173 105 30MB
German Pages 380 [399] Year 2007
Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe Begründet von Heiko A. Oberman Herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling
35
Gudrun Litz
Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten
Mohr Siebeck
geboren 1967; Studium der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte, Buchwissenschaft, Kunstgeschichte und ev. Theologie (Kirchengeschichte) in Erlangen, Berlin und Göttingen; 2006 Promotion in Göttingen; z. Zt. wiss. Mitarbeiterin an der Theol. Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg und an der Theol. Fakultät der Universität Jena. G U D R U N LITZ,
978-3-16-158542-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-149124-5 ISSN 0937-5740 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.
In memoriam Johann Nikolaus Litz (1922-2005)
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im WS 2005/2006 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommen wurde. Mein herzlicher Dank gilt den vielen Personen, die mich in den Jahren der Entstehung des Buches unterstützt und auf vielfältige Weise daran Anteil genommen haben. Die Anfänge der Arbeit wurden durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Graduiertenkollegs „Kirche und Gesellschaft im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation im 15. und 16. Jahrhundert" großzügig gefördert. Die intensive Betreuung durch Professoren verschiedener Fächer hat den interdisziplinären Charakter der Fragestellung erheblich beeinflußt. An erster Stelle ist dabei Prof. Dr. Hartmut Boockmann zu nennen, der die Fertigstellung leider nicht mehr erleben durfte. Ganz herzlich bedanke ich mich bei Prof. Dr. Dr. h. c. Hartmut Lehmann, der unkompliziert die Weiterbetreuung übernahm und das Erstgutachten erstellte. Dem Sprecher des Kollegs, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Bernd Moeller gilt mein besonderer Dank. Er gab mir mit seinen Forschungen zum Themengebiet „Reichsstadt und Reformation" den Anstoß zur Beschäftigung mit der reformatorischen Bilderproblematik und begleitete meine Arbeit mit seinem beständigen Interesse auch nach der Zeit im Göttinger Graduiertenkolleg bis hin zur Übernahme des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich Prof. Dr. Karl Arndt, Prof. Dr. Thomas Kaufmann und Prof. Dr. Fidel Rädle für ihre engagierte Unterstützung. Daß die Arbeit neben den beruflichen Verpflichtungen doch noch zu Ende geführt werden konnte, wäre ohne die freundschaftliche Unterstützung, die anspornenden Aufmunterungen und das große Vertrauen meiner beiden Projektleiter, Prof. Dr. Berndt Hamm (Erlangen) und Prof. Dr. Volker Leppin (Jena), nicht möglich gewesen. Beide eröffneten mir durch die kollegiale Zusammenarbeit an ihren Lehrstühlen einerseits den Blick auf neue Forschungsthemen, andererseits gewährten sie mir auch die nötige „Freiheit" zur Fertigstellung der Dissertation. Berndt Hamm gebührt zusätzlich mein allergrößter Dank dafür, daß er auch die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen und den Text bis zur Publikation mit seinen Verbesserungsvorschlägen begleitet hat. Außerdem vermittelte er die
Vili
Vorwort
Aufnahme des Manuskripts in die Reihe „Spätmittelalter und Reformation", wofür ich auch den Mitherausgebern Prof. Dr. Heinz Schilling, Prof. Dr. Johannes Helmrath und Prof. Dr. Jürgen Miethke danke. Gerne denke ich an die Besuche in den zahlreichen Archiven zurück, deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mich immer freundlich aufgenommen und meine Wünsche stets erfüllt haben. Stellvertretend für alle möchte ich an dieser Stelle nur Dr. Gebhard Weig und das Team des Ulmer Stadtarchivs nennen. Ohne das funktionierende Netzwerk der Familie und des Freundeskreises war das „Unternehmen Promotion" überhaupt nicht denkbar. Mein tiefer Dank gilt vor allem meinen Eltern Johann und Edeltrud Litz, meinen Geschwistern und ihren Familien und Pfarrer i. R. Heinz Trommeschläger. Verbunden fühle ich mich dankbar meinen (Studien-) Freunden aus Erlangen und Berlin, den Mitstreitern im Göttinger Graduiertenkolleg sowie den Kollegen in Erlangen und Jena. Die Namen aller hier aufzulisten, überfordert den Rahmen des Vorworts. Für ihre aufmunternde Geduld bedanke ich mich stellvertretend bei meinen Patenkindern Simone Neise, Leonard und Timotheus Zahn, Niklas Buckwalter, Enrico und Aldo Ruggiu, Karoline Müller und Christina Leppin. Bei den technischen Tücken der Fertigstellung und während der Druckvorbereitung standen mir Dr. Henning Jürgens und Wiss. Ass. Heidrun Munzert mit großem Einsatz zur Seite. Ihnen wie auch Frau stud. theol. Jennifer Wagner, die mich bei den Registerarbeiten tatkräftig unterstützte, danke ich herzlich. Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Frau Tanja Mix vom Verlag Mohr Siebeck danke ich für die zuverlässige Betreuung der Drucklegung. Erlangen, den 17. November 2006
Gudrun Litz
Inhaltsverzeichnis Vorwort
VII
Abkürzungsverzeichnis
XIII
Kapitel 1: Einleitung 1. 1 Zwischen Bilderverehrung und Bilderfeindschaft: historische Problemskizze 1. 2 Zum Stand der Forschung 1. 3 Untersuchungsgegenstand und methodische Fragestellung
Kapitel 2: Der theologische Hintergrund der Bilderfrage 2. 2. 2. 2.
1 Luthers Haltung zu den Bildern 2 Zwingli und die Ablehnung religiöser Bilder 3 Martin Bucers Bilderverständnis 4 Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „Götzen" 2 . 4 . 1 Vorbemerkung 2. 4. 2 Blarer und die Bilderfrage bis 1528/30 2. 4. 3 Blarers Tätigkeit in den schwäbischen Reichsstädten außerhalb von Konstanz 1528-1533 2. 4. 4 Blarer in herzoglichem Dienst (1534-1538) und der Uracher Götzentag 1537 2. 5 Die spiritualistische Auffassung von den Bildern: Kaspar von Schwenckfeld und Sebastian Franck
Kapitel 3: Lindau 3. 1 Das reformatorische Leben in Lindau 3. 2 Die Bilderfrage in Lindau 3. 3 Die Entfernung der Bilder im Lindauer Landgebiet
Kapitel 4: Reutlingen 4. 1 Reutlingen und die Reformation
1 1 8 14
20 21 27 33 41 41 41 45 49 56
63 63 68 74
76 76
X
Inhaltsverzeichnis
4. 2 Reutlingens Weg in der Bilderfrage
Kapitel 5: Ulm 5. 1 Die Situation in Ulm um 1500 5. 2 Die Reformation im Überblick 5. 3 Die reformatorische Bilderproblematik in Ulm 5. 3. 1 Die Entwicklung bis zum Jahr 1530 5. 3. 1. 1 Die Bilderfrevel am Ulmer Ölberg 5. 3. 2 Die Bildentfernungen in der Reichsstadt 1531 5. 3. 2. 1 Der Ratsbeschluß vom 19. Juni und das Ausräumen der Bilder im Ulmer Münster 5. 3. 2. 2 Die Bildentfernungen in den übrigen Ulmer Kirchen und Kapellen 5. 3. 3 Die Bildentfernungen im Ulmer Territorium
Kapitel 6: Memmingen 6. 1 Memmingen und die Reformation 6. 2 Die Bilderfrevel und Bildentfernungen vor 1531 6. 3 Die Ereignisse im Sommer 1531 6. 3. 1 Pfarrkirche St. Martin 6. 3. 2 Frauenkirche 6. 3. 3 Die anderen Kirchen und Kapellen der Stadt 6. 4 Die Abschaffung der „Götzen" in den Memminger Dörfern ....
Kapitel 7: Biberach 7. 1 Der Einzug der reformatorischen Lehre 7. 2 Die Bilderfrage in Biberach bis 1531 7. 3 Die Bilderentfernung 1531 7. 3. 1 Pfarrkirche St. Martin 7. 3. 2 Die übrigen Kirchen und Kapellen der Stadt 7. 3. 3 Biberacher Besonderheiten 7. 3. 4 Die Biberacher „Bilderstürmer" 7. 4 Die Beseitigung der religiösen Bilder im reichsstädtischen Territorium seit 1534/1535
Kapitel 8: Esslingen 8. 1 Die Reformation hält Einzug in Esslingen 8. 2 Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen 8. 2. 1 Das Zusammenspiel von Rat und Blarer Ende 1531
80
91 91 93 99 99 103 108 114 121 123
133 133 139 145 147 150 153 155
160 160 165 166 167 171 173 176 177
179 179 184 185
Inhaltsverzeichnis
8. 2. 2 Die Bilderentfernungen 1532 8. 2. 3 Die Vorgänge um die Bilder in den Dörfern
Kapitel 9: Isny 9. 1 Die Einführung der Reformation 9. 2 Bildentfernungen und Bilderfrevel in der Reichsstadt 1532 9. 3 Der Isnyer „Klostersturm" von 1534
Kapitel 10: Kempten 10. 1 Die reformatorische Lehre hält Einzug 10. 2 Die Bilderentfernung im Stift Kempten während der Bauernunruhen 1525 10. 3 Der Kampf gegen die Bilder in der St. Mang-Kirche und den Kapellen der Stadt 1533
Kapitel 11: Giengen an der Brenz 11.1 Die Reformation in Giengen 11.2 Das Ausbleiben des „Bildersturms"
Kapitel 12: Kaufbeuren 12. 1 Zur Kaufbeurer Reformationsgeschichte 12.2 Der Umgang mit den religiösen Bildern 12. 2. 1 Die Bilderfrage auf dem Religionsgespräch 1525 12. 2. 2 Ausräumung, Weiternutzung und Nichtnutzung der Bilder seit 1545
Kapitel 13: Ravensburg
XI
190 196
199 199 203 205
211 211 216 219
224 224 228
233 233 239 239 245
255
13. 1 Die Situation in Ravensburg zu Beginn des 16. Jahrhunderts. 255 13.2 Ravensburg und die Reformation 257 13.3 Der Umgang mit den Bildern 264
Kapitel 14: Leutkirch 14. 1 Die Reformation in Leutkirch 14. 2 Die Bilderfrage in Leutkirch 14. 2. 1 Pfarrkirche St. Martin 14. 2. 2 Die anderen Kirchen und Kapellen der Stadt
273 273 275 275 276
XII
Inhaltsverzeichn is
14. 3 Der Bilderfrevel von 1614
277
Kapitel 15: Zusammenfassung
278
Anhänge
287
Anhang I: Werbung Martin Raubers an den Rat der Reichsstadt Giengen Anhang II: Die lutherischen Kirchenstürmer in Biberach Anhang III: Stellungnahme der Esslinger Kapläne und Orden zu Messe und Heiligenbildern Anhang IV: Stellungnahme der Reutlinger Prädikanten gegen die Anschuldigungen des Pfullinger Vikars Burkhard Sinz
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Gedruckte Quellen Sekundärliteratur
Register Personenregister Ortsregister Sachregister
288 299 302 307
313 313 319 323
355 355 363 372
Abkürzungsverzeichnis AGF AHC AQDGNZ ARG ARG.L AzTh
Allgäuer Geschichtsfreund Annuarium historiae conciliorum Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit Archiv für Reformationsgeschichte - Literaturbericht Arbeiten zur Theologie
BCor BDS BFrA BBKG BBKL BWKG BLVS
Briefwechsel Martin Bucers/Correspondance de Martin Bucer Martin Bucers Deutsche Schriften Bavaria Franciscana antiqua Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon Blätter für Württembergische Kirchengeschichte Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart
CChr.SL CR CSch
Corpus Christianorum. Series Latina Corpus Reformatorum Corpus Schwenckfeldianorum
DWb
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm
EDG EHS.T EKGB
Enzyklopädie Deutscher Geschichte Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns
FDA Fol.
Freiburger Diözesanarchiv Folio
GK
Gestalten der Kirchengeschichte
HBBW hg. HJb HPB1 HStA HZ HZ.B
Heinrich Bullinger Briefwechsel herausgegeben Historisches Jahrbuch Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland Hauptstaatsarchiv Historische Zeitschrift - Beiheft
XIV
A
bkürzungsverzeichnis
JBTh
Jahrbuch für Biblische Theologie
KDBay KDBW
Die Kunstdenkmäler von Bayern Die Kunstdenkmäler in Baden-Württemberg
LCI Lgf. LThK
Lexikon der christlichen Ikonographie Landgraf Lexikon für Theologie und Kirche
Mgf. MGH MGH.Conc MGH.L MGH.SRM MMGB1 N. R.
Markgraf Monumenta Germaniae histórica - Concilia (= MGH.L Sectio 3) - Leges - Scriptores rerum Merovingicarum Memminger Geschichtsblätter Neue Reihe
PL
Patrologiae cursus completus. Series Latina
QFRG QFWKG
Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Quellen und Forschungen zur württembergischen geschichte
Rez. RGST RoJKG RPr
Rezension Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte Ratsprotokoll(e)
S. SCJ SHCT SMAFN StA StadtA StadtB StKG s. v. SVRG
Seite(n) Sixteenth-Century Journal Studies in the history of Christian thought, ab Bd. 111 : Studies in the history of Christian traditions Spätmittelalter und Frühe Neuzeit Staatsarchiv Stadtarchiv Stadtbibliothek Studien zur Kunstgeschichte sub voce Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte
TFKG TThZ TRE
Tübinger Forschungen zur Kunstgeschichte Trierer Theologische Zeitschrift Theologische Realenzyklopädie
Accurante
Jaques-Paul
Migne.
Kirchen-
Abkürzungsverzeichnis
XV
UO
U l m und Oberschwaben. Bd. 1 - 1 8 (1843-1868): Verhandlungen des Vereins für Kunst und Alterthum in U l m und Oberschwaben; N. R. Bd. 1-7 (1869-1875): Verhandlungen des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben; Jg. 1 - 2 (1876-1877): U l m Oberschwaben. Korrespondenzblatt des Vereins fiir Kunst und Altherthum in Ulm und Oberschwaben; 1878-1890 erschien die Zeitschrift als besondere Abschnitte in W V h L G ; Bd. 1 - 3 1 (1891-1941): Ulm - Oberschwaben. Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben; Bd. 32 ff (1951 ff): U l m und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte und Kunst.
VBGK VD 16
VVPfKG
Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche Badens Veröffentlichungen des Vereins für pfalzische Kirchengeschichte
WA WA Br WLB WVhLG
D. Martin Luthers D. Martin Luthers Württembergische Württembergische
Z ZBGV ZBKG ZGO ZHF ZHVS ZKG ZSA ZSRG ZSRG.GA ZSRG.KA ZThK ZWLG
Huldreich Zwingiis Sämtliche Werke Zeitschrift des bergischen Geschichtsvereins Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben (und Neuburg) Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte - Germanistische Abteilung - Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Theologie und Kirche Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte
VIEG VMPIG VVKGB
Werke (Weimarer Ausgabe) Werke. Briefwechsel (Weimarer Ausgabe) Landesbibliothek Stuttgart Vierteljahreshefte für Landesgeschichte
Kapitel 1
Einleitung 1. 1 Zwischen Bilderverehrung und Bilderfeindschaft: historische Problemskizze Auf vielen zeitgenössischen Darstellungen des 16. Jahrhunderts wird die Entfernung der Bilder aus ihrem religiösen Kontext als barbarischer, gewaltsamer Akt dargestellt 1 . In den meisten Fällen sind Männer, seltener Frauen und Jugendliche, zu sehen, die, mit Äxten, Pickeln oder anderen Geräten bewaffnet, die Heiligenstatuen von ihren Sockeln werfen, Tafelmalereien zerschlagen oder den Kirchenschmuck verbrennen. Nur selten dagegen wird auf den Darstellungen der Weg des einfachen Wegräumens aufgezeigt, wie in einem Detail auf dem Erhard Schön zugeschriebenen Holzschnitt, der um 1530 in Nürnberg entstanden ist. MaereOe oer armen verfolgten ©örjen t>no (Teinpcfpilocr/übcrfo ungleich wtafl ono frraffe.
Klagrede der armen verfolgten Götzen und Tempelbilder Holzschnitt von Erhard Schön, Nürnberg um 1530 © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Kupferstichkabinett H 7404, Kapsel 53.
Auf der rechten Bildhälfte ist links neben dem Mann, der gerade eine Statue dem Scheiterhaufen übergibt, deutlich eine Person zu erkennen, die 1
V g l . d a z u d i e B e i s p i e l e i n BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES W I L L E ? ,
s.
304-315, Kat.-Nr. 146-152 (Abb.); MlCHALSKI: Visual Arts, Abb. 6. 7. 9; ALTENDORF: Bildfeindschaft, S. 15, Abb. 1.
2
Einleitung
eine - vermutlich unbeschädigte - Figur in einen Nebenraum des Gotteshauses bringt, um sie dort neben anderen, bereits weggeräumten Gegenständen abzulegen. In dem diesem Holzschnitt meist hinzugefügten Text mit dem Titel ,Klagrede der armen verfolgten Götzen und Tempelbilder / über so ungleich urtayl und straffe' eines bislang unbekannten Verfassers in 383 Versen richtet sich die Kritik am Bildersturm aus der Sicht der Bilder vor allem gegen diejenigen, die die Bilder erst zu Götzen gemacht haben und nun durch deren Zerstörung versuchen, ihre Gewissen zu beruhigen 2 . „On zweyfel ist und ganz gewiß das wir nicht schuldig unsers bschiß [...] Ir selb habt uns zu götzen gemacht Von den wir yetz sind verlacht. [...] Alles unglueck wil er an uns rechen Und meint es sey schon alls vollbracht Drumb das man hat an uns gedacht Und das man uns yetz nymer sieht Fuerwar damit nit genoug geschieht Es sey dann das man weiter far."
Mit dem „Abtun" der Bilder, in die man die Schuld an den Mißständen der Zeit hineinprojizierte, ist es also nicht getan. Dazu müssen erst die „vil groesser goetzen" der Gesinnung und des Lebenswandels in Angriff genommen werden. Illustriert wird diese Situation am rechten oberen Bildrand: Im Hintergrund stehen auf einer Anhöhe zwei Bürger neben Geldbeutel, Weinkrug und zwei Prostituierten. Auf Lk 6,42 („Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: ,Bruder, laß mich den Splitter aus deinem Auge wegnehmen', während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Heuchler!") anspielend, ragt aus dem Auge des einen Bürgers ein großer Balken. Mit dem Flugblatt steht man schon mitten in der Diskussion um die Frage des religiösen Bildes oder - um mit Hans Belting zu sprechen - des Kultbildes 3 . Die Frage nach der Bedeutung der Bilder, nach dem Verhältnis 2
Eingesehenes Textexemplar: Schloßmuseum Gotha, Inv. G 74/4; die ,Klagrede' mit
d e m Holzschnitt
ist a b g e d r u c k t
i n O H N ' A B L A S S VON R O M KANN MAN WOHL SELIG
WERDEN, Quellentext XI. Umstritten ist die Zuschreibung der ,Klagrede' an einen konkreten Verfasser, etwa an Niklas Manuel, Thomas Blarer und neuerdings an Hans Sachs; v g l . M A R T I N L U T H E R UND DIE REFORMATION IN D E U T S C H L A N D , S. 3 8 8 f , K a t . - N r .
515;
L U T H E R UND DIE F O L G E N FÜR DIE K U N S T , S . 1 2 6 , K a t . - N r . 1 ; BILDERSTURM - W A H N S I N N ODER G O T T E S W I L L E ? , S . 3 6 1 , K a t . - N r . 1 8 6 ; H O L E N S T E I N / S C H M I D T : D e u t u n g ,
S.
517;
unten S. 44, Anm. 82. 3 Vgl. BELTING: Bild und Kult; vgl. jetzt auch KULT BILD; zum Kultbild im konfessionellen Zeitalter GANZ/HENKEL: Kultbilder, S. 9 - 3 8 .
Zwischen Bilderverehrung
und
Bilderfeindschaft
3
von Urbild und Abbild, von sichtbarer Darstellung, verborgener Wirklichkeit und Glauben an das Unsichtbare hatte bereits in der Antike und im Mittelalter die Gemüter bewegt. Aller Beschäftigung mit dieser Problematik gemeinsam ist, daß sie über die Bildebene hinaus auf eine hinter ihr liegende Wirklichkeit verweist und damit die Beziehung von Bild und geistiger Wirklichkeit oder von Sehen und Wissen thematisiert. „Sie [= die Religion] repräsentierte eine Art absoluter Wirklichkeit hinter der Fassade der Dinge. Da diese Wirklichkeit empirisch und sinnlich nicht verfugbar war, machten die Hüter des Glaubens sie entweder durch Bilder anschaulich, über die sie Kontrolle ausübten, oder sie erließen ein Bilderverbot, welches Bilder aber nicht gänzlich annulliert, sondern sie den Augen entzieht, um sie in die innere Vorstellung zu verlegen. In Bildbegriffen überleben Glaubensbegriffe, und Bildpraktiken begannen einmal als Glaubenspraktiken." 4 Die entscheidende Frage war daher die nach dem rechten Gebrauch des Kultbildes oder, allgemeiner, des religiösen Bildes. Einigkeit bestand darin, daß gegen den Mißbrauch des Bildes, d. h. gegen eine falsche Verehrung, die als Götzendienst gelten müsse, konsequent einzuschreiten sei: „Götzen" - und damit auch götzendienerische Bilder - seien zu vernichten. In diesem Sinne sagte nach dem Bericht des Gregor von Tours Bischof Remigius von Reims bei der Taufe Chlodwigs die berühmten Worte: „Bete an, was du verbrannt hast! Verbrenne, was du angebetet hast!" 5 Dieses Grundmuster des ,usus' und ,abusus' der Bilder durchzieht die Bilderfrage von der Antike bis zur Reformationszeit (und über den religiösen Kontext hinaus bis heute 6 ); was rechter und falscher Gebrauch ist, beschäftigt seit Piaton Philosophen, Theologen, Künstler und Historiker. Die Definitionen und Lösungsvorschläge für rechten Gebrauch und Mißbrauch und insbesondere die inhaltlichen Bestimmungen von „Götzendienst" können dabei allerdings weit auseinandergehen 7 . In der christlichen Religion lebte einerseits das aus der jüdisch-alttestamentlichen Tradition stammende Bilderverbot weiter, nach dem die Darstellung des Göttlichen unmöglich war, weil dem unsichtbaren und unabbildbaren Gott allein Verehrung gebühre. Andererseits ermöglichte der Glaube an die Verkörperung des Göttlichen in der Person Jesu Christi die 4
5
BELTING: D a s e c h t e B i l d , S. 7 .
„Adora quod incendisti! Incende quod adorasti!" GREGOR VON TOURS: Libri
h i s t o r i a r u m 2, 31; MGH.SRM 1/1,77,lOf. 6
V g l . d a z u LENTES: I d o l a t r i e , S. 3 1 - 4 5 ; FAUPEL-DREVS: G e b r a u c h d e r B i l d e r ; BEL-
TING: Das echte Bild, S. 14-30 (Idolatrie heute; Die Öffentlichkeit und der Mißbrauch der Bilder); MAIER: Die Politischen Religionen, S. 485-507; WIRTH: Aspectes modernes, S. 4 6 0 - 4 8 1 . 7
Zu den verschiedenen Theorien zum Bilderkult jetzt übersichtlich WIRTH: Theorien,
S. 2 8 - 3 7 .
4
Einleitung
christliche Legitimierung einer verbildlichten Heilsgeschichte, auch wenn im Neuen Testament die Bilderfrage kein hervorgehobenes Thema ist. Bereits Paulus warnte jedoch vor dem Götzendienst (Idolatrie), der Verehrung der falschen Bilder (z. B. 1. Kor 10,14)8. Die Schriften der Kirchenväter befassen sich auch nur am Rande mit den Bildern; lediglich die Siegelbildvorschläge des Clemens Alexandrinus bilden eine Ausnahme. Daß aber bildliche Darstellungen in den Gemeinden und den gottesdienstlichen Versammlungsräumen gebräuchlich wurden, belegt die Synode von Elvira, die im Jahre 306 festlegte, daß Bilder in der Kirche nicht zu dulden seien, da man das zu Verehrende und Anzubetende nicht an die Wände malen könne 9 . Seit dem 4. Jahrhundert freilich gehörten die Bilder zum festen Bestandteil der christlichen Kultur 10 . Das Diktum Gregors des Großen (540-604), die Bilder dienten als Biblia pauperum für die des Lesens und Schreibens Unkundigen, begründete die Tradition einer didaktisch-pädagogischen Funktion der Bilder 11 . Die Spannungen zwischen dem Wort und dem Bild als Medium der Verkündigung und zwischen rechter und falscher Verehrung der Bilder blieben jedoch bestehen und kulminierten erstmals im Bilderstreit der Ostkirche. In den Streitigkeiten des 8. Jahrhunderts standen auf der einen Seite die Verfechter der Bilderverehrung (Ikonodulen), deren Wortführer Johannes Damascenus war und die theologisch von der Inkarnation Gottes und philosophisch (neuplatonisch) von einer Urbild-Abbild-Korrelation ausgingen, auf der anderen Seite die Bildergegner und -Zerstörer (Ikonomachen/Ikonoklasten), die in der Verehrung der Bilder Götzendienst und einen verkehrten Umgang mit dem Göttlichen sahen: Wer Christus abbildet, will seine göttliche Natur in einem einfachen Menschen abbilden. Das ewige Wort Gottes (der Christus-Logos nach Joh 1) ist jedoch undarstellbar. Nachdem die Synode von Konstantinopel 753 unter dem byzantinischen Kaiser Konstantin alle religiösen Bilder verboten hatte, kam es zu
8
V g l . A N G E N E N D T : L i t u r g i k , S . 1 2 5 ; CAMPENHAUSEN: P r o b l e m , S . 3 3 - 6 0 , T H Ü M M E L :
Art. Bilder V/1; LOEWENICH: Art. Bilder V/2. 9 Vgl. EFFENBERGER: Frühchristliche Kunst, hier: S. 86. 10 Vgl. dazu die Beiträge zu den .Historischen Aspekten' im Band W o z u B I L D E R IM CHRISTENTUM, S . 1 - 1 1 7 ; B E L T I N G : Bild und Kult, S . 4 2 - 5 9 (Warum Bilder? Bildfragen und Religionspraktiken am Ausgang der Antike); zur Entwicklung der christlichen Bilderverehrung jetzt die kurze Übersicht von Peter Jezler in BILDERSTURM - W A H N S I N N ODER G O T T E S W I L L E ? , S . 1 3 6 ; e b d . , S . 1 3 7 - 1 4 9 , K a t . - N r . 1 - 9 . 11 GREGORIUS MAGNUS: Registrum epistularum XI,10: „Nam quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibus, quia in ipsa ignorantes vident quod sequi debeant, in ipsa legunt qui litteras nesciunt; unde praecipue gentibus pro lectione pictura est"; CChr.SL 140A,874,23-26. - Vgl. dazu SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 36-41;
BILDERSTURM - W A H N S I N N ODER G O T T E S W I L L E ? , S. 1 7 0 f , K a t . - N r . 3 0 ; D U G G A N : A r t ,
S. 227-251.
Zwischen Bilderverehrung
und
Bilderfeindschaft
5
gewaltsamen Auseinandersetzungen. Durchsetzen konnte sich letztlich die Partei der Bilderverehrer: Im 2. Konzil von Nicäa 787 12 , das zwar die Anbetung der Bilder verbot, ihre Verehrung unter bestimmten Auflagen jedoch erlaubte, und in der Synode von Konstantinopel 843 fand die Ikonentradition der orthodoxen Kirche ihre legitimierende Grundlage. Die Westkirche dagegen beschritt nach dem Konzil von Nicäa einen etwas anderen 13 , aber „nicht weniger bildnisgläubigen" 14 Weg: Charakteristisch für sie wurde im Laufe der Jahrhunderte bis zum Beginn der Reformation eine große - diachrone und synchrone - Variabilität des Bildverständnisses und Bildgebrauchs. So fand im 15. Jahrhundert der kognitive, pädagogisch-katechetische Einsatz von Bildtafeln als Lehrbildern des rechten Glaubens ein deutlich zunehmendes Gewicht 15 - eine Bildfunktion, an der dann die Reformation positiv anknüpfen oder auch heftig Kritik üben konnte 16 . Gleichzeitig gewannen religiöse Bilder eine große Beliebtheit als vielfaltig verwendbare Andachtsbilder 17 , die das Heilsgeschehen der Erinnerung, der Einbildungskraft, dem Gefühlsleben, einer ehrfurchtsvollen Gebetshaltung und der praktizierenden ,imitatio' des Bildbetrachters nahebringen sollten. Darüber hinaus aber erhielten Bilder - oft als Skulpturen und in Verbindung mit Reliquien - eine kultische, quasi-sakramentale und paraliturgische Funktion 18 . Sehr häufig traten solche Kultbilder als „handelnde Bilder" 19 im Rahmen liturgischer Inszenierungen (z. B. das Wiegen des Christkinds an Weihnachten, der Umzug mit dem Esel am Palmsonntag, die Grablegung der Christusfigur am Karfreitag, das Emporziehen der Taube an Pfingsten) in Erscheinung, als wundertätige, segens- und heilsvermittelnde Gnadenbilder, zu denen man eine Wallfahrt oder Prozession unternahm, und als Repräsentationen jener Heiligen, die 12
Vgl. zuletzt T H Ü M M E L : Konzilien zur Bilderfrage. Vgl. etwa die von den Hoftheologen Karls d. Großen 787 ausgearbeiteten Vorschläge zum Umgang mit den Bildern: LlBRI CAROLINI III, cap. 11 („Quod inutiliter et incaute Gr?ci ecclesiam catholicam anathematizare conati sint in eorum synodo, eo quod imagines non adoret, cum utique prius debuerint omnino scrutari, quid uniuscuiusque partis ecclesia de hac causa sentire vellet.") und cap. 30 („De eo, quod apochrifas et derisione dignas nenias suis loquutionibus interposuerunt."); MGH.Conc 2/Suppl.,123-125 und 167. 14 ANGENENDT: Liturgik, S. 127. 15 Vgl. dazu die Arbeit von S L E N C Z K A : Lehrhafte Bildtafeln. 16 Vgl. dazu unten S. 21f und S. 26 (Luther) und S. 27f (Zwingli). 17 Vgl. T R I P P S : Bilder und private Devotion; B I L D E R S T U R M - W A H N S I N N O D E R 13
G O T T E S W I L L E ? , S . 2 5 8 - 2 7 9 , K a t . - N r . 1 1 0 - 1 2 6 ; SPIEGEL DER SELIGKEIT. 18
Vgl. SCRIBNER: Das Visuelle in der Volksfrömmigkeit, S. 17f; ANGENENDT: Liturgik, S. 127-130. - Immer noch umstritten ist die Frage, ob die Altarretabel eine liturgische Funktion erfüllten; vgl. dazu VAN DERPLOEG: Altarpiece, S. 103-121. 19 Eine hervorragende Übersicht zu den „handelnden Bildern" jetzt in B I L D E R S T U R M W A H N S I N N O D E R G O T T E S WILLE?, S. 218-243, Kat.-Nr. 74-92.
6
Einleitung
man um Fürbitte anrufen konnte. Insofern kann man auch im Blick auf den Westen und die Situation vor der Reformation von einer „Realpräsenz der Kultperson in ihrem Bild" 20 sprechen. Von Bildern geht, so glaubte man, eine heilwirkende und heilsvermittelnde Kraft aus, die man durch andächtiges Anschauen, Berühren, Niederknien und Beten auf sich ziehen kann. Mit diesem vielfaltigen Bildgebrauch und Bilderkult verbindet sich im Spätmittelalter eine zentrale Form der Jenseitsvorsorge der Gläubigen: die Ausgestaltung des Stiftungswesens. Den religiösen Bildwerken kam dabei eine so große Bedeutung zu, daß „Kirchen schmücken" und „Bilderstiften" im 15. Jahrhundert 21 zu einer „Sonderform des Almosens" werden konnte, wie Peter Jezler herausgearbeitet hat 22 . Bedingt durch diese vielfältigen Funktionen, die die Bilder übernehmen konnten, nahm auch die Bildproduktion im ausgehenden Mittelalter immer größere Ausmaße an. Diese Kulmination der Bildfrömmigkeit wird aber von unterschiedlichen Formen der theologischen Bilderkritik (Zisterzienser, Hussiten, Lollarden, Robert Holcot 23 ) und handgreiflichen Attacken bis hin zu bilderstürmerischen Praktiken gegen religiöse Bilder 24 begleitet. Insofern kann man das ganze Mittelalter bis hinein in die Reformation im Lichte der Bilderkontroverse des 8. und 9. Jahrhunderts, d. h. im Widereinander von Ikonodulen und Ikonoklasten, von Bilderverehrung und Bilderkritik, sehen - wobei sich mit genuin religiösen Impulsen auch soziale, ökonomische und politische Motive verbinden können. Eine prinzipielle Bilderfeindschaft ist im ausgehenden Mittelalter die Ausnahme und „wurde zu einem Indikator häretischer Gesinnung" 25 . Nicht selten dagegen sind partielle Bilderfrevel als „eine Artikulationsform von Kirchen- und Herrschaftskritik" 26 ; und häufig wird von theologischer und humanistischer Seite eine Bilderkritik vorgetragen, die sich insbesondere gegen einen magisch-verdinglichenden, veräußerlichten und als abergläubisch' empfundenen Bilderkult wendet. So spottet Erasmus von Rotterdam in seinem ,Lob der Torheit' über jene, die sich „einer törichten Einbildung überlassen [und] überzeugt sind, sie könnten an einem Tag, an dem sie einen Blick auf eine Holzstatue oder ein Bild des Polyphem Christophorus 20 So Thomas Lentes in seiner noch ungedruckten Dissertation über .Andacht und Gebärde'; zit. nach ANGENENDT: Liturgik, S. 127. 21 V g l . das B e i s p i e l einer K a p e l l s t i f t u n g in BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES WILLE?, S. 2 l 0 f .
22 23
Vgl. JEZLER: Bildersturm, S. 20. V g l . BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES W I L L E ? , S. 2 8 6 f , K a t . - N r .
133;
SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 41-76. 24 Vgl. MARCHAL: Mittelalter, S. 255-282; DERS.: Das vieldeutige Heiligenbild, S. 3 0 7 - 3 3 2 ; BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES WILLE?, S. 1 0 8 f . 25 26
SCHREINER: Dimensionen mittelalterlicher Frömmigkeit, S. 14. Ebd.
Zwischen Bilderverehrung
und
Bilderfeindschaft
1
geworfen haben, nicht sterben" 27 . Erasmus verurteilt die Anbetung des Hl. Christopherus als abergläubischen Bilderkult 28 und zitiert die - auch bei den der humanistischen Tradition verpflichteten Reformatoren später zum locus classicus gewordene - Bibelstelle Joh 4,24 („Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten"). Charakteristisch für eine differenzierende theologische Bilderkritik vor der Reformation ist vor allem die Wendung gegen die populäre Vorstellung von der Realpräsenz des Heiligen im Bild. In der Tradition augustinischer (neuplatonisch beeinflußter) Signifikationshermeneutik betonte man, daß Bilder nur zeichenhafte Abbilder von Urbildern sind, also nicht wirksame Träger übernatürlicher Kräfte, sondern sinnlich vergegenwärtigende und geistig anregende Medien, die von sich selbst weg auf das Eigentliche verweisen. In diesem Sinn schrieb der Benutzer eines Holzschnittes, der eine von Petrus und Paulus gehaltene ,Vera icon' darstellt, um 1500 an den Rand des Blattes die Warnung: „Denn das Bild zeigt Gott, ist aber nicht Gott selbst. Sieh es an [das Bild]: aber verehre mit dem Verstand, was Du 2Q m ihm erkennst." Die Reformation bot ein ganzes Bündel von Argumenten, um der bisherigen Bilderverehrung theoretisch-programmatisch, polemisch-agitatorisch und durch handgreifliche Aktionen den Boden zu entziehen: Zum prinzipiellen Angriff auf die Jenseitsvorsorge durch gute Werke 30 , der den Bildstiftungen den Boden entzog, kam die vom ,solus Christus' her vorgetragene Kritik an der Heiligenverehrung durch die Bildmedien, der mit dem biblischen Bilderverbot argumentierende Angriff auf alle „Kreaturvergötterung" in Gestalt angeblicher heilsvermittelnder Bilder und schließlich auch eine Argumentationslinie, die das materielle Bild gegenüber dem geistigen Wort als religiös inadäquate und nur schädliche Vermittlungsform abwertete. So deutlich alle Reformationsgesinnten gegenüber der mittelalterlichen Bilderfrömmigkeit (und dem mit ihr verbundenen Heiligen- und Reliquienkult) durch eine prinzipielle Ablehnung 31 , eine fundamentale Desakralisierung der Bilder, geeint sind, so divergierend sind doch von Anfang an die Argumentationsebenen und die angestrebten praktischen Konsequenzen für den Umgang mit den religiösen Bildern. Dabei zeigt sich nicht nur ein scharfer Traditionsabbruch, sondern auch die 27
ERASMUS VON ROTTERDAM: L o b d e r T o r h e i t , S. 5 1 .
28
Vgl. dazu die später von Hans Holbein im Druck von 1515 hinzugefügte Federzeichnung mit einem durch die Narrenschelle an der Kapuze charakterisierten N a r r e n , d e r z u m H l . C h r i s t o p h e r u s b e t e t , in: BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES
WILLE?, S. 288f, Kat.-Nr. 134. 29 Zit. nach SCHMIDT: Beschriebene Bilder, S. 370: „Nam deus est, quod imago docet, sed non deus ipsa. Hanc videas: sed mente colas, quod cernís in ipsa." 30 Etwa durch Luthers Schrift „Von den guten Werken" aus dem Jahre 1520. 31 Vgl. dazu jetzt JEZLER: Bildersturm, S. 23.
8
Einleitung
Fortführung bildkritischer Traditionen des Mittelalters und - im Bereich des Luthertums - eine starke Kontinuität zum lehrhaft-katechetischen Bildverständnis 32 . Die Gleichzeitigkeit verschiedener Lösungsmöglichkeiten in einem abgegrenzten Raum soll in dieser Arbeit in den Blick genommen werden.
1. 2 Zum Stand der Forschung Die Beschäftigung mit der Erscheinung des sogenannten Bildersturms fand und findet in der profan-, reformations- und kunstgeschichtlichen sowie der mentalitäts- und kulturwissenschaftlichen Forschung der letzten fünfzig bis sechzig Jahre großen Anklang, wobei unterschiedliche Aspekte und Fragestellungen im Vordergrund stehen 33 . Sehr intensiv beschäftigte sich die Theologie mit den verschiedenen Positionen 34 der großen Reformatoren Martin Luther, Huldrych Zwingli 35 und Jean Calvin 36 , deren Haltungen zu den religiösen Bildern von einer kritischen Duldung oder gemäßigter Kritik bis zu entschiedener Ablehnung reichten. Bis auf Andreas Bodenstein von Karlstadt, der mit seiner rigorosen Position in der Bilderfrage die Unruhen in Wittenberg im Frühjahr 1522 verschärfte 37 , schenkte man den Reformatoren der zweiten oder dritten Reihe' allerdings weniger Beachtung. Wesentliche Impulse erhielt die Thematik ,Stadt und Reformation' seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durch die Arbeiten des Göttinger Kirchenhistorikers Bernd Moeller 38 . Bei seinem Bestreben, die Eigenart 32 Nicht eingegangen w e r d e n kann auf die altgläubige Position, die auf dem Konzil von Trient ( 1 5 4 5 - 1 5 6 3 ) d e n U m g a n g mit den Bildern für die katholische Seite bis in das Zeitalter der A u f k l ä r u n g festlegte. D e r Vorwurf der Götzenanbetung wird zurückgewiesen, die Verehrung gelte nur d e m Urbild. Die katholische Glaubenspropaganda bediente sich weiterhin der Suggestionskraft der Kunst, „denn was das Aug siehet / glaubet das Hertz"; zit. nach ALTE KLÖSTER - NEUE HERREN, S. 197. Vgl. auch HECHT: Katholische Bildertheologie. 33
Die älteren A r b e i t e n k ö n n e n übergangen werden, da sie wie beispielsweise VEGH: Bilderstürmer, oder BERNHART: Bilderstürmer, nur am Rande auf das reformatorische Bilderproblem eingehen; vgl. dazu WARNKE: Bilderstürme, S. 7. 34 Bis heute grundlegend hierfür ist die Arbeit von CAMPENHAUSEN: Bilderfrage, S. 9 6 - 1 2 8 . Zu den weiteren Studien, die unterschiedliche theologische und dogmatische Positionen darstellen, vgl. unten die Angaben in Kapitel 2. 35 Vgl. unten S. 21, Anm. 2; S. 27, Anm. 23; WEERDA: Bilderfrage, S. 2 8 9 - 3 2 2 . 36 Vgl. GRAU: Calvins Stellung. 37 Karlstadts Position, die in der Literatur gerne hinter derjenigen Luthers verschwand, erfuhr erst in j ü n g s t e r Zeit eine angemessene Würdigung; vgl. BUBENHEIMER: Scandalum, S. 2 6 3 - 3 4 2 ; MLCHALSKL: Visual Arts, S. 4 3 - 5 0 . 38 Vgl. MOELLER: Reichsstadt u n d Reformation; DERS.: Kirche, S. 1 4 7 - 1 6 2 .
Zum Stand der Forschung
9
des oberdeutsch-schweizerischen Reformationstypus in Abgrenzung zum norddeutsch-lutherischen Typus zu beschreiben, stellte er die in unserem Zusammenhang interessante These auf, daß sich in sämtlichen oberdeutschen Städten „die Einführung der Reformation jeweils regelrecht datieren [läßt] auf den Tag, an dem in aller Form Bilder und Messe abgeschafft wurden" 39 . Solche eindeutigen Vorgänge, die durch die religiöse Motivation und das geordnete Vorgehen der Stadtregimente charakterisiert waren, habe es in den lutherischen Städten und Territorien nicht gegeben. Aber nicht nur die Untersuchungen zur städtischen und territorialen Reformationsgeschichtsforschung lenkten in der Folgezeit ihren Blick auf die bilderstürmerischen Vorgänge, sondern auch kunst-, sozial- und mentalitätsgeschichtliche sowie anthropologische Fragestellungen fanden Eingang in die Betrachtung. 1973 publizierte der Kunsthistoriker Martin Warnke erstmals eine Aufsatzsammlung zum Thema ,Bildersturm' mit Beiträgen von der Antike bis zum Nationalsozialismus, in dem er selbst eine Abhandlung zu den Bilderstürmen der Wiedertäufer in Münster 1534/35 beisteuerte 40 . Die immer wieder postulierte sozialkritische Motivation bilderstürmerischer Aktionen fand ihren Höhepunkt in der These Bradys, der Bildersturm in Straßburg sei weniger Ausdruck religiöser Erregung als vielmehr sozialer Rebellion gewesen. Die religiöse Funktion der Bilder wurde bestritten und ihre Aufgabe dahingehend reduziert, einzig das Sozialprestige der Stifter zu fördern 41 . Bradys These stieß auf starken Widerstand in der Forschung 42 . Zwei große Ausstellungen im Jahre 1983, zum einen über ,Luther und die Folgen für die Kunst' in Hamburg und zum andern über ,Martin Luther und die Reformation in Deutschland' in Nürnberg lenkten ebenfalls den Blick auf das Problemfeld Kunst und Religion 43 . Aus einem interdisziplinären Seminar an der Theologischen Fakultät in Zürich ging der von Hans-Dietrich Altendorf und Peter Jezler herausgegebene Band zum ,Bilderstreit' hervor, der sich in elf Studien der 39
MOELLER: Kirche, S. 151.
40
Vgl. BILDERSTURM, b e s . S. 6 5 - 9 8 .
41
Vgl.
BRADY:
Ruling Class, S.
215-230.
- Zur marxistischen Sichtweise vgl.
KUNST
UND R E F O R M A T I O N ; U L L M A N N : U n r u h e n , S . 1 1 5 - 1 2 6 . 42 Bernd Moeller wies die Reduzierung Bradys mit der Begründung zurück, daß das Bilderstiften und die Bilderfrömmigkeit keineswegs auf die herrschenden Gruppen der Städte beschränkt war, und forderte auf, für die Interpretation der städtischen Reformationsvorgänge eher sozial-anthropologische als soziologische Kategorien anzuwenden; vgl. M O E L L E R : Stadtreformation, S. 103-112. Auch S M O L I N S K Y : Stadt und Reformation, S. 39, übte Kritik an der einseitigen Schilderung und stellte fest, daß der „biblisch motivierte Eifer sicherlich nicht nur in den Köpfen der Theologen lebte, sondern auch dem gemeinen Mann vermittelt wurde". Vgl. auch die Bemerkungen zum Stand der Bildersturmdebatte 1985 von GREYERZ: Stadt und Reformation, S. 25. 43
V g l . L U T H E R U N D DIE F O L G E N FÜR DIE K U N S T ; M A R T I N L U T H E R UND DIE R E F O R -
MATION IN DEUTSCHLAND, b e s . S. 2 1 9 - 2 5 4 u n d S. 3 3 3 - 3 7 8 .
10
Einleitung
Bilderfrage in Zürich als „Ausdruck des tiefgreifenden Kulturwandels [...], den die Zürcher Reformation mit sich brachte", zuwandte 44 . Auf die Initiative Bob Scribners und Martin Warnkes hin kam es 1986 zu einer wissenschaftlichen Tagung in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, deren Ergebnisse 1990 in einem Sammelband zum Thema ,Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit' publiziert wurden 45 . Von den zwölf Beiträgen, die alle reformationsgeschichtliche Aspekte berühren, sollen drei besonders hervorgehoben werden. Bob Scribner stellte die Frage, wie es von einer sakramentalen Auffassung der sinnlichen Welt zu einer antisakramentalen kommen konnte, und konstatierte, daß dabei „die Bilderfrage am Kern einer wichtigen ontologischen Verschiebung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit liegt" 46 . Peter Jezler formte in seiner vorbildlichen Studie über die verschiedenen Etappen des Zürcher Bildersturms Quellenbefunde, eigene Vorarbeiten und die Ergebnisse der bisherigen Forschungen erstmals zu einer Gesamtschau der ikonoklastischen Vorgänge in den 1520er Jahren zusammen 47 . Sergiusz Michalski wagte erstmals den Versuch, die Fülle des Materials nach einer intensivierten Phase der Untersuchungen zu ordnen und spürte dem „Phänomen Bildersturm" von Genf bis Königsberg, von Xanten bis Breslau, von Ostfriesland bis zur Oberpfalz und von der ersten Nachricht aus der Grafschaft Toggenburg 1520, wo Uli Kennelbach wegen Gotteslästerung und Bilderschändung im Juni enthauptet worden war, bis zu den Ereignissen in Prag 16 1 9 48 nach 49 . Eindrucksvoll zeigte sich dabei nicht nur eine räumliche Ausdehnung der Fragestellung 50 über die bekannten Beispiele im schweizerischen-oberdeutschen Raum, Wittenberg und Münster hinaus auf andere Reichsgebiete und den europäischen Raum 51 , 44
Vgl. B I L D E R S T R E I T , Zitat: S . 7 . Einige Beiträge erschienen gleichzeitig im Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte: Unsere Denkmäler 35 (1984). 45 Vgl. B I L D E R UND B I L D E R S T U R M ; vgl. auch die Besprechungen des Bandes in ZHF 20 (1993), S. 383f (Rainer Wohlfeil) und ARG.L 24 (1995), S. 22f. 46 Vgl. SCRIBNER: Das Visuelle in der Volksfrömmigkeit, S. 9 - 2 0 , Zitat: S. 20. 47 Vgl. JEZLER: Etappen, S. 143-174. 48 Am Weihnachtsfest 1619 kam es während der kurzen Herrschaft des calvinistischen Winterkönigs Friedrich V. von der Pfalz zu Bilderentfernungen im Veitsdom. Noch heute erinnert ein um 1630 von Georg Brendl geschaffenes Hochrelief gegenüber dem Wladislawschen Oratorium/Maria-Magdalena-Kapelle an die Szenen der Verwüstung. 49 Vgl. MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 69-124. Michalski weist in seiner Studie immer wieder auf ihren provisorischen Charakter hin. 50 Auch wenn einschränkend betont werden muß, daß auf die Bilderfrage bei vielen Darstellungen zur Einführung der Reformation nur am Rande eingegangen wird. 51 Der Bildersturm als Begleiterscheinung des reformatorischen Prozesses in Europa kann hier nicht berücksichtigt werden. Es sei hier lediglich verwiesen auf die Untersuchungen von MICHALSKI: Doktryna protestancka (zu Polen, Rußland, dem Baltikum und
Zum Stand der
Forschung
11
sondern auch eine zeitliche Ausweitung des Themas bis ins konfessionelle Zeitalter hinein. Daneben brachte Michalski die bislang vernachlässigten methodischen und defmitorischen Fragestellungen in die Diskussion ein 52 . Die weiteren Untersuchungen der 1990er Jahre waren geprägt von unterschiedlichen Akzentuierungen 53 , die bei der Interpretation des „Phänomens Bildersturm" einerseits aus kunsthistorischer, frömmigkeits- und theologiegeschichtlicher Sicht (z. B. Hans Belting 54 , Sergiusz Michalski 55 , Johann Michael Fritz 56 ) an der Reformationsgebundenheit festhielten 57 , andererseits von sozial- und kulturwissenschaftlich argumentierenden Positionen aus die Bilderfrage in längerfristige Prozesse des kulturellen Wandels 58 , etwa der Ästhetik, der Medien, der Rituale oder Symbole, den Ostseegebieten); DEYON/LOTTIN: Casseurs; CHRISTIN: Révolution symbolique (zu Frankreich); SCHEERDER: Beeldenstorm; FREEDBERG: Iconoclasm (zu den Niederlanden); PHILLIPS: Destruction; ASTON: Iconoclasts; DUFFY: Stripping of the altars (zu England); MCROBERTS: Material destruction, S. 126-172 (zu Schottland). - Vgl. jetzt auch dazu SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 149-162, und CHRISTIN: Frankreich und die Niederlande, S. 57-66. 52 Auf diese wird unten S. 18 noch näher einzugehen sein. 53 Ich verweise hier auf die Ausführungen zu dieser Forschungskontroverse bei EHRENPREIS/LOTZ-HEUMANN: Reformation, S. 82-89. 54 Vgl. BELTING: Bild und Kult, S. 510-523; DERS.: Das echte Bild, S. 175-182. 55 Vgl. MICHALSKI: Visual Arts; vgl. dazu EHRENPREIS/LOTZ-HEUMANN: Reformation, S. 84f. 56
V g l . DIE BEWAHRENDE KRAFT DES LUTHERTUMS. D e r H e i d e l b e r g e r K u n s t h i s t o r i k e r
Johann Michael Fritz lenkte hier den Blick auf die Zeit nach dem reformatorischen Bildersturm, konkret auf die „bewahrende Kraft des Luthertums", die es aus „theologischer, kirchengeschichtlicher, kunsthistorischer und denkmalpflegerischer Sicht zu erläutern" gelte, da im Bildersturm nicht alles von der mittelalterlichen Ausstattung zerstört worden war und besonders in evangelischen Kirchen - mit regionalen Unterschieden - überdauert hat; FRITZ: Kraft, S. 9-11. Problematisch ist dabei allerdings eine in dem Terminus „Bewahrende Kraft" anklingende aktive und bewußte Position der lutherischen Seite; vgl. dazu auch MOELLER: Bilder, S. 31f. - Zu den möglichen Umgangsformen mit den Kunstwerken im lutherischen Bereich, der Weiternutzung, Umnutzung und Nichtnutzung, Vgl. SCHMIDT: Fülle, S. 71-78. 57 Vgl. auch MOELLER: Zeitalter der Reformation, S. 124f, mit Betonung der Diskrepanz zwischen dem Bilderreichtum am Vorabend der Reformation und der plötzlichen Ablehnung der Bilder in den Kirchen. 58 Auf die Auseinandersetzung zwischen „kulturalistischem Theorieansatz" und (kirchen-)historischen Forschungsansätzen um die Frage der Kontinuität und/oder Umbruch, d. h. letztlich um den Stellenwert der Reformation, soll hier nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei lediglich exemplarisch auf den Band KULTURELLE REFORMATION, dort bes. auf die Einleitung der beiden Herausgeber Bernhard Jussen und Craig Koslofsky (ebd., S. 13-27), und die heftige Reaktion des Erlanger Kirchenhistorikers Berndt Hamm (vgl. HAMM: Wie innovativ war die Reformation, S. 481-497). Hamms Feststellung ist zuzustimmen, daß „weder die Gesamtkonzeption des Bandes noch die einzelnen Beiträge aus der Sackgasse des einfachen Gegenübers oder Miteinanders von langfristigem Wandel und plötzlicher .Umwälzung' herausführen" (ebd., S. 484).
12
Einleitung
einzubinden versuchten (z. B. Lee Palmer Wandel 59 , Norbert Schnitzler 60 , Thomas Lentes 61 ). Als vorläufiger Höhepunkt der Beschäftigung mit der Thematik kann die von Peter Jezler und Jean Wirth initiierte Ausstellung ,Bildersturm Wahnsinn oder Gottes Wille' gelten, die 2000/2001 im Historischen Museum in Bern und im Musée de l'Œuvre Notre-Dame in Straßburg gezeigt wurde. An dem repräsentativen Ausstellungskatalog und an dem Aufsatzband 62 , der das in Bern anläßlich der Ausstellung abgehaltene Symposion dokumentiert, wird wohl „niemand, der sich in Zukunft für die religiöse Dimension des Reformationszeitalters, die Geschehnisse selbst und deren Wirkungsgeschichte, wissenschaftlich interessiert f...] vorübergehen" 63 können. Der Katalog gliedert sich in vier Abschnitte, die dem Interessierten Grundlegendes zu ,Bilderkult und Bildersturm' (I), fünf ,Städteporträts
59 Vgl. W A N D E L : Iconoclasts; DIES.: Voracious idols. Wandel betrachtet im Konzept der Reformation als Dialog bilderstürmerische Aktionen in Zürich, Basel und Straßburg als eigene Ausdrucksform einer praktizierten Theologie der „ordinary people"; zur Problematik der Quellenauswahl vgl. GÄUMANN: Rez. Wandel, S. 200f. 60 Vgl. S C H N I T Z L E R : Ikonoklasmus. In seiner Bielefelder Dissertation wandte sich Schnitzler zwei Themenkomplexen zu, zunächst „der spätmittelalterlichen Debatte über den christlichen Bilderkult [...], im zweiten Schritt geht es um die historische Analyse und Einordnung der ikonoklastischen Vorgänge selber, ihrer Urheber, des Stellenwerts spezifischer Rezeptionsformen religiöser Darstellungen und der zur Anwendung gebrachten ikonoklastischen Praktiken" (S. 19). Die Verbindung der beiden Teile bleibt vage, aber nach Schnitzler legen „die auf breiter Basis zu beobachtenden ,spontanen' ikonoklastischen Impulse darüber hinaus die Vermutung nahe, daß es sich hierbei um den Teil eines langfristigen Wandlungsprozesses handelt, der in der spätmittelalterlichen, von ,Häretikern' und Reformklerikern geäußerten Kritik am .Mißbrauch der Bilder' seinen Anfang nahm" (S. 145f). Während Schnitzler der theologischen Diskussion um die Bilderfrage keine zentrale Rolle mehr für die Motive der Bilderstürmer zuschreibt, untersucht er die konkreten Erscheinungsformen ikonoklastischer Gewalt, rituell und symbolisch vollzogener grausamer Handlungen und die Unterwerfung der Heiligenstatuen mittels Straf- und Bußpraktiken anhand von Beispielen in den vier norddeutschen Hansestädten Stralsund, Soest, Hildesheim und Lippe als spezifische Bestandteile einer lokalen Konfliktstrategie. Dabei „konzediert auch Schnitzler, daß als .Nebenprodukt' ikonoklastischer Aktionen, die sich gegen den Klerus richteten, der Durchbruch der Reformation in vielen Städten folgte"; EHRENPREIS/LOTZ-HEUMANN: Reformation, S. 86f. Vgl. auch die Bemerkungen von M Ö R K E : Reformation, S. 127. 61
Vgl. die Homepage der von Thomas Lentes geleiteten Forschergruppe „KultBild. Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum" an der Universität Münster; . 62
V g l . B I L D E R S T U R M - W A H N S I N N ODER G O T T E S W I L L E ? ; M A C H T UND O H N M A C H T
Vgl. dazu M O E L L E R : „Bildersturm", S . 3 9 1 - 3 9 6 ; A P P U H N - R A D T K E : Rez. .Bildersturm - Wahnsinn oder Gottes Wille?'. 63 MOELLER: „Bildersturm", S. 396.
DER BILDER.
Zum Stand der
Forschung
13
zum Bildersturm' (II) 64 , eine Auswahl kommentierter Quellenberichte über Bilder, Bilderstürmer und Betroffene (III) und einen Objektkatalog (IV) als umfangreiches Kompendium an die Hand geben. Um den reformatorischen Bildersturm in den Kontext der europäischen Geschichte einordnen zu können, widmeten sich die Vorträge drei großen Themenkomplexen: dem frühneuzeitlichen Bildersturm (Gegenstände der Zerstörung, Kontexte und Liturgien der Zerstörung), der Desakralisierung des Bildes (vom Kult- zum Kunstbild) und der Funktion von Bildern in den nachreformatorischen Konfessionen und politischen Religionen' 65 . Manche Fragen, etwa zu den definitorischen Abgrenzungen oder den Ursachen und Motiven der kulturellen Umwälzung, blieben weiterhin offen oder umstritten 66 ; offensichtlich wurde aber auch, daß „nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern auch in der Literatur-, Theologie- und Kunstgeschichte eine kulturwissenschaftliche Erweiterung des jeweils angestammten Fachgebietes begonnen hat" und die wahrnehmungs- und handlungsgeschichtlichen Aspekte mehr und mehr in den Vordergrund rücken 67 . Bilder sollen nicht mehr nur als Objekte, sondern als Symbole eines „christlichen Rituals der Weltdeutung und -beherrschung" in ihren verschiedenen Relationen betrachtet werden. Die kulturwissenschaftlichen Anregungen aufnehmend haben jüngst Berndt Hamm und Olaf Mörke gefordert, die oft noch nebeneinander her laufenden Forschungsstränge in einen Gesamtkomplex einzubinden und „mit Hilfe des Quellenmaterials intelligente Interdependenzmodelle zu entwickeln". „Wie kann man bei diesen enorm symbolbeladenen Vorgängen der Feindseligkeit gegen religiöse Bilder - von Nichtnutzung und Entfernung bis zu Zerstörungen - die Vielfalt der Faktoren zusammendenken: theologische Programmatik, Frömmigkeitseinstellungen, sozialen Konfliktstoff, obrigkeitlich-politische Strategien, antiklerikale Ressentiments, religiöse und ästhetische Bildauffassungen, Bedürfnisse nach Ritualen oder Antiritualen und vor allem die konkreten Konstellationen vor Ort?" 68 Auch Mörke postulierte, den „komplexen Kommunikationszusammenhang zwischen ideellem Konstrukt, dem theologischen System, und der zu öffent-
64
Daß gerade Wittenberg, Zürich, Straßburg und Bern exemplarisch vorgestellt werden, liegt in der Tatsache begründet, daß für diese Städte viele Vorarbeiten vorliegen. Das fünfte Städteporträt bezieht sich auf Nürnberg, in dem der Bildersturm ausblieb. 65 Am Ende des Aufsatzbandes sind eine gelungene Zusammenfassung der Tagungsbeiträge und Diskussionen sowie weitere Anregungen zur künftigen Beschäftigung mit der Thematik zu finden; vgl. HOLENSTEIN/SCHMIDT: Deutung, S. 511-527. 66
V g l . MOELLER: „ B i l d e r s t u r m " , S. 3 9 4 - 3 9 6 .
67
Vgl. HOLENSTEIN/SCHMIDT: Deutung, S. 526f. HAMM: Rez. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, S. 306f.
68
14
Einleitung
lieh wirksamem Handeln drängenden laikalen Verarbeitung im jeweils konkreten gesellschaftlichen Kontext" einzubetten 69 .
1. 3 Untersuchungsgegenstand und methodische Fragestellung Thema dieser Arbeit ist die Problematisierung des Handelns oder NichtHandelns gegenüber den religiösen Bildern in einer bestimmten Region im Südwesten des Hl. Römischen Reiches deutscher Nation 70 , dort wiederum in den ober- und niederschwäbischen Reichsstädten 71 . Dabei soll der Blick aber nicht nur auf die Reichsstädte selbst, sondern - in der bisherigen Forschung meist vernachlässigt 72 - auch auf die zu ihnen gehörigen Territorien gelenkt werden. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich von den reformatorischen Anfängen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Gefragt werden soll nach dem Zusammenspiel allgemein-politischer, spezifisch-innerstädtischer, obrigkeitlicher, theologisch-frömmigkeitsgeschichtlicher und persönlicher Gründe, die auf die „Lösung der Problematik des religiösen Bildes" 73 Einfluß nahmen und deren Verlaufsform bestimmten. Zu untersuchen ist, ob es sich hierbei wirklich um eine der von Michalski so charakterisierten „Bildersturmlandschaften" 74 handelt, welche Gemeinsamkeiten und Differenzen im Phänotyp zu beobachten sind, ob man eventuelle Gesetzmäßigkeiten und Verlaufstypen erkennen kann und ob Rezeptionswege sichtbar gemacht werden können. Den Städten im Raum zwischen dem Herzogtum Württemberg und der Markgrafschaft Baden im Westen, dem Allgäu und dem Bodensee im Süden, den bayerischen und fränkischen Gebieten im Osten und Norden war es nach dem Zerfall des Herzogtums Schwaben infolge des Fehlens einer überragenden Territorialgewalt gelungen, im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts ihre Souveränität auszubauen und die Reichsunmittelbarkeit zu 69
MÖRKE: Reformation, S. 125-130, Zitat: S. 125. Vgl. dazu bereits die eigene Projektskizze in LlTZ: Problematik, S. 100-107. 71 Eine Einbettung der schwäbischen Städte hat beispielsweise Bernd Moeller bei dem von ihm betrachteten Raum des schwäbisch-alemannischen Gebietes vorgenommen, indem er sie aufgrund ihrer gemeinsamen theologischen Prägung in der Reformationszeit durch Zwingli und Bucer - signifikant „durch [die] Strenge ihrer Gottesdienste und ihre Bilderfeindschaft" - als „oberdeutsche" Städte, von „Eßlingen im Norden bis Konstanz im Süden, von Augsburg im Osten bis Straßburg im Westen" charakterisierte; M O E L L E R : Reichsstadt und Reformation, S. 50f. 72 Lediglich J E Z L E R : Etappen, S. 171-173, ist hier mit seiner Ausdehnung der Betrachtung auf die Zürcher Landschaft wegweisend hervorzuheben. Weniger überzeugend sind dagegen die Ausführungen von H O D L E R : Bildersturm auf dem Land, S. 52-56. 73 M I C H A L S K I : Phänomen Bildersturm, S . 6 9 . 74 M I C H A L S K I : Ausbreitung, S. 50. 70
Untersuchungsgegenstand
und methodische
Fragestellung
15
erringen. Üblich war die auf die mittelalterlichen Landvogteien Ober- und Niederschwaben zurückgehende Unterscheidung zwischen den 13 oberschwäbischen Reichsstädten (Überlingen, Biberach, Buchau, Ravensburg, Wangen, Kaufbeuren, Leutkirch, Memmingen, Kempten, Isny, Buchhorn, Lindau, Pfullendorf) und den 16 niederschwäbischen Reichsstädten (Ulm, Rottweil, Esslingen, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Schwäbisch Gmünd, Giengen, Weil der Stadt, Bopfingen, Wimpfen, Donauwörth, Dinkelsbühl, Schwäbisch Hall, Weinsberg, Aalen) 75 . Durchaus umstritten ist dabei die Zuordnung Ulms zu den nieder- bzw. oberschwäbischen Städten oder auch die Hinzunahme von anderen Städten wie z. B. der beiden Bischofssitze Augsburg oder Konstanz 76 .
75
Vgl. EITEL: R e i c h s s t ä d t e , S. 1 - 4 ; RABE: Rat; BADER: Reichsstädte, S. 4 7 - 7 0 . - D i e
Bezeichnung Niederschwaben ist heute nicht mehr gebräuchlich; die seit dem 19. Jh. verwendete Landschaftsbezeichnung Oberschwaben für das württembergische Gebiet zwischen Donau und Bodensee meint einen kleineren Raum als den, den die oberschwäbischen Reichsstädte abdeckten; vgl. BLICKLE: Oberschwaben. Zur territorialen Abgrenzung Oberschwabens im Reich als habsburgischem Einflußbereich zwischen Lech und Schwarzwald, Bodensee und Alb während der Frühen Neuzeit vgl. P R E S S : Oberschwaben, S. 101-106. 76 Vgl. die Diskussion der verschiedenen Standpunkte zuletzt bei HAFNER: Republik, S. 17, Anm. 50 (Lit.).
16
Einleitung
Ausgewählt wurden für die folgende Untersuchung die Reichsstädte (mitsamt ihren Landgebieten) Lindau, Reutlingen, Ulm, Memmingen, Biberach, Esslingen, Isny, Kempten, Giengen, Kaufbeuren, Ravensburg und Leutkirch. Keine Berücksichtigung fand eine Gruppe von Reichsstädten, die sich zwar im Laufe des 16. Jahrhunderts der reformatorischen Lehre anschlössen, aber aus verschiedenen Gründen keine radikalen Lösungen der Bilderproblematik zeigten. Zum einen fürchtete man offenbar Repressionen des Stadtheim und altgläubigen Kaisers oder des unmittelbaren Nachbarn, wie beispielsweise in Aalen, wo der Rat 1575 „etliche Hailthumb in der Pfarr Kurchen [...] auch aller Ornata und monstranz" 77 in die zur Benediktinerabtei Ellwangen gehörende Nachbarpfarrei Unterkochen bringen ließ, oder in Bopfingen, wo es Auseinandersetzungen um die Patronatsrechte an der Pfarrkirche St. Blasius gab, aber keine Übergriffe gegen die sakralen Kunstwerke, beispielsweise das Hochaltar-Retabel von Friedrich Herlin (1472) 78 . Manchmal verhinderte das gemäßigte Verhalten der vor Ort tätigen Reformatoren wie Johannes Brenz in Schwäbisch Hall die Vernichtung der religiösen Bilder, manchmal macht aber auch schlicht die katastrophale Quellenüberlieferung - wie in Donauwörth, Weil der Stadt oder Wimpfen - Aussagen zur Thematik unmöglich. In Dinkelsbühl führte man die Reformation nach dem Vorbild Nürnbergs und Brandenburg-Ansbachs ein 79 ; der Rat sprach sich gegen eine Bilderentfernung aus und ließ 1537 sogar für die Georgs- und die Spitalkirche neue AltaraufRH
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Sätze errichten . In Nördlingen und Heilbronn kam es lediglich zu kleineren Vorfällen. Problematischer ist eher die aus rein pragmatischen Gründen vorgenommene Ausgrenzung der beiden Kommunen Konstanz und Augsburg 83 , da sie in den Kommunikationsprozeß der Bilderfrage im schwäbischen Raum eingebunden waren 84 , aber angesichts ihrer 77
ZAPF: Reformations Urkunden, S. 206.
78
V g l . KUMPF: B o p f i n g e n , S. 9 1 - 1 1 9 ; BOPFINGEN, S.
107-125.
79
Vgl. dazu LITZ: Problematik, S. 102 mit Anm. 9 (Lit.); WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 6 3 - 6 5 . 80 Vgl. K D B a y Dinkelsbühl, S. 8 8 - 9 0 : Ein Inschriftenretabel gibt im Mittelteil die Einsetzung des Abendmahls, auf den Seitentafeln die 10 Gebote wieder. 81 Vgl. LITZ: Problematik, S. 105 mit Anm. 23; vgl. auch STRECKER: Hochaltar, S. 96. 82 Vgl. LITZ: Problematik, S. 116. 83 Schon EITEL: Auswirkungen, S. 54f, weist auf den Sonderfall Augsburg hin, der nicht nur Reichsstadt, sondern auch Bischofssitz war; um nicht in der „Stoffmasse völlig zu ersticken", hat auch er Augsburg bei seiner Betrachtung ausgeklammert. 84
V g l . e t w a B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S U N D T H O M A S B L A U R E R
1, S .
313, Nr. 257: „Daß in Eßlingen die Greuel beseitigt sind, freut mich von Herzen; hoffentlich kehrt die Messe nie zurück. Wäre es auch bei uns [= Augsburg] so weit! Aber wenn die Unsrigen schon Messe und Bilder nicht lieben, glauben sie doch, aus Rücksicht auf die Mächtigen dieser Welt sie verteidigen zu sollen, und all unsere Bemühungen sind umsonst. Nur die Hoffnung, daß unsere Kirche, wie du schreibst, einmal ein andres Aus-
Untersuchungsgegenstand
und methodische
Fragestellung
17
Sonderstellung eine hier nicht zu bewältigende Betrachtung erfordert hätten 85 . Für die Fragestellung keine Rolle spielten die Reichsstädte Buchau, Pfullendorf, Überlingen, Wangen, Buchhorn (heute: Friedrichshafen), Rottweil und Schwäbisch Gmünd, in denen sich die evangelische Lehre nicht durchsetzen konnte. Verfassungsgeschichtlich gemeinsam ist allen ausgewählten Städten, daß sie königliche Gründungen waren, die v. a. in staufischer und weifischer Zeit ihre Stadtrechte erhielten, daß sie sich seit dem Ende des 13. und dann verstärkt im 14. und 15. Jahrhundert vom königlichen Stadtherrn emanzipierten, den Einfluß der in Zünften organisierten Bürgerschaft ausbauten und eine städtische Selbstverwaltung entwickeln konnten. Die städtische Obrigkeit bildete in allen Fällen der nach der jeweiligen Zunftverfassung gewählte Rat 86 . Unterschiede gab es nicht nur in der Größe vom mächtigen Ulm bis zu weniger bedeutenden Städten wie Isny oder Giengen an der Brenz - , sondern auch in der politischen Ausstrahlung, der wirtschaftlichen Macht und der Reaktion auf die Religionsfrage im 16. Jahrhundert. In vielen dieser Städte fand die Reformationsbewegung, die Martin Luther angestoßen hatte, Eingang. Aufgrund der Affinität zu den Lehren Zwingiis verstärkten sich die Beziehungen der schwäbischen Städte zu den Eidgenossen in den 1520er Jahren; durch den Augsburger Reichstag 1530, Zwingiis Tod und die Annäherung an die lutherische Partei (Schmalkaldischer Bund, Wittenberger Konkordie) wurden aber die konfessionellen und politischen Gegensätze unüberbrückbar 87 . Das Verhältnis sehen haben werde, läßt mich ausharren." (Wolfgang Musculus an Ambrosius Blarer, 16. Jan. 1532; in Übersetzung von Traugott Schieß). 85 Zu Konstanz vgl. unten S. 41-44; zu Augsburg vgl. RASMUSSEN: Bildersturm, S. 95-114; SEEBASS: Augsburger Kirchenordnung; SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 179f. In Augsburg war es zu einer Reihe von ikonoklastischen Vorfällen gekommen: 1524 beschmierten ein Schneider und ein Schusterknecht einige Heiligenbilder auf dem Domfriedhof. Der Prädikant des Barfüßerklosters und Anführer der zwinglischen Partei, Michael Keller, zerschlug am 14. März 1529 das große Kruzifix in der Klosterkirche. Ulrich Rehlinger, der Sohn des Bürgermeisters, entfernte 1531 mit einem Knecht ein Kreuz und mehrere Bildtafeln aus der Heilig-Kreuz-Kirche. Während des Brandes im Dominikanerkloster versuchte der „bofel", die Altäre zu zerschlagen und die Bilder zu zerstören. 1533 kam es an Christi Himmelfahrt zu Auseinandersetzungen zwischen den altgläubigen Fuggern und den Zwinglianern wegen traditioneller Riten (Hl.-Geist-Taube). Der vorsichtig agierende Rat, der 1529 noch eine Verordnung gegen die Kirchenplünderung erlassen hatte, sanktionierte schließlich 1534 die Bildentfernungen in allen Kirchen außer im Dom und in den zu ihm gehörenden Kirchen (St. Ulrich und Afra, Heilig-Kreuz-Kirche, St. Moritz, St. Georg, St. Peter, St. Stephan und St. Ursula). Dort wurden die „Götzen" erst 1537 auf Veranlassung des Rats entfernt. 86 Vgl. I S E N M A N N : Stadt, bes. S. 17f und S. 108-112; D E R S . : Obrigkeit und Stadtgemeinde, S. 75-122; N A U J O K S : Obrigkeitsgedanke, S. 11-42. 87 Vgl. E I T E L : Auswirkungen, S . 5 6 - 6 0 ; S Ü D W E S T D E U T S C H E R E F O R M A T I O N S G E SCHICHTE; M O E L L E R : Zeitalter, S . 1 4 7 - 1 8 4 ; N A U J O K S : Obrigkeitsgedanke, S . 5 6 - 1 0 2 .
18
Einleitung
der protestantisch gewordenen Städte zum altgläubigen Kaiser Karl V. blieb angespannt, und der nach 1548 durch den kaiserlichen Stadtherrn in einigen Reichsstädten erfolgte Eingriff in die Verfassung beschleunigte neben Schmalkaldischem Krieg, Interim und Fürstenkrieg noch den Niedergang. Die Frage nach dem Umgang mit der „Problematik des religiösen Bildes" in den ausgewählten Reichsstädten soll jedoch nicht isoliert oder punktuell betrachtet, sondern in die politischen sowie innerstädtischen reformations-, verfassungs- und sozialgeschichtlichen Vorgänge eingebunden werden. Als Quellen werden vor allem die in den städtischen, kirchlichen und privaten Archiven überlieferten, meist ungedruckten Materialien herangezogen; diese sind vor allem zeitgenössische Ratsprotokolle, kirchen- und reformationsgeschichtliche Akten und Literalien und chronikalische Berichte. Da die Überlieferungsgeschichte in den Städten sehr unterschiedlich ist, wird am Anfang der einzelnen Städtekapitel gesondert darauf eingegangen werden. Besondere Sorgfalt soll dabei einem kritischen Umgang mit dieser schriftlichen Überlieferung gewidmet werden, da manche Quellen oft stark konfessionelle Tendenzen aufweisen bzw. die Ereignisse aus einer einseitigen (obrigkeitlichen, theologischen oder persönlichen) Perspektive darstellen. Darüber hinaus spielt aber auch die materielle Kultur der noch erhaltenen Bildwerke eine wichtige Rolle. Denn die Schicksale der nicht zerstörten Kultobjekte, die Fragen nach ihrer Weiternutzung, Umnutzung und Nichtnutzung 88 , können weitere Hinweise auf die genauen Vorgänge in den Städten und den dazugehörigen Territorien liefern. Bislang immer noch ungelöst sind die defmitorischen Fragen, was man eigentlich genau unter „Bildersturm" zu verstehen hat. Der von Sergiusz Michalski vorgelegte Differenzierungsvorschlag zur „Problematik des religiösen Bildes im Protestantismus" 89 , d. h. die Unterscheidung von „Bildersturm", „Bilderfrevel" und „Bildentfernungen", wurde nicht von allen übernommen. Zwar ist diese Terminologie tatsächlich nicht ganz unproblematisch, sie kann aber dennoch hilfreich sein, um die Verschiedenartigkeiten ikonoklastischer Phänotypen in der Reformationszeit benennen zu können. Unter einem „Bildersturm" versteht Michalski die Entfernung mehrerer Bilder durch eine demonstrative Zerstörung oder quasi-rituelle Verhöhnung (auch in situ); als „Bilderfrevel" bezeichnet er Aktionen einzelner Personen oder sehr kleiner Gruppen, die sich auf ein Bildwerk beschränken; alle anderen Aktionen ordnet er der Kategorie „Bildentfernung" zu. Wesentlich für seine Charakterisierungen ist das Merkmal der Spontaneität, während die Frage der „Legalität, ob der Bildersturm also mit oder 88 89
Zu diesen Begriffen vgl. SCHMIDT: Fülle, S. 71-78. Vgl. MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 69.
Untersuchungsgegenstand
und methodische Fragestellung
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ohne Einverständnis der ,Obrigkeit' stattfand" 90 , für ihn nur eine untergeordnete Rolle spielt 91 . Dies aber erscheint mit Blick auf die zu schildernden Ereignisse als äußerst problematisch. Es wird sich nämlich zeigen, daß die Frage, wie sich die Obrigkeit in der Bilderdiskussion verhielt, eine gewichtige, oft sogar entscheidende Rolle spielen konnte. Dieser Aspekt wurde in der bisherigen Forschung zwar immer erwähnt, aber nie systematisch untersucht. Bereits Peter Jezler, der zuletzt in seiner Einleitung zum Berner Ausstellungskatalog die Definitionsfragen wieder aufgegriffen hat, betonte die Haltung der Obrigkeiten und der Reformatoren und forderte, auch den obrigkeitlich angeordneten Zerstörungsaktionen im Kontext des „reformatorischen Bildersturms", der alle Destruktionen von Objekten aus Gründen der Glaubenserneuerung einschließt, einen angemessenen Platz einzuräumen 92 . Was schließlich den Begriff des „religiösen Bildes", gegen das sich die reformatorische Bildkritik richtete, betrifft, so bevorzuge ich eine pragmatische, quellennahe Terminologie. Gemeint sind alle Bildwerke von gemalter, gedruckter oder plastischer Beschaffenheit (also auch Glasfenster, Fresken, Taufsteine, Ölberge etc.), die in den Devotionskontext der zeitgenössischen Religiosität gehören und Symbolisierungen einer vielfältigen Frömmigkeitshaltung sind 93 .
90
Ebd. Vgl. auch MLCHALSKI: Visual Arts, S. 75. Dagegen hat Carlos Eire an den Beispielen des Ikonoklasmus in schweizerischen Städten bereits die beiden Typen des legalen und illegalen Bildersturms, den er als „war against the idols" bezeichnet, herausgearbeitet. Zu den illegalen zählt Eire Aktionen einzelner Bilderstürmer, Aktionen mehrerer Leute und den am meisten als revolutionären Akt empfundenen Aufstand oder Aufruhr. Diesen gegenüber stehen die legalen Aktionen mit dem Einverständnis der Obrigkeit, die wie in Zürich friedlich geordnet ablaufen können, aber, wie das Beispiel Bern zeigt, auch in offenen Aufruhr münden konnten, vgl. EIRE: War, S. 151-155; DERS.: Critique, S. 51-68. 92 Vgl. JEZLER: Bildersturm, S. 26f. 93 Zu einem entsprechend weiten Frömmigkeitsbegriff vgl. HAMM: Frömmigkeit, S. 464-497; zum analogen Begriff der „Frömmigkeitsbilder" vgl. DERS.: Normative Zentrierung, S. 108fmit Anm. 63. 91
Kapitel 2
Der theologische Hintergrund der Bilderfrage Die Vorgänge um die Entfernungen der religiösen Bilder in den schwäbischen Reichsstädten kann man ohne Kenntnis der reformatorischen Theologie nicht verstehen. Überall gingen den Bildentfernungen die gegen die religiösen Bilder gerichteten Predigten auf den städtischen Kanzeln voraus. Für die Haltung der Prädikanten aber waren die theologischen Positionen maßgebend, wie sie von den führenden Reformatoren in der Bilderfrage eingenommen wurden und durch deren gedruckte Veröffentlichungen massenhafte Verbreitung fanden. So wirkte die Bildtheologie Luthers, Zwinglis, Bucers und anderer Reformatoren in das lokale Reformationsgeschehen hinein und beeinflußte den Umgang mit den bisher verehrten Bildern. Daher sei zumindest kurz auf einige Grundlinien im Bildverständnis der beteiligten Reformatoren von überregionaler Ausstrahlung eingegangen. Das Gewicht, das die Bilderfrage in Theologie und Kirchenpolitik der jeweiligen Reformatoren einnahm, war unterschiedlich. Für Stadtreformatoren der Schweiz und Oberdeutschlands wie Zwingli, Bucer oder Ambrosius Blarer stand die Bilderfrage im Zentrum ihres theologischen Denkens und Agierens. Schon daher kann man nicht sagen, daß das theologische Gewicht der Bilderfrage gering gewesen sei1, auch wenn Luther aufgrund theologischer Vorentscheidungen die Frage der Entfernung oder Beibe-
1 Gegen KÖPF: Bilderfrage, S. 38f: „Die Bilderfrage ist kein zentrales Thema der reformatorischen Theologie. Sie hat in der religiösen Entwicklung der großen Reformatoren keine faßbare Rolle gespielt und hat auch nicht zu nennenswerten evangelischen Lehrbildungen geführt [...] Aber so gering das theologische Gewicht der Bilderfrage im Grunde sein mochte, so stark hat sie - als sie einmal gestellt war - die Menschen bewegt, deren religiöses Leben von ihr berührt wurde" [Hervorhebung; G. L.]; vgl. auch ebd., S. 63f: „Am klarsten und konsequentesten ist die Haltung der Bilderstürmer, die ihren Angriff von einem radikal-gesetzlichen Biblizismus aus führen, der im Grunde keine Argumentation und keine theologische Aufarbeitung des Problems möglich macht. Johanneische Gedanken wie Joh 6,63 und 4,24 werden nur hilfsweise gebraucht und führen zu keiner umfassenden gedanklichen Durchdringung der Bilderfrage. Die Altgläubigen verteidigen ihre Positionen mit lauter alten Argumenten, die sie in möglichst großer Zahl nebeneinander aufreihen, ohne sie in einen gedanklichen Zusammenhang zu bringen. Nur Luther durchbricht die traditionelle Argumentationsweise, indem er von seinem neuen Verständnis des Verhältnisses von Gott und Mensch aus zu einer genuin evangelischen Kritik des Bilderkults kommt."
Luthers Haltung zu den Bildern
21
haltung der religiösen Bilder relativierte. Soviel kann man jedenfalls sagen, daß die Bilderfrage kein untheologisches Thema war, sondern daß immer ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen prinzipiellen theologischen Vorentscheidungen und der konkreten Haltung in der Bilderfrage bestand.
2. 1 Luthers Haltung zu den Bildern2 Prinzipiell waren religiöse Bilder in Luthers theologischer Beurteilung „Adiaphora". Das bedeutete, daß er den Gebrauch oder Nichtgebrauch religiöser Bilder im Blick auf das Heil für irrelevant erachtete: Bilder sind unter dem Heilsgesichtspunkt weder verboten noch geboten, sondern freigelassen 3 . Ob man sie verbieten, dulden oder wünschen soll und kann, hängt alleim vom rechten oder falschen Gebrauch ab 4 . Sind die Bilder also aus Luthers Sicht keineswegs heilsnotwendig, so hat er doch grundsätzlich ein positives Verhältnis zu den Bildern, und zwar nicht nur zur Bildenden Kunst allgemein, sondern auch speziell zu religiösen Bildern. Das hängt unmittelbar mit Luthers Anthropologie und Seelenlehre zusammen. Er ist der Meinung, daß der Mensch überwiegend nicht in abstrakten Gedanken, sondern in Seelenbildern lebt und nur durch Vermittlung von Bildern erkennen und verstehen kann 5 . Was in unserem 2
Immer noch einschlägig dazu CAMPENHAUSEN: Bilderfrage, S. 111-124; daneben sei aus der Fülle der Literatur noch verwiesen auf STIRM: Bilderfrage, S. 17-68; CHRISTENSEN: A r t , b e s . 1 7 - 4 1 ; LOEWENICH: A r t . B i l d e r I V , S. 5 4 6 - 5 5 1 ; EIRE: W a r , S . 6 5 - 7 3 .
- Zu Luthers Rolle beim Entstehen und der Weiterentwicklung einer protestantischen Kunst zuletzt STRECKER: Bildende Kunst (Lit.); außerdem SCHULZE: Protestantische Bildkunst; WEIMER: Luther, Cranach und die Bilder; DIE BILDER IN DEN LUTHERISCHEN KIRCHEN; MICHALSKI: Visual Arts, S. 1-42; WOHLFEIL: Lutherische Bildtheologie, S. 2 8 2 - 2 9 3 ; LUTHER UND DIE FOLGEN FÜR DIE KUNST; BERGMANN: A t t i t ü d e , S. 1 5 - 2 5 . 3 WA 26,509,9-12: „Bilder, glocken, Messegewand, kirchenschmueck, allter liecht und dergleichen halt ich frey, Wer da wil, der mags lassen, Wie wol bilder aus der schrifft und von guten Historien ich fast nuetzlich, doch frey und wilkoerig halte, Denn ichs mit den bildestuermen nicht halte" (Vorlesung über 1. Tim, 1528); so auch WA 10/111,21,9-11. 26,4-5: „Nun volgen die ding, die unnottig sein, sonder frey gelassen von gotte, die mann halten mag oder nit, als Eelich zu werden oder nitt [...] umb die bilder ist es auch so gethan, das sie unnottig, sonder frey seyn." (3. Invocavitpredigt, 11. März 1522); ebd., 30,13-16 (4. Invocavitpredigt, 12. März 1522). 4 Vgl. z. B. WA 10/111,33,5-7. 35,7-13. 36,1-8 (4. Invocavitpredigt, 12. März 1522); WA 18,73,14-18 (Wider die himmlischen Propheten, 1525). Siehe dazu STIRM: Bilderfrage, S. 71-74 (Erlaubter und nützlicher Bildgebrauch); WEIMER: Luther, Cranach und
d i e B i l d e r , S. 3 0 - 4 2 ; v g l . a u c h BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES W I L L E ? , S.
297, Kat.-Nr. 140. 5 WA 18,83,6-15: „So weys ich auch gewiss, das Gott wil haben, man solle seyne werck hoeren und lesen, sonderlich das leyden Christi. Soll ichs aber hoeren odder ge-
Der theologische Hintergrund der
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Bilderfrage
Innern Macht ausübt, Angst verursachend oder tröstend, entscheidet sich daran, was sich uns einbildet und welche Bilder in uns Oberhand gewinnen 6 . Es ist daher für Luther innerhalb der Glaubensunterweisung der Kirche wesentlich, daß den Menschen die richtigen Bilder vor Augen gestellt werden. Bilder gewinnen für ihn daher innerhalb der Glaubensunterweisung eine wichtige Funktion, die das Wort des Evangeliums unterstützt und festigt. Solche Glaubensbilder soll man nicht nur in den Kirchen zeigen, sondern auch an die Wände der Häuser und Stuben malen, „damit man Gottes werk und wort an allen enden ymer für äugen hette und dran furcht und glauben gegen Gott übet" 7 . So können die richtigen Bilder das Verständnis des Glaubens fördern, die Erinnerung an die Heilsgeschichte festigen und die Andacht wecken. Indem Luther den Wert solcher „andechtig bilder und gemeide" 8 hervorhebt, begründet er die theologische Legitimierung evangelischer „Andachtsbilder". Als tröstliche Bilder sollen sie dazu dienen, „das dem Teuffei gewehret were mit seinen ferlichen
dencken, so ist myrs unmueglich, das ich nicht ynn meyn hertzen sollt bilde davon machen, denn ich woll, odder wolle nicht, wenn ich Christum höre, so entwirfft sich ynn meym herzten eyn mans bilde, das am creutze henget, gleich als sich meyn andlitz naturlich entwirfft yns wasser, wenn ich dreyn sehe, Ists nü nicht sunde sondern gut, das ich Christus bilde ym herzten habe, Warumb sollts sunde seyn, wenn ichs ynn äugen habe? Syntemal das hertze mehr gillt denn die äugen und weniger soll mit sunden befleckt seyn denn die äugen, als das da ist der rechte sitz und wonunge Gottes." (Wider die himmlischen Propheten, 1525); WA 37,63,25-64,5-12: „Sondern weil wir ja müssen gedancken und bilde fassen des, das uns inn Worten fürgetragen wird, und nichts on bilde dencken noch verstehen können, So ist fein und recht, das mans dem wort nach ansehe, wie mans malet, das er mit der fahn hinunter feret, die Helle pforten zu bricht und zu störet, und sollen die hohen unverstendlichen gedancken anstehen lassen. [...] Wenn ich das habe, so habe ich den rechten kern und verstand davon und sol nicht weiter fragen noch klügeln, wie es zu gangen odder möglich sey [...] Sonst wenn ich auch wolte so klug sein wie ettliche, die gerne hoch faren und unser einfeltigkeit spotten. [...] Aber [...] wir reden einfeltiglich da von, das man mit solchen groben gemeiden fasse, was dieser Artikel gibt, wie man sonst die lere von Gottlichen Sachen durch grobe, eusserliche bilde für gibt, Wie Christus selbs allenthalben im Euangelio dem volck das geheimnis des himelreichs durch sichtige bild und gleichnis für hellt, Odder wie man das kindlin Jhesum malet, das er der Schlangen auff den kopff tritt." (Predigt zur Höllenfahrt Christi, 1533); WA 49,74,39. 75,1-3: „Das ist unsers herr Gots weise alzeit gewest, das ohren nicht allein horeten, sed etiam oculis viderent. Ideo etiam pro oculis posuit Signum, ut confirmarentur sui per verbum et Signum. Sic per totam scripturam sacram." (Predigt am Gründonnerstag, 1540). 6
Vgl. HAMM: Luthers Anleitung, S. 339f. WA 10/11,458,24-27 (Betbüchlein: Passional, 1522). 8 WA 23,375,24-34: „Denn ein begrebnis solt ja billich ein feiner stiller ort sein, der abgesondert were von allen orten, darauff man mit andacht gehen und stehen kündte, den tod, das Jüngst gericht und aufferstehung zu betrachten und betten [...] Und daselbst umbher an den wenden kund man solche andechtig bilder und gemeide lassen malen." (Ob man vor dem Sterben fliehen möge, 1527). 7
Luthers Haltung zu den Bildern
23
pfeilen und anfechtungen" 9 . Den religiösen Bildern kommt somit bei Luther eine umfassende, sowohl kognitive als auch affektive, Dienstfunktion im Zusammenhang der Evangeliumsverkündigung zu. Aber auch unabhängig vom religiösen Kontext kann er die Bildende Kunst bejahen, wenn Menschen die Bilder nur aus Lust und als Schmuck an die Wände malen laße, ohne daß dies als Sünde aufgefaßt werden muß 10 . So positiv also prinzipiell die Einstellung Luthers zu den Bildern ist, so energisch wendet er sich gegen ihren Mißbrauch. Dieser zeigt sich ihm darin, wo Menschen ihr Heilsvertrauen an die Vermittlung von Bildern knüpfen, wo sie auf der Grundlage eines derartigen falschen Vertrauens Bilder verehren und sogar anbeten und wo sie deshalb auch Bilder stiften, in der wahnhaften Vorstellung, durch solche Werke ein Verdienst vor Gott erwerben zu können 11 . Der richtige Weg, um einem solchen Mißbrauch entgegenzutreten, ist für Luther die Unterrichtung der Gläubigen durch die Predigt. Da der Mißbrauch im Herzen, d. h. im falschen Vertrauen, wurzelt, müssen die Bilder primär durch die Predigt und das seelsorgerliche Gespräch aus den Herzen der Menschen entfernt werden. Dann können sie auch den Menschen durch das Medium des Auges nicht länger tyrannisie-
9 WA 37,4,14-17: „Denn solche bild [= Johannes der Täufer, Lamm Gottes] sind zu lieblich und trostlich, Und dienen ja da zu, ob sie sonst nirgend zu gut weren, das dem Teuffei gewehret were mit seinen ferlichen pfeilen und anfechtungen." (Predigt zur Höllenfahrt Christi, 1533). 10 WA 10/11,34,14-19: „Wenn der gemeyn man weyß, das es nicht eyn gottis dienst ist, bildniß setzen, wirt erß woll selbs nach lassen on deyn treyben unnd sie nur von lust wegen odder umb schmuck willen an die wend malen lassen odder sonst brauchen, das on sund sey, wie kernen wyr ynn das gefenckniß, das uns menschen verbietten sollten, das gott nicht verbotten hatt? und eben die widder menschen lere und Satzung fechten." (Von beiderlei Gestalt, 1522). 11 Vgl. etwa WA 28,678,29-35: „Da aber ein Bild auffgericht oder furgestellet, darauff man ein vertrawen setzt, das reiss entzwey. Das erste Gebot sey ein Gloss und gebe einen rechten verstand den Bildern: wenn ein Bild auffgerichtet wird, dn man sich furfuerchtet und einen glauben drauff setzet, das reisse man hinweg. So es aber nicht ein Goetz ist odder Altar, das man die knie dafür beuget, auch nicht einen Gottesdienst draus macht, so ist es nicht ein Goetze, sondern ein Bild, das du behaltest, und ist recht und gut. Das ist der unterscheid zwischen Bildern und Goetzen." (Predigt über 5. Mose, 1529); weitere Beispiele für Mißbrauch, Abgötterei, falsches Vertrauen: WA 6,211,1234 (Von den guten Werken, 1520); vgl. dazu B I L D E R S T U R M - W A H N S I N N O D E R G O T T E S WILLE?, S. 296, Kat.-Nr. 139; WA 7,570,5-7 (Magnificatauslegung, 1521); WA 10/111,27,2-5. 27,10-28,1. 28,16. 21f. 29,lf (3. Invocavitpredigt, 11. März 1522); WA 16,444,11-29 (Predigtreihen über 2. Mose, 1524/27); WA 18,68,26-31. 69,1-70,3. 74,21-75,2 (Wider die himmlischen Propheten, 1525); WA 28,677,25-31. 678,12-18 (Predigt über 5. Mose, 1529).
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Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
ren. Sind die Herzen recht unterrichtet, dann fällt die Werkfrömmigkeit samt dem Bilderdienst von selbst in sich zusammen 12 . Mit dieser Grundhaltung Luthers, die dem unterrichtenden Wort den Vorrang vor der bildentfernenden Tat gibt, geht aber durchaus Luthers Bejahung realer Bildentfernungen Hand in Hand. Prinzipiell hat Luther nichts dagegen einzuwenden, daß religiöse Bilder, die bisher kultisch verehrt wurden, aus dem gottesdienstlichen Raum entfernt werden. Im Gegenteil: Sofern die Bilder aus einem falschen Vertrauen heraus errichtet wurden, dieses verkehrte Vertrauen verbildlichen und Menschen immer neu in Versuchung führen können, bejaht Luther Entfernungen als Akte der wahren Gottesverehrung im Widerspruch gegen den Götzendienst 13 .
12 WA 10/111,31,11 f. 32,1: „Wann sie solichs hetten gehoert, das die bilde nit gülten, hetten sie von jn selber abgestanden und die bilde waeren on alle rumor und auffrür zufallen"; ebd., 32,7f: „Sonder jr solten das geprediget haben, wie die bilder nichts weren: gott fragt nichts darnach." (4. Invocavitpredigt, 12. März 1522); WA 15,219,16-18: „Also haben auch Christus und seine Apostel keyne kirchen zu brachen noch bilder zu hawen, sondern die hertzen gewonnen mit Gottes wort, darnach sind kirchen und bilder selbs gefallen." (Brief an die Fürsten zu Sachsen, 1524). WA 18,67,9-13: „Das ich sie zu erst durchs wort Gottes aus den hertzen rysse und unwerd und veracht machte, wie es denn auch also schon geschehen ist, ehe denn D. Carlstad vom bildestuermen trewmete. Denn wo sie aus dem hertzen sind, thun sie für den äugen keynen schaden." (Wider die himmlischen Propheten, 1525). 13 WA 1 O/III, 26,21-24: „Umb die Bilder ist es auch so gethan, das sie unnötig sind, Sondern es ist frey gelassen sie zu haben oder nicht zu haben, wiewol es besser were, wir hetten derselbigen Bilder gar keines umb des leidigen vermaledeieten Missbrauchs und unglaubens willen." (3. Invocavitpredigt, 11. März 1522). So auch WA 10/111,30,17. 31,1-3: „Sonderlich von den byldern, das sie abgestelt sollen sein, Wie sie angebetten sollen werden, sonst nicht, wie woll ich wolt, sie weren in der gantzen weldt abgethann von wegen ires mißbrauchs, welchen mann jo nichts läugnen kan." (4. Invocavitpredigt, 12. März 1522). WA 10/111,28,4-6: „[...] und wenn man sie anbettet, so solt man sie zereyssen und abthün. Wie dann der künig Ezechias 4. Reg. 18. that, Do er die schlänge von Mosi auffgericht zerbrach." (3. Invocavitpredigt, 11. März 1522); ähnlich auch WA 18,68,17-19 (Wider die himmlischen Propheten, 1525). WA 10/111,31,3-6. 9-12. 32,lf: „Dann wer ein byld in die kirche stelt, der meynet, er habe gotte eynen gütten dienst und gut werck erzeygt, welchs dann rechte abgotterey ist: die größte, vornemst und höchste sach, warumb die bilder wem abzuthün, und die habt ir nit getrieben, sonder die geringste. [...]. Aber des andern mißbrauchs ist die weit vol: dann wer wollte ein höltzen oder silbern bilde in der kirchen setzen, wenn er nit gedechte, got eynen dienst daran zethün. Meynet jr, Hertzog Friderich, der Bischoff von Halle und die andern würden so vil silbern bilde ind die kirchen gezeügt haben, wenn sie hielten, es solt vor gott nichts sein: ja sie würden es lassen." (4. Invocavitpredigt, 12. März 1522). - WA 7,243,6-10: „Zu dem andern, das wir unserm nechsten mit dienen; solliches wollen die prediger Herodis, das ist, des Bapsts boten, gar nichts sagen, sonnder allain fieren vil werck in der predig sprechend ,so du ain altar stifftest, psalter, rosenkrentz betest, so kanst du nit verlorn werden', wer hat dich das geleret? Nit Christus, sonder der wütig teüfel." (Predigt am Dreikönigstag, 1521)
Luthers Haltung zu den Bildern
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Dabei spielt bei ihm auch die soziale Dimension eine gewichtige Rolle: Die reiche Bildausstattung der Kirchen dokumentiert, daß man die Armen zugunsten des falschen Vertrauens auf Bilder vernachläßigt hat. Man soll das Geld besser für die Armen statt fiir Bilder verwenden 14 . Die Entfernung religiöser Bilder als sichtbarer Zeichen eines gottlosen Werkdienstes stellt Luther allerdings unter mehrere einschränkende Vorbehalte: Die Entfernung soll nicht auf eigene Faust 15 , etwa durch Bilderstürmen 16 , geschehen, sondern nur auf dem geordneten Weg obrigkeitlicher Bildentfernung. Die Ausräumung der Bilder darf sich auch nicht mit einer falschen Gesetzlichkeit verbinden, als sei die Bildentfernung ein heilsnotwendiger Akt 17 . In diesem Sinne wendet sich Luther ge-
14 WA 1,245,35-246,4: „Czum Sechtzehenden. Vil. Besser ist das werck eynem durfftigen ertzeygt, dann das tzum gebewde geben wirt [...] Wan es aber dahyn kumpt, das niemand ynn deyner stadt mehr ist, der hulff bedarff (das ob got will nymer geschee fall) dan saltu geben, szo du wilt, zu den kirchen, altern, schmuck, kilch, die yn deiner Stadt seyn." (Ein Sermon von Ablaß und Gnade, 1517). Ebd., 598,19-39 (Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute, 1518); WA 10/111,32,8-11: „Man thet auch got kein dienst noch wolgefallen darinne, wenn wir j m ein bilde lassen machen, und theten besser, wann sie einem armen menschen einen gülden geben dann gotte ein gülden bilde, dann diß hette got verbotten, jhens nit." (4. Invocavitpredigt, 12. März 1522). Vgl. auch ebd., 35,3-6. 15 WA 18,67,18-68,2: „Denn wo die hertzen unterrichtet sind, das man alleyn durch den glauben Gotte gefalle und durch bilde yhm keyn gefallen geschieht, sondern eyn verlorner dienst und kost ist, fallen die leute selbs williglich davon, verachten sie und lassen keyne machen. Aber wo man solch Unterricht nach lesst und alleyn mit der faust dran feret, da folget nichts, denn das die druemb lestern, die es nicht verstehen, und die es thun alleyn aus zwang des gesetzs als eyn gut noettig werck und nicht mit freyem gewissen thun, Sondern meynen Gott mit dem werck gefallen, wilche meynung eyn rechter abgott und falsch vertrawen ym herzten ist." (Wider die Himmlischen Propheten, 1525). 16 Luthers Äußerungen zu den Bildern Anfang bis Mitte der 1520er Jahre standen neben der Kritik an der kultischen Praxis vor allem im Kontext der konkreten Vorgänge, zunächst in Wittenberg, später in Zürich, Orlamünde und Straßburg. - Zu den Vorgängen in Wittenberg 1521/22, die Anfang Feb. 1522 in einem Bildersturm in der Pfarrkirche eskalierten, vgl. zuletzt mit unterschiedlichen Akzentuierungen SCHNITZLER: Wittenberg, S. 68-74 (Lit.); OEHMIG: Wittenberger Bewegung, S. 97-130 (Lit.). Zu Karlstadt, der Anfang 1522 seine Schrift ,Von der Abthuung der Bilder' publizierte; vgl. BILDERSTURM
- W A H N S I N N ODER GOTTES W I L L E ? , S . 2 9 4 , K a t . - N r . 1 3 7 ( L i t . ) . 17 WA 18,68,2-8: „So geschieht durch solch gesetz treyben das sie eusserlich bilde ab thun und das hertz vol goetzen da gegen setzen. Das sag ich daruemb, das man abermal sehe, was für eyn geyst ynn Carlstad sticke, der myr schuld gibt, ich woelle die bilder schuetzen widder Gottes wort, Und weys doch, das ich sie will aus allen hertzen gerissen, veracht und vernichtet haben, on das ich myr seyn freuele faust und ungestum nicht lasse gefallen." (Wider die Himmlischen Propheten, 1525).
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Der theologische
Hintergrund
der
Bilderfrage
gen eine judaisierende Interpretation des Dekalogs 18 . Für Luther bleibt in dieser Hinsicht sein Grundsatz bestehen, daß der Umgang mit Bildern nie etwas mit dem Heilsgewinn des Menschen zu tun haben kann. Von Gewicht ist schließlich für Luther auch die Rücksichtnahme auf die Schwachen, sofern noch Zeit nötig ist, um sie im Glauben zu unterrichten und bei ihnen das rechte Verständnis für Gebrauch und Mißbrauch der Bilder zu wecken. Zusammenfassend kann man somit sagen, daß die äußere Bildentfernung von Luther zwar nicht abgelehnt, aber doch zugunsten der inneren Einstellung zu den Bildern erheblich relativiert wird. Entscheidend ist für ihn die Vertrauensfrage, daß der Mensch „Gott liebe, vertrawe und jn über alle ding fuerchte. Wer das thut, der wird alle silbern und gueldene Goetzen leichtlich verachten". Demgegenüber ist für ihn alles „eusserliche Bildstuermen nur eine larve, dadurch man zeitliche er jagen wil und sich damit rhuemen, gleich als hätte man es damit gar wol ausgerichtet" 19 . Sofern sich das falsche Vertrauen des Menschen an die Bilderverehrung knüpft, kann Luther die Entfernung von Bildern im konkreten Fall bejahen. Sofern sich aber umgekehrt das Vertrauen des religiösen Menschen und seine Vorstellung vom Heilsförderlichen an die Bilderentfernung knüpft, wendet sich Luther gegen die Bilderbeseitigung. So ist Luthers Bilderkritik insgesamt sehr differenziert und variabel; vor allem aber ist sie nur im Zusammenhang seiner positiven Grundauffassung von religiösen Bildern richtig zu verstehen. Bilder, die eine so nützliche Lehr- und Andachtsaufgabe in der Kirche erfüllen können 20 , widmen sich nach Luthers Vorstellung den Themen der biblischen Geschichte, angefangen von der Weltschöpfung und dem Bau der Arche Noahs 21 , sowie vor allem dem 18 WA 18,74,3-7: „Sie wolten auß der freyheit ein müessen machen. Das kann got nit leyden." (Wider die Himmlischen Propheten, 1525); ebd., 18,75,11-78,11; WA 16,444,30-35. 445,11-13 (Predigt über 2. Mose, 1524/27). 19 WA 28,715,21-28 (Predigt über 5. Mose, 1529). 20 Vgl. STIRM: Bilderfrage, S. 81-89. - Zum Einfluß Luthers auf die neue, lutherische Kirchenkunst, den Erhalt vieler vorreformatorischer Kunstwerke im Luthertum und die ikonographischen Neuschöpfungen („Gesetz und Gnade", Abendmahlsaltäre) vgl. STRECKER: Bildende Kunst (Lit.); WEIMER: Luther, Cranach und die Bilder; DERS.:
Rechtfertigungsthema,
bes. 33-38;
D I E BEWAHRENDE KRAFT DES LUTHERTUMS;
DIE
BILDER IN DEN LUTHERISCHEN KIRCHEN. 21 WA 18,82,27-83,5: „Das wyr auch solche bilder muegen an die wende malen umb gedechtnis und besser Verstands willen, Syntemal si an den wenden ia so wenig schaden als ynn den buechern, Es ist yhe besser man male an die wand, wie Gott die wellt schuff, wie Noe die arca bawet und was mehr guter historien sind, denn das man sonst yrgent welltlich unverschampt ding malet, Ja wollt Gott, ich kund die herrn und die reychen da hyn bereden, das sie die gantz Bibel ynnwendig und auswendig an den heusern für ydermans äugen malen Hessen, das were eyn Christlich werck." (Wider die himmlischen Propheten, 1525).
Zwingli und die Ablehnung religiöser
Bilder
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Erlösungsgeschehen Jesu Christi. So erwähnt Luther als Beispiele für „schone, herrliche Gemeide", daß man „S. Joan: mit dem Lemlin gemalt hat, wie er mit den fingern auff das Lamb weise, und ich habe solch gemelde gern gesehen, item, das man das Osterlemlin auch mit einem fenlin gemalt hat, auch das Bild, wie man Christum gecreutziget hat, aber wir habens im Bapstthum nicht verstanden, was damit sey gemeint worden" 22 . Dieses Zitat zeigt zugleich, wie wichtig für Luther die Kombination der rechten Bilder mit der richtigen verbalen Bilderklärung war.
2. 2 Zwingli und die Ablehnung religiöser Bilder23 Von Zwingli wissen wir, daß er Bilder außerhalb des gottesdienstlichen und religiös-kultischen Kontextes nicht nur duldete, sondern auch zu schätzen wußte 24 . Karl den Großen an der Außenwand des Zürcher Großmünsters ließ er sich gefallen, während er für ihn innerhalb des Münsters untragbar war 25 . Er konnte sagen, daß „niemand Gemälde, Statuen und 22
WA 46,683,35-684,1 (Auslegung des ersten Kapitels Johannis, 1537/38) Zu Zwingiis Auseinandersetzung mit den Bildern, die zunächst im Kontext seines strengen Biblizismus und im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den altgläubigen Kult stand, sich aber erst unter dem maßgeblichen Einfluß der Züricher Ereignisse manifestierte, vgl. LUTZ: Zwingiis Gebet, S. 136-145; ALTENDORF: Bildfeindschaft, S. 11-18; CAMPENHAUSEN: Bilderfrage, bes. S. 99-109. Die wichtigsten Schriften für seine Bildtheologie sind: .Auslegen und Gründe der Schlußreden' 1523 (Z 2,1-457); ,Eine kurze christliche Einleitung' und die .Ratschläge betreffend Messe und Bilder' für die Zweite Züricher Disputation 1523 (Z 2,626-663; 2,804-815); .Vorschläge wegen der Bilder und der Messe' 1524 (Z 3,114-131), die er nochmals in der .Christlichen Antwort Bürgermeister und Rats zu Zürich an Bischof Hugo von Konstanz' (Z 3,146-229) wiederholte; .Eine Antwort, Valentin Compar gegeben' 1525 (Z 4,35-159, bes. 85-12, Art. 3: Bilder). Valentin Compar war der Alt-Landschreiber von Uri und hatte Zwingiis .Schlußreden' in einem - nicht mehr erhaltenen - Brief angegriffen; vgl. GARSIDE: Zwingli, S. 161-170. Zu den Vorgängen in Zürich und den einzelnen Phasen der Bilderentfernung vgl. die vorbildliche Studien von JEZLER: Etappen; DERS.: Zürich, S. 75-83; DERS.: Bilderstreit, S. 83-102; daneben, allerdings mit nicht ganz unproblematischem Interpretationsansatz des .Bildersturms' als Ausdrucksform einer Theologie der „ordinary people", vgl. WANDEL: Iconoclasts, S. 125-141; DIES.: Voracious Idols, S. 53-101; GÄUMANN: Rez. Wandel, S. 201. 23
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Zur Unterscheidung von Bild und Götze vgl. Z 4,96,9-13: „Verstand aber eigentlich, lieber Valentin, das wir einen götzen heissen: ein bildnus eines helffers oder trosthuffens, oder dero eer wirt angeton; bilder nennend wir aber glychnussen eines yeden dings, das da sichtbar ist, aber zu gheiner abfuerigen hoffnung nit gemacht, auch nit geert wird." (Antwort an Valentin Compar, 1525). 25 Vgl. Z 4,95,18-96,2 (Antwort an Valentin Compar, 1525); Z 8,195,18f: „Sed Idolum vetari scias, quod in eum usum factum est, ut augustum esset ac preciosum in oculis hominum [...]" (Zwingli an Bucer, 3. Juni 1524). Auch die Glasfenster im Münster waren
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Der theologische Hintergrund der
Bilderfrage
Bilder mehr bewundert als wir" 26 . So konnte Zwingli auch zusammen mit Hans Füessli den Titelholzschnitt zu der Flugschrift ,Beschreibung der göttlichen Mühle' (1521) gestalten 27 - ein schönes Beispiel dafür, daß Zwingli auch religiöse Bilder schätzte, wenn sie in Verbindung mit dem richtigen Medium und der richtigen Botschaft auftraten. Sobald Bilder allerdings in einem gottesdienstlich-kultischen Raum platziert waren, konnte er sie - anders als Luther - prinzipiell nicht als Adiaphora einschätzen, d. h. als Bilder, die weder eine unmittelbare Heilsnoch Unheilsrelevanz für den Menschen besitzen. Über solche Bilder urteilte Zwingli pauschal: „Hierumb so sind die bild nit ze dulden; denn alles, das got verbotten hat, das ist nit ein mittelding." 28 Was Zwingli im Unterschied zu Luther nicht kennt, sondern scharf zurückweist, ist eine positive religiöse Lehr- und Andachtsfunktion der Bilder. Von Bildern könne man nichts lernen, was für den Glauben wichtig ist. Denn Bilder sind immer mißverständlich und verführerisch. Die eindeutige Klarheit, die der Glaube benötigt, gibt allein das unterrichtende Wort. Wo aber das Wort des Evangeliums laut wird, braucht man keine Bilder 29 . Im Hintergrund dieser Aussagen steht seine Ontologie der Bilder, Zwingli kein Ärgernis, da ihnen keine Verehrung zuteil wurde; vgl. Z 3,905,14-16 (De vera et falsa religione commentarius, 1525). Zu Zwingiis Haltung zu den Künsten außerhalb des sakralen Raumes vgl. Z 3,900-906; Z 4,84,25f. 94,11-15; Z 6/11,813,3-6. 26 Z 3,905,20f: „Non dicimus quicquam ex adfectibus; nam alioqui nemo magis miratur picturas, statuas et imagines quam nos." (De vera et falsa religione commentarius, 1525). 27 Vgl. HAMM: Reformation der Freiheit, S. Vif (Lit.). 28 Z 2,708.22-24 (Akten der Zweiten Disputation, 1523); Z 6/11,813,1-3: „Imagines autem, qu? ad cultum prostitutae sunt, non censeo inter cerimonias, sed ex eorum esse numero, quae verbo dei ex diametro repugnant." (Fidei ratio, 1530); vgl. auch Z 5,756,7 mit Anm. 1. 29 Z 4,120,8-26: „Hie wirt aber der aller schwärest - als man wennet [= meint] - gegenwurff gethon: ,Die bildnus Christi leret den einvaltigen, unverstandnen menschen, und reytzt inn offt zu andacht, den er, onangesehen, die bildnus Christ, nit hette.' Hör antwurt, lieber Valentin. Für das erst kummend alle Bäpstler und sagend, die bilder sygind bücher der einvaltigen. Sagind aber an, wo hatt uns got uß dem buch gheissen lernen? Oder mag ouch ieman an eim stummenden bild one underrichts des Wortes den waren got und herren Jesum Christum lernen erkennen? Warumb schickend wir denn nit die bilder zu den ungleubigen, das sy den glouben daran lernind? Oder wie kumpt es, das wir alle das krütz vor uns so vil jaren habend gehebt, und habend aber nütz dester mee in gott vertruwet, sunder unsere tröst anderschwohyn gehebt? Wenn du glych ietz einem ungleubigen oder unverstendigen kind die bilder fürstellest, so müstu inn mit dem wort darmit leren, oder aber er sieht das bild vergeben. Also erfmdt sich, das man mit dem wort leren muß, nit mit den götzen." (Antwort an Valentin Compar, 1525); Z 2,708,18-22: „Hettend die unnützen pfaffen unnd bischoff das wort gottes, so inen entpfolhen, ernstlich gepredget, als sy unnützen dingen nachgelouffen sind, so were es nie darzu kummen, das der arm ley, der der gschrifft onwüssend ist, den Christum ab der wand unn ab den brieffen [= Blätter mit Abbildungen] hette müssen lernen." (Akten der Zweiten Disputation, 1523).
Zwingli und die Ablehnung religiöser
Bilder
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die für ihn nur „Äußerliches" sind, die das Innere des Menschen nicht positiv beeinflußen können, weder kognitiv belehrend noch affektiv anreizend. „Denn alle, die rechte erkantnus gottes habend, die wüssend, das sy inen nit von ussen hinyn komen ist, sunder von gott in die hertzen ggeben. Darumb der unglöubig ist, der die bilder schirmt, er sye, wie hochgeböumt [= hervorragend, stark] er welle." 30 . Während für Luther eine Anthropologie des bildhaften Glaubens und Verstehens charakteristisch ist, entwickelt Zwingli - in der Tradition des augustinischen Piatonismus - eine bildlose Erkenntnis- und Glaubenslehre. Seine Auffassung vom defizitären Charakter religiöser Bilder steigert Zwingli im Blick auf den gottesdienstlichen Raum zu der Einstellung, daß Bilder dort generell als „Abgötterei" zu werten und zu bekämpfen sind. Entscheidend als Legitimationsbasis ist dabei für ihn das Bilderverbot von Ex 20,4: „Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild." Er sieht diesen Vers einerseits sehr eng verkoppelt mit Ex 20,3 („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben"), andererseits aber gibt er ihm ein eigenes Gewicht als Gottesverbot jeder religiös-kultischen Bildlichkeit und als generelles Gebot der Bildentfernung, das - wie die anderen Gebote des Dekalogs - auch im Neuen Bund ungebrochene Gültigkeit besitze 31 . Der entscheidende inhaltliche Punkt für ihn ist die mit der Bildlosigkeit verbundene wahre Gottesverehrung und die mit der Bildlichkeit gegebene Entehrung Gottes und Vergötzung der Kreatur 32 . Wo Bilder im gottesdienstlichen Raum stehen 33 , wird an die 30
Z 3,531,25-28 (Gutachten im Ittinger Handel, 1524/25). Z 3,529,21-24; 530,12-14: „Exodi [...] am 20. Da ist das verbott der bilden in dem ersten gebott gottes der zehnen also ingeschlossen, das es, ob gott wil, gheiner daruss ryssen oder scheiden sol. [...] Die erst ist, das sy, wie vor gemeldt, wol sehend, das das götzenverbott imm ersten gebott gottes also verschlossen ist, das wer es darvon scheidet, die zehen gotzgebott stümmelet, teilt und mindret." (Gutachten im Ittinger Handel, 1524/25). Vgl. auch LUTZ: Zwingiis Gebet, S. 138-140; BACKUS: Interdiction, 319-322. - Nach Zwingli sind Bilder auch im Neuen Testament verboten; vgl. Z 3,531,33-532,25 (Gutachten im Ittinger Handel, 1524/25). 32 Z 6/1,419,4-9: „Dann got wil also reden: ir haben minen kein bildtnus nye gesechen, darumb sollen ir mich ouch nit verbilden [= abbilden], Vil weniger soll man einige creatur zu vereerung verbilden. Hic valet locus a maiore; dann so man den nit verbilden sol, der allein gott unnd zu vereren ist, vil weniger sol man die verbilden, die nit zu vereeren sind als gott." (Voten Zwingiis an der Berner Disputation, 1528); Z 2,218,5-9: „Ja, das die gschrifft offenlich darwider redt, man solle sich zu gheiner creatur nit keren, ja, die nit bilden [= abbilden], damit sy uns nit an statt gottes geliebte und von uns angebettet. Und wir habend ein solchen huffen götzen!" (Auslegen und Gründe der Schlußreden, 1523); vgl. auch ebd.,530,6-11; Z 2,658,6-7: „Darum gebietet Gott, das man nütz anhebe eren nebend imm oder gheiner creatur eer embiete näbend imm." (Eine kurze christliche Einleitung, 1523). 33 Z 3,530,18-22: „Dann es nit hillfft ynreden: die bilder sye ein uswendig ding: man mög sy wol recht bruchen. Denn das ist war: Man mag sy recht brachen, wenn man inen ghein er embüt, doch an gheinem ort hatt, da man inen er embüten kan. Aber in den kil31
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Stelle des unsichtbaren Gottes das „Geschaffene" gesetzt und geschieht so der Abfall in die Kreaturvergötterung 34 . Zwingli hat dabei alle religiösen Bilder der Kirchenräume und Kultstätten im Blick, nicht nur Heiligen- und Marienbilder, die Christi alleinige Erlöserschaft abschwächen könnten, sondern auch Abbildungen des leidenden und gekreuzigten Christus. Was Zwingli daran ablehnt, ist die isolierte Darstellung der Menschheit Christi, da die Gottheit nicht abzubilden ist. Die bloße, von der Gottheit getrennte Menschheit Christi darf aber nicht verehrt werden; das ist eine christologische Variante der Kreaturvergötterung 35 . Das Wesen von Abgötterei und Kreaturvergötterung liegt für Zwingli grundsätzlich darin, daß man seinen Trost und sein Vertrauen nicht auf Gott und die Gottheit Christi gründet, sondern auf Menschliches und Kreatürliches, das von Gottes Wesen unendlich getrennt ist und dem keinerlei Heilsfunktion zukommen kann 36 . chen und templen embüt man inen er. Man neigt sich vor inen; man brennt und opfret inen; man güldet sy, ja, macht sy gantz guldin oder silbrin." (Gutachten im Ittinger Handel, 1524/25); Z 3,129,18-20: „So wir nun sehend, das sy uf den alteren geert werden denn, wo das nit, so stallte man sy nit daruf." (Vorschläge wegen Messe und Bilder, 1524); Z 4,101,29-31: „Alles, so imm tempel ist, wirt uns von stund groß und heilig in unseren ougen." (Antwort an Valentin Compar, 1525). Vgl. auch Z 5,756,3-5: „Nunc autem, cum nemo idolum ad cultum [...] prostituat, nisi deum prius fecerit eum, cui idolum posuit, non potest citra perfidiam idolum coli." (Amica Exegesis, id est: expositio eucharistiae negocii ad Martinum Lutherum, 1527). 34 Z 4,105,16-19: „Denn hettist du nit vorhin einen gott gemacht, so hettist das bild darnach eintweders nit gemacht oder aber nit vereret. Also volget der götzendienst erst hernach, so der abgot schon ufgericht ist im hertzen." (Antwort an Valentin Compar, 1525); Z 2,230,6-9: „So vil von disem artickel, der ouch zu dem dienet, das die abgötery zu den creaturen hingelegt werde. Denn sollen wir allein in sinem namen begeren, und ist das gewären allein uff sinen namen gstelt, so ist es ytel, ja abgöttisch, so wir uns zu einiger creatur kerend." (Auslegen und Gründe der Schlußreden, 1523); ebd., 392,20-393,2: „Denn sin barmhertzigkeit habend sy dem menschen zügegeben, welchs ein wäre abgötery ist. Denn abgötery hat den namen da dannen, das man die götlichen eer der creatur zulegt, oder der creatur gibt, das gottes allein ist." 35 Vgl. die Argumentation in Z 4,113,20-120,7 (Antwort an Valentin Compar, 1525); ebd., 119,2-6: „Also erfindt sich, das man Christum nit verbilden sol noch mag; denn das fürnemist in Christo mag nit verbildet werden: denn die gotheit mag und sol nit verbildet werden. So sol ouch sin blosse menscheit nit geeret werden mit solcher eer, als man gott eeret." 36 Z 2,218,16-31: „Ja, wir wüssend wol, das man die bild nit sol anbetten. Was thünd sy dann da? Ich weiß aber, das vil einvaltiger die bild habend angebettet, ee und man inen mit klaren Worten das verbotten hat. Söllend sy nun keynen trost zu den bilden haben? Ja, es ist ein abgötery, so sy iren trost zu inen habend. Und zeigt aber das wort, da sy sprechen: das ist ein gnadrych bild, an, das sy den bilden etwas zugebend; ouch, das sy die so wärd haltent, das sy die uff die altar gegen den menschen stellend, da aber allein got sol angebettet werden, zeiget ja an, das man inen etwas zugibt. Item, das man an etlichen orten die, so götzen habend, uß götlicher meinung dennen thon [= weggetan, entfernt] von den ougen der menschen, gestrafft hat, zeygt ouch abgötery an. Ja, sol man
Zwingli und die Ablehnung religiöser
Bilder
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Sofern bei Zwingli - wie bei Luther - alles an der Frage des rechten oder falschen Vertrauens hängt, ist auch bei ihm in der Bilderfrage die innere Einstellung zum Bild wesentlich: daß man an Bildwerke seinen Trost und seine Hoffnung knüpft und so Gott entehrt, bei dem man allein Trost und Hilfe suchen soll. Zwingli sieht das falsche Vertrauen gleichsam an den Bildern sichtbar haften 37 . Sie sind als Stiftungen oder Schenkungen Dokumentationen eines fehlgeleiteten, götzendienerischen Vertrauens. Die falsche religiöse Verehrung konzentriert sich auf sie, und selbst wenn man die Gläubigen über ihren wahren Charakter aufklärt, können sie die Schwachen im Glauben immer wieder neu zum Götzendienst verfuhren 38 , indem diese ihr Heil an die Verehrung der Bilder knüpfen. Als objektivierte Manifestationen der Kreaturvergötterung, die das Bilderverbot brechen und so der Gotteslästerung in der Öffentlichkeit Raum geben, werden die Bilder zugleich zu Stimulanzien einer verkehrten inneren Einstellung der Gläubigen zu Gott. So sehr Zwingli einen positiven Einfluß religiöser Bilder auf die Glaubensformung bestreitet, so entschieden betont er die negative Macht der Bilder auf Vertrauen und Verhalten der Gläubigen. Zu dieser negativen Wirkung gehört für ihn besonders auch die soziale Dimension: daß man in der Kirche Geld für teure Bilder ausgibt statt für die Armen, die doch die eigentlichen lebendigen Bilder Gottes sind. „Damit wirt gott enteret und das holtz geeret." 39 „Ja, alle götzenbuwer werdend gott ouch rechnung muessen geben, das sy imm syne bilder habend lassen hungren, frören etc; und habend
nun dheinen trost zu inen haben, warumb stond sy denn da? Ach herr! Verlych uns einen unerschrockenen man, wie Helias was, der die götzen vor den ougen der gleubigen dennen thüye; denn du bist das einig gut, das unser Zuflucht unnd trost ist!" (Auslegen und Gründe der Schlußreden, 1523). 37 Z 4,125,22-26: „Denselben [= rechten Gottesdienst] lerend uns die bilder nit, sy reytzend ouch nit darzu; denn sy habend nie nütz gewürckt und würckend noch nüt, damit sy uns reytzend zu gotlichen wercken. Hör, worzü sy uns reytzend: Zu eim blinden, fulen [= faul, schlecht] andacht, glych als Jocob. 1. [Jac 1,22-24] spricht." (Antwort an Valentin Compar, 1525). 38 Z 4,101,32-34: „Und so nit verlougnet werden mag, denn daß vil Christen so schlecht sind, die solchen won [= Wahn, Meinung] von den bilden habend, so sol man sy dennen tun [= wegtun, entfernen] und den kleinen gottes [Mk 9,42] nit lassen verfürt werden." (Antwort an Valentin Compar, 1525). 39 Z 3,530,22-30: „Weichs alles den armen entzogen wirt und an die götzen gehenckt, ja, den diebischen geistlichen zu eim schätz zemengelegt wirt. Damit wirt gott enteret und das holtz geeret. Denn, sol ein ieder mensch rechnung geben umb die guter, die er an sinen lyb vermissbrucht hatt, darumb, das er solche nit an die armen verwendt, wie vil me müs man rechnung geben dero güteren, die man an die bild (die von gott in sich [= von Gott weg, an die Bilder] gezogen habend) mit nachteil der armen, die man darzwüschend nackend, hungrig und eilend hatt lassen harumgon, verwendet hatt?" (Gutachten im Ittinger Handel, 1524/25).
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ire eignen götzen so tür gezieret." 40 Schließlich gehört für Zwingli zur negativen Ausstrahlungskraft der Bilder auch ihr häufig unsittlicher Charakter, der sich z. B. darin zeige, wie die Mutter Jesu mit entblößten Brüsten oder Maria Magdalena „so hürisch" gemalt wird. So reize man die Männer zu unzüchtiger Wollust 41 . Sind somit die religiösen Bilder im gottesdienstlichen Bereich für Zwingli allesamt Ausdrucks- und Verführungsformen der Abgötterei, so kann er daraus nur die praktische Konsequenz ziehen, daß alle Bilder aus den gottesdienstlichen Räumen und religiösen Kultbereichen entfernt werden müssen 42 . Dies ist für ihn nicht eine Frage des Könnens, sondern des unbedingten Müssens 43 . Da solche Bilder in den Gesamtzusammenhang der Kreaturvergötterung gehören und die Ehre Gottes schmachvoll beleidigen, sind sie wie das Goldene Kalb zu behandeln 44 . Für Zwingli gehört
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Z 4,146,5-8 (Antwort an Valentin Compar, 1525); vgl. Z 2,710,25-28: „Das ist ein rechter, warer diebstal; dann das gut gehört den armen. Dahynn ist's ggeben; hierumb sol es wieder dahyn gewendt werden; das wölt ich mit vil geschrifften bewären." (Akten der Zweiten Disputation, 1523). 41 Z 2,218,8-16: „Und wir habend ein solchen huffen götzen! Einen bekleiden wir mit harnest [= Harnisch], sam er ein kriegßknecht sye, den andren als einen büben oder hürenwirt, daran die wyber frylich zu grossem andacht bewegt werdend. Die säligen wyber gstaltet man so hürisch, so glat und ußgestrichen, sam sy darumb dahyn gesteh syind, das die mann an inen gereitzt werdind zu Üppigkeit. Und gfallend demnach uns selber wol, wir habind einen schönen gotzdienst, daß doch nüt änderst ist denn ein abgötery; dann es mit hällen worten gottes verbotten ist Deut. 5." (Auslegen und Gründe der Schlußreden, 1523). Vgl. auch Z 4,145,24-27: „Hie stat ein Magdalena so hürisch gemaalet, das ouch alle pfaffen ye und ye gesprochen habend: Wie könd einer hie andächtig sin, maß zu haben? Ja, die ewig, rein, unversehrt magt und müter Jesu Christi, die muß ire brüst harfürzogen haben." (Antwort an Valentin Compar, 1525). 42 Z 4,149,17: „Hinus allenthalb mit den götzen!" (Antwort an Valentin Compar, 1525); ebd. 94,32-95,2. 43 1523 hatte Zwingli 1523 noch Geduld gegenüber den Einfältigen gefordert: „Denn, für das die Christenmenschen recht bericht werdend, wie man inen ghein eer enbieten sol, so mag man demnach deß bas [= besser] geduld haben, bis das die blöden ouch harnach kummend [= auch zur Einsicht kommen]"; Z 2,655,5-8 (Eine kurze christliche Einleitung, 1523). Später hielt er die Gefahr, daß nicht entfernte Bilder zu einem späteren Zeitpunkt wieder verehrt werden, für viel zu groß. Erst wo die äußeren Götzen fortgeschafft sind, kann mit der Ausrottung der anderen Götzen (Geiz, Lustbarkeit etc.) begonnen werden; vgl. etwa Z 13,221,16-18: „Tollamus ea, quibus summa illa maiestas offendi potest, idola cordis nostri, avariciam, libidinem, vanam gloriam etc." (Erläuterungen zur Genesis, 1527). Wird der Götzendienst weitergeführt, kann dies sogar zum Ausschluß vom Abendmahl führen: „Derglichen, ob etlych noch den götzen dientind, das wir doch nit hoffend, sollend sy ouch nit zu disem tisch und dancksagung zugelassen werden"; Z 4,31,18-20 (Ratschlag zum Ausschluß vom Abendmahl, 1525). 44 Z 4,109,13-17: „Sprichst du aber: ,Noch möcht man die bilder wol dulden, so verr sy nit geeret wurdind.' Ich sag richtig: Nein, das man die bilder, die anfenglich zu abgöt-
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daher die konsequente Bildentfernung zur Hauptsache des Heils und des Glaubens, zu dem Bereich also, in dem den Gläubigen nichts frei gelassen ist, sondern Gottes Gebote und seine Ehre ein eindeutiges Verhalten in der Abwendung vom Götzendienst verlangen. Allerdings betont Zwingli, daß die Bildentfernung in geordneten Bahnen - unter der Regie der jeweiligen Obrigkeit - verlaufen und Unruhe vermieden werden muß 45 . Das entspricht seinem Gesamtverständnis von der führenden Rolle der obrigkeitlichen Autorität bei allen Fragen der Kirchenorganisation und seiner prinzipiellen Aversion gegen jede politisch-soziale Unruhe und Rebellion. Unkontrollierte Bilderstürmerei lehnt er daher ebenso wie Luther ab. Das biblische Gebot, daß man den Mitchristen keinen Anstoß geben darf, sondern ihnen in rücksichtsvoller Liebe begegnen soll, bedeutet für ihn, daß man sie zunächst im Glauben unterrichtet, den Wahn der götzendienerischen Bilderverehrung offenlegt und dann zügig zur Bildentfernung schreitet, damit ihre Gewissen nicht weiter verführt werden können. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Zwingli in seiner Bildtheologie wesentlich andere Akzente als Luther setzt. Zugleich aber wird auch deutlich, inwiefern sich bei der Bilderfrage in den oberdeutschen Städten der Einflußbereich Luthers problemlos mit der Wirkung Zwingiis verbinden konnte: Denn auch Luther konnte eine geordnete Bildentfernung bejahen und auch Zwingli legte großen Wert darauf, daß die Bildentfernung durch eine gründliche Belehrung der Gläubigen vorbereitet wird.
2. 3 Martin Bucers Bilderverständnis Wie alle Reformatoren kennt auch Martin Bucer eine Verwendung von Bildern, die er nicht ablehnen muß, sondern positiv werten kann 46 . Es ist tischer eer gemacht sind, als wenig behalten mag als das guldin kalb; denn sy sind zu schmach gottes und mindrung siner eeren gemacht." (Antwort an Valentin Compar, 1525). 45 Vgl. beispielsweise Z 2,655,4f: „Darinn aber gevarlich [= sorgfältig] ze faren ist, das nit Übels daruß entspringe." (Eine kurze christliche Einleitung, 1523); Z 4,149,23f: „Darumb vast [= völlig] hinus mit, doch mit gschickte [= in passender Art]!" (Antwort an Valentin Compar, 1525); Z 3,905,21-906,9: „[...] at quae sie offendunt pietatem, ferri non debent, sed constanti magistratus autoritate aboleri. Tantum de imaginibus et idolis hoc loci, donec uberiora permittant negociorum tempestates nasci. Quod autem ad rationem scandali in his abolendis observandam adtinet, est eodem pertinere aut aliquid posse videntur, de quibus autem abolitio cum tranquillitate sequi; docebit autem omnia in omnibus Charitas." (De vera et falsa religione commentarius, 1525). 46 Zur Person Martin Bucers (1491-1551) vgl. GRESCHAT: Bucer. - Zu seinem Umgang mit der Bilderfrage vgl. MULLER: Images, S. 227-238; BILDERSTURM - WAHNSINN ODER GOTTES WILLE?, S. 300f, Kat.-Nr. 143. - Zu den Vorgängen in Straßburg zwischen
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der Gebrauch von Bildwerken im nicht-religiösen, profanen Kontext. Im Blick auf diesen Bildgebrauch kann er sagen: „Es ist bildhauwen, giessen oder malen auch ein kunst, die Got geben hat." 47 Diesen Gedanken streift Bucer aber nur am Rande, ohne ihn weiter zu entfalten. Der Gesamtduktus seiner Schriften läßt eine negative Grundeinstellung zu Kunstwerken erkennen 48 . Sie fallen für ihn unter den generellen Verdacht verführerischer Werke von Menschenhand. Religiöse Bildwerke werden von Bucer ausnahmslos als gottwidrig abgelehnt. Konnte Zwingli immerhin eine verbildlichte Reformationspropaganda in gedruckter Form befürworten und sogar daran mitwirken 49 , so stoßen wir bei Bucer auf keine positive Würdigung irgendeiner Art von Bildlichkeit im Bereich von evangelischer Neuordnung. Sie ist bei ihm durch eine radikale Abkehr von allem Kunstschaffen gekennzeichnet. Die biblische Argumentationsgrundlage für die Ablehnung aller Bilder mit religiösen Inhalten und Funktionen bildet für Bucer selbstverständlich das alttestamentliche Bilderverbot von Ex 20,4 und Dtn 5,850. Bemerkenswert aber ist besonders, wie er durch das Neue Testament das alttestamentliche Verbot verschärft sieht: Wenn schon im Alten Testament die Bilder aus der Gottesbeziehung des Menschen ausgeschlossen werden, weil sie ihn zur Abgötterei und zur Verehrung von Geschaffenem verfühAnfang 1524 und 1530 vgl. zuletzt MULLER: Bildersturm, S. 84-89; BORNERT: Reforme protestante, S. 141 und S. 486-498. Problematisch WANDEL: Voracious Idols, S. 103— 147; siehe dazu GÄUMANN: Rez. Wandel, S. 200. 47 BDS 4,171,6f (Das einigerlei Bild, 1530). 48 Die wichtigsten Quellen zu Bucers Bilderverständnis sind ,Grund und Ursach' 1524 (BDS 1,(185)194-278), ,Das einigerlei Bild bei den Gottgläubigen' 1530 (BDS 4,(161)165-181; noch im gleichen Jahr folgte die Übersetzung ins Lateinische durch Jakob Bedrot), die zusammen mit Wolfgang Capito im Sommer 1530 verfaßte ,Confessio Tetrapolitana' (BDS 3,150-161, bes. Art. 22), die zusammen mit Johannes Oekolampad und Ambrosius Blarer, aber maßgeblich von Bucer formulierte Ulmer Kirchenordnung von 1531 (BDS 4,(183)212-272 und 374-398; vgl. auch ebd., 209 mit Anm. 219) und die ,Apologie der Confessio Tetrapolitana' vom Sommer 1531 (BDS 3,299-314: Verteidigung des XXXIII. Artickels). 49 Vgl. oben S. 28 mit Anm. 27. 50 BDS 1,269,19-23: „Auß disen worten [Ex 20,2-5], welche der grund seind alles, das sust im gesatz und propheten hin un her wieder die gotzen und bilder gelesen würt, mag ein jeder, der die worheit sucht, wol verston, das gott auch gotzen und bilder zu machen verbotten hat, doch das darumb, das in niemant eer erbiete, etwas auff sye halte und in diene." (Grund und Ursach, 1524); BDS 4,166,5-19 (Das einigerlei Bild, 1530); BDS 4,295,24; 303,1-6 (Ulmer Kirchenordnung, 1531; vgl. dazu unten S. 45f und S. U l f ) ; BDS 3,307,1-22: „[... Ex 20,4; Dtn 5,8 ...] Hie verbeut der Herr aller ding gleichnuß, und nit alleyn der heidnischen abgott [...] so die eer nit auff das bild, sonder auff den, der durchs bild bedeutet, im hertzen gewendt wurdt, ist eben der heiden außred auch gewesen, wie man das in Lactantio libro 2 Institutionum und bey andern heiligen vättern liset." (Apologie der Confessio Tetrapolitana, 1531).
