Die Religion der Ägypter: Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden 9783111547176, 9783111178400


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German Pages 481 [520] Year 1934

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Table of contents :
Vorrede
Inhalt
Einteilung der ägyptischen Geschichte
Zur Einleitung
1. Kapitel. Allgemeines
2. Kapitel. Die Welt und ihre Götter
3. Kapitel. Die großen Götter des Landes
4. Kapitel. Die weitere Entwicklung der älteren Religion
5. Kapitel. Die Göttersagen
6. Kapitel. Die Theologie
7. Kapitel. Geschichtliche Vorgänge und ihr Einfluß
8. Kapitel. Die Ketzerzeit
9. Kapitel. Triumph der alten Religion
10. Kapitel. Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel
11. Kapitel. Ethik
12. Kapitel. Der Kultus in älterer Zeit
13. Kapitel. Der Kultus im neuen Reich
14. Kapitel. Der Totenglaube
15. Kapitel. Fürsorge für die Toten
16. Kapitel. Die Toten in der Spätzeit
17. Kapitel. Magie und Zauberei
18. Kapitel. Die Zeit des Verfalls und die Saītenzeit
19. Kapitel. Die Perserzeit
20. Kapitel. Die ägyptische Religion in den Nachbarländern
21. Kapitel. Aus griechisch-römischer Zeit
22. Kapitel. Die ägyptische Religion in Europa
Anmerkungen
Register
Nachwort
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Die Religion der Ägypter: Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden
 9783111547176, 9783111178400

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TAFEL 1

DIE

RELIGION DER ÄGYPTER IHR WERDEN UND VERGEHEN IN VIER JAHRTAUSENDEN

Von ADOLF ERMAN

Mit 10 Tafeln und 186 Abbildungen im Text

1934 BERLIN

UND

LEIPZIG

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG / J. GUTTENTAG, VERLAGSBÜCHHANDLUNG / GEORG REIMER / K A R L J. TRÜBNER / VEIT & COMP.

Photomechanischer Nachdruck mit einem Nachwort von Eberhard Otto

Archiv-Nr. 3686681

© 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner . Veit & Comp., Berlin 30 Printed in Germany Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Übersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten.

SEINEM LIEBEN

FREUNDE

H. O. L A N G E IN E R I N N E R U N G GEMEINSAMES STREBEN

UND

GEMEINSAME ARBEIT

AN

Vorrede. Ich will in diesem Buche das Wesen der ägyptischen Religion schildern und ihr langes Leben erzählen; dazu greife ich aus dem ungeheuren Stoffe heraus, was mir dienlich erscheint — ist es doch das Recht und die Pflicht des Historikers, das Unwesentliche und Verwirrende fortzulassen. Ein vollständiges Buch, in dem auch der Fachgelehrte nichts vermißt, will ich nicht geben. Wenn der Leser sieht, daß es hier doch noch sehr andere Dinge gegeben hat, als heilige Katzen und Mumien und wenn er sieht, daß in diesem Glauben doch zuweilen Gedanken und Empfindungen sichtbar werden, deren sich auch hochstehende Religionen nicht zu schämen brauchen, so hat mein Buch seinen Zweck erfüllt. — Schon im Jahre 1904 habe ich mich an dem gleichen Stoffe versucht. Das Buch erschien damals unter dem Titel »Die ägyptische Religion« in einer Sammlung von »Handbüchern der Königlichen Museen«. Es war Richard Schöne, der diese ins Leben gerufen hatte; nach der hohen Auffassung, die er von seinem Amte hegte, galten ihm die Museen vor allem als eine Stätte der Bildung und so sollten auch diese Bücher jeden Besucher der Museen, der nach Verständnis des Geschauten strebte, unschwer in die alten und fremden Kulturen einführen. Mein kleines Buch entsprach offenbar dieser Bestimmung, denn schon 1909 wurde eine zweite Auflage nötig. Jetzt erscheint es zum dritten Mal in neuer Form außerhalb jener Sammlung, für die es zu umfangreich geworden wäre. Auch im Ausland fand das Buch Anklang und wurde schon bald nach seinem Erscheinen von Griffith ins Englische, von Vidal ins Französische, und von Pellegrini ins Italienische übertragen. Seitdem habe ich diese Aufgabe nie aus den Augen verloren und habe in dem Vierteljahrhundert, das inzwischen verflossen ist, bei meinen lexikalischen und grammatischen Arbeiten auch vieles gesammelt, was für die Religion Aufschluß versprach.

VI

Vorrede.

So hat denn auch das jetzige Buch — von bestimmten Abschnitten abgesehen — nicht viel mit seinen Vorläufern von 1904 u. 1909 gemein; aber ich hoffe, daß es sich doch den Charakter leichter Verständlichkeit bewahrt hat. Von Büchern, die mir für diese Arbeit Belehrung und Anregung gegeben haben, nenne ich vor allem die zweite Auflage von Eduard Meyers Geschichte des Altertums; er hat mit dem klaren Blick und dem gesunden Urteil, die ihm eigen waren, auch die Probleme der ägyptischen Religion behandelt. Ich nenne ferner das geistvolle Buch von Breasted development of religion and religions thought in Ancient Egypt und die sich mit diesem berührenden Arbeiten von Kees und Rusch, Breasteds Dawn of conscience konnte ich leider nicht mehr benutzen. Vieles in meinem Buche fußt auf den kritischen Untersuchungen Sethes und auf den wichtigen Arbeiten Junkers. Was alles ich für die Verhältnisse der Priesterschaft den Arbeiten von Lefebvre, Otto und vor allem auch denen von Schubart verdanke, bedarf keiner Erwähnung. Den Namen der Götter und Könige habe ich die üblichen Formen belassen, die meisten von ihnen können wir j a doch nicht sicher herstellen und da ist es immer noch besser, wir behalten die gewohnten falschen Formen bei wie Sokaris, Nut oder Schu, Issi oder Pepi, als daß wir sie durch neue zu ersetzen versuchen, die doch vermutlich ebenso unrichtig sein werden wie jene. Eine noch größere Schwierigkeit boten die Namen der Städte. Neben ihren griechischen Formen, die wir heute gern verwenden, benutzen wir auch die ägyptischen Namen, über deren genaue Aussprache wir kaum etwas wissen, sodann auch koptische Formen und überdies noch die Namen, die das arabische Volk heute gebraucht — die letzteren freilich in sehr willkürlichen Schreibungen. Der Leser wundere sich also nicht, wenn ich bald von Hermopolis und bald von Schmun, bald von Dedu und bald von Busiris spreche und wenn sich auch moderne Namen wie Ehnas oder Luksor unter die alten mischen. Das alles ist wenig schön, aber ein konsequentes Verfahren würde nur zu Mißverständnissen führen. In den chronologischen Angaben meines Buches bitte ich nicht mehr zu sehen als was sie sein können. Einzelne Punkte der ägyptischen Geschichte sind ja heute festgelegt, aber zwischen diesen bleibt ja natürlich noch vieles unsicher. Zum Glück ist

Vorrede.

VII

es j a auch für unsere Aufgabe zumeist einerlei, ob irgend ein Vorgang einige Jahrzehnte früher oder später anzusetzen ist. — Die übliche Einteilung in Reiche und Dynastien ist auf S. X V besprochen. — Leser, die sich eine genauere Kenntnis der ägyptischen Geschichte verschaffen wollen, verweise ich auf Breasted's History of Egypt, die Hermann Ranke 1910 übersetzt hat. (Berlin, Curtius, 1910.) Was ich aus den ägyptischen Texten in wörtlicher Übersetzung anführe, habe ich durch kursiven Druck bezeichnet. Vieles von dem, was ich so nur im Auszuge gegeben habe, wird man vollständig in meiner Literatur der Aegypter (Leipzig, Hinrichs, 1923) finden. — Wer aber auch von der Schrift der Ägypter etwas wissen möchte •— und auf dieser Schrift beruht doch das ganze geistige Leben Ägyptens — , den verweise ich auf mein kleines Buch »Die Hieroglyphen«, das im Verlage von Göschen 1912 und 1917 erschienen ist. Bei der Redaktion des Buches hat mir meine Frau zur Seite gestanden und die Herren Grapow und Erichsen haben sich der bösen Arbeit unterzogen, die sämtlichen Zitate nachzuprüfen. Auch bei der Korrektur haben sie uns unermüdlich beigestanden. Für diese Liebesdienste danke ich ihnen von Herzen. Berlin-Dahlem Pfingsten 1934.

Adolf Erman.

Inhalt. Einleitung. 1. Kapitel.

Allgemeines

Wurzel und Entwicklung der Religion 4. — Einfluß des Landes 5. — Die großen Mächte des Himmels 5. — Kleinere Gottheiten, die dem Menschen näherstehen 6. — Verbreitung und Vermischung der Vorstellungen 7. — Die Gaue und ihre Götter 7. — Die beiden Reiche 8. — Heilige Tiere 8. — Haus und Bild des Gottes 9. — Halbmenschliche Gestaltung 9. — Besondere Aufgaben der einzelnen Götter 10. — Friedlicher Charakter des Volkes 10. — Art des Kultus 10. — Umgestaltung durch die Phantasie n . — Beibehalten des Überlieferten n . — Besitz der Schrift als ein Verhängnis 12. — Kein „heiliges Buch" 12. — Methode der Erforschung 13.

2. Kapitel.

D i e Welt und ihre G ö t t e r

Poetische Anschauung der Welt; des Himmels 14. — Die Erde und die Luft 15. — Der Himmel als Gewässer u. ä. 16. — Ozean und Nil 16. — Unterwelt 17. — Sonne und ihre Gestalten 17. — Die Fahrt der Sonne 18. — Wohnort der Sonne s i . — Sonnenauge; Uräusschlange usw. 21. — Mond, das Horusauge 22. — Sterne, Sothis, Orion 23.

3. Kapitel.

Die großen G ö t t e r des L a n d e s

Götter von Memphis 25. — Götter von Heliopolis 27. — Horusgötter; geflügelte Sonne 28. — Himmelsgöttinnen 30. — Löwengöttinnen 33. — Andere große Götter (Min, Amon, Seth) 35. Thoth 39. — Osiris 40. — Totengötter (Anubis, Up-uat) 42. — Widder und Böcke; Chnum 43. — Krokodilgott: Sobk 44. — Schlangen u. ä. 45. — Gehilfen der großen Götter 46.

4. Kapitel. D i e Religion

weitere

Entwicklung

der

älteren

Götterfamilien und Zusammenfließen von Göttern 49. — Verschmelzung mit Re 49. — Die beiden Reiche 50. — Horusdiener 51. — Horns als Urbild der Könige 51. — König als Gott und Sohn des Gottes 51. — Erzeugung des Königs 52. — Sein Tod und Wiedervereinigung mit dem Gotte 55. — Verhältnis des Königs zu den Göttern 56. — Thoth und die Schreiber;

Inhalt.

X

die Maat 57. — Patrone der Ärzte und Künstler 57. — Gott als allgemeine Bezeichnung 59.

Seite

5. Kapitel.

Die Göttersagen 60 Wesen der Sagen 61. — Entstehung der Welt: Sage von Schmun 61; andere Sagen 62. — Trennung von Himmel und Erde 62. — Keb als Fürst der Götter 63. —• Sieg des Sonnengottes über die Rebellen und aufrührerischen Menschen 63. •—• Entstehung des Mondes 65. — Sage vom Sonnenauge 65; von Tefnet-Hathor 66. Osirissage, Bedeutung und Ursprung 68; ältere Formen 69; jüngere Formen 72. — Märchen von Horus und Seth 75. — Jüngste Formen der Osirissage 83.

6. Kapitel.

Die Theologie 88 Wesen der ägyptischen Theologie 88. — Systeme der verschiedenen Städte 89. — Das von Heliopolis; die Neunheit 89. — „Die memphitische Theologie" und ähnliche Systeme 91. — Auseinandersetzung mit Osiris 93. — Systeme von Schmun und Theben 94. — Entstehung der Dinge aus den Göttern 95. — Seelen der Gotter; heilige Tiere 96. — Seelen des Königs 97 u. a.; Götterlisten 98. — Bearbeitung der Göttersagen 98. — Kommentierung heiliger Bücher 100.

7. Kapitel.

Geschichtliche

Vorgänge

und

ihr

Ein-

fluß 102 Vereinigung der beiden Reiche 102. — Die Sonnenverehrung der 5. Dynastie und ihre Folgen 102. — König als Sohn des Re 103. — Amon Re von Theben 103. — Die Hyksos 104. — Amon Re auf dem Gipfel der Macht 105. •— Umgestaltung seines Wesens 105. — Amon Re als reiner Sonnengott, auch schon als Aton gepriesen 107. 8. Kapitel.

Die Ketzerzeit

109

Die Zeit Amenophis III. 109. — Anfänge des neuen Glaubens 110. — Lieder an die Sonne m . —• Erstes Stadium der Lehre 114. — Feindschaft gegen Amon und andere Götter 115. — Gründung von Teil Amarna 117. — Änderung von Kunst und Sprache 119. — Weitere Änderungen der Lehre 123. — Vorstellungen über die Toten 124. — Die schöne Welt von Teil Amarna und ihr Zusammenbruch 126. Tutanchaton und die Wiederherstellung des alten Glaubens 128. — Eje und Haremheb 129. — Zerstörung der Bauten der Ketzerzeit 130. — Rückblick 131. 9. Kapitel.

T r i u m p h der alten R e l i g i o n

Übermacht des Amon über alle Götter 131. — Das neue Wesen des Amon nach dem Leydener Amonshymnus 132. — Amon, Re und Ptah zur höchsten Gottheit vereinigt 134. —

131

Inhalt. Übergewicht des Amon und dessen Verherrlichung 135. — Erneutes Hervortreten der alten Götter 136. — Osiris 137. — Theben nur noch die heilige Stadt 138.

XI Seite

10. Kapitel. F r ö m m i g k e i t , V o l k s g ö t t e r u n d O r a k e l 1 3 9 Persönliches Verhältnis zum Gott, Gebete 139. — Gebete an Thoth 140. — Denksteine aus der thebanischen Totenstadt 141. — Verehrung alter Denkmäler, große Sphinx, Sachmet des Sahure 144. — Schutzpatrone der Nekropolen 145. — Volksgötter: Toeris, Bes, Patäke u. a. 146. — Fremde Götter 148. — Heilige Tiere und Bäume 152. — Orakel (für den König) 154. 1 1 . Kapitel.

Ethik

157

Wahrheit und Recht als Ideal des Volkes 157. — Auch das Schicksal des Toten durch seinen Lebenswandel bedingt 158. — Das Totengericht und die Sünden 158. — Tugenden der höheren Stände nach ihren Grabschriften 159. — Die Lehre des Ptahhotep 159. — Lehre für Merikare 160. — Lehre des Anli 160. — Lehre des Amenemope und Verwandtes 162. 1 2 . Kapitel. D e r K u l t u s i n ä l t e r e r Z e i t 165 Primitive Anfänge 165. — Grundform der Tempel 166; — Dekoration der Tempel 169. — Obelisken, Statuen, Altar 170. — Sonnentempel 171. — Das Götterbild und die Kapelle 172. — Der tägliche Kultus und sein Ritual 173. — Einwirkung des Totenwesens auf den Kultus 175. — Die Opfer und ihre Benennungen 176. — Räuchern 177. — Lieder zum Preise des Gottes, das Morgenlied; Musik und Tanz 177. Die Festtage 179. — Prozessionen 180. — Einfaches Fest in Theben 181. — Osirisfest in Abydos 182. — Dramatischer Charakter von Festen und Opfern 184. — Jubiläum des Königs 185. — Der König im Kultus 185. Arten der Priester und ihre Organisation 187. — Weihung der Priester, Priesterinnen, Hohepriester 189. — Reinheit im Kultus und Speiseverbot 190. — Verwendung der Opfer 191. 1 3 . Kapitel.

D e r K u l t u s im neuen R e i c h

193

Die Tempelbauten in Theben 193. — Innere Pracht der Tempel 195. — Götterbilder 196. — Gartenanlagen 197. — Üppigkeit der Feste 198. — Das Opetfest 198. Priesterschaft als besonderer Stand 200. — Priesterinnen; Gottesweiber 201. — Laufbahn eines Hohenpriesters 202. — Das Vermögen des Amon und seine Verwaltung 203. — Macht der Hohenpriester des Amon 204. 14. Kapitel.

Der Totenglaube

Die alte Totenliteratur: Pyramidentexte und ihre Vorstellungen 208. — Der „ K a " des Menschen 209. — Die Seele (Ba) 210. — Das Totenreich im Westen 2 1 1 . — Das Totenreich im Himmel 212. — Lehre vom Totengott Osiris 217.

207

Inhalt.

XII

Vorstellungen der jüngeren Texte 221. — Das „Herausgehen am Tage" 223. — Rechtfertigung des Toten 224. — Das Totengericht 226. — Strafen der Sünder 226.—Schicksal des Gerechten 229. — Wünsche der Toten im neuen Reich 229. — Die Bücher von der Fahrt durch die Unterwelt (Amduat) 233. Wirkliche Gedanken über den Tod 238. — Briefe an die Toten 239.

Seite

15. Kapitel. F ü r s o r g e f ü r d i e T o t e n 242 Älteste Gräber 242. — Älteste Königsgräber 245. — Die Pyramiden 246. — Mastaba 250. — Opferspeisen 253. — Totenpriester 254. — Geschenke des Königs für das Grab 255. — Anreden an die Besucher des Grabes 256. — Aufhören von Stiftungen und Verfall der Gräber 257. — Plünderung der Gräber 258. Mumie und Sarg 260. — Eingeweidekrüge 261. — Dienerfiguren u. a. 261. — Schiffe 262. — Vermeidung bestimmter Schriftzeichen 263. — Beigaben 264. — Statue des Toten 264. — Felsengräber 264. —r- Ziegelpyramide 265. — Gebräuche bei der Bestattung 267. — Mundöffnung 267. — Opferritual 268. — Spenden für die Toten im Tempel 268. — Abydos und die Toten 269. Totengebräuche des neuen Reiches 270. — Königsgräber des neuen Reiches 270. — Scheingräber in Abydos 271. — Gärten in der Totenstadt 272. — Gräber der Privaten im neuen Reich und ihr veränderter Charakter 272. — Festliches Totenmahl 273. — Massengräber 274. — MumienfÖrmige Särge 276. — Fabrikmäßige Herstellung der Grabausstattung 276. — Uschebtifiguren 277. — Herzskarabäen u. ä. 279. — Eingeweidekrüge 282. — Totenpapyrus 283. 16. Kapitel.

D i e T o t e n in d e r S p ä t z e i t

285

Fortwuchern der Totenliteratur 285. — Große Grabanlagen der Vornehmen 285. — Altertümelei der Epoche 287. — Pracht der Särge 287. — Amulette u. a. 289. — Armengräber 291. — Geschäftsmäßiger Betrieb der Totenpriester 291. — Totenklage und Trauer 292. — Die Seelenwanderung 293. 17. Kapitel. M a g i e u n d Z a u b e r e i 295 Allgemeines 294. — Zaubersprüche und ihre Formen 296; nach Göttersagen 297. — Bedrohung der Götter 300. — Geheimer Name des Gottes 301. — Zauberworte 303. — Zeremonien beim Zauber; Zauber gegen Krankheit, spukende Tote 305. — Zauber für den König 306. — Für die Götter 307. — Zauberei als Wissenschaft 308. — Zauberfiguren und ä. in den Häusern 309, böser Blick 3 1 1 . — Traumbuch 312. — Tagewählerei 312. 18. Kapitel. zeit

Die

Zeit

des V e r f a l l s

und die

Saiten-

Der Priesterkönig Hrihor 314. — Bau des Chonstempels;

314

Inhalt.

x m

Reise des Unamun 315. — Orakel als ständige Einrichtung 316. — Verfehmung des Seth 318. — Beraubung der Königsgräber 318. Könige von Bubastis und ihr Verhältnis zu Theben 319. — Gottesweiber 319. — Äthiopische Herrscher 320. — Könige von Sais 321. Archaisierende Bestrebungen und ihre Folgen für die Religion 321. — Die Theologie der Spätzeit 324. — Verehrung der alten Weisen 326. — Fälschungen von Inschriften zum Besten eines Tempels 327.

Seite

19. Kapitel. D i e P e r s e r z e i t 331 Kambyses und Darius in ihrem Verhältnis zur ägyptischen Religion 331. — Herodots Bericht über Religion und Kultus, heilige Tiere 333. — Feste und Opfer 335. — Orakel u. a. 337. — Reinheitsvorschriften, Sitten der Priester 337. — Gegenkönige der Perser 338. Das Grab des Petosiris als Denkmal zweier Zeiten 339; seine Lebensauffassung 343. — Papyrus Insinger 344. 20. Kapitel. D i e ä g y p t i s c h e R e l i g i o n in d e n N a c h barländern 346 Kreta 346. — Bestattungsgebräuche in Europa 347. — Palästina und Phönizien 348. — Byblos 349. — Die Oasen 350. — Jupiter Amon 350. — Nubien 351. — Amon als Hauptgott 351. — Könige als Mitgötter 352. — Die Felsentempel 352. — Die Theokratie im späteren Nubien 353. — Das Reich von Meroö 354. — Philae als letzte Zufluchtsstätte der ägyptischen Religion 356. 2 1 . Kapitel. A u s g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e r Z e i t 358 Eindringen der Griechen 358. — Verhältnisse des griechischen Staates zu den Priestern 359. — Asylrecht 359. — Beschränkung der Einkünfte der Tempel 360. — Könige und Kaiser zu Göttern erhoben 360. — Neubau der Tempel 361. — Mendesstele 362. — Dekret von Kanopus 364. — Die Tempel und ihre Darstellungen und Inschriften 366. — Der Tempel von Denderah, seine Anlage 368. — Feste, ihre Gebräuche und Lieder 371. — Fest von Edfu 375. — Osirisfeste 377. — Abaton 378. — Osirismysterien 382. Einführung des Serapis 384. — Serapeum von Alexandrien 385. — Grab und Bestattung des Apis 385. — Serapeum von Memphis und seine Bewohner 387. — Weitere Vermischnung der beiden Religionen 389. — Isis als Hauptgöttin 390. — Das Horuskind u. ä. 392. — Strabos Bericht 396. — Das Vermögen der Tempel 399. — Die Verhältnisse der Priester 400. — Orakel 402. — Wallfahrtsorte 404. — Zauberer 404. — Amulette 405. Neue Ansichten über das Leben nach dem Tode 407. — Bestattung, Pracht derMumien4io.—Beisetzung in der Heimat 413. Mumien von Christen 413. — Allmählicher Abfall vom Heidentum 415. — Stilles Fortleben heidnischer Vorstellungen 417.

XIV

Inhalt.

Seite

22. Kapitel. D i e ä g y p t i s c h e R e l i g i o n i n E u r o p a . . . 4 1 9 Eindringen in die Hafenstädte des Mittelmeeres 418. — Mischung mit griechischen Göttern 420. — Eindringen in Rom 420. — Isis und Serapis als anerkannte Gottheiten 423. — Hadrian und Antinous 423. — Lucians Spott 424. — Plutarchs philosophische Auslegung 425. — Frömmigkeit der gläubigen Isisverehrer 426. — Weihung von Tempeln 428. — Isistempel von Pompeji 429. — Import alter ägyptischer Skulpturen 431. — Form des ägyptischen Kultus in Europa und seine Feste 431. — Die Eingeweihten 434. — Isis als einzige Göttin der Welt 435. — Verbreitung des Isisglaubens durch ganz Europa 439. — Die mystischen Philosophen als letzte Gläubige 439. Anmerkungen

44 1

Register

457

N a c h w o r t von Eberhard Otto

466

Einteilung der ägyptischen Geschichte. Bei dem Mangel genauerer Daten teilen wir die ägyptische Geschichte in Perioden ein, die wir als Reiche oder Dynastien bezeichnen. Hier eine Übersicht der wesentlichen: I. Vorhistorische Zeit (schon eine Zeit höherer Kultur). II. Altes Reich — etwa 3200—2250 v. Chr. 1) D i e d r e i e r s t e n D y n a s t i e n . (Zuerst König Menes, der Gründer von Memphis; — um 3200 v. Chr. —- A m Schluß K g . Zoser (der Erbauer der Stufenpyramide)). 2) D y n . 4: 2720—2560. (Kg. Cheops, Chephren und Mykerinos, die Erbauer der großen Pyramiden). 3) D y n . 5: 2560—2420. (Kg. Sahure, Ne-user-se u. a., eine Zeit der Blüte). 4) D y n . 6 : K g . Teti, Pepi u. a. — Danach um 2250 der völlige Zusammenbruch des Staates. I I I . Mittleres Reich. 1) Nach einer Zeit der Wirren neue Königtümer, so in Herakleopolis (Kg. Merikare) und in Theben D y n . 11. 2) D y n . 12: 2000—1790. Könige namens Amenemhet und Sesostris; die klassische Epoche des Landes. 3) D y n . 13: etwa bis 1700, wo das Barbarenvolk der Hyksos Ägypten erobert. I V . Neues Reich. 1) Befreiung durch die Fürsten von Theben ( D y n . 17; K ö n i g Amosis). 2) D y n 18: 1555—1350. Ägypten als Großmacht. Könige Amenophis und Thutmosis. Wichtig Königin Hatschepsut und K ö n i g Thutmosis III. A m Ende der Dynastie die Ketzerzeit. 3) D y n . 19: 1350—1200. ses II 1292—1225.

K g e . Sethos, Ramses u. a., dabei R a m -

XVI

Einteilung der ägyptischen Geschichte.

4) D y n . 20: 1200—1090, dabei K g . Ramses III und seine gleichnamigen Nachfolger.

(1198—1167)

V . Zeit des Verfalls. 1) D y n . 21: (Priesterkönig Hrihor in Theben und Kge. in Tanis). 2) D y n . 22: — 950—740, libysche Kge. (Scheschonk u. a.). 3) Eroberung durch Äthiopen (Schabako) und Assyrer. 4) D y n . 26: — 663—525 die Könige von Sais, Psametich und seine Nachfolger. 5) Persische Eroberung — 525—332. Dabei die ägyptischen Gegenkönige. V I . Griechische Zeit. 332—30 v. Chr. Alexander und die ptolemäischen Könige. V I I . Römische Zeit, seit 30 v. Chr.

Zur Einleitung. Was der ägyptischen Religion für uns das Interesse verleiht, das ist nicht nur ihr hohes Alter, denn in der langen Geschichte der Menschheit kommt es j a auf ein Jahrtausend mehr oder weniger nicht an. Wohl aber bietet sie uns etwas, was wir sonst nicht so leicht beobachten können; wir können ihre Entwicklung ohne Unterbrechung verfolgen. Wir kennen sie von der Urzeit an, wo der Gott dem Menschen noch ein unheimliches Wesen ist, bis hin zu der Zeit, wo der Gläubige zu dem Gotte in einem persönlichen Verhältnis steht, wo er ihm vertraut und auf ihn hofft, wo er ihn liebt und fürchtet. Wir kennen sie in der Zeit ihres höchsten Glanzes und ebenso in der Zeit, wo der Versuch gemacht wird, sie neu zu gestalten. Wir sehen wie dieser Versuch mißlingt, und nun folgt auf ihn die lange Periode des Niedergangs, die trotz alles Aufflackerns doch zum Ende führt. Dieses Ende aber ist Schwärmerei und Mystizismus. Als das Christentum den ägyptischen Glauben verdrängt, ist er längst zum Untergange reif. Es erschwert die Würdigung der ägyptischen Religion, daß sie wenigstens in ihrer offiziellen Gestalt alle die Torheiten aus ihren Anfängen mit sich schleppt; für dieses Barbarentum sich zu erwärmen, kann man von niemandem verlangen. Es drängt sich j a für uns heute in den Vordergrund, aber in Wirklichkeit hat es für die Ägypter der höher entwickelten Zeit auch nur den überlieferten Hintergrund gebildet, der für ihr wirkliches religiöses Leben so wenig bedeutete als die überlieferten Dogmen für andere Religionen. Eine Darstellung der ägyptischen Religion kann man nun in sehr verschiedener Weise geben. Wer sich auf den Standpunkt der strengen Forschung stellt, der wird sich verpflichtet fühlen, allen den Einzelheiten nachzugehen, die sich uns im Glauben E r m a n , Religion der Ägypter.

1

2

Zur Einleitung.

und im Kultus der Ägypter zeigen, obskuren Göttern und Geistern, Gebräuchen und Festen — damit kann man Bände' über Bände füllen und ein ägyptischer Priester würde seine Freude an diesem gottgefälligen Werke haben. Wen aber nicht ein gelehrtes Spezialstudium zu der ägyptischen Religion führt, der wird lieber auf anderes in ihrer Geschichte achtgeben. Wie das Volk einst seine Götter naiv lebendig schaute und sie in schlichter Weise verehrte; wie es dann später, als seine Gottheiten ihm in ihren Riesentempeln fremd geworden waren, sich bescheidenere Helfer erdachte, die ihm näher standen; wie einmal ein Herrscher den kühnen Versuch gemacht hat, sich und sein Volk von dem Banne des alten Glaubens zu erlösen, wie inmitten all der äußerlichen Vorstellungen vom Leben nach dem Tode, das Gefühl durchdringt, daß dabei die Rechtlichkeit des Menschen doch mehr bedeute als Formeln und Zeremonien — das zu sehen, erscheint uns wichtiger, als wenn wir alle Namen und Abzeichen und Festtage der Götter und Göttinnen kennten. Eines noch bitte ich den Leser dieses Buches zu bedenken: wir werden immer wieder auf das Verworrene und Widerspruchsvolle in den Vorstellungen der Ägypter hinzuweisen haben; diese Widersprüche sind j a in der Tat befremdend groß, aber sie stören uns moderne Menschen doch mehr als eigentlich richtig ist. Denn Unklarheiten und Widersprüche gehören nun einmal zum Wesen einer jeden Religion und wer diese als einen klaren Gedankenbau hinstellen will *), der nimmt ihr das, was eigentlich doch ihre Lebensluft ist: Das Mystische, das Übersinnliche. Das allein macht sie dem Menschen teuer, sie ist nicht aus seinem Verstände entsprossen, sondern aus seinem Gefühl. Und so ist denn auch jede Erforschung und jede Darstellung einer Religion eigentlich »ein Versuch mit untauglichen Mitteln«. Man kann j a alle Götter eines Volkes beschreiben und die Einzelheiten ihrer Kulte, man kann ihren Sagen nachgehen und den Spekulationen ihrer Priester und doch haftet man mit aller dieser Forschung immer an der Außenseite der Religion. O b diese Außenseite so gestaltet ist oder so, das erklärt noch nicht ihre Bedeutung für den Menschen; erst die Empfindungen und Ge*) Wer die Religion, wie das so oft geschieht, systematisch wie ein Anatom seziert, der kommt zu schiefen und platten Ergebnissen: »Leben und Geist entweicht unter dem groben Skalpell«.

Zur Einleitung.

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fühle, die er selbst an diese heiligen Dinge knüpft, sind das Wesentliche für ihn. Nur sie können ihn über das Alltägliche und seine Nöte hinaus heben und nur sie machen die Religion zu dem großen Faktor im Leben der Menschheit. Es ist daher im Grunde gleichgültig, ob der Mensch sich seine Götter so denkt oder so, das hängt nur von der Stufe seiner Kultur ab. Nur wenn wir einmal ausnahmsweise erfahren, was der Gläubige seinem Gotte gegenüber empfindet, stoßen wir wirklich auf den Kern der Religion und das geschieht nur allzu selten. Ich bitte also den Leser, sich dieser Lücke unseres Wissens bewußt zü bleiben und sich diese innere Seite der Religion zu meiner Darstellung hinzu zu denken. Auch das seltsamste Götterbild und der seltsamste Gebrauch gewinnen doch ein anderes Aussehen, wenn man an die Gefühle denkt, die die Gläubigen einst an sie geknüpft haben.

Erstes Kapitel.

Allgemeines. Was der Mensch an höherem Besitz vor dem Tiere voraus hat, das hat sich ihm aus dessen Trieben entwickelt; das Schreien und Rufen des Tieres ist dem Menschen zur Sprache geworden, das herdenweise Zusammenhalten hat ihm die Familie und den Staat ergeben und aus dem dunklen Triebe zur Fortpflanzung sind ihm Liebe und Ehe entstanden. So hat sich denn auch die Angst und die Scheu, die das Tier vor allem Unbekannten empfindet zu einem reineren Gefühl verklärt, zu der scheuen Ehrfurcht, mit der er auf die Gewalten blickt, die in seinem Leben schalten und die er doch nicht begreifen kann. Aus dieser Wurzel ist die Religion entstanden, der Glaube, daß es neben dem Menschen noch Mächte gibt, die gewaltiger sind als er selbst. Wenn er diese Mächte auch nicht zu sehen vermag, allmählich glaubt er sie doch zu kennen, denn unablässig spielt seine Einbildungskraft um sie her und verleiht ihnen Gestalt und Namen. Er denkt sie sich als mächtige Freunde und Feinde nach Menschenart. Er weiß, wie sie aussehen und wo sie wohnen, er ahnt, was sie freuen muß und was sie erzürnen wird, und er ist bemüht danach zu handeln. Freilich gilt das, was wir hier als den Urgrund der Religion bezeichnet haben nur für eine niedrige Stufe der Menschheit. Kommt ein Volk über diese hinaus, so stellt sich auch das unklare Streben nach etwas Höherem ein, das jenseits des Alltäglichen und Gewöhnlichen liegt. Der Mensch will nicht nur einen Helfer haben, der ihn schützt in seinen Nöten, er bedarf auch einer Gottheit, an die zu denken, ihn erhebt, die von dem wirren Getreibe des Lebens nicht berührt wird. Es ist das ein Bedürfnis der menschlichen Natur und in irgend einer Form wird der Mensch sich immer eine Gottheit schaffen — selbst wider seinen Willen.

Allgemeines.

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Wie er diese Gottheit dann sich denkt, ob es e i n Gott ist, oder ob es viele sind, ob sie ein körperliches Wesen ist oder ein geistiges, das ist Sache des Zufalls. Meist ist ihre Gestalt aus älterer Zeit überkommen und entspricht dann scheinbar nicht mehr dem geistigen Standpunkt des Volkes. Auch in unseren heutigen Religionen ist dem nicht anders. Auch wir empfinden beispielsweise Ehrfurcht vor einer Gestalt, die uns eigentlich nur mit Schauder erfüllen sollte. Aber das Herkommen hat sie geheiligt und so ist sie das Symbol unseres Glaubens geworden. In der Religion sind eben alle äußeren Formen nur Symbole, Dinge, an die sich die Empfindungen der Gläubigen knüpfen. Es war nötig, dies voraus zu bemerken, denn immer wieder macht man den Ägyptern einen Vorwurf daraus, daß sie die seltsamen Gestalten ihrer Götter, die durch uraltes Herkommen geheiligt waren, treu beibehalten haben — gewiß nicht weil sie sie als die schönsten und richtigsten erkannt hatten, aber es waren nun einmal die geheiligten Formen. Je nach dem Lande, in dem ein Volk wohnt und je nach dem Leben, das es zu führen hat, wird sich dann auch seine Religion gestalten. An der Küste des Meeres sieht sich die Welt doch anders an, als in einem Urwald oder in einer Steppe und ein Volk, das in festen Sitzen auf guten Äckern lebt, wird sich andere Götter erdenken, als jene armen Stämme, deren Leben nutzlos in Wandern und Kämpfen verrinnt. So hat denn auch die ägyptische Religion ihren eigenen Charakter; er hat etwas ruhiges und entspricht dem friedlichen, arbeitsamen Leben, das die Bewohner des Niltals führen durften. Sie bauten ihr Korn und zogen ihre Rinder und der Strom, an dem sie wohnten, trat alljährlich auf ihre Äcker und ließ Saaten und Kräuter in seinem Schlamme gedeihen. Daneben aber gab es in ihrem Lande auch anderes, was ihr einfaches Gemüt erregen mußte. Da war die Sonne, die in Ägypten so plötzlich hinter den Bergen der Wüste aufsteigt; sie war dem Menschen eine Freundin an den kalten Tagen des Winters, aber sie war es auch, die die sengende Glut des Sommers brachte. Nachts aber zogen über ihn die Sterne hin in der unendlichen Pracht des südlichen Himmels und zwischen ihnen der Mond, der so wunderbar dahinschwand, um eben so wunderbar sich wieder zu füllen. Und dann und wann

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Erstes Kapitel.

brach auch ein Unwetter herein, eines der schweren Gewitter wie sie Ägypten eigen sind; dann rollte der Donner und die Wolken jagten vor die Sonne, als kämpften schreckliche Wesen miteinander am Himmel. Wie sollte das alles nicht die Phantasie einfacher Menschen beschäftigen? Gewiß waren alle diese Wesen große Götter, die größten in der Welt. Aber — und hier tritt ein Bedenken hervor, das wir auch in anderen Religionen antreffen — konnten diese großen Götter, die oben am Himmel die Welt beherrschten, sich auch um das Leben des einzelnen Menschen kümmern? Wenn ein Feind ihn bedrohte oder eine Kuh ihm erkrankte, sollte er sich da an den Sonnengott wenden oder an die Göttin des Himmels? Die standen doch zu hoch und zu fern; da war es besser sich an geringere göttliche Helfer zu wenden, und an denen fehlte es j a glücklicherweise nicht. Denn die Phantasie hatte solche Wesen überall und überall entdeckt und rings u m ihn her gab es Dinge, die dem einfachen Menschen schrecklich waren oder doch verwunderlich. Da waren die Tiere, die seinen Strom bewohnten, sein Land und seine Wüste, vor allem die Krokodile, die Schlangen und die Löwen. Da standen am Wüstenrande einzelne uralte Bäume, von denen niemand wußte, wo sie hergekommen waren, da waren Steine absonderlicher Form, in dem allen mochte j a etwas spukhaftes, übernatürliches stecken. An solche Wesen, die der eignen Wohnung des Menschen nah waren, waf es gut sich zu wenden, sie waren die rechten Helfer in der Not und die konnten sich auch am ersten rächen, wenn man sie etwa gekränkt hatte. So bevölkerte sich denn die Umwelt des Menschen mit allerlei Göttern, die zwar nicht jenen großen Gewalten des Himmels gleichstanden, die aber für sein Leben wichtiger waren als jene. Und wo man sie einmal in ihrer Güte oder in ihrer Bosheit erkannt hatte, da behielt man sie auch in Erinnerung, in der Familie, im Dorfe, im Gaue. Jeder Glaube aber wirkt ansteckend und so verbreitete sich auch die Verehrung dieser kleineren Götter oft weit über ihre ui sprüngliche Heimat hinaus. Selbst über weite Strecken hinweg in entfernte Teile des Landes, denn Ägypten ist j a so, wie kaum ein anderes Land, von einem Schiffahrtswege durchzogen, auf dem der Verkehr niemals abbricht. Und wenn nicht der Gott selbst so wanderte, so verbreiteten sich doch Gebräuche und Vorstellungen, die sich in seiner Heimat an ihn knüpften, auch in andere Gegenden. — So

Allgemeines.

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entstand ein Götterglaube von unendlicher Mannigfaltigkeit; manche Götter wurden nur an einem einzigen Orte verehrt, andere an vielen, manche hatten die gleiche Gestalt aber verschiedene Namen, während in anderen Fällen der gleiche Name verschiedenen Gestalten entsprach. Wie das im Einzelnen so gekommen ist, entzieht sich natürlich der Vermutung. Aber auch die großen Götter der Welt konnten der Verwirrung nicht entgehen. Gewiß hatte man in Sonne, Mond und Himmel überall wo Ägypter wohnten auch große Gottheiten gesehen, aber in einem Land von so großer Ausdehnung konnten die Vorstellungen, die man von ihnen hegte, nicht überall ganz die gleichen sein. Wir werden unten z. B. sehen, daß nach der einen Auffassung ein großer Falke am Himmel hauste, der Sonne und Mond als Augen hatte, nach einer anderen Auffassung fuhren diese Gestirne in Schiffen am Himmel. Auch solche Vorstellungen und Gedanken verbreiteten sich über das Land und man darf sich denken, daß gerade auch Lieder und Bilder zu ihrer Verbreitung beitrugen. So wurzelten solche Auffassungen in Gegenden ein, wo man eigentlich anders dachte; sie traten ruhig neben die älteren Gedanken und man empfand das kaum als Widerspruch. Schließlich bildete sich über das ganze Land ein Glaube, den man als den Durchschnittsglauben der Ägypter bezeichnen könnte, denn in ihm standen die verschiedensten Vorstellungen friedlich nebeneinander, wenn auch natürlich diese oder jene Gegend an der einen oder anderen altgewohnten festhalten mochte. Geschichtliche Ereignisse werden es gewesen sein, die dann diesem fließenden Chaos eine festere Gestalt gegeben haben. So hat es gewiß auf die Religion gewirkt, daß sich einzelne kleinere Teile des Landes zu Staaten ausbildeten, es waren dies die sogenannten Gaue, die in der Regel eine größere Stadt und deren umliegendes Gebiet umschlossen. Es war natürlich, daß der Gott einer solchen Stadt dann auch der Hauptgott für den ganzen Gau wurde und ebenso natürlich war es für seine Gläubigen, daß er gegenüber den Göttern anderer Gaue einen Vorrang beanspruchte. So entstand eine Art großer Götter, die man als Gaugötter bezeichnen kann; sie unterscheiden sich auch dadurch von den anderen, daß sie oft nur nach ihrer Stadt benannt werden, so heißt

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Erstes Kapitel.

Seth z. B. der Herr von Ombos oder auch schlechtweg der von Ombos. Es ist eine Aristokratie von Göttern, die so entsteht. Später ist die staatliche Festigung Ägyptens weiter fortgeschritten und aus den vielen Gauen haben sich zwei Reiche gebildet, das eine im Delta, das andere in Oberägypten. Das mag etwa im vierten Jahrtausend vor Christus gewesen sein. Die Ägypter hatten selbst nur schattenhafte Vorstellungen von dieser Zeit der beiden Reiche, aber ihr politisches Erbe bewahrten sie pietätvoll weiter; nie haben sie vergessen, daß ihr Land eigentlich die beiden Länder heißen sollte und, daß ihr König eigentlich zwei Königswürden in seiner Person vereinigte. D a ß diese beiden Reiche einander bekämpft haben, ist ja an und für sich wahrscheinlich und über dies wird in einem alten Texte auf ihre Kriege angespielt. Und so tritt uns denn auch in dem, was die Religion aus diesen Zeiten bewahrt hat, die alte Gegnerschaft der beiden Reiche durchweg entgegen. Jeder der beiden Teile Ägyptens hat seine eigenen Schutzpatrone, die einander bekämpft haben; jetzt haben sie zwar Frieden miteinander gemacht, aber ein Gegensatz ist doch zwischen ihnen geblieben. — Irgendwie wird es auch mit diesen Kriegen der beiden Reiche zusammenhängen, daß gerade der Schutzgott von Unterägypten, Horns, durch das ganze Land hin als der Vertreter des Königtums gilt. Aber alles dieses liegt jenseits unserer Kunde und wir tun gut, nicht mehr davon wissen zu wollen als das, was sich ohne gewagte Vermutungen ergibt; was das etwa ist, mag man aus den folgenden Kapiteln ersehen. Ehe wir aber zu diesen Einzelheiten übergehen, müssen wir hier noch einiges besprechen, was zum Verständnis der älteren Religion von Wichtigkeit ist. Wir haben schon oben der Tiere gedacht, in deren Gestalt der älteste Ägypter sich gern seine Götter dachte. Es konnten das schreckliche Wesen sein, wie die Krokodile und die Schlangen, oder gute, nützliche wie die Böcke, Stiere und Kühe seiner Herden und es konnten auch andere sein, deren Treiben dem einfachen Menschen zu denken gab. So der Schakal, der so unheimlich abends auf dem Wüstenrande umherhuschte, gerade da, wo man die Toten i m Sande bestattete. Solche Tiere hatten nach der Meinung ihrer Verehrer etwas Göttliches in sich, und wenn ein Gott sich einmal den

Allgemeines.

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Menschen zeigen wollte, so würde er es gewiß in einer solchen Gestalt tun, die seinem Wesen entsprach. Aber natürlich sitzt der Gott nun nicht in jeder K u h oder in jedem Krododil und bei aller Ehrfurcht, mit der ein Gläubiger diese Tiere betrachten mag, das Bedürfnis und die Not sind doch mächtiger als der Glaube, und wenn es eines Tages sein muß, so wird er die K u h schlachten und das Krokodil töten: und das wird kein Frevel sein. Manchmal hält sich eine Stadt wohl auch ein einzelnes Exemplar dieses Tieres, und man nimmt dann an, daß etwas von dem Wesen des Gottes dauernd auf ihm ruhe; für gewöhnlich freilich hat der Gott sich einen anderen Sitz erwählt. Er wohnt in seinem Hause, seinem Tempel; in dem bewahrt man das heilige Bild, auf dem die Seele des Gottes ruht, und das ihn als ein Tier oder als einen Menschen darstellt. Auch das kommt vor, daß man nicht ein Bild von ihm verehrt, sondern irgend einen Gegenstand, der in den Geruch der Heiligkeit gekommen ist. Diese Bilder in den Kapellen der Tempel haben ihre rohe Gestalt zu allen Zeiten bewahrt; sie waren j a etwas Heiliges und an dem darf man nichts ändern. Aber bei anderen Darstellungen der Götter greift doch allmählich eine andere Art durch, sie zu gestalten und an die Stelle der rein tierischen Bilder treten solche, die halbmenschlich sind. Und das mußte j a auch so kommen. Sagte man doch von dem Gotte, er liebe und hasse, er schütze und strafe, er gebe und empfange, dann mußte er doch, denen, die so von ihm sprachen, auch wie ein Mensch vorschweben; zu einem Krokodil, einem Widder, einem Falken wollten solche Ausdrücke doch nicht passen. Nun war man freilich durch tausend Bande der Überlieferung an die alte tierische Vorstellung gebunden und es ging nicht an, mit diesem Herkommen ganz zu brechen. Da half ein Mittelweg; der Gott erhielt zwar dem Körper eines Menschen — er konnte nun umarmen, geben, schützen — aber als sein Antlitz trug er den Kopf eines Tieres. So blieben nun Horus und Chnum zwar der Falke und der Widder, aber sie konnten doch auch alle die menschlichen Handlungen ausüben, die ihnen der Glaube ihrer Verehrer zuschrieb. Es ist bewundernswert, mit welchem Geschick die Ägypter diese Verquickung von Mensch und Tier ausgeführt haben, so gut, daß selbst wir sie kaum als störend empfinden. Wichtiger noch als diese Änderung im äußeren Bilde der

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Erstes Kapitel.

Götter war eine andere, die sich allmählich in der Auffassung ihres Wesens vollzog. Seit manche Götter weit über ihre Heimathinausgewachsen waren, konnten sie auch nicht mehr die beschränkte Aufgabe behalten, die nur für ihren eigenen G a u gepaßt hatte. Sie mußten einen allgemeineren Wirkungskreis erhalten, den Ackerbau, das Handwerk, den Krieg, die Erschaffung der Kinder oder die Bestattung der Toten. U n d was noch wichtiger war: ein jeder dieser Götter sollte jetzt womöglich auch seinen Anteil haben an dem Walten der Natur, an Himmel und Erde und Wasser, an Sonne und Mond. Das ging dann so weit, d a ß schließlich kaum noch ein Gott war, dem seine Gläubigen nicht auch irgend eine solche Rolle zuschrieben. Eine weibliche Gottheit dachte man sich^ mit Vorliebe als eine Göttin des Himmels, eine männliche als einen Gott der Sonne oder des Mondes, unbekümmert darum, d a ß auch schon andere Götter mit den gleichen Ämtern betraut waren, und ebenso wenig störte es, daß dieselbe Gottheit daneben oft auch ganz andere Funktionen hatte, d a ß der C h n u m nicht nur der Bildner und Schöpfer war, sondern nun auch der Gott des kühlen Wassers, d. h. der Nilquellen, das alles mußte sich miteinander vertragen. Die geschützte Lage ihres Landes hat den Ägyptern ein Leben gewährt, das im Ganzen friedlich war; es gab zwar natürlich auch bei ihnen Kriege und K ä m p f e , aber die waren ein Unglück wie andere auch und das Volk nahm wenig Anteil daran *). Das was andere Völker so furchtbar erregt, das Begehren nach blutiger R a c h e ist dem Ägypter immer fremd gewesen * * ) , und damit fehlen auch seiner Religion die schrecklichen Gebräuche, die andere entstellen. Es gibt hier keine blutdürstigen Götter und für ekstatische und orgiastische K u l t e ist hier vollends kein B o d e n * * * ) . R u h i g und vernünftig spielt sich der Kultus ab. M a n behandelt den Gott ganz so wie man einen mächtigen M a n n behandeln würde, dessen freundliche Gesinnung man sich sichern will. M a n reicht ihm Speise und T r a n k und Blumen, man gibt ihm K l e i d u n g und Schmuck und er erhält eine Wohnung, die man sorgsam rein*) Es ist charakteristisch, daß in den unzähligen ägyptischen Inschriften der Ausdruck unsere Soldaten nur einmal vorkommt, und das auch nur in der Grabschrift eines Offiziers. (Urk. I V 7). * * ) Er hat nicht einmal ein rechtes Wort dafür. ***) Ausnahmen mag es j a gegeben haben vgl. Ed. Meyer I 2 , s 68, aber jedenfalls haben sie im ägypt. Kultus keine Rolle gespielt.

Allgemeines.

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hält und mit Weihrauch durchduftet. Daran hat der Gott seine Freude und das vergilt er dem Menschen mit seinem Segen. Diese schlichte, gesunde Verehrung hat sich dann freilich im Laufe der Zeit gesteigert, zuletzt bis ins Unermeßliche, und endlich hat der Kultus mit seinen Festen, und all seinen Gebräuchen auch allerlei Neues in die Religion hineingebracht und sie vielfach umgestaltet. Er hat dabei mit einer Kraft zusammen gewirkt, die unablässig auch an der Umgestaltung der Religion arbeitet. Das ist die Phantasie. Ihr Wirken entzieht sich zwar unserm Auge, aber es ist keine Göttergestalt und wäre sie noch so einfach und noch so trocken, die sie mit der Zeit nicht umgestaltete, sie zieht ihr Rankenwerk um sie her und aus dem Ibis wird ein Mondgott und aus dem Mondgotte der gelehrte Schreiber der Götter. Was wir hier skizziert haben, ist ein Entwicklungsgang, wie ihn mutatis mutandis jede Religion eines großen Volkes durchmacht; unaufhörlich gestaltet sie sich um, solange überhaupt noch Leben in ihr ist. Und auch das ist allen Religionen gemeinsam, daß sie bei dieser Umwandlung nicht leicht das Überlebte abstoßen; auch die höchsten unter ihnen 1 'palkeSCr schleppen Vorstellungen und Gebräuche weiter, die längst nicht mehr zu der geistigen Stufe ihrer Bekenner passen. Die Zeit hat diese Reste der Vorzeit geheiligt und da empfindet man sie kaum als störend. In der ägyptischen Religion ist nun freilich dieses Beharren beim Überlieferten doch noch weiter getrieben als in anderen, und wir sehen immer wieder mit Staunen, wie dieses Volk neues und altes und uraltes nebeneinander pflegt, auch wenn eines das andere geradezu ausschließt. Das verschlägt nichts, da ist eben das Eine richtig und das Andere ist es auch; in das, was das Herkommen geheiligt hat, hat die Vernunft nicht hineinzureden. Die so dachten und danach handelten, waren vor allem die gelehrten Priester, deren Theologie alles wußte und alles verstand. Sie haben den Glauben ihres Volkes durch Jahrtausende gehütet und dafür gesorgt, daß von der Überlieferung der Väter nichts verloren ging. Gewiß hielten ja die Ägypter als ein Bauernvolk gern an dem Bestehenden fest, aber dieses widersinnige Bewahren aller Einzelheiten der Religion und des Kultus war doch so nur in einem

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Erstes Kapitel.

Stande schriftgelehrter Priester möglich. Und auch sie konnten es nur, weil ihnen eines zur Seite stand, was wie ein Fluch auf ihrem Volke lastete: das ägyptische Volk konnte nichts ganz vergessen. Es hatte einst in unvordenklichen Zeiten sich eine Schrift erfunden und hatte damit einen Vorrang vor anderen Völkern erworben, aber es mußte auch das Unglück eines solchen Besitzes auskosten. J e d e neue Epoche seines langen Lebens brachte ihm neue Vorstellungen aber die alten Vorstellungen verschwanden darum noch nicht, sie traten vielleicht zeitweise zurück, aber irgendwie blieben sie doch in Inschriften und Büchern als heilige Besitztümer aufbewahrt und traten dann in einer anderen Zeit wieder hervor. Auch das, was in den Tempelbibliotheken nur noch ein papiernes Dasein führte, konnte so wieder lebendig werden und Einfluß gewinnen. J e d e Epoche vergrößerte so die Menge des religiösen Details, das die ägyptischen Theologen erfreute und uns ein Greuel ist. So besitzen denn die Ägypter ein religiöses Schrifttum, das so umfangreich ist wie das weniger Völker. Es reicht in die älteste Zeit hinauf und jede Periode seiner langen Geschichte hat es vermehrt, bis in die römische Zeit hinein. Manches davon galt als besonders ehrwürdig, als Gottesworte, die Thoth der Gott der Weisheit selbst verfaßt hatte; es waren das also »heilige Schriften«. Aber — und das ist bemerkenswert — zu einer »heiligen Schrift« in unserem Sinne haben es die Ägypter nicht gebracht; sie haben sich nie ein Buch geschaffen, das wie die Bibel oder der Koran als Glaubensnorm galt und das das Leben der Menschen leitete. Und damit hat denn auch ihre Religion immer der Einheitlichkeit entbehrt, sie ist nie ein Glaube mit festen Lehrsätzen geworden, und so weit als unsere Kenntnis reicht, hat niemals ein Weiser oder Prophet versucht, ihre Verworrenheit zu lösen. Ich habe oben (Seite 7) von einem »Durchschnittsglauben« gesprochen, der sich in Ägypten bildete, als die religiösen Vorstellungen der einzelnen Gegenden sich durch den Verkehr über das Land verbreiteten. Bei aller ihrer Verschiedenheit vertrugen sie sich mit einander und als die staatlichen Verhältnisse Ägyptens festere geworden waren, da nahm auch dieser Glaube festere Formen an; es entstand etwas, was man als eine gemeinsame Religion Ägyptens bezeichnen kann. Dogmatisch war sie nicht fixiert und ihre Widersprüche waren nicht ausgeglichen, aber

Allgemeines.

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ihre einzelnen Teile standen friedlich nebeneinander und wer etwa aus dem Delta nach Oberägypten kam, der fand auch dort Gottheiten, die ihm bekannt waren, oder die doch den seinen ähnlich waren. Wenn wir der weiteren Entwicklung der ägyptischen Religion nachgehen wollen, so müssen wir uns erst mit dieser ihrer älteren Stufe bekannt machen und das ist es, was wir in den folgenden Kapiteln versuchen wollen. Freilich ist diese Aufgabe nicht eben leicht, denn in dem ungeheuren Stoffe, den uns die Ägypter in Tempeln, Gräbern und Papyrus aller Zeiten hinterlassen haben, ist es oft sehr schwer, das wirklich Alte zu erkennen. Selbst Inschriften aus griechischer Zeit haben oft Altes bewahrt, was uns sonst nirgends überliefert ist, und wir würden ein sehr schiefes und nur unvollständiges Bild der Religion erhalten, wenn wir ängstlich auf alle späten Quellen verzichten wollten. Auch die müssen wir benutzen, wenn auch natürlich mit Vorsicht. Was wir so gewinnen, ist j a gewiß nicht der reine Glaube einer bestimmten alten Epoche etwa der der ersten historischen Zeit; vielmehr wird das, was wir hier zusammenstellen, etwa dem entsprechen, was ein Ägypter des mittleren Reichs um 2000 v. Chr. geglaubt haben wird. Der würde, könnten wir ihn befragen, wohl finden, daß manches in unserer Darstellung nur ein alter Glaube der Vorfahren sei, den man aber doch nicht verwerfen dürfe; er würde gewiß vieles darin vermissen und zu manchem den Kopf schütteln, aber im Großen und Ganzen würde er doch wohl seinen eigenen Glauben darin erkennen.

Zweites Kapitel.

Die Welt und ihre Götter. Wenn der einfache Mensch über etwas nachsinnt, was er doch mit seinem Verstände nicht recht begreifen k-ann, so nimmt er nicht die Überlegung zu Hilfe, sondern die Phantasie. Er grübelt nicht darüber nach, wie Himmel und Erde gestaltet sein können; in seinem frischen poetischen Empfinden vergleicht er sie mit irgend etwas, was ihm vertraut ist und fragt dabei natürlich nicht, ob der Vergleich in allen Einzelheiten paßt. Er nennt dichterisch den H i m m e l eine Kuh, aber es fällt ihm zunächst nicht ein, dieses Bild nun pedantisch genau zu nehmen und in dem runden Himmelsgewölbe wirklich den haarigen Bauch der K u h mit ihrem Euter zu sehen oder nach ihren Beinen zu suchen. Mit der Zeit wird dem allerdings dann anders; das Bild setzt sich in der poetischen Sprache fest und wird dem Volke immer vertrauter. Zuletzt nimmt es auch die bildende Kunst an; wenn der Maler den Himmel darstellen will, so malt er ihn lieber als eine hübsche Kuh, als daß er das Unmögliche versucht, das Gewölbe als solches zu zeichnen. Damit ist dann das Bild festgelegt und man sagt dann wirklich, daß der Himmel die Gestalt einer K u h hat. Wer naiv ist, nimmt dieses ruhig hin und denkt nicht erst darüber nach, wo die Haare des Kuhbauches sind und wo sein Euter ist. Wozu über etwas nachdenken, was hübsch und poetisch ist, und eine schöne Kuh ist doch etwas, was jedem Ägypter gefällt. So wie hier durch Poesie und Kunst mögen sich auch die anderen Vorstellungen gebildet haben, die man über die Welt und ihre Götter hegte. Wie fest sie im Volke wurzelten, zeigt schon das eben angeführte Beispiel. Als dann eine andere Zeit es vorzog, sich den Himmel als eine Frau zu denken, die sich über die Erde beugt, da erhielt diese, die Himmesgöttin Hathor, entweder einen Kuhkopf oder die Hörner der Kuh. Während der Himmel in beiden Fällen als ein weibliches

Die Welt und ihre Götter.

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Wesen gedacht wird, gilt die E r d e als ein männliches — beides entspricht dem Geschlechte, das die beiden Worte in der Sprache haben. Der Erdgott Keb liegt auf dem Bauche, es ist sein Rücken, auf dem die Pflanzen wachsen, das Weib, das sich über ihn beugt, ist seine Gattin, die Himmelsgöttin Nut. 1 Was zwischen beiden sich befindet, ist ein Raum, der ägyptisch Schu, d. h. die Leere, heißt; auch aus ihm haben Dichtung und Kunst nun eine Gottesgestalt gemacht, er ist ein Mann, der auf der Erde steht und die Himmelsgöttin oder die Himmelskuh mit seinen Armen stützt. 2 Da fast aller Verkehr in Ägypten zu Schiffe stattfindet, so hat man auch gedacht, daß Sonne, Mond und Sterne ihre Wege

Scheibe.

(Grab Ramses' IV.)

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Zweites Kapitel.

am Himmel zu Schiffe zurücklegen; dann aber muß der Himmel doch auch ein Gewässer sein; es ist das kühle Wasser oder das Meer, das unter dem Leibe der Nut ist. 1 Man sieht, wie diese Vorstellungen sich mit einander vertragen müssen; mag es auch ein Meer sein, es bleibt doch immer auch der Bauch der K u h oder der Göttin. Auch der Regen kommt natürlich aus diesem lebenden Wasser, das im Himmel ist. 2 Jünger als alles dieses mögen die rationalistischen Vorstellungen sein, die den Himmel auf vier Bergen ruhen lassen, die in den vier Himmelsgegenden liegen. Oder er ruht auch auf Säulen3 oder auf vier Stützen, während die Erde auf ihren Balken fest liegt. 4 Die Erde selbst, die von einem Ozean, dem großen Kreise5, umflossen ist, zerfällt in zwei Teile; auf den einen, das unfruchtbare rote Land, wo Barbaren vom Regen leben müssen, sieht man verächtlich herab; für den Ägypter gibt es eigentlich nur sein schwarzes Land, dem die Götter, die j a selbst dort wohnen, den Nil gegeben haben, um die Menschen zu ernähren. Sie lassen sein Überschwemmungswasser aus der Unterwelt emporsteigen; es kommt aus dem lebenden Wasser, das in der Erde ist 6 , und quillt aus zwei Quellöchern, die in den Strudeln des ersten Kataraktes liegen. Daß dieses alljährliche Wunder, von dem all ihr Leben abhing, die Phantasie der Ägypter beschäftigt hat, ist begreiflich, und so sollte man denken, daß sie im Nil auch einen ihrer größten Götter gesehen hätten. Dem ist aber nicht so, man opfert ihm zwar und feiert ihn im Liede 7 , ihn, der zu seinen Reiten geht und zu seinen Reiten kommt; der Speise und Nahrung bringt, der im Jubel herbeikommt, süß geliebt, der Herr des Wassers, der das Grünende bringt. Ihm dienen die Menschen und die Götter verehren ihn. Er ist ein junger Gott, den Re aus seinem Besten geschaffen hat. Oder auch wie es in einem uralten Liede heißt, das auf Osiris übertragen ist: 8 Es zittern, die den Nil sehen, wenn er strömt. Es lachen die Felder, es grünen die Ufer. Die Gaben des Gottes steigen hernieder, das Gesicht der Menschen wird hell, und das Herz der Götter jubelt, aber einer der großen Götter ist der Nil nicht und wenn man ihn gelegentlich auch den Vater der Götter nennt, so hat er diesen Namen doch nur von Nun dem Urwasser entlehnt, dem er nach den alten Schöpfungssagen (S. 62) wirklich zukommt. Der Nil hat im Kreise

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Die Welt und ihre Götter.

der Götter eigentlich nur eine dienende Stellung; in den Tempeln steht er in der Tracht der Schiffer und Fischer als ein halbweibliches 1 Wesen vor den großen Göttern und überreicht ihnen die Erzeugnisse seiner Flut. Z u Himmel und Erde gehört als der dritte Teil der W e l t 2 , die U n t e r w e l t das dunkle Reich, wo die Toten hausen. Wie die Phantasie des Volkes dieses Totenreich allmählich ausgestaltet hat, werden wir in K a p . 14 erörtern; hier sei nur darauf hingewiesen, d a ß es in der Welt der Ägypter noch eine andere Aufgabe gehabt hat, als die, die Verstorbenen zu beherbergen. Denn die Unterwelt ist das Land, in welches abends die Sonne versinkt und das sie nachts 4. Der Nil. durchfahrt, u m am Morgen im Osten wiederaufzugehen. Daher muß dort unten auch ein Fluß sein, auf dem die Sonne, so wie a m Himmel fahren kann. Schließlich denkt man sich, daß die Unterwelt nichts weiter sei als ein zweiter Himmel, freilich ein umgekehrter und dunkler; zum Himmel steigst du herauf, zum Unterhimmel steigst du herab, heißt es von der Sonne. 3 V o n allem, was der Ägypter an seinem Himmel erblickt, war das Gewaltigeste das große Gestirn des Tages, dessen Segen und dessen Schrecken j a im Süden ungleich fühlbarer ist, als in unsern Breiten. So tritt denn auch die S o n n e , der Re in den Gedanken der Ägypter überall und überall hervor. Bald ist sie die rote, glühende Scheibe, die in einem Schiffe den Himmel befährt und bald haben Phantasie und Kunst ihr andere seltsame Gestalten gegeben. D a ist der Sonnengott ein großer Käfer, der Chepre, der Skarabäus, d. h. das ägyptische Seitenstück unseres heimischen Mistkäfers; dann wälzt der die Sonnenscheibe vor sich her über den Himmel, so wie seine irdischen Kollegen 5. Das Sonnenschiff, das Vorderteil ist mit einem Teppich behängt. Er man,

Religion der Ä g y p t e r .

ihre Mistkugeln über den Boden ... walzen.

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Zweites Kapitel.

Weiter ist die Sonne ein goldenes Kalb, das morgens von der Himmelskuh geboren wird am Tage wächst es heran und wird ein Stier; der heißt Kamephis der Stier seiner Mutter, denn er begattet die K u h , daß sie am nächsten Tage eine neue Sonne gebäre. Denkt man sich aber den Himmel als eine Frau, so gebiert diese die Sonne als ein Kind und auch das wächst am Tage heran, um dann abends als ein alter Mann in die Unterwelt einzugehen. Diese greise Gestalt der Sonne hat man dann als einen Gott in Menschengestalt, den Atum, in Heliopolis verehrt, während man den Käfer Chepre sich gern als die Morgensonne dachte; nun unterscheidet man die Sonne als Chepre am Morgen, Re am Mittag und Atum am Abend2, freilich auch das ohne Konsequenz 3 .

6. Das Sonnenschiff als Sitz der Weltregierung, Vor dem Gott, der in einer Kapelle thront, steht Thoth als sein Vezier und hält ihm Vortrag. Der Gott ist widderköpfig wie auf seiner nächtlichen Fahrt durch die Unterwelt. (Aus dem Tempel von Wadi Sebua, L D . I I I 1 8 1 . )

Über diese verschiedenen Vorstellungen von der Sonne hat sich denn noch ein andere geschoben, die Sonne ist auch ein Falke oder ein falkenköpfiger Gott, der Horus. Der Name bedeutet wohl eigentlich den Fernen, weil der Sonnengott fern ist von den Göttern 4 ; er sieht auf die Götter hernieder und kein Gott sieht auf ihn hernieder5. Ursprünglich wird man ihn als einen Herrscher des Himmels gedacht haben, der zwei glühende Augen hatte, die Sonne und den Mond. Wenn der Käfer über den Himmel kroch und der Falke über ihn hinflog, so mußte der Sonnengott, wenn man ihn sich als Menschen dachte, ein F l irzeug haben, mit dem er den Himmelsozean befahren konnte 6 . Er hat ein herrliches Schiff; das ist aus Gold 7 und ist 770 Ellen lang und Götter selbst haben es ihm gebaut 8 . Sterne sind seine Mannschaft 9 und alle großen Götter

Die Welt und ihre Götter.

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fahren zusammen mit i h m 1 , dem großen Gotte, dem Herrn des Himmels, der von diesem Schiffe aus die Welt regiert. Denn der Sonnengott ist der Höchste aller Götter 2 . U m die Sonnenscheibe, die der Gott auf dem Haupte trägt, ringelt sich seine furchtbare Dienerin, die Schlange, die seine Feinde mit ihrem feurigen Atem verbrennt. Es ist dieselbe Schlange, die auch der irdische König an seiner Stirn trägt, der sogenannte Uraeus, der dann auch als das Abzeichen der höchsten Macht gilt. Die feindlichen Wesen, die den Gott auf seiner Fahrt bedrohen, sind natürlich die Wolken, aber Re vertreibt das Unwetter, verscheucht den Regen und zerbricht den Hagel 3 . Das Schlimmste von diesen Feinden der Sonne ist die Schlange Apophis, die als der Inbegriff alles Scheußlichen gilt 4 . Aber die Feinde können dem Gotte nichts anhaben, denn die Götter verteidigen ihn, und neben dem Schiffe schwimmt der weissagende Abdufisch, der meldet, wenn ein Feind sich n a h t 5 . Glücklich gelangt die Sonne abends zum Westen und dort an der Bergwand, die die Welt des Ägypters begrenzt, empfängt den Sonnengott die Göttin des Westens 6 . Er verläßt nun seine Tagesbarke, in der er bisher gefahren war und in verdunDer Sonnenkelter Gestalt besteigt er die Abendbarke, um seine 7- gott. nächtliche Fahrt durch die Unterwelt anzutreten. Dort leuchtet er für den großen Gott, der dieses finstere Reich beherrscht, und für die armen Toten in ihren Höhlen. Die begrüßen ihn freudig, sie erheben ihre Arme und preisen ihn und sagen ihm alle ihre Wünsche ihre Augen öffnen sich wieder bei seinem Anblick und ihr Herz jauchzt, wenn sie ihn sehen. Er hört die Bitten dessen, der im Sarge liegt und vertreibt ihr Leid und verjagt ihr Übles. Er gibt wieder Atem in ihre Nasen. Und da die frischen Winde der Oberwelt keinen Zugang in diesen Hades finden, so fassen die Toten den Strick am Vorderteile des Schiffes und ziehen es fort, ganz so wie man auf Erden die Nilschiffe bei schlechtem Winde zieht 8 . Verläßt er dann am Morgen die Unterwelt, so wäscht er sich in dem See Iaru 9 die dunkle Farbe der Nacht ab 10 und tritt dann in seinen roten Gewändern 11 in das Tor des Himmels ein 12 ; n u n zeigt er sich in dem sagenhaften Berge Bech und bringt allen 2*

20

Zweiets Kapitel.

Wesen Leben und Freude. Wenn die Fische am Morgen springen, wenn die Vögel beim Erwachen mit den Flügeln schlagen, so tun sie dies, um dem Gotte zu huldigen und wenn die Paviane beim Aufgang der Sonne kreischen, so gilt auch das als ein Loblied, mit dem sie die Sonne begrüßen *). Auch die Menschen erheben ihre Hände und preisen die Sonne Preis Dir, der im Himmelsozean aufgeht und Ägypten erleuchtet, wenn er hervorkommt. Lob dir, sagen die Götter insgesamt . . . . du schönes, liebes Kind. Wenn er aufgeht, leben die Menschen und die Götter der beiden Hauptstädte erheben ihn. Die Paviane preisen ihn: Preis dir! sagen alle Tiere zusammen. Deine Schlange fällt deine Feinde, du jauchzt in deinem Schiffe, deine Mannschaft ist zufrieden. Du freust dich Herr der Götter, sie preisen dich und die Himmelsgöttin blaut neben dir 2.

8.

Affen beten die aufgehende Sonne an.

(Nach Berlin 7 3 1 5 . )

So wie hier geschildert, dachte man sich in der Regel die täglichen Schicksale der Sonne. Aber daneben standen dann auch noch andere Vorstellungen aus uralter Zeit, die gar nicht zu jenen paßten. Da ist der Gedanke von der Geburt der Sonne, den wir schon oben erwähnten. Abcndlich geht sie in den Mund der Himmelsgöttin ein, in der Nacht hat sie deren Leib durchlaufen und am Morgen 3 wird sie neugeboren. Oder eine andere Vorstellung: die Sonne, die im Westen versunken war, will am Morgen im Osten neu erscheinen. Aber um zum Osten zu gelangen, muß der Sonnengott, ebenso wie alle Menschen in Ägypten, über den Fluß, und dazu braucht er gerade, so wie diese zwei Schilfbündel, die ihn beim Schwimmen unterstützen 4. Wenn die Sonne auch so bei Tag und Nacht bei ihrer Fahrt begriffen ist, so wohnt sie doch wider*) Die Deutung des Treibens der Fische und V ö g e l kennen wir wohl zufällig nur aus späterer Zeit, dagegen ist die Vorstellung von dem G r u ß e der A f f e n alt belegt; wie alt sie sein muß, sieht man schon daraus, daß die Paviane damals noch ein allen vertrautes T i e r sein mußten, während sie in historischer Z e i t in Ä g y p t e n nicht mehr vorkommen.

Die Welt und ihre Götter.

21

sinnig genug in einem besonderen Teile des Himmels. Das ist die Achet, die man sich ursprünglich wohl als eine Insel in den himmlischen Fluten dachte, später aber wird sie zu einem Worte für die Stellen, wo die Sonne auf und untergeht und so pflegen wir denn auch das Wort mißbräuchlich mit Horizont zu übersetzen. Nach diesem seinen Wohnorte heißt der Sonnengott denn auch Harachte, der horizontische Horns, und gerade unter diesem Namen ist er denn einer der Hauptgötter geworden, der große falkenköpfige Gott, den man in Heliopolis verehrte. Nicht selten schreibt man der Sonne auch einen besonderen Palast im Himmel zu; der steht im Felde Iaru 1 oder im Kühlen 2 und heißt die Halle des Atum 3 oder das Haus des Horns 4 . Es ist der Palast des Herrschers der Welt; die Götter gehen dorthin, um Befehle zu empfangen und sie werden dort gespeist 5 — gerade so wie die Vornehmen am Hofe des irdischen Königs. Zu allen diesen Wirnissen kommen dann noch die Vorstellungen, die sich an jenen alten Gedanken eines Himmelsgottes mit leuchtenden Augen knüpfen 6 . Seiner selbst, des Horns, der die Augen vorn hat, wird selten gedacht, aber Sonne und Mond gelten zu allen Zeiten gern als dessen Augen, die Sonne als das Sonnenauge, der Mond als das Horusauge 7 ; an beide hat sich nun allerlei geknüpft, was vernünftigerweise nichts damit zu tun hat, dem aber die Ägypter mit Behagen nachgehangen haben. Zunächst spricht man von dem Sonnenauge gern da, wo man sich das Gestirn als ein furchtbares Wesen denkt, das seine Feinde verbrennt. Da man nun aber das Gleiche von jener Schlange denkt, die am Scheitel des Re ist8, so fließen beide früh zu einem Wesen zusammen 9 . Und weiter wächst die Verwirrung und da der Augen doch zwei sind, so müssen es auch zwei Schlangen sein und der Gott hat seine beiden Augen als seine beiden Schlangen10*). Die Schlange ist j a aber auch das Diadem des Königs, und da der König außer ihr noch eine Krone für Oberägypten und eine für Unterägypten trägt, so können denn auch diese beiden zauberreichen Kronen als die beiden Schlangen und die beiden Augen gelten u . Und selbst damit ist es noch nicht genug, denn wie wir unten sehen werden, entsprechen den beiden Kronen auch zwei Schutzgöttinnen des Königs, ein Geier und eine Schlange, die *) Auch die beiden Schiffe der Sonne werden gelegentlich damit verglichen Pyr. 198 A .

22

Zweites Kapitel.

man sich dann auch beide als zwei Schlangen denkt. Da kann es denn nicht ausbleiben, daß auch eine solche Schutzgöttin zum Sonnenauge wird, und dieses Beiwort führen dann auch andere große Göttinnen. Auch die große Himmelsgöttin Hathor wird ständig so benannt, doch mag hier auch eine andere Verwirrung vorliegen. Bei dieser Zusammenwerfung von Augen, Schlangen, Kronen und Göttinnen entsteht dann oft der seltsamste Widersinn. Da schickt R e z. B. sein Auge aus und es geht und tötet seine Feinde Oder die Schlange, die R e auf dem Haupte trägt, säugt den toten König an ihrer Brust 2 . Oder die Schutzgöttin von Oberägypten ist auch die Krone und das Kopftuch des Königs, sie, die eigentlich Geiergestalt hat, vergleicht man mit einer Wildkuh und denkt sie doch zugleich als eine Frau mit strotzenden Brüsten, an denen der König saugt 3 . Solche Stellen, die es in Menge gibt, darf man freilich nicht zu tragisch nehmen; das Alles gehört nun einmal zu den hergebrachten Phrasen, bei denen man sich nicht viel dachte, und auch nicht viel denken sollte. Wie alle einfachen Völker hat auch das ägyptische an dem M o n d e ein besonderes Interesse genommen. Dieses Horusauge nimmt so wunderbar ab und wächst dann wieder zu voller Schönheit — das kann die einfache Phantasie sich nur so erklären, daß ein böses Wesen das Auge verwundet hat und daß ein gutes Wesen es wieder heilt. Der feindliche Gott ist Seth, der ständige Gegner (S. 37) des Horus, der gute ist der Ibisgestaltige Gott Thoth; der wird darüber dann schließlich selbst zum Gotte des Mondes, zu dem nächtlichen Vertreter des Re, dem Stier unter den Sternen 4. Dieses Horusauge, das Gesunde, wie man es nennt, wird uns noch oft in diesem Buche begegnen, denn es spielt in den Vorstellungen der Ägypter eine große Rolle, ohne daß wir recht ermessen können, woher diese Wertschätzung rührt. Es ist geradezu ein heiliges Zeichen geworden, das man auch als Amulett benutzt Unsere Museen wimmeln j a von solchen Uzataugen. Und weiter hat es auch eine Verwendung gefunden, die so seltsam ist, daß wir sie nicht übergehen können. Da das gesunde, d. h. vollständige Auge den vollen Mond darstellt, so sind die Beamten, die das Korn zu vermessen hatten, auf den schönen Gedanken gekommen, auch einen vollen Scheffel, an dem nichts mehr fehlte so als Uzatauge 5 zu betrachten. Und da dachte man sich weiter,

23

Die Welt und ihre Gotter.

daß die einzelnen Bruchteile des Scheffels, sein Halbes, Viertel, Achtel usw. den einzelnen Teilen des A u g e s entsprechen müßten, und benützte diese einzelnen Striche und H a k e n mit denen m a n das A u g e schrieb, als Zeichen f ü r diese T e i l e des Scheffels. r

ist also die R e l i g i o n

">gar in

Da

die trockenste Prosa des Lebens

eingedrungen. V o n den S t e r n e n wußte man, daß auch sie über das Meer fuhren, das am Leibe der Nut w a r 1 , diese Himmelsgöttin w a r es auch, die sie abends neu gebar und in deren M u n d sie a m wieder

hineingingen2.

Sie waren von verschiedener

Morgen Art;

die

Besten waren die Vernichtungslosen, d. h. diejenigen, die immer sichtb a r blieben, unsere Circumpolarsterne.

U n d auch die Ruhelosen

waren vornehme Sterne, beide hatten die E h r e , den Sonnengott in seinem Schiffe zu begleiten 3 ; ebenfalls dem Sonnengotte nah steht der Morgenstern, der den Gott morgens begrüßt, der Stern, hinter dem Re aufgeht 4 .

D e m fallt es zu, der Sonne morgens ihr Antlitz

6

zu waschen , u n d gewiß ist er auch jener einzelne Stern, der der Sonne ihre Speise bringt 8 , der Weitschreitende, der täglich dem Re die Wegzehrung bringt 7 .

Freilich nicht alle Sterne hatten es so gut

wie die erwähnten, es g a b auch arme, die verfaulten und die vom Himmel

auf die Erde fielen 8 .

