen zur hartnäckigen Vertheidigung vorbereitet waren, und, wo sie an die See stießen, der Unterstützung der Flotte genossen. Dieses Kriegstheater gewährte den Dänen den eigenthümlichen Vortheil, hinter jeder Stellung, in der sie Widerstand leisteten, einen neuen stärkeren Abschnitt zu finden — hinter dem Danewerk Düppel, hinter Düppel Alfen, hinter Alsen Kekenis. Alle diese Abschnitte waren verschanzt und von der Flotte unterstützt. Man konnte die Dänen schlagen, und sie sind überall geschlagen werden, aber man konnte den Sieg nicht durch Verfolgung vollständig ausbeuten. Giebt es mächtigere Hülfs- und Verstärkungsmittel für die Defensive? Die Ueberzahl des Geschützes war im Anfange des Krieges entschieden auf Seiten der Dänen; die Vortheile des Kampfes im Anfange waren auf ihrer Seite. Die Kriegstüchtigkeit einer Armee ist ein Produkt aus vielen und sehr verschiedenen Elementen; Körperkraft, Gewandtheit und Aus­ dauer

der Mannschaft bilden

ihre

lage.

Was Körperkraft

Ausdauer

und

dänischen Truppen zu wenig,

von

der Natur betrifft,

gegebene

so

kennen

den

die

um eine gründliche Vergleichung anstellen

zu können, es scheint aber, daß sich in dieser Beziehung ziemlich gleich stehen.

Grund­ wir

beide Armeen

Was jedoch den Geist der Mannschaft betrifft, —

aufopfernden Willen,

zu siegen

oder

zu

sterben,

die Hingebung

in den Willen der Führer in Vertrauen und Gehorsam, — so hat er sich 'offenbar bei der preußischen sehr überlegen gezeigt. Dieser Geist hat seine Wurzel in der angeborenen, durch die Geschichte erzogenen, durch frühere Schicksale des Volks und die Tradition, besonders die militairische Tradition, entwickelten Anlage eines Volkes, und das preußische hat, wie vielfache Erfahrung bewiesen hat, eine tüchtige angeborene Dosis dieses kriegerischen Geistes; aber

mit dieser angeborenen Anlage

allein ist es

nicht gethan; — denn wir sehen die Truppen derselben Nationen in einer Periode ihrer Geschichte als Helden, in der andern als schmäh­ lich Fliehende.

Jene angeborene

Anlage muß deshalb erzogen, genährt

und gepflegt werden, um sie zu tüchtigen Thaten verwerthen zu können. Das aber geschieht gerade durch eine tüchtige Organisation, durch eine feste Formation der Armee, dadurch, daß in einem starken und festen Stamme von Berufssoldatem sich nicht nur die technischen und takti­ schen Fertigkeiten erhalten,

sondern auch der Fortschritt in der Kriegs­

wissenschaft und Kunst, die geistige und moralische Entwickelung und Bil­ dung, das Pflicht- und Ehrgefühl des Soldaten, der durch Thaten er­ worbene Ruhm der Vorfahren, als lebendige Traditionen fortpflanzen, besonders in den Führern, den Offizieren. Zu diesem Zwecke wirkende

80 wesentliche Mittel sind: eine hinreichende durchgebildete Anzahl von Berufs­ soldaten, eine angemessene, nicht zu kurze, aber auch nicht zu lange Dienst­ zeit der Masse der Soldaten, eine einfache sichere Taktik und hinreichende Uebung, um möglichste Ausbildung und Sicherheit in derselben zu erzie­ len, gute Bewaffnung, zweckmäßige Ausrüstung und Bekleidung, und ge­ sunde Verpflegung; zu alle dem von Zeit zu Zeit einige Kriegserfahrung, — das sind die Elemente, die den Geist einer Armee erschaffen, erhalten und fortpflanzen. Es darf wohl unbedingt behauptet werden;

in den mehrsten dieser

mitwirkenden Elemente war die preußische Armee der dänischen überlegen. Die Dänen verdienen Bewunderung für ihre Hingebung und Ausdauer in unglaublichen Anstrengungen und Leiden (in den Düppeler Schanzen allein sechs Wochen), mag immerhin ein gutes Theil davon aus ihrem angeborenen Phlegma entspringen; aber bei aller Zähigkeit, die man ihnen von allen Seiten zuerkennt, wurden sie doch bei allen Gelegenheiten, im freien Felde wie. in ihren stärksten Verschanzungen von den Preußen besiegt, selbst in Fällen, numerisch schwächer waren.