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ren und so einer Haltung reiner Gottesverehrung in Glaube und Liebe abträglich sind, dann gilt im Neuen Bund erst recht das absolute Gebot der Bildlosigkeit, da die Christen gegenüber den Juden eine höhere Form der Geistigkeit erreichen sollen. Sie verehren Gott allein im Geist und in der Wahrheit. In seiner programmatischen Schrift gegen die religiösen Bilder vom März 1530 schreibt Bucer daher: „Dieweil dann also kündtlich, das die Bilder, so verehret werden, dem glauben, lieb und waren dienst gottes zuwidder und so hoch abbrüchlich sind, sie uns nicht weniger dann den alten verbotten, ja meer, soviel meer wir im geyst und der warheyt Gott anbetten und verehren sollen [Joh 4,24]. Derhalben sie auch uns vil ein unleidlicher grewel und viel weniger dann jemands von alten zu dulden sein sollen." 51
Der wesentliche Sinn des biblischen Bilderverbots liegt somit, wie Bucer immer wieder argumentiert, darin, daß dem unsichtbaren, geistig-jenseitigen Gott allein alle Ehrfurcht, alles Vertrauen und alle Liebe entgegengebracht werden. Nichts von Menschenhand Geschaffenes darf diese Reinheit der Gottesverehrung vermindern, indem es eine götzendienerische Verehrung, ein verkehrtes Vertrauen und eine verdienstorientierte Werkgerechtigkeit auf sich zieht 52 . Das aber ist für Bucer Grund genug, die Entfernung aller Bilder aus den gottesdienstlichen Räumen zu fordern 53 . Mit Nachdruck bezieht er diese Forderung auch auf die Christusbilder, die Passionsdarstellungen und die Kruzifixe, weil gerade sie in den Kirchen besonders verehrt würden und damit eine verstärkte Verfuhrungskraft auf die menschlichen Herzen ausübten 54 . Zwar räumt Bucer der Predigt gegen die Bilder eine wichtige Aufgabe im Kampf gegen die religiöse Bilderverehrung ein. Wie für Zwingli ist es 51
BDS 4,168,9-14 (Das einigerlei Bild, 1530); vgl. auch ebd., 169,3-8; 174,9-14. Vgl. beispielsweise BDS l,269,25f; 271,27-29 (Grund und Ursach, 1524); BDS 3,151,18-24 (Confessio Tetrapolitana, 1530). 53 BDS 4,171,15-20: „Und ist, das man sagt, wen das wort nit von bildern abtreibe, den werde das abthün noch weniger abtreiben. Allein waar an denen, so dem wort gotts gar nit glauben, bei den schwachglaubigen findt sichs weit anders, dieselbigen werden durch die thatliche exempel im glauben des worts gsterckt, derhalb in allen Sachen bei den heiigen der leer die thatlichen exempel nachgfolgt haben." (Das einigerlei Bild, 1530); ebd., 174,1-5: „Welcherley grewel die waare liebe Gottes gar nit dulden mag, auch das Wort in abstellung solcher langwirigen und die für Gottesdienst gehalten sind, irrthumb nit allein genüg sein wil, sonder fordert mitt thatliche exempel weiter bei den Christen, so alles zu gewisser besserung anrichten sollen." 54 BDS 4,171,7-14: „In den Kirchen aber werden sie geeret, und keine dann eben die Crucifix und bilder unsers Herrn, das ligt am tag, mags kein verstendiger leugnen, man treibe das wortt wie ernstlich man woll, das so lang die bilder in Kirchen geduldet, sy von vilen einfeltigen von wegen alter gewonheit, öffentlicher anreytzung der boßwilligen, heymlicher des teuffels, anbettet und vereret werden, welchs gentzlich abgstelt wirt, so nach vorgender leer gotlichs worts die bilder auch von äugen kommen." (Das einigerlei Bild, 1530). 52
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auch für ihn selbstverständlich, daß der realen Bilderentfernung eine sorgfältig argumentierende Belehrung durch das Wort vorausgehen muß 55 . Aufgabe dieser Unterrichtung ist es, die Herzen der Menschen von den Bildern zu lösen und auf die reine, bildlose Verehrung Gottes hin auszurichten. Mit Vehemenz betont Bucer aber, daß diese Rolle der Wortverkündigung die tatkräftige Entfernung der Bildwerke aus den Kirchen und ihre Zerstörung nicht überflüssig macht 56 . Es wäre ein schweres Versäumnis der Starken im Glauben, wenn sie im Blick auf die Freiheit ihres eigenen Herzens vom Bilderdienst die Folgerung zögen, daß damit die reale Bildentfernung aus den öffentlichen Kulträumen überflüßig sei, da doch alles durch das Wort ausgerichtet werden müsse. Gibt es doch, wie Bucer argumentiert, die vielen Schwachen im Glauben, deren Herzen durch die Wortverkündigung nicht völlig von der Bilderverehrung gelöst werden und die daher immer wieder neu zum Opfer jener Verführungskraft werden können, die von den Bildern ausgeht 57 . Das Wort der Prediger ist also defizitär, wo das Sichtbare die schwachen Christen immer wieder in den Sog der Abgötterei zu ziehen droht. Rücksicht auf die Schwachen heißt für Bucer also ebenso wie für Zwingli Rücksicht auf die Verführbarkeit und Leichtgläubigkeit der Menschen. Nicht die Beibehaltung der Bilder - wie bei Luther sondern die konsequente und zügige Bildentfernung entspreche daher dem göttlichen Gebot der Nächstenliebe. Der Predigt gegen die Bilder hat daher umgehend die Aktion der Bildentfernung zu folgen 58 . Sie 55
BDS 3,151,6-12: „An den Billdern haben vnnsere prediger aus göttlicher schrifft Erstlich gestraffet, das man sye wider das hailig gepott gottes so offenlich last von dem ainfeltigen vollck vereret vnnd angepettet werden." (Confessio Tetrapolitana, 1530); BDS 1,272,25-37: „Es ist wor, auß dem hertzen müssen die gotzen erstlich gerissen werden und das durch das wort, alsdann schaden sye nichs, aber freylich, wem sye auß dem hertzen seind, der würt sye auch ungern umb sich sehen, dieweyl er weiß, das inen gotlich eer bewisen ist und noch von vilen bewisen würt [...] Sagstu, wir seind des gesatz frey. Antwurt: ja, das klein heüfflin der erwolten, der ander, der groß hauff muß heütigs tags als wol als zun Zeiten Mose durchs gesatz und schwerdt regiert werden, darzü was gebot seind, die glaub und lieb belangen, als die zehen gepot [...] sollen von menigklich allwegen geübt und gehalten werden." (Grund und Ursach, 1524). 56 BDS 1,270,12-16: „Deßhalb alle Christen kein möglichen fleiß sparen sollen, das sye abthon werden, fürnemlich durchs wort auß den hertzen und darnach auch thetlich auß den äugen umb der schwachen und einfeltigen willen, wölche, man sag und predig wie heftig man wo 11, noch imer ein abergläubische achtung auff die gotzen haben." (Grund und Ursach, 1524); BDS 4,174,1-5 (Das einigerlei Bild, 1530). 57 BDS 1,272,9-13. 25-37: „Wo auch Christlich gemeinden seind, solten sye um abthün der gotzen und was sust heilsamer lere entgegen ist, dieweil je der schwachen vil seind, denen worlich thätlich exempel zum wort wollen von noten sein, an ire oberkeit flehlich sinnen und bitten [...]." 58 BDS 4,294,12-24: „Bilder sind auch so zu unleugbarer abgotterey geraten und wider das hell gepott gottes nit allain on schew, sonnder in hoffnung grosses verdienst verehrt worden und in dem auch dermassen überhand gnommen, das dem gmainen
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reinigt die Kirchen von dem, was Gott verboten hat, sie beseitigt die Zeugnisse der Abgötterei, der bildgewordenen Schmach Gottes 59 , und verhindert eine Fortsetzung des Götzendienstes, in den glaubensschwache Christen immer wieder zu fallen drohen. Da Bucer in den Bildwerken der Kirchen ausnahmslos Vermaterialisierungen der Abgötterei sieht, ist es nur folgerichtig, daß er eine Entfernung aus dem Kultraum für ungenügend ansieht. Er betont, daß man sie auch völlig zerstören, „gantz zerbrechen und zermalmen" soll, damit sie niemals mehr „zu solchem gotlosen brauch" 60 verwendet werden können. Dies alles soll unter obrigkeitlicher Regie geschehen, da die Obrigkeit für die öffentlichen Räume zuständig sei, während jeder Hausvater dafür sorgen soll, daß die Bilder aus seinem privaten Bereich entfernt werden 61 . Die Obrigkeit soll dafür sorgen, daß die Bildentfernung und -Zerstörung auf geordnete Weise, ohne Mutwillen und Feindseligkeiten, „sauber und fein" geschehe. Denn „das abthün ist ein werck Gottes, gotlich sol es gschehen". „Alleyn die Gottsforcht" und „der eifer Gots" 62 sollen alle Beteiligten dazu treiben, das Werk der Bildvernichtung konsequent und ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten der Bilderfreunde durchzuführen. Letztlich diene man auch ihrem Gewissen, wenn man die „Götzen", die sie immer neu zur Gotteslästerung reizen, aus ihrem Blickfeld verschwinden läßt:
ainfältigen hauffen nit annders und bas hat mögen gholffen werden, dann das wir (nach dem nun auß der schrifft die warhayt solchs gotzendienst und abgotterey halb gnüg gepredigt ist) sollch bilder und götzen, die nämlich so zu Verehrung uffgestölt und auch vilfältiger weyß verehrt worden sind, in unsern kirchen gentzlich abschafften und hin thaten, wi wyr sy dann in unser Statt [= Ulm] schon abgeschafft und hingethon haben und uf dem land by den unsern sobald dieselbigen durchs wort der warheit gnügsam bericht werden, auch also abschaffen und hinthün wollen, ongezweyfelt sochs werd uns nieman verargen." (Ulmer Kirchenordnung, 1531); zu den genauen Vorgängen in Ulm im Sommer 1531 vgl. unten S. 108-123. 59 BDS 3,299,24-28: „Wider disen artickel, in dem wir gesetzt haben, das die bilder den Christen für sich selb wol frei, aber, wo sie vereeret werden in der kirchen oder anderßwo, in keynen weg zu dulden seind, dieweil, was offenlich ergeret und zur schmach Gottes mißbraucht wurdt, durch ein Christliche Oberkeyt abzuschaffen ist." (Apologie der Confessio Tetrapolitana, 1531). 60 BDS 4,181,14-17 (Das einigerlei Bild, 1530). 61 BDS 4,181,1-6: „Uber diß alles ist aber diß zu mercken, das die Bilder, wie schwerlich [= wie sehr] die ergern, noch sytemal sie ein eusserlich ding und in gewalt der Oberkeyt sind, nieman weiter abthün solle, dann so ferr ein jeder gewalt und befelch hat. Als erstmals auß dem hertzen. Demnach ein jeder haußvatter auß seim hause. Von gemeynen ortten, als Kirchen sind, gemeyne Oberkeyten, wie, Got sei lob, hie [= Straßburg] geschehn ist." (Das einigerlei Bild, 1530). - Hier spielt Bucer auf den Beschluß des Straßburger Rates vom 14. Feb. 1530 an, alle Bilder, Gemälde und Kruzifixe aus den Kirchen zu räumen; vgl. oben Anm. 46 (Lit.). 62 BDS 4, 181,22-26; 174,12. 23f (Das einigerlei Bild, 1530).
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„Kündtlich ist, das bilder in Kirchen haben, dem waren Gotsdienste abbrüchlich ist, darumb, leßt man sie ston, so ergert man nit allein die einfeltigen, so leiden mochten, das man sie abthet, und aber, so man sie ston leßt, als meynen, es sei etwas dran, und werden also im waren glauben durch sie verletzt, sonder auch die, deren man Unwillen vermeynt zu verhüten, dann man sie in irm unglauben stercket, welche, so man umb Gottes willen ein wenig erzürnen müste, man on zweifei, wo sie anders güthertzig syn, wider gütwillig machet und zur warheit brechte, wo man sich in allem leben dermaß erzeygte, das sie griffen [= begreifen] müssen, das uns nichts in allem treibe, dann der eifer Gots." 63
Scharf weist Bucer den - besonders von Luther hervorgehobenen - Gedanken zurück, daß geeignete Glaubens- und Frömmigkeitsbilder dem Glauben der Christen dienen könnten, indem sie zu anschaulichen Vermittlern der rechten Lehre und Andacht würden 64 . Bilder, betont Bucer wiederholt, können nur eine oberflächliche („fliegende") und „fleischliche" Andacht hervorbringen 65 , nicht aber dem Glauben nützen. Sie sind nur „Äußerliches"; sie halten die Religiosität des Menschen in Äußerlichkeiten fest und können sein Herz nicht zu einem wahren, geistigen Gottesdienst emporheben 66 . Könnten die religiösen Bilder in irgendeiner Weise Nutzen bringen, dann hätte Gott nicht die völlige Bildlosigkeit des Gottesdienstes geboten 67 . In diesem Argumentationszusammenhang pflegt Bucer stets auf den Reichtum der Schöpfung Gottes hinzuweisen, die dem Menschen eine Fülle herrlicher, wunderbarer und lebendiger Bilder Gottes vor Augen stellt68. Weil alle Dinge durch Christus geschaffen worden sind und nichts 63
BDS 4,173,14-24 (Das einigerlei Bild, 1530). BDS 3,155,20-26 (Confessio Tetrapolitana, 1530); so auch ebd., 305,1-12 (Apologie der Confessio Tetrapolitana, 1531). 65 BDS 1,273,5-8: „Es ist ein fleischliche, fliegende andacht, die nit dann durch ansehen der bilder erwechst, bistu Christen, so hör, das wort würt dich zu allem guten zü bewegen." (Grund und Ursach, 1524). Vgl. auch BDS 4,170,11-18 (Das einigerlei Bild, 1530); ebd., 295,26-33 (Ulmer Kirchenordnung, 1531); vgl. unten Anm. 69. 66 BDS 1,269,31-270,11: „Darumb an allen orten, da götzen und bilder verpotten werden, findt sichs, das sye darumb verbotten werden, das man in kein eer thüe, nit wolle inen dienen, dadurch dann gleich das hertz von worem glauben auff das eüsserlich fallet. Das ist der grewel vor gott, darumb also in der schrifft wider die gotzen und bilder gepotten und trawet würt [...]." (Grund und Ursach, 1524). 67 BDS 4,172,6-11: „Die Bilder sind aber nit auß, sonder wider den befelch Gottes in die Kirchen kommen, darumb ist aller ding kein Ursach, sie zu dulden, dann überal kein nutz, den sie bringen, erdacht werden mag. Seitenmal Got nichts nützlichs je verbotten, ja alles, so in einigen weg besseren mag, überflüssig gieret hat, wie das Paulus bezeuget ii. Corin. iii." (Das einigerlei Bild, 1530). 68 BDS 4,295,32-296,1: „Wunderbarlichen, lebendigen bilder Gottes, so Er selbs gmacht und uns fürgstolt hat, zü denen uns auch der gayst gottes in hayliger schrifft allenthalb weyßt. Nemlich hymmel, erd und was hierinnen ist, menschen und ander creaturen, die uns die gotlich macht, fursehung und güte so gwaltig fürbringen und gleich in die äugen stoßen, das (so eüsserlich fürbildung helffen konde) wyr Gottes nymmer mehr 64
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ohne ihn Bestand hat, wird für den geisterfüllten Menschen, der an Christus glaubt, die ganze Welt zum lebendigen Verweis auf Gott selbst und seine unerschöpfliche Güte. Zu einer solchen Wahrnehmung der Schöpfung wird der Christ auch durch die Hl. Schrift geführt. Wenn ihm diese göttlichen Bilder in Verbindung mit der Verkündigung des Gotteswortes nicht Hilfsmittel des Glaubens genug sind, dann können ihm die von Menschen gemachten Bilder erst recht nicht helfen. Im Gegenteil: Sie werden ihm nur schaden, weil das von Menschenhand Fabrizierte den Blick auf die Werke Gottes verstellt und damit an die Stelle der Gottesverehrung die Vergötzung eigener Werke setzt 69 . Dieses Schöpfungsargument ist besonders charakteristisch für Bucers Argumentation und setzt möglicherweise seine thomistische Schulung im Dominikanerorden voraus; denn es war gerade diese Lehrtradition, die den transzendenten Verweischarakter der Schöpfung besonders hervorhob. Mit dieser Argumentation verbindet Bucer auch die soziale Polemik gegen die Bilder, wie sie für die Schweizer und oberdeutschen Reformatoren charakteristisch ist 70 : Gottes lebendiges Schöpfertum begegnet uns vor
vergessen solten und kain gedancken wyder sein willen immer mehr haben, so alle die bilder, die von menschen werden zügericht, nichts dann der menschen oder anndrer geschopfft gottes nichtige läre larven [= Masken] sind." (Ulmer Kirchenordnung, 1531). Vgl. auch BDS 3,158,1-9: „Es erscheynt auch gott durch die materi, ee dann etwas von menschen henden daran gemacht wurt, dann gottes herrlicheit bezeugen alle ding. Ist aber göttlicher erkantnus vrsach die gestallt, so in die materi gefuert ist, was bedarff man dann solcher bilder. Möcht nit gott erkhennt werden vil herrlicher durch die ding selb, deren amn bildnuß machet? Warlich, die herrlicheit gottes wurde vyl heller erkhennet, so man durch vernunftige vnd vnuernunfftige thier furhiellte, dann so sye durch die todten vnd vnbeweglichen bilder furgehallten werden." (Confessio Tetrapolitana, 1530); BDS 4,167,1-168,8; 169,17-170,11 (Das einigerlei Bild, 1530). 69 BDS 3,305,12-21: „So seind die lebendigen bilder gottes vorhanden: himmel, erden und was drinnen ist, der nechst, zur bildnuß Gottes geschaffen; wolchen soliche bild Gottes nit errinneren, zu denen dann alle schrifft weyset, dem werden alle menschliche bild wäre gedechtnuß gottes nimmer bringen, aber in wol durch ein fliegende andacht, so er vermeint, auß geschieht der bilder zu schopffen, von rechter anschawung und betrachtung der natürlichen und gewaltigen werck und waren bilderen Gottes abfüren und die wäre forcht Gottes, die gott allethalb zugegen erkennet, eeret und vor äugen hat, außlöschen." (Apologie der Confessio Tetrapolitana, 1531). 70 BDS 1,270,16-22: „Wir haben hie mit allem fleyß nun lang prediget, da man gott im geist und nit an gotzen dienen sol, nit an die stummenden menschen bilder, sonder an die lebendige gotes bilder unsern nechsten kost wenden und güthaten bewysen." Daher reicht es auch nicht, daß der Rat nur die ärgerlichen, d. h. verehrten Bilder entfernen läßt: „noch alß auß befelch eins Ersamen raths nur die ergerlichsten gotzen, denen die thorechten leüt am meisten kertzen gebrennet und dienet haben, außgemustert wurden." (Grund und Ursach, 1524); BDS 1,271,31-33: „das so vil kost an sye gewendt würt, der an die armen solt gelegt werden, auch das die gotzen zu lockfögeln braucht werden, damit dem unnutzen beschoren hauffen dester mer geben würt." (Grund und Ursach, 1524).
40
Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
allem in seinen Ebenbildern, den vernunftbegabten Menschen. Diese lebendigen Bilder Gottes soll man statt der toten „Götzen" verehren und das Geld, das man bisher für Bildwerke aufgewendet hat, dazu verwenden, die soziale Armut zu lindern. Alle Argumente Bucers laufen darauf hinaus, die völlige Nutzlosigkeit und Schädlichkeit der religiösen Bilder aufzudecken. Sie können nicht der Besserung des Menschen dienen 71 , sondern sind Zeugnisse der Abgötterei, die ihn immer wieder zum Götzendienst verführen werden. Ist er doch seiner Natur nach verführbar und wird doch deshalb der Teufel keine Gelegenheit verpassen, um ihn durch die Bilder in die Falle der Gottlosigkeit zu locken. Insgesamt fällt auf, daß Bucer in seiner Argumentation gegen die Bilder noch radikaler und unerbittlicher ist als Zwingli. Nirgendwo ist bei ihm eine positive Wertung der Bilder zu erkennen. Sie kommen nur unter dem Gesichtspunkt der völligen Nutzlosigkeit und Schädlichkeit in den Blick. Eine eigentümliche Verknüpfung von Ordnungs- und Zerstörungsenergie bestimmt sein Eifern für die Abschaffung der Bilder. Die Verschärfung gegenüber Zwingli kann damit zusammenhängen, daß für den Züricher Reformator die Bilderfrage relativ schnell in den Jahren 1523 bis 1525 geklärt war. Bucer hingegen wurde sehr viel länger und vor allem in den 30er Jahren durch die Bilderfrage in Atem gehalten. In den oberdeutschen Städten erwies sich die Bildentfernung als schwieriges und langwierigeres Problem, weil hier der Widerstand der Altgläubigen und der Lutheraner sowie das - mit Rücksicht auf die konkrete politische Situation - oft zögerliche Verhalten der städtischen Räte einer zügigen Lösung im Sinne Bucers entgegenstanden. So verschärften diese Konfliktsituationen den argumentativen Druck, unter dem Bucer stand, und die wachsende Ungeduld drängte zu einer kompromißlosen Abrechnung mit den Bildern und ihren Verehrern. An Martin Bucer läßt sich besonders deutlich studieren, daß die Bilderfrage im Zentrum der reformatorischen Theologie beheimat war. Viele Grundlinien seines theologischen Denkens laufen hier zusammen und zielen auf eine stimmige Verbindung von Theorie und Praxis im Prozeß der Selbstreinigung der Gemeinde von allem Gottwidrigen.
Ähnlich BDS 3,151,12-18 (Confessio Tetrapolitana, 1530); ebd., 307,23-308,19 (Apologie der Confessio Tetrapolitana, 1531). 71 BDS 3,161,3-14: „Ainem Cristen ist aber nit genueg, Das er ettwas an ime selbs macht hab, Sonnder soll allwegen darauff sehen, Ob es auch pessere, 1. Corinth: x [23], vnnd soll, beuorab in der kürchen, nichts gedulldet oder fürgenomen werden, Es hab dann aigentlich besserung vff ime." (Confessio Tetrapolitana, 1530); BDS 4,172,8 (Das einigerlei Bild, 1530).
Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen"
41
2. 4 Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „Götzen" 2. 4. 1
Vorbemerkung
Der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer verdient im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine besondere Berücksichtigung, hat doch kein anderer Theologe einen so unmittelbaren Einfluß auf die Bildentfernungen in den schwäbischen Reichsstädten genommen wie er 72 . „Einen eigenen Beitrag zur Theologie des Protestantismus hat Blarer nicht geleistet" 73 , wie Bernd Moeller mit Recht hervorhebt, dabei aber einen umso gewichtigeren Beitrag zur konkreten Gestaltung eines evangelischen Kirchenwesens in vielen Orten und im württembergischen Territorium. In der Verbindung von Lehre und reformatorischer Umgestaltung des Lebens zeigt sich das besondere Profil dieses Mannes. Er stammte aus einer Konstanzer Patrizierfamilie, war Benediktiner in Alpirsbach, studierte in Tübingen bis zum Grad des Magister artium, brach 1522 unter dem Eindruck der reformatorischen Lehre mit dem Klosterwesen und hatte seit 1525 eine Predigerstelle an der Pfarrkirche St. Stephan inne. Einen intensiven Kontakt pflegte er zu Zwingli, Oekolampad, Capito und Bucer. Besonders die Theologie des Straßburgers Martin Bucer, mit dem er freundschaftlich verbunden war, fand Blarers Zustimmung, bis es seit 1534 in der Abendmahlsfrage zwischen beiden zum Konflikt kam. Die Ablehnung der 1536 von Bucer ausgehandelten Abendmahlskonkordie ließ Blarer zunehmend ins kirchenpolitische Abseits geraten. In den Jahren zwischen 1528 und 1538 war er v. a. außerhalb von Konstanz aktiv, zunächst ganz besonders in den schwäbischen Reichsstädten und dann im Herzogtum Württemberg. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt mußte er ein Jahrzehnt später erleben, wie Kaiser Karl V. Konstanz 1548 eroberte, die Reichsstadt zur Landstadt degradierte und rekatholisierte. Blarer war kurz zuvor ins Schweizer Exil geflüchtet. Nachdem er dort noch mehrere Jahre als Pfarrer, u. a. von 1551 bis 1559 in Biel, gewirkt hatte, starb er 1564 in Winterthur. 2. 4. 2 Blarer und die Bilderfrage bis 1528/30 Blarers erste faßbare Kritik an den „gemalt taflen" und anderen kirchlichen Ausstattungsstücken findet sich in der 1523 gedruckten ,Warhafft Verantwortung', in der er sich vor dem Konstanzer Rat für seinen Klosteraustritt rechtfertigt und den Anhängern der alten Lehre vorwirft, lieber ihre Kir72
Zu Ambrosius Blarer
(1492-1564)
vgl.
MOELLER:
Blarer, Ambrosius, Sp.
517;
DERS.: Art. Blarer, S. 7 1 1 - 7 1 5 ; D E R KONSTANZER R E F O R M A T O R A M B R O S I U S B L A R E R ;
Leben und Schriften; K E I M : Blarer. Vgl. MOELLER: Art. Blarer, S. 713.
PRESSEL: 73
Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
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chen auszuschmücken, anstatt sich um die „lebendigen Tempel gottes", die Armen, zu kümmern. Die versilberten oder vergoldeten Gegenstände seien besser zum Nutzen der armen und bedürftigen Menschen zu verwenden. Es sei wider Gottes Wille, daß „wir yetz ee/ hunger und frost/ an den armen sähen mögend/ dann das wir die gülden serch/ und höpter der hailigen brechend zu nutz der dürfftigen armen menschen" 74 . Diese soziale Argumentation ist, wie schon bei Zwingli und Bucer zu sehen war, charakteristisch für die schweizerische und oberdeutsche Bilderkritik und erinnert an Karlstadts Schrift ,Von abthuung der bylder', die bereits ein Jahr zuvor, 1522, erschienen war. Mit seinem Angriff gegen diese verkehrte Form der Heiligenverehrung verbindet Blarer den Hinweis auf die rechte Verehrung der Heiligen, die in ihnen die göttliche Gnade erkenne und preise - in der Hoffnung, ihrem Vorbild des Glaubens und tugendreichen Lebens nachfolgen zu können. Im Frühjahr 1524 schreibt Blarer nach Straßburg, daß in Konstanz aus Rücksicht auf die Schwachen bisher noch nichts in puncto abergläubischer Bräuche verändert worden sei 75 . Hier zeigt sich in diesen Jahren ein deutli74
BLARER: Wahrhaft Verantwortung, C4v-Dlr: „Item sie gebend für/ luter verwerff alle gotz zierd/ gemalt taflen/ serch, amplen/ kertzle/ orgeln/ meßgwand etc., verhaltend aber, das er uns so trungenlich vermandt/ die lebendigen tempel gottes/ wye Paulus sagt (1 Corint. 3; 2 Corin. 6; Roma. 12; 2 Corin. 9; Luce 12), das ist die armen, in bauw zu halten/ unnd zu zieren/ damit sie nit mangel unnd not leydent/ dann was wollgefallen würdt Christus haben/ das sein kirch reich/ hüpsch und wollgezierdt an den wenden/ und aber arm an iren aignen recht lebendigen gelidern/ die er uns zuversorgen ernstlich gebotten hat. Oder ist es nit sträflich, das wir die lieben haiigen nach irem absterben/ ungezweiflet wider iren willen und wollgefallen verschliessend in gold/ silber/ und edel gestain/ das sie in irem leben nie habend besitzen wollen/ sonder allein dargeraicht armen leütten/ und wir yetz ee/ hunger und frost/ an den armen sähen mögend/ dann das wir die gülden serch/ und hopter der hailigen brechend zu nutz der dürfftigen armen menschen/ denen doch diser Überfluß aller zu gehört/ auch vorzeiten von den hayligen frommen bischoffen treülich geraicht ist. Deßgleichen beklagen sie sich seer/ diß woll raichen zu schmach unnd verklainerung der unbefleckten weig rainen juckfraw Maria und anderer gottes hailigen/ umb das man die walfarten, feldkirchle/ kertzen brennen und dergleichen nit vyl gelten will lassen. Geschweygend aber ungetreülich/ das man uns leeret die rechten vererung der haiigen/ nemlich das mir gotlich gnad in den hailigen erkennen/ preysen und rümend/ inen der selbigen von hertzen günnend/ gott dem herren fleyssig darumb danckend/ unnd also unser hertz sterckend in Zuversicht und hoffnung/ er wol uns solich gnad auch wie inen/ dieweyll sie unser mitprüder seind/ vaetterlich vergleichen und mittailen/ und zu letzt in sölichem vertrawen uns richtend in ire fußstapffen/ irem glauben und tugendreichen leben nachzuvolgen." 75
BRIEFWECHSEL DER B R Ü D E R AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S . 1 0 3 , N r . 7 3 :
„Denn in diesen Dingen glauben wir vorsichtig handeln zu müssen, aus Rücksicht auf die Schwachen, und haben darum auch bisher an den übernommenen abergläubischen Bräuchen nichts geändert, um nicht dem einfachen Volke Ärgernis zu geben." (Ambrosius Blarer an Wolfgang Capito, 17. April 1524; wiedergegeben in der Paraphrase des Herausgebers Traugott Schieß).
Ambrosius
Blarer und der Kampf gegen die ,, Götzen "
43
eher Unterschied zu Zwingli, für den der Augenmerk auf die Schwachen gerade umgekehrt bedeutet, daß man die verführerischen Bilder umgehend entfernen muß. In Blarers Augen ist die Geduld im Umgang mit den Bildern deshalb möglich, weil es gegenüber der Bildentfernung aus den Kirchenräumen deutliche Prioritäten gibt: die Unterrichtung der Gläubigen aus Gottes Wort und der Kampf gegen die Gotteslästerung in Gestalt des gottlosen Lebens. In einem Gutachten, das nach dem Kaufbeurer Religionsgespräch am 2. März 1525 auf Bitten des dortigen Rates von Blarer zusammen mit Johannes Wanner verfaßt wurde, empfahlen beide, weiter heftig gegen die Bilder zu predigen, denn es sei „on frucht", was man äußerlich gegen die „götzen" vornehme, wenn sie nicht zuerst „durch die krafft des göttlichenn" aus den Herzen der Menschen gerissen werden. Wenn das Wort Gottes nur mit ernstem Willen unterrichtet werde, dann würden die „götzen" schon von alleine zusammenbrechen und könnten dann von der Obrigkeit „ohn auffrur und bolder" beiseite geräumt werden. Viel wichtiger erschien die Abschaffung der öffentlichen Laster wie Hurerei, Wucher und Völlerei. „Darvon würdt meniklich vil mer gebössert [= gebessert] dann vom bildstürmen. Bilder schaden dem glaubigen gar nit, darumb mag man sy ietz auffkomendliche tzeyt wol gedulden, offne laster aber seynd kainer tzeyt tzu gedulden." 76 Im Januar 1528 sah sich Blarer mit dem Bilderproblem auf der Berner Disputation konfrontiert 77 . In der Diskussion um die abzustellende Verehrung der Bilder (Art. 8: „Bilder mach[en] zu vereerung ist wider Gottes wort, nüws vnd alts testaments. Deßhalb, wo sy in gefar der vererung fürgestellt, abzethund syend") hat sich Blarer aber nicht hervorgetan. Der Schwung jedoch, den die Reformationsbewegung insgesamt in Bern erhielt, machte sich noch im gleichen Jahr in Blarers Heimatstadt bemerkbar 78 . Hatte sich in Konstanz die Abschaffung der Messe durch den Auszug des Bischofs und der Geistlichen 1527 fast von alleine geklärt, entschied der Kleine Rat im März 1528 bezüglich der Bilder, das die „christlichen predicanten [= Ambrosius Blarer und Johannes Zwick] zu den drei bettelcklöster gen sollten und ain gütigs gespräch mit inen haben söl79
lind" . Die beiden Prädikanten wandten sich an Zwingli und Oekolampad, um ihnen ihre Bedenken vorzutragen, ob es der Obrigkeit gestattet sei, Maßnahmen gegen die Bilder zu ergreifen. Zwingli antwortete Blarer ausführlich, daß die Obrigkeit nicht nur die Befugnis, sondern auch die Pflicht 76
77
WEIGEL: R e f o r m a t i o n s v e r s u c h , S. 2 4 2 - 2 4 4 ; vgl. u n t e n S. 2 3 9 - 2 4 5 .
Zur Berner Disputation vgl. MOELLER: Zwingiis Disputationen 2, S. 289-302. 78 Zur Konstanzer Reformationsgeschichte vgl. RUBLACK: Reformation in Konstanz, bes. S. 74f (Der „Bildersturm"); MOELLER: Zwick. 79 StadtA Konstanz, RB 1527/28, fol. 290r (12. März 1528).
Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
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habe, ohne Rücksicht auf die mangelnde Einsicht der Schwachen - und damit zum geistlichen Nutzen der Schwachen - Änderungen in religiösen Dingen vorzunehmen 80 . Ebenso bestärkte Heinrich Bullinger, der Blarer seine Schrift ,De origine erroris in divorum ac simulachrorum cultu' widmete, ihn in diesem Anliegen 81 . Allmählich wich die abwartende Haltung der Konstanzer Prädikanten und des Rates, der dann im Münster (August) und in St. Stephan (November) alle Altäre entfernen ließ. Die Ausräumaktionen verliefen in geordneten Bahnen und ohne Zwischenfälle. Blarer, der im November bereits nach Memmingen abgereist war, wurde von Johann Zwick über die praktischen Konsequenzen unterrichtet 82 . Zwicks Formulierung, daß es den „gotzen ubel gat", und die Tatsache, daß er Blarer die ,Klagrede der armen Götzen und Tempelbild' 83 mitschickte, wurde von den Blarer-Biographen Keim und Pressel dahingehend gedeutet, daß Blarer im Grunde immer noch bilderfreundlich gewesen sei und der Konstanzer Rat die Abwesenheit Blarers ausgenutzt habe 84 . Davon kann jedoch keine Rede sein. Weder Zwick noch Blarer äußern sich kritisch zu dem Vorgehen des Rates, vielmehr waren sie ja dessen Ratgeber. Viel eher war der Rat selbst das retardierende Element in der Angelegenheit, wie sich auch bei der Ausdehnung des Bildermandates auf die anderen Konstanzer Kirchen zeigte. Dafür war eine nochmalige Mahnung aus Zürich im Januar 1529 nötig 85 . Schließlich beauftragte der Rat die Oberkirchenpfleger Konrad Zwick und Thomas Hütlin mit der Ausräumung aller Kirchen. 80
V g l . BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S.
147-
160, Nr. 118 (Huldrych Zwingli an Ambrosius Blarer, 4. Mai 1528). 81
HBBW
1, S.
180,3-7,
Nr.
2 9 ; BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND
THOMAS BLAURER 1, S. 160f, Nr. 119: „In qua tarnen re non minus peccant, quam cum ipsa domini dei verba torquent, lacerant penitusque conculcant, quippe cum sacrosancta fidelium ecclesia neque divos coluerit unquam neque simulachra habuerit neque iis initiata fuerit sacris et ceremoniis, quibus interim i 11 i se omnino christianos videri volunt." (Heinrich Bullinger an Ambrosius Blarer, 4. Juni 1528). Zu Blarers Antwort, in der er sich für die Widmung bedankt und auf einen baldigen Druck „der so nützlichen Schrift" („utilissimi libri") hofft, vgl. HBBW 1, S. 18 lf, Nr. 30; BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 163, Nr. 122 ( A m b r o s i u s Blarer an Heinrich
Bullinger, 1. Sept. 1528). Die Schrift Bullingers erschien schließlich 1529 bei Thomas Wolff in Basel. 82
V g l . BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S.
178-
181, Nr. 135 (Johannes Zwick an Ambrosius Blarer, 6. Feb. 1529). Die dort S. 181, Anm. 1, vorgenommene Zuschreibung der ,Klagrede' an den Berner Niklas Manuel ist nicht gesichert; vgl. oben S. 2, Anm. 3. 83 Vgl. oben S. lf. 84 Vgl. PRESSEL: Leben und Schriften, S. 167; KEIM: Blarer, S. 32f. 85 „So denne getreuwen liebenn mitburger, hat vnns jetz glöublich angelannget [...], das die götzen vnnd alltär nach inn kilchenn uffrächt stöennt vnnd stanndindt. [...] Das vnns etwas vervundert." (Zürich an Konstanz, 14. Jan. 1529).
Ambrosius
Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen "
2. 4. 3 Blarers Tätigkeit in den schwäbischen Reichsstädten Konstanz 1528-153386
45
außerhalb von
Aus unterschiedlichen Perspektiven wird die Bedeutung Blarers für die Reformation der schwäbischen Reichsstädte unterstrichen: Bucer bezeichnete Blarer als „Apostel Schwabens" 87 . Der altgläubige Gervasius Schuler berichtet hingegen 1545 an Heinrich Bullinger, „Blarer hatt in den schwebischen kirchen nicht guts angericht und dieselben mitt der zwinglischen ketzerey ubel verderbt" 88 . Zwar war Blarers Wirksamkeit durch die Problematik beeinträchtigt, daß er in keiner der Städte fest angestellt war, doch hatte dieser Status andererseits den Vorteil, daß er mit den Räten auf einer Ebene verhandeln konnte. Bereits 1528/29 wirkte er in dieser Weise in Memmingen, dann 1531 in Ulm, Geislingen und Esslingen, 1532 in Esslingen, Ulm, Memmingen und Isny, schließlich 1533 in Isny und Lindau. Die persönliche Anwesenheit Blarers in diesen Städten hängt in der Regel auch mit der Thematisierung der Bilderfrage und mit den Verlaufsgeschichten der Bilderentfernungen 89 zusammen. Dies sei kurz im Blick auf die einzelnen Städte verdeutlicht: An Bürgermeister und Rat von Memmingen wandte sich Blarer bei seinem Aufenthalt 1530 in einer Abhandlung über die Messe, in welcher er auch auf die konkrete Kirchenausstattung eingeht und neben dem immer noch anhaltenden Besuch der Messe weitere „irrthumb/ als dann zum tayl die vilfältigen/ glanzenden Ceremonien/ guldin unnd silbere zierden/ seltzam rüstung der priesterlichen klaydung/ liechter und vil anders dergleychen" anprangert. „Söllich eusserlich pomp und gepreng/ das menschlich gemüt deß ainfeltigen/ den man hiemit bewegen/ und zu andacht raitzen will" 90 , sei nicht zu dulden. In Ulm arbeitete Blarer zusammen mit Bucer und Oekolampad an der Neuordnung des dortigen Kirchenwesens. Nach deren Abreise begleitete er die weitere Entwicklung der Reformation und unterstütze Konrad Sam, u. a. auch bei der Entfernung der Bilder aus den anderen Ulmer Kirchen, bei denen genauso wie im Münster vorgegangen werden sollte. Bucer und Oekolampad baten Blarer brieflich, im Ulmer Artikel über die Bilder einige Unklarheiten zu korrigieren, z. B. sei das Wort „haben" zweideutig und die
86
Vgl. BRECHT: Blarers Wirksamkeit, S. 140-154.
87
BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER l , S. 2 6 4 , N r . 2 1 0 ;
BCor 6, S. 103,4f, Nr. 459: „Sveviam tuo deus apostolatui addixit; ecclesiae Constantiensi nihil decedet." (Martin Bucer an Ambrosius Blarer, 5. Sept. 1531). 88 Zit. nach BÄCHTOLD: Zwinglianismus, S. 9. 89 Zu den genauen Vorgängen in diesen Reichsstädten vgl. die entsprechenden Kapitel. 90 BLARER: An Bürgermaister und Rhat der christelichen Reichsstadt Memmingen, B2r.
Der theologische Hintergrund der
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Bilderfrage
Bibelstelle falsch (Dtn 6 sei in Dtn 5 zu ändern) 91 . Im Entwurf der von Bucer formulierten 18 Artikel hatte Artikel 9 nämlich den Umgang mit den Bildern folgendermaßen geregelt: „Bilder und gotzen in der kirchen haben erschrecklich ergernuß, unleuckbare abgötterey bracht und gefördert, wie sy auch anders nit wol bringen und fürdern konden, wa sy zü vereerung, das gott so hell und theür verpotten Exo. 20, Deutro. 6 fiirgestellet. Darumb sollen sy in kirchen nit geduldet werden, und würt der gewisse abgottery beschirmen, der die bilder in kirchen vertedigen wölte." 92
Das falsche Bibelzitat (Dtn 6) ersetzte Blarer durch die richtige Angabe (5,8-10). Das „haben" kritisierten Bucer und Oekolampad offensichtlich deshalb, weil das „Ärgernis" der Bilder, d. h. die durch sie bewirkte „Abgötterei", nicht nur Vergangenheit (Perfekt!), sondern vor allem auch belastende Gegenwart ist. Diesem Änderungswunsch kam Blarer nicht nach 93 . Der Brief Bucers und Oekolampads zeigt, wie sie die Aufgabe Blarers sehen: Sie liegt nicht in der Konzeption und Abfassung der Artikel für die neue Kirchenordnung, sondern in ihrer Korrektur und vor allem darin, mit seiner Anwesenheit für die praktische Umsetzung vor Ort zu sorgen, während Bucer und Oekolampad schon abgereist sind. Um die praktische Umsetzung der Ulmer ,18 Artikel' geht es dann auch auf der nächsten Station Blarers in Geislingen. Auf Bitten des Ulmer Rates ging Blarer am 20. Juli 1531 in jene Landstadt des reichsstädtischen Territorium, die der Ulmer Obrigkeit beim Einführen der neuen Lehre heftigen Widerstand unter Führung des altgläubigen Pfarrers Dr. Georg Oßwald leistete. Bereits einen Monat später berichtet Blarer an Bucer, daß er Oßwald für einen unnützen Taugenichts, Betrüger und Zauberer halte, die 91
BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 2 5 0 f , N r .
192; BCor 6, S. 14,7-10, Nr. 431: „In articulo nostro de imaginibus est amphibolum in verbo ,haben', quod corrigatis, queso. Menda item in eodem est 6. cap(ite) Deuteronomii pro 5. citato. Est praeterea et alicubi in articulis nonnihil abscuri; id, queso, emendes, Ambrosi" (Johannes Oekolampad und Martin Bucer an Ambrosius Blarer und Konrad Sam, 1. Juli 1531). 92 StadtA Ulm, A [8983/1], fol. 197r; der 9. Artikel über „Bilder und Götzen" aus dem handschriftlichen Exemplar des Ulmer Stadtarchivs mit Korrekturen Bucers ist abgebild e t in: DIE EINFÜHRUNG DER REFORMATION IN U L M , S. 1 7 8 b e i K a t . - N r . 1 6 0 . E d . : B D S
4,377,13-18 (Entwurf zur Ulmer Kirchenordnung, Mai/Juni 1531); vgl. auch KOHLS: Ulmer Kirchenordnung, S. 333-360. Zu den Korrekturwünschen Bucers, die Blarer vor dem Druck der Kirchenordnung berücksichtigte, vgl. unten S. 111 mit Anm. 62. 93 Die korrigierte Fassung in der Kirchenordnung findet sich in BDS 4, 303,1-6: „Bilder und gotzen in der kirchen haben erschrocklich ergernuß, unleugbare abgötterey bracht und gfürdert, wie sy auch anders nit wol bringen und fürdern konden, wa sy zü Verehrung, das Gott so hell und theür verbotten, Exo. 20[4-15], Deut. 5[8-10], fürgestölt. Darumb sollend sy in kirchen nit geduldt werden, und würt der gwisse abgottery bschyrmen, der die Bilder in kirchen vertädigen wolte" (Gemein Ausschreiben, 31. Juli 1531; Hervorhebungen; G. L.).
Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen "
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Greuel der Messe und Bilder jedoch abgeschafft seien 94 . Trotz seiner schon erfolgten Berufung nach Esslingen will er aber noch einige Zeit „bei diesem hartnäckigen Volk, das gar jämmerlich verführt ist" 95 bleiben und sich für eine Verbesserung der Verhältnisse einsetzen. Daß die Sorge Blarers offenbar nicht unbegründet war und auch das Bilderverbot nicht sofort durchgesetzt werden konnte, zeigt ein Blick in die Visitationsprotokolle der nächsten Jahre. So mußte der neue Geislinger Prädikant den Ulmer Religionsverordneten 1534 berichten, daß es zwar keine Bilder mehr in der Kirche gibt, aber „so stecken die Häuser überall voller Bilder, vor denen die Päpstler ihre Abgötterei treiben" 96 . Eine bedeutende Wirksamkeit konnte Blarer in Esslingen entfalten. Schon vor der endgültigen Entscheidung für die Reformation hatten sich die Esslinger mit Blarer während seiner Aufenthalte in Ulm und Geislingen in Verbindung gesetzt und ihn gebeten, die Neugestaltung des Religionswesens auf der Grundlage der 18 Ulmer Artikel vorzunehmen 97 . Wie energisch Blarer in dieser Zeit auf die Bilderbeseitigung drängte, zeigt sein Brief aus Esslingen vom 8. Oktober 1531 an Bucer, in dem er schreibt: „Die Kemptener haben bereits eine neue Tragödie wegen der Bilder angerichtet. Ich habe sie durch Sam ermahnt, daß, weil dem Paulus das Götzenbild nichts ist [1. Kor 8,4], auch sie zu nichts machen [= vernichten], was nichts ist." 98 Im Winter 1531/32 konnte Blarer die Bilderfrage in Esslingen zu seiner Zufriedenheit lösen 99 . Insgesamt scheint die Esslinger Zeit (Ende 94
B R I E F W E C H S E L D E R B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R l , S . 2 5 1 , N r . 2 0 4 ;
BCor 6, S. 87,2-88,6, Nr. 454: „Totum iam mensem hic hereo; quo fructu, caeteri iudicent, profecto non absque magno labore. Dementavit suis praestigiis nequissimus iste nebulo et impostor miseram plebeculam et ita, ut vix quisquam futurus sit tarn prudens incantator, qui mentem hanc excantare valeat. Sublatae iam sunt missarum et idolorum abominationes, etiam excelsa omnia, unde supra, quam dici potest, recruduit prius inflictum vulnus. Medeor huic malo, quantum domini beneficio possum, et resipuit forte unus atque alter." (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 3 0 . Aug. 1 5 3 1 ) . 95
B R I E F W E C H S E L D E R B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S . 2 6 0 , N r . 2 0 6
(Ambrosius Blarer an Bernhard Besserer, 31. Aug. 1531); vgl. auch ebd., S. 265, Nr. 212 (Ambrosius Blarer an Georg Besserer, 6. Sept. 1531). 96 Vgl. das Beispiel des Joachim Hennenberg, der das Retabel der Sebastiansbruderschaft in seiner Kammer hatte, um davor zu beten; unten S. 128. 97 Vgl. unten S. 184-190. 98
B R I E F W E C H S E L D E R B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S . 2 7 8 , N r . 2 2 5 ;
BCor 6 , S. 1 9 0 , 1 8 - 1 9 1 , 2 , Nr. 4 8 4 : „Campidonenses iam novam tragoediam propter simulachra excitarunt, quos per Somum admonui, ut, quandoquidem eidolum Paulo nihil est, ipsi quoque, quod nihil est, nihili faciant." (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 8. Okt. 1 5 3 1 ) . - Ein entsprechendes Schreiben Sams an die Kemptener ist nicht erhalten. 99 Zu den genauen Vorgängen in Esslingen vgl. unten S. 185-190. Vgl. besonders das vom Rat in Absprache mit Blarer verkündete Dekret vom 11. Nov. 1531; A K T E N ZUR E S S L I N G E R R E F O R M A T I O N S G E S C H I C H T E , S. 155, Nr. 138: „So wurdet auch hieruß gewißlichen erfolgen vnd hoch von nothen sein, das das jhenig, so bißhieher in vnsern Kirchen
Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
48
September 1531-Ende Juni 1532) nach seinen eigenen Angaben eine glückliche und erfolgreiche Zeit für ihn gewesen zu sein 100 . Martin Frecht beglückwünscht Blarer in einem Schreiben aus Ulm vom 10. November 1531, daß er einen weit glücklicheren Krieg führe als die Schweizer 101 . Blarer blieb ein halbes Jahr in Esslingen, da er wohl aus der Ulmer Erfahrung die Konsequenz gezogen hatte, besser so lange an einem Ort zu bleiben, „byß alle ding in ain gang und in das werck kommen weren" 102 . Besonders am Herzen lagen ihm dabei die neue Zuchtordnung und die Armenfursorge. Nach seiner Esslinger Zeit wandte sich Blarer wieder Memmingen zu. Die Abschaffung der „Götzen" auf dem Landgebiet war noch nicht geglückt. Daher formulierte Blarer mehrmals Eingaben an die städtische Obrigkeit, „die getzen in den pfarren, so meinen herren zugeheren" 103 abzuschaffen. Der Rat beschloß daraufhin, die Prediger der Memminger Dörfer zu Blarer zu beordern und belehren zu lassen 104 . Von Memmingen kommend traf Blarer am 14. September 1532 in Isny ein, wo er bis März 1533 bleiben sollte. Vier Wochen nach seiner Ankunft beklagte er die Aufrechterhaltung des „Götzenwerkes" in allen Isnyer Kirgehalten, vnnd dem hellen gotlichen wort widerwertig vnd wir mit der schrifft erwisen als die Bepstliche meß, Biltnus der heilligen vnd anders mehr gewesen, gantz vnd gar vernicht vnd abgeschafft, vnd in alweg ain warer ewangelischer vnd cristenlicher gotz dienst, wie der zur zeiten der heilligen Appostel vnd jren nachkomen gehalten, gepflantzt vnnd vffgericht werde." Siehe auch die Reden Blarers gegen Messe, Bilder und Zeremonien, denen die Ausführungen der Ulmer ,18 Artikel' zugrunde lagen; Johannes Burchard plante offenbar eine Gegenschrift; vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 8b. 100
B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S . 2 9 2 ,
Nr.
238: „Ich habe diese Kirche [gemeint ist die Esslinger Kirche] außerordentlich liebgewonnen und würde doppelte Mühe nicht scheuen, wenn ich gleichzeitig ihr und Konstanz dienen könne. Fast alle sind voll Eifer, und täglich wächst die Zahl." (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 27. Nov. 1531; wiedergegeben in der Paraphrase des Herausgebers Traugott Schieß); ebd., S. 295, Nr. 242 (Ambrosius Blarer an Georg Vögeli, 2. Dez. 1531). - Vgl. auch [BLARER]: Christenlicher Abschid. 101 Vgl. B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R AMBROSIUS UND T H O M A S B L A U R E R 1, S. 285f, Nr. 232 (Martin Frecht an Ambrosius Blarer, 10. Nov. 1531). 102
B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S . 2 9 4 ,
Nr.
242 (Ambrosius Blaurer an Georg Vögeli, 2. Dez. 1531); vgl. auch ebd., S. 291f, Nr. 238 (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 27. Nov. 1531); S. 334f, Nr. 275 (Ambrosius Blarer an Thomas Blarer, 12. März 1531); S. 339f, Nr. 279 (Ambrosius Blarer an Bernhard Besserer, 19. April 1532). 103 StadtA Memmingen, A RPr vom 5. Aug., 18. Aug. und 11. Sept. 1532; vgl. unten S. 154. 104 StadtA Memmingen, A RPr vom 18. Aug. 1531.: „[...] und mit seinem [= Ambrosius Blarer] rath der getzen halben und so die pawren in jeder pfarr derhalben erpauen. Allßdann verner handien."
Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen "
49
chen sowie den „Meßgreuel" in der Klosterkirche St. Georg. Blarer bekämpfte beides mit Gottes Wort und ermahnte die Obrigkeit zur Abschaffung der beiden „Greuel". Verantwortlich für die zögerliche Haltung des Rates machte er die - nach seinem Eindruck - unbegründete Angst vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen des Klostervogts Truchseß Wilhelm von Waldburg 105 . Als weiteren Schuldigen greift Blarer den Isnyer Stadtschreiber an, der mit dem Abt und dem Truchseß gemeinsame Sache mache und den Bürgern eine lange Predigt über den Nutzen von Bildern gehalten habe. Gegen den Stadtschreiber wolle er daher mit Gottes Hilfe kämpfen, „willens, nitt zu verrücken, byß diser Tufel ouch har lasst" 106 . Erst kurz vor Weihnachten kann er dann die Erfolgsmeldung geben: „Hie zu Eisne seind die götzen auß den andren drey kirchen gerumpt; aber im kloster stond sy sampt der mess noch gantz auffrecht." 107 2. 4. 4 Blarer in herzoglichem Dienst (1534-1538)108 Götzentag 1537109
und der Uracher
Nach Herzog Ulrichs Rückkehr 1534 wurden Ambrosius Blarer und Erhard Schnepf 110 mit der Reformation im Herzogtum Württemberg betraut, Schnepf im Sprengel „unter der Steige" mit Amtssitz in Stuttgart, Blarer „ob der Steige" mit Amtssitz in Tübingen. Bereits 1534 kam es zu Unstimmigkeiten in der Frage des Abendmahlsverständnisses zwischen Blarer, der eine Abendmahlsordnung ausarbeiten sollte, und Schnepf, der diese gar nicht abwartete. Die Abendmahlsproblematik führte schließlich 1536 zum Zerwürfnis zwischen Bucer und Blarer, der die Wittenberger Konkordie mit der in ihr festgesetzten „manducatio indignorum" nicht akzeptieren konnte und deswegen später auch die Schmalkaldischen Artikel ablehnte 111 .
105
Nr.
V g l . B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S .
302 106
(Ambrosius Blarer an Bürgermeister und Rat zu Esslingen,
B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S
362,
Okt. 1 5 3 2 ) . B L A U R E R l, S. 363f, Nr. 10.
303 (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 10. Okt. 1532). 107
B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S . 3 7 2 ,
Nr.
312 (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 20. Dez. 1532). - Zu den genauen Vorgängen in Isny vgl. unten S. 203-210. Was Blarer trotz aller Bemühungen in den sieben Monaten in Isny nicht gelang, war die Abschaffung von Messe und Bildern in der Klosterkirche St. Georg. Der Rat wartete erst eine günstige politische Situation ab, die sich dann ein Jahr später (1534) ergab. 108 Vgl. LEPPIN: Streit, S. 159-187; HELD: Blarer, S. 150-206. 109 Vgl. dazu H E N R I C H : Bilderdekret, S. 9 - 2 1 ; L E P P I N : Streit, S. 1 7 3 - 1 8 1 ; E H M E R : B i l d e r g e s p r ä c h , S. 6 5 - 9 1 . 110 111
Zu Erhard Schnepf (1495-1558) vgl. LEPPIN: Art. Schnepf, S. 233-235 (Lit.). Vgl. L E P P I N : Streit, S. 160-171; M O E L L E R : Abendmahlstheologie, S. l l l f .
Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
50
Nach dem Pfingstmontagserlaß Herzog Ulrichs von Württemberg 1536 sollten die Bilder, die angebetet werden, abgeschafft, die unanstößigen Bilder dagegen geduldet werden 112 . Da die mit dem Vollzug betrauten Beamten offensichtlich überfordert waren und Blarer und Schnepf in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich unterschiedliche Anweisungen erteilten, vereinbarte man für September 1537 ein Treffen, um eine für das ganze Herzogtum verbindliche Richtlinie zu schaffen: den von Blarer abfällig so bezeichneten ,Uracher Götzentag' vom 10. September 1537. Da in der mündlichen Verhandlung dieses Termins keine Lösung herbeigeführt werden konnte, sollten Schnepf und Blarer ihre Standpunkte schriftlich darlegen und den herzoglichen Räten vorlegen. Ohne auf den Verlauf des Uracher Tages näher einzugehen, soll hier v. a. Blarers Position betrachtet werden. Das Protokoll des Gespräches, das sich im Stuttgarter Archiv befand, ist verschwunden, aber in der referierenden Wiedergabe des Tübinger Juristen Christoph Besold erhalten, der es im Rahmen seiner Darstellung der Reformation der württembergischen Frauenklöster thematisiert 113 . Wie bereits Hermann Ehmer aufgrund einiger Indizien vermutete, daß nach dem Gespräch - und nicht erst über zwei Jahre später 114 - ein neuer herzoglicher Befehl zur Abschaffung der Bilder zwischen dem 10. September und 30. Oktober 1537 erlassen wurde, ist dies nun durch die Forschungen Rainer Henrichs (Bullinger-Briefwechsel) mit Sicherheit belegt: Allerdings liegt das Dekret nicht in der Form eines formellen Befehls vor, sondern in der von Blarer in Blaubeuren - d. h. im Angesicht des noch stehenden Blaubeurer Hochaltar-Retabels 115 - formu-
112
Vgl. DEETJEN: K i r c h e n o r d n u n g , S. 452.
113
VLRGINUM SACRARUM MONIMENTA, S . 8 8 - 9 7 .
114
Das überlieferte Bildermandat vom 20. Jan. 1540, „alle Bülder und gemalt in den Kirchen" abzuschaffen, allerdings ohne öffentliches Aufsehen („doch nit mit stirmen oder boldern, sonder mit zucht und by beschlossner Kürchen, von uberlaufs und minder geschrais wegen") ist abgedruckt in: SATTLER: Würtenberg 3, S. 235f, Beilage Nr. 61; jetzt auch in: DIE EVANGELISCHEN KIRCHENORDNUNGEN DES XVI. JAHRHUNDERTS 16, S. 29 und S. 144, Nr. 13, Zitate: S. 144; S. 29f. Allerdings fehlen auch dort die Verweise auf den ,Pfingstmontagserlaß' Herzog Ulrichs vom 5. Juni 1536, der die Abschaffung der Bilder und Gemälde geregelt hatte; dieser ist nur chronikalisch überliefert in CRUSIUS: Schwäbische Chronik 2, S. 241. Vgl. dazu DEETJEN: Kirchenordnung, S. 452 mit Anm. 15; EHMER: B i l d e r g e s p r ä c h , S. 67, A n m . 7. 115
1565 besuchte Herzog Ulrichs Nachfolger und Sohn, Herzog Christoph, das zur evangelischen Klosterschule umgewandelte Kloster Blaubeuren und forderte in einem Schreiben erneut die Entfernung des Altar-Retabels; HStA Stuttgart, Kloster Blaubeuren, A 478, Bü 10: „Sodann haben wir hiervor mer dan einest decretiert und bevelch geben, das die vil altar und abgöttisch bilder samt dem götzenheuslin in der closterkirchen zw Blawbeuren solden hinweg gethan werden, befinden aber sovil, das sollich gotzenwerckh alles noch in wesen da ist, alls wie es noch im rechten babstumb, darob wir dan gar kein gefallen tragen"; zit. nach KLOSTER BLAUBEUREN, S. 238 mit Abb. 323. Matthäus Alber,
Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen "
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Herten Fassung, dem Bilderdekret vom 7. Oktober 1537116. Es ist dies die einzige größere Abhandlung - ansonsten bleiben nur kurze Bemerkungen in seiner Korrespondenz oder in Flugschriften - aus Blarers Hand zur Bilderfrage, die mit manchen Passagen wörtlich im herzoglichen Bildermandat von 1540 wiederzufinden ist 117 . Insgesamt lag in der theologischen Theorie nicht seine Stärke: „Vertiefte theologische Erörterungen zur Problematik der Bilder bietet er ohnehin nicht." 118 Die Haltung Blarers zur Bilderfrage, wie er sie in seiner Abhandlung zum Bilderdekret entfaltete, kann man am besten verstehen, wenn man sie mit den divergierenden Positionen vergleicht, die auf dem ,Uracher Götzentag' am 10. September 1537 vorgetragen (Erhard Schnepf, Johannes Brenz, Matthäus Alber) bzw. danach von Herzog Ulrich eingenommen wurden. Erhard Schnepf und Johannes Brenz repräsentierten eine Haltung, die in große Nähe zur teils bilderkritischen, teils bilderfreundlichen Einstellung Luthers führte 119 . Wie er sind sie der prinzipiellen Auffassung, daß religiöse Bilder zu den Adiaphora gehören, daß es also von Gott freigestellt sei, ob man Bilder in den Kirchen behalten oder sie entfernen will. Wesentlich ist in ihren Augen, daß man zwischen dem Mißbrauch und dem richtigen Gebrauch religiöser Bilder unterscheidet. Erregen die Bilder Ärgernis, indem sie eine gotteslästerliche Verehrung provozieren, dann sind sie durch die Obrigkeit auf geordnetem Wege aus den gottesdienstlichen Räumen zu entfernen. Ist der Mißbrauch aber abgestellt, dann richten die (ikonographisch geeigneten) Bilder nicht nur keinen Schaden mehr an, sondern können für die Verkündigung des Gottes Wortes sogar förderlich sein 120 . Sie dienen dann als „denckmal" der Festigung des Glaubens im seit 1563 in Blaubeuren als erster evangelischer Abt und Prälat tätig, sorgte dann zwar für das Wegräumen des Sakramentshauses an der Nordseite des Chores, das HochaltarRetabel blieb aber erhalten. Ob die Thematik des Altar-Retabels (Passionsszenen) für die Klosterschüler nicht mehr als anstößig empfunden wurde oder ob Albers gemäßigte Haltung, die er 1531 in Reutlingen und 1537 in Urach bereits dokumentiert hatte, zur Rettung des Kunstwerkes führte, ist mangels erhaltener Quellen nicht mehr zu ermitteln. Jedenfalls blieb das Hochaltar-Retabel an seiner ursprünglichen Stelle im Chor der Klosterkirche und ist dort heute noch als kunsthistorisches „Highlight" zu bestaunen. Zum Blaubeurer Hochaltar-Retabel vgl. zuletzt KLOSTER BLAUBEUREN, bes. S. 131-243 (Lit.). 116 Vgl. HENRICH: Bilderdekret, S. 9-12 und S. 16-21 (Edition). - Henrich fand das Autograph Blarers im Berner Staatsarchiv im Bestand „Unnütze Papiere" (Signatur A V 1452, Nr. 98), wo es irrtümlich zu den Akten des Jahres 1531 gelegt worden war. 117
V g l . HENRICH: B i l d e r d e k r e t , S. 12 m i t A n m . 18 u n d S. 1 5 - 2 1 .
118
V g l . HENRICH: B i l d e r d e k r e t , S. 13.
119
Vgl. dazu die ,Supplication der Bilder halb' an Herzog Ulrich von Brenz, Wenz
u n d S c h n e p f v o m 10. S e p t . 1 5 3 7 ; ANECDOTA BRENTIANA, S. 1 9 2 - 1 9 6 , N r . 7 0 . 120 ANECDOTA BRENTIANA, S. 192, Nr. 70: „Wiewol Bilder in der kirchen zubehallten oder abzuthun an im selbs frey gelassen und bekanntlich, das die öffentliche erkannte
Der theologische
52
Hintergrund
der
Bilderfrage
Vorstellungsvermögen und in der Einbildungskraft der Seele. Wichtig ist Schnepf und Brenz, daß die Obrigkeit damit eine deutliche Abgrenzung gegenüber der generellen Ablehnung religiöser Bilder in gottesdienstlichen Räumen durch Karlstadt und Zwingli und gegen ihre „Bilderstürmerei" vornimmt 121 . Die Kombination von Bilderfeindlichkeit und verkehrter Abendmahlslehre in diesen Reformationsrichtungen müsse zur Vorsicht mahnen und zur Konsequenz führen, nur die wirklich anstößigen Bilder zu entfernen, die anderen aber beizubehalten. Auf dieser differenzierenden Linie lag auch die Haltung des vormaligen Reutlinger Predigers und jetzigen Stuttgarter Stiftspredigers Matthäus Alber, der mit seinem Helfer Johann Schradin ebenfalls beim Uracher Bildergespräch zu erscheinen hatte. Ganz im Sinne von Schnepf und Brenz unterscheidet auch Alber zwischen solchen Bildern, die einen unmittelbaren Bezug zur „Abgötterei", d. h. insbesondere zur Messe, haben, und anderen Bildern, die positiv zu werten sind. Zu den ärgerlichen Bildnissen rechnet er insbesondere solche, die sich inhaltlich nicht unmittelbar auf die Schrift gründen, sondern „lügenhafte" Legendenstoffe verarbeiten. Zwar fordert Alber die Entfernung solcher Bilder, die der Abgötterei dienen, doch soll man damit um der Schwachen willen nicht eilen. In Reutlingen, hebt er hervor, habe er neun Jahre gepredigt, bis es zur Entfernung dieser „Götzen" durch die Obrigkeit gekommen sei122. Diejenigen Bilder, die in der Schrift gegründet sind und als „denkzeychen" des Glaubens dienen können, soll man prinzipiell beibehalten, es sei denn, daß sich doch mit der Zeit herausstellt, daß sie Ärgernis stiften 123 . Insgesamt geht es Matthäus
ergerliche bilder oder gemael ordenlich abzuthun sein, yedoch nachdem zu diser zeitt furgenommen, die bilder und gemael abzuthon [...] so halten wir, das kein christliche oberkeit die bilder on underscheid solcher eegemelten Ursachen halben mit gutem gewissen abthon möge. Ursach: dan die bilder, darvon durch Gottes wort der missbrauch entzogen, sind Gottes wort nit allein onhinderlich, sonder demselben gemaess und seiner gestalt fürderlich." 121 ANECDOTA BRENTIANA, S. 195, Nr. 70: „Nachdem nun mit gnugsamer bewerung auss der hailigen schrifft und andern kundschafften erwisen, das bilder zum denckmal in der kirchen nit unnutzlich und gottes wort nit nachtaylig sein, so ist einer christenlichen Oberkeit nit zu rathen, on underschied der ursach halb, als sollte sie gottes wort hinderlich sein, abthon. Dann erstlich werden hiermit all andere kirchen, so noch die bilder nit all abgethon, mit der that für ungerecht, als die etwas in iren kirchen gottes zuwider hetten, geurteilt und verworffen [...] Dazu weil das bildsturmen anfengklich von Carlstadischen und Zwinglischen entstanden und offenlich am tag ligt, das die selben mit dem bildsturmen auch in hailigen Sacrament irren, so mochte ein christenliche oberkeit auss abschaffung aller bilder leichtlich in einen gar beschwerlichen der Zwinglischen Sect verdacht und argkwon kommen." 122
Vgl. unten S. 78. GAYLER: Denkwürdigkeiten, S. 458: „Besold berichtet: M. Matthäi Alber Opinion ist neben Andern: Weilen die Altar und Teilen alle seyen zu der Abgötterey aufgreicht, 123
Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen "
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Alber vor allem darum, daß der Umgang mit religiösen Bildern nicht durch eine zwanghafte Haltung bestimmt wird, sondern durch die Freiheit, sie je nach Lage der Dinge beizubehalten oder zu entfernen. Weder sei ihre Anbringung oder Beibehaltung notwendig für den wahren Gottesdienst, noch gebe es einen Zwang zur Bildentfernung. Diese Haltung bestimmte auch Albers Einsatz für die Erhaltung des Blaubeurer Hochaltar-Retabels und brachte ihm den Vorwurf des Herzogs ein, wider seinen ausdrücklichen Befehl Altäre und Bilder im dortigen Kloster geschont zu haben 124 . Schradin hingegen war in der Bilderfrage anderer Meinung als Alber. So abgeneigt er sonst Zwingli gegenüber war, neigte er hier mehr zur Auffassung Ambrosius Blarers, wie sie im Folgenden darzustellen ist 125 . Bilder an sich sind auch für Blarer Adiaphora, d. h. hinsichtlich des Heils als neutral zu werten („frey und indifferens"), von Gott weder verboten noch geboten 126 . Als religiöse Bilder sind sie für Blarer allerdings ebenso verwerflich wie für Martin Bucer 127 . Eine positive Funktion religiöser Bilder als Hilfsmittel („monitoria unnd denckzaichen") gibt es für Blarer ebenso wie für Bucer nicht, da sie - anders als Predigt und Sakramente - nicht von Gott angeordnet sind 128 . Sie fallen für ihn unter das generelle als zu der Mess, und nicht als monitaria signa (Denkzeichen), sollen sie deßwegen abgethon werden; doch soll man von der Schwachen wegen nicht eylen [...] daß aus Gebot oder Zwang die Bilder nicht sollen hinweggethan werden; item, daß Bilder nicht sollen als nothwendig zu den Gottesdienst in die Kirche gethan werden. Und dann ärgerliche Bildnuß, als die aus Lugin erdacht, die in Schrift nit gegründt, wie dann auch die Abgöttische sollen hinweg gethan werden. Aber die in der Schrift gegründt, und die Denkzeychen seynd, die mög man gedulden so lang, bis die zur Aergernuß gerathen, alsdann sollen sie auch hinweg gethan werden." 124 Vgl. HERMLE: Alber, S. 46; vorsichtiger: RUBLACK: Art. Alber, S. 174: „Daß er es war, der den Blaubeurer Hochaltar vor der Vernichtung rettete, ist möglich, doch unbelegt." 125 GAYLER: Denkwürdigkeiten, S. 459: „M Schradin aber stimmte, so abgeneigt er sonst Zwingli war, mehr mit Ambrosius Blaurer. Weil die Bilder adiaphora und deshalb kein Gebott noch Verbott, so mög sein gnädiger Herr, als ein getrewer Hausvatter, die wol hinweg thun, so auch unärgerlich etc. Und nicht warten, bis das Kind sich in das Messer sticht." 126 VLRGINUM SACRARUM MONIMENTA, S. 95: „M. Ambrosius Blawrer sagt: Daß sein Gnädiger Herr mög auch die unergerliche Bilder hinweg thun/ dan sie sein frey/ und indifferens. Weil es doch kein Gebot ist von GOTT gegeben/ daß das nicht beschehen solt." Vgl. dazu bereits CAMPENHAUSEN: Bilderfrage, S. 114. 127
VlRGINUM SACRARUM MONIMENTA, S. 91: „[...] bestehet er, M . Blaurer/ n e m b l i c h ,
daß die lebendigen Bilder mehr distrahieren/ als die Todte/ dan er sag selbs/ daß, wo einer inn der Kirchen auff schöne Jungckhfrawen/ oder etlicher Claider acht wolt haben/ daß daßelbig Unrecht war. Und sey eben sein Beschluß: Daß die Bilder mehr abziehen von dem Wort/ so sonst im Hertzen solt gefast werden." 128
VlRGINUM SACRARUM MONIMENTA, S. 8 9 f : „ M . B l a u r e r s S e n t e n t z s e y , d a ß
die
Bilder guet und allenthalben/ auch in den Wirtshäusern ohne allein in der Kirchen nicht zuegedulden. Aber das sey ein nichtige Mainung. Dan wan die Bilder so Denckzaichen
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Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
Verdikt von Menschensatzungen, die von heidnischen Menschen erdacht worden sind und daher nicht in den Bereich des Gottesdienstes gehören 129 . Da Bilder als Menschenerfindungen dem Gläubigen keinen Nutzen und keine Besserung bringen, sondern sie nur zur Abgötterei verführen können, ist es die Aufgabe der Obrigkeit, die Bilder als sichtbare Repräsentanten des „abgöttischen Papsttums" aus den Kirchen zu entfernen 130 . Ist doch die christliche Obrigkeit, wie Blarer in seinen Ausfuhrungen zum Bilderdekret von 1537 ausfuhrt, von Gott damit beauftragt, die beiden ersten Gebote des Dekalogs zur „uffbuwung ainer christlichen gmain und policey" 131 im Gemeinwesen zur Geltung zu bringen. Ihr Auftrag ist es also, jede Form von Abgötterei abzuschaffen. Da Bildwerke den Menschen immer wieder dazu verleiten können, seine Knie vor ihnen zu beugen und ihnen Verehrung entgegenzubringen, sind sie unschädlich zu machen 132 . Der richtige Ablauf der obrigkeitlichen Bildentfernung soll nach Blarers Vorstellung Wort und Tat kombinieren: Erst muss die Gemeinde über das abgöttische Wesen religiöser Bilder aus dem Alten und Neuen Testament belehrt werden, dann sind die Bildwerke aus den gottesdienstlichen Räumen wegzuschaffen und unschädlich zu machen, schließlich soll der finanzielle Erlös den Armen zugute kommen - ein soziales Argument, das das Vorgehen gegen die Bilder im schweizerisch-oberdeutschen Raum stereotyp begleitet und
seyen/ in der Kirchen nicht zue gedulden/ so dörffte auch kheiner die Bibel in die Kirchen tragen/ die etwas Gemähls in sich hielt. Dan hinderen die Bilder in der Kirchen an der Wand/ so hinderen sei auch in der Bibel. Und wo fern fürgeworffen wurde/ daß die Bilder/ vnd Gemäld in der Kirchen distrahieren und irren/ warumb nicht viel mehr die Lebendige etc." 129 HENRICH: Bilderdekret, S. 19: „[...] derwegen die bildtnussen, als von haiden und menschen erdacht und die zum gotts dienst nitt gehörend, sollen billich abgethon werden". 130 HENRICH: Bilderdekret, S. 20: „[Da Bilder] mehr ergernusß und schaden gepracht und noch thain werden [= noch tun] dann nutz und besserung" [wie vielerorts befunden], muß „das abgöttisch papsthumb, und was demselbigen anhangt, abgethon und der recht christenlich gottes dienst uffgericht unnd an die statt gesetzt werdefn]". 131 HENRICH: Bilderdekret, S. 16. 132 HENRICH: Bilderdekret, S. 16f: Eine christliche Obrigkeit habe die ersten beiden Gesetze des Dekalogs umzusetzen und nach der Belehrung der Gemeinde durch die Predigt die Abgötterei abzuschaffen, „das anfangs die hertzen der Christen von aller abgötterey gerainiget und das bilder werckh darus gerissen sein sollt, allso das ain yeder, so dise zeyt das hailmachend wort gehört und verstanden wol und gnügsam vernemen mocht, das die bilder ime weder nutzlich noch schedlich sein möchten, so befindt man aber, das sich vyl daran nitt spieglen [= keine Lehre daraus ziehen] wellen, sonder vyl mehr etwan offenlich, etwan haimlich, in den kirchen, ouch sonst für die bilder und gemäldt nider knüigent, vor denen bettend und den selbigen die ehr, die allain dem allmechtigen zugehört, beweysen thaind."
Ambrosius Blarer und der Kampf gegen die „ Götzen "
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uns bei Blarer schon 1523 begegnet ist133. Was den „toten Heiligen" genommen wird, soll den „lebenden Heiligen" zugewandt werden 134 Blarers ganzes Bestreben in der Bilderfrage zielte damit 1537 auf eine zügige Beseitigung aller Bilder aus den Kirchenräumen. Trotzdem bedauerte er es, daß diese Frage durch die widerstrebenden Kräfte überhaupt eine solche Bedeutung gewinnen konnte. Wie schon sein Gutachten vom 2. März 1525 zeigte 135 , hatten in seinen Augen andere Fragen - wie besonders die der Abschaffung der öffentlichen Laster und der Durchführung einer strengen Sittenzucht - eine weit größere Bedeutung als solches „kindswerck", das so viel Aufhebens von den „stummen götzen" macht 136 . Andererseits gehörte doch gerade für Blarer ebenso wie für Bucer die Entfernung dieser „Götzen" in den Zentralbereich des reformatorischen Kampfes gegen die „papistische Abgötterei". Was er beklagte war, daß man überhaupt bei der Diskussion dieser Frage soviel Zeit verlor, statt die götzendienerischen Bilder sofort auszuräumen und sich dann den Aufgaben des geistlichen Aufbaus einer heiligen Gemeinde zuzuwenden. Der Herzog entschied sich im September/Oktober 1537 für Blarers Position und ordnete durch ein entsprechendes Dekret an, „daß alle Bilder und Gemahl/ auß den Kirchen/ darinn das Wort Gottes verkhindet/ und die H. H. Sacramente gereicht/ allenthalb in dero Fürstenthumb gethan und außgeraumbt werden" 137 . Dennoch zeigte sich in der Folgezeit, daß die Bilderpolitik des Herzogs nicht mit den Vorstellungen Blarers deckungsgleich war. Blarer ging es um eine generelle Reinigung der Kirchen von allen Bildern. Der Herzog hingegen beabsichtigte, wie Volker Leppin gezeigt hat, offensichtlich nur die Entfernung der alten, vorreformatorischen Bilder. An ihrer Stelle wollte er neue Bilder setzen, die als Medien der reformatorischen Lehre dienen konnten. Daher bildete es keinen Wider133
Vgl. oben Anm. 74. Es sei nach 1. Kor 6 (gemeint ist wohl 1. Kor 8,7-13) die Pflicht der christlichen Obrigkeit, „dz vertruwen in solich geschnitzelt oder gemaldt werckh bey den abgöttischen und halsstarrigen abgeschaffet und dann der unkost, so uff die bilder oder gemält gewendt ist und noch uffgehn möcht, furter uff die armen, die dann den Christen sonderlich bevolchen sein, gewendt werde, söliche bildtnussen abzeschaffen unnd hinweg zethain"; HENRICH: Bilderdekret, S. 20. Vgl. auch ebd., S. 17f. Allerdings sei beim Verkauf der Bilder darauf zu achten, daß diese nicht wieder in falsche Hände geraten und weitere Abgötterei fordern - eine Erfahrung, die Blarer bei seiner bisherigen Tätigkeit wohl allzu oft gemacht hatte: „Doch soll in dem acht genommen werden, das die taflen und bilder denen nit gegeben oder kouff weyß zugestellt werden, die fürter soliche uffstellen und zur abgötterey brauchen wölten oder möchten"; ebd., S. 18. 135 Vgl. oben S. 43 mit Anm. 76. 136 So in Blarers Urteil zwei Tag nach dem Uracher Götzentag; HStA Ludwigsburg, B 134
1 6 9 , B ü 3 3 , N r . 3 1 ; BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1,
S. 858, Nr. 784 (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 12. Sept. 1537). 137
VLRGINUM SACRARUM MONIMENTA, S . 9 7 .
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Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
spruch zu seinem Bildentfernungsdekret, daß er mit zwei neuen Altarstiftungen für Mömpelgard und die Stuttgarter Schloßkirche hervortrat 138 . Auch durch die Bilder sollte sich das reformatorische Kirchenwesen deutlich vom altgläubigen unterscheiden. Blarers Intention verband sich also nur partiell mit den herzoglichen Interessen. Es überrascht daher nicht, daß er im Frühjahr 1538 aus dem Dienst Herzog Ulrichs „in durchaus entwürdigender Form" 139 entlassen wurde, um daraufhin erneut in oberschwäbischen Reichsstädten wie Isny, Kempten und Augsburg zu wirken, bevor er in seine Heimatstadt Konstanz zurückkehrte.
2. 5 Die spiritualistische Auffassung von den Bildern: Kaspar von Schwenckfeld und Sebastian Franck Kaspar von Schwenckfeld140 und seine spiritualistischen Anhänger spielten zwar in einigen süddeutschen Reichsstädten eine große Rolle, doch treten sie bei der Agitation und den Aktionen gegen die Bilder nicht wesentlich in Erscheinung. Das hängt mit den Grundzügen der Schwenckfeldschen Theologie zusammen, wie sie sich in den Jahren 1525 bis 1527 mit ihrem 138 Vgl. dazu LEPPIN: Streit, S. 176-181. „Die prinzipielle Streitfrage des Uracher Götzentages nach dem Wert der Bilder umging und unterlief Herzog Ulrich. Nicht sie war es, die ihn interessierte, sondern ihn interessierte offenbar, wie die Neuheit der reformatorischen Lehre in einer oberdeutsch geprägten Gegend am besten zum Ausdruck komme: und das konnte nur durch Bilderentfernungen geschehen oder eben durch wirklich neue Bilder. So gesehen bot er in seiner Praxis als Landesherr und Mäzen gegenüber Blarer und Schnepf eine dritte Interpretation seines Erlasses von 1536 mit der Unterscheidung ärgerlicher und unärgerlicher Bilder: Ärgerlich war nun alles Alte, unärgerlich alles Neue [...] sollen die Christen und Christinnen des Landes offenkundig auch generell beim Betreten des Kirchenraums erkennen können, daß sie es hier mit Neuem zu tun haben - das heißt: mit eben dem, was sich schon in den vergangenen Jahren in den südlich benachbarten Reichsstädten als neu herausgestellt hat. So ist der faktische Erfolg Blarers in der Bilderfrage nicht ohne weiteres im Sinne einer Ausrichtung Württembergs an seinen theologischen Uberzeugungen zu verstehen. Hier konvergierte vielmehr das Interesse des Herzogs nach klarer Erkennbarkeit des reformatorischen Option Württembergs in den Augen der Bevölkerung mit Blarers theologischer Haltung"; ebd., S. 181. Zum Mömpelgarder Altar-Retabel vgl. FAIX: Füllmaurer. 139 MOELLER: Blarer 1492-1564, S. 24: „Entscheidend war, daß der Herzog sich schließlich die Antipathien, die man an seinem Hof gegen Blarer hatte, zu eigen machte." Vgl. auch HENRICH: Bilderdekret, S. 15; HStA Stuttgart, A 63, Bü 5, fol. 100v-103r (Blarers Abfertigung aus dem herzoglichen Dienst). 140 Zu Kaspar von Schwenckfeld (1489-1561), der sich von Mitte 1529 bis 1533 in Straßburg aufhielt, in den folgenden Jahren u. a. in Esslingen, Ulm, Augsburg, Kempten, Memmingen und Kaufbeuren auftauchte und seine spiritualistischen Auffassungen verbreitete, vgl. WEIGELT: Schwenckfeld/Schwenckfeldianer, S. 712-719 (Lit.); McLAUGHLIN: Schwenckfeld, S. 307-321.
Kaspar von Schwenckfeld
und Sebastian
Franck
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spiritualistischen Profil ausbildete 141 . Dieses theologische Grundmuster veränderte sich in der Folgezeit nicht mehr, so daß die Aussagen Schwenckfelds über Bilder zwischen den späten 20er Jahren und den 50er Jahren eine bemerkenswerte inhaltliche Kohärenz und Stimmigkeit zeigen. Entscheidend für Schwenckfelds Haltung zu den Bildern ist, daß er jede geistliche Fixierung des Menschen auf Äußeres ablehnt. Die innerseelische Wirklichkeit des lebendigen Glaubens und seines Wachstums in einem geheiligten Leben ist, wie Schwenckfeld unermüdlich hervorhebt, nicht eine Wirkung von äußeren Realitäten dieser sichtbaren, irdischen Welt, d.h. sie kann nicht durch den Buchstaben der Hl. Schrift, durch Predigt, Taufe, Abendmahl und Bilder hervorgerufen und am Leben gehalten werden. All dies muß immer unmittelbar eine Wirkung des unsichtbaren Heiligen Geistes sein, der mit seinem inneren Wort alles Geistliche in der Seele des wahrhaft glaubenden Menschen wirkt. Indem Schwenckfeld auf diese Weise das gesamte äußere Kirchenwesen relativiert, kann er es doch gelten lassen, wenn man ihm keine falsche Ehre erweist und damit dem alleinigen Heilswirken des Gottesgeistes nicht die alleinige Verehrung entzieht. Die positive Funktion der richtig gebrauchten äußeren Dinge sieht Schwenckfeld darin, daß sie den äußeren Menschen auf die wahre innere Dimension des geistlichen Menschen verweisen und daß sie so den äußeren Menschen domestizieren, kontrollieren, an das Wahre erinnern und als didaktische Hilfsmittel dienen, um den Weg zur inneren Dimension wahrer Gottesverehrung zu finden142. Wesentlich ist also, daß die Rolle der äußeren Worte, Handlungen und Bilder in der Kirche auf diese signifikante Verweisfunktion beschränkt wird 143 . Sieht man dagegen in den äußeren Worten, Handlungen und Bildern die geistliche 141
Vgl. MCLAUGHLIN: S c h w e n c k f e l d , S. 311f.
142
CSch 13,226,14-21: „Unnd daß Gott die bilder hat geschaffen/ daß sie auff die warheit sollen weisen/ derselben erinnern/ davon zeugen/ und sie etlicher massen bekant machen/ oder ins gedechtnis sollen bringen." (Kaspar Schwenckfeld an Bernhard Unsinn, 1553); ebd., 227,30-32: „Nicht aber [hat Gott die Bilder verboten]/ wenn ich die Bilder/ mir zur erinnerung/ oder meinem nechsten zu nutz/ ja auch den jungen/ sonst unverstendigen Kindern/ zu gut wol gebrauche"; ebd., 228,18-29: „So kan man doch seine Menscheit/ unnd was er uns in der zeit alhie güts gethan/ wie er für uns ans Creutz geschlagen/ wie die Crucifix/ und das gemälde seiner Aufferstehung außweisen/ wol abbilden/ Sonderlich der Jugent/ und den schwachen damit anleitung zügeben/ auff daß sie die historia unds geschieht der Dispensation Christi immer lernen bedencken/ und Christi wolthat betrachten im glauben. Es wirt auch ein jeder/ welcher der Sachen etwas nachdenckt/ bald befinden/ daß die Christen der Bilder/ die Christum dermassen/ wie gemeldet/ fürmalen/ so ferr sie sich anders mit Christlicher lehre vertragen/ und nicht angebeetet/ noch ihnen gedienet werde/ recht/ wol unnd nützlich für sich unnd ihre Kinder mögen gebrauchen: Denn den reinen ist alles rein/ und nichts züverwerffen ist/ was uns zur besserung/ und zu erinnerung unsers lieben HERRN JESU Christi kan dienen." 143
Vgl. BENRATH: L e h r e , S. 588.
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Der theologische Hintergrund der
Bilderfrage
Wirklichkeit selbst, indem man ihnen eine unmittelbare Gnaden- und Heilswirkung auf den inneren Menschen zuschreibt, dann ist das in Schwenckfelds Augen der entscheidende Schritt zur Kreaturvergötterung 144 , zum Götzendienst und zur Abgötterei, die den Menschen von seinem Heil fernhält und auf Äußerlichkeiten fixiert sein läßt 145 . Aus dieser Grundposition seiner spiritualistischen Theologie und Lebenslehre ergibt sich konsequent Schwenckfelds Haltung zu den Bildern, die einen Mittelweg zwischen Bilderverehrung und Bilderverachtung einzuhalten sucht 146 . Prinzipiell behandelt er die religiösen Bilder, sofern sie 144 CSch 2,448,3-9: „So wir daas für Gott halten, das Gott nit ist, mögen wir nimmermehr bey unserm glauben schädlicher irren, ja es köndte kein irrthumb solcher Abgötterey vergleicht werden. Darumb so wil einem jeden Christen vor allen dingen von noten sein, daß er wisse, was er nu hirinn halte und gleube, und wo er seinen HERRN und Gott Christum JESUM suchen, ehren und anbetten sol, imm Brote oder imm Himmel." (Vom Grund und Ursache des Irrtums und Spans im Artikel vom Sakrament des Nachtmahls, 1527); CSch 4,9,15-25: „Daas [gemeint ist Luthers Auffassung vom Abendmahl] ist alles Abgötterey, ein heidnischer philosophischer grewel vor dem Angesicht Gottes. So stehet es denn noch heut bey vielen also, daß sie ja mit ihrer lehre nicht wollen (Christo JESU zu ehren) zu schänden werden. Sie flicken und decken ihr blödes Gewissen wie sie können mit Feigenblettern ehe sie gottlicher Warheit weichen wollen, ehe sie nur einmahl kondten sagen: Ich habe geirret [...] Darzü hilfft denn Concordia, Aedificatio der Kirchen, wie sie es nenne, und Scandali vitatio, id es Amor nostri, ne scilicet coram nostris in errore depraehendamur & confundamur in gloriam Dei." (Schwenckfeld an Johann Bader, 1530). Siehe auch CSch 3,342,13-19: „In Unverstände der schrifft an seine stelle zum Abgott setze und demselbigen one achtung, vermeßlich die eere, ampt und vermögen, welche Christo sonderlich zustehet, übergebe, also einen abfall von Gott dem allmechtigen, auch von seinem Christo unserem HERREN bey dem Volck leere und anrichte, das Volck aber, das da selten Christum, sonder schmuck und Ablaß suchet auff gezeug, mittel und was da droben genant füre." (Bekenntnis vom Reich Christi, 1528); ähnlich CSch 3,660,34-21: „[Num 21,6-9] Welche eherine schlang der fromme könig Ezechias abgethan und unangesehen, das sie von Gott selbs durch Mosen auffgericht, so hat er sie doch von wegen des mißbrauchs und abgotterei, sampt anderm falschen Gottis dienst gantz zerbrochen und außgereuttet. Dagegen aber hat er den rechten Gottis dienst nach dem wort deß Herrn inn der heiligen statt zu Hierusalem auffgerichtet [...] Das reich gottis kommet nicht mit eusserlicher auffmerckung [...] Daß seht das reich Gottis ist innwendig inn euch und wie vor gesagt: Was hoch ist vor den menschen ist eyn grewel für Gott." (Vom waren und falschen Verstand und Glauben, 1530). 145 CSch 2,537,36-538,9: „Zum sechsten, ist es wider Gottes ehre gehandellt, so der mensch nicht den Schopffer in allen seinen wercken und Creaturen im glauben sucht, lobet, ehret und dancket, sonder sein hertz auff die Creatur wirfft und ihme aus der creatur einen Abgott machet etc." (Vom Grund und Ursache des Irrtums und Spans im Artikel vom Sakrament des Nachtmahls, 1527). 146 CSch 13,226,16-21: „[Kritik an Zwinglianern, die Bilder verwerfen, aber nicht erkannt haben] was die heilige Schrifft ein bilnis heist. Sie sehen noch nicht, daß alle vergenckliche Creaturen Bilder sein, gegen der warheit Gottes, daß auch den reinen alles rein unnd denen, die Gott lieben, alle ding zum besten dienen und daß Gott die bilder hat
Kaspar von Schwenckfeld und Sebastian
Franck
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inhaltlich mit der Verkündigung des Evangeliums übereinstimmen 147 , ebenso wie das äußere Wort: den Buchstaben der biblischen Schrift, die Predigt und die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl 148 . Immer wieder betont er, daß er alle diese äußeren Zeichen nicht verachtet, sondern beibehalten will und hoch schätzt, soweit sie in der Kirche wirklich ihre Funktion als nützliche Zeichen der verborgenen, geistlichen Wirklichkeit wahrnehmen können 149 . Von daher wendet er sich mit Luther und mit den schweizerischen und oberdeutschen Reformatoren gegen jede Art von Bilderverehrung, die den religiösen Bildern einen Gnaden- und Heilscharakter zuschreibt 150 . Andererseits aber versteht er mit Luther gegen Zwingli, Bucer und Blarer das Bilderverbot von Ex 20,4 nicht als Verbot der Bilder an sich im gottesdienstlichen und religiösen Bereich, sondern nur als Verbot der Bilderverehrung 151 . Wie Luther, allerdings mit einer andersartigen spiritualistischen Zuspitzung, kann er die rechten, evangelischen Glaubensbilder als Hilfsmittel der Verbreitung des Evangeliums würdigen 152 . Er kritisiert daher mit deutlichen Worten das Bilderstürmen und die Bildentfernungen der evangelischen Brüder 153 . Für ihn ist das nur eine Variante geschaffen, daß sie auff die warheit sollen weisen, derselben erinnern, davon zeugen und sie etlicher massen bekant machen oder ins gedechtnis sollen bringen." (Kaspar Schwenckfeld an Bernhard Unsinn, 1553). 147 CSch 11,155,23-29 (Bekenntnis und Rechenschafft von den Hauptpunkten des christlichen Glaubens). 148 CSch 3,16,36-17,2: „Unnd derhalb so ists auch wol vonn nohen, das man Gotes nateürlichs wort von dem gesprochenen und beschribenen wort deß buchstabens gebürlicher weyß wysse zu underscheiden, yedes in seine ordnunge setze, und nicht eins ins ander vermische. So verr man aber die eere, welche Gott als dem ewigen schopffer allein züstendig, nicht der vergengklichen creatur zulegen und dadurch also weytter in einen abfall und abgotterey wil kommen." (Schrift über die leibliche Gegenwart Christi im Sakrament an die Straßburger Prediger, 1528). 149 CSch 2,317,18-21: „Wir wollen aber die Bibel und Heilige Schrifft damit unveracht sonder lieb und werd für nüztlich und trostlich gehalten haben, allein daß wir sie nicht für Gott und sein natürlich lebendig Wort sollen halten, noch keinen Abgott drauß machen." (Second Crautwald Letter authorized by Schwenckfeld, 1526). 150 CSch 2,537,36-538,9: „Zum fünfften, die den Büchstaben der heiligen Schrifft oder sonst etwas für Gottes natürlichs wort halten, das Gottes natürlichs wort nicht ist, die das Bilder für die warheit anbetten, item die auch der Sacrament unsers christlichen glaubens und anderer Gottlicher hendell mißbrauchen, dieselben alleine nach dem fleische ihrer vernunfft richten und der Mysterien darbey im glauben nicht warnemmen, die thün wider Gottes ehre." (Vom Grund und Ursache des Irrtums und Spans im Artikel vom Sakrament des Nachtmahls, 1527). 151 CSch 13,227,1-6. 14-32 (Kaspar Schwenckfeld an Bernhard Unsinn, 1553). 152 Vgl. obenS. 21-23. 153 CSch 2,85,30-86,13. 26f: „Den glawben aber (der die höchste tugent ist) haben sie im busen oder in der schoß, schwüren ainen ayd sie möchten denselben herfür ziehen nach irem gefallenn. Solchs mach alles das sie das gesetzt gottis nye recht troffen noch erschreckt hot, ya es macht auch der unverstandt des gütlichen worts. Derhalb hab ich
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einer falschen Fixierung auf das Äußere, eine Art von Fixierung, die er auch in ihrer Hochschätzung des äußeren biblischen Buchstabens sieht. In ihrer Verblendung, argumentiert er, erkennen sie nicht, daß ihre Verehrung des äußeren Bibelwortes und der sakramentalen Riten nur eine andere Form jener Kreaturvergötterung ist, die sie in den Bildern bekämpfen 154 . Die Bilder sind aber ebenso wenig an sich verwerflich wie die Hl. Schrift, die Predigt, Taufe und Abendmahl. Es kommt nur auf den rechten Gebrauch an, der in all diesen äußeren Hilfsmitteln der Kirche nur Wegweiser hin zur verborgenen Wirklichkeit des himmlischen Geistes wahrnimmt.
gesagt, ihr brüder und sage noch, man muß das leben an diese lere strecken wil mans fassen, es muß gottis wort den alten Adam zuvor anheben zu totenn sol es aber den geist lebendig machenn, sunst ist es unnütz, und wir werdenn nichts dr gütlichen weißheit erkennen mögen. Nu seint etliche auß unsernn brüdern wellen ewserlicher weyse wol alles zu podem stürmen, innerlich aber, do wir am meist stormen solte, wellen noch wenig doran. Wer aber mir folgen wil vom gemeynem manne, der losse das ewserliche stürmen in des anstehen und storme mitt den angebornen lästern und bosenn begirdenn des hertzens. [...] Es muß das hertz zuvor auch von vleis, luft unnd liebe der zeitlichenn gütter abgesondert sein." (Ermanung des Mißbrauchs, 1524); CSch 13,228,36-40: „Drumb so irren diejhenigen, so die Bilder on unterscheid verdamme oder verwerffen, und sünde machen wollen, da keine ist, ja das güt böse heissen, geben sich damit an tag, daß sie noch nicht wissen, was bilnis und was warheit sey oder heisse. Daß sie auch den Text Mosi von bildern noch nie recht verstanden haben." (Kaspar Schwenckfeld an Bernhard Unsinn, 1553). 154 CSch 2,317,4-17: „Das Evangelion ist gewiß nicht Büchstabe und Schrifft, noch Laut oder geschrey von der Cantzel. Nein gewiß, wie aber bey den alten Weibern und andern unwissenden leuten offte das bild Christi oder ein anders für den des Bilde es ist gehalten, geehret, geschmucket und angebet wird. Darumb, daß man spricht: Daas ist die Jungfraw Maria, daas ist S. Anthonius, doch aber one witz und mit irrthumb. Also geschichts auch allhie, sintemal die Schrifftgeleerten haben ihnen zü trost auß der Bibel einen Abgott gemacht und Gottes Wort getäufft, sie auch Evangelium und newe Testament geheissenwirt, muß sie ihnen Gottes natürlich Wort sein, sie beetens darfür auß, schelten auch und fluchen, wenn man sie bey ihrem dienst und schmuck nicht will bleiben lassen, inen nicht züfallen den Heiligen Geist dabey nicht holen etc. Gerade als were es alles gewiß, so doch allein die Juden mit ihren Büchern und schrifften beweisen, daß es alles wind und schein sein müß, was diese auch für ihren Abgott außkünden." (Second Crautwald Letter authorized by Schwenckfeld, 1526); CSch 3,314,5-13: „Man hat sie mit den jhren offt ermanet, sie wolten nicht die zeichen noch Büchstaben für das wesen verkäuffen, nicht die gemalde für das, davon sie abgemahlet wären, sie wolten der Schrifft wol gebrauchen, sie wolten nicht die lenge Kinder sein und mit Docken spilen, nicht das Schrifftlicher Wort mit dem wesentlichen natürlichen Worte GOTtes vermengen noch eins für das ander verkäuffen,nicht von einem zum andern springen, jedes nach dem es ist vnderscheiden, sie hetten nu lange genüg am Schrifftlichen Wort mit laut und stimm außgesprochen und einen Abgott auffgestellet, sie solten sehen, daß Er kein zeichen thete und dergleichen mehr seind sie gewarnet." (Bekenntnis vom Reich Christi, 1528).
Kaspar von Schwenckfeld und Sebastian
Franck
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So ist für Schwenckfeld und seine Anhänger insgesamt eine Relativierung der Bilderproblematik charakteristisch. Mit großer Toleranz können sie die Bilder wie andere kirchliche Riten - z. B. die Kindertaufe - gelten lassen, so lange man nicht ihren Zeichencharakter in die Fiktion eines gnadenund heilsvermittelnden Sakralcharakters verkehrt. Dieses relativierende, vergleichsweise duldsame Verhältnis zu den Bildern kennzeichnet nicht nur die Haltung Schwenckfelds und seiner Anhänger, sondern auch die anderer reformatorischer Spiritualisten, besonders auch Sebastian Francks155. In seiner ,Chronica', die erstmals 1531 in Straßburg erschien und dann 1536 und 1543 in Ulm neu aufgelegt wurde, argumentiert er mit humanistischer Gelehrsamkeit nicht nur aus der Hl. Schrift, sondern auch aus den Kirchenvätern und Konzilsakten gegen die Bilderverehrung 156 : Was für eine Verkehrung wahrer Gottesverehrung, wenn man zu hölzernen und steinernen "Götzen" läuft und von solchen seelenlosen Bildern Hilfe und Trost erwartet 157 ! Gleichzeitig aber betont Franck, daß man nicht gewaltsam gegen die religiöse Bildausstattung der Kirchen vorgehen soll. Die Welt, argumentiert er, muß ihre Götzen haben, und man kann ihr ihre Abgötterei nicht mit Gewalt nehmen. Das einzige, was die wahren Verehrer Gottes gegen den Götzendienst der Bilder unternehmen können, ist, daß sie gegen ihn lehren. Alles aber kommt darauf an, daß der Hl. Geist selbst durch sein inneres Wort das Herz von aller angemaßten äußeren Heiligkeit und so auch von der Verehrung religiöser Bilder löst 158 . Je mehr der Christ von den äußeren Bildern frei wird, desto klarer kommt in ihm selbst das 155 Zu Sebastian Franck vgl. SEBASTIAN FRANCK (1499-1542); SEGUENNY: Franck, S. 307-312 (Lit.); WEIGELT: Franck, S. 119-128; unten S. 295 mit Anm. 69. 156 Vgl. FRANCK: Chronica 3, fol. 237r-243r. Zur partiellen Rezeption dieser Argumentation durch Martin Rauber vgl. unten S. 293, Anm. 43; S. 294, Anm. 64; S. 295, Anm. 70. 157 FRANCK: Chronica 3, fol. 238(falsch: 233)v: „Volget: Sie haben verwandlet die herrlicheit deß unvergencklichen Gottes in ein bild etc. Die bild begabt man yetzt mit solchen namen und ehren, das sie den lebendigen nit haben dorffen thün, nemlich mit Gottes ehren so sie tod seind, den sie kein ehr haben angelegt, weil sie lebten, bei welchen die todten mehr vermögen und lieber seind, dann die lebendigen, denn si weichen ab von dem lebendigen Got und hangen an den todten"; ebd., fol. 239r: „Voigt: Was ist das für eyn ehr Gottes, hin und her zu hültzin und steynin gotzen lauffen und die eittel seelosen bild Got gleich züehren und den menschen, der eyn recht bild Gottes ist, furgehn und verachten. Darumb versteet und merckt eben, da solchs der innern verborgnen schlangen eingeben ist, welche euch überredt, man werd eüch darumb gotselig achten, wenn ir sinnloß ding ehret"; ebd., fol. 237r: „[...] das wir uns auff sie verlassen, und inn noten vertrösten. Dann sie seien wie heylig sie ymmer wollen, so wil doch der eiferig Gott nicht leiden, das wir eynigen trost, mittel, hilff und beistandt inn noten der seel bey inen suchen oder einige Zuflucht und Zuversicht auff sie bawen." 158 FRANCK: Chronica 3, fol. 238(falsch: 233)r: „Ich acht aber, dz die Christen kein hand an sollen legen und ehe auß dem tempel gehen darinn sy stehn und der weit jr gotzen lassen vnd nit mit gewalt abreissen, weil die weit gotzen haben muß und man jr
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Der theologische Hintergrund der Bilderfrage
innere Bild Gottes zum Leuchten. Mit dieser Art von Relativierung des äußeren Kirchenwesens und seiner Ablehnung der Bildentfernungen zog sich Franck in Straßburg und andernorts die erbitterte Feindschaft der oberdeutschen Reformatoren zu.
jre abgotterei nit mit gewalt (weil es doch nit hilfft) nemen oder wehren sol. Auch ist in den propheten zuvor gesagt: Der wüst grewel mit seinem anhang, corper und götzendienst soll on hand und schwertschläg ummkommen Daniel viii.ii. Thesss. Ii. So haben wir dises keyn exempel Christi oder der Aposteln, die der weit jr gotzen steen liessen und alleyn darwider leerten." Vgl. auch WEIGELT: Franck, S. 112 und S. 124.
Kapitel 3
Lindau 3. 1 Das reformatorische Leben in Lindau1 In Lindau, der auf einer Insel im Bodensee liegenden Reichsstadt mit ihren ca. 2.100 Einwohnern (1511), herrschte um 1500 ein reges religiöses Leben, das sich in vielfältigen Frömmigkeitspraktiken sowohl individueller als auch kirchlich-institutioneller Formen äußerte. Prägend für die mittelalterliche Geschichte war das meist friedliche Neben- und Miteinander zweier Reichsstände: Das bereits im frühen 9. Jahrhundert gegründete Nonnenkloster, welches später in ein Chorfrauenstift umgewandelt wurde, war seit der Mitte des 10. Jahrhunderts reichsunmittelbar, während die Reichsstadt dieses Privileg erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts erreichen konnte 2 . Als städtische Regierungsorgane bildeten sich der Kleine und der Große Rat heraus, der aus 14 Ratsherren und den 8 1 Die Quellen für die Frühzeit der Lindauer Reformationsgeschichte sind relativ dürftig: Im Lindauer Stadtarchiv finden sich unter den reichsstädtischen Akten nur wenige mit kirchengeschichtlichem Inhalt. Die älteren Darstellungen - v. a. die Arbeiten des Lokalhistorikers Karl Wolfart zu Beginn des 20. Jahrhunderts (WOLFART: Lindau; DERS.: Reformation) - stützen sich daher auf die überlieferten chronikalischen Berichte. Die älteste Chronik von Kröll, 1533-1535 verfaßt, ist allerdings verloren und nur in einer Abschrift aus dem Jahre 1633 überliefert (StadtA Lindau, Lit. 23). Eine etwas erweiterte Fassung liegt in dem Sammelband des Jacob Lynn vor (ebd., Lit. 18: Annales Lindavienses), und eine gewisse Eigenständigkeit zeigt noch die Chronik des Stadtschreibers Johann Bertiin (ebd., Lit. 19 und Lit. 20), beide vom Beginn des 17. Jahrhunderts. Bei allen anderen Chroniken handelt es sich um mehr oder minder gute Abschriften. Treffend charakterisiert ZELLER: Heilig-Geist-Spital, S. 20: „Entscheidend für eine skeptische Bewertung der Kröllschen Annalen und den davon direkt abhängigen Chroniken als geschichtliche Quellen sind weniger sachliche Unstimmigkeiten einzelner unbedeutender Ereignisse, als vielmehr die Dürftigkeit des überlieferten Materials an sich [...]." Zu der Quellenproblematik vgl. auch unten S. 68f. Von den neueren Darstellungen zur Lindauer Kirchengeschichte im 16. Jahrhundert, die das Bild jedoch nur in Nuancen erweitern, sind zu erwähnen: SCHULZE: Bekenntnisbildung; SPRUSANSKY: Reformation; WOLFART: Religion. 2
Nachdem das Stift seinen Markt von Aeschach auf die Insel verlegt hatte, entwikkelte sich aus dieser Ansiedlung die Stadt Lindau, welche besonders von den Staufern gefördert wurde und von Kg. Rudolf von Habsburg 1274/75 zahlreiche Privilegien erhielt, die Kg. Wenzel 1396 erweiterte; vgl. SPRUSANSKY: Reformation, S. 10.
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Lindau
Zunftmeistern bzw. den 88 Elfern der Zünfte gebildet wurden. Wie in vielen anderen Reichsstädten Schwabens, kam es auch in Lindau zu einer Oligarchisierung des Kleinen Rats als eigentlicher Regierungszentrale durch die wohlhabenderen Patrizier, die in der Sünfzengesellschaft zusammengeschlossen waren. Neben der ältesten Kirche im Nordwesten der Stadt am Schrannenplatz, der Peterskirche, und der Stiftskirche St. Marien (Frauenkirche) prägte die aus dem 13. Jahrhundert stammende, aber erst um 1508 erweiterte Pfarrkirche St. Stephan, in der die Äbtissin des Stiftes das Patronatsrecht bis 1556 (!) innehatte 3 , nicht nur in baulicher Gestalt das Bild der Stadt. An Klöstern sind das Klarissinenkloster und das Barfüßerkloster zu erwähnen, daneben existierten noch vier Kapellen (Kapelle auf dem Kirchhof zwischen Stephans- und Stiftskirche, Krellsche Kapelle im alten Aeschacher Friedhof, Kapelle im Hl.-Geist-Spital 4 , 1524 abgebrochene Nikolauskapelle). Zur Reichsstadt gehörten die Dörfer Aeschach und Reutin, darüber hinaus beanspruchte Lindau Herrschaftsrechte in Schönau, Heimesreutin, Hochbuch, Rickenbach, Hoyren, Schachen, Degelstein und Motzach; das Spital hatte die Patronatsrechte in Weißensberg und Reutin inne, die Äbtissin bzw. das Stift in Sigmarszell, Opfenbach und Lindenberg 5 . Vorbereitet wurde die Reformation durch die Franziskaner, v. a. durch ihren Lesemeister Michel Hug (Haug) 6 , der in seinen Predigten seit 1522 im Sinne Luthers predigte 7 und besonders den Stadtpfarrer Johannes Fabri, der zugleich seit 1518 als Generalvikar in Konstanz fungierte und seiner Aufgabe in Lindau nur selten nachkam, scharf attackierte 8 . Fabri, der Vi3
Erst zu diesem späten Zeitpunkt konnte die Reichsstadt das Patronat ablösen, indem sie es gegen die Überlassung des Patronats in Lindenberg tauschte; vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 166f. 4 Vgl. dazu ZELLER: Heilig-Geist-Spital, bes. S. 107 mit Anm. 308. 5 Vgl. OTT: Lindau, S. 155f (Der Aufbau des reichsstädtischen Territoriums); WOLFART: Reformation, S. 24 nennt noch Laimnau, wo das Spital, sowie Oberreitnau und Bösenreutin, in denen das Stift das Pfarrbesetzungsrecht innegehabt haben sollen. 6 Hug stammt aus dem Breisgau und war vom Freiburger Franziskanerkloster nach Lindau gekommen; WOLFART: Reformation, S. 9 - 1 2 ; SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 5 - 9 ; SPRUSANSKY: R e f o r m a t i o n , S. l O f ; PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S . 7 6 ,
Nr. 430. Eine Predigt Hugs über den rechten, wahren und lebendigen Glauben wurde 1524 sogar gedruckt; vgl. KÖHLER: Bibliographie 2, Nr. 1645 (Fiche 732/Nr. 1040); VD 16 H 5807. 7 Die heute in der Stadtbibliothek Lindau befindlichen Flugschriften mit handschriftlichen Eintragungen Hugs bezeugen seine Lektüre der Schriften v. a. des Wittenberger Reformators; vgl. WOLFART: Reformation, S. 10. 8 Zu Dr. Johannes Fabri (1478-1541), aus Leutkirch stammend, 1522 zum Hofrat Ehz. Ferdinands ernannt und seit 1530 Bischof in Wien, vgl. unten S. 273f; zu den Auseinan-
Das reformatorische
Leben in Lindau
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kare und Helfer mit den seelsorgerlichen Aufgaben betraut hatte, beklagte sich z. B. beim Rat, daß in den Predigten Hugs, aber auch der „Helfer" des Pfarrers selbst, etwa des sehr beliebten Vikars in St. Stephan Sigmund Rötlin 9 , reformatorisches Gedankengut verbreitet und dazu aufgerufen werde, Jedermann [zu] sehenden und lestern, inn der fasten flaisch [zu] essen, uffruren [zu] machen, die mutter gottes und die hailigen [zu] schmähen" 10 . Der Lindauer Rat reagierte zunächst zurückhaltend, ließ Rötlin und Hug weiter gewähren und verhandelte sogar mit Fabri über eine Übergabe seiner Pfarrstelle an Rötlin. Hug starb aber bereits im September des Jahres 1524 an den Folgen der Pest. Das Werk Hugs führte Thomas Gaßner fort, der 1524 die Predigerstelle an der Stadtpfarrkirche St. Stephan angetreten hatte, nachdem er vor seinem Landesherrn Mark Sittich I. von (Hohen-)Ems als Anhänger Zwingiis geflüchtet war 11 . Nach Rötlins Tod im November 1525 setzte der Rat Gaßner als Pfarrer ein und gab ihm den Vorsitz im Lindauer Konsistorium, in welchem der Rat die Pfarrer und Prädikanten der Stadt versammelte und dem er bis zu seinem Tod am 13. Februar 1548 vorstand. Er predigte weiter im evangelischen Sinne, ließ sich im Abendmahlsstreit nicht auf eine eindeutige Position zwischen den Fronten festlegen und verhinderte durch sein versöhnliches Wesen größere Konflikte zwischen Zwinglianern, Lutheraner, Täufern etc. 12 . Während des Bauernkrieges kam es in Lindau und seinen Dörfern zu keinen nennenswerten Unruhen. Im Streit um die Resignation Fabris und die noch ausstehenden Zehntzahlungen, in dem der Konstanzer Bischof Hugo vermittelnd eingegriffen hatte, ohne einen Kompromiß zwischen Fabri und Lindau erzielen zu können 13 , mußte der Rat 1524/25 allerdings sein vorsichtiges Taktieren aufgeben. Er wurde zum behutsamen Förderer der evangelischen Lehre und berief 1525 Johannes Mock als zweiten Prädikanten. Gaßner teilte erstmals das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus.
dersetzungen mit Faber vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 9 - 2 4 ; REFORMATION IN DEN FREIEN REICHSSTÄDTEN LINDAU UND KONSTANZ, S . 5 7 - 6 1 . 9
Z u i h m v g l . PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S . 1 7 1 , N r . 1 0 0 1 .
10
StadtA Lindau, 63/1/6; zit. nach SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 7. " Zu dem aus Bludenz stammenden Gaßner, über dessen Schul- und Studienjahre keine sicheren Zeugnisse bekannt sind, vgl. BURMEISTER: Gassner; SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 24-34; WOLFART: Reformation, S. 13 und S. 16; PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S . 6 2 , N r . 3 4 5 . 12 Zu Gaßners „Neutralität" im Abendmahlsstreit zwischen Luther und Zwingli vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 29-33. 13 Fabris Angebot im Sommer 1525, sein Pfarramt in Lindau wieder selbst zu versehen, ist wohl eher als rein taktisches Manöver zu werten; auch der von ihm wegen des Zehnten begonnene Prozeß am Reichskammergericht zog sich bis 1540 ohne Entscheidung hin. Zu den Vorgängen vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 16-24.
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Lindau
Nach dem für die evangelische Seite günstigen Speyrer Reichstagsabschied von 1526 forcierte man das Tempo der kirchlichen Erneuerung: Wichtigster Punkt war dabei die Reform des Gottesdienstes. Gaßner, der 1528 an der Berner Disputation teilnahm, dort sogar eine Predigt gehalten 14 und die Messe als „Götzendienst" verurteilt hatte, orientierte sich dabei vermutlich an schweizerischen Vorbildern 15 . 1527 wurden erstmals deutsche Lieder in St. Stephan gesungen, eine Zuchtordnung eingeführt und das Frauenhaus abgebrochen. Im Februar 1528 schaffte der Rat endgültig die Messe ab. Die neue Gottesdienstordnung mit Predigt, Gesang und Gebet nach schweizerischem Vorbild wurde eingeführt; Taufe und Trauungen sollten von nun an in deutscher Sprache vollzogen werden. Damit war der Durchbruch der reformatorischen Neuerungen vollzogen. Bedingt durch die religiösen Neuerungen brachten finanzielle und personelle Probleme das Barfüßerkloster nahe an den Ruin. Im Frühjahr 1528 verkauften daher die letzten vier Mönche ihr Kloster samt Kirche an den Lindauer Rat, der in dem Komplex Schulräume, Pfarrer- und Lehrerwohnungen einrichten ließ; die Kirche stand zunächst leer. Die eingezogenen Kirchengüter wurden mit denen aus St. Stephan 1529 zum sog. Großen Almosen vereint und unter städtische Verwaltung gestellt. Waren bis 1528/29 die reformatorischen Neuerungen nach innen gesichert, galt es diese auch nach außen abzusichern. Im Sommer 1527 suchte Zwingli Kontakt mit den Reichsstädten Straßburg, Konstanz und Lindau, um Verbündete im Falle eines bevorstehenden Krieges zu finden. Während sich Lindau in der Frage eines Bündnisses mit Zürich zu dieser Zeit noch eher zurückhielt, suchte man nach der Unterzeichnung der Speyrer Protestation von 1529 - Vertreter Lindaus war sein Bürgermeister Johannes Varnbühler 16 - den verstärkten Schulterschluß mit den schweizerischen Städten; ein Anschluß der schwäbischen Städte scheiterte allerdings auf dem Städtetag in Biberach vom 30. Dezember 152917. Man orientierte sich einerseits am Ulmer Bürgermeister Bernhard Besserer, der den bevorstehenden Augsburger Reichstag abwarten wollte, und suchte andererseits die starke Verbindung mit Konstanz, was sich etwa in häufigen Aufenthalten Blarers und Zwicks in Lindau zeigte. In die darauf sich anschließende Phase der für Lindau außen- und innenpolitisch ungeklärten Religionsfrage sind die Vorgänge in der Bilderfrage im März bzw. Juni 1530 einzuord-
14 Vgl. WOLFART: Reformation, S. 24. - Zur Abschaffung der Messe vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 27f. 15 Vgl. KOEHLER: Zwingli und Luther 1, S. 595. 16 Sein Bruder Ulrich Varnbühler war als kaiserlicher Rat ebenfalls in den religionspolitischen Verhandlungen auf den Reichstagen 1529/1530 beteiligt. 17 Vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 39-45; vgl. unten S. 138.
Das reformatorische
Leben in Lindau
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nen 18 . Welche Rolle Thomas Gaßner und seine Haltung in der Abendmahlsfrage spielten, ist nicht genau zu klären, aber Tatsache ist, daß sich Lindau auf dem Augsburger Reichstag nicht dem von Melanchthon ausgearbeiteten Bekenntnis, sondern der von Martin Bucer formulierten Confessio Tetrapolitana anschloß und diese zusammen mit Straßburg, Konstanz und Memmingen Anfang Juli 1530 unterzeichnete 19 . Während der weiteren Verhandlungen in Augsburg nahmen die Unterzeichner der Tetrapolitana allerdings bereits wieder Kontakte zu den Fürsten und Städten des Augsburger Bekenntnisses auf. Auch Lindau suchte, v. a. nach Zwingiis Tod, die Annäherung an Lutheraner, und am Ende dieser Entwicklung stand nach vielem Hin und Her für Lindau 1531 einerseits der Beitritt zum Schmalkaldischen Bund und schließlich im April 1532 die Annahme der Confessio Augustana auf dem Bundestag der Schmalkaldener in Schweinfurt. Unter dem Einfluß Gaßners, der bis 1548 in Lindau wirkte und weiterhin großen Einfluß hatte, und unter Mithilfe der Prädikanten Wolfgang Capito aus Straßburg und Ambrosius Blarer und Johannes Zwick aus Konstanz, die sich häufig in Lindau aufhielten, baute man das evangelische Kirchenwesen in den folgenden Jahren aus. 1532 führte der Lindauer Rat regelmäßige Synoden ein, 1533 erließ er eine Zucht- und Almosenordnung, die Gaßner zwar ausgearbeitet hatte, die die Befugnisse der Zuchtund Almosenbehörde jedoch ausschließlich der städtischen Verwaltung unterstellte. Ein Ehegericht wurde eingeführt, und seit 1534 führte man ein Taufbuch, dessen erster Eintrag von Gaßner stammt. Im gleichen Jahr wagte es der Rat auch, sich in die Belange des Damenstiftes einzumischen und gegen die Messe im Stift und in den zum Stift gehörigen Dörfern vorzugehen, was man bisher aus Furcht vor militärischen Auseinandersetzungen mit den umliegenden katholisch gebliebenen Adeligen, v. a. Hugo von Monfort, der bei König Ferdinand Unterstützung fand, unterlassen hatte. Wie schon im Zehntstreit mit Johannes Fabri mußte sich die Reichsstadt vor dem Reichskammergericht für den Rechtsbruch verantworten, aber dank der Unterstützung der schmalkaldischen Bundesgenossen, allen voran Sachsens und Hessens, verlief auch in diesem Fall der Prozeß ergebnislos und weitete sich der Konflikt nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen aus. Obwohl Gaßner in der Abendmahlsproblematik zunächst Bucers Bemühungen um einen Kompromiß mit Melanchthon bzw. Luther unterstützte, kam es zu Irritationen in dieser Frage, die dazu führten, daß Lindau die Wittenberger Konkordie erst Ende 1536/Anfang 1537 annahm, um nicht 18
Vgl. unten S. 68-75. Vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 50-62; zum Folgenden vgl. ebd., S. 6 2 - 7 6 (Eintritt in den Schmalkaldischen Bund) und S. 77-194 (Entwicklung bis 1580). 19
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Lindau
völlig isoliert zu werden. Wirklich tiefer eindringen und durchsetzen sollte sich die lutherische Richtung allerdings erst ab 1545, als man Matthias Rot nach Lindau berufen hatte, der in Wittenberg studiert hatte und nach Gaßners Tod 1548 die Leitung des Kirchenwesens übernahm 20 . Einen kurzzeitigen Einschnitt in die innenpolitische Entwicklung stellte wie in den anderen evangelischen Reichsstädten die Niederlage des Schmalkaldischen Bundes dar. Als Folge des verlorenen Schmalkaldischen Krieges mußte auch Lindau seine Gesandten Johann Bensberg und Matthias Kurz nach Ulm abordnen, um dort am 7. Februar 1547 den Fußfall vor Kaiser Karl V. zu vollziehen, die kaiserlichen Übergriffe in die Stadtverfassung dulden, eine Strafe von 4.000 Gulden zahlen und schließlich 1548 auch das Interim akzeptieren. In der Frauenkirche wie - mit einiger Verzögerung - in der Stephanskirche wurde nun wieder die Messe gelesen. Verkaufte Kelche, Meßgewänder und Altarausstattungen mußten wieder besorgt werden; in Laimnau, Roggenzell und Weißensberg wurden die evangelischen Prediger von den Amtleuten des Grafen von Montfort vertrieben. Aber schon nach kurzer Zeit durchlöcherten die Lindauer die Interimsregelungen, und die Prädikanten nahmen in St. Stephan ihre Predigttätigkeit wieder auf. Die reformatorischen Änderungen im kirchlichen Leben waren langfristig nicht mehr rückgängig zu machen. Im Fürstenkrieg 1552 zwischen kaiserlicher und fürstlicher Seite schwankend, erreichte man aber vom Kaiser die Zusage auf Erlassung des Interims - was dann im Passauer Vertrag auch reichsrechtlich fixiert wurde - , und die Äbtissin verzichtete auf ihr Patronatsrecht in St. Stephan. Endgültig regelte die Lindauer Agende von 1555 nach dem Augsburger Religionsfrieden das kirchliche Leben. Das - bis auf das Damenstift - evangelisch gewordene Lindau orientierte sich unter seinen neuen religiösen Führern Georg Necker, Johann Marbach und Valentin Rot u. a. immer mehr am Luthertum. Der Lindauer Katechismus von 1573 lehnte sich an Luthers .Großen Katechismus' an, und 1577 unterschrieben Lindaus Prediger und Schulmeister schließlich die Konkordienformel, die den Konsolidierungsprozeß des Lindauer protestantischen Kirchenwesens abschließen sollte.
3. 2 Die Bilderfrage in Lindau Von einem Vorfall gegen religiöse Bilder im Jahre 1529 berichtet ausschließlich die Bertlinsche Chronik 21 : So soll der Täufer Othmar Maurer ein von Hans Schießbeütel auf dem Weg nach Straß 1516 errichtetes (Holz-)Kreuz, welches „vil vermainte Wunder gethan haben soll", bei 20 21
Zu Matthias Rot(h) vgl. PFARRERBUCH B A Y E R I S C H - S C H W A B E N , S . 1 7 3 , Nr. 1017. Vgl. StadtA Lindau, Lit. 19, S. 426; vgl. auch ROTT: Quellen 1/1, S. 196.
Die Bilderfrage in Lindau
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Nacht abgesägt und anschließend zerschlagen haben. Weiterführende Details über Maurer, das wundertätige Kreuz oder den Hergang des nächtlichen Bilderfrevels waren ebensowenig zu ermitteln wie Reaktionen auf den Vorfall, so daß die Deutung als „fanatische Tat", welche die Stadt 1529 „erschreckt" 22 habe, zumindest in Zweifel gezogen werden darf. Ein Jahr später sollte es dann zu einer prinzipielleren Lösung hinsichtlich der Bilderfrage kommen. Wie Jacob Lynn berichtet, wurden „in flne Martii [...] die Alltär, Bilder und gemeldt der heiligen, auch all taflen hinwegckh gethan" 23 . Unklar bleibt allerdings, ob sich dieses ,Hinwegtun' der sakralen Kunst Ende März 1530 auf alle Kirchenausstattungen in Lindau bezog oder auf die Pfarrkirche St. Stephan beschränkte. Diejenigen Chroniken, die lediglich vom Ausräumen in der Pfarrkirche berichten, nennen auch nicht den Termin Ende März 24 und verlagern die Aktion gleich in den Juni desselben Jahres 25 . Denn nach übereinstimmenden Berichten aller Chroniken 26 wurden am 15. Juni die Bilder, Altäre und Gemälde zerstört und verbrannt 27 . Eine dominierende Rolle dabei spielten offenbar die Lindauer Schmiede unter der Führung ihres Zunftmeisters Job Nesar. Ob diese Maßnahmen allerdings mit Zustimmung des Rates stattfanden und ob dieser wiederum auf Gaßners Geheiß handelte, bleibt unklar und wurde erst in 22
23
GESCHICHTE DER STADT LINDAU 1, S. 2 7 0 .
StadtA Lindau, Lit. 18, fol. 85r. Lynn folgt hier den Kröllschen Annalen; vgl. ebd., Lit. 23, S. 123. 24 So etwa die Bertlinsche Chronik; vgl. StadtA Lindau, Lit. 19, S. 431. Den Eindruck, daß bereits im März 1530 die Bilder beseitigt wurden, unterstützt ROTT: Quellen 2/1, S 153f. 25 Die Frage, was mit den Bildern dann zwischen März und Juni passiert sei, versucht WOLFART: Lindau, S. 270, wenig überzeugend mit der Annahme zu erklären, daß man „die herabgenommenen Bilder noch in oder bei der Kirche aufbewahrt" habe. „Bald aber machte man, wie es scheint, wieder mit des Rates Zustimmung und unter seiner Verantwortung, den alten Heiligtümern, auch den an Häusern angebrachten, vollends den Garaus" (ebd.). Das Zerstören von sakraler Kunst an Privathäusern, die Wolfart hier en passant einfugt, ist quellenmäßig nicht zu belegen. 26 Vgl. StadtA Lindau, Lit. 18, fol. 85r und fol. 126r; Lit. 19, S. 431; Lit. 22, S. 195; Lit. 23, S. 123; Lit. 24, S. 51: Lit. 25, S. 256; Lit. 28, S. 130; Lit. 29, S. 92; Lit. 31, S. 192. Die Angabe bei SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 26 mit Anm. 3, die Chroniken würden übereinstimmend den 12. Juni 1530 nennen, ist zu korrigieren, ebenso seine Datierung des „Bildersturms" auf den 22. Juni 1530 (ebd., S 51). ROTT: Quellen l/II, 196 bei Anm. 6, zitiert noch eine weitere Lindauer Chronik von 1629, die die Bilderentfernung allerdings auch auf den 15. Juni 1530 datiert. 27 In dem entsprechenden Band der Ratsprotokolle, der neben nicht immer chronologisch geordneten Protokolleinträgen v. a. Abschriften von Briefen, Verträgen und Bündnisverhandlungen enthält, waren keine Hinweise auf die Ereignisse zu finden, so daß letztlich keine Klärung über die genauen Termine und Vorgänge zwischen März und Juni 1530 gefunden werden kann; vgl. StadtA Lindau, RPr 1528-1531.
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Lindau
den späteren stadtgeschichtlichen Darstellungen hinzugefügt 28 . Des weiteren berichten die Chroniken, daß bei der Aktion am 15. Juni Bürgermeister Calixt Hünlin eingeschritten sei und Nesars Unterfangen, auch noch die Orgel zu zerstören, gestoppt habe 29 . Diese Orgel war erst 1518 fertiggestellt worden, nachdem die 1511 ein Brand die alte Orgel schwer beschädigt hatte. Das neue Orgelprospekt hatte auch hölzerne Flügel mit Bildern zu bieten; dargestellt wurden die Geburt Christi, Wurzel Jesse und Anbetung der Könige 30 . Die Erwähnung, daß der Bürgermeister gleich einschreiten und die Zerstörung der Orgel unterbinden konnte, läßt vermuten, daß er bzw. der Rat zumindest vom Vorgang der Entfernung der Kunstwerke in der Stadt unterrichtet war und eventuell (vielleicht in Begleitung weiterer Ratsherren) sogar das Geschehen als Beobachter erlebte. Ist diese Vermutung zutreffend, kann man für Lindau kaum von einer spontanen Volksaktion sprechen, und es dürfte auch nicht ein allzu chaotisches Vorgehen gegeben haben, sondern eher eine ordentliche Bilderentfernung vorliegen. Zwei Jahre nach Abschaffung der Messe war somit ein weiterer demonstrativer Schritt auf dem reformatorischen Weg getan 31 . Der städtische Rat könnte die Bilderentfernung initiiert haben, letztlich zu klären ist diese Frage allerdings wegen der Quellenlage nicht. Die Charakterisierung Schulzes, daß die Aktionen wohl kaum auf Gaßners Geheiß hin geschahen, sondern der Rat „sich Zwingli, nach dem Scheitern dessen oberdeutscher Bündnispläne, wenigstens in der Bilderfrage glaubensverwandt zeigen und Zwingli andeuten [wollte], er könne auch weiterhin mit Lindau rechnen" 32 , ist reine Spekulation. Ebenso unbegründet ist Wolfarts Interpretation der Aktionen am 15. Juni 1530 als Demonstration Lindaus gegen Kaiser Karl V., der am selben Tag ins nahe gelegene Augsburg eingezogen war 33 .
28 Dieses Bild vermitteln v. a. die Arbeiten Wolfarts, so etwa WOLFART: Lindau, S. 270; danach auch DOBRAS: St. Stephan, S. 2 und S. 18 (1530 werden auf Geheiß des Rates Nebenaltäre und Bilder entfernt); DIE EVANGELISCHEN KIRCHENORDNUNGEN DES XVI. JAHRHUNDERTS 12, S. 182; zuletzt auch WOLFART: Religion, S. 53f. 29 Über diesen Vorfall kam es zum Streit zwischen Hünlin und Nesar, der 1532 vom Rat geschlichtet werden mußte; vgl. SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 27 (mit Verweis auf StadtA Lindau, RPr 1532-1549, Eintrag zu Juni 1532). 30
V g l . DIE BEMALTEN ORGELFLÜGEL IN EUROPA, S. 9 6 - 9 8 .
31
Die Schilderung Michalskis, in Lindau seien zuerst die Bilder und dann erst die Messe abgeschafft worden, ist zu korrigieren; vgl. MLCHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 74. 32
33
SCHULZE: B e k e n n t n i s b i l d u n g , S. 27.
Vgl. WOLFART: Lindau, S. 270f. Wolfart stützt sich dabei auf die Annales Lindaviensis der Gebrüder Neukomm; vgl. StadtA Lindau, Lit. 25, S. 256. - Siehe dazu bereits die kritische Stellungnahme von MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 77, Anm. 21.
Die Bilderfrage in Lindau
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Um die Frage, ob die Bilderentfernung des Jahres 1530 nur die Pfarrkirche St. Stephan oder auch die anderen Lindauer Kirchen betroffen hat, weiter erhellen zu können, soll nun der Blick auf die erhaltenen bzw. zerstörten Ausstattungen dieser Gotteshäuser geworfen werden. Von den sechs oder sieben Altären und der weiteren mittelalterlichen Ausstattung 34 in St. Stephan ist nichts erhalten 35 . Dies untermauert die Vermutung, daß sich die Aktionen 1530 schwerpunktmäßig auf St. Stephan beschränkt haben und die Schmiede „ganze Arbeit geleistet haben". Was von den Bildwerken wirklich zerstört und lediglich entfernt und eventuell an einem anderen Ort noch aufbewahrt worden ist, bleibt ungeklärt 36 . Das Innere von St. Stephan wurde nach 1530 bald durch Umbauten, etwa den Einbau von Emporen, in eine Predigtkirche umgewandelt. 1560 stellte man eine neue Orgel auf, und seit Anfang des 17. Jahrhunderts fanden auch wieder Kunstwerke Eingang 37 . Anders verhielt es sich mit der Stiftskirche St. Marien, die als katholische Enklave in der Stadt bis zur Aufhebung in der Säkularisation 1802 bestand. Aus einem Schreiben des Gesandten Hans Faber an den Abt des Klosters Isny vom 6. Juli 1534 geht hervor, daß es 1530 und auch Anfang 153438 keine Übergriffe in der Frauenkirche gab, da der Rat offenbar den Rechtsbruch scheute 39 . Daß sich von ihrer mittelalterlichen Sakralkunst 34
WOLFART: Reformation, S. 6, berichtet von sieben Altären (St. Stephan, Unsere Liebe Frau, Drei Könige, St. Barbara, St. Wolfgang, St. Maria Magdalena und Justina geweiht), an anderer Stelle erwähnt er allerdings (WOLFART: Lindau, S. 301) nur sechs Altäre. Außerdem sollen nach Wolfart bei den Aktionen in der Reformationszeit auch zwei steingemeißelte Standbilder des Hl. Stephanus und des Hl. Laurentius am Hauptportal der Außenwand zerstört worden sein. 35 Vgl. KDBay Lindau, S. 24-37; DOBRAS: St. Stephan. ROTT: Quellen l/II, S. 153, vermutet, daß der Maler Hans Strigel aus Memmingen in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts mit der Erstellung eines Altar-Retabels beauftragt wurde. 36 Vgl. ROTT: Quellen 1/1, S. 196. 37 Vgl. KDBay Lindau, S. 28. 38 Dieser neuerliche Versuch, Messe und Bilder abzustellen, wird in dem Bericht des Isnyer Klosterhofmeisters Bittelschieß überliefert; BlTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 39: „[...] daß auff Donnerstag Visitationis Mariae verschinen [= 2. Juli 1534]/ die von Lindaw/ mit Rhat und Gemeind sich entschlagen/ oder entschlossen/ die Meß/ und all Kirchenbräuch/ in ihr Statt/ unnd auff dem Land/ der End sie Gebott und Oberkeit haben: dieweil es ein Grewel vor Gott/ und Gottslesterung seye/ weiter zuhalten und zugebrauchen/ nit mehr gestatten/ noch zulassen werd." Zu der Quelle vgl. unten S. 199, Anm. 2. 39 BlTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 41: „Aber ihr Gnad [= Lindauer Rat] hat der Meß und ander Ordnung der Kirchen müssen abstehen/ und aber die Bilder/ und anderer Kirchen Zierten hinweg zuthun/ ist nie gedacht [Hervorhebung; G. L.]/ dann daß mein Gnedige Fraw [= Äbtissin des Lindauer Klosters] gegen den Gesandten angezogen/ daß ein Rhat Fürsehung thüe/ daß ihr Gnaden in der Kirchen/ der ding halb kein Schmach noch Verletzung geschehe." - Zum Zusammenhang mit den Ereignissen in Isny und mit dem Herzogtum Württemberg vgl. unten S. 205-210.