Daß

das oft geschah, sah m a n j a

j e d e N a c h t an d e m klaren H i m m e l Ägyptens. es denn auch

an manchen Sternen

D a h e r rühmt m a n

als etwas Besonderes, daß

sie ein Scepter haben, auf das sie sich stützen 9 . Aus

der großen

uns genannt werden den die

Unsrigen

Menge —

der

nur

identifizieren —

dem Volke

seien

etwas bedeuteten

Platz in seiner Religion erhielten. Sirius oder Hundsstern.

Sterne

und

die Wenigsten hier

und die

Sternbilder, können

nur

wir

zwei

daher

die mit

genannt,

auch

einen

D a s eine w a r die Sothis, unser

W e n n dieser Stern sich E n d e J u l i a m

M o r g e n h i m m e l zeigte, so w a r das das Zeichen, daß die

Uber-

s c h w e m m u n g k a m , und so w a r er es, der das neue J a h r brachte und die neuen P f l a n z e n 1 0 .

E i n e ähnliche Rolle spielte dann auch

die große, schreitende Gestalt des Gestirnes S a h , in der wir den Orion zu erblicken pflegen.

D e r brachte die Weinlese

11

mit sich,

die in Ä g y p t e n etwa in den J u n i und J u l i fallt, und damit auch das neue J a h r

12

.

Beide waren heilige Wesen

und

w u r d e n sie auch zwei großen Göttern gleichgesetzt.

schließlich

D a s geschah

in jener Zeit, w o man, wie wir i m K a p i t e l 1 4 erzählen werden,

24

Zweites Kapitel.

sich ein neues Totenreich am Himmel erdachte. D a sah man in dem Heer der Sterne die Menge der seeligen Toten, die nachts bei ihren Lampen wachten. Der Orion aber wurde der Totengott Osiris 1 , die Sothis, die j a neben dem Osiris steht, wurde dessen Gattin Isis, und auch dessen Enkel, die Horussöhne, bekamen einen Platz am Himmel 2. Auf all das Viele, was sonst noch am Himmel erwähnt wird, auf seine Steuerruder 3 , auf seine Kühe 4 und den Himmelsstier und auf alle seine Gewässer und Inseln können wir hier nicht eingehen; manches davon wird bei der Himmelfahrt des Toten zur Sprache kommen.

Drittes

Kapitel.

Die großen Götter des Landes. Was ich im Vorstehenden über die Welt und ihre göttlichen Mächte ausgeführt habe, bildet nur den äußeren R a h m e n der Religion; erst mit den Göttern, denen man i m Tempel dient, denen man opfert und deren Feste man feiert, kommen wir zu der eigentlichen Religion. Die Zahl dieser wirklichen Götter ist Legion, und wenn auch der »vollkommene Widerspruch« hier nicht so groß ist wie bei dem Himmel oder der Sonne, so sind dafür die einzelnen Götter oft in hoffnungsloser Weise zusammengemischt. Nur zu oft weiß man kaum, welcher Gott denn eigentlich gemeint ist, ob der Sokaris oder der Osiris, die Sachmet oder die Bastet, die Isis oder die Hathor — es sind das eben kaum mehr als verschiedene Namen und Bilder derselben Wesen Götter von Memphis und Heliopolis. Beginnen wir mit den Göttern, die in dem Teile Ägyptens verehrt wurden, der zu allen Zeiten sein natürlicher Mittelpunkt gewesen ist und der denn auch für die Entwicklung der älteren Religion bedeutsam war. Es ist das die Gegend des heutigen Kairo, wo die alte Königstadt Memphis lag und die heilige Stadt Heliopolis. Der Gott, den man in Memphis a m meisten verehrte, war P t a h oder wie man ihn auch nannte, der Ta-tenen (S. 89). Sein Bild, das gewiß aus uralter Zeit stammte, stellte ihn als eine rohe, menschliche Figur dar ohne Schmuck auf dem kahlen K o p f e ; die Hände sind auf der Brust zu sehen und halten ein Scepter. Nichts an ihm läßt sein ursprüngliches Wesen ahnen. Er gilt als Bildner der Bildner, der Töpfer der Töpfer 2 , und ist das Vorbild der irdischen Künstler und ihr Patron; auch die Griechen nennen ihn noch den Hephaistos. So schreibt man ihm denn auch die Schöpfung der Welt zu und denkt ihn sich, wenigstens später,

26

Drittes Kapitel.

als jenen Ozean Nun, aus dem alles entstanden sein sollte. Er ist der Vater alltr Götter, der große Gott des Uranfangs, der zuerst existierte als erster Urgott1. So hat er denn auch unendliche Zeiträume oder, wie man ägyptisch sagt, Jubiläen durchlebt, und ist damit auch das Vorbild eines lange regierenden Herrschers. Neben dem Ptah steht in Memphis noch ein Gott mit Falkenkopf, der S o k a r i s . Er galt als ein Gott der Toten, und wenn sein Heiligtum Ro-setau, das Tor der Gänge heißt so, sollte das wohl bedeuten, daß es hier in die Unterwelt hineinging. Aber es ist dem Sokaris 9. Ptah in seiner übel ergangen, sein großer Nachbar, der Ptah hat Kapelle. ihn sich so angegliedert, daß vom Ptah-Sokaris häufiger die Rede ist als vom Sokaris allein 2 . U n d dann kam das Schlimmste, als Osiris der allgemeine Totengott wurde, da wurde Sokaris zum Osiris-Sokaris oder zum Ptah-Sokaris-Osiris. V o n der Göttin, die man in Memphis verehrte, der Sachmet wird unten zu reden sein. Aber eines alten heiligen Wesens müssen wir hier doch gedenken, wenn es auch keinen Anspruch darauf hatte, zu den großen Göttern zu gehören. Das ist A p i s , der heilige Stier, den man 10. Sokaris (Berlin 7299). im Tempel des Ptah hielt, ohne daß wenigstens in älterer Zeit irgend ein Zusammenhang zwischen beiden bestände 8 . Eine solche Verbindung eines Gottes und eines heiligen Tieres braucht j a nicht immer einen inneren Grund zu haben, sie kann auch rein zufällig entstanden und nachher dann durch Zeit und Gewohnheit gefestigt sein. So hat denn auch der Apis in älterer Zeit noch keinen rechten K u l t u s 4 und keine rechten Priester 5 ; dazu hat er es erst in der späten Zeit gebracht, die für die heiligen Tiere schwärmte.

11.

Apis (Berlin 2574).

Noch ungleich wichtiger als Memphis für die Religion war die heilige Stadt O n , oder wie wir sie zu nennen pflegen, Helio-

Die großen Götter des Landes.

27

polis. V o n altersher hatte m a n in ihr den allem V o l k e gemeinsamen Sonnengott R e besonders verehrt, und zwar in einem Heiligtume eigener A r t . Nicht in einem T e m p e l mit einem Bilde, sondern an d e m heiligen Steine Benben, der stand frei unter d e m H i m m e l ; auf i h m sollte einst die Sonne zuerst erschienen sein. H e u t ist diese heilige Stätte längst verschwunden, aber wir können uns einen Begriff v o n ihr m a c h e n aus den Sonnentempeln, die die K ö n i g e der fünften Dynastie nach ihrem V o r b i l d e errichteten. A b e r auch in gewöhnlicher Göttergestalt verehrte m a n dort den Sonnengott. Einmal rein menschlich gebildet als den Gott A t u m , in d e m man, wie wir oben gesehen haben, gern die Abendsonne sah Sodann aber besonders als den Horns vom Horizonte, den H a r a c h t e oder R e - H a r a c h t e , den großen Gott mit d e m Falkenkopfe und der Sonnenscheibe. U n d hier geschieht es dann wieder, d a ß die beiden Götter bald als einer gelten und bald als zwei; i m Gebete redet m a n von i h m als v o n d e m Gotte 12. Denkstein, dem Mnevis von dem unten A t u m - R e - H a r a c h t e , a u f d e m dargestellten Tempeldiener Ken geweiht. Oben räuchert der Hohepriester Prinz d a z u gehörigen Bilde steht Amosis (Berlin 14200). aber R e - H a r a c h t e als ein besonderer Gott vor d e m A t u m 2 . D a ß dieser Doppelgott d a n n a u c h die anderen N a m e n des Sonnengottes R e und Chepre führt, versteht sich von selbst. A u f die Götter, die daneben noch in Heliopolis verehrt wurden, wie die Jusaas und andere brauchen wir hier nicht einzugehen; wohl aber müssen wir auch hier zweier heiliger Wesen geringerer O r d n u n g gedenken, eines Stieres und eines Reihers; der Stier ist der M n e v i s und der Reiher ist der Benu, der als der P h ö n i x sogar noch bei uns weiter lebt. Beide waren not-

28

Drittes Kapitel.

wendige Inventarstücke des Tempels von Heliopolis, der Mnevis so sehr, daß der Reformator Amenophis I V ihn in seinem Sonnentempel von Teil Amarna nicht auslassen konnte, so wenig er auch zu seiner gereinigten Religion passen mochte. Im Übrigen gilt von diesem Stiere alles, was ich oben vom Apis gesagt habe. Den Phönix haben die priesterlichen Gelehrten als den Osiris 1 oder als die Seele des Re gedeutet 2 , was wir wirklich über ihn erfahren, ist, daß er im Tempel von Heliopolis auf einem Baume geboren wird 3 . Vielleicht war das derselbe alte, heilige Baum, auf dessen Blätter die Götter die Namen der Könige schrieben. Der Phönix ist weiter der Herr der Jubiläen4, d. h. der langen Zeiträume und das geht offenbar auf die uns auch von den Griechen überlieferte Vorstellung, daß der Phönix nur nach langen Zeiträumen wiederkehrte, nach fünfhundert oder gar erst nach 1461 Jahren. Er war also gewiß eine Sehenswürdigkeit des Tempels, die nicht immer zu sehen war und so ist man wirklich versucht, für die ganze Sache einen sehr einfachen Ursprung an13. Phönix. zunehmen. Hatten Reiher nicht vielleicht in der Urzeit einmal ahnungslos ihr Nest an so heiliger Stätte gebaut, und war dieses Nest nicht vielleicht für die naiven Besucher des Tempels eine Sehenswürdigkeit gewesen? Lange Zeit mochte es alljährlich bewohnt gewesen sein, dann waren seine Bewohner doch einmal fortgeblieben und die Freude mußte daher groß sein, wenn nach vielen Jahren sich ein solcher Phönix wieder dort einfand; das war dann ein großes Ereignis für die Leute von Heliopolis. Auch sonst mag so manches heilige Stück in den Tempeln aus einer Sehenswürdigkeit entstanden sein; man kannte ihre Bedeutung nicht mehr und ersann sich nun wie überall in der Welt einen übernatürlichen Grund dafür. Horusgötter. Der falkenköpfige Sonnengott H o r u s , den wir als den Harachte 5 in Heliopolis angetroffen haben, mag dort ebenso wenig zu Hause sein wie an den meisten Orten, wo wir ihn in Ägypten antreffen.

Die großen Götter des Landes.

29

D i e eigentliche H e i m a t des Horus wird i m D e l t a gelegen h a b e n ; das möchte m a n schon daraus schließen, d a ß er gleichsam als der Nationalgott dieses Landes gilt, im Gegensatz zu d e m Gotte Seth, d e m O b e r ä g y p t e n zusteht. In beiden Göttern zusammen sieht m a n d a n n den Herrscher Ägyptens, aber in der R e g e l hat Horus allein diese Rolle ü b e r n o m m e n ; vielleicht spiegelt sich d a eine Zeit ab, in der U n t e r ä g y p t e n über O b e r ägypten herrschte. Als nunmehriger Gott der beiden L a n desteile mußte Horus aber auch in O b e r ä g y p t e n eine Stadt h a b e n ; sie lag unweit der dortigen Hauptstadt und hieß N e c h e n oder, wie die Griechen sie nennen, Hierakonpolis, die Stadt der Falken. Das älteste Heiligtum des Horus wird sich in der Stadt Behedet, d e m heutigen D a m a n h u r im D e l t a befunden haben, u n d

14.

Der Sonnengott von Edfu.

nach ihr führt er den N a m e n Behedeti, d. h. der von Behedet. D a n n aber hat er auch eine oberägyptische Stadt, das heutige E d f u für sich gewonnen, die nimmt dann auch den N a m e n Behedet an, und ihr Gott, die geflügelte Sonne, heißt nun ebenso wie der Horus Behedeti, der von Behedet, d. h. der v o n Edfu. M i t dem wirklichen Horus hat er keine Ähnlichkeit, es ist eine Sonnenscheibe mit zwei großen bunten Flügeln die als der Buntgefiederte über den H i m m e l flog. Sein T e m p e l ist uns noch heute in voller Pracht erhalten, wenigstens so, wie ihn die K ö n i g e der griechischen Zeit wiederhergestellt haben. Uns ist dieses Bild des Gottes von E d f u besonders vertraut, denn wir begegnen i h m über den T ü r e n aller T e m p e l Ägyptens; d a sollte er den Bösen das B e t r e t e n d e s Heiligtums verwehren. Neben den wirklichen Horusgöttern gibt es nun noch eine M e n g e von Göttern, die auch diesen N a m e n tragen. Einige, die die Sonne oder ein Gestirn bezeichnen 2 , werden mit R e c h t so heißen, bei anderen wird der berühmte N a m e auf einen Gott übertragen sein, der eigentlich mit Horus nichts zu tun hatte« I m einzelnen können wir natürlich hier schwer entscheiden.

30

Drittes Kapitel.

Besonders volkstümlich wurde Horus, als m a n ihn in die Osirissage hineinzog, wo er als ein armes Waisenkind, Horus der Sohn der Isis, Harsiesis das Mitgefühl erregte. I m Gegensatz zu diesem Säugling nannte m a n d a n n den Horus, wie m a n ihn als Krieger in Letopolis u n d an anderen Orten verehrte, den großen Horus, den Harueris Gewiß nicht ursprünglich wird es sein, wenn m a n den Kentechthai, den Gott der Deltastadt Atribis als Horus bezeichnet u n d ebenso wenig ist es richtig, wenn der Gott Sopdu meist HorusSopdu heißt. Diesen letzteren verehrte man im Osten des Delta, d a wo die Straße nach Palästina abging und so wurde er der Schutzherr der dortigen Wüste. I m ganzen kann m a n sagen, d a ß es nicht viele große Götter gegeben h a b e n wird, die nicht die Ehre gehabt haben werden einmal auch Horus zu heißen. Himmelsgöttinnen. Ganz ähnlich, wie m i t den Horusg.öttern, steht es n u n auch mit der Göttin des Himmels. Zwar in ihrem alten Namen N u t war ihre Verehrung eine beschränkte geblieben 2, desto größere Verehrung genoß sie aber unter d e m N a m e n H a t h o r , dieser Name, das Haus des Horus 3 gehörte zu der alten Vorstellung von d e m himmlichen Falken Horus, während ihr Bild mit den K u h hörnern u n d K u h o h r e n l , zuweilen ist es auch ein ganzer K u h k o p f 5 , von der Himmelskuh herstammt. Ihren ursprünglichen Charakter einer Himmelsgöttin h a t H a t h o r d a n n mehr und mehr aufgegeben. D a ß sie einst, wie es j a der Himmelskuh zukam, die Sonne, oder wie die Ägypter sagten, das Sonnenauge 6 , zwischen ihren Hörnern getragen hatte, verstand m a n nicht mehr recht, u n d nannte nun die H a t h o r selbst das Sonnenauge. Es wird dies geradezu ihr gewöhnliches Beiwort. N u r weniges behielt sie von ihrer alten Rolle, vor allem den Anspruch, die Oberste aller Göttinnen zu sein, u n d ebenso die Vorstellung, d a ß die Sonne nachts irgendwie in ihr verschwinde; d a r a u f h i n gilt sie d a n n als eine Göttin des Westens, die an der Bergwand steht u n d die Sonne u n d die Toten in die Unterwelt einläßt. Auch zur Liebesgöttin 7 wurde sie, die heitere Göttin der Frauen, die sie zärtlich das Gold nennen; wenn die Griechen sie später als Aphrodite ansehen, so ist das nicht unrichtig. So dienen ihr denn die F r a u e n 8 u n d feiern sie mit Tanz, Gesang, d e m

Die großen Götter des Landes.

31

Klappern ihrer Sistren, dem Rasseln ihrer Halsketten und dem Trommeln ihrer Handpauken. Wenn die Hathor daneben auch einmal als Kriegerin auftritt, so geschieht dies wegen ihres Namens Sonnenauge; sie bekämpft dann wie dieses die Feinde des Re. Da Hathor eine Göttin geworden ist, die den Frauen nahe steht, so muß sie auch wie diese ihr Kind haben, und da gibt man ihr einen göttlichen Knaben, den Ihi auf ihren Schooß vielleicht, daß die Isis (vgl. S. 33) mit dem Horuskinde dafür als Vorbild diente. Aber dieser kleine Ihi ist nie so volkstümlich geworden wie der kleine Horus, dafür hat Hathor aber dem Volke andere Wesen gegeben, die wenigstens in späterer Zeit ihm vertraut waren. Das waren die sieben Hathoren, sieben Göt' ^ tinnen, die ebenso wie der Ihi, die große Hathor durch Musik und Tanz erfreuen 2 . Die schützen die Menschen 3 und sagen den Neugeborenen ihr Schicksal voraus 4. Die eigentliche Heimat der Hathor scheint Oberägypten zu sein. Dort in 1 5 . Hathor. 16. Hathorkopf. Atfih hieß sie noch die Erste (Nach einem Kapitell aus Bubas tis.) der Kühe, sie hatte also noch einen Namen, der sich auf ihre alte tierische Gestalt bezog. — Eine andere Hathor, die die Herrin der Sykomore hieß, wurde südlich vom Tempel des Ptah bei Memphis verehrt. Sie mag eigentlich nur ein alter heiliger Baum gewesen sein, wie das Volk sie heute noch in Ägypten verehrt, und in der Tat war gerade diese Herrin der Sykomore5 eine volkstümliche Göttin, auf die die Frauen vertrauten 6 . Aber der Sitz ihres Kultus, an den wir heute vor allem denken, wenn wir von der Hathor sprechen, ist die Stadt Denderah, wo noch jetzt ihr Tempel steht; freilich ist er ebenso wie Edfu und andere Tempel ein Neubau aus griechischer Zeit. Wie volkstümlich die Hathor war, sieht man auch daraus, daß man sich auch die Göttinnen fremder Länder als eine Hathor denkt 7 . Ebenfalls eine Herrin des Himmels ist die Göttin Mut,

32

Drittes Kapitel.

die man in Theben verehrte, ihr N a m e bedeutet Mutter und wenn ein später T e x t dies als die Mutter der Sonne, in der diese aufgeht, erklärt, so liegt darin gewiß eine richtige Überlieferung Für gewöhnlich ist M u t freilich zu einer Göttin des Kampfes wie die Sachmet geworden und wird wie diese daher auch löwenköpfig gebildet. In späterer Zeit, als T h e b e n zur Hauptstadt geworden war, genoß sie als Gattin des Reichsgottes A m o n des höchsten Ruhmes; da wird sie dann als eine Königin dargestellt und trägt die Krone, die sie den Herrschern ihrer Stadt erworben hat (vgl. auch das Titelbild). A u c h als G e i e r 2 fliegt sie a m Himmel und gewiß ist ihr die Göttin N e c h b e t , die auch als Geier gebildet wird, gleichgesetzt; die ist eigentlich namenlos, denn ihr Name besagt nur, daß sie zu der Stadt Necheb, der alten Hauptstadt von Oberägypten, gehört. Als Göttin der Residenz ist sie denn auch die Patronin des dortigen Herrschers, die schützend über ihm schwebt 3 . Ebenso hat der K ö n i g von Unterägypten in seiner Residenz eine solche Patronin, die U t o oder, wie wir sie nach einer griechischen Verwechslung nennen, die Buto. Sie hat die Gestalt einer Schlange, und man liebt es nun, diese beiden Schützerinnen des Königs zusammen als zwei Schlangen oder als zwei Geier darzustellen. Wir haben oben (S. 21) gesehen, wie diese beiden Göttinnen in die große Vermischung der Schlangen und A u g e n hineingezogen wurden und auch die ^auberreichen, d. h. die Kronen des Königs werden mit diesen Göttinnen 4 zusammengeworfen. Die berühmteste aller Göttinnnen, die I s i s , stammte aus dem Delta 5 und scheint wieder aus einer Göttin des Himmels entstanden zu sein 6 . Sie ist I s i s , auf dem K o p f e trägt . . s i e das Schriftzeichen ihres aber in die Osirissage hineingezogen und Namens. 17.

Die

Schutzgöttinnen Buto

und Nechbet.

l 8

Die großen Götter des Landes.

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hat darüber ihren eigenen Charakter verloren; sie ist nur noch die treue G a t t i n des Osiris u n d die sorgsame Mutter des Horus. D a ß aber ihr K i n d gerade diesen N a m e n des Sonnengottes führt, spricht dafür, d a ß auch Isis ursprünglich einmal die Himmelsgöttin gewesen ist, die j a den Sonnengott täglich gebiert. I n einer vielgestaltigen Rolle tritt uns die große N e i t h v o n S a i s entgegen. Deutlich ist, d a ß sie eine Kriegsgöttin ist, denn 2 Pfeile oder Pfeile und Bogen sind ihr A b z e i c h e n . U n d w e n n m a n von ihr sagt, d a ß sie den Weg bahne, so bedeutet das auch, n a c h d e n ägyptischen Phrasen, d a ß sie vor d e m K ö n i g e in der Schlacht einherschreitet 1 . D a b e i trägt sie die K r o n e von U n t e r ä g y p t e n und ist also eine Vertreterin dieses Landes. A b e r sie m u ß a u c h eine Göttin der Ü b e r s c h w e m m u n g sein, der die Ufer gehören, w ä h r e n d die Krokodile auf den S c h l a m m b ä n k e n liegen 2 . U n d d a m a n sich, wie wir sehen werden, eine Flut als das Chaos denkt, aus d e m die Himmelskuh u n d alles entstanden ist, so heißt die Neith n u n auch die Kuh, die die Sonne gebar3 oder die Mutter, die die Sonne gebar, die zuerst gebar, ehe denn geboren wurde 4 . M e r k w ü r d i g ist, d a ß sie dann gerade in alter Zeit nach A r t der H a t h o r von den Frauen besonders verehrt wird; sie dienen ihr und werden nach ihr genannt s . Löwengöttinnen. D i e mancherlei Göttinnen, die uns als L ö w i n n e n oder doch löwenköpfig entgegentreten, w a r e n wohl alle ursprünglich schreckliche Wesen, die die Feinde vernichteten. A b e r unter den friedlichen Verhältnissen Ägyptens hat sich dieser Z u g allmählich verloren; die Pachet von Benihassan, die Mehit v o n T h i s sind in der Hauptsache nur Göttinnnen ihrer Landschaft wie A n d e r e auch. D i e P a c h e t 6 haust auch in der östlichen Wüste und durchzieht deren T ä l e r . Sie ist es, die nach den Gewittern die verheerenden R e g e n b ä c h e aus der Wüste strömen läßt. D i e L ö w i n T e f n e t hat sich in der Sage z w a r noch ihre Furchtbarkeit bewahrt, aber in der V e r b i n d u n g mit ihrem G a t t e n , dem Gotte Schu, hat auch sie ein anderes Wesen erhalten. S c h u war, wie wir oben gesehen h a b e n , ein Gott der L u f t , der den H i m m e l t r u g 7 (S. 15); wie es k a m , d a ß m a n ihn der Tefnet beigesellte und ihn wie diese gestaltete, a h n e n wir nicht. G e n u g , die Beiden bilden das Löwenpaar, das Erman,

R e l i g i o n d e r Ägypter.

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Drittes Kapitel.

man in Leontopolis im Delta verehrte, und in diesem Paare nimmt nun auch die Tefnet an der friedlichen Aufgabe ihres Gatten teil, beide zusammen tragen den Horizont. Übrigens hat Schu dann, wie wir unten sehen werden, in der Göttersage einen besonderen Zug erhalten und der hat ihm den Beinamen Onuris eingetragen, unter dem er besonders im neuen Reiche ein volkstümlicher Gott geworden ist. Deutlich hat nur die große Sachmet die Mächtige, die in Memphis verehrt wurde 1 ihre Schrecklichkeit bewahrt. Sie ist die Göttin der 19- Sachmet. Schlachten; daß sie dabei auch, wie die Uräusschlange des Königs, Feuer speit 2 , paßt zwar nach unserem Gefühl nicht recht zu einer Löwin, gehört aber zu den ägyptischen Phrasen. Merkwürdig ist es nun, daß diese Sachmet ein Seitenstück in der Göttin B a s t e t h a t ; die ist ihr äußerlich zum Verwechseln ähnlich, denn Katzenkopf und Löwenkopf sind in der ägyptischen Kunst schwer zu unterscheiden, aber ihr Wesen ist dem der Sachmet gerade entgegengesetzt. Auch die Ägypter selbst haben dies empfunden und sprechen von beiden auch als von 20. Bastet. einer Person, die freundlich ist als (Berlin 11354). 3 Bastet und schrecklich ist als Sachmet. Bastet ist wie Hathor eine Göttin der Fröhlichkeit, die man mit Tanz und Musik erfreut. Katzenköpfig, die Sistrumklapper der Tänzerinnen in der Hand, am Arm einen Korb, das ist ihr gewöhnliches Bild, auch den Löwenkopf der Sachmet hält sie in der Hand, als wollte sie zeigen, daß auch ihr solch ein schrecklicher Kopf zustehe. Einen rechten Namen hat sie nicht, denn das Bastet be2i Nephthys- deutet n u r > daß sie die Göttin der Stadt Bast ist 4 . auf dem Kopfe Eine Göttin, die zwar in der Sage oft als S1< d i e "i^-r r, Schnftzeichen

ihres Namens,

Schwester der Isis genannt wird, von derem ur. sprünglichen Wesen wir aber gar nichts wissen, ist

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die N e p h t h y s ; ihr N a m e bedeutet die Herrin des Hauses; einmal begegnen wir ihr als einer Göttin des Schreibens (S. 54). Nicht besser steht es mit der Skorpiongöttin Selket. Erwähnen wir dann noch, d a ß auf den Inseln des Kataraktes zwei Göttinnen hausen, die Satis und die Anukis, so haben wir z w a r nicht alle, aber doch die wesentlichsten dieser göttlichen D a m e n aufgeführt. Wir können uns n u n wieder den Göttern zuwenden, von denen bei der oben gegebenen A u f z ä h l u n g einige Wichtige zurückgeblieben waren. A n d e r e große Götter. D a m a g M i n den A n f a n g machen, der in mancher Hinsicht unser besonderes Interesse verdient. D e r ist der große Gott, d e n m a n in d e m breiten Landstriche von A c h m i m und Koptos, von T h e b e n und Hermonthis verehrt hat. E r wird ithyphallisch gebildet mit zwei hohen Federn auf dem H a u p t , den rechten A r m , der eine Geißel hält, reckt er empor, er ist eine A r t Priap, ein Gott der Z e u g u n g , der die Weiber raubt, und Herr der Mädchen Wenn er so auch seine eigene Mutter begattet 2 , so ist das j a eine Vorstellung, die ursprünglich dem Sonnengotte eignet; wir sehen eben i m m e r wieder, wie all diese Götter aufeina n d e r einwirken u n d einander umgestalten.

22. Min. (Nach Berlin 2439.)

A b e r dieser Gott der Zeugung, der Pan, wie ihn die Griechen nennen, ist auch ein Gott der Fruchtbarkeit und sein großes Fest erscheint uns in einem Z u g e geradezu als ein Dankfest nach vollendeter Ernte. Z u dieser Rolle des M i n trat dann noch eine g a n z andere, er wurde der Herr der östlichen Fremdländer. Man verehrte ihn j a an jener Stelle Oberägyptens, wo Nil und Rotes M e e r sich einander nähern und wo daher zu allen Zeiten die K a r a w a n e n s t r a ß e zu der Welt des Ostens und zu den Wüsten des Südens hinführte. Wer diese Straße betrat und sich damit in das unsichere Gebiet der räuberischen T r o g o d y t e n begab, d e r empfahl sich in Koptos, ehe er das Niltal verließ, d e m dortigen 3*

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Gotte, dem Min. So wird dieser zum Gotte der östlichen Wüste, zum Herrn des Lapis lazuli und des Malachits und zum Herrn der Fremdländer. Er ist reich an Wohlgeruch, wenn er aus dem Matoilande Noch die Griechen verehrten herabsteigt, und angesehen in Nubien ihn hier als den Pan euhodos, den Gott, der eine gute Reise gibt. Wie alt diese Auffassung des Min ist, sehen wir an den uralten Statuen desselben, die Petrie in den Fundamenten des Tempels von Koptos gefunden hat; selbst diese rohen Bilder der Urzeit zeigen schon an ihren Gürteln Muscheln, Elefanten und Berge, also die Dinge, zu denen die Straße von Koptos hinführte. Übrigens wird ein uraltes Heiligtum des Min am Eingange des Gebirges selbst gelegen haben, denn hinter seinem Bilde pflegt man eine Kapelle darzustellen, die in einen spitzen Felsen gehauen ist. Bemerkenswert ist auch, daß bei seinem Feste ein Barbar auftritt, während andere an einem Gerüste klettern. Man möchte glauben, d a ß die Stämme der benachbarten Wüste auf ihre Art an dem Feste teilgenommen haben 2 . D a ß der Min einstmals auch in dem Eingang steht als Schmuck Theben verehrt worden ist, steht zu ein Mast, der Stierhörner und eine Sonne trägt. (Nach Denkmälern vermuten, denn wir treffen hier oft des m R.) auf einen Gott, der ebenso aussieht wie er und der auch als ein zeugender Gott, der Stier seiner Mutter, der Kamephis, gilt. Seinen alten Namen hat er freilich abgelegt, denn, wie wir unten sehen werden, ist seine Stadt zu der gewaltigen Hauptstadt geworden und da mußte er einem neuen Gotte Platz machen, dem großen A m o n . Der hat zwar einzelne Züge von seinem Vorgänger bewahrt, aber im ganzen ist er doch ein anderer Gott von dezentem Aussehen geworden und es ist nur eine schwache Erinnerung an sein ursprüngliches Wesen, wenn er noch Armerheber heißt und wenn man von ihm rühmt, daß die Pflanzen frohlocken über ihn auf allen seinen schönen Feldern 3 . Wir werden im Verfolg des Buches noch oft auf ihn zurückzukommen haben. Auch den weißen Stier, der zu dem Min gehörte, hält man seinem Nachfolger in Theben nicht mehr

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u n d nur in den Nachbarorten M e d a m o t u n d Hermonthis wird ein solcher, der heilige Stier Buchis, auch in später Zeit noch verehrt. V o n einem anderen Gotte der thebanischen Landschaft, d e m Mondi, würden wir m e h r zu sagen wissen, wenn nicht die Barbaren des neunzehnten Jahrhunderts seinen T e m p e l z u m B a u einer Zuckerfabrik abgerissen hätten. So wissen wir fast n u r 1 , d a ß es ein alter falkenköpfiger Gott war, ein G o t t des Krieges, das V o r b i l d der siegreichen Könige. D e r große Gott Seth, dessen wir oben als des Vertreters von O b e r ä g y p t e n gedachten, erscheint uns i m ganzen als ein Wesen, das m a n mehr fürchtet als liebt. W e n n er a u c h (vgl-auch das Titelbild.) nicht so wie in später Zeit geradezu ein böser Gott geworden ist, (dazu hat ihn erst die Osirissage g e m a c h t ) 2 , so ist er doch ein Gott des Unwetters 3 , er brüllt a m H i m m e l 4 , der D o n n e r ist seine Stimme 5 und durch ihn bebt die E r d e 6 . U n d so ist er es denn auch, der den M o n d , das arme A u g e des Horus (S. 22) immer wieder beschädigt. W e n n Seth auch sonst als G e g n e r des Horus erscheint, so spiegeln sich darin g e w i ß Erinnerungen wieder an eine Zeit, wo die K ö n i g e von Unterägypten unter d e m Schutze ihres Gottes Horus gegen die von O b e r ägypten kämpften, denen ihr Seth beistand. D a n n h a b e n sich die beiden alten R e i c h e einmal vereinigt, und so denkt m a n sich, d a ß ihre beiden Götter nun auch Frieden geschlossen haben, und denkt sie als ein G ö t t e r p a a r 7 , das zusammen als die beiden Herren Ä g y p t e n besitzt. D e m Seth gehört nach der Theorie O b e r ä g y p t e n 8 , die Sethischen Stätten9, d e m Horus das Delta, die Horischen Stätten. A b e r in Wirklichkeit hat Horus das bessere Los gezogen, denn er ist der allbekannte Gott des Königstums geworden, während sein Bruder10 Seth sehr zurücktritt. (Berlin 13186.) W ä h r e n d m a n den K ö n i g ständig d e m Horus

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gleichsetzt, geschieht dies bei Seth nur ausnahmsweise 1 . A m häufigsten noch im Titel der Königinnen, die sich rühmen Horns und Seth geschaut zu haben', da sollen die beiden Götter zusammen ihren königlichen Gatten bezeichnen. Und noch mehr. In den Titeln des Königs spricht man sogar aus, daß Seth eigentlich dem Horus unterlegen ist, denn wenn man den König als Besieger der Feinde rühmt, so schreibt man dies in alter Schrift mit einem Falken, der auf dem Goldzeichen steht,

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26.

1 yi, !..."'/' 'S

Das T i e r des Seth (a nach einem Grabstein der ersten Dynastie Berlin 15484, b aus dem alten, c aus dem neuen Reiche).

dieses Goldzeichen aber bezeichnet den Gott von Ombos, das heißt den Seth. Horus steht also triumphierend auf seinem Gegner 2 . Sonst treffen wir den Seth als das Vorbild der Kraft 3 ; als einen Krieger, der den König das Bogenschießen lehrt; wie der Sonnengott hat auch er eine Schlange, die ihm im Kampfe beisteht. Merkwürdig ist auch das Tier, unter dessen Bilde man den Seth ursprünglich verehrte und dessen Kopf er auch trägt. So wie es dargestellt wird, wird man es in der Fauna Afrikas vergebens suchen. Die späteren Ägypter haben es als einen Esel gefaßt, und in der Tat gleicht es in seinem ältesten Bilde immer noch am ersten

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einem solchen. Vielleicht hat man dieses Tier einmal absichtlich als einen Gott der Feinde so karikiert, steckt doch zuweilen statt des Schwanzes in ihm ein Pfeil. U n d noch eines bleibt bei diesem seltsamen Gotte zu erwähnen: als seine Farbe gilt das Rot, das sonst den Ägyptern verhaßt ist. Er hatte rote Augen und war selbst rotfarbig 2 . Was er Böses tat, waren rote Dinge 3 ; wenn man statt derer ihn auch einmal grüne Dinge, d. h. Segensreiches tun läßt 4 , so ist das nur ein Euphemismus, wie er in den alten Gräbern so oft vorkommt; man mag eben dem toten Könige nicht mit unangenehmen Zeichen und Worten auch in seinem Grabe beschwerlich fallen. Wenn Seth im Laufe der Zeiten immer mehr zu einem Feinde des Guten wurde, so wurde ein anderer Gott zu einem treuen Freunde für Götter und Menschen. Das war SjTr T o t h , den man einst als Ibis im Delta verehrt hatte, der dann aber in Schmun in MittelmÄR ägypten eine neue Heimat gefunden hatte. Seine Gläubigen hielten ihn für den Gott / ^Ji des Mondes und dachten, d a ß er sein Gestirn y / \ j f j nach dessen Schwinden allmonatlich wiederherstelle. Er macht es aber wieder zu dem ly i||l »unverletzten Horusauge«, dem vollen Mond. I / n= So regelt er denn auch die Zeiten und ist ß^Jj [ der Vertreter der Ordnung in der Welt. Er / Ii ist der Rechner und Schreiber der Götter und 27- Thoth. damit auch, wie wir das unten sehen werden, der Patron aller derer, die in dem schreibseligen Ägypten schreiben. A u c h in die Sage von der Weltentstehung und in die des Osiris ist er hineingezogen. Wie es kommt, daß man ihn neben seiner Ibisgestalt auch als einen sinnenden Pavian bildet, wissen wir nicht; möglich d a ß das einmal ein anderer Gott war, der mit dem Thoth zusammengeflossen ist. Jedenfalls war Thoth nicht der einzige Gott des Mondes, und in Theben verehrte man einen solchen unter dem Namen des C h o n s (vgl. das Titelbild), d. h. des Durchwandelers 5 des Himmels. D e n dachte man sich rein menschlich, als ein K i n d , wohl weil man ihm die dortige Himmelsgöttin die Mut, zur Mutter gab. Die Bedeutung des Thoth hat er aber nie erlangt.

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U n d hier, wo wir a m Ende der vornehmen Götter stehen, müssen wir doch noch kurz desjenigen Gottes gedenken, in dem man früher den Mittelpunkt der ägyptischen Religion zu sehen pflegte, des O s i r i s . Das war er nicht, aber durch den großen Einfluß, den seine Sage auf die Religion und auf die Vorstellungen vom Leben nach dem Tode ausübte, hat sich freilich sein Bild so in den Vordergrund geschoben, daß er uns als eine der wichtigsten Personen in der ägyptischen Götterwelt erscheint. Wir werden das in Kapitel 5 u. a. besprechen. Hier sei nur auf einige Züge hingewiesen, die uns heute als besonders charakteristisch in dieser mannigfaltigen Gestalt erscheinen; in wie weit sie ursprünglich sind, oder ob sie erst aus seiner Sage herausgesponnen sind, stehe dahin. Osiris ist ein Gott, dem man die j ä h r lichen Schicksale des Erdbodens zuschreibt Wenn die Überschwemmung kommt, so ist Osiris das neue Wasser 2 , das die Felder grünen läßt. Wenn die Pflanzen dann aber welken und absterben, so heißt es, daß Osiris auch gestorben ist. Aber er ist nicht ganz 0000 000000000000000900009090 tot, denn im neuen J a h r e kommen die Kräuter wieder Osiris. 29- Aus der Leiche des Osiris aus seinem Leibe sprießen Pflanzen auf. hervor und zeigen, daß er lebt. Jedes J a h r wird er neugeboren und läßt alle K r ä u t e r auf der Erde wachsen und ernährt das L a n d 3 . Daß Osiris einmal ein solches Wesen gehabt hat, zeigt sich auch noch in der Feier eines seiner Feste, wo man sein A u f l e b e n durch keimende Pflanzen darstellte. D a wurde ein Bild des toten Gottes aus Erde hergestellt, und mit Getreidekörnern gefüllt; wurde es dann befeuchtet und sproßten die Körner auf, so war der Gott wieder aufgelebt. Dieses Sterbens und Auflebens wegen gilt der Osiris dann als das Vorbild der Toten und ihr Beherrscher und dieses A m t hat dann schließlich alle anderen Züge seiner Gestalt zurücktreten lassen; f ü r den Ägypter der historischen Zeit ist Osiris vor allem der Totengott. Übrigens hat man Osiris auch dem Monde 4 gleichgesetzt, denn auch dieser schwindet und erneuert sich wieder. Sogar die untergehende und aufgehende Sonne ist mit ihm verglichen worden.

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A b e r neben diesen späten Auffassungen tritt doch noch überall die ursprüngliche hervor. Ihr gilt der Gott bald als das neue Kornx, die Speise der Menschen 2 , und bald gilt er auch als das neue Wasser 3 das den Boden fruchtbar macht. Er kommt verjüngt in seinem jungen Nasser. Das Wasser kommt aus ihm hervor 4 und selbst die verschiedenen Meere und der O z e a n gelten als sein Bereich 5 . Er heißt groß und grün, weil der Ägypter das Meer das große Grüne nennt, und schwarz und groß, weil man die Bitterseen das große Schwarze nennt. U n d wieder denkt man ihn sich als den Acker, der beim Sinken der Überschwemmung aus dem Wasser e m p o r t a u c h t 6 und in ihm zu schwimmen scheint. A u c h die ganze Erde setzte man dem Osiris gleich und denkt sich, d a ß sein Feind Seth unter ihm läge und ihn trage. Jünger wird die Vorstellung sein, daß Osiris, der j a im Totenreich herrscht, selbst unter der Erde liege und sie trage und d a ß das Wasser aus seinen Füßen herausquelle 7 . Hübsch verwertet dann ein Dichter des n. R . einzelne dieser alten Vorstellungen in seinem Liede. D a liegt die ganze Erde auf dem toten Osiris und, wenn er sich regt, so bebt sie. Aus dem Schweiße seiner Hände kommt der Nil und er gibt dem Menschen von seinem Atem. A u f ihm wachsen Bäume, Kräuter, Gerste und Weizen und alle Früchte. Alles, was die Menschen schaffen, die Kanäle, die Häuser, die Tempel, die Denkmäler und Gräber, alle diese Dinge, deren so viele sind, d a ß sie niemand niederschreiben kann, lasten auf ihm, und doch klagt er nicht, d a ß er zu schwer zu tragen habe 8. Als Heimat des Osiris erscheint uns heute die Stadt Dedu, die wir mit den Griechen Busiris, das Osiris Haus nennen. V o n hier aus hat sich der Kultus des Gottes über das ganze L a n d verbreitet und z u m Teil andere Götter aus ihren alten Sitzen vertrieben. So in Memphis, wo er den Sokaris in sich aufnimmt, und vor allem in Abydos, wo er sich an die Stelle des dortigen alten Totengottes, des Ersten der Westlichen, setzt 9 , der in der Gestalt eines Schakals verehrt wurde. Das wird etwa im alten Reich (d. h. im Anfang des 3. Jahrtausends) geschehen sein, und seitdem ist Abydos die Stadt geworden, die mehr als jede andere für den Sitz des Osiris gilt. D a ß man den Osiris, seit man ihn als den K ö n i g der Toten denkt, auch dementsprechend dar-

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stellt, ist begreiflich. Da er tot ist, ist er wie eine Mumie eingehüllt; da er aber auch lebt und wieder grünt, hat sein Gesicht auch grüne Farbe. Auf dem Haupte trägt er eine Krone, und seine Hände halten Herrscherstab und Wedel. Ein ganz anderes nicht menschliches Bild hatte er aber in seiner Deltastadt Dedu. Was es eigentlich darstellte, wissen wir nicht; es erscheint uns wie ein schwerer Pfeiler, dessen oberes Ende eigentümlich gegliedert i s t A m Feste des Gottes richtet man ihn feierlich auf, vielleicht, um anzuzeigen, daß der Gott wieder lebt. Dieser Dedpfeiler, wie wir ihn nennen, ist dann auch eines der heiligsten Zeichen der Ägypter geworden und in der Schrift gilt er als Zeichen für dauern, vielleicht weil der Gott trotz seines Todes weiter dauert. Übrigens hat w\\\\\mini/ man dann zu diesem Zeichen des Osiris auch noch zwei andere erdacht, die seine Genossen darstellen, das Eine, seine Gattin Isis, das Andere, seinen Freund Anubis. Die Freude an solchen Spielereien, a b c ist j a eine Eigentümlichkeit des 30. Die Zeichen für Osiris (a), Ägyptertums. Isis (6) und Anubis (c).

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Totengötter. Ein allgemeiner Totengott des ganzen Landes, wie er in Osiris auftritt, wird schwerlich aus der Urzeit der Religion herstammen; denn die Toten einer jeden Stadt ruhen j a bei dieser als eine Gemeinschaft für sich und so werden sie denn auch unter dem Schutze eines Gottes stehen, der an dieser Bebräbnisstätte waltete 2. Ein solcher örtlicher Totengott hat nun in mehreren Fällen die Gestalt des Schakals, also des Tieres, das nächtlich am Wüstenrande, wo die Gräber liegen, umherhuscht; so sah der Erste der Westlichen 3 aus, den Osiris in Abydos verdrängte, und dieselbe Gestalt hat auch A n u b i s , der schon im alten Reiche 4 der allgemeine Patron der Bestattung geworden war. Vermutlich dankte er diese Volkstümlichkeit der Osirissage, in die auch er hineingezogen wurde. Und in diesem Kreise menschlich gebildeter Götter hat Anubis dann auch eine menschliche Gestalt angenommen, an der nur

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noch der Kopf an den Schakal erinnert. Seine eigentliche Heimat scheint Mittelägypten gewesen zu sein. Dieselbe Gegend ist dann auch die Heimat eines andern Schakalgottes, des U p - u a t , oder vielmehr der beiden Up-uat, denn sie treten meist als ein Paar auf, äußerlich scheinen sie dem Anubis zu gleichen, nur mit dem einen Unterschiede, daß der Anubis als Tier liegend dargestellt wird — er heißt auch der, der auf seinem Bauche liegt — während die Up-uat-Schakale laufen. Vielleicht sollte aber doch ein Unterschied zwischen ihnen bestehen, da die Griechen, die doch gewiß die Auffassung der Ägypter ihrer Zeit wiedergeben, das, was wir Schakal nennen, für zwei verschiedene Tiere erklären; der Anubis ist ein Hund, die Up-uats sind Wölfe. Übrigens sind auch die Upuat-Götter in die Osirissage eingezogen worden. Sie sind, wie das auch der Name Weg-Offner besagt, Kampfgenossen des Osiris geworden, die ihm in der Schlacht vorangeschritten sind; daher trägt ihr Bild zuweilen Kriegskeule und Bogen und darum heißen sie mit Pfeilen gerüstet . . . . siegreicher und kräftiger als die Götter, sie haben Ägypten im Triumphe erobert. 1 So trägt man denn auch später noch vor 32. Up-uat dem Könige eine Standarte mit dem Bilde des Up(Berlin, Relief uat; der bahnt ihm den Weg durch die Feinde. ausAbuGurab). Widder und Böcke. Eine ähnliche Verwirrung, wie wir sie bei den Schakalsgöttern angetroffen haben, besteht nun auch bei den Göttern, denen wir die Gestalt eines Widders zuschreiben. Wir würden unsererseits nur zwei Arten von ihnen unterscheiden, die heiligen Tiere des Amon von Theben, deren Hörner herabhängen und dem Kopfe anliegen, und die anderen Tiere mit den wagerechten, gedrehten Hörnern, die weit über den Kopf hinwegragen. Die Griechen aber unterschieden bei den Letzteren Böcke und Widder, und wir werden gut tun, diesen Unterschied beizubehalten. Zu den Wid-

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d e m gehört einmal H a r s a p h e s , der Gott der großen Stadt Herakleopolis — heut Ehnas, den seine Gläubigen wenigstens später als einen Gott der Welt denken; seine Augen sind Sonne und Mond und aus seiner Nase kommt die Luft. 1 Sein Name, der über seinem See ist, besagt wohl nur, daß sein Heiligtum am Eingange des Seelandes des Faijums liegt. Bei den anderen Widdergöttern, die den Namen C h n u m tragen, stehen verschiedene Vorstellungen nebeneinander. Einerseits denkt man sich den C h n u m als einen Gott, der bildet und schafft, ähnlich wie der Ptah von Memphis; auch er arbeitet als Töpfer an seiner Scheibe 2 und jedes neugeborene Kind gilt als sein Werk und dankt ihm seine gesunden Glieder 3 , andererseits haust der Chnum und hausen die Chnume (denn man nimmt auch mehrere 4 von ihnen an) auf der Insel Elephantine; dort sind sie die Herren des kühlen Wassers5, das j a nach dem alten Glauben an dieser Stelle emporsprudelte. Man möchte glauben, daß Verehrer des Chnum, die einmal aus ihrer alten Heimat an diese äußerste Grenze Ägyptens verpflanzt waren, ihrem angestammten Gotte dieses Wesen beigelegt haben. Soweit die Widder. Ihre Genossen, die Böcke, treffen wir im nördlichen Ägypten an; der Bock von Mendes war ein hochheiliges Wesen, selbst noch für die Könige der griechischen Zeit. Aber bei diesen holden Geschöpfen fällt uns doch etwas auf; sie haben nie wie andere heilige Tiere einen besonderen Namen erhalten, sondern heißen einfach der Bock 6 und nie werden sie mit menschlichem Körper gebildet. Es ist als sei das Volk bei ihnen nie über die primitivste Auffassung hinausgegangen. Daß die Theologen desto tiefsinniger über sie dachten, werden wir in Kapitel 6 sehen. 33.

Chnum.

Krokodilgötter. Noch haben wir eines Gottes zu gedenken, den wir unter dem gleichen Namen S o b k und unter der gleichen Gestalt des Krokodils an Orten antreffen, die weit voneinander liegen. Er wird im Delta in Sais verehrt, wo er das Kraut auf den Ufern grünen läßtHier gilt er als der Sohn der großen Wassergöttin Neith 8

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und als ihr Kind lacht 1 er, wenn die Überschwemmung kommt; so scheut man sich denn auch nicht, diese Göttin darzustellen, wie sie mütterlich an jeder Brust ein Krokodil säugt. Vor allem aber verehrt man den Sobk im Seelande des Fajum, und weiter ganz im Süden in Ombos in derselben Gegend, wo man auch alljährlich den Eintritt des Überschwemmungswassers zu feiern pflegt. Er ist eben ein Gott des Wassers und so liegt er denn auch auf einem alten Bilde, das gar keine bestimmte Gegend darstellt, auf einer Sandbank in einer kleinen _ Kapelle 2, als das heilige ju!\ Wesen, das man überall I \1\ auf dem Nile verehren (jJ soll. Wenn man nun auch die Verehrung die- f ses Untiers so weit trieb, daß man ihm sogar ein schönes Antlitz 3 zuschrieb, so wird doch der eigentliche Grund dieser Anbetung die Furcht oder der Schrecken gewesen sein, die man vor die„ ,, sem unheimlichen Tiere „ ,, , ,. „ 34. Sobk. 35. Sobk (Berlin 16953 aus emptand. seinem Tempel im Faijum). Schlangen und andere kleine Götter. U n d so wird es auch die Angst gewesen sein, die dazu führte, noch greulichere Geschöpfe anzubeten, den Skorpion, den großen giftigen Tausendfuß und die schlimmste aller Giftschlangen, die Aspis. Der Skorpion war die große Göttin Selket, der Tausendfuß wurde in Heliopolis als ein Gott Sepa verehrt und zu jenen Schlangen gehörten ja, wie wir gesehen haben, zwei der vornehmsten Wesen, Buto, die Patronin des ägyptischen Königtumes, und die Uraeusschlange, die Schützerin und Genossin des Sonnengottes. Neben ihnen gab es dann in Ägypten noch genug andere heilige Schlangen, so viele, daß man schon in alter Zeit hinter das Wort für Göttin ebenso eine Schlange schreibt, wie einen Falken hinter das Wort für Gott — beides sind eben deren

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Drittes Kapitel.

gewöhnlichste Gestalten. A u c h gerade kleinere gütige Göttinnen, w i e die Renen-Utet, die Göttin der Ernte, hatten Schlangengestalt 1 ; später, wo man j a alle diese Dinge in ein System gebracht hat, m u ß jedes große Heiligtum auch ein solches Reptil besitzen. Überhaupt fehlt es in keinem Gaue an allerlei Tieren und Dingen, die zwar nicht Götter sind, denen aber doch etwas Göttliches innewohnen soll. Die von Heliopolis haben wir schon oben aufgeführt; zu ihnen gehört auch noch die Ichneumonratte, in die sich A t u m im K a m p f gegen den Apophis verwandelt haben sollte 2 . A u c h in den anderen Städten war es nicht anders; Fische und Vögel, Mäuse und Bäume und allerlei anderes wurde verehrt. In der älteren Religion, wie sie uns in den Tempeln entgegentritt, merkt man freilich nicht viel von diesem Kleinkram, trotzdem mag Uraltes darunter sein, das still im Volke lebte. Einzelne dieser kleinen Götter, dem Bes, der Toeris u. a. werden wir als volkstümliche Götter im neuen Reiche antreffen. U n d j e länger die ägyptische Religion bestand, desto mehr fanden diese Winkelgötter Einlaß in die Tempel und in die offizielle Religion. O f t gelten solche kleinen Götter als Gehilfen der großen. So der Apis und der Mnewis (S. 26, 27) und die schreckliche Mafedet 3 , die der ältesten Zeit angehört und so auch wohl ursprünglich die Up-uat Schakale, von denen wir gesprochen haben. A u c h Osiris hat als Totengott seine Boten 4, die er aus der Unterwelt zu den Menschen sendet, ihnen den T o d zu künden. Die lange Aufzählung von allerlei Gottheiten, an deren Ende wir hier stehen, wird bei dem Leser den Eindruck maßloser Verwirrung hinterlassen haben. Diese Verwirrung ist in der T a t übergroß; sie erklärt sich daraus, daß schon in der älteren Gestalt der Religion, die wir hier zu schildern versucht haben, die Vorstellungen von Jahrtausenden aufgestapelt sind. Es sind Vorstellungen aus Epochen verschiedener Kultur und aus verschiedenen Landstrichen, die da neben einander stehen. Manche sind ungeändert geblieben, andere hat man miteinander zu vereinigen gesucht und sie sind dadurch nur noch unklarer geworden, wenigstens für uns, die wir keine gläubigen Ägypter sind. Wie und wann das alles vor sich gegangen ist, können wir im

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Einzelnen nicht erraten, wohl aber können wir die großen Kräfte erkennen, die zu allen Zeiten die Religion umgestaltet haben; wir sehen sie in der geschichtlichen Zeit am Werke, und auch in der Vorzeit werden sie ebenso gewirkt haben. Diesen Kräften — dem Einfluß der äußeren Geschichte, der Sagenbildung der theologischen Spekulation — wollen wir uns in den folgenden Kapiteln zuwenden.

Viertes Kapitel.

Die weitere Entwicklung der älteren Religion. Das ägyptische Volk hat in seiner langen Geschichte so manches erlebt, was auch auf seine Religion Einfluß haben mußte. Es ist ein einheitlicher starker Staat geworden und es ist dann auch wieder in Kleinstaaten zerfallen; Königshäuser haben anderen Platz gemacht und mit ihnen haben auch die Hauptstädte gewechselt; eine Revolution hat es einmal erschüttert und zerrüttet; fremde Barbaren haben das Land erobert und dann hat es selbst wieder über fremde Völker geherrscht — alle solche Ereignisse werden die Religion auch umgestaltet haben, in ihrem äußerlichen Wesen sowohl, als auch in dem, was die Einzelnen fühlten. Aber leider ahnen wir das alles mehr, als daß wir es wirklich erblickten, und eigentlich nur an einer Stelle, bei der Reform des vierten Amenophis, treten uns die Dinge lebendig entgegen. So wollen wir uns denn auch begnügen, auf diese geschichtlichen Ereignisse nur an den betreffenden Stellen hinzuweisen. Dafür wollen wir hier auf die Wandlungen eingehen, die sich auch ohne äußeren Anlaß allmählich in der Religion vollzogen haben. Wo man in einer Stadt mehrere Götter neben einander verehrte, da lag dem Volke der Gedanke nah, daß diese doch irgendwie zusammengehören müßten. War der eine eine große Göttin und der andere ein geringeres Wesen, so dachte man beide gern als Mutter und Kind. So wird in Theben der Chons zum Kinde der Mut, in Dendera wird ein Gott Ihi zum Kind der Hathor, das sie auf dem Schöße hält 1 , und in Sais m u ß es sich die Neith sogar gefallen lassen, daß der Krokodilgott Sobk als ihr Sohn gilt. Wird dann noch ein großer Gott in der gleichen Stadt verehrt, so tritt dieser dann als Gatte und Vater dazu. So wird Amon

Die weitere Entwicklung der älteren Religion.

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der Gemahl der M u t u n d der Vater des Chons, P t a h von Memphis erhält die löwenköpfige Sachmet zur Geliebten, u n d ein kleiner Gott Nefertem, der eigentlich eine Blume ist, wird zu seinem Sohne. Beispiele solcher Götterfamilien finden sich überall, das Berühmteste, die Familie des Osiris, werden wir in dessen Sage kennen lernen. Wenn hier Götter so mit solchen verbunden werden, die ihnen eigentlich ganz fremd sind, so werden andere durch einen berühmten Nachbargott vollends u m ihre selbständige Existenz gebracht. Sokaris, der Totengott von Memphis, gilt schon im alten Reiche nur noch als eine Form u n d ein N a m e des P t a h ; er ist Ptah-Sokaris, und, wie oben gesagt, ist es nur ein schlechter Trost für ihn, d a ß d a n n ein noch beliebterer Gott, der Osiris, hineingemengt wird: Sokaris, Osiris u n d Ptah Sokaris Osiris sind das Resultat dieser Vermischung. Wie m a n aus diesem Beispiele ersieht, ist es nicht immer ein Nachbar, der zu dem alten Gotte hinzutritt; es kann auch, u n d so wird es in den meisten Fällen gewesen sein, ein beliebiger anderer Gott sein, der aus irgendwelchen Gründen volkstümlich geworden war. Oft genug m u ß d a n n der alte Gott (Berlin n o o i . ) auch seinen eigenen N a m e n aufgeben, u n d ein guter Teil der Götter gleichen Namens, wie die vielen Horus u n d Hathoren, mag so entstanden sein, wenn wir das auch zumeist nicht nachweisen können. Ein solcher Eindringling ist z. B. der Gott Onuris, der, wie sein Name, der die Ferne herbeigebracht hat zeigt, aus der Sage vom Sonnenauge (S. 66) herstammt u n d der sich an verschiedenen Orten an die Stelle des alten Luftgottes Schu gesetzt hat. Ein anderer Fall ist Isis, die Gattin des Osiris; die setzt m a n schon in früher Zeit anderen Göttinen gleich, so d a ß sie z. B. die Herrin von Buto heißt, als wäre sie diese Schlangengöttin Besonders folgenschwer war es, d a ß der Sonnengott selbst mit anderen Göttern vermischt wurde. Den ältesten Fall, wo er in E I m an ,

Religion d e r

Ägypter.

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Viertes Kapitel.

Heliopolis den alten A t u m ganz in sich aufnahm, haben wir schon oben erwähnt, und wir werden noch genug Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. A b e r erst seit dem alten Reiche hat sich die Verehrung des Sonnengottes mehr und mehr verbreitet, vielleicht weil die Könige der 5. Dynastie (2560—2420 v . Chr.), die von einem Sonnenpriester herstammten, diesen Gott mehr als jeden anderen ehrten. Jedenfalls treffen wir in dem darauf folgenden Jahrtausend überall auf alte Götter, deren N a m e n man das Wort R e , die Sonne, beigefügt hat; damit zeigt man, d a ß der Sobk-Re, der Month-Re, der C h n u m - R e und so weiter zwar ein Krokodil, ein Falke oder ein Widder sind, aber i m Grunde doch ihren Teil haben an dem mächAuch tigen Tagesgestirn, das die Geschicke der Welt lenkt. A m o n , der seit der elften Dynastie (etwa 2100 v. Chr.) in Theben eine Stätte hatte, wird hier zu einem Amon-Re, und in dieser Gestalt, als der Götterkönig erlebt nun der Sonnengott die höchste Stufe seines Ansehens; denn der A m o n - R e wird mit der achtzehnten Dynastie d. h. seit dem sechzehnten Jahrhundert vor Chr. der Gott des ägyptischen Weltreiches. Wie das K ö n i g t u m die große Verbreitung des Sonnengottes bewirkt hat, so hat es auch sonst den größten Einfluß auf die Ausgestaltung der Religion gehabt. Wie schon erwähnt, hatten einst in Ägypten zwei Reiche bestanden, ein unterägyptisches mit der Hauptstadt Buto und ein oberägyptisches mit der Hauptstadt Nechen. Aus diesen vorhistorischen Reichen stammten auch die Vertreter der beiden Länder, Horus und Seth, aus ihnen stammten die Schutzgöttinnen der beiden Könige, die Schlange Buto und der Geier Nechbet, und aus ihnen stammten die Kronen der beiden Länder, die Rote von Unterägypten und die Weiße von Oberägypten, auch diese sind göttliche Wesen. I m vierten Jahrtausend sind dann diese beiden Reiche durch einen oberägyptischen Herrscher vereinigt worden, und damit beginnt auch für die Religion eine neue Zeit. In ihr vermischen sich die alten Vorstellungen mehr und mehr und gleichen sich einander an. Z w a r nichts von ihnen wird gänzlich aufgegeben, und wo die neue Zeit Neues schafft, bleibt doch das Alte als ein ehrwürdiges Stück aus der Vorzeit daneben in Kraft. Längst bauen sich die Könige ihre Residenzen im Mittelpunkt ihres Reiches, in der Gegend von Memphis und Heliopolis und des heuti-

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gen Kairo, aber in den Tempeln spricht m a n nach wie vor von den Hauptstädten Buto u n d Nechen u n d nach wie vor sind es deren Göttinnen, die den König beschützen. Freilich werden auch diese n u n vermischt, u n d mit Vorliebe denkt m a n sie sich jetzt beide als zwei Schlangen; auch sonst bleiben die beiden alten Reiche für die Theorie weiter bestehen; der König ist der H e r r der beiden Länder, und nach seinem Titel besteht er aus zwei Personen, aus d e m König von Oberägypten u n d dem Könige von Unterägypten. J e nach dem er so oder so gedacht wird, trägt er a u c h die entsprechende Krone, wenn m a n es nicht vorzieht, die beiden Kronen als Doppelkrone ineinander zu fügen. Mit den Göttern der beiden Landesteile steht es freilich anders, denn bei diesen tritt der Seth von Oberägypten fortan weit hinter seinem Genossen d e m Horus von Unterägypten zurück. Das m u ß sich durch irgend einen historischen Vorgang erklären u n d es liegt nahe d a r a n zu denken, d a ß nach der ägyptischen Überlieferung einmal ein Reich ältester Könige bestanden hat, die die Horusdiener hießen. Das mag ein Königsgeschlecht gewesen sein, das den Horus vor anderen Göttern verehrte, u n d daher mag die einseitige Bevorzugung dieses Gottes herrühren, die wir in historischer Zeit antreffen; gilt sein Falke doch in der alten Schrift geradezu als ein Zeichen für »Gott« u n d »König«. Vor allem ist Horus j e t z t das göttliche Vorbild aller Könige; er gilt als der Gott, der zuerst über die Menschen geherrscht hat u n d alle späteren Herrscher sind seine Nachfolger, seine Vertreter. Der König heißt in seinen Titeln geradezu der Horus*), oder, wenn m a n ihn von d e m himmlischen Gotte unterscheiden will, der Horus im Palaste. Ebenso spricht m a n von dem Schrecken, den der Horus in die Fremdländer sendet1; u n d in einem Liede des mittleren Reiches nennt m a n den König sogar unsern Horus2. Freilich brauchen wir d a r u m noch nicht zu denken, d a ß der König ebenso als ein Gott gilt wie all die Götter, denen m a n Tempel errichtet und Opfer darbringt; so weit geht seine Göttlichkeit noch nicht. Wenn m a n ihn Horus nennt oder den guten Gott3, oder wenn m a n von ihm schlechtweg als von dem Gotte spricht 4 , sowar das doch immer zum guten Teile nur eine der schönen Phrasen, mit denen die Menschen ihre Ergebenheit auszudrücken pflegen; haben solche *) V o n allen seinen Titeln ist Horus der höchste; König von Oberägypten und König von Unterägypten sind nur die Titel seines irdischen Amtes.

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Viertes Kapitel.

Redensarten sich dann einmal eingebürgert, so denkt niemand mehr an ihre eigentliche Bedeutung. Gerade dem K ö n i g gegenüber haben sich die Ägypter in solchen Phrasen gefallen. M a n nennt ihn die lebende Sonne, und wenn er redet, so redet Atum durch seinen Mund. Oder er heißt das auf Erden lebende Abbild des Gottes. A u c h die Bezeichnungen als Horus und Gott werden eigentlich nicht viel mehr sein als solche Redensarten. Merkwürdig ist dann ein weiterer Titel des Königs, der auch von seiner göttlichen Natur spricht; seit der vierten D y nastie heißt er auch der Sohn des Re, oder dessen leiblicher Sohn und dies wird bald ein fester Bestandteil seiner Titulatur Hier glauben wir noch zu sehen, was ursprünglich damit gemeint war. D e r Ausdruck geht auf die Vorstellung zurück, die wir auch anderswo und zu anderen Zeiten antreffen, daß der K ö n i g zwar äußerlich ein Sohn seines Vaters sei, daß er aber zugleich doch ein Sohn des höchsten Gottes ist — wie das möglich sein kann, müssen wir natürlich mit unserm beschränkten Verstand nicht ergründen wollen. Wir sehen noch aus einem Märchen etwa des i Jttn Jahrhunderts v. Chr., wie das V o l k zu diesem Gedanken stand; es erzählt uns den göttlichen Ursprung der fünften Dynastie. D a ist R e offenbar unzufrieden mit dem Könige Cheops, dem Erbauer der großen Pyramide, und wenn er ihm auch noch einen Sohn und einen Enkel (die Erbauer der 2. und 3. Pyramide) gewähren will, so soll nach diesen doch ein neues Geschlecht auf den T h r o n kommen, ein Geschlecht, das mehr an die Götter denken wird als an ihre eigenen Riesengräber; die werden die Tempel bauen, die werden die Altäre mit Speisen versehen, die werden die Schenktische gedeihen lassen und werden die Opfer groß machen2. So erzeugt denn R e mit der Gattin eines seiner Priester, der Rud-dedet, ein neues Geschlecht, und die gebiert unter der Beihilfe von Göttinnen drei Kinder. Chnum, der die Menschen bildet, verleiht ihnen gesunde Glieder, Isis gibt ihnen ihre Namen und Mesechenet, die Geburtsgöttin, erkennt, daß es richtige Könige sind, die das Königtum in diesem ganzen Landefähren iverden. Es sind die Könige Userkaf, Sahure und Kakai, die ersten drei Herrscher der fünften Dynastie; daß sie als Drillinge auf die Welt kamen, stimmt freilich nicht, aber daß der Sonnengott ihnen besonders nahe gestanden hat, ist in der T a t richtig, denn e i a

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jeder dieser Könige hat ihm, wie wir in Kapitel 7, S. 102, sehen werden, einen besonderen Tempel neben seiner Residenz errichtet und dient ihm mit allen seinen Großen. Was hier märchenhaft erzählt ist, das hat der loyale Verehrer irgend eines andern alten Königs dann zu einer Erzählung gestaltet, die den vollen Beifall des Herrschers und seines Hofes gefunden haben muß; hat man doch mit ihr und ihren Bildern die Wände eines Tempels geschmückt 1 . Was ich daraus mitteile, entstammt thebanischen Tempeln des neuen Reichs, und der Gott ist deshalb hier der Amon; im Faijum, wo derselbe Text auch im Tempel stand, mag es der Sobk gewesen sein. So wie oben in dem Märchen wird auch hier erzählt, daß Amon einen König erzeugen will, der den Göttern ihre Häuser erbauen und ihre Opfer vermehren wird. Das verkündet er den großen Göttern, und sie versprechen ihm, den künftigen König zu schützen. Anscheinend hat Amon schon ein Mädchen gesehen, das seinen Wünschen entspricht, und er entsendet Thoth, um Näheres über sie zu erkunden. Was Thoth ihm meldet, ist: dieses Mädchen, von dem du gesprochen hast, die heißt Ahmes, sie ist schöner als jede Frau in diesem ganzen Lande, und sie ist die Frau des Königs Thutmosis. Da verwandelt sich Amon in ihren Gatten, den König Thutmosis, und Thoth führt ihn zu der Königin, die sie in der Schönheit ihres Palastes ruhend finden. Von dem Dufte des Gottes erwachte sie und lachte seine Majestät an. Sogleich ging er zu ihr, und entbrannte in Liebe zu ihr, er richtete seinen Wunsch auf sie. Da zeigte er sich ihr in seiner göttlichen Gestalt und sie freute sich, als sie seine Schönheit sah, und die Liebe zu ihm kam in ihren Leib. Der Palast war erfüllt von dem Dufte des Gottes und all sein Wohlgeruch war aus dem Weihrauchlande. Da tat der Gott mit ihr alles, was er gewollt hatte, und sie ließ ihn Freude an sich haben und küßte ihn, Dann sprach die Königin Ahmes zu der Majestät dieses Gottes Amon: 0 mein Herr, wie groß ist doch deine Gewalt, es ist herrlich, dein Antlitz zu sehen, du hast meine Majestät mit deiner Trefflichkeit versehen, indem dein Tau durch alle meine Glieder gegangen ist. Nachdem nun so die Majestät dieses Gottes alles, was er gewollt hatte, mit ihr zusammen getan hatte, da sagte Amon zu ihr\ Chenemt-amon Hatschepsut ist der Name dieser Tochter, die ich in deinen Leib gelegt habe, gemäß dieser Rede, die aus deinem Munde gekommen ist; die Königin hat nämlich in dem, was sie zu dem Gotte

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sagte, die Worte Chenem »versehen«, hat »Antlitz« schepes »herrlich« gebraucht, und daraus schließt der Gott, welcher Name dem K i n d e zu geben sein wird. Er verkündet dann weiter, daß seine Tochter dieses treffliche Amt in diesem ganzen Lande führen wird. Sie wird seine Seele haben und seine Kraft, sein Ansehen und seine Krone, sie wird die beiden Länder beherrschen und alle Menschen leiten. Nun nach der Erzeugung muß das K i n d auch erschaffen werden, und A m m o n beauftragt damit Chnum, den göttlichen Töpfer; der bildet auf seiner Scheibe ein Königskind und gleich dazu noch eine zweite diesem gleiche Gestalt, den K a , die Seele des Kindes. Es wird ein

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Chnum formt auf der Töpferscheibe den König und dessen Ka. Daneben Hathor, die das Zeichen des Lebens reicht. (Gayet Luxor pl. 63.)

K i n d mit Glück und Freude und Gesundheit, dem alle Länder und alles V o l k gehorchen, und das Nahrung und Speise besitzt. So soll das K i n d auf dem Throne des Horus erscheinen gleich dem Re, als ein König, wie es sein Vater A m o n R e , der es liebt, befohlen hat. Zusammen mit der Heket, der entbindenden Göttin, führt dann C h n u m die schwangere Königin zu dem Orte der Entbindung, dem die Göttin Mesechenet vorsteht. D a kommt das K i n d zur Welt, ausgestattet mit allem Guten, was ein Ägypter seinenKönigen wünscht, es erscheint als ein K ö n i g von Ober- und Unterägypten, der viele Jubiläen feiern wird. Wie einem irdischen Vater der neugeborene Sohn gezeigt wird, so holt jetzt Hathor als die höchste Göttin den A m o n herbei, damit er seine liebe Tochter, die Königin Hatschepsut besehe, nachdem sie geboren ist. Da freut sich sein Herz sehr, und er bestätigt, d a ß dies die Tochter ist, die er erzeugt hat. Er küßt sie und umarmt sie und

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wartet sie und liebt sie über alles. Willkommen, willkommen sagt er zu ihr, du meine leibliche, liebe Tochter. Wie Amon dann weiter seinem Kinde allerlei Göttinnen zu Ammen bestellt, wie göttliche Kühe es säugen, wie es dann heranwächst und von den Göttern des Landes begrüßt wird, und wie es dann schließlich unter dem Beifall des Volkes den Thron besteigt, das gehört nicht mehr zu dem, was uns hier beschäftigt. In diesem Abschnitte, wo es sich um die irdischen Verhältnisse handelt, tritt dann auch der irdische Vater wieder in den Vordergrund. Wie gesagt, steht das alles in den Tempeln als ein offizielles

38. Geburt des Königskindes unter den Göttern, die der Königin beistehen, der widderköpfige Chnum und die froschköpfige Heket. (Bild im Tempel von Luxor nach Gayet Luxor pl. 66.)

Schriftstück, und so kann man gewiß sein, daß weder der König noch die Königin Mutter daran Anstoß genommen haben. Und der Gedanke ist auch nicht etwa nur auf diesen einen Text beschränkt, sondern begegnet uns noch anderswo in noch krasserer Form. In dem herrlichen Tempel von Abu Simbel 1 , den Ramses II. im I3 ten J a h r h u n d e r t erbaute, versichert ihm Ptah Ta-Tenen er habe vorausgesehen, wie Großes der König für ihn tun werde, und darum, sagt er, verwandelte ich mich in den Bock von Mendes und schlief bei Deiner herrlichen Mutter, damit sie dein Wesen gebäre, darum sind alle deine Glieder nun Götter 2 . Man wird zugeben, daß diese Fassung, in der der Gott auch noch den Bock bemüht, nicht gerade schöner ist. Daß der König, der als Sohn eines Gottes geboren wird, auch nicht so sterben kann wie ein anderer Mensch, versteht sich von selbst. Wenn er sein Leben glücklich vollendet hat, so steigt er auf

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zum Himmel, vereinigt sich mit der Sonnenscheibe und vermischt sich mit dem, aus dem er hervorgegangen war 1. Die göttliche Herkunft und die göttliche Natur, die dem Könige so zugesprochen werden, zeigen sich nun auch in andern Dingen. Äußerlich darin, daß er ebenso wie der Sonnengott den Uraeus trägt, jene Schlange, deren wir oben gedachten, die verbrennt seine Feinde mit ihrem feurigen Atem. Der Uraeus ist geradezu das Diadem des ägyptischen Königs; er ringelt sich um seine Stirn oder seine Kronen. Wichtiger aber ist, daß der König nun nach der offiziellen Anschauung in einem besonderen Verhältnis zu den Göttern steht. Er gehört zu ihnen, sie sind seine Väter und er ist ihr Sohn. Natürlich wird dieses Sohnesverhältnis nicht allzu streng genommen und jeder Gott und jede Göttin, mit denen er im Tempel zu tun hat, redet ihn mit mein Sohn an, ebenso wie er, sie mein Vater und meine Mutter nennt. Selbst das kommt vor und zwar schon in sehr alter Zeit, daß die ganze Götterschaft von neun Personen ihn geboren haben will; wir sind hier eben in jenen glücklichen Regionen, in denen die Vernunft nichts mehr zu sagen hat. *) Aber das Ganze hat doch auch eine ernste Folge für die Religion gehabt. Gerade diese Auffassung des Königs als eines halben Gottes hat dazu beigetragen, daß die Religion, wie sie in den Tempeln gepflegt wurde, sich immer mehr dem Volke entfremdete. Die Götter sind nicht mehr die Götter für alle, sie sind die Götter ihres Sohnes, des Königs; er baut ihre Tempel, er bringt ihnen Opfer, er hat das Recht sie zu schauen, und wenn die Priester dies alles tun, so tun sie das nur als seine Vertreter. Und wenn die Götter ihrerseits Ägypten Gutes tun, so tun sie das nicht dem Volke zu liebe, sondern ihrem Sohne. Wir kommen auf diese trübe Seite der ägyptischen Religion noch im X I I . Kapitel zurück. Wenn das allmächtige Königstum so auf die Religion einwirkte und selbst fast zu einem Bestandteile von ihr wurde, so hatten doch auch andere Teile des Volkes ihre besonderen Beziehungen zu ihr und brachten Neues in sie hinein. Vor allem *) Gelegentlich kommt es auch vor, daß ein nicht königlicher Gaufürst sich erlaubt, sich den wirklichen Sohn des Thoth zu nennen, geboren von der Neunheit, dem Samen des Re. Blackden-Frazer. XI.

TAFEL 2

A t u m , Seschat und Thoth schreiben die Namen Ramses' I I auf den heiligen Baum Heliopolis. (Aus dem Ramesseum L D . I I I 169.)

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der Stand, der im alten Ä g y p t e n mehr bedeutete als jeder andere, der Stand der Schreiber, d. h. der Beamten. Das waren, wie wir sagen würden, die Gebildeten. Sie, die schreiben und rechnen und richten, haben ihren Gott in Tkoth, dem Gotte des Mondes, gefunden. Er ist es, der die Zeit in die Monate einteilt und sie ordnet, und so gilt er auch als der Ordner des Weltlaufes. Wenn der Sonnengott der Herrscher der Welt ist, so ist T h o t h sein höchster Beamter, sein Vezier, der auch in seinem Schiffe bei ihm steht, u m ihm Vortrag zu h a l t e n . 1 Er ist der Richter, der im Himmel ist 2 , und schlichtet den Zwist der Götter. Götter und Menschen läßt er wissen, was ihnen zukommt; er gründet die Städte und setzt die Grenzen fest 3 . A b e r er ist auch der Gelehrte, der Herrscher der Bücher4, der Herr der Gottesworte, d. h. der heiligen Schriften; Worte und Schrift hat er den Menschen gegeben, und wer ihm treu anhängt, dem gibt er seine Belohnung; er verleiht ihm das Wissen und leitet die Schreiber zum richtigen Rechnen. 5 So ist er der Vertreter des Höchsten, was der Ägypter kennt, seiner Weisheit. Als solcher hat er, wie wir in K a pitel 21 sehen werden, unter dem Namen des Hermes Trismegistos alle Götter Ägyptens 39. Seschat. Aus dem Tempel des Sahure überdauert. (Dyn. 5).

Für seine Tätigkeit als Schreiber und Gelehrter hat Thoth nun auch noch eine Genossin, Seschat, d. h. wohl die Schreiberin; sie ist die Herrin des Bücherhauses6, d. h. der Bibliothek und war die erste Göttin, die zuerst einritzte, d. h. die geschrieben h a t 7 . Ursprünglich war sie die Göttin Nephthys gewesen 8 . Ihr Geschäft ist es, die Taten der K ö n i g e aufzuschreiben 9 ; sie verzeichnet ihre Namen auf einem Baume im Tempel zu Heliopolis 10 während T h o t h an einem Kerbholz deren Jahre abzählt (vgl. das Bild Tafel 2). Weit wichtiger aber als diese Gehilfin des Thoth ist die andere Göttin, die die gebildeten Stände ihrem Gotte beigegeben haben, Maat, die Göttin der Wahrheit. Die ist, und das ist für die Geschichte der Religion von Interesse, keine alte Göttin von Fleisch und Blut, sondern sie ist nichts weiter als eine leere Abstraktion, das Recht, die Wahrheit. M a n bildet sie als eine Göttin u , der man,

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Viertes Kapitel.

