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German Pages [1158] Year 2010
Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung
Band 12 Herausgegeben von Stephan Meder und Arne Duncker
Die Rechtsstellung der Frau um 1900 Eine kommentierte Quellensammlung
Herausgegeben von Stephan Meder, Arne Duncker, Andrea Czelk
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: »Führerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung«, aus: Die Gartenlaube, Illustriertes Familienblatt, 1894, Nr. 15, S. 257 (Bestand Addf, A-F1-00373, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel). Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel.
© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20577-5
Inhalt
Einleitung ..................................................................................................
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TEIL 1 – ZEITGENÖSSISCHE POSITIONEN ZUM FRAUEN- UND FAMILIENRECHT 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.
Allgemeiner Deutscher Frauenverein (Vorstand): Aufruf! 1876 ....... Allgemeiner Deutscher Frauenverein: Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, 1877 ............................. Anita Augspurg: Gebt acht, solange noch Zeit ist! 1895 ................... Anita Augspurg: Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, 1899 .......................................................................... Anita Augspurg: Ein typischer Fall der Gegenwart, 1905 ................. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus: die rechtliche Stellung der Frau (Auszüge, basierend auf der 50. Aufl. 1910) ......... Carl Bulling: Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch, 1896 .......................................................................................... Carl Bulling: Die Rechte der Unehelichen Kinder, 1895 ................... Bund Deutscher Frauenvereine: Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches, 1896 ........ Bund Deutscher Frauenvereine: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches, 1896/1899.............................................. Bund Deutscher Frauenvereine: Petition an den Reichstag, 1896 ..... Bund Deutscher Frauenvereine: Petition betreffend ein Vereinsgesetz, 1899 ........................................................................... Marie Calm: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? 1875 .............................................. Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen (Auszüge), 1876 ..................................................................... Julie Eichholz: Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine (1908) ................. Die Frauenbewegung: Die Stellung der sozialdemokratischen Frauen gegenüber dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, 1895....................................................................................... Die Frauenbewegung: Das Recht der Frau, 1896...............................
35 36 41 45 50 56 81 199 257 258 288 289 292 305 333 358 359
Inhalt
6 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.
Die Frauenbewegung: Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (I), 1896........ Die Frauenbewegung: Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (II), 1896 ...... Die Frauenbewegung: Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (III), 1896 ..... Die Frauenbewegung: Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896 ................................................................................ Adele Gamper: Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, 1894 ................................................................................... Otto v. Gierke: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (Auszüge), 1889........................................... Franz v. Godin: Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, 1889 .................. Adolf Hinsberg: Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897............................................................................. Camilla Jellinek [unter Mitarbeit von Katharina Scheven]: Petition des Bundes deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung, 1909 ....................... Camilla Jellinek: Deutschland, in: Women’s position in the laws of the nations, 1912.................................................................... Emilie Kempin: Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetz-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Auszüge), 1892 .................... Emilie Kempin: Die Rechtsstellung der Frau, 1895........................... Emilie Kempin: Die Stellung der Frau im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, 1896 ............................................................................ Emilie Kempin: Zur Reform der Stellung der Frau, 1896 ................. Emilie Kempin: Die deutschen Frauen und das bürgerliche Gesetzbuch, 1896 ............................................................................... Emilie Kempin: Falsche Fährten, 1896 .............................................. Emilie Kempin: Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen, ca. 1896...... Emilie Kempin: Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches, 1897 ............................................................................ Emilie Kempin: Grenzlinien der Frauenbewegung, 1897 .................. Emilie Kempin: Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen, 1897 ........................................................................... Helene Lange/Carl Bulling: Eine Erwiderung auf den Artikel der Frau Dr. Kempin: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“, 1897 ......................................................................... Anton Menger: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (Auszüge), 1890 .................................................................... Friedrich Naumann: Der Beruf der Frau, 1895 .................................. Louise Otto-Peters [mutmaßliche Verfasserin]: Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau (Auszüge), 1876 ..
364 366 366 367 371 385 435 443 449 488 500 507 531 549 550 557 560 579 584 603 610 619 650 654
Inhalt
42. Louise Otto-Peters: Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (Auszüge), 1890......................................... 43. Charlotte Pape: Die Rechte der Mutter über ihre Kinder, 1876 ......... 44. Gottlieb Planck: Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuche, 1899 ........................................................ 45. Sera Proelß/Marie Raschke: Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch, 1895 ............................................................................... 46. Marie Raschke: Rückschritte in der Gesetzgebung, 1895 .................. 47. Marie Raschke/Leonhard Hirsch: Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, 1895....................................................................................... 48. Marie Raschke: Das deutsche Recht und das vierte Gebot, 1896 ...... 49. Marie Raschke: Reichstagseindrücke, 1896....................................... 50. Marie Raschke: Aus dem Reichstage [betr.: Anträge Pauli zum Familienrecht], 1896 .......................................................................... 51. Marie Raschke: Frau Dr. jur. Kempins Ansichten über das Vorgehen der deutschen Frauen, 1896 ............................................... 52. Marie Raschke: Zur Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897............................................................................. 53. Marie Raschke: Aus dem Reichstage [betr.: Behandlung der Petition zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches], 1897 .................. 54. Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine: Aufruf! 1896 ...................................................................................... 55. Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine/Raschke, Marie: Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897....................................................................................... 56. Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs […], 1895........................................ 57. Käthe Schirmacher: Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch, 1898 .......................................................................................... 58. Käthe Schirmacher: Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts, 1904 ........................................................................................ 59. Käthe Schirmacher: Die Frauenarbeit im Hause, 1905 ...................... 60. Marie Stritt: Frauen-Landsturm, 1896 ............................................... 61. Marie Stritt: Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage (1898) ........................................................................................ 62. Marie Stritt: Rechtsschutz für Frauen, 1901 ...................................... 63. Marie Stritt: Rechtskämpfe, 1901 ...................................................... 64. Ludwig Wachler: Zur rechtlichen Stellung der Frauen, 1869 ............ 65. Marianne Weber: Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung (Inhaltsübersicht und Auszüge), 1907 ................................................
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662 668 674 690 731 735 738 740 742 743 745 748 752 755 757 791 794 796 805 811 820 828 842 862
8 66. „Ehekritik, Ehescheidung und außereheliche Geschlechtsbeziehungen“ als Beispiel für die Positionen Webers ................................
Inhalt
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TEIL 2 – RECHTSQUELLEN A. Deutsches Reich Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich von 1896 .............. 67. Text des BGB von 1896 (Auszüge) ................................................... 68. Die „Anträge Pauli“ (Stumm-Halberg, Kempin) zugunsten der Frauen in den Beratungen der XII. Kommission des Reichstags, 1896 ........................................................................................... 69. Reichstagsdebatten zum Familienrecht mit Bezügen auf die Frauenbewegung (u. a. Traeger, Bebel, Planck, Stumm-Halberg), 1896 ...... 70. Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 (Auszüge) ...... 71. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871 (Auszüge) ........... 72. Civilprozeßordnung von 1877 (Auszüge) .......................................... B. Weitere Rechtsquellen 73. Allgemeines Landrecht für die preussischen Staaten von 1794 (Auszüge) ........................................................................... 74. Code Napoléon von 1804 in offizieller deutscher Übersetzung des Badischen Landrechts von 1809 (Auszüge)................................. 75. Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 (Auszüge) ...........................................................................................
917 919 981 997 1028 1030 1036 1041 1063 1073
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS A. Bibliographische Angaben ................................................................. B. In der Edition abgedruckte Quellen I. Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht 1. Namentlich bekannte Autorinnen und Autoren.............................. 2. Anonyme Autorinnen und Autoren (Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ 1895/96) ............................... II. Rechtsquellen 1. Deutsches Reich ............................................................................. 2. Weitere Rechtsquellen ................................................................... C. Weitere Quellen und Literatur I. Namentlich bekannte Autorinnen und Autoren.................................. II. Anonyme Autorinnen und Autoren ....................................................
1082 1082 1086 1086 1086 1087 1094
Personenregister......................................................................................... 1096 Sachregister ............................................................................................... 1102
Einleitung
Die Kämpfe um ein neues Ehe- und Familienrecht in der Entstehungsphase des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs
I. Die Frauenbewegung und das BGB
Kaum eine Materie des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist in den letzten hundert Jahren so häufig und tiefgreifend verändert worden, wie das Familienrecht. Schon ein flüchtiger Blick läßt erkennen, welche gravierenden Lücken die vielen Reformen im Text des BGB hinterlassen haben. Es sind zunächst Lücken in der Paragraphenfolge: Die §§ 1354 und 1358 BGB sind seit 1957 unbesetzt. Wer nachprüft, welche Inhalte diesen Platz vormals ausgefüllt haben, stößt auf die männliche Herrschaft in der Ehe. So enthielt § 1354 Absatz 1 des BGB von 1900 das Entscheidungsrecht des Mannes in allen gemeinschaftlichen ehelichen Angelegenheiten, insbesondere die Bestimmung von Wohnort und Wohnung: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung.“1 In dieser Grundnorm bestimmt der Gesetzgeber von 1900 die persönliche Stellung der Geschlechter. Die Reichweite der Norm ist groß: Auf dem ehemännlichen Herrschaftsrecht fußt nicht nur das Recht der persönlichen Ehewirkungen, sondern eine Vielzahl von Einzelbestimmungen in anderen familienrechtlichen Gebieten, etwa in den Bereichen der elterlichen Gewalt oder des Güterrechts. Gegen das ehemännliche Herrschaftsrecht und die damit verbundene Herabstufung der Rechtsstellung von Frauen waren bereits in den 1870er Jahren erste Stimmen laut geworden. Dazu gehören etwa die Abhandlungen von Hedwig Dohm (Nr. 14) oder die Rede von Charlotte Pape (Nr. 43). Hinter diesen Stimmen stand allerdings noch keine Massenbewegung. Es handelte sich nur um einzelne Rufe, die in der juristischen Fachwelt weitgehend ignoriert wurden.
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§ 1358 des BGB von 1900 gab dem Mann das Recht, persönlich verpflichtende Verträge (z.B. Arbeitsverträge) der Frau ohne deren Zustimmung zu kündigen.
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Einleitung
Dies änderte sich, als nach der Reichsgründung der Bundesrat 1874 die Erste Kommission mit der Ausarbeitung eines Entwurfes zum BGB betraute und die Frauen eine Chance zur Einflußnahme auf die künftige Gestaltung der sie betreffenden Regelungsgebiete sahen. Von der Kodifikation erhofften sie sich eine Verbesserung des Rechts der Ehewirkungen, des Güter-, Scheidungs- und Sorgerechts, des Rechts der nichtehelichen Kinder, des Vormundschaftsrechts und des Erbrechts. Bereits 1876 verfaßte der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) unter dem Titel „Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau“ eine Denkschrift (Nr. 41), um die Frauen darüber zu informieren, „welche gesetzlichen Folgen ihr Schritt in die Ehen nach sich zieht“. Ein Jahr später (1877) unterbreitete der ADF dann erste Reformvorschläge in einer an den Reichstag gerichteten Petition (Nr. 2), worin gefordert wurde, daß der Gesetzgeber „bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht berücksichtigen“ solle. Es handelte sich um die erste Massenpetition in der Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Die Frauenfrage war nunmehr auch eine Rechtsfrage geworden. Als der Erste Entwurf zum BGB nebst Motiven 1888 veröffentlicht wurde,2 mußten die Frauen feststellen, daß er lediglich „einige verschönernde Formulierungen“ enthielt und in vielen Fällen sogar Rückschritte brachte. Die darin vorgesehene, nach Meinung der Kritikerinnen völlig unzureichende Stellung der Frau entfaltete massenhafte Proteste und veranlaßte eine beachtliche Anzahl vorher unpolitischer Frauen, für ihre Rechte einzutreten. Das BGB-Familienrecht und ein gewisses Unverständnis der Gesetzesverfasser für die großteils maßvoll und höflich vorgetragenen Reformvorschläge trugen erheblich dazu bei, daß in Deutschland eine organisierte Frauenbewegung überhaupt erst entstehen konnte. Die Enttäuschung über den Ersten Entwurf gab – wie Helene Lange (1848-1930) es später ausdrückte – Anlaß „zu einer ersten realpolitischen Massenbewegung der Frauen“. Diese Bewegung stellte zumindest bis 1914 eine nicht ganz unbedeutende politische Größe dar, wenn auch ihre Repräsentantinnen immer nur eine aktive Minderheit geblieben sein mögen.
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Kurze Übersicht über die Entstehung des BGB und sein Familienrecht
Die Kritik der Frauenbewegung an der geplanten Kodifikation des Familienrechts setzte relativ spät ein. Denn die von ihr ausgearbeiteten Gegenentwürfe beziehen sich weniger auf den Wortlaut des „Ersten“ als des „Zweiten Entwurfs“, welcher in den Quellen auch als „Zweite Lesung“ oder schlicht als „Entwurf“ bezeichnet wird. Da diese Terminologie in der Literatur wiederholt zu Mißverständnissen geführt hat, sei die Entstehung des BGB kurz skizziert.3 2
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Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin und Leipzig 1888 (5 Bände, Bd. 4: Familienrecht). Wieder abgedruckt in: Benno Mugdan (Hg.), Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch (6 Bände, Bd. 4: Familienrecht), Berlin 1899 (ND Aalen 1979). Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Stephan Meder, Rechtsgeschichte, 3. Auflage, Köln u.a. 2008, S. 270-281, 315-334; siehe auch Stefanie Figurewicz, Das Familienrecht in der Entstehungszeit des Bürgerlichen Gesetzbuches – Textentwick-
Einleitung
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Nach dem Untergang des „Ersten Reiches“ (1806) und dem Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) galten in Deutschland ganz verschiedene Privatrechtsordnungen, u.a. französisches, preußisches, bayerisches, sächsisches, österreichisches oder dänisches Recht. Hinzu kamen der aus dem römischen und kanonischen Recht zu einem ius commune gewachsene Normenbestand und eine Fülle weiterer Partikularrechte.4 Um diesem Zustand der Rechtszersplitterung Abhilfe zu verschaffen, hat Anton Friedrich Justus Thibaut (17721840) bereits 1814 die Forderung nach einem einheitlichen Gesetzbuch für Deutschland erhoben. Diese Forderung ist aber noch im gleichen Jahr auf den Widerspruch von Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) gestoßen und konnte sich zunächst nicht durchsetzen. Nach dem Sieg über Frankreich und der anschließenden Gründung des „Zweiten Reichs“ (1871) hatte der Bundesrat beschlossen, die Rechtseinheit im Privatund damit auch im Ehe- und Familienrecht durch eine Kodifikation des Bürgerlichen Rechts zu verwirklichen. Zu diesem Zweck wurde 1874 bei Levin Goldschmidt (1829-1897) ein Gutachten über die Konzeption eines Gesetzesentwurfs in Auftrag gegeben.5 Die mit der Ausarbeitung des Entwurfs beauftragte „Erste Kommission“ veröffentlichte im Jahre 1888 die „Motive“, die, wie bereits angedeutet, in der Öffentlichkeit eine lebhafte und unerwartet heftige Kritik entfachten.6 Es mußte daher eine „Zweite Kommission“ eingesetzt werden, die 1890 begann, den Ersten Entwurf von 1888 zu überarbeiten. Der familienrechtliche Teil des „Zweiten Entwurfes“ ist im Jahre 1894 veröffentlicht worden. 1896 wurde das BGB verkündet, am 1. Januar 1900 ist es in Kraft getreten. Soweit sich die Frauenbewegung in ihren Gegenentwürfen zum BGB kritisch mit dem „Entwurf“ auseinandersetzt, bezieht sie sich überwiegend auf den Wortlaut des Zweiten Entwurfs von 1894.7 In der Literatur ist oft betont worden, daß die Frauen im Kampf gegen das BGB eine „glänzende Niederlage“
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lung des „Gehorsamsparagraphen“, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte, hg. von Andrea Czelk, Arne Duncker und Stephan Meder, Köln u.a. 2006, S. 169-180. Einen ersten regional gegliederten Überblick über die in Deutschland geltenden frauenrechtlichen Normen gibt der ADF im zweiten Teil seiner bereits erwähnten Denkschrift „Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau“ von 1876 (Nr. 41). Levin Goldschmidt, Über Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (1874), in: Vermischte Schriften, Bd. I, Berlin 1901, S. 511-533. Vgl. die Nachweise vorstehend bei Note 2. Die Kritik beschränkte sich freilich nicht nur auf das Ehe- und Familienrecht. Einer der Hauptpunkte war bekanntlich der Streit um die „soziale Aufgabe“ des Privatrechts. Daß um die Rechtsstellung der Frau aber besonders stark gerungen wurde, zeigt sich schon darin, daß Band IV (Familienrecht) der vom Reichsjustizamt zusammengestellten Auszüge aus den kritischen Äußerungen (Berlin 1890/91) die Bände I (Allgemeiner Teil), II (Schuldrecht), III (Sachenrecht) und V (Erbrecht) vom Umfang her deutlich übertrifft. Vgl. etwa die jeweils im Jahre 1895, also erst nach Veröffentlichung des Zweiten Entwurfs zum IV. Buch des BGB publizierten und nachstehend in Nrn. 7, 8, 10, 45, 56 abgedruckten Texte (siehe dazu auch unten 2 und 3 sowie IV).
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Einleitung
erlitten haben.8 Einer der Gründe hierfür liegt darin, daß die meisten Forderungen erst präzise ausformuliert wurden, nachdem der Zweite Entwurf bereits fertiggestellt und eine grundlegende Änderung des Gesetzestextes nicht mehr zu erwarten war. Das von der Frauenbewegung bekämpfte Recht ist in weiten Teilen das Werk des hannoverschen Richters Gottlieb Planck (1824-1910).9 Planck war als Mitglied der „Ersten Kommission“ Redaktor des Familienrechts und Generalreferent der „Zweiten Kommission“. Das Ehe- und Familienrecht stellt dessen persönlich bearbeiteten Teil des BGB dar.10 Planck hat mit höflicher und abwägender Fürsorglichkeit die Argumente der Frauen geprüft, diese letztlich aber verworfen und vieles beim alten gelassen. Während er das Herrschaftsrecht des Mannes im persönlichen Eherecht noch aus der Natur der Sache ableitete und damit jeder logischen Nachprüfbarkeit entzog,11 versuchte er im Güterrecht immerhin zu argumentieren und die Vorrechte von Männern unter Hinweis auf deren Unterhaltspflichten zu begründen.12 Dabei 8
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Vgl. etwa Elke Schüller, Marie Stritt. Eine „kampffrohe Streiterin“ in der Frauenbewegung (1855-1928) – mit dem erstmaligen Abdruck der unvollendeten Lebenserinnerungen von Marie Stritt, Königstein/Taunus 2005, S. 128. Siehe zu Planck die Ausführungen und Nachweise vor Nr. 67. Planck hatte 1880 einen Teilentwurf des Familienrechts mit grundlegenden rechtspolitischen Überlegungen zu Ehe und Familie vorgelegt. Der Erste Entwurf zum BGB von 1888 ist dadurch maßgeblich bestimmt worden. Daß in dem Teilentwurf von 1880 Plancks „wissenschaftliches Hauptwerk“ zu sehen ist, hat Werner Schubert zu Recht hervorgehoben (NDB 20, 496-497, 497). Im übrigen meinte Planck, es sei gerade die Gleichberechtigung, die Anlaß zur Aufnahme einer Regelung der eheherrlichen Autorität in das Gesetzbuch gebe – eines Entscheidungsrechts des Mannes, das auf „unzähliche Fragen des regelmäßigen täglichen Lebens“, auf die „gleichgiltigen Fragen des gemeinschaftlichen Lebens“ zu erstrecken sei (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, IX. Legislaturperiode, IV. Session [1895/97], Bd. 4, Berlin 1896, S. 2916). Das dagegen von John Stuart Mill bereits 1869 vorgebrachte Argument, daß „nicht in allen Verbindungen, welche Menschen freiwillig miteinander eingehen, einer von ihnen absolut Herr sein muß und noch weniger, das Gesetz zu bestimmen hat, welcher von ihnen es sein soll“, hat Planck nicht berücksichtigt (vgl. den gemeinsam mit Harriet Taylor Mill und Helen Taylor verfaßten, 1869 erstmals publizierten Essay „The Subjection of Women“, dt.: „Die Hörigkeit der Frau“, 1869, 2. Auflage, Königstein im Taunus 1997, S. 66). Vgl. Motive, Bd. IV, S. 156-163 (= Mugdan IV, S. 86-90). Um 1900 wurden Unterhalt in erster Linie als Geldleistung, Haushaltsführung bzw. Erziehung und Pflege von Kindern dagegen als unentgeltliche Dienste betrachtet. Erst nach 1900 ist gefordert worden, die Sorgetätigkeit als eine dem Barunterhalt gleichwertige Unterhaltsleistung (der Frau) zu begreifen (vgl. heute etwa §§ 1360, 1606 BGB). Die Anerkennung eines gleichwertigen Unterhaltsbeitrags der Frau hätte Plancks Argumentation die Grundlage entzogen (vgl. Meder, Grundprobleme und Geschichte der Zugewinngemeinschaft. Wandel der Rollenleitbilder und fortschreitende Individualisierung im Güterrecht, Halle an der Saale 2010, S. 11-26, 14-15; 24-25). Allerdings stützte Planck die güterrechtliche Bevorzugung des Mannes noch auf andere Argumente. So war er etwa der Meinung, diese Vorrechte entsprächen den im Volk verankerten Rechtsgewohnheiten. Gerne wurde in diesem Zusammenhang auch auf die mangelnde Geschäftserfahrung der Frau verwiesen.
Einleitung
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glaubte er, den Frauen eine ihren natürlichen Anlagen und Fähigkeiten würdige Rechtsstellung zu verschaffen. Gegenüber den Forderungen der Frauenbewegung nach rechtlicher Gleichstellung und Einführung der Gütertrennung als gesetzlichem Güterstand erhebt er praktische Bedenken. Insbesondere bezweifelt er, ob derartige Forderungen wirklich im Interesse der Frauen liegen können. Allerdings machte Planck in einem Vortrag zur Rechtsstellung der Frau vor dem Göttinger Frauenverein 1899 (Nr. 44) auch das bemerkenswerte Zugeständnis: „Es ist ja möglich, daß die Entwicklung in dieser Richtung fortgeht“ (S. 24).
2)
Ziele der Kodifikation des Bürgerlichen Rechts
Zum Verständnis der um 1900 geführten Kontroversen ist es notwendig zu wissen, daß der Gesetzgeber mit dem BGB nicht etwas gänzlich Neues hervorbringen wollte. Das läßt sich bereits dem von Levin Goldschmidt im Jahre 1874 verfaßten Gutachten „Über Plan und Methode“ entnehmen.13 Der später als „Vorcommission“ bezeichneten Gruppe von Juristen war aufgegeben, das Kodifikationsvorhaben nicht mit der Durchführung von Rechtsreformen zu belasten und daher „vorwiegend die formelle Seite der Kodifikation ins Auge zu fassen“. Dementsprechend empfiehlt das Gutachten, „daß an den bewährten gemeinschaftlichen Instituten und Sätzen der innerhalb des Deutschen Reiches bestehenden ZivilrechtsSysteme festgehalten“ und etwaige Neuerungen nur „mit schonender Rücksicht auf das überlieferte Recht sowie eigentümliche örtliche Verhältnisse“ vorgenommen werden sollen. Daran hat auch Gottlieb Planck noch festgehalten, der „Plan und Methode“ des Vorhabens 15 Jahre später wie folgt präzisiert: „Nur in seltenen Fällen wird es überhaupt die Aufgabe der Gesetzgebung sein, von oben herab neue Rechtssätze aufzustellen; sie geht am sichersten, wenn sie sich darauf beschränkt, die im Volke bereits lebenden Rechtsgedanken aufzufinden und ihnen durch die Gesetzesform nur die größere Bestimmtheit zu geben, sowie ihre Anwendung zu sichern. Bei der raschen Entwicklung unserer Verhältnisse wird der Gesetzgeber sich freilich nicht damit begnügen dürfen, das im Volksleben bereits fertig gewordene Recht gesetzlich festzustellen, sondern er wird auch das werdende Recht berücksichtigen und den nach rechtlicher Anerkennung drängenden Bedürfnissen des Lebens gerecht werden müssen.“14
Im Unterschied etwa zu den Gesetzbüchern des vernunftrechtlichen Absolutismus kommt es dem BGB-Gesetzgeber also in erster Linie darauf an, das vorhandene Recht in einem einheitlichen Text schriftlich niederzulegen, es mit Hilfe einer anspruchsvollen Technik neu zu formulieren, um dem Fachjuristen den Überblick über das geltende Recht und seine Handhabung zu erleichtern. Das Ziel einer Rechtsvereinheitlichung läßt sich nur erreichen, wenn die zersplitterten Quellen erst einmal gesichtet und die schon vorhandenen Normen daraufhin untersucht werden, wie sie spezielle Kommissionen in ersten Teilentwürfen auf einen gemeinsamen Nenner bringen könnten. Die Produktion von inhaltlich neuen Regeln spielt demgegenüber nur eine zweitrangige Rolle. In diesem Umstand dürfte ein 13 14
Vgl. den Nachweis vorstehend bei Note 5. Zur Kritik des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, in: AcP 75 (1889), S. 327-429, 331.
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Einleitung
weiterer Grund für die „glänzende Niederlage“ der Frauen im Kampf um eine Reform des Ehe- und Familienrechts liegen.
3)
Später Sieg der Frauen im Kampf um eine Neugestaltung des Ehe- und Familienrechts
Das Ehe- und Familienrecht sollte sich als der kurzlebigste Teil des BGB erweisen. Während viele Abschnitte des Gesetzbuches auch nach der Wende zum 21. Jahrhundert in ihrer Fassung von 1900 erhalten geblieben sind, wurde das Familienrecht Mitte des vorigen Jahrhunderts mit dem Ziel der Gleichberechtigung grundlegend neu gestaltet. Über weite Strecken entspricht das heutige Recht nicht mehr den Vorstellungen Plancks, sondern den vor hundert Jahren utopisch klingenden und oft verspotteten Forderungen der Frauenbewegung. Dazu gehören die ersten deutschsprachigen Juristinnen wie Emilie Kempin (1853-1901),15 Anita Augspurg (1857-1943)16 oder Marie Raschke (1850-1935)17 sowie nahestehende Reformjuristen, als deren bedeutsamster Carl Bulling (1822-1906)18 anzusehen ist, dessen Arbeiten mit den bekannteren BGB-Kritiken eines Anton Menger (18411906) oder Otto von Gierke (1841-1921) durchaus auf eine Stufe gestellt werden können.19 Einen prägnanten Niederschlag haben diese Forderungen insbesondere in den drei großen Gegenentwürfen zum BGB gefunden, die vom Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden (Nr. 56), dem Berliner Verein Frauenwohl (Nr. 45) und dem Bund Deutscher Frauenvereine (Nr. 10) verfaßt wurden. Auch die beiden Monographien von Carl Bulling wären in diesem Zusammenhang zu nennen (Nrn. 7 und 8). Die rechtshistorische Erforschung von Gegenentwürfen der Frauenbewegung hat vergleichsweise spät eingesetzt. Dies muß überraschen, da hier frühzeitig Forderungen erhoben wurden, welche die heutige Sichtweise weitgehend schon vorwegnehmen. Die leitenden Gedanken dieser Entwürfe lassen sich unter einem dreifachen Gesichtspunkt betrachten: An erster Stelle steht die Anerkennung der Frau als selbständige Rechtspersönlichkeit. Hinzu kommen die Folgen dieser Anerkennung für die inhaltliche Ausgestaltung der verschiedenen Gebiete des Eheund Familienrechts. Ob die Forderungen darüber hinaus zu einem ‚System‘ – einer eigenen rechtstheoretischen Position zusammengefaßt werden können und ob es um 1900 bereits Ansätze zur Formulierung einer Art ‚feministischer‘ Rechtstheorie gegeben hat, ist eine bis heute offene Frage. Wer darauf eine Antwort sucht, muß zunächst einmal die methodischen Prämissen in Erinnerung rufen, auf denen das Recht der persönlichen Ehewirkungen und insbesondere das ehemännliche Entscheidungsrecht im BGB von 1900 beruht. In weiteren Schritten wäre dann zu klären, ob und inwieweit die Stellungnahmen und Gegenentwürfe der Frauenbewegung von diesen Prämissen abweichen oder eigene Konzepte entwickeln.
15 16 17 18 19
Vgl. die in Nrn. 28-37 abgedruckten Beiträge. Vgl. die in Nrn. 3-5 abgedruckten Beiträge. Vgl. die in Nrn. 45-53 abgedruckten Beiträge. Vgl. die in Nrn. 7-8 und in Nr. 38 abgedruckten Beiträge. Vgl. die in Nr. 39 (Menger) und in Nr. 23 (Gierke) abgedruckten Beiträge.
Einleitung
II.
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Plancks Regelung des ehemännlichen Herrschaftsrechts und die Idee einer selbstregulativen Kompetenz der Sitte
Gottlieb Planck hat in seinen Teilentwürfen zum BGB dem Recht der persönlichen Ehewirkungen nur wenige Vorschriften gewidmet. Die Gründe hierfür erläutert er in einem Abschnitt über das „Wesen der Ehe“, der den Ausführungen zum „Persönlichen Verhältnis der Ehegatten“ vorangestellt ist: „Aus dem Wesen der Ehe, als der auf gegenseitiger Liebe beruhenden, durch Religion und Sitte geheiligten vollständigen Geschlechts- und Lebensgemeinschaft, ergeben sich die persönlichen Rechte und Pflichten der Ehegatten gegen einander. Sie sind, wie Ehe selbst, in erster Linie sittlicher Natur, haben aber wie diese zugleich eine rechtliche Seite. Sie in dem Gesetzbuche […] vollständig zu übergehen, dürfte, abgesehen von der erst weiter unten zu erörternden Frage, ob den Ehegatten ein klagbarer Anspruch auf ein dem sittlichen Wesen entsprechendes äußeres Verhalten zustehen und ein rechtlicher Zwang zu einem solchen Verhalten stattfinden soll, schon deshalb unthunlich sein, weil ihre Verletzung unter Umständen einen rechtlichen Anspruch auf Scheidung der Ehe begründen muß. Dazu kommt, daß die ausdrückliche Anerkennung der sittlichen Grundlage der Ehe und der sich daraus ergebenden sittlichen Pflichten der Ehegatten durch das Gesetz für die richtige Beurtheilung der sich aus dem ehelichen Verhältnisse ergebenden Rechtsfragen von besonderer Bedeutung ist. Die über die rechtlichen Wirkungen der Ehe im Einzelnen gegebenen Vorschriften erhalten dadurch ihre richtige Beleuchtung, und ähnlich wie im Obligationenrechte aus der bona fides, so soll im Eherechte aus dem sittlichen Wesen der Ehe der leitende Gesichtspunkt entnommen werden, von dem bei der Auslegung des Gesetzes und der Beurtheilung aller Rechtsverhältnisse der Gatten untereinander auszugehen ist.“20
Für Planck versteht sich eine Regelung des Rechts der persönlichen Ehewirkungen also keineswegs von selbst. In diesem Teilbereich des Familienrechts sollen nach seiner Meinung allenfalls generalklauselartige Tatbestände formuliert werden, denen Rechtsprechung und Wissenschaft die für die Beurteilung von Einzelfällen relevanten leitenden Gesichtspunkte entnehmen können. Planck sucht die Aufgabe des Rechts also zu beschränken. Nur die äußeren Beziehungen soll es regeln. In die sittlich-religiöse Sphäre der Ehe darf es nicht eingreifen. Hintergrund dieser Ehelehre ist Savignys Konzeption des Familienverhältnisses.21 Diesen Zusammenhang gilt es nun näher darzulegen. 20
21
Teilentwurf zum Familienrecht, in: Werner Schubert (Hg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Familienrecht, 3 Teile (1983), Teil 1: Eingehung und Wirkungen der Ehe, Eheverträge, S. 14-124/18-130 (Entwurf) und S. 125/131 ff. (Begründung des Entwurfs), S. 250/402 („Wirkungen der Ehe“). Vgl. nur die Nachweise in der Einleitung von Werner Schubert zu den Vorlagen der Redaktoren I, a.a.O., S. XVII sowie die Beiträge von Gerhard Dilcher und Helmut Coing in dem Sammelband: Christentum und modernes Recht (hg. v. Gerhard Dilcher und Ilse Staff, Frankfurt am Main 1984, S. 304-359 und S. 360-375).
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Als Element seines Privatrechtsmodells hat Savigny sein Eheverständnis erstmals im „System des heutigen römischen Rechts“ vorgestellt.22 Dort fragt er zunächst nach den Gegenständen, auf die der menschliche Wille sich erstrecken könnte. Savigny benennt drei Gegenstände und diesen entsprechend „drey konzentrische Kreise, worin unser Wille herrschen kann“. Den ersten Gegenstand bildet das eigene Selbst, d.h. die eigenen Kräfte, die der individuellen Willensmacht unterliegen. Von dieser dem positiven Recht gänzlich entzogenen Dimension sind die subjektiven Rechte zu unterscheiden, mit deren Hilfe der menschliche Wille über die „äußere, unfreye Natur“ herrscht. Dieser zweite Kreis umschließt eine Vielzahl einzelner Rechtsinstitute, deren Aufgabe es ist, den entrechtlichten, inneren Raum – das eigene Selbst – in seinem Bestand zu sichern und vor fremden Eingriffen zu schützen. Die subjektiven Rechte sind für Savigny in erster Linie Vermögensrechte. Die Herrschaft des Subjekts über die äußere Welt begründet zunächst „das Recht an einer Sache“ – das Eigentumsrecht. Darüber hinaus kommt auch eine Herrschaft über „fremde Personen in Betracht, oder genauer: über einzelne Handlungen fremder Personen, welche Savigny unter dem Begriff der Obligation zusammenfaßt. Obligation und Eigentum ergeben das Vermögensrecht, das sich als Gesamtheit von subjektiven Rechten in absolute und relative Rechte teilt. Dabei gehört – wie noch heute – das Eigentum zur ersten und die Obligation zur zweiten Kategorie. Wie das eigene Selbst fällt auch die Sitte in einen inneren, persönlichen, subjektiven und in diesem Sinne aller rechtlichen Regelung entzogenen Raum. Das Verhältnis von Recht und Sitte hat Savigny mit dem berühmten Satz bestimmt: „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden, Kraft sichert.“23 Daran anschließend behaupten alle Klassiker der Rechtswissenschaft die Notwendigkeit einer Trennung von Recht und Sitte. In diesem Sinne sucht auch Planck, die Aufgabe des Rechts durch eine Abgrenzung zur Sitte einzuschränken. Das in der Familie erweiterte Selbst bezeichnet den dritten konzentrischen Kreis, „worin unser Wille herrschen kann“. Die Familienbeziehung überlappt die beiden ersten Kreise, sie liegt auf der Grenze zweier Bezirke, wovon der erste ganz durch Rechtsregeln beherrscht und der zweite nur durch die Sitte geschützt wird. Im Familienverhältnis ist die „Person als Ganze“ betroffen. Hier tritt das Individuum 22
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System, Bd. I (Berlin 1840), S. 331 ff. Siehe auch die „Darstellung der in den Preußischen Gesetzen über die Ehescheidung übernommenen Reform“ (1844), in: Vermischte Schriften, Bd. V (Berlin 1850), S. 222-414. Eine ausführlichere Darstellung von Savignys Eheverständnis als Element seines Privatrechtsmodells findet sich bei Meder, Schuld, Zufall, Risiko, Frankfurt am Main 1993, S. 89 ff., 170 ff., 282 ff.; siehe auch Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700-1914, Köln u.a. 2003, S. 218 f., 299-314, 393 f. System I, a.a.O., S. 332. Anderen Aufgaben, wie etwa der individuellen Verhaltenssteuerung oder dem öffentlichen Wohl, hat das Zivilrecht nicht zu dienen. Im Extremfall darf es den Schuldner sogar zu Grunde richten: „Sein Daseyn aber ist ein selbstständiges, und darum ist es kein Widerspruch, wenn im einzelnen Fall die Möglichkeit unsittlicher Ausübung eines wirklich vorhandenen Rechts behauptet wird“ (a.a.O., S. 332).
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nicht nur „äußerlich“ – wie bei Eigentum und Obligation –, sondern auch „innerlich“, d.h. unter Einbeziehung seines Selbst, mit anderen Personen in Verbindung. So gelangt die Familienbeziehung in die Nähe der vom positiven Recht gänzlich ausgeschlossenen Gebiete des Rechts an der eigenen Person und der Sitte. Deshalb müssen wesentliche Teile dieses Rechtsgebiets jeder rechtlichen Regelung entzogen bleiben.24 Gerade die wichtigsten Elemente, wie zum Beispiel „Treue, Hingabe, väterliche Gewalt, Gehorsam, Ehrfurcht etc. stehen allein unter dem Schutz der Sitte und nicht des Rechts“.25 Das Familienverhältnis ist damit durch eine Doppelnatur gekennzeichnet: Es gehört Sitte und Recht gleichermaßen an.26 Deshalb dürfen die Gesetzesverfasser die leitenden Grundsätze zwar aussprechen: Sie sollen aber, wie Planck sagt, nicht den Versuch machen, „die sich daraus ergebenden sittlichen Pflichten der Ehegatten gegen einander im Einzelnen aufzuzählen“.27 Die Idee einer selbstregulativen Kompetenz der Sitte ist oft als Zeugnis einer liberalen Grundhaltung der Historischen Schule und ihrer Anhänger verstanden worden. Sie bildet freilich auch den Ausgangspunkt für einen institutionellen Ehebegriff, der individualrechtlichen oder emanzipatorischen Bestrebungen entgegenwirkt. Denn in einem rechtlich ungeregelten Innenraum der Familie kann der Ehemann seine Herrschaft weitgehend ungebunden entfalten. Im Fall des Mißbrauchs gibt es für Frau und Kinder kaum Rechtsschutz. Eine Steuerung ehemännlichen Verhaltens durch Recht muß auf Grund der selbstregulativen Kompetenz der Sitte ausscheiden.
III. Wandlungen im Verhältnis des Rechts zur Sitte und die durch die Krause-Schule initiierte „Reethisierung des Rechts“
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben steigende Scheidungsziffern, rasch anwachsende Frauenbewegung und sich ausbreitender Meinungspluralismus Zweifel am Gedanken einer selbstregulativen Kompetenz der Sitte aufkommen lassen. Dies bringt die Rechtsordnung in Versuchung, das Verhältnis umzukehren: Das Recht dient jetzt nicht mehr der Sitte, indem es diese in einem vorpositiven Raum sich entfalten läßt, sondern dringt über bislang geschützte, dem entrechtlichten Raum vorbehaltene Reservate ein, um dort selbst Sitte zu produzieren. Solche In24
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Dieser Gedanke spielt eine zentrale Rolle auch bei so verschiedenen Denkern wie Fichte, Hegel oder Schleiermacher (vgl. dazu Dieter Schwab, Artikel „Familie“, in: Otto Brunner u.a. [Hg.], Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2 [Stuttgart 1975], S. 253-301, 287, 291 ff.). Savigny, System I, a.a.O., S. 350. Vgl. auch die Ausführungen in „Darstellung der in den Preußischen Gesetzen über die Ehescheidung übernommenen Reform“, a.a.O., S. 232, 233 f. Planck, Vorlagen I, a.a.O., S. 250.
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terventionen sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus ganz unterschiedlichen Gründen zunehmend für erforderlich gehalten worden. Gegen Savignys Verständnis von Recht als Grenze und das Verbot, mit Hilfe von Gesetzen moralische Zwecke unmittelbar zu verfolgen, haben insbesondere Heinrich Ahrens (1808-1874) und sein Freund Karl David August Röder (18061879) Einspruch erhoben. Für beide war die Wiedereinführung der „Ethik“ in das Recht ein Einfallstor für soziale, ökonomische und politische Vorstellungen in das Recht.28 So muß etwa nach Auffassung von Ahrens die Rechtslehre „als ein organischer Theil der Ethik begriffen und mit allen andern Theilen derselben, also sowohl mit der allgemeinen (materiellen) Güterlehre, als auch mit der formellen Sittlichkeits- und Tugendlehre (Moral) in innige Beziehung gesetzt werden, indem sie allein durch dieselben Gehalt, Ziel und Rückhalt bekommt […] Betrachten wir endlich noch insbesondere das Verhältnis des Rechts zur Sittlichkeit, so ist dasselbe grundsätzlich durch die gemeinsame ethische Ableitung ins Klare gesetzt“.29
Der Philosoph Immanuel Kant war für Ahrens und Röder Repräsentant der zu bekämpfenden Trennung von Recht und Moral. In fast allen ihren Publikationen kritisieren sie den Königsberger Denker, dessen aufklärerische Komponente sie zugleich rühmen. So behauptet etwa Ahrens in Bezug auf die Kantische Rechtslehre, daß sie „bis auf den heutigen Tag, namentlich für das Privatrecht, vorherrschend geblieben“ sei. Doch warf er ihr einen „abstrakten Formalismus“ vor. Er erklärte, daß sie lediglich einen „beschränkenden und negativen Charakter“ habe, während es doch darauf ankomme, positiv die Richtung zu weisen, in die man gehen müsse. Wie Röder führt Ahrens die Herrschaft der Kantischen Philosophie im Bereich des Privatrechts darauf zurück, daß sie im wesentlichen mit dem römischen Recht übereinstimme.30 28
29 30
Als erster habe Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832) die „Ethik“ ins Recht wieder eingeführt (vgl. Röder, Über das richtige Verhältnis der Sittlichkeit zum Recht und zur Aufgabe des Staats, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 33 (1877), S. 524-540. Warum das Thema anstelle von „Sitte“ oder „Moral“ vor allem unter dem Begriff der „Ethik“ abgehandelt wurde, erläutert Ahrens in seiner „Juristischen Encyclopädie oder organischen Darstellung der Rechts- und Staatswissenschaft auf Grundlage einer ethischen Rechtsphilosophie“, Wien 1855, S. 34 f.). Zum Einfluß Krauses siehe auch die Vorrede von Röder (Hg.), Karl Christian Friedrich Krause, Das System der Rechtsphilosophie. Vorlesungen für Gebildete aus allen Ständen, Leipzig 1874, S. V-XVIII; ders., Streiflichter auf mein Leben und Streben, besonders in Bezug auf die Lehre Krause’s, unveröff. Manuskript, Heidelberg, Hs 3607, 2. Ob und inwieweit sich Röder (und Ahrens) zu Recht auf Krause berufen, muß hier offen bleiben. Einen neueren Überblick über die Lehren Krauses bietet Wolfgang Forster, Karl Christian Friedrich Krauses frühe Rechtsphilosophie und ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund, Ebelsbach 2000, etwa S. 22 (zur Frage, ob das Recht allein negative, beschränkende Funktionen ausübe), S. 23 (zum Verhältnis von Recht und Moral), S. 29, 336-343 (zur Idee eines „sozialen Rechts“). Ahrens, Juristische Encyclopädie, a.a.O., S. 35. Ahrens, Recht und Rechtswissenschaft im Allgemeinen. Rechtsphilosophische Einleitung, in: Franz von Holtzendorff (Hg.), Encyclopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, 2. Auflage, Leipzig 1873, S. 30; Röder, Beitrag zur Erläuterung des Verhältnisses des Rechts zur Sittlichkeit, in: Die neue Zeit. Freie Hefte für
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Auf derselben Grundlage fußt ihre Kritik an Savigny. So komme – nach Ahrens – selbst Savigny „da wo es sich um eine wissenschaftliche Bestimmung des Begriffs handelt, der nun einmal nicht aus der Geschichte zu entnehmen ist, über die Kant‘sche Auffassung nicht hinaus, wenn er das Recht als ‚die Regel bezeichnet, wodurch die unsichtbare Grenze bestimmt wird, innerhalb welcher das Dasein und die Wirksamkeit jedes einzelnen einen sicheren freien Spielraum gewinnt“.31
Ob die Auffassung vom rein negativen Charakter der Rechtslehre Kants und Savignys gerecht wird, kann hier dahinstehen.32 Fest steht jedenfalls, daß Ahrens und Röder sehr klar den Zusammenhang der angeblichen Auffassung eines Kant oder Savigny mit der „ganzen Zeitrichtung“ gesehen haben, „welche in allen rechtlichen und politischen Gebieten vor Allem die Freiheit anstrebte, als das Erste, mit dem alles Andere von selbst zufallen würde. Sie (sc. die Kantische Rechtsphilosophie) begründet den abstrakten formalen Liberalismus“.33
31 32
33
vereinte Höherbildung der Wissenschaft und des Lebens, im Geiste des Philosophencongresses den Gebildeten aller Stände gewidmet, Bd. III (1874), S. 55-65, 60 f.; ders.: Über das richtige Verhältnis der Sittlichkeit zum Recht und zur Aufgabe des Staats, a.a.O., S. 524 ff., 534. Ahrens, in: Holtzendorffs Enzyklopädie, a.a.O., S. 30. Savigny billigte dem Recht zwar ein selbständiges Dasein zu, band es ansonsten aber auch in den moralischen Bereich ein (System I, a.a.O., S. 53 f.). Zum Einfluß Kants auf die Rechtslehren der Privatrechtswissenschaft: Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 351-353. Danach sei von Kants Philosophie „eine Hauptader des wissenschaftlichen Formalismus, d.h. des rechtswissenschaftlichen Positivismus“ ausgegangen. Seit 1800 hätten sich die zukunftsreichen Rechtsdenker wie Savigny in der einen oder anderen Form zu Kant bekannt. Die Frage der Gerechtigkeit des Rechts habe sich an der formalen Rechtskonzeption Kants orientiert. Aus dieser Perspektive würden die Ansätze von Ahrens oder Röder eine Rückkehr zum „unkritischen älteren Naturrecht“ bedeuten (vgl. Wieacker, a.a.O., S. 352). Mit dem Vernunftrecht des 17. und 18. Jahrhunderts würden sie dann „den Grundirrtum von der Existenz eines im menschlichen Verstande liegenden, obersten Rechts von selbstverständlicher Gültigkeit“ teilen (vgl. Ernst Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abteilung, Zweiter Halbband, München und Berlin 1910, S. 656). Ahrens, in: Johann Caspar Bluntschli, Karl Brater (Hg.), Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 5, Stuttgart und Leipzig 1860, Artikel Kant, S. 463-482, 474. Ahrens wiederholt hier die Kritik an Savigny, Stahl und insbesondere Puchta (S. 475). Auch Rudolph von Jhering zeigte sich nicht unbeeindruckt von dieser Richtung. Den Vorteil der Krauseschen Rechtsphilosophie sah er darin, daß sie nicht mehr das Hauptgewicht auf die Form des Rechts lege, sondern auf dessen bisher ganz außer Acht gelassenen Inhalt (vgl. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 3. Bd., 1. Abt., 1. Auflage, Leipzig 1865, § 60, S. 312 f.). Über die Rezeption von Krauses Rechtsphilosophie läßt sich also eine Linie bis zu den aktuellen Diskussionen über die „Materialisierung“ des Rechts ziehen. Dazu gehören auch die unter dem Stichwort „Konstitutionalisierung“ geführten Kontroversen um die Funktion der Grundrechte entweder als „Schranke“ oder als „objektive Wertordnung“ (vgl. Meder, Ius non scriptum. Traditionen privater Rechtsetzung, 2. Auflage, Tübingen 2009, S. 242-243).
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Der Staat, den Ahrens – wie auch Kant oder Savigny – als einen Rechtsstaat sehen wollte, war aber spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vor neue politische und ökonomische Probleme gestellt: „Stellt man, wie Kant ein rein negatives Rechtsprincip auf, so wird dadurch die Aufgabe des Staats der Art beschränkt, daß kein Staat in der Wirklichkeit seine Thätigkeit auf eine solche Rolle begrenzen kann. Die Kantischen Rechtsphilosophen sahen sich daher auch genötigt, in der Staatslehre von Kant abzugehen und neben dem Rechtszweck noch einen Wohls- und Wohlfahrtszweck für den Staat aufzustellen“.34
Ahrens und Röders Auffassung von der Ethisierung des Privatrechts zeigte unmittelbare Wirkung auch im Rahmen der ökonomischen Debatten. Im Bereich des Wirtschaftens war unter der Fragestellung „Wiedereinführung der Ethik in die Ökonomie“ das gleiche Problem aufgeworfen worden. So fragte etwa der Ökonom und Finanzwissenschaftler Adolph Wagner (1835-1917), der Ahrens und Röder ausführlich zitiert: „Wieviel muß, darf oder soll der Staat in Bezug auf die sozialen Probleme tun, inwieweit darf er in die Wirtschaft eingreifen?“35 Im Ergebnis kommen die Autoren zu einer weitgehenden gesetzlichen oder staatlichen Eingriffsbefugnis. Noch deutlicher als Ahrens sah es namentlich Röder im Hinblick auf die schwerwiegenden sozialen Probleme seiner Zeit geradezu als Gebot an, daß der Gesetzgeber „mittelst der Gesetze“ eine „vormundschaftliche, erziehende Thätigkeit zu üben“ habe.36 Was die Beschränkung staatlichen Rechts anging, so lehnte er den Nachtwächterstaat entschieden ab.37 Wie Ahrens unterstellte er bei solcher Kritik, daß Kants und Savignys Rechtsbegriffe durch ein „nur negatives Prinzip“ geprägt seien.38 Dabei ist zu beachten, daß Ahrens und Röder soziale Reformen anstrebten und daß sie die „Wiedereinführung der Ethik“ in das Recht als Argu34 35
36
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Artikel Kant, in Bluntschli-Braters Staats-Wörterbuch, a.a.O., S. 477. Wagner war neben Gustav Schmoller (1838-1917) und Lujo Brentano (1841-1931) Gründungsmitglied des 1872 ins Leben gerufenen Vereins für Socialpolitik. Der Verein war z.B. gegen den strikten Freihandel, befürwortete eine den nationalen Interessen entsprechende Wirtschaftspolitik und förderte Bestrebungen in Richtung einer reformerisch ausgerichteten Sozialpolitik, die u.a. auf eine Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft zielte. Im Gegensatz zur klassisch liberalen Doktrin, derzufolge der Staat lediglich als ein notwendiges Übel zu verstehen war, dessen Einfluß so weit wie möglich beschränkt werden sollte, sah der Verein im Staat „das großartigste Institut zur Erziehung des Menschengeschlechts“, das es zu stärken galt. In entschiedener Abkehr von der „Verherrlichung des Individuums und seiner Willkür“ und einem Freiheitsbegriff, unter dem „jetzt nur noch die Freiheit für die großen Unternehmer und Kapitalbesitzer zu verstehen“ sei, stellten sie „den Staat in den Fluß historischen Werdens“. Wegen ihrer Liberalismuskritik sind die Mitglieder des Vereins polemisch als Kathedersozialisten bezeichnet worden (vgl. die Nachweise bei Meder, Der Begriff des Privatrechts als Kriterium rechtsgeschichtlicher Forschung, in: ZNR 1997, S. 249-263, S. 254 ff.). Röder, Grundzüge des Naturrechts oder der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Leipzig und Heidelberg 1860, S. 204 (siehe auch S. 125: „Nacherziehung“ sei vor allem dort geboten, wo „vernünftige Selbstbestimmungsfähigkeit sich thatsächlich als nicht vorhanden erwiesen hat“). Grundzüge des Naturrechts, a.a.O., S. 216. Grundzüge des Naturrechts, a.a.O., S. 243, 247 ff.
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ment verstanden, die soziale Frage anzugehen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, als Sozialist oder Kommunist betrachtet zu werden.39 Vor diesem Hintergrund erklärt sich, daß auch andere, zum Teil sogar als Kantianer eingestufte Autoren Sympathien für die neue Lehre hegten. So heißt es etwa bei Friedrich Adolf Trendelenburg (1802-1872): „die philosophische Rechtslehre ist nur auf Grundlage der Ethik möglich. Die Trennung des Juridischen und Ethischen, des Legalen und Moralischen ist modern […] Unter den Neuern führen auf verschiedene Weise das Naturrecht in die Ethik zurück Karl Chr. Fr. Krause, Abriss des Systemes der Philosophie des Rechtes oder des Naturrechtes. 1828, und ihm folgend Dr. H. Ahrens, die Rechtsphilosophie oder das Naturrecht auf philosophisch anthropologischer Grundlage. 1839. 4. Aufl. 1852. K.D.A. Röder, Grundzüge des Naturrechts und der Rechtsphilosophie 1846. Zweite ganz umgearbeitete Auflage. 2 Bände. 1860. 1863. und Andere; sodann L.A. Warnkönig, Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts. 1839 (‚eklektisch‘ nach des Vfs. eigener Bezeichnung). Friedrich Julius Stahl, die Philosophie des Rechts. 1830 ff. 3 Bde., 2. Aufl. 1847 ff. in theologischer Richtung mit entschiedener Wirkung auf die Zeitgenossen, mit Erfolg gegen die Dialektik der unpersönlichen Weltvernunft und deren Consequenzen im Recht kämpfend. Frdr. Schleiermacher, Entwurf eines Systems der Sittenlehre. Aus dem handschriftlichen Nachlasse von Alex. Schweizer. 1835“.40
IV.
Eigene Rechtstheorie der Frauenbewegung um 1900?
Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, daß in den Diskussionen um die BGB-Entwürfe auch im Familienrecht wiederholt gefordert wurde, durch eine verbesserte Gesetzgebung auf die Moral zu wirken. Philosophen wie Ahrens und Röder haben den Boden für eine solche von der überkommenen Historischen Schule abweichende Perspektive bereitet. Dem steht nicht entgegen, daß sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts nur wenige Autorinnen und Autoren ausdrücklich auf Ahrens oder Röder beriefen, wenn sie ihre Reformforderungen formulierten.
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Eine Abgrenzung findet sich etwa bei Röder, Beitrag zur Erläuterung des Verhältnisses des Rechts zur Sittlichkeit, a.a.O., S. 62 f. Röder schließt seine Ausführungen mit den Worten: „Je größer nun heute die Gefahr der Überhandnahme schiefer sozialistisch-kommunistischer Ansichten ist, desto sicherer wird, nach unsrer tiefen, seit Jahrzehnten feststehenden Überzeugung, das einzig wirksame Gegengift gegen dieselben nur darin zu finden sein, daß man sie nicht kurzweg in Bausch und Bogen verdammt, sondern sie besonnen prüft und dem Korn von Wahrheit das auch sie in sich bergen vollauf gerecht wird, zugleich aber die Wurzel aller der Irrthümer aufdeckt die sich daneben, gleichsam unter dem Schilde dieser Wahrheit, eingeschlichen haben. Nur so … wird dem Umsturz der ganzen heutigen Gesellschaftsordnung sicher vorgebeugt werden können, mit dem das lawinenartige Anschwellen wahnbethörter gährender Volksmassen uns bedroht“. Naturrecht auf dem Grunde der Ethik, 2. Auflage, Leipzig 1868, S. 20.
22
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Beachtung verdient jedoch, daß die Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins von 1877 (Nr. 2) wichtige Parallelen zu den Positionen der KrauseSchule erkennen läßt.41 Hinzu kommt, daß sich Louise Otto-Peters (Nr. 41) auf zwei Krause-Schüler, und zwar neben Röder vor allem auf den Philosophen Hermann Karl von Leonhardi (1809-1875), bezieht, die beide 1869 am Frauentag in Kassel teilgenommen und dort die rechtliche Benachteiligung der Frau angeprangert haben.42 Neueren Untersuchungen zufolge bestanden zwischen Leonhardi und Otto-Peters auch persönliche Verbindungen.43 Leonhardis Tagebuch enthält sogar Hinweise, daß Otto-Peters eine eifrige Leserin der Schriften Krauses war.44 Einiges deutet also darauf hin, daß sich eine direkte Linie von den Anhängern der Krause-Schule zu den in den Gegenentwürfen zum BGB formulierten Reformforderungen der Frauenbewegung ziehen läßt.
1)
Das rechtsethische Argument in den Gegenentwürfen
Die Gegenentwürfe der Frauenbewegung bilden ein wichtiges Zeugnis für eine von der Historischen Schule abweichende Vorstellung über das Verhältnis von Recht und Sitte. So heißt es in der vermutlich von Marie Stritt verfaßten Stellungnahme des Rechtsschutzvereins Dresden (Nr. 56) zum Zweiten Entwurf: „Eine Änderung des Entwurfs in unserem Sinne würde dagegen nicht nur die Ehe aus dem demoralisierenden Zwangsverhältnis, zu welchem sie sich jetzt allzuoft gestaltet und nach dem Buchstaben des Gesetzes gestalten muß, zu dem menschlich schönen, innigen und doch freien Bündnis machen, das sie eigentlich sein soll, sondern sie würde auch im allgemeinen das Niveau des weiblichen Geschlechts, und damit der Menschheit, auf eine höhere Stufe heben.“45
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42
43 44
45
Vgl. Christine Susanne Rabe, Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Die KrauseSchule und die bürgerliche Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, Köln u.a. 2006, S. 23, 81-103. Auf dem Philosophenkongreß 1868 in Prag hat Röder eine Rede gehalten (vgl. Rabe, a.a.O., S. 92). Darüber hinaus war Röder Gast auf der dritten Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, der 1869 in Kassel tagte. Dort hat er über „die Notwendigkeit“ gesprochen, „verschiedene Punkte der Gesetzgebung umzugestalten, welche die Frauen benachteiligen“. Schon der Titel dieser Rede läßt darauf schließen, daß diese bei den Frauen auf höchstes Interesse gestoßen sein muß, wurde hier doch ausdrücklich die damalige Rechtsstellung der Frau im Ehe- und Familienrecht kritisiert und darauf hingewiesen, daß eine Verbesserung der Lage vor allem durch eine Änderung der Gesetzgebung zu erreichen sei (seine Vorstellungen über die Rechtsstellung der Frau formuliert Röder z.B. in dem Abschnitt „Das Recht des Geschlechts“ in: Grundzüge des Naturrechts oder der Rechtsfilosophie, 2. Auflage, Leipzig und Heidelberg 1863, § 112, S. 126-131). Rabe, a.a.O., S. 81-88. Rabe, a.a.O., S. 82, 86-88, sowie Siegfried Wollgast, Louise Otto-Peters und Karl Christian Friedrich Krause als ihre philosophische Quelle, in: Erfahrungen und Erfahrenes – Was uns die Beschäftigung mit Louise Otto-Peters und anderen emanzipierten Frauen brachte und bringt, Leipzig 2003, S. 7-23. Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich (2. Lesung. Buch IV. Fami-
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23
Ähnlich bemerken Sera Proelß und Marie Raschke vom Berliner Verein Frauenwohl (Nr. 45), daß „eine Ehe sich harmonischer und friedlicher gestalten würde“, wenn der Entwurf geändert werde.46 Ihre einleitenden Ausführungen resümieren sie mit der Feststellung: „Wir Frauen müssen daher zur Hebung der Sittlichkeit, zur Hebung der durch Gesetzgebung herabgewürdigten Stellung unseres Geschlechts uns energisch dagegen verwahren, daß Mann und Frau mit verschiedenem Maße gemessen werden, daß, statt eines gemeinsamen natürlichen Menschenrechtes, sozusagen zwischen einem männlichen und einem geringeren weiblichen Recht unterschieden wird, und daß fernerhin Macht vor Recht gehen soll.“47
Auf derselben Linie liegen Überlegungen des Rechtsschutzvereins Dresden (Nr. 56) zur erzieherischen Funktion einer veränderten Gesetzgebung: „So ist es beispielsweise eine nicht wegzuleugnende Thatsache – deren wir uns auch völlig bewußt sind – daß jede, auch die berechtigtste und nothwendigste Reform anfangs mancherlei Unzuträglichkeiten und Mißstände im Gefolge hat. Dies würde natürlich auch bei einer so wesentlichen und tiefeingreifenden Gesetzesreform, wie wir sie im Auge haben, der Fall sein, denn ein Geschlecht, das in Jahrtausende langer Knechtschaft gelebt, muß den richtigen Gebrauch der Freiheit erst lernen, ehe es die Segnungen derselben voll genießen kann. Doch dies geht verhältnismäßig immer schnell und würde in diesem Fall noch schneller gehen als sonst, da mit dem beglückenden Gefühl ihrer eigenen Verantwortlichkeit und Selbständigkeit die Selbstachtung der Frau und die höhere Achtung des Mannes vor seiner Lebensgefährtin Hand in Hand gehen würde.“48
Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten: Die Gegenentwürfe der Frauenbewegung beruhen auf der Prämisse, daß durch Gesetzgebung Eigenverantwortung und Selbständigkeit erzeugt werden könne. Dagegen sind die Anhänger der Historischen Schule der Auffassung, der Gesetzgeber könne allenfalls einen äußeren Rahmen zu ihrer Entfaltung bereitstellen, diese aber nicht selbst hervorbringen. Seine Aufgabe bestehe nicht darin, von oben herab in die Persönlichkeit des einzelnen hineinzuregieren, sondern sich im wesentlichen darauf zu beschränken, „die im Volke bereits lebenden Rechtsgedanken aufzufinden und ihnen durch die
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47
48
lienrecht), hg. v. Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, Frankenberg (Sachsen) 1895, S. V. Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch. Eine Beleuchtung und Gegenüberstellung der Paragraphen des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich (2. Lesung) nebst Vorschlägen zur Änderung derselben im Interesse der Frauen, Berlin 1895, S. 1 f. Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch, a.a.O., S. 6 (Hervorhebungen im Original). In dieser Formulierung treten die Verbindungen mit den Lehren des (älteren) Naturrechts in besonderer Weise zu Tage. Daß von hier aus eine Linie zum modernen Rechtspositivismus führt, ist wiederholt bemerkt worden (vgl. nur Jan Schröder, Politische Aspekte des Naturrechts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Die Begründung des staatlichen Rechtserzeugungsmonopols, in: Naturrecht und Staat. Politische Funktionen des europäischen Naturrechts, hg. v. Diethelm Klippel, München 2006, S. 19-34, 33). Das deutsche Recht und die deutschen Frauen, a.a.O., S. VI (Hervorhebungen im Original).
24
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Gesetzesform nur die größere Bestimmtheit zu geben, sowie ihre Anwendung zu sichern“.49 Bei einer Würdigung der in den Gegenentwürfen formulierten rechtstheoretischen Positionen wäre allerdings zu berücksichtigen, daß etwa in England, wo bekanntlich abweichende Vorstellungen über die Entstehung von Recht herrschen, gerade dem Gesetz als Motor von Reformen große Bedeutung zukommt.
2)
Der Standpunkt von Emilie Kempin
Emilie Kempin hat sich in ihrer Schrift „Die Rechtsstellung der Frau“ von 1895 (Nr. 29) und zwei Jahre später in den „Grenzlinien der Frauenbewegung“ von 1897 (Nr. 36) mit der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Ethik eingehender befaßt. Da die beiden Texte inhaltlich voneinander stark abweichen, sollen sie im folgenden separat behandelt werden.
a)
Übereinstimmungen mit den Forderungen der Frauenbewegung
Den Anlaß zur Erörterung des Verhältnisses von Recht und Ethik gab Kempin 1895 die Darstellung der Vorzüge der Gütertrennung gegenüber den anderen vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Güterständen. Unter dem System der Gütertrennung könne sich nämlich kein Ehemann: „als vermögenskräftig aufspielen, während er nichts hat als die Verwaltung des Frauenvermögens, und niemand genießt da einen Kredit, der nicht seiner Person, sondern dem Vermögen seiner Frau gilt. In dieser Beziehung erweist sich die Unabhängigkeit der Güter in der Ethik des öffentlichen Lebens als eine Wohlthat“ (S. 166).
Darüber hinaus bezieht Kempin sich noch auf ein weiteres Argument: „Als ethischer Gewinn für die Gemeinschaft muß es ferner betrachtet werden, daß bei der Güterunabhängigkeit die Geldheiraten einen anderen Charakter bekommen als bei den übrigen Systemen. Natürlich heiraten auch da Männer lieber eine reiche als eine mittellose Frau, aber da solche Heirat nicht sie selbst bereichert, sondern sie nur mittelbar den Genuß des Frauenvermögens haben, so sind derartige Heiraten ethisch weniger anstößig, strenggenommen sind Geldheiraten ohne Zuneigung auf der Seite des Ehemannes gar nicht möglich, weil er auf das Vermögen seiner Frau keine gesetzlichen Ansprüche erheben kann.“ (S. 167)
Mit dieser Argumentation liegt Kempin in etwa auf der Linie der von Sera Proelß und Marie Raschke (Nr. 45) oder Marie Stritt (Nr. 56) formulierten Gegenentwürfe. Eine Änderung des Zweiten Entwurfs zum BGB im Sinne der Frauenbewegung würde nicht nur die Moral zwischen den Eheleuten verbessern, sondern auch der Allgemeinheit zugute kommen:
49
Vgl. Planck (vorstehend bei Note 14).
Einleitung
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„Die Frau kann als Gattin, Tochter, Schwester und Mutter rechtlich nicht hoch genug gestellt werden, jede Erhebung kommt dem Gemeinwesen zugute, jede Herabdrückung schädigt das Ganze. Daß die Teilnahme der Frau am öffentlichen Leben dem Staate zudem direkt zu gute kommt, haben verschiedene außereuropäische Staaten ad oculos bewiesen. Man hat sich nur im alten Europa bisher vor dieser Thatsache nicht beugen wollen.“ (S. 175)50
b) Annäherungen an die Historische Rechtsschule Zwei Jahre später hat Kempin in den „Grenzlinien der Frauenbewegung“ (Nr. 36) ihre frühere Auffassung einer weitgehenden Revision unterzogen. Den Anknüpfungspunkt bildet nun der Versuch einer grundsätzlichen Einschätzung der zur Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen erhobenen Forderungen: „Wer sich über die rechtliche Stellung einer Volksklasse ein Urteil bilden will, muß sich zunächst darüber klar werden, ob das Recht berufen sei, die Sitten und Gebräuche des socialen Lebens umzugestalten, oder ob die Sitte dem Recht vorgehe. Je nachdem man auf dem einen oder anderen Standpunkt steht, wird von einem Gesetzbuch Verschiedenes verlangt werden. Wenn das Recht der Sitte vorgehen soll, so werden die Gesetzgeber aus den Anzeichen der Gegenwart auf die Zukunft schließen, und die Rechtsverhältnisse ins Auge zu fassen zu haben, welche bei völliger Entwickelung und Ausgestaltung der momentanen Zustände notwendig werden könnten. Der Gesetzgeber muß also dann ein Seher, ein Prophet für sein Vaterland werden. Aber der glücklichste Prophet kann sich täuschen, es können Verhältnisse eintreten, die seine Kombination durchkreuzen, und in kürzerer oder längerer Zeit kann der für die Zukunft vorausgeschaffene Rechtszustand den thatsächlichen Anforderungen des Lebens diametral gegenüberstehen.“ (S. 58 f.)
Es wird deutlich, daß Kempin sich in der Schrift von 1897 dem Standpunkt der Historischen Schule und der Gesetzesverfasser annähert. Sie plädiert für eine „vorsichtige Gesetzgebung“, die nicht nur „dasjenige kodifizieren oder als Recht erklären“ wird, „was der Sitte des Tages“ entspreche: „Das Recht geht immer dem Leben nach. Es ist das spätere, die vom Leben geschaffene Sitte das frühere. Nun geht ja allerdings auch dieses Exempel, wie viele andere, nicht ohne Rest auf. Auch das Recht kann nicht nur schon bestehende Zustände rechtlich gestalten, sondern es muß mit einem Blick auf die Zukunft gerichtet sein, so fern es nicht in kürzester Zeit überlebt sein soll. Dieses Verhältnis beider Anforderungen an eine gute Gesetzgebung kann natürlich ein verschiedenes sein. Konservativere Elemente neigen mehr zu Gunsten des Bestehenden, radikalere zu Gunsten des Künftigen, und in diesem Zwiespalt der Meinungen entstehen dann auch die Differenzen bezüglich der Ansprüche an die Gesetzgebung. Nur das ist sicher, daß ein zu wenig weniger schadet, als ein zu viel, und deshalb der Gesetzgeber, welcher die Entwickelung einer Sache
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Mit „außereuropäische Staaten“ spielt Kempin offenbar auf die Rechtslage in den USA an (vgl. ihren Artikel „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“, Nr. 37).
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Einleitung nicht ganz klar voraussieht, immer besser thut, sich an das Bestehende zu halten. Das gilt auch für die Forderungen der Frau.“ (S. 59)51
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen formuliert Kempin ihre Kritik an der Unzufriedenheit der Frauenbewegung mit der geplanten Kodifikation. Den juristisch-dogmatischen Anknüpfungspunkt bildet dabei wiederum die Gütertrennung. Wie schon 1895 betont Kempin, daß ihrer Meinung nach die Gütertrennung „das der Selbständigkeit der Frau einzig dienliche System“ sei: „Auf der anderen Seite aber kann ich mich, je tiefer ich ins Leben hineinsehe, den Erwägungen der Gesetzgeber nicht verschließen, daß heute noch nicht vorausgesehen werden kann, ob diese Selbständigkeit von der Mehrzahl der Frauen gewünscht wird. Auch die jüngste Frauenbewegung giebt darüber keinen unzweifelhaften Aufschluß.Viele empfinden einen dumpfen Druck und seufzen nach Befreiung von irgend etwas, das sie nicht kennen, und glauben demnach, wenn ihnen die Gütertrennung als erlösendes Mittel geschildert wird, hier liege in der That der Punkt, an den sie sich klammern müssen. Dieser Umstand verleitet vielleicht die Führerinnen der Frauenbewegung zu einem Irrtum über das, was wirklich von den Frauen ersehnt und erwartet wird. Man hört oft die Ansicht aussprechen, wenn die Gütertrennung das gesetzliche Güterrecht wäre, so würde das die Selbständigkeit der Frau, soweit sie noch nicht vorhanden ist, rasch fördern, es würde also das Leben dem Rechte sich anpassen. Dies ist niemals der Fall.“ (S. 60)52
c)
Die Individualisierung der Frau „als Kern der ethischen Seite der Frauenbewegung“
Die Feststellung, daß sich Kempin in ihrer Schrift von 1897 dem Standpunkt der Historischen Schule wieder angenähert hat, bedarf jedoch einer Einschränkung. Wie erwähnt, definierte Savigny das Recht als Grenze, d.h. als Regel, „wodurch die unsichtbare Grenze bestimmt wird, innerhalb welcher das Dasein und die Wirksamkeit jedes einzelnen einen sicheren freien Spielraum gewinnt“. Im Hintergrund steht die juristische Konzeption einer Individualitätsform, die auf der Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht fußt. Charakteristisch für diese Form der Individualität ist, daß das Individuum in einem durch die Vorstellung 51
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Die Formulierung erinnert an die Ausführungen von Moritz August von BethmannHollweg (1795-1877), der meint, der Gesetzgeber solle „lieber zu Wenig als zu Viel in das Gesetzbuch hereinziehen (Über Gesetzgebung und Rechtswissenschaft als Aufgabe unserer Zeit, Bonn 1876, S. 15 f.; zum Gesetzgebungsideal des BGB: Meder, Gottlieb Planck und die Kunst der Gesetzgebung, Baden-Baden 2010). Vgl. zu diesem Thema auch Kempin, Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (Nr. 30). Diese Ansicht hatte Kempin auch selbst noch 1896 ausgesprochen, vgl. „Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“, in: 1. Beilage zur „Post“, 3. April 1896, Nr. 93: „Die Frauen werden es sehr bald lernen, ihr Vermögen selbständig zu verwalten, der Mensch wächst bekanntlich mit seinen höheren Zwecken und Aufgaben“ (Nr. 30).
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der Grenze markierten Privatraum mit absoluter Verfügungsmacht operieren kann. Diesen Raum sichert das Recht dadurch, daß es dem einzelnen Rechts- und Handlungsfähigkeit verleiht. Dort wo es auf sein Handeln ankommt, bildet die erkannte, freie und insoweit zurechenbare Tat den Maßstab. Damit stellt sich die Frage, ob und wo die Frau innerhalb einer solchen Konzeption des bürgerlichen Privatraumes Platz finden kann. Angesichts der faktischen Beschränkungen in der Handlungs- und Geschäftsfähigkeit bilden Frauen eine dem männlichen Rechtssubjekt ebenbürtige Privatindividualität offenbar nicht aus.53 Ihnen wird der familiale Privatraum zugewiesen, über den sie aber ebenfalls nicht frei verfügen können. Denn auch in der Familie haben sie allenfalls eine dem ehemännlichen Herrschaftsrecht subordinierte partielle Verfügungsmacht. Kempin hat nun in einer Schrift von 1892 (Nr. 28) erstmals gefordert, die auf den bürgerlichen Privatmann zugeschnittene Individualitätsform auch auf Frauen auszudehnen. In der „Rechtsstellung der Frau“ (Nr. 29) begründet sie dies mit der zunehmenden Einbindung der Frau in das Erwerbsleben: „Der überall wütende Existenzkampf hat auch die Frau auf das Schlachtfeld der Erwerbsjagd und Konkurrenz gedrängt, und je mehr sie aus der Enge der Häuslichkeit heraustritt, desto selbständiger wird sie in ihrem Thun und Wollen, desto freier bewegt sie sich, desto weniger bedarf sie des männlichen Schutzes, der nach und nach in eine Art Vormundschaft ausgeartet ist.“ (S. 147)
Daher bestehe kein Grund, „die Freiheit der Individualität nicht auch als das oberste Prinzip für die dem Frauengeschlechte zustehenden Rechte zu proklamieren“ (S. 153).54 In den „Grenzlinien“ (Nr. 36) hat Kempin auch die Frage aufgeworfen, ob eine derart weitgehende Selbständigkeit von Frauen überhaupt gewünscht werde. Doch konstatiert sie hier ebenfalls, daß die Frau „nunmehr nach Entwickelung ihrer Persönlichkeit [verlange], nach Ausleben ihrer Individualität, sie will im socialen Ganzen Selbstzweck, nicht bloß Mittel zum Zweck werden. Darin liegt meines Erachtens der Kern der ethischen Seite der Frauenbewegung“ (S. 72).
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Vgl. hierzu auch Susanne Lettow, Die Macht der Sorge. Die philosophische Artikulation von Geschlechterverhältnissen in Heideggers „Sein und Zeit“, Tübingen 2001, S. 30 ff. und S. 40 ff. Eine kulturtheoretische Begründung dafür, warum Frauen eine den Männern vergleichbare Individualität nicht ausprägen können, hat der Soziologe Georg Simmel versucht zu formulieren (vgl. dazu etwa: Maria Luisa P. Cavana, Der Konflikt zwischen dem Begriff des Individuums und der Geschlechtertheorie bei Georg Simmel und José Ortega y Gasset, Pfaffenweiler 1991, S. 68 ff und S. 263; siehe dazu auch nachstehend VI – bei Note 65). Vgl. auch „Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“ (Nr. 30). Nach Anita Augspurg hat die „Praxis aller Rechtspflege“ den Prinzipen der „Freiheit der Subjekte“ und der Gleichheit „nachgestrebt, und die Zeit hat die zu berücksichtigenden Rechtssphären der Subjekte immer subtiler herausgearbeitet und immer feiner abgetönt. Unsere modernen Gesetzgebungen sind durchaus von diesem Streben getragen bis an die Schwelle des Familienrechts, wo plötzlich alle Regeln dieser Idee ausgelöscht erscheinen, und wo dem einen Rechtssubjekte auf Kosten des anderen alle Schranken entfernt, dem anderen zu Gunsten des einen die eigene Interessensphäre auf das geringste Maß verengt wird“ (Die Frauenbewegung Nr. 17, 1896, S. 157).
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Aber Kempin geht noch weiter, indem sie fragt, was aus Sicht der Frau unter entwickelter Individualität eigentlich zu verstehen sei: „Sich ausleben, ‚Entwickeln der Persönlichkeit‘ heißt: die gegebene Persönlichkeit zum möglichsten Vorteile benützen, demnach sich um die Art der Ausbildung bemühen, die ihr gerade angemessen ist, oder platt ausgedrückt, dem nachgehen, was nach der Ansicht des Einzelnen seine Zufriedenheit oder sein Glück fördert. Nun hat die Frauenwelt bisher ihr Glück ausschließlich in den menschlichen Beziehungen gesucht. Wenn diese aber fehlen, oder wenn sie unvollkommen sind, so wird uns klar, daß zu einem wahrhaft glücklichen, d.h. die Schmerzen möglichst lindernden Zustande, noch etwas nötig ist, das uns das Gefühl eines harmonischen und erhöhten Daseins geben muß. Deshalb suchen wir die Thätigkeit um der Thätigkeit, die Erkenntnis um der Erkenntnis willen, denn beide, Thätigkeit und klare Vorstellungen, entwickeltes Denken, geben uns ein Gefühl der Vollkommenheit, weil beide unsere Kraft in Anspruch nehmen. Mit jeder Entwickelungsstufe, mit der Steigerung unserer Kraft genießen wir mehr Kraftfülle des Daseins, sind somit zufriedener und glücklicher. Es ist das Genügen am eigenen Ich, das die Frauen am Horizont der Zukunft unbewußt suchen. Häufig mag dieses Sichgenügen mit der Ausübung eines Berufs oder Gewerbes zu wirtschaftlichen Zwecken zusammenfallen. Häufig findet es die Gattin und Mutter in glücklicher Ehe; aber trotzdem bleibt ein großer Rest von Unbefriedigten, Enttäuschten, Unglücklichen, Alleinstehenden, die ihrem Leben einen Inhalt geben müssen.“ (S. 72 f.)
Kempin diagnostiziert also eine Pluralität von Lebensentwürfen, der Politik und Recht entsprechen müßten. Sie müssen „dem Verlangen der Frauen nach harmonischer Ausbildung ihrer Persönlichkeit“ Genüge leisten: „denn in der Unbefriedigtheit entsteht ein falscher Freiheitsdrang. Da müssen notwendig alle jene Extravaganzen auftauchen, welche die Gleichstellung zweier so verschieden gearteter Individuen, wie Mann und Frau es sind, verlangen; so ist es begreiflich, wie an sich ganz vernünftige Frauen der Meinung huldigen, die Rechte der Ehegatten im Verhältnis zueinander ließen sich mit Waage und Zirkel wägen und messen und mit den größtmöglichsten Rechten gegen den Mann würden sie die innere Freiheit erlangen. So ist es zu erklären, daß viele von ihnen übersehen, wie in der Ehe gleich allen übrigen Verhältnissen der intellektuell und moralisch höher stehende Teil die thatsächliche Führung des Verhältnisses hat und daß alle diesbezüglichen rechtlichen Vorschriften nur Anhaltspunkte für den Richter bedeuten, über die das Leben im einzelnen Falle kühn hinwegschreitet. Nur die völlige Nichtbeachtung eines vorhandenen entwickelungsbedürftigen Zustandes seitens der Staatsorgane konnte die Frauenbewegung in diese Bahnen lenken“ (S. 73).
Die Überlegungen münden in den Vorschlag: „Die oberste Norm für das Handeln der Frauen muß demgemäß derart sein, daß auf die Entwickelung ihrer Persönlichkeit Rücksicht genommen und gleichzeitig die Interessen der Familie und die in letzterer wurzelnde Stellung der Frau nicht aus den Augen verloren wird. Beides läßt sich vereinigen, wenn schon bei der Erziehung auf beides geachtet wird.“ (S. 73)
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V.
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Zwei unterschiedliche Vorstellungen über die Funktionen des Gesetzes
In Franz Wieackers berühmter „Privatrechtsgeschichte der Neuzeit“ heißt es: „Das BGB ist entsprechend dem positivistischen Ideal der Lückenlosigkeit und der strengen richterlichen Bindung an das Gesetz Kodifikation, d.h. der Absicht nach abschließende und erschöpfende Aufzeichnung seiner Materie.“55 Dagegen sieht Emilie Kempin das besondere Merkmal des BGB darin, daß es „große Partien des Rechts ungeschrieben“ läßt. Es wolle „nur die Umrisse der Rechtseinrichtungen skizzieren“, um „der fortschreitenden Entwicklung Raum“ zu geben. Denn „je internationaler sich unsre Beziehungen gestalten, je weiter der Gesetzgeber seine Gesichtspunkte nehmen muß, desto unfehlbarer treiben wir dem englischen Rechtszustand entgegen“.56 Es bedarf besonderer Hervorhebung, daß diese Überlegungen Kempins aus dem Jahre 1897 stammen und durch die neuere Forschung weitgehend bestätigt wurden.57 Auch hat Kempin vorhergesehen, daß unbestimmte Rechtsbegriffe in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen und das civil law Gefahr läuft, bei fortschreitender Internationalisierung und Globalisierung gegenüber dem common law ins Hintertreffen zu gelangen.58 Mit der Behauptung, im BGB herrsche das „positivistische Ideal“ der Lückenlosigkeit und strengen Gesetzestreue, harmoniert die Einschätzung, daß „in den beiden ersten Jahrzehnten“ nach dessen Inkrafttreten „eine ähnliche Verengung des dogmatischen Gesichtsfeldes wie nach den napoleonischen Gesetzbüchern in der „école exégétique“ folgte.59 Emilie Kempin meint dagegen, wir stehen „mit der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches am Anfang einer großen Entwicklung, in der das ungeschriebne Recht den breitesten Raum einnehmen wird“. Die Entscheidungen der Rechtsprechung werden „bei uns in kürzester Zeit eine ebenso große Rolle spielen, wie die ‚Reports‘ in England, und diese Bedeutung wird 55
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Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, a.a.O., S. 475. Folglich hätte „das wirklich ‚geltende‘ Privatrecht“ in der Zeit seines Inkrafttretens noch „aus dem Gesetzestext […] abgelesen werden können“ (a.a.O., S. 514 f.). Emilie Kempin, Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches (Nr. 35), S. 54. So herrscht heute weitgehende Einigkeit darüber, daß die Verfasser des BGB glaubten, viele Probleme könnten nicht durch das Gesetz selbst, sondern nur durch Rechtsprechung und Wissenschaft gelöst werden. Die besondere Leistung des BGB-Gesetzgebers besteht gerade darin, daß er dem ungeschriebenen Recht den zu seiner weiteren Entfaltung notwendigen Raum überlassen hat (vgl. die Nachweise bei Meder, Ius non scriptum, S. 231-232). Zum Zusammenhang zwischen fortschreitender Globalisierung und dem Anwachsen außerstaatlichen Rechts siehe nur die Beiträge in: Reinhard Zimmermann (Hg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Bd. II. Nichtstaatliches Privatrecht: Geltung und Genese, Tübingen 2008. Vgl. nur Paolo Grossi, Globalizzazione, diritto, scienza giuridica, in: Il foro italiano: raccolta di giurisprudenza civile, commerciale, penale, amministrativa, Bd. 127 (2002), S. 151-164. Wieacker, a.a.O., S. 514 (bei Note 1).
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Einleitung
immer mehr zunehmen, je mehr die Kulturentwicklung“ eine „Neugestaltung des Bestehenden erfordert“.60 Auch diese Einschätzung ist durch die neuere Forschung weitgehend bestätigt worden. Die Anfänge der richterrechtlichen Ergänzung des Gesetzesrechts lassen sich bis in die ersten Jahre nach Inkrafttreten des BGB zurückverfolgen. Bereits 1905 hatte das Reichsgericht den folgenreichen Satz ausgesprochen, daß eine Entscheidung im Bereich des bürgerlichen Rechts nicht in jedem Fall von den Paragraphen des BGB aus gewonnen werden müsse.61 Aus diesem Befund zieht Kempin eine doppelte Konsequenz: Einmal müsse, wo die Rechtsprechung so großen Einfluß auf die Produktion von Normen nehme, „die Bildungsstufe der Richter ungleich höher sein als da, wo es sich um die Anwendung fest gefügter, scharf umgrenzter Rechtssätze handelt“. Außerdem müsse man sich darauf einrichten, daß „die Billigkeitsjustiz“ künftig „einen weit größeren Raum einnehmen [wird] als heute“.62 Wie die Theoretiker des common law oder die Anhänger der Historischen Schule steht also auch Emilie Kempin auf dem Standpunkt, daß das Recht „immer dem Leben nachgeht“63 – daß es von unten herauf aus der Gesellschaft wächst. Sie hält die Annahme für illusorisch, daß eine über der Gesellschaft stehende Autorität die Verwirklichung der von Seiten der Frauenbewegung erhobenen Forderungen kraft Gebots oder Befehls einfach erzwingen könne. Das BGB begreift sie als ein modernes Gesetzeswerk, welches durch Zurückhaltung und weise Selbstbeschränkung dem ungeschriebenem Recht Raum zur Entfaltung gibt: Aus ihrer Sicht ist es daher keineswegs ausgeschlossen, daß die Forderungen der Frauenbewegung auch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus durch ungeschriebenes Recht Eingang in die Rechtsordnung finden. Eine grundlegende Änderung des Rechtszustands ist ihrer Meinung nach erst zu erwarten, wenn die Individualisierung „zur obersten Norm für das Handeln der Frauen“ geworden ist und für breite Kreise der Bevölkerung den Maßstab bildet. Dazu müssen wir „das Leben der jungen Mädchen durch Thätigkeit und Erkenntnis bereichern, sie so erziehen, wie wenn sie niemals eine Familie gründeten und doch so, daß sie den Anforderungen, welche die Familie an sie stellt, vollkommen gewachsen sind“.64 Auch innerhalb der Frauenbewegung stehen sich also zwei verschiedene Strömungen gegenüber, zu deren Bezeichnung die Stichworte „historische“ und „philosophische Richtung“ freilich nicht gut passen wollen. Beide Standpunkte sind sich darin einig, daß die Rechtsstellung der Frauen verbessert werden muß, sie streiten aber über eine rechtstheoretische Grundsatzfrage – über die Frage nach dem richtigen Weg zu diesem Ziel: Führt er über den Staat, der mit Hilfe des Gesetzes einen übergeordneten Willen von oben ausbreitet, oder über die Gesellschaft bzw. „das Leben“, das von unten neue Regeln wachsen läßt?
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Kempin, Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches (Nr. 35), S. 54, 55. Vgl. die Nachweise bei Klaus Luig, Die Kontinuität allgemeiner Rechtsgrundsätze: Das Beispiel der clausula rebus sic stantibus, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, hg. v. Reinhard Zimmermann, Heidelberg 1999, S. 171-186, 180, 172. Kempin, Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches (Nr. 35), S. 54. Vgl. den Nachweis vorstehend bei Note 51. Vgl. Grenzlinien der Frauenbewegung (Nr. 36), S. 73.
Einleitung
VI.
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Schlußbemerkung
Die Frage nach den rechtstheoretischen Grundlagen der Reformforderungen zum Familienrecht kann unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ein Beispiel wäre die zwischen Marianne Weber und Georg Simmel unter dem Stichwort „Tragödie der modernen Kultur“ geführte Kontroverse.65 Dabei geht es um konkurrierende Modelle von Weiblichkeit und die Tragfähigkeit einer polarisierenden Geschlechterphilosophie, der Marianne Weber energisch widersprochen hat. Daß diese Kontroverse bis heute nicht erledigt ist, zeigt eine Formulierung von Nancy Fraser, die die instrumentelle Behandlung der traditionell weiblichen Haus- und Betreuungsarbeit mit den Worten kritisiert: „Der idealtypische Bürger ist hier der Normalverdiener, der jetzt formell geschlechtsneutral ist. Aber inhaltlich ist dieser Status männlich geprägt; es ist die männliche Hälfte des alten Ernährer-/Hausfrau-Paares, die jetzt generalisiert und von jedem gefordert wird. Die weibliche Hälfte des Paares ist einfach verschwunden. Von ihren spezifischen Vorzügen und Fähigkeiten ist nichts für die Frauen bewahrt, geschweige denn auf die Männer ausgedehnt worden.“66
Das Beispiel zeigt, daß die vor 1900 diskutierten Fragen nach dem Verhältnis des Rechts zur Ethik und der Steuerungsfunktion des Gesetzes bis heute aktuell geblieben sind. Die Steuerungsfunktion von Gesetzgebung steht auch im Mittelpunkt der Kontroversen um das 2008 in Kraft getretene Unterhaltsrecht. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, ob und inwieweit mit Hilfe von Gesetzgebung ‚Eigenverantwortung‘ erzeugt bzw. ein neues Leitbild, nämlich das der beiderseits voll erwerbstätigen Eltern, verwirklicht werden kann. Die ersten Entscheidungen von Instanzgerichten und Reaktionen in der Öffentlichkeit lassen jedenfalls daran zweifeln, ob in dieser Debatte das letzte Wort bereits gesprochen ist.67 65
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Vgl. dazu den Überblick bei Ingrid Gilcher-Holtey, Modelle „moderner“ Weiblichkeit. Diskussionen im akademischen Milieu Heidelbergs um 1900, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil III: Lebensführung und ständische Vergesellschaftung, hg. v. M. Rainer Lepsius, Stuttgart 1992, S. 176-205, 180 ff.; Katja Eckhardt, Die Auseinandersetzung zwischen Marianne Weber und Georg Simmel über die „Frauenfrage“, Stuttgart 2000 (siehe auch den Nachweis vorstehend IV 2 c – bei Note 53). Nancy Fraser, Die halbierte Gerechtigkeit. Schlüsselbegriffe des postindustriellen Sozialstaats (1997), Frankfurt am Main 2001, S. 84 ff.; siehe auch: Susy Giullari and Jane Lewis, The Adult Worker Model Family, Gender Equality and Care: The Search for New Policy Principles, and the Possibilities and Problems of a Capabilities Approach, Geneva 2005; Anne Lenze, Was von der Frauenfrage bleibt. Vom exklusiven Gleichberechtigungsgrundsatz zum allgemeinen Gleichheitssatz, in: KJ 2006, S. 269292, 287 ff.; dies., Schluß mit der Familienförderung, in: KJ 2008, S. 378-393, 385 ff. Vgl. speziell zur Steuerung von Verhalten durch eine gesetzliche Normierung von Prinzipien Meder, Eigenverantwortung und Solidarität im Familienrecht am Beispiel des Geschiedenenunterhalts, in: „Eigenverantwortung, private und öffentliche Solidarität – Rollenleitbilder im Familien- und Sozialrecht im europäischen Vergleich“, hg.
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Einleitung
Der vorliegende Band ist aus dem Projekt „Reformforderungen zum Familienrecht und zur Rechtsstellung der Frau in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik“ hervorgegangen, das von Oktober 2001 bis April 2006 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Gegenstand des Projekts war die Untersuchung der zeitgenössischen Diskurse über die rechtliche Gleichheit und Verschiedenheit der Geschlechter. Um das Thema wissenschaftlich bearbeiten zu können, bedurfte es zunächst eines Überblicks über den Quellenbestand, welcher trotz seiner herausragenden Bedeutung damals nur zu einem kleinen Teil erschlossen und noch kaum interpretiert war. Dies leistete über viele Jahre der legendäre „Rote Reader“ – ein Vorläufer des hier vorgelegten Bandes, den Andrea Czelk 2001 verfaßt und im Laufe der Zeit immer wieder erweitert hat. Der „Rote Reader“ diente mehreren Generationen von Hilfskräften, Mitarbeitern und Doktoranden als Grundlage für ihre Untersuchungen der verschiedenen Teilbereiche nicht nur des Familienrechts, sondern auch der familienrechtlichen Aspekte des Strafrechts sowie des Öffentlichen Rechts. Nach Veröffentlichung der ersten Ergebnisse dieser Untersuchungen wurde in der Wissenschaft der Wunsch geäußert, den Quellenbestand umfassend zu dokumentieren und durch Publikation allgemein zugänglich zu machen. So bedauerte etwa Werner Schubert in seiner Rezension des aus dem Projekt hervorgegangenen Sammelbandes „Frauenrecht und Rechtsgeschichte“, „daß noch immer eine zusammenfassende Quellensammlung und Darstellung der Geschichte des ‚Frauenrechts‘ fehlt“ (ZRG [GA] 124 [2007], S. 375-377). Dem Desiderat einer „zusammenfassenden Quellensammlung“ kann im Rahmen des Projekts „Internationale Reformforderungen zum Familienrecht und Rechtskämpfe des Frauenweltbundes 1830-1914“ nun entsprochen werden. Zielsetzung dieses neuen, seit Juli 2007 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts ist es, eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Untersuchung der von den Frauenbewegungen initiierten Reformforderungen zum Familienrecht in der Zeit zwischen 1830 und 1914 vorzunehmen und hierzu die normativen und sozialen Hintergründe in ausgewählten Ländern zu erarbeiten. Der Quellenband dient dabei als unentbehrliche Bezugsgröße für einen Vergleich mit den zeitgenössischen Reformforderungen und Diskussionen über Geschlechterfragen in anderen Ländern. Die in dem Band versammelten, teilweise erst vor kurzem wieder aufgefundenen Texte (Nrn. 2, 15) bilden das Herzstück der berühmten „Rechtskämpfe“. Abgedruckt sind auch die wichtigsten Petitionen und Streitschriften der Frauenbewegung zum Familienrecht des BGB. Daneben sollen ausgewählte Artikel aus den verbandsnahen Zeitschriften zeigen, wie die Frauenbewegung ihre Anhängerinnen mobilisiert und wie sie auf Rückschläge im Gesetzgebungsverfahren reagiert hat. Flankiert werden die Reformforderungen zum BGB von Stellungnahmen aus der v. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Forschungsreihe Bd. 3), Baden-Baden 2008, S. 81-93, 91-93. Ebensowenig haben die Kontroversen um das Verhältnis von Recht und Sitte an Aktualität eingebüßt, vgl. dazu zuletzt: Albert Janssen, Fragwürdiger Abschied vom usus politicus legis als Grundlage evangelischen Rechts- und Staatsdenkens. Eine Stellungnahme zu Wolfgang Hubers Buch: Gerechtigkeit und Recht, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht (ZevKR) 54 (2009), S. 1-33.
Einleitung
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Rechtswissenschaft sowie von Petitionen zum Reichsstrafgesetzbuch, die als exemplarisch für das Wirken der Frauenbewegung auf dem Gebiet des Strafrechts gelten dürften. Alles in allem sollen die insgesamt 75 Quellen die zahlreichen Facetten der Rechtskämpfe beleuchten und ein lebendiges Bild der bürgerlichen Frauenrechtsbewegung zeichnen. Den Texten sind jeweils ergänzende Anmerkungen und Kommentierungen vorangestellt. Die Erläuterungen der Texte Nrn. 15 und 24 stammen von Simon Kanwischer, Nr. 13 von Jonas Johannsen, alle anderen von Arne Duncker. Durch Kollegen habe ich eine Vielzahl von Anregungen und wichtige Hinweise empfangen. Mein Dank gilt insbesondere Werner Schubert (Kiel) und Harry Willekens (Antwerpen). Frau Christine Rabe danke ich für die Unterstützung bei Anfertigung der Register. Zu danken habe ich schließlich Frau Ina Krückeberg für die Erstellung der Druckvorlage und die Übernahme der redaktionellen Leitung.
Stephan Meder
Hannover, im März 2010
TEIL 1 – ZEITGENÖSSISCHE POSITIONEN ZUM FRAUEN- UND FAMILIENRECHT
1. Allgemeiner Deutscher Frauenverein (Vorstand): Aufruf! 1876 ALLGEMEINER DEUTSCHER FRAUENVEREIN (Vorstand): Aufruf!, in: Neue Bahnen 1876, S. 32 Kommentar: Der vorliegende Aufruf von 1876 bildet ein Bindeglied zwischen dem durch Charlotte Papes Vortrag „Die Rechte der Mutter über ihre Kinder“ (Nr. 43) veranlaßten Beschluß des Frauentages 1875, sich mit einer Petition an den Reichstag zu wenden (Nr. 42, S. 35 f.), und der schließlich 1877 veröffentlichten ersten frauenrechtlichen Petition (Nr. 2). Die zivilrechtliche Arbeit ist den meisten Beteiligten neu, und Frauen sind noch nicht zur juristischen Ausbildung zugelassen. Der ADF selbst erkennt die Gefahr einer unprofessionellen Petition „in’s Blaue hinein“ und will mit dem Aufruf zwei entscheidende Schritte zur Vorbereitung in die Wege leiten: Sammlung der geltenden Gesetzesparagraphen mit Hilfe (männlicher) „gesetzeskundiger Juristen“ sowie Sammlung von Beispielen weiblicher Lebensschicksale, in welchen Frauen „unter den Gesetzen und deren Handhabung gelitten haben“. Laut Louise Otto-Peters hat der Aufruf „in der Hauptsache die gewünschten Erfolge gehabt“ (Nr. 28, S. „g“; Nr. 41, S. 3). Der ADF erhielt reichhaltiges Material, welches er für seine Petition (1877; Nr. 2) und die Denkschrift „Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau“ (1876; Nr. 41) verwendete. Die auf den Aufruf übersandten persönlichen Berichte benachteiligter Frauen wurden u.a. wegen des Informantinnenschutzes niemals veröffentlicht. Louise Otto-Peters begründet dies wie folgt: „Dies Material weiblichen Martyriums reichte aus, um Bände damit zu füllen. Die Mittheilung muß aber unterbleiben, nicht allein weil sie der Raum gar nicht zuließe, sondern weil unsere Feder sich sträubt in diesen Schmutz zu tauchen und es uns unmöglich ist, selbst um eines guten Zweckes Willen, Scham, Ekel und Abscheu so weit zu überwinden, als wir es müßten, wenn wir veröffentlichen wollten was andere, fremde Frauen uns doch nur als Frauen vertraut. Diese Mittheilungen – und das ist die Hauptsache – sind zwar mit voller Nennung und Namen, Orte und Zeit gemacht worden, aber doch mit der Bitte nur eben ohne diese Nennung davon öffentlich Gebrauch zu machen“ (Nr. 28, S. „i“; Nr. 41, S. 3 f.).
Aufruf! Anläßlich einer zum Frauentag in Gotha, (Oct. 1875) eingesandten Schrift: „Die Rechte der Mutter auf ihre Kinder“ [Nr. 43] ward, von der dortigen Versammlung der unterzeichnete Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauen-Vereins beauftragt, eine Petition an den deutschen Reichstag zu richten des Inhalts: „Bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen, besonders auch in Ehe und Vormundschaftsrecht zu berücksichtigen.“
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Teil 1
Da wir nun nach den seit Bestehen unseres Vereins gemachten Erfahrungen und nachdem wir die beregte Angelegenheit schärfer ins Auge gefaßt, uns überzeugt haben, daß durch eine gewissermaßen in’s Blaue hinein entworfene und gerichtete Petition wenig oder nichts erreicht werden würde, so haben wir beschlossen, eine solche erst nach gründlichen Vorarbeiten unsererseits einzureichen. Da gerade in den Beziehungen auf die Stellung der Frauen, auf Ehe und Vormundschaftsrecht fast in jedem deutschen Staate andere Gesetze herrschen, so ist es keine kleine Arbeit, sich über diese gründlich zu informieren und doch muß sie vorhergehen, wenn wir mit Nutzen die nöthigen Aenderungen beantragen wollen. Wir ersuchen daher unsere Mitglieder, wie die gleichen Interessen dienenden Frauenvereine, uns bei dieser Arbeit zu unterstützen, so zwar, daß sie sich durch einen gesetzeskundigen Juristen die betreffenden Gesetzesparagraphen ihres Staates mittheilen und diese Mittheilungen dann schriftlich an uns gelangen lassen. Auch ist es uns von Wichtigkeit, daß solche Frauen, welche selbst unter den Gesetzen und deren Handhabung gelitten haben, uns davon in Kenntniß setzten – indeß mögen dies nur solche thun, welche bereit sind, mit ihren vollen Namen für die Wahrheit des von ihnen Mitgetheilten einzutreten. Indem wir bis zum 1. April 1876 der Berücksichtigung unseres Aufrufes entgegensehen, zeichnen wir: Der Vorstand des Allg. Deutschen Frauenvereins: Louise Otto-Peters in Leipzig. Auguste Schmidt in Leipzig. Henriette Goldschmidt in Leipzig. Alwine Winter in Leipzig. Marie Calm in Cassel. Marianne Menzzer in Dresden Lina Morgenstern in Berlin.
2. Allgemeiner Deutscher Frauenverein: Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, 1877 ALLGEMEINER DEUTSCHER FRAUENVEREIN: Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, in: Neue Bahnen 1877, S. 57-59 Kommentar: Die Petition des ADF von 1877 ist die erste umfassende frauenrechtliche Petition von Frauenseite in Deutschland. Sie galt lange Zeit als verschollen bzw. „nicht überliefert“,* wenngleich sie in den „Neuen Bahnen“ von 1877 abgedruckt war. Dies verdeutlicht die schwere Zugänglichkeit nicht nur der zeitgenössischen Frauenzeitschriften, sondern frauenrechtlicher deutscher Quellentexte der Zeit vor 1914 generell. Inhaltlich verlangen die Frauen in ihrer Petition folgendes:
*
Vgl. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 196-199, siehe hierzu auch Riedel, Gleiches Recht, S. 122. Die Wiederauffindung der vorliegenden Quelle ist Christine Susanne Rabe zu verdanken, vgl. Rabe, Gleichwertigkeit von Mann und Frau, S. 23 (dort insb. Fn. 29). Das betreffende Heft 8 der „Neuen Bahnen“ von 1877 liegt möglicherweise weltweit nur noch in einem Exemplar vor, welches sich im Nachlaß von Louise Otto-Peters befindet.
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Teil 1
Da wir nun nach den seit Bestehen unseres Vereins gemachten Erfahrungen und nachdem wir die beregte Angelegenheit schärfer ins Auge gefaßt, uns überzeugt haben, daß durch eine gewissermaßen in’s Blaue hinein entworfene und gerichtete Petition wenig oder nichts erreicht werden würde, so haben wir beschlossen, eine solche erst nach gründlichen Vorarbeiten unsererseits einzureichen. Da gerade in den Beziehungen auf die Stellung der Frauen, auf Ehe und Vormundschaftsrecht fast in jedem deutschen Staate andere Gesetze herrschen, so ist es keine kleine Arbeit, sich über diese gründlich zu informieren und doch muß sie vorhergehen, wenn wir mit Nutzen die nöthigen Aenderungen beantragen wollen. Wir ersuchen daher unsere Mitglieder, wie die gleichen Interessen dienenden Frauenvereine, uns bei dieser Arbeit zu unterstützen, so zwar, daß sie sich durch einen gesetzeskundigen Juristen die betreffenden Gesetzesparagraphen ihres Staates mittheilen und diese Mittheilungen dann schriftlich an uns gelangen lassen. Auch ist es uns von Wichtigkeit, daß solche Frauen, welche selbst unter den Gesetzen und deren Handhabung gelitten haben, uns davon in Kenntniß setzten – indeß mögen dies nur solche thun, welche bereit sind, mit ihren vollen Namen für die Wahrheit des von ihnen Mitgetheilten einzutreten. Indem wir bis zum 1. April 1876 der Berücksichtigung unseres Aufrufes entgegensehen, zeichnen wir: Der Vorstand des Allg. Deutschen Frauenvereins: Louise Otto-Peters in Leipzig. Auguste Schmidt in Leipzig. Henriette Goldschmidt in Leipzig. Alwine Winter in Leipzig. Marie Calm in Cassel. Marianne Menzzer in Dresden Lina Morgenstern in Berlin.
2. Allgemeiner Deutscher Frauenverein: Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, 1877 ALLGEMEINER DEUTSCHER FRAUENVEREIN: Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, in: Neue Bahnen 1877, S. 57-59 Kommentar: Die Petition des ADF von 1877 ist die erste umfassende frauenrechtliche Petition von Frauenseite in Deutschland. Sie galt lange Zeit als verschollen bzw. „nicht überliefert“,* wenngleich sie in den „Neuen Bahnen“ von 1877 abgedruckt war. Dies verdeutlicht die schwere Zugänglichkeit nicht nur der zeitgenössischen Frauenzeitschriften, sondern frauenrechtlicher deutscher Quellentexte der Zeit vor 1914 generell. Inhaltlich verlangen die Frauen in ihrer Petition folgendes:
*
Vgl. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 196-199, siehe hierzu auch Riedel, Gleiches Recht, S. 122. Die Wiederauffindung der vorliegenden Quelle ist Christine Susanne Rabe zu verdanken, vgl. Rabe, Gleichwertigkeit von Mann und Frau, S. 23 (dort insb. Fn. 29). Das betreffende Heft 8 der „Neuen Bahnen“ von 1877 liegt möglicherweise weltweit nur noch in einem Exemplar vor, welches sich im Nachlaß von Louise Otto-Peters befindet.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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1. Beseitigung diskriminierender Stilelemente im Gesetz (wie der Bezeichnung von Frauen als „unfähig“ und ihrer Gleichstellung mit Vernunftberaubten und Verbrechern in § 2102 Sächs.BGB: „Unfähig zum Zeugnisse bei einem letzten Willen sind Frauenspersonen, Personen unter einundzwanzig Jahren, Blinde, Taube, Stumme, Personen, welche des Vernunftgebrauches beraubt, gerichtlich für Verschwender erklärt oder sonst bevormundet sind, Personen, welche wegen Meineides bestraft worden und, bei schriftlichen letzten Willen, jede des Schreibens unfähige Person.“). 2. Allgemeine rechtliche Gleichstellung der Geschlechter. 3. Änderung des gesetzlichen Ehegüterrechts: das Vermögen der Frau soll nicht mehr in die Verwaltung und Nutznießung des Mannes fallen, der eigene Erwerb und Arbeitslohn der Frau soll in der Ehe nicht mehr dem Mann zufallen. 4. Änderung des Scheidungsrechts: Trunkenheit und Mißhandlungen sollen bei den Scheidungsgründen stärkere Berücksichtigung finden. Die Kinder sollen bei Getrenntleben nicht mehr wie bisher in väterlicher Gewalt bleiben, sondern grundsätzlich in der mütterlichen belassen werden (vgl. hierzu bereits Pape, Nr. 43). Nach der Ehescheidung sollen sie nach dem „natürlichen Standpunkt“ grundsätzlich eher der Mutter als dem Vater zugesprochen werden. 5. Gleichstellung der Geschlechter im Vormundschaftsrecht, insbesondere soll hier die Stellung verwitweter ehelicher Mütter gestärkt werden. Die Petition wurde durch den ADF an das Reichskanzleramt gesandt und ist von dort nicht an den Reichstag, sondern an die Kommission zur Beratung des BGB weitergeleitet worden (Nr. 42, S. 44), so daß es zu diesem Zeitpunkt noch zu keiner parteipolitischen Diskussion der Inhalte kam,** wohl aber zur Verarbeitung in den BGB-Materialien. Die BGB-Motive nehmen ausdrücklich auf die Petition Bezug, lehnen sie aber in wichtigen Punkten ab, vgl. Mot. IV, S. 143 zum Güterrecht: „In einer von dem Allgemeinen deutschen Frauenvereine und einer großen Anzahl von Zweigvereinen des letzteren an den deutschen Reichstag gerichteten Petition wird um Umgestaltung des bestehenden ehelichen Güterrechts auf dieser Grundlage gebeten und diese Forderung unter Hinweis auf die aus dem jetzigen Rechtszustande für die Frauen entspringenden Gefahren und auf den Grundsatz, daß den Frauen dieselben Rechte wie den Männern gebührten, zu rechtfertigen versucht (vergl. das Organ des Allgemeinen deutschen Frauenvereins: ,Neue Bahnen‘ Nr. 8, 11 und ,Einige deutsche Gesetzesparagraphen über die Stellung der Frauen‘, herausgeg. vom Allg. deutschen Frauenverein, Leipzig, 1876). Wie man aber über die prinzipielle Berechtigung dieses Standpunktes auch denken mag, so wird man anerkennen müssen, daß der geschichtlichen Entwickelung des deutschen Rechtes eine andere Auffassung zu Grunde liegt. […]“
**
Dies wird in der Literatur unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob hier ein taktischer Fehler des ADF vorliege. Er hätte auf einer Behandlung im Reichstag bestehen können, um sein Anliegen in die öffentliche Debatte einzubringen (vgl. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 196; Schmid, Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften im BGB, S. 108, Fn. 402; offen gelassen bei Riedel, Gleiches Recht für Frau und Mann, S. 122).
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Teil 1
Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag.1 (57) Da gegenwärtig die Ausarbeitung eines für das ganze deutsche Reich geltenden Civilgesetzbuches in Angriff genommen ist, erlauben sich die unterzeichneten deutschen Frauenvereine sich an die mit dieser Aufgabe betraute, wie an die im Reichstag versammelten Vertreter des deutschen Volkes zu wenden und ihre Wünsche der Berücksichtigung zu empfehlen. Manche der speciell die Frauen betreffenden Gesetze, sind in vielen der bis jetzt gültigen Gesetzbücher verschiedener deutschen Staaten, sowohl dem Wortlaut wie dem Sinne nach in veralteter Form bis auf die Gegenwart gekommen, so daß, was früher zeitgemäß und berechtigt sein mochte, jetzt zu einer zwar unabsichtlichen, aber deshalb nicht minder großen Kränkung und Beleidigung der weiblichen Würde geworden ist. Da eine solche zunächst von den dadurch berührten Frauen empfunden wird, so halten wir es für unsere Pflicht, die dadurch nicht persönlich betroffenen, aber doch human denkenden Männer auf diese Punkte aufmerksam zu machen und ihr unparteiisches Urtheil, von dem wir uns die Abhilfe der bestehenden Ungerechtigkeiten versprechen, anzurufen. Wir bitten: 1) daß man bei Abfassung des neuen Civilgesetzbuches in der Ausdrucksweise der, die Frauen betreffenden, Gesetze, der jetzigen Anschauungs- und Bildungsstufe Rechnung trage. Um deutlich zu machen, was wir damit meinen, erinnern wir daran, wie es z.B. im bürgerlichen Gesetzbuch des Königreichs Sachsen § 1885 heißt: „Unfähig zur Vormundschaft sind 1: Frauenspersonen mit Ausnahme der Mutter u. s. w. Ebenso daselbst, wo es sich um das Zeugniß bei Testamenten handelt, § 2102: Unfähig zum Zeugnisse dabei sind: Frauenspersonen, Personen unter 21 Jahren, Blinde, Stumme, Taube, Personen, welche des Vernunftgebrauchs beraubt, bevormundet, wegen Meineid bestraft u. s. w. sind. Dies „unfähig“ findet man in fast allen deutschen Gesetzbüchern, auch Badens und der Rheinprovinzen, in Baiern noch verstärkt durch „absolut unfähig“, ja wir finden es leider auch in der neusten preußischen Vormundschaftsordnung von 1875: „alle übrigen weiblichen Personen sind unfähig zur Vormundschaft.“ Durch dies Wort wird das ganze weibliche Geschlecht ebenso erniedrigt, wie durch die erwähnte Gleichstellung mit Sinn- und Vernunftberaubten und Verbrechern. Wir bitten: 2) um Beseitigung der Ungerechtigkeiten, unter welchen gesetzlich die Frauen, zumeist die verheiratheten, zu leiden haben.
1
Die obige Petition circulirt zur Unterschrift bei denjenigen Vereinen, welche mit dem obigen gleiche Tendenzen haben und soll nach den jetzigen Ferien dem Reichstag übergeben werden.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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(58) § 24 des preußischen Landrechts „Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich – soweit nicht durch besondere Gesetze oder rechtsgültige Willenserklärungen Ausnahmen bestimmt werden.“ Durch diesen Nachsatz wird der erste Satz aufgehoben, und wäre es wohl gerechtfertigt, durch Streichung desselben, die Aufhebung der, die Frauen betreffenden, besonderen Gesetze zu vollziehen. Manche dieser Ausnahmen, ausgehend von der größeren Schutzbedürftigkeit und Unwissenheit des weiblichen Geschlechts, mochten früher berechtigt sein, sind es aber in unserer vorgeschrittenen Gegenwart nicht mehr. Seit Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft ist allerdings die Stellung der Unverheiratheten wie der Wittwen eine etwas bessere geworden, doch haben auch sie noch unter jenen „Ausnahmen“ zu leiden. Wohl dürfen sie eigene Besitzungen haben und selbstständig verwalten, aber obwohl sie dieselben Steuern zahlen wie die Männer, doch nicht in vorkommenden Fällen ihre Stimmen persönlich abgeben u. s. w., sondern müssen sich von einem Manne vertreten lassen. Viel ungünstiger gestaltet sich aber die Lage der verheiratheten Frau. Wohl ist es ihr in den meisten deutschen Staaten, wie auch im neuen preußischen Eherecht gestattet, sich bei Eingehung der Ehe durch Abschließung eines gerichtlichen Vertrags ihr eignes Vermögen vorzubehalten, wodurch sie sich die Verwaltung, den Nießbrauch und die freie Disposition desselben sichern kann (mit Ausnahme von Juwelen, Gold, Silber und zur Pracht bestimmten Sachen, über die sie auch dann nicht ohne Vorbewußt des Mannes frei verfügen kann). Sonst aber hat der Mann über das eingebrachte Vermögen der Frau alle Rechte und Pflichten eines Nießbrauchers. Dem Manne steht die Verfügung darüber zu, nur kann er Grundstücke nicht verpfänden und veräußern ohne ihre Einwilligung. Noch schlimmer ist es aber, daß auch das, was eine Frau in stehender Ehe erwirbt, sie dem Manne erwirbt. Es ist hierdurch gesetzlich erlaubt, daß ein pflichtvergessener Mann – wie wir das in Proletarierfamilien nur zu oft finden – das, was seine Frau durch Fleiß und Mühe im Tagelohn verdient, um sich und ihre Kinder zu erhalten, ihr abnimmt, vertrinkt und vergeudet; er kann sie so dem äußersten Elend preisgeben, ohne daß sie eine gesetzliche Hilfe findet. Wenn eine Frau ein selbstständiges Geschäft für eigne Rechnung betreibt, braucht sie zwar ihrem Manne nicht Alles abzuliefern, immerhin aber den Reingewinn. Selbst Erbschaften und Geschenke fallen ihm zu, wenn dabei sein Vorbehalt der Erblasser ausgeschrieben ist. Sogar ein ihr zufallender Lotteriegewinn gehört zu dem eingebrachten, der einseitigen Verfügung des Ehemannes unterworfenen Kapitalvermögen (§ 221 des neuen preußischen Eherechts). Ebenso kann die Frau nicht ohne Zustimmung ihres Mannes eine Rechtsverbindlichkeit auf giltige Weise eingehen; ja sie ist so wenig Rechtspersönlichkeit, daß sie keinen gerichtlichen Akt ohne Rechtsbeistand ihres Mannes vollziehen kann. Wenn wir nun um Beseitigung solcher Ungerechtigkeiten bitten, so scheint dieser Wunsch am leichtesten dadurch erfüllbar, daß man, was bisher als Ausnahme erlaubt war, zur gesetzlichen Regel erhebt. Die Braut sollte nicht genöthigt sein, einen Vertrag zu schließen, um ihr Vermögen, sich zu sichern, wodurch sie eigentlich ihrem zukünftigen Ehemanne ein Mißtrauensvotum ausstellt – sondern sie sollte mit dem Manne in allen Beziehungen gesetzlich gleichstehen, wie auch jetzt die Unterschrift von Mann und Frau bei manchen Vertragsschluß erforderlich ist.
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Teil 1
Sicher würde dadurch die Würde der Ehe besser gewahrt, als durch die bisherigen Bestimmungen. Wir bitten: 3) Um Aenderung der Ehescheidungsgesetze. Der fast einzige gesetzliche Scheidungsgrund ist bewiesener Ehebruch – bei dem Manne ist sogar ein solcher, sobald er in der Trunkenheit begangen, kein Scheidungsgrund. Im badischen und rheinischen Recht, (Code Napoléon) kann die Frau wegen Ehebruch des Mannes nur dann Scheidung verlangen, wenn der Mann Diejenige, mit der er die Ehe gebrochen, im eignen Hause gehalten hat. Trunkenheit, Mißhandlungen der Ehefrau, so lange sie nicht Leben und Gesundheit gefährden, sind kein Scheidungsgrund. Der Mann kann wegen Ehebruch der Frau schlechthin die Scheidung verlangen. (59) In diesem Falle darf zwar die Frau ihn verlassen, das Gericht hat aber das Haus zu bestimmen, in welchem sie sich indeß aufhalten soll, so wie den Betrag des ihr zu zahlenden Nahrungsgehaltes; hält die Frau sich nicht dort auf, braucht der Mann ihr diesen nicht mehr zu zahlen. – Die Frau muß selbst das von ihr eingebrachte Grundstück während des Scheidungsprocesses verlassen (K. Sachsen.) Die Kinder bleiben bei der Trennung in väterlicher Gewalt – während es doch natürlicher wäre, sie in der mütterlichen zu lassen und den Vater nur zur Zahlung von Erziehungsgeldern zu verpflichten. In der Regel werden die Kinder nach der Scheidung, der Mutter nur bis zum 6. Jahre zugesprochen – oder dem unschuldigen Theil. Hier muß allerdings zumeist das richterliche Urtheil entscheiden, da es ebenso viele pflichtvergessene Mütter, wie Väter giebt. Doch möchte mehr der natürliche Standpunkt zu berücksichtigen sein, nach welchem die Kinder bei der Mutter, die sich ihnen in jeder Beziehung widmen kann, besser aufgehoben sind, während der Vater dies seiner ganzen Lebensstellung nach meist wenig im Stande ist. Wir bitten: 4) Auch im Vormundschaftsrecht um Gleichstellung von Männern und Frauen. In allen deutschen Staaten gelten die Frauen mit Ausnahme der Mutter und Großmutter als unfähig zur Vormundschaft. Es ist dies auch leider in der neuen preußischen Vormundschaftsordnung so geblieben: der Mann (Vater) ist in manchen Fällen vom Gesetz berufener Vormund, die Frau (Mutter und Großmutter) kann nur erst durch den Richter dazu berufen werden. Leider verlangt auch das neue preußische Ehegesetz bei Verheirathung der Kinder nur die Einwilligung des Vaters, während die Mutter gar nicht um die ihrige gefragt zu werden braucht. Ja sogar ist die Einwilligung der Wittwe bei der Verheirathung ihrer Kinder in sofern ungenügend, als auch die Einwilligung des Vormundes nöthig ist. § 47. Auch bei Einsetzung des Familienrathes zur Gegenvormundschaft ist jede andere Frau, außer Mutter und Großmutter übergangen worden. Da es sich nun bei Vormundschaften nicht allein um Vermögensverwaltung, sondern auch um Erziehung der Mündel handelt, dürfte es doch wünschenswerth sein, daß der weibliche Einfluß nicht so ganz ausgeschlossen wäre, wie dies der Fall ist, sobald Mutter und Großmutter fehlen, sondern daß auch andere weibliche Verwand[t]e z.B. Schwester
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von Vater oder Mutter u. s. w. oder Pathinnen Vormundschaften übernehmen dürften. Wir haben uns erlaubt, hier auf die hauptsächlichsten Punkte aufmerksam zu machen, welche bei der Aenderung der Civilgesetzgebung eine geneigte Berücksichtigung finden sollten und so hegen wir die Zuversicht, daß es nur dieser Anregung bedürfen wird, um die geehrte Reichsversammlung, wie die betreffende Commission, zu vermögen, bei Lösung ihrer Aufgabe auch der erhöhten Bildung und Selbstständigkeit, wie der dadurch veränderten Stellung der Frau Rechnung zu tragen. (Folgen die Unterschriften der Vereinsvorstände.).
3. Anita Augspurg: Gebt acht, solange noch Zeit ist! 1895 AUGSPURG, Anita: Gebt acht, solange noch Zeit ist!, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 4/5 Kommentar: Anita Augspurg (1857-1943) ist die erste deutsche Frau mit einem juristischen Doktortitel. Die aus Verden stammende Tochter eines Juristen absolviert zunächst eine Lehrerinnenausbildung, ist 1881-1886 als Bühnenschauspielerin tätig und gründet 1887 gemeinsam mit ihrer damaligen Freundin Sophia Goudstikker (1865-1924) das Fotoatelier „Elvira“ in München. Als wirtschaftlich selbständige Frau führt sie ein freies und in der damaligen Zeit auch auffälliges Leben: Augspurg und Goudstikker sind mit ihren Kurzhaarfrisuren, ihrer Reformkleidung, ihren Ausflügen als Reiterinnen und Radfahrerinnen bekannte Erscheinungen im damaligen München. Um 1891 wendet sich Augspurg der Frauenbewegung zu, gehört dort bald zu den führenden Aktivistinnen und entschließt sich 1893, nach Zürich zu gehen, wo für Frauen – anders als in Deutschland – das juristische Studium möglich ist. 1897 schließt sie das Studium mit der Promotion ab. Ihre Dissertation befaßt sich mit dem Thema „Über die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England“. Augspurg ist in Wort – als ehemalige Bühnenschauspielerin gehört sie zu den besten Rednerinnen der Frauenbewegung – und Schrift maßgeblich an den Rechtskämpfen der Frauenbewegung um das BGB beteiligt. Innerhalb der Frauenkreise wird sie dem „linken“ oder radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet. Ihre Aktivitäten setzt sie, nunmehr gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann (1868-1943), auch in den folgenden Jahren als Aktivistin verschiedener Frauenorganisationen, Journalistin und Publizistin fort. Augspurg und Heymann, die auf einem gemeinsam betriebenen Bauernhof in Bayern leben, kämpfen nun nicht nur für die zivilrechtliche Gleichstellung der Frau, sondern u.a. auch für das Frauenstimmrecht, gegen die Verfolgung von Frauen aufgrund Art. 361 Nr. 6 des damaligen StGB, gegen ihre Diskriminierung im Vereinsrecht und ab 1915 in scharfem Gegensatz zur zeitweiligen Mehrheit der deutschen Frauenbewegung auch gegen den Krieg. Aufsehen erregen von Augspurg bewußt genutzte Medienereignisse wie ihre Verhaftung in Weimar 1902, als sie allein wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens verdächtigt worden war (vgl. hierzu Henke, Anita Augspurg, S. 70 f.; Kinnebrock, Anita Augspurg, 284-287), ferner ihr „Offener Brief“ von 1905 mit einem Aufruf zur „freien Protest-Ehe“ außerhalb des BGB-Eherechts (Nr. 5). Augspurg und Heymann, die bereits 1923 in einem persönlichen Gespräch beim bayerischen Innenminister die Ausweisung Hitlers nach Österreich verlangt hatten, stehen seitdem auf der Todesliste der Nationalsozialisten. Anfang 1933 befinden sie sich auf Auslandsreise und kehren nicht mehr nach Deutschland zurück. Ihre letzten Lebensjahre verbringen sie in zunehmender Armut im Schweizer Exil.
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von Vater oder Mutter u. s. w. oder Pathinnen Vormundschaften übernehmen dürften. Wir haben uns erlaubt, hier auf die hauptsächlichsten Punkte aufmerksam zu machen, welche bei der Aenderung der Civilgesetzgebung eine geneigte Berücksichtigung finden sollten und so hegen wir die Zuversicht, daß es nur dieser Anregung bedürfen wird, um die geehrte Reichsversammlung, wie die betreffende Commission, zu vermögen, bei Lösung ihrer Aufgabe auch der erhöhten Bildung und Selbstständigkeit, wie der dadurch veränderten Stellung der Frau Rechnung zu tragen. (Folgen die Unterschriften der Vereinsvorstände.).
3. Anita Augspurg: Gebt acht, solange noch Zeit ist! 1895 AUGSPURG, Anita: Gebt acht, solange noch Zeit ist!, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 4/5 Kommentar: Anita Augspurg (1857-1943) ist die erste deutsche Frau mit einem juristischen Doktortitel. Die aus Verden stammende Tochter eines Juristen absolviert zunächst eine Lehrerinnenausbildung, ist 1881-1886 als Bühnenschauspielerin tätig und gründet 1887 gemeinsam mit ihrer damaligen Freundin Sophia Goudstikker (1865-1924) das Fotoatelier „Elvira“ in München. Als wirtschaftlich selbständige Frau führt sie ein freies und in der damaligen Zeit auch auffälliges Leben: Augspurg und Goudstikker sind mit ihren Kurzhaarfrisuren, ihrer Reformkleidung, ihren Ausflügen als Reiterinnen und Radfahrerinnen bekannte Erscheinungen im damaligen München. Um 1891 wendet sich Augspurg der Frauenbewegung zu, gehört dort bald zu den führenden Aktivistinnen und entschließt sich 1893, nach Zürich zu gehen, wo für Frauen – anders als in Deutschland – das juristische Studium möglich ist. 1897 schließt sie das Studium mit der Promotion ab. Ihre Dissertation befaßt sich mit dem Thema „Über die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England“. Augspurg ist in Wort – als ehemalige Bühnenschauspielerin gehört sie zu den besten Rednerinnen der Frauenbewegung – und Schrift maßgeblich an den Rechtskämpfen der Frauenbewegung um das BGB beteiligt. Innerhalb der Frauenkreise wird sie dem „linken“ oder radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet. Ihre Aktivitäten setzt sie, nunmehr gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann (1868-1943), auch in den folgenden Jahren als Aktivistin verschiedener Frauenorganisationen, Journalistin und Publizistin fort. Augspurg und Heymann, die auf einem gemeinsam betriebenen Bauernhof in Bayern leben, kämpfen nun nicht nur für die zivilrechtliche Gleichstellung der Frau, sondern u.a. auch für das Frauenstimmrecht, gegen die Verfolgung von Frauen aufgrund Art. 361 Nr. 6 des damaligen StGB, gegen ihre Diskriminierung im Vereinsrecht und ab 1915 in scharfem Gegensatz zur zeitweiligen Mehrheit der deutschen Frauenbewegung auch gegen den Krieg. Aufsehen erregen von Augspurg bewußt genutzte Medienereignisse wie ihre Verhaftung in Weimar 1902, als sie allein wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens verdächtigt worden war (vgl. hierzu Henke, Anita Augspurg, S. 70 f.; Kinnebrock, Anita Augspurg, 284-287), ferner ihr „Offener Brief“ von 1905 mit einem Aufruf zur „freien Protest-Ehe“ außerhalb des BGB-Eherechts (Nr. 5). Augspurg und Heymann, die bereits 1923 in einem persönlichen Gespräch beim bayerischen Innenminister die Ausweisung Hitlers nach Österreich verlangt hatten, stehen seitdem auf der Todesliste der Nationalsozialisten. Anfang 1933 befinden sie sich auf Auslandsreise und kehren nicht mehr nach Deutschland zurück. Ihre letzten Lebensjahre verbringen sie in zunehmender Armut im Schweizer Exil.
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Teil 1
Der vorliegende Text von 1895 erscheint in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“, deren Entstehung nicht zufällig in die Zeit der Rechtskämpfe um das BGB fällt. Die Rechtsdiskussionen führen immer mehr zu einer gewissen Radikalisierung und zugleich zu einem deutlichen personellen Zuwachs der deutschen Frauenbewegung, die wohl zu keiner anderen Zeit des Kaiserreichs eine solche Kraft besaß wie in den Jahren 1895/96. Augspurgs Worte „Gebt acht, solange noch Zeit ist!“ sind als Weckruf zu verstehen und markieren den Beginn einer entscheidenden Phase der Rechtskämpfe. Augspurg definiert die Frauenfrage „in allererster Linie“ als „Rechtsfrage“ (S. 4), „weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte, nicht idealer (welche beiden Eigenschaften des Rechts sich leider nicht immer decken), an ihre sichere Lösung überhaupt gedacht werden kann.“ Ziel ist die „Vollanerkennung der Frau als gleichwertiges und gleichberechtigtes Rechtssubjekt neben dem Mann und die Beseitigung aller für sie bestehenden Ausnahmegesetze und Paragraphen“. Der Frau sei das Recht von zwei Richtungen her versagt: einerseits als Person in den Familien- und Ehegesetzen, andererseits als Gesellschaftsklasse, welcher zwar alle politischen Pflichten auferlegt sind, die aber keinerlei politische Rechte habe. Leider kennen die wenigsten Frauen bei der Eheschließung die Gesetze. Der gemeinsame Nenner der regional 1895 in Deutschland noch unterschiedlichen Ehegesetze bestehe darin (S. 5), „dasjenige Maß von Unrecht zu normieren, welches man, ohne mit ihnen in Konflikt zu geraten, seiner Ehefrau zufügen darf“. Der BGB-Entwurf würde Hoffnung geben, man könnte die alten Ehegesetze „bald in ein Museum oder Kuriositätenkabinett [einrangieren], das ja immerhin seinen instruktiven Wert hat“. Doch diese Hoffnung trügt: der BGB-Entwurf „ist wohl kaum um Strohhalmsbreite vom alten Standpunkte vorgerückt“. Daher sollen nun alle Gruppen der Frauenbewegung sich auf den gemeinsamen Kampf gegen den BGB-Entwurf konzentrieren. Augspurg sieht ihren Artikel als „Warnungsruf“. Der an prominenter Stelle publizierte Warnungsruf verhallt nicht ungehört. Tatsächlich werden in den folgenden Monaten in bisher nicht gekanntem Umfang Frauen (und auch Männer) für den Kampf gegen das BGB-Familienrecht mobilisiert. Die deutsche Frauenbewegung konzentriert sich bis 1896 auf dieses Hauptanliegen. Ihre inneren Differenzen (zwischen Radikalen und Gemäßigten, zwischen Bürgerlichen und Sozialistinnen) werden dadurch allerdings nicht überwunden, sondern bestehen fort. Literatur: Zu Augspurg: Heymann, Lida Gustava/Augspurg, Anita: Erlebtes – Erschautes: deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940. (1941, hrsg. v. Margrit Twellmann 1971 und 1992, autobiographisch); Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage. Die Juristinnen der ersten deutschen Frauenbewegung und das Bürgerliche Gesetzbuch (1995); Henke, Anita Augspurg (2000); Dünnebier/Scheu, Die Rebellion ist eine Frau. Anita Augspurg und Lida G. Heymann (2002); Kinnebrock, Anita Augspurg (1857-1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik (2005, hierzu Rezension Duncker, SavZRG (GA), 120 (2003), S. 806-809); Henke, Gleichheit und Gerechtigkeit als feministische Rechtsforderungen: Hedwig Dohm und Anita Augspurg (2006). Kurzporträt Augspurgs bei Gerhard, Unerhört, S. 226-228. Zu Augspurgs Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann: Himmelsbach, „Verlaß ist nur auf unsere eigne Kraft!“. Lida Gustava Heymann – eine Kämpferin für die Frauenrechte (1996). Zu Augspurgs 150. Geburtstag im September 2007 fand ein Symposion an der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover mit Vorträgen von Christiane Henke, Arne Duncker, Heike Bretschneider und Susanne Kinnebrock statt. Eine Studienausgabe mit Schriften Anita Augspurgs, zusammengestellt von Christiane Henke, ist derzeit in Vorbereitung.
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Gebt acht, solange noch Zeit ist! Von Anita Augspurg, stud. Jur. in Zürich.
Spät zwar, aber doch endlich dämmert auch in Deutschland das Verständnis für die Frauenfrage auf, kommt es insbesondere dem Groß der Frauenwelt zum Bewußtsein, daß ihr Selbsterhaltungstrieb allerlei Thesen festnageln muß, aus denen ein Protest gegen bestehende und nicht länger erträgliche Zustände als unausbleibliche Konsequenz hervorgehoben wird, nachdem einzelne Predigerinnen durch Jahrzehnte die Rolle der Stimmen in der Wüste gespielt hatten. Umschau haltend bei anderen Nationen gewahren wir, daß fast alle uns weit überholt haben, daß die Fortschritte fremdländischer Frauen in ihrer Stellung und in ihren Rechten unseren Zuständen weit voraus sind, und wir fragen uns nach dem Grunde. Liegt es an der geringeren Intelligenz, der geringeren Großherzigkeit, dem geringeren Genossenschaftsgefühle der deutschen Frau? Kaum, denn wir haben Beispiele der ersteren, Erfolge des letzteren in zahlreichen Einzelfällen und -Leistungen, in großartigen Vereinsorganisationen, die solchen Vermutungen als Gegenbeweise entgegengehalten werden können. Aber ein Umstand zeigt sich nun dem Forscher, welcher der Wurzel nachgräbt, und zwar ein wichtiger, tiefgreifender Umstand. Das Fundament, auf welchem die deutsche Frau ihren ganzen Freiheitsbau aufführen muß, trägt nicht, die Wurzel, aus welcher ihr Freiheitsbaum entsprießen soll, hat keinen Nährboden, sie kann nur mit Worten fechten und selbst daß nur innerhalb eines engen Rahmens, – reale Ziele, ernste Maßnahmen sind von vornherein versagt, weil sie sich rechtlich als Ausnahmesubjekt sieht, weil ihre Rechtsfähigkeit, ihre Handlungsfähigkeit durch das Gesetz beschränkt ist und die güterrechtlichen Bestimmungen sie vollkommen abhängig machen. Dieses gilt in noch größerem Maße von der verheirateten Frau, als von der unverheirateten. Aber derjenige irrt, der glaubt, welcher glaubt, die Frauenbewegung werde insbesondere von der unverheirateten Frau gemacht und berühre die verheiratete, weil versorgte Frau nicht. Die Frauenfrage ist zwar zum großen Teile Nahrungsfrage, aber vielleicht in noch höherem Maße Kulturfrage, ihre Auffassung als solche erringt sich von Tag zu Tage mehr Boden, in allererster Linie aber ist sie Rechtsfrage, weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte, nicht idealer (welche beiden Eigenschaften des Rechtes sich leider nicht immer decken), an ihre sichere Lösung überhaupt gedacht werden kann. Jede andere Bethätigung in der Frauenfrage ist vorschnell und verfrüht, als diejenige, welche die Vollanerkennung der Frau als gleichwertiges und gleichberechtigtes Rechtssubjekt neben dem Manne bezweckt und die Beseitigung aller für sie bestehenden Ausnahmegesetze und Paragraphen ins Auge faßt. Denn der Beginn mit Einzelheiten, bevor das Ganze gesichert ist, bedeutet nichts anderes als die Anbringung von Thürstöcken und Fensterrahmen bei einem Hausbau, bevor die Grundmauern aufgeführt sind. Was immer eine einzelne Frau erreicht und erringt in Kunst, in Wissenschaft, in Industrie, an allgemeinem Ansehen und Einfluß: es ist etwas Privates, Persönliches, Momentanes, Isoliertes, was gleich einer vereinzelten Welle sich aus dem Schutze des Meeres erhebt, um spurlos wieder darin zu verschwinden, – es haftet ihm immer der Charakter des Ausnahmsweise und als solchem Geduldetem an, aber es ist nicht berechtigt und kann nicht zur Regel werden, kann nicht Einfluß gewinnen auf die Allgemeinheit.
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Nach zwei Richtungen hin ist der Frau von unseren bestehenden und nicht minder von unseren projektierten Gesetzen Recht versagt, und jede Frau wird von einer dieser beiden Richtungen, häufig wird eine Frau von beiden getroffen. Die eine Rechtsbeteiligung gilt der Frau als Person, und sie findet ihren Ausdruck in den Familien- und Ehegesetzen, die andere – und diese ist keine Benachteiligung, sondern eine direkte Rechtsversagung – trifft alle Frauen als Gesellschaftsklasse, als Partei, welcher zwar alle politische Pflichten auferlegt, aber jedes politische Recht versagt ist. Unter dem dehnbaren Begriffe der politischen Rechte sind aber nicht etwa ihre Wahlrechte, ihr offiziell anerkannter Einfluß an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten gemeint, sondern ihre Notwehr gegen das Verhungern, ihre einfachsten Selbsterhaltungsmöglichkeiten. Leider kennen die allerwenigsten Frauen die Gesetze, denen sie sich unterwerfen, wenn sie eine Ehe eingehen: wenn sie sie kennten, so würden sie vielleicht, – wir hoffen es zu ihrer Ehe – wie einstmals die Plebejer im alten Rom einmütig auf den heiligen Berg ausziehen und nicht eher zurückkehren, als bis ihnen eine andere Stellung und ein anderes Recht zugesichert würden. Der Erfolg würde ihnen sicher sein, wenn nur auch bei ihnen die Gesinnung schon so sicher wäre, die Gesinnung, die ihnen erst aus Einsicht, Wissen und Erkenntnis kommen kann. Um unsere bisherigen Ehegesetzgebungen kurz zu charakterisieren, denn deren existieren vorderhand im Deutschen Reiche noch diverse, die aber mit einer Einmütigkeit und Treffsicherheit alle auf das gleiche Ziel losgehen, die einer besseren Sache würdig wäre, die aber in Deutschland an bessere Sachen selten verschwendet wird, – um also diese Ehegesetzgebung kurz zu charakterisieren, – stehen dieselben durchweg auf dem Standpunkte, dasjenige Maß von Unrecht zu normieren, welches man, ohne mit ihnen in Konflikt zu geraten, seiner Ehefrau zufügen darf. Sache des Ehemannes ist es, von den ihm gesetzlich zustehenden Mitteln zur persönliche und vermögensrechtlichen Beeinträchtigung seiner Gattin Gebrauch zu machen oder nicht. Nur wer sich über das Niveau des Gesetzes weit erhebt, räumt ihr eine menschenwürdige Stellung ein, wer sich aber auf den Boden der Ehegesetze stellt, kann unter deren Sanktion Person, Arbeitskraft, Vermögen seiner Gattin bis auf den Grad des Sklaventums ausbeuten. Demnach darf die Behauptung gerechtfertigt erscheinen, daß die bisherigen Gesetze ihre Aufgabe mit nichten erfüllt haben, insofern man von ihnen, wenn nicht einfache Gerechtigkeit, so doch mindestens Inschutznahme des Schwächeren und nicht Parteinahme für den Stärkeren erwarten darf. Vielfach wird der Einwurf laut, wenn man auf diese wunden Punkte unserer Gesetzgebung hindeutet, daß doch aber kein ordentlicher Raum von solcher ihm zustehenden Machtbefugnis Gebrauch mache und daß die Mehrzahl der Ehen denn doch auf ganz humaner Basis beruhen. Dieser Einwurf ist zwar die Behauptung einer Tatsache, aber als Widerlegung obigen Angriffes leidet sie an einem Mangel von Logik, der verblassend naiv ist. Also weil sich verhältnis-(5)mäßig wenige der Sanktion des Unrechts bedienen, welche die Gesetze ihnen erteilen, deshalb sollen diese unerträglich ungerechten Gesetze bestehen dürfen? Derselbe Faden, etwas weiter ausgesponnen, käme auf folgendes: Warum sollen wir denn Paragraphen gegen Mord und Totschlag aufstellen, da doch verhältnismäßig wenige ihn ausüben? Und sind deren, welche auf die aus den Ehegesetzen ihnen erwachsenden Rechte (besser Unrechte) gestützt, ihre Machtvollkommenheit missbrauchen, wirklich so wenige? Manches heimlich vergrämte Frauenschicksal
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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könnte wohl andere Ziffern ausstellen helfen, als man sich träumen lässt, und unzählige offenbare Brutalitäten von ungebildeten Ehemännern fußen ganz unverholfen mit nackten, klaren Worten auf den Gesetzen: „Ich darf meine Frau schlagen, ich darf meine Frau zu Tode hetzen. Das ist mein Recht!“ Wir würden aber auf die in unseren Gesetzen versteinerten Reminiscenzen an eine vergangene Kulturperiode ohne so starke Erregung und Erbitterung blicken, wir würden sie als historische Merkwürdigkeiten betrachten, wie so manche andere unschöne mittelalterliche Institution, wenn wir Aussicht darauf hätten, sie wirklich bald in ein Museum oder Kuriositätenkabinett, das ja immerhin seinem instruktiven Wert hat, einzurangieren, und dazu könnte ja der Entwurf zum bürgerl. Reichsgesetzbuch volle Hoffnung geben. Das thut er aber nicht, er ist wohl kaum um Strohhalmsbreite vom alten Standpunkte vorgerückt, er weist noch immer und wiederum der Frau eine Stellung an, wie sie vielleicht dem Geiste des 17. und 18. Jahrhunderts angemessen sein konnte, die aber schon hinter dem 19. zurückgeblieben ist und zum 20., während dessen er doch erst Gesetzeskraft erhalten und auf lange hinaus bewahren soll, in diametralem Gegensatz steht. Mir ist vielleicht in diesen Blättern Gelegenheit gegeben, auf Einzelheiten näher einzugehen, heute sei der deutschen Frauenwelt und sei insbesondere ihren Führerinnen ein Warnungsruf ausgestoßen: Laßt alles andere ruhen, tretet einmütig zusammen, vereint alle Kraft zu dem, was vor allem notthut, zur Stellungnahme, zum Protest, zum äußersten Kampf gegen den Entwurf des Bürgerl. Gesetzbuches für das Deutsche Reich, wie er jetzt vorliegt, denn in dieser Fassung unterbindet er aufs neue alle Adern eurer Kraft, alle Möglichkeit eures Schaffens und Eurer ganzen bürgerlichen Existenz.
4. Anita Augspurg: Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, 1899 AUGSPURG, Anita: Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, in: Saul, Elly/Obrist-Jenicke, Hildegard (Hrsg.), Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt, Stuttgart 1899, S. 220-229 Kommentar: Augspurgs Ausführungen zur Eheerrungenschaft, denen im „Jahrbuch für die Frauenwelt“ 1899 ein Foto der Autorin beigefügt ist, waren auf dem Augspurg-Symposion in Hannover 2007 Gegenstand eines bisher unveröffentlichten Vortrags, in welchem auf die Bedeutung der Errungenschaftsfrage für den Wandel der deutschen und europäischen Reformforderungen zum Ehegüterrecht hingewiesen wurde (Duncker, Anita Augspurg und die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft; vgl. zu Augspurgs Güterrechtskritik auch Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 117 f., Fn. 669). Während in frühen Texten der Frauenbewegung für das Ehegüterrecht häufig ein auf Gütertrennung basierendes gesetzliches Güterrecht als Verwirklichung der Gleichberechtigung in der Ehe verlangt wird, ist das gegenwärtige deutsche Eherecht bekanntlich einen anderen Weg gegangen. Es hat mit dem sog. Gleichberechtigungsgesetz v. 1957 die Zugewinngemeinschaft als gesetzlichen Güterstand eingeführt. Dort wird der während der Ehe erzielte Zugewinn nach der Ehe ausgeglichen. Dies führt insbesondere in Alleinverdienerehen zu Vorteilen für den nichtverdienenden Teil, in einer Hausfrauenehe also zu Vorteilen für die Hausfrau. Die Zugewinngemeinschaft soll also typischerweise wirtschaftliche Nachteile von Frauen ausgleichen.
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könnte wohl andere Ziffern ausstellen helfen, als man sich träumen lässt, und unzählige offenbare Brutalitäten von ungebildeten Ehemännern fußen ganz unverholfen mit nackten, klaren Worten auf den Gesetzen: „Ich darf meine Frau schlagen, ich darf meine Frau zu Tode hetzen. Das ist mein Recht!“ Wir würden aber auf die in unseren Gesetzen versteinerten Reminiscenzen an eine vergangene Kulturperiode ohne so starke Erregung und Erbitterung blicken, wir würden sie als historische Merkwürdigkeiten betrachten, wie so manche andere unschöne mittelalterliche Institution, wenn wir Aussicht darauf hätten, sie wirklich bald in ein Museum oder Kuriositätenkabinett, das ja immerhin seinem instruktiven Wert hat, einzurangieren, und dazu könnte ja der Entwurf zum bürgerl. Reichsgesetzbuch volle Hoffnung geben. Das thut er aber nicht, er ist wohl kaum um Strohhalmsbreite vom alten Standpunkte vorgerückt, er weist noch immer und wiederum der Frau eine Stellung an, wie sie vielleicht dem Geiste des 17. und 18. Jahrhunderts angemessen sein konnte, die aber schon hinter dem 19. zurückgeblieben ist und zum 20., während dessen er doch erst Gesetzeskraft erhalten und auf lange hinaus bewahren soll, in diametralem Gegensatz steht. Mir ist vielleicht in diesen Blättern Gelegenheit gegeben, auf Einzelheiten näher einzugehen, heute sei der deutschen Frauenwelt und sei insbesondere ihren Führerinnen ein Warnungsruf ausgestoßen: Laßt alles andere ruhen, tretet einmütig zusammen, vereint alle Kraft zu dem, was vor allem notthut, zur Stellungnahme, zum Protest, zum äußersten Kampf gegen den Entwurf des Bürgerl. Gesetzbuches für das Deutsche Reich, wie er jetzt vorliegt, denn in dieser Fassung unterbindet er aufs neue alle Adern eurer Kraft, alle Möglichkeit eures Schaffens und Eurer ganzen bürgerlichen Existenz.