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Lindau
allerdings keine Reste erhalten haben, ist die Folge des großen Stadtbrands von 1728, durch den sie fast völlig zerstört wurde. Die meisten erhaltenen Ausstattungsgegenstände stammen daher erst aus der Zeit des Neubaus ab 1748; aus der Zeit vor Einführung der Reformation findet sich lediglich ein hölzernes Chorbogenkruzifix aus dem frühen 16. Jahrhundert 40 . Ganz anders stellt sich die Situation in den beiden nächsten Lindauer Gotteshäusern dar: Charakteristisch sind für die Peters- bzw. für die Barfüßerkirche die erhaltenen Wandmalereien. Die Peterskirche war nach 1528 unbenutzt und diente später als Militärmagazin; die teils vor, oder teils kurz nach 1500 entstandenen Wandmalereien wurden erst 1849 wiederentdeckt 41 , um 1850, 1922 und 1965 restauriert und zuletzt in der Literatur zum größten Teil dem Lindauer Maler Matheis Miller zugeschrieben 42 . Zu sehen waren an den Wänden von St. Peter zwölf Passionsszenen und Szenen aus dem Leben des Petrus an der Nordwand des Langhauses, ein Fresko mit der Gesetzgebung auf dem Berg Sinai an der südlichen Längswand, eine Darstellung des Jüngsten Gerichts im Triumphbogen 43 , darunter eine Anna Selbdritt am rechten unteren Chorbogen 44 und ein Hl. Hieronymus an der Leibung des Triumphbogens, eine Marienkrönung in der Apsiskuppel und Pauli Bekehrung. Von Zerstörungen, die aus dem Jahr 1530 herrühren könnten, wird in den Protokollen der Restauratoren ebensowenig berichtet wie von Übermalungen. Da die Peterskirche allerdings seit 1528 nicht mehr für gottesdienstliche Belange gebraucht wurde, ist in dieser „Nichtnutzung" wohl der Grund für die Erhaltung der Wandmalereien zu sehen 45 . Weitere Wandmalereien haben sich in der ehemaligen Barfüßerkirche erhalten. Seit 1528 höchstens noch für Christenlehren benützt, funktionierte man das Gebäude später zur evangelischen Dreifaltigkeitskirche, Stadtbibliothek und Kaserne, zum Gefängnis, Zeughaus und schließlich 40
Zur Stiftskirche vgl. KDBay Lindau, S. 37-60, bes. S. 52 und S. 102-107. Vgl. L O C H N E R : Wandgemälde, S . 6 5 - 7 3 ; KDBay Lindau, S . 6 0 - 6 8 (dort werden auf S . 6 3 auch noch Reste von Wandmalereien um 1 3 0 0 erwähnt!); J O R D A N / G R Ö B E R : Heimatmuseum, S. 28. 42 Vgl. FRISCH: Miller, S. 41-48 (mit Abb.) und S. 92-104. Die Arbeiten Millers in der Peterskirche zogen sich wohl über mehr als ein Jahrzehnt hin und überschnitten sich wohl mit seinen Freskenmalereien in der Barfußerkirche; zur Datierangsfrage vgl. ebd., S. 48f. 43 Vgl. FRISCH: Miller, S. 42-45. Frisch vermutet, daß Miller hier auf eine Albrecht Dürer zugeschriebene Zeichnung zurückgriff. 44 Nach KDBay Lindau, S. 67, befand sich an dieser Ostwand des Schiffes noch eine Darstellung eines Hl. Markus, der später in einen Hl. Petrus verwandelt wurde. Dieses Bild und die Anna Selbdritt sollen erst um 1530 entstanden sein! F R I S C H : Miller, S. 39f, vermutet ebenfalls ein Fresko des Hl. Petrus, welches mit der Anna Selbdritt durch eine profilierte Architekturmalerei verbunden war, allerdings bei der Restaurierung um die Mitte des 19. Jahrhunderts zerstört wurde. 45 Zu dem Phänomen der „Nichtnutzung" vgl. FRITZ: Kraft, S. 10. 41
Die Bilderfrage in Lindau
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zum Theaterraum um 46 . Zu erwähnen ist v. a. das 4,15 x 4,9m große Fresko mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts von 1516, gestiftet von einem Mitglied der Patrizierfamilie (Christoph?) Bürgi, wie die Wappen des Stifterpaares (Bürgi und Ettlinstetter?) anzeigen. Zunächst wurden die Secco-Malereien mit Hans Murer d. J. und Holbein d. Ä. in Verbindung gebracht 47 , nach den Forschungen Frischs gelten sie jedoch als „eigenständigstes und bestes Werk" 48 des Lindauer Maler Matheis Miller. Wie Frisch durch eine Untersuchung der Farbpartikel nachweisen konnte, war das Bild niemals insgesamt übermalt, nur bei wenigen Figuren am unteren Rand des Bildes finden sich ausgestochene Augen, die sich laut Frisch als „eine Folge von Beschädigungen während der Jahre der Bilderstürme" 49 deuten lassen könnten. Größere Eingriffe wurden erst bei der Restaurierung 1851 vorgenommen. Neben der Gerichtsszene existierten in der Barfußerkirche noch weitere Wandgemälde, die offenbar als Epitaphienschmuck dienten, wie die Stifterwappen und Spruchbänder vermuten lassen: In der Nebenkapelle an der Nordostecke ein um 1520 datiertes Gemälde mit Gottvater, den Leichnam Christi haltend, daneben Maria, der Hl. Sebastian und der Hl. Rochus 50 ; in der Südwestecke Christus mit Dornenkrone und Maria mit dem Schwert in der Brust; daran anschließend an der Südwand beginnend und sich bis zur Westwand fortsetzend die Darstellung von zwei Engeln, den Rock Christi haltend. Schließlich kann man im ehemaligen Kreuzgang auch noch eine Beweinung Christi finden. Wie die Chronik der Brüder Neukomm von 1608 berichtet, war in der Barfüßerkirche auch noch ein 1461 gemaltes Tafelbild mit der Darstellung einer Schutzmantelmadonna erhalten: „Stehet noch zu sechen a[nn]o 1608." 51 Über den Verbleib dieser Tafel finden sich allerdings keine weiteren Nachrichten mehr. Keine Aussagen sind über die Ausstattungen der Lindauer Kapellen überliefert. Bekannt ist lediglich, daß die Kapelle auf dem Friedhof beim Leichenhaus eingeebnet wurde. In der 1515 erbauten, von der Lindauer
46
V g l . K D B a y L i n d a u , S. 6 8 - 7 3 ; LOCHNER: W a n d g e m ä l d e , S. 7 3 - 7 7 ; WOLFART: R e -
formation, S. 8. 47 Vgl. LOCHNER: Wandgemälde, S. 76; ROTT: Quellen l/II, S. 154. 48 FRISCH: Miller, S. 31-34 und 76-82, Zitat S. 31. 49 Vgl. FRISCH: Miller, S. 80 mit Anm. 163 (Verweis auf den Restaurierungsbericht von Toni Mayer von 1967). Wieso die Zerstörungen der Augen dieser Personen unbedingt mit den reformatorischen Vorgängen in Verbindung gebracht werden müssen, läßt Frisch offen. 50 Von LOCHNER: Wandgemälde, S. 76, noch Holbein d. Ä. zugeschrieben, hält FRISCH: Miller, S. 50f und S. 105f, auch dieses, allerdings durch den Abbruch der Nebenkapelle 1951 stark beschädigte Fresko für ein Werk Millers. 51 StadtA Lindau, Lit. 25; vgl. auch ROTT: Quellen 1/1, S. 196 mit Anm. 2.
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Lindau
Patrizierfamilie Krell (Kroel) gestifteten Kapelle im alten Aeschacher Friedhof scheint es zu keinen Übergriffen gekommen zu sein 52 . Ob z. B. die Trauernde Maria aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, die Beweinung Christi (um 1400) oder zwei Flachreliefs, Heiligenfiguren und die Kreuztragung zeigend (Ende 15./Anfang 16. Jh.), die sich heute im Lindauer Stadtmuseum befinden, aus einer der Lindauer Kirchen stammen, ist nicht mehr zu klären; die Schnitzfigur einer Muttergottes aus dem Umkreis von Hans Multscher (um 1470) kam angeblich aus Lochau bei Bregenz in die Lindauer Sammlung 53 .
3. 3 Die Entfernung der Bilder im Lindauer Landgebiet Bedingt durch die komplizierten Herrschaftsverhältnisse, wurde der Einführung der Reformation und damit auch der Entfernung der sakralen Kunstwerke in den Dörfern besonders von den kaisertreuen und altgläubigen Ständen - erwähnt sei hier v. a. Graf Hugo von Montfort 54 - erheblicher Widerstand entgegengebracht. Ähnlich schlecht wie für die Reichsstadt selbst ist auch hier die Quellensituation bestellt. Die 1482 erstmals erwähnte St. Leonhardskapelle in Hoyren-Schachen war seit der Reformation aufgelassen, die St. Wolfgangskapelle in Rickenbach wurde 1769 durch eine Hochwasserkatastrophe vernichtet 55 . In der Pfarrkirche St. Verena in Reutin führten die Lindauer Verantwortlichen zunächst den evangelischen Gottesdienst ein, bevor man am 17. Juni 1534 die „Gözen und bilder [...] auß der kirchen gethan" hat, dabei aber den „Stüblins leuten befohlen, das solches ordenlich und in stille zuging" 56 . Dem Aufruf zum geordneten Ausräumen kam man offensichtlich 52 Vgl. KDBay Lindau, S. 208-215: Erwähnt wird ein Schlußstein mit Christuskopf von 1515 und der aus der Stephanskirche in die Kapelle verbrachte Grabstein des Lindauer Bürgermeisters Ulrich von Schomburg von 1523; der weitere Epitaphschmuck ist jüngeren Datums. 53 Vgl. SPRUSANSKY: Reformation, S. 24, Nr. 1 mit Abb. 5 und S. 25, Nr. 6; KDBay
L i n d a u , S. 1 1 4 f ; JORDAN/GRÖBER: H e i m a t m u s e u m , S. 2 8 - 3 0 m i t A b b . 2 3 - 2 5 . 2 9 . 3 0 . -
Leider konnte die Akte 633 (Verbringung von Bildern aus dem Museum in die St. Stephanskirche) weder im Ev. Pfarramt noch im Stadtarchiv Lindau aufgefunden werden. 54 Vgl. dazu ZELLER: Heilig-Geist-Spital, S. 104f. 55 Vgl. KDBay Lindau, S. 224f und S. 238f. 56 StadtA Lindau, Lit. 19, S. 438; der Chronist stützt sich dabei auf den Eintrag im Ratsprotokoll (StadtA Lindau, RPr 1532-1549, fol. 43; abgedruckt in: ROTT: Quellen 1/1, S. 196). - Der von SCHULZE: Bekenntnisbildung, S. 87, vermittelte Eindruck, daß dieses vom Lindauer Rat organisierte und durchgeführte Vorgehen gegen die Bilder im Gegensatz zu den Ereignissen 1530 in der Stadt selbst stehe, ist nicht zutreffend; vgl. oben S. 70f. WOLFART: Reformation, S. 21, kommentiert die Vorgänge in der ihm eigenen Prosa: „Keine Hand rührte sich für die alten Bilder und Gebräuche, kein Herz hing mehr an
Die Entfernung der Bilder im Lindauer
Landgebiet
75
nach, haben sich doch lediglich wenige Vasa sacra vom Ende des 16. Jahrhunderts erhalten. Die Pfarrkirche wurde 1869 abgebrochen und 1870/71 durch einen Neubau ersetzt 57 . Nachdem der Lindauer Rat 1534 die Pfarrer von Weißensberg, Oswald Egg, und Sigmarszell, Simon Sinz, aufgefordert hatte, die Bilder abzuschaffen, kam man zunächst in Sigmarszell 1536 dieser Aufforderung nach, vermerkt doch das Ratsprotokoll zum 20. März 1536: „Erraten, wie yetzt vergangen wuchen die götzen zu Sigmarszell hinwegk geton worden, also sollen sy zu Wysensperg auch wegk geton werden." 58 Offenbar entfernte man auch die religiösen Bilder in Weißensberg, denn die Ausstattungsgegenstände der beiden später wieder katholisch gewordenen Kirchen St. Gallus in Sigmarszell und St. Markus in Weißensberg sind alle jüngeren Datums 59 . Das Problem der religiösen Kunst wurde in Lindau erst zu einem Zeitpunkt in Angriff genommen, als der reformatorische Erneuerungsprozeß schon weit fortgeschritten war. Nach Aussage der überlieferten Quellen kam es dabei nicht zu tumultuarischen Szenarien bzw. konnte das Einschreiten obrigkeitlicher Vertreter diese verhindern. Das „Hinwegtun" beschränkte sich höchstwahrscheinlich auf die Pfarrkirche St. Stephan, die für die Peters- und für die Barfüßerkirche typischen Wandmalereien blieben erhalten, die Frauenkirche war von den Aktionen nicht betroffen. Der Versuch, die religiösen Bilder auch in den zugehörigen Dörfern zu entfernen, traf auf großen Widerstand und gelang nur vereinzelt.
ihnen, keine Träne wurde ihnen nachgeweint. Das Alte fiel ab wie das welke Laub, wenn der neue Saft in die Zweige steigt. Die Predigt des reinen Wortes hatte ihre Wirkung getan, sie hatte die Herzen mit einem neuen Geist erfüllt." 57 Vgl. KDBay Lindau, S. 235-238. 58 StadtA Lindau, RPr 1532-1549, fol. 62; vgl. auch ROTT: Quellen Ml, S. 196; WOLF ART: R e f o r m a t i o n , S . 2 4 . 59
Vgl. KDBay Lindau, S. 460-463 und S. 543.
Kapitel 4
Reutlingen 4. 1 Reutlingen und die Reformation 1 Das unterhalb der Burg Achalm liegende Reutlingen war von den Stauferkönigen gegründet und gefördert worden. Die Herausbildung einer städtischen Selbstverwaltung mit Rat, Bürgermeister und Zunftmeistern seit dem Ende des 13. und im Laufe des 14. Jahrhunderts - seit 1343 ist kein Schultheiß mehr genannt - wurde immer wieder erschwert durch die württembergischen Herzöge, deren Territorium die Reichsstadt umschloß. Im 14. Jahrhundert hatte der Kaiser dem mächtigen Nachbarn und Widersacher sogar noch die Vogteirechte auf der Achalm verpfändet, was den Württembergern reiche Steuereinkünfte aus der Stadt sicherte. Trotzdem gelang es der kleinen Reichsstadt im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts, ein bescheidenes Territorium zu erwerben, zu welchem die Dörfer und Weiler Wannweil, Ohmenhausen, Bronnweiler mit dem Gut Alteburg, Hugenberg, Betzingen, Gomaringen mit Stockach, Ziegelhausen und Hinterweiler gehörten 2 .
1 Die Quellen für diese Epoche der Reutlinger Stadtgeschichte sind durch Brände und Kriegseinwirkung dezimiert worden. Im Stadtarchiv und im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv finden sich wenige Akten, die Ratsprotokolle fehlen völlig. Man ist daher meist auf die chronikalischen Berichte angewiesen, die mit relativ großem zeitlichen Abstand und oft in tendenziöser Weise die Ereignisse schildern: Zunächst ist die Reimchronik des Jakob Frischlin von 1595/1613 zu erwähnen; vgl. die Edition bei KRAUSS: Frischlin-Chronik. Im 17. Jh. folgen wiederum eine Reimchronik des Schulmeisters Johann Fizion (FLZION: Cronica, S. 236-280) und die Beschreibung seines Amtsnachfolgers Lorenz Hoffstetter (HOFFSTETTER: Chronic, S. 42f. 53-57. 61-65) mit Auszügen aus dem verlorengegangenen ,Archivum Arcanorum' des Bürgermeisters Matthäus Beger von 1633. Dem 18. Jh. entstammt die Chronik von FÜSING: Reformatione. Zur Bedeutung dieser Chroniken und der Abhängigkeiten untereinander vgl. KRAUSS: Frischlin Chronik, S. 73f. 169-176. 186-188. - Zur Reformation in Reutlingen vgl. BRECHT: Reutlingen und die Reformation, S. 5-23; REUTLINGEN. Geschichte einer Stadt, S. 85-112; REUTLINGEN. Streifzug durch die Stadtgeschichte, S. 23-26; BETZ: Reutlingen und die Reformation, S. 9-48; GAYLER: Denkwürdigkeiten. 2 Vgl. die Abbildung der Karte des Reutlinger Territoriums aus dem Heimatmuseum Reutlingen in: HOFFSTETTER: Chronic, S. 66; REUTLINGEN. Geschichte einer Stadt, S. 80-84; REUTLINGEN. Streifzug durch die Stadtgeschichte, S. 20.
Reutlingen
und die
Reformation
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1505 schloß die Reichsstadt einen - zunächst auf 51 Jahre befristeten Bündnisvertrag mit Württemberg, der Reutlingen vor Übergriffen des Herzogs gegen ein jährliches Schutzgeld und die Unterstützung im Kriegsfalle sichern sollte. Was dieser Vertrag aber wert war, zeigte sich im Jahre 1519, als Herzog Ulrich von Württemberg nach der Ermordung des Burgvogtes in Reutlingen die Stadt besetzte und zur württembergischen Landstadt machte. Nach der Vertreibung Ulrichs durch die Truppen des Schwäbischen Bundes wurde das Herzogtum dem vorderösterreichischen Besitz der Habsburger angegliedert, was sich nach Wiederherstellung der Reichsstadt natürlich auch auf die Anfänge der Reformationspolitik in Reutlingen auswirken sollte. Im vorreformatorischen Reutlingen befanden sich folgende geistlichen Institutionen: die Marienkirche, die Spitalkirche 3 , das Franziskanerkloster mit seiner Kirche, die Franziskanerinnen-Klause St. Leonhard, die Katharinenkirche auf dem Friedhof und 12 Kapellen 4 , fünf davon in den vorhandenen Klosterhöfen. Daneben werden mehrere Beginenhäuser und zwei Sammlungshäuser (Hollen-Sammlung bei der Marienkirche, Reichen- oder von-Rast-Sammlung) erwähnt. Der Mittelpunkt des religiösen Lebens war zweifelsohne die Marienkirche, die aus einer in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert innerhalb der Stadtmauern errichteten Kapelle hervorgegangen war und sich durch das Engagement der Bürgerschaft zu einem der bedeutendsten Bauten der hochgotischen Epoche in Schwaben entwickelt hatte 5 . Von Bedeutung ist, daß die Marienkirche bis 1538/39 (!) keine Pfarr-, sondern lediglich eine Filialkirche der vor den Stadtmauern liegenden Pfarrkirche St. Peter in den Weiden war. Diese Pfarrkirche St. Peter wiederum war dem Kloster Königsbronn inkorporiert, und seit 1308 übte der Königsbronner Abt das Patronatsrecht aus und schickte einen Vikar nach Reutlingen, der zusammen mit drei Helfern die Aufgaben an der Marienkirche versah 6 . 3 Die Spitalkirche zum Hl. Geist war 1333 erbaut worden und diente gleichzeitig als Ratskapelle. 1435 hatte der Rat dort die erste Prädikatur gestiftet. 1555 erweiterte man den Bau. 4 Vgl. die polemische Darstellungsweise bei der Aufzählung der Kapellen bei FÜSING: Reformatione, S. 14: „[...] so dann aber/ nach damahliger päpstlicer Weisung und Religions-Arth ihrem gewiesen selbst-gemachten Heiligen/ als dem S. Leonhardo, S. Antonio, S. Nicoiao etc. als auch den wahrhafften Heiligen/ als dem Heiligen Geist/ S. Petro, S. Paolo, S. Johanni, Baptistae & Evangelistae gestifftet und geweyhet." 5 DEHIO: Württemberg, S. 574-578; KNORRE: Marienkirche, S. 2 - 1 3 ; zur kunstgeschichtlichen Bedeutung der Marienkirche und zur umstrittenen Baugeschichte bezüglich der Anfänge vgl. KADAUKE: Marienkirche, S. 57f und S. 78-88. 6 Die Pfarrkirche vor den Toren der Stadt wird auch unter dem Patrozinium St. Peter und Paul geführt. Erst im Zuge der reformatorischen Neuerungen verkaufte das Kloster Königsbronn 1533 die Peterskirche an das Reutlinger Spital, was bedeutete, daß der Reutlinger Rat nunmehr uneingeschränkt die Patronatsrechte ausüben konnte. 1539 ließ
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Reutlingen
Seit 1521 machte Matthäus Alber, Sohn eines Reutlinger Goldschmieds, als erster die Reutlinger mit reformatorischem Gedankengut vertraut 7 . Nach dem Studium in Tübingen und Freiburg 8 versah er seit 1521 die Prädikatur an der Marienkirche, die der Rat der Stadt erst 1518 errichtet hatte. Unter dem Schutz der Ratsherren konnte Alber gegen den Widerstand des Konstanzer Bischofs und Erzherzog Ferdinands, die auf eine Einhaltung des Wormser Edikts und ein Verbot der evangelischen Predigten drängten, fiir die neue Lehre eintreten. Eindrucksvoll bekräftigte die Gemeinde im sog. „Reutlinger Markteid" 1524, bei dem Gotteswort zu bleiben und dasselbe zu schützen - auch gegen die taktische und daher äußerst zurückhaltend agierende Obrigkeit, als es wegen der Förderung der lutherischen Lehre zu „außenpolitischen" Turbulenzen kam und Alber vor das Reichskammergericht in Esslingen geladen wurde 9 . Alber las erstmals im Februar 1524 die Messe in deutscher Sprache, teilte das Abendmahl unter beiderlei Gestalt aus und heiratete im gleichen Jahr. Gegen den Widerstand des Klosters Königsbronn billigte der Rat nach dem Bauernkrieg, durch den Reutlingen nicht direkt betroffen worden war, und dem Speyrer Reichstagsabschied von 1526 die Abschaffung der Messe. Zusammen mit seinen Kollegen Johannes Schradin 10 und Martin Reiser widmete sich Alber in den folgenden Jahren der Neuordnung des Gottesdienstes - die Luthers Billigung fand - , den Auseinandersetzungen mit den Täufern und Fragen der neuen Kirchenordnung 11 . Der Zitation des man die Kirche St. Peter (und Paul) abbrechen, und die Marienkirche wurde zur Pfarrkirc h e . V g l . D I E M A R I E N K I R C H E ZU REUTLINGEN, S . 6 - 1 2 . 7
Zu Matthäus Alber (1495-1570) und seinem Werk vgl. BADEN-WÜRTTEMBERGI-
SCHES PFARRERBUCH 3, S. 19f, Nr. 2 (Lit.); HERMLE: Alber; RUBLACK: Art. A l b e r (Lit.);
RUBLACK/SCHEIBLE: Alber als Reformator Reutlingens; MATTHÄUS ALBER. Reformator von Reutlingen; BRECHT: Albers Theologie. 8 1513 immatrikulierte er sich in Tübingen, wo er 1516 zum Baccalaureus und 1518 zum Magister artium graduierte. Humanistisch geprägt, unterrichtete er dann in der Reutlinger Lateinschule und nahm an Melanchthons Kursen über griechische Grammatik teil. Diesen begleitete er nach Wittenberg und setzte danach sein Studium an der theologischen Fakultät in Tübingen, seit 1520 in Freiburg fort, wo er 1521 den Grad eines Baccalaureus formatus erwarb. Zum Doktor der Theologie wurde er 1539 in Tübingen promoviert. 9 Zu den Vorgängen um den „Reutlinger Markteid" vgl. REUTLINGEN. Geschichte einer Stadt, S. 94-96. - In Esslingen, wohin der Sitz des Reichsregiments 1524 von Nürnberg verlegt worden war, kam es Anfang Januar 1525 zwar zu dem einzigen Verfahren gegen eine Reichsstadt wegen Übertretung des Wormser Edikts; der Prozeß hatte jedoch letztlich keine Konsequenzen für die Stadt, da das Reichsregiment auf ein Urteil verzichtete. 10 Zu Johannes Schradin ( | 1560/61) vgl. V O T T E L E R : Schradin, S. 21-71; B A D E N WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S. 9 4 , N r . 3 6 8 ( L i t . ) .
" Die Reutlinger Kirchenordnung ist weder datiert noch signiert, dürfte aber maßgeblich von den Prädikanten Alber, Schradin und Reiser formuliert worden sein; vgl.
Reutlingen und die Reformation
79
Konstanzer Bischofs vor das bischöfliche Gericht in Radolfzell im Januar 1528 kam Alber nicht nach, was ihm die Verhängung des Bannes einbrachte. Seine lutherische Haltung bekundete Reutlingen nach außen durch die Annahme der Confessio Augustana in Augsburg 1530, die sie als einzige Reichsstadt neben Nürnberg unterzeichnete 12 , und durch den Beitritt zum Schmalkaldischen Bund 1531. In beiden Fällen war es Reutlingens führender Politiker der Reformationszeit, Bürgermeister Jos Weiß 13 , der die Stadt vertrat und den reformationsfreundlichen Kurs maßgeblich beeinflußte. Ab 1531 erfolgte der Ausbau des reformatorischen Kirchenwesens, der u. a. auch die Bilderfrage im Frühjahr 1531 ins Zentrum des Interesses rückte 14 . Ein wichtiger rechtlicher Schritt folgte 1533, als das Kloster Königsbronn das Patronatsrecht an der Pfarrkirche St. Peter dem Spital der Reichsstadt verkaufte. 1535 verließen die Franziskaner die Stadt, und ihr Kloster diente fortan als Neues Spital. 1536 folgte die Annahme der Wittenberger Konkordie. 1539 brach man die Kirche St. Peter vor den Toren ab, und die Geschicke der neuen Pfarrkirche St. Marien lagen nun endgültig im Entscheidungsbereich der städtischen Bürgerschaft. Als Folge der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes mußte auch in Reutlingen das Interim am 4. Juli 1548 angenommen werden, wobei sich eine Gruppe von Widerständlern um den Stadtschreiber Benedikt Grötzinger formierte 15 . Alarmiert durch die Ereignisse in Ulm, verließen Alber, Schradin und Martin Reiser 16 die Stadt 17 . Aber weder das bis 1552/53 geltende Interim noch die kaiserlichen Eingriffe in die Stadtverfassung in MATTHÄUS ALBER. Reformator von Reutlingen, S. 60-75. Für die Datierung in das Jahr 1531 spricht die Tatsache, daß die erwähnte Entfernung der „unreinen Altäre und allerlei Götzendienstes" aus dem Blickfeld nun „gottlob [...] beinahe geschehen" sei (ebd., S. 62). Vgl. dazu auch RUBLACK/SCHEIBLE: Alber als Reformator Reutlingens, S. 58 mit Anm. 6 0 . 12 Zur Reutlinger Handschrift des Augsburgischen Bekenntnisses vgl. SCHWARZ: Confessio Augustana, S. 65-101. 13
Z u i h m v g l . W U N D E R : J o s W e i ß , S. 4 9 - 6 4 ; MATTHÄUS ALBER. R e f o r m a t o r
von
Reutlingen, S. 4 9 - 5 8 . 14
Vgl. unten S. 80-85. Zu Benedikt Grötzinger vgl. BURGER: Stadtschreiber, S. 308 mit Anm. 860. 16 Zu Martin Reiser (1488-1559) vgl. BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S. 86, Nr. 319 (Lit.); Reiser übernahm zunächst eine Dorfpfarrei, wich dann nach Urach aus und kam 1552 als Pfarrer nach Reutlingen zurück, wo er 1559 starb. 17 Vgl. unten S. 98. - Alber betätigte sich seit 1549 als Stiftsprediger in Stuttgart und wurde 1563 zum ersten evangelischen Abt des Klosters Blaubeuren gewählt. Dort verstarb er am 1. Dez. 1570, und noch im Todesjahr entstand ein Epitaph, auf dem ein Kruzifix inmitten einer Landschaft dargestellt ist, vor dem Alber mit seiner Familie betet; vgl. MATTHÄUS ALBER. Reformator von Reutlingen, S. 36f (Abb.). - Zu Albers Rolle bei der Rettung des Blaubeurener Hochaltar-Retabels 1567 vgl. oben S. 53. 15
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Reutlingen
Form der Einsetzung des sog. Hasenrates 1552 konnten die protestantische Lehre beseitigen oder nachhaltig gefährden. Mit dem Augsburger Religionsfrieden gewann die lutherische Position endgültig die Oberhand. Das Kirchenwesen wurde in der selbständigen Superintendentur Reutlingen neu organisiert, 1557 kehrte Schradin als Hauptprädikant zurück, und 1577 unterzeichnete man die Konkordienformel.
4. 2 Reutlingens Weg in der Bilderfrage Die Frage, wie man in Reutlingen mit der „Problematik des religiösen Bildes" umgegangen ist, ist angesichts der schlechten Überlieferungssituation sehr schwierig zu beantworten. Nicht gerade erleichtert wird das Verständnis der Vorgänge durch das in der Literatur vermittelte, meist unproblematisierte Bild eines „Bildersturmes" in der Karwoche des Jahres 153118. Aktionen gegen Bilder bis zum Jahr 1531 sind nicht überliefert. Daß das Thema allerdings bereits in den 1520er Jahren eine Rolle gespielt hat, belegen sowohl ein Schreiben des Augsburger Rates Anfang 1525, in welchem die Reutlinger Gesandten auf dem Ulmer Bundesstädtetag ermahnt werden, von Ausräumaktionen gegen Bilder Abstand zu halten 19 , als auch eine erst viele Jahre später gemachte Aussage Albers auf dem , Uracher Götzentag' 1537. Angeblich habe Alber neun Jahre gepredigt, bis die Bilder, die ,schriftwidrig verehrt' wurden, beseitigt worden seien 20 . Leider sind keine dieser Predigten aus den Jahren 1522 bis 1530 überliefert, und die beiden einzigen gedruckten Reutlinger Predigten aus der Passions- und Osterzeit 1531 erwähnen die Bilder mit keinem Wort 21 . 18
Vgl. unten S. 89. VOGT: Correspondenz 6, S. 348, Nr. 95: „[...] werde wir von unser gesanten, die wir auf nächsten der pundtsvrewandtn stedttag zu Ulm gehabt habn, bericht, das unser lieb und gut freundt, bürger und rat der stat Reytlingen etlicher dergleichen neuerung und insonder die gemaltn bilder aus der kirchen zu thun bei derselbn stat potschaftn auch rats gepflogen, ist ynen daselbs ratsweis zu antwort worden aus etlichn treffnlichn und beweglichn Ursachen von solchen neuerungen abzusteen, dan sich ein yeder christenmensch neben gemaltn bildern oder andern mit seinem hertzen in rechtn christenlichn glaubn zu unserm waren got aus gnad und barmherzigkeit desselben woll schicken mag." (Augsburger Rat an den Rat von Kaufbeuren, 3. März 1525). 20 Zu Albers Rolle in Urach vgl. EHMER: Bildergespräch, S. 70. 75f. 78f. 82f. 85; RUBLACK: Art. Alber, S. 173. Zum Uracher Götzentag vgl. auch oben S. 49-56. BRECHT: Albers Theologie, S. 75, erwähnt einen Brief Albers an den Abt von Königsbronn aus dem Jahre 1526 (abgedruckt bei GAYLER: Denkwürdigkeiten, S. 278-280), in dem er die reformatorischen Maßnahmen gegen den Patronatsherrn in Schutz nimmt und dabei u. a. Orgel, Tafeln, Altäre und Bilder als unchristlich brandmarkt. 21 Vgl. BRECHT: Sermon, S. 28. - Ob und inwiefern Ambrosius Blarer, der seit September 1531 im benachbarten Esslingen wirkte, die Reutlinger Prädikanten um Alber in 19
Reutlingens
Weg in der
Bilderfrage
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Die Beseitigung der ,schriftwidrig verehrten' Bilder erfolgte wohl im Frühjahr 1531. Über die Vorgänge der Säuberung von der ,päpstlichen Abgötterei' berichtet allerdings lediglich die im 17. Jahrhundert abgefaßte Reimchronik des Fizion Näheres und nicht etwa Frischlin, an den sich Fizion ansonsten stark anlehnt 22 . Im Einvernehmen mit der städtischen Obrigkeit seien „Ihre kürchen reformiertt der gstallt: Die Hauptkürch, wie sie noch zu schawen, Wurdt erstlich ussgeseibert gantz Von Abergläubischer Substanz, Unnd Pepstischer Abgötterey, Die Alltär Nider gerissen frey, Deen es Vil dorinnen hett, Die bilder ress man wegk mit Gspött, Zerbrach, zerschluog sie mitt Unfuog, War zimmlich frevlich ghandlett gnuog." 2 3
Schenkt man der Schilderung des Chronisten Glauben, so säuberte man die Marienkirche unter Gespött und „mit Unfuog" 24 von Altären - gemeint sind dabei die 12 Seitenaltäre 25 - und Tafelgemälden. Der bereits erwähnte Termin der Karwoche (2.-8. April) 1531 bezieht sich allerdings nicht auf die Aktionen in St. Marien, sondern auf den Abbruch der Leonhardskapelle, die sich in der Chronik aber direkt anschließt 26 . Ob die Vorgänge nun tatsächlich in der Karwoche oder nicht stattfanden, kann nicht entschieden werden; daß sie auf jeden Fall im Frühjahr 1531 anzusiedeln sind, belegt ein auf den 26. Mai 1531 datierter Brief des streitbaren Vikars von der Bilderfrage beeinflußte, ist quellenmäßig nicht zu fassen. Johannes Schradin besuchte allerdings am 22. Dez. 1531 Blarer in Esslingen, und vielleicht hat man sich dabei auch über die Bilderfrage unterhalten. In der Korrespondenz Blarers, v. a. mit Bucer; spielen besonders die Abendmahlsfrage und personelle Fragen eine Rolle; vgl. BRIEFWECHSEL DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S . 3 0 0 , N r . 2 4 7 ( M a r t i n B u c e r
an
Ambrosius Blarer, 11. Dez. 1531); S. 303f, Nr. 249 (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 23. Dez. 1531); S. 308f, Nr. 251 (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 5. Jan. 1532). 22 Vgl. FlZION: Cronica, S. 269-272. 23 FIZION: Cronica, S. 271. 24 Gemeint ist: lärmendes oder Lärm verursachendes, tolles Treiben; vgl. D W b 11 /III, Sp. 600 s. v. Unfug. 25 Daß es sich hierbei um die zwölf Seitenaltäre, die sich vermutlich an den Bündelpfeilern und unter dem Triumphbogen befanden, handeln muß, geht aus der Tatsache hervor, daß zwar der Hochaltar, aber nicht mehr die Seitenaltäre in den Quellen nach 1531 beschrieben werden; vgl. unten S. 84f mit Anm. 40. Zu den Seitenaltären und ihren Patrozinien vgl. STRÖLE: Marienkirche, S. 61; KADAUKE: Marienkirche, S. 56. Siehe a u c h IM NEUEN L I C H T , S . 2 8 . 26 FIZION: Cronica, S. 271f: „In der Palmwoch diss Jors gemeltt/ Da man hatt einundtdreissig zehlt,/ Brach man v o m grundt wegk gantz und gar/ Die kürch hinder S. Liertt furwar."
82
Reutlingen
Pfullingen und überzeugten Reformationsgegners Burkhard Sinz an den Reutlinger Rat 27 . Über die Rolle des Rates liefert die Chronik lediglich die Information, daß die Obrigkeit die Maßnahmen billigte 28 . Konkrete Aussagen zu einem möglichen Anlaß, zum Ablauf mit eventuell stattgefundenen tumultuarischen Szenen, der Dauer, den Teilnehmern oder der Frage, ob der Rat im Vorfeld der Zerstörungen den Stiftern erlaubt hatte, ihre gestifteten Bildwerke an sich zu nehmen 29 , fehlen hier völlig. Neben der pauschalen Bezeichnung der Verluste wie Altäre und Tafelgemälde führt Fizion als konkretes Objekt noch das große Kruzifix auf, das - wie in so vielen mittelalterlichen Kirchen - im Triumphbogen hing und über die Stadt hinaus als der „Herrgott von Reutlingen" bekannt war: „Dz hailig Creitz dz brach man wegk, Welches man also nennen thett, Unnd hieng ein Solcher herrgott dran, Vil Gröser dann ein Ris Unnd Mann, Wurdt von Uslendischen bekanndt, Der grosse Hergot z' Reittling gnanntt; Ein theil seins Corpus hab ich gsehen 27
Vgl. HStA Stuttgart, B 2 0 1 , Bü 7 , Nr. 1 2 ; Auszüge sind ediert bei G A Y L E R : Denkwürdigkeiten, S. 4 2 1 - 4 2 4 . - Die Reichsstadt Reutlingen hatte Sinz bei der württembergischen Statthalterschaft wegen öffentlicher Verleumdung von der Kanzel verklagt. Im Zusammenhang des sich daraus entwickelten Rechtstreites ist auch der genannte Brief an den Reutlinger Rat einzuordnen. Sinz versuchte, sein Verhalten zu rechtfertigten und griff u. a. auf den Konflikt um eine angeblich von Reutlinger Bürgern auf württembergischen Territorium zerstörte Kapelle (samt ihrem Bilderschmuck) zurück: „Fürter so ir beklagen, ich sage, ir brechen kirchen ab, machen bollwerk darus, das ligt offelich am Tag, und nit allain kirchen, sonder och altaria, kelch, messgewender etc. und ander ornaten und geschmuck der Kirchen, und sonderlich die Bildnuß Cristi, seiner geliebten hailigen Muter Maria und ander Hailigen, die von der Zyt Cristi und darvor bys hieher, uff krafft und rechts verstand der gschrifft, Gott zu lob und eer, den Menschen zu ufferweckung und rayzung zu andacht, zu danckbarlicher gedechtnuß sines byttern lydens und sterbens, als des lyden und sterben, uns zu exempel, für unser üblich gesicht, von gemainer hailigen cristelicher kirchen, loblich, göttlich und cristelich erhalten ist. Von diser und ander cristelich seligwerdenden Ordnungen und Satzungen, gott zu lob und eer, (von unser muter, der hailigen cristelichen kirchen) und zu andacht der menschen geordnet, habt ir üch laider abtringen lassen." In einer Predigt hatte Sinz den Reutlingern vorgeworfen, die aus den abgebrochenen Kirchen errichteten Bollwerke gegen den Kaiser richten zu wollen, was der Reutlinger Rat umgehend dementierte; vgl. unten S. 311. 28 M L C H A L S K I : Phänomen Bildersturm, S . 7 0 , interpretiert dies so, daß der Reutlinger Rat vor Ostern 1531 den „keineswegs umstürzlerischen Bildersturm" nicht nur duldete, sondern sogar förderte. Daß die Maßnahmen jedenfalls mit dem Einverständnis der Obrigkeit stattfanden, vermittelt das Gutachten der Reutlinger Prädikanten. 29 Bei der Umwandlung der Stiftungen ,ad pios usus' durch den Rat wird zwar erwähnt, daß einige Familien ihr Stiftungsvermögen zurückforderten, davon aber, daß die Stifter ihre Altäre oder Epitaphien zurückholten, wird nichts berichtet.
Reutlingens
Weg in der Bilderfrage
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Hinder vil alltten fassen stehen, Ganntz alltt, Wurmstichig Überaus, Dort hinden in der Spindjhauss." 30
Ein Teil der Christusfigur vom Kruzifix aus St. Marien fristete also noch hundert Jahre später ein trauriges Dasein hinter alten Fässern eines Hauses. Interessant wäre natürlich zu wissen, welche Rolle die Theologen vor Ort 1531 gespielt haben. Fizion schweigt hierzu, aber ein bisher kaum beachtetes Schreiben der Reutlinger Prädikanten - dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um Alber, Schradin und Reiser - auf die Anschuldigungen des Pfullinger Vikars Sinz31 gewährt Einblicke in ihre Haltung zur Bilderfrage. Sinz, der immer als „Papstesel" tituliert wird, konnte die Prädikanten mit seiner Argumentation nicht überzeugen, da sie nicht mit der Hl. Schrift übereinstimme: „Darzü so beweiset dein leer, wie hart du dich in hailiger schrifft bemühest, die nun tobet, wütet, auf den predigstül klopffet, seelgereet, meß, fegfewr, opffer fordert, gotzen, bilder, weihwasser, kirchendienst, kloster, munch, pfaffen, nonnen beschirmet und auffrichtet, von welchen in der gantzen schrifft nit ain buchstab gefunden, sonder das widerspil gelert und sollich aingenerdichter gotzdienst verworffen unnd verbotten wirdt." 32
Weiter wird ausgeführt, daß auch die Reutlinger Obrigkeit und die Gemeinde verständig genug seien, um zu wissen, „was man von götzen halten soll", und die Ausführungen von Sinz als Unsinn („eselsgesang") zu entlarven. Seine Beispiele aus der Kirchengeschichte seien lächerlich und der Hinweis, daß die Bilder lediglich als Gedächtnisstütze fungieren, wird mit dem Hinweis entkräftet, daß sie durch allerlei Praktiken (Kniebeugen, Küssen, Lichter brennen, Wallfahrten) allerdings selbst Objekt der Verehrung werden, diese Verehrung aber Gott allein zustehe. „Dieweil dan nun unsere götzen nit mee gedenckbilder, sonder rechte abgotter waren, den man gottliche eere bewisen, Zuflucht gehabt, walfarten, hilff und trost gewartet, das sy also zur lesterung Gottes, zum fall und ergernuß der menschen dastünden sind, sy auß vermüg hailiger schrifft billicher christlicher weiß von der oberkait hinweg gethon
Daß dieses „Hinwegtun" auch in Reutlingen mit dem Einverständnis des Rates vorangegangen war, in aller Öffentlichkeit und nicht heimlich, das Abbrechen von Kirchen aber keineswegs eine gegen den Kaiser gerichtete Intention hatte, wird deutlich ausgesprochen 34 .
30 F I Z I O N : Cronica, S. 271; vgl. auch F U S I N G : Reformatione, S. 268. - Seit 1950 ziert ein neues Kruzifix diese Stelle in der Marienkirche. 31 Vgl. oben Anm. 27. 32 HStA Stuttgart, B 201, Bü 7, Nr. 13 [fol. 2v]; vgl. unten S. 308. 33 HStA Stuttgart, B 201, Bü 7, Nr. 13 [fol. 4r] und [fol. 4r/v]; vgl. unten S. 308-310. 34 HStA Stuttgart, B 201, Bü 7, Nr. 13 [zu 13, fol. 5v]; vgl. unten S. 311.
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Reutlingen
Insgesamt gesehen zeigt dieses Schreiben doch einen gemäßigten und keineswegs radikalen Kurs der Prädikanten. Aus der Zerstörung eines Kruzifixes in der Marienkirche, d. h. eines eigentlich ,ungefährlichen' Bildwerkes, auf eine besonders radikale Haltung der Prädikanten zu schließen, scheint überzogen. Der in der Literatur oft vermittelte Eindruck eines Dissenses in der Bilderfrage zwischen Alber, der - gut lutherisch - aus Rücksicht auf die Schwachen vor das ,Hinwegtun' der Bilder die Wortverkündigung gestellt habe 35 und nur für die Entfernung der falsch verehrten Kunstwerke gewesen sei, und Schradin, der als Protagonist einer radikaleren Haltung aufgetreten sei, findet in dieser Stellungnahme keinen Anhaltspunkt 36 . Vielmehr wird deutlich, daß beide Prädikanten „in einem vielfältigeren Kräftefeld wirkte[n], das heute nicht mehr vollständig zu rekonstruieren ist" 37 und das lutherisches wie oberdeutsch-zwinglianisches Gedankengut vermischte 38 . Wie oben beschrieben, waren 1531 die Seitenaltäre, Tafelgemälde und das große Kruzifix im Triumphbogen von der Säuberungsaktion in der Marienkirche betroffen. Daß nur bestimmte Kunstwerke und nicht generell alle entfernt wurden, belegen einerseits die chronikalischen Berichte vor dem großen Stadtbrand, andererseits die bis heute zahlreich erhaltenen vorreformatorischen Ausstattungsstücke, die auch den Feuersturm von 1726 überlebten. Zum einen berichten die Quellen Ende des 16. und des 17. Jahrhunderts noch über die mittelalterlichen Glasmalereien 39 , das gotische Hochaltar-
35
Vgl. in diesem Zusammenhang den einzig bei GRATIANUS: Geschichte 2, S. 221, erwähnten - und sicherlich nicht zutreffenden Hinweis - , Alber habe an die Wände der Marienkirche „evangelische Kernsprüche" (Mt 11,28.30; Joh 2,1.2; 1. Tim 2,5f; 1. Joh 4 , l f ; 1. Tim 4,1-4: 2. Petr 2,1-3) anbringen lassen. 36 Vgl. RUBLACK: Art. Alber, S. 173; RUBLACK/SCHEIBLE: Alber als Reformator Reutlingens, S. 58; HERMLE: Alber, S. 39 und S. 48. In diesem Sinne vermutet bereits BRECHT: Albers Theologie, S. 75, einen Dissens im Jahre 1526: „Merkwürdig berührt die sonst bei Alber nicht zu findende Opposition gegen die Bilder. Vielleicht ist Alber hier dem Druck Schradins gewichen, der gegen die Bilder war." - Daß Sinz Alber als Anstifter der Aktionen 1531 beschimpft, kann getrost als Polemik verbucht werden; vgl. BRECHT: S e r m o n , S . 2 8 . 37
RUBLACK: Art. Alber, S. 173. Daß Alber von den Anhängern der oberdeutschzwinglianischen Richtung zurückgedrängt worden sei, findet keinen Anhalt in den Quellen. 38 Zu Albers Positionen auf dem Uracher Götzentag oder im Streit um die Abschaffung des Blaubeurener Hochaltar-Retabels mit Hz. Christoph von Württemberg 1565, die nicht im Gegensatz zu seiner Haltung 1531 in Reutlingen stehen, sondern diese bestätigen, vgl. oben S. 49-56; unten S. 307-311, Anhang IV; RUBLACK: Art. Alber, S. 174; HERMLE: A l b e r , S. 4 6 ; KLOSTER BLAUBEUREN, S. 2 3 8 f . 39
FlZlON: Cronica, S. 44: „Die chorfenster glentzen gar fein/ von mancken färben geben schein." Vgl. dazu KADAUKE: Marienkirche, S. 66.
Reutlingens
Weg in der Bilderfrage
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Retabel 40 oder ein Tafelbild im Chor 41 . Bemerkenswerterweise waren sowohl auf dem Hochaltar-Retabel als auch auf dem Tafelbild Themen aus der Passion Christi dargestellt, auf dem Tafelbild daneben noch Christi Geburt und Auferstehung und darüber die Hl. Familie. Vielleicht dank ihrer Ikonographie als „ungefährliche Bilder" geltend, entgingen diese Kunstwerke der Ausräumung 1531. Zum anderen vernichtete der bereits mehrfach erwähnte Stadtbrand 42 von 1726 fast alle öffentliche Gebäude, vier Fünftel der Wohnhäuser und nach dem Augenzeugenbericht des damaligen Stadtsyndicus Johann Georg Beger auch „unsere unvergleichliche schöne uhralte/ [...] Haupt- und Pfarr-Kirch/ mit dreyen HauptThürmen/ derer Dachstühlen, Gewölbern/ 5 große und 4 kleine Glocken [...] das trefflich kostbare Uhr- und Orgelwerck/ [...] die dreyfache Emporkirchen/ Gestühle/ Cantzel samt dessen künstlich pretiosen Deckel/ Altar/ auch allerley alten raren Kirchengeschmuck und hochschätzbaren Zierathen" 43 .
Was genau neben den Glocken, der Steinkanzel, der Orgel 44 , dem Hochaltar-Retabel an „Kirchengeschmuck und hochschätzbaren Zierathen" vernichtet wurde, ist schwerlich zu rekonstruieren. Die Überlebenschancen hölzerner Ausstattungsstücke wie Hochaltar-Retabel, Tafelbilder oder Epitaphien waren natürlich sehr gering; aber auch die von Hans Syrer 1511/13 ausgeführten Gewölbemalereien oder die spätgotischen Wandmalereien im Chor (Heilige, Maria und Kirchenpatrone, Weltgericht), deren Fragmente bei der Renovierung um 1900 zum Vorschein kamen, wurden vernichtet 45 .
40 FlZION: Cronica, S. 44: „Der altar schönne tafflen hatt,/ Doran der Passion sehen stat,/ Von lautter Gold ist angestrichen/ Dz eim die äugen schier Verblichen"; ähnlich K.RAUSS: Frischlin-Chronik, S. 132: „Der altar schöne tafflen hat,/ daran der passion hüpsch stat,/ mit lauter gold ist angestrichen,/ daß ein die äugen schier erblichen,/ wenn einer will die tafflen sehen/ und etwann nach will zu ihnen gehen." 41 FlZION: Cronica, S. 50: „Im Chor eine schönne taffei hanngt, /Worlich der Maler seine Kunst/ Doran geübt auss Lieb Unnd gunst,/ Weil doran schenn zu finden ist/ Die geburtt Unnd's Leiden Jesu Christ,/ Die Aufferstehung desgleichen/ An köstlichkeit thutt Nirgent weichen,/ Zuo Oberst drauff Marien Bild,/ Joseph Unnd auch ir kindlein mildt." 42
V g l . SCHWARZ: S t a d t b r a n d , S. 7 - 4 3 .
43
Z i t . n a c h SCHWARZ: S t a d t b r a n d , S. 10.
44
Eine ältere (Schwalbennest-)Orgel wurde offenbar 1538 ersetzt, diese wiederum 1569 abgebrochen und von Hieronymus Scheurstab aus Nürnberg erneuert. Die Scheurstabsche Orgel, 1592 renoviert, fiel dem Brand 1726 zum Opfer; vgl. FlZION: Cronica, S. 4 7 ; IM NEUEN LICHT, S. 6 4 . 45
V g l . DIE MARIENKIRCHE z u REUTLINGEN, S. 2 8 - 3 1 ; KADAUKE: M a r i e n k i r c h e , S.
54; vgl. auch ebd., S. 56 (Blattranken als Gewölbemalereien). - Wegen zu starker Schäden konnten die Fragmente nicht erhalten werden und wurden während der Renovierungsarbeiten daher wieder übermalt.
86
Reutlingen
Trotz Ausräumung 1531 und Brand 1726, Wiederherstellung der Marienkirche mit barocker Innenausstattung 1727-1730, deren Spuren allerdings durch die Maßnahmen 1843 und bei grundlegenden Renovierungsarbeiten im Langhaus zwischen 1893/1901 verwischt wurden 46 , haben sich bis heute zahlreiche mittelalterliche Kunstwerke erhalten. Hier sind neben dem Sakramentsschrank vor allem die Wandmalereien des 14. und 15. Jahrhunderts zu erwähnen. In der vom Brand offenbar weniger betroffenen südlichen Sakristei, der ehemaligen Katharinenkapelle, befinden sich an der Westwand die Darstellungen einer Kreuzigungsgruppe, in den drei Bogenfeldern der Nordwand Szenen der Katharinenlegende und an der Südwand sind die Hll. Martin, Nikolaus, Konrad, Augustinus, Cosmas und Damian zu sehen 47 . Eine Inschrift an der Ostwand der Sakristei nennt einen Vizepleban Werner, gestorben vor 1312, der die Kirche hatte ausmalen lassen 48 . Bei den Renovierungsarbeiten um 1894 wurden in der westlichen Vorhalle, über den östlichen Seitenschiffportalen und in den Bogenfeldern des nördlichen und südlichen Seitenschiffes ebenfalls mittelalterliche Wandmalereien (Kreuzigung, Hl. Christopherus, Hl. Katharina, Hl. Petrus, Erbärmdebild, zwei Bischöfe) entdeckt 49 . Einige dieser Figuren, die unmittelbar auf die Hausteinquader im „weichen Stil" gemalt wurden, sind im Zusammenhang mit der Funktion des Westbaus als Eingangshalle zu verstehen und ersetzten gewissermaßen den bis zum Ende des 15. Jahrhunderts fehlenden Skulpturenschmuck der Außenfassade 50 .
46
Die Innenerneuerungen von 1985-87 versuchten, die dem Historizismus des 19. Jhs. verhafteten Eingriffe der Jahre um 1900 wieder rückgängig zu machen; vgl. IM NEUEN LICHT, S . 1 2 - 2 8 u n d S . 3 6 - 3 8 . 47
V g l . KADAUKE: M a r i e n k i r c h e , S. 3 8 - 4 0 mit F a r b t a f e l 3 3 - 3 6 ; DERS.: W a n d m a l e -
reien, S. 2 5 - 2 9 mit Abb. I I I — V I I I ; K E P P L E R : Wandmalereien, S. 5 4 - 5 9 . Siehe auch D I E M A R I E N K I R C H E z u R E U T L I N G E N , S . 1 2 - 1 6 ; IM NEUEN L I C H T , S . 2 7 . D i e
Beschädigungen
am Kreuzigungsbild sind nicht mit den Ereignissen 1531 in Verbindung zu bringen, da sie nachweislich erst später entstanden, als man die Westseite der Sakristei durchbrach und eine Tür zur Taufkapelle hinzufugte. Die Seccomalereien des 14. Jahrhunderts wurden 1846 freigelegt, bald danach unsachgemäß übermalt, bei der Renovierung von 1 8 9 3 / 1 9 0 1 durch den Restaurator Heinrich Dolmetsch großzügig überarbeitet, schließlich 1 9 5 5 und 1 9 7 8 restauriert und 1 9 8 5 / 8 7 gereinigt. 48 KRAUSS: Frischlin-Chronik, S. 132: „Die schwibogen, das gewölb ist hoch/ von alters her gemalet noch." Frischlin kannte diese Malereien also offenbar noch aus eigener Anschauung, was gegen eine Übermalung 1531 oder später spricht. Die Inschrift ist wiedergegeben bei KADAUKE: Marienkirche, S. 40f mit Abb. 37. 49
V g l . D I E M A R I E N K I R C H E z u R E U T L I N G E N , S . 1 9 f m i t A b b . d e s HL. C h r i s t o p h e r u s ;
KADAUKE: Marienkirche, S. 42f mit Farbtafel 38 und Abb. 39; DERS.: Wandmalereien, S. 79-82 mit Abb. XV-XVIII. 50 Vgl. KNORR: Marienkirche, S. 14.
Reutlingens Weg in der Bilderfrage
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Noch zu bewundern ist auch der achteckige Taufstein von 1499 im südlichen Seitenschiff von unbekannter Künstlerhand 51 . Der Sockel ist gegliedert durch acht Nischen, die Taufe Christi im Jordan und die sieben Sakramente der Kirche zeigend, die von Bündelsäulen, auf deren Konsolen Apostelgestalten stehen, getrennt und durch rankenverzierte Baldachine überdacht werden. Die erstaunliche Tatsache, daß die Darstellungen der sieben Sakramente (Taufe, Firmung, Priesterweihe, Ehe, Buße, Kommunion, Letzte Ölung) von den Reformationsanhängern 1531 nicht zerstört wurden, spricht doch wohl auch für ein gemäßigtes und nicht allzu übereifriges Vorgehen. Schließlich brauchte man den Taufstein ja selber noch. Daß einige beschädigte Gliedmaßen an manchen Figuren als Spuren der „wütenden Menge" 52 interpretiert werden, ist eher späterer konfessioneller Polemik zu verdanken, denn auch am Christushaupt in der Taufszene nagte der „Zahn der Zeit", so daß man dieses später ergänzen mußte. Als zweites Meisterwerk der Steinmetzkunst um 1500 ist das Hl. Grab erhalten 53 , das sich ursprünglich an der Nordwand der westlichen Vorhalle befand und heute an der Stelle des mittelalterlichen Hochaltars an der Ostseite des Chores zu finden ist. Es zeigt das Geschehen des Ostermorgens: Johannes und die drei Marien treten an das (leere) Grab Christi, das als Sarkophag dargestellt, mit fünf Apostelbildern geschmückt und von zwei davor lagernden Grabwächtern bewacht wird. Der auferstandene Christus selbst ist im Zentrum des Gesprenges zu erkennen, farbig gefaßt, mit Segensgestus und die Siegesfahne haltend, auf einer Konsole stehend, die mit einer Vera Icon geschmückt ist54. Den Lauf der Dinge überstanden haben des weiteren eine Taufschale aus dem 14. Jahrhundert, zwei Kelche, ein Hostien- und ein Ölgefäßbehälter 55 . Die Apostel-Skulpturen an der Außenfassade wurden in der Refor-
51
V g l . DIE MARIENKIRCHE z u REUTLINGEN, S. 3 1 - 3 4 ( m i t A b b . ) ; KADAUKE: M a r i e n -
kirche, S. 48-50 mit Abb. 45-47. 52 REUTLINGEN. Geschichte einer Stadt, S. 108. 53
V g l . D I E M A R I E N K I R C H E ZU R E U T L I N G E N , S . 3 5 - 3 9 ( m i t A b b . ) ; K A D A U K E : M a r i e n -
k i r c h e , S . 5 0 - 5 3 m i t A b b . 4 8 u n d 4 9 ; IM NEUEN LICHT, S . 7 1 - 7 3 54
(Abb.).
Zur Bewertung der Aussage, auch am Hl. Grab Spuren radikaler „Bilderstürmer" von 1531 finden zu können, vgl. oben bei Anm. 52. Auch die Behauptung bei G A Y L E R : Denkwürdigkeiten, S. 420, das Hl. Grab sei 1531 abgebrochen worden, ist in den Bereich der Legende zu verweisen. 55 Aus der Darstellung in D I E M A R I E N K I R C H E ZU R E U T L I N G E N , S. 39, geht nicht eindeutig hervor, von wann diese Vasa sacra stammen. Ebenso unklar bleibt auch, ob die an gleicher Stelle erwähnten Meßkasein, Ziborien, eine Bursa, das Lesepult, die Darstellung der Heimsuchung oder das gotische Kruzifix, die sich heute im Reutlinger Heimatmuseum befinden, aus der Marienkirche stammen; das ebd., S. 35, erwähnte Corpus des Gekreuzigten aus dem Heimatmuseum gehörte wohl ursprünglich zum Inventar der Marienkirche. Darüber hinaus erwähnt KADAUKE: Marienkirche, S. 45 mit Farbtafel 40, noch
88
Reutlingen
mation nicht angetastet 56 und auch durch den Stadtbrand von 1726 nicht besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Als einzige Statue aus der Erbauungszeit der Marienkirche findet sich außen am Chor auf dem südöstlichen Eckstrebepfeiler eine weibliche, gekrönte Gestalt, meist als Hl. Katharina oder als Königin von Saba interpretiert 57 . Die Turmspitze bekrönt ein vergoldeter Engel. Zeigt sich insgesamt gesehen für die Marienkirche ein recht differenziertes Bild, fehlen für die anderen Kirchen und Kapellen der Stadt ausführlichere Berichte. Das Franziskanerkloster mit seiner Kirche wurde 1539 größtenteils abgebrochen und 1540-42 als Neues Spital in Fachwerk wiedererbaut (heute Friedrich-List-Gymnasium). St. Leonhard mit der Franziskanerinnen-Klause wurde 1531 abgerissen, die Sammlungshäuser wohl kurz danach aufgelassen. Die Katharinenkirche auf dem Friedhof stand bis 1887, bevor sie durch einen neugotischen Bau ersetzt wurde. Erwähnt wird noch, daß die Glocken von St. Peter, St. Leonhard und der Nikolauskapelle auf die drei großen Tortürme gehängt worden sind 58 . Zu beobachten ist, daß viele Kapellen 1531 abgebrochen (St. Jodokus, St. Bernhard am Burgweg, Allerheiligenkapelle, St. Erhard) 59 oder einer anderen Nutzung zugeführt wurden (die Nikolaikapelle wurde zu Leichenfeiern benützt und 1823 der katholischen Gemeinde überlassen; St. Michael auf dem Friedhof wurde zum Beinhaus, St. Antonius zur Werkstatt). Über die Schicksale der Kapellen in den Klosterhöfen war wenig zu ermitteln. Lediglich ist bekannt, daß St. Bernhard im Bebenhäuser Hof Ende des 16. Jahrhunderts abgebrochen wurde. Auch von Übergriffen auf sakrale Kunstwerke in den Gotteshäusern in Betzingen (St. Mauritius), Sondelfingen (St. Stephan) und Ohmenhausen (Nikolauskapelle) wird nichts berichtet. In der Marienkirche von Bronnzwei spätgotische Holzskulpturen (Maria und Elisabeth), die „mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Marienkirche von einem Altar" den Weg ins Museum fanden. 56 K R A U S S : Frischlin-Chronik, S. 131: „Daß umb die kürchen artlich stöhn/ die zwölfe apostel ausgehauen/, ein lust ist es die männer schauen./ In aller große, schön von stein,/ auf beyden Seiten standen fein/ alwegen sechs mit offnem buch,/ daß einer mein, ein ieder suech/ die schrift und kehr die blätter umb/ [...] Damit die alten haben wollen/ anzeigen, so ihr merken sollen,/ daß in der kürchen Gottes wort,/ was die apostel geschrieben dort,/ die propheten in heiliger schrift/ und Christus uns zum heil gestüft,/ in dieser kürchen lauten soll/ ohn allen sauerteich, merkt man wohl,/ ohn falsche lehr, des teufels gift,/ sondern allein die heilig schrift/ sol in der kürchen preedigt werden,/ solang sie steht auf dieser erden./ Das wollen uns die bilder deuten,/ die man daher gesetzt von Zeiten." Vgl. auch K A D A U K E : Marienkirche, S . 4 6 - 4 8 mit Abb. 4 2 - 4 4 . 57
58
Vgl. KADAUKE: M a r i e n k i r c h e , S. 3 4 f mit A b b . 29.
Vgl. FIZION: Cronica, S. 272; GAYLER: Denkwürdigkeiten, S. 459f. 59 Ob dies alles in der Karwoche 1531 geschah, wie GRATIANUS: Geschichte, S. 221, behauptet, kann wegen fehlender Quellen nicht geklärt werden.
Reutlingens
Weg in der Bilderfrage
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weiler sind reichlich Fragmente von Wandmalereien aus dem 13.-15. Jahrhundert erhalten, die ihre Entstehung wohl der Wallfahrt zu dieser Dorfkirche verdankten (Zyklen aus dem Marienleben und der Passion Christi; Vesperbild; Umrahmung der Sakramentsnische) 60 . Insgesamt gesehen spielte die Bilderfrage in Reutlingen eine marginale Rolle, und so fand die Entfernung der „Götzen" auch erst zu einem Zeitpunkt statt, als die Entscheidung zur Reformation längst gefallen war. Urteile späterer Darstellungen über einen übertriebenen Eifer und radikale Positionen sind mit Vorsicht zu genießen 61 . Selbst die in ausgewogeneren Untersuchungen keine Zweifel aufkommen lassende Schilderung, in Reutlingen habe es sich um einen ,Bildersturm' in der Karwoche 1531 gehandelt 62 , ist angesichts der Überlieferungslage zu ergänzen. Wenn auch die Datierungsfrage nicht eindeutig geklärt werden kann, so ist doch wohl von einem im Einvernehmen zwischen dem Reutlinger Rat und den Prädikanten der Stadt im Frühjahr 1531 in geordneten Bahnen verlaufenen Ausräumen oder ,Hinwegtun' der Bilder auszugehen. Gegensätzliche Positionen in der Bilderproblematik unter den Predigern sind ebensowenig belegt wie chaotische Vorgänge und tumultuarische Szenen oder frevelhafte Taten einzelner „Bilderstürmer". Während u. a. die 12 Seitenaltäre in der Marienkirche 1531 verschwanden, belegen spätere schriftliche Quellen, daß etwa der Hochaltar-Retabel mit Szenen der Passion Christi - vermutlich mit weiteren hölzernen Ausstattungsstücken 63 - erst dem Stadtbrand von 60
Vgl. K A D A U K E : Wandmalerei, S. 163-176 (Abb.); D E R S . : Bronnweiler, S. 9 . 88f. 146-148 mit Abb. 47. Die Szenen aus dem Marienleben wurden offenbar bei einem Umbau seit 1415 mit einer Putzschicht überzogen und mit einer neuen Bilderfolge aus dem Leben Mariens und dem Leben Jesu versehen, teilweise aber auch zerstört. 61 So charakterisierte bereits FÜSING: Reformatione, S. 268 die Vorgänge: „Bildern und Crucifixen/ als welche unsere Reutlingische Bürgere/ dazumahlen aus der Kirchen geschafft haben/ und wiewohlen diese aus einem allzugroßen und unbedachtsamen Religions-Eiffer geschehen zu seyn erkannt worden [...]." Vgl. etwa auch GAYLER: Denkwürdigkeiten, S. 419: Die „Kirchenreinigung" von „stürmender Hand" sei „ein Werk des Pöbels gewesen"; R E U T L I N G E N . Geschichte einer Stadt, S. 108: „Auch Reutlingen wurde vom Bildersturm, der für die Radikalisierung der Reformation nach dem Augsburger Reichstag von 1530 steht und durch die süddeutschen Reichsstädte fegte, nicht verschont." 62
V g l . z . B . B R E C H T : S e r m o n , S . 2 8 ; SÜDWESTDEUTSCHE R E F O R M A T I O N S G E S C H I C H -
TE, S. 152; RUBLACK: A r t . A l b e r , S. 171; KADAUKE: M a r i e n k i r c h e , S. 5 9 f ; MICHALSKI:
Phänomen Bildersturm, S. 70. 63 Ohne genaue Aussagen treffen zu können, was an sakralen Kunstwerken aus Holz 1531 entfernt wurde und was 1726 verbrannte, war die Überlebenschance für sie besonders gering. Dafür spricht auch die Tatsache, daß sich im Reutlinger Heimatmuseum nur das Kruzifix, ein Lesepult und eine Tafelmalerei aus vorreformatorischer Zeit befinden. Die beiden Figuren des Königs David und des Hl. Jakobus d. Ä. aus Lindenholz, die in der Rottweiler Lorenzkapelle zu finden sind, stammen aus der Kapelle des Marchtalerhofes, einem der fünf Pfleghöfe in Reutlingen; vgl. BAUM: Bildwerke der Rottweiler Lorenzkapelle, S. 50, Nr. 168 und 169.
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Reutlingen
1762 zum Opfer fiel; die noch heute erhaltenen Beispiele der Steinmetzkunst (Hl. Grab, Taufbecken) und der Wandmalereien überlebten auch diesen Brand.
Kapitel 5
Ulm 5. 1 Die Situation in Ulm um 1500 Von den hier untersuchten Städten war Ulm sicherlich die politisch, kulturell und wirtschaftlich bedeutendste Stadt, in der um 1500 ca. 17.000 und 50 Jahre später rund 19.000 Einwohner lebten1. Der Prozeß zur Erlangung aller reichsstädtischen Hoheitsrechte war bis zum Ende des 14. Jahrhunderts abgeschlossen, die 1397 im , Großen Schwörbrief feierlich bestätigte Verfassung regelte die politische Mitbestimmung der durch die Patrizier und die in 17 Zünften repräsentierten Bürgerschaft 2 , und die besonders günstige geographische Lage - ab Ulm war die Donau schiffbar, und hier kreuzten sich wichtige Handelsstraßen von Ost nach West sowie von Nord nach Süd - hatte den wirtschaftlichen Aufschwung begünstigt; Herstellung und Handel von Barchent nahm dabei eine herausgehobene Stellung ein. Neben dem Fernhandel sollte auch der Erwerb eines ansehnlichen Territoriums eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für den Handel und das Gewerbe erhalten. Neben den Besitzungen Ulmer Bürger auf dem Land konnte Ulm die finanzielle Schwäche vieler umliegender Herrschaften nutzen und entweder durch Kauf oder Verpfändungen ein großes Territorium erwerben, das lediglich die Reichsstadt Nürnberg überbieten konnte. Das Ulmer Landgebiet umfaßte drei kleinere Städte (Albeck, Geislingen, Leipheim) und rund 80 dörfliche Siedlungen mit ungefähr 24.000 Untertanen im 18. Jahrhundert 3 . Eine politisch führende Rolle nahm Ulm auch unter den schwäbischen Reichsstädten ein. Daß die meisten Tagungen des 1488 gegründeten Schwäbischen Bundes und später des Schwäbischen Reichskreises in der Donaustadt abgehalten wurden und die Ulmer Gesandten in den diplomati-
1 Vgl. zuletzt PRESUHN: Das goldene 15. Jahrhundert, S. 43-69; DIES.: Wirtschaftsmacht und kulturelle Blüte, S. 61-80; SPECKER: Blütezeit, S. 47-53; zur Entwicklung der
E i n w o h n e r z a h l e n v g l . WÜRTTEMBERGISCHES STÄDTEBUCH, S. 2 6 4 (§ 6 a ) . 2
Vgl. dazu REUTER: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, S. 119-150. Zur Entstehung des Territoriums vgl. HAUG-MORITZ: Aufstand; N E U S S E R : Territorium, S. 24-49. 3
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Ulm
sehen Händeln der Zeit oftmals kleinere Kommunen vertraten, untermauert ihre Bedeutung 4 . Wirtschaftliche und politische Stabilität begünstigten ein lebhaftes kulturelles Leben. Unter anderem im Zusammenhang mit dem Münsterbau und dessen Ausstattung sowie der enormen Stiftungsfreudigkeit der Ulmer Bürgerschaft erlebten die Künste eine Hochkonjunktur. Namen wie Matthäus und Moritz Ensinger, Matthäus Böblinger, Meister Hartmann, Hans Multscher, Michel Erhart, Jörg Syrlin d. Ä., Nikolaus Weckmann oder Bartholomäus Zeitblom stehen für die Blütezeit der Ulmer Architektur, Malerei und Skulptur der Spätgotik und Renaissance 5 . Die Sakraltopographie des spätmittelalterlichen Ulm wurde von der Vielfalt geistlicher Institutionen charakterisiert, die das religiöse Leben bis zur Reformation prägten 6 . Unbestrittener Mittelpunkt der insgesamt 35 Kirchen und Kapellen der Stadt war dabei die der Gottesmutter Maria geweihte Pfarrkirche, das Ulmer Münster. Nach dem Beginn des Münsterbaus im Jahre 1377 hatte der Rat zielstrebig die Politik verfolgt, alle Rechte der einzigen Pfarrkirche in reichsstädtischer Zeit, die allerdings zunächst dem Kloster Reichenau inkorporiert war, in seinen Besitz zu bringen. Erfolgreich schloß er diese Politik 1446 durch den Kauf der letzten reichenauischen Besitzungen und Rechte ab. Damit war der städtischen Obrigkeit - auf der Grundlage des wirtschaftlichen Wohlstandes - neben dem Ausbau und der Festigung des innen- und außenpolitischen auch das kirchenrechtliche Souveränitätsstreben geglückt. Der Pfarrer, der zuvor eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben hatte, sollte nun vom Rat gewählt werden, die Kirchenbaupfleger, ein mit Ratsherren besetztes Amt (zwei Patrizier, ein Zünftiger), sorgten für den mit den Wünschen des Rates konformen ordnungsgemäßen Ablauf des pfarrkirchlichen Geschehens. Reiche Stiftungen und Zuwendungen der Ulmer Bürgerschaft sollten nicht nur den eigenen Wohlstand und das eigene Heilsverlangen demonstrieren, sondern auch bekunden, daß man sich für das Seelenheil der ganzen Gemeinde verantwortlich fühlte. Die älteste geistliche Institution Ulms neben der Pfarrkirche „ennedt felds" war das 1183 gegründete Augustinerchorherrenstift auf dem Michelsberg, das später in die Stadt verlegt worden war. Seine neu errichtete Kirche St. Michael zu den Wengen wurde 1402 geweiht. Daneben finden sich Niederlassungen des Franziskaner- und des Dominikanerordens seit 4
Vgl. LITZ: Entstehung, S. 44f. 52-55. 58f. Vgl. WORTMANN: Ulm als Kunstmetropole, S. 29-45. 6 Vgl. den Gang durch die Ulmer Kirchen und Kapellen in VEESENMEYER: Felix Fabris Sionpilgerin; BOOCKMANN: Kirchlichkeit, S. 55-61; GEIGER: Ulm vor der Reformation; zum Münster vgl. SECHSHUNDERT JAHRE ULMER MÜNSTER; ZU den Klöstern vgl. 5
WÜRTTEMBERGISCHES KLOSTERBUCH, S. 4 7 7 - 4 8 5 .
Die Reformation im Überblick
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1229 bzw. 1281 in Ulm. Ihre Räumlichkeiten dienten auch für weltliche Angelegenheiten; so logierte Kaiser Sigismund 1434 fast ein Vierteljahr im Franziskanerkloster. Die Kirchen dieser Orden zogen viele Stiftungen der Bürgerschaft auf sich und waren beliebte Begräbnisstätten. In den beiden Schwesternhäusern, der sog. ,Sammlung' und der ,Regelschwestern beim Hirschbad', lebten ehelose und verwitwete Frauen nach der dritten Regel des Hl. Franziskus zusammen (Terziarinnen). Darüber hinaus finden sich noch eine Kommende des Deutschen Ordens mit der Kirche St. Elisabeth, in der die Reliquien des Hl. Zeno aufbewahrt wurden, die Kirche des seit 1419 unter städtischer Verwaltung stehenden Heilig-Geist-Spitals und eine Vielzahl von Kapellen. Insgesamt gab es im Spätmittelalter 89 AltarPriesterstellen innerhalb der Stadt, 57 davon alleine im Münster.
5. 2 Die Reformation im Überblick7 Zu den ersten Anhängern der reformatorischen Lehren gehörten der Humanist und Arzt Wolfgang Reichart (1485-1544) 8 und die beiden Franziskanermönche Heinrich von Kettenbach (f um 1525) und Johann Eberlin von Günzburg (um 1470-1533) 9 . Reichart feierte in seiner Korrespondenz mit Martin Luther diesen sogar als „zweiten Elias". Die Predigten in der Barfüßerkirche fanden zwar innerhalb der Bevölkerung große Zustimmung, die Politik des Ulmer Rates zeigte jedoch bezüglich der Religionsfrage in den 1520er Jahren einen zwiespältigen Charakter. Wichtigster Repräsentant dieser Haltung war Bürgermeister Bernhard Besserer 10 , der die Politik dieser Jahre maßgeblich beeinflußte. 7 Grundlegend für die Beschäftigung mit diesem Zeitraum ist der 1981 erschienene Reformationskatalog; vgl. D I E EINFÜHRUNG DER REFORMATION IN U L M . Dort finden sich sowohl eine Auflistung der reichlich vorhandenen archivalischen Quellen zur Ulmer Reformationsgeschichte von Gebhard Weig (S. 322-330) als auch eine Übersicht zu der bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen Literatur von Robert Gomringer (S. 331-341). Zuletzt der kurze Überblick bei LlTZ: Bekenntnis, S. 81-102. 8
Zu W o l f g a n g R e i c h a r t vgl. REICHLE: Rychard, bes. S. 1 7 8 - 1 9 0 ; VATER UND SOHN
16. JAHRHUNDERT; zu seiner seit den 1530er Jahren zunehmenden Enttäuschung und Distanzierung gegenüber den Vertretern des evangelischen Glaubens in Ulm vgl. unten S. 113, Anm. 67; LUDWIG: Rychardus, bes. S. 270f. 273-276. 284-292; DERS.: Sammlung, S. 123-127 und S. 131f. 9 Zu Eberlin von Günzburg vgl. PETERS: Eberlin von Günzburg, bes. S. 122-153 und S. 2 1 2 - 2 2 1 ; zu beiden vgl. auch D I E EINFÜHRUNG DER R E F O R M A T I O N IN U L M , S. 1 0 0 IM
104, K a t . - N r . 4 3 - 5 0 . 10 Zu Bernhard Besserer (1471-1542) vgl. W A L T H E R : Besserer, S. 1-69. Das Mitglied einer alten Patrizierfamilie hatte zwischen 1514 und 1539 verschieden Ämter seiner Heimatstadt inne und war von 1514-1539 im dreijährigen Turnus Bürgermeister. In den 1520er Jahren war er auf allen wichtigen Reichs- und Städtetagen als Gesandter persön-
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Ulm
Einerseits gab es eine Aufgeschlossenheit gegenüber dem reformatorischen Gedankengut, andererseits den Wunsch nach Loyalität gegenüber dem kaiserlichen Stadtherrn Karl V. So befolgte man zunächst das Wormser Edikt von 1521 und förderte weder die Predigt für die neue Glaubenslehre - sowohl Kettenbach und Eberlin als auch andere evangelische Prediger wies der Rat aus der Stadt oder ließ sie in den Turm werfen noch rang man sich zu einem Vorgehen gegen die altgläubigen Prediger durch. Einige Vertreter verursachten mehrmals Unruhe innerhalb der Bevölkerung; so polemisierte beispielsweise der Ordensprovinzial Kaspar Schatzgeyer gegen die Theologie Luthers. Daneben sind auch die Auseinandersetzungen zwischen Kettenbach und dem Dominikaner Peter Hutz, gen. Nestler, zu erwähnen. Erst das Begehren von vier Bürgern im Frühjahr 1524 forderte den Rat zu einer Reaktion auf. Der Patrizier Jörg Krafft, der Goldschmied und Zunftmeister der Schmiede Hans Müller, der alte Zunftmeister Heinrich Hafenpock und der Kürschner Konrad Preunlin waren am 25. Mai 1524 vor dem Rat erschienen und hatten gegenüber der Obrigkeit, die als „unser oberhand vor Gott" das Schwert trage (Rom 13,4), drei Forderungen aufgestellt: Zunächst sollte bis zu einem künftigen Konzil den altgläubigen Geistlichen die Predigttätigkeit verboten werden, zweitens wurde um Unterstützung für den gefangengenommenen und dem Konstanzer Bischof übergebenen Prediger Jos Höflich gemahnt und drittens sollte der Rat der Verkündigung des Gotteswortes nicht entgegenstehen, „begehren wir doch alle unser seel hail". Die Ratsherren kamen zwar nicht allen Forderungen nach, beriefen aber bereits einen Monat später mit Konrad S a m " aus Rottenacker einen neuen Prediger an die Pfarrkirche. Sam, Lizentiat der Rechte und eifriger Anhänger Huldrych Zwingiis, sorgte fortan für die Verbreitung der Lehre des Zürcher Reformators in der Stadt. Einschränkend war allerdings in seinem Anstellungsvertrag vom Rat festgelegt worden, daß tiefgreifende kirchliche Neuerungen zu unterbleiben hätten und Sam bei Streitigkeiten mit dem Konstanzer Bischof nicht auf die Unterstützung der Obrigkeit zählen könne. Eine Entscheidung in der Abendmahlsfrage im Sinne Zwingiis, wie sie Sam einforderte, zögerte der Rat hinaus.
lieh anwesend, was ihm weitreichende Einsichten in die Reichs- und Religionspolitik verschafft hatte. Sein eigenes Lavieren zwischen Kaisertreue und Affinität zur reformatorischen Lehre sollte zum Charakteristikum der Ulmer Politik werden. Enger Vertrauter Besserers und Förderer der evangelischen Lehre war der Stadtschreiber Konrad Aitinger; zu Aitinger vgl. B U R G E R : Stadtschreiber, S. 114. 179. 339 u. ö. " Zu Konrad Sam (1483-1533), der in Ulm die Schule, danach die Universitäten in Freiburg und Tübingen besucht und das Licentiat der Rechte erworben hatte, vgl. HOFFMANN: S a m , S. 2 3 3 - 2 6 8 .
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Der Rat agierte weiterhin nur als vorsichtiger Förderer der evangelischen Sache, auch nach dem Speyerer Reichstagsabschied von 1526. Die Taufe in deutscher Sprache und die Priesterehe wurden erlaubt. Die Fronleichnamsprozession schränkte man erst ein und hob sie 1527 zusammen mit dem Umzug am Palmsonntag und dem Himmelfahrtsfest ganz auf. Den Bettelorden untersagte der Rat die Almosensammlungen und stellte städtische Pfleger zur Überwachung ihrer Vermögen ein; daneben begrenzte man auch die Anzahl ihrer Klosterinsassen. Auf reichspolitischer Ebene wurde das Lavieren aber zu einem immer größeren Problem. Nachdem Karl V. auf dem Speyrer Reichstag von 1529 das Wormser Edikt wieder in Kraft gesetzt hatte, dokumentierte Ulm durch seine Unterschrift unter die protestatio' seinen Widerstand gegen diese Maßnahme. Dieser Protest brachte die Ulmer Diplomatie in schwere Bedrängnis. Um das Verhältnis zum Kaiser nicht eskalieren zu lassen, folgten sogleich Versuche, diesen Schritt rückgängig zu machen und sich wieder an die kaiserliche Seite anzulehnen. Andererseits intensivierte man sowohl die Bündnisverhandlungen mit dem hessischen Landgrafen und dem sächsischen Kurfürsten Johann als auch die Pläne eines Bündnisses mit anderen oberdeutschen und schweizerischen Städten. Letzteres wurde von Bernhard Besserer auf den Memminger Städtetagen Ende 1529 vorangetrieben, dann aber aus Angst vor der offenen Konfrontation mit dem Kaiser auf dem Biberacher Tag vom 30. Dezember 1529 endgültig aufgegeben 12 . Auf dem Augsburger Reichstag stimmten Bernhard Besserer und Daniel Schleicher weder der Confessio Augustana noch der von Konrad Sam favorisierten Confessio Tetrapolitana zu, sondern setzten sich für ein baldiges Konzil ein. Aber es wurde ihnen klar, daß die Ulmer ein eindeutiges Votum nicht länger aufschieben konnten. Die Sorge vor einer militärischen Auseinandersetzung wuchs. In dieser Situation konnte oder wollte der Rat nicht alleine entscheiden. Besserer griff auf die Möglichkeit einer Abstimmung in den Zünften zurück, wie sie die reichsstädtische Verfassung des ,Großen Schwörbriefes' von 1397 vorsah. Vom 3. bis 8. November 1530 wurde so in den 17 Zünften wie auch bei den Patriziern, Pfahlbürgern, Beiwohnern und einzelnen Bruderschaften abgestimmt - mit dem Ergebnis, daß von 1.865 abstimmungsberechtigten Personen 1.621 den Reichstagsabschied ablehnten und trotz aller drohenden Konsequenzen bei den reformatorischen Veränderungen bleiben wollten 13 . 12
V g l . TÜCHLE: S t ä d t e , S . 2 7 9 - 2 8 2 .
13
Zur Ulmer Außenpolitik 1529/30 und zu den Vorgängen bei der Abstimmung 1530
v g l . REUTER: V e r f a s s u n g u n d V e r f a s s u n g s w i r k l i c h k e i t , DER REFORMATION IN U L M , S .
133-168.
S.
1 4 5 - 1 5 0 ; D I E EINFÜHRUNG
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Ulm
Nach diesem eindeutigen Votum für die Reformation veranlaßte der Rat, der das Ruder wieder fest in die Hand genommen hatte, 1531 die notwendigen Schritte im Kirchenwesen. Zunächst folgte mit dem Beitritt zum Schmalkaldisehen Bund die außenpolitische Absicherung. Im April berief man mit Martin Bucer aus Straßburg, Johannes Oekolampad aus Basel und Ambrosius Blarer aus Konstanz drei renommierte auswärtige Theologen zur Durchfuhrung der reformatorischen Neuerungen 14 . Konrad Sam schien dem Rat mit dieser Aufgabe offenbar überfordert bzw. durch seine starke Anlehnung an Zwingiis Lehren dafür nicht geeignet. Die drei Theologen kamen am 21. Mai 1531 in Ulm an, wo sie von den Religionsverordneten Weiprecht Ehinger und Daniel Schleicher begrüßt wurden, und wohnten bei Konrad Sam. Unter der Führung Martin Bucers, der bis Ende Juni in der Donaustadt blieb, arbeiteten sie eine ,Denkschrift' zu Fragen der Lehre aus, die der Rat am 2. Juni 1531 bewilligte 15 . Die Geistlichkeit in der Stadt und in den Dörfern des Territoriums wurde auf die darin enthaltenen ,18 Artikel' verpflichtet. In Ulm selbst folgte die Abschaffung der Messe am 16. Juni, drei Tage später beschloß man im Rat auch die Entfernung der Bilder (vgl. unten). Die erste Abendmahlsfeier nach der neuen Gottesdienstordnung leitete Blarer am 16. Juli. In dem von Bucer verfaßten ,Gemain außschreiben' unterrichtete der Rat die Reichsstände über die kirchlichen Neuerungen und verkündete am 6. August in allen ulmischen Kirchen die neue Kirchenordnung 16 . Im Herbst folgte dann die Auflösung der Klöster: Franziskaner und Dominikaner mußten die Stadt endgültig verlassen, die Augustinerchorherren kehrten erst 1549 zurück, lediglich das reichsunmittelbare Deutschordenshaus blieb unangetastet. Daß man in den benachbarten Reichsstädten den reformationspolitischen Kurs Ulms gegenüber dem Kaiser genau beobachtete, der für einige Städte auch Vorbildcharakter für die anstehenden Änderungen des kirchlichen Lebens haben sollte, ist offensichtlich 17 . 14 Vgl. StadtA Ulm, A [8983/11], fol. 347; ebd., A 1202, fol. 456r-^60v; vgl. auch GRESCHAT: Bucer, S. 117-122. 15 Vgl. StadtA Ulm, A [8983/1], fol. 192-214. 16 Vgl. BDS 4,196. 203-205. 273-304 (Anlage 1). 305 (Anlage 2). - Das von Bucer verfaßte .Gemain außschreiben', das der Rat in seinem Namen zusammen mit der Ulmer Kirchenordnung in Druck gegeben hatte, begründete und verteidigte die gemachten Neuerungen im kirchlichen Leben kirchen- und reichsrechtlich vor Kaiser und Reich. Mit dem Verweis auf das Ausbleiben des lange erwarteten Konzils und des Versagens der geistlichen Obrigkeit habe der Ulmer Rat als christliche Obrigkeit die Pflicht, ordnende und leitende Funktionen innerhalb der Kirche zu übernehmen. 17 Vgl. etwa den Beschluß des Memminger Rates im Sommer 1531, mit der Einführung der Reformation auf dem reichsstädtischen Territorium zu warten, bis man Nachricht darüber hat, wie die Ulmer diese Aufgabe angehen; vgl. StadtA Memmingen, A RPr
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In den folgenden Jahren bemühte man sich weiterhin um die Umsetzung der Kirchenordnung, regelte das Schulwesen, die Kirchengebräuche und Zeremonien neu und formierte ein Synodal- und Visitationswesen. Schnell wurde aber deutlich, daß nicht die Theologen und Prediger, hier ist vor allem Martin Frecht zu erwähnen, sondern der Ulmer Rat seine Befugnisse weiter ausbauen konnte und zu einem straffen Kirchenregiment gelangte. So verfügte er beispielsweise die Einsetzung von Ratsausschüssen und Ratsverordneten für Religionsfragen ohne Beteiligung der Theologen, organisierte und leitete die Synoden und Visitationen in Ulm und auf dem Ulmer Territorium oder übte - oftmals gegen den Widerstand der Prädikanten - die Kirchenzucht aus. In Fragen der Kirchenzucht hatte sich Bernhard Besserer, der ein selbständiges kirchliches Sittengericht vehement abgelehnt hatte, durchgesetzt: Die kirchlichen Sittenwächter durften die Schuldigen dem Rat höchstens anzeigen. Neben dieser stark obrigkeitlichen Religionspolitik war das religiösen Leben in den 1530er und 1540er Jahren nicht nur durch die Auseinandersetzungen mit den Altgläubigen, sondern auch durch die Konflikte im innerprotestantischen Lager gekennzeichnet. Der evangelischen Vielfalt gegenüber stand das Streben nach lutherischer Einheit. Zunächst sah sich der Rat genötigt, gegen die relativ stark vertretene Gruppe der Täufer vorzugehen. Nach Sams Tod am 20. Juni 1533 wurde Martin Frecht, der bereits seit 1531 in der Stadt tätig war, der fuhrende Prädikant in der Reichsstadt 18 . Bis zu seiner Vertreibung 1548 mühte er sich unermüdlich um den allmählichen Übergang der Ulmer zum Luthertum. Nachdem der Rat 1536 die Wittenberger Konkordie angenommen hatte, versuchte Frecht den zwischen den Wittenberger und oberdeutschen Theologen gefundenen Abendmahlskompromiß im Sinne einer lutherischen Interpretation umzusetzen, traf dabei aber auf großen Widerstand. Das symbolische, zwinglianische Abendmahlsverständnis war nicht nur in weiten Teilen der Bevölkerung und des Rates, sondern auch unter Frechts Kollegen in der Stadt und auf den Ulmer Dörfern weit verbreitet. Außerdem hatte sich Frecht mit den Anhängern der spiritualistischen Lehren Kaspar von Schwenckfelds und Sebastian Francks, die beide nach Ulm gekommen waren und einflußreiche vom 1. Aug. 1531: „Der pfaffen auff dem land wil man lenger nachdencken, biss der von Ulm handlung herkompt." - Zu den Abhängigkeiten dieser Städte von der Ulmer Politik vgl. T U C H L E : Städte, S. 2 8 2 - 2 8 5 . 18 Martin Frecht (um 1 4 9 4 - 1 5 5 6 ) , als Sohn einer alten Handwerkerfamilie in Ulm geboren, besuchte die Lateinschule seiner Vaterstadt, bevor er das Studium der Artes liberales und später der Theologie in Heidelberg aufnahm und dort die akademische Laufbahn einschlug ( 1 5 3 0 / 3 1 Rektor der Universität). In dieser Zeit schloß er sich nicht nur dem humanistisch orientierten Kreis um Bucer, Oekolampad und Brenz an, sondern begegnete auch Luther und Melanchthon. Seit Herbst 1531 wirkte er in Ulm als Lektor der Hl. Schrift. Vgl. D E E T J E N : Frecht, S. 2 6 9 - 3 2 1 .
Ulm
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Gönner hatten, auseinanderzusetzen. In der Tübinger Konkordie vom Mai 1535 war man noch zu einer gegenseitigen Duldung übereingekommen, doch auf Dauer blieben die theologischen Differenzen unüberbrückbar. Als Schwenckfeld offen gegen die Wittenberger Konkordie Stellung bezog, eskalierte der Streit. Die vom Rat angesetzte Disputation brachte kein Ergebnis, und als Frecht und seine Kollegen mit ihrem Rücktritt drohten, wies der Rat Schwenckfeld und auch Franck 1539 aus der Stadt. Mitte der 1540er Jahre holten die reichspolitischen Ereignisse Ulm wieder ein. Karl V. richtete sein Augenmerk wieder stärker auf die Geschicke im Reich und die immer noch ungelöste Religionsproblematik. Nach dem Scheitern der Religionsgespräche in Hagenau, Worms und Regensburg versuchte der Kaiser, die Einheit von Kirche und Reich gewaltsam wiederherzustellen. Sein 1546 begonnener Krieg gegen die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes, zu denen seit 1531 auch Ulm zählte, führte die kaiserlichen Truppen im Herbst 1546 bis ins Ulmer Territorium. In dieser Situation rief der Rat erneut die Bürgerschaft zusammen. Bürgermeister Georg Besserer, ein Sohn Bernhard Besserers, fragte an, „ob die gemaindt wollte bey irer christlichen religion verbleiben, dann der kaiser were der mainung, ein holhauffen daraus zue machen oder von solcher abzutreiben" 19 . Und wie im November 1530 gab es auch am 14. Oktober 1546 ein eindeutiges Votum zum reformatorischen Bekenntnis. Angesichts des Kriegsverlaufs und der großen Lasten, die Ulm zu tragen hatte, nahmen die Ulmer jedoch schon bald Geheimverhandlungen mit Karl V. auf und schlössen im Dezember 1546 einen Separatfrieden. Dieser bewahrte die Ulmer nach der Niederlage der Schmalkaldener in der Schlacht bei Mühlberg im April 1547 zwar vor weiterreichenden Konsequenzen, die Zusage über das Fortbestehen der religiösen Neuerungen geriet aber in Gefahr. Denn das im Mai 1548 erlassene Interim mußte am 15. August 1548 auch von den Kanzeln des Münsters und der Spitalkirche verkündet werden, nachdem Karl V. mit Gefolge einen Tag zuvor von Augsburg kommend in der Stadt Quartier genommen hatte. Bischof Antonius Granvella von Arras feierte zu Maria Himmelfahrt ein festliches Hochamt im Münster, die Kirchenordnung von 1531 wurde faktisch außer Kraft gesetzt. Martin Frecht weigerte sich - zusammen mit seinen Kollegen Jakob Spieß, Georg Fieß und Martin Rauber - allerdings, die Neuerungen zu akzeptieren und blieb seinem reformatorischen Bekenntnis treu. Die vier Prädikanten wurden daraufhin gefangengenommen, in Ketten durch die Stadt geführt und schließlich aus der Stadt gewiesen 20 . Um 19
StadtA Ulm, Gl/1628, fol. 21. Vgl. FRITZ: Kirchengeschichte, S. 5f und S. 14-20. Frecht und Rauber hielt man bis zum März 1549 im Gefängnis von Kirchheim/Teck gefangen; Frecht, der immer wieder auf eine Rückkehrmöglichkeit nach Ulm hoffte, gelangte nach kurzen Aufenthalten in 20
Die reformatorische
Bilderproblematik
in Ulm
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seinen politischen Einfluß in der Stadt zu festigen, beseitigte der Kaiser die Verfassung des Großen Schwörbriefs, verbot die Zünfte und legte mit dem patrizisch dominierten Stadtregiment die Grundlage für den Schwörbrief von 1558. De facto bedeutete dieser Eingriff des Kaisers aber lediglich die Beschleunigung einer längeren Entwicklung in der Verfassungswirklichkeit der Stadt, nämlich der Oligarchisierung des Rates. Der neue, von Karl V. eingesetzte Rat erstrebte zunächst eine dem Stadtherrn wohlgesinnte Religionspolitik und bemühte sich um einen Priester für die Feier der Interimsgottesdienste. 1549 berief man daher Adam Bartholome aus Heidelberg, restituierte das Augustinerchorherrenstift, besetzte die Neithartpfründe wiederum mit einem Priester und erlaubte dem Deutschen Orden die freie Religionsausübung. Letztlich blieben diese Rekatholisierungsversuche aber erfolglos. Die evangelische Lehre ließ sich nicht mehr unterdrücken, weder in Ulm noch im Reich insgesamt. Nach dem Fürstenkrieg von 1552, von dessen antikaiserlicher Koalition sich Ulm von Anfang an distanziert hatte, wurde das Interim im Passauer Vertrag aufgehoben und den Evangelischen ihre Religionsausübung wieder ermöglicht. Zwar bestand im Münster bis 1554 weiterhin ein Simultaneum, doch mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 war mit der reichsrechtlichen Anerkennung des Nebeneinanders von katholischer und evangelischer Lehre die Entscheidung gefallen. Seit 1556 leitete Dr. Ludwig Rabus (1523-1592) als erster Superintendent die kirchlichen Belange in Ulm. Der tatkräftige Lutheraner widmete sich der Neuordnung des Kirchenwesens, führte den lutherischen Katechismus ein, verhinderte bis zum Ende seiner Amtszeit 1590 das Eindringen calvinistischer Strömungen, bekämpfte die kleine Gruppe der Katholiken und warnte wie schon Martin Frecht unablässig vor den religiösen Abweichlern, vor allem vor den Schwenckfeldern, die im Hause der Ärztin Agathe Streicher Unterschlupf fanden. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war Ulm zu einer lutherischen Stadt geworden.
5. 3 Die reformatorische Bilderproblematik in Ulm 5. 3. 1 Die Entwicklung bis zum Jahr 1530 Ob Eberlin von Günzburg und Heinrich von Kettenbach in ihren Predigten, die in der Barfüßerkirche großen Anklang bei der Bevölkerung fanden, bereits die Bilderfrage problematisierten, kann nur aufgrund ihrer späteren Söflingen, Nürnberg und Blaubeuren 1550 nach Tübingen, wo er das Amt des Magister domus im Evangelischen Stift und eine Professur an der Universität übernahm. - Zu Rauber vgl. unten S. 225, Anm. 5.
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Ulm
schriftlichen Äußerungen vermutet werden. Nach seiner Vertreibung aus der Stadt hatte Eberlin 1523 in seinem zweiten Sendschreiben, der .Anderen getreuen Vermahnung' den Ulmer Rat ermahnt und Vorschläge unterbreitet, die seinen extremen Standpunkt deutlich machen: „Mocht ich umb Got erwerben, das er euch den synn gebe, alle kirchen bey euch abzubrechen, und die materien zubrauchen zu eynem lustigen [= vortrefflichen] Spital, odder zweyen, für arme leut [...] ich wolt gern so lang helffen arbeiten, biß man eyn andere schlechte kirchen zerschlug, on gemeld, on kostliche zierd und meßgewant. Wolt yr nit umb Gottis willen geben, do vil sylber, goldt, syden [= Seide], sammet etc. on nutz yn der kirchen zubehalten, so teylen es doch yn und undter die geschlecht, so sollichs gekaufft und gestifft haben." 21
Auch Kettenbach kritisierte in seinem satirischen Dialog ,Eyn gesprech bruder Hainrichs von Kettenbach mit aim frommen altmüterlin von Ulm' die alten Gebräuche, Wallfahrten, Bilderverehrung und Messe 22 . Was Konrad Sam hinsichtlich des „Götzenwerkes" predigte, entsprach ganz Zwingiis Auffassung: „Zum ersten der kirchen zugan, vnd die gotzlesterung vnd getzerey ab dem weg thon, vnd vns zu ainem freyen blatz helffen, das mir das nachtmal des heren mechten halten." 23 Zwingli selbst hatte den Ulmern 1527 dringend Abschaffung der alten Zeremonien geraten, weil sonst „ein oberkeit, ja gantzes volk in ungnad und zwytracht kümpt" 24 . Die Ulmer Obrigkeit blieb jedoch auch in Fragen des religiösen Bildes ihrer abwartenden Haltung zunächst treu. Aktionen wie die im Jahre 1527, als Unbekannte Steine auf das Franziskanerkloster und die Wengenkirche warfen 25 , oder wie die Entfernung von Grabsteinen auf den Friedhöfen der Stadt (Münster-, Franziskaner- und Dominikanerfriedhof) 26 ließ er unterbinden bzw. streng beobachten. Auf Befehl des Rates wurden schon 1528 Teile der Kirchenstühle, d. h. verschieden ausgestatteten Sitzgelegenheiten v. a. für wohlhabende Bürger im Langhaus des Münsters, durch die Pfarrkirchenbaupfleger weggebracht 27 , die restlichen Kirchenstühle, die „nit zu der predig dienen", sollten 1531 folgen 28 .
21 JOHANN EBERLIN VON GÜNZBURG: Schriften 3, S. 1-40, Zitat: S. 22f. Peters vermutet daher, daß Eberlin auch in seinen Predigten den Prunk in den Ulmer Kirchen, das Stiftungswesen und die Heiligenverehrung - auch wenn die Bilder nicht explizit angesprochen werden - angeprangert hat; vgl. PETERS: Eberlin von Günzburg, S. 144f. 22
V g l . FLUGSCHRIFTEN AUS DEN ERSTEN JAHREN DER REFORMATION 2 , S . 5 2 - 7 8 .
23
SEBASTIAN FISCHERS CHRONIK, S. 6 .
24
Zitiert bei MOELLER: Reichsstadt und Reformation, S. 28, Anm. 55. 25 Vgl. StadtA Ulm, A 3530, PPr 9, fol. 123v. 26 StadtA Ulm, A 3530, PRr 9, fol. 81. 88v. 106v. 112v. 117. 154v; 120 und 127. 27 Vgl. StadtA Ulm, A [7074], fol. 2v: „Item so hat unser fraw [= Pfarrkirche Unsere Liebe Frau] ettlich stül unden in der kirchen, die stan in den winckeln, und verzeinßt noch gebraucht sy niemant, die werden vast unsuber gehalten; vermainten wir pfleger, das derselbigen stül, die nit bruchsam, hinwegzuthun, damit das gestenck und unlust auß
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Bilderproblematik
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In unserem Zusammenhang interessant ist die Begründung für den Abbruch des beim Predigtstuhl im Münster befindlichen Mari enaltares am 18. Januar 1529: „Den altarn miten in der kirchen stennde hinweg zu thun, ist nach gehaltener umbfrag entschlossen, denselben mittlen altar abzuprechen und hinweg zu thun." 29 Wie der altgläubige Chronist Nicolaus Thoman berichtet, war an diesem Altar eine steinerne Marienskulptur vorhanden, die man bei dieser Gelegenheit vermutlich ebenfalls abbrechen ließ. Offensichtlich störte dieser Altar die Sicht auf den Predigtstuhl bzw. störte er die Konzentration des „frum ketzerisch predicanten", gemeint ist Konrad Sam, und die Andacht der Zuhörer 30 . Jedenfalls fällten die Ratsherren nach vorangegangener Befragung den Entschluß, den Altar entfernen zu lassen, der bald danach umgesetzt wurde. Seiner Polemik fügte Thoman auch noch die Episode hinzu, daß Maria so schlecht behandelt worden sei, weil sie Almosen eingenommen und dabei nicht das Stadtwappen getragen habe 31 . Das gut sichtbare Anbringen des Wappens auf der Kleidung war jedoch Pflicht der in der Reichsstadt lebenden Bettler. Dieses Beispiel macht deutlich, wie die sachliche Berichterstattung des Ratsprotokolls über den Abbruch des Marienaltars durch spätere chronikalische, vom religiösen Gegner intendierte Erzählungen ausgeschmückt wurde.
der kirchen kern. Darauff uns ain rat bevolhen, was unnutzer stül sind, darumben kain rechtvertigung ist und darauß unser frawen kain zins geet, die sollen unser frawen pfleger hinwegthun." 28 Vgl. StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol 130r. - Aber auch nach 1531 war das Münster nie ganz unbestuhlt: Neben dem Gestühl einiger Patrizier, das weiterhin im Besitz der Familien geblieben war, und den Stühlen, welche aus privatem Besitz in die Verwaltung des Pfarrkirchenbaupflegamts überfuhrt wurden, dienten die sog. „Schranden" allen Kirchenbesuchern als Sitzgelegenheiten; vgl. StadtA Ulm, A [6885], Kirchengestühlbuch 1537-1633; ebd., A [6886]-[6887, Schranden- oder Kirchengestühlprotokolle 16151699]; ebd., A [1553], Verkündzettel und Rufe, 1524-1558 (u. a. Stühle im Münster betreffend): ebd., G 1/1714, Paradysus Ulmensis, S. 100-102; WEILANDT: Gotteslästerung, S. 423 mit Anm. 18-20; KAUL: Undankbare Gäste, S. 59f. 29 StadtA Ulm, A 3530, RPr 9, fol. 405v. 30 StadtA Ulm, G 1/1536 Weißenhornische Chronik, S. 358f; vgl. auch W E I L A N D T : Gotteslästerung, S. 424. 31 StadtA Ulm, G 1/1536 Weißenhornische Chronik, S. 366f: „Eß war auch die sag, alß man den altar abgebrochen hatt, solt einer flott weiß gesagt haben, waß hat die fraw gethan, eß man sye also außtreibt? Solt ein andrer ihm geantwurt haben, sy hatte es almusen eingenommen und hatte bettlet, der statt schiltlin nit tragen, es war die ursach."
Ulm
Visierung des Ulmer Ölbergs Matthäus Böblinger, um 1474, Schwarze Tusche auf Pergament, 108,5 x 41,5 cm © Ulmer Museum, Depositum der Ev. Gesamtkirchengemeinde Ulm.
Die reformatorische
5. 3. 1. 1 Die Bilderfrevel
Bilderproblematik
in Ulm
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am Ulmer Ölberg
Ab 1514, also wenige Jahre vor Ausbruch der Reformation, wurde auf dem südlichen Münsterplatz ein neuer Ölberg 32 aufgerichtet, für den die Planungen und erste Steinmetzarbeiten bereits 1474 begonnen hatten. Matthäus Böblinger hatte den Entwurf geliefert und - zusammen mit seinem Sohn Bernhard - den Auftrag erhalten, insgesamt 13 steinerne Figuren in Lebensgröße zu liefern 33 . 1516 lieferte er die sechs (oder sieben) Prophetenstatuen für die Pfeiler 34 , 1517 die restlichen Bildwerke (Christus, Engel, Juden, Apostel); angeblich war die Hauptfigur, der kniende Christus, persönlich vom Künstler signiert 35 . Bereits am 15. März 1518 hatte der Ulmer Rat allerdings Schutzmaßnahmen gegen Zerstörungen am Ölberg treffen müssen 36 . Er verbot, die Bildwerke des Ölbergs, von denen die Bilder der Juden (d. h. der Häscher) besonders erwähnt werden, zu beschmutzen oder zu beschädigen 37 . Auch sollten die Eltern für die Taten ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen werden und für sie die fällige Geldstrafe zahlen.
32
Unter Ölberg versteht man die ikonographische Darstellung des Gebetes Christi am Ölberg (Mt 26,36-46; Mk 14,32-42; Lk 22,39-46). Unter dem Einfluß der Mystik und der Devotio moderna auf die Volksfrömmigkeit hervorgegangen, entstanden vor allem im 15. Jh. bis in die Barockzeit hinein v. a. in Süddeutschland und Österreich zahlreiche Ölberggruppen in und neben und den Kirchen sowie auf Friedhöfen. Vgl. dazu THÜNER: Art. Ölberg, Sp. 3 4 2 - 3 4 9 ; z u m U l m e r Ölberg vgl. WALCHER: Ölberg, S. 1 5 - 1 7 ; ROTT:
Quellen 2, S. 25. 57-59. 75-77 (dort Wiedergabe der Einträge in den Ulmer Ratsprotokollen zum Ölberg). 33 Vgl. StadtA Ulm, Ansicht 525, stark verkleinerte Nachzeichnung von Böblingers Ölberg-Riß. 34 Vgl. ROTT: Quellen 2, S. 58. Fünf dieser Prophetenfiguren gelangten beim Abbruch des Ölbergs 1807 in den Besitz des Ulmer Fabrikanten Wieland, der sie 1843 dem Ulmer Altertumsverein übergab. Seitdem befinden sie sich im Ulmer Museum; vgl. ULMER MUSEUM, S. 174f, Kat. 118 A-D; unten S. 106 (Abb.). 35
36
So LAUSSER: Hochaltar, S. 231.
Schon vorher allerdings, im Jahr 1516, als der Ölberg noch gar nicht vollendet war, hatte der Rat vor den Zaun des Ölbergs ein Gitter machen lassen, damit dieser „von den knaben nit schaden nem. Man sol auch das getter dester weiter richten, ob man mit der zeit juden darein setzen wolt, das man platz darzu hete"; StadtA Ulm, A 3530, RPr 5, fol 298v-299r. Über die Beteiligung von Jugendlichen an Aktionen gegen sakrale Kunstwerke vgl. MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 79; SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 180f. 203f. 208. 216. 267. 315 (v. a. im norddeutschen Raum recht häufig); ELRE: War, S. 105-165 (nennt nur zwei Beispiele für Kinder und Jugendliche als „Bilderstürmer" im schweizerisch-süddeutschen Raum). 37 StadtA Ulm, A 3680, fol. 103, Nr. 94 (Vorhalte und Rufe); abgedruckt in MEISTERWERKE - MASSENHAFT, S. 477, Kat.-Nr. 96: „Ain Ersamer Rat menigklich [= jedermann] ernstlich gepietenn und verpieten: Welicher hinfuro, er sy jung oder allt, nymant außgenommen, gedachten olberg, es sy juden oder den anndern bildern mit waffen oder in
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Ulm
Konkrete Hinweise auf eine judenfeindliche Stimmung in Ulm im Frühjahr 1518 waren zwar nicht zu finden, aber eine solche hatte der Rat bereits im 15. Jahrhundert durch seine restriktiven Maßnahmen gegen die Mitglieder der im Mittelalter zahlenmäßig relativ kleinen jüdischen Gemeinde gefördert. Knapp 20 Jahre zuvor waren die Juden auf Betreiben des Rates, der in den Besitz des beachtlichen Immobilienvermögens gelangen wollte, aus der Stadt getrieben worden, nachdem man dafür 1499 ein Mandat Kaiser Maximilians I. hatte erlangen können. In den Jahren danach versuchte der Rat immer wieder, geschäftliche Beziehungen zwischen Ulmer Bürgern und Juden zu unterbinden, und erließ weitere Verordnungen gegen Juden 38 . In der Fastenzeit des Jahres 1529 fand dann auf dem Ulmer Münsterplatz erneut ein Bilderfrevel statt, über dessen Ablauf das Geständnis einer der Beteiligten, einer gewissen Anna Mentzen aus Tomerdingen, genaue Auskunft gibt 39 . Betroffen von dem Frevel war die Christusfigur der Ölberggruppe. Anna Mentzen war in Begleitung („in gespill") einer weiteren Frau, Anna Braitinger, nach einem Besuch im „gunckelhaus" 40 des Jürgen Keller zum Ölberg gelaufen, hatten die Christusfigur von ihrem Platz entfernt und zum „gunckelhaus" des Klaus Keller gebracht. Dort postierte man den „hergot" vor der Türe auf einem Tisch. „Darnach were Ulrich Keller, Marx Nibling und Hans Maier komen und de[n] angesprochen, und als Er nit hab wollen sprechen, hab Ulrich Keller, als er selbst bekant, von
annder weg onseuberte oder schaden thet [...], der sol und muß ain pfundt heller zu straff und peen onableßlich geben und bezaln." Vgl. auch WEILANDT: Gotteslästerung, S. 421. 38 Im Jahre 1528 verbot der Rat, daß Juden in der Stadt übernachten durften, und nur ein Jahr später folgte die Anordnung, alle Juden in der Stadt sollten als Judenzeichen einen gelben Ring auf ihrer Kleidung tragen; vgl. ZEUGNISSE ZUR G E S C H I C H T E DER JUDEN IN U L M , S. 191-196; D I C K E R : Juden. Auf den Zusammenhang zwischen antijüdischen Motiven und Tendenzen und reformatorischer Bilderfrage wies jüngst SCHNITZLER: Vorwurf des „Judaisierens", S. 348-358 hin; vgl. auch KAUFMANN: Judentum, S. 429-461. 39 StadtA Ulm, U 5327: Bekenntnis der Anna Mentzen von Tomerdingen, 25. Jan. 1530 (Einzelblatt). - Die Datierung des Vorfalls in das Jahr 1529 ergibt sich aus der Angabe „in den vasten vergangen"; die Datierung bei SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 193, „einige Monate bevor der Ulmer Magistrat den endgültigen Entschluß zur Entfernung der ,Götzen' aus den Kirchen faßte", ist zu korrigieren. 40 Dabei handelt es sich um ein Haus, in welchem sich die Spinnerinnen (gunckel = Spinnrocken) eines Ortes - meist am Abend - trafen. Auch die Zusammenkünfte dieser Frauen, die gerne von jungen Männern besucht wurden, bezeichnete man als „Gunkelhaus"; vgl. FISCHER: Wörterbuch 4, S. 847-849, s. v. Kunkelhaus, Kunkelstub. Zum anrüchigen Charakter der Spinnstube als Aufenthaltsraum vgl. SCRIBNER: Volkskultur, S. 155 mit Anm. 13 (Lit.); KlNTNER: Memmingen, S. 512-514. - Bei der im Repertorium des Ulmer Stadtarchivs zu dieser Archivalie angegebenen Lesart „Gückelhaus" = „Hühnerhaus" handelt es sich offensichtlich um einen Lesefehler.
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leder zuckt und zu im geschlagen, un[d] die hannd abgehawen. Darnach hab Hanns Mair dy biltnuss herein in ir gunckelhaus tragen unnd auff dem tisch gesatzt und gesagt: ,Bistu Paulus, so helf dir', und damit über den disch abgestossen und gesungen. Wiss aber nit was. Idem hete eine das pild genommen und das bild zum venster aussgewurfen, darnach hete Anna Braitingerin und noch eine des biltnuss widerumb zum Olberg tragen. Bit einen ersamb ratt umb gnad." 41
Bob Scribner hat an diesem Beispiel verdeutlichen wollen, daß aus anthropologischer Sicht bilderstürmerische Aktivitäten auch als rituelle Prozesse verstanden werden können. Analog zu den drei Phasen der ,rites de passage' oder Einweihungsriten (Loslösung vom Alltag, Einsetzung des Einzuweihenden in einen gesonderten Raum und in eine gesonderte Zeit mit einer Prüfung des Einzuweihenden, Reintegration in den Alltag) handele es sich hier allerdings nicht um einen Einweihungs-, sondern um einen Entweihungsritus, wobei die Phasen und die strukturellen Verhältnisse gleichbleiben: Zuerst entfernte man die Christusfigur aus ihrem sakralen Raum, danach brachte man sie an einen profanen, nach damaligem Verständnis als unwürdig geltenden Ort, redete sie an, als ob sie eine Person sei (wobei man Christus als Paulus anredet!), und stellte sie auf die Probe. Nach nichtbestandener Probe und Bestrafung setzte man die Figur als „versagtes, entpersonalisiertes Wesen" zurück in den Ölberg 42 .
41
StadtA Ulm, U 5327. - Die in der Quelle genannten Personen einer sozialen Gruppe zuzuordnen, erweist sich als Problem. Im Ulmer Bürgerbuch von 1499-1547 wird lediglich ein Weber Ulrich Keller erwähnt; vgl. StadtA Ulm, A 3734, S. 292. Der Name Hans Mair taucht mehrmals auf und ein Marx Nibling gar nicht. Noch problematischer wird es, Informationen über die beiden Frauen zu finden: Anna Mentzen stammte aus dem Dorf Tomerdingen, nördlich von Ulm gelegen, in dem das Kloster Elchingen die wichtigsten Herrschaftsrechte innehatte. Leider beginnen die Taufregister für Tomerdingen erst 1530, so daß hier ebensowenig zu erfahren ist wie für die Ulmerin Anna Braitinger. Lediglich drei Personen namens Hans Braitinger und ein Matthias Braitinger werden im Ulmer Bürgerbuch erwähnt. 42 Vgl. SCRIBNER: Volkskultur, S. 154-157, Zitat: S. 157; DERS.: Ritual and Reformation, S. llOf. Weitere Beispiele dafür, daß religiöse Bilder zur Selbstverteidigung aufgefordert wurden, nennt MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 94f (u. a. Stralsund 1525, Basel 1529, Gignac 1622); zu Stralsund vgl. auch MOELLER: Bilder, S. 11-15.
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Ulm
Propheten vom ehemaligen Ulmer Ölberg Michel und Bernhart Erhart, 1516/18 © Ulmer Museum, Inv. Nr. Altertumsverein 1843 C+D.
So plausibel dieser Erklärungsversuch klingen mag oder auch eine andere Interpretation, die im „Appell an das vorwiegend weibliche Publikum der Spinnstuben"43 den wesentlichen Aspekt der Aktion auszumachen versucht, stimmen ganz praktische Hinweise nachdenklich. Betrachtet man nämlich die Größe und das Gewicht der fünf erhaltenen Prophetenfiguren im Ulmer Museum und rechnet auf der Grundlage des erhaltenen Risses von Böblinger das Gewicht der deutlich größeren Christusfigur hoch, kommt man schätzungsweise auf einige Tonnen44. Wie nun Anna Mentzen 43
44
SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 193.
Diese Erkenntnis verdanke ich Herrn Dr. Michael Roth (vorher Ulmer Museum, jetzt Kupferstichkabinett Berlin), der an einer Restaurierungsmaßnahme der Propheten
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und ihre Begleiterin diese schwere Christusfigur durch Ulm getragen haben sollen, bleibt rätselhaft. Möglich wäre auch, daß die Frauen eine andere Figur aus der Gruppe genommen haben - schon im Text wird ja Christus mit Paulus verwechselt - , aber letztlich bleibt auch dies pure Spekulation, zumal auch das Gewicht der kleineren Figuren von zwei Frauen kaum zu bewältigen war 45 . Leider ist auch keine Reaktion des Rates bekannt, die Aufschluß über die Haltung der Ulmer Obrigkeit zur Bilderproblematik vor der eigentlichen Entscheidung für die Reformation liefern könnte. Daß manche Bürger trotzdem weiterhin am Ölberg beteten und Kerzen anzündeten - wie offenbar am Gründonnerstag 1534 geschehen, geht aus dem Ratsprotokoll am Montag nach Ostern (6. April) hervor, als der Rat die Entfernung aller Figuren anordnete 46 . Aus dem Datum läßt sich aber auch die interessante Tatsache erschließen, daß der Ölberg von dem gleich zu schildernden Beschluß des Sommers 1531, die „Götzen" abzuschaffen, offenbar nicht betroffen war. Trotz der exponierten Lage vor dem Münster sollte es weitere drei Jahre dauern, bis der Rat 1534 die Figuren entfernen ließ und wie in der Abbildung zu erkennen ist, blieb nur die Architektur des Ölberges neben den Prophetenfiguren erhalten 47 . Dieses reduzierte, seines sakralen Inhalts beraubte „religiöse Bild" stand allerdings an seinem ursprünglichen Platz bis zum kompletten Abbruch im Jahre 1807 aus Anlaß der Verschönerung des Münsterplatzes 48 im Ulmer Museum beteiligt war und mich auf diese Tatsachen hinwies, wofür ich ihm herzlich danken möchte. 45 Wenn auch die Berichte des Chronisten Thoman mit seiner polemischen Intention vorsichtig zu betrachten sind, so geben sie doch zu der hier aufgetauchten Frage wichtige Informationen, welche die aufgeworfenen Zweifel bestärken. Zu den Ereignissen um den Ölberg 1534 (allerdings mit falscher Datierung) vermerkt er, „daß man in [= den Ölberg] sollt abbrechen und hinwegthon, daß geschah, und die bültnus unsers lieben herren wart an einem zug auffgezogen, dan der stain war groß und schwer. Legten der bültnus ein strick an den Hals, und ließens über Nacht hangen. Am morgen setzten sy ein stark gut roß aus dem Spital daran, wolltens an ein ortt schaffen oder füren, da wollt daß roß kain zug thon [...] die arbeiter mustens selb hinweg ziehen." StadtA Ulm, G 1/1536 Weißenhornische Chronik, S. 463f. 46 Vgl. StadtA Ulm, A 3530, RPr 12, fol. 183v: „Die bilder und der berg am olberg uff unser frawen kirchhoff sollen hinweg gethan werden." - Ein ähnlicher Bericht liegt aus Straßburg vor: „Ouoch des götzen gespenst des ölbergs do selb, do man ytz mer dan ander und im tag ein ampell brennend [so wohl richtig statt: bremend] anzindt, zuo eim tratz [= Haß, Anstoß] gottes und frommer Christen"; zit. nach WANDEL: Voracious idols, S. 120, Anm. 46. 47 1548 ordnete der Rat an, „den Oelberg zu versorgen, vor den Landsknechten so schaden daran thun", 1550 ließ man den Zaun ausbessern; StadtA Ulm, A 3530RPr 19, fol. 395v und RPr 21, fol. 54r. 48 Vgl. StadtA Ulm, A [1589]: Acte zur Verschönerung des Münsterplatzes 18041810; ULMER MUSEUM, S. 175.
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Ulm
Insgesamt gesehen, kann man festhalten, daß es nur wenige Berichte über Vorfälle gegenüber den Bildern vor 1531 gibt, da offensichtlich die Obrigkeit, falls es doch zu solchen Aktionen kam, sofort dagegen einschritt, um weitere bilderfeindliche Übergriffe zu unterbinden und Aufruhr zu vermeiden. 5. 3. 2 Die Bildentfernungen
in der Reichsstadt
1531
Gleich zu Beginn des Jahres 1531 drängte Konrad Sam den Ulmer Rat, Messe und Bilder abzuschaffen und gegenüber den Bilderverehrern nicht nachsichtig zu sein, wie er in einem Schreiben an Martin Bucer mitteilte: „Aber gegenüber den heilsamen Ermahnungen wurden sie taub und lassen die Priester die Messe lesen und die Götzenbilder zur Verehrung zeigen. Ich begann also die Sache strenger anzupacken und nahm mir vor, so lange fortzusetzen, bis sie entweder mich oder die Messe vertreiben. Bitte den Herrn, daß ich rede, was seiner würdig ist, und nichts aus dem Affekt heraus tue. Im übrigen scheint der Rat manchmal nach dem Augenschein [= oberflächlich] zu urteilen und demgemäß gegenüber den jungen Raben nachsichtig zu sein. Hier ist meine Meinung, daß der Rat nicht geringer sündigt, indem er die Schuldigen straflos läßt, als dadurch, daß er die Unschuldigen bestraft [vgl. Rom 13,3f], Sie führen die kaiserlichen Privilegien an, die dem Wort Gottes widersprechen. Wenn ich irgendwie irre, dann weise, bitte, den Irrenden zurecht." 49
Der Rat ließ sich jedoch nicht auf die Argumente seines Prädikanten ein und ließ - wohl auch um eigenmächtiges Handeln von vornherein zu unterbinden - in der Stadt verkünden, zunächst aus "kainer kirchen tafeln, bilder oder glesern, nichts [zu] nemen" 50 . Nach dem zweiten Schmalkaldener Treffen vom 29. März bis 3. April 1531 leitete der Rat dann aber konkrete Schritte für die Reform des Kirchenwesens ein. Ein Neunerausschuß mit 5 Patriziern (Bernhard Besserer, Georg Besserer, Weiprecht Ehinger, Konrad Roth und Eberhard Besserer) und 4 Zunftmitgliedern (Daniel Schleicher, Veit Fingerlin, Hans Müller und Jörg Schelling) wurde gebildet, dessen erster Vorschlag die Einbeziehung gelehrter Theologen in das weitere Vorgehen war. Man schrieb Bürgermeistern und Räten von Straßburg, Basel und Konstanz, setzte sich mit 49 BCor 5,165,26-166,9, Nr. 371: „Sed ad salutaria mónita obsurduerunt, sacrificos missare et idola ad cultum prestare sinunt. Coepi igitur rem acrius tentare et tam diu pergere statui, donec aut me aut missam expellant. Ora Dominum, ut se digna loquar et agam, nihil quod ex affectibus! Ceterum videtur nonnumquam magistratus secundum faciem judicare et juxta illud juvenalibus coruis veniam dare. Hic mea sententia est magistratum non minus peccare dimitiendo noxios quam puniendo innoxios; sicut enim bonis debent esse solatio, ita malis terrori [vgl. Rom 13,3f]. Imperatorum privilegia iactant, quae cum verbo Dei pugnant. Si quid erro, errantem moneas, queso!" (Konrad Sam an Martin Bucer, 3. Jan. 1531). 50 Stadt A Ulm, A [1553], Verkündzettel und Rufe, Nr. 11; vgl. W E I L A N D T : Gotteslästerung, S. 424, Anm. 26.
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Martin Bucer, Johannes Oekolampad und Ambrosius Blarer in Verbindung, suchte aber auch den Kontakt zu den benachbarten Reichsstädten, um über die Fragen einer christlichen Ordnung gemeinsam zu beraten 51 . Am 21. April 1531 beschloß der Rat auf Antrag der Religionsverordneten, die silbernen Bilder - gemeint sind damit vermutlich nicht nur die silbernen Pax-Täfelchen, sondern auch die wertvollen silbernen (und vermutlich auch goldenen) liturgischen Geräte - zur Aufbewahrung ins Steuerhaus bringen zu lassen 52 . Wie aus einem weiteren, unmittelbar nachfolgenden Beschluß hervorgeht, sollte mit den Patriziern über die Eigentumsfragen erst noch verhandelt werden 53 . Nur eine Woche später, am 28. April 1531, sollte der „götzen an dem Hertpruck thor" weggenommen und mit einer weltlichen Szene, die „sich der materi nach reimen wirt" 54 , ersetzt werden. Offenbar handelte es sich um ein Kruzifix, das zunächst mit einem Tuch verhängt und dann heruntergenommen wurde; die freie Fläche wurde dann durch eine Darstellung des Kaisers und der Kurfürsten ersetzt 55 . Der Chronist Thoman ergänzte später, daß das Kruzifix in den Hof der Dominikaner gebracht und dort verspottet worden sei, indem sich ein Anhänger der Reformation, „ein verwegner, verzweiffelter teufflischer mensch", in den Mund des Gekreu-
51 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol 63v-64r: „Es sollen auch, wann sie die geordneten mit irem rathschleg berait und vertig werden, die statt Costantz, Reuttiingen, Memingen, Lindaw, Biberach und Eysni [= Isny] zusammen beschriben [werden] und sich ainer einhelligen meinung vergleichen, was uff den zukünfftgen tag gehandelt soll werden. Inn dem allem ist aber eingrisen, das gut sein möcht von ainer christenlichen Ordnung und ceremonien zu reden und das, das wider gott sey, abzustellen, nemblich die meß ab und die götzen auß der kirchen zu thun [...] die mess ab und die bilder uss den kirchen zu thun [...] sind geordent nemlich mein gnediger herr Jorg Besserer burgermeister, Bernhart Besserer, Weiprecht Ehinger, Conrath Rot, Eberhart Besserer." Vgl. auch E N D R I S S : Reformationsjahr, S. 11. 52 StadtA Ulm A 3530, RPr 11, fol. 68v: ,,Di[e] silberen bildt in der pfarrn sollent zu verwarung in das stewerhawss geantwurtet werden"; E N D R I S S : Reformationsjahr, S. 6 3 . 53 StadtA Ulm A 3530, RPr 11, fol. 68v: „Hannsen Esslinger der elter sollent seine Ornaten und kelch aus seiner pfrundt getans je geantwortet werden." 54 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 71r. 55 Zum 1828/29 abgebrochenen Herdbrucktor vgl. K O E P F : Profanbauten, S. 78. - Als Gegenbeispiel kann das Gänstor angeführt werden. Bei Reparaturarbeiten am Gänstor entdeckte man 1996 an der Kielbogen-Nische über dem Torbogen der Außenseite Farbreste der ursprünglichen Bemalung. Durch den Vergleich mit der Federzeichnung des Stadtmalers Philipp Renlin von 1595 (vgl. Abb. S. 86) konnten der Bauhistoriker Hellmut Pflüger und Herbert Häußler vom Hochbauamt Spuren einer Darstellung der Madonna mit dem Jesuskind und Engeln offenlegen, die vermutlich zwischen 1495 und 1531 entstanden sein dürfte, aber den „Bildersturm" unbeschadet überstanden hat; vgl. P E T E R S H A G E N : Gänstor. Für den freundlichen Hinweis danke ich Dr. Henning Petershagen (Südwest Presse Ulm).
Ulm
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zigten entleert habe 56 . Ob sich diese Szene wirklich so abspielte oder ob es sich auch hier wieder um eine polemische Diffamierung des Glaubensgegners handelt, ist nicht mehr zu entscheiden, doch sollte bei der Beurteilung solcher Berichte stets der Faktor der konfessionellen Verzerrung berücksichtigt werden. Nachdem Bucer, Oekolampad und Blarer am 21. Mai 1531 in Ulm eingetroffen waren und ihre Arbeit aufgenommen hatten, forderten sie die Religionsverordneten gleich am nächsten Tag auf, die gesamte dem Rat unterstehende Geistlichkeit der Stadt und des Landgebietes vorzuladen. Kritik übten sie vor allem an denen, welche die Abgötterei weiter beschirmten. Nur zwei Tage später beantragten die Prädikanten, daß die Ulmer Untertanen auf dem Landgebiet dringend und gründlich durch sie Bucer, Oekolampad und Blarer - unterrichtet werden sollten und „ain ersamer Rat [...] mit abthun der götz und messen etc." beginnen sollte 57 . Bernhard Besserer, der gerade zur Kur in Bad Überkingen weilte, wurde am 24. Mai 1531 über die Vorstellungen der Theologen informiert, plädierte allerdings in einem Gutachten vom 25. Mai 1531 für ein gemäßigteres Vorgehen: Die Prädikanten eilten seiner Meinung nach viel zu sehr. Vor allem die Forderung, vor der Stadt- zunächst die Landbevölkerung zu unterrichten, mißfiel ihm, würden doch dadurch „die Roß hinten an [den] wagen gesetzt" 58 . Vielmehr sollten die auswärtigen Theologen erst in der Stadt zehn bis zwölf Tage predigen „und das Volk unterweisen [...], wie dan unser Prediger [= Sam] bisher viel getan hat, daß Messen, Götzen usw. unchristlich seien. Hieraufhätte E. E. R. den ehrbaren Zünften fürhalten sollen, ob sie die Abgötterei abthun wollten, ihnen auch zugleich Folgen davon bekannt machen und so ihr Gemüt kennen lernen sollen." 59
Auch hier zeigte sich wieder Bernhard Besserers zögerliches Verhalten. Sein Plan für das weitere Vorgehen war, erst auf eine längere Predigttätigkeit der fremden Prädikanten in der Stadt - ironischerweise mit dem Hinweis auf Konrad Sam, der zwar gegen die Bilder predigen, aber nicht handeln durfte - zu setzen, bevor dann der Rat die Entscheidung über Messe und Bilder wieder den Zünften vorlegen, ihnen die möglichen Konsequenzen ihrer Entscheidung vor Augen führen und ihre Meinungsbildung abwarten sollte. Er mahnt abschließend, nichts zu übereilen, sondern „mit vleys und gutem vorrat" zu handeln. Die Analogie zur Argumentation Bes56
StadtA Ulm, G 1/1536 Weißenhornische Chronik, S. 466. StadtA Ulm, A [8984/III], fol. 779-781 (Bericht der Religionsverordneten vom 22. Mai 1531) und fol. 783-785v (Bericht vom 2 4 . Mai 1531); vgl. auch D I E E I N F Ü H R U N G 57
DER REFORMATION IN ULM, K a t . - N r . 157 u n d 158. 58
auch 59
StadtA Ulm, A [8984/III], fol. 787v;
Reformationsakten, S. 258, Nr. 4; vgl. Kat.-Nr. 159. K E I D E L : Reformationsakten, S. 2 5 8 , Nr. 4 .
KEIDEL:
D I E E I N F Ü H R U N G D E R R E F O R M A T I O N IN U L M ,
StadtA Ulm, A
[8984/III],
fol.
788-791;
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serers während der Ereignisse über Annahme oder Ablehnung des Reichstagsabschiedes im Herbst 1530, als die Obrigkeit ebenfalls vor einer endgültigen Entscheidung die Haltung der Bürgerschaft erkunden und eine Abstimmung in den Zünften veranstalten ließ, ist unübersehbar. Offenbar konnte sich Bernhard Besserer aber mit dieser Forderung nicht ganz durchsetzen, denn zu einer weiteren Abstimmung über die Messe und die Bilder sollte es nicht kommen. Auf Betreiben seines Sohnes Georg Besserer, der 1531 das Bürgermeisteramt innehatte und zusammen mit den „Fünf Geheimen" am 27. Mai 1531 den Beschluß gefaßt hatte, das Vorhaben der Theologen zu unterstützen, konnte mit der Unterrichtung der Landgemeinden über die Pfingsttage (28. Mai war Pfingstsonntag) begonnen werden. Bucer, Oekolampad, Sam und Blarer predigten in Geislingen, Langenau, Leipheim und Ulm 60 . Grundlage für die Unterweisung wie auch für das vom 5. bis 7. Juni 1531 auf die Ulmer Ratsstube anberaumte Examen der Geistlichen sollte die v. a. von Martin Bucer ausgearbeitete ,Denkschrift Christliche Leern, Ceremonien und Leben' werden, die der Rat am 2. Juni 1531 genehmigte. Der erste dieser aus drei Teilen bestehenden ,Denkschrift' über die christliche Lehre war wiederum in 18 Artikel untergliedert, die, wie Bucer selbst vermerkte, als zentrale Glaubenssätze den Geistlichen zur Stellungnahme vorgehalten werden sollten 61 . Artikel 9 regelte den Umgang mit den Bildern: „Bilder und götzen in der kirchen haben erschrecklich ergernuß, unleuckbare abgötterey bracht und gefördert, wie sy auch anders nit wol bringen und fürdern konden, wa sy zu vereerung, das gott so hell und theür verpotten, Exo. 20, Deutro. 6 fürgestellet, darumb sollen sy in kirchen nit geduldet werden, und würt der gewisse abgottery beschirmen, der die bilder in kirchen vertedigen wölte." 62
60
V g l . B R I E F E U N D A K T E N Z U M L E B E N O E K O L A M P A D S 1, S . 6 1 1 m i t A n m .
1, N r .
878
(Oekolampad an Zwingli, 22. Juni 1 5 3 1 ) . 61 Vgl. StadtA Ulm, A [8983/1], fol. 192-214 (Manuskript der .Denkschrift Christliche Leern, Ceremonien und Leben'). Die ,18 Artikel' sind abgedruckt in: BDS 4,301,3304,9 (Gemein Ausschreiben, 31. Juli 1531); E N D R I S S : Reformationsjahr, S. 115-118. 62 StadtA Ulm, A [8983/1], fol. 197r; BDS 4,377,13-18 (Entwurf zur Ulmer Kirchenordnung, M a i / J u n i 1531); DIE EINFÜHRUNG DER REFORMATION IN ULM, S. 178
bei Kat.-Nr. 160. Zu den Korrekturwünschen Bucers, die Blarer vor dem Druck der Kirchenordnung berücksichtigte, vgl. oben S. 45f. Die korrigierte Fassung mit der richtigen Bibelstelle (Dtn 5,8) in der Kirchenordnung findet sich in BDS 4,303,1-6: „Bilder und gotzen in der kirchen haben erschrocklich ergernuß, unleugbare abgötterey bracht und gfurdert, wie sy auch anders nit wol bringen und fürdern konden, wa sy zu Verehrung, das Gott so hell und theür verbotten, Exo. 20[4-15], Deut. 5[8—10], fürgestölt, darumb sollend sy in kirchen nit geduldt werden, und würt der gwisse abgottery bschyrmen, der die Bilder in kirchen vertädigen wolte." (Gemein Ausschreiben, 31. Juli 1531).
112
Ulm
Darüber hinaus forderte Bucer in einem Nachtrag zu Art. 9 auch noch die Entfernung der „schilt und heim" 63 der Patrizier aus dem Münster. Denn niemand sollte sich darüber beklagen, daß nun der Heiligen Bildnisse aus den Kirchen geräumt werden und die nur zur Pracht und zum Ruhm in der Kirche hängenden Totenschilde und Wappen nicht. Diese sollten an andere Orte, d. h. außerhalb des sakralen Raumes, gebracht werden, wo dem Gedächtnis der Verstorbenen nichts im Wege stand. Im zweiten Teil der ,Denkschrift' über die Zeremonien wird der Bilderartikel etwas weiter ausgeführt, die Verehrung der in den Kirchen aufgestellten Bilder mit Bibelstellen, Zitaten aus den Kirchenvätern und Beispielen der alten Kirche als falscher Gottesdienst abgelehnt und als Teufelswerk gebrandmarkt 64 . Die Geistlichen, Ordensleute und der Landklerus mußten vom 5.-7. Juni 1531 auf dem Rathaussaal erscheinen, wo sie über ihre Einstellungen zu den ,18 Artikeln' verhört wurden. Das Ergebnis muß für die Theologen um Bucer allerdings ernüchternd gewesen sein: Von den 35 Stadtgeistlichen votierten nur fünf für die ,18 Artikel', andere fanden die Artikel zu lang oder zu scharf, wieder andere verstanden sie überhaupt nicht, und einige wollten bei der alten Lehre bleiben. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den Ordensleuten und den 67 Landgeistlichen. Größere Schwierigkeiten bereiteten der Dominikanerprior Köllin (vgl. unten) und der Geislinger Pfarrer Dr. Georg Oßwald, der sogar eine Gegenschrift gegen die ,18 Artikel' formulierte. Seinen Widerstand gegen Art. 9 begründete er damit, daß weder im Alten noch im Neuen Testament die Bilder verboten seien, „so man sie [= die Bilder] recht versteht" 65 , d. h. solange man sie nicht verehrt. Bucer setzte sich daraufhin am 27. Juni 1531 in einer öffentlichen Disputation mit Oßwald auseinander; dieser erschien zwar, ging aber nicht auf die Argumente Bucers ein und beharrte auf seinem Standpunkt. Neben den Geistlichen mußten die drei Theologen v. a. aber auch die politisch Verantwortlichen von ihren Vorschlägen überzeugen. Die Religionsverordneten beratschlagten in Abwesenheit der Prädikanten über die ,18 Artikel', brachten ihre Bedenken zu Papier und machten hinsichtlich der Bilder folgende Vorschläge: Die Kirchenpfleger sollten eine Liste mit den Namen der Stifter aller Altäre, Bilder und Tafeln erstellen und die 63
StadtA Ulm, A [8983/1], fol. 213v; ENDRISS: Reformationsjahr, S. 52. Zu den Ulmer Totenschilden vgl. RIEBER: Totenschilde, S. 333-376. 64 Zu Bucers Bilderverständnis vgl. oben S. 3 3 ^ 0 ; BDS 4,295,12-297,15. - Zur Berurteilung vgl. KOHLS: Bucers Entwurf, S. 186: „In der Frage der Kirchenbräuche, der Bilder und der Feiertag geht Bucer in seinem Ulmer Gutachten nicht wesentlich über das hinaus, was er schon früher vor allem in seiner Schrift ,Grund und Ursach' (1524) zu diesen Dingen gesagt hat." ANRICH: Kirchenordnung, S. 100: „[...] über die Maßen leidenschaftlich spricht sich die Ordnung gegen die Bilder in den Kirchen aus." 65 Zit. nach ENDRISS: Reformationsjahr, S. 34.