Gott weiß aus welchem Grunde eine Geierfeder 1 zum Abzeichen gibt. Z u einem rechten Kultus mit Tempeln und Opfern hat sie es in alter Zeit wohl nicht gebracht, aber im Kreise der Gebildeten ist ihr Ansehen von jeher ein hohes, gilt die Wahrheit doch als das Höchste in der sittlichen Welt. Sagt doch ein ägyptischer K ö n i g von ihr: »sie sei sein Brot und er trinke ihren Tau« 2 . Der erste Richter, der Vezier, nennt sich ihren Priester und trägt ihr Bild als Abzeichen seines Amtes auf der Brust. Schließlich aber wird sie dann doch in den großen Kreis der Hathor hineingezogen und heißt dann ebenso wie diese die Tochter des Re, die Herrin des Himmels, die Beherrscherin der beiden Länder, das Auge des Re, die ihres Gleichen nicht hat3. U n d doch ist sie, u m das noch einmal zu sagen, ursprünglich nur ein künstliches Erzeugnis, eine Personifikation wie etwa die Viktoria der R ö m e r gewesen ist. Neben den Beamten haben denn auch andere Angehörige der gebildeten Stände sich besondere Patrone aus der Menge der Götter erwählt, so die Ärzte, deren Kunst in Ägypten in hoher Blüte stand. Die lassen sich zwar auch von Thoth leiten, er gibt ihnen Sprache und Schrift und macht die Rezept40. Maat. bücher und gibt Erfolg den Gelehrten und Ärzten, (Nach Berlin 9468.) die ihm folgen 4 , aber sie haben sich daneben eine eigene Patronin gewählt und das ist Sachmet, die Löwengöttin von M e m p h i s 5 . Später, wo ein alter Weiser, der Imhotep, z u m Gotte der Ärzte wird, muß die Sachmet wenigstens dessen Mutter gewesen sein. A u c h die Künstler und Handwerker, deren Werke uns heute noch mit Bewunderung erfüllen, stehen unter göttlichem Schutz. Ü b e r ihnen waltet Ptah, der Gott von Memphis; der wird darüber selbst z u m Künstler unter den Göttern. Sein Hoherpriester heißt der oberste Leiter der Künstler, und er leitet sie wirklich, wenigstens i m alten Reiche bei einem Werke, auf das der K ö n i g besonderes Gewicht legt 6 . Wenn wir nicht bei allen Teilen des Volkes solche enge Beziehungen zu bestimmten großen Göttern bemerken, so hat das wohl auch seine Gründe. Die Krieger spielten j a in alter Zeit als solche keine Rolle in Ägypten, die Ackerbauer, die die breite Masse

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des Volkes bildeten, werden ihren einzelnen kleinen Göttern gedient haben und haben uns keine Bauwerke und Steindenkmäler hinterlassen. Erst im neuen Reiche wird das anders und da sehen wir denn auch in das religiöse Leben dieser Stände hinein. Merkwürdig ist nun, daß man neben den einzelnen bestimmten Göttern nicht selten auch von Gott im allgemeinen spricht. Es geschieht dies besonders in der Literatur und zwar da, wo man an den Leiter der menschlichen Geschicke denkt. Was geschieht, ist der Befehl Gottes der Vogelfanger bemüht sich zwar, aber Gott gibt keinen Erfolg 2 ; was du ackerst und was auf dem Felde wächst, das gibt Gott 3 ; wen Gott liebt, der wird gehorsam 4 ; und Gott kennt den Frevler 5 . Und wenn Erfreuliches geschieht, so preist man Gott dafür 6 . Natürlich kann im einzelnen Falle unter »Gott« auch einmal ein bestimmter Gott gemeint sein, der Sonnengott 7 , oder der König 8 oder auch der K a 9 von dem wir Kapitel X I V sprechen werden. Aber im ganzen denken die Verfasser dieser Bücher gewiß nur unklar an die Gottheit, an das göttliche Walten und die göttliche Macht. Und wenn wir die Stelle eines alten Weisheitsbuches 10 recht verstehen, so wird darin gesagt, daß »Gott« sich verborgen hält und, daß man deshalb sein Bild als einen Ersatz für ihn verehren soll. Die Leute, die so fühlten und sprachen, standen im Grunde schon einem reineren Glauben nicht mehr fern, aber natürlich hielten sie trotzdem an der überlieferten Religion fest und blieben treue Verehrer ihrer Götter.

Fünftes Kapitel.

Die Göttersagen. Wir haben schon oben der Sagen gedacht, die die einfachen Gestalten umkleideten und umgestalteten. Wie viel solcher Sagen es einmal gegeben hat, das sehen wir noch aus tausend Anspielungen; sie knüpfen sich an jeden Tempel und für jeden Gebrauch seiner Feste und für jede Eigenart seines Bildes weiß man eine Geschichte, die sie erklärt. Und da das ägyptische Volk von jeher seine Freude an Märchen gehabt hat, so haben sich ihm denn auch alle diese Geschichten zu Sagen verwebt. Wenn die Götter dann in diesen Erzählungen ihre Unnahbarkeit ablegen und wie Menschen handeln und fühlen mit Leidenschaften und Schwächen, so macht sie das dem Volke natürlich nur vertrauter. Auch haben die Erzähler zur Genüge für dieses Bedürfnis der Menge gesorgt, und wir sehen mit Staunen, daß auch burleske Züge nicht fehlen, die schlecht zu der Majestät der Götter passen. Mochten nun auch die einzelnen Sagen ursprünglich nur in der einen Gegend erzählt werden, an deren Gott sie sich knüpften, so haben sie sich doch oft genug im Lande weiter verbreitet. Dabei vermischen sie sich dann mit Sagen anderer Gegenden und anderer Götter und manche werden geradezu Gemeingut des ägyptischen Volkes. Schließlich kann sich auch die offizielle Religion der Priester und Tempel ihnen nicht mehr verschließen, und eine nach der andern wird in sie aufgenommen. Dabei mußten sie dann freilich vieles von dem aufgeben, womit die Phantasie sie ausgestaltet hatte, aber ganz konnten die Götter die Züge, die sie in der Sage angenommen hatten, doch auch dort nicht verleugnen. Seth galt auch im Tempel immer noch als der Mörder des Osiris, nur daß dies ihn nicht daran hinderte, doch ein gewaltiger Gott zu sein. Dieses Aufnehmen der Göttersagen hat schon in ältester Zeit begonnen und hat nie aufgehört; das Volk hat immer neue

Die Göttersagen.

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Sagen geschaffen, und waren diese erst populär geworden, so mochten auch die Gläubigen sie im Tempel nicht mehr missen. Die Sagen sind uns nun in sehr verschiedener Gestalt überliefert. Da ist die eine Gestalt, die rezipierte der offiziellen Religion, einfach aber verkürzt und daher nicht immer klar. Eine andere Gestalt hat ihr volkstümliches Aussehen bewahrt, doch ist uns gerade diese meist nur aus späterer Zeit erhalten. Zuletzt haben dann einige Sagen im Munde der Erzähler ihren religiösen Charakter ganz verloren und wer das hübsche Märchen von den zwei Brüdern liest, wird nie auf den Gedanken kommen, daß die beiden Bauern Anubis und Bata eigentlich zwei Götter sind, denn nur ihre Namen deuten noch darauf hin. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß diese Sagen die ägyptischen Götter erst zu lebendigen Gestalten mit charakteristischen Zügen gemacht haben. Und weiter beruht es auch auf ihnen, daß man zu dem einen Gotte Liebe empfindet und vor dem andern Abscheu. Nur durch die Sage ist Isis zu der gütigen Göttin geworden und Thoth zu dem gerechtesten aller Richter und nur durch sie ist Seth schließlich zu einem Gotte des Bösen geworden. Wenn das Volk sich fragte, wie denn die Welt entstanden sein möchte, so lag es nahe, an den Vorgang zu denken, der sich in jedem J a h r e vor aller Augen abspielte. Alljährlich lag j a der Acker Ägyptens unter dem Wasser verborgen, um dann allmählich aus ihm wiederemporzutauchen. So dachte man denn, daß auch die Erde einst so aus einem Wasser aufgetaucht sein werde. In einem Urwasser, das man Nun nannte, wurde zuerst eine höhere Stelle des Erdbodens sichtbar, und diese war gleichsam der Anfang der Welt, der Urhügel, der herrliche Hügel der Urzeit; ihn zeigte man noch in verschiedenen Orten Ägyptens. Auf diesem Urhügel waren dann einst auch die ersten Spuren des Lebens sichtbar gewesen, denn auf ihm saßen Frösche und Schlangen, eine Bewohnerschaft, die für diesen feuchten und dunklen Ort paßte. Auch die Namen, die sie trugen, waren ihm angemessen, denn sie hießen Nacht, Dunkelheit, Verborgenheit, Ewigkeit u. a. Es waren ihrer acht an der Zahl und nach ihnen sollte die Stadt Schmun ihren Namen haben, der j a »die acht« bedeutete. Und noch etwas anderes sollte auf jenem Schlamm-

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Fünftes Kapitel.

hügel gelegen haben, und das w a r etwas, was auch in diese öde Schlammwelt hineingehörte, das E i eines Wasservogels x . A u s i h m aber k a m eine G a n s aus, u n d mit ihr wurde es hell, denn die w a r die Sonne. L a u t schnatternd flog dieser große Schnatterer über das Wasser. Das w a r das erste L i c h t u n d der erste L a u t in der Stille und der Finsternis, die bis dahin über der W e l t gelegen hatten. Eine andere Sage ließ aus d e m Urwasser eine Lotusblume 2 aufsprießen, u n d in ihr saß das Sonnenkind und wieder anderswo w u ß t e man, d a ß eine K u h 3 auf d e m Wasser s c h w a m m , u n d auf sie setzte sich der j u n g e Sonnengott. A u c h dieses Bilder, die d e m Ä g y p t e r von seiner Ü b e r s c h w e m 41. D e r junge m u n g her vertraut waren. U n d wieder eine andere der Blume. Sage, die in Heliopolis zu Hause war, wollte wissen, d a ß die Sonne dort a u f einem Steine, d e m Benbenstein erschienen wäre. — W i e diese Sage d a n n weiter ausgebildet w u r d e , wie der Sonnengott sich selbst begattete und die ersten G ö t t e r erzeugte und wie die sich dann weiter fortpflanzten u n d wie auch die Menschen aus seinem A u g e entstanden, das werden w i r i m folgenden K a p i t e l bei der Theologie zu besprechen haben, sind das doch Fragen, über die weniger das V o l k als die priesterlichen Gelehrten nachgesonnen haben. In der Welt, die aus d e m Urwasser entstanden war, sah es freilich noch verworren g e n u g aus, d e n n noch waren H i m m e l und E r d e nicht getrennt und die Himmelsgöttin N u t l a g noch auf i h r e m Gatten, d e m Erdgotte K e b . D a schob sich ihr V a t e r Schu, der Gott der L u f t , unter sie und h o b sie in die Höhe, und mit ihr h o b er alles in die Höhe, was bis dahin geschaffen war, jeden Gott mit seinem Schiff, und N u t bemächtigte sich ihrer, zählte sie und j machte sie zu den Sternen 4 . .

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Und

a u c h die Sonne selbst w a r davon

42- Schu hebt Nut hoch, unten liegt Keb. A u f der Nut die Schiffe der Sonne. (Berlin 8.)

Die Göttersagen.

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nicht ausgenommen, und sie alle fahren nun in ihren Schiffen auf den Leibe der Nut. Das war die eigentliche Entstehung unserer jetzigen Welt; seit Himmel und Erde so voneinander getrennt sind, haben alle Dinge ihre heutige Ordnung erhalten, und nur die Knochen des Schu1 dessen herrliche Arme die Nut tragen 2, verbinden noch die obere und die untere Welt. Als der Sonnengott so von der Erde geschieden war, da setzte er den Erdgott zu seinem Statthalter ein. Er übergab dem Keb sein Erbe und übergab ihm die gesamte Neunheit (d. h. die großen Götter), nun ist der, sagen die Götter unser Fürst, der Fürst der Götter; ruft er uns, so kommen wir und sind zu ihm gesellt. Er richtet an der Spitze der neun Götter, seiner Väter und Mütter und ist mächtiger als jeder Gott3. So regiert nun K e b auf Erden über die Götter, während Nut im Himmel die Macht hat über die Götter und über ihre Kas und ihr Erbe und über ihre Speisen und über alle ihre Habe1. Merkwürdig ist, daß man sich die Herrschaft des Sonnengottes, der doch der Herrscher der Welt war, nicht als eine unbestrittene vorgestellt hat. Schon in der Urzeit haben Kinder der Schwachen sich gegen ihn empört 5 . Sie suchten ihn im Osten, a m Morgen wo er j a noch ein K i n d ist, zu vernichten. D a entstand ein K a m p f in der ganzen Welt, im Himmel und auf der Erde, aber der Sonnengott siegte, und die Feinde wurden ihm auf der Flammeninsel in Schmun überliefert. U n d hier hatte die alte Sage noch einen wunderlichen Z u g 6 , dessen Sinn wir nicht recht verstehen: Als R e hier so über die Feinde triumphierte und das Recht an die Stelle des Unrechts setzte, da hielt er eine Lotosblume an seine Nase, diese Blume aber war Nefertem (S.49) ein kleiner Gott aus dem Tempel von Memphis. A u c h in Heliopolis wußte man, daß R e die Rebellen dort getötet hatte; dabei hatte er die Gestalt eines großen Katers gehabt, und es war das neben einem Baume geschehen, den man gewiß auch später noch im Tempel zeigte 7 . Jünger und dabei lebendiger und menschlischer ist die Sage von einer anderen Empörung, die sich im weiteren V e r l a u f der Regierung des R e ereignet hatte 8. Einst hatte R e über Götter und Menschen zusammen geherrscht: Mit der Zeit aber wurde er alt, seine Knochen waren Silber, seine Glieder Gold, sein Haar echtes Lapislázuli. Das merkten die Menschen und dachten sich Böses gegen ihn aus, aber dem Gott blieben ihre Gedanken nicht verborgen und er

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Fünftes Kapitel.

sagte zu einem aus seinem Gefolge: »Rufe mir doch mein Auge und Schu und Tefnet, Keb und Nut, sowie die Väter und Mütter, die mit mir zusammen gewesen sind, als ich im Gewässer Nun war, sowie auch den Gott Nun . . . Du wirst sie aber leise herführen, daß die Menschen es nicht sehen, damit ihr Herz nicht fliehe. Du wirst mit diesen Göttern zum Palaste kommen, daß sie ihre Ansicht sagen . . .« Man führte diese Götter herbei und sie warfen sich zu Boden vor seiner Majestät und sagten: »Rede zu uns, daß wir es hörenA Da sagte Re zu dem Nun: »Du ältester Gott, aus dem ich entstanden bin, und ihr Götter Vorfahren, seht die Menschen, die aus meinem Auge entstanden sind, die planen etwas gegen mich. Sagt mir, was ihr dagegen tun würdet; ich wollte sie nicht töten, bis ich gehört hätte, was ihr dazu sagtet.« Die Majestät des Nun sagte: »Mein Sohn Re, du Gott, der größer ist als sein Vater und seine Schöpfer! Bleibe du nur auf deinem Throne sitzen; die Furcht vor dir ist schon groß, wenn nur dein Auge sich gegen deine Verschwörer richtet.« Und als Re nun sein Auge auf sie richtete, da flohen sie in die Wüste, denn ihre Herzen fürchteten sich wegen dessen, was sie gesagt hatten. Die Götter aber rieten ihm weiter, er solle sein Auge den Verschwörern nachsenden, damit es sie schlage, und Re entsandte sein Auge, und es stieg herab als die Göttin Hathor. Diese Göttin aber kehrte zurück, nachdem sie die Menschen in der Wüste getötet hatte. Da sagte die Majestät dieses Gottes: »Sei willkommen Hathor . . .« Diese Göttin antwortete: »Bei deinem Leben, ich bin mächtig unter den Menschen gewesen; das freut mein Herz.« Da fürchtete Re, daß Hathor am nächsten Tage die Menschen ganz vernichten würde, und sprach: »Ruft mir doch schnell eilende Boten, die wie ein Schatten laufen«. Augenblicklich brachte man ihm solche Boten, und die Majestät dieses Gottes sagte zu ihnen: »Eilt nach Elephantine und bringt mir sehr viel Didh. Dies Didi aber (es muß das irgendeine rotfärbende Substanz sein) übergab der Gott dem mit der Flechte zu Heliopolis, und dieser Geist mahlte es, während Dienerinnen Bier aus Gerste bereiteten. Dann schüttete man das Didi in das Gebräu, und es war wie Menschenblut. Man machte yooo Krüge Bier, und die Majestät des Königs Re kam mit diesen Göttern, um dieses Bier zu besehen. Als der Morgen anbrach, wo diese Göttin die Menschen töten wollte, sagte er: »Ich werde die Menschen vor ihr schützen . . . tragt es doch zu dem Orte, wo sie die Menschen töten will.« Das tat man und goß das Bier dort aus, bis die Felder vier Spannen hoch überflutet waren. Am Morgen zog diese Göttin aus und fand es überflutet;

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da spiegelte sich ihr Gesicht schön darin. Da trank sie davon und es schmeckte ihr und betrunken kehrte sie heim und erkannte die Menschen nicht. Aber wenn der greise Gott auch so seine Menschen vor der gänzlichen Ausrottung bewahrte, er mochte doch nicht mehr weiter über diese undankbaren Geschöpfe herrschen; »bei meinem Lebern, klagte er, mein Herz ist es müde, mit ihnen zu sein«. Da legte sich wieder der alte Nun ins Mittel und rief seine Tochter, die kuhgestaltige Nut, herbei; auf deren Rücken setzte sich Re, und sie hob ihn in die Höhe und bildet nun den Himmel. Aber als die Nut herniederblickte, da zitterte sie wegen der Höhe. Da rief Re den Schu herbei und sagte: »Mein Sohn Schu, stelle dich unter meine Tochter Nut, nimm sie auf deinen Kopf«.. Und Schu tat, wie ihm geheißen, und stützt seitdem die Himmelskuh, an deren Bauch die Sterne glänzen und die Sonne in ihrem Schiffe dahinfährt. Dasselbe Zauberbuch, dem diese Sage entnommen ist, berichtet uns dann auch in seiner Weise, wie der Mond entstanden ist. Als Re am Himmel weilte, sagte er einmal: »Ruft mir doch den Thoth«, und man führte ihn sogleich herbei. Die Majestät dieses Gottes sagte zu Thoth: »Sei du am Himmel an meiner Stelle, dieweil ich für die Verklärten leuchte in der Unterwelt Du bist an meiner Stelle, mein Stellvertreter, so nenne man dich: Thoth, den Stellvertreter des Re.« Und nun entstanden weiter allerlei Dinge durch spielende Reden des Re. Er sagte zu Thoth: »Ich will dich beide Himmel mit deiner Schönheit und deinen Strahlen umarmen (ionh) lassen« — da entstand der Mond (jooh). Und weiter mit Bezug darauf, daß Thoth für einen Vertreter des Re einen etwas niedrigen Rang einnimmt: »Ich will dich Größere als du bist aussenden (hob) lassen«, da entstand der Ibis (hib), der Vogel des Thoth. Daß die Dinge so durch Wortspiele entstanden sind, ist ein Gedanke, der sich in vielen ägyptischen Sagen findet. Er erklärt sich aus der Wichtigkeit, die der Ägypter den Namen der Dinge beimißt, sie enthalten eben etwas von deren Wesen, und der Sonnengott wird zum Beispiel auch dadurch als sein eigener Schöpfer bezeichnet, daß er seinen Namen geschaffen h a t 1 . Die Geschichte, die wir hier erzählt haben, gehört zu den Sagen vom Sonnenauge. Dieses Auge der Sonne war ja, wie wir gesehen haben, eigentlich das Gestirn selbst; man dachte es sich E l m a u , Religion der Ägypter.

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aber auch als ein schreckliches Wesen im Dienste des Re und dachte es dann weiter auch als eine der großen Göttinnen. Wie wir schon oben sahen und weiter sehen werden, gilt es dabei als eigenmächtig und so erscheint es auch in einer Erzählung, die wir leider nur zur Hälfte verstehen 1 . Da hat Re einmal sein Auge ausgesendet (wohl um irgend welche Feinde zu bekämpfen), aber es ist nicht zurückgekommen. Da schickte Re den Schu und die Tefnet aus, u m es wiederzuholen. Darüber wurde es wütend und aus seinen Tränen entstanden die Menschen — auch das wieder ein Wortspiel zwischen remjet »Träne« und romet »Mensch«. Das Auge aber war wütend, als es wiederkam und fand, daß ein anderes an seiner Stelle gewachsen war. Da nahm, wenn ich recht verstehe, der Gott das Auge und setzte es als Schlange vorn an seine Stirn. U n d nun beherrscht das Sonnenauge die ganze Welt, denn diese Schlange, die Re an seiner Stirn trägt, ist j a das Zeichen seiner Macht. Schu aber wird seitdem Onuris genannt, d. H. der das Ferne herbeigebracht hat2. Hübscher ist eine Fassung der Sage, in der das Sonnenauge die Tochter des Gottes ist. Die nannte er aus Liebe bald sein Diadem und bald sein Auge. Die starb 3 und bat im Tode ihren Vater, wenigstens ihr Bild alljährlich einmal die Sonne schauen zu lassen. Diese Tochter aber war die Hathor, die j a auch Sonnenauge heißt, und in deren Tempel zu Dendera trug man j a alljährlich das Bild der Göttin auf das Dach, damit sie ihren Vater schaue. Aus der eben erzählten Sage von dem Sonnenauge, das ausgesandt war und zurückgeholt wurde, ist gewiß eine Geschichte erwachsen, die sehr verbreitet gewesen sein muß, aber sich uns erst neuerdings aus Tempeln griechischer Zeit erschlossen hat 4 . Die Göttin Tefnet hauste als eine wilde Löwin in der nubischen Wüste, sie zerriß ihre Feinde und Feuer sprühte aus ihren Augen und ihrem Rachen. Ihr Vater Re aber wünschte sie bei sich zu haben, damit sie ihn schütze, denn er war in Bedrängnis und hatte sich vor den Feinden verbergen müssen, die ihn zu suchen kamen. Da entsandte er zwei Götter, u m die Tefnet zu holen, ihren Bruder Schu, der auch ein gewaltiger Löwe war, und Thoth, den Gott der Weisheit und der geheimen Künste. Die verwandelten sich in zwei Affen und zogen nach Nubien, wo sie die Löwin in der Wüste trafen. Und Thoth trat als kleiner Affe vor das gewaltige Tier; wie das ein Bild im Tempel von Dakke noch darstellt und redete

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ihr freundlich zu, wie schön es in Ägypten sei, wie man ihr dort allerlei Wild darbringen werde und Wein dazu. U n d die Göttin ließ sich bewegen und zog mit den beiden nach Ägypten. In Philae, an der Südgrenze Ägyptens, kühlte sie ihre G l u t 1 in dem Wasser des heiligen Ortes, und aus einer Löwin wurde sie zu einer schönen Göttin. Alles jubelte ihr zu und empfing sie festlich, und dann fuhr sie zu Schiffe herab und landete noch an neun Stellen, überall mit Jubel begrüßt, so in Ombos, in Edfu, in Elkab, in Esneh und a m meisten in Denderah, wo seitdem ihr Lieblingssitz ist, denn sie ist j a keine andere als die Göttin Hathor, dieselbe die man auch als die furchtbare Sachmet und als die freundliche Bastet feiert. Wie beliebt im späteren Ägypten diese Geschichte gewesen ist, sehen wir auch daraus, daß man sie als Rahmen für eine volkstümliche Sammlung von Tierfabeln benutzt hat, die uns in einem Papyrus römischer Zeit erhalten ist 2 . A u c h hier haust die Göttin, die Tochter des Re, die große Sonnenscheibe, in Nubien, aber ihre Löwengestalt nimmt sie nur an, wenn sie wütend ist, sonst erscheint sie wie die Bastet als eine K a t z e . Thoth aber, der wieder als A f f e auftritt, was ihm j a ohnehin zusteht, (S. 39), hat dort eine bedenkliche Aufgabe, denn die Göttin, die aus Ärger über ihren Vater einst Ägypten verlassen hatte, kommt auch jetzt trotz ihrer Katzengestalt nicht aus dem Zorne heraus und droht dem armen Boten den T o d . Wiederholt hält er ihr vor, daß es töricht sei, einen Schwächeren z u töten, denn man wisse nie, ob der nicht einem einmal Hilfe bringen könne — als Beleg dafür erzählt er ihr u . a. die Fabel vom Löwen und der Maus — und d a ß jedes Unrecht eine Strafe finde. Dann aber erinnert er sie auch an Ägypten, an ihre Heimat, wo sie es einst so schön gehabt habe als eine allverehrte Göttin und wo jetzt, seit sie fort sei, Trauer herrsche und Freude und Musik verschwunden sei. D a fing die K a t z e an zu weinen wie ein Wolkenbruch, aber bald geriet sie wieder in Wut und wurde zur Löwin: ihre Mähne rauchte von Feuer, ihr Rücken hatte die Farbe von Blut, ihr Antlitz glänzte wie die Sonne, ihr Auge glühte von Feuer . . . die Wüste war in Staub gehüllt, als sie mit ihrem Schweif schlug. Der A f f e aber weiß ihr mit Schmeichelei beizukommen, sie wird wieder zur Katze, die er durch weitere Fabeln dann vollends umstimmt, so d a ß sie sich entschließt, mit ihm nach Ägypten zu ziehen. Als sie dorthin kamen, nahm die Göttin in der Heimat 5*

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wieder ihre alte Gestalt an, in el K a b (Necheb) wurde sie zum Geier Nechbet (S. 50), in Theben zur Göttin Mut (S. 32) und schließlich wurde sie zur Tefnet und versöhnte sich mit ihrem Vater Re. Dazwischen droht ihr aber in Ägypten noch eine Gefahr, denn, als sie schlief, nahte sich ihr der Apophisdrache, aber der Affe, der zu ihren Häupten wachte, rettete sie und machte damit die Lehre wahr, die er ihr in der Fabel vom Löwen und der Maus gegeben hatte. Es sind wie gesagt späte Inschriften und ein später Papyrus, denen diese Sage entnommen ist, aber mindestens im neuen Reich muß sie schon bestanden haben, denn auf einer Tonscherbe der Berliner Sammlung hat ein Maler die Katze dargestellt, der der Affe Vernunft predigt. Ungleich wichtiger als alle die Sagen, die wir bisher besprochen haben, ist nun aber die vom Gotte Osiris. Sie hat in sehr früher Zeit*) die Religion durchdrungen und in mancher Hinsicht umgestaltet. Und doch ist sie in ihrem Kerne wohl nur ein schlichtes Märchen, ein Märchen von einen guten Könige, den sein böser Bruder ermordet. Seine Gattin bringt seinen Leib und ruft ihn halb ins Leben zurück. Dann erzieht sie im Geheimen seinen nachgeborenen Sohn, bis der heranwächst, er besiegt den Mörder seines Vaters und besteigt selbst den Thron. Alles in allem eine hübsche Geschichte, deren reine Menschlichkeit dem Volke verständlich war. Durch Märchenerzähler mag sie dann aus ihrer ursprünglichen Heimat, dem nördlichen Delta über Ägypten verbreitet worden sein und sie ist dann in ähnlicher Weise ein Gemeingut des ägyptischen Volkes geworden, wie die Sagen vom Trojanischen Krieg bei den Griechen. Und ebenso wie in Griechenland hat nun auch in Ägypten diese Sage den größten Einfluß auf die Religion gewonnen, so sehr daß man sich die ägyptische Religion kaum noch ohne die Osirissage denken kann. Was ist es nun, was der Osirissage diese Macht verliehen *) Wie früh dies geschehen ist, dafür haben wir einen merkwürdigen Beleg. Bei der Regelung des ägyptischen Kalenders, die sicher 4241 v. Chr. erfolgt ist, hat man die damals eingeführten 5 Schalttage nach den 5 Göttern der Osirissage benannt. Und das ist, wie die Rechnung ergibt, in Heliopolis geschehen. In der T a t sind j a auch die Götter der Osirissage in dieser Stadt besonders früh heimisch geworden, denn die dortige große Neunheit ist j a nur dadurch entstanden, daß man die Götter der Osirissage den eigenen angereiht hat. Vgl. zu dem allem Ed. Meyer, Chronologie. S. 9.

TAFEL •)

T h o i h als A f f e redet der T e f n e t . die als K a t z e dargestellt ist. zu. nach Ä g y p t e n zukehren. ^Ostrakon des neuen R e i c h e s . Berlin 21 4431

zurück-

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hat? Es ist einmal der Gedanke, daß nicht Gewalt und Schrecken das Höchste in der Welt sind, sondern das Recht und die Treue. Und weiter ist es der Glaube, daß der ermordete Gott doch über den Tod triumphiert hat. Er ist zwar gestorben, aber doch wieder zum Leben erwacht und wenn er auch die Herrschaft über die Lebenden seinem Sohne Horus übergeben hat, so regiert er dafür über die Toten, wenigstens über die, die gleich ihm einer weiteren Existenz würdig sind. Natürlich werden solche Gedanken auch schon früher im Volke gelebt haben, aber die Sage war ein Beispiel gewesen, daß sie dem Volke immer wieder vor Augen führte und insofern ist sie wirklich eine sittliche Macht gewesen. An dem Vorbild des Osiris und der Isis konnte sich ein jeder erbauen. — Früh sind dann in die Geschichte des Osiris auch Dinge hineingemischt, die eigentlich nichts mit ihr zu tun haben. Wenn in der Sage der böse Bruder Seth heißt und der siegreiche Sohn Horus, so liegt es auf der Hand, daß diese beiden Personen ihre Namen den beiden alten Göttern verdanken, dem Seth von Ombos und dem Horus von Behedet; die waren doch einst kriegerische Götter, und da lag es nahe, sie in dieses Märchen einzuflechten. Ebenso stammt das Auge, das Horus, wie wir sehen werden, seinem Vater reicht, gewiß von dem Horusauge her, d. h. von dem Monde, den man sich einmal als Auge des Himmelsgottes Horus gedacht hatte. Man sieht, es ist dem Osirismärchen so gegangen, wie es allen rechten Volksmärchen geht; je mehr sie sich verbreiten und festsetzen, um so mehr schließt sich allerlei an sie an, was sonst dem Volke vertraut ist. Daß das Dinge sind, die eigentlich in einen andern Kreis gehören, macht dabei nichts aus, denn die Menschen, die sich an Märchen freuen, sind j a keine Philister. Hätte die Osirissage noch länger unbeeinflußt im Volke gelebt, so würde sie vielleicht noch eine ganz andere Gestalt angenommen haben; aber sie ist früh in die offizielle Religion aufgenommen worden und damit ist dann ihre Entwicklung zum Stillstand gekommen. Seitdem stehen ihre Grundzüge fest, wie sehr sich die Sage auch im Laufe der Jahrtausende im Einzelnen verändert hat. Nach dem was einem Märchen zugrunde liegt, sollte man j a eigentlich nicht fragen, und so wollen auch wir nicht fragen, ob es wirklich einmal einen irdischen König dieses Namens gegeben

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h a b e . U n d ebensowenig wollen wir fragen, in wie weit dies M ä r chen etwa mit den V o r g ä n g e n in der N a t u r zusammenhängt, mit d e m alljährlichen Absterben des Ackers und seiner Wiederbelebung durch die Ü b e r s c h w e m m u n g . W i e m a n den Osiris dann, als er ein Gott geworden w a r , aufgefasst hat, w o er bald als das Wasser der Ü b e r s c h w e m m u n g gilt und bald als der E r d b o d e n und d a n n wieder als Totengott, das haben wir S. 40 gesehen. Hier wollen wir von solchen D e u tungen des Gottes absehen und seine Sage so darstellen, wie sie uns in den verschiedensten Zeiten entgegentritt*). Schon in der ältesten religiösen Literatur fehlt es nicht an Anspielungen a u f die Sage, die freilich nicht i m m e r zu der uns vertrauten Gestalt derselben passen. Osiris, der Sohn des K e b u n d der N u t , hatte einen feindlichen Bruder, den Seth, der stellte i h m nach, u n d T h o t h , der auch ein Bruder des Osiris war, n a h m an der V e r s c h w ö r u n g teil Seth band2 den Osiris, tötete ihn 3 u n d w a r f ihn ins Wasser; in d e m s c h w a m m seine Leiche umher u n d sah grün und schwarz aus — davon] heißen die Meere das »große Grün« und das »große Schwarz« *• Als Osiris so verschwunden w a r , trauerten alle Götter, Isis weinte und Nephthys schrie; die Götter v o n Buto aber, w o Osiris j a zu Hause war, schlugen sich das Fleisch und schlügen sich die Arme und rauften ihre Haare; nur Seth und T h o t h weinten n i c h t 5 . D i e Leiche zerfiel, aber Nut, die M u t t e r des Osiris, neigte sich über sie; sie fügte seine Knochen zusammen, setzte das Herz wieder in den Leib und setzte ihm den Kopf a n 6 * * ) . Isis und Nephthys durchsuchten das L a n d und k a m e n an die Stelle, w o Osiris i m Wasser lag, u n d Isis faßte ihn und zog ihn heraus 7 . U n d die Götter n a h m e n sich seiner an, R e h o b i h m das H a u p t 8 hoch, u n d m a n befahl ihm, zu erwachen, und Osiris, der das Schlafen verabscheute und das Müdesein haßte 9 , tat so und erwachte zu einem neuen L e b e n ; er faulte nicht und verweste nicht10. D i e E r z e u g u n g des Horus, des nachgebornen Sohnes, dachte m a n sich so. I n Gestalt eines Falken hatte sich Isis auf die L e i c h e ihres G a t t e n gesetzt u n d w a r von i h m schwanger geworden n . Sie gebar den Horus u n d zusammen mit Nephthys zog sie ihn *) Einzelnes aus der in Memphis üblichen Form dar Sage siehe in Kap. VI (S. 93)- . **) Eigentlich gehört diese Zusammenfügung des Leibes ebenso wie das »Abstäuben «des Mundes durch Keb in eine Fassung, bei der die Leiche in der Erde verwest war.

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auf. Das kleine Horuskind, das Kind mit dem Finger im Munde x, wuchs dann heran und kämpfte mit dem Mörder seines Vaters. Der riß ihm das A u g e a u s — e s ist damit, wie oben bemerkt, auf den Mond angespielt — und Horus riß dem Seth die Hoden ab 2 . A b e r als Horus gesiegt hatte, da nahm er dem Seth das A u g e wieder a b 3 ; er heftete es seinem Vater Osiris an, und öffnete es ihm, damit er mit ihm sähe4. U n d dieses Opfer kindlicher Liebe, das er nach anderer Meinung dem Vater sogar zu essen gab 5 , machte den Osiris beseelt und mächtig 6 , so daß jeder Feind vor ihm erschrak Als dann K e b die Götter im Fürstenhause zu Heliopolis z u m Gericht versammelt hatte, da leugnete Seth vergebens 8 ; die beiden Wahrheitsgöttinnen hielten Verhör ab, und Schu war Zeuge, und die beiden Wahrheitsgöttinnen befahlen: »ihm stehen die Throne des Keb zu«9. Horus beugte den Seth unter den Osiris 10 , daß er ihn nun immer t r a g e 1 1 . Osiris nahm sich jede Krone und K e b setzte ihn auf seinen T h r o n 12 . D a herrscht er nun als der Gott, der keinen Feind h a t 1 3 — und die Trauer ist zu Ende, das Lachen ist wiedergekommen 14. 43. Die Horussöhne auf der Blume im See, an dem Osiris

V o n all dem Beiwerk, das einst um die sitzt. (Nach Totenb. ed. Nav. I 136.) Osirissage wucherte, seien hier nur noch zwei Geschichten erwähnt. Die eine erzählte, d a ß Isis dem Horus einst die Hände abgehauen und sie ins Wasser geworfen habe 15 . Als man dann die Hände wiederhaben wollte, rief man den Krokodilgott Sobk herbei, aber auch der konnte sie zuerst nicht finden, bis er sie dann mit einer Reuse auffischte. Diese Reuse aber ward noch als ein geheimer Schatz im Tempel von Hierakonpolis bewahrt. Wichtiger ist die Geschichte von den vier Horussöhnen, dem Amset, Hapi, Duamutef und Kebehsenuf. Die sollte Horus mit seiner eigenen Mutter gezeugt haben 16 . Anubis hatte ihnen die Bestattung des Osiris anvertraut, sie wuschen den Osiris, sie beweinten ihn und öffneten seinen Mund mit ihren ehernen Fingern, daß er wieder essen und sprechen konnte 1 7 . Diese Horussöhne, unter deren Schutz, wie wir unten ( K a p . 15) sehen werden, die Eingeweide der Mumien stehen, haben auch sonst die Phantasie des Volkes

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beschäftigt, und man glaubte sie auch am Himmel als Sternbilder wiederzufinden 1 . Übrigens muß es auch, wie manche Bilder zeigen, eine Sage gegeben haben, nach der sie in einer Lotusblume aufgeblüht waren. Reicher und frischer als alle diese wirren Bruchstücke ältester Sagen lautet dann das, was wir aus der späteren Zeit von den Schicksalen des Osiris hören. Der Erdgott Keb und die Himmelsgöttin Nut hatten vier Kinder, zwei Söhne, den Osiris und den Seth, und zwei Töchter, die Isis und dieNephthys. Isis war das Weib des Osiris, Nephthys das des Seth. Osiris aber beherrschte die Erde als König und lehrte die Menschen alles Gute. Keb gab ihm sein Erbe 2, das Königtum beider Ägypten . . ., er übermachte ihm die Leitung der Länder zum Glücke und gab dieses Land in seine Hand; sein Wasser, seine Luft, seine Kräuter, alle seine Herden, alles was fliegt und alles was schwebt, seine Würmer und sein Wild wurden dem Sohne der Nut gegeben, und die beiden Länder waren damit zufrieden. Denn Osiris war ein vortrefflicher Herrscher, er war auf dem Throne seines Vaters erschienen wie die Sonne, wenn sie im Horizont aufgeht, damit sie Licht spende dem, der im Dunkel war. Er war gerecht und befestigte die Wahrheit in Ägypten, und dort wird er auch Kämpfen ein Ende gemacht haben, denn er führte als König den Titel, der das Gemetzel geschlichtet hat3. Daneben war er aber ein Kriegsheld, ruhmreich, wenn er den Feind fällte, und kräftig, wenn er seinen Gegner tötete; die Furcht vor ihm war seinen Feinden eingeflößt, und er erweiterte die Grenzen. Und ebenso trefflich herrschte er über die Götter, als der Leiter jedes Gottes, mit trefflichen Befehlen; die große Neunheit (der Götter) lobte ihn und die kleine liebte ihn. Weshalb ihm Seth dann feindlich wurde, gibt auch dieser Bericht nicht an; vielleicht hielt man den Grund für selbstverständlich, denn, wenn in orientalischen Herrscherhäusern von zwei Brüdern der eine die Herrschaft angetreten hat, so kann der andere als sein natürlicher Gegner gelten. Wir hören nur, daß Seth dem Osiris nachstellte. Er vermochte aber lange ihm nichts Böses anzutun, denn Isis war seine treue Hüterin: sie war sein Schutz und wehrte die Feinde ab, denn sie war klug mit trefflicher Zunge, ihr Wort fehlte nicht, und sie war vorzüglich im Befehlen. Da versuchte Seth es mit List, und es glückte ihm, den Osiris zu töten; wenn wir Plutarchs Bericht glauben dürfen, verlockte er ihn, sich aus Scherz in einen Kasten zu legen, verschloß diesen und warf ihn ins Meer.

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So blieb Isis verlassen und der Herrschaft beraubt zurück und wußte nicht einmal, wo ihres Gatten Leiche sich befand. Sie suchte ihn, ohne zu ermüden', kummervoll durchzog sie das Land und ließ sich nicht nieder, ehe sie ihn gefunden hatte. D a n n setzte sie sich mit ihrer Schwester Nephthys bei der Leiche nieder und stimmte jene K l a g e an x , die das Vorbild aller Totenklagen geworden ist: »Komm zu deinem Hause, komm zu deinem Hause, o Gott On\ Komm zu deinem Hause, du der du keine Feinde hast. 0 schöner Jüngling, komm zu deinem Hause, daß du mich sehest. Ich bin deine Schwester, die du liebst: du sollst nicht von mir weichen. 0 schöner Knabe, komm zu deinem Hause . . . Ich sehe dich nicht und doch bangt mein Herz nach dir und meine Augen begehren dich. . . Komm zu der, die dich liebt, die dich liebt, Uennofre, du seligerl Komm zu deiner Schwester, komm zu deinem Weibe, zu deinem Weibe, du dessen Herz stille steht. Komm zu deiner Hausfrau. Ich bin deine Schwester von der gleichen Mutter, du sollst nicht fern von mir sein. Die Götter und die Menschen haben ihr Gesicht zu dir gewandt und beweinen dich zusammen . . . Ich 44. Isis schützt Osiris mit ihren rufe nach dir und weine, daß man Flügeln. (Berlin 13778.) es bis zum Himmel hört, aber du hörst meine Stimme nicht, und ich bin doch deine Schwester, die du auf Erden liebtest; du liebtest keine außer mir, mein Bruder, mein Bruderl« So klagte sie und der höchste der Götter hatte Mitleid mit ihr; R e sandte den vierten seiner Söhne, den Anubis, vom Himmel hernieder 2 , u m den Osiris zu bestatten. Der fügte die Leiche des Gottes, die in ihre Knochen zerfallen war oder die (wie die spätere Sage es wollte) von Seth zerschnitten war, zusammen, wickelte sie in Binden und vollzog alles das an ihr, was dann später die Ägypter an ihren Toten vollzogen. Isis aber ließ Luft entstehen mit ihren Flügeln. D a begann der tote Gott aufzuleben, er reckte den A r m , er legte sich auf die Seite und dann erhob er das Haupt 3 . U n d wenn er auch nicht mehr auf Erden sein erstes Leben fortsetzen konnte, so konnte er doch ein zweites beginnen und aus

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dem Könige der Menschen ein K ö n i g der Toten werden. A b e r auch auf Erden sollte er noch obsiegen, denn ihm und der verlassenen Isis entstand noch ein Helfer. Als Isis schwanger geworden war, flüchtete sie sich vor Seths Nachstellungen in die Sümpfe des Delta und in dieser Einöde, dort, wo später ein Ort Chemmis war, gebar sie einen K n a b e n , den Horus, und säugte das Kind in der Einsamkeit, man weiß nicht wo. Eine Göttin nahm sich ihrer freundlich an, das war die Buto, die Schutzgöttin des Delta. Manches Unheil bedrohte das Horuskind, aber die Wachsamkeit und Sorge der Isis wußte es vor allem zu bewahren, und kein Bild ist dem ägyptischen Volke lieber gewesen, als das dieser Gottesmutter, die ihren Säugling auf dem Schöße hält. U n d Horus wuchs glücklich heran im Verborgenen, und als sein Arm stark war, kämpfte er gegen Seth. Es war ein furchtbarer K a m p f , bei dem Horus sein A u g e verlor und bei dem auch Seth verstümmelt wurde, aber Thoth brachte die Streitenden auseinander und heilte sie wieder. So hatte Horus gesiegt und als Isis ihn in die Halle des Keb einführte, da begrüßten ihn die Göt45. Isis mit Horus i m ter, die hier versammelt waren, freudig: Sei willSumpfe versteckt. kommen, du Sohn des Osiris Horus! Mutiger, Gerechtfertigter, Sohn der Isis und Erbe des Osiris! A b e r Seth verklagte ihn und focht, wie der griechische Bericht es will, die Rechtmäßigkeit seiner Geburt und damit auch sein Erbrecht an. D a hielten die großen Götter Gericht ab, sie setzten sich in die Halle des Keb und prüften die Anklage und wandten dem Unrecht den Rücken zu. Man fand, daß das Wort des Horus wahr war, man gab ihm die Würde seines Vaters und er ging hervor gekrönt nach dem Befehle des Keb. Er ergriff die Herrschaft beider Länder und die Krone blieb auf seinem Haupte. Bei diesem Rechtsstreite, als dessen Stätte gewöhnlich die große Halle zu Heliopolis bezeichnet wird, ist dann, wie das die ägyptischen Texte immer wieder erwähnen, auch Osiris, von Seth und anderen Feinden irgendwie verklagt worden, aber der Gott der Weisheit, Thoth, hat sich auch seiner angenommen und hat auch das Wort des Osisis wahr gemacht; die Götter haben den Seth für besiegt erklärt und Osiris hat den F u ß auf ihn gesetzt. D a n n ist Osiris z u m Himmel aufgestiegen und herrscht nun dort oben oder — wenn man ein unterirdisches Totenreich annimmt — unten

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in der Tiefe über die Toten, als der, zu dem alles

existiert, der geliebte ägypten Uennofre*),

kommt,

was

da

Erbe des Keb, der König von Ober- und Unterder gerechtfertigte1. Er ist der Erste derer im

Westen, d. h. der Verstorbenen, während sein Sohn Horus als Erster der Lebenden die Herrschaft der Erde übernommen hat. Mit Horus hat die jetzige Zeit der Welt begonnen, denn auf seinem Throne sitzen als Nachfolger die Könige von Ägypten. Auch bei dieser kurzen Skizze der Osirissage, wird es dem Leser nicht entgehen, was diese Sage von den anderen unterscheidet, und was sie dem ägyptischen Volke so lieb gemacht hat. Es ist das Menschliche in ihr, die Gerechtigkeit des Osiris, die Gattentreue und Mutterliebe der Isis, die kindliche Pietät des Horus. Den letzten Akt der Sage, den Streit zwischen Horus und Seth, schildert uns dann ausführlich ein Märchen des späteren neuen Reichs**). Dabei handelt es sich nicht um den ursprünglichen Kampf, in dem sich die beiden Götter verwundeten, von dem ist hier gar nicht die Rede. Hier ist es vielmehr, was j a auch schon in den älteren Sage vorkam, ein Rechtsstreit. Es ist ein Prozeß, der in allen Formen geführt wird, also ein Verfahren, das dem zivilisierten 46- H o r u s als K ö n i g ' Ägypter verständlicher war als die rohe Gewalt. Freilich geht es in diesem Gerichte dann auch sehr zivilisiert und sehr menschlich zu. Die Götter sind eben selbst als Menschen gedacht***). Horus ist ein armer vaterloser Knabe, und wäre seine Mutter nicht so schlau, so würde es übel um ihn stehen. Seth ist ein roher gemeiner Kerl, vor dem alle Götter *) Dieses Uennofre ist der N a m e , den Osiris als der K ö n i g des Totenreiches trägt. E r ist d a n n auch zu einem Personennamen geworden und der Zufall hat es gewollt, d a ß er sogar als der N a m e eines Heiligen (San Onofrio) weiterlebt. * * ) Erhalten in Pap. Beatty (Geschichte von Horus u. Seth) der von G a r diner bearbeitet und herausgegeben ist. — D a ß dieses Märchen, wie m a n nach seinem T o n e vermuten könnte, nicht erst in so später Zeit entstanden ist, werden wir unten (S. 83) sehen. * * * ) So besitzt Seth außer einen Hause auch einen Garten, den ein Gärtner bestellt und den Seth täglich besucht.

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Furcht haben. A u c h R e Harachte, der Herr des Alls, der den Vorsitz i m Gerichte hat, ist nicht unparteiisch, denn er wünscht d e m Seth den Sieg, ist der doch sein Beistand im Sonnenschiff, der bei der Fahrt die Feinde tötet. D a s Gericht besteht aus den beiden Neunheiten, also aus den »höchsten Göttern« (S, 90); S c h u Onuris leitet ihre V e r h a n d l u n g u n d T h o t h ist natürlich ihr Schreiber. Den Atum v o n Heliopolis, den wir a u c h noch neben d e m R e H a r a c h t e treffen, haben w i r uns wohl als eine höchste Instanz zu denken, die a u ß e r h a l b des Gerichtes steht, etwa wie der K ö n i g neben dem Vezier. A c h t z i g J a h r e tagt das Gericht schon und es k a n n sich nicht zu einem Urteil entschließen. U n d in der T a t ist j a die F r a g e a u c h heikel, es fragt sich j a , ob Horus, der n a c h d e m T o d e seines V a t e r s erzeugt ist, a u c h wirklich dessen Sohn s e i 1 . Einmal ist Schu Onuris, der Sohn des R e , so v o n d e m R e c h t e des Horus überzeugt, d a ß er ausruft, m a n solle i h m das A m t seines Vaters geben, u n d T h o t h erklärt dies fiir millionenfach richtig. Isis aber schreit in ihrer Freude laut a u f und ruft d e m N o r d w i n d e z u : »gehe zum Westen, und erfreue den Unennofre (d. h. Osiris) mit dieser Nachricht«. A b e r R e ist als Vorsitzender wieder anderer M e i nung, er schweigt u n d ist wütend a u f die Neunheit. Seth aber ruft, m a n solle nur ihn u n d den Horus hinauswerfen, d a werde er i h m schon zeigen, was er vermöge. U n d wirklich packt er ihn schon an der H a n d . A b e r T h o t h widerspricht, m a n dürfe d o c h das A m t des Osiris nicht dessen Bruder vermachen, w e n n noch ein leiblicher Sohn vorhanden sei. R e H a r a c h t e aber w u r d e sehr wütend, d e n n er wünschte, das A m t d e m Seth zu geben. Was sollen w i r tun? rief Onuris, A t u m aber schlug vor, doch d e n Bock v o n Mendes zu holen, der solle entscheiden, — g e w i ß weil dieser G o t t der Z e u g u n g doch a m besten wissen m u ß , wie es u m die Legitimität des Horus steht. A b e r auch der Bock v o n M e n des will sich mit dieser Sache nicht befassen und meint, m a n solle d o c h die beiden Q u e r u l a n t e n herauswerfen, u n d d a n n einen Brief a n die große Neith, die Gottesmutter, schreiben u n d d a n n tun, was sie sagen werde. D e m stimmten die Götter bei, und T h o t h w u r d e b e a u f t r a g t , i m N a m e n des A t u m an die Neith zu schreiben. U n d T h o t h setzt sich hin u n d schreibt einen Brief i m ä g y p tischen Kurialstil, und er schließt mit der F r a g e : »was sollen wir

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mit den beiden Männern tun, die jetzt seit achtzig Jahren im Gericht stehen?« Das Schreiben, das Neith darauf an die Götter richtet, ist deutlich genug: »gebt das Amt des Osiris an seinen Sohn Horus und tut nicht das große Unrecht, oder ich werde wütend und der Himmel fällt auf die Erde.« Und weiter schlägt sie vor, daß Seth eine Entschädigung erhalten solle, die Anat und die Astarte, die beiden ausländischen Töchter des Re. Als der Brief der Neith ankam, las ihn Thoth den Göttern vor und alle erklärten einstimmig: »diese Göttin hat Recht«. Der Herr des Alls aber wurde wütend auf Horus und sagte zu ihm: »du hast einen zu schwächlichen Leib; dieses Amt ist doch zu schwer für dich, du übler Junge!« Da wurde Onuris unendlich wütend und ebenso die gesamte Neunheit in ihren beiden Kollegien. So steht Re Harachte allein da und Baba, ein geringer Gott, erlaubt sich sogar, ihn zu verspotten: »deine Kapelle steht leer« sagt er zu ihm. Dieser Spott erzürnt freilich die andern Göttern, sie sagen »mach, daß du. herauskommst«, und dann verließen sie das Gericht und gingen zu ihren Zelten. Re aber war voll Trauer und warf sich hin, und so lag der große Gott einen Tag lang in seiner Halle auf dem Rücken, sehr traurig und allein. Danach aber kam Hathor, die Herrin der südlichen Sykomore, und blieb bei ihrem Vater, dem Herrn des Alls stehen; sie entblößte ihre Scham vor ihm und da lachte der große Gott über sie. Er richtete sich auf und setzte sich wieder zu der großen Neunheit. Er sagte zu Horus und Seth: »sprecht!« Seth aber der Kraftreiche, der Sohn der Nut, sagte: »bin ich denn nicht der Stärkste unter der Neunheit? Täglich töte ich doch den Feind des Re Harachte und stehe vorn im Schiff der Millionen. Kein anderer Gott kann das tun und darum werde ich das Amt des Osiris bekommen«. Da sagten die Götter: »Seth hat Recht«, aber Osiris und Thoth schrien laut auf: »soll man das Amt dem Bruder der Mutter geben, wenn doch ein leiblicher Sohn vorhanden ist?« Dagegen sagte aber der Bock von Mendes, der große lebende Gott: »soll man das Amt dem Jungen geben, da doch Seth, sein großer Bruder, da ist?« Die Neunheit rief laut angesichts des Herrn des Alls: »was hast du da für Worte gesagt, die nicht wert sind, daß man sie anhört?« Und Horus

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Fünftes Kapitel.

sagte: »es ist keineswegs gut, d a ß du mich so gering machst vor der Neunheit, und d a ß m a n mir das A m t meines Vaters w e g nimmt.« U n d Isis w u r d e wütend gegen die Neunheit und schwur vor ihr: »so w a h r meine M u t t e r Neith lebt und so w a h r PtahT a t e n e n mit den hohen Federn lebt, diese Worte wird m a n vor A t u m den großen zu Heliopolis, so legen und a u c h vor C h e p r e , der in seinem Schiffe ist!« D a sagte die Neunheit: »ärgere dich nicht, m a n wird das R e c h t d e m geben, der R e c h t hat u n d wird alles tun was du sagst«. Seth aber wurde wütend gegen die Neunheit, weil sie diese Worte zu der Isis gesagt hatte, u n d er sagte z u ihnen: »ich nehme mein Szepter v o n 4500 Nemes u n d schlage täglich einen v o n euch tot.« U n d Seth tat einen Schwur bei d e m Herrn des Alls, d a ß er nicht i m Gerichte bleiben werde, solange als Isis darin sei. A u f diesen Schwur hin entschließt sich R e Harachte d a n n , das Gericht z u verlegen u n d z w a r a u f die innere Insel, u n d d e m Fährm a n n dieser Insel wird befohlen, d a ß er kein Weib, das der Isis ähnlich sehe, übersetze. D i e Neunheit fuhr denn auch zu der Insel über, und d a setzten sie sich u n d hielten ihre Mahlzeit. Isis aber verwandelte sich in eine alte Frau, die gebückt ging und die einen goldenen R i n g a m Finger trug. So trat sie z u d e m F ä h r m a n n und sagte zu i h m : »ich komme zu dir mit einem T o p f Mehl für einen kleinen J u n g e n , der hütet a u f der Insel V i e h seit fünf T a g e n und er hat Hunger.« D e r F ä h r m a n n wollte es nicht tun, d a er keine F r a u übersetzen solle. Isis aber sagte: »das ist wohl wegen der Isis? ich werde dir aber dieses Brot geben.« Als der F ä h r m a n n auch das zurückweist, bietet sie i h m d a n n ihren goldenen R i n g an und er fährt sie trotz des Verbotes über. Als Isis unter den B ä u m e n a u f der Insel ging, sah sie, wie die Neunheit mit d e m Herrn des Alls in seiner Halle die Mahlzeit hielt. Seth aber erblickte sie v o n fern. D a sagte sie ihren Z a u b e r und verwandelte sich in ein schönes junges M ä d c h e n , das so schöne Glieder hatte, wie keine andere im ganzen L a n d e . D a verliebte er sich in sie; er stand von der Mahlzeit a u f u n d ging zu ihr hin, u n d keiner außer i h m hatte sie gesehen. E r trat hinter einen B a u m und rief: »hier bin ich, schönes Mädchen.« Sie aber antwortete: »Mein großer Herr, ich bin die Frau eines Rinderhirten gewesen, ich hatte i h m einen Sohn geboren, und mein

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Mann ist gestorben, und mein Junge hütet seines Vaters Vieh. Aber ein fremder Mann ist gekommen und hat sich in meine Hürde gesetzt und hat so zu meinem Sohn gesagt: »ich werde dich prügeln und dir die Rinder deines Vaters wegnehmen und dich herauswerfen« — so hat er gesagt, aber ich möchte, daß du ihm ein Beistand werdest.« Da sagte Seth zu ihr: »wird man denn dem fremden Mann das Vieh geben, solange noch ein Sohn des Mannes da ist?« Isis aber verwandelte sich in einen Vogel, flog auf und setzte sich oben auf eine Akazie und rief ihm zu: »Schäme dich! dein eigener Mund hat es gesagt, und deine eigene Klugheit hat dich gerichtet. Was willst du nun wieder?« Da stand Seth beschämt da und ging beschämt zu Re Harachte. Der aber sagte: »was hast du nun wieder?«, und Seth sagte: »die böse Frau ist wieder gekommen, daß sie wieder Böses an mir tue.« Und nun erzählt er sein Erlebnis und er beichtet auch, daß er gesagt habe: »man gibt das Vieh*) doch nicht einem fremden Mann, solange ein Sohn da ist. Man soll dem Fremden mit dem Stock ins Gesicht schlagen und ihn herauswerfen«. Da sagte Re Harachte: »ja, du bist es, der sich selbst verurteilt hat. Was willst du nun wieder?« Auf Seths Drängen wird nun auch der Fährmann, der ein kleiner Gott ist, vor die Neunheit geholt und bestraft, und bis heute noch ist wegen des goldenen Ringes das Gold in der Stadt dieses Gottes verrufen. Nun verließen die Götter die Insel und setzten sich auf den Berg des Westufers. Re Harachte aber und Atum — die hier deutlich als zwei Personen bezeichnet werden — schrieben zusammen einen Brief an die Neunheit und sagten: »was sitzt ihr hier und tut ihr hier? ihr laßt die beiden Jünglinge ihr Leben im Gericht verbringen. Wenn mein Brief zu euch kommen wird, so sollt ihr dem Horus die weiße Krone geben und ihn an die Stelle seines Vaters setzen«. Seth wurde wütend, die Neunheit aber sagte zu ihm: »warum bist du wütend? Soll man denn nicht tun was Atum und Re Harachte sagen?« Da setzte man die weiße Krone auf das Haupt des Horus, des Sohnes der Isis. Seth schrie laut auf und sagte ärgerlich: »will man denn das Amt meinem kleinen Bruder geben, solange ich, sein großer Bruder, da bin?«. Er schwur und sagte: »man wird ihm die weiße Krone vom Haupte *) Das hier gebrauchte Wort für Vieh ist doppelsinnig und kann auch A m t bezeichnen. So faßt es auch Isis auf.

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nehmen und ihn ins Wasser werfen, damit ich mit ihm wegen der Herrschaft s t r e i t e A u c h diesesmal stimmt Re Harachte dem Vorschlage zu, und so verwandeln sich denn beide in zwei Nilpferde, die sollen mitten im Meere untertauchen, und wer nicht länger als drei Monate unten bleiben kann, der soll verloren haben. Isis aber weinte und sagte: »Seth tötet meinen Sohn«. Sie machte sich eine Harpune und warf sie ins Wasser, die Harpune aber faßte den Horus. Der schrie und bat die Isis, daß sie der Harpune befehlen solle, ihn loszulassen. Das tat sie und warf die Harpune noch einmal ins Wasser, und da faßte sie den Seth. Der schrie: »was habe ich dir getan, meine Schwester Isis?« und er bat sie, auch ihn von der Harpune zu befreien, sei er doch ihr Bruder von derselben Mutter und da solle sie doch den fremden Mann (er meint wohl: den mutmaßlichen Bastard) nicht mehr lieben als ihn. Isis hatte Mitleid mit ihm und befahl der Harpune, auch ihn loszulassen. Horus aber ergrimmte über seine Mutter, er kam heraus und blickte so wild wie ein Panther. Mit seiner Waffe schlug er der Isis den Kopf ab, den nahm er in den Arm und stieg auf den Berg. Isis aber verwandelte sich in die Figur einer Königin aus Feuerstein ohne Kopf. *) Das sah Re Harachte und frug den Thoth: »was ist denn das, was da gekommen ist und keinen Kopf hat?« Thoth aber sagte: »das ist die große Isis, die Gottesmutter; ihr Sohn hat ihr den Kopf abgeschlagen.« Da schrie Re Harachte der Neunheit zu: »laßt uns gehen, und ihn schwer bestrafen!« Sie stiegen auf den Berg und suchten den Horus; der hatte sich aber im Lande der Oase unter einen Baum schlafen gelegt. Seth aber fand ihn, schlug ihn und riß ihm die Augen aus. Die vergrub er dann auf dem Berge, und sie wuchsen als zwei Blumen auf. Und Seth meldete dem Re Harachte, er habe den Horus nicht gefunden, und doch hatte er ihn gefunden. Hathor aber ging und fand den Horus, wie er in der Wüste lag und weinte. Sie griff eine Gazelle und melkte sie, die Milch aber tat sie in das rechte Auge und in das linke Auge, und er wurde geheilt. Als Hathor dies dem Re Harachte meldete, ließ die Neunheit den Horus und *) Das wird auf irgend einen Felsen gehen, der so wie »eine Isis ohne Kopf« aussah. — Hier fehlt übrigens ein wesentlicher T e i l der Geschichte, den wir aus Sali. I V 2,6—3,6 und aus Plutarch kennen. T h o t h g a b der Isis einen neuen K o p f , den K u h k o p f , den sie als nun Isis Hathor zu tragen pflegt.

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den Seth zum Gericht rufen. Und Re Harachte sagte zu den Beiden: »gehet fort! man hat j a gehört, was ihr zu sagen hattet! Eßt und trinkt, wir sind zufrieden und hört mit eurem Gezänk auf, das ihr an jedem Tage hier macht!« Da lud Seth den Horus in sein Haus ein, und dort bereitete man ihnen Abends ein Lager. Seth aber vergriff sich an dem Knaben. Diese Schandtat des Seth und die Schlauheit, mit der Isis das Odium von ihrem Sohne abzuwenden weiß, wird dann mit einer Ausführlichkeit erzählt, die sich jeder Wiedergabe entzieht.*) Dann macht Seth wieder einen neuen Vorschlag, man solle den Streit doch dadurch entscheiden, daß man zwei Schiffe aus Stein mache und sie beide darin fahren lasse. Wem diese Fahrt gelinge, der solle das Amt des Osiris haben. Horus zimmert sich nun ein Schiff aus Cedernholz und tüncht es mit Gips; abends warf er es dann in das Wasser, und kein Mensch hatte das gesehen. Seth aber glaubte, daß es aus Stein sein und so ging er zu dem Berge und schnitt dessen Spitze ab und machte sich ein Schiff daraus, das 130 Ellen lang war. Als sie dann vor der Neunheit in die Schiffe stiegen, sank das des Seth unter, er aber verwandelte sich in ein Nilpferd und beschädigte das Schiff des Horus, und der verwundete ihn mit einer Harpune, so sehr, daß die Neunheit für ihn bat. Dann fuhr Horus in seinem Schiffe herab nach Sais zu der großen Neith, der Gottesmutter, und bat die um ihren Beistand. Denn achtzig Jahre währe j a schon der Prozeß und tausendmal sei seine Sache schon als gerecht befunden, aber Seth kümmere sich nicht um das Urteil der Neunheit. Was Neith auf diese Beschwerde antwortet, erfahren wir nicht. Schließlich schlägt Thoth dann vor, einen Brief an Osiris zu richten, damit der zwischen den Beiden entscheide. Alles stimmt dem zu, und so schreibt denn Thoth einen Brief an Osiris, der mit allen Floskeln eines ägyptischen Königsbriefes geziert ist und den Gott befragt, was mit Horus und Seth zu tun sei. Als dieser Brief nun zum Osiris kam, schrie der laut auf, und schleunigst gab er den Göttern folgende Antwort: »warum kränkt man meinen Sohn Horus? Ich bin es doch, der euch stark macht, der Weizen und Gerste schafft, um die *) Übrigens kommt die Paederastie abgesehen von dieser Sage k a u m j e in alten Ä g y p t e n vor. Seth soll eben auch hierdurch als besonders gemein charakterisiert werden. E r m a n , Religion der Ägypter.

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Fünftes Kapitel.

Götter zu ernähren, und ebenso das V i e h nach den Göttern. kein Gott und keine Göttin hat erfunden, das zu machen.«

Und

Als diese Antwort des Osiris zu R e und der Neunheit kam, ließ der dem Osiris schleunigst so antworten: '»Ach wärest du doch nie geworden! ach wärest du doch nie geboren! Weizen und Gerste wären doch geworden.« A u f diese Grobheit des R e Harachte antwortet dann Osiris seinerseits ironisch, alles was R e tue und alles was die Neunheit ausdenke, sei sehr schön. A b e r — hier spielt er wohl auf sein eigenes Schicksal an-—wenn die Wahrheit auch in der Unterwelt ertränkt sei, so möge R e doch auch bedenken, wie es u m ihn selbst stehe. G ä b e es doch in dem Lande, in welchem Osiris hause, wildblickende Boten, die sich vor keinem Gott und keiner Göttin fürchten. »Lasse ich sie herausgehen, sagt er, so holen sie das Herz eines jeden, der Böses tut und dann müssen die hier mit mir sein. Wahrlich, was soll es, daß ich hier bin und im Westen ruhe, während ihr allesamt draußen seid? Wer unter euch ist stärker als ich? aber sie denken sich Lügen aus. Als Ptah einst den Himmel gemacht hat, hat er da nicht zu den Sternen am Himmel gesagt: ihr sollt in jeder Nacht im Westen ruhn, da wo der König Osiris ist, und außer den Göttern sollen auch die Leute und das Volk da ruhen wo du bist, hat er zu mir gesagt.« Als nun dieser Brief des Osiris beim Herrn des Alls und der Neunheit ankam, las T h o t h ihn ihnen vor und sie sagten: »Alles was er sagt, ist ganz richtig, er, der Herr der Speisen.« U n d nun erklärte das Gericht endlich, d a ß Horus i m Recht sei. A t u m aber beauftragte die Isis, den Seth gefesselt vorzuführen, und wirft dem vor, daß er sich nicht den Beschlüssen des Gerichtes gefügt habe. U n d Seth fügt sich und überläßt dem Horus das A m t seines Vaters. M a n setzte den Horus auf den T h r o n des Osiris und krönte ihn mit der weißen Krone. Isis begrüßte ihren Sohn als den guten K ö n i g des Landes. Endlich wirft dann noch Ptah die Frage auf, was nun mit Seth geschehen solle, da doch Horus den T h r o n erhalten habe. R e Harachte aber erklärt, man solle den Seth ihm zuteilen, d a ß er mit ihm wie ein Sohn sei; man solle seine Stimme im Himmel hören und alles sich vor ihm fürchten*). U n d so ist nun alles geregelt und alles in Freude, der Himmel und das ganze Land. *) In einer andern Version (Sali. IV, 9,4 —6) bekommt Seth seinerseits das rote Land, d. h. die Wüstenländer zu seinem Besitz.

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Wer diese lange Geschichte mit ihren Scherzen und Zoten liest, der mag sich wohl fragen, ob wir sie überhaupt zur Osirissage ziehen dürfen, zu jener Sage, die soviel für das ägyptische Volk bedeutet hat. Wir kennen diese Geschichte j a nur aus einer Handschrift des 12 ten Jahrhunderts, und da könnte der Verdacht nahe liegen, daß sie nichts ist als die Schwanksammlung eines Einzelnen, der die Personen seiner Götter dabei verwendete. Aber dieses Bedenken wäre schwerlich richtig, denn einzelne Teile der Erzählung sind uns auch aus anderen Schriften in ganz ähnlicher Gestalt erhalten. So die Geschichte von den Nilpferden und der Köpfung der Isis und weiter ist ein längeres Stück der Geschichte auch in einem Papyrus erhalten, der um mehr als sechs Jahrhunderte älter ist 2 . Und dieses Bruchstück enthält gerade den Teil der Geschichte, den wir als zu ekelhaft hier fortgelassen haben. Wir werden alsa schon glauben müssen, daß auch diese Erzählungen zu dem alt überkommenen Gute der Sage gehört haben. Eine Sage, die lange in einem Volke lebt, von Mund zu Mund überliefert wird, paßt sich j a den Bedürfnissen der Z u hörer an, und das niedre Volk hat an anderen Zügen seine Freude als die höherstehenden Kreise. So wird die Sage Ernstes und T ö richtes, Reines und Unreines enthalten, und eines wird so gut zu ihr gehören, wie das andere. Gerade die Osirissage zeigt uns in ihrer jüngsten Fassung, sie stammt schon aus griechischer Zeit, wie sich die verschiedenen Kreise des Volkes zu ihren verschiedenen Bestandteilen gestellt haben. In dem Buche das Plutarch ihr gewidmet hat, lehnt er 3 , der wenn einer doch ein gläubiger Bekenner der Isis war, manches davon als zu widerwärtig ab; wenn man solches für wirklich geschehen und vorgefallen halte, so müsse man mit Aeschylos zu reden, ausspeien und den Mund reinigen. Was Plutarch an der Sage lieb ist, sind die Züge, die er sich philosophisch ausdeuten kann. Wie die Osirissage in dieser höheren Deutung aussah, das werden wir unten (Kap. 22, S. 000) besprechen, wo wir von ihrem Weiterleben in Europa reden werden. Hier sei zum Schluß dieses langen Kapitels die Geschichte des Osiris noch einmal kurz so erzählt, wie Plutarch sie in dem Buche gelesen hat, das ihm die Grundlage für seine Darstellung der Isislehre abgegeben hat*). *) Wir lassen hier dem Seth und dem Thot die Namen Typhon und Hermes, die Plutarch für sie gebraucht. 6*

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Re hatte die Nut verflucht, daß sie in keinem Monat gebären solle, aber Hermes erschuf aus Liebe zu ihr die fünf Schalttage *), die zu keinem Monat gehören und an diesen gebar sie nun ihre fünf Kinder: den Osiris, den Harueris S. 30, den Seth, die Isis und die Nephthys. Als Osiris geboren wurde, ertönte eine Stimme aus dem Tempel zu Theben, daß jetzt der große wohltätige König geboren sei. Als er dann zur Regierung gekommen war, nahm er sich der Menschen an und änderte ihre bisherige rohe Lebensweise, er führte den Bau der Feldfrüchte ein, gab ihnen Gesetze und lehrte sie die Götter ehren. Das ganze Land durchzog er ohne Kampf und gewann die Menschen nur durch Überredung und Musik**). Während seiner Abwesenheit geschah nichts Böses, denn Isis seine Gattin, war auf der Hut, aber im Geheimen verschwor sich der neidische Typhon mit 72 Genossen gegen Osiris und brachte nach dessen Rückkehr seinen Anschlag zur Ausführung. Er machte eine herrliche Lade, die genau die Größe des Osiris hatte. Bei einem Gastmahl zeigte er sie und versprach sie scherzend dem, der in sie hinein paßte. Sie paßte keinem, bis sich Osiris in sie hineinlegte und da liefen die Verschworenen hinzu, warfen den Deckel darauf und vernagelten sie. Sie warfen die Lade in den Nil, und aus dem geriet sie ins Meer. Als Osiris so verschwunden war, legte Isis Trauer an und durchirrte suchend das Land. Kinder zeigten ihr, wohin die Lade geschwommen sei, denn zufällig hatten sie gesehen, wie die Genossen des Typhon sie ins Meer gestoßen hatten. Weiter hörte sie dann, daß die Lade in Byblos an der phoenizischen Küste ans Land getrieben sei, wo sie an einer Erika abgesetzt war. Diese schoß in kurzer Zeit dann empor und schloß die Lade in sich ein. Der König von Byblos aber bewunderte die Größe des Baumes und nahm einen Teil desselben, in dem auch die Lade war, als Säule unter sein Dach. Als Isis dies durch ein Gerücht vernommen hatte, begab sie sich nach Byblos, und dort setzte sie sich verweint *) D a ß die fünf Götter des Osiriskreises an den fünf Schalttagen geboren sind, ist eine alte Vorstellung, z. B. Pyr. 1 9 6 1 . Hierin liegt auch ein merkwürdiger Beweis für das hohe Alter der Osirissage. Als der Kalender 4 2 4 1 v. C h r . reguliert wurde, waren diese Götter in Heliopolis schon anerkannt. Vgl. Ed. Meyer I 2 § 197. * * ) Plutarch de Is. cap. 1 3 ; eine andere griechische Quelle weiß aber auch von Kriegszügen des Osiris.

Die Göttersagen.

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und in dürftiger Gestalt an eine Quelle. Sie sprach mit keinem Menschen, nur den Mägden der Königin begegnete sie freundlich. Sie flocht ihnen das Haar und hauchte ihnen den wunderbaren Wohlgeruch ein, der ihr eigen war. Als die Königin diesen Wohlgeruch ihrer Mägde wahrnahm, ließ sie die Fremde holen; sie wurde mit ihr vertraut und nahm sie zur Amme ihres Kindes. Isis aber nährte das Kind nur mit ihrem Finger, und in der Nacht verbrannte sie die sterblichen Teile seines Körpers. Sie selbst aber verwandelte sich in eine Schwalbe und umflog klagend die Säule, die die Leiche des Osiris in sich barg. Einmal aber entdeckte die Königin*), daß ihr Kind nachts in der Flamme lag; sie schrie auf und damit büßte das Kind die Unsterblichkeit ein. Die Göttin offenbarte sich dann, sie zog die Säule unter dem Dach fort und löste den Baum von der Lade. Den Baum hüllte sie in Leinen und salbte ihn und noch heute zeigt man ihn im Tempel von Byblos als das »Holz der Isis«. Isis warf sich über den Sarg und schluchzte so heftig, daß der jüngere Sohn des Königs starb, den älteren nahm sie zu sich und fuhr mit ihm und der Lade nach Ägypten. Dort in der Einsamkeit öffnete sie die Lade; sie legte ihr Gesicht an das des Toten und küßte es weinend. Dabei überraschte sie der Knabe und Isis warf ihm voller Zorn einen so fürchterlichen Blick zu, daß er vor Schreck starb. Als Isis sich dann zu ihrem Sohne Horus begab, der in Buto aufgezogen wurde, verbarg sie das Gefäß mit dem Osirisleibe. Aber Typhon, der nachts jagte, fand es auf; er zerriß den Körper des Osiris in vierzehn Teile und streute sie umher. Isis aber fuhr in einem Nachen aus Papyrusschilf durch die Sümpfe und suchte die Teile der Leiche zusammen, nur den Phallus fand sie nicht, denn den hatten gewisse Fische gefressen und diese sind daher den Ägyptern ein Abscheu. Alle andern Teile der Leiche setzte sie einzeln da wo sie sie fand bei und daher gibt es soviele Osisrigräber, in Ägypten. Osiris kam dann aus der Unterwelt hervor, um den Horus zum Kampfe zu bereiten. Als er ihn frug, was das Schönste sei, antwortete der Knabe, das sei es, daß man das Unrecht vergelte, *) Sie hieß Astarte, wie die phönizische Göttin, die ja auch nach Ägypten übernommen war.

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Fünftes Kapitel.

das dem Vater widerfahren sei*). Als nun Horus zum Kampfe bereit war, verließen den Typhon auch manche seiner Genossen und unter diesen war auch die Toeris sein Kebsweib, jenes Nilpferd, von dem wir im Kapitel 10 S. oo noch sprechen werden. Nach einem Kampfe von vielen Tagen überwand Horus dann den Typhon; Isis aber, der Horus den gefesselten Typhon übergeben hatte, begnadigte ihn und löste seine Fesseln. Das ertrug Horus nicht und er schlug seiner Mutter die Krone vom Haupt, doch Hermes setzte ihr dafür eine kuhköpfige Maske auf. Danach verklagte Typhon noch den Horus, den er als einen unehelichen Sohn bezeichnete, Hermes aber stand dem Horus bei und die Götter erkannten ihn als einen echten Sohn des Osiris. In zwei weiteren Schlachten wurde Typhon dann völlig bezwungen. So weit Plutarch. Wer seine Erzählung mit den älteren Darstellungen vergleicht, die wir oben gegeben haben, wird finden, daß diese jüngste Gestalt der uralten Sage sich im Tone dem griechischen Leserkreise angepaßt hat. Und weiter fällt es uns auf, wie sehr hier von allen den Seiten, die Osiris der Phantasie bot, die eine hervorgekehrt ist: Osiris ist das Vorbild des verstorbenen Menschen und seiner Bestattung. Die Lade, in die er gelegt wird, deutet auf den Sarg, und die ganze Episode von Byblos weist ja auch darauf hin, da ja alles, was man zu der Bestattung brauchte, Holz und Cedernöl aus diesem Hafen kam. Es war ja wirklich so, wie ein altes Weisheitsbuch es besagte1: Wenn man nicht nach Byblos fahrt, so fehlen die Zedern für die Mumien und das Zedernöl, um sie zu balsamieren. Dabei ist es dann freilich auffällig, daß von dem Gotte, der den Osiris doch bestattete, hier kaum die Rede ist, Anubis wird nur einmal genannt und auch das nur nebenbei. Er ist ein Kind, das Osiris versehentlich mit Nephthys erzeugt hatte. Nephthys hatte es aus Angst vor dem Typhon ausgesetzt, aber Isis, die von Hunden geleitet wurde, fand es auf. Sie zog es auf, und dieses Kind ward ihr Wächter und Gefahrte. Es heißt Anubis, der wacht nun ebenso für die Götter, wie die Hunde es für die Menschen tun. Auch eine noch wichtigere Gestalt, das Horuskind, wird nur nebenbei erwähnt und noch dazu so, als wäre es ein besonderer *) Dabei pries Horus auch das Pferd, mit dem man die Fliehenden verfolge, höher als den Löwen.

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kleiner Gott. Es ist der Harpokrates der Griechen, d. h. Harpe-chrod »Horus das Kind«. Den sollte Osiris nach seinem Tode mit Isis erzeugt haben und deshalb sollte er schwächlich geblieben sein. Fast könnte man von einer noch jüngeren, ja allerjüngsten Form der Osirissage reden, denn in unserm achtzehnten Jahrhundert ist auch diese Sage wieder aufgelebt, wenigstens bei uns, und die Zauberflöte hat sie dann so volkstümlich gemacht, daß Goethe im begreiflichen Unmut ausrief: o Isis und Osiris, o wär ich euch doch los. Wir aber, die wir diese älteste Sage der Welt aus reineren Quellen kennen, sehen sie anders an als jener und können uns unbefangen an ihr freuen.

Sechstes Kapitel.