wo die alliirten Truppen an Ort und Stelle Jeder preußische Soldat hatte bald das Ge­

fühl, daß der Däne ihm nicht Stand halte im Kampfe. Was ist die Ursache dieser Erscheinung? beiden Seiten wohl ziemlich gleich — ja

Kriegserfahrung war auf

die Dänen hatten auf demsel­

ben Kriegstheater die Erinnerung an die Schlachten von Fridericia und Jdstädt auf ihrer Seite; aber Verpflegung, Ausrüstung und vor Allem die Bewaffnung war auf preußischer Seite besser; — die preußische Be­ waffnung, das Zündnadelgewehr wie die gezogenen Geschütze, beide nach ganz eigenthümlicher,

von Preußen erfundener Construction, haben eine

sehr entschiedene Ueberlegenheit bewährt ■—; die taktische Ueberlegenheit, in der Gewandtheit und Sicherheit der Bewegungen, im ungestümen Angriff, im raschen Zurechtfinden und Wiedersammeln,

ist auf preußischer Seite

überall glänzend hervorgetreten, und dies schreiben wir, mit voller Ueberzeugung, zum großen Theil der neuen Organisation und Formation der Armee und der längeren Dienstzeit der Preußen, gegenüber der

lockeren Organisation

und

der weit kürzeren

Dienstzeit der Dänen zu. Während die Masse der preußischen Infanterie, Artillerie und Pioniere, nur mit Ausschluß der Offiziere und eines Theils der Unteroffiziere, im Durch­ schnitt zusammengesetzt war aus Mannschaften, von denen der größte Theil, etwa drei bis vier Siebentel 3 oder mindestens 2'/2 Jahre, ein Siebentel 2 Jahre, ein Siebentel 1 Jahr diente, und ein Siebentel aus vorjährigen, also im ersten Jahre dienende» Rekruten bestand, führten die Dänen Truppen

ins

Feld, deren längste Dienstzeit 16 Monate war, während viele nur

10,

81 die sogenannte „Verstärkung" aber nur 3 Monate unter den Fahnen ge­ dient hatte, also nur sehr dürftig ausgebildet sein konnte, ohne genügende Sicherheit und Festigkeit in dem Erlernten.

Während die Preußen nur

mit vorher fest formirten und eingeschulten Bataillonen ins Feld rücken konnten, die vor dem Auömarsch nur um 300 Mann älterer, d. h. 3 bis 2!4 Jahr gedienter, in der Regel bei denselben Bataillonen ausexerzirter und darin bekannter Mannschaft verstärkt worden waren, hatten die Dä­ nen kurz vorher, in Folge ihrer fehlerhaften Organisation, ihre alten Ba­ taillone auseinanderreißen und aus jedem derselben zwei neue bilden müssen, denen nur wenige Wochen Zeit blieben, um sich einigermaßen einzurichten*). Es ist sehr beachtenswerth wie jetzt in der

dänischen Presse

selbst sich

Stimmen über die Unzulänglichkeit des bisherigen Militairsystemö erheben. Jeder

Sachverständige

wird

die große

Ueberlegenheit anerkennen,

welche diese beiden wichtigen Faktoren, — längere daher bessere taktische Ausbildung,

Dienstzeit und

größere Sicherheit und

Disciplin, und neben diesem feste, altgewohnte Formation der Truppenkörper, d. h. gegenseitige, persönliche Bekanntschaft, gegensei­ tiges Anschließen, gegenseitiges Vertrauen und Kameradschaft, die die mo­ ralischen Bande

bilden,

die den

einzelnen

Truppenkörpern

den

festen,

moralischen Kitt geben, der ein Hauptmomeut ihrer Kriegstüchtigkeit ist — den Preußen über die Dänen geben mußten. Zwei Thatsachen scheinen dies schlagend zu beweisen:

die unverhält-

*) Wir führen hier folgende Stelle aus einer vor dem Kriege geschriebenen kleinen Schrift „Dänemarks Wehrkraft gegenüber Deutschland, von einem norddeutschen Offizier, Berlin 1863" an, S. 31, wo es heißt: „Allgemeine Wehrpflicht ist im Prinzip vorhan­ den, jedoch ist Los kauf gestattet, so daß dieselbe faktisch nur auf der ärmeren Klasse lastet, wodurch der Armee viele intelligente Kräfte verloren gehen.