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Stifter dann benachrichtigen, damit sie ihre Gegenstände „hinwegtun" könnten; auswärtige Stifter sollten erst vom Rat angeschrieben werden. Die Bilder, die nicht von den Stiftern abgeholt werden, sollte der Rat in „ordentlicher und fügsamer Weise mit Zuschließung der Kirchen ab- oder hinwegtun und das alles in das Spital oder an einen andern bequemen Ort führen" 66 lassen. Die Forderung der Prädikanten, Schilde und Helme aus dem Münster zu entfernen, wurde ganz zurückgewiesen; die Gedächtnistafeln der Patrizier hielten die Religionsverordneten nicht für Götzen: „Denn meine Herren die verordneten können sich je nit erinnern, das dieselben niemant ergerlich, sondern uß vil ansehlichen Ursachen wol zu gedulden sein mögen." 67 Mit der Abschaffung von Messe und Bildern auf dem Land sollte man nichts überstürzen und auf eine passende Gelegenheit warten. Bucer und seine Kollegen beschwerten sich daraufhin beim Rat und drängten diesen zu einem konsequenteren und härteren Vorgehen, denn sonst könnte neue „Götzerei" mit den Bildern oder Tafeln entstehen, „wenn sie ein jeder seines Gefallens verwende, zum Nachteil göttlichen Worts ausgerichtet werden" 68 .
66
ENDRISS: Reformationsjahr, S. 58f. Ebd. - Offenbar legte der Rat aber in der Folgezeit ein verändertes Verhalten in der Frage des Totengedenkens an den Tag. 1535 empörte sich Wolfgang Reichart (vgl. oben Anm. 8) über die Tatsache, daß der Rat ihm verboten hatte, die von ihm gedichteten Epitaphien und sein Wappen auf die Grabplatte seines verstorbenen Sohnes Raphael anbringen zu lassen. Reicharts Zustimmung zur evangelischen Lehre kehrte sich u. a. wohl dadurch sogar ins Gegenteil: In einem Brief an den Beichtvater Heinrich vom Klarissenkloster in Söflingen äußerte er seine heftige Kritik: „Haec omnia non, quod apud me in dubio sit animas esse immortales, sed quod placuit mihi philosophorum naturale hoc simbolum Lutheranosque in hac parte abominor, quando nimietate gaudent et undique in extremis laborant, omnia in ruinam profligant. De exequiis et sepulchris loquor, ubi nimiam pompam explodentes etiam mediocritatem calumniati sunt. Imo totam ferme defunctorum deleverunt memoriam demolientes sacrophagos, tumbas atque tabulas una cum epitaphiis. Id me male habet maxime, nec probo eorum sententiam, sed monumentis arma, insignia et epitaphia insculpere laudo pro memoria redintegranda fecique arma mea in filii Raphaelis nuper defuncti pingere tumbam; quae tibi atque aliis bonis amicis mittere volui, ut nonnunquam respicientes inter Chartas hoc de filii mortui insigne memores mei fiatis et condoleatis dolori meo, quem de eius obitu sustuli, propter nostram amicitiam hoc proverbio admoniti, quod amicorum omnia sunt communia"; vgl. LUDWIG: Rychardus, S. 267f. 272-276 (Zitat: S. 273). 287-289. 291-294; DERS.: Sammlung, S. 119 und S. 126f, bes. Anm. 36; DERS.: Aufklärung. S. 176. 67
68
Z i t . n a c h ENDRISS: R e f o r m a t i o n s j a h r ,
Kirchenordnung, S. 100.
S. 5 9 ; v g l .
auch ebd.,
S. 5 2 ;
ANRICH:
Ulm
114 5. 3. 2. 1 Der Ratsbeschluß Ulmer Münster
vom 19. Juni und das Ausräumen der Bilder im
Nun war es der Rat, der eine Entscheidung treffen mußte, um mit der Umgestaltung des Kirchenwesens voranzuschreiten. Nachdem am 16. Juni 1531 der Befehl zur Abschaffung der Messe erfolgt war, behandelte man in der Ratssitzung vom 19. Juni 1531 erneut die Bilderfrage, offenbar auf Antrag der Besserer im Rat, da es zunächst um die „Beßerische bilder und tafflen in der pfarrkirchen ging" 69 . Der Rat entschied, daß alle wie die Besserer verfahren sollten: „Alle, die so bilder und taffein in der pfarrkirchen haben, sollen sich heut bei meinen herrn burgermeister und den verordneten anzeigen und beschaid nemen, wann und wie sie ire taffein unnd bilder aus der pfarrkirchen thun sollten."70
Dann sollten sich der „murr" (Polizeidiener) und die „ainunger" (untere Polizeibehörde) an den Eingang des Münsters stellen und den Unbefugten unter Androhung von Strafen während der angeordneten Maßnahme, die „bilder in der pfarrkirchen hinweg zu thun" 71 , den Zugang verwehren 72 . Diese Maßnahmen des Rates sollten also jegliche Form von Aufruhr und Unruhe von vornherein unterbinden und lassen nicht, wie oft behauptet wird, auf tumultuarische Szenen zu Beginn des „Ulmer Bildersturms" schließen, die von der Obrigkeit in geordnete Bahnen gelenkt werden mußten 73 . Über die Dauer der Ausräumung im Münster gibt es unterschiedliche Angaben, sowohl über den Anfang (19. oder 20. Juni) als auch über das Ende: Am 21. Juni bereits sollen Bucer, Oekolampad und Blarer gegenüber den Religionsverordneten auf die erfolgte Beseitigung der „Götzen" Bezug genommen haben 74 . Am 22. Juni erwähnt Oekolampad gegenüber Zwingli
69
StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 97r. Ebd. 71 Ebd. 72 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 97r: „[...] und menigklich, der nit darein beschaiden ist, by X ß [= Schilling] zu gebieten, ußer der kirchen zu pleiben. Wer ungeheißen erscheint, sol umb die X ß onablessig gestraft werden." 73 Zu den Schilderungen in der Sekundärliteratur vgl. ENDRISS: Reformationsjahr, S. 70
6 3 ; NÜBLING: U l m
1, S . 4 7 2 ; WEILANDT: G o t t e s l ä s t e r u n g , S . 4 2 4 ; SCHNITZLER:
Iko-
noklasmus, S. 202, Anm. 23; SLADECZECK: Bildersturm, S. 596f (Sladeczeck behauptet einerseits, der Ulmer Rat hätte alle Ausräumaktionen fest im Griff gehabt und es sei nicht wie in Bern zu zwischenzeitlichen kleineren Tumulten gekommen; andererseits reiht er Ulm neben Augsburg, Basel und Zürich ein, wo sich „die Bildentfernung zunächst tumultartig entladen habe, bevor sie anschließend in geordneten Bahnen unter obrigkeitlicher Kontrolle zu Ende gebracht" worden sei). - Zu weiteren Beispielen von Strafandrohungen durch die Magistrate vgl. SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 202, Anm. 235. 74
V g l . ENDRISS: R e f o r m a t i o n s j a h r , S. 6 5 m i t A n m . 4 2 .
Die reformatorische
Bilderproblematik
115
in Ulm
eine dreitägige Dauer 75 ; am 23. Juni berichten die in Ulm tätigen Theologen, daß die Ulmer nun endlich „entgegen dem kaiserlichen Edikt die Greuel der Messe und der Bilder aus den Kirchen herausgeworfen" 76 haben. Welche Stifterfamilien wann welche Sachen aus dem Münster bringen ließen, ist zwar nur selten quellenmäßig belegt (vgl. unten). Aber selbst wenn die Handwerker sofort am 19. Juni angefangen haben, waren sie mit dem Wegräumen der nicht von ihren Stiftern abgeholten Bilder vermutlich länger beschäftigt als bis zum 22. oder 23. Juni. Denn was seit der Grundsteinlegung des Münsters von 1377 bis zur Reformationszeit an sakraler Kunst in die Pfarrkirche gestiftet worden war, konnte wohl kaum in drei bis vier Tagen - wie gleich zu schildern sein wird - zerschlagen oder ordentlich weggeräumt werden. Allein schon der Abbruch des Hochaltar-Retabels war eine recht aufwendige Angelegenheit, die vermutlich einen Großteil der Zeit beanspruchte. Jörg Syrlin d. Ä. hatte 1474 mit den Kirchenbaupflegern einen Vertrag über den „sarch" [= Predella] für das Hochaltar-Retabel des Münsters abgeschlossen und eine Visierung vorgelegt, die aber nicht nur die Predella, sondern den gesamten Schrein umfaßte und uns über das ikonographische Programm Auskunft gibt (Maria von Engeln gekrönt im Schrein, Christus und die Apostel in der Predella, Marienkrönung im Gesprenge) 77 . Die Skulpturen hatte der Ulmer Bildhauer Michel Erhart ausgeführt. Das monumentale Retabel stand seit 1480 im Chorbogen des Münsters und lieferte, wenn die Berichte darüber zutreffen, nach der Zerstörung recht viel Brennholz 78 . Der Altarstein des Hochaltars sollte hingegen nicht angetastet und zum evangelischen Abendmahl benutzt werden 79 . Damit war der Rat der Forderung der Prädikanten nach einem schlichten Abendmahlstisch nachge-
75
„Imagines et altaria hoc triduo in precipua ede parochiali diruuntur"; Z
N r . 1 2 2 8 ; B R I E F E UND A K T E N ZUM L E B E N O E K O L A M P A D S 1, S . 6 1 1 , N r . 8 7 8
pad an Zwingli, 76
22.
Juni
11,490,4, (Oekolam-
1531).
B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R , S . 2 5 0 , N r .
191;
BCor 6, S. 11,8-10, Nr. 430: „Nam quod iam palam est: neglecto imperatorio edicto, missae et idolorum abominationes e templis eiecit." (A. Blarer, Bucer, Oekolampad und Sam an Joachim Vadian, 23. Juni 1531). 77 Zum Riß des Hochaltar-Retabels vgl. jetzt M E I S T E R W E R K E - M A S S E N H A F T , Kat.Nr. 2 5 (Lit.) mit Abb. 4 6 9 und 4 7 9 ; S C H N E C K E N B U R G E R - B R O S C H E K : Riss, S . 7 6 - 8 5 . 78 Zu dieser sozialen Dimension vgl. auch VEESENMEYER: Sionpilgerin, S. 44: „Es wird berichtet, daß zu der Zeit, als diese und so viele andere Kapellen vor dem Sturme fielen, das Gestühl und die hölzernen Bilder armen Leuten als Brennmaterial überlassen wurden. So erhielt ein Weber, Hans Fischer, ein Bild des Apostels Jakobus. Als er es in den Ofen schieben wollte, stieß es an. Da sagte er: ,Duck de, Jäkele, du mußt nei!'" 79 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 99r.
116
Ulm
kommen 80 . Weitere Stiftungen im Chor, die den Ratsherren vorbehalten waren und auch nicht zerkleinert wurden, waren der Dreisitz und das ebenfalls in den Werkstätten Syrlins und Erharts gefertigte Chorgestühl (146774) 81 . Offenbar spielte hier der praktische Nutzen für den Erhalt die entscheidende Rolle, konnte doch so auch der evangelischen Geistlichkeit eine Sitzgelegenheit eingeräumt werden. Ob es wirklich damals schon zu den Verstümmelungen am Chorgestühl kam, bleibt fraglich 82 , hatte der Rat doch ausdrücklich gewünscht, daß die Bilder auf dem Chorgestühl bleiben sollten. Über das Schicksal der restlichen 50 der ehemals 52 Münsteraltäre (zieht man den Marien- und den Hochaltar ab, die bereits erwähnt wurden) 83 kann man Folgendes festhalten: Von den Familien, die „Tafeln, Bildnisse, Altäre, Götzen in der Kirche" hatten, werden genannt: Besserer, Günzburger, Roth, Kraft, Jörg Hörwart zu Augsburg, Laupin, Greck, Lay, Wilhelm Lang (Esslingen), Ginger, Geßler, Neithart, Ströhn, Umgelter, Gassolt, Otten Alter, Ehinger, Asmus Beizinger, Schleicher, Rottengatter, Bischofer, Schütz, Hans Lieber. Von dem Angebot, ihre gestifteten 80
Vgl. StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 103r; ENDRISS: Reformationsjahr, S. 67, Anm. 46. 81 KEIDEL: Reformationsakten, S. 277, Nr. 31: „Die Bilder auf dem Chor sollen bleiben." - Zum Ulmer Chorgestühl vgl. MILLER: Chorgestühl, S. 44-53; DEUTSCH: Hochaltar, S. 293-304; zur Chorausstattung vgl. WEILANDT: Quellen, S. 36-43. 82 So WEILANDT: Gotteslästerung, S. 424 mit Anm. 32 (Verweis auf einen chronikalischen Bericht von 1673). Als noch älterer Beleg ist die Predigt des Superintendenten Konrad Dietrich zum Reformationsfest 1617 zu nennen, in der er wenig Verständnis für die Aktionen 1531 bekundete; abgedruckt in SCHMITT: Ulmer Münster, S. 28-31. „An denen HeuptSeulen sind der Apostel vnd andere schone Bilder gestanden/ welche alle herundergerisen/ die vbrige so man nicht außschaffen können/ sind zerpickelt/ zerhackelt/ zerstimmelt vnd zerstümpelt/ wie dann noch die Stund der Augenschein an Kirchthuren vnnd dem schonen hültzern Gestül im Chor genugsamb außweiset." (Zitat S. 30f.) Bereits 1655 hatte der Rat den Bildhauer Johann Ulrich Hurter mit den Renovierungsarbeiten am Chorgestühl beauftragt; vgl. SCHMITT: Ulmer Münster, S. 41: „Weiln die schön geschnitze Bilder an den Stühlen im Chor von langer Zeit hero zergänzt und zerstimlet sein, solle der Bildschnitzler Hurter uff den Augenschein gefuhrt und vernommen werden, ob er denselben helfen und was er für seine Arbeit nehmen wollte." Zeitgenössische Hinweise auf Verstümmelungen in der für diesen Zeitraum sehr dichten reichsstädtischen Überlieferung fehlen aber, und es ist merkwürdig, daß der Rat nicht auf Verstümmelungen an „seiner" Stiftung reagiert haben soll. 83 Vgl. TÜCHLE: Münsteraltäre, S. 126-182. Wie Hermann Tüchle nachgewiesen hat, kamen in der Zeit nach 1471 nur noch vier der insgesamt 50 privaten Altarstiftungen hinzu. Zunächst waren viele Altäre nur mit Wandbildern oder einfachen Retabeln geschmückt; zu Recht vermutete schon Tüchle, daß ein Großteil der älteren Altäre im 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts modernere Ausstattungen, z. B. mit Flügelaltären, erhielt. Vgl. auch WORTMANN: Ulmer Münster, S. 53. - Insgesamt gesehen zeichnete sich aber auch in Ulm Ende des 15. Jahrhunderts ein Ende der Retabel-Konjunktur ab; vgl. LICHTE: Kunstbetrieb, S. 118-121.
Die reformatorische
Bilderproblematik
in Ulm
117
Kunstwerke in Sicherheit zu bringen, machten offenbar einige Familienangehörige Gebrauch: „Manche nahmen sie selbst zu Händen; manche überließen sie einem Ehrsamen Rat, manche wollten warten, bis sie die Gesinnung der entfernten Familienmitglieder erfuhren. Unterdessen wurden aber diese Bilder in die Grüften oder in den Pfarrhof gethan. Die Neithart thaten die ihrigen in die Liberei." 84
Von den gerade erwähnten Neitharts, einer der angesehensten Ulmer Patrizierfamilien, liegt uns ein schriftliches Zeugnis über den Abtransport der sakralen Gegenstände vor. Auf einem Rechnungsbeleg notierte ein Mitglied der Familie für die entstandenen Transportkosten: Die „tafeln abtzubrechen und haijm in das gewelb zu füren 8 ß [= Schilling] und 2 h [= Heller]." 85 Ob die altgläubig gebliebene Patrizierfamilie die Gegenstände aus der Neithart-Kapelle des Münsters wirklich in ihrer Bücherei oder woanders aufbewahrte, ist nicht bekannt. Unversehrt konnten aber im 19. Jahrhundert drei mittelalterliche Altar-Retabel, darunter das aus der Weckmann-Werkstatt stammende Sebastians-Retabel (um 1492) oder das Barbara-Retabel, Tafelmalereien und Heiligenstatuen an ihren ursprünglichen Aufenthaltsort zurückkehren 86 . Ob auch das Hausaltar-Retabel mit dem Wappen der Ulmer Neitharts, der im geschlossenen Zustand eine Verkündigungsszene zeigt und sich heute im Historischen Museum in Basel befindet, ursprünglich seinen Platz in der Neithart-Kapelle des Münsters hatte, konnte nicht geklärt werden 87 . Das 1520/21 fertiggestellte Hutz-Altar-Retabel von Martin Schaffner 88 84
KEIDEL: Reformationsakten, S. 277, Nr. 31. StadtA Ulm, D Neidhart, Lit. 1, Fasz. mit der Aufschrift: .Hernach volgt, was ich von meiner voreitern stifftung in der Neythart Cappel außgeben hab, angefangen anno etc. [15]24 [bis 1531]', fol. 5r. 86 Zur Neithart-Kapelle vgl. WORTMANN: Ulmer Münster, S. 80f; zum Sebastians85
a l t a r - R e t a b e l v g l . MEISTERWERKE - MASSENHAFT, S. 6 2 u n d A b b . 4 7 ; MAIER-LÖRCHER:
Ulmer Kunst, S. 104f. 87 Vgl. BOOCKMANN: Stadt im späten Mittelalter, S. 69, Nr. 105. 88 Martin Schaffner (um 1477/78-1546/49) stand Anfang der 1520er Jahre auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens. Seine gutgehende Ulmer Malerwerkstatt verlor mit der Einführung der Reformation an Bedeutung, da nun viele Aufträge wegfielen, hatte doch das Bilderstiften seine heilsbringende Wirkung verloren. Schaffner selbst blieb beim alten Glauben. Den wirtschaftlichen Ruin konnte er nur durch kleinere Auftragsarbeiten für den Ulmer Rat und wenige Aufträge für altgläubige Adlige abwenden. Vgl. LUSTENBERGER: Schaffner; LLTZ: Bekenntnis, S. 86f; METZGER: Ulmer Stadtmaler, S. 182f. Hinweisen möchte ich auf die gerade am Kunsthistorischen Institut der Universität Erlangen entstehende Dissertation von Manuel Teget-Welz mit dem Arbeitstitel „Martin Schaffner und seine Werkstatt".- Der Bildhauer Daniel Mauch, der wie Schaffner kein Anhänger der evangelischen Lehre wurde, verließ Ulm bereits 1529, der Maler Hieronymus Zeitblom, ein Sohn des Bartholomäus Zeitblom, folgte 1532. Vgl. dazu ROTT: Quellen 2, S. 62; WEILANDT: Gotteslästerung, S. 426. Allerdings gab es auch
118
Ulm
war eines der modernsten Ausstattungsstücke vor der Bilderentfernung 89 . Der Kaufmann Laux Hutz, einer der reichsten Ulmer Kaufleute, hatte in seinem Testament den Familienaltar noch einmal bedacht, indem er eine ansehnliche Summe für ein neues Altarbild stiftete. Als auszuführenden Künstler hatte Hutz Martin Schaffner ausgewählt und nahm sogar Einfluß auf die künstlerische Gestaltung: Er selbst sollte als Zebedäus und Angehörige seiner Familie als Mitglieder der Hl. Sippe dargestellt werden. Allerdings schmückte das neue Altarbild nur knapp zehn Jahre den Familienaltar, bevor der Rat Matthäus Lupin, einem Erbe der Familie Hutz, dann am 21. Juni 1531 „vergönnt [= erlaubte], der hutzen tafel zu seinen henden zu nemen" 90 . Bereits Anfang des 17. Jahrhundert kehrte das Hutz-AltarRetabel wieder ins Münster zurück, was er einer wiederum veränderten Einstellung zur sakralen Kunst verdankte; heute steht er - etwas verloren wirkend - als Hochaltar-Retabel im Chor des Münsters. Ein Beispiel für den Tatbestand, daß ein Altar-Retabel aus der Pfarrkirche nach den Jahren der „Nichtnutzung" im Münster 91 einer „Um- oder Weiternutzung" in einer Kirche des Ulmer Territoriums zugeführt wurde, ist der Georgsaltar-Retabel in der evangelischen Pfarrkirche St. Laurentius in Scharenstetten 92 . Wie das Dankesschreiben des Pfarrers und des Amtmannes berichtet, wurde das Retabel 1760 den Scharenstettenern vom Münsterbaupflegamt geschenkt 93 . Das auf das Jahr 1509 datierte Marienaltar-Retabel in der Evangelischen Filialkirche von Lautern aus der Werkstatt Michel Erharts ist ein weiteres Beispiel für den Umzug ins Ulmer Landgebiet, ebenso das Retabel in der katholischen Pfarrkirche St. Ulrich im oberelchingischen Dornstadt, das 1887 aus nicht näher verifizierbarem Privatbesitz dorthin gelangte 94 . Das in der Weckmann-Werkstatt gefertigte Marienaltar-Retabel in der heutigen
Künstler wie Niklas Manuel Deutsch oder Jörg Breu, die den Aktionen gegen religiöse Bilder durchaus positiv gegenüberstanden; vgl. MOELLER: Bilderstürmer; KRÄMER: Jörg Breu d. Ä., S. 116f. Viele von ihnen nahmen andere Arbeiten an oder verdingten sich sogar als Landsknechte, wie die Biberacher Maler Hans und Christian Watelbach; vgl. ROTT: Quellen 1/1, S. 186 und L/II, S. 152f. 89 Zum Hutz-Altar-Retabel vgl. WEILANDT: Gotteslästerung, S. 421-423 mit Abb. 570-572 und S. 426;. 90 Vgl. StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 99r. 91 Als mögliche Aufbewahrungsorte, an die die Handwerker die nicht abgeholten Gegenstände hatten räumen können, werden genannt: Spital, Kirchhof, Abstellkammern der Münsterbauhütte oder nicht mehr benutzte Kapellen des Münsters. 92
V g l . MAIER-LÖRCHER: U l m , S. 1 0 6 f ; KOPPENHÖFER: A l t ä r e , S. 3 3 - 5 1 .
93
Vgl. StadtA Ulm, A [1696],
94
V g l . MEISTERWERKE - MASSENHAFT, S. 6 2 ; MAIER-LÖRCHER: U l m , S. 7 4 f ; DIES.:
Ulmer Kunst, S. 108f.
Die reformatorische
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Evangelischen Pfarrkirche in Reutti (1498) stammt vermutlich aus dem Besitz der Familie Roth, die in Reutti Ortsherrn waren 95 . Die Altar-Retabeln aus Wippingen, Merklingen und Ersingen, die anläßlich der Ausstellung ,Altäre aus der Ulmer Schule des 15. Jahrhunderts' im Jahre 1977 an den das Hauptschiff zum nördlichen Seitenschiff abschließenden Pfeilern des Münsters aufgestellt wurden, vermitteln einen Eindruck von der möglichen Innenausstattung 96 . Eine Herkunft dieser Retabeln aus dem Münster ist jedoch nicht gesichert 97 . Zumindest Teile von Altar-Retabeln, die nicht von den Stifterfamilien abgeholt wurden, dürften sich in diversen Museen und Sammlungen erhalten haben. Heute noch sichtbares Zeichen der destruktiven Energie im Münster ist der Rest des steinernen, in die Ostwand des Südseitenschiffes eingetieften Hall-Karg-Retabels 98 . Trotz der Verstümmelungen kann man noch heute die Reste der alten Bemalung, die Künstlerinschrift des Hans Multscher und die Datierung in das Jahr 1533 erkennen. Vermutlich stand in der Mitte der Figurengruppe eine Maria, flankiert von den Brustbildern der Hll. Konrad und Diepold, die aus den Fenstern zu den Seiten hervorlehnten. An der Kanzel schlug man lediglich die Reliefs mit den bildlichen Darstellungen ab; sie wurden erst 1937 durch neue ersetzt 99 . Die zwei Orgeln, auf deren Flügeln Bilder zu sehen waren, sollten auf Wunsch des Rates ebenfalls entfernt werden 100 . 95
Zu Reutti vgl. STADT NEU-ULM 1869-1994, S. 611; zum Altar-Retabel vgl. MEI-
STERWERKE - MASSENHAFT, S . 8 3 . 9 4 . 3 3 8 m i t A b b . 8 6 . 1 1 5 . 4 9 2 ;
MAIER-LÖRCHER:
Ulm, S. lOOf; DIES.: Ulmer Kunst, S. 108f; RIEBER/KONRAD: Reutti, S. 6 - 9 . l l f . 14-24. Ob das Altar-Retabel ursprünglich für einen Seitenaltar im Ulmer Münster oder gleich für den Chor der Dorfkirche in Reutti angefertigt wurde ist umstritten. Für freundliche Auskünfte danke ich Herrn Pfarrer Stefan Reichenbacher (Neu-Ulm/Reutti). 96
V g l . D I E EINFÜHRUNG DER REFORMATION IN U L M , K a t . - N r . 2 1 u n d 2 4 ( A b b . ) . - Z u
den Altären vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 131-134; KOPPENHOFER: Altäre, S. 53-73 (Wippingen) und S. 11-31 (Merklingen); MAIER-LÖRCHER: Ulm, S.76f. 54f. 128f; BECK: Zwischen Südostalb und Mittelschwaben, S. 76f. Zu Ersingen vgl. unten S. 128. 97 Bisher sind also sieben Altäre benannt, die nachweislich aus dem Münster stammen; WORTMANN: Ulm als Kunstmetropole, S. 29, nennt dagegen sechs Beispiele. 98 Die Kargsche Stiftung war aus einer Donation Luiprands von Halle und der Schwestern Anna und Elisabeth Karg hervorgegangen. Nach dem Aussterben der Familie Karg Ende des 15. Jahrhunderts ging die Administration auf die Familien Schad, Krafft und Roth über. Zum Karg-Retabel, das nach der Entfernung der Skulpturen durch eine Bretterwand und Ziegelmauer verschlossen und erst 1905 wieder aufgedeckt wurde, vgl. HANS MULTSCHER, Kat.-Nr. 17 (Abb.); KROHM: Karg-Nische, S. 109-127; ROMMEL: Karg-Nische, S. 138-143; TRIPPS: Hans Multscher, S. 69-86. 99 Vgl. FRIEDRICH: Arbeiten, S. 82-84. 100 KEIDEL: Reformationsakten, S. 277, Nr. 31: „Einem Rat soll angezeigt werden, auch die beiden Orgeln hinwegzuthun". Weitere Einzelheiten über den Abbruch der bei-
120
Ulm
Zu weiteren Kunstwerken, die nicht zerstört wurden, aber zu einem nicht immer bekannten - Zeitpunkt das Münster verließen, gehören etwa das spätgotische Kruzifix aus dem Umkreis Michel Erharts, das ursprünglich im Triumphbogen des Münsters hing, heute allerdings die katholische Pfarrkirche St. Martin in Wiblingen schmückt. Der Palmesel, den Hans Multscher 1464 fertiggestellt hatte, stand funktionslos von 1531 bis 1817 in der Rothschen Kapelle im Münster, bevor er 1844 ins Ulmer Museum kam. Im Münster selbst verblieben aber auch allerlei Kunstwerke, so etwa das 1471 vollendete Sakramentshaus, der Taufstein und das Weihwasserbekken (um 1507) 101 . Den Schmerzensmann von Hans Multscher, ebenfalls eine Stiftung der Familie Hutz, hatte der Rat ausdrücklich von einer Zerstörung ausgenommen und bestimmt, daß er an seinem angestammten Platz am Westportal bleiben sollte 102 . Desweiteren wurden auch die Glasfenster und die reichlich im Münster vorhandenen Wandmalereien nicht angegriffen 103 . Daß im Ulmer Münster viele Marienbildnisse vorhanden waren, ist nicht weiter verwunderlich, war doch die Pfarrkirche der Muttergottes geweiht; erstaunlich ist aber die Tatsache, daß sich trotz der Bilderentfernung im Sommer 1531 so viele mittelalterliche Beispiele erhalten haben 104 . Wie viele Gegenstände aus dem Münster ins Museum wanderten, kann nur angedeutet werden 105 . den Orgeln sind nicht bekannt, aber auch hier kann man gut zeigen, wie die späteren Darstellungen das Geschehen ausschmücken. So schildert Konrad Dietrich in seiner Orgelpredigt von 1624 den „Orgelsturm" folgendermaßen: „Die beyde Orgien wurden aufgehoben und hinaus geschafft/ als es aber schwer hergehen wollte/ die große Orgel mit allem herunter zu bringen/ bunde man Sailer und Ketten darum/ spannete sodann Pferdte an diese/ und risse vermittelst derselben mit gröster Gewalt alles herunter"; SCHMITT: Ulmer Münster, S. 111-114, Zitat: S. 112. Vgl. auch ENDRISS: Reformationsjahr, S. 65f. 101 Vgl. WORTMANN: Ulmer Münster, S. 42-46 und 52. Die Bilder am Fuße des steinernen Taufbeckens waren allerdings auch unbedenklich: Neben zwei Löwen sind die Brustbilder von zwei Löwen, sechs Propheten und zwei Königen neben den Wappen des Reiches und der Kurfürsten zu sehen. 102 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 99r: „[folgt gleich im Anschluß an den oben in Anm. 88 zitierten Beschluß des Rates für den Hutz-Erben] Aber das Bild unter dem portal [= Schmerzensmann] soll stan pleiben." 103 Zu den mittelalterlichen Glasmalereien vgl. SCHOLZ: Glasmalereien; zu den Wandmalereien vgl. WORTMANN: Ulmer Münster, S. 42. 47-49. 104 Vgl. SCHMID: Marienbilder. - Schmid hat 150 Marienbildnisse auf Altären, Gemälden, Glasfenstern, Skulpturen etc. aus dem Münster zusammengetragen, wobei er auch diejenigen berücksichtigt, die zerstört wurden oder sich nicht mehr am ursprünglichen Ort befinden. 105 Vgl. beispielsweise ULMER MUSEUM, Kat.-Nr. 55. 56. 67. 68. 73. 74. 79. 80. 85. 87. 88. 90-92. - Bei der Durchsicht der Objekttaschen im Ulmer Museum konnten keine weiteren Aufschlüsse über die Herkunft dieser sakralen Kunstwerke gewonnen werden; viele von ihnen gelangten im 19. Jahrhundert durch den Ulmer Altertums verein in die
Die reformatorische
5. 3. 2. 2 Die Bildentfernungen
Bilderproblematik
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121
in den übrigen Ulmer Kirchen und Kapellen
Nach der Beseitigung des „Götzenwerks" aus dem Münster befaßte sich der Rat in seiner Sitzung vom 23. Juni 1531 erneut mit den Bildern und faßte folgenden Beschluß: „Meinen günstigen herrn, den verordneten, ist bevolhen, darum zu reden, wann di bilder und tafeln auß andern kirchen alhie zu Ulm auch zu thun sein werden und wie." 106 Die Theologen zeigten sich mit dem bisher bezüglich der Bilder in Ulm Erreichten zufrieden und hofften, daß das Ulmer Beispiel der Reform als Vorbild für die schwäbischen Städte Schule machen möge 107 . Nach der Abreise Bucers, der Ulm zusammen mit Oekolampad am 30. Juni 1531 verließ und über Memmingen nach Straßburg reiste, blieb Blarer noch zur weiteren Unterstützung von Sam in Ulm zurück und förderte mit seiner Anwesenheit auch die weiteren Bilderbeseitigungen. Wie im Münster wurde aber auch hier den Stiftern die Möglichkeit eingeräumt, „ire taffein [...] und ire grab steine" 108 aus den drei Klosterkirchen (Dominikaner, Franziskaner und Augustinerchorherren) abzuholen 109 . Daher zog sich die Ausräumung dieser Kirchen, in die im Herbst auch die Deutschordenskirche einbezogen wurde, etwas hin. Meßgewänder, Kelche, Monstranzen und anderes liturgisches Gerät wurden zunächst ins Steuerhaus gebracht, manches aber auch eingeschmolzen oder verkauft. Widerstand leistete man vor allem bei den Dominikanern 110 : Sie verteidigten ihre Bilder mit dem Argument, daß nicht die Bilder, sondern nur die Verehrung und Abgötterei verboten worden seien. In einer Eingabe an den Rat führten sie etliche Kirchenväter, Konzilsbeschlüsse, Gregor den Großen und die ,Libri Carolini' an und warnten die Obrigkeit vor übereilten Handlungen. Doch der Protest der Mönche blieb erfolglos; der Rat beschloß am 28. August 1531 endgültig, die Dominikanerkirche auszuräumen 111 . Nachdem die Stifter ihre Sachen geholt hat-
Sammlung, manches wurde später aus Privatbesitz oder im Kunsthandel erworben. Eine definitive Zuschreibung ist daher nicht möglich. 106 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 99v. 107
B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R , S . 2 5 0 , N r .
191;
BCor 6 , S . 1 2 , 1 - 3 , Nr. 4 3 0 : „Quo exemplo speramus etiam alias Suevicas civitates posse tandem ex[s]timulari, ut Christo gloriam suam, quam obscurant sophiste impii, asserant." ( A . Blarer, Bucer, Oekolampad und Sam an Joachim Vadian, 2 3 . Juni 1 5 3 1 ) . 108 StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 131r; vgl. auch ebd., fol. 157r. 109 Vgl. StadtA Ulm, 3530, RPr 11, fol. 113r (Franziskanerkirche); ebd., fol. 143v (Dominikanerkirche). - Vgl. auch SEBASTIAN F I S C H E R S C H R O N I K , S . 11: „Das [= die Beseitigung der Bilder] that man hernach auch in allen kirchen." 110 Vgl. StadtA Ulm, H Veesenmeyer, Nr. 10, Urk. Nr. 4 8 6 ; M E I S T E R W E R K E MASSENHAFT, K a t . - N r . 97. 111 Vgl. StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 143v. - FRITZ: Kirchengeschichte, S. 49, berichtet, daß bei der Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes in der Franzis-
122
Ulm
ten, ließ der Rat die Kirche abschließen; zwei Wochen später mußten die Dominikaner die Stadt verlassen. Auf weniger oder kaum Widerstand stieß man hingegen bei den Augustinerchorherren und den Franziskanern 112 . Auch aus diesen Kirchen sind einige Altäre, Statuen oder sonstige Gegenstände aus vorreformatorischer Zeit erhalten. Aus der Wengenkirche, die acht oder neun Altäre besaß, stammen etwa Teile des Hochaltar-Retabels, ein Marienaltar-Retabel 113 sowie das Altar-Retabel der Lukasbruderschaft aus der Zeitblom-Werkstatt, der bis 1803 in der Wengenkirche stand, dann zerteilt wurde und in englischen Privatbesitz gelangte 114 . Ein um 1520 in der Werkstadt Nikolaus Weckmanns entstandener Marientod aus der Deutschordenskirche kam 1817 nach Böttingen (bei Dornstadt), als ein Landwirt ihn käuflich erwarb 115 . Die ca. 25 Ulmer Kapellen 116 wurden 1532 geschlossen, einige davon gleich abgebrochen, andere erst später 117 ; manche wurden aber auch, wie etwa die Sebastianskapelle 118 oder die Antoniuskapelle 119 , in Wohnhäuser umgewandelt oder einer anderen Verwendung zugeführt, wie z. B. die Nikolauskapelle, in der spätgotische Fresken überdauerten 120 . Über die Ausstattung dieser Kapellen mit sakraler Kunst ist nur wenig überliefert 121 , was Aussagen über Verluste erschwert.
kanerkirche 1554 drei Altäre, die angeblich aus der Dominikanerkirche stammten, erneut aufgestellt wurden. 112 Vgl. StadtA Ulm, A 3530, RPr 11, fol. 157r. 113 Erwähnt in STANGE: Malerei der Gotik 8, Abb. 32 und Abb. 33; KADAUKE: Wandmalerei, S. 176. 114 Im Jahre 1966 konnte das Ulmer Museum Teile davon zurückkaufen. 115
V g l . MEISTERWERKE -
MASSENHAFT, K a t . - N r .
75 (Lit.) u n d A b b .
141;
ULMER
MUSEUM, Kat.-Nr. 65 A und B und Kat.-Nr. 81-84. 116 Vgl. StadtA Ulm, A [1642/1]: Verzeichnis der Kirchen und Kapellen, die vor der Reformation in der Bittwoche vor Himmelfahrt besucht wurden; VEESENMEYER: Felix Fabris Sionpilgerin, S . 29-44; SEBASTIAN F I S C H E R S C H R O N I K , S . 4 8 ; vgl. auch N Ü B L I N G : Ulm 1, S. 474. 117 Andreaskapelle, Kapelle auf dem Spitalfriedhof, Unseres Herren Ruh-Kapelle, Kapelle auf dem Michelsberg, Antoniuskapelle, Johanneskirche zu Schwaighofen, Georgskapelle, Jakobskapelle, Gilgenkapelle; 1536 folgte die Jakobus-Kapelle auf dem Markt, 1538 die St. Jos-Kapelle, 1612 die Heilig-Kreuz-Kapelle, 1819 die Johanneskapelle. 118 SEBASTIAN F I S C H E R S C H R O N I K , S. 4 8 : „Darin wol 3 oder 4 gmach gebawen, darin die leüt zu hauß send, wie man noch vor äugen sycht an sant Sebastions gassen, da sycht man noch gmalet die bildnuß Sebastion miß ettwa uff das halbtayl." Vgl. auch R O T T : Quellen 2, S. 87; KOEPF: Profanbauten, S. 134. 119 Vgl. StadtA Ulm A [6838], fol. 92. 121. 130. 120 Vgl. VEESENMEYER: Felix Fabris Sionpilgerin, S. 31 und S. 41, Anm. 28. 121 Vgl. R O T T : Quellen 2, S. XIII: Marien- und Veits-Altar für die St. Leonhard-Kapelle erwähnt.
Die reformatorische
5. 3. 3 Die Bildentfernungen
Bilderproblematik
in Ulm
123
im Ulmer Territorium
Bereits in den Beratungen des Rates mit den auswärtigen Theologen im Sommer 1531 war die Abschaffung der Messe und Bilder auf dem reichsstädtischen Territorium angesprochen worden. Um den Eindruck zu vermeiden, daß man den Gemeinden einfach die Neuerungen aufoktroyieren wollte, legte der Ulmer Rat Wert auf ein diplomatisches Vorgehen. In der Sitzung vom 19. Juli 1531 war darüber beraten worden, ob man nicht lieber auf ein allzu selbständiges Agieren der Prediger auf dem Territorium in Fragen zu Messe und Bildern verzichten und diese davon überzeugen solle, den Rat um Abstellung der „Greuel" anzurufen, „damit sie einen Ehrs. Rat" später „nicht beschuldigen möchten, sie wären dazu genötigt worden" 122 . Mit der Aufgabe der Beseitigung von Messe und Bilder betraute man die Herren des Kirchenbaupflegamtes. Auf Wunsch des Ulmer Rats ging auch Ambrosius Blarer in die ulmische Landstadt Geislingen 123 , wo er sich vor allem mit Dr. Georg Oswald auseinandersetzen mußte. Wie mühsam sich diese Aufgabe für die Ulmer Verantwortlichen gestaltete, kann man in den Visitationsprotokollen und Synodalberichten bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts verfolgen 124 . Dort finden sich auch genügend Beispiele, die deutlich machen, daß die Abschaffung der „Götzen" einen erheblich längeren Zeitraum beanspruchte und keineswegs ganz unproblematisch vonstatten ging. Beim Examen der Amtleute, Prädikanten und Untertanen (Richter oder Vierer) des Ulmer Landgebietes vom Herbst 1531 durch die beiden Herrschaftspfleger Konrad Roth und Daniel Schleicher wurde deutlich, daß man nach der Sorge um die evangelische Predigt und die Abschaffung der Messe nun auch mit der Entfernung der „Götzen" beginnen wollte; v. a. die befragten Geistlichen und/oder Amtmänner forderten ein solches Vorgehen ein oder verlangten genauere Vorgaben der Obrigkeit 125 . Es wurde
122
KEIDEL: Reformationsakten, S. 282, Nr. 42. Das erste Schreiben Blarers aus Geislingen datiert vom 22. Juli 1531. Er blieb bis Ende September dort, bevor er sich nach Esslingen zu neuen Aufgaben aufmachte. Auf seiner Rückreise von Esslingen nach Konstanz verweilte Blarer 1532 wieder einige Tage 123
in G e i s l i n g e n u n d U l m 1532 ( 5 . - 2 0 . Juli 1532). 124
Vgl. ENDRISS: Synoden; DERS.: Kirchenvisitationen. - Die Originale der Reformationsakten gingen vermutlich im 19. Jahrhundert verloren, sind aber in Auszügen von J. Chr. Schmid um 1800 fast wortgetreu abgeschrieben worden; diese Abschriften zu den Jahren 1531/32 sind ediert von KEIDEL: Reformationsakten. Zur Problematik dieser Edit i o n v g l . DIE EINFÜHRUNG DER REFORMATION IN ULM, S. 3 3 4 m i t A n m . 2 3 . 125 Z. B. ENDRISS: Synoden, S. 47 (In Böhringen hat der „Pfarrer [...] begehrt, man wolle ihm der Abgötterei abhelfen". In Kuchen „begehrt das Gericht und er, der Pfarrer, daß man bei ihnen die Götzen abtue."); 48 („Der ander Richter" in Altenstadt „sagt [...], die Gemein halt sich um Teil in Hörung der Predigt wohl, und begehrt für seine Person,
124
Ulm
vermerkt, daß in Merklingen der altgläubige Pfarrer noch weiterhin über die Fürbitten der Heiligen predigte, in Lonsee (Urspring) beklagte sich der Richter über den Amtmann, der selten die Kirche besuche und zwei Heiligenfiguren (Maria, Sebastian) nach Hause mitgenommen habe und als besonders schwieriger Fall wurde bereits hier Geislingen 126 erwähnt. In den Akten der im folgenden Frühjahr abgehaltenen Synode taucht dann verstärkt die Bilderproblematik auf 127 . Nachdem man im März 1532 die Frage nach dem genauen Vorgehen erneut vor den Rat gebracht hatte 128 , folgte im April 1532 ein schriftlicher Befehl für die Herrschaft, Abgötterei und andere Laster betreffend, und es wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß das Volk nun so weit unterrichtet sei, „daß man die Götzen wohl wegthun können, es soll aber still und bescheidenlich geschehen, daß dadurch die fremden anstoßenden Edelleute, auch andere Personen, sie seien was Standes sie wellen, und sonderlich die Badleute zu Überchingen [= Überkingen 129 ] mit einigem leichtfertigem und unzüchtigem Gespött in dem Gewissen nicht beleidigt oder verletzt werden mögen" 130 . Unnötiges Aufsehen sollte vermieden, Rücksicht auf die Rechtsverhältnisse, Adelige und Gäste genommen werden - auch hier zeigt sich die vorsichtige und gemäßigte Vorgehensweise der Ulmer Obrigkeit. Besonderer Rücksichtnahme konnten sich v. a. die benachbarten, oft altgläubig gebliebenen Adligen sicher sein. Am 10. April 1532 wurden etwa die Herrschaftspfleger aufgefordert, im Landgebiet „die Götzen still und züchtig heraus[zu]thun und sie ordentlich verwahren lassen, insonderheit was denen vom Adel gehört" 131 . Als Beispiel für Rücksichtnahme auf Eigentumsverhältnisse soll der Vorfall in Holzschwang erwähnt werden. Mit dem Hinweis auf die als ungenügend empfundene Unterrichtung durch einen evangelischen Prediger bat im Frühjahr 1532 ein Mitglied der Patrizierfamilie Roth, die von 1458 an von den Grafen von Kirchberg mit Rechten in Holzschwang belehnt
daß man die Bilder hinwegtue."); 49 (Der Pfarrer von Radelstetten „begehrt, wie er sich der Götzen halb halten soll"). 126 Zu Geislingen vgl. unten S. 127f. 127 Zu der Synode von 1532 vgl. ENDRISS: Synoden, S. 11-21 und S. 53-82. 128 KEIDEL: Reformationsakten, S. 325, Nr. 141: „Nächsten Mittwoch [= 13. März] an einen Rat zu bringen, daß man die Götzen aus den Kirchen allenthalben auf dem Land hinwegthue." - Die Eingabe an den Rat war offenbar eine Folge der Ereignisse in Beimerstetten; vgl. unten S. 126 mit Anm. 143. 129 Das 1396/1405 aus dem Besitz der Grafen von Helfenstein durch die Ulmer käuflich erworbene Überkingen war aufgrund der heilsamen Wirkung des Sauerbrunnens ein beliebtes Heilbad; vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 241-247. Ambrosius Blarer hatte im Herbst 1531 die Einsetzung eines neuen Pfarrers in Überkingen gefordert. 130 KEIDEL: Reformationsakten, S. 327, Nr. 148. 131 KEIDEL: Reformationsakten, S. 328, Nr. 150.
Die reformatorische
Bilderproblematik
in Ulm
125
worden war 132 , daß mit der Entfernung der Bilder erst noch abgewartet werden solle. „Conrad Rot ersuchte im N a m e n seiner Mutter mit Ausräumung der Götzen aus der Kirche zu Holzschwang eine Zeit lang inne zu halten und mit ihr nicht allein anzufangen (,weil, heißt es, die armen Leute ir al gehören und an dem Ort und zu ringweis umb sie in keinem Flecken kein evangelischer Prediger denn bei ir'). Ist beschlossen vor Rat zu bringen." 133
1543 erneuerte Konrad Roth sein Gesuch, diesmal mit der Bitte, zu warten, „biß sein muter heut oder morgen tods verschaiden" sei. Der Rat stimmte zu und verschob die Maßnahme auf einen späteren Zeitpunkt 134 . Allerdings ist von den vorreformatorischen Ausstattungsstücken in der St. Georgskirche nur noch der rotmarmorne Taufstein erhalten, alles andere stammt aus dem Barock bzw. der Zeit des Klassizismus. Bei den Visitationen nach 1532 werden die Bilder jedenfalls auch nicht mehr erwähnt 135 . Ende 1532 verlangte der altgläubige Pfarrer vom Heiligenpfleger, neues Öl zu kaufen, denn „die Frau von Urspring sage, der Heilige gehöre ihr" 136 . Im optimalen Fall aus der Perspektive des Ulmer Rates verlief es mit den Bildern wie in Urspring, Albeck, Leipheim 137 oder Pfuhl, wo in der offenen Befragung nach Auskunft des visitierenden Pfarrers von Steckborn und Biberach bekundet wurde, „daß die von Pfuhl herzlich begehren, die Götzen hinwegzuthun" 138 . Mit der Aufgabe, alles aus der St. Ulrichs-Kirche in Pfuhl „bescheidenlich" ausräumen zu lassen, wurden dann Michel von Nellingen, die Prädikanten und zwei weitere Personen (Richter?) betraut 139 . Offenbar wurde das Vorhaben durchgeführt, denn in den späteren 132
V g l . S T A D T N E U - U L M 1 8 6 9 - 1 9 9 4 , S . 6 0 7 ; BECK: Z w i s c h e n S ü d o s t a l b u n d M i t t e l -
schwaben, S. 153f. 133 KEIDEL: Reformationsakten, S. 325, Nr. 141 (11. März 1532). - Einen Aufschub mit der Bilderausräumung wollte man auch in Aufhausen im Sommer 1532 erreichen und verwies auf das baldige Ende des Nürnberger Treffens; vgl. KEIDEL: Reformationsakten, S. 332, Nr. 166. 134 Vgl. HOFER: Landgebiet, S. 133. MORAHT-FROMM: Abtuhung, S. 430, verwechselt die Orte Holzschwang und Reutti. 135 Vgl. ENDRISS: Synoden, S. 113 (Bericht, daß Bewohner Holzschwangs 1535 ins benachbarte Reutti zur Messe laufen); RIPPMANN: Kirchenvisitationen, S. 137 (Pfarrer Georg Strobel hinterließ im Examen 1557 einen verwirrten Eindruck und beklagte sich über den Zwinglianer Willing in Reutti, der „tue ihm Eintrag in seiner Kirch"). 136 KEIDEL: Reformationsakten, S. 332, Nr. 167. 137 ENDRISS: Synoden, S. 80. 138 ENDRISS: Synoden, S. 81. Ergänzend fügen sie jedoch hinzu: „Gangen wohl etlich den Messen nach in andere Flecken, ihm [= Pfarrer von Steckborn] unbekannt, zum Theil etlich Päpstler, auch lutherisch, die auf die Meß noch halten; meint aber, wenn man die Götzen hinwegtät, es würd besser werden." 139 Vgl. KEIDEL: Reformationsakten, S. 328, Nr. 150; zu Michel Berchtold, gen. von Nellingen, vgl. WEYERMANN: Nachrichten 2, S. 24; KEIDEL: Reformationsakten, Nr. 197.
126
Ulm
Visitationsberichten werden die Bilder jedenfalls nicht mehr problematisiert. Ein bei der Bevölkerung beliebtes Marienheiligtum wurde wie die meisten anderen Bilder abgeschafft; erhalten sind von der vorreformatorischen Kunst nur einige Wandmalereien im Chor und im Kirchenschiff und das Taufbecken 140 : Zu einer interessanten Begebenheit kam es in Beimerstetten, aus der ersichtlich wird, daß der Rat keinen Wert auf eigenmächtiges Vorgehen legte: Dort drängte der Prädikant namens Änkelin den Amtmann und die Richter zur Bildentfernung. „Als sie ihm geantwortet, daß sie keinen Befehl dazu hätten, habe er begehrt, eine Gemeinde zu sammeln. Auf heftiges Anhalten habe der Amtmann darein gewilligt. Als nun die ganze Gemeinde bezeugt, daß sie die Götzen gern aus der Kirche thun, vorher aber eines Ehrs. Rates Befehl erwarten wollten, habe Änkelin verlangt, daß diejenige, die die Götzen gleich wegthun wollten, zu ihm treten sollen. Da nun nur ein einziger Mann auf seine Seite getreten sei, habe er gedrohet, es an einen Rat zu bringen." 141
Diesem Begehren kam der Amtmann aber zuvor und zitierte den Prädikanten zu sich. Unterdessen hatte aber auch der Amtmann eine Weisung aus Ulm erhalten, „ohne der Herrschaftspfleger Wissen keine Gemeinde zu sammeln". Am 12. März 1532 kam es zum Verhör des Prädikanten, der bestätigte, „daß er seine Gemeinde ersucht habe, den Rat um Erlaubnis zu bitten, daß sie die Götzen aus der Kirche thun dürften, mit dem Beisatz, daß dies einem Ehrs. Rat sehr gefallen werde" 142 . Man ließ den Vorfall ruhen mit dem Verweis, Änkelin solle in der Sache nichts unternehmen, sonst werde er abgesetzt. Letztlich ordnete dann aber der Rat die Entfernung an, die auch durchgeführt worden ist143. Die Akzeptanz in den Gemeinden, die in den kommenden Jahren dem Befehl des Rates zur Bilderbeseitigung nachkamen, stieg zwar bei den weiteren Visitationen 1539, 1543, 1557 und 1567 an, aber es gab auch immer noch erheblichen Widerstand oder unerwünschte Entwicklungen 144 . Immer wieder wird berichtet, daß die Menschen zu Messe und Bildern in altgläubige Dörfer und Orte liefen 145 , und auch bei der Einführung des Interims zeigten sich sichtbar viele Anhänger 146 . 140 Vgl. BECK: Zwischen Südostalb und Mittelschwaben, S. 174; BAUER/RUPPRECHT: Kunstsammlungen, S. 11. 141 KEIDEL: Reformationsakten, S. 325f, Nr. 142. 142 KEIDEL: Reformationsakten, S. 325f, Nr. 142. 143 ENDRISS: Synoden, S. 76: „Die Götzen woll sein Gmein ohn einen Rat nit hinwegtun. [...] Entscheide: Die Götzen sind in Bernstadt und in Beimerstetten abgeschafft." Vgl. KDBW Oberamt Ulm, S. 144-151. 144 Vgl. ENDRISS: Synoden, S. 27-39. 145 Bereits Martin Bucer hatte im Sommer 1531 als Beispiel für den abzuschaffenden Götzendienst das nur wenige Kilometer von Ulm entfernte Elchingen angeführt: „Da hat-
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Bilderproblematik
in Ulm
127
Als besonders hartnäckiger Fall erwies sich Geislingen, wo die Gemeinde unter Führung ihres Pfarrers Dr. Georg Oßwald der Einführung der neuen Lehre heftigen Widerstand entgegensetzte 147 . Bereits Martin Bucer, der am Pfingstsonntag in Geislingen gepredigt hatte, mußte erleben, daß seine Ansprache durch den Pfarrer Dr. Oßwald gestört wurde 148 . Am 14. August 1531 wies der Ulmer Rat den Vogt und die Pfleger zu Geislingen an: „In und um Geislingen soll keine Messe mehr gesungen werden. Nach Verfluß von 10 Tagen sollen alle Altäre, Bilder, Tafeln und Götzen aus allen Kirchen und Kapellen in und um Geislingen weggethan und keine Beichte, Vigilie, päpstlicher Tauf, Gesang und andere päpstliche Ceremonien gehalten werden." 149
Allerdings sollte den Stiftern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Tafeln, Bilder und dergleichen an sich zu nehmen, jedoch solle keine „Götzerei" damit getrieben werden. Außerdem sollten Vogt und Pfleger weitere Instruktionen des Rates abwarten. Im Examen der Amtleute, der Prädikanten und der Untertanen (Richter, Vierer oder andere Amtspersonen) vom Herbst 1531 erfahren wir dann, was der befragte Bürgermeister Zanenbenz „des gemeinen Manns halb" zu bedenken gab: „gangen wenig volk in die Predig; vermeint, wenn die Bilder nit herausgetan, es wären viel in die Predigt gangen" 150 . Offensichtlich hat aber Blarers Anwesenheit die Bilderentfernung in Geislingen forciert, auch wenn dies der Vogt von Geislingen, Rudolf von Westerstetten, bei seiner Befragung 1532 kritisch sieht: „Hab alles, auch die Abtuung der Meß und Götzen wenig verfangen, ten die leüt angfangen, zu ainer wasser quell, wolche [...] herfürbrochen, alß daselbst ain ermorte fraw begraben ward, zu wallfarten und liecht und opffer an ain felbenbaum [= Weide] zühencken, gegen wolchem auch die leüt yr gepätt [= Gebet] züthün, angfangen hetten. Diß alles hat ein kühiert uffbracht, wolcher außgeben, wie im ain böse hand gehaylt were, als er in die selbig quell oder brunnen gstossen hett. Dermassen hat der teüfel die weit allmal geäfft, wann man die gnad gottes an bsondern orten bey den bildern und gotzen und nit allein durch waren glauben allenthalb gesucht und in im gayst und warhayt verehrt hat"; BDS 4,296,34-297,9 (Gemein Ausschreiben, 31. Juli 1531). 146
V g l . FRITZ: K i r c h e n g e s c h i c h t e , S. 3 5 f u n d S. 150; SPECKER: U l m , S. 146.
147
Zu Georg Oßwald (1474-1541), Doktor beider Rechte, seit 1509 in Geislingen und Gegner der seit 1526 in Geislingen nachweisbaren reformatorischen Strömungen, vgl. SCHUHHOLZ: Georg Oßwald, S. 144-204 (Lit.); ENDRISS: Reformationsjahr, S. 22-24. 148 Oßwald hatte spontan die Kanzel zu einer Gegenrede erklommen und mußte daher beim Ulmer Rat zum Verhör erscheinen. Dort widersprach er heftig Bucers ,18 Artikeln' und verfaßte danach auch eine Apologie, die sich in wesentlichen Teilen an die ,Confutatio' anlehnte. Nachdem er auch in einem vom Rat anberaumten Streitgespräch mit den Reformatoren der Stadt am 27. Juni 1531 nicht einlenkte, wurde er entlassen und ging nach Überlingen. Auch von dort aus wandte er sich immer wieder mahnend an seine alte Gemeinde. Vgl. BDS 4,374-398; Z 11,489, Nr. 1228. 149
KEIDEL: R e f o r m a t i o n s a k t e n , S. 2 8 3 , N r . 4 4 ; ENDRISS: S y n o d e n , S. 7 - 1 1 u n d S. 4 9 .
150
ENDRISS: S y n o d e n , S. 4 9 .
128
Ulm
Blarer auch keine Faule wecken mögen." 151 In seinem Schreiben vom 31. August 1532 bat Rudolf von Westerstetten in einem Schreiben an Bürgermeister Bernhard Besserer, doch überall im Territorium Messe und Bilder abzuschaffen, denn gerade in Geislingen werde durch den unterschiedlichen Umgang damit die altgläubige Seite gestärkt 152 . Erst im Visitationsgespräch von 1543/44 berichtete der neu eingesetzte Prädikant von der erfolgten Beseitigung der „Götzen", gab aber zu bedenken, daß zwar die Bilder in den Kirchen verschwunden seien, jedoch „so stecken doch die Häuser überall voller Bilder, vor denen die Päpstler ihre Abgötterei treiben. So laufen sie auch gen Argensteig [= ins benachbarte Rorgensteig], beten die alten Stumpen an, da die drei Kreuze gestanden sind" 153 . Die Verbringung an einen anderen Aufstellungsort schützte also nicht vor weiterer Verehrung, und der einstige Aufstellungsort konnte auch nach der Zerstörung noch wirksame Kräfte entfalten. Heute ist in der Ev. Stadtpfarrkirche Geislingen als Hochaltar-Retabel das von Daniel Mauch geschaffene Sebastiansaltar-Retabel der gleichnamigen Bruderschaft zu sehen 154 . Der Geislinger Prädikant berichtet 1535, daß ein gewisser Joachim Hennenberg den Schützenaltar der Sebastiansbruderschaft in seine Kammer getragen und dort seine „Götzerei" getrieben habe 155 . Aber es gibt auch Indizien im Landgebiet für die Tatsache, daß nicht nur die Altgläubigen an den Bildern festhielten, sondern sich auch Anhänger der neuen Lehre mit der Bilderbeseitigung schwertaten. Im Verhör von 1539 monierte der Prädikant Johannes Leibmann, daß die Tertiarinnen aus Ulm, die auch als evangelische Stiftfräulein das Patronatsrecht in Ersingen behielten, „alle Ornate und was Guts bei der Kirche gewesen, hinweggenommen, die Bilder und Götzen aber haben sie in der Kirche stehen lassen" 156 . Der wiederholten Aufforderang des Rates, diese wegzuschaffen, kam man offenbar nicht nach. Die beiden Retabel (Hochaltar um 1485/90
151 Vgl. ENDRISS: Synoden, S. 53. - Daß der altgläubige Nicolaus Thoman Blarers Wirken in Geislingen verächtlich beurteilte, darf nicht weiter verwundern; vgl. StadtA Ulm, G 1/1536, S. 433. 152
V g l . KEIDEL: R e f o r m a t i o n s a k t e n , S. 3 3 9 , N r . 1 8 6 .
153
Vgl. ENDRISS: Synoden, S. 54. - Noch 1535 hatte der Prädikant Thomas beklagt: „Prädikant Thomas: ist noch ein Kruzifix in einem Fenster, das beten die Leut an, haben Lichtlein darvor. Der Götzerei halben wissen sie nit gründlich, in welchen Häusern die Meß gehalten wird"; vgl. auch ENDRISS: Synoden, S. 90. 1537 bat man, die Kapelle auf dem Kirchhof abzureißen, „damit die Abgötterei und das Niederknien davor abgestellt und vermieden bleib"; ebd., S. 125. 154 Zum Ulmer Bildschnitzer Daniel Mauch (1477-1540) vgl. WAGINI: Mauch; zum Sebastiansretabel vgl. MAIER-LÖRCHER: Ulmer Kunst, S. 129-151, bes. S. 140f (Abb.). 155
V g l . ENDRISS: S y n o d e n , S. 8 9 .
156
ENDRISS: Synoden, S. 171.
Die reformatorische
Bilderproblematik
in Ulm
129
und ein Verkündigungsaltar) konnten daher trotz der Barockisierung der Ersinger Pfarrkirche St. Franziskus bis heute an ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort überdauern 157 . Wie lange das Problem der Bilderentferaung im Territorium die Ulmer Verantwortlichen beschäftigte, belegt der Eintrag aus dem Jahre 1579, wonach in der Kirche zu Schalkstetten auf dem Altar eine Tafel stand, die Abbildungen eines Papstes und etlicher Kardinäle zeigte; vor dieser werde Abgötterei getrieben 158 . Nach dem bisher Geschilderten können wir insgesamt von einer gut organisierten, ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufenden, konsequent von der Obrigkeit kontrollierten Bilderentfernung ausgehen, die den Ratsbeschluß, die „bilder hinweg zu thun", im Stadt- und Landgebiet umsetzte. Dramatischer als die Ratsprotokolle hören sich die ersten zeitgenössischen Berichte über die Vorgänge im Münster an. Der Chronist Sebastian Fischer beschreibt noch recht sachlich, daß „man alle getzen [am Rande: bilder] und altar In der pfarrkirchen darnyder schlug, wer ain altar oder haylgen In der kirchen hett, den ließ man es haimfieren aber wa haylgen oder altar waren des sych niemants annam des zerscheytet man und gab mans armen leyen zu ainem brennholtz" 159 ,
um dann noch hinzuzufügen, daß die meisten Sachen erst 1532 weggeräumt worden seien. Dem altgläubigen Weißenhorner Chronist Nicolaus Thoman zufolge wurden dann „all altar abbrochen, die taflen darab genommen, zerschlagen, erhawen [...] als wan der Turck da gewesen were. Er hette an dem ort nit grober mit spottworten und andren Dingen schantlicher, unchristlicher mugen handien." 160
Vieles davon wurde in den älteren Darstellungen zur Ulmer Reformationsgeschichte unkritisch übernommen, manches weiter ausgeschmückt, wie etwa bei Carl Theodor Keim 161 , und prägte das Bild über den „Ulmer 157
Vgl. MAIER-LORCHER: Ulm, S. 5 4 - 5 8 (Abb.); BECK: Z w i s c h e n S ü d o s t a l b und
Mittelschwaben, S. 84f. 158 ENDRISS: Kirchenvisitationen, S. 49. 159
160
SEBASTIAN FISCHERS CHRONIK., S . 11; s o a u c h e b d . , S . 4 7 .
StadtA Ulm, G 1/1536 Weißenhornische Chronik, S. 431; ebd., G 1/1714 Paradysus Ulmensis, S. 103. 161 KEIM: Reformation, S. 246f: „Schon am 19.-20. 6. wurde die Säuberung des Münsters von dem ,Götzenwerk' der Altäre und Bilder vollzogen; auch die Stifter und Nachkommen von Stiftern waren eingeladen, das Ihrige zu holen. Die Handwerksleute, die der Rat zu diesem Zwecke aufbot, bedurfte es freilich nicht, so ,hitzig' ging die Bürgerschaft von freien Stücken ans Werk und bewies damit ihr volles Einverständnis mit der Reformation, auch ohne ausdrücklich darüber befragt zu seyn. Alle die Meßaltäre, gegen sechzig an der Zahl, wurden abgebrochen [...], damit sie nicht den Platz versperren; die Bilder
130
Ulm
Bildersturm" von 1531 bis in die älteren Darstellungen 162 . Daß es sich um „Akte von überspringendem Fanatismus und entfesseltem Zerstörungstrieb vor allem der niederen, die Tragweite des Ganzen nicht überschauenden Gesellschaftsschichten" gehandelt habe, kann man getrost dem Bereich der Legende zuschreiben 163 . Die Tatsache, daß sich die Bilderstürmer an die Ratsverordnungen hielten, macht - wie Weilandt mit Recht bemerkt deutlich, daß es sich bei den Entfernungen der Bilder aus den Kirchen in Ulm nicht um soziale Unruhen oder Taten „pöbelnder Horden" 164 , sondern um vom Rat gesteuerte Aktionen handelte. Ob bei der „Rettung" des Schmerzensmannes oder des Hutz-Retabels kunstästhetische Argumente eine Rolle gespielt haben, darf zumindest angezweifelt werden. Einmal war es der Rat selbst, der im Falle des Schmerzensmannes bzw. des Chorgestühls oder Sakramentshauses seine Handlungshoheit demonstrierte, was das Hutz-Retabel betrifft, war es die Stifterfamilie, die das künstlerisch modernste Ausstattungsstück aus dem Münster holte, so daß es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückkehren konnte. Kaum zutreffend dürfte auch die Behauptung sein, daß es den Ulmem beim Besuch des Kaisers im August 1548, als er das Interim durchsetzte, unmöglich gewesen sei, Bildwerke ins Münster zu bringen 165 . Denn schon auf der Durchreise des Erzbischofs von Compostella 1543 wurde vermerkt, daß „genug Heilige an Straßen und Wänden zu finden" waren 166 . Vermutlich wollte der Ulmer Rat nicht noch mehr sakrale Kunstwerke als die beiden Altäre aufstellen, die zur Feier eines Hochamts am Fest Mariä Himund Statuen der Apostel und Heiligen weggeschleift, sogar die zwei Orgeln der Kirche als Abgötterei entfernt. Vieles, was nicht weggeschafft werden konnte, wurde [...] wenigstens zerpickelt, zerhackelt, verstümmelt und verstümpelt, so die Holzschnitzereien an den Chorstühlen, die Verzierungen an den Kirchthüren [...]. Jedenfalls bewährte sich hier der gut-zwinglische Geist der Bevölkerung unzweideutig, und der Rath selber, der so vorsichtig in seinem diplomatischen Verkehr auf Reichstagen und evangelischen Bundestagen den Verdacht des Zwinglianismus von sich abzulenken suchte, war nicht geneigt, diesem Eifer zu steuern, er gönnte der Bürgerschaft die Gelegenheit, dem lange angesammelten Haß gegen den katholischen Kultus vollen Ausdruck zu verleihen." 162 So beispielsweise Z 11,490, Anm. 7 (auch bei Emil Egli, dem Bearbeiter der Zwingli-Korrespondenz);
ENDRISS: R e f o r m a t i o n s j a h r , S.
l l f und
S. 5 5 - 5 9 ;
NÜBLING:
U l m 1, S. 472; 2, S. 120; SCHARFE: Evangelische Andachtsbilder, S. 1 2 - 1 4 . 163
So WlEGANDT: Ulm, S. 106f.
164
WEILANDT: G o t t e s l ä s t e r u n g , S. 426.
165 W E I L A N D T : Gotteslästerung, S. 426: 1548 „fand sich weder ein fähiger Künstler noch ein älteres Werk von Anspruch, das man hätte wiederverwenden können. Man mußte sich mit einem schwarzen Samttuch und dem Bildwerk eines Gekreuzigten begnügen". Vgl. auch MORAHT-FROMM: Abtuhung, S. 431. Beide Aufsätze verweisen auf die Chronik des Marcus Wollaib von 1714 (StadtA Ulm, G 1/1714, Paradysus Ulmensis, S.
101) u n d a u f die T u s c h e z e i c h n u n g
aus d e m
Abb. 577). 166 Vgl. KEIM: Reformationsblätter, S. 60.
18. Jh. (MEISTERWERKE -
MASSENHAFT,
Die reformatorische
Bilderproblematik
in Ulm
131
melfahrt in Anwesenheit Karls V. oder der späteren Interimsgottesdienste notwendig waren 167 : „Bald dar nach hat man sich gerist zwen altar zubauen In der pfarrkirchen, vnd v f f den ersten tag äugst hat man angefangen stain zufieren, vnd den anderen tag augstmonat hat man anfahen zubauen an den zwayen alteren, vnd ist nämlich das ain der fronaltar oben Im kor, vnd der ander ist der seelaltar vnda am kor, daselbst ist gestanden der tisch des heren, daruff man das nachtmal des heren begangen hat, den selbigen tisch des heren hat man zerrissen vnd hinweg gebrochen, vnd den selaltar an die stat gebawen. [...] Wie nun die zwen altar gebawen gwesen, da ist der kayser von augspurg zogen." 1 6 8
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wandelte sich mit dem Übergang zum Luthertum, unermüdlich vorangetrieben durch Ludwig Rabus, auch die Einstellung zur religiösen Kunst. Der Rat erlaubte wieder Stiftungen im Sinne der neuen Lehre, die im Gegensatz zum mittelalterlichen Stiftungswesen allerdings nicht dem Seelenheil des Stifters, sondern nur dem allgemeinen Nutzen dienen sollten. So förderte der Rat nun u. a. Darstellungen der Werke der Barmherzigkeit oder Kunstwerke mit biblischen Motiven, z. B. Passionsdarstellungen. Als Beispiel dieser protestantischen Kirchenausstattung sei nur die Ulmer Almosentafel erwähnt, die der Maler Georg Riederer d. Ä. 1562 anfertigte. Der Betrachter der Almosentafel wird zum Spenden aufgefordert, und wie knapp 50 Jahre zuvor auf dem Hutz-Retabel wurden der Künstler und der Stifter, der Ratsherr Eitel Eberhard Besserer (1501-1575), porträtiert 169 . Gegen Ende des 16. Jahrhunderts ließ der Rat sogar das Hutz-Altar-Retabel auf seine Kosten vom Stadtmaler Philip Renlin gegen den Antrag des damals rechtmäßigen Besitzers und Erben Eitel Hans Laupin zu Herrenberg erneuern und wieder ins Münster bringen 170 . Wie sehr sich auch auf theologischer Seite die Einstellung zu den Bildern geändert hatte, zeigt die Predigt des Ulmer Superintendenten Konrad Dietrich zum Reformationsfest 1617, in welcher er die Ausräumung der Altäre und Bilder aus dem Münster 1531 thematisiert. Obwohl er die Reformation als Abschaffung der papistischen, abergläubischen Mißbräuche völlig positiv bewertet, äußert er sein Unverständnis über „die vnzeitige Bilderstürmerey", die „dem schonen Edlen herrlichen Münster Gebew ein 167 168 169
Zur Chronologie der Ereignisse 1548 vgl. LITZ: Kaiseraufenthalte, S. 11 f . Zit. nach SCHMITT: Ulmer Münster, S. 31; vgl. FRITZ: Kirchengeschichte, S. 4f. Vgl.
D I E R E N A I S S A N C E IM DEUTSCHEN S Ü D W E S T E N ,
S.
192f, C 22;
MORAHT-
FROMM: Abtuhung, S. 4 3 1 f mit A b b . 5 7 8 . 170 Vgl. MORAHT-FROMM: Abtuhung, S. 433f: „[...] ain ers. Rat [wolle] soliche tafel [Hutz-Tafel] aus seinen handen nicht werde kommen laßen [...], sondern dieselbig in all wege wider in die kirchen alhie verordnen." (Zitat S. 434). Zwischen dem Rat und Renlin brach ein Streit über die Kosten der Renovierungsarbeiten aus, der schließlich in der Entlassung des Stadtmalers eskalierte. Bis der Rat über den endgültigen Aufstellungsort im Münster entschieden hat, sollten die Hutz-Tafeln in der Sakristei verwahrt werden.
132
Ulm
solcher Schandfleck angekleckert/ welcher in Ewigkeit darvon nicht wird können außgewischt werden" 171 .
171 SCHMITT: Ulmer Münster, S. 31. - Zu den neuen Altarstiftungen in der Ulmer Dreifaltigkeitskirche vgl. STRECKER: Hochaltar, S. 129-132.
Kapitel 6
Memmingen 6. 1 Memmingen und die Reformation 1 Die kirchliche und religiöse Situation in Memmingen am Vorabend der Reformation glich derjenigen in vielen anderen Städten und Orten: Die Seelsorge ließ trotz der großen Anzahl von 52 Weltgeistlichen an den zwei Stadtpfarrkirchen (St. Martin, Frauenkirche) und den drei Kapellen in der rund 5.000 Einwohner zählenden Reichsstadt sehr zu wünschen übrig; der Rat mußte die Geistlichen immer öfter ermahnen, ihren Dienst gewissenhafter zu versehen. Andererseits äußerte sich ein enormes Frömmigkeitsbedürfnis der Gläubigen im Anstieg der Stiftungen von Messen, Jahrtagen, Altären und Kapellen sowie der Sach- und Geldspenden für die Kirchen und die Klöster 2 - und damit auch der Vermehrung von religiöser Kunst innerhalb der Stadtmauern. Noch im Juli 1520 gab der Rat dem Ansuchen der Kirchenpfleger der Frauenkirche nach, „ain new crucifix mitsampt Unser Frauen und Sant Johannes bildern, auch ain tefelin auff den mittlen altar zu Unser Frauen machen zu lassen" 3 . Zugang zu reformatorischem Gedankengut erhielten die Memminger Anfang der 1520er Jahre durch den aus St. Gallen stammenden Licenciaten beider Rechte und Doktor der Theologie Christoph Schappeler, der seit 1513 die Vöhlinsche Prädikatur an der Stadtpfarrkirche St. Martin inne-
1
Zur Memminger Reformation vgl. die älteren Darstellungen von SCHELHORN: Refor-
mationshistorie; UNOLD: R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e ; SCHORER: C h r o n i c k ; ROHLING: M e m -
mingen; DOBEL: Memmingen; die Dissertationen von KROEMER: Reformation; SCHLENCK: Memmingen; FRIESS: Außenpolitik; zuletzt der Überblick von BLICKLE: Zentrum, S. 349-412. 2 Innerhalb der Reichsstadt waren dies die Niederlassungen der Antoniter, der Augustiner-Eremiten, der Augustinerinnen von St. Elsbeth (Schwarze Schwestern), das Schottenkloster St. Nikolaus, der Franziskanerinnen von Maria Garten (Graue Schwestern) und der Kreuzherren (Spitalherren zum Hl. Geist). - Zu den Klöstern vgl. MISCHLEWSKI: Klöster, S. 247-291 und LAMBACHER: Klöster, S. 293-348. Von den letzten vorreformatorischen Stiftungen religiöser Bilder seien das vom Stadtschreiber Ludwig Vogelmann in Auftrag gegebene Altarbild (vgl. FRIESS: Außenpolitik, S. 24) und die 1510-1514 erfolgte Ausmalung der Zangmeisterkapelle (vgl. unten Anm. 98) erwähnt. 3 StadtA Memmingen, A RPr vom 9. Juli 1520.
134
Memmingen
hatte 4 . Schappeler fühlte sich bald nach seiner Amtsübernahme zum Anwalt der sozial Schwächeren berufen, was ihm eine große Anhängerschaft in der Bevölkerung 5 , gleichzeitig aber auch Auseinandersetzungen mit der städtischen Obrigkeit einbrachte: Die Verbindung von sozialen und politischen Problemen mit der Forderung nach der reinen und lauteren Lehre des Evangeliums sollte für seine Predigten charakteristisch werden 6 . Theologisch lehnte sich Schappeler an Zwingli an, mit dem er in enger Verbindung stand 7 . Auf der zweiten Zürcher Disputation 1523, auf der die Bilderproblematik eine große Rolle spielte, führte Schappeler sogar neben Vadian und Sebastian Hofmeister den Vorsitz 8 . Nach der Rückkehr aus Zürich trat er nun noch entschiedener für Neuerungen im Sinne Zwingiis, vermutlich auch für dessen Bilderverständnis, ein 9 . Wie weit der Geist der Neuen Lehre schon in das Bewußtsein der Memminger Bürger vorgedrungen war, zeigte sich in den Ereignissen der Jahre 1523 bis 1525. Eine Gruppe von Bürgern - darunter auch der Kürschnergeselle Sebastian Lotzer 10 - überreichte so am 30. Juli 1523 Megerich, dem Pfarrer der Frauenkirche, ein Schreiben, in welchem sie dessen Leben und Handeln als unchristlich bezeichneten und die Lehre Luthers verteidigten 11 . Megerich erhob darauf Anklage beim Rat 12 , der die Verantwortlichen anwies, ein solches Vorgehen zu unterlassen, da daraus nur Zwietracht und Aufruhr entstehen könne; in Glaubenssachen solle je-
4
DOBEL: M e m m i n g e n 1, S . 9 - 8 3 ; B B K L 8 ( 1 9 9 4 ) , S p . 1 5 9 8 f ; PFARRERBUCH BAYE-
RISCH-SCHWABEN, S. 181, Nr. 1068. - Zu der 1479 für die von der Familie Vöhlin gestifteten ewigen Messe und dem Predigtamt in ihrer Kapelle zu St. Martin vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 333-335 und S. 357-405. 5 Zur sozialen und wirtschaftlichen Situation vgl. KROEMER: Reformation, S. 49-59. Ein Vergleich der Steuerlisten von 1450 und 1521 verdeutlicht den wirtschaftlichen Niedergang (1450: 13 Sehr Reiche, 125 Reiche und 731 Habenichtse; 1521: 6 Sehr Reiche, 75 Wohlhabende, 1206 Habenichtse); vgl. ebd., S. 157-162. 6 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 28. Juli 1516; vgl. auch ebd., A RPr vom 21. Aug. 1521. 7 So sandte Zwingli z. B. im Feb. 1523 Schappeler seine 67 Schlußreden zu. 8 Vgl. Z 2,665-803 (Protokoll von Ludwig Haetzer), bes. 677 (Schappeler) und 690731 (Diskussion um die Bilder); MOELLER: Zwingiis Disputationen 1, S. 287. 9
V g l . SONTHEIMER: G e i s t l i c h k e i t 1, S. 3 6 6 - 3 7 0 . 3 8 0 - 3 8 2 . 3 8 8 - 3 9 2 .
10
Sebastian Lotzer (geb. 1490) erwarb 1523 das Bürgerrecht in Memmingen. Durch die Predigten Schappelers ermuntert, versuchte er in zahlreichen Schriften für die reform a t o r i s c h e S a c h e e i n z u t r e t e n . V g l . BOSSERT: S c h r i f t e n ; SEBASTIAN LOTZERS SCHRIFTEN. 11
Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 30. Juli 1523. Seit Einführung der Zunftverfassung Ende des 14. Jahrhunderts bestand dieser aus dem Bürgermeister, dem Ratsschreiber, den zwölf Ratgeben und den zwölf Zunftmeistern. Eberhart Zangmeister war von 1516 bis 1537 Ratsmitglied, davon allein fünf Jahre Bürgermeister (1527, 1529, 1531, 1533, 1535). Vgl. dazu WESTERMANN: Rat, S. 51-62; neuere kurze Übersicht zum Stadtregiment bei FRIESS: Außenpolitik, S. 11-15. 12
Memmingen und die Reformation
135
der machen, „was er main gegen gott und der weit verantworten" 13 zu können. Nach der Exkommunikation Schappelers durch den Augsburger Bischof im Februar 1524 stellte sich der Rat hinter den Prediger, so daß dieser weiter in der Stadt wirken konnte 14 . 1524 zeigte sich die Dominanz der evangelischen Partei im Rat der Stadt offen. Im April hatte der Stadtschreiber Ludwig Vogelmann sein Amt wegen der Zunahme des lutherischen Wesens niedergelegt 15 , im Mai löste Hans Keller den altgläubigen Bürgermeister Ludwig Conrater ab. Mit der erstmaligen Feier des Abendmahles in beiderlei Gestalt 16 am 7. Dezember und der Einfuhrung einer neuen Taufordnung spitzten sich die Auseinandersetzungen mit Megerich derart zu, daß es am Weihnachtstag zu einem Tumult in der Frauenkirche kam 17 . Aus der für Anfang Januar 1525 vom Rat anberaumten Disputation zwischen Megerich und Schappeler ging der Prediger als Sieger hervor 18 . Sein Programm, das er in sieben Thesen formuliert hatte, bildete im Einvernehmen mit dem Rat die Grundlage der ersten Reformen im Kirchenwesen 19 : Den Meßgottesdienst ersetze man durch den täglichen Predigtgottesdienst in den beiden Hauptkirchen 20 , die Geistlichen durften heiraten und hatten den Bürgereid zu leisten, Ohrenbeichte und Anrufung Marias und der Heiligen wurden abgelehnt 21 . Erstaunlich ist - im Vergleich zum nur einige Wochen später stattfindenden Kaufbeurer Religionsgespräch 22 -, daß die Bilderfrage in der Memminger Disputation keine Rolle spielte und Schappeler das 1523 in Zürich unter seiner Leitung diskutierte Thema
13
StadtA Memmingen, A RPr vom 3. Aug. 1523; ebd., A RPr vom 31. Aug., 2. Sept., 4. Sept., und 25. Sept. 1523. 14 Vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 378f; KROEMER: Reformation, S. 82-88. 15 Zu Vogelmann vgl. BURGER: Stadtschreiber, S. 87. 120. 299 mit Anm. 703. 16
17
V g l . DOBEL: M e m m i n g e n 1,S. 5 6 .
Zu Megerich vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 5, S. 113-139; vgl. auch unten S.
139-141. 18
Zur Memminger Disputation vom 2.-6. Jan. 1525 vgl. BLICKLE: Religionsgespräche, S. 66-72 und S. 76-80; FUCHS: Konfession und Gespräch, S. 282f; PFUNDNER: Religionsgespräch, S. 25-27 und S. 33-42 (Edition des Protokolls, das sich im EKA Kaufbeuren, Anlage 102, Nr. 7, befindet); MOELLER: Zwinglis Disputationen 2, S. 246-251. 19 Vgl. BRECHT: Zwölf Artikel, S. 38f; BLICKLE: Zentrum, S. 377-381; DERS.: Schappelers .Reformation der Freiheit', S. 364-366. 20 Ob es zwischen 1524 und 1531 schon in der Martinskirche zur Aufstellung des einfachen Tischaltares mit ungegenständlicher Ornamentik kam oder nach 1531 als Ersatz für den entfernten Hochaltar oder bis spätestens 1571, ist in der Literatur umstritten; vgl. dazu STRECKER: Hochaltar, S. 90f (Lit.). 21 Vgl. DOBEL: Memmingen 1, S. 59-66. Der Rat hatte vor seiner Zustimmung noch Gutachten bei zwei Juristen sowie bei Konrad Sam in Ulm und Urbanus Rhegius in Augsburg eingeholt. 22 Vgl. unten S. 239-245.
136
Memmingen
nicht einbrachte. Faktisch übernahm Schappeler nach dem Religionsgespräch die Leitung an St. Martin 23 , und für die Frauenkirche engagierte der Rat im Januar 1525 Simprecht Schenk als Prediger 24 . Diese ersten Erfolge der Reformation in Memmingen wurden durch die Sympathien des städtischen Rates 25 und die Parteinahme Schappelers und Lotzers für die Sache der Bauern im Bauernkrieg gefährdet. Nach dem endgültigen Scheitern der Verhandlungen zwischen den aufständischen Bauern und dem Schwäbischen Bund Ende März 1525 - das Ergebnis des zweiten Treffens der „Christlichen Vereinigung" in Memmingen waren die .Zwölf Artikel', an deren Abfassung Schappeler und Lotzer maßgeblich beteiligt waren - , kam es zum offenen Kampf 26 . Dies brachte den Memminger Rat in eine prekäre Situation: Einerseits war die Stadt selbst Mitglied des Schwäbischen Bundes, andererseits gab es eine starke bauernfreundliche Partei in der Bürgerschaft, die den Rat offenbar so sehr bedrängte, daß er die Hilfe des Schwäbischen Bundes gegen die um Memmingen lagernden Bauern anrief 27 . Der Schwäbische Bund nutzte nur allzu gerne die Möglichkeit, in die Geschicke der reformationsfreundlichen Stadt einzugreifen. Nach dem Einmarsch der Bundestruppen und dem endgültigen Sieg des Truchsessen von Waldburg gegen die Bauern, die Memmingen vom 12. Juni bis 27. Juni 1525 erfolglos belagert hatten, mußten Schappeler und einige seiner Anhänger in die Schweiz fliehen 28 . Schenck mußte entlassen und aus der Stadt gewiesen werden. Auf Befehl des Schwäbischen Bundes sollten auch alle kirchlichen Neuerungen der voran-
23 Vgl. SCHLENCK: Memmingen, S. 28. De jure war der Antoniterpräzeptor Inhaber der Pfarrstelle an St. Martin. Das Antoniterhaus in Memmingen war ein Zweighospital des Ordens St. Antoine bei Vienne, dem Friedrich II. 1215 das Präsentationsrecht für die Martinskirche verliehen hatte. Im Streit des Ordens mit Rom um die hohen Einkünfte aus der Präzeptorei war es dem Rat gelungen, Einfluß auf das Ordenshaus zu gewinnen, so daß seit 1482 der jeweilige Präzeptor verpflichtet war, St. Martin mit drei Priestern, einem Vikar und einem gelehrten Prediger zu versehen. 24 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 9. Jan. und 11. Jan. 1525; vgl. PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S. 183, Nr. 1079; SCHENCK: Schenck. Simprecht Schenck (geb. 1485) war vorher im Kloster Buxheim bei Memmingen und in Meilen am Zürcher See tätig gewesen. 25 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 8. März 1525; QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES BAUERNKRIEGES, S. 168-171, Nr. 40: Der Memminger Rat führte schon seit Februar Verhandlungen mit den Bauern und stellte ihnen die Abstellung ihrer Beschwerden in Aussicht (Zehn ,Memminger Artikel'). 26 Vgl. FRANZ: Entstehung, S. 195-213; BRECHT: Zwölf Artikel, S. 44-56; BLICKLE: Entstehung, S. 286-308. 27 Vgl. VOGT: Correspondenz, S. 370f. 376f. 380-384; vgl. auch SCHLENCK: Memmingen, S. 49f. 28 Vgl. KlNTNER: Memmingens .Ausgetretene', S. 5-40.
Memmingen und die Reformation
137
gegangenen Jahre rückgängig gemacht und die Messe wieder nach dem althergebrachten Ritus gefeiert werden. Diese von außen oktroyierten Änderungen hatten jedoch keinen Erfolg. Die Mehrheit der Memminger blieb beim neuen Glauben, vor allem weil der Rat die Neugestaltung des kirchlichen Lebens zu seiner Sache machte. Im Oktober 1525 verpflichtete man den Schweizer Georg Gugy 29 als Prediger an St. Martin; nach dem Speyrer Reichstag von 1526 holte der Rat Simprecht Schenck als zweiten Prediger zurück. Die folgenden Jahre waren einerseits durch die Auseinandersetzungen mit der altgläubigen Minderheit 30 , andererseits durch den innerreformatorischen Gegensatz bezüglich der Abendmahlsfrage zwischen dem Lutheraner Gugy und dem Zwinglianer Schenck, die die Predigerstellen an St. Martin, der Frauenkirche und im St. Elsbethenkloster unter sich aufteilten, geprägt. Die 1527 zwischen Rat, Bürgermeister und Eilfern vereinbarte Zuchtordnung wurde im Januar 1528 von den Kanzeln verkündet; die Bilderfrage wurde in diesem Zusammenhang jedoch nicht problematisiert 31 . Angesichts der Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Zuchtordnung und des rechten Abendmahlsverständnisses bat man Ambrosius Blarer um Hilfe; dieser traf am 9. November 1528 in Memmingen ein und blieb bis Februar 1529 in der Stadt 32 . Nachdem auf seinen Ratschlag hin eine Liturgiekommission eingesetzt worden war, sprach sich auch die Versammlung der Eilfer für die Abschaffung der Messe aus 33 . Den Streit zwischen Gugy und Schenck vermochte Blarer aber nicht zu schlichten; Gugy mußte im Februar 1529 die Stadt verlassen. Den vorläufigen Sieg der zwinglianischen Richtung feierte man Ostern 1529 mit der an den Vorbildern Zürich und Basel orientierten Abendmahlsordnung 34 . Während sich der Rat im Innern um die Neuordnung der Armenfürsorge und die Reformierung der Klöster kümmerte, galt es in der Außenpolitik,
29
Vgl. S C H L E N C K : Memmingen, S . 5 8 ; P F A R R E R B U C H B A Y E R I S C H - S C H W A B E N , S . 6 9 , Nr. 389. 30 Der Rat unter Bürgermeister Eberhart Zangmeister erteilte dem altgläubigen Pfarrer Johannes Mack im November 1526 Predigtverbot; die darauf erfolgte Klage des Augsburger Bischofs beim Schwäbischen Bund blieb erfolglos. 31
V g l . D I E EVANGELISCHEN K I R C H E N O R D N U N G E N
DES XVI. J A H R H U N D E R T S
12,
S.
235-280. 32 Vgl. B R E C H T : Wirksamkeit, S. 143: Blarer sollte sich u. a. für die Aufnahme in das Zürcher Burgrecht einsetzen, nachdem Memmingen wegen der Abschaffung der Messe auf dem Ulmer Bundestag 1529 aus dem Schwäbischen Bund ausgeschlossen worden war. 33 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 9. Dez. 1528. 34
V g l . D I E EVANGELISCHEN KIRCHENORDNUNGEN
239-246.
DES XVI. J A H R H U N D E R T S
12,
S.
138
Memmingen
Ausschau nach Bündnispartnern zu halten und die eigene Position abzusichern 35 . Erste Verhandlungen in Esslingen und Ulm waren 1528/29 gescheitert, im Februar 1529 folgte der Ausschluß des Memminger Bundesrates Hans Keller durch den Schwäbischen Bund. Neben der Unterzeichnung der gegen den Abschied des Speyrer Reichstags gerichteten protestatio' bemühte sich der Rat - allen voran Eberhart Zangmeister - im Jahre 1529 um ein oberländisches Bündnis mit den Städten Ulm, Biberach, Kempten, Isny und Lindau, um sich Zürich, Bern und Konstanz anzuschließen. Auf zwei Memminger Städtetagen gegen Ende des Jahres 1529 konkretisierte man diese Pläne, realisierte sie jedoch nie 36 . Auf dem Biberacher Städtetag (31. Dezember 1529) distanzierten sich die oberländischen Städte sogar von der Idee eines Bündnisses mit den Schweizern 37 . Da ein Wechsel ins lutherische Lager nach dem Schmalkaldener Treffen Ende November wegen der ,Schwabacher Artikel' für Memmingen noch nicht möglich war, entschied sich die Stadt für einen „mittleren Weg" 38 : 1530 schloß man sich auf dem Augsburger Reichstag mit Straßburg, Konstanz und Lindau zusammen und manifestierte sein Bekenntnis in der von Martin Bucer verfaßten ,Confessio Tetrapolitana' 39 . Die Memminger Bürgerschaft stand eindeutig hinter der Politik des Rates: In einem Plebiszit hatten sich 751 Bürger die Annahme des Reichstagsabschiedes von 1530 abgelehnt, nur 51 - überwiegend Mitglieder der Großzunft - votierten dafür. Die Städte der ,Tetrapolitana' wahrten zwar ihre eigenständige Haltung in Glaubensfragen, zogen sich damit aber zugleich die Mißgunst des Kaisers zu. Wichtiger aber war die Tatsache, daß sich Memmingen nun von Zürich und Basel weg und nach Straßburg orientierte; denn es war Martin Bucer, der durch seine Vermittlungsbemühungen einen Kompromiß in der Abendmahlsfrage zwischen Lutheranern und Oberdeutschen herbeiführte und so auch Memmingen die Aufnahme in das evangelische Bündnis der Schmalkaldener 1531 ermöglichte 40 . Nach dieser Entscheidung widmete sich der Rat verstärkt der Aufgabe, die Einfuhrung der reformatorischen Neuerungen in Memmingen zu vollen35 Vgl. SCHLENCK: Memmingen, S. 61-65; ausfuhrlich dazu FRIESS: Außenpolitik, S. 92-117. 36 Vgl. WESTERMANN: Zangmeister, S. 91-95; oben S. 95: Die Ulmer Abgeordneten befürchteten Vergeltungsmaßnahmen des Kaisers. 37 Vgl. WESTERMANN: Zangmeister, S. 99-103; oben S. 66 und S. 95. 38
39
SCHLENCK: M e m m i n g e n , S. 76.
Vgl. BDS 3, S. 13-185; vgl. auch BRAUN: Confessio Tetrapolitana. Memmingen votierte neben Konstanz, Reutlingen, Lindau, Biberach und Isny am 3. Feb. 1531 für die Annahme des Schmalkaldischen Abschiedes. 40
Die Bilderfrevel und Bildentfernungen
vor 1531
139
den, auch wenn sich viele Bürger mit der Kompromißlösung schwer taten. Nachdem Schenck Ende Mai 1531 schon zu den Beratungen zwischen Bucer, Oekolampad, Blarer und Sam in Ulm hinzugezogen worden war 41 , lud der Rat Bucer und Oekolampad ein, sich persönlich ein Bild von den Zuständen in Memmingen zu machen. Mit diesen nicht unbedingt zufrieden, drängten sie auf die Durchsetzung der ,18 Artikel', die Bucer in Ulm ausgearbeitet hatte 42 . Unmittelbare Folgen waren die Examina der Geistlichkeit, die obrigkeitlichen Bilderentfernungen, die Übernahme des Antoniterklosters durch den Rat und die Inangriffnahme der Gottesdienstneuordnung in den zur Reichsstadt gehörenden Dörfern 43 . 1532 kamen Wolfgang Capito und erneut Ambrosius Blarer nach Memmingen, um den Rat bei diesen Bemühungen zu unterstützen. Nach Ulmer und Konstanzer Vorbild führte man zu Ostern eine neue Zuchtordnung ein, welche einen Abschluß der Ratsreformation markierte 44 . Ebenfalls 1532 erkannten die Memminger Gesandten auf dem Schmalkaldener Bundestag in Schweinfurt (9. April) die Confessio Augustana neben ihrer Tetrapolitana an. Auf Vermittlung Blarers verpflichtete der Rat im Januar 1534 den Prediger Gervasius Schuler aus Basel 45 , der sich zunächst mit der Gruppe der Täufer, welche sich um Kaspar Schwenckfeld gesammelt hatten, auseinanderzusetzen hatte. Aber das Beharren auf radikalen Positionen, wie sie etwa Simprecht Schenck forderte, hatte keine Perspektiven mehr; 1535 mußte Schenck die Stadt sogar wegen Ehebruchs verlassen. Im Mai 1536 unterzeichnete Memmingen die Wittenberger Konkordie.
6. 2 Die Bilderfrevel und Bildentfernungen vor 1531 Die Frage, was mit den sakralen Kunstwerken geschehen sollte, spielte in Memmingen durchaus vor 1531 eine - wenn auch keine dominierende Rolle 46 .
41
Vgl. oben S. 96f; DOBEL: Memmingen 5, S. 36f. Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 3. Juli 1531; oben S. 11 lf; unten Anm. 140. 43 Der Versuch, die Franziskanerinnen in ihrem Glauben umzustimmen, scheiterte; 42
v g l . BRIEFE UND A K T E N ZUM LEBEN OEKOLAMPADS 2 , S . 6 1 8 f m i t A n m . 1. D i e N o n n e n
verließen jedoch die Stadt und hielten sich bis zu ihrer Rückkehr 1549 in Kaufbeuren auf. 44 Vgl. SCHLENCK: Memmingen, S. 99-104; FRIESS: Ratsreformation, S. 430-434. 45
Zu Gervasius Schuler ( 1 4 9 5 - 1 5 6 3 ) vgl. LOCHER: Z w i n g l i a n i s m u s , S. 7 - 9 ; PFAR-
RERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S . 1 9 4 , N r . 1 1 4 8 . 46
Die Darstellungen von SCHLENCK, KROEMER u. a., die alle mehr oder weniger auf DOBEL zurückgreifen, vermitteln dagegen den Eindruck, daß die Bilderfrage erst nach der endgültigen Entscheidung für die reformatorische Sache den Rat interessiert habe.
140
Memmingen
Bereits 1523 war es zu einem Bilderfrevel gekommen, woraufhin der Rat in der Sitzung vom 9. Februar 1523 die Jugendlichen Ulrich Geßler und Raphael Sättelin, beide Söhne aus patrizischem Hause, bestrafte. Sie hatten die Figur eines Juden aus der Ölberggruppe der Frauenkirche herausgenommen, durch die Stadt getragen und ihren Spott damit getrieben 47 . Über die Motive der Tat lassen sich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht war es lediglich jugendlicher Leichtsinn 48 , vielleicht waren sie aber durch die Predigten in der Stadt zu Aktionen, die sich eigentlich gegen Megerich richten sollten, ermutigt worden. Ein Zusammenhang ihres Tuns mit der Judenfeindlichkeit dieser Jahre in Memmingen kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden 49 . Die nächste offizielle Äußerung zu kirchlichen Ausstattungsgegenständen - offen bleibt hier, ob damit auch Kunstwerke gemeint sind - erhalten wir durch den Altbürgermeister Ludwig Conrater auf dem Städtetag des Schwäbischen Bundes in Ulm am 19. Juni 1524. Er äußerte die Befürchtung des Rates, daß - neben den Mönchen aus der Kartause Buxheim - die Augustiner und Augustinerinnen in der Reichsstadt ihre Klöster verlassen und die wertvollen Kirchenzierden aus den Klosterkirchen plündern könnten, und forderte den Ratschlag der Bundesmitglieder ein 50 . Die Städte rieten den Memminger Verantwortlichen daraufhin, „daß sie mit besstem Fleiß und Fug verhüten, damit von den Zierden zu der Kirche gehörig nichts verändert, sondern ordentlich inventirt und soviel möglich behalten werde" 51 . Der Rat folgte diesem Ratschlag und ließ Ende 1524 durch Bürgermeister Hans Keller und die Kirchenpfleger den Bestand der Augustinerkirche inventarisieren 52 . 47 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 9. Feb. 1523: Die Strafe für Geßler und Sättelin betrug 1 Pfund Heller; vgl. auch ROTT: Quellen 2, S. 116. 48 Über die häufige Beteiligung von Jugendlichen an Aktionen gegen sakrale Kunstwerke vgl. oben die Hinweise S. 103, Anm. 36. 49 Vgl. KROEMER: Reformation, S. 156; vgl. auch StadtA Memmingen, A RPr vom 15. Jan. 1526 (Verbot, Juden in die Stadt zu lassen), 29. Mai, 20. Sept. und 11. Dez. 1527 (Ausweisung von Juden gefordert). 50 Vgl. DOBEL: Memmingen 1, S. 43: „Seine Herren und Freunde stünden nicht in kleiner Besorgniss, daß die Augustinermönche vielleicht heut oder morgen aus ihrem Kloster laufen, Kelche, Geschmeid und was an Kirchenzier vorhanden mit ihnen nehmen und das Kloster solchergestalt räumen und plündern würden; so wären die Frauen im Elsbethkloster auch wegig und aufrührig [...]." 51 Ebd., S. 44. 52 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 7. Okt. 1524: „Zu den Augustinermünchen sol gen der burgermaister Keller und die pfleger, alle ding im closter besehen, beschreiben und darnach, was sy finden und für eynkomen haben, wider fiir rat pringen. Sol auch gefragt werden, ob sy den kelch verkauft, verschenckt und wa er hinkommen sei." Ebd., A RPr vom 26. Dez. 1524: „Ist erraten, man sol den Augustinermünchen ain inventarien
Die Bilderfrevel
und Bildentfernungen
vor 1531
141
Vom Weihnachtsfest des gleichen Jahres wird in einem chronikalischen Bericht erneut ein Tumult in der Frauenkirche geschildert 53 , in dessen Verlauf es auch zu Zerstörungen von Tafelbildern kam: Nachdem Megerich den St. Georg-Altar zum Gottesdienst gerichtet hatte, „hat sich ein gros murmeln erhebt von den luterischen weyb unnd man darnach groß aufruhr unnd auffgeläuff ist worden" 54 . Megerich wurde von den anwesenden, offenbar reformationsgesinnten Frauen 55 in die Sakristei gejagt, beschimpft, sogar geschlagen und mit Steinen beworfen. Daneben wurden die „gläßer [= Kirchenfenster] zerrissen und erschlagen, die bildtlin an den tafeln gebrochen, die amplen [= Öllampen] erworfen, Kertzen auff dem altar abgebrochen und hinweg getragen, sollich gewalt von 4 bis 6 getriben unnd gehalten" 56 . Weiterhin berichtet der Chronist, daß Megerich lediglich mit Hilfe des herbeigeeilten Bürgermeisters Hans Keller und von sechs weiteren Ratsmitgliedern die Frauenkirche verlassen konnte, als Gegenleistung dafür aber seine Teilnahme an einer Disputation mit Schappeler zusagen mußte 57 . Wird auch kaum zu klären sein, welche Bilder des St. Georgaltar-Retabels dieser Attacke genau zum Opfer fielen, zeigt der Vorfall deutlich, daß die Polemik Schappelers gegen die altgläubige Partei auf fruchtbaren Boden - in diesem Falle bei den reformationsgesinnten Memminger Frauen gefallen war. Des Weiteren kann er auch als Indiz dafür gewertet werden, daß Schappeler nach seiner Rückkehr von der zweiten Züricher Disputation und vor dem Ausbruch des Bauernkrieges Teile der Bürgerschaft hinsichtlich der Bilderfrage sensibilisiert hatte 58 . machen und was im closter ist, sol behalten werden uff dem steurhaus, doch sy der disputatz [Gemeint ist die vom Rat für Anfang Jan. 1525 anberaumte Disputation zwischen Schappeler und Megerich] warten. Sol in 2 kelch gelassen werden. Ist erraten, man soll alles das inventiern, so die Augustinermünch haben, es seien ornaten, munsterantzen, kelch oder anders." 53 Vgl. StadtB Memmingen, Chroniken 2° 2, 20: Chronik des Hans Löhlin, Memmingen o. J. [17. Jh.], fol. 157v-158v. 54 Ebd., Fol. 158r. In den Ratsprotokollen dieser Zeit wird nichts über den Tumult berichtet, allerdings wurden kurz davor die Gottesdienstbesucherinnen der Frauenkirche ermahnt, sich friedlich zu verhalten und „wa sy mangel in ainer kirchen haben, sollen sye zu Sant Martin geen"; StadtA Memmingen, A RPr vom 23. Dez. 1523. 55 Weitere Beispiele für Beteiligungen von Frauen an antiklerikalen und ikonoklastischen Aktionen bei SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 189-194. 56 StadtB Memmingen, Chroniken 2° 2, 20: Chronik des Hans Löhlin, Memmingen o. J. [17. Jh.], fol. 158r; vgl. auch MlEDEL: Reformationsgeschichte, S. 172. 57 Nach dem Weihnachtsfest bildete der Rat eine Gesandtschaft, welche „kuntschafft machen [sollte] über die, so den pfarrer zu Unser Frauen erstechen wellen" und danach den Rat informieren sollte; vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 30. Dez. 1524. 58 Vgl. dazu StadtA Memmingen, A PRp vom 27. Nov. 1523: „Der luterey halb ist aber empörung vorhanden. Der prediger [= Christoph Schappeler] ist komen von
142
Memmingen
In der zeitgenössischen Chronik des Alexander Mair findet sich ein Hinweis, daß im Bauernkrieg 1525 Bilder und Altäre zerstört worden sind: „Item bald dornach brach ein rott all altar ab in der gantzen statt, daß man kein meß mer haben kinde, man erscheittet etliche bild und verbrent etliche." 59 Leider läßt die Quelle den Betrachter im Unklaren über das genaue Datum - wahrscheinlich während oder kurz nach der Belagerung Memmingens - und über die Durchführung der Aktion. Mit der „rott" waren wohl die Bauern der Memminger Dörfer und die Mitglieder der die Stadt belagernden Haufen gemeint. Fraglich bleibt auch, wie es diesen Personen gelingen konnte, in die belagerte Stadt hineinzukommen, war sie doch fest in den Händen der Truppen des Schwäbischen Bundes. Und selbst wenn es ihnen gelungen wäre, in die Stadt einzudringen, hätten sie vermutlich nicht so viel Zeit gehabt, „alle" - wie die Quelle behauptet - Altäre der Stadt zu zerstören. Nach der erfolglosen Belagerung war eine geplante Aktion gegen die Gotteshäuser allerdings noch unwahrscheinlicher, da sich die Bauernhaufen schnell aufgelöst hatten und die Bauern in ihre Dörfer zurückgekehrt waren 60 . Problematisch bleibt auch der von Mair vermittelte Eindruck, daß sich die Aktion der Bauern gezielt gegen Altäre und Bilder gerichtet habe und nicht nur zufällig im Laufe einer Plünderung geschah. In den Programmen der Memminger Bauern spielte aber die Bilderfrage keine Rolle 61 . Inwieweit die Predigten Schappelers das Bewußtsein der Bauern und auch der Bürger gegen die Verehrung der Götzen geschärft hatte, muß offen bleiben. Auch die interessante Frage, ob städtische Bürger und Bildergegner bei diesen Vorgängen 1525 beteiligt waren, kann wegen des Fehlens weiterer Quellen nicht beantwortet werden 62 . Festzuhalten gilt, daß auf keinen Fall alle Altäre aus den Kirchen entfernt worden waren, da in den folgenden Jahren und bei der Ausräumung 1531 auch Altäre genannt werden; wie viele Bilder wirklich verbrannt wurden, ist nicht zu ermitteln.
Schweitz und zu Zürich bey Zwingli gewesen, hat wider die messen, furpitt der haiigen und annders gepredigt. Davon ist ain gross geschray und widerwill entstanden und im rat vil geredt [...] Ist erraten, man wöll die priester beschicken und mit inen reden, das sie den prediger nit ketzer schellten." Von der Wirkung der Predigten Schappelers, von denen keine überliefert sind, erfährt man nur indirekt über die Berichte Lotzers. 59
60
QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES BAUERNKRIEGES, S.
156.
Eine Aktion zu diesem Zeitpunkt wäre sicherlich auf den Widerstand des Rates gestoßen; in den Ratsprotokollen war aber kein Hinweis auf derartige Zerstörungen zu finden. 61 Weder in den ,Zehn' noch in den ,Zwölf Artikeln' werden die Bilder thematisiert. Vgl. auch unten S. 216-219. 62 Vgl. M L C H A L S K I : Phänomen Bildersturm, S. 71, Anm. 4; vgl. auch unten S. 235 und S. 244f (Kaufbeuren).
Die Bilderfrevel und Bildentfernungen
vor 1531
143
Von weiteren - durch die Quellen gesicherten - Bilderentfernungen aus Memminger Kirchen hören wir im Zuge der vom Rat durchgeführten Umorganisation von Stiftungen, Jahrtagen und Pfründen in den , Gemeinen Kasten' in den Jahren nach 152563. Der Rat erlaubte nämlich ausdrücklich einigen Personen, die von ihnen gestifteten Gegenstände aus den Kirchen zu holen, so z. B. Hans Prassler ein Marienbild aus der Frauenkirche 64 , einer Frau Neithart 65 und der Familie Besserer 66 . Der Erlös aus eventuellen Verkäufen dieser Kunstwerke sollte dagegen dem .Gemeinen Kasten' zugeführt werden. Die wertvollen Gegenstände der Martins- und Frauenkirche (v. a. Silber- und Goldgeschirr, Gewänder) ließ der Rat selbst inventarisieren und in sichere Verwahrung bringen 67 . 1526 wurde dem Pfarrer von St. Martin erlaubt, das Hungertuch in der Fastenzeit wegzulassen; zwei Jahre später hat man das Hungertuch offenbar aber wieder aufgehängt, da der Rat die Pfleger von St. Martin aufforderte, dieses aufzuziehen 68 . Während der Palmprozession des Jahres 1526 hatten Jugendliche offenbar ihren Unfug mit dem dabei von St. Martin zur Frauenkirche, von dort zur Spitalkirche und wieder nach St. Martin mitge-
63
Zum Memminger .Gemeinen Kasten' vgl. SCHLENCK: Memmingen, S. 61-63. Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 2. Dez. 1527: „Item als Hans Prassler anpracht, sein Marie pild auss Unser Frauenkirchen ze nemen, und ims verfolgen zu lassen. Ist erratten, das sich ain rat des nichts annemen well, sonder man lass geschechen, wie und was im die pfleger desshalben zugeben. Darbey den pflegern bevolhen, ims zu vergönnen, doch was er auss dem pild lößt, soll in der armen allmuessens cassten bewendet werden und niendert anderstwohin." DOBEL: Memmingen 2, S. 57, bringt die Erzählung der Weissenhorner Chronik mit einem Rosenkranzbild, das für 10 Gulden verkauft worden sei, in Verbindung. 65 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 15. Jan. 1528: Hier wird der Frau erlaubt, die ihr zustehenden Sachen nach Hause zu holen. Der angebliche Eintrag in dieser Angelegenheit vom 21. Feb. 1528 - so SCHLENCK: Memmingen, S. 62, Anm. 218 - konnte nicht verifiziert werden. 66 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 11. Dez. 1528: „Sant Jergen Cappel sol man auf der Besserin beger alles silber, munsterantzen, kelch und anders durch Thoni Besserer, und ob er wil, mag er ain des rath zu im nemen, inventieren, beschreiben und im gwelbe sampt allen meßgewand und was darzu gehert bewar, beschliessen und biss frieling ligen lassen." Vielleicht waren unter den anderen Sachen auch gestiftete Bilder oder Statuen. 67 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 12. Jan. 1529: „Sant Marti[n]s pfleger sollen all ornaten, messgewender und dergleichen zu iren henden nemen und die schlissel"; ebd., A RPr vom 1. März 1529: „Ist erratten, das silber in Unser Frauenkirchen zu vertzichten und aufs steuerhaws antworten." Das Silbergeschirr des Augustinerklosters hatte der Rat bereits 1527 und nochmals 1528 inventarisieren und in Verwahrung nehmen lassen (ebd., A RPr vom 18. Dez. und 23. Dez. 1527; DOBEL: Memmingen 1, S. 56). 68 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 14. Feb. 1526 und 28. Feb. 1528; DOBEL: Memmingen 2, S. 60. 64
144
Memmingen
führten Palmesel getrieben, wofür ihnen der Rat Strafe androhte, falls ihre Väter sie für ihr Verhalten nicht schon gemaßregelt hätten 69 . Abgesehen von den beschriebenen Aktionen gegen Ölberg, Hungertuch und Palmesel und von den Entfernungen von Gegenständen durch die Stifter blieb die Ausstattung der beiden Pfarrkirchen erst einmal unangetastet. Ob es 1528 bereits zur Abschaffung der Orgel und zum Abbruch der Kanzel in St. Martin gekommen ist, kann zumindest angezweifelt werden. Obwohl der Rat auf Veranlassung Simprecht Schencks und mit Zangmeisters Zustimmung im Juni den Abbruch befohlen haben soll 70 , fehlen Nachrichten darüber in der ansonsten sehr dichten zeitgenössischen reichsstädtischen Überlieferung. Ein Chronist aus dem 17. Jahrhundert berichtet, daß es „ein teuffels werck und abgötterey sey, das man die Orgel in der kirchen habe" 71 , und daß Schenck selbst die Kanzel zerstört, „die bilder oder die altär herunder gerissen, und under die fies geworffen, ja welches noch war, gantze Karen geladen, zuo haus fieren lassen und verbrant" 72 habe. Die Glaubwürdigkeit dieses Berichterstatters - es handelt sich dabei um den reformationskritischen Turmbläser Johannes Kimpel - ist jedoch nicht sehr hoch, und so könnten sein Unverständnis über die Vorgänge in der Reformation zu Übertreibungen oder zu polemischen Spitzen gegen den Memminger Prediger geführt haben. Interessant ist ferner der Umstand, daß die Bilderfrage während des Aufenthaltes Ambrosius Blarers 1528/29 offenbar nicht thematisiert wurde, jedenfalls fanden eventuelle Diskussionen oder Aktionen keinen
69
Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 4. April 1526: „Man sol die buben, so ungeschickt gewest sein beim esel, beschicken [bestellen, holen lassen] und ire vatter und ernstlich mit inen reden, und wa sy ire vatter nit straffen, so wol sy ain rat straffen." Zur Palmprozession in Memmingen vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 5, S. 531; zur Beteiligung von Jugendlichen an Freveln während der Palmsonntagsliturgie vgl. BURG: Palmesel, S. 128-133. 70 Diesen Eindruck versucht DOBEL: Memmingen 2, S. 60 zu erwecken; so auch zuletzt GELD UND GLAUBE, S. 104f, Nr. 76. In den Ratsprotokollen fehlen jedoch jegliche Hinweise. DOBEL beruft sich dabei auf die nach 1622 entstandene Chronik von Memmingen des wenig reformationsfreundlichen Johannes KIMPEL; vgl. StadtB Memmingen, Chroniken 2° 2, 19. Knapp 70 Jahre später (1597/98) erhielt die Memminger Pfarrkirche eine neue Orgel, deren Flügel mit biblischen Szenen bemalt waren und die sich heute im S c h l o ß M e r f e l d b e f i n d e n ; v g l . STICHTING ORGANA HISTÓRICA: O r g e l f l ü g e l , S. 1 0 2 f . 71
StadtB Memmingen, Chroniken 2° 2, 19, S. 245 (Chronik des Johannes Kimpel): Kimpel datierte den Abbruch der Orgel auf den 26. Juni 1528. Zur Überlieferungsgeschichte dieser Schilderung vgl. DOBEL: Memmingen 2, S. 60f mit Anm. 100. Vgl. auch WESTERMANN: Zangmeister, S. 84, der behauptet, daß der Abbruch der Orgel mit Zustimmung des Bürgermeisters vonstatten gegangen sei, ohne aber einen Beleg dafür zu liefern. Vgl. auchFRIESS: Ratsreformation, S. 432 mit Anm. 41. 72 StadtB Memmingen, Chroniken 2° 2, 19, S. 246 (Chronik des Johannes Kimpel).
Die Ereignisse
im Sommer
¡53!
145
schriftlichen Niederschlag 73 . Am Ende des Jahres 1529 wurde die schon seit längerem ungenutzte Kirche des Schottenklosters außerhalb des Stadtmauerrings, St. Nikolaus, abgebrochen. Über die Ausstattung mit sakraler Kunst zu dieser Zeit liegen kaum Nachrichten vor. 1518 hatte man noch einen Ölberg errichtet und dazu bereits vorhandene Statuen verwendet 74 . Die Augustiner-Eremiten, denen diese Kirche 1498 inkorporiert worden war, erhielten vom Rat 1529 lediglich die Erlaubnis, sich die Kirchenfenster und das Holz abzuholen 75 . Nach dem Bericht des Priors Johannes Oster kam es in der Kirche des Augustiner-Eremiten-Klosters selbst im gleichen Jahr zu Übergriffen der Obrigkeit, wobei auch die dort befindlichen Altäre und Kapellen in Mitleidenschaft gezogen wurden 76 . Leider berichtet der Prior darüber keine weiteren Einzelheiten.
6. 3 Die Ereignisse im Sommer 1531 Wie Bucer und Oekolampad wenige Tage nach ihrem Aufenthalt in Memmingen Anfang Juli festgestellt hatten, waren die Erneuerungen des religiösen Lebens zwar in Angriff genommen, aber offensichtlich noch nicht mit letzter Konsequenz durchgeführt worden. In seinem Schreiben vom 6. Juli 1531 an den in Ulm weilenden Kollegen Blarer äußerte sich Oekolampad zwar positiv über die freundliche Aufnahme in der Reichsstadt und das aufrechte Bemühen vieler Memminger um ein frommes, gottgefälliges Leben, wies aber zugleich auf die noch vorhandenen Mißstände hin 77 : An erster Stelle nennt er die Bilder, die sich immer noch an ihren Plätzen präsentieren, danach folgen „duos baptismos" 78 , Hostienverehrung, Messele73
Vgl. oben S. 41-44. Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 3. März 1518. - Zum Schottenkloster vgl. MISCHLEWSKI: Klöster, S. 286-291. 75 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 24. Juli 1525; 26. April, 11. und 13. Okt. 1529. 76 Vgl. ebd., A 365/1; vgl. auch LAMBACHER: Spitäler, S. 312. 77 „Memmingenses vere tui mira nos humanitate exceperunt, tractarunt, dimiserunt. Multa verae sinceraeque pietatis specimina prae se ferunt; purgatiorem tarnen et magis in Christo coadunatam inventuros illorum ecclesiam non sperabamus. N a m praeter idola, quae adhuc suis locis prostant, duos baptismos, panem pollutum praelucente lampade adorabilem, sacrificos urbicos in pagos sacrificandi ergo excurrentes, beghinas verbi Dei 74
s a t u r a s r e p e r i m u s [ . . . ] " ; BRIEFE UND AKTEN ZUM LEBEN OEKOLAMPADS 2, S . 6 2 0 - 6 2 2 , N r . 8 8 6 , Z i t a t : S. 6 2 1 ; BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER
1, S. 252f, Nr. 194. 78 Diese Stelle mit „zwei Taufsteinen" zu übersetzen, ist problematisch; so BRIEFE UND AKTEN ZUM LEBEN OEKOLAMPADS 2 , S . 6 2 1 , A n m . 2 ( m i t V e r w e i s a u f PRESSEL:
Leben und Schriften, S. 193). Gemeint sein dürften damit wohl eher die immer noch nebeneinander praktizierten zwei Taufriten in der Stadt; zu den Streitigkeiten um die rechte Taufordnung, die bereits zwischen Megerich und dem Rat Ende 1524 offenkundig
146
Memmingen
sen durch städtische Priester in den Landgemeinden und die störrischen Grauen Schwestern 79 . Diplomatisch etwas geschickter verpackten Bucer und Oekolampad gemeinsam ihre Kritik an den Memminger Zuständen in der Eingabe vom gleichen Tag an den Bürgermeister und den Rat der Stadt . Als nachahmenswertes Beispiel stellen sie diesen Biberach vor Augen, wo man mit der Abschaffung von Messe und Bildern bereits weit vorangeschritten war 81 . Die Aktionen in Biberach seien - so die Schilderung der beiden Theologen - völlig störungsfrei verlaufen, einzig mit einigen Stiftern sei es zu Auseinandersetzungen gekommen. Wie in Ulm hatte auch der Biberacher Rat den Bürgern erlaubt, „sein bild und grabstein zu sich zu nemen" 82 . Unter diesen Stiftern begnügten sich allerdings einige nicht mit der Herausnahme ihrer Bilder und Epitaphien, sondern versuchten darüber hinaus, die anderen, wertvollen Teile ihrer Stiftungen (Meßgewänder, liturgische Geräte, Kleinodien) wieder an sich zu nehmen 83 . Solche Störfälle sollten die Memminger daher vermeiden, damit „alle ding bey euch bekumlicher außgerichtet wurden" 84 . Das Insistieren der auswärtigen Theologen zeigte schließlich Erfolg: In der Ratssitzung vom 7. Juli 1531 wurde ein Ausschuß von acht Mitgliedern unter Vorsitz von Eberhart Zangmeister eingerichtet, der sich u. a. mit
geworden waren, vgl. oben S . 135; D I E EVANGELISCHEN K I R C H E N O R D N U N G E N DES XVI. JAHRHUNDERTS 12, S. 236f, bes. Anm. 15; D O B E L : Memmingen 3, S. 32f. 79 Zum (erfolglosen) Reformationsversuch Bucers und Oekolampads am 2. Juli im Memminger Franziskanerinnenkloster vgl. BRIEFE UND A K T E N ZUM L E B E N O E K O LAMPADS 2, S. 6 1 8 f , A n m . 1 (Lit.). 80
B R I E F E UND A K T E N ZUM L E B E N OEKOLAMPADS 2 , S . 6 1 9 f , N r . 8 8 5 ( B u c e r
und
Oekolampad an Bürgermeister und Rat der Stadt Memmingen, 6. Juli 1531); BCor 6, S. 17-20, Nr. 433. 81 Zu den Vorgängen in Biberach vgl. unten S. 165-167. 82
BRIEFE UND AKTEN ZUM LEBEN OEKOLAMPADS 2, S. 6 1 9 . - B e r e i t s in U l m h a t t e n
Bucer, Oekolampad und Blarer nicht verhindern können, daß mit dem Einverständnis der Obrigkeit die Bürger ihre Stiftungen aus den Gotteshäusern herausholen und über deren weiteres Schicksal selbst entscheiden konnten; vgl. oben S. 114f. In Memmingen war seit 1526 den Stiftern die Möglichkeit eingeräumt worden, ihre Stiftungen - bis auf die wertvollen Silber- und Goldgegenstände - wieder an sich zu nehmen; vgl. oben S. 143 mit Anm. 64-66. Der Memminger Rat hatte also weder Blarer bei seinem Aufenthalt 1528/29 noch Bucer und Oekolampad, die erst wenige Tage vor diesem Schreiben in Memmingen waren, über diese Praxis informiert. 83
V g l . BRIEFE UND AKTEN ZUM LEBEN OEKOLAMPADS 2, S. 6 1 9 : „[...] e r f u n d e n n w e r -
denn etlich, die sich des nit begnügen und trachten weiter nach ornat, kleinot und stifftung, auch herausz zu bringen." - Vgl. auch die irreführende Interpretation dieser Passage bei MlCHALSKl: Phänomen Bildersturm, S. 83 mit Anm. 51, und - darauf beruhend - bei HAHN: Folgen, S. 44. 84
BRIEFE UND A K T E N ZUM L E B E N O E K O L A M P A D S 2 , S . 6 2 0 .
Die Ereignisse
im Sommer
1531
147
dem Bilderproblem befassen sollte85. Nach einem Gutachten dieses Ausschusses wurde der Rat aufgefordert, die Bilder wegzuschaffen, weil diese sich wider Gottes Gebot in den Kirchen befänden 86 . Der Memminger Rat kam der Aufforderung nach und beauftragte den Webermeister Felix Mair und den Kramerzunftmeister Martin Gerung mit dieser Aufgabe, welche nach Rücksprache mit den Kirchenpflegern von St. Martin - zusammen mit Handwerkern die Räumungsarbeiten begannen 87 . Um ein geordnetes Vorgehen zu ermöglichen und Unruhen in der Bürgerschaft zu vermeiden, wurden alle Kirchen und Kapellen geschlossen; lediglich in St. Elisabeth sollten in der Zwischenzeit Predigtgottesdienste stattfinden. Zu fragen ist nun, ob wirklich alle „bültnußen zerrissen und erschlagen" 88 wurden, wie es ein zeitgenössischer Chronist schildert. Daher gilt die Frage zu klären, was wirklich zerstört wurde und was sich an vorreformatorischen Kunstwerken erhalten hat. Vor allem die für die Ausstattung der Memminger Gotteshäuser charakteristischen Wandmalereien der Strigel-Werkstatt sollen unter diesem Gesichtspunkt besondere Beachtung finden. 6. 3.1 Pfarrkirche St. Martin Den Anfang machte man am 19. Juli 1531 in der Martinskirche. Wie in vielen anderen Fällen ist man über die genaue vorreformatorische Ausstattung nur sehr ungenau unterrichtet 89 . Daher ist es schwierig, genaue 85 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 7. Juli 1531: „Uber die ratschlag getzen und den pfarrhoff, spitalpfaffen, münch und anders halb sein verordnet Hans Keller, Hans Ehinger und [Jörg] Triesch, auch der grosszunfftmeister [Ulrich Lieber], Hans Haiss und Hans Muelich, Jacob Kerler und [Eberhart] Zangmaister." Zum Folgenden vgl. auch
ROTT: Quellen 2, S. 117. 86 Vgl. D O B E L : Memmingen 5 , S . 3 9 , Anm. 28a: „Dieweil die götzen wider gottes wort, dem nechsten ain anstoss vnd zu ergernus daher gesetzt synd, sollend dieselbigen förderlich hinwegkh gethann vnd zwen von aim Rath sampt den werckleuten darzu verordnett werden; die sollen mit vnd bei sein vnd beratschlagen, wie sy das in still mit besten fuogen hinwegkh thueen vnd namblich das vergüllt an ain besonder orth verordnen vnd niemand nichts davon geben." D O B E L zitiert den Artikel über die Götzen wohl aus diesem Gutachten, das zu seiner Zeit noch im Stadtarchiv vorhanden gewesen sein muß; heute ist es leider nicht mehr auffindbar. 87 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 7. Juli 1531: „Ist erratten, mit den pflegern Sant Martin, auch den werckleuten zu reden, wen und wie man die getzen abthun, wa mans hinthun wel. Da es bescheidenlich Zugang, auch nymant davon geben." 88 StadtA Ulm, Gl/1536: Weissenhornische Chronik des Nicolaus Thoman, S. 437; der Verfasser war ein überzeugter Gegner der Reformation. Ähnlich SCHELHORN: Reformationshistorie, S. 190; D I E EVANGELISCHEN KIRCHENORDNUNGEN DES XVI. J A H R -
HUNDERTS 1 2 , S . 2 2 8 . 89 Vgl. StadtA Memmingen, A Schubl. 360: St. Martinskirche. Stadtschreiber Vogelmann nennt in einem Verzeichnis von 1 5 0 9 zwanzig Altäre. Vgl. auch R O T T : Quellen 2 ,
148
Memmingen
Angaben darüber zu machen, was die vom Rat beauftragten Handwerker wegräumten oder wirklich zerstörten. Die Anweisungen des Rates an die Handwerker waren darüber hinaus nicht sehr konkret, da man sich über den Verwendungszweck der Gegenstände offenbar nicht klar war 90 . Zwar konnten anhand der Urkunden über Meß- und Kaplaneistiftungen und des Kalendariums der Martinskirche Erkenntnisse über den Standort der Altäre, über Patrozinien und Weihetage, über Reliquien und zu erhaltende Ablässe gewonnen werden; die Frage aber, wieviel und welche Retabel, Bilder oder Statuen diese schmückten, blieb unbeantwortet 91 . Bis auf wenige Teile (vgl. unten) hat sich nichts davon erhalten. Nicht abgetragen, sondern nur geringfügig beschädigt wurde das Chorgestühl, welches erst 1501 bis 1508 unter der Gesamtleitung des Bildhauers Hans Dapratzhauser errichtet worden war. Auf den Reliefs an den Wangen und unter den Baldachinen sind neben Darstellungen bedeutender Memminger Bürger auch Heiligenbilder und Szenen alttestamentlicher und heidnischer Weissagungen zu sehen 92 . Den heutigen Zweisitz setzte man 1890 aus Bruchstücken des Viersitzes, der ungefähr zur gleichen Zeit wie das Chorgestühl nach St. Martin kam, zusammen; dieser zeigt die Reliefs der Hll. Georg und Martin 93 . Erhalten - und auch nicht übertüncht - blieben die Wandmalereien 94 der klugen und törichten Jungfrauen links und rechts der TriumphbogenlaiS. XXVIII (Altarschreine von Hans Strigel d. Ä., 1457). 113f (Altartafeln 1456, Hungertuch 1461, Dreikönigsaltar 1472/73, Altar 1476; Stiftungen der Antoniter für St. Martin: Monstranz 1447, Kreuz, Rauchfaß, Reliquienbehälter 1455). 90 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 14. Juli 1531: „Die getzen, altar und tafflen hinweg zu thun sein verordnet Felix Mair und Martin Gering. Uff mitwochen [= 19. Juli 1531] sol man die getzen hinweg thun, zimmerleut und maurer." Ebd., A RPr vom 19. Juli 1531: „Man sol Sant Martinskirchen ramen und darnach sehen, wie man im thun wel." 91 Vgl. WESTERMANN: Altäre, S. 43-47. Westermann erhoffte sich durch diese Aufstellung einen Fingerzeig für die ehemals in St. Martin vorhandenen Kunstwerke, der „möglicherweise wieder zur Auffindung von bisher als verloren betrachteten oder zur Bestimmung von nicht näher zu identifizierenden Kunstwerken in größeren und kleineren Sammlungen führen könnte, denn es ist nicht anzunehmen, daß der ,Bildersturm' [...] restlos alle Kunstwerke vernichtet hat, wenn auch das meiste von ihnen als unwiederbringlich verloren angesehen werden muß" (S. 43). 92 Vgl. KDBay Memmingen, S. l l f ; vgl. auch ST. MARTIN MEMMINGEN, S. 19-24; ROTT: Quellen 2, S. 106f; BOOCKMANN: Stadt, S. 206, Nr. 318f. - Die Angaben bei SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 443, der von Verstümmelungen am Chorgestühl berichtet, treffen hingegen nicht zu. 93
94
ST. MARTIN MEMMINGEN, S . 2 5 .
Bei der großen Kirchenerneuerung ab 1587 erhielt der Innenraum wiederum eine malerische Ausgestaltung. Im Folgenden werden aber nur die in unserem Zusammenhang vor den Bilderentfernungen zu datierenden Wandgemälde betrachtet. Einige Fresken wurden bei der Restaurierung der Kirchenmauern nach dem Dreißigjährigen Krieg zugedeckt oder ganz zerstört. Vgl. ERHARD: St. Martin, S. 26.
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im Sommer
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bung von 1510, Reste von Weihekreuzen an den Pfeilern der inneren Westwand (um 1491/1510), ein Hans Strigel d. J. zugeschriebener Erbärmdechristus (um 1490) am ersten, eine Darstellung des Hl. Onuphrius (Ende 15. Jh.) am zweiten und eine Deesis (um 1470/1480) am sechsten südlichen Langhauspfeiler 95 , sowie die Darstellungen verschiedener Heiliger, eine Verkündigungsszene, ein Schweißtuch der Veronika und ein Schmerzensmann an den nördlichen Langhauspfeilern 96 . In Fragmenten sind noch die Figur einer Hl. Nonne an der vierten Kapelle des nördlichen Seitenschiffes und eine Kreuzigungsgruppe an der Westwand des Turmuntergeschosses (beide 15. Jh.) zu erkennen. Vermutlich von Hans Strigel d. Ä. stammte die 1445 datierte Kreuzigungsgruppe 97 . Von den ab 1470 am südlichen Seitenschiff eingerichteten Kapellen bedeutender Memminger Familien ist v. a. die Zangmeister-Kapelle 98 von Interesse: Den Bilderschmuck und die Meßgeräte des St. Magnus-Altars räumte man ohne erkennbaren Widerstand der Stifterfamilie weg, ein Teil der Fresken und Wandmalereien an der Ostwand wurden übertüncht und durch Spruchbänder mit Zitaten aus der Lutherischen Bibelübersetzung ersetzt, die man heute noch sehen kann 99 . Die neue Glaubensüberzeugung der Stifterfamilie zeigte sich also nicht in der Zerstörung, sondern der Umwandlung von bereits vorhandenen künstlerischen Medien. Die Frage, ob die Teile des um 1500 von Bernhard und Ivo Strigel geschaffenen Dreikönigs-Retabels, die sich heute im Memminger Stadtmuseum befinden, aus der Dreikönigskapelle in St. Martin oder aus der Dreikönigskapelle in der Kalchstraße stammen, muß offen bleiben. Für den Standort in der Dreikönigskapelle an der Ostwand des südlichen Seitenschiffes von St. Martin sprechen die Ausmaße des einstigen FlügelaltarRetabels 100 . Sehr wahrscheinlich wurde das Dreikönigs-Retabel 1531 von seinem ursprünglichen Standort entfernt und tauchte erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Schmuckstück im Sitzungszimmer
95
Vgl. LCI 8, Sp. 8 4 - 8 8 (Onuphrius) und 6, Sp. 38 (Deesis). Vgl. K D B a y Memmingen, S. lOf. Hans Strigel d. Ä. werden das Lamm Gottes und die vier Evangelistensymbole im Innern der südöstlichen Vorhalle zugeschrieben; vgl. dazu OTTO: Strigel. 97 Vgl. BAUM: Altschwäbische Kunst, S. 64. 98 Vgl. WESTERMANN: Zangmeister, S. 10-12. Zangmeister hatte 1505 in der Südwestecke der Kirche eine Familienkapelle errichten lassen. 1514 wurden die Wände mit Darstellungen aus dem Heiligenleben und mit Spruchbänder haltenden Engeln ausgeschmückt. Über d e m Torbogen brachte man das mit Renaissanceornamenten verzierte Wappen der Familie, den Mohrenstrumpf, an. 99 Die Fresken an den Wänden und am Gewölbe wurden bei der Restaurierung 1963 wieder freigelegt; vgl. OTTO: Zangmeisterkapelle, S. 1 7 - 2 1 ; K D B a y Memmingen, S. 11. 96
100 Für die freundliche Auskunft danke ich Herrn Christoph Engelhard v o m Stadtarchiv Memmingen. Vgl. auch die Abbildung des Altar-Retabels bei HAHN: Folgen, S. 39.
Memmingen
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des Memminger Rathauses auf. Bereits damals fehlten die Schreinskulpturen - bis auf die sitzende Madonna - und das Gesprenge, fast vollständig erhalten sind dagegen die Gemälde der Predella (Christus und die zwölf Apostel) und auf den Flügelinnen- und -außenseiten die Szenen der Dreikönigsgeschichte (nach dem Matthäus-Evangelium, Ps 72,10 und der Legenda Aurea) 101 . Ganz im Sinne der zwinglianischen Auffassung vom Abendmahlstisch erhielt die Martinskirche nach der Ausräumung als neues Ausstattungsstück einen steinernen, sehr schlichten Kreuzaltar 102 . 6. 3. 2 Frauenkirche Nach der Martinskirche folgte die Ausräumung der Frauenkirche 103 . Die Klagen Megerichs und der anderen Geistlichen gegen die Eingriffe in das Gotteshaus wies der Rat zurück 104 ; statt dessen ermahnte er die Verantwortlichen der Frauenkirche eindringlich, den Zustand in ihrer Kirche nicht zu verändern und nicht Teile des Inventars aus der Stadt zu schaffen 105 . Genauere Angaben über die Durchführung macht das Ratsprotokoll nicht, aber analog zu den Vorgängen in der Martinskirche wurden vermutlich auch hier Handwerker mit den Ausräumungsarbeiten beauftragt. Von der vorreformatorischen Sakralkunst - über deren ganze Bandbreite wir nur wenig wissen 106 - sind lediglich die Wandmalereien im Chor, Langhaus, Seitenschiffen und den beiden Vorhallen erhalten, diese allerdings in großem Ausmaße. Entscheidend für den Erhalt der Wandma101
V g l . GELD UND GLAUBE, S. 1 1 8 f , N r . 4 8 ; K D B a y M e m m i n g e n , S. 5 6 ; BAUM: A l t -
schwäbische Kunst, S. 67 mit Abb. 40. 102 Abb. bei PETZ: Reichsstädte, S. 187. 103 Das Patronat der Frauenkirche hatte Kaiser Ludwig der Bayer 1341 dem Hl.-GeistSpital (auch Kreuzherrenkloster genannt) geschenkt. Vgl. BRAUN: Unser Frauen; HAFFELDER: F r a u e n k i r c h e ; SONTHEIMER: G e i s t l i c h k e i t 5, S . 9 3 f . 104
Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 28. Juli und 7. Aug. 1531. Aus der Tatsache, daß die erste Klage Megerichs den Rat schon am 28. Juli erreichte, kann man Rückschlüsse ziehen für die Dauer der Ausräumung in St. Martin; letztere kann frühestens am 19. Juli begonnen (vgl. oben Anm. 90) und vor dem 28. Juli 1531 beendet worden sein. 105 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 7. Aug. und 11. Aug. 1531. 106 Die erst 1514 bei Ivo Strigel in Auftrag gegebene Tafel für den Marienaltar in der Frauenkirche, die Himmelfahrt Mariens darstellend, ist urkundlich erwähnt, aber ebenfalls nicht erhalten; vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 544. Die sog. Hawanger Madonna von Ivo Strigel gelangte wahrscheinlich erst später aus einem Bauernhaus in Hawangen in die Memminger Kirche; vgl. HAFFELDER: Frauenkirche, S. 21. Vgl. auch die Hinweise bei ROTT: Quellen 2, S. 97-99 (Vertrag über den Marienretabel von Ivo Strigel, 1514). 100 (Thomas Bockstorfer erneuerte 1505/06 ein Gemälde). 108f (mittlerer Altar). 113f (Hungertuch, 1461; Sakramentshaus, 1463; Altartafel im Chor; Altar der St. Jakobskapelle, 1488).