Die Theologie. Wenn wir es im vorigen Kapitel mit Vorstellungen und Sagen zu tun hatten, die im ganzen menschlich und verständlich waren, so kommen wir jetzt zu dem trübsten Teile der ägyptischen Religion, zu den Deutungen und Phantasien, denen die Priester ihren Glauben unterworfen haben. Sie haben dies von jeher mit Vorliebe getan und der Ruf tiefsinniger Weisheit, in dem die Ägypter bis auf unsere Zeit gestanden haben, gründet sich vor allem auf diese Art ihrer Wissenschaft. Wie überall in der Welt sind die Dinge, über die man so in der Religion grübelt, meist solche, die für ihr eigentliches Wesen nur wenig bedeuten; es ist, um ein naheliegendes Beispiel anzuführen, für unsern eigenen Glauben sehr gleichgültig, wie wir uns zu der Lehre von den drei Personen in Gott stellen. Gewiß kann dann auch einmal das Ergebnis solcher Spekulation durch irgendwelche Umstände zu allgemeiner Anerkennung kommen; aber wirklich volkstümlich wird es nur selten werden — auch wir haben zwar eine Dreifaltigkeitskirche und kennen im Liede den »heiligen Geist«; aber er ist uns doch immer ein künstliches Wesen, von dem der natürliche Glaube nichts weiß. So wird auch von alledem, was die ägyptischen Gottesgelehrten ausgeklügelt haben, nur weniges wirklich ins Volk gedrungen sein. Wir finden es in den Tempeln und in den religiösen Liedern und Schriften, und es gilt als etwas Heiliges und Geheimnisvolles, aber für das Leben des Volkes bedeutet es nichts. Nach dem großen Gotte Ptah wird man seine Kinder nennen und ihn in der Not anrufen, aber an den von den Priestern erdachten Urgott Ta-tenen, der doch auch der Ptah sein sollte, wird sich niemand wenden, wenn man auch diesen Namen gern in feierlicher Rede gebraucht und ihn als Gott der ewigen Zeit und des langen Lebens rühmt.

Die Theologie.

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Wie sehr diese Lehren als etwas Geheimes galten, das m a n hüten mußte, sieht man schon daraus, d a ß in den Inschriften der älteren Tempel auf sie kaum hingedeutet wird; erst in denen der spätesten Zeit wird offen von ihnen geredet. Wer zum Beispiel den kleinen Tempel von Medinet H a b u besucht, der ahnt nicht, weshalb er schon früh als eine heilige Stätte der Urzeit g a l t 1 . Erst aus den Inschriften der griechischen Zeit erfahren wir, daß die Forschungen der Priester an diese Stelle die Grabstätte der Urgötter gelegt hatten. Natürlich wird ein jedes der Heiligtümer seine eigene Lehre gehabt haben und wären uns alle Tempel Ägyptens erhalten — es fehlen uns j a aber fast alle des Deltas und viele in Oberägypten — , so würden wir eine ägyptische Dogmatik nach ihren verschiedenen Schulen entwerfen können. Immerhin ist uns auch so noch genug von dieser Theologie erhalten und der Fleiß und Scharfsinn der Ägyptologen hat es erreicht, daß uns diese krausen Gedankengänge einigermaßen verständlich geworden sind, soweit man überhaupt bei all diesem Widersinn von Verständlichkeit sprechen kann. Hier seien nur die Systeme einiger großer Tempel besprochen, die in der Religion eine besondere Rolle gespielt haben und zwar z u m Teil deshalb, weil ihre Städte zeitweise Hauptstadt des Reiches gewesen waren. Zweierlei ist dabei allen Systemen gemeinsam. Diese Gelehrten wollen gerade das ergründen, was dem naiven Menschen gleichgültig ist; sie wollen auch im einzelnen wissen, wie die Welt entstanden ist und begnügen sich nicht mit der populären Vorstellung, daß die Erde einmal aus einem Wasser aufgetaucht sei. So denken sie sich z u m Beispiel in Memphis, d a ß die sich erhebende Erde (Ta-tenen) nichts anderes gewesen sei als der Gott Ptah selbst, den man deshalb auch Ta-tenen nennt. U n d weiter bestreben sich die Priester, den Hauptgott ihrer Stadt immer möglichst in den Vordergrund zu stellen und wo dies nicht angeht, weil eine andere Lehre schon gar zu verbreitet ist, da wird diese dann so umgestaltet, d a ß sie sich mit den eigenen Ansprüchen verträgt*. Zuerst die Lehre der alten heiligen Stadt Heliopolis. A u c h für *) So wird, u m ein besonders krasses Beispiel anzuführen, im F a y u m der K a m p f von Horns und Seth so umgedeutet, daß die Götter Sobk u. T h o t h als Gegner erscheinen, Fayum P a p I I , 38.

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Sechstes Kapitel.

sie bildet die Schöpfungsgeschichte die Grundlage. Als der Sonnengott, oder wie man in Heliopolis sagt: der Atum, im Urwasser Nun entstanden war, ehe noch der Himmel und die Erde entstanden und ehe ein Wurm oder Gewürm erschaffen war, fand er keinen Ort, wo er stehen konnte Dann erhob er sich auf einem Hügel und ging auf auf dem Benbenstein in Heliopolis2. Danach fand er, daß er allein war und so gedachte er, sich Genossen zu schaffen. Er begattete sich selbst 3 . Nach dieser Begattung spie er aus, und was er ausspie 4, waren der Gott Schu und die Göttin Tefnet. Daß diese beiden Götter auf solche Weise entstanden waren, ging fiir die Gelehrten aus ihren Namen hervor, die an zwei alte Worte für »speien« ischesch und tef erinnerten. Schu und Tefnet aber erzeugten Keb und Nut, den Erdgott und die Himmelsgöttin und diese wieder erzeugten den Osiris und den Seth, die Isis und die Nephthys — deren Kinder aber sind viele auf Erden. Diese alle hatten dann einst über die Welt geherrscht, noch ehe mit Horus die jetzige Ordnung der Dinge begonnen hatte. Sie waren die großen Götter und, da sie neun an der Zahl waren, nannte man sie die Neunheit oder genauer die große Neunheit von Heliopolis. Aber diese Bezeichnung hatte doch auch ihr Bedenkliches, denn es g^b ja neben diesen Kindern, Enkeln und Urenkeln des Atum noch genug andere und allverehrte Götter. Da fühlte man denn die Verpflichtung, den anderen bedeutenden Göttern auch einen solchen Rahmen zu geben, eine kleine Neunheit, die Horus den Sohn der Isis, Thoth, Maat, Anubis umfaßte, dazu dann noch, um die Zahl voll zu machen, einige weniger bekannte Wesen. Dieser Gedanke der Priester von Heliopolis hat dann Anklang gefunden und auch andere große Städte wollen ihrerseits ebenfalls eine Neunheit haben; sie stellen ihren Hauptgott an die Spitze der Neunheit oder fügen ihr auch noch andere ihrer Götter hinzu, unbekümmert darum, daß die Zahl nun nicht mehr stimmt, zählt doch die Neunheit von Theben 5 schließlich nicht weniger als fünfzehn Götter. Oder man bildet auch eine eigene Neunheit, die überhaupt keinen der Götter von Heliopolis enthält, wie z. B. in Abydos, wo die Neunheit aus zwei Chnum, einem Thoth, zwei Horus und zwei Up-uat besteht 6 . Merkwürdig ist nun, daß man frühzeitig von dieser künstlichen Bildung der Neunheit wie von e i n e r

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Gottheit spricht, die Neunheit gebiert einen G o t t 1 oder er kommt sogar hervor zwischen den Schenkeln der beiden Neunheiten 2. Das klingt wirklich so, als habe man diese Vielheit der Götter als ein einziges göttliches Wesen angesehen: freilich kann auch dieses, wie so manches in den ägyptischen Texten, nur eine Phrase sein. M a n beachte übrigens, d a ß diese Theologie von Heliopolis, wie alt sie uns auch erscheint, doch erst aus einer Zeit stammt, in der die Osirissage schon fest in dem dortigen Glauben wurzelte vgl. S. 68. Als die Lehre von Heliopolis den A t u m so an die Spitze aller Götter stellte, konnte man dies in der Nachbarstadt Memphis doch nicht ruhig hinnehmen, hatte doch auch diese Stadt in ihrem Ptah einen Gott von hohem Ansehen und war sie doch überdies die Residenz der Könige. Damals, es wird i m Anfang des alten Reiches gewesen sein, verfaßten die dortigen Priester eine kleine Schrift, die darlegen sollte, d a ß Ptah und Memphis doch mehr bedeuteten als A t u m und Heliopolis. Ü b e r diesem Schriftstück, das wir heute die »memphitische Theologie« nennen, hat nun ein merkwürdiges Schicksal gewaltet. Viele Jahrhunderte hindurch hatte man es als einen besonderen Schatz i m T e m p e l bewahrt, aber schließlich hatte es doch auch dem Alter seinen T r i b u t zahlen müssen. Es war von Würmern zerfressen, sein A n fang und wohl auch sein Schluß waren verloren. Als nun um 710 v. Chr. der fromme Äthiopienkönig Schabako in Ägypten herrschte, da baten ihn die Priester von M e m phis, d a ß er ihnen dieses Werk der Vorfahren vor weiterem V e r fall retten möge — war es doch gewißermaßen ein Adelsbrief ihres Heiligtums. U n d so ließ denn Schabako das, was von dem Buche noch übrig war, auf eine Platte von schwarzem Granit einmeißeln. Dabei haben dann die Schreiber des Schabako in ihrem frommen Eifer auch noch den Rest einer 2. Handschrift auf demselben Steine mitverewigt, und in dieser seltsamen Gestalt ist das Buch auf uns gekommen*). Die Weisheit dieses Buches lautet nun dahin, daß aus dem großen Ptah 8 weitere Ptahs entstanden sind. Die Menschen *) Freilich hat gerade der harte Stein d e m Buche neues Verderben gebracht, denn spätere Bewohner von Memphis fanden, daß er eine gute Unterlage für einen Mühlstein gäbe, und so ist denn ein gutes T e i l der Inschrift in der M ü h l e abgeschliffen worden. Seit 1805 befindet sich das merkwürdige Dokument im British Museum.

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haben für sie freilich meist andere Namen, denn sie sind die großen Götter Ägyptens oder doch deren Erzeuger. So geht denn die ganze ägyptische Götterwelt auf Ptah zurück, und selbst der kleine Gott Nefertem, die Blume, die den Sonnengott täglich erfreut, ist ein solcher Ptah. Daß man gerade 8 solche Formen des Ptah annimmt, rührt gewiß davon her, daß man so mit dem Ur-Ptah zusammen eine Neunheit herausbekommt, die nun ein Seitenstück zur Neunheit von Heliopolis bildet. Die zweite und die dritte dieser Formen des Ptah sind dann aber Ptah-Nun, das Urwasser, und die Göttin Ptah-Naunet; die aber sind es, die den Atum erzeugt haben. Demnach steht denn dieser höchste Gott von Heliopolis auf einer niedrigeren Stufe als der Ptah von Memphis und auch alles, was man dem Atum nachrühmt, schuldet er dem Ptah und selbst die Lippen und die Zähne, mit denen er die Götter Schu und Tefnet ausgespien hat, sind Glieder des Ptah. Auch seine Schöpferkraft und all sein Wirken wird dem Atum hinweginterpretiert, denn sowohl sein Herz als auch seine Zunge sind Ptah. Herz und Zunge aber sind es, die, wie dieser Weise ausführt, alles bewirken: Wenn die Augen sehen, und die Ohren hören, und die Nase Luft atmet, so führen sie,was sie aufgenommen haben zum Herzen und das faßt dann seine Beschlüsse. Die ^unge aber spricht sie dann aus. Dies Herz und diese Zunge des Atum sind dann wieder zwei Formen des Ptah, die als Götter die Namen Thoth und Horus führen. Die Zunge hat alles durch ihr Wort erschaffen alle Lebenskräfte und alle Speisen, alles was man liebt und alles was man haßt. Auch die Gesetze hat sie gegeben, denn sie gab dem Friedfertigen das Leben und dem Verbrecher den Tod. Auch alle Künste sind durch sie entstanden. Jedes Werk und alle Kunst, die die Hände machen. Die Füße gingen und alle Glieder bewegten sich, wenn sie befahl. Alles in allem muß man demnach sagen, daß es Ptah war, der den Atum gemacht hatte und alle Götter geschaffen hatte. U n d Ptah war zufrieden, nachdem er so alle Dinge und Gottesworte geschaffen hatte. Ptah aber wirkte noch weiter auf Erden. Er bildete die Götter und machte die Städte und gründete die Gaue. Er setzte die Götter in deren Tempel und ließ ihre Opferbrote gedeihen und stattete ihr Allerheiligstes aus. Er bildete ihren Leib nach, so daß ihre Herzen zufrieden waren und dann gingen die Götter in ihren Leib ein, der aus allerlei Holz und allerlei

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Stein und allerlei Metall bestand. Und allerlei Frucht wuchs und wurde gesammelt in die Scheune des Ptah >Ta-tenen, die große Stätte, die die Götter des Ptahtempels erfreut. So klingt denn die tiefe Weisheit der Priester von Memphis reichlich prosaisch aus, denn dieser ihr Schluß besagt j a in Wirklichkeit nur, daß auch ihre Einkünfte in der Welt, die Ptah geschaffen hat, gesichert stehen. Diese Lehre von Memphis hat dann auch die Lehre anderer Tempel beeinflußt. Auch an anderen Orten erklärt man die einzelnen Götter für Glieder des dortigen Hauptgottes, sei es nun Ptah, Amon oder Re Dabei gilt dann wieder Thoth als dessen Herz, das alles erdacht hat, und die Zunge hat dann wieder ausgesprochen was geschaffen wurde. Sogar noch in einem späten griechischen Skribenten, dem Horapollo, findet sich dies als Lehre der ägyptischen Weisen: das Herz ist das Leitende des Leibes und die Zunge nennen sie den Erzeuger des Seins 2 . Man übersehe nicht, wie merkwürdig diese Lehre von Memphis im Grunde gestaltet ist. Für sie gibt es nur ein göttliches Wesen, aus dem alle andern entsprossen sind und das, was in diesem göttlichen Wesen wirkt, ist das Herz, oder wie wir sagen würden der Geist. In demselben Buche nun, in dem sich die Priesterschaft von Memphis auf diese Weise des Atum erwehrte, setzte sie sich auch noch mit einem anderen Gotte auseinander, mit dem Osiris. Zwar ist hier nicht ausdrücklich gesagt, daß auch er eine Form des Ptah sei, aber er gehört doch zum Hofstaate des Ptah und hat sich mit den Göttern des Ta-tenen verbrüdert3. Wichtige Ereignisse seiner Geschichte haben sich, wie unser Buch behauptet, gerade in Memphis abgespielt. Als Isis und Nephthys ihn aus dem Wasser gezogen hatten, ist er hier in die Unterwelt eingegangen. In Memphis ist es auch gewesen, wo Keb, der Vater des Osiris, den Streit zwischen Seth und Horus schlichtete. In Memphis gab er dem Horus das untere Land und dem Seth das obere, und in Memphis war es, wo er dem Horus als dem Sohne seines Erstgeborenen die Herrschaft über das ganze Land gab. Zu der Lehre von Memphis gehören nun auch noch andere Gedankengänge, die nicht in jenem Buche enthalten sind und die auf die Lehre der Stadt Schmun hinweisen. Nach ihnen ist Ta-tenen auch der Schöpfer der acht Urgötter 4 gewesen und

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er hat auch jenes Ei geschaffen, dem der Sonnengott entschlüpft war. Und auch so ist er der Vater der Väter aller Götter 1, der Anfang der Anfänglichen. Er hat gemacht was existiert. Schon im vorigen Kapitel hatten wir der Sage gedacht, die die Anfänge der Welt an die Stadt Schmun in Mittelägypten knüpfte. Hier sollte zuerst ein Schlammhügel aus dem Wasser aufgetaucht sein und auf ihm sollten die ersten Wesen als Frösche und Schlangen gesessen haben. Es waren acht an der Zahl und die Stadt selbst hieß nach ihnen die Stadt der Acht, d. h. Schmun. Wie die Priester von Schmun diesen Glauben im einzelnen ausgestaltet haben, ist uns nicht bekannt, da nur wenig von den Tempeln dieser Stadt erhalten ist. Dafür ist uns ein Ableger wohl bekannt, den diese Lehre in einer um vieles jüngeren Stadt getrieben hat, in Theben. Etwa am Ausgang des dritten Jahrtausends wird einzelnes, was man in Schmun verehrte, hier eingedrungen sein. Vor allen der eine der Urgötter, der Amon, der es dann später in Theben zum höchsten Ansehen bringen sollte. Daneben wird denn auch die übrige Weisheit der Priester von Schmun hier aufgenommen worden sein, und so kommt es, daß wir die Lehre von Schmun gerade in den späten Tempeln von Theben kennen lernen. Das Wesentliche an ihr in dieser Zurechtmachung ist nun, daß man sich nicht an den acht Urgöttern genügen läßt, sondern — ähnlich wie in Memphis — noch ein Wesen vor sie setzt, aus dem sie entstanden sein sollen. Dieses Wesen ist dann nun freilich selbst einer der Urgötter, es ist der Amon, dessen Name wohl den Verborgenen bedeutet. In diesem System hat er selbst dann nicht mehr viel zu bedeuten und er ist eine Schlange Namens Kem-atef, und dieser Name bedeutet, einer der seine £eit vollendet hat. Er war also ein Gott, der für die Welt nichts mehr bedeutete und daher verschied. Indessen hatte Kem-atef einen Sohn, die Schlange Ir-ta »Erdschöpfer« und dieser schuf nun endlich die acht Urgötter, mit deren Schöpfung dann die jetzige Welt begann. Wer aber nicht dieser tiefsten Weisheit kundig ist, für den ist Kematef nur der große Amon des Tempels von Karnak und der Erdschöpfer ist der ithyphallische Amon von Luxor. Als die Acht geschaffen waren, hatte die Welt noch im Dunkeln gelegen. Die Acht aber werden von der Flut des Urwassers nach Schmun getrieben — oder wie man auch sagte, nach Mem-

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phis oder a u c h n a c h Heliopolis — und an dieser Stelle schufen sie d a n n die Sonne. D a n a c h kehrten sie n a c h T h e b e n zurück u n d d a sie ihre A u f g a b e in der W e l t erfüllt hatten, sind a u c h sie verschieden. N u n ruhen sie ebenso wie die K e m - a t e f Schlange a u f d e m Totenfelde v o n T h e b e n , d a , w o der kleine T e m p e l von M e dinet H a b u steht, u n d alle zehn T a g e fährt der A m o n von L u x o r z u ihnen herüber und opfert ihnen. Sie sind eben a u f E r d e n n u r noch Verstorbene, die m a n mit O p f e r n ehrt; unten aber i n der Unterwelt sind sie noch mächtige Wesen, denn sie führen d e n Nil und die Sonne herauf. Uns erscheint der Gedanke, d a ß e i n Gott sterben kann, widersinnig, für den Ä g y p t e r w a r er dies n i c h t * ) , w a r er d o c h mit der Vorstellung vertraut, d a ß sein großer G o t t Osiris einmal ebenso wie die Menschen gestorben w a r . Übrigens h a b e n die Gelehrten v o n T h e b e n diese G e d a n k e n d a n n a u c h so ausgebaut, d a ß sie den Osiris d e m K e m - a t e f gleichgesetzt haben. I n der T a t paßte j a dessen N a m e »der seine Zeit vollendet hat« a u c h auf Osiris; nun grübelte m a n weiter und fand, d a ß A m o n die Seele des Osiris sei. D i e Leiche des A m o n aber ruht i n der U n t e r w e l t und, w e n n er in seiner R o l l e als Sonnengott nachts dorthin k o m m t , so besucht er diese 1 . F ü r alle diese hier aufgeführten Feinheiten fehlt uns Profan e n natürlich das richtige Verständnis; aber auch die gelehrtesten Priester selbst w e r d e n in der Praxis ihres Lebens sich nicht d u r c h sie h a b e n bestimmen lassen. D e n A m o n v o n K a r n a k werden sie nie als verstorben und abgetan angesehen haben, sondern i m m e r als den großen, gewaltigen Götterkönig, der die W e l t lenkt, und bei d e m Osiris werden sie g e w i ß nie an die Seele des A m o n ged a c h t haben, sondern nur an den Gott, der allen T o t e n gebietet. Einer Theologie, die d a r a u f hinausging, d a ß alle Götter aus einer Urgottheit entsprossen wären, l a g nun auch der G e d a n k e nahe, d a ß D i n g e , die die Götter erschaffen hätten, etwas v o n d e m göttlichen Wesen enthielten. Sie waren, wie m a n es ausdrückte, aus ihren Gliedern hervorgegangen. Z u m T e i l besteht d a b e i ein innerer Z u s a m m e n h a n g zwischen d e m Wesen des Gottes und dem, was aus i h m entstanden sein soll. So nennt m a n das Wasser häufig die Glieder des Osiris, und das ist j a verständ*) So sind auch in Edfu neun Kinder des Re bestattet; die haben ein besonderes Fest, und täglich wird ihrem K a geopfert. Edfu, Rochem. I 173. 382. 289; I I 5 I .

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lieh, denn Osiris gilt doch nach alter Vorstellung geradezu als der G o t t der neuen Ü b e r s c h w e m m u n g . D a ß m a n d a n n das Wasser a u c h weiter für die Feuchtigkeit erklärt, die aus der Leiche des toten Osiris rinnt, liegt weniger nah. W e n n die L u f t als die Glieder des A m o n bezeichnet wird so rührt dies wohl d a v o n her, d a ß m a n sich diesen großen Gott, als er noch ein einfacher U r gott gewesen war, als L u f t und W i n d gedacht hatte 2 , wie a u c h seine damalige Gattin die A m a u n e t den N o r d w i n d darstellte 3 . Verständlich ist es a u c h , d a ß die M i l c h aus der H a t h o r 4 gekommen war, denn die w a r einst die Himmelskuh gewesen. A b e r d a ß a u c h das Bier 5 aus der H a t h o r gekommen ist, die B l u m e n aus Osiris 6 und der Feuerstein aus d e m Seth 7 ist uns weniger begreiflich. I m allgemeinen liebt m a n es, D i n g e n , die m a n b e i m K u l t u s verwendet, auch einen göttlichen Ursprung z u z u schreiben, durch den sie eine gewisse Weihe erhalten. So k o m m e n die M y r r h e n und die Wohlgerüche aus den Gliedern der H a t h o r oder des Horus, wenn m a n sie diesen Göttern d a r b r i n g t 8 , und der W e i h r a u c h wird mit Vorliebe der Gottesschweiß9 genannt. A u c h noch etwas anderes hat dieser Schweiß * der Welt geg e b e n ; als er zur E r d e rann, entstand aus i h m der Flachs. D e r verdiente j a auch einen göttlichen U r s p r u n g ; denn die leinenen Binden, die m a n aus i h m herstellte, wurden j a als Hülle der Götterbilder und als Binden der M u m i e n v e r w e n d e t 1 0 . A u c h anderes, was m a n für die Balsamierung brauchte, ö l , H o n i g und Asphalt, sollte von Göttern stammen 1 1 . W e n n wir oben erwähnt haben, d a ß die Seele des Osiris als A m o n weiterleben sollte, so h a b e n wir damit ein anderes Lieblingsgebiet der ägyptischen T h e o l o g i e berührt, über das die Ansichten g e w i ß nicht weniger auseinandergegangen sein werden als über die Entstehung der Welt. Wie der Mensch eine Seele Ba hat, die im Leibe weilt, so lange er lebt, u n d die m a n außerhalb des Leibes sich in Vogelgestalt denkt, und wie er außer diesem Ba noch ein ähnliches Wesen, den K a , besitzt, das werden wir i m 14. K a p i t e l besprechen. U n d was m a n v o m Menschen glaubt, gilt natürlich a u c h von den Göttern. A u c h sie haben einen B a und einen K a ; *) Ü b e r h a u p t geht es bei dieser göttlichen Herkunft nicht immer zart z u ; K e b blutet die Nase und es erwächst die Ceder; R e erbricht sich und es entsteht der Papyrus (Pap. Salt. 825 I I 7).

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nur d a ß bei ihrem göttlichen Wesen die Dinge nicht so einfach liegen wie bei den Menschen. Zunächst hat jeder Gott seinen einen Ba und der haust nach der gewöhnlichen Vorstellung in seinem Bilde, i m Tempel. A b e r er haust nicht nur da, sondern er haust auch an anderen Orten, vor allem im Himmel. So schildern uns z. B. die späten Inschriften von Denderah, wie die Seele der Hathor v o m Himmel herabfliegt, u m sich an ihrem schönen Tempel zu erfreuen (S. 172). A u c h das denkt man, d a ß die Seele des Gottes in dem heiligen Tiere seines Tempels wohne. U n d hier bot sich nun den Theologen eine Gelegenheit, auch die heiligen Tiere in ihrer Lehre unterzubringen. Denn diese Ochsen, Böcke, K ü h e , Falken, Krokodile, Schlangen waren zwar von unzweifelhafter Heiligkeit, aber dieser volkstümliche Glaube war doch für die entwickeltere Zeit »ein Erdenrest zu überwinden peinlich«. Anders war es nun, wenn man annahm, daß diese Tiere vom Gotte beseelt waren, göttliche Seelen, wie man sie nannte. N u n war beispielsweise der Apis die Seele des Ptah 1 — oder nach später Lehre auch die des Osiris 2 — ; der Phönix war die Seele des R e 3 . Die Krokodile waren die Seelen der Sobkgötter 4 , und in dem Bocke von Mendes steckt nicht nur die Seele eines Gottes, sondern gleich eine Vierzahl, die des R e , des Osiris, des K e b und des Schu. So m a g es gekommen sein, d a ß man dem Gotte nicht nur e i n e Seele sondern deren mehrere zuschrieb *). So hat z. B. R e nicht weniger als sieben Seelen und besitzt dazu noch vierzehn K a 5. Was diese sieben Seelen sind, wissen wir nicht; wohl aber sind wir über seine K a ' s unterrichtet. Diese vierzehn K a , zu denen dann auch ebenso viel weibliche Wesen von gleicher Bedeutung gehören, sind Zauberkraft, Glanz, Sieg, Stärke, Gedeihen, Speise, Dauer, Sehen, Hören, Sättigung u. a. m. 6 A u c h sonst gelten die K a ' s und ihre weiblichen Formen, die Hemuset, als segenspendende Wesen, nicht anders, als es der Nil und das Feld sind 7 . D a der K ö n i g j a auch ein göttliches Wesen besitzt, so nimmt man an, daß auch er ebenso wie die Götter mehrere Seelen und *) W e l c h ein U n s i n n sich bei diesen Spekulationen einstellte, m a g ein Beispiel zeigen. N a c h d e m sogenannten N e u e n Urgötterlied v o n H i b e h a t der Sonnengott 4 W i d d e r k ö p f e a u f e i n e m N a c k e n . E r besitzt a u ß e r d e m 777 O h r e n u n d hunderttausende v o n H ö r n e r n — d a b e i vertreten die 4 W i d d e r k ö p f e die 4 Windgötter. ( U n v e r ö f f . U r g ö t t e r l i e d aus H i b i s n a c h Roeder). Erman,

Religion der Ägypter.

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mehrere K a ' s besitzt *); freilich ist das bei ihm zur Phrase herabgesunken und wenn man von seinen Seelen spricht, so bedeutet das nicht viel mehr als sein machtvolles Ansehen. Etwas ganz anderes meint man übrigens, wenn man so wie oft von den Seelen einer alten heiligen Stadt oder einer Gegend spricht. Da hat man unter den Seelen von Buto oder den Seelen von Heliopolis nichts anderes zu verstehen als die einzelnen Götter dieser Orte \ Wir wollen hier nicht auf alles eingehen, was man sonst noch über die Seele der Götter phantasiert hat; nur das sei bemerkt, daß der eine Gott auch die Seele des andern sein kann. So ist Amon die Seele des Schuh 2 oder auch die Seele des Osiris, und als Osiris den Bock von Mendes umarmte, entstand aus beiden die Doppelseele * * ) 3 . Es ist kein erfreuliches Bild, das wir hier von der ägyptischen Theologie entworfen haben und auch das, was wir sonst von ihr und ihren Erzeugnissen sehen, erweckt keinen besseren Eindruck. Den einfachen Gedanken, daß die Sonne nachts durch die Unterwelt und das Totenreich fährt, haben sie zu ganzen Büchern ausgearbeitet, in denen ausführlich berichtet und dargestellt ist, was der Sonnengott bei seiner nächtlichen Wanderung zu sehen bekommt. (Vgl. unten K a p . 14.) Auch in den Wirrwarr der überlieferten Religion werden sie versucht haben, Ordnung zu bringen und wenn uns von ein und derselben Gottheit viele Exemplare nebeneinander vorgeführt werden, die sich durch besondere Beinamen scheiden, so setzt das Listen voraus, die die Gelehrten angelegt hatten. So saßen einst im Mut-Tempel von K a r n a k lange Reihen der Kriegsgöttin Sachmet, die durch Beinamen wie die von Ptah geliebte Sachmet, Sachmet die Herrin der westlichen Wüste, Sachmet im Hause der Bastet, die Große Sachmet, die von Sobk geliebte Sachmet u. a. m. 4 als besondere Wesen geschieden waren und im Tempel zu Denderah wußte man, daß die Göttin Hathor zu Hunderten von Malen in Ägypten existierte. Mit derselben Sorgsamkeit hat man denn auch die Göttersagen behandelt, natürlich nicht zu ihrem Vorteil. Was volks*) Ausnahmsweise hat auch ein Nicht-König mehrere Ka's, s. Mar. Mast. F 2 — RougeJH 38. * *) In Edfu nimmt man sogar an, daß d. Seele des Osiris aus vier Seelen besteht. Es sind die des R e von Edfu, des Schu, des K e b und seine eigene. Mammisi d'Edfou ed. Chassinat 96.

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tümlich in ihnen war, ist durch törichte Einfälle und Spekulationen zurückgedrängt. Besonders sucht man dabei zu wissen, wie dieses oder jenes, was den Priestern wichtig erschien, entstanden war und woher es seinen Namen erhalten hatte. Den Grund fand man immer in irgend etwas, was der Gott getan oder gesagt haben sollte. Wenn z. B. einmal erzählt wird, daß Re dem Osiris seine Königswürde übergeben habe, so knüpfen sich daran zwei Geschichten, die an Albernheit nichts zu wünschen übrig lassen x. Seth erschrak so sehr über diese Herrlichkeit seines Gegners, d a ß ihm die Nase blutete. Dieses Blut aber vergrub er u n d daraus entstand das Erdhacken, ein Fest, das man in Herakleopolis (Ehnas) und anderswo zu feiern pflegte. U n d als Re dem Osiris dann seine Krone aufgesetzt hatte, da erkrankte dessen Kopf von der Glut dieser Krone. Re aber ließ Blut und Eiter aus dem erkrankten Kopfe ab und Osiris wurde wieder gesund. Aus Blut und Eiter entstand dann der See beim Tempel von Herakleopolis. Hier sei noch ein Beispiel angeführt, das so recht zeigt, wie sehr diese Gelehrten die alten Sagen mißhandelten. Die Leute von Edfu hatten sich einst erzählt, daß ihr Gott, die geflügelte Sonnenscheibe, die sie Horus nannten, die Feinde der Sonne bekriegt habe. Als man dann bei jedem Horus an Horus, den Sohn der Isis, dachte, hatte man dann auch die Kämpfe dieses Horus mit dem Seth hineingezogen. Die Feinde wurden nun auch als der Seth und dessen Bundesgenossen gedacht, die die Gestalt von Krokodilen und Nilpferden hatten; während Horus zu Mitkämpfern außer der fremden Göttin Astarte eine Schar göttlicher Harpunierer hatte. Auf Grund dieser Geschichte hat dann im neuen Reiche*) ein Priester von Edfu eine eingehende Erzählung der Kämpfe verfaßt folgenden Inhalts. Re, Horus von Edfu und Thoth fahren in einem Schiffe durch ganz Ägypten, von der nubischen Grenze an bis zum Meere, und überall, wo sie auf böse Feinde treffen, besiegt und tötet sie der Horus. Bei jedem Siege aber und bei jedem Orte macht dann Thoth eine Bemerkung zu Re und von dieser Bemerkung rührt dann auch der Name her, den dieses oder jenes trägt: Städte und Kanäle, Tempel und Feste, Bäume und Schiffe, Priester und Sängerinnen •— alles hat seinen *) Daß diese Gestalt der Sage etwa in das neue Reich gehört, sieht man •daraus, daß auch die fremde Göttin Astarte darin vorkommt. 7*

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Namen durch diese K ä m p f e erhalten. Es sind sechzig bis siebzig Namen, die dieser fleißige M a n n so gedeutet hat. A b e r so töricht uns diese A r t von Gelehrsamkeit auch erscheint, sie hat doch auch ihre Bewunderer gehabt; i m ersten Jahrhundert v. Chr. hat man diese Schrift auf die Innenseite der Umfassungsmauer des Tempels von Edfu geschrieben als ein wertvolles Dokument für den R u h m des dortigen Gottes 1 . M a n hat dann aus all diesen Sagen und Geschichten in übel angebrachter Gelehrsamkeit eine Urgeschichte der Welt konstruiert. In ihr sind die Götter als Könige von Ober- und Unterägypten gedacht und von einem jeden kennt man die Zahl der Jahrhunderte und Jahre, die er regiert hat. So folgen sich nach dem Turiner Königspapyrus K e b , Osiris, Seth und Horus, denen dann T h o t h und M a a t und andere geringere Götter folgen; zuletzt kommen die Horusdiener, d. h. die menschlichen Könige der Urzeit. In dieser Plattheit ist man dann so weit gegangen, daß man für einzelne Götter förmliche Titulaturen erfunden hat, die denen der menschlichen Könige nachgebildet sind und schon im A n f a n g des mittleren Reichs führt Osiris auf einem Grabstein 2 zwei korrekt gebildete Königsnamen: der der

Horus: »der das Gemetzel der beiden Ägypten schlichtete« König von Ober- und Unterägypten: »Osiris Unennofre«. U n d ebenso heißt Seth in einer Inschrift des neuen Reiches: der König von Ober- und Unterägypten: »Seth, der Kraftreiche«, der Sohn des Re, der von ihm geliebt wird: »Nubth, der von Harachte geliebt wird3. Eine weitere Aufgabe der Theologen war das Erklären und Deuten alter religiöser Texte. Wir besitzen noch einen solchen Kommentar zu dem sogenannten siebzehnten Kapitel des Totenbuches. In diesem uralten Texte erklärt der Tote, daß er ein göttliches Wesen habe und rühmt sich, dieser oder jener Gott zu sein. So sagt er denn unter anderm: ich bin Min bei seinem Herauskommen, ich habe meine beiden Federn an mein Haupt getan. Dabei wird gewiß an eine Prozession gedacht sein, bei der das Götterbild im Schmuck der hohen Federn prangt, die das Abzeichen dieses Gottes bilden. Der ältere Kommentar aber will, d a ß mit Min hier Horus, der Sohn des Osiris gemeint sei und da dessen Bild keine solchen Federn besitzt, so werden nun diese Federn als die beiden großen Uräusschlangen gedeutet, die an der Stirn seines Vaters

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Atum sind. Ein späterer Kommentator aber aus dem neuen Reiche, der auch an der Gleichsetzung mit Horus festhält, sucht diese Schwierigkeit auf andere Weise zu beheben. Er erklärt das Herauskommen für die Geburt des Horus und erinnert dann an eine Geschichte, wonach Isis und Nephthys sich einst als zwei Geier an das Haupt des Horus gesetzt hätten; davon sollen dann diese Federn herstammen. Aber auch diese Deutung hat ihm nicht genügt: und so gibt er uns dann noch eine andere zur Auswahl, unter den beiden Federn seien die Augen des Horus zu verstehen. An anderer Stelle sagt der Tote von sich: ich war gestern, ich kenne morgen und meint gewiß, daß es für ihn als Gott keine Zeit gibt. Aber die Kommentatoren wissen es besser: mit gestern ist Osiris gemeint; mit morgen aber ist Re gemeint, an jenem Tage, wo die Feinde des Osiris vernichtet wurden und sein Sohn Horus die Herrschaft erhielt. Man sieht schon aus diesen Proben, wes Geistes Kinder diese Theologen waren.

Siebentes

Kapitel.

Geschichtliche Vorgänge und ihr Einfluß. Wir haben bisher von den stillen Kräften gesprochen, die unablässig in der Religion wirken und sie umgestalten. Aber auch äußere Ereignisse haben in sie eingegriffen und ihr ruhiges Leben unterbrochen. Selbst bei unserer unvollkommenen Kenntnis der ägyptischen Geschichte glauben wir noch solche Vorgänge zu erkennen; und von solchen soll im Folgenden die Rede sein. Schon im Anfang unserer Überlieferung steht ein solches Ereignis, das die Religion aufs Stärkste beeinflußte. Die beiden Reiche von Ober- und Unterägypten wurden zu einem Staate vereinigt, der fortan von Memphis aus regiert wurde. Welche Folgen diese Vereinigung für die Religion hatte, davon haben wir schon an verschiedenen Stellen gesprochen und brauchen hier nicht noch einmal darauf einzugehen. Man darf wohl sagen, daß erst von dieser Zeit an ebenso wie der Staat auch die ägyptische Religion eine gewisse Einheit gewonnen hat, bei welcher der Glaube von Heliopolis und der Glaube von Memphis den Kern bilden. Etwa um 2560 v. Chr. hatte dann dasjenige Königshaus sein Ende gefunden, das sich die großen Pyramiden erbaut hatte, und an seine Stelle war ein neues getreten, das der sogenannten fünften Dynastie. Diese Könige, die von einem Priester des Sonnengottes herstammten, verehrten keinen Gott so sehr wie diesen und ein jeder errichtete sich in seiner Residenz einen eigenen Tempel des Re, der wohl das große Heiligtum von Heliopolis nachahmte. A n diesem Tempel des Königs dem R e dienen zu dürfen, war eine hohe Ehre und so wurde der R e zum bevorzugten Gotte der höheren Stände. Auch in anderen Städten wünschte man dann diesem vornehmen Gotte zu huldigen, und wenn es in ihnen keinen Sonnengott gab, so gab es doch gewiß dort einen andern großen Gott, der manches vom Wesen des R e besaß.

Geschichtliche Vorgänge und ihr Einfluß.

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U n d wenn ein gelehrter Priester ihn recht betrachtete, so konnte er nicht zweifeln, d a ß dieser Gott im Grunde doch auch der Sonnengott sei. So kam es denn, d a ß viele der großen Götter — eigentlich bleibt nur Ptah ausgenommen 1 — sich im Laufe der Zeit in einen Sonnengott wandeln mußten. M a n erkennt diesen Wandel äußerlich daran, d a ß sie ihrem alten Namen ein R e zufügen: MonthRe, SobkRe, C h n u m R e , A m o n R e . So steuerte denn in diesem Stadium ihres Lebens die ägyptische Religion auf einen allgemeinen Sonnenkultus hin, bei dem durch viele der alten Göttergestalten der Sonnengott durchschimmerte. Schließlich hat man dieser Tendenz zu Liebe selbst den guten Totengott Osiris dem Sonnengotte angeglichen. A u c h lag dieser Gedanke j a nicht so fern, denn die Sonne weilte j a allnächtlich in der Unterwelt und R e und Osiris bildeten dann, wie die Theologen meinten, die vereinigte Seele 2. Später deutet man auch in der Schrift dieses Verhältnis der beiden Götter dadurch an, d a ß man den Namen des Osiris nicht Usire schreibt, sondern Usi-Re, als enthielte sein Name auch den des Sonnengottes. U n d noch einem anderen hohen Wesen kommt diese Schwärmerei für den Sonnengott zu gute: dem Könige. Der gilt, wie wir in K a p . 4 gesehen haben, seit der fünften Dynastie als Sohn des R e und bei der Thronbesteigung nimmt ein jeder einen Namen an, der sich auf R e bezieht. Er gilt als ein Teil des R e , und wenn er stirbt, so fährt er zum Himmel und vereinigt sich mit seinem V a t e r ; er kehrt eben in das göttliche Wesen zurück, zu dem er gehört. Als um 2250 v. Chr. das alte Reich zusammenbrach, war unter den kleinen Königreichen, die in den folgenden Jahrhunderten in die Höhe kamen, auch eines, das in Oberägypten, in Theben, seinen Sitz hatte. Es war dies die Gegend, die eigentlich den Month und den Min verehrte, aber neben diesen Göttern war, wie wir S. 94 gesehen haben, ein anderer Gott in die Höhe gekommen, der A m o n , der eigentlich zu den acht Urwesen von Schmun gehört hatte. Ein volkstümlicher Gott war er wohl nie gewesen, denn wir kennen keine alte Sage, die sich an ihn knüpfte. Er war in Theben nichts als ein Doppelgänger des M i n geworden, wie diesen stellte man ihn ithyphallisch dar, mit erhobenem A r m , er trug wie er eine K a p p e mit zwei hohen

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Siebentes Kapitel.

Federn u n d eine Geißel; seine H a u t f a r b e w a r blau. D a ß der A m o n z u einem der g r o ß e n Götter wurde, verdankte er w o h l nur d e m U m s t ä n d e , d a ß das Geschlecht, aus d e m die zwölfte Dynastie erwachsen war, ihn als seinen Familiengott ehrte. Schon der erste dieser Herrscher u m 2000 v . C h r . trägt d e n bezeichnenden N a m e n Amen-em-het, d. h. »Amon w a r a m A n f a n g « 1 . F ü r die Rolle, die A m o n als G o t t des K ö n i g t u m s spielte, w a r es wichtig, d a ß a u c h er inzwischen zu einem Sonnengotte A m o n R e geworden w a r . D a m i t w a r er aus der Schar der kleineren provinzialen Götter herausgehoben. Als A m o n R e erhielt er n u n a u c h eine andere dezentere Gestalt: F o r t a n sitzt er thronend wie ein K ö n i g , u n d nur die K a p p e mit den F e d e r n u n d die b l a u e H a u t f a r b e hat er von d e m ursprünglichen Bilde beibehalten. A b e r die L a u f b a h n des A m o n R e , die ihn schließlich z u m höchsten aller Götter m a c h e n sollte, w u r d e noch einmal j ä h unterbrochen. E t w a u m 1700 v. C h r . wurde Ä g y p t e n v o n einem fremden V o l k e , den sogenannten Hyksos, erobert. W i r wissen nicht sicher, w e l c h e m V o l k s s t a m m diese Eroberer angehörten u n d nicht welc h e n Göttern sie dienten — jedenfalls nicht denen Ä g y p t e n s . W e n n unter d e m Hyksoskönige C h i a n der T e m p e l von Bubastis ausgeschmückt wird, so nennt m a n den Herrscher d a b e i nicht, wie es sonst der Brauch ist, »geliebt v o n der Göttin dieses Tempels«, der Bastet, u n d noch weniger nennt m a n dabei den N a m e n seines barbarischen Gottes, sondern m a n nennt ihn von seinem Ka geliebt. Eine solche Benennung w a r für einen Ä g y p t e r ohne A n s t o ß , d e n n einen solchen Geist hatte j a ein j e d e r , und der Hyksoskönig konnte sich dabei j a a u c h seinen eigenen Gott denken. Als d a n n die Hyksoskönige i m östlichen D e l t a ihre H a u p t s t a d t * ) hatten, dienten sie d e m dortigen Gotte Sutech. U n d die Überlieferung will, d a ß K ö n i g A p o p h i s keinem anderen Gotte diente, der im ganzen Lande war 2. K e h r e n wir der V e r t r e i b u n g sollte. Es w a r e n freiung v o n der

wieder z u d e m A m o n R e zurück, der n u n n a c h der Hyksos den Gipfel seines Ansehens erreichen die Fürsten v o n T h e b e n gewesen, denen die BeFremdherrschaft gelungen war, und als dieses

*) Auaris, das spätere Tanis. Der Gott Sutech ist derselbe wie der Gott Seth von Oberägypten, nur in barbarischer Schreibung.

Geschichtliche Vorgänge und ihr Einfluß.

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Geschlecht dann auch die Herrschaft über ganz Ägypten erwarb und dennoch Theben als Residenzstadt beibehielt, da konnte es nicht fehlen, daß A m o n R e der Gott des Königtumes und der höchste Gott des Landes wurde. V o n hier an heißt er der König der Götter. U n d das Schicksal wollte weiter, daß diesen Königen der achtzehnten Dynastie, den Thutmosis und Amenophis, die den A m o n so erhoben hatten, eine Macht zuteil wurde, wie sie Ägypten bis dahin nicht gekannt hatte. V o m Euphrat an bis hin in den Sudan zinste ihnen alles Land, und über dieses ganze ungeheure Gebiet verbreitete sich der R u h m ihres Gottes. Aus dem Reichtum aber, der nach Ägypten strömte, errichteten diese Pharaonen des sechzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts und die der folgenden Geschlechter dem Amon R e die Riesentempel von Theben, zum Dank für die Siege, zu denen er sie geführt hatte. Und sie erbauten ihm weiter in den andern Städten ihres Reiches neue Heiligtümer, damit man überall dem Gotte ihrer Herrschaft diene. So wurde denn Amon R e den Ägyptern wirklich für lange Zeit ihr höchster Gott. U n d doch war er keiner 47. Amon-Re reicht dem Könige der großen alten Götter gewesen und das Sichelschwert und übergibt hatte fast sein ganzes Wesen von andern ihm fremde Völker. von Medinet Göttern entlehnt. Wer den großen Hym- (Aus dem Tempel Habu). nus liest, in dem dieser Gott mit den vielen Namen ohne %ahl gefeiert wird 1 , der sieht bald, daß außer seinem Namen und außer der Erwähnung Karnaks nicht viel darin ist, was sich gerade auf den Amon bezieht. Eigentlich sind es nur einige Wortspiele mit seinem Namen, wie Oberhaupt der Menschen, dessen Namen seinen Kindern verborgen (amon) ist; auch das Beiwort der in allen Dingen bleibt, mag sich noch aus der ursprünglichen Natur des alten Urgottes Amon, der als Luft gedeutet 2 wurde, erklären. Was sonst von ihm gesagt wird, gebührt ausschließlich zwei anderen Göttern, deren Namen ihm auch beigelegt werden, dem Min und dem R e . Wie den Min rühmt man ihn, daß er zwei hohe Federn trägt, und wie Min ist er auch der Schützer

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Siebentes Kapitel.

der Wüstenstraßen, obgleich doch Theben gar nicht an der Straße zum roten Meere lag. So heißt es vom Amon, daß die Götter seinen Geruch lieben, wenn er aus Punt (dem Weihrauchlande) kommt. Er ist reich an Wohlgeruch, wenn er aus dem Lande der Matoi herabsteigt. Er ist der Horns des Ostens, dem die Wüste Silber und Gold schafft und Lapislázuli ihm zu Liebe, allerlei Weihrauch im Lande der Matoi und frische Myrrhen für seine Nase. Das alles sind Dinge, die man sonst seinem Nachbar, dem Min, nachrühmt. Ungleich mehr aber tritt die Gleichsetzung mit dem Re hervor. Der Gott wird schlechtweg Re, Cheprie oder Atum genannt; er heißt der Stier zu Heliopolis oder der Glanzreiche im Hause des Benbensteines (S. 62). Er befährt den Himmel in Frieden und ist der Herr der Abendund der Morgenbarke. Auch er bekämpft den Apophisdrachen, und ebenso wie bei Re ist es sein Auge, das die Feinde fällt. Seine Mannschaft jauchzt, wenn sie sehen, wie der Feind (Apophis) gefällt ist, wie seine Glieder mit dem Messer zerfleischt sind, wie das Feuer ihn gefressen hat, und wie seine Seele noch mehr gestraft wird als sein Leib. Diese Schlange — ihrem Kommen wird gewehrt. Die Götter jauchzen, die Mannschaft des Re ist zufrieden, die Feinde des Atum sind gefällt. Theben ist zufrieden und Heliopolis jauchzt. Auch was man in den Sagen vom Sonnengott erzählte, wird auf Amon übertragen; er hat in der großen Halle zwischen Horus und Seth gerichtet als das Oberhaupt der großen Neunheit. Wie der Sonnengott gilt nun auch Amon Re als der Schöpfer aller Dinge. Er ist es, der dies alles gemacht hat, der Einzige mit den vielen Händen. Er ist der Vater der Götter, der die Menschen machte und die Tiere schuf. Er schied die Menschen, einen vom andern, nach ihrer Farbe, die Menschen kamen aus seinen Augen und die Götter aus seinem Mund. Aber Amon Re ist auch der Erhalter und der Ernährer aller Wesen und gerade diese Seite seines Wesens wird in dem Liede besonders verherrlicht. Er wacht in der Nacht, wenn alle Menschen schlafen, und wie ein guter Hirt sucht er das Beste für sein Vieh. Er schafft das Kraut für die Herden und den Fruchtbaum für die Menschen. Er schafft das wovon die Fische im Strom leben und die Vögel unter dem Himmel. Er gibt dem, der noch im Ei ist, den Atem und ernährt den Sohn des Wurmes. Er macht wovon die Mücken leben und ebenso die Würmer und die Flöhe. Er macht, was die Mäuse in ihren Löchern brauchen, und ernährt die Vögel auf allen Bäumen. Um seinetwillen kommt der Nil, der süße, vielgeliebte, und wenn er kommt, so leben die Menschen.

Geschichtliche Vorgänge and ihr Einfluß.

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U n d dieses allmächtige Oberhaupt aller Götter, an dessen Füße sich die Götter wie Hunde schmiegen, ist doch auch für die Menschen von freundlichem Herzen, wenn man zu ihm ruft. Er errettet den Furchtsamen vor dem Frechen und erhört die Bitte dessen, der in Bedrängnis ist. Daher liebt und verehrt ihn auch alles, so hoch der Himmel und so weit die Erde und so tief das Meer ist. Die Götter neigen sich vor deiner Majestät und erheben ihren Schöpfer, sie jauchzen, wenn sich ihr Erzeuger naht. •»Preis dir« sagt jedes Wild, »Lob dir!« sagt jede Wüste. Deine Schönheit erobert die Herzen. Die Liebe zu dir lähmt die Arme, und deine schöne Gestalt macht die Hände schlaff. Das Herz vergißt, weil man nach dir schaut. Wie A m o n so als der Helfer und Wohltäter der Menschen volkstümlich geworden ist, das werden wir im neunten Kapitel im Einzelnen sehen. A b e r zunächst ist jene Seite seines Wesens für uns weniger wichtig als jene andere, die ihn zu einem Sonnengott gemacht hat, denn diese ist es, die zu jener großen U m w ä l z u n g geführt hat, die wir heute die Ketzerzeit nennen. Wie der Glaube des A m o n R e allmählich sich in einen reinen Sonnenglauben wandelte, das spiegelt sich deutlich in einem Liede ab, das aus der Zeit Amenophis' I I I . 1 4 1 6 — 1 3 7 5 stammt, also aus der Zeit, die der großen U m w ä l z u n g unmittelbar vorhergeht. In ihm wird der A m o n R e eigentlich nur noch als die Sonne gefeiert, und von allem anderen, was jener große Amonshymnus noch erwähnte, ist hier nicht mehr die Rede. U n d doch waren die Zwillingsbrüder Hör und Suti, auf deren Grabstein dieses Lied steht, gewiß rechtgläubige Verehrer des A m o n ; denn beide dienten ihm als seine obersten Baumeister, der eine auf der Ostseite Thebens, der andere auf dessen Westufer. Dieser Lobgesang auf Amon, wenn er als Harachte aufgeht, lautet i m Wesentlichen so: Preis dir, du schöner Re jedes Tages, der morgens aufgeht, ohne Unterlaß! Chepre, der sich an Arbeit abmüht! Man hat deine Strahlen vor Augen und weiß es nicht. Gold — das gleicht nicht deinem Glänze. Ptah bist du und bildetest deine Glieder, du Gebärer, der nicht geboren ist. Einzigartiger, der die Ewigkeit durchlebt dein Glanz gleicht dem der Himmelsgöttin und deine Farbe funkelt mehr als ihre Haut. Du fährst über den Himmel und alle Menschen schauen dich, und doch ist dein Gang vor ihnen verborgen.

108

Siebentes Kapitel.

Dann wird gesagt, wie schnell und weit die Sonne täglich fährt, einen Weg von Millionen und Hunderttausenden von Meilen im Augenblick. Und wenn sie zur Ruhe geht, so vollendet sie ebenso die Stunden der Nacht und regelt sie unablässig. Dann heißt es weiter: Alle Augen sehen durch dich, und sie vollenden nichts, wenn deine Majestät untergegangen ist. Früh bist du auf, um morgens aufzugehen. Dein Licht, das öffnet die Augen, aber gehst du unter im Berge Manun, dann schlafen sie, als wären sie tot. Wandte sich diese erste Strophe an den »schönen Re jedes Tages«, so preist nun eine zweite Strophe die Sonne mit dem Ausdruck Aton, mit demselben Worte, das dann nicht lange nachher der charakteristische Name für den Gott der Umwälzung werden sollte. Sie lautet: Preis dir, du Sonne des Tages, der alle Wesen geschaffen hat und ihren Lebensunterhalt gemacht hat! Du großer Falke mit den bunten Federn, der entstanden ist, um sich selbst zu erheben, der von selbst entstanden ist, ohne geboren zu werden. Altester Horus inmitten der Himmelsgöttin! dem man zujubelt bei seinem Aufgang und ebenso bei seinem Untergang! Der Bildner dessen, was der Erdboden hervorbringt, Chnum und Amoit der Menschen! Er hat die beiden Länder in Besitz genommen vom Größten bis zum Kleinsten. Treffliche Mutter der Götter und Menschen, gütiger Bildner, der so sehr sich bemüht an seinen zahllosen Geschöpfen. Starker Hirt, der seine Tiere treibt, ihre Zufluchtsstätte, die sie am Leben erhält. Eilender, laufender, kreisender! Chepre mit erhabener Geburt; der seine Schönheit erhebt am Leibe der Nut. Der die beiden Länder erleuchtet mit seiner Sonne. Der Urgott, der sich selbst gemacht hat. Der jeden Tag die Enden der Länder erreicht und schaut, die darauf wandeln. Der aufgeht am Himmel Er macht die Jahreszeiten in Monaten, die Glut wenn er will und die Kühlung wenn er will', er macht die Glieder schlaff und er umarmt sie. Jedes Land betet ihn an bei seinem Aufgang, täglich, um ihn zu verehren. Soweit unser Hymnus. Wie sich die große Umwälzung, auf die er schon hindeutet, dann im Einzelnen vollzogen hat, vermögen wir nicht zu sagen, aber das Eine sehen wir, daß die Zeit reif für sie war.

Achtes Kapitel.

Die Ketzerzeit. Wenn wir uns fragen, in welcher Zeit das Ägypten des neuen Reiches den höchsten Glanz erreicht habe, so werden wir heute vor allem an die Regierung des dritten Amenophis (1411—1375) denken. Unter ihm genoß Ägypten nach außen hin noch sein volles Ansehen, es war die führende Macht der damaligen Welt; im Innern erfreute es sich des Reichtums und der hohen Kultur, die der Reichtum mit sich bringt. Es ist dies die Zeit, in der die ägyptische Kunst ihre feinsten Blüten entfaltet; weder vorher noch nachher hat sie einen Bau erschaffen, der an einfacher Schönheit dem Tempel von Luxor gliche, und nie wieder haben die Bildhauer die Anmut und Feinheit der guten Werke dieser Zeit erreicht. Aber eine solche Zeit der Blüte und des Glanzes bringt dem Volke auch eine Gefahr, die Gefahr der Übersättigung; man ist des Bisherigen müde und fühlt den unruhigen Wunsch, neue Bahnen einzuschlagen. Und so treffen wir denn auch schon unter Amenophis I I I . auf einzelne Dinge, die gar nicht mehr recht zu dem alten Ägyptertume passen. Wenn der König in den Tempeln auch noch immer der Halbgott bleibt, der er bisher gewesen war, so kehrt er dafür an anderer Stelle ohne Scheu die menschliche Seite seiner Existenz hervor. Auf großen Skarabäen, mit denen er die denkwürdigen Ereignisse seiner Regierung feiert, erzählt er uns, daß er 1 1 0 Löwen geschossen oder eine Herde von Wildstieren gejagt habe. Einen großen See hat er für die Königin angelegt und ihn feierlich eingeweiht; der König von Mitani hat ihm eine Tochter gesendet mit 317 ihrer Mädchen. Vor allem aber berichtet er der Nachwelt, daß er, der allmächtige König, die Teje, die Tochter des J u i a und der Tuia, d. h. ein Mädchen nicht königlicher Geburt, zu seiner Gattin gemacht habe. — Wer das liest und bedenkt, wie wenig derartiges zu dem ägyptischen Königtume paßt, der kann

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Achtes Kapitel.

nicht zweifeln, daß der Herrscher, der es liebte so aufzutreten, auf dem Wege war, ein weltlicher König zu werden, wie es seine Nachbarn in Babylonien und Mitani waren. Und auch sonst mußte es damals schon im ägyptischen Volke mannigfach gären, denn nur so läßt sich die große Umwälzung verstehen, die sich dann unter seinem Nachfolger vollzog. Man hatte es satt, in Verhältnissen weiter zu leben, die aus früherer Zeit ererbt waren, und den Besseren nun als Unwahrheit erschienen. Man wollte nicht mehr eine Sprache schreiben, die längst veraltet war; man wollte nicht mehr die Menschen in anmutigen Gestalten mit freundlich lächelndem Antlitz darstellen, da man es doch vermochte in den Bildnissen ihre wahren Züge wiederzugeben, und

48. Von einem Bau Amenophis' III. in Theben. Rechts der König betend, über ihm die Sonne; links der Sonnengott noch in alter Gestalt, aber schon mit den neuen Namen. (Berlin 2072.)

vor allem: man war es satt, eine Religion weiter zu pflegen, die so vieles mit sich herum schleppte, was für keinen Einsichtigen mehr etwas bedeutete*). Die Gottheit wollte man verehren und lieben, deren segensreiches Wirken man sah und fühlte: die Sonne. — Wahrheit war es also in allem, wonach diese neue Generation strebte. Daß diese neue Richtung bereits unter Amenophis I I I . geherrscht hat, zeigt schon die eine Tatsache, daß gegen Ende seiner Regierung in Karnak selbst ein Sonnentempel gebaut wurde Und gewiß war diese Bewegung eine allgemeine**), wenn sie auch, wie wir gleich sehen werden, schon in die Hände der Gelehr* ) A u c h E d . Meyer, Geschichte d. Altertums Bd. I I 2 S . 3 2 6 , sieht in d e r ganzen Bewegung eine solche der gebildeten Klassen. * * ) M i t R e c h t bemerkt E d . M e y e r (Geschichte I 2 § 80), daß solche großen Bewegungen nie von den Priestern selbst ihren Ausgang nehmen.

Die Ketzerzeit.

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ten geraten war. Alle Gebildeten werden daher dem jugendlichen Kronprinzen zugejubelt haben, als er sich vermaß, mit seiner Regierung die neue Zeit heraufzuführen. Welchen Abgrund er mit diesem Beginnen aufriß, konnte man j a nicht ahnen. Worin bestand nun dieser neue Glaube? Wir kennen eine Formel, die seinen Inhalt jedenfalls klar aussprechen will, das ist der seltsame Name, den man dem Sonnengotte jetzt verleiht. Er lautet: Es lebt Harachte, der im Horizonte jauchzt, in seinem Namen als Schu, welcher Aton (Sonne) ist! Dieser Name ist so gefaßt, als sei er ein Glaubensbekenntnis, freilich ein solches, bei dem sich ein naiver Mensch nicht viel denken konnte. Verständlicher mußte es dem Volke sein, daß man den Sonnengott nicht mehr wie früher in Menschengestalt und mit Falkenkopf darstellte, sondern einfach als das Gestirn selbst. Von der Sonne laufen dabei Strahlen aus, sie endigen in Hände und diese Hände bedeuten, daß die Sonne dem Menschen das Leben und alles Gute gibt. Nur zuweilen hängt dann am unteren R a n d e der Sonne noch ihr altes Abzeichen, die Schlange, als der letzte Rest der alten Vor- 49. Das neue Bild des Sonnengottes. Stellungen. Den wirklichen Inhalt des neuen Glaubens lernen wir dann aus den mancherlei Liedern und Gebeten kennen, die wir in den Gräbern von TellAmarna lesen. In ihnen ist nichts Dogmatisches und Theologisches zu finden und für sie ist der Sonnengott nur der freundliche Schöpfer und Erhalter aller Wesen. Das schönste dieser Lieder entstammt dem Grabe des Priesters Eje, desselben Mannes dessen wir noch öfter zu gedenken haben werden. Dies Lied lautet so: wie schön erscheinst du im Horizonte des Himmels, du lebende Sonne, die zuerst gelebt hat. Du bist im östlichen Horizonte aufgegangen und erleuchtest jedes Land mit deiner Schönheit. Du bist schön und groß und funkelst und bist über jedem Lande. Deine Strahlen umfassen die Länder, so viel du ihrer gemacht hast; du bist Re und dringst bis an ihr Ende*) und bezwingst sie mit deiner Liebe für deinen Sohn (d. h. den König). *) Ein Wortspiel mit Re.

Achtes Kapitel.

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Du bist fern und deine Strahlen sind auf Erden, man hat dich vor Augen und doch weiß man dein Gehen nicht. Gehst du unter im westlichen Horizonte, so ist die Erde im Dunkel als wäre sie tot. Sie schlafen in ihrer Kammer mit verhülltem Haupt und kein Auge sieht das andere. Würden alle ihre Sachen gestohlen, die sie unter ihrem Kopfe haben, sie würden es nicht merken. Jeder Löwe kommt aus seiner Höhle heraus und alle die Würmer beißen Die Erde schweigt, denn der, der sie geschaffen hat, ruht in seinem Horizonte. Wenn es tagt und du aufgehst im Horizonte und als Sonne am Tage leuchtest, so vertreibst du das Dunkel und schenkst deine Strahlen. Die beiden Länder*) sind fröhlich. Sie erwachen und stehen auf ihren Füßen, wenn du sie erhoben hast. Sie waschen ihren Leib und nehmen ihre Kleider. Ihre Hände preisen dein Erscheinen und das ganze Land tut seine Arbeit. Alles Vieh ist zufrieden mit seinem Kraute. Die Bäume und Kräuter grünen. Die Vögel fliegen aus ihrem Neste und ihre Flügel preisen dich. Alles Wild hüpft auf den Füßen, alles was fliegt und flattert das lebt, wenn du für sie aufgegangen bist. Die Schiffe fahren herab und fahren herauf und jeder Weg ist offen, weil du aufgehst. Die Fische im Strom springen vor deinem Antlitz und deine Strahlen sind innen im Meer. Der du die Frucht werden läßt in den Weibern, der du den Samen schaffst in den Männern, der du den Sohn ernährst im Leibe seiner Mutter und ihn beruhigst, daß er nicht weine, die Amme im Mutterleib. Der da Luft gibt, um alles was er geschaffen leben zu machen. Kommt es aus dem Mutterleibe am Tage seiner Geburt so öffnest du seinen Mund zum reden und du machst was es bedarf. Das Vögelchen im Ei redet schon in der Schale und du gibst ihm Luft darin, um es am Leben zu erhalten. Hast du ihm Kraft gegeben, sie zu zerbrechen, . . . so kommt es heraus . . . . und es geht auf seinen Füßen fort> wenn es herausgekommen ist. Wie vieles gibt es, das du gemacht hast, du einziger Gott, neben dem kein anderer ist. Du hast die Erde nach deinem Wunsche geschaffen, du allein, mit Menschen, Herden und allen Tieren. Alle die auf der Erde sind, gehen auf ihren Füßen und alle die in der Luft sind, fliegen mit ihren Flügeln. Die Fremdländer Syrien und Nubien und das Land Ägypten — du setzt einenjeden an seine Stelle und machst was sie brauchen; ein jeder hat seine Nahrung und seine Lebenszeit ist berechnet. Ihre jungen sind durch die *) d. h. deren Bewohner.

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Die Ketzerzeit. S&eache geschieden und ebenso ist es ihre Gestalt. du hast die Völker Du

machst den Ml

deinem Belieben, Du Länder,

Ihre Haut ist unterschieden,

unterschieden. in der Unterwelt

um die Menschen

und führst

ihn herbei nach

zu ernähren.

bist ihrer aller Herr, der sich an ihnen abmüht, der Herr der für

Alle fernen an den Himmel

sie aufgeht,

die gewaltige

Länder für

deren Leben

gesetzt,

Sonne des sorgst du.

daß er zu ihnen herabfalle.

auf den Bergen wie ein Meer, den übergibst du den fremden auf Füßen Deine

geht.

Der

Strahlen

sie und wachsen für

Nil,

Du

hast einen

Er schlägt

um ihre Äcker zu befeuchten.

trefflich sind deine Gedanken, du Herr der Ewigkeit: Völkern,

und dem Wild jeder

Nil

Wellen

Wie vor-

den Nil am

Himmel,

Wüste,

der kommt aus der Unterwelt für

. . . säugen alle Felder;

aller

Tages.

wenn du leuchtest,

das

Ägypten. so leben

dich.

Du machst die Jahreszeiten

um alles zu erhalten, was du geschaffen

hast, den Winter um sie zu kühlen und die Glut,

damit sie dich kosten.

Du hast den Himmel fern gemacht, um an ihm aufzugehen zu sehen was du gemacht

und alles

hast.

Du bist allein und gehst auf in deiner Gestalt als lebende Sonne wenn du erscheinst und leuchtest und dich entfernst und Du

machst Millionen

schaften, Äcker, Du

wiederkehrst.

aus dir allein.

über der Erde bist.

bist in meinem Herzen

ergeht es nach deinem Wink,

und keiner kennt dich als dein Sohn der

Die

begreifen.

denn du hast sie erschaffen.

gangen, so leben sie, gehst du unter, so sind sie tot. und man lebt durch

Der

Welt

Bist du aufge-

Du selbst bist die

dich.

Augen schauen auf deine Schönheit

legt alle Arbeit

Ort-

. . .

Du ließest ihn dein Wesen und deine Kraft

Lebenszeit

Städte,

Weg und Strom — jedes Auge schaut dich sich gegenüber,

wenn du die Tagessonne König.

von Gestalten

nieder, wenn du zur Rechten

Wenn du aufgehst, so läßt du wachsen

bis du untergehst und man untergehst*). für deinen Sohn,

der aus deinen Gliedern hervorgegangen ist.

Wer diesen schönen Hymnus mit älteren Liedern auf den Sonnengott vergleicht oder mit dem großen Hymnus auf A m o n R e (S. 105), dem wird der grundsätzliche Unterschied nicht entgehen. Allen gemeinsam ist zwar, daß sie den Gott als Schöpfer und Erhalter alles Lebens feiern. Aber der neue Hymnus weiß nichts von den alten Namen des Sonnengottes, von seinen Kronen, *) Dem Ägypter gilt der Westen als zur Rechten gelegen. E r m a n , Religion der Ägypter.

8

114

Achtes Kapitel.

Szeptern u n d heiligen Städten. E r w e i ß nichts v o n seinen Schiffen und Matrosen und v o m D r a c h e n Apophis, nichts von der Fahrt d u r c h das Totenreich und der Freude von dessen Insassen. Ü b e r h a u p t ist wenig darin aus d e m herkömmlichen Vorstellungskreis der Ä g y p t e r , es ist wirklich ein Lied, das ebenso gut auch ein Syrer oder Ä t h i o p e z u m Preise der Sonne anstimmen könnte. U n d in der T a t werden diese L ä n d e r u n d ihre Bewohner so in diesem H y m n u s erwähnt, als sei auch der H o c h m u t mit d e m der Ä g y p t e r v o r d e m auf die elenden Barbaren herabgesehen hatte, etwas Überlebtes. A l l e Menschen sind des Gottes K i n d e r . Er hat ihnen verschiedene F a r b e n und verschiedene Sprachen gegeben und hat sie in verschiedene L ä n d e r gesetzt, aber für alles sorgt er in gleicher Weise und w e n n er d e m einen seinen Nil gibt, so gibt er d e m andern dafür seinen R e g e n . Vielleicht hätte dieser G l a u b e , der uns heute so zusagt, sich eher behaupten können, w e n n m a n i h m nur Zeit gelassen hätte, sich in R u h e im V o l k e zu verbreiten. D a s ist aber nicht geschehen, denn der j u n g e K ö n i g , der auch körperlich wie seine Bilder zeigen, krankhaft war, w a r gewiß ein unruhiger Geist u n d v o m A n f a n g an betrieb er seine R e f o r m mit einem Übereifer, der ihr nur schaden konnte. I m A n f a n g seiner R e g i e r u n g nennt er sich selbst den Hohenpriester seines Gottes und den Einzigen des R e 1 und betreibt vor allem den Bau jenes Sonnentempels in K a r n a k , der schon, wie wir oben gesehen haben, zur Zeit seines Vaters begonnen w a r . In seinem ersten Stadium erscheint uns der neue G l a u b e fast nur als eine Fortsetzung der Lehre von Heliopolis. D e r Gott ist noch der alte R e Harachte und wird auch noch in Menschengestalt mit Falkenkopf dargestellt. I m neuen Sonnentempel zu K a r n a k ist das Hauptstück ebenso wie dort der Benbenstein die N a c h b i l d u n g jenes Felsens, auf d e m einst die Sonne erschienen w a r . A u c h der Hohepriester führt den gleichen Titel (ur—maa) wie der von Heliopolis und auch der dortige heilige Stier, der Mnevis, d a r f in d e m neuen Heiligtume nicht f e h l e n * ) . Selbst die Paviane, die die Sonne beim A u f g a n g verehren (S. 20) sind in d e m neuen T e m p e l durch Statuen vertreten 2 . So etwa sah der G l a u b e aus, den der K ö n i g i m A n f a n g seiner *) So noch sicher im Jahre 4 bei der Gründung von T e i l Amarna.

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Die Ketzerzeit.

Regierung verkündete als höchster Priester des Harachte der im Horizonte jauchztDaß sich aber hinter diesem schlichten Äußeren schon Absonderliches verbarg, zeigt der Name seines Gottes, den wir oben besprochen haben. In ihm ist das alte Harachte, der im Horizonte jauchzt2 erklärt durch einen Zusatz: in seinem Namen als Schu, welcher Aton ist und dabei sind doch Schu und Aton beides Worte für Sonne — gewiß ist das sehr tiefsinnig aber freilich auch schwer verständlich. Wie wenig man übrigens in diesem ersten Stadium der neuen Religion noch an dem falkenköpfigen Bilde des Gottes Anstoß nahm, zeigt eine Äußerlichkeit. Jahrtausende lang hatte man den R e in den Königsnamen nur mit dem einfachen Zeichen der Sonne O geschrieben; gerade jetzt fängt man an, hier auch das Zeichen

zu

gebrauchen 3 .

Noch aber liegt in dem allen nichts Feindliches gegen den Amon, auch nicht in dem Bau des großen Tempels, den man seinem Heiligtume anfügt. M a n eröffnet feierlich einen Steinbruch zur Herstellung des Benbensteines und auf dem Denkmal das diese T a t verewigt, stellt man ruhig dar, wie der K ö n i g dem A m o n huldigt und nennt ihn dessen Liebling 4. In der T a t brauchte j a auch in der Verehrung des neuen Sonnengottes nichts Feindliches gegen den A m o n zu liegen, denn seit man diesen einst zum A m o n R e gemacht hatte, war er j a im Grunde nichts anderes als eine neue Form des alten Sonnengottes und fast alles, was die Menschen an ihm verehrten, hatte er j a von diesem übernommen. So glaubte denn der K ö n i g gewiß nichts Unrechtes gegen den Gott seiner Väter zu tun, wenn er seine Verehrung für den reinen Sonnengott hervorkehrte. A b e r dieser Frieden ist nicht von Dauer gewesen. Was ihn gestört hat, wissen wir nicht*), man wird aber nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß die Priester des A m o n in dem neuen Glauben doch eine unerträgliche Ketzerei entdeckt haben, und versucht haben, diese zu unterdrücken. U n d nun bricht eine Bewegung aus, die sich mit wahrer Wut gegen den A m o n wendet und deren Spuren noch heute nach 3300 Jahren, sich überall in Ägypten finden. Wo immer der Name *) A u f der Grenzstele des Jahres 4 wird auf »Böses« hingedeutet, was geschehen sei und was auch unter Thutmosis I V . vorgekommen sei, aber die Stelle ist zerstört und die Ausdrücke sind so unbestimmt, daß von allem M ö g lichen die R e d e sein kann.



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Achtes Kapitel.

des Amon stand, wurde er ausgekratzt. Man möchte nicht glauben, daß diese Verfolgung des Amon von dem Könige allein ausgegangen sei, vielmehr wird es eine fanatische Menge gewesen sein, die in dieser Weise alle Tempel und Gräber durchstöbert hat, u m den verhaßten Namen des Amon auszutilgen, unbekümmert darum, daß die schönsten Denkmäler so geschändet wurden. Wie immer bei solchen Torheiten fehlt dann auch die lächerliche Seite nicht. Es berührt uns komisch, wenn wir sehen, daß der gelehrte Schreiber des Königs in seinem Archiv auch in den keilschriftlichen Briefen der asiatischen Könige nachgesehen hat, ob irgendwo das Wort Amon zu tilgen wäre, obgleich dies doch gewiß niemand außer ihm selbst lesen konnte. Und nicht minder komisch wirkt es, wenn in einer Inschrift irgend ein harmloses Wort, das dem Namen des Amon ähnlich sieht, dem Fanatismus zum Opfer gefallen ist. Schlimmer was es, daß auch die Göttin Mut, die Gemahlin des Amon, verpönt war, denn das Unglück wollte ja, daß ihr Name genau so geschrieben wurde, wie das gewöhnliche Wort für Mutter. Da blieb denn nichts anderes übrig, als daß wer seinen H a ß gegen die Göttin von Theben beweisen wollte, das Wort »Mutter« von jetzt ab in anderer Weise schrieb. Noch schlimmer war dann freilich das, was den König selbst betraf; er hieß j a Amenhotep d. h. »Amon ist zufrieden« und ein solcher Name war natürlich fortan eine Unmöglichkeit. So blieb nichts übrig, als daß er seinen eigenen Namen ablegte und sich fortan Echenaton »der Sonne gefällig« nannte*}. Man sieht, wie völlig der junge König zum Schwärmer geworden war. denn mit dieser Namensänderung verleugnete er nicht nur den Amon, sondern seine eigenen ruhmvollen Vorfahren. Hatte sich die Schwärmerei für den Sonnengott zunächst darauf beschränkt, daß man den Amon verabscheute, so ging sie, wie das in solchen Fällen geschieht, bald weiter. Wenn man im Sonnengott im Aton wie man jetzt schlechtweg sagte, den alleinigen Schöpfer aller Dinge sah, so war es eigentlich ein Widersinn, daß es neben ihm noch andere Götter geben sollte. Er mußte der einzig wirkliche Gott sein und es war eigentlich ein Frevel noch an andere Götter neben ihm zu glauben. *) Auch seinen alten Titel: der mit d. hohen Federn (Gekrönte) legt er dann ab, da dieser von den Göttern Min und A m o n hergenommen war.

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U n d so sehen wir denn, d a ß m a n nicht nur den N a m e n des A m o n austilgt, sondern vielfach auch den anderer Götter. Im Ptahtempel von K a r n a k sind Ptah und Hathor ausgekratzt in der Säulenhalle Thutmosis' I I I . zu K a r n a k hat dieses Schicksal alle Götter ereilt, den Osiris, die Isis, den Horus, den A t u m , den M o n t h , den K e b u. a. m. Selbst der Geier Nechbet, der schützend über dem K ö n i g e schwebt wird nicht verschont 2 . A u c h der N a m e des heiligen Bockes wird getilgt 3 , und bei d e m Worte Gott gilt dessen Mehrheit »die Götter« als anstößig und nicht zu dulden 4 . Diese Austilgung der anderen Götter geschieht freilich nicht so konsequent wie die des A m o n und so werden wir annehmen dürfen, d a ß sie nicht geradezu im A u f t r a g e des Königs geschah. Jedenfalls w a r m a n offiziell noch nicht so weit vorgeschritten und wir sehen noch, d a ß m a n im J a h r e 5 des Königs i h m amtlich aus Memphis berichtet, d a ß der T e m p e l des Ptah in g u t e m Z u stande ist, d a ß die O p f e r für alle Götter und Göttinnnen regelm ä ß i g dargebracht und gnädig aufgenommen werden 5 . U n d dieser Bericht ist durchaus so gehalten, als hätte sich in der Religion noch gar nichts geändert. Hier ist also von einer Feindschaft gegen die andern Götter noch nicht die R e d e . D a n n aber erfolgte ein Schritt, durch den der K ö n i g mit allem brach, was v o r d e m gegolten hatte. Er g a b Ä g y p t e n einen neuen Mittelpunkt, ein Gottesreich, in dem es keinen Gott mehr geben sollte als den Sonnengott allein. Z w a r hat der K ö n i g die Stadt seiner V ä t e r nicht zerstört. A b e r er ertrug es nicht, selbst noch länger in dieser Stadt des A m o n zu leben. E r wählte für sich und seinen Gott eine neue Stätte an jener Stelle, die wir heute Teil A m a r n a nennen, und die gerade in der Mitte des langgestreckten Ägyptens liegt. D a w a r auf dem Ostufer des Nils eine breite wüste Ebene, die einen guten Baugrund a b g a b für die Riesenstadt, die der K ö n i g bauen wollte. A c h e t - A t o n Horizont der Sonne sollte sie heißen. Dorthin b e g a b er sich mit seinem Hofe (wohl i m Jahre 6) brachte ein O p f e r und ließ die Freunde des Königs, die Großen des Palastes und die Generäle vor sich kommen. Denen erklärte er feierlich, d a ß dieses der O r t sei an dem er bauen werde. Das habe i h m keiner seiner R ä t e eingegeben, sondern der Gott selbst wolle es so, und er der Pharao habe auch gefunden, d a ß diese Stätte keinem Gott gehöre und keiner Göttin, keinem Herrscher und keiner Herrscherin, noch habe irgend ein Mensch einen Anspruch auf sie.