4. Anita Augspurg: Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, 1899 AUGSPURG, Anita: Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, in: Saul, Elly/Obrist-Jenicke, Hildegard (Hrsg.), Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt, Stuttgart 1899, S. 220-229 Kommentar: Augspurgs Ausführungen zur Eheerrungenschaft, denen im „Jahrbuch für die Frauenwelt“ 1899 ein Foto der Autorin beigefügt ist, waren auf dem Augspurg-Symposion in Hannover 2007 Gegenstand eines bisher unveröffentlichten Vortrags, in welchem auf die Bedeutung der Errungenschaftsfrage für den Wandel der deutschen und europäischen Reformforderungen zum Ehegüterrecht hingewiesen wurde (Duncker, Anita Augspurg und die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft; vgl. zu Augspurgs Güterrechtskritik auch Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 117 f., Fn. 669). Während in frühen Texten der Frauenbewegung für das Ehegüterrecht häufig ein auf Gütertrennung basierendes gesetzliches Güterrecht als Verwirklichung der Gleichberechtigung in der Ehe verlangt wird, ist das gegenwärtige deutsche Eherecht bekanntlich einen anderen Weg gegangen. Es hat mit dem sog. Gleichberechtigungsgesetz v. 1957 die Zugewinngemeinschaft als gesetzlichen Güterstand eingeführt. Dort wird der während der Ehe erzielte Zugewinn nach der Ehe ausgeglichen. Dies führt insbesondere in Alleinverdienerehen zu Vorteilen für den nichtverdienenden Teil, in einer Hausfrauenehe also zu Vorteilen für die Hausfrau. Die Zugewinngemeinschaft soll also typischerweise wirtschaftliche Nachteile von Frauen ausgleichen.
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Die Zugewinnfrage läßt sich nun in ähnlicher Weise auch als Frage nach der Errungenschaft formulieren. Die Errungenschaft (vgl. auch § 1519 BGB v. 1896) ist das während der Ehe erworbene und erwirtschaftete Vermögen. Weder in der Verwaltungsgemeinschaft des BGB 1896 noch bei Gütertrennung wird die Frau (oder abstrakt: der wirtschaftlich unterlegene Ehegatte) an diesem Vermögen beteiligt. Die Forderungen aus der zeitgenössischen Frauenbewegung nach Gütertrennung lösen zwar das Problem der Gleichberechtigung und der formalen Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit von Frauen, nicht aber das ihrer wirtschaftlichen Benachteiligung in einer arbeitsteiligen Ehe. Erste umfassende Lösungsansätze von Frauenseite für dieses Problem sind bei Emilie Kempin (Die Ehefrau im künftigen Privatrecht der Schweiz, 1894: laufende Errungenschaftsbeteiligung; Grenzlinien der Frauenbewegung, 1897: nachträgliche Beteiligung; vgl. zu Kempin auch Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 110-136; Meder, Eigenverantwortung und Solidarität im deutschen Ehegüterrecht, 2009) und Anna Mackenroth nachweisbar. Augspurg unternimmt es im hier vorliegenden Text bereits 1899, in einem eher an „die Frauenwelt“ als an ein juristisches Fachpublikum gerichteten Jahrbuch, das rechtliche Problem zu verdeutlichen, eine Verbesserung des Rechts zu fordern und unter Berücksichtigung des geltenden Rechts Handlungsempfehlungen an die Betroffenen zu geben. Augspurg nennt unterschiedliche Beispiele, in welchen die Frau ihre Kraft mit für den Erwerb der Errungenschaft einsetzt und am Ende der Ehe mit leeren Händen dasteht und von Armut bedroht ist. Sie verweist auf Frauen, die im Hauswesen und im Gewerbe des Mannes unentgeltlich mitarbeiten, die gar weitgehend eigenständig im Namen des Mannes ein Handelsgeschäft betreiben, die gemeinsam (aber formal auf den Namen des Mannes) eine große Erziehungsanstalt mit Grundbesitz und Inventar bewirtschaften. In allen Fällen wird, so Augspurg, die Tätigkeit der Frau rechtlich außer Acht gelassen. Daher verlangt sie, die deutschen Frauen sollten „einheitlicher und nachdrücklicher als es bisher geschehen ist, Forderungen auf Abänderungen des neuen Gesetzbuches stellen, das den Zeitanschauungen ebenso wenig wie der abstrakten Gerechtigkeit Rechnung trägt“. Solange das alte Recht fortdauert, solle aber „jede Mutter vor der Ehe ihrer Tochter durch einen Ehevertrag diese Verhältnisse regeln und die Zukunft derselben sicher stellen gegen jeden im Verlaufe einer Ehe nur zu oft schon eingetretenen Gesinnungswechsel des Gatten“.
Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft. Von Dr. jur. Anita Augspurg (München)
(220) Die deutsche Ehegesetzgebung steht leider noch nicht auf dem Standpunkte, wie die allgemeine Rechtsüberzeugung es für gerecht und billig gegenüber beiden Eheleuten halten könnte; es ist wohl nur dem Umstande zuzuschreiben, daß in einer guten Ehe höchst selten nach den herrschenden gesetzlichen Bestimmungen gefragt wird und daher die Kenntnis derselben sehr wenig verbreitet ist, wenn trotzdem im allgemeinen die leitenden Persönlichkeiten der Frauenbewegung beim Versuche, Verbesserungen in der Gesetzgebung zu erreichen, auf so große Teilnahmlosigkeit und Lauheit gerade der beteiligten Kreise stoßen, der Ehefrauen und der Eltern, welche Töchter zu verheiraten gedenken. In einer gutgeführten Ehe herrschen nicht die geschriebenen Gesetze, sondern entweder der übereinstimmende Wille der Eheleute, oder der Wille desjenigen von beiden, dem der andere Teil sich unterordnet. Erst wenn beide Willen (221) so sehr auseinandergehen, daß Streit ausbricht, daß dieser Streit vor Gericht getragen, daß an Trennung gedacht wird, erst dann fragt man, was Rechtens sei, und alsdann erhält in den meisten Fällen die Frau eine Antwort auf ihre Frage, die ihr und allen, welche davon hören, wie ein Hohn auf das, was „Recht“ ist, erscheint. Wer kennte nicht aus seiner näheren oder weiteren Verwandtschaft und Bekanntschaft
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Fälle von geschiedenen, getrennten, sowie auch von fortdauernden Ehen, in denen eine Familie in trostloses Elend gestürzt wird durch den trunksüchtigen, verschwenderischen, gewaltthätigen Mann, der, geschützt, gedeckt und autorisiert vom Gesetze, den Seinen alles genommen und vergeudet, sie körperlich und seelisch mißhandelt, sie nicht ernährt und erhalten hat, sondern im Gegenteil oft noch von ihrer Arbeit und ihrer Schande leben will. Die Fälle der äußersten Tragik auf diesem Gebiete sind Gott sei Dank selten, aber doch längst nicht so vereinzelt, wie man vielleicht denkt, und sie gehören wohl zu den grausamsten Produkten sozialer Komplikationen, die zwar bei dem ausschlaggebenden Faktor psychologischer Individualität nie ganz ausgeschaltet werden können, denen aber doch unsere Gesetzgebung ein viel zu fruchtbares Wucherbeet zu üppigem Ausschießen darbietet, und die ohne diese Hegestätte längst nicht in dem Umfange gedeihen könnten. Ueber (222) den speciellen konkreten Fall pflegt jedermann empört und entrüstet zu sein: der Pflicht, durch rechtzeitige Kritik der abstrakten Möglichkeit so beklagenswerten Wirklichkeiten vorzubeugen, verhält sich insbesondere die Frauenwelt meist träge und ablehnend gegenüber, wenn schon sie damit ein schwereres sociales Unrecht auf sich ladet, als ihr gemeiniglich bekannt ist. Aber auch abgesehen von den Fällen ehelichen Unfriedens treten häufig Verhältnisse ein, die für die Frau im höchsten Grade schädliche Wirkungen haben können, wenn z.B. der Mann stirbt oder irrsinnig wird und alsdann vormundschaftliche Pflichten in Kraft treten, die nach gesetzlicher Vorschrift häufig in die Vermögensverhältnisse der überlebenden Familie mit ungeahnter, aber zwingender Macht eingreifen. Selbst wenn zu Lebzeiten des Mannes die Frau in einem gemeinsam betriebenen Geschäfte als die tüchtigere und umsichtigere Kraft die unbestritten leitende und disponierende Stelle einnahm, wie das z.B. in den französischen Gewerbebetrieben die Regel ist, – oder wenn sie auch nur als gute, getreue Gehilfin des Mannes im Hauswesen und Gewerbe zur Schaffung und Erhaltung des Familienwohlstandes das Ihrige redlich beigetragen hat – beim Tode des Mannes nehmen eine Anzahl von Partikularrechten das gemeinsam erworbene Vermögen als nachgelassenes Eigentum des Mannes in Anspruch und verteilen (223) es unter die Kinder oder an Verwandte des Mannes, teils ohne jegliche Berücksichtigung der Frau, teils, indem ihr ein Kindesteil zugerechnet, oder eine Quote des Gesamterbes gewährt wird. Aber, mit Ausnahme weniger Distrikte, in denen die sogen. Errungenschaftsgemeinschaft herrscht, wird nirgends Rücksicht genommen auf die Mitwirkung der Frau bei der Erwerbung eines gewissen Familienwohlstandes – sei es im Hause, sei es im Geschäfte, – wird die Arbeitsleistung der Frau in der Ehe als durchaus minderwertig und gleichgültig gar keiner Abund Einschätzung für würdig geachtet.
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Ein Beispiel, welches nicht erfunden, sondern aus dem Leben gegriffen ist, wird lehrreicher sein, als alle Theorie. Ein junges Mädchen wurde von seinen Eltern an einen Mann verheiratet, der außer seinem eleganten Auftreten geringe Qualifikationen als Stütze einer Familie besaß. Er brauchte in kürzester Zeit das Eingebrachte der Frau auf, bekleidete aber daneben weder Amt noch Stellung, noch führte er ein eigenes Geschäft. Die junge Frau erkannte jedoch mit seltenem Scharfblick sowohl die mißliche Lage, in der sie selbst und das eben geborene Kind sich befanden, wie die Notwendigkeit, zur Besserung derselben sich auf eigene Kraft zu verlassen. Sie war froh, den sorgsamen Familienvater wenigstens dazu zu überreden, seinen eheherrlichen (224) Namen zur Errichtung eines Kaufgeschäftes herzugeben, denn seine sonstigen Leistungen bestanden lediglich in der Ausräumung der durch ihre Energie, ihren Fleiß und ihre geschäftliche Umsicht stets wohlgefüllten Kasse. Es gelang ihr jedoch, trotz der Verschwendungssucht und des leichtsinnigen Lebenswandels des Gatten, dem Geschäfte einen derartigen Aufschwung zu geben, daß sich der Wohlstand des Hauses zusehends mehrte, obwohl das Familienleben das denkbar unfriedlichste blieb und die geängsteten Kinder häufig Zeuge von thätlichen Mißhandlungen ihrer Mutter waren. Nach 35jähriger Ehe machte endlich die Frau ihrem Manne den Vorschlag einer Ehescheidung auf Grund unüberwindlicher Abneigung und freien Übereinkommens, da sie Vermögen genug erworben hätten, um jedes für sich ein mehr als behagliches Leben zu führen, und noch jung genug wären, um nach den trostlosen Ehejahren den vollen Genuß eines friedlichen und sorgenlosen Lebensabends empfinden zu können. Der Mann ging auf den Vorschlag ein, d. h. auf die Einleitung der Scheidung, keineswegs aber auf eine Teilung des von der Frau, aber für ihn erworbenen Vermögens. Dieses im Geschäfte des Mannes erworbene Vermögen gehört nach dem Gesetze dem Manne, und derjenige, von dem hier berichtet wird, fand durchaus keinen Anlaß zu der von der Frau vorausgesetzten reinlichen Teilung (225) des nach mehreren Hunderttausenden zählenden Ehevermögens, sondern beanspruchte, dem Wortlaute der Gesetze nach, das Ganze für sich. Ja, noch mehr, die Scheidung aus Grund gegenseitiger Abneigung und freien Übereinkommens, ohne daß auf Seiten der Frau eine Schuld des Mannes geltend gemacht worden wäre, enthob zugleich den Gatten von der Verpflichtung zu einer seinem Vermögen entsprechenden Alimentation: erst nach langem Prozessieren verpflichtete er sich in einem Vertrage zur monatlichen Verabfolgung von 150 Mk. für die Frau, ohne alle Rücksicht darauf, daß sein eigener Reichtum lediglich das Erzeugnis ihrer Arbeit war. Die drei Töchter dachten praktisch genug, um in Anbetracht der Sachlage den Aufenthalt beim reichen Vater, der ihnen eigene Alimentationen nicht auszahlen mochte, vorzuziehen, und die arme Frau lebt nun in beschränkten Verhältnissen, fern von ihren Kindern und hat anstatt des erhofften heitern Lebens nur freudlose Einsamkeit und bittere Erinnerungen. Aehnliche Ergebnisse ließen sich aus dem einen oder dem anderen unserer Partikularrechte, die sich gerade in Bezug auf eheliches Vermögens- und Erbrecht ins Ungemessene verlieren, unter der Voraussetzung einer unheilbaren Geisteskrankheit oder des Todes des Gatten konstruieren. Auch dann wäre die Möglichkeit gegeben, daß die Frau aus einem großen, von ihr erworbenen (226) Vermögen mit einer geringen Unterhalts- oder Erbsumme abgefunden würde, ohne etwelche Ansprüche des Eigentumes an dem von ihr Erworbenen stellen zu können, denn
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was die Frau im Hause oder Geschäfte des Mannes erwirbt, erwirbt sie dem Manne. Daß dieser Satz in seiner Beziehung auf ein von den Ehegatten gemeinsam betriebenes Berufsgeschäft eine krasse Ungerechtigkeit enthält, erhellt aus einem zweiten Beispiel. Ein Ehepaar, beide Philologen, leiten mitsammen eine große Erziehungsanstalt, ohne daß die Frau die Vorsicht gebraucht hätte, den großen Grundbesitz und das reiche Inventar, die von Jahr zu Jahr durch Neuanschaffungen und Erweiterungen aus den gemeinsamen Einnahmen vergrößert wurden, zur Hälfte auf ihren Namen einschreiben zu lassen. Auch in dieser Ehe traten Verhältnisse ein, welche auf beiden Seiten den Wunsch nach Scheidung erweckten, dieselbe wurde genau wie oben im Wege freien Übereinkommens erreicht und das gesamte Vermögen blieb Eigentum des Mannes; ihm wurde die Verabreichung einer unverhältnismäßig geringen Alimentation auferlegt, die, abgesehen von dem ungerechten, niedrigen Betrage, der Frau fortgesetzt das beschämende Gefühl der Abhängigkeit von demjenigen gibt, welcher sie ihr zu reichen verpflichtet ist. – Sie war zwar in der Lage, nach einiger Zeit eine neue Tätigkeit als Lehrerin zu finden und für sich und (227) ihre Kinder zu sorgen: ihre erste frische Kraft aber war in jener Anstalt kapitalisiert. Warum, wenn eines von beiden weichen mußte und weichen wollte, mußte es ohne Frage die Frau sein? Weil die Gesetze ohne weiteres annehmen, daß eine Ehe im Interesse des Mannes zu führen sei, und weil auch dieser Mann, – dessen Gesinnung, bevor sie durch Tatsachen erprobt wurde, für über dem landläufigen Maße stehend galt, – der in den Gesetzen gegebenen Versuchung unterlag und nach dem Rechte beanspruchte, was ihm sein Gewissen gewiß nicht bewilligen konnte. Nun kann allerdings diesen Verhältnissen gegenüber geltend gemacht werden, daß die betreffenden Gesetze doch eine kontraktliche Abmachung zwischen den Gatten zuzulassen pflegen, mittelst deren die mit erwerbende Ehefrau einen Teil der Errungenschaft für sich zu Eigentum beanspruchen könne. Ist aber solche Remedur gegen eine andererseits geschaffene Unbill des Gesetzes ein anzuerkennender Zustand? oder ist es nicht vielmehr Aufgabe der Gesetze, von vornherein Verhältnisse zu geben, die des Gegenmittels gegen eine zuvor geschaffene Unbill nicht bedürfen? Wer denkt bei einer glücklichen Ehe – und welche Ehe wird vor ihrem Abschlusse nicht als glücklich gedacht, – an solche Schutzmaßregeln? Ein wie häßliches Moment kommt überhaupt in ein inniges persönliches Verhältnis durch die Berührung einer Abgrenzung von Mein und (228) Dein! Solchen Erörterungen sollten im Durchschnitt die Gesetze vorbeugen und von vornherein das für einen Streitfall Selbstverständliche fixieren, nicht aber zunächst das Widersinnige und daneben ein Schutzventil anbringen, um die Konsequenzen daraus zu paralysieren. Auch das neue Bürgerliche Gesetzbuch, welches vom Jahre 1900 an alle die zersplitterten Eherechte unseres Reiches einheitlich zusammenfaßt und ein in allen Teilen des Reiches maßgebendes Gesetz schafft, hat, trotzdem es das Recht der Frau am Erwerbe aus einem selbständig ausgeübten Berufe, Gewerbe oder Geschäfte anerkennt, an dem alten Grundsatze festgehalten, daß weder die hausfrauliche Tätigkeit der Gattin an sich, noch ihre Arbeit im Geschäfte des Mannes, zu welchen beiden sie den standesüblichen Verhältnissen nach verpflichtet ist, ihr irgend welchen Anspruch auf das durch ihre Mitarbeit erworbene oder ersparte, die sogen. Errungenschaft, geben.
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Zu welchen Konsequenzen das unter Umständen führen kann, ist oben dargelegt worden. Die Nutzanwendung daraus sollte die sein, daß die deutschen Frauen einheitlicher und nachdrücklicher, als es bisher geschehen ist, Forderungen auf Abänderungen des neuen Gesetzbuches stellen, das den Zeitanschauungen ebenso wenig wie der abstrakten Gerechtigkeit Rechnung trägt. Bis aber solche Änderungen wirklich erreicht und eingeführt sind, sollte jede Mutter vor der Ehe ihrer (229) Tochter durch einen Ehevertrag diese Verhältnisse regeln und die Zukunft derselben sicher stellen gegen jeden im Verlaufe einer Ehe nur zu oft schon eingetretenen Gesinnungswechsel des Gatten. Im allgemeinen aber dürften alle tüchtigen Hausfrauen ihre Arbeit für die Familie und das Hauswesen höher einschätzen und demgemäß auch Ansprüche auf Anteil an der Errungenschaft erheben. Denn auch die Haushaltsführung produziert sehr erhebliche Werte, die häufig das vom Manne gelieferte bare Anlagekapital für die zu verarbeitenden Rohprodukte erreichen oder übersteigen. Dieser von der Frau erarbeitete Nutzen erstreckt sich auf alle im Hause bereiteten Verbrauchsartikel, Nahrung, Kleidung, Wäsche u. s. w., und stellt, durch alle die Jahre der Ehe berechnet, ein erhebliches Kapital dar. Aber diesen Thatsachen gegenüber bietet die Gesetzgebung der Ehefrau kein Äquivalent, sie veranschlagt ihre Thätigkeit weder als Hausfrau, noch im Geschäfte des Mannes. Die deutschen Frauen sollten sich über die rechtlichen Verhältnisse, denen sie durch die Eheschließung unterstellt werden, näher unterrichten um deren Besserung zu erlangen; denn Sachkenntnis muß den Forderungen auf Besserung vorausgehen, wird aber auch unzweifelhaft zur Aufstellung solcher Forderungen führen.
5. Anita Augspurg: Ein typischer Fall der Gegenwart, 1905 AUGSPURG, Anita: Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Die Frauenbewegung 1905, S. 81-83 Kommentar: Der „offene Brief“ Anita Augspurgs wurde zuerst in der Zeitschrift „Europa“ (Nr. 7/1905, S. 311-314) abgedruckt. Nach den umfangreichen und teils erbittert geführten Diskussionen um den oft als skandalös empfundenen Aufruf Augspurgs wurde dieser in der hier vorliegenden Form in der „Frauenbewegung“ erneut veröffentlicht und mit einem kurzen und Augspurg verteidigenden Kommentar der Redaktion versehen. Augspurgs Stellungnahme ist als Brief formuliert, als Brief an eine junge und wirtschaftlich selbständige Frau der Zeit um 1905, die „einem Manne begegnet, dessen Lebensauffassung der Ihrigen ebensosehr kongenial ist, wie sie der landläufigen zuwiderläuft“ und mit diesem ohne formale staatlich anerkannte Eheschließung in einer „Ehe“ lebt, also nach anderer, von außen gesetzter, Diktion in einem Konkubinat oder einer nichtehelichen Gemeinschaft. Nun verlangt die „in ihrer gesellschaftlichen Ehre tödlich verletzte Familie (…) Sühne des Affronts mindestens durch gesetzliche Legitimierung ihrer Ehe.“ Der Mann ist hierzu notfalls bereit und hält diesen Schritt lediglich für eine bedeutungslose Form. Die Frau sträubt sich instinktiv dagegen. Augspurg gibt ihr recht und untermauert dies detailliert mit juristischen Argumenten: die legitime Ehe bedeutet für die Frau den gesetzlichen Verzicht auf ihre Rechtsexistenz, umschließt nicht allein die für eine selbständige Individualität unwürdige Aufgabe ihres Namens und ihres Selbstbestimmungsrechtes, sondern in den meisten Fällen völlige pekuniäre Abhängigkeit und in allen Fällen gänzliche Rechtlosigkeit an ihren Kindern (S. 81). So wird die Frau durch zwingende gesetzliche Vorschriften, die durch Ehevertrag nicht geändert werden können, zur Aufgabe ihres Namens gezwungen, sie hat während der Ehe kein ausreichendes Recht über ihre Kinder, sie wird in
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Zu welchen Konsequenzen das unter Umständen führen kann, ist oben dargelegt worden. Die Nutzanwendung daraus sollte die sein, daß die deutschen Frauen einheitlicher und nachdrücklicher, als es bisher geschehen ist, Forderungen auf Abänderungen des neuen Gesetzbuches stellen, das den Zeitanschauungen ebenso wenig wie der abstrakten Gerechtigkeit Rechnung trägt. Bis aber solche Änderungen wirklich erreicht und eingeführt sind, sollte jede Mutter vor der Ehe ihrer (229) Tochter durch einen Ehevertrag diese Verhältnisse regeln und die Zukunft derselben sicher stellen gegen jeden im Verlaufe einer Ehe nur zu oft schon eingetretenen Gesinnungswechsel des Gatten. Im allgemeinen aber dürften alle tüchtigen Hausfrauen ihre Arbeit für die Familie und das Hauswesen höher einschätzen und demgemäß auch Ansprüche auf Anteil an der Errungenschaft erheben. Denn auch die Haushaltsführung produziert sehr erhebliche Werte, die häufig das vom Manne gelieferte bare Anlagekapital für die zu verarbeitenden Rohprodukte erreichen oder übersteigen. Dieser von der Frau erarbeitete Nutzen erstreckt sich auf alle im Hause bereiteten Verbrauchsartikel, Nahrung, Kleidung, Wäsche u. s. w., und stellt, durch alle die Jahre der Ehe berechnet, ein erhebliches Kapital dar. Aber diesen Thatsachen gegenüber bietet die Gesetzgebung der Ehefrau kein Äquivalent, sie veranschlagt ihre Thätigkeit weder als Hausfrau, noch im Geschäfte des Mannes. Die deutschen Frauen sollten sich über die rechtlichen Verhältnisse, denen sie durch die Eheschließung unterstellt werden, näher unterrichten um deren Besserung zu erlangen; denn Sachkenntnis muß den Forderungen auf Besserung vorausgehen, wird aber auch unzweifelhaft zur Aufstellung solcher Forderungen führen.
5. Anita Augspurg: Ein typischer Fall der Gegenwart, 1905 AUGSPURG, Anita: Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Die Frauenbewegung 1905, S. 81-83 Kommentar: Der „offene Brief“ Anita Augspurgs wurde zuerst in der Zeitschrift „Europa“ (Nr. 7/1905, S. 311-314) abgedruckt. Nach den umfangreichen und teils erbittert geführten Diskussionen um den oft als skandalös empfundenen Aufruf Augspurgs wurde dieser in der hier vorliegenden Form in der „Frauenbewegung“ erneut veröffentlicht und mit einem kurzen und Augspurg verteidigenden Kommentar der Redaktion versehen. Augspurgs Stellungnahme ist als Brief formuliert, als Brief an eine junge und wirtschaftlich selbständige Frau der Zeit um 1905, die „einem Manne begegnet, dessen Lebensauffassung der Ihrigen ebensosehr kongenial ist, wie sie der landläufigen zuwiderläuft“ und mit diesem ohne formale staatlich anerkannte Eheschließung in einer „Ehe“ lebt, also nach anderer, von außen gesetzter, Diktion in einem Konkubinat oder einer nichtehelichen Gemeinschaft. Nun verlangt die „in ihrer gesellschaftlichen Ehre tödlich verletzte Familie (…) Sühne des Affronts mindestens durch gesetzliche Legitimierung ihrer Ehe.“ Der Mann ist hierzu notfalls bereit und hält diesen Schritt lediglich für eine bedeutungslose Form. Die Frau sträubt sich instinktiv dagegen. Augspurg gibt ihr recht und untermauert dies detailliert mit juristischen Argumenten: die legitime Ehe bedeutet für die Frau den gesetzlichen Verzicht auf ihre Rechtsexistenz, umschließt nicht allein die für eine selbständige Individualität unwürdige Aufgabe ihres Namens und ihres Selbstbestimmungsrechtes, sondern in den meisten Fällen völlige pekuniäre Abhängigkeit und in allen Fällen gänzliche Rechtlosigkeit an ihren Kindern (S. 81). So wird die Frau durch zwingende gesetzliche Vorschriften, die durch Ehevertrag nicht geändert werden können, zur Aufgabe ihres Namens gezwungen, sie hat während der Ehe kein ausreichendes Recht über ihre Kinder, sie wird in
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einer Reihe von Alltagssituationen in ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Entfaltungsfreiheit behindert und immer wieder nach der Unterschrift ihres Mannes gefragt. Auch wenn der Mann selbst nichts von der eheherrlichen Gewalt nach BGB hält und diese verabscheut, so hat er sie doch nach der Eheschließung als theoretische Position inne und könnte jederzeit seine Auffassung ändern und sie ausüben. Selbst wenn es nicht dazu kommt, könne, so Augspurg, das Glück der Ehe getrübt sein durch das Bewußtsein: „mein Mann schenkt mir zwar mein volles Persönlichkeitsrecht, aber es ist eine Gnade von ihm und in den Augen aller Welt gelte ich als die Rechtlose, welche die bürgerliche Ehefrau in Deutschland ist“ (S. 82). Und die Welt sorgt dafür, daß der Frau im alltäglichen Rechtsverkehr das Gefühl der Rechtlosigkeit täglich vor Augen geführt wird. Daher rät Augspurg, „den dornigen Weg fortzuwandern“, Kraft und Rückgrat zu zeigen und das Leben in einer freien Ehe fortzusetzen, anstatt eine nach BGB legitime Ehe einzugehen. Eine solche öffentliche Propaganda der Tat werde vielleicht kurzfristig einen Skandal verursachen, aber könne langfristig zu einer Änderung der frauenfeindlichen Gesetze führen: „Glauben Sie nur, wenn einmal hundert Ehepaare gleich Ihnen gehandelt haben werden, Menschen von Bedeutung und Wert, denn nur unsere Besten sind vorläufig imstande, so zu handeln, dann werden auch für den Durchschnitt die Pforten zu einem sittlich möglichen Ehebunde auf gesetzlicher Grundlage eröffnet. Wenn hundert tüchtige deutsche Frauen offen erklärt haben werden, unsere Gesetze bieten meinem Manne und mir keine Möglichkeit in einer legitimen Ehe ein menschenwürdiges Verhältnis aufrecht zu erhalten, so werden diese Gesetze geändert werden.“ Augspurgs Text ist oft als Aufruf zum Eheboykott verstanden worden. Sie war deshalb erbitterten, mitunter auch persönlichen Vorwürfen ausgesetzt. Für einen sachlichen Versuch der Ablehnung und Gegenargumentation steht die Stellungnahme Marianne Webers (Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, Nr. 66, S. 513 f., 542-546; ausführliche Besprechung von Augspurgs offenem Brief im Vergleich mit den Positionen Webers bei Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 936-950).
Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief. (81) Sehr geehrte Frau! Ihr Brief ist der dritte innerhalb vierzehn Tagen, welcher sich mit der Bitte um Rat in gleicher Angelegenheit an mich wendet, und die in ihm enthaltene Frage wird in unserer Zeit, davon dürfen Sie überzeugt sein, nicht von drei, sie wird von hundert Frauen, und zwar von den tüchtigsten unseres Volkes in ernstem Nachdenken erwogen; gestatten Sie mir daher, Ihnen meine Antwort in öffentlicher Form zu geben, so daß sie möglicherweise nicht nur Ihren Entschluß, sondern auch den mancher anderen Frau stärken kann. Ihr Brief und die beiden anderen, die ich erwähnte,– ich bekomme solche Briefe andauernd, sie sind typisch, – sind einander so ähnlich wie die Blüten eines Strauches, wie die Entwicklungssymptome einer Zeit. Sie (und andere) haben sich, aus eigener Kraft gegen den Wunsch Ihrer Familie einen befriedigenden Lebensberuf geschaffen, Sie sind in den Genuß einer unabhängigen Existenz gelangt und Ihrem Erfolge hat sich der Mißmut Ihres Vaters gebeugt; Sie (und andere) sind – nicht im Ballsaale oder bei anderen Gelegenheiten des täuschenden Treibens großer Geselligkeit, sondern unter einfach-wahren Umständen einem Manne begegnet, dessen Lebensauffassung der Ihrigen ebensosehr kongenial ist, wie sie der landläufigen zuwiderläuft, und Sie haben mit diesem Manne eines Tages, als
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das Herz Sie dazu trieb, aber ohne daß der Termin Freund oder Feind oder der hohen Obrigkeit zuvor gemeldet wurde, eine Ehe geschlossen. Ihr Glück, welches Sie übrigens auch nicht mit der Aengstlichkeit eines bösen Gewissens, sondern nur mit dem Egoismus des nicht gestört sein wollens, hüteten, blieb nicht lange verborgen und Ihre in ihrer gesellschaftlichen Ehre tödlich verletzte Familie verlangt Sühne des Affronts mindestens durch gesetzliche Legitimierung Ihrer Ehe. Ihr Gatte ist bereit zu diesem Schritte, der für ihn lediglich eine bedeutungslose Form darstellt, Sie haben ein instinktives Gefühl davon, daß von Ihrer Seite der lieben Philistermoral mehr geopfert werden soll als eine Aeußerlichkeit und etwas in Ihnen sträubt sich gegen dieses Opfer. Lassen Sie sich sagen, daß der vielgeschmähte weibliche Instinkt mit großer Sicherheit wieder das Richtige getroffen hat, denn die legitime Ehe bedeutet für die Frau den gesetzlichen Verzicht auf ihre Rechtsexistenz, umschließt nicht allein die für eine selbständige Individualität unwürdige Aufgabe ihres Namens und ihres Selbstbestimmungsrechtes, sondern in den meisten Fällen völlige pekuniäre Abhängigkeit und in allen Fällen gänzliche Rechtlosigkeit an ihren Kindern. Für eine Frau von Selbstachtung, welche die gesetzlichen Wirkungen der bürgerlichen Eheschließung kennt, ist es nach meiner Ueberzeugung unmöglich, eine legitime Heirat einzugehen: ihr Selbsterhaltungstrieb, die Achtung vor sich selbst und ihr Anspruch auf die Achtung ihres Mannes läßt ihr nur die Möglichkeit einer freien Ehe offen. Zwingende Rücksichten auf die materielle Existenz machen ja in vielen, leider in den meisten Fällen eine würdige Behauptung der Persönlichkeit unmöglich und zwar sind sie für den Mann fast noch zwingender, als für die Frau, die noch so selten im Staatsdienst, vielmehr meist auf die freien Berufe angewiesen und in diesen häufig weniger abhängig ist. Für einen Privatdozenten, Beamten, Offizier ist es aber geradezu ausgeschlossen, seine Stellung zu behaupten, wenn er offenkundig in freier Ehe lebt; ich fürchte, auch unsere Anwalts- und Aerztekammern würden ihre Mitglieder ob solchen Verhaltens maßregeln, deshalb zwingt durchschnittlich die bürgerliche Existenz des Mannes die aufgeklärte moderne Frau zu dem bewußten Opfer ihrer eigenen bürgerlichen Existenz. Wenn aber irgend die Möglichkeit freier Unabhängigkeit und genug persönliches Selbstbewußtsein, um der gesellschaftlichen Aechtung des Philistertums trotzen zu können, vorhanden ist, wenn irgend eine Frau sich zutraut, auch ihre Kinder so erziehen zu können, daß sie unter den Vorurteilen, unter deren Fluch sie aufwachsen werden, nicht unverhältnismäßig leiden, so halte ich es nicht nur für ratsam, nicht nur für das gute Recht, sondern sogar für die Pflicht der sittlich hochstehenden Frau, die freie Ehe zu wählen und durch ihr Vorbild den Weg zu bahnen zu einer würdigeren Gestaltung der Ehegesetze, als wir sie heute besitzen. Mir scheint, daß nur eine derartige Propaganda der Tat unsere Gesetzgebung zu den dringend notwendigen Reformen führen wird. Sie sagen mir, geehrte Frau, und es ist durchweg die Ueberzeugung aller, welche mit Ihnen in gleicher Lage sind, daß Ihr Gatte nie einen Mißbrauch seiner gesetzlichen Bevorrechtung, „die er verachtet“, begehen wird. In einem Punkte jedoch ist er nicht einmal in der Lage, eine Wirkung der gesetzlichen Ehe auszuschalten, das ist Ihre Namensänderung. Man pflegt bei uns auf diesen Punkt gerichtete Proteste als (82) ein eigensinniges Verweilen auf Aeußerlichkeiten zu verurteilen. Die Zumutung, den Namen, unter dem man zum Menschen herange-
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wachsen ist, plötzlich abzulegen und gegen einen neuen zu vertauschen, so wie man ein abgenutztes Kleidungsstück wechselt, ist aber mehr als eine äußerliche. Sie müssen sie nur objektiv betrachten, um ihren richtigen Maßstab zu finden. Zu dem Gesichtspunkt reiner Sachlichkeit gelangen Sie sofort, wenn Sie einem Manne eine Namensänderung ansinnen als Konsequenz irgend eines Vorganges im Leben. Wir wollen ihm nicht einmal zumuten, den Namen seiner Frau anzunehmen, denn der Begriff von deren bürgerlicher Inferiorität ist so tief eingefleischt, daß dieses Verlangen sofort den Beigeschmack einer Degradation haben und das Urteil trüben würde. Nein, er soll den Namen eines anderen Mannes annehmen, etwa bei einer geschäftlichen Assoziation den Namen seines Kompagnons, und diesen nicht nur bei geschäftlichen Unterschriften anwenden, sondern überhaupt in allen persönlichen Angelegenheiten. Ein Siegfried Schultz soll wie mit einem Schwamm von der Tafel gelöscht verschwinden, Siegfried Maier soll neu und spiegelblank an seine Stelle treten. Würde ein Mann das tun? Ich glaube, Sie fänden keinen, der nicht dagegen revoltierte, selbst wenn er Katzenbalg ober Spanferkel hieße, warum mutet man also einer Frau diese kränkende Selbstentäußerung zu? Praktische Notwendigkeit liegt in keiner Weise vor, denn beide Gatten können einfach, wie es in der Schweiz allgemein Regel ist, ihren Namen kombinieren, der Mann den Namen der Frau dem seinen und die Frau den Namen des Mannes dem ihren hinzufügen: Boos-Jegher, Schneeli-Beerli, Wirz-Baumann usw. Ich weiß schon, jetzt kommt der Einwand: und die Kinder? Das ist so einfach wie möglich, je nachdem das Vater- oder Mutterrecht im Gesetze Geltung hat, erben sie den Geburtsnamen des betreffenden Elternteils, wachsen hinein und empfinden ihn als integrierenden Bestandteil ihrer selbst. Man gewinnt jeden Namen lieb, den man von Geburt an trägt, nur nicht auf Kommando vertauschen müssen, das ist eine unerträgliche Zumutung. Daß Ihr Gatte übrigens seine eheherrliche Gewalt nicht in Anwendung bringen will, bin ich völlig überzeugt; dennoch können Sie die Entwicklung Ihres gegenseitigen Verhältnisses selbst nach 2½jähriger Dauer nicht voraussehen, denn wir sind alle Menschen und Vergänglichkeit ist das Wesen alles Menschlichen. Aber selbst wenn sie beide lebenslang dieselben bleiben, – eine Kameradschaft, die auf Ungleichheit basiert ist, eine Ehe, die auf Uebergewicht und Unterordnung zwischen den Gatten beruht, ist eine Kameradschaft, ist keine Ehe für fein empfindende Menschen: ein Hauch einer Trübung, ein spinnwebfeiner Schleier wird stets Ihre Einigkeit in Ihrem Bewußtsein stören und nie kann das Gefühl sie völlig verlassen: mein Mann schenkt mir zwar mein volles Persönlichkeitsrecht, aber es ist eine Gnade von ihm und in den Augen aller Welt gelte ich als die Rechtlose, welche die bürgerliche Ehefrau in Deutschland ist. Und die Welt sorgt dafür, daß Ihnen das Gefühl Ihrer Rechtlosigkeit täglich vor Augen geführt wird; wollen Sie einige Proben der Sie erwartenden Nadelstiche? Sie wollen ein Atelier für Ihre Arbeit mieten, der Hauswirt fragt Sie nach der Einwilligung Ihres Mannes und begehrt den Vertrag mit diesem abzuschließen. Der Geldbriefträger bringt eine Anweisung an Ihre Adresse, er legt sie Ihrem im Zimmer anwesenden Gatten zum
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Quittieren hin2 und zählt diesem den Betrag vor. Sie wollen auf der Bank, wo Sie Ihre Einkünfte hinterlegen, eine Summe erheben, man hat die Dreistigkeit, obwohl es sich um Ihren Arbeitserwerb, also um Ihr Vorbehaltungsgut im Sinne des Gesetzes handelt, die Unterschrift Ihres Mannes zu verlangen, bevor man Ihnen auszahlt. Sie melden Ihr Kind zum Schulbesuch an, man fragt auch hier nach dem Willensausdruck des Vaters u. S. f., beschränken wir uns auf diese Auswahl aus der Fülle der Geschichte. Werden Sie vor sich selbst den vollen Respekt behalten, wenn Sie sich freiwillig in eine derartige Rechtsstellung begeben? wird Ihre Ehe ihre unverletzte Würde bewahren, wenn einer der beiden Gatten nur durch die Nachsicht des anderen emporgehoben ist? und wenn Sie sich mit diesen beiden Einwänden abfinden (obwohl ich es nicht hoffe), wollen Sie auch die völlige Rechtlosigkeit an Ihren Kindern auf sich nehmen, welche das deutsche Gesetz über die legitime Mutter verhängt? Mit seinem unehelichen Kinde gilt der deutsche Vater als nicht verwandt; – die deutsche Rechtsüberzeugung fixiert in diesem brutalem Satze, was sie von den natürlichen Beziehungen zwischen Vater und Kind hält, implicite gibt sie darin die ausschließende Innigkeit des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind zu. Gleichwohl stellt das Gesetz fest, daß die Ehefrau ihre Kinder dem Manne und nur dem Manne gebiert, er wird in der Gewalt über deren Person, im Recht auf ihre Erziehung selbst bei starrem Mißbrauch oder verhängnisvoller Unfähigkeit nur in den seltensten Fällen beschränkt; er verwirkt die elterliche Gewalt nur wegen eines an dem Kinde begangenen Verbrechens, nicht sofern er es begangen, sondern sofern er deswegen zu Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter 6 Monaten verurteilt wird. Im übrigen bestimmt der Vater den Aufenthalt, die Pflege und Behandlung des Kindes, er schreibt die Erziehungsprinzipien vor, seine Einwilligung allein ist zur Eheschließung einer minderjährigen Tochter nötig. Ist die Mutter gleicher Ansicht wie er, so darf sie mitbestimmen, hat sie eine abweichende, so gilt ihr Widerspruch nichts, denn „bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor“. Ist nicht diese Formulierung des Elternrechts ausschließlich zu Gunsten des Vaters, die Krönung der Konstruktion, welche die legitime Gattin zur willenlosen Sklavin des Mannes herabdrückt, denn mit der Gewalt über ihre Kinder hat er eine Geisel in Händen, die eine Mutter zu allem gefügig machen wird. Und wie schändlich gepeinigt werden diese armen Geiseln von tausend gewissenlosen Vätern, – die ja nach Ausspruch des Gesetzes selbst durch Bande der Verwandtschaft und Sympathie mit ihren Kindern nicht in Beziehung stehen, – nur um in ihnen die Mutter zu treffen. Kann bei Kenntnis dieser Rechtslage eine Frau, welche etwas auf sich hält, sich in eine so unwürdige Stellung zu ihren Kindern drängen lassen, wie sie sie durch Eingehung der bürgerlichen Ehe erhält?
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Gegen die Behauptung dieser Möglichkeit ist von mehreren Seiten Widerspruch erhoben worden, sie beruht jedoch auf erfahrungsmäßigen Tatsachen, die, ob mit oder ohne Uebereinstimmung mit dem Postreglement vorgekommen sind und Zeugniß ablegen, wenn nicht von den bestehenden Rechtsverhältnissen, so von lebendiger Rechtsüberzeugung im Volke hinsichtlich der Stellung der verheirateten Frau. D. Verf.
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Genug, – ich hoffe Sie überzeugt zu haben, daß wenn Sie Kraft und Rückgrat in sich fühlen, eine Persönlichkeit zu sein, nicht eine Ziffer in der Bevölkerungsstatistik, es Ihre Pflicht ist, den dornigen Weg fortzuwandern, den Sie bereits eingeschlagen haben. Ertragen Sie lieber jedes Martyrium, als das Aufgeben Ihrer Selbst in einer bürgerlichen Ehe, denn Sie bauen dadurch die Brücke der Zukunft. Glauben Sie nur, wenn einmal hundert Ehepaare gleich Ihnen gehandelt haben werden, Menschen von Bedeutung und Wert, denn nur unsere Besten sind vorläufig imstande, so zu handeln, dann werden auch für den Durchschnitt die Pforten zu einem sittlich möglichen Ehebunde auf gesetzlicher Grundlage eröffnet. Wenn hundert tüchtige deutsche Frauen offen erklärt haben werden, unsere Gesetze bieten meinem Manne und mir keine Möglichkeit in einer legitimen Ehe ein menschenwürdiges Verhältnis aufrecht zu erhalten, so werden diese Gesetze geändert werden. Tun Sie das Ihre, um diese Reform herbeizuführen. Hochachtungsvoll Irschenhausen, Oberbayern. Anita Augspurg. Der vorstehende Brief erschien in Nr. 7 der Zeitschrift „Europa“. Wie immer, wenn die Konsequenzen der bestehenden Verhältnisse durch logische Schlußfolgerungen gezogen werden, erhebt sich Entrüstung. Es ist eben nicht jedermanns Sache, konsequente Schlußfolgerungen zu ziehen. Die frauenfeindliche Presse erging sich nach dem Erscheinen dieses Briefes in den widerwärtigsten und hämischsten Angriffen gegen die Verfasserin. Die Herausgeberin dieser Zeitschrift erhielt ebenfalls, trotzdem der Brief in der „Europa“ erschienen war, eine Flut von Vorwürfen, die meistens von unverständlicher Auffassung des so logisch und klardurchdachten Inhalts des Briefes zeugten. Etwas unerfindlich (83) mußte es der Redaktion erscheinen, daß sie verantwortlich für den Brief gemacht werden sollte. Mit um so größerer Freude aber druckt sie nunmehr mit Zustimmung der Verfasserin diesen in so liebenswürdiger Form gehaltenen Brief ab, und überläßt es den Lesern des Blattes, dazu Stellung zu nehmen. Daß die frauenfeindliche Presse und eine Anzahl Frauenrechtlerinnen sich in schönster Harmonie in Beurteilung des Briefes finden, sollte doch diesen Frauen zu denken geben. Man mag über die Nutzanwendung der Verfasserin denken, wie man will, eins ist doch sicher, daß eine große Gärung hinsichtlich der bestehenden Verhältnisse in bezug auf die Ehe vorhanden ist. Dr. Augspurg hat den Mut, scharf, klar und logisch die Abhängigkeit der Frau als Gattin und Mutter darzulegen. Starke, in sich gefestigte Persönlichkeiten werden die Verfasserin verstehen. Auf der Tagung des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine im Herbst d. J. in Berlin (2.-4. Oktober) wird die Reform der Ehe eingehend zur Verhandlung kommen. Es erscheint uns daher als eine wichtige Aufgabe, daß die Leser unseres Blattes sich mit der Frage schon jetzt vorbereitend beschäftigen, wozu vorstehender Brief die Handhabe bietet, falls die Frauen sachlich, ruhig und objektiv darüber zu polemisieren vermögen. Die Redaktion.
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6. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus: die rechtliche Stellung der Frau (Auszüge, basierend auf der 50. Aufl. 1910) BEBEL, August: Die Frau und der Sozialismus 12. (66.) Auflage, Berlin, 1990 [basierend auf der 50. Aufl. 1910 und der redaktionellen Fassung von 1946], Auszüge S. 310-343 [Kapitel „Die rechtliche Stellung der Frau“] Kommentar: Bereits im Jahr 1879 erschien – in Deutschland zunächst illegal – unter dem damaligen Titel „Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ ein umfassendes Werk des sozialistischen Politikers und langjährigen SPD-Vorsitzenden August Bebel (1840-1913) zur Frauenfrage. Bebel vertrat auch in der Reichstagsdebatte zum Familienrecht des BGB 1896 persönlich den Standpunkt der SPD und trat vehement für ein auf Gleichberechtigung beruhendes Familienrecht ein. Sein in der Zeit des Kaiserreichs fast jährlich neu aufgelegtes und immer wieder überarbeitetes Buch, dessen Titel in „Die Frau und der Sozialismus“ geändert wurde, kann in seiner Zeit wohl als die bedeutendste und einflußreichste Stellungnahme zur Frauenfrage von sozialistischer Seite angesehen werden. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtdarstellung kommt Bebel in seinem 15. Kapitel „Die rechtliche Stellung der Frau“ zu einer Darstellung dieses Gegenstands zunächst als „Kampf um die zivilrechtliche Gleichberechtigung“ (S. 310-317) und sodann als „Kampf um die politische Gleichberechtigung“ (S. 318343). Eine Besonderheit seiner Darstellung ist, daß er den Verlauf der rechtlichen Entwicklung nicht als nationalen, sondern transnationalen Vorgang begreift, woran neben den verschiedenen Ländern Europas vor allem Nordamerika beteiligt ist. In der hier verwendeten Ausgabe von 1910 sind durch Bebel selbst die Vorgänge der Zeit um und nach 1900 eingearbeitet und analysiert worden, einschließlich der Änderungen im Code civil (Code Napoléon) von 1907, des Schweizerischen ZGB von 1907 und des dänischen Gesetzes von 1908 zum Unterhaltsvorschuß. Das Recht des BGB, an dessen Beratung er selbst beteiligt war, behandelt Bebel auf S. 310-312. An dieser Stelle referiert er im wesentlichen den Inhalt des deutschen Rechts, ohne bereits umfassend Stellung zu nehmen, weist jedoch punktuell auf Ungereimtheiten (S. 311: zur Möglichkeit der Frau, Sicherheitsleistung zu verlangen) und Ungerechtigkeiten (S. 311 f.: vermögensrechtliche Folgen der Ehescheidung) des BGB hin. Ausführlicher fallen seine Stellungnahmen zu unterschiedlichen ausländischen Eherechten sowie zur politischen Gleichberechtigung der Frau aus. Hinsichtlich letzterer tritt Bebel mit ausführlicher Begründung für das Frauenstimmrecht ein. Sein Ziel formuliert er auf S. 343: Eine gründliche Umgestaltung unserer sozialen Zustände und durch sie eine gründliche Umgestaltung in der Stellung der Geschlechter ist notwendig. Die Frau muß, um rascher zum Ziele zu kommen, sich nach Bundesgenossen umsehen, die ihr naturgemäß in der Proletarierbewegung begegnen.
Bebel, August: Die Frau und der Sozialismus. (310)
Fünfzehntes Kapitel Die rechtliche Stellung der Frau 1. Der Kampf um die zivilrechtliche Gleichberechtigung Die soziale Abhängigkeit einer Rasse, einer Klasse oder eines Geschlechts erhält stets ihren Ausdruck in den Gesetzen und politischen Einrichtungen des betreffenden Landes. Die Gesetze sind der in Paragraphen formulierte Ausdruck der maßgebenden Interessen, der zum Rechte eines Landes erhoben wird. Die Frauen als abhängiges, unterdrücktes Geschlecht finden dementsprechend ihre Stellung im
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Rechte eines Landes zugewiesen. Die Gesetze sind negativer und positiver Art. Negativ, insofern sie bei der Verteilung von Rechten von dem Unterdrückten keine Notiz nehmen, positiv, indem sie ihm seine unterdrückte Stellung anweisen und etwaige Ausnahmen bezeichnen. Unser gemeines Recht beruht auf dem römischen Rechte, das den Menschen nur als besitzendes Wesen kennt. Das alte germanische Recht, das die Frau würdiger behandelte, hat nur teilweise seine Wirksamkeit behalten. Wie in der französischen Sprache der Mensch und der Mann durch ein und dasselbe Wort, „l’homme“, bezeichnet werden, und ebenso in der englischen durch „man“, so kennt das französische Recht den Menschen nur als Mann, und ganz ähnlich war es bis vor wenigen Jahrzehnten in England, woselbst die Frau sich in sklavischer Abhängigkeit vom Manne befand. So einst auch in Rom. Es gab römische Bürger und Frauen römischer Bürger, keine Bürgerinnen. In Deutschland hat sich der Rechtszustand für die Frau insofern verbessert, als an Stelle der bunten Musterkarte ein einheitliches bürgerliches Recht getreten ist, und dadurch Rechte, die sie hier und dort besaß, verallgemeinert wurden. Danach erlangte die unverheiratete Frau die unbeschränkte Zulassung zur Vormundschaft; Frauen erhielten das Recht, als Zeugen bei Eheschließungen und Testamentsaufnahmen zu fungieren; die Frau erlangte ferner vollkommene Ge-(311)schäftsfähigkeit, das heißt das Recht, Verträge abzuschließen, ausgenommen sie verpflichtet sich (als Ehefrau) in Person zu einer Leistung, auch darf sie ohne Zustimmung des Ehemannes keine Vormundschaft übernehmen. Die Verpflichtung zur ehelichen Gemeinschaft besteht für beide Teile, soweit nicht die Ansprüche des anderen Teiles sich als Mißbrauch seines Rechtes herausstellt. Bestehen aber hierüber widersprechende Ansichten der Ehegatten, so steht dem Manne die Entscheidung zu, namentlich hat er auch über Wohnort und Wohnung zu bestimmen. Rechtsmißbrauch des Mannes entbindet die Frau von der Folgeleistung. Die Leitung des Hauswesens steht allein der Frau zu; sie besitzt die sogenannte Schlüsselgewalt, kraft deren sie im häuslichen Wirkungskreis die Geschäfte des Mannes besorgen und ihn vertreten kann. Der Mann muß für die von ihr eingegangenen Verpflichtungen haften. Doch kann der Mann die Schlüsselgewalt seiner Frau ganz aufheben oder beschränken. Mißbraucht er dieses Recht, so kann das Vormundschaftsgericht die Beschränkung aufheben. Zur Übernahme von Arbeiten im Hauswesen und im Geschäft des Mannes ist die Ehefrau verpflichtet, doch nur, wenn eine solche Tätigkeit nach den Lebensverhältnissen des Gatten üblich ist. Das Verlangen, die eheliche Gütertrennung als Regel einzuführen, lehnte der Reichstag ab. Diese kann nur durch den Ehevertrag gesichert werden, was bei Abschluß der Ehe oft genug unterlassen werden wird und nachher zu Unzuträglichkeiten führt. Dagegen wurde die sogenannte Verwaltungsgemeinschaft eingeführt. Hiernach steht die Verwaltung und Nutznießung des Vermögens der Frau dem Manne zu, aber sie ist auf das eingebrachte Gut beschränkt. Dagegen steht der Frau die uneingeschränkte Verwaltung und Verfügung über das zu, was von ihr während der Ehe durch ihre Arbeit und durch den Betrieb eines Geschäftes erworben wird. Der Mann hat nicht das Recht, die Frau durch Rechtsgeschäfte auf das von ihr eingebrachte Vermögen zu verpflichten. Auch kann die Frau Sicherheitsleistung verlangen, im Falle sie begründete Besorgnis hat, daß ihr Eingebrachtes gefährdet ist, was sie häufig zu spät erfahren dürfte. Auch kann sie Klage auf Aufhebung der Verwaltungsgemeinschaft erheben, falls der Mann durch sein Verhal-
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ten den Unterhalt von Frau und Kindern erheblich gefährdet. Der Mann haftet für den Schaden, der aus schlechter Verwaltung entstanden ist. Großes Unrecht kann der Frau durch die Ehescheidung zugefügt (312) werden. Im Falle der Scheidung verbleibt nämlich dem Manne das in gemeinsamer Arbeit der Eheleute erworbene Vermögen, auch wenn der Mann der Schuldige ist und die Frau am meisten erworben hat, wohingegen die Frau den standesgemäßen Unterhalt nur insoweit beanspruchen kann, als sie ihn nicht aus den Einkünften ihres eigenen Vermögens oder dem Ertrag ihrer Arbeit zu bestreiten vermag. Ferner verbleibt im Scheidungsfall dem Manne das Vermögen, das etwa aus nicht verwendeten Einkünften des Vermögens der Frau angesammelt wurde. Die väterliche Gewalt ist durch die elterliche ersetzt, aber bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor. Stirbt der Vater, so geht die Ausübung der elterlichen Gewalt einschließlich der Nutznießung vom Vermögen des Kindes auf die Mutter über. Eine geschiedene Frau, auch wenn ihr die Erziehung zufällt, entbehrt des Rechtes der Vertretung und der Vermögensverwaltung der Kinder, wohingegen der Vater die vollen Elternrechte genießt. In England schrieb bis 1870 das Gewohnheitsrecht des Landes dem Manne das Besitztum der Ehefrau an beweglichen Gütern zu. Nur an unbeweglichen Gütern blieb das Eigentumsrecht ihr bewahrt, aber der Ehemann besaß das Recht der Verwaltung und der Nutznießung. Vor Gericht war die englische Frau eine Null; sie konnte keinerlei Rechtshandlungen begehen und nicht einmal ein gültiges Testament abfassen; sie war Leibeigene ihres Mannes. Für ein Verbrechen, das sie in Gegenwart des Mannes beging, war dieser verantwortlich; sie wurde als Unmündige angesehen. Fügte sie jemand Schaden zu, so wurde dieser beurteilt, als sei er durch Haustiere begangen worden; der Mann hatte dafür einzustehen. Nach einem Vortrag, den im Jahre 1888 Bischof J. N. Wood in der Kapelle zu Westminster hielt, durfte die Frau noch vor hundert Jahren nicht bei Tische essen und nicht eher sprechen, als bis sie gefragt wurde. Über dem Bette hing als Zeichen der eheherrlichen Gewalt eine Peitsche, die der Mann handhaben durfte, wenn die Gattin üble Laune zeigte. Nur die Töchter hatten ihren Befehlen zu gehorchen, die Söhne sahen in ihr eine Dienerin. Durch die betreffenden Gesetze von 1870, 1882 und 1893 bleibt die Frau nicht nur alleinige Besitzerin alles dessen, das sie in die Ehe bringt, sie ist auch Besitzerin alles dessen, was sie erwirbt oder durch Erbschaft und Schenkung erhält. Diese Rechtsverhältnisse können nur (313) durch besonderen Vertrag zwischen den Ehegatten geändert werden. Die englische Gesetzgebung folgte hier dem Beispiel jener der Vereinigten Staaten. Seit der Custody of Infants Act von 1886 geht die elterliche Gewalt nach dem Tode des Vaters auf die Mutter über. In dem seit der Intestate Estates Act von 1890 geltenden reformierten Erbrecht ist der Mann nach wie vor bevorzugt. Beide Gatten besitzen Testierfreiheit. Sind aber keine Verfügungen getroffen, so behält der Vater das ganze bewegliche Vermögen der verstorbenen Frau. Die Witwe dagegen erbt nur ein Drittel des beweglichen Gutes und bezieht ein Drittel der Rente des Grundbesitzes, das übrige fällt den Kindern zu. Nach der neuen Married Women’s Property Act von 1908 ist die verheiratete Frau den Eltern und dem Manne Unterhalt schuldig. Es bleiben aber noch viele Reste des alten mittelalterlichen Rechtes geltend, die noch sehr stark die Lage der verheirateten Frau beeinträchtigen. Wie wir sahen, ist noch bis jetzt das Eheschei-
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dungsrecht für die Frau sehr ungünstig. Ein Ehebruch des Mannes ist noch kein Scheidungsgrund für die Frau, sondern nur in Verbindung mit Grausamkeit, Bigamie, Notzucht usw.3 Besonders rückständig bleibt noch im allgemeinen für die Frau das bürgerliche Recht in Frankreich und in allen Ländern – meistens romanischen Ländern –, die vom französischen Code civil stark beeinflußt sind oder wo er mit einigen Änderungen noch bisher direkt gilt. So in Belgien, Spanien, Portugal, Italien, RussischPolen, in den Niederlanden und den meisten Kantonen der Schweiz. Über die Auffassung Napoleons I. bezüglich der Stellung der Frau existiert ein bezeichnendes Wort, das noch heute gilt: „Eins ist nicht französisch, eine Frau, die tun kann, was ihr gefällt.“4 Sobald sie heiratet, kommt die Frau unter die Vormundschaft des Mannes. Nach § 215 des Code civil darf sie ohne Zustimmung des Gatten nicht vor Gericht auftreten, auch wenn sie einen öffentlichen Handel hat. Nach § 213 soll der Mann die Frau schützen, und sie hat ihm Gehorsam zu leisten. Er verwaltet das in die Ehe gebrachte Vermögen seiner Frau, er kann die Güter derselben verkaufen, veräußern und mit Hypotheken belasten, ohne daß er ihrer Mitwirkung oder Zustimmung bedarf. Die Folge ist, daß die Frau sich häufig in einem Zustand reiner Sklaverei befin-(314)det. Der Mann verschlemmt mit liederlichen Dirnen oder im Wirtshaus, was die Frau erwirbt, oder er macht Schulden oder verspielt den Erwerb der Frau und läßt sie und die Kinder darben, ja, er hat sogar das Recht, vom Arbeitgeber die Auszahlung des Verdienstes seiner Frau zu beanspruchen. Wer könnte ihr verdenken, wenn sie bei solcher Sachlage auf die frivole Eheschließung verzichtete, wie das zum Beispiel in Frankreich so häufig der Fall war. Sie kann weiter in den meisten romanischen Ländern – in Frankreich bis 1897 – auch nicht als Zeuge auftreten bei dem Abschluß von Verträgen, Testamenten und notariellen Akten. Dagegen läßt man sie – seltsamer Widerspruch – als Zeugin vor Gericht fungieren in allen Kriminalfällen, wo unter Umständen ihr Zeugnis die Hinrichtung eines Menschen herbeiführen kann. Kriminalrechtlich wird sie allerwärts für vollwertig angesehen, und sie wird für jedes Verbrechen und Vergehen mit gleichem Maße gemessen wie der Mann. Dieser Widerspruch kommt unseren Herren Gesetzgebern nicht zum Bewußtsein. Als Witwe darf sie ein Testament über ihren Nachlaß verfassen, aber als Testamentszeugin wird sie in einer großen Anzahl Staaten nicht zugelassen, doch kann sie nach Artikel 1029 des Code civil als Testamentsvollstreckerin ernannt werden. In Italien ist sie seit dem Jahre 1877 auch zivilrechtlich als vollwertige Zeugin zugelassen. Die Bevorzugung des Mannes tritt besonders grell in der Ehescheidungsgesetzgebung zutage. Nach dem Code civil war in Frankreich dem Ehemann der Antrag auf Ehescheidung gestattet, sobald die Ehefrau sich des Ehebruchs schuldig machte, dagegen konnte nach Artikel 230 die Frau einen solchen Antrag nur stellen, wenn der Ehemann seine Konkubine in den gemeinsamen Haushalt aufnahm. Dieser Artikel ist durch das Gesetz über die Ehescheidung vom 27. Juli 1884 gefallen, aber im französischen Strafrecht ist der Unterschied geblieben, was sehr bezeichnend für die französischen Gesetzgeber ist. Wird die Frau des Ehebruchs überführt, so wird sie mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 2 Jahren bestraft. Der Mann 3 4
A. Chapman und M. Chapman, The statuts of women under the english Law, London 1909. L. Briedel [meint: Bridel], La puissance maritale, Lausanne 1879.
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wird nur bestraft, wenn er, nach dem früheren Artikel 230 des Code civil, eine Konkubine im Hause des Ehepaares unterhält und daraufhin die Ehefrau klagt. Er erhält aber, wenn für schuldig erkannt, nur eine Geldbuße von 100 bis zu 2.000 Franc. (Artikel 337 und 339 des Code penal.) Eine solche Rechtsungleichheit wäre unmöglich, wenn auch Frauen (315) im französischen Parlament säßen. Ähnliches Recht besteht in Belgien. Die Strafe für den Ehebruch der Frau ist dieselbe wie in Frankreich, der Ehemann kann nur bestraft werden, falls der Ehebruch in der Wohnung der Eheleute begangen wurde, alsdann tritt für den Ehemann Gefängnisstrafe von einem Monat bis zu einem Jahre ein. Etwas gerechter ist man in Belgien als in Frankreich, aber zweierlei Recht besteht hier wie dort für Mann und Frau. Ähnliche Bestimmungen gelten unter dem Einfluß des französischen Rechts in Spanien und Portugal. Das italienische gemeine Recht (Zivilrecht) vom Jahre 1865 ermöglicht der Frau nur die Scheidung, wenn der Ehemann seine Konkubine im Hause unterhält, oder an einem Orte, an dem der Aufenthalt der Konkubine als eine besonders schwere Beleidigung für die Ehefrau angesehen werden muß. Im Jahre 1907, zugleich mit dem Gesetz (vom 21. Juni), das eine Reihe Artikel des Code civil, betreffend Eheschließungen, geändert hat, wurde endlich von beiden Kammern das Gesetz vom 13. Juli angenommen, das die Frau zur alleinigen Besitzerin alles dessen macht, was sie selbständig erwirbt oder durch Erbschaft und Schenkung erhält. Der Mann hat sein Verfügungsrecht über das Sondergut der Frau verloren. Das ist die erste Bresche in der französischen Gesetzgebung, und die französische Frau steht jetzt auf derselben Stufe, auf die die englische Frau durch das Gesetz von 1870 gestellt wurde. Viel weiter nicht nur im Vergleich mit dem Code civil, sondern auch mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch geht das neue schweizerische Zivilgesetzbuch, das am 10. Dezember 1907 angenommen ist und am 1. Januar 1912 in Kraft tritt. An Stelle der verschiedenen Gesetze der einzelnen Kantone, die teils im Anschluß an den Code civil, wie in Genf, Waadt und in der italienischen Schweiz, oder an das österreichische Recht, wie in Bern und Luzern, oder an das alte Gewohnheitsrecht in Schwyz, Uri, Unterwalden usw. galten, bekommt jetzt die Schweiz ein einheitliches Gesetz. Die Freiheit der Frau und der Kinder ist gesichert. Das neue Gesetz zuerkennt auch dann der Frau einen Anteil am Gewinn der Ehe (ein Drittel davon), wenn sie nur als Gehilfin oder Hausfrau mittätig gewesen ist. Auch im Erbrecht ist sie besser gestellt als nach dem deutschen Recht. So erhält sie neben den Eltern des Mannes außer der Hälfte des Nachlasses noch lebenslänglichen Nießbrauch an der anderen Hälfte. Schuldner solcher Ehemänner, welche die Sorge für Weib und Kind vernachlässigen können vom (316) Richter angewiesen werden, ihre Zahlungen an die Ehefrau zu leisten. Das Verbot der Eheschließung des geschiedenen Ehegatten mit demjenigen, mit welchem er den Ehebruch begangen hat, ist unter die Ehehindernisse nicht aufgenommen. (Der betreffende § 298 des Code civil ist auch in Frankreich im Jahre 1904 weggefallen.) Das eheliche Güterrecht ist im wesentlichen ebenso wie im Bürgerlichen Gesetzbuch geordnet. In erster Reihe entscheidet der Ehevertrag, der sowohl vor als während der Ehe geschlossen werden kann. Uneheliche Kinder haben, wenn die Ehe der Mutter versprochen war, Anspruch nicht nur auf Alimente wie im deutschen Recht, sondern auch auf Zusprechung der Standesfolge gegen den Vater, und erlangen damit die Rechte der ehelichen Kinder.
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Schweden sicherte durch Gesetz vom 11. Dezember 1874 der Ehefrau das Recht der freien Verfügung über das, was sie durch persönliche Arbeit erwirbt. Dänemark hat 1880 den gleichen Grundsatz zum geltenden Recht erhoben. Auch kann nach dänischem Recht das Besitztum der Frau nicht durch Schulden des Mannes in Anspruch genommen werden. Ganz ähnlich lautet das norwegische Gesetz vom Jahre 1888 und das finnländische vom Jahre 1889: Die verheiratete Frau hat dieselbe Fähigkeit der Verfügung über ihre Güter wie die nichtverheiratete, nur sind einige Ausnahmen vorgesehen, die im Gesetz erwähnt werden. Im norwegischen Gesetz wird dieses ausgesprochen, daß die Frau durch die Ehe unfrei wird. „In den skandinavischen wie in fast allen anderen Ländern geriet diese universelle Bewegung zur Erweiterung des ‚Sondergutes‘ der Frau an ganz demselben Punkte in Fluß, an dem sie auch in England einsetzte: dem Arbeitserwerb der Ehefrau. Die herrschenden Klassen gaben eben weit bereitwilliger die patriarchale Position des kleinen Mannes über die arbeitende, als diejenige des Mannes ihrer eigenen Schichten über die besitzende Frau preis.“5 In dem Gesetz vom 27. Mai 1908 macht die dänische Gesetzgebung einen weiteren Schritt. Entzieht sich der Ehemann beziehungsweise Vater seiner Unterhaltspflicht, so können die Frau beziehungsweise die Kinder verlangen, daß, nachdem die Höhe des zu gewährenden Unterhalts von der Verwaltungsbehörde festgesetzt ist, der Unterhalt ihnen aus öffentlichen Mitteln vorgeschossen wird. (317) Das Recht der Erziehung der Kinder und das Recht, über die Erziehung derselben Bestimmungen zu treffen, steht nach der in den meisten Ländern bestehenden Gesetzgebung dem Vater zu; hier und dort wird der Mutter eine untergeordnete Mitwirkung eingeräumt. Der alte römische Grundsatz, der im strikten Gegensatz zur mutterrechtlichen Zeit stand, daß der Vater alle Rechte und Gewalt über die Kinder habe, bildet allerwärts den Grundton der Gesetzgebung. In Rußland hat die verheiratete Frau das Recht der Verfügung nur über ihr Vermögen. Was ihre Erwerbstätigkeit betrifft, so bleibt sie in vollständiger Abhängigkeit von ihrem Manne. Ohne dessen Erlaubnis wird ihr nie ein Paß ausgestellt, der unentbehrlich ist bei jedem Wechsel des Wohnortes. Um eine Stelle zu übernehmen oder irgendeine Erwerbstätigkeit auszuüben, muß sie ebenfalls die Genehmigung des Mannes haben. Die Ehescheidung ist durch das geltende Gesetz so erschwert, daß sie nur in sehr seltenen Fällen durchgeführt werden kann. Viel unabhängiger war früher die Stellung der Frau in den alten Bauerngemeinden, was den noch vorhandenen kommunistischen Einrichtungen oder der Erinnerung an dieselben geschuldet ist. Sie war die Verwalterin ihres Besitztums. Der Kommunismus ist überhaupt der den Frauen günstigste Sozialzustand, das zeigte uns
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Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. S. 377. Tübingen 1907.
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schon die Darlegung aus dem Zeitalter des Mutterrechts.6 In den Vereinigten Staaten haben sich die Frauen die volle zivilrechtliche Gleichberechtigung erkämpft, auch haben sie verhindert, daß die englischen oder ähnliche Prostitutionsgesetze eingeführt wurden. 2. Der Kampf um die politische Gleichberechtigung (318) Die handgreifliche Rechtsungleichheit der Frauen gegenüber den Männern hat bei den vorgeschritteneren unter ihnen die Forderung nach politischen Rechten hervorgerufen, um durch die Gesetzgebung für ihre Gleichberechtigung zu wirken. Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitete, auf die Eroberung politischer Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht unrecht sein. Unterdrückt, rechtlos, vielfach hintangesetzt, haben sie nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, sich zu wehren und jedes ihnen gut scheinende Mittel zu ergreifen, um sich eine unabhängige Stellung zu erobern. Gegen diese Bestrebungen erheben sich natürlich wieder die reaktionären Unkenrufe. Sehen wir zu, mit welchem Recht. Hervorragend geistig veranlagte Frauen haben in den verschiedenen Zeitaltern und unter den verschiedensten Völkern, auch dort, wo sie nicht als Fürstinnen die Macht in Händen hatten, eine einflußreiche politische Rolle zu spielen verstanden. Davon war sogar der päpstliche Hof nicht ausgeschlossen. Konnten sie einen Einfluß nicht direkt und auf dem Wege ihnen zustehender Rechte erlangen, so auf dem Wege geistigen Übergewichts, selbst der Kabale und Intrige. Groß war insbesondere ihr Einfluß während Jahrhunderten am französischen Hofe, aber nicht minder an den spanischen und italienischen Höfen. So war gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts am Hofe Philipps V. von Spanien die Großkämmerin Marie von Trémouille, Herzogin von Bracciano und Fürstin von Ursins, während dreizehn Jahren der erste Minister Spaniens, und sie leitete während dieser Zeit die spanische Politik in ausgezeichneter Weise. Auch als fürstliche Mätressen haben sie es vielfach meisterhaft verstanden, sich einen oft gewaltigen politischen Einfluß zu sichern; wir erinnern nur an die altbekannten Namen, die Maintenon, die Mätresse Ludwigs XIV., und die Pompadour, die Mätresse Ludwigs XV. Die große geistige Bewegung, die sich im achtzehnten Jahrhundert unter Männern wie Montesquieu, Voltaire,
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Wie richtig diese Auffassung ist, geht auch aus Aristophanes’ Lustspiel „Die Frauenvolksversammlung“ (übersetzt von Hieronymus Müller, Leipzig 1846) hervor. Aristophanes schildert in jenem Lustspiel, wie das athenische Staatswesen so verfahren war, daß niemand mehr aus noch ein wußte. Die Prytanen stellen in der Volksversammlung der Bürger Athens die Frage zur Erörterung, wie der Staat zu retten sei. Darauf macht eine als Mann verkleidete Frau den Vorschlag, den Frauen die Führung des Staatsruders anzuvertrauen, und dieser Vorschlag wurde, „weil es das einzige sei, was noch nie in Athen geschah“, ohne Widerspruch angenommen. Die Frauen ergreifen das Staatsruder und führen sofort den Kommunismus ein. Selbstverständlich macht Aristophanes diesen Zustand lächerlich, aber das Charakteristische an seiner Dichtung ist, daß er die Frauen, sobald sie ein entscheidendes Wort in den öffentlichen Angelegenheiten erhalten, den Kommunismus als die von ihrem Standpunkt aus einzig vernünftige Staats- und Gesellschaftsverfassung einführen läßt. Aristophanes ahnte nicht, wie er im Scherz das Richtige traf.
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d’Alembert, Holbach, Helvetius, Lamettrie, Rousseau und vielen anderen vollzog, ließen die Frauen nicht unberührt. Mochten viele unter ihnen, um die Mode mitzumachen oder ihrem Hang zur Intrige Rechnung zu tragen, oder aus sonstigen nicht immer rühmlichen Motiven sich an dieser großen Bewegung beteiligen, welche (319) die Berechtigung aller Grundlagen des Staates und der feudalen Gesellschaft in Zweifel zog und untergrub, eine ganze Anzahl derselben nahm aus lebhaftem Interesse und aus Begeisterung für die großen Ziele an ihr teil. Schon Jahrzehnte vor dem Ausbruch der großen Revolution, die wie ein reinigendes Gewitter Frankreich durchtobte, alles Alte aus den Fugen trieb und zu Boden warf und die vorgeschrittensten Geister in der ganzen Kulturwelt zu hellem Jubel begeisterte, strömten die Frauen in Mengen in die wissenschaftlichen und politischen Klubs, in denen philosophische, naturwissenschaftliche, religiöse, soziale, politische Fragen mit bis dahin unerhörter Kühnheit erörtert wurden, und beteiligten sich an den Debatten. Und als endlich im Juli 1789 mit dem Bastillesturm die Ouvertüre zur großen Revolution begann, da waren es sowohl die Frauen aus den oberen Schichten wie aus dem Volke, die sehr aktiv in die Bewegung eingriffen und einen merkbaren Einfluß pro und kontra ausübten. Exzessiv im Guten wie im Schlimmen beteiligten sie sich, wo die Gelegenheit sich dazu fand. Die Mehrzahl der Geschichtschreiber hat mehr von den Ausschreitungen der Revolution, die unter den gegebenen Verhältnissen nur zu natürlich waren, denn sie waren die Folge all der ungeheuren Erbitterung über die unsägliche Korruption, die Ausbeutung, den Betrug, die Niedertracht, die Schmach und den Verrat der herrschenden Klassen am Volke, als von ihren Großtaten Akt genommen. Unter dem Einfluß dieser einseitigen Schilderungen dichtete Schiller sein: „… da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Spott.“ Und doch haben sie in jenen Jahren so viel Beispiele von Heroismus, Seelengröße und bewundernswerter Aufopferungsfähigkeit gegeben, daß ein unparteiisches Buch „Über die Frauen in der großen Revolution“ schreiben hieße, ihnen eine weithin leuchtende Ehrensäule errichten.7 Waren doch selbst nach Michelet die Frauen die Avantgarde der Revolution. Die allgemeine Not, unter der das französische Volk unter dem Raub- und Schandregiment der Bourbonen litt, traf wie immer unter gleichen Verhältnissen namentlich die Frauen. Von fast jedem ehrlichen Erwerb durch die Gesetze ausgeschlossen, fielen sie zu Zehntausenden der Prostitution zum Opfer. Dazu kam die Hungersnot des Jahres 1789, die ihr und ihrer Angehörigen Elend auf die Spitze trieb. Diese zwang sie im Oktober zum (320) Rathaussturm und zum Massenzug nach Versailles, dem Sitz des Hofes; sie veranlaßte aber auch eine Anzahl von ihnen, bei der Nationalversammlung zu petitionieren, „daß die Gleichheit zwischen Mann und Frau wiederhergestellt, ihnen Arbeit und Beschäftigung freigegeben werde und ihnen Stellen eingeräumt würden, für die ihre Fähigkeit sie eigneten“. Und da sie begriffen, daß, um zu ihrem Recht zu kommen, sie Macht haben müßten, Macht sich aber nur erobern ließ, wenn sie sich organisierten und in Massen zusammenständen, so riefen sie in ganz Frankreich Frauenvereine ins Leben, die zum Teil eine überraschend hohe Mitgliederzahl erlangten, und beteiligten sich auch an den Versammlungen der Männer. Wenn die geniale Madame Roland es vorzog, unter den „Staatsmännern“ der Revolution, den Girondisten, eine leitende politische Rolle zu spielen, so nahm 7
Siehe Emma Adler, Die berühmten Frauen der französischen Revolution, Wien 1906.
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die feurige und beredte Olympe de Gouges die Führung der Frauen des Volkes in ihre Hand und trat mit der ganzen Begeisterung, zu der ihr Temperament sie befähigte, für diese ein. Als 1793 der Konvent die Menschenrechte (les droits de l’homme) proklamierte, erkannte sie sofort, daß es nur Männerrechte seien. Diesen stellte Olympe de Gouges im Verein mit Rose Lacombe und anderen in 17 Artikeln die „Frauenrechte“ gegenüber, die sie 1795 vor der Pariser Kommune des längeren begründeten mit Ausführungen, die auch noch heute ihre volle Berechtigung haben und in denen der der Situation entsprechende Satz enthalten war: „Hat die Frau das Recht, das Schafott zu besteigen, so muß sie auch das Recht haben, die Tribüne zu besteigen.“ Ihre Forderungen blieben unerfüllt. Dagegen fand ihr Hinweis auf das Recht der Frau, gegebenenfalls das Schafott besteigen zu müssen, blutige Bestätigung. Ihr Eintreten für die Rechte der Frauen auf der einen und ihr Kampf gegen die Gewalttaten des Konvents auf der anderen Seite ließen sie dem Konvent für das Schafott reif erscheinen; ihr Kopf fiel noch am 3. November desselben Jahres. Fünf Tage später fiel auch der Kopf der Madame Roland. Beide starben wie Helden. Kurz vor ihrem Tode, am 30. Oktober 1793, hatte der Konvent seine frauenfeindliche Gesinnung auch dadurch bestätigt, daß er die Unterdrückung aller Frauenvereine beschloß, und später ging er sogar so weit, als die Frauen fortfuhren, gegen das an ihnen verübte Unrecht zu protestieren, daß er ihnen den Besuch des Konvents und der öffentlichen Versammlungen verbot und sie als Aufrührer behandelte. (321) Als der Konvent gegen das heranmarschierende monarchische Europa „das Vaterland in Gefahr“ erklärt hatte und das Massenaufgebot anordnete, erboten sich die Pariser Frauen zu tun, was zwanzig Jahre später begeisterte preußische Frauen ausführten, mit dem Gewehr in der Hand das Vaterland zu verteidigen, hoffend, damit ihr Recht auf Gleichheit zu beweisen. Aber da trat ihnen in der Kommune der radikale Chaumette entgegen, der ihnen zurief: „Seit wann ist es den Frauen gestattet, ihr Geschlecht abzuschwören und sich zu Männern zu machen? Seit wann ist es Gebrauch, sie die fromme Sorge ihres Haushaltes, die Wiege ihrer Kinder verlassen zu sehen, um auf die öffentlichen Plätze zu kommen, von der Tribüne herab Reden zu halten, in die Reihe der Truppen zu treten, mit einem Worte Pflichten zu erfüllen, welche die Natur dem Manne allein zugeteilt hat? – Die Natur hat zu dem Manne gesagt: Sei Mann! Die Wettrennen, die Jagd, der Ackerbau, die Politik und die Anstrengungen aller Art sind dein Vorrecht! Sie hat zu dem Weibe gesagt: Sei Weib! Die Sorge für deine Kinder, die Details des Haushaltes, die süße Unruhe der Mutterschaft, das sind deine Arbeiten! – Unkluge Frauen, warum wollt ihr Männer werden? Sind die Menschen nicht genug geteilt? Was bedürft ihr mehr? Im Namen der Natur, bleibt, was ihr seid; und weit entfernt, uns um die Gefahren eines so stürmischen Lebens zu beneiden, begnügt euch damit, sie uns im Schoße unserer Familien vergessen zu machen, indem ihr unsere Augen ruhen lasset auf dem entzückenden Schauspiel unserer durch eure zärtliche Sorge glücklichen Kinder.“ Ohne Zweifel sprach der radikale Chaumette den meisten unserer Männer aus der Seele. Auch wir glauben, daß es eine zweckmäßige Arbeitsteilung ist, den Männern die Verteidigung des Landes zu überlassen, dagegen den Frauen die Sorge für Heimat und Herd. Im übrigen ist der rednerische Erguß Chaumettes nur Phrase. Was er von der Mühe des Mannes im Ackerbau sagt, trifft nicht zu, denn
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im Ackerbau hat von uralter Zeit bis zur Stunde die Frau nicht die leichteste Rolle gehabt. Die Anstrengungen der Jagd und des Wettrennens sind keine „Anstrengungen“, sondern ein Vergnügen der Männer. Die Politik aber hat nur Gefahren für die, die gegen den Strom schwimmen, im übrigen bietet sie wenigstens ebensoviel Vergnügen als Anstrengung. Es ist der Egoismus des Mannes, der aus dieser Rede spricht. (322) Gleiche Bestrebungen, wie sie das Auftreten der Enzyklopädisten und die große Revolution in Frankreich hervorgerufen hatten, waren auch in den Vereinigten Staaten aufgetaucht, als diese in den siebziger und achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit von England erkämpften und sich eine demokratische Verfassung gaben. Hier waren es in erster Linie Mercy Ottis Warren und die Gattin des späteren zweiten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Mrs. Adams, und ihnen gleichgesinnte Frauen, die für die politische Gleichberechtigung eintraten. Ihrem Einfluß war es zu danken, daß wenigstens der Staat New Jersey den Frauen das Stimmrecht gewährte, es aber bereits im Jahre 1807 wieder beseitigte. Noch vor dem Ausbruch der Revolution in Frankreich (1787) war es hier Condorcet, der spätere Girondist, der in einem glänzend geschriebenen Essay für das Frauenstimmrecht und die volle politische Gleichheit der Geschlechter eintrat. Angeregt durch die gewaltigen Ereignisse im Nachbarlande erhob jenseits des Kanals die 1759 geborene tapfere Mary Wollstonecraft ihre Stimme. 1790 schrieb sie gegen Burke, den heftigsten Gegner der Französischen Revolution, ein Buch, in dem sie die Forderung der Menschenrechte verteidigte. Sehr bald ging sie aber dazu über, auch für ihr eigenes Geschlecht die Menschenrechte zu verlangen. Das geschah in ihrem 1792 erschienenen Buche „A Vindication of the Rights of Women“ (Eine Rechtfertigung der Rechte der Frauen), in dem sie, scharfe Kritik an dem eigenen Geschlecht übend, für die Frauen die volle Gleichberechtigung zum Besten des Ganzen in Anspruch nahm und kühn verteidigte. Aber sie fand wie natürlich den heftigsten Widerstand und die schwersten und ungerechtesten Angriffe. An schweren seelischen Kämpfen ging sie (1797), von ihren Zeitgenossen verkannt und verhöhnt, zugrunde. Das Merkwürdigste aber ist, daß um dieselbe Zeit, in der in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten die ersten ernsten Bestrebungen auftauchten, die politische Gleichheit der Frauen zu erkämpfen, auch in dem damals so rückständigen Deutschland ein deutscher Schriftsteller – Th. G. v. Hippel – sich fand, der ein Buch erscheinen ließ, in dem er, zunächst anonym, unter dem Titel „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber“, Berlin 1792, für die Gleichberechtigung der Frauen eintrat. Das war zu einer Zeit, in der ein Buch „Über die bürgerliche Verbesserung der Männer“ in Deutsch-(323)land die gleiche Berechtigung gehabt hätte. Um so mehr ist der Mut des Mannes zu bewundern, der in diesem Buche alle Konsequenzen für die soziale und politische Gleichberechtigung der Geschlechter zog und sehr geschickt und geistvoll verteidigte. Seitdem ruhte lange Zeit die Forderung der politischen Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, aber die Forderung ist allmählich ein Postulat in der vorgeschritteneren Frauenbewegung aller Kulturländer geworden und ist zum Teil in einer Anzahl Staaten verwirklicht. In Frankreich traten die St. Simonisten und Fourieristen für die gesellschaftliche Gleichheit der Geschlechter ein, und der Fourierist Considérant beantragte 1848 in der Verfassungskommission des franzö-
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sischen Parlaments die Gewährung der gleichen politischen Rechte an die Frauen. 1851 wiederholte Pierre Leroux den Antrag in der Kammer, aber ebenfalls ohne Erfolg. Heute liegen die Dinge wesentlich anders. Die ganze Entwicklung, alle Verhältnisse haben sich seitdem mächtig umgestaltet und haben auch die Stellung der Frauen verändert. Sie sind mehr als je mit allen Fasern ihrer Existenz mit dem gesellschaftlichen Entwicklungsgang verbunden und greifen mehr als je auch selbsttätig ein. Wir sehen, wie in allen Kulturstaaten Hunderttausende und Millionen Frauen gleich den Männern in den verschiedensten Berufen tätig sind und die Zahl derjenigen von Jahr zu Jahr wächst, die auf die eigene Kraft und die eigenen Fähigkeiten angewiesen, den Kampf um die Existenz zu führen haben. Es kann also den Frauen sowenig wie den Männern gleichgültig sein, wie unsere sozialen und politischen Verhältnisse beschaffen sind. Fragen zum Beispiel wie die: Welche innere und welche äußere Politik gehandhabt wird, ob eine solche Kriege begünstigt oder nicht, ob der Staat jährlich Hunderttausende von gesunden Männern in der Armee festhält und Zehntausende ins Ausland treibt, ob die notwendigsten Lebensbedürfnisse durch Steuern und Zölle verteuert werden und die Familie um so härter treffen, je zahlreicher diese ist, und das in einer Zeit, in der die Mittel zum Leben für die große Mehrzahl äußerst knapp bemessen sind, gehen die Frau ebenso nahe an wie den Mann. Auch bezahlt die Frau direkte und indirekte Steuern von ihrer Lebenshaltung und aus ihrem Einkommen. Das Erziehungssystem ist für sie vom höchsten Interesse, denn die Art der Erziehung entscheidet in hohem Grade über die Stellung ihres Geschlechts; als Mutter hat sie daran ein doppeltes Interesse. (324) Ferner sind die Hunderttausende und Millionen Frauen in Hunderten von Berufsarten persönlich sehr lebhaft beteiligt an dem Zustand unserer Sozialgesetzgebung. Fragen, betreffend die Länge der Arbeitszeit, die Nacht-, Sonntags- und Kinderarbeit, die Lohnzahlungs- und Kündigungsfristen, die Schutzmaßregeln in Fabriken und Werkstätten, mit einem Worte der Arbeiterschutz, weiter die ganze Versicherungsgesetzgebung, das Gewerbegerichtswesen usw. sind auch für sie vom höchsten Interesse. Die Arbeiter haben über den Zustand vieler Industriezweige, in welchen Arbeiterinnen ausschließlich oder überwiegend beschäftigt sind, nur eine unvollkommene oder keine Kenntnis. Die Unternehmer haben alles Interesse, Mißstände, die sie verschulden, zu vertuschen, aber die Gewerbeinspektion erstreckt sich vielfach nicht auf Gewerbszweige, in welchen Frauen ausschließlich beschäftigt sind, auch ist sie noch äußerst unzureichend, und gerade hier sind Schutzmaßregeln am notwendigsten. Man braucht nur an die Arbeitslokale zu erinnern, in welchen in unseren größeren Städten Näherinnen, Schneiderinnen, Putzmacherinnen usw. zusammengepfercht werden. Von dort kommt kaum eine Klage, und dorthin dringt bis jetzt keine Untersuchung. Auch ist die Frau als Erwerbende an der Handels- und Zollgesetzgebung und dem gesamten bürgerlichen Rechte interessiert. Es kann also gar keinem Zweifel unterliegen, daß sie so gut wie der Mann das größte Interesse hat, Einfluß auf die Gestaltung unserer Zustände durch die Gesetzgebung zu erlangen. Ihre Beteiligung am öffentlichen Leben würde demselben einen bedeutenden Aufschwung geben und eine Menge neuer Gesichtspunkte eröffnen.
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Auf solche Ansprüche folgt die kurz abweisende Antwort: Die Frauen verstehen nichts von Politik, sie wollen auch in der großen Mehrzahl nichts davon wissen, auch verstehen sie das Stimmrecht nicht zu benutzen. Das ist wahr und nicht wahr. Allerdings haben bis jetzt noch nicht große Frauenkreise, wenigstens in Deutschland, die politische Gleichberechtigung gefordert. Die erste Frau, die schon Ende der sechziger Jahre in Deutschland dafür eintrat, war Frau Hedwig Dohm. Neuerdings sind es hauptsächlich die sozialdemokratisch gesinnten Arbeiterinnen, die kräftig agitatorisch dafür eintreten. Mit dem Einwand, daß bisher die Frauen der politischen Bewegung nur schwaches Interesse entgegenbrachten, ist nichts bewiesen. Bekümmerten sich bisher die Frauen nicht um Politik, so ist damit nicht (325) bewiesen, daß sie es nicht müßten. Dieselben Gründe, die gegen das Stimmrecht der Frauen angeführt werden, wurden in der ersten Hälfte der sechziger Jahre gegen das allgemeine Stimmrecht der Männer geltend gemacht. Der Verfasser dieser Schrift gehörte selbst noch 1863 zu denen, die sich gegen dasselbe erklärten, vier Jahre später verdankte er ihm seine Wahl in den Reichstag. Zehntausenden erging es ähnlich, sie wurden aus einem Saulus zu einem Paulus. Gleichwohl gibt es noch viele Männer, die ihr wichtigstes politisches Recht entweder nicht benutzen oder nicht zu benutzen verstehen, aber das ist kein Grund, ihnen dasselbe vorzuenthalten, und es kann keiner sein, es ihnen entziehen zu wollen. Bei den Reichstagswahlen stimmen in der Regel 25 bis 30 Prozent der Wähler nicht, und diese rekrutieren sich aus allen Klassen. Und unter den 70 bis 75 Prozent, die an der Wahl sich beteiligen, stimmt nach unserer Auffassung die Mehrzahl so, wie sie nicht stimmen dürfte, begriffe sie ihr wahres Interesse. Daß sie dieses noch nicht begriffen hat, liegt an dem Mangel politischer Bildung. Politische Bildung wird dadurch aber nicht gewonnen, daß man die Massen von öffentlichen Angelegenheiten fernhält, sondern dadurch, daß man sie zur Ausübung politischer Rechte zuläßt. Ohne Übung keine Meister. Die herrschenden Klassen haben es bisher in ihrem Interesse verstanden, die große Mehrheit des Volkes in politischer Unmündigkeit zu erhalten. Bis zu dieser Stunde war es deshalb die Aufgabe einer klassen- und zielbewußten Minorität, mit Energie und Begeisterung für die Interessen der Allgemeinheit zu kämpfen und die große träge Masse aufzurütteln und zu sich emporzuziehen. So war es aber bisher in allen großen Bewegungen, und so kann es weder verwundern noch entmutigen, daß es auch in der Frauenbewegung nicht anders ist. Die bisherigen Erfolge zeigen, daß Mühe und Opfer belohnt werden, und die Zukunft bringt den Sieg. In dem Augenblick, in dem die Frauen gleiche Rechte mit den Männern erlangen, wird auch das Bewußtsein der Pflichten in ihnen lebendig werden. Aufgefordert, ihre Stimmen abzugeben, werden sie sich fragen: Wozu? Für wen? Mit diesem Augenblick werden zwischen Mann und Frau eine Reihe von Anregungen gegeben, die, weit entfernt, ihr gegenseitiges Verhältnis zu verschlechtern, es im Gegenteil wesentlich verbessern werden. Die ununterrichtetere Frau wird sich naturgemäß an den unterrichteteren Mann wenden. Daraus folgt (326) Ideenaustausch und gegenseitige Belehrung, ein Zustand, wie er bisher in den seltensten Fällen zwischen Mann und Frau bestand. Dies wird ihrem Leben einen neuen Reiz geben. Der unglückliche Bildungs- und Auffassungsunterschied unter den Geschlechtern, der so vielfach zu Meinungsdifferenzen und Streitigkeiten führt, den Mann mit seinen verschiedenseitigen Pflichten in Zwiespalt setzt und das Gemein-
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wohl schädigt, wird mehr und mehr ausgeglichen. Statt eines Hemmschuhs wird der Mann in der gleichgesinnten Frau eine Unterstützerin erhalten; sie wird, wenn sie selbst durch Pflichten abgehalten ist, sich zu beteiligen, den Mann anspornen, seine Schuldigkeit zu tun. Sie wird es auch in der Ordnung finden, daß ein Bruchteil des Einkommens für eine Zeitung und für Agitationszwecke ausgegeben wird, weil auch ihr die Zeitung zur Belehrung und Unterhaltung dient und weil sie die Notwendigkeit der Opfer für die Agitation begreift, damit erobert wird, was ihr, dem Manne und ihren Kindern fehlt – ein menschenwürdiges Dasein. So wird das beiderseitige Eintreten für das Gemeinwohl, das mit dem eigenen aufs engste verknüpft ist, im höchsten Grade veredelnd wirken. Es wird das Gegenteil von dem geschehen, was Kurzsichtige oder die Feinde eines auf voller Gleichberechtigung aller beruhenden Gemeinwesens behaupten. Dieses Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern wird in demselben Maße sich verschönern, wie die gesellschaftlichen Einrichtungen Mann und Frau von materieller Sorge und übermäßiger Arbeitslast befreien. Übung und Erziehung werden hier wie in anderen Fällen weiterhelfen. Gehe ich nicht ins Wasser, so lerne ich nie schwimmen; studiere ich keine fremde Sprache und übe ich sie nicht, so werde ich sie nie sprechen lernen. Das findet jeder natürlich, aber viele begreifen nicht, daß dasselbe auch für die Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft gilt. Sind unsere Frauen unfähiger als die weit tiefer stehenden Neger, denen man in Nordamerika die politische Gleichberechtigung zuerkannte? Oder soll eine geistig hochstehende Frau weniger Recht haben als der roheste, ungebildetste Mann; zum Beispiel als ein unwissender, hinterpommerscher Tagelöhner oder ein ultramontaner polnischer Kanalarbeiter, und nur deshalb, weil der Zufall diese als Männer zur Welt kommen ließ? Der Sohn hat mehr Recht als die Mutter, von der er vielleicht seine besten Eigenschaften erbte, die ihn zu dem erst machte, was er ist. In der Tat sonderbar! (327) Überdies riskieren wir nicht mehr in das Dunkle, Unbekannte zu springen. Nordamerika, Neuseeland, Australien und Finnland haben bereits die Bahn gebrochen. Über die Wirkung desselben schrieb schon am 12. November 1872 Richter Kingmann aus Laramie City an die Frauenzeitung (Women’s Journal) in Chikago folgendes: „Es sind heute drei Jahre, daß in unserem Territorium die Frauen das Stimmrecht erhielten sowie das Recht, an den Ämtern teilzunehmen wie die anderen Wähler. In dieser Zeit haben sie gewählt und sind erwählt worden zu verschiedenen Ämtern; sie sind als Geschworene und Friedensrichter in Funktion gewesen. Sie haben sich allgemein beteiligt bei allen unseren Wahlen, und obschon ich glaube, daß einige unter uns im Prinzip das Eintreten der Frauen nicht gutheißen, so wird, glaube ich, niemand verweigern können anzuerkennen, daß dieses Eintreten auf unsere Wahlen einen erzieherischen Einfluß geübt hat. Es veranlaßte, daß sie ruhig und ordentlich verliefen und daß zu gleicher Zeit unsere Gerichtshöfe in die Lage kamen, verschiedene Arten von Verbrechern zu erreichen und zu bestrafen, die bis dahin ungestraft blieben.
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Als zum Beispiel das Territorium organisiert ward, gab es fast niemand, der nicht einen Revolver bei sich trug und bei dem geringsten Streit Gebrauch davon machte. Ich erinnere mich nicht eines einzigen Falles, daß eine aus Männern gebildete Jury einen derjenigen, die mit dem Revolver geschossen hatten, für überführt erachtete; aber mit zwei oder drei Frauen unter den Geschworenen haben dieselben stets den Belehrungen (instructions) des Gerichtshofes Folge geleistet …“ Und wie man nach fünfundzwanzigjähriger Einführung des Frauenstimmrechts in Wyoming über dasselbe dachte, spricht die Adresse aus, die am 12. November 1894 die Volksvertretung des Staates an alle Parlamente der Welt erließ. Darin hieß es: „Der Besitz und die Ausübung des Stimmrechts durch Frauen in Wyoming hat keinerlei schlechte, sondern nach vielen Richtungen hin sehr gute Folgen gehabt; es hat in hervorragender Weise dazu beigetragen, Verbrechen und Armut aus diesem Staate zu verbannen, und zwar ohne alle Gewaltmaßregeln; es hat friedliche und ordentliche Wahlen, eine gute Regierung, einen bemerkenswerten Grad von Zivilisation und öffentlicher Ordnung herbeiführen helfen; und wir weisen mit Stolz auf die Tatsache hin, daß seit fünfundzwanzig Jah-(328)ren, seit die Frauen das Stimmrecht besitzen, kein Distrikt von Wyoming ein Armenhaus besitzt, daß unsere Gefängnisse so gut wie leer und Verbrechen so gut wie unbekannt sind. Gestützt auf unsere Erfahrung dringen wir darauf, daß jeder zivilisierte Staat auf Erden den Frauen ohne Verzug das Stimmrecht gewährt.“ Bei aller Anerkennung für die politische Tätigkeit der Frauen im Staate Wyoming gehen wir nicht so weit wie die begeisterten Verteidiger des Frauenstimmrechts in der dortigen Volksvertretung, ausschließlich dem Stimmrecht der Frauen die beneidenswerten Zustände zuzuschreiben, deren sich, nach der Schilderung der Adresse, der Staat erfreut – hierfür sind eine Reihe sozialer Momente verschiedener Art mit entscheidend; aber fest steht, daß die Ausübung des Frauenstimmrechts von den wohltätigsten Folgen für Wyoming begleitet war und nicht ein Nachteil daraus entstand. Das ist die glänzendste Rechtfertigung für die Einführung desselben. Das Beispiel von Wyoming fand Nachahmung. In den Vereinigten Staaten erhielten die Frauen im Jahre 1895 in Kolorado das politische Stimmrecht, im Jahre 1895 in Utah, im Jahre 1896 in Idaho, im Jahre 1908 in Süd-Dakota, im Jahre 1909 in Washington, und sie wählten auch sofort eine Anzahl Vertreterinnen. Im Jahre 1899, nachdem die Neuerung in Kolorado fünf Jahre bestanden hatte, beschloß das Parlament mit 45 gegen 3 Stimmen folgende Resolution: „In Erwägung, daß gleiches Wahlrecht für beide Geschlechter seit fünf Jahren in Kolorado besteht, während welcher Zeit die Frauen es ebenso allgemein ausgeübt haben als die Männer, und zwar mit dem Erfolg, daß für öffentliche Ämter geeignetere Kandidaten gewählt wurden, die Wahlmethode verbessert, die Gesetzgebung vervollkommnet, die allgemeine Bildung gehoben, das politische Verantwortlichkeitsgefühl infolge des weiblichen Einflusses stärker entwickelt worden ist, beschließt das Unterhaus, daß im Hinblick auf diese Resultate die politische Gleichstellung der Frauen jedem Staate und jedem Territorium der nordamerikanischen Union als eine gesetzgeberische Maßnahme empfohlen werde, die geeignet ist, eine höhere und bessere Ordnung herbeizuführen.“
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In einer Reihe Staaten haben die Parlamente die Einführung des Frauenwahlrechts beschlossen, die Volksabstimmung hat jedoch diese Beschlüsse annulliert. So in Kansas, Oregon, Nebraska, Indiana und Oklahoma; in Kansas und Oklahoma hat sich der Vorgang bereits (329) zweimal, in Oregon gar dreimal wiederholt, und zwar sind die Majoritäten gegen die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts immer kleiner geworden. „Äußerst buntscheckig ist, was die Frauen an Recht auf kommunalem Gebiet erreicht haben; alles in allem sind diese ihre Errungenschaften aber nicht sehr bedeutend. Selbstverständlich besitzen die Frauen volles kommunales Bürgerrecht in den vier Staaten, in denen ihnen das politische Wahlrecht eignet. Davon abgesehen, ist ihnen aber nur in einem einzigen Staate, in Kansas, das aktive und passive Gemeindewahlrecht zuerkannt worden, das auch das aktive und passive Wahlrecht zu den Schulverwaltungen und das Referendumrecht in Steuerbewilligungsfragen in sich begreift. Das aktive Gemeindewahlrecht besitzen die Frauen in Michigan seit 1895, doch es ist kein allgemeines, da es an einen Bildungsnachweis geknüpft ist. Die Staaten Louisiana, Montana, Iowa und New York haben ihnen das Abstimmungsrecht in kommunalen Steuerbewilligungsfragen erteilt. Mehr Einfluß als auf die allgemeinen Gemeindeangelegenheiten haben die Frauen auf dem Gebiet der Schulverwaltung erlangt. Das aktive und passive Wahlrecht zu den Schulverwaltungen steht ihnen zu in Connecticut, Delaware, Illinois, Massachusetts, Minnesota, Montana, Nebraska, New Hampshire, New Jersey, New York, Nordund Süd-Dakota, Ohio, Oregon, Vermont, Wisconsin, Washington und dem Territorium Arizona. Das aktive Schulwahlrecht allein besitzen sie in Kentucky und dem Territorium Oklahoma, in dem erstgenannten Staate ist es jedoch nur gewissen Klassen von Frauen und unter gewissen Bedingungen eingeräumt. In Kalifornien, Iowa, Louisiana, Maine, Pennsylvanien und Rhode-Island ist den Frauen das passive Schulwahlrecht gewährt worden, aber nur zu gewissen Ämtern in der Schulverwaltung.“8 In Neuseeland besitzen die Frauen das politische Wahlrecht seit 1893. Sie haben sich sehr lebhaft an den Parlamentswahlen beteiligt, und zwar lebhafter als die Männer; doch besitzen sie nur das aktive Wahlrecht, gewählt können nur Männer werden. Von 139.915 volljährigen Frauen haben sich im Jahre 1895 nicht weniger als 109.461 in die Wählerlisten eintragen lassen, 785 auf je 1.000. An den Wah(330)len nahmen 90.290 teil, 645 auf je 1.000. Im Jahre 1896 war die Zahl der Abstimmenden 108.783 (68 Prozent), im Jahre 1902 138.565, im Jahre 1905 175.046. In Tasmanien erhielten die Frauen das Gemeindewahlrecht im Jahre 1884 und das politische Wahlrecht im Jahre 1903. In Südaustralien besitzen die Frauen das politische Wahlrecht seit 1895, in Westaustralien seit 1900, in Neu-Südwales seit 1902, in Queensland seit 1905, in Victoria seit 1908. Der Bund dieser Kolonialstaaten hat noch im Jahre 1902 das Frauenstimmrecht zu dem Bundesparlament eingeführt. Mit der Zuerkennung des Wahlrechts ist auch das Recht der Wählbarkeit verbunden, aber bisher ist noch keine Frau ins Parlament gewählt.
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Clara Zetkin, Zur Frage des Frauenwahlrechts. S. 64-65, Berlin 1907. Im Jahre 1909 haben die Frauen das Wahlrecht auch in Süd-Dakota und in Washington bekommen.
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Den großjährigen Frauen wurde das aktive und passive Parlamentswahlrecht unter den gleichen Bedingungen zuerkannt, wie sie für Männer gelten. Weniger demokratisch ist die Gemeindeverwaltung geregelt. Das Recht der Anteilnahme an der Gemeindeverwaltung ist an die Heerespflicht geknüpft. Seit 1889 können die steuerzahlenden Frauen in den Armenrat der städtischen und ländlichen Gemeinden gewählt werden. Auch als Armenhausvorsteherinnen können Frauen gewählt werden, sie sind ferner wählbar in die Schulräte und Schuldirektionen. Infolge des grandiosen Generalstreiks im Oktober 1905 und des Sieges der russischen Revolution wurde in Finnland die Konstitution wiederhergestellt. Der Arbeiterklasse gelang, es durch äußeren Druck so weit zu bringen, daß der Ständelandtag das allgemeine Wahlrecht – auch für Frauen – als Gesetz annahm. Ausgeschlossen wurden solche, die Armenunterstützung genießen oder die Personalsteuer für den Staat, 2 Mark für Männer, 1 Mark für Frauen, schulden. Im Jahre 1907 wurden in die Volksvertretung 19, im Jahre 1908 25 Frauen gewählt. In Norwegen nehmen seit 1889 die Frauen an der Schulverwaltung teil. Sie können in Städten vom Gemeinderat in die Schulräte entsandt werden. Frauen, welche Kinder haben, dürfen bei der Wahl von Schulinspektoren mitstimmen. Auf dem Lande sind alle, die Schulsteuer zahlen, ohne Unterschied des Geschlechts zur Teilnahme an den Versammlungen der Schulgemeinden berechtigt. Frauen können das Amt eines Schulinspektors bekleiden. Auch auf andere kommunale Angelegenheiten wurde den Frauen nach und nach Einfluß gewährt. (331) Im Jahre 1901 erhielten das aktive und passive Gemeindewahlrecht alle norwegischen Frauen, die das 25. Lebensjahr erreicht haben, die norwegische Staatsbürgerinnen und fünf Jahre im Lande ansässig sind und entweder selbst für das letzte Steuerjahr Staats- oder Gemeindesteuer für ein jährliches Mindesteinkommen von 337,50 Mark (300 Kronen) in den Landbezirken, 450 Mark (400 Kronen) in der Stadt entrichtet haben oder aber in Gütergemeinschaft mit einem Manne leben, der die festgelegten Einkommensätze versteuert hat. 200.000 Frauen erhielten das Wahlrecht, davon allein 30.000 in Christiana. Bei der ersten Wahl, die unter Beteiligung der Frauen stattfand, wurden in die Land- und Stadtverordnetenversammlungen 90 Frauen gewählt (und 160 Stellvertreterinnen), davon in Christiana sechs Stadtverordnete und eine Stellvertreterin. Am 1. Juli 1907 erhielten die norwegischen Frauen auch das politische Wahlrecht, doch nicht unter denselben Bedingungen wie für Männer. Für die politische Wahlberechtigung der Frauen gelten die gleichen Bestimmungen wie für das kommunale Wahlrecht. Gegen 250.000 großjährige Proletarierinnen bleiben politisch noch rechtlos. In Schweden haben seit 1862 unverheiratete Frauen das aktive Wahlrecht für Provinzialrats- und Gemeindewahlen unter den gleichen Bedingungen wie die Männer, das heißt, wenn sie volljährig sind, ein Einkommen von mindestens 562,50 Mark versteuern und ihre Steuern bezahlt haben. Noch im Jahre 1887 haben von 62.000 Frauen nur 4.000 abgestimmt. Das Recht, zu kommunalen Ämtern gewählt zu werden, blieb den Frauen zunächst ganz versagt, 1889 gewährte jedoch ein Gesetz ihnen Wählbarkeit zu den Armen- und Schulräten. Und im Februar 1909 bekamen die schwedischen Frauen das passive Wahlrecht zu allen Gemeinde- und Stadtverordnetenversammlungen. Im Jahre 1902 wurde das politische Frauenwahlrecht in der Zweiten Kammer mit 114 gegen 64 Stimmen abgelehnt, im Jahre 1905 mit 109 gegen 88.
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In Dänemark erhielten die Frauen nach einer langjährigen Agitation im April 1908 das aktive und passive Gemeindewahlrecht. Stimmrecht besitzen alle Frauen, die das 25. Lebensjahr erreicht haben und entweder selbst ein jährliches Einkommen von mindestens 900 Mark in der Stadt (in Landdistrikten weniger) oder in Gütergemeinschaft mit einem Manne leben, der die festgesetzten Einkommenssätze versteuert hat. Außerdem haben noch das Wahlrecht die (332) weiblichen Dienstboten, denen Kost und Logis als Lohn zugerechnet werden. Bei der ersten Wahl, die 1909 stattfand, wurden in Kopenhagen sieben Frauen in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. In Island haben die Frauen das aktive und passive Gemeindewahlrecht seit 1907. Eine förmliche Geschichte hat die Erkämpfung des Frauenstimmrechts in England hinter sich. Nach altem Rechte besaßen im Mittelalter Frauen, die Grundherrinnen waren, Stimmrecht, als solche übten sie auch die richterliche Gewalt. Im Laufe der Zeit verloren sie diese Rechte. In der Wahlreformakte von 1852 war das Wort „person“ gebraucht worden, was nach englischen Begriffen Angehörige beider Geschlechter, Mann und Frau, einschließt. Gleichwohl fand das Gesetz in bezug auf die Frauen eine einschränkende Auslegung, man wies sie zurück, wo sie den Versuch zu wählen machten. In der Wahlreformbill von 1867 hatte man dagegen statt des Wortes „person“ das Wort „man“ gesetzt. John Stuart Mill beantragte, an Stelle von „man“ wieder „person“ zu setzen, mit der ausdrücklichen Begründung, daß alsdann Frauen unter den gleichen Bedingungen wie Männer das Stimmrecht besitzen sollten. Der Antrag wurde mit 194 gegen 73 Stimmen abgelehnt. Sechzehn Jahre später (1883) wurde aufs neue im Unterhaus der Versuch gemacht, den Frauen das Stimmrecht einzuräumen. Der Antrag wurde mit einer Majorität von nur 16 Stimmen verworfen. Ein weiterer Versuch im Jahre 1884 wurde, bei ungleich stärkerer Besetzung des Hauses, mit einem Mehr von 136 Stimmen abgelehnt. Aber die Minorität ließ sich nicht werfen. Im Jahre 1886 gelang es ihr, in zwei Lesungen einen Antrag auf Erteilung des Parlamentsstimmrechts an die Frauen zur Annahme zu bringen. Die Auflösung des Parlaments verhinderte die endgültige Entscheidung. Am 29. November 1888 hielt Lord Salisbury eine Rede in Edinburgh, in der er unter anderem ausführte: „Ich hoffe ernstlich, daß der Tag nicht mehr fern sein wird, an dem die Frauen das Stimmrecht für die Parlamentswahlen mit den Männern teilen und die politische Richtung des Landes mitbestimmen.“ Und Alfred Russel Wallace, bekannt als Naturforscher und Anhänger Darwins, äußerte sich über dieselbe Frage: „Wenn Männer und Frauen die Freiheit haben, ihren besten Impulsen zu folgen, wenn beide die bestmögliche Erziehung erhalten, wenn keine falschen Beschränkungen einem menschlichen Wesen wegen des Zufalls des Geschlechts auferlegt werden und wenn (333) die öffentliche Meinung von den Weisesten und Besten reguliert und der Jugend systematisch eingeschärft werden wird, dann werden wir finden, daß ein System der menschlichen Auswahl sich geltend machen wird, welche eine reformierte Menschheit zur Folge haben muß. Solange Frauen gezwungen sind, die Heirat als ein Mittel anzusehen, vermöge dessen sie der Armut entgehen und der Verlassenheit sich entziehen können, sind und bleiben sie im Vergleich mit den Männern im Nachteil. Der erste Schritt daher in der Emanzipation der Frauen ist die Hinwegräumung aller Beschränkungen,
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welche sie verhindern, mit den Männern auf allen Gebieten der Industrie und Beschäftigungen zu konkurrieren. Aber wir müssen weitergehen und den Frauen die Ausübung ihrer politischen Rechte gestatten. Viele der Beschränkungen, unter denen die Frauen bisher gelitten, wären ihnen erspart worden, hätten sie eine direkte Vertretung im Parlament gehabt.“ Am 27. April 1892 wurde wieder mit 175 gegen 152 Stimmen der Eintritt in die zweite Lesung eines Antrags von Sir A. Rollit verweigert. Dagegen nahm am 3. Februar 1897 das Unterhaus einen Antrag auf Stimmrechtserteilung an, aber infolge allerhand Manöver seiner Gegner gelangte der betreffende Entwurf nicht zur dritten Lesung. Im Jahre 1904 hat sich der gleiche Vorgang wiederholt. Von den 1906 gewählten Mitgliedern des Unterhauses hatte die große Majorität vor ihrer Wahl sich zugunsten des Frauenstimmrechts erklärt. Am 21. Juni 1908 fand im Hydepark eine grandiose Demonstration statt. Schon am 28. Februar wurde der Antrag Stangers, der das Frauenstimmrecht innerhalb der Grenzen fordert, die heute für das Männerwahlrecht gelten, mit 271 gegen 92 Stimmen angenommen. Auf dem Gebiet der Lokalverwaltung breitet sich das Frauenstimmrecht immer mehr aus. In den Versammlungen der Kirchengemeinde haben die steuerzahlenden Frauen Zutritt und Stimme so gut wie die Männer. Seit 1899 haben die Frauen in England unter den gleichen Bedingungen wie die Männer das aktive und passive Wahlrecht für den Gemeinderat, der Bezirksrat und Grafschaftsrat. In den ländlichen Gemeinde- und den Bezirksräten sowie den Armenpflegschaften sind alle Besitzer und Mieter – die weiblichen einbegriffen – stimmberechtigt, welche in der Gemeinde oder im Bezirk wohnen. Das passive Wahlrecht zu den sogenannten Körperschaften besitzen alle volljährigen Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts. In den (334) Schulräten besitzen die Frauen das aktive, seit 1870 auch das passive Wahlrecht unter den gleichen Bedingungen wie die Männer. 1903 hat das reaktionäre englische Schulgesetz den Frauen jedoch das passive Wahlrecht zu den Schulverwaltungen der Grafschaft London entzogen. Seit 1869 besitzen die unabhängigen und unverheirateten Frauen das Stimmrecht zu den Staatsräten. Zwei Gesetze aus dem Jahre 1907 statuieren für England und Schottland die Wählbarkeit der unverheirateten Frauen in die Grafschafts- und Gemeinderäte. Jedoch soll einer Frau, die zur Vorsitzenden einer dieser Versammlungen gewählt wird, das damit verbundene Friedensrichteramt nicht zufallen. Außerdem sind sie jetzt auch in Distriktskirchenspiel- und Armenräte wählbar. Die erste Bürgermeisterin war am 9. November 1908 in Aldeburgh gewählt. 1908 saßen in den englischen Armenräten 1.162, in den Schulräten 615 Frauen. In Irland. haben die Frauen, soweit sie selbständige Steuerzahler sind, das aktive Gemeindewahlrecht seit 1887 und seit 1896 auch aktives und passives Wahlrecht für die Armenpflege. In dem britischen Kolonialreich von Nordamerika haben die meisten einzelnen Provinzen das Frauenstimmrecht auf kommunalem Gebiet im allgemeinen unter den gleichen Bedingungen eingeführt, wie es in England besteht. In den afrikanischen Kolonien Englands ist das Frauenstimmrecht auf kommunalem Gebiet ebenfalls eingeführt worden. In Frankreich brachte den ersten kleinen Fortschritt das Gesetz vom 27. Februar 1880. Durch dasselbe wird ein Wahlkörper geschaffen, dem Schulvorsteherinnen, Oberinspektorinnen, Inspektorinnen der Asyle angehören. Dieser Wahlkörper hat sich mit dem Volksschulwesen zu befassen. Ein weiteres Gesetz vom 23. Januar 1898 gewährt den handeltreibenden Frauen das Recht, an den Wahlen der Han-
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delsgerichte teilzunehmen. Das Gesetz vom 27. März 1907, welches die Gewerbegerichte reformiert, hat auch den Frauen das aktive Wahlrecht zu dieser Körperschaft verliehen, und seit 25. November 1908 besitzen die Frauen das passive Wahlrecht. In Italien haben die Frauen seit 1895 im Gegensatz zu Deutschland das aktive und passive Wahlrecht zu den Gewerbegerichtswahlen eingeräumt erhalten. Sie sind auch wählbar zu Mitgliedern des Vorstandes und der Verwaltung von Krankenhäusern, Waisenhäusern, Fürsorge-Erziehungsanstalten und Schulkommissionen. In Österreich können Frauen, die kraft ihres Besitzes zur Groß-(335)grundbesitzerkurie gehören, das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Reichsrat und zum Landtag persönlich oder durch einen männlichen Bevollmächtigten ausüben. In der Gemeinde steht den Frauen das Wahlrecht für die Gemeindevertretung insofern zu, als sie, wenn sie über 24 Jahre alt sind, als Gemeindemitglieder von ihrem Realbesitz, Gewerbe oder Einkommen eine direkte Steuer entrichten; Ehefrauen üben ihr Stimmrecht durch den Ehemann, andere durch einen Bevollmächtigten aus. Was das Wahlrecht zu Landtagen betrifft, so haben in der Klasse des Großgrundbesitzes die Frauen überall das Wahlrecht, das sie jedoch – von Niederösterreich abgesehen – nicht persönlich ausüben müssen. Nur in dem genannten Kronland bestimmt das Landgesetz von 1896, daß die Großgrundbesitzer ohne Unterschied des Geschlechts persönlich abstimmen müssen. Zu den Gewerbegerichten besitzen die Frauen, wie in den Niederlanden, nur das aktive Wahlrecht. In Deutschland sind die Frauen ausdrücklich vom aktiven und passiven Wahlrecht zu den eigentlichen parlamentarischen Körperschaften ausgeschlossen. Zu den Gemeinderatswahlen haben die Frauen in einzelnen Ländern beziehungsweise Landesteilen das Stimmrecht. Das passive Wahlrecht besitzen die Frauen in keiner einzigen Stadt- oder Landgemeinde. In den Städten sind sie auch vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. Ausnahmen von dieser Regel bilden lediglich die Städte des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach; der Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, des rechtsrheinischen Bayern und das lübeckische Städtchen Travemünde. In den bayerischen Städten steht allen Hausbesitzerinnen, in den sachsen-weimarischen und schwarzburgischen allen Bürgerinnen das Stimmrecht zu. Aber nur in Travemünde sind sie zu seiner persönlichen Ausübung berechtigt.9 Was die Landgemeinden betrifft, so besitzen die Frauen fast regelmäßig das aktive Wahlrecht in allen Gemeinden, in denen das Stimmrecht am Grundbesitz oder an bestimmten Steuerleistungen haftet. Jedoch müssen sie das Stimmrecht durch Vertreter ausüben lassen, auch sind sie nicht wählbar. So in Preußen, Braunschweig, Schleswig-Holstein, Sachsen-Weimar, Hamburg und Lübeck. Im Königreich Sachsen kann nach der Landgemeindeordnung die Frau das Stimmrecht ausüben, wenn sie Grundbesitzerin und unverheiratet ist. Ist sie verheiratet, so geht das Stimmrecht auf den (336) Ehemann über. In den Staaten, in denen in Gemeinden das Stimmrecht am Gemeindebürgerrecht haftet, besitzen es die Frauen in den
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Politisches Handbuch für Frauen, S. 86, Berlin 1909.
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meisten Fällen nicht. So in Württemberg, in der bayrischen Pfalz, in Baden, Hessen, Oldenburg, Anhalt, Gotha und Reuß i. C. In Sachsen-Weimar-Eisenach, Koburg, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen können Frauen aber nicht nur das Bürgerrecht unter denselben Bedingungen wie Männer erwerben, sondern sie besitzen auch das gleiche vom Besitz gänzlich losgelöste Stimmrecht. Allerdings ist ihnen auch hier eine persönliche Ausübung versagt. In den preußischen Landesteilen, wo das beschränkte kommunale Frauenwahlrecht besteht, nehmen die wahlberechtigten Frauen auch direkt oder indirekt teil an den Wahlen zu den Vertretungen der Landkreise, den Kreistagen. Im Wahlverband der größeren Grundbesitzer, der Vertreter von Bergwerks- und Gewerbebetrieben wählen die Frauen die Kreistagsabgeordneten direkt, in den Landgemeinden aber indirekt, da dort die Gemeindeversammlungen oder Gemeinderäte nicht diese Vertreter selbst wählen, vielmehr nur Wahlmänner. Da die Kreistage Abgeordnete für die Provinziallandtage wählen, so kann die kleine Zahl wahlberechtigter Frauen indirekt einen äußerst bescheidenen Einfluß auf die Verwaltung der Provinz ausüben. In den letzten Jahren werden die Frauen in immer größerer Zahl und mit bestem Erfolg zur Armen- und Waisenpflege herangezogen (eine Ausnahme bildet nur Bayern), in manchen Städten auch zu Schulkommissionen (Preußen, Baden, Württemberg, Bayern, Sachsen) und Wohnungsuntersuchungskommissionen (Mannheim). Das einzige öffentliche Gebiet, auf dem die Frauen das aktive und passive Wahlrecht besitzen, bleibt die Krankenversicherung; das Wahlrecht zu den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten ist ihnen verwehrt geblieben. Das Wahlrecht ist also in den angeführten Fällen in Deutschland und Österreich fast ausnahmslos nicht an die Person, sondern an den Besitz gebunden. Das ist sehr lehrreich für die herrschende Staatsmoral und das geltende Recht. Der Mensch ist politisch eine Null, hat er kein Geld und Gut. Nicht Verstand und Intelligenz, der Besitz entscheidet. Das Prinzip, der Frau als einer Unmündigen kein Stimmrecht einzuräumen, ist also tatsächlich durchbrochen. Dennoch wehrt man sich, ihr das volle Recht zuzuerkennen. Man sagt, der Frau das Stimmrecht einzuräumen sei gefährlich, weil sie leicht religiösen Vorurteilen zu-(337)gänglich und konservativ sei. Aber sie ist beides nur, weil sie unwissend ist; man erziehe sie und lehre sie, wo ihr wahres Interesse liegt. Übrigens wird der religiöse Einfluß bei Wahlen übertrieben. Die ultramontane Agitation war in Deutschland nur so erfolgreich, weil sie das soziale Interesse mit dem religiösen zu verbinden wußte. Die ultramontanen Kapläne wetteiferten lange Zeit mit den Sozialdemokraten, die soziale Fäulnis aufzudecken. Daher ihr Einfluß bei den Massen. Mit dem Ende des Kulturkampfes schwindet derselbe allmählich. Die Geistlichkeit ist genötigt, ihre Opposition wider die staatliche Gewalt aufzugeben, gleichzeitig zwingt sie der wachsende Klassengegensatz, auf die katholische Bourgeoisie und den katholischen Adel mehr Rücksichten zu nehmen, und so muß sie auf sozialem Gebiet eine größere Zurückhaltung beobachten. Damit verliert sie an Einfluß bei dem Arbeiter, namentlich auch, wenn Rücksichtnahme auf die Staatsgewalt und die herrschenden Klassen sie zwingt, Handlungen und Gesetze gutzuheißen oder zu dulden, die gegen das
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Interesse der Arbeiterklasse gerichtet sind. Die gleichen Gründe bringen schließlich auch bei der Frau den Einfluß der Geistlichkeit zu Falle. Hört diese aus Versammlungen und Zeitungen und lernt sie aus eigener Erfahrung, wo ihr wahres Interesse liegt, so wird sie sich von der Geistlichkeit ebenso emanzipieren wie der Mann.10 In Belgien, in dem der Ultramontanismus weite Volkskreise noch fast unbeschränkt beherrscht, sieht ein Teil der katholischen Geistlichkeit in der Gewährung des Stimmrechts an die Frauen eine wirksame Waffe gegen die Sozialdemokratie, weshalb sie dasselbe fordert. Auch in Deutschland haben einzelne konservative Abgeordnete, sooft im Reichstag die Sozialdemokratie die Forderung der Gewährung des (338) Frauenstimmrechts stellte, sich mit der Motivierung dafür erklärt, daß sie in demselben eine Waffe gegen die Sozialdemokratie erblicken. Ohne Zweifel haben diese Ansichten bei der noch vorhandenen politischen Unwissenheit der Frauen und bei der Macht, die namentlich die Geistlichkeit auf sie ausübt, etwas für sich. Aber das ist kein Grund, ihnen das Stimmrecht zu verweigern. Es gibt gegenwärtig auch noch Millionen Arbeiter, die wider ihr Klasseninteresse Vertreter bürgerlicher und kirchlicher Parteien wählen und damit ihre politische Unmündigkeit beweisen, ohne daß man aus diesem Grunde ihnen das Stimmrecht nehmen will. Die Stimmrechtsvorenthaltung oder der Stimmrechtsraub wird nicht praktiziert, weil man die Unwissenheit der Massen – einschließlich der Frauen – fürchtet, denn was diese sind, das haben die herrschenden Klassen aus ihnen gemacht, sondern weil man fürchtet, sie möchten allmählich klug werden und gingen dann ihre eigenen Wege. Einstweilen war man in einzelnen deutschen Staaten noch so rückständig, daß man den Frauen nicht einmal das politische Vereinsrecht gestattete. In Preußen, Bayern, Braunschweig und einer Reihe anderer deutscher Staaten durften sie keine politischen Vereine bilden, in Preußen durften sie nicht einmal an Festlichkeiten politischer Vereine teilnehmen, wie das Oberverwaltungsgericht noch 1901 ausdrücklich entschied. Der Rektor der Berliner Universität beging sogar im Herbst 1901 die für unmöglich gehaltene Geschmacklosigkeit, zu verbieten, daß eine Frau im sozialwissenschaftlichen Studentenverein einen Vortrag hielt. Auch verbot in demselben Jahre die Braunschweiger Polizei Frauen die Teilnahme an den Verhandlungen des evangelisch-sozialen Kongresses. Daß der preußische Minister des Innern sich im Jahre 1902 gnädigst bereit erklärte, Frauen das Recht des Zuhörens in Versammlungen politischer Vereine zu gewähren, vorausgesetzt, daß 10
Daß diese Gefahr eintreten kann, hat die Geistlichkeit sehr bald eingesehen. Bei der großen Bedeutung und dem Umfang, den die Frauenbewegung selbst in den bürgerlichen Kreisen angenommen hat, erkannten die führenden Köpfe des katholischen Zentrums, daß es mit dem Negieren nicht mehr gehe; sie nahmen eine vollständige Frontveränderung vor. Mit jener Schlauheit, die von jeher die Diener der Kirche auszeichnete, unterstützt man jetzt, was man früher bekämpfte. Man tritt nicht nur für das weibliche Studium ein, man gewährt den Frauen auch die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit. Die Weiterblickenden erklären sich sogar für die Erteilung des Stimmrechts an die Frauen, in der Hoffnung, daß hiervon die Kirche am meisten profitiert. Ebenso fördert man die Organisation des weiblichen Geschlechts, sogar diejenige der Dienstboten. Man fördert aber diese Bestrebungen nicht aus Rechtsgefühl, sondern um die Frau nicht den kirchlichen und politischen Gegnern in die Arme zu treiben.
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sie, ähnlich wie die jüdischen Frauen in der Synagoge, in einem besonderen Abteil des Saales Platz nehmen, charakterisierte die Kleinlichkeit unserer öffentlichen Zustände. Noch im Februar 1904 konnte Posadowsky im Reichstag feierlich erklären: „Von der Politik sollen die Frauen die Hand weglassen.“ Der bisherige Zustand wurde selbst den bürgerlichen Parteien unbequem. Hat doch die proletarische Frauenbewegung die Hindernisse des Vereinsrechtes am besten überwunden. Und da brachte endlich das neue Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908 – es ist die einzige Verbesserung, die als wesentlich bezeichnet (339) werden kann – die Herstellung der Gleichberechtigung der Frauen im Vereins- und Versammlungsleben. Mit dem aktiven muß natürlich das passive Wahlrecht verbunden sein. „Eine Frau auf der Tribüne des Reichstags, das müßte sich schön machen“, hören wir rufen. Tatsächlich stehen sie schon in anderen Staaten auf den Parlamentstribünen, auch haben wir uns längst gewöhnt, Frauen bei ihren Kongressen und in Versammlungen aller Art auf der Tribüne zu sehen. In Nordamerika erscheinen sie auch auf der Kanzel und auf der Geschworenenbank, warum also nicht auch auf der Tribüne des Reichstags? Die erste Frau, die in den Reichstag kommt, weiß zu imponieren. Als die ersten Arbeiter in denselben traten, glaubte man auch über sie witzeln zu können und behauptete, die Arbeiter würden bald einsehen, welche Torheit sie begingen, solche Leute zu wählen. Aber ihre Vertreter wußten sich schnell Respekt zu verschaffen, und jetzt fürchtet man, daß es ihrer zu viele werden möchten. Frivole Witzlinge wenden ein: „Aber stellt euch eine schwangere Frau auf der Tribüne des Reichstags vor, wie ‘unästhetisch’!“ Dieselben Herren finden es aber in der Ordnung, daß schwangere Frauen bei den unästhetischsten Beschäftigungen Verwendung finden, bei welchen Frauenwürde, Anstand und Gesundheit untergraben werden. Der Mann ist ein elender Wicht, der über eine schwangere Frau zu witzeln vermag. Der bloße Gedanke, daß einst seine eigene Mutter so ausgesehen, bevor sie ihn in die Welt setzte, müßte ihm die Schamröte auf die Wangen treiben, und der andere Gedanke, daß er, der rohe Spötter selbst, von einem ähnlichen Zustand seiner Frau die Gewährung seiner höchsten Wünsche erwartet, sollte ihn beschämt zum Verstummen bringen.11 11
„Die Hälfte der weiblichen Abgeordneten Finnlands sind Mütter respektive Ehefrauen … Von den verehelichten sozialdemokratischen Volksvertreterinnen wurden drei während der bisherigen Landtagstätigkeit Mütter, und zwar ohne andere störende Folgen, als daß dieselben den Sitzungen einige Wochen fernblieben. Ihre Schwangerschaft während der parlamentarischen Tätigkeit wurde allgemein als etwas Natürliches aufgefaßt, war also weder etwas Wunderbares noch Aufsehenerregendes. Man könnte viel eher davon sprechen, daß dieser Umstand auf die Versammlung erzieherisch gewirkt hat. Was nun die parlamentarische Arbeit der Frauen im engeren Sinne anlangt, so sei betont, daß auch sie seitens ihrer Parteien in die Spezialkommissionen gewählt wurden. Und dies ist der Beweis dafür, daß die Parteien von der Arbeitsfähigkeit der Frauen überzeugt waren. In der Kommission für die Arbeiterangelegenheiten, wo die Gesetze für den Arbeiterschutz, Arbeiterversicherung und das neue Gewerbegesetz ausgearbeitet wurden, befanden sich neben zwölf Männern auch vier Frauen, und drei Frauen waren zu Stellvertreterinnen gewählt worden. In die Kommission für Gesetze wie auch in die für Verfassung waren je zwei Frauen als ordentliche Glieder und je eine als Stellvertreterin gewählt worden. Und die Frauen haben in den Ausschüssen ihre Plätze redlich behauptet.“ Fräulein H. Pärssinon, Mitglied des Landtages von Finnland, Das Frauenstimmrecht und die Beteiligung der Frauen an den parla-
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(340) Eine Frau, die Kinder gebiert, leistet dem Gemeinwesen mindestens denselben Dienst wie ein Mann, der gegen einen eroberungssüchtigen Feind Land und Herd mit seinem Leben verteidigt; sie gebiert und erzieht auch den späteren Mann, dessen Leben leider nur zu oft auf dem sogenannten „Felde der Ehre“ verblutet. Außerdem. Das Leben der Frau steht in jedem Mutterschaftsfalle auf dem Spiele; alle unsere Mütter haben bei unserer Geburt dem Tode ins Angesicht geblickt, und viele von ihnen sind dem Akt erlegen. „Übertrifft doch zum Beispiel in Preußen die Zahl der im Kindbett gestorbenen Frauen – darunter befinden sich die Opfer des Kindbettfiebers – die Verluste an Typhus ganz erheblich. Es starben an Typhus 1905 und 1906 je 0,73 und 0,62, im Kindbett aber 2,13 und 1,97 auf 10.000 lebende Frauen berechnet. Wie würden sich die Verhältnisse gestaltet haben“ – bemerkt mit Recht Professor Herff –, „wenn Männer in gleicher Zahl diesen Leiden ausgesetzt wären? Würde nicht alles in Bewegung gesetzt werden?“12 Die Zahl der Frauen, die infolge von Geburten sterben oder siechen, ist weit größer als die Zahl der Männer, die auf dem Schlachtfeld fallen oder verwundet werden. Vom Jahre 1816 bis 1876 fielen in Preußen nicht weniger als 321.791 Frauen allein dem Kindbettfieber zum Opfer – durchschnittlich pro Jahr 5.363. In England betrug die Zahl der Frauen, die im Kindbett gestorben sind, vom Jahre 1847 bis 1901 213.533, und es sterben, trotz aller hygienischen Maßnahmen, nicht weniger als 4.000 jährlich.13 Das ist eine weit größere Zahl, als innerhalb derselben Zeit in den verschiedenen Kriegen Männer getötet wurden oder an ihren Wunden starben. Und zu dieser enorm großen Zahl am Kindbettfieber gestorbener Frauen kommt die weit größere Zahl derjenigen, die infolge (341) eines Wochenbetts dauernd siechen oder frühzeitig sterben.14 Auch aus diesem Grunde hat die Frau Anspruch auf volle Gleichberechtigung mit dem Manne. Dies muß namentlich denen gesagt werden, die die Vaterlandsverteidigungspflicht des Mannes als ein bevorzugtes Moment gegen die Frau geltend machen. Zudem leisten die meisten Männer, infolge unserer militärischen Einrichtungen, diese Pflicht nicht einmal, sie steht für die Mehrzahl nur auf dem Papier. Alle diese oberflächlichen Einwendungen gegen eine öffentliche Tätigkeit der Frau wären undenkbar, wäre das Verhältnis der beiden Geschlechter ein natürliches und bestände nicht ein künstlich großgezogener Antagonismus zwischen den Geschlechtern. Trennt man doch beide schon von Jugend an im gesellschaftlichen
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mentarischen Arbeiten in Finnland. „Dokumente des Fortschritts“ 1909, Juli, S. 542 bis 548. Professor Dr. Otto v. Herff, Im Kampfe gegen das Kindbettfieber, Leipzig 1908, S. 266. W. Williams, Deaths in Childbed, London 1904, S. 6-7. „Auf jede Frau, welche heute im Kindbett stirbt, müssen wir fünfzehn bis zwanzig rechnen, welche mehr oder weniger schwer infiziert werden und Störungen der Unterleibsorgane und der allgemeinen Gesundheit davontragen, an denen sie häufig ihr ganzes Leben kränkeln.“ Frau Dr. med. H. B. Adams, Das Frauenbuch. 1. Band, S. 363. Stuttgart 1894, Süddeutsches Verlagsinstitut.
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Verkehr und in der Erziehung. Insbesondere ist es der dem Christentum geschuldete Antagonismus, der beständig die Geschlechter auseinander und eins über das andere in Unwissenheit erhält, was freieren geselligen Verkehr, gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Ergänzung der Charaktereigenschaften verhindert.15 Eine der ersten und wichtigsten Aufgaben einer vernünftig organisierten Gesellschaft muß sein, diesen unheilvollen Zwiespalt aufzuheben und die Natur in ihre Rechte einzusetzen. Die Unnatur beginnt schon in der Schule. Einmal Trennung der Geschlechter, dann verkehrten oder keinen Unterricht in dem, was den Menschen als Geschlechtswesen betrifft. Zwar wird in jeder leidlich guten Schule heute Naturgeschichte gelehrt: Das Kind erfährt, daß die Vögel Eier legen und sie ausbrüten; es erfährt auch, wann die Paarungszeit beginnt, daß Männchen und Weibchen dazu notwendig sind, daß beide den Nestbau, das Brütegeschäft und die Pflege der Jungen übernehmen. Es erfährt ferner, daß die Säugetiere lebendige Junge gebären; es hört von der Brunstzeit und dem Kampfe der Männchen um die Weibchen während derselben; es erfährt auch die gewöhnliche Zahl der Jungen, vielleicht (342) auch die Trächtigkeitszeit der Weibchen. Aber über die Entstehung und Entwicklung seines eigenen Geschlechts bleibt es im dunkeln, das wird in geheimnisvollen Schleier gehüllt. Wenn alsdann das Kind seine natürliche Wißbegierde durch Fragen an die Eltern, namentlich an die Mutter – an den Lehrer wagt es sich nicht – zu befriedigen sucht, werden ihm die albernsten Märchen aufgebunden, die es nicht zufriedenstellen können und eine um so üblere Wirkung erzielen, wenn es eines Tages dennoch die Natur seines Ursprunges erfährt. Es wird wenig Kinder geben, die bis zum zwölften Jahre diese nicht erfahren haben. Dazu kommt, daß in jeder kleinen Stadt, und insbesondere auf dem Lande, die Kinder schon von frühester Jugend an die Paarung des Federviehs, die Begattung der Haustiere aus nächster, unmittelbarster Nähe auf dem Hofe, der Straße, beim Austreiben des Viehs usw. beobachten. Sie hören, daß die Befriedigung der Brunst ebenso wie der Akt der Geburt bei den verschiedenen Haustieren seitens der Eltern, des Gesindes und der älteren Geschwister mit der ungeniertesten Gründlichkeit zum Gegenstand wichtiger Diskussionen gemacht wird. Das alles erweckt Zweifel bei dem Kinde über die elterliche Darstellung seines eigenen Eintritts in das Leben. Schließlich kommt doch der Tag der Erkenntnis, aber in anderer Weise, als er bei natürlicher und vernünftiger Erziehung gekommen wäre. Das Geheimnis des Kindes trägt zur Entfremdung zwischen Kind und Eltern, namentlich zwischen Kind und Mutter bei. Man erreicht das Gegenteil von dem, was man in Unvernunft und Kurzsichtigkeit erreichen wollte. Wer an seine eigene Kindheit denkt und an die seiner Jugendgenossen, weiß, was häufig die Folgen sind.
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Verweigerten doch im Jahre des Heils 1902 die Gemeindevertreter von Neuß a. Rhein einen Zuschuß zu einer öffentlichen Badeanstalt, weil es die Sittlichkeit nicht fördern könne, wenn Knaben nur mit einem Badehöschen bekleidet ihre nackten Körper gegenseitig sähen!
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Eine amerikanische Frau16 teilt in einer Schrift unter anderem mit, daß sie, um die fortgesetzten Fragen ihres achtjährigen Sohnes nach seiner Herkunft zu befriedigen und weil sie Märchen ihm nicht habe aufbinden wollen, ihm seinen wahren Ursprung entdeckte. Das Kind habe ihr mit größter Aufmerksamkeit zugehört und habe von jenem Tage, an dem es erfahren, welche Sorgen und Schmerzen es seiner Mutter bereitete, mit einer bis dahin ungekannten Zärtlichkeit und Hochachtung an ihr gehangen und habe diese auch auf andere Frauen übertragen. Die Verfasserin geht von der richtigen Anschauung aus, daß nur durch natürliche Erziehung eine wesentliche Besserung, na-(343)mentlich eine größere Achtung und Selbstbeherrschung des männlichen Geschlechts gegen das weibliche zu erwarten sei. Wer vorurteilsfrei denkt, wird zu keinem anderen Schlusse kommen. Von welchem Punkte man immer bei der Kritik unserer Zustände ausgeht, man kommt schließlich stets wieder darauf zurück: Eine gründliche Umgestaltung unserer sozialen Zustände und durch sie eine gründliche Umgestaltung in der Stellung der Geschlechter ist notwendig. Die Frau muß, um rascher zum Ziele zu kommen, sich nach Bundesgenossen umsehen, die ihr naturgemäß in der Proletarierbewegung begegnen. Das klassenbewußte Proletariat hat schon seit geraumer Zeit den Sturm auf die Festung, den Klassenstaat, der auch die Herrschaft des einen über das andere Geschlecht aufrechterhält, begonnen. Die Festung muß mit Laufgräben von allen Seiten umgeben und durch Geschütze jeden Kalibers zur Übergabe gezwungen werden. Die belagernde Armee findet ihre Offiziere und die geeigneten Waffen auf allen Seiten. Die Sozialwissenschaft und die Naturwissenschaften, die Geschichtsforschung, die Pädagogik, die Hygiene und Statistik liefern der Bewegung Munition und Waffen. Die Philosophie bleibt nicht zurück und kündigt, in Mainländers „Philosophie der Erlösung“, die baldige Verwirklichung des „Idealstaats“ an. Die Eroberung des Klassenstaats und seine Umgestaltung wird erleichtert durch die Spaltung in den Reihen seiner Verteidiger, die, bei aller Interessengemeinschaft gegen den gemeinsamen Feind, im Kampfe um die Beute sich gegenseitig bekämpfen. Das Interesse der einen Schicht steht dem Interesse der anderen gegenüber. Was ferner uns nützt, ist die täglich wachsende Meuterei in den Reihen der Feinde, deren Kämpfer zu einem großen Teil Bein von unserem Bein, Fleisch von unserem Fleisch sind, die aber aus Mißverstand und irregeleitet bisher gegen uns und sich selbst kämpften, aber immer mehr zur Einsicht gelangen und sich uns anschließen. Ferner hilft uns die Desertion der ehrlichen, zur Einsicht gekommenen Männer aus den Reihen der bisher feindlichen Denker, die ihr höheres Wissen, ihre bessere Einsicht anspornt, sich über ihr niederes Klasseninteresse zu erheben und, indem sie ihrem idealen Drange nach Gerechtigkeit folgen, sich den nach Befreiung lechzenden Massen anschließen. Vielen ist das Stadium der Zersetzung, in dem Staat und Gesellschaft sich bereits befinden, noch nicht zum Bewußtsein gekommen, und so ist auch diese Darlegung notwendig.
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Womanhood, Its Sanctities and Fidelities by Isabella Becher-Hooker, Boston, Lee and Shepard, Publishers. New York 1874, Lee, Shepard and Dillingham.
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7. Carl Bulling: Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch, 1896 BULLING, Carl: Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch, 2. Aufl., Berlin 1896 Kommentar: Der geheime Justizrat Carl Bulling (1822-1909) kann als der wichtigste männliche Jurist auf Seiten der Frauenbewegung in den Rechtskämpfen um das BGB von 1896 und wohl auch als der wichtigste antipatriarchale Kritiker dieses Gesetzes gelten.* Zwei seiner Hauptwerke, nämlich „Die Rechte der Unehelichen Kinder nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich kritisch beleuchtet“ (1895) und „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ (1896) sind der Auseinandersetzung mit dem Familienrecht des BGB gewidmet. Bullings persönlicher und politischer Standort wird mitbestimmt durch die langjährige Freundschaft mit dem nationalliberalen Politiker, Juristen und Publizisten Ludwig Bamberger (1823-1899). Bullings Zusammenarbeit mit Helene Lange geht möglicherweise auf die gemeinsame oldenburgische Herkunft zurück. Als junger Richter hatte Bulling 1859 in Oldenburg im Hause des Großvaters von Helene Lange gewohnt. In seiner Auseinandersetzung mit dem BGB-Eherecht sieht er als die eigentliche Grundlage dieses Eherechts „Das Mundium oder die eheliche Vogtei“ an, welches zugleich die Grundlage aller bisherigen deutschen Eherechte und die Quelle zahlreicher Übelstände in der Ehe darstelle und nunmehr überwunden werden müsse. Unter dem Mundium ist ein stark ausgeprägtes Herrschaftsrecht des Mannes zu verstehen. An die Stelle des Mundium soll die Lebensgemeinschaft treten, die auf dem freien Eigenwillen der Ehepartner beruht (dazu näher: Meder, Das mundium und die rechtliche Konstruktion des Geschlechterverhältnisses in der Entstehungsphase des BGB, 2008: S. 682-706, 695-698 zu Bulling; siehe auch den Text von Gierke, Nr. 23, S. 403 f.). Dieser Grundsatzbestimmung folgen die Anwendungen auf unterschiedliche Bereiche des Familienrechts, wobei zu den einschlägigen familienrechtlichen Normen des BGBEntwurfs Gegenvorschläge formuliert und umfassend begründet werden: zu Verlobung und Eheschließung (S. 68-98), einer gleichberechtigten Gestaltung persönlicher Ehepflichten und allgemeiner Ehewirkungen (S. 98-111, bei teils fortbestehender geschlechtlicher Arbeitsteilung, arbeitsteilige Ehe mit verteilten Herrschaftsrechten und jeweils autonomen Machtbefugnissen, Ziel ist eine „Gleichheit der Macht“, vgl. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 538-540 zu Bulling), zum gesetzlichen Güterrecht (S. 111-136, Bulling tritt hier für Gütertrennung ein), zur Ehescheidung (S. 136-146), elterlichen Gewalt (S. 146164: auch der Frau ist die volle elterliche Gewalt zu geben, S. 154) und Vormundschaft (S. 164-170). Sein Fazit: „das Mundium wird fallen, wenn auch nicht auf den ersten Schlag, weil trotz Allem, was man dafür anführt, daß wir im Zeitalter der materiellen Interessen stehen, es dennoch die idealen Bestrebungen sind und es immer sein werden, die die Welt regieren, die Welt der Menschen, und unter ihnen eine ist von nie versiegender, unerschöpflicher Ausdauer und Kraft: die nach Freiheit in der Pflichterfüllung“ (S. 170). In der zeitgenössischen Frauenbewegung genießt Bulling hohes Ansehen und gilt als sachverständiger Freund und Verbündeter in den Rechtskämpfen um das BGB. Symptomatisch mag hier der Verlauf der Berliner Protestversammlung von Frauen am 16.2.1896 sein *
Bis vor kurzem waren nicht einmal die Lebensdaten Bullings überliefert. Eine detaillierte Erforschung seiner Biographie ist Sepideh Koujouie zu verdanken, die 2006 in ihrem Aufsatz „Die Frauenfrage als Menschheitsfrage. Das Leben und Wirken des Geheimen Justizrats Carl Bulling (1822-1909)“ insofern Pionierarbeit unter Heranziehung archivalischer Quellen geleistet hat und an einer Monographie über Leben und Werk Bullings arbeitet.