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lereien war wohl nicht, daß man den Aufwand scheute, fast die komplette Kirche mit Gerüsten zu versehen, um die Wände großflächig zu übertünchen, sondern v. a. der Inhalt des Dargestellten: Das um 1470 entstandene Bildprogramm des Hauptschiffes zeigt über den Pfeilern zwölf ca. 2,3 m große Apostelgestalten auf gemalten Konsolen mit Spruchbändern, die fortlaufend gelesen - das apostolische Glaubensbekenntnis in der Volkssprache wiedergeben 107 . An den Innenwandungen der Arkadenbögen wird der Apostelzyklus durch Engel und biblische Figuren 108 , welche Spruchbänder aus dem Alten und Neuen Testament halten, ergänzt 109 . Wie differenziert man trotzdem diese - aus gemäßigt reformatorischer Sicht „ungefährlichen" - Bilder betrachtete und behandelte, zeigt ein kleiner, aber in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzender Eingriff in das Programm: Die Tiara, das päpstliche Herrschaftszeichen, welche das Haupt der Petrus-Figur schmückte, wurde in der Reformationszeit - vermutlich also 1531 - entfernt 110 Im Chor stehen die Darstellungen der klugen und törichten Jungfrauen in der Chorbogen-Laibung (um 1460/70) und Szenen, die sich auf das Abendmahl beziehen, im Mittelpunkt 111 . Die Inschriftenbänder der Engel und der vier Evangelisten wurden wiederum übertüncht und im Geist des neuen Bekenntnisses abgewandelt 112 . Des Weiteren befinden sich ein Bildnis des Hans Vöhlin 113 und eine Maria mit Kind in einer Mondsichel in 107 Vgl. KDBay Memmingen, S. 22; HAFFELDER: Frauenkirche, S. 6; DETZEL: Wandmalereien, S. 713-728. 108 Als einziger Heiliger wird am dritten nördlichen Bogen des Apostelzykluses Bernhard von Clairvaux dargestellt. 109 Lediglich am vierten Bogen auf der Evangelienseite korrespondieren die Schriftstellen nicht mit Artikeln des Glaubensbekenntnisses, sondern beziehen sich auf Maria; vgl. DETZEL: Wandmalereien, S. 724f. Trotz der neugotischen Bearbeitung bei den Renovierungsmaßnahmen 1893-97 und 1933 zählt der Memminger Credo-Zyklus zu den bedeutendsten spätgotischen Wandmalereien Süddeutschlands. 1979 bis 1982 fanden erneute Restaurationsarbeiten statt. 110 Vgl. KDBay Memmingen, S. 23. DETZEL: Wandmalereien, S. 715, ging noch davon aus, daß die Tiara erst bei den Renovierungsarbeiten 1893-97 entfernt wurde. - Ein vergleichbarer Fall, in dem das päpstliche Hoheitszeichen in reformatorischer Zeit diesmal allerdings auf einer Tafelmalerei - übermalt und durch eine mit Goldschmiedearbeiten besetzte Krone ersetzt wurde, findet sich in der Nürnberger Rochuskapelle mit der sog. Imhoffschen Stiftungstafel (Notgottes auf der Rückseite); vgl. EBERT-
SCHIFFERER: N o t g o t t e s , S. 9 0 m i t A b b . 4 3 . 111
112
V g l . HAFFELDER: F r a u e n k i r c h e , S. 1 4 f .
Engelgruppe: Joel 2,21; Mt 28,6; Joh 16,26; Evangelisten: Lk 22,15; Mt 26,26; Mk 14,24; Joh 6,50. 113 Vgl. KDBay Memmingen, S. 22: Der Dargestellte kniet vor einem Hausaltar. 1467 geschaffen, wurde das Bildnis wohl schon 1552 (von Hans Strigel d. J.?) erneuert. Die Anbringung an diesem repräsentativen Ort erklärt sich vielleicht durch die großen Stiftungen Vöhlins, u. a. darunter die erste Orgel, für die Frauenkirche.
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einer Nische der Chor-Südwand. Weitere Wandmalereien, deren Erhaltung wegen ihres Programms schwieriger zu rechtfertigen waren als bei den eben genannten, befinden sich an den Wänden der südlichen Turmwand im nördlichen Seitenschiff, nämlich 14 Szenen aus dem Marienleben. Auch in der nördlichen und südlichen Vorhalle sowie am dritten Langhauspfeiler (Schmerzensmann) haben sich weitere Wandmalereien, welche neben dem ältesten Bild der Frauenkirche (vor Mitte des 15. Jh.), einer Darstellung Mariens und Johannes' unter dem Kreuz, die Themen Verkündigung, Geburt, Anbetung zeigen, erhalten 114 . Wenn überhaupt diese Wandmalereien jemals übertüncht wurden, so jedenfalls nicht in den Jahren des reformatorischen Umbruchs, sondern wesentlich später 115 . Der Credo-Apostel-Zyklus im Langhaus ist sicher erst nach 1639 übermalt worden 116 , bei den Malereien im Chor ist dies ebenfalls zu vermuten 117 . Die Marienszenen im Seitenschiff und die Bilder mit christologischen Themen in den Vorhallen blieben dagegen ganz unversehrt 118 . Daß die Fresken in der Frauenkirche 1531 erhalten blieben, zeigt, daß man die Bilderentfernung in Memmingen nicht - etwa im Sinne Zwingiis - vollkommen konsequent durchzog, sondern durchaus ein gewisser Handlungsspielraum gegeben war 119 . Von einer völligen Entfernung des Bilderschmuckes aus den Kirchen kann jedenfalls keine Rede sein 120 . Auch der 1660 verfaßten Chronik Christoph Schorers erhalten wir den wenn auch nicht sehr präzisen - Hinweis, daß auch die Orgel der Frauenkirche den Ausräumaktionen zum Opfer gefallen sei; ähnlich wie bei der Nachricht über die Orgel in St. Martin ist diese Schilderung mit Vorsicht zu betrachten 121 . 114 Zum gesamten ikonographischen Programm der Wandmalereien vgl. DETZEL: Wandmalereien. 1,5 Vgl. etwa SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 444f, der behauptet, Ende des Jahres 1531 seien die „Wandgemälde in den Gotteshäusern und Klöstern [...] übertüncht" worden. 116 Vgl. K D B a y Memmingen, S. 23; siehe auch HAFFELDER: Frauenkirche, S. 6.: Memmingen 5, S. 48, behauptet dagegen ohne Angabe einer Quelle, daß nach Bucers und Oekolampads B e s u c h alle Wandmalereien übertüncht worden seien; ähnlich DETZEL: Wandmalereien, S. 370. 117 D i e s e Fresken wurden bei der großen Innenrenovierung 1 8 9 0 - 9 3 freigelegt. 118 Vgl. K D B a y Memmingen, S. 22f. 119 Rein praktische Gründe - der Aufbau eines Gerüsts - werden hierbei auch eine Rolle gespielt haben; trotzdem hätten die Handwerker ohne weiteres mit dem Übertünchen beauftragt werden können. Zur oben beschriebenen Entfernung der Tiara an der Petrus-Figur im Apostelzyklus hatte man den Aufwand ja auch betrieben. 120
So zuletzt Josef Kirmeier in: GELD UND GLAUBE, S. 105. SCHORER: Chronick, S. 45: „Hans Vehlin und seine Gesellschaft ließen eine Orgel bey unser Frawen in die Kirch machen, war zuvor nie keine da: muß hernacher in der Reformation bey d e m Bilderstürmen oder in Anno 1528 wie die Orgel bey S. Martin abgebrochen worden, auch hinweg kommen seyn." Vgl. auch oben S. 144, Anm. 71. 121
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6. 3. 3 Die anderen Kirchen und Kapellen der Stadt Die Ausräumungen in den anderen Kirchen zogen sich danach von Ende Juli bis in den November 1531 hin. Wie in St. Martin und der Frauenkirche haben sich in der ehemaligen Klosterkirche St. Antonius (heute Ev.-luth. Kinderlehrkirche) 122 einige Wandmalereien erhalten, die erst 1954 wieder zum Vorschein kamen 1 2 3 . Kunsthistorisch bedeutend ist die Bernhard Strigel zugeschriebene Kreuzigungsgruppe außen über dem nördlichen Hauptportal. An den Innenwänden sind neben zwei Weihekreuzen zwei Schutzmantelmadonnen (um 1520), eine Anna Selbdritt (um 1520), ein Hl. Antonius Eremita und ein Hl. Paulus Eremita (1486) heute noch zu sehen 124 . Am 18. August 1531 beschloß der Rat, die „Götzen" und Altäre aus der Kirche der Kreuzherren räumen zu lassen 125 . Im Erdgeschoß des ehemaligen Klostergebäudes der Antoniter befand sich die Petruskapelle, an deren Wänden sich angeblich ebenfalls Wandmalereien befanden; diese sind jedoch nicht freigelegt worden 126 . Nachdem der Rat bereits 1529 Aktionen gegen die Altäre und Kapellen der Augustinereremiten-Kirche angeordnet hatte 127 , ließ er wohl noch im August 1531 die restlichen Kunstwerke beseitigen. Zuvor waren der Prior und die beiden letzten Konventualen aus der Stadt gewiesen worden 128 . Nur fünf gotische Skulpturen (Kruzifixe, Hl. Katharina, Pietà) haben sich so von der vorreformatorischen Ausstattung der Kirche erhalten, welche nach der Restitution des Ordens 1548/1551 wieder als Gotteshaus diente, 1615 erneuert und 1716 barockisiert wurde und 1807 die katholische Stadtpfarrkirche St. Johann Baptist wurde 129 . 122
Zum Antoniterpräzeptor Caspar von Leutzenbrunn, welcher der Reformationspolitik des Rates erheblichen Widerstand entgegenbrachte, aus Sicherheitsgründen aber die Stadt verlassen hatte, vgl. DOBEL: Memmingen 2, S. 63f; 5, S. 39 (Bilderentfernung). - Zu den Messpfründen in der Antoniuskapelle vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 577-583. 123 Vgl. KDBay Memmingen, S. 15f; BOOCKMANN: Stadt, S. 251, Nr. 390 (Abb. des Hl. Antonius). 124 Vgl. auch WESTERMANN: Altäre, S. 46, der noch drei Altäre vor der Reformation erwähnt. 125 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 18. Aug. 1531. 126 Vgl. KDBay Memmingen, S. 17. 127 Vgl. oben S. 145 mit Anm. 75. - Zur Augustinerkirche vgl. SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 564-567. 128 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 23. Aug. 1531: „Die getzen in der prider kirchen sol man auch hinweg thon." Die Wertgegenstände der Augustinermönche hatte der Rat bereits früher inventarisieren und ins Steuerhaus bringen lassen; vgl. ebd., A RPr vom 7. Okt. und 26. Dez. 1524; 18. Dez. und 23. Dez. 1527; 17. Feb., 11. Dez. und 16. Dez. 1528. 129 Vgl. KDBay Memmingen, S. 16-18; ROTT: Quellen 2, S. 113f (Sakramentshaus, 1448; Altartafel, 1474). Vgl. auch ALTMANN: Memmingen - St. Johann Baptist; LAMBACHER: Spitäler, S. 312-315 und S. 344f (Abb. 8 und Abb. 9).
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Memmingen
In der Kirche des 1529 aufgelösten Augustinerinnen-Klosters St. Elisabeth haben sich Fragmente von Wandmalereien aus der Strigelwerkstatt erhalten, die Szenen aus dem Leben Christi und Mariens, aber auch vieler Heiliger zeigen 130 . Das Gebäude war 1620 in einen Stadel und danach in ein Wohnhaus (heute Theaterplatz 22) umgebaut worden. Die Spitalkirche der Kreuzherren, St. Peter und Paul, wurde 1709 vollkommen barockisiert und nach der Säkularisation umgebaut. Die Dreikönigskapelle 131 in der Kalchstraße wurde zum Brau- bzw. später zum Wohnhaus umgestaltet; die Jörgen 132 - und die Margarethenkapelle wurden gleich nach Einführung der Reformation zum Wohnhaus umgebaut bzw. in das Gebäude der ehemaligen Stadtkanzlei einbezogen 133 . In der Leonhardskapelle vor dem Kalchtor wurden die Bildwerke vom Altar mit einem Gangolf-/Servatius-Patrozinium, in der Marienkapelle auf dem Friedhof von zwei Altären weggeräumt 134 . Was geschah nun schließlich mit den aus den verschiedenen Gotteshäusern ausgeräumten Objekten? Für die mit Gold verzierten Statuen und Bilder - die Gegenstände aus Gold und Silber hatte der Rat ja bereits vor der Bilderentfernung inventarisieren lassen - legte der Rat fest, daß sich die Kirchenpfleger der wertvolleren Teile annehmen, das Gold daraus abschaben und den Gewinn aus dem Verkauf dieses Goldes der Betteltruhe zufuhren sollten; die weniger mit Gold geschmückten Teile konnten dagegen an die mit den Ausräumarbeiten beauftragten Gesellen ausgeteilt werden 135 . Dies mag der Grund dafür sein, daß in Memmingen neben den Wandmalereien - mit wenigen
130
Vgl. SCHLENCK: R e f o r m a t i o n , S. 65; LAMBACHER: Spitäler, S. 3 0 9 - 3 1 1 u n d 342
(Abb. 6); KDBay Memmingen, S . 25; SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S . 568-577. 131 Vgl. WESTERMANN: Altäre, S. 47; vgl. auch oben S. 149, Anm. 100 (St. Martin). 132 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 11. Nov. 1531: „Ist erratten, der baumeister sol der Besserin sagen, man wel die altar zu Sant Jergen Cappel abtragen und den gang abprechen. Und dan gleich anfachen dasselb zu thun." Vgl. auch ebd., A RPr vom 13. und 15. Nov. 1531. Nach einer Beschwerde der Besserer blieb der Gang stehen, aber „der gotzn halb wys ain rat nit zu vergönnen, sonder wärd die usraumen lan, wie in ander kirchen beschechen". Die liturgischen Geräte und Meßgewänder der St. Jörgen-Kapelle waren bereits Ende 1528 inventarisiert und in einem nicht näher benannten Gewölbe verwahrt worden; vgl. DOBEL: Memmingen 2, S . 70f; SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 593-597. 133 Vgl. KDBay Memmingen, S. 25 und S. 35; WESTERMANN: Altäre, S. 46f. In den beiden Kapellen befand sich je ein Altar mit den namensgebenden Patronen. 134
135
V g l . WESTERMANN: A l t ä r e , S. 47.
Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 2. Aug. 1531: „Der vergulten getzen halb sol jedem pfleger der kirche bevohlen werden, ob sy etwas mechten daraus treiben; wo nit, sollen sy dy ausstaylen und den gsellen geben, ob sy etwas daran gewenen mechten."
Die Abschaffung
der „ Götzen " in den Memminger
Dörfern
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Ausnahmen 136 - kaum Statuen, Retabelteile oder Tafelmalereien die Ausräumung überstanden haben. Dies wird auch durch die Tatsache bekräftigt, daß nur wenige Beispiele sakraler Kunst Memminger Provenienz in Museen oder anderen Kirchen zu finden sind: Vielleicht gehörten die aus Memmingen stammenden Retabel aus der Strigelwerkstatt 137 in Stuttgart und München zum Inventar dieser ausgeräumten Kirchen. Eine stehende Madonna mit Kind (um 1490) in der St. Josephs-Kirche und ein Salvator (Mitte 15. Jh.) in der Kirche Mariae Himmelfahrt, beides Kirchenbauten des 20. Jahrhunderts, könnten auch aus einer der alten Memminger Kirchen stammen 138 . Erwähnt werden könnte in diesem Zusammenhang noch die Verkündigungstafel von Hans Goldschmied (1525) im Memminger 1
Stadtmuseum . Die Ausräumung insgesamt verlief in ruhigen Bahnen; von Streitigkeiten unter den Handwerkern berichten die Memminger Quellen nichts.
6. 4 Die Abschaffung der „Götzen" in den Memminger Dörfern Schwierig ist eine Antwort auf die Frage, wie erfolgreich die Reichsstadt bei der Einführung der reformatorischen Lehre 140 und der ab 1531/32 damit verbundenen Ausräumung der Kirchen in dem mit vielerlei Grund-, Gerichts- und Patronatsherrschaften durchsetzten Territorium 141 letztlich 136
Zu diesen Ausnahmen gehören wohl eine Rosenkranztafel, die zunächst an einem unbekannten Ort verwahrt und 1641 für 18 Gulden nach Mindelheim verkauft worden war, und Fragmente eines spätgotischen Flügelaltarretabels, in welchen die Memminger Schmiede 1604 ihr Zunftschild integrierten, ohne an den noch vorhandenen Heiligenfiguren auf den Retabelflügeln Anstoß zu nehmen; vgl. GELD UND GLAUBE, S. 120-123, Nr. 50 und Nr. 51. 137 Vgl. BAUM: Altschwäbische Kunst, S. 66: einer in der Stuttgarter Altertumssammlung (Hans Goldschmid), ein anderer in der Münchener Frauenkirche (Claus Strigel). 138 Vgl. KDBay Memmingen, S. 18. Der Salvator, der Hans Strigel d. Ä. zugeschrieben wird, ist eine Leihgabe des Städtischen Museums an die Mariae Himmelfahrtskirche. 139 Vgl. MLEDEL: Neuerwerbungen, S. 92; LÜK.EN: Verkündigung, Kat.-Nr. AL 24. 140 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 1., 11. und 14. Aug. („Den pfaffen auff dem land ist gesagt, dss sy mit der mess stilstanden. So wel man in die 18 artickel [= die von Bucer ausgearbeiteten Ulmer ,18 Artikel'] in schrifft geben, das sy sich darin ersechen!"), 18. Aug. und 27. Sept. 1531; DOBEL: Memmingen 5, S. 42-44 und 49-51. 141 Zum reichsstädtischen Territorium, dem etwa 25 Dörfer zugehörten, vgl. BLICKLE: Memmingen, S. 186-243; KIESSLING: Memmingen, S. 225-234; Karte bei FRIESS: Außenpolitik, S. 17. Grundlage des reichsstädtischen Territoriums bildeten vor allem die der Stadt zugefallenen Besitzungen des Unter- und Oberspitals und der Klöster (Kreuzherrnkloster, St. Elsbeth), die durch einen Hofmeister und zwei Pfleger aus angesehenen Memminger Familien im Auftrag des Rates verwaltet wurden. Wichtige Dörfer im Territorium waren die Herrschaft Frickenhausen (mit Arlesried, Betzenhausen und Dankelsried), die Herrschaft Woringen, Besitzungen in der Herrschaft Eisenburg - dort waren v.
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Memmingen
war. So differenzierte der Rat z. B. auch bei der Abschaffung der Messe und der Einsetzung evangelischer Prediger in den Dörfern sehr genau 142 . Nach 1531 nahm der Druck der Stadt auf die Dörfer bezüglich der neuen Lehre zwar zu, aber bei der Bilderfrage werden wir uns ein allmähliches Vorgehen vorstellen müssen. Neben Nachrichten, daß die Memminger Bürger die uneinheitliche Lage im Territorium nutzten, um dort weiterhin die Messe besuchen zu können 143 , klagte im August 1532 auch Ambrosius Blarer, daß „die getzen in den pfarren, so meinen herren zugeheren, nit abgeschafft seyen" 144 . Knapp zwei Wochen später wiederholte er vor dem Rat sein Begehren, Messe und Bilder auf dem Land abzustellen. Daraufhin beschloß der Rat, die „predicanten zu maister Amprosy zu beschickhen" 145 , der sie über das Verhältnis zu den Bildern aufklären und zu weiterem Handeln anleiten sollte 146 . Schilderungen über die genauen Vorgänge bei der Bilderbeseitigung in den Dorfkirchen sind leider kaum erhalten. Für Holzgünz, wo der Spitalmeister des Oberspitals das Patronatsrecht innehatte, wird berichtet, daß man 1533 die Altäre entfernte 147 . Die Entfernung der Bilder aus der Kirche a. Memminger Bürger begütert - , die Dörfer Steinheim, Holzgünz, Dickenreishausen (mit Pfarr-Filial Kardorf), Volkratshofen, Buxach mit Hart, Hitzenhofen, Priemen, Brunnen und Memmingerberg. Der Ort Lauben mit Kirchensatz und Vogtrecht war 1383 von dem Memminger Bürger Klaus Tagbrecht erworben und zum Unterhalt der Dreikönigskapelle in Memmingen gestiftet worden. In Erkheim teilte sich die Reichsstadt mit der Abtei Ottobeuren Besitz und Rechte. Nicht in allen genannten Dörfern besaß der Memminger Rat aber zugleich das Patronatsrecht; dieser stand ihm lediglich (durch Unter- bzw. Oberspital und Bürgerbesitz) in Frickenhausen, Arlesried, (Ober-)Erkheim, Steinheim und Westerheim zu. Das ius patronatus in Woringen und Lauben hatte das Stift Kempten inne, in Brunnen und Volkratshofen wahrte dieses Recht das Oberhospital, in Kardorf der Abt von Rot. Nach DOBEL: Memmingen 5, S. 43, schickte der Rat auch einen Prediger nach Erkheim. Zu den komplizierten Rechtsverhältnissen vgl. auch SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 108-110. 115-117. 120f. 133f. 146. 236-238. 258f; 3, S. 315. 444f. 456-459; 5, S. 2-5. 45-48. 194-198. 204f. 142 Vgl. KIESSLING: Stadt, S. 784: 1525 wollte der Rat die Pfarreien, die ihm zugehören, mit „cristenlich selsorger" versehen, Woringen und andere Dörfer aber nicht. 1526 forderte der Rat den Pfarrer von Buxach - das Patronatsrecht stand dem Unterhospital zu - auf, die Messe einzustellen, für die beiden Pfarreien Holzgünz und Volkratshofen Patronat beim Oberhospital - gab er dem Spitalmeister freie Handhabe. 143 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 29. Juli 1533, 12. Dez. 1533 und 16. Aug. 1536. 144 Ebd., A RPr vom 5. Aug. 1532. 145 Ebd., A RPr vom 18. Aug. 1531. 146 Ebd.: „und mit seinem [= Ambrosius Blarer] rath der getzen halben und so die pawren in jeder pfarr derhalben erpauen. Allßdann verner handien." 147 Ebd., A RPr vom 8. Okt. 1533: „Burgermaister hat anzaigt, das man die getzen und alltar zu Holtzgintz abbrechen lass mit wissen und bewilligen der sechs geheimen reth." Vgl. auch SONTHEIMER: Geistlichkeit 5, S. 48. Dagegen behauptet BLICKLE: Memmingen, S. 219, daß die Reformation in Holzgünz verhindert werden konnte, da die Ansprüche der Landvogtei dort so stark waren. - In der katholischen Pfarrkirche St. Georg
Die Abschaffung
der „ Götzen " in den Memminger
Dörfern
157
in Frickenhausen 1533 traf auf den Protest des Inhabers der Pfarrei, Dr. Anton von Alberstorf, einen entschiedenen Gegner der Reformation, und des Patronatsherren Erhard Vöhlin d.J. 148 Anfang des Jahres 1538 mahnte der Rat an, die Bilder aus der Kirche zu Pleß, wo die Familie Besserer das Patronatsrecht wahrte, herauszunehmen 149 . Visitationsakten, die uns über die Bilderproblematik weiteren Aufschluß geben könnten, sind leider erst aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhalten; Beschwerden über den „götzen zauber" tauchen auch dann noch gelegentlich auf 150 . Man kann aber zu Recht vermuten, daß ebenso wie die Einführung der neuen Lehre oder der Abschaffung der Messe 151 auch die Bilderbeseitigung erheblicher Widerstand entgegengebracht wurde. Wegen der fehlenden Quellen ist aber Genaueres über den Verlauf dieser Aktionen gegen sakrale Kunstwerke nicht zu ermitteln. Auffallend ist allerdings, daß die Ausstattungsstücke der Kirche in den Dörfern, in denen von Memmingen aus die Reformation eingeführt worden ist, alle erst aus späteren Zeiten stammen. An vorreformatorischen Altären, Tafelbildern, Statuen oder auch Wandmalereien hat sich dort nichts erhal-
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Auch in Memmingen war die Lösung der reformatorischen Bilderfrage keine einmalige Aktion eines „fanatisierten Haufens" 153 , sondern eine über mehrere Jahre (1523-1538) dauernde und in verschiedenen Etappen stattfindende Ausräumung der Gotteshäuser in Stadt- und Landgebiet von der findet man heute nur noch drei spätgotische Holzfiguren, vermutlich aus Memminger Werkstätten; vgl. KDBay Memmingen, S. 124. 148 Vgl. StadtA Memmingen, A 342; SONTHEIMER: Geistlichkeit 1, S. 139f. - Der Memminger Rat beauftragte in dieser Angelegenheit seine Gesandten auf dem Bundestag in Augsburg, Stadtamman Balthasar Funk und Stadtschreiber Jörg Maurer, bei Erhard Vöhlin und Dr. von Alberstorf, die sich ebenfalls dort aufhielten, vorzusprechen und Vöhlin zu fragen, ob er weiterhin den Verbleib der Tafeln in der Frickenhausener Kirche fordere. Leider ist aber die Antwort der beiden ebensowenig erhalten wie Nachrichten über den weiteren Verlauf dieses Falles. 149 Vgl. StadtA Memmingen, A RPr vom 27. Feb. 1528. 150 Vgl. StadtA Memmingen, A 343/6: Kirchenvisitation, Fürbringen der Prädikanten vom 7. Dez. 1565. Im Fragenkatalog vom 12. Sept. 1565 taucht unter Punkt 3 die Frage an den Pfarrhern auf, „ob noch öffentlich abgötterey getrieben werde". 151
152
Vgl. WESTERMANN: Z a n g m e i s t e r , S. 128.
Vgl. KDBay Memmingen, S. 68 (Arlesried). 80f (Buxach). 94f (Dickenreishausen). 108 (Frickenhausen). 138 (Lauben). 157 (Memmingerberg). 224f (Steinheim). 230 (Volkratshofen). 237f (Woringen). 153 So LAUTENBACHER: Bayerisches Schwaben, S. 276 (gemeint sind die Weber). Neben einer unrichtigen Darstellung datiert Lautenbacher die Ereignisse auch noch falsch in das Jahr 1534.
158
Memmingen
nach dem Übertritt der Bürgerschaft zur evangelischen Lehre anstößig und überflüssig empfundenen sakralen Kunst, die im Jahre 1531 mit der obrigkeitlich angeordneten und durchgeführten Bilderentfernung einen Höhepunkt erreichte. Nach dem Vorbild der benachbarten Reichsstadt Ulm zog man schließlich auch in Memmingen auswärtige Theologen (Bucer, Oekolampad, Blarer) zur endgültigen Klärung der Frage zu Rate, ohne jedoch die Leitung der Geschicke aus der Hand des städtischen Rates gleiten zu lassen. Auffällig ist der Befund, daß v. a. die transportablen Bilder, also Altarretabel, Tafelbilder, Statuen etc. fast vollständig weggeräumt und vermutlich auch vernichtet wurden; der finanzielle und materielle Anreiz für die Stadt (Bettelkasten) und die beteiligten Kirchenpfleger bzw. Handwerker dürften wesentlich dazu beigetragen haben 154 . Daher finden sich kaum Überreste sakraler Kunst im Memminger Stadtmuseum und auch nur vereinzelt in anderen Sammlungen. Ein zu großer Aufwand aber, der z. B. für die Entfernungen oder Übertünchungen der in Memmingen überaus reichen Wandmalereien, besonders in der Frauenkirche, nötig gewesen wäre, wurde nicht betrieben. Der neuen Glaubensüberzeugung gemäß trug der Rat auch nach den Ausräumungen der Kirchen in der Stadt und auf dem Land dafür Sorge, daß keine neuen Bildwerke Eingang fanden. So untersagte er 1534 dem Maler Hans Goldschmied unter Androhung des Verlustes seines Bürgerrechtes, „die getzen zu malen weder hie noch außerhalb" [Gemeint ist in der Kartause in Buxheim] 155 . Das Augsburger Interim von 1548 hatte allerdings auch in Memmingen und den dazugehörigen Dörfern die Restitution der alten Orden oder geistlichen Korporationen zur Folge. So wurde im Pforzheimer Vertrag von 1549 im ersten Punkt die Wiedereinführung der Messe und der Kirchenausstattungen vereinbart, was in Einzelfällen auch wirklich geschah 156 . Die 154
Vgl. oben Anm. 135. StadtA Memmingen, A RPr vom 26. Jan. 1534; vgl. auch ebd., RPr vom 14. Jan. und 9. Feb. 1534. - Zu Hans Goldschmid vgl. BUCHNER: Goldschmid, S. 21; ROTT: Quellen 2, S. XXIX und 103f; zum Fortbestand und Wandel der Kustproduktion in Memmingen vgl. HAHN: Folgen, S. 38-47; EHRENPREIS/LOTZ-HEUMANN: Reformation, S. 89. 156 Vgl. StadtA Memmingen, A 374/9: „Alls nämlichen für den ersten puncten und articul, von wegens abstöllung der alten [ergänzt: zerbrochen] gotsdienst, in singen und lesen, reichung der sacramenten, abbrechunge der allthar und tafflen, weggethaner monstranzen und kelch in seiner eerwürdig, und des Herren Spitalmeisters gotshus, dess heiligen geists spitals un anderen kirchen, inner und vsserhalb der Stat demselbigen zugehörig, hat sich ein Ersamer Rath der statt memmingen bewilliget und begeben, nächstens inn der Spitals kirchen, die allthär und kirchenzierden mit dem, das ein Ersamer Rath dem Spital einhendig gemacht, notturfflglichen fursehen. Unnd dann inn Unser Lieben Frauenpfarrkirchen, an demselbigen noch etwas mangel vorhanden, soll söllichs alles durch eins Ersamen Raths bemelten stat Memmingen, heiligen und kirchen, dessgleichen in den dreien pfarren uff dem lande, durch zwo pfleger vermögs und nach restarisung 155
Die Abschaffung
der „ Götzen " in den Memminger
Dörfern
159
Kreuzherren erhielten z. B. nicht nur die Spitalkirche zurück, sondern konnten auch in der Frauenkirche wieder ihre Patronatsrechte ausüben. Da die Pfarrgemeinde jedoch fast nur aus evangelischen Mitgliedern bestand, mußte man im Einvernehmen mit dem Rat nach einer Lösung suchen. Unter Vermittlung von kaiserlichen Kommissären wurde im Mindelheimer Vertrag von 1569 festgelegt, daß sowohl die Evangelischen, deren Prädikanten das Oberspital bezahlen mußte, als auch der Spitalmeister und die Franziskanerinnen vom Kloster Mariengarten die Frauenkirche nutzen durften 157 . Vielleicht hat dieses Simultaneum auch dazu beigetragen, die Wandmalereien in der Memminger Frauenkirche zu erhalten 158 .
königl. Keyserlicher magestrat, vnsers allergnedigsten Herren zu Augspurg uffgerichter declaration inn religionssachen verordnet, angericht worden." - Vgl. auch SONTHEIMER: Geistlichkeit 3, S. 460 (Altarretabel „zu fassen", d. h. zu bemalen, und Reparaturen der Kirchenfenster in Woringen); 5, S. 310-313; SCHORER: Chronick, S. 87. 157 Vgl. LAMBACHER: Spitäler, S. 323 und S. 327-331. 158 Vgl. oben S. 150f.
Kapitel 7
Biberach 7. 1 Der Einzug der reformatorischen Lehre1 Aufgrund der überlieferungsbedingten Situation für diesen Abschnitt der Biberacher Stadtgeschichte bietet sich manchmal eine einseitige, oft polemische Darstellungsweise 2 . Unparteiischer als über die Vorgänge, die mit der Einführung der Reformation in den 1520er Jahren im Zusammenhang stehen, ist man über die spätmittelalterliche Situation unterrichtet 3 . Wesentlich geprägt haben das Bild des reformatorischen Geschehens v. a. die chronikalischen Aufzeichnungen dreier Mitglieder der katholischen Patrizierfamilie von Pflummern: 1540 beschrieb Joachim Ernst von Pflummern in seiner Chronik 4 in verklärender Weise die vorreformatorischen Zustände, in den Jahren 1544/45 verfaßte der Weltpriester Heinrich von Pflummern 5 sein Werk mit dem Titel ,Etwas ain wienig von der 1
Zur Biberacher Reformationsgeschichte vgl. RUETH: Reformation, S. 255-288;
WARMBRUNN:
Zwei
Konfessionen,
S.
55-58.
210-215.
223-227;
HEINRICH
VON
PFLUMMERN, S. 7 2 1 - 7 3 7 u n d S. 8 1 5 - 8 3 4 ; LUZ: G e s c h i c h t e , S. 1 0 7 - 2 0 3 ; ESSICH: G e -
schichte der Reformation. 2 Erstaunlich große Lücken in der Überlieferung zur Reformationsgeschichte weist das Biberacher Stadtarchiv auf. Nach Auskunft von Dr. Kurt Diemer, dem ich an dieser Stelle filr seine Auskunft danken möchte, sind weder Ratsprotokolle, Reformationsakten noch Visitationsprotokolle erhalten; als mögliche Ursachen kommen mangelnde Pflege des städtischen Archivs und Makulaturen oder sonstige Verluste größeren Ausmaßes in Frage. Einige Urkunden und Abschriften bis zur Parität der Reichsstadt 1649 haben sich dagegen in den beiden Kirchenarchiven (Katholisches Pfarrarchiv, Evangelisches Archiv) erhalten. 3 Zur spätmittelalterlichen Kirche und dem religiösen Leben vgl. STIEVERMANN: Biberach, S. 241-254; RUETH: Reformation, S. 261-263. 4 Vgl. SCHILLING: [Joachim Ernst von Pflummern], S. 1-191; teilweise neuediert von ANGELE: Altbiberach, S. 9(14)-120(122). Zur Verfasserfrage vgl. zuletzt RUETH: Reformation, S. 256 mit Anm. 4; dagegen WOOD: Iconoclasm, S. 26 mit Anm. 4. Zum Stellenwert der Pflummernschen Chroniken vgl. BOOCKMANN: Wort und Bild, S. 23-27. 5 Heinrich von Pflummern (1475/1479-1561), 1501 zum Priester geweiht und bis 1531 an der Spitalkirche tätig, wurde als überzeugter Gegner der Reformation zur Leitfigur der altgläubigen Opposition in seiner Heimatstadt. Seine Chronik verfaßte er im Waldseer Exil, wohin er nach dem Verbot der Messe 1531 geflüchtet war. Diese diente v. a. der Legitimierung der eigenen Glaubenshaltung und ist in ihrem Aussagegehalt mit der
Der Einzug der reformatorischen
Lehre
161
allergrusamlichosten, unerhertosten, unewangelichosten, gotzlososten, ketzerischosten und verfierichosten Lutery, die sich verlofen haut ungefarlich vom 1523 jar bis ietz in das 1544 iar' 6 , und zwischen 1619 und 1635 stellte Johann Emst von Pflummern seine ,Annales Biberacences' 7 zusammen. Ihre oft sehr parteiische Wertung der Ereignisse wird im Folgenden zu berücksichtigen sein 8 . Zwei Eckpfeiler der Biberacher Politik jener Zeit bilden einerseits die starke Anlehnung an das benachbarte, ebenfalls der reformatorischen Lehre zuneigende Ulm, andererseits die territoriale Eingeschlossenheit der Reichsstadt und ihres Landgebietes durch die habsburgische Landvogtei 9 . Die religiöse Praxis in der spätmittelalterlichen Kleinstadt, die um 1500 etwa 3.000-3.500 Einwohner zählte, zeigte wie andernorts ein reges Erscheinungsbild: Heinrich von Pflummern berichtet von 36 Priestern, die an 37 Altären wirkten, von 7.488 Messen im Jahr, etlichen Prozessionen, Wallfahrten, Bruderschaften etc. 10 Unterstützt durch die politischen und wirtschaftlichen Kontakte im oberdeutsch-schwäbischen Raum ist es nicht verwunderlich, daß auch die neuen evangelischen Ideen in Biberach schnell Fuß fassen konnten.
gebotenen Vorsicht zu benutzen. - Zu seiner Person vgl. HEINRICH VON PFLUMMERN, S. 718f; RUETH: Reformation, S. 2 5 6 f u n d Abb. 32. 6 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 141-238 (Edition nach der handschriftlichen Vorlage im HStA Stuttgart, J 181). Eine teilmodernisierte, allerdings oft fehlerhafte Neuausgabe liegt vor bei ANGELE: Altbiberach, S. 125( 129)—181; vgl. dazu RUETH: Reformation, S. 255 mit Anm. 3. 7 Vgl. HStA Stuttgart, J 1, 180: Annales Biberacences. Ein kleiner Ausschnitt dieses Werkes liegt ediert vor in BAUMANN: Annales Biberacences. 8 Im Stadtarchiv Biberach findet sich neben den Pflummernschen Berichten noch zwei jüngere Chroniken, die von Lucas Seidler (um 1630; im Folgenden zitiert als SEIDLER: Annalia) und die von Heinrich Ostermayer (1851), welche auf die Ereignisse der Reformationszeit eingehen, aber weitestgehend den Pflummernschen Schilderungen folgen. 9 Die Reichsstadt Biberach verfügte über ein umfangreiches Landgebiet durch die Besitztümer des Heilig-Geist-Spitals, das seit Mitte des 14. Jahrhunderts unter städtischer Verwaltung stand, und denen man im 15. Jahrhundert noch die österreichische Herrschaft Warthausen und den Markt Sulmetingen hatte hinzufügen können. Das Territorium grenzte unmittelbar an das 1486 vom Hause Habsburg arrondierte Gebiet Vorderösterreichs, der schwäbischen Landvogtei. Da die Landvogtei auch die Hochgerichtsbarkeit im spitälischen Landgebiet beanspruchte, kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der habsburgischen Verwaltung und der Reichsstadt. Erschwert wurde die Situation für Biberach zudem durch die personellen Verflechtungen der Oberschicht mit den umliegenden Herrschaften des „habsburgischen Satellitensystems". Zu dieser Problematik vgl. PRESS: Biberach, S. 22-27; zur engen Anlehnung an Ulm ebd., S. 29. Vgl. auch unten S. 177f. 10 Zum religiösen Leben in Biberach vor der Reformation vgl. ERNST: Kirche, S. 344 9 ; PRESS: B i b e r a c h , S . 2 7 .
162
Biberach
Nach Rüth lassen sich im Biberacher Reformationsprozeß drei Phasen unterscheiden: Der „Inkubationsphase" von 1521/23 bis 1527 folgte die „Phase des reformatorischen Konflikts" (1527-1531) und schließlich die „Institutionalisierungsphase" 11 : Erste Bekanntschaften mit der evangelischen Lehre machte die Biberacher Bevölkerung, deren spätmittelalterliche Frömmigkeitspraktiken Heinrich von Pflummern eindrücklich geschildert hat, durch das Wirken des Predigers Bartholomäus Müller 12 und des humanistisch gebildeten Schulmeisters Michael Gunz in den Jahren 1523/24. Der aus Ulm stammende Müller wirkte bereits seit 1509 als Kaplan an der Spitalkirche und predigte dort wie in der Pfarrkirche St. Martin 13 im Sinne der neuen Lehre und wurde zum Anführer der Bewegung. Unterstützung erhielt Müller ab 1524/25 durch den entlaufenen Franziskanermönch und Zwingli-Anhänger Konrad Hermann, dem man den Spottnamen „Schlupfind' Eck" verliehen hatte, da er sich zunächst nicht an die Öffentlichkeit gewagt hatte. Der Rat als die städtische Obrigkeit, seit 1401 bestehend aus 10 Vertretern der Patrizierschicht und 14 Zunftmitgliedern 14 , ging von seiner anfänglichen Zurückhaltung zu einer allmählichen Duldung der evangelischen Lehre über. 1521 bekräftigte man noch das Wormser Edikt und verbot die Verbreitung lutherischer Schriften. Die Sympathien in der Bevölkerung für die evangelische Bewegung wurden jedoch immer stärker. Durch den Bauernkrieg erhielt die evangelische Bewegung neue Schubkraft, v. a. durch die bäuerlichen Untertanen des Biberacher Landgebietes, wie etwa das zum Spital gehörende Dorf Baltringen, das zum Namensgeber des dritten großen Bauernhaufens in Oberschwaben wurde. In der Phase des reformatorischen Konfliktes (1527-1531) nutzte der Rat unter Führung von Bürgermeister Christoph Gräter die starke antiklerikale Stimmung gegenüber den altgläubigen Predigern, um das Verhältnis zwischen Stadt und Kirche neu zu ordnen. Das kultische (Über-)Angebot wurde reduziert und die Gerichtsbarkeit über die Geistlichen gegen den 11
Vgl. RUETH: Reformation, S. 263-278. Zu seiner Person vgl. RUETH: Bartholomäus Müller, S. 15-20 . 13 Die Pfarrkirche St. Martin war seit 1349 dem Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau inkorporiert. Die städtische Obrigkeit hatte zwar mehrfach versucht, Einfluß auf die Besetzung der Pfarrei zu gewinnen, blieb aber erfolglos, so daß die Abtei Eberbach ihre einträgliche Stellung in der Stadt behaupten konnte. Dies führte immer wieder zu Streitigkeiten, besonders seit dem Einzug reformatorischer Gedanken in Biberach. Der Inhaber der Meßpfründe an der Spitalkirche, welche mit dem Spital mittelbar der Stadt unterstand, hatte nämlich auch das Predigtamt an der Pfarrkirche zu versehen. Vgl. RUETH: Biberach und Eberbach, S. 134-169. 14 Auch in Biberach waren es vor allem die Patrizier, hier v. a. die Familien Gräter, Schad, von Brandenburg und von Pflummern, die die wichtigsten Ämter innehatten und so die Geschicke der Reichsstadt wesentlich prägten. 12
Der Einzug der reformatorischen
Lehre
163
erfolglosen Protest des Konstanzer Bischofs und des Klosters Eberbach beansprucht 15 . Auf dem Reichstag in Speyer 1529 stimmte man der .Protestatio' zu, lehnte sich dann aber an die schwankende Ulmer Politik an und spekulierte auf ein Bündnis der schwäbischen Städte mit den Eidgenossen 16 . Dadurch zog man sich allerdings noch stärker die Mißgunst des habsburgischen Hauses zu: Im August 1529 entzog Erzherzog Ferdinand, der seit 1522 auch als Statthalter in den habsburgischen Vorlanden regierte, der Reichsstadt die mitten im Biberacher Territorium gelegene Herrschaft Warthausen und übergab sie an Dr. Hans Schad von Mittelbiberach, einen entschiedenen Anhänger des alten Glaubens und einer der größten Widersacher der Stadt 17 . Zum Augsburger Reichstag 1530 schickte Biberach - allerdings nur auf Drängen Ulms - zunächst eigene Gesandte (Kaspar Gräter, Georg Erhard), konnte sich dann aber nicht zu einer entschlossenen Haltung durchringen. Gräter und Erhard wurden zurückbeordert und der Ulmer Bernhard Besserer sollte mangelnde Instruktionen aus Biberach vortäuschen, falls es zu einer definitiven Parteinahme in Glaubensfragen kommen sollte. So ist das Paradoxon zu erklären, daß die Stadt in Augsburg in der Liste der Stände aufgeführt wurde, die sich für den reformationsfeindlichen Reichstagsabschied entschieden hatten, und gleichzeitig im Schlepptau Ulms mit den evangelischen Ständen und Städten, die den Reichstagsabschied ablehnten und nach eigenen Bündnispartnern suchten, genannt wurde. Allerdings wurde in dieser Situation auch deutlich, daß man diese „Wackelpolitik" nicht mehr allzu lange weiterpflegen konnte. Der Rat beraumte daher ähnlich wie in Ulm - gegen Ende des Jahres 1530 ein Plebiszit an, in dem sich die in sieben Zünften organisierte Biberacher Bürgerschaft mit großer Mehrheit für die Ablehnung des Augsburger Reichsabschiedes in religiösen Fragen entschied und den Weg für weitere kirchliche Reformmaßnahmen ebnete 18 . Die Konsequenzen dieses Abstimmungsverhaltens für die religiöse Praxis standen in der dritten Phase, der sog. „Institutionalisierungsphase", im Vordergrund. Auf dem Ulmer Städtetag Anfang Februar 1531 stimmte der Rat den in Schmalkalden getroffenen Vereinbarungen zu und trat dem evangelischen Bündnis bei. Aber auch dort beschränkte man seine Aktivitäten darauf, die von anderen getroffenen Entscheidungen mitzutragen. Die 15
Vgl. RUETH: Biberach und Eberbach, S. 156f; vgl. auch unten S. 164 mit Anm. 21. Vgl. obenS. 95. 17 Vgl. PRESS: Biberach, S. 26 und S. 29f; RUETH: Reformation, S. 267f. 18 Genaue Zahlen und Namen sind hierfür nicht überliefert. Bekannt ist lediglich, daß die Geistlichen und die Mehrheit der Patrizier, jene in Biberach besonders eng verflochtene soziale Gruppen, für die Annahme des Reichsabschiedes plädierten, sich aber keinesfalls gegen die viel größere Gruppe der Reformationsanhänger behaupten konnte. Vgl. HStA Stuttgart, J 180: Annales Biberacences 1, fol. 113r. 16
164
Biberach
Veränderungen im religiösen Leben innerhalb der Stadttore begann man im April 1531 mit der Abschaffung der Messe und der Einführung des Predigtgottesdienstes 19 , die Reinigung vom „Götzenwerk" sollte am Festtag der Heiligen Peter und Paul (29. Juni) folgen. Danach schritt das Ratsregiment zur Neuorganisation des Kirchengutes, bei der u. a. die sog. ,Betteltruhe' eröffnet wurde, ein aus den obsolet gewordenen Stiftungen und Meßpfründen geschaffener städtischer Fonds zur Finanzierung kirchlicher Aufgaben. Anfang Juli wurden Rat und städtische Reformationsanhänger in ihrem Bestreben tatkräftig von Martin Bucer und Johannes Oekolampad unterstützt, die sich einige Tage in Biberach aufhielten. Wie in Ulm führten die beiden angesehenen Theologen auch in Biberach ein Examen der Geistlichkeit durch. Die ebenfalls 1531 eingeführte Zucht- und Eheordnung lehnte sich stark an die von Bucer, Oekolampad und Blarer gestaltete Ulmer Ordnung an. Der Rat sorgte außerdem für eine bessere Unterrichtung der Kinder 20 . Das Bemühen des Rates seit 1534/35, die Reformation im Biberacher Territorium durchzuführen, erwies sich als schwieriges Problem, da es immer wieder zu Konflikten mit Dr. Schad, der habsburgischen Landvogtei und der Abtei Eberbach kam. Ein langwieriger Prozeß war die Entscheidung für die lutherische oder zwinglianische Richtung der neuen Lehre. Der Prediger Bartholomäus Müller lehnte sich stark an Zwingli an21, für die wichtigsten Veränderungen vertraute man auf die Theologie Bucers, doch seit 1531 orientierte man sich - v. a. seit der Mitgliedschaft im Schmalkaldischen Bund - an Luther. Während die Geistlichen der Stadt Zustimmung zur Wittenberger Konkordie von 1536 erkennen ließen, äußerte sich der Rat dazu nicht. Das Hin- und Herlavieren zwischen „Schweizern" und Luthertum sollte noch einige Zeit die Biberacher Kirchenpolitik kennzeichnen. Eine Folge davon war, daß der Abendmahlsstreit erst in den Jahren 1543/44 offen ausbrach und 1545 mit einem Sieg der lutherischen Richtung endete. Daneben gab es in der Stadt aber auch weiterhin eine altgläubige Minorität, v. a. in der eng mit Habsburg verbundenen Patrizierschicht. Da es dem Biberacher Rat nicht gelungen war, die
19
Der Stadtpfarrer wurde zwar nicht ausgewiesen, durfte sein Amt jedoch nicht weiter ausüben. Seine Funktionen gingen auf die lutherischen Helfer Hans Meyer und Georg Bosch über. 20 Im Jahre 1534 trat Biberach der ,Bufflerschen Schulstiftung' zur Förderung des Predigernachwuchses bei, die auf Betreiben Bucers und Blarers von den Städten Isny (Gebrüder Büffler), Konstanz und Lindau gegründet worden war; vgl. Katholisches PfA Biberach, N IV, Nr. 7 (Bufflersche Stiftung vom 14. April 1534). Vgl. auch unten S. 202. 21 Vgl. Z 10,432f, Nr. 969 (Brief Müllers an Zwingli, 30. Jan. 1530); L O C H E R : Zwinglische Reformation, S. 478f.
Die Bilderfrage in Biberach bis 1531
165
Patronatsrechte an St. Martin vom Kloster Eberbach abzukaufen 22 , mußte er es zulassen, daß nach der Niederlage der Schmalkaldener und mit der Einführung des Interims in der Pfarrkirche wieder Messen gelesen wurden. Seit 1552 wurden die zwei Gotteshäuser St. Martin und die Siechenkapelle St. Maria Magdalena von beiden Konfessionen simultan benutzt, 1592 kam auch noch die Obere Kapelle (Nikolaikapelle) hinzu. Die Spitalkirche, die nach 1531 als Vorratskammer gedient hatte, wurde in den Jahren 1571 bis 1573 für den katholischen Gottesdienst wiederhergerichtet. Das friedliche Neben- und Miteinander im politischen wie im religiösen Leben 23 sollte von kleineren Zwischenfällen abgesehen - erst einmal bis ins frühe 17. Jahrhundert dauern und nach dem Dreißigjährigen Krieg mit der Einfuhrung der Parität auch reichsrechtlich besiegelt werden 24 .
7. 2 Die Bilderfrage in Biberach bis 1531 Schon bevor sich die Biberacher 1530/31 offen zur neuen Glaubensüberzeugung bekannten, waren seit 1523 Veränderungen im religiösen Alltag festzustellen 25 . Unter anderem sollte der Gottesdienst nur in deutscher Sprache gefeiert werden, man reduzierte Messen, Prozessionen, Fastengebote etc. und verbot religiöse Gebräuche, welche nicht mit der Hl. Schrift in Einklang zu bringen waren. Hinsichtlich der religiösen Kunstwerke traten folgende Veränderungen ein: Nicht näher bezeichnete Bildsäulen wurden umgestoßen, die in der Fastenzeit übliche Aufhängung des Fastentuchs, der Umzug mit dem Palmesels und die während dieser Wochen aufgestellten „taflen und des glichen" 26 abgeschafft, die szenische Darstellung der Himmelfahrt Christi und der Ankunft des Hl. Geistes in Form einer Taube am Pfmgsttag eingestellt. Im Bauernkrieg entfernten offensichtlich Biberacher Bürger zusammen mit den Bauern ein Altarbild in Almoshart, an dem der Biberacher Kaplan
22
Erst 1564 verkaufte das Kloster Eberbach die Patronatsrechte und den Grundbesitz der Pfarrei für 31.000 fl. An das vom Rat der Stadt verwaltete Spital. Der Vertrag sah vor, daß die Pfarrei St. Martin katholisch blieb, der evangelischen Gemeinde jedoch die Nutzungsrechte eingeräumt wurden. 23 Durch die Rückkehr der katholischen Patrizier in den Biberacher Rat veränderte sich auch dort der Einfluß der altgläubigen, habsburgfreundlichen Partei; vgl. dazu DLEMER: Bikonfessionalität, S. 290-295; PRESS: Biberach, S. 32-39. 24
DIEMER: B i k o n f e s s i o n a l i t ä t , S. 2 8 8 - 3 0 7 ; RIOTTE: P a r i t ä t i s c h e S t a d t , S.
309-342;
WARMBRUNN; Z w e i K o n f e s s i o n e n , S. 2 1 0 - 2 1 5 u n d S. 2 2 3 - 2 2 7 ; PFEIFFER: P a r i t ä t , S. 3 75. 25 26
Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 168-173. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 169.
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Biberach
Konrad Beckeler tätig gewesen sein soll27. Über Zerstörungen von AltarRetabeln und Tafelmalereien berichtet Heinrich von Pflummern nichts, registriert aber die Verachtung der Heiligen, ihrer Altäre und Bilder wie die Verachtung der Reliquien 28 . Er selbst ließ sich jedoch nicht davon abbringen, Bildstöcke an die Landstraßen zu setzen 29 .
7. 3 Die Bilderentfernung 1531 Elf Tage nach der vom Ulmer Rat angeordneten Bilderentfernung sollten am 29. Juni auf obrigkeitlichen Beschluß auch die Gotteshäuser in Biberach „gesäubert" werden 30 . Während Heinrich von Pflummern noch davon spricht, daß „diu kierch ist gar ufgeramet im iar Christ 31" 31 , hört sich die Schilderung 100 Jahre nach den Ereignissen bei Johann Ernst von Pflummern schon dramatischer an: „An beeder S. Apostel Petri und Pauli tag [= habe] das bildt- und kirchenstirmen also angefangen, daß khein fünklein des altten glaubensexercitii übrig zu sein vermeintt worden." 32 Die einseitige Quellenüberlieferung 33 - tradiert durch die ältere Stadthistoriographie 34 - ist vermutlich die Ursache dafür, daß noch manch neuere Arbeit
27
Vgl. ebd., S. 168. Ebd., S. 170: „Item Verachtung der hailigen virbit und des gemeld und taflen [...] Item es kam Verachtung des holtums." 29 Ebd., S. 175: „Item ich hun bildnissen uff die lands strasen und weg gesetzt und critzlin darin thon bis ufs letzts, das man kaine me wolt ston lun." 30 Vgl. RUETH: Reformation, S. 270; WOOD: Defense, S. 25f und S. 30. 31 SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 183 und ähnlich S. 189 („Item man haut die cierchen gar usgerampt, ouch all alter zerissen im iar Cristi 31.") und S. 191 („ouch verendert mit allem, das hinweg ist ton, das zuo dem gotsdienst haut kert, mit ornaten in fil weg, wie ouch hie in dem biechlin begriffen ist, wie man die kierchen haut gar usgeramt und beropt, und an stat dar in haut geton ain nuis wesen mit aim schin des gaistlichen [...]."). 32 HStA Stuttgart, J 1, 180, fol. 125v (Annales Biberacences). 33 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 183-193 und S. 195-216. Sein Ziel der Aufzählung aller Veränderungen seit 1531 ist es nämlich, die Verluste und Schäden für die altgläubige Seite aufzulisten und so die gegnerische Seite zu diffamieren. - Ähnlich die Schilderung bei Johann Ernst von Pflummern in seine ,Annales Biberacences' (HStA Stuttgart, J 1, 180, fol. 125v-127r) und SEIDLER: Annalia, S. 154-156. 34 Vgl. Luz: Geschichte, S. 132-134; ESSICH: Geschichte der Reformation, S. 26-28 und S. 129-131; MEMMINGER: Beschreibung, S. 92f. 28
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die Darstellung unkritisch übernommen hat 35 . Erst durch die Arbeiten von Bernhard Rueth finden die Ereignisse eine angemessenere Beurteilung 36 . Auch die noch von Michalski weiter tradierte These, daß sich am Biberacher Beispiel gut ein direkter Bezug zwischen reformatorischer Predigt in diesem Falle am 29. Juni 1531 durch Johannes Oekolampad (manchmal wird auch noch Martin Bucer genannt) - und nachfolgender bilderstürmerischer Beseitigung der Ausstattung des Predigtortes zeigen lasse, wird den tatsächlichen Ereignissen nicht gerecht 37 . Bucer und Oekolampad trafen nämlich erst am 4. oder 5. Juli 1531 von Memmingen kommend in Biberach ein und äußerten sich in mehreren Schreiben sehr erfreut über die vorgefundenen Zustände 38 . Offenbar hatte der Biberacher Rat diese Aktion jedoch anders als in Ulm nicht von Anfang an wie gewünscht organisieren können, wie - den chronikalischen Berichten zufolge - einige tumultuarische Szenen zu Beginn der Aktion zeigen 39 . Dem Rat gelang es aber sofort, diese Vorfälle einzudämmen und in die systematische Ausräumung der zehn Biberacher Kirchen und Kapellen zu integrieren. 7. 3. 1 Pfarrkirche St. Martin Den Anfang machte man in der Stadtkirche St. Martin, die alleine schon 17 der 38 in Biberach vorhandenen Altäre besaß, 13 davon mit einem Schreinund vier mit einem Tafelretabel 40 . Detaillierte Schilderungen über die Vor35
Noch WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 56, spricht davon, daß sich in Biberach „die Anspannung in der Bevölkerung in einem Bildersturm" entladen habe, ohne weitere Anhaltspunkt für eine akute Krisensituation zu liefern 36 Ein differenzierteres Bild zeichnete bereits ESSICH: Geschichte der Reformation, S. 26; vgl. aber besonders RUETH: Reformation; DERS.: Bartholomäus Müller. 37 Vgl. MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 82. Die These, daß Oekolampad in der Predigt persönlich zum „Bildersturm" aufgerufen habe, wird neben sowohl in den älteren Stadtgeschichten (etwa den ,Annales Biberacenses' [HStA Stuttgart, J 180, fol. 126r; SEIDLER: Annalia, S. 154; ESSICH: Geschichte der Reformation, S. 26-28; Luz: Geschichte, S. 132-134) auch von SCHUBERT: Predigten, S. 192f, HEINRICH VON PFLUMMERN, S. 728f und KDBW Donaukreis 1, S. 39, vertreten. Zuletzt haben WOOD: Iconoclasm, S. 30 mit Anm. 13 und RUETH: Reformation, S. 271, betont, daß man sich von dieser Legende endgültig zu verabschieden hat. 38
V g l . BRIEFWECHSEL DER GEBRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 2 5 2 -
254, Nr. 194 (Oekolampad an Ambrosius Blarer, 6. Juli 1531) und Nr. 195 (Oekolampad und Bucer an Ambrosius Blarer, 7. Juli 1531); S. 789f, Anhang II (Martin Bucer an Margareta Blarer, 9. Juli 1531); BCor 6, S. 17-20, Nr. 433; BRIEFE UND AKTEN ZUM LEBEN OEKOLAMPADS 2, S. 619f, Nr. 885 (Oekolampad und Bucer an Bürgermeister und Rat der Stadt Memmingen, 6. Juli 1531) und S. 620-622, Nr. 886 (Oekolampad an Ambrosius Blarer, 6. Juli 1531). 39 SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203f; SCHAAL: Bildersturm, S. 3f. 40 Vgl. GÖTTLER/JEZLER: Erlöschen, S. 119. - Neben den 17 geweihten Altären existierten auch noch zwei ungeweihte in der Martinskirche. Pflummern beschreibt zwar
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gänge fehlen und selbst der sonst gut unterrichtete Heinrich von Pflummern konstatiert, daß „ich glob gwislich, das kainer mer gruntlich wis, wie alle ding sient zuogangen, der schon [= auch wenn er] daby ist gsin; es ist wol als jemerlich zuogangen." 41 Er berichtet auch von dem weit verbreiteten Topos, daß das Holz der Heiligenfiguren - für St. Martin nennt er dabei neben einer Pietà namentlich die Heiligen Georg, Anna und Jakob und Tafelbilder zerkleinert und unter den Leuten als Brennholz verteilt worden sei 42 . Interessant ist aber seine Anmerkung, daß manche Altäre („tafflen") und kleinere Kunstgegenstände nicht unbedingt zerstört, sondern „vertragen" 43 , d. h. lediglich an einen anderen Platz gebracht wurden. Es bleibt daher schwierig zu bestimmen, was wirklich am 29./30. Juni 1531 im Laufe der angeordneten Bilderentfernung zerstört oder lediglich verräumt wurde und späteren Aktionen anheimfiel 44 . Verloren sind alle Altar-Retabeln der Pfarrkirche, so auch das Hochaltar-Retabel 45 , für welches die Äbtissin des benachbarten Stiftes Buchau noch die beachtliche Summe von 400 Gulden geboten hatte; der Verkauf war jedoch vom Rat mit dem Hinweis auf die Gefahr einer möglichen andauernden falschen Verehrung durch eine erneute Aufstellung abgelehnt worden 46 . Das Blatt-
eten exakten Standort, erwähnt aber nichts über ihr Aussehen oder die künstlerische Form; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 189. 41 Ebd., S. 203. 42 Ebd., S. 203f. - Vgl. auch MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 104. 43 SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203: „ [...] und die teffelin vertragen worden [...] Item sant Wolfgangs hailigen kament ains tails in Wolfen Spunen hus; was ciain ding, als teffelin, hailliglin was, das ward als vertragen; wa es hin ist comen, wais ich nit." 44 Im Jahre 1558 ließ der Rat die Kirche komplett renovieren und ausmalen, 1584 zerstörte ein Brand den Kirchturm und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgten wesentliche Eingriffe in Architektur und Ausstattung; vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 42. Zu Biberach als Produktionsstätte von sakraler Kunst in Spätgotik und Renaissance vgl. GÖBEL: B i l d h a u e r w e r k s t ä t t e n ; BORST: K u n s t , S. 7 6 - 7 9 . 45 Das Flügelaltar-Retabel wurde 1485/89 von Nikolaus Weckmann und Martin Schongauer geschaffen; vgl. ROTT: Quellen 1/1, S. 182f und l/II, S. 150; 2, S. XVIIIf; BECK: St. Martin, S. 4; HOFFMANN/DLEMER: Katalog Gemälde und Skulpturen, S. 25; BORST: Kunst, S. 74-76; KDBW Donaukreis 1, S. 24 und S. 46; SCHAAL: Bildersturm, S.
2 ; WEILANDT: W e c k m a n n , S . 4 7 9 . 46 „Item diu taffei im cor by 1100 Pfd. Als ich hun hert, so woltent die von buocho [gemeint ist das adelige Kanonissenstift Buchau] dar umb thun geben 400 Pfd.; man het aber ain enge gewisne dar umb; man forcht, man gebe ander liten ergernus da mit, glich als die Juden, die nit in Pilatus hus woltent gun, totent aber Cristum gar"; SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 204. Ein Gemälde Schongauers von einem der beiden Flügel mit einer Szene aus der Passion Christi soll sich Anfang des 17. Jahrhunderts noch im Besitz des Patriziers Christoph von Pflummern befunden haben, ist aber heute ebenfalls nicht mehr vorhanden; vgl. SCHAAL: Bildersturm, S. 5.
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gold an den anderen, weit weniger kostbaren Retabeln 47 soll der Goldschmied Sebastian Seidler im Auftrag des Rates abgeschabt und diesem nach Abzug seiner Arbeitskosten überantwortet haben 48 . Nach Angeben des Chronisten Lucas Seidler wurden das Hochaltar-Retabel wie die meisten anderen Bildwerke „auff denn zimer Eschbach [= der städtische Zimmerplatz] gefiret zu verbrenen" 49 . Die wertvollen liturgischen Gegenstände aus Silber und Gold wurden entweder eingeschmolzen oder verkauft, darunter u. a. auch ein von dem Patrizier Hildebrand Brandenburg gestifteter silberner Reliquienschrein 50 . Die Glocken wurden eingeschmolzen und zur Herstellung von Geschützen benutzt 51 , das steinerne Sakramentshaus und die bemalten Kirchenfenster zerschlagen und die liturgischen Gewänder und Bücher verkauft oder entfernt. Als Verlust ist auch das Chorgestühl zu beklagen, von der erst 1511 von Hans Hochmann gefertigten hölzernen Kanzel 52 sah man allerdings ab und entfernte nur die Reliefbilder der Kirchenväter. Die Orgel hielt man dagegen für überflüssig und so verteilte man die Orgelpfeifen 53 . Einige Kunst- und Kultgegenstände entgingen aber offenbar der Ausräumungsaktion. Der Rat hatte nämlich seinen Bürgern erlaubt, ihre Stiftungen aus der Kirche zu nehmen: „Item man haut etlichen benocht, us der
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Pflummern spricht in seiner Verlustberechnung des Schmucks von 25 Altären von einem Gesamtwert v o n 2 . 5 0 0 Pfund, wobei das Hochaltar-Retabel mit 1.100 Pfund, vier Altarbilder zu je 2 0 0 Pfund und der Rest mit lediglich 30 Pfund je Exemplar veranschlagt werden; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 204. 48 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 197: „Item Beste Goldschmid haut das gold kinden ab den tafflen ton, der haut dan vil haiige verbrent, wan er das gold herab ton het; hatzs vir sin arbeit kept und gold dar zuo, unnd aim raut das ander gold iber antwirt." - Dieser Goldschmied, der „etlich Bilder ausgbeten, so starckh vergult gewest", war der Urgroßvater des Chronisten Lucas Seidler. Der Urenkel zeigte allerdings wenig Verständnis für die Aktion seines Vorfarhren: „Die [= vergoldeten Bilder] hatt er abgeschaben; was er fir nutz daraus bracht, kan ich nit wißenn, dan daß geschlagne goldt herb v o m Kreidengrundt zu bringen. Hatt auch etlich gemalte Tafflen verret, so noch vorhanden in ßeiner geweste behausung auff dem Seimarckht"; vgl. SEIDLER: Annalia 1, S. 155. Vgl. auch ROTT: Quellen 1/1, S. 187f und l/II, S. 151. 49 SEIDLER: Annalia, S. 154. Vgl. auch SCHILLING. Heinrich von Pflummern, S. 203: „Item die taflen und hailigen send fast zum tail verschlagen und zerschitot und uf den zimer espen gefiert, den liten geben zuo verbrenen." 50
V g l . SCHILLING: H e i n r i c h v o n P f l u m m e r n , S. 197f; PFEIFFER: B r a n d e n b u r g , S. 2 8 1 -
283. 51
Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 200.
52
V g l . BECK: S t . M a r t i n , S . 4 ; GESCHICHTE DER S T A D T BIBERACH, A b b . 3 4 .
53 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 2 0 6 - 2 0 8 . - Da bei dem Brand von 1584, der durch eine Blitzeinschlag in den Turm von St. Martin ausgelöst worden war, die Uhr und die Orgel in Mitleidenschaft gezogen wurden, muß in der Zwischenzeit also eine neue Orgel in der Kirche aufgestellt worden sein; vgl. BECK: St. Martin, S. 4.
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cierchen lasen tragen, was sin und der sinen ist gesin." 54 Namen und Details werden in diesem Zusammenhang mehrmals erwähnt, etwa als der Büchsenmeister Franz Brandenburg u. a. - neben nicht näher benannten Gegenständen - das von ihm gestiftete Kruzifix, welches heute noch im Chorbogen von St. Martin zu sehen ist55, oder die Patrizierfamilie Felber ihren Altarschmuck 56 nach Hause führten. Die Pflummern retteten auch ihre Ölberggruppe und Heinrich von Pflummern „hett den Hergot ßampt baide neba Bilder, so ob dem Chor gehanget und auff dem Zwerch Balcken gestand, ausgebetten und nach Waltzen [= Waldsee, wo Heinrich im Exil lebte] fieren lassen; hats aber in seinem Heißle nit auffrichten kenden, sonder in an ein Wand gelegt auff hiltze Trager. Er steth noch heitigs Tag in der schwestern zu Waltzen gastkhamer und ist lang 12 werckschuoch, dan ich in vor einem jar gemessen." 57
In der Pfarrkirche blieben darüber hinaus ein Kruzifix 58 , der Taufstein, eine Anna Selbdritt von Michael Zeynsler am mittleren Nordpfeiler des Langhauses (um 1515) und Rest gotischer Malerei vom Dachboden des Langhauses an der Triumphbogen- und Turmwand erhalten 59 , außerdem wurden das Eigentum der Familie Gräter 60 , der Familie von Brandenburg 61 54
Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 204. Das Kruzifix kehrte 1549 aus Pflummernschem Besitz in die Pfarrkirche zurück, als der altgläubige Gottesdienst nach dem Interim wieder eingeführt wurde. Nach RUETH: Reformation, S. 281, markiert dieses spätgotische - barock überarbeitete - sakrale Kunstwerke „die Anfänge der katholischen Restauration in Biberach". - Vgl. SCHILLING: 55
H e i n r i c h v o n P f l u m m e r n , S . 2 0 6 ; GESCHICHTE DER STADT BIBERACH, A b b . 3 5 ; BECK: S t .
Martin, S. 4. Vielleicht sind hierzu die beiden Glasgemälde (Anna Selbdritt, Johannes) aus dem 15. Jh. zu zählen, die erst um 1840 wieder in die Pflummernsche Kapelle der Martinskirche kamen; KDBW Donaukreis 1, S. 50. 56
57
V g l . SEIDLER: A n n a l i a , S. 1 5 4 .
SEIDLER: Annalia, S. 154. - Das Kruzifix hing ursprünglich im Chorbogen. Bei diesem Kreuz handelt es sich wahrscheinlich um eine Stiftung des Patriziers Eberhard von Brandenburg. Dies würde die Schilderung in Seidlers Chronik bestätigen, der dieses Kruzifix, an welchem „auch das Brandenburgsch Wappen" zu erkennen sei, beschreibt; vgl. SEIDLER: Annalia, S. 154. Vgl. auch BECK: St. Martin, S. 4. - In der katholischen Sakristei befindet sich ein weiteres, vergoldetes Holzkruzifix aus dem 13. Jh., das offenbar später dorthin gelangte; vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 50; BECK: St. Martin, S. 21. 59 Vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 44; BECK: St. Martin, S. 4. 15. 20f. 60 „Item des Greters stain, sin grab, sin schilt, sin stuol send noch all in der cierchen"; SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 20. 61 Zur Brandenburgischen Kapelle im nördlichen Seitenschiff der Pfarrkirche, die nach 1531 zunächst unbenützt war und in der Folgezeit (v. a. im Barock) mehrere Umgestaltungen erlebte, vgl. PFEIFFER: Brandenburg, S. 289-292; SEIDLER: Annalia, S. 155. In der Brandenburgischen Kaplanei finden sich heute noch eine Anna Selbdritt, eine Madonna aus der Stadtpfarrkirche und eine Bischofsstatue aus dem 15./frühen 16. Jh. sowie ein (nicht datiertes) Reisealtärchen einer Eichstätter Äbtissin und ein Votivbild Eberhards II. von Brandenburg mit seiner Familie (um 1520). Das ebenfalls von der Fa58
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und verschiedene Grabplatten und Totenschilde 62 verschont. Daß auch noch andere Kunstwerke - ob von ihren Stiftern oder von den Handwerkern - aus der Kirche geholt worden sind und noch längere Zeit an einem anderen Ort verwahrt wurden, ist zu vermuten 63 . Allerdings haben sich von diesen nach 1531 noch vorhandenen Kunstwerken nicht viele erhalten; neben der geringen Anzahl von überlieferten Gegenständen in St. Martin fanden auch nur wenige den Weg ins Biberacher Museum 64 oder in andere Kunstsammlungen 65 . Die in der Zeit nach Annahme des Interims 1548 erfolgten Umgestaltungsmaßnahmen und Neuausstattung in der Pfarrkirche könnten ebenfalls ihren Teil beigetragen haben, daß so wenige vorreformatorische Kunstwerke erhalten sind 66 . Infolge des Simultaneums nutzen die Katholiken offenbar den Chor mit den beiden Seitenkapellen, die Protestanten das Langhaus. 7. 3. 2 Die übrigen Kirchen und Kapellen der Stadt Ähnlich wie in St. Martin verfuhr der Rat in den übrigen Kapellen der Stadt. Lediglich in der Magdalenenkapelle 67 sollten weiterhin Gottesdienste nach der neuen Ordnung stattfinden. Die nach dem Umzug des Spitals errichtete Spitalkirche wurde zwar nicht abgerissen, aber vom Rat ge-
milie gestiftete Altarbild brachte man vermutlich zur Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes 1538 in die Kapelle zurück, später stand er im Gewölbe des Kaplaneigebäudes; wann genau er verlorenging, ist nicht bekannt. Vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 68; PFEIFFER: Brandenburg, S. 28lf. 292-296. 300-302. 307; BORST: Kunst, S. 68. 62 Vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 51. 63 Vgl. oben Anm. 47. 64 Die meisten Kunstwerke aus dem hier zu betrachtenden Zeitraum gelangten durch das Vermächtnis des Pfarrers Joseph Probst (1905) in die städtische Sammlung; vgl. HOFFMANN/DIEMER: Katalog Gemälde und Skulpturen, S. 11. Die Anzahl der meist im Kunsthandel erworbenen Gemälde und Skulpturen mit religiöser Thematik (ebd., S. 1329) ist relativ gering und ihre Provenienz aus Biberach selbst nur in einem Fall (Hl. Anna Selbdritt, um 1475), aber auch nur in wenigen Beispielen aus der näheren Umgebung Biberachs herzuleiten. Eine definitive Zuordnung zu einer der Biberacher Kirchen oder Kapellen ist daher unmöglich. 65 Vgl. BAUM: Bildwerke Rottweiler Lorenzkapelle, S. 33, Nr. 59 (Statue der Hl. Ursula, wohl aus einem Altarschrein) und S. 38f, Nr. 93 (Hl. Sippe aus St. Martin zu Biberach; Abb. bei BORST: Kunst, Abb. 8; vgl. auch ROTT: Quellen l/II, S. 152); BAUM: Bildwerke der Sammlung Schnell, S. 60 (Hl. Ursula) und S. 62 (Krönung Mariä des Biberacher Meisters Jörg Kändel). 66 Zu den zwischen 1555 und 1648 errichteten Altären in Biberach, die alle von der katholischen Partei in Auftrag gegeben worden sind, vgl. STRECKER: Hochaltar, S. 89 mit Anm. 406. 67 Zu dieser Kapelle vgl. oben S. 165; KDBW Donaukreis 1, S. 61f.
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schlössen und nicht mehr zu liturgischen Feiern genutzt 68 . Die Kapelle zum Heiligen Kreuz vor dem Grabentor, die Kapelle beim Spitalgarten jenseits der Riß 69 , die Leonhards- und die Wolfgangskapelle 70 wurden ganz abgerissen, vorher allerdings die kostbaren Gegenstände entnommen; der Erlös des Verkaufes sollte der ,Betteltrahe' zugefügt werden 71 . Die kultischen Bilder und Geräte der Wolfgangskapelle nahm allerdings der Spitalpfleger Wolf Spon an sich und brachte sie zu sich nach Hause 72 . Die untere Kapelle auf dem Kirchhof wurde in einen Weinkeller, die obere Kapelle 1533 durch Einbau von Stockwerken zum Mesnerhaus umgewandelt. Die Wandmalereien dieser Kapelle (Passionszyklus, Jüngstes Gericht) wurden dabei in Mitleidenschaft gezogen und ihre Fragmente erst bei einem erneuten Umbau im 20. Jahrhundert wiederentdeckt und freigelegt 73 . In der 68
Vgl. unten Anm. 98. Nach Heinrich von Pflummern gab es insgesamt vier Altäre in der Spitalkirche; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 187. Lucas Seidler berichtet im frühen 17. Jh., daß noch zwei Altäre in der Spitalkirche stehen, die sich aber ebenfalls nicht erhalten haben; vgl. SEIDLER: Annalia, S. 156; SCHAAL: Bildersturm, S. 5. - Die heutige Ev. Spitalkirche wurde erst 1649 in der ehemaligen Krankenstube des Inneren Spitals eingerichtet, die Katholische Spitalkirche ad S. Spiritum stammt ebenfalls aus dem 17. Jh. Die vorreformatorischen Skulpturen und Malereien kommen - bis auf ein kleines Flügelaltar-Retabel und zwei Altarflügeln mit Darstellungen aus den Leben der Hl. Philippus (Götzensturm, Kreuzigung) und Hl. Vitus (Kessel, Folterung) - nicht aus Biberacher Kirchen; vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 57-60. 69 In dieser Spitalkirche gab es zwei Altäre, darunter einen Marienaltar, der von vielen Menschen in Notsituationen besucht worden war; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 187; SCHILLING: [Joachim Ernst von Pflummern], S. 58. Nach PFEIFFER: Brandenburg, S. 278, war dieser Marienaltar allerdings 1531 zerstört und 1607/26 wiederhergestellt worden. - An der Stelle dieser Spitalkapelle am Osterberg wurde 1603 die evangelische Heiliggeist-Kirche erbaut; vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 40. 56. 62-64. 70 Die Nutzung der Wolfgangskapelle war schon in den 1520er Jahren eingestellt worden; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 168 und S. 202f. Des weiteren berichtet Pflummern von einem „alt bild oder unsers hergots ruo" in der Kapelle Hon. Domini in Carcere, die vermutlich beim Abriß zerstört worden ist; vgl. ebd., S. 202. Die Leonhardskapelle wurde offenbar 1564 wieder errichtet und endgültig beim Bau des Kapuzinerklosters beseitigt. Vgl. auch KDBW Donaukreis 1, S. 40 und S. 65. 71 Die in diesen Kapellen vorhandenen Wandmalereien wurden beim Abriß natürlich zerstört: Passionszyklus in der Oberen Kapelle (vgl. oben S. 165), Darstellungen des Kreuzes (?) in der Heilig-Kreuz-Kapelle, Szenen aus dem Leben der Hl. Maria Magdalena in der Spitalkirche und des Hl. Wolfgang in der Wolfgangskapelle; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 204f; KDBW Donaukreis 1, S. 65. 72 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203f und S. 283; SEIDLER: Annalia, S. 156; SCHAAL: Bildersturm, S. 4. 73 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 189f: „Ist ain groser pasión, das liden Cristi, oben an der wand gemalet gesin; dan es was kain fienster da selbs, ob 30 groser andechtiger stucken, da fil lit das liden Cristi hund da vor betrachtet." Ebd., S. 204f: „Item uff der oberen capel ist gesin an der lange und hoche wand ob 30 groser stuck von dem liden Cristi, da vil lit zuo send gangen, das liden Cristi vir unser zuo erlesung mit
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Nikolauskapelle brachte man zunächst eine Steinmetzhütte unter, danach diente sie als Brauhaus, 1592 wurde sie allerdings neu eingeweiht, mit Bildhauerarbeiten ausgestattet und beiden Konfessionen zum gottesdienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt74. Für die Umgestaltung 1531 wird überliefert, daß das anfallende Holz entweder zerhackt und verbrannt oder den Armen als Brennholz zur Verfügung gestellt wurde. Auch bei den Franziskanerinnen - sie verfugten lediglich über einen Andachtsraum in ihrem Wohngebäude, den Gottesdienst besuchten sie in St. Martin - ließ der Rat die religiösen Bilder entfernen und u. a. ins Spital transportieren 75 . Was mit diesen Gegenständen dort oder in den Privathäusern, von denen Joachim Ernst von Pflummern berichtet 76 , geschah, bleibt ungewiß. 7. 3. 3 Biberacher
Besonderheiten
Auffallig oft kam es nach den Angaben Heinrich von Pflummerns zu Zerstörungen von Passionsdarstellungen. So berichtet er von sechs von ihm selbst gestifteten Darstellungen aus der Leidensgeschichte Christi, welche er zur „er gotes und den menschen zuo ainem guoten zaichen der ermannung [= Ermahnung] des liden Cristi" 77 neben diversen Bildsäulen an verschiedenen Stellen in der Stadt (Friedhof, Spitaltor, Stadttürme) hatte anbringen lassen78. Weiter berichtet er von ca. 30 Darstellungen an den Wän-
andacht und mit rui umb die sind zuo trachtent; das als haut man den liten entpfiert; got gebs inen zuo erkenen." - Vgl. auch KDBW Donaukreis 1, S. 64. 74 Vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 40 und S. 64f. Im Jahre 1748 wurde die Nikolauskapelle noch mit Deckengemälden ausgeschmückt, 1804 dann endgültig abgetragen. 75 SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 208: „Item in der nunen kierchlin oder bethus im hus send ouch etlich vom raut gesin, haut man inen ungewarnet ire haiigen ouch genomen; als ich wen, zum tail in das spital tragen und die kindlin und hailgo teffelin in selbs genomen." BAUMANN: Annales Biberacences, S. 245: „Item darnach sent sie kommen mit etlichen des rats, iren knechten, und haben uns in insern kürchle genommen und ußgetragen daffeln, groß und klein hailtum, kändlen, münstranzen, altartuecher und was sy funden haben, die fenster ußgeschlagen, da geschmelzte hailigenbilt sent in gewesen." 76 Vgl. SCHILLING: [Joachim Ernst von Pflummern], S. 169 und S. 180; SCHAAL: Bildersturm, S. 5. 77 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 157; ebd., S. 202f: „Item fuil staine bildsilen zuo allen taren hin us, die frum Cristen lit gemacht hund zuo ermanung des liden Cristi, welches die teffelin und das gemeld dar in angezaigt hund, und zuo andacht der vir wallenden [vorbeiziehenden Gläubigen], welche alle uff den grund gerissen send." Pflummern beruft sich bei seiner Argumentation dann auf das Diktum Gregors d. Gr., die Bilder seien ein geeignetes Medium zur Unterrichtung der Laien; ebd., S. 205. 78 Als Beispiel für eine solche Bildsäule vgl. die Abbildung des betenden Stifters und Bischofs von Passau, Ulrich von Helfft, vor den Toren der Stadt bei BRUNNER: Kunst, S. 144, Abb. 25.
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Biberach
den der oberen Kapelle auf dem Friedhof 79 und von Wandmalereien in der Kirche, den Kapellen und „an toren unnd turen miten in der stat", an welchen viele „haiigen und historien mit flachem gemeld [= Wandmalereien] gesin us dem liden Cristi, ouch der hailigen, das als frum lit hund lasen malen [= all das hatten fromme Leute malen lassen], wie man noch an allen Cristelichen orten sieht, da es ouch also ist, zuo ainer guoten ermannung, Cristo unserm heren danck zuo sagen umb sin liden, ouch den hailligen naich zuo folgen [= nachzufolgen] mit aim sollichem leben, als sy uns ains hund «80 vortragen.
In diesem Zusammenhang müssen auch die aus Holz gefertigten Kreuzweg-Tafeln, die in der Passionszeit gebraucht worden waren, und ein Grab mit einer Christus-Figur erwähnt werden, welche ebenfalls zerstört wurden 81 . Daß Pflummern die Passionsbilder unter den von den „Bilderstürmern" zerstörten Kunstwerken besonders hervorhebt, liegt vermutlich in seiner Intention begründet, die Taten der Anhänger der evangelischen Lehre als besonders rücksichtslos und verwerflich und damit als gotteslästerlich darzustellen. Außerdem betont er in diesem Zusammenhang oft den pädagogischen Charakter der Passionsbilder, die zur rechten „Imitatio Christi" anleiten sollten - möglich, daß diese Funktion in Biberach in den Hintergrund gedrängt worden war 82 . Im Verlauf der Entfernungsaktionen kam es mehrfach - vielleicht auch nur bedingt durch die einseitige Quellenüberlieferung - zu Verhöhnungsritualen. Das bekannteste Beispiel ist das Schicksal des Palmesels aus St. Martin, den der Bader Michel Rocher verbrannt hat, zuvor aber „uff sin corenhus an ain laden" angebunden hatte „den essel und unsern hergot, wie er die finger use bot, lang usher luogen [= ließ], trieb sin gespet damit und set, man sete comen, er wete ain guotzs, warms bad damit macho f...]" 83 .
79
Vgl. oben Anm. 73. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 205. - Reste dieser Fresken des 15. Jhs. mit Szenen aus der Passionsgeschichte finden sich heute noch in St. Martin und in der ehemaligen Michaeliskapelle (heute Katholisches Gemeindehaus St. Martin); vgl. 80
GESCHICHTE DER STADT BIBERACH, A b b . 2 9 u n d A b b . 3 0 . 81
Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 208. Weitere Beispiele bei SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 180: „Item fil gangs ist durch die kierchen, ouch capelen gesin; wie meng pater noster ist gebetet worden vor dem sacerment unnd andacht genomen worden von den gemeldenn etc." Die pädagogische Bedeutung der Anleitung zur rechten Andacht maß Pflummern auch dem Kirchengesang zu; vgl. ebd., S. 181. 83 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203; SCRIBNER: Ritual and Reformation, S. llOf; BURG: Palmesel, S. 136. Zum Zusammenspiel von praktischen Verwendungszwecken und Verhöhnungsritualen vgl. MLCHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 104. - Das Angebot Joachim von Pflummerns, der den Palmesel für zwei Gulden von der 82
Die Bilderentfernung
1531
175
Biberacher Kinder sollen ihr Spiel mit der Heilig-Geist-Taube getrieben, diese in der Gasse umhergetragen und anschließend zerschlagen haben. Die Figur des Himmelfahrts-Christus wurde verspottet, ähnlich wie viele Heiligenfiguren 84 . Eine Marienfigur aus St. Martin brachte man in einen Saustall und später schlug man ihr den Kopf ab 85 . Die Stadtrechner und einige Zunftmeister sollen im Rathaus, wohin auch in Biberach die der Zerstörung entgangenen wertvollen liturgischen Geräte aus Gold und Silber gebracht worden waren, aus Kelchen getrunken haben 86 . Seinen ganzen Ärger über die Angriffe auf die religiösen Bilder läßt Heinrich von Pflummern in dem Vergleich des Handelns der Anhänger der evangelischen Lehre mit demjenigen der Juden und Heiden gipfeln 87 , dem er das - seinem Verständnis nach richtige - altgläubige Modell, das vor allem didaktische Aufgaben („ermannung", „underweisung") zu erfüllen hatte, entgegenstellt. „Wier ziechend die hiet ab vor den bilder, naigent uns dar vor, betent vor inen, brenent liechter vor inen etc. Das tuond wier nit den bildern vor inen, sunder tuond wier solichs denen, die die bilder bediten [...] wier hund die bilder vir ain guot nutzlich zaichen zuo ermanung: vor der biltnus Cristi mit sinem liden, das wier das liden Cristi da by betrachtent, vor andern hailigen biltnus betrachtent wier ir hailig leben, inen dar in naich zuo folgen, ir marter, da by wier inen ouch naich folgen mit gedult in unser widerwertigkaiten und in selichen wegen, der da zuo fil wurd, zuo erzellen." 88
Durch die Zerstörungen sei „fil guoter ermanung" verlorengegangen, „die wier vor den bildern hetent gehept, und vor us die juget [= Jugendlichen] ouch dar vor ermant und gelert were worden. Und wa jung oder schlecht [= einfache, einfältige] menschen sich nit gantz dero ding verstanden hetent, solt man sy briederlich und cristenlich underwisen und gelert hun" 89 .
Metzgerzunft, welche den Palmesel gestiftet hatte, abkaufen wollte, wurde v o n den Metzgern nicht angenommen; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203. Zur Funktion des Palmesels in der Liturgie der Karwoche vgl. ebd., S. 213. 84 Vgl. ebd., S. 206; SCHAAL: Bildersturm, S. 4. In der Fastenzeit sollen auch die Prozessionsstangen zweckentfremdet worden sein. 85 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203f; MICHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 88f und S. 104. 86 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 196-198. Über das weitere Schicksal dieser Gegenstände, zu denen u. a. auch der wahrscheinlich ebenfalls aus Gold und Silber hergestellte Reliquienbehälter mit den Reliquien des Hl. Theodorus zählte, hat Pflummern offenbar keine genauen Informationen erhalten können. Er berichtet lediglich von der Sage, daß der Ulmer Goldschmied Ruchschnabel und nicht namentlich genannte Juden Teile davon erworben hätten. 87
D e n Anhängern der evangelischen Lehre wirft er die Ablehnung aller äußerlichen Zeremonien vor, den Juden und Heiden, daß sie die Bilder als Götter angebetet und verehrt hätten; vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 161f. 88 Ebd. 89 Ebd.
176 7. 3. 4 Die Biberacher
Biberach
,,Bilderstürmer"
Interessantes wird über die soziale Zusammensetzung der sog. „Bilderstürmer" aus Biberach berichtet. Der Bader Michel Rocher wurde bereits erwähnt, ein gewisser Bartholomäus Sauther soll einige Heiligendarstellungen nach Hause getragen und dort verbrannt haben 90 . Heinrich von Pflummern erzählt von einem Metzger, der ein Bild in der Kapelle „uff dem bach by der brück, so man in die angelmillin gat" 91 zerschlagen habe, und vom ersten Biberacher „Bilderstürmer", dem Lehrer Scharber aus Waldsee 92 . Letzterer hatte sich - zu einem nicht genau bezeichneten Zeitpunkt um eine Schulmeisterstelle in Biberach beworben, die ihm jedoch der Rat nicht übertragen wollte. Aus Verärgerung zog er mit Pfeifen, Trommeln und einigen Gesellen aus der Stadt und soll einige Bilder an einer an der Landstraße nach Rißlegg gelegenen Kapelle zerschlagen haben 93 . Bei Scharber waren es also weniger religiöse Beweggründe als sein Ärger, der ihn zu dieser Tat motivierte. Während die Pflummern sonst nur pauschal Handwerker und Zunftangehörige als Aktivisten bei der Bilderentfernung erwähnen 94 , nennt ein späteres Pamphlet mit dem Titel ,Lutherische kürchenstürmer, so die bilder zue Biberach helffen uß der kürchen mustern' 95 Namen: Barbier und Zunftmeister Veit Schopper, die Zunftmeister Jakob Schmid, Martin Moll und Konrad Bodenmüller, die Bürgermeister Christoph Gräter und Veit Böcklin 96 , den entlaufenen Mönch Benedikt Widmann und den Bader Michel Rocher. Moll, Gräter, Schopper und Schmid werden auch von Johann Ernst von Pflummern als Protagonisten der Bilderentferner aufgeführt und 90
Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 203. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 202. 92 Zur Beteiligung von Lehrern an bilderstürmerischen Aktionen vgl. S C H N I T Z L E R : Ikonoklasmus, S. 189, Anm. 91. 93 SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S . 162. 94 Heinrich von Pflummern spricht von „tagwerckern" (vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 199 und S. 203), Johann Ernst von Pflummern benennt führende Vertreter der Zünfte als Protagonisten des .Bildersturms' (vgl. HStA Stuttgart, J 1, 180, Annales Biberacences 1, fol. 126). 95 Vgl. unten S. 299-301 (Anhang II); ERNST: Tod der Ketzer, S. 90f. - Ernst datiert den Text des unbekannten Verfassers ohne nähere Begründung ins frühe 17. Jh., was jedoch bezweifelt werden darf. Im Text spricht der Verfasser nämlich davon, daß er die meisten der Genannten noch persönlich gekannt hat. Und da es sich ja nicht um jugendliche Teilnehmer 1531 gehandelt hat und deren unerwartet plötzliche Tode geschildert werden, läßt sich eher eine frühere Datierung vermuten (nach 1531/zweite Hälfte 16. Jh.). 96 Zu ihm vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 155 mit Anm. 1. Böcklin kam aus einer Biberacher Patrizierfamilie, trat in den Prämonstratenserorden in Schussenried ein und versorgte gleichzeitig die Pfarrstelle in Muttensweiler. Nach seinem Ordensaustritt kehrte er nach Biberach zurück, heiratete und war von 1541 bis 1550 Bürgermeister. 91
Die Beseitigung der religiösen Bilder im reichsstädtischen
Territorium
177
waren bei den Aktionen von Amts wegen beteiligt, da sie in den Jahren 1530/31 als Kirchenpfleger fungierten. Benedikt Widmann kam allerdings erst 1537 nach Biberach, und die Anwesenheit des späteren Bürgermeisters Veit Böcklin in der Stadt 1531 ist nicht gesichert, so daß ihre Beteiligung stark angezweifelt werden kann 97 .
7. 4 Die Beseitigung der religiösen Bilder im reichsstädtischen Territorium seit 1534/1535 Wann genau die Ausräumung der Gotteshäuser im Biberacher Landgebiet begann, ist nicht bekannt, allerdings ist nicht vor 1534/35 damit zu rechnen, da die Biberacher sich erst nach der Restitution des württembergischen Herzogs stark genug fühlten, um die neue Glaubensüberzeugung auch in den von habsburgischer Präsenz und altgläubigen Reichsklöstern und Ständen umschlossenen Dörfern zu etablieren. Das Landgebiet der Reichsstadt setzte sich ausschließlich aus spitälischen Dörfern und Rechtsansprüchen zusammen 98 . Durch den Verlust der Herrschaft Warthausen im Jahre 1529 wurde dieses ansehnliche Landgebiet zwar erheblich reduziert, aber der Biberacher Rat begann seit 1534/35 gezielt in den Dörfern Ahlen, Attenweiler, Baltringen, Bergerausen, Birkendorf, Burgrieden, Bühl, Höfen, Ingerkingen, Lanertshausen, Muttensweiler, Oberholzheim, Röhrwangen, Volkersheim, Westerflach und Winterreute mit der Einführung der evangelischen Lehre 99 . Da die Stadt bzw. das Spital aber keineswegs in den dort vorhandenen Dorfkirchen und -kapeilen das Patronat innehatte, sondern die meisten Pfarreien einem der auf altgläubiger Seite treu gebliebenen Klöster (Ochsenhausen, Schussenried, Salem, Heggbach, Weißenau) inkorporiert waren und zusätzlich das Biberacher Hoheitsgebiet zerstreut zwischen den Gebieten wenig reformationsfreundlicher Herren lag (etwa 97
Die Hinweise auf die sog. .Bilderstürmer' verdanke ich Herrn Berhard Rueth (Archiv- und Kulturamt Rottweil), dem ich für seine Auskünfte herzlich danke. Konrad Bodenmüllers Beteiligung an den Aktionen 1531 zweifelt Rueth ebenfalls an, da dieser erst als Aktivist in der zweiten Generation der Reformation 1552 eine Rolle spielt. 98 Zum Biberacher Spital, das 1239 gegründet, seit den 1320er Jahren jedoch alle herrschaftlichen Rechte an den städtischen Rat übertragen hatte, vgl. STIEVERMANN: Spital und Stadt, S. 171-199, bes. S. 173-181 und S. 170 (Karte der Besitzungen des Spitals um 1500). Zunächst noch vor den Toren der Stadt gelegen, verlegte man zunächst das Innere Spital und nach 1516 auch das Äußere Spital (landwirtschaftliche Betriebe) in die Stadt, was auch einen Neubau der Spitalkirche notwendig machte, für die dann der Pfarrer von St. Martin zuständig war. Zu den Spitalkirchen vgl. oben S. 171 f. 99 Zum (spitälischen) Biberacher Landgebiet vgl. STIEVERMANN: Spital und Stadt, S. 180f; DERS.: Biberach, S. 208 (Karte) und S. 219-222; RUETH: Reformation, S. 272; MLLDENBERGER: Reformation, S. 23-27.
Biberach
178
Dr. Schad von Mittelbiberach oder dem österreichischen Landvogt), hatten die evangelischen Prediger zunächst bei der Umsetzung ihrer Aufgaben einen schwierigen Stand 100 . Den chronikalischen Berichten zufolge sandte der Rat daneben auch seine Zunftmeister in die Dörfer, um u. a. das Entfernen der Bilder zu überwachen. Einzelheiten über diese Geschehnisse sind allerdings nicht bekannt. Wertvolle Figuren wurden in die Stadt bzw. ins Spital gebracht, dort das Gold abgeschabt und die Figuren dann verbrannt 101 . Von der vorreformatorischen Einrichtung haben sich vor Ort lediglich in Ingerkingen eine Pietà im östlichen Seitenaltar und ein Kruzifix an der Westwand erhalten 102 . Ob dieser Befund eine Folge der gründlichen Arbeit der Zunftmeister und völligen Beseitigung aller Kultgegenstände nach 1535 ist oder eine Konsequenz der seit 1548 veränderten politischen und damit auch religiösen Situation, muß offen bleiben. Harter nämlich als die Stadt Biberach selbst trafen die Folgen des Interims die Biberacher Dörfer. Da die Kirchen ihren alten Pfarr- und Patronatsherren überlassen werden mußten, hielten die katholischen Priester wieder Einzug 103 , und die Verluste vorreformatorischer Kunst durch Modernisierungen dieser Gotteshäuser, v. a. infolge von Kriegswirren, Bränden oder v. a. in der Barockzeit sind dann ebenso zu berücksichtigen wie die Verluste der Reformationszeit 104 .
100
Wie kompliziert die Rechtsverhältnisse waren, sollen die beiden folgenden Beispiele zeigen: In Mittelbiberach, dem Dorf von Dr. Hans Schad, war das Spital zwar Patronatsherr, die Biberacher konnten sich jedoch nicht gegen Schad durchsetzen, der dem evangelischen Prediger den Zutritt zur Kirche verwehrte. In Stafflangen hingegen verbot der dort begüterte evangelische Biberacher Patrizier und Bürgermeister Christoph Gräter dem Schussenrieder Pfarrvikar 1538, weiter die Messe zu lesen, und sorgte dafür, daß jeden Sonntag ein Prediger aus Biberach kam, was wiederum der Landvogt zu unterbinden versuchte, der die Hochgerichtsbarkeit in Stafflangen innehatte. Vgl. MlLDENBERGER: Reformation, S. 25f. 101 Vgl. SCHILLING: Heinrich von Pflummern, S. 232f: „Da man die cierchen uff dem land haut us kramet, so haut man all cierchen uff dem land us kramot, die in der von Biberach oberkait ligend [...] und haut man in ain iecklich dorff 2 zunftmaister geschickt, die die cierchen us ramtent, und haut die haiigen uff caren in das spital gefiert. Da haut man das gold zum thail her ab ton und ain tail zergengt [= entstellt, zerstört] und vertragen." Vgl. auch SEIDLER: Annalia, S. 157. 102 Vgl. KDBW Donaukreis 1, S. 86f (Ahlen). 91-93 (Attenweiler). 125 (Höfen). 132 (Ingerkingen). 135-137 (Laupertshausen). 158f (Muttensweiler). 240f (Volkersheim). 103 Über die weitere Entwicklung in Biberach und seinen Dörfern nach dem Interim von der Bikonfessionalität bis zur Parität 1649 vgl.: Reformation, S. 280-288; DIEMER: Bikonfessionalität, S. 289-307; MLLDENBERGER: Reformation, S. 27. 104
Vgl. SCHAAL: B i l d e r s t u r m , S. 8.
Kapitel 8
Esslingen 8. 1 Die Reformation hält Einzug in Esslingen1 In der ca. 7.000-8.000 Einwohner zählenden Reichsstadt am Neckar begegnete man am Vorabend der Reformation einem regen religiösen Leben 2 . Es gab die Pfarrkirche St. Dionysius, die nur wenige Schritte davon entfernte Frauenkirche 3 , sechs Klöster (Franziskanerkloster, Franziskanerinnenkloster St. Klara, Dominikanerkloster mit St. Paulskirche, Dominikanerinnenkloster, Karmeliterkloster, Augustineremitenkloster) 4 , das Katharinenspital mit der nach dem Brand von 1484 durch Matthäus Böblinger wieder aufgebauten Spitalkapelle 5 , zahlreiche Pfleghöfe auswärtiger Klöster und Stifte 6 und zahlreiche Kapellen 7 . Vielfältige Frömmigkeitsprakti-
1
Ausgehend von der guten Überlieferungslage zur Esslinger Geschichte seien aus der reichhaltigen Literatur zur Reformation erwähnt: SCHRÖDER: Kirchenregiment; 450 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN; AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE; BRECHT: R e f o r m a t i o n s z e i t , S. 5 9 - 7 1 ; RUBLACK: E s s l i n g e n , S . 7 3 - 9 0 ; DERS.: R e f o r m a t o -
rische Bewegung, S. 191-220; BETZ: Reutlingen und die Reformation; SCHUSTER: Kirchengeschichte; SCHNAUFER/HAFFNER: Beiträge; KEIM: Reformationsblätter. 2 Zum Verhältnis von Stadt und Kirche vor der Reformation und zur kirchlichen Topographie vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 30-59. 3 Kirchenrechtlich gesehen handelt es sich bei der Frauenkirche um eine Kapelle ohne eigenen Sprengel und Pfarrechte. Als Marienkapelle erstmals 1267 erwähnt, wurde aus Mitteln des Rates und der Bürgerschaft nach 1321 eine neue Frauenkapelle errichtet, die wohl als Ausdruck städtischen Reichtums, aber kaum als Konkurrenzkirche zu St. Dionys angesehen werden kann. Vgl. dazu zuletzt CAMPENHAUSEN: Klerus, S. 42-49 (Lit.); zu den 12 Altären, den dazugehörigen Pfründen und Geistlichen vgl. ebd., S. 243-246 und S. 2 5 9 - 2 6 2 . 4
Vgl. UHLAND: Esslinger Klöster. Vgl. HAUG: St. Katharinen-Hospital; KOEPF: Bauten, S. 41-58; HEIDELOFF: Kunst, S. 61; KELLER: Beschreibung, S. 65-68. 6 Vgl. HEIDELOFF: Kunst, S. 61. 7 Allerheiligenkapelle (Friedhofskapelle der Pfarrkirche), St. Aegidiuskapelle, Agneskapelle, Heiligkreuzkapelle, Jakobskapelle, Marienkapelle, Leonhardskapelle, Siebenschläferkapelle, Nikolauskapelle, Herr Erbärmkapelle (eine unter der Ebershalde; eine vor dem Schelztor), Ottilienkapelle, Cyrilluskapelle; diese und weitere außerhalb der Stadt liegende Kapellen mit ihren Altären sind aufgeführt bei CAMPENHAUSEN: Klerus, S. 246-251. Vgl. auch KELLER: Beschreibung, S. 69-70; HEIDELOFF: Kunst, S. 62. 5
180
Esslingen
ken (Reliquien- und Heiligenverehrung, Prozessionen und Wallfahrten, Bruderschaften etc.) spielten eine große Rolle. Die Pfarrkirche St. Dionysius war als staufische Eigenkirche 1231 dem Speyrer Domkapitel geschenkt worden, das seitdem einen Pfarrer und vier Helfer für die Seelsorge in Esslingen einsetzte. Das Recht der Visitation erhielt der Konstanzer Bischof als Diözesanbischof. Konnte man also bei der Besetzung der Pfarrstelle nicht mitentscheiden, war es der Bürgerschaft aber in der Kapellenordnung vom 27. Mai 1321 gelungen, sich das Patronatsrecht über die zahlreichen Altäre und Kapellen in der Stadt vom Speyrer Domkapitel zu sichern. Somit gab es neben dem von Speyer eingesetzten Pfarrer noch etwa 40 Kapläne, die von den Esslingern selbst ernannt wurden und zum täglichen gemeinsamen Gebet im Chor der Pfarrkirche verpflichtet waren 8 . Umgeben vom mächtigen württembergischen Nachbarn hatte die Reichsstadt ihr Hoheitsgebiet im 14./15. Jahrhundert immerhin durch den umfangreichen Streubesitz des Esslinger Spitals - z. B. in Deizisau, Möhringen und Vaihingen (südlich von Stuttgart) - sowie durch die Erwerbungen einiger Esslinger Patrizier ausdehnen können. Charakteristisch für die Situation in Esslingen bis 1530 war, daß sich die wachsende Partei der Reformationsanhänger einer großen Gruppe der Reformationsgegner gegenübersah, beide Gruppen jedoch friedlich nebeneinander her lebten. Zu den ersten Anhängern des reformatorischen Gedankengutes gehörte der Kaplan an der Frauenkirche, Martin Fuchs 9 . Die Schriften des Wittenberger Ordensbruders fanden auch im Esslinger Augustinereremitenkloster großes Interesse. Besonders der aus Esslingen stammende Michael Stifel (1486-1567) sorgte mit seinen Predigten und Schriften für die Verbreitung der lutherischen Lehren 10 , mußte allerdings bereits Ende Mai 1522 Esslingen verlassen. Neben Fuchs und Stifel wirkte noch Johannes L(e)onicer n , ein Schüler Luthers und Hebräisch- und Griechischlehrer, 1522/23 kurzzeitig im Geiste seines Wittenberger Lehrers in Esslingen. Diesen Reformationsanhängern stand eine große kaisertreue und an der alten Lehre festhaltende Gruppe gegenüber, die vor allem im Rat und unter 8
Zur Problematik dieser Situation von der Kapellenordnung bis zur Reformation zuletzt CAMPENHAUSEN: Klerus; zur Kapellenordnung vgl. ebd., S. 22-27; 450 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 13, N r . 2 6 . 9
Zu M a r t i n F u c h s ( t 1542) vgl. BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S.
44f, Nr. 121 (Lit.). 10 Zu Martin Stifel (1487-1567) vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 60f, bes. Anm. 9 (Lit); BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S. 397, Nr. 395; zu seinen Schriften vgl. 450 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 6 4 - 7 0 , Nr. 1 2 0 - 1 2 6 . " V g l . BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S. 7 2 , N r . 2 5 3 .
Die Reformation hält Einzug in Esslingen
181
den Patriziern ihre Anhänger fand und unter der Führung des Bürgermeisters Hans Holdermann 12 stand. Die von dieser Gruppe bestimmte Politik orientierte sich an der Loyalität gegenüber dem Kaiser sowie der Rücksicht auf das Speyrer Domstift und den Konstanzer Bischof im Bemühen um Mitspracherechte in kirchlichen Angelegenheiten und wurde bestimmt von Angst vor dem mächtigen Nachbarn Württemberg. Als Verteidiger der „Alten Lehre" trat auch Dr. Balthasar Sattler, seit 1522 Pfarrer in Esslingen, auf. Gegen seine scharfen Attacken verwahrte sich sogar Martin Luther persönlich in einem Sendschreiben vom Oktober 1523 an die Esslinger Gemeinde 13 . Auch Zwingli sollte sich im Zusammenhang mit der Badener Disputation 1526 kritisch mit Sattlers Positionen auseinandersetzen 14 . Nach dem Geschilderten kann es daher nicht weiter verwundern, wenn der Rat die reformatorische Bewegung offiziell kaum unterstützte, evangelische Predigten verbot, Reformationsanhänger verhaften oder die seit 1525/26 in der Stadt anwesenden Täufer verfolgen ließ. Nach dem Nürnberger Reichstag von 1524 wurde auf Drängen des kaiserlichen Statthalters vorübergehend (bis 1527) das Reichsregiment und das Reichskammergericht vom „lutherischen" Nürnberg in das als „altgläubig" geltende Esslingen verlegt. Zum Mißfallen des päpstlichen Legaten kam es allerdings im Gefolge der beim Reichsregiment in Esslingen anwesenden Gesandtschaften zu einem verstärkten reformatorischen Einfluß. So predigte der Hofprediger des Markgrafen Philipp von Baden, Franz Irenicus 15 , im Sommer 1524 im Augustinerkloster gleichzeitig mit Sattler, der sich daraufhin über sinkende Hörerzahlen beklagte. Mäßigend auf beide Parteien versuchte hingegen Dr. Ludwig Hierter, Anwalt am Reichskammergericht, einzuwirken. Blieb der Rat offiziell auch seiner Haltung treu, war die Berufung Ulrich Villingers als evangelischer Prediger 1526 eines der wenigen Zeichen des Entgegenkommens. Daneben kam es zum Zerwürfnis mit Sattler, der dem zuständigen Konstanzer Bischof Informationen über das Vorhaben des Esslinger Rates, die Rechte der Geistlichkeit einzuschränken und sie der städtischen Obrigkeit zu unterstellen, geliefert hatte. Sattler mußte daraufhin 1529 die Stadt verlassen 16 . Zu den Führern der evangelischen Par12 Zu dem aus dem Esslinger Patriziat stammenden Holdermann vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 63 mit Anm. 30. 13 WA 12, 151-159; vgl. dazu BEUTEL: Christenlehre, S 105-136; SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 65-67. 14 Vgl. dazu Z 5,(272)275-285, Nr. 93 (Eine Epistel an die Gläubigen zu Eßlingen,
1 5 2 6 ) ; 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 9 3 f , N r . 1 5 3 . 15
Zu Franziscus Irenicus vgl. BBKL 2 (1990), Sp. 1332f (Lit.); KREMER: Lateinschule, S. 159f (Lit.). 16 Nach CAMPENHAUSEN: Klerus, S. 92, bedeutete dieser Schritt das „Ende von der alten Eintracht mit dem Domkapitel".
182
Esslingen
tei wurden der Ratsherr Hans Sachs und v. a. der Stadtschreiber Johann Machtolf 17 . Nach außen hin vermied man jedoch, eine reformationsfreundliche Haltung zu zeigen. Und so konnte Bürgermeister Hans Holdermann 1530 den Augsburger Reichstagsabschied annehmen 18 . Im folgenden Jahr jedoch sollte der Umschwung folgen 19 . Als Vorbild diente dabei die Reichsstadt Ulm 20 . Am 20. August 1531 wurde die Predigt des Gotteswortes freigestellt, ab September führte man Beitrittsverhandlungen mit den Schmalkaldenern. Durch den Beitritt zum Schmalkaldischen Bund politisch abgesichert, wagte man ein entschiedeneres Vorgehen in der Religionsfrage zu Gunsten der reformatorischen Seite. Erster Schritt war die Berufung evangelischer Prediger in die Stadt: Zunächst berief man Leonhard Werner, dann nahm man Kontakt mit Ambrosius Blarer, der gerade in Geislingen weilte 21 , auf. Blarer kam in der zweiten Septemberhälfte nach Esslingen, wo er bis Juni 1532 blieb, eng mit dem Rat und dem Stadtschreiber Johann Machtolf zusammenarbeitete und mit diesen die reformatorische Sache energisch vorantrieb. Versuche des Speyrer Domkapitels, mit Dr. Johannes Burchard 22 wieder einen neuen Pfarrer zu installieren, scheiterten. Nach dem Ulmer Vorbild ließ der Rat dann vom 6. bis 11. November 1531 in den 13 Zünften abstimmen, ob sie beim alten Glauben bleiben oder die evangelische Lehre annehmen wollen. Das Ergebnis fiel eindeutig zugunsten der Einfuhrung der Reformation aus, stimmten doch nur 21 der über 1.000 stimmberechtigten Bürger für den Erhalt 23 . Das Ratsdekret vom 11. November teilte der Gemeinde alle vorzunehmenden Änderungen im religiösen Leben der Stadt mit 24 . Blarers entschiedenes Auftreten und Han17 Zu Johann Machtolf (Stadtschreiber von 1527-1548; | 1565) vgl. BURGER: Stadtschreiber, S. 30 und S. 273f mit Anm. 258. 18 Zur späteren Bewertung dieser Politik Holdermanns vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 83f. 19 Zum Kurswechsel in der städtischen Religionspolitik vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 83-87. 20 Zum genauen Vorgehen des Ulmer Rates vgl. oben S. 108-128. 21
V g l . o b e n S. 1 2 4 u n d S. 127; S t a d t A E s s l i n g e n , B e s t a n d R e i c h s s t a d t , F a s z . 2 0 5 b ,
N r . 4 ; AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 1 4 2 - 1 4 6 , N r .
120-125;
SCHRÖDER: K i r c h e n r e g i m e n t , S. 8 7 - 9 0 . 22
Zu Burchard(i) vgl. CAMPENHAUSEN: Klerus, S. 134 (Lit.); SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 90, Anm. 219. 23 Vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 9. - Geschickt hatte dabei der Rat den Modus der Abstimmung eingefädelt, indem sich die Abstimmung über einige Tage hinzog und die beiden Gruppierungen der Metzgerzunft und der Geschlechter, bei denen man den meisten Widerstand vermutete, erst am Ende befragte; vgl. SCHRÖDER: K i r c h e n r e g i m e n t , S. 9 1 . 24
D a s D e k r e t i s t a b g e d r u c k t in: AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE,
S. 155f, Nr. 138.
Die Reformation hält Einzug in Esslingen
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dein brachte schnelle Erfolge. Bereits am 6. November war die Messe abgeschafft und am 3. Dezember feierte man erstmals das Abendmahl in oberdeutsch-zwinglianischer Weise. Große Aufmerksamkeit widmete er der Neuordnung in den Klöstern und im Spital. Auch in der Lösung der Bilderfrage (vgl. unten) und bei der Einführung der Zuchtordnung in der ersten Januarhälfte 1532 konnte Blarer seine Vorstellungen verwirklichen. Im Amt des Bürgermeisters löste der evangelische Bernhard Motzbeck Holdermann ab. Nach einigen Schwierigkeiten, einen geeigneten Pfarrer zu finden, bemühten sich Bucer und Blarer schließlich um Jakob Otter 25 , der seit seiner Vertreibung aus Neckarsteinach in der Schweiz wirkte. Unter Otter erfolgte der weitere Ausbau der Reformation 26 , in welchem wie in so vielen Städten lutherische und oberdeutsch-zwinglianische Elemente stark vermischt wurden. Verschiedene Ansichten konnten unter den Prädikanten der Stadt, z. B. mit dem seit 1531 in seiner Heimatstadt wirkenden Martin Fuchs oder mit Jakob Ringlin 27 , zum Streit führen 28 . In Otters Amtszeit er starb 1547 - mußte die Zuchtordnung mehrmals modifiziert werden 29 , die überflüssig gewordenen Kaplaneistellen wurden abgewickelt und die Stadt in vier Pfarrbezirke eingeteilt; 1534 entstand eine Schulordnung, die Gottesdienstreform wurde weiter vorangetrieben und auch ein Katechismus verfaßt. 1536 entschied man sich für die Annahme der Wittenberger Konkordie. Nachdem man im Streit mit dem Speyrer Domkapitel über die Pfarrerbesetzung 1535 in die Reichsacht gefallen war, sollte für die Folgezeit die enge Anlehnung an die Schmalkaldener und auch an den württembergischen Herzog ein Charakteristikum der Esslinger Politik werden. 1547 konnte als Erfolg schließlich ein Vergleich zwischen dem Speyrer Domstift und dem Rat um das Patronatsrecht an St. Dionysius gefunden werden. Nach der Niederlage der Schmalkaldener kam man allerdings nicht daran vorbei, das Interim am 21. Juni 1548 anzunehmen. Auch die Verfassungsänderung durch den kaiserlichen Rat Dr. Heinrich Has von 1551, die das Zunftregiment ablöste, mußte man akzeptieren. Finanziell traf es die Esslinger durch die hohen Kriegskosten und die enormen Entschädigungszahlungen besonders schlimm; von diesen Folgen sollte sich die Stadt erst 25 26 27
Zu Otter vgl. SCHRÖDER: Otter, S. 145-158. Vgl. dazu SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 109-114 und 123-131. Zu Jakob Ringlin (F um 1575), der 1535 Esslingen verließ, vgl. BADEN-WÜRT-
TEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S. 8 7 , N r . 3 2 5 ( L i t . ) . 28
Zum Predigerstreit, in den sich neben Blarer und Bucer auch die Reutlinger Prädikanten um Alber eingeschaltet hatten und der schließlich zur Entlassung des Martin Fuchs Ende 1533 führte, vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 114-122. 29
V g l . d a z u A K T E N ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE,
192-201.
S. 2 1 9 - 2 3 7 ,
Nr.
184
Esslingen
im 19. Jahrhundert erholen. Die völlige Restitution des alten Glaubens war aber auch in Esslingen unmöglich. Bereits Ende 1551 erlaubte der Rat wieder den evangelischen Gottesdienst 30 , die Abschaffung der Messe zog sich allerdings noch bis 1567 hin. Die Gottesdienstordnung von 1552 wiederholte im Wesentlichen die Ordnung von 1534. 1561 berief man den aus württembergischem Kirchendienst wegen Verbreitung calvinistischer Lehren entlassenen Thomas Naogeorgus 31 als Superintendenten nach Esslingen. Die lutherische Ausrichtung der Esslinger Kirche verstärkte sich schließlich unter Naogeorgus' Nachfolger Georg Kuhn 32 , auf dessen Betreiben 1566 die württembergische Kirchenordnung angenommen wurde, durch das Wirken Jakob Andreäs, des Kanzlers der von Tübingen kurzzeitig nach Esslingen verlegten Universität und Verfassers der Konkordienformel von 1577, und schließlich in der Amtszeit des Superintendenten Christoph Hermann 33 . Rat, Prediger und Lateinlehrer unterschrieben die Konkordienformel erst 1579.
8. 2 Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen Zwar nicht direkt das Problem der Bilder-, aber offenbar das der Heiligenverehrung spielte in Esslingen bereits in den 1520er Jahren eine große Rolle. Zu der geplanten Disputation zwischen Sattler und Stifel über die Marien- und Heiligenverehrung kam es nicht mehr, da Stifel aus der Stadt hatte fliehen müssen. Zwingli erinnerte in seiner an die Gläubigen in Esslingen 1526 gerichteten Epistel ebenfalls daran, daß Christi Tod allein genüge und dadurch „der gedichte Ablaß, die Fürbitten der Heiligen, aller Verdienst unserer Werke, die Messe [...], die Götzerei des Vertrauens auf die Heiligen" hinfällig seien 34 . Konkrete Vorfalle und Übergriffe auf religiöse Kunstwerke sind aber nicht überliefert.
30
Im Sommer 1552 kam Martin Rauber als neuer Pfarrer wieder nach Esslingen, wo er schon einmal Kaplan gewesen war, und predigte in der Barfüßerkirche. Die Zeit nach seiner Gefangenschaft hatte er im Dienst Herzog Christophs von Württemberg als Schulmeister in Brackenheim verbracht; vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 141 f. 400. 451; KEIM: Reformationsblätter, S. 152; vgl. AREND: Rauber, S. 437f. 31
Z u T h o m a s N a o g e o r g u s (f 1563) vgl. BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH
3, S. 62, Nr. 209 (Lit.). 32 Vgl. dazu SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 154-159; BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S. 67, Nr. 231 (Lit.). 33
Zu Christoph Hermann (1543-1612) vgl. BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFAR-
RERBUCH 3, S. 50f (Lit.). 34
Z i t . n a c h 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, s . 9 3 , N r . 1 5 3 . - E b d . , S . 1 0 7 ,
Nr. 169, findet sich auch in der Urgicht des Täufers Zuberhans vom Heginsberg folgende
Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
8. 2. 1 Das Zusammenspiel
185
von Rat und Blarer Ende 1531
Erst Ende 1531/Anfang 1532 sollte sich die Situation ändern. Eine wichtige Rolle spielte dabei Ambrosius Blarer, der mit großem Eifer gegen die Messe und den Heiligen- und Bilderdienst, den er als „Kälberdienst" 3 5 bezeichnete, vorging. Zu betonen ist, daß er dieses Ziel im Einvernehmen mit dem Rat verfolgte 36 und der Obrigkeit das Recht zusprach, für eine rechte, christliche Lehre zu sorgen. Ob der Rat aber grundsätzlich das Recht hatte, weitreichende Veränderungen in kirchlichen Angelegenheiten vorzunehmen, war in Esslingen umstritten. Daher gab man beim Reichskammergerichtsadvokaten Dr. Ludwig Hierters ein Gutachten in Auftrag 37 , um sich abzusichern. Hierter argumentierte, daß Esslingen zwar den Reichstagsabschied von 1530 unterzeichnet und damit das Wormser Edikt wieder in Kraft gesetzt habe, aber da das in Augsburg 1530 in Aussicht gestellte Konzil innerhalb eines Jahres nicht einberufen worden sei, sei der Rat an die Entscheidung von 1530 nicht gebunden. Dieser solle vielmehr dafür sorgen, „weß her Ambrosi Plarer mit offenlicher ewangelischer, clarer schrifft beweißt und darthut, das ain oder meher enderung bis her gehaltener cerimonien und kirchendienst sol furgenomen werden, es sey mit abschaffung der gotzen, bildnussen oder anders, das sol mitnichten verhindert, sondern frolich mit Gott, unserm erloser, furgenomen, volendet und durch kein zeit oder menschlich vorcht, dieweill Gott vil mehr zu furchten, verhindert werden." 38
In Absprache mit Blarer ließ der Rat daher im Anschluß an das Plebiszit noch am 11. November 1531 ein Dekret verkünden, das die Richtschnur für das künftige Vorgehen in puncto Messe und Bilder vorlegte: „So wurdet auch hieruß gewißlichen erfolgen vnd hoch von nothen sein, das das jhenig, so bißhieher in vnsern Kirchen gehalten, vnnd dem hellen gotlichen wort widerwertig vnd wir mit der schrifft erwisen als die Bepstliche meß, Biltnus der heilligen vnd anders mehr gewesen, gantz vnd gar vernicht vnd abgeschafft, vnd in alweg ain warer ewangeli-
Aussage: „Item sy halten auch, das die Muter Gots und die Hailigen niemands helfen mügen, man sol allein Got anrufen." 35 SCHUSTER: Kirchengeschichte, S. 151. - Vgl. oben S. 32 mit Anm. 44. 36
AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 1 4 9 , N r . 1 3 1 ( P r e d i g t m a n d a t
des Rates für Blarer); S. 153, Nr. 136 (Esslingen an Konstanz, 1. Nov. 1531); S. 157, Nr. 139 (Esslingen an Konrad Hutzelaub, 13. Nov. 1531): „Mayster ambrosien Blarer [...], der nu meher in die achtend wochen vnnß vnd vnsere gemeind Cristenlichen und wol im Hailigen glauben [...] vnderwisen und gelert [...] die falschen gotsdienst vnd biltnus der heiigen dermassen ans liecht gepracht." Vgl. auch PFISTER: Denkwürdigkeiten 1, S. 148f. 37 Das Gutachten selbst ist nicht überliefert, der Inhalt des Gutachtens aber aus Hierters Begleitschreiben vom 14. Okt. 1531 an Machtolf bekannt; vgl. StA Ludwigsburg, B 169, Bü 36, fol. 74r-75v. Vgl. auch SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 90f. 38 StA Ludwigsburg, B 169, Bü 36, fol. 75r.
Esslingen
186
scher vnd cristenlicher gotz dienst, wie der zur Zeiten der heilligen Appostel vnd jren nachkomen gehalten, gepflantzt vnnd vffgericht werde." 39
Bürgermeister und Rat schritten jedoch nicht sofort zur Umsetzung, sondern bestellten die Kapläne und die Ordensmitglieder zunächst für den 13. oder 20. November 1531 ein 40 , um sie über die bevorstehenden Neuerungen zu informieren. Gleichzeitig wollte man dem Vorwurf entgegentreten, der Rat handele lediglich aus eigenem Antrieb, „das ain ersamer rath soliche handlung mit der bepstlich mess und biltnus der heiligen, so auch als ergerlichen bis hieher in unsern kirchen gedult, für sich selbs furgenomen" 41 .
Vielmehr habe der Rat die Kapläne und Ordensleute einberufen lassen, damit sie Argumente aus der Hl. Schrift aufzeigen konnten, daß die päpstliche Messe dort begründet und die Bilder als nicht ärgerlich zu dulden seien. Dann werde sich der Rat in seiner Haltung sogar noch umstimmen lassen 42 . Ob dies wirklich ernst gemeint war, darf doch nach dem bisherigen Vorgehen stark bezweifelt werden. Außerdem waren die Disputationen dieser Zeit, die dem Vorbild der Zwinglischen Disputationen folgten, nicht darauf aus, nach Darlegung verschiedener Positionen einen gemeinsamen Kompromiß zu finden, sondern „die katholischen Gegner, die ihre Sache nicht mit dem Wort Gottes zu verteidigen vermochten", zu diffamieren und als nicht mehr zur Stadtgemeinschaft zugehörig auszugrenzen 43 . Nachdem Blarer, der ebenfalls anwesend war, drei Reden gegen Messe, Bilder und Zeremonien vorgelesen hatte 44 , wurden die Geladenen zu ihrer Haltung befragt. Die Antworten der Priester und Ordensleute wirkten allerdings äußerst hilflos. Einige wollten es mit der Messe und den Bildern nach der Tradition der Kirche halten, andere wiederum Blarer und dem Rat folgen, einer berief sich auf das Diktum Gregors des Großen, daß die Bilder als
39
AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 1 5 5 , N r . 1 3 8 .
40
Zum Datierungsproblem vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 92, Anm. 229. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. IIb, [fol. lr]; das Protokoll
41
des
Verhörs
ist a u c h
wiedergegeben
i n : AKTEN ZUR ESSLINGER
REFORMATIONSGE-
SCHICHTE, S. 1 6 4 f , N r . 1 4 7 . 42
Ebd., [fol. lr]: „So hat ain ersamer rath euch alle lassen beschicken unnd so fer ir mit heiliger biblischer schrifft ainen ersamen rath khinden antzeigen, das die bepstliche mess in hailiger schrifft gegrünt, auch die biltnus der heiligen als nit ergerlich khinden oder mögen gedult und also in unsern gwissen rwig gemacht werden, will ain ersamer rath solichs von euch gern anhern und sich nachmals aller billicheit begleissen und halten." 43 Vgl. MOELLER: Zwingiis Disputationen 1, S. 225-32 und 2, S. 213-364; Zitat: ebd., 2, S. 363. 44 Diesen Ausführungen lagen die Ulmer ,18 Artikel' zugrunde; vgl. oben S. 91 und S. 104-107. Johannes Burchard plante offenbar eine Gegenschrift; vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 8b.
Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
187
Bücher der Laien beizubehalten seien 45 , einige verwiesen auf das Konzil oder den Augsburger Reichstagsabschied von 1530. Manche äußerten aber auch den Wunsch, erst Ratschläge und Gutachten bei gelehrten Personen einholen zu dürfen. Bemerkenswerterweise räumte der Rat den Klerikern diese Möglichkeit ein und gewährte eine vierwöchige Bedenkzeit, bevor man sich wieder treffen und disputieren wolle. Auf Seiten der Priester, Kapläne und Ordensleute, hier vor allem der Dominikaner, bestand durchaus Interesse an einer Diskussion über die beiden Themen 46 , Bischof Hugo von Konstanz 47 und das Speyrer Domkapi-
45 Ebd., [fol. 2r]: „Her Dalamer lat es bey dem alten geprauch bleiben, die biltnus sey ein schrifft der layen, mit der meß treib man die teuffei auß, das hat er gelesen im prosiam [= Ambrosius] von Mayland." 46 Vgl. z. B. die Stellungnahme des Inhabers der St. Leonhardspfründe in der Esslinger Frauenkirche und Pfarrers von Markgröningen Dr. Reinhard Geißlin vor dem Rat in der Sitzung vom 12. Dez. 1531; StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, RPr 1529-1533,
f o l . 1 3 3 v - 1 3 4 v ; a b g e d r u c k t i n : AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE,
S.
165, Nr. 148. Nachdem man die Messe nunmehr seit 1.000-1.200 Jahre gefeiert und die Bilder 700 Jahre geduldet habe, hielt Geißlin es für sinnvoll, „mit der mess vnnd biltnus der heiligen ain Zeitlang stillzusteen", allerdings befürworte er keine übereilten Entscheidungen: „mechte man wol ain Zeitlang gedult haben, dweil doch vnser heil an denen puncten nit gelegen, vnd vns allein an den ainigen Cristum hencken etc." Zur Vorbereitung auf eine Disputation, führte Geißlin weiter aus, brauche er zwei bis drei Monate Zeit, um darzulegen, wie man der Obrigkeit „solle gehorsame laisten iuxtam paulum ad romanos". Blarer, der ebenfalls in der Ratssitzung anwesend war, ging in seiner Antwort auf Geißlins Aussage zu den Bildern nicht ein, wohl aber auf die Frage, welchen Gehorsam man der Obrigkeit nach Paulus schulde. Natürlich seien die Freien Städte und Reichsstädte dem Kaiser, der ihre Privilegien garantiere, verpflichtet, „in gepurlichen dingen gehorsame zulaisten", nicht aber in Angelegenheiten, welche die Ehre Gottes betreffen. Dort habe man Gott mehr als den Menschen zu folgen: „Drumb so were ain ersamer Rath auch alhie ain geordnete obrigkheit, vnnd nach dem sie der gotlichen warheit vnderwisen vnd ir ampt nit were, ain ieden menschen oder vnderthonen zu dem glauben zudtringen, besonder allein waß vsserlichen vnd dem gotlichen wort zuwider, das selbig als ein cristenliche obrigkheit abzuschaffen etc. mit war Worten." 47 Das Schreiben Hugos an Bürgermeister und Rat von Esslingen ist abgedruckt in: AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 1 5 9 f , N r . 1 4 2 : D e r B i s c h o f w a r n t
vor eigenmächtigem Vorgehen und verweist auf den bereits ausgeschriebenen Reichstag nach Regensburg; derbe Polemik trifft Ambrosius Blarer, den „seelosen [= gottlosen], abtrinnigen Münch oder aynche seyns geleychen schädliche Capharnaiten [= Anhänger eines sinnlich-fleischlichen Verständnisses des sakr. Leibes und Blutes Christi im Anschluß an Joh 6,52. 60-62; LThK 3 5, Sp. 1210f], Bildstyrmer" und „verfuerschen, zuckenden [= reißenden] Nachtwolfen", der die Esslinger aufgewiegelt habe; vgl. auch 450 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 119, Nr. 187. D a s b i s c h ö f l i c h e V e r b o t einer
Teilnahme der Esslinger Geistlichen an einer Disputation findet sich in: AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 161, Nr. 143 (Blarer wird darin als Ketzer [„verpannten vnd geachten Apostaten von Costantz"] bezeichnet).
188
Esslingen
tel 48 verboten jedoch die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung. Paulus Hug, Provinzial der oberdeutschen Dominikanerprovinz, erlaubte zunächst den Disput über „die ablegung der meß, abtilckung oder Zerstörung der bildtnussen vnd hinweg tuwung der Ceremonien" 49 , dieser sollte aber im Einvernehmen mit dem Domkapitel und dem Bischof nicht in Esslingen stattfinden; gleichzeitig verbot der Provinzial unter Androhung von Strafen, einen Vertrag mit der Stadt gegen die Lehre der Kirche und gegen die gültigen Reichstagsabschiede abzuschließen. Ein Gesuch der Esslinger Geistlichen an den Dekan und die Doktoren der theologischen Fakultät in Tübingen scheiterte ebenfalls: Zwar hatte der Esslinger Rat den Klerikern gewährt, „vnns umb ainen geleerten vnd diser treffenlich, hohen, wichtigen Sachen [gemeint sind Messe, Zeremonien und Bilder] mheer verstendigen Rat vrmd beistand vf vnnsern kosten zu bewerben" 50 , aber die Tübinger Fakultät lehnte dieses Ansinnen ab. In einem Schreiben an die vier Esslinger Orden begründete man dies damit, daß man ohne Befehl und Einverständnis des Statthalters und Regiments im württembergischen Herzogtum nicht befugt sei, solchen Ansuchen nachzukommen und mit Laien zu disputieren 51 . Nach Esslingen zu kommen sei trotz der Zusicherung des Geleits nicht ungefährlich, „die will man bey euch irig vnd nit allain An luttherische, sonder ouch zwynglisch leer begeben, Vnd der selbigen ußprayter bey euch offenlich enthaltenn werden" 52 ; daher luden die Universitätstheologen zu einer Disputation über die Messe - auf die Bilder wird nicht mehr eingegangen - nach Tübingen ein. Inzwischen war die vierwöchige Frist für die Esslinger Kleriker abgelaufen. In diesem Kontext ist auf die Stellungnahme der Kapläne und vier Orden der Stadt hinzuweisen, welche sie beim Rat am 19. Dezember 1531 einreichten 53 . Vermutlich war der Dominikanerprovinzial Hug ihr Verfasser. Sie sollte die Rechtmäßigkeit von Messe und Zeremonien beweisen: Hinsichtlich der Bilder berief man sich auf die Exempel der Kirchengeschichte zu Zeiten des Johannes von Damaskus und Karls des Großen und stellte fest, daß die Konzilien von Nicäa 787 für das oströmische Reich 48
V g l . A K T E N ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE,
S.
162, N r .
144;
450
JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 1 1 9 , N r . 1 8 8 . 49 A K T E N ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 158f, Nr. 141, Zitat: S. 158 (die Angabe, daß Hug der Provinzial des Franziskanerordens gewesen sei, ist zu korrigieren); vgl. auch 450 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 119, Nr. 186. 50 51
AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 1 6 2 f , N r . 1 4 5 , Z i t a t : S . 1 6 3 . V g l . A K T E N ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE,
S.
163f, Nr.
146;
450
JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 1 2 0 , N r . 1 9 0 . 52
53
AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 1 6 4 , N r . 1 4 6 .
Vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 13d; abgedruckt in:
AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 1 6 6 - 1 7 3 , N r . 149; d i e P a s s a g e
über die Bilder ist unten S. 302-306 als Anhang III beigefügt.
Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
189
und von Frankfurt 794 für das weströmische Reich die Frage des Bilderstreits geklärt hätten. Obwohl die Christen eigentlich nur „christum in vnserm hertzen eyngebildet tragen solten vnd seyner gnaden vnd gütthat dackbar seyn", so können doch für die Leseunkundigen Bilder des Leidens Christi und seiner Heiligen als Gedächtnisstützen dienen. Das Bilderverbot des Alten Testaments (Ex 20,23) werde meist verfälscht wiedergegeben, da Gott nicht alle Bilder verboten habe, sondern nur die Anbetung und göttliche Verehrung derselben. Auch Mose habe die eherne Schlange als Zeichen aufgerichtet (Num 21,8), und Gott selbst habe Mose beauftragt, zwei Cherubsbilder für die Arche malen zu lassen (Ex 25,18-22). Im Neuen Testament finde sich kein Bilderverbot, weder Christus noch Paulus habe diese Forderung erhoben, ganz im Gegenteil: Mit Christus sei der unsichtbare Gott des Alten Testaments sichtbar geworden! Das Betrachten der Bilder vom Leiden Christi, vom Leben Mariens und anderer biblischer Personen sowie auch von den vorbildlichen Heiligen ruft zu rechter Andacht, Gebet und Nachahmung auf. Die Sorge der Bilderstürmer über das falsche Anbeten der Bilder sei unbegründet, denn weder bete man das Holz noch die dargestellten Heiligen an, sondern bitte diese lediglich um ihre Fürsprache bei Gott. „Wo ist in der cristenhayt änderst ye gepredigt vnd gelert worden?" Wer die Bilder Christi und der Heiligen ablehne, die Rosenkränze verwerfe und die aus Silber gefertigten Bildnisse einschmelzen lasse, der dürfe auch keine Münzen dulden, auf denen Christus, Maria, Petrus, Johannes oder andere Heilige abgebildet werden. Ob Blarer oder einer der Ratsherren inhaltlich auf die Stellungnahme eingingen, ist nicht überliefert 54 . Die Kapläne teilten dem Rat mit, daß ihnen die Teilnahme an der von der Obrigkeit vorgeschlagenen Disputation von ihren geistlichen Herren nicht gestattet worden sei. Für sie als einfache Kleriker genüge es, sich an die Konzilsbeschlüsse zu halten. Sich von auswärtigen Gelehrten Ratschläge zu besorgen, war in der knapp bemessenen Zeit nicht möglich. Auch ein Seitenhieb auf die Uneinigkeit im evangelischen Lager fehlte nicht 55 . Abschließend konnten die Kapläne den Rat lediglich darum bitten, bis zum kommenden Reichstag keine weiteren Ver54
Vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 13e; abgedruckt in: S. 173-175, Nr. 150. 55 Ebd., S. 174: „Vnnd aber Doctor Martinus luther vnd V. E. W. predicanten in vil treffenlichen puncten vnsers heiligen gloubens der sach nit einmundig, sonder gantz zwispaltig, da doch doctor Martin Luter selbs der meynung ist, nichtz vffrecht zulassen, das nit in dem wort Gottes vnd biblischer geschafft erhalten werden mag, der dannocht das heilig hochwirdig sacrament dess lybs vnd bluts Christi, deßgleich die bilder, ouch die orenbeicht vnd ander alt cristenlich haltungen, als biblisch vnd euangelisch bleyben lasst, in dem V. E. W. nit allain Rom. Kay. vnd kön. Mt.en sampt dem grossem teil gemeiner cristenheit, sonder ouch den luter (so sich der nuwen euangelischen lere gebrucht) zu wider hon."