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D e m allen stimmten die Großen bei, der König aber hob die Hand zum Himmel zu seinem Vater dem Gotte und schwur bei ihm: Ich mache Achet-Aton für den Aton, meinen Vater an dieser Stelle und mache ihm Achet-Aton weder südlich davon, noch nördlich noch westlich, noch östlich. Weder nach Süden, noch nach Norden will ich über die Grenzsteine hinausgehen, und will auch nicht auf der westlichen Seite bauen sondern auf der Seite des Sonnenaufgangs, an der Stelle, die er sich selbst mit dem Gebirge umgeben hat . . . Sollte mir aber die Königin sagen, es gäbe doch anderswo eine schönere Stelle für Achet-Aton, so werde ich nicht auf sie hören! U n d wenn mir die Räte oder irgend welche anderen Leute, ein gleiches sagen, so werde ich nicht auf sie hören. M a g es sich um eine Stelle im Norden oder im Süden, im Westen oder im Osten handeln, ich werde niemals sagen, daß ich Achet-Aton verlasse und gehe, um ein anderes Achet-Aton an jenem andern schönen Orte zu errichten . . . sondern dieses ist das Achet-Aton für den Aton; er hat es selbst gewollt, daß er sich darauf erfreue immer und ewiglich.« U n d nun zählt der K ö n i g alle die großen Gebäude auf, die er in seiner Stadt errichten will, für den Gott, für sich und die Königin und unterläßt es auch nicht zu bestimmen, daß wo auch immer er und die Königin einmal sterben mögen, sie in Achet-Aton begraben werden sollen. U n d an einem andern T a g e schwur der K ö n i g einen zweiten Eid, daß das gesamte Land, das zwischen den Grenzsteinen von Achet-Aton liege — d. h. ein Gebiet von etwa 13 km Länge und 20 k m Breite — dem Aton gehören solle: Berge, Wüsten und Felder aller Art, Wasser, Dörfer, Ufer, Menschen, Herden und alles, was sonst der Aton mein Vater geschaffen hat1. Dann aber begann der Bau, bei dem eine große Stadt mit Tempeln *) Palästen und langen Straßen mit Häusern und Gärten aus dem Nichts geschaffen wurde und an dem gewiß alle Baumeister und Bildhauer teil hatten. U n d hier konnte nun auch die Kunst sich so frei entfalten, wie sie es wollte, sie konnte sich über das Herkommen hinwegsetzen und nach Wahrheit streben. *) V o n dem großen Tempel, der 800 m in der Länge und 300 m in der Breite maß, ist heute so gut wie nichts mehr erhalten, und wir können uns fast nur nach den Wandbildern aus den Gräbern in Teil Amarna einen Begriff davon machen. Sein Hauptstück war ein großer Altar, zu dem eine Treppe hinaufführte. Der sowohl wie die kleinen Altäre waren reich mit Speisen bedeckt. Der gesamte Kultus scheint im Freien vor sich gegangen zu sein. V g l . Davies El Amarna I u. II.

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D a ß diese »Wahrheit« bei den verschiedenen Künstlern sehr verschieden aussah, d a ß neben den herrlichen Porträts, die Borchardt in der Werkstatt eines Bildhauers gefunden hat, damals auch wahre Karikaturen entstanden, das war freilich die natürliche Folge einer solchen Entfesselung der Kunst. Wir können diese Dinge hier nicht weiter verfolgen*). U n d ebenso wenig können wir darauf eingehen, daß jetzt auch die gewöhnliche Umgangssprache an die Stelle der veralteten Schriftsprache trat. Aber das müssen wir hervorheben, d a ß mit diesser Änderung der Kunst und mit der Änderung der Sprache auch der Inhalt der. Bilder und Inschriften ein anderer wird und zwar gerade auch da, wo es

sich um den K ö n i g und das Königtum handelt. Der herkömmliche feierliche T o n ist verbannt. M a n wünscht dem Könige, daß er in Teil A m a r n a leben soll, bis der Schwan schwarz wird und der Rabe weiß wird, bis die Berge aufstehen und fortgehen und bis das Wasser stromauffließt So viel Schätze soll der K ö n i g haben als Sand am Ufer ist, als die Fische Schuppen haben und die Rinder Haare 2 und so viel Jubiläen soll er feiern wie Federn auf den Vögeln sind und *) Vgl. die Abhandlung von Schäfer, Die Religion und Kunst von el Amarna, Berlin 1923. — Die irrige Vorstellung, daß vor dieser Kunst noch eine gemäßigte bestanden, die sich weniger vom Herkömmlichen entfernte, ist nur dadurch entstanden, daß bei den Bildern Amenophis' III. öfters dessen Name durch den des neuen Königs ersetzt ist. (Borchardt, Mitteil, der DOG.57). Derartiges ist zwar auch sonst oft genug in Ägypten vorgekommen; daß aber der Name des eigenen Vaters dem des Sohnes Platz machen muß, ist doch a r g und paßt wenig zu dem Streben nach Wahrheit.

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Blätter auf den Bäumen 1 . Solch ein Wunsch ist gewiß frischer und hübscher als es die alte Phrase von den vielen Jubiläen des Ptah Ta-tenen war, aber wer noch an die frühere Welt gewöhnt war, der mußte solche Ausdrucksweise doch als einen Mangel an Ehrfurcht empfinden. Und erst recht mußte er dieses Gefühl bei den Bildern des Königs haben. Wir hatten oben gesehen, wie schon unter Amenophis III., dem Vater des Königs, dessen Privatleben mehr hervorgekehrt

wurde als es sonst in Ägypten bei den Herrschern üblich war, jetzt unter dem Sohne geschieht dies noch ungleich mehr und seine glückliche Ehe ist der Lieblingsgegenstand der Kunst. Überall steht seine hübsche junge Frau Nofret-ete an seiner Seite, sie spielen mit ihren Töchterchen, sie kredenzt ihm den Wein oder er hält sie auf dem Schöße und küßt sie. Selbst ein feierlicher Eid, den der König schwört, lautet: so wahr mein Herz sich an der Königin freut und an ihren Kindern 2 . Das alles ist hübsch und wir freuen uns an der reinen Menschlichkeit und dem guten Sinn, die sich hier aussprechen. Aber war dies auch der rechte Sinn für den König eines großen Reiches? Was mußten die alten

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Räte und Generäle denken, wenn sie sahen, wie harmlos der junge Herrscher mit Frau und Kindern in Glück und Glanz dahin lebte, während er Ägypten mit seinen Reformen erschütterte. Wie sie gesinnt waren, das sehen wir daran, daß sie sich offenbar dem Hofe von Teil Amarna fern hielten. Denn in den Gräbern dieser Stadt ruhen nicht die Großen, die auch dem alten Könige gedient haben, sondern es sind so weit wir sehen können Geschöpfe des neuen Herrschers. Der ist es, der sie gebaut, (d. h. geschaffen) hat und der sie hat werden lassen. Sie nennen ihren König den Gott, der die Menschen baut der Große macht und Geringe baut1 und rühmen, daß er sie reich gemacht habe. Er ist ihnen der Nil für alle Menschen, durch dessen Speise man satt wird2; er ist die Mutter, die alle gebiert und er ernährt Millionen mit seiner Speise. Wer den König liebt, für den gibt es keine Armut und er braucht nicht zu sagen: hätte ich doch! 3 . Manche dieser sonderbaren Vornehmen reden noch offener. Der eine sagt, der König habe ihn zum Menschen gemacht und habe gemacht, daß er sich unter die Gelobten und die Räte mischen durfte. Er hatte nie gedacht, daß er sich unter die Räte mischen würde und nun war er sogar ein Vertrauter des Königs geworden und der machte ihn reich, da er doch arm gewesen war 4. Und noch naiver vertraut uns ein anderer an, er sei von Vater und Mutter her gering gewesen, einer der nichts hatte. Er war aus dem Ende des Volkes und er bat um Brot. Und aus diesem Bettler hat der König etwas gemacht; er hat ihn gebaut und mit seiner Nahrung ernährt; er hat ihn sich unter die Räte und Hofleute mischen lassen und alle seine Leute (d. h. wohl seine Mitbürger) blicken nach ihm, der jetzt der Herr der Ortschaft geworden ist5. Wenn sich die Großen so rühmen, Emporkömmlinge zu sein, so zeigt das zum Mindesten, daß es am Hofe von Teil Amarna zum guten Tone gehörte, ein Geschöpf des Königs zu sein. Und das zeigt uns wie es um den König aussah; die Großen seines Vaters hatten sich von ihm losgesagt und er mußte sich neue Leute suchen*). Und die nahm er natürlich unter seinen Anhängern, unter denen, die am lautesten seiner Lehre zustimmten. Denn der König wendet sich gegen den, der von seiner Lehre nichts *) In der oben gedachten Bildhauerwerkstätte sind uns mancherlei Porträts erhalten, die gewiß die Großen vom Hofe darstellen. Wenn diese so derbe und grobe Züge tragen, so ist man versucht, das aus deren geringer Herkunft zu erklären.

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weiß aber er belohnt den, der sie kennt1. Darum rühmen sich alle, daß sie seine Lehre gehört haben 2, seine schöne Lebenslehre 3 , die Lehre des Pharao 4 oder wie man auch im Enthusiasmus sagt: die Lehre, ja die Lehre 5 *). Sie haben seine Lehre gehört und nach seinen Gesetzen getan 6 oder haben auch die Lehre getan 7. Den einen hat der König unterrichtet und er tat seine Lehre und ein anderer erzählt, daß der Herrscher sich an jedem Morgen damit beschäftigt habe, ihn zu unterweisen, weil er so sehr nach seiner Lehre handelte 8. D a ß es nicht bloße Phrase ist, wenn die »Lehre« durchweg als das Werk des Königs gilt, wollen wir nicht bezweifeln. Ihre Grundgedanken stammten j a gewiß von anderen, aber sein Verdienst war es, daß er sie verkündete und verfocht. So nennt er sich denn auch seit dem fünften J a h r e in seiner Titulatur den, der von der Wahrheit lebt9, und ein J a h r später noch deutlicher den, der den Namen des Aton verkündet10, er ist, wie wir sagen würden, der Prophet des Gottes. Das ist seine Aufgabe, daß er die Schönheit des Aton verkündet und seinen Namen groß macht, er läßt das Land seinen Schöpfer kennen und macht dessen Namen hell für die Menschen. Denn ihm hat sein Vater der Gott sich offenbart: ihm allein h a t er es gegeben, seine Gedanken und seine Kraft zu verstehen n. Die Lehre, die der König so verkündete, hat sich dann auch nach der Übersiedlung nach Teil Amarna noch weiter entwickelt. Es war doch noch ein Rest des alten Aberglaubens in ihr, wenn man noch den alten Sonnengott Harachte mit seiner Menschengestalt und seinem Falkenkopfe weiter ehrte. Und dessen uraltes Schriftzeichen

kam noch in dem Namen des Gottes vor!

Das mußte beseitigt werden und zwar in derselben Weise, in der man auch den anstößigen Geier

im Worte für Mutter

beseitigt hatte. Man schrieb also statt des Falken zwei alphabetische Zeichen, h und r 12, dagegen konnte auch der eifrigste Anhänger der Lehre nichts einwenden; leicht zu lesen war das freilich nicht * *). Aber diese Änderung des Horuszeichens im Namen des Gottes war doch nur ein Notbehelf und im J a h r e 8 geht der König entschiedener vor und der ganze Namen des Gottes wird neu gestaltet. *) Das einfache Wort genügt nicht für so Herrliches. **) Andere Änderungen der Schrift erscheinen uns vollends schrullenhaft. Das Zeichen meri »geliebt« schreibt man in manchen Gräbern wie sch und bei dem Zeichen hetep fügt man dem Brote noch zwei Kuchen bei.

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Zunächst wird der Harachte durch ein Herrscher der beiden Horizonte farblos ersetzt und dann fügt man dem Namen noch eine neue Erkenntnis bei, die dem Könige geworden war. Fortan heißt der Gott so: Es lebt Re, der Herrscher der beiden Horizonte, der im Horizonte jauchzt, in seinem Namen als Vater des Re, der gekommen ist als Aton. O b wir diese dunkeln Worte im Einzelnen richtig übersetzen, steht freilich dahin; auch einem Ägypter, der in die Lehre nicht eingeweiht war, dürfte ihre Deutung schwer gefallen sein; jedenfalls enthielten sie noch tiefere Gedanken wie bisher. Versuchen wir uns nun klar zu machen, worin diese Lehre in ihrer schließlichen Fassung bestand, so sehen wir, daß sie im Unterschied von ihren Anfängen jetzt wirklich ein monotheistischer Glaube sein will. Es gibt nur den einen Gott und keinen andern neben ihm; was sonst die Menge der andern Götter gewirkt hatte, das wirkt er jetzt allein, denn Millionen von Leben sind in ihm. Er hat sich selbst geschaffen und jeden Morgen schafft er sich aufs neue. Am Tage zieht er über den Himmel aber wie dies geschieht, erfahren wir nicht, denn wenn es auch nach alter Ausdrucksweise heißt, die Sonne »fahre«, so ist doch nirgends von ihrem Schiffe die Rede und nirgends von all den andern Vorstellungen, die sich sonst an diese Fahrt geknüpft hatten. Auch das bleibt unklar, wo die Sonne in der Nacht weilt vermutlich in der Unterwelt, doch werden diese Dinge wie wir unten sehen werden, nicht gern berührt. Mit den alten Gestalten des Sonnengottes, dem Atum, dem Chepre und dem Harachte, hat der Gott nichts mehr zu tun und zulässig sind für ihn nur noch die Namen Aton und Re, die die Sonne selbst bezeichnen; er ist eben das Gestirn selbst und nicht ein Gott von der alten Art. Dieses Gestirn aber denkt man sich vor allem als den großen Segenspender für alles, was lebt. So weit ist der neue Glaube verständlich und auch folgerichtig. Er steht nach unserm Empfinden hoch über der alten verworrenen Vielgötterei, mit der er reinen Tisch macht. Von unserm Standpunkt aus erscheint uns dieses Vorgehen des Königs gerechtfertigt, wenn wir dabei auch an all die einfachen Menschen denken werden, denen diese Umwälzung ihr Heiligstes raubte. Aber leider zeigt sich dann in der neuen Lehre, die so rein und vernünftig sein wollte, auch gleich die menschliche Schwäche und der menschliche Unverstand, denn der eine einzige Gott tritt in ihr doch

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gleich in drei Gestalten a u f 1 . D a ist der allgemeine Sonnengott der Welt, der gute Gott, der sich an der Wahrheit freut, der Herr von Himmel und Erde, der große lebende Aton, der die beiden Länder erleuchtet. Aber neben ihm steht als eine besondere Gestalt der Sonnengott wie er in Teil A m a r n a verehrt wird, der lebende Aton im Atonhause zu Teil Amarna. Der wird wie ein König aufgefaßt, sein Name wird nach Art der Königsnamen geschrieben u n d er trägt wie ein König das Beiwort mit Leben ewiglich beschenkt. Man mußte eben nach alter Sitte doch einen besonderen Stadtgott für die Residenz haben. Die dritte Gestalt, in der sich die Gottheit offenbart, ist dann der König selbst, er, der die andern Götter beseitigt hat, hält es nicht für Unrecht, sich selbst als einen Gott verehren zu lassen. D a ß der König als Gott bezeichnet wurde, war j a auch in frühereren Zeiten schon üblich gewesen, es war aber nie über die herkömmlichen Titel und Formeln hinausgegangen. Jetzt wo alles Herkömmliche fortgeräumt ist, kann sich der König ungescheut als einen Gott verehren lassen, und selbst in dem herkömmlichen Totengebet wird er so als ein Gott g e n a n n t 2 . M a n preist ihn nicht nur als die Sonne und als deren Sohn, deren guten Sohn, den Sohn der Ewigkeit, der aus der Sonne gekommen ist, sondern m a n weiß auch, wie diese Göttlichkeit des Königs zu denken ist. Wie die Sonne selbst an j e d e m Morgen sich neu gebiert, so gebiert sie auch täglich ihren Sohn, den König 3 , unaufhörlich gebiert sie ihren herrlichen Sohn 4 . Die Sonne verleiht i h m eben immer wieder ihr göttliches Wesen. D a ß m a n es, wenigstens äußerlich ernst nimmt mit dieser Göttlichkeit des Königs, sieht man, wie gesagt, auch daraus, d a ß das Totengebet, das man noch immer in alter Form in manchen Gräbern anbringt, nicht nur an den Sonnengott, sondern auch an König u n d Königin gerichtet ist 5 . Bei allem was wir hier über den neuen Glauben dargelegt haben, wird m a n das Eine vermissen, d e m doch die Ägypter sonst die größte Wichtigkeit beigemesssen hatten, das Totenreich. In der T a t ist in all den Inschriften von Teil Amarna, die doch fast sämtlich aus Gräbern stammen, k a u m davon die Rede, denn dem neuen heiteren Glauben sind Tod u n d G r a b im Grunde unangenehme Dinge. Man kann sie j a nicht umgehen, aber man heuchelt auch nicht, sich d a r a n zu freuen. M a n legt zwar große Felsengräber an, aber doch eben nur, weil das nun einmal hergebracht ist und die Verstorbenen doch eine würdige Ruhestätte haben

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müssen. Es fehlt dabei der religiöse Eifer, der einst die Pyramiden aufgetürmt hatte u n d selbst das G r a b der Königlichen Familie ist keine große Anlage. So ist denn auch in fast allen Gräbern nur der erste R a u m vollendet, den m a n für die Feiern an Festtagen brauchte. M a n denkt eben auch in den Gräbern lieber an das Leben als an den Tod, gerade so, wie man in den Sonnenhymnen auch vom T a g e spricht und über die Nacht hinweg geht. Auch das ist charakteristisch, d a ß der König selbst von der Anlage seines Grabes ohne die üblichen Phrasen und Euphemismen spricht 1 . Er spricht nicht »vom zum Himmel fliegen« oder vom »landen« sondern einfach vom »begraben werden« und sein eigenes G r a b bezeichnet er mit dem einfachen,geschäftsmäßigen Ausdruck. Die alte Vorstellung, d a ß die Toten in der Unterwelt hausen, ist nicht verschwun52. König und Königin an der Leiche ihrer kleinen Tochter. den Aber für gewöhnlich spricht man so von ihnen, als wohnten sie in ihrem Grabe. Hier, im Berge, verwandelt sich der Verstorbene in eine lebende Seele 3 , die man nach alter Weise als einen Vogel darstellt. Für gewöhnlich ruht sie auf der Leiche, die der Sonnengott zusammengeknotet hat 4. Sie kann aber auch aus- und eingehen aus dem Grabe, denn sie will sich an der Sonne und der Welt erfreuen. Auch Speisen empfängt der Tote und m a n ruft ihn 5 zu dem Mahle, das seine Angehörigen oder der König ihm gewähren; auch von dem, was im Tempel übrig bleibt, erhält er seinen Anteil 6 . Sind dies alles auch im Wesentlichen alte Vorstellungen, so malt man sich daneben das Leben des Verstorbenen auch in der Weise aus, die einem Vornehmen von Teil A m a r n a behagt haben würde". Wenn die Sonne aufgeht, erweckt sie den Toten, er richtet sich auf und ist voller Wonne. Er wäscht sich, und greift

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nach seinen Kleidern. In der Tür des Grabes betet er zum Gotte und geht dann in die Halle des Tempels, um dort der Sonne zu dienen. Er ergeht sich in dem Parke, den er selbst gepflanzt hat, und trinkt Wasser an den Ufern seines Teiches. Eins noch befremdet uns in diesen Inschriften der Gräber von Teil Amarna; es ist in ihnen mit keiner Silbe von dem die Rede, was doch bisher die große Sorge der Ägypter gewesen war, wenigstens, solange sie an den Osiris und sein Reich geglaubt hatten. Nirgends wird das Gericht erwähnt, das über die Menschen nach dem Tode abgehalten wird und aus dem sie hoffen gerechtfertigt hervorzugehen. Zwar kommt dieses Wort »gerechtfertigt« gelegentlich noch vor aber wir brauchen dabei nicht an das Gericht zu denken; es ist wie früher schon nur eine herkömmliche Phrase, bei der man sich nicht mehr denkt als bei unserem »der Selige«. Auch sonst trifft man j a in den Gräbern noch mancherlei Gebräuche an, die von Alters her ererbt sind (vgl. Kap 15), aber nicht mehr in die Vorstellungen der neuen Zeit hineinpassen. Es gibt keinen Osiris mehr und kein Totengericht, aber den großen Skarabaeus, der bei diesem helfen sollte, legt man doch noch der Mumie bei und beschreibt ihn mit einem Gebete an den Aton 2 . Auch die kleinen Figuren, die in der Unterwelt für den Toten arbeiten sollten, mochte man nicht missen und selbst das Grab des Herrschers hat solche enthalten 3 und auf ihnen steht, unpassend genug, eine Anrufung des Aton. Auch die kleine Pyramide ist noch nicht vergessen und sie trägt jetzt das Bild und den Namen des neuen Gottes 4 . Auch der große Steinsarg hat die in dieser Epoche übliche Gestalt behalten und an seinen Ecken stehen so wie bisher vier Göttinnen, die ihre Arme schützend um ihn breiten, aber es sind nicht mehr Isis und Nephthys, die hier dargestellt sind, sondern an ihre Stelle setzt man die neue Göttin, die Königin 5 . Wenn wir heute über die Jahrtausende hinweg auf das Reich von Teil Amarna blicken, so sind wir geneigt, nichts darin zu sehen,, als eine heitere Welt voller Sonnenschein. Ein junges Königspaar mit niedlichen Töchtern, eine glänzende Stadt mit heiteren Tempeln, mit Palästen und Villen, mit Gärten und Teichen, und das Ganze überstrahlt von einem fröhlichen Glauben, der nichts kennt, als Dank gegen den gütigen Schöpfer und Gerechtigkeit gegen die Mitmenschen, auch wenn sie einem fremden

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Volke angehören. Das war doch etwas so herrliches, wie es die Welt selten gesehen hat. Aber leider wird auch hier n u r die Außenseite eine glänzende gewesen sein u n d an Nöten u n d Sorgen wird es auch a m Hofe von Teil A m a r n a nicht gefehlt haben. Trotz allen Eifers des Königs wurde der neue Glaube gewiß von der Mehrheit des Volkes abgelehnt u n d diese hing im Stillen weiter a n ihren alten Göttern *). Uns erscheint es heute schwer begreiflich, d a ß der neue G l a u b e so gänzlich scheiterte, hätte er doch in dieser Zeit höchster Blüte von den Besten als eine Erlösung begrüßt werden müssen. Er r ä u m t e j a endlich mit dem Wust auf, der sich seit Jahrtausenden in der Religion aufgehäuft hatte. Aber neben der gebildeten Schicht des Volkes stand j a die große Menge, der mit einem verstandesgemäßen Glauben nicht gedient war. I h r fehlte in i h m das Eine, dessen auch die beste Religion nicht entraten k a n n : das Mystische und Übersinnliche u n d so blieb sie lieber bei ihrem alten G l a u b e n * * ) , in dem dies Element so überreich vorhanden war. So wird die G ä h r u n g im ägyptischen Volke nicht zur R u h e gekommen sein, und es hatte gewiß seinen guten Grund, d a ß die Leibgarde von Teil A m a r n a aus Asiaten und Negern bestand Aber das Schlimmste war doch, d a ß auch die äußere Macht des Reiches erschüttert war. Zwar in den Inschriften von Teil A m a r n a hören wir nichts davon u n d nach ihnen liegen die Fürsten der Völker noch immer unter den Sohlen des Königs 2 und der Gott übergibt dem Könige alle Länder, daß er seinen Mut in ihnen kühle3. Auch ein fremder Vasall des Königs r ü h m t ihn noch im Briefe als den, der dem ganzen Lande die Ruhe gibt durch die Macht seiner Hand u n d vergleicht ihn mit dem Baal, vor dessen Stimme das ganze Land zittert 4 . Aber dieses alles sind hergebrachte Phrasen und wie die Dinge in Wirklichkeit aussahen, lernen wir aus anderen Quellen. Wenn man ein Heer nach Phönizien sandte, um die Grenzen zu erweitern, so erreichte es nichts 5 . U n d selbst wenn wir dieser Stimme, als einer, die aus dem gegnerischen Lager stammt, keinen Glauben schenken wollten, so zeigen uns die Briefe der *) Selbst in Teil Amarna, wo sich ein Mann Namens Ptah-mose (Ptah gab das Kind) in einen Ramose (Re gab das Kind) umtaufte, hat sich in einem Hause noch ein Denkstein gefunden, der dem Gotte Ptah geweiht war. **) Daß dem so war, sieht man schon aus der Art, wie nach dem Tode des Königs seine Schöpfung zusammenbrach.

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palästinensischen Fürsten aus dem Archive von Teil Amarna nur zu deutlich wie es stand. So war denn das Reich des neuen Glaubens dem Untergange geweiht und man konnte sich nur fragen, ob es an seiner eigenen Schwäche zugrunde gehen, oder ob es ein gewaltsames Ende finden würde. So weit wir heute noch sehen können, ist es nicht einer einmaligen plötzlichen Empörung erlegen, sondern es ist allmählich beseitigt worden. Den ersten Stoß mußte es durch den Tod. des Königs erleiden, der, als er nach neunzehnjähriger Regierung starb, keinen Sohn hinterließ. So fiel denn die Herrschaft dem Gatten seiner ältesten Tochter zu und ihm folgte nach kurzer Zeit ein anderer jugendlicher Schwiegersohn, der König, der sich Tutanchaton, das lebende Bild des Aton, nannte. Aber schon werden die Leute, die diesen Knaben auf den Thron setzten, gefühlt haben, daß die Sache des neuen Glaubens verloren war; eine Reaktion war nicht mehr zu vermeiden. So zeigt uns denn auch ein kleiner Denkstein 1 , daß es unter Tutanchaton wieder erlaubt war, den Amon und die Mut zu verehren. So wurde denn auch der Friede mit dem Amon geschlossen und zum Zeichen dieses Friedens legten der junge König und seine Gemahlin ihre ketzerischen Namen ab, und aus dem Tutanchaton wurde ein rechtgläubiger Tutanchamon. Er kehrte nach Theben zurück und weihte seine Regierung mit einem Erlasse ein, in dem er zunächst das Umglück des Landes schildert: durch das ganze Land hin waren die Heiligtümer zugrunde gegangen und ihre Gebäude waren zum Fußweg geworden. Darum hatten die Götter dem Lande auch den Rücken gewendet, das Heer erreichte nichts mehr und wenn man einen Gott oder eine Göttin anrief, sie um Rat zu befragen, so kamen sie nicht. Nun aber haben die Götter einen neuen König auf den Thron seiner Väter gesetzt und die Sünde ist aus dem Lande vertrieben; die Wahrheit dauert und die Lüge ist ein Ekel. Das Land ist wieder so, wie es in der Urzeit gewesen war. Und so stellt nun der König alle Tempel wieder her und verschönert sie. Dem Amon und dem Ptah macht er Götterbilder aus lauterem Gold, die so groß sind, daß man die Zahl der Tragstangen bei den Prozessionen vermehren muß. Auch die Schiffe der Götter werden neu aus Zedernholz gezimmert, und so mit Gold verziert, daß sie den Strom erhellen. Alle Opfer werden vermehrt und überdies weiht der König Sklaven und Skia-

TAFEL 4

G o l d m a s k e von der M u m i e des Königs T u t a n c h a m o n . ( N a c h Carter)

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vinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen die im. Hause des Königs gewesen waren den T e m p e l n . U n d d a n n führte er niedere und höhere Priester ein, die er den K i n d e r n der angesehensten Familien entnahm, Söhne gelehrter Leute, deren Namen bekannt waren. Und er besoldete sie reichlich. M a n sieht, wie die Wiederherstellung des alten Glaubens aussah, zu der der j u n g e K ö n i g seinen N a m e n hergeben mußte. A u c h T u t a n c h a m o n ist eines frühen Todes gestorben, und wir h a b e n noch den Brief, in dem seine j u n g e Witwe den K ö n i g des g r o ß e n Chattireiches bat, ihr doch einen Prinzen seines Hauses z u senden, der ihr G e m a h l werden solle. Ihr Wunsch hat sich nicht erfüllt *) und den T h r o n bestieg vielmehr der M a n n , den wir schon seit d e m Beginn der Ketzerzeit in höchsten Stellungen sehen, und den m a n auch in V e r d a c h t haben wird, den j u n g e n K ö n i g auf den T h r o n gebracht zu haben. Es w a r das der »Priester« Eje, dessen Gattin T e j e einst die A m m e des Ketzerkönigs gewesen w a r . D e r w u r d e n u n selbst K ö n i g und usurpierte die Bauten und Denkmäler, die unter d e m j u n g e n K ö n i g für den A m o n errichtet waren. D e m armen T u t a n c h a m o n beließ er z w a r all die unermeßlichen Kostbarkeiten, die dieser bei Lebzeiten für sein G r a b vorbereitet hatte, aber das g r o ß e Felsengrab, für das diese g e w i ß bestimmt waren, g a b er i h m nicht. Er ließ ihn in einem engen G r a b e , das in der Eile u m ein weniges erweitert wurde, notdürftig und hastig beisetzen. Ü b e r dieser bescheidenen Gruft freilich sollte ein merkwüdirges Schicksal walten. Sie ist als einziges von allen Königsgräbern Jahrtausende lang allen Nachstellungen entgangen. U n d als das G r a b des T u t a n c h a m o n 1922 entdeckt wurde, d a hat es den N a m e n des armen j u n g e n K ö n i g s durch alle Welt getragen. — Das große G r a b aber, das für T u t a n c h a m o n vorbereitet war, wird sich Eje selbst genommen haben, u n d das hat i h m nicht z u m Segen gereicht: das G r a b ist zerstört und a u s g e r a u b t * * ) . A b e r auch die Herrschaft des Eje hat nur wenige J a h r e gewährt. U n d dann k a m ein anderer über ihn, der mächtiger und kräftiger war, H a r e m h e b , der als Befehlshaber des Heeres zu M e m phis saß. A u c h er w a r ein Günstling des Ketzerkönigs gewesen und w a r jetzt offenbar der wirkliche Herrscher von U n t e r ä g y p t e n ; *) Der Prinz scheint auf der Reise ermordet zu sein. * * ) Teile seines Sarges befinden sich im Berliner Museum. E r m a n , Religion der Ägypter.

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in dem Grabe, das er sich in Memphis errichtete*), läßt er darstellen, wie er die Gesandten der fremden Völker empfängt. Der zog nun nach Theben, und Amon krönte ihn zum Könige. Was dann weiter geschehen ist, wissen wir nicht, aber als Haremheb den Thron bestieg, hatte die Ketzerzeit auch in ihren Ausläufern ein Ende genommen. Es wird dies die Zeit sein, wo alle Bauten, die in Theben an die Ketzerzeit erinnerten, abgebrochen und als Baumaterial verwendet wurden. Auch Teil Amarna ist damals zerstört worden. Von seinem großen Tempel hat man buchstäblich nichts übriggelassen, und selbst die Stelle, wo er gestanden hatte, ist künstlich zu einem unfruchtbaren Boden gemacht worden. Auf dieser verfluchten Stätte sollte auch in Zukunft nichts Lebendes mehr gedeihen. Auch die Gräber von Teil Amarna sind damals geschändet worden, und auch die der königlichen Familie sind diesem Schicksal nicht entgangen. Aber irgend einem Getreuen des Echenaton muß es zur Zeit des Tutanchamon gelungen sein, einiges aus ihnen zu retten, und es in einem alten Grabe in Theben zu verstecken. Zwar der Sarkophag des Königs selbst ist verschwunden, und nur in einem Holzsarge**) ruht der Mann, der einst versucht hatte, seinem Volke einen neuen Glauben zu geben. Und so hatte denn auch diese Umwälzung das Ende genommen, das alle Revolutionen nehmen. Sie hinterlassen wohl ein oder das andere Gute, wenn es auch nur wenig ist von alle dem, was man von ihnen erhofft hatte, und nach all dem Jammer, den sie über das Volk gebracht haben, kehren die meisten der alten Übel in anderer Weise zurück. Auch von den drei Fortschritten der Teil Amarnazeit ist nur der eine, die Zulassung der Volkssprache, geblieben. In der Kunst hatten nur kleine Besserungen Bestand, die große Umwälzung der Religion aber führte zu nichts als zu der Reaktion, die den geistigen Verfall Ägyptens einleitete. *) Seine schönen Bilder sind heute durch die Museen Europas zerstreut. * * ) Jetzt im Museum zu Kairo. — M a n kann natürlich zweifeln, ob die M u m i e nicht etwa bei »dieser Rettung« vertauscht ist. N a c h der Aussage der Anatomen soll sie die eines 30jährigen Mannes sein, und dies Alter wäre wohl f ü r den wirklichen Echenaton zu niedrig.

Neuntes

Kapitel.

Das Ende des neuen Reiches. So hatte denn die große Bewegung das Ende gefunden, dem sie nicht entgehen konnte. Die Rache zerstörte alles, was an die Ketzerei erinnern konnte; noch viele Jahrzehnte später vermeidet man es sogar in den Akten eines Zivilprozesses den Namen des längst verstorbenen vierten Amenophis zu nennen, und spricht nur von jenem Verbrecher von Teil Amarna 1. Triumphierend sangen die Anhänger des A m o n in einem Liede: Weh dem, der dich antastet! Deine Stadt besteht, aber der dich antastete ist gefällt. Pfui über den, der gegen dich frevelt in irgend einem Lande. . . Die Sonne dessen, der dich nicht kannte, ist untergegangen, aber wer dich kennt, der leuchtet. Das Heiligtum dessen, der dich antastete, liegt im Dunkel, und die ganze Erde ist im Lichte 2. U n d es war wirklich ein Dunkel, das sich über den schrecklichen Frevler von Teil Amarna ausbreitete. Jede K u n d e von ihm schwand, und erst in unseren T a g e n war es Lepsius beschieden, seinen Namen und sein Wirken nach mehr als dreitausendjähriger Vergessenheit wieder an das Licht zu ziehen 3 . Freilich, die Religion, die so wiederhergestellt war, glich nicht mehr recht dem alten Glauben der Vorfahren. Z w a r die Götter der einzelnen Städte waren wieder zu ihrem Recht gekommen, und der Aton, der sie unterdrückt hatte, war vernichtet, aber im Grunde war nur ein anderer Unterdrücker an die Stelle getreten, der A m o n Re. D a ß dem so war, ist begreiflich; war doch ihm und seiner Stadt im K a m p f e gegen das Ketzertum der Sieg geblieben. Durch ihn war der Feind des Re zu Asche gebrannt4, und durch seine Siege hatte Theben dem Lande einen einzigen Herrn gegeben. Dieser einzige Herr war aber eben A m o n R e selbst, denn er ist der Besitzer des ganzen Landes, ihm gehören alle Äcker, Ufer und Grundstücke; die Kataster und die Vermessungen werden nur für ihn geführt, und ihm bringen alle Schiffe, die vom Ausland kommen, ihre Schätze. Die federn wachsen für ihn, und seine herr9*

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Neuntes Kapitel.

liehe Barke wird aus ihnen gezimmert. Auch die Berge liefern ihm die Steine für seine Riesenbauten 1 . So leben denn die andern Götter eigentlich nur von seiner Güte; sie erbitten ihren Unterhalt von ihm, und er ist es, der ihnen Brot gibt aus seinem Besitze 2 . Durch ihn auch erhalten sie einen Anteil an dem, was in Ägypten an Bauten und Tempeln 3 errichtet wird. Er selbst hat überall seine Tempel, und in jeder Stadt kann er weilen, wie er will 4. Die ganze Welt gehört ihm ja, und selbst die Länder der Feinde, Euphrat und Ocean stehen unter seiner Furcht5. Wie einem Könige dieser Zeit rühmt man ihm nach, daß er ein Schrecken für seine Gegner ist, er wirft sie auf ihr Antlitz, und niemand kann ihn angreifen, ihn, den grimmigen Löwen mit schrecklichen Klauen, den Stier mit schweren Hufen, den Raubvogel, der dem Angreifer die Glieder und die Knochen bricht. Unter ihm beben die Berge, und die Menschen fürchten sich vor ihm 6 . Im Grunde freilich ist diese Macht und Schrecklichkeit nicht das Wesentliche in der Natur des Amon, und trotz aller Stürme dieser Zeiten ist er derselbe gütige Gott geblieben, der er früher gewesen war, der Wohltäter der Menschen und aller anderen Wesen. Wie man sich das Wesen des Amon in der Nachketzerzeit dachte, das zeigt uns derselbe Hymnus der Leidener Sammlung, dem wir auch im Vorstehenden schon einzelnes entnommen haben. In diesem sieht der Gott freilich sehr anders aus als der Amon, von dem wir in Kapitel 7 gesprochen haben. Wenn dieser aus den beiden Göttern Min und Re bestand, so ist Amon jetzt nur noch der Sonnengott, und alles, was er mit Min gemeinsam hatte, ist von ihm abgefallen. Als Sonnengott fährt er so, wie einst im Schiffe, über den Himmel, besiegt den Wolkendrachen, und fährt durch die Unterwelt, in der er seiner eigenen Mumie begegnet 7 . Er macht die Jahre und knotet die Monate zusammen', Tage, Nächte und Stunden sind nach seinem Gange 8. Aber von vielem, was sonst in solchen Schilderungen der Sonnenfahrt erwähnt wird, ist in unserm Liede nicht die Rede; weder begrüßen ihn morgens die Affen, noch begleiten ihn die Götter im Schiffe, und sogar des Osiris und der armen Toten geschieht keine Erwähnung. Und ebenso fehlt in diesem Hymnus der ganze Apparat von Kronen und Kapellen, der sonst zum Amon R e gehört hatte, und man hat den Eindruck, daß dieses Schweigen kein Zufall ist — der

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Verfasser dieses Liedes hielt eben diese Dinge für etwas Nebensächliches und, wenn man will, Überlebtes, mochten sie auch im offiziellen Kultus noch ihre Geltung haben. Der Dichter steht eben noch unter dem Einfluß der Ketzerzeit, und jedenfalls liegt ihm die Güte seines Gottes mehr am Herzen als jene Äußerlichkeiten. Diese Güte schildert er nun in ähnlicher Weise, wie das in dem alten Hymnus geschah, oder in dem Hymnus von Teil Amarna. So heißt es denn von Amon: wenn alle Menschen schlafen, so wachen seine Augen 1. Wenn dann die, die geschlafen haben, aufwachen, so leuchtet er ihnen in einer neuen Gestalt entgegen 2; sie wenden ihr Antlitz zu ihm, und Menschen und Götter sagen ihm: Willkommen ! Und ebenso wie die Götter und Menschen freut sich auch die ganze Natur 3 . Alle Bäume regen sich vor seinem Antlitz, sie wenden sich zu seinem Auge, und ihre Blätter sind entfaltet. Die Schuppigen springen im Wasser, und alle Tiere hüpfen vor seinem Antlitz. Alle Vögel tanzen für ihn mit ihren Flügeln. Der Himmel glänzt, als wäre er aus Gold, und sein Ozean sieht aus wie Lapislazuli, die Felder grünen, als wären sie mit Malachit bestreut. Die Menschen lieben ihn: 4 ihm singt man an jeder Stätte, am Festtag braut man Bier für ihn, und auf den Dächern der Häuser wird ihm gesungen. Und auch dem einzelnen Menschen ist Amon ein Helfer 5 : denn er löst das Böse und vertreibt die Krankheit*). Er ist der Arzt, der das Auge heilt ohne Heilmittel, der die Augen öffnet und das Schielen vertreibt. Er errettet den, den er will, auch wenn er schon in der Unterwelt ist. Er befreit vom Geschicke, so weit er mag; er verlängert das Leben und vermindert es auch. Überall hat Amon seine Augen und seine Ohren, er hört die Bitten dessen, der zu ihm ruft. Wer seinen Rücken an ihn lehnt, der ist geschützt, und er ist mehr wert als Millionen von Helfern für den, der ihm vertraut. Auch auf dem Wasser hat der Name des Amon Macht: er vertreibt das Krokodil und gibt dem Schiffer richtigen Wind 6 . Freilich ist es nicht immer ein Segen, den Namen des Amon zu nennen, denn er hat auch einen geheimen Namen, den man nicht kennt 7 , und der ist so furchtbar, daß man auf der Stelle tot hinstürzen würde, wenn man ihn ausspräche. Kein Gott kann ihn damit anrufen. Nicht umsonst heißt Amon Der »Verborgene«, denn er ist *) Die Schwangere gebiert, wenn sie seinen Namen nennt. Mammisi Edfu 25.

Chassinat,

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Neuntes Kapitel.

ein so geheimnisvolles Wesen, daß selbst die Götter seine wahre Gestalt nicht kennen. Sein Bild ist nicht in Büchern ausgebreitet; er ist zu geheimnisvoll, als daß man seine Herrlichkeit entblößen könnte, er ist zu groß, als daß man über ihn beraten könnte, und zu stark, als daß man ihn kennen könnte. Wie man sieht, ist unser Dichter auch ein gelehrter Mann, für den das Wesen der Götter in Büchern und Diskussionen erörtert wird, nur daß eben bei diesem größten aller Götter die menschliche Weisheit ein Ende hat. Was wir dennoch von dieser poetischen Theologie verstehen, ist etwa Folgendes: Amon ist der Uranfang aller Dinge er ist am Anfang entstanden, und kein Gott entstand vor ihm, und kein Gott war mit ihm, der ihm seine Gestalt gesagt hätte. Er hatte keine Mutter, die ihm seinen Namen gab, und keinen Vater, der ihn erzeugte, und der zu ihm sagte: »das bin ich«. Alles andere hat sich aus ihm entwickelt 2 : die Neunheit und jeder Gott waren mit seinem Leibe verbunden, als er als Ptah-Ta-Tenen die Urgötter schuf. Es gibt also im Grunde nur ein göttliches Wesen, den Amon 3 . D a ß neben dieser großartigen Auffassung des Gottes dann auch einzelne gröbere Vorstellungen*) alter Zeit noch erwähnt werden, kann nicht Wunder nehmen. Man könnte den Glauben, wie er sich z. B. in diesem Liede ausspricht, wohl als eine Religion des Amon Re bezeichnen. Freilich müßte man sich unter dem Amon nicht eine geschlossene Gestalt denken, sondern eher eine Dreieinigkeit von Göttern. Denn Re selbst ist mit seinem Leibe vereinigt, und man nennt den Amon auch Ptah Ta-tenen. Verborgen ist sein Name als Amon, Re gehört ihm als Antlitz (?), und Ptah ist sein Leib 4. Daß der Re so mit dem Amon verbunden wurde, ist j a bei dessen Auffassung als Sonne nur natürlich; daß aber auch der Ptah ein Glied dieses höchsten Götterwesens wurde, wird er wohl nur einem äußeren Umstände verdankt haben, der Rücksicht, die man auch in Theben auf den König Haremheb zu nehmen hatte; war doch dieser Wiederhersteller der Ordnung aus Memphis, der Stadt des Ptah, ausgegangen. So sind es denn diese drei Götter Amon, Re und Ptah, die man in der Nachketzerzeit vor allen andern verehrt, und diese sind nun die offiziellen Götter des ganzen Reichs, und ihre Städte *) So das Ei des Urgottes, seine Selbstbegattung, und sein Ausspeien von Schu und Tefnet.

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und Tempel sind die großen Heiligtümer des Staates. V o r allem gilt dies natürlich von Theben, das jetzt zum heiligsten Orte wird, trotzdem es nicht mehr der Sitz des Königs ist. (S. 138). Alle anderen Götter, die daneben noch im Lande verehrt werden, treten hinter der Dreiheit Amon, R e und Ptah zurück, und innerhalb dieser Dreiheit steht der A m o n natürlich voran. U n d diesem selben Verhältnis begegnen wir noch ein Jahrhundert später in einem offiziellen Dokument, dem Papyrus Harris, der uns noch in Kapitel 13 beschäftigen wird. In ihm ist jedem der drei großen Götter ein besonderer Abschnitt gewidmet, während alle übrigen Götter Ägyptens — und es sind so große darunter wie Hathor, Thoth, Osiris usw. — sich in einem einzigen Abschnitt zusammendrängen müssen. A u c h das ist dabei charakteristisch, d a ß das Vermögen des A m o n in keinem Verhältnis zu dem seiner beiden Mitgötter steht, besitzt er doch fünfmal so viel Äcker, wie der Re, und sogar sechsundachtzigmal so viel wie der Ptah, der doch einst auch der große Gott des Reiches gewesen war. U n d nicht nur, daß der arme Ptah so von A m o n äußerlich in Schatten gestellt wurde, auch sein eigenes Wesen mußte sich jetzt immer mehr dem seiner Genossen angleichen, auch er wurde fast z u m Sonnengotte. Das zeigt uns das Lied, das man morgens in T h e b e n zu seinem Preise anstimmte. Z w a r ist er auch hier noch der Urgott, der alle Wesen geschaffen hat, aber vor allem rühmt man ihn um der Sonne willen. Die hat er geschaffen, und R e ist sein Sohn, für den er den Himmel geschaffen hat, und der Hauch seines Mundes ist es, der die Schiffe der Sonne fahren läßt. A b e r noch mehr: Ptah ist auch die Sonne selbst, das Kind, das täglich geboren wird, und er geht unter am Westberge, um die Toten in der Unterwelt zu erfreuen. K ö n i g Haremheb und seine Nachfolger — wir nennen sie die i g t e Dynastie — haben sich in großartigster Weise bestrebt, alle Verluste wieder gut zu machen, die A m o n und seine Stadt in der Ketzerzeit erlitten hatten*). Sie sind es, die zu Ehren des A m o n jene Riesenbauten errichtet haben, denen kein L a n d und keine Zeit etwas gleiches an die Seite zu setzen hat. *) A u c h die ausgekratzten Götternamen ( K a p . 8), hat m a n damals wiederhergestellt, was freilich nicht zur Verschönerung der Denkmäler beigetragen hat. Dies ist besonders unter Sethos I. und Ramses I I . geschehen, vgl. Bissing, Ä . Z . 41, 126.

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Neuntes Kapitel.

Die Pracht, die in diesen Tempeln herrschte, und die großartigen Feste, die sich in ihnen abspielten, werden wir in K a p . 13 im einzelnen schildern. Freilich muß man sich fragen, ob all diese Herrlichkeit der Religion zum Segen gereichte, denn sie verlor dabei mehr und mehr dasjenige, was doch eigentlich ihre Lebensluft war. Trotz allen Glanzes, oder vielmehr wegen desselben, wurde sie der Mehrheit des Volkes fremd. Sie war eine Religion des Königs, oder wie wir sagen würden: des Staates, und nicht eine solche des Volkes. Denn zu diesen Tempeln, die noch heute so gewaltig auf uns wirken, hatte der gemeine M a n n keinen Zutritt, und nicht umsonst verehrt man an den Toren der Tempel die Götter, die die Bitten erhören*)', die waren eben die Stätten, an denen der einfache M a n n seine Bitten dem Gotte vortrug. So ist denn A m o n trotz seiner Herrlichkeit im Grunde kein volkstümlicher Gott, und jedenfalls denkt man im gewöhnlichen Leben mehr an den Sonnengott als an ihn. Wo in den Märchen dieser Zeit von einem Gotte die Rede ist, nennt man mit Vorliebe den R e Harachte, und wenn man in einem Briefe die Götter bittet, dem Adressaten gnädig zu sein, so ist es wieder dieser, auf den man hofft. A u c h in einer allgemeinen Ermahnung zur Frömmigkeit heißt es schlechtweg: der Gott dieses Landes ist die Sonne im Horizonte Natürlich tat dabei diese volkstümliche Verehrung des Sonnengottes auch der der andern alten Götter keinen A b b r u c h . Die Leute von Bubastis wenden sich nach wie vor an ihre Göttin Bastet, und die von Elephantine an ihren C h n u m ; für die Schreiber und Gelehrten ist der Thoth der Patron, der ihnen das richtige Verständnis der Schriften verleiht und sie in ihrem A m t e unterstützt; im Kriege aber ist es Month, der den K ö n i g zum Siege leitet. So erwacht denn die ganze Schar der ägyptischen Götter zu neuem Leben, und die Könige tragen dieser Anhänglichkeit des Volkes auch Rechnung. Überall werden die Tempel der alten Götter hergestellt oder ausgebaut und besonders Ramses I I . hat in dieser Hinsicht unendlich viel getan; man kann wirklich sagen, daß es kaum ein Heiligtum in Ägypten gibt, das nicht auch seinen Namen trüge. Es ist wirklich so, als habe er den andern Göttern einen Entgelt geben wollen für das, was er für Bitten

*) Auf dem Berliner Denkstein Nr. 20377 ist hinter dem Amon, der die erhört, das Tor dargestellt (vgl. S. 142).

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A m o n und seine beiden Genossen getan hatte. U n d gewiß spricht sich das gleiche Bestreben, den anderen Göttern wieder mehr gerecht zu werden, auch in einem Denkmal aus, das Ramses I V . etwa ein Jahrhundert später in Abydos 1 errichtet hat. Es ist nicht zufällig, daß auf ihm weder der Götter von Theben noch des Ptah von Memphis gedacht wird. Dafür erzählt uns der König, d a ß er in den Büchern des Lebenshauses unablässig geforscht habe, und aus ihnen habe er erkannt, daß Osiris der geheimnisvollste von allen Göttern sei. Er ist der Mond, er ist der Nil, und er ist der, der in der Unterwelt herrscht. Allabendlich steigt der Sonnengott zu ihm hernieder und bildet mit ihm die vereinigte Seele; die regiert die Welt, und Thoth ist es, der deren Befehle aufschreibt. U n d dann berichtet der König, wie er die Feste des Osiris mitgefeiert habe, und wie er auch allen Göttern der Neunheit von Abydos gedient habe. A b e r dieser Sohn des dritten Ramses erwähnt mit keiner Silbe des A m o n R e und des Ptah, und die hatte doch sein Vater vor allen andern geehrt; von den 3 Reichsgöttern ist überhaupt nur R e Harachte genannt, und auch der nur als der tägliche Genosse des Osiris. Wenn dann im neuen Reiche, und zwar in der Zeit der 19. D y nastie, ein Gott noch in auffallender Weise hervortritt, der bis dahin wenig volkstümlich gewesen war, so hat dies seinen eigenen Grund. Es ist das der Seth. M a n huldigt ihm nicht als dem alten Schutzgott von Oberägypten, und erst recht nicht als dem Mörder des Osiris, sondern er ist der Gott, den dieses kriegerische Königsgeschlecht von Haus aus verehrt hatte. U n d da dieses aus dem östlichen Delta stammte, wo einst die Hyksoskönige residiert hatten, so hat sein Seth auch oft die Gestalt, unter der ihm diese Halbbarbaren gedient hatten, er ist der Gott Sutech, dem etwas Unägyptisches anhaftet. Wie hoch die Könige dieses Hauses diesen Gott schätzen, sieht man schon daraus, daß die Heere Ramses I I . nicht nur nach Amon, R e und Ptah genannt sind, sondern auch nach Seth, er steht also völlig den drei Reichsgöttern gleich. U n d ebenso ist in der neuen großen Stadt, die Ramses I I . im Delta erbaute, zwar der eine Bezirk dem A m o n geweiht, der andere aber dem Sutech. Diese neue Königsstadt (die gleiche, an der nach der Sage die Juden beschäftigt waren), lag in Unterägypten, denn Theben

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Neuntes Kapitel.

hatte seine Rolle ausgespielt, es mußte einer neuen Hauptstadt Platz machen, die nicht in einem so entlegenen Teile des Landes lag. Alle die großen Bauten, mit denen die Könige dieser Epoche es noch ausstatteten, konnten über diese Wendung seines Schicksals nicht hinwegtäuschen. Es war zwar noch die heiligste aller Städte — die Stadt des Amon, wie man es schlechthin benennt*) —, aber weiter war es auch nichts, und nie wieder ist es zur Hauptstadt geworden. Wohl erbauen sich die Könige noch auf seinem Westufer ihre Tempel und Paläste, und wenn sie sterben, so wollen sie in dieser heiligen Stadt ruhen, in den großen Gräbern, die sie sich dort geschaffen haben. Fortan ist Theben eine Stadt der T e m pel und der hohen Feste, die gelten überall als etwas Großes, und so berühmt sind diese Feste; daß man schließlich im ganzen Lande die Monate nach ihnen benennt 1 . *) Auch die Hebräer kennen es noch unter diesem Namen.

Zehntes Kapitel.

Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel. Die Religion, die wir bisher besprochen haben, war im Wesentlichen eine solche der Tempel und Priester, ein Glaube, der selbst im Umsturz dieser ihn tragenden Mächte nicht entbehren konnte. Vollends nach dem Umsturz geriet die Religion erst recht unter die Gewalt des Staates, und der stattete sie mit einem Glänze aus, den wir noch heut bewundern. Wer aber in der Religion mehr sieht als die Lehren der Priester und die Gebräuche des Kultus, der wird mit größerer Freude das betrachten, was uns daneben hier und da von einem freieren Glauben des Volkes sichtbar wird. Was wir so sehen, sind vielfach wilde Schößlinge, aber sie wurzeln doch alle in dem, was der Mutterboden jeder höheren Religion ist. Es ist das persönliche Verhältnis, in das sich der Einzelne zu seiner Gottheit stellt; die scheue Ehrfurcht, in der er sie in der Urzeit verehrt hatte, hat sich in ein Gefühl des Vertrauens und der Zuneigung gewandelt, in eine Liebe zu dem Gott, dem man wie einem Vater gegenüber steht. Solchen Empfindungen sind wir j a schon oben in dem Sonnenhymnus der Ketzerzeit und in dem großen Liede auf Amon Re begegnet, aber am deutlichsten treten sie uns jetzt in den kleinen Lieder und Gebeten entgegen, die uns etwa aus dem dreizehnten und zwölften Jahrhundert erhalten sind. Da heißt Amon der Hirt, der die Kühe früh austreibt, der die Elende zur Weide treibt. Er ist der Mastbaum, der den Winden trotzt, er ist der Pilot, der die Untiefen kennt, und man sehnt sich nach ihm auf dem Wasser 1. Ein Verhältnis von kindlicher Liebe und Vertrauen hat man zu dem Gotte: Amon Re, ich liebe dich und habe dich in mein Herz geschlossen. Ich folge nicht der Sorge in meinem Herzen, was Amon gesagt hat, gedeiht2. Und so legt man dem Gotte unbekümmert alle seine Sorgen ans Herz: du wirst mich erretten aus dem Munde des Menschen am Tage,

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Zehntes Kapitel.

wo er Lüge redet1. Der Verleumdete, den ein Nebenbuhler um sein Amt gebracht hat, bittet den Sonnengott oder den Osiris ihm beizustehen 2 . Und wieder ein anderer betet so: Amon leihe dein Ohr einem, der allein steht im Gericht, der arm ist und sein Gegner ist mächtig. Das Gericht bedrückt ihn: »Silber und Gold für die Schreiber! und Kleider für die Diener/« Doch er findet, daß Amon sich in den Vezier verwandelt, damit der Arme hervorgehe 3. Auch sonst wird es in dieser Poesie gern ausgesprochen, daß der Gott sich gerade der Armen annimmt. Er ist ihr Vezier 4. Wenn alles gegen sie ist, so bleibt doch er ihr Beistand, der Richter, der keine Geschenke nimmt, und der die Zeugen nicht beeinflußt 5 . Vor allem sind es auch die Schreiber, d. h. die Beamten und Gelehrten, die so in einem vertrauten Verhältnis zu ihrem Gotte, dem Thoth, stehen. Da betet der eine: Komm zu mir, Thoth, du herrlicher Ibis! du Gott, welchen Schnun liebt, du Briefschreiber der neun Götter. Komm zu mir, daß du mich leitest und mich erfahren machest in deinem Amte — schöner ist ja dein Amt als alle Ämter. Wer in ihm geschickt ist, da findet man, daß er ein Fürst wird. Viele Taten sind es, die du für sie tust, wenn sie im Kollegium der Dreißig sind. Du bist es, der den Ungeleiteten leitet, Glück und Segen sind bei dir. Komm zu mir und leite mich, ich bin ein Diener deines Hauses. Laß mich reden von deinen Taten, in welchem Lande ich auch bin. Dann sagt die Menge der Menschen', groß ist es, was Thoth tut. Dann kommen sie mit ihren Kindern, um sie zu stempeln auf dein Amt, das schöne Amt, du starker Retter(?). Es freue sich, wer es hat6. Und ein anderer betet so: Thoth setze mich nach Schnun, deiner Stadt, wo man angenehm lebt, und gib mir, was ich brauche, an Brot und Bier und behüte meinen Mund beim Reden 1. I m Bureau aber steht eine Statue des Thoth, die ihn als sinnenden Pavian darstellt 8 , und stolz verkündet ein Schreiber, daß auch er sich ein Bild seines Gottes aufgestellt habe: Freude ist meinem Tore geworden, seit der Gott in es eingetreten ist. Freuet euch, ihr Leute meines Stadtviertels und seid froh, alle ihr meine Angehörigen. Siehe, mein Herr, der ist es, der mich macht, ja nach ihm sehnt sich mein Herz. 0 Thoth, du wirst mir ein Starker sein, und so fürchte ich mich nicht *). Hübscher noch als diese Gebete mit ihren etwas materiellen *) Anast. I I I 4, 12; scheinbar am Schluß: »wegen des Auges«, ob wegen des bösen Blickes ? Vgl. Litt. S. 379, Anm. 2.

Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel.

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Wünschen ist dann ein anderes, das den Gott so feiert: du großer Fruchtbaum von sechzig Ellen, du, an dem Früchte sind mit Kernen und Wasser ist in den Kernen. Der du Wasser bringst an ferne Orte, komm, rette mich den Schweigenden. Thoth, du süßer Brunnen für einen Mann, der in der Wüste verdurstet. Er ist verschlossen für den, der da erdet, er ist offen für den, der schweigt. Kommt der Schweigende, so findet er den Brunnen. Aber wenn der Heiße kommt, so hilfst du ihm nicht1. Was dieser letzte Satz des schönen Gebetes besagen will, kann nicht zweifelhaft sein: der Mensch soll schweigend, der Hilfe seines Gottes harren: in silentio et spe. Dieser Glaube der Gebildeten, dem der »Schweigende« mehr gilt als der »Heiße«, ist es dann, auf dem jene höhere Sittenlehre beruht, die uns im nächsten Kapitel beschäftigen wird. Die gleiche Stimmung wie in jenen Liedern und Gebeten tritt uns dann auf den Denksteinen entgegen, die sich in einem kleinen Heiligtume des thebanischen Westufers gefunden haben 2 . Auch auf ihnen ist der Gott kein unnahbares Wesen, und wenn er den Sünder mit Erblindung und Krankheit bestraft, so kann er auch verzeihen und die Krankheit wieder von ihm nehmen. Da hat Nefer-abu, ein Beamter der Nekropole, sich irgendwie gegen die dortige Göttin, die Bergspitze, vergangen, als ein unwissender, törichter Mann, der nicht wußte, was gut und böse ist. Da bestrafte sie ihn: bei Nacht und bei Tage war er in ihrer Hand; er rief nach der Luft, aber sie kam nicht zu ihm. Doch als er der Göttin gelobte, vor allem Volke ihre Macht zu bekennen, da verzieh sie ihm. Sie wandte sich zu ihm mit Gnade und ließ ihn die Krankheit vergessen 3 . Denn, wie das ein anderer Denkstein ausdrückt *, reicht diese Göttin demjenigen die Hand, der sie liebt und sie verleiht Schulz dem, der sie ins Herz geschlossen hat. Ein andermal hat einer dieser Leute einen falschen Eid bei Ptah geschworen und dieser Gott, der Herr der Wahrheit, hat ihn am Tage Finsternis schauen lassen. Er ließ ihn wie die Tiere der Straße sein und machte, daß Götter und Menschen nach ihm sahen, wie nach einem Manne, der Abscheuliches gegen seinen Herrn tut. In seiner Reue aber sprach er: gerecht ist Ptah, der Herr der Wahrheit, gegen mich . . . Sei mir gnädig, damit ich sehe wie gnädig du bist5. Auch sonst haben die Götter nach der Anschauung dieser Denksteine, ihren Gefallen daran daß man ihre Macht verkündet

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Zehntes Kapitel.

und vor ihrem Zorne warnt. So gelobt der Maler Neb-re, der in schwerer Sorge um seinen kranken Sohn ist: ich will dem Amon Lieder machen auf seinen Namen und ihn preisen, so hoch, wie der Himmel ist und so weit, wie die Erde ist. Ich will seine Gewalt dem erzählen, der hinauffährt und dem der hinabfährt: Hütet euch vor ihm! erzählet es Sohn und Tochter und Großen und Kleinen. Saget es Generationen und Generationen, die noch nicht entstanden sind. Saget es den Fischen, die im Wasser sind und den Vögeln unter dem Himmel. Erzählet es dem, der es weiß und dem, der es nicht weiß: Hütet euch vor ihm! U n d weiter bekennt Neb-re dann vor seinem Gotte: du Amon bist der Herrfür den Schweigenden, der da kommt auf die Stimme des Armen. Rufe ich zu dir, wenn ich betrübt bin, so kommst du, daß du mich rettest. G e w i ß hatte der Sohn des Neb-re seine Krankheit verschuldet, denn er hatte irgendwie gefrevelt gegen eine K u h , die dem A m o n gehörte, aber auf die Bitte des Vaters hin, kam der Gott doch als Nordwind und süße Luft, ging vor ihm her und rettete den Kranken. So kann der Vater denn dankbar sagen: war der Diener bereit, Sünde zu begehen, so ist der Herr bereit gnädig zu sein. Der Herr von Theben verbringt nicht einen ganzen Tag im £orne; wenn er zürnt, so ist es nur im Augenblick und es bleibt nichts zurück 1. Der Gott, an den sich dieser arme Vater in seiner Sorge wendet, ist zwar der höchste aller Götter, der A m o n R e , aber freilich nicht ganz in der Gestalt in der man ihn im Tempel von K a r n a k verehrt. Er ist vielmehr der Amon, der die Bitten erhört und auf dem Bilde, das diesen Denkstein schmückt,- thront er in ungewöhnlicher Weise außen vor dem Tore des Tempels. Diese Darstellung ist gewiß nicht zufällig, denn der gewöhnliche Mensch bekommt j a den großen Gott kaum bei dessen Festen zu sehen und so scheut er sich denn auch, ihn mit seinen Sorgen zu behelligen. Lieber denkt man sich einen den Menschen näherstehenden A m o n aus, der auch die Bitten der Armen an der T ü r e des Tempels entgegennimmt. A u c h andere Götter, an die man sich wendet, werden als solche bezeichnet, die die Bitten erhören *) 2. A u f ein besonderes vertrauliches Verhältnis z u m Gotte geht es dann auch, wenn sich der Bittende darauf beruft, d a ß er dem Gotte nahe stehe, als sein Diener 3. *) Ebenso begegnet uns ein Ptah vom großen Tore (Berlin 8440), und auf eine solche Verehrungsstätte des Amon wird es auch gehen, wenn sein Hoherpriester Bekenchons erzählt, daß er dem Gotte eine Kapelle »Ramses der die Bitte erhört« im oberen Tore des Tempels des Amon errichtet habe.

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V o r A m o n . der v o r d e m Pylon seines T e m p e l s erscheint, betet der M a l e r X e b - r e u m G e n e s u n g seines k r a n k e n Sohnes. (Berlin ¿ 0 3 7 7 . A u s dem volkstümlichen T e m p e l auf der Westseite von Theben 1 *

Frömmigkeit, Volksgötter und Orakel.

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Das Bild, das wir aus den hier besprochenen Denksteinen von dem Glauben des Volkes gewinnen, wäre aber nicht vollständig, wenn wir nicht auch der Stätte gedächten, an der diese aufgestellt waren. Es war das ein kleines unscheinbares Heiligtum auf dem Westufer von Theben, das ursprünglich unter Thutmosis IV. erbaut war und das dann später durch mehrere kleine Gebäude ersetzt wurde *). Es diente den Arbeitern und Beamten der Nekropole als Tempel und der mag ursprünglich den Schutzgöttern der Nekropole geweiht gewesen sein, dem heiligen Königspaar, von dem wir unten sprechen werden. Aber, wie diese Denksteine zeigen, hat es sich einem jeden geöffnet, der seine eigenen Götter dort verehren wollte. In ihm betete man zum großen Amon Re sowohl wie zu dem kleinen Amon am Tore, zum Chons und dem Monde, zum Ptah, zu den Göttern von Elephantine, zu den fremden Göttern Rescheph und Kedesch, zur Katze und zur Schwalbe. Hier konnte eben jeder nach seiner Façon beten und weihen; die großen Tempel werden exclusiver gewesen sein und in ihnen wird die ungeregelte Frömmigkeit vor der Türe haben Halt machen müssen. Unablässig schafft sich dann die Phantasie des Volkes zu •den herkömmlichen Göttern noch andere hinzu, von denen es Hilfe im Leben erhofft. Dabei greift es zunächst nach Dingen, die ihnen im Kultus als etwas Heiliges vorgeführt werden. Wer z. B. die Namen durchsieht, die die Leute von Abydos im mittleren Reiche ihren Kindern geben, der trifft dabei auf solche wie Geschenk der Neschmetbarke oder Neschmetbarke gab einen Sohn; man dankt also der Tempelbarke des Osiris für die Geburt der Kinder und nicht dem Gotte selbst. Und erst recht geht es im neuen Reiche so zu. Wer in einem Briefe aus Theben den Adressaten dem Schutze der Götter empfiehlt, der nennt nicht nur die dortigen großen Götter Amon, Mut und Chons, sondern auch allerlei geringere Wesen als die Götter und Göttinnen dieser Stadt. So einen Baum auf der Widderstraße und den Perseabaum des Amon von Karnak, die acht Paviane, die im Heiligtume der Hathor stehen und das große Tor des Baki1. Und in einem anderen Briefe soll sich die Bitte um die Rückkehr eines Abwesenden nicht an den Ptah von Memphis richten, sondern auch an eine *) Es lag unweit des deutschen Hauses, vgl. Sitz. Ber. Berlin 1 9 1 1 , 1088 und 1105.

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Statue Thutmosis III., die gewiß i m dortigen Tempel gestanden hat1. Natürlich ruht ein solcher A b g l a n z von Göttlichkeit besonders auf Denkmälern, die dem Volke durch ihre Größe oder ihr Alter Eindruck machen. So ist denn auch die große Sphinx von Gizeh a m Ende des neuen Reiches in den R u f der Heiligkeit gekommen. Die war ursprünglich nur ein natürlicher Fels gewesen, dem K ö n i g Chefren einen Königskopf gegeben hatte. Jetzt aber wurde sie ein heiliges Wesen für die Leute der Nachbarorte und man verehrte sie als Harmachis, d. h. als den Horus i m Horizonte 2. Einen anderen derartigen Kultus der Gegend von Memphis haben uns Borchardts Ausgrabungen auf dem Totenfelde von Abusir kennen gelehrt. D a stand vor der Pyramide des alten Königs Sahure (um 2550 v. Chr.) der prächtige Tempel, in dem diesem Herrscher geopfert werden sollte. Nach der Sitte dieser Zeit war er übereich mit Reliefs ausgestattet, die das Leben und die Taten des Königs verherrlichen oder die ihn auch vor den verschiedenen Göttern betend darstellten. So stand er denn auch auf einem dieser R e liefs vor der löwenköpfigen Göttin Sachmet, und dieses Bild mochte aus irgend einem Grunde im Volke besondere Beachtung gefunden haben. Denn zu einer Zeit, wo niemand mehr an den alten K ö n i g dachte und wo sein Tempel schon zerfiel, war diese Sachmet des Sahure zu einem Gnadenbilde geworden und aus dem verfallenen Tempel des Königs wurde ein kleiner Tempel der Sachmet. Wir tun wohl kein Unrecht, wenn wir uns die Nachkommen der alten Totenpriester des Königs, die noch bei dem Tempel wohnten, als die Förderer und Nutznießer dieses Wallfahrtsortes denken. Mindestens seit dem Anfange des neuen Reiches ist er in Aufnahme gekommen und es ist nicht nur das niedere Volk, das ihn in seinen Nöten aufsucht, sondern auch sehr vornehme Leute verschmähen es nicht, dieser Sachmet ihre Weihgaben darzubringen. Selbst ein Hoherpriester von Memphis, der die rechte Sachmet doch in seiner eigenen Stadt besitzt, huldigt dieser neuen Gottheit. Als Zeichen ihrer Andacht stiften dann die Pilger Denksteine, die oft barbarisch genug in die Reliefs des alten Tempels eingelassen werden. Viele dieser Denksteine tragen Bilder von Ohren, die in üblicher Weise andeuten, daß die Göttin die Bitten erhören soll und andere, einfache, aus glasiertem T o n sind in solcher

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Menge uns erhalten, als seien sie geschäftsmäßig für solche Wallfahrtsorte angefertigt worden. Daneben weiht man dann auch kleine Statuen der Göttin oder solche anderer volkstümlicher Gottheiten. Merkwürdig ist dann weiter, daß sich in diesen neuen Tempel auch heilige Tiere — Eidechsen und Schafe — einschleichen; das entspricht zwar der Vorliebe, die die spätere Zeit für die heiligen Tiere hat; was aber diese grimmige Göttin gerade mit diesen friedlichsten Geschöpfen zu tun hat, das bleibt uns ein Rätsel. So hat denn dieser Tempel der Sachmet mehr als ein Jahrtausend hindurch bestanden und wenigstens uns hat er einen Segen gebracht, ihm allein verdanken wir es, daß der Totentempel des Sahure mit seinen herrlichen Reliefs erhalten geblieben ist, während die anderen Tempel, die neben ihm lagen, so gut wie vernichtet sind. Auf den weiten To.,„„



53. Denkstein, dem Amon-Re geweiht von einem Manne namens Neb-mehit. Die Ohren deuten

tenfeldern von Memphis ^ d a ß d e r G o t t ein G e b e t e r h ö r t h a t und Theben, wo eine (Berlin 7354.) Bevölkerung von Steinmetzen, Malern, Beamten usw. beschäftigt war, hatte sich diese besondere Schutzpatrone erwählt und zwar waren dies die alten Könige, deren Gräber sie zu pflegen hatten. In Memphis waren es die großen Könige des alten Reiches 1 in Theben die des neuen Reiches vor allem die Stammmutter der achzehnten Dynastie das Gottesweib Ahmose-Nofretere und ihr Sohn Amenophis I. *). Diese beiden gelten gerade zu als *) Aus C h a m p . Not. I 855 a könnte man schließen, daß dieser König

E r m a n , Religion der Äg>pter.

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Götter, man trägt ihre Bilder in Prozession umher und man schwört bei ihnen. In das kleine Heiligtum aber, dem wir oben (S. 141,143) die Denksteine der Betenden entnommen haben, hatte der Maler Pai eine hübsche kleine Statue dieser Königin g e w e i h t 1 und ebenda hat sich der folgende kleine Denkstein gefunden. Ein Verehrer des Amenophis preist ihn so: wer zu dir eintrat mit betrübtem Herzen, geht jauchzend und jubelnd heraus. Große und Kleine kommen zu dir wegen deines Namens, weil man hört wie stark dein Name ist. Worin die Macht des heiligen Königs besonders besteht, sieht man dann, wenn es weiter so heißt: stecke ich nicht meine Hand in eine Höhle, in der eine große Schlange ist? Da seht ihr die Kraft des Amenophis, wie er Wunder tut für seine Stadt 2.

(Berlin 10710.)

A b e r die Leute der thebanischen Nekropole haben an diesen Schutzpatronen nicht genug und sie glauben, daß über ihrem Bezirke noch eine besondere Gottheit waltet. Die wohnt auf einem der Berge der Totenstadt und man nennt sie daher schlechtweg die Bergspitze. U n d da sie über diesem Lande des Totengottes herrscht, der die Menschen z u m Schweigen bringt, so nennt man sie auch Merit-seger, die vom Schweigenmacher geliebte und denkt sie sich geradezu auch als dessen Gattin, die Isis 3 . Wie auch sie straft und verzeiht, haben wir schon oben gesehen.

Andere dieser kleinen Götter hat man gewiß im ganzen Lande verehrt, als Helfer in den Nöten des Lebens. Es sind volkstümliche Figuren und so haben sie auch nichts von der vornehmen Gestalt der großen Götter, im Gegenteil, die Phantasie hat sie als K a r i katuren gestaltet. D a ist vor allem die Toeris — der Name bedeutet nur »die Große«*), die ist ein Scheusal, das sich aus Nilpferd und Krokodil zusammensetzt, mit Menschenhänden und Löwentatzen. Sie steht auf den Hinterfüßen und pflegt das Zeichen Schutz zu halten, und »Schutz« ist das, was sie den Menschen gewährt. Sie wird dargestellt als sei sie schwanger und ihre ernstlich als Sohn des Amon und des Gottesweibes galt. — Weshalb sie auf dem großen Bilde Berlin 2060 schwarze Hautfarbe hat, wissen wir nicht. *) Der Name ist jung.

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kleinen Figuren, die man in die Tempel weiht, lassen vermuten, daß sie den Gebärenden und Stillenden beistehen sollte 1 . Übrigens ist die Toeris später auch in die höhere Gesellschaft der Götter gegekommen und sie wird zu einer Stadtgöttin Opet von Theben 2 . Ein anderes allbeliebtes Wesen ist nicht minder seltsam: der Bes, eine Gestalt, der man es noch ansieht, daß sie ursprünglich die Heiterkeit erregen sollte. Es ist ein zwerghaftes Wesen, krummbeinig, mit großem Kopf und wildem Bart, und überdies noch wie ein Tier geschwänzt. Man könnte ihn ^ ^ ^ ^ etwa den Satyrn der griechischen Götter- schlägt. (Berlin 5666.) weit vergleichen und auch wie diese — erscheinen die Besgötter in größerer Zahl. Man denkt sich, daß sie den großen Göttern zu dienen haben; sie erheitern sie durch Tanz und Musik und sie warten auch die Götterkinder. Aber diese niedere Stellung hindert nicht, daß der Bes für das Volk ein wirklicher Gott geworden ist und man nennt ein Kind ebensogut »das des Bes«, wie man es »das des Amon« oder »das der Toeris« nennt. Im übrigen verwendet man die komische Figur des Bes gern als Spiegelgriffe oder Schminkbüchsen und man bringt sie auch an den Kopfstützen der Betten an. Da ist denn Bes mit Bogen und Messern ausgestattet und soll natürlich die Schlafenden vor allerlei Unheil schützen.

56. Kopfstütze, wie man sie statt des Kopfkissens benutzte, von zwei Bes getragen; unten zwei andere Bes bewaffnet, um den Schlafenden zu schützen. (Berlin 11 625.) 10*

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Eine andere Sippe solcher zwerghaften Götter ist zwar rein menschlich gestaltet, aber darum noch nicht schöner. Denn sie haben das Aussehen krankhaft verkrüppelter Kinder Auch sie sollen gewiß dem Menschen helfen, aber wir wissen nichts weiter über sie, als daß sie als Ptah oder Söhne des Ptah gelten, das wird wohl auch der Name Patäke bedeuten, den uns Herodot für sie überliefert h a t 2 . Auch sie werden den Menschen beistehen und schützen ihn, ebenso wie der Bes, z. B. auch vor Schlangen 3 . Nicht als abstoßende oder lächerliche Wesen werden wir uns die sieben Hathoren zu denken haben. 3/. x aui&c. (Berlin 1 1 0 5 5 . ) Diese sieben Liebesgöttinnen sind uns aus den Märchen des neuen Reiches bekannt, wo sie den Neugebornen ihr Schicksal weissagen, aber wir wissen auch, daß sie einem Priester des Thoth Nachkommen gewähren wollten, wenn er ihnen ihr Bild weihte und zu ihnen betete 4 . Schließlich sei hier noch der Gott Onuris (S. 66) erwähnt, den man sich als einen Prinzen denkt, der auf einem Streitwagen fährt und wilde Tiere erlegt. Er heißt der Erretter, und gewiß schützt er auch die Menschen, die sein Bildchen als Amulett tragen gegen Tiere 58. Amulett mit Gott Schu-Onuris. (Berlin und Feinde. 8920.) Zu all diesen kleinen Göttern des Volkes gesellen sich dann noch solche, die von fremden Völkern übernommen sind. Denn schon lange stand Ägypten in regem Verkehr mit den Ländern des Nordens und des Ostens, und nicht nur die Umgangssprache hatte sich mit semitischen Worten bereichert, sondern auch in die Religion waren fremde Gottheiten eingedrungen. Es waren Kaufleute und Soldaten, die aus Dank für ihre Errettung auf dem Meere oder in der Schlacht, diese Götter auch zu Hause verehrten, und da bei dem Volke das Fremde immer einen gewissen Nimbus hat, so fanden sich bald auch andere hinzu, die ihre Hoffnung auf diese neuen Götter setzten. Manche dieser fremden Götter schließen sich dann auch an

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ägyptische von ähnlichem Wesen an. So reiht sich die Astarte an die Kriegsgöttin Sachmet von Memphis und die Kedesch an die Hathor, und der syrische Gott Rescheph wird mit dem Sutech des östlichen Delta v e r q u i c k t 1 . Dieser Rescheph, der Herr der Stärke unter der Neunheit, ist ein Gott des Krieges mit Lanze und Schild. Er trägt zwar die Krone von Oberägypten, aber d a ß er aus der Fremde stammt, zeigt noch seine barbarische Kleidung, denn a m Schurze hängen Bänder, an der K r o n e flattert ein langes Band, und an der Stirn ist sie mit zwei Hörnchen oder einem Gazellenkopf geziert. Übrigens muß es mehrere R e scheph's gegeben haben, denn in einem Gedichte heißt es von Ramses I I I . , die Offiziere seiner Soldaten seien stark wie die Reschephgötter. Die Leute, die diesen kriegerischen Gott verehrten, sind aber gewiß nicht alle Krieger gewesen — der Stifter des Berliner Denksteins war ein M a n n der thebanischen Totenstadt — , und auch die Göttin, die zuweilen neben ihm steht, die Kedesch, ist ein freundliches Wesen wie die Hathor, wie diese heißt sie das Sonnenauge und die Tochter des Re. Wenn sie auf L ö w e n steht und neben den Blumen auch Schlangen hält, so zeigt das wohl nur an, 59. Sutech, die Hörnchen und der Behang der d a ß sie gegen böse Tiere schützen sollte 2. Krone sowie die Bänder am

Schurz

charakteri-

Wenn Rescheph und die Kedesch wohl sieren ihn als fremden Gott. (Berlin 8440.) g nur von ihren Anhängern verehrt wurden, so genießen Baal und die Göttinnen A n a t und Astarte eines desto allgemeineren Ansehens. Baal ist ein fürchterliches Wesen, und man setzt ihm, wie schon die Schreibung seines Namens zeigt, dem Seth gleich. Er ist der Gott des Sturmes und des Gewitters, er steht auf den Bergen und brüllt am Himmel, und in der Schlacht vergleicht man den K ö n i g mit Baal zu der Zeit, wo er wütet 3 . So bekannt ist er im Volke, daß man das Wort Baal kaum noch als einen Namen empfindet, und man gibt ihm zuweilen den Artikel: der Baal, als handele es sich um ein allgemeines Wort für Gott. Wie es in K a n a a n selbst viele Baals gibt, so wird man auch in Ägypten

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nicht nur einen verehrt haben. So kennen wir einen Baal K a desch und einen Baal Zephon 1 , der ein Gott der Seeleute gewesen sein wird. Übrigens hat auch ein Tempel des Baal in Memphis bestanden, und wir kennen noch einen Priester dieses Heiligtumes, der dort dem Baal und der Astarte dient. Er trägt einen fremdländischen Namen, ist aber zur Zeit Amenophis I V . wie ein guter Ägypter bestattet worden 2. Ebenso allbekannt wie der Baal sind in Ä g y p t e n des neuen Reiches die beiden Göttinnen A n a t und Astarte. Beide sind kriegerische Gottheiten, und die eine von ihnen sehen wir auf einem Bilde hoch zu R o ß mit Kriegsbeil und S c h i l d 3 . Später hat dann freilich die Anat, als sie ganz zur ägyptischen Göttin geworden war, solchem barbarischen Wesen entsagen müssen, und wenn wir sie, viele Jahrhunderte später, im Tempel von Philae wiedersehen, so ist sie zu einer Isis geworden und hat den Horus z u m Sohne 4 . Augustus aber spendet ihr als passende G a b e zwei Spiegel. V o n dieser späteren fried60. Astarte z u R o ß . (Von einer lichen Natur ist im neuen Reiche Inschrift in der Wüste bei Redesie, von einem Offizier geweiht.) bei diesen Göttinnen freilich noch nichts zu spüren. Sie sind des Königs Schild in der S c h l a c h t 5 , und sie gehören zu seinem Streitwagen 6 . U n d wenn Thutmosis I V . auf dem Wagen in die Feinde dringt, so ist er stark zu Roß wie Astarte1. So werden sie auch in der Geschichte von Horus und Seth beide dem Kriegsgotte Seth zugedacht, als eine Entschädigung für die ihm zugefügte Unbill (S. 77). U n d in einer anderen Sage sind sie offenbar die Weiber des Seth, denn dessen Gegner, Horus, hindert sie am gebären 8. U n d wieder in einem Märchen wird erzählt, wie die Götter, als sie vom Meere bedrängt wurden, die Astarte aus Syrien nach Ägypten holten. Sie nahmen sie feierlich in ihre Mitte auf, man gab ihr einen Sessel, und sie setzte sich, die Großen standen vor ihr auf, und die Kleinen lagen auf dem Bauche9.