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(vgl. Nr. 17): Am Ende der Versammlung fordert Minna Cauer als Vorsitzende auf, „recht eifrig die Broschüren zu kaufen, welche an verschiedenen Tischen auslagen, besonders machte sie auf die soeben erschienene Schrift von Geheimrat Bulling aufmerksam ,Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch‘.“ Die Nachfrage aus der Frauenbewegung trägt dazu bei, daß noch 1896 eine Neuauflage des Buches gedruckt werden muß. Der Berliner Verein Frauenwohl, in dem Marie Raschke und Sera Proelß aktiv sind, hat beschlossen, „jedem Mitgliede des Reichstags die bedeutende Schrift von Geheimrat Bulling sofort zukommen zu lassen“ (Nr. 17, S. 50).
Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch von Carl Bulling Geh. Justizrath. Inhalts-Verzeichniß. (III) Der Entwurf hat in den die Frau betreffenden Bestimmungen der Gerechtigkeit nicht immer entsprochen in irrigen Ansichten über die Unentbehrlichkeit des Mundiums und über die Geschäftstüchtigkeit der Frau. Die folgenden Erörterungen weisen dies nach und schlagen Aenderungen zur Abhülfe vor. S. 1. Das Mundium oder die eheliche Vogtei liegt allen deutschen Eherechten zu Grunde, auch den Bestimmungen des Entwurfes, als Norm für die gesetzlich nicht entschiedenen Fragen S. 2. Kammergericht S. 2. Züchtigungsrecht S. 3. Inhalt des Mundiums. Ein Recht des Mannes. Agricola S. 4/5. Stobbe über das Mundium als Grundlage aller deutschen Eherechte S. 5. Das Mundium stellt die Einheit in der Ehe zwangsweise her. Windscheid S. 6. Es hat keine historische Berechtigung mehr S. 6. Das Mundium ist ungerecht. Der Beweis läßt sich nur empirisch führen S. 6. Die Uebelstände in der Ehe haben nach meiner richterlichen Erfahrung ihre Quelle im Mundium S. 6. Das Mundium muß nach der Durchschnittsnatur des Menschen die Uebelstände erzeugen S. 7. Die Lust am Herrschen S. 7. Das Verhalten des Mannes in der Ehe S. 8. Bestreben, seine Herrschaft zu behaupten S. 9. Ausübung der Herrschaft als Pflicht S. 11, nach dem Leitfaden des Eigennutzes S. 12. Liebe und Achtung S. 13. Ausübung der Herrschaft über die persönlichen Angelegenheiten der Frau S. 14. Belege aus der Praxis S. 15. Wirkung des Verhaltens des Mannes auf das der Frau S. 16. sie erkennt, auf was es ankommt S. 17. Versuch, die Ausübung des Mundiums abzuwenden S. 17. Weshalb der Versuch vergeblich ist S. 18. Die Frau ergiebt sich dahin S. 19. Belege aus der Praxis S. 19. Die Frau fühlt, daß sie nicht glücklich ist und hat darin Recht S. 21. (IV) Streben des Menschen, zu wirken in der Welt S. 21, Von diesem Streben der Trieb nach Freiheit unzertrennlich S. 21. Für was will der Mensch frei sein? S. 22. Von was will er frei sein? S. 23. Begriff der Sklaverei S. 24.
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Der Trieb nach Freiheit hat einen ethischen Charakter S. 24. Beweis S. 25. Dies giebt dem Menschen ein Recht auf Freiheit S. 26 und erzeugt das Gefühl vom Glück und Unglück S. 27. Das Glücksgefühl des Berufes S. 28. Das Unglücksgefühl der Unfreiheit S. 28. Wie wirkt nach diesen psychologischen Thatsachen das Mundium auf die Frau? S. 29. Auflehnung gegen die Herrschaft S. 29. Verschwinden von Liebe S. 30, von Achtung S. 30, von Lust zur Führung des Hauswesens S. 30. Differenzen in der Kindererziehung S. 31. Persönliche Angelegenheiten der Frau S. 31. Hiermit bewiesen, daß die Mißstände in der Ehe durch das Mundium verursacht sind S. 32. Die Mißstände müssen mit der Dauer der Ehe zunehmen S. 32. Statistischer Beweis S. 33. Abhülfe der Mißstände. Die Ursache davon, daß das Mundium so nachteilig wirkt, liegt an dem Widerstreben der Frau. Das Auffällige dieser Erscheinung S. 33. Ursache: das Mundium ist ungerecht S. 34. Deshalb und weil der Trieb nach Freiheit nicht zu tilgen, kann das Widerstreben der Frau gegen das Mundium nie aufhören S. 34. Gründe des Gesetzgebers für das Bestehenlassen des Mundiums S. 34. Sein höchstes Prinzip die Gerechtigkeit. Diese gebietet die Aufhebung S. 35. Was soll an die Stelle des Mundiums treten? Was mit Aufhebung des Mundiums als Prinzip ausgesprochen wird S. 36. Dies Prinzip bewirkt besser die Einheit in der Ehe als das Mundium S. 37. Ohne eine zu befolgende Ordnung können die Eheleute eine Lebensgemeinschaft nicht verwirklichen S. 38. Sie können sich selbst eine machen; das Gesetz muß eine ausstellen S. 39. Sie ist aus dem Begriffe der Lebensgemeinschaft zu entnehmen S. 39. Versuch, die Lebensgemeinschaft als Gesellschaftsvertrag zu konstituiren S. 39. Die Lebensgemeinschaft ist nur durch den alleinigen Willen eines Jeden herstellbar S. 40. Was bedeutet Lebensgemeinschaft? S. 40; Feststellung ihrer Bedeutung S. 40/43. Sie ist nur durch den Eigenwillen in seiner Freiheit herstellbar S. 43. Die Ordnung, die sich darnach für die Ehe ergiebt S. 44/45. Nach dieser Ordnung ist die Frau auch in ihren persönlichen Angelegenheiten frei. Dieselben zerfallen in drei Klassen S. 46. (V) Erste Klasse: „Erwerbsfähigkeit“. Die Frau hat zu bestimmen, ob und wie sie davon Gebrauch machen und wie sie den Erwerb verwenden will S. 46. Die Bedingung der Lebensgemeinschaft stellt die Frau durch persönliche Mühewaltung, der Mann durch Vermögensaufwand her S. 47. Weise der Verwendung S. 48. Zweite Klasse: Bestrebungen, die neben der Berufsthätigkeit zur Verwirklichung des menschlichen Wesens gehören S. 49. Bedeutung des Berufes S. 50. Bedeutung der allgemeinen Bestrebungen S. 51 ff. Recht der Frau auf Betheiligung daran S. 54. Interesse des Staates an diesem Rechte S. 54. Dritte Klasse: Angelegenheiten des Genusses S. 55. Wo bleibt die Autorität des Mannes bei solcher Ordnung in der Ehe? S. 56. Vermögensmacht des Mannes S. 57. Lebensstellung desselben S. 58.
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Historische Berechtigung des Mundiums S. 60–64. Laurent über die Ehe ohne Mundium S. 64. In welcher Weise hätte die Aufhebung des Mundiums zu erfolgen S. 67. Ansicht des Reichsgerichts über Gesetzesmotive S. 67. Ehe. Zu § 1203 betr. Unverbindlichkeit des Verlöbnisses, zu § 1204 betr. Ersatzanspruch im Falle der Aufhebung, und zu § 1205 betr. Verschuldung an der Aufhebung S. 68 ff. Weshalb das Verlöbniß unverbindlich sein muß S. 69. Vermittelnder Standpunkt S. 71. Die Bestimmungen der §§ 1204 und 1205 über Rechtmäßigkeit des Grundes und über Verschuldung wären zu streichen. Durch sie stellt der Entwurf den alten Rechtszustand wieder her und überläßt dem Richter, welches Recht er anwenden will S. 72. Dieser Fall typisch für die Methode des Entwurfes S. 74. Die Bestimmung des Abs. I des § 1204 über Ersatzanspruch widerspricht nicht der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses S. 75. Zu § I206 betr. Gestattung der Beiwohnung. Die Worte: „auch wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleidet,“ wären zu streichen, und die dann bleibende Bestimmung zu ersetzen durch eine Bestimmung, welche der Verlobten, wenn sie geboren hat, vollen Ersatz giebt S. 79. Gründe für die Streichung S. 79. Die Motive S. 81. Gründe für die Gewährung eines vollen Ersatzanspruches S. 83. Umfang des Anspruches und Ermittelung S. 85. Beweis der Vaterschaft S. 85. Der nach §§ 176, 177, 179 und 182 des Strafgesetzbuches Mißbrauchten ist gegen den verurtheilten Angeklagten ein gleicher Ersatzanspruch zu geben S. 87 und auch der verführten Nichtverlobten S. 88. (VI) Zu § 1207 betr. Rückforderung der Geschenke. Dieser Paragraph wäre zu streichen. Die Bestimmung widerspricht der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses S. 89. Gründe des Entwurfes und Kritik desselben S. 90. Bedeutung, die das Leben den Geschenken giebt S. 94. Der Verlobungsring S. 94. Zu § 1211 betr. die Einwilligung zur Ehe. Zu Abs. 1. Statt bloß dem Vater wäre den Eltern das Einwilligungsrecht zu geben mit der Bestimmung, daß die Einwilligung des Vaters genüge S. 94. Zu Abs. 2. Das Recht wäre auch der Mutter des durch Ehelichkeitserklärung legitimirten Kindes zu geben S. 97. Zu § 1213 betr. das Einwilligungsrecht eines wegen Trunksucht oder sonst in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten. Es wäre zu bestimmen, daß einem Solchen daß Einwilligungsrecht nicht zustehe S. 97. Zu § 1253 betr. die Verpflichtung zur Lebensgemeinschaft. Es wäre hier zu bestimmen, was jeder Ehegatte zur Ermöglichung der Lebensgemeinschaft zu leisten hat S. 98. Zu § 1254 betr. das Entscheidungsrecht des Mannes. Das Recht der ehelichen Vogtei wäre dem Manne abzusprechen S. 100. Vorschlag wie nach der S. 44 dargelegten Ordnung in der Ehe die Geschäftskreise zu bestimmen wären S. 100. Beweis, daß der Paragraph dem Manne die eheliche Vogtei giebt S. 101.
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Nach § 1256 hat die Frau dem Manne gegenüber kein Recht zur Führung des Hauswesens S. 102, und das Recht zur Beschwerde nach § 1257 ist ohne Inhalt S. 102. Zu häufiges Erscheinen der Frau vor Gericht? S. 103. Zwei Beweise für den Mundialgeist des Entwurfes S. 104. Zu § 1255 betr. den Namen des Mannes. Beide Ehegatten wären für befugt zu erklären, den Namen der Frau hinzuzufügen S. 105. Es wäre zu bestimmen, daß die Frau an dem Stande des Mannes Theil nimmt S. 105. Zu § 1256 betr. das Recht der Frau zur Führung des Hauswesens, zu § 1257 betr. das Recht, den Mann zu verpflichten, zu § 1258 betr. das Recht des Mannes, Verträge der Frau zu kündigen. Diese Paragraphen wären nach dem zu § 1254 Bemerkten zu streichen S. 107/108. Zu § 1261 Abs. 1 betr. die Theilung von Haushaltungsgegenständen bei getrenntem Leben. Hier wäre der letzte Satz zu ändern S. 109. Zu § 1262 betr. die Vermuthung, daß Alles, was von den Eheleuten besessen wird, dem Manne gehört. Diese Bestimmung wäre aufzuheben S. 110. Gesetzliches Güterrecht. Als gesetzliches Güterrecht wäre, als dem Begriffe der Ehe am meisten entsprechend, die Gütertrennung zu bestimmen S. 111. Puchta über die wahre Gütergemeinschaft S. 112. (VII) Zu § 1326 betr. die Verpflichtung der Frau, bei Gütertrennung die Ehelasten mitzutragen. Diese Bestimmung wäre zu streichen S. 113. Zu § 1328 betr. die Folgen, wenn die Frau die Verwaltung dem Manne überläßt. Es wäre zu bestimmen, daß dann Verwaltungsgemeinschaft eintrete S. 115. Es hätten hier die Bestimmungen über vertragsmäßiges Güterrecht zu folge §§ 1331 bis 1335 und nach ihm die Bestimmungen über gesetzliches Güterrecht §§ 1263 bis 1324 unter dem Titel: Verwaltungsgemeinschaft S. 115. Zu § 1270 betr. die Verpflichtung der Frau, von dem Vorbehaltsgute zu den Ehelasten beizutragen. Diese Bestimmung wäre zu streichen S. 116. Zu § 1279 betr. Ersatz von Gegenständen des Frauengutes durch andere. Die Bestimmung ist unklar und wäre in Uebereinstimmung zu setzen mit den Bestimmungen §§ 1269, 1372, 1419 S. 117. Zu § 1281 betr. die gerichtliche Geltendmachung von Rechten der Frau. Die Bestimmung wäre anders zu fassen S. 119. Zu § 1282 Abs. a betr. die zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen. Die Bestimmung wäre zu streichen S. 120. Zu den §§ 1284 bis 1287 betr. die Berichtigung von Zahlungsverbindlichkeiten der Frau. Leitende Gesichtspunkte S. 120. Verzicht auf die Nutznießung S. 124. Aenderung der Paragraphen S 125. Zu § 1289 betr. Verwendungen für das Frauengut und Verantwortlichkeit für die Verwaltung. Es wären die den Nießbraucher betreffenden Bestimmungen für anwendbar zu erklären S. 128. Zu § 1293 betr. das Klagerecht der Frau. Es wäre die das Klagerecht gewährende Bestimmung des 1. Entwurfes wieder herzustellen S. 132. Zu § 1294 betr. das Recht der Frau zur Eigenthumsverfügung. Es wäre ihr dies Recht zu gewähren S. 132.
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Dieser Aenderung gemäß wären die auf den § 1294 folgenden Paragraphen dieses Abschnittes zu ändern S. 135. Das System der Verwaltungsgemeinschaft wäre beizubehalten S. 136. Bemerkung betr. die verschiedenen Arten der Gütergemeinschaft S. 136. Scheidung der Ehe. Prinzip S. 136. Verhalten des Gesetzgebers zu demselben S. 137. Bedeutung der Scheidungsgründe S. 138. Scheidung auf beiderseitiges Uebereinkommen S. 139. Antrag in der Kommission S. 140. Zu § 1463 betr. den Scheidungsgrund bei Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses. Dieser Paragraph wäre zu streichen und zu ersetzen durch eine Bestimmung, welche die Scheidung auf Übereinkommen zuläßt S.141. Die absoluten Scheidungsgründe des Entwurfes S. 144. Ihnen (VIII) wäre hinzuzufügen: grobe Beleidigung, grobe Mißhandlung, Verurtheilung wegen der unsittlichen Handlungen der §§ 174, 176 und 180 d. Str.-G.-B. und Entmündigung wegen Trunksucht S. 144. Verweigerung der ehelichen Pflicht wäre als Scheidungsgrund zurückzuweisen S. 145 und dementsprechend der § 177 des Str.-G.-B. zu ändern. Elterliche Gewalt. Während der Ehe. Zu § 1529 betr. die elterliche Gewalt der Mutter. Die Bedeutung derselben nach §§ 1572 und 1585 S. 147. Bei Behinderung des Vaters tritt die Mutter nicht in die Lücke S. 147. Daneben wird in den Motiven die Geschäftsfähigkeit der Frau für die Ausübung der elterlichen Gewalt nachgewiesen S. 147. Der Mutter ist die elterliche Gewalt zu geben S. 151. Theilung in der Ausübung S. 154 ff. Vorschlag der zu erlassenden Bestimmungen S. 158, die dann nöthigen Aenderungen der §§ 1557, 1569 und 1479 S. 159. Nach dem Tode des Vaters. Zu § 1576 ff., betr. die Zuordnung eines Beistandes. Mit Wegfall des Mundiums fielen diese Bestimmungen weg. Sie sind aber auch bei Fortdauer des Mundiums nicht gerechtfertigt S. 161. Unzulänglichkeit der Begründung S. 163. Vormundschaft. Zu § 1664 betr. die Bestimmung, daß eine Frau nicht zur Vormündin bestellt werden solle. Sie wäre zu ersetzen durch die Bestimmung, daß die Bestellung zulässig ist S. 165. Geschäftstüchtigkeit, durch das bewiesen, was die Motive für die Geschäftstüchtigkeit der Frau zur Ausübung der elterlichen Gewalt anführen S. 165. Dazu kommen besondere Gründe des Entwurfes für die Unfähigkeit S. 167. Ihnen gegenüber Dernburg S. 168. Die Bestimmung, daß zur Bestellung die Zustimmung des Mannes erforderlich sei, wäre aufzuheben S. 169. Schlußbemerkung. [Vorbemerkung] (1) In den die Frau betreffenden Bestimmungen hat der Entwurf nicht immer der Gerechtigkeit Gehör geschenkt. Das, was bezüglich ihrer Stellung in der Ehe das Gerechte ist, hat er übersehen, weil ihm der Fortbestand der ehelichen Vogtei, des Mundiums, als ganz selbstverständlich, durch die Vernunft geboten, galt, und nach Auflösung der Ehe hat er ihr eine gerechte Stellung in der Meinung versagt, daß
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der vollkommen rechtlichen Geschäftsfähigkeit der Frau, die ihr schon seit langem gesetzlich zuerkannt ist, ihre Geschäftstüchtigkeit nicht entspreche, und daß es daher rathsam sei, jene Geschäftsfähigkeit durch Spezialgesetze wieder einzuschränken; und in dieser völlig irrigen Ansicht, in dieser Voreingenommenheit bezüglich ihrer Geschäftstüchtigkeit hat er den Frauen die Rechte der elterlichen Gewalt beinahe ganz versagt, außerdem aber auch die großen Dienste nicht erkannt, welche sie durch Fähigkeiten, in denen sie den Männern überlegen sind, mehr als diese in der Bevormundung Minderjähriger zu leisten vermögen; weshalb sie auch von dieser gerechter Weise nicht sollten ausgeschlossen sein. Die folgenden Erörterungen suchen die Mängel nachzuweisen, zu denen die bezeichneten Grundauffassungen gefühlt haben, und die Aenderungen vorzuschlagen, durch die ihnen abgeholfen würde, vorzugsweise in den Bestimmungen über die gegenseitigen Pflichten der Eheleute, in den Bestimmungen über das Güterrecht und in denen über die Ehescheidung. Es mußten aber des Zusammenhanges wegen auch andere Bestimmungen, insbesondere die über die Verlobung meiner Kritik unterzogen werden. Von den in Betracht kommenden beiden Hauptfragen betr. das Mundium, die eheliche Vogtei, und betr. die Geschäftstüchtigkeit der Frau schient es mir richtig, die letztere der Spezialerörterung vorzubehalten, die erstere aber ihr eher vorausgehen zu lassen. Mundium. (2) Das Mundium giebt, wie das Wort eheliche Vogtei andeutet, dem Manne das Recht, die Frau zu bevormunden, und damit auch, ihr vorzuschreiben, was sie zu thun und zu lassen hat. In allen deutschen Eherechtssystemen sind die Pflichten der Eheleute nach Maßgabe dieses Rechtes bestimmt worden und auch der Entwurf hat es seinen Bestimmungen zu Grunde gelegt. Die praktische Bedeutung davon beschränkt sich aber keineswegs auf den Inhalt der vom Gesetze erlassenen Bestimmungen. Das Eheleben bringt eine unerschöpfliche Menge einzelner Fraugen, für die sich im Voraus besondere Vorschriften nicht treffen lassen, für die es aber doch eine Norm geben muß, nach der die Eheleute sich zu richten und die Gerichte zu entscheiden haben, zumal sie für das Eheleben von großer Bedeutung sein können. Für diese Fragen giebt überall da, wo den gesetzlichen Bestimmungen über das Eherecht das Mundium zu Grunde liegt, das Mundium die Entscheidung. Es hat in solchem Falle der Gesetzgeber auf das Mundium als die Quelle hingewiesen, aus welcher die Eheleute und das Gericht die Entscheidung entnehmen sollen, es als Rechtsquelle sanktioniert. Es gilt dies auch dann, wenn der Gesetzgeber nicht gesagt hat, daß seine Bestimmungen aus dem Mundium geschöpft seien. Es genügt die Thatsache, die Gewißheit, daß er es gethan hat, was, wie dies beim Entwurfe der Fall ist, völlig klar aus seinen Bestimmungen hervorgehen kann. Der Grund ist, weil die fehlende unentbehrliche Rechtsnorm nach der Absicht des Gesetzgebers zu bestimmen ist und nicht angenommen werden kann, daß er für die unentschieden gelassenen Fragen auf ein anderes Recht hat hinweisen wollen, als dasjenige, was er selbst in den von ihm getroffenen Bestimmungen als für die Ehe Platz greifend zur Anwendung gebracht hat. Die Praxis ist über diesen Punkt einverstanden.
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Es hat z.B., obgleich das preußische Landrecht dem Rechte der ehelichen Vogtei nirgends ausdrücklich Geltung beigelegt hat, das Kammergericht durch Urtheil vom 21. Oktober 1858 (Goltdammer Archiv VII § 118) entschieden, daß der Ehemann, der einen Brief seiner Frau geöffnet hat, sich nach § 299 des Strafgesetzbuches nicht strafbar mache, indem es erwogen hat: daß der Ehemann befugt gewesen sei, den Brief zu öffnen, daß dies schon aus dem Rechte des Ehemanns (3) als Hausherrn, insbesondere aber aus dem ihm vermöge der ehelichen Gewalt oder Vogteischaft über die Ehefrau zustehendem Rechte von selbst folge; wogegen natürlich die Frau durch Eröffnung eines Briefes ihres Mannes sich strafbar macht. Dieselbe Entscheidung würde auch dem Entwurfe zu Folge richtig sein. – Ich halte sie für richtig, in Uebereinstimmung mit Blum, Kirchmann, Puchelt gegen Hälschner und Merkel, welcher letzterer blos bemerkt, daß es im Gesetze nirgend gesagt sei. So ist es denn auch erklärlich, daß nach preußischem Landrechte die Controverse entstehen konnte, über die Koch, Anm. 23 zu II Lit. 1 § 184, berichtet, ob der Ehemann seine Frau züchtigen dürfe. Schon ein Ministerialrescript vom 28. Januar 1812 mißbilligt die bejahende Ansicht, aber meines Erachtens mit Unrecht; denn das Mundium ist ein historisches Recht, und lediglich die Geschichte kann uns darüber belehren, was darin enthalten sei. Es war aber das Recht der Züchtigung darin enthalten, nach einer großen Anzahl von Stadtrechten. In den Breslauer Signaturen Nr. 151 a 1431 (Zeitschr. f. schlesische Geschichte VIII § 154) wird dies Recht als ganz zweifellos bestehend vorausgesetzt, indem es sehr naiv heißt, z. B.: „Der Mann verspricht künftighin, seine Frau nur noch mit Ruthen zu züchtigen und strafen, wie es ziemlich ist und einem Biedermann zusteht bei Treue und Ehre.“ Ließ dagegen, wie Stobbe, IV § 215 Note 22, berichtet, der Mann sich von seiner Frau schlagen, so trafen ihn Ehrenstrafen – Graf und Diether § 144. Noch im 18. Jahrhundert wurde ihm das Dach seines Hauses abgedeckt. Grimms Rechtsalterthümer § 793. Was die preußischen Gerichte eine verneinende Entscheidung hat abgeben lassen, ist doch wohl nur der humane Geist des Landrechtes, von dem sie erfüllt waren; der Richter steht aber auch unter dem Geiste der Zeit, und wenn die Schneidigkeit, die jetzt im Anzuge ist, auch schon in Richterkreisen, sich noch weiter entwickeln sollte, so wäre es nicht unmöglich, daß das historische Recht wieder zu seinem Rechte käme, indem dann der Richter sagte: ich hätte es ebenso gemacht, wie dieser Ehemann. Die eheliche Vormundschaft trägt ihren Namen mit Recht. Sie ist wirklich eine Vormundschaft. Wenn der Mann befiehlt, ist die Frau verpflichtet zu gehorchen; was sie gegen seinen Willen thut (4) hat keine Geltung, und über ihr Vermögen hat er, nicht sie die Verfügung, nach verschiedenen Rechten in verschiedenem Umfange. Diese Vormundschaft ist aber von allen übrigen Vormundschaften total verschieden. Ihre Hauptbesonderheit ist, daß sie sich nicht auf eine Handlungsunfähigkeit und Hilfsbedürftigkeit der Frau gründet. Demgemäß ist ihr Wohlergehen nicht der Zweck, nach welchem der Mann sein Thun zu bestimmen hat; er darf stets sein Wohl nicht blos mit, er darf es vorzugsweise berücksichtigen. Der Gedanke an eine Handlungsunfähigkeit liegt der Vogtei so fern, daß sie nicht eintritt, so lange die Frau noch minderjährig ist, während dieser Zeit vielmehr Bevormundung wegen Minderjährigkeit eintritt. Eine Pflicht, in bestimmter Weise für die Frau zu sorgen, wird dem Manne nicht auferlegt. Freilich muß er ihr
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Unterhalt und Wohnung geben. Das folgt aber nicht aus dem Mundium, es folgt aus der Pflicht des Mannes, die Ehelasten zu tragen, und gilt bei jeder Ehe, auch bei der ohne Mundium. Wie er, abgesehen von diesen beiden Verpflichtungen, für das Wohl der Frau sorgen will, ist dem Ermessen des Mannes ganz überlassen, als sein Recht, das unantastbar ist; denn nicht blos, daß er in Ausübung desselben unter keiner vormundschaftlichen Kontrolle steht, so kann ihm dasselbe auch nicht, wie z.B. die väterliche Gewalt, wegen Vernachlässigung des körperlichen und geistigen Wohles des Pflegebefohlenen entzogen werden. Zieht man dies Alles in Betracht, so darf man das Mundium dahin charakterisieren: statt sich auf Verpflichtungen des Mannes gegen die Frau zu gründen, giebt es dem Mann auf Grund blos seiner Eigenschaft als Ehemann ein Herrschaftsrecht über die Frau, und zwar über ihre Person unbeschränkt, über ihr Vermögen dagegen unter gewissen Beschränkungen. Es ist hiernach begreiflich, wie das Mundium dem Manne ein Recht auf Züchtigung geben konnte; denn das Recht der Herrschaft über die Person besteht in dem Recht auf Gehorsam. Hatte aber der Mann das Recht, so mußte man ihm auch ein Mittel geben, sein Recht gegen die ungehorsame Frau zur Geltung zu bringen, und in Ermangelung von öffentlichen Strafen gab man ihm das Recht zur Züchtigung, das früher dem Rechtsgefühle nicht widersprach. Bis auf diesen Punkt steht aber heute Alles noch ebenso wie früher. Darf nun, wenn er ein Gewohnheitsrecht anzuwenden hat, der Richter sagen: dasselbe ist heute dem Rechts-(5)gefühle zuwider, oder muß er warten, bis das Gesetz es aufgehoben hat? Die gegebene Erklärung entspricht der Auffassung der Germanisten. Agricola Gewere zur rechten Vormundschaft I896 § 992 faßt sie dahin zusammen: „Der ganze Gegensatz concentrirt sich darin, daß bei der ehelichen Vormundschaft das Moment des Rechtes, bei der Geschlechtsvormundschaft das der Pflicht der Vormundes in den Vordergrund tritt.“ Aber auch darüber, daß das Mundium allen deutschen Eherechten zu Grunde liegt, ist man thatsächlich einig. Als nicht zu beanstandender Beleg hierfür darf die Bemerkung Stobbe’s gelten, Bd. IV § 216 Seite 53: „Wenn eine Zahl von Partikularrechten in der Formulirung der Rechtssätze die Auffassung, daß der Mann der Vormund seiner Frau sei, fallen gelassen hat, während andere sie festhalten, so bedeutet dies keinen durchgreifenden Unterschied. Die Unterordnung der Frau unter den Mann und ihre Vertretung durch ihn, ist vorbehältlich einzelner Ausnahmen, gegenwärtig nicht wesentlich anders gestaltet als im älteren Recht, wo man dies Verhältniß als eheliche Vormundschaft bezeichnete. Mag man den Mann einen Vormund seiner Frau nennen oder nicht und mag ein eheliches Güterrechtssystem bestehen, welches es will, immer befindet sich die Frau in Bezug auf ihre Person und ihr Vermögen in Abhängigkeit von dem Mann. Daher ist auch, wo die eheliche Vormundschaft galt, dieselbe nicht mit Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft beseitigt und zahlreiche Gesetze, welche in neuerer Zeit die Geschlechtsvormundschaft abschaffen, heben es hervor, daß die eheliche Vormundschaft dadurch nicht berührt werden solle.“ Daß das Mundium dem Begriffe der Ehe nicht entspricht, weil es die Einheit in der Ehe zwangsweise herzustellen sucht, hebe ich hier hervor, weil es das unterstützt, was ich zu beweisen habe. Die Ehe wird dadurch zu dem, was Windscheid § 490 Nota 1 von der römischen Ehe mit manus, nämlich mit der väterlichen (6) Gewalt des Ehemannes über die Frau, sagt, daß sie „ein reines Rechtsverhältniß
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war“. Das Merkwürdige dabei ist, daß Windscheid sich nicht bewußt ist, wie von der Ehe, welche er im Texte über dieser Note lehrt, mit der Gehorsamspflicht der Frau, dasselbe gilt, und noch merkwürdiger ist, daß von der Quelle dieser Gehorsamspflicht, vom Mundium, das Mutterwort nach sehr gründlichen Forschungen – – manus ist, z. B. nach Grimm’s Forschungen, Rechtsalterthümer S. 447. Ein anderes unterstützendes Moment ist, daß das Mundium heute eine historische Berechtigung auf Existenz nicht mehr hat, worauf ich weiter unten komme. Wollte ich den mir obliegenden Beweis, daß das Mundium wegen seiner Ungerechtigkeit aufzuheben sei, mittelst Deduktion aus Begriffen führen, wie etwa aus dem Begriff der Ehe und dem der Gerechtigkeit, so würde ich wegen der Anwendungen, denen eine Deduktion auf diesem Felde ausgesetzt wäre, wenig hoffen dürfen, zu überzeugen. Deshalb suche ich mich meiner Aufgabe in der Weise zu entledigen, daß ich empirisch zu Werke gehe und nur die Erfahrungen über die Ehe und die Weise, wie die Menschen zu handeln pflegen, leitend sein lasse. Was die Erfahrungen über die Ehe betrifft, so habe ich als früherer langjähriger Richter deren sehr zahlreiche gemacht. Ich habe deshalb geglaubt, hier zunächst das Ergebniß dessen, was ich selbst erfahren habe, mittheilen zu sollen. In den Eheprozessen, in denen ich thätig war, kamen die Beschwerden der Eheleute gegen einander, wenn ich nach der Ursache forschte, stets auf einen Streitpunkt zurück, der alle Streitigkeiten hervorgerufen hatte: Der Ehemann beklagte sich darüber, daß, so milde auch sein Regiment sei, und obgleich er nur da Gebrauch davon mache, wo die bessere Einsicht auf seiner Seite sei, seine Frau sich in das Gehorchenmüssen nicht finden könne und stets mitregieren wolle und auch offen ungehorsam sei; und die Klage der Ehefrau war, daß, so gern sie es auch anerkenne, daß der Mann das Haupt sei und die Frau ihm zu Willen sein müsse, sie doch das fortwährende Herrschenwollen und das ewige Zurückweisen ihrer Meinung, selbst in Dingen, von denen ihr Mann nicht die richtige Einsicht habe, nicht zu ertragen vermöge. Wenn ich dann das Gebiet des Streites festzustellen suchte, so wurde die Frage, ob die Frau sich in das Geschäft des Mannes einmische, in die (7) Angelegenheiten seines Handwerkes, seines Studiums u. s. w. stets verneint; und es ergaben sich die Ungelegenheiten des Hausstandes und die persönlichen Angelegenheiten der Frau ganz ausnahmslos als die einzigen Gebiete, auf denen die Uneinigkeit entstanden war und sich entwickelt hatte und fortbestand. Und veranlaßte ich dann die Eheleute, mir über die Geschichte ihrer Ehe zu berichten, so trat es klar zu Tage, daß die Kontroverse über Befehlen und Gehorchen auf diesen zwei Gebieten die einzige Quelle alles Uebels war. Sie hatte zu Verstimmungen geführt, zu Mißhelligkeiten, zu Schimpfworten, zu Mißhandlungen, zu innerer Entfremdung und zu dem sogenannten „böslichen Verlassen“ und, in dem Bedürfnisse nach Aussprache und Zuspruch und nach Vertrauen, zur Verletzung der ehelichen Treue. Sind das nun sporadische Erfahrungen, die sich erklären aus besonderen örtlichen und sozialen Verhältnissen in den Gegenden, wo jene Eheleute lebten – in Norddeutschland, Mitteldeutschland und Süddeutschland – oder ist es so bedingt durch die menschliche Natur?
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Es ist dies nicht anders möglich, bei allen Durchschnittsmenschen nämlich, auf die ja das Gesetz überhaupt nur seine Vorschriften berechnet, deren Verhalten es sich maßgebend sein lassen soll – d. h. hier bei denjenigen Menschen, die in ihrer Gemüthsart nicht über dem Durchschnitt stehen, was bei intellektuell sehr Gebildeten so gut, wie bei ganz Ungebildeten der Fall sein kann. Der Zusammenhang ist folgender: Wenn auch nicht ein Jeder die Ausdrücke eheliche Vormundschaft und Mundium kennt, so ist doch das Recht, welches die Ausdrücke bezeichnen, einem jeden erwachsenen Mann bekannt; und man kann nicht selten unverheirathete junge Männer sich darüber unterhalten hören, daß sie ohne die Herrschaft des Mannes eine Frau nicht möchten. Es hat so der junge Ehemann bei Eintritt in die Ehe das volle Bewußtsein von dem Recht, welches ihm das Mundium giebt. Aber das Herrschenmögen ist eine der schwächsten Schwächen der menschlichen Natur. Gewiß ist es auch schon angenehm, ist süß, sich in seiner Bedeutung vor anderen Menschenkindern zu empfinden, und besonders süß und angenehm ist es, in dem Verhalten der Andern zu erkennen, daß sie sich meiner Bedeutung, meines Vorranges vor ihnen wohl bewußt sind. Aber das Vergnügen an mir selbst, an meinem Sein und Können, kann (8) kaum mehr sich heben, als wenn ich sehe, daß das, was ich von ihnen verlange, von ihnen fordere, die Andern schon deshalb thun, weil ich es will. Während ich sonst mit meinem Willen und Können auf die eigensinnige Natur stoße und auf die eigensinnigen Menschen, brauche ich hier blos zu wollen, und es geschieht und so fühle ich mich hier in meiner kleinen menschlichen Allmacht, im Genusse meiner selbst. Diesen Genuß habe ich freilich schon im Bewußtsein dieser meiner Macht, in dem Bewußtsein, daß ich Solches kann; aber der Genuß steigert sich, wenn ich sehe, daß meine Macht, daß mein Wille wirkt. Darum liegt es in der Natur dieser Schwäche, daß sie den Menschen antreibt, seine Macht nicht brach liegen zu lassen, sondern sie auszuüben, und daß es ihm sogar am liebsten ist, wenn er sieht, daß das Gehorchen so ohne alle Ueberwindung, ohne wenigstens einen kleinen innern Kampf, nicht vor sich geht, – wovon man in der Bureaukratie die Beispiele hat. Es wird hiermit wohl klar sein, daß Einer, der in die Ehe tritt, sich keineswegs vorzunehmen, sich keineswegs zum Grundsatze zu machen braucht, er wolle das Mundium ausüben; er bedarf dazu gar keines besonderen Motives, er thut es schon ganz von selbst, unangesehen der Persönlichkeit seiner jungen Ehefrau. Wie wird nun im Antrieb solcher Schwäche der menschlichen Natur sich der Durchschnittsmensch verhalten in Handhabung des Herrschaftsrechtes, das die eheliche Vogtei ihm giebt, in Handhabung nämlich da, wo das Herrschaftsrecht ein Objekt findet, nämlich in den Angelegenheiten des Hausstandes und in den persönlichen Angelegenheiten der Frau? Denn außerhalb dieser Gebiete nämlich bezüglich seiner eigenen Geschäfte befiehlt er der Frau nicht kraft seines Mundiums; ist sie Gehülfin in seinem Berufe, so befiehlt er ihr wie jedem andern Gehülfen als ihr Vorgesetzter, und mischt sie sich ein, so bedarf es zur Wirksamkeit seines Verbotes ihr gegenüber ebenso wenig des Mundiums, wie gegen jeden Andern. Ich beantworte die Frage mit Verwendung meines Prozeßmaterials.
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Nach der Verlobungszeit tritt natürlich mit dem Beginn der Ehe zunächst ein Interregnum ein. Jene Zeit, da er seiner Braut Alles zu Liebe that und ihre Wünsche ihm Befehl waren, reflektirt noch zu stark in sein Gemüth, als daß er schon gleich die Rollen (9) sich vertauschen machen könnte. Die einfachen Anfänge des neuen Haushaltes kommen ihm darin zu Hülfe. Wenn dann aber die junge Frau ihres neuen Amtes eingedenk wird und selbstständige Anordnungen trifft, so sagt er: liebes Kind, ich möchte das doch anders haben; und sie, da er ihr so vieles zu Liebe gethan, erfüllt mit Freuden seinen Wunsch. So geht es eine Zeit lang weiter mit Wünschen und mit gern Befolgen. Aber die Verhältnisse kompliziren sich, und damit vermehren sich die Wünsche; und ihre Gegenstände sind nicht immer der Art, daß der Mann das volle Verständniß für sie hätte. So kommt unausbleiblich alsbald eine Zeit, in welcher der Mann es durchschaut, wie seine Frau mit seinen Wünschen nicht immer einverstanden ist, und in welcher sie sich auch getraut, ihm ihre andere Ansicht nicht vorzuenthalten. Es ist dies die Zeit der Krisis. Sie dauert aber nicht lange. Indem der Mann sich nicht verhehlt, wohin, wenn es so weiter geht, Solches führen muß, falls er von seinem Rechte nicht ernstlich Gebrauch macht, beginnt er nun mit einer ernstlichen, vorbedachten Ausübung desselben; und in seinem Bestreben, Fürsorge zu treffen, daß ihm seine Frau stets gehorche und zu verhüten, was seiner Herrschaft Abbruch thun, und vorzusehen, was sie befestigen könne, giebt ihm die ganz gewöhnliche Lebensklugheit das System dafür an die Hand. Statt ihr blos wie bisher für einzelne Fälle seine Wünsche mehr oder weniger nachdrücklich zu offenbaren, giebt er ihr nunmehr allgemeine Anweisungen, aber nicht für immer, sondern mit dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt, sie wieder zu ändern, so daß es vorkommt, daß er ihr nach Jahresfrist sagt: ich habe doch eingesehen, es ist besser so, wie du es früher machtest; und auch, daß er nach einiger Zeit sie mit der Eröffnung überrascht: ich habe es mit dem Freunde X. überlegt, du und ich hatten Beide Unrecht; mache es in Zukunft so! Seine Anweisungen ertheilt er aber auch für Fälle, in welchen es für das Interesse des Einen wie des Andern völlig einerlei ist, ob man dies oder jenes thut; und auch für solche, in welchen es reine Geschmackssache ist, sich so oder so zu entscheiden. Er legt gerade darauf besonderes Gewicht; denn, sagt er, in Sachen, wo es einerlei ist, muß das Haupt der Familie den Vorrang der Entscheidung haben, und in Geschmackssachen muß die Frau sich den Geschmack des Mannes anzueignen suchen. Die Frau ist nun aber kein Kind; sie hat in den Dingen, (10) auf welche die Befehle des Mannes sich beziehen, auch ein Urtheil, und sie hat auch eine Vorstellung von dem, was man Genossin des Mannes nennt. Sie kann sich deshalb nicht entrathen, nach seinen Gründen zu fragen. Das ist aber das Bedenklichste, was dem begegnen kann, der seine Herrschaft behaupten will. Denn das Herrschen verlangt, daß Einer das, was er thun soll, deshalb thut, weil es ihm befohlen ist. Muß man ihm erst seine Gründe sagen, so ist es mit der Herrschaft gar leicht vorbei; in dem Fragen selbst tritt schon der Geist des Ungehorsams zu Tage, mit der Meinung, der Befehl binde nur, wenn die Gründe bindend seien. Kindern gegenüber hat man in solchen Fällen ein leichtes Spiel. Aber einer Frau gegenüber, die so gut wie der Mann ein erwachsenes Urtheil hat, und die vielleicht ebenso viel Verstand hat, wie er und vielleicht noch mehr, und das in Dingen, in denen sie jedenfalls an Talent und an Erfahrung ihm überlegen ist.
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Wie hilft sich da der Mann? Das Nächste ist, daß er sich mit seinen Gründen auf ein Gebiet zurückzieht, auf welches die Frau ihm mit Gegengründen nicht zu folgen vermag: er sagt ihr die Unwahrheit. Freilich ist er damit aus der Verlegenheit; und das Mittel hilft jedesmal. Aber es wirkt nicht präventiv. Die Frau fährt fort, Bedenken nicht zu unterdrücken und sie in Fragen nach den Gründen umzusetzen. Wie läßt sich dem für die Zukunft vorbeugen? Nur dadurch, daß der Mann sie Solches, was ihr Stoff zu Bedenken und zum Fragen nach Gründen geben könnte, nicht missen läßt und, da er im Voraus nicht zu ermessen vermag, aus was allem sie Gründe hernehmen wird, ihr aus Vorsicht, zur größeren Sicherheit, möglichst viel verschweigt, ihr namentlich aber seine Vermögensverhältnisse verheimlicht, in die er, wenn er einer Vertrauensperson bedarf, die Schwester einweiht, von der die Frau bisweilen erfährt, wie es steht. Wenn es dann aber doch noch sich ereignet, daß sie fragt, so sagt er der Frau in dem milderen Falle: es sind das Männergeschäfte, von denen Frauen Nichts verstehen, in den schwereren aber: verschone mich mit deinen fortwährenden Fragen, die Frau hat zu gehorchen. Indem sich das System in dieser Weise, auch bei dem Manne, der wenig reflektirt, als etwas ganz Selbstverständliches entwickelt, vermöge natürlichen Taktes und in dem Bestreben, seine Herrschaft zu behaupten, zeitigt es zwei Erscheinungen, die für die Ehe sehr verderblich wirken und deshalb hier näher dargelegt werden müssen. (11) Es kann dem Manne nicht entgehen, eine wie untergeordnete, wenig würdige Stellung seine Frau neben ihm einnimmt. Er hat ebenfalls eine Vorstellung von dem, was man Ehegenossin nennt, und er weiß auch, daß man seiner Frau etwas zu Liebe thun soll, – und er sieht, wie unlieb ihr seine Herrschaft ist, und er weiß, daß er verzichten darf, daß es ihm nicht verboten ist. Soll er nun seiner Frau zu Liebe verzichten? Warum, fragt er sich, muß, wenn ich befehle, die Frau gehorchen? Sie muß, flüstert seine Liebe zur Herrschaft ihm zu, weil es das Wesen der Ehe so bedingt; es wissen das ja alle Leute. Aber, fragt er sich weiter, darf ich denn verzichten? Nein, flüstert ihm seine Liebe zur Herrschaft zu, das darfst du nicht: denn die Herrschaft des Mannes ist ja gerade das, was das Wesen der Ehe ausmacht. Wie es Pflicht der Frau ist, zu gehorchen, so ist es Pflicht des Mannes, die Herrschaft auszuüben; sein Wille erst bildet den Ehewillen. Indem in solcher Weise die Liebhaberei am Herrschen in das Pflichtbewußtsein eintritt, führt sie zur Herzenshärtigkeit und in weiterer Folge zur Brutalität, zu welcher, als hätte er kein Empfinden, der Mann in der Empörtheit seines Pflichtbewußtseins sich hinreißen läßt, wenn die Frau sich ihm offen widersetzt – ähnlich, wie bei dem Richter die Festigkeit des Pflichtgefühls, die er in steter Uebung erlangt, das Gefühl der Sympathie für die, die darunter leiden, erlöschen machen kann. Was beim Richter die Grundlage solcher Festigkeit bildet, dessen Amt, ist bei dem Ehemann die Liebe zur Herrschaft und sein Vortheil. So darf man sich denn nicht wundem über einen gegensätzlichen Vorgang, den das Verhalten des Mannes in ganz verschiedenen Ehen ganz gleichförmig zeigt. Sieht er den Knaben weinen, weil er von der Mutter gestraft ist, so sagt der Mann von Mitleid erregt zur Frau: Du weißt ja, daß ich die Kinder nicht weinen sehen kann; willst Du sie strafen, so hast Du mich zu fragen. Für die Thränen dagegen, die seine Frau vergießt, weil er sie wegen einer ganz geringfügigen Kleinigkeit hart angefahren hat, hat er kein Gefühl. Dabei kann es sich ereignen, daß, während die Frau weinend das Zimmer verläßt, er zu dem anwesenden Freunde sagt: Das
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geht vorüber; man darf die Frau nicht anders behandeln; ich habe ihr auch schon eins an die Ohren gegeben; hättest Du Deine Frau so erzogen, so wäre sie nicht nervös geworden. (12) Das ist die eine der beiden Erscheinungen. Die andere entwickelt sich folgendermaßen: So wenig der Mann eines Motives bedarf für die Absicht, die Herrschaft ausüben zu wollen, so kann er doch seine Herrschaft nicht blindlings ausüben; er bedarf in jedem Ausübungsfalle eines Motives für seine Entscheidung – wenn er nicht nach den Knöpfen seiner Weste abzählen will – namentlich in den Fällen, in denen es sachlich gleichgültig ist, ob er so oder anders entscheidet, und in den zahlreichen Fällen, wo er keine Sachkenntnis hat, aber die bessere Sachkenntniß bei der Frau ist. Woher entnimmt der Mann das unerläßliche Motiv? Für gewöhnlich folgt der Mensch seinem Eigennutz, sofern er nicht ein Gegenmotiv hat, namentlich im Pflichtgefühle; und in solchem, nämlich im Pflichtgefühle gegen seine Frau, kann der Mann ein Gegenmotiv gegen die Ausübung seiner Herrschaft finden – ein Motiv, sie nicht auszuüben. Es fragt sich hier aber, wenn er darin kein Gegenmotiv findet, und er die Herrschaft ausüben will, was ihm hier die Motive zu seinen Entschließungen giebt. Sein Verhältniß als Ehemann bietet ihm keine Thatsache dar, die ihn hindern könnte, seinem Eigennutze zu folgen. Umgekehrt die Thatsache selbst schon, daß das Gesetz ihm die Herrschaft giebt, scheint ihn dazu aufzufordern, und dann auch die Thatsache, daß er wirklich die Hauptperson in der Ehe ist insofern, als das Geld, ohne welches die Ehe nicht bestehen kann, ihm zu beschaffen obliegt. So kann es denn kaum anders sein, als daß der Mann für die Weise der Ausübung seiner Herrschaft sein Interesse als Leitfaden nimmt; und ein weiterer Schritt ist es dann nur, wenn er es für die Aufgabe seiner Frau erachtet, ihm das Leben angenehm und schön zu machen, und nur ein weiterer Schritt, wenn er ihr schließlich blos noch die Stellung einer höheren Magd läßt. Wie müssen nun die festgestellten beiden Erscheinungen, daß der Ehemann die Ausübung der Gewalt sich zu einer Pflichtsache, und das eigene Interesse zum Prinzip ihrer Ausübung macht, auf die Elemente einwirken, aus denen das eheliche Leben sich aufbauen soll, auf Liebe und Achtung? Liebe ernährt sich vom Thun aus Liebe; von solchem, das man übt und solchem, das man empfängt, aber mehr von dem, das man übt, als von dem, das man empfängt. Der Mensch liebt den, dem er Gutes erwiesen hat, mehr als den, der ihm solches erwiesen. (13) Ohne solches Thun geht die Liebe zu Grunde, es sei denn, daß ihrer Bethätigung von der einen wie von der andern Seite ein Hinderniß entgegenstehe, in welchem Falle das Hinderniß sie aufrecht erhält, sofern sie keine Illusion war. Was ist es nun, das der Mann, der sich die Ausübung der Herrschaft zur Pflicht und das eigene Interesse zum Prinzip ihrer Ausübung gemacht hat, in Befolgung dieser Maxime seiner Frau zu Liebe thut? Nichts! Und was ist es, das in den zahlreichen Fällen, wo die Frau ihm gehorcht, er von ihr als Zeichen ihrer Liebe empfängt? Nichts! Und was, wenn sie nicht gehorcht, wenn sie ungehorsam ist? Abermal Nichts! Die Liebe des Mannes muß somit aus Mangel an Nahrung vergehen; und die Frauen sind sich dessen sehr wohl bewußt; aber wo mögen sie es sagen, außer vor Gericht?
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Als neulich in einem Tischgespräche über das Glück in der Ehe ein Herr bemerkte, der Mann vergesse allgemach, welche Opfer ihm die Frau in ihrer Sorge täglich bringe, rief seine Nachbarin, die sich eines sehr rechtschaffenen Ehegemahls erfreut, der vis-à-vis saß, in der Ueberraschung aus: ach! wie Sie da Recht haben! Um die Achtung steht es nicht besser. Denn Achtung beruht auf dem Urtheil, das ich mir über die Weise bilde, in welcher der Andere von seiner Handlungsfähigkeit Gebrauch macht, von seiner Fähigkeit, sein Leben selbstständig zu führen, namentlich innerhalb seines Berufes. Den, der nicht handlungsfähig ist, kann ich nicht achten. Es fehlt dafür die Basis. Ich kann ihn nur bemitleiden. Insbesondere kann ich aber den nicht achten, den ich selbst in den Stand hinabgedrückt habe, mir nicht zeigen zu können, daß er meiner Achtung werth sei, weil ich es nicht gethan haben würde, wenn ich ihn geachtet hätte. Mit einem solchen kann ich höchstens zufrieden sein, wenn er gehorsam, und unzufrieden, wenn er ungehorsam ist. So müssen denn bei dem Manne, indem sein Verhalten auf ihn selbst zurückwirkt, Liebe und Achtung für die Frau verschwinden und auch nicht entstehen können. Nach diesen Bemerkungen wird von der Weise, wie der Mann, nämlich der Durchschnittsmann, die eheliche Vogtei übt, nur noch Eines der Aufklärung bedürfen: welche Bewandtniß es mit der ganz allgemeinen Erfahrung hat, daß der Ehemann sein Vorschriftgeben auch auf die persönlichen Angelegenheiten der Frau aus-(14)dehnt, denen sie die Zeit widmet, die ihr Beruf ihr frei läßt. Daß der Ehemann ihr sagt: Du hast keine überflüssige Zeit, Du mußt Dich ganz Deinem Hauswesen und Deinen Kindern widmen, findet man sehr erklärlich, da er ein Interesse an der guten Führung des Hauswesens und der guten Erziehung der Kinder hat. Und, weil all die Kleinigkeiten, die dabei in Frage kommen, sein Interesse entweder wirklich berühren oder doch berühren können, so findet man es auch erklärlich, daß er im Hauswesen und in der Erziehung Herr sein will. Aber daß, wie die Erfahrung zeigt, der Mann fast ganz ausnahmslos auch auf einem Gebiete herrschen will, auf welchem die Thätigkeit der Frau nur Solches zum Gegenstande hat, was ihm nicht mit ihr gemeinsam ist, also auf ihn anscheinend garnicht wirken kann, das, sagt man, sei unbegreiflich, weil hier sein Interesse anscheinend garnicht berührt wird. Und doch ist es sehr begreiflich; denn sein Interesse kann hier sehr ernstlich in Frage gestellt werden. Für den, der an der Gewalt bleiben will, ist kaum etwas so gefährlich wie der Geist der Insubordination. Dessen Aufkommen kann ihm die allergrößten Unannehmlichkeiten bereiten und seine Herrschaft untergraben. Das weiß ein Jeder, der auf Herrschaft sinnt. So lange die Frau mit den Angelegenheiten des Hausstandes und der Erziehung beschäftigt ist und mit der Sorge für den Mann, und ihr Verkehr sich auf ihn beschränkt, auf die Kinder und die Magd, hat der Mann nichts zu befürchten; sie wird die Fügsamkeit, die sie zeigt, behalten und noch befestigen, sofern nur die Anwandlungen zum Ungehorsam zeitig unterdrückt werden. Was ihr den Geist des Ungehorsams aber einflößen und die Ansätze dazu entwickeln und, wenn in ihr Gemüth gelangt, mit ihren Gedanken vereint, eine Macht anfachen kann, die ihm viel zu schaffen macht, sind die Gedanken anderer Menschen, die sie emp-
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fängt, entweder einseitig im Lesen von Drucksachen oder in gegenseitiger Unterhaltung. Dieser Gefahr schenkt demnach der Mann seine volle Aufmerksamkeit. Durch Vorschreiben von Thun ist hier schwer etwas auszurichten. Das Gebiet des möglicher Weise passend Vorzuschreibenden ist zu groß; und eine bestimmte Lektüre und ein bestimmter Verkehr, lassen sie sich auch erzwingen, können doch innerlich abgelehnt werden, und dann ist die Vorschrift nutzlos. (15) Dem verständigen Ehemann kann hier demnach im Ganzen nur die Aufgabe zufallen, die im Staate zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Zensur erfüllt: zu kontrolliren und zu revidiren und dann zu verbieten. Indem daher der Ehemann der Frau im Gebiete ihrer persönlichen Ungelegenheit die Initiative überläßt und dann verbietet, was er für geeignet hält, den Samen der Opposition in ihr Gemüth zu streuen, wegen des Anreizes, ihrem eigenen Urtheile zu folgen, ist die Weise, wie er im Bereiche dieser Angelegenheiten sein Verbotrecht ausübt, höchst verschieden, je nach dem Kreise, in welchem die Eheleute leben, nach ihrem Bildungsgrade, nach ihren Mitteln u. s. w. Greife ich aus meiner Erfahrung die exzessiven Fälle heraus, die, wenn sie auch nicht die Regel bilden, doch zeigen, wohin das Mundium in seinen Wirkungen führt und seiner Natur nach führen muß, so verfährt der Ehemann folgendermaßen: Das Lesen wissenschaftlicher Schriften duldet er überhaupt nicht; denn er weiß, daß, weil sie zum gründlichen Denken anregen, sie der Frau auch bezüglich ihrer Lage die Frage nach Ursache und Wirkung nahe legen. Aus demselben Grunde kann er auch das Lesen politischer Schriften nicht gestatten; leiten sie auch nicht in gleicher Weise zum Denken an, so rufen sie doch das Interesse an Fragen wach, die das eigene Urtheil herausfordern und durch die Inanspruchnahme des Gefühles leicht zu freisinnigen Auffassungen führen – auch wenn sie konservativen Inhaltes sind; von Schriften freisinnigen Inhaltes gilt das natürlich in erhöhtem Maße, weshalb denn der freisinnige Ehemann der Frau das Lesen seiner Zeitung nicht gestattet. Das Gestatten und Verbieten von Schriften religiösen Inhaltes erfolgt ebenfalls nach der Rücksicht, daß die Frau mit dem selbstständigen Denken möglichst zu verschonen sei. Ist der Mann der freiesten religiösen Richtung, so versagt er ihr doch die Bücher, aus denen er seine Ueberzeugung geschöpft hat, wie er, obgleich er selbst niemals in die Kirche geht, es ihr empfiehlt oder sie dazu anhält. In allen solchen Fällen ist die Verfahrungsweise im Anschluß an die sonst beobachtete die, daß er der Frau zunächst nur sagt, daß solche Schriften für den Verstand der Frau zu hoch seien und ihr nur abräth, daß er dann sein Mißfallen zu erkennen giebt durch Ausdrücke von Blaustrumpf u. s. w. und dann verbietet. (16) Er gestattet ihr zu ihrer Zerstreuung, wenn er nicht sonst Gründe dagegen hat, Klavierspielen, Zeichnen, Malen, Sticken und ähnlichen Zeitvertreib und die üblichen gesellschaftlichen Vergnügungen, namentlich die Kaffees. Den persönlichen Verkehr inhibirt oder gestattet er in Anwendung derselben Maxime nach dem Urtheile, das er aus den Mittheilungen seiner Frau über ihren Verkehr entnimmt. Frauen, die ihm darnach verdächtig erscheinen wegen ihrer wissenschaftlichen, politischen Tendenz oder ihrer oppositionellen Richtung bezeichnet er seiner Frau als für ihren Verkehr nicht passend, und um sie von demselben auszuschließen, verfährt er in der dargestellten Weise.
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So ist es denn beinahe unausweichlich, daß die Frau immer weniger ihrem Manne ebenbürtig wird und zu dem Range einer höheren Magd herabsinkt; und sie fühlt, daß sie mehr nicht ist. Und er verhehlt ihr das auch nicht. Wenn einmal, da sie einen Freund zu Tische bei sich hatten, mit dem sich ihr Mann über allbekannte Dinge in wissenschaftlicher Weise unterhielt, oder über allbekannte politische Fragen, sie es gewagt hat, auch eine Meinung zu äußern, so kann sie es erleben, daß, wenn der Gast gegangen ist, der Mann ihr sagt: Wie hast Du mich beschämt; Du weißt ja, daß Du von solchen Dingen Nichts verstehst. Ein ander Mal schweigst Du. – Wie muß nun diese durch die menschliche Natur selbst gebotene Weise der Ausübung der vogteilichen Gewalt auf das Verhalten der Frau einwirken – nämlich auf ihr Empfinden und demgemäß auf ihr Thun und Lassen? Das Hauptgesetz, nach dem sich hier Alles vollzieht, ist, daß so angenehm und süß das Herrschen, so unangenehm und bitter das Erdulden der Herrschaft und doppelt bitter, wenn sich ein ethisches Empfinden dem entgegensetzt. Es ist nur zu natürlich, daß die Frau zuerst die Wünsche ihres Mannes mit Freuden erfüllt; war er doch während der Verlobungszeit so liebenswürdig und entgegenkommend gegen alle ihre Wünsche; warum sollte sie ihm das nicht entgelten? Erst in der Periode der Krisis empfängt sie eine Ahnung von dem, was kommen kann. Sie bemerkt, wie die Wünsche ihres Mannes sich bedenklich mehren und für ihr Wünschen wenig Raum lassen, und wie ihr Mann nicht immer das Richtige trifft und wie er auch in Kleinigkeiten und auch mit Nachdruck wünscht, und sie wird ernst (17) und sieht mit Besorgniß der Zukunft entgegen. So vorbereitet, wird sie in der dritten Periode, wo der Mann thut, was das System erfordert, sehr bald klar darüber, um was es sich handelt. Erst denkt sie, vielleicht noch abwenden zu können, was ihr droht. Sie macht Gegenvorstellungen gegen Einzelnes. Er aber sagt: in solchen Dingen treffen die Männer besser das Richtige; wir denken logischer. Sie wagt es auch, unbefolgt zu lassen, was er ihr vorgeschrieben hat; aber wenn sie es dann als verständig nachzuweisen sucht, indem sie sagt: ich dachte so und so, so sagt er ihr: das Denken, liebes Kind, ist meine Sache. Du darfst stets annehmen, daß ich Alles wohl gedacht habe. Auch das läßt sie nicht unversucht, ihm einen Bereich von Angelegenheiten zu nennen, in welchen sie ein freies Verfügen haben möchte. Aber diesen Wunsch, sagt er, zu erfüllen, ist rein unmöglich; denn es muß ein ordnender Wille in Allem vorhanden sein, auch in den Dingen, die Dir besonders am Herzen liegen, und Du mußt vertrauen, daß ich Deine Wünsche, so viel es angeht, berücksichtige und auf Dein Wohl stets bedacht bin. – Natürlich sind dann Szenen unausbleiblich. Sie geben die Veranlassung, daß der Mann sein Prinzip proklamirt, indem er sagt: Die Frauen müssen gehorchen, das ist nun einmal ihr Loos; darin mußt Du Dich finden – und so überzeugt sie sich, daß der Herrschaftswille ihres Mannes unabänderlich feststeht, und daß Alles anders gekommen ist, als sie es sich geträumt hatte. Sie hatte wohl gewußt, daß es in der Ehe nicht immer so zugeht, wie es sein soll. Ihr elterliches Haus war ihr der Beweis. Sie kannte aber ihren eigenen guten Willen und sie kannte ihren Ferdinand, der so lieb und gut war, und sie wußte, daß er von den Fehlern frei war, deren sie ihren Vater, so sehr sie ihn verehrte, zeihen mußte. Sie hatte es sich so schön gedacht, wenn sie im Hause frei schalte und walte, und dies mit Freuden von ihm bemerkt werde; so schön, wenn sie, untersetzt von seinem Rathe und seinen Wünschen vermöge eigenen Ersinnens und Ueberle-
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gens Alles so anordnen werde, wie es dem Interesse des Hauswesens und seinen Wünschen am besten entspreche, und sie dann einen Beweis dafür, daß ihr dies gelungen, in der Erfüllung von Solchem, was sie wünschte, von ihm erhalten werde – und wie beneidenswerth war er ihr erschienen, wenn sie im Bewußtsein, in ihrem Berufe nach besten Kräften thätig gewesen zu sein, sich ihren Lieblingsbeschäftigungen und -zerstreuungen überließ und er daran Theil (18) nahm, und sie alles das, worin er neben seinem Berufe seine Zerstreuung und seine Freude fand, förderte und mitgenoß. Und jetzt? Für ihren Hauptwunsch, den Wunsch ihres Lebens, neben einem geliebten Manne und für ihn frei schalten und walten und mit ihm sich ihres Lebens freuen zu dürfen, hat er kein Gehör gehabt. Er hat ihn abgeschnitten durch die Anweisungen, die er ihr ertheilt hat und die er, nach dem Grundsatze, den er proklamirt hat, noch ertheilen wird. Und auch sonst hat er für ihr Wünschen keinen Sinn mehr. Solches, was nicht nur ihr zuwider ist, ordnet er an, sondern auch in ganz geringfügigen Dingen und in Dingen, die sein Interesse nicht berühren, giebt er ihrem Wunsche nicht nach und er zeigt, daß er es sogar für seine Pflicht hält, so zu verfahren. Sie aber, so gern sie es möchte, kann ihm aus freien Stücken kaum noch einen Wunsch erfüllen: denn seine Wünsche sind fast sämmtlich in seinen Anweisungen enthalten. Diese aber verlangen ihre unausgesetzte Aufmerksamkeit, den ganzen Tag; denn sie umfassen nicht nur ihren gesammten Beruf, und sie ist den ganzen Tag im Beruf, von früh bis spät im Dienste, sie umfassen auch Alles, was sie außerdem vornimmt. Sie kann daher kaum etwas thun, ohne sich gegenwärtig zu haben, was die Anweisungen ihres Mannes ihr auferlegen, und daran zu denken, ob sie eine derselben auch übertritt. Denn nur selten schreiben sie ihr ein bestimmtes Thun vor, meistens enthalten sie allgemeine Vorschriften, die er ganz verschiedenen Erwägungen entnommen hat, finanziellen Rücksichten, oder Rücksichten der Annehmlichkeit oder des Geschmackes, oder konventionellen Rücksichten, wie im Hinblick auf das, was der Stand erfordert und was die Leute sagen; so können sie schon bei den heterogensten Dingen unversehens in Frage kommen; und da die Angelegenheiten des Haushaltes so vielfach mit einander in Zusammenhang stehen, können eine Reihe von Ungelegenheiten ihre Beachtung fordern. Und wenn dann ein Versehen von ihm bemerkt wird? Denn er kontrollirt, und wer kontrollirt, sieht scharf! – Wer mag sich schelten lassen? Das Schelten hat sie so höchst ungern. Haben es doch schon Kinder ungern, die man blos durch Schelten schon regieren kann, und selbst eine Magd läßt sich nicht schelten; eine solche kann kündigen, und sie thut es, selbst wenn sie gut bezahlt wird; sie aber kann nicht kündigen, und doch ist ihr dieser Ausdruck des Mißfallens viel empfindlicher, weil er von dem (19) kommt, auf dessen Liebe sie einstmals zählte. Um dem Schelten zu entgehen, ist sie bemüht, seine Anweisungen so viel wie möglich zu befolgen, auch da, wo sie ihren Ansichten widersprechen und wo sie unrichtig sind. Sie weiß aber auch, daß er dies weiß, daß er sich weiß wie ein Richter, der durch Strafen auf die Befolgung von Gesetzen hinwirkt, nur daß er zugleich hier auch der Gesetzgeber ist; und deshalb macht sie sich keine Täuschung darüber, daß, wenn sie seinem Willen zuwider handelt, und er es bemerkt, das nachfolgen wird, was sie so schwer erträgt.
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So läßt sie denn endlich, nicht ohne inneren Kampf, aber auch nicht ohne Kampf mit ihm, es duldend geschehen und ergiebt sich darin, daß er die Gewalt ganz nach seinem Ermessen ausübt, in Ausübung derselben frei auslegt, was im Begriffe der Ehe liegt und ihm eine Auslegung giebt, die ihrer Vorstellung von der Ehe total widerspricht und ihr in ihrem innersten Empfinden zuwider ist. Zu alledem liefert die gerichtliche Praxis zahlreiche Belege. Ich führe Einiges davon an: Wenn der Mann Mittags nach Hause kommt und er sieht die Frau ernst, so sagt er: Wenn ich aus dem Geschäft komme, verlange ich fröhliche Gesichter; Du hast über Nichts zu klagen. Du hast es sehr gut in meinem Hause. Nach Tisch erklärt er jetzt muß ich ein wenig schlafen; du spiele unterdessen mit dem Kinde, die Magd muß die Schüsseln waschen, sonst kommt Unordnung in die Haushaltung; – daran, daß seine Frau von früh an geschafft hat und vielleicht der Ruhe bedürftiger ist als er, denkt er nicht; ebenso wenig daran, daß es bei ihm nur der Frühschoppen war, der ihn schläfrig machte. Und wenn dann Nachts geläutet wird an der Hausthür, sagt er zu seiner Frau: Hörst Du denn nicht, es läutet schon zum dritten Male; Du weißt ja doch, daß mir das Aufstehen höchst fatal ist, und daß das Mädchen niemals aufwacht. In Bezug auf gesellige Vergnügungen benimmt er sich dem entsprechend. Ist z.B. die Frau in eine Gesellschaft geladen, so sagt er: Du bist aber um 1/2 9 Uhr wieder da; Unregelmäßigkeiten in den Mahlzeiten kann ich durchaus nicht dulden, und ich muß in meiner Gewohnheit bleiben. Und wenn Gäste eingeladen sind, so sagt er: Das letzte Mal hast Du schlecht aufgepaßt; soll ich mich in der Gesellschaft gut unterhalten, so muß ich auf Nichts zu achten brauchen; es ist Sache der Frau, ihre Augen überall (20) zu haben; die Gesellschaft geben wir nicht für Dein Amüsement – u. s. w. Von den Angelegenheiten, denen die Frau sich neben dem Haushalte widmet, ist es vorzugsweise die Lektüre, die er kontrollirt. Sie darf nicht Alles, was sie möchte, lesen. Ist sie liberal, er aber konservativ, so darf sie die Volkszeitung nicht lesen und umgekehrt die Kreuzzeitung nicht, wenn sie konservativ und er liberal ist. Sieht er bei ihr ein wissenschaftliches Buch, so sagt er: solche Bücher verwirren Dich, Kind, sie sind nicht für Frauen; ich werde es mitnehmen, und Du wirst dafür sorgen, daß ich ein derartiges Buch niemals wieder bei Dir finde; Du kannst Dich jedoch immer noch vervollkommnen im Haushalte und in der Kochkunst; da habe ich noch Manches an Dir auszusetzen; ich werde Dir gelegentlich eins der Haus- und Kochbücher von der Davidis mitbringen. Wenn sie musikalisch ist, so sagt er: ich bemerke, du musizirst doch reichlich viel; so viel kann Dir nicht gut sein und ist auch für den Haushalt bedenklich. Ich will es jetzt auf täglich eine Stunde setzen; und Kränzchen, weißt Du, Musikkränzchen, kann ich überhaupt nicht leiden, sie binden Deine Zeit, und Du kommst dann erregt nach Hause. Zeichnet oder malt sie, und er hat dafür keinen Sinn, so sagt er: Frauen sollten Derartiges überhaupt nicht treiben, sie bringen es doch zu nichts; ich habe Dich eine Zeit lang gewähren lassen, jetzt lege die Sachen ein für alle Mal bei Seite. Und wenn es dann über dergleichen Dinge zu Auseinandersetzungen kommt, so resümirt er gegen ihren Hinweis, daß sie auch ein Recht habe, sich zu zerstreuen, sich dahin: viel besser, als solche Sachen zu treiben, ist es für Dich, ab und zu Gesellschaft zu pflegen, und ich habe nichts dagegen, daß Du Kaffeegesellschaften giebst und besuchst; aber, fügt er hinzu: das sage ich Dir, die Frau X., die Du so gern hast, von der Du mir täglich erzählst, die ladest Du mir nicht wieder ein;
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sie ist mir eine höchst widerwärtige Person; ich habe sie freilich nur einmal gesprochen, ich habe sie aber gleich durchschaut; mit der brichst Du den Verkehr ab. Die Frau Z. dagegen, die Du nicht magst, weil Du meinst, ihr Mann sei schuld, wenn ich spät nach Hause komme, die wirst Du einladen, wenn Du nicht Unannehmlichkeiten mit mir haben willst; Du wirst Dich schon an sie gewöhnen. Du siehst, Deine Vergnügungen müssen auch etwas unter meiner Direktion stehen u. s. w. u. s. w. – Alle Vorgänge, die sich in Ehen der gebildeten Kreise abspielen und die völlig un-(21)begreiflich erscheinen, wenn man nicht weiß, was die schwächste der Schwächen der menschlichen Natur vermag, wenn das Gesetz sie legalisirt. Wenn die Frau bedenkt, was so die Ehe ihr gebracht hat und was alles sie ihr noch bringen kann – und sie bedenkt es jeden Tag und jede Stunde – weil der Druck der Herrschaft ein stetiger ist, aus ihrem Lebensgefühle nicht verschwindet, wie aus dem seinigen das Gehobensein nicht verschwindet, das ihm das Gefühl der Herrschaft bereitet – wenn sie das Alles bedenkt, jeden Tag und jede Stunde, so fühlt sie, daß sie nicht glücklich ist; sie fühlt aber auch, daß sie es niemals werden kann; und hierin hat sie Recht, weil ihrem Widerstreben gegen die Herrschaft ein ethisches Empfinden zu Grunde liegt, das sich nicht tilgen läßt, weil es durch die menschliche Natur selbst gegeben ist; und das ist für die Frage nach dem Rechte in der Ehe von der allergrößten Wichtigkeit. Jeder Mensch, sofern er nicht abnorm geboren oder erzogen ist – erzogen entweder von seinen Erziehern oder von Anderen, auch von Spielgefährten oder von den Umständen, die ihn umgaben – will wirken in der Welt, will aus sich selbst die Ursache von einem Geschehen setzen. Er will dies, weil er ein selbstthätiges Ding ist, welches Solches vermag, und welches darin, Solches zu vermögen, die Haupteigenschaft seines Wesens hat, von der alles Andere abhängt, und weil er nicht etwa demgemäß sich dessen bewußt und dessen bestrebt ist, sondern weil er demgemäß, auch wenn er das Bewußtsein davon gar nicht hat, ganz von selbst, ganz nothwendig bestrebt ist, zu wirken; weshalb er denn auch so viel wie möglich, so viel er irgend kann, zu wirken bestrebt ist. Er will wirken in der Welt, das heißt: er will wirken in der Welt der Menschen; denn für ihn sind die Menschen die Welt, die für ihn nur in so weit Bedeutung hat, wie sie für die Menschen solche hat. In dem Zusammenhange der Menschen will er wirken für Andere und an Anderen, aber auch an sich selbst und für sich selbst; denn er gehört mit zu dieser Welt, und das Maß seiner Wirksamkeit hängt ab von dem seiner Tauglichkeit. In dieser Welt will demnach der Mensch Raum haben zu wirken, will wirken können. Aber nicht alles Mögliche will er wirken können, nicht gehindert sein, zu wirken, weil er weiß, daß er nicht Alles vermag, sondern nur Bestimmtes und vom Bestimmten am liebsten das, was er am liebsten mag, weil er sich (22) sagt, daß er Solches am besten wirken, am besten verursachen kann. Darum ist es ihm am willkommensten, wenn ihm die Wahl frei steht. Ist ihm aber eine Schranke gesetzt, so will er aus demselben Grund das wirken können, was er innerhalb dieser Schranke am liebsten wirken mag, und wenn ihm auch dies versagt ist, so will er das, was ihm vorgeschrieben ist, wenigstens in der Weise, die ihm die liebste ist, verursachen können, weil sein Bedürfniß, sein Drang nach Verursachung dies verlangt, und weil, wenn ihm die Weise auch noch vorgeschrieben ist, in Wahrheit nicht er verursacht, sondern der Vorschreibende, er blos dessen Instrument ist. Das
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nun aber, was er prüft, wenn er sich fragt, was er am liebsten mag, ist nicht etwa die Weise, wie er thätig sein kann, so oder anders thätig zu sein, sondern, weil er ja verursachen will, die Beschaffenheit dessen, was er erwirken kann, die Wirksamkeit seiner Wirkung in der Welt. Indem er verursachen will, will er bestimmte Wirkungen hervorbringen, Wirkungen, die von Bedeutung sind für ihn oder für andere Menschen, und die will er dadurch hervorbringen, daß er Veränderungen in der Welt bewirkt oder verhütet. Daß er Solches will, ist das, was die Selbstthätigkeit, die Kraft der Verursachung in Thätigkeit setzt, sie entzündet. Daß das Alles so gut von der Frau gilt, wie vom Mann, braucht nur erwähnt zu werden. Auf diesem Streben des Menschen nach Wirken beruht sein Trieb nach Freiheit. Der Mensch will für das, was er sich vorgenommen hat, im Leben zu wirken, oder was im Leben zu wirken ihm vorgeschrieben ist, von den Menschen vorgeschrieben ist oder von den Umständen, sich selbst seinen Lebensplan machen, selbst die Regeln für die Verwirklichung desselben daraus ableiten und selbst nach eigenem Urtheil die Anwendungen davon machen können. Das macht für ihn den Begriff der Freiheit aus, und das macht ihn wirklich aus. Mehr verlangt er nicht. Diese Freiheit aber verlangt er unbedingt, indem er auch nicht den allergeringsten Zweifel daran hat, daß sie ihm unerläßlich ist, wenn er sein Streben nach Verursachung soll erfüllen können, wenn er, wie er bestrebt ist, seine besten Kräfte soll daran setzen und Alles thun können, was ihm möglich ist, um Alles so gut wie möglich zu machen. Und darin irrt er sich nicht. Diese Freiheit ist ihm unerläßlich. Nicht nur, daß den innern Apparat, den er nöthig hat, um (23) das ins Werk zu setzen, was er wirken will, nur er genau kennen kann, und nur er genau wissen kann, was dessen Vorzüge, was dessen Schwächen sind, wenn ihm auch ein Anderer durch Rath dabei helfen kann, und daß nur er ganz allein seine inneren Vorgänge kennt und die Empfindungen, die seinem Wollen das Können geben; so will er ja doch versuchen, aus sich die Ursache von einem Geschehen setzen; das thut er aber um so mehr, je weniger er gehindert ist, diesen Apparat nach eigenem Gutbefinden zu behandeln, und vollständig erst, wenn er garnicht daran gehindert ist. So ist denn das Streben nach Freiheit durch das Streben nach Wirken nothwendig bedingt und von ihm unzertrennlich; und das gilt von der Frau wie vom Manne. Was der Mensch nicht will, das, wovon er frei zu sein begehrt, ist ihm selbstverständlich, und auch so gemeinverständlich, daß er es nicht mal sagt, wenn er Freiheit fordert. Von den Naturgesetzen will er nicht frei sein; umgekehrt, er will sie haben, denn sie garantiren ihm seine Freiheit. Sie garantiren ihm, daß er seinen Plan fassen, Regeln daraus ableiten und durch die Anwendung dieser Regeln seinen Plan, seinen Lebensplan, zur Verwirklichung bringen kann. Aber was er nicht will, ist, daß die Freiheit, die ihm die Naturgesetze verbürgen, ihm die Menschen nehmen oder beschränken. Es können daher auch schon Gesetze des Gemeinwesens, die das Verhalten der Menschen zu einander regeln, seinem Streben nach Freiheit zuwider sein. Aber wenn sie seine Freiheit auch beschränken, und wenn sie es auch manchmal mehr thun, als sie sollten, nämlich mehr als das Gemeinwohl es fordert, so kann er innerhalb der gezogenen Schranken immer noch frei sein; er kann seinen Plan fassen u. s. w.; er kann das Grundgesetz der Freiheit erfüllen. Das kann er aber nicht mehr, er kann nicht frei sein, wenn einem andern Menschen das Recht gegeben ist, je nach seinem Gutbefinden, je nachdem, wie er es als gut oder ersprießlich befindet, für sich oder für Andere oder für das Ge-
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meinwohl, ihm seinen Plan, seine Regeln und die Anwendung zu machen, und das Gemachte jederzeit zu ändern, und wenn er selbst dergleichen gemacht hätte, dies zu zerstören. Ein solches Recht hebt die Freiheit auf, ist der Tod der Freiheit und begründet den Zustand der Unfreiheit; und deshalb ist jenes Recht dasjenige, was der Mensch, der nach Freiheit strebt, von sich weist als das, wovon er frei sein will, und das er daher mit derselben (24) Kraft, mit der er die Freiheit erstrebt, abzuwehren sucht. Jener Zustand aber heißt, technisch ausgedrückt, mit einem wissenschaftlichen Namen bezeichnet, „Sklaverei“. Denn gerade das, was nach dem Gesagten jenen Zustand ausmacht, ist das, was die Sklaverei charakterisirt, und womit man sie charakterisirt als etwas, was nicht sein soll. Auch dies Alles gilt von der Frau. Der Zustand, in welchem sie unter dem Mundium lebt, ist aber der der vollen Unfreiheit, der Sklaverei. Denn die Frau ist nicht berechtigt, sich einen Lebensplan zu machen; Regeln daraus abzuleiten und die Anwendung zu machen; sie ist verpflichtet, zu dulden, daß der Mann ihr Alles, was sie gemacht hat, zerstört; und wenn er ihr vorschreibt, was ihr Lebensplan sein soll, welche Regeln sie daraus ableiten, und wie sie die Anwendung davon machen soll, so ist sie verpflichtet, das Alles zu thun, und wenn er dann noch im letzten Augenblick daran ändert, so muß sie auch das noch thun. – Es ist das der Zustand der vollen Unfreiheit, der Sklaverei. Es muß daher die Frau mit derselben Kraft, mit welcher sie die Freiheit erstrebt, der Herrschaft des Mannes widerstreben und bemüht sein, sich ihrer zu entledigen; es sei denn, daß ihr in Folge anormaler Geburt oder in Folge ihrer Erziehung die Sklaverei angenehm wäre, was aber heutigen Tages trotz der Tendenz der Erziehung, die Frau in die Herrschaft des Mannes einzuüben, ein höchst seltener Fall ist. An dem Ausdruck Sklaverei nimmt vielleicht manch Einer Anstoß. Er wird aber vergebens die Sache zu widerlegen suchen. Das Einzige, was man hier beweisen kann, ist, daß das eine sehr milde, eine sehr zivilisirte Sklaverei sei, und viele Frauen es garnicht anders wünschten; wie Solches stets die Sklavenhalter geltend gemacht haben. Das Alles hätte gar keine Bedeutung; man könnte sagen, wenn auch ein Jeder und auch die Frau den Trieb nach Freiheit habe, so gebe das noch kein Recht, wie schon unser Idealvolk, die Griechen, erkannt hätten, die dadurch Großes vollbracht, und deshalb sei das Gesetz nicht gehindert, die Frauen verzichten zu machen, zumal sie den Männern nicht ebenbürtig seien und gewöhnt an das Verzichtenmüssen. Dies und manches Aehnliche könnte man sagen, wenn nicht Eines hinzu käme: das Streben nach Freiheit ist von ethischer Natur und es erzeugt dadurch im Menschen (25) den Anspruch auf Freiheit und giebt ihm ein Recht auf Freiheit, erzeugt aber in ihm noch ein Weiteres, das für die Weise seiner Lebensführung von eingreifender Bedeutung ist. Es giebt kein Streben ohne ein Erstrebtes und also auch kein Streben nach Verursachung ohne etwas, was zu verursachen erstrebt wird; und wie das Streben nach Verursachung durch das Wesen des Menschen selbst gegeben ist, so ist auch das, was er zu verursachen erstrebt, durch sein Wesen gegeben, hat den Grund in seinem Wesen. Indem daher der Mensch unaufhaltsam und unwiderstehlich zu verursachen strebt, strebt er unaufhaltsam und unwiderstehlich solches zu verursachen, wozu der Antrieb in seinem Wesen liegt, Solches zu verwirklichen, oder wie der bereits geläufige Ausdruck ist, sein Wesen zu verwirklichen. Auf etwas Anderes kann das Streben nach Verursachung gar nicht gerichtet sein. Der Mensch
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fühlt dies Streben in sich und fühlt sich genöthigt, ihm zu folgen. Aber er weiß nicht, woher es in ihn kommt; er weiß nur, weil er es fühlt, daß ein Antrieb in ihm ist, der ihn unwiderstehlich und unaufhaltsam antreibt, jenem Streben zu folgen; und er weiß auch nicht, woher dieser Antrieb in ihn kommt. Aber er empfindet ihn als den Antrieb einer Macht, die über ihm steht, und die er vergebens sich zu erklären sucht, und die ihm völlig unbegreiflich ist, und darum sagt er, und mit Recht, weil es gar nicht anders sein kann, daß Gott diesen Antrieb in ihn gelegt hat, gelegt in sein Empfinden, in sein Herz, in sein Gewissen; und er bezeichnet es, und ebenfalls mit Recht, als seine Pflicht, diesem Antriebe zu folgen; und demgemäß nennt er alles das seine Pflicht, was zu wirken er sich unwiderstehlich gedrungen fühlt, ohne daß er dafür einen andern Grund anzugeben vermag, als daß Gott ihm Solches auferlege, daß in Gehorsam gegen ihn er nach seinem Empfinden und Gewissen nicht anders zu handeln vermöge; und darin hat er wieder Recht; denn nach einem andern Merkmale kann er garnicht verfahren, wenn er so viel wie möglich, nach bestem Können, sein Wesen verwirklichen, das thun will, was Gott als sein Wesen in ihn gelegt hat; wenn auch Andere ihm dazu helfen, ihn belehren können, so kann doch, was seine Pflicht von ihm fordert, die Entscheidung darüber, die zuverlässigste Entscheidung, nur er selbst treffen. Darum verlangt denn der Mensch als sein angeborenes Recht Eines: indem er das unaufhaltsame Streben nach Verursachung (26) empfindet als das unaufhaltsame Streben, die Ursache von dem zu setzen, was zu verursachen seine Pflicht auf Erden ist, und er weiß, daß, worin dieselbe bestehe, nur er selber sich sagen kann, so will er, so lange er lebt, die Freiheit haben, daß er das, was zu verursachen er für seine Pflicht erachtet, verrichten darf, und daß er es so verrichten darf, wie er selbst es für nöthig erachtet, weil nur so es ihm gelingen, und wenn nicht vollkommen, so doch so vollkommen, wie es ihm überhaupt möglich ist gelingen kann; und nicht eher, als bis er dieser Freiheit gewiß ist, fühlt er sich seiner Hauptsorge für die Zukunft enthoben. Hiermit ist der ethische Charakter festgestellt. Denn das, was nach dem eben Festgestellten den Inhalt des Strebens nach Freiheit ausmacht, bildet die Grundlage jeder ethischen Pflicht, ist also ein ethisches Gut, das höchste ethische Gut. Dies ist denn auch der Titel, den der Mensch für sich geltend macht, wenn er die Freiheit als Recht verlangt. Er sagt: wenn es Rechte giebt, so muß der Mensch vor Allem das Recht haben, seine erste Pflicht, die er auf Erden hat, seine Menschenpflicht zu erfüllen. Jenen Titel aber hat auch das Gesetz anzuerkennen; und grundsätzlich erkennt es ihn an, indem es neben dem Rechte, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren, auch das Recht, seinen moralischen Pflichten in freier Ueberzeugung und in freiem Gutbefinden nachzuleben einem Jeden zuspricht, wenn es auch in der Anwendung diesen Grundsatz nicht Jedem zu Gute kommen läßt. Das Gesagte gilt Alles auch von der Frau; denn die Frau ist auch ein Mensch. An dieser Beweisführung hat man vielleicht nicht gern eine Abweichung von der Ausdrucksweise bemerkt, deren sich die Ethiker und Religionslehrer zu bedienen pflegen. Es war aber nicht zu vermeiden, weil ich eine psychologische Grundlage zu nehmen hatte. In der Sache bin ich aber von ihnen nicht abgewichen. Sie sprechen freilich statt vom Wesen von der Bestimmung des Menschen, von seiner Lebensaufgabe. Sie gehen jedoch davon aus, daß ein gewisses Können in dem Menschen sei, das Gott in ihn gelegt habe, und daß er deshalb verpflichtet sei, die-
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ses Können zu entwickeln und ihm gemäß zu handeln; und mit ihren Theorien suchen sie hinter dies Können und hinter dies Sollen zu kommen, um daraus die Bestimmung der Menschen abzuleiten. Indessen alle ihre Lehren (27) sind vergeblich, und all der Samen, den sie gestreuet haben, geht nicht auf, wenn sie nicht das wirkliche Können und das wirkliche Sollen getroffen haben. Haben sie dies aber getroffen, so ist das, was den Samen sprießen und zur Frucht gedeihen läßt, das wirkliche Können und Sollen – das Wesen. Ihre Lehren vermögen Nichts, wenn sie nicht in das Streben des Menschen gefallen sind, sein Wesen zu verwirklichen – wenn sie nicht den Menschen einen Blick haben thun lassen in sein Wesen; denn enthüllen können sie es ihm nicht. Das nun, was der Trieb nach Freiheit dadurch, daß er ethischer Natur ist, im Menschen erzeugt als eingreifend in sein Leben, ist das Empfinden für Glück und Unglück. Wenn der Mensch erreicht, was er erstrebt, so fühlt er sich befriedigt, und er fühlt sich um so mehr befriedigt, je mehr er das, was er erreicht hat, erstrebte, und am meisten dann, wenn er das, was er erreicht hat, am meisten erstrebte, mehr als alles Uebrige. Am meisten aber erstrebt der Mensch, seine Pflicht zu thun, das, was er als seine Pflicht empfindet; denn dies erstrebt er unwiderstehlich, jedes andere Streben steht gegen dies Streben zurück. Die größte Befriedigung, die er empfinden kann, ist demnach die, die ihm die Empfindung bereitet, seine Pflicht gethan zu haben. Damit ist aber der Mensch noch nicht glücklich. Glücklich kann, wenn das Wort, wie es doch der Fall ist, eine Berechtigung hat, nur sein, wer sich seiner Existenz freut. Aber nicht der schon freut sich derselben, welchen der gegenwärtige Augenblick erfreut, vielmehr erst der, welcher, sollte ihm der gegenwärtige Augenblick auch mißfallen, sich darüber freut, dem das sein Bewußtsein freudig erhebt, daß er, wie er hofft, auch noch in der Zukunft existiren und, wie er es wünscht, so lange wie möglich existiren wird; denn der Mensch lebt mit all seinem Tichten* und Trachten in der Zukunft, und Alles, was er wünscht und was er verlangt und erhofft, Alles soll ihm die Zukunft bringen. Es ist also erst derjenige glücklich, welcher, indem er den Moment genießt, die Zukunft im Voraus genießt, weil er, soviel dies möglich ist, seiner Zukunft gewiß ist, nämlich gewiß, ihrer Herr zu sein, denn nur so kann er ihrer gewiß sein, und zwar ihrer Herr zu sein in der Weise, die ihn am meisten befriedigt, also in der Pflichterfüllung. Damit ist Alles gesagt. Nur der kann sich glücklich fühlen, der sich tüchtig weiß für eine bestimmte Weise des Wirkens, die ihn zu erhalten (28) und ihm seine Bestrebungen zu erfüllen vermag, für einen Beruf, und der einen Wirkungskreis für einen solchen Beruf hat, und der darauf zählen kann, entweder daß derselbe ihm verbleibt, oder daß seine Tüchtigkeit ihm einen andern verbürgt. Die Erfahrung bestätigt dies. Sie zeigt, daß die, bei denen Solches zutrifft, die heitersten Menschen sind und deshalb auch die besten.
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Wortwahl und Schreibweise entsprechen der Quelle. Laut Adelung, Grammatischkritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4, Leipzig 1801, S. 599; nach Pierer, Universal-Lexikon, Band 17, Altenburg 1863, S. 588, ist „tichten“ ein Synonym für „Dichten“.
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Die Erfahrung bestätigt aber auch, daß der Mensch die Pflichterfüllung über Alles setzt und deshalb in ihr die größte Befriedigung findet. Wenn Einer, um den Pflichten seines Berufes obzuliegen, die schönsten Vergnügungen ablehnt, obgleich er durch die Annahme keine Pflicht gegen Jemanden verletzte und keine Gesetze, und keinen Schaden davon hätte, so ist der Grund, weil, so lange er seine Pflichten nicht erfüllt hat, er keine Empfänglichkeit hat für andere Bestrebungen und für die Befriedigung, die sie bereiten. Und wer aufmerksam ist auf Andere und auf sich, wird finden, daß das, was nach gethaner Arbeit den Genuß bereitet, nicht das ist, daß sich Körper und Geist jetzt des Ausruhens erfreuen, sondern das, daß das Bewußtsein, seine Pflicht gethan zu haben, das Selbstempfinden frei macht und genußfähig für all die Empfindungen, die jetzt ungeahnt sich einstellen. Nach demselben Gesetze, nach welchem das Alles erfolgt, muß unter den umgekehrten Verhältnissen das Gefühl des Unbefriedigtseins eintreten. Wer nicht erreichen kann, was er erstrebt, ist unbefriedigt, und er ist es um so mehr, je mehr er das erstrebte, was er nicht hat erreichen können und am meisten dann, wenn er das, was er gehindert ist, zu erreichen, mehr erstrebt, als alles Andere. Aber damit fühlt er sich noch nicht unglücklich. Denn die Zukunft kann ihm noch alles Mögliche bieten, und wenn ihm die Gegenwart noch so widerwärtig ist, kann er sich glücklich fühlen. Unglücklich fühlt er sich erst, wenn er sieht, daß es ihm versagt ist, in freier Pflichterfüllung Herr seiner Zukunft zu sein, und am meisten dann, wenn er sieht, daß es ihm beschieden, er dem nicht entgehen kann, daß ein Anderer Herr seiner Zukunft ist, der nach seinem Gutbefinden, je nach dem, was er für gut und ersprießlich hält für sich oder für ihn oder für Andere, ihm vorschreibt, was er zu thun und zu lassen hat. Dies aber ist ja gerade der Fall der Frau, die unter dem Mundium steht. Sie muß sich also unglücklich fühlen, und um so mehr, je besser sie moralisch ist, während ihr Mann blos vom (29) Durchschnitte zu sein braucht, um sich in Ausübung seines Mundiums sehr glücklich zu fühlen und für ihr Empfinden kein Verständniß zu haben. Daß nach dem früher Bemerkten die Frau sich mit Recht unglücklich fühlt und sich ein Recht dazu beilegt und deshalb auch ein Recht, ihre Lage zu verbessern, braucht hin wohl nur hervorgehoben zu werden, – sowie daß, wer sich unglücklich fühlt, auch wirklich unglücklich ist, da Glück und Unglück blos auf dem Gefühle beruhen – glücklicher Weise, da darin die Gerechtigkeit der Weltordnung für den Menschen auf Erden besteht. Wie muß nun, wenn das die psychologischen Thatsachen sind, die das Empfinden und Denken einer Frau, die unter dem Mundium steht und sich ihrer Lage bewußt ist, bestimmen müssen, nicht weil sie Frau, sondern weil sie Mensch ist, wie muß, von solchen Tatsachen beeinflußt, das Bewußtsein ihrer Lage auf ihr Empfinden und Denken einwirken und ihr Thun und Lassen bekümmern? 1. Sie lehnt sich in ihrem Empfinden gegen die Herrschaft des Mannes auf. Sie weiß freilich, daß das Gesetz ihm das Recht giebt, dieselbe ganz nach seinem Gutbefinden auszuüben. Sie weiß aber auch, daß sie moralisch das Recht hat, als seine Genossin behandelt zu werden, und indem sie dies ihr moralisches Recht über sein Gesetzesrecht stellt, hält sie sich befugt, sich jener Herrschaft zu entziehen und bemüht sich dessen.
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Es bieten sich ihr dafür zwei Wege, die aber beide nur zum Nachtheil des ehelichen Lebens ausschlagen können; entweder thut sie offen, was der Mann nicht will, oder sie thut es heimlich. Thut sie es offen, so ist der Streit unvermeidlich, und es ist nicht wahrscheinlich, daß der Streit dahin führt, den Mann zur Einschränkung seiner Herrschaft zu bestimmen. Die Frau schlägt daher den Weg der Verheimlichung ein. Das Verheimlichen aber ist ohne Unwahrheit nicht aufrecht zu erhalten und häufig auch nur durch Unwahrheit in’s Werk zu setzen; und hat die Frau erst so mit Unwahrheitsagen begonnen, so nimmt sie auch in Fällen, wo sie nichts hat verheimlichen wollen, ihre Zuflucht dazu, z.B. um dem Schelten zu entgehen. Daß sie Heimlichkeiten vor ihrem Mann hat und daß sie ihm die Unwahrheit sagt, erscheint ihr wie eine Art Nothrecht; und sie hält sich um so mehr dazu berechtigt, als sie ihren Mann zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft dieselbe Methode befolgen sieht. Aber (30) da sich zwischen zwei Eheleuten die Unwahrheit auf die Dauer schwer verbergen läßt, so kann es meistens auch ihm nicht entgehen, wie es seine Frau macht, und er beklagt sich dann beim Richter mit Recht darüber, daß sie ihm die Unwahrheit sagt. Sie ihr zu sagen, hielt er sich berechtigt. 2. Dauernd Gutes thun erzeugt Wohlwollen und Liebe und dauernd Uebles zufügen verhindert Solches, Aber von allem dem, was die Frau leidet, ist der Mann der Verursacher, und er könnte es anders machen, wenn er wollte, aber er will nicht, obgleich er weiß, wie sehr sie es wünscht; er will herrschen. Es ist daher unmöglich, daß sie ihn lieben kann; die Liebe, die sie zu ihm hatte, muß verschwinden, und die Hoffnung, die sie hatte, daß sie ihn lieb gewinnen werde, muß vergeblich sein. Sie hat deshalb auch nicht das Auge, um alles das zu sehen, was ihn erfreuen kann und auch nicht die Fähigkeit, das Alles zu thun; und deshalb beklagt er sich mit Recht auch darüber, daß sie ihn nicht liebe. 3. Achten kann man auch den, den man nicht lieb hat, und aus Achtung für ihn kann man etwas, das man sonst unterließe, thun. Aber wie kann die Frau denjenigen achten, der von einem Rechte, das er garnicht auszuüben braucht, wenn er nicht will, aus Wohlgefallen am Herrschen einen Gebrauch macht, durch welchen er die, die seine Genossin sein soll, zur Sklavin herabsetzt? Und wie Denjenigen, der, um sich an der Herrschaft zu erhalten, ihr die Unwahrheit sagt und durch die Art, wie er seine Herrschaft ausübt, sie nöthigt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten? Daß die Frau ihn nicht achtet, erkennt er daran, daß sie in Kleinigkeiten, in denen es ihr nicht die geringste Mühe machen und ihr Interesse nicht im Geringsten verletzen würde, seine Wünsche nicht erfüllt, und sie sogar verlacht. Der Mann beklagt sich daher mit Recht auch darüber, daß seine Frau ihn mißachte, ihn geringschätzig behandele. 4. Daß eine Frau, die nicht frei schalten und walten darf, dem Hauswesen nicht mit Lust und Liebe sich hingeben kann, versteht sich ganz von selbst. Ein strenges Pflichtgefühl freilich kann viel ersetzen. Aber wo die Pflicht nicht mit Lust und Liebe in voller Freiheit erfüllt wird, sinkt das Pflichtgefühl herab zu einer bloßen Schranke gegen grobe Pflichtverletzung. Von dieser Regel wird die Frau nur da eine Ausnahme machen, wo sie einen besonderen Grund dazu hat, z.B. in der Befürchtung vor dem, was (31) ihr so unlieb ist, vor Schelten. Der Mann beklagt sich demnach auch mit Recht darüber, daß sie dem Hauswesen nicht mit Lust und Liebe vorstehe.
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5. Das, worin des Mundiums ungeachtet die Frau es an ihrer besten Einsicht und an ihrem besten Können nicht fehlen läßt, ist die Erziehung ihrer Kinder. Da sie die Liebe, die sie sucht, bei ihrem Mann nicht findet, wendet sie ihre ganze Liebe den Kindern zu und ist unermüdlich in der Sorge für sie. Hier fühlt sie sich in ihrer Pflicht, ganz in ihrem Elemente und darum hält sie sich auch hier zum Verheimlichen vor ihrem Mann und zum Unwahrheitsagen vorzugsweise für berechtigt. Und wenn sie Solches nicht anders möglich zu machen sieht und sie nichts weiß von dem Verhängnisse, das über der Unwahrheit schwebt, nimmt sie keinen Anstand, die Kinder einzuweihen, und das: daß es nur ja der Vater nicht erfährt, wird zu einer beinahe täglichen Warnung; was sie dann später dadurch zu entgelten hat, daß sie an sich selber und an den Kindern belehrt wird, wozu sie sie erzogen hat. Die schlimmsten Lügner sind so vorgebildet. Bekümmert der Mann sich nicht um die Erziehung, so geht Alles gut, und die Kinder sind dann ein Einigungsband zwischen den Eheleuten, weil der Mann, wenn er auch seine Frau nicht liebt, doch die Kinder liebt, und er nicht umhin kann, der wohl gesinnt zu sein, die ihnen Gutes thut. Bekümmert der Mann sich über um die Erziehung und ist er dann anderer Ansicht, was beinahe unausbleiblich ist, weil die Frauen ein ungleich besseres Verständniß der Kindernatur haben und sich besser auf die Erziehung verstehen als die Männer, so kommt es unfehlbar zu ernsten Konflikten, weil dies der Punkt ist, in welchem die Frau am schwersten sich fügt, und zugleich ein Punkt, in welchem der Mann kraft seines Mundiums ganz vorzugsweise das Recht der Entscheidung zu haben beansprucht – und so beklagt sich denn der Mann auch darüber, daß die Frau die Kinder nicht ordentlich erziehe; aber nicht immer mit Recht. 6. Die Zeit, die der Beruf übrig läßt, ist einem Jeden deshalb so werthvoll, weil er sie den Bestrebungen, die während der Ausübung des Berufes zurückstehen mußten, in voller Freiheit widmen kann. Die volle Freiheit ist gerade hier die Bedingung des Genusses. Eine Schranke, die hier der Befehl setzt, schneidet jede Freude ab. Man kann sich nicht nach Vorschrift amüsiren. (32) Die Frau, die es unternimmt, wie sie es vorhatte und wie sie es sich so schön ausmalte, in ihrer freien Zeit sich Interessen hinzu geben, die über das Gebiet des Hauswesens hinausgehen, lernt die Richtigkeit dieses Satzes bald kennen. Sie überzeugt sich, daß es ihr nicht vergönnt ist, ihrer Individualität entsprechend ihre Erholung zu suchen. Schon das Bewußtsein, gegen den Willen des Mannes zu handeln, vergällt ihr die Freude und dann auch die Schwierigkeit, gegen die Hindernisse aufzukommen, die nach dem früher Gesagten der Mann ihr bereitet. So verzichtet sie denn und sucht die erstrebte Ablenkung der Gedanken von dem Haushalte und seinen Unannehmlichkeiten in dem gesellschaftlichen Verkehr, worin die andern Frauen solche suchen, und in den sogenannten Vergnügungen. Das ist denn endlich ein Punkt, in welchem der Mann sich nicht beklagt. Gerade auf diesem Niveau wollte er die Frau haben. ________________________ Es wird hiermit dargethan sein, daß das, was ich als Ergebniß meiner richterlichen Erfahrung mitgetheilt habe, nicht sporadischer Natur ist, daß es vielmehr anders, als ich angegeben, gar nicht sein kann, sofern nicht der Mann über dem Durchschnitt steht und die Frau unter demselben, nämlich dem moralischen Durchschnitt. Abgesehen von solcher Ausnahme muß der Kampf, den in einer
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Mundiums-Ehe die Eheleute ganz nothwendig führen, nicht um die Herrschaft, sondern um das Recht, der Mann um das Recht auf die Herrschaft und die Frau um das Recht, nicht gehorchen zu brauchen, um das Recht auf Freiheit, in seinen Wirkungen auf die Gemüthsverfassung der Eheleute nothwendig alle jene Uebel erzeugen, welche die Ehe zerstören: Mangel an Liebe, Mangel an Achtung – Entfremdung, Uneinigkeit – Streit – Unfriedfertigkeit – Beleidigungen – Mißhandlungen – bösliches Verlassen und, in völliger Abwendung von einander, Untreue. Und nach der Natur der Ursachen, welche diese Uebel herbeiführen, weil der Mann das Mundium dauernd ausübt und der Frau der Trieb nach Freiheit immer gegenwärtig ist, und weil die Ehe Nichts erzeugt, was gegenwirken könnte. Solches vielmehr, nämlich Liebe und Achtung, in dem Mann unterdrückt wird und bei der Frau nicht aufkommen kann, so muß, je länger die Ehe dauert, der Ehezustand sich verschlimmern; die Uebel müssen anwachsen, bis mit (33) zunehmendem Alter und abnehmender Lebenslust, die Lust an der Herrschaft bei dem Manne sich abschwächt und er die Frau gehen läßt und sie ihn gehen läßt. Die Statistik bestätigt dies. Nach der schweizerischen Statistik über die Ehe vom Jahre I895, herausgegeben von dem statistischen Bureau des eidgenössischen Departments des Innern, Seite 43, haben von 934 geschiedenen Ehen eine Dauer gehabt 30 von weniger als 1 Jahr 51 von 1 Jahr 63 von 2 Jahren 187 von 3–5 Jahren 242 von 6–10 Jahren 249 von 11–20 Jahren 79 von 21–30 Jahren 18 von 31 und mehr Jahren (von 15 Scheidungen war die Dauer der Ehe nicht zu ermitteln.) ________________________ Wie ist nun hier zu helfen? Untersucht man, um es zu finden, den Thatbestand, so muß man sagen: die Ursache davon, daß es um das Mundium so schlecht steht, liegt an der Frau; sie trägt die Schuld; denn offenbar ist die Ursache gar keine andere als die, daß die Frau sich das Mundium nicht gefallen lassen will und hartnäckig an ihrem Gegenempfinden festhält; das allein ist die Quelle des ganzen Unheils. Wie ist das zu erklären? Das Streben der Frau nach Freiheit erklärt viel, sehr viel, aber doch nicht Alles. Sind doch die Frauen von Jugend an für Gehorchen erzogen und in der Lehre aufgewachsen, daß der Mann mehr Verstand habe als die Frau und mehr Vernunft, und daß in der Ehe die Frau dem Manne zu gehorchen habe. Und nicht nur das. Das Mundium besteht schon an die tausend Jahre und mit ihm hat der Gedanke an seine Nothwendigkeit sich von Generation zu Generation bei den Frauen vererbt und doch gewöhnen sie sich nicht an dasselbe und ihre Opposition wird immer größer. Das Alles kann der Freiheitsdrang für sich allein nicht machen; es muß noch etwas Anderes im Spiele sein. Was ist dies Andere? Unter den Gefühlen, die sich einer bestehenden Rechtsordnung widersetzen können, ist eins von höchster Wirksamkeit. In Ehrfurcht (34) vor dem Rechte als
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einer sittlichen Macht fügt sich der Mensch willig in die bestehenden Gesetze so weit er kann, verzichtet auf seine Wünsche und gewöhnt sich an Vieles und läßt sich viel gefallen, zumal wenn das Gesetz alt ist, und schon seine Altvordern verzichtet haben. Dem Rechte gegenüber bescheidet er sich. Aber Eins erträgt er nicht und läßt er sich niemals gefallen: Ungerechtigkeit. Das Gefühl, daß es ungerecht ist, ihm zu versagen, was er verlangt, läßt ihn nicht ruhen noch rasten; und dies Gefühl giebt ihm die Kraft, unaufhaltsam zu kämpfen und alle Schwierigkeiten zu überwinden, bis er sein Recht sich errungen hat; wobei das Merkwürdige ist, daß auch der dafür Alles einsetzt, der sich sagt, den Sieg werde er nicht miterleben. Es ist dies Gefühl, welches, wenn die Begriffe von Recht und Gerechtigkeit bei ihnen Eingang gefunden haben, selbst Sklaven niederer Civilisation lehrt, ihre Fesseln zu brechen: und nur dies Gefühl ist es und kein anderes kann es sein, welches der Frau, die unter dem Mundium steht, in ihrem Verlangen nach Freiheit die ganze Schärfe des Empfindens und welches ihr die Beharrlichkeit und Festigkeit und die Kraft giebt, mit welcher sie bisher in einer anscheinend so unerklärlichen Weise jeder Angewöhnung und jeder Lehre gespottet hat, im vergeblichen Bemühen nur noch erstarkend; denn es ist ungerecht, die Frau zur Sklavin ihres Mannes zu machen; und das ist so gewiß und so klar, daß es gar keiner Begründung bedarf. Die Urquelle des Unheils ist hiermit bloßgelegt. Zugleich steht aber auch fest, daß jene Quelle niemals zu fließen aufhören kann, so lange das Mundium besteht; weil es sich so wie dargestellt verhält, und weil das Streben nach Freiheit bei der Frau nie erlöschen kann, und der Antrieb, den die Ungerechtigkeit giebt, stets vorhanden ist, so unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, daß es kein Mittel giebt, den Widerstand der Frau gegen das Mundium zum Stillstand zu bringen, die Frau vielmehr nicht eher nachlassen wird im Kampfe, als bis sie den Sieg errungen hat. Darf nun der Gesetzgeber sagen: ich verstopfe diese Quelle nicht? Darf er sagen: es muß in der Ehe einen Willen geben und der kann nur zwangsweise hergestellt werden? oder: die Empfindungen der Menschen gehen dem Gesetzgeber nichts an, die Menschen müssen sich mit ihren Empfindungen nach dem Gesetze richten? oder: für den Gesetzgeber ist das höchste Prinzip die (35) Nationalität des Rechtes, gegen das alle andern Rücksichten schwinden müßten? oder: je älter das Recht ist, um so mehr verbürgt es die Sittlichkeit, die in alten Zelten, da es entstand, noch vorhanden war? Er darf von dem Allen nichts sagen, weil für ihn das höchste Prinzip, das auch über der Nationalität steht, ist: die Gerechtigkeit. Damit ist die Lösung gegeben: das Mundium ist aufzuheben. ________________________ Ich weiß, manch Einer wird lächeln ob des Undurchführbaren und Mancher wird fragen, ob denn das, was an die Stelle des Mundiums treten würde, als das Allgemeine nämlich, woraus, statt aus dem Mundium die besonderen Bestimmungen abzuleiten wären, besser sei, als das Mundium, mehr als dieses das Glück der Ehe verbürge. Ich finde weder das Lächeln noch diese Frage unberechtigt. Wer einen bestehenden Rechtszustand aufgehoben wissen will, kann nur dann auf Zustimmung hoffen, wenn er die Forderung erfüllt, die Jeder an ihn stellen darf, nachzuweisen, daß das Recht, welches dann eintritt oder eintreten soll, durchführbar sei
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und einen besseren Rechtszustand verbürge, als den aufgehobenen; und dieser Forderung halte ich mich um so mehr verpflichtet zu entsprechen, als ich es ganz begreiflich finde, wenn die Anhänger des Mundiums geneigt sind, Schwierigkeiten zu sehen, und für die Ansicht eingenommen, daß es sich doch nicht anders machen lassen als wie das Mundium Alles gestaltet habe, und daß daher die Frauen sich in ihr Schicksal finden müßten. Was ich nachzuweisen habe, ist, daß das, was an die Stelle des Mundiums treten würde, als leitend für das Recht in der Ehe, sehr wohl durchführbar ist, und daß es mehr als jenes geeignet ist, das Glück der Ehe zu sichern. Es wird sich ergeben, daß eine bessere Sicherung als durch das, was an die Stelle treten würde, nicht möglich ist. Dem Mundium liegt kein gesetzgeberischer Gedanke zu Grunde. Es ist ein Rückstand der Geschlechtsvormundschaft. Man hat jedoch, nachdem die Gesetze ihre Bestimmungen ihm gemäß getroffen, ihm, in dem Bedürfnisse nach einer wissenschaftlichen Begründung, einen solchen Gedanken zu Grunde gelegt, den Gedanken nämlich, daß es in der Ehe ein Prinzip geben müsse, das die im Begriffe der Ehe liegende Einheit des Willens herstelle, und daß das Mun-(36)dium diese Aufgabe erfülle; die es aber, wie wir gesehen haben, zwangsweise erfüllt und deshalb gegen den Begriff der Ehe. Indem nun die Uneinigkeit der größte Feind der Ehe ist, deshalb die Einigkeit jedenfalls zum Begriffe der Ehe gehört, wenn sie auch keineswegs ihren Begriff erfüllt, so werden die Anhänger des Mundiums fragen, was denn, wenn das Mundium aufgehoben werde, sich als das natürlichere, das Mundium entbehrlich machende Prinzip ergebe, welches die Einheit des Willens in der Ehe zu bewirken vermöge? Das beste Prinzip ist jedenfalls ein solches, welches die Einheit des Willens in der Ehe nicht blos fingirt oder sie zwangsweise herstellt, sondern ein Prinzip, in Befolgung dessen die Eheleute wirklich einig werden; und ein solches spricht das Gesetz, welches das Mundium aufhebt, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch jedenfalls stillschweigend aus. Es lautet: Einigt Euch, sucht Euch zu einigen: und dies Prinzip vermag nicht nur viel besser und vollkommener, als das Mundium die Einheit des Willens in der Ehe herzustellen, sondern ist auch das einzige, welches eine wirkliche Einheit zu bewirken vermag. Jeder Mensch sucht, ohne es sich zum Grundsatz machen zu brauchen, in Frieden zu leben, insbesondere mit dem, von welchem er sich voraussichtlich auf längere Zeit nicht trennen kann. So wird der Ehemann, wenn er die Herrschaft nicht mehr hat, sich von vornherein eines friedliebenden Verhaltens befleißigen. Er wird, wo er früher befahl, wünschen und sich bestreben, liebenswürdig zu sein, und wo er früher sagte: die Gründe gehen dich nicht an, sie sind meine Sache, wird er seiner Frau seine Gründe mittheilen und wird ihre Gegengründe hören; und wenn im Austausch der Meinungen die Eheleute sich nicht einigen, so wird es selten geschehen, daß nicht Einer nachgiebt, nicht weil die Gründe des Andern ihn überzeugen, sondern weil er sieht, wie ungern der Andere ja sagt; und in der Folge wird, weil er diese Nachgiebigkeit nicht vergißt, der Andere nun um so bereiter sein, ein ander Mal auch seinerseits nicht minder generös zu handeln. Und jetzt ist auch ein gegenseitiges Berathen möglich. Der Mann braucht nicht mehr zu fürchten, das Ansehen seiner Herrschaft herabzusetzen, wenn er die, der er befehlen
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kann, zu Rathe zieht, und sie braucht jetzt, wenn sie um Rath fragt, nicht mehr zu befürchten, daß sein Rath ein Befehl für sie sein werde. (37) So muß sich denn Alles anders gestalten. Die Frau, während sie früher ihrem Mann fast nur dadurch zu Willen sein konnte, daß sie that, was er befohlen oder erlaubt hatte, weil darin fast Alles enthalten war, was er wünschte, hat jetzt das ganze Gebiet ihres Wirkens frei, um aus sich selbst ihm zu Willen zu sein; und sie forscht jetzt nach seinen Wünschen, und weil er statt der Befehle jetzt nur noch Wünsche hat, so ist es kaum anders möglich, als daß er seinen Willen jetzt in einer Weise und in einem Umfange erfüllt sieht, wie Solches sein Befehlen niemals zu Stande gebracht hätte. Damit ist bereits bewiesen, daß das Nichtbestehen des Mundiums die Befolgung des Willens des Mannes, was das Mundium allein zum Zweck hat, ungleich mehr sichert, als das Mundium; denn nicht darauf kann es ankommen, daß die Eheleute über einen formell erklärten Willen, über das: Ich will! einverstanden seien, sondern nur darauf, daß sie wirklich einig seien. Das ist aber noch nicht Alles. Die Frau, da sie jetzt ihres Berufes in Freiheit walten darf, ist jetzt in der Freude der Pflichterfüllung bestrebt, Alles so gut zu machen, wie es ihre Kräfte er möglichen, und dabei ist es ihr ein Sporn zu denken, daß, wenn ihr gelingt, was ihr obliegt, sie es gethan, daß aber, wenn es mißlingt, sie sich will sagen können, sie habe es an sich nicht fehlen lassen. Und da der Mann jetzt auch in der Kindererziehung ihre Ansicht anhört, und sie auch darin seinen Rath empfängt, und sie dann ihn meistens überzeugen wird, daß sie Recht hat, und in den Ausnahmsfällen an seinen Befehlen nicht mehr ein Hinderniß findet, ihm beizustimmen, so wird es im Punkt der Erziehung sein, wie im Hauswesen, daß Alles ungleich vollkommener geht, als früher. Und endlich ist das, was unter dem Mundium zu Verheimlichung und Unwahrheit führt, jetzt verschwunden, und an die Stelle sind zwei Dinge getreten, die unter dem Mundium unmöglich waren, Liebe und Achtung. Die Frau, indem sie jetzt sieht, weil es jetzt wirklich so ist, daß sie das, was sie von ihrem Mann empfängt, seinem Wohlwollen und seiner Fürsorge verdankt, kann nicht umhin, ihn zu lieben und durch Erfüllung seiner Wünsche vermehrt sie ihre Liebe, und er – u. s. w. u. s. w. – ich brauche das wohl nicht Alles zu sagen. Und wie jetzt der Mann seine Frau achtet, weil er sie als gleichberechtigte Genossin behandelt, so achtet sie eben deshalb auch ihn u. s. w. (38) Es wird hiermit zur Genüge dargethan sein, daß nach Aufhebung des Mundiums es in der Ehe Alles so gut gehen wird, wie es überhaupt möglich ist. Der Frau gewährt sie dann Alles, was sie begehren kann: die Freiheit und Liebe und Achtung, und auch dem Manne, was er nur begehren kann: außer der Freiheit, die er immer genoß, alle nur mögliche Garantie dafür, daß die Frau bemüht sein wird, alle seine Wünsche zu erfüllen, und daneben gleichfalls Liebe und Achtung. Gegen diesen Idealzustand, der aber demnach ein ganz realistischer ist, giebt es nur einen Einwand; und ich glaube, daß er erhoben wird: man wird sagen: das Herrschen läßt kein Mann, kein deutscher Mann. Also, darf ich dagegen fragen, in Dingen, in denen das Können der Frau dem seinigen überlegen ist, im Hauswesen, in der Erziehung und ihren persönlichen Angelegenheiten, sollte der Mann auch dann herrschen wollen, wenn es ihm das Gesetz versagt? Ich glaube nicht, daß ein rechtschaffener Mann das thut, insbesondere nicht, daß es ein deutscher thut.
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So könnte man denn der Ansicht sein, nach Aufhebung des Mundiums bedürfe es einer gesetzlichen Normirung des Ehelebens nicht mehr. Das wäre aber ein Irrthum. Wie der für sich allein lebende Mensch, wenn er sein Leben verständig führen will, sich eine Ordnung setzen muß, nach der er zu Werke geht, so können die, die ihr Leben gemeinschaftlich miteinander verbringen wollen, einer solchen im Voraus feststehenden Ordnung noch weniger entbehren, und am wenigsten zwei Eheleute. Bei einem gemeinschaftlichen Leben gilt es nicht blos ebenfalls vorsorgend auf das Morgen zu blicken und auf das Uebermorgen und in die ferne, vielleicht sehr ferne Zukunft, was ohne eine Regel, nach der man verfährt, gar nicht möglich ist; es kommt noch hin zu, daß unter den gemeinschaftlichen Bedürfnissen solche sind, die Einer für sich allein besorgen kann, und auch solche, deren Beschaffung nur gelingen kann, wenn Einer allein die Bestimmung darüber hat, und daß es deshalb feststehen muß, wer dieser sein soll; und dazu kommt für die Ehe noch, daß das Eheleben einen Zweck hat, welcher ohne eine Ordnung, die auf dessen Erfüllung berechnet ist, nicht erfüllt werden kann: die Lebensgemeinschaft, die ein bestimmtes Etwas ist. Es leuchtet ein, daß, wenn sie nicht etwas vereinbaren, was (39) das Interesse verletzt, das der Staat an der Ehe nimmt, die Eheleute sich ihre Lebensordnung für die Ehe selbst machen können. Gleichwohl ist es unerläßlich, daß der Staat eine solche aufstelle, theils schon deshalb, damit, falls die Eheleute es unterlassen haben, und es zum Streite kommt, eine vorhanden sei, welche die Entscheidung gebe, theils aber auch deshalb, damit die Eheleute, statt selbst eine aufzustellen, was seine Schwierigkeiten für sie haben kann, die vom Gesetze aufgestellte wählen können. Das Alles ist stets als ganz selbstverständlich betrachtet und kaum erörtert worden. Auch darüber ist niemals Streit gewesen und kann keiner sein, daß die vom Gesetze aufzustellende Ordnung aus dem Wesen der Ehe entnommen werden muß, also aus dem Begriffe der Lebensgemeinschaft; denn sie bildet das Wesen der Ehe. Man hat nun gesagt, die Ehe sei ein Gesellschaftsvertrag, dessen Objekt sei Lebensgemeinschaft, und hat so für die Aufstellung der Ordnung seine Zuflucht genommen zu den Regeln über die Gesellschaftsverträge. Bei jedem Gesellschaftsvertrage sagt man, bei jedem Vertrage nämlich, durch welchen etwas von der Thätigkeit der Gesellschafter sich Unterscheidende, Objektives, hergestellt werden soll, wie z.B. bei einer Handelsgesellschaft das Handelsgeschäft, gelte der Grundsatz, daß das zu schaffende Gemeinsame nur durch über einstimmenden Willen zu Stande kommen könne, stets nur das ein gemeinsames Produkt im Rechtssinne sei, was die Gesellschafter mit übereinstimmendem Willen produzirt hätten. So sei es bei der Handelsgesellschaft und so müsse es auch bei der Ehe sein. Es sei deshalb eine Handlung, welcher der andere Ehegatte widerspreche, ungeeignet, die Lebensgemeinschaft herzustellen. Das Gesetz könne indessen besondere Bestimmungen treffen. Wie es z.B. bei der Handelsgesellschaft einen sogenannten stillen Gesellschafter geben könne und einen handelnden, der allein den erforderlichen gemeinsamen Willen produzire, welcher dann aber rechtlich als der Wille des stillen Gesellschafters mit zu gelten habe, so könne das Gesetz ein solches Verhältnis; auch in der Ehe Platz greifen lassen, wie das beim Mundium geschehe die Frau sei dort der stille Gesellschafter. Wenn aber das Gesetz eine sol-
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che besondere Bestimmung wieder aufhebe, so müsse das ursprüngliche Recht, daß nur durch übereinstimmenden Willen die Lebensgemeinschaft herstellbar sei, wieder eintreten. Wäre diese Theorie richtig, so würde nach Aufhebung des (40) Mundiums das Gesetz die neue Ordnung nach dem Grundsatze aufstellen müssen, daß durch eine Handlung, welcher der andere Ehegatte widerspreche, die Lebensgemeinschaft nicht bewirkt werden könne. Diese Theorie ist aber falsch wegen Falschheit der Prämisse, daß die Eheleute in der Lebensgemeinschaft ein von der Lebensthätigkeit eines jeden abzusonderndes Objekt herzustellen hätten. Die Eheleute können von ihrer eigenen individuellen Thätigkeit Nichts abtrennen und zu einem von ihnen getrennt existirenden Objekte machen, das eine Lebensgemeinschaft wäre; und es giebt zwischen ihnen kein drittes Leben, welches Träger einer solchen Gemeinschaft sein könnte. Man hat denn auch niemals gesagt, worin eine solche Lebensgemeinschaft bestehe. Sie ist ein bloßes Gedankending und zwar eine völlig unklare Vorstellung, zu der man gelangt ist, weil man ohne sie die Theorie vom Gesellschaftsvertrage nicht anwenden konnte. Die Theorie ist hiermit theoretisch widerlegt. Praktisch widerlegt sie sich durch die Frage, wohin es führen würde, wenn das Prinzip der zu bewirkenden Lebensgemeinschaft wäre, daß Jeder sich zu bemühen habe, den Andern beizustimmen. Es würde das zu einer völlig „verbummelten“ Lebensgemeinschaft führen. Hiermit ist bewiesen, daß ein gemeinsamer Wille nie und nimmer, daß vielmehr einzig und allein der alleinige Wille eines Jeden das zu bewirken vermag, was die Lebensgemeinschaft bildet, und daß demnach der gemeinsame Wille auch nicht für die Aufstellung einer Lebensordnung irgendwie leitend sein kann. Aus dem Gesagten wird aber zur Genüge auch erhellen, daß, wenn es gelingen soll, eine solche Ordnung aufzustellen, man sich völlig klar über die Frage sein muß: was bedeutet Lebensgemeinschaft? Die Antwort auf diese Frage allein kann das Prinzip ergeben, nach welchem die Ordnung aufgestellt werden muß. Was bedeutet Lebensgemeinschaft? Da nach dem Gesagten die Lebensgemeinschaft nicht bestehen kann in etwas von dem Leben der beiden Ehegatten Abzusonderndem, so kann sie nur bestehen in einer besonderen Art und Weise, in einer Modifikation der Lebensthätigkeit eines Jeden, und deshalb kann ein Jeder nur durch seinen alleinigen Willen das zu Stande bringen, was Lebensgemeinschaft ist. Wenn dies aber feststeht, so (41) kann es garnicht anders geschehen, als in der Weise, daß Jeder durch sein Thun sich das Leben des Andern gemeinschaftlich macht. Wie ist nun dies möglich? Es ist nur in der Weise möglich, daß Jeder zum Gegenstande seiner Lebensthätigkeit, seiner Bestrebungen das macht, was Gegenstand der Lebensthätigkeit und Bestrebungen des Andern ist. Setzt doch das Leben sich zusammen aus tausenderlei einzelnen Bestrebungen, die der Mensch zu verwirklichen sucht, und aus dem Gelingen und Mißlingen solchen Bemühens, indem das Leben alle diese Bestrebungen erzeugt, und das Thun und Lassen erzeugt, durch das der Mensch dieselben zu verwirklichen trachtet, und indem es von jedem Gelingen und Mißlingen zu neuen Bestrebungen übergeht und so sich ununterbrochen aus sich selbst erneuert.
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Das also ist das Prinzip für die Bildung der Lebensgemeinschaft. Es ist aber noch näher zu bestimmen. 1. Auch nicht mit dem besten Wollen kann einer die Bestrebungen eines Andern zu den seinigen machen. Was er kann ist höchstens, daß er die Verwirklichung von dessen Bestrebungen zum Gegenstande seines Strebens und seiner Thätigkeit machen kann. Mehr als dies liegt daher den Ehegatten nicht ob. Es kann aber geschehen, daß er durch wiederholtes Verwirklichen allmählich, ohne es zu wollen, eine Bestrebung in seine Empfindung aufnimmt und so sie selbst auch zu der seinigen macht. 2. Alle Bestrebungen, die das Leben des Andern erfüllen, so vielfach sie auch sind, werden umfaßt von einem Streben desselben, von dem Streben nach seinem Wohle, nämlich nach seinem wahren Wohle, bezüglich dessen er sich irren kann, was es sei, das er aber, wenn er darüber aufgeklärt wird, jedenfalls erstrebt. Dieses ist demnach auch das Endziel, der Kompaß, nach welchem der Ehegatte, welcher das Leben des Andern sich gemeinsam machen will, sich zu richten hat. 3. Gemeinsam kann ich das Leben eines Andern dem meinigen in zwiefacher Weise machen. Entweder so, daß ich die Bestrebungen beider Leben neben einander zu verwirklichen suche, und demnach die meinigen den seinigen vorgehen können, oder so, daß ich immer den seinigen den Vorzug gebe. Was ist nun hier für den Ehegatten das Richtige? Unbedingt das Letztere. Denn er soll ja das ganze Leben des Andern sich, seinem eigenen ganzen Leben, gemeinsam machen. Das kann er (42) aber nur dadurch, daß er die Bestrebungen des Andern immer vorgehen läßt; denn sonst könnte er Bestrebungen von ihm unberücksichtigt lassen, bei Seite setzen. Man wird hier fragen, ob denn nicht der Ehegatte, der so verfährt, selber zu kurz kommen könne, indem er genöthigt sei, durch die Sorge für den Andern die Sorge für sich selbst, vielleicht in den nöthigsten Dingen, außer Acht zu lassen. Nein, diese Lücke, die seine Verfahrungsweise anscheinend läßt, wird dadurch ausgefüllt, daß der Andere in gleicher Weise für ihn sorgt, indem auch er gegen ihn das eigene Interesse dem seinigen nachsetzt; wodurch es denn möglich wird, daß, ideal, ein Jeder sich ganz seinem Berufe hingeben kann, ohne sich im Uebrigen um etwas bekümmern zu brauchen. Daß dies möglich ist, sehen wir schon jetzt: Der Mann lebt lediglich seinem Berufe, indem die Wahrnehmung alles dessen, was er sonst in zahllosen Dingen täglich daneben wahrzunehmen hätte, in Sorge für sein und seiner Kinder Wohlergehn, die Frau ihm abnimmt; und die Frau, indem sie in der Sorge hierfür ihren Beruf findet, ist der Sorge für ihren persönlichen Unterhalt und den der Kinder überhoben, indem der Mann mit den Erträgnissen seines Berufes die Sorge dafür auf sich nimmt. Es greift außerdem ergänzend hier ein, daß, wer für einen Andern will sorgen können, auch für sich selber sorgen muß, sich gesund erhalten an Körper und Geist und heiter und froh. Indem die Eheleute auch hierzu verpflichtet sind, wird so das, was man sonst als Egoismus bezeichnet, in eine höhere Sphäre gehoben. Die in solcher Weise sich bildende Gemeinschaft ist die Lebensgemeinschaft.
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Wie kann nun, in diesem Sinne verstanden, die Lebensgemeinschaft das Prinzip für eine Ordnung ergeben, nach welcher die Eheleute, wenn sie dieselbe verwirklichen wollen, sich richten müssen – eine Ordnung also, die, wenn sie dazu im Stande wären, die Eheleute sich selbst zu setzen hätten, die aber das Gesetz jedenfalls aufstellen muß und nur nach Maßgabe des Wesens der Ehe aufstellen darf. Von dem Antriebe, sein Wesen in Freiheit zu entwickeln, in Freiheit in bestimmter Weise zu wirken, kann der Mensch sich nicht frei machen; und könnte er es, so dürfte er es nicht, weil er das Beste, was er zu leisten im Stande ist, nur in Freiheit zu voll-(43)bringen vermag. Schon deshalb also, weil es durch sein Wesen bedingt ist, muß ein Jeder auch in der Ehe für das, was er möglicher Weise thun kann, um die Lebensgemeinschaft herzustellen, die volle Freiheit des Ueberlegens und des Thuns und Lassens haben, muß namentlich seinen Plan sich selbst machen können und die Regeln und die Anwendung. Aber auch aus dem besonderen Grunde muß er diese Freiheit haben, weil er mit der Ehe die Verpflichtung übernommen hat, dazu mitzuwirken, soviel er vermag, eine Pflicht aber, weil sie das ganze Können nach bestem Wissen und Gewissen in Anspruch nimmt, ganz besonders die volle Freiheit des Entschließens und Handelns fordert. Und endlich, wenn man auch nicht sagen will, daß die Bestimmung des Menschen sei, in der Ehe zu leben, so ist doch so viel gewiß, daß die Bedingungen, um sein Wesen zu entwickeln und, so viel man vermag, seiner Individualität gemäß zu wirken, am vollständigsten in der Ehe gegeben sind; und deshalb ist es durch das Wesen des Menschen selbst gefordert, daß hier vollends jene Freiheit gewährt sei; denn die Ehe ist nicht das Höchste in der Welt; sie steht unter dem Gesetze der menschlichen Entwicklung. Indem hiernach zu der früheren Feststellung, daß nur der alleinige Wille eines Jeden die Lebensgemeinschaft herzustellen vermag, die weitere kommt, daß dazu einzig und allein der Einzelwille in seiner Freiheit im Stande ist, kann das Prinzip für die Ordnung, die den beiden Einzelwillen ihre Norm setzt, und die Schranke, die sie zu beachten haben, nur dies Eine sein: ein jeder Ehegatte muß seine Thätigkeitssphäre haben, in welcher er allein und unbeschränkt Herr ist, es sei denn, daß er das Gesetz der Ehe verletzte, und es muß Keiner verpflichtet sein, zum Wohl des Andern das zu thun, was dieser verlangt, mit dem gleichen Vorbehalt. Man wolle dies nicht mißdeuten; es ist hiermit nur gesagt, was in den Worten liegt: daß Keiner verpflichtet sein soll, zu thun, was der Andere verlangt. Über gleichwohl soll Jeder, wo er einen Zweifel in der Sache hat oder wo er zweifelhaft ist, was der Andere für richtig hält oder wünscht, mit diesem zu Rathe gehen. Das verlangt die Pflicht zur Lebensgemeinschaft; denn, um für das Wohlergehen des Anderen thunlichst sorgen zu können, muß man auch dessen Ansichten und Wünsche kennen; und der Lebensgemeinschaft ist nichts feindlicher als ernstliche Meinungsverschieden-(44)heiten, während Uebereinstimmung in dem beiderseitigen Handeln dieselbe befestigt; und außerdem findet jeder Ehegatte seinen besten und zuverlässigsten Berather in dem anderen, weil dieser mit den faktischen Verhältnissen, auf die es ankommt, und mit Wünschen und Bestrebungen vertraut ist; und das gegenseitige Berathen hilft das Band innerlich fester machen. In Ausführung jenes Prinzipes hat die Ordnung den Grundsatz auszusprechen, daß es dem freien von dem Willen des Andern unabhängigen Ermessen eines jeden Ehegatten überlassen ist, wie er seine Pflicht gegen den Andern erfüllen, für dessen Wohl sorgen und wie er für sein eigenes Wohl sorgen will; und daneben
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hat sie besondere Bestimmungen nur zu treffen, soweit es zur Durchführung dieses Grundsatzes nöthig ist, soweit es nöthig ist, um zu ermöglichen, daß Jeder unabhängig von dem Andern in voller Freiheit seine Pflicht erfüllen kann. Dies läßt sich aber ohne eine besondere Bestimmung nicht ermöglichen bei Ungelegenheiten, die entweder von der Natur sind, daß sie von dem Einen wie von dem Andern besorgt werden können, oder von der Natur, daß, obgleich sie nur von dem Einen besorgt werden können, doch der Andere, weil sie sein Interesse mit betreffen, kann bestimmen wollen, in welcher Weile sie zu besorgen seien. In solchen Angelegenheiten ist, damit auch in ihnen ein Jeder in voller Freiheit seiner Pflicht genügen und Alles so gut, wie es ihm möglich ist, machen könne, einem Jeden sein Geschäftskreis zuzuweisen. In welcher Weise die Theilung zu erfolgen hat, ist nach der Weise, wie sich naturgemäß und unseren gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend die Aufgaben in der Ehe zwischen Mann und Frau vertheilen, so ziemlich selbstverständlich. Dem Manne bleibt nach wie vor als sein Departement sein Beruf – dessen Zugehörigkeit zur Ehe selbst das heutige Recht schon anerkennt, dadurch, daß auch schon heute der Mann durch die Art der Führung seines Berufes das Gesetz der Ehe verletzen kann, indem er z.B. den Unterhalt der Frau gefährdet. Der Frau ist als ihr Geschäftskreis die Führung des Hauswesens zuzuweisen und außerdem die Erziehung der Kinder, der Knaben wenigstens bis zu einem bestimmten Alter, worüber das Nähere zu den einzelnen Bestimmungen des Entwurfes. In den Bereich der Frau muß sich aber derjenige des Mannes in einer Beziehung (45) hinein erstrecken, normgebend, aber nicht befehlend, sondern nur bewilligend und zulassend; in Beziehung nämlich auf das Finanzwesen, das nur zu dem seinigen gehören kann. Zur Zeit ist es noch immer, oder doch fast immer der Mann, der den Heiratsantrag stellt, weil die Berufe, die in den Stand setzen können, eine Familie zu ernähren, fast ganz in den Händen der Männer sind. In dem Heirathsantrage liegt: ich will für Dich und die Kinder nach besten Kräften sorgen. Dem entsprechend trägt wohl in allen Rechten der Ehemann die Ehelasten. Es hat also der Mann für die sämmtlichen Bedürfnisse in der Ehe die Geldmittel nicht blos bereit zu halten, er hat sie auch aufzubringen. Wie ihm das am besten gelingen werde, dazu kann ihm die Frau rathen und ihm vielleicht auch Rathschläge geben, auf die er selbst nicht gekommen wäre. Aber die Entscheidung darf nur er allein haben, weil der Satz, daß das am besten gelingt, was in Freiheit ausgeführt wird, gerade in Finanzsachen seine ganz besondere Geltung hat. Was Einer ausgeben darf, hängt ab von seinem finanziellen Können im Vergleich mit dem jetzigen und dem zukünftigen Bedarf, und dies berechnen kann am zuverlässigsten nur der, der das Können hat. Hier der Frau eine Entscheidung mit einräumen zu wollen, hieße die Existenz der Ehe auf’s Spiel setzen. Wenn also z.B. die Frau ein Sopha anschaffen will, so bestimmt den Preis der Mann, vielleicht nur 30 Mark, und mehr bekommt sie nicht; aber sie bestimmt die Farbe, und vielleicht die, die er so gern hat, die grüne. Natürlich gilt aber auch für das Finanzwesen, daß der Mann das Gesetz der Ehe nicht verletzen darf durch zu große Sparsamkeit.
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Daß ein Ehegatte in voller Freiheit, unabhängig von dem Willen des Andern, seinen Beruf führen und doch durch die Weise, wie er ihn führt, für das Wohl des Andern sorgen kann, daß dies möglich ist, erkennt das System des Mundiums an, indem es dem Manne das Vertrauen schenkt, daß er sich dessen bestreben wird. Verdient aber die Frau für ihren Beruf nicht das gleiche Vertrauen? Sie ist dessen mindestens ebenso würdig. Freilich werden, wenn sie das gleiche Recht genießt, Unbequemlichkeiten für den Mann nicht ausbleiben, wie solche jetzt der Frau nicht erspart werden. Aber wie können solche Dinge ins Gewicht fallen gegenüber dem großen Gewinne, den das System der Freiheit der Ehe bringt? (46) Schon aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß die Ehe nur dann ihr Wesen verwirklichen und die Aufgabe erfüllen kann, die ihr angemessen ist, an erster Stelle mitzuwirken an dem Fortschritte der Kultur, wenn die Frau die Freiheit hat, die ihr eine Ordnung wie die vorgeschlagene gewährt. Es kommt aber etwas hinzu, was allerdings von sehr untergeordneter Bedeutung erscheinen kann und den Anhängern des Mundiums auch so erscheinen wird, daß nämlich die Frau alsdann auch im Gebiete ihrer persönlichen Angelegenheiten die volle Freiheit genießt. Es ist dies aber von sehr großer Wichtigkeit, wegen der Wichtigkeit dieser Angelegenheiten, was hier nachzuweisen ist. Es zerfallen dieselben in 3 Klassen. Eine Klasse, die bisher unter dem Mundium kaum aufkommen konnte, die aber in der Entwicklung begriffen ist und in Folge drängenden Bedürfnisses und der sich immer mehr verbessernden Ausbildung der Frauen eine erhebliche Bedeutung gewinnen wird, hat zum Gegenstande: die Erwerbsfähigkeit der Frau. Diese ist, wenn das Mundium aufgehoben wird, eine persönliche Angelegenheit der Frau, weil dann sie allein zu bestimmen hat, ob und wie sie davon Gebrauch machen, und in welcher Weise sie den Erwerb verwenden will; und ihr dieses Recht nicht zu versagen, fordert die Gerechtigkeit und das Glück der Ehe. Steht der Frau die Führung des Hauswesens und die Erziehung der Kinder in der vorgeschlagenen Weise als ihr Geschäftskreis zu, so hat sie selbst auch darüber zu befinden, ob ihre Pflichten es gestatten und in welchem Umfange sie es gestatten, daß sie sich einer Erwerbsthätigkeit hingebe. Der Mann kann sie durch Verbot nicht mehr hindern, Sie kann nur gehindert sein, wenn sie durch ihre Erwerbsthätigkeit ihre Pflicht – das Gesetz der Ehe – verletzt; darüber hat aber nicht der Mann zu entscheiden, sondern das Gericht. Daß der Erwerb nicht unter das Verfügungsrecht des Mannes fällt, wie es, falls nicht Gesetze es anders bestimmen, schon jetzt unter dem Mundium gilt, ist bedingt durch die Existenzbedingungen der Ehe. Die Existenz der ehelichen Gemeinschaft wird erst möglich durch zwei grundlegende Verpflichtungen der Eheleute. Der Mann hat die eheliche Gemeinschaft ökonomisch möglich zu machen – die (47) pekuniäre Bedingung herzustellen. Es kann dies aus den oben angeführten Gründen gar nicht anders sein. Damit ergiebt sich für die Frau als die Bedingung, durch deren Erfüllung sie die Lebensgemeinschaft möglich zu machen hat, die Verpflichtung der persönlichen Mühewaltung für die Bedürfnisse des Mannes und die ihrigen zum Zwecke der Lebensgemeinschaft, somit der Mühewaltung für das gemeinsame Hauswesen und außerdem für die Bedürfnisse der Kinder, für ihre Ernährung und Erziehung.
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Wie demnach das Gesetz dem Mann nicht Unrecht thut, wenn es ihn verpflichtet, wie man es ausdrückt, die Ehelasten zu tragen, d.h. das dazu erforderliche Geld zu beschaffen, zumal er, als er den Antrag machte, im Stande war, seine pekuniäre Fähigkeit zu schätzen; ebenso wenig ist es eine ungerechte Begünstigung der Frau, ihr nicht auch noch eine Geldleistung aufzuerlegen; denn durch Erfüllung ihrer Pflichten in der Ehe kann sie nichts erwerben, und ihre persönliche Tätigkeit, die sie in Erfüllung jener Pflichten zur Ermöglichung einer Lebensgemeinschaft hergiebt, hat auch einen Werth, nicht blos wegen solcher Ermöglichung, sondern auch an sich, einen Geldwerth; und wenn man ihn in Geld schätzen wollte mit Rücksicht auf das, was der Mann, wenn er Junggeselle geblieben wäre, für sich allein gebraucht hätte, so könnte es sein, daß das, was er jetzt mehr braucht, vielleicht nur so viel wäre, daß der Mann sagen würde, für das Geld hätte ich eine Haushälterin, die mich so verpflegte, mir nicht verschaffen können; ich bekenne, daß ich keine Ehelasten trage, daß vielmehr meine Frau sie trägt mit dem, was sie mehr thut, oder wofür ich sie bezahle. Man hat nun, wie bisweilen die Mißdeutung eines Wortes zu erheblichen sachlichen Irrungen führt, dem allgemein üblichen Ausdruck: der Mann trägt die Ehelasten in dem Sinne genommen, daß der Mann nicht blos die pekuniären, sondern überhaupt alle Ehelasten trüge, als wenn alle Ehelasten nur mit Geld getragen werden könnten, und hat gesagt: es ist doch höchst ungerecht, daß die Frau, wenn sie kann, wenn sie Geld hat, nicht auch zu den Ehelasten beiträgt. Wie irrig solches Gerechtigkeitsgefühl ist, bedarf wohl nur der Hervorhebung. Es ist das nicht viel anders, als wenn man, wenn Zwei eine Handelsgesellschaft in der Weise eingegangen wären, daß der Eine blos das Kapital einlegte und der Andere die gesammte Mühewaltung dagegen stellte, das als ungerecht be-(48)zeichnen und sagen wollte: es gehe das nicht; dem, der die Mühewaltung stelle, müsse doch auch eine Geldleistung auferlegt werden. Dem römischen Recht ist ein solcher Gedankengang nie gekommen. Im germanischen Recht hat man jedoch in den Rechtsgebieten, worin das Mundium zur Gütergemeinschaft geführt hat, eine Anwendung davon gemacht; man hat, wenn in diesen Gebieten die Eheleute Gütertrennung verabredet haben, gleichwohl, um einen solchen Fall dem gesetzlichen Güterrecht anzunähern und auch in ihm das Recht des Mundiums in Wirksamkeit zu setzen, der Frau auferlegt, eine Quote ihres Vermögens zu den Ehelasten beizusteuern. Es ist Solches aber in höchstem Grade bedenklich. Abgesehen davon, daß es unrichtig ist und ein Unrecht gegen die Frau enthält, giebt es den Eheleuten eine irrige Vorstellung von ihren gegenseitigen Pflichten und bringt den Vermögensgeist zwischen sie. Es weist, wenn die Frau kein Vermögen hat, den Mann auf den Gedanken hin, daß er ihre Pflicht für sie erfülle, und wenn sie Vermögen hat, betrachtet er es als ihre Pflicht, ihm davon zu geben. So habe ich es erlebt, daß der Mann der Frau sagt: Du hast ja Nichts eingebracht, schweig’ Du doch. Die Frau aber fühlt sich gedrückt, wenn sie Nichts eingebracht hat, und klagt, daß sie in solcher Lage sei.