(Wir bemerken dazu,

daß die Einwohner von Kopenhagen vermöge eines alten Privilegiums vom Militairdienst frei und nur zur städtischen Artillerie, zur Vertheidigung der Stadt verpflichtet sind — sehr demokratisch! —).

Die Dienstpflicht beginnt mit dem 22. Lebensjahre, und

beträgt 8 Jahre in der Feld-Armee und 8 Jahre in der Verstärkung.

Die Mannschasten

sind jedoch nur 16 Monate bei der Fahne und werden später noch mehrmals zu einer dreiwöchentlichen Exercierzeit herangezogen.

Die Freigeloosten werden 3 Monate ausge­

bildet und dann zur Verstärkung entlassen.

Neuerdings beträgt die Präsenzzeit nur 10

Monate (versuchsweise).

Die Organisation der Armee ist demnach

Milizsystem mit festen Kadres, der innere Verband

eigentlich

nur ein

welche sich theilweise bei Ausbruch des Krieges theilen;

ist demnach nur sehr locker, namentlich

erscheint letzterer Umstand

sehr bedenklich, da es vorkommen kann und wird, daß ganz neu formirtc Bataillone mit jungen,

ungeübten Mannschaften, die unter einander und den Vorgesetzten fremd sind,

direkt ins Gefecht geführt werden müssen, und in kritischen Lagen Gefahr laufen, gänz­ lich auseinander zu fallen.

In Folge der kurzen Präsenzzeit und der Ueberhäusung mit

Ausbildung kann dieselbe bei dem phlegmatischen Temperament der Dänen nur mangel­ haft sein. v. Vincke, SOiilitairfraßc.

6

82 nißmäßig große Anzahl der national-dänischen Gefangenen bei allen ein­ zelnen Gefechten*), tpie nach dem Sturm auf die erste Reihe der Düppler Schanzen, und demnächst die fast allgemeine Erscheinung, daß selbst bei den günstigsten Deckungsmitteln (Gräben, Hecken, Knicks) die Dänen nur schossen, bis die Preußen nahe heran kamen, dann aber, statt sich zu weh­ ren, oder sich zurückzuziehen und sich rückwärts wieder zu sammeln, die Gewehre wegwarfen und sich ergaben. Es ist dieses wohl nur dem Mangel an Gewandtheit und Sicherheit in ihrer tactischen Ausbildung, so wie an Disziplin, keineswegs angeborener Feigheit zuzuschreiben — oder es beweist Unlust am Kriege. Wir sind so dreist, zu behaupten, daß unsere preußischen Landwehr­ bataillone

alter Formation ihrer ganzen Natur nach in diesem rasch

ausgebrochenen, ohne bestimmt ausgesprochenen Zweck unternommenen Kriege, nicht Gleiches hätten leisten können, wie unsere jetzigen Linien­ bataillone.

Damit soll keineswegs der Mannschaft derselben irgend ein

Vorwurf gemacht werden; sie ist gewiß eben so gut und durch reiferes Alter noch kräftiger als die der Linie — nur der Organisation und der wenig angemessenen Verwendung der Landwehrbataillone für einen Krieg dieser Art würde die Schuld davon beizumessen sein. Es ist eine Thorheit, wenn ein Theil der Zeitungspresse noch heute gegen die Reorganisation eifert

und die Vortrefflichkeit der alten Land­

wehrformation vor 1859 damit beweisen will, daß im schleswig-holsteinschen Kriege Landwehrmänner und Landwehroffiziere Vortreffliches geleistet haben; wenn man die schöne That des Pionier Klinke auf Rechnung der Land­ wehr setzt, weil er vielleicht vor einem Jahre aus dem Lebensalter der Reserve in das der Landwehr getreten ist. Verkennung der Dinge!

Das ist eine unbegreifliche

Wer hat denn je daran gedacht, die einzelnen

Landwehrmänner herabzusetzen, sie geringer zu schätzen, als die einzelnen Liniensoldaten oder Reservisten? Was ist denn der Landwehrmann? Ein in der Linie ausexercirter Soldat,

der

einige Jahre älter,

und deshalb kräftiger, reifer, kurz mehr Mann geworden — alles Eigenschaften zum besseren Soldaten ■— der aber seit zwei oder mehreren Jahren zur bürgerlichen Beschäftigung zurückge­ kehrt ist und deshalb mehr oder weniger sein militairischeS Wissen und Können vergessen und verlernt hat, sich unter guter Leitung aber sehr bald wieder einrichtet. Der eigentliche Kern der Frage, um die es sich handelt, ist: wird ein solcher Mann mehr

*) Die Holsteiner rechnen wir gar nicht mit;

sie wurden bekanntlich frühzeitig in

die Heimarh entlassen — deninngeachtct befanden sich schon vor dem Siege bei Düppel über 2000 dänische Gefangene in preußischen Festungen.