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Hierbei gilt sie als Tochter des Ptah, und das hängt offenbar damit zusammen, daß sie in Memphis früh heimisch geworden war. Hier hatte sie schon wie wir gesehen haben unter Amenophis IV. einen Tempel und einen besonderen Priester Auch die Könige der neunzehnten Dynastie ehren diese beiden Kriegsgöttinnen. Unter Ramses I I . ist das östliche Viertel der neuen Hauptstadt der Astarte geweiht, gerade so wie das westliche der ägyptischen Buto. U n d nicht nur seine Rosse heißen nach der Anat, sondern auch seine eigene Tochter trägt den semitischen Namen Bent-Anat, die Tochter der Anat. Nichts mit der Astarte zu tun hat eine andere fremde Göttin, die man auch in Memphis verehrte, die syrische Istar. Wir treffen sie einmal zusammen mit der Kedesch, wo sie beide einem Diener des Hohenpriesters des Ptah Gesundheit gewähren sollen. Und ein andermal wissen wir noch genauer, um welches Leidens willen sie angerufen wird. Ein Türhüter des Ptahtempels hat, wie das Bild seines Denksteines zeigt, ein verkrüppeltes Bein, und er wird um so mehr Hilfe von der Göttin erhofft haben, als sowohl er wie seine Frau syrischer Herkunft waren. Merkwürdig ist nun, daß wir bei dieser Istar sogar noch zu sehen glauben, wie sie nach Ägypten gekommen ist. Als König Amenophis I I I . in seiner letzten Krankheit lag, wird er seinen Schwiegersohn Duschratta, den König von Mitani, gebeten haben, ihm das Bild der Ischtar von Ninive zu leihen. Denn dieses hatte sich schon einmal, vermutlich bei ähnlicher Gelegenheit, in Ägypten bewährt. Duschratta erfüllte diese Bitte und sandte die Göttin dorthin, die in Erinnerung an die ihr dort erwiesenen Ehren dieses Land noch liebte. Dabei bittet er, Amenophis möge auch jetzt die Göttin wieder ehren, damit sie ihnen beiden Schutz und langes Leben gewähre. Dann aber möge er sie fröhlich wieder zurückschicken und schreibt er: Ischtar ist ja mein Gott, und nicht der Gott meines Bruders; offenbar befürchtet Duschratta, daß man das wundertätige Bild in Ägypten zurückbehalten könne 2 . Ist die Istar sicher aus den Euphratländern entlehnt, so dürfen wir wohl auch annehmen, daß die Göttin Neker oder Nekel, die in einem Zaubertexte als die Gemahlin des oberen Gottes vorkommt, keine andere sein wird, als die babylonische Göttin Ningal, die Gemahlin des Mondgottes Sin 3 .

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So, wie wir es hier gesehen haben, sucht das Volk, dem seine ererbten Götter nicht mehr nahe stehen, sein Heil bald bei den Göttern anderer Völker, und bald auch bei neuen Wesen, denen es erst selbst ihre Göttlichkeit verleiht. D a ist es denn auch kein Wunder, daß das Volk bei diesem Suchen auch nach dem greift, was eigentlich längst überlebt war, nach der Verehrung der Tiere. Freilich war dieses Überbleibsel allerältester Religion nie ganz verschwunden, und so wie einst hält man noch in den Tempeln von Memphis und Heliopolis die heiligen Stiere Apis und Mnevis, und des Bockes von Mendes und des Falken des Horus hatte man nie vergessen. Aber diese Tiere waren doch nur noch ein interessantes Beiwerk der Religion, und wer den Ptah oder den Harachte im Liede pries, der dachte dabei mit keiner Silbe der heiligen Stiere Apis und Mnevis, die man nach dem Herkommen in ihren Tempeln hielt *). J e t z t aber, im neuen Reiche, mehren sich die A n zeichen, daß das Volk sich wieder den heiligen Tieren zuwendet, den Wesen, in denen sich doch die Gottheit lebendig zeigte. Sie waren j a dem einfachen Menschen verständlicher als das Götterbild des Tempels, das er ohnehin kaum j e zu sehen bekam. Z w a r sind wir noch weit von jener Zeit entfernt, wo schließlich jede Katze und jede Giftschlange als etwas Göttliches gilt, aber der Weg zu dieser Tollheit ist beschritten. Schon aus der achtzehnten Dynastie stammt ein Denkstein, den ein Tempeldiener aufgestellt hat, um seine Andacht vor dem Mnevis zu verewigen Wie groß der Respekt vor diesem heiligen Tiere war, sehen wir auch aus einer Denunziation aus der Zeit Ramses' I V . ; da gehörte es auch zu den vielen Missetaten eines Angeschuldigten, daß er einen kleinen Mnevisstier, den seine K u h geworfen hatte, verkauft hatte 2 . U n d weiter stoßen wir auf den Denksteinen auf allerlei Tiere, die man verehrt, obgleich sie der offiziellen Religion der Tempel fremd sind, und deren Beziehungen zu den wirklichen Göttern uns oft ein Rätsel bleiben. Zwar, daß dem Amon ein Widder heilig war, können wir noch verstehen, trug doch die eine Form dieses Gottes einen Widderkopf (S. 43). Aber was soll es dann, wenn hinter dem Amon *) Wenn man in Teil Amarna, wenigstens im ersten Stadium der Umwälzung, auch Gräber für die Mnevisstiere plante, so bedeutet das nur, daß man die neue Sonnenstadt der alten auch äußerlich gleich machen wollte.

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eine Gans steht? Wer nach tieferen Gründen für solche Wunderlichkeiten sucht, könnte dabei allenfalls an den großen Schnatterer denken, der bei der Entstehung der Welt über die dunkle Tiefe geflogen war (S. 62). A b e r auch die kühnste Vermutung versagt, wenn auf einem anderen Denkstein neben der schönen Katze auch die schöne Schwalbe, die

da bleibet und bleibet ewiglich, angerufen wird U n d was sollen nun erst die sieben Fische sein, die wir neben dem 61. Amon-Re mit einer Gans. (Berlin 7295.) Sonnengotte antreffen; anscheinend in einem besonderen Tempelchen 2. So stark war diese Strömung, d a ß auch die offizielle Religion nicht umhin konnte, ihr Rechnung zu tragen. So legte Prinz Chaemueset, ein Sohn Ramses' II., der Hoherpriester von Memphis war, die gemeinsame Gruft für die Apisstiere an, und schon treibt man die Ehrfurcht vor dem toten Ochsen soweit, d a ß man ihm, wie einem Menschen, Totenfiguren ( K p . 15) beigibt, die i h m die Arbeit im Jenseits abnehmen sollen 3 . U n d ein Prinz Thutmosis hat schon in der achtzehnten Dynastie eine heilige K a t z e ganz nach Menschenart bestatten lassen. Sie hat einen schönen Steinsarg, an dessen Enden Isis und Nephthys um sie klagen. U n d sie, die beim Osiris Erhrwürdige, sitzt gleich einer verstorbenen D a m e vor dem Speisetisch, auf dem ein Gänsebraten nicht fehlt 4 . Eine andere Hinterlassenschaft uralter Zeit, die Verehrung einzelner Bäume, lebt auch im neuen Reiche noch fort. Wir sahen schon oben in einem Briefe aus Theben (S. 143), daß das dortige Volk zu solchen betete. U n d vollends in Memphis hatte man nie vergessen, jene Sykomere zu 62. Göttin, die die Toten von ihrem Baum aus speist. (Nach verehren, die südlich von Ptahtempel Berlin 7291.)

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stand (S. 3 1 ) . A u f ihr wohnte j a nach alter Vorstellung die Göttin Hathor, und da diese j a auch die Liebesgöttin war, so gibt man den Mädchen auch Namen, wie Enuchai, wie die von der Sykomore*). Auch von anderen Bäumen, die am Wüstenrande stehen, heißt es, daß eine Göttin auf ihnen wohnt, Nut oder Hathor, und man hofft, daß sie den Toten, die dort bestattet sind, Wasser und Speise spenden werde. Auch die offizielle Religion des neuen Reiches hat, wie wir später sehen werden, einzelnen Bäumen der Tempel ein göttliches Wesen zugeschrieben. Wenn der Mensch glaubt, daß die Gottheit an seinem Schicksal Anteil nimmt und es im einzelnen bestimmt, so stellt sich auch der Wunsch ein, von ihr zu erfahren, was sie über ihn beschlossen hat und was sie ihm zu tun rät. Das mag auch in Ägypten immer so gewesen sein, aber klar treten uns solche göttlichen Entscheidungen erst im neuen Reiche entgegen. Als Thutmosis I. seiner Tochter Hatschepsut gegen alles Herkommen die Nachfolge sichern will, da erläßt A m o n einen Befehl, der dem Wunsche des Königs entspricht. U n d als Hatschepsut selbst eine Expedition nach dem Weihrauchlande entsenden will, da betet sie an der Treppe des Herrn der Götter, und da hört man einen Befehl aus der großen Stätte und einen Ratschluß des Gottes selbst: suche die Wege nach Punt und eröffne die Pfade zu den Myrrhengebirgen1. A u c h wenn Thutmosis I I I . und seine Nachfolger ihre Heere nach Asien führen, so geschieht das, weil ihr Vater Amon ihnen dort Siege befohlen hat. Wenn Amon, wie wir eben sahen, dazu half, daß die Prinzessin Hatschepsut den Thron bestieg, so hatte er doch ihren Halbbruder, der sie später entthronte, schon vorher zum Könige erkoren — wenigstens erzählt dies Thutmosis I I I . selbst. Als junger Prinz war er im Tempel aufgezogen worden — vielleicht daß ihn sein Vater dereinst zum Hohenpriester machen wollte —, und damals, ehe er noch Prophet geworden war (S. 154), hatte er einem Feste beigewohnt, bei dem der König ein großes Opfer darbrachte. Aber der Gott blieb nicht vor dem Opfer stehen, sondern zum Staunen aller zog er durch die Säulenhalle, als suche er *) Die wilde Schreibung dieser Namen zeigt, daß sie aus der Volkssprache stammen.

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j e m a n d . D a n n blieb er vor dem jungen Prinzen stehen, der gewiß in der Reihe der Priester stand. Der warf sich vor ihm nieder, der Gott aber führte ihn dahin, wo sonst der K ö n i g im Tempel steht, und er eröffnete ihm das Allerheiligste. Und wie Thutmosis I I I . weiter erzählt, setzte er schon damals ihm die Krone auf und verlieh ihm seinen königlichen N a m e n 1 . Als dann später Ramses I I I . den T h r o n besteigt, verkündet ihm der Gott, d a ß er zweihundert Jahre regieren werde, und gewiß hat man diesen Ausspruch des Gottes wörtlich genommen, denn bei dem T o d e des Königs erinnert man daran, und bittet den Gott, doch dieses Versprechen nun wenigstens an seinem Nachfolger wahr zu machen 2. Ist es in diesen Fällen der König, dem der Gott seinen Willen offenbart, so kann doch auch gewöhnlichen Menschen ein Gleiches geschehen. Unter Ramses II. sah ein Großer der Matoi, d. h. ein Oberster der nubischen Polizeitruppe, in Koptos einer Prozession der Isis zu, und das heilige Bild in seiner Barke nickte ihm zu. Damit verkündete ihm die Göttin, d a ß er es noch weit bringen würde, und in der T a t wurde er ein hoher Offizier und ein Gesandter des Königs, wie er das auf einem Denkstein erzählt 3 . A u c h das geschieht, d a ß man die Götter u m Auskunft bittet, selbst da, wo es sich nur um mein und dein handelt. In der Totenstadt von Theben sind dem Graveur K a h a seine Kleider gestohlen worden, und niemand weiß, wer der Dieb ist. D a ruft er zu dem heiligen K ö n i g Amenophis (S. 46) und bittet diesen, seinen Herrn, ihm heute zu Hilfe zu kommen. Als dann dessen Bild bei dem Hause des Amennecht vor beigetragen wird, da nickt es und verkündet damit, d a ß die Tochter dieses Mannes die Kleider hat 4 . O d e r ein anderer Fall: Chaemueset, Arbeiter in dem gleichen Orte, streitet sich mit einem andern Arbeiter um den Besitz seines väterlichen Hauses. Das zeigt er dem heiligen Könige an und sagt: komme mir zu Hilfe, du meine große Sonne. Als man den K ö n i g frug, ob man das Haus dem Chaemueset geben sollte, da nickte er sehr, in Gegenwart der beiden Oberarbeiter, und aller, die sein Bild trugen 5 . D a ß es nicht nur das niedere V o l k war, das an solche göttlichen Entscheidungen glaubte, sehen wir aus einer Streitschrift, die aus dem Kreise der Schulen und Gelehrten stammt. In ihr wendet sich der Verfasser gegen die Behauptung seines Gegners,

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Zehntes Kapitel.

daß er kein rechter Schreiber sei, und schlägt schließlich vor, man solle die Briefe seines Gegners dem Onuris vorlegen, damit der zwischen ihnen entscheide, wer im Rechte sei Wie sich dann dieses Verfahren, den Gott zu befragen, zu einer festen Form entwickelt hat, und wie es zu einem wesentlichen Faktor des Lebens geworden ist, das werden wir in Kap. 18 sehen.

Elftes Kapitel.

Die Ethik. Wo Menschen in dauernder Gemeinschaft zusammenleben, da stellen sich im Laufe der Zeit auch allerlei stillschweigende Vereinbarungen ein, die das T u n der einzelnen beschränken, wo es die Allgemeinheit schädigen würde. Der Einzelne soll nicht morden, er soll nicht rauben und dergleichen mehr, wie das die Verhältnisse des betreffenden Volkes erfordern. J e nachdem seine Kultur sich dann hebt, verfeinern sich auch die Anforderungen dieser Ethik, und es geschieht wohl, daß sie dann auch über das hinausgehen, was sich eigentlich noch von den Menschen verlangen läßt. Mit der Religion hat die Ethik im Grunde nichts zu tun 1 , aber es bleibt nicht aus, daß sie gleichsam unter deren Schutz gestellt wird. So gilt es denn auch in Ägypten zu allen Zeiten, daß das Unrecht, das die Menschen begehen, den Göttern ein Abscheu ist. U n d schon in den Pyramidentexten lesen wir, daß der himmlische Fährmann nur den Gerechten übersetzt 2. Es ist insbesondere der Sonnengott, der als Vertreter der Gerechtigkeit gilt, und man denkt sich dann auch die Wahrheit oder das Recht — das Wort maat bedeutet beides — als seine Tochter, und er selbst hat den Menschen gesagt: sage die Wahrheit, handele nach der Wahrheit, dieweil sie groß ist und gewaltig 3 . Diese Wahrheit, dieses Recht ist das Ideal der Ägypter. Es ist das die Ordnung, wie sie in einem gesitteten Staate besteht; und in der Tat, soweit wir die Ägypter verfolgen können, leben sie in geordneten staatlichen Verhältnissen. Jede Störung desselben empfinden sie als Verbrechen. Die Neigung zum Kämpfen und »Heldentum« geht ihnen ab, und in den zahllosen Grabschriften, die uns aus allen Epochen erhalten sind, begegnet es uns nur selten, daß sich ein Verstorbener kriegerischer Taten rühmt. Und nicht zufällig ist es, daß auch die Lieblingssage der Ägypter einen friedlichen Charakter

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Elftes Kapitel.

trägt. Osiris ist, wie in Kapitel fünf erzählt ist, ein Fürst des Friedens, ein Gott, der keinen Feind hat, der das Gemetzel geschlichtet hat (S. 72). D a ß er daneben auch als Krieger gefeiert wird und als Eroberer gilt, rührt davon her, daß man gewöhnt ist, sich den irdischen K ö n i g so zu denken. Es ist charakteristisch, d a ß in der späten Fassung der Sage Osiris seine Eroberungen nur durch Überredung der fremden Völker macht. U n d wenn sein Sohn Horus den Mörder seines Vaters zur Rechenschaft zieht, so geschieht auch das weniger in K ä m p f e n als auf dem Wege des Rechtes. Die Kriege und K ä m p f e , in denen die Phantasie anderer Völker zu schwelgen pflegt — man denke nur an die Ilias — sind dem ruhigen Bauernvolke des Niltals im Grunde ein Greuel, mögen auch die Könige sich in den Phrasen v o m Vertreten der Fremdvölker und vom Erweitern der Grenzen gefallen. Früh hat sich dann der Gedanke eingestellt, daß auch das Schicksal des Verstorbenen davon abhänge, ob er im Leben richtig gehandelt habe. Die Götter, die sich des Toten annehmen, gewähren j a nicht j e d e m ihren Beistand (S. 157). U n d als dann der Osirisglaube zur Herrschaft gelangt ist, da gewinnt diese Vorstellung vollends die Herrschaft. In das Reich dieses schuldlosen Gottes findet j a nur der Schuldlose Aufnahme, und ein jeder muß vor den 42 T o tenrichtern erklären, d a ß er ohne Sünde gewesen ist. Wir werden in K a p . 14 im einzelnen sehen, was bei diesen Bekenntnissen als Sünde gilt. Es sind zunächst die groben Vergehungen, die in jeder menschlichen Gemeinschaft verpönt sind, als morden und morden lassen, rauben, betrügen und fälschen, die Unzucht und der Ehebruch. A b e r daneben werden auch schon höhere Anforderungen gestellt, der Mensch soll nicht lügen, nicht verleumden und soll nicht lauschen, er soll nicht sein Herz essen*), d. h. er soll sich nicht in unnützer Reue verzehren. M a n soll auch den Kindern nicht die Milch v o m Munde nehmen, nicht hungern und nicht weinen machen. Anderes wieder entspricht den besonderen ägyptischen Verhältnissen: man soll das Wasser der Überschwemmung nicht in seinem Laufe hindern, man soll die Tiere, Fische und Vögel der Götter schonen und weder den Tempeln noch den Gräbern ihre Speisen rauben. Lebendiger noch tritt uns das, was in Ägypten als T u g e n d *) D a ß die Deutung richtig ist, erhellt aus dem Koptischen.

Die Ethik.

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galt, in den älteren Grabschriften und in der Literatur des mittleren Reiches entgegen. D a ist es vor allem das Wohltun, dessen man sich unablässig rühmt. M a n gibt dem Hungrigen Brot und dem Durstigen Wasser, dem Nackten reicht man ein K l e i d 1 . Den, der nicht über den Fluß kann, setzt man auf der eigenen Fähre ü b e r 2 , und den Verirrten bringt man auf den richtigen W e g 3 . Ein guter M a n n ist ein Sohn für den Alten 4, ein Bruder für die Verstoßene, ein Gatte für die Witwe und dem Waisenkinde ein Vater. Für das K i n d , das keine Mutter hat, ist er das K l e i d und für den Frierenden ein Windschirm 5. Für den, der krank ankam, ist er A m m e und Wärterin. Anderes, dessen sich ein Vornehmer rühmt, ist, d a ß er nie eine Witwe bedrückt oder die Tochter eines Bürgers geschändet hat. Nie hat er einem Ackersmann oder einem Hirten Hindernisse bereitet. In Jahren der Not hat er das V o l k unterstützt, und dabei hat er keinen Unterschied zwischen Großen und Kleinen g e m a c h t 6 . Als Richter hat er danach gestrebt, daß beide Parteien zufrieden aus dem Gericht gingen 7 . U n d auch dafür hat er Sorge getragen, d a ß dem Sohne i m Prozesse der Besitz des Vaters erhalten blieb 8 — gehört es doch auch sonst zu den Pflichten eines vornehmen Mannes, d a ß er dem Sohne das A m t seines Vaters erhält. Wie ein wackerer Mann und guter Beamter sein Leben führen soll, das lehrt uns der weise Ptahhotep, der Vezier des Königs Issi*) (um 2500 v. Chr.) war. Gut ist es zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. I m übrigen aber soll er sich vor den Frauen in einem fremden Hause hüten, denn tausend Menschen gehen ihretwegen ins Verderben. Er soll freundlich sein gegen alle Menschen, und vor allem auch gegen Bittende; denen soll er durch zustimmendes Nicken Mut machen, daß sie ihre K l a g e n aussprechen. Immer soll er sich eines zurückhaltenden, bescheidenen Benehmens befleißigen. A u c h hüte er sich davor, leichtfertige Reden zu wiederholen. A u f sein Wissen sei er nicht stolz und mißachte nicht einen Geringen, wenn ihn der K ö n i g erhoben hat. Habgier ist -ein böses Laster, ein böses Leiden, das alle menschlichen Verhältnisse zerrüttet. M a n sieht, diese Moral hat etwas Nüchternes, und das tritt *) I n wie weit die Zuteilung der alten Literaturwerke an bestimmte Personen berechtigt ist, stehe dahin, jedenfalls ist dieses Buch älter als das mittlere Reich. — Alles Folgende nach Literatur Seite 87 — bis S. 99.

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Elftes Kapitel.

umso mehr hervor, wenn der Weise betont, wie sehr seine Lehren d e m Menschen z u m Nutzen gereichen. M a n soll seine F r a u lieben u n d ihr alles Gute erweisen, aber das lohnt sich auch, denn sie ist ein guter Acker, der Frucht bringt. D e m Vorgesetzten sollst du ein rechter Diener sein, denn so wird dein H a u s mit deiner H a b e dauern, u n d deine Bezahlung wird in Richtigkeit sein. Sei freigebig gegen deine Vertrauten, denn wer weiß, o b nicht einst eine Zeit kommt, wo diese dich unterstützen müssen. Eine andere Luft weht d a n n schon in jener merkwürdigen Lehre, die ein König aus der Zeit vor dem mittleren Reich f ü r seinen Sohn Merikare verfaßt haben s o l l Z w a r heißt es auch d a , d a ß m a n die Weinenden beruhigen soll, die Witwe nicht bedrücken u n d niemand der H a b e seines Vaters berauben. Auch auf vornehme Herkunft soll ein König nichts geben. Aber vor allem soll er die Hitze, d. h. die Leidenschaft in seinen R e d e n vermeiden. Es ist das übrigens ein Gedanke, der uns auch sonst im mittleren Reiche begegnet, u n d ist offenbar eine leitende Idee der damaligen Ethik. So heißt es einmal von einem Fürsten, er habe die Leidenschaft gebändigt, habe ein ruhiges Herz geh a b t u n d sei frei von Unüberlegtheit gewesen 2. Weiter lehrt d a n n der alte König, er solle freundlich reden, denn reden sei kräftiger als alles kämpfen. Z u r Verehrung der Götter bemerkt er, d a ß dem Gotte die Tugend eines recht Gesinnten lieber sei als der Ochse, den i h m ein Frevler opfere. Doch soll der M a n n auch das tun, was seiner Seele nützt, er soll den Priesterdienst verrichten u n d seine Opfer darbringen. Gott kennt den, der etwas für ihn tut. Aus dem neuen Reiche haben wir dann ein Buch, das zu d e m Hübschesten gehört, was die ägyptische Literatur besitzt. Es wird einem Schreiber Anii zugeschrieben. Hier seien nur einzelne Proben aus ihm gegeben. Sei m i l d t ä t i g u n d iß nicht Brot, wenn ein anderer Mangel leidet 3. Hüte dich vor einer Frau von draußen, die in ihrer Stadt nicht bekannt ist. Blinzle ihr nicht zu und erkenne sie nicht. Das wäre ein großes todeswürdiges Verbrechen, auch wenn sie es draußen nicht erzählt4. G u t ist

es, früh zu heiraten und viele Kinder zu zeugen 5 .

Behandele

d u deine F r a u m i t R ü c k s i c h t , wenn du weißt, daß sie tüchtig ist; sage

Die Ethik.

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nicht zu ihr: »wo ist das, bringe es uns«, wenn sie es doch an die richtige Stelle getan hat1. Deiner Mutter vergilt du alles, was sie für dich getan hat. Gib ihr reichlich Brot und trage sie so, wie sie dich getragen hat. Sie hatte viele Last mit dir, als du geboren ivurdest nach deinen Monaten, trug sie dich wieder auf dem Nacken und drei Jahre war ihre Brust in deinem Munde. Sie hatte nicht Ekel vor deinem Kot. . . Sie setzte dich in die Schule, als dir das Schreiben gelehrt wurde und täglich stand sie da mit Brot und Bier aus ihrem Hause 2. — Sei mäßig im Essen, übernimm dich auch beim Biere nicht, sonst weißt du nicht, was du sagst, und wenn du hinfällst, liegst du auf dem Boden, wie ein kleines Kind. Deine Trinkgenossen aber lassen dich liegen und sagen: weg mit diesem Säufer 3 . — I n deinem Umgange sei wählerisch und verbrüdere dich nicht mit dem Diener eines anderen 4 . — In einem fremden Hause sieh nicht auf das, was darin unrichtig ist; dein Auge sehe es, aber du schweigst und redest davon draußen Zu keinem anderen 5 . — Hüte dich auch davor, über geheime Angelegenheiten zu reden: spricht man von solchen in deinem Hause, so mache dich taub 6 . Rede nicht viel . . und sei vorsichtig im Sprechen, denn die Zunge bringt Umglück über den Menschen 7. Die Haupttugend für jeden aber ist Bescheidenheit und Zurückhaltung: Sitze nicht, wenn ein anderer steht, der älter ist als du, oder der es in seinem Amte weiter gebracht hat8. — Gehe nicht uneingeladen in ein fremdes Haus 9 . — Einem wütenden Vorgesetzten antworte gar nicht, oder suche ihn zu beruhigen 10. — Gehe auch nicht ein und aus beim Gericht, damit dein Name nicht stinke u. Vertraue auch nicht auf den Reichtum und hoffe auch nicht auf ein Erbe; sage nicht: der Vater meiner Mutter besitzt ein Haus . . .; denn wenn es zum Teilen mit deinen Brüdern kommt, fällt auf dich nur ein Speicher 12. Besonders aber betont dieser Weise die Pflichten gegen Gott: feiere das Fest deines Gottes . Gott zürnt gegen den, der dagegen fehlt13. Dränge dich aber auch nicht vor bei seinem Feste, u m ihn zu tragen, und frage nicht nach seiner Gestalt. U n d wohltuend berührt es uns, wie Anii überhaupt das äußere Gebahren der Frömmigkeit verwirft: Die Wohnung Gottes, E r m a n , Religion der Ägypter.

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Elftes Kapitel.

deren Abscheu ist Geschrei. Bete du mit einem wünschenden Herzen, dessen Worte alle verborgen bleiben. Da tut er, was du brauchst; er erhört deine Worte und nimmt dein Opfer an 1. Das neue Reich ist eben doch eine Zeit feineren Empfindens, und so befremdet es uns auch nicht, wenn an anderen Stellen 2 von dem Gotte die Rede ist, der in dem Menschen w o h n t * ) ; es macht das Glück des Menschen aus, wenn dieser mit ihm zufrieden ist. Dieser Gott im Menschen, ist, wie anderswo ausdrücklich bemerkt wird 3 , sein Herz, auch an seinen K a (von dem wir noch in Kapitel 14 sprechen werden), dürfen wir hier denken. Die ganze Vorstellung entspricht natürlich dem, was wir das Gewissen nennen. Etwa drei oder vier Jahrhunderte später hat dann der K o r n schreiber und Katasterbeamte Amenemope seinem Sohne dreißig Sprüche zur Richtschnur seines Lebens gegeben. Ein Buch, das uns auch dadurch merkwürdig ist, d a ß Teile davon in die Sprüche Salomonis und damit auch in unsere Bibel gekommen sind 4 . Was in diesem Buche über das Verhältnis des Menschen zu Gott gesagt wird, steht unserm eigenen Empfinden besonders nahe. D a heißt es: der Mensch ist Lehm und Stroh und Gott ist sein Baumeister 5 . — V o r ihm gibt es keine Vollkommenheit 6 . Sage nicht, ich habe keine Sünde; was Sünde ist, ist Gottes Sache und von ihm besiegelt 7 . — Bei allem Streit und Hader mit deinen Feinden vertraue nicht auf dich selbst, sondern setze dich in die Arme Gottes, so wird dein Schweigen (d. h. deine Zurückhaltung) die Gegner schon zu Falle bringen 8. U n d ein andermal heißt es ähnlich: laß dich in keinen Zank mit einem Hitzigen ein; Gott wird ihm zu antworten wissen9. I m übrigen legt der Weise, wie das seinem Berufe entspricht, besonderes Gewicht auf Ehrlichkeit und Rechtlichkeit des Beamten. Ü b e r beides wacht der Ibis und der Pavian, d. h. der T h o t h , der Gott der Schreiber. So tauche denn nicht deine Feder ein, um einen andern zu schädigen 10. —- Verrücke keinen Grenzstein u, fälsche nicht M a ß und G e w i c h t 1 2 , laß dich nicht bestechen 13 . Richte gerecht, unterdrücke nicht den Schwachen zugunsten des Reichen 14 , und weise den nicht ab, der schlecht gekleidet ist15. Betrüge auch nicht beim Einziehen der Steuern, aber sei vor.

*) D a ß ein Gott im Menschen wohnt, kommt schon in einem alten Texte Vgl. Lacau T . R. X L I V Seite 91).

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a u c h nicht hart. Findest du in der Liste einen großen R ü c k stand bei einem A r m e n , so teile den in drei Teile, wirf zwei davon fort und lasse nur einen stehen l. Alles was du unrechtmäßig erwirbst, würde dir d o c h keinen Segen bringen, denn besser ist ein Scheffel, den Gott dir gibt, als 5000 in Unrecht 2. Und werden dir Reichtümer auf räuberische Weise gebracht, so bleiben sie nicht eine Nacht über bei dir. Wenn es tagt, sind sie nicht mehr in deinem Hause, man sieht noch ihre Stelle, aber sie sind nicht mehr da; der Boden hat seinen Mund geöffnet . . und sie verschlungen. Sie sind in die Unterwelt untergetaucht, sie haben sich ein Loch gemacht, das groß genug ist für sie, und sie sind im Speicher untergetaucht. Sie haben sich Flügel wie Gänse gemacht und sind zum Himmel geflogen 3. — Besser sind Brote, wenn das Herz froh ist, als Reichtum mit Kummer 4. Z u einem vollkommenen M a n n e gehört d a n n weiter a u c h wieder, d a ß er sich bescheiden zurückhält. Der Hitzige ist wie ein Baum, der als Brennholz endet, während der wahre Bescheidene ein B a u m ist, der i m G a r t e n seine Frucht trägt 5 . — Geselle dich nicht zu dem Hitzigen, und mache dich nicht an ihn, um dich mit ihm zu unterhalten 6. E i n e m hitzigen Vorgesetzten sollst D u dich beugen, w e n n er dich schmäht, das wird er dir morgen vergelten

auch

H ü t e dich a u c h vor Sorgen, der Mensch weiß ja nicht, was morgen sein wird8. — Übles Gerede sollst du nicht verbreiten 9 . Sei nicht habgierig, denn die unrechtmäßige H a b e ist kein G e n u ß für dich 10 . So mache dir auch keine Fähre a u f d e m F l u ß , u m dir damit Fährlohn zu erwerben, oder n i m m doch den Fährlohn nur von dem, der etwas besitzt, und verschone den, der nichts hat n . Fahre j e d e n über, so lange du noch Platz in der Fähre 1 2 hast . A u c h sonst sollst du menschlich sein: lache nicht über einen Blinden und verhöhne nicht einen ZweTSSchädige auch keinen Verstümmelten und verhöhne nicht einen Mann, der in der Hand Gottes ist und sei nicht grimmig gegen ihn, wenn er fällt13. Das Buch des A m e n e m o p e stammt etwa aus der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends*). Es ist das eine Zeit, die wir uns als eine Periode des Verfalls denken, aber solche Perioden staatlichen Verfalls sind j a nicht immer auch solche geistigen Niedergangs, *) Daß es etwa so alt ist, lehrt uns eine Schreibtafel des Turiner Museums, auf der ein Schüler dieser Zeit einzelne Verse abgeschrieben hat. 11*

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Elftes Kapitel.

und so begegnet uns denn gerade auch in den Inschriften dieser Zeit manches, was auf ein feineres, sittliches Empfinden deutet. Hier sei nur auf eine Stelle hingewiesen, die doch noch über das hinausgeht, was uns Anii und Amenemope lehren.« Chnum, sagt ein Mann dieser Zeit, hat mich als Vortrefflichen gebildeter hat meine Zunge zum Guten gelenkt und ich hielt meinen Mund rein davon, den zu verletzen, der mich verletzt hatte. Ich schuf mir Wohlwollen und meine Feinde wurden meine Anhänger Eine Beleidigung mit einem Streite zu erwidern, gilt dieser verfeinerten Gesittung schon als nicht richtig.

Zwölftes Kapitel.

Der Kultus in älterer Zeit. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, an dieser Stelle all den Gebräuchen des Kultus nachzugehen, die verschiedene Anlage der Tempel zu erörtern oder die Unterschiede der einzelnen Priesterschaften darzulegen; das verbietet schon die unendliche Mannigfaltigkeit dieser Dinge. Aber ein kurzer Überblick, der das Charakteristische in diesen äußeren Formen der ägyptischen Religion hervorhebt, sei uns hier doch gestattet. Wer von der ägyptischen Religion spricht, der denkt dabei unwillkürlich an jene Zeit, wo die Götter in ihren Riesentempeln thronten und ihre glanzvollen Feste begingen. Aber diese großartige Gestalt des Kultus ist etwas Junges und um ihn zu verstehen, muß man auf die früheren Jahrtausende zurückgehen — eigentlich bis in jene unvordenkliche Zeit, in der die Ägypter noch ein primitives Volk waren. Rohe Götterfiguren von menschlicher oder tierischer Gestalt verstanden sie schon zu schnitzen und sie gefielen sich darin, diese durch verschiedene Kronen zu unterscheiden. Aber ihre Phantasie ging dabei nicht über Diademe aus Schilfbündeln, Schaf- und Kuhhörnern und Straußenfedern hinaus. Ihre Götter trugen als Szepter einen Stab, wie ihn noch heute jeder Beduine sich schneidet und ihre Göttinnen begnügten sich sogar mit einem Schilfstengel. Die Tempel waren Hütten mit geflochtenen Wänden, aus ihrem Dache ragten vorn Stäbe hervor; auch eine Umzäunung und zwei hohe Masten standen vor dem Eingang. Als Altar diente eine Schilfmatte und zu der Feier der Feste wurden Lauben errichtet. Wenn der Ägypter auch später noch seinen Tempel als das Schloß des Gottes bezeichnet, so ist dieser Ausdruck einmal wörtlichgemeint gewesen. 63. Kronen.

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Zwölftes Kapitel.

K

Denn der Gott war als ein König gedacht, der in einem Schlosse wohnte, der Kronen trug und dem seine Untertanen Abgaben — die Opfer — entrichteten. A u c h ein Gesinde hat er, das ihn pflegt und speist; es sind das die Priester, die daher die Diener des Gottes heißen. Auch das Zeremoniell des täglichen Kultus entspricht dieser Auffassung und auch die Anordnung der Tempelräume gleicht der eines vornehmen Hauses.

Ursprünglich war jeder Tempel nur dem einen Gotte geweiht, der als sein Herr galt, aber im Laufe der Zeit haben sich dann diesem noch andere Götter hinzugesellt, die auch Anhänger in der Stadt besaßen und denen man deshalb eine Nebenstelle im Tempel nicht verweigern konnte. Wie man manche dieser Nebengötter dann als die Familie des großen Gottes dachte, haben wir im vierten Kapitel gesehen. A n seinen Opfern und Festen nahmen auch sie teil, wenn auch nur in bescheidenem Maße. 64. Szepter (o der Götter, b der Göttinnen).

V o n den Tempeln der Urzeit ist uns begreiflicher Weise nichts erhalten und wir kennen sie nur aus kleinen Bildern, die in alten Inschriften vorkommen. Aber auch von den großen Bauten der älteren historischen Zeit ist nur sehr weniges auf uns gekommen, denn in der langen Reihe der Jahrhunderte ist so viel an ihnen umgebaut, erneuert und erweitert worden, daß in der Regel nur noch einzelne Mauern von dem ursprünglichen Bauwerk Kunde geben. Indessen schon die geringen Reste, die sich von den größeren alten Tempeln hier und da erhalten haben genügen, um einen richtigen Begriff von ihnen zu gewinnen: sie sahen im wesentlichen schon ebenso aus wie die großen Bauten, die später an ihre Stelle getreten sind. Die Form, die die alte Zeit dem Tempel gegeben hatte, ist eben für alle Zeit vorbildlich geblieben; galt sie doch als etwas Heiliges, von den Göttern selbst Geschaffenes. Ptah und die Seschat hatten j a einst selbst die Pflöcke eingeschlagen und den Strick gespannt, um den Grundriß des 65. T e m p e l der Urzeit.

Der Kultus in älterer Zeit.

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Heiligtumes anzugeben. Wenn wir daher im folgenden einen Tempel des neuen Reiches schildern, so schildern wir damit gewiß auch einen der älteren Zeit. Wir sind heute gewöhnt, die schönsten Ruinen ägyptischer Tempel in Feldern und Gärten liegen zu sehen und nehmen danach unwillkürlich auch für das Altertum eine gleiche Lage an. In Wirklichkeit lagen die Tempel aber gerade im Innern der Städte, mitten in dem Häusergewirr und den engen schmutzigen Gassen einer südlichen Stadt. Gegen das lärmende Treiben, das sie rings umgab, schloß eine hohe Ziegelmauer ihren Bezirk ab, als eine stille, reine Stätte in der unreinlichen und lauten Welt. Auch der Weg zum Tempel hatte einst durch die Gassen der Stadt geführt, dann aber hat man überall einen freieren Zugang zu ihm geschaffen, der den Festzügen eine bessere Entfaltung erlaubte. Man hat einen geraden breiten Gottesweg durch die Häuserviertel gebrochen und hat ihn auf beiden Seiten mit Statuen von Widdern, Löwen oder anderen heiligen Tieren besetzt, die als eine steinerne Wache den Weg des Gottes hüten sollen. Wo diese Straße auf die Umwallung des Heiligtums stößt, ragt aus dieser der sogenannte Pylon auf, ein großes Tor, das von zwei hohen Türmen mit schrägen Wänden flankiert 6 6 . Grundriß des Tempels wird. Hinter diesem Tore liegt der Ramses' in. in Karnak. erste Hauptraum, ein von Säulengängen umschlossener offener Hof; in ihm spielen sich diejenigen Feierlichkeiten ab, an denen ein größerer Kreis von Bürgern der Stadt teilzunehmen berechtigt ist. Auf den Hof folgt dann ein von Säulen getragener Saal, das sogenannte Hypostyl, der Raum für allerlei Zeremonien, und dahinter liegt endlich das Allerheiligste, die Kammer, in der das Götterbild seine Wohnung hat. Andere Kammern daneben pflegen die Bilder seiner Nebengötter, etwa seiner Gattin und seines Sohnes, zu enthalten. Das sind die wesentlichen Räume eines Tempels; natürlich kann er außer

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Zwölftes Kapitel.

ihnen noch allerlei Nebenräume enthalten, zur Aufbewahrung von heiligem Gerät oder zu besonderen Zwecken des Kultus. Charakteristisch ist dann weiter für den Tempel, daß seine einzelnen Teile von vorn nach hinten allmählich an Höhe abnehmen und ebenso auch an Helligkeit: im Hofe strahlt die ägyptische

Der Kultus in älterer Zeit.

68.

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Pylon mit seinen Masten und wehenden Wimpeln (nach einer ägyptischen Zeichnung).

Sonne in ungehinderter Glut, der Saal empfangt ein gemildertes Licht durch sein Tor und durch Fenster am Dach, im Allerheiligsten herrscht tiefes Dunkel. Auch die Ausschmückung der Tempel ist im Ganzen immer die gleiche. Auf den Außenmauern stellt man — wenigstens seit der 19. Dynastie, die Taten des regierenden Königs dar. Im Innern dagegen beziehen sich alle Bilder auf den Kultus und zeigen, was sich in diesen Räumen alltäglich abzuspielen pflegt. Diese Bilder müssen aus sehr alter Zeit überliefert sein; darauf deutet die Art, wie allerlei Schriftzeichen in ihnen symbolisch verwendet werden. Wenn der König zum Gotte eilt, so hält er

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Zwölftes Kapitel.

das Zeichen hep »eilen« in der Hand und wenn er dem Gotte die Zeichen Maat »Wahrheit« und neb »jeder« überreicht, so heißt das gewiß, daß er »alles Echte, Wahre« ihm darbringt. Auch die Ornamente des Tempels sind nicht gleichgültig gewählt; unten an den Wänden erinnern sie an> Erde und Nil während die Decke durch Sterne und fliegende

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Geier als Himmel gestaltet ist. Des Weiteren stehen dann vor dem Pylon die S? Obelisken, zwei Steinpfeiler, wie man sie auch bei anderen Bauten vor das Tor zu setzen pflegt, ursprünglich vielleicht mit' dem Namen des Hausm herrn. An der Wand des Pylons ragen dann Masten auf, von deren Spitzen bunte Wimpel flattern. Vor dem Torgebäude oder innen im Hofe sitzen gewaltige Kolosse des Königs, gleichsam als Hüter des Heiligtumes, das er erbaut hat. Kleinere Statuen des Königs, die in den verschiedenen Räumen des Tempels verteilt sind, zeigen ihn, wie er betend oder opfernd den Gott verehrt. Auch Stast tuen anderer Götter stehen zuweilen im Tempel, als wollten auch sie dem großen Gotte desselben dienen, so Nilgötter, die ihm die Erzeugnisse ihres y JB Stromes darbringen, oder Bilder der löwenköpm figen Sachmet, die seine Feinde abwehren. Der große Altar, eine einfache Erhöhung auf ?A f£ die von hinten Stufen führten*), stand für gewöhnlich inmitten des Säulenhofes; kleinere Tische zum Aufstellen von Speisen und Getränken fehlten auch 69. Obelisk Sesostris I. i n in den andern Räumen des Tempels nicht. I m Heliopolis. Allerheiligsten vor dem Gotte stand eine Lampe (LD. III n8.) Was wir hier geschildert haben, ist der gewöhnliche Typus des ägyptischen Tempels, der sich fast überall heut noch herauserkennen läßt, auch wenn die Anlage im einzelnen Falle durch Anbauten oder durch die besondere Lage des Bauterrains oder durch andere ungewöhnliche Verhältnisse noch so sehr verwirrt sein mag. Eine kleine Reihe von Tempeln gab es freilich,

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*) Erhalten in Der el Bahri.

Der Kultus in älterer Zeit.

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die völlig von diesem Typus abwichen. Das waren die Sonnentempel der fünften Dynastie (S. 102), die, wie man wohl mit recht vermutet hat, Nachbildungen des berühmten Sonnentempels von Heliopolis waren, der für uns verloren ist. Diese Tempel, die Namen wie Lieblingssitz des Re führten, waren offene große Höfe, in deren Hintergrund sich auf einem pyramidenartigen Unterbau ein gewaltiger Obelisk erhob; er war der Haupteil des Tempels und galt gewiß als der Sitz des Gottes; vermutlich war er eine Nachahmung des berühmten Steines Benben in Helio-

70.

Der Sonnentempel von Abu Gurab, rekonstruiert.

polis, der eine ähnliche Gestalt hatte. Vor dem Obelisken lag dann der große Altar des Gottes; sonst war der Hof nur mit wenigen Wirtschaftsgebäuden besetzt und der Gottesdienst ging unter freiem Himmel vor sich. Die Dekoration eines solchen Tempels wird im allgemeinen nicht allzu sehr von der sonst üblichen abgewichen sein, aber in einem Seitengange, der in den Unterbau des Obelisken führte, war ganz Ungewöhnliches dargestellt: wie die Jahreszeiten dem Könige alles das darbringen, was in ihnen auf dem Lande und auf dem Wasser vor sich geht, das Wachsen der Pflanzen, die Vermehrung der Tiere, die Arbeiten der Menschen; vielleicht hatten diese heiteren Bilder einen Platz im Tempel erhalten, weil es j a der Sonnengott war, der alles leben und gedeihen ließ. Wenn diese Heiligtümer des Re vielleicht ohne ein eigentliches

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Zwölftes Kapitel.

Kultbild auskamen, weil sie eben jenen Stein als einen Sitz des Gottes verehrten, so war dies jedenfalls nach ägyptischen Begriffen eine seltsame Abweichung von dem Üblichen, denn in jedem anderen Tempel war das Götterbild das Wichtigste. Auf ihm läßt sich — wie das späte Inschriften oft aussprechen — die Seele des Gottes nieder, wenn sie aus dem Himmel kommt, als auf ihrem Leibe x. So oft diese Kultbilder nun aber auch erwähnt werden, und so oft uns auch kleine und große Nachahmungen davon erhalten sind, so ist doch kaum eines von ihnen selbst auf uns gekommen*) sie sind wohl alle bei dem Untergang der ägyptischen Religion dem Haß der Christen zum Opfer gefallen. Indessen besitzen wir in späten Tempeln wenigstens Beschreibungen und Darstellungen, nach denen wir uns ein Bild von ihnen machen können. So besaß der Tempel der Hathor von Dendera unter anderem folgende heilige Wesen: Hathor, farbiges Holz, Kupfer, eingelegte Augen, Höhe 3 Ellen, 4 Spannen und 2 Finger. Isis, farbiges Akazienholz, Augen eingelegt, Höhe 1 Elle. Horns, farbiges Holz, eingelegte Augen, Höhe 1 Elle und 1 Finger. Buto, farbiges Holz, goldene Augen, Höhe 1 Elle. Usw 2. Diese alten heiligen Bilder hatten also nur geringe Größe (weitaus die meisten waren nur eine Elle, d. h. nur einen halben Meter hoch) und bestanden in der Regel aus Holz; schwere Steinbilder hätte man ja auch nicht umhertragen können, wie das doch bei den Festen erforderlich war. Natürlich schließt dies nicht aus, daß auch einmal eine steinerne Statue im Allerheiligsten als Kultbild stand 3 . Übrigens waren die meisten Götterbilder, so weit sie nicht Tiergestalt hatten, nach demselben Schema gebildet und unterschieden sich, wie die in den ersten Kapiteln gegebenen Bilder der Gottheiten zeigen, nur durch die verschiedenen Köpfe, Kronen und Attribute. Ihr Bart war eine geflochtene Strähne mit gekrümmter Spitze, ähnlich dem, den noch heute innerafrikanische Stämme tragen. War das Kleid angegeben, so war es bei den Göttern meist ein besonderes kurzes Gewand, das an Tragbändern über den Schultern hing, während die Göttinnen die allgemeine alte Frauentracht trugen. Bei manchen besonders altertümlichen Bildern (z. B. dem des Ptah, S. 26) *) Ein Kultbild wird der alte kupferne Falke mit goldenem Kopf sein, den Quibell in Hieraconpolis fand.

Der Kultus in älterer Zeit.

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waren auch Beine, Arme und Tracht gar nicht angedeutet und die Figuren sahen etwa so aus, wie man später die Mumien gestaltete. Ebenso unvollkommene uralte Bilder gab es für die heiligen Falken, auch die mußten sich mit einem Klotz anstatt der Beine begnügen. Zuweilen erforderten diese alten Götterbilder Reparaturen und oft auch läßt ein frommer Herrscher sie durch neuen Schmuck aus Gold und Edelsteinen verschönern. So läßt Thutmosis I. die Götterbilder von Abydos samt den für die Feste nötigen Tragstangen aus Gold herstellen, herrlicher als sie waren. Und sie sind nun prächtiger als was im Himmel ist, geheimnisvoller, als was in der Unterwelt ist x. Für diese verantwortlichen Arbeiten bestanden besondere Werkstätten, die Goldhäuser; man versteht es, daß die Goldschmiede, denen es vergönnt war, darin zu arbeiten, sich mit Stolz rühmten, das Geheime in den Goldhäusern (d. h. die Götterbilder) kennen gelernt zu haben 2. Die gewöhnliche Behausung des Götterbildes ist seine Kapelle, im letzten allerheiligsten Räume des Tempels. Gern stellt man diese Kapelle aus einem einzigen Blocke harten Granites her, der das heilige Bild dann als eine undurch- 71. Späte Kapelle aus dem dringliche Mauer umgibt. Vorn ist sie Tempel von Philae. (Paris.) durch einen ehernen Einsatz mit einer zweiflügeligen Tür verschlossen. Die Stelle, wo diese Kapelle steht, die große Stätte, wie man zu sagen pflegt, ist nun der Ort, wo sich der tägliche Kultus abspielt, er ist einfach genug. Frühmorgens tritt der diensttuende Priester vor das Allerheiligste, räuchert und erfüllt es mit dem Duft des Weihrauchs, er tritt an die Kapelle und öffnet sie. Er begrüßt den Gott durch wiederholtes Niederwerfen und durch Absingen oder Hersagen von Liedern. Er nimmt dann seine Geräte, die er in einem Kasten bei sich hat, und beginnt damit die tägliche Toilette des Gottes. Er besprengt sein Bild aus zweimal vier Krügen mit Wasser, er

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bekleidet es mit Leinenbinden, die weiß, grün, rot und rötlich sind, er salbt es mit ö l , legt ihm grüne und schwarze Schminke auf und was dieser Dinge mehr sind. Zuletzt speist er den Gott, indem er allerlei Essen und Trinken vor ihn setzt, Brote, Gänse, Stierschenkel, Wein und Wasser und Blumen, die auf einem ägyptischen Speisetische nicht fehlen dürfen. Das alles wäre wohl in einer halben Stunde zu erledigen: es wird aber sehr viel länger gewährt haben, denn jede einzelne Handlung wird ihrerseits wieder in verschiedene Manipulationen zerlegt, und bei jeder derselben hat der Priester einen Spruch herzusagen — das Ganze endlos und geistlos. Denn nirgends in diesen Sprüchen ist eine Empfindung für die Heiligkeit des Ortes und die Majestät des Gottes zu spüren; alles persönliche Gefühl ist aus diesem, jüngeren, Ritual geschwunden und in einer Weise wie sie nicht leicht törichter sein kann, wird in ihm mit mythologischen Hindeutungen gespielt, als bestände die ganze Religion nur aus der Geschichte von Horus und Seth und aus der des Osiris. O b man 72. Der König als Priester den Harachte verehrt oder den Ptah, die öffnet die Tür der Kapelle. j s i s 0 d e r die Mut, immer wird das Dar(Aus dem Tempel von

gebrachte dem Horusauge verglichen, das Seth beschädigte und Horus seinem Vater gab, immer wird Horus auf den Thron seines Vaters gesetzt und die Leiche des Osiris wieder z u s a m m e n g e f ü g t W e n n der Priester z. B. die Schnur und das Siegel löst, mit dem die Behausung des Gottes nachts verschlossen war, so hat er zu sagen: das Band wird zerrissen, das Siegel gelöst, um durch diese Türe zu schreiten. Alles Schlechte, das an mir war, ist beseitigt. Ich komme und bringe dir das Horusauge-, das Horusauge ist dein. Ich bin Thoth wie er das Auge ordnete. Das soll heißen: gewaschen naht sich der Priester und bringt dem Gotte das, was er braucht, so wie einst T h o t h das am Mondauge Fehlende gebracht hat. Wenn er dann das Tonsiegel der Kapelle zerbricht, so versichert er dem Gott: ich komme nicht um den Gott von seinem Sitze zu verjagen, ich komme, um ihn auf seinen Sitz zu setzen. Ich bin der, der die Götter einführte und du bleibst auf deinem großen Sitze. Er steckt den Schlüssel Abydos.)

Der Kultus in älterer Zeit.

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in das Schloß und zieht den Riegel zurück und sagt: Der Finger des Seth ward aus dem Horusauge gezogen, da war es gesund; der Finger des Seth ward aus dem Horusauge gelöst, da war es gesund. — Der Finger ist natürlich der Schlüssel. Dann versichert er dem Gott, daß er befugt sei, ihn zu sehen: ich bin ein Priester; der König ist es, der mir befiehlt, den Gott zu schauen. Ich bin der große Phoenix, der in Heliopolis ist. Ich habe den, der im See der Unterwelt war, beruhigt. Dann öffnet er die Türflügel und schaut den Gott: Gesicht hüte dich vor dem Gotte! Gott hüte dich vor dem Gesichte! Gott, ich habe deine Tür geöffnet, laß mich eintreten. Er wirft sich nieder und sagt: ich küsse die Erde, mit dem Gesicht nach unten. Ich habe die Wahrheit ihrem Herrn gebracht und die Speise dem, der sie gemacht hat, d. h. er kommt, um dem Gotte schönes Essen zu bringen. Wenn der Priester dann weiter die Kapelle mit einem Lappen abstaubt, so denkt er sich dabei als Horus und das Wischtuch als dessen Auge: ich bin Horus. Ich komme und suche mein Auge. Ich lasse es nicht fern von dir sein. Siehe ich halte es indem es glücklich kommt und es vertreibt all dein Böses. Wischt der Priester dem Götterbild die Salbe des vorigen Tages ab, um sie durch neue zu ersetzen, so sagt er: ich komme und fülle dich mit der Salbe, die aus dem Horusauge gekommen ist. Ich fülle dich mit ihr, daß sie deine Knochen verknüpfe, deine Glieder vereinige, dein Fleisch zusammenfüge, daß sie all deine böse Feuchtigkeit ablöse. Nimm sie dir, sie riecht wohl an dir, so wohl wie Re, wenn er aus dem Horizonte kommt — es ist natürlich die Leiche des Osiris mit der das Götterbild verglichen wird. Dieser letztere Spruch, den ich eben aus dem Ritual der Tempel anführte, ist uns nun wörtlich ebenso aus einem andern Kreise von Sprüchen bekannt; er steht in den alten Pyramidentexten als etwas, was man beim Salben einer Leiche zu sagen h a t 1 . U n d ähnliche Fälle gibt es auch sonst genug; wenn man z. B. beim Waschen des Götterbildes rezitiert: dein Auge wird dir angefügt, dein Kopf wird dir angefügt, deine Knochen werden dir angefügt, dein Kopf wird dir von Keb fest angefügt. Thoth wasche ihn, daß aufhöre, was an ihm ist2, so ist es j a klar, daß das, was gewaschen wird, einfach die Leiche des Osiris ist; es ist ein Spruch, den man beim Waschen eines Toten hersagt, den man j a immer seinem göttlichen Vorbilde Osiris gleich setzt. Das zeigt uns, woher unsere Rituale ihre merkwürdige Gestalt erhalten haben; als das Totenund Gräberwesen, wie wir das im fünfzehnten Kapitel sehen

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Zwölftes Kapitel.

werden, das Leben des Volkes mehr und mehr erfüllte, da hat es schließlich auch die Formen der Gottesverehrung in seinen Bann gezogen. Das sehen wir auch sonst im Kultus. Die ständige Formel ein Opfer, das der König gibt, die die Gebete für die Toten eröffnet, wird auch in den Tempeln bei den Göttern verwendet 1 und wenn wir später im Tempel von Denderah der Sitte begegnen, daß das Götterbild von Zeit zu Zeit die Sonne sehen muß, so denkt man daran, daß es auch für die Toten ein Hauptwunsch ist, die Sonne zu sehen. Ob auch all die abenteuerlichen Benennungen der Spenden und Speisen aus der Verehrung des Osiris und dem Dienste der Toten herstammen, stehe dahin. Da heißt zunächst alles, was man darbringt ein Horusauge, jede Speise, jedes Getränk, die Kleider, die Salben, die Schminke müssen sich so nennen lassen und man erlaubt sich auch den Wein als das grüne Horusauge und die Milch als das weiße Horusauge zu bezeichnen. Die Salben aber, der Weihrauch und alles was wohlriecht, heißen der Schweiß der Götter, und man salbt den Gott mit seinem Gerüche, dem Schweiß, der aus seinem Fleische kam 2. Und endlich gelten alle Tiere, die auf dem Schlachthofe des Tempels geschlachtet werden, als Feinde des Gottes, die man ihm zu Gefallen umbringt — selbst die armen kleinen Gazellen werden so als böse Ungeheuer umgebracht. Wer dem Gotte Fleisch darbietet, bringt ihm immer die Schenkel seiner Feinde 3 oder sagt: ich habe dir den geschlagen, der dich schlug 4. Übrigens wird dabei einmal schon in alter Zeit ein rotes Rind& als ein Opfer für Osiris erwähnt, offenbar in Hinblick auf eine Glauben, den wir aus griechischer Zeit kennen Seth selbst sei rotfarbig gewesen und daher müsse man rote Rinder opfern. Auch sonst gilt j a rot den Ägyptern als eine Unglücksfarbe 7 . Die Fleischstücke werden teils roh, teils gebraten dargebracht; im letzteren Falle bietet man sie dem Gotte auf kleinen Kohlenbecken dar 8 . Diese Kohlenbecken dienen zum Braten des Fleisches und nicht zum Verbrennen, denn das wirkliche Brandopfer scheint dem regelmäßigen Kultus der älteren Zeit fremd zu sein. Nur wo man einem fernen Gotte, dem man die Speise nicht vorlegen kann, ein Opfer bringt, läßt man es im Feuer schwinden9. So tat es ein Mann in der Wüste mit einer Gazelle, die ihm den Weg gewiesen hatte, und die er dankbar dem Min darbrachte 1 0 .

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Der Kultus in älterer Zeit.

U n d wenn der Schiffbrüchige des Märchens nach seiner Rückkehr der Schlange opfert, so verbrennt er dies Opfer; denn nur so kann die Luft das Opfer in die Ferne tragen. Erst i m neuen Reiche treffen wir auch i m Kultus auf einzelne sichere E r w ä h n u n g e n von Brandopfern 1 und in noch späterer Zeit sind sie d a n n eine gewöhnliche Form des Opfers geworden. Z u den O p f e r n , die man so kunstgemäß, gemäß den Schriften der Gottesworte 2 d e m Gotte darbot, traten dann für ihn noch Genüsse feinerer A r t . Zunächst das Räuchern, ohne das sich der Ägypter einen K u l t u s überhaupt nicht denken konnte, denn der

73. Opfernder mit 'einem Kohlenbecken. (Mission V , tombeau d'Apoui pl. 2.)

74. Opfernder, der zwei Kohlenbecken mit Enten darbringt. (L D III 9.)

Duft des Weihrauches reinigte und heiligte den R a u m ; nennt man doch den Weihrauch einfach den Göttlichmacher. Alle Innenräume der Tempel m u ß man sich daher von seinem Dufte erfüllt denken, und die rechte Zubereitung des reinen angenehmen Weihrauchs war eine Wissenschaft, über die es Bücher in den Bibliotheken gab, die Gott Thoth selbst verfaßt haben sollte 3 . Erhalten ist uns zwar nichts von diesen Büchern, aber wir greifen wohl nicht fehl, wenn wir sie uns so denken wie die Weisheit eines späten Tempels. Die setzt das Darbringen von Wohlgerüchen den fünfzehn T a g e n des zunehmenden Mondes gleich. Dabei vereint sich dann das Horusauge — der Wohlgeruch — mit dem Osirisauge — dem Monde 4 . Des weiteren gebührte es sich, den Gott durch Lieder zu feiern. O b die Priester diese Lieder wirklich sangen oder sie nur rezitierten, wissen wir nicht, schwerlich wird man aber irren, wenn man sich ihr Hersagen sehr geschäftsmäßig denkt. Denn auch der Inhalt dieser Lieder zeigt in der Regel nicht eben viel Poesie, mit wenigen E r n a s ,

Religion der Ägypter.

12

178

Zwölftes Kapitel.

Ausnahmen sind sie alle nach dem gleichen Schema verfertigt; sie zählen die Namen des Gottes auf, seine Kronen und seine Tempel und sie erinnern hier und da an sein Wesen und an seine Sagen: Gelobt seist du, Osiris, Sohn der Nut, der du Hörner trägst und an einem hohen Pfeiler lehnst. Dem die Krone gegeben würde und die Freude vor den neun Göttern', dessen Macht Atum geschaffen hat in den Herzen der Menschen, der Götter und der Verklärten. Dem die Herrschaft gegeben wurde in Heliopolis', groß an Wesen in Busiris, gefürchtet in den beiden heiligen Stätten. Groß an Kraft in Rosetau ein Herr der Macht in Ehnas, ein Herr der Kraft in Tenent. Sehr geliebt auf der Erde, mit gutem Andenken im Gottespalaste. Groß erscheinend in Abydos; dem Rechtfertigung gegeben wurde vor den neun Göttern zusammen, für den das Gemetzel gemacht wurde in der großen Halle, die zu Her-uer ist. Vor dem die großen Mächtigen sich fürchteten', vor dem die Großen aufstanden auf ihren Matten. Für den Schu die Furcht erregt hat und dessen Macht Tefnet erschaffen hat. Zu dem Oberägypten und Unterägypten sich verneigend kommen weil seine Furcht so groß ist und seine Macht so gewaltig 1 . Weiter weiß dieser priesterliche Poet auch von dem menschlichsten aller Götter nichts zu sagen. Ein Lied aber müssen wir hier noch besonders hervorheben, das uralte Morgenlied, mit dem die ägyptischen Götter allmorgens in ihren Tempeln erweckt worden sind, so lange es überhaupt noch ägyptische Götter gegeben h a t 2 . Man darf sich denken, d a ß es ursprünglich das Lied gewesen ist, mit dem der K ö n i g am Morgen erweckt wurde. A u f eine Göttin angewendet lautet es z. B. so: erwache in Frieden große Königin, erwache in Frieden', dein Erwachen ist friedlich Erwache in Frieden, Renenutet in Frieden. Dein Erwachen ist friedlich usw. Das »erwache in Frieden« und »dein Erwachen ist friedlich«, wird der Chor gesungen haben, die Namen ein Vorsänger. Nicht sowohl im Anstimmen eines Liedes, als in einem ekstatischen Jauchzen scheint eine oft erwähnte Art der Verehrung — henu — bestanden zu haben; bei der schlug man sich knieend mit geballten Fäusten die Brust. Die Musik hat im Kultus keine große Rolle gespielt, wenn auch im Tempel des A m o n eine große Harfe war, mit der man die Schönheit des Gottes bei seinem Erscheinen pries. Die eine, die der K ö n i g Amosis stiftete, war aus Ebenholz, Gold und Silber, eine andere die Thutmosis I I I dem Gotte schenkte, war mit Silber,

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Der Kultus in älterer Zeit.

Gold, Lapislázuli, Malachit und allen herrlichen Edelsteinen verziert 1 . Das Musizieren war im Wesentlichen Sache der Priesterinnen, die vor Hathor oder einer anderen Gottheit mit ihren Sistren, Klappern und großen Halsketten ebenso klirrten und klimperten, wie es die Damen des Harems beim Tanze vor ihrem Herrn zu tun pflegten. Auch das Ballspiel, das man vor Hathor vollführte, hatte gewiß einst nichts anderes sein sollen als ein fröhliches Spiel zur Belustigung der Göttin. Dieser einfache Gebrauch entging dann freilich nicht der tieferen Deutung; der Ball mußte die Pupille des Apophis oder eines anderen Gottesfeindes darstellen und der Stock mit dem man ihn schlug, galt als ein Sproß aus dem Sonnenauge 2. Erst recht wird es nur ein einfacher Ausdruck der Freude sein, wenn man vor der Hathor tanzt und springt. Der einfache Gang des täglichen Kultus wird dann durch Festtage unterbrochen, an denen es in keinem Tempel fehlt. Sie waren die großen Ereignisse, auch für die Stadt, die dann im Feste war, erZeit wie man sagte. Auch aus der Nachbar- 75 ' ' schaft kamen die Diener des Gottes, die seiner Feste nicht vergessen herbei zu denen, die den Gott verehren3. Ein solcher Tag ist auch ein Volksfest 4 . Man braut Bier zu Ehren des Gottes; man sitzt auf den Häusern in der Kühle der Nacht und der Name des Gottes kreist auf den Dächern 5 . Alles Volk ist dann gesalbt und betrunken 6 . Gern betont man, daß diese Feste uralt sind, etwa von Re selbst, in der Urzeit eingesetzt1. In der Regel gab es in jeder Stadt ein oder mehrere Hauptfeste, die an bestimmten Tagen gefeiert wurden, an denen wichtige Ereignisse der Göttersage stattgefunden hatten, etwa am Tage, wo der Gott geboren war 8 , oder an dem, wo er seinen Feind besiegt hatte. Daneben beging man dann noch die Anfänge der Zeitabschnitte, wie den Neujahrstag oder die Ersten der Monate. An solchen Festtagen nimmt der Kultus reichere Formen an. Das Ritual wird durch besondere Lieder erweitert, der Tempel wird geschmückt und es wird wohl eine Illumination, 12*

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Zwölftes Kapitel.

ein Lampenanzünden, in ihm und in der Stadt veranstaltet. Die Opfer werden so reich vermehrt, daß auch die große Menge von Festgästen, die im Tempel zu der Feier zusammenströmt, daran genug hat. Die Hauptsache aber ist, daß das V o l k an einem solchen T a g e die Schönheit seines Herrn schaut: das Götterbild wird ihm gezeigt. Es wird aus seiner Kapelle genommen und in einem leichten Schrein aus dem Allerheiligsten getragen, nachdem es für diesen T a g mit Amuletten behängt und mit goldenen Halskragen geschmückt i s t 1 . Diesem tragbaren Schreine gibt man übrigens gern die Form einer Barke, denn dem Ägypter, dessen Land j a

76. Schrein und T r a g e in Form eines Schiffes; darunter der steinerne Untersatz. (Aus dem Tempel von Abydos.)

fast nur den Verkehr zu Wasser kennt, ist das Schiff das natürliche Beförderungsmittel. Daneben besitzt jeder große Gott auch wirkliche Schiffe, die er auf seinen Fahrten auf dem Strom benutzt; mit welcher Verschwendung auch diese ausgestattet waren, werden wir unten sehen. Wenn man den Gott so aus dem Tempel herausführt, so trägt man Standarten mit göttlichen Bildern vor ihm her; besonders sind das solche der Up-uatschakale (S. 43), die sollen dem Gotte den Weg frei machen, wie das j a auch ihr Name Wegöffner bedeutet 2 . A u c h Bilder seiner Mitgötter und solche des Königs begleiten den Gott 3 . D a n n stellt man den Schrein hier und da in den Vorderräumen des Tempels oder in der Stadt zur Schau aus, auf steinernen Postamenten und opfert, räuchert und betet vor ihm. U n d dann kommt der feierliche Moment, wo die Priester die Vorhänge zu-

Der Kultus in älterer Zeit.

rückziehen, die die Seiten des Schreines noch schließen und wo die Menge begeistert dem kleinen Bilde zujauchzt, das für sie das Heiligste in der Welt ist. Wir werden im nächsten Kapitel (S. 198) sehen, mit welchem Pompe ein großes Fest im neuen Reiche gefeiert wurde. Sehr viel einfacher spiegelt sich ein solches Fest in Ausgabebüchern wieder, die uns ein Zufall VOm königlichen Hofe bewahrt hat. Sie Stammen freilich ry .

j

.

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Tragbarer Schrein aus Bronze und Holz, von Amasis in einen Tempel zu Theben geweiht. Die Wände waren durch Vorh ä n g e gesch iossen. (Berlin 8708.)

aus einer Zeit, in der es in Theben kümmerlich zuging, etwa aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. Da kommen das eine Mal die Götter des benachbarten Medamot, Month und »Horus, der seinen Vater schützt«, zum Besuch nach Theben, wo sie in der Säulenhalle des Palastes aufgestellt werden. Dabei werden sie durch Opfer erfreut und insbesondere bringen die Bauern vier Rinder, zwei für jeden Gott. Beamte und eine Schwester des Königs stiften allerlei andere Gaben, so fünf Tauben und elf andere Vögel und der höchste Beamte, der Vezier, spendet Weihrauch. Übrigens hat der Month auch Frauen in seinem Gefolge, diese werden ebenso wie wir das beim Amon sehen werden, als sein Harem bezeichnet. Ein Beamter geleitet den Zug hin und zurück auf dem Wege. Bei einem anderen Feste des Month erfahren wir dann auch, welche Personen das Glück hatten, an der Opfermahlzeit teilzunehmen. Es sind im Ganzen siebzig Personen, die so wieder in der Säulenhalle des Palastes gespeist werden, hohe Staatsund Hofbeamte und neben diesen auch Leute geringeren Ranges, so der Vorsteher der Hundewärter, der Unteraufseher der Vogelhäuser, Sänger, Harfenspieler und — wenn wir recht verstehen — auch ein Spaßmacher. Freilich zu üppig ging es bei dieser Festmahlzeit nicht zu, denn selbst die höheren Beamten erhielten

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Zwölftes Kapitel.

nur zehn Brote, die geringeren deren fünf, Getränke fehlten ganz und nur der Vezier und der General wurden mit Süßigkeiten bedacht. A b e r alle solche Veranstaltungen bilden doch nur die Außenseite der Feste und ihr wahrer Kern, der uns nur zu oft verschwiegen wird, ist etwas anderes. Es ist, wie schon oben gesagt, die Erinnerung an Erlebnisse des Gottes und die veranschaulicht man dem Volke durch die Zeremonien des Festes. Zuweilen werden diese sogar zu dramatischen Vorstellungen. Verhältnismäßig leicht erschließt sich uns, die wir die Osirisage in ihren Grundzügen kennen, worauf die Feste von Abydos gehen x. A u f dem Denkstein des Fürsten Ichernofret, eines der höchsten Schatzbeamten, erzählt uns dieser, wie ihn K ö n i g Sesostris I I I . (etwa 1860 v. Chr.) aus besonderem Vertrauen nach Abydos geschickt habe, damit er dort die Götterbilder und Geräte des Tempels mit dem Golde schmücke, das der K ö n i g in Nubien erbeutet hatte. Er vollzieht diesen Auftrag mit reiner Hand und mit reinen Fingern und schmückt das Bild des Gottes mit Lapislázuli, Malachit, Silbergold und Edelsteinen. In der Zeit nun, die Ichernofret mit seinen Gefährten *) in Abydos zubringt, erlebt er auch die Feste des Gottes und hat das Glück selbst bei ihnen mitzuwirken. Das erste dieser Feste ist der Auszug des Up-uat, wenn er geht, um seinem Vater (Osiris) beizustehen. Dabei verteidigt Ichernofret das Schiff des Gottes und schlägt die Feinde des Osiris. Es sind gewiß die Kriegstaten, die Osiris bei seiner Eroberung des Landes ausführte. Als ein zweites Fest folgt dann der große Auszug; wie wir aus andern Quellen wissen, war dieser das Hauptfest und zu ihm gehörte auch die Trauer um Osiris. Wir müssen also annehmen, d a ß bei dieser Feier auch der Ermordung des Gottes gedacht wurde; dargestellt wird man sie freilich nicht haben, denn zu allen Zeiten haben es die Ägypter vermieden, von diesem schrecklichsten Ereignis ihrer Religion zu sprechen. Nur das erzählt Ichernofret dabei, daß er das Schiff des Gottes mit einer K a j ü t e versehen und ihm seinen schönen Schmuck angelegt habe, damit er sich zu seinem Grabe in Peker begebe. D a n n leitet Ichernofret die Wege *) A u c h diese haben uns kleinere Denksteine in A b y d o s V g l . Schäfer, Untersuchungen I V , 39.

hinterlassen.

Der Kultus in älterer Zeit.

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des Gottes zu seinem Grabe in Peker. Gewiß in einer großen Prozession, und dann folgt bei einem anderen Feste die Erinnerung an den Triumph des Gottes, das ist dann jener T a g des großen Kampfes, wo die Feinde des Osiris besiegt werden und wo man sie auf dem Gewässer von Nedit niederwirft. Nun aber läßt Ichernofret den Osiris von dem wir denken müssen, daß er zu neuem Leben erwacht ist, in die große Barke einsteigen und sie trägt seine Schönheit und alles Volk frohlockt, wenn es die Schönheit der Neschmetbarke sieht, wie sie in Abydos landet und den Osiris wieder zu seinem Palaste bringt. Auch aus dem Ende des neuen Reiches haben wir einen Bericht über die Feste von Abydos, der sich freilich auch nur in Andeutungen bewegt. König Ramses I V . (etwa 1160 v. Chr.) erzählt uns wie er in Abydos dem Osiris Licht angezündet habe, am Tage, wo man seine Mumie balsamierte. Den Seth wehrte er von ihm ab, als er seine Glieder rauben wollte. Seinen Sohn Horns setzte er als seinen Thronerben ein. Bei dem Feste aber, das man dem Horus in Abydos feierte, spie der König auf das Horusauge, das von seinem Bezwinger geraubt worden war. Er gab dem Horus den Thron seines Vaters und sein Erbe im ganzen Land. Er machte sein Wort wahr, am Tage, wo man richtet; er ließ ihn Ägypten und das rote Land durchziehen als Vertreter des Harachte 1. Bei einer anderen Feier, dem Feste der Aufrichtung des Osirispfeilers (S. 42) das ursprünglich in Memphis gefeiert wurde, wurde ein solcher Pfeiler an Stricken in die Höhe gezogen, bis er aufrecht stand; es war der Osiris, den man so erhob, nachdem man an den Tagen vorher sein Begräbnis dargestellt hatte. Daran schlössen sich dann Vorführungen, deren Sinn uns entgeht. Ein Teil der Menge tanzte und sprang; andere gingen aufeinander los und der eine rief: ich habe den Horus ergriffen; wieder andere Haufen prügelten sich mit Stöcken und Fäusten, sie stellten Leute der beiden Städte Pe und Dep vor, aus denen die alte Hauptstadt Buto bestand. Und endlich wurden vier Herden von Ochsen und Eseln viermal um die Stadt getrieben. Wir kennen diese Sagen zu wenig, um das alles zu verstehen; vermutlich waren es Vorgänge, die die Thronbesteigung des Horus betrafen, denn die feierte man am folgenden Tage 2. Die Aufführungen, von denen wir hier gesprochen haben, gehen so weit wir sehen können, nicht wesentlich über die volks-

184

Zwölftes Kapitel.

tümlichen Schaustellungen hinaus, die in unserer eigenen Religion zur Erinnerung an die Geburt und den T o d Christi im Brauche sind. O b sich an diese Darstellungen der j e d e m Ägypter vertrauten Vorgänge etwa auch noch besondere Offenbarungen für Bevorzugte schlössen, ahnen wir nicht; erst in sehr viel späterer Zeit, als Herodot Ägypten bereiste, erhalten wir K u n d e von solchen »Mysterien«. Bei allen den hier gedachten Festen hatten die Personen nun auch kurze Reden zu sprechen, die dann auch zuweilen als Beischriften auf den Bildern der Feste angegeben werden. O d e r man hat sie auch zusammengestellt und wer z. B. das alte Buch der memphistischen Theologie (S. 91) vergleicht, der sieht, d a ß der Abschnitt, der v o m Osiris handelt, die Reden eines solchen Festspieles wiedergibt. D a sagt Keb zu Seth: Gehe dahin, wo du geboren bist. — Keb zu Horns: gehe dahin, wo dein Vater ertrunken ist.— Keb zu Horas und Seth: ich habe euch auseinandergebracht — Keb zur Neunheit: ich habe mein Erbe diesem Erben überantwortet, dem Sohne meines erstgeborenen Sohnes. Er ist mein Sohn, mein Kind. —• Horus zu Isis und Nephthys: gehe und fasse ihn. — Isis und Nephthys zu Osiris: Wir kommen und nehmen dich fort1. A u c h die Worte, die der Priester beim Vollziehen seiner Opfer zu sagen hat, haben vielfach dramatischen Charakter. Wenn er z. B. einen Stier schlachtet, so gebärdet er sich, als ob er die Feinde des Gottes töte. So sagt er z. B. indem er an Seth denkt, du hast meinen Vater geschlagen, du hast den, der größer ist als du, geschlachtet. I m Hinblick auf Osiris: Ich habe dir den geschlagen, der dich schlug — als ein Rind. Ich habe dir den geschlachtet, der dich schlachtete — als ein Schlachttier 2. Bei der engen Beziehung, in der der K ö n i g zum Kultus steht, berühren sich nun auch manchmal Feste des Königtumes mit solchen der Götter. So vor allem das bekannteste aller Feste, das heb-sed. Wir pflegen diesen Ausdruck mit Jubiläum wiederzugeben und in der T a t handelt es sich um die Feier des Tages, an dem der K ö n i g vor dreißig Jahren den Thron bestiegen hat oder z u m Thronerben erklärt worden ist. Der König, der einst auf dem Throne aufgegangen war, erscheint jetzt aufs Neue auf dem Jubiläumsthrone 3 , und natürlich denkt man auch dabei an den K ö n i g Osiris, dessen Regierung durch seinen Sohn Horus fortgesetzt wurde 4 .

Der Kultus in älterer Zeit.