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Es wird hiermit klar sein, daß die Verpflichtung zur Ermöglichung der Lebensgemeinschaft der Frau keine Geldleistung auferlegt, und daß sie somit das Recht hat, ihren Erwerb ganz nach ihrem Belieben zu verwenden. Dies Recht ihr zu verweigern, wäre eine ungerechte Zurücksetzung gegen den Mann; wie er, wenn er mehr Geld hat, als zur Bestreitung der Ehelasten nöthig ist, dies ganz nach seinem Ermessen für seine persönlichen Ungelegenheiten verwenden darf, so muß sie bezüglich des Geldes, welches sie nicht verpflichtet ist, für die Ehe zu verwenden, ein gleiches Recht haben. Die Gegner werden fragen, wozu sie es haben müsse. Es kann nur ein ernstes Interesse sein, welches die Frau bestimmt, Erwerb zu suchen, und deshalb, und weil die meisten Ehen nicht derart sind, daß es in ihnen nicht Bedürfnisse gäbe, für welche die Mittel des Mannes unzureichend wären, so wird es ein sehr häufiger Fall sein, daß die Frau durch den Erwerb für derartige Bedürfnisse sorgen will. Daß sie aus freier Entschließung (49) Solches kann, treibt sie dazu an, und, mag sie dann den Erwerb nach eigener Wahl verwenden oder die Wahl dem Mann überlassen, die Freude, die es ihr macht, und die Freude, die ihr Mann davon hat, haben einen ganz anderen Werth für die Ehe als die Verstimmungen, in welcher die Eheleute sich befinden, wenn sie sich streiten über die Verwendung des Erwerbes oder darüber, wie viel Jeder beitragen soll. Es werden ferner Fälle nicht selten sein, wo die Frau den Erwerb machen will, um ihre übrigen persönlichen Angelegenheiten, auf die ich gleich komme, wahrzunehmen, für welche ihr Mann ihr nur soviel giebt, wie mit Rücksicht auf die übrigen zu bestreitenden Ehebedürfnisse seine Mittel ihm zu geben erlauben. Das Interesse der Ehe verlangt aber, wie erhellen wird, daß die Frau soviel wie möglich auch jenen persönlichen Angelegenheiten gerecht meiden könne. Auch sonst können sich Anlässe bieten, welche die Erwerbsfreiheit erwünscht machen, z.B. die Frau will eine Verwandte unterstützen, oder etwas zurücklegen für den Fall einer Noth in der Ehe oder für den Fall des Todes ihres Mannes u. s. w. Wenn aber solche spezialen Anlässe auch nicht wären, Arbeit ist, wenn in Freiheit geübt, immer von Segen, auch in dem erworbenen Gelde. – Was die zweite Klasse der persönlichen Angelegenheiten betrifft, so habe ich zunächst im Anschluß an früher Gesagtes auf die Bedeutung aufmerksam zu machen, welche für den Menschen, nämlich für den ordentlichen Menschen, von welchem hier überhaupt nur die Rede ist, seine Berufsthätigkeit hat. Je mehr der Mensch heranwächst, um so mehr wächst in ihm die Lust, zu wirken. Wenn dann die Zeit näher kommt, da er selbstständig in’s Leben treten kann und soll oder muß, und er sich hingewiesen sieht auf die Zukunft und er sieht, wie Alles in ihr ungewiß ist, nur das Eine gewiß, daß er in ihr so lange wie möglich möchte leben und nach Lust wirken können, und er so der Einsicht sich nicht verschließen kann, daß, wenn ihm die Erfüllung seines Wunsches gesichert sein soll, nur er selbst sie sich sichern kann, so erstrebt er Nichts so sehr und hat zunächst keinen lebhafteren Wunsch als den, in einer Weise, welche ihn am Leben erhält und welche er gegen alle Umstände, die ihm die Zukunft bringen mag, aufrecht erhalten kann, nach Lust und Liebe in der Welt zu wirken. So wählt er, berathen von Eltern oder Freunden, sich einen Beruf. (50) Er hat damit die erste Bedingung erfüllt, um in Freiheit leben zu können; er hat sich einen Lebensplan gemacht; denn nur so kann es ihm gelingen, sein Leben selbst zu regieren, einen Weg zu gehen, welchen er sich selbst vorgezeichnet hat.
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Das Alles gilt von dem weiblichen jungen Menschen so gut wie von dem männlichen. Das ist der Grund, weshalb junge Mädchen sich zu verheirathen wünschen. Nach unseren jetzigen gesellschaftlichen Verhältnissen ist ihnen kaum ein anderer Beruf möglich. Solchem Wunsche lediglich etwas Geschlechtliches unterzulegen ist demnach sehr kurzsichtig. Ist der Mensch in einen Beruf eingetreten, so ist damit sein Lebensplan aus einem blos subjektiven zu einem objektiv feststehenden geworden, durch den er sich in Zusammenhang gesetzt hat mit den Lebensplänen unzähliger anderer Menschen und einen festen Platz gewonnen hat, von dem aus er sein Leben in Freiheit führen kann. Indem er sich jetzt gesichert sieht in der Erfüllung seines Hauptstrebens und der Hauptpflicht seines Lebens, gesichert durch sich selbst, gewinnt er jetzt in seinen Empfindungen Raum und in seinem Thun und Lassen die Zeit für eine ganze Menge anderer Bestrebungen, welche bisher entweder nicht die Stärke hatten, daß sie ihn zu irgend einer Thätigkeit bestimmen konnten, oder die noch völlig unbewußt in ihm schlummerten, denen er aber jetzt, wenn er die Pflichten seines Berufes erfüllt hat. Mit Genuß sich hingiebt. Daß ihm solche Bestrebungen jetzt kommen, ist nicht etwas Zufälliges, das auch anders sein könnte, es ist nothwendig; denn der Mensch ist von zahlreichen Bestrebungen erfüllt, die durch den Beruf blos zurückgedrängt werden, die aber, weil sie sonst nicht möglich wären, auch eine Bedeutung für sein Leben haben, eine Bedeutung für die Verwirklichung des menschlichen Wesens. Zu sagen, mit Betreibung seines Berufes habe der Mensch seine Aufgabe erfüllt, ist lächerlich. Was sind dies für Bestrebungen? Indem sie auch auf Verwirklichung des menschlichen Wesens gerichtet sind und also das ergänzen, was der Beruf dazu nicht beiträgt, müssen sie von der Art sein, daß man, um sich zu befriedigen, sich ihnen nicht berufsmäßig hinzugeben braucht, wenn Solches auch möglich ist. Und so verhält es sich. Die Mittel ihrer Befriedigung bieten sich dem Menschen von selbst dar, in dem gesellschaftlichen Zustande, in welchem er lebt, so daß er fast (51) jeden Augenblick sich deren bedienen kann. Sie suchen dasjenige zu verwirklichen, was man die allgemeinen Interessen nennt, weil ihre Verwirklichung das Interesse eines Jeden berührt; weshalb ein Jeder an diesen Bestrebungen Theil nimmt. Wenngleich demnach jeder Leser im Gebiete dieser Interessen mehr oder weniger bewandert ist, so ist es doch nöthig, Einiges darüber zu bemerken. Es hat solche allgemeinen Interessen von jeher gegeben, so lange die Menschen sich zu Gesammtheiten zusammengefunden haben. Das, was einer, der in einer Gesammtheit lebt, ins Werk gesetzt hat, kann, obgleich er es blos für sich thun wollte Anderen, vielen Anderen und sogar allen Anderen zu Gute kommen; und weil er in einer Gesammtheit lebt, kann Einer Solches, welches das Wohl Anderer und möglicherweise aller Andern befördert, zu dem Zwecke thun, diese Wirkung herbeizuführen; und das Leben in der Gesammtheit ermöglicht es. Solches auch dann zu bewerkstelligen, wenn Einer allein es nicht vollführen kann. So haben sich schon früh zahlreiche allgemeine Bestrebungen zu ständigen entwickelt. Indem diejenigen Menschen, denen das durch sie Erlangte zu Gute kam, das Erlangte festhielten und zu verbessern suchten, sind dieselben in steter Vermehrung und Verbesserung dessen, was erlangt war, von Generation zu Generation übergegangen; zu ihnen haben sich im Fortschritt der Erkenntniß und im Fortschritt der Bedürfnisse neue Bestrebungen gesellt, und an diese haben sich
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abermals neue angeschlossen; und so hat sich ein Bestand des Erlangten angesammelt, ein Bestand von allgemeinen Gütern, die zwar nicht mit Händen zu greifen, aber mit dem Geiste zu erfassen sind – ideale Güter, von denen Jeder nach seinem Belieben, seinem Geschmacke und seinem Können nehmen darf, und von denen auch ungesucht einem Jeden zufließt in Kanälen, die der Verkehr geschaffen hat. Von den Bestrebungen, die Solches zu Stande zu bringen wissen, muß ich hier zwei Gattungen nennen. Die Eine sind die theoretischen Bestrebungen; theils rein theoretische, gerichtet auf das Erkennen ohne einen praktischen Zweck, und doch für die Praxis des Lebens von großer Bedeutung – Religion – Ethik – Naturwissenschaft – Philosophie u. s. w. – theils praktisch theoretische, mit dem Zweck, die Menschen in Beherrschung der Gesetze der Natur zu vervollkommnen; und sodann die praktischen Bestrebungen, (52) die das, was die theoretischen geliefert haben, für das Leben zu verwenden suchen, indem sie das auszugleichen suchen, was für uns strebende Menschen das Unvollkommene in der Welt ist, daß wir das, was wir für die Entwickelung unseres Wesens bedürfen, der Natur abringen müssen, in Mühe und Arbeit und nicht selten auch in Noth, und daß hierin der Eine günstiger gestellt ist als der Andere, und so der Eine abgeben kann von seinem Können und von seinen Gütern, und einem Andern helfen, und vielleicht nicht blos Einem Andern, sondern vielleicht unbestimmt vielen Anderen – natürlich nicht helfen, indem er ihnen schenkt was sie erstreben, sondern indem er ihnen hilft, wenn auch durch Schenken, sich selbst zu helfen – was Alles man heute soziale Bestrebungen nennt, was aber stets bestand, und was man heute blos, weil die Menschen ihrer Pflicht mehr eingedenk geworden sind, mit einem besonderen Namen belegt. Von wie großer Bedeutung die Förderung dieser Interessen für denjenigen, der sich ihr hingiebt, in Rückwirkung auf ihn selbst schon ist, brauche ich nicht zu beweisen; und ebenso wenig, daß diese Interessen es sind, deren fortschreitende Verwirklichung, den Fortschritt der Erkenntniß und so jeden anderen Fortschritt bedingt. Damit ergiebt sich aber die Betheiligung an ihnen für einen Jeden als eine Pflicht, sofern nicht andere Pflichten, die vorgehen, ihn daran hindern, als eine moralische Pflicht in demselben Sinne, in welchem es seine moralische Pflicht ist, berufsmäßig thätig und überhaupt ein ordentlicher Mensch zu sein. Diese Bestrebungen heißen demnach mit Recht die allgemeinen; denn sie kommen Jedem zu Gute und bilden eine Athmosphäre, in welcher ein Jeder lebt; und einem Jeden steht frei, aus dem allgemeinen Vorrath des Erlangten sich zu versorgen oder zu helfen, denselben zu vermehren. Indem man sich dieser ihrer Natur und ihres geistigen Charakters wohl bewußt war, hat man diese Bestrebungen zum Unterschied von anderen als die höheren bezeichnet, was sie denn auch sind. Sie heben den Menschen, obgleich er es ist, der sie hervorbringt, über sich selbst empor in den Bereich der Ideen, welche in letzter Instanz über ihn entscheiden, und in welchen alle seine Bestrebungen ihre Wurzel haben, und bringen ihn in Kontakt mit dem Unendlichen; und indem sie aus dem Wesen des Menschen selbst und aus der menschlichen Natur hervorgehen und deshalb allen Menschen gemeinsam sind, bilden sie das Medium, in welchem (53) er sich im Zusammenhang und Eins fühlt mit allen anderen Menschen, woraus die wahre Humanität entspringt.
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So ist es denn sehr begreiflich, daß, wenn der Mensch das gethan hat, was ihm auferlegt ist durch seinen Beruf und seine Pflicht gegen Andere, die stets das sind, was er zuerst zu verrichten hat, jene allgemeinen Bestrebungen es sind, aus denen er, einem nie aufhörenden Antriebe folgend, den Stoff zu weiteren Bestrebungen entnimmt, um noch weiter, als durch Beruf und Pflichterfüllung zu wirken, und nicht blos für Andere und an Anderen, sondern auch für sich selbst und an sich selbst, weil er nicht wirken kann, wie er soll, wenn er nicht selbst ist, wie er sein soll! Weshalb es seine Pflicht ist, sich selbst zu einem ordentlichen Menschen zu machen, sogar seine erste Pflicht, die Grundlage aller anderen. Bezüglich des Mannes wird nun ganz allgemein anerkannt, daß er durch die Ehe nicht gehindert ist und nicht gehindert sein soll, sich an der Verwirklichung der allgemeinen Interessen der Menschheit zu betheiligen und namentlich helfend mitzuwirken in der Gesammtheit, in welcher er lebt. Und wie könnte es anders sein? Soll doch Einer in der Ehe erst recht das thun können, was ihm als Menschen obliegt, weil er durch sie besonders dazu befähigt wird. Das ist der Grund, weshalb man dem Manne jenes Recht als ganz selbstverständlich giebt. Aus demselben Grunde darf es aber auch der Frau nicht versagt werden. Es ist das ihr Menschenrecht. Deshalb kann es auf eine vielleicht mögliche physiologische Feststellung der Fähigkeiten der Frau im Vergleich zu denen des Mannes garnicht ankommen. Ständen die Fähigkeiten der Frau zwischen denen eines Knaben und denen eines Mannes, so hätte sie gleichwohl ein Recht, sich an jenen Interessen zu betheiligen. Um aber, da die Gegner sich auf diesen Punkt zurückziehen werden, auch hierüber ein Wort zu sagen: was Mann und Frau gleichartiges leisten, ist Alles in so weit, aber auch nicht weiter verschieden, als es von der Geschlechtsdifferenz beeinflußt wird; denn das Wesen des Menschen ist in der Frau nicht anders als im Mann, und Jeder von ihnen sucht es zu verwirklichen, und Jeder ist dazu ausgerüstet. Es muß daher in den zahllosen Leistungen, die zwischen Mann und Frau gleichartig sind – sofern man nicht annehmen will, daß Alles zwischen ihnen gleichartig sei und in Allem blos in Folge der Geschlechts-Differenz ein Verschiedenes obwalte – in allen diesen zahllosen Leistungen muß in Beziehung (54) auf Vollkommenheit sowohl das einseitig sein, was der Mann leistet als das, was die Frau leistet; Vollkommenes müssen sie erst zu Stande bringen können, wenn sie ihre Kräfte vereinigen. Für den Werth ihrer praktischen Leistungen kann diese Einseitigkeit von Erheblichkeit sein oder auch nicht. Für welche es das Eine oder Andere sei, kann nur die Erfahrung lehren, wenn erst die Frauen ihr Können auch in den bisher den Männern vorbehaltenen praktischen Dingen gezeigt haben. Im Gebiete der Geisteswissenschaften jedoch kann es auf eine Feststellung der Verschiedenheit nicht ankommen; denn in ihnen kommt es auf Erkenntniß an, auf ihre Anwendung, auf ihre Verbesserung und Vermehrung; aber jene Einseitigkeit der Leistungen des Einen wie des Andern besteht auch hier, auch für den Mann, und deshalb ist es hier, ohne daß es einer Erfahrung darüber bedarf, von vornherein gewiß, daß es für diese Wissenschaften nur erwünscht sein kann, wenn die Frauen ihre Bestrebungen mit denen des Mannes vereinigen. Die Frauen haben ihre Legitimation dazu bereits dargethan. Sie haben auf dem Gebiete der Geisteswissenschaften bereits so Bedeutendes geleistet, daß man sagen darf, wo eine solche Fähigkeit vorhanden ist, Männer zu überflügeln, ist jedenfalls auch die Fähigkeit vorhanden, es den Männern in ihren Durchschnittsleistungen gleich zu thun.
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Wie demnach die Bestrebungen des Mannes auf dem Gebiete der allgemeinen Interessen zu denen gehören, welche die Frau nicht hindern darf, die sie vielmehr zu fördern hat, als gehörend zu den Aufgaben seines Lebens, so kann es sich für den Mann der Frau gegenüber in Betreff der Bestrebungen, die sie auf diesem Gebiet hat, nicht anders verhalten; und wie deshalb der Mann das Recht hat, selbst zu bestimmen, ob ihm Beruf und Pflicht die Zeit lassen, sich solchen Bestrebungen zu widmen, muß in Zukunft für die Frau ein gleiches Recht gelten. Der pekuniäre Aufwand aber, der dadurch erforderlich wird, gehört dem entsprechend zu den Ehelasten des Mannes. In dieser Weise das Recht der Frau zu bestimmen, hat der Staat ein ganz besonderes Interesse wegen der Kindererziehung. Wie der Erwachsene sein Leben führt, bestimmt sich vorwiegend nach dem, was er auf dem Gebiet der allgemeinen Interessen sich in seiner Jugend zu eigen gemacht hat; dies aber hängt vorwiegend von dem ab, was aus diesen Gebieten die Mutter in sich aufgenommen hat; denn sie erzieht das Kind nach sich, und nur das, (55) was sie, nicht das, was der Vater es lehrt, macht es zu einem festen Bestandtheile seines Empfindens! Denn nur sie weiß Solches zu bewirken, der Vater ist hierin – ein Stümper. So ist es denn zu einer Art Lehrsatz geworden, daß große Männer außergewöhnliche Mütter gehabt haben. Gewiß waren die Mütter von außergewöhnlicher geistiger Begabung, wie z.B. Goethe’s Mutter. Dem gesellte sich aber noch Eines hinzu: vermöge ihrer außergewöhnlichen Begabung hatten sie sich erhoben über die Weise des Seins, auf welche das Mundium die Frau hinabzudrücken sucht und ihren Sinn den allgemeinen Interessen zugewendet und davon in das Gemüth des Kindes gestreut und so den Keim zu dem großen Mann gelegt, während es sonst vielleicht ein ausgezeichneter Verbrecher geworden wäre. Nur durch Erziehung kann, wie Pestalozzi sagt, der Mensch ein Mensch werden, oder, wie Tholuck es ausdrückt, „aus der Kinderstube wird die Welt regiert“. Wenn Bestrebungen dieser Art den Eheleuten gemeinsam sind, so ist das ein Band von besonderer Festigkeit, weil die Einheit inniger empfunden wird, wenn die einigenden Interessen geistiger Natur sind, und weil, wenn sie dies sind, der Bestand der Einheit weniger von den äußeren Umständen abhängig ist. Eine solche Gemeinsamkeit wird zu Anfang der Ehe keine große sein; dafür sind Erziehung und Ausbildung von Mann und Frau zu verschieden; aber je mehr der Eine sich angelegen sein läßt, solche Bestrebungen des Andern zu fördern, um so eher wird unversehens auch dies Band geknüpft sein. – Die dritte Klasse der persönlichen Angelegenheiten bilden die Angelegenheiten des Genusses, worunter ich mitverstehe Erholung und Zerstreuung. Auch ohne diese kann der Mensch nicht sein – er kann nicht sein ohne Dinge, die keinen anderen Zweck haben, als ihn des Lebens froh, ihn das Leben genießen zu machen; was wir dadurch anerkennt sehen, daß es öffentliche Vergnügungen giebt, an denen ein Jeder für ein Geringes sich betheiligen kann. Der Mann hatte in dieser Hinsicht bisher volle Freiheit, und er mußte sie haben; denn zum Vergnügen kann man Einen nicht zwingen; die Frau mußte ihm vertrauen, daß er seine Freiheit nicht mißbrauche.
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So wird denn in Zukunft auch die Frau die gleiche Freiheit genießen dürfen; und namentlich wird auch sie, wie der Mann, selbst zu entscheiden haben, ob ihr Beruf und ihre Pflichten ihr die Zeit (56) zum Vergnügen lassen, und ob eine längere oder eine außergewöhnliche Anstrengung, trotz aller Geschäfte, die ihrer harren, eine Auffrischung ihrer Kräfte nöthig mache. – In die persönlichen Angelegenheiten der Frau erstreckt sich nun ohne alle Frage das Finanzdepartement des Mannes auch hinein, aber nicht blos als Recht, sondern auch als Pflicht. Weil die Obliegenheiten der Frau in der Ehe nicht derart sind, daß sie durch Erfüllung derselben einen Erwerb machen kann, von dem sie ihre Bedürfnisse bestritte, so gehört zu den Ehelasten, die der Mann zu tragen hat, nicht blos der Aufwand für ihren Unterhalt, sondern der Aufwand für die sämmtlichen Bedürfnisse, auf deren Befriedigung die Frau ein Recht hat, also auch der Aufwand, den die Wahrnehmung ihrer persönlichen Angelegenheiten erfordert. Indem diese Pflicht zu den Ehelasten gehört, kann man auch nicht sagen, falls die Frau etwas erwerbe, durch ihre Thätigkeit oder durch Schenkung und dergleichen, werde in so weit, als der Erwerb reiche, der Mann befreit. Viel eher könnte man sagen, die Frau solle die Kosten eines seidenen Kleides selbst bezahlen. Daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt und davon allein nicht menschenwürdig leben kann, muß auch der Frau zu Gute kommen. Die Anhänger des Mundiums werden mit allen diesen Erörterungen ihre Bedenken nicht für gehoben erachten; sie werden fragen: wo denn die Autorität des Mannes bleibe? – die für den sittlichen Charakter der Ehe unerläßliche Autorität, in deren Unentbehrlichkeit das Mundium die es sittlich rechtfertigende Idee habe. Ich behaupte nicht, daß diese Autorität unentbehrlich sei, denn es giebt, wenn auch nur sehr wenige, aber sehr glückliche Ehen, in denen auch mit der Lupe von ihr Nichts zu bemerken ist; aber ich behaupte, daß, abgesehen von solchen Ausnahmen, die Autorität bleiben und sich noch vermehren wird. Die Autorität, welche durch Macht verliehen wird, ist nicht dann am größten, wenn man die Macht benutzt, um Befehlen Nachdruck zu geben, sondern dann, wenn man durch die Weise, wie man von ihr Gebrauch macht, das Wohl Anderer fördert und so neben dem Gefühle der Abhängigkeit von der Macht die Gefühle des Dankes, der Ehre und des Ansehens einflößt, des Ansehens einer besonderen moralischen Würdigkeit, indem diese Gefühle die Menschen in un-(57)gleich größerem Umfange und ungleich nachhaltiger zur Willfährigkeit und Folgsamkeit bestimmen, als es die Furcht zu Stande zu bringen vermag – worauf ja gerade das Geheimniß des patriarchalischen Regimentes beruht. Die Weise, wie sich in der Ehe die Bedürfnisse erfüllen, deren Erfüllbarkeit von Geld abhängt – und die idealsten Bedürfnisse können des Geldes nicht entrathen – und demgemäß die Weise der Lebenshaltung in der Ehe und das Alles, was wiederum sich nach ihr bestimmt, ist abhängig von der Macht, die der Mann, falls er nicht von seiner Frau unterhalten wird, in dem nervus rerum hat, von seiner Vermögensmacht, die er aus sich selbst erzeugt, vermöge seines Berufes und durch die Weise, wie er sich auf ihn versteht, so daß diese seine Macht das Centralorgan ist, von welchem der Bewegungsnerv ausgeht, der für Alles die Bewegung in der Ehe bestimmt, den Ton, den Grundton angiebt.
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Es müßte so, wenn nicht bessere Gefühle es thäten, schon der Eigennutz die Frau bestimmen, auf das Wohl ihres Mannes bedacht zu sein und auf Erhaltung und Vermehrung seiner Macht und auf Erhaltung und Vermehrung seines guten Willens, kurz, darauf bedacht zu sein, es ihm an Nichts fehlen zu lassen, also auch auf seine Heiterkeit und seine gute Laune, auch dadurch, daß sie seinen Wünschen zu entsprechen sucht. Hat der Mann das Mundium, so übt er seine Macht, seine Vermögensmacht, nach Maßgabe seines Herrschaftswillens aus; und deshalb muß die Absicht, die er bei Eingehung der Ehe hatte, für das Wohl seiner Frau zu sorgen, in seinem Bewußtsein allmählich zurücktreten gegen den Herrschaftswillen und muß darin allmählich verschwinden, sich umsetzen in das Pflichtgefühl, das jetzt allein noch seinem Herrschaftswillen eine Schranke setzt; und im Gemüthe der Frau, weil sie sieht, daß er, statt vom Wohlwollen gegen sie geleitet zu sein, nur der Pflicht folgt und dem Herrschenwollen, und ihren berechtigten Wünschen zuwider handelt und gegen ihr Pflichtempfinden, können die Gefühle der Anerkennung für das, was sie von ihrem Mann empfängt, und des Dankes nicht aufkommen. Ist dagegen mit dem Rechte auf das Mundium dem Manne die Veranlassung genommen, auf Herrschaft über die Frau bedacht zu sein, so sind bei ihm Sympathie und Wohlwollen und Liebe nicht mehr gehindert, ihres Amtes zu walten, und er hat dann, (58) falls er ein rechtschaffener Mann ist, für sein Thun und Lassen keinen anderen Maßstab als das Wohl von Frau und Kind; und die Frau, weil sie nicht mehr eingenommen ist gegen ihren Mann und weil sie sieht, wie die Sorge um sie bestimmend für ihn ist, ist jetzt in ihren Gedanken von Wohlwollen und Dank geleitet und giebt den Betrachtungen darüber Raum, daß ihr Mann es ist, dem sie nächst Gott verdankt, was sie hat, dem sie es verdankt, daß sie leben kann, wie sie lebt, ihres Lebens froh sein und zuversichtlich in die Zukunft blicken kann, sofern nur Gott ihn am Leben erhält; und deshalb fügt sie sich gern in seine Weise und ist ihm willfährig; und sie sagt zu ihren Kindern: seht Kinder, das Alles verdanken wir dem Vater, seid ihm dankbar und thut ihm Alles zu Liebe, wie ihr seht, daß ich es thue – eine Sprache, die eine Frau, welche die Bitternisse der Herrschaft ihres Mannes im Herzen fühlt, nie führen kann. Jene Willfährigkeit und Folgsamkeit sind es, von denen in den römischen leges die Rede ist, die man dafür angeführt, daß auch schon nach römischem Rechte in der Zeit, als die manus verschwunden war, die Frau dem Manne Gehorsam schuldete. In jenen Stellen wird in 1.14 de. soluto mat. 24, 3 und 1. unc § 7 cod. de rei ux. 5, 13 nur gesprochen von der reverentia gegen den Mann, welche fordere, ihm bei Verurtheilung auf Klage der Frau den nöthigen Unterhalt zu lassen; und in 1. 12 § 1 cod. qui pot. in pig. 8, 18 wird nur von obsequia, der Folgsamkeit, gesprochen, welche die Frau ihm erweise, und gesagt, daß deshalb ihre Hypothek den Vorrang verdiene vor anderen Gläubigern; denn wer, heißt es, sollte sich ihrer nicht erbarmen wegen ihrer Folgsamkeit? Erst das kanonische Recht hat die Frau zum Gehorsam verpflichtet, im Anschluß an das germanische Mundium. Die Frau zu schlagen, verbot das Römische Recht. Das Verbot ist in Deutschland nicht rezipirt; das Mundium ließ es nicht zu.
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Neben seinem Berufe giebt aber noch ein anderer Faktor dem Manne das Uebergewicht in der Ehe. Ein jeder Beruf, mit nur einer Ausnahme, ist dadurch, daß er in Zusammenhang setzt mit der bürgerlichen Gesellschaft, bestimmend für den Verkehr seines Inhabers mit anderen Menschen und ist hierfür um so mehr bestimmend, als Einer durch die Weise, wie er seinen Beruf betreibt oder durch diesen selbst schon Ehre und Achtung sich erworben oder doch erlangt hat: der Beruf giebt (59) eine Lebensstellung, einen Rang. Von dieser Regel macht nur der Beruf der Frau eine Ausnahme. Ihr Beruf als Hausfrau und Erzieherin ihrer Kinder ist auf das Haus beschränkt und tritt nicht nach außen, und er kann ihr daher keine Lebensstellung geben. Diesen Mangel ergänzt die Lebensgemeinschaft. Weil der Mann verpflichtet ist, sein Leben der Frau gemeinschaftlich zu machen, so ist er auch verpflichtet, ihr das gemeinschaftlich zu machen, wonach sich in seinem Leben bestimmt, mit was für Leuten und mit welchen er verkehrt, und weil er seine Lebensstellung nicht auf sie übertragen kann, demnach auch verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Vortheile, die ihm seine Lebensstellung giebt, sie mitgenießt; denn Niemand, auch die Frau nicht, kann ohne geselligen Verkehr sein; und wenn die Lebensgemeinschaft eine vollständige sein soll, so muß sie auch außerhalb des Hauses im Verkehr mit Anderen bestehen; was dadurch gesichert wird, daß beide Eheleute in demselben Gesellschaftskreise die Basis ihres Verkehrs haben und als gleichberechtigt anerkannt werden. Indem dies der Begriff der Ehe mit sich bringt, ist es auch niemals anders gewesen, weder in der Sitte noch im Rechte, – nur daß der Entwurf nicht für nöthig gefunden hat, der Frau dies Recht zu geben – und die Männer, wenn sie auch sonst sich gegen die Frau nicht so benehmen, wie sie sollten, pflegen doch das, daß ihr in geselliger Beziehung zukomme, was sie beanspruchen kann, schon ihres eigenen Ansehens wegen nicht leicht aus den Augen zu verlieren. So wird denn, wie jetzt unter dem Mundium, so auch nach Aufhebung desselben, die Frau sich ihrer Abhängigkeit vom Manne auch dadurch bewußt sein, daß sie weiß, daß sie die Vortheile ihrer gesellschaftlichen Stellung ihrem Mann verdankt, und daß, falls er stirbt, oder die Ehe getrennt wird, sie zurückkehren wird in den Stand der Standlosen; wenn sich ihre Rechte auch alsdann noch nach dem Stande des Mannes bestimmen sollten. Daß, während die Frau sonach auch ohne das Mundium zwiefach abhängig ist von ihrem Manne in Dingen, die für ihr Leben und Lebensglück von der erheblichsten Bedeutung sind, man doch noch, damit es dem Manne an der nöthigen Autorität nicht fehle, der Frau eine Stellung anweisen will, welche sie zur Sklavin des Mannes macht, ist im höchsten Grade auffällig. Nach einer sachlichen Erklärung sucht man vergebens. Es bleibt nur die psychologische, daß die Lust am Herrschen den Verstand der Männer (60) in ihren Dienst genommen und verschleiert habe. Zieht man dies in Betracht und anderes Naheliegende, so kann man sich der Ansicht kaum verschließen, daß das Herrschenmögen doch sehr im deutschen Charakter liege, insbesondere, wenn man auf das große Gebiet des Herrschens und Beherrschtwerdens blickt, welches das ganze Staatsleben durchzieht, auf die Bureaukratie: Das, was ihr die große Festigkeit giebt, ist, scheint es, ganz wesentlich das Herrschenmögen, indem es bewirkt, daß der, dem befohlen wird,
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sich das Beherrschtwerden gern gefallen läßt, weil, es sich gefallen zu lassen, die Bedingung dafür ist, daß er, nach unten hin, selbst herrsche. Das Alles drängt zu dem Schlusse, daß der Deutsche die Freiheit weniger liebe, als das Herrschen, und somit keinen Sinn hatte für das, was er der Frau nahm. ________________________ Das Mundium hat auch historisch keine Berechtigung mehr. Daß es noch existirt, verdankt es einer Weise der Fortbildung des Rechtes, welche die unerfreulichste Seite unserer Rechtsentwickelung ist. Sie besteht darin, daß man einen Rechtsakt, nachdem der Grund, der ihn ins Leben gerufen hat, weggefallen ist, dadurch aufrecht zu erhalten sucht, daß man einen andern, aus irgend einer Theorie, namentlich einer dem römischen Rechte entlehnten, an die Stelle setzt, der aber nie im Stande gewesen wäre, jenen Rechtssatz, wenn er noch nicht existirt hätte, einzuführen. Es ist Solches in Deutschland namentlich da vielfach geschehen, wo die Entwickelung des Rechtes in den Händen der Juristen lag. Nur durch diese Methode ist es zu erklären und zu begreifen, nur sie hat es zu Wege gebracht, daß sich Recht und Gesetz wie eine ewige Krankheit forterben. Ein Beispiel dafür bildet das jetzige Recht der unehelichen Kinder. Im alten Recht hatte das uneheliche Kind kein Erbrecht gegen seine Eltern, weil die Verwandten seiner Eltern in deren Verbindung nicht eingewilligt hatten, und deshalb das uneheliche Kind den Verwandten das Erbrecht, das sie gegen seine Eltern hatten, nicht entziehen konnte. Infolge davon entbehrte das Kind des Schutzes seiner Verwandten und war demgemäß rechtlos. Im Laufe der Zeit ist, wie bei jedem Anderen, auch bei dem unehelichen Kinde an Stelle des Rechtsschutzes der Verwandten der Rechtsschutz der Gesetze getreten, und heute erfordert die Eingehung der Ehe eine Einwilligung der Verwandten der Eltern überhaupt nicht mehr, (61) und die Nichteinwilligung der Eltern entzieht auch gegen sie kein Erbrecht. Gleichwohl hat man die Rechtslosigkeit des unehelichen Kindes, so viel man konnte, aufrecht erhalten, indem man an die Stelle jenes Faktors die Sittlichkeit und Heiligkeit der Ehe gesetzt hat, die solche Rechtslosigkeit bedingten. Näheres in meiner Schrift „Rechte der unehelichen Kinder“ u. s. w. S. 80 ff. Daß es sich mit der jetzigen Existenz des Mundiums ganz ähnlich verhält, zeigt Folgendes: Im alten deutschen Rechte stand jede Frau unter Vormundschaft, wie auch im altrömischen. Für diese Vormundschaft – Geschlechtsvormundschaft – galten ursprünglich die allgemeinen Regeln jeder anderen Vormundschaft, und sie mußte demnach auch beeinflußt werden durch die Umwandlung der Vormundschaft aus einer Pflicht blos zur gerichtlichen Vertretung des Mündels in eine Pflicht zur Verwaltung seiner Angelegenheiten, die sich schon bald nach Einführung des römischen Rechtes vollzog. Bezüglich der Zeit, da sie bereits stattgefunden hatte, bemerkt Kraut in seinem ebenso gelehrten wie gründlichen Buche über die Vormundschaft, Bd. I, S.100:
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Die nothwendige Folge hiervon war, daß bei denjenigen ehemals als unmündig betrachteten Personen, welchen man Verstand genug zutraute, um ihre Angelegenheiten selbst verwalten zu können, die Vormundschaft sich entweder ganz verlieren oder doch, wenn sie noch beibehalten wurde, sich von der gewöhnlichen Vormundschaft wesentlich unterscheiden mußte. Dies gilt namentlich von der Geschlechtsvormundschaft, welche daher auch von den gelehrten Juristen bald aus dem Gebiete des gemeinen Rechtes verdrängt und in das Partikularrecht verwiesen wurde. Es haben also hier, in Betreff des gemeinen Rechtes, indem sie die Geschlechtsvormundschaft aus demselben verdrängten, nachdem die Fähigkeit der Frauen, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten, erkannt war, die Juristen – die Richter und die Theoretiker – ihre volle Schuldigkeit gethan: aber in Betreff der Partikularrechte haben sie sie nicht gethan, und zwar in zweifacher Hinsicht nicht. Zunächst, daß sie es zu Wege gebracht haben, daß die Geschlechtsvormundschaft, obgleich ihr Grund weggefallen war, in Partikularrechten fortbestand. (62) Kraut, Bd. II, S. 291/222 sagt darüber: Aus einem Gemisch dessen, was die Rechtsbücher über die Geschlechtsvormundschaft enthalten, verbunden mit römischen Rechtsansichten, haben die Juristen seit Einführung des römischen Rechtes eine auch in die Landes- und statutarischen Gesetzgebungen übergegangene Theorie gebildet, welche u. s. w. ...... Die Theorie muß schon deshalb zu von den Grundsätzen des älteren Rechtes wesentlich abweichenden Resultaten führen, weil sie der Geschlechtsvormundschaft eine ganz andere Grundlage unterlegt, als woraus dieselbe ursprünglich hervorgegangen war. Während diese nämlich ihrer Entstehung nach auf der Unfähigkeit der Weiber, sich selbst in der Fehde vor Gericht zu vertreten, beruhte (Bd. I, § 3), betrachten die neueren Juristen als Grund derselben die weibliche Schwäche und die Unerfahrenheit des Weibes in bürgerlichen Angelegenheiten, welche, damit sie nicht in Schaden kommen, es nöthig mache, sie bei der Vornahme wichtiger Rechtsgeschäfte an die Einwilligung eines männlichen Beistandes dergestalt zu binden, daß ohne dieselbe das Geschäft nichtig sei. Die Weiber werden daher ganz so behandelt, wie die Minderjährigen nach heutigem Rechte. Als Beispiele hierfür führt Kraut an: Das dithmarsche Landrecht von 1587, das württembergische von 1610, Hamburger Statuten u. s. w. Daß die Juristen mit dieser Substituirung Unrecht hatten, geht aber keineswegs daraus allein hervor, daß, als sie dieselbe vornahmen, das gemeine Recht, das sie doch thunlichst hätten zu verwirklichen suchen sollen, die Vormundschaft über die Frauen, als nicht mehr nöthig, bereits zurückgewiesen hatte. Ein weiterer Beweis ist die Weise des späteren Erlöschens dieser Vormundschaft in den Partikularrechten. Man hob sie dort nicht auf, weil die Frauen ihre Fähigkeit jetzt nachgewiesen hätten. Wie konnten sie das, da sie unter Vormundschaft standen? Man hob sie vielmehr auf, wie Kraut II, S. 319 ff. des Näheren auseinandersetzt, weil sie auf die Sicherheit des Verkehrs nachhaltig wirkte und wegen der Schwierigkeit und Kosten, die sie verursachte; – und ich darf (63) wohl hinzusetzen: weil Niemand seines Vortheils wegen dabei interessirt war, daß sie aufrecht erhalten werde. Sie hatte also ein paar Jahrhunderte lang für Nichts bestanden. Man hob sie aber nicht auf in Betreff der verheiratheten Frauen, und dies ist der andere Punkt, in welchem die Juristen ihre Schuldigkeit nicht gethan haben.
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Im altdeutschen Rechte mußte bei jeder wahren Ehe die Frau unter der Vormundschaft ihres Mannes stehen (Kraut I, S. 171); und die Vormundschaft des Ehemanns über die Frau wurde als eine rechte Vormundschaft angesehen (I, S. 177). Der Ehemann erhielt sie aber nicht von selbst. Er mußte sie dem bisherigen Vormunde abkaufen, für einen Mundschatz, Mundiums-, Vormundsschatz, Kaufpreis (I, S. 172 ff.). Eine besondere Gewalt gewann diese Vormundschaft dadurch, daß vermöge derselben der Mann die Güter der Frau mit den seinigen äußerlich zu einem Gute vereinigte und über sie als Vormund, Vogt, in ausgedehnter Weise verfügte. So entwickelten sich die verschiedenen ehelichen Güterrechtssysteme – Verwaltungssystem – allgemeine Gütergemeinschaft u. s. w. Die eheliche Vormundschaft, die dieselben hervorbrachte, ist also die Geschlechtsvormundschaft. Sie ist nur eine Spezies dieser, weshalb Kraut sie mit Recht abhandelte unter dem Titel: Geschlechtsvormundschaft über verheirathete Weiber (II, S. 328), und er ebenso mit Recht S. 392 sagt: Die Bekanntschaft mit der Geschlechtsvormundschaft sei unentbehrlich zum Verständnis; der Lehre der noch bestehenden ehelichen Vormundschaft; und in Uebereinstimmung hiermit bemerkt eine anerkannte Autorität auf diesem Gebiete, Wilmowski, Lübisches Recht vom Jahre 1867: Die neuere Jurisprudenz ist mit Recht darüber einverstanden, daß die Grundlage aller deutschrechtlichen ehelichen Güterverhältnisse das eheliche Mundium, die Vogtei, die Vormundschaft des Mannes über die Frau und deren Vermögen ist, und darauf die Verfügungsgewalt des Mannes und ihre Verhaftung für seine Schulden basiren. Als weiterer Beleg kann angeführt werden: preußisches Gesetz über die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft vom 21. Januar 1869: § 1. Die in den Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein geltende Geschlechtsvormundschaft wird aufgehoben. (64) § 2. Diese Aufhebung hat auf die eheliche Vormundschaft keinen Einfluß. Ferner königlich sächsisches Gesetz vom 8. Januar 1838: § 1. Die Geschlechtsvormundschaft, welche auf obrigkeitlicher Bestätigung beruht, wird hiermit aufgehoben. § 3. Uebrigens soll dieses Gesetz sich nicht auf diejenige Vormundschaft erstrecken, welche den Ehemännern in Ansehung ihrer Ehefrauen in den Rechten beigelegt wird und welche unter dem Namen der ehelichen Vormundschaft begriffen ist. Es haben sonach hier, im ehelichen Güterrechte, die Juristen für den weggefallenen Grund, die Geschlechtsvormundschaft, freilich keinen neuen substituirt. Aber statt, weil er weggefallen war, das alte Recht aufzuheben und die rechtliche Natur der ehelichen Verbindung ohne die Subalternität des einen Theils zur Grundlage von neuen Bestimmungen zu machen, haben sie den ehemaligen Grund als noch vorhanden und so das alte Recht als selbstverständlich noch fortbestehend behandelt – was blos eine andere Form der Weise ist, wie das Recht gleich einer Krankheit sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. – ________________________
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Indem ich weiß, auch aus Erfahrung an mir selbst, daß dem zuzustimmen, was ich hier vertrete, am schwersten der Jurist sich entschließen wird – sind wir Juristen doch nur zu geneigt, Prinzipien, in denen wir aufgewachsen und alt geworden sind, für zweifellos festbestehend, für indiskutabel zu halten, – so habe ich geglaubt, die Ansicht eines Juristen für mich anführen zu sollen, der in den Gebieten des französischen Rechtes das allergrößte Ansehen genießt: Laurent. Derselbe bemerkt in seinem berühmten Werke: Principes de Droit Civil Français, Bd. III v. 1870 Nr. 82 S. 112 ff. Le mariage est une société. Dans les sociétés ordinaires, les associés sont égaux; il n’en est pas de même de la société conjugale. En se mariant, la femme tombe sous la puissance martiale du mari. Le code Napoléon ne prononce pas le mot de puissance martiale, mais il consacre la chose en disaut que „le mari doit protection à sa femme et la femme obéissance à son mari.“ Le principe qui régit les rapports des époux est donc le (65) principe de l’inégalité. Pothier le dit en termes formels: ,,La puissance du mari sur la personne de la femme consiste dans le droit qu’a le mari d’exiger d’elle tous les devoirs de soumission qui sont dus à un supérieur … Portalis va nous dire quelles sont les raisons, dites de droit naturel, qui justifient la puissance maritale. ––––––––––––– Portalis, au contraire, déduit, de la différence qui existe dans leur être, qu’il y a aussi une différence dans leurs droits et dans leurs devoirs. En parlant de droits différents, Portalis n’entend pas toucher la question des droits politiques; il se renferme dans le domaine du droit privé; son but est de justifier l’inégalité que la puissance maritale établit entre les époux. La différence qui existe entre l’homme et la femme n’est pas, comme il le dit, une différence dans leur être, c’est une différence de faculités. Cette différence est-elle de nature à justifier la supériorité de l’un et l’infériorité de l’autre? On le prétend: ,,La force et l’audace sont du côté de l’homme, dit Portalis, la timidité et la pudeur du côté de la femme.“ Il en conclut que la femme a besoin de protection parce qu’elle est plus faible, que l’homme est plus libre parce qu’il es plus fort. Voilà une conséquence que nous ne saurions admettre. En disant que l’homme est le plus fort, entend-on qu’il ait plus de force d’intelligence et de charactère? Si telle était la pensée de Portalis, les faits lui donneraient certes un démenti. Il ne s’agit donc que de la force corporelle; en effet, l’orateur du gouvernement constate que l’homme et la femme ne peuvent pas partager les mêmes travaux, supporter les mêmes fatigues. Ce serait donc parce que l’homme a une constitution plus fort qu’il aurait droit à la prééminence! Voilà un droit naturel contre lequel la conscience moderne proteste. Non, la force ne donne pas la puissance, elle impose des devoirs. Il y a aussi de ces inégalités entre les hommes, il y a des faibles, il y a des forts; qui oserait dire que le plus fort a le droit de dominer sur le plus faibles? La force était la (66) loi du monde ancien; l’humanité l’a remplacée par la loi de l’égalité et de la liberté. ––––––––––––– Condorcet nous dira quelles sont les aspirations de l’humanité, en ce qui concerne la prétendue prééminence de l’homme sur la femme. Il qualifie de préjugé l’inégalité des deux sexes. ,,On chercherait eu vain, dit-il, des motifs de la justifier par les différences de leur organisation physique, par celles qu’on voudrait trouver dans la force de l’intelligence, dans leur sensibilité morale. Cette inégalité n’a eu
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d’autre origine que l’abus de la force, et c’est vainement que l’on a essayé depuis de la justifier par des sophismes.“ – – – Mais, s’écrie Portalis, comment une société de deux personnes pourrait elle subsister, si l’on ne donnait pas voix pondérative à l’un des associés? Portalis oublie, qu’il peut très bien y avons des sociétés de deux personnes sans que l’une ait la prééminence sur l’autre. Si les associées sont en dissentiment, le tribunal deide. Il en est de même ainsi dans la société conjugale. ––––––––––––– Nous n’insistons pas parce que notre objet n’est pas de critiquer la loi, mais d’en exposer les principes. Remarquons toutefois avec Condorcet les funestes conséquences qui découlent du préjugé de l’inégalité. La femme n’est pas l’égale de l’homme, donc elle ne doit pas jouir, au même titre, des bienfaits de l’éducation. Il est entendu qu’elle doit avoir une religion, tandis que le mari sera libre penseur. Qui ne sait la belle harmonie qui règne dans les ménages où la femme est l’esclave de la superstition! Il est entendu, aussi que la femme doit être plus morale que l’homme; libre au mari d’adultérer tant qu’il prenne soin de ne pas tenir sa concubine dans la maison commune! La loi de l’égalité est plus sévère tout ensemble et plus bienfaisante. Elle veux que les époux vivent de la même vie intellectuelle et morale; elle leur reconnait les mêmes droits, mais aussi les mêmes devoirs. C’est seulement quand cet idéal sera (67) entré dans nos lois et dans nos moeurs, qu’il y aura un véritable mariage! ________________________ Erfolgte eine Aufhebung der ehelichen Vormundschaft, so geschähe es keineswegs zum ersten Mal. Nach Stobbe, Bd. IV § 216 S. 54 Anmerk. 3, ist sie in Kurhessen und Mecklenburg aufgehoben worden. Ihre Aufhebung konnte indessen in diesen Ländern von besonderer Bedeutung nicht sein, weil die Bestimmungen, die aus ihr sich ergeben hatten, bestehen blieben. Mit einer Aufhebung derselben sowie mit einer Nichtaufhebung, nämlich der Erklärung, daß sie bestehen bleiben solle, wovon ich oben zwei Beispiele angeführt habe, hat es insofern eine besondere Bewandtniß, als die eheliche Vormundschaft nicht auf einer besonderen gesetzlichen Bestimmung beruht, vielmehr gesetzliche Bestimmungen auf ihr beruhen, aus ihr entnommen sind, und daß sie als ein Rechtsprinzip, als ein Rechtsinstitut, das durch Gewohnheitsrecht geschaffen ist, in den Gesetzen noch fortlebt zur Normirung der Fälle, die das Gesetz unnormirt gelassen hat. Weil sie aber sonach von gesetzlicher Wirksamkeit ist, kann sie auch nur durch ein Gesetz aufgehoben werden, nicht in Gesetzesmotiven. Es wäre darnach dem Entwurfe eine Aufhebungsbestimmung hinzuzufügen, etwa dahin: „Das Recht der ehelichen Vormundschaft steht dem Manne nicht zu.“ Es bei einem Ausspruche in den Motiven bewenden zu lassen, wäre in Betreff des bürgerlichen Gesetzbuches ganz besonders bedenklich, weil das Reichsgericht nach einer konstanten Rechtsprechung Gesetzesmotive, zu denen nicht beide Faktoren, Regierung und Reichstag, ihre Zustimmung erklärt haben für die Privatansicht ihrer Verfasser erachtet – was auch bei der en bloc-Annahme des Entwurfes
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oder einzelner Theile desselben in Betracht kommen würde. Trifft man neben solcher Annahme nicht eine Bestimmung, welche den Motiven die gleiche Bedeutung giebt, als wenn beide Gesetzes-Faktoren ihnen zugestimmt hätten, so wäre die Gefahr vorhanden, daß Deutschland die Einheitlichkeit seines Rechtes mit einer sehr großen gemeinsamen Rechtsunsicherheit zu entgelten hätte, bis etwa nach 50 Jahren eine Rechtssprechung sich festzusetzen begönne. ________________________ Zum ersten Abschnitt des vierten Buches des Entwurfes „Ehe“. (68) Der § 1203 enthält den großen Fortschritt, daß er die Unverbindlichkeit des Verlöbnisses als Grundsatz ausspricht, indem er bestimmt: Aus dem Verlöbnisse kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden. Das Versprechen einer Strafe für den Fall, daß die Ehe unterbleibt, ist nichtig. Nach § 1204 Abs. 1 soll jedoch der Verlobte, der von dem Verlöbnisse zurücktritt, dem andern Verlobten und dessen Eltern den Schaden ersetzen, der dadurch entstanden ist, daß sie in Erwartung der Eheschließung Aufwendungen gemacht, oder Verfügungen getroffen haben, oder Verbindlichkeiten eingegangen sind. Die Motive IV S. 3 bemerken hierzu: Da der § 1227 (jetzt der oben angeführte § 1203) das Verlöbniß für rechtlich unverbindlich erklärt, mithin jedem Verlobten der Rücktritt freisteht, so läßt sich aus den allgemeinen Grundsätzen auch ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses wegen ungerechtfertigten Rücktrittes des andern Theiles von dem Verlöbnisse nicht ableiten, es sei denn, daß der Rücktritt unter den besonderen Umständen des Falles als eine unter die Bestimmungen des § 704 Abs. 1 und des § 705 fallende unerlaubte Handlung anzusehen sein sollte. Rücksichten der Billigkeit und Rücksichten auf das im Volke lebende Rechtsbewußtsein und auf das geltende Recht, welches im Falle des ungerechtfertigten Rücktrittes vom Verlöbnisse überwiegend in größerem oder geringerem Umfange dem verletzten Theile einen Anspruch auf Schadenersatz gewährt, sind jedoch bestimmend gewesen in dem im § 1228 Abs. 1 (jetzt der vorgedachte § 1204) bezeichnetem Umfange für den Fall eines ungerechtfertigten Rücktrittes vom Verlöbnisse, einen Anspruch auf Schadenersatz – – – anzuerkennen. – – – (69) Ferner IV S. 5. Die Bestimmung des § 1228 Abs. 2 stellt dem Falle des ungerechtfertigten Rücktrittes dem anderen Falle gleich, in welchem ein Verlobter durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden den anderen Theil zum Rücktritte von dem Verlöbnisse veranlaßt hat. Die Bestimmung des § 1204 Abs. 1 ist als mit der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses nicht vereinbar angefochten werden, indessen irriger Weise. Als nicht damit vereinbar wäre dagegen aufzuheben die Bestimmung des Abs. 2: Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn ein wichtiger Grund für den Rücktritt vorliegt. Und ebenso die Bestimmung des § 1205: Giebt ein Verlobter durch sein Verschulden dem andern Verlobten gerechtfertigten Grund zum Rücktritt, so ist er, wenn der Rücktritt erfolgt, nach Maßgabe des § 1204 Abs. 1 zum Schadenersatz verpflichtet.
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Wenn die Ehe das soll werden können, was sie sein soll, so muß die Eheschließung hervorgegangen sein aus dem beiderseitigen Wunsche, sich zu heirathen und aus der beiderseitigen Ueberzeugung, daß es verständig ist, sich zur Lebensgemeinschaft zu verbinden, daß es vor Allem nicht fehlt an der Aufopferungsfähigkeit für den, mit dem man sich verbinden will, also nicht an der Empfindung, die zu ihr befähigt, an einer wahren, innigen Zuneigung; denn nur sie vermag die Aufopferungsfähigkeit zu geben, und nur deshalb kann es Sinn haben, wenn man sagt, die richtige, die ideale Ehe sei die aus Liebe eingegangene. Aber auch der hat diese Prüfung vorzunehmen, der leidenschaftlich liebt; denn Leidenschaftlichkeit ist kein Beweis für eine Empfindung, welche die Kraft zum Entsagen giebt. Dies ist es, was jeden Zwang ausschließt. Denn ob jene Bedingungen vorhanden sind, können nur die Verlobten selbst wissen. Die Frage berührt die geheimste Werkstatt ihres Innern, und sie ist nicht anders zu lösen als mittelst der Zuversicht, die Einer hat, daß er das Wagniß; unternehmen darf. Bei der Verlobung, wenn sie nicht aus Motiven, welche die Ehe herabwürdigen, geschlossen wird, hat Jeder diese Zuversicht. Aber sie gründet sich bei der Verlobung meistens nur und kann (70) sich zu dieser Zeit, weil die Umstände es nicht anders zulassen, meistens nur gründen auf unsichere Prämissen, auf Gefühle und Wünsche und schwankende Vermuthungen. Diesen Mangel vermag erst die Zeit des Verlöbnisses zu heben. Der intime Verkehr miteinander, dem die Verlobten sich nach der Verlobung mit großer Freiheit offenkundig hingeben dürfen, und der Verkehr mit den beiderseitigen Verwandten giebt den Verlobten in all den Dingen, die sie erwogen haben oder doch hätten erwägen sollen, Aufschlüsse über Beziehungen, die ihnen bisher verborgen waren, und setzt sie dadurch in den Stand zu einer Nachprüfung ihres Entschlusses; und diese Nachprüfung, die ihnen nicht angerathen zu werden braucht, weil sie dieselbe in der Begierde, sich zu Vergewissern, ob sie sich auch geirrt haben, vermöge eines inneren Zwanges schon von selbst Vornehmen, kann nicht blos das glückliche Ergebniß haben, daß sie bestätigt finden, was sie annahmen, sondern auch das unglückliche, daß sie sehen, daß sie im Irrthum befangen waren. Der Staat hat aber ein ganz wesentliches Interesse an einem glücklichen Eheleben und deshalb auch daran, daß die Verlobten sich nicht irren und daß sie im Falle der Entdeckung eines Irrthums, so lange die Ehe noch nicht eingegangen ist, von der Verlobung zurücktreten können. Das Gesetz hat deshalb die Verlobungszeit als eine Probezeit zu behandeln, in welcher Jeder das Recht hat, nach seinem ganz freien Ermessen das Verlöbniß aufzukündigen. Nur dadurch kann, soweit es überhaupt möglich ist, verhütet werden, daß Einer erst in der Ehe wahrnimmt, daß er sich über seine Liebe getäuscht oder über die Gegenliebe, die er zu finden glaubte, oder über Charaktereigenschaften, die ihm wesentlich waren – namentlich aber auch bewirkt werden, daß der, der aus Spekulation heirathen wollte, rechtzeitig entlarvt wird. Der Rücktritt von einem Verlöbnisse enthält jedesmal das Bekenntniß eines Irrthums; denn der Zurücktretende bekennt, daß er die Zuversicht nicht mehr hat, die er früher hatte, bekennt somit, sich in einem Irrthum befunden zu haben. Aber wer die Zuversicht nicht hat, daß er das, was die Ehe ihm auferlegt, erfüllen werde, kann es auch nicht erfüllen; und deshalb darf man nicht mal das von der Aufhebung eines Verlöbnisses sagen, daß sie ein moralisches Unrecht sei. Umgekehrt, es wäre ein moralisches Unrecht, sich an sein Wort gebunden zu haben, weil dies
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eine Täuschung des andern Theiles wäre. Die Eingehung eines (71) Verlöbnisses kann, weil unbedacht, moralisch zu mißbilligen sein, die Auflösung dagegen niemals. Diese Bemerkungen zeigen, wie sehr die Ansicht, das Verlöbniß sei verbindlich, das Wesen der Ehe verkennt, Erwägungen ohne Rücksicht auf Individualität wie die: warum kannst du diesen Mann nicht heirathen, es ist ein sehr rechtschaffener, sehr angesehener Mann und hat sein gutes Auskommen; oder: warum kannst du dieses Mädchen nicht heirathen, es ist gesund und in allen häuslichen Arbeiten erfahren und von angesehener Familie, gehören einer Kulturepoche an, da man die Ehe als eine Einrichtung ansah, welche unter der Verpflichtung zum gegenseitigen Geschlechtsgenusse dem Mann eine Hausfrau und der Frau einen Versorger geben sollte. Nur auf eine solche Grundlage kann die Verbindlichkeit des Verlöbnisses gestützt werden. Der Entwurf hat sich grundsätzlich von ihr frei gemacht, aber in der Anwendung sich doch nicht von ihr loszusagen vermocht und der Verbindlichkeit des Verlöbnisses, wie wir sehen werden, erhebliche Zugeständnisse gewährt. Wollte man für einen solchen vermittelnden Standpunkt geltend machen, die Seltenheit einer Aufkündigung des Verlöbnisses zeige, daß legislativ kein Bedürfniß sei, die Verlobung für völlig unverbindlich zu erklären, so würde man ein erhebliches Moment übersehen. Die bisherige Seltenheit ist beeinflußt von der bisherigen Gesetzgebung, welche das Verlöbniß für bindend erklärt. Sie hat es bewirkt, daß heute fast allgemein es als eine Pflicht und Ehrensache betrachtet wird, an dem Verlöbnisse wie an einem Rechtsgeschäfte festzuhalten, und nur ganz ausnahmsweise, aus Gründen, die von solchem Gesichtspunkte aus auch im Zuge des Publikums Geltung haben, oder von starken Charakteren, das Verlöbniß aufgekündigt wird. Das Gesetz hat einem solchen, für das Eheleben sehr nachtheiligen Vorurtheile entgegenzutreten, und wenn es dies mit voller Bestimmtheit thut, so wird die Sitte bald nachfolgen und dazu beitragen, daß der jetzige Zustand des Eheglückes einem besseren Platz mache. Namentlich wird dann die oben erwähnte namhafte Zahl der Scheidungen in den ersten Ehejahren sich verringern, die man auf die Scheu vor Auflösung des Verlöbnisses mit wird zurückführen dürfen. Mit dem Sinn, der hiernach der Bestimmung der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses gegeben werden muß, sind die erwähnten (72) beiden Bestimmungen der §§ 1204 und 1205 nicht vereinbar – die Bestimmungen also, wonach der Zurücktretende von der Ersatz-Verbindlichkeit des § 1204 frei sein soll, wenn er einen wichtigen – soll heißen rechtmäßigen – Grund zum Rücktritt hatte, und wonach er außerdem noch von dem Anderen soll Ersatz fordern können, wenn durch dessen Schuld ihm der rechtmäßige Grund zum Rücktritte gegeben war. Die beiden Ausdrücke wichtiger Grund und rechtmäßiger Grund sollen nach Absicht des Entwurfes dasselbe bezeichnen. Es ergiebt sich dies aus einer Vergleichung der beiden §§ 1204 und 1205. Ein wichtiger Grund nach § 1204 ist ein solcher, welchen der Richter für rechtmäßig hält, und ein rechtmäßiger nach § 1205 ein solcher, welchen der Richter für wichtig genug hält, um das Verlöbniß aufzuheben. Besteht die Unverbindlichkeit des Verlöbnisses zu Recht, so darf der Rücktritt auch dann nicht für unrechtmäßig erklärt werden, wenn der Rücktretende keinen andern Grund anführt als: ich mag meine Braut nicht mehr, sie ist mir zuwider; eine Ursache braucht er dabei ebensowenig anzugeben, wie die Angabe einer sol-
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chen bei dem Ehescheidungsgrunde wegen gegenseitigen Widerwillens verlangt werden kann. Und wenn die Braut die Aufkündigung des Verlöbnisses durch ihr Benehmen verschuldet haben soll, z.B. sich küssen lassen, oder eine geheime Zusammenkunft gehabt haben soll, und hiergegen anführen würde: ich mochte meinen Bräutigam nicht mehr, ich konnte ja das Verlöbniß frei lösen, so hätte sie Recht, auch wenn sie nicht hinzufügte: ich hatte es ihm ja vorher schon gesagt, er wollte mich aber nicht lassen, und deshalb habe ich es so gemacht. Und in Wahrheit hat sie auch moralisch sich gegen das Verlöbniß nicht vergangen; die Braut ist auch moralisch ihrem Bräutigam zu Nichts verpflichtet, zu gar Nichts als zu Einem: daß sie sich ihm so darstelle, wie sie ist, damit er nicht getäuscht werde; denn dazu ist für das Gesetz, worauf es hier ankommt, die Verlobungszeit da. Der Schluß: der Mann konnte ein Mädchen, das sich so benimmt, doch nicht Heirathen, beruht aus der Prämisse, daß er verpflichtet war, sie zu heirathen, und sie verpflichtet, sich so zu benehmen, daß er es konnte. Weil demnach, wenn die Unverbindlichkeit des Verlöbnisses zu Recht besteht, es für die Rechtmäßigkeit der Auflösung gar keines Grundes bedarf, so tritt der Entwurf mit der von ihm prokla-(73)mirten Unverbindlichkeit schon dadurch in Widerspruch, daß er einen Grund fordert. Das ist aber nicht das Einzige. Von Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit des Grundes der Aufkündigung des Verlöbnisses und von einer Verschuldung oder Nichtverschuldung an der Auflösung kann nur dann die Rede sein, wenn eine Verbindlichkeit besteht, das Verlöbniß zu erfüllen. Denn im Recht oder Unrecht kann man nicht sein, wenn nicht eine Verbindlichkeit vorhanden ist, so oder anders zu handeln und ohne diese Voraussetzung auch nicht in Verschuldung oder Nichtverschuldung. Die beiden Bestimmungen haben demnach dadurch, daß sie die Ersatzverbindlichkeit von einem rechtmäßigen Grunde und von Unverschuldetheit abhängig machen, das Verlöbniß entgegen der ausgesprochenen Unverbindlichkeit für bindend erklärt, freilich nicht durch einen theoretischen Ausspruch, aber durch die Anweisung an den Richter, das Verlöbniß für bindend zu achten, weil er sonst die ihm zugewiesene Aufgabe gar nicht erfüllen könnte; und dies haben sie ganz allgemein gethan, ohne eine Ausnahme: in einem jeden Falle soll es darauf ankommen, ob ein rechtmäßiger Grund vorhanden ist und eine Nichtverschuldung; und hierüber soll das richterliche Ermessen entscheiden; der Richter soll bestimmen, was ein rechtmäßiger Grund sei. Die Motive sagen IV S. 4, daß es „unbedenklich erscheint, – – die Entscheidung der Frage, wann überhaupt ein Verlöbniß als eingegangen anzusehen ist, und wann ein Rücktritt von dem Verlöbnisse gerechtfertigt ist, dem freien Ermessen des Richters zu überlassen. Es kann darauf vertraut werden, daß der Richter unter Würdigung der Umstände des einzelnen Falles, insbesondere unter Berücksichtigung der Sitte, des Anstandes und der rechtlichen Voraussetzung einer Eheschließung, die richtige Entscheidung, ob ein Verlöbnißbruch vorliegt, finden wird.“ Darnach ist also das Verlöbniß verpflichtend, und es kommt in jedem einzelnen Fall auf das richterliche Ermessen an, ob ein wichtiger Grund, ein gerechtfertigter Grund, vorliegt oder nicht.
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Ganz so war es im alten Rechte überall da, wo die Auflösungsgründe nicht gesetzlich bestimmt waren. In jenen beiden (74) Bestimmungen ist aber das alte Recht nicht blos in so weit wieder zur praktischen Geltung gebracht, sondern vollständig, weil ihnen zufolge jeder Richter befugt ist, sein früheres Landrecht zur Anwendung zu bringen, oder auch die Auflösungsgründe des kanonischen Rechtes für die rechtmäßigen zu erklären. Es ist dieser Fall typisch für die Weise, wie der Entwurf zu Werke gegangen ist, wenn es sich um Rechtssätze des modernen Rechtsbewußtseins handelt; indem der Entwurf dann freilich den Rechtssatz aufgenommen, aber für die von ihm beherrschten Fälle Bestimmungen des alten Rechtes getroffen hat. Es tritt dies in den Motiven deutlich hervor. Man sieht aber auch, daß es keineswegs auf Absicht beruht. Es war so bedingt durch die Zusammensetzung der Gesetzgebungskommission. Die Motive zeigen, daß die Mehrheit, indem sie das jetzt bestehende Recht zu behalten und auch früheres wieder herzustellen suchte, insofern zwar nicht politisch, aber rechtlich konservativ und rückschrittlich war; nur die Minderheit war rechtlich fortschrittlich. Bei einer kollegialen Berathung, die ein Gemeinsames zu Stande bringen will, sucht aber Jeder zur Uebereinstimmung Aller beizutragen, und so macht es sich ganz von selbst, ganz unwillkürlich, daß man allgemeinen Sätzen leicht beistimmt, weil es bei ihnen immer darauf ankommt, welche Anwendung man ihnen giebt, und weil sich über allgemeine Sätze schwer streiten läßt. Deshalb ist es durchaus begreiflich, daß die Mehrheit den fortschrittlichen Rechtssätzen zustimmte, sich aber für den Kreis der von ihnen betroffenen Fälle ihre Ansicht vorbehielt und sie zur Geltung brachte. So macht der Entwurf vielfach den Eindruck eines konservativen und auch rückschrittlichen Werkes im liberalen Gewande. Wenn einer den Entwurf angreift, so kann man ihm liberale Grundsätze desselben entgegenhalten und ihm den Gegenbeweis überlassen. Außerdem ist dieser Fall auch typisch dafür, wie der Entwurf dem richterlichen Ermessen nicht blos faktische Fragen anheimgiebt, z.B. wie groß der Schaden sei, sondern, statt selbst aufzustellen, was Rechtens sein soll, auch die Entscheidung hierüber dem richterlichen Ermessen überläßt – was namentlich dann bedenklich ist, wenn der zu findende Rechtssatz persönliche Eigenschaften oder persönliche Beziehungen der von ihm Betroffenen zum Gegenstande hat. Eine solche absichtlich gelassene Rechtslücke hassen die Menschen, weil dieselbe sie mit ihrem Rechtsvertrauen statt auf das Gesetz auf das (75) verweist, was der Richter für Recht und Unrecht hält, und auf seine Theorien hierüber, und weil die Lücke sie nicht im Voraus erkennen läßt, welcher Rechtssatz auf ihren Fall Anwendung finden wird. In dem Bedürfnisse nach einem Namen für eine solche Rechtslücke hat man dafür den Namen Kautschukparagraph erfunden; und er ist sehr zutreffend. Wenn man z. B. fünf gelehrte Richter beauftragen würde, daß Jeder einen Gesetzentwurf für Ausfüllung einer solchen Lücke ausarbeite, die fünf Entwürfe würden völlig verschieden sein, weil dieselbe statt eines festen Anhaltens blos einen Gesichtspunkt bietet. Dem vorliegenden durch jene beiden Bestimmungen gegebenen Fall sehr ähnlich ist der Fall der elterlichen Gewalt der Mutter. Der Entwurf giebt grundsätzlich auch der Mutter die elterliche Gewalt, Aber die für die bestehende Ehe getroffenen Bestimmungen lassen ihre elterliche Gemalt während der Ehe nicht zur Ausübung kommen, und nach der Ehe kann der Richter sie ihr nach seinem Ermessen
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nehmen, indem er nach seinem Ermessen ihr unter dem Namen Beistand einen Vormund beiordnet. – Es bleibt jetzt noch nachzuweisen, daß sich ein Widerspruch gegen die Unverbindlichkeit des Verlöbnisses keineswegs, wie man angenommen hat, auch in der Bestimmung des Abs. 1 des § 1204 findet, wonach der Zurücktretende dem Andern den Schaden ersetzen soll, den er davon hatte, daß er in Erwartung der Ehe Aufwendungen machte u. s. w. Es wird hier ein völlig anderer Grundsatz aufgestellt als der der Verbindlichkeit des Verlöbnisses, der Grundsatz nämlich, daß, wenn Einer ein Versprechen gegeben hat, das er nicht zu halten braucht, und das aus Pflichtgefühl zu halten, vielleicht unmoralisch sein kann, daß Einer, der ein solches Versprechen abgegeben hat und es nicht halten will, dem Andern doch den Schaden ersetzen muß, den dieser davon hatte, daß er glaubte, jener werde das Versprechen halten; und dieser Grundsatz ist durchaus gerechtfertigt. Nehmen wir Fälle an, welche sich nach folgendem Muster abspielen. In irgend einem Vorhaben muß ich mich verständiger Weise nach dem richten, was ein Anderer thun wird, und der Andere weiß dies. Ich frage ihn, was er thun werde, und er erwidert, er verpflichte sich nicht zu einem bestimmten Thun, er wolle zu (76) einem solchen nicht angehalten werden können; ich dürfe mich jedoch darauf verlassen, daß er das und das thun werde. Aber nachdem ich dieser Zusicherung gemäß mein Vorhaben ausgeführt habe, ändert er seinen Entschluß, und ich habe meinen Aufwand vergebens gemacht und muß jetzt nach seinem neuen Entschlusse mich einrichten. Derartige Fälle sind nicht selten im Rechtsleben. Z. B. Ich will bauen, aber mein Nachbar will auch bauen, und ich muß meinen Bau nach dem seinigen herrichten, und er weiß dies. Ich frage ihn, wie er bauen werde, und er erwidert: zu einer bestimmten Bauweise verpflichte er sich nicht, aber ich könne als sicher annehmen, daß er in der und der Weise bauen werde. Ich halte mich nun an seine Angabe, er führt aber dann sein Gebäude in anderer Weise aus, und ich muß jetzt meinen Bau wieder abbrechen. Oder zwei Leute sind überein gekommen, ein Handelsgeschäft zu errichten, in das der Eine gewisse Grundstücke einbringen soll, der Andere eine bestimmte Geldsumme. Aber ihre Vereinbarung verpflichtet sie erst, wenn sie Notariell verbrieft ist; bis dahin kann ein Jeder beliebig zurücktreten. Der Ankauf der Grundstücke läßt sich jedoch bis dahin nicht aufschieben. Der, der die Einbringung versprochen hat, kauft sie deshalb an, ohne die Verbriefung abzuwarten. Diese lehnt dann aber der Andere ab, indem er erklärt, er trete zurück. Was ist in Fällen dieser Art Rechtens? Der Richter, der nach dem bestehenden Rechte zu entscheiden hat, wird sagen: Der, der zurücktritt, hat keine Verbindlichkeit verletzt, also trifft der Schaden den, der seiner Verheißung vertraute. Es fragt sich aber: wie hat hier der Gesetzgeber das neue Recht zu bestimmen? Was ist hier das Gerechte? Es hat also der Eine gehandelt in Gemäßheit der Zusicherung des Andern, und er konnte verständiger Weise nicht anders handeln; der Andere hat zwar die Zusicherung gegeben, damit sich Jener an sie halte und ihr gemäß verfahre; er war aber nicht verpflichtet, sie zu erfüllen und hat also dadurch, daß er ihr zuwider handelte, keine Pflicht verletzt. Es waren ferner beide im guten Glauben: denn nur deshalb ist die Frage zweifelhaft; war Einer im Dolus, so konnte kein Zweifel
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entstehen. Sie waren also beide im Irrthum, der, der die Zusicherung gab, in dem Irrthum, daß er sie halten werde, der Andere in – demselben Irrthum! (77) Es wird sich nun der Gesetzgeber zunächst sagen, daß er die Bestimmung, wer den Schaden zu tragen habe, nicht von der Verschuldung des einen oder des anderen Theils abhängig machen könne. Um anzunehmen, der, der die Zusicherung gab, habe es verschuldet, daß er sich in ihr irrte, müßte der Richter, weil er an einer Verpflichtung desselben keinen Maßstab hat, sich in den Gang seiner Ueberlegungen versetzen können, in seine Gedanken, seine Pläne, sich seine körperlichen und geistigen Kräfte vergegenwärtigen können und die Verhältnisse, unter denen er sich befand und die seine Entschließung beeinflussen konnten. Das Alles ist unmöglich. Eben so wenig ist es dem Richter möglich, bezüglich des Anderen, der der Zusicherung Glauben schenkte, eine sichere Grundlage für die Annahme einer Verschuldung zu gewinnen. Er hätte dafür keine andere Grundlage, als dieser selbst hatte: die Persönlichkeit, die Vertrauenswürdigkeit dessen, der die Zusicherung gab. Der Gesetzgeber hat also vorauszusetzen, daß beide schuldlos geirrt haben. Nun ist es freilich Regel, daß Jeder die Folgen seines Irrthums selbst zu tragen hat. Dies kann sich aber anders verhalten, wenn der Eine den Irrthum des Anderen verursacht hat, wenn nämlich beide in demselben Irrthum waren, das Nichtirren des Einen aber bedingt war durch das Nichtirren des Anderen, und dieser sagte: ich irre mich nicht. Weil in solchem Falle der, welcher der Zusicherung glaubte, dafür, ob er sich hierin irre, keinen andern Anhalt hatte, als die Persönlichkeit des Anderen und dessen Jawort, namentlich auch dafür nicht, ob der Andere Alles gehörig überlegt habe, und nicht etwa trotz der Einsicht in die Möglichkeit sich zu irren ja gesagt habe, dem Anderen dagegen das Material zu Gebote stand für die Prüfung eines möglichen Irrthums und er in der Lage war, trotz der Einsicht von der Möglichkeit eines Irrthums ja zu sagen, ohne daß der Andere von solchem Risiko wußte; so fordert in solchem Falle die Gerechtigkeit, daß der, der die Zusicherung gab, nicht bloß diejenigen Folgen seines Irrthums trage, die ihn selbst treffen, sondern auch die, die den Anderen treffen – in Anwendung des Prinzips, daß der die Gefahr des Irrthums (78) tragen soll, wer ihn vermeiden konnte, nicht der, der ihn nicht vermeiden konnte. Dies ist aber das Prinzip, daß auch dem Satze, daß Jeder die Folgen seines Irrthums selbst trägt, zu Grunde liegt, so daß, was hier scheinbar als Ausnahme sich darstellt, in Wahrheit gar keine Ausnahme ist. Daß nun das Alles auch auf die Verlobung Anwendung finden muß, wo Gegenstand der Zusicherung des Nichtirrthums die Liebe ist, wird einleuchten: in diesem Punkte ist der Zusicherer allein kompetent, und ihm darf der, der die Zusicherung empfängt, Alles glauben: Der Einwand, du wußtest ja, daß ich ein ziemlich leichtsinniger Mensch bin, ist hier am wenigsten zutreffend. Uebrigens gilt der Grundsatz, daß den die Gefahr des Irrthums, überhaupt eines Versehens trifft, der allein oder am besten in der Lage war, Irrthum und Versehen zu vermeiden, auch sonst im Rechte: wenn der Verkäufer über die Beschaffenheit der Sache eben so schuldlos irrte wie der Käufer, so haftet gleichwohl der Verkäufer; und der Inhaber einer gefährlichen Anlage haftet, obgleich er in Un-
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kenntniß der Fehler der Anlage eben so schuldlos war wie der Arbeiter; und der Gastwirth, bei dem die Sache des Gastes gestohlen wird, haftet, obgleich ihn eben so wenig eine Schuld am Diebstahl trifft wie den Gast. ________________________ Zu § 1206 Abs. 1: Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1204 oder des § 1205 vorliegen, unbeschadet der dort bestimmten Ersatzansprüche, eine billige Entschädigung in Geld verlangen, auch wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleidet. Es wären 1. Die Schlußworte: auch, wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleidet zu streichen und 2. Die dann bleibende Bestimmung wäre zu ersetzen durch die Bestimmung: (79) hat der Verlobte der Verlobten beigewohnt und hat sie ein Kind geboren, das aus dieser Beiwohnung herrühren kann, so ist ihr für die Nachtheile, die ihr daraus, daß sie geboren hat, erwachsen sind und in Zukunft erwachsen können, eine billige Entschädigung ein für alle Mal dem Verlobten gegenüber zuzusprechen. Anlangend I. die für nöthig erachtete Streichung, so soll nach dem Entwurfe die Verlobte eine billige Entschädigung nicht nur dann beanspruchen können, wenn die Beiwohnung eine Folge hatte, sondern auch in dem Falle, wenn sie keine hatte; und in diesem Falle selbst dann, wenn ein Vermögensschaden nicht eingetreten ist. Es soll ihr dann für den moralischen Schaden eine Vergütung werden. Der Entwurf hat durch diese Bestimmung einer ethischen Forderung entsprechen, hat eine moralische Pflicht zur Rechtspflicht erheben wollen. Das Protokoll bemerkt zur Begründung gegen die Ansicht einer Minderheit, welche die Bestimmung verwarf, S. 6241: in dem hier vorausgesetzten Falle habedie Braut dem Bräutigam den Beischlaf nur gestattet, weil sie in der Erwartung des Vollzuges des Verlöbnisses, in der Aussicht auf die zukünftige Eheschließung, habe erwarten dürfen, ihr Fehltritt werde ihr und ihrem Kinde einen Schaden nicht bringen. Hätte man der Verführten im Falle der Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe einen Anspruch gegeben, so müsse man das konsequenter Weise auch hier thun. Denn die Verführung werde eben hier durch das Verlöbniß ersetzt. Die dann folgende Ausführung wird unten mitgetheilt werden. Was würde man nun aber sagen, wenn eine Verlobte zur Begründung ihrer Klage auf Zuerkennung einer billigen Entschädigung sich präzise an diese Motivirung des Entwurfes hielte, indem sie geltend machte: Ich habe gedacht, ich könnte einen Schaden nicht haben und auch das Kind nicht; ich für meine Person habe auch einen Schaden nicht gehabt; aber eine kleine billige Entschädigung gebührt mir doch dafür, daß ich (80) wohlbedacht zu Rathe gegangen bin und bezüglich meiner mich auch nicht geirrt habe.
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Man wird sagen: etwas, was ein Sittliches, wenn auch eines von hoher Berechtigung, nur sein kann als Ergebniß einer innigen selbstlosen Liebe und deshalb auch nur in solcher Liebe seine Entschuldigung, ja seine sittliche Rechtfertigung da finden kann, wo das Gesetz es mißbilligt, zum Gegenstande einer Berechnung über Vortheil und Nachtheil zu machen, ist, wie bei dem Manne, so bei der Frau unkeusch und unsittlich, und ein Mädchen, das sich nicht entblödet, dafür, daß es in solcher Weise kalkulirte, eine Entschädigung zu beanspruchen, ist schamlos. Gegen dies Urtheil giebt es keinen Einwand. Es würde demnach der Gesetzgeber, wenn er eine Entschädigung gleichwohl gewährte, etwas Unsittliches für klagebegründend, also für rechtmäßig erklären; und er würde, weil er dies thäte, obgleich ein Schaden nicht entstanden ist, für das unsittliche Verhalten eine Belohnung geben und zwar als ein Privileg für die Verlobte, weil andere Mädchen für etwas Derartiges, auch bei ganz sorgfältigem und ganz zutreffendem Abwägen von Vortheil und Nachtheil, Nichts einklagen können. Und endlich, weil das Gesetz etwas, was es für rechtmäßig erklärt, damit als etwas Sittliches, als etwas hinstellt, das man ohne Verletzung des Sittengesetzes thun könne, würde das Gesetz die Wirkung haben, durch seine Existenz allein schon, ohne daß noch ein Weiteres hinzuzukommen brauchte, das Sittlichkeitsniveau der Frauen herabzudrücken, dadurch, daß etwas, was objektiv unsittlich ist, auch für Männer, dem Gesetze zu Folge für Frauen als sittlich zu gelten hätte. Nun darf man zwar der Motive ungeachtet annehmen, daß in der Bestimmung des Entwurfes auch der Fall begriffen ist, wenn die Verlobte nichts bedacht und berechnet hat und ihr erst hinterher, als Alles geschehen war, das Denken kam und die Reue. Aber einen Halt kann auch darin die Bestimmung des Entwurfes nicht finden. Denn, wenn die Sache sich in dieser Weise verhalten hat, so liegt dem Mädchen, nämlich dem ordentlichen Mädchen, das der Gesetzgeber hier doch im Auge hat, Nichts so fern, wie das Verlangen einer Entschädigung, nicht, weil sie sich vor den Leuten schämt, eine solche zu verlangen, sondern weil es in ihrem Empfinden eine Erniedrigung vor ihr selber wäre, auch nur an die Möglichkeit einer solchen zu denken, eine Erniedrigung zu einer (81) Klasse, die sie verabscheuet. So anständig aber, daß sie nicht fähig sind, anders zu empfinden, sind die allermeisten verlobten Mädchen, und deshalb kann auch von einem Bedürfnisse nach einer Bestimmung, welche der Braut für den rein moralischen Schaden eine Entschädigung gewährte, keine Rede sein. Nicht einmal das würde die Bestimmung erreichen, worauf der Gesetzgeber sonst zu zählen pflegt, daß sein Gesetz denen willkommen wäre, denen es zu Gute kommen soll. Die Frauen, die anständigen nämlich, auf die es allein ankommen kann, würden die Bestimmung als sie entwürdigend von sich weisen. Wie ist es nun zu erklären, daß der Entwurf dieser menschlich so naheliegenden Betrachtung sich verschlossen hat? Es ist nur daraus zu erklären, daß der Entwurf in dem Falle, wo eine Beiwohnung stattgefunden hat, thunlichst noch das alte Recht aufrecht erhalten will – in solchem Falle die Unverbindlichkeit der Verlobung nicht gelten soll und auch nicht die den Schadenersatz beschränkende Bestimmung des § 1204. Während ursprünglich nach kanonischem Rechte ein unverbindliches Verlöbniß durch Beiwohnung zur Ehe wurde, konnte, als das Tridentinische Konzil die kirchliche Form der Eingehung der Ehe vorgeschrieben hatte, die Verlobte, wenn dem unverbindlichen Verlöbnisse eine Beiwohnung nachgefolgt war, nur noch auf
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Eingehung der Ehe oder Entschädigung klagen. Aehnlich war es nach dem protestantischen Kirchenrechte. Noch zu Luther’s Zeit wurde ein unverbindliches Verlöbniß durch Beiwohnung zur Ehe. Im 17. Jahrhundert erforderte aber auch die protestantische Kirche die kirchliche Form der Eingehung; und seitdem machte die Beiwohnung das unverbindliche Verlöbniß blos zu einem verbindlichen, das eine Klage auf Eingehung der Ehe oder Entschädigung gab. Die Entschädigung wegen Nichterfüllung eines verbindlichen Verlöbnisses wurde im alten Rechte sehr verschieden bestimmt. Neben dem Schadenersatze war Zusprechung einer Genugtuung üblich, eine Art Mittelding zwischen eigentlichem Schadenersatz und Strafe, über dessen rechtliche Natur gestritten wird; und eine solche Genugthuung wurde im Falle einer Beiwohnung für diese besonders bestimmt – pro defloratione, für Schwächung. Da nun dem Entwurf zufolge das Verlöbniß nicht bindend sein soll und man die Bestimmung, daß dasselbe durch Beiwohnung bindend werde, nicht wohl treffen konnte, und ebensowenig die, daß (82) im Falle der Beiwohnung ein wirklicher Schadenersatz gewährt werden solle, weil dies ganz offenbar der Bestimmung des § 1204 zuwider gewesen wäre, so suchte der Entwurf vom alten Rechte mindestens so viel zu retten, daß er im Falle der Beiwohnung jenes Mittelding, jene Genugthuung zusprach, die aber, soweit sie nicht pekuniären Schaden befaßt, sondern moralischen Schaden, auch Schadenersatz ist. Aber auch für moralischen Schaden einen Ersatz zu geben, ist der Bestimmung des § 1204 zuwider. Es wird so der oben weggelassene Theil der Motive verständlich sein. An der abgebrochenen Stelle fahren sie fort: „Die Sittlichkeit verlange Sühne der Schuld durch Eheschließung; diese Sühne zu geben, sei die Braut bereit gewesen. Von einem indirekten Zwange zur Eheschließung könne keine Rede sein; denn für den Bräutigam, der mit seiner Braut den Beischlaf vollzogen habe, bestehe eine so starke moralische Verpflichtung, die Ehe einzugehen, daß Niemand an dem Zwange Anstoß nehmen dürfe. Abgesehen davon werde der Bräutigam auch zur Eheschließung nicht angehalten, sondern nur zur Zahlung einer Geldentschädigung. Daß in § 1228 – unser § 1204 – nur ein beschränkter Anspruch eingeräumt sei, könne nicht in’s Gewicht fallen; denn hier sei das Verhältniß ein qualifizirtes, ein durch die Antizipation einer nur in der Ehe erlaubten Handlung erschwertes. Daß auch bei der bloßen Schwächung der Anspruch zugestanden werde, müsse als prinzipiell richtig anerkannt werden, da der Grund des Anspruches der Beischlaf und Treubruch trotz desselben sei u. s. w.“ II. Streicht man die Worte: auch wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleidet, so hat die Bestimmung des Abs. 1 folgenden Sinn: hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so begründet die Verlobung die Verpflichtung zur Heirath. Wenn der Verlobte diese Verbindlichkeit nicht erfüllt, so kann der Verlobten für den Schaden, den sie durch die Nichterfüllung erleidet, eine billige Entschädigung zugesprochen werden, (83) die über die in § 1204 Abs. I bestimmte Grenze hinausgehen darf. In diesem Sinne darf die Bestimmung nicht bestehen bleiben, weil sie den heute nicht mehr geltenden Grundsatz der Verbindlichkeit des Verlöbnisses wieder zur Geltung bringt.
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Die hier vorgeschlagene Bestimmung dagegen, wonach, wenn die Beiwohnung eine Geburt zur Folge gehabt hat, der Verlobten Schadenersatz in vollem Umfange werden soll, widerspricht der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses nicht. Es widerspricht ihr nicht, wenn der Gesetzgeber eine Handlungsweise des Verlobten für Unrecht erklärt – ihn für die Nachtheile, die er durch sein Verhalten dem Andern zugefügt, verantwortlich macht; ja gerade die Einführung der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses kann den Gesetzgeber veranlassen, Handlungen für Unrecht zu erklären, die er früher hingehen lassen konnte, weil die Klagbarkeit des Verlöbnisses Schutz gegen sie gewährte. Und ebenso wenig verbietet ihm jener Grundsatz, dem Verlobten wegen seines Verhaltens die Verantwortlichkeit auch für solche Nachtheile aufzuerlegen, von denen gewiß ist, daß sie durch Heirath verhütet wären. Auch damit erklärt er nicht, daß der Verlobte verpflichtet war, zu Heirathen; denn für die Folgen seines Unrechts ist man auch dann verantwortlich, wenn man zu der Handlung, die sie hätte abwenden können, nicht verpflichtet war; man ist verantwortlich wegen des Unrechtes, daß man diese Folgen herbeigeführt hat. Wenn eine Verlobte geboren hat und man annimmt, daß der Verlobte der Vater sei, so pflegt man es gleichwohl ziemlich natürlich zu finden, daß sie ihre Lebtage allein daran zu tragen hat; als wenn er sich gegen sie nicht vergangen hätte – eine Auffassung, die übrigens nicht blos darin ihren Grund hat, daß die Männer ihr eigenes Geschlecht günstig beurtheilen, sondern auch in der wenig liebevollen Beurtheilung, die in solchem Fall die verlassene Braut von ihren Mitschwestern erfährt, die nicht bedenken, daß, wenn es ihnen besser ergangen ist oder demnächst ergehe, sie dies vielleicht weniger sich selbst als ihrem besseren Verlobten zu danken haben. Ohne den Verlobten konnte sie nicht fehlen, und ihre Schuld ist jedenfalls die geringere; denn sie kann stets nur darin bestehen, die Möglichkeit des Geschehens dargeboten zu haben; und ihre Schuld wird sich regelmäßig, weil die Verlobte in den meisten (84) Fällen ein anständiges Mädchen ist, darauf beschränken, nicht in kluger Voraussicht Vertraulichkeiten verhütet zu haben, die zu gestatten ihr das Verlöbniß ein Recht gab, die aber, wenn sie eine gewisse Grenze überschritten, sie widerstandslos machen konnten; so daß, was ihre Schuld hier ausmacht, möglicher Weise blos der Mangel sein kann, daß sie die Lebenserfahrung nicht hatte, Solches zu wissen. Seine Schuld dagegen ist in allen Fällen die größere, weil er verursacht hat, was nicht geschehen sollte; und während sie kein Unrecht gegen ihn beging, beging er ein solches gegen sie. War sie, was die Regel ist, ein sittsames Mädchen, so bestand sein Unrecht gegen sie darin, daß er das Zutrauen, daß sie ihm schenkte, weil sie dem vertraute, den sie liebte, mißbrauchte, indem er mittelst desselben sie erdulden machte, was sie nicht wollte, und was ihr Unglück werden konnte. Aber auch dann, wenn sie eine solche Verlobte war, wie die Motive es voraussetzen, die gestattet, weil sie glaubt, daß ihr und ihrem Kinde kein Schaden geschehen könne, war er im Unrecht gegen sie. Denn ist der Mann gegen jedes Mädchen, dessen sinnliche Erregtheit er benutzt, im Unrecht, so ist er es in erhöhtem Maße gegen seine Braut, weil das Verlobtsein ihm die Pflicht auferlegt, ihre Keuschheit ganz besonders auch gegen sich selbst zu schützen, zumal ihre sinnliche Erregtheit
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durch ihn, durch das Zusammensein mit ihm und durch die Freiheit, die er als Verlobter sich nimmt, veranlaßt ist. Das Unrecht, dies nicht zu beachten, ist ein sittliches Unrecht, und deshalb ist es falsch, hier den Satz, daß dem Einwilligenden kein Unrecht geschieht, gegen die Verlobte zur Anwendung zu bringen. Es ist hiernach, wenn die Beiwohnung eine Geburt zur Folge gehabt hat, für all das Mißgeschick, das damit dem Mädchen erwächst, der Verlobte wegen des Unrechts, das er durch die Beiwohnung gegen sie beging, verantwortlich; und die Pflicht, diese Verantwortlichkeit zu tragen, hat das Gesetz zur Rechtspflicht zu erheben, weil ihre Nichterfüllung für die ganze Zukunft des Mädchens von den allerübelsten Folgen sein kann, und weil es unter den Männern nicht Sitte ist, diese Pflicht anzuerkennen, umgekehrt Sitte, sich um das Mädchen gar nicht zu bekümmern, und, wenn sie etwas verlangt, sie bei der Staatsanwaltschaft wegen Erpressung anzuzeigen. Vielleicht wendet man ein, daß dann das Gesetz einem jeden Mädchen, das geboren habe, einen Ersatzanspruch geben müsse, (85) dies aber nicht angänglich sei. Aber, wenn die Konsequenz entscheiden soll, so würde nur folgen, daß man einer Jeden, gegen die das Unrecht des Mannes nicht minder groß ist, den Anspruch zu geben hätte; und nicht minder groß ist es jedenfalls gegen die verführte Nichtverlobte, der denn auch, worüber weiter unten das Nähere, ein gleicher Anspruch zu geben ist! aber nicht der Konsequenz wegen, sondern weil hier gleichfalls die Gerechtigkeit es verlangt. Zu einer Abweichung von ihr soll die Konsequenz den Gesetzgeber niemals bestimmen. Weil eine Verpflichtung zur Heirath nicht besteht, so ist die Größe der Entschädigung nicht nach den Verhältnissen zu bemessen, in denen die Verlobte im Falle der Heirath sich muthmaßlich befunden hätte. Aus diesem Grunde darf weder auf Ausstattung erkannt werden, noch auf Alimentation. Der Maßstab der Entschädigung kann vielmehr nur gegeben sein durch Vergleichung der Lage, in welcher das Mädchen ohne Aussicht auf Erfüllung des Verlöbnisses sich jetzt befunden hätte, wenn das Unglück nicht geschehen wäre, mit der Lage, in welcher sie sich jetzt wirklich befindet: dabei ist aber nicht ausschließlich darauf zu sehen, wie es ihr in jenem Falle gegenwärtig erginge, und wie es ihr dagegen jetzt in Wirklichkeit ergeht, sondern auch darauf, wie sie in jenem Falle für die Zukunft, für den Kampf um’s Leben jetzt ausgerüstet gewesen wäre, und wie sie jetzt in Wirklichkeit dafür ausgerüstet ist, da sie jetzt eine ganz neue Zukunft antritt, in welcher ihr jener Kampf wesentlich erschwert sein wird. Die darnach zuzusprechende Summe kann der Richter nur in Betrachtnahme der ganzen Sachlage nach Wahrscheinlichkeit ermessen, wobei sein Taktgefühl die letzte Entscheidung giebt. Ist sie aber rechtskräftig zugesprochen, so darf, weil es sich hier nicht um Alimente handelt, und deshalb das jeweilige Bedürfniß nicht entscheidend ist, eine spätere Erhöhung eben so wenig zulässig sein wie eine spätere Herabsetzung. Für das Eine wie für das Andere könnte man einen möglichen Gesichtspunkt nur in einer Unterhaltspflicht des Verlobten gewinnen; eine solche besteht aber nicht; und für das Eine wie für das Andere würde es gleichfalls blos Vermuthungen geben, auf die hin ein rechtskräftiges Urtheil nicht umgestoßen werden darf.
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Anlangend den Beweis, daß das Kind aus der Beiwohnung mit dem Verlobten herrührt, so muß hier im Ganzen dasjenige (86) gelten, was nach meiner Schrift: Rechte der unehelichen Kinder u. s. w. für die Feststellung der unehelichen Vaterschaft zu gelten hat. Es ist dort S. 40 ff. ausgeführt, daß schon auf Grund des Beweises der Beiwohnung die Vaterschaft des Beklagten als gewiß anzunehmen sei, wenn nicht der Beklagte beweise, daß er nicht der Vater ist. In gleicher Weise muß auch hier in Umkehrung der Beweislast auf die Beiwohnung hin angenommen werden, daß der Verlobte der Vater ist, es wäre denn, daß er jenes beweise. Es wird damit ein Prinzip zur Anwendung gebracht, welches das Recht auch sonst befolgt, daß, wenn es möglich ist. Jemanden die Verursachung einer Beschädigung weiter als bis zur Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, derjenige, gegen welchen blos eine Wahrscheinlichkeit der Verursachung vorliegt, als Thäter gilt, wenn er nicht beweist, daß er es nicht ist. So hat dem Unfallgesetze zufolge der Inhaber des gefährlichen Betriebes als der Verursacher des Unfalls zu gelten, wenn er nicht einen sogenannten unüberwindlichen Zufall beweist. Ja schon der gewöhnliche Leihvertrag enthält eine Anwendung des Prinzips darin, daß der Leiher, wenn er nicht beweist, daß er ohne seine Schuld verhindert ist, die Sache zurückzugeben, für den Schaden aufzukommen hat. Dies Prinzip muß namentlich dann zur Anwendung kommen, wenn gegen Jemanden eine widerrechtliche Handlung, durch welche die Beschädigung verursacht werden konnte, bewiesen ist, aber nicht, daß sie durch dieselbe verursacht ist. In solchem Falle muß die Ungewißheit stets zum Nachtheile dessen ausschlagen, der die widerrechtliche Handlung begangen, nicht zum Nachtheil dessen, der sie erlitten hat, weil sonst das Unrecht gelten würde und nicht das Recht, und weil es größere Nachtheile für die Rechtsordnung hat, wenn der, gegen den die widerrechtliche Handlung begangen worden, für den erlittenen Schaden keinen Ersatz erhalten kann, als wenn dem, der erwiesenermaßen widerrechtlich gehandelt hat, ein Schaden zugerechnet wird, den er vielleicht nicht verursacht hat. Darf einem solchen doch, bloß damit das Recht zur Geltung gelange, auch eine Strafe auferlegt werden – warum nicht der Ersatz eines Schadens, von dem wahrscheinlich ist, daß er ihn verursacht hat? Dem Gesagten zufolge verlangen Recht und Gerechtigkeit in allen Fällen, wo die Beiwohnung kein minder großes Unrecht gegen das Mädchen bildet als im Falle der Mißbrauchung der Verlobten, daß die Beweislast umgekehrt und schon auf die Möglichkeit hin, (87) daß das Kind aus der Beiwohnung herrühren kann, dem Mädchen Schadenersatz zugesprochen werde. Hiernach hätte 1. Die Bestimmung des § 770 eine Aenderung zu erfahren. Der Absatz 1 bestimmt, daß im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit auch für einen anderen Schaden als Vermögensschaden Entschädigung verlangt werden kann. Der Abs. 2 bestimmt dann: Ein gleicher Anspruch steht einer Frauensperson zu, gegen die durch Vollziehung des Beischlafs eine denn in den §§ 176, 177, 178 u. 182 des Strafgesetzbuches bezeichnete Handlung begangen worden ist. Die angeführten Paragraphen betreffen: Vornahme unzüchtiger Handlungen mittelst Gewalt oder Drohung – Vornahme derselben an einer Willenslosen oder Geisteskranken – an Kindern unter 14 Jahren – Mißbrauch zum Beischlaf mittelst Vorspiegelung um Trauung u. s. w. und Verführung eines noch nicht 16jährigen Mädchens.
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Da in diesen Fällen das sittliche Unrecht nicht minder schwer ist, als im Falle der Verführung der Verlobten, so wäre entsprechend dem, was zu Gunsten dieser zu gelten hätte, dem Absatze eine Bestimmung des Inhalts hinzuzufügen: Hat die Mißbrauchte ein Kind geboren, das aus der wider den Angeklagten festgestellten Beiwohnung herrühren kann, so ist ihr für die Nachtheile, die ihr daraus, daß sie geboren hat, erwachsen sind und in Zukunft erwachsen können, eine billige Entschädigung ein für alle Mal dem Angeklagten gegenüber zuzusprechen. Obgleich dieser Anspruch ein Civilanspruch ist, so darf doch, wenn eine Verurtheilung wegen dieser Delikte stattgefunden hat, dem Angeklagten nicht nachgelassen werden, gegen die Klage der Mißbrauchten den Nachweis zu führen, daß das Strafgericht sich geirrt habe in der Annahme, er sei der Thäter, wenn auch sonst das Urtheil des Strafrichters den Civilrichter nicht bindet; denn der Rechtsgrund der Klage ist in all diesen Fällen, daß der Angeklagte in strafbarer Weise beigewohnt hat, und darüber, ob dies der Fall gewesen sei, kann nicht das Landgericht, sondern nur das Strafgericht rechtswirksam entscheiden. Die Mißbrauchte muß also (88) im Civilprozesse damit ausreichen können, daß sie sich auf das Strafurtheil beruft. 2. Nach S. 6237 des Protokolls ist beschlossen worden, in dem vorstehend wiedergegebenen Abs. 2 des § 770 hinter die Worte: begangen, die Worte folgen zu lassen: oder durch Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe zur Gestaltung des Beischlafes verleitet worden ist. Nach der im Protokolle enthaltenen Begründung erachtete man es für bedenklich, die bloße Verführung ohne das Mittel der hinterlistigen Kunstgriffe für ausreichend zur Begründung eines Ersatzanspruches zu erklären. Es wird namentlich hervorgehoben, daß jedes Mädchen verführt zu sein behaupte, und daß Verführen ein für die Beweisführung zu schwankender Begriff sei. Was den letzten Punkt betrifft, so ist aber unter Anderm auch der civilrechtliche Betrug ein äußerst schwankender Begriff, und doch ist man nicht auf den Gedanken gekommen, ihn wegen der Schwierigkeit des Beweises zu streichen. Ueberdies, zur Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe gehört ein besonderer Grad von Verworfenheit. Der Fall ereignet sich deshalb sehr selten, zumal die Sache viel einfacher und ganz anständig gemacht werden kann: und deshalb wäre die Bestimmung wenig geeignet, den zahlreichen Verleitungen, gegen die sie doch gerichtet sein soll, Einhalt zu thun. Es ist aber auch der Begriff der Verführung im konkreten Falle durchaus nicht schwer festzustellen, z. B., wenn der Liebhaber das vom Tanzen und Champagner erregte junge Mädchen erfrischungshalber zu einem Gange durch den in herrlichem Mondschein strahlenden Garten eingeladen und sie dort in eine Laube geleitet hat, so bedarf es keines Weiteren zum Begriffe der Verführung, wenn auch das Mädchen in etwas eingewilligt hat, was ihr die Eltern nie gestattet hätten; und der Klavierlehrer, den die Mama stets gerühmt hat als einen liebenswürdigen und höchst soliden jungen Mann, wenn er zunächst nur einige schüchterne körperliche Berührungen sich erlaubt, dann aber zu einer Liebeserklärung übergeht, die überrascht und entzückt, und dann eine Stunde benutzt, da den Beiden das Haus allein
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überlassen war, erfüllt den Thatbestand der Verführung optima forma, obgleich, wenn das Mädchen die erste körperliche Berührung oder die Liebeserklärung zurückgewiesen hätte, die Sache ganz anders verlaufen wäre. (89) Hiernach wären in der Bestimmung des Entwurfes die Worte durch Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe zu streichen. Es wäre ferner statt des Wortes „verleiten“ im Anschluß an § 182 des Strafgesetzbuches über Verführung eines Mädchens unter 16 Jahren, das Wort „Verführen“ zu gebrauchen, weil es nicht wünschenswerth ist, daß Gesetze sich für dieselbe Sache verschiedener Ausdrücke bedienen, und endlich wäre die Bestimmung zu beschränken auf unbescholtene Mädchen; nicht weil ein bescholtenes Mädchen wegen ihrer Bescholtenheit eines Ersatzanspruches unwerth wäre; aber es würden sich unter den zahlreichen Mädchen, die sich hingeben, genug finden, die das Gesicht zu täuschen suchten und dafür Helfer hätten, und dieser Mißstand wäre für das öffentliche Wohl schwerwiegender als der, daß das bescholtene Mädchen keinen Ersatz erhält. Hiernach wäre die Bestimmung des Entwurfes vollständig zu streichen und zu sagen – in dem Zusammenhang der Worte: ein gleicher Anspruch steht zu: sowie dem unbescholtenen Mädchen gegen den, der es zum Beischlafe verführt hat. ________________________ Zu § 1207. Unterbleibt die Eheschließung, so kann jeder Verlobte von dem anderen dasjenige, was er ihm geschenkt oder zum Zeichen des Verlöbnisses gegeben hat, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern. Im Zweifel ist anzunehmen, daß die Rückforderung ausgeschlossen sein soll, wenn das Verlöbniß durch den Tod eines der Verlobten aufgelöst wird. Dieser Paragraph wäre zu streichen. Die Frage, ob im Falle der Aufkündigung des Verlöbnisses die Schenkungen widerrufen werden können, wäre nach dem in diesen Erörterungen zu § 1204 Gesagtem anscheinend sehr einfach. Besteht keine Verbindlichkeit, das Verlöbniß zu halten, so ist die Thatsache, die im Falle der Aufkündigung allein zum Widerrufe berechtigen konnte, die, daß jetzt feststeht, daß ein Irrthum über Eigenschaften der Person obgewaltet hat, entweder über die des Geschenkgebers oder über die des Beschenkten; und ein solcher Irrthum kann nach (90) allgemeinen Grundsätzen zum Widerruf eines Geschenkes nicht berechtigen. Ich weiß indessen, daß nicht Jeder diesen Beweis für ausreichend halten wird; deshalb bemerke ich Folgendes – mir den Verlobungsring bis zuletzt versparend. Wenn der Paragraph gestrichen wird, so werden gewisse Geschenke doch widerrufen werden können, diejenigen nämlich, von denen sich die Widerruflichkeit ohne die Bestimmung des Paragraphen von selbst versteht, und die deshalb der Paragraph, indem er Selbstverständliches nicht bestimmen wollte, nicht mit im Auge hatte. Es sind dies die Geschenke, die nach Absicht des Schenkers dem zukünftigen ehelichen Leben, z.B. zur Verwendung im Hauswesen, dienen sollen, sei es, daß er es ausdrücklich gesagt hat, oder daß seine Absicht aus der Bestimmung des geschenkten Gegenstandes hervorgeht.
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Schließt man demgemäß Geschenke dieser Art von der Bestimmung des § 1207 aus, so darf man nach den Motiven seinen Sinn folgendermaßen wiedergeben: Unterbleibt die Eheschließung, so kann jeder Verlobte von dem Anderen dasjenige, was er ihm geschenkt oder zum Zeichen des Verlöbnisses gegeben hat, zurückfordern, sofern er einen gerechtfertigten Grund zum Rücktritt hatte und sofern er nicht den Rücktritt des Andern verschuldet hat. Die Motive lassen hierüber keinen Zweifel. Sie sagen, für den Widerruf solle die Bestimmung des § 743 Ziffer 2 gelten, wonach derjenige, der in einer Voraussetzung, die sich nicht erfüllt hat, etwas weggab, kein Widerrufsrecht haben soll, wenn er die Erfüllung in einer dem Inhalte des Rechtsgeschäftes zuwiderlaufenden Weise verhinderte. Bd. IV S. 7. Die Motive nehmen darnach an, daß die Verlobung ein Rechtsgeschäft sei und einen Inhalt habe, dem es zuwider sein kann, die Heirath zu verweigern. Wörtlich bemerken sie: Aus dem § 743 Nr. 3 ergiebt sich der – – den meisten neueren Gesetzgebungen – – entsprechende Satz von selbst, daß das Rückforderungsrecht des Gebers ausgeschlossen ist, wenn derselbe von dem Verlöbnisse zurücktritt, ohne daß ein wichtiger nach den Umständen des Falles den Rücktritt rechtfertigende (91) Grund vorgelegen hat oder wenn derselbe durch ein von ihm verschuldetes Verhalten den anderen Theil zum Rücktritt veranlaßte. Schon hiernach wäre die Streichung geboten, aus demselben Grunde, aus welchem nach dem früher Vermerkten der Unverbindlichkeit des Verlöbnisses die beiden Bestimmungen zuwider sind, welche wegen Verschuldens an der Auflösung des Verlöbnisses den Ersatz von vergeblichen Verwendungen absprechen oder auferlegen. Ist das Verlöbniß unverbindlich, so giebt es eben so wenig einen verschuldeten Widerruf des Geschenkes, wie verschuldete und nicht verschuldete Verwendungen. Von dem Standpunkte des Entwurfes ferner darf man freilich sagen: ist das Verlöbniß verpflichtend, so löst der Widerruf das ganze Rechtsverhältnis rückwärts auf, mit allen seinen Folgen, die deshalb ungeschehen gemacht werden müssen, durch Schadenersatz und Rückgabe der Geschenke; und es hat alsdann auch Grund, diese Aushebung nicht demjenigen zu Gute kommen zu lassen, der die Auflösung verschuldet hat. Aber die Verlobung ist kein Rechtsgeschäft, erzeugt kein Rechtsverhältnis und keinerlei Verbindlichkeit, nicht einmal die moralische Verbindlichkeit zur Erfüllung, bisweilen sogar umgekehrt die zur Nichterfüllung. Was kann nun da einen Rechtsgrund für den Widerruf der Schenkung bilden? Die Motive sagen S. 6: Da die hier fraglichen Schenkungen in Veranlassung des Brautstandes als Zeichen der Liebe und Zuneigung gemacht werden, so entspricht es im Zweifel dem Willen des Gebers, daß, wenn die nahen persönlichen Beziehungen, welche die Schenkung veranlaßt haben, durch Aufhebung des Verlöbnisses wieder gelöst werden, auch die Geschenke das Verlöbniß nicht überdauern, sondern die Geschenke zurückgegeben werden sollen. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch für den Fall nicht als zutreffend erachtet werden, wenn das Verlöbniß durch den Tod eines der Verlobten aufgehoben wird. In einem solchen Falle werden die, die Grundlage der Schenkung bildenden nahen persönlichen Beziehungen nicht gelöst, und ent-
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spricht es im Zweifel (92) umgekehrt dem Willen des Gebers, daß der Beschenkte bezw. dessen Erben die Geschenke als Andenken behalten sollen. Die Motive irren hier zwiefach. Der Verlobte, der schenkt, reflektirt gar nicht darüber, was mit dem Geschenke geschehen soll, wenn die Verlobung aufgekündigt werde. Er schenkt in der Zuversicht, daß die Verlobung nicht aufgekündigt wird, hat also auch nicht den bewußten Willen, daß im Falle der Aufkündigung das Geschenk zurückgegeben werden solle. Man kann höchstens sagen: wie er, wenn er gewußt hätte, die Verlobung werde aufgekündigt, sich nicht verlobt haben würde, so würde er in jenem Falle auch nicht geschenkt haben. Das ist aber eine völlig andere Thatsache, als die von den Motiven vorausgesetzte, daß der Verlobte die Rückgabe gewollt habe, und zwar eine juristisch völlig unerhebliche Thatsache. Sodann ist es unrichtig, daß, wenn der Verlobte jenen Willen wirklich hatte, und wie die Motive weiter voraussetzen, ihn nicht ausgesprochen hatte, die Schenkung widerruflich werde. Eine Schenkung kann wegen Nichteintrittes einer Voraussetzung, auf deren Eintritt der Schenker rechnete, nur dann widerrufen werden, wenn der Schenker sie durch eine Erklärung seines Willens von dieser Voraussetzung abhängig gemacht hat. Ein Gleiches gilt bei allen anderen Verträgen, daß nämlich die Voraussetzung, von welcher die Wirksamkeit einer Erklärung abhängig sein soll, erklärt sein muß; und es ist dies ein allgemein anerkannter und ganz nothwendiger Rechtssatz. Wohin sollte es führen, wenn es anders wäre? Auch der Entwurf hat I § 742 jenes Erforderniß für alle Verträge aufgestellt. Der Entwurf hat hier, nach dem Vorgänge der deutschen Partikularrechte, dem römischen Recht folgen wollen. Während zur Zelt der klassischen Juristen die Schenkungen der Verlobten Bestand behielten, wenn das Verlöbniß aufgehoben wurde, bestimmte der Kaiser Konstantin in den Konstitutionen 15 und 16 de donationibus 5, 3, es solle bei der Aufkündigung derjenige die Schenkung zurückgeben, den die Schuld der Aufkündigung treffe, und wenn das Verlöbniß durch Tod aufgelöst sei, sollten die dem Bräutigam gemachten Geschenke in allen Fällen an die Braut oder deren Erben zurückgegeben werden, die der Braut gemachten Ge(93) schenke dagegen sollten ausnahmslos nur zur Hälfte an den Bräutigam und dessen Erben zurückfallen, und nur dann ihrem ganzen Betrage nach, wenn die Brautleute sich noch nicht geküßt hatten: hätten sie sich jedoch bereits geküßt, so falle die Hälfte der Schenkung der Braut oder ihren Erben verbleiben. Wie man überhaupt bestrebt gewesen ist, die nicht selten etwas sonderbaren und irrationellen Bestimmungen der Konstitutionen der Kaiser, da sie nun einmal zur Geltung gekommen waren und ihr Ansehen beanspruchten, durch doktrinelle Begründung als unvernünftig nachzuweisen, so suchte man die angeführten Schenkungsbestimmungen sachlich damit zu begründen, daß der Schenker für den Fall der Auflösung des Verlöbnisses die Schenkung habe widerrufen wollen; und in diesem Sinne haben diejenigen Bestimmungen, welche die Schenkungen im Fall der Aufkündigung des Verlöbnisses für widerrufen erklären, in den deutschen Gesetzen Eingang gefunden. Sie fanden aber in ihnen einen Halt, den sie in den kaiserlichen Bestimmungen nicht hatten und den sie auch im Entwurf nicht haben: an der Verbindlichkeit des Verlöbnisses; denn, wenn das Verlöbniß verbindlich war, so durfte man, wie bei anderen Rechtsgeschäften, der Auflösung die Wirkung geben, alles Geschehene rückwärts aufzuheben.
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Zudem sind jene Bestimmungen beeinflußt von dem Geiste, der das römische Schenkungsrecht trägt, für den aber die modernen Nationen wenig Verständniß gezeigt haben; weshalb denn auch die Bestimmungen über Rückgabe beim Tode eines Verlobten von dem deutschen Partikularrechte abgelehnt sind; und gewiß ist es richtig, daß auch der Entwurf sie nicht aufgenommen hat. Wenn aber der Entwurf dies damit begründet, daß die nahen persönlichen Beziehungen, welche die Schenkung veranlaßt, freilich durch die Aufkündigung der Verlobung gelöst wurden, nicht aber durch den Tod, so widerspricht dies der Wirklichkeit; denn der Tod löst diese Beziehungen wenigstens für uns auf Erden auf. Und auch das ist nicht richtig, daß es dem Willen des überlebenden Verlobten entspreche, daß die Erben das Geschenk als Andenken behalten sollen. Legt er auf dasselbe als Andenken Werth, so wird er, um zu verhüten, daß es von den Erben lediglich nach seinem Gebrauchswerthe behandelt und vielleicht versteigert werde, es am liebsten zurücknehmen. In dem Allem ist nun noch ein Punkt unerwähnt geblieben, (94) der allen jenen Erwägungen gegenüber den Ausschlag geben muß: der Sinn, welchen das Leben der Sache giebt. Ist, wie man als Regel annehmen darf, nicht Eigennutz die Triebfeder der Verlobung gewesen. Vielmehr Zuneigung, eine wahre Zuneigung, zu welcher das einander Kennenlernen, das sich Durchschauen und so das gegenseitige sich Anziehen der Persönlichkeiten geführt haben, so will der Verlobte, wenn er schenkt, in der Zuversicht eines innigen Verständnisses des individuellen Seins des Anderen, durch das Geschenk dem Andern einen Wunsch erfüllen, welchen nur kennen kann, wer in sein Inneres zu blicken verstanden hat, einen Wunsch z.B., welcher dem Anderen selbst vielleicht noch verborgen war und ihm erst jetzt offenbar wird, oder welchen er im Stillen hegte und glaubte sich versagen zu müssen, und er will so ihm und sich selbst eine Freude bereiten, indem er ihn überrascht durch die Erkenntniß, wie wohl er verstanden werde. Dieser aber nimmt das Geschenk als einen Beweis dieser innigen Zugehörigkeit und der Gewißheit des Anderen von ihr und bewahrt es auf als ein Zeugniß hierfür und giebt es nicht weg; und kein späteres Ereigniß kann den Werth ihm nehmen, den es als dies Zeugniß für ihn hat; und wenn sich dann zeigt, daß Alles nur Täuschung war, so kann ihm das Geschenk noch werther werden. Wer das Geschenk zurückgiebt, versagt ihm diese Bedeutung und entweiht es; und dessen macht sich in noch höherem Grade der schuldig, der das Geschenk zurückfordert, weil er selbst ihm diese Bedeutung gegeben hat. Anders hat sich die Sache sicherlich auch nicht in der römischen Welt verhalten und kann sich nirgend verhalten, wo civilisirte Menschen schenken. Dem Gesetzgeber aber liegt es ob, Handlungen, die ihren Grund und ihren Zweck lediglich in der Empfindung haben, ihre Berechtigung nicht abzusprechen, indem er ihnen den Empfindungswerth abspricht dadurch, daß er sie in die Vermögenssphäre unter die Regeln von Mein und Dein verweist. Hat der römische Gesetzgeber sich zu einem solchen Standpunkt nicht zu erheben vermocht, so sollte es wenigstens der deutsche thun. Mit dem Verlobungsring hat es folgende Bewandtniß. Der Ring wird nicht in der Absicht einer Freigebigkeit gegeben, vielmehr in der Absicht, einen gleichen Ring dagegen zu erhalten, und er vermehrt das Vermögen des Empfängers nicht, weil dieser einen beinahe ganz gleichwerthigen Ring dagegen erhält. Deshalb ist der Ring kein Geschenk. Er ist blos ein symboli-
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sches (95) Zeichen dafür, daß die Verlobung geschlossen ist; und dem entsprechend kann das Verlangen, daß der Ring bei der Entlobung zurückzugeben sei, allerdings mit dem Verlangen begründet werden, es sei, wie die Verlobung, so auch ihre Aufhebung symbolisch darzustellen, durch den Rücktausch der Ringe. Das ist gewiß sehr schön, aber doch keine hinlängliche Veranlassung, den Rücktausch zum Gegenstande einer gesetzlichen Bestimmung zu machen. Damit ist die Sache wohl erledigt. Historisch mag Folgendes bemerkt werden. Bei den Römern war, wie bei den Juden und bei den Germanen, die Verlobung ursprünglich ein Kaufvertrag, durch welchen der Mann die Frau kaufte, und welcher durch die Heirath seine Erfüllung erhielt. Die Sitte im älteren Rom, bei Verträgen ein Handgeld zu geben, arrha, Mahlschatz, und zwar vorzugsweise einen Ring, erstreckte sich auch auf die Verlobung. Den Ring gab aber ursprünglich nur der Bräutigam; er wurde am 4. Finger der linken Hand getragen; später soll auch die Braut einen gegeben haben. Da die Verlobung in Rom schon sehr früh nicht klagbar war, so gewann die arrha bei derselben die Bedeutung, daß sie nach Absicht der beiden Verlobten die Klagbarkeit ersetzen sollte. Bei der Heirath wurde sie zurückgegeben; und nach kaiserlichen Konstitutionen sollte der, der das Verlöbniß brach, wenn er sie gegeben hatte, sie verlieren, wenn er sie empfangen hatte, sie doppelt ersetzen. Diese römischrechtlichen Bestimmungen verloren ihre Geltung, als in Abänderung des römischen Rechtes das kanonische Recht das Verlöbniß klagbar machte. Windscheid bemerkte IV § 325 Note 4 über die römischen Bestimmungen, daß sie „heutzutage unverwendbar sind, weil nach kanonischem Rechte beim Verlöbniß kein Rücktritt mehr gestattet ist.“ Abweichend hiervon haben die deutschen Partikularrechte beides aufgenommen, die Verbindlichkeit der Verlobung und die Bestimmungen über die arrha. Auch im altdeutschen Rechte war die Verlobung ein Brautkauf und, entsprechend dem Grundsatze über Entstehung von Verbindlichkeiten, war die Verlobung erst gültig, wenn der Kaufpreis gezahlt war. Später trat an die Stelle des Kaufpreises eine arrha, und als später die Braut beim Abschluß bei Verlobung als Kontrahentin mit auftrat, gab der Bräutigam, statt an Vater oder Vormund, an sie eine kleine Geldsumme oder einen Ring. Zu Anfang des (96) 13. Jahrhunderts gab oft auch die Braut einen Ring, wodurch der Ringwechsel entstand. (Vergl. Stobbe IV S. 12 ff.) Die so verbreitete Sitte des Brautkaufes bewährt sich leicht. So lange noch keine hinlänglich schützenden Gesetze bestanden, konnte die Frau den ihr ganz unentbehrlichen Schutz gegen die Begehrlichkeit der Männer nur finden an einem Manne – dem Ehemanne – dem Vater – oder einem Verwandten. Sollte er aber schützen können, so mußte er auch sagen können, wie der Schützling sich zu verhalten habe. So entstand die Hörigkeit – und entstand der Ring. ________________________ Zu § 1211: Ein eheliches Kind bedarf bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Jahre zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung des Vaters, ein uneheliches Kind bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Zustimmung der Mutter.
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Hier wäre statt des „Vaters“ zu sagen: der Eltern; doch genügt im Falle der Nichtübereinstimmung die Einwilligung des Vaters. Darüber, daß, wenn die Eltern über die Ertheilung der Einwilligung verschiedener Meinung sind, die des Vaters als des Hauptes der Familie vorzugehen hat, kann nicht wohl ein Zweifel bestehen. Aber das Recht der Einwilligung zur Ehe ist, wie die Motive IV S. 25 hervorheben, wenn auch nicht Ausfluß der elterlichen Gewalt, so doch „Ausfluß der den Eltern geschuldeten Ehrerbietung und der persönlichen Interessen der Eltern.“ Es steht daher der Mutter das Einwilligungsrecht zweifellos neben dem Vater zu. Es enthielte also eine Rechtskränkung für sie, wenn die Kinder nicht nöthig hätten, neben dem Vater auch sie zu fragen; und es konnte dies für das Ansehen der Mutter im Vergleiche zu dem des Vaters und für die Ehrerbietung, die die Kinder auch ihr schuldig sind, nur von Nachtheil sein. Solches wird verhütet, wenn, wie das Recht der Mutter es verlangt, die Kinder beim Standesbeamten auch den Nachweis zu führen haben, daß die Mutter befragt ist – ihre Nichtbefragung also ein Ehehinderniß ist. In dieser Weise das Recht der Mutter zu bestimmen, kann legislativ schwerlich etwas gegen sich haben und liegt in der That sehr nahe. Daß der Entwurf und die Gesetze, denen er nach IV S. 26 gefolgt ist, eine solche Bestimmung nicht getroffen haben, (97) darf man daraus erklären, daß das Mundium hier leitend für sie war, insofern mit Recht, als man sagen kann: In der Mundiumsehe hat die Frau neben dem Manne keinen Willen; das Erforderniß ihrer Einwilligung wäre eine reine Formalität. Aber auf der andern Seite hat z.B. der code civil, der auch fest am Mundium hält, bestimmt art. 148 le consentement de leurs pères et mères, mit dem Beifügen en cas de dissentiment le consentement de père suffit; und gegen deutsche Anschauungen ist Solches auch nicht. Nach Dernburg, Preußisches Privatrecht III § 14 S. 38, hat das protestantische Kirchenrecht vielfach die Zustimmung der Mutter zur Bedingung der Eheschließung gemacht. ________________________ Zu § 1211 Abs. I letzter Satz: Ein durch Ehelichkeitserklärung legitimirtes Kind bedarf der Einwilligung der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist. Hier wäre in den Worten: auch dann nicht das „nicht“ zu streichen. Den Anspruch auf Ehrerbietung behält die uneheliche Mutter auch dann, wenn das Kind durch Legitimation in die social höherstehende Familie des Vaters übergeht; und das Gesetz sollte darauf hinwirken, daß auch ein solches Kind nicht vergesse, was es seiner Mutter schuldet. Damit widerlegt sich die Motivirung IV S. 26. Da jedoch ein solches Kind in Folge der Ehelichkeitserklärung regelmäßig der mütterlichen Familie entfremdet wird und häufig in socialer Hinsicht eine von seinen bisherigen Verhältnissen völlig verschiedene Lebensstellung einnimmt, so bestimmt der Abs. 1 Satz 2, daß das durch Ehelichkeitserklärung legitimirte Kind der Einwilligung der Mutter nicht bedarf, auch dann nicht, wenn der Vater des Kindes gestorben ist. ________________________
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Zu § 1213: Die elterliche Einwilligung kann nicht durch einen Vertreter ertheilt werden. Sind die Eltern in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich. (98) In dem letzten Satze wäre der Nachsatz: so ist, zu ersetzen durch den Nachsatz: so ist deren Zustimmung nicht erforderlich. In der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind nach § 80 und 88 des Entwurfes Personen, die wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt sind, die wegen Taubheit, Blindheit oder Stummheit des vormundschaftlichen Schutzes bedürftig erklärt, und diejenigen, die während des Entmündigungsverfahrens unter vorläufige Vormundschaft gestellt sind. Dafür, daß diesen Personen das Einwilligungsrecht zu belassen sei, führen die Motive an IV S. 27: Die Bestimmungen des Abs. 2 entsprechen der persönlichen Natur der elterlichen Einwilligung zur Eheschließung. Juristisch ist das ganz richtig. Der, dem die Fähigkeit abgesprochen ist, sein Vermögen zu verwalten, ist damit nicht für unfähig erklärt, seine persönlichen Rechte auszuüben. Der Gesetzgeber aber hat sich auf einen anderen Standpunkt zu stellen. Das Einwilligungsrecht sollen die Eltern, wenn sie auch ihr eigenes Interesse und das der Familie mit berücksichtigen dürfen, doch ganz vorwiegend ausüben in pflichtmäßigem Erwägen des Wohles des Kindes; und deshalb hat der Gesetzgeber jenes Recht solchen zu versagen, gegen welche mit der Sicherheit, die überhaupt in solchen Dingen erfordert werden kann, vorliegt, daß sie des erforderlichen Pflichtgefühls ermangeln, oder daß sie nicht im Stande sind, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Das Erste liegt gegen die vor, welche wegen Trunkenheit oder Verschwendung entmündigt sind; denn gegen sie steht fest, daß es ihnen an der Bedingung pflichtmäßigen Erwägens, an der Selbstbeherrschung, fehlt; das Zweite trifft gegen die zu, die wegen Taubheit u. unter Vormundschaft gestellt sind; denn wer durch diese Gebrechen gehindert ist, seiner eigenen Angelegenheiten Herr zu sein, den hindern sie auch, sich über fremde Angelegenheiten eine zuverlässige Kenntniß zu verschaffen – Angaben und Zusicherungen eines Andern zu prüfen. Fraglich könnte nur erscheinen, ob das Gesetz auch dem das Recht zu versagen habe, der während des Entmündigungsverfahrens unter vorläufige Vormundschaft gestellt ist; das Richtige wird aber (99) sein, es ihm zu versagen, weil seine Fähigkeit, es richtig ausüben zu können, zweifelhaft geworden ist. ________________________ Zu § 1253: Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Soweit sich das Verlangen eines Ehegatten nach der Herstellung der Gemeinschaft als Mißbrauch seines Rechtes darstellt, ist der andere Ehegatte nicht verpflichtet, dem Verlangen Folge zu leisten.
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Es wäre hier als dritter Absatz hinzuzufügen: Zur Herstellung der Lebensgemeinschaft liegt dem Manne der gesammte Vermögensaufwand ob, welchen seine und der Frau Bedürfnisse erfordern. Der Frau liegt die Fürsorge für das Hauswesen ob, nicht blos durch Anordnung, sondern auch, soweit erforderlich, durch persönliche Besorgung der Angelegenheiten desselben. Dieser Zusatz erscheint erforderlich, damit die Verpflichtungen der Ehegattin zur Ermöglichung der Lebensgemeinschaft nach dem früher Dargelegten im Gesetze ausgesprochen werden. Außerdem hat der Entwurf erst in den Bestimmungen über das gesetzliche Güterrecht § 1288 gesagt, daß der Mann den ehelichen Aufwand zu tragen hat, wofür richtiger hier der Platz ist; und die im § 1260 dem Ehemann auferlegte Pflicht des Unterhaltes der Frau umfaßt nicht seine ganze Pflicht gegen sie. Daß der Entwurf mit dieser Bestimmung dem Ehemann wirklich nur den Unterhalt hat auferlegen wollen, zeigt die Begründung IV. S. 123, wo es heißt: Daß der Ehemann gegenüber der Ehefrau verpflichtet ist, dieser den seiner Lebensstellung – – – entsprechenden Unterhalt in der – – – entsprechenden Weise zu gewähren, folgt aus dem Grundsatze, daß der Ehemann die ehelichen Lasten zu tragen hat. Allein diesen letzten Grundsatz hat der Entwurf nicht allgemein, sondern blos für das gesetzliche Güterrecht ausgesprochen. (100) ________________________ Zu § 1254: Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Im ersten Absatze wären zu streichen die Worte: Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; und zu ersetzen durch folgende Bestimmung: Dem Manne steht ein Recht der ehelichen Vogtei nicht zu. In allen Angelegenheiten, welche die Bedürfnisse des Mannes, die Bedürfnisse der Frau oder diejenigen der Kinder betreffen, steht dem Manne die Entscheidung in so weit zu, als bei der Angelegenheit ein Vermögensaufwand in Frage kommt, welcher dem Manne zur Last fällt. Soweit nicht hierdurch eine Beschränkung gegeben ist, steht der Frau die Entscheidung in allen das Hauswesen betreffenden Angelegenheiten zu. Sie hat die Entscheidung auch darüber, ob eine Angelegenheit ihre persönliche Besorgung erfordert. Der Mann bestimmt Wohnort und Wohnung. Bezüglich der Erziehung der Kinder gelten die Bestimmungen des § 1529. Die Entscheidung jedes Ehegatten kann wegen Mißbrauch seines Rechtes vom Vormundschaftsgerichte aufgehoben werden.
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Durch den Ausspruch des Entwurfes: Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu giebt der Entwurf dem Manne das Recht der ehelichen Vogtei. Daß der Entwurf diesen Ausdruck nicht gebraucht, darf nicht auf-(101)fallen. Es ist, wenn das Gesetz Jemandem ein Recht beilegt, immer erwünscht, solches nicht mittelst eines technischen Wortes zu thun, sondern mit Angabe des Inhaltes des Rechtes. Es hätte darnach das Gesetz sagen können: in allen u. s. w. Angelegenheiten hat die Frau dem Manne zu gehorchen – oder hat der Mann das Recht auf Gehorsam. Es wäre das deutlich und ausreichend gewesen. Aber der Begriff des Gehorsams im Verhältniß zwischen Erwachsenen ist den heutigen Anschauungen nicht sehr homogen und hat leicht was Anstößiges. Passender war ein Ausdruck, welcher den Gedanken des gegenseitigen Berathens nicht ausschließt. So war der Ausdruck, daß die Entscheidung des Mannes stets vorzugehen habe, gewiß passend gewählt. Sachlich bedeutet er aber dasselbe wie: Die Frau hat dem Manne zu gehorchen; und zwar, soweit das Gesetz keine Ausnahme macht, in allen Angelegenheiten; denn da die Frau sich mit dem Manne zur Lebensgemeinschaft verbunden hat, so giebt es, sofern nicht das Gesetz eine Ausnahme gemacht hat, keine Angelegenheit der Frau, die ihr nicht mit dem Manne gemeinsam wäre. Aus diesem Grunde könnte man fragen, warum das Gesetz nicht einfach sage: in allen Angelegenheiten, warum es sage: in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten. Der Grund wird sein, daß nach den Güterrechtssystemen die Frau Vorbehaltsgüter haben kann. Daß hiermit die Absicht des Entwurfes getreulich wiedergegeben ist, erhellt aus den Motiven. Zu § 1273 des ersten Entwurfes, der wörtlich jenen Ausspruch bereits enthielt, heißt es IV. S. 105: Der § 1273 bestimmt in Uebereinstimmung mit dem gemeinen Rechte und den neueren Gesetzgebungen (preuß. Landrecht II, 1 § 184; code civil art. 213, sächs. G.-B. § 1631; österreich. G.-B. § 91) die Stellung des Ehemannes in der ehelichen Gemeinschaft. Es entspricht der natürlichen Ordnung des Verhältnisses, daß die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten bei Meinungsverschiedenheiten dem Ehemann zusteht. (102) Die von den Motiven angeführten Gesetzesbestimmungen lauten Allg. Landrecht II § 184: Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und seine Entscheidung giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag. Code civil art 213: Le mari doit protection à sa femme, la femme obéissance à son mari. Sächs. G.-B. § 1631: Der Ehemann ist berechtigt, von seiner Ehefrau Gehorsam, ingleichen Dienstleistungen zur Förderung seines Hauswesens und seines Gewerbes zu verlangen. (§ 1668.) Österreich. G.-B. § 91: Der Ehemann ist das Haupt in der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten.
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Es ist demnach nicht richtig, wenn der Entwurf im § 1256 die Frau auch für berechtigt, nicht blos für verpflichtet erklärt, dem Hauswesen vorzustehen. Der Entwurf gesteht diese Unrichtigkeit selbst zu dadurch, daß er den Vorbehalt macht: „unbeschadet der Vorschriften des § 1254,“ also unbeschadet des Entscheidungsrechtes des Mannes. Die Frau hat also das Recht nur, sofern und in so weit als der Mann entscheidet, daß sie es haben soll. Sie hat mithin ihm gegenüber gar kein Recht, sondern nur dritten gegenüber, wie ein Geschäftsführer; wer den Haushalt im Rechtssinne führt, ist, wie das österreichische Gesetzbuch es ausspricht, der Mann. Er ist dem Entwürfe zufolge befugt, der Frau zu sagen: „Du rührst mir nicht an den Haushalt, ich stelle eine Haushälterin an.“ Es ist dagegen eine ganz richtige Anwendung jener Bestimmung, wenn der Entwurf bezüglich der Berechtigung der Frau, in Führung des Hauswesens den Mann durch Rechtsgeschäfte zu verpflichten, in § 1257 bestimmt: „der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen“; und ebenso ist es richtig, wenn der Entwurf die Voraussetzung, unter welcher eine solche Entscheidung gerichtlich aufgehoben werden kann, nicht dahin bestimmt, daß das Recht der Frau auf Führung des Hauswesens verletzt sei, sondern, daß er sein Recht mißbraucht habe; denn ein Recht hat dem Entwurfe zufolge die Frau ihm gegenüber nicht, so (103) wenig wie sie es heute hat; weshalb man denn auch heutigen Tages an die Möglichkeit der Verletzung eines Rechtes der Frau gar nicht denkt, wenn der Mann durch öffentliche Bekanntmachung seiner Frau den Kredit entzieht, geschweige, daß man in solchem Falle die Frau für befugt hielte, wegen Ehrenbeleidigung zu klagen: denn der Mann hat das freie Ermessen. Wenn die Bestimmungen des Entwurfes in der hier vorgeschlagenen Weise verbessert werden, so kann der Frau das Recht der Führung des Haushaltes und auch das Recht, in Führung desselben den Mann zu verpflichten, nur gerichtlich abgesprochen werden, wenn ihr nachgewiesen wird, daß sie den Haushalt schlecht führt. Und das ist etwas Nachweisbares. Aber Jemanden, der das Mundium hat, der also die Befugniß hat, zu sagen: ich habe keine Lust, meiner Frau Kredit zu gewähren, ich habe keine Lust, den Haushalt durch meine Frau führen zu lassen, das eine wie das andere ist mir höchst bedenklich, einem Manne, der eine solche Befugniß hat, der also bei seinen Entscheidungen die sogenannten gar nicht feststellbaren Imponderabilien entscheiden lassen darf, einem solchen Manne nachzuweisen, daß er in Ausübung solcher Macht sein Recht mißbraucht habe, ist einfach unmöglich. Die Rechte also, die der Entwurf hier der Frau gegeben hat, in der Absicht sicherlich, das Rauhe des Mundiums abzuschwächen, es humaner und besser aussehend zu machen, sind in Wahrheit ohne Inhalt – sie gehören aber zu denen, auf welche man scheinbar als auf eine fortschrittliche Weiterbildung des Rechtes hinweisen kann, weil erst ein näheres Eingehen auf den Inhalt der Bestimmungen den Irrthum aufzudecken vermag. Nicht blos, daß der Frau in Wahrheit kein Recht gegeben sei, hat man gegen diese Bestimmungen eingewendet. Man hat auch gesagt, es würden, wenn sie gelten, die Gerichte vielleicht täglich von Frauen aufgesucht werden, die sich über ihre Männer beschweren.
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Diesen Einwand erledigt der hier gemachte Vorschlag, indem darnach in den Angelegenheiten des Hauswesens und ihren persönlichen Angelegenheiten, also auf den Gebieten des Streites, die Frau sich ruhig verhalten kann, bis der Mann sie vor Gericht ladet. Und daß ihm, nicht ihr, die Erhebung der Klage obliegt, ist jedenfalls auch das Würdigere. (104) Wie sehr der Entwurf vom Geiste des Mundiums erfüllt ist, zeigen zwei Beispiele. Nach § 1266 (l § 1289) soll, wenn die Eheleute in der Verwaltungsgemeinschaft leben, nicht in diese Gemeinschaft fallen, vielmehr Vorbehaltsgut der Frau sein: „was die Frau durch ihre Arbeit erwirbt.“ Die Motive IV S. 175 begründen dies damit, daß es unbillig sei, wenn der Mann über die Verwendung des Erworbenen entscheiden solle, und führen dafür, daß dagegen auch nicht eingewandt werden könne, es werde damit dem Ehemann zu nahe getreten, als Grund an: Denn da die Ehefrau sich ohne die Einwilligung ihres Ehemanns zu persönlichen Diensten nicht verpflichten kann – – – – so hat der Ehemann es in der Regel in der Hand, den eigenen Erwerb der Ehefrau durch ihre Arbeit zu verhindern, bezw. seine Einwilligung davon abhängig zu machen, daß der Erwerb durch ihre Arbeit ganz oder zum Theil ihm oder dem Ehegute zufalle. Gewiß haben die Motive darin Recht, daß sie den Mann hierzu befugt erklären. Aber, bestände kein Mundium, so wäre das nach § 253 des Str. G. B. Erpressung. Denn Erpressung ist auch dann vorhanden, wenn mit einer rechtmäßigen Handlung gedroht wird; und die Absicht, sich „einen rechtswidrigen Vortheil“ zu verschaffen, ist schon dann vorhanden, wenn auf Erlangung des Vortheils kein Rechtsanspruch besteht. Es genügt, wenn die Drohung geeignet ist, auf die Freiheit der Willensentscheidung einzuwirken, z.B. Ankündigung einer Unterlassung, wenn der Andere eine Verpflichtung nicht übernimmt. So das Reichsgericht. Entsch. V S. 115 und I S. 206. Ferner sollen, wenn die Eheleute in der Verwaltungsgemeinschaft leben, die „ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmten Sachen“ dem Entwurfe zufolge nicht, wie es nach dem preuß. Landrecht, nach dem sächsischen und dem oldenburgischen Gesetzbuche der Fall ist, zum Vorbehaltsgut gehören, vielmehr soll von ihnen blos gelten, was der § 1282 bestimmt: „sie unterliegen nicht der Nutznießung des Mannes.“ Das Verwaltungsrecht des Mannes soll sich demnach auch auf jene Gegenstände erstrecken. Der Mann hätte somit das Recht, der Frau zu sagen: Das grüne Kleid darfst Du nur alle (105) 8 Tage anziehen und niemals im Thiergarten tragen, und nachher, wenn Du es ausgezogen hast, schließe ich es in meinen Schrank. Auch Dein Geschmeide verwahre ich. Die Bestimmung ist durchaus richtig, eine durchaus richtige Beantwortung der Frage: wie bestimmt das Mundium in diesem Falle das Verwaltungsrecht des Mannes? – Denn das ganze Verwaltungsrecht ist aus dem Mundium geflossen. Es wird hiernach klar sein, daß der Entwurf die eheliche Vormundschaft aufrecht erhalten hat. ________________________
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Zu § 1255: Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes. Hier wäre hinter: „die Frau“ zu sagen: nimmt Theil am Stande des Mannes und und hinter Mannes wäre hinzuzusetzen: Die Frau ist befugt, ihren Familiennamen beizufügen. Der Mann hat die gleiche Befugniß. Der Entwurf will die Frage, ob die Ehefrau den Stand des Mannes theile, der Landesgesetzgebung zuweisen, ebenso wie die Frage, ob das uneheliche Kind den Stand der Mutter theile. Die Motive bemerken, IV, S. 858: Die Frage, ob und wie weit das uneheliche Kind den Stand der Mutter theile, hat der Entwurf hier wie in anderen ähnlich liegenden Fällen (vergl. § 1274, 1497 nebst Motiven zu 1274 oben S. 106 ff.) unberührt gelassen. Diese Bemerkung bezieht sich darauf, daß der Entwurf auch die Frage, ob die Ehefrau den Stand des Mannes theile, der Landesgesetzgebung zugewiesen hat. Die Motive begründen dies IV. S. 106/107 damit, daß Bestimmungen über den Erwerb des Standes im publizistischen Sinne, des Adelsstandes nämlich, dem öffentlichen Rechte angehörten und deshalb nicht im bürgerlichen Gesetzbuche zu treffen seien; nur Bestimmungen über den sozialen Stand könnten darin getroffen werden. Dieser Grund ist jedoch völlig irrig. Abgesehen davon, daß es schon ein uralter Satz des römischen Privatrechtes ist, der in den Institutionen und den Pandekten gelehrt wird, daß die Frau den Stand des Mannes theilt, und daß im altdeutschen Rechte, z.B. im Sachsenspiegel, der Aus-(106)spruch, die Frau sei Genossin des Mannes, gerade bezeichnet, daß sie an seinem Stande (auch dem des Adels) Theil nehmen soll, und daß also die Bestimmung, welche die Frau am Stande des Mannes Theil nehmen läßt, wenn man sie nicht streichen will, in das Eherecht gehört, wo sie denn auch in den deutschen Gesetzen, dem preußischen Landrechte, dem sächsischen Gesetzbuche und sonst ihren Platz gefunden hat; abgesehen von alledem, steht der niedere Adel, von welchem hier allein die Rede sein kann, weil der hohe Adel sein eigenes Familienrecht hat, unter dem gemeinen Rechte. Der Entwurf hatte daher ohne alle Frage volle Zuständigkeit dafür, den niederen Adel von jener Bestimmung nicht auszunehmen; und ebenso wenig leidet es einen Zweifel, daß, wenn das Gesetz demnächst bestimmen würde, die Frau theile den Stand des Mannes und das uneheliche Kind den der Mutter, diese Bestimmungen auch in Fällen zu gelten hätten, wo Mann und Mutter von niederem Adel sind. Weil es alle Vermuthung gegen sich hat, daß der Entwurf sich hierüber getäuscht haben sollte, könnte man der Annahme zuneigen, der Entwurf habe es für das Wünschenswerthere erachtet, wenn die Frau und das Kind an dem adeligen Stande nicht Theil nehmen, und dies in der Weise verwirklichen wollen, daß er die Bestimmung über den Stand der Landesgesetzgebung überließ. Aber die Motive sprechen hier zu deutlich, und der Entwurf hat sicherlich auch in Betracht gezogen, daß, da die Adelsvorrechte aufgehoben sind, auch die Landesgesetze nicht bestimmen dürfen, das Kind solle zwar den sozialen Stand der Mutter – den Stand des Kleinhandwerkers, des Bauern, des Großkaufmanns – theilen, nicht aber deren Adelsstand. Der Entwurf hat sich also wirklich von jenem publizistischen Grund leiten lassen. Aber, darf man sagen, welch’ doktrinärer Grund! Wenn die Bestimmung vom Reichstage und vom Bundesrathe genehmigt und im Gesetze mit publizirt wäre, könnte da ein Richter sagen: Das Bürgerliche Gesetzbuch soll Pri-
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vatrecht zum Gegenstande haben, diese Bestimmung greift aber in’s öffentliche Recht ein, also gilt sie für nicht geschrieben? Er müßte vielmehr sagen: Mag damit in’s öffentliche Recht eingegriffen sein oder nicht, die Bestimmung begründet ein Privatrecht, das Privatrecht des Kindes, daß nach diesem Stande seine Rechte sich so gut bestimmen, wie die Bestimmung, wonach die Frau am Stande ihres Mannes Theil nehmen soll, ein Privatrecht für diese begründet; sie ist also eine (107) Privatrechtsbestimmung. Das Gesetzbuch, würde er also sagen, hat hier seine Aufgabe sehr richtig erfaßt. In Betreff der Bestimmung: die Frau erhält den Familiennamen des Mannes, bemerken die Motive: Es ist eine natürliche Folge der Innigkeit und der das ganze Leben umfassenden Bedeutung der ehelichen Gemeinschaft, daß beide Ehegatten denselben Familiennamen führen. Die Stellung des Ehemannes bringt es mit sich, daß die Ehefrau den Familiennamen des Ehemannes erhält, und zwar ist dieselbe, diesen Namen zu führen, nicht nur berechtigt, sondern, wie sich aus dem Prinzipe des § 1272 (– Verpflichtung zur Lebensgemeinschaft –) ergiebt, auch verpflichtet. Der letzte Satz ist gewiß sehr zutreffend. Aber die im ersten Satze hervorgehobene Innigkeit der ehelichen Gemeinschaft, die bezweckt wird, in dem Namen zum Ausdruck zu bringen, gelangt doch wohl vollkommener darin zum Ausdrucke, wenn der Name sich zusammensetzt aus den Namen der beiden Ehegatten, Freilich bleibt darum der letzte Satz richtig. Aber es ergiebt sich daraus, daß das Gesetz keinen Anlaß hat, diejenigen zu hindern, die wünschen in der theoretisch vollkommeneren Weise ihre Lebensgemeinschaft kund zu thun. In der Kommission war ein Antrag gestellt, solches für zulässig zu erklären – bei Gelegenheit der Berathung über Namenführung nach der Ehescheidung. Protokoll S. 5758. Die Mehrheit beschloß die Ablehnung des Antrages, mit dem Bemerken unter Anderem: Dazu, der Frau auch noch ausdrücklich die Beifügung ihres Namens zu gestatten, bestehe kein Bedürfniß. Auch dies war nach dem Mundialprinzipe ohne Frage richtig. Ein solches Verlangen der Frau mußte erscheinen, als wollte ein stiller Gesellschafter seinen Namen der Firma beigefügt haben. ________________________ Zu § 1256: Die Frau ist unbeschadet der Vorschriften des § 1254 berechtigt und verpflichtet, dem gemeinschaftlichen Hauswesen vorzustehen. (108) Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau, verpflichtet, soweit eine Thätigkeit nach den Verhältnissen der Ehegatten üblich ist. Der erste Absatz dieses Paragraphen wäre nach dem zu § 1254 Bemerkten zu streichen. ________________________
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Zu § 1257: Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und zu vertreten. Rechtsgeschäfte, die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des Mannes vorgenommen, wenn nicht aus den Umständen ein Anderes sich ergiebt. Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen. Stellt sich die Beschränkung oder Ausschließung als Mißbrauch des Rechtes des Mannes dar, so kann sie auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1334 wirksam. Der zweite Absatz dieses Paragraphen wäre ebenfalls nach dem zu § 1254 Bemerkten zu streichen. ________________________ Zu § 1258: Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, daß der Mann der Verpflichtung zustimmt, oder das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Frau die Zustimmung des Mannes ersetzt hat. Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung gehindert ist, oder die Verweigerung der Zustimmung sich als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Die Zustimmung sowie die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter erfolgen; ist der Mann in der (109) Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist. Dieser ganze Paragraph wäre mit dem zu § 1254 Bemerkten zu streichen. ________________________ Zu § 1261: Leben die Ehegatten getrennt, so ist, solange einer von ihnen die Herstellung des ehelichen Lebens verweigern darf und verweigert, der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Auch sind der Frau von dem Manne die zur Führung eines abgesonderten Haushalts erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen Haushalte zum Gebrauche herauszugeben, es sei denn, daß die Sachen für den Mann unentbehrlich sind, oder daß solche Sachen sich in dem der Verfügung der Frau unterliegendem Vermögen befinden. Im letzten wären die Worte: es sei denn u. s. w. bis zum Schlusse zu streichen. Nach den Motiven IV S. 634 schließt sich diese Bestimmung an die gemeinrechtliche Praxis an und an ähnliche Bestimmungen des sächsischen Gesetzbuches und der altenburgischen Eheordnung. Das sächsische Gesetzbuch § 1758 enthält aber den Nachsatz: es sei denn u. s. w. nicht. Einem Manne gegenüber, der im Stande ist, seine Frau zu alimentiren, wird die Unentbehrlichkeit solcher Gegenstände stets ein sehr vager, leicht kontrovers zu machender Begriff sein. Es werden die Gegenstände überdies regelmäßig zu der
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Ausstattung der Frau gehören, also solche sein, bezüglich deren ihr ein gewisses An- und Vorrecht vor dem Manne sich nicht wohl absprechen läßt. Und endlich zu bestimmen, daß die Frau die Gegenstände nicht vom Manne soll verlangen können, wenn sie solche Gegenstände selbst schon zu ihrer Verfügung hat, ist doch wohl zu viel Vorsicht für den Mann; denn das versteht sich ganz von selbst. (110) ________________________ Zu § 1262: Es wird vermuthet, daß die im Besitze eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen, beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Ordrepapiere, die mit Blankoindossament versehen sind. Die Vermuthung gilt nicht für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere nicht für Kleider und Schmucksachen. Dieser ganze Paragraph wäre zu streichen. Im Zusammenhange damit, daß Schenkungen unter Ehegatten ungültig waren, stellte das römische Recht die Vermuthung auf, daß Alles, was die Frau besitzt, sofern sie es nicht schon bei Beginn der Ehe hatte, ihrem Manne geschenkt, also Eigenthum des Mannes sei. Obgleich nach deutschem Rechte Schenkungen unter Ehegatten stets erlaubt waren, ist dieser Satz doch in dem Sinne, daß von allem, was die Ehefrau besitzt, zu vermuthen sei, daß es dem Manne gehöre, in die deutschen Partikularrechte übergegangen, und in diesem Sinne hat der Paragraph den Satz aufgenommen. Für Prozesse zwischen den Eheleuten ist die Vermuthung außerordentlich bequem, und das Mundialprinzip mußte ihr das Wort reden. So ist es wohl zu erklären, daß sie trotz jenes Wegfalles ihres Grundes in den Partikularrechten Eingang gefunden hat. Sie enthält aber ein Unrecht gegen die Frau insofern, als sie dieselbe der Rechtsregel beraubt, auf die sich sonst jeder Mensch berufen darf, daß eine Sache, die er besitzt, ihm von einem Andern nur abgenommen werden kann, wenn dieser ihm beweist, daß sie ihm gehört. Gerade an den beiden Fällen, die der Entwurf hervorhebt, daß die Frau Werthpapiere besitzt oder Ordrepapiere mit Blankoindossament, tritt die Ungerechtigkeit sehr deutlich hervor. Solche Papiere und überhaupt ihre Werthsachen und das Geld, das sie durch ihre Arbeit sich erworben, oder das sie geschenkt erhalten oder geerbt hat, kann sie stets in ganz sichern Verschluß gehabt haben, und darüber, daß sie allein es besaß, gar kein Zweifel bestehen, und doch soll, wenn der Mann stirbt, ihr das Alles genommen werden können, falls sie nicht nachzuweisen vermag, (111) wie sie es erworben hat; und wie schwierig kann ein solcher Beweis sein, gegenüber einer Vermuthung! Trotz ihrer praktischen Brauchbarkeit und trotz der Gunst, die sie dem Manne erweist, ist demnach die Rechtsvermuthung auszuheben. Daß man ohne sie auskommen kann, zeigt das sehr praktikable französische Recht, das aber durch das Mundialprinzip sich nicht hat abhalten lassen, in Beweisfragen des ehelichen Güterrechts die Ehefrau milder zu behandeln, als den Ehemann. ________________________
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Zum 5. Titel Eheliches Güterrecht. I. Gesetzliches Güterrecht. Als gesetzliches Güterrecht wäre der Güterstand der Gütertrennung zu bestimmen, und demnach wären gleich hier hinter „gesetzliches Güterrecht“ die Bestimmung über Gütertrennungen einzuschalten und zwar als § 1263 die Bestimmung: § 1263. Haben die Eheleute keinen andern Güterstand vereinbart, so tritt der Güterstand der Gütertrennung ein nach folgenden Bestimmungen. § 1264. Die Frau ist in der freien Verfügung ihrer Güter nicht beschränkt. Als den gesetzlichen Güterstand, nämlich als denjenigen, der eintreten soll, wenn die Eheleute keinen vereinbart haben, hat das Gesetz den Güterstand zu bestimmen, der dem Begriffe Ehe am meisten entspricht. Der Mundiumsehe ist die Verwaltungsgemeinschaft, die der Entwurf als den gesetzlichen Güterstand bestimmt, allerdings am meisten entsprechend. Die Vormundschaft giebt dem Manne an den Gütern der Frau kein Eigenthumsrecht, aber sie giebt ihm das Recht, als Vormund zu bestimmen, wie die Frau die Güter verwalten und verwenden soll, d.h. das Recht, sie selbst ganz nach seinem Ermessen zu verwalten und zu verwenden. Es liegt diesem Systeme, wie allen übrigen deutschen Güterrechtssystemen, als etwas ganz Selbstverständliches, der Gedanke zu Grunde, daß die Frau verpflichtet sei, ihr Vermögen zu den Ehelasten zu verwenden. Da nun aber die Mundiumsehe dem Wesen der Ehe nicht entspricht, so kann auch das Verwaltungssystem nicht den gesetzlichen Güterstand bilden. (112) Es fragt sich also, welcher Güterstand ist der dem Wesen der Ehe am meisten entsprechende? Wenn, wie nach dem früher Gesagten als feststehend angenommen werden darf, die Lebensgemeinschaft jedem Ehegatten die Pflicht auferlegt, sein Leben dem Andern dadurch gemeinschaftlich zu machen, daß er dessen Bestrebungen nach seinem wahren Wohle so viel wie möglich fördert, so legt die Lebensgemeinschaft einem Jeden auch die Pflicht auf, sein Vermögen zu diesem Zwecke, so viel er vermag, zu verwenden, also die Pflicht, es dem Andern dadurch gemeinschaftlich zu machen, daß er es zur Förderung jener Lebenszwecke des Andern verwendet. Dies wäre demnach diejenige Gütergemeinschaft, die im Begriffe der Ehe liegt. Ist dies aber der Fall, so darf das Gesetz sie nicht hindern und es darf als von selbst eintretend nur den Stand der Gütertrennung bestimmen. Für dies Ergebnis kann ich eine der besten Autoritäten anführen, die es giebt, und die der Verdacht, von der Frauenbewegung infizirt zu sein, längst nicht mehr hat erreichen können, und die über solchem Verdachte heute hoch erhaben stände: Puchta. Derselbe sagt in seinen Vorlesungen § 413: Der sittliche Begriff der Ehe ist: Gemeinschaft aller Lebensverhältnisse. Es ist daher eine sittliche Anforderung, daß die Ehegatten auch ihr Vermögen als gemein betrachten. Diese Gemeinschaft des Vermögens kann eine rechtliche Form annehmen. So hat das deutsche Recht eine rechtliche Gütergemeinschaft als rechtliche Folge der Ehe, und man könnte denken, dies sei die einzige vollkommene Form des ehelichen Güterrechts. Aber die Sache hat eine andere Seite, welche man gewöhnlich übersieht.