83 leisten können, wird er besser verwendet werden, wenn er für den Krieg in seine frühere ihm bekannte Schule, in seine alte Kompagnie, unter in Uebung gebliebene und fortgeschrittene Offiziere und Unteroffiziere zurück­ tritt — oder wenn man neue Feldbataillone, aus lauter solchen aus der Uebung gekommenen Mannschaften, unter fremden oder gar nicht in ihrem Beruf geübten Unteroffizieren und wenig routinirten Offizieren formirt? Die Antwort kann wohl nicht zweifelhaft

sein.

Auch einige Kadetten

haben sich brav gezeigt im Sturm auf die Düppler Schanzen, es haben auch Rekruten brav gefochten; wird man deshalb empfehlen, Bataillone und Rekruten-Bataillone ins Feld zu führen? Ueberhaupt müssen wir uns hüten, aus unserer

Waffen

gegen

Dänemark

hochmüthige

Ueberlegenheit unserer Armee über alle

Kadetten-

den glänzenden Erfolgen Folgerungen

auf

die

übrigen zu ziehen — übereilte

Schlüsse auf die Zulässigkeit viel kürzerer Dienstzeit zu machen und uns den bekannten Tendenzen auf Abschwächung unserer Armee zu einem Mi­ lizsystem zu überlassen.

Ohne den Dänen irgend wie zu nahe treten zu

wollen, glauben wir doch, daß eine französische Armee von gleicher Zahl und in derselben Lage der unsrigen einen weit hartnäckigeren Kampf ge­ boten, einen größeren Verlust bereitet haben würde, gerade weil in ihrer festeren Organisation und Formation, längeren Dienstzeit, besseren

und

sicheren taktischen Ausbildung die wesentlichsten Elemente der kriegerischen Erfolge liegen.

Wenn man auf das

ausgezeichnete Benehmen

unserer

jungen Soldaten, auf das musterhafte Pflichtgefühl, auf den Heldenmuth junger, einjähriger Freiwilliger aus allen Ständen hinweist, auf die Tapfer­ keit selbst der jüngsten Rekruten, und mit Recht darauf stolz sein darf, so

wäre doch der Schluß: daß es eben so gut gehen würde, wenn die

ganze oder auch nur der größte Theil der Armee aus solchen bestände, der schlimmste Fehlschluß.

Rekruten von wenigen Monaten Dienstzeit haben

zu allen Zeiten und fast in allen Schlachten mitgefochten, aber eingereiht zwischen alten — das soll nur sagen im Dienst sicheren — Soldaten? und beeinflußt durch deren Rath und'Beispiel, und das gilt für das Ge­ fecht mit ferntreffender Schußwaffe wie im Handgemenge, wo ein Neben­ mann auf den andern wirkt.

So wird ihr jugendlicher Eifer die schönsten

Früchte tragen, während er für sich allein, nur unter ihres Gleichen, gar zu leicht unnütz verschwendet wird.

Napoleon I., der große Meister in

der Kriegskunst, hat gesagt: mit jungen Soldaten läßt sich wohl Schlacht gewinnen, aber kein dauernder Krieg führen.

eine

Der Krieg besteht

eben nur zum kleinsten Theile im tapfern Anlauf. Als eine höchst erfreuliche Erfahrung stellt es sich aber heraus, daß Preußens Heer in tiefem Frieden sich auf der Höhe der Kriegswissenschaft und der Kriegskunst erhalten, daß es seit dem ersten schleswig-holsteinschen

84 Kriege, wie unpartheiische, sachverständige Augenzeugen, welche die dama­ lige und die jetzige Armee beobachtet haben, aus freiem Antriebe auSsprechen, bedeutende Fortschritte gemacht hat.