A K T E N ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE,
190
Esslingen
änderungen bezüglich Messe und Zeremonien vorzunehmen. Treffe der Reichstag dann neue Entscheidungen, müsse der Rat seine Maßnahmen womöglich wieder rückgängig machen. 8. 2. 2 Die Bilderentfernungen
1532
Offensichtlich konnten die Argumente der Ordensleute die Verantwortlichen aber nicht überzeugen, die Entscheidung für den Vollzug des Ratsmandats vom 11. November war längst gefallen: Nachdem Stadtschreiber Machtolf und Zunftmeister Motzbeck vom Bundestag der Schmalkaldener in Frankfurt (31. Dez. 1531) zurückgekehrt waren und sich dort für die weiteren Schritte rückversichert hatten, ordnete der Rat für den 3.-10. Januar 1532 die Entfernung des „Götzenwerks" in allen Gotteshäusern an 56 und beauftragte Männer (vermutlich Handwerker) mit der Aufgabe, die Heiligenbilder unter Aufsicht einiger Ratsherren mit Zucht und Ehrbarkeit unversehrt abzunehmen und sie an einem dafür bestimmten Ort abzustellen 57 . Welcher Ort damit genau gemeint war, wird leider nicht gesagt; daß Gegenstände auch als „Raub nach Haus getragen" 58 worden sind, ist nicht auszuschließen, Anhaltspunkte in den zeitgenössischen Quellen ließen sich jedoch keine finden. Ob die Gotteshäuser zum Zwecke der Bilderentfernung abgeschlossen wurden, ist nicht bekannt. Den Anfang machte man am 3. Januar in der Frauenkirche 59 , die Pfarrkirche wurde am 7. Januar „gesäubert" und danach folgten bis zum 10. Januar die Klosterkirchen und Kapellen. Zwar fehlen weitere Nachrichten über die genaue Vorgehensweise, aber daß ausgerechnet - wie in der Literatur behauptet - die Täufer unter Aufsicht der Ratsherren in den Kirchen ihr Unwesen getrieben haben sollen, scheint sehr unwahrscheinlich 60 . Von tumultuarischen Szenen wird nichts berich56
Bei KEIM: Reformationsblätter, S. 60, findet sich - allerdings ohne Angabe der Quelle - die Aussage, die Altäre seien bereits im Dezember 1531 abgebrochen worden. 57 Vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 25. 58 KEIM: Reformationsblätter, S. 60. 59 In einigen Werken der Sekundärliteratur wird davon abweichend der Beginn auf den 4. Jan. 1532 verlegt; vgl. etwa PFAFF: Geschichte, S. 414; SCHUSTER: Kirchengeschichte, S. 154. 60 Die Behauptung, die Täufer hätten sich besonders bei den Aktionen gegen die Bilder hervorgetan, taucht erstmals in der Literatur bei P F A F F : Geschichte 1, S. 4 1 4 ( 1 8 4 0 ) auf - allerdings ohne Quellenbeleg. Danach wohl unkritisch übernommen und weitertradiert, z. B. bei KEIM: Reformationsblätter, S. 60; SCHUSTER: Kirchengeschichte, S. 154. - Zum angespannten Verhältnis zwischen dem Rat und den Täufern, gegen die 1527 ein Verbot verhängt worden war, vgl. 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 1 0 3 - 1 1 0 . Blarer war es nach eigener Aussage gelungen, einige Täufer auf seine Seite zu ziehen, ob dies allerdings für die Obrigkeit genügte, um sie als Aktivisten bei der Bilderentfernung in Erscheinung treten zu lassen, ist wenig wahrscheinlich; B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R
Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
191
tet, für ein systematisches und gründliches Vorgehen spricht die Tatsache, daß sich verhältnismäßig wenige vorreformatorische Kunstwerke erhalten haben. Fast alle Altäre 61 und der weitaus größte Teil der mittelalterlichen Skulpturen wurden abgenommen, lediglich bei den Wandmalereien ging man - ähnlich wie in anderen Städten - nicht allzu gründlich vor 62 . In der Frauenkirche mit ihren ehemals 12 Altären sind von den mittelalterlichen Skulpturen lediglich außen das Weltgericht am Südwestportal, Szenen aus dem Marienleben am Südostportal, der Hl. Georg als Drachentöter im Typanon des Westportals und die Apostelstatuen an den sechs Chorstrebepfeilern erhalten 63 . Die Heiligen an der nord-südlichen Außenwand wurden - bis auf den Hl. Christopherus, den die Familie UngelterRot gestiftet hatte - abgeschlagen. In der Kirche selbst sind noch die mittelalterlichen Glasmalereien 64 zu finden. In der Pfarrkirche St. Dionysius überlebten die mittelalterliche Glasfenster (Märtyrer-Fenster, Credo- und Tugendfenster, Marien-Fenster, Stifterfenster) 65 , das Epitaph des Trierer Offizials Dr. Johannes von der Ecken in der Südwand des Chores 66 und eine (!) der 50 Heiligenfiguren des SakraAMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 2 9 2 , N r . 2 3 8 : „ D i e W i d e r t ä u f e r h a b e i c h s o
behandelt, daß sie mich lieben und meine Predigten mit Eifer hören. Die meisten haben den Irrtum aufgegeben und schließen sich uns völlig an; von den wenigen anderen hoffe ich das Gleiche." (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 27. Nov. 1531). 61 Formal gesehen bedeutete die Wegnahme der Altäre, auch derjenigen in St. Dionysius, keinen Rechtsbruch, hatte doch der Rat seit der Kapellenordnung die Patronatsrechte inne; vgl. oben Anm. 8. 62 Ist im Ausstellungskatalog zum Reformationsjubiläum von 1981 noch zu lesen, daß die Fresken in den Kirchen und Kapellen 1532 übertüncht worden seien, hat der Autor selbst, Archivdirektor i. R. Dr. Walter Bernhardt (Esslingen), mich darauf hingewiesen, daß dies keineswegs für alle Wandmalereien zutreffend ist, wie gleich bei den einzelnen Gotteshäusern zu schildern sein wird. Für die Quellenhinweise bedanke ich mich herzlich bei Dr. Bernhardt. 63
V g l . 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN,
S.
122f, Nr.
197-199;
KOEPF:
Frauenkirche, S. 15-22 und S. 36-42 mit Abb. 37. 38. 43. 50. 54-59; StadtA Esslingen, Bildersammlung 111/25 (Madonna mit Kind) und Foto Zwerschina (Apostelstatuen). 64 Vgl. BERNHARDT: Glasmalereien, S. 93f mit Abb. 9; KOEPF: Frauenkirche. S. 24 mit Abb. 75-78. Vgl. auch StadtA Esslingen, Bildersammlung III/312 (Alexiuslegende im Chorgestühl). 65 Vgl. BERNHARDT: Glasmalereien, S. 89-93 (Lit.) mit Abb. 4. 5 (Schema des ikonographischen Programms). 6. 8. 66 Von der Ecken, der seine Vaterstadt in einem Prozess am Reichskammergericht gegen das Kloster St. Maximin vertrat, verstarb am 2. Dez. 1524 in Esslingen; BERNHARDT: Grabepigramm, S. 211-223. - Wie der anonyme Verfasser im Buch der Weinschenkzunft (vgl. unten Anm. 69) weiter berichtet, waren 1817 auch noch alte Epitaphien vorhanden: „Die mitt allenn auserhalb befundlich geweßen grabschrifften wurden von dieben gestohlen und ausgewogen, und nachher viele alte epitaphia geschlagen"; StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 197, fol. 16v. Unklar bleibt jedoch, ob es sich dabei um Epitaphien handelte, die vor 1531 errichtet worden waren.
192
Esslingen
mentshauses 67 . Das heute im Chor von St. Dionys zu bestaunende dreifach wandelbare Flügelaltar-Retabel mit den Darstellungen biblischer Historien wurde 1604 errichtet 68 . Die Wandmalereien in der Pfarrkirche sind erst 1817 zum Reformationsjubiläum überdeckt worden, wie aus einem Eintrag in das Buch der Weinschenkenzunft hervorgeht 69 . Auch die Klosterkirchen wurden erfolgreich vom „Götzenwerk" befreit 70 und nur die Barfüßerkirche weiter zum Gottesdienst genutzt. Nach Aufhebung der Klöster dienten die Gebäude meist profanen Zwecken 72 , so etwa das Augustinerkloster seit 1550 als Zeughaus oder das Klarakloster seit 1674 als Lazarett 73 . Von Übergriffen auf die Klarakirche, u. a. vom Zerschlagen der Bilder Gottes und der Heiligen, berichtet ein Schreiben von Grafen und Herren der Ritterschaft des Viertels am Kocher an Bürgermeister und Rat in Esslingen vom 29. Januar 1532, in welchem sie die Restitution ihrer Stiftungen forderten 74 . Im Antwortschreiben ließen Bürgermeister und Rat jedoch erkennen, daß sie als christliche Obrigkeit 67 Die restlichen 4 9 Heiligenfiguren wurden 1532 fein säuberlich von ihren Plätzen herausgetrennt. D i e erhaltene Figur befindet sich heute im Stadtarchiv. Freundliche Mitteilung von Dr. Walter Bernhardt. 68 Zu diesem v o m Esslinger Rat in Auftrag gegebenen und von Peter Riedlinger gefertigten Beispiel eines protestantischen Retabels vgl. STRECKER: Hochaltar, S. 3 5 - 7 3 . 69 StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 197: Nachtrag im B u c h der Weinschenkzunft v o n 1479, fol. 16v: „1817 ist die Obern- oder Stadtkirch, die vorher mit vielen bibelischen gemählden und epitaphien gezieret war, geweißent und aller ehrwürdiger zierrath hinweggeschafft worden." 70 Vgl. das Schreiben des Württembergischen Regiments an König Ferdinand v o m 2.
O k t . 1 5 3 2 ; A K T E N ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 2 5 9 f , N r . 2 2 2 :
„Als
nun sie von Eßlingen in iren aigenwilligen furnamen vnd irsaln furgangen, vnd nit allain das Augustiner, sonder auch die andern gotzhaüser angegriffn, alle ornatn der kirchn gesturmbt, zerschlagen vnd abgethon, auch die ordens personen irer habit mit gewalt [...] abgezogen vnd beraupt [...]." Zur Aufhebung der Klöster vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 1 0 2 - 1 0 9 . 71 Erhalten sind in der Barfüßerkirche die mittelalterlichen Glasfenster; vgl. BERNHARDT: Glasmalereien, S. 94 mit Abb. 10. 72 Knapp ein Jahrhundert später wurde dieser Zustand v o m Esslinger Stadtsyndikus Dr. Johann Konrad Kreidemann als „Übelstand" empfunden, der verhindere, daß die Stadt den Segen Gottes völlig empfangen könne; vgl. 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 1 5 8 f , N r . 2 4 3 . 73 74
V g l . HEIDELOFF: K u n s t , S . 6 1 . V g l . 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 1 5 3 f , N r . 2 3 5 ; AKTEN ZUR E S S -
LINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 249f, Nr. 214: „Wir werden bericht, wie durch Euch oder die Ewren das Gotzhuß zu Sannt Clara in Ewer Statt ettwas fraevntlicher, gewaltiger hand angetascht, die bildnußen Gottes und der lieben hailigen, auch die kurchen zerschlagen, die Gotzzierd, Ornatten und Clainotter hingenomen, die Closterfrowen, unser und unser verwandten schwestern, basen und fründin dahin getrungen, an ewer Predigen zu gon, irn angenomen und gelobten orden von inen zu thun, weltliche claider anzulegen [...]." Vgl. auch SCHNAUFER/HAFFNER: Beiträge, S. 51.
Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
193
rechtmäßig gehandelt hätten und „damit inen die bepstliche meß, biltnus der heiligen und biß hieher geuepte erdichte ceremonien nit meher ergerlichen, haben wir dieselbigen, wie. bei unß allenthalben besehen, ganz und gar abgeschafft" 75 . Die Predigerkirche wurde bis 1664 nicht genutzt, danach als protestantische Kirche (Neue Kirche) wiederhergestellt 76 , die Kirche der Karmeliter 1662 abgebrochen. Silber- und Goldgegenstände sowie Meßgewänder und Kirchenschmuck aus den Klöstern nahm der Rat in seine Verwahrung. Im Barfüßerkloster wurden zunächst alle Ordensleute der Stadt untergebracht 77 . In der Spitalkirche, die der Umgestaltung des Marktplatzes zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Opfer fiel, waren nach dem Bericht des damals verantwortlichen Architekten und Bauhistorikers Heideloff, der sich sehr für den Erhalt der Spitalkirche eingesetzt hatte, neben dem Tabernakel, Teilen spätmittelalterlicher Altäre (vgl. unten Deizisau) auch noch die mittelalterlichen Fresken (Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt Christi) vorhanden 78 . Einige steinerne Figuren über dem Eingang sollen aber bereits 1531 von den „Bilderstürmern herabgerissen" 79 worden sein. Auch die Fresken in der Allerheiligenkapelle, die 1610 zum Stadtarchiv umgebaut wurde, dürften erst nach 1610 übertüncht worden sein. Damals hat der württembergische Baumeister Heinrich Schickardt die Kapelle um einen Stock erhöht und in den Kapellenraum ein Tonnengewölbe eingefügt. Als dieses Gewölbe 1939 entfernt werden mußte, stieß man auf die Fresken, die im Bereich des Gewölbes nicht übertüncht waren. Die um 1440 entstandenen Malereien an der Ostwand nehmen die ganze Wandfläche ein und zeigen in drei von gemalten Rahmen abgetrennten Feldern im linken Feld die Auffahrt und Krönung Mariens über einer Tabernakelnische, umgeben von den Patronen der Kirche, Engeln und Heiligen, 75
StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 17a; AKTEN ZUR ESSLINGER
REFORMATIONSGESCHICHTE, S . 1 7 9 f , N r . 1 5 6 . V g l . a u c h 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 1 5 4 , N r . 2 3 6 . 76 Eine Maria auf der Mondsichel, die offenbar die Entfernungsaktion 1532 überlebte, kam im 19. Jahrhundert als Geschenk in die Frauenkirche. - Zum Esslinger Dominikanerkloster bis 1564 vgl. LANG: Aufhebung, S. 101-110; zur Kirche St. Paul vgl. KNAPP: Untersuchungen, S. 19-33. - Vgl. auch TÜCHLE: Ende des Dominikanerklosters, S. 5 9 81; aus der Publikation geht leider nicht hervor, ob die dort auf S. 62 und S. 73 abgebildeten spätgotischen Holzskulpturen (Hl. Paulus und Muttergottes) zu der ursprünglichen Ausstattung der Klosterkirche gehören. 77 Die Kirchengeräte des Franziskanerklosters waren bereits 1526 verzeichnet worden;
v g l . 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 8 1 f , N r . 1 4 4 ; UHLAND: E s s l i n g e n ,
S.
337. 78 Vgl. HEIDELOFF: Kunst, S. 61f; KELLER: Beschreibung, S. 66f; BERNHARDT: Marktplatz, S. 2 (Heideloff brachte die Malereien mit Zeitblom in Verbindung). Zur Geschichte des Spitals nach der Reformation vgl. SCHUSTER: Kirchengeschichte, S. 156-158. 79 KELLER: Beschreibung, S. 67.
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Esslingen
daneben eine Kreuzigungsgruppe in der Mitte und das Jüngste Gericht im linken Wandteil 80 . In der Marienkapelle beim Kaisheimer Pfleghof und in der Kapelle des Salemer Pfleghofes konnte die Messe bis zum Ende der Reichsstadtzeit gefeiert werden. Daß man über Esslingen hinaus von den Vorfällen Kenntnis hatte, zeigt der Brief des Reichskammergerichtsadvokaten Dr. Hierter aus Speyer an Stadtschreiber Machtolf vom 13. Januar 1532. Man „sagt abermals wunderberlich ding, wie die kirchen zu Eßlingen, so mit grosser unsinnigkeit beraubt worden, deßgleichen an keinem ort nie geschehen" 81 . Verwundert über diese Nachrichten - „wiewol ich gar nit zweifei, es werde zu Eßlingen alles cum tremore et timore Dei mit demutig, christenlicher zucht und erberkeit gehandelt" 82 - bittet er Machtolf um nähere Informationen, um diesen Lügen mit der Wahrheit entgegenzuschreiten. Auch wenn diese Zweifel an einem einzigartig harten Vorgehen der Obrigkeit berechtigt waren, leisteten solche Gerüchte vielleicht doch einer Legendenbildung Vorschub, in Esslingen habe es sich um eine besonders rigorose Form des Bildersturms' gehandelt 83 und es sei „mit nicht zu rechtfertigender Leidenschaftlichkeit" 84 vorgegangen worden. Die Aussage Wolfgang Musculus', der in Augsburg Informationen über die Vorgänge in Esslingen aus erster Hand erhalten hatte 85 , klingt im Ton doch wesentlich nüchterner 86 . Lediglich zwei Beispiele sind bekannt, die über die vom Rat beaufsichtigten Maßnahmen in den Kirchen hinausgingen, allerdings auch nicht gerade für ein chaotisches Vorgehen sprechen. Zunächst ist die Beschwerde Dr. Konrad von Schwabachs vom 18. März 1532, daß eine kleine Tafel mit 80
Vgl. 450 J A H R E R E F O R M A T I O N IN E S S L I N G E N , S . 1 2 3 - 1 2 6 , Nr. 2 0 0 (mit Abb.). StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 16. 82 Ebd. 83 Daß dieser Eindruck von altgläubiger Seite verstärkt wurde, ist nicht verwunderlich, wollte man doch so die Verwerflichkeit der Bilderentfernungen noch hervorheben. Vgl. dazu etwa das Schreiben des württembergischen Regiments an Kg. Ferdinand vom 1. Jan. 1532; A K T E N Z U R E S S L I N G E R R E F O R M A T I O N S G E S C H I C H T E , S. 177f, Nr. 154: „[...] vnd haben sy von eßlingen mornends zinstags [= Dienstag] gegen der nacht ouch die nach geuolgten tat vnd nach in iren Kirchen die bildnußen mit sonderer ongestimy gantz verächtlich, spottlich vnd freuenlich herab gerißen, solliche ouch die tafeln zerschlagen". Man beachte das Datum: Am 1. Jan. 1532, also noch bevor der Rat in Esslingen überhaupt aktiv wurde, erhielt Kg. Ferdinand schon Meldung! Vgl. auch unten S. 197f. 81
84
SCHNAUFER/HAFFNER: B e i t r ä g e , S. 50.
85
Der Brief Blarers an den Augsburger Bürgermeister Ulrich Rehlinger ist nicht erhalten, wird aber erwähnt in: B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S U N D T H O M A S B L A U R E R 1, S. 314, Nr. 258 (Michael Keller an Ambrosius Blarer, 18. Jan. 1532). 86
V g l . B R I E F W E C H S E L D E R B R Ü D E R A M B R O S I U S U N D T H O M A S B L A U R E R 1, S . 3 1 3 , N r .
257: „Daß in Esslingen die Greuel beseitigt sind, freut mich von Herzen; hoffentlich kehrt die Messe nie zurück." (Wolfgang Musculus an Ambrosius Blarer, 1 6 . Jan. 1 5 3 2 ) .
Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
195
dem Bild Christi am Grabstein seiner Frau in der Pfarrkirche zerbrochen worden war, zu erwähnen. Der Rat entschuldigte sich in einem Schreiben vom 30. März 1532 bei Dr. Schwabachs für diesen Vorfall 87 : Offenbar hatten die städtischen Beauftragten beim Entfernen einer Altartafel im Johannischor von St. Dionysius die Tafel unabsichtlich beschädigt. Da der Rat keineswegs die Entfernung der Grabsteine aus den Kirchen angeordnet hatte 88 , wolle er auf städtische Kosten eine neue Tafel mit dem Wappen der Eheleute anfertigen lassen 89 . Darüber hinaus ist die Beschwerde des Speyrer Domkapitels wegen der Zerstörung eines Marienbildes und des Stiftswappens am Speyrer Hof zu nennen 90 . Gegenüber dem altgläubigen Widersacher klingt der Rechtfertigungsversuch im Antwortschreiben des Rates vom 9. März 1532, das Zerschlagen sei außerhalb seines Befehles geschehen, die Täter seien nicht mehr zu eruieren und daher nicht zu bestrafen, recht halbherzig 91 . Eher als Polemik als wahre Begebenheiten sind die Aussagen des eifernden Reformationsgegners Nicolaus Thoman in seiner Weissenhornischen Chronik einzustufen. Zunächst berichtet er von Mitgliedern der Metzgerzunft und anderen „frommen Christen", die mit dem „Bildersturm" in Esslingen nicht einverstanden gewesen seien und sich lieber die Haare hätten abschneiden lassen, damit man sie nicht an den Haaren herbeiziehen und zur Teilnahme zwingen konnte. Auch durch die Predigten Blarers herausgefordert, wollten sie weder „in sollich Handlung [...] verwilligen noch von dem christenlichen glauben fallen" 92 . Außerdem sei auf der Hochzeit 87
Vgl. StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 25; AKTEN ZUR ESS-
LINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 1 8 1 , N r . 157. 88 Da der Rat außerhalb der Stadt einen neuen Friedhof anlegen lassen wollte, waren lediglich die Grabsteine auf dem Friedhof in der Stadt weggebracht worden. 89
90
V g l . 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S. 1 2 7 f , N r . 2 0 4 m i t A b b .
Abbildung des Speyrer Zehnt- und Pfarrhofes in: 450 JAHRE REFORMATION IN
ESSLINGEN, S. 1 4 8 , N r . 2 2 8 . 91
V g l . 4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 1 2 7 , N r . 2 0 1 u n d N r . 2 0 2 ; AKTEN
ZUR ESSLRNGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 178f, Nr. 155: „Daß aber die gepultnus der ausserwelten muter Maria, sampt ewer stifftswappen zur zeit als die gepultnus der lieben hailigen [...] in vnser pfar vnd ander kirchen gentzlichen abgeschafft vnd hingethonn, auch hingenommen vnd zerschlagen sein soll etc., ist vsserhalb vnsers bevelch vnd gehayß gescheen. Kinden vns auch nit erinnern noch in gewisse erfarung komen, durch wen sollichs geuept, dann wa wir der selbigen person gewar vnd vns im grund anzogt, wollten wir vns gegen innen dermassen beweisen, damit dieselbigen vnd menigclich vnser misfallen vnd daß sollichs vsserhalb vnsers bevelchs gescheen, in der that spurn vnd abnemen sollten." [Hervorhebung; G. L.] 92 StadtA Ulm, G 1/1536, S. 445f: „Die von Esslingen, die ließen erst vor Purificationis Mariae ihre Kirchen plindern und die bilder stürmen. Die metzger daselbst und ettlich frum cristen wolten in sollich handlung nit verwilligen und von dem cristenlichen glau-
196
Esslingen
eines Priesters mit einer Nonne das Holz von den Bildern, die man in den Kirchen zerschlagen hatte, zum Schüren des Feuers für die Essenszubereitung verwendet worden 9 3 . 8. 2. 3 Die Vorgänge um die Bilder in den Dörfern Die Reichsstadt versuchte natürlich nach 1531, die reformatorischen Neuerungen in den unter ihrer Obrigkeit stehenden Dörfern durchzusetzen. In Möhringen setzte man als neuen Prediger der Martinskirche Ulrich Villinger, gen. Haselbeck, ein 94 . In den Möhringer Filialen Rohr und Musberg verhinderte das habsburgische Regiment in Württemberg zunächst mit Erfolg den Einzug der evangelischen Lehre, nach der Rückkehr Herzog Ulrichs 1534 konnte Esslingen aber auch dort je einen evangelischen Prediger einsetzen 95 . Ähnlich war die Situation in Vaihingen 96 , wo das Esslinger Katharinenspital seit 1297 die Grundherrschaft ausübte, die St. Blasius-Kirche aber dem Sindelfinger Chorherrenstift inkorporiert war. Fand die Beschwerde des Sindelfinger Stifts, die Esslinger hätten unrechtmäßig zwei der drei Meßkelche aus St. Blasius mitgenommen, beim habsburgischen Statthalter im Juni 1533 noch Gehör und führte zur Rückerstattung der Kelche, so griff der Esslinger Rat nach der Rückkehr des Herzogs härter durch: Dem Sindelfinger Pfarrverweser stellte man einen evangelischen Prädikanten zur Seite, Kelche, Ornate und Gewänder wurden konfisziert und auch die Bilder aus der Kirche entfernt 97 . 1557 konnte Herzog Christoph schließlich als Rechtsnachfolger des Sindelfinger Stifts das Patronat an Esslingen abtreten.
ben fallen, darab ir prediger, der Plarer, ein Mißfallen hett und saget, man sollte sye bey dem haar darzuziehen. Dieselbe ließen sich all bescheren, und die wurden für rat beschickt, befraget, waß sye damit vermaintten, deß sy sich hetten beschoren. Antwurtt: Der prediger hette gesaget, man sollte sy bey dem haar darzuziehen, wollten sy darvor sein, deß man sy nit bey dem haar zyehen kunnte." - Vgl. auch FISCHER: Unsere Heimat, S. 57. 93 StadtA Ulm, G 1/1536, S. 446f: „Nach Ostern nam ein Pfaff ein Weyb dasselbst /: ein Nunnen :/ zu der behuf der Hochzeit ward alle speiß aus den bilderen, so in der kirchen erschlagen und zerscheitet worden, gekochet und wurden zusamen gelegt in der kirchen in der Sacristey." 94 Vgl. STIEVERMANN: Möhringer Martinskirche, S. 1-10. - An mittelalterlichen Kunstwerken ist nichts mehr vorhanden; vgl. KDBW Neckarkreis, S. 459. 95 Von Bilderentfernungen zu diesem Zeitpunkt berichten die Quellen jedoch nichts. 96
V g l . AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 2 6 2 - 2 6 4 .
267-276.
279f, Nr. 224-226. 230-238. 242-243; SCHIEGG: Vaihingen, S. 9-11 und S. 13f; BÜHRLEIN-GRABINGER/KRAUS/ZUROWSKI: Vaihingen, S. 39-43; SCHMID: Vaihingen, S. 70-78. 97 Vgl. auch KDBW Neckarkreis, S. 466.
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Das Vorgehen gegen die religiösen Bilder in Esslingen
In die kleine Kirche im umwehrten Friedhof von Deizisau, in der das Esslinger Katharinenspital das Patronatsrecht innehatte und deren Innenausstattung im Dreißigjährigen Krieg verbrannte, kamen sehr wahrscheinlich kurz vor dem Abbruch der Spitalkapelle zwei spätgotische Tafelmalereien eines ehemaligen Altar-Retabels dieser Kapelle. Ein Zimmermann soll diese beiden wertvollen Gemälde, die das Feuer unbeschadet überstanden hatten, nach Deizisau gebracht haben. Auf der Innenseite des Altarflügels sind die Hll. Agnes und Christopherus dargestellt, und die Außenseite präsentiert die Verlosung der Länder unter den Aposteln 98 . Keim berichtet, daß im Frühjahr 1532 unter Mitwirkung Blarers auch in dem Esslingen benachbarten Ort Köngen, dem Sitz der Edlen von Thumb, die Bilder entfernt worden seien". Nach dem bisher Geschilderten kann man wohl kaum der Wertung zustimmen, bei der Lösung der Bilderfrage in Esslingen habe es sich um eine Handlung von religiösem Fanatismus und Unwissenheit gehandelt, welche „alles sinnlos vernichtet" 100 habe. Vielmehr handelte es sich um eine im Einvernehmen zwischen Rat und Predigern bewußt getroffene Entscheidung gegen die Bilder in der Phase direkt nach der Entscheidung für die evangelische Lehre. Die entschiedene Position Blarers, den man eigens für die Neuordnung nach Esslingen berufen hatte, spielte dabei eine wichtige Rolle. Nachdem die Abschaffung von Messe und Bildern erfolgreich gelaufen war, wandte sich Blarer dem „Hinauswurf der Götzen aus dem Rat" 101 , die bevorstehenden Neuwahlen und Ämterbesetzungen meinend, zu, die dann auch im Sommer 1532, als er Esslingen bereits verlassen hatte, zu seiner Zufriedenheit ausfielen. Die vom Rat durchorganisierte Entfernung der religiösen Bilder im Januar 1532 läßt sich gut in das überlegte, planmäßige Vorgehen der Obrigkeit im Zuge der Neuordnung des kirchlichen Lebens nach dem Ratsmandat vom 11. November 1531, welches die erste Phase reformatorischer Maßnahmen abschloß, einordnen 102 . Bemerkenswert bleibt die vorangegangene Diskussion mit den Kaplänen und Ordensleuten der Reichsstadt im Herbst/Winter 1531. Nach der anschließenden und - wie man aufgrund der wenigen erhaltenen Beispiele vorreformatorischer Kunst vermuten
98
V g l . BONGARTZ: K u n s t , S . 6 2 f ; CHRONIK DES D O R F E S DEIZISAU, S .
17. 2 9 .
87.
Abgebildet sind die Malereien bei BERNHARDT: Marktplatz, S. 5 (Lit.) mit Abb. 10 und Abb. 11; vgl. auch ROTT: Quellen 2, S. LX und Abb. 21; KDBW Neckarkreis, S. 215. 99 KEIM: Reformationsblätter, S. 61. 100 FISCHER: Unsere Heimat, S. 57. 101
4 5 0 JAHRE REFORMATION IN ESSLINGEN, S . 1 3 8 , N r . 2 1 6 .
102
Vgl. SCHRÖDER: Kirchenregiment, S. 95.
198
Esslingen
kann - sehr gründlichen Ausräumung der Gotteshäuser, die ohne Tumult oder spontane Aktionen verlief, spielte die Bilderfrage in Esslingen keine Rolle mehr.
Kapitel 9
Isny 9. 1 Die Einführung der Reformation 1 Die Nachrichten über den Einzug der reformatorischen Lehre in die kleine Reichsstadt Isny sind - wie die zur Reformationsgeschichte Isnys insgesamt - sehr spärlich 2 . Die Stadt zählte um 1500 ca. 3.000 Einwohner, von denen 650 das Bürgerrecht besaßen, und war durch seinen regen Handelsverkehr mit anderen der Reformation zugewandten Städten wie Nürnberg, Memmingen und Kempten verbunden. Umringt war die Stadt zu drei Vierteln von der Herrschaft Zeil-Trauchburg 3 , und zu einem Viertel von habsburgisch-vorarlbergischem Besitz. Innerhalb der Stadtmauern lag die Benediktinerabtei mit der Klosterkirche St. Georg 4 . Dem Abt des Klosters stand auch die Besetzung der Pfarrstelle an der Stadtpfarrkirche St. Nikolaus, welche dem Kloster 1396 inkorporiert worden war, zu. Die Rivalität zwischen Kloster und Stadt sowie die Unzufriedenheit mit dem Pfarrer an 1
V g l . TÜCHLE: R e i c h s s t ä d t e , S. 5 3 - 7 0 ; KAMMERER: R e f o r m a t i o n , S. 3 - 6 4 ; GLEFEL:
Isny, S. 25f; SCHARFF: Isny; VlNCENZ: Chronik, S. 30-37. 2 Die meisten Bestände des Stadtarchivs Isny fielen dem Stadtbrand 1631 und der jahrhundertelangen Vernachlässigung des Archivs zum Opfer, was eine etwas einseitige, überwiegend aus der Perspektive des Klosters geprägte Sichtweise verständlich macht. Zur Geschichte des Stadtarchivs Isny vgl. URKUNDEN DES FRÜHEREN REICHSSTÄD-
TISCHEN ARCHIVS ISNY, S. X. Für unseren Zeitraum dient neben den Urkunden und Akten des Evangelischen Kirchenarchivs Isny, auf denen die Darstellung Kammerers (vgl. KAMMERER: Reformation) beruht, v. a. die ebenfalls dort in einer Handschrift überlieferte, zeitgenössische Schilderung des altgläubigen Klosterhofmeisters Johannes Bittelschieß (vgl. BITTELSCHIESS: Weiß und Form; erstmals 1617 gedruckt in Ingolstadt), auf der fast alle späteren Darstellungen aufbauen. Daneben ist noch die sogenannte „Isnysche Reformation" von 1544 zu erwähnen (vgl. StadtA Isny, B 38/71) und kann auf die Bestände des Fürstlich-Quadtschen-Archivs Isny (Archiv des Fürsten von Quadt zu Wykradt und Isny, Bestand C, Klosterarchiv Isny) zurückgegriffen werden. 3 Die Herrschaft Trauchburg nördlich von Isny kam zu Beginn des 13. Jh. von den Herren von Trauchburg an die Grafen von Veringen, welche sie den Truchsessen von Waldburg zu Lehen gaben und 1306 zusammen mit Stadt und Kloster verkauften. 1365 kauften sich die Bürger der Stadt aus der Herrschaft der Waldburgs los und errangen die Reichsunmittelbarkeit. Die Funktion des Klostervogts übte der Truchseß jedoch weiterhin aus. 4
Z u r B e n e d i k t i n e r a b t e i I s n y v g l . REICHSABTEI ST. GEORG IN ISNY; WÜRTTEMBER-
GISCHES KLOSTERHANDBUCH, S . 2 9 3 - 2 9 6 .
Isny
200
St. Nikolaus, Wilhelm Steudlin, der des Konkubinats und der Trunksucht bezichtigt wurde, verstärkten die Empfänglichkeit für die reformatorische Bewegung. Als erste Anhänger der neuen Lehre werden der seit 1518 an der Stadtpfarrkirche tätige Prädikant Konrad Frick und Peter Büffler, ein reicher Kaufmann, genannt. Dem Beschluß des Leutkircher Tages vom 5. Juli 1524 stand Isny jedenfalls schon mit Vorbehalt gegenüber; dort hatten sich die Bischöfe von Konstanz und Augsburg, der Abt von Kempten, die Truchsessen Wilhelm und Georg von Waldburg, Vertreter des oberschwäbischen Adels und Gesandte der Städte Isny und Wangen versammelt und die Frage erörtert, wie sie das Wormser Edikt von 1521 durchsetzen sollten. Während der Bauernunruhen 1525 kam es dann zur ersten erkennbaren kirchlichen Neuerung. Auf Betreiben des Prädikanten Frick wurde zu Ostern das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgeteilt. Der Abt konnte dies nicht verhindern, da ihm die Hände gebunden waren. Er hatte nämlich aus Furcht vor einer Plünderung des Klosters durch den herannahenden Allgäuer Bauernhaufen die Stadt um Hilfe gebeten. Der Rat ging auf dieses Hilfegesuch ein, in der Hoffnung, sich dadurch den Abt gefügiger gegenüber den reformatorischen Forderungen zu machen. Die Stadt legte Anfang Mai 1525 eine Besatzung von 23 Mann in das Stift; die Schlüssel mußten der Stadt übergeben, alle Dokumente, Kleinodien und die Kasse ausgeliefert werden. Der Rat verpflichtete sich jedoch, nichts davon wegzuschaffen oder zu verkaufen; der Abt erklärte sich bereit, mögliche Schäden mitzutragen. Es kam aber nicht zu dem erwarteten Angriff, da sich die Bauern vor dem anrückenden Heer des Schwäbischen Bundes unter Truchseß Georg von Waldburg zurückzogen und dem Kloster den Huldigungseid leisteten. Die städtische Besatzung blieb aber - sehr zum Ärger des Abtes Philipp - noch bis zum 23. Juni 1525 im Kloster 5 . In diesen Kontext fällt die Entfernung des unbeliebten Pfarrers Steudlin durch den Rat, der ihn gefangensetzte, da er angeblich mit den Bauern gemeinsame Sache gemacht habe. Steudlin starb am 24. Juli 1525 im Gefängnis, worauf ein Streit zwischen Abt - der von dem Truchsessen unterstützt wurde - und Rat um die Neubesetzung der Pfarrstelle einsetzte. Der Forderung nach einem evangelischen Prediger wollte der Abt nicht nachgeben. Da zunächst kein Nachfolger zu finden war, der beiden Parteien geeignet schien, übernahmen Frick und dessen Helfer die Aufgaben an der Stadtpfarrkirche 6 . Die Versuche des Abtes, den katholischen Kult in der Pfarrkirche aufrecht zu erhalten, scheiterten in der Folgezeit am Widerstand Fricks und seiner Helfer. Diese stellten mit Zustimmung des Rates Prozessionen und Ohrenbeichte ein und reduzierten die Marien- und Heiligenverehrung so5 6
Vgl. K A M M E R E R : Reformation, S. 6f. Ebd., S. 7 - 1 2 .
Die Einführung der Reformation
201
wie die Festtage. Das Sakrament der Taufe spendete man nunmehr ohne Chrysam und Öl. Einige Monstranzen und Kelche nahm man aus dem Gotteshaus und ließ daraus Münzen schlagen. Der Rat bemächtigte sich des Kapitals der Bruderschaften 7 . 1528 nahmen Gesandte Isnys an der Berner Disputation teil. 1529 wurde in der Stadt selbst auf Bitten des Kemptener Abtes ein Religionsgespräch einberufen, welches den Streit zwischen den Kemptener Theologen Johannes Rottach und Johannes Seeger einerseits und Jakob Haystung andererseits in der Abendmahlsfrage klären sollte 8 . Isny stellte sich dabei eindeutig hinter Haystung, der die zwinglische Haltung vertrat. Der Abt versuchte zwar noch mit Hilfe des Konstanzer Bischofs und des Truchsessen den Reformationsprozeß zu behindern, hatte damit aber wenig Erfolg 9 . Über die Haltung Isnys auf dem Speyrer Reichstag 1526 ist nichts bekannt. 1529 in Speyer schloß es sich der Protestatio an. Dagegen verharrte man in Augsburg 1530 - in Anlehnung an Ulm - in einer unentschiedenen Position und stimmte so weder der Confessio Augustana noch der Tetrapolitana zu, ohne jedoch den Reichstagsabschied anzunehmen. In der Frage nach einem Anschluß an das evangelische Bündnis spielte Isny keine eigenständige Rolle und übertrug Ulm die Vertretung seiner Interessen auf den entscheidenden Tagungen. So vollzog man auf dem Memminger Treffen gemeinsam mit Ulm den Wechsel vom Bündnisentwurf mit den Eidgenossen zum Bündnis der lutherischen Stände, nachdem auf dem Biberacher Tag der Plan mit den Schweizern endgültig fallengelassen worden war 10 . Anfang Oktober 1530 besuchte Martin Bucer Isny, wo er Konrad Frick für seine Kompromißlinie in den strittigen Fragen gewinnen konnte. Am 17. Januar 1531 versammelten sich in Ulm die Städte Konstanz, Lindau, Memmingen, Biberach, Kempten und Isny, das durch Matthias Büffler vertreten wurde, um den Gesandten Ulms auf der Schmalkaldener Versammlung anzuhören. Am 2. Februar 1531 erklärte Isny daraufhin seinen Beitritt zum Schmalkaldischen Bund 11 . Auf dieser Grundlage trat der Isnyer Rat entschiedener für die Durchsetzung der Reformation ein. Da der Abt immer noch keinen evangelischen Prediger nach St. Nikolaus berufen hatte, unterstellte der Rat die Ordnung der kirchlichen Verhältnisse seiner eige7
8
V g l . SCHARFF: I s n y , S. 3 0 f .
Vgl. unten S. 214f. Der Truchseß, der seinen Untertanen den Besuch in der Isnyer Stadtkirche verboten hatte, bewirkte bei König Ferdinand ein Mandat, welches die Stadt vor zu erwartenden Gegenmaßnahmen warnte, falls sie nicht von ihrer reformationsfreundlichen Politik abgehe. Der Rat ließ sich dadurch aber genausowenig einschüchtern wie durch die Pläne des Konstanzer Bischofs, mit Hilfe des Schwäbischen Bundes etwas gegen Isny zu unternehmen. 10 Vgl. oben S. 94f und S. 137f. 11 Vgl. KAMMERER: Reformation, S. 16-22. 9
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Isny
nen Verantwortung. Für die Neuordnung bemühte er sich auch um Martin Bucer und Johannes Oekolampad, die aber wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht nach Isny kommen konnten. Dafür konnte der Rat aber Ambrosius Blarer gewinnen, der am 14. September 1532 auf einer Reise von Memmingen nach Lindau in Isny eintraf, wo er bis März 1533 bleiben sollte. Blarer wandte sich - wie in seinen Briefen aus dieser Zeit deutlich wird - v. a. gegen das „Götzenwerk" und den „Meßgreuel" in der Klosterkirche 12 . Trotz seines Drängens konnte er den Rat nicht zu einem gewaltsamen Vorgehen gegen das Kloster bewegen; noch scheuten die Ratsmitglieder die Auseinandersetzung mit dem Abt und dem Klostervogt. Erst als die Stadt sich in ihrem Vorhaben durch die Rückkehr des Herzogs Ulrich von Württemberg in sein Land 1534 bestärkt fühlte 13 , drangen Isnyer Bürger ins Kloster ein und „befreiten" die St. Georgs-Kirche im sogenannten „Klostersturm" vom „Götzenwerk". Ein weiterer Erfolg der Blarerschen Aktivität war die 1534 errichtete ,Bufflersche Schulstiftung' 14 : Die Isnyer Kaufherren Jos und Peter Büffler verpflichteten sich, jährlich je 30 Gulden an die Städte Konstanz, Lindau, Isny und Biberach zu stiften, mit der Auflage, daß jede Stadt gleichviel zulege, um zwei begabten Schülern das Theologiestudium zu ermöglichen 15 . Wie Ulm, Biberach, Memmingen und andere oberdeutsche Städte vollzog auch Isny nach dem Beitritt zum Schmalkaldischen Bund 1531 - wenn auch nur zögerlich - den Anschluß an das lutherische Bekenntnis. 1532 willigte man in die Anerkennung der Confessio Augustana ein, 1533 führte man nach dem Memminger Vorbild eine Zuchtordnung ein. Auf einer von Bucer einberufenen Versammlung der oberländischen Prediger in Konstanz im Dezember 1534, auf welcher Isny durch Konrad Frick und Paul Fagius 16 vertreten war, legte man den Grundstein für die Annahme der 12
Vgl. beispielsweise StA Ludwigsburg, B 169, Bü 33, Nr. 8; BRIEFWECHSEL DER
BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 3 6 2 f , N r . 3 0 2 ( A m b r o s i u s B l a r e r a n
Bürgermeister und Rat zu Esslingen, 10. Okt. 1532): Aufruf an die Verantwortlichen in Esslingen, zusammen mit den anderen Städten des Schmalkaldischen Bundes (genannt werden neben Esslingen Konstanz, Ulm und Memmingen) den Rat von Isny aufzufordern, Bilder und Messe abzuschaffen. Vgl. auch BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 370f, Nr. 310: „Ich beyn noch hie zu Eisne in die zehenden wochen; will die sach noch nitt ab stat, alls gantz starck wert sich der Satan; den well der gwaltig gott sturtzen." (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 21. Nov. 1532). 13
V g l . SÜDWESTDEUTSCHE REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 1 9 9 - 2 0 2 ; REFORMATION
IN WÜRTTEMBERG, S. 9 1 f ; TÜCHLE: R e i c h s s t ä d t e , S. 6 2 f . 14
Vgl. GlEFEL: Beiträge, S. 25f. Vgl. KAMMERER: Reformation, S. 25f. 16 Vgl. ebd., S. 36f: Paul Fagius (1504-1549) kam nach dem Studium in Heidelberg und Straßburg 1527 nach Isny, wo er die Leitung der Lateinschule übernahm. Vom Rat wurde er immer wieder zu kirchlichen Diensten herangezogen. Nach weiteren theologischen Studien bei Martin Bucer war er von 1537 bis 1542 Pfarrer an St. Nikolaus in Isny; 15
Bildentfernungen
und Bilderfrevel in der Reichsstadt 1532
203
Wittenberger Konkordie 1536. Bei den Verhandlungen in Wittenberg hatte sich Isny durch den Memminger Gesandten Gervasius Schuler vertreten lassen 17 .
9. 2 Bildentfernungen und Bilderfrevel in der Reichsstadt 1532 Wenige Wochen nach seiner Ankunft in Isny am 14. September 1532 bemängelte Ambrosius Blarer noch die Aufrechterhaltung des „Götzenwerks[s] in allen Kirchen" der Stadt und „den Meßgreuel, der im Benediktinerkloster innerhalb der Ringmauer täglich geübt wird" 18. Einer seiner schärfsten Widersacher in Isny war offensichtlich Stadtschreiber Hans Volk, der zwischen reichsstädtischem Interesse und Truchseß bzw. Kloster manövrierte, einen großen Einfluß auf den Rat hatte und die Gefahren für die Stadt im Falle eines Übergriffes auf das Kloster heraufbeschwor 19 . Nachdem Blarer zunächst die Predigt gegen die „Götzen" favorisierte, konnte er die Obrigkeit offenbar relativ zügig von der Entfernung der Bilder aus den Sakralräumen überzeugen. Denn in einem Brief an den Esslinger Stadtschreiber Machtolf berichtete er am 20. Dezember 1532: „Zu Eisne seind die götzen auß den andren drey kirchen [= St. Nikolaus-Kirche, Kapelle im Spital und Ölbergkapelle] gerumpt; aber im kloster stond
sein Gönner Peter Büffler ermöglichte ihm nebenher die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Hebräischen. 1544 wurde Fagius als Professor für das Alte Testament nach Straßburg berufen. 17 Vgl. ebd., S. 29-35. 18
BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S . 3 6 2 f , N r .
302 (Ambrosius Blarer an Bürgermeister und Rat zu Esslingen, 10. Okt. 1532). 19
S t A L u d w i g s b u r g , B 1 6 9 , B ü 3 3 , N r . 15; BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS
UND THOMAS BLAURER 1, S. 378, Nr. 316: „Hie will es im kloster noch nit von statt; so starck hat sich der eilend stattschreiber in den handel gelegt unnd den mehrtail des raths bereddt, wie so groß fahr daruff stand. Es gilt alles nicht bey im, den uffgerichten friden des kaisers lass er nichts gellten f...] Er hat die ougen gar verkert; da ist weder hertz noch trawen in gott, und sagt man, her Wilhalm Truchses hab im hundert guldin verhaissen, wann ers erhallte, das im kloster die mess nitt angestellt werde. Ist grosser unwyll in der gmaind wider und über inn [...] er stecket voll böser practica. Ich beyn der sach gnatz matt und müd worden." (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 7. Jan. 1533). Ebd., S. 380, Nr. 318: „Hie stat es noch wie vor; waiß nitt, wie es sich schicken will. Alles volck ist hytzig und sech ern ain fürgang [= Fortschreiten der kirchlichen Reformen], Aber die zunfftmaister seind dermassen durch den stattschreiber abgericht, ich main, wann Christus selb kern und todten uffwackte, es hulff nichts. Sy mainen ouch, man sollt nun gar nichts mehr darvon predigen; es wurt aber nichts daruss. Herr Wilhalm schreckt die lüt durch den stattschreiber, das sy wänen, der himel hange voll hellenbarten." (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 17. Jan. 1533).
204
Isny
sy sampt der mess noch gantz auffrecht." 20 Wie diese Ausräumung der religiösen Bilder, die man anhand dieser Briefe Blarers zwischen den 10. Oktober und 20. Dezember 1532 datieren kann 21 , vonstatten ging, berichtet Blarer leider nicht; sonstige Nachrichten fehlen. Vermutlich gab der Rat dem Drängen Blarers nach und ließ in der von ihm gewünschten Weise, d. h. ohne großes Aufsehen und in geordneten Bahnen 22 , wenigstens in den drei Gotteshäusern, die seit 1530 seinem Zuständigkeitsbereich unterstanden, die Bilder wegräumen. Über die vorreformatorische Ausstattung dieser drei Kirchen fehlen die Nachrichten ebenso wie über das Schicksal der Bilder 1532 und danach. Darüber, was nicht zerstört, sondern nur weggeräumt wurde, läßt sich nur spekulieren. Den großen Stadtbrand von 1631 überdauerten nur wenige religiöse Kunstwerke, so etwa die Wandmalereien in der Prädikantenbibliothek der Stadtpfarrkirche über der Sakristei (um 1470)23, ein Marientod (heute im Zimmer des Kirchenpflegers) oder eine Tafelmalerei, die Anbetung der Könige darstellend, aus der Hand eines unbekannten Künstlers um 1400 (heute im Paul-Fagius-Haus aufbewahrt) 24 . Der schon erwähnte Kaufmann Peter Büffler ließ 1532 - wahrscheinlich ebenfalls auf Anraten seines Freundes Ambrosius Blarer hin - die erst B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S. 363f, Nr. 303: „Hatt inen ain lang predig von götzen thon, warzü sy gut seyen etc." (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 10. Okt. 1532) 21 Noch am 21. Nov. 1532 kritisierte Blarer die zögerliche Haltung des Rates bei der Reform des Kirchenwesens: „Ich beyn noch hie zu Eisne in die zehenden wochen; will die sach noch nitt ab stat, alls gantz starck wert sich der Satan; den well der gwaltig gott sturtzen. Ausserhalb der oberkait were mengklich [= jedermann] zu allen dingen gütwillig. H[err] W[ilhalm] Truchseß ist vergangner wochen abermals hie gewesen, hat ain schöne predig thon vor rath. Lassend sich die frommen lüt erschrecken; dann der stattschreiber ist aller Sachen gwaltig; der laicht mit herr Wilhalmen." B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S UND T H O M A S B L A U R E R 1, S. 370f, Nr. 310 (Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 21. Nov. 1532). 22 Vgl. oben S. 45-49. 23 Vgl. dazu K A D A U K E : Wandmalerei, S. 1 7 7 ; W E I B L E / K A M M E R E R : Bibliothek, S. 1 2 (Abb.). 24 Auch außerhalb Isnys stößt man nur auf wenige sakrale Kunstwerke mit Insyer Provenienz. In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befinden sich zwei Tafeln (Verkündigung und Fußwaschung); in den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem finden sich ebenfalls zwei Tafeln (Abschied Christi von seiner Mutter, Entkleidung Christi), die Strigel zugeschrieben werden und von einem Altar-Retabels aus St. Nikolaus stammen sollen, welcher bis 1850 dort gestanden hat und dann an den Kunsthändler Fischer in Karlsruhe verkauft wurde (Freundliche Auskunft von Kirchenpfleger Wilhelm Schweizer, Isny). In der Rottweiler Lorenzkapelle sind zwei Altarflügel ebenfalls aus der Isnyer Pfarrkirche mit Darstellungen der Hll. Barbara und Katharina zu sehen; vgl. BAUM: Bildwerke der Rottweiler Lorenzkapelle, S. 34f, Nr. 67 und Nr. 68 (Abb.). 20
Der Isnyer „Klostersturm " von 1534
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1521 auf dem neuen Gottesacker vor dem Bergtor errichtete Familienkapelle abreißen. Weder die Intervention des Abtes Philipp noch die des Truchsessen Wilhelm konnten Büffler von seinem Vorhaben abbringen 25 . So kann Peter Büffler als ein Beispiel für das Diktum Hermann Heimpels gelten, daß die „Bilderstifter zu Bilderstürmern" werden konnten 26 . Blarer berichtet Anfang 1533 auch noch von einer in unserem Zusammenhang interessanten Erscheinung 27 : Ein elf- oder zwölf]ähriger Junge aus Christazhofen, einem kleinen Dorf bei Isny, das zum Gebiet des Truchsessen gehörte, redete im Schlaf davon, daß Gott ihm den Auftrag gegeben habe, sein Wort zu verkünden. Er beschuldigte die Priester, daß sie des Geldes wegen Handel und Schacher mit Christus trieben, verfluchte die Hand, die Heiligenbilder verfertigte, und segnete jene Hände, die die Bilder zerstörten. Der Tag des Herrn stehe unmittelbar bevor, die Zeit der Umkehr sei nun gekommen 28 . Blarer hielt den Jungen für besessen von einem schwarzen Teufel, holte sich aber bei dem Esslinger Arzt Dr. Ulrich Wolfhart, der ihn in Isny besuche, medizinischen Rat. Wolfhart begleitete Blarer nach Christazhofen und attestierte dem Jungen eine krankhafte seelische Veranlagung.
9. 3 Der Isnyer „Klostersturm" von 1534 Was von Blarer während seines Aufenthaltes 1532 in Isny immer wieder gefordert worden, aber nicht gelungen war, folgte schließlich im Sommer 1534: Die Abschaffung der Messe und der Bilder in der Klosterkirche St. Georg 29 . Dafür, daß der Rat gerade zu diesem Zeitpunkt den Schritt wagte, 25
Vgl. EKA Isny, K 3138, Akten zum Abbruch der Bufflerschen Kapelle. MlCHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 122. Vgl. auch VlNCENZ: Chronik, S. 35; SCHARFF: Isny, S. 48 (mit falscher Jahreszahl 1531). 26
27
BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 3 7 9 , N r . 3 1 8
(Ambrosius Blarer an Johann Machtolf, 17. Jan. 1533). 28 Ein Bericht Blarers über den Jungen war 1533 gegen den Willen des Predigers unter dem Titel ,Ain New geschieht, wie ain Knäblin bey Yßne vmb zwelff jar wunderbarliche gesicht gehabt vnnd von mancherlay trowung der straff Gottes darinn geredt habe' bei Philipp Ulhart d. Ä. in Augsburg gedruckt worden; vgl. VD 16 B 5692. - BRIEFWECHSEL DER BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S . 3 8 7 , N r . 3 2 5 : „ D i v u l g a v i t n e s -
cio quis ineptulus meo nomine nugas de adulescentulo quodam Isnensi. Que si in manus inciderint, cave putes a me typographo tradita, quamquam res ita habet; verum non conveniebat in vulgus alioqui immodice superstitiosum." (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 15. März 1533). 29 Bis dahin hatte offenbar das vom Abt und vom Klostervogt bei Karl V. erwirkte Mandat vom 17. April 1533, daß die Messe und „alle Bildtnuß und Kirchegezierden/ unbeschwerd/ unentsetzt/ und unbetrübt" im Kloster belassen sein sollten und sonst mit
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Isny
sprachen zwei Gründe: erstens die Rückkehr Herzog Ulrichs (siehe oben) und zweitens die Anwesenheit der Truppen des Landgrafen von Hessen und des Herzogs in der Nähe von Isny. So wußte die Stadt einen starken Rückhalt hinter sich, um gegen Kloster und Truchseß aktiv werden zu können. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Obrigkeit erst jetzt dem Drängen der Prediger nachgab und an der Vorbereitung und Durchführung dieses „Klostersturmes" maßgeblich beteiligt war 30 . Am 27. Juni 1534 erschien eine 26köpfige Abordnung der Stadt unter Führung des Prädikanten Frick, des Schulmeisters Fagius und Dr. Jakob Kröl im Kloster und erklärte, daß die Greuel der „meß und [...] auch die Bilder/ so noch in E. G. Closter auffrecht steent", zu beseitigen seien, weil „ein Ersamer Rhat auß Christenlicher und Bürgerlicher Pflicht schuldig ist/ in ihrer Statt unnd Rinckmaur nichts zugestatten/ daß dem Gottlichen/ ewigwerenden Wort/ und dem Bevelch unsers Erlösers unnd Seeligmachers zuwider ist" 31 .
Allerdings wurde noch nichts aus dem Gotteshaus entfernt, da der Rat dem Abt Ambrosius Horn von Pfullendorf eine Bedenkzeit bis zum 30. Juni schweren Strafen zu rechnen sei, seine Wirkung erzielt. Der Text des Mandats ist abgedruckt bei BlTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 78-82; vgl. auch eine Abschrift im Archiv des Fürsten von Quadt zu Wykradt und Isny, Bestand C, B 419, fol. 132ff. 30 Ich zitiere im Folgenden nach der Darstellung von Johannes Bittelschieß, die für die anderen Berichte offensichtlich als Vorlage diente, so etwa EKA Isny, S 193, S. 1574; StadtA Isny, Fasz. 673; Archiv des Fürsten von Quadt zu Wykradt und Isny, Bestand C, Bü 17/14, S. 43-64; ebd., Bü 17/15; ebd., Bestand C, B 416, fol. 156-159; ebd., B 419, fol. 132-178. Trotz der polemischen Grundhaltung des altgläubigen Klosterhofmeisters Bittelschieß, die natürlich bei der Bewertung berücksichtigt werden muß, erhalten wir durch diese über 80 Seiten lange Darstellung der Ereignisse um Messe und Bilder im Isnyer Kloster 1534 die wichtigsten Informationen über den genauen Verlauf. Einen Eindruck der Darstellungsweise Bittelschieß' vermittelt z. B. folgendes Zitat; BlTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. lf: „Deßhalben haben die Abtrinnigen/ Glaublose Pfaffen allhie zu Ysin/ lange Zeit her geschrien/ und als wütende Hund wider die Heilige Meß/ und andere Christenliche Gebrauch/ so noch in Sanct Georgen Gottshauß unserem Closter gehalten und geübt werden/ gebollen unndt tobet: daß sie ein Rhat unnd Gemeindt mit ihren auffrürischen Predigen dahin gebracht haben (wie wol die von Ysin dessen gar keinen fueg noch recht gehabt/ angesehen ihr eigen B r i e f f u n d Sigel/[...]) daß sie sich gewaltsamer/ unnd frefenlicher That widerstanden/ und die heilige Meß unnd andere Gottesdienst in unserem Closter fürtter zuhalten/ zuverbieten/ unnd die Bildtnussen Gottes unnd der lieben Heiligen/ mit den Altärn/ Türckisch/ und Tyrannisch zerreissen/ und hinweg zuwerffen/ als weren sie der Teuffeiischen und Sündtlicher ding Gegenwurff und Anreitzung/ und als hette man auff den geweichten Altärn dem Teuffei gedienet. Daß ist aber der Finsternuß Gewalt/ und deß klaren Lutherischen und Zwinglischen Evangelii Eigenschafft: Wie dann mit andern Auffrühren und Kriegen/ so in XV. Jaren gewesen/ unnd auß disem newen Evangelio/ oder seinem Mißverstand hergeflossen/ wol bewisen werden mochte." 31 BlTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 3f. Vgl. auch STADELMANN: Benediktinerkloster, S. 14.
Der Isnyer „Klostersturm " von 1534
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gewährt hatte. Der Abt wandte sich daraufhin hilfesuchend an den in Augsburg weilenden Klostervogt, Truchseß Wilhelm, der ihn jedoch lediglich zu weiterer Standhaftigkeit aufmuntern konnte. In einem Schreiben an den Isnyer Rat verwahrte sich der Truchseß zwar gegen das Vorhaben der Stadt, auf eine gewaltsame Auseinandersetzung ließ er sich allerdings nicht ein: Dem Abt riet Wilhelm von Waldburg, falls dem Kloster gewaltsame Aktionen „als mit Bilderstürmen und der Meß thun understünden [= bevorstehen]/ und thäte/ so bleibt ihr sampt dem Convent im Closter. Weicht nit herausser/ keines wegs ohne weiter mein Vorwissen unnd Rhat" 32 . Bürgermeister und Rat der Reichsstadt erinnerte der Truchseß an den Nürnberger Anstand von 1532, verwies auf ein künftiges Konzil und warnte vor gewaltsamen Maßnahmen, „weil nun diß Closter (deß ihr guet wissen tragt) meiner Erbcastvogtey, der herrschafft Truchburg Schutz und Schirm ist" 33 . Die Ratsmitglieder hingegen zeigten sich entschlossen: Nach erneuten Beratungen am 1. Juli 1534 wurde am folgenden Tag in namentlicher Abstimmung unter den Zunftmitgliedern, wie es mit der Messe und den Bildern im Kloster zu halten sei, beschlossen, gegen die Benediktiner aktiv zu werden: „Auff Mittwoch nechst darnach [= 1. Juli 1534]/ gebot man aber einem grossen Rhat/ auff Ehr unnd Ayd: da mußten alle Rhat und Ailffer erscheinen/ und wider die Meß und Bilder urtheilen. Desselben Tags ward mit uns aber nicht verhandelt/ dann daß uns nachvolgende Handlung geweissaget ward. Darnach Donnerstag morgens [= 2. Juli 1534] hielt man aber ein grossen Rhat/ und da waren alle zünfftig bey einandern/ die waren vom meisten biß auff den minsten gefragt/ der Meß und Bilder halb/ was ein ieder darzu riethe/ ob man die bleiben lassen solte oder nit. Ach/ da mag ein jeder alter frommer Christ wol gedencken/ was der Pöfel wider die heilige Kirch geurteilet hab. Sie schrien all .Cruxifige', All mit der Meß unnd Bildern hinweg. Also ward das meer/ daß man die Meß und Bilder hinweg thun solt/ als weren sie ein Grewel vor dem Angesicht Gottes. Da hettest du Christenmensch ein frolocken gehört under den Abgefallnen Christen/ jederman frewet sich/ daß man der Meß/ und deß Gottsdienst solt abkommen. Der arme Christus war meniglichen ein Dorn in den Augen." 34
32
BlTTELSCHlESS: Weiß und Form, S. 8. Vgl. BITTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 8-10 (Schreiben des Truchsessen Wilhelm von Waldburg an den Abt von St. Georg und den Rat von Isny, 29. Juni 1534), Zitate: S. 9. Neben dem Isnyer Rat schickte der Truchseß auch noch den Bürgermeistern und Räten von Ulm und Augsburg ein Schreiben gleichen Inhalts; vgl. ebd., S. 10. 34 BITTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 11 f. - Dabei hatte der Rat offensichtlich das Gerücht in Umlauf gebracht, daß man sich beim Übergriff auf das Reichskloster auf das Beispiel der Reichsstadt Lindau berufen könne, die mit dem Damenstift Anfang Juli 1534 ebenso umgegangen sei; vgl. oben S. 71, Anm. 39. Der Abt von Isny hatte daraufhin einen Gesandten, Hans Faber, nach Lindau zu der Äbtissin geschickt. Sein Schreiben, das dieses Gerücht widerlegte, erreichte aber vermutlich die Akteure in Isny zu spät (das Schreiben datiert vom 6. Juli 1534); vgl. dazu BITTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 38-41. 33
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Isny
Am nächsten Tag schickte man früh morgens einen Boten ins Kloster, der eine erneute Ratsgesandtschaft für ein Uhr mittags ankündigte. Diesmal erschienen 40 Männer unter Führung von Bürgermeister Matthias Büffler und dem Wortführer Dr. Kröl abermals im Kloster, um dem Abt und den Klosterinsasssen den Beschluß des Rates und der Gemeinde mitzuteilen, daß Messe und Bilder abzuschaffen seien 35 . Dr. Kröl hatte ein Schriftstück vorbereitet, das er laut vorlas und in welchem er die Aktion des Rates zu legitimieren versuchte. Unter anderem ging er darauf ein, daß der Abt nicht die geforderten Belege aus der Hl. Schrift gebracht hätte, sondern nur ein Schreiben des Truchsessen eingegangen sei. Daher sei der Rat nun gefordert, gegen die weitere Gotteslästerung in der Stadt zu handeln: „Wie dann ein jede Christliche Oberkeit/ auch nach Vermog der Keyserlichen Rechten/ niemands in Christlicher Policey etwas Unrechts/ und noch vil weniger Gottslesterung zugestatten schuldig: Besonder keinen Augenblick anders wann nach dem gewissen Willen Gottes zu handien auß Christenlicher/ und Bürgerlicher Pflicht/ pflichtig und verbunden were." 36
Kröl folgerte daraus, daß man „die Bäbstliche Meß und Bilder in ihrer Statt und Rinckmaur [...] keines wegs mehr gedulden noch gestattten wollen/ besonder daß dieselbigen mit sampt andern vermeinten Gottsdiensten als bald und von stund an abgestelt/ und auß dem Weg gethon werden" 3 7
müßten. Abt Ambrosius zeigte aber keine Nachgiebigkeit und verteidigte weiterhin die Aufrechterhaltung von Messe und Bildern, „so von alter her uff uns khommen ist" . Was Frick und Fagius in diesen Tagen von den Kanzeln predigten, heizte die Stimmung gegen das Kloster noch mehr auf 39 . Am Morgen des 6. Juli scheiterte der letzte Versuch des Stadtschreibers, das Problem auf diplomatischem Wege zu lösen, an der Haltung des Abtes, dem die Bilder „wol [stunden]/ und an keinem ändern Ort wolte er sie lie35 BLTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 13-22; die weiteren Namen der Ratsherren werden auf S. 15 aufgeführt. Das übergebene Schreiben mit der Forderung, die Messe abzuschaffen, „die Altär ab[zu]decken und die Heiligenbilder weg[zu]räumen", findet sich in
H S t A S t u t t g a r t , B 1 9 3 , U 1 4 2 ; URKUNDEN DES FRÜHEREN REICHSSTÄDTISCHEN ARCHIVS
ISNY, S. 119f, Nr. 733: Die Bilder solle man „one ainichen weitern oder lengern Verzug noch außred, ab dem weg räumen unnd etgewan an ain gelegen ort irs gefallens stellen lassen, darmit söllichs alles dester stillen und besthänderlicher Zugang". 36 BLTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 19. 37 BlTTELSCHIESS: Weiß und Form, S. 21. 38
H S t A Stuttgart, B
193, U
1 4 3 ; URKUNDEN DES FRÜHEREN REICHSSTÄDTISCHEN
ARCHIVS ISNY, S. 1 2 0 , N r . 7 3 4 . 39
Vgl. KAMMERER: Reformation, S. 28; zur bilderfeindlichen Haltung Fagius' vgl. Archiv des Fürsten von Quadt zu Wykradt und Isny, 17/15.
Der Isnyer „Klostersturm " von 1534
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ber haben/ dann wie sie jetzt stunden" 40 . Wenige Stunden später sollen dem Bericht des Augenzeugen Bittelschieß folgend - mehrere Bürger Isnys „mit Gewalt/ mit Beihein/ mit Hämmern/ und mit aller Bereitschafft" 41 in die Klosterkirche eingedrungen sein, in der gerade der Kustos die Messe las - der Moment der Elevation der Hostie war noch abgewartet worden 42 . Der Rat hatte vorsichtshalber die Tore und Mauern der Stadt schließen lassen und einige Ratsmitglieder in die Klosterkirche abgeordnet, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Bilderentfernung zu beaufsichtigen. Die Bilder und Kunstgegenstände sollten nämlich nicht zerstört, sondern weggeräumt und zunächst in die benachbarte Frauenkapelle gebracht werden: „Den Bildstürmern waren ertlich von dem Rhat zugeben/damit es desto bescheide[n]licher zugieng. War eben ein ding/ als da die Juden nit wolten in das Pretorium Pilati gehen/ damit sie sich auff das Osterlich fest nit befleckten: also suchten sie Bescheidenheit/ und wolten dannoch die Kirchen stürmen/ die Bilder hinweg reissen/ und die Altaria umbstossen. Daß ist war: Weren dannoch die Verordneten von Rhäten nit also ernstlich darob und daran gewesen/ es were nit so bescheiden zugangen. Aber ihnen war von einem Rhat gebotten und bevohlen/ daß sie nichts nit zerbrechen noch zerschlagen solten/ sonder alle ding auff das hofflichest es sein möcht/ abheben und hinweg thun/ daß ist zum Teil wol beschehen." 43
Leider berichtet der Chronist nichts über das weitere Schicksal der weggetragenen Gegenstände. Er hält dagegen fest, daß die Ausräumaktion, die lediglich zwei Stunden gedauert haben soll, nicht ganz ohne Schadensfalle ablief 44 . Das große Kruzifix wurde umgehauen und der Herrgott in vier Stücke zerissen. „Und nicht allein haben sie die Bilder hinweg gethon: sonder die Stein ab den Altären gerissen und dieselbige Türckischer weiß violirt und umbgestoßen" 45 . Daneben wurden auch die in den Altären eingeschlossenen Reliquien „umbgeschütt, verworfen oder hinweg getragen" 46 . Namentlich erwähnt unter den „Bilderstürmern" wird ein gewisser Hans von Eu, der das Bild vom Sakramentshäuschen und zwei Engel abreißen wollte und dabei von einem Ratsmitglied ermahnt wurde, dies zu unterlassen. 40
Vgl. BlTTELSCHlESS: Weiß und Form, S. 45. Ebd. 42 Ebd.: „Da war sunst niemands mer in der Kirchen hinder der Meß/ außgenommen der Convent im Chor auß Forcht deß Gewalts." 43 Ebd., S. 47f. 44 Ebd., S. 38: „Aber ohn Schaden und so schnei in zweien Stunden hat es dannoch nit mögen beschehen." 45 Ebd., S. 48. 46 Ebd. - Nach dem Bericht in StadtA Isny, Fasz. 673 [ohne Seitenzählung], wurden 1546 bei einer neuerlichen Belagerung des Klosters durch Isnyer Bürger „sämtliche Kirchengeräth, und alles Silber, auch was sonst noch in dem Kloster zu finden war" mitgenommen. Diese Sachen mußten allerdings nach der Wiedereinführung des katholischen Gottesdienstes in St. Georg 1548 zurückerstattet werden. 41
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Isny
„Vorgemelter Stürmer Hans von Eew hette auch Lust, die Schild, Wappen und Sanier der Truchsessen, so in gedachten Closter hiengen, sampt der Stiffter erhebtem Grabstein hinweg zu reissen, und fragt also einen Zunfftmeister, ob man daß ding auch hinweg thun solt. Da ward ihm geantwortet, er solte das müesig stöhn. Vermeint, sie kernen mit Gott ehe aus, wann sie schon ihme seine arma zerissen, dann mit dem Truchsessen." 47
Die Angst vor Vergeltungsmaßnahmen des Truchsessen war offenbar doch noch recht groß. Wilhelm von Waldburg stand dem Machtkampf zwischen Kloster und Stadt jedoch ohnmächtig gegenüber. Da es sich bei dem „Klostersturm" formaljuristisch um einen Rechtsbruch handelte, strengte er als Klostervogt zwar noch einen Prozeß am Reichskammergericht an und forderte Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte, blieb aber auch mit dieser Maßnahme erfolglos 48 . Dem Abt konnte er nur vorschlagen, mit seinen Ordensbrüdern Zuflucht im Wilhelmitenkloster in Wengen zu suchen. Da die Abhaltung des Gottesdienstes in der Klosterkirche unter den neuen Bedingungen nicht mehr möglich war, wurden die nach Isny eingepfarrten Orte im Einvernehmen mit dem Truchsessen den benachbarten Pfarreien zugeteilt 49 . Auch im Falle Isnys sollte zusammenfassend nicht von einem „Bildersturm" oder „vandalischen Akt" 50 , sondern differenzierend von Bilderentfernungen in der Stadt und im Stift in den Jahren 1532 und 1534 gesprochen werden, die nur 1534 ausnahmsweise die „Grenze des Gewaltsamen" 51 tangierten, ansonsten aber sehr stark den Charakter der von der städtischen Obrigkeit vorbereiteten, organisierten und in einer geregelten Weise durchgeführten Aktion zeigen.
47
BlTTELSCHIESS: W e i ß u n d F o r m , S. 4 9 .
48
Vgl. dazu die beiden in den bisher edierten Akten zum Reichskammergericht genannten Streitfälle in: AKTEN DES REICHSKAMMERGERICHTS, Nr. 2242 (Bürgermeister und Rat der Stadt Isny gegen Jörg Pfender d. Ä., welcher angeblich die Familiengräber und Altäre in der Isnyer Kirche verwüstet haben soll, 1553-1557) und bes. Nr. 2243 (Bürgermeister und Rat der Stadt Isny gegen Abt Sebastian von St. Georg in Isny, Streit um Restitution von Sakralgegenständen und Dokumenten und Wiederzulassung des kath. Gottesdienstes an der Pfarrkirche St. Nikolaus, 1578-1584); in REICHSKAMMERGERICHT. Prozeßakten, sowie SCHENK: Urteilsbücher, waren hingegen keine einschlägigen Hinweise auf Isny zu finden. 49
50
V g l . KAMMERER: R e f o r m a t i o n . S. 2 8 f , TÜCHLE: R e i c h s s t ä d t e , S. 6 3 .
Vgl. KAMMERER: Reformation, S. 27, Anm. 66a; SCHARFF: Isny, S. 59f (tendenziöse, polemische Schilderung aus altgläubiger Sicht). 51 MLCHALSKI: Phänomen Bildersturm, S. 81; GREIFFENHAGEN: Kultur Isnys, S. 109; die Wertung von STIRM: Bilderfrage, S. 130 mit Anm. 1, ist dahingehend zu korrigieren.
Kapitel 10
Kempten 10. 1 Die reformatorische Lehre hält Einzug1 Die religiöse Situation in Kempten zu Beginn des 16. Jahrhunderts ähnelte derjenigen in vielen anderen Orten des Reiches, zeigt aber auch einige Besonderheiten auf. Den Mißständen im institutionellen Bereich der Kirche stand ein großes Frömmigkeitsbedürfnis, das sich u. a. in reichen Meß- und Sachstiftungen und Ablaßkäufen äußerte, gegenüber. Wesentlich für den Verlauf der Ereignisse - v. a. bis 1525 - war die Konkurrenz zwischen der Stadt Kempten, die 1361 ihre Reichsfreiheit erlangt hatte, und dem exklusiv adeligen Benediktinerstift vor den Toren der Stadt, das der Reichsfreiheit und einer räumlichen Ausdehnung des städtischen Machtbereichs über die Stadtmauern hinaus entgegenwirkte, in politischer, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht. Das Stift verfügte nämlich über grund- und gerichtsherrliche Rechte und leitete die Seelsorge in der Stadt. Die obere Pfarrei St. Lorenz, die zur Diözese Konstanz gehörte, war seit dem 14. Jahrhundert dem Kloster inkorporiert und reichte lediglich an den Rand des Stadtgebietes. Die untere Pfarrei St. Mang, zur Diözese Augsburg gehörig, mit der 1426 neu erbauten St. Mang-Kirche wurde zum kirchlichen Mittelpunkt der in neuen Zünften organisierten Bürgerschaft. Auch wenn St. Mang 1418 ebenfalls dem Stift inkorporiert worden war, versuchte die Stadt in der Folgezeit, immer mehr Mitspracherechte zu erlangen, z. B. bei der Ordnung der finanziellen Angelegenheiten durch bürgerliche Pfleger oder durch eine umfangreiche Stiftungstätigkeit der Bürger, etwa der 1474 errichteten Prädikatur für die St. Mang-Kirche 2 . ' V g l . IMMENKÖTTER: S t a d t u n d S t i f t , S . 1 6 7 - 1 8 3 ; ERHARD: R e f o r m a t i o n ; HAMMON:
St. Mang; HAGGENMÜLLER: Kempten 2; KARRER: Reformations-Geschichte. Alle Darstellungen stützen sich hauptsächlich auf die chronikalische Überlieferung des Stiftes Kempten bzw. der Reichsstadt; das reichsstädtische Archiv hatte bei der Erstürmung Kemptens im Januar 1631 große Verluste zu verzeichnen, was auch die Tatsache erklärt, daß die Ratsprotokolle nur sporadisch überliefert sind. Für die freundliche Auskunft danke ich Herrn Roland Riedel vom Stadtarchiv Kempten. 2 Diese von der gesamten Bürgerschaft gestiftete Prädikatur sollte mit einem Doktor oder Lizentiaten der Hl. Schrift bzw. des kanonischen Rechts besetzt werden. Diese Predigerstelle stand zwar im Widerspruch zum Patronatsrecht des Fürstabtes, wurde jedoch von Papst Sixtus IV. bestätigt.
212
Kempten
Anders als in den meisten Städten des Reiches kam es in Kempten wegen der Dominanz des Benediktinerstiftes nicht zur Ansiedlung von weiteren Klöstern und Konventen, so auch nicht - mit einer Ausnahme der seit 1508 anwesenden Franziskaner-Terziarinnen von St. Anna - zu den normalerweise dem Bürgertum sehr verbundenen Niederlassungen der Bettelorden. Neben Beginen- oder Seelhäusern befanden sich in der Stadt auch noch einige Kapellen 3 . Daß es trotz der dauernden Kluft zwischen adeligem Stifte und bürgerlicher Stadt ein reiches, oft auch gemeinsam ausgeübtes religiöses Leben gab, belegen verschiedene Feste, etwa die Kirchweihe des Klosters am Tag von St. Gordian und Epimach (Schutzpatrone der Klosterkirche), der Zug mit dem Palmesel vom Münster nach St. Mang zu Beginn der Karwoche oder die Prozessionen an besonderen Tagen des Jahres. Auch hier konnte die reformatorische Lehre auf fruchtbaren Boden fallen. Großen Anklang fand die evangelische Lehre zu Beginn der 20er Jahre zu allererst bei den vom Stift eingesetzten Seelsorgern der Stadt. Sixtus Rummel, seit 1507 Pfarrer an der Stadtpfarrkirche St. Mang, studierte die Schriften Luthers. Seine Kapläne Johannes Rottach und Jakob Haystung bekannten sich offen zur Lehre Luthers bzw. Zwingiis; Rottach wirkte vor allem unter den wohlhabenden Bürgern, während Haystung bei den Handwerkern und Tagelöhnern großen Erfolg hatte 4 . Die städtische Prädikatur an St. Mang versah seit 1507 Kaspar Heiin, über dessen Haltung zur evangelischen Lehr nichts Genaues überliefert ist. Am meisten beeindruckte jedoch Matthias Weibel 5 , Stiftsvikar und Seelsorger an „St. Lorenz auf dem Berg", die Kemptener. Seine Predigten wandten sich gegen Werkgerechtigkeit, Ablaßwesen, Frömmigkeitspraktiken wie Wallfahrten und Prozessionen, Fasten etc. und stellten das Evangelium und die Rechtfertigung 3
St. Stephan im Keck, St. Michael auf dem Kirchhof, St. Leonhard am Laufenbach und die 1390/1412 gestiftete bzw. errichtete Spitalkapelle. 4 Zu den Kurzbiographien dieser Geistlichen vgl. PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S. 72, Nr. 411 (Jacob Haistung); S. 173, Nr. 1018 (Johannes Rottach); S. 175, Nr. 1027 (Sixt Rummel). 5 Weibel, ein Bauernsohn aus Martinzell, hatte nach dem Besuch der Stiftsschule in Wien Theologie studiert. 1519 kehrte er nach Kempten zurück und wurde Stiftsvikar. Nach der Niederlage der Bauern in den Auseinandersetzungen 1524/25 rächte sich der wieder in Amt und Würde gelangte Fürstabt an Weibel, den er beschuldigte, die Bauern mit seinen Predigten verführt zu haben. Obwohl man Weibel nichts nachweisen konnte, klagte Breitenstein den Vikar beim Schwäbischen Bund an und erreichte dessen Verurteilung ohne Gericht. Durch eine List - als Vorwand mußte eine Nottaufe herhalten lockte man Weibel vor die Tore der Stadt, stach ihn nieder und brachte ihn nach Leutkirch ins Gefängnis. Eine Intervention des Kemptener Rates beim Schwäbischen Bund blieb erfolglos. Am 7. Sept. 1525 wurde er gehängt. In Kempten widmete man dem „Märtyrer" ein Lied mit 37 Strophen; vgl. ERHARD: Reformation, S. 71-76; vgl. auch ERHARD: Matthias Weibl.
Die reformatorische
Lehre hält Einzug
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allein durch den Glauben in den Mittelpunkt. Der Streit mit den Stiftsherren war damit vorprogrammiert; er eskalierte bei der ersten Meßfeier des neuen Fürstabtes Sebastian von Breitenstein 6 1523, als Weibel in seiner Predigt über Tit l,7ff auf die Selbstherrlichkeit der Kemptener Fürstäbte anspielte. Im Jahre 1524 kam es zu einer Disputation über die evangelische Predigt, die Anrufung der Heiligen und die Klostergelübde zwischen Rummel und Weibel einerseits und Johann Winzler, dem Guardian des Franziskanerklosters von Lenzfried, andererseits, die die beiden unterschiedlichen Positionen offenbarte, aber ohne weiteren Folgen endete 7 . Noch mehr Probleme als mit den Predigern sollte der Fürstabt bald danach mit seinen stiftskemptischen Untertanen bekommen. Der allgemeine Unmut der Bauern wegen zu hoher Abgabenlast und der Herabsetzung von Freien zu Zinsern und von Zinsern zu Leibeigenen spitzte sich zu, als Sebastian von Breitenstein im Herbst 1524 eine zusätzliche Kriegssteuer verkündete, um seinen Verpflichtungen gegenüber dem Schwäbischen Bund nachkommen zu können. Nachdem Verhandlungen zwischen Bauern und Fürstabt - Vertreter der Stadt Kempten, allen voran der auf Ausgleich bedachte Bürgermeister Gordian Seuter, fungierten als Vermittler - gescheitert waren, schlössen sich die stiftskemptischen Bauern unter Führung von Jörg Knopf aus Leubas 8 den aufständischen Allgäuer Bauern an. Im März 1525 verabschiedete die „Allgäuer christliche Vereinigung" in Memmingen die ,Zwölf Artikel gemeiner Bauernschaft', jene wohl bekannteste Programmschrift des Bauernkrieges. Sie versuchten nun mit Gewalt ihre Ziele durchzusetzen, u. a. auch gegenüber dem Stift (vgl. unten). Der Fürstabt mußte flüchten und suchte innerhalb der Stadttore Kemptens Schutz. Diese Notsituation Breitensteins nützte der Rat der Stadt - der sich in den Auseinandersetzungen stets um Neutralität bemüht hatte 9 - aus, um ihm gegen die Zahlung von 30.000 Gulden alle in der Stadt verbliebenen grundherrlichen und obrigkeitlichen Rechte abzukaufen (sog. „Großer K a u f vom 6. Mai 1525). Dadurch hatte die Stadt ihre Reichsfreiheit end6
Sebastian von Breitenstein (1523-1535 Fürstabt) hatte bei seiner Wahl nicht gerade ein vorbildliches klösterliches Leben vorzuweisen. Zwar war er schon 1494 zum Priester geweiht worden, aber erst als Fürstabt feierte er sein erstes Meßopfer. Außerdem bekannte er sich offen zu seinem Sohn Pelagius. Vgl. ROTTENKOLBER: Geschichte, S. 72f. 7 Vgl. IMMENKÖTTER: Stadt und Stift, S. 170. 8 Jörg Knopf, Sohn des 1491 ermordeten Heinrich Schmied von Leubas, welcher damals den Aufstand der stiftskemptischen Untertanen wegen erhöhter Abgaben und Einschränkung der Freizügigkeit angeführt hatte, genoß das Vertrauen der Bauern. 9 Die Stadt Kempten war seit 1488 Mitglied des Schwäbischen Bundes, griff aber nicht auf Seiten des Bundes in das Kriegsgeschehen ein. Die Sympathien galten eher den aufständischen Bauern. Durch das diplomatische Geschick Gordian Seuters bewahrte sich die Stadt eine neutrale Haltung. Zum Schwäbischen Bund vgl. unten Anm. 20; zu Gordian Seuter vgl. FÖDERREUTHER: Seuter.
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Kempten
gültig erreicht und der Rat konnte nun als oberster Kirchenherr - der Neuen Lehre zugetan - die religiösen Angelegenheiten ordnen, was man mit großem Einsatz und Engagement verfolgte. Um die 30.000 Gulden und die Kosten für die Seelsorge aufbringen zu können, belastete man nicht nur die Bürger mit einer Abgabe, sondern verkaufte einige als entbehrlich empfundene Kirchenschätze (Reliquiare, Monstranzen, Kelche). 1527 wurde Jakob Haystung offiziell zum ersten evangelischen Prediger in St. Mang bestellt, die Zahl der Geistlichen stieg bis 1533 auf vier an. Fastentage und Fastengebote, Prozessionen und Wallfahrten, Reliquien- und Heiligenverehrung, Gebrauch von Weihwasser, Palmzweigen, ewigen Lichtern etc. wurden in den Jahren nach 1526 eingeschränkt. Die Messe wurde 1530 abgeschafft und der Gottesdienst auf die Verkündigung des biblischen Wortes hin ausgerichtet. Das Taufsakrament sollte in Zukunft in deutscher Sprache gespendet werden. Zwischen Jakob Haystung einerseits und Johannes Rottach und Johannes Seeger 10 andererseits kam es aber seit 1528 zu heftigen Auseinandersetzungen in der Abendmahlsfrage. Haystung als Anhänger Zwingiis vertrat die Auffassung, daß in Brot und Wein nur Zeichen des Leibes und Blutes Christi zu sehen seien, während Rottach und Seeger an der lutherischen Lehre der Realpräsenz im Sakrament festhielten 11 . Wie reagierte nun der Rat? Charakteristisch wurde der außen- und innenpolitische Versuch, eine ausgleichende Position einzunehmen. In der Stadt selbst ordnete der Rat nach Schweizer Vorbild zwei Disputationen an, die jedoch ergebnislos blieben, da beide Parteien nicht bereit waren, den jeweiligen Sieger der Unterredungen anzuerkennen. Der Rat ließ aber nicht von seiner Kompromißlinie ab und erreichte dann auch Anfang des Jahres 1532 eine Einigung zwischen den drei Geistlichen. Diese Einigung wollte man daraufhin in einem öffentlichen Abendmahlsgottesdienst am 10. März 1532 bekunden. Dazu kam es jedoch nicht: Wolfgang Capito, Mitstreiter Bucers in Straßburg, kehrte wenige Tage zuvor bei einer Rundreise durch mehrere oberdeutsche Städte auch in Kempten ein und wies in einer Aussprache mit den Geistlichen nach, daß der Kemptner Kompromiß theologisch nicht viel wert sei, weil er die wirklichen Gegensätze lediglich verdecke, denn es genüge nicht, nur die Worte Christi zu wiederholen, ohne sie zu erklären. Als Capito dann für die reformierte Abendmahlslehre warb, ließen Rottach und Seeger die Einigung platzen und verhinderten 10
Johannes Seeger, der in Leipzig Theologie studiert hatte, kam 1528 als Helfer nach
K e m p t e n ; vgl. PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S. 197, N r . 1171. 11
Im Abendmahlsstreit, der seit 1525 die Gemüter der Reformatoren bewegte, konnte auch auf dem Marburger Religionsgespräch im Oktober 1529 zwischen Luther, Melanchthon, Zwingli, Bucer, Oekolampad u. a. kein Kompromiß gefunden werden; vgl. dazu STAEDTKE: Abendmahl, S. 107-122; MAY: Marburger Religionsgespräch, S. 75-79.
Die reformatorische
Lehre hält Einzug
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sogar die öffentliche Predigt Capitos. Der Rat änderte nun seine Taktik. Er veranlaßte die drei Geistlichen, ihre Auffassungen über das Abendmahl schriftlich zu formulieren 12 und schickte diese Bekenntnisse zur Begutachtung an das zwinglianische Augsburg, das lutherische Nürnberg und das eine Zwischenposition vertretende Straßburg. Das Straßburger Gutachten 13 überzeugte die Ratsherren noch am meisten, woraufhin sie ihre Prediger im Januar 1533 auf die Lehre verpflichteten, „ut utrinque dicant, dominum in coena dare verum suum corpus, verum sanguinem cum pane et vino in cibum animae et fas sit testari panem et corpus domini nonnisi sacramentaliter uniri et corpus domini, proprie si loquamur nonnisi ab animae percipi" 14 .
Der Rat hatte so einen Ausgleich herbeigeführt. Daß die zwinglianische Partei trotzdem die stärkste Gruppe in der Gemeinde stellte, zeigte sich bei der Abstimmung über die Bilderfrage am 6. Januar 1544 - auch wenn man die Zahlen (500 zu 174) nicht als absolute Größen nehmen darf - , die den „Bildersturm" auslöste (siehe unten). Nach dem Tode Sixtus Rummels 1529, der die theologischen Gegensätze immer wieder verbinden konnte, war es Jakob Haystung durch seine Wortgewaltigkeit gelungen, immer mehr Anhänger auf seine Seite zu ziehen, was sich z. B. auch in den jährlichen Rats- und Bürgermeisterwahlen niederschlug: Mehrere konservative Männer mit lutherischer Überzeugung wurden nicht mehr gewählt und durch Anhänger Haystungs ersetzt. Die lutherische Gruppe, die durch den „Bildersturm" geschwächt worden war, mußte sich in der Folgezeit der reformierten Lehre beugen, welche durch die Geistlichen und den Rat repräsentiert und vorangetrieben wurde 15 . Bis zur Ausarbeitung einer Kirchenordnung im Jahre 1546 regelten die ,24 Artikel Gottes Ehre und die Liebe zum Nächsten betreffend' das Leben der Gemeinde. Zur besseren Kontrolle erhielt jedes Stadtviertel einen Zensor als obersten Sittenwächter. Die Bewerber für Predigtstellen mußten sich einer Prüfung durch den Rat unterziehen, Schulwesen und Armenfürsorge wurden geregelt. Daß sich die Reichsstadt dann 1536 doch den evangelischen Ständen anschloß - Beitritt zum Schmalkaldischen Bund, Annahme der Wittenberger Konkordie im Mai ist aus dem Bemühen des Rates um reichspolitische Absicherung zu erklären. Wie Nürnberg hatte Kempten 1529 auf dem 12
Die Abendmahlsbekenntnisse Seegers, Rottachs und Haystungs sind ediert in BDS 8, (155)162-203. (204)211-229. (230)237-250, Beilagen 1 - 3 zu Nr. 4 (vor 29. Nov. 1532). 13 Zum Abendmahlsgutachten Martin Bucers für den Kemptener Rat vom 31. Dez. 1532 vgl. BDS 8,(55)67-154, Nr. 4. 14 OTTO: Sakramentsstreitigkeiten, S. 167. 15 Es bestand auch weiterhin eine kleine katholische Mehrheit in Kempten und zwar in St. Lorenz und in St. Anna. Das Verhältnis zum Stift besserte sich seit Mitte der 1530er Jahre, als Fürstabt Wolfgang von Grünenstein die Regierungsgeschäfte übernahm.
216
Kempten
zweiten Speyrer Reichstag die protestatio' mit unterzeichnet, schloß sich aber 1530 in Augsburg weder der von Melanchthon ausgearbeiteten Confessio Augustana noch der Confessio Tetrapolitana an. Bis 1533 war es vorwiegend Gordian Seuter, der zu vorsichtigem Handeln riet 16 . Die Angebote, dem Schmalkaldischen Bund 1531 und 1532 beizutreten, lehnte man ab, da man Vergeltungsmaßnahmen des Kaisers und des Schwäbischen Bundes, gegen die sich diese Vereinigung richtete, fürchtete. Auch nach dem Nürnberger Anstand vom Sommer 1532, in dem den Evangelischen zum ersten Mal Duldung auf begrenzte Zeit zugestanden worden war, wartete man die weitere Entwicklung ab. Während sich das städtische Kirchenwesen im zwinglianischen Sinne entwickelte, aber auf ein politisches Bündnis mit Zürich nach dessen Niederlage bei Kappel am 11. Oktober 1531 nicht zu hoffen war, suchte die Reichsstadt die Nähe der evangelischen Reichsstände, die sich unter der Führung Kursachsens gesammelt hatten. Als dann auch durch die Vermittlung Martin Bucers ein Kompromiß in der Abendmahlsfrage zwischen den Oberdeutschen und den Wittenbergern gefunden werden konnte, stand der Annahme der Wittenberger Konkordie durch Kempten nichts mehr im Wege. 1537 verließen die Klosterfrauen von St. Anna die Stadt, acht Jahre später verkauften sie ihr Anwesen und die Kapelle an die Stadt. In den Jahren 1538 und 1539 bestärkte Ambrosius Blarer 17 mit seinen Predigten die protestantisch gewordene Gemeinde in ihrer Glaubenshaltung. Auch der kurzfristige Restitutionsversuch der von Karl V. favorisierten altgläubigen Partei nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg - das Interim mußte auch in Kempten 1548 angenommen werden - konnte keinen längerfristigen Umschwung mehr herbeiführen.
10. 2 Die Bilderentfernung im Stift Kempten während der Bauernunruhen 1525 Da in dem Rechtsstreit wegen erneuten Abgabenerhöhungen zwischen dem Fürstabt und seiner Untertanenschaft 1524/1525 kein gütlicher Ausgleich in Sicht war, suchten sich beide Seiten Verbündete 18 . Sebastian von Breitenstein konnte mit der Hilfe des Schwäbischen Bundes 19 rechnen; die Bundestruppen waren jedoch in der Auseinandersetzung mit dem württem-
16 17
Zu Seuter vgl. oben S. 213 und unten S. 222. Vgl. oben S. 56.
18
V g l . ULBRICH: O b e r s c h w a b e n , S. 1 0 0 - 1 0 4 ; v g l . a u c h ERHARD: B a u e r n k r i e g , S. 5 - 8 .
19
V g l . BOCK: V e r f a s s u n g e n ; GREINER: P o l i t i k , S. 7 - 9 4 .
Die Bilderentfernung
im Stift Kempten
217
bergischen Herzog Ulrich noch gebunden 20 . So führte man weiter Scheinverhandlungen mit den Bauern, bei gleichzeitigen Vorbereitungen für eine gewaltsame Lösung. Nachdem sich die stiftskemptischen Untertanen auf der Malstätte in Leubas am 23. Januar 1525 verbunden hatten, um ihren Forderungen gemeinsam Ausdruck zu verleihen, schickte man Jörg Knopf als Vertreter der Landschaft zum Schwäbischen Bund nach Ulm, um Anklage gegen den Abt zu erheben. Am 14. Februar 1525 schlössen sich die Kemptener Bauern auf dem Sonthofener Tag mit den Untertanen des Bischofs von Augsburg und anderen Allgäuer Adelsherrschaften zusammen und schworen, sich bei der Durchsetzung des Evangeliums und des Göttlichen Rechts gegenseitig zu helfen. Der Zehnte, Tod- und Erbfallabgaben sollten vorerst verweigert werden 21 . Am 24. Februar bekräftigten sie ihren Eid in Oberdorf in den , Allgäuer Artikeln' 22 , und am 27. Februar bauten sie ihren Bund zur , Christlichen Vereinigung der Landart Allgäu' 23 aus. Der nächste Schritt war die Verbindung mit den Bodenseebauern und dem Baltringer Haufen zur ,Christlichen Vereinigung'. Grundlage für das weitere Vorgehen sollte die für alle drei Haufen verbindliche ,Memminger Bundesordnung' 24 werden, von der es nur noch ein Schritt zu den ,Zwölf Artikeln' 25 war, die Mitte März 1525 erschienen. In unserem Zusammenhang ist die Tatsache wichtig, daß in keiner dieser Programmschriften die Abschaffung der Bilder thematisiert wird. Die Zerstörungen der Bilder und Altäre im Stift Kempten sind daher wohl eher als Ereignisse während des ,Klostersturmes' im April 1525 denn als „Bil20
Hz. Ulrich von Württemberg (1487-1550) war 1517 wegen der Ermordung seines Stallmeisters Hans von Hutten, mit dessen Frau er ein Verhältnis hatte, der Reichsacht verfallen. Der Absetzung durch den Landtag, dem er im Tübinger Vertrag von 1514 Mitspracherechte hatte einräumen müssen, suchte er durch Hochverratsprozesse und Hinrichtungen der Führer des Landtages zuvorzukommen. Als Ulrich jedoch gleich nach dem Tode Ks. Maximilians I. 1519 die Reichsstadt Reutlingen überfiel und versucht, sie zu einer württembergischen Landstadt zu machen, wurde er durch den Schwäbischen Bund als Landfriedensbrecher aus dem Herzogtum vertrieben. Österreich übernahm gegen Erstattung der Kriegskosten an den Schwäbischen Bund die Regierung Württembergs. Diese Tatsache war für den Verlauf der Reformationsgeschichte sehr wichtig. Zahlreiche Versuche Ulrichs, sein Land zurückzuerobern, scheiterten. Erst die Unterstützung des Schmalkaldischen Bundes und des hessischen Landgrafen, deren Politik darauf zielte, den Schwäbischen Bund als Hauptstütze des katholisch-habsburgischen Übergewichts zu sprengen, ermöglichte ihm 1534 die Wiedereinsetzung in sein Land. 21
V g l . QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES BAUERNKRIEGES, S . 1 5 4 , N r . 2 5 .
22
G e d r u c k t i n : DOKUMENTE AUS DEM DEUTSCHEN BAUERNKRIEG, S . 8 4 f ; z u r D i s k u s -
sion um die ,Zwölf Artikel' vgl. oben S. 128. 23
V g l . QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES BAUERNKRIEGES, S . 1 6 6 , N r . 3 3 ( S c h w ö r a r t i -
kel der Christlichen Vereinigung); vgl. auch ULBRICH: Oberschwaben, S. 103f. 24
G e d r u c k t i n : DOKUMENTE AUS DEM DEUTSCHEN BAUERNKRIEG, S . 8 7 - 8 9 .
25
G e d r u c k t i n : QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES BAUERNKRIEGES, S . 1 7 4 - 1 7 9 , N r . 4 3 .
218
Kempten
dersturm" zu interpretieren 26 . Als Ende März den Bauern weitere Verhandlungen nicht mehr sinnvoll erschienen waren, gingen sie zu gewaltsamen Aktionen über. Über die Vorgänge im Stift berichtet die ,Schwartzsche Chronik' 27 : Am Morgen des 3. April 1525 stürmten die „Leute des Gotteshauses", d. h. die stiftskemptischen Untertanen, und die Allgäuer Bauern mit ihren Anführern Jörg Knopf von Leubas, Walther Bach und Hans Schnitzer von Obersonthofen das Stift 28 . Neben den Wirtschaftsgebäuden, den Kanzleien und der Bibliothek verwüstete man auch die Klosterkirche: Altarbilder wurden zerstört, Reliquien, Heiligtümer und andere Kirchenzierden zerrissen und geraubt. Die Bauern schickten zwei Weinfasser, die sie aus den Kellern des Stiftes erbeutet hatten, in die Stadt Kempten. Der Rat wies aber das verfängliche Geschenk zurück 29 . Offenbar hatten die Bauern jedoch noch nicht alles verwüstet, denn am 14. April 1525, dem Karfreitag, kehrte ein Teil des Haufens nochmals ins Kloster zurück und zerstörte das, was an Bildern und Sachgegenständen noch übrig geblieben war. Einem Marienbild wurde der Kopf abgesägt, der Taufstein weggetragen, die Kanzel beschädigt und die beiden Orgeln abgebrochen 30 . An dieser zweiten Plünderung des Klosters sollen auch „vil unnützer leut uß der statt Kempten" 31 mitgewirkt haben, welche 26
So etwa ALT: Reformation, S. 35. In der Literatur findet man aber auch die Bezeichnung „Bildersturm", so etwa bei BAUMANN: Geschichte 3, S. 69; SCHNELL: St. Lorenz, S. 16 (Hinweis auf das viel verehrte „Astkreuz" von 1350/60, das den Zerstörungen 1525 entgangen war). 27 Vgl. StadtA Kempten, Literalie B 31: fol. lr-167v folgt ohne Titel eine Chronik der Stadt Kempten, laut fol. 162v von einem gewissen „Schwartz", vielleicht dem von 1601 als Stadtprediger fungierenden Christoph Schwarz verfaßt, aber nach dessen Tod von einer ungenannten Person zwischen 1607 und 1610 abgeschrieben. Für die Ereignisse im Stift am 3. bzw. 14. April 1525 vgl. ebd., fol. 83r/v. Zur Bedeutung der sog. .Schwartzschen Chronik' vgl. WEITNAUER: Geschlechter, S. 59. - Ähnlich schildern diese Vorfälle auch zwei Chroniken aus dem 18. Jh.; vgl. RUF: Chronik, bes. S. 59-61, und Bibliothek des Dekanats Kempten, Lit. M 23, Gebhardtsche Chronik, S. 105f. 28 Der Fürstabt hatte sich bereits im Februar mit einigen Konventsherren, Beamten und den Schätzen in die Burg Liebenthann zurückgezogen. 29 Der Rat fürchtete, daß sich die Bürger dem Aufstand anschließen könnten und ließ daher die Stadttore schließen und jedem Bürger auf seine Kosten eine Maß Wein und ein Brot reichen. 30 Dies berichten sowohl die ,Annales Faucensenses' (vgl. BAUMANN: Quellen, S. 382f) als auch die Chronik der Fürstabtei Kempten (18. Jh.): „Am hailigen Charfreytag, da man am allerfrömmesten sein sollte, hat sie der Teüffel gar besessen. Sie haben die bilder abgerissen undt Unser Lieben Frawen den köpf abgesezt, die grosse kerze sambt der orgel zerbrochen, daß hailig sacramenthäusle, die bilder undt gätter nidergerissen, daß gemähl vernichtet, biß endtlich nichts mehr vorhanden gewesen." RUF: Chronik, S. 60. Vgl. auch ERHARD: Bauernkrieg, S. 56f. 31 Ebd., S. 383. Auch ROTTENKOLBER: Geschichte, S. 83 schildert diese Ereignisse und beruft sich auf die ,Chronik des Stiftes Kempten bis 1594'; HStA München, Kemp-
Der Kampf gegen die Bilder in der St. Mang-Kirche und den Kapellen
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„vielleicht mehr schaden gethan, dan die pauren. Sy haben auch die großen körtzen zerbrochen [...] Auch vil unsäglicher ding triben sy uff demselben tag, pauren und die Kempter. Sy haben auch das sacramentsheüßlin, die bild und das gätter darvor zerrissen, und etwann so man am morgen das loblich ampt von unser lieben frawen solt haben, so sind sy, die verzaygten paurn, in spottweys umb das closter zogen mmit spiessn, lantzen und böggen. Das haben sy getriben mit trincken und fressen, bis nicht mer da ist gewesen, so sind sy uß dem gotzhaus zogen." 32
10. 3 Der Kampf gegen die Bilder in der St. Mang-Kirche und den Kapellen der Stadt 1533 Auf dem Höhepunkt des innerreformatorischen Machtkampfes im Januar 1533 zeigte sich das Übergewicht der zwinglianisch gesinnten Gruppe um Jakob Haystung anschaulich beim sog. „Bildersturm" 33 : „Am Morgen der heiligen drey König tag hielt man Rath, seit die Religion durch underschreibung der Augspurgischen Confession geendert, ob man die Bilder in den kirchen dulden solle oder nit, jeder Bürger wurde absonderlich gefragt und befanden sich in 174, die vermainten, man solle lenger stehen lassen, aber die mehrern, man solle hinwegräumen. Daraufsein die Bilder allenthalben von Altaren aus der kirchen gethan, wo sie aber hingekommen, ist unbewußt. Denn gewißlich auf soviel Altären in der Kirchen und 4 Capellen sowol an den Kirchenwenden, in der Hoch ob den Seiten, zwischen den Schwib manniches stuckh wirt gehabt haben [...]." 34
Nachdem der Rat in St. Mang schon 1527 für die Einsetzung des ersten evangelischen Predigers, die Abschaffung der Messe (1530) und die Einschränkung der Reliquien- und Heiligenverehrung (seit 1525) gesorgt hatte, nahm er erst jetzt die Bilderfrage in die Hand, ein Thema, das bei den rivalisierenden Gruppen unter den Predigern sicherlich oft kontrovers
ten/Stift, Neuburger Ausgabe No. 2052 (Photographie im StadtA Kempten, Literalie B 16b), Bl. 56ff; MARQUARD: Kempten und der Bauernkrieg, S. 16-22. - Näheres über die Teilnehmer an diesen Aktionen herauszubekommen, war nicht möglich. Die „Bauern" bzw. die stiftskemptischen Untertanen - nur ein Bruchteil davon waren wirklich Bauern - listet Weitnauer auf in: DIE B A U E R N DES STIFTS K E M P T E N 1525/26. Hinsichtlich des „unnützen Volkes" aus der Stadt ließ sich im entsprechenden Ratsprotokollband des Stadtarchivs Kempten kein Hinweis finden, denn da die Teilnahme verboten gewesen war, hätten die Teilnehmer eigentlich bestraft werden müssen. 32 BAUMANN: Quellen, S. 383 (Annales Faucenses). 33 Zu den Anhängern der zwinglianischen Lehre zählten neben Jakob Haystung auch die beiden Pfarrer Veit Kappeler und Paul Rasdorfer; vgl. dazu LOCHER: Zwinglische Reformation, S. 479f. 34 StadtA Kempten, Literalie B 31, fol. lOOr (Schwartzsche Chronik); vgl. auch ebd., Literalie B 8b, fol. 2v. Zur Rezeption dieser chronikalischen Überlieferung in der älteren Darstellungen zur Stadtgeschichte vgl. DORN: Bildersturm, S. 114f.
220
Kempten
diskutiert worden war 35 . Um sich zusätzlich legitimieren zu lassen, veranstaltete man am 6. Januar 1533 ein Plebiszit in den neun Zünften, das - wie nicht anders zu erwarten war - ein klares Votum für die Abschaffung der Bilder brachte (500 Ja- und 174 Nein-Stimmen). Bestärkt durch das Abstimmungsergebnis kam so der Kemptener Rat seiner Pflicht nach: Bis zur Durchführung des Beschlusses hatten die Stifter die Möglichkeit, ihre gestifteten Gegenstände aus der Kirche zu holen36. Den Rest ließ man am 11. Januar 1533 - vermutlich von Handwerkern - entfernen. Was dabei von den sechs oder sieben (?) Altären, Bildern, Statuen etc. wirklich noch übrig war und was wirklich damit geschah, bleibt unklar: Die ,Schwartzsche Chronik' sprach lediglich von einem ungewissen Schicksal der Bilder, spätere Darstellungen berichten dann aber, daß die Kirchenzierden in der Nähe der Illerbrücke (Haggenmüller) bzw. im Spital (Otto, Weitnauer) verbrannt worden seien 37 . Aus dem heutigen Erscheinungsbild von St. Mang 38 und der Tatsache, daß sich nur wenige sakrale Gemälde und Skulpturen Kemptener Provenienz andernorts erhalten haben, kann man nur vermuten, daß man bei der Entfernung ziemlich gründlich vorgegangen war 39 . 35 Konkrete Vorfalle sind allerdings nicht überliefert. Die Bemerkung Blarers an Bucer vom Herbst 1531 ist aber als Indiz dafür zu werten: „[...] Campidonenses iam novam tragoediam propter simulacra excitarunt, quos per Somum admonui, ut, quandoquidem eidolum Paulo nihil est, ipsi quoque, quod nihil est, nihili faciant." BRIEFWECHSEL DER
BRÜDER AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 1, S. 2 7 8 , N r . 2 2 5 ( A m b r o s i u s B l a r e r a n
Martin Bucer, 8. Okt. 1531); BCor 6, S. 190,18-191,2, Nr. 484. - Zu Konrad Sam vgl. oben S. 93 mit Anm. 10; vgl. auch unten Anm. 50. 36 Vgl. z. B. MEIRHOFER: Schicksale, S. 40. 37
V g l . IMMENKÖTTER: S t a d t u n d S t i f t , S. 1 7 7 ; DIE EVANGELISCHEN KIRCHENORD-
NUNGEN DES X V I . JAHRHUNDERTS 12, S. 1 7 2 ; v g l . a u c h DORN: B i l d e r s t u r m , S . 1 1 5 , d e r
die Verbrennung der Bilder in Frage stellt, weil in der ,Schwartzschen Chronik' nur von der Entfernung der Bilder die Rede ist. 38 Nach KDBay Kempten, S. 18-21 und HABERL: St. Mangkirche finden sich - außer den Wandmalereien (vgl. unten Anm. 37) - keine vorreformatorischen Kunstwerke mehr in St. Mang. Bereits David Rösslin, der im Auftrag des Augsburger Bischofs 1549 in Kempten eine Visitation durchführte, berichtete über die in der Reichsstadt nach Annahme des Interims vorgefundenen Zustände an Kardinal Otto von Truchseß: „Summa: Kein Bild, auch nicht in den Kirchen"; vgl. DORN: Kirchenvisitationen, S. 114. 39 Über den Kunsthandel gelangten einige Werke in die Museen von Nürnberg (GNM: Kreuzigung des „Meisters der Kemptner Kreuzigung"), Stuttgart (Flügel eines AltarRetabel, um 1450-60), Babenhausen (Fuggermuseum: kleines Flügelaltar-Retabels), Augsburg (Maximiliansmuseum: Verkündigung des Ulrich Mair), Zürich (doppelseitig bemalter Flügel eines Altarretabels aus der Werkstatt des Kemptner Malers Ulrich Mair?), die Schloßkirche von Wernigerode (Altar-Retabel aus der Werkstatt Ulrich Mairs?, 2. Hälfte 15. Jh.) und ins Kempter Heimatmuseum (Verkündigungstafeln von Ulrich Mair?). Was von diesen Kirchenzierden wirklich aus St. Mang oder aus den anderen Kapellen der Stadt stammt, kann nicht geklärt werden und muß offen bleiben. Vgl.
Der Kampf gegen die Bilder in der St. Mang-Kirche und den Kapellen
221
Die Wandmalereien der St. Mang-Kirche wurden übertüncht. Auf den Vorschlag des wohlhabenden Bürgers Hans Gufer 40 , die wertvollen spätgotischen Fresken mit weißem Leinen abdecken zu lassen, damit sie kein Ärgernis mehr darstellen könnten, gleichzeitig aber vor der Zerstörung bewahrt würden, ging der Rat nicht ein. Offenbar hat man sie aber vor der Übertünchung nicht komplett zerstört, da bei Restaurierungsmaßnahmen in den Jahren 1911-1913 bzw. 1970 Reste verschiedener Ausmalungen zum Vorschein kamen 41 . Die Orgel erfuhr eine besondere Behandlung: Diese war 1480 von der Familie Vogt, die am kaiserlichen Hofe zu Reichtum und Ehre gekommen war, gestiftet worden. Der Rat wollte auf keinen Fall eine Provokation des Kaiserhofes riskieren. So blieb die Orgel erhalten, auch wenn sie in den folgenden 40 Jahren nicht benutzt wurde 42 . Der hinten an der Kirche angebaute Ölberg wurde wahrscheinlich ebenfalls 1533 zerstört. Wenig ist über die Schicksale der Bilder in den anderen Kapellen der Stadt bekannt. Die St. Annen-Kirche kam 1546 in städtischen Besitz, was mit ihrer Innenausstattung passierte, ist nicht bekannt 43 . Ein interessantes Schicksal erlebte die Leprosenkapelle St. Stephan auf einer Anhöhe nordöstlich der Reichsstadt die Vorgänge 1533. Erst 1769 wurde sie von einem gewissen Keck erworben und zu einem Gasthof umgebaut, danach diente sie als Stadel und wurde 1898 an den Konsul Leonhard Kluftinger verkauft. Bei den folgenden Renovierungsarbeiten kamen schließlich die in Seccotechnik zwischen 1440 und 1460 ausgeführten und vermutlich 1533 übertünchten Wandmalereien (Heiligenzyklus, biblische Darstellungen) zum Vorschein 44 . Die Wandmalereien der Michaelskapelle auf dem St. Mang-Platz wurden vermutlich wie diejenigen der St. Mang-Kirche überDORN: B i l d e r s t u r m , S . 1 1 5 ; BUCHNER: K e m p t n e r M a l e r e i , S. 1 5 7 - 1 8 6 ;
FEUCHTMAYR:
P l a s t i k , S. 1 8 7 - 1 9 3 ; ROTT: Q u e l l e n 1/1, S. 1 7 4 . 40
Zu dem alten Kempter Geschlecht der Gufer vgl. WEITNAUER: Geschlechter, bes. S. 70-74; 1543 und 1548 wird dort ein Rechenmeister Hans Gufer, 1551 und 1556-1558 ein gleichnamiger Bürgermeister erwähnt. Der älteste Band der Ratsprotokolle nennt einen Bürgermeister Hansen Gufer für das Jahr 1531; vgl. StadtA Kempten, RPr 1517-1551, fol. 231. 41 Allerdings mußten diese Wandmalereien nach Aufnahme des Befundes wieder zugedeckt werden. Zu den Fresken im Chor, vgl. KDBay Kempten, S. 19f (Werkstatt Ulrich Mair zugeschrieben); HABERL: St. Mangkirche, S. 6 (Ulrich Mair oder Werkstatt Bernhard Strigels zugeschrieben); ZOLLHOEFER: Reste, S. 24-29. 42 Vgl. StadtA Kempten, Literalie B 31, fol. lOOr/v (Schwartzsche Chronik); danach die Schilderungen bei HAGGENMÜLLER: Kempten 2, S. 6; HAMMON: St. Mang, S. 73, und auch IMMENKÖTTER: Stadt und Stift, S. 177. 43 Vgl. KARRER: Beschreibung, S. 103f. 44 Zu St. Stephan im Keck vgl. HABERL: Keck-Kapelle, bes. 6-14, und SCHMOLLER: St. Stephan im Keck.
222
Kempten
tüncht; die Kapelle wandelte man 1557 in ein Leinwandschauhaus um und richtete in der Gruft einen Weinkeller ein, später diente sie als Schmalzwaaggebäude, bevor sie 1857 endgültig abgerissen wurde 45 . Die Leonhards-Kapelle war seit 1570 geschlossen 46 . Darüber, ob einige Bildwerke besonders attackiert, andere dagegen verschont wurden, ist nichts bekannt. Lediglich zu einem Verhöhnungsritual kam es auch in Kempten: Bürgermeister Michael Flach ließ sich den abgesägten Kopf des Palmesels aus St. Mang auf einem Teller servieren, um damit seinen Spott zu treiben 47 . Zusammenfassend sollte man daher besser von eine „obrigkeitlich verordneten und durchgeführten Bildentfernung" als von einem „Bildersturm" sprechen 48 . Konkrete Folgen hatte die obrigkeitliche Bildentfernung - die zeitlich fast schon am Ende des Reformationsprozesses anzusiedeln ist - für drei Personen. Zum einen führte sie zur Entlassung der beiden Prediger Rottach und Seeger aus städtischen Diensten am 31. Januar 1533. Aus ihrem lutherischen Verständnis heraus lehnten sie zwar die Bilderverehrung ab, da aber Bilder für sie lediglich Adiaphora waren und außerdem einen pädagogischen Wert erfüllen konnten, mißbilligten sie die Maßnahmen des Rates und der Gemeinde. Kurz nach dem 11. Januar zogen sie daher ihre Einwilligung in den Kompromiß um die Abendmahlsfrage zurück. Der Rat reagiert darauf mit ihrer Entlassung und berief zwei als Anhänger Zwingiis ausgewiesene Prediger aus der Schweiz, Veit Kappeler und Paul Roßdorfer. Die Durchsetzung der zwinglischen Abendmahlslehre wurde also auch durch die Bildentfernung begünstigt. Zum anderen kehrte der beim alten Glauben gebliebene Altbürgermeister Gordian Seuter aus Protest über das Vorgehen des Rates in der Bilderfrage Kempten nun endgültig den Rükken, nachdem er sich nach dem Bauernkrieg auf das Schlößchen Letten vor den Stadtmauern zurückgezogen hatte, und ließ sich im Kloster Ottobeuren nieder 49 . Der Einfluß auswärtiger Theologen war in Kempten nicht allzu groß. Briefe, die die Kemptener in den vorangegangenen Jahren immer wieder auf die kirchlichen Mißstände angemahnt hatten, kamen von Zwingli, Am45 Die dabei entdeckten Wandmalereien im Innen- und Außenbereich, welche verschiedenen Epochen zuzuordnen sind, hielt der Maler und Heimatforscher Josef Bruck fest. Vgl. ZOLLHOEFER: Fresken, S. 31-38. Von dem bei KARRER: Beschreibung, S. 102 erwähnten Altar fehlen weitere Spuren. 46 Vgl. KARRER: Beschreibung, S. 105. 47 Vgl. IMMENKÖTTER: Stadt und Stift, S. 177. 48 Vgl. DORN: Bildersturm, S. 114f. 49 Vgl. FÖRDERREUTHER: Seuter, S. 28-30. Seuter empfand die Entfernung des Kirchenschmucks von St. Mang und der dort erst kurz vorher von seiner Familie gestifteten Seuterkapelle als Entweihung.
Der Kampf gegen die Bilder in der St. Mang-Kirche und den Kapellen
223
brosius Blarer, Martin Bucer, Wolfgang Capito und Konrad Sam 50 . Die Bilder- wie die Abendmahlsfrage (vgl. den Mißerfolg Bucers 1532) wurden sozusagen in eigener Regie gelöst: Der Rat als Obrigkeit hatte durch seine ausgleichende Politik in den Jahren 1525 bis 1533 einen offenen Konflikt zwischen den rivalisierenden Parteien zu verhindern gewußt. Auch in der folgenden Phase, in der man vom Höhepunkt der Macht Haystungs und der zwinglianischen Gruppe hin zu einem Kompromiß mit den lutherischen Ständen 1536 gelangte, sollte der Rat seine Aufgabe meistern.
50
Vgl. Z X, S. 491, Nr. 990 (Zwingli an Bürgermeister und Rat von Kempten, 6. März 1530); Vgl. B R I E F W E C H S E L DER B R Ü D E R A M B R O S I U S U N D T H O M A S B L A U R E R 1, S. 278, Nr. 225 (Ambrosius Blarer an Martin Bucer, 8. Okt. 1531) und S. 324f, Nr. 266 (Capito an Ambrosius Blarer, 9. Feb. 1532); oben Anm. 35.
Kapitel 11
Giengen an der Brenz 11.1 Die Reformation in Giengen1 Um das Jahr 1500 zählte Giengen zu den kleineren niederschwäbischen Reichstädten (ca. 1.200-1.700 Einwohner). Von den staufischen Herrschern als Stützpunkt zur Sicherung ihrer Hausmacht genutzt und mit Privilegien versehen, kämpfte die Stadt unter den nachfolgenden Königen oft gegen die häufigen Verpfändungen. Die Bürgerschaft war in sieben Zünften organisiert, ein Patriziat hatte sich nicht in Giengen angesiedelt. Auch verfügte man nicht über ein umliegendes Territorium. Die Pfarrkirche St. Maria war dem Augustinerchorherrenstift Herbrechtingen inkorporiert 2 , das damit für die Besetzung der Pfarrstelle und die Anstellung zweier Helfer zuständig war. Daneben gab es an geistlichen Institutionen das erstmals 1319 erwähnte Hl. Geist-Spital und die Klause der 1463 von Hermaringen nach Giengen gekommenen Augustiner-Terziarinnen 3 . Trotz der kurzen Entfernung zu Ulm finden sich erst relativ spät Nachrichten über den Einzug der reformatorischen Lehre in der Stadt. 1528 soll in der Spitalkirche nach Luthers Lehre gepredigt worden sein. Erstes gesichertes Datum ist jedoch der 5. Januar 1529, als Sixt Tuchhöffter, Peter Pfundstain, Jacob Widenmann Keßler und Mathis Kneuelin dem Rat der Stadt eine Petition übergaben, in der sie die Berufung eines evangelischen
1 Für die relativ dürftige Überlieferungssituation zum hier interessierenden Zeitraum im Giengener Stadtarchiv ist v. a. der große Stadtbrand von 1634 während der spanischen Besatzung verantwortlich, der den größten Teil der Quellen vernichtete. Neben wenigen Akten über Religion und Kirche, stützt sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Ratsprotokolle, die allerdings erst im Jahre 1534 einsetzen. - Zur Reformationsgeschichte vgl. ANDLER: Reformation, S. 97-113 und S. 163-173. 2 Zur Klostergrundherrschaft Herbrechtingen vgl. BÜHLER: Herrschaft Heidenheim, S. 50-56, bes. S. 55 (Giengen). 3
Vgl. WÜRTTEMBERGISCHES KLOSTERBUCH, S. 247 (Lit.). Die 1412 gegründete
Benediktinerinnen-Klause beim Pfarrfriedhof war 1430 bereits aufgelöst und die Schwestern waren dem Kloster Weihenberg bei Wertheim zugewiesen worden; vgl. ebd., S. 247 (Lit.). Auch die seit 1275 belegte Kommende des Deutschen Ordens bestand nur bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts.
Die Reformation in Giengen
225
Prädikanten forderten 4 . Um die rechte Verbreitung des göttlichen Wortes zu gewährleisten, waren die vier Bürger sogar bereit, den Prediger auf eigene Kosten zu unterhalten. Mit Hans, einem nicht näher bekannten Helfer des Pfarrers, präsentierten sie sogleich ihren Wunschkandidaten, zeigten daneben aber auch die Bereitschaft an, einer anderen Wahl des Rates, dem gegenüber sie ihren Gehorsam betonten, zuzustimmen. Entweder als unmittelbare Folge dieser Petition oder auf Eigeninitiative des Rates wurde der Prediger Martin Rauber nach Giengen berufen und ihm das Predigtamt übertragen 5 . Wann genau Rauber diese Aufgabe übernahm, ist nicht bekannt 6 wie auch keine Nachrichten über seine Aktivitäten bis zu seinem Weggang nach Ulm bzw. ins Ulmer Territorium im Jahre 1531 erhalten sind. Ob nach Rauber ein anderer evangelischer Prädikant in der Stadt wirkte, ist nicht sicher belegt, darf aber vermutet werden 7 . Wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und dem Pfarrer bzw. dem Herbrechtinger Propst. Nach Meinung des Rates kümmerten sich diese nicht genügend um eine angemessene Seelsorge und ließen allzu oft die beiden Helferstellen vakant. Anhaltspunkte für die neue religiöse Gesinnung findet man jedoch aufgrund der Quellenlage erst im Frühjahr 1534, als der Rat festlegte, die Frauenkirche während der Osterzeit nachts abzuschließen und die Schüler vor dem Hl. Grab nur noch am Tage singen zu lassen 8 . Pfarrer Johann Ammann wurde untersagt, den damaligen Inhaber des Predigtamtes, Kaspar
4
Vgl. StadtA Giengen, LO-A-F, Nr. 87/1. Das Predigtamt in der Pfarrkirche und im Spital war 1420 gestiftet worden und vom Rat mit Einwilligung des Pfarrers zu besetzen. 5 Martin Rauber, geboren um 1490/1500 in Nellingen/Alb im Ulmer Territorium, wird zunächst als Kaplan in Esslingen erwähnt, zwischen 1529-1531 als Prädikant in Giengen, übernahm er 1531 die Predigerstelle am Ulmer Spital und gleichzeitig die Prädikatur in Nellingen, 1534 kam er wieder nach Giengen, wurde 1539 Prädikant in Weidenstetten und wirkte seit 1543 in erneut in Ulm als Münsterprediger und Lehrer an der Lateinschule. 1548 wurde er wegen seiner Ablehnung des Interims zusammen mit Martin Frecht verhaftet und in Kirchheim/Teck eingekerkert. Nach der Entlassung aus der Haft ging er zunächst nach Tübingen, wo er sich 1549 immatrikulierte. 1551 wird er als Diakon in Brackenheim erwähnt, 1552 nimmt er die Pfarrstelle in Esslingen an. Dort stirbt er am 1. Sept. 1561. Zu seiner Biographie vgl. WEYERMANN: Nachrichten 2, S. 407; APPENZELLER:
Münsterprediger,
S.
27f,
Nr.
27;
BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES
PFARRERBUCH 3, S. 85, Nr. 315; vgl. oben S. 98 und S. 184, A n m . 30; AREND: R a u b e r ,
S. 425-439. 6 Über den Beginn seiner Tätigkeit finden sich unterschiedliche Angaben: ANDLER: Reformation, S. 100, nennt übereinstimmend mit KEIM: Schwäbische Reformationsgeschichte, S. 71, das Jahr 1529; dagegen gibt MAGENAU: Beschreibung, S. 79, das Jahr 1 5 3 1 an. 7 Vgl. ANDLER: Reformation, S. 103f. Vermutlich war der 1534 erstmals genannte Kaspar Pfeiffelmann schon seit Raubers Weggang in Giengen tätig. 8 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 31. März 1534.
226
Giengen an der Brenz
Pfeiffelmann, länger zu belästigen und diesen einen Ketzer zu nennen 9 . Zur Abschaffung der Fronleichnamsprozession konnte man sich allerdings noch nicht durchringen, sondern gab vor, weiter um die Kirche zu schreiten wie bisher 10 . Die polemischen Auseinandersetzungen zwischen Ammann und Pfeiffelmann nahmen zu und veranlaßten den Giengener Rat, sich von Pfeiffelmann zu trennen und ab Mai 1534 wieder um Martin Rauber zu bemühen 11 . Eine Abordnung des Rates begab sich zu Rauber nach Ulm, um mit ihm über die Rückkehr nach Giengen zu verhandeln 12 . Der überzeugte Kämpfer für die evangelische Lehre folgte dem Ruf im Juni 1534 und sollte in den nächsten Jahren zur bestimmenden Persönlichkeit werden. Seinem Drängen nach religiösen Neugestaltungen stand allerdings das behutsame Vorgehen des Giengener Rates gegenüber, und gerade in der Bilderfrage sollte diesem Dissens eine entscheidende Rolle zukommen 13 . Positiv auf die vorsichtige Reformationspolitik des Giengener Rates wirkte sich die Tatsache aus, daß seit 1534 durch Ulm bzw. seit 1536 durch den württembergischen Herzog die evangelische Lehre in den unmittelbar benachbarten Dörfern der Herrschaft Heidenheim eingeführt und durchgesetzt wurde 14 . Ein deutlicher Schritt war die Abschaffung der Messe im Jahr 1536 15 . Vorangegangen waren heftige Diskussionen zwischen Rauber, Pfarrer Ammann und den Kaplänen der Stadt 16 . Auf Drängen Raubers erließ der Rat im Spätherbst einige Artikel zur sittlichen Besserung. Heftig polemisierte Rauber auch gegen die Augustinerinnen 17 . Zu
9
Zu Johann Ammann, 1526-1547 Pfarrer in Giengen, und Kaspar Pfeiffelmann, seit
1 5 3 1 P r e d i g e r i n G i e n g e n , v g l . BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3 , S. 2 0 f ,
Nr. 7 und S. 83, Nr. 302; vgl. unten bei Anm. 18. 10 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 29. Mai 1534. 11 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 13. Mai 1534; AREND: Rauber, S. 428-430. 12 Der schließlich zwischen beiden Seiten ausgehandelte Vertrag sollte insgesamt drei Jahre lang gültig sein, allerdings beiden Parteien „nach ußgang des ersten Jars" die Möglich einräumte, „yedr dem andern abzukhinden"; vgl. StadtA Giengen, RPr vom 17. Mai 1534. Rauber sollte ein jährliches Einkommen von 80 Gulden, 4 Fuder Holz und 2 Malter Dinkel erhalten. 1536 kamen zusätzlich 2 Fuder Holz und 1 Malter Dinkel und Roggen hinzu. Daneben wurde eine Wohnung nach seinen Wünschen hergerichtet. Zu den Bücheranschaffungen vgl. AREND: Rauber, S. 430 mit Anm. 39 und S. 43 lf; unten S. 298, Anhang 1. 13 Vgl. unten S. 228-232. 14 Vgl. FETZER: Reformation, S. 146-156; ANDLER: Reformation, S. 165f. Die Herrschaft Heidenheim war zunächst an Ulm verpfändet worden, fiel aber 1536 wieder an das Haus Württemberg. 15 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 12. Mai und 3. Nov. 1536. 16 Vgl. ANDLER: Reformation, S. 163f und S. 166. 17 Vgl. z. B. unten S. 297, Anhang I: „Die widerspänigen unserer relligion ermanen, das si von irem irsal abstandind, sonderlich klausenschwester."
Die Reformation in Giengen
227
einem Beitritt zum Schmalkaldischen Bund im Frühjahr 1537 konnte sich der Rat nicht durchringen. In den Fragen, ob man die Wittenberger Konkordie annehmen sollte oder nicht und wie eine Kirchenordnung ausgestaltet werden sollte, kam es zum Streit zwischen Rauber und Ammann, der seit 1535 zur evangelischen Seite übergewechselt war 18 . Da man sich nicht einigen konnte, wurde Martin Bucer hinzugezogen. Unter seinem Einfluß kam es im Juli 1537 zur Annahme der württembergischen Kirchenordnung 19 ; als Verordnete für Kirchenangelegenheiten wurden Bürgermeister Sailer, Kirchenpfleger Endris Engelhart, Kuntz Stumpff und der Zunftmeister Hans Hilsenbeck bestellt. Anschließend löste der Rat noch die Jahrtagsstiftungen auf und zog die vorhandenen Pfründen ein, deren Besitz bzw. Einnahmen künftig die Almosenpfleger zu verwalten hatten. Im großen und ganzen betrachtete der Rat damit die religiösen Erneuerungen für abgeschlossen. Enttäuscht über die Tatsache, daß er sich in einigen Angelegenheiten nicht gegen den Rat durchsetzen konnte (z. B. Zucht, Feiertage, Bilder), verließ Martin Rauber Giengen vor Ablauf seiner Amtszeit Anfang Februar 1539 wieder Richtung Ulm 20 . Die Sorge der Giengener, in die militärischen Auseinandersetzungen des Schmalkaldischen Krieges hineingezogen zu werden, war nicht unbegründet, befand sich doch im Herbst 1546 das Lager der Schmalkaldener unweit von Giengen, und auch Karls V. Truppen hielten sich zwischen Brenz und Niederstotzingen auf. Bereits am 30. Dezember 1546 huldigte man daraufhin Karl V., und im Februar 1547 übergaben die beiden Bürgermeister Sailer und Sonntag, ein Ratsherr und der Stadtschreiber die Schlüssel der Stadt. Nach der endgültigen Niederlage des Schmalkaldischen Bundes wurde das Interim in der Stadt im Juli 1548 eingeführt; die beiden Geistlichen, die sich dagegen auflehnten, wurden entlassen. 1550 führte der Rat auch die Fronleichnamsprozession wieder ein. In der Praxis existierten Messe und evangelische Predigt bis 1555 nebeneinander. Der Streit um das Interim zwischen dem Interimsgeistlichen Clemens Halbhirn und dem protestantischen Prediger Georg Rheticus verschärfte die Spannungen 21 . Der Rat mußte sogar dafür sorgen, daß über altgläubige Zeremonien nicht gespottet wurde. Spätestens seit 1553 feierte man in der Spitalkirche wieder evangelischen Gottesdienst. Nachdem der Rat am 31. Dezember 1554 die Aufhebung des Interims verfügt hatte, ver18
Vgl. ANDLER: Reformation, S. 109f und S. 167f. Vgl. unten S. 228f; ANDLER: Reformation, S. 167f; StadtA Giengen, A - F 14, Nr. 87 (Kirchenordnung). 20 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 4. Feb. 1539. - Bis zu seiner Gefangennahme 1548 war Rauber in Ulmer Diensten tätig, zuletzt im Münster. 19
21
Z u d e n P e r s o n e n v g l . BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3, S . 4 7 , N r .
138 (Halbhirn) und S. 87, Nr. 322 (Rheticus); zu den Vorgängen vgl. MAGENAU: Beschreibung, S. 64-67.
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Giengen an der Brenz
ließen die meisten katholischen Geistlichen 1555 die Stadt. Im folgenden Jahr führte man die Augsburger Konfession endgültig ein und holte mit Wendelin Schempp 22 einen Schüler Martin Frechts aus Ulm nach Giengen. Nach dem Tod der letzten Klausnerin wurde die Gemeinschaft der Augustinerinnen 1571 aufgehoben. Im Jahre 1580 unterzeichnete man das Konkordienbuch.
11.2 Das Ausbleiben des „Bildersturms" Gleich zu Beginn seiner zweiten Giengener Phase 1534 hatte Rauber dem Rat mitgeteilt, daß er „nit kainen eußerlichen cerimonie des bäpstlichen wesens, 1er und relligion will verbündten sein" 23 . Mit dem Hinweis, der Rat sei in Fragen der Festlegung von Formen kirchlicher Zeremonien nicht kompetent, kam es zunächst nur zu Einschränkungen der Prozessionen, Heiligenfeste, Bräuche in der Karwoche (Klopfen, Palmesel 24 , Grablegung) und des Messelesens 25 . 1536 schließlich wurde die Messe ganz abgeschafft 26 , aber bezüglich der Bilder zeigte der Rat kein Einlenken. Heftig reagierte die Obrigkeit z. B. auf die Tat Ammanns, der mit seinem Kaplan Joachim Ritter den Taufstein aus der Kirche entfernt hatte 27 . 1536 verkaufte man einige silberne Kreuze und Kelche, die man nach dem Verbot der Messe offenbar nicht 22
V g l . BADEN-WÜRTTEMBERGISCHES PFARRERBUCH 3 , S. 9 1 , N r . 3 4 9 ( L i t . ) .
23
Der eigenhändige Brief Raubers an die Stadt Giengen ist auf fol. 25v des ersten Bandes der Ratsprotokolle (StadtA Giengen, RPr Mai 1534) eingeklebt; vgl. auch ANDLER: R e f o r m a t i o n , S. 106. 24
Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 16. März 1535 (Palmesel soll auf den Kirchhof gestellt werden und die Pfaffen sollen ihn verwenden, wie sie wollen). 25 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 29. Mai 1534 (Fronleichnamsprozession soll durch einen Umgang um die Kirche ersetzt werden); RPr vom 18. Aug. 1534 (Spitalkaplan soll mit seiner Frühmesse nicht mehr dem „Götzendienst" anhängen); RPr vom 22. März 1535 (Karwoche); RPr vom 24. März 1535 (Prozession mit Kreuz am Markustag findet nicht statt); RPr vom 23. April 1535 (Feiern des Georgentages wird freigestellt); RPr vom 30. April 1535 (Prozession an Himmelfahrt wird eingestellt); RPr vom 22. Mai 1535 (Fronleichnamsprozession wird abgeschafft); RPr vom 16. Mai 1535. 26 Vgl. oben S. 226. - Die überflüssig gewordenen Kirchenornate (Gewänder) in der Pfarrkirche wurden ausgesondert und die schlechten Stücke an die Armen der Stadt verteilt, die guten Exemplare von den Pflegern verwahrt; vgl. StadtA Giengen, RPr vom 25. Juli 1536. Ähnlich verfuhr man auch mit den Ornaten der St. Ulrichs-Pflege: Die Gewänder wurden zu Hemden für arme Kinder verarbeitet, die Kelche und Silbergeräte sollten in einer Truhe verwahrt werden; vgl. StadtA Giengen, RPr vom 27. Dez. 1538. 27 Vgl. StadtA Giengen, RPr vom 20. Juli 1535; ANDLER: Reformation, S. 110. - Johann Michael Dillherr, Superintendent an St. Sebald in Nürnberg, dessen Großvater in Giengen Bürgermeister gewesen war, stiftete 1549 einen neuen Taufstein für die Pfarrkirche; vgl. MAGENAU: Beschreibung, S. 45.
Das Ausbleiben des „Bildersturms "
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mehr benötigte, und finanzierte aus dem Erlös die Geschenke, die die Stadt dem württembergischen Herzog bei der Übernahme der Herrschaft Heidenheim machte. Für das Jahr 1537 wird berichtet, daß die Kapellen St. Veith und St. Elisabeth abgebrochen worden sind. Hinsichtlich der Bilder konnte Rauber also noch nicht mit der Abschaffung der äußerlichen Zeremonien zufrieden sein. Unterstützung in dieser Sache erhielt er sicherlich durch Martin Bucer, der im Juli 1537 in Giengen weilte. Am 12. Juli 1537 erschien Bucer mit Ammann und Rauber vor dem Rat und empfahl die Annahme der Württembergischen Kirchenordnung 28 . Der Rat willigte ein, allerdings unter einer Einschränkung: „Darauff ain erber rath inen diser antwurtt geben, das man well die wurttembergische kirchenordnung anemen und derselben gemeß handien, das nachtmal anreichen. Aber die kirchen außzuraumen, alter abbrechen, die hailigen auß der kirchen zü thon, die kirchen züzeschließen und was derselbigen geweßen, well im ain erber rat den sollich Ordnung zü gelten unbehalten [= nicht einzuhalten] haben und mitlerzeit, wie ain erbern rath für gut ansieht, darinen handien." 29
Die ,Gemein Kirchenordnung' Württembergs hatte zwar die Bilderfrage nicht behandelt, doch ordnete das herzogliche Mandat des sog. ,Pfingstmontagserlasses' vom 5. Juni 1536 die Entfernung der ärgerlichen und verehrten Bilder und Altäre mit Vorwissen der Obrigkeit und des Predigtamtes an30. Dies aber lehnte der Giengener Rat entschieden ab. Auch die Autorität Bucers konnte den Rat in seiner Haltung nicht umstimmen. Der Rat mußte sich allerdings weiterhin mit dem Thema beschäftigten. Offenbar war es zwischen Rauber und Ammann zu einem Streit in der Frage des rechten Umgangs mit dem Bilderschmuck in den Kirchen gekommen. Genaueres zu dieser Auseinandersetzung ist zwar nicht überliefert, aber aus dem Folgenden dürfte klar werden, daß Ammann eher eine bilderfreundliche Position verfolgte - und damit dem Rat entgegenkam was Raubers unbedingt eingeforderter Abschaffung der Bilder und Altäre zuwiderlief. Am 16. November 1537 wurden beide vor den Rat zitiert und ermahnt, ihren Disput von den Kanzeln einzustellen 31 , friedlich miteinan-
28 Dabei handelt es sich um die im Frühjahr 1536 im Druck erschienene und am 24. Aug. 1536 im Herzogtum abgekündigte, zu großen Teilen von Erhard Schnepf verfaßte .Gemein Kirchenordnung, wie die diser zeit allenthalb im Fürstenthumb Wirtemberg gehalten soll werden'; vgl. D I E EVANGELISCHEN K I R C H E N O R D N U N G E N DES XVI.