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Das Verhältniß unter den Ehegatten während der Ehe wird durch diese rechtliche Form garnicht gesteigert und veredelt. Dieses Resultat kann aber ebensogut auch ohne Gütergemeinschaft erreicht werden. Die Gütergemeinschaft äußert ihre Wirkungen bei Weitem mehr theils gegenüber Dritten, z.B. Gläubigern, theils für die Gatten nach Aufhebung der Ehe. Es wäre ein Irrthum, zu glauben, das System der Gütergemeinschaft garantire eine größere Innigkeit des ehelichen Bundes, als das entgegengesetzte. (113) Das römische Recht nimmt einen andern Standpunkt ein. Es ist von dem Bewußtsein durchdrungen, daß die Ehe eine Gemeinschaft des ganzen Lebens ist. Dessenungeachtet läßt es in dem Vermögen durch die bloße Ehe keine Veränderung eintreten, die Vermögen beider Gatten sind rechtlich auseinander gehalten; die Gemeinschaft wird als eine Sache der freien Gesinnung behandelt, es wird keine rechtliche Notwendigkeit an deren Stelle gesetzt. Dadurch wird jene Folge vermieden, daß die Gemeinschaft weniger für die Ehe selbst, als außerhalb derselben wirksam wird. Es ist nicht zu leugnen, daß dieses System der Vermögensgetrenntheit unter Umständen nachtheilige Folgen haben kann, unter Ehegatten nämlich, welche von der darin liegenden Freiheit einen schlechten, unsittlichen Gebrauch zu machen geneigt sind, die sich des Rechtes bedienen, um eine schlechte Gesinnung ins Werk zu setzen, z.B. dem andern Ehegatten das Seinige abzulocken, sich auf seine Kosten zu bereichern suchen. Solchen Auswüchsen muß das Recht zuvorkommen, die Freiheit beschränken, wo sie das Verhältniß gefährden würde. Dies ist im römischen Rechte in den hauptsächlichsten Beziehungen geschehen, z.B. durch das Verbot der Schenkungen. Manche Punkte werden so behandelt, wie wenn keine Vermögensgetrenntheit, sondern eine rechtliche Gütereinheit bestände. Es hätten hier also die die Gütertrennung betreffenden Bestimmungen § 1326 bis 1330 zu folgen, zu denen bemerkt wird: Zu § 1326: Die Frau hat aus den Einkünften ihres Vermögens sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäftes dem Manne einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes zu leisten. Für die Vergangenheit kann der Mann die Leistung nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im Rückstande geblieben ist. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar. (114) Dieser Paragraph wäre zu streichen. Es ergiebt sich dies aus dem für das Recht in der Ehe ganz unerläßlichen Grundsatz, daß nicht die Frau, sondern der Mann die Vermögenslasten der Ehe zu tragen hat, einem Grundsatze, den auch der Entwurf anerkennt, den er aber unter den allgemeinen das Recht in der Ehe normirenden Bestimmungen hätte aussprechen sollen. Die Hinfälligkeit jener Bestimmung ergiebt sich aber auch aus den Motiven selbst. Während der Entwurf IV S. 222 sagt, die Verpflichtung der Eheleute, bei allen ihren vermögensrechtlichen Handlungen das Interesse der Gemeinschaft im Auge zu haben, sei „wesentlich sittlicher Natur“, ihre Erfüllung auf Seite der Frau durch eine „Beschränkung ihrer Geschäftsfähigkeit zu sichern“, würde „ungerecht gegen die Ehefrau sein“, bemerken die Motive hier zunächst IV S. 322:
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bei Vereinbarung der Gütertrennung gehe der Zweck nicht dahin, die Ehefrau von der natürlichen Pflicht, die ehelichen Lasten mitzutragen, zu entbinden. Sodann heißt es S. 323: Die hier fragliche Beitragspflicht ist überdies nicht als eine solche mit den ehelichen Verhältnissen verbundene Folge anzusehen, welche durch das Wesen der Ehe absolut gefordert wird. Und während man erwarten sollte, daß nun ein Grund angeführt werde, dem zufolge hier ausnahmsweise die Ehefrau Vermögenslasten der Ehe zu tragen habe, wird der Grund der Bestimmung darin gesetzt, daß, wenn der Mann verarmt, die Frau nach § 1260 (I 1281) verpflichtet ist, ihn zu alimentiren, und daß sie für solchen Fall der Bestimmung dieses Paragraphen zufolge schon im Voraus einen Beitrag leiste, freilich nicht in der Weise, daß sie selbst ihn zu ihres Mannes Unterhalt verwende, sondern ihn an den Ehemann als das Haupt der Familie abliefert, und dieser alsdann seinerseits für eine zweckmäßige Verwendung zu sorgen hat. Stärker als die Schwäche dieser Begründung kann kaum etwas gegen die Richtigkeit der Bestimmung sprechen. Was werden soll, wenn der Ehemann nachher wirklich verarmt, sagen die Motive nicht. (115) Zu § 1329. Hat die Frau ihr Vermögen ganz oder theilweise der Verwaltung des Mannes überlassen, so kann, wenn sie nicht ein Anderes bestimmt hat, der Mann die während seiner Verwaltung bezogenen Einkünfte nach freiem Ermessen verwenden, soweit sie nicht zur Bestreitung der Kosten der ordnungsgemäßen Verwaltung und zur Erfüllung solcher Verpflichtungen der Frau erforderlich sind, die bei ordnungsgemäßer Verwaltung aus den Einkünften des Vermögens bestritten werden. Hier wäre der Nachsatz: so kann u. s. w. zu streichen und zu ersetzen durch die Bestimmung: so gelten für dessen Verwaltung die Bestimmungen Über die Verwaltungsgemeinschaft. Nach den Motiven IV S. 324 hat der Entwurf sich hier der Bestimmung des code civil art. 1359 angeschlossen, wonach die Frau 1/3 ihrer Revenuen herzugeben hat, und lehnt wie diese Bestimmung sich an römischrechtliche Vorschriften an, welche das sogenannte Paraphernalgut der Frau betreffen – das Gut, welches dem Mann als Heirathsgut nicht übertragen ist. Aber wie der code, so hat auch der Entwurf die den Mann beschränkenden Vorschriften des römischen Rechtes nicht aufgenommen, Das Mundium litt es nicht. Wird aber das Mundium aufgehoben, so ist auch kein Hinderniß mehr vorhanden, die allgemeine Vorschrift, daß der Mann ordnungsmäßig verwalten soll, für eine ausreichende Sicherung der Frau nicht zu halten. Wenn, wogegen Nichts einzuwenden ist, darin, daß die Frau die Verwaltung ihrem Mann ausdrücklich oder stillschweigend überträgt, die stillschweigende Ermächtigung desselben erblickt werden soll, die Einkünfte für sich zu behalten, so ist damit stillschweigend eine Verwaltungsgemeinschaft konstituirt, und ist es deshalb auch nur recht und billig, daß der Frau dann die sichernden Bestimmungen derselben – mit den nachstehend vorgeschlagenen Aenderungen – zu Gute kommen. ________________________
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Es hätten, wenn diesen Vorschlägen entsprochen würde, jetzt zu folgen die allgemeinen Vorschriften über „Vertragsmäßiges Güterrecht“, §§ 1331 bis 1335, und dann vor „2, Allgemeine Gütergemeinschaft“ unter 2 mit der Überschrift: „Verwaltungsgemein-(116)schaft“ die Bestimmungen über: „gesetzliches Güterrecht“ §§ 1263 bis 1324. Zu diesen Bestimmungen bemerke ich Folgendes: Zu § 1270. Auf das Vorbehaltsgut finden die bei der Gütertrennung für das Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung: die Frau hat jedoch einen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes nur in so weit zu leisten, als der Mann nicht schon durch die Nutzungen des eingebrachten Gutes einen angemessenen Beitrag erhält. Es wäre statt der Worte: die Frau hat einen Beitrag u. s. w. zu sagen: Die Frau hat jedoch keinen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes davon zu leisten. Nach allgemeinen Grundsätzen und nach jedem gesetzlichen Eherechte und auch nach den Bestimmungen des römischen Rechtes liegt die Verpflichtung, die sogenannten Ehelasten, d. h. den Vermögensaufwand für die Bestreitung der ehelichen Bedürfnisse zu tragen, dem Manne ob und nicht der Frau, und diesen Grundsatz erkennt, wie zu § 1253 nachgewiesen, der Entwurf an. Ist es schon deshalb, wie zu § 1326 dargethan, nicht gerechtfertigt, daß, wenn die Eheleute in getrennten Gütern leben, die Frau mit einem durch richterliches Ermessen zu bestimmenden Beitrage jene Ehelasten mittragen soll, so läßt es sich noch weniger rechtfertigen, wenn eine Frau, die schon mit ihrem eingebrachten Gute jene Ehelasten mitträgt, auch noch mit ihrem Vorbehaltsgute dazu beitragen soll – so daß es ihr gesetzlich unmöglich gemacht ist, irgend etwas zu erwerben, ohne davon einen Zoll an den Ehemann abzugeben, während es doch im geschichtlichen Begriffe des Vorbehaltsgutes liegt, daß es von der Beisteuer zu den Ehelasten frei ist. Es ist hiernach der 1. Entwurf völlig im Rechte, wenn er die für die Gütertrennung getroffene Bestimmung des § 1326, damals 1339, auf das gesetzliche Güterrecht nicht angewandt wissen will. Die Motive des I. Entwurfes Band IV S. 179 heben hervor, daß der hier in Rede stehende Fall von dem der Gütertrennung wesentlich verschieden sei. Aus welchen Gründen der 2. Entwurf die Bestimmung des § 1326 für anwendbar erklärt hat, ergiebt das Protokoll nicht. (117) Die Subkommission hatte es S. 5122 im § d beantragt, und das Protokoll S. 5197 bemerkt nur, daß die vorgeschlagene Bestimmung sachlich nicht beanstandet sei. ________________________ Zu § 1279. 1. Zu Abs. 1. Erwirbt der Mann mit Mitteln des eingebrachten Gutes bewegliche Sachen, so geht mit dem Erwerbe das Eigenthum auf die Frau über, es sei denn, daß der Mann nicht für Rechnung des eingebrachten Gutes erwerben wollte. Dies gilt insbesondere von Inhaberpapieren und Ordrepapieren, die mit Blankoindossament versehen sind.
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An dieser Bestimmung würde, wenn sie ihrem übrigen Inhalte nach bestehen zu bleiben hätte, der Zwischensatz: es sei denn, daß der Mann u. s. w. durch eine andere Bestimmung zu ersetzen sein. Der Zwischensatz macht es von einem innern, stets, namentlich nach längerer Zeit, schwer zu beweisenden Willensakte des Mannes abhängig, ob der Erwerb für die Frau oder für den Mann gilt. und setzt die Frau der Gefahr aus, daß der Mann später, je nach dem günstigen oder ungünstigen pekuniären Erfolge, den das Geschäft gehabt hat, sagt: ich wollte für mich oder ich wollte nicht für mich erwerben. Ueberdies hat die Frau nach § 1273 das Recht, über den Stand der Verwaltung Auskunft zu begehren. Sie ist nicht immer gegenwärtig bei den Rechtsgeschäften des Mannes und er könnte ihr die Auskunft auch verweigern. Um ihr Recht zu sichern, wäre der Zwischensatz zu ersetzen durch den Zwischensatz es sei denn, daß der Mann unverzüglich nach dem Erwerbe der Frau erklärt hat, daß er den Erwerb für sich gemacht habe. Das Unverzüglich lehnt sich an den gleichen Ausdruck im § 1297 an und kann für den Mann eine besondere Belästigung nicht enthalten. 2. Zu Abs. 2. Die Vorschriften des Abs. 1 finden entsprechende Anwendung, wenn der Mann mit Mitteln des eingebrachten Gutes ein Recht an Sachen der bezeichneten Art oder ein anderes Recht erwirbt, zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt. (118) Was mit den Worten: ein Recht an Sachen der bezeichneten Art gesagt sein soll, und was gesagt sein soll mit den Worten: ein anderes Recht, zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt wird der Nichtjurist nicht und der Jurist nur sehr schwer, nur vermuthungsweise, verstehen, selbst nach den Bemerkungen des Protokolles darüber S. 5210 und 5240 bis 49. Nach diesen Bemerkungen darf man die Worte: „zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt“, dahin umschreiben: zu dessen Uebertragung von Seiten des Mannes an die Frau der Vertrag genügt, durch welchen dem Manne das Recht abgetreten wird; auch erhellt, daß ein Vertrag gemeint ist, in welchem der Erwerber, also hier der Mann, den Besitz, den er erwirbt, vermöge seines Willens für einen Anderen erwerben kann. Zu weiterem aber gelangt man nicht. Der Absatz müßte, wenn es bei der Bestimmung, die in ihm zum Ausdruck hat gebracht werden sollen, verbleiben würde, so gefaßt werden, daß der Leser ihn verstehen kann. 3. Die beiden Aenderungen wären nur vorzunehmen, wenn im Übrigen der § 1279 bestehen zu bleiben hätte. Er wird aber zu streichen und durch folgende Bestimmung zu ersetzen sein: Was der Mann an beweglichen Sachen erwirbt auf Grund eines zum eingebrachten Gute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem eingebrachten Gute gehörenden Gegenstandes, oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das eingebrachte Gut bezieht, wird eingebrachtes Gut.
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Es hat nämlich der Paragraph die Anwendung des sog. Surrogationsprinzipes zum Gegenstande, des Prinzipes, wonach das, was surrogirt wird die rechtliche Natur dessen haben soll, an dessen Stelle es surrogirt wird. Die Anwendung desselben Prinzipes haben zum Gegenstande der § 1269 bezügl. des Vorbehaltsgutes der Frau, der § 1372 bezügl. des Gesammtgutes bei der allgemeinen Gütergemeinschaft und der § 1419 bezügl. des eingebrachten Gutes bei der Errungenschaft. In diesen 3 Bestimmungen wird jedoch von dem Surrogationsprinzipe ganz dieselbe Anwendung gemacht, die hier vorgeschlagen (119) wird, auch mit ganz denselben ihnen entlehnten Worten, und die Sicherung bei Frau verlangt die gleiche Anwendung auch in diesem Falle. Weshalb der Entwurf eine so ganz andere Anwendung beliebt hat, sagen die Motive nicht. Der Grund ergiebt sich aber deutlich in Hinblick auf den § 1537, wonach das, was der Paragraph ausnahmsweise für die Frau bestimmt, auch für das Hauskind Geltung haben soll: weil über das von der Frau eingebrachte Gut dem Ehemanne das Mundium zusteht, so soll bezügl. dieses Gutes die Frau thunlichst die Stellung eines Hauskindes haben – der Mann thunlichst die des Hausvaters. Wird der Paragraph obigem Vorschlage gemäß geändert, so müßte der § 1537 die gleiche Aenderung erfahren, weil auch bezüglich des Kindes die Sicherung seines Vermögens Solches verlangt. Zur Unterstützung des Gesagten wird auf die Motive zu den §§ 1290, 1349 und 1414 verwiesen. ________________________ Zu § 1281: Der Mann kann ein zum eingebrachten Gute gehörendes Recht im eigenen Namen gerichtlich geltend machen. Ist er befugt, über das Recht ohne Zustimmung der Frau zu verfügen, so wirkt das Urtheil auch für und gegen die Frau. Es wäre dem Paragraphen folgende Fassung zu geben: Das Verwaltungsrecht des Mannes umfaßt die Befugniß, ein zum eingebrachten Gute gehöriges Recht gerichtlich geltend zu machen. Das Urtheil wirkt für und gegen die Frau. Im Protokolle S. 5215 wird gesagt und gewiß mit vollem Rechte: solle dem Ehemanne wirklich ein selbständiges Verwaltungsrecht bezüglich des Ehegutes zustehen, so müsse er auch über dasselbe Prozesse führen können, ohne der Zustimmung der Ehefrau oder der ergänzenden Zustimmung des Gerichtes zu bedürfen. Aber er darf diese Prozesse nicht in eigenem Namen führen; er muß jedesmal erwähnen, daß das Recht der Frau zustehe, mit der er in dem gesetzlichen Güterstande lebe. Schon die Sicherheit der Frau für die demnächstige Rechnungslegung erfordert dies. Führt er aber einen solchen Prozeß, so muß, weil er ihn kraft seines ge-(120) setzlichen Verwaltungsrechtes führt, ganz so, als hätte die Frau ihn ermächtigt, alle ihre Prozesse zu führen, das Urtheil jedesmal für und gegen die Frau wirken, ohne daß es darauf ankommen kann, ob er über das Recht ohne Zustimmung der Frau verfügen durfte. Es kann sich hier nicht anders verhalten, als wenn, statt des Gesetzes, die Frau selbst dem Mann Vollmacht gegeben hätte. Daraus folgt aber keineswegs, daß das Urtheil gegen die Frau vollstreckt werden kann.
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Dies ist nur möglich, wenn die Frau verurtheilt ist, wie übrigens auch aus der Anmerkung zu § 1310 hervorgeht (§ 671a der Civilprozeßordnung). Wenn der Mann als gesetzlich für die Frau handelnd verurtheilt wird, oder Prozesse gewinnt, so gehört die Ausführung des Urtheils eben so gut zur Verwaltung, wie die Prozeßführung selbst, worüber Näheres unten. Uebrigens ist der Mann, wenn er Erträgnisse von Gütern der Frau einklagt, obgleich diese ihm gebühren, doch verpflichtet, zu erwähnen, daß das Gut, das Kapital, das Werthpapier, seiner Frau gehört. Es liegt dies in der Pflicht einer richtigen Geschäftsführung. ________________________ Zu § 1282 Abs. 2: Die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere Kleider und Schmucksachen, unterliegen nicht der Nutznießung des Mannes. Es wäre hier, statt unterliegen nicht u. s. w., zu sagen: gehören zum Vorbehaltsgut der Frau. Nach dem zu § 1254 Bemerkten ließe sich diese Bestimmung nur als eine Anwendung des Mundialprinzipes aufrecht erhalten. ________________________ Zu den §§ 1284 bis 1287 einschließlich, betreffend die Frage, welche von den zum eingebrachten Vermögen gehörenden Zahlungsverbindlichkeiten den Mann treffen, ist zunächst Folgendes zu bemerken: 1. Abweichend vom ersten Entwurfe ist in den Protokollen zum zweiten Entwurfe wiederholt ausgesprochen, der Ehemann solle, wenngleich er die Früchte des Frauengutes wie ein Nießbräucher erwerbe, doch kein Nießbrauchsrecht im Sinne des § 940 ff. haben. (121) Demgemäß gilt für sein Recht bei Grundsatz des Entwurfes nicht (§ 994), daß es keinen Nießbrauch an einem Vermögen giebt, sondern nur an einzelnen Sachen, und ebenso wenig gelten für sein Recht die Grundsätze des Nießbrauches über die Frage, welche Lasten er zu tragen habe. Der Ehemann nutzt also Alles, was die Frau eingebracht hat, als ein Vermögen, zu welchem möglicherweise auch Verbindlichkeiten gehören. Jedenfalls treffen ihn aber auch Lasten. Welche, kann, da das Nießbrauchsrecht nicht darüber entscheiden soll, nur der Grundsatz des § 1273 entscheiden, daß der Mann das eingebrachte Gut ordnungsmäßig zu verwalten hat. Darnach ist denn 2. zunächst so viel gewiß, daß der Mann sich gefallen lassen muß, daß die bei Eingehung der Ehe vorhandenen Schulden der Frau aus dem eingebrachten Vermögen bezahlt werden und zwar zunächst, soweit die Einkünfte reichen, aus diesen, nur eventuell aus dem Kapitale, weil eine ordnungsmäßige Oekonomie dies also fordert und der Mann nach § 1273 das eingebrachte Gut ordnungsmäßig zu verwalten hat. 3. Nach der Eheschließung hat die Frau kein Recht mehr, über die Einkünfte ihres Vermögens zu verfügen, und demnach auch nicht den Anspruch gegen den Mann, daß Schulden aus Rechtsgeschäften, die sie seitdem eingegangen ist, aus den Einkünften berichtigt werden.
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Aber gegen die Frau können während der Ehe Zahlungsverbindlichkeiten auch ohne ein Rechtsgeschäft, ganz gegen ihren Willen entstehen, in Folge Gesetzes. Muß der Ehemann auch diese aus den Einkünften, so weit sie reichen, berichtigen? Gewiß: für den ordnungsmäßigen Verwalter giebt es nicht eher Einkünfte, als bis die gesetzlichen Zahlungsverbindlichkeiten berichtigt sind. Selbst nach dem Standpunkte des Entwurfes muß der Ehemann sich gefallen lassen, daß die Einkünfte durch Berichtigung von gesetzlichen Zahlungsverbindlichkeiten der Frau verringert werden. Der § 1310 bestimmt: Die Gläubiger bei Frau können ohne Rücksicht auf die Verwaltung und Nutznießung des Mannes Befriedigung aus dem eingebrachten Gute verlangen, soweit sich nicht aus dem § 1311 bis 1313 ein Anderes ergiebt. (122) In Betreff der gesetzlichen Verbindlichkeiten wird von dieser Vorschrift für den Fall, daß sie aus unerlaubten Handlungen herrühren in § 1314, Abs. 1 eine Ausnahme gemacht, auf die wir zurückkommen werden. Aus jener Bestimmung geht, indem sie sagt: aus dem eingebrachten Gute, und auch aus anderen Bestimmungen geht hervor, daß der Entwurf will, daß die gesetzlichen Schulden der Frau die Einkünfte des Mannes nur indirekt verringern sollen, nur dadurch, daß sie aus dem Kapitalvermögen der Frau getilgt werden. Das ist aber gegen den Grundsatz der ordnungsmäßigen Verwaltung, den der Entwurf in § 1273 als Norm für das Verwaltungsrecht des Mannes an die Spitze stellt; denn, wie bemerkt, fordert der Grundsatz, daß die Schulden zunächst aus den Einkünften berichtigt werden und nur, wenn sie nicht ausreichen, das Kapital angegriffen wird. Es ist daher das Verlangen berechtigt, daß diejenigen Bestimmungen des Entwurfes, welche diesem Grundsatze nicht entsprechen, abgeändert werden, zumal der Entwurf ihn in einzelnen Fällen angewandt, seine Berechtigung also anerkannt hat. Nach § 1284 soll z. B. der Mann tragen: Die der Frau obliegenden öffentlichen Lasten, sowie die privatrechtlichen Lasten, die auf ihrem Gute ruhen und die Beiträge für Versicherung ihres Gutes. Man kann hiergegen nicht einwenden, daß diese Bestimmung eine Ausnahme bilde, die sich aus den Grundsätzen des Nießbrauches ergebe; denn diese sollen ja dem Entwurfe zu Folge nur insoweit Platz greifen, als der Mann die Nutznießungen in derselben Weise und in demselben Umfange, wie ein Nießbraucher erwerben soll, § 1282. Ferner legt der Entwurf dem Manne auf, aus den Einkünften zu berichtigen nach § 1285 außer den Zinsen der Verbindlichkeiten, die zum eingebrachten Gute gehören, und den wiederkehrenden Leistungen anderer Art, also auch den gesetzlichen dieser Art, die von der Frau auf Grund ihrer gesetzlichen Unterhaltungspflicht verschuldeten Leistungen, wenngleich er auch dies wiederum einschränkt. 4. Ginge man bei der näheren Bestimmung der Obliegenheit des Mannes, die gesetzlichen Zahlungsverbindlichkeiten aus den Einkünften zu berichten, theoretisch konsequent zu Werke, so müßte man zu dem Ergebniß kommen, daß der Mann für ihre Berichtigung (123) nicht weiter einzustehen habe, als die Einkünfte reichen. Der Entwurf I hat diese Konsequenz gezogen. Im zweiten Absatz des § 1279 heißt es:
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Die unter 1 bis 4 genannten Zinsen, Leistungen und Kosten hat der Ehemann nur insoweit zu tragen, als dieselben den Betrag der Nutznießung nicht übersteigen u. s. w. Diese Bestimmung ist jedoch bei Berathung des II. Entwurfes gestrichen worden. Die Subkommission motivirt die Streichung mit den Worten Protokoll S. 5229: Den § 1279 Abs. 2 des Entwurfes beschloß man nicht aufzunehmen, weil derselbe schwierige Abrechnungen zwischen den Ehegatten nöthig mache, es insofern auch nur scheinbar der Billigkeit entspreche, als die Verpflichtung des Ehemannes zwar durch den Betrag der Nutzungen, nicht aber sein Recht auf die Nutzungen durch den Betrag der Lasten beschränkt sein solle. In der Kommission wurde von einer Seite die Bestimmung des 1. Entwurfes in modificirter Fassung aufrecht zu erhalten gesucht. Die Kommission lehnte aber in ihrer Mehrheit den Antrag ab, wesentlich, wie es wörtlich heißt, aus dem in dem Protokoll der Subkommission S. 5229 dargelegten Gründen S. 5255. 5. Auf die Frage, wie der Ehemann bei dieser Sachlage zu seinem Rechte gelangen soll, daß er, wenn für die gesetzlichen Verbindlichkeiten die Einkünfte nicht ausreichen, die Berichtigung, ablehnen kann, ist der II. Entwurf nicht eingetreten. Es ist dies aber von Wichtigkeit, weil es unbillig sein würde, dem Manne diese Verbindlichkeiten aufzuerlegen, wenn sich nicht verhüten ließe, daß er sie aus eigenem Vermögen bezahlen müßte. Läßt sich nun solches verhüten? Sehr einfach, durch eine Bestimmung, die bereits beim ersten Entwurfe erwogen worden, damals aber für nicht nöthig erachtet ist, durch die Bestimmung: daß der Mann berechtigt ist, auf die Verwaltung und die Nutznießung zu verzichten. Die Motive zu 1. § 1327 betr. die Weisen der Aufhebung der Nutznießung und Verwaltung bemerken Bd. IV S. 294/295: (124) Die Beendigung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung durch einseitigen Verzicht des Ehemannes wird nach gemeinem deutschen Rechte nicht für zulässig gehalten … die Gründe, auf welchen der einseitige Verzicht auf den Nießbrauch beruht, §§ 1015,1016, treffen bei der ehelichen Nutznießung und Verwaltung nicht zu, da … auch der Ehefrau ein Recht auf die Fortdauer … des … begründeten gegenseitigen Rechtsverhältnisses hat. Für den Ehemann kann aus der Unzulässigkeit eines einseitigen Verzichtes … eine unbillige Härte nicht entstehen, da er nach § 1279 Abs. 2 die … Zinsen, Leistungen und Kosten nur in so weit zu tragen hat, als dieselben den Betrag der Nutznießung nicht übersteigen. Uebereinstimmend hiermit bemerken die Motive S. 204 zu der erwähnten vom II. Entwurfe gestrichenen Bestimmung, wonach der Mann nicht über den Betrag der Einkünfte haften soll: Um so weniger ist die im Abs. 2 bestimmte Beschränkung zu entbehren, als dem Ehemann nach dem Entwurfe aus den in den Motiven zu § 1327 angeführten Gründen das Recht, die Beendigung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung durch einseitigen Verzicht herbei zu sichern, versagt ist, derselbe sich also von den hier fraglichen Verpflichtungen auch nicht mal für die Zukunft einseitig befreien kann.
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Nach dem Zusammenhange, den so die Annahme der Unzulässigkeit des Verzichts auf Nutznießung und Verwaltung mit der gestrichenen Bestimmung hatte, daß der Mann über den Betrag der Nutzungen nicht haften solle, ist es offenbar lediglich ein Versehen vom II. Entwurfe, wenn er zum Ersatz des Gestrichenen nicht die Bestimmung aufgenommen hat, daß es dem Manne frei stehen solle, auf die Nutznießung und Verwaltung zu verzichten; denn, ist eine Abrechnung über die Verwendung der Einkünfte ausgeschlossen, so kann der Mann zu seinem Rechte, daß er die gesetzlichen Verbindlichkeiten der Frau über den Betrag der Einkünfte nicht zu berichtigen braucht, in anderer Weise nicht gelangen. Es wird demnach der Verzicht für zulässig zu erklären sein. Uebrigens ist wohl klar, daß, wenn der Mann so wenig Lust zur Verwaltung hat, daß er verzichten möchte, es im Interesse der (125) Frau nur erwünscht sein kann, daß das Gesetz ihn daran nicht hindere. Es giebt keine schlimmere Gewähr für die Ausführung eines Geschäftes als Unlust. Der angeführte Grund, daß Verzicht auf die Nutznießung unzulässig sei, ist außerordentlich bezeichnend für die Methode des Entwurfes: nach ihr entscheidet regelmäßig in erster Linie die Rechtskonsequenz des gegenwärtigen und auch des früheren Rechtes, gegen Gründe der Nützlichkeit und des öffentlichen Wohles und auch gegen anerkannte Rechtsgrundsätze, so hier gegen den Rechtsgrundsatz, daß man auf Privatrechte verzichten kann; denn das Nutznießungsrecht des Ehemanns ist ein Privatrecht, das er erworben hat durch die meistens stillschweigend getroffene Vereinbarung, mit seiner Frau, nach gesetzlichem Güterrechte leben zu wollen, die aber nach § 1331 wieder aufgehoben werden darf. Im Einzelnen wird zu §§ 1284 bis 1287 Folgendes bemerkt: 1. Zu §§ 1284 und 1285 wären in dem Satze: „Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet“ die Worte: „der Frau gegenüber“ zu streichen. Sie verleiten zu der Deutung, als wenn die Gläubiger den Mann nicht direkt in Anspruch nehmen konnten, und als wenn er nicht den Gläubigern verpflichtet wäre, während er ihnen direkt haftet als gesetzlicher Verwalter und das Gezahlte von der Frau nicht erstattet erhält. 2. Zu § 1285 wären im Absatz 2 hinter den Worten: „Das Gleiche gilt von wiederkehrenden Leistungen anderer Art“ ec. die Worte einschließlich ec. zu streichen und wäre zu sagen: und von allen Zahlungsverbindlichkeiten der Frau, welche auf gesetzlichen Bestimmungen beruhen. 3. Eventuell, falls dem nicht stattgegeben würde, wären wenigstens die Worte zu streichen: sofern sie bei ordnungsmäßiger Verwaltung aus den Einkünften bestritten werden;
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denn alle Schulden werden bei ordnungsmäßiger Verwaltung, soweit es möglich ist, aus den Einkünften bestritten. Es gilt dies also ganz selbstverständlich auch für Alimentirungsschulden. Es (126) auszusprechen könnte den Richter nur zu Irrungen verleiten. Wahrscheinlich hat damit gesagt sein sollen, daß der Mann nicht weiter zu haften brauche, als die Einkünfte reichen. Nach dem vorhin Gesagten gilt aber diese Einschränkung für den zweiten Entwurf nicht mehr, der erste Entwurf hatte bestimmt: sofern ein ordentlicher Hausvater sie aus den Einkünften zu bestreiten pflegt (§ 1297 Ziffer 4). 4. Zu § 1286 Ziffer 2: 1. der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet zu tragen 2. die Kosten eines, gegen die Frau gerichteten Strafverfahrens, sofern die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten oder mit Zustimmung des Mannes erfolgt ist, vorbehaltlich der Ersatzpflicht der Frau im Falle ihrer Verurtheilung. Es wären hier die Worte: „sofern die Aufwendung ec.“ zu streichen. Es ist eine ungerechtfertigte Härte, wenn der Entwurf die Verbindlichkeit des Ehemannes, diese Kosten zu tragen, davon abhängig macht, daß sie geboten waren, oder daß der Ehemann sie genehmigt hat, und wenn die zur Kostentragung verurtheilte Frau dem Manne die Kosten ersetzen soll. So gut wie der Mann muß sie das Recht haben, sich nach eigenem besten Ermessen zu vertheidigen, und so gut sein Vertheidiger Kosten aufwenden kann, die das Gericht nicht für nöthig hält, kann es auch der ihrige, und so gut er das Recht hat, die Kosten seiner Verurtheilung aus den Einkünften zu bestreiten, so gut muß auch sie solches beanspruchen dürfen. Der Bestimmung liegt offenbar der in den Motiven IV S. 262 ausgesprochene Gedanke zu Grunde: Daß es unbillig sein würde, wenn im Verhältnisse der Ehegatten zu einander das Recht des Ehemannes unter den von der Ehefrau begangenen strafbaren Handlungen leiden sollte. Aber nach § 1288 Abs. 2 kann die Frau verlangen, daß der Mann den Reinertrag des eingebrachten Gutes soweit dieser zur Bestreitung des eigenen und des der Frau und den gemeinschaftlichen Kindern zu gewährenden Unterhaltes erforderlich ist, zu diesem (127) Zwecke ohne Rücksicht auf seine anderweitigen Verbindlichkeiten verwende, und deshalb darf man jenes Argument auch zu Gunsten der Frau auf die strafbaren Handlungen des Mannes anwenden und fragen: ob es nicht unbillig sei, wenn im Verhältniß der Ehegatten zueinander die Frau unter der strafbaren Handlung des Mannes leiden soll? Zumal nach der Statistik die Männer viel mehr strafbare Handlungen begehen, als die Frauen. Das Prinzip des Entwurfes würde dahin führen, daß, wenn die Frau durch Fahrlässigkeit krank würde, oder sonst fahrlässiger Weise Kosten verursacht, der Mann die Kosten von ihr ersetzt verlangen könnte, was dem Gesetz gegenüber unerlaubt ist, ist dem Gatten gegenüber verzeihlich und soll verziehen werden.
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5. Zu § 1287: Soweit der Mann nach den §§ 1284 bis 1286 der Frau gegenüber deren Verbindlichkeiten zu tragen hat, haftet er den Gläubigern neben der Frau als Gesammtschuldner. Diese Bestimmung wird durch ihre Fassung sehr leicht die Vorstellung erregen, als wenn in den sämmtlichen angezogenen Fällen die Frau als die eigentliche Schuldnerin vom Gläubiger soll verklagt werden können und der Mann nur neben ihr für ihre Schuld hafte. Aber in den meisten dieser Fälle haftet der Mann allein und mit eigenem Vermögen, und in allen Fällen zunächst. Der Paragraph wird dahin zu fassen sein: Soweit nach den §§ 1284 bis 1286 die Frau neben dem Manne die gedachten Verbindlichkeiten zu tragen hat, haftet sie neben dem Manne als Gesammtschuldnerin. 6. Hinter dem § 1287 wäre nach den allgemeinen Bemerkungen zu § 1984 f., unter Ziffer 5 als 1288a folgende Bestimmung hinzufügen: Der Mann hat das Recht, auf die Verwaltung und Nutznießung zu verzichten. Er wird dadurch jedoch von den bereits fällig gewordenen Zahlungsverbindlichkeiten nicht frei. Der Verzicht ist in das Güterrechts-Register einzutragen. ________________________ (128) Zu § 1289: Macht der Mann zum Zwecke der Verwaltung des eingebrachten Gutes Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist die Frau zum Ersatze verpflichtet. Geht der Mann zu diesem Zwecke eine Verbindlichkeit ein, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist die Frau verpflichtet, ihn von der Verbindlichkeit zu befreien; sie kann jedoch, wenn die Verbindlichkeit noch nicht fällig ist, dem Manne, statt ihn zu befreien, Sicherheit leisten. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, soweit der Mann gegenüber der Frau verpflichtet ist, die Aufwendungen und die Verbindlichkeiten selbst zu tragen. Gegen diese Bestimmung ist zu bemerken: a) Die Bestimmung enthält keine bestimmte Grenze für Abgrenzung der Fälle, in denen der Mann die Kosten der Verwaltung tragen soll. Der Abs. 2 setzt aber solche Fälle voraus. Es würde hier demnach Alles dem freien richterlichen Ermessen überlassen sein, sofern die Bestimmung nicht etwa dem Manne blos die Kosten der Erhaltung des Frauengutes nach § 1283 hätte zur Last legen wollen, was aber nach den Worten des Absatzes nicht wohl angenommen werben kann, auch sachlich nicht gerechtfertigt wäre. b) Die Bestimmung ist nachgebildet der Bestimmung des § 601 über den Auftrag, wonach, wenn der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrages Aufwendungen gemacht hat, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte, der Auftraggeber zum Ersatze verpflichtet ist. Der Entwurf hat hier augenscheinlich erwogen: der Ehemann habe einen Auftrag, den Auftrag zur Vermögensverwaltung, er habe ihn freilich vom Gesetze; aber es sei doch ein Auftrag, und also müsse ihm die Ehefrau den Aufwand ersetzen, den er für erforderlich halten durfte.
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Dieser Analogie-Schluß ist aber verfehlt. Es ist durchaus gerechtfertigt, daß der Auftraggeber seinem Beauftragten, dem er keine ausreichende Instruktion gegeben hat, die Kosten von allen Aufwendungen ersetzen muß, die derselbe zum Zwecke der Ausführung des Auftrages für erforderlich halten durfte. Es gilt dies natürlich auch gegen den, der thöricht genug (129) war, einem Andern die Verwaltung seines Vermögens ohne jegliche Normen für die Verwaltung zu übertragen. Daß in solchen Fällen der Geschäftsherr den Schaden trägt, sofern der Beauftragte Aufwendungen gemacht hat, die er für nöthig halten durfte, die aber in der That nicht nöthig waren, hat seinen Rechtfertigungsgrund darin, daß der Geschäftsherr diesen Schaden seinem eigenen Verhalten, vielleicht seinem Verschulden, zuzuschreiben hat. Dieser Rechtfertigungsgrund greift aber in keiner Weise Platz, wenn der Geschäftsherr von Jemanden, den das Gesetz zu seinen Beauftragten gemacht hat, mit Aufwendungen belastet wird, die derselbe für nöthig halten durfte, die aber objektiv gar nicht nöthig waren. Es kann demnach der Entwurf sich zur Rechtfertigung seiner Bestimmung auf den § 601 nicht beziehen. Wie es nun aber keinem verständigen Hausvater einfallen wird, Jemanden mit der Verwaltung seines Vermögens zu beauftragen, ohne ihm neben der Vorschrift, daß er ordnungsmäßig verwalten soll, noch andere zu geben, und zwar solche, die dem richterlichen Ermessen möglichst wenig Raum lassen, so darf auch der Gesetzgeber sich dieser Aufgabe nicht entziehen. Der Entwurf mußte deshalb die Bestimmung, daß der Mann ordnungsmäßig zu verwalten und das Gut zu erhalten habe, durch Bestimmungen spezialisiren, welche, während sie einem verständigen Handeln des Verwalters hinlänglichen Spielraum lassen, dem unverständigen Handeln eine Schranke setzen. Vorschriften, die in dieser Hinsicht als ganz besonders zutreffend bezeichnet werden dürfen, enthält aber der Entwurf bereits an einer andern Stelle: in den die Verwaltung des Nießbrauchers betreffenden Bestimmungen des § 947 ff., die daher auch für die Verwaltung des Ehemannes ihre Anwendung zu finden haben werden. Es wäre hiernach 1. die Bestimmung des § 1289 durch die Bestimmung zu ersetzen: Wird eine außergewöhnliche Ausbesserung oder eine Erneuerung einer Sache erforderlich, so finden die Bestimmungen über den Nießbrauch §§ 952 und 954 entsprechende Anwendung, und sodann wäre (130) 2. im § 1283 hinter dem Worte am Schlusse: „tragen“ hinzuzufügen: und überhaupt alle die Pflichten zu erfüllen, die in den §§ 947 bis 951 einschließlich und in den §§ 954 und 955 dem Nießbrauche auferlegt sind. Der Entwurf hat in diesen Bestimmungen augenscheinlich Bedenken getragen, das Mundiumsrecht des Ehemannes abzuschwächen. ________________________ Zu § 1293: Die Frau kann Ansprüche, die ihr auf Grund der Verwaltung und Nutznießung gegen den Mann zustehen, erst nach Beendigung der Verwaltung und Nutznießung gerichtlich geltend machen, es sei denn, daß es sich um den im § 1288 Abs. 2 bestimmten Anspruch handelt, oder daß die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen die Frau nach § 1290 Sicherheitsleistung verlangen kann. Die Gläubiger der Frau unterliegen dieser Beschränkung nicht.
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Die Frau soll hiernach während der Verwaltung und Nutznießung des Mannes, also regelmäßig während der ganzen Dauer der Ehe, nur klagen können auf ihren und ihrer Kinder Unterhalt und in dem Falle, daß ihre Ersatzansprüche erheblich gefährdet sind. a) Es würde darnach der Anspruch der Frau auf Auskunftsertheilung § 1273 während der Ehe ein blos moralischer, kein Rechtsanspruch sein. b) Wenn sie sieht, daß der Mann sich einer unwirthschaftlichen Verwaltung ihrer Güter hingiebt, so würde nach dieser Bestimmung die Frau mit ihrer Klage warten müssen, bis es wahrscheinlich ist, daß sie keinen Ersatz mehr erhalten kann; denn erheblich gefährdet sein bedeutet nicht etwa, daß eine entfernte Möglichkeit vorhanden sei, keinen Ersatz mehr zu erhalten, sondern, daß diese Möglichkeit eine nahe sei. Es heißt das die Frau rechtlos stellen und all die schönen Vorschriften des § 1276 ff. wonach der Mann die Gelder wie ein Vormund anlegen soll u. s. w. illusorisch machen. Denn darnach kann, wenn er diese Vorschriften unbeachtet läßt, die Frau ihn durch Klage nicht zur Befolgung anhalten. c) Um eine solche Herrschaftsgewalt des Mannes zu begründen. (131) könnte man, wenn es auf das ankäme, was man Geist der Partikularrechte genannt hat, sich allerdings darauf berufen, daß nach ihnen allen die Frau unter der ehelichen Vormundschaft des Mannes steht; denn nur die eheliche Vormundschaft vermag eine solche Ausnahmestellung des Mannes zu rechtfertigen. Das Protokoll sucht die Sache S. 5224 und S. 5273 zu begründen. S. 5224 heißt es: Der Ehemann werde nur ausnahmsweise zur Klage gegen die Frau Anlaß haben, etwa, um das Vorbehaltsgut angreifen zu können. Es sei daher kein Bedürfniß, im Interesse des ehelichen Friedens ihm die prozessuale Geltendmachung seiner Ansprüche bis zur Beendigung des Güterstandes zu versagen u. s. w. Bezüglich der Ansprüche der Ehefrau gegen den Ehemann sei dagegen eine Beschränkung der Zufälligkeit ihrer gerichtlichen Geltendmachung durch die Natur des männlichen Verwaltungszweckes geboten. Sollte der Verwaltung des Ehemannes die seiner Stellung entsprechende Selbstständigkeit gewahrt bleiben, so könne der Ehefrau nicht gestattet werden, wegen jedes vermeintlichen Verstoßes gegen die dem Ehemann in Betreff der Verwaltung obliegenden Pflichten zur Klage zu schreiten u. s. w. Dieser Bemerkung der Subkommission fügt die Kommission in Erwiderung auf einen gegentheiligen Antrag hinzu: S. 5273: Der Vorschlag bezwecke nicht, die Frau rechtlos zu machen, sondern ihr die Beschreibung des Klageweges nur in solchen Fällen zu ermöglichen, in denen ein ernstliches Interesse der Frau dies erfordere. Mit der Selbstständigkeit der Verwaltung des Mannes sei es nicht vereinbar, wenn die Frau wegen jeder u. s. w. wie oben. Unter der Selbstständigkeit, mit der ein Anderes nicht vereinbar sei, verstehen diese Begründungen die eheliche Vogtei. „Selbstständigkeit“ ist blos ein dem heutigen Sprachgebrauche besser entsprechendes, nicht abstoßend klingendes Wort. Es wäre hiernach die das Klagerecht der Frau anerkennende (132) Bestimmung des ersten Entwurfes § 1324 Abs. 2 wieder herzustellen, welche lautet:
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Beide Ehegatten können schon vor Beendigung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung Ansprüche gegen einander geltend machen, welche für sie aus der ehelichen Verwaltung entstehen. Insbesondere kann die Ehefrau schon vor jenem Zeitpunkte die Ansprüche geltend machen, welche für sie durch die Verletzung der dem Ehemanne kraft der ehelichen Verwaltung obliegenden Verpflichtungen begründet werden. ________________________ Zu § 1294: Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Einwilligung des Mannes. Es wäre diese Bestimmung zu ersetzen durch die Bestimmung: Die Frau darf über das eingebrachte Gut ohne Einwilligung des Mannes verfügen, womit gesagt sein soll, daß die Frau Eigenthumsverfügungen über ihr Gut treffen kann. 1. Es mag hier zunächst hervorgehoben werden, daß das Recht der Frau zur Eigenthumsverfügung mit dem Verwaltungs- und Nutzungsrechte des Mannes sehr wohl vereinbar ist. Es genügt als Beweis das Beispiel, daß Jemand einen Andern auf eine Reihe von Jahren zum Verwalter seines Vermögens ernannt hätte, dem er als Gehalt die Hälfte des Reinertrages angewiesen und den er in der Verwaltung ganz frei gestellt hätte. Neben solcher Verwaltung würde, ohne daß ihr Eintrag geschähe, die freie Verfügung des Geschäftsherrn über sein Eigenthum sehr wohl bestehen können; denn an das, was der Verwalter gethan, in Ausführung seines Auftrages, wäre der Geschäftsherr ebenso gebunden, als hätte er es selbst gethan. Die Stellung des Ehemanns ist aber keine andere; denn Gegenstand seiner Verwaltung sind, wie dargethan, nicht die einzelnen eingebrachten Sachen, sondern das Vermögen, zu dem sie gehören, und das sie bilden helfen; und die Motive heben wiederholt hervor, daß der Ehemann, weil er kein Nießbrauchsrecht habe, eine aus dem Vermögen der Frau hinausgegangene Sache nicht verfolgen könne. Und pekuniär hat der Ehemann nur Anspruch auf einen Nettoertrag aus dem verwalteten Vermögen, auf den Ertrag, der nach Abzug der ihm auferlegten (133) Lasten übrig bleibt. Es liegt also in dem Verwaltungsrechte des Ehemanns und seinem davon abhängigen Nutzungsrechte – und diese Abhängigkeit erkennen auch die Motive an – Nichts, weshalb der Ehefrau Eigenthumsverfügung untersagt sein könnte. 2. Den Motiven des ersten Entwurfes, denen der zweite beitritt, ist es nicht gelungen, einen stichhaltigen Grund für die Untersagung des Verfügungsrechtes anzuführen. Von den sehr lesenswerthen und außerordentlich gründlichen Erörterungen kann hier nur die entscheidende Stelle angeführt werden. Nachdem verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben sind, von denen aus sich eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau nicht rechtfertigen lasse, und bemerkt worden: auch die eheliche Gemeinschaft rechtfertige eine solche Beschränkung nicht; sie lege allerdings den Ehegatten die Verpflichtung auf, bei Ihren vermögensrechtlichen Handlungen das Interesse der Gemeinschaft im Auge zu behalten, sie sei aber sittlicher Natur, und es würde unrecht gegen die Frau sein, die Erfüllung derselben durch eine Beschränkung ihrer Geschäftsfähigkeit zu sichern, IV. S. 225 wird die Entscheidung in Folgendem gefunden, S. 225:
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Die Beschränkung des Verfügungsrechtes der Ehefrau stellt sich vielmehr als Ausfluß des durch die eheliche Nutznießung und Verwaltung begründeten eigenthümlichen dinglichen Rechtes des Ehemannes dar. Die Natur des dinglichen Rechtes bringt es mit sich, daß dasselbe gegen Beeinträchtigung durch einseitige Verfügung desjenigen, dessen Recht belastet ist, gesichert werden muß. Zur Erreichung dieses Zieles ist bei gewöhnlichen dinglichen Rechten eine Beschränkung des Verfügungsrechtes des Belasteten in der Art, daß er ohne Einwilligung des Berechtigten über das belastete Gut überhaupt nicht verfügen kann, nicht erforderlich. Es genügt, daß der Berechtigte sein Recht gegen jeden Dritten verfolgen kann. Bei der ehelichen Nutznießung und Verwaltung ist dagegen die Sachlage im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 1293, 1311 eine besondere. Hier bringt die dingliche Natur des ehemännlichen Rechtes, als eines von der Verfügung des Belasteten unabhängigen Rechtes, es mit sich, daß der Ehefrau das Recht entzogen werden muß, ohne (134) Einwilligung des Mannes direkt oder indirekt zu verfügen, weil sonst das Recht des Ehemannes durch ihre Verfügung beeinträchtigt werden könnte. Aus den in dieser Ausführung angezogenen §§ 1293 und 1311 erhellt, was die Motive hier sagen wollen: weil nach I. § 1293 das Nutzungsrecht des Mannes aufhört, wenn die Sache aus dem Vermögen der Frau hinausgeht, so muß dafür gesorgt werden, daß wenigstens sie Nichts hinausgehen machen kann; und weil nach II. § 1311 auch die Gläubiger der Frau dem Ehemann Eingebrachtes entziehen können, so muß um so mehr Jenes vorgesehen werden. Der Sinn ist also, der Frau sei das Verfügungsrecht zu versagen, damit nicht durch Veräußerungen, die sie vornehme, die Einkünfte des Mannes sich verringerten. Fragt man nach dem Grunde, weshalb die Frau verpflichtet sei, sich Solches gefallen zu lassen, so kann die Antwort nur sein, sie sei verpflichtet, mit ihrem Vermögen zu den Ehelasten beizutragen. Man sieht hieran, es wäre besser gewesen, der Entwurf hätte erklärt: das Recht der ehelichen Vogtei, das über die Person der Frau besteht, muß auch über ihr Vermögen aufrecht erhalten werden, es duldet nicht, daß die Frau Eigenthumsverfügungen vornimmt. Weil dies aber offenen Widerspruch hervorgerufen hätte, so hat der Entwurf an Stelle des Mundiums einen andern Grund, den er für stichhaltig hielt, gesetzt, nach der Methode, nach welcher sich das Recht wie eine Krankheit vererbt: es soll die Dinglichkeit des Verwaltungsrechtes die Funktion der ehelichen Vogtei übernehmen. Aber es fehlt an einem Objekte für solche Möglichkeit. Denn alle leibhaftigen Dinge, die mit jenem Recht beschwert sein könnten, gehen unbeschwert von ihm aus dem Vermögen der Frau hinaus. Objekt kann also nur ein Gedankending sein, daß getrennt von diesen Gegenständen existirte, aber nur ein sehr unklares. Weil es sonst vielleicht scheinen würde, daß ich nicht alles gewürdigt hätte, was nach den Motiven im Zusammenhange mit diesem Punkte steht, füge ich noch Folgendes hinzu. Der Entwurf nimmt an IV. S. 219 und 222, daß die Frauen vollständig geschäftsfähig – in der Geschäftsfähigkeit nicht beschränkt – seien, und daß dies der Standpunkt sei, auf den er sich zu stellen habe – was gewiß richtig ist.
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Der Entwurf nimmt ferner an, ebendaselbst, daß es eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Frau sei, wenn man ihr die (135) Befugniß nehme, über ihr Vermögen zu verfügen; auch das ist ohne Frage richtig; denn fast alle Rechtsgeschäfte beziehen sich auf Vermögen oder wirken auf solches zurück; und deshalb ist der Frau, wenn ihr die Befugniß, über ihr Vermögen zu verfügen, entzogen wird, ihre Geschäftsfähigkeit nichts werth; die Frau ist dann faktisch geschäftsunfähig. Der Entwurf nimmt ferner an, daß die Frau rechtlich nicht verpflichtet sei und rechtlich nicht verpflichtet werden dürfe, von ihrem Vermögen zu den Ehelasten herzugeben, IV. S. 222 heißt es: Die eheliche Gemeinschaft, in welcher die Ehegatten stehen, legt ihnen allerdings die Verpflichtung auf, bei allen ihren vermögensrechtlichen Handlungen das Interesse der ehelichen Gemeinschaft im Auge zu behalten. Allein diese Verpflichtung ist wesentlich sittlicher Natur. Ihre Erfüllung auf Seiten der Frau durch eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit zu sichern, ist durch ein praktisches Bedürfniß nicht geboten und würde zudem ungerecht gegen die Frau sein. Auch das ist gewiß sehr richtig, aber für den Entwurf ein äußerst bedenklicher Gedanke; denn er führt dahin, den sämmtlichen deutschen Güterrechtssystemen ihre Berechtigung abzusprechen und die Trennung der Güter für das allein richtige System zu erklären. Der Entwurf nimmt dann aber, wie mitgetheilt, an, daß die dingliche Natur des Verwaltungs- und Nutzungsrechtes des Mannes es bedinge, der Frau die Befugniß zur Verfügung über ihr Vermögen zu entziehen. Würde der § 1294 in der vorgeschlagenen Weise geändert, der Frau also die Befugniß zur Eigenthumsverfügung gelassen, so würden die meisten der auf den Paragraph folgenden Bestimmungen über die Verwaltungsgemeinschaft entweder zu streichen oder doch zu ändern sein. Es griffe dann der Grundsatz Platz, daß die Verwaltung dem Manne keine andern Rechte gebe, als solche, welche er haben würde, wenn die Frau ihm die Verwaltung ihres Vermögens übertragen und ihm die Einkünfte nach Berichtigung alles dessen überwiesen hätte, was bei einer verständigen Verwaltung aus den Einkünften berichtigt werden muß; mit Ausnahme natürlich der Berichtigung von Schulden, die sie durch Rechtsgeschäfte selbst machen werde, weil Solches hieße, ihm die Einkünfte beliebig entziehen können. (136) Wenn das Mundium aufgehoben würde, so wäre eine Verwaltungsgemeinschaft schwerlich von einem andern Gesichtspunkte aus zu konstruiren. Es würde aber legislativ angerathen sein, eine solche aufzustellen. Denn es wird immer Frauen genug geben, die sehr gern die Verwaltung ihres Vermögens ihrem Manne überlassen und auch sehr gern zu seinen Gunsten auf das Einkommen daraus verzichten, die aber doch Herr ihres Vermögens bleiben möchten. Welche Streichungen und Aenderungen dann vorzunehmen wären, ist zu einfach, als daß ich den Leser damit belästigen möchte. Die verschiedenen Arten der Gütergemeinschaft § 1336–1452 übergehe ich, weil, wenn sich unter diesen Bestimmungen auch solche befinden, die den Mundialcharakter tragen, mir dies doch nicht so erheblich erscheint, daß es gerechtfertigt wäre, andere Bestimmungen, die damit zusammenhängen, deshalb zu ändern. ________________________
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Scheidung der Ehe. Warum eine Ehe muß geschieden werden können, brauche ich hier nicht auseinanderzusetzen. Es kann sich hier nur um die Gründe handeln, aus denen es möglich sein muß. Das Prinzip für die Gründe ist sehr einfach. Zweck der Ehe ist die Lebensgemeinschaft, nicht daß die Eheleute äußerlich miteinander leben, sondern, daß jeder bestrebt ist, das Leben des Andern sich gemeinschaftlich zu machen, das wahre Wohl des Andern vor dem eigenen zu fördern. Wo eine solche Lebensgemeinschaft nicht mehr möglich ist, soll die Ehe geschieden werden. Sie ist aber nicht mehr möglich, wo Liebe und Achtung geschwunden sind. Gegen die Richtigkeit dieses Prinzip kann man nicht einwenden, durch Eingehung der Ehe verpflichte sich jeder zur Lebensgemeinschaft; denn es verpflichtet sich Jeder nur zu jener, nicht zu einer ganz andern Lebensgemeinschaft; und diese Verpflichtung ist keineswegs, wie man vielleicht weiter einwendet, ein leeres (137) Wort. Sie verpflichtet, das nach Kräften festzuhalten, wodurch jene Lebensgemeinschaft ermöglicht wird: Liebe und Achtung, und Alles, was sie mindern könnte, von sich fern zu halten; sie thunlichst zu befestigen, und Bedenken, die über ihren Fortbestand kommen, zu ergründen und thunlichst zu heben, durch Aussprache mit dem andern Gatten. So einfach das Prinzip ist, so hat es in der Anwendung doch Schwierigkeiten. Der Staat hat Interesse am Bestand der Ehe. Er hat Interesse auf der einen Seite daran, daß eine Ehe, in welcher die Lebensgemeinschaft nicht mehr herstellbar ist, geschieden werde, weil ein solches Eheleben für die öffentliche Ordnung ein Mißstand ist, schlimmer, als das sog. Konkubinat, und die Ehe entweiht, indem es für das, was in ihm geschieht, von der Ehe den Schein entlehnt; auf der andern Seite aber Interesse auch daran, daß Ehen nicht unbedacht und übereilt geschieden werden, daß vielmehr, so lange durch die Erfüllung der eben gedachten Pflicht eine Lebensgemeinschaft ermöglicht werden kann, sie Bestand behalten. Darnach kann es denn der Staat nicht gestatten, daß die Eheleute beliebig ihre Ehe wieder trennen. Er darf eine Scheidung nur zulassen, wenn sie gerichtlich ausgesprochen wird, und muß Beweis verlangen. Also Beweis rein innerlicher Thatsachen. Direkt lassen sich diese Thatsachen nicht beweisen, sondern nur aus Tatsachen, welche auf sie Hinweisen, entweder aus solchen, welche einzutreten pflegen, wenn Liebe und Achtung aufgehoben sind, ober aus solchen, welche dieselben aufzuheben pflegen. Aber das Gemüthsleben, in welchem Liebe und Achtung wurzeln, ist bei den Menschen ein individuell so höchst verschiedenes, daß sich über das, was Liebe und Achtung aufhebt, allgemein gültige Regeln gar nicht aufstellen lassen, Thatsachen, die den Einen auf’s Innerste empören, machen auf das Gemüth des Andern gar keinen Eindruck. Es läßt sich demnach hier durch Beweis Gewißheit nur höchst selten erbringen. Wie hat sich nun der Staat hier zu verhalten? Sehen wir zunächst, wie er sich auf keinen Fall verhalten darf. (138) Er darf es auf keinen Fall dem Richter überlassen, wie er es machen will. Er darf dies schon deshalb nicht, weil die Ehe ein für das öffentliche Interesse zu wichtiges Institut ist, als daß der Staat in Fällen, wo er nicht umhin kann, auf eine bloße Wahr-
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scheinlichkeit hin eine Ehescheidung eintreten zu lassen, die Fragen, unter welcher Voraussetzung dies zulässig sei, aus der Hand geben dürfte und nicht vielmehr seiner eigenen Entscheidung vorbehalten müßte. Er darf es aber auch deshalb nicht, weil der Richter, wenn es ihm überlassen wäre, wie er es machen will, damit niemals würde zu Stande kommen können, ohne sich einen Begriff über das Wesen der Ehe zu machen, darüber aber, worin das Wesen der Ehe zu erblicken sei, der Staat sich gleichfalls die Entscheidung vorbehalten muß. Steht hiermit fest, wie der Staat es nicht machen darf, so wird damit auch erhellen, was der einzige Weg ist, den der Staat hier einzuschlagen hat: er hat von den Thatsachen, welche erfahrungsmäßig nach gewissen sich regelmäßig bestätigenden Gesetzen der menschlichen Natur geeignet sind, Liebe und Achtung zu zerstören, bestimmte auszuwählen, als sog. Scheidungsgründe, und zu sagen: wenn Einer beantragt, geschieden zu sein, und er kann sich auf einen dieser Gründe berufen, so wird er geschieden. Dabei darf er aber dem Richter nicht die Befugniß geben, zu sagen: in diesem Falle trifft die Berechnung des Gesetzgebers nicht zu; eine solche Mißhandlung, eine solche Beleidigung berührt solche Leute, wie diese da, nicht tief, ich weise die Klage ab. Es hieße das, eine Erwägung, welche auch nur eine Wahrscheinlichkeitsberechnung wäre, über die des Gesetzgebers zu stellen. Und so machen es die Gesetzgeber. Sie sprechen Scheidungsgründe in dem Sinne aus, daß, wenn die in ihnen befaßten Thatsachen bewiesen sind, damit erwiesen sein soll, daß das Fundament, auf welchem allein die Lebensgemeinschaft bestehen kann, zerstört ist. Der Gesetzgeber darf aber auch deshalb nicht unterlassen, solche Gründe aufzustellen, damit die Eheleute wissen, aus welchen Gründen die Ehe geschieden werden kann, jeder gewarnt ist, und jeder sein Recht kennt. Daß Einer, der zum Rechtsanwalt ginge und ihn fragte, kann ich geschieden werden, sich mit der Antwort begnügen müßte: erst das Ehescheidungsurtheil kann Ihnen Solches sagen, wäre nicht ein Zustand, wie er sein soll. (139) Ueber die aufzustellenden Scheidungsgründe werde ich zu den Bestimmungen des Entwurfes Näheres bemerken. Einen Grund erörtere ich aber passend gleich hier: Der Entwurf kennt keine Scheidung auf gegenseitige Uebereinkunft. Ist dieser Grund zuzulassen? Unbedingt! Es ist zunächst hervorzuheben, daß es in Wirklichkeit nur einen Scheidungsgrund giebt, auf welchen alle einzelnen Gründe zurückkommen: daß es an Liebe und Achtung fehlt; und jeder Ehegatte, der geschieden sein will, schämt sich, einen andern Grund anzuführen. Kommt nun ein Ehegatte in’s Gericht und will geschieden sein, indem er jenen Grund anführt, und man fragt ihn: was sagt ihr Gatte dazu, und er antwortet, der will nicht geschieden sein, so eröffnet man ihm: es wird um ihren Grund wohl so schlimm nicht stehen. Ihr Gatte wird, wenn er Sie behalten will, suchen, Sie umzustimmen, und Sie sind auch verpflichtet, wenn es möglich ist, sich umstimmen zu lassen. Die Sache gewinnt aber ein anderes Aussehen, wenn beide Ehegatten Solches erklären. Hier unterstützt die Behauptung des Einen die des Andern – – und wenn man sie examinirt, so sieht man bald, daß ihnen beiden der Scheidungswille sehr ernst ist. Aber ist damit Gewißheit dafür vorhanden, daß sie auch noch morgen, oder übermorgen, oder später geschieden sein wollen – daß sie sich nicht übereilt
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haben? Eheleute können sich scheiden wollen, und doch sich wieder vertragen, wenn schon dies ein seltener Fall ist. Eheleute sind aber verpflichtet, zu thun, was sie können, um die Empfindungen wieder zu erlangen, die sie früher für einander hegten, und der Staat hat das Interesse, daß sie dieser Verpflichtung nachkommen. Es wäre demnach nicht gerechtfertigt, auf Grund einer einmaligen Erklärung der Eheleute die Scheidung auszusprechen. Wenn dieselben aber ihre Erklärung wiederholt haben, wofür das Gesetz Fristen zu bestimmen hätte, wie es im code civil geschehen ist, und dann der Richter die Gewißheit gewinnt, daß der Wille feststeht und nicht zu ändern ist, so hat die Scheidung zu erfolgen – nicht weil ihr Wille feststeht, sondern weil hinter diesem Willen ein Empfinden steht, das den Willen so fest macht, indem es nicht zu haben ist, das Empfinden, daß ihnen das Zusammenleben (140) widerwärtig ist, und weil ein solches Empfinden die Lebensgemeinschaft unmöglich macht. Man darf so die Scheidung auf Grund beiderseitiger Einwilligung als den besten Scheidungsgrund bezeichnen, als den vollkommensten, weil er, sofern nur die gedachten Garantien gegeben sind, den Beweis, daß die Lebensgemeinschaft unmöglich ist, nahezu voll herstellt. Für die Zulassung dieses Grundes spricht aber noch Folgendes: Vorgänge, die das geheimste Eheleben betreffen, können derart sein, daß sie einen Ehegatten in seinem tiefsten Empfinden empören und ihn mit Verachtung gegen den erfüllen, der ihm Solches ansinnen konnte. Dieser sieht auch ein, daß die Möglichkeit einer Lebensgemeinschaft aufgehört hat; die Gesetze kennen aber einen solchen Ehescheidungsgrund nicht. Ferner der eine Ehegatte kann auch in seinem Verhalten gegen Andere moralisch verwerfliche Handlungen begehen, welche seinen Ehegatten mit Abscheu erfüllen; der moralisch Schuldige sieht auch in solchem Falle ein, daß der Fortbestand der Ehe unmöglich ist. Aber einen gesetzlichen Scheidungsgrund giebt es auch hier nicht. Endlich ein nicht zu besiegender Feind der Lebensgemeinschaft ist die Unfriedfertigkeit; sie ist wie eine Krankheit – denn der Unfriedfertige ist völlig gutgläubig – und sie macht dem andern Theile die Ehe zur Hölle. Wie soll sie aber bewiesen werden? – Durch die verschiedenen Mägde, die doch nur Nebensächliches wissen können? Auch die Unfriedfertigkeit kennen die Gesetze nicht als Scheidungsgrund. Den Scheidungsgrund der beiderseitigen Einwilligung in den Entwurf aufzunehmen, hatte ein Mitglied beantragt. Das Mitglied hatte seinen Antrag formulirt im Anschluß an die Bestimmungen des code civil art. 275 ff. Was nun die Scheidungsgründe des Entwurfes betrifft, so ist die Hauptbestimmung die des § 1463: Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet wer-(141)den kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt insbesondere grobe Mißhandlung.
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Dieser Paragraph wäre zu streichen und zu ersetzen durch die Bestimmung: Die Ehescheidung erfolgt auf Grund beiderseitiger Einwilligung, wenn die Eheleute dreimal in Zwischenräumen von drei Monaten vor dem Präsidenten des Gerichtes über ihre Gründe befragt sind und jedesmal erklärt haben, daß sie geschieden sein wollen. Anlangend den Sinn jener Bestimmung, so geht der Entwurf davon aus, daß die Ehe grundsätzlich gar nicht geschieden werden soll. Im Protokoll S. 5684 heißt es: Man könne bei der Frage, wie weit die Ehescheidung zulässig sei, von verschiedenen Auffassungen des Wesens der Ehe ausgehen. Die eine, die sog. subjektive Auffassung gehe davon aus, die Ehe beruhe lediglich auf gegenseitiger Liebe der Ehegatten und sei in ihrem Bestande erschüttert, wenn diese Liebe nicht mehr vorhanden sei. Die konsequente Durchführung dieses Standpunktes führe zu einer völlig freien Ehescheidung. Nach der anderen Auffassung sei die Ehe eine die gesammte Persönlichkeit der Ehegatten umfassende Lebensgemeinschaft, eine über die individuellen Verhältnisse der Ehegatten stehende sittliche Ordnung. Die konsequente Durchführung dieses Gedankens führe dahin, die Ehe für unlöslich zu erklären. Der Entwurf habe sich in Anlehnung an die meisten Gesetzgebungen der jüngsten Zelt prinzipiell auf den letzteren Standpunkt gestellt, ihn indessen nicht bis in alle Konsequenz durchgeführt, sondern ihn in Anerkennung der in den §§ 1441 bis 1443 – Entwurf I – bezeichneten absoluten Scheidungsgründen durchbrochen. Der Entwurf bezeichnet dann als Prinzip dieser Gründe: „Zerrüttung des ehelichen Lebens“ und bemerkt, ein Bedürfniß weiterer Scheidung könne nur nach diesem Prinzipe anerkannt werden. (142) Der Entwurf stellt nämlich sog. absolute Scheidungsgründe auf, die das richterliche Ermessen nicht aufheben kann und relative, die der Richter nach seinem Ermessen aussprechen kann, für die der Entwurf nur in den Motiven Beispiele giebt und für deren Aufstellung jener Paragraph dem Richter die Anweisung ertheilen soll. Die Motive definiren die relativen Scheidungsgründe S. 572 als solche, welche nur dann zur Scheidung zu führen vermögen, wenn der Richter zugleich die Ueberzeugung gewinnt, daß dadurch im konkreten Falle eine so tief gehende Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses herbeigeführt ist, daß dem klagenden Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann. Der Entwurf hat aber keineswegs, wie man hiernach vermuthen könnte, den Richter mit seinem Ermessen an bestimmte Scheidungsgründe gebunden, hat ihm vielmehr ganz überlassen, worin er einen Scheidungsgrund erblicken will. Als Beispiele eines relativen Scheidungsgrundes führen die Motive IV. S. 578 ff. an: Beleidigung, Mißhandlung, Begehung von Verbrechen, Verweigerung der ehelichen Pflicht. Ferner kann nach Protokoll S. 5692 es ein relativer Scheidungsgrund sein, wenn der Ehegatte das Versprechen einer kirchlichen Trauung nicht gehalten hat, indem darin nach rheinischer Rechtsprechung ein injure grave zu erblicken sei. Ferner soll es nach IV. S. 570 ein relativer Scheidungsgrund sein können, wenn der Mann den Versuch macht, die „mit Gebrechen behaftete Frau zum Beischlafe zu nöthigen“, und wenn ein Ehegatte sein geschlechtliches Unvermögen durch unsittliches Verhalten sich zugezogen hat, während geschlechtliches Unvermögen allein kein Scheidungsgrund ist.
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Diese Beispiele zeigen, daß der Entwurf es ganz dem Befinden des Richters überläßt, aus welchem Grund er die Scheidung aussprechen will. Nach S. 572 soll Religionswechsel kein Scheidungsgrund sein. Kann das aber den Richter hindern, ihn doch anzunehmen, wenn er sieht, ganz klar sieht, nach seiner Auffassung, daß der Religionswechsel Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses zur Folge hat? Denn Motive hindern ihn nicht, Recht vor Recht gehen zu lassen. Der Paragraph verstößt also zunächst gegen den oben hervorgehobenen Grundsatz, daß der Gesetzgeber die Auswahl der Schei-(143)dungsgründe sich vorbehalten muß. Wie sehr der Entwurf den Richter hier zum Gesetzgeber gemacht hat, tritt daran hervor, daß der Paragraph den Richter nicht hindert, irgend ein deutsches Ehescheidungsgesetz, das er für das richtige hält, sich zur Norm zu nehmen. Der Paragraph ist also ein echter Kautschukparagraph und ein höchst bedenklicher. Was heißt ferner zerrüttet sein? Es ist das ein sehr unbestimmter Begriff – nicht so sein, wie die Ehe sein soll – und zwar in hohem Grade nicht so sein. Es wird damit der Richter auf das Wesen der Ehe verwiesen, das er sich klar machen muß. Auch erhellt an der Ausdrucksweise nicht, ob der Richter über eine bereits stattgefundene Zerrüttung entscheiden soll, oder über eine erst in Zukunft stattfindende. Darf er sagen zu den Eheleuten: ob diese Mißhandlung, diese Beleidigung eine Zerrüttung bewirkt hat, kann ich noch nicht entscheiden, die Erfahrung muß mich darüber belehren, ich setze die Entscheidung auf 1/4 Jahr aus. Oder muß er sagen: nach Eurer Persönlichkeit und nach Euren Verhältnissen ist nicht zweifelhaft, entweder, daß eine Zerrüttung eintreten wird, oder, daß sie nicht eintreten wird? Der Entwurf hat sich hierüber nicht ausgesprochen, auch in den Motiven nicht. Was aber hauptsächlich gegen die Bestimmung der §§ spricht, ist, daß, um sie anwenden zu können, der Richter sich, ganz wie ein Gesetzgeber, darüber in’s Gewisse setzen muß, welche von den beiden in dem Entwurfe hervorgehobenen, oben mitgetheilten Grundauffassungen über die Ehescheidung er sich aneignen will, die freiere oder die strengere? Weil dies unerläßlich ist, so ist es auch unausbleiblich, daß in verschiedenen Gerichtsbezirken die Ehe nach ganz verschiedenen Grundsätzen geschieden wird, weshalb es denn geschehen könnte, daß die Eheleute von einem Gerichtsbezirke in einen anderen auswandern, um einen ihrem Zwecke entsprechenden Gerichtshof zu erlangen. Wahrscheinlich würden die Bezirke der Oberlandesgerichte dafür den Ausschlag geben. Das Reichsgericht könnte, da die Frage des Zerrüttetseins eine faktische ist, nur selten zuständig sein. So würde denn die größte Rechtsunsicherheit entstehen. Auf diese üble Folge ist bereits in der Kommission von dem Mitgliede hingewiesen worden, welches sich für Scheidung auf Grund beiderseitiger Einwilligung ausgesprochen hat. Das Mitglied bemerkte S. 5683: (144) Es gehe nicht an, die Scheidung derartig vom, richterlichen Ermessen abhängig zu machen, wie es der Entwurf thue. Je nach dem prinzipiellen Standpunkte, welchen der eine oder der andere Richter annehme, werde die Entscheidung bald in diesem, bald In jenem Sinne ausfallen. Die Mehrheit bemerkt hiergegen nach S. 5685
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Eine gewisse Verschiedenheit der Praxis werde der § 1444 – jetzt 1463 – allerdings zunächst zur Folge haben. Es sei indessen zu hoffen, daß im Laufe der Zeit immer mehr und mehr eine Uebereinstimmung der Ansichten herbeigeführt werde. Ueber den Werth dieser Erwiderung werde ich Nichts zu sagen brauchen. Anlangend die absoluten Ehescheidungsgründe des Entwurfes, so würden, wenn der § 1463 fällt, ihnen noch hinzuzufügen sein: Grobe Beleidigung und Grobe Mißhandlung. Daß der Ausdruck grobe Mißhandlung dem Richter einen genug festen Anhalt giebt, erkennt der Entwurf dadurch an, daß dieser den Ausdruck in § 1463 aufgenommen hat. Von dem Ausdruck grobe Beleidigung gilt das Gleiche. In jedem Falle aber, auch wenn der § 1463 bestehen bliebe, wären den absoluten Scheidungsgründen folgende hinzuzufügen: 1. Bestrafung wegen der unkeuschen Handlungen der §§ 174 und 176 des Strafgesetzbuches, also wenn der Ehegatte nach der Feststellung im Urtheile: als Vormund oder Lehrer unzüchtige Handlungen an seinen Pflegebefohlenen oder Schülern vorgenommen hat, als Beamter oder Arzt an den seiner Obhut anvertrauten Personen, oder unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson mit Gewalt oder an willenlosen in bewußtlosem Zustande befindlichen Personen oder an Kindern unter 14 Jahren. 2. Verurtheilung des Ehegatten wegen des Vergehens des § 180 des Strafgesetzbuches, gewohnheitsmäßiger Kuppelei. 3. Entmündigung wegen Trunksucht. Die hier unter 1. genannten unsittlichen Handlungen müssen Scheidungsgrund sein, weil es gegen alle Regel wäre, wenn nicht (145) eine ordentliche, rechtschaffene Frau gegen ihren Mann, der Solches vorgenommen hätte, mit Verachtung und Abscheu erfüllt wäre. Die Motive wollen nach S. 584 diese Handlungen unter die relativen Scheidungsgründe verwiesen wissen. Es ist aber ein Irrthum, wenn sie dem Richter einen so durchdringenden Blick zuschreiben, daß er in dem Gemüthe der Frau lesen könnte, wie es darin beschaffen ist. Die Richter sind im Durchschnitt wie Andere; die Richterqualität macht sie nicht fähiger. Ein absoluter Scheidungsgrund hat deßhalb die Bedeutung, daß er den, der ihn geltend macht, für einen ordentlichen Menschen erklärt, welchem, wenn er behauptet, ich kann aus diesem Grunde nicht mehr leben mit meinem Gatten, Solches geglaubt werden soll. Der Entwurf will von den Unsittlichkeitshandlungen als absoluten Scheidungsgrund blos gelten lassen: Bigamie und widernatürliche Unzucht – §§ 171 und 175. Für die Ausschließung der genannten unsittlichen Handlungen der §§ 174 und 176 hat der Entwurf den unzutreffenden, sehr doktrinellen Grund S. 589: Da durch die hier fraglichen Handlungen bei der weiten Ausdehnung, welche der Begriff der unzüchtigen Handlungen zuläßt und in der Strafpraxis gefunden hat, die Ausschließlichkeit der ehelichen Gemeinschaft nicht immer berührt und noch weniger unwiederbringlich zerstört wird. Daß das von mir bezüglich jener unsittlichen Handlungen Gesagte auch von der gewohnheitsmäßigen Kuppelei gilt und von der Entmündigung wegen Trunksucht, werde ich nicht zu begründen brauchen. – Die Verweigerung der ehelichen Pflicht wäre als Scheidungsgrund zurückzuweisen.
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Wie das Band der Ehe selbst, soll auch der Akt der Beiwohnung ein Sittliches sein. Dies ist aber nur der Fall, wenn sie von beiden Seiten in der freien Hingabe der ganzen Persönlichkeit sich vollzieht und in ihr ein Jeder der freien Hingabe des Andern gewiß ist. Dann, aber auch nur dann, ist sie etwas höchst Moralisches. Es entweiht demnach die Ehe, wer in der Beiwohnung blos den Geschlechtsgenuß sucht. Das thut aber der Mann, wenn er von seiner Frau verlangt, daß sie gegen ihren Willen sich ihm hingebe. Er hat hier dann umsonst und ganz (146) legitim, was er sonst sich kaufen müßte – und sie hat hier ganz die Funktion eines gekauften Mädchens – sie ist Instrument, ist Animal. Man könnte vielleicht die Frage auswerfen, ob nicht eine prinzipielle Weigerung der Frau zur Scheidung berechtige. Es müßte dann aber auch Impotenz ein Scheidungsgrund sein. Der Entwurf läßt sie jedoch als Scheidungsgrund nicht zu. Uebrigens wäre die Gestattung eines solchen Zwanges auch gegen das gleiche Recht in der Ehe; denn die Frau kann den Mann nicht zwingen. Es wäre ausdrücklich auszusprechen: Verweigerung der ehelichen Pflicht ist kein Scheidungsgrund, weil sie sonst als relativer Scheidungsgrund behandelt werden könnte oder als Beleidigung. Dem entsprechend wäre aber auch im Einführungsgesetze aus der Bestimmung des § 177 des Strafgesetzbuches über die Nothzucht: Wer – – – eine Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Beischlafes nöthigt das „außerehelichen“ zu streichen. ________________________ Elterliche Gewalt. A) Elterliche Gewalt während der Ehe. Der Vater hat nach dem Entwurfe Alles, was die elterliche Gewalt nur zu geben vermag. In Betreff der elterlichen Gewalt der Mutter enthält die Hauptbestimmung der § 1529. Derselbe bestimmt: Neben dem Vater hat während bestehender Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie jedoch nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor. (147) Wie geringfügig hiernach die elterliche Gewalt der Mütter ist, zeigen 2 Bestimmungen. a) Nach § 1565 ruht zwar die elterliche Gewalt des Vaters, wenn er wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist. Gleichwohl heißt es Abs. 2: es steht ihm jedoch neben dem gesetzlichen Vertreter die Sorge für die Person des Kindes in gleicher Weise zu, wie nach § 1529 der Mutter neben dem Vater. Die elterliche Gewalt der Mutter ist also – derjenigen eines wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigten Vaters. b) Nach § 1585 ruht die elterliche Gewalt des Vaters, wenn er noch minderjährig ist. Nach § 1575 gelten die die elterliche Gewalt des Vaters betreffenden Vorschriften auch für die elterliche Gewalt der Mutter. In Erfüllung hiermit bestimmt der § 1585: Ruht die elterliche Gewalt der Mutter wegen Minderjährigkeit, so hat sie das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
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Darnach ist das Ruhen der elterlichen Gewalt der Mutter ein leeres Wort, das blos der Konsequenz wegen gebraucht ist; denn bei der minderjährigen Mutter hat darnach die elterliche Gewalt denselben Inhalt wie nach § 1528 bei der volljährigen. Daran aber, daß die Minderjährigkeit für den Entwurf kein Grund gewesen ist, der Minderjährigen weniger zu geben, als der Volljährigen, sieht man, wie geringfügig das elterliche Recht der Mutter in den Augen des Entwurfes selbst ist. So ist es denn sehr begreiflich, daß der Entwurf, wenn der Vater faktisch oder rechtlich verhindert ist, die elterliche Gewalt auszuüben, oder sie ihm entzogen ist, die Mutter nicht in die Lücke eintreten läßt. Zwar heißt es im § 1573, so lange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wird die elterliche Gewalt von der Mutter ausgeübt. Das soll aber nach § 1574 nur bedeuten, daß sie in solchem Falle die ihr eigenthümliche elterliche Gewalt, das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, ausübt! Zugleich aber auch, daß sie dann in der Ausübung durch den an die Stelle des Vaters tretenden Vormund oder Pfleger des Kindes beschränkt sein soll. Der 1. Entwurf hatte ihr auch dies Minimum von jenem an die Stelle treten genommen. (148) Hören wir nun die Gründe, die Gründe nämlich, weshalb nach den Bestimmungen der §§ 1573, 1574 und 1566 die Mutter nicht für den Vater eintritt, wenn er wegen Trunksucht ober Verschwendung entmündigt ist, wenn ihm die elterliche Gewalt wegen Mißbrauches oder wegen Verbrechen gegen das Kind genommen, oder er faktisch verhindert ist, sie auszuüben. Von dem Falle der Entmündigung des Vaters bemerken die Motive – wobei sie als Grund nur Verschwendung erwähnen; den Grund der Trunksucht hat erst der 2. Entwurf hinzugefügt; – S. 823: Von dem Prinzipe des ersten Absatzes macht der 2. Abs. des § 1555 – jetzt 1573 – für den Fall eine Ausnahme, wenn die elterliche Gewalt des Vaters in Folge der Entmündigung desselben wegen Verschwendung ruht. Mit Rücksicht auf die Abhängigkeit der Ehefrau von dem Ehemanne ist es bedenklich, in diesem Fall an Stelle der ruhenden elterlichen Gewalt des Vaters, die elterliche Gewalt der Mutter treten zu lassen. Wie in dem Falle, wenn dem Vater auf Grund des § 1546 die elterliche Gewalt durch das Vormundschaftsgericht entzogen ist, soll daher auch in dem hier in Rede stehenden Falle eine Vormundschaft über das Kind angeordnet werden. Wegen der Gründe, aus welchen der Entwurf Bedenken getragen hat, der Mutter in diesem Falle die Sorge für die Person des Kindes – – zu überlassen, wird auf die Motive S. 755 Bezug genommen. S. 755 heißt es: Auch die Mutter hat daher die Pflicht und das Recht, für die Person des Kindes auch in solchen Fällen nicht, in welchen der Vater die elterliche Gewalt verwirkt hat – – oder ihm dieselbe durch das Vormundschaftsgericht entzogen ist – – oder die elterliche Gewalt des Vaters in Folge der Entmündigung wegen Verschwendung ruht. Wegen des Einflusses, welchen der Vater seiner ganzen Stellung nach auf die Mutter ausübt, ist es bedenklich, der Mutter das Recht und die Pflicht u. s. w. – beizulegen. (149) Von dem Falle, daß dem Vater die väterliche Gewalt wegen Mißbrauches entzogen ist, nach § 1557, bemerken die Motive S. 806: Es tritt also in den hier in Rede stehenden Fällen nicht die elterliche Gewalt der Mutter an Stelle der dem Vater entzogenen elterlichen Gewalt. – – Eine gegentheilige Bestimmung würde bei der Abhängigkeit der Mutter von dem Vater und dem Einflusse des letzteren auf die Mutter den Erfolg der getroffenen Maßregel in vielen Fällen vereiteln u. s. w.
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Von dem Falle, wenn der Vater die elterliche Gewalt wegen Verbrechens gegen das Kind nach § 1569 verwirkt hat, bemerken die Motive S. 840 ungefähr ein Gleiches. Wenn der Vater auf längere Zeit faktisch gehindert ist, die elterliche Gewalt auszuüben, so ruht deshalb seine Gewalt noch nicht, sondern erst dann, wenn das Vormundschaftsgericht ausgesprochen hat, daß das Hindernis von längerer Dauer sei und wenn außerdem durch die Anordnung eines Pflegers nicht genügend für das Kind gesorgt werden kann. Kann dies nicht geschehen, so tritt in jener Voraussetzung die Mutter mit der ihr eigenthümlichen elterlichen Gewalt der Sorge für die Person des Kindes ein. Aber in dem Falle, wenn der Vater durch ein nicht für länger dauernd erklärtes Hinderniß verhindert ist, tritt die Mutter nicht in seine Stelle ein. Die Motive bemerken darüber S. 823: Ein dringendes praktisches Bedürfniß, in solchen Fällen, in welchen der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt durch Abwesenheit oder Krankheit verhindert, oder Gefahr im Verzuge ist, die elterliche Gewalt der Mutter eintreten zu lassen, – – – liegt nicht vor, da insoweit die Vorschriften über Anordnung einer Pflegschaft und über die Geschäftsführung ohne Auftrag als zureichend zu erachten sind. Als ich das Alles las, traute ich meinen Augen kaum: wenn der Mann entmündigt ist, wenn er die elterliche Gewalt mißbraucht hat, oder Verbrechen gegen sein Kind begangen hat und durch solches Unglück in der Ehe die Frau hingewiesen ist auf den Ernst des Lebens und mit banger Sorge auf ihre Kinder sehen (150) muß, soll die Gefahr vorhanden sein, daß sie in Folge des Einflusses eines solchen Mannes, ihre Pflichten gegen die Kinder verletzte und deshalb soll die Sorge für diese einem fremden Mann übertragen und auf die große Bürgschaft der Pflichterfüllung verzichtet werden, welche bei der Mutter in der mütterlichen Liebe enthalten ist. So kann unmöglich der Entwurf erwogen haben. Der Grund kann nur ein Rechtsgrund gewesen sein, nur die Rechtskonsequenz, gegen die der Entwurf ja auch sonst die Nützlichkeitsgründe zurücktreten läßt. Steht dies aber fest, so ist auch klar, was der Grund hier war: Das Mundium litt es nicht. Dadurch, daß der Mann entmündigt ist, daß er gegen das Kind Verbrechen begangen hat ec. wird das Mundium nicht aufgehoben. Die Frau schuldet auch einem solchen Manne Gehorsam, ist rechtlich verpflichtet, zu gehorchen. Freilich, wenn man sie in Fällen dieser Art in Betreff der Kindererziehung von dem Mundium entbände, sie würde dies mit Freuden acceptiren. Aber macht man einmal ein Loch, so bricht sehr leicht das ganze Mundium zusammen. Das nur kann der Grund gewesen sein, gegen den die Zweckmäßigkeitsgründe kein Gehör fanden; was dann konsequent dahin führte, daß abweichend vom französischen Rechte, die Mutter auch bei faktischer Verhinderung des Vaters dessen Gewalt nicht haben soll. So erst versteht man die folgenden Aussprüche in den Motiven: S. 739: Die elterliche Gewalt ist, so lange beide Eltern am Leben sind, nicht als dergestalt beiden Eltern gemeinsam zustehend gedacht, daß die Mutter in eine jede entstehende Lücke eintritt.
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Weshalb sie nicht so gedacht ist, ist nicht hinzugefügt. Ferner S. 755: Während des Bestehens der Ehe hat aber die Mutter, wie die Fassung des § 1506 mit genügender Deutlichkeit erkennen läßt, die Pflicht und das Recht, für die Person des Kindes zu sorgen auf Grund des § 1506 nur neben dem Vater. Fällt während der Ehe das Recht und die Pflicht des Vaters – – – – weg, so hört damit auch Recht und Pflicht der Mutter auf. (151) Ferner S. 823: Da – – die elterliche Gewalt des Vaters auch in Ansehung der Sorge für die Person des Kindes vollständig ruht, so kann – – auch die Mutter, die ihr sonst – – zustehende Sorge – –, welche sich lediglich als ein Antheil an der dem Vater zustehenden elterlichen Gewalt darstellt, nicht ausüben. Der Entwurf hat von seinem Standpunkte aus gewiß Recht! Er hat, wenn das Mundium aufrecht erhalten werden soll, die Konsequenz für sich. Aber, wenn das Mundium fällt, so verlangt, falls der Begriff elterliche Gewalt etwas von der väterlichen Gewalt Verschiedenes ist, nicht minder die Konsequenz, daß dann die Mutter in jede Lücke muß eintreten können. Gründe, die außer der Konsequenz hierfür sprechen, giebt es kaum bessere als die Motive selbst enthalten. Ich führe aus ihnen dasjenige mit an, was sie dafür geltend machen, daß der Mutter nach dem Tode des Vaters die volle elterliche Gewalt grundsätzlich einzuräumen sei. Es heißt S. 736 ff. Wenn aber der Vater gestorben ist, so ist es die Mutter, welcher nach der Natur der Dinge die elterliche Schutzpflicht, wie dieselbe bisher vom Vater ausgeübt wurde, zufällt, und entspricht es dieser natürlichen Pflicht, wenn ihr auch rechtlich eine dieser Pflicht entsprechende, der Stellung des Vaters grundsätzlich gleichkommende elterliche Stellung eingeräumt wird. Es liegt zwar der Einwand nahe, daß es etwas Anderes sei, die Frauen für befähigt zu erklären, ihren eigenen Geschäften vorzustehen und sie für geeignet zu halten, fremde Geschäfte mit Erfolg zu führen, daß vielfach, besonders in höheren Ständen den Frauen die nöthige Einsicht und Erfahrung fehle zur Uebernahme der so oft schwierigen Geschäfte der Vermögensverwaltung, daß ihnen die männliche Autorität und die Kraft mangele, welche die Erziehung der Kinder erfordere, mit anderen Worten, daß es praktischen Bedenken unterliege, nach dem Tode des Vaters der Mutter die volle elterliche Stellung einzuräumen, welche ihr im Prinzipe vorzuenthalten, kein Grund vorliegt. Diesem Einwande (152) gegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß es nicht eigentlich fremde Geschäfte sind, deren Besorgung der Mutter hier übertragen werden soll, daß es sich vielmehr um die Angelegenheiten ihrer nächsten Angehörigen, ihrer Kinder handelt. Es ist nicht ein öffentliches Amt, durch welches der Mutter fremde Geschäfte von Außen überwiesen werden, vielmehr handelt es sich wesentlich doch nur um eine Erweiterung ihrer familienrechtlichen Stellung, um eine vollere Gestaltung ihres hausfraulichen und mütterlichen Berufes. Die Mutter soll nicht aus ihrem natürlichen Berufe herausgehoben, sondern im Gegentheil nur von den Schranken befreit werden, welche sie bisher in der Erfüllung des ihr eigenen Berufes beengten. Dem Entwurfe liegt Nichts ferner als der Gedanke der sog. Emanzipation der Frauen. Er geht vielmehr von der Erwägung aus, daß das Mißtrauen, welches frühere Jahrhunderte in die Fähigkeit der Frau zu einer vollen Erfüllung ihres elterlichen Berufes setz-ten, und – – – vielfach setzen mußten, nach den Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr berechtigt ist. Den vom praktischen Standpunkt sich erhebenden Bedenken ist ein entscheidendes Gewicht nicht beizumessen; in den weitaus meisten Fällen kann die Fähigkeit der Mutter zur Ueber-
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nahme dieser vollen Elternpflicht nicht wohl in Zweifel gezogen werden. Die große Mehrzahl der Fälle aber ist es, welchen das Recht keine Regel zu entnehmen hat – – – Gerade vom praktischen Standpunkt aus ist es weniger zu empfehlen, wegen der verhältnißmäßig seltenen Fälle die großen Vorzüge zu opfern, welche die Anerkennung der elterlichen Gewalt der Mutter für die große Mehrzahl der Fälle bietet. Insbesondere sind es auch praktische Vortheile, welche die Anerkennung der elterlichen Gemalt der Mutter mit sich bringt. Sie führt zu einer großen Vereinfachung der Verhältnisse. Wie sie einerseits das innere Familienleben vor der sich eindrängenden Einmischung vormundschaftlicher Aufsichtsorgane bewahrt, so vermindert sie andrerseits in erheblicher Weise die Geschäfte der Vormund-(153)schaftsgerichte, entlastet die durch die neuere Gesetzgebung mehr als früher in Anspruch genommene Thätigkeit der Staatsbürger auf dem Gebiete der Vormundschaftsverwaltung und erspart so nicht blos dem Staate, sondern auch den Kindern und den Staatsbürgern nicht unerhebliche Kosten und Ausgaben. – Diese zu verkennen ist ec. – – – Es werden dann Bedenken angeführt, und dann heißt es: Für die Gesetzgebung des Reiches fallen indessen diese aus den Zuständen einzelner Landestheile des preußischen Staates entnommenen Bedenken – – – verhältnißmäßig weniger ins Gewicht, als für den preußischen Staat. Das Reich kann nicht darauf verzichten, seine Gesetzgebung nach demjenigen Zuschnitte zu gestalten, welche der Bildungsgrad seines Volkes im Ganzen und Großen verträgt und erfordert; er darf es wagen, die etwa in der Entwicklung zurückgebliebenen Volkstheile mit sich fort zu ziehen. Über jene Bedenken können in so hohem Grade überhaupt nicht als begründet anerkannt werden. Erfahrungsmäßig pflegt in einer wenig fortgeschrittenen Bevölkerung die Frau hinter dem Manne an intellektueller Begabung keineswegs zurückzustehen. Im Durchschnitt ist zudem der Bildungsgrad in Deutschland kein geringerer als in den romanischen Ländern. Hat in diesen Ländern die Mutter sich den ihr durch die dortige Gesetzgebung gestellten Aufgaben gewachsen gezeigt, so ist es auch für die Gesetzgebung des deutschen Reiches praktisch unbedenklich, die elterliche Gewalt der Mutter anzuerkennen, vollends wenn man mit dem Entwürfe (§ 1578 bis 1593) gewisse fakultative Einschränkung der elterlichen Gewalt der Mutter zuläßt, für welche ein Bedürfnis weit mehr in den Verhältnissen der höheren Stände, als in denen der niederen Stände liegt. In Frankreich erhoben sich bei Berathung des code civil in der hier fraglichen Richtung ähnliche Bedenken. Als ein Zugeständniß an die letzteren wurde in das Gesetz die Bedingung aufgenommen, daß der Vater berechtigt ist, der Mutter einen Rathgeber beizuordnen. In dem (154) Gebiete der preußischen Rheinprovinz hat jedoch das praktische Bedürfniß fast niemals dazu geführt, von diesem Auskunftsmittel Gebrauch zu machen – ein Zeichen, daß in diesem Gebiete die Mutter sich der ihr gestellten Aufgabe gewachsen gezeigt hat. Dieselbe Erfahrung hat man, so viel bekannt, auch in denjenigen deutschen Rechtsgebieten, in welchen eine mütterliche Gewalt anerkannt ist, gemacht. Für den Beweis, daß aus der Geschäftstüchtigkeit der deutschen Frau kein Bedenken gegen die Uebertragung der vollen elterlichen Gewalt entnommen werden kann, brauche ich diesen Gründen gar Nichts hinzuzufügen. Daß sie ohne Frage Gründe der Minorität der Kommission sind, nimmt ihnen Nichts an Gewicht. Sie beweisen durch das, was sie sagen. Hätte die Mehrheit sie getheilt, so konnte man der Frau die volle elterliche Gewalt unmöglich verweigern. Darin, daß die Mehr-
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heit der Kommission die Geschäftstüchtigkeit der Frau nicht entsprechend fand der ihr vom Gesetz beigelegten vollen Geschäftsfähigkeit, wird man einen Grund erblicken dürfen, weshalb der Entwurf so fest am Mundium hält. So formalistisch, daß er hier das Mundium blos deshalb zur Geltung bringen wollte, weil es das alte Recht ist, ist der Entwurf doch gewiß nicht gewesen. Er hatte sicherlich auch sachliche Gründe, auch einen aus dem Zwecke des Wohles der Ehe entnommenen. Der kann dann aber nur gewesen sein, daß er die Frau nicht für genug geschäftstüchtig hielt, um ohne die Herrschaft des Mannes ihre Pflichten in der Ehe erfüllen zu können. Es wäre demnach der Frau die volle elterliche Gewalt zu geben; und so entspricht es dem Begriffe der elterlichen Gewalt. Sie beruht auf der Pflicht der Eltern, ihr Kind zu unterhalten und zu erziehen, die einen Jeden der Eltern trifft und demnach nur in der Ausübung eine Theilung zuläßt. Eine solche muß aber nach dem früher Ausgeführten in der Ehe unbedingt stattfinden, weniger deshalb, weil das, was Unterhalt und Erziehung verlangen, zu einem großen Theile von der Art ist, daß Jeder der Ehegatten es thun kann, indem es meistens die Mutter thun wird, aber doch jedenfalls deshalb, weil es gerade in diesen Angelegenheiten sehr nahe liegt, daß der Eine verlangt, daß der Andere sich nach seinem Willen richten solle, kurz deshalb, weil der Grundsatz, daß eine Angelegenheit dann am besten besorgt wird, wenn sie der, dem sie (155) obliegt, in voller Freiheit und Verantwortlichkeit besorgen kann, seine Geltung auch in der Erziehung hat; so erwünscht und bisweilen unerläßlich gerade darin ein Rath sein kann – das vulgäre Sprichwort: viele Köche verderben den Brei, hat an manchen Kindern eine traurige Bewahrheitung gefunden. Die Theilung ist vorzunehmen nach Maßgabe der Pflichten in der Ehe und nach Maßgabe der Befähigung von Mann und Frau. Die ökonomische Pflicht in der Ehe liegt dem Manne ob. Demgemäß hat er überall zu entscheiden, wo es auf Kosten ankommt, die ihm zur Last fallen würden, vorbehaltlich, wie in allen übrigen Fällen für den, der die Entscheidung nicht zu treffen hat, das Recht der Berufung an das Gericht, wenn er behauptet, daß das Gesetz der Ehe verletzt sei. Der Frau liegt als Ehelast die persönliche Mühewaltung ob und dementsprechend hat sie die Mühewaltung der Ernährung und der Erziehung des Kindes. Nach dem früher Gesagten ergiebt sich hieraus, daß der Mutter in Angelegenheiten der Ernährung und Erziehung auch die Entscheidung zustehen muß; indessen in Betreff der Knaben würde sie ihr nur zu gewähren sein, bis für die Ausbildung zu einem Berufe, die der Vater bestimmt, die Entscheidung des Vaters nicht entbehrt werden kann. Es wird dies meistens nur allmählich eintreten, das Gesetz muß aber eine bestimmte Altersgrenze festsetzen. Als solche bietet sich naturgemäß die Vollendung schulpflichtigen Alters. Bezüglich der Ernährung wird wohl Jeder zugeben, daß wenn die Mutter sagt: das Kind darf nicht mehr essen, es verträgt es nicht, oder: es darf das und das nicht genießen, und der Vater sagt: doch – daß dann die Entscheidung der Mutter gelten muß. Nur in Betreff der Erziehung werden Bedenken erhoben werden, weshalb ich Folgendes zur weiteren Begründung bemerke. Wünschenswerth ist, daß die Eheleute über die Erziehung berathen. Aber Einer, der befehlen kann, wenn er auch nach den Gründen fragt: warum hast Du das gethan! – theilt seine Gründe nicht zur Berathung mit; er befiehlt und motivirt
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dann seine Befehle; und der, dem befohlen werden kann, hütet sich, seine Gründe zu offenbaren, weil er fürchtet, die Gegengründe in Form eines Befehls zu erhalten. (156) In Erziehungssachen muß deshalb das Befehlendürfen ausgeschlossen sein. Die Frau aber kann darin nicht befehlen, sie hat die Ausführung, sie erzieht; nur der Mann kann es; es ist daher ihm das Befehlen zu untersagen, die Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten somit, wie es das System der Freiheit in der Ehe bedingt, weil die Thätigkeit des Erziehens ihr obliegt, der Frau zu geben. Daß dies das Richtige ist, zeigt sich aber auch an Folgendem. 1. Soll der Mann eine richtige Direktive geben können, so muß er das Kind kennen. Aber kennen kann nur der es, der es dauernd und geduldig beobachtet hat. Das zu thun, hat der Mann regelmäßig keine Zeit, denn er muß seinem Berufe nachgehen, sieht das Kind vielleicht nur Mittags und Abends u. s. w.; und hat er ausnahmsweise dazu Zeit, so fehlt es ihm an Lust, weil er kein praktisches Interesse hat, das ihn dazu auffordert; denn die Frau hat die Erziehung, an dieser aber auch ein praktisches Interesse, das Kind genau kennen zu lernen; wie sie auch, wenn sie unter dem Mundium steht in Folge eines solchen Interesses ihren Mann genau kennt, während er sie beinahe gar nicht kennt, weil, wer Alles befehlen kann, seinen Untergebenen kaum zu kennen braucht. 2. Der Mann versteht sich nicht auf Erziehung, auf die Kunst, wie es gemacht werden muß, daß das Kind das, was ihm als Norm gelehrt wird, in sein Pflichtempfinden aufnimmt. Die Natur hat in dieser Kunst die Frauen bevorzugt. 3. Im Zusammenhange mit dem verbreiteten Irrthum, daß, wenn irgend ein Mißstand zu verhüten sei, man nur ein Gesetz zu erlassen brauche, meint man, wenn dem Vater das Recht gegeben werde, zu befehlen, so werde das Kind nach seinem Befehl erzogen. Das ist aber sehr irrig. Die Mutter betrachtet es als ihre Pflicht und deshalb auch als ihr Recht, das Kind nach ihrem besten Wissen und Können zu erziehen und achtet deshalb den Befehl des Mannes nicht. Obgleich er die meiste Zeit nicht gegenwärtig ist, kann ihm solches doch nicht verborgen bleiben. Dann kommt es zum Streit, und wie das auf das Kind wirken muß, brauche ich nicht auseinanderzusetzen. Was hiermit wohl ausführlich genug dargelegt ist, muß namentlich auch von der religiösen Erziehung gelten, schon deshalb, weil sie einen Hauptbestandtheil der Erziehung bildet, ohne dessen Handhabung die Mutter überhaupt nicht zu erziehen vermag. (157) Der Entwurf schweigt über die religiöse Erziehung. Aus den Motiven IV S. 757 ergiebt sich, daß er die Entscheidung darüber den Landesgesetzen überlassen will. In der Voraussetzung, daß das vom Gesetzgeber nicht gebilligt werden wird, bemerke ich zur Vervollständigung des Gesagten Folgendes: Die Kirchen haben keinen Rechtsanspruch auf Bestimmung der Religion. Die Meinung, daß das Gesetz die Religion bestimmen müsse, beruht auf dem erwähnten Irrthum. Das Gesetz kann durch solche Bestimmung nicht bewirken, daß, worauf es ihm doch ankommt, das Kind in der vorgeschriebenen Religion innerlich religiös erzogen werde, es kann blos bewirken, daß es diese Religion äußerlich bekenne. Es muß also die Bestimmung der Religion den Eltern verbleiben; und wenn sie uneins sind, kann dem Richter unmöglich die Entscheidung zustehen. Auch kann eine frühere Vereinbarung der Eltern nicht bindend sein. Wer die Bestimmung der Religion hat, ist verpflichtet, diejenige Religion zu bestimmen, von welcher er bei
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Eintritt der Zeit, da das Kind religiös erzogen werden und die Entscheidung getroffen werden muß, annimmt, daß eine Erziehung in ihr durch das Wohl des Kindes geboten sei. Diese Pflicht durch einen im Voraus geschlossenen Vertrag zu vergeben, ist unmoralisch. Die religiöse Erziehung zum Unterschied von dem Unterricht in den Lehrsätzen der Religion besteht nun aber darin, es zu bewirken, daß die religiösen Wahrheiten von dem Kinde statt mit dem Verstande, mit dem Empfinden erfaßt und Gegenstand festen Glaubens und so ein Halt und eine feste Grundlage werden für das ganze ethische Verhalten des Kindes, für Alles, was es für seine Pflicht und für Recht und Unrecht hält. Aber, wie kann Jemand einem Andern eine Empfindung beibringen, die er selbst nicht hat – einen religiösen Glauben, den er selbst perhorreszirt? Das verlangt man aber von der Mutter, wenn man dem Vater die Entscheidung über die Religion giebt. Denn das Erziehen thut die Mutter, und die religiöse Erziehung ist nur möglich bei der übrigen Erziehung, nur so, daß dem Kinde bei der Anweisung über sein Verhalten ein religiöser Bestimmungsgrund, den es in sein Empfinden aufnimmt, gegeben wird; und umgekehrt ist auch die übrige Erziehung nicht (158) möglich ohne religiöse Unterweisung und deßhalb wird, wenn der Vater die Religion bestimmen soll, der Mutter angesonnen, daß sie in dem Kinde Empfindungen wecke und aufrecht erhalte, die sie selbst nicht hat. Hiermit wäre die Theilung der Ausübung der elterlichen Gewalt bis auf einen Punkt bewerkstelligt. Wer soll die Verwaltung des Vermögens des Kindes haben? Ohne Frage der Vater. Wie der Vater den Beruf des Kindes zu bestimmen und die Kosten der Ausbildung zu tragen hat, weil er dafür zu sorgen hat, daß das Kind, wenn es selbstständig geworden ist, sich selbst unterhalten und seiner Befähigung entsprechend in der Welt wirken kann, so hat er auch dafür zu sorgen, daß ihm sein Vermögen erhalten werde, und zu bestimmen, in welcher Weise es, falls des Vaters Mittel unzulänglich sind, zu dessen Ausbildung mit verwandt werden soll; weshalb denn auch die elterliche Nutznießung, so lange er die Verwaltung hat, auch nur ihm, und nicht der Mutter zu Gute kommen kann. Aus diesem Grunde muß aber auch, weil jede Prozeßführung auf das Vermögen zurückwirken kann, der Vater die Vertretung des Kindes haben. Es wäre hiernach der § 1529 durch folgende Bestimmung zu ersetzen: Die Verwaltung des Vermögens des Kindes und die Nutznießung des Vermögens, sowie die Vertretung des Kindes liegt dem Vater ob, mit dem Rechte der Entscheidung. Die Mühewaltung für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes liegt der Mutter ob. Sind in Betreff des Unterhaltes und der Erziehung die Eltern verschiedener Meinung, so geht die Meinung des Vater vor, so weit es sich um Kosten handelt, die ihm zur Last fallen, sowie in Betreff der Bestimmung des Berufes des Kindes; im Uebrigen aber geht die Entscheidung der Mutter vor, auch in Bestimmung der Religion des Kindes, in der Erziehung der Knaben indessen nur bis zur Vollendung des schulpflichtigen Alters. Ist Einer der Eltern in seinem Geschäftskreise (159) verhindert, so vertritt ihn der Andere, auch mit dem Rechte der Entscheidung. Gegen jede Entscheidung steht dem andern Theile die Beschwerde wegen Mißbrauches zu.
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Zu den Paragraphen, die hiernach Aenderungen zu erfahren hätten, würden insbesondere folgende gehören: 1. In § 1557, wonach das Vormundschaftsgericht zur Anordnung geeigneter Maßregeln ermächtigt ist, wenn der Vater das Recht der Sorge für das Kind mißbraucht durch ehrloses, unsittliches Verhalten ec., wäre statt so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu treffen, zunächst zu sagen: so steht die Ausübung der elterlichen Gewalt der Mutter allein zu und erst dann hinzuzufügen: Wenn jedoch durch sie für das Wohl des Kindes nicht ausreichend gesorgt werden kann, so hat ec. 2. Die gleiche Bestimmung wäre zu treffen zum § 1559, wonach der Vater in Folge Bestrafung wegen gewisser Verbrechen gegen das Kind die elterliche Gewalt verwirkt hat. 3. Nach § 1479 würde, wenn durch Ehescheidungsurtheil der Mutter ein Kind zugesprochen ist, der Vater noch die elterliche Gewalt darüber haben. Es ist das höchst unzweckmäßig. Es wäre zu bestimmen, daß dem geschiedenen Ehegatten über das ihm zugesprochene Kind die Ausübung der elterlichen Gewalt allein zustehe. Es würde ferner ganz besonders erwünscht sein im Interesse des Kindes, wenn das Gesetz die Bestimmung träfe, daß jeder Elterntheil verpflichtet sei, einen Mißbrauch der elterlichen Gewalt durch den andern dem Vormundschaftsgerichte anzuzeigen. Die Pflicht der Sorge für das Wohl des Kindes verpflichtet jeden der Eltern dazu, und der Anschein des Gehässigen, der so leicht auf einer Denunziation liegt, würde durch die Bestimmung verhütet. Es wäre durch dieselbe mehr zu erreichen, als durch die Bestimmung betr. den Waisenrath § 1564, über deren Verbesserung ich in meiner Schrift über die Rechte unehelicher Kinder S. 18 Näheres bemerkt habe. (160) Wie ganz anders der Entwurf über die elterliche Gewalt des Vaters denkt, als über die der Mutter, geht übrigens nicht blos aus der die Scheidung betreffenden Bestimmung hervor. Es erhellt auch daraus, daß der Entwurf in den Fällen des Mißbrauches des § 1557 den Verlust der elterlichen Gewalt nicht angeordnet hat, und daß nach § 1569 der Vater wegen Verbrechen gegen das Kind die elterliche Gewalt erst dann verlieren soll, wenn mindestens auf sechs Monate Gefängniß erkannt ist. Indem der Entwurf die elterliche Gewalt des Vaters in solchem Ansehen hält, diejenige der Mutter dagegen beinahe äqual null, scheint es, daß der Entwurf geglaubt habe, die Heiligkeit der Ehe erfordere das, sie erfordere, daß das Recht des Mannes so viel wie möglich unantastbar, die Frau aber so viel wie möglich rechtlos sei. Aber, was die Ehe heilig macht, ist, daß zwei Leute sich zur Lebensgemeinschaft verbunden haben. Dies soll unantastbar und deshalb heilig sein. ________________________
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B. Elterliche Gewalt der Mutter nach dem Tode des Vaters. Es wären die sämmtlichen, die Anordnung eines Beistandes betreffenden Bestimmungen, §§ 1576 bis 1584, zu streichen. Die Hauptbestimmung, die des § 1576, lautet: Das Vormundschaftsgericht hat der Mutter einen Beistand zu stellen. 1. wenn der Vater durch Verfügung von Todeswegen die Bestellung nach Maßgabe des § 1568 angeordnet hat; 2. wenn die Mutter die Bestellung beantragt; 3. wenn das Vormundschaftsgericht aus besonderen Gründen, insbesondere wegen des Umfanges oder der Schwierigkeit der Vermögensverwaltung, oder in Fällen der §§ 1557, 1558 die Bestellung im Interesse des Kindes für nöthig erachtet. Es versteht sich ganz von selbst, daß, wenn nach Aufhebung des Mundiums die Frau während der Ehe die volle elterliche Gewalt neben dem Manne hat und sie beide sich bloß in der Ausübung einander beschränken, nach dem Tode des Mannes der Frau (161) die elterliche Gewalt zur alleinigen Ausübung verbleiben muß, nicht anders, als wie es sich mit dem Manne verhält, wenn die Frau gestorben ist. Es müssen daher, wenn das Mundium aufgehoben wird, diese Bestimmungen hinwegfallen. Aber auch, wenn das Mundium bestehen bliebe, wären die Bestimmungen zu streichen. Nachdem die die elterliche Gewalt während der Ehe betreffenden Bestimmungen den Grundsatz, den der Entwurf aufstellt, daß auch die Mutter die elterliche Gewalt haben solle, nicht haben zur Anwendung gelangen lassen, durfte man erwarten, daß der Mutter wenigstens nach Auflösung der Ehe jener Grundsatz zu Gute kommen werde. Statt dessen verhindern die hier in Rede stehenden Bestimmungen die Anwendung des Grundsatzes auch nach Auflösung der Ehe, und lassen so der Mutter auch nachher bloß den Namen der elterlichen Gewalt, und das durch eine Begründung, die mangelhaft ist. Es kann nach den oben erwähnten Bestimmungen der Mutter je nach dem Ermessen des Gerichtes für die Ausübung der elterlichen Gewalt ein Vormund gesetzt werden unter dem Namen Beistand – ein Name, der sonst nur für einen Rathertheiler ohne Genehmigungsrecht üblich ist. Ist dies geschehen, so kann die Mutter keine Handlung, zu welcher ein Vormund die Genehmigung des Nebenvormundes oder des Gerichtes nöthig hat, ohne Genehmigung des Beistandes vornehmen, und außerdem eine solche nicht, für welche das Gericht die Genehmigung vorgeschrieben hat. Nach § 1577 kann der Beistand für alle oder für einzelne Handlungen bestellt werden; nach § 1578 hat er die Ausübung der elterlichen Gewalt zu überwachen; die Mutter hat ihm also über Alles Auskunft zu geben; sie hat nach § 1581 dem Gerichte ein Vermögensverzeichniß einzuliefern und nach § 1582 kann das Gericht die ganze Vermögensverwaltung dem Beistande übertragen. – Alles nach freiem Ermessen. Die Handlungen, zu denen die Genehmigung des Beistandes jedenfalls erforderlich sein soll, sind solche, von denen man nicht einsieht, warum nicht auch dem Vater dafür ein Beistand zugeordnet wird: Verfügung über eine Forderung, über ein Werthpapier (§ 1692) – Zurücknahme eines hinterlegten Werthpapieres (§ 1699) – Umschreibung von Inhaberpapieren (§ 1700) – Verfügung über Grundstücke, Erwerb von Grundstücken (§ 1701) – Pachtverträge über ein Landgut
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(§ 1702) – Mieths- und Pacht-(162)verträge von länger als ein Jahr – Lehrvertrag von länger als 1 Jahr – Arbeitsertrag auf länger als 1 Jahr – Ausstellung von Wechseln – Aufnahme von Kredit (§ 1702). So weit für Vornahme solcher Handlungen Rechtskenntnisse wünschenswerth sein können, hat der Mann, wenn er nicht Jurist ist, sie ebenso wenig wie die Frau und der Beistand müßte sich doch auch an einen Rechtsverständigen wenden. Es bleibt hiernach der Mutter, wenn sie einen Vormund erhält, obschon sie Mutter bleibt, von einer elterlichen Gewalt nur der Schein. Zu einer solchen Zurücksetzung kann die Ansicht von der unzulänglichen Geschäftsfähigkeit der Frau allein den Entwurf schwerlich bestimmt haben. Abgesehen davon, daß es ein Irrthum ist, zu warten, daß durch eine solche Einrichtung besser für das Wohl des Kindes gesorgt werde, als wenn die Mutter mit ihrer eigenen Verantwortlichkeit dafür einzustehen hat, so ist es in hohem Grade bedenklich, daß der Richter die Anordnung der Beistandschaft, wie die Motive hervorheben, von Amtswegen und ganz nach seinem Ermessen soll treffen können. Es hängt das zusammen mit der Vorstellung des Entwurfes von der großen Zuverlässigkeit eines thunlichst unbeschränkten richterlichen Ermessens. Aber auch der tüchtigste Richter ist in diesem Fall auf ein Gerathewohl angewiesen. Die Hauptsache ist doch die Persönlichkeit der Mutter. Wie soll er aber darüber ein Urteil gewinnen? Wenn die Mutter mit ihm in demselben Dorfe wohnt, oder wenn er einen vorurteilslosen Mann kennt, der sie kennt, so geht die Sache. Aber wie selten trifft sich Solches. Und nun nehme man hinzu, was jeder Richter, der mit Familienräthen längere Zeit verhandelt hat, weiß, wie eingenommen regelmäßig die Verwandten des verstorbenen Gatten gegen den überlebenden sind. Der Richter ist da der allergrößten Gefahr ausgesetzt, fehl zu greifen und nachher eine öffentliche Kritik zu erfahren, die das Gesetz verschuldet hat. Die Gründe bemerken IV S. 797/98: Wenngleich der Entwurf der Mutter eine der elterlichen Gewalt des Vaters grundsätzlich gleichstehende Gewalt einräumt, so hat er doch Anstand genommen, diesen Schritt so unbedingt und vorbehaltslos zu thun, wie der hessische Entwurf, das italienische Gesetzbuch und das weimarische Gesetz. Wenn es für (163) unbedenklich erachtet ist, der Mutter die elterliche Gewalt zu geben, so ist dies in der Erwägung geschehen, daß es auch in etwa vorkommenden schwierigen Verhältnissen der Mutter regelmäßig an dem Einen oder Anderm ihr nahestehenden Verwandten oder Freunden nicht fehlen wird, welche ihr – – – mit Rath und That beistehen kann und will. Es ist jedoch anzuerkennen, daß es immer einzelne Fälle, namentlich in höheren Ständen, geben wird, wo die Mutter einer solchen Stütze bedarf, gleichwohl aber nach ihrer Persönlichkeit oder sonstigen Verhältnissen zu besorgen ist, daß sie entweder nicht im Stande ist, selbstständig den Beistand eines solchen Vertrauensmannes sich zu verschaffen, oder, daß sie dem Rathe desselben nicht denjenigen Einfluß einräumt, welchen das Gesetz, indem es ihr die elterliche Gewalt unbeschränkt anvertraut, voraussetzt. Man darf sagen, daß diese Begründung unzulänglich ist, ähnlich wie es für die Verfügung der elterlichen Gewalt während der Ehe die Begründung ist, daß die elterliche Gewalt während der Ehe nicht als beiden Eltern gemeinsam zustehend gedacht sei.
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Bei solcher Unzulänglichkeit der Begründung darf man annehmen, daß, so ungünstig der Entwurf auch über die Geschäftstüchtigkeit der Frau urtheilt, dies doch nicht allein für ihn bestimmend gewesen ist, ihr die elterliche Gewalt nach dem Tode des Mannes nur dem Namen nach zu lassen; es muß noch ein anderer Grund, ein systematischer obgewaltet haben, einer, der durch die Konsequenz gegeben war. Ein solcher liegt aber sehr nahe: sollte die Frau während der Ehe die elterliche Gewalt nicht haben, so durfte man sie ihr auch nach dem Tode des Mannes nicht geben; und gab man sie ihr nach dem Tode des Mannes, so mußte man sie ihr auch während der Ehe geben. Wie sehr der Entwurf in den hier in Rede stehenden Bestimmungen vom Geiste des Mundiums geleitet ist, sieht man an der Bestimmung des § 1576 Ziffer 1, wonach der Mann durch Verfügung von Todeswegen seiner Frau einen Beistand zuordnen kann – nicht wie nach französischem Rechte einen Beistand, welcher der Frau blos Rath zu ertheilen hat, sondern den Beistand des Entwurfes, der sie bevormundet. Es soll also, völlig konsequent, (164) ganz wie bei der väterlichen Gewalt, das Mundium noch nach dem Tode des Mannes fortwirken, und zwar nicht blos auf die Frau selbst, sondern auch auf ihr Kind; denn nach § 1658 kann der Mann von Todeswegen auch ihrem Kinde einen Vormund ernennen und ihr so die elterliche Gewalt über dasselbe entziehen. Im Falle der Aufhebung des Mundiums wäre auch zu streichen die Bestimmung des § 1586: Die Mutter verliert die elterliche Gewalt, wenn sie sich wieder verheirathet. Es wäre zu sagen: Die Mutter verliert die elterliche Gewalt nicht ec. Wenn die Mutter mit der Wiederverheirathung in eine Mundiumsehe eintritt, so kann sie durch das Mundium gehindert sein, der Sorge für ihre Kinder sich in voller Freiheit hinzugeben. Es hatte daher Grund, wenn die bisherigen Rechte die Mutter im Falle der Wiederverheirathung des Erziehungsrechtes verlustig erklärt haben. Auch der Entwurf setzt den Grund seiner Bestimmung in den Mundialcharakter, darin nach IV S. 834, daß die Mutter „in ein Abhängigkeitsverhältniß zu einem den Kindern fremden Manne tritt“. Wird aber das Mundium aufgehoben, so wird ihr eben so unbedenklich die elterliche Gewalt gelassen werden können, wie die bisherigen Rechte sie ihr gelassen haben, wenn der zweite Ehemann zum Mitvormund bestellt wird oder eingewilligt hat und so eine Garantie dafür vorhanden ist, daß er sie nicht hindern werde. Nach dem Landrechte II, 18 § 317 entzog die Wiederverheirathung das Erziehungsrecht nicht. ________________________ Zum dritten Abschnitt des vierten Buches des Entwurfes. Vormundschaft. Zu § 1664. Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden. Ausgenommen sind die Mutter und die Großmutter des Mündels sowie eine Frau, die von dem Vater (165) oder von der ehelichen Mutter als Vormund benannt ist. Eine Frau, die mit einem Andern als dem Vater des Mündels verheirathet ist, darf nur mit Zustimmung ihres Mannes zum Vormunde bestellt werden.
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Dafür, daß die Frau geschäftstüchtig ist für Uebernahme einer Vormundschaft, darf ich mich als völlig ausreichend auf das beziehen, was nach der Mittheilung aus den Motiven die Minorität der Kommission für die Tüchtigkeit der Frau zur vollen Ausübung der elterlichen Gewalt angeführt hat. Auch das, was ihrer Ausführung zufolge es legislativ anräth, der Frau die volle elterliche Gewalt zu übertragen, trifft im Ganzen auch dafür zu, sie für die Führung von Vormundschaften für befähigt zu erklären. Insbesondere gilt dies von dem Bedürfnisse, die so vielfach jetzt von öffentlichen Ungelegenheiten in Anspruch genommenen Männer in der Uebernahme von Vormundschaften zu entlasten. Die Entlastung würde eine merkliche sein. Es kommt aber noch ein Grund hinzu, der für den Gesetzgeber von besonderem Gewichte sein muß. Was soll der Vormund? Er soll Elternstelle vertreten, indem er für das Wohl des Mündels sorgt – aber aus dessen eigenem Vermögen, weshalb er auch die Vermögensverwaltung hat. Ueber die Vermögensverwaltung ist bisher kaum Klage gewesen. Man hat dafür so ausreichende Kontrollmaßregeln getroffen, daß jeder, der verständig und pflichtgetreu ist, dieselben mit Erfolg wahrnehmen kann und das Vergehen der Untreue, zu welchem Frauen auf keinen Fall mehr als Männer neigen, höchst selten ist. Anders verhält es sich mit der Sorge für das Wohl des Kindes, für seinen Unterhalt und seine Erziehung. Hier sind die Klagen allgemein und man ist über den Grund allgemein einverstanden. Es fehlt, sagt man: die elterliche Liebe. Aber in welchem Zusammenhange ist dies der Grund? In dem Zusammenhange, daß die Liebe das Mitleid und das Mitgefühl für das Dasein und die Zukunft des Kindes weckt und dadurch das Bestreben, ihm zu helfen. (166) Damit ist klar, wenn man Personen sucht, welche die Eltern vertreten sollen, denen es als Pflicht obliegen soll, sie so viel als möglich zu vertreten, so muß man dafür solchen Personen den Vorzug geben, die das für sich haben, daß sich von ihnen mehr als von allen Andern erwarten läßt, daß sie Mitleiden und Mitgefühl für das Kind haben werden und im Antrieb dieser Gefühle von dem, was das Wohl des Kindes erheischt, Solches erkennen werden, wofür das bloße Pflichtgefühl kein Auge hat und Solches thun, wozu diesem die Kraft abgeht. Jene Gefühle sind aber der Frau in ganz ungleich höherem Maße eigenthümlich als dem Manne. Die Frau ferner versteht sich auf die Erziehung. Dem Manne fehlt die Gabe dazu, namentlich die Beobachtungsgabe und die Geduld. Er kann unterrichten, aber nicht erziehen. Und endlich, wenn der Gesetzgeber auch dafür Sinn hat, wofür er ihn haben soll, daß es dem Kinde nicht bloß äußerlich gut gehe, sondern auch innerlich, in seinem Gemüthe, daß es Zuspruch finde für das, was sein Herz bedrückt und froh in’s Leben blicke, glaubt der Gesetzgeber, es damit an einen Mann verweisen zu können? So begreift man denn, daß die Klagen über Vernachlässigung des Wohles des Pfleglings uralt sind. Man hat verschiedene Einrichtungen getroffen, welche darauf berechnet sind, die Vormünder zur Erfüllung ihrer Pflicht anzuhalten, insbesondere hat man von der Einrichtung des Waisenrathes viel erwartet, es hat sich aber sehr wenig erfüllt; und auch andere ähnliche Maßregeln haben sich als ver-
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geblich erwiesen; die alten Klagen dauern fort. Erst neuerdings scheint man erkannt zu haben, daß sich der Uebelbestand durch Kontrolle nicht heben läßt, daß der Fehler ganz unten steckt, darin, daß man Männer mit Frauengeschäften beauftragt hat. In Einrichtungen, die jetzt in verschiedenen Städten getroffen worden sind, um in die Thätigkeit der Waisenräthe ergänzend einzugreifen, hat man Frauen zugezogen, z.B. in Berlin in dem Vereine „Freiwilliger Erziehungsbeirath für schulentlassene Waisen“. Im römischen Rechte und bis jetzt haben die Gesetze mit Zulassung nur weniger Ausnahmen die Frauen für unfähig zur Uebernahme von Vormundschaften erklärt. Im römischen Rechte hatte dies insofern Grund, als Frauen fremde Schuldverbindlich-(167)keiten nicht wirksam übernehmen und aus ihren Mitteln berichtigen konnten. Bezüglich der Stellungnahme des heutigen Gesetzgebers zu der Frage heißt es in dem bedeutendsten Werke über das heutige Vormundschaftswesen, Dernburg, Das Vormundschaftsrecht der preußischen Monarchie, 3. Aufl., § 42 S. 196: Auch die neueren Gesetzgebungen haben der alten Tradition folgend, durchgängig Frauen für unfähig zur Vormundschaft erklärt, und nur diejenigen Ausnahmen für die Mutter und die Großmutter aufgenommen, welche bereits das römische Recht anerkannt hatte. Ein innerer Grund für die Ausschließung der Frauen von der Vormundschaft liegt jedoch nicht vor. Sehr häufig werden gerade Frauen die geeignetsten Vormünder sein, wenn sie den Mündeln durch die Bande besonderer Liebe verknüpft sind, da sie vielfach an geschäftlicher Gewandtheit den Männern nicht nachstehen. Der Entwurf hat in § 1664 außer Mutter und Großmutter des Mündels alle Frauen ohne Unterschied in der Voraussetzung zur Vormundschaft zugelassen, wenn die Ernennung von dem Vater oder der ehelichen Mutter ausgeht. Er hält darnach alle Frauen ohne Unterschied der Vormundschaft fähig. Gleichwohl sollen andere Frauen, als des Kindes Mutter und Großmutter unter keiner anderen als jener Voraussetzung zur Vormundschaft zugelassen werden. Zur Begründung sagen die Motive: In Uebereinstimmung mit dem geltenden Rechte hält der Entwurf als Regel daran fest, daß eine Frau unfähig ist, Vormund zu sein. Der Umstand, daß der Entwurf die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit der Frauen auf dem Gebiete des Privatrechtes anerkennt und der Mutter gegenüber ihren Kindern elterliche Gewalt einräumt, kann in keiner Weise dazu nöthigen, auch den hier fraglichen Unfähigkeitsgrund allgemein aufzugeben. Richtiger ist es vielmehr und gerade auch im Interesse der Frauen geboten, dieselben mit der Pflicht zur Uebernahme öffentlicher Aemter und in diesem Sinne auch mit der Pflicht (168) des Vormundschaftsdienstes zu verschonen. Insbesondere ist, wenn der hier in Rede stehende Unfähigkeitsgrund allgemein aufgegeben wird, zu besorgen, daß gegen das Interesse des Mündels und gegen das Interesse des öffentlichen Dienstes von der Befugniß, Frauen als Vormünder zu bestellen, in zu großem Umfange Gebrauch gemacht werden könnte.
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Wenn in dieser Ausführung das Amt eines Vormundes zu den öffentlichen Aemtern gezählt wird, so ist das ein Irrthum. Gewiß übt der Vormund ein Amt, aber im Sinne der deutschen Gesetzgebung, worauf es doch nur ankommen könnte, wenn überhaupt etwas darauf ankäme, kein öffentliches. Der Entwurf würde es auch wohl schwerlich angenommen haben, wenn ihm die Bemerkung Dernburg’s über das Amt des Vormundes § 31 Note 4 bekannt gewesen wäre, wo es heißt: zu den öffentlichen Aemtern gehört dasselbe selbstverständlich nicht und wird hierzu auch nicht vom Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich gerechnet, vergl. § 34 Nr. 3 u. 6. In den hier von Dernburg angezogenen Bestimmungen des Strafgesetzbuches heißt es: Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte bewirkt ferner die Unfähigkeit, während der im Urtheil bestimmten Zeit 3. öffentliche Aemter zu erlangen – – – 6. Vormund – – – zu sein. Und was soll das Argument? Entweder hat, scheint es, der Entwurf gedacht: Frauen können keine öffentlichen Aemter bekleiden, die Vormundschaft ist ein öffentliches Amt, also können sie dies Amt nicht bekleiden; oder er hat gedacht, wenn sie Vormund werden können, so müssen sie konsequenter, also gerechter Weise, auch andere Aemter bekleiden können. Es wäre aber das eine Argument so unrichtig wie das andere. Hiermit wird dargethan sein, daß für den Gesetzgeber, der sich die Fürsorge für das Wohl der Pfleglinge zur Norm setzt, die triftigsten Gründe dafür vorhanden sind, die Frauen für fähig zur Vormundschaft zu erklären. (169) Anlangend die Bestimmung, daß die Frau nur mit Zustimmung des Mannes zum Vormunde bestellt werden kann, so ist sie ein reiner Ausfluß des Mundiums. Es tritt das ganz klar hervor, wenn man den Fall setzt, daß man einem einzelnen Herrn, der eine Magd hätte, ansinnen wollte, er solle derselben gestatten, nach ihrem Belieben das Haus zu verlassen und nach ihrem Belieben Angelegenheiten gewisser Art, die bisweilen einige Gänge nothwendig machten, für Andere zu besorgen. Der Herr würde zunächst sagen: Die Magd ist da für mich, für meine Bedürfnisse, und möglicher Weise kann ich sie gerade haben wollen, wenn sie nicht da ist. Und wenn man ihm dann bemerkte, daß das doch ein höchst seltner Fall sei, und daß bei der Pflichttreue der Magd gar nicht zu befürchten sei, sie werde irgend etwas versäumen, und daß ja er selber niemals ein Urtheil darüber haben könne, ob sie im Haushalte entbehrlich sei, und wenn dann der Herr das Alles zugäbe, so würde ihm das möglicher Weise doch noch nicht genügen, und er würde sagen: ich muß gleichwohl verlangen, daß die Magd mich jedesmal um Erlaubniß fragt, sonst leidet meine Autorität. So und nicht anders erwägt der Ehemann, der sein Mundium aufrecht erhalten will, und so hat für einen solchen der Entwurf hier erwogen. Die Bestimmung ist demnach aufzuheben. Nach diesen Bemerkungen wird der Umstand, daß die Frau die elterliche Gewalt während der Ehe nicht haben sollte, wie er mitbestimmend dafür war, ihr die elterliche Gewalt nach dem Tode des Mannes nicht zu gewähren, auch mitbestimmend dafür gewesen sein, ihr die Zulassung zur Vormundschaft zu versagen. Denn erklärte man die Frau für fähig, gleich einem Manne für das Wohl fremder Kinder zu sorgen, so war die Konsequenz nicht abzulehnen, ihr nach dem Tode ihres Mannes die elterliche Gewalt über ihre eigenen Kinder anzuvertrauen, und
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dann auch die weitere Konsequenz nicht, ihr dieselbe neben ihrem Manne zu geben. Daß das Mundium aufrecht erhalten werden sollte ist demnach das gesetzgeberische Motiv des Entwurfes, das zu allen hier erörterten Zurücksetzungen der Frau gegen den Mann geführt hat. Der Gedanke, der diesem Motive zu Grunde liegt, ist völlig konsequent. Ein Gesetzgeber, welcher das Mundium aufrecht erhalten will, kann der Frau unmöglich eine Selbstständigkeit gewähren, die geeignet ist, das Mundium zu untergraben. Deßhalb dürfen denn die (170) Frauen, so lange das Mundium zu Recht besteht, sich keine Hoffnung darauf machen, zur elterlichen Gewalt nach dem Tode des Mannes zu gelangen oder zur Vormundschaft zugelassen zu werden oder überhaupt in irgend einer erheblichen Weise zu Berufen von Männern. Aber das Mundium wird fallen, wenn auch nicht auf den ersten Schlag, weil trotz Allem, was man dafür anführt, daß wir im Zeitalter der materiellen Interessen stehen, es dennoch die idealen Bestrebungen sind und es immer sein werden, die die Welt regieren, die Welt der Menschen, und unter ihnen eine ist von nie versiegender, unerschöpflicher Ausdauer und Kraft: die nach Freiheit in der Pflichterfüllung.
8. Carl Bulling: Die Rechte der Unehelichen Kinder, 1895 BULLING, Carl: Die Rechte der Unehelichen Kinder nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich kritisch beleuchtet (auch für Nichtjuristen), Berlin 1895 Kommentar: In seinem Werk über die Rechte der unehelichen Kinder knüpft Bulling (S. 1) an den Satz des BGB-Entwurfs an, in welchem es heißt „Zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft“ (vgl. dann später nur leicht sprachlich abgemildert § 1589 II BGB v. 1896: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt.“). In seiner Schlußbetrachtung (S. 78-86) kommt Bulling nach einer detaillierten Untersuchung des Nichtehelichenrechts auf den Satz des BGB-Entwurfs zurück und stellt fest: Die Durchführung des Satzes, daß der Vater mit seinem unehelichen Kinde nicht verwandt ist, ist dem Entwurfe vom gesetzgeberischen Standpunkte völlig mißlungen. Es ergeben sich, wie Bulling als Ergebnis seiner Untersuchungen der Familienrechtsnormen feststellt, acht Ungerechtigkeiten des BGB-Entwurfs (S. 79): „1. die Ungerechtigkeit, daß er dem Vater nicht die sämmtlichen Pflichten auferlegte, die einen Vater treffen, wenn das Kind bei ihm nicht erzogen werden kann, weil es ihm nicht anvertraut werden darf. 2. die Ungerechtigkeit, daß er das Kind aller elterlichen Gewalt entrückt wissen will, weil die elterliche Gewalt zu haben, die dem Vater nicht gegeben werden darf, die Mutter nicht würdig sei. 3. die Ungerechtigkeit, daß er die Verwandten des Vaters von der Alimentationspflicht, die sie nach § 1496 ff. treffen würde, entbunden hat. 4. die Ungerechtigkeit, daß die Erben des Vaters das Kind mit dem Pflichtteil sollen abfinden dürfen. 5. die Ungerechtigkeit, daß die Bestimmung des § 1509, wonach auf den Unterhalt für die Zukunft nicht verzichtet werden kann, für uneheliche Kinder nicht gelten soll. 6. die Ungerechtigkeit, daß die Vaterschaft durch Urtheil nicht soll festgestellt werden können und dem Kinde das Recht entzogen sein soll, den Namen des Vaters zu führen. 7. die Ungerechtigkeit, daß sein Vater nicht das Recht haben soll, seine Vaterschaft bindend anzuerkennen. 8. die Ungerechtigkeit, daß das Kind den Vater nicht beerben soll.“
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dann auch die weitere Konsequenz nicht, ihr dieselbe neben ihrem Manne zu geben. Daß das Mundium aufrecht erhalten werden sollte ist demnach das gesetzgeberische Motiv des Entwurfes, das zu allen hier erörterten Zurücksetzungen der Frau gegen den Mann geführt hat. Der Gedanke, der diesem Motive zu Grunde liegt, ist völlig konsequent. Ein Gesetzgeber, welcher das Mundium aufrecht erhalten will, kann der Frau unmöglich eine Selbstständigkeit gewähren, die geeignet ist, das Mundium zu untergraben. Deßhalb dürfen denn die (170) Frauen, so lange das Mundium zu Recht besteht, sich keine Hoffnung darauf machen, zur elterlichen Gewalt nach dem Tode des Mannes zu gelangen oder zur Vormundschaft zugelassen zu werden oder überhaupt in irgend einer erheblichen Weise zu Berufen von Männern. Aber das Mundium wird fallen, wenn auch nicht auf den ersten Schlag, weil trotz Allem, was man dafür anführt, daß wir im Zeitalter der materiellen Interessen stehen, es dennoch die idealen Bestrebungen sind und es immer sein werden, die die Welt regieren, die Welt der Menschen, und unter ihnen eine ist von nie versiegender, unerschöpflicher Ausdauer und Kraft: die nach Freiheit in der Pflichterfüllung.