Wir danken dies zunächst

der sorgfältigeren, umsichtigen Leitung der Ausbildung der Armee von oben herab, die namentlich in zweckmäßigen Uebungen auf dem Exercierplatze, durch die Entwickelung physischer Ausbildung und Gewandtheit, durch Bajonnetfechten und Turnen,

durch

häufigere Felddienstübungen

Manöver in höchst günstiger Weise gewirkt hat.

und kleine

Möge man fortfahren

auf diesem Wege! Wir schreiben aber auch einen Theil des erreichten Ergebnisses der besseren Schulung unserer Truppen auf Rechnung der allgemeinen fort­ schreitenden Bildung, welche in unserem Lande,

Dank der allgemeinen

Wehrpflicht, die auch die gebildeten und wohlhabenden Klassen in das Heer führt,

immer auch in dieses hineinströmt, und

endlich der regen

Theilnahme an dem öffentlichen Leben zu, welche die Geister wach und angespannt erhält.

Alles dieses, selbst die Angriffe, gerechte wie unge­

rechte, welche die Armee in den letzten Jahren erdulden mußte, hat dazu beigetragen, den Geist der Armee zu beleben, anzuregen und zu heben. Die im ganzen Volk lebendige Theilnahme für einen unterdrückten deutschen Bolksstamm — wenn dessen Befreiung auch nicht als offener Zweck auf die Fahnen geschrieben war — lebte doch auch in der Armee und hat ge­ wiß mit dazu beigetragen, ihre moralische Kraft zu erhöhen. Eines müssen wir aber noch ausdrücklich hervorheben: das preußische Offiziercorps, dieser vorzüglichste Träger der militairischen Tradition, hat seinen alten Ruf glänzend bewährt, seinen alten Ruhm mit neuen Lor­ beeren geschmückt,

und Landwehrosfiziere theilten diesen Ruhm mit der

Linie wie 1813—1815*).

Es sind vor dem Kriege mancherlei Vorwürfe

gegen das preußische Ofsiziercorps erhoben worden; Exclusivität gegen die übrigen Stände,

man tadelte dessen

man deklamirte über die große

Kluft zwischen den Offizieren einerseits und den Unteroffizieren und Sol­ daten andererseits, und dergleichen mehr — Vorwürfe, die, nicht ohne allen Grund,

wenn auch

doch jedenfalls sehr übertrieben und durch die

Brille des Parteigeistes gefärbt waren. Wo sich eine solche Kameradschaft zwischen Linienoffizieren und Landwchroffizieren (im Frieden Civilisten), ein so vortreffliches Verhältniß im Kriege zwischen Offizieren, Unteroffi­ zieren und Soldaten bildet,

wie es — vielleicht mit sehr seltenen Aus­

nahmen — in diesem Kriege der Fall gewesen ist, wo ein solcher ein»

*) Wir enthalten uns jedes Vergleichs mit dem dänischen Osfizierkorps.

Wer Uber

dessen Zusammensetzung, Erziehung und Bildung etwa« lesen will, den verweisen wir auf die eben angeführte Schrift:

„Dänemarks Wehrkraft ic."

85 wüthiger Geist Alle beseelt, da können jene angeregten Schäden nicht tiefe Wurzel gefaßt haben, da sind sie höchstens üppige Wucherpflanzen des Friedens, die vor dem ersten Kriegswind verschwinden. Was daran, so wie an andern etwa hervorgetrctenen Mängeln zu bessern ist, wird sich, nach solchen Kriegserfahrungen, weit eher aus dem Schooße der Armee selbst heraus bessern

als durch Pamphlete und K'ammerreden.

Es sind

das theils gewissermaßen häusliche Angelegenheiten der Armee, theils Ver­ hältnisse der Sitte, des Herkommens, des Gefühls, die sich nicht durch Gesetze machen und bessern lassen, die sich aus sich selbst entwickeln müssen und wir hoffen heilen werden. Krieg für Preußen wieder,

Denn eine große Wahrheit hat dieser

wie der von 1813 bis 1815, bewährt:

daß

Tapferkeit und, Patriotismus nicht daö Privilegium eines einzelnen Stan­ des, einer Kaste, einer Partei, sondern daß sie das Gemeingut des ganzen Volks sind, daß alle einig sind, sobald eS Preußens Macht und Ehre gilt. Alle Stände, alle Berufsklassen, alle politischen und alle religiösen Par­ teien haben ihr Contingent zur Armee gestellt, und es war kein Streit unter ihnen, als der Wettkampf zum Siege. Der dritte entscheidende Faktor im Kriege ist die Führung, sowohl die höhere strategische Führung, als die untergeordnete bis zur Kompagnie, ja bis zum Schützeuzuge herab.