JAHRHUNDERTS
16,
S.
103-128;
SÜDWESTDEUTSCHE
REFORMATIONSGESCHICHTE,
S.
225-227. 29
StadtA Giengen, RPr vom 12. Juli 1537. Vgl. CRUSIUS: Schwäbische Chronik 2, S. 241; DEETJEN: Kirchenordnung, S. 452 mitAnm. 15; oben S. 49f. 31 StadtA Giengen, RPr vom 19. Nov. 1537: „Pfarrer und prediger sind uff heut vor rath ire zwiespalte halben der pilder erschinen. Und derhalben vili auff und ab, gegen30
230
Giengen an der Brenz
der zu leben und das Nachtmahl wie 1536 beschlossen zu halten. Ammann wurde noch vom Rat erlaubt, sich bei Erhard Schnepf in der Bilderfrage kundig zu machen. Er reiste aus diesem Grund Ende 1537 nach Göppingen, wo Schnepf gerade mit der Visitation beschäftigt war, auf Raubers Anliegen jedoch ungestüm reagierte und behauptete, „was der bilder abthuung halber fürgenommen, darzu hab er weder geraten noch geholffen, seye auch syn will unnd mainung gar nit" 32 . Rauber ließ sich aber auch wohl nicht von Schnepf abschrecken und wandte sich mit einer Eingabe direkt an den Rat 33 . In der vermutlich Ende 1537/Anfang 1538 verfaßten Schrift fand er deutliche Worte gegen die Bilder. Nachdem er zunächst betont, sich weiterhin gerne seinem Amt in Giengen zu widmen, erinnert er die Obrigkeit an ihre Aufgabe, „in Sachen die relligion betreffend" für die „pflantzung güottes [und] außreittung des argen und üblens" (unten S. 289) zu sorgen. Beispiele eines schlechten und guten Verhaltens der Obrigkeiten aus dem Alten Testament erwähnend, fordert er den Rat eindringlich auf, endlich das zu beseitigen, was an „Übel" noch in Giengen vorhanden sei: „Und ob die Euer Ehrwürdige Weisheit jetzmals fragte, was doch das wele so weiter durch si abgeschafft solt werden, soll die mercken, das durch si alle ergerliche bilder, stock [= Bildstöcke] und altär soll abgethon werden, dan die zur große unser Gottes hie stond. Die meß und ir opfferpfaff seiend abgeschafft, billich soll auch das, darauff der greüel gehalten und vor dem er [= der Greuel] gehalten, abgethon werden: aitar und bild. Dan vnser aitar ist Christus, Gots bild seiend mir von flaisch und gepain Christi, als Paulus zum Heb. und Ephe. saget." (unten S. 290)
Der Rat solle sich nicht von den Streitigkeiten der Theologen in der Bilderfrage beeinflussen lassen; letztlich seien sich doch alle - auch Luther - darüber einig, daß verehrte und angebetete Bilder entfernt werden müssen. Auch seien Pfarrer Ammann und er sogar gewillt, ihre Ämter niederzulegen, wenn der Rat nicht endlich bereit sei, „alter und bilder glatt hinzethond" und „auff die warhaitt [zu] sechen" (unten S. 291). Diese Wahrheit werde aber nicht durch die Bilder, sonder durch Gottes Wort vermittelt. Daher folgt ein längerer Abschnitt mit Beispielen aus dem Alten und Neuen Testament, die zeigen, daß die Bilderverehrung zu verwerfen sei. Ergänzt werden diese Beispiele durch Kirchenväterzitate und Exempel aus der Geschichte, die von den antiken Kaisern bis zur Chronik und mitainander gehandelt. Und nach viel reden hatt sich ain erbern rath entschlossen und in baid gesagt, dass sy sollichs streits halben an der cannzel stillstanden." 32 Zit. nach EHMER: Bildergespräch, S. 84 [Verweis auf zwei unedierte Schriftstücke im HStA Stuttgart, A 525, Bü 31,2a und 2b]; vgl. auch ANDLER: Reformation, S. 168, Anm. 1. 33 Vgl. StadtA Giengen, A - F 14, Nr. 87; der Text ist unten S. 288-298 als Anhang I beigefügt. Die folgenden Zitate aus dieser Eingabe werden im Text in runden Klammern angegeben.
Das Ausbleiben
des „Bildersturms "
231
von Raubers Zeitgenossen Sebastian Franck reichen. Zum Schluß faßt er dann als Quintessenz dieser Beispiele zusammen: „Wider der bilder eer steet Gotts wort, die apostel und propheten, der kaiser zum tail Satzungen, vil sprüch der vetter, vil exempel auß alten historien. Mir sollend beim wort bleiben und nach anweisung desse[n] handien." (unten S. 296)
Danach wendet sich der Prädikant wieder direkt an die Obrigkeit, bietet dem Rat seine Bereitschaft an, mehr über die vorgebrachten Artikel, die er am Schluß auflistet, zu informieren, und erinnert gleichzeitig daran, dafür zu sorgen, „das gutte Ordnung in der kirchen gehalten werd und durch somsäligkeit nicht underlassen, als das nachtmal des herrn, vespergebett, item das alle unweiß, so under den predigen beschicht, ausser und inner der kirchen abgeschafft werd". (unten S. 296)
Nachdem er die Mahnungen an den Rat wiederholt hat, erklärt er, daß er weder Giengen verlassen noch seine Aufgabe wechseln möchte: „Wo dan mir von eür willfarung solchs cristlichs begerens beschicht, will ich sollichs mitt ungesparter arbeit meins ampts, auch mitt meinem fleissigen gepett gegen Gott underdienstlich beschulden und verdienen." (unten S. 297)
Zum Schluß seiner Eingabe formuliert Rauber in elf Punkten, was der Rat seiner Meinung nach noch zu tun hat. Und es überrascht nach dem Geschilderten nicht weiter, daß an erster Stelle die Entfernung der gefährlichen Bilder auftaucht: „Die ergerlichen bilder und alle bilder, so in gfar der vererung stond, mittsampt den alteren [= Altären] inner- und ausserhalb der statt sollend hingelegt werden." (unten S. 297)
Der Streit um Bilder zog sich auch 1538 hin, zu den von Rauber gewünschten Veränderungen ließ sich der Rat nicht bewegen. Die durch den Wegfall der Meßstiftungen frei gewordenen Pfründeneinkommen ließ der Rat dem Almosenamt zukommen und die liturgischen Geräte und Ornate durch die Kirchenpfleger inventarisieren und verwahren 34 . Auch bei der Abschaffung der Feiertage und in der Frage, wie weit der Prediger den Pfarrer zu unterstützen hatte, kam es zu Auseinandersetzungen mit Ammann 35 . Letzterer konnte beim Rat erreichen, daß ihm ein neuer Helfer, Jochum Ritter, zur Seite gestellt wurde. Die fehlende Unterstützung des Rates und das Nichtdurchsetzen seiner Positionen haben Rauber wohl dazu bewogen, seine Predigerstelle im Januar 1539 aufzukündigen und ab Februar 1539 neue Aufgaben in Ulmer Diensten, zunächst in Weidenstetten, ab 1543 in Ulm selbst, zu suchen.
34 35
Vgl. ANDLER: Reformation, S. 171f; oben bei Anm. 26. Vgl. ANDLER: Reformation, S. 169; AREND: Rauber, S. 436.
232
Giengen an der Brenz
Der Giengener Rat „rettete" also die religiösen Bilder vor einer Ausräumung oder gar einem „Bildersturm" in den 1530er Jahren 36 . Weder die eindringlichen Ermahnungen eines Predigers noch der Besuch eines bekannten Reformators konnten die Ratsherren in ihrer zurückhaltenden Position umstimmen: Altäre und Bilder blieben an ihrem Platz! Anders als etwa in Ulm oder Kaufbeuren mußte man daher die Gotteshäuser nach der Annahme des Interims 1548 auch nicht wieder mit Altären und Bildern einrichten 37 . Und trotzdem ist keines dieser Kunstwerke mehr zu betrachten. Die Ursache dafür liegt in dem großen Stadtbrand von 1634. Im Dreißigjährigen Krieg von spanischen Truppen besetzt 38 , lösten plündernde Soldaten ein Feuer aus, welches die Stadt bis auf drei Häuser zerstörte. Auch die kirchlichen Institutionen fielen dem Feuer zum Opfer. 1652 begann man mit dem Neubau der Pfarrkirche, von deren Vorgängerbau lediglich die Fundamente und einige Mauern erhalten waren 39 . Auch die Spitalkirche wurde wieder aufgebaut 40 . Zu erwähnen bleibt noch, daß die Kapelle zur Hl. Dreifaltigkeit 1811 abgebrochen wurde.
36
Demgegenüber wurde in den benachbarten Dörfern der Herrschaft Heidenheim, die seit 1536 wieder württembergisch war, der herzogliche Befehl durchgeführt; vgl. oben S. 49f (Bilderfrage im Herzogtum Württemberg); GUTHER: Gerstetten, S. 3 1 0 - 3 1 9 . - Die Behauptung bei FETZER: Heidenheim, S. 13, die Bilder seien in Giengen 1537 aus der Kirche entfernt worden, ist falsch. 37 Vgl. MAGENAU: Beschreibung, S. 75-78. Vgl. auch StadtA Giengen, RPr vom 15. März 1549: Das Sakrament wird wieder in das Sakramentshäuschen gestellt. 38 In dieser Zeit kam es offenbar auch zu Übergriffen auf sakrale Kunstwerke, etwa die silberne Marienstatue vom Hochaltar der Marienkirche, die 1634 von den Spaniern geraubt wurde; vgl. MAGENAU: Beschreibung, S. 45. 39 Zur Neuausstattung mit Altären, einer Orgel, Gemälden, Epitaphien vgl. MAGENAU: Beschreibung, S. 4 5 - 4 7 . 40 Vgl. MAGENAU: Beschreibung, S. 48f.
Kapitel 12
Kaufbeuren 12. 1 Zur Kaufbeurer Reformationsgeschichte1 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lebten etwa 2.500 Einwohner in dem zu den kleineren Mittelstädten des Reiches zählenden Kaufbeuren. Die Bürgerschaft, organisiert in sieben Zünften, konnte sich im Verlaufe des 14. Jahrhunderts neben dem Patriziat politische Mitspracherechte sichern, doch beschränkte sich der Kreis der Funktionsträger auch in Kaufbeuren auf die wohlhabenderen Zunftbürger. Zu wirtschaftlichem Wohlstand war die Stadt vor allem durch den Salzhandel und die Barchentproduktion gekommen. Zu dem kleinen reichsstädtischen Territorium gehörten die Dörfer Oberbeuren, Stöttwang, Obergermaringen (1538), Dösingen (1571), Westendorf (1571), Oberostendorf (1570); über den Besitz des Spitals in städtische Verwaltung gekommen waren Untergermaringen, Talhofen, Eurishofen, Schwäbishofen, Weinhausen, Weicht, Reichenbach und Märzisried 2 . Das rege religiöse Leben im mittelalterlichen Kaufbeuren spiegelte sich in der Vielzahl der Gotteshäuser, Bruderschaften (Liebfrauen-, Kapitelsund Beckenknechtenbruderschaft) und klösterlichen Gemeinschaften 3 wie1
Charakteristisch für diesen Abschnitt der Kaufbeurer Stadtgeschichte ist die gute Überlieferungssituation in diversen Archiven (u. a. Stadtarchiv, Evangelisches Kirchenarchiv, Katholisches Pfarrarchiv St. Martin, Klosterarchiv der Franziskanerinnen); vgl. d a z u DIE URKUNDEN DER STADT KAUFBEUREN l , S. 1 4 - 1 7 u n d S . 2 3 f . Z u d e n a u f d i e s e r
Quellenbasis aufbauenden Darstellungen zur Reformationsgeschichte vgl. DIETER: Ereignissen; DERS.: Reformation; PÖRNBACHER: Katholische Gemeinde, S. 228-237; PFUNDNER: Gemeinde, S. 272-281; DERS.: Reformation; ALT: Reformation; WEIGEL: Reformationsversuch; einen Überblick zur Forschungssituation bietet zuletzt DIETER: Kaufbeuren, S. 57-59 und S. 97-100. 2 Im Gegensatz zu den benachbarten Reichsstädten Memmingen oder Kempten wagte es Kaufbeuren aus Zurückhaltung gegenüber den mächtigen altgläubigen Herrschaften (Bayern, Hochstift Augsburg, Reichskloster Irsee) allerdings nicht, Reformationsversuche in diesen Besitzungen durchzuführen. Vgl. dazu PFUNDNER: Reformation, S. 3043 0 8 u n d S. 3 4 0 - 3 4 3 . 3 Von den klösterlichen Gemeinschaften (Franziskaner-Tertiarinnen, AugustinerChorherren im Spital, Dominikaner im Siechenhaus, Schwesternschaft im Seelhaus) waren um 1500 nur noch die Franziskanerinnen im Maierhof vertreten; vgl. DIETER: Kirchenwesen, S. 222-225.
234
Kaußeuren
der. Zu den insgesamt 13 Kirchen und Kapellen gehörten innerhalb der Stadt die Pfarrkirche St. Martin 4 , die 1319 vollendete Blasiuskapelle, die Spitalkirche, die Michaelskapelle am Friedhof, mehrere Kapellen in und außerhalb der Stadt (Liebfrauen, St. Sebastian, St. Dominikus, St. Leonhard, St. Salvator und Afra, St. Sebastian und Maria, St. Kosmas und Damian) und die Kapelle des Franziskanerinnenklosters. Im Pfleghof des Klosters Irsee existierte noch eine Annenkapelle. Der Reichtum der Bürger hatte im Kaufbeuren des 15. Jahrhunderts zu vielen kirchlichen Stiftungen, insbesondere von Meßkaplaneien, geführt 5 . Charakteristisch für die Kaufbeurer Reformationsgeschichte im 16. Jahrhundert war, daß verschiedene, oft miteinander konkurrierende reformatorische Bewegungen (lutherische, zwinglianische, täuferische, schwenckfeldische) auftraten, von denen sich zunächst keine ganz durchsetzen konnte. Aber auch die alte Kirche konnte ihre Dominanz nicht beibehalten. Nach einigem Hin und Her standen schließlich seit 1555 die beiden reichsrechtlich anerkannten Konfessionen gleichberechtigt nebeneinander. Über die Anfänge der Reformation in Kaufbeuren ist nur Weniges bekannt. Der vorsichtige und kaisertreue Kurs des Rates verhinderte eher die Ausbreitung evangelischen Gedankengutes. Noch vor Bekanntgabe des Wormser Ediktes drohte die Obrigkeit schon mit schwerer Strafe gegen diejenigen, die sich lästernd gegenüber Maria und den Heiligen äußerten. Daß Luthers Lehren aber dennoch in der Stadt rezipiert wurden, zeigte sich im Jahr 1524. Mit dem Prädikanten Jakob Lutzenberger, Inhaber der Honoldschen Prädikatur und Spitalkaplan 6 , und dem neuen Bürgermeister Blasius Honold traten zwei Förderer der reformatorischen Glaubensrichtung wichtige Ämter an. So durfte fortan etwa der Beisitzer im Rat, Dr. Sebastian Fuchssteiner von Fuchsstein auf Calmberg, vom Predigtstuhl der Martinskirche aus Schriften Martin Luthers vorlesen. Lutzenberger bezichtigte ungestraft Georg Sigk, den Pfarrer von St. Martin, von der Kanzel herab der Irrlehre 7 . An mehreren Sonntagen des Jahres 1524 störte auch der Kannengießer Ulrich Winkler den Gottesdienst, wobei er u. a. am 8. September Sigk, der gerade auf der Kanzel stand und predigte, der Lüge bezichtigte. 4 Zur Pfarrkirche vgl. LAUSSER: St. Martin; LUECKE: St. Martin-Kirche; SALM: St. Martin; KDBay Kaufbeuren, S. 7-12. 5 Zum spätmittelalterlichen religiösen Leben in der Stadt vgl. DIETER: Mittelalter, S. 52-58; DERS.: Kirchenwesen, S. 214-227. 6 Zu der bereits 1453 von Ulrich Honold gestifteten Predigerstelle an St. Martin, die mit einer Meßstiftung der Familie im Spital verbunden war, weswegen die Prädikanten gleichzeitig auch Priester sein mußten, vgl. DIETER: Kirchenwesen, S. 221. - Zu
L u t z e n b e r g e r v g l . PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S . 1 2 9 , N r . 7 5 5 . 7
Vgl. dazu FUCHS: Konfession und Gespräch, S. 279f, bes. Anm. 277.
Zur Kaufbeurer
Reformationsgeschichte
235
Anfang 1525 verschärfte sich die Situation und am 8. Januar schließlich kam es zum Eklat 8 : Während einer Predigt Lutzenbergers löste Winkler einen Aufruhr aus, und es kam zu einer Schlägerei mit den anwesenden Kaplänen. Gleich nach diesem Vorfall versammelten sich die Zünfte im Weberhaus und schickten eine Delegation mit der Forderung zum Rat, ein öffentliches Religionsgespräch nach dem Memminger Vorbild abzuhalten. Der Rat kam dieser Aufforderung nach, und so wurde für den 30. Januar 1525 eine Disputation in den Rathaussaal einberufen, auf der beide Parteien ihre Positionen mit der Hl. Schrift begründen sollten 9 . Die Evangelischen konnten zwar mit ihren Argumenten mehr überzeugen als ihre Gegner, der Rat rang sich jedoch nur zu halbherzigen Beschlüssen durch. Vor gravierenden Änderungen im Religionswesen wollte man erst auswärtige Gutachten einholen 10 . Bis dahin sollte zwar nichts anderes als das klare, heilige Evangelium gepredigt werden, und die Priester sollten ihre Schmachreden einstellen, in den anderen Angelegenheiten aber, die weder von Gott eingesetzt und auch nicht durch die Hl. Schrift legitimiert seien, sollten die Gutachten und eine neue, zu erstellende Ordnung abgewartet werden. So lange war den Priestern freigestellt, Messe, Vigilien etc. zu halten oder nicht. Bevor man jedoch zu einer Neuregelung des religiösen Lebens kommen sollte, holten die Ereignisse des Bauernkrieges Kaufbeuren ein. Der Rat war auf die Forderungen der Kaufbeurer Bauern im Februar 1525 nicht eingegangen und versuchte, durch geschicktes Verhandeln und Vermitteln, die Stadt aus dem Krieg herauszuhalten. Allerdings konnte man nicht verhindern, daß Truppen des Schwäbischen Bundes, der ebenso wie der bayerische Herzog die reformatorischen Bestrebungen in der Stadt kritisch beobachtete, in die Stadt einzogen. Die militärische Präsenz nutzend, löste der altgläubige Matthias Klammer im Mai den lutherisch gesinnten Blasius Honold als Bürgermeister ab, die evangelischen Prediger wurden vertrieben, und als der Jurist Fuchssteiner am Fronleichnamstag predigen wollte, verhinderte dies der Rat. Kaufbeuren trat daraufhin bis 1545 nach außen als altgläubige Reichsstadt auf 11 . Die Anhänger der evangelischen Lehre blieben im Untergrund oder verließen - wie Sebastian Fuchssteiner - die Stadt. Die Unterdrückung von offizieller Seite förderte aber auch die Hinwendung zu zwinglianischen, 8
Vgl. dazu PFUNDNER: Gemeinde, S. 273. Vgl. unten S. 239-245. 10 Wegen des beginnenden Bauernkrieges kam es jedoch nicht zu Gesandtschaften. Zur Kaufbeurer Politik im Bauernkrieg vgl. ALT: Reformation, S. 32-42; vgl. unten S. 2 4 3 mit Anm. 4 3 . 9
" V g l . z. B . D I E URKUNDEN DER STADT KAUFBEUREN 2 , N r . 1 1 4 9 . 1 1 5 0 . 1 3 1 8 .
Kaufljeuren
236
täuferischen oder schwenckfeldischen Strömungen 12 . 1528 ließ der Rat fünf Täufer wegen ihrer Glaubenshaltung öffentlich enthaupten, dennoch konnte sich bis zur Vertreibung der Täufer durch den Kaufbeurer Rat 1545 eine kleine Gruppe, die sich v. a. aus Handwerkern rekrutierte, behaupten. Eine größere Anhängerschaft, v. a. im Patriziat der Stadt, fand der Spiritualist Kaspar Schwenckfeld. Vereinzelt am Anfang, stärker jedoch gegen Ende der 1530er Jahre konnten Reformationsanhänger aber wieder politische Ämter übernehmen 13 . Die Maßnahmen des Rates gegenüber diesen verloren damit an Härte. Anfang der 1540 Jahre war die Täufergemeinde sogar größer als zu Beginn der Verfolgungen. Die Anhänger Schwenckfelds hatten bis 1543/44 die Mehrheit im Rat errungen. 1543 verabschiedete man mit einer Zahlung von 100 Gulden den einflußreichen katholischen Stadtschreiber Hans Ruf und setzte den Schwenckfelder Matthäus Windisch an seine Stelle 14 . Der katholische Pfarrer Adam Wesser verließ angesichts der Kräfteverhältnisse im Oktober 1544 die Stadt. Burckhardt Schilling, der im Juli 1544 als erster evangelischer Pfarrer nach Kaufbeuren kam, im Frühjahr 1545 aber bereits starb, galt als Anhänger Schwenckfelds. Schillings Nachfolger wurde Thomas Kirchmaier (Naogeorgus) 15 . Im April 1545 kam Schwenckfeld selbst nach Kaufbeuren und wohnte bei den in der Stadt tonangebenden Familien der Bürgermeister Anton Honold und Matthias Lauber. Trotzdem duldete die neue Obrigkeit zunächst sowohl den Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt als auch noch den alten Meßgottesdienst in der Pfarrkirche. Im März 1545 konnte der Rat schließlich dem Augsburger Domkapitel für 400 Gulden dessen Rechte an St. Martin abkaufen und fortan den Pfarrer und den Kaplan am KatharinenAltar selbst präsentieren. Die Bestätigung dieses Kontraktes durch Bischof Kardinal Otto Truchseß von Waldburg am 31. August war nur eine Formsache 16 . Nach langem Ringen nahmen die Kaufbeurer Protestanten schließlich im August 1545 mit der Confessio Augustana ein lutherisches Bekenntnis an17. Diese - angesichts der geschilderten Kräfteverhältnisse in der Stadt 12
V g l . d a z u SCHORNBAUM: Q u e l l e n , S. 1 3 1 - 1 6 1 ; DIETER: K a u f b e u r e n , S. 6 0 - 8 6 ( D i e
täuferische Gemeindebildung)
und S. 86-97 (Die schwenckfeldische
Gemeinde);
PFUNDNER: G e m e i n d e , S. 2 7 6 - 2 7 9 ; ALT: R e f o r m a t i o n , S. 4 3 - 6 4 . 13
So wird etwa der Bildhauer Jörg Lederer bereits 1530 als Stadtammann erwähnt; 1536 übernahm der Schwenckfelder Matthias Lauber das Bürgermeisteramt, Johannes Baptista Heel das Ammanamt. 14 Zu Ruf und Windisch vgl. BURGER: Stadtschreiber, S. 179 und S. 288 (Lit.). 15
Zu Burkhard Schilling vgl. PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S. 184, Nr.
1086; zu Thomas Naogeorgus ebd., S. 148, Nr. 864. 16
17
V g l . DIE URKUNDEN DER STADT KAUFBEUREN 2 , N r . 1 3 6 3 .
Die evangelische Gemeinde bestätigte ihr Bekenntnis 1577 mit der Unterzeichnung der Konkordienformel.
Zur Kaufoeurer
Reformationsgeschichte
237
doch bemerkenswerte Tatsache beruhte nicht zuletzt auf dem Drängen der benachbarten Reichsstädte Augsburg, Kempten, Memmingen und Ulm durch Briefe und Gesandtschaften im Frühjahr 1545, weil sie einen Sonderweg Kaufbeurens befürchteten und die schwenckfeldische Lehre als häretisch betrachteten. Der Wormser Reichstag von 1545 hatte sich nämlich mit den religiösen Zuständen in Kaufbeuren beschäftigt 18 , und eine mögliche Reichsexekution gegen Kaufbeuren barg neben der Gefahr für Kaufbeuren, die Reichsunmittelbarkeit zu verlieren, auch die Möglichkeit der Schwächung der evangelischen Reichsstände insgesamt. Aber mit der Annahme der Confessio Augustana kehrte keineswegs Ruhe in die religiösen Angelegenheiten ein, lehnte der schwenckfeldisch eingestellte Prediger Espenmüller doch das Augsburger Bekenntnis ab, das zwei vom Memminger Rat entsandte Prediger in der Stadt etablieren wollten 19 . Ebenfalls zur Unterstützung sandte der Augsburger Rat 1545 seinen Prädikanten Michael Keller, der bis 1546 für die Verbreitung und Durchsetzung zwinglianischer Gedanken und die Einfuhrung der Augsburger Kirchenordnung von 1537 sorgen sollte 20 . Die romtreuen Geistlichen wurden beurlaubt, die Messe abgeschafft, die Bilderfrage in Angriff genommen (siehe unten), die Gotteshäuser — bis auf St. Martin - verschlossen und das Almosenwesen neu organisiert. Widerstand gegen diese Maßnahmen kam natürlich von altgläubiger Seite, vor allem aus dem Frauenkloster. Mit der sich abzeichnenden Niederlage der evangelischen Partei gegen Karl V. im Schmalkaldischen Krieg sollte sich auch in Kaufbeuren, das dem Schmalkaldischen Bund nicht beigetreten war und eine abwartende Position vorgezogen hatte, die Lage bereits wieder ändern. Mit der Annahme des Interims im Juni 1548 mußte der Rat die alte Form des Gottesdienstes erlauben und bestellte am 24. Juli 1548 mit dem Irseer Mönch Magnus Fendt einen katholischen Pfarrer. Fendt verstarb bereits am 18. Juli 1549; sein Nachfolger wurde Adam Wesser, der sich allerdings auf
18
Vgl. DIETER: Kaufbeuren, S. 93f; ALT: Reformation, S. 66-72. Die Stadt war dabei von den katholischen Reichsständen als abschreckendes Beispiel für die Folgen der reformatorischen Bewegung dargestellt worden. 19 Espenmüller mußte sich daraufhin der Predigt enthalten, verließ Kaufbeuren 1546 und ging nach Basel zum Studium. Allerdings kehrte er - nunmehr als Anhänger Luthers - Anfang 1548 wieder zurück und wurde wieder als Prediger eingestellt; vgl. PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S. 50, Nr. 274. - Die Memminger Prediger stießen allerdings auch auf den Widerstand des gerade anwesenden Schwenckfeld, so daß die beiden die Stadt bald darauf verlassen mußten; vgl. DIETER: Reformation, S. 352. 20
Zu M i c h a e l Keller ( u m 1 5 0 0 - 1 5 4 8 ) vgl. „ ... WIDER LASTER UND SÜNDE", S. 102f, Kat.-Nr. 18; AUGSBURGER PFARRERBUCH, S. 24, Nr. 127; ZORN: Keller, S. 1 6 1 - 1 7 2 ; vgl.
unten Anm. 57. - Ab Mitte Oktober 1546 kam auf Vermittlung Kellers dann Thomas Naogeorgus als neuer Prediger nach Kaufbeuren, der die Stadt allerdings nach dem Interim wieder verlassen mußte.
238
Kaufleuren
Befehl des Rates mit dem schwenckfeldisch geprägten Prediger Mathias Espenmüller in St. Martin arrangieren mußte. Mit dem Eingriff des siegreichen Kaisers in die Verfassungsverhältnisse 1551 (Karolinische Wahlordnung) sollte auch in Kaufbeuren ein kaiserfreundliches und der Papstkirche wohlgesonneneres Stadtregiment installiert werden, was in der Praxis allerdings erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Durch die Regelungen zur Religionsfrage in Passau 1552 und Augsburg 1555 wurde das Nebeneinander beider Konfessionen festgeschrieben. Täufer und Schwenckfelder tauchten nur noch vereinzelt auf. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Stadt waren damit jedoch nicht erledigt. Vor allem die simultane Nutzung der Pfarrkirche St. Martin seit 1558 - in der Zwischenzeit hatten die Evangelischen ihre Gottesdienste in der Liebfrauenkapelle und Spitalkirche gefeiert - war in der Folgezeit immer wieder Anlaß zum Streit. Besonders unter Thomas Tillmann 21 , seit 1557 Prädikant in Kaufbeuren, sollten die gegenseitigen Schmähungen größere Ausmaße annehmen. Tillmann konnte erreichen, daß St. Martin den Protestanten zwischen 6 und 8 Uhr morgens zur Verfügung stand, den Rest des Tages gehörte das Gotteshaus den Katholiken. Nachdem die Streitigkeiten mit der Kalenderreform Papst Gregors XIII. 1583 einen Höhepunkt erreicht hatten, der zu unterschiedlichen Wochen- und Festtagskalendern führte 22 , griff Kaiser Rudolf II. 1588 vermittelnd in den Streit ein. Die katholische Gemeinde, die prozentual gesehen die Minderheit der Kaufbeurer Bevölkerung repräsentierte, sollte fortan den Chor alleine und das Langhaus gemeinsam mit den Evangelischen benutzen. Eine wirklich zufriedenstellende Lösung bahnte sich allerdings erst Anfang des 17. Jahrhunderts an, nachdem der Rat auf kaiserlichen Druck hin die Pfarrkirche St. Martin wieder ganz den Katholiken hatte zurückgeben müssen. Am 20. März 1604 beschloß die Obrigkeit, das sog. Kaiserhaus am Markt, das 1504 Kaiser Maximilian I. gekauft hatte und das seit 1540 in städtischem Besitz war, den Protestanten zu überlassen, die es bis 1605 zu ihrer Dreifaltigkeitskirche umbauten 23 . In den Wirren des 30jährigen Krieges verschärften sich die Konflikte erneut. Gestützt auf die militärischen Erfolge der Liga, unterstützt vom Augsburger Bischof Heinrich und Kurfürst Maximilian von Bayern, wurde Kaufbeuren zum Versuchsobjekt für das von Kaiser Ferdinand II. erlassene Restitutionsedikt: 1629 kamen die Jesuiten in die Stadt, den Lutheranern wurde ihre Religionsausübung verboten, Militär in der Stadt einquartiert. 21
Z u i h m vgl. PFARRERBUCH BAYERISCH-SCHWABEN, S. 2 1 5 , N r .
1276.
22
Vgl. dazu ALT: Reformation, S. 100-112. 23 Vgl. D R E I F A L T I G K E I T S K I R C H E K A U F B E U R E N ; ZU den Epitaphien vgl. auch NER: Dreifaltigkeitskirche, S. 80-89; KDBay Kaufbeuren, S. 24f.
PFUND-
Der Umgang mit den religiösen
Bildern
239
32 der angesehensten Kaufbeurer Familien verließen die Stadt und kehrten erst nach den Siegeszügen Gustav Adolfs von Schweden 1632 zurück 24 . Die Versuche einer völligen Rekatholisierung waren wie bereits im Interim 1548 gescheitert; erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 kam es zum Friedenschluß zwischen beiden Konfessionsparteien.
12.2 Der Umgang mit den religiösen Bildern 12. 2. 1 Die Bilderfrage auf dem Religionsgespräch
J52525
Nach dem Ratsbeschluß vom 8. Januar 1525, eine Disputation abhalten zu wollen, holte sich der Rat Informationen in Memmingen, Kempten und Augsburg 26 ein, um die Disputation vorzubereiten. In Memmingen hatte man kurz zuvor (2.-6. Jan. 1525) ein Religionsgespräch abgehalten 27 . Christoph Schappeler erhielt zwar eine persönliche Einladung, nach Kaufbeuren zu kommen, doch reiste der Memminger Prediger nicht an, da Pläne des Augsburger Bischofs Christoph von Stadion, ihn bei dieser Gelegenheit gefangennehmen zu lassen, publik geworden waren 28 . Pfarrer Sigk wandte sich an den Augsburger Bischof, erhielt allerdings aus Dillingen lediglich die Antwort, daß man dem Gespräch fernbleiben und eine Entscheidung des Konzils abwarten wolle. Nachdem der Rat am 18. Januar 1525 die Disputation öffentlich ausgeschrieben hatte 29 , sollten sich die Teilnehmer am 30. Januar im Rathaussaal einfinden 30 . Da Pfarrer Georg Sigk aber nicht erschienen war, vertagte man das Gespräch auf den folgenden Tag. Den Vorsitz führte Bürgermeister Blasius Honold; der Jurist Dr. Sebastian Fuchssteiner und der Stadtarzt Dr. Ivo Strigel, beide Anhänger Luthers, sollten das Gespräch leiten. Der Vertreter der evangelischen Seite war Jakob Lutzenberger, der 24
Vgl. A L T : Reformation, S. 1 1 7 ; L A U S S E R : St. Martin, S. 32f. Vgl. B L I C K L E : Religionsgespräche, S. 72-80; F U C H S : Konfession und Gespräch, S. 281-292; P F U N D N E R : Religionsgespräch, S. 25f. 28-31. 43-65; D E R S . : Reformation, S. 273f; M O E L L E R : Zwingiis Disputationen 2, S. 251-254; A L T : Reformation, S. 26f. 26 Vgl. EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1 (Kempten an Kaufbeuren, 27. Jan. 1525) und Nr. 2 (Instruktion für die Gesandten Jörg Lederer und Ambrosius Spar nach Augsburg). 27 Vgl. obenS. 127f. 28 Vgl. D O B E L : Memmingen 1, S. 36; W E I G E L : Reformationsversuch, S. 193f. 29 Vgl. M O E L L E R : Zwinglis Disputationen 2 , S . 2 5 2 ; EKA Kaufbeuren, A. 1 0 2 , Nr. 1 . 1 . 30 Über das Kaufbeurer Religionsgespräch berichten im EKA Kaufbeuren, A. 102 mehrere Aktennummern. Am ausführlichsten schildern die dort unter den Unternummer 1. geführte Reinschrift (33 Bll., fol. 13r-14r. 24v-25r. 27r-32v leer) und die unter 1. 3. geführte Konzeptschrift (40 Bll., fol. lr/v und 37v-40v leer) des Gespräches die Vorgänge; die Zitate folgen den Original vorlagen. Der Text der Konzeptschrift ist - leider oft fehlerhaft - ediert bei P F U N D N E R : Religionsgespräch, S. 43-62. 25
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vom Konstanzer Prediger und aus Kaufbeuren stammenden Johannes Wanner 31 unterstützt wurde. Pfarrer Sigk hatte Magister Wolfgang, seinen Bruder und Pfarrer in Geißenried, und Magister Nikolaus Schweigker, Pfarrverweser in Aitrang, zur Unterstützung mitgebracht. Außerdem waren auch die elf Kaufbeurer Kapläne 32 , die Ratsherren, der Stadtschreiber Johann Ruef und Vertreter der Zünfte anwesend 33 . Das Gespräch begann mit einem Streit zwischen Lutzenberger und Sigk um die Frage, wer eigentlich über Änderungen christlicher Satzungen zu entscheiden habe. Der Prädikant plädierte mit Hinweis auf 1. Kor 14,29 für die christliche Gemeinde; Sigk folgte dem Ratschlag seines Bischofs, verwies auf die Konzilien und stellte klar, daß weder er noch die Kapläne noch der Rat der Stadt befugt seien, in Fragen der christlichen Lehre und Kirche Änderungen vorzunehmen. Als entschieden wurde, das Gespräch fortzusetzen, verließ Sigk mit einigen seiner Anhänger die Versammlung. Die Kapläne blieben jedoch, und mit ihnen wurde am gleichen Tag (31. Januar) und auch noch am folgenden Tag disputiert. Zur Debatte standen die von Lutzenberger aufgestellten sieben Thesen zur christlichen Kirche, zu Glauben und guten Werken, menschlichen Satzungen, Bildern, Messe, Fegefeuer und Fürbitten der Heiligen, die den Teilnehmern vom Stadtschreiber einzeln vorgelesen, von Lutzenberger erläutert und gleich diskutiert wurden. Nachdem sich Lutzenberger in der dritten seiner sieben Thesen gegen die von Menschen gemachten Satzungen, die keinen „grund der getlichen geschrift" haben, ausgesprochen hat, kommt er im vierten Punkt auf die Bilder zu sprechen: „4. Bilder: Darauß denn en[t]sprungen ist groß stifftung vnnd gebew der staininer [= steinernen] tempel [= Kirchenbauten], wel[c]he mitt großem kosten vnnützlich, der altär, bilder, gemöld vnd anderm vnnützen (on gründ der hailigen geschrifft) gezierdt, so doch sollichs nach angeben [= Aussage] des hailigen geists an die lebendigen tempel, Gots hailigen, gelegt solt werden." 34
In der anschließenden Diskussion, in der Art. 3 und Art. 4 zusammengenommen wurden, zeichnete sich ein erstaunliches Pro und Contra ab. Gerade hier zeigte sich, daß einige der Kapläne durchaus mit der Hl. Schrift umgehen konnten und nicht alle so unwissend waren, wie in der 31
Zu ihm vgl. SlEMONS: Art. Wanner, S. 976 (Lit.). Die Namen der Kapläne sind aufgelistet bei PFUNDNER: Religionsgespräch, S . 50f. 33 Zum Typus des gemeindlichen Religionsgespräches, bei dem als Versammlung der Gläubigen durch Christus (Mt 18,19f) die Hilfe des Hl. Geistes zur Erkenntnis der Wahrheit zuteil wird, vgl. FUCHS: Konfession und Gespräch, S. 285 und S. 291; BLICKLE: Religionsgespräche, S. 76-80. 34 EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.2; PFUNDNER: Religionsgespräch, S. 45, Anm. p und S. 46, Nr. [4], - Vgl. auch ALT: Reformation, S. 24. - Vgl. oben S. 42. 32
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Literatur oft zu lesen ist. Kaplan Lorenz Kon äußerte, daß die Bilder nur Zeichen seien und keineswegs angebetet werden dürften: „Mer hab er selbs personlich gesagt, die biltnus sey nur ain holtzwerck und sey auch allein nur ain anzaigung, man durffe auch die getzen nit anbetten." Es sei aber trotzdem „besser in die kirchen dann in ain stal ze gann" 35 ,
d. h. der Besuch von Kirchen, die mit Bildwerken geschmückt sind, sei nicht völlig abzulehnen, auch wenn man „weder Sant Peter noch annder hailige bedurffe", sondern durch Christus allein zur Seligkeit gelange. Theologisch etwas profunder äußerte sich Kaplan Hans Klee. Zunächst argumentierte er, die Bilder seien als „Bücher der Laien" anzusehen und verstießen daher nicht gegen die Schrift 36 . Lutzenberger antwortete mit Verweis auf Jer 31, Joh 4,24, Apg 17,29 und 18 und Mt 6, daß nach der Hl. Schrift „söllichs nit sein solle" und die Kirche der Ort sein solle, „darin man das gotzwort verkünden solle". Genau in diesem Punkt konterte Klee geschickt, indem er die Bilder als Mittel der Verkündigung betrachtete: „Die pawrn haben sunst kain geschrifft dann der zeichen in der kirchen, das sein auch ir biecher." 37 Der Prädikant war offenbar etwas überrascht über Klees Hartnäckigkeit. Er empfahl diesem die Lektüre von Ex 20,4 und wollte die Einwände erst gelten lassen, wenn Klee ihm Bibelstellen als Beleg für seine bilderfreundliche Haltung vorlegen könne. Hans Klee bat sich daraufhin Bedenkzeit bis zum nächsten Tag aus, um die Zitate aus der Hl. Schrift nachzuliefern, was ihm Fuchssteiner auch gewährte. Am folgenden Tag wurde die Bilderdebatte fortgeführt. Klee wies auf die eherne Schlange hin (Num 21,8-9), die Gott selbst zu machen befohlen habe. Er betonte außerdem, daß Ex 20 lediglich die Anbetung der Bilder verbiete 38 : „Darauff her Hanns Klee sagt, das die ding in seinem bedunckhen nit wider die geschrifft sey, bultnuß ze machen, aber man solle die nit anbetten, dann wer das geschehen, were es wider die geschrifft Exodi am 20ten. Es stet auch im alten testament, da Got gebotten hat, man solle machen ain schlanng und den an ainem pfal hennckhen und biltnusse ze machen auff die arten." 39
Zugleich forderte der Kaplan eine prinzipiellere Stellungnahme des Prädikanten zum Alten Testament, das er oft zitiere, während doch eine Anzahl von alttestamentlichen Geboten in der neutestamentlichen Gemeinde keine Bedeutung mehr hätte 40 . Die Erwiderung Lutzenbergers fehlt leider 35
EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.3, fol. 25v; PFUNDNER: Religionsgespräch, S. 56. EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.3, fol. 25v-26r; vgl. oben S. 21f und S. 25f (Luther); dagegen S. 27f (Zwingli); 36f (Bucer). 37 EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.3, fol. 26r; P F U N D N E R : Religionsgespräch, S. 56. 38 Vgl. dazu die Argumentation Luthers und Zwingiis; oben S. 24. 28. 33. 39 EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.3, fol. 27r; P F U N D N E R : Religionsgespräch, S. 58. 40 EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.3, fol. 27r: „Nun weite er auch [27v:] von dem brediger gern wissen, ob alle gebot in dem alten testament auch im newen ze halten sein. 36
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im Protokoll, aber die Bilderfrage hatte jedenfalls eine lebhafte Diskussion ausgelöst. In der anschließenden Einzelbefragung zum Bilderartikel antworteten sechs der Kapläne, sie wüßten dazu nichts zu sagen, drei stimmten dem Artikel zu, Hans Klee nahm eine neutrale Haltung ein („er lobs nit, so schelt ers nit") und Nikolaus Beler merkte an, daß er in seinem hohen Alter mit solchen Dingen nicht mehr belastet werden möchte („er sey auff sein groß alter komen und bit, das man in mit disen dingen unbekymert bleiben laß"). Dr. Fuchssteiner faßte als Ergebnis der Diskussion um die Punkte drei und vier abschließend zusammen, daß man „durch dits brudeerlich gesprech zu erkanntnus der unbetrugklichen gotlichen warhait" gekommen sei, Menschensatzungen und Bilder als große Greuel vor Gott anzusehen. Bereits Gott selbst habe in Ez 16,17-18 das „Götzenwerk" und die „Menschensatzungen" beklagt, die sein Volk von ihm entfremden 41 . Fuchssteiner und Strigel sahen also die Meinung Lutzenbergers bestätigt. In den Beschlüssen ganz am Ende des Religionsgespräches forderte der Rat zwar die Verkündigung des klaren, heiligen Evangeliums von den Geistlichen, die in friedlichem Miteinander dieser Aufgabe nachkommen sollten, aber bezüglich der Messe und der Zeremonien, also auch der Bilder, traf man keine konkreten Entscheidungen. Den Taten, die nach Meinung Lutzenbergers und seiner Anhänger der Erkenntnis folgen sollten, stand die Obrigkeit eher abwartend gegenüber. In diesen Fragen wollte man sich erst noch von auswärts Rat einholen und nach weiteren Beratungen eine neue Ordnung machen. Bis diese neue Ordnung fertig sei, sollte man - auch aus Vorsicht vor den Gegnern Kaufbeurens - alles beim Alten belassen; die Priester durften Messe lesen oder es bleiben lassen. Kaplan Hans Wurm hatte als Pfarrverweser die Geistlichen dementsprechend zu unterrichten 42 . Denn man hab in dem alten testament aine gütten tail der gebot, die man yetzo nit halt, auch dernhalb nit s[ch]mach furchten. Und durch die sichtpare ding müssen wir zu den unsichtparn komen." 41 Vgl. oben S. 27f. 51; M O E L L E R : Reichsstadt und Reformation, S. 149f. 42 EKA Kaufbeuren, A. 102, Nr. 1.3, fol. 36r: „Zum dritten [...], so ist entschlossen, das die oberkait zu Wendung bösser und ungepurender pruch [= Gebrauch] ettlich Ordnung furnemen und machen well. Und demnach an ortten, ob sy es für gut ansehen, mit rat hanndln wellen, der ungezwiffelt hoffnung und Zuversicht, das dardurch Got der almechtig geert, die briderliche lieb gemert und das hailig ewangelium lauter und klar gepredigt und verkundt werden mug. [35v:] Zum vierten dwil meß halten und dergleichen sunst mer andre ceremonie, die man bißher in der kirche gehalten und gepraucht, von Got nit auffgesetzt, auch in der hailigen geschrifft nit gegrünt sein. Und damit man den priestern und andren personen ire gewißen nit beschwern sein, so welle man sollichs inen und auff ir gewissen und conc[ien]ß gesetzt haben, allso das sy meß lesen mugen oder nit, sy mugen auch vigilien und dergleichen, biß ain oberkait darin Ordnung furnemen ist, halten oder nit. Doch so ist auch bedacht, damit darnach ain ratt und gemeine stat Kauffbeuren von irer mißgennern nit angezeigt werden mugen, [36r:] das sunst mit
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In der Tat bemühte sich der Rat gleich nach den Beratungen um Ratschläge von außen 43 . Überliefert sind die Vorschläge aus Konstanz und Augsburg, die beide vor übereilten Maßnahmen warnten, zur Geduld mahnten und damit den vorsichtigen Kurs des Kaufbeurer Rates bestärkten. In Konstanz hatte Johannes Wanner, der nach dem Religionsgespräch dorthin zurückgekehrt war, Rat bei seinem Kollegen Ambrosius Blarer eingeholt und zusammen mit ihm Vorschläge gemacht, „waß die notturfft diser ferlichen tzeyt erfordert und wie man sich christenlich in vil Sachen richten solle", die er in einem Schreiben vom 2. März 1525 dem Kaufbeurer Rat mitteilte: „Den [= der Ratschlag Wanners und Blarers] wolle E. E. W. fleyssig besechen, so werden sy finden, waß immer auff gehalde gespräch tze handien am nöttigeste sey." 44 Zu den Bildern und der Messe folgen dann ganz konkrete Anweisungen. Gegen die Bilder soll zunächst heftig gepredigt werden, um die im Innern des Menschen (Herzen) aufgerichteten Bilder (Götzen) zu bekämpfen 45 : „Wüder die bild gleych wie wüder ander schädlich mißbreuch soll häfftig geprediget werden, auff das sy tzum ersten durch die krafft des Göttlichenn auß den hertzen der menschenn gerissenn werden."
Bekämpft man nur die äußerlichen Götzen, bringt das keinen Erfolg: „So das nit bescheenn, so ist on frucht, waß man euserlich mit den götzen fürnimpt, wan aber wie oben gemeldt, das wort mit ernst getribenn und das volck wol bericht worden, dann fallen die götzen gleych wie ander ding von in selbs."
Erst wenn die Gemeinde im Wort Gottes wohl unterrichtet ist, kann man im zweiten Schritt zur geordneten Entfernung der Götzen aus den Kirchen schreiten. „Und mögen alsdan E. E. W. die selbigen auß der kürchen tze thun wol verschaffenn, yedoch sol söllichs mit beschaidenhait, on auffrur und bolder bescheenn und niemand aygens frevels tze handien gestatt werden."
den ceremonien in der kirchen dhein [= kein] endrung noch news furgenommen werd solle, biß mit gutem ratte, wie es mit sollichem gehalten werden solle, Ordnung gemacht." PFUNDNER: Religionsgespräch, S. 62. 43 Das bei SCHRÖDER7STEICHELE: Bistum Augsburg 6, S. 370, Anm. 355 und S. 371, Anm. 357 erwähnte Gutachten aus Ulm, wohin der Kaufbeurer Rat sich ebenfalls gewandt hatte, kann zur Zeit im Stadtarchiv Kaufbeuren nicht aufgefunden werden. Für die Hilfe beim Suchen danke ich Herrn Dr. Stefan Fischer (Stadtarchiv Kaufbeuren). 44 Der Brief Wanners findet sich im Original im EKA Kaufbeuren, A. 101, Nr. 3 (danach im Folgenden zitiert); der Text ist abgedruckt bei WEIGEL: Reformationsversuch, S. 242-244; paraphrasierende Wiedergabe auch bei ALT: Reformation, S. 29f. 45 Vgl. oben S. 27-31; Z 4,105,16-19 (Antwort Valentin Compar gegeben, 1525).
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Für viel wichtiger als die Entfernung der Bilder durch die Obrigkeit halten Wanner und Blarer jedoch die Abschaffung anderer Laster, von denen sie Hurerei, Völlerei, Beschwören und Wucher benennen. „Beweysend euch in andernn vil nöttiger dingen gu(o)th Christen seyn als in abschaffung aller offener laster, alsda sind huren, füllerey, gotschwerenn, wu(o)cher; darvon würdt meniklich vil mer gebösseret dann vom bildstürmen. Bilder schaden dem glaubigen gar nit, darumb mag man sy ietz auff komendliche tzeyt wol geduldenn, offne laster aber seynd kainer tzeyt tzu(o) gedulden."
Gerade in der letzten Aussage kann man die vorsichtige und abwartende Haltung der Konstanzer Prediger im Jahre 1525 erkennen 46 . Der Ratschlag, in der Bilderfrage nichts zu überstürzen, kam den Kaufbeurer Ratsherren vermutlich sehr entgegen. In einem Schreiben des Augsburger Rates vom 3. März 1525, dessen Konzept vom Stadtschreiber Konrad Peutinger stammte, riet man den Kaufbeurern - wie vorher schon den Reutlingen! 47 - , das Aufhängen von Fastentüchern weiter zu erlauben 48 . Auch in Augsburg werde diese Praxis weiter gepflegt und man sehe keinen Grund, die Messe zu verhindern und die Bilder aus den Kirchen zu entfernen: „Wir haben eur freuntlich schreibn des tuchs halbn, daran das leyden Christi unsers hailmachers gemalet ist, so man gwenlich in der fastn in den kirchen pflegt aufzuhencken, sambt von wegen des meßlesens und haltens, auch die gemelten bilder in der kirchen beleiben zu lassen oder weck zu tun, vernomen, und geben euch darauf frundtlicher guter me(i)nung zu erkennen, das wir egerurter thücher halb, das die bei uns hievor aufgehenckt worden sein und noch aufgehenckt werdn, gar kain widerwilln tragn, auch solch aufhencken nit verhindern. Meßlesen und halten gestatten wir wie vor alter herkomen ist, auch niemandt tringen noch darzu halten, die gemalten bilder aus der kirche zu thun [...] aus etlichn treffnlichn und beweglichn Ursachen von solchen neuerungen abzusteen, dan sich ein yeder christenmenschen nebn gemaltn bildern oder andern mit seinem hertzen in rechtn christenlichn glaubn zu unserm waren Got aus gnad und barmhertzigkeit desselben woll schicken mag." 49
So wird es verständlich, daß von Seiten des Stadtregiments in der Zeit zwischen Februar und dem durch den Bauernkrieg bedingten Eintreffen der Truppen des Schwäbischen Bundes im Mai 1525 keine Aktionen gegen die religiösen Bilder zu erwarten waren. Sie blieben unangetastet in den Kirchen Kaufbeurens - lediglich mit einer Ausnahme: Der abgewählte Bürgermeister Blasius Honold hatte eine „tafel" aus der Kirche entfernen las-
46
Zu Ambrosius Blarer vgl. oben S. 41-56. Vgl. dazu oben S. 80 mit Anm. 19. 48 Die Anfrage Kaufbeurens an Augsburg ist überliefert im StadtA Augsburg, Lit. 1525, 1, III. 49 VOGT: Correspondenz 6, S. 348, Nr. 95 (Augsburger Rat an den Rat von Kaufbeuren, 3. März 1525). 47
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245
sen 50 . Dieser Bilderfrevel und weitere Provokationen, etwa der demonstrative Fleischverzehr am Freitag oder sein Eintreten für Priesterehe und Abendmahl in beiderlei Gestalt, mißfielen dem neuen, unter Führung des altgläubigen Klammer stehenden Rat und führten zur Vertreibung Honolds aus der Stadt und zu seiner Übersiedlung nach Kempten. 12. 2. 2 Ausräumung,
Weiternutzung und Nichtnutzung der Bilder seit 1545
Da Kaufbeuren in den Jahren zwischen 1525 und 1545 nach außen hin als altgläubige Reichsstadt auftrat, waren demonstrative Maßnahmen gegen die religiösen Bilder nicht zu erwarten. Aktionen von Täufern und Schwenckfeldern werden ebenfalls nicht überliefert. Erst als die Reformationsbewegung Anfang der 1540er Jahre wieder die Oberhand gewann, sollte die Bilderproblematik erneut thematisiert werden. Anregungen erhielt man u. a. aus Ulm und Augsburg. Bereits 1542 hatte der Ulmer Rat seine von Bucer, Oekolampad und Blarer 1531 verfaßte Kirchenordnung, die im neunten Artikel die Duldung der Bilder und „Götzen" in den Kirchen ablehnte, nach Kaufbeuren geschickt 51 . Die Augsburger unterstützten ihre Kaufbeurer Glaubensgenossen 1545 ebenfalls mit der Überreichung ihrer im Juli 1537 in Kraft getretenen Kirchenordnung. In dieser war zwar kein Artikel zum Umgang mit den Bildern enthalten 52 , aber bereits 1536 war in Augsburg ein Katechismus aufgetaucht, der nach Zürcher Vorbild - das Bilderverbot als zweites Gebot des Dekalogs anführte, und im Januar 1537 hatte der Rat eine geordnete Bilderentfernung verlangt und auch gegen den kaiserlichen Willen durchgeführt 53 . Nach der Annahme der Confessio Augustana war auch der - nun mehrheitlich reformationsgesinnte - Kaufbeurer Rat zu Änderungen des Kirchenwesens bereit. Schon nach Lichtmeß (2. Februar 1545) hatte das Stadtregiment Kaplan Joachim Kilwanger untersagt, die Messe zu lesen. Anfang August dann hatte man Ratsherren aus Augsburg, Ulm, Kempten und Memmingen zu Beratungen in Kaufbeuren hinzugezogen, und am 5. August 1545 schließlich fiel der Beschluß, die Messe abzuschaffen und die Heiligenbilder aus der Kirche entfernen zu lassen.
50 Vgl. EKA Kaufbeuren, A. 059, fol. 51v: „Item er helt auch nichts von den bildern in der kirchen. Hat ain tafel in der kirchen gehapt und die wieder darauß haim getragen." (Klagschrift des Blasius Honold). 51 Vgl. PFUNDNER: Gemeinde, S. 278. 52
V g l . D I E EVANGELISCHEN KIRCHENORDNUNGEN DES XVI. JAHRHUNDERTS 1 2 , S. 5 0 -
53
Vgl. SEEBASS: Augsburger Kirchenordnung, S. 34f. 42f. 45f.
60.
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Kauftyeuren
„Darauf den 6 (oder 8) august hatt man die bylder der lieben hailigen ale auß der kirchen gethon, die andere kirche ale verspertt [...], die hailige meß gantz verbotten [...], aber die priester haben deß nitt verwilligett, sonder sind auß der statt getzogen." 54
Eine andere Quelle berichtet, „die bilder waren hinaus geschafft, die altär wurden gleichfalls gestürmt und davon getragen, nichts war da verblieben als die kantzl, stühl und zwey tisch, wo auf einem das luter abendmahl und auf dem andern die tauff ausgericht und verrichtet worden" 55 .
Auffallig ist, daß sich die Angaben für das „Hinwegtun" von Bildern und Altären nur auf die Pfarrkirche St. Martin beziehen 56 ; die anderen Gotteshäuser wurden erst einmal verschlossen. Ganz im zwinglianisch-oberdeutschen Sinne sollten künftig in St. Martin lediglich ein Tisch für das Abendmahl und ein zweiter für die Taufen als Ausstattung dienen. Leider berichten die Quellen nichts Genaueres über den Verlauf und die Dauer der Ausräumaktionen sowie über die daran beteiligten Personen. Nicht ganz klar wird, ob und inwieweit Michael Keller, ein überzeugter Zwinglianer, der sich bereits in Augsburg als Protagonist der Bilderentfernung in seinen Predigten und Aktionen hervorgetan hatte 57 , und die Kaufbeurer Reformation nach Augsburger Vorbild in Kaufbeuren auf Wunsch seines Rates durchsetzen sollte, bereits in diese Vorgänge involviert war 58 ; auch wenn er vielleicht noch nicht persönlich in Kaufbeuren anwesend war, so zeigt der Bericht der Oberin Regina Kirchmaier deutlich, daß Keller in der Bil54
KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 1] (Copia ex Originali der Registratur des Frauenklosters St. Francisci im Mayerhof zu Kaufbeuren; das Original der Chronik der Oberin der Franziskanerinnen Regina Kirchmaier befindet sich jetzt im HStA Augsburg, Bestand Klöster, Kaufbeuren Franziskanerinnenkloster, Lit. 13. Für den freundlichen Hinweis danke ich Herrn Dr. Stefan Dieter, Augsburg. Kurze Passagen der Chronik sind abgedruckt in: DERTSCH: Franziskanerinnen, S. 41-43); so auch KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 2] (Copia wie Nr. 1); ebd., V 388; ebd., V 387, S. 17: „Worauf gleich folgenden tag 5 august rath, gericht und gemaind [...] gehalten und dabey verordnet worden, daß hinford die meß gänzlich abgethan, alle catholischen ceremonien eingestellt, die bilder der heiligen aus den kirchen fortgeschafft werden sollen. Welches den 6. august alsbald befolget, alle bilder aus der pfarrkirche gestirmet, alle andern kirchen aber gesperrt worden." 55 KPfA Kaufbeuren, Varia V 387, S. 19; vgl. auch LAUSSER: St. Martin, S. 30. - Daß sich die Nachricht von der Abschaffung von Messe und Bildern rasch verbreitete, zeigt der Eintrag im Memminger Ratsprotokoll nur wenige Tage später: „Bürgermeister Baltus Funckh hat relation thon von Kauffbeurn, das sy daselbst sovil gehandelt, das sy die mess und bilder abthun und ist im seiner handlung danck gesagt worden"; StadtA Memmingen, A P R r v o m 10. Aug. 1545. 56 Dagegen behauptet DIETER: Reformation, S. 352, daß alle Kirchen und Kapellen der nicht mehr angemessenen Bilder, die die schwenckfeldische Toleranz nicht angetastet hatte, entkleidet wurden. Vgl. dazu unten S. 248-254. 57 Zu Kellers Rolle in den Augsburger Vorgängen um die Bilder vgl. oben S. 17. 58 Nach ALT: Reformation, S. 71, kam Keller erst im September 1545 nach Kaufbeuren.
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derfrage bereits seinen Einfluß geltend machen konnte: Dem Bericht Kirchmaiers folgend, sollten die Ausräumaktionen spätestens sieben bis acht Tage nach dem Beginn (am 6. August) abgeschlossen sein, wollte doch der Sohn des Bürgermeisters Matthias Lauber erst dann Hochzeit halten, wenn alle Bilder aus der Martinskirche geschafft seien 59 . Offenbar war der Sohn Laubers ein Befürworter der Positionen Kellers, sein Vater galt als Schwenckfelder. Vermutlich dürften aber auch in Kaufbeuren vom Rat beauftragte Handwerker tätig geworden sein, die eine Bilderentfernung in geordneten Bahnen vollzogen; jedenfalls sind keine bilderstürmerischen Aktionen, weder von Keller und seinen Anhänger noch von Täufern 60 , Schwenckfeldern oder anderen Personen überliefert. Darüber hinaus belegt ein Eintrag in die Hörmannsche Chronik, daß die Stifter auch noch die Möglichkeit hatten, ihre gestifteten Kunstwerke in Sicherheit zu bringen: Der als Faktor der Fugger in Schwaz tätige Georg Hörmann 61 von und zu Gutenberg wies seine Bediensteten in Kaufbeuren an, die von seiner Familie gestifteten Tafelbilder aus St. Martin nach Hause zu holen 62 ; möglicherweise befindet sich eines dieser Tafelbilder, Christus auf dem See Genezareth mit dem im Wasser versinkenden Petrus darstellend, heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg 63 .
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KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 1] (Copia ex Originali der Registratur des Frauenklosters St. Francisci im Mayerhof zu Kaufbeuren): „Acht tag nach dem [St. Afra Tag] hat ein Lauber solen hochzeitt haltten, aber er hatt die hochzeit nit welen haltten, biß man die bilder der lieben hailigen auß der kirchen räum. Nun ehr verraiß nach Augspurg, holt ein predigkantten, maister Michel [= Michael Keller] genant, der in einfier. Und underwegen hatt er sich bereimbt: Er habe den hailigen nechst tag verkennt [= verkündet], sy miessen hinauß aus der kirchen, daß er sein hochzeitt mit frieden kentt halten. Also hatt man die hochzeitt angestellt, alß man die liebe hailigen auß der kirche gedon, hat man alß statlich zugericht und auß alle umligenten statt vil darzu geladen [...] Alß die hochzeitt hatt solen gehaltten werden, hatt er sich nidergelegt, ist erkranckett und gestorben [...] ist also ale freid yn draurigkeitt verwandt worden auß gerechtem abfall Gotteß." Vgl. dazu LAUSSER: St. Martin, S. 30, Anm. 69; PFUNDNER: Gemeinde, S. 277. 60 Vgl. die formelhaften Äußerungen in den Urgichten Kaufbeurer Täufer in Jahr 1545, z. B.: „Helt nichts vom Sacrament des Altars, der Kindtauf, noch von Heiligen. Sagt seien nit von Gott, sondern Menschen eingesetzt"; SCHORNBAUM: Quellen, S. 142,16-19; 143,22f; 144,35-37; 146,16-18; 147,39-41 u. ö. 61 Zu Georg Hörmann (1491-1552) und seiner Förderung der Künste in Kaufbeuren vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 91 und S. 94 (Lit.). 62 Vgl. EKA Kaufbeuren, A. 133, S. 33f. 63 Vgl. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Gm 554 (Votivbild des Jörg Hörmann und seiner Frau Barbara, schwäbisch um 1530; erworben 1882, wahrscheinlich aus Kaufbeuren); LÖCHER: Gemälde, S. 17-19; DIE GEMÄLDE DES 13.-16. JAHRHUNDERTS, S. 172 mit Abb. 178. Vgl. auch LAUSSER: St. Martin, S. 30, Anm. 67; DERS.: Hochaltar, S. 219.
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Kauflyeuren
Einen Eindruck über das Ausmaß der Zerstörung oder Nichtzerstörung sakraler Kunst kann man allerdings erst gewinnen, wenn man die Ereignisse in den folgenden Jahren betrachtet und den Blick auf die erhaltenen Ausstattungsgegenstände der Gotteshäuser lenkt. Gegen die Neuerungen im Religionswesen seit 1545 wehrte sich die kleine Gruppe der Katholiken, besonders die Insassinnen im Frauenkloster. Dort wurde bereits im Dezember 1546 heimlich das Hl. Sakrament eingesetzt. Nach dem Sieg des Kaisers über die Schmalkaldener und der Annahme des Interims in Kaufbeuren sollte sich auch für die Katholiken die Situation erheblich bessern. Der Rat berief als neuen katholischen Geistlichen Magnus Fendt, bislang Pfarrer in Irsee, und „weil [...] die St. Martins pfarrkirche von altären gänzlich entblöset dastunden, hat ein rath den 24. juli herrn M. Magnus Fendt [...] aufgetragen, daß er die St. Martins kirch mit altären und andern zw dem catholischen gottsdienste nöthigen zwrichten solte, auch den gottsdienst wie zuvor abhalten" 64 .
Fendt widmete sich mit großem Eifer seiner Aufgabe, hielt am 29. Juli zunächst den Gottesdienst noch in St. Blasius, aber bereits nach zehn Tagen, d. h. am 5. August, wurde die erste Messe wieder in der Pfarrkirche gelesen. Nach und nach richtete er auch die Kirchenzierden wieder auf, was auch das Wiederherrichten der für die Messe notwendigen Altäre in St. Martin mit einschloß - nur drei Jahre nach deren Zerstörung 65 ! Dabei ist davon auszugehen, daß die 1545 nicht zerstörten, sondern nur weggeräumten Kunstwerke neue Verwendung fanden. Ein Bericht im Katholischen Pfarrarchiv berichtet, daß ein Johannes-Altarbild eingeweiht wurde: „Am freytag vor sant Ursula am 19. tag des weinmonatz [ = 1 9 . Oktober 1548] hat man die cortaffel [= Altarbild] aufgsetzt" 66 . So konnten Bürgermeister und Rat dem Augsburger Bischof berichten, daß Kaufbeuren sich ganz nach den Forderungen des Interims halte, auch „laut den Altar, so wider von nueweem gemacht sain, und werden auch die sacrament des altars auch von ime geraicht und gegeben" 67 . Im Frühjahr 1549 wurden die insgesamt vier Altäre, die der Rat inzwischen - auch nach einigen Ermahnungen durch Kaiser Karl V. 68 - in St. Martin hatte aufstellen lassen, schließlich wieder geweiht. „Item in der drütten vastwuche im 1549 jar am 16. tag mertzen ist die kirchen hie zu Kauffbeuren, Sant Marttes pfarrkirch, geweiht worden mitsampt dem freythoff [= Friedhof] und dem choraltar, und nachmittag hab man gefirmet. Und zu der zeit ist der wirdig her maister Mang Fund pfarrer hie gewesen. Am andern tag, des ist am 17. tag mertzen 64 65 66 67 68
KPfA Kaufbeuren, Varia V 387, S. 23f. Vgl. KPfA Kaufbeuren, Varia V 387, S. 24. KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 2], KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 3], Vgl. SCHRÖDER/STEICHELE: Bistum Augsburg 7, S. 382.
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sind die dreü alttar, des ist sant Johannes, unser lieben frawen und sant Catterina alttar geweiht worden." 69
Im Visitationsprotokoll von 1549 vermerkte der Visitator und Pfarrer von Ottobeuren, David Rösslin, der im Auftrag des Augsburger Bischofs Otto Kardinal von Truchseß in der zweiten Augusthälfte in Kaufbeuren visitiert hatte, daß er „die göttliche Zier [( Ausstattung im Innern der Kirche) [...] gar in einer guten Form gefunden" habe. „Das Volk aber ist hier verführt durch ihren Prädikanten, mit Namen Mathäus Eschbenmiller [= Matthias Espenmüller], ein Schwenckfeldianer." 70 Was genau von der spätmittelalterlichen Ausstattung von St. Martin, von der lediglich bekannt ist, daß es neben dem Hochaltar bei der Neueinweihung im Jahre 1444 mindestens vier - vermutlich aber bis zu neun - Seiten- und Nebenaltäre 71 gab, bei den Aus- und Einräumaktionen 1545-1549 wirklich zerstört oder nur an einen anderen Platz verbracht wurde, kann nicht festgestellt werden. Auch bleibt unklar, was nach 1548/49 an neuen Kunstwerken hinzukam 72 . Die erhaltene spätgotische Sakralkunst fand bei der barocken Umgestaltung von St. Martin ab 1680 keine Verwendung mehr 73 , die Kunstwerke verschwanden auf den Dachboden oder in Abstellkammern und kamen erst im Zuge der neugotischen Umgestaltung - allerdings meist als Spolie in stark überarbeiteter Form - wieder an ihren ursprünglichen Aufstellungsort zurück 74 . Was man trotz der barocken, v. a. aber der neugotischen Umgestaltung des Gotteshauses an vorreformatorischer Kunst integrieren konnte und sich bis heute in der Pfarrkirche erhalten hat, soll hier kurz genannt werden 75 . 69 KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 2]; ähnlich auch die Schilderung ebd., V 387, S. 24. 70 DORN: Kirchenvisitationen, S. 114. 71 Zu diesen Nebenaltären vgl. LAUSSER: St. Martin, S. 17-22; DERS.: Hochaltar, S. 213-217. DIETER: Kirchenwesen, S. 218, und MILLER: Kunstgeschichte, S. 82f, nennen acht Altäre. - Über ihre Ausstattung, die an der Herstellung beteiligten Künstler oder Handwerker und ihren Standort sind keine Details bekannt. 72 Dazu zählen u. a. die Epitaphien; vgl. LAUSSER: St. Martin, S. 33f; MILLER: Kunstgeschichte, S. 97. 73 1784 befanden sich sieben Altäre in der Katholischen Pfarrkirche. Der Hochaltar wurde mit dem Werk des Münchener Hofmalers Georges Desmarees ,Aufnahme des Hl. Martins in den Himmel' geschmückt; vgl. SALM: St. Martin, S. 5-7 (Abb.). 74 Vgl. dazu KDBay Kaufbeuren, S. 11; LAUSSER: St. Martin, S. 34-41 und S. 52-59; DERS.: Hochaltar, S. 207. 75 MILLER: Kunstgeschichte, S. 82f: „Wie viele von den heute in der Kirche befindlichen und bei der Regotisierung eingebrachten spätgotischen Bildwerken zur ursprünglichen Ausstattung gehört haben, ist nicht mehr feststellbar." Miller selbst nennt ebd., S. 99, Anm. 5, eine Figur aus Lindenholz, die auf einer Auktion im Dorotheum in Wien 1970 gehandelt wurde. Auch die beiden Figuren des Hl. Johannes Baptista und der Hl.
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Kauföeuren
Von großem kunsthistorischem Interesse sind die fünf lebensgroßen Schnitzfiguren aus dem Schrein des um 1475 vom Ulmer Meister Michel Erhart errichteten Hochaltar-Retabels. Dieser über 12 Meter hohe Schreinaltar zählte neben dem Blaubeurer Altar-Retabel zu den bedeutendsten Werken der spätgotischen Altarbaukunst 76 . Der Kirchenpatron St. Martin, der Diözesanpatron St. Ulrich sowie die Hll. Kosmas und Damian stehen heute alle auf Konsolen im Chor von St. Martin. Die fünfte Figur, eine Gottesmutter mit Kind, war lange Zeit in Privatbesitz und gelangte schließlich über die Sammlung Oertel ins Bayerische Nationalmuseum München 77 . Eventuell aus dem Gesprenge des Hochaltar-Retabels oder auch von einem anderen Retabel stammt die Figur eines Bischofs, die sich heute über dem südlichen Chorgestühl befindet und ebenfalls Michel Erhart zugeschrieben wird. Darüber hinaus finden sich an Bildhauerarbeiten noch die Figuren der Apostel Petrus und Johannes (von Ivo Strigel?), ein thronender Hl. Wolfgang, das Epitaph für Elisabeth Klammer ( | 1501) des Kaufbeurer Meisters Christoph Ler, ein Hl. Nikolaus und zwei Bischofsfiguren in Schlingen in der Martinskirche. Zu erwähnen sind noch das Relief mit der Anbetung der Hll. Drei Könige (Jörg Lederer bzw. Hans Kels d. Ä. zugeschrieben, um 1525), eine Pietà oder die zwei Mariendarstellungen (Maria Tempelgang, Vermählung Mariä), die bei der neugotischen Umgestaltung der Kirche bearbeitet und in die Nebenaltäre der Seitenschiffe integriert wurden. Fragmente von Wandmalereien (Kreuzigung, um 1520) haben sich an der Außenwand des nördlichen Seitenschiffes er-
Magdalena, gefertigt von Jörg Lederer und heute in der Staatsgalerie in Füssen aufbewahrt, bringt Miller mit dem Johannesaltar aus St. Martin in Verbindung (ebd., S. 86). Darüber hinaus erwähnt er noch die für das Kaufbeurer Heimatmuseum 1996 erworbene Figur eines Hl. Königs von Hans Kels d. Ä. (ebd., S. 90). - LAUSSER: Hochaltar, S. 223227, listet 16 hölzerne Skulpturen und drei Relieftafeln auf, die vor 1525 entstanden sind, schränkt aber zugleich ein, daß „sich nicht von allen mit letzter Sicherheit sagen läßt, ob sie tatsächlich aus der spätgotischen Einrichtung von St. Martin stammen, denn einige von ihnen scheinen erst bei der neugotischen Renovierung der Kirche dazugekommen zu sein" (Zitat: S. 223). - Ob man die von einem unbekannten Künstler, dem man in der Forschung den Notnamen .Meister des Kaufbeurer Sakristeischrankes' gegeben hat, stammenden drei Tafeln (Verkündigung, Anbetung der Hll. Drei Könige und Darbringung im Tempel, um 1490), die sich heute als Fragmente eines Altar-Retabels in der Staatsgalerie Füssen befinden, in Verbindung mit einem Altarschmuck in Kaufbeuren bringen kann, ist nicht gesichert; vgl. GOLDBERG: Staatsgalerie Füssen, S. 59, Nr. 10-12 (mit Abb.). 76 Zum spätgotischen Hochaltar-Retabel in St. Martin und der Zuschreibung an Erhart bzw. seine Werkstatt vgl. LAUSSER: Hochaltar, S. 217. 227. 234-250; DERS.: St. Martin, S. 22-24; GSCHWENDER: Kaufbeurer Madonna, S. 368-371; zu Michel Erhart vgl. zuletzt d e n K a t a l o g M I C H E L ERHART & JÖRG SYRLIN D. Ä . 77
17.
Vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 83; BAXANDALL: Bildschnitzer, S. 334 mit Tafel
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halten 78 . In den 1950er Jahren hat die Pfarrkirche St. Martin aus dem Münchener Kunsthandel zwei Tafeln mit Szenen aus der Katharinenlegende erworben, die - vermutlich von dem „Meister des Kaufbeurer Sakristeischrank stammend - eventuell die Flügel des Katharinenaltar-Retabels gebildet haben könnten 79 . Im Kaufbeurer Stadtmuseum befindet sich die 1989 erworbene Beweinungsgruppe von Hans Kels d. Ä. (um 1520) aus St. Martin 80 . Die anderen Kirchen und Kapellen der Stadt waren 1545 auf Geheiß des Rates erst einmal verschlossen worden 81 . Die darauf folgende Nichtnutzung oder Umnutzung bewahrte manche Kunstwerke vor der Zerstörung, wobei hier besonders die Blasiuskapelle hervorzuheben ist. Manche Kirchen wurden danach von beiden Konfessionen genutzt (z. B. Spitalkirche, Sebastianskapelle oder die - allerdings seit 1677 als baufällig geltende Marienkapelle 82 ); andere Kapellen diente neuen Zwecken, etwa die St. Michaelskapelle der Armenpflege. Einige Kapellen gerieten auch in Verfall, wie z. B. die St. Salvator und Afra-Kapelle oder die St. Kosmas und Damian-Kapelle, die jedoch im 17. Jahrhundert durch die Marianische Bürgerkongregation als neues Wallfahrtszentrum wiederhergestellt und später barock ausgestattet wurde 83 . Als Kleinod spätgotischer Kunst erhalten blieb die Blasiuskapelle 84 . Ihre reiche Ausstattung hatte sie, die als Bestandteil der Stadtmauer hoch über der Stadt in einer herausgehobenen Lage das Stadtbild prägte, unter anderem der Tatsache zu verdanken, daß sie - ähnlich wie die Frauenkirche in Esslingen - als städtisches Pendant zur Pfarrkirche St. Martin, in der das Augsburger Domkapitel bis 1545 das Präsentationsrecht besaß, fungierte 85 . Zu sehen sind daher bis heute neben den Wandmalereien aus dem 15. Jahrhundert (Blasiuslegende, Heiligenlegenden) ein gewirktes Antependium mit Szenen aus dem Leben des Hl. Blasius (um 1520) 86 , das Gestühl an den drei Seiten des Langhauses als eine der ersten bekannten Sitzmöglichkeiten für Laien (Stallentypus), einige Heiligenstatuen (u. a. ein Hl. Johannes Baptist), ein Kruzifix aus der Mitte des 14. Jahrhun-
78
Vgl. KDBay Kaufbeuren, S. 11. Vgl. BUCHNER: Kaufbeurer Katharinenlegende, S. 119-122. 80 Vgl. PÖRNBACHER: Katholische Gemeinde, S . 229; MILLER: Kunstgeschichte, S . 90fmit Abb. 81 Vgl. oben Anm. 54. 82 Vgl. dazu KDBay Kaufbeuren, S. 31. 83 Vgl. KDBay Kaufbeuren, S. 17-21. 84 Vgl. WIEBEL: St. Blasius; KDBay Kaufbeuren, S. 13-17; LUECKE: St. Martin-Kirche, S. 15f. 85 Vgl. oben S. 234 und S. 179f. 86 Vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 94f mit Abb. 79
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derts 87 , das 1518 von dem in Kaufbeuren tätigen Jörg Lederer erneuerte Hochaltar-Retabel 88 und die den Besucher beim ersten Eintreten beeindruckenden fünf monumentalen „lehrhaften Bildtafeln" 8 9 . Dargestellt werden auf den um 1485/90 von Kaufbeurer Malern 90 geschaffenen 66 Bildern die Legende des Hl. Blasius an der Nordwand (Triptychon; ca. 6,5 m breit, 1,5 m hoch), sowie die Legenden der Heiligen Ulrich, Erasmus und Antonius an der Westmauer (Einzeltafeln; ca. 3 m breit, 1,5 m hoch) und Apostelmartyrien an der südlichen Eingangswand (Mitteltafel mit vier äußeren Tafeln), die mit volkssprachigen Bildunterschriften versehen sind. Daneben ist in St. Blasius noch ein Triptychon mit Reliquien (Misericordientafel) zu finden, das um 1470/80 entstand und den Kaufbeurer Malern Jörg Lenninger bzw. Bartholomäus Hopfer zugeschrieben wird 91 . Der Rat versuchte 1545 natürlich auch, die 15 Schwestern im Franziskanerinnenkloster für die evangelische Lehre zu gewinnen, schickte eine Abordnung ins Kloster, untersagte die Aufnahme neuer Schwestern und verbot dem Klosterkaplan die Abhaltung der Messe. Die Reformationsversuche des Rates liefen aber sowohl 1545 bei Regina Kirchmaier, die den Konvent bis 1555 leitete, und ihren Schwestern als auch 1546, als der Ordensprovinzial Alexander Miller (Molitorius) zu Besuch in Kaufbeuren weilte, ins Leere. Bereits am 17. Dezember 1546 konnte - vorerst heimlich - wieder das Sakrament in der Klosterkirche eingesetzt werden, nach der 87
Dieses stammt allerdings aus der Martinskirche, wurde bei den Aktionen 1546 offenbar auch nicht zerstört und zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in die Blasiuskirche gebracht. 88 Lederer übernahm dabei die um 1430/40 entstandenen Figuren der Hll. Blasius, Erasmus und Ulrich; von Lederer selbst stammen die Figuren des Hl. Johannes d. Täufers, der Hl. Anna Selbdritt und anderer Heiligen im Gesprenge; gl. BAXANDALL: Bildschnitzer, S. 125-131; MILLER: Kunstgeschichte, S. 81f und S. 86; KDBay Kaufbeuren, S. 16. Unbekannt ist, welcher Künstler die Malereien auf den Flügeln und der Schreinrückseite ausführte. Die Malereien auf der Predella und auf der Rückseite des Retabels stammen von dem einheimischen Maler Jörg Mack (1506-1530); vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 93f; ROTT: Quellen 2, S. XXXII und S. 124-135. 89 Zur Beschreibung und Bewertung dieser in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. entstandenen Legendentafeln vgl. SLENCZKA: Lehrhafte Bildtafeln, S. 105-112 (Ein Kirchenschiff als Heiligenkatechismus) und S. 248-253 (Lit.) mit Abb. IV. 1. „Das Kaufbeurer Beispiel ist einzigartig. Parallelfalle von Kapellen, deren komplettes Bildprogramm erhalten und einem Heiligenkatechismus gewidmet ist, sind mir nicht bekannt. Geschlossene Bildprogramme bilden ja ohnehin nicht den Normalfall der Bildausstattung einer mittelalterlichen Kirche, da viel häufiger im Laufe der Zeit durch Stiftungen ganz unterschiedliche Bild- und Tafeltypen zusammenkamen." (ebd., S. 112). - In unserem Zusammenhang interessant ist, daß sowohl in der Blasius- und der Erasmuslegende als auch im Apostelzyklus der Götzendienst thematisiert wird. 90 Zur Künstlerfrage vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 84f. 91 Vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 84f; ROTT: Quellen 2, S. XXXI; KDBay Kaufbeuren, S. 16.
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Annahme des Interims erlaubte die Obrigkeit die Messe in der Klosterkirche. In der Folgezeit blieb das Kloster von der städtischen Obrigkeit weitgehend unbehelligt und erlebte eine neue Blüte. Übergriffe gegen sakrale Kunstwerke in den Jahren 1546-1548 sind nicht bekannt, und bereits 1549 ließ man ein neues Tabernakel anfertigen 92 . Allerdings finden sich heute nur wenige mittelalterliche Ausstattungsstücke vor Ort 93 ; was davon - wie z. B. die Tafeln des um 1475 datierten Passionszyklus mit den sieben römischen Hauptkirchen, der über die Sammlung Schwarz in Kaufbeuren in das Herzogliche Georgianum nach München gelangte 94 - in späteren Zeiten an andere Orte verbracht wurde, ist ungewiß. Das Nebeneinander konkurrierender Frömmigkeitspraktiken 95 und das Vorhandensein des Altarschmucks, der Heiligenfiguren und Tafelmalereien, v. a. in der Pfarrkirche, sollte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts allerdings immer wieder Anlaß zum Konflikt zwischen den beiden Konfessionen geben. So kam es zu Zwischenfällen und Störungen zwischen altgläubigem Pfarrer und evangelischem Prädikanten, die beide den Altar in der Pfarrkirche nutzten, aber unterschiedliche Ansichten über diese Nutzung hatten. Der Pfarrer klagte über ungenügende Ausstattung, der Prädikant hielt dagegen, dies „sey alles abgötterey" 96 . Vor allem seit Thomas Tillmann seine Predigertätigkeit in Kaufbeuren 1557 aufgenommen hatte, nahmen die gegenseitigen Schmähungen größere Ausmaße an. Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, daß ausgerechnet die katholischen Parteigänger 1629 in übereifriger Durchführung des von Kaiser Ferdinand II. erlassenen Restitutionsedikts die Dreifaltigkeitskirche innen total demolierten und verwüsteten 97 . Von den Ausstattungsstücken der seit 92 Vgl. Vgl. KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 2]; DERTSCH: Franziskanerinnen, S. 43 mit Anm. 9. 93 PÖRNBACHER: Katholische Gemeinde, S. 240 erwähnt eine schöne Kreuzigungsdarstellung und einen Palmesel. - Zum Franziskanerinnenkloster allgemein vgl. DERTSCH: Franziskanerinnen, S. 5-80; KDBay Kaufbeuren, S. 25-28. 94 Vgl. dazu DIETER: Mittelalter, S. 56: Der Steinmetz Johann Baptist Schwarz (18161885) sammelte religiöse Kunst und fand u. a. in einem Hühnerstall in Oberbeuren die Kreuzweg-Tafeln. Er verkaufte seine Sammlung 1889 dem Direktor des Georgianums in München „für ,billiges Geld' und ließ sie in zwei Eisenbahnwaggons ,voll gotischer Figuren und Gemälde' nach München transportieren". Vgl. auch KACZYNSKJ: Kunstsammlung, S. 30-38 (Abb.) und Kat.-Nr. 380-382; MILLER: Kunstgeschichte, S. 85; PÖRNBACHER: Katholische Gemeinde, S. 240. 95 So wird in einem Gutachten aus dem Jahre 1551 über das Verhalten der Kaufbeurer zum Interim berichtet, daß die Messe gut besucht und die Fronleichnamsprozession wieder gehalten werde. 96 KPfA Kaufbeuren, Varia V 127, [Nr. 4], 97 Als Beispiel einer stark konfessionell geprägten Darstellung sei hier die Bewertung des Pfarrers Karl Alt zitiert: „[...] fürwahr katholische Schilderer der Kaufbeurer Kir-
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Kaufbeuren
1603/04 von den Lutheranern eingerichteten ersten evangelischen Kirche wurden angeblich einige Werke in die katholischen Kirchen verbracht, manche verbrannt, und so haben sich daher nur zwei Apostelfiguren (Petrus und Paulus) erhalten 98 . Am Beispiel Kaufbeurens ist gut zu erkennen, wie stark der Umgang mit den religiösen Bildwerken von der politischen „Großwetterlage" und den in der jeweiligen Situation politisch und theologisch Verantwortlichen abhängig war. Der erste Versuch einer Bilderentfernung nach vorausgegangener intensiver Diskussion der Problematik scheiterte 1525. Beim zweiten Anlauf 1545 sollten zumindest in der Pfarrkirche St. Martin die Altäre und Bilder auf Anordnung des Rates entfernt werden. Daß dabei einige Bilder „der Zerstörung durch die Äxte der blindwütigen Fanatiker" 99 entgingen, darf wohl als übertriebene Darstellung gelten. Vielmehr sorgte der Rat wohl für ein geordnetes und ruhig verlaufenes Wegräumen der Sakralkunst, von der sich ein Teil durch Nicht-, Wieder- und Umnutzung über die Jahrhunderte hinweg bis heute erhalten hat. Daß die Bilderentfernung 1545 nicht auf alle Gotteshäuser ausgedehnt wurde, belegt am eindrücklichsten die St. Blasius-Kapelle.
chengeschichte brauchen sich nicht über die Entfernung von Heiligenbildern und -altären aus St. Martin durch die zwinglisch eingestellten Reformatoren der Stadt zu entrüsten; diese handelten dabei doch wenigstens aus rein religiösen Motiven, während der Bildersturm', ja die Demolierung der ganzen evangelischen Kirche am 3. April 1629 die Ausgeburt unmenschlichen Hasses und ketzerischen Fanatismusses, wenn nicht Zerstörungswut und roher Vernichtungsdrang war. Das also verwüstete Predigthaus wurde den Jesuiten als Theaterraum für ihre Schulaufführungen überlassen, später als ,Tummelplatz' für die Pferde einquartierter Kroaten benützt"; ALT; Reformation, S. 118. 98 Vgl. MILLER: Kunstgeschichte, S. 98. " L A U S S E R : S t . M a r t i n , S. 3 0 .
Kapitel 13
Ravensburg 13.1 Die Situation in Ravensburg zu Beginn des 16. Jahrhunderts Den wirtschaftlichen Wohlstand der zwischen 5.000 und 6.000 Einwohner zählenden Stadt verdankte man einerseits den in neun Zünften organisierten Handwerkergewerben, unter denen die Leinen- und Baumwollweberei und seit 1392 die Papierherstellung die größte Rolle spielten. Andererseits spielte wegen der günstigen geographischen Lage der Fernhandel eine bedeutende Rolle. Die Kaufleute hatten sich 1380 zur Großen Ravensburger Handelsgesellschaft zusammengeschlossen, die zum beherrschenden Wirtschaftsfaktor wurde 1 . Die Mehrheit im Rat und in den anderen städtischen Gremien blieb auch nach der ,Zunftrevolution' von 1348 gegenüber den acht Zunftmeistern und den Zunftvertretern den Patriziern vorbehalten; in wichtigen Angelegenheiten sollte noch die Gemeinde gehört werden. Zur Reichsstadt gehörte ein bescheidenes Landgebiet, das sich aus Erwerbungen des Rates (Schmalegg, Winterbach, Hinzistobel, BitzenhofenNeuhaus, Bavendorf) und Besitzungen der Patrizier, des Heilig-Geist-Spitals oder der Seelhausherrschaft (Zußdorf, Wolpertswende-Hatzenturm, Danketsweiler, Bettenreute) zusammensetzte. Der Rat verfugte allerdings nur über die niedere Gerichtsbarkeit, während die Hochgerichtsbarkeit bei der österreichischen Landvogtei verblieb. Damit ist auch gleich eine Gegebenheit angesprochen, die für die Reformationsgeschichte Ravensburgs große Bedeutung erlangen sollte: das Umringtsein von mächtigen, altgläubigen Herrschaften. Neben der kaiserlichen Landvogtei in Oberschwaben, die mit der Burg als Amtssitz oberhalb der Stadt präsent war, sind die reichsunmittelbaren Abteien Weingarten (Benediktiner) im Norden und Weißenau (Prämonstratenser) im Süden 2 sowie die Truchsessen von Waldburg im Osten zu erwähnen. ' Das Patriziat der Stadt, unter dem die Familie Humpis hervorragte, hatte sich 1380 unter dem Druck des Zunftzwangs in der „Gesellschaft zum Esel", die nichtpatrizischen Kaufleute und städtischen Bediensteten in der Gesellschaft „Zum Ballen" organisiert. 2 Zu Weingarten (1053-1809, 1922 wieder errichtet) vgl. WÜRTTEMBERGISCHES KLOSTERBUCH, S. 5 3 8 - 5 4 2 ; z u W e i ß e n a u ( 1 1 4 5 - 1 8 0 3 ) e b d . , S. 5 0 6 - 5 0 9 ( L i t . ) ; v g l . a u c h
WEISSENAU IN GESCHICHTE UND GEGENWART; zum Verhältnis zwischen Landvogtei und schwäbischen Reichsprälaten vgl. MAIER: Landvogtei, S. 143-156.
Ravensburg
256
Das kirchliche Leben Ravensburgs wurde geprägt durch die beiden Pfarrkirchen in der Ober- und Unterstadt, die beiden Bettelordensniederlassungen der Karmeliter und Franziskanerinnen, zahlreiche Kapellen 3 und Bruderschaften. Die Liebfrauenkirche 4 als Pfarrkirche der Oberstadt war der Abtei Weingarten inkorporiert, woran sich rechtlich bis 1802 auch nichts änderte. St. Jodok als Pfarrkirche der Unterstadt war 1385 nach der großen Stadterweiterung zu gleichen Teilen von der Stadt und dem Kloster Weißenau errichtet worden 5 . Den von Weißenau eingesetzten Pfarrern und Kaplänen von St. Jodok oblag auch die Seelsorge für die Insassen des Heilig-Geist-Spitals, deren Kapelle zwei Altäre beherbergte. Ein zweites Spital befand sich seit 1400 in der Unterstadt. Nicht nur die in der Unterstadt gelegene große Bettelordenskirche der Karmeliter 6 , die eine reiche Predigt- und Seelsorgetätigkeit ausübten, zeugt vom ihrem Gewicht in der Stadt, sondern auch die vielen Stiftungen, v. a. von Angehörigen der Zünfte und der Großen Handelsgesellschaft. Letztere hatte sogar eine eigene, an den Chor der Karmeliterkirche angelagerte Kapelle gestiftet. Das Nominations- und Präsentationsrecht für die Kirche lag bei den beiden Äbten von Weingarten und Weißenau und beim Rat der Reichsstadt. Im Franziskanerinnenkloster St. Michael, 1395 in der Oberstadt gegründet, übte der Rat durch den Vogt die weltliche, der Pfarrer von Liebfrauen im Auftrag des Weingartener Abtes die geistliche Obrigkeit aus7. Im Laufe des 14. Jahrhunderts hatte der Rat die Vermögensverwaltung aller Kirchen und Kapellen in seinen Besitz gebracht und versucht, die Rechte der beiden Reichsabteien einzuschränken. Unklar bleibt, ob die reformatorischen Lehren schon in den frühen 1520er Jahren Einzug in Ravensburg gehalten haben. Der Ravensburger Humanist Michael Hummelberg pflegte jedenfalls brieflichen Kontakt zu Zwingli, Vadian und Melanchthon. Hummelbergs öffentliche Wirkung war allerdings sehr begrenzt, und er verstarb bereits 1527 als Kaplan an der St. Michaelskapelle 8 . In den Unruhen des Bauernkrieges kam es in der Stadt selber und der näheren Umgegend nicht zu den erwarteten Zwischenfällen. 3 St. Michael, St. Veit, Hl. Kreuz, St. Georg, Liebfrauen in der Mühlbruck, St. Leonhard; die St. Christina-Kapelle, 1197 von König Philipp von Schwaben dem Kloster Weißenau geschenkt, lag vor den Stadtmauern. 4
V g l . SIEBENHUNDERT JAHRE PFARREI LIEBFRAUEN.
5
Z u r P f a r r e i S t . J o d o k v g l . EITEL: S t . J o d o k , S. 1 2 - 3 0 .
6
Z u m K a r m e l i t e r k l o s t e r v g l . WÜRTTEMBERGISCHES KLOSTERBUCH, S . 3 8 7 f ( L i t . ) .
7
Z u m F r a n z i s k a n e r i n n e n k l o s t e r v g l . WÜRTTEMBERGISCHES KLOSTERBUCH, S .
390f
(Lit.). In den Jahren 1441 bis 1540 existierte in der Stadt auch ein Antoniterhaus; vgl. e b d . , S. 3 8 8 f . 8
Z u M i c h a e l H u m m e l b e r g e r v g l . KAMMERER: H u m m e l b e r g ; HOFACKER: R e f o r m a -
tion, S. 80f.
Ravensburg und die Reformation
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Daß v. a. die um Ravensburg liegenden Klöster Übergriffe befürchteten und die Reichsstadt als sicherer Ort galt, zeigt die Tatsache, daß Weißenau und Weingarten ihre Kleinodien, Heiligtümer und das Archivgut aus Sicherheitsbedenken in die von der Stadtmauer umgebene Stadt hatten bringen lassen 9 . Die reformationsfeindliche Politik des Weingartener Abtes Gerwig Blarer war ein wesentlicher Faktor dafür, daß die evangelische Lehre in Ravensburg nach 1525 nur schwer Fuß fassen konnte 10 . Daneben verharrten auch die einflußreichen Patrizier im Rat lange beim alten Glauben, was sich lähmend auf den Reformationsprozeß auswirkte. Nach außen agierte der Rat daher als altgläubige und kaisertreue Reichsstadt - so etwa auf den Reichstagen 1529 und 1530 - , nach innen verfolgte er die Politik, die kirchlichen Belange ganz seinem obrigkeitlichen Regiment unterzuordnen und seine Hoheit über die Kirche weiter auszubauen 11 .
13.2 Ravensburg und die Reformation Erst Anfang der 1540er Jahre setzte ein Stimmungsumschwung zu Gunsten der evangelischen Partei ein 12 . Begünstigt wurde dieser durch äußere Um9
V g l . GESCHICHTE DER STADT RAVENSBURG, S. 4 5 9 ; TÜCHLE: P r ä m o n s t r a t e n s e r s t i f t ,
S. 39, berichtet, daß der Weißenauer Abt Jakob Murer 1525 Reliquien und Paramente in ein Haus des Klosters in Ravensburg bringen ließ, die Bilder und Glasfenster der Marienkapelle aber auf das Gewölbe der Kapelle in Weißenau selbst verfrachten ließ. 10 Zu Gerwig Blarer (1495-1567), Kanonist, seit 1520 Abt von Weingarten, Führer des schwäbischen Reichsprälatenkollegiums, Rat Ks. Karls V. und Kg. Ferdinands, vgl. REINHARDT: Art. Blarer, Gerwig (Lit.); GERWIG BLARER 1 und 2; DREHER: Geschichte 1,
S. 400f. " Vgl. dazu bes. HOFACKER: Reformation, S. 86f. 12 Die archivalische Situation zur Ravensburger Geschichte des 16. Jahrhunderts ist sehr lückenhaft: Im Stadtarchiv Ravensburg sind die Ratsprotokolle erst ab 1593 und nur einzelne Aktenstücke zur Religionsgeschichte erhalten; wichtigste Quellengrundlage für die Geschichte der Reformation bildet das sog. Denkbuch, das 1519 im Auftrag des Rates vom damaligen Stadtschreiber mit Einträgen zu wichtigen Ereignissen und Dokumenten begonnen und bis 1647 von seinen Nachfolgern weitergeführt wurde (StadtA Ravensburg, B 376a; Kopie ebd., B 376b; vgl. auch HStA Stuttgart, B 198, Bü 38, Nr. 1 und Nr. 2 mit Exzerpten und Abschriften aus dem Denkbuch). Eine - allerdings konfessionell sehr einseitige - Auswahl und Edition wichtiger Einträge für die Reformationszeit findet sich bei MÖLLER: Aktenstücke. Die Kirchenbücher im evangelischen Pfarrarchiv setzen erst 1561, im katholischen Pfarrarchiv sogar erst 1610 ein. Die Chronik von Schlaperizi (HStA Stuttgart, J 1, 194) setzt erst in der Mitte des 17. Jh. ein und bringt nur wenige Details für die Zeit davor. - Zur Reformation in Ravensburg vgl. die Darstellungen von WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 26-28. 40^45. 58-63. 203-209. 227-230; DREHER: Geschichte 1, S. 318^104, bes. S. 376-388; HOFACKER: Reformation, S. 71-125; HOLZER: K o n f e s s i o n e n ; GESCHICHTE DER STADT RAVENSBURG, S. 4 9 0 - 5 0 5 ; HAFNER: K i r c h e .
258
Ravensburg
stände, wie etwa 1541 durch die Ernennung Hans Wilhelms von Laubenberg-Wagegg zum neuen Landvogt. Bislang nämlich hatte der Ravensburger Rat beim Landvogt Rückhalt für seine reformationsfeindliche Haltung gefunden; Laubenberg-Wagegg galt hingegen als Förderer der reformatorischen Lehre und Anhänger Schwenckfelds 13 . Im Innern bahnten sich langsam pro-reformatorische Änderungen an, nachdem 1542 der Zunftmeister Sixt Mayer und im April 1544 der Zunftmeister der Zimmerleute Bartholomäus Hensler ins Bürgermeisteramt gewählt wurden und das Ende des politischen Übergewichtes der Patrizier innerhalb des Stadtregiments einläuteten. Weitere Protagonisten der evangelischen Lehre waren der Stadtammann Georg Egkolts und der Stadtschreiber und Mitglied der Ballengesellschaft Gabriel Kröttlin. Gerade Letzterer konnte durch sein Amt wie viele seiner Kollegen in anderen Reichsstädten wichtige Funktionen für die Förderung der neuen Lehre nach außen und innen einnehmen 14 . Schwenckfeld lobte Kröttlins gottseligen Eifer und seine Liebe zu evangelischer Wahrheit 15 . Reformatorisches Gedankengut wurde seit Ende Juni 1544 in der Liebfrauenkirche verbreitet, wo seit März 1544 der Helfer Konrad Konstanzer agierte, ohne daß der Rat dagegen vorging. Daß der Pfarrer von St. Jodok, Simon Scheer, der evangelischen Lehre zuneigte, kann nur vermutet werden. Die Predigten Konstanzers fanden großen Anklang in der Bevölkerung, lösten aber an der Liebfrauenkirche auch Streitigkeiten mit Pfarrer Pfrund, Kaplan Hans Jäger und Helfer Sebastian Kromer aus. Um den städtischen Frieden nicht zu gefährden, griff der Rat in den Streit vermittelnd ein und bestellte die Geistlichen auf das Rathaus. Dies wiederum rief den Weingartener Abt Gerwig Blarer auf den Plan, dem natürlich die reformatorischen Predigten überhaupt mißfielen und der eine Beeinträchtigung der Patronatsrechte des Abtes befürchtete. Im Frühjahr 1545 verschärfte sich der Konflikt nach der Resignation Pfrunds um die Frage der Wiederbesetzung der Pfarrstelle. Abt Gerwig forderte die Entlassung der Helfer an Liebfrauen (Konrad Konstanzer und Sebastian Kromer) und schaltete auf dem Wormser Reichstag sogar Karl
13
Vgl. GERWIG BLARER 1, S. 393,4f, Nr. 576: „Man wil davon sagen, Hans Wilhalm sy etwas lutrisch"; WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 58; HOF ACKER: Reformation, S. 89f. 14 Gabriel Kröttlin, Sohn eines Ravensburger Zunftmeisters, hatte in Freiburg und Heidelberg studiert und das Lizentiat der Rechte erworben. Er trat später an die Stelle seines Vaters im Ravensburger Rat, wurde 1538 Stadtschreiber und 1547 Bürgermeister. Er wandte sich der reformatorischen Lehre zu und neigte zwischenzeitlich sogar zur Lehre Kaspar Schwenckfelds. Zu Kröttlin vgl. BURGER: Stadtschreiber, S. 125. 179. 307. 15 CS 9, S. 349-353, Nr. 393 (Schwenckfeld an Gabriel Krötlin, 25. Juni 1545).
Ravensburg und die Reformation
259
V. und Ferdinand I. ein 16 . Das unter Druck geratene Stadtregiment schickte Bürgermeister Hensler umgehend nach Worms, um dem Kaiser seine Standfestigkeit im alten, christlichen Glauben zu versichern. Der Rat konnte die Lage vorerst entschärfen, mußte aber gleichzeitig seine vorsichtig pro-reformatorische Haltung überdenken. Die Absetzung Laubenbergs in der Landvogtei aufgrund seiner Unterstützung reformatorischer Ideen verschlechterte die Position der Evangelischen weiter. Die Entwicklung führte dazu, daß der Ravensburger Rat nachgab und Konrad Konstanzer entließ. Abt Gerwig Blarer berief daraufhin mit Wolfgang Wiedemann einen neuen Pfarrer, der sogleich die „ketzerischen" Predigten einstellten sollte. Die Politik des Rates, sich wieder mehr an die altgläubige Seite anzulehnen, stieß allerdings auf großen Widerstand der Bürgerschaft. So mußten am 9. Oktober 1545 die Angehörigen der Büchsenschützengesellschaft auf dem Rathaus erscheinen und ihr Handeln rechtfertigen. Sie hatten sich nämlich geweigert, am jährlichen Schießen teilzunehmen, da das Fest mit einer Jahrtagsmesse verbunden war. Die Schützen versammelten sich in großer Zahl im Rathaus, blieben jedoch bei ihrer Haltung. Daraufhin forderten vier Bürger, Martin Walch-Grouß, Stoffel Natter, Hans Mayer und Anthonius Brunmaister 17 , den Rat auf, die Absetzung Konstanzers rückgängig zu machen, „dieweil es unser selchs hail [= Seelenheil] antreffe" 18 . Der Rat gab dem Druck nach und nahm Verhandlungen mit Pfarrer Wiedemann über Konstanzer auf. Als die Gespräche am Widerstand des Pfarrers scheiterten, suchte die Obrigkeit folgenden Ausweg: Für den 12. Oktober berief man die Bürgerschaft aufs Rathaus und faßte den Beschluß, „hinfüro das wort Gottes hie paur [= pur], lauter und rein verkünden und predigen" zu lassen, entweder durch „her Conraten [Konstanzer] oder durch ainen andern predicanten, der im gleich sei" 19 . Der in seinen religionspolitischen Entscheidungen hin und her lavierende Rat hatte mit dem Rückgriff auf die Gemeinde einen neuen Weg beschritten. Denn alle Beschlüsse, die in der Hochphase der Ravensburger Reformationsgeschichte von Mitte Oktober 1545 bis Frühjahr/Sommer 1546 gefaßt wurden, sollten nun von Rat und Gemeinde zusammen ange-
16
Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 22-25, Nr. 396. Abt Gerwig forderte den Kaiser ebenfalls auf, Stadtschreiber Gabriel Kröttim und dessen Bruder, Dr. Hans Kröttlin, „so diser sect [= Lutheranhänger] auch anhangig verdacht sien" (ebd., S. 25), zu verwarnen. 17 Nach HOFACKER: Reformation, S. 75f, kamen fast alle führenden Protestanten aus der Schneiderzunft, während die Mitglieder der Weberzunft, die für die Stadt eine große wirtschaftliche Bedeutung hatte, in der Reformationsgeschichte kaum eine Rolle spielten. "MÜLLER: Aktenstücke, S. 28, Nr. 401. 19
MÜLLER: Aktenstücke, S. 28f, Nr. 402; Zitat: S. 29.
260
Ravensburg
nommen und getragen werden. Nicht zu Unrecht wurde der Rat sogar als Handlungsorgan der Gemeinde bezeichnet 20 . Zunächst stellte man den reformatorischen Anhängern die unter städtischer Herrschaft stehende Karmeliterkirche zur Verfügung, in der auch die erste „lutherische" Predigt - vermutlich durch Konrad Konstanzer - zu hören war 21 . Wie zu erwarten, kam es in der Folgezeit zu Auseinandersetzungen mit dem zuständigen Diözesanbischof in Konstanz, da die Ravensburger eine Vorladung Konstanzers vor den Bischof ignoriert hatten und den Helfer weiter an Liebfrauen predigen ließen, ihn sogar nun aus städtischen Mitteln besoldeten. Da der Bischof seine Forderungen gegen Konstanzer wiederholte, gelobten Rat und Gemeinde erneut zusammen am 24. November 1545, „unangesechen aller trowungen und abschröckungen bei dem lautern und rainen wort Gottes alhie beliben, dasselbig alhie offenlich predigen und verkünden lassen und daran setzen und wagen leib, er und gut und darob mit Gottes beistand und hilf wagen, was inen begegne" 22 Zur Durchsetzung dieses Kurses suchte man Verbündete und intensivierte die Annäherung an andere protestantische Städte, was schließlich zum Eintritt Ravensburgs in den Schmalkaldischen Bund am 20. April 1546 führte 23 . Der außenpolitischen Absicherung durch die schmalkaldischen Bundesartikel, die u. a. der Confessio Augustana verpflichtet waren, folgte der Aufbau eines neuen Kirchenwesens: Die Messe in den beiden Pfarrkirchen wurde verboten, die Geistlichen sollten heiraten, aber auch die „widerwertige 1er" sollte unterbunden werden. Die Frage nach der „rechten" Lehre ließ den mühsam errungenen Konsens zwischen der Politik des Rates und der Glaubensüberzeugung der Bürgerschaft erneut schwinden und beschwor den innerreformatorischen Konflikt mit den Anhängern Schwenckfelds 24 , vor allem aber mit den Zwinglianern herauf. Die Anhänger der oberdeutschen Richtung, angeführt von Konrad Konstanzer, waren in der evangelischen Gemeinde in Ravensburg den Lutherischen zahlenmäßig überlegen und wollten „lieber zwinglisch dan luterisch" 25 bleiben 26 .
20 So HOFACKER: Reformation, S. 9 7 ; vgl. auch MOELLER: Reichsstadt und Reformation, S . 26f und NAUJOKS: Obrigkeitsgedanke, S . 7 3 - 7 7 (Bsp. Ulm). 21 Schlaperizi bericht in seiner Chronik, Johannes Willing habe 1545 die erste lutherische Predigt gehalten; vgl. HStA Stuttgart, J 1, 194, Chronica Ravenspurgensis, fol. 103v. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Verwechslung mit Konrad Konstanzer, denn Johannes Willing kam erst 1552 nach Ravensburg. 22 MÜLLER: Aktenstücke, S. 39f, Nr. 415; Zitat: S. 40. 23 Vgl. HOFACKER: Reformation, S. 99f. 24 Auch in Ravensburg fand die Lehre Schwenckfelds v. a. im Patriziat, etwa in der Familie Kröttlin, einige Anhänger; vgl. DREHER: Ravensburg 1, S. 383f. 25 GERWIG BLARER 1, S. 553,5f Nr. 774 (Hans Kam an Abt Gerwig, 14. Juni 1546). Zitiert bei MOELLER: Reichsstadt und Reformation, S. 52; HOFACKER: Reformation, S. 101. 26 WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 61; HOFACKER: Reformation, S. 100-103.
Ravensburg und die Reformation
261
Verstärken sollte sich dieser Konflikt zwischen Konstanzer und der Obrigkeit zusätzlich im Frühjahr 1546, als auswärtige, allesamt lutherische Prediger nach Ravensburg kamen, um bei der Neuordnung des Kirchenwesens mitzuhelfen: Mitte März entsandte Nürnberg den Pfarrer von Hersbruck Blasius Stockei für drei Monate, Straßburg schickte Johann Marbach und Biberach den Prädikanten Jakob Schopper. Am 16. April 1546 folgte die Aufhebung des Karmeliterklosters, der Verkauf seines Inventars und die Verpachtung seiner Güter. Weitere Maßnahmen gegen die Altgläubigen unterblieben vorerst, da Gerwig Blarer auf dem Regensburger Reichstag gegen die Stadt interveniert hatte und die Ravensburger von Ulm gewarnt worden waren. Am 17. Mai 1546 forderte der Rat die in der Stadt anwesenden Prädikanten auf, eine (nicht erhaltene) Kirchenordnung auszuarbeiten, die sich wie auch die Liturgie offensichtlich stark an das Nürnberger Vorbild anlehnte 27 . Nachdem die Ratsherren den Pfarrern und Kaplänen den Beitritt zum Schmalkaldischen Bund mitgeteilt hatten, wies man diese an, von nun an lutherisch zu predigen 28 . In diesem Zeitraum spielte auch die Problematik des religiösen Bildes eine Rolle, auf die unten näher einzugehen ist. Den Altgläubigen untersagte der Rat am 11. Juni, die Messe auf den umliegenden Dörfern zu besuchen 29 . Die Ausdehnung der Reformation auf das reichsstädtische Territorium war zwar am 10. Juli 1546 von Landrichter Klöckler untersagt worden, ab Mitte August 1546 startete der Rat dennoch einen - wenn auch wenig erfolgreichen - Versuch, die Reformation im Territorium einzuführen 30 . Die Differenzen zwischen zwinglischen und lutherischen Predigern zu beseitigen, stellte den Rat vor eine schwierige Aufgabe. Anfang September 1546 forderte er daher alle elf Geistlichen der Stadt zu einer Stellungnahme auf und zwang die sechs Priester, die sich nicht der neuen Lehre anschließen und die Confessio Augustana anerkennen wollten, die Stadt zu verlassen 31 . Auf Vermittlung der Straßburger Theologen kamen Thomas Lindner (Tilianus) 32 , der zuvor schon in der Reichsstadt Gengenbach als
27
Sie rief u. a. die Kritik Ambrosius Blarers hervor; vgl. BRIEFWECHSEL DER BRÜDER
AMBROSIUS UND THOMAS BLAURER 2 , S. 4 4 8 , N r . 1 2 9 0 ( A m b r o s i u s B l a r e r a n H e i n r i c h
Bullinger, Juni 1546). 28 Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 45-48, Nr. 42. 426. 429. 430. 432. 29
30
V g l . GERWIG BLARER 1, S. 5 5 4 , N r . 7 7 4 .
Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 56-59, Nr. 437 und Nr. 438; WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 63; HOFACKER: Reformation, S. 104f und S. 111. - HOLZER: Konfessionen, S. 31, berichtet, daß der Pfarrer von Wolpertswende verjagt worden sei. 31 Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 49-54, Nr. 433; zum Vorgehen des Rates gegen die Priester vgl. auch den Bericht des Kaplans Marx Ziegler ebd., S. 60-62. 32 Zu Lindner vgl. WARMBRUNN: Reformatoren, S. 189-194.
Ravensburg
262
Prediger gewirkt hatte, und Johann Lenglin 33 nach Ravensburg. Lenglin verfaßte u. a. einen eigenen Katechismus und arbeitete zusammen mit Konstanzer eine neue Zuchtordnung nach oberdeutsch-zwinglianischem Vorbild aus, die am 17. Oktober 1546 in Kraft trat. Am 3. Dezember legten Lenglin, Konstanzer und Tilianus dem Rat eine Denkschrift mit Ergänzungen zur Kirchen- und Zuchtordnung vor 34 . Die reformatorische Bewegung in Ravensburg mußte aber schon bald eine tiefe Zäsur hinnehmen. Die Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg hatte für die Stadt weitreichende Folgen. Bereits am 6. Januar 1547 mußten sich Rat und Gemeinde dem Kaiser unterwerfen 35 . Karl V. setzte eine Geldstrafe an, quartierte monatelang spanische Truppen ein und zwang der Stadt eine neue Verfassung auf. Bürgermeister Hensler mußte wegen seiner angeblich zu radikalen Ansichten zurücktreten und wurde durch Kröttlin ersetzt. Der mehrheitlich immer noch protestantische Rat mußte die katholische Minderheit wieder anerkennen. Am 2. Mai 1547 hatte der Rat dem Abt von Weingarten 1.500 Gulden als Entschädigung „von wegen abgenomner schazung und silbergeschiers, auch erlittner Schäden, costen und iniurien vom jüngsten Krieg her" zu zahlen und die Ansprüche und Forderungen des Abtes „von der Frauenkirche und den geistlichen Benefizien her, Ornate, Silbergeschirr, Briefe und Güter halb" anzuerkennen 36 . Der Besuch der Messe außerhalb der Stadt wurde erlaubt und nach der Aussöhnung mit König Ferdinand am 5. Oktober 15 4 7 37 auch in Ravensburg wieder zugelassen. Das kaiserliche Mandat vom 28. Februar 1548 schließlich befahl, die Weingarten und Weißenau zugehörenden Pfarrkirchen und Gotteshäuser im Sinne des alten Glaubens zu restituieren 38 . Einen schweren Verlust mußten die Evangelischen im Mai 1548 beklagen, als Konrad Konstanzer Ravensburg verlassen mußte und nach St. Gallen ging. Im Juni 1548 erging der Befehl, das Interim einzuführen. Da die evangelischen Geistlichen sich gegen die Annahme des Interims wehrten, wurden sie entlassen; auch mußte man die von den Evangelischen genutzte 33
Lenglin ( | 1561) war vom März 1528 bis Januar 1537 Prediger in der Straßburger Kirche St. Nikolaus in Undis, von 1536 an Pfarrer an St. Wilhelm, ab 1539 Stiftsherr zu St. S t e p h a n . Z u i h m v g l . HANDSCHRIFTENPROBEN DES 16. JAHRHUNDERTS 2, N r .
67;
BOPP: Die evangelischen Geistlichen, Nr. 3128. Für die Hinweise zu Lenglin danke ich Dr. Stephen E. Buckwalter (Heidelberg). 34 Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 64-74, Nr. 444; DREHER: Ravensburg 1, S. 387; HAFNER: K i r c h e , S. 3 2 - 4 0 . 35
Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 74-78.
36
GERWIG BLARER 2 , S. 5 1 , 2 2 - 2 4 . 2 8 f , N r . 9 3 5 .
37
Vgl. WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 63, Anm. 227.
38
V g l . GERWIG BLARER 2, S. 9 0 f , N r : 9 9 1 ; H S t A , B 198, B ü 3 8 , N r . 2, f o l . 8 4 - 8 7 ( A b -
schrift); Ausschnitte davon in HStA Stuttgart, J 1, 194, Chronica Ravenspurgensis, fol. 111.
Ravensburg und die Reformation
263
Karmeliterkirche wieder der altgläubigen Partei zugänglich machen. Als die Mönche im Frühjahr 1549 in ihr Kloster zurückkehrten und der Rat dem Prior die Verwaltung des Klosters übergab, mußte allerdings eine Lösung gefunden werden, um beiden Gruppen die Feier ihrer Gottesdienste zu ermöglichen. Zunächst als Provisorium gedacht, sollten die Mönche im Chor und die Protestanten im Langhaus Gottesdienste abhalten 39 . Den Wiederaufbau des katholischen Kirchenwesens mußte der Rat hinnehmen; bis Anfang des 17. Jahrhunderts wuchs der katholische Anteil an der Bevölkerung wieder bis zur Hälfte an40. Ganz war die evangelische Partei jedoch nicht mehr aus der Stadt zu drängen, und so fand man nach mehreren Jahren des Ringens miteinander in verschiedenen Verträgen eine Form des religiösen und politischen Zusammenlebens, die 1552 und 1555 festgelegt und 1649 offiziell besiegelt wurde. Auf dieser Grundlage blieb Ravensburg bis 1802 eine paritätische Reichsstadt 41 . Durch die neue Verfassung wurden die Zünfte weitgehend ausgegrenzt und Ratsmitglieder auf das Patriziat beschränkt. Heinrich Has, Truchseß Wilhelm von Waldburg und Abt Gerwig Blarer kamen am 10. Oktober 1551 in die Stadt, um den neuen Rat zu installieren. Aus Mangel an geeigneten katholischen Patriziern mußte man allerdings auch Protestanten in das neue Stadtregiment mit aufnehmen, u. a. auch den Bürgermeister der Reformationsjahre, Bartholomäus Hensler. Nachdem die Parität 1552 erstmals vertraglich geregelt worden war, konnten vier Prediger für den Dienst an der Karmeliterkirche gewonnen werden. So wirkten der Zwinglianer Johannes Willing 42 , der bereits 1548 kurzfristig in seiner Heimatstadt tätig gewesen war, Friedrich Wagner, Bartholomäus Rittler und Christoph Schreiber unter schwierigen Bedingungen für die evangelische Sache. Die Frage nach dem Bekenntnis sollte aber weiterhin eine große Rolle spielen. Verfolgte der Rat die Politik, die Prediger auf die Confessio Augustana festzulegen, forderten andere, vor allem Johannes Willing, offen die Ausrichtung des Ravensburger Kirchenwesens nach Schweizer Vorbild. Willing führte sogar den Katechismus Leo Juds von 1534 ein und vertrat mit Vehemenz das symbolische Abendmahlsverständnis. Das Pro39 Vgl. StadtA Ravensburg, Bü 486 b 10: Der Vertrag vom 5. Dez. 1554 zwischen Rat und Kloster regelte endgültig, daß den Protestanten das Langhaus, den Karmelitern der Chor als Eigentum zustand. 40 Im Jahre 1624 kam sogar mit den Kapuzinern eine neue Ordensgemeinschaft in die Stadt; vgl. WÜRTTEMBERGISCHES KLOSTERBUCH, S. 389f (Lit.). - Zur Bewertung des Kapuzinerordens in Ravensburg, der eine polarisierende Wirkung auf das Verhältnis beider Konfessionen erlangen sollte, vgl. den Überblick bei WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 256-260 und S. 262. 41 WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 203; MÜLLER: Aktenstücke, S. 80-86, Nr. 571. 42 Zu ihm vgl. BBKL 21 (2003), Sp. 1561; SEELING: Johannes Willing, bes. S. 3-5. 15f. 21-34.
264
Ravensburg
blem konnte auch nicht durch die Entlassung Willings im Oktober 1553 gelöst werden, sonder entfachte den innerprotestantischen Abendmahlsstreit erst recht. Besonders in der Amtszeit des lutherischen Streittheologen und Predigers Georg Melhorn 43 spielte dieser Streit eine große Rolle. Nach vielen Auseinandersetzungen stellte der Rat den evangelischen Predigern auf ein Ersuchen Württembergs hin frei, die Konkordienformel von 1577 zu unterzeichnen, was sie auch taten 44 . Zu größeren Konflikten zwischen Katholiken und Protestanten kam es bis zum großen Konfessionskrieg in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht 45 , auch nicht in der Karmeliterkirche. Das friedliche Nebeneinander gelang in den Jahren 1554 bis 1628 sogar besser als nach 164946. In den Jahren zwischen 1628 und 1649 mußten die evangelischen Bürger nach dem Rezeß vom 23. Mai 1628 angesichts der politischen Verhältnisse die Karmeliterkirche verlassen 47 und in den zur Dreifaltigkeitskirche umgebauten Kornspeicher ausweichen, bevor sie nach dem , Lindauer Rezess' vom 4. Juni 1649 wieder in das Langhaus der Karmeliterkirche zurückkehren durften.
13.3 Der Umgang mit den Bildern Bis zur Einführung der Reformation in den 1540er Jahren sind für Ravensburg selbst keine Hinweise auf Bilderfrevel überliefert 48 . 1542 versuchte der Landvogt Hans Wilhelm von Laubenberg die Wallfahrt zum Hl. Veit auf die oberhalb Ravensburgs gelegene Burg abzustellen und das Bildnis des Hl. Veit zu beseitigen 49 . Offenbar konnte sich Laubenberg bis zu seiner Absetzung in diesem Punkt aber nicht durchsetzen, denn die Wallfahrt wurde weitergeführt - wenn auch ohne Beteiligung Ravensburger Bürger und den üblichen Prozessionsweg durch die Stadt 50 . 43
Zu Georg Melhorn (f 1563) vgl. AUGSBURGER PFARRERBUCH, S. 29, Nr. 158. Vgl. MOLLER: Aktenstücke, S. 86-88, Nr. 623. 45 Zu dem einzigen Zwischenfall, der auch die Einrichtungsgegenstände betraf, vgl. unten S. 265f. 46 Vgl. WARMBRUNN: Zwei Konfessionen, S. 228f. 47 Vgl. StadtA Ravensburg, Bü 486 c 1, Nr. 4 (Abschrift; zweite Abschrift ebd., Nr. 5). 48 Vgl. StadtA Ravensburg, Bü 376a, Denkbuch; HStA Stuttgart, J 1, 194, Chronica Ravenspurgensis. - 1541 wurde in der Frauenkirche sogar noch eine neue Orgel aufgestellt. 44
49
Z u r S t . V e i t - K a p e l l e v g l . BOSSERT: O b e r s c h w a b e n , S. 4 2 ; HOFACKER: R e f o r m a t i o n ,
S. 8 9 f ; DREHER: G e s c h i c h t e 1, S . 9 8 f . 50 Vgl. den Bericht des Oberamtmanns Hans Käm an Abt Gerwig vom 14. Juni 1546; GERWIG BLARER 1, S. 553,10-22, Nr. 774: „Auf die creuz-mitwoch [= 2. Juni] sind von allen orten die creuz komen gen Wingarten wie von alther, on allain die von Ravenspurg. Sey habend auch um das hailig blu(e)t durch ir statt wie von alter her ze fieren nit gebet-
Der Umgang mit den Bildern
265
Nachdem 1545 bereits den Protestanten das Langhaus der Karmeliterkirche überlassen worden war, versuchte man 1546 die beiden Pfarrkirchen in die Neuordnung des Kirchenwesens mit einzubeziehen. Auf der Tagung des Schmalkaldischen Bundes in Worms wurden die Ravensburger Gesandten Peter Senner und Gabriel Kröttlin zur Fortführung der begonnenen Neuerungen ermahnt 51 . Daraufhin teilte der Rat den beiden Pfarrern und allen Kaplänen am 20. Mai mit, „so wolle ouch ainem radt gebüren, ain gleichmässige religión und ritum ecclesiasticum in allen kirchen alhie anzustöllen, darmit derhalb ain gleichait gehalten werde. Demnach sei ains radts ernstlicher bevelch und mainung, das nunmer alhie in allen pfarren aller bapstlicher ritus und die bapstlichen ceremonien gentzlich abgestölt sein solle und sie die pfarrer und caploen [sich] aller bapstlicher ceremonien enthalten und sich gantz muesigen und abstanden." 52
Auch im Karmeliterkloster sollten die Geistlichen Messe und Zeremonien einstellen. Daß von der Abschaffung der alten Zeremonien auch die Bilder betroffen waren, geht aus den Berichten des Oberamtmannes Hans Käm an Abt Gerwig hervor 53 . Noch am Abend des 20. Mai handelte der Rat: „ain Stattknecht in die kyrchen geschickt, so der mesmer zu(o) dem ampt gelidten ha(u)t, und in haissen aufho(e)rn leuten, und die wyber des alten glouben aus dem kor triben und in iere liechter und alle liechter in der Kyrchen gelo(e)st vor dem sacrament und allenthalben, darnach den kor beschlossen." 54
Ob man die Liebfrauen- und die Jodokskirche wie den Chor der Karmeliterkirche zugeschlossen hat, ist nicht bekannt. Wie Käm am 14. Juni Abt Gerwig weiter berichtet, hat Konrad Konstanzer in der Zwischenzeit das Taufwasser in der Liebfrauenkirche ausgeschüttet und „sy [= die von Ravensburg] hond auch die altar abdeckt und etlich tañen hinweg thon und sonderlich, wa unser liebenfrawen biltnus ingewesen ist. Wa sy es aber hin thon habend, mo(e)gen wyr nit wisse. Do so(e)lchs beschechen ist, ha(u)t der pfarrer sych gegen dem burgermaister beschwert [...]."5S
ten. Auf das sind wyr fritags hinin gegen der statt zu(o) dem bild vor der holen gassen geritten und darnach gegen dem Kamerbriel und das ganz feld umb, wie von alter her. Es ist auch kain mensch von Ravenspurg mitgeritten noch gangen. Der landrichter ist selbs mit uns geritten und sonst gar fyl folk, das wyr der von Ravenspurg nit bedürfen [...]." 51 Vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 46f, Nr. 429. 52 MÜLLER: Aktenstücke, S. 48, Nr. 430. 53 Leider fehlen für die genauen Vorgänge die Quellen aus reichsstädtischer Perspektive: Stadtschreiber Kröttlin war bis Anfang September 1546 verreist, was die fehlenden Einträge im Denkbuch erklärt; vgl. MÜLLER: Aktenstücke, S. 4 9 . 54 GERWIG BLARER 1, S. 550,25-35, Nr. 771 (Hans Käm an Abt Gerwig, 20. Mai 1546). 55 GERWIG BLARER 1, S. 552,27-33, Nr. 774 (Hans Käm an Abt Gerwig, 14. Juni 1546); übernommen bei HOLZER: Konfessionen, S. 30.
266
Ravensburg
Wer genau die Altäre „abdeckte" und wohin einzelne Bildwerke weggeräumt wurden, bleibt unklar, auch ob sich die Angaben nur auf die Liebfrauen- oder alle Kirchen Ravensburgs bezieht. Ob der Rat den Zwinglianer Konstanzer hinsichtlich der Bilder ungestört agieren ließ, muß offen bleiben. Daß die Aktionen freilich im Einvernehmen mit dem Rat und gegen den Willen des altgläubigen Pfarrers stattfanden 56 , wird deutlich. Das besonders erwähnte Marienbildnis könnte vielleicht zum Marienaltar-Retabel in der Liebfrauenkirche gehört haben, für den der Bildhauer Friedrich Schramm und der Maler Christoph Keltenofer 1489/90 ein neues Retabel gefertigt hatten 57 . Über die Dauer und das Ausmaß der Vorgänge ist nur zu spekulieren. Daß die drei Prädikanten Lenglin, Tilianus und Konstanzer in ihrer Denkschrift an den Rat vom 3. Dezember 1546 so vehement die Abschaffung der weiter verehrten ,Götzen' und Altäre einforderten, dürfte ein Hinweis darauf sein, daß in dem Zeitraum zwischen Ende Mai und Anfang Dezember keineswegs rigoros durchgegriffen und alle Bilder entfernt worden waren. Die Prädikanten erinnerten die Ratsmitglieder an den Befehl des Apostels Paulus, jede Form von Abgötterei abzustellen (1. Kor 10,7.14) 58 . Unter diesen Abgöttereien sei „nicht daz geringst [...] die vile der altar in der kürchen, die gar nicht breuchlich, sonder vilmehr hinderlich sein; deßgleichen andere missbreuch, so noch vom bapstum vorhanden, als sprengkessel mit weihwasser im gotsacker und liechter am hellen tag brennen und waz dergleichen greuel mer sein" 59 .
Wie die Könige im Alten Testament - als Beispiele werden Gideon, Asa, Josaphat, Ezechias, Josias, Manasse aufgeführt - habe nun der Rat als christliche Obrigkeit dafür zu sorgen, alles, was zur Abgötterei „dienet und weiset, nicht zu dulden oder zu gestatten, sondern gar auszureiten" 60 . Wie
56
Dem Pfarrer wurde auf seine Bitte hin gestattet, das Allerheiligste in sein Wohn-
haus zu bringen; vgl. GERWIG BLARER 1, S. 5 5 2 , 3 3 - 5 5 3 , 1 , Nr. 774 (Hans K a m an Abt
Gerwig, 14. Juni 1546). 57 Vgl. ROTT: Quellen Ml, S. 179 mit Anm. 3. - Die Patrizier Klemens von Ankenreute d. Ä. und seine Frau Dorothea Ringlin hatten 1478 eine ewige Meßpfründe für den Marienaltar gestiftet. 58 MÜLLER: Aktenstücke, S. 68f, Nr. 444: „Desshalben wir e. e. e. w. [Anrede für den Rat] als unser ordenliche christliche oberkait umb des herrn Jhesu Christi willen, auch ewers hohen ampts in diesem fall wollen underthäniglich ermanet und gebeten haben, daz nach ausweisung der gestölten und angenomenen christlichen kirchenreformation e. e. e. w. trewlich und ernstlich dreinsächen wolle, damit alle abgötterei und waz dazu dienstlich, abgeschafft und hinweggethon werde, und niemandts hinfürter öffentliche abgötterei zu treiben gestatten, oder sonst ursach dazu gegeben werde." 59 Ebd., S. 68. 60 Ebd. - Vgl. auch unten S. 290 bei Anm. 14.
Der Umgang mit den
Bildern
267
dringend ein härteres Durchgreifen nötig sei, ist in der täglichen Praxis zu erkennen: „Solchs zaigen wir darumb fleissiger und weitläufiger an, dieweil wir täglich vor äugen sa(e)hen den grewlichen missbrauch und gotslästerung deren, so allein aus trutz und frävel, one sonderliche andacht, für die altär und götzen kniien, die liechter brennen und solche vil superstition treiben, das dann ain grosser grewel vor Gott und seinem hailigen wort gar zuwieder ist." 61
Zuletzt fügten die Prädikanten noch einen ganz praktischen Grund für die Altarentfernungen an; Sonn- und Feiertags herrsche so ein großer Andrang an Gottesdienstbesuchern, daß man „anstatt der altär vil bequemliche ständ oder mansstüel" aufstellen sollte, „daz so vil lieber und williger daz volkh bei den predigen und andern kürchenübungen bleiben und verharren möchte" 6 2 . Direkte Reaktionen auf die Eingabe der Theologen oder von den drei Prädikanten selbst initiierte Aktionen 63 sind nicht überliefert. Nach dem Umschwung in der politischen Situation und angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der Schmalkaldener, die sich bereits wenige Wochen später in der Unterwerfung Ravensburgs vor dem Kaiser äußerte (6. Januar 1547), dürften demonstrative Ausräumaktionen des Rates gegen Bilder und Altäre jedoch schwieriger geworden sein, wären sie doch von altgläubiger Seite sicherlich als Provokation aufgefaßt worden. Ganz ausgeschlossen werden können sie jedoch auch nicht, aber da weitere Quellen fehlen, kann die Frage nicht geklärt werden. Jedenfalls forderten die Äbte von Weingarten und Weißenau seit dem Frühjahr 1547 die Wiederherstellung ihrer alten Ansprüche an den Ravensburger Kirchen ein, wogegen sich der Rat zunächst wehrte, sich schließlich aber dem Mandat Karls V. vom 28. Februar 1548 beugen und die Liebfrauenkirche an Weingarten und St. Jodok an Weißenau mit allen Rechten und Besitztümern zurückgeben mußte. Der Abt von Weingarten hatte dem Kaiser mitgeteilt, daß die Ravensburger unberechtigterweise die beiden Pfarrkirchen eingezogen und die Pfarrer und Kapläne verjagt, darüber hinaus auch alle „monstrancien, kelch, Ornaten und silbergeschiers sampt brieflichen urkunden" 64 an sich genommen hatten. Karl V. ordnete daher an, alles innerhalb von zehn Tagen zu restituieren, Pfarrer und Kapläne wieder einzusetzen und den Gottesdienst nach altem Herkommen zu halten. Der Rat hatte zwar Einspruch gegen die
MÜLLER: Aktenstücke, S. 68. Ebd. 63 Ob der Verlust der zahlreichen mittelalterlichen Kunstwerke in den Kirchen wirklich so eindeutig den Prädikanten zuzuschreiben ist, wie MÜLLER: Aktenstücke, S. 64, behauptet, darf bezweifelt werden. - Die Aussage über die Prädikanten findet sich schon 61
62
b e i H A F N E R : K i r c h e , S . 3 5 u n d H O L Z E R : K o n f e s s i o n e n , S. 3 5 . 64
GERWIG BLARER 2, S. 9 0 , 3 2 - 3 4 , Nr. 991; HStA Stuttgart, B 198, Bü 38, Nr. 2, fol. 86.
268
Ravensburg
Vorwürfe erhoben, Abt Gerwig wiederholte jedoch seine Klagen vor dem Kaiser und konnte sich letzten Endes auch durchsetzen 65 . Als die Karmeliter 1549 in ihr Kloster zurückkehrten, mußte der Rat auch ihren Forderungen nachkommen 66 . Was genau nun an kirchlicher Ausstattungskunst wieder seinen Weg in die Gotteshäuser zurückfand, kann ebenfalls nicht mehr geklärt werden 67 . Denn während die wertvollen Gerätschaften aus Silber oder Gold (Kelche, Monstranzen, Taufkannen etc.) oder wichtige Akten und Urkunden zu Stiftungen und Pfründen eigens erwähnt werden, finden Tafelmalereien, Statuen oder Retabel in den Quellen keine Erwähnung 68 . Ein Blick auf die heute noch erhaltenen Kunstwerke zeigt einerseits, daß nicht alles in der Reformationszeit zerstört wurde. In der Liebfrauen-Pfarrkirche, die im Spätmittelalter über 12-14 Altäre verfügte, finden sich ein Tympanon über Westportal (Marienleben), Glasfenster im Chor, von denen die ältesten aus dem Jahr 1415 stammen, ein spätgotisches Sakramentshaus mit zwei Fresken über dem Gitterwerk (Abendmahl, Emmaus) und einer Vera Icon im 65
Zur Antwort des Ravensburger Rates nach der Verkündigung des Mandats in der Stadt am 12. März 1548 durch den Notar Johannes Kramer vgl. GERWIG BLARER 2, S. 91, Anm. 1: Bürgermeister und Rat hielten die Anklagen des Kaisers für unberechtigt und behaupteten u. a., daß sie die Monstranzen nicht aus den Pfarrkirchen genommen, sondern dort belassen hätten. Das Schreiben Gerwigs an den Kaiser (ebd., S. 92-96, Nr. 992) bezieht sich direkt auf die Ravensburger Antwort und vermerkt als zweiten Punkt: „Am andern so haben sy gleich darnach in baiden pfarren die monstranzen, kelch und andere kirchenornaten nicht (wie sy anzaigen) bey oder in der kirchen gelassen, sonder aigengewaltiglich aus des pfarrers und der caplo(e)n Verwaltung genomen, in ir Verwaltung auf das rathhaus getragen"; ebd., S. 91,26-30. Die erneute Antwort und Rechtfertigung des Rates ist abgedruckt: ebd., S. 96f, Anm. 1. 66 Vgl. dazu den Bericht in HStA Stuttgart, B 198, Bü 38, Nr. 1: „[...] Auff zinstag nach dem sontag jubilate [= 14. Mai] anno 1549 ist Georg Kab, provincial carmeliter ordens in obern teütsch und ungarisch landen alher in das kloster kommen [...] das er bevelch hab, das closter zu reformirn [...] darneben aber [...] an ain rath begert, das in den andern kirchen in ihrer statt das Interim zu halten [...]." Eine Abschrift findet sich auch in HStA Stuttgart, B 198, Bü, Nr. 2, fol. 53f. 67 BECK: Stadtpfarrkirche, S. 80f: „Inwieweit das [gemeint ist die Restitution] im Hinblick auf die vorreformatorische Ausstattung geschehen ist, entzieht sich unserer Kenntnis." Vgl. auch DERS.: St. Jodok, S. 6. In der Barockzeit kamen neue Ausstattungsstücke hinzu, die allerdings im 19. Jahrhundert durch Werke der Neugotik ersetzt wurden. 1952-55 entfernte bzw. zerstörte man auch diese wieder. 68 Lediglich in dem oben in Anm. 65 erwähnten Bericht über die Restitutionsansprüche der Karmeliter werden auch silberne Bilder aufgelistet, von denen allerdings auch Teile verkauft werden konnten: „Volgendts hab er [= der Ordensprovinzial] begehrt, kleinodien alle und kirchenzierden zu sehen; wie ers nun gesehen und 16 kelch auch 15 gottes- und sonst etliche silberne bilder und monstrantzen vorhanden gewest, hab er angezaigt, ime sey auch befohlen, wo er also einen Überfluß findt, soll ers verkauffen und darmit handeln laut der verschreibung, so er einem rath gegeben, und ist also wider abgeschiden."