8. Carl Bulling: Die Rechte der Unehelichen Kinder, 1895 BULLING, Carl: Die Rechte der Unehelichen Kinder nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich kritisch beleuchtet (auch für Nichtjuristen), Berlin 1895 Kommentar: In seinem Werk über die Rechte der unehelichen Kinder knüpft Bulling (S. 1) an den Satz des BGB-Entwurfs an, in welchem es heißt „Zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft“ (vgl. dann später nur leicht sprachlich abgemildert § 1589 II BGB v. 1896: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt.“). In seiner Schlußbetrachtung (S. 78-86) kommt Bulling nach einer detaillierten Untersuchung des Nichtehelichenrechts auf den Satz des BGB-Entwurfs zurück und stellt fest: Die Durchführung des Satzes, daß der Vater mit seinem unehelichen Kinde nicht verwandt ist, ist dem Entwurfe vom gesetzgeberischen Standpunkte völlig mißlungen. Es ergeben sich, wie Bulling als Ergebnis seiner Untersuchungen der Familienrechtsnormen feststellt, acht Ungerechtigkeiten des BGB-Entwurfs (S. 79): „1. die Ungerechtigkeit, daß er dem Vater nicht die sämmtlichen Pflichten auferlegte, die einen Vater treffen, wenn das Kind bei ihm nicht erzogen werden kann, weil es ihm nicht anvertraut werden darf. 2. die Ungerechtigkeit, daß er das Kind aller elterlichen Gewalt entrückt wissen will, weil die elterliche Gewalt zu haben, die dem Vater nicht gegeben werden darf, die Mutter nicht würdig sei. 3. die Ungerechtigkeit, daß er die Verwandten des Vaters von der Alimentationspflicht, die sie nach § 1496 ff. treffen würde, entbunden hat. 4. die Ungerechtigkeit, daß die Erben des Vaters das Kind mit dem Pflichtteil sollen abfinden dürfen. 5. die Ungerechtigkeit, daß die Bestimmung des § 1509, wonach auf den Unterhalt für die Zukunft nicht verzichtet werden kann, für uneheliche Kinder nicht gelten soll. 6. die Ungerechtigkeit, daß die Vaterschaft durch Urtheil nicht soll festgestellt werden können und dem Kinde das Recht entzogen sein soll, den Namen des Vaters zu führen. 7. die Ungerechtigkeit, daß sein Vater nicht das Recht haben soll, seine Vaterschaft bindend anzuerkennen. 8. die Ungerechtigkeit, daß das Kind den Vater nicht beerben soll.“
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Aufgrund eines Wandels der sozialen und kulturellen Verhältnisse sei der angefochtene Satz aber auch historisch nicht mehr berechtigt (S. 80-82). Das Recht erbe sich, wie Bulling anknüpfend an die Worte Mephistos feststellt, gleich einer Krankheit von Geschlecht zu Geschlecht fort (Goethe, Faust I).* Die gleiche Stelle wird im Zusammenhang des deutschen Frauenrechts u.a. auch in Kempins Broschüre von 1892 (Nr. 28), Bullings Schrift von 1896 (Nr. 7), Proelß/Raschkes Gegenvorschlägen zum BGB-Familienrecht (Nr. 45), Plancks Verteidigung des Familienrechts 1899 (Nr. 44) und Eichholz’ Frauenforderungen zur Strafrechtsreform 1908 (Nr. 15) angeführt. Literatur: Zu Bulling: Koujouie, Die Frauenfrage als Menschheitsfrage (2006); Grundlegend zu Frauenbewegung und Nichtehelichenrecht um 1900: Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (2007).
Die Rechte der Unehelichen Kinder nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich kritisch beleuchtet (auch für Nichtjuristen)17 von Carl Bulling Geh. Justizrath. Inhaltsverzeichniß. Seite Allgemeines….......................................................................................................1-9 Der Satz des Entwurfes, daß das uneheliche Kind mit seinem Vater nicht verwandt ist S. 1. Geschichte dieses Satzes S. 2. Laurent S. 4. u. 6. Gründe des Entwurfes S. 7. Der Entwurf ist nach dem Grundsatze zu ändern, daß das uneheliche Kind auch gegen seinen Vater Kindesrecht hat S. 9.
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Goethe, Faust I: [Studierzimmer. Mephistopheles, verkleidet als Faust, empfängt einen Schüler.] Mephistopheles. Doch wählt mir eine Fakultät! Schüler. Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen. Mephistopheles. Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen, Ich weiß, wie es um diese Lehre steht. Es erben sich Gesetz und Rechte Wie eine ew’ge Krankheit fort; Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte, Und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; Weh’ dir, daß du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit uns geboren ist, Von dem ist, leider! nie die Frage. Verlag von Rosenbaum & Hart, Berlin 1895.
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Im Einzelnen.........………….........……...…...........................………………....9-78 Zu § 15 des Entwurfes betr. die Blutsverwandtschaft…………………….……….9 Der letzte Absatz, der den Satz der Nichtverwandtschaft ausspricht, ist zu streichen. Zu § 1594 betr. den Familiennamen des Kindes ................................................9-17 Das Recht, den Namen seines Vaters zu führen, darf dem Kinde nicht vorenthalten werden S. 10. Begründung S. 10. Theorie des Entwurfes über das Recht auf einen Namen S. 11. Gründe des Entwurfes für die Versagung des Rechtes S. 14. Widerlegung S. 14. Das Kind hat den Stand der Mutter zu theilen S. 14. Die Ansicht des Entwurfes darüber S. 15. Widerlegung S. 15. Ansicht des Entwurfes über die Theilnahme der Ehefrau am Stande ihres Namens S. 15. Widerlegung S. 16. Zu § 1595 betr. die elterliche Gewalt der Mutter…..........................................17-26 Kein Grund, der Mutter die elterliche Gewalt abzusprechen S. 18. Die Bestimmungen des §§ 1557 und 1575 über die Befugnisse des Vormundschaftsgerichtes gegen pflichtvergessene Eltern sind auch der unehelichen Mutter gegenüber ausreichend S. 18. Der § 1723 über den Gemeindewaisenrath bedarf der Verbesserung S. 20. Gründe des Entwurfes für die Versagung dieser elterlichen Gewalt S. 20. Weimarisches Gesetz S. 21. Hessischer Entwurf S. 21. Einwendungen des Entwurfes S. 21. Widerlegung S. 23. Zu § 1596 betr. die Unterhaltspflicht des Vaters..............................................26-30 Sie muß dauern, bis das Kind sich selbst unterhalten kann S. 27 und auf einen Beitrag beschränkt sein S. 28. Zu § 1496 ff. betr. die nicht auf elterlicher Gewalt beruhende Unterhaltspflicht…………………………………………………………………...…….30-31 Dem Kinde ist Anspruch auf Unterhalt auch gegen die väterlichen Verwandten zu geben S. 30. Zu § 1599 betr. den Einfluß des Todes des Vaters auf die Unterhaltspflicht und betr. das Recht seiner Erben, das Kind mit dem Pflichttheil abzufinden…….31-33 Die Unterhaltspflicht muß mit dem Tode des Vaters erlöschen, aber dem Kinde ist auch gegen ihn Erbrecht zu geben S. 32. Die Bestimmung über Abfindung mit dem Pflichttheil ist zu streichen. Der Entwurf stützt sie auf juristisch verfehlte Gründe S. 32. Zu § 1601 betr. die Befugniß des Vaters, sich durch Vertrag mit dem Kinde von der Unterhaltspflicht zu befreien………………...............................................33-38 Diese Bestimmung ist zu streichen. Sie versagt dem unehelichen Kinde ein Recht, welches nach § 1509 dem ehelichen Kinde nicht soll entzogen werden können S. 34. Für den Entwurf ist das Interesse des unehelichen Vaters und seiner Verwandten bestimmend gewesen S. 36. Zu § 1604 betr. den Beweis der Vaterschaft und den Einwand der Beiwohnung noch eines Anderen...........................................................................................38-60
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Die Vaterschaft läßt sich überhaupt nicht beweisen. Es giebt nur eine rechtliche Gewißheit derselben, die sich auf Wahrscheinlichkeit stützt S. 38. Die Gewißheit der ehelichen Vaterschaft stützt sich auf die Wahrscheinlichkeit, die aus der Wahrscheinlichkeit einer Beiwohnung des Ehemannes hervorgeht S. 39. Die Gewißheit der außerehelichen Vaterschaft kann nur auf die Wahrscheinlichkeit gestützt werden, die aus der thatsächlichen Beiwohnung hervorgeht S. 40. Wie bei der ehelichen Vaterschaft muß auch bei der unehelichen der Einwand der Beiwohnung noch eines Andern ausgeschlossen sein S. 41. Widerspruch der Praxis, auf den Beweis einer Beiwohnung hin die Vaterschaft für gewiß zu erklären, aber für ungewiß, wenn außerdem die Beiwohnung noch eines Andern bewiesen ist S. 42. Der Beweis der Beiwohnung begründet nicht rechtliche Gewißheit der Vaterschaft, sondern die rechtliche Möglichkeit, für den Vater erklärt zu werden S. 42. Diese kann gegen mehrere zugleich vorhanden sein S. 42. Die rechtliche Gewißheit der Vaterschaft kann überhaupt nur durch einen Rechtsakt hergestellt werden, welchen das Recht auf Grund einer wahrscheinlichen oder einer erwiesenen Beiwohnung die Wirkung beilegt, die Vaterschaft gewiß zu machen S. 43. Folgerung aus dem Dargelegten: Die juristische Consequenz fordert Ausschließung des Einwandes S. 43, ebenso die Consequenz der eigenen Bestimmungen des Entwurfes S. 44. Rechtsconsequenz vom Standpunkte des Gesetzgebers und der Standpunkt des Gesetzgebers gegenüber der Frage der Zulässigkeit S. 45. Erwägungen, die von diesem Standpunkte dem Gesetzgeber bestimmen müssen, den Einwand für unzulässig zu erklären S. 46. Gründe des Entwurfes S. 49. Mit jenen Erwägungen verglichen haben die Gründe, welche der Entwurf für die Zulässigkeit des Einwandes anführt, Alles außer Acht gelassen, was vom Gesetzgeber hier zu beachten ist S. 53. Widerlegung der Ansicht, daß der Gesetzgeber durch Bestimmungen über die uneheliche Vaterschaft der Unsittlichkeit nicht entgegenwirken könne S. 54. Ergebniß: Der § 1604 muß aussprechen, daß derjenige der Vater ist, dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist und jenen Einwand für unzulässig erklären........56 Gründe hierfür, aus den Bestimmungen der Civilprozeßordnung über die Rechtskraft von Urtheilsgründen S. 56. Gründe aus § 26 des Personenstandsgesetzes S. 57. Gründe, die der Zweck ergiebt, inceste Ehen zu verhüten S. 57. Die Bestimmung des § 231 der Civilprozeßordnung ist zu ändern S. 60. Die Berechtigung zur Anstellung der Vaterschaftsklage ist der Mutter abzusprechen S. 60. Zu § 1605 betr. die Anerkennung des unehelichen Kindes...........................…61-75 Sinn dieser Bestimmungen nach den Motiven des Entwurfes S. 61. Unmöglichkeit, diesen Sinn aus den Worten zu entnehmen S. 62. Praktische Brauchbarkeit der Bestimmung S. 63. Ihre rechtliche Bedeutung, daß sie der Anerkennung die
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Wirkung, die Vaterschaft gewiß zu machen, abspricht S. 65. Was kann den Gesetzgeber bestimmen, ihr diese Wirkung beizulegen? S. 65. Was, sie ihr zu versagen? Nur das, was der Entwurf dazu bestimmt hat S. 67. Nämlich: der französische Ursprung des Institutes der Anmerkung S. 68, die Gefahr für Sittlichkeit und Familienglück S. 69, Erfüllbarkeit des Zwecks solcher Anerkennung auf sittlich werthvolleren Wegen: durch Ehelichkeitserklärung S. 71, durch Ehelichung der Mutter S. 72, durch Annahme an Kindesstatt S. 72. Systematischer Grund: daß die Vaterschaft nicht rechtlich gewiß gemacht werden darf, weil der Vater rechtlich nicht der Vater sein soll. Kritik dieser Gründe S. 74. Ergebniß: der Anerkennung ist die Wirkung beizulegen, daß sie die Vaterschaft rechtlich feststellt S. 74. Ein anderer systematischer Grund ist auch nicht an sich richtig S. 75. Erbrecht des Kindes gegen den Vater……………….......................................75-78 Dem Kinde ist das Erbrecht eines ehelichen Kindes mit der Ausnahme zu geben, daß es im Zusammentreffen mit ehelichen Kindern nur zur Hälfte erb- und pflichttheilsberechtigt ist S. 75. Begründung S. 75. Schlußbetrachtung…….............…………………............................................78-86 Die Durchführung des Satzes, daß der Vater mit seinem unehelichen Kinde nicht verwandt ist, ist dem Entwurfe vom gesetzgeberischen Standpunkte völlig mißlungen S. 78. Acht Ungerechtigkeiten S. 79. Jener Satz ist aber auch historisch nicht mehr berechtigt S. 80. Methode, die es bewirkt, daß sich das Recht gleich einer Krankheit forterbt S. 82. Beispiel aus dem ehelichen Güterrecht. Allgemeines. (1) Im altdeutschen Rechte gehörten die unehelichen Kinder weder zur Familie der Mutter noch zu der des Vaters. In Folge ihrer Familienlosigkeit waren sie rechtlos und anrüchig und hatten kein Erbrecht. Der unehelichen Mutter gegenüber hat der Entwurf eine solche Stellung des unehelichen Kindes als nicht mehr berechtigt anerkannt. Er hat im Verhältniß zu ihr, und demgemäß auch im Verhältniß zu ihren Verwandten, dem Kinde ganz die Rechte eines ehelichen gegeben. Aber im Verhältniß zum Vater hat der Entwurf die Rückkehr zum alten Rechte so viel er konnte zum Grundsatze gemacht, den er ausspricht im letzten Satze des § 15 mit den Worten: Zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft. Daß er hiermit etwas thatsächliches Unrichtiges sagt, erkennt der Entwurf selbst an, dadurch, daß nach § 1216 eine Ehe zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits nicht eingegangen werden darf. Der Entwurf hat den Satz aber auch in seiner rechtlichen Bedeutung, daß der Vater des unehelichen Kindes rechtlich sein Vater nicht sein soll, nicht durchzuführen vermocht. Wie kommt der Entwurf dazu, daß er dem Kinde einen Unterhaltsanspruch bis zum vollendeten sechzehnten Lebensjahre gegen den Vater einräumt?
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Der Grund kann kein anderer sein, als derjenige, der es verlangt, daß das Recht die Eltern für verpflichtet erkläre, das (2) Kind, dem sie das Leben gegeben haben, zu ernähren und zu erziehen. Der Grund hiervon ist, daß, sein Kind zu ernähren und zu erziehen, eine Forderung des Sittengesetzes ist, eine Forderung, die kein Recht bei Seite setzen kann, weshalb sie denn auch schon in ganz frühen Zeiten im Rechte zur Anerkennung gelangt ist. Sie ist aber völlig unabhängig davon, ab das Kind ehelich oder unehelich geboren sei; denn sie ist durch die Elternschaft selbst gegeben; und je weiter ein Volk in der Civilisation fortgeschritten ist, um so weniger sollte sich das Recht gestatten, in dieser Hinsicht einen Unterschied zu machen. Daß der Entwurf sich genöthigt sieht, durch Gewährung eines Alimentationsanspruches gegen den Vater von seinem Grundsatze abzuweichen, kann hiernach nur eine Erklärung finden: nur die, daß er sich genötigt sieht, anzuerkennen, daß das ethische Gesetz, welches in den Pflichten der Eltern gegen das Kind keinen Unterschied macht zwischen ehelicher und unehelicher Geburt, vom Rechte zur Geltung zu bringen sei. Es ist daher freilich folgerichtig, daß er dem unehelichen Kinde der Mutter gegenüber alle Rechte giebt. Aber warum thut er nicht ein Gleiches dem Vater gegenüber, gegen den er dem Kinde, genau genommen, alle Rechte eines ehelichen versagt hat; denn auch die Ernährungspflicht, die er anerkennt, ist nur eine verstümmelte – obgleich er auch diese Pflicht nur zurückführen kann auf die Rechtspflicht auch des unehelichen Vaters, sein Kind zu ernähren. Indem nun die gegenwärtigen Erörterungen darzuthun suchen, daß das bürgerliche Gesetzbuch dem unehelichen Kinde auch gegen den Vater die Rechte eines ehelichen zu geben habe, verlangen sie nicht etwas ganz Neues, dem bisherigen deutschen Rechte völlig Unbekanntes, knüpfen vielmehr nur an eine Richtung an, die sich schon seit Jahrhunderten in Deutschland geltend gemacht hat. Es ist begreiflich, daß das deutsche Recht in dem Streben, das man allgemein als einen Vorzug dieses Rechts vor anderen Rechten bezeichnet, den ethischen Ansprüchen gerecht zu werden, welche die Blutsverwandtschaft erzeugt, im Fortschritte der Civilisation die Familienlosigkeit des unehelichen Kindes nicht (3) aufrecht erhalten hat. Aber jeder Fortschritt, und namentlich auch der im Rechte, ist ein allmählicher. Nach dem Eindringen des römischen und kanonischen Rechtes mußte, so lange nicht partikulare Gesetzgebungen entstehen konnten, die Rechtsentwicklung sich innerhalb der Bestimmungen jener beiden Rechte halten, oder doch an dieselben sich anlehnen. Das römische Recht stellt das uneheliche Kind der Frau gegenüber dem ehelichen gleich, und so gelangte die Rechtsentwicklung in Deutschland schon sehr bald dahin, die Familienlosigkeit der Mutter gegenüber aufzugeben. Für eine Gleichstellung des Vaters gegenüber gab es aber im römischen Rechte nur die Bestimmungen über das Concubinat, die dem Kinde Alimentationsansprüche und Erbrecht neben dem ehelichen gewährten, und die Bestimmung des canonischen Rechtes über die Alimentationspflicht des unehelichen Vaters. In dem Streben, das Unrecht zu heben, das darin lag, daß der uneheliche Vater rechtlich nicht der Vater sein sollte, hat man in Deutschland lange Zeitläufte hindurch diesen Satz mit Hilfe jener Bestimmungen des römischen und canonischen Rechtes vielfach zu durchlöchern gesucht, mehrfach auch durch Rechtsanwendungen, die sich logisch nicht rechtfertigen ließen. Es liegt aber in diesem Streben der Praxis, diesem Streben der deutschen Gerichte der Beweis, daß es nicht richtig ist, wenn behauptet wird, solche Rechtsanwendungen seien
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sklavische Nachahmungen der fremden Rechte gewesen. Zur Bestätigung kann Bezug genommen werden auf Stobbe Deutsches Privatrecht, der von dem Alimentationsanspruch, der ihm zufolge dem unehelichen Kinde nach deutschem Rechte gegen den Vater zusteht, sagt Bd. 4 § 262 S. 410: Der Grund desselben ist nicht im canonischen Recht, sondern im alten deutschen Gewohnheitsrecht zu suchen. Nur weil man für deutsche Rechtsgrundsätze überhaupt eine gemeinrechtliche Basis zu gewinnen liebte, kam man dahin, Stellen des canonischen Rechts in diesem Sinne zu interpretiren. Es stammt nicht diese Verbindlichkeit „aus der mißverstandenen Auffassung des canonischen Rechts durch Gerichtsbrauch und Doktrin, woraus sich eine allgemeine, durch Landesgesetze bestätigte Praxis gebildet hätte“, sondern es hat sich die einheimische Praxis jener canonischen Stellen lediglich als Stützen bedient. (4) Jene Bestimmungen des römischen und canonischen Rechtes konnten natürlich nicht ausreichen, die Gleichstellung herbeizuführen. Es mußte sich hier das deutsche Recht selbst produktiv erweisen, und das hat es gethan, als die Möglichkeit dazu gegeben war durch das Dasein particularer Gesetzgebung. Es kann hierfür in Betreff des Erbrechtes Bezug genommen werden auf die von Stobbe Bd. 5 S. 152 Note 24 angeführten Gesetzgebungen, welche dem Kinde Erbrecht gegen den Vater geben. Uebrigens ist es auch nicht richtig, daß alle germanischen Rechte den Satz von der Vaterlosigkeit zu dem ihrigen gemacht hätten. Im nordischen Rechte wurde er mehrfach nicht anerkannt, auch nicht im longobardischen und nicht, was für uns besonders belehrend ist, im vlämischen Rechte, dessen Bestimmungen in dem belgischen Code civil in Abweichung vom Code Napoléon aufgenommen sind. Laurent principes de droit civil francais spricht sich darüber wie folgt aus Bd. 9 Nr. 104: – – Son droit comme enfants es le même que celui de l’enfant légitime. Telle est la tradition des notre droit belge. Les lois, que l’on a tant reprochées à la convention18 ne font que reproduire les dispositions des contumes flamandes en les étendant à la succession paternelle. Es würde hiernach, wenn das bürgerliche Gesetzbuch dem unehelichen Kinde auch dem Vater gegenüber das Recht eines ehelichen giebt, dies nicht etwas Antigermanisches, geschweige etwas Antideutsches sein, vielmehr nur der Abschluß einer Rechtsentwicklung, die sich in Deutschland seit lange, wenn auch nicht mit durchschlagendem Erfolge, Bahn zu brechen gesucht hat, aber ein Abschluß, den die Ethik fordert. Freilich, diese zu verwirklichen, ist nicht der Zweck des Rechtes. Aber, wenn Rechtssätze den Forderungen der Ethik widersprechen, so hat der Gesetzgeber sie aufzuheben. Er darf nicht mit dem Vorurtheil (5) transigiren und denen Zugeständnisse machen, die von solchen Rechtssätzen den Vortheil haben. Auch sonst hat hier der Entwurf der Aufgabe eines Gesetzgebers nicht entsprochen.
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[Anmerkung. Der Convent hatte durch Dekret vom 12 brumaire des Jahres II bezüglich der droits successorales die Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen ausgesprochen.]
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Das soziale Elend der unehelichen Kinder und ihrer Mütter, das die Motive so tief beklagen, kann dadurch nicht gehoben werden, daß man die Verpflichtung des Vaters zum Unterhalt vom 14. auf das vollendete 16. Lebensjahr ausdehnt und dem Kinde die Kindesrechte gegen den Vater abspricht. Es kann, wenn nicht etwa der Staat hier für den Vater eintreten soll, nur dadurch gehoben werden, daß man dem Kinde die Kindesrechte zuspricht, und demgemäß den Vater verpflichtet, es zu unterhalten, so lange es des Unterhaltes bedürftig ist, und daß man demgemäß dem Kinde die Rechte eines ehelichen auch den väterlichen Verwandten gegenüber giebt. Außerdem rührt das hier zur Sprache kommende soziale Elend zum großen Theile daher, daß nach den jetzigen Gesetzgebungen, welche die Alimente so karg bemessen, die Befürchtung, sich einer Alimentenklage auszusetzen, wenig geeignet ist, Männer der bemittelten Klassen, zu denen zum erheblichen Theile die unehelichen Väter zählen, von der Verleitung oder von dem Mißbrauche eines Mädchens zurückzuhalten. Es wird aber das eine wie das andere für einen jeden zu einem sehr ernsten Schritte, wenn er weiß, daß sich ernste Folgen, all die Pflichten, die einen ehelichen Vater treffen, für ihn und auch Folgen für seine Verwandte daran knüpfen können. Der Gesetzgeber sollte daher auch, um dem Leichtsinn der Männer zu steuern und dadurch thunlichst eine Quelle zu stopfen, aus welcher das Elend zum großen Theile mit fließt, dem unehelichen Kinde auch gegen den Vater die Rechte eines ehelichen geben. Wendet doch sonst, wenn es gilt, öffentlichen Mißständen entgegenzutreten, der Gesetzgeber sich gegen die Quelle. Indem solche Erwägungen nicht nationaler Natur sind, erklärt es sich, daß andere Staaten diesen Weg theils schon beschritten haben, theils beschreiten. In Frankreich ist 1893 ein Gesetzentwurf, welcher den Zweck verfolgt, den unehelichen Kindern Erbrecht neben den ehelichen und vor den Ascendenten (6) und Geschwistern ihrer Eltern zu geben, von der Deputirtenkammer einstimmig angenommen worden und liegt jetzt dem Senate vor. Die angeführten Bemerkungen über das belgische Recht schließt Laurent in seinem berühmten Werke mit den Worten: La législation doit apprendre à ceux, qui rechercheront les plaisirs faciles, qu’ils ont des devoirs envers les malheureux enfants, anquels ils donnent le jour; il faut les forcer au besoin de les remplir. La morale, qui s’en prend au coupable est plus juste et aussi plus efficace, que celle, qui punit les innocents. Wäre der in diesen Worten ausgesprochene Gesichtspunkt zu hoch für das deutsche Volk? Oder muß man ihm denselben verschließen, damit es das Bewußtsein für seine Eigenart nicht verliere? Für den Entwurf ist wohl ohne Frage der Gedanke bestimmend gewesen, es komme hier vorzugsweise darauf an, daß so viel wie möglich das ursprünglich deutsche Recht ohne die Veränderungen, die es im Verlaufe der Jahrhunderte erfahren, im Civilgesetzbuch seinen Ausdruck finde; während es in der That darauf ankommt, den Forderungen der seitdem unendlich fortgeschrittenen Civilisation und des seitdem völlig umgestalteten Lebens gerecht zu werden.
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Der Mutter gegenüber durfte der Entwurf das alte Recht nicht wieder herstellen, weil sämmtliche Partikularrechte das uneheliche Kind der Mutter gegenüber dem ehelichen gleichgestellt haben. Nur im Verhältnisse zum Vater ließ jener Gedanke sich verwirklichen, weil im Verhältniß zu ihm die Particularrechte sowohl die Unterhaltungspflicht als das Erbrecht verschieden bestimmen. In Betreff des Erbrechtes heißt es bei Stobbe Bd. 5 § 295 S. 152/153: In den meisten Rechtsgebieten ist die Frage nach dem Intestat-Erbrecht der unehelichen Kinder durch Gesetzgebung, Gewohnheitsrecht oder Praxis geregelt. Wo es aber an einer particulären Vorschrift fehlt, haben sie dem Vater gegenüber kein Erbrecht; denn dasselbe widerspricht dem ursprünglichen deutschen Recht und kann auch nicht auf das römische Recht gestützt werden, welchem es an einer direkt auf deutsche Verhältnisse zu übertragenden Vorschrift fehlt. (7) Den Motiven zum Entwurf tritt man nicht zu nahe, wenn man sagt, daß sie einen Beweis für die gesetzgeberische Nothwendigkeit, dem unehelichen Kinde die Kindesrechte gegen den Vater zu verweigern, nicht geführt haben. Was sie beibringen, könnte bestenfalles, wenn feststände, daß das alte Recht wieder hergestellt werden müsse, zur weiteren Unterstützung dienen. Es ist dies Folgendes: 1. Bd. I S. 65 zu § 30, Abs. 3 jetzt § 15, Abs. 2, betr. den Ausspruch, daß zwischen dem unehelichen Kinde und seinem Vater keine Verwandtschaft bestehe. Die Verwandtschaft hat zur Grundlage eheliche Abstammung. Für den natürlichen Begriff der Verwandtschaft ist es an sich unerheblich, ob die vermittelnde Zeugung in ehelicher oder unehelicher Geschlechtsverbindung erfolgt: die Blutsgemeinschaft mit dem Erzeuger und der Mutter ist bei dem unehelichen Kinde die gleiche wie bei dem ehelichen. Auf dem Gebiete des Privatrechtes ist aber festzuhalten, daß eine Familienverbindung mit den aus ihr sich ergebenden Rechten und Pflichten eine durch die Ehe vermittelte Zeugung (§ 1466) voraussetzt. Dies gilt indessen nur für die Verwandtschaft nach der väterlichen Seite. Gemäß § 1568 besteht ein Verwandtschaftsverhältnis auch zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und der Mutter des Kindes, sowie deren Verwandten andererseits. Dem entspricht die Vorschrift des Absatz 3. Der natürlichen Verwandtschaft des unehelichen Kindes nach der Seite des unehelichen Erzeugers ist Rechnung getragen durch das Eheverbot des § 1236 Absatz 2 (vergl. § 1586), sowie durch die in §§ 1571 bis 1576 dem Erzeuger auferlegte Unterhaltungspflicht. 2. Bd. IV S. 851-852 zu § 1568, betr. die Bestimmung, daß das Kind gegen die Mutter und deren Verwandte die Rechte eines ehelichen habe. Bei der Regelung des Rechtsverhältnisses der unehelichen Kinder ist der Entwurf davon ausgegangen, daß regelmäßig nur die durch eheliche Abstammung vermittelte Verbindung diejenige sittliche Grundlage gewährt, welche die Voraussetzung familienrechtlicher Pflichten und Rechte bildet, daß insbesondere nur das feste Band der Ehe und das dadurch begründete Familienleben eine ausreichende Garantie für die Erfüllung jener Pflichten und die zweckentsprechende Ausübung jener Rechte bietet. 1. Dem vorstehend bezeichneten Ausgangspunkte entsprechend und in Konsequenz des im § 30 Absatz 3 bereits ausgesprochenen (8) Principes hat der Entwurf zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem unehelichen Vater und dessen Verwandten andererseits familienrechtliche Bezie-
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hungen, insbesondere die aus dem ehelichen Eltern- und Kindesverhältnisse sich ergebenden Pflichten und Rechte, grundsätzlich nicht anerkannt. Die durch die Natur zwischen dem unehelichen Kinde und seinem Erzeuger geknüpften Bande führen in den wenigsten Fällen zu einer innigeren Verbindung zwischen beiden. Meistens steht der Vater dem unehelichen Kinde gleichgiltig und fremd gegenüber. Er betrachtet dasselbe als eine Last und hat kein Interesse an dem Wohlergehen, der körperlichen und geistigen Ausbildung desselben. An dem Familienleben und an dem Vermögen des Vaters nimmt das uneheliche Kind in den seltensten Fällen unmittelbaren Anteil, und wenn der Vater die Verpflegung und Erziehung desselben übernimmt, so geschieht dies nur zu oft in seinem eigenen finanziellen Interesse, um seinerseits dem Mindestfordernden wieder die Verpflegung des Kindes übertragen zu können. Es ermangeln hier völlig die sittlichen und faktischen Voraussetzungen für die Begründung familienrechtlicher Beziehungen, namentlich in solchen Fällen, in welchen die Vaterschaft nicht freiwillig anerkannt wird, sondern erst im Wege des Processes festgestellt werden muß ec. Was diese Begründung dann bezüglich der Mutter sagt, wird passend erst zu § 1505 betr. die elterliche Gewalt der Mutter mitgeteilt. 3. Bd. IV S. 852 zu demselben §: Der Rücksicht auf die Heiligkeit und die hohe Bedeutung der Ehe wird aber schon dadurch in ausreichendem Maße Rechnung getragen, daß das uneheliche Kind zu dem Vater und dessen Familie rechtlich in keine Verbindung tritt. Gegen die Schlüssigkeit dieser Beweisführung ist zu bemerken: 1. Weshalb auf dem Gebiete des Privatrechtes daran festzuhalten sei, daß eine Familienverbindung eine durch die Ehe vermittelte Zeugung voraussetzte, sagen die Motive nicht. Der Grund kann nur ein historischer sein, nur der, daß es im ursprünglich deutschen Rechte so war. Ebensowenig sagen sie, weshalb nur dem Manne gegenüber an diesem Grundsatze festzuhalten ist, nicht auch der Frau (9) gegenüber. Der Grund kann gleichfalls nur ein historischer, nur der sein, daß der Frau gegenüber das alte Recht durch die Partikulargesetzgebungen abgeschafft worden ist. 2. Daß, wie allerdings richtig ist. die Verwandtschaft mit dem Vater nicht zu innigeren Verbindungen führe u. s. w., kann doch bloß dagegen sprechen, daß man die Erziehung des Kindes oder gar die Sorge für seine Verpflegung dem Vater anvertraue. 3. Warum ist es nicht nötig, der Heiligkeit der Ehe auch dadurch Rechnung zu tragen, daß die verwandtschaftliche Verbindung auch mit der Mutter abgebrochen wird? Nach diesen Bemerkungen wird es ein berechtigtes Verlangen sein, die Bestimmungen des Entwurfs über die unehelichen Kinder nach dem Grundsatze abgeändert zu sehen, daß sie auch dem Vater gegenüber Kindesrechte haben, vorbehaltlich der offenbleibenden Frage einer völligen Gleichstellung mit den ehelichen Kindern. __________________
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Im Einzelnen. Unter Anwendung des ausgesprochenen Grundsatzes wären in den Bestimmungen des Entwurfs über die unehelichen Kinder folgende Aenderungen vorzunehmen. Der Absatz 2 des § 15 zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft wäre zu streichen. Es folgt dies unmittelbar aus dem Grundsatze. Zu § 1594. Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen der Mutter. Führt die Mutter in Folge ihrer Verheirathung einen andern Namen, so erhält das Kind den Familiennamen, welchen die Mutter vor der Verheirathung geführt hat. (10) Es wäre dieser Paragraph dahin zu ändern, daß hinter „erhält“ fortgefahren wird: , wenn nicht feststeht, wer der Vater ist, den Familiennamen der Mutter und behält denselben, so lange dies nicht feststeht, auch wenn die Mutter in Folge ihrer Verheirathung einen andern Namen führt. Wird aber die Vaterschaft festgestellt, so führt das Kind den Familiennamen des Vaters. Ferner wäre dem Paragraph in einem Absatze 2 die Bestimmung hinzuzufügen: Das Kind teilt den Stand der Mutter. Anlangend 1. das Recht der Namensführung, so durfte der Entwurf, da ihm zufolge der uneheliche Vater rechtlich nicht der Vater ist, unter keinen Umständen zulassen, daß das Kind dessen Namen führe. Es wäre das ein Widerspruch gewesen. Aber, wenn, wie wir jetzt annehmen dürfen, der Entwurf dem Kinde gegen den Vater ebenfalls Kindesrecht zu geben hatte, so mußte er ihm auch das Recht gewähren, den Namen des Vaters zu führen. Der Uneheliche, dessen Vaterschaft festgestellt ist, darf überall sagen: Mein Vater ist der X., und wenn er unterschreibt: Johann u. s. w., stets hinzufügen: Sohn von X.. Sein Vater kann ihm nicht entgegenhalten: Daß Du mein Sohn bist, entehrt Dich freilich nicht, aber mich; ich will nicht, daß die Leute erfahren, daß ich Dein Vater bin. Daß er hierzu das Recht nicht hat, unterliegt keinem Zweifel. Dann ist er aber auch nicht berechtigt, dem Kinde die Führung seines Namens zu untersagen; denn, daß man den Namen des Vaters führt, ist bloß eine Abbreviatur für: Der X. ist mein Vater. Es ist das ein hier völlig zutreffender Grund. Denn, statt daß es sich hier fragte, was für Gesetze über Namensführung in den verschiedenen Ländern bestehen, fragt es sich, was der Gesetzgeber, der neues Recht, und das angemessenste schaffen will, hier zu bestimmen habe; und das Gebiet, in welchem der Gesetzgeber hier steht, ist das des Privatrechtes, wo es sich für ihn nicht um eine Theorie der Namengebung handelt, die öffentlichen Rechtes wäre, sondern ganz einfach um die Frage: Hat (11) nach allgemeinen Rechtsbegriffen, nach den Begriffen, die Recht und Unrecht bestimmen, der Vater ein Widerspruchsrecht, wenn der Sohn sagt: er ist mein Vater?
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Hierzu kommt folgende Erwägung. Die Sitte, sich nach seinem Vater und nicht nach der Mutter zu nennen, erklärt sich daraus, daß, während die Person der Mutter immer gewiß und meistens offenkundig ist und leicht bewiesen werden kann, sich dies bezüglich des Vaters ganz anders verhält, und daß daher im Verkehr das Bedürfniß nach einer Einrichtung besteht, welche die Vaterschaft offenkundig macht. Diesem Bedürfniß dient für den täglichen Gebrauch, für die gewöhnlichen Fälle, wo es auf strengen Beweis nicht ankommt, jene Sitte; weshalb es denn durchaus zutreffend ist, wenn z.B. im Code civil Art. 319 ff. unter den Beweismitteln, welche die Vaterschaft beweisen können, auch die Führung des Namens des Angesprochenen genannt wird. Es ist so für jene gewöhnlichen Fälle ein Jeder der Mühe überhoben einen Auszug aus dem Geburtsregister zur Hand zu haben und zugleich in den Stand gesetzt, sich für den Nothfall ein Beweismittel der Vaterschaft zu bilden. Warum sollte dem unehelichen Kinde, dessen Vaterschaft festgestellt ist, dies Benefizium versagt sein? Demolombe in der revue de legislation 1 S. 427 gewährt es ihm in Ausdehnung der Art. 319 ff. Auch das Reichsgericht scheint anzunehmen, daß das Kind dazu befugt sei; denn in den Entscheidungen Bd. V S. 175 leitet es aus dem Rechte, auf Feststellung des Nichtvorhandenseins der außerehelichen Vaterschaft zu klagen, das Recht her, auf die Feststellung zu klagen, daß dem Beklagten das Recht der Namensführung nicht zustehe. Dafür, daß in dem Gesagten von den durch die Natur der Sache gegebenen Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen wird, darf außerdem auf die Motive selbst hingewiesen werden. In ihrer Ausführung über familienrechtliche Verhältnisse § 1002 ff. sagen sie IV S. 1005: In der Theorie und Praxis ist bestritten, ob und in wie weit das Recht auf Führung eines bestimmten Familiennamens … als ein Privatrecht anzuerkennen ist … Der Entwurf hat aus folgenden Erwägungen besondere Bestimmungen (12) über die rechtliche Natur und den Inhalt des Rechtes … nicht aufgenommen. Wenn das Gesetz einer Person die Befugniß beilegt, einen bestimmten Familiennamen zu führen …, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß dadurch für die betreffende Person ein subjektives Privatrecht auf Führung dieses bestimmten Familiennamens begründet wird und daß dies Recht einen absoluten Charakter hat. Daraus folgt, daß, wenn das Recht auf Führung eines bestimmten Familiennamens durch Widerspruch beeinträchtigt wird, der Berechtigte geeigneten Falles … auf Feststellung seines Rechtes klagen kann … Verschieden von der vorstehend verhandelten Frage ist die, ob das Recht auf Führung eines bestimmten Familiennamens auch den weiteren Inhalt hat, daß der Berechtigte gegen denjenigen, welcher unbefugter Weise denselben Namen führt, um dieser Thatsache willen auf die Unterlassung dieser Namensführung klagen kann. Ein derartiges privatrechtliches Verbietungsrecht als Ausfluß des Rechtes, einen bestimmten Familiennamen zu führen, läßt sich jedoch aus allgemeinen Grundsätzen, insbesondere aus dem absoluten Charakter jenes Rechtes nicht ableiten. Auch ist die positive Anerkennung eines solchen Verbietungsrechtes durch ein Bedürfniß nicht geboten, vielmehr ist es Sache des öffentlichen Rechtes, zu bestimmen, in wie weit und mit welchen Mitteln der unbefugten Führung eines Namens entgegengetreten werden soll.
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Es wird dann erörtert, die Sache liege anders, wenn die unbefugte Führung eines Namens geeignet sei, den Schein falscher Familienzugehörigkeit zu erregen; eine solche Anmaßung könne aber nicht nur durch unbefugte Führung eines Namens, sondern auch in anderer Weise erfolgen. Es ist das Alles gewiß sehr richtig. Aber auffällig ist es, wenn dann gesagt wird: Da mit der Lösung dieser Frage Theorie und Praxis erst in neuerer Zeit eingehender sich befaßt haben, ohne in dieser Beziehung bislang zu einem festen Resultat und zu einer Einigung über das Wesen des hier in Rede stehenden Rechtes gelangt zu sein, so ist es als bedenklich erachtet, der wissenschaftlichen Entwicklung durch eine gesetzliche Entscheidung der Frage vorzugreifen, zumal auch die bestehenden Gesetzbücher einer solchen Entscheidung sich enthalten haben und nicht zu besorgen (13) ist, daß aus dem Schweigen des Gesetzes eine erhebliche Gefährdung der Rechtssicherheit sich ergeben werde. Es darf diese Bemerkung als auffällig bezeichnet werden, weil das deutsche Gesetzbuch auch der durch Mangel von Rechtsnormen veranlaßten Rechtsungewißheit und Rechtsverschiedenheit im Deutschen Reiche ein Ende machen soll und es deshalb Aufgabe des Entwurfs ist, Rechtssätze, die noch in der Entwicklung sind, selbst zu entwickeln und in endgültiger Festsetzung zu specialisiren. Für den Gesetzgeber ist nicht die Rechtsentwickelung die Rechtsquelle, sondern das, was sie hervorgetrieben hat, was ihr zu Grunde liegt. Er steht über der Rechtsentwickelung und hat ihr die Wege zu weisen. Endlich wird aber auch dem Zwecke, den der Gesetzgeber hier nie außer Augen lassen darf, dem Leichtsinn der Männer entgegenzuwirken, entsprochen, wenn unter die Folgen der unehelichen Vaterschaft auch die Namensführung aufgenommen wird; und der heute längst durchgedrungenen sittlichen Würdigung, daß das Kind eine Unehre nicht treffen kann, sondern nur die Eltern, wird der Gesetzgeber nur dann gerecht, wenn er den Makel dem Kinde abnimmt und ihn neben der Mutter, die nie von ihm frei wird, auch den Vater tragen läßt. Die französische Praxis hat in dem Mangel einer gesetzlichen Bestimmung, durch die solches vorgeschrieben wäre, niemals Anstand gefunden, dem anerkannten Kinde den Namen des Vaters beizulegen. Dalloz repertoire z.B. bemerkt unter paternité et filiation: L’enfant naturel porte le nom de celui des ses auteurs, qui l’a reconnu, que ce soit le père ou la mère. Lorcequ’il a été reconnu par tous deux, il porte le nom des son père. En ce sense Toullier … Proudhon … Zachariae … Roland des Villargués. Man könnte nur etwa noch zweifeln, ob das Kind nicht neben dem Namen des Vaters auch denjenigen der Mutter führen solle. Es wird dies aber zu verneinen sein, weil das Kind damit als unehelich öffentlich gekennzeichnet würde, während doch das Gesetz dem Vorurtheil, welches unehelich Geborne zurücksetzt, nicht Vorschub leisten soll. (14) Die Motive Bd. 4 S. 859 bemerken, bezüglich der in verschiedenen Rechten vorkommenden Bestimmung, wonach das Kind mit Einwilligung des Vaters dessen Namen führen kann, eine derartige der familienrechtlichen Stellung des unehelichen Kindes widersprechende und die letztere verdunkelnde privatrechtliche Bestimmung sei nicht zu empfehlen. Aber dieser Bemerkung ungeachtet ist im Entwurfe keine Bestimmung enthalten, wodurch dem unehelichen Vater das Recht
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zu der Ermächtigung, seinen Namen zu führen, abgesprochen wäre, und deshalb würde ihm, wenn der Entwurf Gesetz würde, dies Recht jener Bemerkung ungeachtet zustehen. Daß die Motive es als nicht empfehlenswerth bezeichnen, die familienrechtliche Stellung des unehelichen Kindes zu verdunkeln, ist ein Euphemismus dafür, daß es sich empfehle, die uneheliche Geburt öffentlich kenntlich zu machen. Und wenn die Motive weiter den Umstand, daß in Frankreich das anerkannte Kind den Namen des Vaters führt, damit als unerheblich abweisen, daß solches mit dem von dem Entwurfe nicht aufgenommenen Institute der Anerkennung des unehelichen Kindes zusammenhänge, so übersehen sie den Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt, daß nämlich in andern Ländern, wenn die Vaterschaft feststeht, das Kind den Namen des Vaters erhält. Wenn in Frankreich ein Gesetz, wie man es plant, welches die Vaterschaftsklage zuläßt, votirt wird, wird man schwerlich Anstand nehmen, dem Kinde auch den Namen dessen zu gewähren, dessen Vaterschaft durch Urtheil festgestellt ist. Laurent z.B. sagt Bd. IV Nr. 121 von der reconnaissance forcée, der gerichtlichen Erklärung der Vaterschaft: Est ce que le mode de reconnaissance influera sur les droits de l’enfant? La question n’a pas de sens; car les droits ne dérivent pas de la reconnaissance; La reconnaissance ne fait que les constater. Hinsichtlich 2. des Rechtes der Theilnahme am Stande der Mutter hat der Entwurf keine Bestimmung getroffen, indem er die Bestimmung darüber der Landesgesetzgebung überlassen will. Es wären darnach Bestimmungen einzelner Partikularrechte, wonach das uneheliche Kind einer adeligen Mutter nicht oder doch nicht vollständig den adeligen Stand haben, z.B. das (15) Adelsprädikat nicht führen soll, aufrechterhalten, desgleichen Bestimmungen, wie die der Altenburger Constitution vom 7. Juli 1823 § 60, wonach das uneheliche Kind in allen Fällen zu der gemeinen Klasse der Einwohner des Wohnortes ihrer Mutter gehören soll. Die Motive bemerken: IV S. 859: Die Frage, ob und wie weit das uneheliche Kind den Stand der Mutter theile, hat der Entwurf hier, wie in andern ähnlich liegenden Fällen (vergl. § 1274, 1497 nebst Motiven zu § 1274 oben S. 106 ff.), unberührt gelassen. Diese Bemerkung bezieht sich darauf, daß der Entwurf auch die Frage, ob die Ehefrau den Stand des Mannes theile, der Landesgesetzgebung zugewiesen hat. Die Motive begründen dies IV S. 106/7 damit, daß Bestimmungen über den Erwerb des Standes im publicistischen Sinne, des Adelsstandes nämlich, dem öffentlichen Rechte angehörten und deshalb nicht im bürgerlichen Gesetzbuche zu treffen seien; nur Bestimmungen über den socialen Stand konnten darin getroffen werden. Dieser Grund ist jedoch völlig irrig. Abgesehen davon, daß es schon ein uralter Satz des römischen Privatrechts ist, der in den Institutionen und den Pandekten gelehrt wird, daß die Frau den Stand des Mannes theilt, und daß im altdeutschen Rechte, z.B. im Sachsenspiegel, der Ausspruch, die Frau sei Genossin des Mannes, gerade bezeichnet, daß sie an seinem Stande (auch dem des Adels) Theil nehmen soll, und daß also die Bestimmung, welche die Frau am Stande des Mannes Theil nehmen läßt, wenn man sie nicht streichen will, in das Eherecht gehört, wo sie denn auch in den deutschen Gesetzen, dem preußischen Landrechte, dem sächsischen Gesetzbuche und sonst ihren Platz gefunden hat; abgesehen von dem Allen, steht der niedere Adel, von welchem allein hier die Rede sein kann, weil der hohe Adel sein eigenes Familienrecht hat, unter dem gemeinen Rechte. Der
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Entwurf hatte daher ohne alle Frage volle Zuständigkeit dafür, den niederen Adel von jener Bestimmung nicht auszunehmen; und eben so wenig leidet es einen Zweifel, daß, wenn das Gesetz demnächst bestimmen würde, die Frau theile den Stand des Mannes und das uneheliche Kind den der Mutter, diese Bestimmungen (16) auch in Fällen zu gelten hätten, wo Mann und Mutter von niederem Adel sind. Weil es alle Vermuthung gegen sich hat, daß der Entwurf sich hierüber getäuscht haben sollte, könnte man der Annahme zuneigen, der Entwurf habe es für das Wünschenswerthere erachtet, wenn die Frau und das Kind an dem adeligen Stande nicht Theil nähmen und dies in der Weise verwirklichen wollen, daß er die Bestimmung über den Stand der Landesgesetzgebung überließ. Über die Motive sprechen hier zu deutlich, und der Entwurf hat sicherlich auch in Betracht gezogen, daß, da die Adelsvorrechte aufgehoben sind, auch die Landesgesetze nicht bestimmen dürfen, das Kind solle zwar den socialen Stand der Mutter – den Stand des Kleinhandwerkers, des Bauern, des Großkaufmannes – theilen, nicht aber deren Adelsstand. Der Entwurf hat sich also wirklich von jenem publicistischen Grund leiten lassen. Aber, darf man sagen, welch doctrinärer Grund! Wenn die Bestimmung vom Reichstage und vom Bundesrathe genehmigt und im Gesetze mit publicirt wäre, könnte da ein Richter sagen: Das Bürgerliche Gesetzbuch soll Privatrecht zum Gegenstand haben, diese Bestimmung greift aber ins öffentliche Recht ein, also gilt sie für nicht geschrieben? Er müßte vielmehr sagen: Mag damit ins öffentliche Recht eingegriffen sein oder nicht, die Bestimmung begründet ein Privatrecht, das Privatrecht des Kindes, daß nach diesem Stande seine Rechte sich bestimmen, so gut, wie die Bestimmung, wonach die Frau am Stande ihres Mannes Theil nehmen soll, ein Privatrecht für diese begründet; sie ist also eine Privatrechtsbestimmung. Das Gesetzbuch, würde er also sagen, hat hier seine Aufgabe sehr richtig erfaßt. Zu diesen Erwägungen kommt aber noch, daß der Entwurf seinen eigenen Bestimmungen zufolge dem Kinde den Stand der Mutter geben mußte. Weil er dessen ganze Subsistenz mit abhängig macht von seinem Stande, der Vater das Kind dessen Stande entsprechend ernähren, erziehen und zu einem Berufe vorbilden lassen soll, so mußte der Entwurf Vorsorge dafür treffen, daß das Kind einem bestimmten Stande angehört; er mußte vorschreiben und zwar einheitlich für ganz Deutschland, wonach sich sein Stand bestimmen solle, und durfte es an solcher (17) Bestimmung um so weniger fehlen lassen, als es in Deutschland Rechtsgebiete giebt, wo eine Vorschrift darüber nicht besteht. Wie kann man aber dem Kinde, wenn es, was gewiß richtig und nach dem Entwurfe selbstverständlich ist, den Stand des Vaters nicht teilen soll, einen anderen Stand geben, als den der Mutter? Zu § 1595: Der Mutter steht nicht die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind zu. Sie hat jedoch unter den im § 1590 Abs. 2 bestimmten Beschränkungen das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Es wäre hier im ersten Satze statt: „steht nicht — — zu“, zu sagen: „steht — — zu“ und der zweite Satz zu streichen.
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Der im zweiten Satze des Paragraphen angezogene Absatz des § 1590 bestimmt, daß eine eheliche Mutter, welche die Nichtigkeit der Ehe gekannt hat, nur das Recht und die Pflicht hat, für die Person des Kindes zu sorgen, indessen zur Vertretung desselben nicht befugt ist, und daß dessen Vormund ihr gegenüber die Stellung eines Beistandes haben soll. Zum Unterschiede von der väterlichen Gewalt des römischen und des gemeinen Rechtes beruht die elterliche Gewalt, die der Entwurf mit Recht an die Stelle der väterlichen Gewalt setzt, darauf, daß beide Eltern vermöge natürlichen Rechtes verpflichtet sind, für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes zu sorgen. Weil sie diese Verpflichtung haben, so haben sie auch das Recht, sie auszuüben, haben die elterliche Gewalt. Und nur deshalb kann man sagen, daß die Eltern das Recht und die Pflicht haben, für die Person des Kindes und folgeweise auch für sein etwaiges Vermögen zu sorgen. Auf einen anderen Grund läßt sich dies Recht und diese Pflicht nicht stützen. Der Entwurf spricht der Mutter also, wenn er bestimmt, daß sie das Recht und die Pflicht habe, für die Person des Kindes zu sorgen, thatsächlich die elterliche Gewalt zu, sie soll aber den Namen davon nicht haben, weil ihre Mutterschaft eine uneheliche ist. Also auch hier will der Entwurf im Anschluß (18) an das alte deutsche Recht die Unehelichkeit mit einem Makel behaftet wissen. Daß hiermit dem Entwurfe nicht Unrecht geschieht, zeigen die Worte, mit welchen die Motive den Begriff der elterlichen Gewalt entwickeln und feststellen. Sie sagen IV, S. 794: Dem Entwicklungsgange des Rechtes folgend, hat der Entwurf die elterliche Gewalt von einer einheitlichen Grundlage aus gestaltet und dabei das natürliche Schutzbedürfnis des Kindes zum Ausgangspunkte genommen. Demgemäß behandelt er die elterliche Gewalt ihrer wesentlichen Grundlage nach als eine vormundschaftliche im modernen Sinne der Vormundschaft d. h. als ein den Interessen des Kindes dienendes Schutzinstitut, welches für den Inhaber der elterlichen Gewalt die Pflicht und das Recht, für die Person, wie für das Vermögen des Kindes zu sorgen, begründet. Es hat also seine Richtigkeit, daß der Entwurf der unehelichen Mutter bloß den Namen der elterlichen Gewalt nicht zukommen lassen will. Ihr ist aber die elterliche Gewalt deshalb zu belassen, weil der Umstand, daß sie unehelich geboren hat, verständiger Weise kein Anlaß zu der Annahme sein kann, daß es ihr an der Liebe zu dem Kinde, an dem Pflichtgefühl und der Einsicht mangele, die das Gesetz bei ihr als vorhanden voraussetzen würde, wenn sie Witwe oder geschiedene Frau wäre, indem das Gesetz in solchen Fällen der Mutter die elterliche Gewalt läßt. Es ist dann aber auch kein Grund vorhanden, der unehelichen Mutter eine Ausnahmestellung zu geben und die Bestimmung des § 1557, welche gegen den Mißbrauch der elterlichen Gewalt von Seiten des Vaters sowie nach § 1575 von Seiten der Mutter schützen soll, nicht auch der unehelichen Mutter gegenüber für ausreichend zu halten. Die Bestimmung lautet: § 1557: Wird das geistige oder leibliche Wohl des Kindes dadurch gefährdet, daß der Vater das Recht der Sorge für die Person des Kindes mißbraucht, das Kind vernachlässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht, so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen(19) Maßregeln zu treffen. Das Gleiche gilt, wenn das Kind sittlich verwahrlost und
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nach der Persönlichkeit und den Lebensverhältnissen des Vaters anzunehmen ist, daß die elterliche Erziehungsgewalt zur Besserung des Kindes nicht ausreicht. Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen, daß das Kind zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt untergebracht wird. Verletzt der Vater das Recht des Kindes auf Gewährung des Unterhalts und ist für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen, so kann ihm auch die Vermögensverwaltung, sowie die Nutznießung entzogen werden. Damit diese Bestimmung auch der unehelichen Mutter gegenüber Anwendung finde, bedarf es keiner Hervorhebung im Gesetze. Der Entwurf hat nämlich in Ergänzung einer im § 1723 über den Gemeinde-Waisenrath getroffenen Bestimmung im § 1564 in Betreff der Ausübung der elterlichen Gewalt durch den Vater bestimmt: Der Gemeinde-Waisenrath hat dem Vormundschaftsgerichte Anzeige zu machen, wenn ein Fall zu seiner Kenntniß gelangt, in welchem das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist. Und diese Bestimmung findet nach § 1575 auch auf die Ausübung der elterlichen Gewalt durch die Mutter, also auch gegen die uneheliche Mutter Anwendung. Die hiermit ergänzte Bestimmung des § 1723 über den Gemeinde-Waisenrath lautet: Der Gemeinde-Waisenrath hat in Unterstützung des Vormundschaftsgerichtes darüber zu wachen, daß die Vormünder der sich in ihrem Bezirke aufhaltenden Mündel für die Person, insbesondere für die Erziehung und körperliche Pflege pflichtmäßig Sorge tragen u. s. w. Der Entwurf hat es bedenklich gefunden, dem Gemeinde-Waisenrathe auch bezüglich der Eltern diese Pflicht des Ueberwachens aufzuerlegen. Der dafür angeführte Grund ist etwas absonderlicher Natur. In den Motiven IV, 15/16 heißt es: Steht dem Vormundschaftsgerichte gegenüber dem Inhaber der elterlichen Gewalt ein regelmäßiges zur Einmischung in die (20) Familienverhältnisse berechtigendes Aufsichtsrecht nicht zu, so kann ein solches auch nicht dem GemeindeWaisenrathe, als einem unterstützenden Organe der Vormundschaft, eingeräumt werden. Dieser Grund setzt sich in Widerspruch mit dem § 1723; denn wenn dem Gemeinde-Waisenrathe für die Fälle, wo er vermuthen kann, daß die Kinder schlecht behandelt werden, oder wo er hört, daß es der Fall sein soll, nicht die Pflicht auferlegt wird, sich zu erkundigen und Ermittlungen anzustellen, so ist die ganze für die von ihr betroffenen Volljährigen nicht besonders angenehmen Einrichtung der Gefahr ausgesetzt, alsbald bloß noch auf dem Papiere zu stehen. Es empfiehlt sich daher, die angeführte Bestimmung über den Gemeinde-Waisenrath dahin abzuändern, daß vor dem Worte Vormünder gesagt wird: „Eltern und“ und daß statt „Mündel“ gesagt wird: „Minderjährige“.
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Wie einseitig die Motive hier in Betreff der unehelichen Mutter urtheilen, zeigt die Bemerkung IV, S. 861: Ebensowenig reicht es aus, wenn etwa das Aufsichtsrecht des Waisenrathes bei den unter der elterlichen Gewalt der Mutter stehenden unehelichen Kindern nach Maßgabe des § 1725 ausgedehnt würde, da es regelmäßig an einer äußeren Anregung zur Ausübung dieser Aufsicht und an dem nöthigen Zusammenhange mit dem Vormundschaftsgerichte fehlt, wenn nicht zugleich eine Vormundschaft geführt wird. Wird dagegen in allen Fällen eine Vormundschaft angeordnet, so kann der Waisenrath auch in Ansehung der unehelichen Kinder eine gedeihliche Wirksamkeit entwickeln. Der angezogene § 1725 ist jetzt der oben angeführte den Waisenrath betreffende § 1723. Es soll also nach dieser Bemerkung, wenn es an einem Vormund fehlt, „regelmäßig an einer äußeren Anregung zur Ausübung dieser Aufsicht fehlen“, dagegen, wenn eine Vormundschaft angeordnet wird, „der Waisenrath eine gedeihliche Wirksamkeit entwickeln können.“ Aber nach § 1723 (früher 1725) und auch nach den Motiven IV S. 1017 und S. 1226 ist es Aufgabe des Waisenrathes, den Vormund zu con-(21)troliren, nicht zu warten, bis dieser ihm Anzeige macht, oder gar die Erkundigungen über seine Führung bei ihm selbst einzuziehen; das wäre die verkehrte Welt. Und warum vermag der Waisenrath nicht eben so gut eine uneheliche Mutter zu beaufsichtigen, wie einen Vormund? Und der eheliche Vater, gegen den nach § 1557 das Vormundschaftsgericht soll einschreiten können, und gegen den der § 1557 zunächst berechnet ist, hat gar keinen Vormund neben sich. Zudem, wer in der Praxis gestanden hat, weiß, wie wenig willig die Vormundschaft über ein uneheliches Kind angenommen wird, und wie Mißstände bei seiner Versorgung unaufgeklärt bleiben in Berufung des Vormundes auf das Verhalten der leichtsinnigen Person, der Mutter. Auf die Erfüllung einer unliebsamen Pflicht darf aber der Gesetzgeber nicht in gleichem Maße zählen, wie auf den Antrieb eines Affectes, den die Natur ins menschliche Herz gepflanzt hat. In Frankreich sind trotz Fehlens eines bestimmten Anhaltes an gesetzlichen Bestimmungen Schriftsteller und Praxis darüber einverstanden, daß den unehelichen Eltern die elterliche Gewalt zustehe, und nur bezüglich ihres Inhaltes walten Meinungsverschiedenheiten ob, in Betreff namentlich der Frage der elterlichen Nutznießung bis zum 18. Lebensjahre der Kinder; und selbst der konservative und so gründliche Zachariä sagt § 571: Die Eltern natürlicher anerkannter Kinder haben alle diejenigen Rechte ehelicher Eltern – soll heißen: alle diejenigen vom code civil den ehelichen Eltern gegebenen Rechte – welche sich aus der Pflicht der Eltern, ihre natürlichen Kinder zu erziehen, streng ableiten lassen. In Deutschland hat bis jetzt nur ein weimarisches Gesetz vom 27. März 1872 der unehelichen Mutter die volle elterliche Gewalt gegeben. Welche Erfahrungen mit diesem Gesetz gemacht sind, ist in den Motiven nicht erwähnt. Sie wenden sich aber gegen einen hessischen Gesetzentwurf, der ein Gleiches vorschlägt, indem sie Folgendes ausführen: IV, S. 860/861: Die in den Motiven des hessischen Entwurfs, 3, S. 173 für die Übertragung der elterlichen Gewalt auf die uneheliche Mutter geltend gemachten Gründe, es sei von der natürlichen (22) Mutterliebe zu erwarten, daß sie für ihr Kind nach Kräften sorgen werde, und es werde durch diese Art der Regelung die Staatsaussicht einer Menge lästiger Vormundschaftsbestellungen überhoben, wer-
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den durch die mit der Anerkennung der elterlichen Gewalt der unehelichen Mutter für das Kind, insbesondere für dessen körperliches und geistiges Wohl, verbundenen Gefahren überwogen. Die Voraussetzungen, von welchen der Entwurf ausgegangen ist, wenn er die Übertragung der elterlichen Gewalt auf die uneheliche Mutter als unbedenklich erachtet hat, treffen bei der unehelichen Mutter theils überhaupt nicht, theils wenigstens in einer großen Zahl von Fällen nicht zu. Die Erfahrung lehrt, daß uneheliche Kinder in körperlicher wie in geistiger Hinsicht nur zu oft verwahrlost werden. Das Interesse dieser zahlreichen Kinder und mittelbar der Gesellschaft erheischt es dringend, möglichst sichere Garantien zu schaffen, daß dieselben in körperlicher und geistiger Beziehung eine gute Ausbildung erhalten und zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft erzogen werden. Diese Garantien würden aber regelmäßig fehlen, wenn man der unehelichen Mutter die elterliche Gewalt über ihr uneheliches Kind einräumen wollte. Hat die uneheliche Mutter an sich auch die Fähigkeit, die mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten und Rechte zu erfüllen, bezw. auszuüben, so mangelt es ihr doch zu oft an dem guten Willen und dem genügenden Ernste. In vielen Fällen hat die uneheliche Mutter für das uneheliche Kind nicht das gleiche Interesse und die gleiche hingebende, das Beste des Kindes im Auge habende Liebe, wie die eheliche Mutter für ihr eheliches Kind; vielmehr verhält sie sich gleichgültig gegen das uneheliche Kind und betrachtet dasselbe wohl gar als eine drückende Last. Dazu kommt, daß die uneheliche Mutter selten einen festen Hausstand hat, daß sie, um ihrem Erwerbe nachzugehen, häufig von dem Kinde getrennt ist und dasselbe gegen eine billige Vergütung fremden Personen überläßt, welche dabei weniger das Interesse des Kindes als ihr eigenes Interesse berücksichtigen. Auch insofern ist die Sachlage bei der unehelichen und der ehelichen Mutter eine verschiedene, als die letztere in der Regel erst nach dem Tode des Vaters, also meistens erst in gereifteren Jahren, die elterliche Gewalt erlangt… Es liegt die Gefahr nahe, daß in vielen Fällen leichtsinnige Mütter das etwa vorhandene Vermögen des Kindes, namentlich die von dem Vater geleisteten Unterhaltungsgelder oder eine von demselben gezahlte Abfindungssumme nicht im Interesse des Kindes, sondern im eigenen Interesse verwenden würden… (23) Von diesen Ausführungen darf man sagen, daß sie das Leben nicht kennen. Woher wissen sie, – denn auf Belege haben sie sich nicht bezogen – daß es der unehelichen Mutter nicht bloß oft, sondern sogar zu oft an dem guten Willen und dem genügenden Ernste fehlt? Woher, daß die Gefahr naheliegt, daß in vielen Fällen leichtsinnige Mütter die Unterhaltsgelder oder eine gezahlte Abfindungssumme nicht im Interesse des Kindes, sonder in eigenem Interesse verwenden – während es doch gar nicht anders gemacht werden kann, als daß diese Gelder ihnen ausgezahlt werden, und also auch der vom Entwurfe gewollte Vormund eine Vergeudung derselben nicht verhüten könnte. Woher wissen sie das Alles, wenn nicht eben daher, daß sie schon a priori wissen und für ganz zweifellos halten, daß die unehelichen Mütter in den allermeisten Fällen – „gar zu oft“ – verworfene Personen sind, und also gar keines Beweises durch die Erfahrung dafür bedürfen, daß dieselben es in der geschilderten Weise zu machen pflegen. Die Sache ist aber die, daß, wenn wir bei unehelichen Müttern in einzelnen Fällen das sehen, was die Motive als Regel hinstellen, dies nicht in der Unehelichkeit seine Ursache hat, vielmehr dieselbe Ursache, welche uns Beispiele von schlechter Erziehung und Verwahrlosung der Kinder aus den Ehen der untersten
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Klassen bringt: die Vermögenslosigkeit und das, was diese im Gefolge hat. Man müßte, wenn die Motive Recht hätten, die ehelichen Kinder der ärmsten Klassen gleichfalls unter Vormundschaft stellen. Aber gerade in diesen Klassen ist es häufig die Frau, die gegen den verkommenen Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten sucht, so daß, wenn sie durch Scheidung oder Tod von ihrem Mann erlöst worden ist, sie sich mit ihren Kindern in anständiger Weise durchzubringen weiß und dieselben zu ordentlichen Menschen erzieht. Daß es Fälle giebt, in denen uneheliche Mütter ihre Kinder schlecht behandeln, kann durchaus nicht bestritten werden. Aber solche Fälle kommen auch bei ehelichen Müttern vor, und Schreiber dieses hat zur Verurtheilung pflichtvergessener, herzloser ehelicher Mütter mehrfach mitgewirkt – zwei Mal sogar zur Verurtheilung von je (24) 10 Jahren Gefängniß wegen Mißhandlung von Kindern unter 8 Jahren. Solches kann auch bei unehelichen Müttern vorkommen. Aber es ist Unrecht, ihnen ein Privilegium obiosum daraus zu machen. Die Mutternatur ist überall dieselbe. Sie bringt es mit sich, daß die Liebe zum Kinde um so größer ist, um so lebhafter empfunden wird, je größer und lebhafter bei der Mutter das Bewußtsein von der Hülfsbedürftigkeit des Kindes ist. Dieses ist aber besonders groß und lebhaft in dem Bewußtsein, nicht ausreichend für das Kind sorgen zu können. Deshalb hätte, wenn doch über das Verhältniß der Liebe der unehelichen Mutter zu derjenigen der ehelichen einmal eine Conjectur aufgestellt werden soll, die, welche der unehelichen Mutter hier den Vorzug giebt, mehr für sich, als diejenige, welche ihn der ehelichen Mutter eingeräumt wissen will. Wie sehr die Motive bemüht sind, Alles zusammenzutragen, was irgend wie gegen die uneheliche Mutter sprechen kann, sieht man daran, daß sie durch die Vorenthaltung des Rechtes, das Kind gerichtlich zu vertreten, sogar der Gefahr vorgebeugt wissen wollen, daß liederliche und leichtsinnige Mütter das Recht der gesetzlichen Vertretung des Kindes dazu mißbrauchen, von verschiedenen Personen, welche mit ihnen innerhalb der Empfängnißzeit den Beischlaf vollzogen haben, betrügerischer Weise auf den Namen des Kindes Alimente zu fordern – ein Fall, der in der Praxis vielleicht noch niemals vorgekommen ist, jedenfalls aber nur höchst selten vorkommen kann; – und mit welcher Ungunst überhaupt die Motive die uneheliche Mutter behandeln, zeigt die Bemerkung S. 862 zur Begründung der Ausschließung der Mutter von der elterlichen Nutznießung: Dieselben – die Einkünfte – der unehelichen Mutter zu überlassen, ist um so bedenklicher, als in vielen Fällen die unehelichen Mütter leichtsinnige und verschwenderische Personen sind. Indem liegt es im Interesse der Sittlichkeit, wenn der unehelichen Mutter jeder aus ihrer Unsittlichkeit hervorgehende auch nur indirekte Vermögensvortheil entzogen wird. Das soll also auch von einem einzigen Fehltritte gelten, zu dem ein Mädchen vielleicht verleitet wurde und den sie vielleicht (25) schwer bereut; während, wenn sie das Glück hat, daß der Mann sie nachher heirathet, sie natürlich auf einmal eine ganz sittliche Frau ist, und würdig, daß ihr Kind durch die nachfolgende Ehe legitimirt wird. Davon, daß, wenn man von Schuld hier sprechen will und von vornherein über alle Fälle, ohne sie zu kennen, absprechen, den Mann jedenfalls die größere sittliche Schuld trifft, sagen die Motive kein Wort, geschweige denn, daß sie die Consequenz daraus zögen.
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Daß man auf jene Ausführung kein erhebliches Gewicht legen darf, zeigen die Motive in der Ausführung, deren Mittheilung oben S. 8 verschoben wurde, S. 854855, wo sie, um zu begründen, daß das uneheliche Kind der Mutter gegenüber die Rechte eines ehelichen haben müsse, den Aufenthalt des Kindes bei der Mutter in einer Weise schildern, als wenn dasselbe nirgends besser aufgehoben sein könnte. Sie sagen: Andererseits spricht für die Gleichstellung des unehelichen Kindes mit den ehelichen Kinde im Verhältnisse zur Mutter und deren Verwandten auf dem Gebiete des Familien- und Erbrechtes das dringende Interesse, die Lage der unehelichen Kinder zu verbessern, und vor Allem die Erwägung, daß die factischen und sittlichen Voraussetzungen für familienrechtliche und erbrechtliche Beziehungen zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und der Mutter und deren Verwandten andererseits, wenn auch nicht in demselben Maße, wie bei ehelicher Abstammung, so doch regelmäßig in einem solchen Grade vorhanden sind, daß, unter Vorbehalt geeigneter, der Verschiedenheit der Sachlage entsprechender Modifikationen, dem unehelichen Kinde im Verhältniß zur Mutter und zur mütterlichen Familie grundsätzlich die Stellung ehelicher Kinder eingeräumt werden kann. Das uneheliche Kind steht der Mutter entschieden viel näher als dem Vater. Dasselbe ist schon von der Natur der Mutter anvertraut und deren Pflege und Erziehung überlassen. Dadurch wird das zunächst auf der natürlichen Verbindung beruhende Band der Liebe zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Mutter fester geknüpft, und werden andererseits durch diese nahen Beziehungen zwischen dem unehelichen Kinde und der Mutter von selbst auch die durch die Einheit des Blutes begründeten Beziehungen desselben zur Familie der Mutter aufrecht erhalten und belebt, zumal sie in sehr vielen Fällen keinen eigenen Hausstand hat, sondern mit dem Kinde bei ihren Eltern (26) oder anderen nahen Verwandten Aufnahme findet und so das Kind factisch das Familienleben der mütterlichen Verwandten theilt. Das Interesse der unehelichen Kinder, welche sonst nur zu leicht dem Elende und der Verwahrlosung preisgegeben sind und auf die Bahn des Lasters gerathen, sowie mittelbar das Interesse der Gesellschaft erheischt es dringend, dieselben rechtlich nicht auch von der Familie der Mutter auszuschließen, damit sie, namentlich im Falle eines frühzeitigen Todes der Mutter oder, wenn diese ihre mütterlichen Pflichten nicht erfüllen sollte, nicht ganz isolirt dastehen und nicht der in sittlicher und socialer Beziehung so wichtigen Theilnahme an der Familie entbehren. Berücksichtigt man die große Zahl unehelicher Kinder berücksichtigt man, daß destructive Elemente vornehmlich aus den Kreisen solcher Personen hervorgehen, welche von der Familie ausgeschlossen sind, so erscheint es als Aufgabe und Pflicht der Gesetzgebung, auch auf dem Gebiete des Civilrechtes der Vermehrung des Proletariates entgegenzutreten, sollte auch der Eintritt des unehelichen Kindes in die mütterliche Familie den Anschauungen in einzelnen Ständen weniger entsprechen. Der Rücksicht auf die Heiligkeit und die hohe Bedeutung der Ehe wird aber schon dadurch in ausreichendem Maße Rechnung getragen, daß das uneheliche Kind zu dem Vater und dessen Familie rechtlich in keine Verbindung tritt.
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Bezüglich des Argumentes, das uneheliche Kind sei auch deshalb von der mütterlichen Familie nicht auszuschließen, weil die destructiven Elemente vornehmlich aus solchen Kreisen hervorgingen, welche von der Familie ausgeschlossen seien, ist nicht ganz klar, welche Kreise hiermit gemeint sind. Etwa die socialistischen und anarchistischen Kreise? Sollte es sich dann nicht empfehlen, die Geburtsursprünge in diesen Kreisen statistisch zu ermitteln? __________________ Zu § 1596. Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zu dessen vollendetem sechzehnten Lebensjahre den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfaßt den gesammten Lebensbedarf, sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe. Der Vater ist vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten des Kindes unterhaltspflichtig. (27) Hier wäre statt: bis zu dessen vollendetem 16. Jahre zu sagen: bis dahin, daß es sich selbst unterhalten kann; Ferner statt: den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu sagen: einen Beitrag zu dem der Lebensstellung Ferner wäre hinzuzufügen hinter „Berufe“ im zweiten Satze: Der Betrag ist zu bemessen nach den Vermögensverhältnissen der Mutter und nach denjenigen des Vaters. Ferner wären im letzten Satze die Worte: der Mutter und zu streichen. Endlich wäre dem Paragraphen ein dritter Absatz hinzuzufügen des Inhaltes: Ist das Kind später außer Stande, sich selbst zu unterhalten, so treten gegen den Vater und dessen Verwandte die Bestimmungen über die Unterhaltspflicht § 1496 ff. ein. Daß das Kind unehelich ist, ist kein Grund, ihm nicht die Bestimmung des § 1497 über die Unterhaltspflicht der Verwandten zu Gute kommen zu lassen, wonach die Unterhaltspflicht erst aufhört, wenn der Berechtigte im Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Wohl aber ist genugsam Grund vorhanden, eine solche Ausnahme nicht zuzulassen. Zunächst schon die Härte der Zumuthung an ein junges Menschenkind, daß es den standesmäßigen Unterhalt, den es genoß, plötzlich, weil die Zeit um ist, entbehren soll. Sodann hat dem Entwurfe zufolge der Vater nicht nur für einen standesmäßigen Unterhalt und für eine solche Erziehung zu sorgen, sondern auch für eine standesgemäße Vorbildung zu einem Berufe. Aber, wenn die Vorbildung,
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weil der standesgemäße Unterhalt aufhört, mit dem 16. Jahre abgebrochen werden muß? In welche Lage kommt dann das Kind? War ihm dann der standesgemäße Unterhalt von Vortheil, und was beginnt es mit der nicht abgeschlossenen Vorbildung? (28) Es ist ferner keine zutreffende Analogie mit der ehelichen Vaterschaft, wenn der Entwurf auch den unehelichen Vater vor der Mutter für Unterhaltung und Erziehung des Kindes haften läßt. Daß der eheliche Vater vor der ehelichen Mutter dafür haftet, hat seinen Grund darin, daß er die Ehelasten trägt, nicht sie. Da dieser Grund zwischen dem unehelichen Vater und der unehelichen Mutter wegfällt, so haben sie beide gemeinsam, jeder nach seinen Kräften, für den Unterhalt und die Erziehung zu sorgen. Demgemäß die Bestimmung zu ändern, erscheint schon deshalb geboten, weil in den Fällen, wenn der Vater nicht viel mehr hat, als er selbst zum standesgemäßen Unterhalt bedarf, wenn er Knecht ist, oder kleiner Angestellter, kleiner Handwerker, oder kleiner Kaufmann u. dergl., ihn die Pflicht, allein für den standesgemäßen Unterhalt des Kindes zu sorgen, unter Umständen schwerer treffen würde, als es selbst vom Standpunkte einer Strafe gerechtfertigt wäre und er, daß gleichwohl die Mutter frei sein soll, als ein Unrecht empfinden müßte. Es verlangt aber auch die Rücksicht auf das Wohl des Kindes die Beschränkung auf die Leistung eines Beitrages. Ist die Mutter gesetzlich befreit, so lange der Vater allein den Unterhalt zu bestreiten vermag, so kann das leicht für sie Veranlassung sein, in der Sorge für das Kind sich zu versäumen, während, wenn das Gesetz sie neben dem Vater verpflichtet, dies für sie ein Antrieb zum Fleiße und zum ordnungsmäßigen Leben ist und sie so in der Sorge für das Kind möglicher Weise einen Lebensinhalt findet, der sie befriedigt. Außerdem würde, wenn der Vater allein für den standesgemäßen Unterhalt zu sorgen hätte, die Bestimmung, daß seine Pflicht so lange dauere, bis das Kind sich selbst unterhalten kann, schwerlich gerechtfertigt sein, weil sie dann den Vater zu sehr belasten würde; und doch erscheint diese Bestimmung unerläßlich, um die Zukunft des Kindes nicht in Frage zu stellen. Zur Bestätigung dieser Auffassung kann auf Aussprüche in den Motiven zum ersten Entwurfe Bezug genommen werden. Derselbe hatte gleichfalls den Vater vor der Mutter für verpflichtet erklärt, aber nur zu einem nothdürftigen, nicht zu einem standesmäßigen Unterhalt. (29) Zur Begründung sagen die Motive IV, S. 881: Schließt man sich dem von dem badischen Gesetze betretenen Wege nicht an, so bieten sich wieder verschiedene Arten der Regelung dar. Entweder läßt man den Vater in erster Linie haften, beschränkt aber seine Verpflichtung auf die Gewährung des nothdürftigen Unterhaltes … oder man stellt auf die Verpflichtung zur Gewährung des standesmäßigen Unterhaltes ab und verpflichtet den Vater nur, gemeinschaftlich mit der Mutter bezw. den mütterlichen Verwandten diesen Unterhalt zu gewähren. Ferner heißt es S. 882: Das Bedenken, daß es unbillig sei, wenn der Vater die Kosten des Unterhaltes des unehelichen Kindes allein zu tragen habe, und daß es auch im Interesse der Verminderung der Unsittlichkeit nicht rathsam sei, der Mutter die Last des Unterhaltes des Kindes ganz abzunehmen, erledigt sich dadurch, daß die Unterhaltungspflicht des unehelichen Vaters auf Gewährung des nothdürftigen Unterhaltes beschränkt sein soll.
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Die in dem zweiten Entwurfe ausgesprochene Erweiterung des nothdürftigen Unterhaltes zu einem standesmäßigen wird im Protokoll S. 6212 damit begründet, daß ein uneheliches Kind so gut wie ein eheliches Anspruch darauf habe, standesmäßig, d. h. hier nach dem Stande, der Lebensstellung, insbesondere auch den Vermögensverhältnissen der Mutter unterhalten zu werden. Für die dieser Erweiterung ungeachtet beibehaltene Haftung des Vaters vor der Mutter beruft das Protokoll S. 6212/13 sich darauf, daß dies dem in dem größten Theile Deutschlands geltenden Rechte entspreche. Es wird hierbei aber übersehen, daß der standesmäßige Unterhalt, den der zweite Entwurf gewährt, ein Fortschritt gegen das im größten Theile Deutschlands geltende Recht bildet, das nur nothdürftigen Unterhalt kennt. Beweisend hierfür ist in den Aeußerungen der Motive die folgende Bemerkung: S. 879/80. Uebrigens ist auch da, wo die primäre Unterhaltungspflicht des Vaters anerkannt wird, der Betrag der von demselben zu leistenden Alimente durch den Gerichtsgebrauch in der Regel so gering festgestellt, daß thatsächlich die primäre Unterhaltungspflicht des Vaters auf die Gewährung des nothdürftigen Unterhaltes (30) sich beschränkt, bezw. sich nur als eine Beitragspflicht zum Unterhalt des Kindes gestaltet (vergl. Seuffert 4 203, 12, 163, 25, 132). Es ist hiernach irrig, weil auf einer irrigen Annahme fußend, wenn dafür, daß es praktisch unbedenklich sei, für den standesgemäßen Unterhalt den Vater vor der Mutter haften zu lassen, S. 6213 des Protokolles gesagt wird: auch sei, nach den in der Praxis gemachten Erfahrungen eine übermäßige Belastung des unehelichen Vaters nicht zu besorgen. Daß man so inständig daran festhält, den Vater, wenn er dazu im Stande ist, den Unterhalt allein tragen zu lassen, und daß Solches auch in Landesgesetzen bestimmt ist, wäre schwer begreiflich, wenn es nicht einen doctrinellen Grund hätte. Man sagt: es liege im Begriffe der Vaterschaft, daß der Vater den Unterhalt allein trage und also fordere es die Consequenz, ihn auch den unehelichen Vater allein tragen zu lassen. Daß die Sache sich so verhält, geht ganz deutlich hervor aus v. Roth, Deutsches Privatrecht § 174 S. 390 Note 18. Die Schlußfolgerung ist aber falsch, weil sie den Begriff der Vaterschaft nach dem bildet, was in der Ehe gilt. Sie rührt aus der Zeit her, da man nur eine väterliche Gewalt des Ehemannes kannte, nicht eine elterliche und demgemäß nur Pflichten des ehelichen Vaters, nicht auch eines unehelichen und diesen somit nur zu verpflichten vermochte vermöge eines Analogieschlusses aus der ehelichen Vaterschaft. __________________ Die §§ 1496 ff. ordnen die Unterhaltungspflicht in so weit, als sie nicht durch die elterliche Gewalt gegeben ist, und ihre Bestimmungen gelten nach § 1593 der Mutter und den mütterlichen Verwandten gegenüber auch für das uneheliche Kind. Aber warum nicht auch den väterlichen Verwandten gegenüber? Gründet doch der Entwurf die Unterhaltungspflicht auf die Blutsverwandtschaft, und auf etwas Anderes kann sie gar nicht gegründet werden. In der Schwierigkeit dieser Situation konnte dem Entwurfe nur der Satz helfen, daß das uneheliche Kind mit dem (31) Vater nicht verwandt sei, den er in § 15 gerade deshalb aufgestellt hat, um für spätere Bestimmungen jeder weiteren Motivirung überhoben zu sein.
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Muß aber, wie nachgewiesen ist, dieser Satz fallen, so giebt es auch nicht einmal einen Scheingrund dafür, daß dem Kinde die Bestimmungen der §§ 1496 ff. nicht auch dem Vater und dessen Verwandten gegenüber zu Gute kommen sollen. Auch in dieser Hinsicht schickt sich eine andere Nation an, es der deutschen zuvorzuthun. In dem belgischen Avant projet de revision du code civil ist die Bestimmung aufgenommen: art. 329 Les dispositiones art. 221 à 226 sur l’obligation alimentaire sont applicables aux parents et alliés naturels und in der Begründung wird gesagt über die Alimentationspflicht: La famille est tonno avant la société. Faut-il restreindre cette obligation à la famille légitime? La question seule heurtera des préjugés invétérées. Pour les légistes il es presque un article de foi, que l’enfant naturel n’a point de famille. Je dois commencer par montrer tout ce qu’il y a d’inique et de barbare dans les droit tel, que le code Napoléon l’a établi. __________________
Zu § 1599: Der Unterhaltungsanspruch erlischt nicht mit dem Tode des Vaters; er kann geltend gemacht werden, auch wenn der Vater vor der Geburt des Kindes gestorben ist. Die Erben des Vaters sind berechtigt, das Kind mit dem Betrag abzufinden, welcher dem Kinde im Falle seiner Ehelichkeit als Pflichttheil gebühren würde. Sind mehrere uneheliche Kinder vorhanden, so wird die Abfindung so berechnet, wie wenn sie alle ehelich wären. Im ersten Satz wäre statt: Der Unterhaltungsanspruch erlischt nicht mit dem Tode des Vaters zu sagen: Der Unterhaltungsanspruch erlischt mit dem Tode des Vaters; und die übrigen Worte des Paragraphen wären zu streichen; es wäre aber dem Kinde Erbrecht zu gewähren. (32) Dies Letztere folgt aus dem hier zur Anwendung zu bringenden Grundsatze. Hat aber das Kind Erbrecht gegen den Vater, so muß die Fortdauer des Ernährungsanspruches nach dessen Tode aus dem Grunde wegfallen, weil sie einen Ersatz für das dem Kinde verweigerte Erbrecht darstellen soll. Der Wegfall entspricht aber auch dem Charakter der Unterhaltungspflicht des Vaters, da die Vaterschaft, auf welcher sie beruht, mit dem Tode erlischt – nicht auf die Erben übergeht. Eventuell, wenn es beim ersten Absatze verbleiben müßte, wäre der zweite Absatz doch zu streichen. Der erste Entwurf enthielt die Bestimmung dieses Absatzes nicht. Im Protokoll S. 6217 wird zu Begründung derselben gesagt: Daß mit dem Tode des Vaters die Quelle aufgehört habe, aus welcher bisher der Unterhalt des unehelichen Kindes geflossen sei; es müsse daher den Erben das recht zustehen, das Kind wegen seines ferneren Unterhaltes abzufinden, und zwar mit dem Betrage, den dasselbe, wenn es ehelich wäre, als Pflichtteil erhalten würde. Das entspreche um so mehr der Gerechtigkeit, als auch das eheliche Kind mehr als seinen Pflichttheil beim Tode des Vaters nicht zu beanspruchen habe.
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Wenn, könnte man dieser Begründung hinzusetzen, das uneheliche Kind, was sonst unmöglich sei, hier statt von seinem Vater, von dessen Erben auf den Pflichtteil gesetzt werde, und wenn dies trotz des Umstandes möglich sei, daß das Kind kein Erbrecht gegen den Vater habe und sein Alimententenanspruch also kein Erbanspruch sei, so sei das etwas, was ein uneheliches Kind sich gefallen lassen müsse; dafür sei es eben ein uneheliches Kind. Die Bemerkung, daß die Quelle aufgehört habe, zu fließen, enthält eine ganz unzutreffende völlig unjuristische Metapher. Die Quelle, aus der die Alimente flossen, war factisch und juristisch die Verpflichtung und das Vermögen des Vaters, und beides ist auf die Erben übergegangen. Daß auch die Verpflichtung auf die Erben übergegangen ist, räumt die Begründung selbst ein, dadurch, daß sie den Erben das Recht der Abfindung giebt. Aber wo in aller Welt (33) ist dem Schuldner das Recht gegeben, seinen Gläubiger mit einem so ungewissen Anspruch, wie ein Pflichtteil ist, gegen dessen Willen abzufinden? – zumal einen Gläubiger, der Alimente zu fordern hat, der sonst, nach fast allen Rechten, nur nach Prüfung der Sache mit gerichtlicher Genehmigung abgefunden werden kann? Die Analogie endlich mit dem ehelichen Vater hat nichts für sich als den puren Namen Vater. Daß der eheliche Vater sein Kind auf den Pflichtteil setzen kann, rechtfertigt sich dadurch, daß das Kind möglicher Weise schon bei Lebzeiten des Vaters unverhältnißmäßig viel von dessen Vermögen genossen hat, und daß es keinen Vermögensanspruch gegen den Vater hat, sondern nur die Hoffnung, ihn zu beerben, die, wenn es vor dem Vater stirbt, in nichts zerrinnt, und daß sehr erhebliche Gründe dafür sprechen, dem Vater das Recht zu geben, ein Kind, das sich einer Impietät gegen ihn schuldig gemacht hat, oder das schlecht wirthschaftet, zum Vortheil anderer Personen in seinem gesetzlichen Erbrechte zu beschränken. Dem unehelichen Vater dagegen ist seine Pflicht gegen das Kind gesetzlich genau fixirt, es hat einen Rechtsanspruch auf Erfüllung dieser Pflicht und dem Vater ist jedes Ermessen, das sie einschränken könnte, genommen. Ein solches kann demnach auch seinen Erben nicht zustehen. __________________ Zu § 1601: Eine Vereinbarung zwischen dem Vater und dem Kinde über den Unterhalt für die Zukunft oder über eine dem Kinde zu gewährende Abfindung bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Ein unentgeltlicher Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft ist unzulässig. Dieser Paragraph wäre zu streichen. Seine Bestimmung steht im Zusammenhange mit der Bestimmung des § 1509 über die Unterhaltspflicht: Für die Zukunft kann auf den Unterhalt nicht verzichtet werden. Durch eine Vorausleistung wird der Verpflichtete bei erneuter Bedürftigkeit des Berechtigten nur insoweit befreit, als (34) er die Leistung für den im § 702 Abs. 2 bestimmten Zeitabschnitt oder, wenn er selbst den Zeitabschnitt zu bestimmen hatte, für einen den Umständen nach angemessenen Zeitabschnitt bewirkt hat.
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Zu dieser Bestimmung – § 1495 Abs. 1 des ersten Entwurfes – bemerken die Motive IV, S. 709: aus der Bestimmung des § 1495 ergebe sich genügend, daß ein Vergleich über Alimente in allen den Fällen unwirksam sein solle, in denen durch den Vergleich „der gesetzliche Unterhaltsanspruch gemindert wird.“ Wörtlich heißt es dann S. 709: Die absolute Natur der Unterhaltspflicht, auf welcher die Bestimmung des § 1495 Abs. 1 beruht, bringt es mit sich, daß eine zum Zwecke der Gewährung des Unterhaltes für die Zukunft erfolgende Vorausleistung als solche den Verpflichteten von den später zur Entstehung kommenden Unterhaltsverbindlichkeiten nicht befreien kann. Wenn daher der Bedürftige die ihm zum Zwecke der Befriedigung künftiger Bedürfnisse von dem Verpflichteten gewählten Mittel schon vor dem Eintritte dieser künftigen Bedürfnisse anderweit verwendet oder verliert, so muß der Verpflichtete nochmals leisten. Was würde man nun aber sagen, wenn der Entwurf dieser Bestimmung einen dritten Absatz hinzugefügt hätte des Inhaltes: Ist jedoch der zu Ernährende minderjährig, so ist dieser Bestimmung ungeachtet eine Vereinbarung über den Unterhalt für die Zukunft oder über eine dem Minderjährigen zu gewährende Abfindung mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes zulässig. Nur darf in diesem Falle ein unentgeltlicher Verzicht auf den Unterhalt nicht ausgesprochen werden. Mit dieser Frage ist das Urtheil über den § 1601 gesprochen. Was einem ehelichen Kinde gegenüber unzulässig ist, soll einem unehelichen gegenüber zulässig sein, und dies bestimmt der Entwurf mit vollem Bewußtsein; denn für ein eheliches Kind soll nach § 1509 Abs. 1 gelten: Für die Zukunft kann auf den Unterhalt nicht verzichtet werden, für das uneheliche Kind aber soll nach Abs. 2 des § 601 bloß gelten: Ein unentgeltlicher Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft ist unzulässig. (35) Beweisend können die Motive hier natürlich nicht sein. Sie begründen die Bestimmung, wie folgt IV, S. 905: Der familienrechtliche Charakter des hier fraglichen Anspruches und die daraus sich ergebende absolute Natur desselben muß an sich dahin führen, daß auf denselben für die Zukunft ebensowenig verzichtet werden kann, wie nach § 1495, Abs. 1 auf den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Verwandten. Ueberwiegende Gründe sprechen indessen dafür, im Anschlusse an die Mehrzahl der Rechte einen Vertrag, insbesondere einen Vergleich, zwischen dem Vater und dem unehelichen Kinde über die Unterhaltsverpflichtung für die Zukunft für zulässig zu erklären, die Wirksamkeit eines solchen Vertrages jedoch von der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes abhängig zu machen. Die Zulassung derartiger Verträge liegt sowohl im Interesse des unehelichen Kindes als desjenigen, welcher als Vater in Anspruch genommen ist, und führt zu einer Verminderung der Zahl der Alimentenprozesse. Dem als Vater in Anspruch Genommenen liegt oft viel daran, durch Zahlung einer Abfindungssumme von der sonst lange Jahre sich hinziehenden, seine freie Bewegung hindernden und vielleicht mit Störung seiner Familienverhältnisse verbundenen Unterhaltspflicht sich befreien zu können; andererseits ist aber auch für das Kind der Empfang einer Abfindungssumme oft in hohem Grade erwünscht, namentlich, wenn der Ausgang eines Prozesses ungewiß ist oder die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen unsicher sind oder der Ausmittelung des künftigen Aufenthaltes desselben vielleicht Schwierigkeiten sich entgegenstellen. Der Umstand, daß die Genehmigung des
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Vormundschaftsgerichtes erforderlich ist und die Verwaltung der Abfindungssumme nicht der Mutter, sondern dem Vormunde des Kindes zusteht, bürgt dafür, daß das Interesse des Kindes und der subsidiär verpflichteten mütterlichen Verwandten, sowie das Interesse der öffentlichen Armenpflege gewahrt wird. Nach § 1509 darf auch dann, wenn ein eheliches Kind zu alimentiren ist oder ein ehelicher Großjähriger, eine Vereinbarung über eine Abfindungssumme geschlossen werden, und sie ist, weil das Gesetz sie nicht verbietet, klagbar. Aber, wenn die Abfindungssumme aus irgend einem Irrthum über gegenwärtige Verhältnisse zu gering bemessen ist, oder wenn, da man nicht in die Zukunft sehen kann, später eine Bedürftigkeit eintritt, für welche die Abfindungssumme nicht ausreicht, (36) oder wenn der Vormund das Geld schlecht verwaltet hat, vielleicht dem Mündel oder seiner Mutter zu viel davon gegeben, oder es auch sorgfältig verwaltet hat, aber der, bei dem er es angelegt, zahlungsunfähig geworden ist, so kann das eheliche Kind und der eheliche Großjährige den Unterhalt eben so fordern, als wenn die Vereinbarung über die Abfindungssumme nicht getroffen wäre; wenn jedoch das zu unterhaltende Kind ein uneheliches ist, so soll das Alles nicht gelten; es soll dann der Anspruch auf Unterhalt durch den Abfindungsvertrag erloschen sein. Aber Alles, was die Begründung anführt: daß Alimentationsprocesse verringert werden, daß es den Verpflichteten lieber ist, eine Abfindungssumme zu zahlen, es dem Berechtigten in hohem Grade erwünscht sein kann, eine solche zu erhalten, und daß der Vormund das Geld zu verwalten hat und daß das Gericht ihn controlirt, das alles läßt sich auch in den Fällen sagen, wo ein eheliches Kind oder ein ehelicher Großjähriger zu unterhalten ist. Die Motive enthalten demnach in ihren Worten nicht den Grund, der den Entwurf bestimmt hat, dem unehelichen Kinde eine solche Sonderstellung zu geben. Es kann natürlich nur wegen der Unehelichkeit geschehen sein. Aber das Interesse des unehelichen Kindes forderte noch mehr, als das des ehelichen, die Fernhaltung einer solchen Bestimmung, wegen seiner präsumtiven Armuth und weil ihm nach dem Entwurfe die väterlichen Verwandten fehlen. Es kann demnach nur das Interesse des unehelichen Vaters für den Entwurf bestimmend gewesen sein – das Interesse also, das er daran haben kann, für sich und seine Verwandten, diese unerquickliche unerfreuliche Verbindung für immer abgethan zu wissen und nicht wieder aufleben zu sehen durch Anspruch auf Ergänzung der Summe in Fällen neuer Bedürftigkeit. Der Sachverhalt verliert auch dadurch nicht an Schärfe, daß die gerichtliche Genehmigung hinzukommen soll. Denn ein Abfindungsvertrag ist ein Speculationsgeschäft, indem er alle die Zufälle, welche den Alimentationsanspruch in Zukunft beeinflussen, ihn vergrößern oder verkleinern können, auf eine Summe setzt; und diesen Charakter hat der Vertrag auch vor dem Richter; auch der tüchtigste Richter kann nicht in die (37) Zukunft sehen. Der Richter vermag nicht mehr, als ein anderer Mensch, was nicht oft genug wiederholt werden kann gegenüber der aufgekommenen Mode, zur Verteidigung eines mangelhaften Gesetzentwurfes an die Vortrefflichkeit unserer Richter und an die patriotische Gesinnung zu appelliren mit der Frage: vertraut Ihr denn nicht dem Richter? – dem deutschen Richter? Aber weil der Richter auch ein Mensch ist und auch ein Herz hat, kann es
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sich ereignen, daß, wenn Mutter und Vormund nicht müde werden in Bitten, die Abfindungssumme, die ihnen so groß und so verheißend erscheint, für ausreichend zu erklären, das richterliche Herz sich erweicht in dem Gedanken, daß es ja wohl gut gehen werde. Auch gegen solche Herzensweichheit soll das Gesetz das Interesse und das Recht des Kindes in Schutz nehmen. Ich bin in der angenehmen Lage mich hier gegen den Entwurf auch auf eine Entscheidung des Reichsgerichtes berufen zu können. Eine Mutter hatte ihrem Sohne gegenüber durch Vergleich vom 25. Juli 1876 auf alle geltend gemachten Alimentationsansprüche für eine Abfindungssumme verzichtet. Das Reichsgericht sagt Entsch. II S. 209 ff.: Entscheidend für die Beurtheilung des vorliegenden Falles ist jedoch die Erwägung, daß nach den Gesetzen 1 . . . . . . (römische leges) . . . . . . die Unterhaltungspflicht der Eltern und Kinder als eine in einem Rechte der Natur und der Blutsverwandtschaft begründete Zwangspflicht erscheint, welche so oft zur Entstehung gelangt, als die erforderlichen Voraussetzungen dazu vorliegen, für einen derartigen Anspruch aber weder überhaupt noch gegen eine zum Unterhalte unzulängliche Abfindung im Voraus verzichtet werden kann. Der Vergleich vom 29. Juli 1876 ist daher als den guten Sitten und dem öffentlichen Interesse widerstreitend . . . . . . in Ansehung der Alimentationsverbindlichkeit des Sohnes für die Zukunft seinem Inhalte nach hier ungültig zu achten. Dieser Entscheidung zufolge wäre somit auch die Bestimmung des Entwurfes den guten Sitten zuwider – wogegen man sich nicht darauf berufen kann, daß Particularrechte solches zugelassen haben, da es Aufgabe des Gesetzgebers (38) ist, das, was im Fortschritte der Civilisation als den guten Sitten und der öffentlichen Ordnung widerstreitend erkannt worden, auszumerzen. Auch in der französischen Praxis steht fest, daß ein Vergleich über Alimente als contraire à l’ordre public nach Art. 10 und Art. 1133 Code c. ungiltig ist. __________________ Zu § 1604 Absatz 1: Als Vater des unehelichen Kindes im Sinne der §§ 1596 bis 1603 gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat, es sei denn, daß auch ein Anderer ihr innerhalb dieser Zeit beigewohnt hat. Eine Beiwohnung bleibt jedoch außer Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beinwohnung empfangen hat. Der erste Satz dieses Absatzes wäre dahin zu ändern: Vater des unehelichen Kindes ist der, gegen den die Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist. Dieselbe ist gegen den festzustellen, gegen den erwiesen ist, daß er der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt hat. Der Einwand, daß der Mutter auch ein Anderer beigewohnt habe, ist ausgeschlossen. Es wäre ferner ein dritter Absatz hinzuzufügen, lautend: Die Vaterschaft kann auf Klage der Mutter nicht rechtswirksam festgestellt werden.
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Was den ersten Satz des ersten Absatzes betrifft, so ist von Erheblichkeit für das Schicksal des Kindes, nicht nur die Frage nach der Zulässigkeit des dort gedachten Einwandes, sondern auch die Frage nach dem Rechtsgrunde der unehelichen Vaterschaft, nach dem Grunde nämlich, auf welchen das Recht die uneheliche Vaterschaft stützt; und ohne hierüber völlig klar zu sein, kann man auch jene Frage nicht richtig beantworten. Die Mutter ist immer gewiß. Die Vaterschaft dagegen ist für das Recht ein Mysterium. Es läßt sich niemals, es sei denn durch ein höchst künstliches Experiment, oder in Folge sonderbaren Zusammentreffens von Umständen, beweisen, wer der Vater ist; und doch kann das Recht die Gewißheit, den Beweis der Vaterschaft nicht entbehren, weil es nicht entbehren kann die Pflichten des Vaters gegen das Kind. Das Recht (39) kann daher nicht umhin, es muß sich dazu verstehen, an irgend eine Thatsache, die bloß eine Wahrscheinlichkeit für die Vaterschaft begründet, die aber bewiesen werden kann, die Vaterschaft zu knüpfen und sie dadurch, statt zur factischen, zu rechtlichen Gewißheit zu machen. So sehen wir es bei der Ehe. Hier wird die rechtliche Gewißheit der Vaterschaft geknüpft an die Eingehung der Ehe, die gewiß gemacht werden kann. Daß zwei Leute Eheleute sind, begründet mehr nicht, als eine Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie einander beigewohnt haben. Dem Rechte genügt aber diese Wahrscheinlichkeit, um ein Kind, das aus einer während der Ehe stattgehabten Beiwohnung herrühren kann, für das Kind des Ehemanns zu erklären und diesem bloß den Beweis vorzubehalten, daß das Kind aus einer Beiwohnung mit ihm nicht herrühre, nämlich nicht herrühren kann; denn nur so vermag er zu beweisen, daß es von ihm nicht herrührt. Die Möglichkeit, daß ein Anderer der Frau beigewohnt hat, achtet das Recht nicht, weil dadurch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, daß der Ehemann der Vater ist und eben deshalb erachtet es auch den Einwand für unerheblich, daß die Beiwohnung eines Andern wirklich stattgefunden habe. Daß das Recht so mittelst lauter Hypothesen die Gewißheit der Vaterschaft construirt, kann höchst auffällig erscheinen. Wenn ich zu einem gebildeten Menschen, der, wenn dies möglich wäre, von dem Dasein einer ehelichen Vaterschaft noch gar keine Erfahrung hätte, sagen würde: Der Vater dieses Kindes ist der Herr X., und er mich dann fragte, woher ich das wisse und ich ihm erwiderte: als das Kind geboren wurde, war Herr X. mit der Mutter copulirt; der Mann würde mich auslachen. Die Sache ist aber nicht die, daß das Recht hier etwas, wovon Jedermann weiß, daß es nur für wahrscheinlich gehalten werden kann, irriger oder doch höchst auffälliger, ja unbegreiflicher Weise für gewiß erklärt hätte; sondern das Recht, indem es nach Zwecken verfährt, fand, daß es seine Aufgabe sei, die eheliche Vaterschaft, da sie nicht factisch gewiß gemacht werden kann, rechtlich gewiß zu machen; und es vermochte dies (40) auf keinem andern Wege als dem eingeschlagenen zu erreichen. Wollte es den Beweis fordern, daß der Ehemann seiner Frau beigewohnt habe, so hieß das für fast alle Fälle auf die Erlangung einer Gewißheit verzichten, weil sich dieser Beweis fast niemals würde erbringen lassen. Es durfte also diesen Beweis nicht fordern. Aber ebensowenig durfte es den Beweis fordern, daß die Frau keinem Andern beigewohnt habe; denn auch hiermit hätte es auf Erlangung einer Gewißheit für fast alle Fälle verzichtet, da auch dieser Beweis fast niemals zu erbringen wäre. Indem das Recht demnach auch diesen Beweis nicht
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forderte, wollte es, daß die Thatsache, daß ein Anderer der Frau beigewohnt hat, die Gewißheit der Vaterschaft nicht hindern solle, und es konnte daher, um seinen Zweck zu erreichen, auch den Einwand nicht zulassen, daß solches der Fall gewesen sei, um so weniger, als es sonst die Gewißheit der Vaterschaft von dem ganz zufälligen Umstand abhängig gemacht hätte, ob der Mann solches erfahren hat und beweisen kann oder nicht. Das Recht konnte also, wenn es zu einer rechtlichen Gewißheit der ehelichen Vaterschaft gelangen wollte, dies nicht anders machen, als indem es an die Eingehung der Ehe die Gewißheit der Vaterschaft knüpfte und dem Ehemann nur das Recht vorbehielt, diese rechtliche Gewißheit mittelst des Beweises anzufechten, daß er der Vater nicht sein könne. Die Ehe begründet, mit anderen Worten, eine Rechtspräsumtion der Vaterschaft. Warum, könnte man nur noch fragen, hielt es denn das Recht für seine Aufgabe, die eheliche Vaterschaft rechtlich gewiß zu machen? Was war der Zweck, den es dabei verfolgte? Der Zweck war, das ethische Gebot, das Naturgesetz, daß die Eltern verpflichtet sind, ihr Kind zu unterhalten und zu erziehen, auch dem Vater gegenüber zu einer Rechtspflicht zu machen; und dies konnte es, indem das Recht die Natur alles Endlichen theilt, ein endliches zu sein, nicht anders als in dieser wenig vollkommenen Weise ins Werk setzen. Es war hiernach ein ganz selbstverständlicher Fortschritt des Rechtes, – denn das Recht sucht fortzuschreiten, d. h. die, welche das Recht bilden, sind bestrebt, das, was sie als einen (41) Mangel im Rechte empfinden, zu heben – daß man in Anlehnung an das in der Ehe geltende Recht auch die uneheliche Vaterschaft gewiß zu machen suchte. Als die Thatsache, an welche die Gewißheit hier anzuknüpfen war, fand man die thatsächliche Beiwohnung. War doch die Grundlage, auf die hin man an die Eingehung der Ehe die Gewißheit der Vaterschaft geknüpft hatte, bloß die Wahrscheinlichkeit der Beiwohnung, die durch die Eingehung der Ehe hervorgerufen wurde. Es war daher ganz folgerichtig, hier die Beiwohnung selbst, die erwiesene Beiwohnung, zur Grundlage der Gewißheit zu machen. Aber so wenig wie bei Eingehung der Ehe, so wenig war hier das Recht in dem Irrthum befangen, daß eine Beiwohnung die factische Gewißheit der Vaterschaft gebe. Vielmehr wollte es, bezweckte es, wie dort die eheliche Vaterschaft, so hier die uneheliche zu einer bloß rechtlichen Gewißheit zu erheben, und wie es jenes nicht anders konnte, als indem es die Eingehung der Ehe zur Grundlage der Gewißheit machte und dem Ehemann nur den Beweis vorbehielt, nicht Vater zu sein, so konnte es dies nur dadurch bewerkstelligen, daß es zur Grundlage einer gleichen rechtlichen Gewißheit die erwiesene Beiwohnung nahm und demnach auch dem Beiwohnenden nur den Beweis offen ließ, daß er der Vater nicht sein könne. Daß in dieser Weise das Recht die Gewißheit der unehelichen Vaterschaft ganz so, wie die der ehelichen, auf eine wahre Rechtspräsumtion gründet, erkennt die gerichtliche Praxis dadurch an, daß sie zur Feststellung der Vaterschaft gegen den Beklagten keinen weiteren Beweis, als den der Beiwohnung verlangt. Denn, daß factisch gewiß die Beiwohnung die Vaterschaft nicht machen kann, weiß jeder Richter; weiß es doch jeder verständige Mensch; und jeder Richter weiß auch, daß nur ein Rechtssatz ihn nöthigen kann für gewiß zu erklären, was nur wahrscheinlich ist. Der Richter bringt daher eine Rechtspräsumtion zur Anwendung, wenn er in Anwendung des für die uneheliche Vaterschaft bestehenden Rechtes auf den bloßen Beweis einer Beiwohnung hin für gewiß erklärt, daß der Beklagte der
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Vater sei. Er weiß, daß dies bloß rechtlich gewiß (42) ist. Eine Rechtspräsumtion kann aber nur widerlegt werden durch den Beweis der Unwahrheit des Präsumirten, nicht durch den Beweis, daß es vielleicht nicht wahr ist. Es sind hiernach in den Rechtsgebieten, wo der Einwand nicht gesetzlich beseitigt ist, die Gerichte inconsequent, wenn sie zwar auf der einen Seite gegen Jemanden, gegen den weiter nichts als eine Beiwohnung vorliegt, für gewiß erklären, daß er der Vater sei, aber auf der anderen Seite die Klage abweisen, wenn die Beiwohnung mit noch einem Andern bewiesen ist; denn mehr als ein Zweifel kann aus der erwiesenen Beiwohnung mit einem Andern niemals hervorgehen. Indem die Gerichte die Klage dann gleichwohl abweisen, verkennen sie demnach den Rechtsgrund der Klage. Sie soll nicht factische, sondern rechtliche Gewißheit schaffen, mit Hülfe einer Rechtspräsumtion, die als erwiesen annimmt, was factisch nicht erwiesen werden kann, und die gegen Jemanden bloß deshalb Platz greift, weil er der Mutter beigewohnt hat. Es kann so die Möglichkeit zum Vater erklärt zu werden allerdings gegen Mehrere zu gleicher Zeit vorhanden sein. Diese rechtliche Möglichkeit ist aber etwas Anderes, als Möglichkeit, Vater zu sein. Diese kann nur einen treffen. Es ist deshalb nicht richtig, wenn diejenigen, welche den Einwand der Beiwohnung mit einem Andern zulassen wollen, sich darauf berufen, daß ein Kind nicht zwei Väter haben könne. Daß die Gerichte hier so sehr irre gegangen sind, erklärt sich daraus, daß man in dem Irrthum befangen war, eine Rechtspräsumtion könne nur durch einen Ausspruch des Gesetzgebers, nicht durch eine Norm des Gewohnheitsrechtes begründet werden. Man suchte deshalb nach allerlei Rechtsregeln, die es rechtfertigen sollten, daß hier auf die bloße Beiwohnung hin die Vaterschaft für gewiß erklärt wird. Man berief sich z.B. auf die Regel: quisque praesumitur bonus, von Jedem wird angenommen, daß er ein guter Mensch sei, also von der unehelichen Mutter, daß ihr nicht noch ein Anderer beigewohnt habe, oder auf die Regel, daß wenigstens Keiner als schlecht präsumirt werde. In jenem Irrthum übersah man, daß alle diese Regeln ebenso, wie die Rechtspräsumtion, die sie ersetzen (43) sollen, als Rechtsregeln nur zu einer rechtlichen Gewißheit führen können, nicht zu einer factischen. – Es genügt nun aber, wenn das Recht die Vaterschaft gewiß machen will, noch nicht, daß es dieselbe an eine Thatsache, die gewiß gemacht werden kann, anknüpft. Es muß auch bestimmen, wann, unter welchen Voraussetzungen, diese Thatsache für gewiß gelten, rechtlich gewiß sein soll. Bei der Ehe sehen wir dies Erforderniß dadurch erfüllt, daß die Form, in welcher allein die Ehe gültig eingegangen werden kann, durch sich selbst schon die Gewißheit herstellt – Eingehung vor dem Standesbeamten, vor dem Pfarrer – ec. Wie wird nun bei der unehelichen Vaterschaft diesem Erfordernisse entsprochen? In zweifacher Weise: durch gerichtliche Feststellung der Beiwohnung, oder durch ein Bekenntniß in einer Form, die den Bekennenden rechtlich bindet. Wir kommen auf beide Formen weiter unten zurück. Hier ist nur hervorzuheben, daß in dem einen, wie in dem anderen Falle das, was die Vaterschaft rechtlich gewiß macht, nicht die Beiwohnung ist, sondern der Rechtsact, der ihre Gewißheit rechtlich feststellt. Vaterschaft kann, weil sie niemals factisch, sondern nur rechtlich gewiß sein kann, stets nur auf einen Rechtsact sich gründen.
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Aus diesen Bemerkungen über den Rechtsgrund der unehelichen Vaterschaft geht für die Frage, was der Gesetzgeber bezüglich des Einwandes der Beiwohnung mit noch einem Andern zu bestimmen habe, zunächst hervor, daß es nicht richtig ist, wenn geltend gemacht wird, wie dies auch in den Motiven geschieht, die Rechtsconsequenz verlange, daß der Gesetzgeber den Einwand zulasse. Nach dem Gesagten verhält es sich umgekehrt. Die Zulassung würde den Rechtsgründen, auf denen die Klage auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft beruht, widersprechen, und gerade der Entwurf gestattet nicht, die Zulassung als das Consequente zu bezeichnen. Er enthält nämlich zwei Bestimmungen, die, wie Uebergangsformen, das Recht der ehelichen (44) Vaterschaft, daß der Einwand unzulässig ist, zu dem der unehelichen hinüber leiten. Nach § 1486 braucht, damit ein Kind, das in der Ehe zu früh geboren ist, Kind des Ehemanns und ehelich sei, bloß nachgewiesen zu sein, daß der Ehemann seiner Frau vor der Ehe beigewohnt hat. Der Beweis, daß auch ein Anderer ihr beigewohnt, ist ausgeschlossen; und ferner nach § 1607, Abs. 1, wenn die Frau vor der Ehe geboren hat, so braucht, damit das Kind durch die nachfolgende Ehe legitimirt sei, ebenfalls bloß jener Beweis geführt zu sein, und jener Gegenbeweis ist ebenfalls ausgeschlossen. Da also der Einwand, nicht bloß in Betreff der Beiwohnung während der Ehe ausgeschlossen ist, sondern ebenfalls ausgeschlossen in zwei Fällen einer außerehelichen Beiwohnung, die bloß das Besondere haben, daß später die Ehe eingegangen ist, worin sollte die Inconsequenz bestehen, wenn das Recht auch in solchen Fällen einer außerehelichen Beiwohnung, in welchen keine Ehe nachgefolgt ist, den Einwand ausschließt? Ihre Auffassung, es sei inconsequent, den Einwand nicht zuzulassen, begründen die Motive in der Weise, daß sie sagen: die juristische Consequenz erfordere seine Zulassung, indem das, was nach dem Entwurfe bei der Ehe gelten solle, ausnahmsweise bestimmt sei. S. 885 heißt es: Zwar hat der Entwurf bei der ehelichen Abstammung … die mögliche Vaterschaft des Ehemanns für genügend erklärt und insbesondere den Einwand, daß innerhalb der Empfängnißzeit auch von einem Andern mit der Ehefrau der Beischlaf vollzogen sei, nicht zugelassen. Indessen die Gesichtspunkte, welche zu dieser Regelung geführt haben, nämlich das Interesse der Würde der Ehe und der Erhaltung des Familienstandes, fehlen hier – nämlich bei dem unehelichen Kinde – gänzlich. Ebensowenig treffen hier die Gründe zu, auf welchen die Bestimmung beruht, daß zur Legitimation durch nachfolgende Ehe die mögliche Vaterschaft genügen soll, da hier die Rücksichten auf Schutz der Familieninteressen nicht in Betracht kommen. So die Motive. Aber wie kann die Würde der Familie es erfordern, daß (45) man ein uneheliches Kind in sie aufnehme? – oder gar die Erhaltung des Familienstandes es erfordern, da doch sonst der Familienstand durch den Eintritt eines unehelichen Kindes alterirt wird? Ueberdies, wenn Rechtsconsequenz über die Geltung einer Bestimmung entscheiden soll, so ist es nicht die der abstracten Rechtstheorie, sondern die, die aus den geltenden oder den gelten sollenden Rechtsbestimmungen, denen nämlich, die man zur Geltung bringen will, sich ergiebt. Und endlich übersehen die Motive, daß sich ein Beweis der Vaterschaft niemals führen, sich vielmehr im-
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mer nur das herstellen läßt, was sie als mögliche Vaterschaft bezeichnen, und daß demnach der Entwurf dadurch, daß er den Einwand zuläßt, nicht bewirken kann, daß in den Fällen, in welchen er nicht erhoben worden, mehr bewiesen werde, als eine mögliche Vaterschaft. Die Rechts- oder juristische Consequenz hier zur Sprache zu bringen, konnte diese Erörterung sich nicht ersparen, weil sie von denen, die hier zu widerlegen sind, in die Frage hineingetragen ist. Den Gesetzgeber bindet sie nicht und soll sie nicht binden, und die Erfahrung zeigt, daß, wenn er das Beste leistete, er sich von ihr freigehalten hat. Von Rechtsprincipien bindet ihn nur Eins: Die Gerechtigkeit, aber nicht die Gerechtigkeit, die in den bestehenden Gesetzen verwirklicht ist, sondern die, die sein soll. Handelt es sich darum, ein Ganzes von Gesetzen zu ändern, so hat er sein Augenmerk nicht darauf zu richten, wie die Rechtsprincipien, die den geltenden Bestimmungen zu Grunde liegen, vollkommener als geschehen, durchzuführen seien. Er hat vielmehr zu untersuchen, welche Mißstände das geltende Recht zeigt, bemessen einer Seits nach dem Maßstabe des öffentlichen Wohles, also auch nach dem der Gerechtigkeit, da öffentliches Wohl ohne Gerechtigkeit nicht bestehen kann, anderer Seits nach dem jetzigen Gesellschaftszustande. Er hat des Weiteren zu untersuchen, welche Rechtsnormen dieser Zustand zur Beseitigung der im Rechte vorhandenen Mängel verlangt, was sein Rechtsbedürfniß sei; und die Normen, die er darnach für geboten erachtet, hat er auch dann zu erlassen, wenn er in ihnen von den bisherigen Rechtsprincipien abweichen, oder sie völlig aufgeben und neue an ihre Stelle setzen würde. Bei der Frage aber, welche neue (46) Rechtsnormen geboten seien, hat er ebenfalls jenes öffentliche Wohl maßgebend sein zu lassen. Er darf Normen, die ihm wünschenswerth erscheinen, wegen der Wirkung, die sie auf gewisse öffentliche Zustände hätten, nicht erlassen, wenn es der Gerechtigkeit zuwider wäre; Normen dagegen, die zu erlassen, die Gerechtigkeit fordert, muß er in Kraft setzen, wenn auch Nützlichkeitsgründe dagegen sprechen. Für das öffentliche Wohl ist das Gerechte auch immer das Nützliche. Von diesem Standpunkte aus boten sich dem Gesetzgeber für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Einwandes folgende Erwägungen dar: 1. Es handelt sich hier um Kinder, die, weil der Vater unbekannt ist und unbekannt zu bleiben sucht, und die Mutter allein nicht im Stande ist, sie zu unterhalten und zu erziehen, der Noth und dem Elende ausgesetzt sind. 2. Für diese Kinder zu sorgen, darf das Recht sich dadurch nicht abhalten lassen, daß die Mutter vielleicht ein sittlicher Makel trifft, und die Hülfe, die dem Kinde wird, ihr mit zu Gute kommt, da es ungerecht wäre, einen Fehler der Mutter das Kind entgelten zu lassen. 3. Die Pflicht, sein Kind zu unterhalten und zu erziehen, liegt dem unehelichen wie dem ehelichen Vater ob, und es ist eine Forderung des Rechtes, daß die Erfüllung dieser Pflicht, wie gegen den ehelichen, so gegen den unehelichen erzwingbar sei, dadurch, daß ihm die Kosten des Unterhaltes und die Kosten der Erziehung gerichtlich auferlegt werden; und deshalb muß das Recht dem Kinde den Anspruch gewähren, daß Solches geschehe. Der hiermit angezeigte Weg, jenen Kindern zu helfen, ist aber nicht bloß ein gerechter, er ist auch ein solcher, auf welchem besser für sie gesorgt werden kann, als von Staats- oder Gemeindewegen. Damit er gangbar sei, bedarf es der Möglichkeit, die Vaterschaft gewiß zu machen. Aber so wenig wie bei der Ehe ist auch hier factische Gewißheit zu errei-
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chen. Das Recht vermag auch hier nur rechtliche Gewißheit zu geben, und diese läßt sich nur in der Weise hier herstellen, daß entsprechend dem Rechte der Ehe, wo auf eine bloße Wahrscheinlichkeit der Beiwohnung hin die Rechtsvermuthung (47) der Vaterschaft gegründet wird, das Gesetz hier die gleiche Rechtsvermuthung auf die erwiesene Beiwohnung gründet und demgemäß denjenigen für den Vater erklärt, gegen den sie erwiesen ist, unter Vorbehalt bloß des Beweises, daß er nicht der Vater sein könne. 4. In dieser Weise die Vaterschaft gewiß zu machen, ist aber auch dem Beiwohnenden gegenüber gerecht. Sein Unrecht, daß er die Möglichkeit, daß er Vater werde, mißachtete, zählend auf die Möglichkeit, es nicht zu werden, oder darauf zählend, daß ihm die Vaterschaft nicht nachgewiesen werden könne, ihm namentlich der Einwand der Beiwohnung noch eines Andern zustehen werde, dies sein Unrecht würde zum Recht erhoben, wenn die Feststellung der Vaterschaft wider ihn deshalb zu unterbleiben hätte, weil es unmöglich ist, sie ihm nachzuweisen, also auch dann, wenn sie deßhalb unterbleiben müßte, weil die Beiwohnung noch eines Andern nachgewiesen ist; denn auch in solchem Falle steht zu seinen Gunsten nicht mehr fest, als daß ihm die Vaterschaft nicht nachgewiesen werden kann. Es kommt dagegen das Recht wider ihn zur Geltung, wenn das Gesetz wegen der Unmöglichkeit, ihm die Vaterschaft nachzuweisen, eben das, was er als möglich voraussah, dem er aber zu entgehen gedachte, vermöge einer Rechtsvermuthung als eingetreten wider ihn annimmt, und demgemäß die Vaterschaft gegen ihn feststellt, sofern er nicht den Beweis führt, daß er nicht der Vater ist. Es wird ihm dann präcise sein Recht in Anwendung eines Princips, von welchem der Gesetzgeber auch sonst Gebrauch macht, daß nämlich, wenn die Entstehung einer Verbindlichkeit schwer oder gar nicht zu beweisen ist, ihre Entstehung gegen den, gegen den mehr nicht, als eine Wahrscheinlichkeit der Entstehung spricht, rechtlich präsumirt wird, so daß er nachweisen muß, daß sie gegen ihn nicht entstanden sei – sog. Umkehrung der Beweislast. Von demselben Principe macht das Recht z.B. Gebrauch im Haftpflichtgesetze: Der Inhaber eines gefährlichen Betriebes haftet, wenn er nicht beweist, daß die Beschädigung durch einen unüberwindlichen Zufall herbeigeführt ist. Ja, schon der höchst einfache Leihvertrag, bei dem wir es so natürlich finden, daß der Leiher von der Verbindlichkeit zur Rückgabe (48) nur frei sein soll, wenn er nachweist, daß er sie ohne seine Schuld nicht zu erfüllen vermag, enthält eben hierin schon eine Anwendung desselben Principes. Als einen Anwendungsfall kann man aber auch die Gewißheit der ehelichen Vaterschaft betrachten, obgleich diese neben den Pflichten auch Rechte giebt; denn diese sind aus den Pflichten abgeleitet. Man darf sich nur in derartigen Fällen die Sache nicht so vorstellen, als wenn stets vom Rechte, von den Rechtsbildnern, über die Beweisfrage reflectirt und gefunden wäre: hier sei die Beweislast umzukehren. Das Rechtsbedürfniß, der Zweck im Rechte, treibt Solches ohne alle Theorie hervor, als etwas ganz selbstverständliches. Die Theorie erfinden nachher die Juristen. Daß die Vaterschaft, wenn Mehrere beigewohnt haben, nur gegen Einen angenommen werden kann, liegt in ihrem Begriffe. Aber nach dem so eben Erwogenen ist die Feststellung derselben gegen einen Jeden von ihnen gerechtfertigt, darf das Gesetz ihre Feststellung einem Jeden von ihnen als eine mögliche androhen. Die Auffassung, daß von Mehreren doch nur Einer der Vater sein könne, verkennt also völlig die Sachlage; ebenso aber auch die Auffassung, wonach aus Mehreren Ei-
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nen auszuwählen nur zulässig wäre, wenn das Kind einem Delicte sein Leben verdankte, weil für dieselbe Verbindlichkeit Mehrere zugleich, falls sie es nicht versprochen, nur aus Delict haftbar seien. Indem es hier also auf den wirklichen Vater gar nicht ankommt, hat der Vormund des Kindes, der die Vaterschaftsklage anstellen will – und wie sich nachher ergeben wird, sollte nur ein Vormund, nicht die Mutter, die Berechtigung dazu haben – denjenigen von den Mehreren auszuwählen, von dem er annimmt, daß er seine Verpflichtung am besten erfüllen könne und wolle, und weil es auf das Letzte, auf die Gewissenhaftigkeit, vorzugsweise mit ankommt, im Zweifel denjenigen, von dem er weiß, daß er sich für den Vater hält. Daß es ungerecht sei, die Wahl nach solchen Rücksichten zu treffen, ist also eine völlig irrige Meinung. Auch die Mutter, wenn sie die Klage anzustellen hätte, wäre berechtigt, sich nach Rücksichten dieser Art zu entschließen, und wie der Vormund, wenn er gegen (49) den Einen nicht durchdringt, den Andern verklagen muß, hätte hierzu auch die Mutter das Recht. Dafür, daß, wenn das Gesetz solches verordnete, damit nicht etwas durchaus Neues, sondern etwas schon alt Herkömmliches bestimmt würde, kann auf die erst seit dem Gesetze vom 24. April 1854 nicht mehr bestehenden Vorschriften des Allgem. Landrechtes Th. III Tit. 2 § 619 und 620 Bezug genommen werden. 619. Hat die Mutter in dem Zeitraum … mit mehreren Mannspersonen zugehalten, so hängt es von dem nach den Umständen sich richtenden Befunde des Vormunds ab, welchen derselben er auf Erfüllung der einem unehelichen Kinde schuldigen Pflichten zuerst in Anspruch nehmen will. 620. Wird aber dieser entbunden oder ist er diese Pflichten zu erfüllen unvermögend, so kann der Vormund die Rechte des Kindes auch gegen die übrigen Zuhälter, Einen nach dem Andern, geltend machen. 5. Wenn das Gesetz den Einwand ausschließt, so werden sich freilich solche Fälle nicht verringern, in welchen ein wirkliches Liebesverhältniß zur Beiwohnung führt. Es giebt aber Männer, welche dem Bordelle in Freiheit lebende Mädchen vorziehen, die sich direct oder indirect erbieten; und es giebt auch solche, welche lebensfrohen, leicht erregbaren jungen Mädchen den Vorzug geben, von denen sie annehmen, daß sie unter dem Scheine eines Liebesverhältnisses zu gewinnen sein würden – Mädchen, aus denen, wenn sie gefallen sind, sich der Stand rekrutirt, den der Staat als eine über dem Bordell stehende, aber auch kostspieligere Einrichtung zu bilden für nöthig gefunden hat – der Stand der sog. Kartenoder controllirten Mädchen. Auf Männer dieser zwei Gattungen würde die Vorstellung, die Vaterschaft nicht von sich weisen zu können, jedenfalls abmahnend wirken. Es sind dies die Erwägungen, die bezüglich der Frage der Zulässigkeit des Einwandes sich von dem Standpunkt aus, den der Gesetzgeber hier einzunehmen hat, darbieten. Sie führen unbedingt zu dem Ergebniß, daß der Einwand nicht zuzulassen ist. Vergleichen wir nun hiermit das, was die Motive erwogen haben. (50) 1. Die Motive sagen S. 865: Da der innere Grund der Unterhaltungspflicht des unehelichen Vaters nur in dem, durch die Zeugung zwischen dem Kinde und dem Erzeuger geknüpften Bande der Blutsverwandtschaft gefunden werden kann und auch der Entwurf seine Unterhaltungspflicht auf die Vaterschaft als Rechtsgrund zurückführt (§ 1571), so kann es nicht zweifelhaft sein, daß vom Standpunkte der juristischen Konsequenz
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aus die Thatsache, daß innerhalb der Empfängnißzeit die Mutter mit Mehreren den Beischlaf vollzogen hat, als erheblich erachtet werden muß. Das die Grundlage der Unterhaltungspflicht bildende natürliche Verhältniß zwischen dem Kinde und dem Concumbenten ist in solchem Falle nicht feststellbar und deshalb für das Recht nicht vorhanden. Zwar hat der Entwurf bei der ehelichen Abstammung an der wirklichen Vaterschaft nicht streng festgehalten, sondern zur Begründung der Ehrlichkeit eines von der Ehefrau geborenen Kindes die mögliche Vaterschaft des Ehemanns für genügend erklärt u. s. w. Indem die Motive hier den entscheidenden Grund darin erblicken, daß im Falle des Nachweises der Beiwohnung noch eines Andern das natürliche Verhältniß zwischen dem Kinde und dem Concumbenten, nämlich die, wie sie sagen, wirkliche Vaterschaft, zum Unterschiede von der bloß möglichen, nicht feststellbar sei, lassen sie außer Acht, daß die wirkliche Vaterschaft niemals feststellbar ist; denn hat, obgleich sie dies niemals ist, das Gesetz die Klage gleichwohl zugelassen, so kann es sie auch nicht aus Grund der Erwägung abweisen, die wirkliche Vaterschaft sei in diesem Falle nicht feststellbar. Der Richter freilich, dessen Recht den Einwand der Beiwohnung mit einem Andern zuläßt, darf in einem Falle, wo der Einwand erhoben und bewiesen ist, sagen: in diesem Falle ist die Vaterschaft nicht nachweisbar gewesen. Aber für den Gesetzgeber, für dessen Erwägungen, ist sie es niemals. Die Thatsache also, auf welche die Motive das Argument stützen, der Einwand sei vom Standpunkte der juristischen Consequenz erheblich, ist unrichtig. Dies Argument ist aber, wie wir gleich sehen werden, für die Motive das durchgreifende, neben welchem sie bloß noch Zweckmäßigkeitsgründe in Betracht ziehen. (51) 2. Es folgt dann in den Motiven die oben S. 44 bereits wiedergegebene Ausführung darüber, daß, wenn der Entwurf bei der Ehe die bloße Möglichkeit der Vaterschaft für ausreichend erklärt habe, dies in Rücksicht auf das Interesse der Würde der Ehe und der Erhaltung des Familienstandes geschehen sei. Hätten die Motive sich vergegenwärtigt, daß die Vaterschaft überhaupt niemals nachgewiesen werden kann, so würden sie die allgemein anerkannte Nothwendigkeit, daß die eheliche Vaterschaft auf eine bloße Möglichkeit hin angenommen werden muß, in dieser Weise nicht zu stützen gesucht haben. Sie würden dann zu dem so nahe liegenden Gedanken gekommen sein, daß, wenn man einen Beweis der ehelichen Vaterschaft verlangen wollte, kein Kind ein eheliches sein würde, daß aber das Recht eine Gewißheit der ehelichen Vaterschaft zu gewähren habe und daß dies nur in der Weise geschehen könne, daß ein bloß Wahrscheinliches rechtlich als gewiß angenommen und dem Ehemann überlassen wird, diese Annahme als unrichtig anzufechten. 3. Nachdem die Motive ausgeführt haben, daß es der juristischen Consequenz zuwider sei, die bei der ehelichen Vaterschaft vorkommende Ausnahme von dem Grundsatze, daß die Vaterschaft nachgewiesen werden müsse, auch bei der unehelichen eintreten zu lassen, fahren sie fort: S. 886: Es kann sich daher nur fragen, ob überwiegende Gründe practischer Zweckmäßigkeit dafür sprechen, auch den hier fraglichen Unterhaltsanspruch an die mögliche Vaterschaft zu knüpfen, die letztere der wirklichen Vaterschaft insoweit gleich zu stellen.
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Die Motive bemerken dann, es kämen namentlich social-politische Gründe in Betracht, indem, wenn die Einrede zulässig sei, es eine Anzahl unehelicher Kinder geben werde, für die es an dem Ernährer fehle; dies dürfe indessen nicht überschätzt werden; denn die Gefahr liege „vorwiegend in dem Überhandnehmen der unehelichen Kinder überhaupt, nicht darin, daß einzelne Kinder an den Erzeuger sich nicht halten können“; auch würden die Alimentenprocesse sich mehren und zu widerwärtigen Verhandlungen führen. „Alle diese Bedenken“ fahren die Motive dann fort, „müssen indessen zurücktreten vor den Unzuträglichkeiten (52), welche mit dem Ausschlusse der in Rede stehenden Einrede verbunden sind.“ Sie führen dann dreierlei Unzuträglichkeiten an. Sie bemerken: a) Vor allem liegt eine schwere Ungerechtigkeit darin, Jemanden, welcher der Erzeuger des unehelichen Kindes in Wirklichkeit nicht ist, oder dessen Vaterschaft wenigstens völlig ungewiß ist, weil festgestellt ist, daß innerhalb der Empfängniszeit auch von einem Anderen mit der Mutter des Kindes der Beischlaf vollzogen ist, als Erzeuger zu behandeln und zur Ernährung eines vielleicht fremden Kindes zu nöthigen. Die schwere Ungerechtigkeit ist nicht vorhanden, weil nach dem vorhin Gesagten der Rechtsgrund, aus welchem der Beklagte in Anspruch genommen wird, nicht die faktische Vaterschaft ist, sondern die Beiwohnung, die einen Anspruch gegen Jeden, gegen den sie vorliegt, giebt. Ueberdies macht sich das Gesetz auch dann, wenn es den Einwand zuläßt, dieser vermeintlichen schweren Ungerechtigkeit schuldig, in all den Fällen nämlich, wo die Beiwohnung eines Andern zwar stattgefunden hat, aber dem Beklagten unbekannt geblieben ist oder von ihm nicht erwiesen worden. Es ist, man darf es geradezu sagen, unverständlich, auf die bloße Beiwohnung hin, trotz der Möglichkeit, daß auch ein Anderer beigewohnt hat, die Verurtheilung eintreten zu lassen, und doch von Ungerechtigkeit zu sprechen, wenn die Verurteilung auch da eintreten soll, wo die Beiwohnung eines Andern bewiesen ist. Wenn es ein Unrecht wäre, daß Einer als Vater verurtheilt wird, während es factisch ein Anderer sein kann, dürfte das Gesetz auch in solchen Fällen wo der Einwand nicht erhoben, oder der Beweis verfehlt ist, keine Verurtheilung zulassen – also eine Klage auf die Vaterschaft überhaupt nicht zulassen. b) Ferner bemerken die Motive: Des Weitern erscheint es in hohem Grade anstößig und das Rechtsgefühl verletzend, daß das Kind, oder tatsächlich die Mutter, in der Lage sein würde, unter den mehreren Zuhältern denjenigen auszuwählen, welcher ihr wegen seines Vermögens oder aus sonstigen Gründen als der angemessenste erscheint, bezw. die mehreren Zuhälter sämmtlich nacheinander in Anspruch zu nehmen, zumal der Mutter damit zugleich verführerische Gelegenheit zu Erpressungsversuchen geboten wird. (53) Dieser Grund findet in dem oben S. 48 Gesagten seine Widerlegung. c) Auf die letzten Worte folgt die Bemerkung: Nicht minder ist der Ausschluß des Einwandes deshalb verwerflich, weil er einen Anlaß zur Unsittlichkeit und Liederlichkeit in sich birgt, da eine Frauensperson, welche einem Fehltritte zum Opfer gefallen ist, sich solchen Falles leichter veranlaßt finden kann, auch andern Männern sich hinzugeben, um ihre und des zu erwartenden Kindes Lage zu verbessern.
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Fälle, wo ein gefallenes Mädchen sich andern Männern hingiebt, um ihre und des zu erwartenden Kindes Lage zu verbessern, sind jedenfalls höchst selten. Es ist das nur möglich, wenn das Mädchen schon vorher sittlich ganz verwahrlost war. Andernfalls ist ein Mädchen, wenn es sich in andern Umständen weiß, sehr unglücklich und macht sich Vorwürfe, sucht ihre Hülfe bei dem, mit dem sie verkehrte, und hofft auf die Erfüllung seiner Verheißungen, und denkt nicht daran, sich einem andern Manne hinzugeben. Ungleich häufiger als jene befürchteten Fälle sind die in der Ehe, daß eine Frau ihrem Manne untreu ist; und doch wird es dem Gesetzgeber niemals einfallen, die Bestimmung zu treffen, daß ein nach dem Ehebruche geborenes Kind unehelich sein solle. Das Argument, er fördere, wenn er sie treffe, die Sittlichkeit, die Treue der Ehefrau, wird keinen Eindruck auf ihn machen, und eben so wenig das andere, daß wegen der Würdigkeit und Heiligkeit der Ehe uneheliche Kinder daraus fern zu halten seien. Er wird denken, daß der Ehemann doch der Vater sein könne und daß für das Kind besser gesorgt werde, wenn es ein eheliches, als wenn es ein uneheliches sei, und daß es daher bei der Regel, die dem Ehemanne den Beweis der Nichtvaterschaft auferlegt, verbleiben müsse. – Sieht man ab von diesen Bemerkungen gegen die Begründung und überblickt man, als wären sie an sich richtig, die Gründe, aus denen der Entwurf den Einwand für zulässig erachtet hat, und prüft sie nach ihrer Bedeutung für die Frage, wie der Gesetzgeber sich hier zu entschließen habe, so darf man sagen: der Entwurf hat alles außer Acht gelassen, was nach dem früher Bemerkten für den Gesetzgeber (54) hier in Betracht kommt und was ihn bestimmen muß, den Einwand nicht zuzulassen. Die Motive haben nicht beachtet, was die Gerechtigkeit gegen das Kind, und was sie dem Vater gegenüber fordert, und nicht, was der Zweck fordert, dem Kinde einen Vater zu geben, und der Zweck, der Unsittlichkeit entgegenzuwirken. An die Stelle von dem Allen haben sie die Rechtsconsequenz gesetzt. Gewiß war es am Platze, bei der Frage nach der Zulässigkeit des Einwandes auf den Rechtscharakter, den die Klage auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft im deutschen Privatrechte und in den Particularrechten hat, zurückzugehen, da der Entwurf sie daher entnommen hat. Aber der Entwurf war an den Charakter, den diese Rechte der Klage geben, nicht gebunden. Er durfte nicht bloß, er mußte sie umgestalten, wenn die Rücksichten, die der Gesetzgeber hier zu nehmen hat, es geboten, wie früher dargethan ist. Daß der Entwurf die Klage gleichwohl ganz so belassen hat, wie er sie in den bisherigen Rechten zu finden glaubte, ist nicht anders zu erklären, als im Zusammenhange mit dem einmal angenommenen Systeme, wonach das uneheliche Kind eigentlich einen Vater, einen richtigen Vater, nicht haben soll. Konnte dasselbe nicht vollständig durchgeführt werden, weil der Entwurf die in den bisherigen Rechten vorhandene Vaterschaftsklage unmöglich ablehnen konnte, so lag es doch im Geiste des Systems, dieser Klage die engsten Grenzen zu ziehen und von ihr alles auszuscheiden, was ihr eine Gemeinschaft mit einer Klage auf die eheliche Vaterschaft geben konnte. Es wäre nicht nöthig, gegen die Motive noch ein Weiteres hinzuzufügen, wenn sie nicht der häufig gehörten Meinung Nahrung gäben, daß der Gesetzgeber durch Bestimmungen über die uneheliche Vaterschaft der Unsittlichkeit nicht zu steuern vermöge, weil die Schuld an derselben nicht so wohl die Männer, als die Mädchen treffe und gegen diese etwas dahin Zielendes nicht bestimmt werden könne, ohne
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daß das Kind den Nachteil davon habe. Die Motive nämlich, so entrüstet sie sich mit Recht über die Unsittlichkeit aussprechen, der so zahlreiche Kinder ihr Leben verdanken, beschäftigen sich in ihren Ausführungen (55) doch nur mit der Unsittlichkeit der Mädchen. Wenn man sie liest, hat man ganz den Eindruck, als wenn sie es als etwas Selbstverständliches, Unabänderliches, ja Unwiderstehliches betrachteten, daß die Männer die Gelegenheit benutzen, die sich ihnen bietet. Jene Meinung läßt aber zunächst die zahlreichen Fälle ganz bei Seite, die oben als Verleitung bezeichnet sind; und diese fordern den Gesetzgeber ganz besonders zu einer Gegenwirkung auf. Die Handlungsweise des Mannes ist hier einem Betruge sehr ähnlich, indem er durch Täuschung Empfindungen bei dem Mädchen erregt, denen es gegen seinen Willen unterliegt. In den anderen Fällen sodann, wo das Mädchen sich bereit gezeigt oder gar erklärt hat, läßt sich eine sittliche Schuld desselben an der Beiwohnung freilich in keiner Weise bestreiten. Dieselbe besteht aber doch bloß darin, daß es dadurch, daß es sich anbietet Einem gegenüber, der es auf Zwang nicht abgesehen hatte, der Einer, der zwingt, nicht sein wollte, die Beiwohnung möglich macht. Aber der, der sie vornimmt, indem er der dargebotenen Möglichkeit sich bedient und dem Mädchen seinen Wunsch erfüllt, ist der Mann. Er ist also der Verursacher davon, daß das Mädchen fällt, sowie auch davon, daß es von dem Gewerbe, das es treibt, leben kann, und er ist es von Beiden in einer sittlich verwerflichen Weise. Es hat daher, wenn nicht darauf verzichtet werden soll, der Unsittlichkeit, daß die Mädchen sich Preis geben, durch Einwirkung auf die Ursache, hindernd entgegenzutreten, der Gesetzgeber hier gegen den Mann vorzugehen; und es hat demnach, wenn die Motive von ihrem Standpunkte aus mit Recht den unsittlichen Mädchen jeden, auch nur indirekten Vortheil, entzogen wissen wollen, der Gesetzgeber dagegen von seinem Standpunkte aus hier den Männern die Vortheile zu entziehen, die ihnen die bisherige Praxis und die bisherigen Gesetze durch die Weise, wie sie die Vaterschaftsklage gestalten, gewährt haben. Hiergegen kann man auch nicht sagen, wenn es keine leichtsinnigen Mädchen gäbe, so gäbe es auch keine leichtsinnigen Männer. Angenommen, man exportirte die sämmtlichen leichtsinnigen Mädchen, so würden aus den zurückgebliebenen braven, (56) die der Verleitung der Männer erlägen, die leichtsinnigen bald wieder erstehen. – Es wird hiermit der Beweis, den wir unternommen haben, daß der Gesetzgeber den Einwand auszuschließen habe, zur Genüge geführt sein. Es wären demnach die Worte des § 1604 des Entwurfes: es sei denn, daß auch ein Anderer beigewohnt hat zu ersetzen durch die Worte: Der Einwand, daß ec. ist ausgeschlossen. Daß die Anfangsworte des Paragraphen: Als Vater des unehelichen Kindes gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat
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zu ersetzen sind durch die Worte: Vater des unehelichen Kindes ist der, gegen den die Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist u. s. w. (oben S. 38) geht schon aus demjenigen hervor, was über die Möglichkeit, die Vaterschaft gewiß zu machen und über die Bedingung der Gewißheit der Vaterschaft oben ausgeführt ist. Diese Aenderung ist aber auch aus einem Grunde nothwendig, der hier nicht unerwähnt bleiben darf, wegen seiner Wichtigkeit für später zu Sagendes. Der Entwurf muß sich nämlich, soweit die Wirksamkeit seiner Bestimmungen es bedingt, den Bestimmungen der Civilproceßordnung anschließen, sofern er nicht eine Aenderung derselben in Aussicht nimmt. Nach der Civilproceßordnung werden aber die Gründe eines Urtheils nicht rechtskräftig. Wenn also der Beklagte zur Alimentation des Kindes verurtheilt ist, so wird die Verurtheilung rechtskräftig, nicht aber der Grund, daß er der Vater sei. Der Darlegung desselben in den Urtheilsgründen ungeachtet kann der Beklagte später auf die Feststellung klagen, daß er nicht Vater sei. Das Kind hat aber, obgleich es ein uneheliches ist, doch wie andere Menschen ein berechtigtes Interesse daran, daß seine Blutsverwandtschaft und also auch die Vaterschaft rechtswirksam festgestellt werde, und also auch den Anspruch, daß solches möglich sei. (57) Dies setzt denn auch das Reichspersonenstandsgesetz vom 6. Februar 1875 voraus. Im § 26 heißt es: Wenn die Feststellung der Abstammung eines Kindes erst nach der Eintragung des Geburtsortes erfolgt, oder die Standesrechte durch Legitimation, Annahme an Kindesstatt oder in anderer Weise eine Veränderung erleiden, so ist dieser Vorgang, sofern er durch öffentliche Urkunden nachgewiesen wird, auf Antrag eines Betheiligten am Rande der über den Geburtsfall vorgenommenen Eintragung zu vermerken. Nach seinen Motiven hat das Gesetz unter den Worten: „wenn die Feststellung der Abstammung eines Kindes erst nach der Eintragung des Geburtsaktes erfolgt“ den Fall verstanden, daß die Vaterschaft eines unehelichen Kindes festgestellt wird; und es unterliegt keinem Zweifel, daß das uneheliche Kind im Sinne dieser Bestimmung ein Betheiligter bei der Feststellung seiner Abstammung ist. Dieser Bestimmung zufolge hat also das Kind, wenn es die nach den Principien des Civilstandes-Gesetzes unerläßliche Bedingung erfüllt, daß es eine Urkunde vorlegt, laut welcher seine Abstammung, die es angehende Vaterschaft, rechtswirksam festgestellt ist, einen Anspruch auf Eintragung in das Civilstandsregister. Warum sollte nun das bürgerliche Gesetzbuch dem Kinde die Erfüllbarkeit dieser Bedingung versagen? Im Processe wegen der Alimentation ist Alles bewiesen, was die Vaterschaft festzustellen vermag, und das Gericht nimmt an, daß es bewiesen sei, und verurtheilt, indem er dies ausspricht, den Beklagten zur Alimentation; aber es in einer Form auszusprechen, in welcher der Ausspruch rechtskräftig werden kann, soll der Gesetzgeber nicht gestatten dürfen! Der Entwurf war genöthigt, dies anzunehmen, weil die Konsequenz, daß das Kind eigentlich keinen Vater, einen richtigen Vater nicht haben soll, einen solchen Ausspruch nicht zuläßt. Aber ihn zu gestatten, fordert nicht bloß ein Recht des Kindes, sondern auch ein öffentliches Interesse, das Interesse nämlich, daß die Ehehindernisse, die im Verhältnisse zum Vater und seinen Verwandten obwalten, nicht unbeachtet bleiben. Soll Solches verhütet werden, so muß das (58) Gesetz Sorge dafür tragen, daß
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die Vaterschaft rechtswirksam festgestellt und in das Standesregister eingetragen werden kann und so auch die Auszüge, die daraus bei einer Eheschließung vorzulegen sind, sie ersichtlich machen. Wie sich der Entwurf die Sache hier gedacht hat, ist nicht klar. Es kann beispielsweise der Standesbeamte einen Verlobten, der die Eheschließung beantragt, nicht mit dem Bemerken abweisen: „Die Mutter Ihrer Braut ist notorisch seit zwanzig Jahren die Concubine Ihres Vaters, Ihre Braut wird also Ihre Halbschwester sein.“ Eben so wenig kann in solchem Falle der Staatsanwalt hindernd eintreten. Er kann bloß, wenn die Ehe eingegangen ist, die Nichtigkeitsklage erheben. Der Entwurf muß also in Fällen dieser Art, so sehr er sonst Keuschheit und Sittlichkeit zu fördern sucht, die Schließung der incesten Ehe geschehen und sie bestehen lassen, bis sie im Wege der Nichtigkeitsklage aufgehoben ist. Und wie denkt der Entwurf sich die Nichtigkeitsklage? Soll auch bei dieser die uneheliche Vaterschaft nicht rechtswirksam festgestellt werden dürfen? Es scheint so. Nach der Anmerkung zu § 1654 des Entwurfes soll zwar in die Civilproceßordnung als § 627 d eine Bestimmung aufgenommen werden, wonach auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Eltern- und Kindesverhältnisses geklagt werden kann und wonach das Urtheil, wenn es bei Lebzeiten der Parteien rechtskräftig wird, für und gegen Alle wirkt. Es soll aber hinzugefügt werden, daß diese Vorschriften auf den Rechtsstreit, welcher die Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft zum Gegenstande hat, keine Anwendung finden. Der Entwurf hat augenscheinlich, geleitet von der irrigen Ansicht, die er vertritt, daß die natürliche Verwandtschaft mit dem Vater sich nachweisen lasse, es als selbstverständlich betrachtet, daß das Vorhandensein der natürlichen Verwandtschaft mit dem Vater eine Beweisfrage sei, die der Richter nach seiner Ueberzeugung ganz richtig zu entscheiden vermöge, für die deshalb die Gewährung einer Feststellungsklage kein Bedürfniß sei. Aber bei der ehelichen Verwandtschaft mit dem Vater (59) kommt es dem Entwurfe selbst zufolge für die Annahme eines Incestes auf einen Beweis der natürlichen Verwandtschaft nicht an. Denn auch nach dem Entwurfe beruhen die Bestimmungen über das Vorhandensein der ehelichen Vaterschaft lediglich auf der Möglichkeit einer solchen. Es muß also bei ehelicher Verwandtschaft auch ihm zufolge der Incest auf die bloße Möglichkeit einer natürlichen Verwandtschaft mit dem Vater hin angenommen werden – aber auf Grund der rechtlichen Gewißheit der Vaterschaft! Anders kann es auch bei dem Inceste wegen unehelicher väterlicher Verwandtschaft nicht sein; denn auch der Beweis der natürlichen Verwandtschaft mit dem unehelichen Vater ist weiter als bis zur Wahrscheinlichkeit nicht zu erbringen, und das Gesetz kann es unmöglich dem Richter überlassen, nach seinem Ermessen über das Vorhandensein dieser Verwandtschaft zu entscheiden. Es würde ihn damit ermächtigen, etwas, was er blos glauben und was ihm blos wahrscheinlich sein kann, als faktisch gewiß auszusprechen. Wie bei der ehelichen kann vielmehr auch bei der unehelichen väterlichen Verwandtschaft die Annahme eines Incestes nur zulässig sein auf Grund der rechtlichen Gewißheit der Vaterschaft – wenn die uneheliche Vaterschaft durch gerichtliche Entscheidung oder durch Anerkennung rechtlich festgestellt ist.