Es ist hier nicht der Ort auf eine Kritik

derselben, namentlich der höheren Führung, im schleswig-holsteinschen Kriege einzugehen, aber die Behauptung wird wohl kaum bestritten und gewiß nicht als Schmeichelei ausgelegt werden können, daß sie Seitens der Alliirten

den Dänen gegenüber eine entschiedene

Ueberlegenheit bekundet hat.

Die selbstständige Thätigkeit und Umsicht der Kompagnie- und Zugführer, wie sie bei jeder Gelegenheit, namentlich bei dem Sturm der Düppeler Schanzen und der Eroberung von Alfen hervorgetreten sind, werfen daS glänzendste Licht auf die Intelligenz und den Charakter unserer Offiziere. Offiziere der Linie und der Landwehr theilten gleichmäßig die Gefahren des Krieges und die Lorbeeren des Sieges.

Der Versuch, Landwehroffi­

ziere in die Reihen der Liuienofsiziere einzustellen, ist hier zum ersten Male im Großen gemacht worden, und hat sich, wie es scheint, gut bewährt. Wie man hört hat die beste Kameradschaft zwischen beiden bestanden; in der Mitte dicustroutinirter Kameraden haben jene sich schneller in den schweren Beruf, der ihnen nur ein Nebenberuf ist, zurecht gefunden. nur die Mittheilungen höherer Offiziere,

Nicht

auch die Thatsachen beweisen,

daß die Offiziere der Landwehr, gleich ihren Kameraden der Linie, ihre Pflicht erfüllt und nur im rühmlichsten Wetteifer mit ihnen gekämpft ha­ ben. Von den 1286 etatömäßigcn Lieutenantsstellen der mobilen Armee waren 259, also ‘/5, mit Landwehroffiziercn besetzt. Von 25 gebliebenen Lieutenants gehören 6, also ganz nahe ‘/4, von 74 verwundeten 18, also

86 ebenfalls fast */4, der Landwehr an. den Lieutenants

(mit Ausschluß

Bon 307 in Reihe und Glied stehen­ der Stäbe),

deren

Tapferkeit durch

Ordenszeichen geehrt worden ist, gehören 60, also V5, der Landwehr. — Die Kugel trifft ohne Unterschied der Würdigkeit, — die Ordensverleihung im Kriege strebt nach gerechter Würdigung des Verdienstes.

Es ist des­

halb sehr interessant, — in vielfacher Beziehung, — daß dasselbe Zahlenverhältniß 4:1, welches in der vorhandenen Anzahl der Linien- und Land­ wehroffiziere stattgefunden, sich auch in der Anerkennung ihrer Tapferkeit geltend gemacht hat.

Schluß. Wir schließen diese Betrachtungen mit dem innigen Wunsche, daß sie ihr Scherflein dazu beitragen mögen, die Borurtheile aufzuklären, mit wel­ chen der Parteigeist die hochwichtige Angelegenheit der neuen Organisation unsres Heeres umhüllt hat.

Unsere Wehrverfassung, das Palladium un­

sers Baterlandes, dieses theure Erbtheil einer großen Vergangenheit be­ findet sich für den Augenblick, trotz aller innern Lebenskraft, welche sie in neuester Zeit thatsächlich so glänzend bewährt hat, in einer höchst eigen­ thümlichen und unerfreulichen Lage; eigenthümlich, weil der gesetz­ liche Organismus des Heeres faktisch

nicht mehr ungestört besteht,

der

faktische Organismus aber trotz vierjähriger Debatten noch nicht gesetzlich geregelt ist;

unerfreulich, eben weil die getroffenen Veränderungen, un­

geachtet sie, wie wir gezeigt, in allem Wesentlichen gut sind, nicht die Zustimmung der Landesvertretung gefunden haben, vielmehr ein höchst beklagenswerther Conflict zwischen Staatsregierung und

Landesvertretung

darüber entstanden ist. Eine Verständigung ist nothwendig; sie ist im Interesse des Throns wie des Volks geboten.