Der Umgang mit den Bildern
269
Wimperg, ein riesiger Kruzifix aus dem 15. Jahrhundert, der zuvor im Chorbogen hing, und die Figuren der Hll. Katharina und Ursula als einzige Skulpturen aus dem Mittelalter vor Ort69. Der Flügelaltar von 1510/20 wurde erst 1959 in der Schweiz gekauft 70 , ein gotisches Vesperbild in der heutigen Gefallenengedenkkapelle stammt aus der Mühlbruckkapelle, wo es bis zu deren Abbruch gestanden hatte, um dann 1812 in die Liebfrauenkirche zu kommen 71 . Die berühmte Ravensburger Schutzmantelmadonna befindet sich heute in den Staatlichen Museen in Berlin-Dahlem, eine Nachbildung von 1935 ist an ihrem ursprünglichen Platz zu sehen 72 . In der St. Jodok-Pfarrkirche, deren Patronatsherr der Abt des Klosters Weißenau war 73 , befanden sich ehemals sieben oder acht Altäre 74 . Über ihr Aussehen ist nichts bekannt, da sie - wenn man eine Analogie zu den Bildentfernungen in der Liebfrauen- und Karmeliterkirche nach dem 20. Mai 1546 annehmen will - ebenfalls hinausgeräumt oder auch zerstört wurden 75 . „Falls das eine oder andere davon den Bildersturm überdauert und nach dem kaiserlichen Mandat vom 28. Februar 1548 einige Monate später wieder Platz gefunden hat, ist es vielleicht im 17. oder 18. Jahrhundert durch Barockes ersetzt worden. Dasselbe gilt übrigens auch im Hinblick auf Ausstattungsstücke von Künstlern der Spätgotik und der Renaissancezeit." 76 Zu den erhaltenen Kunstwerken 77 zählen Fragmente eines gotischen Freskenzyklus an den Wänden. Ein vermutlich aus dem 16. 69 Vgl. BELLER: Liebfrauen, S. 3. 5-10. 13. 26 (Abb.); WALZER: Zur künstlerischen Kultur, S. 67-73 (Glasfenster) und S. 75 (Tympanon); SAKRALE KUNST DES MITTEL-
ALTERS AUS DEM RAUM RAVENSBURG-WEINGARTEN, N r . 3 3 ( H l . K a t h a r i n a ) . 70
Vgl. BELLER: Liebfrauen, S. 10 (Abb.). Vgl. ebd., S. 25f (Abb.). 72 Zur Schutzmantelmadonna der Liebfrauenkirche, die in der Literatur entweder Michel Erhart oder dem Ravensburger Bildschnitzer Friedrich Schramm zugeschrieben 71
w i r d , v g l . M I C H E L E R H A R T & JÖRG SYRLIN D. A , S. 2 2 - 3 5 ( A b b . ) ; EITEL: S c h u t z m a n -
telmaria, S. 110-120 (Abb.); BELLER: Liebfrauen, S. 13; WALZER: Zur künstlerischen Kultur, S. 77f. Wann genau das Original aus der Kirche genommen wurde, ist unbekannt. Lange Zeit auf dem Dachboden eines Privathauses in der Herrenstraße vergessen, wurde die Figur vom Kunstliebhaber und Theologieprofessor Johann Baptist von Hirscher (1788-1863) erworben, später allerdings wieder verkauft und gelangte schließlich ins Museum nach Berlin. 73 Zur Geschichte von St. Jodok vgl. BECK: Stadtpfarrkirche; KDBW Donaukreis 4, S. 45-47. 74 Vgl. BECK: Stadtpfarrkirche, S. 80 und S. 82f. Bei der Weihe der Kirche 1385 verfugte sie über drei Altäre, den Choraltar (Hll. Jodok, Christina, Katharina) und zwei Seitenaltäre (einer den Aposteln Simon und Judas, dem Evangelisten Johannes und den übrigen Aposteln, der andere Maria, Johannes dem Täufer und St. Leonhard geweiht); im 15. Jahrhundert kamen noch fünf bis sechs Altarstiftungen hinzu. 75
76
V g l . HOF ACKER: R e f o r m a t i o n , S. 104 u n d S. 110.
BECK: Stadtpfarrkirche, S. 80f. Zur neugotischen Umgestaltung vgl. ebd., S. 83-86. 77 Vgl. BECK: Stadtpfarrkirche, S. 81-83; DERS.: St. Jodok, S. 6. 8. 12. 16f.
270
Ravensburg
Jahrhundert stammender Christus als Weltenrichter am Triumphbogen wurde allerdings 1904 nach seiner Freilegung sofort wieder übertüncht 78 . Das 1953 freigelegte St. Jodoksgemälde aus der Zeit des Weichen Stils an der nördlichen Chorwand blieb erhalten, da es nicht zerstört, sondern wahrscheinlich in der Barockzeit „nur" mit einer Putzschicht überdeckt wurde. Darüber hinaus findet sich ein Tafelbild an der südlichen Chorwand von Andreas Haider 1523/33, das Sakramentshaus von 1401 mit einer Marienkrönung aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, darüber eine Vera Icon. Außerdem sind noch die vom 1479-90 in Ravensburg nachweisbaren Bildhauer Jakob Rueß d. Ä. 79 gefertigten Figuren der Schmerzensmutter und des Apostels Johannes, die auf zwei spätgotischen Engelskonsolen stehen, erhalten, sowie mehrere Heiligenstatuen (um 1480), ein überlebensgroßer Kruzifixus - vielleicht 1547 gefertigt, als man den Lettner entfernte 80 - und der Kern eines insgesamt 24sitzigen Chorgestühls. Das Kalvarienberg-Ölgemälde ist eine Leihgabe des Städtischen Museums an die Jodokus-Kirche 81 . In der 1349 geweihten, nach 1392 aufgrund einer Stiftung der Truchsessen von Waldburg erneuerten und von 1544 bis 1802 simultan genutzten Karmeliterkirche 82 fanden sich besonders viele Stiftungen Ravensburger Familien, die sich auch in den fünf Kapellen manifestierten (Faber-, Humpiß- und Möttelin-Kapelle, St. Anna- und Allerheiligen-Kapelle, die 1461 zur Kapelle der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft um- und ausgebaut wurde 83 ). Aus der Zeit um 1450/60 stammen die Glasfenster mit Heiligendarstellungen. Zahlreich erhalten sind Epitaphien, v. a. diejenigen in der Kapelle der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft. Davon abgesehen ist die alte Ausstattung verlorengegangen, obwohl zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch zehn Altäre vorhanden gewesen sein sollen. Zu diesen Verlusten gehört wohl auch der von Hans Rueland aus Wangen 1475 gefertigte Schnitzaltar. Im Chor und am Chorbogen wurden 1965/66 Reste
78
Vgl. KDBW Donaukreis 4, S. 45f Weitere Fragmente von Wandmalereien werden im Chorraum vermutet; vgl. BECK: Stadtpfarrkirche, S. 81, Anm. 47. 79 Zu Rueß vgl. BAUM: Bildhauer, S. 94-97. 80 Vgl. BECK: Stadtpfarrkiche, S. 81: Wann genau der Lettner zwischen Hauptschiff und Altarraum herausgebrochen wurde, ist nicht überliefert; Beck vermutet als Zeitpunkt das „reformatorische Zwischenspiel" 1547/48. 81 Vgl. BECK: St. Jodok, S. 18. Beck vermutet als Künstler Andreas Haider. 82 Nach der Säkularisation wurde das Kloster aufgehoben, später kam die Kirche in den Besitz der evangelischen Gemeinde Ravensburgs und ist heute noch evangelische Stadtkirche. Vgl. EITEL: Evangelische Stadtkirche, S. 3. 83 Vgl. ROTT: Quellen 1/1, S. 197 und l/II, S. 155. Der 1475 von der großen Ravensburger Handelsgesellschaft gestiftete Schrein für die Allerheiligenkapelle in der Ravensburger Karmeliterkirche wurde von dem Wangener Bildhauer Hans geschnitzt, kostete 150 Gulden und wurde 1476 geliefert.
Der Umgang mit den Bildern
271
von Fresken aus dem 14. Jahrhundert wieder freigelegt (Hll. Drei Könige, Anna Selbdritt, Propheten, Kreuzigung, Abendmahl, Passionszyklus, Stifterbild eines Mitglieds der Familie Besserer mit Gregorsmesse an der Südseite des Chors, St. Kümmernis), die allerdings schon beim Einbau des Lettners im 15. Jahrhundert übertüncht worden waren. Die spätgotische Skulptur des Schmerzensmannes am Haupteingang wurde erst in neuerer Zeit gestiftet 84 . Wenig ist über das Schicksal der Kapellen bekannt. Die Mühlbruckkapelle 85 , in der die zum Tode Verurteilten vor einer Marienfigur ihre letzten Gebete verrichten konnten und die der Seelsorge der Karmeliter oblag, während die Stadt Pfleger und Mesner bestellte, wurde 1727 barockisiert, 1796 von französischen Soldaten geplündert, 1812 abgebrochen und 1852 neu errichtet. Von St. Michael bei den Franziskanerinnen ist überliefert, daß die Kapelle im 15. Jahrhundert drei Altäre (Michael-, Andreas- und Margarethenaltar) hatte. St. Leonhard wurde 1812, Hl. Kreuz 86 1826, St. Georg am alten Friedhof 1832 und St. Veit 1833 abgebrochen 87 . Nur Weniges von der mittelalterlichen Tafelmalerei, bedeutend mehr dagegen von den Holzskulpturen sind in Museen oder in Privatbesitz erhalten 88 . Anläßlich einer Ausstellung zum 700jährigen Jubiläum der Liebfrauenkirche wurden zahlreiche Beispiele aus der Ravensburger Gegend - unter anderem auch viele aus Privatbesitz und den katholisch gebliebenen Ravensburger Dörfern - zusammengetragen 89 . Im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart findet sich eine Heiligenfigur (um 1460), die aus der Sammlung Schnell in Ravensburg erworben wurde 90 . Eine Muttergottes kam wiederum über die Sammlung Schnell 1939 ins Städtische Museum Ravensburg 91 . In der Rottweiler Lorenzkapelle sind zwei Figuren 84
Vgl. EITEL: Evangelische Stadtkirche, S. 8-12 und S. 14f. Vgl. BECK: St. Jodok, S. 22. 86 Vgl. M E M M I N G E R : Ravensburg, S . 108. Das von dort stammende Fresko vom Jüngsten Gericht (um 1500) ist abgebildet bei DREHER: Ravensburg 2, Abb. 28. 85
87
Vgl. MEMMINGER: R a v e n s b u r g , S. 108.
88
V g l . SAKRALE K U N S T DES MITTELALTERS AUS DEM R A U M R A V E N S B U R G - W E I N G A R -
TEN, S. 9f. Diese Tatsache wird dort damit begründet, daß in der Reformationszeit die Bilder und Altäre entfernt wurden und in den katholisch gebliebenen Kloster- und Dorfkirchen die Barockausstattungen die vorhandene Kunst ablösten. 89
V g l . SAKRALE K U N S T DES MITTELALTERS AUS DEM R A U M R A V E N S B U R G - W E I N G A R -
TEN, Kat.-Nr. 16. 19-21. 23-31. 35. 40. 42. 45. 47. 50-58. 90 Vgl. WALZER: Zur künstlerischen Kultur, S. 80f; BAUM: Bildwerke der Sammlung Schnell, S. 59-63: Viele der dort genannten Kunstwerke, die meist von kleinen schwäbischen Händlern aufgekauft wurden, stammen aus einem engen Kreis um Ravensburg; allerdings ist der genaue Herkunftsort meist nicht bekannt. 91
V g l . SAKRALE K U N S T DES MITTELALTERS AUS DEM R A U M R A V E N S B U R G - W E I N G A R -
TEN, Kat.-Nr. 34.
Ravensburg
272
aus Lindenholz (Hl. Abt [Gallus?], um 1490; Auferstehungschristus, um 1500) aus Ravensburg zu sehen 92 . Zum Schluß nicht unerwähnt bleiben soll die Attacke gegen den „evangelischen" Altar im Langhaus der Karmeliterkirche 1628. Als den Katholiken bzw. den Mönchen mit Hilfe der kaiserlichen Kommission im Mai 1628 wieder die ganze Kirche zugesprochen worden war, mußten die Evangelischen mit ansehen, wie die ,,Catholische[n] in der abgetretenen Carmeliterkirchen, dem Langhauß genant, possession genomen, haben sie gleich auf allen Altären Meß gelesen, darnach am Sontag Cantate, den 21. Mai bey der Wiedereinweyung dieser Kirchen auf der Canzel P. Marci Capucini viel Betrohungen von sich vernehmen lassen, mit aufrechten Fahnen in die Kirchen gezogen und nachdem man wider darauß gegangen [...] zuvor aber den Altar und Tauffstein herauß geworffen und mit Ruthen gestrichen" 93 .
Nach einem über 70jährigem friedlichen Nebeneinander zwischen Katholiken und Protestanten in der Karmeliterkirche traf dieser Bilderfrevel an Altar und Taufstein der Evangelischen diesmal die andere konfessionelle Partei. Angesichts der Quellensituation sollte man bei der Bewertung der Vorgänge um die Bilder in den Jahren 1546/47 sehr vorsichtig sein 94 . Daß der Rat allerdings die für die Entfernung der Altäre und Bilder in allen Kirchen politisch günstige Situation ab Mai 1546, also in einem schon weit fortgeschrittenen Stadium der Ravensburger Reformationsgeschichte, nutzen wollte, wurde deutlich. Offensichtlich wurde 1546 mit dem Einverständnis des Rats ein Teil der sakralen Bildwerke aus manchen Ravensburger Kirchen entfernt. Details zu den genauen Vorgängen, zu den handelnden Personen, zur Rolle der Prädikanten und zum Umfang der Ausräumaktionen sind allerdings nur wenige bekannt.
92
Vgl. BAUM: Bildwerke der Rottweiler Lorenzkapelle, S. 35, Nr. 70 und S. 36, Nr.
7 6 ( A b b . ) ; S A K R A L E K U N S T DES MITTELALTERS AUS DEM R A U M R A V E N S B U R G - W E I N G A R -
TEN, Kat.-Nr. 41. 93 HStA Stuttgart,
J 1, 1 9 4 ,
Chronica Ravenspurgensis, fol.
168.
Vgl. auch
HOLZER:
K o n f e s s i o n e n , S . 6 8 ; G E S C H I C H T E DER STADT R A V E N S B U R G , S . 5 7 6 . 94 Vgl. W A R M B R U N N : Zwei Konfessionen, Bildersturm".
S.
61f, spricht von einem „gemäßigten
Kapitel 14
Leutkirch 14. 1 Die Reformation in Leutkirch In der kleinen Reichsstadt im Allgäu - Leutkirch zählte um 1500 etwa 2.000 Einwohner und verfügte auch nicht über ein umliegendes Territorium - konnte sich die Reformation erst relativ spät etablieren. Nachdem 1546 erstmals ein der neuen Lehre zugewandter Prediger angestellt worden war, gelang der Durchbruch in den 1550er Jahren, besonders nach Abschluß des Augsburger Religionsfriedens 1 . Zu erklären versucht man diese Verspätung oft mit dem Einfluß altgläubiger Gruppen in der Stadt. Zum einen besaßen das Tiroler Zisterzienserkloster Stams 2 bis 1547 und danach das Kloster Weingarten 3 das Patronatsrecht an der einzigen Pfarrkirche der Stadt, St. Martin. Zum anderen verfolgte der Rat der Stadt lange Zeit keinen eindeutig pro-reformatorischen Kurs, vielleicht auch auf Rücksicht auf den großen Sohn der Stadt, Johannes Fabri. Dieser, 1478 als Sohn eines Schmiedes in Leutkirch geboren, hatte als Jurist und Theologe eine beachtliche Karriere gemacht: Zunächst als Offizial am bischöflichen Gerichtshof in Basel tätig, wurde er 1518 zum Generalvikar in Konstanz berufen. Ebenfalls um Reformen innerhalb der Kirche bemüht, wurde er jedoch zu einem Gegner Luthers und der neuen Lehre. 1523 holte Erzherzog Ferdinand I. Fabri als Ratgeber, Hofprediger und Beichtvater an seinen Hof in Wien 4 . Auf Drängen des Bürgermeisters und des Rates von Leutkirch hatte Fabri bereits 1514 die Pfarrstelle an St. Martin angenommen, die er - anders 1
Die Quellenlage zur Leutkircher Reformationsgeschichte ist äußerst dürftig. Im Stadtarchiv finden sich lediglich die Furtenbachsche Chronik von 1655 (StA Leutkirch, B 7a), eine Sammlung von Aktenstücken über die Einführung der Evangelischen Konfession 1558-1672 (ebd., B 5, bes. Nr. 1-10) und zwei Faszikel zu Gemischten Kirchenund Religionssachen 1525-1562 (ebd., Fasz. 399) bzw. Evangelischen Kultsachen aus dem 17. Jh. (ebd., Fasz. 409); die noch vorhandenen Ratsprotokolle enthalten ebenfalls kaum Nachrichten zur Reformationsgeschichte. Dementsprechend beschäftigt sich die ältere und neuere Literatur zur Stadtgeschichte nur am Rande mit dieser Thematik. 2 Vgl. ANGST: Reichspfarrei Leutkirch, S. 175-186; ROTH: Leutkirch 2, S. 28-41. 3 Vgl. ROTH: Leutkirch 2, S. 42-56. 4 Seit 1524 Koadjutor von Wiener Neustadt, übernahm er dann 1530 die Leitung des Wiener Bistums. - Vgl. IMMENKÖTTER: Art. Fabri, S. 784-788; ANGST: Fabri, S. 285-295.
274
Leutkirch
als in Lindau - bis zu seinem Tod 1541 innehatte; zu seinem Stellvertreter ernannte er Ulrich Freyherr, der ebenfalls ein Verfechter des alten Glaubens war 5 . Trotz seiner persönlichen Abwesenheit konnte Fabri so die religiösen Geschicke in seiner Vaterstadt beeinflussen. Sein Engagement zeigte sich auch in den Briefen an die Stadt, in denen er eindringlich vor der ketzerischen Lehre warnte, und in den vielen Stiftungen für das Kirchen-, Schul- und Armenwesen 6 . Läßt sich der Einfluß Fabris auch nicht im Einzelnen nachweisen, so dürfte er zumindest doch die Hinwendung zur neuen Lehre hinausgezögert haben. In den Bauernkrieg griffen die Leutkircher Bürger nicht ein. Matthias Weibel 7 verbrachte lediglich die letzten Tage vor seiner Hinrichtung im Gefängnis der Stadt. Zwar gab es auch in Leutkirch 1525 Bestrebungen, einen Prediger anzustellen, dies scheiterte jedoch daran, daß die Bürger das nötige Geld für die Bezahlung nicht aufbringen konnten 8 . So wurde das religiöse Leben in der 1514-1519 gerade erst vergrößerten Pfarrkirche, in den Kapellen inner- und außerhalb der Stadt 9 und im Frauenkloster 10 relativ ungestört fortgesetzt. Diese Situation änderte sich nicht bis zum Jahre 1546, als eine Delegation der Bürgerschaft unter Anführung der Weberzunft den Rat aufforderte, einen Prediger anzustellen. Der Rat kam dieser Aufforderung nach und holte Georg Degelin in die Reichsstadt. Noch im gleichen Jahr folgten zwei Konstanzer Prädikanten (Johann Schnell, Johann Jung) dem Ruf nach Leutkirch, im März 1547 kam Hans Schallheimer aus Memmingen hinzu. Die Messe wurde abgeschafft, die katholischen Geistlichen vertrieben und auch die Nonnen sollten fortan die evangelische Predigt hören. Dieser Erfolg der neuen Partei währte aber nur kurze Zeit: Nach der Niederlage der Schmalkaldener und der Einführung des Interims zog die katholische Geistlichkeit, verstärkt durch das Kloster Weingarten, das seit 1547 neuer Patronatsherr war, wieder in St. Martin ein. Den Evangelischen wies man die Spitalkirche zu.
5 Zu Fabris Pfarrstelle in Lindau vgl. oben S. 62f; zu Ulrich Freyher vgl. LOY: Leutkirch, S. 178-185. 6 Vgl. BLICKLE: Fabris Briefe, S. 272f; ANGST: Fabri, S. 2 9 l f ; HÖSCH: Fabri-Dokumente, S. 275-284; LOY: Leutkirch, S. 153. 7 Zu Weibel vgl. oben S. 212f, Anm. 5. 8 Vgl. SCHÄFER: Entwicklung, S. 221. 9 Spitalkirche, Kirchhof- (Unsere-Liebe-Frau-) und Leonhardskapelle; vor der Stadt befanden sich die St. Anna- und Wolfgangskapelle. 10 Das 1281 gestiftete Augustiner-Chorfrauenkloster verfügte nicht über eine eigene Kirche. Die Klosterfrauen konnten den Gottesdienst in St. Martin in einem eigens für sie errichteten Andachtsraum über der Sakristei, der durch einen Gang mit ihrem Kloster verbunden war, mitfeiern.
Die Bilderfrage
in
Leutkirch
275
In der Folgezeit prägte der Konflikt der beiden Gruppierungen das Bild. Die Katholiken wurden dabei besonders durch den Abt von Weingarten, Gerwig, unerstützt. Eine kaiserliche Kommission konnte 1552 neben der Einsetzung eines neuen Rates (Hasenrat) sogar erreichen, daß der evangelische Prediger aus der Stadt gewiesen werden mußte. Erst 1555 forderte die evangelische Partei ihre Rechte mit Unterstützung des württembergischen Herzogs und der benachbarten Städte Isny und Ravensburg ein. Der Konflikt mit dem Kloster Weingarten ging damit seinem Höhepunkt entgegen: 1558 forderte der Rat in einer Instruktion den Abt nachdrücklich auf, die Religionsfreiheit nach dem Augsburger Reichsabschied zu beachten 11 . 1559 schickte Herzog Christoph einen Prediger nach Leutkirch, kurze Zeit später ernannte man mit David Braun den ersten ständigen Pfarrer. Nach mehrjährigen Verhandlungen mit dem Weingartener Abt kam es schließlich 1562 zu einem Vergleich: Die Martinskirche blieb der katholischen Bevölkerung und der Landvogtei als Pfarrkirche erhalten. Die Augustiner-Chorfrauen durften in ihrem Kloster bleiben. Die Evangelischen erhielten die Einkünfte aus drei Pfründen zur Besoldung ihrer Pfarrer und Lehrer zugesichert; außerdem wurde ihnen die Spitalkirche zugesprochen. Zu großen Konflikten der beiden Parteien kam es in der Folgezeit nicht, da sich beide Seiten an die Vereinbarungen hielten. Die protestantischen Anhänger schlössen sich 1577 dem württembergischen Konkordienwerk an, und 1616 schließlich regelte man in einem Vertrag zwischen Abt Georg von Weingarten und der Reichsstadt Isny den Rechtsstreit über die Besoldung des katholischen Pfarrers 12 .
14. 2 Die Bilderfrage in Leutkirch Allgemein kann dazu festgestellt werden, daß die Frage der religiösen Bilder in der Reichsstadt keine Rolle spielte. Von einen „Bildersturm" bei den Ereignissen 1546 - wo ja immerhin Prediger aus Memmingen und Konstanz entscheidenden Einfluß hatten - oder 1558/1562 wird in den Quellen nichts berichtet. Überhaupt sind die Nachrichten über sakrale Kunstwerke in Leutkirch äußerst spärlich. 14. 2. 1 Pfarrkirche St. Martin Wie das Innere der seit dem Umbau 1514-1519 sehr geräumigen dreischiffigen Kirche ausgestattet war, ist nicht genau bekannt. Aus dem Vorgän-
" Vgl. ROTH: L e u t k i r c h 1, S. 2 1 7 - 2 2 8 . 12 Vgl. H S t A Stuttgart, B 195, R e p . Leutkirch, Nr. 118.
276
Leutkirch
gerbau blieben vermutlich nur noch wenige Teile erhalten 13 ; lediglich eine Anna Selbdritt, eine Madonna mit Kind und zwei Holzfiguren sind von dem Skulpturenschmuck aus dem späten 15. Jahrhundert zu finden 14 . 1519 wurden neun Altäre geweiht, über deren künstlerische Ausstattung ebenso wie über weitere Malereien oder Skulpturen keine Angaben überliefert sind. 1522 errichtete man links vom Chor ein steinernes Sakramentshaus 15 . Da die Gemeinde einen großen Teil der Lasten des Umbaus zu tragen hatte, dürften kaum noch größere Summen für Tafeln, Statuen oder andere Gegenstände zur Verfügung gestanden haben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß die Ausschmückung der Martinskirche erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts stattfand 1 6 (Orgel, Apostel-Tafeln, Madonnenbild 1 7 , Altarbilder 18 ). Schon 1646 fielen einige dieser Ausstattungsgegenstände Raubzügen schwedischer Soldaten zum Opfer. 14. 2. 2 Die anderen Kirchen und Kapellen der Stadt19 In der Wolfgang-Kapelle an der Kemptener Straße soll bis zur Einfuhrung der Reformation ein Altar gestanden haben, der dann nach St. Martin verbracht wurde. Nach der Entfernung des Altars sei die Kapelle verfallen; ein „Wiederbelebungsversuch" des Stadtpfarrers Maucher Mitte des 17. Jahrhunderts mit einem tragbaren Altar schlug fehl, so daß die Reste der Kapelle schließlich 1814 abgetragen werden mußten 20 . Keine Informationen waren zur Ausstattung der Annen-, Leonhardsund Kirchhofkapelle zu finden. Die „Ausführung Christi" des Memminger Meisters Menger in der Spitalkirche 21 wurde von den Evangelischen nicht mehr benötigt, aber nicht zerstört, sondern den Nonnen geschenkt und gelangte über diesen Umweg 13
Vgl. ROTT: Quellen 2, S. XXVII und S. 92: Der Memminger Maler Konrad Menger wurde vor 1427 für seine Arbeiten in der Spitalkapelle und seine Tafel für den Fronaltar in St. Martin entlohnt. 14 Vgl. KDBW Donaukreis 2, S. 21; die beiden Holzfiguren (kniender Mann und Frau) stammen hiernach auch aus dem 1614 zerstörten Ölberg (vgl. unten bei Anm. 26). 15 Vgl. ANGST: St. Martin, S. 3f. 10; von den Altären der Erbauungszeit ist heute lediglich noch die Mensa des Hochaltares erhalten. 16 Vgl. KDBW Donaukreis 2, S. 18 17 Vgl. ROTH: Leutkirch 2, S. 60. Dieses Madonnenbild kaufte 1627 die Bruderschaftspflege. 18 Die heute im Stadtmuseum Leutkirch aufbewahrten Teile der Altarbilder (Flucht aus Ägypten, Christus in der Kelter) aus St. Martin gehören ebenfalls zur Ausstattung des frühen 17. Jahrhunderts. Für den freundlichen Hinweis zu Herkunft und Datierung der Predellen danke ich Herrn Dr. Manfred Thierer, Museum im Bock, Leutkirch. 19 Vgl. KDBW Donaukreis 2, S. 26f. 20 Vgl. ROTH: Leutkirch 2, S. 146; dagegen VOGLER: Leutkirch, S. 50. 21 Vgl. ROTT: Quellen, S. XXVII.
Der Bilderfrevel von 1614
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in die Martinskirche 22 . 1551 hatte David Braun, ein württembergischer Prediger, seinen Dienst in der Leutkircher Spitalkirche angetreten. Da die kleine Spitalkirche zu wenig Platz bot, ließ er 1559 den alten Jakobsaltar wegräumen und durch einen schlichten Abendmahlstisch ersetzen 23 . Da die Kirche aber immer noch zu klein war, erbaute sich die protestantische Gemeinde in den Jahren 1613-1615 ein neues Gotteshaus, die Dreifaltigkeitskirche. Das Kircheninnere schmückte man mit einem neuen Altar, Bildern der Apostel und anderen biblischen Gestalten aus 24 ; von einer strengen bilderfeindlichen Haltung war man also in Leutkirch weit entfernt - der gleich zu beschreibende Bilderfrevel am Ölberg blieb eine Ausnahme.
14. 3 Der Bilderfrevel von 1614 Erwähnenswert ist noch die Tatsache, daß es 1614 zu einem Bilderfrevel am Ölberg kam. Diese Skulpturengruppe war kurze Zeit nach der Einfuhrung der neuen Lehre vom Kirchhofplatz zwischen die Kirchhofkapelle und das Kloster verlegt worden. Was genau 1614 passierte, bleibt wegen der schlechten Quellenlage unklar. Angeblich sollen Bilderfrevler einige Statuen weggetragen, ihren Unfug damit getrieben haben und die Figuren zum Schluß in den Bach geworfen oder auch an den städtischen Pranger gestellt haben 25 . Eine anschließende Untersuchung der Angelegenheit durch den Rat brachte keine Erkenntnisse zum Vorschein. Dem katholischen Pfarrer, der nach dem Vorfall sämtliche noch vorhandene Figuren 26 in die Kirchhofkapelle räumen ließ, wurde lediglich das Bedauern des Rates übermittelt.
22
Vgl. SCHÄFER: Entwicklung, S. 223; vgl. auch KDBW Donaukreis 2, S. 27f. Vgl. STRECKER: Hochaltar, S. 91; LOY: Leutkirch, S. 206f. 24 Vgl. LOY: Leutkirch, S. 231-255 (Auflistung der Stiftungen von Bürgern für die Dreifaltigkeitskirche); STRECKER: Hochaltar, S. 91f mit Abb. 50. U. a. erhielt der Altar 1616 eine gemalte Tafel, die der Freiherr von Riedheim mit seiner Frau gestiftet hatte. 25 Vgl. ROTH: Leutkirch 2, S. 146f; VOGLER: Leutkirch, S. 49; KDBW Donaukreis 2, S. 27. 26 Vgl. oben Anm. 14. 23
Kapitel 15
Zusammenfassung Die Bilderfrage im Reformationszeitalter zeigt in den untersuchten niederund oberschwäbischen Reichsstädten verschiedene, z. T. sehr unterschiedliche Phänotypen. Die quantitative Häufigkeit der Problematisierung „religiöser Bilder" und des Vorgehens gegen die sakralen Kunstwerke bestätigt den Eindruck einer „Bildersturmlandschaft". Betrachtet man jedoch, was sich qualitativ unter diesen „Bilderstürmen" verbirgt, zeigt sich ein sehr heterogenes Bild. Ziel der Arbeit war es, mögliche Lösungsmöglichkeiten im Umgang mit den religiösen Bildwerken anhand der überlieferten Quellen sichtbar zu machen. Dabei wird man aber gerade durch die Überlieferungssituation vor eine schwierige Aufgabe gestellt, ist die Quellenlage doch in den verschiedenen Städten unterschiedlich umfangreich und für die Fragestellung dieser Arbeit unterschiedlich aussagekräftig. Zum anderen machen es die meist sehr knappen Einträge in den zeitgenössischen Ratsprotokollen, Visitationsberichten oder zufälligen Überlieferungsformen 1 schwer, sichere Aussagen über die genauen Vorgänge, die soziale Verortung der Akteure oder ihre Motivationen zu treffen. Darüber hinaus blicken viele Quellen aus einer reformationsfeindlichen oder durch innerprotestantische Konfessionspolemik beeinflußten Perspektive oder einfach mit Unverständnis auf die Vorgänge um das „religiöse Bild" zurück, dramatisieren manche Vorfälle (etwa in Memmingen 1525, Ulm 1531) und haben so in vielen Fällen das überlieferte Bild bis hin zur historiographischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt. Das Hinzunehmen der materiellen Kultur als Quellenbasis konnte in einigen Fällen Rückschlüsse auf die genauen Vorgänge in den Städten liefern, ist allerdings auch nicht unproblematisch. Denn genaue Angaben über die Höhe der Verluste an vorreformatorischer sakraler Kunst sind nicht möglich, da man keine statistischen Vorher-Nachher-Vergleiche anstellen kann. Diese Verluste, die trotz quantitativer Unterschiede als sehr hoch einzuschätzen sind, darf man jedoch nicht pauschal der „Zerstörungswut religiöser Fanatiker" zuschreiben. Nicht immer wurden die Kunstwerke zerstört, sondern oft blieb es in unserem Untersuchungsgebiet beim „Abtun" oder
1 So beispielsweise das als Einzelblatt im Ulmer Stadtarchiv überlieferte Geständnis der Anna Mentzen; vgl. oben S. 104 mit Anm. 39.
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„Hinwegtun" - um die am häufigsten gebrauchten Quellentermini zu wiederholen - ohne Zerstörung. Manche dieser Kunstwerke sind bis heute erhalten, befinden sich noch an ihrem ursprünglichen sakralen Platz (v. a. die Wandmalereien und z. B. das Hl. Grab in Reutlingen) oder sind dahin zurückgekehrt (z. B. das Hutz-Altar-Retabel im Ulmer Münster), andere wurden in ein anderes Gotteshaus transferiert (z. B. Georgs-Altar-Retabel in Scharenstetten). Ein Teil davon „überlebte" aufgrund äußerer Einflüsse (Brände, schlechte konservatorische Bedingungen und Modernisierungsmaßnahmen, vor allem in der Barockzeit) die Folgezeit nicht, ein weitaus größerer Teil aber fand den Weg in die an vielen Orten verstreuten Museen, Galerien oder Privatsammlungen 2 . Trotz dieser überlieferungsbedingten Schwierigkeiten stand aber genügend aussagekräftiges Quellenmaterial zur Verfügung, um zu prägnanten Ergebnissen zu kommen. In der „Bildersturmlandschaft" der schwäbischen Reichsstädte zeigt sich das folgende, differenzierte Erscheinungsbild. Demonstrative Zerstörungen oder quasi-rituelle Verhöhnungen mehrerer „religiöser Bilder", bilderfeindliche Aktionen also, die das wesentliche Charakteristikum der Spontaneität aufweisen, bleiben im untersuchten Raum die Ausnahme 3 . Die Vorfälle in Memmingen am Weihnachtsfest 1524, an der Frauen maßgeblichen Anteil hatten und die starke antiklerikale Züge gegen den Pfarrer an der Frauenkirche Megerich aufweisen, gehören dazu. Problematisch ist die Einordnung der Handlungen gegen Bildwerke im Bauernkrieg 1525, wie sie in Memmingen und Kempten stattfanden, unter die Kategorie eines „Bildersturmes". Auch wenn eine reformatorisch-religiöse Motivation der Bauern nicht auszuschließen ist, kann sie anhand schriftlicher Quellen nicht belegt werden. Anders als etwa in den ,Artikeln der Schaffhausener Rebleute' oder der Schrift ,An die Versammlung gemeiner Bauernschaft' wird in den Programmen der oberschwäbischen und Allgäuer Bauern (,Allgäuer Artikel', ,Memminger Bundesordnung', ,Zwölf Artikel') die Bilderfrage nicht problematisiert. Daher ist in diesen Fällen wohl eher der Feststellung Guy Marchals zuzustimmen, der die bäuerlichen Kirchen- und Klosterplünderungen im schwäbischen Raum nicht mit dem Tatbestand des Bildersturms in Verbindung bringt, sondern eher eine Anknüpfung an mittelalterliche Handlungsmuster vermutet, die der Zerstörung des gegnerischen Heiltums gelten, ohne das eigene Heiltum 2
Ein weiteres Problem ergibt sich durch die Tatsache, daß die Provenienz der Bildwerke nicht immer bekannt ist und daher die Zuschreibung zu einer bestimmten Kirche oder Kapelle an einem Ort unmöglich ist. 3 So die Definition des „Bildersturms" von MlCHALSKl: Phänomen Bildersturm, S. 69.
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prinzipiell in Frage zu stellen 4 . Solche Vorgänge haben also offensichtlich nichts mit einer prinzipiellen Feindseligkeit gegen Kultbilder zu tun. Die als Aktionen einzelner Personen oder kleiner Gruppen gegen ein Bildwerk bezeichneten Bilderfrevel bilden zeitlich den Anfang (Ulm 1518, Memmingen 1523) und das Ende der Untersuchung (Leutkirch 1614). In diesen Fällen richteten sie sich gegen die plastische Darstellung des Gebets Christi am Ölberg. Der Zeitpunkt der anderen Bilderfrevel lag vor allem in den Jahren vor der eigentlichen (obrigkeitlichen) Bildentfernung; einige dieser Vorfalle geschahen unmittelbar vor oder während dieser entscheidenden Phase des obrigkeitlichen Vorgehens und in wenigen Ausnahmefällen - wie in Leutkirch - bildeten solche Einzelaktionen die einzigen quellenmäßig belegbaren Feindseligkeiten gegen die Bilder. Auffallend häufig sind die Frevelhandlungen gegen die Ölberge, aber auch gegen andere Bildwerke wie Palmesel (Biberach 1531, Kempten 1533), Wandmalereien, Kruzifixe (Lindau 1529), Passionsdarstellungen (Biberach 1531), Grabsteine (Reutlingen 1532), Sakramentshäuschen (Isny 1534) oder die Ausstattungstücke einer Familienkapelle (Memmingen 1531, Isny 1532) konnten Ziel des desakralisierenden Bilderfrevels sein. Die Motive für solche Handlungen sind komplex: Neben einer reformatorischen Gesinnung, wie sie durch Predigten hervorgerufen wurde, konnte auch jugendlicher Leichtsinn beteiligt sein; auch ein gelegentlicher Zusammenhang mit judenfeindlichen Stimmungen ist nicht auszuschließen (Ulm 1518, Memmingen 1523). Die einzelnen Bilderfrevler kommen aus unterschiedlichen städtischen Gruppen: Es finden sich unter ihnen Männer und Frauen, Jugendliche 5 und Erwachsene, Handwerker und Patrizier, Bader, Bürgermeister, Täufer und Lehrer. Tatsächlich kam es zu dem Phänomen, daß, wie es Hermann Heimpel pointiert formulierte, die Bilderstifter auch die Bilderstürmer waren (Peter Büffler, Eberhart Zangmeister) 6 . Die einzelnen Bilderfrevel bestätigen - in Verbindung mit den planmäßig-systematischen Aktionen der Obrigkeiten - , daß der Bildersturm in seiner Vielfalt ein religiös und sozial ganzheitlich zu verstehender „Krieg gegen die Götzen" („war against the idols") 7 war: Er zeigt den Zusammenhang zwischen dem reformatorischen Kirchenverständnis der Theologen und den politisch-kirchlichen Partizipationsforderungen der Bevölkerung. 4
V g l . MARCHAL: Mittelalter, S. 2 8 0 - 2 8 2 .
5
Ob die Beteiligung von Jugendlichen im Norden des Reiches (ein Drittel aller Aktionen) höher lag als im Süden, läßt sich nicht entscheiden; vgl. SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 180f. 6
V g l . HEIMPEL: M e n s c h , S. 134.
7
V g l . ElRE: War.
Zusammenfassung
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Die Abschaffung der „Götzen" war kein isoliertes Anliegen neben anderen, sondern gehörte zum Zentralbereich der städtischen Lebensverhältnisse und ihrer sakralen Grundlagen. Dies zeigt sich noch klarer, wenn man auf das Vorgehen der Räte blickt. Die Form des praktischen Umgangs mit religiösen Bildern, die für die schwäbischen Reichsstädte am charakteristischsten ist, war die von der städtischen Obrigkeit forcierte Handlungsweise, d. h. in den meisten Fällen die vom Rat ver- und geordnete Entfernung der Bilder aus den Gotteshäusern (Lindau, Reutlingen, Ulm, Memmingen, Biberach, Esslingen, Isny, Kempten, Kaufbeuren, Ravensburg), seltener die Ablehnung solcher Entfernungen (Giengen). Gerade das Beispiel Giengen zeigt aber, daß dem städtischen Rat keine zwingende Logik gebot, gegen die Bilder einzuschreiten, auch wenn der vor Ort anwesende Prädikant diese Maßnahme jahrelang gefordert hatte und die nach oberdeutschem Vorbild eingeführte Reformation dies nahegelegt hätte. Die Rolle der städtischen Räte bzw. die Haltung der die Entscheidungen in den Städten maßgeblich prägenden, meist sehr kleinen Gruppe von Ratsmitgliedern war für den Verlauf ausschlaggebend; ohne Einverständnis der Obrigkeit und der entscheidenden obrigkeitlichen Schlüsselfiguren fand gar nichts statt. Der Handlungsspielraum der Entscheidungsträger, oft beeinflußt durch außenpolitische, innerstädtische oder persönliche Faktoren, reichte dabei von der Ablehnung, wie am Beispiel Giengen gezeigt wurde, bis zur radikalsten Lösung, die wir in Kempten vorgefunden haben. So kann man Heimpels Diktum von Einzelpersonen auch auf die Gruppe der reichsstädtischen Räte ausdehnen 8 : In Ulm beispielsweise wurde der Rat als ehemaliger Stifter des neuen Hochaltar-Retabels zum „Bilderstürmer", als er 1531 die Zerstörung des von Syrlin d. Ä. geschaffenen monumentalen Choraltar-Retabels im Münster anordnete, gleichzeitig aber den ebenfalls für den Chor gestifteten Dreisitz und das Chorgestühl aus praktischen Gründen bestehen ließ. Grundlage für solche obrigkeitlichen Aktionen war eine Umorientierung in der religiösen Einstellung. Ohne ein derartiges Umdenken im Sinne der Reformation wären die Ratsherren nie auf die Idee verfallen, die Stiftungen der Bürgerschaft aus den Gotteshäusern zu nehmen. Daher kam nicht nur den obrigkeitlichen Entscheidungsträgern eine wichtige Rolle zu, sondern auch den Predigern und Seelsorgern, die ihnen die reformatorischen Lehren und damit die theologischen Gründe für Aktionen gegen sakrale 8
Vgl. in diesem Zusammenhang auch das in B I L D E R S T U R M - W A H N S I N N ODER angeführte Beispiel Berns, wo der Rat Mitte des 1 5 . Jahrhunderts sogar auf illegalen Wegen mithalf, Reliquien fiir die eigene Stadt zu bekommen: Die Schädelreliquie des Hl. Vincenz wurde in Köln entwendet und nach Bern gebracht alles mit dem Einverständnis des Berner Rats. GOTTES WILLE?, S. 107,
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Zusammenfassung
Bilder nahebrachten. Sobald in den Reichsstädten erste reformatorische Ansätze erkennbar waren, wurde im Zuge der Rezeption Luthers und Zwingiis durch die dortigen Prädikanten und Reformationsanhänger auch die Bilderproblematik auf die Tagesordnung gesetzt. Ein wichtiges Forum konnten die städtischen Religionsgespräche sein, wie etwa in Memmingen und Kaufbeuren 1525. Doch gibt es für praktischen Umsetzungen der Bilderfrage keine Regelhaftigkeit. Gleiche theologische Impulse, etwa die gleiche bilderfeindliche Predigt durch zwinglianische Prädikanten, konnte doch in verschiedenen Städten, wie beispielsweise in Memmingen (Christoph Schappeler) und Kaufbeuren (Jakob Lutzenberger, Johannes Wanner), zu sehr unterschiedlichen Konsequenzen fuhren. Neben den lokalen Predigern (zu nennen sind Christoph Schappeler, Matthäus Alber, Martin Rauber, Jakob Haystung und Jakob Lutzenberger) kam auch ihrer Unterstützung durch die Anwesenheit auswärtiger Theologen, insbesondere Martin Bucers, Johannes Oekolampads und Ambrosius Blarers, eine wesentliche Rolle bei der religiösen Beeinflussung der Ratsherren und der Bevölkerung zu. Sie vermittelten den Ratsherren ihr Bildverständnis und führten ihnen in mündlicher und schriftlicher Form die Notwendigkeit der Bildentfernungen vor Augen. In Ulm, Memmingen, Biberach, Isny, Esslingen und Giengen waren es diese Impulse der aus anderen oberdeutschen Städten kommenden Reformatoren, die einen zögernden Rat dazu brachten, Bildentfernungen zu planen und durchzufuhren. Eine besondere Bedeutung kam dabei dem Itinerar Blarers zu, dessen persönliche Anwesenheit in den schwäbischen Städten zwischen 1528 (Konstanz) und 1532 (Esslingen, Isny) eng mit der praktischen Umsetzung der Beseitigung des „Götzenwerkes" verbunden war. Allerdings konnten die Bemühungen auch erfolglos sein, wie das Beispiel des Wirkens Bucers in Giengen zeigt. Eine verbreitete theologisch-reformatorische Konzeption in den schwäbischen Reichsstädten, wie sie von Bucer, Oekolampad und Blarer vertreten wurde, war die Vorstellung, daß die Bildentfernungen nur die Zwischenstufe zu einer wirklichen Reinigung der Stadt bilden sollte. Erst habe die Predigt die Menschen innerlich zu gewinnen und auf die äußeren Maßnahmen vorzubereiten, dann habe die Bilderentfernung (ebenso wie die Abschaffung der altgläubigen Messe) zu folgen, erst danach aber komme das Wichtigste: die durch eine strenge Kirchenzucht unterstützte Heiligung des Lebens. Die Plausibilität dieses Erneuerungsprogramms für die Ratsherren nahm mit jeder Stufe ab. Die obrigkeitliche Unterstützung der reformatorischen Predigt bedeutete noch keineswegs die Zustimmung zur Forderung der „Götzen"-Entfernung; und noch weniger folgte auf die Abschaffung der Messe und der Bilder eine Übereinstimmung mit den Kirchenzuchtplänen der Prädikanten. Als Regel kann gelten: Es gab keine ob-
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rigkeitlichen Maßnahmen gegen die Bilder ohne den starken Einfluß der Theologen; aber der starke Einfluß reformatorischer Theologie, Predigt und Seelsorge in einer Stadt mußte nicht zwingend zu Aktionen des Rates gegen die Bilder führen. Bezeichnend für die Situation in den Städten, deren Räte sich zur Entfernung des „Götzenwerkes" entschlossen, war, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung der Reformationsprozeß weit fortgeschritten war und man bereits eine längere Phase des Abwartens, aber auch der Beschäftigung mit der Bilderproblematik hinter sich hatte. Die Gründe für die abwartende Haltung lagen oft in der politischen Situation: die Loyalität zum kaiserlichen Stadtherrn, die Furcht, wegen der Differenzen in der Religionsfrage Benachteiligungen erleiden zu müssen, oder mangelnde Bündnisabsicherungen, die für die Verantwortlichen stärker wogen als die Notwendigkeit einer sofortigen Beseitigung der Zeugnisse eines nunmehr als falsch empfundenen Kultes. Vor dem Ratsbeschluß zur Entfernung der „Götzen" informierten die Ratsherren zunächst oftmals die Stifter der Bildwerke und erlaubten diesen, selbst für das Schicksal ihrer Stiftungen zu sorgen. Die Eigentumsverhältnisse wurden also gewahrt; eine mögliche Weiterverehrung durch altgläubig gebliebene Familien war damit nicht ganz ausgeschlossen. Beispiele, daß den Stiftern die Heimholung von Stiftungen verboten wurde, sind nicht bekannt. Schließlich beauftragte der Rat Handwerker oder/und städtische Bedienstete (Kirchenpfleger, Polizeidiener) mit der Ausführung und Überwachung des Zerstörens und Wegräumens der restlichen Bilder. Daß das Moment der Spontaneität bei einer solchen Vorgehensweise sehr eingeschränkt wurde, ist offensichtlich. Der Grad der Zerstörung und die Quantität der Verluste reichen dabei von einer relativ radikalen Zerstörung bis hin zu einer hohen Quote von heute noch erhaltenen Kunstwerken. Zu beobachten ist die unterschiedliche Intensität der Ausräumaktionen in den verschiedenen Kirchen und Kapellen des Stadtgebiets, wobei im Laufe der Zeit ein tendenziell eher nachlassender Eifer zu beobachten ist. In einigen Fällen, etwa der Memminger Frauenkirche, verhinderte das Abschließen des Gotteshauses die Zerstörung der Sakralkunst. Manchmal blieb die Bildentfernung auf eine Kirche beschränkt (St. Stephan in Lindau 1530). Entsprechend unterschiedlich war auch die Dauer der Ausräummaßnahmen. Sie konnte wenige Tage, mehrere Wochen oder Monate oder - bezieht man die reichsstädtischen Territorien mit ein - bis zu einigen Jahren beanspruchen, je nachdem, wieviel Widerstand den Anordnungen des Rates entgegengebracht wurde. Hinsichtlich der zeitlichen Abfolge kann man vier Gruppen unterscheiden: a) Zu der Gruppe der frühen obrigkeitlichen Bildentfernungen zwischen 1528 und 1531 gehören (das hier nicht näher betrachtete) Konstanz, Lin-
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dau und Reutlingen; typisch fiir sie ist, daß der Einfluß auswärtiger Faktoren und Personen auf die innerstädtischen Vorgänge gering war. b) Es folgt eine Gruppe von Reichsstädten, die sich nicht nur in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, sondern auch bei der Neuordnung des Kirchenwesens stark an Ulm orientierten. Für sie hatten die im Jahre 1531 in Ulm getroffenen Entscheidungen auch hinsichtlich der Bilderfrage Vorbildcharakter, wie indirekt aus dem zeitlichen Ablauf zu schließen ist (Biberach, Memmingen, Esslingen und Isny 1532). c) Als „Sonderformen" können Kempten und Isny („Klostersturm" 1534) bezeichnet werden, da die Räte für ihr Vorgehen gegen die Bilder in den städtischen Gotteshäusern (Kempten) bzw. in der Kirche des reichsunmittelbaren Benediktinerklosters (Isny) eigens ein Plebiszit anberaumten. d) Zur Gruppe der späten obrigkeitlichen Säuberungsaktionen gehören Kaufbeuren (1545) und Ravensburg (1546). Würde man die Frage der Legalität, ob die Bilderstürme mit oder ohne Einverständnis der städtischen Obrigkeit stattfanden, für die Definitionsproblematik nicht berücksichtigen, wie dies Michalski vorgeschlagen hat, dann würden für den hier betrachteten Raum die geschichtsentscheidenden Differenzierungen wegfallen. Aufgrund des Befundes plädiere ich für einen weiter zu fassenden Begriff des „reformatorischen Bildersturms" (sozusagen „Bildersturm im weiteren Sinne"), der alle Destruktionen von Objekten aus Gründen der Glaubenserneuerung einschließt, wie Peter Jezler bereits gefordert hat. Um die Vielfalt der Möglichkeiten des Umgangs mit dem religiösen Bild im 16. Jahrhundert zu benennen, reicht die Einteilung in „Bildersturm im engeren Sinne", Bilderfrevel und Bildentfernung nicht ganz aus. Daher möchte ich der Kategorie „Bildentfernung" den Typus der obrigkeitlich ver- und geordneten Bildentfernung hinzufügen, der das Verständnis des „Phänomens Bildersturm" im 16. Jahrhunderts ergänzt. Für eine derartige systematische Ausräumung des Kirchenschmucks gibt es keine mittelalterlichen Vorbilder, auch nicht als Handlungsmuster. Um einen Gesamteindruck vom Umgang mit den „religiösen Bildern" in der Frühen Neuzeit zu erhalten, wird es nötig sein, die Betrachtung über „die bilderfeindliche Phase" hinaus auch auf die - zeitlich sich mit ihr überschneidende - Phase der „Re-Bebilderung" bzw. der Neuausstattungen protestantischer Kirchen im 16. und frühen 17. Jahrhundert in Schwaben auszudehnen. Ich erwähne als Beispiele nur die Altäre in Dinkelsbühl (1537), Esslingen (1604) oder in der Ulmer Dreifaltigkeitskirche (1615) sowie die neuen Bilderstiftungen in dem Ulmer Landgebiet. Die konfessionelle Ausrichtung der Städte oder Territorien mit ihrer Hinwendung
Zusammenfassung
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zum Luthertum (Kirchenordnung, Liturgie), die örtlichen Voraussetzungen und Vorbedingungen sowie die formalen und inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten lassen eine bunte Vielfalt erwarten und ein ebenso heterogenes Bild wie die „Bilderentfernungen" vermuten 9 .
9
V g l . STRECKER: H o c h a l t a r , S . 3 7 - 3 9 u n d S. 8 4 - 1 3 1 ; DIES.: B i l d e r s t r e i t , S . 2 4 6 - 2 7 8 .
Anhänge
Anhang I
Werbung Martin Raubers an den Rat der Reichsstadt Giengen [Ende 1537/Anfang 1538]1 Überlieferung Handschrift: StadtA Giengen, A - F 14, Nr. 87 (alt: Fasz. 59, Nr. 4), fol. l r - 3 v [Autograph Martin Raubers; Papier, 4 Bll., letztes Blatt leer]. Der Text wird hier erstmals ediert 2 .
Text Werbung mit angehenkter supplication an ainen ersamen weisen radt der statt Geingen Martii Raubers 3 christlichen predicanten daselbst. 1 Die Datierung Ende 1537/Anfang 1538 ergibt sich aus Hinweisen im Text, z. B. wird die Abschaffung der Messe im Jahre 1536 als geschehen bezeichnet, und inhaltlichen Gründen, etwa, daß Rauber die von ihm monierten Änderungen im kirchlichen Leben forcieren will. Einiges deutet darauf hin, daß der Prediger die Schrift nach der Vorladung vor den Rat am 16. Nov. 1537 (vgl. unten Anm. 19) verfaßt hat; A N D L E R : Reformation, S. 168, Anm. 3, vermutete, daß sie „wohl aus der Zeit der Erneuerung des Dienstvertrages Raubers um Pfingsten 1538" [Pfingstsonntag fiel 1538 auf den 9. Juni] stammt. 2 Die Edition folgt den Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte, in: Jahrbuch der historischen Forschung, Berichtsjahr 1980, Stuttgart 1981, S. 85-96, bzw. den Richtlinien zur Edition frühneuzeitlicher Texte, in: ARG 72 (1981), S. 299-315. Davon abweichend werden die Doppelungen des Buchstabens n reduziert (z. B. und statt unnd, uns statt unns), und die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Interpunktion erfolgt nach alter Rechtschreibung; Großschreibung nur am Satzanfang, bei Eigennamen oder Titeln bzw. deren Abkürzungen. Zusätze der Bearbeiterin sind durch eckige Klammern gekennzeichnet. 3 Zur Biographie Martin Rauber vgl. oben S. 225 mit Anm. 5.
Werbung Martin Raubers
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Fürsichtig, ersam und weyß, ginstig gepiettend herren. Eur fürsichtigkait bißher erzaygten gunsts, genaygten und gütten gemietts, so mir mer dann ainmal von derselbigen mitt treüen vervolgt ist4, bin ich so hoch dankpar, daß mir das alles auß gedechniß nitt komen, sonder für und für bei mir hafften und bleiben soll 3 mein lebenlang. Und wiewol ich diß hie in zeitt umb eür fürsichtigkaitt nitt zu verdienen wayß, so will ich aber nichts destweniger Gott den allmechtigen bitten, Eurer Weisheit das alles noch überflüssiger mitt seiner gnad und huld zu erstatten. Und hatt mich auch dieselbig mein danckparkayt dahie gedrungenlich geursacht, mir furzenemen, meine tag hie auff erden alle gantz und gar, und sonderlich so lang mich der allmechtig Gott im mittel des predigampts erhielte, bei Eurer Weisheit zu verschliessen 5 , desse[n] willens ich auch noch der stund wäre, wo die Eure Weisheit in Sachen die relligion betreffend ain fleyssigs christlichs einsechen hette zür pflantzung güottes, außreittung des argen und üblens 6 . Dann je Eure Weisheit sollichs bey hocher straff Gottes schuldig ist: Das schwert sollend ir vergeblich nitt tragen 7 . Zür zeitten der propheten wurden all die übelgscholten, von Gott verflucht, die im volck Gottes nitt abschafften alles, so wider göttliche gepott auffgerichtet was 8 . Durch die propheten aber herwiderum werden gelopt, welche Gottes gepott, sein[e]r Satzungen und sitten fleissigs auffsechen hetten. Nabuchadnezer, Jeroboam, den Saul, Jechoniam, Abiam, Nadab, Ella, Amii, Achab, Joram, Achasiam, Usiam, Manasse, Zedechiam und ander vil mer kinig und regenten über das hauß Gottes vermaledeytt die schrifft 9 , sagt, si habe[n] gethon, was dem herren übel gefalle, das volck sindigen gmacht, habe[n] gebaut hochinen 10 und gotzen geopffert und gereücht, habe in sinden Jeroboam gelebt 11 , in seine fußstapffen seie[n] si getretten, von Gott 4 entgegengebracht wurde. - Raubers 1534 ausgehandelter Vertrag mit Giengen wurde 1535, 1536 und 1538 verlängert, 1537 wird die Erneuerung nicht eigens erwähnt. 1538 erhält er neben seiner alten Besoldung noch ein Gulden für Bücher; vgl. A N D L E R : Reformationsgeschichte, S. 105, Anm. 1. 5 verbleiben. 6 Vgl. Jer 31,28. 7 Rom 13,4. 8 Vgl. Jer 11,1-4; Ez 37,21-24; Jes 24,5f. 21; 48,18. 9 Gemeint sind die alttestamentarischen Könige Nebukadnezar (2. Reg 24,1), Jerobeam (1. Reg 11,26), Saul (Gen 36,37), Jechonja (1. Chr 3,16; Jer 24,1), Abiam (1. Reg 15,1), Nadab (1. Reg 14,20), Ela/Elat (1. Reg 16, 6-8.14), Ahab (1. Reg 16,28), Joram (1. Reg 22,51), Achasja (1. Reg 22,40), Usia (2. Reg 15,30.32.34), Manasse (2. Reg 20,21) und Zedekia (1. Chr 3,16; 2. Chr 36,10). Ami, ein Sohn Lots, war kein König. 10 Gemeint ist das Höhenheiligtum, welches Jerobeam für seine .Abgöttereien' errichtet hatte; vgl. 1. Reg 12,31. 11 Vgl. 1. Reg 12,28-33; 13,1-9. 33f.
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Anhang 1
abgefallen, das volcks, so von Gott abgetretten, nitt acht gehapt, darvon nitt gezogen. Darum dan die propheten hefftig wider die geschriben, zum tayl solchs mundtlich verwisen, welchs, so es nichts beschloß sind, si zületst hart von Gott gestrafft worden, also: Das aine als das unvernünfftig flieh12 auff erden greücht, graß ißt 13 ; ain ander wirt erstochen, ainr wirt von sein aignen knechten erdolgt oder von aygnem volck vertriben, das er aussetzig, jener von feinden umkompt. Herwiderum aber, welche wol geregiert underm volck Gottes, werden hochgelopt und geprißen. Under denen ist David, Assa, Josapfat, Josias, Jothan, Asaria 14 , die alle thetten, das dem herren wol gefiel; werden in der gschrifft hochgelopt, darum, das si das volck widerum zur gottsäligkait angefiert haben und dein 15 rechten bund Gottes widerum mitt inen auffgerichtet. Hetten acht, das [das] volck nach Gott wandelte und sich an seinem Gott mit hertzen und seel hielte. Welchen fromen regenten auch die gschrifft das zugibt, das si mitt dem, so si sich des waren gotsdienst so ernstlich angenomen, falsche 1er und gotsdienst mitt so grossem eyfer abgeschafft, den verdienten zorn Gottes zum tail auffgezogen 16 , zum tail abgewendet haben. Darauß ersechen wirt, das die regenten under dem volck nichts als mitt höchstem fleiß und ernst handien soll, als das das reich Gottes und sein gerechtigkaitt gesucht, bei den iren fiirgebracht und erbauen werden. [lv:] Das well nun auch Eur Fürsichtigkayt zum höchsten jetz und alle zeyt bedenken, demnach thon, schaffen, gepietten und halten. Und ob die Euer Ehrwürdige Weisheit jetzmals fragte, was doch das were, so weiter durch si abgeschafft solt werden, soll die mercken, das durch si alle ergerliche bilder, stock 17 und altär soll abgethon werden, dan die zur große unser Gottes hie stond. Die meß und ir opfferpfaff seiend abgeschafft, billich soll auch das, darauff der greüel gehalten und vor dem er [der Greuel] gehalten, abgethon werden: altar und bild. Dan vnser altar ist Christus, Gots bild seiend mir von flaisch und gepain Christi, als Paulus zum Heb. und Ephe. saget 18 . Ob aber Eure Weisheit nach erschrocken der Spaltung, so sich ob den bildern erhept hat 19 , darff sich die sollichs nitt kümeren, dan alle gelerten 12
Vieh. Vgl. Dan 4,22. 14 Gemeint sind die Könige David (2. Sam 2,4), Asa (1. Reg 15,8), Josaphat (2. Chr 17,1), Josia (2. Reg 21,24), Jotham(2. Reg 15,32), Asarja? (2. Reg 14,21). 15 den. 16 aufgeschoben. 17 Bildstöcke. 18 Hebr 2,14; Eph 1,5; 2,3-6. 10. 19 Diese Anspielung kann sich prinzipiell auf die Differenzen zwischen Luther und Zwingli und anderen Reformatoren in der Bilderfrage beziehen oder - wenn man die 13
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des ains sind, nemlich alle bilder, so in gfar der vererung und anbettung stond, sollend abgethon werden. Dan auch Luther selbs, was er der bilder halb geschriben hatt an allen orten, schreibt er nur wider die, so mit frevel, auß aignem gwalt, on predig, on die oberkait und Gotts wort abthond. Sürst wie 20 hart die bilder wide[r] die gschrifft und wort Gotts seiind, zaigt er selbs an vil ander seiner biecher an21. Neben dem auch was zur schirmung der bilder hie in der kirchen vom pfarrer geredt ist, das bestet er nitt, laugnet vor allen, sagt, er hab vor siben iaren die gepredigt und sein mainung sei gar nit, die zu beschirmen 22 . Hatt mir auch sollichs bey maister Philippen und Michaeln von Nellingen zu erpotten 23 . So wayst auch ain erbar radt wol durch ire verordneten kirchenpfleger, wie diser gemelt pfarrer mittsampt mir zum andren mal gepetten, alter und bilder glatt hinzethond, auch auff offner kantzel gesagt, ain erbar radt seche hinder sich, seiend schille[?]pernd brieder, und wo si die wechselbenck 24 nit hinthond, well er nitt pfarrer hie bleiben und ich werd nitt prediger bleiben 25 . Ist aber nun etwas wanckelmiettigkait oder unwissenhait hiemitt gangen, soll Eür Weisheit nit dahin, sonder auff die warhaitt sechen und euch alles mitt derselbigen berichten lassen. Das ist aber nit die warhait, das bilder gwisin 26 underweisend, sonder das ist war, durch Gots wort wirt die gwisin underwisen und gepauen. Das bilder ermane und raitze zu Christo, ist auch nit schrifftlich 27 . Christus
Schrift auf 1537/38 datiert - auf die Streitigkeiten im Herzogtum Württemberg in der Bilderfrage seit 1536 zwischen Ambrosius Blarer und Erhard Schnepf. Das ,Uracher Götzengespräch' fand am 10. Sept. 1537 statt. Konkret könnte es sich auch um den Streit zwischen Rauber und Ammann wegen der Bilder handeln, die am 16. Nov. 1537 deswegen vor dem Rat erscheinen mußten; vgl. oben S. 229f. Dies würde für eine Datierung der Schrift nach dem 17. Nov. 1537 sprechen. 20 Wie so. 21 Zu Luthers Haltung in der Bilderfrage vgl. oben S. 21-27. 22 Rauber versuchte den Rat davon zu überzeugen, daß Pfarrer Johann Ammann zwar 1530/31 noch für die Beibehaltung der Bilder gepredigt habe, nunmehr aber auch von der Richtigkeit der Bilderbeseitigung überzeugt sei; zu den vorhandenen Differenzen der beiden in dieser Frage 1537 vgl. oben S. 225-230. 23 Rauber stammte aus Nellingen und war zwischen 1531 und 1534 dort als Prediger tätig; vgl. oben S. 225, Anm. 5. Zu Michel Berchtold, der ebenfalls in ulmischen Diensten stand und sich um die Entfernung der „Götzen" kümmerte, vgl. W E Y E R M A N N : Nachrichten 2, S. 24. 24 Gemeint ist das dissimulierende Wechselspiel bzw. die Wankelmütigkeit des Rates; mal auf der, mal auf jener Bank sitzend; vgl. DWb 13, Sp. 2708-2710, s. v. Wechselbank (Tisch für Wechsel-, Bankgeschäfte), bes. Sp. 2709, §4 bildlicher Gebrauch. 25 Das heißt also: Pfarrer (Ammann) und Prediger (Rauber) machen ihr Bleiben in Giengen von einer klaren Positionierung des Rates abhängig. 26 Gewissen. 27 Gemeint ist: aus der Hl. Schrift zu belegen.
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sagt: „Es kompt niemant zu mir, der vatter ziech in dan." 28 Und widerum sagt er: „Es kompt niemand zum vatter dan durch mich." 29 Das bilder die ainfeltigen lerind 30 , mang 31 mitt der gschrifft nit beston. Dan Christus sagt: „Erforschend die gschrifft, darinn ir vermainend das leben zu haben, dan die zeuget von mir." 32 Item er sagt: „Meine schefflen hörend mein stim." 33 Er sagt: „Si hond Mosen und die propheten, die sollend si hören." 34 Item: Er legt selbs den Jungern, so in Emaus gond, die gschrifft auß 35 . Dazu hatt Christus seiner gmaind prediger und leerer, hirten und diener verordnet, die si Gots wort lereten, also durch wort und sacramenten zu Got anfierten, und nit bilder, maier oder bildschnitzer 36 . Das der gantz Moses auffgehept sei, bilder nit [zu] haben, und uns Moses der bilder halb nitt auch angang, ist auch ain irrige 1er. Dann ich sag: Alles so die sitten und eer Gots betrifft, das im alten testament gepotten ist, das betrifft auch unns Christen. Wo das nit were, möcht mir uns auch der zechen gepot eüsseren 37 . So dan uns das gepott auch angeet: „Du solt nit frembde götter haben!", so trifft uns billich das von bildern auch an38. Ja, bilder, sag ich allweg 39 , die in gotlicher vererung stond und in gfar des anbettens und vereerens, weyl si nun wider das gepott sind, sollend si umb der gefar willen nit geduldet werden. [2r:] Erstlich darum, das si schon von uns vereret sind; am andren, das ire nachkomling und jungen auch in die gfar möchte[n] komen, Gott sein eer Stelen und die den bildern geben. Aygentlich soll man gfar meiden; dan wer die lieb hatt, der wirdt darinn verderben 40 . Die schrifft sagt, bilder fiere von Gott ab und mache, das man seins hailigen namens vergesse. Paulus sagt: Ir sollend den bildnisen nit eer erpietten, als iro etlich gethon habend. 41 Paulus will, man soll mitt bildere vereeren nicht zu schaffen 28
Joh 6,44. Joh 14,6. 30 Zum bekannten Diktum Papst Gregors des Großen „Quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura", das mit dem Hinweis auf den didaktischen Wert von religiösen Bildern deren Gebrauch in den Kirchen legitimierte, aber auch bereits von zisterziensischen Reformtheologen und spätmittelalterlichen Theologen (Robert Holcot, John Wyclif) kritisiert worden war, vgl. SCHNITZLER: Ikonoklasmus, S. 36-48. 31 kann. 32 Joh 5,39. 33 Joh 10,27. 34 Lk 16,29; vgl. auch Joh 5,46. 35 Vgl. Lk 24,27. 36 Vgl. Z 4, S. 120,14-124,21 (Antwort an Valentin Compar, 1525). 37 Gemeint ist: wären auch die Zehn Gebote hinfällig. 38 Ex 20,3 f. 39 immer. 40 Vgl. WANDER: Sprichwörter 1, Sp. 1411, s. v. Gefahr, Nr. 48 und Nr. 49. 41 Vgl. Rom 1,23-25. 29
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haben. Die bilder haist der apostel werck des flaisches 42 . Ioannes spricht: Hiettend euch vor bildereer! 43 Petrus sagt: „Es sei gnüg, das mir ain Zeitlang nach haidnischer weiß inen gedient habend." 4 4 Der hailig Augustinus, Libro ,De consensu evangelistarum', zirnt hart über die, so do lerend, bilder abthon stannd kainns Christen zu, weil es Christus selbs nit gepotten 45 . Spricht, es sag Esaias weit ain anders im x° capitel: Bestreit hart, man soll si hin thon, wo si in vereerung stond 46 . Es hept die bildereer hoch auff: Paulus den Römern 47 , Moses den Israeliten 48 , Paulus den Athenesten 49 . Es ist schlicht kain laster über das laster der ab götterei. Das wirt dan volbracht, wo man ainer creatur göttliche eer beweiset 50 , als bei uns beschechen ist mit reuchen 51 , gneigen 52 , wachs vnd öl brennen, si zieren, schmucken etc. Sagt man doch, das der verheliger ains diebstals eben gleich ain dieb sey mitt dem, der do stilet. Nun habend die haiden Gott sein eer durch die bilder gestolen; an uns kommend si, von haiden und nit Christen, darum mir mitt haiden haiden bleybind und deren seyend, die Gott sein eer stelend, gebend die den creaturen. Alle abgötterei verhasst Gott, darum auch die mitt bildern. Moses ist des ain zeüg. Der zerbricht, zerschmettert die gepott taflen umb das wollen 53 , das Israel umb das guldin kalb tanzt 54 . Helias laßt ain grossen tail pfaffen ums abgott Baal Peiars willen erwirgen, dem si mit dem volck gedient hond 55 . Josias und Ezechias redtend 56 die eer Gots wider die bilder 57 . Augustinus ,Ad Aestulappiam' sagt: „Unsere vetter habind weytt geirret, das si bey der vernunfft 42
Vgl. Gal 5,19f. Vgl. 1. Joh 5,21; 1. Kor 10,14. Hier bezieht sich Rauber vermutlich auf FRANCK: Chronica, fol. 237v: „Liß weiter sein [= Tertullians] büchlin/ de Corona militis intituliert. Da findestu ein scharpffen fein der gotzen und heiligen dienst. Der legt den spruch 1. Joh. V gar klüglich auß/ Kinder hütend euch vor den bildern und gotzen." Zu Francks Chronik vgl. unten Anm. 69. 44 1. Petr 4,3. 45 Vgl. AUGUSTINUS: De consensu evangelistarum 1,31,47: „Desinant ergo dicere mali laudatores christi, qui nolunt esse christiani, quod christus non docuerit deos eorum deseri et simulacra confringi"; PL 43, Sp. 1064. 46 Vgl. Jes 10,10. 47 Vgl. Rom 1,23. 25. 48 Vgl. Ex 10,4f. 23; Lev 26,1; Ex 32 passim. 49 Vgl. Apg 17,29. 50 Vgl. HAMM: Reformation der Freiheit, S. 23-25 (Freiheit von Kreaturvergötterung). 51 Inzenz, Weihrauch. 52 Kniebeugen. 53 deswegen. 54 Vgl. Ex 32,1-6. 55 Vgl. 1. Kön 18,40. 56 retteten. 57 Zu Josias vgl. 2. Kön 23, besonders 23,24; zu Ezechias (Hiskia) vgl. 2. Kön 18,4. 43
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göttlicher ding ungläubig sind worden und ir gemiett nitt kert zu der göttlichen crafft und eer, sonder habend erfunden die kunst, das si götter machtind, habend der natur crafft dem teüfel zugefiegt." 58 Wer will nun jetz sagen, das bilder zu Gott fiere, raitze zur andacht und bessrung, so mir doch hie sechend, wie die umb ain har nitt besser machend, von Gott und nitt zu Gott ziechend, wie im Osea und Ezechiel erlesen wirt 59 . Und ws darffs vil die hystorien in den uralten biecher zaigend, wie die bilder auß narrhait der regierier 60 und nit auß hayliger geschrifft irn anfang genomen habind. Es habend doch bei den uralten kaysern die bilder nicht gölten, sind von inen verbant, abgethon und zerschlaisst worden. Kayserliche Satzung von abthon der bilder lese mir bei Basilide, Tribumano, Teophilo und Discoro, laut also Valens und Theodosius, b beide kaiser b : „Dieweil mir fleißige sorg tragind über alle ding des höchsten Gots, waren Gottsdienst zu bischiermen, so lassend 61 mir: Das zaychen des hailands niemand zimt mitt färben oder stain oder ainicherlai andrer materia zu dechten, schmieren oder malen, sonder wo das gefunden wirt, gebiettend mir, das es auffgehept werd. Dann mir werds zum härtesten straffen, wer hie in dem fall etwas wider unser gepott und befelch handien wirt." [2v:] Ich liß 62 , wie in templen der Römer auß befelch Numae Pompilii 63 kain bild, weder geschnitzt noch gemalet, sei funden worden, Cauch zur zeit Alexandri und Adriani imperatorum c64 ; und das clx. jaur bei Plutarcho und d e m e n t e findt man sollichs. Augustinus zeigt, das in seinr statt clx jaur kain bildniß sei gesechen worden. Bei ainem andren volck, genannt Seres, ward aller bilder eer auffs höchst verbotten. Die Persier liessend in irem land kain bild machen. Es wirt gelopt die thatt Epiphani, des bischoffs von Salamin in Ciprien 65 : Der gieng in tempel hinein, und als er sach die bildniß Christi an dem umhang gemalet, zerriß er den vmghang und sagt, es wer wider alle lerd Christi, des menschen Christi bildniß ze maalen. Gab bevelch den priestern daselbst, si solten etwan ain armen todten darinn vergraben; befalch, das si hinfiiro Christi bild nitt solten auffhencken. Von dem besechs man tomum tertium Jeromini. Eusebius schreibt ,Historia
58
Es ist nicht klar, auf welche Schrift Augustins sich Rauber hier bezieht. Vgl. Hos und Ez. 60 Regierenden. 61 verordnen. 62 las. 63 Numa Pompilius (750-671 v. Chr.) war der sagenhafte zweite König von Rom. 64 Gemeint sind vermutlich Alexander Severus (208-235) und Kaiser Hadrian (117138 n. Chr.); vgl. FRANCK: Chronica, fol. 238(falsch: 233)v; zu Francks Chronik vgl. unten Anm. 69. 65 Epiphanius von Salamis (um 315-403), Bischof von Konstantia. 59
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eclesiástica', wie dem groben volck bei den alten etwan vil sei nachgelassen in der relligion, aber die bilder nie. So nun das der selbigen zeit, wie vil minder, so mir Christum erkent habind, der doch will „im geist und warhaitt angebetten sein" 66 . Diser ist auch aigentlich allem götzendienst feind, und er hatt in allen sollen auffheben, wie Esaie am andren capitel stet 67 , Jere[mia] 23. Es achtet Eusebius das für ain seltzam ding, do er zu Cesaría zway äerine bild sach und dannocht nun ausserhalb des tempels. Er sprach, es wer haidnisch, im 4 buch ix capitel. Hilarius iber den 64. [?] psalmen sagt, Gott werd in stain, holtz und metall geprediget, geert und angebett und man stell den werckmaister aller ding in ain eytele materi. Das wol schwetzen der philosophei hab si dahin gebracht. Und das ich schließ, so zaigen die historien, das vor Constantino kain kirch noch bild in kains haiigen er geweycht 68 und under Iustinano erst das tempel gmel und bilderschnitzen angefangen hab, anno 686. Man besech den fiinfften tail in ,Croni[c]a' des wolgelerten Sebastiani Francken 69 , wie geweitig er der bilder 1er auß geschrifft, vettern und historien verwerff; und ob er wol auch der bäpstler opinion von den selbigen setzt als bsonder Gregorii 70 f und Ieromini f , schleußt er doch mitt Mose und aller gschrifft, wie götzen und die bettbilder oder bilder, die in gfar der vererung stond, sollend hingethon werden.
66
Joh 4,24. Vgl. Jes 2,18-21. 68 Gemeint ist: zur Verehrung irgendeines Heiligen geweiht wurde. 69 Sebastian Franck (um 1500-1542), zunächst als Priester und dann als Anhänger der Reformation spiritualistischer Prägung u. a. in Nürnberg, Straßburg und Esslingen, war in den Jahren 1533 bis 1539 in Ulm als Buchdrucker tätig; vgl. SÉGUENNY: Art. Franck, S. 307-312; EINFÜHRUNG DER REFORMATION IN ULM, S. 205-208, Nr. 193-196. Gemeint ist hier Francks .Chronica. Zeitbuch und Geschichtsbibel', die bereits 1531 in Straßburg erschienen war und großes Aufsehen erregt hatte. Der Straßburger Rat hatte Franck für seine Verurteilung des Erasmus und der „römischen Ketzer" verhaften und ausweisen lassen und konfiszierte alle Exemplare der .Chronica'. Aber bereits 1532 und 1536 wurde sie in Ulm bei Hans Varnier neu aufgelegt. Das Werk besteht aus drei Chroniken, und im dritten Buch über die ,Päpste und die geistlichen Händel von Petrus bis Clemens VII.' findet sich als fünfter Teil der Abschnitt „von Tempeln/ Bildern/ Heyligen ehr/ Mess/ etc. woher sie kommen/ wie/ vnd wann/ auß den historien/ und váettern gezogen". Ich zitiere im Folgenden nach dem Faksimile der Ulmer Ausgabe von 1536 anhand des Exemplars der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen; FRANCK: Chronica 3, fol. 236v-243v (Achtung: falsche Blattzählung: Statt fol. 238 wird 233 angegeben). Zu den verschiedenen Drucken und Ausgaben vgl. KACZEROWSKY: Franck, A 3 8 - A 73; VD 16 F 2 0 6 4 - F 2074; DEJUNG: Geschichtsphilosophie, S. 270f, Nr. 7. Zu Francks Bilderverständnis vgl. oben S. 61f. 67
70
Vgl. auch FRANCK: Chronica 3, fol. 149v-150r.
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Summa Summarum: Wider der bilder eer steet Gotts wort 8 , die apostel und propheten, der kaiser zum tail Satzungen, vil sprüch der vetter, vil exempel auß alten historien. Mir sollend beim wort bleiben und nach anweisung desse handien. Eure Erwürdige Weisheit well nach disem nachsechen; und ob es bedörffte, mer zu sagen von disem artickel, bin ich beraitt darzü, will auch dises meins fiirbringens stand thon, wo man si begert und nach cristlichem friden trachtet. Weitter well Eure Weisheit sechen, das gütte Ordnung in der kirchen gehalten werd und durch somsäligkeit nicht underlassen, als das nachtmal des herrn, vespergebett, item das alle unweiß 71 , so under den predigen beschicht, ausser und inner der kirchen abgeschafft werd. Alle, so dem wort zuwider lepind im wandel, Worten oder wercken, das sollich durch euer anweisung und trawung 72 auch sich zur andre christglaubige gemaind thueend, mitt inen gleich gesinnet nach Jesu Christo. Das niemands vergundt, außzelauffen, in andren pfarren gotsdienst wellen thun, sacramenten empfachen und andren greüel außrichten, als dann auch vil bei Sant Ulrich beschicht und an mer orten und in andren flecken. [3r:] Ich erman euch, fürsichtig herren, umb der eeren Gottes und um des treuen guten hailands willen, ir wellind ain wirdig ampt eürs bevelchs tragen, auff Gott allain sechen und kain Übels furgen lassen, gütte pollicei halten und zum allerersten rechten gotsdienst fürderen. Dann an warem gotsdienst hangend alle tugeten, glück, hail und die imerwerend säligkait. Derhend 73 in allweg, das Gott niena 74 durch kain laster erzirnt werd, dan es ist warlich das gröst Unglück, Gott erzirnen! Habend grossen eyffer umb das, so recht, gütt und billich ist! Dan solten mir das recht und gütt wissen und das nit wellen, wurd mir in grosse straff Gottes fallen. Sind daran, das die fromen irs gütten lebens und wandels geniesse, die beschitzt werde, die argen ergerlichen menschen irs bösen lebens und thuns gestrafft! 75 Volgend ain bürgerlichs, ja vetterlichs gemiett gegen allen! An dem wirt man sechen, wie starck eüch der gaist Gots treibt. Eür treü und lieb gegen den eüren armen underthonen wirdt eürs glaubens, haltens und wissens von Gott ewiglich zeügniß geben. Gott selbs will mitten under euch sein 76 (des statt ir besitzend), wo ir in laut seins wort in kintlicher forcht alle ding thond, doch welchs 77 sein nam gehailiget, sein reich gemert wirt.
71 72 73 74 75 76 77
Torheiten. Drohung. Gemeint ist: Sorget dafür. niemals. Vgl. Rom 13,3f; 1. Petr 2,14. Vgl. Lk 17,21. durch welche.
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Wo Eure Fürsichtigkeit in sollichem sich gantz cristlich, fraintlich und treülich wurde halten, sag ich noch wie vor, wird ich dises meines predigampts Wechsel nitt begeren und allhie mit diser meiner handgeschrifft widerum dienst zugesagt haben 78 , mich auch gar niemantz weitter dahin bereden lassen, andren herren zu dienen oder zu versprechen. Versich mich hierauff ainr gantz gnädige cristliche antwurt, der ich auch derzeit von eür ersam weishait warte. Wo dan mir von eür willfarung solchs cristlichs begerens beschicht, will ich sollichs mitt ungesparter arbeit meins ampts, auch mitt meinem fleissigen gepett gegen Gott underdienstlich beschulden und verdienen. Der friden Gottes sei mitt Eur Ersamen Weisheit zu aller zeyt. Amen. Verfaßte artickel diser übergebne werbung h 1. Die ergerlichen bilder und alle bilder, so in gfar der vererung stond, mittsampt den alteren inner- und ausserhalb der statt sollend hingelegt werden. 2. Alle unweyß 79 inner und ausser der kirchen abschaffen. 3. Die widerspänigen unserer relligion ermanen, das si von irem irsal abstandind, sonderlich klausenschwester 80 . 4. Das nachtmal und vespergepett sollend unnachleßlich wie furgenommen gehalten werden und das mitt allem ernst und dapfferhaitt. 5. Alle laster sollend gestrafft werden: füllerei, hürei, päpplerey 81 und das schnöd gotslesteren. 6. Dem volck soll nit gstatt werden, für unser statt hinauß ander gotsdienst suchen. 7. Kain frömbden prediger soll man aufstellen on ains erbaren burgermaister oder radts wissen und willen, auff das nit mer Spaltung durch ungelert prediger dan gottsäligs erwachse. 8. Die glock im chor, getter vorm sacramenthaus sollen auch nicht [sein]. 9. Auff die schulen soll man auch fleissigs auffsechen haben, das rechte 1er fürgang mecht leichtfertigs 82 . [3v:]
78 79 80 81 82
Vgl. oben Anm. 1. Vgl. oben Anm. 71. Zu den Augustiner-Terziarinnen in Giengen vgl. oben S. 224, Anm. 3. Gemeint ist: Geschwätz. Gemeint ist: mühelos Fortschritte machen kann.
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Anhang I
10. Wo ain erbar radt in ir furgenomne cristliche religion on hinsichsechen 83 fürfaren und1 standhaft bei der warharhait 84 wellte bleiben, mang ain erbar radt etliche jaur, so es im also gefalt, ernennen 85 ; die will ich mich zu inen versprechen, auff das ich nit ain jedes jaur bsonderlich si dürfe anlauffen und täglichs ime machen 86 . Wo aber ain erbar radt in der erkante warhayt (do Got vor sey) abtrete, als dan solt ich meinr pflicht ungebunden sein. Herwider wo auch ich mich selbs in 1er und leben nitt hielte, als ainem cristlichen prediger zustet, solten als dan si mit mir auch füg haben, all tag Wechsel machen, mich absetzen und lenger nit dulden. Ain erbar radt welle daran sein, das die libraria de bonis aeclesiasticis järlich gebessert werde 87 . Eur fürsichtigkayt gehorsamer Martinus Rauber, prediger.
a
Am Rande ergänzt. " Am Rande ergänzt. c "° Am Rande ergänzt. ä Am Rande ergänzt. e Am Rande ergänzt. f f ~ Am Rande ergänzt. g Danach gestrichen'. Christus. h Am Rande durchgestichen: cristlicher predicant. 1 Am Rande ergänzt. b b
83
Eur füirsichtigkait gehorsamer
Martinus
Rauber
Gemeint ist: ohne rückfallig zu werden. Verschrieben für: warheit. 85 Gemeint ist: mich zum Prediger bestellen. 86 Hier spielt Rauber offensichtlich auf seine jährliche Vertragsverlängerungen an, die allerdings bei seiner Einstellung 1534 in beiderseitigem Vernehmen getroffen worden war; vgl. dazu oben Anm. 4; S. 22 mit Anm. 12; AREND: Rauber, S. 433 und S. 435f. 87 Die Ausstattung der Kirchenbibliothek lag Rauber schon seit Beginn seiner Amtszeit in Giengen sehr am Herzen; vgl. StadtA Giengen, RPr vom 26. Mai 1534. Für 12 Gulden kaufte man auf seinen Wunsch hin die Werke des Chrysostomus. Vgl. auch ANDLER: Reformationsgeschichte, S. 105; oben S. 226, Anm. 12. 84
Anhang II
Die lutherischen Kirchenstürmer in Biberach [nach 1531] Überlieferung Handschrift: StadtA Biberach, Reichsstädtische Akten, Bü 11, fol. lr-2r. Edition:
ERNST: Tod der Ketzer, S. 90f.
Text Lutherische kürchenstürmer, so die bilder zu Biberach a helfen uß der kürchen muster[n], wie sie gestorben11 Num. 26 Veiten Schoppern 1 , barbierern und Zunftmeistern, stoßt die pestilentz an und hat nit geregierth, will nit kranckh sein, gehet heimb, feit umb und stirbt. Lang Jeckh , Zunftmeister, ist abendtß frisch und gesundt, morgens sagt er zue seinem weib, sie soll ime zue essen machen, es sey ime nit recht. Sie koch ime was; da sie kompt, ligt er uf dem angesicht und ist todt. U. Moll 3 , Zunftmeister, hat den blaw damastin himmel, darunter man Corporis Christ, das hochwürdig sacrament, umbtragen, über sein bethstath gemacht, ist abendtß frisch und gesundt, morgerns findt mans todt im beth.
1 Veit Schopper war in der Reformationszeit mehrmals als Gesandter im Dienste seiner Heimatstadt tätig; vgl. RUETH: Reformation, S. 269 und S. 279. 2 Richtiger Name: Jakob Schmid. 3 Richtiger Name: Martin Moll.
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U. Bodenmüller 4 , zunftmaister und spittalhayscher, hilf zum andern mahl die mess abthun 05 , gekompt von Costantz, laßt ain zan ausbrechen, am andern tag ist er todt. Stoffel Gretters 6 , burgermeister, stürbt hinder der stubenthür an der handtzwehl 7 ; sagt für und für, man soll ime die schwarze kazen vor dem fenster hinwegthun; hat das hochw[ürdig] sacrament zue Stafflangen d ußgeschütt. [lv:] Bürgermeister Begglin, ain ußgeloffner münch von Schussenriedt 8 , last ine am abendt balbiern, will am sontag uf ain hochzeit. Der scherer schirt ime das haar uß der naßen, rizt in ain klein, das es blueth, stirbt daran. Benedict, ain ußgeloffner münch von St [...] f , nimbt ain außgeloffne nunnen, ist alhie predicanth, würt mit seinem mitpredicanten ob dem nachtmahltisch uneinß, kompt im ain naßenbluethen an, stirbt daran 89 . Der bader 10 uf dem mittlen bad bitt den palmeßel uß, das man ime schenckht. Uf ein zeit manglet ime holtz, verscheittet den eßel, laßt ufm beckhen umbklopfen, wer in das eßelbad wöll, soll khommen, es sey warm. Morgens findt er seine 2 mastschwein im stall, seindt todt. Am dritten tag legt er sich nider und stirbt mit dem geschrey, er sey deß teufelß, er sey des teufelß. Diß ist alles bey meinem gedenckhen geschehen und hab sie kenth den mehrer thail 11 . N. B. Dises ist abgeschriben von einem dergleichen zettl, so auß der clauß Warthausen herrn M. Gull zuekhommen [2r:] und herr Reginaldi Ebingers handtschrift gewesen. An itzo bey h[err] burgermeister Hieronymus; G. L.] Brandenburg zue finden.
4
Richtiger Name: Konrad Bodenmüller. Zum Abendmahlsstreit vgl. unten Anm. 9. 6 Der Patrizier und Bürgermeister Christoph Gräter war einer der eifrigsten Förderer der Reformation in Biberach; vgl. RUETH: Reformation, S. 36. 272. 274 mit Anm. 180 und 284. 7 Handtuch. 8 Veit Böcklin, der aus dem Prämonstratenserkloster Schussenried geflohene Mönch, hatte zwischen 1531 und 1551 mehrfach das Amt des Bürgermeisters und ersten Spitalpflegers in Biberach inne; vgl. zu ihm RUETH: Reformation, S. 274 mit Anm. 181. 9 Zu dem gemäßigt zwinglianisch orientierten Biberacher Prediger Benedikt Widmann und den Auseinandersetzungen mit seinem Kollegen Jakob Schopper im sog. Biberacher Abendmahlsstreit 1543/45 vgl. RUETH: Reformation, S. 276-278; oben S. 164. 10 Zu Michel Rocher vgl. oben S. 174 und S. 176. 11 Zum Datierungsproblem vgl. oben S. 176, Anm. 95. 5
Die lutherischen a
Kirchenstürmer
in
Biberach
301
Dazu am Rande von anderer Hand ergänzt: Scilicet A[nno] 1531 ipsa die SS. Apostolis Petro et Paulo sacra. b Am Rande von anderer Hand ergänzt. Horrendi obitus apostatarum ex Biberacencibus praecipuorum. 0 Dazu am Rande von anderer Hand ergänzt: Scilicet A[nno] 1531 et 1552. d Dazu am unteren Rand von anderer Hand ergänzt: In pago ad se ipsum spectante, ubi catholicum sacerdotem amovit et rabulam lutheranum conduxit, paulo post tarnen per Austriacos, wegen daselbs habender hohen obrikheit, remotum. ° Dazu am unteren Rand von anderer Hand ergänzt: In religione existens per septennium administravit parochiam Muettenschweyler. f Am Rande von anderer Hand ergänzt'. Widman genant. 6 Am Rande von anderer Hand ergänzt: Dieser predicant ist zwinglisch gewesen, hatt mitt seinen collegis lutheranis etliche jähr gestritten, wie die vorhandenen acta zue erkhennen geben.
Anhang III
Stellungnahme der Esslinger Kapläne und Orden zu Messe und Heiligenbildern [Dezember 1531]
Überlieferung Handschrift: StadtA Esslingen, Bestand Reichsstadt, Fasz. 205, Nr. 13d [Reinkonzept mit wenigen Korrekturen; Archivvermerk: es werdens die priesterschafft alhie vbergeben haben, wie mich ansieht Anno 1531 oder vmb diß zit etc., alls man alhie zu Eßlingen luterisch worden.].
Edition: AKTEN ZUR ESSLINGER REFORMATIONSGESCHICHTE, S. 1 6 6 - 1 7 3 , N r .
149
[Seitenzahlen werden bei der Wiedergabe vermerkt].
Text Fursichtig, Ersamen vnnd weyß Heren 1 . Alß sich layder yetz ain lange zeit mencherlay irrung vnnd zwitracht an vill ortten dhewscher nacion, die Hailigen sacrament, den gotßdienst, darzu alle gaistlich Satzung vnd Ordnung der cristenlichen kirchen betreffend, vnder den gaistlichen und gelertten halten, vnd alhie in ewer stat zum thail auch ingerunnen, deßhalb dan E. E. W. vnß vier orden vnd priesterschafft, Ewer stat inwoner vff hyut vertagtt, vor E. W. zu erscheynen vnd vnserß cristelichen glaubenß, Nemlich der hailigen meß vnd hochwurdigen sacrament vnd opfer, deß waren leybß vnd blutß Christi, deß gleichen der hailigen bildnyß vnd furbit, auß ewangelischer gschrifft gruntlich bewerung vnd anzaigung von vnß begert vff solchß alß die [167] gehorsamen, auß bruderlicher lieb vnd fruntlicher maynung, erscheynen 1
Gemeint ist der Esslinger Rat (im Folgenden in der Quelle abgekürzt: E. E. W.).
Stellungnahme
der Ess linger Kapläne und Orden
303
wir vnd geben E. E. W. den cristenlichen vnd aynmundigen vnsern bericht vnd beschayd: Erstlich der hailigen meß halb, darzu sagen wir also, daß die cristelich kirch von Cristo vnser erloser mit seyne gütlichen wort vnd nach seyner hailigen vffart von dem hailigen gaist vffgericht, ingesetzt, declarirt vnd erleucht, daß für vngezweyfalt helt vnd von anfang der kirchen vnd cristenlichß glaubeß durch seyne hailigen apostel also gepflantzt, daß in der hailigen meß seyn trey wesenliche ding, die in der meß geybt vnd gehandelt sollen werden durch den priester an stat der gemaynen cristenlicher kirchen [...] Das ander hauptstuck vnsers cristenlichen glaubens, so E. E. W. von vns fier orden auß Evangelischer geschrifft zu erlernen vnd zu beweren begert, ist der eusserlichen bildnuss halb, im holtz oder stain, des crucifix, menschwerdung vnd leyden cristi, auch in der lieben haylgen vnd marterer, sollichs mit vorbehaltung vil euangelischer haylgen geschrifft zu geburlicher zeytt dar ze thun. Aber außs cristenlicher vnd bruderlicher maynung wollen mir yetzgemelten Orden E. E. W. in layschem cristenlichen verstand mit kurtzen zu erkennen geben Vnd sagen also: Wie wol vor aylffhundert iaren, wie der haylig lerer Damascenus schreybt , der zu der selben zeytt gelebt hat, deßglychen auch vor ccclxiii jaren, zu den zeytten des kaysers karoli magni zu Franckfurt , der irrsal der bildnußs halben auch auffgestanden, so ist er doch in Orient in der stat Nicea im land zu bithana 4 von der cristenlichen kunigen vnd fursten für ain irrthum im glauben vnd ketzerisch erkennt, verworffen vnd verdampt worden. Außs der vrsach, dweyl wir cristen allweg vnd on vnderlassung Christum in vnserm herzten eyngebildet trage solten vnd seyner gnaden vnd gütthat danckbar seyn, so werd doch menschliche blodikayt 5 von sorg zeyttlicher gebrechen in vergessenhayt vnd nachlassigkayt sollich schuld zu bezalen abgezogen vnd verhyndert. Darumb, wie wol der glaub allayn 2 Johannes von Damaskus (ca. 650-749), Kirchenlehrer und Gegner der ikonoklastischen Politik des byzantinischen Kaisers Leo III., verfaßte zwischen 730-741 eine .Apologie gegen die Verächter der heiligen Bilder', die eine der Grundlagen der orthodoxen Ikonentheologie wurde. Vgl. T h Ü M M E L : Art. Bilder V/1, S . 5 3 2 - 5 4 0 (Lit.). 3 Im Westen des Reiches berief Kaiser Karl der Große im Jahre 794 die Synode zu Frankfurt ein, auf der die Beschlüsse von Nicäa (vgl. Anm. 4) verworfen wurden. Die Haltung in der Bilderfrage war zuvor schon von Karls Hoftheologen in den unter seinem Namen erschienenen ,Libri Carolini' formuliert worden. Vgl. L O E W E N I C H : Art. Bilder V/2, S. 540-546 (Lit.). 4 Gemeint ist das 2. Konzil von Nicäa, das Kaiserin Irene 787 einberufen hatte und das die erste ikonoklastische Phase im byzantinischen Reich beendete. Bezüglich der Bilder wurde deren Verehrung, nicht jedoch deren Anbetung erlaubt. 5 Schwachheit, Unzulänglichkeit.
304
Anhang III
im herzten ston soll, so ist doch den schrifftgelertten das euangeli desßglychen, die weyssagung der prophetten mit dem buchstaben auff Bappir für gebildet vnd geschriben, vnd den yehenen, so nit lesen künden vnd des verstandts der haylgen geschrifft nit geübt vnd erfaren seynd, durch gemeltt vnd bildtnußs des lebens christi vnd der lieben haylgen in der kirchen vnd auff strassen vorgebildet wurde, dardurch sie zu gedechtnußs seynes leydens vnd vnser erlosung, auch zu taglicher danckparkayt eyngefurt vnd ermant werden, vnd durch der lieben haylgen vorgebildet leben zu nachfolgung irer tugent ermant. So aber der widerthayl sollicher cristenlicher leer vnd vnderweysung yetz zu vnsern zeytten die bildtnußs Christi, Marie vnd seyner haylgen gar verwerffen, schmehen vnd auß der kirchen ze werffen dem layen angeben, mit anzaygen ettlicher vrsachen, am ersten Got der herr im buch des außgangs der kinder von Israhel am 20. capittel 6 vnd an vil ortten des alten gesatz hab verbotten alle geschnitzte oder gegosne bilder vnd alle gemalte gleychnußs der ding, die do seynd am himel ob vns, auff dem erdtereych bey vns vnd im wasser vnder vns, vnd also das creutz Christi vnd der haylgen bildtnußs so hoch schmehen, das sie die hayssen vnd nennen vnser abgotter. Wie aber die wort Gottes an dem ort gekürzt, gefelscht vnd abgeschnitten werden, mugen E. E. W. auß dem erkennen: Got der herr hat gemelte wort geredt vnd ain verbot der bildtnußs gethon, mit den 7
•
8
furwortten , mit dem geding , das du sie woltest anbetten für Gott vnd inen gottlich eer thün. Dan er spricht darbey: „Ich bin dein Herr vnd dein Got, du solt nit frombde gotter vor dir haben." [Ex 20,2f] Das wurt an dem ort dem gmaynen man nit also furgehaltten, darumb hat Got die byldnußs nit in allweg verbotten, sunder allayn das sie nit für Gotter gehaltten sollen werden. Dan Moyses hat hernach nach dem verbot selber auß Gottes gehayss ain schlangen gegossen vnd dem volck anzesehen zu aym zaychen auffgehangen, im buch der zal 21 9 . Weytter in Exodo am 25, gebot Got Moysi 10 , er solte auff die Archen oder schreyn des tabernackels, darvor die oppffer vnd gebet der luden geschahen, zwen bilde cherubin, das waren zway thier mit flugein, wie mir yetz die engel bilden vnd malen. Item 3 Reg 7 11 , da [172] Salomon den tempel Gottes zu Ierusalem bauwet, ließ er auch gemelte zwu bildnuß der cherubin schnitzen, deßgleychen auch zwen
6
Vgl. Ex 20,4. 23. Einschränkung, Vorbehalt. 8 Bedingung. 9 Vgl. Num 21,8f 10 Vgl. Ex 25,18-22. 11 3 Kön 7,29 (Vulgata). 7
Stellungnahme
der Esslinger Kapläne und Orden
305
12 leuwen , vnd der bildnuß halb vnd zier halb ward er von Got hernach gelobt. Item Christus het auch wider Gottes verbottung gethon, da er den luden züließs dy byldnuss des kaysers auff der muntz oder gultpfenning vnd inen sollichs nit vorwarff vnd verbot, sonder sie leret vnd gebot inen, sie solten mit dem gebildeten pfenning dem kayser seyn gult bezalen. Auß dem mag ain yeder verstendiger wol mercken, das Got im alten gsatz die Vorbildung vnd gemalte der menschen oder thyer allayn verbotten auß der vrsach, das sie die luden die nit für Got anbetteten wie sie das gegossen kalb, dieweyl 13 Moyses auff dem berg Synai was . Aber in dem Newen testament finden mir in kayner euangelischer geschrifft, das Christus oder Paulus die byldnuß oder gemelt verbotten haben, auß der vrsach, Got der Herr, der im alten testament vnsichbarlich war, der ist im neuwen testament ain sichparlicher, leyblicher mensch worden, vnd in sollicher menschlicher bildnuss vnd glidmaß vmb vns gewonet, für vns gelitten vnd gecreutzigt. Wolcher mensch wolte aber bey im selbs sollichs nit befinden, das die gebildete glidmaß Christi vnsers erlosers, seyn gebildet creutz vnd zaychen seynes haylgen leydens, deßgleychen die bildnußs Marie im engelischen grüß 1 4 vnd anderem iren festen im euangelio gegründet, auch die geschichten vnd gutte werck der lieben haylgen zu offtermal zu andacht, zu betten, zu waynen vnd zu guttem fursatz vnd hayliger betrachtung in nit bewegt hetten. Die bildsturmer aber haben ain grosse sorg über vns des anbettens halben der byldnußs, der sie nit bedorffen. Wolcher crist hat ye von anfang des glaubens vor der bildnußs aynes haylgen gebettet ain pater noster, das er den selbigen haylgen vermayn für sein vatter im himel ze seyn, das seyn nam gehayliget werd, das er im geb das taglich brot, vnd nit zuvor von Got im himel sollichs begert? Vnd bey dem bild nit das holtz, sunder den haylgen, der da gebildet ist, erkennt, vnd seyn furbitt sollichs zu erwerben von Got begert. Wo ist in der cristenhayt änderst ye gepredigt vnd gelert worden? Dweyl aber bey dem widerthayl die byldnuß des crucifix vnd der lieben haylgen so sorglich vnd verderplich seynd dem menschen an seyner seel hayl, das sie nit allayn die pater noster in der hand verwerffen, sunder auch die silberin zaychen vnd byldnuss des crucifix, Marie vnd der haylgen zerschmeltzen vnd vertilcken, warumb tragen sie dan so gern bey inen iren taschen die bildnyß Christi, Marie muter Goteß, Sant Peterß, Sant Johanß vnd ander hailigen, so vff die gülden vnd muntz pfenig geschlagen werden, vnd ist bey inen kayn ersettigung der gemuntzen bildnyß vnd besehenß vor 12
Löwen. Vgl. Ex 32. 14 Vgl. Lk 1,28. 13
Anhang III
306
hin so fleyssick, ob die gülden den rechten schlag der bildnys hab, so doch disse verbildet gold oder silber schedlicher vnd verdamlicher ist dem menschen, dan die bildnyß der hailigen in der kirchen. Der boß find15 aber, der alzeit der menschen selikait zu verhindert begert, der hat den irsal vß neid von inen wyder vffgericht, auß der vrsach, die hailigen apostel vnd hailigen marter haben nach der auffert Cristi den haiden die bildnyß der abgotterey in irem tempel zerstört vnd die templ von den menschen vßtrieben, wie inen Cristus deß gewalt geben het, vnd deß crucifix vnd zaichen deß leydeß Cristi an der selben gesteh, darvm Sathenaß vnd seyn geselschafft auß neid sich vnderstanden habe, solchß an creutz Cristi vnd der bildnyß der hailigen apostel vnd ander hailigen ze rechen 16 . Vnd treyben yetz der hailigen bildnyß auch auß der kirchen, dardurch inen ir lob vnd eer vnd ireß furbittß beraubt auch enzogen werden, vnd Cristus menschwerdung vnd hailigen leyden in Vergessenheit kam. Disen vnsern cristenlichen bericht wolle abermalß E. E. W. fruntlicher maynung von vnß annemen vnd vnß alß E. E. W. willig, arm, vnderthenigk capplon vnd bruder bevolhen lassen seyn.
15 16
Feind. rächen.
Anhang IV
Stellungnahme der Reutlinger Prädikanten gegen die Anschuldigungen des Pfullinger Vikars Burkhard Sinz [1531, nach 26. Mai 1531]' Überlieferung Handschrift: HStA Stuttgart, B 201 Reichsstadt Reutlingen, Bü 7, Nr. 13 [Es handelt sich hierbei um sechs engbeschriebene Blätter, wobei die zwei letzten Blätter offenbar als Nachtrag anzusehen sind (Archivvermerk links unten: zu Nr. 13), mit einem undatierten, stark korrigierten Konzept der Reutlinger Prädikanten. Die Foliierung wurde ergänzt. Wiedergegeben sind hier lediglich die Passagen, welche die Bilder betreffen.]. Edition: GAYLER: Denkwürdigkeiten, S. 424-431 [Paraphrasierende, oft fehlerhafte Wiedergabe].
Text [lv:] Und mee von der junckfraw Maria, von den hailigen, von den gotzen und bildern, von bapst, cardinalen, von den hurenpfaffen, munchen, nonnen, weichsaltz 2 , weichwasser, ampeln 3 , seelmessen, vigilien, walfarten, fegewr und mer will diß teuffels geschwirm und antichristlich gesind und triegerey alles erzelen und meer sich trösten von der selbigen gebott und verbott, meer halten und glauben, dan von Gottes und seines ainigen sons, unser herrn Jesu Christi wort und aller geschrifft, so uns die hailigen apostel, von im durch den hailigen gaist getriben gelaussen haben.
1
Aus dem Inhalt des Textes geht klar hervor, das es als Antwort auf das Schreiben von Burkhard Sinz vom 26. Mai 1531 kurz danach entstanden sein muß; vgl. oben S. 81 f. 2 Weihesalz. 3 Öllampen.
308
Anhang
IV
Darumb so breitestu auch und erzelest in4 die belonung, nemlich freyhait, so sy um solliche verharrung auff irem bapstische und teuffels glauben und gottesdienst haben, dan weil sy dort kaines lohns, sonder ewiger straff darum gewarten, ist billich 5 , das du in auch ain trost und belonung hie auff erden weisest, darum das sy die bischoff, thumherrn und hürnpfaffen gehauset und beherbergt und durch sollichs die bapstliche hurerey und grewel sampt dem falschen gotsdienst so manlich und ritterlich gefurdert haben, alls hetten sy das haillig grab zerstört. [2v:] Darzü, so beweiset dein leer, wie hart du dich in hailiger schrifft bemühet, die nun tobet, wütet, auf den predigstül klopfet, seelgereet, meß, fegfewer, opffer fordert, gotzen, bilder, weihwasser, kirchendienst, kloster, munch, pfaffen, nonnen etc. beschirmet und auffrichtet, von welchen in der gantzen schrifft nit ain buchstab gefunden, sonder das widerspil gelert und sollich aigenerdichter gotzdienst verworffen und verbotten wirdt. [4r:] Aber sollichs kompst auch an die gotzen, als das man nit allein kirchen abbrechen, sonder kelch, altar, meßgewand und ander ornathen und kirchengeschmuck und sonderlich die bildnuß Christi, seiner muter etc., die von der [Zeit; G. L.] Christi und darvor uß krafft und rechten verstand der schrifft Gott zu lob und dem menschen zu gut erhalten worden seyen, wie du dan mit vill worthen schwetzest und brangest. Und das selbige so grober ungecimpter weis, das wir achten, du habest die herren zu Reutlingen für 2 unverstendig gehalten, als die da nit versteen sollen und nit wissen, was man von götzen halten soll. Aber Gott sey gedanckt, das baide - ain rauth und gemeindt - diser sachen verstendig gnüg seyen und dein eilend eselgesang woll kennen. Dan wer sollt dises grob unverstendig furgeben nit verlachen, das du sagst, die bildtnus Christi, seiner hailigen müter und anderer hailigen lygk auch vor der zeit Christi erhalten worden etc. Lieber sag an, wa haustu ye gehört oder gelesen, das man ain bild nach ainem gemacht, der noch nit gewesen oder noch nit auff erden khommen ist oder wie sollt ainer ain bildnus der müter Gotter gemacht haben vor der zeit Christi? Wer wolt Petrus oder Paulus malen oder schnitzen laussen 6 , es sy leiplich auff erden kommen. Eselgesang ist das und wirds also beleiben. Ich will dir noch woll ain anderes sagen. Das auch nach Christus geburt lange zeit die Christen nit bilder gehabt haben, dann sie niendert 7 öffentlich dorfften ain kirch und samlung haben noch aigne tempel bawen. 4 5 6 7
ihnen. rechtmäßig. lassen. nirgendwo, niemals.
Stellungnahme
der Reutlinger
Prädikanten
309
Und sollichs kan man auch auß den historiis beweisen, dan Julius Capitolinus schreibt in ,Vita Alexand.' 8 , das der kayser Traianus habe lausen tempel von gotzen allenthalben aufrichten, der mainung, die selbigen Christo züzeaignen, wa es im nit von den seinen widerauthen 9 und gewert wer. Auch welches clarlich abzunemen ist, das die Christen zur selben zeit (welchs ungefarlich hundert jar nach christi geburt ist gesein) nit gotzen noch bilder gehabt, auch wa sy offenlich sich habs dorffen herfirthen. Darumb so eß ain luter gedieht und geschwetz, das da schriben darpfst, die bilder syen auch vor Christus geburt gewest. Es ist gleich wie ihener deinsgleichen ain dorfpfaff sagt, im passion, die junckfraw Maria were bey dem creutz gestanden, und als sy die große marter an irem sun Christus sehe, sencke si nider und Sprech: „Nun kom mir die mutergots zu hilff!", also sagstu auch, man habe bilder Christi und seiner müter etc. gehabt, ee und sie selbs gewesen seyen. Als ob die bilder vorher geschickt und sy erst naher komen werden. Das du aber die gotzen so hoch setzest und iren frucht und nutz erzelest, als das man Gott damit vererhe, den andacht der menschen mit aufferwecke etc. das thustu on alle geschrifft, dan da kanst sollichs zubezeugen nit ain wort auffbringen aus alte oder newe testament, sonder das widerspil ist zu beweisen, das man die gotzen nit haben soll und das von Gott verbotten seyen b . Wann du aber sagen wilt: „Lieber, mag man nit götzen oder bilder hon zu ainer gedachtnus oder manung?", sagen wir ja zu. Götzen sind frey, man mag sy haben oder nit haben, soverr man sy nit auffricht, Gott mit zu dienen und zu vereeren. Dann sollichs will Gott nit lyden noch haben. Und haut alweg das volk Israel von ire götzen wegen gestrafft, die er in verbotten hett. Dan sollichs nit allain ein geschriben gesetz, das die israeliten empfangen 10 , sonder auch ein naturlichen gsatz, das Gott allen menschen eingepflantzet, haut verbotten. Ist wie sollichs die obbestimpten ort des geschriben gesatz bezeugt und vom naturlichs Paulus zum Römern am ersten schilt die heiden, das sy Gott0 unrechter weis vererht haben mit allerlay verbildung der zergengklichen menschen und thieren etc." Das aber unser götzen also zum gottesdienst und anbetten auffgericht seyen, ist allzu hell am tag, und du verrauthest 12 sy selbst in deinem brieff 13 , sy sygen Gott zu lob und eer auffgericht etc. Dartzu so haut man in gottliche 8 Vgl. C A P I T O L I N U S [ A E L I U S L A M P R I D I U S ] : Vita Alexandri Severi, 2 8 , 6 - 2 9 , 2 ; Historia Augusta 1, S. 332f. Lampridius berichtet allerdings, daß Alexander Severus, nicht wie oben im Text Trajan, die handelnde Figur ist. 9 abgeraten. 10 Vgl. Ex 20,4. 11 Vgl. Rom 1,23. 12 verrätst. 13 Zum Brief des Burkhard Sinz an den Reutlinger Rat vgl. oben S. 81 f.
310
Anhang IV
eere beweisen mit knie biegen, küssen, eeren, anbeten, vor in niderfallen, reuchen, offern, liechter brennen, hütabziehen, wallfarten etc. Weichs alles ain grewel vor Gott ist 14 . Es hilft auch nicht, das ir bapstesel sagt, wir eeren nit das bild selber, sonder in im den das bildnus es tregt 15 . Ja, liebe göch 16 , die haiden haben auch nit stain und holtz angebettet, sonder Gott darinn wollen vereren und anbetten. Dan Paulus klegt nit, das die haiden menschen und thier angebettet, sonder das sy Gottes eer in dise bilder der vergengklichen creature verkeret haben etc. 17 Dieweil dan nun unsere götzen nit mee gedenckbilder, sonder rechte abgotter waren, den man gottliche eere bewisen, Zuflucht gehabt, walfarten, hilff und trost gewartet [4v:], das sy also zur lesterung Gottes, zum fall und ergernuß der menschen dastünden sind, sy auß vermüg hailiger schrifft billicher christlicher weiß von der oberkait hinweg gethon, wie wir lesen auch die frumm konig im alten testament gethan haben und furderlich Hiskia 18 , der den erin schlangen zerbrach, so von Mosi in der wustin auffgericht war 19 , auch auß Gottes gebott, dieweil man sollichen on Gottes wort mißbrauchet etc. Darumb so sygend du 20 und deinsgleichen gotzenpfarrherr, ja rechte gotzen laut des hundertundfunffzehenden psalmen 21 , da er die gotzen beschribt und endtlich schleusset, die solliche machet, sygend also und die, so uff sy hoffend. Darumb fort 22 ir mit ewern götzen, getrost für, ir habt ain kostlich Versprechung darumb von Got, nemlich das ir götzen seygen gleych wie stain und holtz, die da orn, äugen, meuler, hend und füß gaben und doch weder hören, sehen, reden, greiffen noch geen 23 kennden. Und es beweist sich alle gnüg, dann alle ewer sinn sind verstockt, das ir Gottes warhait weder sehen, hören noch reden, auch nit darnach greyffen, stellen noch wandeln kennden; und ist nit wunder, das gegen götzen bleiben und ain götz den andern frowet, laut des alten sprichworts: Gleich und gleich gesellet sich gern etc.
14 Zu den verschiedenen Theorien um die rechte Anbetung der Bilder vgl. W I R T H : Theorien, S. 28-37. 15 Zur Problematik der Urbild-Abbild-Theorie vgl. S C H M I D T : Beschriebene Bilder, S . 370f; W I R T H : Theorien, S . 28-37; 16 Narren, Dummköpfe. 17 Vgl. Rom 1,25. 18 Vgl. 2. Kön 18,4. 19 Vgl. Num 21,9. 20 Gemeint ist Burkhard Sinz. 21 Vgl. Ps 115,8. 22 fahrt. 23 gehen.
Stellungnahme
der Reutlinger
Prädikanten
311
[5v:] Lieber, sag an, warinn mangelt uns, dan von gotzenbilden, klostern und kirchen bawen, meß, ablaußbrieff, indult, vigili, todtengsang, altar, balmesel und sollichs geschwirm darffstu uns nichts sagen, dan du haust kain buchstaben der hailigen schrifft darumb. Darzü belangend sy weder warhait noch gleuben, sonder allein den bapst und sein und seiner esel lugenhafftig geitsack 24 . Du aber und deinsgleichen sind sollichen Ianni und Mambry gleich 25 , dan ir widersteend so vil an euch ist, Gottes wort und wunder und sygend, so wie zerrüterer sein, das ir vermainten, mit blatten und kappen, mit meßlesen, glockenleuthen etc. Gott zu dienen. Weichs er doch nit haben will. Deßgleichen, dem nehsten wollt ir gedienet haben, so ir im sein blütgen schwaiß abnommen und im ain meß darfur lesen oder ain liedlin singen, welchs weder er noch ir versteend, sonder allein Gottes zorn noch weiter und schwerer über euch errege d . [...] Nach sollichem so verantwortest du ain lugen mit der andern, so du sagst, unsere herrn 26 haben ab dir geclagt, sy brechen ab [kirchen; G. L.] und bawen bollwerck darauß, welches dan öffentlich am tag ligk. Das haist mir ja ain unverschampte, grobe bapstliche lugin. Dann un 27 zweiffei ain ersamer rauth sollichs ab dier kainswegs beklagt, dieweil sey es öffentlich thünd und sollichs nit bergen, sonder das haut man ab dir zu klagen und ist un zweiffei geschehen, das du an der kirchweihin gesagt haust, sy brechen kirchen ab und bawen daraß bollwerck wider den kayser. Weichs dan schandtlich gelogen ist, dan wider den kayser nichtzit bawen noch rüsten, dan wir uns zu seiner Mt. alles gnad und guts versen hend, obwoll ir beschraien büben den fromm, tewren fursten hart, das christlich blüt zu vergiessen, hetzen und triben. Dann wir haben uns bißher in aller underthenigkait und billicher gehorsam gegen Kay. Mt. gehalten und nach dem wort Christi dem kayser geben, das des kaysers und Gott was Gottes
a
Danach gestrichen: Am Rande ergänzt: c Am Rande ergänzt: d Am Rande ergänzt: unser gemeß willen. b
24 25
eytel, grobe tippel und block. Exod. 20, Deutero. 4 et Levitici 19 [Ex 20,4; Dtn 19,23; Lev 19,4], der ewig und unvergengklich. Dan ir vermanend, wie Paul. 1 Timoth 5 sagt, gottseligkeit sey
Geizhals. Gemeint sind die Zauberer Jannes und Jambres, die Mose widerstanden; vgl. 2. Tim
3,8. 26
Gemeint ist der Reutlinger Rat. ohne. 28 Vgl. Mt 22,21. - Danach berufen sich die Prädikanten auf den Speyrer Reichstagsabschied von 1526 und das kaisertreue Verhalten der Reutlinger 1530. 27
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Augsburg, Stadtarchiv (StadtA Augsburg) Lit. 1525, 1,111.
Biberach, Katholisches Pfarrarchiv Reformationsakten: D IX, Nr. 1: Chronik des Biberacher und späteren Leutkircher Predigers Schemmer 1505-1610. G II: Schmalkaldischer Bund an Biberach. K II, Nr. 3: Anfrage an Ulm wegen Haltung zum Interim (5. April 1549). K IV: Replication und Widerlegung der Bekantnus Herr Benedictus Widmann. N IV, Nr. 7: Bufflersche Schulstiftung (14. April 1534).
Biberach, Stadtarchiv (StadtA Biberach) Ostermayer, Heinrich: Chronik der Reichsstadt Biberach 1851. Reichsstädtische Akten, Bü 11, fol. lr-2r: Lutherische kürchenstürmer, so die bilder zue Biberach helfen uß der kürchen mustern, wie sie gestorben (vgl. Anhang II). Seidler, Lucas: „Annalia Erster Theil", darinen vill denkwirdige Hendel in gaistlichen und weltlichen Sachen eingebracht, welche viel alhie zu Biberach und in den benachbarten Orten Schwabenlands begeben, von alten Zeiten hero, firnemlich aber von Anno 1500 bis in Jahr Anno 1549. [1618],
Esslingen, Stadtarchiv (StadtA Esslingen) Bestand Reichsstadt: Ratsprotokolle 1529-1533 und 1534-1540 (RPr). Fasz. 10, Ordnungsbuch I. Fasz. 197. Fasz. 204-207.
Giengen, Stadtarchiv (StadtA Giengen) A-F 14, Nr. 87: Akten über Religion und Kirche, u. a. Kirchenordnung. Werbung Martin Raubers an den Rat der Reichsstadt Giengen [1537/38] (vgl. Anhang I). LO-A-F, Nr. 87/1: Petition der vier Bürger 1529. Ratsprotokolle (RPr): Bd. 1 (1534-1537), Bd. 2 (1537-1541) und Bd. 3 (1546-1552).
314
Quellen- und
Literaturverzeichnis
Isny, Archiv des Fürsten von Quadt zu Wykradt und Isny Bestand C, Klosterarchiv Isny, Bände: B 416: Klosterchronik von Pater Johann Eisele, um 1629; mit Nachträgen anderer Hände bis 1636 [Im 19. Jh. neu eingebunden und mit neuem Titel ,Annales monasterii Insnensis a tempore salutis usque ad annum 1636' versehen], B 417: Notizen zur Klostergeschichte, zusammengestellt von Pater Alphons Hirschfeld, um 1710. B 418: Chronica monasterii Isnensis ad S. Georgium anno Christi 1729 rediviva seu posteritati noviter descripta [...], Zusammenstellung aus den Bänden B 416 und B 417, um 1750. B 419: Gründlicher und ausführlicher Bericht alles dessen, was sich entzwischen dem löbl. St. Georgen Gotts Haus zu Isni und der Stadt daselbst von Anno 1500 bis 1552 Merkwürdiges verlauffen und begeben hat; verfaßt von Pater Georg Dobler, 1767 [274 Seiten],
Bestand C, Klosterarchiv Isny, Akten: Bü 17/14: Beschreibung der Begebenheiten, die sich zwischen dem Kloster und der Stadt Isny in geistlichen und Religionssachen zugetragen 1524-1583. Bü 17/15: Bericht über die Begebenheiten zwischen dem Kloster und Stadt Isny in Religionssachen 1525-1583, aus dem 17. Jh. Bü 27/6: Bericht über die Weihe von 11 Altären in der alten Klosterkirche 1580/1584, Abschrift von 1666. Bü 41/1: Reformation an der Pfarrkirche in Isny. Schriftwechsel zwischen Abt und Stadt 1525-1552.
Isny, Evangelisches Kirchenarchiv (EKA Isny) Bestand K: K 3138: Akten zum Abbruch der Bufflerschen Kapelle. K 3141: Gebundene und ungebundene Akten zur Reformation. K 3146: Aufzeichnungen über Verluste des Klosters durch die Reformation, um 1600.
Bestand S: S 193: Wahrer und gründlicher Underricht, welchermassen die von Ysni die Mess Abgeschafft und verboten die Bilder in Sanct Georgen Gottshaus zerissen haben. Actum anno 1534 (handschriftliche Abschrift oder Reinschrift von EKA Isny, S 194 aus dem 17. Jh.).
Isny, Stadtarchiv (StadtA Isny) B 38/71: Isnysche Reformation von 1544 (Abschrift von Stadtschreiber Fischer von 1659). Fasz. 673: Religions-Streitigkeiten 1534-1548 (Abschrift aus dem 19. Jh.). Fasz. 805: Beziehungen der Stadt Isny zum Schmalkaldischen Bund, 1528-1541. Fasz. 846: Predigten.
Ungedruckte
Quellen
315
Kaufbeuren, Evangelisches Kirchenarchiv (EKA Kaufbeuren) A. A. A. A. A. A.
059: Acta Compacta. 101: Dokumente zur Reformation in Kaufbeuren 1525-1547. 102: Dokumente zur Reformation in Kaufbeuren 1525-1552. 103: Dokumente zur Reformation in Kaufbeuren 1561-1563. 106: Dokumente zur Reformation in Kaufbeuren 1545-1557. 133: Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Gutenberg: Sammlung der merckwürdigsten Geschichten das Kirchen- und Religions-Wesen in des H. R. Reichsfreyen Statt Kauffbeuren betreffend von den ältesten Zeiten biß auf das Jahr 1756, Kaufbeuren 1756 (handschriftliches Exemplar).
Kaufbeuren, Katholisches Pfarrarchiv (KPfA Kaufbeuren) B 2: Sammlung der furnehmsten Merkwürdigkeiten und Geschichten der Hl. R. Reichsfreyen Statt Kaufbeuren. Erster Theil: Von dem Jahr 842 bis auf das Jahr 1599 mit möglichstem Fleiß zusammengetragen von Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Guttenberg (Ende des 18. Jahrhunderts). K 201: St. Blasius, Urkunden 1319-1756. V 127: Religionssachen 1544-1595 (Meichelbecksammlung). V 128: Religionssachen 1544-1595 (Meichelbecksammlung). V 387: Diarium über Kaufbeurer Religionsgeschichten 1517-1629 (Abschrift von Dekan Merk aus Oberostendorf). V 388: Religionssachen 1548-1643 (Notizen Meichelbecks). V 1002: Repertorium der Religionsakten 1548ff.
Kaufbeuren, Stadtarchiv (StadtA Kaufbeuren) B B B B B
4: Ratsprotokolle ab 1543 (RPr). 14. 25. 95: Extractus actorum catholicorum et evangelicorum 1514-1674. 98, 99, 100 I—III, 101 I—III: Geschichte Kaufbeurens von Wolfgang Ludwig Hörmann (Abschriften). B 108: Kaufbeurer Chronik 804-1796 von Johann Wiedemann.
Kempten, Bibliothek des Dekanats Kempten Lit. M 23: Gebhardtsche Chronik: Historische Cronica betreffend einer [...] Stifftung ds fürstlichen Closter und Gotteshauß Kempten bis 1716. o. J. [nach 1716 und vor 1799], Lit. M 24: Pater Gebhardtsche Chronik D. A. 1799 [fehlerhafte Abschrift von Lit. M 23],
Kempten, Stadtarchiv (StadtA Kempten) Ratsprotokolle (RPr) der Reichsstadt Kempten: Ältester Band 1517-1551. B 129u: Chronik Gebhardt (1600-1795). B II, 547: Chronik der Reichsstadt Kempten 777-1553 (Kopie des Originals im StA Neuburg, Reichsstadt Kempten, Lit. Nr. 3, 483). Literalie B 8b, Bll. 1-15: Kempter Chronik des Schulmeisters Hans Meyer 1554 mit Wiedergabe vieler Sagen; Bll. 49r-55r: Chronik der Kemptener Äbte. Literalie B 16b: Chronik des Stiftes Kempten bis 1594 (Kopie des Originals im HStA München, Kempten/Stift, Neuburger Ausgabe No. 2052).
316
Quellen- und
Literaturverzeichnis
Literalie B 31: Chronik der Stadt Kempten von Stadtpfarrer Schwarz, 1595 (?).
Konstanz, Stadtarchiv (StadtA Konstanz) Ratsbücher (RB) 1527/28.
Leutkirch, Stadtarchiv (StadtA Leutkirch) B5: Sammlung von Aktenstücken: Ausführungen und Abschriften über die Einführung der Evangelischen Konfession in Leutkirch 1558-1672. B7a: Chronik der Stadt Leutkirch. Verfaßt von Hieronimus Furtenbach und abgeschrieben von Joh. Baptist Furtenbach 1655. Fasz. 399: Gemischte Kirchen- und Religionssachen 1525-1562. Fasz. 409: Evangelische Kultsachen (17. Jahrhundert). Ratsprotokolle (RPr).
Leutkirch, Evangelisches Kirchenarchiv Beisel, Georg Daniel: Kirchen- und Schulpolitik, 6 Bde., 1800-1837.
Lindau, Stadtarchiv und Stadtbibliothek (StadtA Lindau) Reichsstädtische Akten: Ratsprotokolle (RPr). Rep. 7, Akte 63/7: Insy protestiert gegen Abt und Convent (Messe und Bilder). Chroniken: Lit. 18: Annales Lindavienses des Jacob Lynn (bis 1620). Lit. 19: Bertlinsche Chronik (Verfasser bis 1598 unbekannt, danach bis 1626 vom Stadtschreiber Bertiin weitergeführt). Lit. 20: Bertlinsche Chronik, Abschrift. Lit. 22: Hünlische Chronik von 1620. Lit. 23: Krölls Annalen 1533-1535, Abschrift von Thoma 1633. Lit. 24: Kröll-Neukomsche Chronik von 1627. Lit. 25: Annales Lindavienses Anno 1608. Chronik der Brüder Ulrich und Alexius Neukomm. Lit. 28: Chronik von Lindau bis 1742. Lit. 29: Schneiische Chronik bis 1750. Lit. 31: Chronik von Lindau bis 1754.
Ludwigsburg, Staatsarchiv (StA Ludwigsburg) B 169: Reichsstadt Esslingen: Bü 33 Ambrosius Blarers Briefe aus dem Esslinger Archiv. Bü 36 Reformationsakten. B 176: Reichsstadt Giengen a. d. Brenz (B 176L und B 176s). B 207: Reichsstadt Ulm. B 208: Reichsstadt Ulm.
Ungedruckte
Quellen
317
Memmingen, Stadtarchiv (StadtA Memmingen) A RPr: Ratsprotokolle 1520-1532. A 341—488: Kirchen- und Religionssachen.
Memmingen, Stadtbibliothek (StadtB Memmingen) Chroniken 2° 2,19: Chronik von Memmingen vom Jahr 1471 bis 1622 von Johannes Kimpel. Memmingen o. J. (17. Jh.). Chroniken 2° 2,20: Memminger Chronik. Memmingen o. J., darin Bl. 151-186 Chronik von Galle Greiter und Alexander Mair.
Ravensburg, Stadtarchiv (StadtA Ravensburg) Chronica Ravenspurgensis [1650-1738] von Johann Ludwig Schlaperizi (Kopie von HStA Stuttgart, J 1, 194). Reichsstädtische Archivalien 1519-1648: Bü 376a: Denkbuch (Einträge von 1519-1647). Bü 376b: Denkbuch (Kopie von Bü 376a, ca. 1650 entstanden). Bü 484-488: Religionsakten.
Reutlingen, Stadtarchiv (StadtA Reutlingen) Fasz. 405-412: Kirchen- und Reformationsakten.
Stuttgart, Hauptstaatsarchiv (HStA Stuttgart) A A A B
63: Kirchen- und Religionssachen, Bü 4a, Bü 5 und Bü 10. 141: Reichsstadt Esslingen, Bü 1-50. 478: Kloster Blaubeuren, Bü 1-66. 193: Reichsstadt Isny: Bü 10: Beziehungen zwischen Reichsstadt und Kloster Isny, 1470-1583. U 140—U 143: Urkunden und Akten Reichsstadt und Kloster Isny betreffend, 1531-1534. B 198 Reichsstadt Ravensburg: Bü 38: Kirchenwesen 1465-1606. B 201 Reichsstadt Reutlingen: Bü 6: Reformationsakten 1505-1528. Bü 7: Reformationsakten 1529-1531. Bü 8: Reformationsakten 1532-1538. J 1, 180: Annales Biberacenses 1620-1635 des Johann Ernst von Pflummern. 3 Bde. J 1, 194: Chronica Ravenspurgensis [1650-1738], oder Beschreibung vieler denckwürdiger Sachen [...] zusammengetragen durch Johann Ludwig Schlaperizi, Med. Doct. und Physicum alhie.
Ulm, Stadtbibliothek (StadtB Ulm) 27488, 1: Druck der Ulmer Kirchenordnung von 1531 bei Hans Grüner.
Ulm, Stadtarchiv (StadtA Ulm) I. Rat, Stadtrecht, Kanzlei: A 3530: Ratsprotokollbände der Jahre 1517ff(RPr).
318
Quellen- und
Literaturverzeichnis
A 3531: Register zu den Ratsprotokollen von 1501-1693. A 3680: Vorhalte und Rufe, 1465-1540. A 3681: Vorhalte und Rufe, 1541-1600. II. Bürgerschaft, Bürgermeisteramt, Ainungsamt: A 3734: Ulmer Bürgerbuch, 1499-1547. III. Pfarrkirchenbaupflegamt: A [1553]: Verkündzettel und Rufe des Rats in Religionssachen, 1524-1558. A [1589]: Akten zur Verschönerung des Münsterplatzes, 1805-1810. A [1565]: Bericht an den Rat über die Predigten im Jahre 1524, Abschrift um 1730. A [1608/1]: Aufzählung der Pfarrkirchenaltäre im Münster, o. D. A [1609/1]: Alle Ornaten und Gottszierden Unser Lieben Frauen Pfarrkirche zugehörig gerechtfertiget, 1529; Inventarium aller Ornaten und Gottszierden, so in der Pfarrkirche sind [...], 1550; Schreiben des Wolfgang Roth von Schreckenstein wegen Rückgabe des Hungertuchs aus dem Münster, 1552. A [1642/1]: Verzeichnis der Kirchen und Kapellen, die vor der Reformation in der Bittwoche vor Himmelfahrt besucht wurden, um 1650. A [1696]: Korrespondenz Kirchenbaupflegamt. A [3618]: Gutachten über die Neuordnung der Stiftungen. A [3732]: Die Administration der Neithart-Stiftungen durch Ulrich Neithart, Altbürgermeister 1538. A [3733]: Schließung der Neithart-Kapelle an der Pfarrkirche. A [6821]: Ratsentscheide an das Pfarrkirchenbaupflegamt, 1532-1551. A [6838]: Protokolle des Pfarrkirchenbaupflegamts, 1535-1547. A [6839]: Protokolle des Pfarrkirchenbaupflegamts, 1549-1552. A [6885]: Kirchengestühlbuch. Auszüge aus Entscheidungen der Kirchenbaupfleger über die Gestühle in der Pfarrkirche und der Barfüßerkirche, 1537-1633. A [6886]-[6887]: Schranden- oder Kirchengestühlprotokolle, 1559-1699/1744. A [7070]: Register über die Urkunden der Pfründen und Messen, die dem Rat als Lehnsherrn zustehen, 1533-1550. A [7074]: Jahrtage und andere Stiftungen, 1520-1528. A [8983/1]: Reformation Teil 1, Nr. 1-59: Einfuhrung der Reformation in der Reichsstadt Ulm, neue Kirchenordnung, gemeines Ausschreiben 1523-1531. A [8983/11]: Reformation Teil 1, Nr. 60-114: Neue Kirchenordnung, Prädikantenstellen auf dem Land, Pfründen und Klöster in Ulm, Schulen, 1531-1532. A [8984/1]: Reformation Teil 2, Nr. 115-229: Reformation in Geislingen, „Auslaufen" von Bürgern, Kirchenvisitationen, Einkommen der Pfründen und Schulstellen auf dem Land, 1531-1542. A [8984/11]: Reformation Teil 2, Nr. 230-284: „Sonderlinge" in Ulm und auswärts, Kirchenvisitationen auf dem Land, 1542-1544. A [8984/III]: Reformation Teil 2, Nr. 283-367: Eingaben und Anordnungen in Sachen der Reformation, 1531-1544. A [8985]: Examinierung der Geistlichen in Stadt und Land, 1531-1544. A [8991]: Reformation Teil 5, Nr. 1-147: Maßnahmen und Verhandlungen mit dem Franziskaner- und Dominikanerkloster, 1524-1580. A [8992]: Verzeichnis der Ornate, Meßgewänder und Geräte, die bei der Reformation aus den Kirchen und Klöstern in Ulm genommen wurden, 1533-1648.
Gedruckte Quellen
319
A [9006]: Reformation Teil 8, fasc. 7 und 11: Abschriften von Ratsdekreten zur Reformation, 1522-1568. U 5327: Bekenntnis der Anna Mentz von Tomerdingen, 1530. U 5824: Verzeichnis von liturgischen Geräten in den Kirchen, Klöstern und Kapellen in Ulm, 1525.
IV. Chroniken: G 1/1536: Weißenhornische Chronik des Nicolaus Thoman, um 1536. G 1/1555: Notamina. Chronik eines unbekannten reformatorisch gesinnten Ulmer Bürgers, letztes Berichtsjahr 1552, um 1700. G 1/1565: Chronik des Sebastian Löschenbrand, letztes Berichtsjahr 1565. G 1/1584: Hauschronik des Bartholomäus Marchtaler, letztes Berichtsjahr 1584. G 1/1628: Joseph Furttenbach, Cronica oder Geschichten von Anfang der Welt bis auf Christi Geburt und von der Geburt Christi bis A[nn]o 1582; fortgesetzt bis 1622, 1628. G 1/1714: Marcus Wollaib, Paradysus Ulmensis [...] begriffend der christlichen Kirchen und Religion zu Ulm Anfang, Wachsthum und Fortpflanzung, letztes Berichtsjahr 1713, 1714.
V. Nachlässe: H Schmid, Joh. Chr., Nr. 22 und Nr. 24-30. H Veesenmeyer, Georg, Nr. 8. 10. 18-21. 29. H Weyermann, Nr. 4-8.
VI. Patrizierarchive: D Neithart, Lit. 1.
Gedruckte Quellen AKTEN DES REICHSKAMMERGERICHTS IM HAUPTSTAATSARCHIV STUTTGART I - M . I n v e n -
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