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Die hier dem Entwurfe zugeschriebene Ansicht von der Fähigkeit der richterlichen Ueberzeugung ist allerdings ziemlich verbreitet. Sie findet sich selbst in den vortrefflichen Commentaren über das Personenstandsgesetz von Hinschius und Sicherer, zum § 33 des Gesetzes. Die richtige Ansicht hat indessen die Autorität Stölzels im Eheschließungsrecht für sich. Derselbe bemerkt über den Beweis des Incestes zum § 33: „Das auf außerehelicher Geburt beruhende Verhältniß kann durch gerichtliches Urtheil, welches die uneheliche Vaterschaft ausspricht, oder durch Anerkenntniß des außerehelichen Vaters festgestellt werden.“ Es wird hiermit die Aenderung, daß Vater der ist, gegen den die Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist, als unerläßlich nachgewiesen sein. (60) Nach § 231 der Civilproceß-Ordnung ist nun aber ein Antrag auf Feststellung nur zulässig, wenn der Antragsteller ein Interesse an einer alsbaldigen Feststellung hat. Das Kind hat jedoch dem Gesagten zufolge ein Recht auf Feststellung, und dies darf man ihm nicht dadurch vereiteln, daß man sagt, es habe an der Feststellung freilich ein Interesse, aber kein alsbaldiges. Es wäre daher dem Absatze der Schlußsatz hinzuzufügen: Für den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft bedarf es keines Nachweises eines alsbaldigen Interesses an der Feststellung. __________________ Zu dem vorgeschlagenen Absatz 3: Zur Erhebung des Anspruchs auf Feststellung der Vaterschaft ist die Mutter nicht berechtigt. Wenn die Alimentationsprocesse in Fällen, wo die Mutter klagt, meistens ohne Erfolg sind, so hat dies seinen Grund vorzugsweise darin, daß es an Zeugen und namentlich an glaubwürdigen fehlt und das Gericht den Angaben der Mutter, wenn sie auch glaubwürdig erscheinen, doch, weil sie Klägerin ist, keinen Glauben schenken darf. Dieser Mißstand wird gehoben, wenn die Mutter zur Klageerhebung für nicht berechtigt erklärt wird. Sie darf dann nach § 350 der Civilproceß-Ordnung, weil es sich um die Geburt eines Familiengliedes handelt, ihr Zeugniß weder nach § 348 Ziffer 3 wegen Verwandtschaft ablehnen, noch nach § 349 Ziffer 2, weil ihr ihre Aussage zur Unehre gereiche, und muß nach § 358 Ziffer 3 beeidigt werden. Die Bestimmung würde dadurch, daß sie das einzige Beweismittel, welches in derartigen Fällen dem Richter eine erschöpfende, aber auch eine zuverlässige Auskunft geben kann, benutzbar machte, beiden Zwecken dienen, die der Gesetzgeber hier ins Auge zu fassen hat sowohl dem, dem Kinde einen Vater zu geben, als dem, dem Leichtsinn der Männer zu wehren – nebenbei aber auch die unbedachten und gewissenlosen Aussagen und Eide von Freunden des Beklagten verhüten helfen. (61) Zu § 1605: Wer seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat, kann sich nicht darauf berufen, daß ein Anderer der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt habe. Diese Bestimmung wäre zu ersetzen durch die Bestimmung: Vater des Kindes ist der, der nach der Geburt des Kindes seine Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat.
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Wo die Anerkennung eines unehelichen Kindes als Rechtsinstitut besteht, hat sie die Rechtswirkung, die Vaterschaft gewiß zu machen. Der Paragraph räumt ihr diese Bedeutung nicht ein. Liest man in dem Paragraph den Satz, wonach der Anerkennende sich nicht darauf berufen kann, daß ein Anderer beigewohnt habe, so könnte man glauben, es sei damit gesagt, er könne sich nicht darauf berufen, daß ein Anderer als er, ein Anderer und nicht er beigewohnt habe – er könne nicht später behaupten, er habe nicht beigewohnt. Das bedeutet der Satz aber nicht. Es war nämlich laut Protokoll S. 6206 ff. ein Antrag gestellt, wonach der, welcher nach der Geburt seine Vaterschaft anerkannt hat, als Vater gelten sollte, und vom Antragsteller war die Nothwendigkeit, einem solchen Anerkenntnisse statt einer bloß beweisenden eine, wie der Ausdruck lautet, constitutive d. h. eine rechtserzeugende Wirkung zu geben, unter Anderm damit motivirt worden, daß man der Anerkennung auch eine Wirkung beilegen müsse, welche vor Allem die hinterherige Vorschützung der Einrede der mehreren Beischläfer unzulässig mache. Dieser Antrag wurde abgelehnt zu Gunsten eines zweiten Antrages, der wörtlichen Ausdruck im Paragraphen gefunden hat. Der Antragsteller machte für diesen Antrag geltend: Die Einfühlung einer constitutiven Wirkung vertrage sich nicht mit dem Standpunkte des Entwurfes. Es werde dem oben erwähnten praktischen Zweck durch eine Vorschrift des Inhaltes genügt, daß ein in einer öffentlichen Urkunde abgegebenes Anerkenntniß der Vaterschaft als Verzicht auf die Einrede der (62) mehreren Beischläfer angesehen werden solle. . . . Das Anerkenntniß der Vaterschaft solle als Verzicht auf dieselbe angesehen werden, wenn es in der bestimmten Form abgegeben sei. S. 6210 heißt es dann: Die Commission entschied sich für die Annahme des zweiten Antrages. Durch die Anerkennung des § 1605 wird sonach bloß auf den Einwand der Beiwohnung noch eines Andern verzichtet. Aus den Worten des Paragraphen kann man dies aber unmöglich entnehmen. Sollte es bei dem Beschlüsse der Commission sein Verbleiben haben müssen, so wäre die Bestimmung jedenfalls deutlicher zu fassen, etwa dahin: Wenn Einer nach der Geburt des Kindes seine Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat, so hat dies bloß die Wirkung, daß er sich nicht darauf berufen kann, daß außer ihm noch ein Anderer beigewohnt habe. Daß der Entwurf die Wirkung der Anerkennung in dieser Weise beschränkt, ist sehr auffallend im Hinblick auf einen Ausspruch, durch den die Motive an einer früheren Stelle der freiwilligen Anerkennung einen sittlichen Werth für das Verhältniß des Vaters zum Kinde beigelegt haben. Wie nämlich oben S. 8 bereits mitgetheilt, sagen sie Seite 851 im Verlauf der Erörterung darüber, daß dem Vater gegenüber familienrechtliche Beziehungen grundsätzlich nicht anzuerkennen seien: Es ermangeln hier völlig die sittlichen und factischen Voraussetzungen für die Begründung familienrechtlicher Beziehungen, namentlich in solchen Fällen, in welchen die Vaterschaft nicht freiwillig anerkannt wird, sondern erst im Wege des Prozesses festgestellt werden muß.
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Die Motive haben damit aus einem sittlichen Grunde der freiwilligen Anerkennung den Vorzug vor der gerichtlichen Feststellung gegeben und in ihr, gewiß mit vollem Rechte, das Wünschenswerthere gesehen. Hier bei der Bestimmung des § 1605 war aber der Platz, wo sie von ihrem Gedanken die Anwendung dadurch machen konnten, daß sie der Anerkennung die volle Wirksamkeit verliehen. Warum haben sie das unterlassen? In Hinblick darauf, daß jener Ausspruch dort zur (63) Eliminirung der Familienverbindung mit dem Vater dienen sollte, darf man sagen, sie haben es deshalb unterlassen, um das Aufkommen von Familienbeziehungen zu dem Vater zu verhüten. Wie streng der Entwurf hier seinem Grundsatze zu Liebe die uneheliche Vaterschaft gegen die eheliche zurückgesetzt hat, erhellt insbesondere auch aus der Bestimmung des Absatzes 2 des § 1607 des Entwurfs. Es wird hier bestimmt, rücksichtlich des vor der Ehe geborenen Kindes: Hat der Ehemann seine Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde anerkannt, so wird vermuthet, daß er der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat. Es war beantragt, daß, wenn der Ehemann in einer öffentlichen Urkunde seine Vaterschaft anerkannt habe, die Vaterschaft ihm gegenüber als festgestellt gelten solle. Protokoll S. 6521. Dieser Antrag – Hauptantrag – und ein Unterantrag wurden abgelehnt und die angeführte Bestimmung beschlossen. Das Protocoll bemerkt darüber S. 6253/54: Die Erörterungen, zu denen der Hauptantrag und der Unterantrag geführt hätten, zeigten, daß es jedenfalls den Interessen des Kindes widerstreite, einem von dem späteren Ehemanne hinsichtlich der Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde abgegebenen Anerkenntnisse nur die Bedeutung eines gerichtlichen Beweismittels beizulegen. Anderer Seits sei es bedenklich, einem solchen Anerkenntniß constitutive Bedeutung beizulegen. Aber, darf man hier fragen, wenn es den Interessen eines vor der Ehe geborenen Kindes jedenfalls widerstreitet, dem Bekenntnisse bloß beweisende Kraft und keine vermuthende beizulegen, warum widerstreitet Solches den Interessen eines Kindes nicht, das nicht so glücklich ist, daß sich seine Eltern hinterher geheirathet haben? Hat ein solches Kind es etwa besser auf Erden? Die Antwort ist, daß es darauf gar nicht ankommt; daß es hier gilt, den Grundsatz, daß das uneheliche Kind keinen Vater haben soll, so viel wie möglich, d. h. so weit nicht allgemein anerkannte Grundsätze entgegenstehen, durchzuführen. – Was kann nun das Kind mit einem Anerkenntnisse, wie es der § 1605 construirt hat, möglicher Weise beginnen? Da (64) dasselbe eine Vermuthung für die Vaterschaft nicht begründet, so darf der, der es ausgestellt hat, nach wie vor den Beweis der Beiwohnung verlangen. Wollte der Richter ihn fragen: Wie konnten Sie Ihrem Bekenntnisse einen solchen Wortlaut geben, wenn Sie nicht beigewohnt hatten? So dürfte er den Richter darauf hinweisen, daß ihm nicht zustehe, in das Bekenntniß etwas Anderes hineinzulegen, als der Gesetzgeber gewollt habe daß darin liege, und dürfte behaupten, daß er nur eben dies habe hineinlegen wollen.
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Und anderer Seits, was sollte den, der auf die Vaterschaft in Anspruch genommen wird, veranlassen, ein solches Bekenntniß auszustellen? Wenn er weiß, daß auch ein Anderer beigewohnt hat, thut er es sicherlich nicht, aber auch dann nicht, wenn er in Ungewißheit darüber ist; denn das wenigstens weiß er, daß, weil die Klage das einzige Mittel ist, seine Vaterschaft festzustellen, er eine Klage auf Feststellung der Vaterschaft zu erwarten hat; und wie sollte er da im Voraus auf einen Einwand Verzicht leisten, auf den er später im Processe immer noch verzichten kann? Und endlich auch ins Civilstandesregister dürfte das Bekenntniß, wenn es den vom Entwurfe ihm beigelegten Sinn hätte, nicht eingetragen werden. Das Personenstandsgesetz bestimmt freilich in § 59 nur: Die Anerkennung eines unehelichen Kindes darf in das Geburtsregister nur dann eingetragen werden, wenn dieselbe vor dem Standesbeamten oder in einer gerichtlichen oder notorischen Urkunde erklärt ist. Und diese Bestimmung sagt freilich nicht, welcher Art die Anerkennung sein müsse, damit sie eingetragen werden darf. Es ist aber nach dem Zwecke des Civilstandesgesetzes ganz selbstverständlich, daß es eine Anerkennung voraussetzt, die in Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung die Vaterschaft rechtlich feststellt. Einen Erfolg indessen würde die Bestimmung des § 1605 unfehlbar haben: den, daß Solche, welche eine Urkunde über Anerkennung eines unehelichen Kindes ausgestellt und empfangen (65) haben, erst später, vielleicht erst nach Jahren, darüber belehrt würden, daß sie nicht bedeutet, was sie besagt. – Diesen Bemerkungen zufolge hat die Bestimmung des Paragraphen, obgleich ihre praktische Brauchbarkeit ungefähr gleich Null ist, gleichwohl rechtlich eine folgenreiche Bedeutung: sie spricht, bloß in verschleierter Form, aus, daß eine Anerkennung die Vaterschaft nicht festzustellen vermag. Ist nun dieser Grundsatz in dem Entwurf aufzunehmen, oder der umgekehrte, daß die Anerkennung die Vaterschaft feststellt? Was kann den Gesetzgeber bestimmen, dem einen oder dem andern Grundsatze zu folgen? Es ist bei dieser Frage 1. Eins besonders in die Augen springend: was der Gesetzgeber sich sonst angelegen sein läßt, daß Processe durch Vereinbarung der Parteien verhütet werden, ist auch hier erwünscht, sogar besonders erwünscht, und auch rechtlich zulässig. Den Anspruch des Kindes auf Feststellung der Vaterschaft haben die Gesetze überall mit vollem Rechte der Austragung der Parteien überlassen. Das Gesetz gestattet dem Beklagten nicht bloß, auf den Einwand der Beiwohnung noch eines Anderen rechtswirksam zu verzichten, sondern giebt ihm auch die Befugniß, die eigene Beiwohnung rechtswirksam einzuräumen. Es ist Beides sehr begreiflich, wenn man bedenkt, daß es Zeugen über den Vorgang selbst, und über einen anderen, früheren oder späteren Vorgang höchst selten giebt, und daß die Tragweite der Anerkennung der Vaterschaft eine solche ist, welche der Wahrheit zuwider nicht so leicht Einer auf sich nimmt, daß aber dem Kinde kein besserer Vater gegeben werden kann, als der, der sich selbst dafür hält. Aber wenn demgemäß auf ein Zugeständniß des Beklagten hin die Vaterschaft durch ein Urtheil festgestellt werden darf, welches in solchen Fällen doch kaum eine andere Bedeutung hat, als
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daß es das Zugeständniß des Beklagten in einer besonderen öffentlich glaubhaften Form ausspricht, so kann auch kein rechtliches Bedenken entgegenstehen, die gleiche Wirksamkeit einer Anerkennung zu geben, welche, wie das gerichtliche Zugeständniß, zum Zwecke der Anerkennung der Vaterschaft abgelegt und in einer öffentlichen Urkunde ausdrücklich ausgesprochen ist. (66) Daß er demnach die Anerkennung als ein Mittel, Processen über die Vaterschaft vorzubeugen, gewähre, muß dem Gesetzgeber deshalb, besonders erwünscht erscheinen, weil, worauf die Motive so erhebliches Gewicht legen, diese Processe sehr häufig scandalöser Natur sind, und weil die feindselige Stimmung, die eine Proceßführung so leicht im Gefolge hat, für die Erfüllung der Pflicht, die durch Feststellung der Vaterschaft dem Beklagten auferlegt wird, nur von Nachtheil sein kann. 2. Die Häufigkeit der Anerkennung unehelicher Kinder in den Rechtsgebieten, wo die Klage auf Feststellung der Vaterschaft versagt ist, zeigt, daß noch etwas Anderes als Furcht vor Klage zur Anerkennung zu bestimmen vermag: das Gefühl der moralischen Verpflichtung. In Antrieb desselben würde die Zulassung der Anerkennung als Rechtsgrund der Vaterschaft dem unehelichen Kinde in zahlreichen Fällen einen Vater geben, wo die Aussicht, im Wege des Processes dahin zu gelangen, ihm entweder wegen Mangels an Beweismitteln von vornherein verschlossen wäre, oder doch zweifelhaft, wegen der Wechselfälle, die ein Proceß mit sich führt. Der Einwand, es könne ja der, der anerkennen will, sich nur verklagen lassen, und dann zugestehen, übersieht den schweren Mißstand, den es hat, wenn das Recht die Bürger nöthigt, Processe zu führen, und deshalb ist dieser Einwand gerade ein Beleg für das Bedürfniß, eine urkundliche Anerkennung zu haben. Es gibt überdies Fälle, wo der in Anspruch Genommene freilich bereit ist, die Vaterschaft urkundlich anzuerkennen, zumal er dafür an eine bestimmte Urkundsperson nicht gewiesen ist, nicht aber bereit, die Sache vor Gericht verhandeln zu lassen, und gegen eine Klage, auch wenn er annehmen kann, daß die Öffentlichkeit ausgeschlossen werde, jede Opposition in Aussicht stellt. Und endlich ist es, weil das Pflichtgefühl des unehelichen Vaters die Lebhaftigkeit, mit der es zuerst auftritt, meistens nicht behalten wird, sehr erwünscht, wenn er durch eine jederzeit leicht vornehmbare Handlung sich als Vater rechtswirksam bekennen kann. Ein Proceß, falls das Bekenntnis; nur in solchem erfolgen könnte, würde für die richtige Gemütsverfassung leicht zu spät kommen. Es sagt deshalb mit Recht das Mitglied der Commission, (67) welches den oben S. 61 erwähnten Antrag stellte, S. 6207 des Protocolles: Aus psychologischen Gründen und nach den Erfahrungen der Praxis sei aber ein solches Anerkenntniß unmittelbar nach der Geburt des Kindes leichter zu beschaffen, als zu späterer Zeit, nachdem das Bewußtsein der Verantwortlichkeit abgeschwächt und durch Aufhetzung anderer Personen bei dem unehelichen Vater der Wunsch, sich seiner Verpflichtung zu entziehen, großgezogen worden sei. Was kann nun, 3. wenn so erhebliche Gründe dafür sprechen, dem Anerkenntnisse die Wirkung zu geben, daß es die Vaterschaft feststellt, bestimmend dafür sein, ihm diese Wirkung zu versagen? Wir dürfen annehmen, daß sich mehr und Besseres als das, was den Entwurf bestimmt hat, dafür nicht geltend machen läßt.
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Es haben nun die Motive den Hauptgrund des Entwurfes, denjenigen, der für die übrigen leitend war, nicht angeführt, und sie brauchten ihn auch nicht anzuführen: es war durch das System also bedingt. Sollte der Grundsatz, daß das uneheliche Kind mit dem Vater nicht verwandt ist, durchgeführt werden, so durfte der Entwurf keine Rechtshandlung von der Bedeutung erfordern, und keiner Rechtshandlung die Bedeutung beilegen, daß sie die Vaterschaft rechtlich feststellt. Denn, ist das Kind mit seinem Vater rechtlich nicht verwandt, so ist es inconsequent zu bestimmen, daß seine Verwandtschaft mit demselben durch den und den Rechtsact rechtlich gewiß werden solle. Es war daher völlig consequent, wenn, was die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft betrifft, der Entwurf zwar, in der Meinung, die Vaterschaft lasse sich beweisen, den Beweis derselben dem freien richterlichen Ermessen überließ, dem Richter aber eine der Rechtskraft fähige Entscheidung darüber, wer der Vater sei, nicht zugestand – so daß der zur Alimentirung Verurtheilte mit Recht sagen konnte: verurtheilt bin ich, aber Vater bin ich nicht; und daß das Kind ihn als Vater nicht ansprechen konnte. Und demgemäß war es nicht minder consequent, wenn der Entwurf auch der Anerkennung die Bedeutung, die Vaterschaft (68) rechtlich gewiß zu machen, nicht einräumte. Die Verwandtschaft mit dem Vater mußte rechtlich überall, auch für das Civilstandesregister, verschwinden – sie war dann, so zu sagen, nicht in der Welt. So forderte es das System. Anlangend die in den Motiven und den Protocollen enthaltene Begründung, so führen die Motive IV S. 852/53 drei Gründe an. Es heißt daselbst 1. Der Entwurf hat das französischrechtliche Institut der Anerkennung nicht aufgenommen. Dasselbe entspricht nicht den deutschrechtlichen Anschauungen, ist überdies bedenklich und durch ein Bedürfniß nicht geboten. Daß das Institut den deutschrechtlichen Anschauungen nicht entspricht, ist für das altdeutsche Recht insofern richtig, als dieses das Institut noch nicht kannte, aber für das jetzige nicht mehr. Nicht nur, daß es, nachdem es in der preußischen Rheinprovinz, in Rheinhessen, in der Pfalz und in Baden seit 1807 und 1808 bestanden hat, den dortigen Rechtsanschauungen jetzt sicherlich entspricht, darf man Solches doch auch wohl schon von dem Gebiete des Landrechtes sagen, in welchem das Institut seit dem Gesetze vom 24. April 1854 besteht. Der § 13 desselben bestimmt, der Anspruch des unehelichen Kindes finde statt, wenn das Kind zur Begründung seines Anspruches ein ausdrückliches, in einer öffentlichen Urkunde abgegebenes Anerkenntniß der Vaterschaft von Seiten des Schwängerers beizubringen vermag. und mit diesem Anerkenntniß ist, wie das Kammergericht wiederholt erkannt hat, nicht ein bloßes Zugeständniß gemeint, sondern eine „Rechtshandlung“, durch welche der Wille erklärt wird, das Kind als das Seinige anerkennen zu wollen; und in diesem Sinne hat die Bestimmung bisher gegolten, und ein solches Anerkenntniß ist stets in die Standesregister eingetragen worden und wird noch jetzt darin eingetragen. Sollte aber trotz alledem das Institut im Gebiete des preußischen Landrechtes noch nicht vollständig germanisirt sein, es im Volksbewußtsein noch so zu sagen einen französischen Beigeschmack haben, so dürfte das für den Gesetzgeber kein Grund sein, die großen Vortheile, die dasselbe dem unehelichen Kinde bringt, preiszugeben; haben wir (69) doch, weil das Rechtsbedürfniß es verlangt, so vieles von den Franzosen in unser Recht aufgenommen – ins Handelsrecht – ins Strafrecht – ins Proceßrecht – und das Alles vollständig assimilirt, so
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daß mancher Jurist nicht mal mehr den Ursprung kennt; und heute fahren wir darin fort. Der unlautere Wettbewerb z.B., für den nicht nur die Regierung, sondern auch die gesetzgebenden Factoren mit großer Lebhaftigkeit eingetreten sind, hat seine Quelle in den Bestimmungen des französischen Rechtes und sein gesetzgeberisches Material in dessen umfangreicher Jurisprudenz. Selbst für die Umsturzvorlage hatte man die Hauptbestimmungen ebenfalls aus dem französischen Rechte entnommen. Was kann da die arme Anerkennung anderes verbrochen haben, als daß sie in das System nicht paßt? Die Motive sind hier bezüglich des Deutschthums aber auch nicht consequent. Das, was sie, wie wir gleich sehen werden, als Ersatz für das fremdländische Institut besonders empfehlen, die Annahme an Kindesstatt, ist, wie sie selbst sagen, fremdländischen Ursprunges IV S. 951: Das aus dem römischen Rechte stammende Institut der Annahme an Kindesstatt, hat mit der Reception des römischen Rechtes als gemeines Recht in Deutschland Eingang gefunden und ist dort in steter, wenn auch in seltener Anwendung geblieben. Ferner 2. heißt es S. 852: Bedenklich ist die Aufnahme jenes Institutes, weil es die Gefahr mit sich bringt, daß dadurch, namentlich in den unteren Volksklassen, die Ehelosigkeit und das Concubinat gefördert, anderer Seits das Familienleben, insbesondere der eheliche Friede, gestört wird. Der Entwurf nimmt also an, wer gehindert ist, seine Vaterschaft durch Anerkennung gewiß zu machen, werde, um ihr Gewißheit zu geben, die Mutter heiraten, und Leute, die den Plan haben, mit einander in Concubinat zu leben, würden eine Ehe vorziehen, wenn sie sähen, daß sie nur durch eine solche den zu erwartenden Kindern einen gewissen Vater zu schaffen vermochten. Aber wie viele uneheliche Väter giebt es, die so edel (70) sind? Sicherlich dagegen giebt es viele, die nicht heirathen können, und für die zu heirathen, namentlich die Mutter zu heirathen, sehr unverständig sein würde, die aber ein uneheliches Kind sehr wohl ernähren können. Und Leute, die ein Concubinat eingehen möchten, haben von dem Zusammenleben als Mann und Frau eine ganz andere Auffassung, als daß die Frage, wie sie die Vaterschaft gewiß machen wollen, sie hindern könnte, ihren Wunsch zu verwirklichen. Wenn der Mann, dem seine Zuhälterin ein Kind geboren hat, bei der Anmeldung auf dem Standesamt sich als den Vater bezeichnet, so thut er es nicht, um für das Kind zu sorgen, sondern, weil er nicht weiß, warum er es nicht thun sollte, da er ganz wie ein Ehemann leben will, und weil er damit dem Verlangen der Frau entspricht, die einen Mann zu ihrem Kinde haben und gesichert sein will, später, nach dem Auseinandergehen, die Sorge für das Kind nicht allein zu haben. Damit, daß verhütet werden müsse, das Familienleben und den ehelichen Frieden zu stören, soll, wenn man es concreter ausdrückt, gesagt sein, das Gesetz müsse dazu mitwirken, es erleichtern, das Dasein eines unehelichen Kindes vor den Eltern des Vaters und vor seiner Frau geheim zu halten. Freilich wird, wenn die Anerkennung zulässig ist, die uneheliche Mutter bemüht sein, sie zu erlangen, und wenn sie dieselbe erlangt hat, die Gewißheit der Vaterschaft nicht für sich behalten. Es dürfte aber richtiger sein, wenn das Gesetz zur Geheimhaltung nicht beiträgt, vielmehr dahin wirkt, daß der zukünftige Schwiegersohn, wenn er nach seiner Vergangenheit gefragt wird, die Wahrheit sage, und der Ehemann einen Fehler
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in der Ehe seiner Frau bekenne, weil Solches besser ist, als eheliches Zerwürfniß und Ehescheidung, wozu eine Offenbarung von unbetheiligter Seite führt. Auch für die Eltern des unehelichen Vaters und auch für diesen selbst ist es besser, wenn sie wissen, was der Herr Sohn gemacht hat. Und hat denn die uneheliche Mutter in den Augen des Gesetzgebers gar kein Recht? Das große Interesse, das die Mutter daran hat, daß sie mit Recht sagen darf: Der ist der Vater meines Kindes, gilt dem Entwurfe für nichts. Die Verurtheilung des Vaters zur Alimentirung (71) giebt ihr nach dem Entwurf kein Recht dazu. Und durch freiwillige Anerkennung von Seiten des Vaters soll sie es nicht erlangen können, weil dessen Familie Unannehmlichkeiten davon haben könnte. Das ist der Ersatz, den der Entwurf der unehelichen Mutter dafür giebt, daß sie nicht mehr, was die Motive nach ihren Bemerkungen zum § 1206 zu bedauern scheinen, den Anspruch auf Heirath oder Dotation hat. Und auch dafür, daß ein Mann von Ehrgefühl, wenn er sich vergangen hat mit einem Mädchen, es für seine Pflicht erachtet, sie in den Stand zu setzen, Jenes sagen zu dürfen, dafür hat der Entwurf keinen Sinn. Die Motive bemerken dann noch 3. durch ein Bedürfnis ist jenes Institut nicht geboten, weil, wenn Liebe und Zuneigung zu dem Kinde und der Wunsch, die Lage desselben zu verbessern, die Triebfeder der Anerkennung des Kindes sind, der Entwurf dem Vater in ausreichendem Maße andere Wege bietet, rechtlich zu dem Kinde in ein nahes Familienverhältniß zu treten bezw. demselben Wohltaten zu erweisen. Inbesondere ist es nach dem Entwurfe nicht ausgeschlossen, doch der uneheliche Vater seinem unehelichen Kinde durch Annahme an Kindesstatt die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes verschafft. . . . Außerdem gewährt die Legitimation durch nachfolgende Ehe (1579 ff.) oder durch Ehelichkeitserklärung19 (1583 ff.) dem unehelichen Vater die Möglichkeit, seinem unehelichen Kinde die rechtliche Stellung eines ehelichen zu verschaffen. In diesen Bemerkungen übersehen die Motive den Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt. Es handelt sich hier nicht darum, wie einem Vater, der den Wunsch hat, die rechtliche Stellung eines Vaters zu erlangen, geholfen, sondern wie dem Kinde geholfen werden kann; und da darf man sagen, daß die vorgeschlagenen Wege ganz ungleich weniger dazu geeignet sind, als die Anerkennung, außerdem aber auch für den unehelichen Vater so wenig anziehend sein werden, daß in den seltensten (72) Fällen dem Kinde die Aussicht eröffnet wäre, auf einem derselben versorgt zu sein. Die Ehelichkeitserklärung könnte ein geeignetes Mittel nur sein, wenn sie die Veranlassung wäre, daß das Kind in die väterliche Familie aufgenommen und in ihr erzogen würde. Aber wie viele uneheliche Väter haben eine Familie, und wie viele Familienväter würden sich dazu entschließen? Am wenigsten sollten gerade die Motive einen solchen Ersatz für die Anerkennung empfehlen, nach der Schilderung nämlich, die sie S. 851/52 (vergl. oben S. 8) von den väterlichen Eigenschaften des unehelichen Vaters machen, um nachzuweisen, daß das Kind von der väterlichen Familie ausgeschlossen sein müsse. In der Hand eines solchen Vaters würde die Ehelichkeitserklärung dem Kinde zum 19
Die Ehelichkeitserklärung besteht darin, daß das Kind durch eine Verfügung der Staatsgewalt des Staates, dem der Vater angehört, für ehelich erklärt wird, § 1610, früher § 1583.
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großen Nachtheile gereichen können. Wenn er sie erlangt hätte, könnte Niemand ihn hindern, das Kind in eine Pflegeanstalt unterzubringen, wo es für die Hälfte der Summe wäre, die einem Vater, der sein Kind anerkannt hat, gerichtlich auferlegt wird. Zum Glücke kann die Liebe der Mutter Solches hindern, da nach § 1613 deren Einwilligung zur Ehelichkeitserklärung nöthig ist. Das Ansinnen ferner, die Mutter zu heirathen, bloß damit das Kind rechtlich einen Vater habe, widerspricht dem sittlichen Begriffe der Ehe, zu welchen wir im Fortschritt der Civilisation gelangt sind. Und wenn die Mutter gestorben ist, vielleicht schon im Wochenbette, was ersetzt dann die Anerkennung? Es bliebe hiernach von den vorgeschlagenen Wegen als gangbar nur der der Annahme an Kindesstatt. Ueber die Vortheile, die dieses Institut dem Annehmenden bietet, sagen die Motive IV S. 952: Die Annahme an Kindesstatt ist namentlich für wohlhabende, edeldenkende Personen, welche in kinderloser Ehe leben, ein erwünschtes Mittel, diesen Mangel zu ersetzen. Wird dadurch auf der einen Seite Gelegenheit geboten, insbesondere mittellosen, aber von Natur begabten Kindern, eine große Wohlthat zu erweisen ec. Ferner aber auch bei unverheiratheten Personen kann der berechtigte Wunsch entstehen, Kinder anzunehmen, um in deren Erziehung und Versorgung eine Lebensaufgabe zu finden ec. (73 ) Ueber die Vortheile, die das Kind von der Annahme hat, brauchten die Motive sich nicht weiter zu äußern, da das Institut nicht den Zweck hat, für unversorgte Kinder zu sorgen. Wenn, worauf es hier vor Allem ankommt, das Kind nach der Erziehung bedarf, so besteht der große Vortheil, den ihm die Annahme gewährt, darin, daß es bei dem Annehmenden, in häuslicher Gemeinschaft mit ihm und unter seinem und seiner Familie und seiner Verwandten erziehendem Einflüsse lebt. Aber die wenigsten unehelichen Väter sind Familienväter und von denen, die es sind, werden die wenigsten kein Bedenken tragen, ihr uneheliches Kind in ihrer Familie aufzunehmen; den Vätern dagegen von der Art, wie die Motive sie schildern, wird die Annahme an Kindesstatt nur empfehlenswerth erscheinen, um das Kind, statt es jenes großen Vortheils theilhaftig zu machen, so billig wie möglich zu unterhalten. Die Mutter kann Solches freilich dadurch hindern, daß sie ihre Einwilligung zur Annahme an Kindesstatt versagt. Aber was soll sie machen, wenn sie von dem Vater nicht verlangen kann, daß er das Kind anerkenne – die Anerkennung ihr Nichts nützen kann? Zu solcher Unzulänglichkeit der Annahme an Kindesstatt, ein Ersatz für die Anerkennung zu sein, kommt noch, daß nach § 1626 Abs. 1 der Annehmende das 50. Lebensjahr zurückgelegt haben muß, so daß von 100 unehelichen Vätern, die dem Anspruch auf Alimentiriung zu genügen haben, vielleicht zwei oder drei von der Annahme an Kindesstatt Gebrauch machen können. Dem Abs. 2 des § 1696 zufolge kann zwar von jenem Alterserfordernisse dispensirt werden. Es soll dies nach den Motiven IV S. 960 jedoch nur geschehen nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit, daß der Annehmende leibliche Kinder nicht mehr zu erwarten hat.
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Nach diesen Bemerkungen verdienen die Gründe, welche neben dem angeführten systematischen Grunde den Entwurf bestimmt haben, der Anerkennung die volle Wirksamkeit zu versagen, vom gesetzgeberischen Standpunkte eben so wenig Beachtung, wie jener Grund selbst, weil das, was ihnen zufolge die Anerkennung verwerflich oder entbehrlich machen soll, für den Gesetzgeber (74), der das Wohl des Kindes im Auge hat, von keiner Bedeutung sein darf. Es wäre schwer begreiflich, wie solche Gründe den Entwurf bestimmen konnten, wenn nicht Eins feststände: war man genöthigt durch das System, der Anerkennung die volle Wirksamkeit zu versagen, stand dies fest, so konnte man nicht umhin, nach Gründen zu suchen, welche gegenüber dem unleugbar praktischen Werthe der Anerkennung das System als practisch nach werthvoller nachwiesen, wofür sittliche Gesichtspunkte sich als besonders geeignet darboten. Uebrigens ist jenem systematischen Grunde im Protocoll S. 6209 noch ein weiterer hinzugefügt. Das Mitglied, auf dessen Antrag der § 1605 angenommen worden ist, bemerkte zur Begründung: Die Einführung einer constituiven Wirkung vertrage sich nicht mit dem Standpunkte des Entwurfes, der über Anerkennung familienrechtlicher Verhältnisse absichtlich keine Bestimmung aufgenommen habe. Es bezieht sich diese Bemerkung auf die Bestimmungen der §§ 719 bis 721, wonach die Anerkennung eines Schuldverhältnisses einen selbstständigen von dem Entstehungsgrunde unabhängigen Rechtsgrund bildet, aus welchem geklagt werden kann. Für andere Verhältnisse als Schuldverhältnisse ist in diesen Bestimmungen der Anerkennung eine Wirkung nicht beigelegt, und nach römischem Rechte konnte es auch nicht geschehen. Die Motive sagen darüber Bd. II S. 687: Auch über den Vertrag, durch welchen der eine Theil dem andern gegenüber ein Rechtsverhältniß nicht obligatorischer Natur als bestellend anerkennt, giebt der Entwurf keine Bestimmung. Einem solchen Anerkenntnisse kann selbstverständlich nicht allgemein die Wirkung beigelegt werden, daß es fragliche Rechtsverhältnisse selbst zur Entstehung bringe. Aus den einzelnen Theilen des Gesetzbuches ist zu entnehmen, welche Wirkung einem derartigen Anerkenntnisse zukommt. Hier wird also bloß gesagt, daß der Anerkennung eines nicht obligatorischen Verhältnisses selbstverständlich nicht allgemein die Wirkung beigelegt werden könne, das fragliche Rechtsverhältniß zur Entstehung zu bringen und dabei für (75) die Frage, ob ihr im einzelnen Falle die Wirkung beizulegen sei, auf spätere Theile des Gesetzbuches, d. h. des Entwurfes, verwiesen. Es war das gewiß ein völlig angemessener Standpunkt. Aber dem war, wenn man der Anerkennung die Wirkung gab, die Vaterschaft festzustellen, dies so wenig widersprechend, daß es ihm vielmehr völlig entsprach; denn man machte dadurch lediglich von dem Vorbehalt, den die Erwägung enthielt, Gebrauch. Darnach ist auch dieser zweite systematische Grund nicht einmal an sich richtig. __________________
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Bezüglich des Erbrechtes endlich wäre hinter den § 1605 als § 1605a aufzunehmen: Das uneheliche Kind, dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt oder anerkannt ist, hat im Verhältnisse zum Vater und zu dessen Verwandten das Erbrecht eines ehelichen Kindes, mit der Ausnahme, das es im Zusammentreffen mit ehelichen Kindern dem Vater gegenüber nur zur Hälfte erb- und pflichttheilsberechtigt ist. Da das Recht zur Erbfolge auf der Blutsverwandtschaft beruht, so würde, wenn nicht gesetzlich ein Anderes bestimmt wäre, das uneheliche Kind eben so wohl den Vater und dessen Verwandte beerben, wie es jetzt, weil kein Gesetz es davon ausschließt, die Mutter und deren Verwandte beerbt. Weshalb könnte nun das Gesetz hier ein Anderes bestimmen? Doch aus keinem andern Grunde, als weil das Kind unehelich geboren sei; und das wäre ungerecht, weil es dafür nicht kann. Das Gesetz hat demnach dem unehelichen Kinde Erbrecht auch gegen den Vater und dessen Verwandte zu geben. Indessen dem Vater gegenüber hat es dasselbe dem ehelichen Kinde nicht völlig gleich zu stellen. Es ist nämlich das Verhältniß des Vaters zu seinem unehelichen Kinde insofern ein anderes, als das zu einem ehelichen, als er – auch nach dem Entwurfe und auch nach den hier vorgeschlagenen Aenderungen desselben – dem unehelichen Kinde gegenüber nur Pflichten, keine Rechte hat. Auch das Recht der Erziehung hat er nicht, vielmehr bloß die Pflicht, durch (76) Geldleistungen, die das Gesetz bestimmt, zur Erziehung beizutragen. Die Erziehung bestimmt die Mutter und deshalb hat auch sie und nicht der Vater für die Zukunft des Kindes, so weit sie von der Erziehung abhängt, die Verantwortlichkeit. Ist nun das Erbrecht der Kinder gegen ihre Eltern seinem Grunde nach nicht auf die Blutsverwandtschaft allein zurückzuführen, sondern auch darauf, daß das Gesetz die Eltern für verpflichtet erachtet, ein Vermögen, das ihnen nicht mehr dienen kann, vor Anderen denen zu überlassen, denen sie das Leben gegeben haben und für die sie verpflichtet sind, mehr zu sorgen, als für jeden Anderen, so besteht für das Gesetz freilich keine Veranlassung, Kinder, die ihren Eltern gegenüber die gleiche rechtliche Stellung haben, in ihrem Erbrechte gegen dieselben ungleich zu behandeln. Eine Vertheilung nach Verdienst und Würdigkeit können nur die Eltern vornehmen, und deshalb ist in den Fällen, wo es an einer solchen fehlt, für das Gesetz die gleiche Theilung die gerechte, und deshalb kann auch ohne die Gefahr der Ungerechtigkeit das Gesetz den Pflichttheil für die einen Kinder nicht anders, als für die anderen bestimmen. Die gleiche Theilung hört aber auf, eine gerechte zu sein, wenn sich unter den Kindern desselben Vaters ein Kind befindet, das nicht er, sondern ein Anderer kraft eigenen Rechtes zu erziehen und für dessen Erziehung er bloß gesetzlich fixirte Beiträge zu leisten hatte. Hier gesellt sich bei den übrigen Kindern zu dem Grunde, daß sie seine Kinder sind, für den Vater einer, der bei dem unehelichen Kinde nicht zutrifft, der, daß die Art, wie er sie erzogen, er sie behandelt und in den Stand gesetzt hat für den sog. Kampf ums Leben, ihn moralisch verantwortlich macht für ihre Zukunft und in dieser Verantwortlichkeit ihm neben der Pflicht, die er als ihr Erzeuger hat, die Pflicht auferlegt, für das Wohlergehen dieser Kinder auch nach seinem Tode zu sorgen. Daß es ungerecht wäre, wenn das Gesetz dies außer Acht ließe bei der Vertheilung des Nachlasses, wird einleuchtend, wenn man den Fall setzt, daß ein Vater, der neben ehelichen ein uneheliches Kind hat, der aber über das Vorurtheil, welches das uneheliche Kind bloß wegen
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seiner Unehelichkeit für minder berechtigt erklärt, sich erhoben hätte und alle Kinder mit gleicher Liebe umfaßte, (77) sein Testament errichten wollte: er würde in dem Gefühle seiner größeren Verantwortlichkeit gegen sie den ehelichen Kindern mehr geben, als dem unehelichen, aber nicht so viel mehr, daß ihnen dies ein Zeichen sein könnte, daß er das uneheliche Kind weniger, als sie, liebe und sie es als ihr Geschwister nicht zu achten brauchten, sondern nur so viel mehr, daß sie daran erkennten, daß er damit einer Pflicht genügen wollte, die er gegen sie und nicht gegen das uneheliche Kind hatte. Ein Vater, der so erwöge, würde den Bruchtheil, um den er das uneheliche Kind zurückzusetzen hätte, schwerlich höher bemessen, als auf die Hälfte, also damit, daß er den ehelichen Kindern das Doppelte gäbe, ihr Recht auf Bevorzugung verwirklicht sehen. Das Gesetz kann nun zwar von einer Präsumtion jener gleichen Liebe und jener Vorurteilslosigkeit nicht ausgehen. Aber an die Stelle der gleichen Liebe setzt es die gleiche Pflicht als Vater und an die Stelle des Gefühls der besonderen Verantwortlichkeit gegen die ehelichen Kinder die Pflicht, dieser Verantwortlichkeit zu entsprechen; und wie der Vater darauf bedacht ist, das uneheliche Kind nicht in den Augen seiner Geschwister zurückzusetzen, so hat das Gesetz darauf bedacht zu sein, daß es nicht in seinem, des Gesetzes, Auge zurückgesetzt erscheine. Ein Gesetzgeber, der Solches bedenkt, wird die Theilung, die jener Vater vornehmen würde, für eine gerechte erachten, dem unehelichen Kinde also im Zusammentreffen mit ehelichen die Hälfte des gesetzlichen Erbtheils und die Hälfte des Pflichttheils eines ehelichen geben. Wenn man fragen wollte, warum denn das uneheliche Kind nicht auch ohne Zusammentreffen mit ehelichen bloß die Hälfte haben solle, so würde man außer Acht lassen, daß das, was den Kindern bei Werbung ihrer Eltern den Vorzug vor allen anderen Verwandten und sogar ein Pflichttheilsrecht giebt, nicht die nähere Blutsverwandtschaft ist, sondern die sie begründende Thatsache, daß die Eltern dem Kinde das Leben gegeben haben und deshalb für sein Dasein verantwortlich sind. Diese letzte Thatsache ist es, die schon der ganz gewöhnliche Mann im Sinne hat, wenn er im täglichen Verkehr die Eltern darauf hinweist oder von ihnen sagt, daß sie doch bedenken (78) sollten, daß sie dem Kinde das Leben gegeben haben. Aus ihr fließt die Pflicht zur Ernährung und Erziehung, aus ihr folgert das Gesetz aber auch, daß der Nachlaß vor Andern dem Kinde gebührt. Das uneheliche Kind auch den übrigen Verwandten gegenüber im Erbrechte zurückzusetzen, ist kein Grund vorhanden, auch nicht bezüglich der Geschwister. Umgekehrt, wenn das Ansehen des unehelichen Kindes gehoben werden soll, so ist vor Allem hier die völlige Gleichstellung erforderlich. Spricht das Gesetz sie aus, so wird das Kind bald auch bei seinen ehelichen Verwandten das Ansehen eines Vollberechtigten gewinnen und dann auch bei anderen Leuten. Daß das Gesetz die unehelichen Kinder bisher gegen andere Menschen nicht als vollberechtigt behandelt hat, hat die Mißachtung, die sie noch jetzt erfahren, zum größten Theile zu Wege gebracht. Soll es anders werden, so muß das Gesetz in ihrer Achtung vorangehen. _________________ Indem ich hiermit meine Anmerkungen gegen die Bestimmungen des Entwurfes abschließe, darf ich das Ergebniß dahin zusammenfassen, daß der Versuch des
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Entwurfes, die Rechte der unehelichen Kinder mittelst Durchführung des Satzes zu bestimmen, daß das uneheliche Kind mit seinem Vater nicht verwandt sei, vom gesetzgeberischen Standpunkte aus völlig mißlungen ist. Der Versuch konnte nicht gelingen, weil der Satz unwahr ist und die Unwahrheit, wie sie im praktischen Leben zum Unrecht führt, und in der Wissenschaft zu unrichtigen Schlüssen, so in der Gesetzgebung mittelst der unrichtigen Schlüsse nothwendig zur Ungerechtigkeit führen muß; denn ist die Prämisse einer Norm unwahr, so kann diese der Wirklichkeit nicht entsprechen, ist also ungerecht. Der Entwurf faßte jenen Satz als einen historisch berechtigten, und hielt ihn deshalb für dogmatisch nothwendig und deshalb auch für gerecht. Für ungerecht hielt er es bloß, die volle Consequenz zu ziehen, daß der Vater zu Nichts verpflichtet sei und daß in Beziehung auf eine Verwandtschaft mit ihm inceste (79) Ehen möglich seien. Aber den Satz selbst erachtet er für gerecht und deshalb hielt er auch den Gesetzgeber für berechtigt, es hier im Uebrigen ganz ad libitum zu machen. So erklärt es sich, daß er die zahlreichen Ungerechtigkeiten übersah, die er hier beging: 1. die Ungerechtigkeit, daß er dem Vater nicht die sämmtlichen Pflichten auferlegte, die einen Vater treffen, wenn das Kind bei ihm nicht erzogen werden kann, weil es ihm nicht anvertraut werden darf. 2. die Ungerechtigkeit, daß er das Kind aller elterlichen Gewalt entrückt wissen will, weil die elterliche Gewalt zu haben, die dem Vater nicht gegeben werden darf, die Mutter nicht würdig sei. 3. die Ungerechtigkeit, daß er die Verwandten des Vaters von der Alimentationspflicht, die sie nach § 1496 ff. treffen würde, entbunden hat. 4. die Ungerechtigkeit, daß die Erben des Vaters das Kind mit dem Pflichtteil sollen abfinden dürfen. 5. die Ungerechtigkeit, daß die Bestimmung des § 1509, wonach auf den Unterhalt für die Zukunft nicht verzichtet werden kann, für uneheliche Kinder nicht gelten soll. 6. die Ungerechtigkeit, daß die Vaterschaft durch Urtheil nicht soll festgestellt werden können und dem Kinde das Recht entzogen sein soll, den Namen des Vaters zu führen. 7. die Ungerechtigkeit, daß sein Vater nicht das Recht haben soll, seine Vaterschaft bindend anzuerkennen. 8. die Ungerechtigkeit, daß das Kind den Vater nicht beerben soll. Außerdem hat der Entwurf in dem Streben, von dem Satze, das Kind sei mit dem Vater nicht verwandt, so wenig wie möglich abzuweichen, übersehen, daß er der von ihm so viel beklagten Unsittlichkeit nur dadurch entgegenwirken konnte, daß er den Satz völlig aufgab und die väterliche Verwandtschaft gegen den Vater und dessen Verwandte zur vollen rechtlichen Geltung brachte. – (80) Es kann aber auch der Satz selbst, daß das uneheliche Kind mit seinem Vater nicht verwandt sei, heute nicht mehr als historisch berechtigt anerkannt werden. Das uneheliche Kind war rechtlos, weil es familienlos war. Familienlos aber war es, weil es einer Verbindung entsprossen war, zu welcher die Familie nicht eingewilligt hatte. Nach altdeutschem Rechte war die Einwilligung zur Ehe Sache der Familie, nicht des Vaters allein. Stobbe IV § 209 S. 10 § 253 S. 333, 336/37. An der letzten Stelle heißt es bezüglich der Einwilligung zur Ehe:
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Das Consensrecht ist im Mittelalter durchaus kein Ausfluß der elterlichen Gewalt. Oft heißt es u. s. w. … Aber u. s. w. … Also nicht der Inhaber des Mundiums, der Vater oder der Vormund, ist es, dessen Einwilligung einzuholen ist, sondern die Familie hat ein Recht darauf, bei der Verheirathung zugezogen zu werden. Hatte die Familie zu einer Verbindung nicht eingewilligt, so hatte das aus ihr entsprossene Kind nicht die Rechte der Familie – wie wir es ausdrücken: gehörte nicht zur Familie. Die Folge war, daß es des Schutzes der Familie entbehrte und also rechtlos war, und daß es kein Erbrecht gegen seine Eltern und deren Verwandte hatte. Weil diese nicht zugestimmt hatten, konnte es ihnen ihr Erbrecht gegen seine Eltern und gegen ihre anderen Verwandten weder entziehen noch schmälern. Es war hiernach ganz folgerichtig, daß das uneheliche Kind weder seine Mutter noch seinen Vater beerben konnte; aber es folgte dies nicht aus einer Anschauung über das Unsittliche einer außerehelichen Beiwohnung. Es mußte ganz dasselbe eintreten bei einer wirklichen Ehe, falls eine solche ohne die Einwilligung der Familie möglich war, was aber schwerlich oder höchst selten der Fall gewesen sein wird. Wahrscheinlich galt jede Verbindung, zu der die Familie nicht eingewilligt hatte, für eine außereheliche. Man darf demnach, wenn man nach den psychologischen Motiven fragt, die zu einer solchen Stellung des unehelichen Kindes geführt haben, sagen: es war der Egoismus des Familiengeistes, wenn auch für die damaligen Zeiten ein berechtigter. (81) Zur Bestätigung dafür, daß mit diesem Worte die Sache richtig bezeichnet ist, kann auf eine Bestimmung Bezug genommen werden, die sich außer in andern Rechten auch im lübischen erhalten hat, das ja als Typus echt deutschen Rechtes gilt. Weil nämlich das Recht der Beerbung auf Gegenseitigkeit beruht, hatten ursprünglich auch die Mutter des unehelichen Kindes und deren Verwandte kein Erbrecht gegen das Kind. Der Fiskus nahm dessen Nachlaß als herrenlos zu sich. Das Recht des Fiskus schwächte sich aber allmählich ab, und das Ergebniß war, daß die Mutter und deren Verwandte sich dessen annahmen. So bestimmt denn das lübisch-Recht Stat. II, 2, Art. 9: „Uneheliche Kinder nehmen kein Erbe, aber derselben verlassen Gut erben deren nächste Blutsfreunde, die dazu gehören.“ Wilmowski, lübisches Recht bemerkt dazu S. 270: „Freilich kommt hiernach in das lübische Recht der Gegensatz, daß der Uneheliche seine Mutter und deren Verwandte nicht beerbt und in dieser Beziehung nicht als Blutsfreund gilt, daß aber der Nachlaß des Unehelichen von seiner Mutter und deren Verwandten geerbt wird.“ Wilmowski findet dies erklärlich, indem er S. 271 bemerkt: „aus rechtlichen Gründen ist es auch erklärlich, daß das lübische Recht hinsichtlich der Nichtbewilligung von Familienrechten an uneheliche Kinder zwar keine Ausnahme vom althergebrachten anordnete, dagegen der Mutter und ihren Verwandten das Erbrecht der Blutsfreunde gegen sie gab.“ – – So das alte Recht! Es findet nun heute ein Jeder nicht an der Familie seinen Rechtsschutz, sondern an den Gesetzen, und zur Gültigkeit der Ehe bedarf man nicht mehr der Einwilligung der Familie, und sogar gegen die Einwilligung der Eltern kann man eine gültige und ganz vollwirksame Ehe abschließen. Wie kann so das, was mit Recht als Familien-Egoismus bezeichnet wird, hier noch Raum für eine Function haben,
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der zufolge das uneheliche Kind zwar im Verhältniß zu seiner Mutter blutsverwandt wäre, aber nicht im Verhältniß zu seinem Vater? Es ist offenbar, daß davon nicht die Rede sein kann. Indem man dies erkannte, suchte man in dem Streben, das alte Recht in so weit, als es noch thunlich war, nämlich dem Vater gegenüber, aufrecht (82) zu erhalten, nach einem Ersatze, welcher jene Funktion übernehmen könnte und man glaubt, als einen solchen gefunden zu haben: Die Sittlichkeit und die Heiligkeit der Ehe. Indem, wie aus dem früher Gesagten sich ergiebt, die dafür angeführten Momente logisch völlig unzutreffend sind, offenbart sich hier eine Richtung in der Rechtsentwicklung, zu welcher der Gesetzgeber nie die Hand bieten sollte, daß man nämlich einen Rechtssatz, nachdem der Grund, der ihn ins Leben gerufen hat, weggefallen ist, dadurch aufrecht zu erhalten sucht, daß man einen andern, aus irgend einer Theorie, namentlich einer des römischen Rechtes entlehnten, an die Stelle setzt, der aber nie im Stande gewesen wäre, jenen Rechtsschutz hervorzubringen und der den Gesetzgeber niemals veranlassen würde, den Rechtssatz, wenn er bisher noch nicht bestände, einzuführen. Es ist Solches in Deutschland namentlich da vielfach geschehen, wo die Entwicklung des Rechtes in den Händen der Juristen lag. Nur durch diese Methode ist es zu erklären und zu begreifen, nur sie hat es zu Wege gebracht, daß sich Recht und Gesetz wie eine ewige Krankheit forterben. Eine neue Gesetzgebung, deren Aufgabe ist, das zu entfernen, was sich seit langen Zeiten her von dieser Methode angesammelt hat, kann unmöglich selber die Anwendung von ihr machen. _________________ Die Wichtigkeit, welche der letzte Punkt nicht bloß hier, sondern für die Beurtheilung des Entwurfes überhaupt hat, wird dem Nichtjuristen an drei Vorgängen einleuchten, welche die Geschichte der Geschlechtsvormundschaft – der Vormundschaft über Frauen aufweist. Die Geschlechtsvormundschaft stand ursprünglich unter den allgemeinen Regeln jeder anderen Vormundschaft und mußte also auch beeinflußt werden durch die Umwandlung der Vormundschaft aus einer Pflicht bloß zur gerichtlichen Vertretung des Mündels in eine Pflicht zur Verwaltung seiner Angelegenheiten, die sich schon bald nach Einführung des (83) römischen Rechtes vollzog. Bezüglich der Zeit, da sie bereits stattgefunden hatte, bemerkt Kraut in seinem ebenso gelehrten wie gründlichen Buche über die Vormundschaft, Bd. I S. 100: Die nothwendige Folge hiervon war, daß bei denjenigen ehemals als unmündig betrachteten Personen, welchen man Verstand genug zutraute, um ihre Angelegenheiten selbst verwalten zu können, die Vormundschaft sich entweder ganz verlieren oder doch, wenn sie noch beibehalten wurde, sich von der gewöhnlichen Vormundschaft wesentlich unterscheiden mußte. Dies gilt namentlich von der Geschlechtsvormundschaft, welche daher auch von den gelehrten Juristen bald aus dem Gebiete des gemeinen Rechtes verdrängt und in das Particularrecht verwiesen wurde. Es haben also hier, in Betreff des gemeinen Rechtes, indem sie die Geschlechtsvormundschaft aus demselben verdrängten, nachdem die Fähigkeit der Frauen, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten, erkannt war, die Juristen – die Richter und die Theoretiker – ihre volle Schuldigkeit gethan; aber in Betreff der Particularrechte haben sie sie nicht gethan und zwar in zweifacher Hinsicht nicht.
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Zunächst, daß sie es zu Wege gebracht haben, daß die Geschlechtsvormundschaft, obgleich ihr Grund weggefallen war, in Partikularrechten fortbestand. Kraut, Bd. II, S. 291/92 sagt darüber: Aus einem Gemisch dessen, was die Rechtsbücher und die Statuten über die Geschlechtsvormundschaft enthalten, verbunden mit römischen Rechtsansichten, haben die Juristen seit Einführung des römischen Rechtes, eine auch in die Landes- und statutarischen Gesetzgebungen übergegangene Theorie gebildet, welche u. s. w. … Diese Theorie muß schon deshalb zu, von den Grundsätzen des älteren Rechtes wesentlich abweichenden Resultaten führen, weil sie der Geschlechtsvormundschaft eine ganz andere Grundlage unterlegt, als woraus dieselbe ursprünglich hervorgegangen war. Während diese nämlich ihrer Entstehung nach auf der Unfähigkeit der Weiber, sich selbst in der Fehde vor Gericht zu vertreten beruhte (Bd. I § 3), betrachten die neueren Juristen als Grund derselben die weibliche Schwäche und die Unerfahrenheit des Weibes in bürgerlichen Angelegenheiten, welche, damit sie nicht in Schaden kommen, es nöthig mache, sie bei der Vornahme (84) wichtiger Rechtsgeschäfte an die Einwilligung eines männlichen Beistandes der Gestalt zu binden, daß ohne dieselbe das Geschäft nichtig sei. Die Weiber werden daher ganz so behandelt, wie die Minderjährigen nach heutigem Rechte. Als Beispiele hierfür führt Kraut an: Das dithmarsche Landrecht von 1567, das württembergische von 1610, Hamburger Statuten, u. s. w. Daß die Juristen mit dieser Substituirung Unrecht hatten, geht aber keineswegs daraus allein hervor, daß, als sie dieselbe vornahmen, das gemeine Recht, das sie doch thunlichst hätten zu verwirklichen suchen sollen, die Vormundschaft über die Frauen als nicht mehr nöthig bereits zurückgewiesen hatte. Ein weiterer Beweis ist die Weise des späteren Erlöschens dieser Vormundschaft in den Particularrechten. Man hob sie dort nicht auf, weil die Frauen ihre Fähigkeit jetzt nachgewiesen hätten. Wie konnten sie das, da sie unter Vormundschaft standen? Man hob sie vielmehr auf, wie Kraut II, S. 319 ff. des Nähern auseinandersetzt, weil sie auf die Sicherheit des Verkehrs nachtheilig wirkte und wegen der Schwierigkeiten und Kosten, die sie verursachte; – und ich darf wohl hinzusetzen: weil Niemand seines Vortheils wegen dabei interessirt war, daß sie aufrechterhalten werde. Sie hatte also ein paar Jahrhunderte lang für Nichts bestanden. Man hob sie aber nicht auf in Betreff der verheiratheten Frauen, und dies ist der andere Punkt, in welchem die Juristen ihre Schuldigkeit nicht gethan haben. Im altdeutschen Rechte mußte bei jeder wahren Ehe die Frau unter der Vormundschaft ihres Mannes stehen (Kraut 1, S. 171); und die Vormundschaft des Ehemanns über die Frau wurde als eine rechte Vormundschaft angesehen (I, S. 177). Der Ehemann erhielt sie aber nicht von selbst. Er mußte sie dem bisherigen Vormunde abkaufen, für einen Mundschatz, Mundiums-, Vormundschaftsschatz, Kaufpreis, I, S. 172 ff. Eine besondere Gestalt gewann diese Vormundschaft dadurch, daß vermöge derselben der Mann die Güter der Frau mit den seinigen äußerlich zu einem Gute vereinigte und über sie als Vormund, Vogt, in ausgedehnter Weise verfügte. So entwickelten (85) sich die verschiedenen ehelichen Güterrechtssysteme – Verwaltungssystem – allgemeine Gütergemeinschaft u. s. w. Die eheliche Vormundschaft, die dieselben hervorbrachte, ist also die Geschlechtsvormundschaft. Sie ist nur eine Species dieser, weshalb Kraut sie mit Recht abhandelte unter dem Titel: Geschlechtsvormundschaft über verheirathete
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Weiber II, S. 328 und er ebenso mit Recht S. 392 sagt: Die Bekanntschaft mit der Geschlechtsvormundschaft sei unentbehrlich zum Verständniß der Lehre der noch bestehenden ehelichen Vormundschaft; und in Uebereinstimmung hiermit bemerkt eine anerkannte Autorität auf diesem Gebiete, Wilmowski, Lübisches Recht vom Jahre 1867: Die neuere Jurisprudenz ist mit Recht darüber einverstanden, daß die Grundlage aller deutschrechtlichen ehelichen Güter-, Verhältnisse das eheliche Mundium, die Vogtei, die Vormundschaft des Mannes über die Frau und deren Vermögen ist, und darauf die Verfügungsgewalt des Mannes und ihre Verhaftung für seine Schulden basieren. Als weiterer Beleg kann angeführt werden: preußisches Gesetz über die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft vom 21. Januar 1869: § 1. Die in den Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein geltende Geschlechtsvormundschaft wird aufgehoben. § 2. Diese Aufhebung hat auf die eheliche Vormundschaft keinen Einfluß. Ferner königlich sächsisches Gesetz vom 8. Januar 1838: § 1. Die Geschlechtsvormundschaft, welche auf obrigkeitlicher Bestätigung beruht, wird hiermit gänzlich aufgehoben. § 3. Uebrigens soll dieses Gesetz sich nicht auf diejenige Vormundschaft erstrecken, welche den Ehemännern in Ansehung ihrer Ehefrauen in den Rechten beigelegt wird und welche unter dem Namen der ehelichen Vormundschaft begriffen ist. Es haben sonach hier, im ehelichen Güterrechte, die Juristen für den weggefallenen Grund, die Geschlechtsvormundschaft, freilich keinen neuen substituirt. Aber statt, weil er weggefallen war, das alte Recht aufzuheben und die rechtliche Natur der ehelichen Verbindung ohne die Subalternität des Einen Theils (86) zur Grundlage von neuen Bestimmungen zu machen, haben sie den ehemaligen Grund als noch vorhanden und so das alte Recht als selbstverständlich noch fortbestehend behandelt – was bloß eine andere Form der Weise ist, wie das Recht gleich einer Krankheit sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt.
9. Bund Deutscher Frauenvereine: Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches, 1896 BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 111 Kommentar: Der Bund Deutscher Frauenvereine reagiert auf die Kommissionsberatungen im Reichstag (gemeint sind vermutlich die Ergebnisse der XII. Kommission) und gibt seiner Enttäuschung Ausdruck. Die deutschen Frauen werden aufgefordert, den Kampf fortzusetzen und ihren Protest gegen das BGB zu verstärken.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Weiber II, S. 328 und er ebenso mit Recht S. 392 sagt: Die Bekanntschaft mit der Geschlechtsvormundschaft sei unentbehrlich zum Verständniß der Lehre der noch bestehenden ehelichen Vormundschaft; und in Uebereinstimmung hiermit bemerkt eine anerkannte Autorität auf diesem Gebiete, Wilmowski, Lübisches Recht vom Jahre 1867: Die neuere Jurisprudenz ist mit Recht darüber einverstanden, daß die Grundlage aller deutschrechtlichen ehelichen Güter-, Verhältnisse das eheliche Mundium, die Vogtei, die Vormundschaft des Mannes über die Frau und deren Vermögen ist, und darauf die Verfügungsgewalt des Mannes und ihre Verhaftung für seine Schulden basieren. Als weiterer Beleg kann angeführt werden: preußisches Gesetz über die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft vom 21. Januar 1869: § 1. Die in den Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein geltende Geschlechtsvormundschaft wird aufgehoben. § 2. Diese Aufhebung hat auf die eheliche Vormundschaft keinen Einfluß. Ferner königlich sächsisches Gesetz vom 8. Januar 1838: § 1. Die Geschlechtsvormundschaft, welche auf obrigkeitlicher Bestätigung beruht, wird hiermit gänzlich aufgehoben. § 3. Uebrigens soll dieses Gesetz sich nicht auf diejenige Vormundschaft erstrecken, welche den Ehemännern in Ansehung ihrer Ehefrauen in den Rechten beigelegt wird und welche unter dem Namen der ehelichen Vormundschaft begriffen ist. Es haben sonach hier, im ehelichen Güterrechte, die Juristen für den weggefallenen Grund, die Geschlechtsvormundschaft, freilich keinen neuen substituirt. Aber statt, weil er weggefallen war, das alte Recht aufzuheben und die rechtliche Natur der ehelichen Verbindung ohne die Subalternität des Einen Theils (86) zur Grundlage von neuen Bestimmungen zu machen, haben sie den ehemaligen Grund als noch vorhanden und so das alte Recht als selbstverständlich noch fortbestehend behandelt – was bloß eine andere Form der Weise ist, wie das Recht gleich einer Krankheit sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt.
9. Bund Deutscher Frauenvereine: Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches, 1896 BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 111 Kommentar: Der Bund Deutscher Frauenvereine reagiert auf die Kommissionsberatungen im Reichstag (gemeint sind vermutlich die Ergebnisse der XII. Kommission) und gibt seiner Enttäuschung Ausdruck. Die deutschen Frauen werden aufgefordert, den Kampf fortzusetzen und ihren Protest gegen das BGB zu verstärken.
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Teil 1
Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches.20 Der Bund deutscher Frauenvereine sieht sich gedrängt, dem Gefühl einer tiefen Enttäuschung Ausdruck zu geben, welches die deutschen Frauen angesichts der unzulänglichen Resultate der Kommissionsberatungen, betreffend das Familienrecht im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches erfüllt. Nachdem das Interesse, welches das ganze Volk an einer zeitgemäßeren, den modernen Gesetzgebungen anderer Kulturvölker entsprechenden Normierung dieser Materie unverkennbar bekundet hat, im Plenum des hohen Reichstags von den verschiedenen Parteien so verständnisvolle Würdigung gefunden hat, nachdem so hervorragende Männer und geistige Führer unseres Volkes für unsere gerechten Forderungen eingetreten sind, glaubten wir in den Beratungen der Kommission auf mehr Berücksichtigung und Entgegenkommen rechnen zu dürfen. Mit um so größerem Bedauern mußten wir das Gegenteil konstatieren. Im Namen unseres Geschlechts protestieren wir nachdrücklich gegen die Geringschätzung, die in dieser Nichtbeachtung der einfachen Forderungen der Gerechtigkeit liegt, für die wir in unserer Petition eingetreten sind, und sprechen die Zuversicht aus, daß sich die deutschen Frauen in allen Teilen unseres Vaterlandes diesem Protest anschließen werden. Es gilt nicht nur das Interesse der Frauen, sondern das der Familie und damit der Gesamtheit des deutschen Volkes. Es gilt den anderen Nationen gegenüber, die längst eine Hebung der Stellung der Frau einer Hebung der Kultur überhaupt gleichachten, unsere nationale Ehre! Der Bund deutscher Frauenvereine.
10.
Bund Deutscher Frauenvereine: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches, 1896/1899
BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (1896). [Begleitschrift angefügt u.d.T.: Begleitschrift zu der Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine an den Reichstag betreffend das Familienrecht des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Im Auftrage des Vorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine verfaßt von Freiin Olga von BESCHWITZ-Dresden, Schriftführerin der Rechtskommission des Bundes. Frankenberg (Sachsen) 1899.] Leipzig o.J. (ca. 1899; Schriften des Bundes Deutscher Frauenvereine, Heft II und III) Kommentar: Bei der Petition und Begleitschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine handelt es sich um einen der drei (oder, soweit man Carl Bulling [Nrn. 7, 8] dazurechnet, vier) umfassenden Gegenentwürfe aus der Frauenbewegung zum BGB-Familienrecht (Nrn. 10, 45, 56). In umfangreichen tabellarischen Aufstellungen wird den Normen des BGB-Entwurfs ein frauenfreundliches Gegenrecht im Sinne des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Seite gestellt. Leitender Beweggrund ist die Anerkennung der Frau als Rechtspersönlichkeit (S. 3 und 4). Diese erscheint für die Ehefrau und Mutter nicht gewährleistet. Hierzu werden 20
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 111.
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Teil 1
Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches.20 Der Bund deutscher Frauenvereine sieht sich gedrängt, dem Gefühl einer tiefen Enttäuschung Ausdruck zu geben, welches die deutschen Frauen angesichts der unzulänglichen Resultate der Kommissionsberatungen, betreffend das Familienrecht im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches erfüllt. Nachdem das Interesse, welches das ganze Volk an einer zeitgemäßeren, den modernen Gesetzgebungen anderer Kulturvölker entsprechenden Normierung dieser Materie unverkennbar bekundet hat, im Plenum des hohen Reichstags von den verschiedenen Parteien so verständnisvolle Würdigung gefunden hat, nachdem so hervorragende Männer und geistige Führer unseres Volkes für unsere gerechten Forderungen eingetreten sind, glaubten wir in den Beratungen der Kommission auf mehr Berücksichtigung und Entgegenkommen rechnen zu dürfen. Mit um so größerem Bedauern mußten wir das Gegenteil konstatieren. Im Namen unseres Geschlechts protestieren wir nachdrücklich gegen die Geringschätzung, die in dieser Nichtbeachtung der einfachen Forderungen der Gerechtigkeit liegt, für die wir in unserer Petition eingetreten sind, und sprechen die Zuversicht aus, daß sich die deutschen Frauen in allen Teilen unseres Vaterlandes diesem Protest anschließen werden. Es gilt nicht nur das Interesse der Frauen, sondern das der Familie und damit der Gesamtheit des deutschen Volkes. Es gilt den anderen Nationen gegenüber, die längst eine Hebung der Stellung der Frau einer Hebung der Kultur überhaupt gleichachten, unsere nationale Ehre! Der Bund deutscher Frauenvereine.
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Bund Deutscher Frauenvereine: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches, 1896/1899
BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (1896). [Begleitschrift angefügt u.d.T.: Begleitschrift zu der Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine an den Reichstag betreffend das Familienrecht des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Im Auftrage des Vorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine verfaßt von Freiin Olga von BESCHWITZ-Dresden, Schriftführerin der Rechtskommission des Bundes. Frankenberg (Sachsen) 1899.] Leipzig o.J. (ca. 1899; Schriften des Bundes Deutscher Frauenvereine, Heft II und III) Kommentar: Bei der Petition und Begleitschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine handelt es sich um einen der drei (oder, soweit man Carl Bulling [Nrn. 7, 8] dazurechnet, vier) umfassenden Gegenentwürfe aus der Frauenbewegung zum BGB-Familienrecht (Nrn. 10, 45, 56). In umfangreichen tabellarischen Aufstellungen wird den Normen des BGB-Entwurfs ein frauenfreundliches Gegenrecht im Sinne des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Seite gestellt. Leitender Beweggrund ist die Anerkennung der Frau als Rechtspersönlichkeit (S. 3 und 4). Diese erscheint für die Ehefrau und Mutter nicht gewährleistet. Hierzu werden 20
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 111.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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„diejenigen Paragraphen des Entwurfes herangezogen, die der Frau das Recht, über ihr Vermögen und ihre Person frei verfügen zu können, vorenthalten, die alle das gemeinschaftliche Leben der Ehegatten und deren Kinder betreffenden Verhältnisse von dem alleinigen Entscheid des Mannes abhängig machen.“ (S. 4). Des weiteren wird um eine völlige Überarbeitung des Unehelichenrechts gebeten. Verfehlt sei namentlich der grundlegende § 15 II des Entwurfs „Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft“. Im einzelnen erheben die Frauen folgende Hauptforderungen: Die grundlegende Norm zur Eheherrschaft des Mannes (§ 1254 des Entwurfs, entspricht § 1354 BGB) soll dahingehend verändert werden, daß in den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten gegenseitiges Übereinkommen entscheidet. Im ehelichen Güterrecht soll Gütertrennung eintreten. Als zusätzlicher Scheidungsgrund soll der Tatbestand der unüberwindlichen Abneigung ins Gesetz aufgenommen werden, was wohl in letzter Konsequenz zu einer Scheidung wegen Zerrüttung führen könnte. Der Mutter soll in gleicher Weise wie dem Vater die elterliche Gewalt zukommen. Die Rechte unehelicher Kinder und Mütter gegenüber den Vätern sollen gestärkt werden. Im Vormundschaftsrecht soll eine Gleichstellung der Frau erfolgen (zur Petition vgl. auch Riedel, Gleiches Recht, S. 361-389). Die Ausarbeitung einer Petition mit Abänderungsvorschlägen zum BGB ist auf der 1. Generalversammlung des gegründeten Bundes Deutscher Frauenvereine in München (März 1895) beschlossen worden. Mit der Ausarbeitung sind die beiden Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, Auguste Schmidt und Henriette Goldschmidt, beauftragt worden. Diese Petition wurde im Frühjahr 1896 dem Reichstag eingereicht und fand außerdem als Flugschrift durch die Bundesvereine eine weite Verbreitung (Stritt, Nr. 63, S. 142). Stritt schätzt im Vergleich mit den beiden verwandten Gegenentwürfen (Proelß/Raschke, Nr. 45; Rechtsschutzverein Dresden, Nr. 56) die Petition des BDF dahingehend ein, daß diese im Ergebnis ähnliche Inhalte vertrete, aber in einem etwas weniger scharfen Ton. Die XII. Kommission ging trotz einiger aufgrund der Anträge Pauli erfolgter Änderungen insgesamt „über die Forderungen der Frauen mit der gewohnten Nichtachtung hinweg“ (so die Einschätzung des Vorgangs bei Stritt, Nr. 63, S. 143). Der Petition ist eine Begleitschrift beigefügt, welche 1899 von Olga v. Beschwitz angefertigt wurde. Die Dresdenerin war damals Schriftführerin der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine. Stritt (Nr. 63, S. 147) berichtet, daß die erneute Petition mit Begleitschrift von Beschwitz mit etwas über 50000 Unterschriften im Herbst 1899 dem Reichstag zur Beratung zugegangen sei. Der Reichstag sei freilich darüber bald wieder zur Tagesordnung übergegangen. Die Petition habe aber doch insoweit ihren Zweck nicht verfehlt, als die Darlegung des Standpunktes der Frauen und ihr Protest noch einmal an maßgebender Stelle zum Ausdruck gekommen sei und eine Erklärung der Petitionskommission im Reichstag veranlaßt habe, die ausdrücklich die Sympathie der Kommission mit einzelnen Forderungen betont habe und den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung nur mit dem Hinweis auf formale Gründe motiviert habe.
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Teil 1
Schriften des Bundes deutscher Frauenvereine. Heft II.
Petition und Begleitschrift betreffend das
„Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich.21 (3) Einem hohen Reichstage erlaubt sich der Bund deutscher Frauen-Vereine ein Gesuch, betreffend „die Stellung der Frau im Familienrecht“ nach dem Entwurfe des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, ganz ergebenst zur Berücksichtigung zu empfehlen. Die Anerkennung der Frau als Rechtspersönlichkeit hat im Laufe der Zeit immer mehr ihren Ausdruck in den Gesetzen gefunden. Die Anschauung, dass der Mann nicht nur für seine Person und seine unmündigen Kinder, sondern auch in vielen Fällen für seine Frau dem Gesetze gegenüber verantwortlich ist, hat der Anschauung Platz machen müssen, dass die mündig gewordenen Personen weiblichen Geschlechtes für ihre Handlungen die gesetzliche Verantwortlichkeit selbst zu tragen haben. Ein sehr grosser Theil von Frauen gehört dem Gewerbe- und Handelsstande an, und die gesetzlichen Bestimmungen, die die Verhältnisse dieser Stände regeln, beziehen sich gleichmässig auf beide Geschlechter. Anders aber verhält es sich mit dem „Familienrecht“. Hier ist der Frau weder als Gattin, noch als Mutter eine dem Gatten und Vater gleichberechtigte Stellung gegeben; hier ist sie nicht als volle Rechtspersönlichkeit anerkannt. Der Allgemeine Deutsche Frauen-Verein hatte deshalb bereits im Jahre 1877 eine Petition an den Hohen Reichstag gesandt, mit dem Ersuchen, bei der Abfassung des Entwurfs des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich der Frau die ihr gebührende Stellung als Rechtspersönlichkeit im Familienrecht zu geben. Es wurden diejenigen (4) Paragraphen bezeichnet, die das zu schaffende neue Gesetzbuch theils aufzuheben, theils zu verändern hätte, um dem Princip der Gerechtigkeit zu entsprechen, dessen Ausdruck das Gesetz sein soll. Der Hohe Reichstag hatte diese Petition der Commission für Abfassung des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches zur Berücksichtigung empfohlen, und sie ist, wie wir gern bekennen, nicht ganz unberücksichtigt geblieben. Dennoch entsprach die erste Lesung des „Entwurfs“ nur sehr wenig den Forderungen, die wir zu erheben uns verpflichtet fühlten. Auch die unterdess erschienene zweite Lesung steht in Bezug auf das Familienrecht wesentlich auf demselben Standpunkte, der in den bisher gültigen Gesetzbüchern der meisten, deutschen Staaten der massgebende war. Bedenken wir, welch ein Umschwung sich innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts in Rücksicht auf die Stellung der Frau in allen civilisirten und die Civilisation anstrebenden Staaten vollzogen – wie die Frauen aus eigenem, innerstem Antriebe Mitarbeiter geworden für die socialen Aufgaben der Zeit, wie sie ihre Stellung sich erobern innerhalb des künstlerischen und wissenschaftlichen Schaf21
Erschienen bei: Kommissions-Verlag von Moritz Schäfer, Leipzig.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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fens und Forschens, wie sie als Leiterinnen von Vereinen, die als juristische Personen anerkannt sind, sich bewähren, so dürfte man doch nicht anstehen, der Frau auf ihrem eigensten Gebiete, innerhalb der Familie, die ihr gebührende Stellung zu geben. Wir haben in der Beilage diejenigen Paragraphen des Entwurfes herangezogen, die der Frau das Recht, über ihr Vermögen und ihre Person frei zu verfügen zu können, vorenthalten, die alle das gemeinschaftliche Leben der Ehegatten und deren Kinder betreffenden Verhältnisse von dem alleinigen Entscheid des Mannes abhängig machen. Auch in Bezug auf die Vormundschaft §. 1664 heisst es: Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden. (Ausgenommen sind die Mutter und die Grossmutter des Mündels sowie, eine Frau, die von dem Vater oder von der ehelichen Mutter als Vormund benannt ist.) (5) Wir verweisen vorläufig nur auf diesen Paragraphen, auf den wir in der Beilage näher eingehen. Wenn das Familienrecht in Bezug auf die Stellung der Frau als Gattin und Mutter vielfach Bestimmungen enthält, die sich mit dem Begriffe der „Rechtspersönlichkeit“ nicht decken, so ist der Entwurf in Rücksicht auf die ausserehelichen Verhältnisse der Geschlechter zu einander und auf die solchen Verhältnissen entstammenden Kinder von einem Princip ausgegangen, dessen Unhaltbarkeit durch die Einzelbestimmungen des Entwurfs sich klar herausstellt. Es heisst: Titel I: Natürliche Personen §. 15, Abschnitt 2: „Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft.“ Die logischen Folgerungen dieses Princips hat der Entwurf nicht zu ziehen vermocht. Die Verpflichtungen, die der Entwurf dem Vater eines ausserhalb der legalen Ehe erzeugten Kindes diesem gegenüber auferlegt, entsprechen nicht dem Princip der Gerechtigkeit. Dennoch dürfte eigentlich gar keine Verpflichtung für den Mann dem unehelichen Kinde gegenüber vorhanden sein, wenn er, wie der § 15 sagt, sich in keinem verwandtschaftlichen Verhältnisse zu ihm befände. Was diesen Theil des Familienrechts betrifft, so möchten wir die dringende Bitte an den Hohen Reichstag richten, für eine völlige Umarbeitung zu stimmen. Wir wagen die Meinung auszusprechen, dass die Verfasser des Entwurfs, die sicherlich der grössten Objektivität sich bei Abfassung desselben befleissigten, dennoch unter der Herrschaft unbewusst aufgenommener Anschauungen standen, als sie die Leistungen des Mannes und Vaters der Frau und Mutter ihres Kindes und diesem selbst gegenüber feststellten. Das stärkere Geschlecht erfreut sich hier des Schutzes der Gesetze, der doch eigentlich dem schwächeren Geschlechte zu theil werden müsste. Wenn wir als Frauen der Rechtswissenschaft als solcher (6) auch fern stehen, so können wir diese uns nicht losgelöst von dem Gewissen denken, wir nehmen vielmehr an, dass Recht und Gesetz aus dem Gewissen stammen – dasselbe zur nothwendigen Voraussetzung haben. Und an das Gewissen unserer Volksvertreter in dieser hochheiligen, unser Familienleben im tiefsten rührende Angelegenheit. Wenn die Unmündigkeit der Frau in früheren Zeiten eine Schutzbedürftigkeit erzeugt hat, die dem Ehemanne Rechte gab, deren Tragweite von dem Gesetzgeber nicht derartig bemessen werden konnte, dass nicht Fälle eintraten, in denen die
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Teil 1
Frau Schutz bei den Gesetzen gegen ihren natürlichen Schützer suchen musste, so ist es jetzt an der Zeit, die mündig gewordene Frau gleich dem Manne als Rechtspersönlichkeit anzuerkennen und Recht und Pflicht gleichmässig zu vertheilen. Das neue Gesetzbuch wird voraussichtlich die Norm für eine kaum zu berechnende lange Zeit geben – möge dem Gefühl geleitet, endlich eine Einheit in der Rechtsprechung im Vaterlande erzielt zu haben – es einfach annehmen. „Das Familienrecht“, obgleich es nur einen kleinen Theil des Gesetzbuches bildet, ist vielleicht der wichtigste Theil desselben. Nur einem auf Gerechtigkeit begründeten gesunden Familienleben entspriesst ein gesundes Volks- und Staatsleben. Möge ein Hoher Reichstag unsere Bitte nicht gering achten; sie ist nicht einer doctrinären Rechthaberei entsprungen. Jahrzehnte lange Erfahrungen, die Kenntniss realer Thatsachen, die mitzutheilen uns die Rücksicht auf die tausendfältigen Obliegenheiten der Volksvertreter verbietet, haben sie gezeitigt. Wir hoffen Gehör zu finden. Der Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine. (7)
Familienrecht. Erster Abschnitt. Ehe. In dem Abschnitt I des „Familienrechtes“, welcher von der ,,Ehe“ handelt, erscheint die verheirathete Frau nirgends als Rechtspersönlichkeit, sondern als abhängig von der Vormundschaft des Mannes. Diese Auffassung widerspricht nicht nur der Aufgabe, welche die Frau innerhalb der Familie zu erfüllen hat, sondern sie widerspricht auch der Heiligkeit der Ehe, welche auf das Zusammenleben zweier gleichwertiger Persönlichkeiten begründet ist. Das reale Leben bestätigt diese Auffassung, denn in jeder wahrhaft würdigen Ehe verschwindet das im Gesetz vorgesehene Abhängigkeitsverhältniss der Ehefrau, und diese steht als Gleichberechtigte neben dem Manne. Diese Gatten regeln selbst ihr gegenseitiges Rechtsverhältniss und erwarten die Regelung desselben nicht von dem Gesetz. Die gesetzliche Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Ehegatten kommt erst dann zur Anwendung, wenn sie von einem der Ehegatten oder von beiden gefordert wird, und alsdann wird die bevormundete Ehefrau fast immer im Nachtheil sein. Wir können die Verkürzung des Rechtes der Ehefrau um so weniger begreifen, als sie nicht aus einer Unterschätzung der weiblichen Persönlichkeit als solcher hervorzugehen scheint, denn sobald die Frau Wittwe wird, ist sie wieder eine vollständig unabhängige Rechtspersönlichkeit wie jede unverheirathete mündige Frau. Somit ist lediglich der Eintritt in die Ehe für sie der Rücktritt in die Unmündigkeit. Wenn in dem Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welches die Rechtsverhältnisse des zwanzigsten Jahrhunderts regeln soll, noch diese Anschauung von dem Abhängigkeitsverhältniss in der Ehe vorherrscht, so kann dies nur seine Ursache in dem Umstand haben, dass thatsächlich eine grössere Anzahl Frauen vor erlangter Mündigkeit in den Ehestand tritt. (8) Mit Schmerz haben wir gesehen, dass die Altersgrenze für das Mädchen bei Eingehung der Ehe auf das vollendete sech-
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
zehnte Lebensjahr festgestellt ist! Kann man annehmen, dass das Mädchen mit 16 Jahren physisch und psychisch genügend für die Ehe entwickelt ist? Es kann Ausnahmefälle geben, und das Gesetz berücksichtigt auch solche. Wir sind daher der Ansicht, dass die Altersgrenze viel höher gesetzt werden müsste und zwar bis zum vollendeten 18. Lebensjahre. Einem so wichtigen Entschlusse gegenüber, von dem nicht nur die eigene Lebensgestaltung abhängt, wäre eigentlich zu wünschen, dass auch die Frau beim Eintritt in die Ehe mündig ist. Doch wird die Hinausschiebung auf 18 Jahre schon segensreich wirken. Gemäß den oben dargelegten Anschauungen bitten wir gehorsamst, zwischen Ehegatten das gleiche Recht walten zu lassen und der Ehefrau die Rechtspersönlichkeit zu wahren. Wir gestatten uns, nachfolgend die betreffenden Paragraphen anzuführen, und die von uns vorgeschlagenen Aenderungen gegenüber zu stellen.
Familienrecht. Erster Abschnitt. Ehe. Zweiter Titel. Eingehung der Ehe. §. 1209.
§. 1209.
Ein Mann darf nicht vor erlangter Volljährigkeit, Ein Mann darf nicht vor erlangter Volljährigeine Frau darf nicht vor vollendetem sechszehnten keit, eine Frau darf nicht vor vollendetem achtLebensjahre eine Ehe eingehen. zehnten Jahre eine Ehe eingehen. Einer Frau kann Befreiung von der Vorschrift be- Eine Befreiung von dieser Vorschrift kann bewilligt werden. willigt werden. §. 1211.
§. 1211.
Ein eheliches Kind bedarf bis zum fünfundzwan- Ein eheliches Kind bedarf bis zum 25. Lebenszigsten (9) Lebensjahre zur Eingehung einer Ehe jahre der (9) Einwilligung beider Eltern zur Einder Einwilligung des Vaters, ein uneheliches Kind gehung der Ehe. bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Einwilligung der Mutter. An die Stelle des Vaters tritt die Mutter, wenn der Vater gestorben ist, oder wenn ihm die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte nach §§ 1589, 1592 nicht zustehen. Ein durch Ehelichkeitserklärung legitimirtes Kind bedarf der Einwilligung der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist. Dem Tode des Vaters oder der Mutter steht es gleich, wenn sie zur Abgabe einer Erklärung dauernd ausser Stande sind, oder wenn ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
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Teil 1
Dritter Titel. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe. §. 1241. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, welcher sich bei der Eheschliessung in der Person des anderen Ehegatten oder über solche persönlichen Eigenschaften oder solche persönlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntniss der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Zweckes der Ehe von der Eheschließung abgehalten haben würden.
§. 1241. Bemerkungen zu § 1241. Wir bitten, die persönlichen Eigenschaften und persönlichen Verhältnisse näher zu bezeichnen. Unter den ersteren müssten genannt werden: ekelerregende Krankheiten und Gewohnheiten, Trunksucht etc.
(10) Vierter Titel. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen. §. 1254.
§. 1254.
Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung.
In den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten entscheidet gegenseitiges Uebereinkommen.
Bemerkung zu Abs. 2. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung Es müsste genau festgestellt werden, was unter des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die EntMissbrauch der Rechte des Mannes verstanden scheidung als Missbrauch seines Rechtes darstellt. wird. §. 1255. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes.
§. 1256.
§. 1255. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes, ist aber berechtigt, demselben ihren Familiennamen hinzuzufügen. §. 1256.
Die Frau ist, unbeschadet der Vorschriften des Die Frau ist berechtigt und verpflichtet, dem ge§. 1254, berechtigt und verpflichtet, dem gemein- meinschaftlichen Hauswesen vorzustehen, Arbeiten im Hauswesen und im Geschäft des schaftlichen Hauswesen vorzustehen. Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes zu leisten, soweit eine solche Thätigkeit Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit eine sol- nach den Verhältnissen der Ehegatten üblich ist, sich mit dem eventuellen selbstständigen Erche Thätigkeit nach den Verhältnissen des Ehegatwerb, sowie den Mutterpflichten der Frau verten möglich ist. (11) trägt, und soweit es endlich ihre Körperkräfte zulassen. (11)
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
§. 1257.
§. 1257.
Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten. Rechtsgeschäfte, die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des Mannes vorgenommen, wenn sie sich nicht aus den Umständen ein Anderes ergiebt.
Nach unserer Auffassung vom getrennten Güterrecht (S. weiter unten) haften für Rechtsgeschäfte, die sich auf den gemeinsamen Haushalt beziehen, beide Ehegatten, gleichviel, wer von ihnen das Geschäft abgeschlossen. Beide Ehegatten sind vor dem Gesetze gleich geschäftsfähig.
Der Mann kann das Recht der Frau beschränken Zu Satz 2. oder ausschliessen. Die Beschränkung der Rechte eines der beiden Ehegatten auf Antrag des anderen kann nur durch gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. §. 1258.
§. 1258.
Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkende Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniss ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, dass der Mann der Verpflichtung zugestimmt oder das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Frau die Zustimmung des Mannes ersetzt hat.
Wir tragen auf Streichung des ganzen Paragraphen an. Bemerkung.
Dieses Gesetz verletzt die Rechte einer mündigen Rechtspersönlichkeit, welche allein die Bestimmung über ihre persönlichen Leistungen zu treffen hat. Versäumt die Frau die Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten und macht sie sich daDas Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung durch des Missbrauches ihrer Rechte schuldig, ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder so steht dem Manne die Berufung auf die richdurch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung terliche Entscheidung offen. verhindert ist oder die Verweigerung der Zustimmung sich als Missbrauch seines Rechtes darstellt. Die Zustimmung sowie (12) die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter erfolgen; ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf es nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, so lange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist. §. 1260.
§. 1260.
Der Mann hat der Frau nach Massgabe seiner Le- Der Mann hat der Frau nach Massgabe seines bensstellung, seines Vermögens und seiner Er- Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren. werbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren. Die Frau hat dem Manne, wenn er ausser Stande ist, sich selbst zu unterhalten, den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Massgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Der Unterhalt ist in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu gewähren. Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften des §§. 1500, 1508 bis 1510 finden entsprechende Anwendung.
Die Frau hat dem Manne, wenn er ausser Stande ist, sich selbst zu erhalten, den ihrer Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Massgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
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Teil 1
§. 1261.
§. 1261.
Leben die Ehegatten getrennt, so ist, so lange einer von ihnen die Herstellung des ehelichen Lebens verweigern darf und verweigert, der Unterhalt (13) durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Auch sind der Frau von dem Manne die zur Führung eines abgesonderten Haushalts erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen Haushalte zum Gebrauche herauszugeben, es sei denn, dass die Sachen für den Mann unentbehrlich sind.
Absatz 1. Alle Sachen, welche der Frau durch Mitgift oder Erwerb gehören, sind vom Manne herauszugeben.
Die Unterhaltspflicht des Mannes fällt weg, oder beschränkt sich auf die Zahlung eines Beitrages, wenn der Wegfall oder die Beschränkung mit Rücksicht auf die Bedürfnisse, die Vermögensund Erwerbsverhältnisse der Ehegatten der Billigkeit entspricht. §. 1262.
§. 1262.
Sind nicht besondere Bestimmungen über die beweglichen Sachen der beiden Ehegatten getroffen, so ist anzunehmen, dass dieselben beiden Ehegatten zu gleichen Theilen gehören. Dies gilt besonders auch für Inhaberpapiere und Die Vermuthung gilt nicht für die ausschliesslich Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind. zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere nicht für Kleider und Schmucksachen. Es wird vermuthet, dass die im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind.
Fünfter Titel. Eheliches Güterrecht. Im ehelichen Güterrecht kommt die Auffassung, dass die Frau bei Eingehung der Ehe die Stellung der Rechtspersönlich-(14)keit verliert und in das Verhältniss der Unmündigkeit tritt, am stärksten zum Ausdruck. §. 1263 lautet: „das Vermögen der Frau wird durch die Eheschliessung der Verwaltung und Nutzniessung des Mannes unterworfen. Zu diesem eingebrachten Gut gehört auch das Vermögen, welches die Frau während der Ehe erwirbt.“ Durch diese Bestimmung muss sich jede mündige Frau tief verletzt fühlen, und oft ist die Entzweiung der Ehegatten auf diese nicht selten missbrauchte Machtstellung des Mannes und die dadurch hervorgerufene Erbitterung der benachtheiligten Frau zurückzuführen. Ist diese Bestimmung getroffen worden, weil man bei dem Manne die grössere Geschäftskenntniss voraussetzt, so zeigen Hunderte von Beispielen, dass sich die Ehemänner nicht immer als kundige oder gewissenhafte Verwalter des eingebrachten Gutes bewährt haben, und andererseits beweisen Tausende von unverheiratheten Frauen und Wittwen, dass sie ihr Vermögen sehr gut zu verwalten wissen. Dem wirthschaftlichen Ruin verfällt ein grösserer Prozentsatz von Männern als von selbstständigen Frauen. Hat die verheirathete Frau ebenso wie alle anderen gesunden mündigen Menschen das Recht, ihr Vermögen zu verwalten, dann wird ihr auch im Wittwenstand die Erfahrung nicht fehlen. Es ist überdies eine bekannte Thatsache, dass diejenigen Frauen der wohlhabenden Klassen, welche nur aus der
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Hand des Mannes nach augenblicklichem Bedarf Geld empfangen, nicht selten zur Verschwendung neigen, während die Verwaltung des Geldes auch den Werth desselben lehrt. Eine verständige Frau wird übrigens gern auf den Rath des verständigen Mannes hören, wie das bereits umgekehrt in vielen Fällen geschieht. Wenn es möglich ist, dass zwei Geschäftstheilhaber hinsichtlich der zu unternehmenden Geschäfte einer Meinung sind, so ist eine Einigung zwischen Ehegatten ganz gewiss nicht unmöglich, und es ist daher nicht nöthig, der Ehefrau das ihr zustehende Recht der Verwaltung zu entziehen. Bleibt ihr eingebrachtes Gut ihr Sondereigenthum, und dadurch in ihrer Verwaltung, werden die §§. 1264-1324 hinfällig und können daher fortfallen. Obgleich sich unter der grossen Anzahl der Paragraphen einige befinden, welche den Besitz der Frau schützen sollen, wird doch die Anschauung von der Unmündigkeit der Frau dem eigenen Besitz gegenüber überall festgehalten, wie folgende Paragraphen beweisen: (15) §. 1294. Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Einwilligung des Mannes. §. 1296. Solange der Mann den ohne seine Einwilligung geschlossenen Vertrag nicht genehmigt hat, kann der andere Theil zurücktreten. §. 1299. Führt die Frau einen Rechtsstreit ohne Zustimmung des Mannes, so ist das Urtheil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes unwirksam u. s. w. Allerdings kann nach dem Entwurf die Ehefrau auch das Vorbehaltsgut erwerben, dessen Verwaltung ihr verbleibt; aber das kann nur durch einen besonderen Ehevertrag oder durch Zuwendungen geschehen, die gleich als Vorbehaltsgut bezeichnet werden. Da dieser Fall im Gesetze vorgesehen ist, so hat man dadurch die Möglichkeit der Selbstverwaltung ihres Besitzes durch eine Ehefrau zugegeben, und so würde die logische Folgerung sein, dass der Begriff des eingebrachten Gutes in dem Ehelichen Güterrecht zu streichen ist. Es würden in den Processen zwischen Ehegatten viele jener unwürdigen Verwickelungen vermieden werden, in denen der Streit sich auf das Mein und Dein zuspitzt, sobald das eheliche Güterrecht nur einen Paragraphen und zwar in folgender Fassung enthält: §. 1268. Bei Eingehung der Ehe behalten beide Ehegatten ihr Vermögen als Sondereigenthum, sofern nicht ein Ehevertrag es anders bestimmt.
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Teil 1
I. Gütertrennung. §. 1325.
§. 1325.
Tritt nach §. 1264 die Verwaltung oder Nutznies- müsste unserer Auffassung nach fortfallen. sung des Mannes nicht ein oder endigt sie auf Grund der §§. 1317 und 1319, so tritt die Gütertrennung ein. (16) Für die Gütertrennung gelten die Vorschriften der §§. 1326 bis 1330. §. 1326.
§. 1326.
Die Frau hat aus den Einkünften ihres Vermögens sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbstständig betriebenen Erwerbsgeschäftes dem Manne einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes zu leisten. Für die Vergangenheit kann der Mann die Leistung nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im Rückstand ist.
Beide Ehegatten haben nach Massgabe ihres Einkommens zu den Kosten ihres gemeinschaftlichen Haushalts beizutragen. Für die Vergangenheit kann die Leistung nur soweit verlangt werden, als der zur Zahlung verpflichtete Ehegatte trotz der Aufforderung des anderen Ehegatten mit der Zahlung im Rückstand geblieben ist.
Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.
Die Arbeit der Frau im Hause ist ihr als Geldleistung anzurechnen.
II. Vertragsmässiges Güterrecht. Da wir von der Auffassung der Rechtsgleichheit beider Ehegatten ausgehen, so bitten wir, die §§. 1341, 1343, 1344, 1345, 1347, 1351, 1352 zu streichen, weil sie eine andere Rechtsstellung des Mannes als der Ehefrau voraussetzen. Da wir von der Ehefrau verlangen, dass sie nach Massgabe ihres Einkommens die gleichen Pflichten wie der Ehemann zu tragen hat, so kommen ihr auch die gleichen Rechte zu. §. 1342.
§. 1342.
Das Gesammtgut unterliegt der Verwaltung des Mannes. Der Mann ist insbesondere zum Besitze der zu dem Gesammtgute gehörenden Sachen berechtigt und befugt, über das Gesammtgut zu verfügen sowie Rechtsstreitigkeiten, die sich auf (17) das Gesammtgut beziehen, im eigenen Namen zu führen.
Das Gesammtgut unterliegt der Verwaltung beider Ehegatten. Sie sind beide in gleicher Weise zum Besitze der zu dem Gesammtgut gehörenden Sachen berechtigt und befugt, über das Gesammtgut zu verfügen sowie Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Gesammtgut beziehen, gemeinsam zu führen.
Die Frau wird durch die Verwaltungshandlungen Absatz 2 müsste fortfallen. des Mannes weder Dritten noch dem Mann gegenüber persönlich verpflichtet. § 1348.
§. 1348.
Der Mann ist der Frau für die Verwaltung des Gesammtguts nicht verantwortlich. Er hat jedoch für eine Verminderung des Gesammtguts, die er in der Absicht, die Frau zu benachtheiligen, oder auch ein ohne die erforderliche Zustimmung der Frau vorgenommenes Rechtsgeschäft herbeigeführt hat, zu dem Gesammtgut Ersatz zu leisten.
Ein Ehegatte ist dem anderen für jede Verminderung des Gesammtvermögens nur dann verantwortlich und hat zu dem Gesammtgut Ersatz zu leisten, wenn er durch ein ohne Zustimmung des anderen Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft das Gesammtgut in Folge eines groben Versehens geschädigt hat.
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III. Güterrechtsregister. §. 1453.
§. 1453.
Die an eine Eintragung in das Güterrechtsregister vom Gesetze geknüpften Wirkungen treten nur ein, wenn die Eintragung in das Register des Bezirkes erfolgt ist, in welchem der Mann seinen Wohnsitz hat. Abs. 1 – – in welchem die Ehegatten ihren Wohnsitz haben.
Abs. 2: Verlegt ein Ehegatte u. s. w. Zu Absatz III, Satz 2. Die frühere Eintragung gilt als von neuem erfolgt, wenn die Ehegatten den Wohnsitz in den früheren Bezirk zurückverlegen.
Verlegt der Mann nach der Eintragung seinen Wohnsitz in einen anderen Bezirk, so muss die Eintragung im Register dieses Bezirks wiederholt werden. Ist die Wiederholung nicht binnen sechs Wochen nach der (18) Begründung des neuen Wohnsitzes beantragt worden, so verliert die frühere Eintragung ihre Kraft. Die frühere Eintragung gilt als von neuem erfolgt, wenn der Mann den Wohnsitz in den früheren Bezirk zurückverlegt.
Sechster Titel. Scheidung der Ehe. Bei der hohen Achtung, welche wir vor der Heiligkeit der Ehe hegen, beklagen wir es, dass in dem Entwurf nicht unüberwindliche Abneigung als Scheidungsgrund vorgesehen ist. Die Ehe wird, sobald von Seiten eines Ehegatten unüberwindliche Abneigung vorhanden ist, alsdann ein Zerrbild dessen, was sie sein soll, und eine wahrhaft sittliche Erziehung der Kinder erscheint unmöglich. §. 1463. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzungen der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses und unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt insbesondere grobe Misshandlung.
§. 1463. Bemerkung: Hier müsste der Begriff der schweren Verletzung unbedingt genauer präzisiert sein. Als schwere Verletzung sind auch insbesondere Trunksucht und grobe Ehrverletzungen anzusehen.
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Teil 1
§. 1473.
§. 1473.
Ist der allein für schuldig erklärte Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ausser Stande, ohne Gefährdung seines eigenen standesmässigen (19) Unterhalts dem anderen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so ist er berechtigt, von den zu seinem Unterhalte verfügbaren Einkünften zwei Drittheile, oder, wenn diese zu seinem nothdürftigen Unterhalte nicht ausreichen, so viel zurückzubehalten, als zu dessen Bestreitung erforderlich ist.
Ist der für schuldig erklärte Ehegatte u. s. w. – gewähren, so ist er verpflichtet, die Hälfte seines verfügbaren Einkommens dem unschuldigen Ehegatten zu geben.
Der Mann ist der Frau gegenüber unter den Vor- (19) Zusatz zu Absatz 2. aussetzungen des Absatz 1 von der Unterhalts- Im gleichen Falle darf auch der Mann keinen pflicht ganz befreit, wenn die Frau den Unterhalt Anspruch an der Frau erheben. aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann. §. 1478.
§. 1478
Die geschiedene Frau behält den Familiennamen Satz 2 sollte nach unserer Ansicht lauten: „Die des Mannes. Frau, gleichviel ob sie allein oder nicht allein Ist die Frau allein für schuldig erklärt, so verliert für schuldig erklärt ist, behält den Familiennasie den Familiennamen des Mannes und erhält men des Mannes.“ ihren Familiennamen wieder, wenn der Mann ihr die Fortführung seines Namens untersagt und der Bemerkung zu §. 1478: zuständigen Behörde hiervon Anzeige macht. Das Gesetz bestimmt, dass die Frau bei ihrer Ist die Frau nicht, oder nicht allein für schuldig erVerheiratung den Familiennamen des Mannes klärt, so kann sie ihren Familiennamen oder, so- annimmt. Da nun kein Verbrecher den ihm eifern sie vor der Eingehung der geschiedenen Ehe genthümlichen Familiennamen bei seiner Verurverheirathet war, den zur Zeit der Eingehung dieteilung verliert, kann der Frau auch nicht der ser Ehe geführten Namen wieder annehmen. Die Name genommen werden, den sie rechtskräftig Annahme erfolgt (20) durch Erklärung gegenüber erhalten hat; am allerwenigsten dürfte dies auf der zuständigen Behörde; die Erklärung ist in die Forderung des Ehemannes geschehen. öffentlich beglaubigter Form abzugeben. §. 1479.
§. 1479.
So lange die geschiedenen Ehegatten leben, steht die Sorge für die Person der gemeinschaftlichen Kinder, wenn nur einer der Ehegatten für schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zu. Sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für die Söhne unter sechs Jahren und für die Töchter der Mutter, für die Söhne über sechs Jahren dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann eine abweichende Anordnung treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse der Kinder geboten ist; die Anordnung kann aufgehoben werden, wenn das Interesse der Kinder die Aufrechterhaltung nicht mehr erfordert. Die Sorge für die Person im Sinne des Abs. 1 umfasst nicht die Vertretung der Kinder.
So lange die geschiedenen Ehegatten leben, steht, wenn nur einer der Ehegatten für schuldig erklärt ist, die elterliche Gewalt über ihre gemeinschaftlichen Kinder dem anderen Ehegatten zu u. s. w.
Absatz 2 sollte fortfallen. Bemerkung zu Absatz 2.
Im Uebrigen werden die sich aus der elterlichen Es erscheint ungerechtfertigt, wenn derjenige Gewalt ergebenden Rechte und Pflichten durch die Ehegatte, der die Sorge für die gemeinschaftliScheidung nicht berührt. chen Kinder trägt, nicht auch die elterliche Gewalt hat.
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
§. 1481.
§. 1481.
Die Frau hat aus den Einkünften ihres Vermögens sowie (21) aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbstständig betriebenen Erwerbsgeschäfts dem Manne einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des von ihm einem gemeinschaftlichen Kinde zu gewährenden Unterhalts zu leisten, soweit nicht die Kosten des Unterhalts durch die ihm am Vermögen des Kindes zustehende Nutzniessung gedeckt werden. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.
Beide Ehegatten haben auch nach der Scheidung, ganz so wie während der Ehe, die Kosten des Unterhalts und der Erziehung der Kinder nach Massgabe ihres Einkommens zu tragen. Die Nutzniessung an dem Vermögen der Kinder steht beiden Eltern nach Massgabe der von ihnen den Kindern gegenüber übernommenen Verpflichtungen zu. Sollte sich bei der Nutzniessung des Vermögens der Kinder nach Bestreitung der für sie erwachsenen Kosten ein Steht der Frau die Sorge für die Person des Kindes Ueberschuss ergeben, so ist derselbe zwischen beiden Ehegatten zu theilen. zu, und ist eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts des Kindes für die Zukunft zu besorgen, so Das Vermögen der Kinder wird vom Vormundkann die Frau den Beitrag zur eigenen Verwen- schaftsgericht verwaltet, und dieses ist berechdung insoweit zurückbehalten, als zur Bestreitung tigt, den Ueberschuss aus der Nutzniessung zum des Unterhalts erforderlich ist. Kapital zu schlagen, wenn die Ehegatten ein ausreichendes Einkommen besitzen.
Zweiter Abschnitt. Verwandtschaft. Zweiter Titel. Unterhaltspflicht. §. 1499.
§. 1499.
Soweit die Unterhaltspflicht einer Frau ihren Ver- Bemerkung. wandten gegenüber davon abhängt, dass sie zur Mit dem Begriff des eingebrachten Gutes fällt Gewährung des Unterhalts im Stande ist, kommt auch der Absatz 1. die dem Manne am eingebrachten Gute zustehende Verwaltung (22) und Nutzniessung nicht in Betracht. Besteht allgemeine Gütergemeinschaft, Errungenschafts- oder Fahrnissgemeinschaft, so bestimmt sich die Unterhaltspflicht des Mannes oder der Frau Verwandten gegenüber so, wie wenn das Gesammtgut dem unterhaltspflichtigen Ehegatten gehöre. Bei der Bemessung des von einem Ehegatten aus dem Gesammtgute zu gewährenden Unterhalts sind die unterhaltsberechtigten Verwandten des anderen Ehegatten in gleicher Weise zu berücksichtigen wie wenn sie in demselben Verwandtschaftsverhältnisse zu dem unterhaltspflichtigen Ehegatten ständen.
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Teil 1
§. 1501. Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig. Die Unterhaltspflicht der Abkömmlinge bestimmt sich nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung und nach dem Verhältnisse der Erbtheile. Unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren, mehrere gleich nahe zu gleichen Theilen. Der Vater haftet jedoch vor der Mutter; steht die elterliche Nutzniessung der Mutter zu, so haftet die Mutter vor dem Vater.
Bemerkung zu Satz 2 in Absatz 2. Dieser Satz kann fortfallen, da nach Massgabe ihres Einkommens beide Eltern die gleiche Verpflichtung zum Unterhalt ihres Kindes haben.
(23) Dritter Titel. Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern. 1. Allgemeine Vorschriften. §. 1515. Der Vater ist verpflichtet, einer Tochter, die sich verheirathet, zur Einrichtung des Haushalts eine angemessene Aussteuer zu gewähren, soweit er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen standesmässigen Unterhalts dazu im Stande ist und die Tochter ein zur Beschaffung der Aussteuer ausreichendes Vermögen nicht besitzt. Die gleiche Verpflichtung hat die Mutter, wenn der Vater zur Gewährung der Aussteuer ausser Stande oder wenn er verstorben ist.
§. 1515. Bemerkung: Wir bitten, diesen Paragraphen zu streichen. Begründung:
Es wird in Sachen der Ausstattung meistens zu viel gethan und dadurch verderblicher Luxus befördert. Es muss in das freie Ermessen der Eltern gestellt werden, ob sie der Tochter eine Ausstattung gewähren wollen. In England wird eine Aussteuer nie gefordert und selten bewilligt. Es scheint überdies wirthschaftlich gesünDie Vorschriften des §. 1499 und des §. 1502 der, dass junge Eheleute ganz einfach beginnen und durch Anschaffungen aus dem eigenen Erfinden entsprechend Anwendung. werb ihren Hausrath vermehren. Die vielen Töchter der untersten Stände, welche ihren Unterhalt durch eigenen Erwerb gewinnen, erhalten bei ihrer Verheirathung fast nie eine Ausstattung. §. 1520.
§. 1520.
Hat der Vater einem Kinde, dessen Vermögen seiner elterlichen oder vormundschaftlichen Verwaltung unterliegt eine Ausstattung gewährt, so wird vermuthet, (24) dass er sie aus diesem Vermögen gewährt habe. Die Vorschrift findet auf die Mutter entsprechend Anwendung.
Haben die Eltern einem Kinde, dessen Vermögen ihrer elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt unterliegt, eine Ausstattung gewährt, so wird (24) vermuthet, dass sie dieselbe aus diesem Vermögen gewährt haben.
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II. Elterliche Gewalt.
§. 1521. Das Kind steht, so lange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt. In diesem Paragraphen ist die Gleichberechtigung von Vater und Mutter als Eltern ausgesprochen, und es handelt sich nur noch darum, die Einzelbestimmungen, die sich aus ihm ergeben, folgerichtig zu entwickeln. Satt dessen theilt der Entwurf die elterliche Gewalt in zwei Hälften: 1. Die elterliche Gewalt des Vaters, 2. Die elterliche Gewalt der Mutter. Während die elterliche Gewalt des Vaters nur ausnahmsweise beschränkt ist und verwirkt werden kann, ist die elterliche Gewalt der Mutter nur ausnahmsweise vorhanden. Zu klarer Uebersicht bringen wir in den folgenden Paragraphen eine Gegenüberstellung der Gesetzesbestimmungen des Entwurfs, welche die elterliche Gewalt des Vaters und die elterliche Gewalt der Mutter feststellen. Elterliche Gewalt des Vaters.
Elterliche Gewalt der Mutter.
§. 1522. Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt §. 1572. Der Mutter steht die elterliche Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das zu: Vermögen des Kindes zu sorgen. 1. wenn der Vater gestorben oder für todt erklärt §. 1525. Die Sorge für die Person und das Vermö- ist; gen umfasst die Vertretung des Kindes. 2. wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirkt Die Vertretung etc.
hat und die Ehe aufgelöst ist.
§. 1526. Die Sorge für die Person des Kindes umfasst das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
Im Falle der Todeserklärung beginnt die elterliche Gewalt der Mutter mit dem Zeitpunkte, welcher als Zeitpunkt des Todes des Vaters gilt.
(25) Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.
(25) §. 1573. So lange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wird die elterliche Gewalt von der Mutter ausgeübt.
Die Mutter ist von der Ausübung ausgeschlossen, wenn der Vater wegen Verschwendung oder wegen Trunksucht entmündigt, oder wenn §. 1527. Die Sorge für die Person des Kindes um- die Ehe aufgelöst ist. Im Falle der Auflösung fasst das Recht, die Herausgabe des Kindes von der Ehe hat jedoch das Vormundschaftsgericht Jedem zu verlangen, der es dem Vater widerrecht- der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn keine Aussicht besteht, dass lich vorenthält. der Grund, aus welchem die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wegfallen werde.
§. 1529. Neben dem Vater hat während Bestehens der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Zur Vertretung des Kindes ist sie jedoch nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor.
274 §. 1560. Will der Vater zu einer neuen Ehe schreiten, so hat er seine Absicht dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen, auf seine Kosten ein Verzeichniss des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen, und soweit in Ansehung dieses Vermögens eine Gemeinschaft zwischen ihm und dem Kinde besteht, die Auseinandersetzung herbeizuführen. Das Vormundschaftsgericht kann gestatten, dass die Auseinandersetzung (26) erst nach der Eheschliessung geschieht.
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§. 1586. Die Mutter verliert die elterliche Gewalt, wenn sie sich wieder verheirathet. Sie behält jedoch unter den im §. 1585 bestimmten Beschränkungen das Recht und die Pflicht für die Person des Kindes zu sorgen.
Aus den angeführten Paragraphen ersehen wir, dass die „elterliche Gewalt der Mutter“ nur dann in Kraft tritt, wenn der Vater todt ist oder die elterliche Gewalt verwirkt hat. Wir finden die nämliche Anschauung, die im Allgemeinen so verhängnisvoll für unser Geschlecht geworden. Während man im normalen Verhältnissen die Frau von den Verpflichtungen und der mit ihnen verknüpften Verantwortlichkeit fern hält, verlangt man für Verhältnisse, die ein grösseres Mass von Einsicht, eine gesteigerte Kraft erfordern, dass die Frau plötzlich diese bewähren solle. Es wäre gerecht und billig, auch der Frau die volle elterliche Gewalt in den normalen Verhältnissen zuzusprechen. In streitigen Fällen zwischen Ehegatten kann dem Vormundschaftsgericht die Entscheidung übergeben werden. Wir können nicht annehmen, dass die Meinung des Vaters in allen Fällen den Vorzug vor der Meinung der Mutter verdiene. Beide, Vater und Mutter, sind Menschen und können irren. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei gleichberechtigten Persönlichkeiten muss ein Unbeteiligter entscheiden. In den §§. 1560 und 1586 ist ausgesprochen, dass der Vater, der zu einer neuen Ehe schreitet, dies nur dem Vormundschaftsgericht in Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse anzuzeigen habe; er behält die volle elterliche Gewalt über das Kind aus einer früheren Ehe. Die Mutter hingegen verliert die elterliche Gewalt, wenn sie sich wieder verheirathet. Die Voraussetzung, als sei von Seiten der Mutter bei der Wiederverheirathung eher eine Benachtheiligung ihrer Kinder aus einer früheren Ehe zu befürchten als in gleichem Falle von Seiten des Vaters, wird kaum aus der Erfahrung zu begründen sein. In den §§. 1530 bis 1559 ist nur von der elterlichen Gewalt des Vaters die Rede. In den §§. 1572 bis 1586 von der elterlichen Gewalt der Mutter. Wir beantragen: a. die Aufhebung der Zweitheilung der elterlichen Gewalt des Vaters und elterliche Gewalt der Mutter und möchten, dass die elterliche Gewalt den Eltern gleichmässig zuertheilt und gleichmässig beschränkt werde; (27) b. demgemäss beantragen wir auch die Streichung derjenigen Paragraphen, die sich auf die elterliche Gewalt der Mutter beziehen. Wir wünschen keine Bevorzugung der Frau im Familienrecht; wir verlangen die Anerkennung ihrer gesetzlichen Mündigkeit und die Wahrung ihrer Würde als Gattin und Mutter.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Vierter Titel. Rechtliche Stellung der Kinder aus ungültigen Ehen. Hier, wie bei dem Titel 3 – „das Rechtsverhältniss der ehelichen Kinder zu ihren Eltern“ betreffend, beantragen wir die Gleichheit der Rechte und Pflichten für Vater und Mutter und bei gleicher Verschuldung den gleichen Verlust an Recht und Pflicht für beide Ehegatten. Fünfter Titel. Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder. Der Standpunkt, den der Entwurf bei Feststellung der Gesetzesbestimmungen für die ehelichen und unehelichen Kinder einnimmt, spricht sich schon in der Ueberschrift von Titel 3 und 5 aus. Bei Titel 3 heisst es: „Rechtsverhältniss zwischen Eltern und ehelichen Kindern.“ In Titel 5 ist nur „von der rechtlichen Stellung der unehelichen Kinder“ die Rede. Das uneheliche Kind hat keine Eltern, es hat nur eine Mutter. Demgemäss lautet auch §. 1593: „das uneheliche Kind hat im Verhältniss zu seiner Mutter und zu den Verwandten seiner Mutter die Stellung eines ehelichen Kindes.“ Die völlige Rechtlosigkeit des unehelichen Kindes seinem Vater gegenüber ist aber in dem Titel 1 Abschnitt 2 §. 15 ganz klar und deutlich ausgesprochen. Es heisst: „Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft.“ Wir haben bereits in der Petition darauf hingewiesen, dass der Entwurf die Schlussfolgerungen, die sich consequenter Weise aus diesem §. 15 ergeben, nicht zu ziehen vermag; denn thäte er es, so fiele jede Verpflichtung des Vaters, für den Unterhalt (28) seines unehelichen Kindes zu sorgen, fort. Der Code Napoleon, dessen Ausspruch: La recherche de la paternité est interdite mit dem §. 15 deckt, enthob auch den Vater eines unehelichen Kindes der Verpflichtung des Unterhalts für dasselbe. Wir erkennen gern an, dass der Entwurf minder logisch, aber viel menschlicher verfährt, indem er dem Vater eine Unterhaltspflicht für sein uneheliches Kind auferlegt. Unseres Erachtens wäre es angezeigt, den §. 15, Titel 1 des Entwurfs zu streichen, da er sich im Widerspruch mit den §§. 1596, 1597 und 1598, Titel 5, des Entwurfs befindet. Ausserdem ist es uns auffällig, dass die Gesetzesbestimmungen über die Pflichten, die ein Mann der Frau gegenüber hat, mit der er ausserhalb der legalen Ehe gelebt, in dem Titel 5 „Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder“ mit inbegriffen sind. Welche Aufmerksamkeit, welche peinliche Sorgfalt ist auf die Gesetze, welche die Schädigung des Eigenthums, des materiellen Besitzes betreffen, verwendet worden, und für die Schädigung der Gesundheit, der Ehre, des bürgerlichen Fortkommens ist unterschiedslos der Frau eine Entschädigung für die Kosten der Entbindung und 6 Wochen nach der Entbindung – und zwar „innerhalb der Grenzen der Nothdurft“ zugesichert.
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Wir finden dieses summarische Verfahren für Verhältnisse, die in so complicirter Form auftreten, nicht gerechtfertigt. Wir erkennen an, dass es sehr schwierig ist, Gesetzesbestimmungen für diese in so mannigfacher Weise vorkommenden Verhältnisse zu finden, und dass sehr verschiedenartige Bestimmungen gegeben werden müssen. Wir führen beispielsweise nur zwei verschiedene Fälle an, die unserer Meinung nach eine verschiedene Handhabung des Gesetzes erfordern. Ein unverheiratheter Mann oder Wittwer hat mit einem unbescholtenen Mädchen intimen Umgang gepflogen, dem ein Kind sein Dasein verdankt. Hier dürften die Pflichten des Mannes anders zu bemessen sein, als bei einem verheiratheten Manne. Während der erstere verpflichtet werden könnte, das Mädchen zu heirathen, oder wenn das nicht möglich wäre, seinem Vermögen gemäss für ihren Unterhalt zu sorgen, müsste ein verheiratheter Mann, namentlich wenn es der Brodherr ist, der seine Stellung dem ihm untergebenen Mädchen gegenüber missbraucht, abgesehen von den Pflichten des Unterhalts gesetzlich bestraft (29) werden, und zwar könnte Strafe, je nach dem Vorkommniss, bis zum Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte ihn treffen. Wir werden die Paragraphen des Entwurfs soweit heranziehen, als wir Vorschläge zur Aenderung derselben anknüpfen können. Zunächst gestatten wir uns den Vorschlag zu machen, die Ueberschrift Titel 5 zu ändern. Sie könnte lauten: „Rechtsverhältniss der unehelichen Kinder zu deren Vater und Mutter.“ Wir können uns der Thatsache nicht verschliessen, dass hier nicht, wie bei ehelichen Kindern, die elterliche Gewalt gleichmässig für Vater und Mutter bestimmt werden kann, aber wir sind der Ansicht, dass im Titel der Vater genannt sein muss. Wir kommen nunmehr zu den einzelnen Paragraphen: Paragraph des Entwurfs.
Vorschlag zur Aenderung zu den §§. 1593 u. 1594.
§. 1593. Das uneheliche Kind erhält den Namen des VaDas uneheliche Kind hat im Verhältnisse zur Mutters, wenn ein Eheversprechen vorliegt oder die ter und zu den Verwandten der Mutter die rechtlibis dahin unbescholtene Mutter es verlangt. che Stellung eines ehelichen Kindes. In allen anderen Fällen erhält es den Familien§. 1594. namen der Mutter u. s. w. Der Name des Vaters Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen ist jedoch stets dem Standesamt zu melden, und der Mutter. Führt die Mutter in Folge ihrer Verhei- dieses ist verpflichtet, Anzeige zu erstatten. Rerathung einen anderen Namen, so erhält das Kind clamationen von Seiten des angeblichen Vaters den Familiennamen, welchen die Mutter vor der können innerhalb dreier Monate von der Geburt Verheirathung geführt hat. des Kindes bei der Behörde gemacht werden. Erfolgt innerhalb dieser Frist kein begründeter Entwurf, so hat der Vater die Verpflichtung, wie sie in den folgenden Paragraphen festgestellt ist, zu erfüllen.
(30) Wir sind der Meinung, dass die Nennung des Vaters vor dem Standesamte eine grössere Zahl von Männern namentlich von verheiratheten Männern, zurückschrecken würde, die einem vermögenden Manne leicht zu erfüllen wird, hat sich bis jetzt als eine unzureichende Massregel erwiesen.
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
Die Furcht der Verurtheilung durch die öffentliche Meinung hält manches Mädchen von illegalen Verhältnissen zurück; dieselbe Furcht würde auch den Mann zurückhalten. Liegt darin auch kein rein sittliches Motiv, so würde es doch Unsittlichkeit verhindern. §. 1596.
§. 1596.
Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zu dessen vollendetem sechzehnten Jahre den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfasst den gesammten Lebensbedarf, sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe.
Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde einen seinen Vermögensverhältnissen entsprechenden Lebensunterhalt bis zu dessen vollendetem 18. Lebensjahre zu gewähren. Das uneheliche Kind erbt von seinem Vater den Pflichttheil des ehelichen Kindes.
Der Vater ist vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten des Kindes unterhaltspflichtig. §. 1602.
§. 1602.
Der Vater ist verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung und die Kosten des Unterhalts für die ersten 6 Wochen nach der Entbindung innerhalb der Nothdurft zu ersetzen. Den gewöhnlichen Betrag dieser Kosten kann die Mutter ohne Rücksicht auf den wirklichen Aufwand verlangen.
Der Vater ist verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung und die Kosten des Unterhalts für 2 Monate vor der Entbindung und 3 Monate nach derselben seinen Vermögensverhältnissen gemäss zu ersetzen.
(31) Wir finden eine grosse Härte gegen die Frau und eine uns unbegreifliche Rücksicht gegen den Mann in dem §. 1602. Es ist sehr schwierig, oft unmöglich, dass eine Frau bis zu dem Zeitpunkte der Entbindung arbeiten kann. Man denke nur an die Dienstboten, die gewöhnlich den Dienst verlieren, wenn sie sich in dem Zustande befinden. Ebenso ist nicht jede Frau unmittelbar nach dem Wochenbette arbeitsfähig. Aber abgesehen davon ist es grausam, einer Mutter die Möglichkeit, ihr Kind selbst ernähren zu können, zu rauben. In den meisten Fällen ist die Frau gezwungen, ihr Kind dem Zufalle preiszugeben, um fremden Kindern die Nahrung zu reichen. Fürchtet man nicht durch grössere Zugeständnisse an die Frau die Zahl der unehelichen Kinder zu vermehren. Je empfindlicher die Folgen solch unerlaubter Verhältnisse den Mann treffen, je weniger wird er Veranlassung zu ihnen geben. Selbst bei Annahme der vorgeschlagenen Erleichterungsmittel treffen die Folgen solcher Verhältnisse die Frau noch immer in ungleich härterer Weise als den Mann.
Dritter Abschnitt. Vormundschaft über Minderjährige. Anordnung der Vormundschaft. Erster Titel.
Wir erkennen gern an, dass ein Fortschritt in Rücksicht auf das Recht der Vormundschaft von Seiten der Frau in dem Entwurfe sichtbar ist. Dennoch ist die vollständige Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne zur Uebernahme der
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Vormundschaft nicht vorhanden. Wir richten auch hier im Zusammenhange mit dem Gesuche, „die elterliche Gewalt“ betreffend, die Bitte an den Reichstag, keine Ausnahmebestimmungen in Rücksicht auf das Vormundschaftsrecht der Frau als zulässig zu betrachten. Wir könnten uns darauf berufen, dass die weiblichen Mitglieder einer Familie viel häufiger in der Lage sind, die Vormundschaft zu übernehmen, als die männlichen Mitglieder. Aber wir verlangen keine Bevorzugung unseres Geschlechts. Wir beantragen, dass die Frau als „Rechtspersönlichkeit“ betrachtet (32) werde. Ist Uebereinstimmung beider Ehegatten zur Uebernahme einer Vormundschaft nothwendig, so gilt das für Mann und Frau. §. 1657.
§. 1657.
Als Vormünderin sind in nachfolgender Reihe berufen: 1. Wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist. 2. Wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist. 3. Der Grossvater des Mündels von mütterlicher Seite. 4. der Grossvater des Mündels von mütterlicher Seite. Die Grossväter sind nicht berufen u. s. w.
1. Als Vormünder sind berufen, wer von dem Vater und der Mutter des Mündels als Vormund benannt ist. 2. Der Grossvater und die Grossmutter des Mündels von väterlicher und mütterlicher Seite. Der Grossvater oder die Grossmutter sind nicht berufen u. s. w. Hier könnten als nächste Verwandte auch die Geschwister der Eltern in Betracht kommen, da die Grosseltern häufig in einem Alter sich befinden, in dem sie wenig geeignet zu Vormundschaft sind.
§. 1569. 3. Satz.
§. 1659.
Für eine Ehefrau darf der Mann vor den nach Nur unter der Voraussetzung des §. 1772 darf §. 1657 Berufenen u. s. w. zum Vormunde bestellt ein Ehemann Vormund seiner Frau werden. werden. (33) Der §. 1772 lautet: Ein Volljähriger kann einen Vormund erhalten, wenn er in Folge körperlicher Gebrechen, insbesondere, weil er taub, blind oder stumm ist, seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Die Vormundschaft darf nur mit seiner Einwilligung angeordnet werden, es sei denn, dass eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist. (33) §. 1663.
§. 1663.
Zum Vormunde soll nicht bestellt werden, wer durch Anordnung des Vaters oder der ehelichen Mutter des Mündels von der Vormundschaft ausgeschlossen ist. Die Mutter kann den von dem Vater als Vormund Benannten nicht ausschliessen.
Wir nehmen auch für die uneheliche Mutter das Recht in Anspruch, Jemand von der Vormundschaft auszuschliessen. Der Vater kann den von der Mutter als Vormund Benannten nicht ausschließen. (Ergänzung des §. 1663.)
§. 1664.
§. 1664.
Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt wer- Wir beantragen die Streichung dieses Paragraden. phen. §. 1666.
§. 1666.
Die Uebernahme der Vormundschaft kann ableh- Wir beantragen auch hier die Streichung dieses nen: Satzes. 1. eine Frau.
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
VI. Beendigung der Vormundschaft. §. 1745.
§. 1745.
Das Vormundschaftsgericht kann eine Frau, die müsste nach unserer Anschauung in Wegfall, zum Vormunde bestellt ist, entlassen, wenn sie oder dieselben Bedingungen für den Mann in sich verheirathet. Das Vormundschaftsgericht hat Betracht kommen. (34) eine verheirathete Frau, die zum Vormunde bestellt ist, zu entlassen, wenn der Ehemann seine Zustimmung zur Uebernahme oder zur Fortführung der Vormundschaft versagt oder die Zustimmung zurücknimmt. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Ehemann der Vater des Mündels ist. (34) §. 1761. Satz 2.
§. 1761.
Die Anordnungen des Vaters gehen den Anord- Auch hier verweisen wir auf unsere bereits in nungen der Mutter vor. dem Abschnitt, „die elterliche Gewalt des Vaters und der Mutter“ betreffend, geäusserten Forderungen. In streitigen Fällen entscheidet das Vormundschaftsgericht.
VI. Befreite Vormundschaft. Die §§. 1726, 1727, 1728 sind dahin zu ändern, dass sich die Gesetzesbestimmungen nicht nur auf den Vater, sondern auf Vater und Mutter beziehen. VII. Familienrath. Es entzieht sich unserem Verständnisse vollständig, warum eine Frau nicht als Mitglied des Familienrathes bestellt werden kann. Jedenfalls befindet sich hier das Gesetz in vollem Widerspruch mit den thatsächlichen Verhältnissen. §. 1759.
§. 1759. 2. Satz.
Zum Mitgliede des Familienrathes soll nicht be- Wir beantragen die Streichung dieser Bestimmung. stellt werden: 2. eine Frau. §. 1761. 2. Satz.
§. 1761.
Die Anordnungen des Vaters gehen den Anord- Wenn die Anordnungen des Vaters nicht mit nungen der Mutter vor. denen der Mutter übereinstimmen, entscheidet das Vormundschaftsgericht.
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Teil 1
(35)Zweiter Titel. Vormundschaft für Volljährige. §. 1779.
§. 1779.
Ist der Vater des Mündels zum Vormunde bestellt, so unterbleibt die Bestellung eines Gegenvormundes. Dem Vater stehen auch die Befreiungen zu, welche nach den §§. 1726 bis 1728 angeordnet werden können, vorbehältlich [sic!] der Befugniss des Vormundschaftsgerichts, die Befreiungen ausser Kraft zu setzen, wenn sie das Interesse des Mündels gefährden.
Im Satz 1 müsste es heissen: „Ist einer der Eltern“ (statt Vater) u. s. w., in Satz 2 und 3 ebenfalls Eltern (statt Vater). Wir würden aber vorschlagen den Gegenvormund beizubehalten.
Diese Vorschriften finden sich, wenn der Vater im Falle der Minderjährigkeit des Mündels zur Vermögensverwaltung nicht berechtigt sein würde. §. 1780.
§. 1780.
Ist die eheliche Mutter des Mündels zum muss nach den vorhergegangenen Darlegungen Vormunde bestellt, so gilt für sie das Gleiche wie in Wegfall kommen. nach §. 1779 für den Vater. Der Mutter ist jedoch ein Gegenvormund zu bestellen, wenn sie die Bestellung beantragt oder wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen ihr nach §. 1576 Nr. 3 ein Beistand zu bestellen sein würde. Wird ein Gegenvormund bestellt, so stehen der Mutter die im §. 1726 bezeichneten Befreiungen nicht zu,
(36) Dritter Titel. Pflegschaft. Dass die Pflegschaft in gleicher Weise der Frau wie dem Manne gebührt, ist unsere volle Ueberzeugung. Hier wie bei dem Vormundschaftsgericht und dem Familienrath würde, wenn eine Bevorzugung berechtigt erschiene, diese für die Frau in Anspruch zu nehmen sein. […]22 Schriften des Bundes Deutscher Frauenvereine. Heft III.
Begleitschrift zu der
Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine an den Reichstag betreffend das
22
[Anmerkung: Der rechtliche Teil der Petition ist damit beendet. Auf S. 37–39 folgen noch die Namen von Mitgliedsvereinen des Bundes deutscher Frauenvereine.]
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Familienrecht des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Im Auftrage des Vorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine verfaßt von Freiin Olga von Beschwitz-Dresden, Schriftführerin der Rechtskommission des Bundes.23 (3) Der Bund Deutscher Frauenvereine richtet an seinen hohen Reichstag die ergebene Bitte: noch einmal vor dem Inkrafttreten des neuen bürgerlichen Gesetzbuches eine Prüfung und Abänderung des Familienrechtes vorzunehmen. Das Ungewöhnliche, die Aenderung eines bereits beschlossenen Gesetzes noch vor seiner Einführung anzustreben, findet seine Begründung in dem tief verletzten Empfinden der deutschen Frauen, deren Rechtsbewuß[t]sein sich mit diesen Gesetzen niemals aussöhnen wird. Auf der Unfähigkeit der Frauen, sich selbst in der Fehde vor Gericht zu vertreten, beruhte im alten deutschen Recht die Entstehung der Geschlechtsvormundschaft, die im Laufe dieses Jahrhunderts, weil die Frauen völlig handlungs- und geschäftsfähig geworden waren, in allen deutschen Ländern als unnöthig, überlebt aufgehoben wurde; das Mundium, als ein Theil dieser Geschlechtsvormundschaft, verlor hierdurch die Existenzberechtigung.24 Aus diesem Grunde vermeiden die Gesetzgeber es, im neuen Gesetzbuch dem Mann ausdrücklich das Recht der ehelichen Vormundschaft zuzusprechen; trotzdem bildet das Mundium die Grundlage (4), auf der sich das neue Familienrecht aufbaut und für alle Fälle, die das Gesetz nicht normirt hat, wird es als maßgebend betrachtet werden. Wir haben es hier mit einem an sich nicht mehr berechtigten, durch Gewohnheitsrecht geschaffenen Rechtsprinzip zu thun, dessen ausdrückliche Aufhebung von uns angestrebt werden muß. An Stelle des jetzigen Paragraphen 1354 des B. G.-B.: „Dem Manne steht die Entscheidung in das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechte darstellt“, bitten wir die Worte zu setzen: „Das Recht der ehelichen Vormundschaft steht dem Manne nicht zu“. Die aus dem Prinzip des Mundiums entnommenen Bestimmungen haben zur Folge, daß ein Gesetz geschaffen wurde, welches trotz der von uns dankbar anerkannten Berücksichtigung einzelner Wünsche (Verfügungsrecht der Ehefrau über während der Ehe selbständig verdientes Geld und Heranziehung der Frau zur Vormundschaft und zum Familienrathe) der Bedeutung nicht entspricht, welche die Frauen dieses Jahrhunderts in wirthschaftlicher und intellektueller Beziehung erreicht haben. Auf allen anderen Gebieten erkennt die neuere Gesetzgebung die Frau als verantwortliche Rechtspersönlichkeit an, nur in der Ehe soll sie auch fernerhin der Vormundschaft des Mannes unterworfen sein. Diese Auffassung widerspricht nicht nur der Aufgabe, welche 23 24
Druck und Verlag von Lothar Reisel, Frankenberg (Sachsen). Der geheime Justizrath Bulling begründet dies letztere ausführlich mit Belegstellen aus Kraut, in dessen Buch über Vormundschaft Band II, S. 291-292, in seiner Schrift: „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ [Nr. 7] S. 2, 6, 60-64 und 67.
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die Frau innerhalb der Familie zu erfüllen hat, sondern sie widerspricht auch der Heiligkeit der Ehe, welche auf das Zusammenleben zweier gleichwerthiger Persönlichkeiten begründet ist. Das reale Leben bestätigt diese Auffassung, denn in jeder wahrhaft würdigen Ehe schwindet das im Gesetz vorgeschriebene Abhängigkeitsverhältniß der Ehefrau, und diese steht als gleichberechtigte Lebensgefährtin neben dem Manne. Solche Gatten erwarten Regelung ihres gegenseitigen Rechtsverhältnisses nicht vom Gesetz, sie regeln es selbst. Dasselbe thun Geschwister, die gemeinsam einen Haushalt bilden; das Fehlen eines durch Gesetz bestimmten Oberhauptes hat das geschwisterliche Zusammenleben niemals gestört. – Die Gesetzgeber zeigten ein tiefes Verständniß für das Wesen der Ehe (5) und Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen, als sie die Erfüllung der sogenannten ehelichen Pflichten nicht mehr ins Bereich der Gesetzgebung zogen; logischer Weise aber dürften sie es bei diesem einen Punkte nicht bewenden lassen, sondern sollten dieselbe Anschauung auf alle gegenseitigen Beziehungen der Ehegatten anwenden, der Frau auch als Hausfrau und Familienmutter ihr Selbstbestimmungsrecht wahren und ein Rechtsverhältnis aufheben, für das es außerhalb der Ehe in Europa seit Aufhebung der Leibeigenschaft kein analoges mehr giebt, ein Verhältniß, in dem Gesetzgeber, Richter und Partei in einer Person vereinigt sind, die der anderen gleich urtheils- und handlungsfähigen Partei ihren Willen als allein maßgebend octroyirt. Der so viel gerühmte Schutz gegen Mißbrauch der eheherrlichen Gewalt kann von der Frau nur durch gerichtliches Einschreiten gegen den Mann erlangt werden, und dieses Vorgehen ihrerseits würde bei aller Diskretion und Vorsicht der Vormundschaftsgerichte doch in jedem Fall den häuslichen Frieden unheilbar zerstören, wird daher von der Frau nur äußerst selten angewendet werden. Es ist auch nicht möglich, daß ein Unbetheiligter sich ein unbedingt richtiges Urtheil über die gegenseitigen Beziehungen eines Ehepaares bilde, Einmischung von außen könnte daher keinen wirklichen Nutzen bringen. Das Mundium ist es, das, wie jedermann im täglichen Leben beobachten kann, und wie der geheime Justizrath Bulling aus seinen richterlichen Erfahrungen in Eheprozessen in der oben citirten Schrift S. 6-26 berichtet, den Frieden und das Glück derjenigen Ehen zerstört, in denen es thatsächlich ausgeübt wird. Bei beiden Ehegatten werden dadurch unedle Eigenschaften hervorgerufen und gefördert, bei dem Mann Herrschsucht und Dünkel, bei der Frau Verstellung, Verheimlichung und Lüge. Entspricht somit die jetzige Fassung des neuen Familienrechts nicht den billigen Anforderungen, welche die heutige Durchschnittsfrau zu stellen sich berechtigt fühlen darf, wie viel weniger werden seine rückständigen Bestimmungen im Einklang stehen mit der voraussichtlich nicht stillstehenden, noch weniger rückwärtsschreitenden Entwicklung des Familienlebens im zwanzigsten Jahrhundert. Die Petition, welche wir uns einem hohen Reichstag zu (6) unterbreiten erlauben, richtet sich vornehmlich gegen diejenigen Consequenzen des Mundiums, die von den Frauen als die ungerechteste Beschränkung ihrer menschlichen Rechte empfunden werden. Tausende von Männern und Frauen, die sonst der Frauenfrage ganz fern stehen, haben, von ihrem natürlichen Gewissens- und Rechtsstandpunkt ausgehend, diese Bitte mit unterschrieben, die der Ehefrau den Besitz und Nießbrauch ihres Vermögens, der Mutter das Recht an ihre Kinder und den unehelichen Kindern ein besseres Recht an ihren Vater zu erringen strebt.