Es bedarf dazu der Einigung

über mancherlei

Fragen, denn die eingeführten Neuerungen greifen tief ein in den alten gesetzlichen Bau, und es bedarf für sie alle, und vielleicht noch für manche wünschenswerthe Verbesserung, der gesetzlichen Regelung und Feststellung, um ihre Dauer zu sichern. Wir denken dabei nur an solche Fragen, welche das Verhältniß der bewaffneten Macht zum Volke betreffen, und deshalb nur durch Uebereinkunft der Staatsregierung und der Landesvertretung verfassungsmäßig ge­ regelt werden können; denn wir sind der Ansicht, daß Alles, was die innere



87

Formation und innere Einrichtungen der bewaffneten Macht betrifft, Sache der Staatsregierung allein ist, und daß Verbesserungen auf diesem Felde aus ihrem eigenen Schooße, gestützt auf sachverständige Erfahrung, am besten hervorgehen werden. Die Landesvertretung hat dabei verfassungs­ mäßig nur mitzureden, insofern es sich um neue Geldausgaben oder um neue Verpflichtungen der Unterthanen handelt, dann aber selbstredend auch den Nachweis der zweckmäßigen Verwendung der neu in Anspruch genom­ menen Kräfte des Landes zu fordern, und diese Verwendung zu prüfen. Zu den Fragen, welche eine Entscheidung verlangen, rechnen wir: die neue gesetzliche Regulirung der Ausführung der allgemeinen Wehrpflicht, wobei zu erwägen sein wird, ob nicht die Einführung einer Wehrsteuer für diejenigen, welche nicht persönlich dienen können oder dienen sollen, ein deutlich angezeigter Akt der Gerechtigkeit sein dürfte; — die Regulirung des Dienstes der einjährigen Freiwilligen; — die Frage über die Dauer der aktiven Dienstzeit, eines Organisationsgesetzes

die Forderung

oder eines festen Organisationsplans so

wie eines Rekrutirungsgesetzes, — die Verfassungsfrage über die Stellung des Abgeordnetenhauses zum Budget und zum Militair-Budget insbesondere. Wir glauben und hoffen, daß die Lösung aller dieser Fragen, und des Conflicts überhaupt,

durch

den Verlauf des

Krieges wesentlich erleichtert worden ist.

schleswig-holsteinschen

Wenn es bei einem Theil der

Opposition nicht mit Unrecht großen Anstoß erregte: daß das Land fort­ während so bedeutende Opfer für die Armee tragen und mit Steigerung tragen sollte,

ohne daß eine dem entsprechende energische Politik Preußen

eine verhältnißmäßig einflußreiche und ehrenvolle Stellung in Europa er­ rang und sicherte,

so fällt dieser Einwand jetzt fort.

Es würde ferner

thöricht sein, ein

unerreichbares Ziel hartnäckig festzuhalten und wegen

formeller und doktrinairer Streitigkeiten dem realen Machtverhältnisse nicht Rechnung zu tragen.

Es wird unmöglich, wenigstens würde es widersinnig

sein, die Reorganisation eines Heeres anzugreifen, dessen Einrichtungen sich durch die That so glänzend bewährt haben; man wird nach solchen Er­ folgen zugeben müssen, daß die Regierung, daß namentlich die Leitung der bewaffneten Macht ihr Handwerk versteht.

Man wird vor Europa nicht

den Skandal aufführen wollen, die thatsächlich bewährten Einrichtungey unsers siegreichen Heeres von Neuem im Parlament zu bekritteln und herab­ zusetzen.

Man wird erkennen müssen, daß es moralisch und faktisch un­

möglich ist, die Reorganisation wieder rückgängig machen zu wollen, und die Partei des Fortschritts wird sich darein finden müssen, den Fortschritt, den die Reorganisation auf dem Gebiete des preußischen Heerwesens ge­ macht hat, anzuerkennen.