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Nicht j e d e m Könige wurde das Glück zuteil, ein solches J u b i l ä u m z u begehen, gleich jenen Göttern, dem Ptah Tatenen, dem R e oder dem Osiris, die es nach der ägyptischen Vorstellung unendlich oft begangen hatten. U m so glänzender wurde dann dieses Fest des Königs gefeiert. D a wurden die Jubiläumshäuser der Tempel neu ausgebaut, ihre Götterbilder, die Herren des Jubiläums, wurden mit Gold, Silber und edlen Steinen hergestellt, in feine Gewänder gekleidet und gesalbt und durch dauernde neue Opfer erfreut 1 . Die Einzelheiten dieses großen Festes waren einst in langen Bilderreihen in verschiedenen T e m p e l n dargestellt. D a sehen wir Opfer, Räucherungen und Umzüge, wir sehen, welche Götterbilder in ihren Schreinen stehen und welche herumgetragen werden, welche Priester und welche Großen des Reiches daran teilnehmen und wie

schließlich

der

König

i

T-,

,

,

,,

sich •

,

in 78. K ö n i g P e p i l . um2500v.Chr.)

einer besonderen lnronhaue niederlaßt, ; n der Jubiläumshalle links ab erst auf dem einen Throne und dann K ö n i s v o n Oberägypten, rechts _ ,

,

als König von Unterägypten

aut dem anderen. ( a u s Hammamat.) U n d dürfen wir den Bildern der T e m p e l Glauben schenken, so wären alle diese Zeremonien doppelt vollzogen worden, das eine M a l für den K ö n i g von Oberägypten, das andere M a l für den des unteren Landes, so wie das j a auch der herkömmlichen Auffassung entspricht, d a ß das ägyptische Reich nach seiner Vereinigung noch aus zwei Ländern besteht. D a ß die großen Feste des Königtumes ein religiöses Gepräge hatten, verstand sich für den Ägypter von selbst. Beruht doch der Staat auf der Fiktion, d a ß der K ö n i g ein Gott ist. U n d auf derselben Fiktion beruht nun auch der gesamte Kultus; auch er setzt voraus, d a ß der K ö n i g in unmittelbarem Verkehr mit den Göttern steht 2 . So erklärt sich die Ungeheuerlichkeit, d a ß in allen Tempeln der K ö n i g allein an die Stelle des Volkes tritt. Der K ö n i g baut den Göttern ihre Tempel, und er opfert ihnen, und sie vergelten ihrem lieben Sohne diese fromme Gesinnung durch

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Zwölftes Kapitel.

ein Leben von Millionen von Jahren, durch den Sieg über seine Feinde und durch ewigen Nachruhm. Die Götter sind nicht mehr die des ägyptischen Volkes, es sind die Götter des Pharao, ihres Sohnes. U n d selbst dieses Verhältnis des Königs z u den Göttern wird noch weiter verkehrt: wenn der K ö n i g einen Tempel baut, so tut er dies nach der offiziellen Anschauung nicht so sehr aus Liebe zu dem Gott als aus Sorge für den eigenen Nachruhm. Er hat dieses gemacht als sein Denkmal, so beginnt von alters her jede Weihinschrift und nennt erst dann den 79. K ö n i g Apries, dargestellt, Tempel, den der Herrscher seinem Vater, wie er den Göttern von Memphis dem Gotte, erbaut hat. Es sind das eben opfert; die Inschrift verewigt aber nur ein Geschenk, das von feste Phrasen, aber darin, d a ß solche einem Türhüter des Ptahtempels Phrasen und Sitten schon in der Jugend geweiht ist. (Berlin 2111.) des Volkes ausgeprägt werden konnten, zeigt sich das Elend dieser offiziellen Religion. Gewiß haben viele Könige Großes für die Tempel getan, aber auch die frommen Bürger der Stadt werden es nicht an Gaben und Stiftungen haben fehlen lassen und alles dieses verschweigen die Inschriften der Tempel. Das ist zu allen Zeiten so gewesen, und noch die griechischen Könige und die römischen Kaiser gelten als die alleinigen Erbauer aller Tempel, die unter ihrer Regierung fertig gestellt sind. Es ist dann nur eine natürliche Folge dieser Anschauung, daß man auch in den Bildern der Tempel die Priester als nicht vorhanden annimmt und durch den K ö n i g ersetzt. A u f allen Wänden sind die Opfer und Zeremonien dargestellt, wie sie vor den Göttern hier stattfinden, aber der, der sie ausführt, ist immer der König selbst. U n d wenn man nun auch annehmen kann, daß der Pharao dann und wann einmal selbst priesterliche Funktionen ausgeübt haben mag, so kann doch

80.

Der opfert

König

Wein

-

^

vonS De^etoahil)

Der Kultus in älterer Zeit.

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seine Teilnahme an dem Kultus der unzähligen Tempel des Landes nie mehr als eine theoretische Möglichkeit gewesen sein. Die wirklichen Träger des Kultus waren auch in Ägypten die Priester, mochten sie sich auch selbst im Rituale nur als Beauftragte des Königs bezeichnen 1 . Das natürliche Verhältnis, daß die Pflege eines Heiligtums den angesehenen Familien obliegt, die seit Menschengedenken in der Stadt angesessen sind, hat auch in der älteren Zeit Ägyptens bestanden. Noch im mittleren Reiche ist auch bei den größeren Tempeln das Priestertum in bestimmten Familien erblich, deren Angehörige es meist als Nebenamt ausüben. Wer ein Priester, der Sohn von Priestern dieses Tempels 2 ist, der kann im Gotteshause alle Opfer und Zeremonien vollziehen. Daneben treffen wir früh auf ein anderes Verhältnis: bestimmte Priestertümer sind mit bestimmten Ämtern verbunden. So sind die hohen richterlichen Beamten des alten Reichs zugleich Priester der Wahrheitsgöttin, die Ärzte sind Priester der Sachmet, die höchsten Künstler solche des Ptah. Was wir hier als Priester bezeichnen, ist freilich von sehr verschiedener Art. Zunächst ist ein Unterschied zwischen solchen, die dieses Amt ständig ausüben, und solchen, die nur zeitweise im Tempel dienen. Und weiter werden bei beiden Klassen noch Priester unterschieden, die bestimmte Funktionen ausüben. Da sind zuerst die Diener des Gottes oder wie wir sie nach griechischem Vorbilde nennen, die Propheten. Die sind die eigentlichen Träger des Kultus. D a sind die Cherheb, die Gelehrten3, die Schreiber des Gottesbuches. Die ruft man z. B., um einem Königskinde seinen Namen zu geben 4 . Sie sind es auch, die bei den Zeremonien die alten Sprüche rezitieren und sie sind es, die der Zauberei kundig sind. Es sind die Magier, und wenn du einen Zauber vor einem jeden geheim halten sollst, dem Cherheb darfst du ihn doch offenbaren 3 . Auch in der Kunst des Salbens sind sie erfahren und sie verwenden diese auch als Ärzte 6 . Was die U a b genannten Priester ursprünglich für Funktionen hatten, zeigt schon deren Name, der von dem Worte für rein entlehnt ist, und in der Tat begutachten sie auf den Bildern des alten Reiches die geschlachteten Tiere. Sie prüfen ihr Blut und erklären: es ist rein '.

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Später gelten die Uabpriester als untere Stufe der Geistlichkeit1, oder man gebraucht das Wort auch nur allgemein für Priester. Ein anderer häufiger Ausdruck, Gottesvater oder Gottgeliebter, ist uns seiner Entstehung nach ein Rätsel; und vielleicht ist es auch nur ein allgemeiner Ausdruck für die höhere Geistlichkeit 2. J e bedeutender ein Tempel war, um so größer war natürlich auch die Priesterschaft, die an ihm wirkte. Wir besitzen noch die Akten eines größeren Tempels aus dem mittleren Reich, die uns einen guten Einblick in diese Verhältnisse gewähren. In der Stadt, die neben der Pyramide des zweiten Sesostris, am Eingange des Faijum gelegen war, befand sich auch ein Tempel des Totengottes Anubis 3 . Der hatte ein Personal von mehr als fünfzig Köpfen, von denen freilich nur sechs in ständigem Dienst waren. Das waren der Fürst und Vorsteher des Tempels, d. h. der oberste Leiter des Ganzen; es war der erste Cherheb, der Leiter des Kultus, und auch die 4 Türhüter, die Unterbeamten, gehörten zu dem ständigen Personal. Alle anderen Priester aber und Beamte des Tempels wechselten sich im Dienste ab und waren nur in ihrem Monat tätig. Dabei waren sie in 4 Klassen*) geteilt, und jedes mal, wenn die eine Klasse ihren Dienst antrat, übernahm sie von ihrer Vorgängerin das Heiligtum mit allem seinem Inventar. Daß darüber zu beiderseitiger Entlastung ein Protokoll aufgenommen wird, versteht sich in dem wohlgeordneten Ägypten von selbst. Bei einem anderen Tempel 4 der gleichen Epoche, dem des Up-uat von Siut, besteht die ständige Priesterschaft aus dem Fürsten des Gaues, der auch Hoherpriester ist, und neun Priestern; diese zehn bilden das Kollegium des Tempels und sind Priester von Geburt. Auch hier steht neben ihnen eine wechselnde Priesterschaft, die sogenannten Stundenpriester. Gewiß haben wir bei diesen Stundenpriestern hauptsächlich an Beamte des Königs oder des Gaues zu denken, die sich j a oft in ihren Inschriften rühmen, auch bei diesem oder jenem Gotte Priester zu sein. Aber auch Personen niederen Standes können einer Priesterschaft angehören, und so treffen wir einmal, allerdings bei einem verfallenden Tempel, auf einen Vorsteher der Fischer und Vogelfänger, der doch zugleich auch Vorsteher der Priester seines Tempels war 5 . *) Wir nennen diese Priesterklassen nach griechischem Vorbild Phylen.

die

Der Kultus in älterer Zeit.

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Schwerlich wird übrigens die Herkunft aus einem Priestergeschlecht allein schon zu einem priesterlichen Amte befähigt haben. Vielmehr dürfen wir uns denken, daß — wenigstens für die höheren Stellungen — auch eine besondere Vorbildung und vielleicht auch besondere Weihen erforderlich gewesen sind. Wenigstens erfahren wir aus späteren Texten von solchen Weihungen und Reinigungen. Wir hören, daß ein neuer Priester im heiligen See von Karnak gebadet und mit Natron gereinigt wird 1 , und noch ausführlicher erzählt uns ein anderer Priester: Ich trat vor den Gott als trefflicher Jüngling, indem ich eingeführt wurde in den Horizont des Himmels . . . Ich kam heraus aus dem Nun und beseitigte das Schlechte an mir und legte die Kleider ab und die Salbe so wie Horas und Seth reinigen. Ich trat vor den Gott in das Allerheiligste, indem ich mich vor seiner Macht fürchtete * 2). Wenn sich manche Priester der Kunde geheimer Dinge rühmen wenn sie z. B. die Geheimnisse von Himmel, Erde und Unterwelt kennen, so dürfte es sich selbst dabei um nicht viel anderes handeln als um die Kenntnis von Götterbildern und Gebräuchen 3 . Denn als geheim galten j a auch diese Gebräuche, und schon im alten Reiche hören wir, daß das Buch von der Kunst des Cherheb, nach dem man sich beim Opfer zu richten hat, etwas geheimes ist 4. Auch Frauen sind zu keiner Zeit von der geistlichen Tätigkeit ausgeschlossen gewesen. Im alten Reiche rühmen sich die Damen, daß sie Priesterinnen (Gottesdienerinnen) der Nuth oder der Hathor seien, eine, die Hathor alle Tage verehrt5. Daß die Frauen gern der Hathor dienen, die j a auch die Liebesgöttin ist, ist verständlich. Wie sich das Priestertum der Frauen dann später entwickelt hat, werden wir unten S. 201 sehen. Bei dieser Schilderung des ägyptischen Klerus haben wir noch die höchsten geistlichen Würdenträger übergangen, die wir die Hohenpriester nennen. Es gibt im Ägyptischen kein eigenes Wort für dieses Amt, und in den großen Heiligtümern führen sie zum Teil altertümliche Titel. So heißt der Hohepriester von Heliopolis der Große der *) das heißt also, wenn man sich der ägyptischen Phrasen enthält, er erhielt eine Vorbildung im Tempel, wurde bei A u f n a h m e in die Priesterschaft gebadet und gekleidet und durfte dann das Allerheiligste betreten. — V g l . auch Legrain-Naville l'aile nord taf. 1 1 B, wo eine solche Reinigung vornehmer Priester und Priesterinnen dargestellt ist.

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Zwölftes Kapitel.

Schauenden, und der von Schmun heißt der Große der Fünf; der v o n Memphis aber, der d e m Gotte der Künstler P t a h dient, heißt der Große im Leiten der Künstler. In der T a t übte er auch eine solche weltliche Funktion aus, und noch i m alten Reiche galt er als der natürliche Leiter für alle Bildhauerarbeiten und ähnliche Werke. Ursprünglich scheinen sich zwei Personen dieses geistlich-weltliche A m t geteilt zu haben, aber gegen Ende des alten Reiches übertrug ein K ö n i g jede Gottessache und jede Pflicht, die die beiden Hohenpriester verrichteten, auf den T e t i Sabu, d e m er besonders vertraute

80. Hoherpriester von Memphis mit Brustschmuck und Seitenlocke. (Berlin 12 410.)

Ü b e r h a u p t sind diese Leiter der großen Heiligtümer Leute von höchstem R a n g e , im alten R e i c h e sind es oft die Söhne des Königs, und wo i m m e r später die G a u e unter eigenen Fürsten stehen, sind diese Fürsten auch Vorsteher der Propheten des Gottes, d. h. die Hohenpriester. Ein solcher ist der Leiter aller göttlichen Ämter, eingeweiht in die Gottesworte und Gottesdinge, und er gibt den Priestern die Vorschrift als Leitung der Feste. Er hat eine laute Stimme, wenn er den Gott preist, und eine reine Hand, wenn er Blumen herbeibringt, und Wasser und Speisen darbringt auf dem Altare 2.

Der hohen Stellung der Hohenpriester entspricht es denn a u c h , d a ß sie zuweilen einen besonderen O r n a t tragen, dessen Formen offenbar aus ältester Zeit stammen. Eines was man von j e d e m Priester verlangt und überhaupt v o n j e d e m , der heiligen Dingen sich naht, ist die Reinheit. Schon in einem G r a b e des alten Reiches steht zu lesen: wer hier eintritt, soll rein sein, und er soll sich reinigen, wie er sich reinigt für den Tempel des großen Gottes 3 . U n d immer wieder wird es betont, d a ß die Priester reine Hände haben. So werden denn auch im neuen R e i c h e Wasserbecken von frommen Leuten in die T e m p e l gestiftet, die g e w i ß zur Reinigung dienen sollten 4 . U n d wie so oft in der Welt, hat dann das Streben nach Reinheit auch seltsame Formen an-

TAFEL 6

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Der Kultus in älterer Zeit.

genommen. U n d wer einen Zauber hersagen will, der soll nicht nur sich waschen und soll kein Weib berühren, sondern er soll auch weder Kleinvieh noch Fisch essen 1 . U n d in »vi

alt/»

81.

Wasserbecken

von

einem

Privatmanne

Hui

in

j e n e m a u e n oraDe, d e n T e m p e l d e r Sachmet zu Abusir geweiht. in dem die Besucher aufgefordert werden, auf ihre Reinlichkeit zu achten, wird auch wirklich gefordert, d a ß sie keinen Fisch gegessen haben sollen. Wir werden übrigens unten im Kapitel 18 sehen, d a ß ein König, der ein frommer Anhänger der ägyptischen Götter war, sich in der T a t von Leuten fern hielt, die Fische aßen. Freilich wird dieser Abscheu vor den Fischen, der das V o l k einer Hauptnahrung beraubt haben würde, schwerlich allgemeine Geltung gehabt haben.

Schon oben sahen wir, daß zum regelmäßigen Verlaufe des Kultus tägliche Opfer gehören, sie sind natürlich geringer als die der Festtage, aber da sie das Jahr hindurch gehen, stellen sie doch eine große Menge an Brot und Fleisch dar. D a fragt man sich denn unwillkürlich, was aus allen diesen Speisen wurde, wenn sich — es ist das der offizielle Ausdruck — der Gott daran befriedigt hatte. Eine klare Antwort auf diese Frage erhalten wir begreiflicher Weise nicht, denn das sind Dinge, die sich für den Ägypter von selbst verstehen, und nur das eine ist an ihnen wichtig, daß sich der Gott an den Opfern erfreut hat. Wir tun aber gewiß kein Unrecht, wenn wir annehmen, daß die Priester diese Speisen selbst verzehrt haben, und daß überhaupt alles, was dem Gotte dargebracht wurde, als ihr Einkommen galt. A u c h von allem, was der Gott dauernd besaß — man nennt dieses Vermögen das Gottesopfer — , hatten sie den Nießbrauch. Bei den Stiftungen, die Könige oder Private für die Opfer gemacht haben, gibt es dann noch einen besonderen Fall: einzelne Opfer sollen nicht nur den Gott selbst, sondern auch andere verehrte Wesen erfreuen. D a steht z. B. im Tempel die Statue eines verdienten Mannes, die der König dorthin gestiftet hat, damit auch sie an den Opfern des Gottes teilhabe. D a wird auch dieser

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Zwölftes Kapitel.

Statue etwas von den Opfern vorgelegt, und auch hier werden wir uns zu denken haben, daß der Priester, dem diese Statue anvertraut ist, die ihr vorgelegten Speisen genießt. Auch die Statue eines Mannes, die in seinem Grabe steht, kann so mit einem Anteil an dem Opfer des Gottes bedacht werden; da wird es dann der Totenpriester des Grabes sein, dem die Speise anheimfallt, wenn sich der Verstorbene an ihr befriedigt hat. Der Anteil, den die Priester so ständig an den Opfern erhielten, kann geradezu als ihr Gehalt gelten. Es war daher nicht nur das ideale Interesse für die Speisung des Gottes, das die königlichen Stiftungen mit Freude begrüßen ließ, sondern auch das sehr reale für ihren eigenen Unterhalt. Sie rühmen an den Königen, daß sie die Altäre mit Speisen versehen, die Getränktische gedeihen lassen und die Opfer groß machen 1 . Und welches Gewicht man auf die Opfer legte, zeigen auch die Namen der Tempeltüren; die besagen gern, daß der König durch sie die Speisen bringt 2. Übrigens waren es nicht nur die Speisen des Gottes, die so den Menschen Nutzen brachten; er legte ja auch Kleider ab, und es war schön, wenn man für die Bestattung einer Leiche solche Leinenbinden erhielt, die der Gott abgelegt hatte 3 . Hier dachte man natürlich, daß auch etwas göttlicher Segen an den Binden haften müßte, die das heilige Bild berührt hatten. Und doch, so sehr die Priester auch danach strebten, Opfer zu erhalten, es gab doch Fälle, wo man sie zurückwies — wenigstens in der Theorie. Denn unter den Formeln der Verfluchung ist auch die, daß die Götter ihre Opfer nicht annehmen werden 4.

Dreizehntes Kapitel.

Der Kultus im neuen Reiche. Was wir bisher von dem Kultus der ägyptischen Götter berichtet haben, wird dem Leser im ganzen ein ungefähres Bild desselben gegeben haben — freilich nur in so weit, als es sich um normale Zeiten und normale Verhältnisse handelt. Aber für die Zeit des neuen Reiches hat vieles keine Gültigkeit. Hier ist alles so ins Großartige gesteigert, daß es sich nicht mit den früheren und späteren Verhältnissen des Kultus vergleichen läßt. Am meisten gilt dies vom Kultus des Amon, der nicht umsonst als der König der Götter gepriesen wird. Seine thebanischen Tempel sind ebenso das Sinnbild des neuen Reiches, wie die Pyramiden das Sinnbild des alten Reiches sind. Um zu zeigen, um welche ungeheuerlichen Bauten es sich hier handelt, genüge es, den Tempel von Karnak anzuführen. Allein sein Säulensaal bedeckt eine Fläche von 5000 qm und auf ihr erheben sich nicht weniger als 134 Säulen, von denen die 12 des Mittelschiffes mehr als 21 m hoch sind und einen Durchmesser von 3,37 m haben. Die Seitenschiffe sind zwar niedriger, aber ihre Säulen messen auch noch 13 m in der Höhe. Dieses Hypostyl und der davor liegende Pylon gelten nach ihren Inschriften als Bauten der neunzehnten Dynastie, insbesondere Ramses' II., und man nimmt für gewöhnlich an, daß sie ein vollendeter Bau sind. Da aber bei dieser Annahme der Tempel gegen die Regel mit dem Hypostyle beginnen würde, darf man vermuten, daß auch der ungeheure Hof, den spätere Zeiten davor errichtet haben, schon in dem ursprünglichen Projekte vorgesehen war. Da liegt denn weiter der Gedanke nahe, daß dieser maßlose Plan jener Zeit entstammt, der nach dem Sturze der Ketzerzeit nichts zu groß erschien, was den Amon ehren konnte. Nach der Zeit Ramses' II. wird man dann freilich die Ausführung des ganzen Projektes zunächst als hoffnungslos aufE r m a n , Religion der Ägypter.

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Dreizehntes Kapitel.

gegeben haben, denn Sethos I I . setzt einen kleineren Tempel in den projektierten Hof hinein, u n d Ramses I I I . erbaut sogar einen besonderen großen Tempel der thebanischen Götter und stellt diesen so, d a ß er in den geplanten Hof einschneidet. Erst die libyschen und äthiopischen Herrscher sind d a n n auch an die Vollendung des Hofes gegangen u n d noch heute steht an d e m Pylon, mit dem der Hof beginnt, die beim Bau benutzte Ziegelrampe, z u m deutlichen Zeichen, d a ß auch damals dieser Bau nicht ganz vollendet worden ist. Aber diese gewaltigen Bauten von etwa 180 m Länge bilden doch nur die Einleitung zu dem eigentlichen Tempel des Amon, der sich in der gleichen Länge dahinter ausdehnt, mit all seinen Pylonen, Höfen, Gängen u n d Sälen, die die Könige der achtzehnten Dynastie errichtet hatten. Neben d e m großen Tempel des Amon liegen d a n n die Tempel seiner beiden Mitgötter, der Mut, den Amenophis I I I . errichtet hatte, u n d der des Chons. Auch der P t a h von Memphis h a t hier noch ein größeres Heiligtum. Alle diese Bauten sind durch Straßen und Tore mit einander verbunden u n d bilden so eine Stadt heiliger Gebäude, die mehr als einen Kilometer in der Länge mißt. Was alles d a n n noch an profanen Gebäuden in diesem Bezirke gelegen hat, können wir n u r ahnen, denn die Wohnhäuser, Speicher, Ställe und Werkstätten waren wie immer nur aus Ziegeln gebaut u n d sind uns d a h e r nicht erhalten. Gewiß aber h a b e n hunderte von Menschen in diesem Bezirke gelebt, die im Dienste des Amon standen. I n einer Entfernung von nicht viel mehr als zwei Kilometer lag d a n n stromauf der zweite gewaltige Tempel des Amon, der von Luksor; den hatte Amenophis I I I . erbaut, T u t a n c h a m o n erweitert, u n d Ramses I I . hatte auch hier wieder einen großen Bau vor die älteren Gebäude gesetzt, einen Hof mit einem gewaltigen Pylon, mit Obelisken und Kolossen. Aber auch diese Riesentempel von K a r n a k u n d Luksor genügten noch nicht, u m der Verehrung Ausdruck zu geben, die die Könige des neuen Reiches für ihren Gott empfanden, sie, die frommen Könige, die nicht schliefen wegen der TempelDrüben jenseits des Nils erheben sich noch andere große Tempel, in denen auch der Amon verehrt wurde, allerdings wohl nicht er allein, denn wie es sich für diese Totenstadt geziemt, ward i h m zuweilen auch noch einer oder der andere Totengott zu-

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gesellt *). Da ist Der el bahri der Wunderbau der Königin H a t schepsut, der zugleich auch als ihr Totentempel diente. Da ist der Riesenbau Amenophis' III., der heute zwar fast verschwunden ist, von dessen Größe aber die Memnonskolosse noch Zeugnis ablegen. D a ist ein Tempel des Eje, der heute ebenfalls verschwunden ist, und da ist jenes berühmte Heiligtum, das Ramses I I . erbaute, das wir heute das Ramesseum nennen. Ein Jahrhundert später aber erbaut dann Ramses I I I . ,der doch schon in Karnak dem Amon einen großen Tempel gewidmet hatte, den Tempel von Medinet Habu, das herrliche Haus, das Millionen von Jahren auf dem Berge Nebanch dauern wirdx. Es hatte wirklich seinen guten Grund, wenn man Theben die Stadt des Amon, hebräisch No-Amon, nannte. Auch in den andern Städten des Reiches fehlte es natürlich nicht an Tempeln des Amon, trotz all der großen Bauten, die diese Könige des neuen Reiches überall auch für die alten Götter errichteten. Es ist wirklich keine Übertreibung, wenn man sagt, d a ß zu keiner Zeit und in keinem Lande ein König eine so ungeheure Bautätigkeit entfaltet hat wie Ramses II., der größte Bauherr dieser Epoche 2 . Und keiner von diesen Bauten des neuen Reiches begnügt sich mit dem Notwendigen; durch ihre Größe und Herrlichkeit wollen sie dartun, wie gewaltig der Gott ist, •der in ihnen wohnt. Und diesem gleichen Bestreben entspricht denn auch die verschwenderische Pracht im Innern der Tempel. Vor den Pylonen, die heute nur als gewaltige Steinmassen erscheinen, ragten einst Flaggenmaste auf mit bunten Wimpeln und goldenen Spitzen. Die Türe selbst aber war aus syrischem Kupfer und mit goldenen Bildern verziert 3 . Und vollends im Innern der Tempel läßt man sich nicht an den bunten Farben der Bilder genügen, sondern läßt die Säulen und die Laibungen der Türen von Gold strahlen 4 , und selbst der Fußboden ist an besonders heiligen Stellen mit Gold oder Silber beschlagen 5 . Auch große steinerne Stelen werden so mit Gold beschlagen und erhalten dazu noch gerate aus syrischem Gold; sie ruhen auf Basen, die mit Silber eingelegt sind und mit Zieraten aus Gold. So schwer sind sie, daß sich die Erde unter ihnen beugt6. *) Das Obige nach freundlicher Mitteilung von Ludwig Borchardt. I m Einzelnen sind diese Dinge noch ungeklärt. Auffällig ist es, wie in diesen Tempeln gerade auch die Könige selbst verherrlicht werden. 13*

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A u c h innen im T e m p e l glänzt es von allerlei goldenen und silbernen Geräten, die mit ihrem Lichte Ägypten überschwemmen, so wie die Sterne am Bauche der Himmelsgöttin1. Es sind das Geschenke der K ö n i g e . So schenkt Thutmosis I I I . eine goldene V a s e v o n sieben Ellen H ö h e (3,50 m) 2 , und Ramses I I I . stiftet in den V o r h o f des Amontempels einen großen Flaschenständer, der mit G o l d u n d Edelsteinen verziert ist. Die Flaschen sind aus G o l d und enthalten W e i n und Bier für die allmorgendlichen O p f e r 3 . Derselbe K ö n i g schenkt d a n n a u c h eine Opfertafel aus S i l b e r 4 und ein großes K a h e r k a g e f ä ß aus Silber mit silbernem Deckel und goldenem R a n d 5 . A u c h für die U r k u n d e n des Tempels genügen nicht mehr Papyrusblätter oder einfache T a f e l n , auch sie müssen j e t z t a u f T a f e l n v o n edlem Metalle stehen. So schenkt Ramses I I I . d e m A m o n goldne T ä f e l c h e n , die seine Gebete enthalten, silberne, die Erlasse f ü r den T e m p e l tragen, u n d weiter große Silbertafeln mit den Erlassen u n d Inventaren der T e m p e l , die er während seiner R e gierung gegeben hat 6 . A u c h Geräte, die einen mehr prosaischen Charakter tragen, werden in kostbarer A u s f ü h r u n g den T e m p e l n v o m K ö n i g e geweiht. So schenkt Ramses I I I . d e m T e m p e l von Heliopolis eine herrliche Wage aus Gold, deren gleichen seit der £eit des Gottes nicht gesehen worden ist. Thoth sitzt auf ihr in Gold getrieben, als großer herrlicher Affe, als wäre er der Wagemeister 7. So ist denn ein T e m p e l dieser Zeit wirklich ein W u n d e r von Pracht und G l a n z , und m a n versteht es, wenn die Ä g y p t e r ihn i m m e r wieder mit d e m himmlichen Palaste des Sonnengottes vergleichen. Vollends wird das Götterbild und alles, was zu i h m gehört, mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, d a z u hatten j a die T e m p e l ihre Goldhäuser, die Werkstätten, in denen auch an den geheimsten aller D i n g e gearbeitet werden konnte. So ist unter den Bildern, die Ramses I I I . in die thebanischen T e m p e l weiht, zunächst das des A m o n zu Medinet H a b u ; das ist verziert mit echten Steinen und glänzt wie die beiden Horizonte; erscheint es, so freut man sich bei seinem Anblick 8 . U n d ebenda stehen in der K a p e l l e Bilder der memphitischen Götter und der neun Götter von Himmel und Erde, die sind aus g u t e m Golde getrieben und mit Edelsteinen

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verziert 1 . Auch ein goldenes Bild des Königs selbst ist den Göttern beigesellt 2. Die Bilder der Mut und des Chons waren dagegen nicht neu zu schaffen, aber sie wurden erneuert in den Goldhäusern und mit gutem Golde überzogen, sie wurden mit Edelteinen ausgelegt und bekamen goldene Halskragen, die vorn und hinten herabhingen, mit Troddeln aus syrischem Gold. Nun, sagt der König, ruhen sie und sind zufrieden 3 . Auch Amon erhält einen solchen Halskragen vom Könige und Troddeln aus Gold, und die werden nebst den ehrwürdigen Amuletten an seinen Leib gebunden, wenn er sich zeigt 4 . Und nicht minder herrlich war das Schiff des Amon, die Barke Userhet. Auch sie war aus Zedernholz und maß 130 Ellen; sie war mit gutem Golde beschlagen, so schwer, daß sie den Ozean beugte, als wäre sie das Schiff des Re. Alle Augen belebten sich, wenn sie sie sahen, die große Kapelle in ihr war aus gutem Gold und mit allerlei Edelsteinen verziert 5 . Auch die anderen Schiffe der Götter, die sie auf dem Nile benutzen, werden mit größter Pracht ausgestattet. So gehört dem Osiris von Abydos die berühmte Neschmetbarke; die hat ihm Thutmosis I. neu erbaut, aus echtem Zedernholz vom Libanon. Vorn und hinten war sie mit Gold beschlagen, und wenn sie auf der Flut fuhr, so ließ sie sie festlich erglänzen 6 . Wenn es uns heute schwer fällt, an diesem sinnlosen Luxus, der im Innern der Tempel herrschte, Geschmack zu gewinnen, so ist uns eine andere Ausschmückung derselben desto verständlicher: die Gartenanlagen. So rühmt sich Ramses III., daß er Theben mit grünen Bäumen, mit Rohr, Blumen und Papyrus bepflanzt habe, an deren Wohlgeruch sich Amon freuen soll 7 . Und derselbe König hat in der Ramsesstadt des Delta den Gottesweg funkeln lassen von Blumen aller Länder, von Rohr und Papyrus 8. Auch der Hohepriester Bekenchons, der unter Ramses II. im Amte war, legte Gärten in Theben an. Eine besondere Liebhaberei war es dabei, den Göttern, die j a ihre Freude an Myrrhen und Weihrauch hatten, derartige Bäume in die Gärten der Tempel zu pflanzen 9. Damit ist dann ein neues Punt (das Weihrauchland) nach Theben verpflanzt, und Himmel und Erde sind von Duft überflutet.

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Trotz aller Herrlichkeit der Tempel des neuen Reiches, die wir hier geschildert haben, hat der Kultus auch in dieser Zeit sein altes Gepräge behalten. Das Ritual des täglichen Dienstes war immer noch das Gleiche. Auch an den Festen mit ihren Umzügen und Schaustellungen war im Grunde nichts geändert, nur daß jetzt alles reicher und üppiger gestaltet war als vordem. Wer im vorigen Kapitel gesehen hat, daß in älterer Zeit bei dem Feste des Month auch die höchsten Festgäste nur zehn Brote erhielten statt der fünf der gewöhnlichen Teilnehmer, der vergleiche damit was unter Ramses III. den Teilnehmern der Amonfeste gegeben worden ist 1 . Was dem Gotte dargebracht und von den Festteilnehmern verzehrt wurde, das waren fertig zusammengestellte Mahlzeiten aus gutem Brot, Fleisch, Kuchen und Kringeln. Die waren in Körben zusammengestellt und zwar in solchen verschiedener Art, die offenbar dem Range der Gäste entsprachen. Da waren alljährlich 15 Schaukörbe für das Fest benötigt, mehr als 35 Goldkörbe und etwa 365 Speisekörbe, dazu noch 120 Schüsseln für die Fürsten, d. h. die hohen Beamten. Die Menge der Brote, die für die einzelnen Festgäste bestimmt war, ist nicht mehr sicher zu errechnen, ging aber augenscheinlich in die vielen Tausende. Wie sich aber in dieser Epoche eines der großen Feste abspielte, und wie mannigfaltig es sich gestaltete, das lehrt uns der Bilderzyklus, mit dem König Tutanchamon die sogenannte Kolonade des Luksortempels geschmückt hat. Der stellt uns dar, wie sich Amon Re aus Karnak nach Luksor begibt, um das berühmte Fest von Opet zu begehen, das Fest nach dem der Monat Baabe noch heute genannt wird. Was der Anlaß dieses Festes ist, dafür geben uns die Bilder freilich keinen Anhalt; die zeigen uns nur, daß der Gott nach Luksor zieht und wieder nach Karnak zurückkehrt. Nur aus dem Namen Opet, den der Luksortempel führt und der auch Frauenhaus bezeichnet, hat man vermutet, daß der Gott dort alljährlich seine Hochzeit feiert. Die Feier beginnt mit einem Opfer, das der König vor der Barke des Amon, d. h. seiner tragbaren Kapelle, darbringt, ehe diese den Tempel von Karnak verläßt. Auch vor den Barken seiner Mitgötter, der Mut und des Chons, und vor einer solchen des Königs wird noch geopfert. Dann bewegt sich der Zug aus dem Pylon des Tempels, die

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Barken auf den Schultern der Priester, wobei die des Amon nicht weniger als dreißig Träger erfordert. Der König selbst schreitet hinter der Barke des Amon einher. Auch Gesang und Paukenschlagen fehlen nicht im Zuge und dem Ganzen voran schreitet ein Soldat, der die Trompete bläst. Am Nile werden dann die Barken und ihre Begleiter in Schiffe verladen; dem des Amon folgen Boote mit Opferspeisen. Auch König und Königin begleiten die Götter in ihren eigenen prächtigen Schiifen. Am Ufer sehen wir dann einen langen Zug, der diese heiligen Fahrzeuge jubelnd begleitet. Es ist das die Mannschaft, die die Schiffe stromauf zu schleppen hat — aber so schwer diese Arbeit auch ist, so sind die Leute, wie das das Bild und seine Beischriften uns zeigen, doch voller Freude, ihrem Gotte an seinem Feste dienen zu dürfen. Es sind weiter Soldaten mit ihren Offizieren; auch Libyer und Neger gehören dem Zuge an, und gerade die letzteren geben ihre Begeisterung in heimatlicher Weise durch Springen und Tanzen kund. Zu dem Lärm, den diese Barbaren verüben, gesellt sich dann das Klirren der Sistren und der Gesang eines alten Liedes, das eine Gruppe von Sängerinnen und Priestern anstimmt. Auch zwei Wagen des Königs fehlen nicht im Zuge. Wenn die Schiffe dann in Luksor landen, so bildet sich ein ähnlicher Zug zum Tempel. Voran die Priester mit der Amonsbarke, hinter der der König mit seinem Gefolge schreitet. Auch die Barken von Mut und Chons werden heraufgetragen. Zwischen die soldatische Begleitung mischt sich hier auch ein fröhliches Element, Musikantinnen und leichtbekleidete Tänzerinnen, die sich in den gewagtesten Stellungen ergehen. Am Wege aber sind Lauben errichtet und in jeder von ihnen bringen Priester Opfer dar. Im Tempel vollzieht der König dann selbst das Opfer, sein Gefolge freilich, Priester und Hofleute, bleiben dabei vor der Tür des Allerheiligsten stehen. Die Rückkehr nach Karnak verläuft dann in gleicher Weise, nur daß die Schiffe, wo es stromab geht, nicht geschleppt werden müssen. Am Ufer, wo der Weg jetzt übrigens mit Milch besprengt wird, zieht wieder derselbe Zug von ägyptischen Soldaten, Libyern und Negern daher, und alle singen das Lob seiner Majestät, der den Amon gefahren hat. Sind die Götter dann wieder nach Karnak zurückgeführt, so wird das ganze Fest mit einem großen Opfer beschlossen.

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Wer diese Beschreibung des Festes liest, wie wir sie nach den Bildern hier gegeben haben, würde denken, daß sich das Ganze an ein und demselben Tage abgespielt hätte. In Wirklichkeit war es ein Fest von langer Dauer und wir erfahren, daß es unter Thutmosis I I I . elf Tage währte und daß es unter Ramses I I I . sogar auf 24 Tage angewachsen war Wir haben oben gesehen, daß 'die Priesterschaft in älterer Zeit wesentlich aus Bürgern der Stadt bestand und so darf man annehmen, daß sie damals nicht allzuscharf vom Volke geschieden war. Im neuen Reiche wird auch das anders, denn schon in seinem Äußeren erkennt man jetzt den Priester. Er enthält sich der modernen Kleidung der Zeit. E r vermeidet es, die weiten faltigen Gewänder zu tragen, die auch den Oberkörper bedecken und die die Mode den höheren Ständen vorschreibt. Statt ihrer trägt er nur einen kürzeren oder längeren Schurz, wie er im alten oder mittleren Reiche gebräuchlich war, als wollte er so seine Herkunft aus der ehrwürdigen Vergangenheit kennzeichnen. Und ebenso vermeiden es alle Priester, ihr Haupt durch die kunstvollen Frisuren zu verzieren, die 82. Priester des neuen die Mode des neuen Reiches liebt; sie gehen kahl Reiches, kahl, auf dem geschoren und der Barbier des Tempels ist Rücken ein Panterfell.

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daher ein wichtiger Unterbeamter. Den Grund für diese eigentümliche Sitte wird man wohl da suchen müssen, wo ihn die späteren Ägypter suchten, in dem Streben nach größter Reinlichkeit. So sind denn die Priester jetzt ein besonderer Stand geworden und je größer ihre Zahl an den großen Tempeln war, um so mehr mußten sie sich auch als ein solcher fühlen. Bei dem größten aller Götter, dem Amon 2 , unterscheiden wir drei Arten von Priestern. Die niedrigste Stufe bilden die Uab, die den Gott bei seinen Prozessionen begleiten und seine Barke tragen; auch andere niedere Dienste werden ihnen obliegen. A m eigentlichen Kultus nahmen sie aber wohl nicht teil, wenn es auch Einzelne von höherem Range gab, die das Allerheiligste betreten durften. Neben und über ihnen stehen auch beim Amon (Berlin 7278.)

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die gelehrten Priester, die Cherheb; auch von ihnen gibt es verschiedene Rangstufen. A n der Spitze der Priesterschaft aber stehen wieder die Gottesdiener oder Gottesväter, die wir die Propheten nennen; sie sind es, die die Tore des Himmels öffnen, d. h. sie haben den Zutritt z u m Allerheiligsten und zu allen Geheimnissen des Gottes. M a n unterscheidet unter ihnen neben den einfachen Gottesvätern vier höhere Stufen. Der erste Prophet ist der Hohepriester, der im Unterschied von denen der alten großen Götter (S. 189) keinen besonderen Titel führt; der zweite Prophet ist sein Stellvertreter in den weltlichen Geschäften. Neben den Priestern besaßen die Götter auch i m neuen Reiche einen Stab von Priesterinnen, die freilich i m Kultus nur eine Nebenrolle gespielt haben werden. Es sind das die Sängerinnen des Gottes. Gerade beim A m o n ist ihre Z a h l sehr groß und die D a m e n der guten Familien rühmen sich zu dieser Schar zu gehören. Da nun die Künste mit denen sie den Gott erfreuten, dieselben waren, mit denen die Mädchen des Harems ihren Herrn unterhielten, so lag es nahe, d a ß man auch in diesen D a m e n des Gottes gleichsam den Harem des Gottes sah. Schon a m Ausgang des mittleren Reiches finden wir diesen Ausdruck bei dem Gotte Month (S. 181) und i m neuen Reiche ist dann diese Anschauung gerade beim A m o n völlig herrschend geworden. Wie nun aber in dem H a r e m eines irdischen Fürsten nicht alle Frauen des gleichen Ranges sind, so unterscheidet man auch im H a r e m des A m o n verschiedene Würden. A n der Spitze steht die Größte unter den Kebsweibern und es ist zumeist die Gattin des jeweiligen Hohenpriesters, der diese Ehre zuteil wird. Ü b e r allen Frauen aber steht eine D a m e aus der königlichen Familie, das Gottesweib oder die Gottesverehrerin, d. h. die eigentliche Gemahlin des Gottes, die Vertreterin der Göttin M u t *). Die erste D a m e in dieser Stellung, die wir kennen, ist die Ahmose Nofretere, die Mutter des Königs Amenophis I., dieselbe, die dann später auch als Schutzpatronin der thebanischen Totenstadt gegolten hat (S. 145). A u c h die Königin Hatscheput ist vor ihrer Thronbesteigung ein Gottesweib gewesen; als sie dann den T h r o n bestieg, übertrug sie die Würde des Gottes*) D a s geht so weit, d a ß m a n auch die Bezeichnung die Gotteshand, die aus der Sage von der Selbstbegattung des Sonnengottes (S. 90) entstanden und auf die M u t übertragen war, auch als T i t e l des irdischen Gottesweibes benutzte.

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weibes auf ein Kind, ihr Töchterchen Nef-rure. Man sieht, das Amt des Gottesweibes kann keine großen Anforderungen an seine Trägerinnen gestellt haben. •—• Wie eigentümlich sich dann dieses Amt in späterer Zeit entwickelt hat, und zu welchen Folgen es geführt hat, das werden wir in Kap. 18 besprechen. Wie die Laufbahn eines Priesters des Amon verlief, das lehrt uns die Biographie des Bekenchons, der unter Ramses II. (1292— 1225 v. Chr.) Hoherpriester w a r 1 . Er war der Sohn eines zweiten Propheten und hatte den ersten Unterricht in der Schule des Muttempels empfangen. Dann war ihm etwa von seinem zehnten bis zu seinem einundzwanzigsten Jahre eine andere Art der Ausbildung zuteil geworden, die wir uns als eine militärische denken müssen; er gehörte dem Stalle des Königs an und wer da weiß, was die Wagen und die Pferde des Königs damals bedeuteten, der sieht, daß er einer Elitetruppe angehörte. Nach dieser weltlichen und höfischen Vorbildung trat er in den Dienst des Amon ein und zwar als Uab. Aber schon nach vier Jahren trat er in die höhere Priesterschaft ein, in der er dann zwölf Jahre lang Gottesvater war. Dann mit 37 Jahren wurde er dritter und mit 52 Jahren zweiter Prophet. Und nun in seinem vierundsechzigsten Jahre erhob ihn Amon zu seinem ersten Propheten, dem Hohenpriester. Als solcher war es ihm beschieden, noch 27 Jahre zu wirken. Er war ein treuer und ehrfürchtiger Diener seines Gottes, der ihn wie einen Sohn erzogen hatte, und er konnte ihm diese Wohltat erwidern durch die großen Bauten, die er im Namen des Königs aufführte. Und auch das rühmt er von sich: er war ein Vater seiner Untergebenen; er reichte dem Unglücklichen die Hand und der Arme galt ihm ebensoviel wie der Reiche. Jedem gab er was ihm zustand. Er sorgte für das Begräbnis derer, die keinen Sohn hatten, er beschützte die Witwen und Waisen und dem Sohne sicherte er die Nachfolge seines Vaters. Wer die Wahrheit sprach, dem gab er Gehör und die Übelberüchtigten hielt er von sich fern. Das alles sind Tugenden, deren sich von jeher die Fürsten der Gaue zu rühmen pflegten und wie ein solcher mußte ein Hoherpriester des Amon sich auch fühlen. War ihm doch eine ungeheure Verwaltung unterstellt. So lückenhaft auch unser Material ist, so kennen wir doch weit mehr als hundert Titel von Beamten und Bediensteten des Amon 2.

Der Kultus im neuen Reiche.

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D a sind Leute von höchstem Range, die das Vermögen des Amon verwalteten, seine Äcker, seine Herden und seine Schätze, und sie alle haben auch ihrerseits ihre Schreiber und Beamten. Da sind die Baumeister, Maler und Bildhauer. D a ist der General der Truppen des Amon mit seinen Offizieren. Da ist das ganze Personal, das für die Opfer und die Speisen zu sorgen hat, die Bäcker, die Köche, die Konditoren, die Brauer, die Winzer und die Imker, die Öl- und Weihrauchbereiter. D a sind die Weber, Spinner und Färber, die Barbiere und die Ärzte. Und vor allem dürfen wir nicht alle die Beamten vergessen, die den Grundbesitz des Amon zu beaufsichtigen haben: Katasterbeamte, Vorsteher der Scheunen und der Bauern, Müller, Jäger und Fischer. Kurzum, es muß ein wahres Herr von Menschen gewesen sein, das im Dienste des Amon stand. Einen richtigen Begriff von dem Vermögen des Amon bekommen wir dann aus den Zahlen jenes merkwürdigen Dokumentes, das man dem dritten Ramses ( 1 1 9 8 — 1 1 6 7 v. Chr.) mit ins Grab gegeben h a t 1 . Danach besitzt Amon unter anderem: 81 322 Leibeigene, 421 362 Stück Vieh, 65 Ortschaften, 4 3 3 Gärten, 868 168 Aruren Acker, 83 Schiffe, 46 Werften. Dazu noch 5 1 6 4 Götterbilder, die seltsamer Weise mit als Personal verrechnet sind. Zu diesem festen Vermögen kommen dann noch die jährlichen Abgaben seiner Untertanen hinzu, die in den 3 1 Jahren der Regierung sich auf 5 1 kg Gold 997 kg Silber und 2395 kg Kupfer, 3722 Stück Kleider u. a. belaufen haben. Freilich ist es nicht leicht, diese Zahlen zu beurteilen, denn wir wissen z. B. nicht, ob bei den Leibeigenen die ganzen Familien gerechnet sind oder nur die Männer. Und ebenso wenig wissen wir, was unter Ortschaften zu verstehen ist, und auch bei den Äckern und dem Vieh bestehen ähnliche Schwierigkeiten. Indessen sieht man doch, daß es sich um sehr große Vermögensstücke handelt, die Äcker entsprechen etwa 2393 qkm *) und wenn man neben das Besitztum des Amon die entsprechenden Angaben *) Welche Zeit es gewesen ist, in der die Könige das Grundvermögen des Amon so ungeheuerlich vermehrt haben, wissen wir nicht. Nur das eine sieht man, daß am Anfang der X I X . Dynastie anscheinend in Ägypten nicht mehr viel Land an Götter zu verschenken war. Als Sethos I. (um 1300 v. Chr.) seinen großartigen Tempel in Abydos errichtete, mußte er ihn mit einem Landbesitz in Nubien dotieren. Vgl. Kap. 20.

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über die anderen großen Tempel stellt, so tritt dies noch mehr hervor. Besitzt doch Heliopolis nur 12 963 Untertanen und 160 084 Aruren Acker, Memphis aber hat sogar nur 3079 Untertanen und 10 047 Aruren. Amon besitzt also sechsmal so viel Untertanen wie Heliopolis und mehr als sechsundzwanzigmal so viel wie Memphis. Und bei den Äckern besitzt Amon das Fünffache von Heliopolis und das sechsundachtzigfache von Memphis. So groß wie es nach dem hier gegebenen scheinen kann, ist dieses Vermögen freilich nicht immer gewesen und manches, was dem Amon geschenkt worden war, ist ihm auch wieder verloren gegangen, so die drei syrischen Städte, die ihm Thutmosis I I I . aus seinen Eroberungen geschenkt hatte, und auch die Machtfülle des Hohenpriesters ist offenbar zuweilen vom Staate beschränkt worden. Man darf denken, daß die weltliche Macht stets in einem Gegensatz zu diesem Priestertume gestanden hat; von einer starken Regierung wurde es in Schranken gehalten, unter einer schwachen wuchs auch die Macht des Hohenpriesters So ist es gewiß kein Zufall, daß wir in der Zeit der Thronstreitigkeiten nach dem Tode Thutmosis I. (1501 v. Chr.) einen Hohenpriester antreffen, der nicht nur der erste Prophet des Amon und Vorsteher aller Ämter des Amon und seines ganzen Besitzes ist, er ist vielmehr auch das Oberhaupt der Tempel und aller Propheten des ganzen Landes, also das Oberhaupt der gesamten ägyptischen Kirche. Und überdies hat dieser Hepuseneb daneben noch höchste weltliche Ämter, denn er ist Vezier und Oberhaupt des ganzen Südens. Auch hohe Hoftitel zeigen an, welche Persönlichkeit er ist. Nicht alle Hohenpriester haben freilich diese übergroße Macht besessen. Die Verfügung über den Besitz des Amon war wohl zeitweise beschränkt und auch die Oberhoheit über den gesamten Klerus werden nicht alle gehabt *) haben. Daß der König in die Wahl des Hohenpriesters eingreifen konnte, die offiziell doch durch den Gott selbst erfolgte, zeigt uns eine Inschrift aus der Zeit Ramses' II. Im ersten Jahre seiner Regierung war das Hohepriestertum vakant, der König selbst trat als Hoher*) In der Ketzerzeit war sie auf den Vezier übertragen. Grandspretres S. 114.

Vgl. Lefebvre,

Der Kultus im neuen Reiche.

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priester e i n 1 und leitete als erster Prophet das Opetfest. D a n n aber schreitet er zur Wahl eines neuen Hohenpriesters und nennt dem Araon den ganzen Hofstaat, die Propheten aller Götter, und die großen seines Hauses, das Oberhaupt der Truppen, alle die vor seinem A n gesicht versammelt waren. A b e r A m o n war mit keinem von diesen zufrieden und nur als der König ihm den Neb-unnenef nannte, stimmte A m o n zu. Neb-unnenef war damals erster Prophet des Onuris von This und erster Prophet der Hathor von Denderah. A u f der Rückfahrt vom Feste landete der K ö n i g dann in This und teilte dem Neb-unnenef seine Erhebung mit. Er solle fortan der erste Prophet des A m o n sein, und die gesamte Verwaltung des A m o n solle ihm unterstehen. Durch einen besonderen Boten wurde diese Nachricht durch das ganze Land verbreitet. D e m Sohn des Neb-unnenef aber gab er die Stellung seines Vaters, das Hohepriestertum von Denderah 2 . M a n sieht, der K ö n i g hatte die Wahl des A m o n gut geleitet; sie war wirklich auf einen Mann gefallen, dem der K ö n i g besonderes Vertrauen schenkte. A b e r auch solche Erwählten des Königs wußten doch, daß ihre Stellung sie höher erhob als jeden andern Untertan und daß sie Anspruch auf Ehren hatten wie kein anderer. Schon am Ende der neunzehnten Dynastie tritt der Hohepriester Rom, genannt Roi, in ungewöhnlicher Weise hervor. Die alte Wohnung des Hohenpriesters unweit des heiligen Sees, die vonSesostris I. (1950 v. Chr.) erbaut war, hat er ausbauen lassen; und in diesem Teile des Tempels läßt er sich selbst darstellen, während doch sonst nur Bilder des Königs im Tempel statthaft waren. U n d etwa ein halbes Jahrhundert später unter Ramses I X . treffen wir im gleichen Teile des Tempels auf Bilder eines Hohenpriesters, die noch überheblicher sind als jene. Sie stellen den Hohenpriester Amenhotep dar, wie er vom Könige überschwenglich geehrt w i r d * ) ; dabei wird er, gegen alle ägyptische Sitte in gleicher Größe gebildet wie der König, während doch die Nebenfiguren des Bildes klein gehalten sind. A u c h das wird hier dargestellt, daß er, der Hohepriester, dem A m o n opfert und nicht der König. In den Inschriften aber rühmt sich Amenhotep eines großen Baus den er ausgeführt hat; er hat die Hohepriesterwohnung auf das Herrlichste neu erbaut. U n d noch etwas anderes *) Auch Geschenke von höchstem Werte werden ihm vom Könige gegeben.

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Dreizehntes Kapitel.

erzählt er uns was noch schwerer wiegt: alle Abgaben, die sonst dem Amon durch den König zuflössen, erhält der Gott jetzt ohne Vermittlung des Königs. Das deutet, wenn anders wir es richtig verstehen, auf ein Übergreifen der priesterlichen Macht, das dem Staate bedrohlich werden mußte. Und in der Tat hat schon sein Nachfolger, der Hohepriester Hrihor dieser Doppelregierung ein Ende gemacht und hat selbst den Thron bestiegen, wie wir das im Kapitel 18 sehen werden.

Vierzehntes

Kapitel.

Der Totenglaube. Wenn es eine Seite gibt, in der sich das ägyptische Volk von anderen unterscheidet, so ist es die Fürsorge, die es seinen Toten zuwendet*). Während die Hebräer oder die Griechen nicht viel und nicht gern von dem Schicksal ihrer Abgeschiedenen sprechen, denkt der Ägypter unablässig an sie; er bemüht sich, sie zu pflegen und für ihr Ergehen zu sorgen, und möchte auch die Erinnerung an sie nicht untergehen lassen**). Anfangs hat diese Totenpflege gewiß keinen anderen Grund gehabt als den natürlichen allgemein menschlichen, die Liebe zu den Angehörigen. Wie man die Alten und die Kinder erhält, die nicht selbst für sich sorgen können, so muß man sich ebenso der armen hilflosen Verstorbenen annehmen. M a n kann ihnen zwar nur eine schlichte Grube zur Wohnung geben, aber man kann ihnen doch allerlei hineinlegen, was sie ernähren und erfreuen kann, wie wir das in den Gräbern der vorhistorischen Zeit Ägyptens finden. Aber bei dieser einfachen Pflege der Toten ist es in Ägypten nicht geblieben, und mit dem Aufblühen seiner Kultur steigert sie sich bis ins Übertriebene und Sinnlose. Zur Verehrung der Götter oder zu praktischen Zwecken haben auch andere Völker Bauten errichtet, die sich den Riesenbauten Ägyptens an die Seite stellen lassen, aber Gräber wie die großen Pyramiden oder wie die Felsengräber Thebens gibt es nicht noch einmal in der Welt. Und nirgends hat man so vieles und so kostbares den Verstorbenen ins Grab gelegt. Solchen Anstrengungen würde sich *) Diese Fürsorge konnte sich dadurch ausbilden, daß die Ägypter von jeher ruhig auf festen Sitzen saßen. **) Diese Pflege der Erinnerung darf man nicht dem Stolz auf bedeutende Vorfahren gleichsetzen, der auch andere Völker kennzeichnet. Denn seit in Ägypten die Schrift verbreitet ist, bestrebt sich dort auch der geringste Mann, den Namen seiner nicht minder obskuren Angehörigen »leben zu machen«.

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Vierzehntes Kapitel.

das ägyptische Volk nicht während dreier Jahrtausende unterzogen haben, wenn sich nicht jenem ursprünglichen Motive der Pietät allmählich noch andere Beweggründe beigesellt hätten. Es waren das die Vorstellungen über das Jenseits und über das Weiterleben der Toten, Vorstellungen, denen wir in jener alten Totenliteratur noch nachgehen können, die in fast unübersehbarer Menge auf uns gekommen ist. Freilich eine Literatur in gewöhnlichem Sinne ist sie nicht, oder sie ist es doch nur zum kleinsten Teile; es sind zumeist nur kürzere oder längere Sprüche, wie man sie herzusagen pflegte, wenn man die Leiche besorgte und bestattete, wenn man den Toten speiste und beschenkte, und wenn man durch Gebet und Zauber ihn vor Unheil bewahrte. Wir sondern diese Sprüche heute in drei große Gruppen, je nach der Zeit und der Art ihrer Niederschrift, in die »Pyramidentexte« die in Königsgräbern der fünften und sechsten Dynastie stehen, in die »Sargtexte« 2, die man im mittleren Reiche auf die Innenwände vieler Särge schrieb, und in das »Totenbuch« 3 , d. h. die Sprüche, die man vom neuen Reiche an den Toten auf einer Papyrusrolle beigab. Wenn nun auch in den Sargtexten und im Totenbuche gewiß mancher Spruch von höchstem Alter steht, so haben doch die Pyramidentexte am reinsten und treuesten den ursprünglichen Charakter bewahrt; an sie haben wir uns daher vor allem zu wenden, wenn wir erfahren wollen, was die Ägypter der ältesten Zeit über die Toten und deren Schicksale gedacht haben. Eine klare und eindeutige Antwort auf alle unsere Fragen werden wir auch aus den Pyramidentexten nicht gewinnen, denn die mehr als siebenhundert Sprüche, aus denen sie bestehen, stammen aus verschiedenen Gegenden 4 und gewiß auch aus sehr verschiedenen Zeiten 5 . Und auch innerhalb ein und desselben Spruches kann ungleichartiges neben einander stehen, denn die Priester, die am Grabe ihre »Worte sagten«6, werden dabei ebenso verfahren sein, wie das überall in der Welt geschieht; sie sagten sie aus dem Gedächtnis her und reihten dabei gern Verse und Stellen aneinander, die ihnen besonders geläufig waren, so etwa wie unsere Geistlichen Bibelstellen und Gesangbuchverse an einander reihen. Ob diese Verse inhaltlich immer ganz

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Der Totenglaube.

z u einander passen, darauf k o m m t dabei nicht viel an, sie reden j a d o c h i m g a n z e n alle von den gleichen D i n g e n u n d die H a u p t sache wird i m m e r sein, d a ß das Hergesagte schön und voll zusammenklingt. U n d auch das stört sie nicht, d a ß m a n c h e der aufgenommenen Sprüche g e w i ß ursprünglich nicht für T o t e bestimmt gewesen sind; so gilt ein Spruch augenscheinlich einem lebenden K ö n i g und seiner M a c h t 1 und ein anderer feiert vielleicht eine Stadt, die der K ö n i g erbaut h a t * ) A u c h unter die Zaubersprüche gegen Schlangen, die i m G r a b e j a vielleicht zu fürchten waren, haben sich Sprüche gegen L ö w e n verirrt, von denen der T o t e doch g e w i ß nichts zu fürchten hatte 2 . I m G a n z e n gelten die Sprüche der Pyramidentexte dem toten K ö n i g e , dessen halbgöttlicher Person sich die Götter im T o d e annehmen sollen, indessen sind a u c h manche darunter, die ursprünglich eine bescheidenere Bestimmung gehabt haben. W i r d doch in m a n c h e n vorausgesetzt, d a ß der T o t e in Erde und Staub oder im Sande begraben liegt 3 , er hat also nicht ein G r a b mit Ziegelmauern, wie es die alten K ö n i g e und andere V o r n e h m e hatten 4 . U n d in einem anderen Spruche wird d e m T o t e n nachgerühmt, d a ß er nie auf den K ö n i g geschmäht habe, er kann also wohl nicht selbst dieser gewesen sein 5 . Übrigens sind die Pyramidentexte z u m Teil auch tendenziös überarbeitet. M a n hat die alten Patrone der T o t e n , den Sonnengott und die Himmelsgöttin, durch deren neuen Beschützer, den Osiris, ersetzt. Was sich trotz aller dieser Schwierigkeiten aus den alten Totensprüchen als früheste Vorstellungen erkennen läßt, ist nicht viel und d e m k a m j a auch nicht anders sein, denn selbst die ältesten Sprüche, die wir kennen, stammen j a schon aus einer Zeit her, die eine gewisse K u l t u r besaß. D i e T o t e n hausen in ihrem G r a b e oder auch in einem Totenreiche; d a ß sie gestorben sind, erklärt m a n sich so, d a ß eine besondere K r a f t , die sie im L e b e n hatten, sie verlassen hat. Diese K r a f t nennt m a n den »Ka«. Einen solchen K a erhält j e d e r Mensch bei seiner Geburt, wenn R e es befiehlt 6 , und solange er ihn hat, solange er der Herr eines Ka ist und mit seinem Ka geht, so lange ist er auch a m Leben 7 . Sehen kann ihn niemand, aber m a n *) Pyr. Spruch 587, ob etwa die zur Pyramide gehörige Stadt damit gemeint ist? E r m a n , Religion der Ägypter.

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Vierzehntes Kapitel.

83. KönigAmenophis I i i . als Kind und hinter ihm sein Ka. (Aus d. Tempel

denkt sich, d a ß er so aussehen werde, wie der Mensch gerade selbst aussieht. Schon damals, als der neuerstandene Sonnengott die beiden ersten Götter durch Ausspeien erschaffen hatte (S. 90), legte er seine Arme hinter sie, und damit ging sein K a auf sie über und sie l e b t e n D i e s e s Hinhalten der Arme mußte überhaupt zur Verleihung eines K a gehören, denn zwei ausgestreckte Arme sind von alters her sein Zeichen. Stirbt dann der Mensch, so weicht sein K a freilich von ihm, aber zu hoffen steht doch, daß er sich auch weiter noch u m den Leib kümmern werde, den er so lange bewohnt hat, und d a ß er .

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wenigstens zeitweise bei ihm weilt oder ihm doch zu Hilfe kommt, wenn er nach ihm ruft 2 . Du durchlebst, wie das eine spätere Inschrift 3 ausspricht, die Ewigkeit im Glück, indem dein Ka bei dir ist, und nie verläßt er dich. So kommt auch, daß man das G r a b als das Haus des Ka bezeichnet und daß man nach der üblichen Opferformel (S. 176) die Speisen dem Ka des Toten darbringt. Diese vage Vorstellung v o m K a hat sich dann weiter ausgebildet. Bald gilt der K a als ein göttliches Wesen, wie das schon die Schreibung zeigt, bald ist er gleichsam der Genius des Menschen, auf den er Rücksicht nehmen muß, bald ist es der K a , der den Sohn erzeugt 4 , bald sind die lebenden Ka's ein gewählter Ausdruck für die Menschen 5 . Bald auch sind die K a ' s die Lebenskräfte, d. h. die Speisen 6 , oder es ist auch all der Segen, über den der Sonnengott gebietet S. 97. U n d zudem braucht man den K a auch pleonastisch in allerlei Phrasen. v. Luxor.)

Neben diesem K a , der immer ein unklares und unbestimmtes Wesen blieb, so oft man ihn auch im Munde führte, träumte man dann auch von einer Seele — Ba genannt — d i e man in allerlei Gestalten sehen konnte. I m Tode verließ sie den Leib und entflog ihm; daher war sie wohl wie ein Vogel gestaltet und vielleicht saß

(Berlin 4679.)

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Der Totenglaube.

der Verstorbene, u m den man klagte, jetzt dort unter den Vögeln auf den Bäumen, die er selbst einst gepflanzt hatte. A n dere dachten an die Lotusblume, die über Nacht aus dem Teiche aufgeblüht war und frugen sich, ob der Tote sich nicht in dieser zeige. Oder auch an die Schlange, die so geheimnisvoll als ein Sohn der Erde aus ihrem Loche hervorschoß, oder an das K r o kodil, das aus dem Strome an das Ufer kroch, als gehöre es eigentlich in das Reich des Landes. U n d wer weiß, ob die Seele nicht alle diese Gestalten annehmen konnte und noch so manche andere welche sie wollte, und ob sie nicht heute hier und morgen dort weilte, an jedem Orte, wo sie wollte*). Wer aber weiter bei sich bedachte, ob es nicht gar neben unserer Welt der Lebenden eine ähnliche Welt der Toten geben möge, der kam auch bald auf den Gedanken, wo ein solches Totenreich belegen sein müßte. Allabendlich sah er die Sonne im Westen versinken, um morgens im Osten wieder zu erscheinen; sie mußte also in der Nacht eine Unterwelt durchwandert haben, einen zweiten unterirdischen Himmel. D a lag es nahe, diese Welt, die den Lebenden unzugänglich war, für das Reich der Toten in Anspruch zu nehmen. Wie die Sonne stiegen auch sie im Westen hernieder und lebten fortan in einem dunklen Lande, das sich ihnen nur dann erhellte, wenn die Sonne auf ihrem nächtlichen Laufe bei ihnen vorüberkam. Diese Vorstellung ist früh volkstümlich geworden und hat dazu geführt, daß man das Totenreich geradezu als den Westen und die Verstorbenen als die Westlichen bezeichnet. Als den Herrscher dieses Westens dachte man sich einen der alten Totengötter, den Ersten der Westlichen (S. 42), oder den Sokaris von Memphis (S. 26). Keine von diesen Arten des Fortlebens konnte freilich als ein Glück gelten. Mochte man unter der Erde sein Dasein fristen oder auf der Erde in allerlei Gestalt erscheinen, immer blieb es eine traurige Existenz und war kein rechtes Leben. D a hat sich denn bei anspruchsvolleren Gemütern frühzeitig der Gedanke eingestellt, ob denn wirklich auch jeder dieses Los teilen müsse. G a b es auf Erden neben den vielen Geringen und Armen auch Mächtige und Reiche, so konnte wohl auch im Tode nicht alles *) A n d e m hohen Alter dieser volkstümlichen Vorstellungen wird man nicht wohl zweifeln können, wenn sie uns auch erst aus dem Totenbuche ( K a p . 7 7 — 8 8 ) bekannt sind. 14*

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Vierzehntes Kapitel.

gleich sein; es gab gewiß eine bessere Existenz und eine bessere Stätte für auserlesene Seelen, die nach dem Befehle der Götter leben sollen 1, vor allem für die Könige, die j a schon im Leben fast als Götter gelten. Und diese Stätte lag am Himmel; dort oben gab es noch ein zweites Totenreich, die Duat, ein Name, der dann freilich später auch auf das untere Totenreich übertragen wurde. Allnächtlich sah der Ägypter über sich die Sterne wandeln in jener ungetrübten Pracht, die der glückliche Himmel seines Landes zeigt. Er kannte einzelne unter ihnen, die besonders auffielen, den Hundsstern, den Orion, den Morgenstern und dachte wohl, daß dieses Götter sein möchten, die gleich dem Sonnengotte die Erde verlassen hätten. Wer aber war die unendliche Zahl namenloser Sterne, die jene wenigen umgab? Ohne Zweifel waren das Tote, glückliche Seelen, die ihren Weg zum Himmel gefunden hatten und nun dort im ewigen Glänze bei den Göttern weilten. Der große Gott, der Herr des Himmels (d. h. der Sonnengott) hatte ihnen die Hand gereicht oder die Himmelsgöttin 2 hatte sie zu sich genommen und sie unter die unvergänglichen Sterne ihres Leibes eingereiht. Nun zeigt sich uns der Verstorbene vielleicht als jener einzelne Stern, der an der Ostseite des Himmels aufsteigt3, der zusammen mit dem Orion und der Sothis (dem Hundsstern) über den Himmel wandelt 4 . Lebhaft ist dann die Phantasie des Volkes beschäftigt gewesen, diese Vorstellung von der himmlichen Existenz der bevorzugten Toten auszugestalten; v/ie bunt und widersprechend das Bild war, das so entstand, soll im folgenden an der Hand der Pyramidentexte geschildert werden. Als ein Vogel fliegt der Tote zum Himmel empor: er geht zum Himmel wie die Falken, und seine Federn sind wie die der Gänse 5, er stürmt zum Himmel wie der Kranich, er küßt den Himmel wie der Falke, er springt zum Himmel wie die Heuschrecke 6. So fliegt er von euch fort, ihr Menschen', er ist nicht mehr auf Erden, er ist am Himmel1, bei seinen Brüdern den Göttern, wo ihm die Himmelsgöttin ihre Hände reicht. Aufsteigt er zum Himmel zu dir, o Re, mit einem Falkenkopf und Gänseflügeln . . . . er bewegt die Arme als Gans und schlägt die Flügel als Vogel. Es fliegt wer da fliegt, ihr Menschen, und dieser fliegt von euch fort8. Am Himmel aber setzt ihn dessen Göttin, die Nut, hin als einen unvergänglichen Stern, der an ihr ist9; sie ist es, die sein Leben macht, sie ist es, die ihn gebiert. In der Nacht wird er erzeugt, in der Nacht wird

Der Totenglaube.

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er geboren; er gehört zu denen hinter dem Re, zu denen vor dem Morgenstern 1. Er fährt zu der Ostseite des Himmels, zu dem Ort, wo die Götter geboren werden und wo er mit ihnen geboren wird, erneut, verjüngt2. Wohl begegnet er allerlei Göttern und Sternen, die seinen Weg hindern könnten, aber keiner vermag ihn aufzuhalten: es gibt keinen Gott, der ihn festhielte, es gibt keinen Widersacher, der sich ihm auf seinem Wege widersetzte 3. »Wohin geht er denn?« fragt ein großer Stier, der ihn mit seinem Hörne bedroht. Aber die Antwort lautet: »Er geht zum Himmel voll Lebenskraft, daß er seinen Vater schaue, daß er den Re schaue«, und das schreckliche Wesen läßt ihn vorbeigehen 4 . Und der Sonnengott nimmt sich des neuen Himmelsbewohners freundlich an; ich gebe dir, sagt er zu ihm, deine Sprache und deinen Leib und du empfängst die Gestalt eines Gottes5; er läßt seinen Leib leuchten wie den der Himmlischen Er nimmt ihn als Ruderer in sein eigenes Schiff 7 oder gewährt ihm einen Platz am Vorderteile, und die Steuerleute, die den Re fahren, die fahren auch ihn8. Oder er macht ihn gar zum Befehlshaber seiner Ru9 derer ; j a er setzt seinen eigenen himmlischen Schreiber ab und setzt den Toten an seine Stelle 10, so daß er richtet und Schiedsrichter ist und Befehle gibt einem, der größer ist als er n . So fährt er als Genosse des Sonnengottes über den Himmel, und jeder Gott freut sich, wenn er sich naht12. Auch Thoth, der Mondgott, nimmt sich in gleicher Weise des Toten an, er nimmt ihn des Nachts in sein Schiff auf, und so durchkreist er den Himmel wie Re und durchkreist den Himmel wie Thoth 13. Die überschwengliche Auffassung von der Macht des verklärten Toten im Himmel, die sich schon in manchen der angeführten Stellen findet, tritt uns dann in anderen dieser Sprüche noch weit schärfer entgegen. Der tote Herrscher ist kein Mensch, seine Väter sind keine Menschen und seine Mütter sind keine Menschen 14, er heißt schlechtweg ein Gott; er ist Thoth, der stärkste der Götter15, oder er ist Ueneg (d. h. Schu), der Sohn des Re, der den Himmel trägt, die Erde leitet, die Götter richtet16. Wohl denen, die ihn sehen, wie er gekrönt ist mit dem Kopfschmuck des Re, mit seinem Schurze an wie Hathor1"'. Er geht zum Himmel und findet den Re dort stehen; . . . er setzt sich an seine Seite und Re läßt nicht zu, daß er sich zu Boden werfe, denn er weiß ja, daß er größer ist als erl8. Er weiß, daß dieser unvergängliche Verklärte sein Sohn ist und sendet göttliche Boten aus, um den Hümmelsbewohnern zu melden, daß ein neuer Herrscher für sie erschienen

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Vierzehntes Kapitel.

sei: Seth und Nephthys eilet! verkündet den südlichen Göttern und ihren Verklärten: »Er kommt, ein vernichtungsloser Verklärter! Wenn er will, daß ihr sterbt, so sterbt ihr-, wenn er will, daß ihr lebt, so lebt ihr«.. Ebenso müssen Osiris und Isis sich nach Norden, Thoth nach Westen und Horus sich nach Osten begeben. Dann heißt es: 0 Re Atum, dein Sohn kommt zu dir, er kommt zu dir; du läßt ihn bei dir wohnen, du schließt ihn in deine Arme, ihn deinen leiblichen Sohn ewiglich 1. Voll Schreck fahren die Götter aus dem Schlafe auf, vor dem großen Vogel, der aus dem Nil kommt, dem Schakalsgotte, der aus den Tamarisken kommt2, denn plötzlich wie der Vogel aus dem Wasser aufflattert und wie der Schakal aus dem Busch hervorhuscht, ist der Tote in ihrer Mitte erschienen. Am weitesten treibt diese Überschwenglichkeit der folgende Text 3 , dessen wilde Phantasie den Verstorbenen als einen Jäger schildert, der die Sterne des Himmels fängt und die Götter und Verklärten auffrißt: Der Himmel regnet, die Sterne kämpfen, die Bogen irren umher und die Knochen des Akeru zittern . . . . wenn sie ihn gesehen haben, wie er aufgeht und eine Seele hat als Gott, der von seinen Vätern lebt und von seinen Müttern ißt . . . Seine Herrlichkeit ist am Himmel, seine Kraft ist im Horizont, wie die des Atum seines Vaters, der ihn erzeugte; er erzeugte ihn als einen, der stärker ist als er selbst.... Er ist es, der Menschen ißt und von Göttern lebt. Der Scheitelf asser und der Emikehau sind es, die sie für ihn fangen; der Prachtkopf hütet sie für ihn und treibt sie ihm zu, der Heri-Terut fesselt sie ihm, der Läufer mit allen Messern sticht sie ihm ab und nimmt ihren Bauch aus . . . der Schesmu zerlegt sie ihm und kocht davon in seinen Abendkesseln. Er ist es, der ihren Räuber ißt und ihren Geist verschluckt. Die Großen von ihnen sind seine Morgenspeise, die Mittleren sind sein Abendbrot und die Kleinen von ihnen sind sein Nachtmahl. Die Greise und Greisinnen von ihnen kommen in seinen Ofen. Die Großen am nördlichen Himmel werfen Feuer unter die Kessel, die die Schenkel ihrer Ältesten enthalten. Und diese scheußliche Kost bringt ihm Nutzen, denn er verzehrt ihre satten Gedärme und genießt damit Sättigung; er ißt ihre Herzen und ihre Kronen und gewinnt damit deren Kräfte, so daß ihr Räuber in seinem Leibe ist; er verschluckt den Verstandjedes Gottes — Anschauungen die j a auch sonst bei Kannibalen sich finden. Natürlich bilden aber derartige Phantasien nur die Ausnahme und selbst der Glaube, daß der tote König im Sonnenschiffe den Re begleite, kann, so häufig er auch vorkommt, schwerlich als

Der Totenglaube.