88

Alles, was die Landesvertretung thun kann und darf, alles, worauf sie sich beschränken muß, ist: auf möglichste Ersparnisse zu drin­ gen, damit nicht die Wehrhaftigkeit des Landes durch zu starke Verwen­ dungen für dessen Schlagfertigkeit gefährdet werde. In diesem Punkte stimmt aber das Interesse der Krone mit dem des Landes so sehr überein, daß eine Verständigung unmöglich schwer fallen kann. Weise Sparsamkeit ist eine der ältesten und festesten Traditionen der preußischen Monarchie, sie ist, mit sehr seltenen Ausnahmen, die Erb­ weisheit der preußischen Fürsten. Heute, nach einem rühmlich ge­ führten Kriege, ist die Staatsrcgierung im Besitz der neuesten Erfahrun­ gen über das, was nothwendig, was entbehrlich ist, um eine Armee auch im Frieden kampftüchtig und schlagfertig, auf der Höhe der Gegenwart, zu erhalten; sie besitzt diese Erfahrungen in weit höherem Maße als alle diejenigen, welche dem Kampfe von ferne, wenn auch noch so aufmerksam, zusahen. Sie kann ans denselben ohne Juconsequeuz die Argumente für Abänderung früherer Vorschläge entnehmen, welche sie für räthlich halten sollte; sie kann auf diese Weise ehrenvoll entgegenkommen. Es ist ebenso wenig zu verkennen, daß die durch den Krieg gewon­ nene neue Lage neue Anstrengungen für den Ersatz des Kriegsmaterials der Landmacht, und insbesondere für die Vermehrung der nach der maritimen Lage Preußens unentbehrlichen Flotte erfordert. Doppelter Grund, um Ersparnisse einzuführen, wo sie irgend, ohne Ver­ nachlässigung der Kriegstüchtigkeit der Armee, möglich, und der Steigerung der produktiven Kräfte des Landes förderlich sind. Möge die Staatsregierung die Lage in diesem Sinne auffassen, möge sie das verfassungsmäßige Bud­ getrecht der Landesvertretung anerkennen, welche gewiß nicht knickern wird, wo eö sich thatsächlich um Sicherheit, Ehre und Machtstellung Preußens handelt. Dadurch, daß die Landcsvertretung die thatsächlich vorhandenen Bedürfnisse der Wehrhaftigkeit und Schlagfertigkeit Preußens anerkennt und dafür die Mittel bewilligt, daß sie somit ihr Budgetrecht mit Weisheit und Mäßigung gebraucht, wird sie es besser wahren und befestigen, als durch systematische Opposition aus falscher Consequenzmacherei. Das walte Gott, zum Heil unseres theuren Vaterlandes!

Nachtrag.

Während des Druckes, in den wir wegen Entfernung vom Druckort nicht ändernd eingreifen konnten, kam uns ein Artikel der Breslauer Zeitung zu Gesicht, welcher Auszüge aus dem Commissicnsbericht des dänischen Volksthings über die Vorbereitung und Führung des Krieges enthielt. Leider konnten wir uns den Bericht selbst nicht verschaffen. Es bleibt uns somit nur die Pflicht, unsere Leser darauf aufmerksam zu machen, indem wir den Theil jener Auszüge, welcher sich auf die von uns erörter­ ten Fragen bezieht, hier folgen lassen. Zuerst ist die Rede von den auf die Befestigungen verwendeten Mitteln, dann geht der Commissicnsbericht auf das Heer über und findet, daß Ausrüstung, Bekleidung und Verpfle­ gung äußerst mangelhaft und der Krebsschaden des Ganzen gewesen, daß eS jedoch zur Abstellung dieser Mängel dem Kriegsministerium an nichts gefehlt als an der nöthigen Energie. Das Ministerium vertheidigt sich und weist nach, daß die dänische Heeresreorganisation, welche es haupt­ sächlich auf eine Art von Miliz abgesehen habe, die Schuld des Uebels sei. Capitain Fellissen hat es offen ausgesprochen, daß das vom Obersten Tscherning 1848 eingeführte unglückliche Dublirungssystem in alle Verhältnisse Verwirrung gebracht, und auch der Commis­ sionsbericht giebt zu, daß die successive Entwickelung der Regimenter erst zu 6, dann zu 8 Kompagnieen, eine vollständige Zerreißung des HeereSorganismuS zur Folge gehabt, so daß sich die Truppen nicht in einen festen Rahmen eingewöhnen konnten. Besonders habe es die zu kurze Dienstzeit nicht zur Gewöhnung kommen lassen, daneben seien die zu schwachen Cadres, welche für die große Ueberzahl der neu hinzugetre­ tenen Leute keine genügende Anzahl von Offizieren, Unteroffizieren und

90 altgedienten Leuten zur Verfügung stellten, ferner die übermäßige Verwendung von Auxiliar-Offizieren. wodurch eine Menge Leute in das Heer gekommen, welchen es an den Eigenschaften gefehlt, die zu einem tüchtigen Offizier nöthig sind, unüberwindliche Hindernisse gewesen. Von 21 Lieutenants seien 14 Reserve-Offiziere gewesen, und vor dem Kriege seien viele Gemeine zu Offizieren gemacht worden, welche gar nicht dazu ausgebildet waren.

Als Cnriosum ist dabei zu erwähnen, daß in einer

Batterie ein frisch ernannter Lieutenant vier Zwölfpfünder kommandirte, obwohl er noch nie eine bespannte Kanone gesehen hatte.

Bei solcher

Heereseinrichtung ist es dann wohl kein Wunder, wenn schlimme Folgen eingetreten sind. Solchen Erfahrungen beim Feinde sollte unsere Opposition sich nicht verschließen.