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der eigentlich volkstümliche gelten. Nach diesem haben vielmehr die Verklärten einen festen Wohnort auf der Ostseite des Himmels auf seinem nördlichen Teile unter den Unvergänglichen 1 oder bei den Verklärten, den Unvergänglichen, die im Norden des Himmels sind 2 oder im Osten des Himmels 3 . Vielleicht dachte man an die im Nordosten gelegene Stelle der Zirkumpolarsterne, die j a wirklich als »Unvergängliche« gelten können, da sie nie gleich den anderen vom Himmel verschwinden 4 . Diesen Wohnort der Seligen malte sich das Volk dann weiter aus als eine Reihe von Inseln, die von allerhand Gewässern umschlossen werden; es liegt nahe, zu denken, daß der matte Streifen der Milchstraße, dessen Verästelungen dunkle Flecke umschließen, zu dieser Vorstellung angeregt hat. Die eine dieser Inseln heißt das Speisenfeld und zeigt schon durch diesen Namen, daß es auf ihr nicht an Nahrung fehlt; auf ihr lassen sich die Götter und die Unvergänglichen nieder. Noch bekannter ist das Feld Iaru, eigentlich wohl das Binsenfeld, das auch den späteren Ägyptern noch als das Land der Verklärten gilt. D a ß man sich diese Paradiese nach der Art des eigenen Landes dachte, versteht sich von selbst; sie werden überschwemmt und grünen, u m den Toten ihre Nahrung zu gewähren. Denn ohne Nahrung können auch die Götter und die Verklärten des Himmels nicht bestehen; im Osten des Himmels steht jene hohe Sykomore, auf der die Götter sitzen 5, der Lebensbaum, von dem sie leben 6 ; dessen Früchte ernähren auch die Seligen. U n d die Göttinnen, die am Himmel sind, gewähren dem Toten noch unschuldigere Kost. Kommt er zur Nut oder zu der Schlange, die die Sonne hütet, so begrüßt ihn jede als ihren Sohn; sie hat Mitleid mit ihm und reicht ihm ihre Brust, daß er sie sauge und so lebt er und ist wieder ein Kind1. Er kommt zu jenen seinen beiden Müttern, den Geiern mit langem Haar und strotzenden (?) Brüsten, die auf dem Berge Sehseh sitzen; sie reichen ihre Brust seinem Munde und niemals entwöhnen sie ihn 8 . Aber auch auf andere Speisen und auf ein Leben gewöhnlicherer Art darf hoffen, wer den irdischen Gewohnheiten nicht entsagen mag. Er empfängt seinen Anteil von dem, was in der Scheune des großen Gottes ist, er wird gekleidet von den Unvergänglichen und hat Brot und Bier, die ewig d a u e r n 9 : er ißt dies sein Brot ganz allein und braucht keinem, der hinter ihm steht, etwas davon abzugeben 10. Seine Nahrung ist unter den Göttern und sein Wasser ist Wein wie das des Re11. Wenn Re ißt, so gibt er ihm,

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wenn Re trinkt, so gibt er ihm. Er schläft gesund alle Tage . . . es geht ihm heute besser als gestern 1. So wohl ergeht es den Verklärten mit ihrem ausgestatteten Munde 2, sie brauchen nicht Hunger zu essen und

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kannst du es aushalten, daß sie dich mit Widderhörnern behaften? Zeus gibt zu, daß diese ägyptischen Dinge abscheulich seien, aber, setzt er vorsichtig hinzu: vieles davon sind Rätsel, und wer nicht darin eingeweiht ist, soll nicht darüber lachen Was Zeus dem Momus einwirft, ist offenbar das, was die gebildeten Anhänger der Isis den Spöttern zu entgegnen pflegten: ihr seht nur die äußere barocke Form unserers Glaubens und ahnt nicht, was sich hinter ihr verbirgt. Und, sagt Plutarch, wer diese Dinge wörtlich nimmt und sich u m ihren höheren Sinn nicht kümmert, da muß man ausspeien und den Mund reinigen. Denn wer ist Osiris? Osiris ist das Prinzip der Feuchtigkeit und die befruchtende Kraft der Zeugung. Er ist die Vernunft der Seele und das Geordnete und Gesetzmäßige in der Welt; j a er ist schlechtweg das Gute. Typhon aber (d. h. der Seth) ist das Trockne, Sengende, Dürre. Er ist das Unvernünftige, Unbesonnene der Seele und das Krankhafte, Störende in der Welt, er ist das Schlechte. Isis hat die fruchtbare Erde zum Körper; sie ist der weibliche, die Zeugung aufnehmende Teil der Natur, der Stoff für Gutes und Schlechtes, der aber doch seiner Natur nach zum Guten neigt 2. Und alles Gute und Geregelte ist ein Werk der Isis und ein Abbild des Osiris 3 . Nichts aber ist der Göttin so wohlgefällig wie das Trachten nach der Wahrheit und der rechten Erkenntnis des Göttlichen; sie fördert die heilige Lehre, während Typhon dagegen kämpft. Wer geregelt, mäßig und keusch im ernsten Dienste ihres Tempels lebt, der kann zur Erkenntnis des ersten, höchsten erkennbaren Wesens gelangen; dazu ladet sie uns durch ihr Heiligtum ein 4 . Nicht das Leinenkleid und das geschorene Haupt machen den Isisgläubigen — obschon auch das tiefsinnige Gebräuche sind —, sondern der wahre Isisgläubige ist der, der über die heiligen Dinge grübelt und der

426

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

der darin verborgenen Wahrheit nachsinnt 1 . Denn gleichgültig ist nichts in diesen Dingen. Wenn das Sistrum, mit dem man vor der Göttin klappert, oben rund ist und vier Querstäbe hat, so ist das dem Weisen eine Hindeutung auf den »Mondkreis«, der alles umfaßt, und auf die vier Elemente, die innerhalb seiner sich regen. U n d wenn man das Sistrum gern oben mit einer Katze verziert, so glauben wir Profanen zwar, dies geschehe wegen der katzengestaltigen fröhlichen Bastet, Plutarch aber weiß den wahren Grund: die Katze deutet wieder auf den Mond, entweder, weil dieses Tier veränderlich, nächtlich und fruchtbar ist, oder weil sich seine Augen beim Vollmond erweitern. U n d die beiden Frauenköpfe am Stiel sind ihm Isis und Nephthys und deuten hier auf Geburt und Tod. Schüttelt man aber das Sistrum, so zeigt man damit an, daß alles Seiende in ständiger Bewegung sein muß 2 . Wäre der Isisglaube nichts weiter gewesen als solch ein verworrenes Grübeln, so würde er es gewiß nie zur Macht gebracht haben. Aber so legte ihn gewiß nur eine kleine Minderzahl zurecht, der es ein Bedürfnis war, zwischen ihrem religiösen Empfinden und ihren philosophischen Anschauungen zu vermitteln, und auch dabei wird jeder nach seinem eigenen Kopfe verfahren sein. Die Mehrzahl der Gläubigen hatte andere Gründe, den ägyptischen Göttern zu dienen. Sie erhoffte von ihnen ein zweites seliges Leben, und sie fand in ihrer Verehrung eine Beruhigung ihres Gewissens; denn Reinigungen und Opfer im Isistempel gaben dem Menschen auch die seelische Reinheit wieder. U n d wenn man überhaupt über das Wesen der Göttin nachdachte, so ließ man sich auch an sehr einfachen Vorstellungen genügen. Wir kennen diese aus verschiedenen Quellen. Da sind zunächst zwei Inschriften von den griechischen Inseln; beide haben den gleichen Inhalt, nur daß die eine in homerische Verse umsetzt, was die andere so in Prosa sagt: Ich bin Isis, die Herrscherin des ganzen Landes; ich bin von Hermes unterrichtet worden und habe zusammen mit Hermes die Volksschrift erfunden, damit nicht alles mit denselben Buchstaben geschrieben würde. Ich gab den Menschen die Gesetze und verfügte, was niemand abändern kann. Ich bin die älteste Tochter des Kronos. Ich bin die Frau und Schwester des Königs Osiris. Ich bin es, die im Hundssterne aufgeht. Ich bin es, die von den Weibern Göttin genannt wird. Mir ward die Stadt Bubastis erbaut. Ich bin es, die den Himmel

Die ägyptische Religion in Europa.

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von der Erde getrennt hat. Ich habe den Sternen den Weg gewiesen. Ich habe die Seefahrt erfunden . . . . Ich habe Weib und Mann zusammen geführt. . . . Ich habe verfügt, daß die Eltern von den Kindern geliebt werden. Ich machte mit meinem Bruder Osiris dem Menschenfressen ein Ende. Ich habe den Menschen die Mysterien gezeigt. Ich habe die Götterbilder zu ehren gelehrt. Ich habe die Tempelbezirke der Götter festgestellt. Ich habe die Regierungen der Tyrannen zerstört. Ich habe die Männer gezwungen, die Weiber zu lieben. Ich habe die Gerechtigkeit stärker gemacht als Gold und Silber. Ich habe verfügt, daß man das Wahre für schön hält . . . 1. Ganz ähnlich sollte eine Inschrift lauten, die angeblich in Nysa in Arabien auf einem Grabe der Isis stand, und auf einem Grabe des Osiris sollte ebenda zu lesen sein: Mein Vater ist Kronos, der jüngste aller Götter, und ich bin der König Osiris, der über die ganze Erde hin Krieg geführt hat, bis hin zu den unbewohnten Stätten der Inder und zu den Gegenden des Nordens, bis zu den Quellen der Donau und wieder bis zu dem Ozean. Ich bin der älteste Sohn des Kronos, und als ein Keim aus einem schönen, edlen Ei . . .*) ward ich geboren. Es gibt keinen Ort in der Welt, wohin ich nicht gekommen wäre, und allen gab ich, was ich gefunden hatte 2. Alles, was man von diesen Göttern dachte, faßt dann ein kleines Lied zusammen, das uns eine Inschrift zu Cius in Bithynien erhalten h a t 3 . Dich aller Himmlichen König, ich grüße dich, ewger Anubis, deinen Erzeuger Osiris, den heiligen, goldenbekränzten. Zeus ist er der, Kronide, er ist der gewaltige Amon, der Unsterblichen König, und hochgeehrt als Serapis. Dich auch selige Göttin und Mutter, vielnamige Isis, die der Himmel gebar auf den flimmernden Wellen des Meeres, und die das Dunkel erzog als das Licht für alle die Menschen; die als Älteste du das Szepter führst im Olympus, und als göttliche Herrin die Erde regierst und die Meere, die du alles erblickst — viel Gutes gabst du den Menschen. Man sieht, wie die ägyptische Religion sich hier vereinfacht hat; von allen Göttern sind außer der Isis eigentlich nur zwei übrig geblieben, Osiris Serapis, der zugleich der Amon ist, und *) Ein bekannter ägypt. Ausdruck, der allein schon zeigt, daß eine alte Quelle zugrunde liegt.

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Horus, der zugleich Anubis ist. Isis ist die Ordnerin der Natur, und sie ist es gewesen, die den Menschen zum Menschen gesellt hat. Neben ihr tritt auch Osiris zurück; trotz der Eroberungen, die ihm seine europäischen Freunde zuschreiben, ist er eigentlich nur der verstorbene Gatte, um den Isis trauert. Bei allen aber hat der menschliche Zug, den diese Götter schon in alter Zeit gehabt haben, sich noch gesteigert, und man begreift es wohl, daß die Nichtgläubigen sich über den Menschen Osiris aufhielten Zu der Ehrfurcht, die man der Isis für ihre Wohltaten an der Menschheit zollte, trat dann noch der Dank, den der einzelne ihr schuldete. Vor allem half sie als Hafengöttin von Alexandrien den Seefahrern, und wer glücklich den Stürmen entkommen war, der ließ ein Weihebild für ihren Tempel malen, und so nährt Isis die Maler 2 . Wenn der Geliebte verreisen will, so verehrt das Mädchen doppelt eifrig die Isis, sie schüttelt ihr das Sistrum und reinigt sich für sie und schläft allein; wenn er glücklich heimkehrt, so will sie auch im Leinengewand mit aufgelöstem Haar unter der Menge vor dem Tempel sitzen und zweimal täglich das Lob der Göttin singen 3 . Aber Isis straft auch die Sünder; wer Geld unterschlagen hat, der fürchtet, daß sie ihn mit dem zornigen Sistrum aufs Auge schlagen werde, daß er erblinde 4 . Und die Dame, die an den heiligen Tagen, die man beobachten muß, die Keuschheit nicht gewahrt hat, fühlt sich beängstigt; denn im Tempel sah es ihr aus, als habe die silberne Schlange den Kopf bewegt-, doch der Priester tröstet sie, denn es steht zu hoffen, daß Osiris ihr verzeihen werde, wenn sie ihm eine Gans schenken wolle und einen Kuchen 5 . Aber nicht immer konnte man die ägyptischen Götter so billig erfreuen, und die Weihinschriften melden von reelleren Gaben aus Edelmetall, von Schlangen mit Edelsteinen, silbernen Sistren und Schalen; eine spanische Dame weiht der Isis neben einer Schlange mit vielen Edelsteinen und neben anderem Schmuck mehr als siebzig Pfund Silbergerät 6 . Noch wohlgefälliger war es natürlich der Göttin, wenn ein frommer Mann ihren Tempel neu errichtete. So hat in Malcesine am Gardasee ein G. Menatius ihren Tempel hergestellt und aus eigenen Mitteln einen Vorbau davor errichtet7. Zu Benevent aber hat ein Lucilius einen herrlichen Palast gebaut für die große Isis, die Herrin von Benevent und ihre Mitgötter, und hat ihr davor zwei Obelisken aus rotem Granit errichtet, die noch erhalten sind, und die uns dieses

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Ereignis in einer hieroglyphischen Inschrift berichten. Dafür geben ihm die Götter ein langes Leben in Freude, und da er zugleich seine Weihung getan hatte, um damit die glückliche Heimkehr Domitians zu feiern, der aus dem Lande und aus den unterworfenen Fremdländern zurückkehrte zu seiner Residenz, der Erderoberin Rom, so wird ihm auch der Kaiser seine Stiftung wohl vergolten haben Um so mehr, als Domitian, wie wir gesehen haben, j a selbst ein Freund

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Feier im Tempel.

(Wandbild aus dem Isistempel von Pompeji.)

der Isis und des Serapis war, denen er in R o m ihre Tempel neu erbaute. In Pompeji 2 , wo der Isistempel im Jahre 63 n. Chr. vom Erdbeben zerstört war, hatte die Familie der Popidier ihn wieder aufgebaut, und zwar im Namen eines sechsjährigen Knaben, des N . Popidius Celsinus; und auch diesmal trat noch ein weltlicher Vorteil zu dem religiösen Verdienste hinzu; denn der Gemeinderat mußte den kleinen Stifter zum Danke in seine Mitte aufnehmen. Wie dieser Tempel Pompejis zeigt, hatte ein solches Heiligtum der Isis kaum noch etwas mit denen Ägyptens gemein; seine Vorbilder mochten die Tempel Alexandriens sein. In einem Hofe,

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der von einem Säulengange umgeben war, erhob sich der eigentliche Tempel, zu dem eine Treppe hinaufführte; er bestand aus einem Vorbau, den sechs Säulen trugen, und aus einer Kammer, die das Allerheiligste war. Ein kleineres Gebäude stand in einer Ecke des Hofes, und neben ihm befand sich ein großer Altar. Auf zwei Seiten war der Hof dann noch von Räumen umgeben, die als Wohnungen der Priester, als Magazine und ähnliches dienten. Auch in der Ausschmückung dieses Heiligtumes und seiner Nebenräume war Ägyptisches und Griechisches, Heiliges und Profanes untereinander gemischt. Neben Isis, Osiris, Harpo-

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Isistempel von Pompeji.

krates, Anubis, den heiligen Tieren und den Priestern erblickt man auch Dionysos und Narciss, und Chiron mit Achilles und die schöne Geschichte von Ares und Aphrodite. Zwei Bilder, die die Geschichte der Io darstellen, nehmen eine Mittelstellung ein, denn in dieser armen Geliebten des Zeus, die kuhgestaltig nach Ägypten floh, hatte man längs die kuhgestaltige Göttin der Ägypter erkannt*) und ließ sie in komischer Verwechselung sogar den Apis gebären. Die Landschaftsbilder zeigen ägyptische Gegenden mit Kapellen und Sphinxen oder auch Seebilder mit Schiffen, als deren Patronin ja die Isis galt. Unter den Marmorstatuen des Tempels finden wir neben Isis auch Dionysos, Aphrodite *) So L u c i a n , Dial. Deorum 3, 207, wo J o als Göttin der Ä g y p t e r N i l steigen läßt, den Winden gebietet und die Schiffer rettet.

den

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und Priap. Bei fünf anderen Statuen waren nur Gesicht, Hände und Füße aus Stein, während der Körper aus Holz bestand; das waren offenbar die Bilder, die mit Leinen bekleidet bei der Feier umhergetragen wurden. Das größte von ihnen trug goldene Ohrringe und hielt ein Sistrum in der Hand. Während das, was man selbst an den Tempeln baute und malte, halb oder ganz griechisch aussah, legte man doch auf der anderen Seite Gewicht darauf, auch die wirkliche ägyptische Kunst darin vertreten zu sehen. Daher hat man in Pompeji, in Benevent, in R o m und gewiß überall, wo man Isistempel baute, sich irgendwelche alten Opfersteine, Sphinxe, Statuen und andere Skulpturen aus dem unerschöpflichen Bestände der ägyptischen Tempel und Gräber verschafft und sie zur Freude der Isis aufgestellt. D a ß die alten Inschriften auf diesen Skulpturen von einer ganz anderen Bestimmung sprachen, verschlug dabei nichts; denn von der Gemeinde vermochte j a doch niemand diese Hieroglyphen zu lesen. Denkmäler aller Zeiten des alten Ägyptens sind damals über das Meer gewandert; die ägyptischen Priester machten von dem Eigentume ihre Götter zu Geld, wäs ihnen entbehrlich schien, und werden dabei ebensowenig Skrupel empfunden haben wie die italienischen Priester des achtzehnten Jahrhunderts, die die Altäre ihrer Kirchen ins Ausland verkauften. Noch sieht man übrigens, welche Art von Skulpturen bei diesem Handel am höchsten geschätzt war: sie mußten möglichst aus schwarzem oder dunklem Steine sein; denn diese Farbe, die der der eigenen Statuen widersprach, schien am besten zu dem geheimnisvollen Wesen zu stimmen, das man der ägyptischen Religion zuschrieb. Der gewöhnliche tägliche Kultus hat auch in den europäischen Tempeln der Isis im ganzen die alten Formen behalten, die er in Ägypten hatte. Frühmorgens tritt der Tempelsänger auf die Schwelle des Heiligtums und erweckt den Gott in der alten Sprache der Ä g y p t e r 1 — gewiß noch in demselben Morgenlied (S. 178): »du erwachest in Frieden und dein Erwachen ist friedlich, das man schon vor Jahrtausenden zu dem gleichen Zwecke gesungen hatte. D a n n erfolgten die üblichen Handlungen des alten Rituals, Wassersprengen und Räuchern und Kleiden und Schmücken und Speisen des Gottes. A u c h die Priesterschaft war die gleiche, wie sie in Ägypten

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war, und es gab Hohepriester, Propheten, Stolisten, einen Schreiber und ein allerheiliges Kollegium 1 der Pastophoren — gerade so wie am Nil. Auch die Frauen nahmen so wie in alter Zeit am Kultus teil und schüttelten das Sistrum vor der Göttin. Auch das Wassersprengen gehörte wohl zu ihren Obliegenheiten; denn sie lassen sich auf ihren Grabsteinen mit Wasserkrug und Sistrum darstellen. Von den großen Festen des Isisglaubens erfreuten sich zwei eines besonderen Rufes. Das eine war die dreitägige Feier des November, bei der man den Tod des Osiris, das Suchen nach der Leiche und ihre Auffindung darstellte. _ Welchen Eindruck gerade diese Feier auf Fernerstehende machte, zeigen die Anspielungen in der Literatur. Auf sie geht es, wenn Ovid von dem nie genug gesuchten Osiris spricht2, wenn Juvenal das Geschrei des Volkes erwähnt, wenn Osiris gefunden ist3, und wenn Lucan die halbgöttlichen Hunde und die trauergebietenden Sistren 4 uns vorführt. Von ihr stammt auch die wunderliche Vorstellung, daß die Götter der Ägypter an Klageliedern ihre Freude haben und nicht an heitern Tänzen wie die der Griechen 5 . Offenbar spielte sich diese Feier vor allem Volke ab; ihre geheimsten Zeremonien mögen freilich dem engsten Kreise der »Isiaci« vorbe183. Die Isispriesterin Amahalten gewesen sein, jener wirklich Gläuryllis; von ihrem Grabstein in Athen. bigen, die eine fromme Brüderschaft bildeten und ihre »Schule« neben dem Tempel hatten. Über das große Fest des März, bei dem Isis die Schiffahrt des Jahres eröffnete, haben wir einen anschaulichen Bericht aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr.; er schildert das Fest, wie es sich in Kenchreae, dem östlichen Hafenort von Korinth, abspielte 6 . Den Festzug eröffnet eine Gruppe von allerlei Verkleidungen, Soldat und Jäger, Fechter und Philosoph, ein Esel als Pegasus und eine Bärin als Dame und ein Affe als Ganymed. Hat das Volk an diesen burlesken Scherzen seine Freude gehabt, so erblickt es einen Zug von Frauen, die weiße Gewänder tragen und mit Frühlingsblumen bekränzt sind; sie streuen Blumen auf den Weg und beträufeln ihn mit Wohlgerüchen, oder sie tragen auch Kämme und

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Spiegel und gebärden sich, als schmückten sie die Locken der Göttin. Es folgen Männer und Frauen mit Lampen und Fackeln, es folgen die Musiker mit Syrinx und Flöte und ein Chor junger Sänger in weißen Kleidern, die ein Lied singen, das für die Feier gedichtet ist. An diese moderne Musik schließt sich dann die altheilige: zuerst die Flötenspieler des Serapis, die auf einer besonderen Flöte eine Weise spielen, die nur im Tempel üblich ist, dann die Eingeweihten, die das Sistrum spielen, Männer und Frauen jeden Alters, die Männer geschoren, die Frauen mit einem weißen Tuche um das Haar. Auf die sechs Vorsteher, die eine Lampe, einen Altar und andere heilige Dinge tragen, folgen dann die Götter selbst. Wie es sich gebührt, schreitet der hundsköpfige Anubis voran, schwarz mit goldenem Haupte, Caduceus und Palme sind seine Abzeichen. Ein Diener, der seligen Schrittes dahergeht, trägt ein stehendes Rind, das Bild der allgebärenden fruchtbaren Göttin; der Kasten, den ein zweiter trägt, umschließt die Geheimnisse der herrlichen Religion, und ein dritter hält am glücklichen Busen das ehrwürdige Bild der höchsten Gottheit; es ist das Abbild eines großen Heiligtumes, ein kleiner goldener Krug, der mit wunderlichen 184. Krugähnliches ägyptischen Bildern geschmückt ist. Hinter Bronze. (Beriin^ooS.) ihnen, am Schlüsse des ganzen Zuges, schreitet der Priester, das Sistrum und einen Kranz von Rosen in der Hand. So ziehen sie ans Meer, wo ein zierliches Schiff das mit ägyptischen Bildern bemalt ist, bereit steht. Der höchste Priester spricht mit keuschem Munde ein frommes Gebet, reinigt das Schiff und weiht es der Göttin. Man richtet seinen Mast auf und sein Segel und alles Volk schüttet Wohlgerüche hinein. Dann kappt man die Taue, die es noch halten, und wenn es forttreibt, so folgt man ihm mit den Blicken, bis es entschwunden ist. Der Zug kehrt dann zum Tempel zurück und Priester und Geweihte treten in das Gemach der Göttin ein, während die Menge draußen harrt. Nach einer Weile aber tritt der Tempelschreiber hervor und verkündet Heil dem Kaiser, dem Senate, dem römischen Volke und Schiffern und Schiffen. Auf diese Kunde jauchzt die E r m a n , Religion der Ägypter.

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Menge, sie schmücken sich mit Blumen, sie küssen einem Bilde der Göttin die Füße und dann zerstreuen sie sich. Wenn diese Schilderung etwas überschwenglich klingt, so hat dies seinen guten Grund; Lucius, der Mann, der sie im R o m a n e erzählt, ist einer der Glücklichen, die der Göttin besonders nahe stehen; er hat Aufnahme gefunden in den innersten Kreis ihrer Gläubigen. Längst schon hat Isis, der er für die Errettung aus langer Not D a n k schuldet, ihn im T r a u m e ermahnt, einer der ihren zu werden, aber Mithras, der greise Hohepriester zu K e n chreae, wagt nicht ihn aufzunehmen; denn noch hat er selbst keinen Befehl dazu von der Göttin erhalten. Als der endlich erfolgt, führt er den glücklichen Neuling morgens in den Tempel. Dort nimmt er aus dem Allerheiligsten einige Bücher, die mit Tieren und wunderlichen Schnörkeln (also mit Hieroglyphen) geschrieben sind; daraus liest er ihm vor, was alles für die Weihe nötig ist. Als Lucius das Nötige gekauft hat, wird er in Begleitung der Frommen zum Bade geführt und durch Besprengen gereinigt. Nachmittags dann im Tempel, zu Füßen der Gottheit, wird ihm Geheimes gesagt, und es wird ihm aufgegeben, sich zehn T a g e hindurch fleischlicher Nahrung und des Weines zu enthalten. Als diese Zeit abgelaufen ist, sammeln sich gegen A b e n d die Gläubigen; er legt ein schlichtes Linnenkleid an, und der Priester führt ihn in das Allerheiligste. Was dort geschehen ist, darf er uns nur andeuten: in das Totenreich ist er gekommen, und durch alle Elemente hin ist er zurückgekehrt; mitten in der Nacht hat er die Sonne leuchten gesehen, und die oberen und unteren Götter hat er geschaut und angebetet. M a n hat ihm also das unterirdische Reich des Osiris gezeigt, und er durfte sehen, wie die Sonne mit ihren Begleitern Nachts durch dieses hindurchfahrt, also etwa Dinge, wie sie das Amduatbuch und ähnliche Bücher (S. ¡232) darstellen. Als er dann morgens hervortritt, läßt man ihn auf ein Gestell treten, das inmitten des Tempels vor dem Bilde der Isis aufgestellt ist; man kleidet ihn in bunte Kleider, die mit Tierbildern verziert sind, eine Fackel hält er in der H a n d ; und sein Haupt ziert ein K r a n z von Palmblättern, die ihn wie Strahlen umgeben. D a n n werden die Vorhänge zurückgezogen, und das V o l k schaut ihn, wie er dasteht, der Sonne gleich geschmückt. Später erhält Lucius in R o m noch eine zweite Weihe, die

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wieder durch Träume angeordnet ist; nach zehntägigem Fasten führt ihn der Priester Asinius Marcellus im Isistempel des Campus Martius ein in die Heiligkeiten des großen Gottes und höchsten Vaters der Götter, des unbesiegten Osiris. Und noch ein drittes Mal mahnen ihn die Götter; denn gnädig denken sie ihm auch die dritte Weihe zu geben, während andere doch kaum die erste erhalten. Freiwillig dehnt er diesesmal das vorbereitende Fasten weit länger aus, als erforderlich ist, und auch keine Ausgabe ist ihm zu hoch. D a zeigt sich ihm Osiris in seiner wahren Gestalt, und er nimmt ihn auf in das Kollegium seiner Pastophoren, der »Götterbildträger«, und gleich in deren Vorstand. Es ist ein altes Kollegium, das schon zu Sullas Zeit gestiftet ist, und Lucius ist glücklich, ihm anzugehören. Wohin er auch geht, trägt er stolz seinen kahlen Kopf zur Schau, der jedem anzeigt, daß er ein Priester der ägyptischen Götter ist x . Aus der merkwürdigen Erzählung, die wir hier mitgeteilt haben, lernen wir nun auch, wie man sich am Ausgange des zweiten Jahrhunderts n. Chr. das Wesen der ägyptischen Götter zurechtgelegt hatte; man kann sagen, daß das eigentlich ägyptische dabei ganz zurückgetreten war. Isis ist die Mutter der Dinge, die Herrin aller Elemente, der Uranfang der Reiten. Sie ist die ¡wehste Gottheit, die Königin der Toten und die Oberste der Himmlischen. Sie ist die einheitliche Erscheinung der Götter und Göttinnen. Sie ist die Gottheit, die in vielfacher Gestalt doch ein und dieselbe ist, und der ganze Erdkreis verehrt sie, wenn auch mit verschiedenen Gebräuchen und unter vielgestaltigem Namen. I n Phrygien ist sie die Göttermutter von Pessinus, in Athen die Athene, in Cypern die Aphrodite von Paphos, in Kreta die Artemis, in Sizilien die stygische Persephone, in Eleusis die altehrwürdige Demeter; andere nennen sie Hera und Bellona, andere Hekate und die Rhamnusische Göttin, doch die Äthiopen, die am nächsten der Sonne wohnen, u n d die Ägypter, die der alten Weisheit kundig sind, die kennen die rechte Art ihrer Verehrung und ihren wahren Namen: Königin Isis2. Man sieht, die Isis hat hier alle Göttinnen, die man in Europa verehrte, in sich aufgenommen, so wie sie es einst in Ägypten mit den dortigen Göttinnen getan hatte, und sie wird schlechtweg als die Natur gedacht. Ähnlich lautet ein umfangreicher Hymnus des zweiten J a h r hunderts, der in Ägypten gefunden ist 3 . Auch er stammt aus 28*

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den Kreisen des Griechentumes. Doch muß sein Verfasser auch in Ägypten gut Bescheid gewußt haben; denn er führt mehr als achtzig, zum Teil gänzlich obskure Orte dieses Landes an, in denen allen Isis verehrt wurde. In jeder Stadt aber hat sie besondere Eigenschaften, sie ist groß, gut, heilig, schöngestaltig, sie ist die Einzige, die Königin, die Siegreiche, die Herrin aller Länder, die Herrscherin der Städte. Sie ist die Erfinderin, geschickt im Schreiben, geschickt im Rechnen, die Leiterin der Musen. Und sie ist die Herrin des Meeres, die Pilotin, sie bringt in den Hafen, und sie befehligt die Flotten. Natürlich ist sie dabei zumeist an die Stelle anderer alter Göttinnen getreten, die Isis von Sais ist eigentlich die Neith, die von Bubastis die Bastet, die von Buto die Uto usw. Aber alle diese Göttinnen Ägyptens, mag man sie jetzt auch Aphrodite, Athene, Hera oder Hestia nennen, sind doch alle nur die eine vielgestaltige Isis, und ebenso steht es mit den Göttinen der ganzen übrigen Welt. Von Rom und Italien an*) bis zu den Indern und Persern, vom Schwarzen Meere bis zu dem Roten, überall waltet die vielnamige Göttin; sechzig Städte, Länder und Völker verehren sie, als die beste, schönste, unbefleckte, heilige, mystische, die Liebe der Götter, in R o m und »bei den Amazonen« als kriegerisch, zu Bambyke in Syrien als die Atergatis, in Kreta als die Diktynnis, in Sidon als die Astarte. So hat sie ihre Heiligtümer in allen Städten aufgerichtet für alle Reiten und hat allen das Gesetz überliefert. Sie will, daß die Frauen mit den Männern verbunden werden, und hat jenen die gleiche Macht gegeben wie diesen, sie, die wohlgestaltete Göttin im Olymp, der Schmuck der Frauen, die zärtlich liebende. Ihr dankt die Welt den Wein; den hat sie zuerst an den Festen der Götter dargebracht. Sie ist es, die die Sonne vom Aufgange bis zum Untergange führt, zur Freude aller Götter und aller lebenden Wesen. Sie bringt die Überschwemmung der Flüsse, des Mies in Ägypten, des Eleutheros in Phönicien und des Ganges in Indien. Dank ihr lebt alles, durch den Regen, die Quellen, den Tau und den Schnee; sie hat Macht über Winde, Donner, Blitze und Schneestürme. So geht es weiter, und nichts in dem allen würde an die ägyptische Isis erinnern, wenn nicht dazwischen einmal des Osiris gedacht wäre, den sie begraben hat, und ihres Sohnes *) Man beachte, daß die westlichen Teile des Reiches außer Rom und Italien nicht erwähnt werden; die Welt des Hymnus ist die griechische und orientalische.

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Horus Apollo; den hat sie als jungen Herrscher über die ganze Welt gesetzt, ihren Gatten aber, den sie unsterblich gemacht hat, hat sie Stätten der Verehrung im ganzen Lande geschaffen. M a n sieht, der Osiris tritt hier ganz hinter seiner Gattin zurück, und ebenso steht es im Grunde in diesem ganzen Isisglauben. Z w a r er heißt der Gott, der über die großen Götter Macht hat, der Höchste der Größeren, der Größte der Höchsten und der Beherrscher der Größten M a n nennt ihn den höchsten Vater der Götter und gibt ihm das Beiwort des Unbesiegten 2, das diese Zeit sonst dem Sonnengotte gibt, den sie von den Persern entlehnt hat. U n d verschiedentlich 3 lesen wir wie eine Glaubensformel einer ist Zeus Serapis, als sei er die einzige Gottheit. A b e r was bedeuten solche Ausdrücke, wenn sich die frommsten Bekenner des ägyptischen Glaubens immer nur die »Isiaci« nennen und nie nach dem Osiris oder Serapis? Ja, selbst das Totenreich ist nicht mehr sein alleiniges Gebiet, sondern gehört auch der Isis. Wer sich durch eifrigen Gehorsam und frommen Dienst und strenge Enthaltsamkeit um Isis verdient macht, dem verlängert sie erst das Leben über das ihm v o m Schicksal Bestimmte hinaus, und wenn er dann beim T o d e in die Unterwelt hinabgeht, da ist sie es, die er dort schaut und verehrt. In dem unterirdischen Halbrunde leuchtet sie zwischen den Finsternissen des Acheron und herrscht über die innersten stygischen Räume4. Das ist das Glück des Frommen i m T o d e : er lebt bei der Göttin auf den elysischen Feldern und schaut sie. Es ist dasselbe, was ihn im Leben beglückt, er darf im Tempel weilen und das Bild der Göttin betrachten. Das erfüllt ihn mit unaussprechlicher Wonne, hingestreckt vor ihr küßt er ihre Füße, er bricht in Tränen aus, er kann vor Schluchzen k a u m sprechen, wenn er ihr so für ihre Güte dankt: Du Heilige, du ewige Schützerin der Menschen, die du freigebig für sie sorgst und ihnen mütterliche Zärtlichkeit gewährst, wenn sie im Unglück sind. Kein Tag vergeht, ja kein Augenblick, wo du nicht Wohltaten spendetest, wo du nicht die Menschen schütztest zu Wasser und zu Lande, wo du nicht denen, die durch die Stürme des Lebens verschlagen sind, deine rettende Hand reichtest. . . Du besänftigst die Stürme des Schicksals und hältst die schädlichen Bewegungen der Gestirne in Schranken. Dich verehren die Himmlischen, dir dienen die Bewohner der Unterwelt. Du drehst den Erdkreis, erleuchtest die Sonne, regierst das Weltall und trittst auf den Tartarus. Dir antworten die Gestirne, zu dir kehren die Reiten zurück, dich haben die Götter gern, und dir dienen die Elemente.

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Durch deinen Hauch wehen die Winde, befruchten die Wolken, sprossen die Samen und wachsen die Keime. Vor deiner Majestät fürchten sich die Vögel, die am Himmel sind, die wilden Tiere, die durch die Berge schweifen, die Schlangen, die sich im Boden verstecken, und die Ungeheuer, die im Meere schwimmen. Ich aber bin zu schwachen Geistes, als daß ich dein Lob erzählen könnte, und bin zu arm, um dir Opfer zu bringen. Mir gebricht die reiche Fülle der Rede, um das auszusprechen, was ich von deiner Majestät fühle, einen tausendfachen Mund und tausend jungen müßte ich dazu haben x. Er hat nur das Gefühl des inbrünstigen Dankes, den er der Göttin darbringen kann. Nur die wenigsten mögen die Isis mit so schwärmerischer Frömmigkeit verehrt haben wie dieser Eingeweihte, aber wenn die anderen ihr nur äußerlich dienten, so war dafür ihre Zahl eine um so größere. In dem weiten römischen Reiche wird es keine Provinz gegeben haben, wo man den ägyptischen Göttern nicht gedient hat, und Tertullian konnte sagen, die ganze Erde schwört jetzt beim Serapis 2 . In Nordafrika, in Spanien, in den Donauländern, in Frankreich und selbst in England begegnen wir Inschriften, die der Isis und dem Serapis huldigen. Auch i n den Alpenländern und in Deutschland hatte sie ihre Stätte*). Der Nonsberg südlich von Bozen, war, wie eine christliche Quelle scheltend berichtet 3 , wie ein zweites Alexandrien voll von doppelgestaltigen Anubis und von vielgestaltigen, halbmenschlichen Bildern . . . voll von der Raserei der Isis und dem Verschwinden des Serapis, und zu Pulst, im kärntnerischen Glantal, lag ein Heiligtum der norischen Isis 4 . In Marienhausen i m Rheingau stand ein Altar des Serapis, den ein römischer Offizier errichtet hatte 5 , und kleine Bronzefiguren der ägyptischen Götter sind wiederholt auf rheinischem Boden gefunden worden. Den merkwürdigsten Beleg aber hat uns doch die St. Ursulakirche in K ö l n bewahrt, eine kleine Statue der unbesiegten Isis, die im Mittelalter zu einem ihrer Säulenkapitäle verarbeitet war 6 . U n d wenn sich unweit dieser Kirche das G r a b eines Ägypters, des Horus, des Sohnes des Pabek, gefunden hat, so frägt man sich unwillkürlich, ob dieser M a n n mit ägyptischem Namen, der v o m Nile zum R h e i n verschlagen *) A b e r wenn Tacitus G e r m . 9 einem T e i l der Sueben die Verehrung d e r Isis zuschreibt, so wollen wir dies noch nicht glauben; er folgert es wohl n u r daraus, daß sie als Heiligtum ein Schiff haben.

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ist, nicht etwa ein Priester der ägyptischen Göttin gewesen ist. So hat der Isisglaube überall in Europa geherrscht, und bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts ist seine Macht noch immer im Wachsen gewesen. Dann hat ein anderer Glaube, der an den persischen Gott Mithras, ihn etwas zurückgedrängt, aber bestanden hat er weiter, so lange man überhaupt noch zu heidnischen Göttern gebetet hat. Noch in der Mitte des vierten Jahrhunderts treffen wir in Athen auf das Grab eines Isispriesters, der mit seinem silbernen Tempelgerät darin beigesetzt i s t 1 , und in der gleichen Zeit begegnen wir am 185. Isisstatue aus Köln. Rheine dem Alemannenlürsten Mederich, der als Geisel in Gallien in diese griechischen Geheimnisse eingeweiht wurde, und der aus Eifer für den Serapis fortan seinen Sohn Agenarich Serapion nannte 2 . A u c h bei den letzten Versuchen, das ersterbende Heidentum zu beleben, spielte der ägyptische Glaube eine Rolle; Julian huldigte den ägyptischen Göttern, und als im Jahre 392 der Franke Arbogast den Eugenius auf den T h r o n setzte und der heidnischen Aristokratie zu einem kurzen Triumphe verhalf, da hat man auch der Isis nicht vergessen. I m Jahre 394 hat Nicomachus Flavianus als Konsul die letzten offiziellen Feste in R o m gefeiert, der M a g n a mater und der Isis. In demselben Jahre freilich siegte Theodosius, und alles war vorüber.

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Freilich eine stille Gemeinde blieb dem ägyptischen Glauben auch so noch in der römischen Welt zurück. Das war der Kreis der mystischen Philosophen, die noch bis in das sechste Jahrhundert an den großen Stätten der Bildung lehrten. Alles Mystische, Ekstatische und Wunderbare war deren Freude, und wie sollten sie sich da nicht für Ägypten begeistert haben? War doch Ägypten ein göttliches Land, wo die Tempel mit allem ausgerüstet waren, . wo es unzählige Geistliche gab, die 186.

Münzen des Julian mit Apis und Anubis.

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alle Gebräuche beobachteten, und wo

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die Altäre immer brannten. Fast der ganzen Welt haben die Ägypter die Verehrung der Götter gelehrt, und wir wissen, sagt der naive Autor des vierten Jahrhunderts, der diese Schilderung entwirft, daß die Götter dort gewohnt haben und noch wohnen So wurde denn dieses heilige Land das Ideal jener Mystiker. Der eine von ihnen, Asklepiades, der im fünften Jahrhundert lebte, hat sich lange in Ägypten aufgehalten, um dessen Götterlehre an der Quelle zu studieren. Er dichtete Hymnen an die ägyptischen Götter und schrieb ein Werk über die ägyptische Religion. Aber so viel er auch darüber forschte, eines konnte er sich nicht geben, was sein glücklicherer Freund Heraiskus von Natur besaß. Der wußte zwar nicht so viel von der ägyptischen Weisheit, aber dafür war sein Wesen gottähnlicher. Ihm war es gegeben, wenn er ein Götterbild sah, zu fühlen, ob es lebe oder nicht. War das Bild von der Gottheit beseelt (S. 172), so wurde sein Herz von dem Anblick getroffen, und Leib und Seele gerieten in Erregung, als wäre er von dem. Gotte begeistert. Und als er starb und bestattet wurde, da leuchtete sein Körper plötzlich durch die Binden hindurch, zum Zeichen, daß er mit den Göttern vereinigt war. Wie ein alter Ägypter der Urzeit war er verklärt (S. 267) worden 2. Aber auch diese Mystiker konnten sich nicht darüber täuschen, daß keine Macht der Welt den alten Göttern wieder zur Herrschaft verhelfen konnte. Sie wußten, daß sie die letzten Heiden waren, und daß auch das heilige Ägypten, das Abbild des Himmels . . der Tempel des gesamten Weltalls fortan den Christen gehörte. Und nicht ohne Rührung lesen wir die wehmütige Prophezeiung, die aus ihrem Kreise zu uns herüberklingt 3 : Eine %eit wird kommen, wo es scheinen wird, als hätten die Ägypter vergebens fromm und eifrig der Gottheit gedient. . . Denn die Gottheit wird von der Erde zu dem Himmel zurückkehren, und Ägypten wird verlassen dastehen, und das Land, das der Sitz der Religion war, wird die Götter nicht mehr beherbergen. . . . 0 Ägypten, Ägypten, von deinem Glauben werden nur Fabeln übrig bleiben, die den späteren Geschlechtern unglaublich dünken, und nur Worte werden übrig bleiben auf den Steinen, die von deinen frommen Taten erzählen.

Anmerkungen. Die Abkürzungen sind die in der Ägyptologie üblichen; »Litt.« bezeichnet Erman, die Literatur der Ägypter.

2. K a p i t e l . 16. 1 Pyr. 316. 2 Pyr. M 7 1 u — 1 P y - 8° 2 - 2 p y - 2 o 6 3 ; 1146; ebenda 2065 eine andere drastische Erklärung des Regens als H a r n von Schu u. Tefnet. 8 Pyr. 1143. 4 Pap. Leiden 347, 5, 9. So auch schon Bauer (Litt. S. 163). 6 So z. B. in Medinet H a b u (W. B. 955-

Nachwort

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Zwar war die Feldarbeit selbst längst abgeschlossen und durch Vorberichte bekannt gegeben. Aber die ausführliche Publikation bietet j a nicht nur das reiche Material in allen Einzelheiten, sondern enthält zugleich abhandlungsähnliche Ausführungen zu grundlegenden Fragen des Totenkultes und der Grabarchitektur (etwa über Totenstatuen, die sogenannten Ersatzköpfe, über Opferkult und Totenstiftungen usw.). Für die älteste Zeit haben die Ausgrabungen Walter B. Emerys 14 in Saqqara mit der Auffindung des archaischen Friedhofes mit seinen Riesengräbern der ersten beiden Dynastien völlig neue Fragen aufgeworfen, so etwa die nach der Funktion des „Hausgrabes" und des „Hügelgrabes" in der Frühzeit oder die nach der Bedeutung der Grabarchitektur für den Totenglauben. Thematisch stehen damit im Zusammenhang die Forschungen des Service des Antiquités 15 auf den frühen Friedhöfen bei Helwan, durch die für den Totenglauben so wichtigen Fragen wie di nach d*r Herkunft der Scheintür und des Bildes des Toten vor dem Opfertisch ganz neues Material erhalten haben. Erwähnt werden muß schließlich noch die gegenwärtige rege Arbeit in Nubien und dem Sudan, die der Rettung oder wenigstens wissenschaftlichen Aufnahme der Denkmäler gilt, die der neue Stausee überfluten wird. Die großen Tempel dieses Gebietes freilich waren natürlich schon längst bekannt und durch die Veröffentlichungen der Temples Immergées de la Nubie (1909—1938) zugänglich. Aber was in den letzten 10 Jahren an Privatgräbern, Inschriften, Stadtanlagen, aufgenommen und veröffentlicht worden ist, stellt unsere Kenntnisse auch der ägyptischen Religion in diesem Gebiet auf eine neue Grundlage. Sowohl die Ägyptisierung der Kolonie wie ihre allmähliche kulturelle Verselbständigung, auch bezüglich der religiösen Erscheinungen, läßt sich heute ungleich schärfer und vielseitiger fassen. Auch die Fragen nach der räumlichen und zeitlichen Fernwirkung der ägyptischen Religion 14

Walter B. E m e r y , T h e tomb of Hemaka, K a i r o 1 9 3 8 ; ders. H o r - A h a , K a i r o 1 9 3 9 ; ders. T h e great tombs of the First Dynasty, I K a i r o 1949, I I / I I I London

i954> >950-

15

Z u r Problematik s. Herbert Ricke, Bemerkungen zur ägyptischen Baukunst I, Beiträge zur ägyptischen Bauforschung und Altertumskunde, Zürich 1 9 4 4 ; Alexander Scharff, Das G r a b als Wohnhaus in der ägyptischen Frühzeit, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Klasse 1944/46, Heft 6. Zaki Youssef Saad, T h e royal excavations at S a q q a r a and H e l w a n , ( 1 9 4 1 — 4 5 ) , Suppl. aux Annales du Service des Antiquités 3 , K a i r o 1 9 4 7 ; ders. T h e royal excavations at Helwan ( 1 9 5 4 — 4 7 ) , ebenda 14, K a i r o 1 9 5 1 .

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Nachwort

nach Süden dürfen heute an ein unendlich reicheres und aussagefahigeres Material gestellt werden 16 . Wie gesagt, kann hier in diesem Zusammenhang nur auf einiges neue Material hingewiesen werden; die Auswahl versuchte im besonderen zu zeigen, wo durch neues Material neue Fragestellungen oder neue Aspekte eröffnet werden können. Ganz anders verhält es sich, wenn wir uns dem zweiten Gebiet zuwenden, der Frage nämlich, welche neue Forschungen das Bild der ägyptischen Religion seither verändert haben. Hier freilich ist eine Auswahl noch schwieriger und wohl auch undankbarer. Gegenstand von Untersuchungen und Darstellungen ist die Religion oder ihre Teilgebiete seit je gewesen; dabei kann eine beschränkte Einzeluntersuchung oft mehr „Neues" enthalten als eine umfangreiche Darstellung. Auch läßt sich eine subjektive Wertung dessen, was denn nun „ n e u " sei und dabei zugleich zuverlässig begründet und ein tieferes Verständnis ermöglichend, bei diesem Gegenstand nicht vermeiden. So kann das Nachstehende nur als ein Versuch gelten, methodisch neue Forschungen zu skizzieren, ein Versuch, von dessen Unvollständigkeit und Anfechtbarkeit ich voll und ganz überzeugt bin. Um nicht ins Uferlose und Ungeordnete zu gleiten, möchte ich das Folgende in drei Fragenkreise zusammenfassen: 1. Arbeiten, die eine historisch-kulttopographische Methode befolgen. 2. Untersuchungen des Zusammenhanges zwischen Kultbauten, Ritual und Mythen. 3. Versuche, die Eigenbegrifflichkeit der ägyptischen Religion zu erhellen. Im Anschluß daran wäre auf einige zusammenfassende Darstellungen hinzuweisen, die in verschiedenem Grade die vorher besprochenen Methoden und ihre Ergebnisse benutzen. Daß ägyptische Götter und mythische Vorstellungen in vielen Fällen besondere Beziehungen zu einzelnen Orten hatten und daß die Ägypter selbst den Begriff des Ortsgottes (wörtlich „Stadt18

Die Ergebnisse der jährlichen Grabungen und Aufnahmen werden mit vorbildlicher Regelmäßigkeit veröffentlicht in der Zeitschrift Kush, Khartoum •953 ff- s - ferner Fritz Hintze, Die Inschriften des Löwentempels vonMusawwarat es Sufra, Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst, Berlin 1962. Zusammenfassende Darstellungen: A. J . Arkell, A history of the Sudan, 2. Aufl. London 1 9 6 1 ; P. L. Shinnie, Meroe, Ancient Peoples and Places 55, London 1967.

Nachwort

473

gottes") kannten und in Darstellungen ihrer Götterwelt vielfach eine topographische Ordnung verwendeten, war seit langem bekannt. Es bot sich hier ein sehr reichhaltiges Feld der Untersuchung, die ursprüngliche Heimat eines Gottes, seinen ursprünglichen Kultbereich festzustellen und die sich hieraus möglicherweise ergebenden Fakten über seine religiöse Geltung zu sammeln. Da nachweisbar (durch Übernahme sekundärer Kultnamen, Übertragung von Götternamen auf Götter anderer Benennung oder anderer Kultnamen, Verpflanzung von Göttern und ihren Kulten an andere Stätten) diese Kulttopographie dauernde Veränderungen unterworfen war, ergab sich die Aufgabe, den ursprünglichen Kultbestand (soweit erkennbar) von späteren Änderungen abzuheben und nach den Gründen derartiger Veränderungen zu fragen. Damit kam ein durchaus historisches Element in Frage und es ergab sich sozusagen von selbst eine Verbindung zwischen Religion und Politik. Vor allem erschien es möglich, mit mehr oder weniger großer Sicherheit auf diesem Wege und unter Zuhilfenahme mythischer Erzählungen ein Stück der Urgeschichte Ägyptens zu erschließen. Ein auf diesem Wege gewonnenes Bild hatte Kurt Sethe bereits in seinem 1930 erschienenen Buche „Urgeschichte und Älteste Religion der Ägypter" gegeben 17 , das er selbst freilich im Vorwort einschränkt mit den Worten „Wer es nicht glauben will, mag es nicht glauben"; trotz aller aufgewandten Akribie und Scharfsinn wird man heute diesem Bilde den Glauben versagen müssen, zumal es in wesentlichen Punkten weder von der historischen Überlieferung, noch von der archäologischen Forschung bestätigt wird. Doch erweist sich die historisch-kulttopographische Methode grundsätzlich als außerordentlich fruchtbar, um überhaupt Kultbestände in ihrem historischen Gewordensein zu begreifen und einen guten Teil (keineswegs alle) Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten zu verstehen, an denen j a auch Erman so nachdrücklich Anstoß genommen hatte. An erster Stelle ist hier Hermann Kees zu nennen, der wohl diese Methode am vollendetsten dargestellt und durchgeführt hat. Als Zusammenfassung zahlreicher Einzeluntersuchungen entstand sein Werk „ D e r Götter17

K u r t Sethe, Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, Abhandlungen zur K u n d e des Morgenlandes 18, Leipzig 1 9 3 0 . In verwandtem Sinne ist auch sein großer, nach seinem T o d e erschienener K o m m e n t a r zu den Pyramidentexten geschrieben: Übersetzung und K o m m e n t a r zu den altägyptischen Pyramidentexten, 1 — 6 , Glückstadt-Hamburg, bis 1962.

474

Nachwort

g l a u b e i m a l t e n Ä g y p t e n " (2. A u f l a g e Berlin 1956). D a s ü b e r r e i c h e M a t e r i a l , das n a c h dieser M e t h o d e a u f z u a r b e i t e n u n d z u d e u t e n ist, k o n n t e n a t ü r l i c h n i c h t in e i n e m z u s a m m e n f a s s e n d e n W e r k gestellt w e r d e n ; u n d so sind hier n i c h t w e n i g e A r b e i t e n ordnen,

wobei

vor

allem

auch

die

Forschungen

dareinzu-

französischer

Ä g y p t o l o g e n W e r t v o l l e s b e i g e t r a g e n h a b e n . A l s besonders e r g i e b i g erweist sich d a b e i i m m e r das M a t e r i a l d e r S p ä t z e i t in I n s c h r i f t e n aus d e r P r o v i n z u n d das in d e n P t o l e m ä e r t e m p e l n

überlieferte

T e x t g u t ( G a u p r o z e s s i o n e n , G ö t t e r p r o z e s s i o n e n u. ä . ) 1 8 . Es steht g a n z a u ß e r F r a g e , d a ß F o r s c h u n g e n dieser A r t unsere Kenntnis der ägyptischen

G ö t t e r w e l t u n d der K u l t e

unendlich

b e r e i c h e r t u n d konkretisiert h a b e n . Z u g l e i c h f ü h r e n sie d a d u r c h , d a ß sie a u c h

n a c h d e m W i e dieser G ö t t e r ü b e r t r a g u n g e n ,

Ver-

s c h m e l z u n g e n , T r e n n u n g e n f r a g e n , a n das V e r s t ä n d n i s spezifisch ä g y p t i s c h e n D e n k e n s h e r a n . A u f d e r a n d e r e n Seite m u ß m a n sich n a t ü r l i c h a u c h d e r G r e n z e n b e w u ß t b l e i b e n : Es k a n n hier n u r eine S e i t e des g r o ß e n P h ä n o m e n s „ R e l i g i o n " erhellt w e r d e n ; a u c h v o n hier aus b l e i b t es d o c h ein B e t r a c h t e n „ v o n a u ß e n " . D i e g r u n d s ä t z l i c h e G e f a h r , die m i t dieser M e t h o d e v e r b u n d e n ist, liegt ebenfalls o f f e n : Sie k a n n leicht z u einer Ü b e r b e w e r t u n g des historischen u n d politischen G e s c h e h e n s als e i g e n t l i c h e n A g e n s v o r einer a priori z u e r w a r t e n d e n E i g e n g e s e t z l i c h k e i t des religiösen L e b e n s f ü h r e n . V e r h ä l t n i s m ä ß i g n e u e n D a t u m s sind U n t e r s u c h u n g e n , die d a s g e g e n s e i t i g e B e d i n g e n u n d Beeinflussen v e r s c h i e d e n e r M a n i f e s t a tionen des religiösen L e b e n s z u m G e g e n s t a n d h a b e n . D i e hier aufg e w o r f e n e n F r a g e s t e l l u n g e n u n d ins B l i c k f e l d g e r ü c k t e n M a t e r i a l g r u p p e n h a b e n n o c h keineswegs eine systematische Geschlossenheit e r r e i c h t u n d die E r g e b n i s s e , die a u f diesen W e g e n erzielt

sind,

b e d e u t e n d e s h a l b n o c h k e i n e n A b s c h l u ß . U n b e z w e i f e l b a r ist es a b e r meines E r a c h t e n s , d a ß sich hier n e u e W e g e z u m V e r s t ä n d n i s des P h ä n o m e n s ä g y p t i s c h e R e l i g i o n a u f t u n .

19

E t w a die Artikelreihe über den O r t Sachebu und seinen Gott (wichtig wegen der Rolle des R e von Sachebu im Pap. Westcar) : Serge Sauneron, K ê m i X I , .1950, S. 63fr.; Janine Monnet, ebenda X I I I , 1954, S. 28ff.; Jean Y o y o t t e , ebenda X V , 1959, S. 75fr. Ferner wären auswahlweise zu nennen: Philippe Derchain, Bébon, le dieu et les mythes, R e v u e d ' É g y p t o l o g i e 9, 1952, S. 23 ff. Ders. U n manuel de géographie liturgique à Edfou, Chronique d ' É g y p t e X X X V I I Nr. 7 3 , 1962, S. 31 ff. Herman de Meulenaere, Cultes et sacerdoces à Imaou, Bulletin de l'Institut Français d'Archéologie Oriental 62, 1964, S. 151fr. Jacques Vandier, Iousâas et (Hathor)-Nébet-Hétépet. Revue d'Égyptologie 16, 1964, S. 5 5 f f . ; 17, 1965, S. 8 9 f f . ; 18, 1966, S. 6 7 f f . u . a . m .

Nachwort

475

U m diese Untersuchungen an Beispielen zu verdeutlichen, wird man am besten von den Ritualen ausgehen. Das überlieferte religiöse Textgut besteht j a zu einem überwiegenden Teil aus Ritualtexten (auch innerhalb der Textsammlungen wie Pyramidentexten und Sargtexten), das heißt aus Sprüchen, die zu bestimmten und bestimmbaren rituellen Handlungen gehören; hinzu kommen Ritualbücher, das heißt Aufzeichnungen, die zugleich die Bezeichnungen (oder Beschreibungen) ritueller Handlungen, das dazu gesprochene Wort und szenische Vermerke enthalten (auch als „Dramatische T e x t e " bezeichnet). Dieses rituelle Spruchgut steht einmal in einem bestimmten Verhältnis zu mythischen Überlieferungen und zwar in dem Sinne, als die Rezitationen zu Handlungen zahlreiche Anspielungen auf Vergleichbares in der mythischen Welt enthalten. Es ist nun dabei so, daß die Rezitationen nicht Erzählungen mythischer Vorgänge darstellen, sondern Einzelheiten der rituellen Handlung durch Wortspiel, Vergleich, Ähnlichkeiten der Konstellation mit mythischen Namen oder K o n stellationen gleichsetzen. A u f diese Weise werden nicht nur eine Fülle mythischer Einzelzüge bewahrt, sondern diese Methode, Rituale mit mythischen Stoffen zu durchtränken, hat offensichtlich befruchtend und formend auf die Mythen selbst eingewirkt. In Einzelheiten umstritten, durch seine Fragestellung aber tief in Neuland vorstoßend, ist als Hauptwerk hier das Buch von Siegfried Schott, Mythe und Mythenbildung zu nennen 19 . Z u m anderen besteht zweifellos auch ein Verhältnis zwischen Ritualen und dem Ort, an dem sie vollzogen werden. A priori ist anzunehmen, d a ß Bauten für die Durchführung szenenreicher Ritualhandlungen auf die Erfordernisse dieser Rücksicht nehmen, j a , vielleicht sogar als „ B ü h n e " für das verstanden werden dürfen, was in ihnen sich „abspielt". Es sind hier zwei Untersuchungen zu nennen, die von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen und verschiedene Ziele verfolgen, beide aber dem Zusammenhang zwischen Ritualvollzug und Kultbauten nachgehen: V o n der Erkenntnis ausgehend, d a ß auch die Pyramidentexte weitgehend Ritualsprüche enthalten und diese das königliche Begräbnis betreffen, haben Herbert Ricke und Siegfried Schott versucht, die Entwicklung der Pyramidentempel des Alten Reiches in Einklang zu bringen mit dem in den 19

Siegfried Schott, M y t h e und M y t h e n b i l d u n g im Alten Ä g y p t e n , Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Ägyptens X V , Leipzig 1945.

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Pyramidentexten enthaltenen Begräbnisritualen 20 . Die baulichen Veränderungen der Tempel erscheinen dann als notwendige Veränderungen der Bühne, auf der sich das ebenfalls sich ändernde Begräbnisritual abspielt; dieses Aufeinander-Abgestimmt-Sein von R a u m und Text wird bis in formale Einzelheiten hinein verfolgt. Methodisch anders und anderes Material behandelnd ist eine Arbeit von Dieter Arnold angelegt 2 1 : Ihr Gegenstand sind die Göttertempel vor allem des Neuen Reiches und ihre Voraussetzung ist die Überlegung, daß die in einem Raum angebrachten Kultreliefs (und natürlich auch die zugehörigen Ritualsprüche) eine innerliche Beziehung zu dem Raum haben, das heißt auf kultische Handlungen hinweisen, die in den betreffenden Räumen vollzogen worden sind. Der Gewinn dieser Arbeit liegt vor allem in einem besseren Verständnis der Tempel als Bauten. Das Kultprogramm stellt damit einen bestimmenden Faktor für die architektonische Gestaltung des Tempels dar und die Funktion seiner Räume wird von hier aus gedeutet. Daß dieses Kultprogramm natürlich niemals zu einer einzigen Verwirklichungsmöglichkeit zwingt, ist selbstverständlich. Doch ergibt sich meines Erachtens von hier aus eine neue Basis zur künstlerischen Bewertung ägyptischer Tempel, in der Betrachtung der Frage nämlich, wie die bauliche Verwirklichung des kultisch Erforderlichen erreicht worden ist; daß dabei natürlich auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, versteht sich von selbst (technische Möglichkeiten, bauliche Traditionen usw.). Es war oben (S. 475) gesagt, daß wir einige als Dramatische Texte bezeichnete Ritualbücher haben, die Handlungen, Texte und szenische Vermerke für zusammenhängende Ritualhandlungen umfassen (Ramesseums-Papyrus, Teile des Denkmals memphitischer Theologie, des Mundöffnungsrituals u. a. m.). Es lag nun die Frage nahe, ob sich im erhaltenen Schrifttum nicht Texte fänden, die mit ähnlichen formalen Kennzeichen versehen wie die Dramatischen Texte" als Textbücher für szenische Aufführungen 20

21

Beiträge zur ägyptischen Bauforschung und Altertumskunde Heft 5, K a i r o 1 ^ 5 5 : Herbert Ricke, Bemerkungen zur ägyptischen Baukunst I I ; Siegfried Schott, Bemerkungen zum ägyptischen Pyramidenkult. Als Versuch eines grundsätzlichen Verständnisses: Eberhard Otto, Das Verhältnis von R i t e und Mythus im Ägyptischen, Sitzungsberichte der Heidelberger A k a d e m i e der Wissenschaften, phil. hist. Klasse 1 9 5 8 , 1. Dieter Arnold, Wandrelief und Raumfunktion in ägyptischen Tempeln des Neuen Reiches, Münchener Ägyptologische Studien 2, Berlin 1 9 6 2 .

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verstanden werden dürften. Besonders Etienne Drioton 22 ist dieser Frage nachgegangen. Nach ihm haben wir tatsächlich derartige Texte teils in Textsammlungen wie den Sargtexten, teils stärker verarbeitet in Sammlungen von Zaubertexten u. ä. Im Unterschied zu den durch Einzelelemente auf mythische Gegenstände hinweisenden Ritualtexten würden diese dramatischen Texte in Dialogform umgesetzte mythische Stoffe enthalten. Freilich sind trotz allem Hinweise auf ein „ägyptisches Theater" gering und unsicher. Schließlich darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß mancherlei Untersuchungen zu einzelnen Kulthandlungen unser Wissen von der ägyptischen Religion nicht unerheblich vermehrt haben. Dadurch, daß in ihnen die Geschichte, die Verbreitung und gegebenenfalls auch die Deutung und Umdeutung einer Handlung untersucht wird, löst sich die scheinbare Stereotypie der Kultreliefs in den Tempeln auf und sie werden zum lebendigen Zeugnis für das sich im kultischen Handeln niederschlagende religiöse Denken 23 . Natürlich fehlt es nicht an Versuchen, über eine Beschreibung der nur „von außen" sichtbaren Erscheinungen der ägyptischen Religion vorzudringen in das Innere ihres Wesens. Zweifellos sind solche Versuche legitim und Ermans wohlüberlegte Beschränkung auf die Außenseite mag ebenso mit der von ihm so stark empfundenen Fremdheit ihr gegenüber wie mit dem damaligen Fehlen so mancher Vorarbeiten erklärt werden. Daß Versuche, in das innere Wesen der ägyptischen Religion einzudringen, in besonderem Maße vom Vorverständnis des Betrachters abhängen und erzielte Ergebnisse immer und immer wieder überprüft und durch22 23

Étienne Drioton, Le théâtre égyptien, Kairo 1942; derselbe, Le théâtre dans l'ancienne Égypte, Revue d'Histoire du Théâtre, 1954, I/II. Hier kann natürlich wiederum nur Einiges, möglichst Unterschiedliches genannt werden: Ernesta Bacchi, Il rituale di Amenhotpe I, Publicazioni eggittologichi del R . Museo di Torino V I , Turin 1942; Harold H. Nelson, Certain reliefs at Karnak and Medinet Habu and the ritual of Amenophis I., Journal of Near Eastern Studies V I I I , 1949, S. 201 ff. 3 i o f f . A . M . Blackman and H. W . Fairman, The significance of the ceremony H W T B H S W in the temple of Horus at Edfou, Journal of Egyptian Archeology 35, 1949, S. 98 f r . ; 36, 1950, S. 63 fr. Eberhard Otto, An ancient egyptian hunting ritual, Journal of Near Eastern Studies I X , 1950, S. 164 fr. Siegfried Schott, Das schöne Fest vom Wüstentale, Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Abh. der geistes- und sozialwissenschaftl. Kl. 1952, 1 1 . Maurice Alliot, Le culte d'Horus à Edfou I/II, Bibliothèque d'Études de l'Institut Français d'Archéologie Oriental X X , Kairo 1949—1954. Philippe Derchain, L a couronne de la justification, Chronique d'Égypte X X X Nr. 60, 1955, S. 225fr. Derselbe, Rites Égyptiens I : Le sacrifice de l'oryx, Brüssel 1962.

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dacht werden müssen, versteht sich von selbst. Aufs Ganze gesehen vermögen sie aber doch, uns der untersuchten Erscheinung näher zu bringen und ihr neue Aspekte abzugewinnen, und sie tun dies meines Erachtens fruchtbarer als monographische Behandlungen einzelner Götter. Hier wären vor allem die Bücher von Henri Frankfort zu nennen, besonders seine sehr konzise, scharf formulierte Darstellungen „Egyptian Religion" 2 4 . Es erleichtert zweifellos das Verständnis der vielen „Widersprüchlichkeiten" und „Ungereimtheiten" der ägyptischen Religion, wenn man seinen Gedanken nachvollzieht, daß einer „multiplicity of questions", die an die Unerklärlichkeit der Erscheinungen der Welt gestellt werden, eine „multiplicity of answers" entspricht und daß daher zu den in ihrem Wesen so schwer festzulegenden ägyptischen Göttern eine „multiplicity of approaches" führt. Andererseits wird man das Ausschalten aller historischen Momente (auch im Sinne einer Entwicklung des Denkens und Glaubens innerhalb der Religion) und den Hinweis auf das Statische der Naturerscheinungen als Motiv ihrer Göttlichkeit (z. B. Tierkulte) als eine das Verständnis hemmende Einschränkung betrachten müssen. Doch ist damit das Problem des ägyptischen Gottesbegriffes aufgeworfen. Natürlich wird mehr oder weniger deutlich die Fragwürdigkeit des Begriffes und die Berechtigung der Übersetzung „ G o t t " vielerorts zur Sprache gebracht 2 5 . M a n kann hier an die Übersetzungsschwierigkeiten des undeterminiert gebrauchten ntr in der sogenannten Weisheitsliteratur anknüpfen, ob man es nun nur mit „ d e r G o t t " , „ein G o t t " oder nur „ G o t t " übersetzen soll; die Frage taucht auf, bei den schwer voneinander zu trennenden Ausdrücken „ S e e l e n " , „ M ä c h t e " , „ G ö t t e r " 2 6 ; sie stellt sich in dem Nebeneinander der Bezeichnungen „guter G o t t " und „großer G o t t " 2 7 und bei den Interpretationsversuchen der Gottesqualifikation „der 24

25

26 27

Henri Frankfort, Ancient egyptian religion, an interpretation, New York 1948 (Neudruck: Harper Torchbooks, The Cloister Library, New York 1961); derselbe, Kingship and the gods, Chicago 1948. Mit meist älterer Literatur: Friedrich Wilhelm von Bissing, Versuch einer Bestimmung der Grundbedeutung des Wortes N U T R für Gott im Altägyptischen, Sitzungsber. Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. K l . 1951, 2. Gegenstand ist freilich weniger der Gottesbegriff als die Gottesbezeichnung. Eberhard Otto, Altägyptischer Polytheismus, Saeculum X I V , 1963, S. 249fr. Hanns Stock, N T R N F R = Der gute Gott? Vorträge der orientalistischen T a g u n g in Marburg, Hildesheim 1951.

Nachwort

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Große" 2 8 . Z u m Verständnis der ägyptischen Gottesbegriffes ist natürlich auch das Verhältnis zwischen „ W e l t " und „ G o t t " zu erhellen. Wie unterschiedlich bei unterschiedlicher Ausgangsstellung Überlegungen hierüber ausfallen können, zeigen zwei gleichzeitig erschienene Untersuchungen 2 9 . Während Siegfried Morenz zu zeigen versucht, wie „ G o t t " transzendent wird und sich aus der Welt zurückzieht, wobei unter , „ W e l t " wesentlich die geschichtliche und gesellschaftliche Welt verstanden wird, glaubte ich zu sehen, daß das Aufeinanderangewiesensein und Ineinanderwirken von Gott, Mensch und Welt ( = Kosmos) gerade in den letzten Phasen der ägyptischen Geschichte sich intensiviert; dabei ist es bezeichnend, daß beide Verfasser im Titel ihrer Arbeiten nur das Wort „ G o t t " , nicht „ G ö t t e r " verwenden. Eine wissenschaftsgeschichtlich höchst eindringliche Analyse der Frage, ob man den Ägyptern als „frühgeschichtlichen" Menschen eine grundsätzlich andere Denkart zubilligen müsse (prälogisch, mythisch, magisch), gibt Hermann Junker 30 . Seine Begriffserklärungen und seine sorgfältigen Bewertungen der sprachlichen Quellen dürften manches Vorurteil beiseite räumen und einen direkteren Zugang zum Material erleichtern. Im übrigen berührt er sich in dem Verständnis der sprachlichen Metaphern eng mit Erman. Als Schlüsselfigur für das Wesen und die Entwicklung der ägyptischen Religion gilt mit Recht der König, das heißt seine teils der Götterwelt, teils dem Irdischen zugehörigen Natur. Das Schwergewicht verschiebt sich dabei zweifellos vom erstgenannten Aspekt in Richtung auf den zweiten; es ist ferner bei ihm zu scheiden zwischen der Rolle und dem Dogma des Amtes und der Geltung der Person. Davon wieder zu trennen ist die sich offensichtlich 28

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D a s W o r t w i r d als B e z e i c h n u n g eines „ A l l g o t t e s " a m n a c h d r ü c k l i c h s t e n interpretiert b e i H e r m a n n J u n k e r , D i e G ö t t e r l e h r e v o n M e m p h i s , A b h . p r e u ß i s c h e A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n , ph-1. hist. K l . 1939, 23. S i e g f r i e d M o r e n z , G o t t u n d M e n s c h i m A l t e n Ä g y p t e n , L e i p z i g 1 9 6 4 ; derselbe, D i e H e r a u f k u n f t des t r a n s z e n d e n t e n G o t t e s in Ä g y p t e n , S i t z u n g s b e r . Sächsische A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n phil. hist. K l . 109, 2, Berlin 1964. E b e r h a r d O t t o , G o t t u n d M e n s c h n a c h d e n ä g y p t i s c h e n T e m p e l i n s c h r i f t e n der g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n Z e i t , A b h . H e i d e l b e r g e r A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n phil. hist. K l . 1964, 1. H e r m a n n J u n k e r , D i e G e i s t e s h a l t u n g der Ä g y p t e r in der F r ü h z e i t , S i t z u n g s b e r . ö s t e r r e i c h i s c h e Ä k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n , p h i l . hist. K l . 2 3 7 , 1, 1 9 6 1 . Ä h n l i c h e G e d a n k e n u n d z u g l e i c h eine K r i t i k a n F r a n k f o r t ( A n m . 24) e n t wickelt R u d o l f Anthes, M y t h o l o g i e und gesunder Menschenverstand, M i t t e i l u n g e n der D e u t s c h e n O r i e n t g e s e l l s c h a f t 96, Berlin 1965, S. 5 ff.

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gleichbleibende Funktion des Königs als Ritualist, das heißt als des Priesters schlechthin, der durch das Vollziehen des Rituals die Weltordnung aufrecht erhält 31 . Untersuchungen, die in diesem Sinne die Rolle des Königtums oder auch eines einzelnen Königs zum Gegenstand haben, berühren notwendig wesentliche Seiten der Religion. Mancherlei Forschungen sind noch zu nennen, die wie die über den Gottesbegriff oder das Königtum sich bemühen, spezifische Eigenbegriffe der ägyptischen Religion zu verdeutlichen. Sie stehen gewissermaßen im genauen Gegensatz zu den Untersuchungen und Darstellungen, die von den Göttern und Kulten als gegebenen Größen ausgehen, indem sie diese den gesuchten und untersuchten Begrifflichkeiten unterordnen, bzw. sie als deren Produkt erkennen. Immer wieder ist der Begriff Maat untersucht worden, jener Ordnungsbegriff, der ebenso für die Ethik wie für das staatliche und gesellschaftliche Leben konstitutiv ist. Seine Bedeutung in den „ L e h r e n " , wie in einer historisch konkreten Situation, wie seine Funktion im Kult sind neuerdings dargestellt worden; und wenn diese Bemühungen auch nicht zu einer handlichen allgemeingültigen Definition führten (was weder zu erwarten war, noch erstrebt wurde), so tritt die Vielseitigkeit seiner Wirkungen und seine Beweglichkeit auf den verschiedenen Lebensgebieten deutlich hervor 32 . — Ähnlich steht es mit dem Begriff des K a , der „Seele", „Lebenskraft", der für die Vorstellung vom Lebendigen und im besonderen für die religiöse Anthropologie wichtig ist 33 . Von anderen im religiösen wirkenden Begriffen, die nicht durch ein Wort wiedergegeben werden können, aber zum Verständnis ägyptischen Glaubens und Denkens gleich wichtig sind, sei noch das „Schicksal" genannt, die Vorstellungen von dem Bestimmtsein 31

32

33

U m nur eine Auswahl neuerer Arbeiten zu nennen: Philippe Derchain, L e rôle du roi d ' É g y p t e dans le maintien de l'ordre cosmique, „ L e Pouvoir et le S a c r é " , Université de Bruxelles, Institut de Sociologie, o. J . S. 6 i f f . Georges Posener, D e la divinité du Pharaon, Cahiers de la Société Asiatique X V , Paris i960 (mit sehr reichen Literaturangaben). Hans Goedicke, Die Stellung des Königs im Alten Reich, Ägyptologische Abhandlungen 2, Wiesbaden i960. Rudolf Anthes, T h e original meaning of M ^ ' H R W , J o u r n a l o f N e a r Eastern Studies X I I I , 1 9 5 4 , S. 21 ff. Derselbe, Die M a a t des Echnaton von A m a r n a , Suppl. to J o u r n a l of American Oriental Studies 14, 1 9 5 2 . Gerhard Fecht, Der Habgierige und die M a a t in der Lehre des Ptahhotep, A b h . des Deutschen Archäologischen Institutes K a i r o 1, Glückstadt-Hamburg 1 9 5 8 . Ursula Schweitzer, Das Wesen des K a im Diesseits und Jenseits der Alten Ägypter, Ägyptologische Forschungen 19, Glückstadt-Hamburg 1956.

Nachwort

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des Kommenden 3 4 . In anderen Bereichen ist die Wirkung eines bestimmten Dualitätsbegriffes als Ordnungsprinzip aufzuweisen, eines Begriffes, der auf der Vorstellung beruht, daß alles Ganze in dem Zueinandergeordnetsein zweier einander entgegengesetzter Begriffe besteht; auf ihm beruht ein guter Teil der Zueinanderordnung von Begriffen und Göttern, aber auch von Götterspaltungen und Verdoppelungen, wie er sich ebenso als sprachliches Ausdrucksmittel nachweisen läßt 35 . Dies mag als Beispiel genügen. Man wird kaum eine größere Abhandlung aus dem Gebiet der ägyptischen Religion finden, indem sich nicht Bemerkungen zu ihrer Eigenbegrifflichkeit finden, da sich eben noch ein jeder mit dieser Problematik auseinanderzusetzen hat. Schließlich sollen einige Gesamtdarstellungen genannt werden, wobei die Auswahl sich bemüht, Werke möglichst unterschiedlicher Methodik und Standpunkte zu nennen. Hierher gehören natürlich zunächst die oben kurz charakterisierten Darstellungen von Hermann Kees und Henri Frankfort. Unerläßlich für alle Arbeit auf dem Gebiet der ägyptischen Religion ist Hans Bonnets Reallexikon 36 , wobei dieser Titel allerdings eigentlich ein „Understatement" ist. Gewiß findet man in ihm auch die „Realien" stichwortartig verzeichnet einschließlich der für die Religionsgeschichte wichtigen Ortsnamen; besonders sorgfältig und reichhaltig sind auch jene auf ägyptische Wörter und Wortzusammensetzungen zurückgehende.) Namen und Bezeichnungen der griechisch-römischen Welt aufgeführt, die sonst kaum zu finden sind und deren Etymologisierung nicht immer feststeht. Darüber hinaus aber enthält das Buch unter den Stichwörtern, wo dies angebracht ist, eine Darstellung des Glaubens und des inneren religiösen Lebens, die weit die Erwartungen übertrifft, die man an ein Reallexikon stellt (etwa bei Frömmigkeit, Gebet, Gott, Götterglaube, Sünde u. a. m.). 34

35

36

Siegfried Morenz, Untersuchungen zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Religion, A b h . Sächsische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. K l . 5 2 , 1 , Berlin i960. Eberhard Otto, Die Lehre von den beiden Ländern Ägyptens in der ägyptischen Religionsgeschichte, Analecta Orientalia 17, Studia A e g y p t i a c a I, R o m 1938, S. i o f f . Ders. und Wolfgang Helck, Kleines Wörterbuch der Ägyptologie, Wiesbaden 1958, S. 86. Ädhemar Massart, T h e Leiden magical papyrus I 343 u. I 345, Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden, Suppl. op Nieuwe Reeks X X X I V , Leiden 1954, S. 108. Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1952.

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Zu gleicher Zeit erschienen zwei zusammenfassende Darstellungen von Samuel A . B. Mercer 3 7 und Jaques Vandier 3 8 . Mercers Buch kann man als eine extreme Durchführung jener Methode bezeichnen, die eine enge Verbindung zwischen religiösgeschichtlichen Tatbeständen und politisch-historischen herzustellen sucht. Freilich wird damit die Eigenständigkeit religiösen Lebens weit in den Hintergrund gerückt und ein Bild der Frühzeit entworfen, das mit historischen und archäologischen Methoden nicht zu rechtfertigen ist. Demgegenüber stellt Vandiers Werk mit seiner ausgezeichneten Bibliographie, seiner präzisen Referierung über den damaligen Stand einzelner Probleme und seiner umfassenden Dokumentation ein wahres Handbuch dar, das nichteine Meinung vertritt, sondern den Gegenstand von allen Seiten darstellt. Diesen beiden voneinander in jeder Beziehung so verschiedenen Gesamtdarstellungen sei als dritte eine wiederum in ihrer Anlage und ihrer Zielsetzung ganz andere Behandlung des Themas hinzugefügt, nämlich die „Ägyptische Religion" von Siegfried Morenz 3 9 . Hier steht nicht die verwirrende Vielfältigkeit der religiösen Erscheinungsformen und ihre theologische Bewältigung im Vordergrund ; auch will das Buch den Leser nicht in die Vielfalt der Probleme und Verständnismöglichkeiten einführen. Vielmehr wird hier der Versuch gewagt, den Glaubensgehalt, die Frömmigkeit, das Gott-Mensch-Verhältnis, also das im eigentlichen Sinne religiöse Gewicht Altägyptens, aus der Vielheit der Quellen zu erarbeiten und darzustellen und die Religion Ägyptens als Ganzes zu charakterisieren. Stärker als in anderen Darstellungen wird hier — und das hat dieses Buch gemeinsam mit dem Erman'schen — in einem abschließenden Kapitel „Wirkungen von außen und nach a u ß e n " die Frage des Nachlebens von Gedanken und Erscheinungen der ägyptischen Religion behandelt, eine Frage, die zum Verständnis welthistorischer Zusammenhänge noch mancherlei Vorarbeiten und behutsamer Behandlung bedarf. So reich wie die Erscheinungen des Religiösen innerhalb der ägyptischen Kultur sind — umfassen sie doch das Göttliche KönigSamuel A . B. Mercer, T h e religion of ancient Egypt, London 1949. " J a c q u e s Vandier, L a religion Égyptienne, „ M a n a " Introduction à l'Histoire des Religions I, Paris 1949. 39 Siegfried Morenz, Ägyptische Religion, Die Religionen der Menschheit 8, Stuttgart i960. 37

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tum wie den Totenglauben, Ethik und Frömmigkeit wie Kult und Tempelwirtschaft — so zahlreich sind die Zugangsmöglichkeiten und Verstehungsversuche des Gesamtphänomens. Man kann Frankforts Formulierung von der Multiplicity of approaches sowohl auf den ägyptischen Gottesbegriff anwenden wie auf den Wissenschaftsgegenstand „ägyptische Religion". Der auswählende Überblick über das Schrifttum der vergangenen 30 J a h r e legt, so hoffe ich, davon Zeugnis ab. Und so ist denn am Schluß die Frage wieder aufzugreifen, ob es gerechtfertigt sei, heute nochmals eine Darstellung der ägyptischen Religion vorzulegen, die vor mehr als einem Menschenalter neu war? Ich glaube, man kann sie uneingeschränkt bejahen. Der Überblick über das seither Erarbeitete wird gezeigt haben, daß im einzelnen mancherlei Neues zutage kam, daß auch neue Methoden entwickelt und angewandt wurden; aber es ist keineswegs so, daß damit das Ziel von Ermans Arbeit überholt sei. Der wissenschaftliche Instinkt (wenn eine solche Formulierung statthaft ist) ließ ihn das Wesentliche und Charakteristische der Erscheinungen erfassen und seine unübertroffene Darstellungskunst, hinter der die mühselige Gelehrtenarbeit völlig zurückgetreten ist, haben uns eine Schilderung geschenkt, die in ihrer Gesamtheit und Geschlossenheit noch lange lebendig bleiben wird. Heidelberg, am 20. 10. 1967

Eberhard O t t o