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Wir wiederholen die Bitte, die der Bund deutscher Frauenvereine bei Gelegenheit der Berathungen zum B. G.-B bereits zu verschiedenen Malen an einen hohen Reichstag gerichtet hat: er möge als gesetzlich giltiges Güterrecht Gütertrennung mit selbstständigem Verwaltungs- und Nießbrauchrecht jedes Ehegatten einführen, den § 1363 B. G.-B. „das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gut gehört auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt“, streichen und an seine Stelle etwa folgende Bestimmung setzen: „Bei Eingehung der Ehe behalten beide Ehegatten ihr Vermögen als Sondereigenthum, sofern nicht ein Ehevertrag es anders bestimmt“. Wir weisen hier auf die zahlreichen Fälle hin, in denen Frauen durch die Verschwendung und Mißwirthschaft ihres Mannes um ihr Vermögen gebracht werden. Aber auch wo dies nicht zu befürchten, ist das pekuniäre Abhängigkeitsverhältnis von ihrem Manne für jede feinfühlende Frau tief demüthigend, und erstickt in der oberflächlichen oft jedes Bewußtsein eigener Verantwortung in Bezug auf unnöthige und leichtsinnige Ausgaben. Das Fernhalten von der Verwaltung ihres Vermögens und von allen geschäftlichen Angelegenheiten verursacht außerdem jene Unselbstständigkeit und Unkenntniß des realen Lebens, die schon mancher Frau nach dem Tode ihres Mannes verhängnißvoll geworden ist und infolge der Bestimmungen des neuen Familienrechts, welches auch die Sorge für das Vermögen der Kinder der verwittweten Mutter überträgt, weitere wirthschaftliche Schädigungen nach sich ziehen würde, wenn das Gesetz der verheiratheten Frau nicht endlich (7) das Recht und die Pflicht zuspricht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu besorgen. Die wirthschaftliche Entwicklung der Neuzeit verlangt es, daß die Frau bei Zeiten Kenntnisse in Geschäfts- und Geldangelegenheiten erwirbt, und diesem praktischen Bedürfnisse würde von Seiten der Ehemänner längst in ausgedehnterem Maaße entsprochen worden sein, wenn nicht auch hier eine erhöhte Selbstständigkeit der Frau mit dem Prinzip des Mundiums, das mancher glaubt unbedingt aufrecht erhalten zu müssen, in Widerspruch stände. Wie sehr unsere Forderung, der Frau freie Verfügung über ihr Vermögen zu gewähren, praktischer Nothwendigkeit entspricht, beweist der Umstand, daß sonst so ängstlich gewahrte Prinzip des Mundiums hier zu durchbrechen und durch Ehecontracte an Stelle des herrschenden Güterrechts ein anderes zu setzen. Wie allen Ausnahmemaßregeln haftet aber auch dieser ein Odium an: das Verlangen der Gütertrennung wird vom Manne als ein gegen seine Person gerichtetes Mißtrauensvotum empfunden, das es sich, im Bewußtsein der ihm gesetzlich zustehenden eheherrlichen Oberherrschaft, berechtigt und verpflichtet fühlt, zurückzuweisen, und da ohne seine Zustimmung eine Aenderung der güterrechtlichen Bestimmungen nicht erfolgen kann, wird eine solche nur selten erreicht werden; für die ärmeren Volksklassen dürften schon die Kosten einen Hinderungsgrund bilden. Weit leichter wäre ein Ehecontract zu schließen, in welchem, bei gesetzlich gültiger Gütertrennung, die Eltern der Braut oder diese selbst dem Mann einen Theil ihres Vermögens zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes oder zur Vergrößerung eines geschäftlichen Unternehmens überließen. In England hat sich seit der im Jahre 1882 eingeführten Gütertrennung diese Art von Ehecontracten schnell eingelebt und bewährt. Ueberdies bestimmt auch § 1427 B. G.-B. Absatz 2: „zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes hat die Frau dem Manne einen angemessenen Beitrag aus
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den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbstständig betriebenen Erwerbsgeschäftes zu leisten.“ Rechnet man zu diesem Beitrag, dessen Erwerb in den breiten Schichten der arbeitenden Klassen die Frauen vielfach zu ebenso schwerer Arbeit nöthigt, wie sie die Männer leisten, noch die (8) der Frau zufallende Mühewaltung für die persönlichen Bedürfnisse des Mannes und der Familie und die Führung des Hausstandes, so kann wohl nicht gesagt werden, daß die Ehelasten der Frau geringer sind, als diejenigen des Mannes, und etwa aus diesem Umstand die Berechtigung seiner Bevorzugung abgeleitet werden. Eine gerechtere Ordnung des Güterstandes würde voraussichtlich eine Abnahme derjenigen Ehen herbeiführen, die lediglich der Mitgift halber geschlossen werden, und das sittliche Niveau der Ehe kann hierdurch nur gehoben werden. Wir erlauben uns, noch auf einen Punkt hinzuweisen, den namhafte Juristen wiederholt als eine Härte und Ungerechtigkeit des neuen Gesetzes bezeichnet haben. Wir meinen die nicht bewerthete Mitarbeit der Ehefrau in einem auf den Namen des Mannes eingetragenen Geschäfte, einem ihm gehörenden gewerblichen oder landwirthschaftlichen Betriebe. Selbst wenn das Unternehmen durch ihr Geld theilweise mitbegründet, resp. erhalten und erweitert wurde, erwirbt sie weder hierdurch noch durch ihre Arbeit irgend welchen Antheil an demselben. Stirbt der Mann oder findet eine Ehescheidung statt, so erhält sie lediglich das eingelegte Kapital zurück; auf das durch ihre jahrelange erfolgreiche Arbeit miterworbene Geld, sowie auf das vielleicht gerade durch ihre Thätigkeit bedeutend vergrößerte Geschäft, hat sie keinerlei Anrecht. Wir bitten daher im B. G.-B eine Paragraphen einzufügen, der Gütertrennung mit Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzliches Güterrecht für diejenigen Ehen festsetzt, in denen die Frau durch ihre Mitarbeit, ihre Leitung oder Beaufsichtigung eines dem Manne gehörenden Unternehmens den Werth und Ertrag desselben erhöht. Während wir die Forderungen nach Abänderung des Güterrechts einerseits vom Gerechtigkeitsstandpunkt aus begründen und es andererseits vorwiegend Erwägungen wirthschaftlicher Art sind, die uns zu derselben veranlassen, entspringt die Bitte um Ertheilung gleicher elterlicher Gewalt an beide Ehegatten in erster Linie dem Verlangen, die Würde und Autorität der Mutter besser gewahrt zu sehen. Dies muß in den Augen des heranwachsenden Kindes geschädigt, die Achtung vor ihrer Person und ihren Anordnungen untergraben werden, sobald es erfährt, daß (9) nicht den Eltern gemeinsam, sondern dem Vater allein alle Entscheidungen zustehen und daß die Mutter dem Vater ebenso zu gehorchen hat, wie das Kind selber. „Das Recht und die Pflicht für das Kind zu sorgen“, erkennt das Gesetz neben dem Vater auch der Mutter zu, aber sie darf dies nicht Kraft eigener, sondern nur im Schatten seiner Autorität thun, bei Meinungsverschiedenheiten ist die Meinung des Mannes allein maßgebend; den Beruf des Kindes bestimmt nur der Vater, und zur Heirath eines minderjährigen Kindes ist blos seine Einwilligung erforderlich. Das Mundium wird hier, wie wir begründen werden, zum Schaden des Kindes aufrecht erhalten. Das Hauptbestreben beider Eltern ist naturgemäß darauf gerichtet, das Wohlergehen des Kindes nach Möglichkeit zu fördern. Bei gleicher Macht und gleichem Recht hierzu wird, im Fall auseinandergehender Ansichten, ein Jeder sich bemühen, die Gründe des Andern anzuhören und seinen Wünschen möglichst entgegen zu kommen, um ihn auch seinerseits zum Nachgeben und zum prüfen von Gegengründen geneigt zu machen. Eine Einigung wird auf diese Weise fast immer erzielt werden. Steht aber von Anfang an fest, daß die Meinung des
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Vaters allein bestimmend ist, so hat dieser gar keine Veranlassung, die Gründe der Mutter zu prüfen, und der Angelegenheit des Kindes geht die Erfahrung und das Verständniß der Mutter verloren, das auf diesem ihrem eigensten Gebiet größer zu sein pflegt, als dasjenige des Vaters, den sein Beruf meist mehr von Haus und Kindern entfernt hält. Wäre es nicht möglich, für die wenigen Fälle, in denen die Eltern sich nicht einigen würden, die Bestimmung zu treffen, daß in Angelegenheiten eines Sohnes der Wille des Vaters, in derjenigen einer Tochter der Wille der Mutter ausschlaggebend sei? Sollte dies aber gesetzlich nicht durchführbar sein, so bliebe immer noch der Ausweg, die Entscheidung dem Vormundschaftsrichter zu übertragen. Seine Intervention würde von den Eltern gemeinsam erbeten, nicht um in persönlicher Angelegenheit, sondern in Sachen eines dritten, des Kindes, zu entscheiden. Dieses Vorgehen trüge nicht den gehässigen Stempel einer Anschuldigung und würde keine so störende Rückwirkung auf die gegenseitigen Beziehungen der Ehegatten ausüben. (10) Wir bitten daher, die sämmtlichen Bestimmungen über elterliche Gewalt dahin abzuändern, daß sie Vater und Mutter dem Kinde gegenüber in ihren Rechten und Pflichten vollkommen gleichstellen. Ebenso bitten wir § 1305 B. G.-B. dahin zu ändern: „ein eheliches Kind bedarf bis zur Vollendung des einundzwanzigsten Jahres zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung beider Eltern“. Ferner bitten wir von § 1635 B. G.-B., der die Uebertragung der Sorge für die Person eines Kindes nach vollzogener Ehescheidung regelt, den Absatz 2, „das Recht des Vaters zur Vertretung des Kindes bleibt unberührt“, dahin abzuändern: „jeder Ehegatte, dem bei der Ehescheidung die Sorge für die Person eines Kindes übertragen wird, erhält zugleich die alleinige elterliche Gewalt über dasselbe“. Die jetzige Fassung von Absatz 2 sagt, daß die elterliche Gewalt des Vaters selbst dann nicht erlischt, wenn bei einer Ehescheidung die Sorge für die Person des Kindes der Mutter anvertraut wurde, weil der Vater als der allein schuldige Theil erkannt ist. Das Gericht hat in diesem Fall entschieden, daß die Mutter vertrauenswürdiger sei als der Vater, trotzdem bleibt sie mit ihrem Kind in einer gewissen Abhängigkeit von ihrem geschiedenen Mann, da er das Recht der Sorge für das Vermögen des Kindes und der Vertretung nach außen hat; d. h. bei Abschlüssen von Verträgen und überhaupt in allen Fällen, wo die Rechtspersönlichkeit des Kindes in Frage steht. Mit dieser Aenderung fiele auch die widersinnige Bestimmung weg, daß nach § 1585 B. G.-B. die Mutter, die das Kind bei sich hat, erst dem Vater einen angemessenen Beitrag zur Unterhaltung des Kindes zahlen muß, den ihr dieser dann zu diesem selben Zweck wieder zurück zu erstatten hat. Auch der Inhalt des sechsten Titels des B. G.-B.: „Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder“ giebt uns Veranlassung, einen hohen Reichstag um Abänderung verschiedener Bestimmungen zu bitten. Die ungünstigen Lebensbedingungen, unter denen diese beklagenswerthen Kinder aufwachsen, haben zur Folge, daß ein erschreckend großer Prozentsatz derselben frühzeitig körperlichem Siechthum, ein nicht minder großer sittlicher Verwahrlosung anheimfällt; (11) statistische Erhebungen weisen nach, daß die Schaar der jugendlichen Verbrecher sich zum großen Theil aus diesen Kreisen rekrutiert. Der Selbsterhaltungstrieb des Staates fordert daher, daß bei der Regelung des Verhältnisses zwischen diesen Kindern und ihren Eltern die Bestimmungen so gefaßt werden, daß das Wohl der ersteren zumeist berücksichtigt wird und daß
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alles geschieht, was ihnen die materielle Möglichkeit bieten kann, durch gute Erziehung einen moralischen Halt zu gewinnen und zu gesunden und nützlichen Staatsbürgern heranzuwachsen. Wir bitten, die elterliche Gewalt über ein uneheliches Kind der Mutter zu gewähren unter eventueller Zuordnung eines Beistandes und den § 1707 B. G.-B. dementsprechend abzuändern. Wer solche Verhältnisse kennt, weiß, wie widerwillig meist die Vormundschaft über ein uneheliches Kind übernommen wird, und kann nicht daran zweifeln, daß in Sachen der Berufswahl, Abschluß von Lehr- und Dienstverträgen, gerichtlicher Vertretung der Rechte des Kindes Fremden gegenüber, in der großen Mehrzahl von Fällen die Mutter die Interessen des Kindes mit mehr Liebe und größerem Verständniß wahren wird. Eines Beistandes bedarf sie hauptsächlich bei einer eventuellen Klage wegen Feststellung der Vaterschaft, da sie nicht Klägerin und Zeuge in einer Person sein kann, ebenso in Fällen, wo zu befürchten steht, daß sie aus falsch angebrachter Rücksicht gegen ihren Verführer zum Schaden des Kindes die rechtzeitige Alimentationsklage unterlassen könnte, außerdem in allen denjenigen Fällen, wo die Lebensführung der Mutter Besorgnisse für das körperliche und sittliche Gedeihen des Kindes gerechtfertigt erscheinen läßt. In Betreff des Unterhaltes fordert es die Gerechtigkeit, daß derselbe der Lebensstellung des Vaters und nicht derjenigen der Mutter entspricht, und wie bei einem ehelichen Kind bis zum 21. Jahre gewährt wird. Da das Kind kein Erbrecht an den Vater hat, müßte um so besser für seine Erziehung gesorgt werden. Es sollte in den Stand gesetzt werden, sich selbst und später eventuell auch eine Familie zu ernähren. Mit 16 Jahren ist eine gründliche Berufsbildung heutzutage nicht beendet, und ohne eine solche fällt das vaterlose Kind nur zu leicht dem Elend und Verbrechen anheim. Wir bitten daher, Absatz 1 von § 1798 B. G.-B. dahin abzuändern: „der Vater der unehelichen (12) Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zur Vollendung des einundzwanzigsten Jahres den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt zu gewähren“, im Absatz 3 desselben Paragraphen müßte es dementsprechend heißen: „Ist das Kind zur Zeit der Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres infolge körperlicher“ u. s. w. Von verhängnißvoller Wirkung für das uneheliche Kind ist die exceptio plurium concumbentium, welche in den Commissionsberathungen zum B. G.-B gegen den Willen einer Minderheit durchgesetzt wurde, der bezeichnender Weise sämmtliche Mitglieder aus dem Kgr. Sachsen, dessen Gesetze diese Ausnahmebestimmung nicht kennen, angehörten. Es erscheint als doppelte Härte, einem Kinde den väterlichen Unterhaltsbeitrag zu versagen, dessen Mutter schon durch ihre leichtfertige Lebensführung die materielle Wohlfahrt des Kindes gefährden kann. Dem muthmaßlichen Vater gegenüber kann die Unterhaltspflicht nicht als eine Ungerechtigkeit angesehen werden, denn die Möglichkeit, daß er der Vater sei, ist vorhanden und er kannte diese Möglichkeit und ihre Folgen, als er in Beziehungen zu der Mutter des Kindes trat. Dr. med. Max Taube, nach dessen System in Leipzig das Ziehkinderwesen so ausgezeichnet geordnet ist, und dessen praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet maßgebend sein dürften, sagt in seiner Schrift „Der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig“ S. 59: „Auf die allgemeine Sittlichkeit muß der Paragraph höchst schädigend einwirken, denn er billigt den Verkehr mit übelbeleumundeten Frauen, weil er ihn straflos macht. Die Mutter wird hierdurch am wenigsten bestraft, sondern nur das Kind, die unbetheiligten Zieheltern und in letzter Linie der Staat selbst. Wie der Staat von der Mutter verlangt, hat er auch selbst die Pflicht, das
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Produkt des Fehltritts, das unschuldige Kind, so viel als möglich zu beschützen. Auf der einen Seite diktirt er die härtesten Strafen gegen Kindesmord und Kindesaussetzung und nimmt auf der anderen Seite durch § 1717 Zusatz vielen Kindern die Mittel zum Leben“. – S. 60. „Bei der ehelichen Vaterschaft hält der Entwurf an der wirklichen Vaterschaft nicht immer fest und begründet dieses (S. 8857) durch die Würde der Ehe und Erhaltung des Familienstandes. Hier aber kommt als gleichberechtigt das kindliche Leben in Betracht, welches nur durch Schaffung seiner nothwendigen (13) Unterhaltungsbeiträge gerettet werden kann“. Justizrath Bulling weist in seiner Schrift: „Die Rechte des unehelichen Kindes“ von S. 38 – 56 nach, daß nicht nur Zweckmäßigkeits- und Billigungsgründe, sondern auch das juristisch begründete Recht die Ausschaltung der exceptio plurium concumbentium aus dem B. G.-B. erfordert. Wir bitten daher, daß von § 1717 B. G.-B. der Zusatz „es sei denn, daß auch ein anderer“ u. s. w. gestrichen werde. – Das B. G.-B. enthält noch einen Paragraphen, der gewissenlosen Vätern durch die Dehnbarkeit des Begriffes „standesgemäß“ die Möglichkeit bietet, sich ihrer Unterhaltungspflicht gegenüber einem unehelichen Kinde zu entziehen. Wir meinen § 1603 B. G.-B: „Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesgemäßen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren“. Der zweite Absatz dieses Paragraphen enthält eine Einschränkung zu Gunsten minderjähriger, unverheiratheter Kinder; durch einen Zusatz müßte auch die Unterhaltspflicht des Vaters seinem unehelichen Kinde gegenüber gesichert werden. ___________________ Wir sind uns bewußt, durch unsere Bitte wichtige Bestimmungen des Familienrechts einer erneuten Prüfung und Abänderung zu unterziehen, die Aufmerksamkeit und Arbeitswilligkeit eines hohen Reichstages in unerwarteter Weise in Anspruch zu nehmen. Wenn wir dies dennoch thun, so treibt uns hierzu die schwere Sorge, das Gefühl. Durch Schweigen die Mitverantwortung für das Elend und den Kummer zahlloser Frauen und Kinder auf uns zu nehmen. Wir versuchen es noch in letzter Stunde, einen besseren Schutz für die heiligsten Interessen des deutschen Volkes, dessen größere Hälfte die Frauen bilden, für das deutsche Familienleben zu erbitten, und hoffen, durch unsere Ausführungen den Beweis erbracht zu haben, daß die von uns gewünschten Abänderungen dem Prinzip der Gerechtigkeit und den Bedürfnissen des realen Lebens in gleicher Weise entsprechen, und daß ihrer Durchführung wirkliche Hindernisse nicht entgegenstehen. (14) 50.000 Männer und Frauen aus allen Ständen unterstützen durch ihre Unterschriften unsere Bitte, die Wünsche der Frauen in ihren eigensten Angelegenheiten nicht ungehört verhallen zu lassen und das Vertrauen zu rechtfertigen, welches wir in die Gerechtigkeitsliebe und Unparteilichkeit der Volksvertreter setzen.
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11.
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Bund Deutscher Frauenvereine: Petition an den Reichstag, 1896
BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition an den Reichstag, in: Die Frauenbewegung, 1896, S. 173 Kommentar: Bei der vorliegenden Petition vom September 1896 handelt es sich um eine nach Verabschiedung des BGB eingereichte weitere Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine. Obwohl der Reichstag das BGB-Familienrecht gegen den Protest der Frauen verabschiedet hat und hierbei insbesondere der Petition des BDF von 1895 (Nr. 10) nicht gefolgt ist, soll nun durch die neue Petition auf Nachbesserungen am Gesetz gedrungen werden. Die Petition beschränkt sich im wesentlichen auf drei Punkte, die vielleicht als das Kernprogramm des BDF zu diesem Zeitpunkt betrachtet werden können: Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht, gleichberechtigte elterliche Gewalt der miteinander verheirateten Eltern, Zulassung nichtehelicher Mütter zur elterlichen Gewalt. In einem Begleittext von Marie Raschke wird zur Sammlung von Unterschriften aufgerufen.
Petition an den Reichstag. Das neue bürgerliche Gesetzbuch versagt der Ehefrau im Widerspruch mit der gesamten sozialen Entwicklung der letzten Jahrzehnte die wirtschaftliche Selbständigkeit und die Stellung in der Familie, welche ihr in einem modernen Kulturstaate zukommt, Es versagt ihr nach dem gesetzlichen Güterrecht die Verwaltung und Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens und stellt sie dadurch nach dieser Richtung thatsächlich den Unmündigen gleich. Es verweigert der Mutter den vollen Anteil an der elterlichen Gewalt und dadurch auch einen auch durch das Gesetz anzuerkennenden, von der Sitte bereits begründeten Einfluß auf das Schicksal ihrer Kinder, welchen sie so gut, wie der Vater, beanspruchen kann. Es versagt den unehelichen Kindern dem Vater gegenüber diejenige rechtliche Stellung, welche Menschlichkeit und Gerechtigkeit erfordern. Wir bitten demnach einen hohen Reichstag, das Familienrecht des bürgerlichen Gesetzbuches einer Revision zu unterziehen und insbesondere: a) als gesetzliches eheliches Güterrecht die Gütertrennung einzuführen; b) die elterliche Gewalt der Mutter nicht nach, sondern in Gemeinschaft mit derjenigen des Vaters wirken zu lassen; c) der Mutter eines unehelichen Kindes die elterliche Gewalt über dasselbe zu gewähren unter evt. Zuordnung eines Beistandes und die Ansprüche eines unehelichen Kindes seinem Vater gegenüber gerechter zu normieren. September 1896. Der „Bund Deutscher Frauenvereine.“
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An die deutschen Frauen. Obenstehende Petition soll dem nächstjährigen Reichstage eingebracht werden. Alle, welche die ungerechtfertigte Erniedrigung der deutschen Frau als ein Unrecht und eine nationale Unehre empfinden, werden gebeten, Unterschriften zu sammeln bei Frauen, Jungfrauen und Männern. Auch alle diejenigen, welche die Resolution des Bundes Deutscher Frauenvereine, die über 22000 Unterschriften dem Reichstage vor der zweiten und dritten Lesung des Gesetzbuches zuging, unterschrieben haben, werden um ihre Unterschrift zur Petition ersucht. Die Versendung der Petitionsbogen an die Vereine des Bundes ist schon erfolgt. Wollen einzelne Frauen oder Männer im Interesse der guten nationalen Sache sich der Mühe des Unterschriftensammelns unterziehen, so werden ihnen auf Ersuchen Petitionsbogen zugeschickt von Frau Minna Cauer, Berlin W. Nettelbeckstr. 21, Frau Hanna Bieber-Böhm, Berlin C, Kaiser Wilhelmstr. 39, und Frau Marie Stritt, Seidnitzerstraße 28. Gefüllte Bogen können jederzeit an meine Adresse gesandt werden. Der vorläufige Endtermin der Rücksendung ist (wenn nicht anderes bestimmt werden muß) der 1. März 1897. Die deutsche Frau geht in dem Kampfe gegen das unzeitmäßige Mundium des Mannes allen europäischen Schwestern voran. Eine Ehre für die deutsche Nation wäre es, wenn sie auch im Siege die erste wäre! Frisch auf zum Siege fürs Vaterland! Marie Raschke Vorsitzende der Rechtskommission d. B. D. F. V. Berlin SW, Königgrätzerstr. 83.
12.
Bund Deutscher Frauenvereine: Petition betreffend ein Vereinsgesetz, 1899
BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition des Bundes deutscher Frauen-Vereine an den Reichstag betreffend ein Vereinsgesetz, in: Die Frauenbewegung/Parlamentarische Angelegenheiten 1899, S. 14 Kommentar: Stritt (Nr. 63, S. 149-153) schildert 1901 den Kampf ums Vereins- und Versammlungsrecht als zweiten wesentlichen Punkt der Frauenrechtskämpfe neben dem Familienrecht. Dies mag auf den ersten Blick überraschend wirken, da Themen wie Frauenstimmrecht, Strafrecht oder die Rechtslage der Arbeiterinnen hier naheliegender erscheinen. Doch muß berücksichtigt werden, daß das Vereinsrecht die Handlungsfähigkeit der Frauenbewegung unmittelbar betrifft und wesentlich erschwert. Die Forderungen richteten sich (Nr. 63, S. 149 f.) „zunächst gegen die in verschiedenen deutschen Staaten noch zu Recht bestehenden, die Bewegungsfreiheit der Frauen einschränkenden Bestimmungen, vor allem gegen das Verbot der Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen, das nicht nur in durchaus unwürdiger und verletzender Weise die Frauen mit Schülern, Lehrlingen, überhaupt Unmündigen auf eine Stufe stellt, sondern vor allem die arbeitenden Frauen in der zur Wahrung und Förderung ihrer Berufsinteressen so dringend gebotenen Organisation beschränkt und somit auch materiell aufs empfindlichste schädigt.“ Dies gilt zwar um 1900 nicht mehr in allen Teilstaaten Deutschlands, entspricht aber dem besonders wichtigen preußischen Vereinsgesetz. Die Bezeichnung „politischer Verein“ gilt als unbestimmt und unklar; ihre Anwendung ist der Willkür der Polizeibehörden ausgesetzt, welche in Preußen
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An die deutschen Frauen. Obenstehende Petition soll dem nächstjährigen Reichstage eingebracht werden. Alle, welche die ungerechtfertigte Erniedrigung der deutschen Frau als ein Unrecht und eine nationale Unehre empfinden, werden gebeten, Unterschriften zu sammeln bei Frauen, Jungfrauen und Männern. Auch alle diejenigen, welche die Resolution des Bundes Deutscher Frauenvereine, die über 22000 Unterschriften dem Reichstage vor der zweiten und dritten Lesung des Gesetzbuches zuging, unterschrieben haben, werden um ihre Unterschrift zur Petition ersucht. Die Versendung der Petitionsbogen an die Vereine des Bundes ist schon erfolgt. Wollen einzelne Frauen oder Männer im Interesse der guten nationalen Sache sich der Mühe des Unterschriftensammelns unterziehen, so werden ihnen auf Ersuchen Petitionsbogen zugeschickt von Frau Minna Cauer, Berlin W. Nettelbeckstr. 21, Frau Hanna Bieber-Böhm, Berlin C, Kaiser Wilhelmstr. 39, und Frau Marie Stritt, Seidnitzerstraße 28. Gefüllte Bogen können jederzeit an meine Adresse gesandt werden. Der vorläufige Endtermin der Rücksendung ist (wenn nicht anderes bestimmt werden muß) der 1. März 1897. Die deutsche Frau geht in dem Kampfe gegen das unzeitmäßige Mundium des Mannes allen europäischen Schwestern voran. Eine Ehre für die deutsche Nation wäre es, wenn sie auch im Siege die erste wäre! Frisch auf zum Siege fürs Vaterland! Marie Raschke Vorsitzende der Rechtskommission d. B. D. F. V. Berlin SW, Königgrätzerstr. 83.
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Bund Deutscher Frauenvereine: Petition betreffend ein Vereinsgesetz, 1899
BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition des Bundes deutscher Frauen-Vereine an den Reichstag betreffend ein Vereinsgesetz, in: Die Frauenbewegung/Parlamentarische Angelegenheiten 1899, S. 14 Kommentar: Stritt (Nr. 63, S. 149-153) schildert 1901 den Kampf ums Vereins- und Versammlungsrecht als zweiten wesentlichen Punkt der Frauenrechtskämpfe neben dem Familienrecht. Dies mag auf den ersten Blick überraschend wirken, da Themen wie Frauenstimmrecht, Strafrecht oder die Rechtslage der Arbeiterinnen hier naheliegender erscheinen. Doch muß berücksichtigt werden, daß das Vereinsrecht die Handlungsfähigkeit der Frauenbewegung unmittelbar betrifft und wesentlich erschwert. Die Forderungen richteten sich (Nr. 63, S. 149 f.) „zunächst gegen die in verschiedenen deutschen Staaten noch zu Recht bestehenden, die Bewegungsfreiheit der Frauen einschränkenden Bestimmungen, vor allem gegen das Verbot der Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen, das nicht nur in durchaus unwürdiger und verletzender Weise die Frauen mit Schülern, Lehrlingen, überhaupt Unmündigen auf eine Stufe stellt, sondern vor allem die arbeitenden Frauen in der zur Wahrung und Förderung ihrer Berufsinteressen so dringend gebotenen Organisation beschränkt und somit auch materiell aufs empfindlichste schädigt.“ Dies gilt zwar um 1900 nicht mehr in allen Teilstaaten Deutschlands, entspricht aber dem besonders wichtigen preußischen Vereinsgesetz. Die Bezeichnung „politischer Verein“ gilt als unbestimmt und unklar; ihre Anwendung ist der Willkür der Polizeibehörden ausgesetzt, welche in Preußen
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zahlreiche Arbeiterinnen-Bildungsvereine wegen des Verdachts sozialistischer Tendenzen auflösen. Letztlich ist jeder Frauenverein von Auflösung bedroht, sobald er überhaupt politisch oppositionelle Auffassungen äußert, während Männer nicht in gleicher Weise eingeschränkt sind. Dies wird als sehr schädlich für die Bildung von Berufsorganisationen arbeitender Frauen betrachtet. Aus dem umfangreichen Schrifttum der Frauenbewegung (vgl. unten „Weitere Quellen“) ist hier die Petition des BDF von 1899 ausgewählt worden, welche freilich nur eine von mehreren Frauenpetitionen in dieser Sache war. Der BDF betont eingangs die „Verkürzung unserer staatsbürgerlichen Rechte, die uns mit Minderjährigen auf eine Stufe stellt“. Tatsächlich genießen Frauen nur eingeschränkte Rechte dieser Art, insbesondere fehlt ihnen das Wahlrecht. Relativ umfassend können sie nur von Petitionsrecht und Pressefreiheit Gebrauch machen und tun dies auch. Aber auch diese Rechte können nicht voll wahrgenommen werden, wenn die Bildung gemeinsamer Organisationen und die Durchführung von Versammlungen jederzeit verboten werden können. Seine Meinung kann nur wirkungsvoll äußern, wer zuvor die Möglichkeit hatte, sie gemeinsam zu entwickeln. Ein Schwerpunkt der Argumentation des BDF liegt sodann auf der wirtschaftlichen Bedeutung der gemeinsamen Vereinsarbeit für berufstätige Frauen: „Die wirtschaftliche und soziale Entwickelung der Neuzeit drängt, wie die Berufs-Statistik nachweist, eine jährlich wachsende Zahl von Frauen in eine selbstständige Erwerbsthätigkeit. Dieser Umgestaltung der Lebensführung sollte die Gesetzgebung Rechnung tragen, anstatt durch Ausnahme-Bestimmungen die Frauen von vornherein im Ringen um ihren Lebensunterhalt zu schädigen und ihnen die Erlangung besserer Lohn- und Arbeits-Bedingungen zu erschweren.“ Weitere Quellen: Raschke, Die deutschen Vereinsgesetze, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 15/16. Raschke, Reichstagseindrücke (Nr. 49). Raschke, Das Vereinsrecht der Frau in Preussen, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 125/126. Hinsberg, Das Vereinsrecht und die Frauen, in: Die Frau 1897/98, S. 729-739. Stritt, Die Protestversammlung der Dresdner Frauen gegen die Verschlechterung des Vereinsgesetzes, in: Die Frauenbewegung 1898, S. 38/39. Debatte im Reichstage über die Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine, betreffend das Vereins- und Versammlungsrecht, in: Die Frauenbewegung/PA 1900, S. 2931. Die Protestversammlung der Frauen gegen das Vereins- und Versammlungsrecht am 10. Februar in Berlin, in: Die Frauenbewegung 1901, S. 25/26. Das Reichsvereinsgesetz. ZfF 1901, S. 45. Eingabe der Gesellschaft für Soziale Reform an den Bundesrat und den Reichstag, das Vereinsrecht der Frauen betreffend, in: Die Frauenbewegung 1901, S. 94. Stritt, Die Agitation der bürgerlichen Frauenbewegung für ein einheitliches freies Vereinsund Versammlungsrecht, in: dies., Rechtskämpfe, Nr. 63, S. 149-153. Lange, „Die Frauen wünschen es gar nicht“. Eine Betrachtung zum Vereinsgesetz, in: Die Frau 1901/02, S. 305/306. Petition des Landesvereins Preussischer Volksschullehrerinnen an den Preussischen Landtag, Reform des Vereinsgesetzes von 1850 betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1902, S. 37/38. Augspurg, Das Abbröckeln des preußischen Vereinsgesetzes, in: Die Kultur 1902, S. 338-345. Verhandlungen im Preussischen Abgeordnetenhause, 34., 35. und 40. Sitzung am 22. und 24. Februar und 4. März 1902, das Vereinsrecht und die Frauen betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1902, S. 21/22. Verhandlungen des Preussischen Abgeordnetenhauses, 74. Sitzung am 5. Mai 1902, Teilnahme der Frauen an politischen Vereinen betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1902, S. 45-47, 49-51, 54/55, 58/59, 6163. Verhandlungen des bayerischen Landtags, 363. Sitzung am 30. Juli 1902, Ausschluss der Frauen von politischen Vereinen betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1902, S. 82/83, 89-91, 93-95. Wieder eine Bresche im preußischen Vereinsgesetz, in: Die Frauenbewegung/PA 1903, S. 5. Verhandlung des Reichstags, 193. Sitzung am 14. Oktober 1902, Petitionen von Frauenvereinen um Vereins- und Versammlungsfreiheit betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1903, S. 14/15, 18, 22/23, 26/27, 30/31, 38/39. Öffentliche Versammlung gegen das Vereins- und Versammlungsrecht, in: Die Frauenbewegung 1903, S. 46/47.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Verhandlung des Reichstags, 217. Sitzung am 15. November 1902, Schaffung eines einheitlichen deutschen Vereins- und Versammlungsrechts betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1903, S. 54, 58/59, 62/63, 65-67, 69/70. Lange, „Die Hand von der Politik“ (zur Reform des preuß. Vereinsgesetzes in Bezug auf die Frau), in: Die Frau 1903/04, S. 356359. Das Reichsvereinsgesetz, in: Die Frauenbewegung 1906, S. 11. Verhandlung des Reichstags über das Vereinsrecht der Frauen. 65. Sitzung am 14. März 1906, in: Die Frauenbewegung/PA 1906, S. 17/18, 19/20. Augspurg/Heymann, Protest des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Reichstagsabgeordneten Grafen von Hompeck, den Zentrumsantrag zum Vereinsrecht betreffend, in: Die Frauenbewegung 1906, S. 21. Das Hamburgische Vereinsgesetz und der Hamburg-Altonaer Zweigverein der Internationalen Föderation, in: Die Frauenbewegung 1906, 21/22. Das Deutsche Vereinsrecht, in: ZfF 1907, S. 21/22. Historische Übersicht der Kundgebungen von Seiten der bürgerlichen Frauen und Frauenvereine gegen das Vereinsgesetz, in: Die Frauenbewegung 1907, S. 95. Reichsvereinsgesetz, in: ZfF 1908, S. 1-2. Bebel (Nr. 6), S. 338f.
Petition des Bundes deutscher Frauen-Vereine an den Reichstag betreffend ein Vereinsgesetz. (14) Die Vereinsgesetze der meisten deutschen Bundesstaaten enthalten Bestimmungen, welche den Frauen die Teilnahme an politischen Vereinen und zum Teil auch an politischen Versammlungen verbieten. Wir empfinden diese Verkürzung unserer staatsbürgerlichen Rechte, die uns mit Minderjährigen auf eine Stufe stellt, nicht nur als unwürdig und dem Kulturzustande des deutschen Volkes nicht mehr entsprechend, sondern die Vorenthaltung der vollen Vereins- und Versammlungs-Freiheit bedeutet auch eine schwere Schädigung der wirtschaftlichen Interessen aller beruflich arbeitenden Frauen und ist, im Hinblicke auf die Dehnbarkeit des Begriffes „politisch“ geeignet, den Wert des § 152 der Gewerbeordnung für die Frauen illusorisch zu machen. Die wirtschaftliche und soziale Entwickelung der Neuzeit drängt, wie die Berufs-Statistik nachweist, eine jährlich wachsende Zahl von Frauen in eine selbstständige Erwerbsthätigkeit. Dieser Umgestaltung der Lebensführung sollte die Gesetzgebung Rechnung tragen, anstatt durch Ausnahme-Bestimmungen die Frauen von vornherein im Ringen um ihren Lebensunterhalt zu schädigen und ihnen die Erlangung besserer Lohn- und Arbeits-Bedingungen zu erschweren. Ebensowenig dürften sie es den Frauen erschweren, in dem ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechenden Umfange an allen von der Gegenwart geforderten sozialpolitischen Reformen, an der Volkswohlfahrt und an der Hebung ihres eigenen Geschlechtes mitzuarbeiten, denn ohne ihre Mitarbeit wird es niemals gelingen, alle diese Aufgaben einer befriedigenden Lösung entgegenzuführen. Wir geben uns der zuversichtlichen Hoffnung hin, die Vertreter des gesamten deutschen Volkes auch zur Wahrung der wichtigsten Fraueninteressen bereit zu finden, und bitten daher einen Hohen Reichstag, daß: 1. baldigst die Bestimmung des Art. 4 Nr. 16 der Reichsverfassung durch Schaffung eines der heutigen Zeit entsprechenden einheitlichen deutschen Vereins- und Versammlungs-Rechtes erfüllt, und daß
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2. in demselben die Gleichstellung mit den männlichen Volksangehörigen, welche die Frauen in den Vereinsgesetzen einiger Bundesstaaten (z.B. Baden, Hessen, K. Sachsen, Sachsen-Weimar25) bereits besitzen, der Gesamtheit der deutschen Frauen gewährt werden möge. Februar 1899.
13.
Der Bund deutscher Frauenvereine. i.A.: Auguste Schmidt. Hanna Bieber-Böhm. Marie Stritt.
Marie Calm: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? 1875
CALM, Marie: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne?, in: Der Frauen-Anwalt 1875, S. 249-265 Kommentar: Der vorliegende Text wurde von Marie Calm (1832-1887) 1873 auf dem Frauentag in Stuttgart vorgetragen und 1875 in der Zeitschrift „Der Frauen-Anwalt“* publiziert. Anknüpfend an Calms Vortrag wurde auf dem Frauentag 1873 beschlossen, „Petitionen an den Reichstag zu senden“, um eine „Abänderung der Civilgesetzgebung inbezug auf die rechtliche Stellung der Frauen“ zu erreichen (vgl. hierzu Nr. 42, S. 29 f.). Die einer großbürgerlichen Familie aus Arolsen entstammende und zuletzt in Kassel lebende Autorin beginnt ihre Karriere als Lehrerin und ist im Erziehungsberuf in England, Rußland und Deutschland tätig. Im Laufe der Jahre gibt sie ihren Lehrerinnenberuf jedoch zugunsten ihres Engagements für die bürgerliche Frauenbewegung sowie ihrer publizistischen Tätigkeit auf. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf die Stellung der Lehrerinnen und die höhere Frauenbildung.** Sie ist tätig im ADF sowie Mitbegründerin des Vereins deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen und des Casseler Frauenbildungsvereins. In ihrer Rede, eine der ältesten Quellen dieses Bandes, schildert Marie Calm die Rechtslage nicht von einem juristischen Standpunkt aus, sondern unterzieht die geltenden Bestimmungen einem mit vielen Beispielen ausgeschmückten Test ihrer Alltagsverträglichkeit. Die Autorin beginnt ihren Vortrag mit dem Beispiel eines Vaters, der seine Söhne hat einen Beruf erlernen lassen und seine Töchter lediglich mit einem kleinen Vermögen ausstattete. Von dem Verhalten dieses Vaters und dessen Pflichten, welchen er nur ungenügend nachgekommen ist, schlägt sie schnell den Bogen zu, wie sie sagt, „dem Vater im weiteren Sinne, dem Staate“. Die staatliche Gewähr den männlichen Staatsbürgern gegenüber, Bildung – Arbeit – gesetzliche Rechte, verlangt sie auch gegenüber den Frauen. Diese drei Forderungen bilden den roten Faden in ihrer Rede. 25 *
**
Auch Würtemberg. (D. Red.) Hrsg. von Jenny Hirsch, die u.a. Mills „subjection of women“ ins Deutsche übersetzt hatte (Mill, John Stuart, Die Hörigkeit der Frau. Aus dem Engl. übers. von Jenny Hirsch. Nebst einem Vorbericht enthaltend eine kurze Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der Frauenfrage von der Uebersetzerin. 2. Aufl., Berlin 1871). Bereits 1874 erfolgte eine Teilpublikation in den „Neuen Bahnen“ (Calm, Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? Neue Bahnen 1874, S. 33-36), welcher auf den dritten Punkt (Rechtsfragen) beschränkt war. Calm (S. 33) begründet dies damit, daß dieser Punkt „als bisher am wenigsten besprochener, vielleicht das meiste Interesse bietet“. Siehe zu Leben und schriftstellerischem Werk Marie Calms: Brinkler-Gabler u.a., Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945, S. 51 f.; Riedel, Gleiches Recht für Frau und Mann, S. 78-86 (mit speziellem Bezug auf den vorliegenden Quellentext).
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2. in demselben die Gleichstellung mit den männlichen Volksangehörigen, welche die Frauen in den Vereinsgesetzen einiger Bundesstaaten (z.B. Baden, Hessen, K. Sachsen, Sachsen-Weimar25) bereits besitzen, der Gesamtheit der deutschen Frauen gewährt werden möge. Februar 1899.
13.
Der Bund deutscher Frauenvereine. i.A.: Auguste Schmidt. Hanna Bieber-Böhm. Marie Stritt.
Marie Calm: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? 1875
CALM, Marie: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne?, in: Der Frauen-Anwalt 1875, S. 249-265 Kommentar: Der vorliegende Text wurde von Marie Calm (1832-1887) 1873 auf dem Frauentag in Stuttgart vorgetragen und 1875 in der Zeitschrift „Der Frauen-Anwalt“* publiziert. Anknüpfend an Calms Vortrag wurde auf dem Frauentag 1873 beschlossen, „Petitionen an den Reichstag zu senden“, um eine „Abänderung der Civilgesetzgebung inbezug auf die rechtliche Stellung der Frauen“ zu erreichen (vgl. hierzu Nr. 42, S. 29 f.). Die einer großbürgerlichen Familie aus Arolsen entstammende und zuletzt in Kassel lebende Autorin beginnt ihre Karriere als Lehrerin und ist im Erziehungsberuf in England, Rußland und Deutschland tätig. Im Laufe der Jahre gibt sie ihren Lehrerinnenberuf jedoch zugunsten ihres Engagements für die bürgerliche Frauenbewegung sowie ihrer publizistischen Tätigkeit auf. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf die Stellung der Lehrerinnen und die höhere Frauenbildung.** Sie ist tätig im ADF sowie Mitbegründerin des Vereins deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen und des Casseler Frauenbildungsvereins. In ihrer Rede, eine der ältesten Quellen dieses Bandes, schildert Marie Calm die Rechtslage nicht von einem juristischen Standpunkt aus, sondern unterzieht die geltenden Bestimmungen einem mit vielen Beispielen ausgeschmückten Test ihrer Alltagsverträglichkeit. Die Autorin beginnt ihren Vortrag mit dem Beispiel eines Vaters, der seine Söhne hat einen Beruf erlernen lassen und seine Töchter lediglich mit einem kleinen Vermögen ausstattete. Von dem Verhalten dieses Vaters und dessen Pflichten, welchen er nur ungenügend nachgekommen ist, schlägt sie schnell den Bogen zu, wie sie sagt, „dem Vater im weiteren Sinne, dem Staate“. Die staatliche Gewähr den männlichen Staatsbürgern gegenüber, Bildung – Arbeit – gesetzliche Rechte, verlangt sie auch gegenüber den Frauen. Diese drei Forderungen bilden den roten Faden in ihrer Rede. 25 *
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Auch Würtemberg. (D. Red.) Hrsg. von Jenny Hirsch, die u.a. Mills „subjection of women“ ins Deutsche übersetzt hatte (Mill, John Stuart, Die Hörigkeit der Frau. Aus dem Engl. übers. von Jenny Hirsch. Nebst einem Vorbericht enthaltend eine kurze Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der Frauenfrage von der Uebersetzerin. 2. Aufl., Berlin 1871). Bereits 1874 erfolgte eine Teilpublikation in den „Neuen Bahnen“ (Calm, Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? Neue Bahnen 1874, S. 33-36), welcher auf den dritten Punkt (Rechtsfragen) beschränkt war. Calm (S. 33) begründet dies damit, daß dieser Punkt „als bisher am wenigsten besprochener, vielleicht das meiste Interesse bietet“. Siehe zu Leben und schriftstellerischem Werk Marie Calms: Brinkler-Gabler u.a., Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945, S. 51 f.; Riedel, Gleiches Recht für Frau und Mann, S. 78-86 (mit speziellem Bezug auf den vorliegenden Quellentext).
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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So gelangt Calm zur Bildungsfrage, namentlich der Diskussion über die ungenügenden Angebote der Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen. Zunächst setzt sie sich mit der Thematik der Mädchenschulen auseinander und kommt durch Zuhilfenahme statistischer Belege zu dem Schluß, daß der Staat auf diesem Gebiet einen gewaltigen Nachholbedarf hat, um das staatliche Bildungsangebot für Mädchen näher an das für die Jungen anzugleichen und um die Mädchenbildung nicht auf die privaten Schulen abzuwälzen. Sie formuliert hier eine Forderung nach Fortbildungsschulen für Frauen im Bereich von Haushaltungs- und Gesundheitslehre sowie nach Berufsschulen für Fachausbildungen in Bereichen wie Gesundheitslehre und Pädagogik. Damit sollen die Frauen auch ihrem „natürlichen Berufe“, der Ehe, etwas entgegensetzen können. Dabei erwähnt Calm auch die neuen Probleme des Wirtschaftslebens ihrer Zeit, indem sie bezüglich der Erwerbsmöglichkeiten der Frau sagt: „… das Monopol der Nadel ist ihr durch die Maschine entzogen worden …“. Hinsichtlich der Möglichkeit, das Gelernte auch einsetzen zu können, kommt sie zu der nüchternen Feststellung, daß die Frauen beim Staat lediglich im Bereich der Pädagogik auf eine Stelle hoffen können und daß nach wie vor Vorurteile gegen Lehrerinnen bestehen. Deren Anzahl stehe auch in einem deutlichen Mißverhältnis zu der der Lehrer, was durch Vergleiche mit England und Nordamerika noch unterstrichen wird, wo Frauen auch die akademischen Berufe offenstehen. Die Überlegungen münden in die Forderung, daß sich Deutschland an den angelsächsischen Ländern ein Beispiel nehmen und die Universitäten für die Frauen öffnen soll. Zur rechtlichen Beziehung (S. 260-265), in Abgrenzung zur sozialpolitischen, will sie sich auf „wenige Bemerkungen“ beschränken, da, wie sie selbst angibt, ihr nur eingeschränkte juristische Kenntnisse zu Gebote stehen. Gleichwohl handelt es sich um einen der ersten deutschen Schlüsseltexte von Frauenseite zur juristischen Dimension der Frauenfrage. Artikel 4 der preußischen Verfassung von 1850 („Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich“) unterzieht Calm einer kritischen Würdigung, mit der Konklusion, daß die Preußen und Preußinnen lediglich im Bereich der Steuerbelastung vor dem Gesetz gleich sind. Hierbei wird deutlich, daß sie unter dem Einfluß der Schrift von Ludwig Wachler „Zur rechtlichen Stellung der Frauen“ (Nr. 64)*** steht, welcher ebenfalls auf Artikel 4 abstellt, um die Intention des Gesetzgebers zu verdeutlichen, Mann und Frau gleichstellen zu wollen. Es folgt eine an Beispielfällen erläuterte Kritik am ehelichen Güterrecht. Bei ihrer Darstellung der Vormundschaft wird Calms fehlende juristische Ausbildung deutlich, da sie Aspekte der Vormundschaft über Kinder mit denen der damals bereits fast völlig abgeschafften Geschlechtsvormundschaft vermischt. Im Ergebnis fordert sie hier den Abbau von Benachteiligungen verwitweter Mütter und weiterhin eine verbesserte Rechtsstellung volljähriger unverheirateter Töchter. Letztere sollen unter den gleichen Bedingungen wie Söhne von der väterlichen Gewalt unabhängig werden können. Sie schließt ihre Ausführungen mit der Forderung nach einem Mitspracherecht der Frauen bei Unterrichts- und Erziehungsfragen ihres Geschlechts und der Feststellung, daß, wenn es in Bezug auf die steuerliche Belastung keine Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, diese Gleichstellung in Bezug auf Pflichten auch zu einer Gleichstellung in Bezug auf Rechte führen soll.
*** Calm, weist auf die Verbindung zu Wachler hin. Des weiteren sind Bezüge nachweis-
bar auf Julius Weil, Die Frauen im Recht. Juristische Unterhaltungen am Damentisch, in: Der Frauen-Anwalt 1872, S. 407-419, 448-455 (vgl. hierzu Riedel, Gleiches Recht, S. 80). Sie übernimmt insbesondere Weils Ausführungen zum Güterrecht.
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Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? Von Marie Calm. In einer Gesellschaft war kürzlich die Rede von einem Herrn, der seine drei Söhne jeden nach Wahl etwas Tüchtiges hatte lernen lassen; sein kleines Vermögen aber hatte er seinen drei Töchtern vermacht, die keine Bildung genossen hatten, welche ihnen zu einem Erwerb hätte dienen können. Die Gesellschaft nun stritt darüber, ob der Vater recht gethan habe oder nicht. Die Einen billigten sein Verfahren, die Andern meinten, es sei ungerecht von ihm gewesen, die Söhne zu enterben. Uns erschien die Handlungsweise des Vaters ebenfalls ungerecht, aber nicht in Bezug auf die Söhne, sondern auf die Töchter. Ersteren hatte er ein Kapital gegeben, das, gut benutzt, immer höhere Zinsen tragen konnte; letzteren ein kleines Vermögen, das, so wie die Verhältnisse augenblicklich lagen, sie wohl vor Mangel schützte, das aber bei den stets steigenden Preisen aller Lebensbedürfnisse mit der Zeit dazu nicht mehr ausreichen würde. Daß aber der Mensch „nicht vom Brode allein“ lebt, daß „leben“ in der höheren Bedeutung des Wortes heißt: seine Kräfte üben, ausbilden, benutzen; daß „ein unnütz‘ Dasein ein früher Tod ist“ – daran hatte der Vater augenscheinlich gar nicht gedacht! Nein, er hatte für seine Töchter nicht so gut gesorgt, wie für seine Söhne und doch wird Jedermann zugeben, daß der leibliche Vater die Pflicht hatte, dies zu thun. Wie aber steht es in dieser Beziehung mit dem Vater im weiteren Sinne, dem Staate? Hat er die Pflicht, für seine Töchter in demselben Maße, wenn auch in anderer Weise, zu sorgen, wie für seine Söhne? . . . . Wir meinen, die Frage ließe sich nicht verneinen, oder doch für die (250) Verneinung seine stichhaltigen Gründe anführen. Der einzige Einwand, den man vielleicht erheben könnte, ist folgender: Man könnte sagen: der Staat sorgt für seine männlichen Angehörigen; diese verheirathen sich mit den weiblichen, und sorgen für diese; so sorgt der Staat mittelbar auch für seine Töchter. Hierauf haben wir zweierlei zu erwidern. Erstens verstehen wir unter „sorgen“ nicht blos die Beschaffung der Existenzmittel, sondern auch die Gewährung der Mittel zur Ausbildung unserer Kräfte, was uns, wie schon gesagt, zum leben notwendig erscheint. Zweitens aber finden durchaus nicht alle Frauen jene Versorgung durch die Ehe; nicht alle verheiratheten Frauen finden wirklich eine Versorgung in der Ehe, sondern müssen für den gemeinsamen Unterhalt mit arbeiten, und viele verheirathet gewesene Frauen sind als Wittwen wieder auf sich selbst und die eigene Kraft angewiesen. – Bedenken wir nun noch, daß der Staat nicht, wie der leibliche Vater, der Tochter ein Vermögen geben oder ihre Zukunft durch eine Heirath sichern kann, daß er also durchaus nicht in besonderer Weise für sie sorgt, so erscheint die Forderung gewiß gerechtfertigt, daß er es in ohngefähr derselben Weise thue, wie für seine männlichen Angehörigen. Was er aber diesen gewährt, ist dreierlei. Er gibt ihnen 1. Gelegenheit zu lernen, 2. Gelegenheit das Gelernte zu verwerthen, und 3. gesetzliche Rechte. Diese drei Dinge nun verlangen wir auch für die Frau! Zuerst also die Gelegenheit zu lernen.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Aber gibt man diese der Frau nicht? Hat Deutschland nicht eine große Anzahl von Mädchenschulen aufzuweisen und ist die Trefflichkeit derselben im Allgemeinen nicht anerkannt? Gewiß; aber wenn wir vergleichen, wie viele Lehranstalten für Knaben, wie viele für Mädchen da sind, so finden wir die Zahl der letzteren überall weit geringer, als die der ersteren. So nennt der Mußhack‘sche Schulkalender von 1872 im preußischen Staate 485 höhere Schulen für Knaben, und nur 260 solche für Mädchen. Und doch übersteigt nach der Zählung vom 1. Dec. 1872 die Zahl der Frauen diejenige der Männer um 3/4 Millionen! Allerdings kommt dabei in Betracht, daß neben den dort angeführten größeren Mädchenschulen eine Menge kleiner Privatanstalten existiren, über welche jenes Werk nicht berichtet. Aber die Nothwendigkeit einer so umfangreichen Privathülfe beweist eben die Unzulänglichkeit dessen, was der Staat, respective die Gemeinde (251) thut. Sind doch von jenen 260 höheren Töchterschulen 128 PrivatAnstalten, – also fast die Hälfte, während sich unter den 485 höheren Schulanstalten für Knaben kaum ein Dutzend Privatschulen befinden! Nun ist es durchaus nicht unsre Ansicht, daß die Privatschulen schlechter sein müssen, als die Staatsanstalten. Im Gegentheil kennen wir vortreffliche derartige Schulen, die schon, weil sie meist nur eine beschränktere Zahl von Schülerinnen aufnehmen, oft mehr leisten und besonders einen bessern sittlichen Einfluß ausüben, als die nur zu oft überfüllten öffentlichen Schulen. Aber wir sehen nicht ein, warum die Staatsanstalten sich nicht die Vortheile der Privat-Anstalten aneignen können, während diese letzteren niemals die Rechte und Vortheile der öffentlichen Schulen zu erringen vermögen. Diese werden vom Staat oder von der Gemeinde erhalten; die Lehrer sind unabhängig von der Zahl der Schüler, und meist dauernd und mit Pensionsberechtigung angestellt, die Privatschule muß sich selbst erhalten, und die Folge ist gewöhnlich eine Ueberbürdung des Vorstandes, geringere Honorirung der Lehrkräfte die deshalb auch nicht immer die Besten sein können, oder den Unterricht an der Töchterschule nur als Nebenamt betrachten, und nicht selten eine Rücksichtnahme auf Eltern und Schülerinnen, welche der nöthigen Disciplin nichts weniger als förderlich ist. Ganz abgesehen aber von diesen Mißständen, unter denen die meisten Privatschulen mehr oder weniger leiden, theilen alle, die öffentlichen wie die Privatanstalten, einen großen Mangel; das ist der, eines bestimmten Zieles, einer festen Organisation. In der Encyclopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens spricht sich Flashar folgendermaßen hierüber aus: „Abgesehen von allgemeinen Bestimmungen über das Schulwesen“ sagt er, „von denen die höheren Töchterschulen gelegentlich mit getroffen wurden, hat bisher die Gesetzgebung die Organisation, das Ziel und den ganzen Charakter dieser Anstalten noch nirgends in Deutschland fixirt, daher denn auch viele Verhältnisse derselben: ihre Berechtigung, die Besoldung der Lehrer, die Stellung derselben den Lehrern anderer Schulen gegenüber, das Klassensystem, Stundenzahl, die Frequenz ec. sich in großer Unklarheit und Unsicherheit befinden.“
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Und so ist es in der That. Während bei jeder Knabenschule, sei sie Gymnasium, Real- oder Bürgerschule festgestellt ist, was dort gelernt, welches Ziel erstrebt werden soll, hat man es bisher noch nicht für nöthig befunden, festzustellen, was unsere Mädchen (252) lernen, wozu sie herangebildet werden sollen. Demgemäß kann jeder Vorsteher oder jede Vorsteherin ziemlich unbehindert den eigenen Ansichten folgen, und je nachdem diese gut und vernünftig sind oder nicht, werden auch die Schülerinnen gut und vernünftig gebildet – oder das Gegentheil findet Statt! In der letzten Zeit, freuen wir uns sagen zu können, hat man in Preußen viel dafür gethan, diesen Mißständen abzuhelfen. Während noch der Entwurf des Unterrichtsgesetzes von 1871 nur 2 Paragraphen, den 101. und 132. enthielt, die überhaupt von Töchterschulen und Lehrerinnenbildung handelten, und es im letzteren hieß: „Zur unmittelbaren, gesetzlichen Feststellung allgemeiner Normen für den höheren Unterricht der weiblichen Jugend reichen die bisherigen Erfahrungen nicht hin,“ – hat der jetzige Kultusminister, Sr. Excellenz Herr Dr. Falk der Sache seine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und wir dürfen hoffen, daß die im Sommer 1873 von ihm einberufene Conferenz von Vorstehern höherer Töchterschulen die besten Früchte in dieser Beziehung tragen werde. Sehr erfreulich ist es auch, daß man mehr und mehr die Notwendigkeit des Handarbeitsunterrichts in den Dorfschulen anzuerkennen beginnt, – ein Unterrichtszweig, der bisher fast in ganz Deutschland (Würtemberg vielleicht ausgenommen, wo schon seit 1855 Volkslehrerinnen angestellt wurden) in trauriger Weise vernachlässigt worden ist. In der That, es giebt kaum einen größeren Beweis für die gänzliche Einflußlosigkeit der Frauen auf die öffentliche Mädchenerziehung, als den Umstand, daß den Zöglingen der Volksschulen zwar der Gebrauch der Feder, durchaus aber nicht immer derjenige der Nadel gelehrt wird. Man schätzt den Bildungsgrad eines Volkes danach ab, wie viele Procente desselben lesen und schreiben können, bei den Frauen des Volkes aber würde es einen richtigern Maßstab abgeben zu untersuchen, wie viele von ihnen sich ihre Kleidungsstücke selbst verfertigen können. Jedenfalls machen die Landbewohnerinnen Englands und Frankreichs, von denen bekanntlich kaum der 4. Theil in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens eingeweiht sind, die aber sich und ihre Angehörigen ordentlich und reinlich zu kleiden verstehen, einen weit gebildeteren Eindruck als die unseren. Gewiß, wir unterschätzen jene Kenntnisse nicht, und möchten sie um keinen Preis entbehren, aber das Eine hindert ja das Andre nicht. Wie auf so manchem Gebiete sind wir Deutsche auch hier nicht praktisch genug, sonst hätte man längst eingesehen, daß eine Bäuerin weit eher durch die Welt (253) kommt und ihren Platz ausfüllt, ohne lesen und schreiben, als ohne nähen zu können. Wenden wir uns nun von der Volksschule, also der untersten Klasse von Lehranstalten, zu der obersten Klasse der für das weibliche Geschlecht bestehenden, den Lehrerinnen-Seminarien, so zeigt sich uns auch da gar mancher Mangel. Quantitativ wie qualitativ stehen diese Anstalten bedeutend hinter den für Männer vorhandenen zurück. Da ein näheres Eingehen auf diesen Gegenstand hier nicht möglich ist, so wollen wir nur in Bezug auf die Quantität anführen, daß in Preußen, auf 92 Lehrer-Seminare nur 8 vom Unterrichts-Ministerium anerkannte Lehrerinnen-Seminare kommen und in Hinsicht auf die Qualität, daß nach dem Normal-Etat für die Besoldung der Direktoren und Lehrer an Seminarien vom Fe-
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bruar 1864 der Direktor eines Lehrer-Seminars 1000–1200 Thlr., der eines Lehrerinnen-Seminars 600–700 Thlr. Gehalt erhält. Fügen wir noch hinzu, daß von jenen 92 Lehrer-Seminarien 9 eine Vorbildung für gelehrte Schulen geben, während kein Lehrerinnen-Seminar seinen Zöglingen eine Ausbildung gewährt, die derjenigen eines akademisch gebildeten Lehrers auch nur annähernd gleich käme, so ist es wohl klar, daß der Staat in dieser Beziehung seine Pflichten gegen seine Töchter nicht genügend erfüllt. Damit aber schadet er nicht nur diesen, sondern auch sich selbst. Wir wollen hier nicht auf die Nothwendigkeit, den Lehrerinnen eine höhere Bildung angedeihen zu lassen, eingehen; aber hat denn die Lehrerin allein zu unterrichten und zu erziehen? Nein, jede Mutter, jede Schwester, das ganze weibliche Geschlecht ist von Natur zum Erziehungsberufe bestimmt, den es nicht nur an den Töchtern, sondern auch an den Söhnen des Staates ausübt, – und, sicherlich um so besser ausüben wird, je höher und gründlicher seine eigene Bildung ist! Oder sollte es wirklich noch nöthig sein zu beweisen, daß Bildung, d. h. wahre gründliche Bildung, den Frauen so wenig schadet, sondern im Gegentheil nützt, wie den Männern? Man kann es kaum glauben, und doch ist es wahr, daß es immer noch Menschen, – und sonst ganz vernünftige Menschen! – gibt, die hieran zweifeln. „Die Frauen brauchen gar nicht so viel zu lernen,“ heißt es da, „das macht sie nur eingebildet, und untüchtig für ihren Beruf als Hausfrau.“ Eingebildet . . . das macht doch nur die Halbbildung, die für jeden Menschen, ob Mann oder Frau, schädlich ist. Der wirklich gebildete Mensch, – auch wieder einerlei, ob Mann oder (254) Frau – weiß daß sein Wissen unendlich unbedeutend ist; aber es erweitert doch den Gesichtskreis, und gibt den Frauen, was ihnen so nöthig ist, Interessen für andere Dinge, als Toilette, Dienstboten und die Fehler der lieben Nebenmenschen. Gerade die Männer werfen dem weiblichen Geschlechte so oft vor, daß jene Gegenstände es zu sehr in Anspruch nähmen, daß Putz- und Vergnügungssucht es mehr und mehr beherrschten; aber welche Mittel werden den jungen Mädchen denn gegeben, gegen diese oberflächliche Richtung anzukämpfen? . . . Mit 15, 16 Jahren hört meist aller Unterricht auf, man erklärt sie für fertig, für gebildet genug; der Geist hat nun sein Theil bekommen, jetzt ist die Hauptsache, die junge Dame äußerlich zu schmücken, um in Gesellschaften zu glänzen, und – eine möglichst gute Parthie zu machen. Nebenher wird noch ein wenig Musik, ein wenig Französisch und Englisch getrieben; hier und da guckt das Töchterchen auch einmal in die Küche (wovon sie aber selten viel lernt!), die Lektüre beschränkt sich meist auf Romane, von denen nicht immer die Besten ausgesucht werden; wie ist es da anders möglich, als daß der gute Saame, wenn er wirklich gesäet war, untergeht, daß alle höhern Interessen verschlungen werden in dem Bestreben zu gefallen, sich zu amüsiren; daß aus dem vielleicht gut veranlagtem Kinde ein eitles, oberflächliches Mädchen, und dereinst eine eben so eitle und oberflächliche Frau wird? Und eine solche Frau soll dann die Freundin, die Gehülfin ihres Gatten, soll die Erzieherin des emporwachsenden Geschlechtes sein! . . . Nein, das Vertrauen, welches man in das junge Mädchen setzt, mit 16 Jahren fertig zu sein, ihre Bildung vollendet zu haben, verdient sie nicht; sie ist da leider noch sehr unfertig, bedarf noch sehr der Ausbildung, sowohl um die in ihr ruhenden Fähigkeiten nur einigermaßen zur Reife zu bringen, als auch, um sie für ihren künftigen Beruf vorzubereiten. Ja, auch gerade das! Wir behaupten, daß ein wirklich gebildetes Mädchen nicht nur keine schlechte Hausfrau sein, sondern erst
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recht eine gute werden wird. Das Mädchen, das seine Jugend vertändelt, und all seinen Sinn auf Putz und Vergnügen gerichtet hat, wird schwerlich nach der Verheirathung sich plötzlich ändern, die Frau aber, welche überhaupt arbeiten gelernt, die den Werth der Zeit, der Ordnung, einer regelmäßigen Eintheilung und Einrichtung kennen gelernt hat – und das lehrt jede Arbeit! – die sich früh gewöhnt hat, ihre Gedanken auf das, was sie thut, zu conzentriren, anstatt mit den Fingern Occus zu machen, und mit den Gedanken spazieren zu gehen; – kurz die gelernt hat überhaupt Pflichten (255) zu erfüllen, die wird auch die der Hausfrau, Gattin und Mutter oder welche das spätere Leben ihr bringen mag, treu und gewissenhaft erfüllen, während wir auf der andern Seite Beispiele kennen, daß Frauen, so ungebildet und unwissend waren, wie der ärgste Blaustrumpfhasser sie nur irgend wünschen kann, und deshalb doch nichts weniger, als vorzügliche Hausfrauen, Gattinnen und Mütter abgaben. Deshalb aber, weil unsre Mädchen mit 15 oder 16 Jahren noch nicht fertig sind, weil die dann meist eintretende pflichten- und arbeitslose Zeit sie weder auf ihren künftigen Beruf vorbereiten, noch für die sie erwartenden Prüfungen und Versuchungen stählen kann, – deshalb verlangen wir Fortbildungsschulen für sie. Eines Theils solche, die das in der Schule Gelernte befestigen und erweitern – das letztere besonders durch Haushaltungs- und Gesundheitslehre, Pädagogik u. dgl., also Kenntnisse, die für ihren natürlichen Beruf von Nutzen sind; andern Theils wirkliche Berufsschulen, in denen ihnen Gelegenheit geboten wird, sich für irgend ein Fach, sei es ein Gewerbe oder eine Kunst, auszubilden. Daß solche Anstalten nöthig sind, kann wohl kaum noch bezweifelt werden. Ist das, was wir jetzt „Frauenfrage“ nennen, doch zuerst dadurch wieder angeregt worden (denn es bestand längst!), daß wie aus einer statistischen Untersuchung in England im Jahre 1856 hervorging, 2 Millionen Frauen dort auf den Erwerb angewiesen waren! In Preußen existirten nach der Zählung von 1864 – also vor der Annektion – 1,827,441 unverheirathete Frauen, und 700,000 Wittwen; daß diese Zahlen sich seit den beiden letzten, blutigen Kriegen noch sehr vermehrt haben, ist wohl selbstverständlich. Nun verwehrt freilich Niemand diesen alleinstehenden, mittellosen Frauen zu arbeiten; aber jede Arbeit will gelernt sein, und die Gelegenheit dazu, die Anstalten, in denen sie einen Beruf erlernen können, sind noch sehr selten. Diesem Mangel also müßte abgeholfen werden, und zwar in umfassenderer und gründlicherer Weise, als es durch Vereine und Privatkräfte möglich ist. Denn nicht nur für die arme Frau sind solche Anstalten nöthig; für eine jede Frau würden sie ein Segen sein, denn für eine jede ist die Arbeit sowohl eine Pflicht, als eine Ehre, und fügen wir hinzu, ein Glück. Wahrlich, die Frauen, denen der natürliche Beruf, derjenige der Ehe, nicht geworden, und welche durch die Verhältnisse der Notwendigkeit der Arbeit überhoben sind, sie würden weit glücklicher sein und eine weit ehrenvollere Stellung in der Gesellschaft (256) einnehmen, wenn sie einen Beruf erwählt hätten! Blicken wir nur einmal hinein in solche, dem Anschein nach glänzende Existenzen: keine Sorge, keine Pflichten, alle Tage ein anderes Vergnügen; und doch welche Leere, welche Langeweile, ja, oft welcher Lebensüberdruß! . . . Aber nicht die Frau allein ist deshalb anzuklagen; ein großer Theil der Schuld fällt auf die Gesellschaft, die Welt, welche, wenn ein solches wohlhabendes Mädchen einen Beruf ergreift, ganz erstaunt fragt: „warum thut sie das? sie hat es ja nicht nöthig!“ – während sie doch den Mann verachtet, der sich durch sein Vermögen
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jeder nützlichen Beschäftigung überhoben glaubt. Nein, die Frauen wollen nicht die Drohnen der menschlichen Gesellschaft sein, wollen auch nicht ein Blumendasein führen, wie die Dichter es uns so gern zuweisen, das aber, bei Lichte besehen, kein menschenwürdiges Dasein ist; sie wollen mit arbeiten in dem großen, menschlichen Haushalte, sich mit betheiligen an dem Culturwerke ihrer Zeit; aber um dies zu können, müssen ihre Kräfte mehr, als dies bisher geschehen, ausgebildet werden, und zu dieser Ausbildung erbitten sie die Hülfe des Staates, dem sie dienen möchten. – Wir haben uns so lange bei diesem ersten Punkte: dem Unterrichte des weiblichen Geschlechts, aufgehalten, weil er uns der hauptsächlichste scheint. In der That, sind die Frauen nur erst der Mehrzahl nach gut unterrichtet, haben sie etwas gelernt, das sie befähigt, sich nützlich zu machen, sich, falls sie den natürlichen Beruf nicht finden, in einem anderen ein ehrenvolles Brod erwerben zu können, dann wird auch das Zweite, das wir erstreben: Die Gelegenheit, das Gelernte zu verwerthen, ihnen in größerem Maße geboten werden. Bis jetzt fanden die Frauen diese Gelegenheit, d. h. eine Anstellung vom Staat oder in der Gemeinde fast nur auf dem Felde der Pädagogik. Da allerdings hat man schon lange eingesehen, daß man der Hülfe der Frauen bedürfe; aber man sucht sie trotzdem möglichst zu beschränken. Während im Hause, bei der Erziehung der Kinder – und oft der Söhne sowohl, als der Töchter – die Mutter die erste Rolle spielt, während man da auch der Unwissendsten die Fähigkeit, ihre Kinder zu leiten, zuerkennt, wird diese Fähigkeit in Bezug auf die Schule immer noch sehr in Zweifel gezogen. Denn es unterrichten an den Mädchenschulen weit mehr Lehrer, als Lehrerinnen, und an den öffentlichen Schulen besonders ist die Wirksamkeit der letzteren eine sehr beschränkte. Auch in dieser Beziehung hat man auf der Berliner Conferenz erfreuliche (257) Zugeständnisse gemacht; trotzdem aber wird es noch einiger Zeit bedürfen, ehe die Vorurtheile, welche immer noch der Verwendung der Lehrerinnen entgegen stehen, besiegt sind. Es würde zu weit führen, wollten wir hier auf die Verhältnisse in andern Ländern hinweisen, zeigen wie z.B. in England, – wo die Frauen der besten Classen wahrlich nicht ungebildeter sind, als bei uns! – die Mädchenerziehung ganz in weiblichen Händen liegt, und wie in Nord-Amerika auf 3 Lehrer etwa 20 Lehrerinnen kommen. Dieses letztere Verhältniß möchten wir selbst nicht wünschen, wir möchten nur den Einfluß der Lehrerin auf die Mädchenerziehung mit dem des Lehrers gleich sehen. „Gut,“ antwortet man uns, „aber die Lehrerin bringt für ihren Beruf doch nicht die gleichen Kenntnisse mit, wie der Lehrer.“ Wir wollen diese Behauptung im Allgemeinen gelten lassen, nur möchten wir fragen: geht dieser Mangel an Kenntnissen aus einem Mangel an Fähigkeiten hervor, oder aus dem Mangel an genügender Vorbildung? Wir haben bei der Besprechung der Lehrerinnen-Seminare schon das letztere bewiesen und erinnern, nur noch daran, daß der beste Gelehrte durchaus nicht immer der beste Lehrer ist. Außerdem aber möchten wir fragen: was wird, und gerade von den Männern, an der Frau am höchsten geschätzt? das Wissen, die positiven Kenntnisse? oder die wahre Herzensbildung, der feine Takt, der ächt weibliche Sinn? Gewiß doch diese letzteren Eigenschaften, und daß diese vorzugsweise der Pflege einer weiblichen Hand bedürfen, das wird doch Jeder zugeben müssen.
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Indessen ist es längst anerkannt, daß der Beruf der Lehrerin nicht der einzige für die Frau sein kann noch darf. Gerade dieser Beruf erfordert eine besondere Begabung, besondere Neigung, und das Vorurtheil, daß nur er standesgemäß sei, hat sowohl dem Stande selbst, sowie den armen Erziehungs-Objekten wesentlich geschadet. So sucht man denn, vorzüglich seit den letzten Jahrzehnten, den Frauen auch andere Bahnen zu eröffnen, und in vielen Ländern hat der Staat bereitwilligst seine Hülfe dazu geliehen. Wir sehen ein spöttisches Lächeln die Lippen unserer Leser umspielen, wenn wir ihnen erzählen, daß in Amerika, einem Census vom vorigen Jahre zufolge, 500 weibliche Aerzte und Chirurgen, 5 weibliche Advokaten, ebenso viel Notare, 67 Pfarrer, und circa 400 Postmeisterinnen existiren, welch' letztere ein Gehalt von 3–4000 Dollars beziehen, während mehrere der weiblichen Aerzte (258) (wie Dr. Mary Walter, die Schwestern Blackwell, Dr. Mary Putnam u. A.) sich eines Einkommens von 10–15,000 Dollars erfreuen. Wir geben zu, daß die deutschen Verhältnisse und die deutschen Frauen zu verschieden von den amerikanischen sind, als daß letztere uns zum Maßstab dienen könnten, allein auch in dem uns verwandteren England finden wir viele weibliche Aerzte theils in den Städten praktizirend, theils an Hospitälern angestellt und bei den Post- und TelegraphenAnstalten sind allein in London mehr als tausend Frauen beschäftigt. Gewiß, die deutschen Frauen streben weder nach der Soutane, noch nach der Robe, da lassen sie gern das alte: „mulier taceat in ecclesia“ gelten; aber was den ärztlichen Beruf und die Anstellung der Frauen bei den öffentlichen Verkehrsanstalten entgegen steht, sind in der That nur Vorurtheile. Wir haben diese Vorurtheile so oft schon besprochen und zu bekämpfen gesucht, daß wir uns in dieser Beziehung hier kurz fassen müssen. Die Haupteinwendungen gegen das Studium der Medicin für die Frauen sind gewöhnlich: daß ihre Befähigung nicht dafür ausreiche, und daß der ärztliche Beruf sich mit dem weiblichen Zartgefühl nicht vertrage. Den erstern Einwand widerlegen die schon nach Hunderten zählenden weiblichen Aerzte in Nord-Amerika, England, Rußland, der Schweiz und Schweden auf das Praktischste, und auch bei uns dürfte diese Frage wohl nicht durch die Theorie, sondern nur aus empirischem Wege zu lösen sein; hinsichtlich des zweiten Punktes aber möchten wir fragen, was wohl das weibliche Zartgefühl mehr verletzt: Vorträge über die Beschaffenheit und die Krankheiten des menschlichen Körpers zu hören, wissenschaftliche Experimente anzustellen, Recepte zu schreiben, Wunden zu verbinden, kranke Glieder zu untersuchen, – kurz, als Frauenund Kinderarzt zu fungiren (denn darauf beschränken sich selbstverständlich alle weiblichen Aerzte), oder sich selbst irgend einem fremden Manne, welcher der Frau als Arzt zugeführt wird, anzuvertrauen, und, in den schwersten Stunden ihres Lebens rückhaltlos seinen Händen sich zu überlassen? Wahrlich, nur die Nothwendigkeit und die daraus hervorgegangene Gewohnheit haben das weibliche Zartgefühl so weit abgestumpft, um ihr dies erträglich zu machen, und sicher ist Maria von Burgund nicht die einzige Frau gewesen, welche dadurch, daß sie sich jener Nothwendigkeit nicht unterwerfen wollte, einen frühen Tod gefunden hat. Sehr unlogisch ist es übrigens auch, daß man die Krankenpflege den Diakonissinnen anvertraut, daß man während des letzten Krieges (259) die Hülfe der Frauen in den Lazarethen – wo es sich nicht um Frauen und Kinder handelte! – dankbar annahm, daß man Hebammen für tüchtig hält und anstellt, – und doch den Schritt weiter bis zum Arzte so sehr verpönt. Dieses Alles mögen diejenigen bedenken,
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welche sich dem medicinischen Studium der Frauen widersetzen, vielleicht werden dann mit der Zeit diese Vorurtheile schwinden, und erst dann dürfen wir hoffen, daß auch der Staat den Frauen seine Hülfe leihen, ihnen die Pforten der Universitäten öffnen, und ihre Kräfte auch auf diesem Gebiete benutzen werde. Auch die Anstellung der Frauen bei den Verkehrsanstalten, obwohl durch eine Cabinetsordre vom 30. Dec. 1872 genehmigt, stößt noch auf vielfache Bedenken im Publikum, – Bedenken, die nicht zu verwundern sind, wenn man sich der Verhandlungen erinnert, welche z.B. im Reichstag darüber Statt fanden. Jene Verhandlungen aus denen einzelne Bemerkungen noch jetzt als Couplets in Possen figuriren, ließen in der That den alten Satz von der in Deutschland herrschenden Achtung vor den Frauen wie eine fabelhafte Sage erscheinen! . . . Bei unpartheiischer Ueberlegung, wird man sich indeß sagen müssen, daß es weder unweiblicher noch gefährlicher ist, Fahrbillets zu verkaufen, Briefe auszugeben und Telegramme zu befördern, als in Cigarrenläden Verkäuferin zu sein, oder in den Wirthshäusern Bier und spirituöse Getränke auszuschänken. Diese Vorurtheile werden auch gewiß bald schwinden, wenn das Publikum die Frauen in jenen Beschäftigungen thätig sieht, und die Erfahrung macht, daß der Platz am Post- oder Eisenbahnschalter nicht demoralisirender wirkt, als der am Ladentisch. Daß die Frauen durch solche Anstellungen die Männer beeinträchtigen, ist ebenfalls nicht zu befürchten, denn der Maximal-Gehalt der nach bestandener Prüfung angestellten Frauen beträgt nur so viel wie der Minimal-Gehalt der Männer in der betreffenden Dienstklasse! Dennoch ist es ein dankenswerther Fortschritt, daß der Staat jene Erwerbszweige den Frauen eröffnet hat, denn ihr Arbeitsgebiet ist wahrlich zu beschränkt. Der Stand der Lehrerin und Erzieherin ist überfüllt, auch taugt nicht Jede dazu, das Monopol der Nadel ist ihr durch die Maschine entzogen worden, die mehr von Männern als von Frauen bedient wird, die sogenannten „Stützen der Hausfrau,“ die Gesellschafterinnen sind selten mehr, als eine Art höherer Dienstboten, was also bleibt ihr übrig, wenn sie darauf angewiesen ist, sich selbst ihr Brod zu erwerben, und doch zu den wenigen, ihr offen stehenden Berufsarten weder Talent (260) noch Neigung hat? . . . Wir brauchen die Antwort nicht auszusprechen. Wer irgend unsere socialen Verhältnisse kennt, weiß gar wohl, in welch‘ entsetzliches moralisches Elend das äußere nur zu oft führt, weist doch ein statistischer Bericht nach, daß unter 7000 solcher Unglücklichen nur 3 waren, die im Stande gewesen wären, sich mit ihrer Hände Arbeit zu ernähren! Wir verlangen also, wie die Gelegenheit zu lernen, auch die Gelegenheit das Gelernte zu verwerthen, und in der That, man sollte meinen, der National-Oekonom müßte es sich angelegen sein lassen, diese brach liegenden Kräfte auszunutzen! Läßt man doch nicht das kleinste Stückchen Land unbenutzt, sondern sucht ihm seine Früchte abzugewinnen; warum denn so viel menschliche Kraft? Wahrlich, da möchte man mit Stuart Mill fragen: „Haben wir einen solchen Ueberfluß an Menschen, die sich für die Erfüllung höherer Aufgaben eignen, daß die Gesellschaft die Dienste irgend einer competenten Person abweisen darf? Sind wir so sicher, für jeden vacant werdenden Platz immer den entsprechenden Mann zu finden, daß wir nicht darunter leiden, wenn wir die Hälfte der Menschheit unter einen Bann legen, und es von vorn herein ablehnen, ihre Fähigkeiten, so hervorragend dieselben auch sein mögen, nutzbar zu machen?“ . . . Müssen wir diese Fragen aber verneinen, müssen wir zugeben, daß nicht alle Stellen und Aemter gut besetzt
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sind, daß sich in der Gesellschaft kein Ueberfluß an Kräften, Talenten und Fähigkeiten zeigt, nun, dann darf die Frau auch verlangen, daß der Staat zu ihren wie zu seinem eigenen Besten ihr Gelegenheit gebe, ihre Kräfte zu verwerthen! – Wenn der Staat aber, wie wir hoffen wollen, dies mit der Zeit mehr und mehr thut, so wird er auch nicht umhin können, sie in rechtlicher Beziehung besser zu stellen, als dies bisher der Fall war. Wir sagen: in rechtlicher Beziehung, und unterscheiden dies von der sozialpolitischen, von der nicht die Rede sein soll. So lange wir Frauen im Allgemeinen so wenig Bürgerinnen des Staates sind, scheint es uns durchaus nicht berechtigt, derartige Ansprüche zu erheben. Auch über die rechtlichen Ansprüche wollen wir uns nur einige Bemerkungen erlauben, theils weil eine gründliche Besprechung über den Rahmen dieses Aufsatzes hinausgehen würde, besonders aber, weil dazu weit bedeutendere juristische Kenntnisse nöthig wären, als sie uns zu Gebote stehen. Die erste Schwierigkeit bei der Frage ist, daß es keine deutsche Gesetzgebung gibt, sondern wir eben so viele Gesetzbücher haben, als verschiedene Regierungen bei uns existiren. In der Hauptsache (261) aber stimmen die meisten überein, und so dürfen wir wohl die preußische als Grundlage annehmen. – Da heißt es nun im Artikel 4: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich.“ Ja aber die Preußinnen scheinen davon ausgeschlossen zu sein. Selbst auf dem Felde, wo man der Frau sonst die meisten Rechte zugesteht, bei der Erziehung der Kinder, gewährt das Gesetz ihr nur eine berathende, dem Manne allein die entscheidende Stimme. In der Praxis macht sich das freilich meist anders aber wenn ein Streit darüber entstehen sollte, würde ihr, und wäre ihre Ansicht zehn Mal die vernünftigere, nie Recht werden. Eben so wenig bewährt sich die Gleichheit vor dem Gesetze bei VermögensAngelegenheiten. Leben die Gatten z.B. in Gütergemeinschaft, so denkt man sich, wenn man die Sache nicht näher kennt, daß beide Theile das eingebrachte Vermögen zusammenthun, und gleichen Antheil daran haben. Dem ist aber durchaus nicht so. Der Mann allein hat die Verwaltung, Vertretung und unbeschränkte Disposition darüber, nur er darf testamentarisch darüber verfügen, nur er auch darf Schulden darauf machen, so viel er will; die Frau, und hätte sie eine Million eingebracht, darf nicht für 5 Sgr. darauf borgen! . . . Es scheint also, daß man das weibliche Geschlecht für mehr zur Verschwendung geneigt hält, als das männliche: ob diese Ansicht begründet ist, wollen wir hier nicht untersuchen. Aber gesetzt, es sei kein Vermögen da, und der Mann verbrauche wirklich (solche Fälle kommen doch vor!) mehr für sich selbst, als er sollte, und läßt seine Familie darunter leiden; da greift die Frau denn – natürlich nicht ohne die Erlaubniß des Mannes! – selbst zu einem Erwerb, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Sie näht, sie stickt vielleicht bis in die Nacht hinein; die Augen wollen ihr zufallen, aber sie darf doch nicht schlafen, sie muß die Arbeit noch fertig machen, die morgen abgeliefert werden soll. Ganz glücklich kommt sie dann am nächsten Morgen nach Hause mit den so mühsam verdienten paar Thalern; sie überlegt schon, wie sie sie anwenden will, um die nothwendigsten Bedürfnisse davon zu beschaffen, . . . da sieht der Mann das Geld. Er hat welches nöthig: eine Spielschuld, – eine Zusammenkunft mit den Kameraden . . . Er entreißt es der Armen und eilt fort: und er darf das thun, denn was die Frau in der Ehe erwirbt, gehört dem Manne! Ausgenommen davon ist nur, was sie in Grundstücken oder Kapita-
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lien anlegt; doch so weit werden es wohl außer einer Lucca oder Patti26 wenige Frauen bringen! (262) Indeß mag man uns vorwerfen, wir hätten da ein krasses Phantasiegemälde entworfen. Gut, wir wollen noch ein anderes, der Wirklichkeit entnommenes Beispiel anführen, das in England vorgekommen ist. Eine, jetzt als Schriftstellerin bekannte Dame hatte sich mit einem Manne verheirathet, der in wenigen Jahren sein eigenes, sowie ihr Vermögen vergeudete. Um sich und ihre Kinder zu erhalten, griff sie zur Feder, und reüssirte über alle Erwartung. Als sie aber eines Tages zu ihrem Verleger kam, um das Honorar für ihre letzte Arbeit in Empfang zu nehmen, theilte dieser ihr mit, daß ihr Gemahl schon bei ihm gewesen, und dasselbe erhoben habe. Die unglückliche Frau konnte nichts dagegen thun, denn der Mann war in seinem Rechte. Wir aber sagen: beruht dies Recht auf Gerechtigkeit? . . . Wie steht es nun aber, wenn der Mann stirbt? Gehen da seine Rechte, wie dies zum Theil mit seinen Pflichten der Fall, auf die Frau über? Mit nichten. Stand sie bisher unter der Vormundschaft des eignen Gatten – und wir wollen annehmen, daß sie diese mehr als eine Befreiung von lästigen Pflichten, denn als einen Druck empfand, – so tritt sie jetzt unter die Vormundschaft eines Fremden. Mag sie auch während der Krankheit oder sonstiger Unfähigkeit des Gatten jahrelang die Erziehung der Kinder allein geleitet, das Vermögen selbstständig verwaltet haben, – jetzt darf sie es nicht mehr. Selbst wenn der Mann sie testamentarisch zur befreiten Vormünderin der Kinder ernannt hat; wird ihr noch ein Ehren-Vormund gesetzt. Heißt das nicht, der Frau ein Unfähigkeits-Zeugniß ausstellen, das sie nicht verdient? Warum soll sie nach dem Tode des Mannes das nicht allein thun können, was sie zu seinen Lebzeiten doch gethan? In den meisten Familien ist ja die Frau mehr als der, durch seinen Beruf in Anspruch genommene Mann bei der Erziehung betheiligt; warum soll jetzt ein Fremder die erste Stimme dabei haben? In vielen Fällen, besonders im Mittelstand, weiß die Frau recht gut mit den Vermögensverhältnissen Bescheid, hat wohl gar in dem Geschäfte des Mannes mitgeholfen; warum denn werden ihr jetzt die Hände gebunden so daß sie jeden Pfennig umständlich vom Vormunde oder von dem Vormundschaftsgerichte erbitten muß? Ist das eine würdige Stellung, die man ihr ihren Kindern gegenüber anweist. Obwohl sie aber das Vermögen der Kinder nicht verwalten darf, noch, wie der Vater, den Nießbrauch davon hat, gebietet das Gesetz ihr doch, die Kinder auszustatten, – also wieder eine Pflicht, ohne ein korrespondirendes Recht! Ebenso unbegreiflich (263) mag es der Mutter erscheinen, wenn ihr Sohn das Schulzeugniß, welches sie mit ihrer Unterschrift versehen an den Lehrer zurückgeschickt hatte, ihr wiederbringt mit dem Bemerken: der Vormund müsse es unterschreiben, ihre Unterschrift gelte nicht. Einerlei, ob sie sich die Finger blutig arbeitet für ihre Kinder, und der Vormund sich blutwenig um sie bekümmert, – nur seine Unterschrift hat Giltigkeit! . . . Wunderbar kam mir auch vor, was eine Schriftstellerin mir vor einiger Zeit erzählte, daß, als sie den Kontrakt über den Verkauf eines von ihr verfaßten Buches habe unterschreiben wollen, der Verleger sie bedeutet habe, ihr Mann müsse das thun. Werke schreiben also darf sie – aber einen Kontrakt unterschreiben nicht, da hat nur die Unterschrift des Mannes Giltigkeit. Dennoch aber sind vor dem Gesetze alle Unterthanen gleich! 26
[Anmerkung: Adelina Patti und Pauline Lucca waren zwei berühmte Sopranistinnen der damaligen Zeit.]
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Mehr, als bei den unverheiratheten Frauen und Witwen ist dies bei unverheiratheten selbstständigen Frauen der Fall. Sie dürfen ohne jede Beschränkung alle Rechtshandlungen vornehmen, über ihr Vermögen verfügen, Verträge, Wechselverbindlichkeiten eingehen, u. dgl. mehr, nur in Betreff des Eintretens für fremde Schulden zeigt das Gesetz eine eigenthümliche Aengstlichkeit, indem es augenscheinlich vermuthet, die weichherzige Frau könne sich da durch übereiltes Handeln selbst schaden. Es ordnet deshalb an, ihr vor Eingehung einer solchen Verbindlichkeit eine darauf bezügliche Verwarnung vorzulesen, die aber, wie Herr Kreisrichter Wachler in: „Die Frauen im Recht“27 sagt, so unverständlich ist, daß sie eigentlich selbst wieder einer Erklärung bedürfte. Indeß tritt die Selbständigkeit unverheiratheter Frauen durchaus nicht mit ihrer Großjährigkeit ein, sondern sie verbleiben in der väterlichen Gewalt, bis eine ausdrückliche Entlassung daraus Statt findet. Der großjährige Sohn kann einen eigenen Haushalt anlegen, wenn er will; die Tochter, mag sie noch so alt sein, nicht ohne Zustimmung des Vaters. Aus dieser väterlichen Gewalt mögen uns, wo die Verhältnisse günstig sind, nicht leicht Konflikte entstehen, in beschränkten Verhältnissen aber kann sie recht unheilvoll werden. – So bat mich vor kurzem eine Dame, ob ich ihr nicht eine im Hause zu betreibende, einträgliche Arbeit verschaffen könne? Ich war zufällig in der Lage, ihr eine, für sie ganz passende Beschäftigung vorschlagen zu können, die sich allerdings im Hause aber nicht heimlich betreiben ließ. Da bedauerte die Dame, nicht darauf eingehen zu können, weil ihr Vater, ein Beamter, nie zugeben würde, daß sie einen Erwerb ergreife, von dem die Leute (264) erführen. Sa lange er lebt muß sie also – und ist ihr Fall nicht der von Hunderten? – den Schein wahren, als ob sie, die Tochter eines Beamten, nicht zu arbeiten brauche; stirbt er, dann bricht die Noth über sie herein – wie das der Vater auch sehr wohl weiß! – und dann ist sie wahrscheinlich zu alt, um noch einen Beruf zu ergreifen. In allen diesen Bestimmungen, das wird man zugeben müssen, liegt keine Gerechtigkeit, sie alle beweisen, daß die Gleichheit vor dem Gesetze bis jetzt noch eine Theorie ist, die in der Praxis gar wenig Anwendung findet. Unser Bestreben muß also dahin gehen, in allen diesen Punkten eine Abänderung der Gesetze herbeizuführen, und der Frau in rechtlicher Beziehung diejenige Stellung zu verschaffen, die sie beanspruchen darf. Und hieran möchten wir noch eine Forderung knüpfen, nämlich die des einzigen politischen Rechts, das wir für die Frau verlangen: eine Stimme bei der Unterrichts- und Erziehungsfrage ihres Geschlechts. In England sind seit mehreren Jahren 4 Frauen in die Schuldeputation aufgenommen worden; in Frankreich werden Inspektorinnen zur Beaufsichtigung der Mädchenschulen vom Staate angestellt und honorirt; in Bern trug der Bundesrath Schenk darauf an, den Frauen eine Stimme bei der Schulfrage zu gewähren; dürfen wir Deutsche das nicht auch beanspruchen? Gewiß, das ist keine unberechtigte Forderung, und noch mehr, wir dürfen auch hoffen, sie mit der Zeit erfüllt zu sehen. Hat doch unser Kultusminister zu der, früher schon erwähnten Konferenz zur Besprechung der TöchterschulFrage neben 10 Schulmännern auch 5 Lehrerinnen eingeladen, das ist schon der 27
[Anmerkung: gemeint ist Wachler, Ludwig: Zur rechtlichen Stellung der Frauen. Breslau 1869 (Nr. 64). Den Titel „Die Frau im Recht“ trug ein Aufsatz Julius Weils, der Calm gleichfalls vorlag.]
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erste Schritt zu dem, was wir erstreben! – In den andern besprochenen Punkten aber freilich sind wir noch weit davon entfernt, und doch dürften wir auch da um so mehr die Weichheit von dem Gesetze beanspruchen, als sie uns in einer Beziehung wirklich zu Theil wird. Ja, in einem Punkte macht das Gesetz wirklich keinen Unterschied zwischen Mann und Weib: Die Frauen dürfen nämlich eben so viel Steuern zahlen, wie die Männer! Hoffen wir, daß auf diese Gleichstellung in Bezug auf eine Pflicht mit der Zeit auch eine größere Gleichstellung in Bezug auf die Rechte hervorgehe; daß der Staat, wenn die Frauen sich nur mehr und mehr als tüchtige, würdige Töchter des Staates (265) zeigen, auch mehr und mehr seine Pflichten gegen sie erkennen, und dieselben eben so treulich erfüllen werde, wie er es hinsichtlich seiner Söhne thut.
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Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen (Auszüge), 1876
DOHM, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen, Berlin 1876 Kommentar: Die Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919) thematisiert im zweiten Teil ihrer Veröffentlichung „Der Frauen Natur und Recht“ eingehend die Frauenfrage als Rechtsfrage und plädiert für politische Rechte der Frau als Staatsbürgerin und insbesondere für das Frauenstimmrecht (in ihrer Schrift „Der Jesuitismus im Hausstande“ fordert sie zuvor bereits 1873 eine Beteiligung von Frauen an der Gesetzgebung). Sie ist damit jedenfalls im Deutschland der 1870er Jahre ihrer Zeit weit voraus und greift auf internationale, namentlich englische Quellen zurück. Für die deutsche Frauenbewegung kommen ihre Ausführungen damals im Grunde zu früh, da beispielsweise der Allgemeine Deutsche Frauenverein gerade erst vorsichtig die ersten Schritte über das bisherige bildungspolitische Engagement hinaus in Richtung Ehe- und Familienrecht geht, aber noch weit entfernt vom Kampf um das Frauenstimmrecht ist. Dohm ist damit in ihrer Zeit zwar eine radikale Einzelstimme, doch werden ihre Schriften viel gelesen und lebhaft diskutiert. Dohm kann als Wegbereiterin der juristischen Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnet werden. Zugleich ist ihr vorliegendes Werk ein weiteres Beispiel für die Einführung internationaler feministischer Ansätze in die deutsche Frauenrechtsdiskussion. Abschließend rät Dohm ihren Leserinnen, sich zu organisieren und zu gemeinsamer Aktion zusammenzuschließen.
(Hedwig Dohm:) Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen. […] (57) Das Stimmrecht der Frauen
[…] (58) Ein Hauptfactor dieser großen geistigen Revolution unserer Zeit ist die Frauenbewegung, die eine völlige Reform aller bestehenden Verhältnisse anstrebt. Der Anfang der Aktion auf diesem Gebiet ist das Stimmrecht der Frauen. Im diesjährigen englischen Parlament ist von Mr. Forsyth, dem conservativen Vertreter für Marylebone die Bill für das Stimmrecht der Frauen zum zweiten Mal eingebracht worden. Die Fortschritte, die diese Frage in der öffentlichen Meinung zu verzeichnen hat, sind außerordentliche.
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erste Schritt zu dem, was wir erstreben! – In den andern besprochenen Punkten aber freilich sind wir noch weit davon entfernt, und doch dürften wir auch da um so mehr die Weichheit von dem Gesetze beanspruchen, als sie uns in einer Beziehung wirklich zu Theil wird. Ja, in einem Punkte macht das Gesetz wirklich keinen Unterschied zwischen Mann und Weib: Die Frauen dürfen nämlich eben so viel Steuern zahlen, wie die Männer! Hoffen wir, daß auf diese Gleichstellung in Bezug auf eine Pflicht mit der Zeit auch eine größere Gleichstellung in Bezug auf die Rechte hervorgehe; daß der Staat, wenn die Frauen sich nur mehr und mehr als tüchtige, würdige Töchter des Staates (265) zeigen, auch mehr und mehr seine Pflichten gegen sie erkennen, und dieselben eben so treulich erfüllen werde, wie er es hinsichtlich seiner Söhne thut.
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Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen (Auszüge), 1876
DOHM, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen, Berlin 1876 Kommentar: Die Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919) thematisiert im zweiten Teil ihrer Veröffentlichung „Der Frauen Natur und Recht“ eingehend die Frauenfrage als Rechtsfrage und plädiert für politische Rechte der Frau als Staatsbürgerin und insbesondere für das Frauenstimmrecht (in ihrer Schrift „Der Jesuitismus im Hausstande“ fordert sie zuvor bereits 1873 eine Beteiligung von Frauen an der Gesetzgebung). Sie ist damit jedenfalls im Deutschland der 1870er Jahre ihrer Zeit weit voraus und greift auf internationale, namentlich englische Quellen zurück. Für die deutsche Frauenbewegung kommen ihre Ausführungen damals im Grunde zu früh, da beispielsweise der Allgemeine Deutsche Frauenverein gerade erst vorsichtig die ersten Schritte über das bisherige bildungspolitische Engagement hinaus in Richtung Ehe- und Familienrecht geht, aber noch weit entfernt vom Kampf um das Frauenstimmrecht ist. Dohm ist damit in ihrer Zeit zwar eine radikale Einzelstimme, doch werden ihre Schriften viel gelesen und lebhaft diskutiert. Dohm kann als Wegbereiterin der juristischen Gleichberechtigung der Geschlechter bezeichnet werden. Zugleich ist ihr vorliegendes Werk ein weiteres Beispiel für die Einführung internationaler feministischer Ansätze in die deutsche Frauenrechtsdiskussion. Abschließend rät Dohm ihren Leserinnen, sich zu organisieren und zu gemeinsamer Aktion zusammenzuschließen.
(Hedwig Dohm:) Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen. […] (57) Das Stimmrecht der Frauen
[…] (58) Ein Hauptfactor dieser großen geistigen Revolution unserer Zeit ist die Frauenbewegung, die eine völlige Reform aller bestehenden Verhältnisse anstrebt. Der Anfang der Aktion auf diesem Gebiet ist das Stimmrecht der Frauen. Im diesjährigen englischen Parlament ist von Mr. Forsyth, dem conservativen Vertreter für Marylebone die Bill für das Stimmrecht der Frauen zum zweiten Mal eingebracht worden. Die Fortschritte, die diese Frage in der öffentlichen Meinung zu verzeichnen hat, sind außerordentliche.
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Von 1869 bis 1873 wurden gegen die Frauenstimmrechtsbill vier Petitionen eingebracht. Alle vier kamen von kleinen schottischen Municipalflecken. Im vergangenen Jahr waren es drei und in diesem Jahr hatte das Parlament nicht eine einzige derartige Petition in Empfang zu nehmen. Dagegen ist die Zahl der Petitionen für das Stimmrecht der Frauen von Jahr zu Jahr gestiegen. Bereits zwei Monate nach Eröffnung des Parlaments waren 900 – 1000 Petitionen mit 219,000 Unterschriften zu Gunsten der Bill präsentirt worden. Die feindliche Majorität der vorletzten Abstimmung betrug (59) 161. Für die zweite Lesung der Bill stimmten bei der diesjährigen Abstimmung 152, dagegen 187. Die Bill fiel demgemäß durch die kleine Majorität von 35 Stimmen. Wenn eine Frage mit einer gewissen Autorität vor das englische Parlament kommt, so kann man sicher sein, daß sie von der öffentlichen Meinung getragen wird, und in der That gehört in England und Amerika die Frauenfrage zu den großen nationalen Angelegenheiten. So scheint der Zeitpunkt nicht ungeeignet, auch in Deutschland für die Frauen ein Recht in Anspruch zu nehmen, das klar ist wie das Licht der Sonne und ebenso unantastbar. Wer geneigt ist, Ideen und Principien abzuweisen, weil sie neu sind und unerprobt, wem daran liegt, neue Ansprüche und Forderungen auf historische Rechte zurückzuführen, für denjenigen seien hier einige geschichtliche Notizen zusammengestellt, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß die politischen Ansprüche der Frauen einer geschichtlichen Basis nicht entbehren. Noch vor der normannischen Invasion und häufig nach derselben haben Frauen in England, als Inhaberinnen von Lehnsgütern, an der Regierung des (60) Landes theils durch Mandatare, theils direct und persönlich theilgenommen. Thomas Hughes in seinem „Leben Alfred des Großen“ berichtet, daß Edeldamen, selbst Verheirathete, im Besitz ihrer Güter belassen wurden, daß sie darüber frei verfügen konnten und auf ihre Besitztitel hin in dem „Wittenagamott“, dem Nationalrath der Angelsachsen, Sitz und Stimme hatten. Sie saßen auch mit in den Provinzial-Versammlungen und bei den Gemeindeberathungen. Gurdon, in seinem Buch „Considérations sur les antiquités du parlement“, weiß von vornehmen Frauen, welche im Rath der angelsächsischen Häupter zugelassen wurden. Der Historiker Beda theilt mit, daß die Aebtissin Wilde einer geistlichen Synode präsidirte. Unter Heinrich VIII. hielt Lady Anne Berkeley im Saal von Glocester als Gerichtspräsidentin einen Gerichtstag ab. Fosbrook, der Gerichtsschreiber von Glocester schildert, wie sie kam, sich im öffentlichen Sitzungssaal auf die Bank setzte, die Präsidentschaft versah, die Zeugenschaften in Empfang nahm, die Angeklagten für schuldig erklärte des Complotts und der Erregung öffentlicher Unordnung, und wie sie dieselben als Feinde des Menschengeschlechts verurtheilte. (61) Unter Heinrich III. berief man vier Aebtissinnen ins Parlament. Unter der Regierung Eduards wurden im Parlament mehrere Edeldamen durch Mandatare vertreten. Die letzte öffentliche Manifestation politischer Frauenrechte in England datirt von 1640, doch waren diese Rechte bereits im Absterben begriffen, denn der Sheriff machte damals die Bemerkung, daß es demüthigend für einen Mann sei, von einer Frau gewählt zu werden.
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Im folgenden Jahrhundert erkennen die Richter zwar die Rechte der Frauen noch an, aber die Ausübung derselben ist nicht mehr üblich. 1739, unter der Regierung Georg II., als Sir William Lee als Oberrichter und Sir Francis Page als zweiter Richter fungirten, stellte man dem königlichen Gerichtshof die Frage, ob eine „feme sole“ (begüterte unverheirathete Frau) ihre Stimme abgeben dürfe für die Beamten der Gemeinde und für die Sakristane, und ob sie selber befähigt sei, diese Funktionen auszuüben. Im Lauf der Verhandlung erklärte Sir William Lee, daß dieses Recht unanfechtbar sei und daß in vielen Fällen die „feme sole“ selbst für Parlamentsmitglieder ihre Stimme abgegeben habe. Der Richter Sir Francis Page sprach in einem analogen (62) Falle dieselbe Ansicht aus, und Lord Coke, der in diesen Dingen für eine Autorität galt, bestätigte lediglich das Urtheil der beiden Richter.28 Eine logische Folge der Feudalrechte der englischen Frau ist die Frau als regierende Königin. Den „ricos hombres“ (vornehme Edelleute) in Aragonien war es gestattet, ihre Stimmen in den Cortes einem andern dieses Standes zu übertragen. Ein ähnliches Vorrecht genossen die Erbtöchter der Freiherrn.29 Die Gallier, sagt Tacitus, ließen die Frauen an ihren berathenden Versammlungen, in denen die wichtigsten Gegenstände zur Verhandlung kamen, Theil nehmen. Ihre Stimmen entschieden über die Entschlüsse, die man faßte. Die Föderativ-Republiken der alten Basken verliehen ebenfalls in allen öffentlichen Angelegenheiten den Frauen das Stimmrecht. Später scheint in Frankreich der Einfluß der Frauen auf Staatsangelegenheiten mehrere Jahrhunderte hindurch verdrängt worden zu (63) sein, in der Feudalzeit aber sehen wir ihn wieder aufleben. Die Frauen werden erhoben zur Würde von Herzoginnen, Pairinnen, Richterinnen und Gesandtinnen. Mit allen Rechten einer Feudalherrin bekleidet, entwickelt die Frau bei der Verwaltung ihrer Besitzungen ein ungewöhnliches administratives Talent. Drei Frauen unterzeichnen den Vertrag von Cambrai. Nach Montaigne durften die Frauen, welchen die Pairswürde verliehen war, in allen Angelegenheiten, die zur Competenz der Pairskammer gehörten, mitstimmen. Man sah sie in ihrer Eigenschaft als Pairinnen von Frankreich ihre Sitze im Parlamente einnehmen, und bei öffentlichen Feierlichkeiten, wie die Krönung der Könige, sich ihrer Würde gemäß verhalten. Die Gräfin von Flandern saß in der Pairsversammlung, der der heilige Ludwig präsidirte. Es sind uns zahlreiche Verhaftsbefehle aufbewahrt worden, die von weiblichen Richtern aus dem 13. und 14. Jahrhundert herrühren. Die Aebtissinnen von Remiremont und ihre Dechantinnen handhabten das Richteramt in den zu ihrem Kloster gehörigen Distrikten, auch hatten sie das Recht, Deputirte zu den lothringischen Staaten zu ernennen. Die Geschichte weiß Beispiele davon, daß die (64) höchsten Aemter in der Magistratur durch Erbschaft jungen Mädchen zugefallen waren.
28 29
Diese historischen Notizen sind zum Theil der kleinen Schrift der Mme. C. Coignet „De l’affranchissement politique des femmes en Angleterre“ entlehnt. Prescott: Ferdinand und Isabelle.
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Unter dem Titel von Lehnsherrinnen (chevalières fieffées) wohnten sie den Gerichtssitzungen bei und präsidirten den Plaidoyers mit dem Federhut auf dem Kopf und der Audienzrobe angethan. In ihrer Abwesenheit durften die Beisitzer und Schöffen nicht plaidiren. Ungeachtet energischer Protestationen von Seiten der Feudalherren bestätigten eine Zeit lang Päpste und Könige die Frauen in diesen Rechten. Als Ermengarde, Vicomtesse de Narbonne, in der Ausübung ihrer richterlichen Befugnisse gehindert wurde, flehte sie den Schutz des Königs, Ludwigs des Kindes, an, der ihr als Antwort einen Brief schrieb, in dem die Worte standen: „Nous ordonnons qu’il ne soit permis à personne de décliner votre juridiction“. Machaut, Gräfin von Artois und Bourgogne, wohnte als Pairin von Frankreich der Krönung Philipps V. zu Rheims bei und hielt mit den andern Pairs des Königreichs die Krone. Nicht klein war die Zahl souveräner Feudalherrinnen, welche ihre Lehnsleute in den Krieg führten, welche Truppen equipirten und Milizen von Edelleuten und Bürgern befehligten. (65) Bei einer Belagerung von Remiremont, so erzählt der Geschichtsschreiber der Abtei, erfüllte die Aebtissin Katharina von Lothringen treu ihre Pflicht als Capitain, als Soldat und gute Fürstin. Erst Ludwig der Vierzehnte hob im Interesse der Centralisation die Rechte der Feudalherrinnen auf. Die wenigen Daten genügen, das traditionelle Recht der Frau auf politische Theilnahme am Staatsleben festzustellen. Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß die Frauen dieser historischen Basis keineswegs bedürfen. Hätte nie eine Frau Gericht gehalten, hätte nie eine Frau im Wittenagamott der Angelsachsen oder im Rath der Gallier gesessen, hätte nie eine Pairin über einem König eine Krone gehalten, so wäre dennoch ihr Anspruch, als selbstständiger Mensch und als Bürgerin im Staate betrachtet zu werden, um kein Gedankenatom geringer. Diese historischen Notizen beweisen nur die Inkonsequenz der Männer in ihrem Handeln und Denken den Frauen gegenüber und die Willkür, mit der sie die Geschicke derselben von jeher bestimmt haben. Das Stimmrecht der Frauen findet in England, selbst im Hause der Lords, lebhafte Unterstützung. Mitglieder der Cabinette sprechen zu Gunsten desselben, (66) und im Hause der Gemeinen giebt es keine einzige Partei, die nicht einflußreiche Verfechter des Frauen-Stimmrechts aufzuweisen hätte. Sehr einfach und sehr stark müssen in der That die Ansprüche der Frauen sein, da sie in gleicher Weise von Radikalen und Conservativen, von kirchlich Gesinnten und Freidenkern anerkannt und unterstützt werden. Lange Zeit galt es in England, wo die Sitte mächtiger die Meinung beherrscht als vielleicht in irgend einem andern Lande, für ein Zeichen schlechten Geschmacks, ein lebhaftes Interesse für die Frauenfrage an den Tag zu legen. Die Theilnahme an der Bewegung hat aufgehört für unziemlich zu gelten, seitdem hocharistokratische Personen, Mitglieder selbst der königlichen Familie, sich zu Gunsten der Sache ausgesprochen haben. Unter den vornehmen Gönnern des Frauen-Stimmrechts nennt man den Marquis von Lorne, Gemahl der Prinzessin Louise. Im Jahr 1868, als der Marquis sich den Wählern der kleinen Stadt Du-
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noow als Candidat präsentirte, erklärte er, zu Gunsten der Bill stimmen zu wollen. Man nennt den Vicomte Amberly, ältesten Sohn des Lord Russel, Lord Haughton, Lord John Manners, den berühmten Professor Maurice, Professor Newman, Herbert Spencer, (67) Kingsley, Coleridge und viele andere nicht weniger gewichtige und maßgebende Männer. Unter den Frauen seien erwähnt: Vicomtesse Amberly, die Schwester des Herzogs von Buckingham, Lady Bowring, Lady Cane, Florence Nightingal, Harriett Martineau und eine große Zahl von Frauen, den ersten und einflußreichsten Familien des Adels und der Bürgerschaft angehörend. Es ist Thatsache, daß in Amerika fast alle in irgend einer Weise ausgezeichneten Frauen, Anhängerinnen des Stimmrechts sind. Alle diejenigen, welche, trotz Haß, Spott und persönlicher Gefahr als Abolitionistinnen die Führerschaft in der Sklavenfrage übernommen hatten, sie sind es, die wiederum an der Spitze der politischen Frauenrechts-Vereine stehen. In Deutschland befindet sich die Frauenfrage noch vor dem Beginn ernsterer Diskussion. Von Uebelwollenden verspottet, obwohl Spott noch niemals ein Probirstein der Wahrheit gewesen ist, von Wohlwollenden als Bagatellsache vorläufig bei Seite geschoben, ist sie bei uns noch so sehr in der Kindheit, daß, o heilige Einfalt, selbst socialdemokratische Blätter mit Phrasen, die der Kreuzzeitung entlehnt sein könnten, Phrasen von der Sprengung heiliger Familienbande, gegen das Stimmrecht der Frauen agitiren. Deutschland ist es (68) vorbehalten gewesen, diese Socialphilister zu produciren, diese sittlichen Harlekins, die, mit der einen Hand ihr purpurnes Banner entfaltend, auf dem die strahlendsten Principien reinster Demokratie prunken, mit der andern Hand die Peitsche schwingen für die Hälfte des Menschengeschlechts. Ein Freidenker Südamerikas faßte sein politisches Glaubensbekenntniß in die Worte zusammen: „All men are borne free except niggers“ (Alle Menschen sind frei geboren, die Neger ausgenommen). Viel größer ist das Deficit an Menschenliebe und logischer Gedankenkraft, das jene Charlatane der Demokratie mit ihrer Ausschließung der Frauen vom Stimmrecht documentiren. Gewiß ist es nur ein kleiner Bruchtheil der Socialdemokratie, der mit dieser Prostitution seiner eigenen Principien einverstanden ist. Warum aber desavouirt die große socialistische Partei solche Gesinnungsgenossen nicht und schickt diese Abenteurer der Gedankenwelt dahin wohin sie gehören, in die Redaction der Kreuzzeitung oder an ähnliche Orte. Wer die Selbstständigkeit der Frau nicht will, wird, zur Macht gelangt, die seiner Mitbürger zerstören. Ich will mich nun so kurz als möglich der Sisyphusarbeit unterziehen, die Hauptgründe der Männer gegen die politische Wirsamkeit der Frau zu erörtern (69) und die Sophistik und Unhaltbarkeit derselben darzulegen. Eine Sisyphusarbeit nenne ich es, weil die Männer niemals unsere Argumente widerlegen, sondern immer nur darauf antworten mit wohlfeilem, längst verjährtem Spott, mit antiquirter physiologischer mittelalterlicher Gelehrsamkeit30, mit poetischen Deklamationen à la Jean Paul und Schiller und im schlimmeren Fall mit philosophischen Zoten à la Schopenhauer. 30
So führt Schopenhauer als Gewährsmann für die phrenologische Inferiorität der Frau einen vor drei Jahrhunderten verstorbenen spanischen Gelehrten, Namens Huerte, seines Standes einen Juristen, an.
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Diese Enthaltsamkeit wirklicher Beweisgründe ist nur zu natürlich. Noch nie traten andere Argumente gegen die Frauenfreiheit zu Tage als solche, welche aus Gemüthserregungen, aus Gewohnheit und Vorurtheil stammen. Ich bitte meine Leser um Entschuldigung, wenn ich hin und wieder schon oft Gesagtes wiederholen muß, aber es gibt wohl kaum neue Gründe, um das einfachste und natürlichste aller menschlichen Rechte zu beweisen. Für die politischen Rechte der Frauen gelten genau dieselben Argumente, deren Anerkennung man in Bezug auf die politische Emancipation der Besitzlosen, (70) der Arbeiter und zuletzt der Neger erzwungen hat. Die Gründe der Männer heißen: 1) Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht, 2) Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht, 3) Sie haben nicht die Fähigkeit, es auszuüben, 4) Ihr Geschlecht schließt die Frau selbstverständlich von jeder politischen Aktion aus. 1) Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht. Das heißt: die Männer sind von jeher so gerecht, so gut, so edel gewesen, daß man getrost die Geschicke der Hälfte des Menschengeschlechts in ihre reinen Hände legen konnte. Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht. Das heißt: Es ist eine den Männern eingeborene Idee, ein göttlicher Impuls, der sie antreibt, mögen sie nun der barbarischen oder der civilisirten Welt angehören, das Weib zu schützen in seinen Rechten und in seinem Glück. Alle Arglist des Schurken, alle Niedertracht des Buben, alle Laster des Vornehmen und Schlechten haben sich von jeher nur gegen ihresgleichen gerichtet. Nur Mann gegen Mann hat sich das starke Geschlecht im Kampf um’s Dasein geschädigt und zu Grunde gerichtet. Abseits auf einem Piedestal stand das Weib und (71) bei ihrem Anblick verstummten im Busen des Mannes die Lockungen des Lasters und der Quell der Tugend that sich auf. Nie hat ein Mann ein Weib betrogen, geschändet, gemordet, in Tod und Verzweiflung getrieben. Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht – nein – sie brauchen es nicht in Arkadien, in Utopien und in allen jenen Feen- und Märchenländern, an die kleine Kinder und große Männer mitunter glauben. Und die Meinung der Geschichte? Die Geschichte der Frauen ist nur eine Geschichte ihrer Verfolgung und ihrer Rechtlosigkeit und die Geschichte sagt: Die Männer haben von jeher die Frauen unterdrückt in unerhörter und beispielloser Weise, und die menschliche Vernunft fügt hinzu: Und sie werden sie unterdrücken bis das weibliche Geschlecht Theil hat an der Abfassung der Gesetze, von denen es regiert wird, denn jedes Recht, hinter dem nicht eine Macht steht, ist ein Traumbild und ein Phantom. Ein flüchtiger Blick auf die Stellung der Frauen bei civilisirten und barbarischen Völkern wird genügen zur Aufklärung über die männliche Fürsorge, die von Alters her, von der Wiege bis zum Grabe dem weiblichen Geschlecht zu Theil ward. […] (92) Bis in unsere Zeit hinein hat der Mann das gesetzliche Recht gehabt, seine Frau zu schlagen.
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In der Review Britannique vom März 1853 las man folgende Worte eines Deputirten: „Vor versammeltem Parlament höre ich von einem Mitglied, daß in England ein Ehemann für eine Entschädigungssumme von 5 Pfd. Sterling seine Frau bis zur Verstümmlung schlagen darf. Dieses Mitglied, Mr. Fitzroy, (93) hat bemerkt, man könne die Zeitung nicht lesen, ohne von Abscheu ergriffen zu werden, so zahlreich seien die Beispiele grausamer und brutaler Behandlung, welche das schwache Geschlecht von Männern zu leiden habe, deren Brutalität allen Engländern die Röthe der Scham in’s Gesicht treiben sollte.“ Er führt darauf eine Anzahl von Beispielen empörender Mißhandhandlungen an. Solche Frauendressur mag noch heut in England ihre Anhänger finden, aber in Deutschland – unmöglich. Meint man? Vor einiger Zeit war in einer unserer ersten Zeitungen eine Besprechung französischer Bücher zu lesen, die von einem der genanntesten und berühmtesten Literarhistoriker herrührte, einem milden Manne und vortrefflichen Gatten, dessen Privatcharakter unantastbar ist. In dieser Besprechung heißt es bezüglich des Flaubert’schen Romans „Madame Bowary“: „Wenn sie (Mad. Bowary) einen Mann gefunden hätte, der sie zu besänftigen und mitunter den Stock zu gebrauchen verstand, – denn das war nöthig – so wäre sie vielleicht gar nicht so übel geworden?“ Wir wiederholen, diese warme Empfehlung der Prügelstrafe zur Aufbesserung (94) leichtfertiger Weiber geht von einem deutschen Manne aus, der auf der Höhe der Bildung seiner Zeit steht. Haben wir es nicht herrlich weit gebracht? Wer weiß, am Ende ist die ganze moderne Frauenbewegung nichts als eine Emeute gegen das Mürbeprügeln der Weiber, und sie bezweckt nichts, als die Emancipation des Weibes vom Stock. Aber kehren wir zum Mittelalter zurück. Wenn es in Gemäßheit des Gesetzes der Gegenseitigkeit einmal einer Frau einfiel, ihren Mann zu schlagen, dann mußte sie sich verkehrt auf einen Esel setzen und so im Lande umherreiten. Aber nicht blos schlagen durfte der Mann seine Frau, sondern auch verstoßen. Ein berühmter Troubadour, Namens Raymond de Meraval, war vermählt mit Gandereinca, die Trobadour war wie er. Von diesem wird uns erzählt, daß er sich in eine schöne Waldenserin verliebte. Und er sagte zu Gandereinca: „Du machst Verse und ich auch, in einem Hauswesen genügt ein Poet.“ Und damit verstieß er sie und heirathete die Waldenserin. „Der Ehemann, heißt es im Schwabenspiegel, ist der Frauen Voigt und Meister.“ Im Mittelalter war allerdigs auch eine Scheidung für Frauen zulässig. Aber die Beweisgründe, die sie (95) beizubringen hatten, waren so schamloser und unerhörter Art, daß die Scheidung kaum für die niedrigste der Buhldirnen zu einer Möglichkeit wurde. In den theologischen und juristischen Schriften jener Zeit wird die Frau stets als ein untergeordnetes Geschöpf betrachtet, das an unheilbarer Geistesverkrüppelung leidet.
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Die christliche Kirche hat bis auf den heutigen Tag ihre Geringschätzung gegen die Frauen bewahrt. Als ich vor einigen Jahren in Rom in Begleitung mehrerer Herren in irgend einer Kapelle eine Reliquie sehen wollte, ließ man die Herren eintreten, mich aber wies man mit dem Bemerken zurück, daß es unehrerbietig gegen die Kirche sein würde, einer Frau solche Reliquien zu zeigen. Es ist eine uralte List der Despotie, ihre Opfer zu schmähen und zu erniedrigen und ihre Unterdrückung zu rechtfertigen. Die neue Zeit. Aber es ist wahr, die Zeiten sind besser geworden, es ist nicht mehr Brauch, daß der Bruder seine Schwester verkauft, der Vater die Tochter ihres Erbtheils beraubt und die Mutter unter der Vormundschaft des Sohnes steht, und doch ist das Schicksal der Frau auch noch heut schwer genug. Noch heut, (96) wie in alten Zeiten sind und bleiben die Frauen unmündig – lebenslang. Die Herrschaft des Mannes der Frau gegenüber ist eine mildere geworden, aber die Ehe ist noch immer eine fast absolute und gesetzlich garantirte Herrschaftsform des Mannes, und das junge heirathsfähige Mädchen ist auch noch heut nicht viel mehr, als eine Waare, die besichtigt, behandelt und gekauft wird. Aber wie – auch das Gesetz wäre gegen die Frauen? Beginnt nicht unser preußisches Landrecht mit den Worten: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich?“ Ja wohl, alle, nur mit einigen kleinen Unterschieden, z.B. folgenden: Nach deutschem Recht kam und kommt die Frau durch Vollziehung der Ehe mit allem, was sie hat, in Vormundschaft und Gewalt des Mannes, wenn sie sich nicht contractlich gesichert hat. Die Gütergemeinschaft gilt in Preußen und in den meisten deutschen Staaten für so selbstverständlich, daß ein ausschließender Vertrag einer öffentlichen Bekanntmachung bedarf. Während der Mann unbeschränkte Disposition über das Eigenthum hat und die Frau keinen Einspruch bei der Verwaltung ihres Vermögens von Seiten des Mannes zu erheben hat, steht ihr keinerlei Verfügung über das Gemeingut zu. Ein junges Mädchen, welches sich unter dem Gesetz (97) der Gütergemeinschaft (und das ist das Allgemeine) mit einem unbemittelten Manne, den sie bereichert, verheirathet, kann, wenn dieser Mann geizig ist, der Dürftigkeit anheimfallen. Möglicherweise muß sie ihr eignes Geld, Stück für Stück für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse von dem Manne erbetteln und so gewissermaßen, trotz ihres Reichthums von Almosen leben. Auch von Todeswegen darf sie keine einseitigen Bestimmungen darüber treffen. Während der Mann für alle Schulden, die er macht, das Gemeinschaftsgut belastet, werden die der Frauen nicht daraus bezahlt. Die Frau darf nicht erwerben ohne die Erlaubniß des Mannes, und was sie erwirbt, gehört dem Manne. Ihr Kopf und ihre Finger gehören ihm. Sie darf nicht einmal ihre Schmucksachen ohne Zustimmung desselben verpfänden, sie erhält keinen Paß, es sei denn, der Mann ertheile schriftlich seine Einwilligung. Sucht eine mißhandelte Frau im Hause einer befreundeten Familie Schutz, so kann der Gatte sie zwingen, zurückzukehren, wieder und wieder; er kann sie verhungern lassen, sie hat kein gesetzliches Mittel, ihn anzuhalten, ihr die nöthige Kost zu reichen. In Hamburg bedarf die Frau zur Vornahme gerichtlicher Acte noch heut eines Curators.
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(98) Nach englischer Gesetzgebung geht die Frau noch vollständiger in der Person des Mannes auf als bei uns. Bis vor Kurzem waren die englischen Frauen nach den Aussagen ihrer eigenen Schriftsteller den Krüppeln, Unmündigen und Blödsinnigen gleichgestellt. Bekanntlich trägt die Frau, nach dem gemeinen Recht Englands, keine Verantwortung für die Verbrechen, die sie in Gegenwart des Gatten begeht. Nach jenem Recht erbt der Vater Alles, wenn das Kind stirbt, nur wenn er todt ist, hat die Mutter Antheil an der Erbschaft. In England und Frankreich dürfen unverheirathete Mütter keinen Unterhalt für ihre Kinder vom Vater beanspruchen. Was die Ehescheidung betrifft, so ist sie für die Frau, so lange sie nicht zu ökonomischer Selbstständigkeit erzogen wird, vollkommen illusorisch. Von jeher fließt der Menschen Mund in Schrift und Rede, in Prosa und in Versen über von der Kraft und Herrlichkeit der Mutterliebe, die Mutter aber wird nach dem Tode des Vaters nicht als die natürliche und rechtmäßige Hüterin des Kindes betrachtet. An Stelle des väterlichen Consenses tritt der des Vormunds. Die Anordnung der Erziehung des Kindes kommt hauptsächlich dem Vater zu. Nur ihm gibt das Gesetz Rechte in Bezug auf das Vermögen der Kinder. Der englische Vater kann durch Testamentbeschluß, ohne (99) daß die Mütter irgend eine Schuld trifft, ihr die Kinder fortnehmen lassen und anderen Händen anvertrauen. Ein Gesetz, das an Grausamkeit mit den barbarischen Verordnungen asiatischer Völker konkurrirt, ein Gesetz, das keinen Schimmer von der erleuchteten Humanität unseres Zeitalters auf die Frau fallen läßt, sondern ihr, der ewigen mater dolorosa, immer von neuem das Schwert in die Brust stößt. Was auf dem Gebiete der geschlechtlichen Beziehungen straflos an den Frauen gesündigt wird, ist unglaublich (man vergegenwärtige sich einen Augenblick die Statistik der Verführungen und ihre furchtbare Geschichte) und schmachvoll für die menschliche Gesellschaft. Man braucht nur daran zu denken, daß die Basis für die Moralität unserer Gesellschaft, die Prostitution ist; Diese Ausgeburtsidee einer corrumpirten Gesellschaft, die zu Gunsten der gutsituirten und beschützten Frauen dem weiblichen Proletariat das Laster aufzwingt, es zu den Parias in der moralischen Welt macht und von ihm die Kosten bestreiten läßt für den Tugendschmuck der wohlhabenden Frauenklassen. In der That, eine Tugendgründerei schamlosester Art. Doch ist das ein Gebiet, auf welches wir bei dieser flüchtigen Skizze nicht näher eingehen können, weil es zu umfassend ist und von zu gewaltiger Tragweite. (100) Der Mann verführt die Frau, stößt sie in’s Elend und die Gesetze machen sich zu Complicen des Verführers und geben ihr den Rest. Die Frau spielt in der Geschichte der Menschheit die Rolle einer speciellen Erlöserin des Mannes. Sie, das Lamm der Natur, nimmt seine Sünden auf sich – mag sie unter dem Kreuz zusammenbrechen. Die Gesetze, die Männer gemacht haben, sind der reine und unverfälschte Ausdruck ihrer Gesinnung in Bezug auf die Frau, alles Andere ist Lug und Trug, Phrase und Affektation. Diese Gesetze aber scheinen nur dazu da, die bürgerliche Untauglichkeit der Frau zu beweisen, sie nehmen an, daß die Frau schlecht, schwach und unvernünftig sei, der Mann hingegen stark, klug und ein Ausbund von Tugend. Hielten die Männer die Frauen nur für schwach und nicht zugleich für schlecht und unvernünftig, so wären Gesetze, wie die angeführten, doppelt und dreifach verwerflich, denn, ist es nicht Pflicht und Aufgabe des Staats, den Schwa-
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chen gegen den Starken zu schützen? Solche Gesetze aber drücken dem Starken die schärfsten und schneidigsten Waffen in die Hand gegen Schwache und Wehrlose. Wie sorgen die Väter unserer Zeit durch die Gesetze für die Erziehung ihrer Töchter? Man gebe sich die Mühe, Mädchenschulen kennen (101) zu lernen und staune über die Leistungen dieser Institute. Und diese kümmerlichen Mädchenschulen kosten dreimal so viel als das beste Gymnasium für Knaben. Der Preis beträgt z.B. in Berlin für eine sogenannte höhere Töchterschule vierteljährlich 18 Thlr., für ein Gymnasium 6 ¾ Thlr. Eine etwas starke Stelle in einer englischen Zeitung, der North British Review, lautet: Wir ziehen das weibliche Geschlecht auf wie das Vieh, ohne für dasselbe zu sorgen wie für das Vieh. Wir nehmen die schlimmsten Bestandtheile der barbarischen und der civilisirten Welt und verarbeiten sie zu einem heterogenen Ganzen etc. Die Erziehung der Mädchen gilt im Allgemeinen für ziemlich unwesentlich. In der Manchester-Freischule in England wurde eine große Anzahl verwahrloster Knaben aufgenommen und der Obhut der Schule anvertraut. Die Schwestern dieser Knaben überließ man auf der Straße ihrem Schicksal. In einer früheren Schrift habe ich schon erwähnt, daß, wenn in England Vermächtnisse für erziehlige Zwecke hinterlassen wurden, männliche Anwälte dieselben nur zu Gunsten der Knaben verwendeten, indem sie die Existenz der Mädchen vollständig ignorirten. In der letzten Parlaments-Session in England mußte die „Married Women’s Property Bill“ (Bill (102) über das Eigenthum verheiratheter Frauen) sechs Mal ausgesetzt werden, weil von 656 Mitgliedern nicht 40 ihre Gegenwart bei der Diskussion für werth erachtet hatten, ein Beweis von der zarten Fürsorge der Männer für das Interesse der Frauen. Ernest Legonvé, durchaus kein Anhänger der Frauenemancipation, sagt, nachdem er von der ehemaligen traurigen Lage der Frauen gesprochen hat: „Und was sollen wir von der Gegenwart sagen? von gestern, von heut? Für das Mädchen giebt es keine öffentliche Erziehung, keinen professionellen Unterricht; für sie ist keine Existenz möglich ohne Ehe und keine Ehe ohne Mitgift. Als Gattin hat die Frau keine Verfügung über ihr Eigenthum, keine über ihre Person, sie kann nicht geben, sie kann nicht empfangen – ewige Unmündigkeit ist ihr Loos. Als Mutter hat sie nicht das legale Recht, die Erziehung ihrer Kinder zu leiten. Sie kann sie weder verheirathen, noch sie verhindern sich zu verheirathen, noch sie aus dem elterlichen Hause entfernen, noch sie darin festhalten. Als Mitglied der Bürgerschaft kann sie weder Vormünderin einer Waise sein, noch Theilnehmerin eines Familienrathes, noch Zeuge bei einem Testament. – Welche Klasse unter den Arbeitern ist die elendeste? Die Frauen. Wer verdient 16 oder 18 Sous für (103) zwölfstündige Arbeit? Die Frauen. Auf wen fällt die ganze Last der natürlichen Kinder? Auf die Frauen. Wer trägt die ganze Schande aller der Fehler, die aus Leidenschaft begangen werden? Die Frauen.“
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Es ist vielleicht geradezu kindisch, an Gerechtigkeit zu denken für eine Klasse, die ohne Einfluß und ohne Eigenthum ist. Armuth und Machtlosigkeit erzeugt stets Geringschätzung, es müßte denn die Natur des Menschen von Grund aus umgewandelt werden, das heißt, der Mensch müßte aufhören Mensch zu sein, um eine höhere Rangstufe auf der Stufenleiter lebendiger Wesen einzunehmen. Auf dem Stern des Jupiter mag ewige Gerechtigkeit wohnen, auf dem der Venus ewige Liebe. Auf dem Stern der Erde herrscht Eigennutz, Macht, Eifersucht und Kampf. Wo die Interessen von Mann und Frau in Conflikt gerathen, da werden die Interessen der besitzlosen und einflußlosen Frauen aufgeopfert werden. Ein englischer Schriftsteller hat die bemerkenswerthe Thatsache zur Kenntniß gebracht, daß keine Bill zum Vortheil der Frauen eingebracht worden ist, als von solchen Männern, die für das Stimmrecht der Frauen votirt haben. Der Rechtszustand der Frauen ist noch heutigen Tages: benutzt und beschützt zu werden, so weit und (104) so lange es die Männer für gut befinden. Und wenn es eines Tages die Männer für gut befänden, den Frauen eine noch niedrigere Stellung anzuweisen, als sie heutigen Tages inne haben? Unmöglich! Unmöglich? Durchaus nicht! Ein Theil der deutschen Männer-Nation hält Arthur Schopenhauer für den größten Denker des Jahrhunderts. Der große Napoleon ward von Mit- und Nachwelt angebetet. Diese beiden Männer nun, die Götter oder Götzen des Jahrhunderts, stimmen fast wörtlich in ihrer Auffassung der Frauennatur überein. Ihnen ist die Frau eine Sache, ein Besitz, nichts als ein nothwendiges Werkzeug zur Fortpflanzung der Gattung und zur Lust des Mannes. Die Stellung der Frauen im Orient scheint ihnen die dem Frauenwesen einzig und allein entsprechende. Wer die Anschauungen der genannten Genies näher kennen lernen will, der lese den Aufsatz Schopenhauers „über die Weiber“ und Napoleons Memoiren von St. Helena. Ich bewundere eine gewisse Schärfe und Consequenz in ihren Auffassungen. Das Zwittergeschöpf Weib, das zwischen Himmel und Erde schwebt, zwischen (105) Denken und Nichtdenken, wollte sich der Ganzheit ihrer Denkweise nicht einfügen. Sie erkannten vollkommen richtig, daß es sich hier handle um ein entweder – oder, daß diese Melusinennaturen, diese Undinen und Nebelgestalten, diese Sphinxe, mit einem Wort das moderne Weib, in das Reich der Mährchen, der Träume, der Poeten gehöre, in der Wirklichkeit aber keinen Platz finde. Mit der Energie consequenter Geister mußten sie zu dem Resultat kommen: „Entweder ist das Weib ein ganzer Mensch und damit vollberechtigt, in den Genuß aller Menschenrechte zu treten, oder sie ist weniger als ein Mensch, nur ein Werkzeug zur Erhaltung des eigentlichen Menschen, des Mannes“. Sie entschieden sich für das Letztere. Wären die Beziehungen dieser beiden Männer zu Frauen anderer Art gewesen, als sie gewesen sind, sie würden vielleicht zu entgegengesetzten Resultaten gekommen sein. Die Art dieser Beziehungen zu untersuchen, ist hier nicht der Ort, ich will nur daran erinnern, daß Schopenhauer – und gewiß aus sehr guten Gründen – ein vollkommner Weiberfeind gewesen ist.
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Und könnte es nicht geschehen, daß noch einmal ein Kaiser, gleich dem großen Napoleon, an die Spitze der Nationen träte und könnte es nicht geschehen, daß (106) ein Schopenhauerianer ihm als Cultusminister zur Seite stände! Armes Weib, dann könntest du getrost über die Pforte deines Lebens die Worte schreiben, die Dante über dem Eingang zur Hölle las.31 Der Code Napoléon trägt Spuren der zärtlichen Gesinnung seines Verfassers gegen das Geschlecht der Weiber. Und die Frauen sollten vor der Möglichkeit einer noch tieferen Herabwürdigung ihres Menschenthums nicht erbeben! Sie sollten sich krümmen unter den Scorpionenstichen der Verachtung, sie sollten sich nicht zu schützen versuchen, auf legitime Weise, durch die Theilnahme an der Gesetzgebung, vor den Ausgeburten solcher Großgeister-Consequenzen, vor einem solchen Delirium des Männerstolzes! Der Grundbegriff, der das Verhältniß der Geschlechter zu einander bestimmt, ist derselbe heut wie vor Tausenden von Jahren. Er ist derselbe in der Nacht der Barbarei unter den asiatischen Völkern und bei den erleuchtetsten Nationen Europa’s. Dieser Grundbegriff heißt: Gehorsam. Gehorsam des Weibes gegen den Mann. Alle socialen Einrichtungen, alle Sitten und Gesetze hier und dort, damals und jetzt, sind nichts als (107) eine Illustration des Bibelspruchs: Er soll dein Herr sein. Das indische Gesetzbuch befiehlt der Frau, ihrem Gatten zu gehorchen und ihn wie einen Gott zu verehren, auch wenn er ein Bösewicht sei. Der deutsche Geistliche schärft der knieenden Braut ein, ihrem Gatten zu gehorchen, und er schärft es ihr ein, kraft seiner amtlichen Pflicht, auch wenn er weiß, daß der vor ihm knieende Bräutigam ein Schurke ist. So heißt Gehorchen für die Frau: Gehorsam sein auch der Bosheit, der Niedertracht, so heißt Gehorchen für sie: Ersticken die Stimme des Gewissens, auslöschen das Licht des Geistes. Wehe der Frau, die in dieser Weise gehorcht. Sie verschreibt ihre Seele dem Bösen. Gehorsam gegen das Schlechte ist eine Todsünde. Zweiter Grund: Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht. In der letzten Parlamentssitzung verwirft Mr. Chaplin das Frauenstimmrecht, weil bis jetzt noch Millionen von Frauen vom Stimmrecht nichts wissen wollen. Wahrscheinlich hat das englische Parlamentsmitglied aus seinen Studien der allgemeinen Weltgeschichte in Erfahrung gebracht, daß von jeher, wo es sich um (108) weltbewegende Principien, um Revolutionen, um durchgreifende Reformen oder um neue Religionen handelte, die Bewegung damit begann, daß die ganze Masse des Volkes sich für die Verwirklichung der betreffenden Ideen einmüthig erhob. 31
[Anmerkung: „Zur Warnung von ,Laien‛, die etwa noch den Glauben hegen, daß mindestens die Gesetze über Familienverhältnisse auch für sie geschrieben seien, sollte man diesem Buche die letzte Zeile der Danteschen Hölleninschrift vorsetzen: Lasciate ogni speranza, voi che entrate.“ (Gierke, Entwurf eines BGB, Nr. 23, S. 393). Freilich kritisiert Gierke das BGB-Familienrecht nicht von feministischer Sicht und dürfte insofern in bezug aufs Familienrecht eine durchaus andere Vorstellung der Hölle haben als Hedwig Dohm.]
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Andere Leute dagegen, die nicht die Ehre haben, im englischen Parlament zu sitzen, wollen bemerkt haben, daß eine neue Lehre oder ein neues Princip, sei es auf religiösem, auf politischem oder auf socialem Gebiet, im Anfang stets nur eine kleine Zahl von Jüngern zählte – nur zwölf Apostel folgten Christo. Sie wollen bemerkt haben, daß oft Jahrzehnte, ja mitunter Jahrhunderte vergehen, ehe der Sauerteig der neuen Gedanken die träge Masse durchdrungen hat, und daß dieser Prozeß sich um so langsamer vollzieht, je universeller und je gewaltiger der Umschwung ist, den die neue Lehre zu bewirken hat. Indessen mit der Zeit wird jede Minorität zur Majorität. Die Zustimmung Aller aber ist das Ende und nicht der Anfang einer revolutionairen Bewegung. […] (109) Uebrigens steht die Thatsache nicht fest, daß die Majorität der Frauenwelt das Stimmrecht zurückweist. In den vereinigten Staaten Amerika’s möchten sich wenige intelligente Frauen finden, die die Erlangung des Stimmrechts nicht für wünschenswerth halten. Unter der weiblichen Intelligenz Englands sind die Anhängerinnen desselben außerordentlich zahlreich. Mr. Kirkman Hodgson, ein Vertreter von Bristol, hat bis vor Kurzem gegen die politischen Rechte der Frauen gestimmt. Als am 18. December eine Deputation von Damen sich an ihn wandte, antwortete er, er glaube nicht, daß die Frauen das Stimmrecht wünschten. Indessen, fügte er hinzu, wolle er seine Opposition aufgeben, wenn man ihm die Unterschriften der Hälfte der nach englischem Census wahlberechtigten Bürgerinnen von Bristol, deren Zahl 1,300 beträgt, bringen würde. Diese 650 Unterschriften seien Alles, was er verlange. Noch vor dem Beginn der Wahl hatten die Damen, trotzdem sie vielfach anderweitig beschäftigt (110) waren, 1,240 Unterschriften gesammelt. Mr. Hodgson gestand in ehrenhafter Weise seine Niederlage ein und erklärte, in Zukunft für die politischen Rechte der Frauen stimmen zu wollen. Indessen läßt sich nicht leugnen, daß ein großer Theil der Frauenwelt, in Deutschland sicher die Majorität, keinen Werth auf die Erlangung politischen Einflusses legt. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß die Theilnahme an der Abfassung der Gesetze für die Frauen entbehrlich ist. Sicherlich haben die Neger niemals die Civilisation gefordert und die Orientalinnen haben bis jetzt noch keine Sehnsucht nach der monogamischen Ehe an den Tag gelegt. Nichtsdestoweniger wird Niemand Sklaverei und Polygamie für verehrungswürdige Institutionen erklären, und Jedermann wird zugeben, daß die Civilisation der Barbarei und die Monogamie der Polygamie vorzuziehen sei. Der Werth dieser Güter würde den Betreffenden sofort einleuchten, wenn man sie in den Genuß derselben setzte. Wer zur Knechtschaft erzogen ward, wie Sklaven und Frauen, wird nur langsam den unermeßlichen Werth der Freiheit erkennen lernen. Und wenn man die große Abhängigkeit der Frauen erwägt, so ist die stattliche Zahl der Anhängerinnen des Stimmrechts immerhin sehr beachtenswerth. (111) Es mag Kreise und Gemeinden von Männern geben, wo durchschnittlich weniger als die Hälfte derselben zum Wahltische gehen. Hier hätte sich also die Majorität gegen das Wahlrecht ausgesprochen und es müßte diesen Kreisen und Gemeinden das Stimmrecht entzogen werden. Wer denkt daran! Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es Gewaltthat, sie an der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern.
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Die Motive, welche die Frauen bewegen, sich entweder direkt gegen das Stimmrecht ihres Geschlechts aufzulehnen oder sich wenigstens der Frage gegenüber indifferent zu verhalten, sind sehr einfache und sehr klare. Erstens: Die große Menge der Menschen, alle beschränkten und mittelmäßigen Köpfe huldigen niemals einer Idee oder einer Vorstellung, die noch keinen Cours in der öffentlichen Meinung, die ihren tour du monde noch nicht gemacht hat. Die Mehrzahl der Menschen weicht keinen Fingerbreit ab von der Meinung, die in ihrem Lande, in ihrer Generation oder in ihrem Städtchen üblich ist. Sie ist zufrieden in ihrer honorablen Mittelmäßigkeit und bei dem schläfrigen Trab auf der ausgefahrenen Chaussee herkömmlicher Sitten duselt sie gemächlich aus dem Diesseits in das Jenseits (112) hinüber. An der Autorität zu kleben, ist und wird immer sein die Religion aller Schwachköpfe, aller Denkfaulen und aller glaubensstarken Gemüther. Die Vorstellung einer selbständigen Frau ist zu neu, die Tragweite dieser Idee ist zu unermeßlich, als daß die Majorität sie begreifen, geschweige denn ihr zustimmen sollte. Aber sind alle Sitten deshalb, weil man sie allgemein acceptirt hat, über jede Anklage erhaben? Soll die Gegenwart immer in die Fußtapfen der Vergangenheit treten? Sind wir Automaten, die nur äußerlich durch eine Maschinerie angelernter socialer Glaubenssätze, die frühere Jahrhunderte für uns construirt haben, fortbewegt werden? Nein, die Zeit heiligt nichts, und jeder Glaube hat nur eine individuelle, eine an Zeit und Ort gebundene Heiligkeit. Die größten Güter, die im Laufe der Jahrhunderte erlangt worden sind, wurden uns durch das Streben solcher zu Theil, die Ideen verwirklichen wollten, die ihrer Zeit unerreichbar waren. Nie wäre Großes geschehen, wenn nicht Menschen voll göttlichen Instinkts ihren Seherblick voraus in die Zukunft geschickt hätten, wenn nicht kühne Pioniere des Geistes vorgedrungen wären in noch unerforschte Gedankengebiete. (113) Zweitens: Es werden nicht folgen der Fahne der Frauenfreiheit alle diejenigen Frauen, die, gleichviel ob dumm, klug oder geistreich, lieblosen Gemüths sind. Diejenigen, die sich in einer behaglichen äußeren Lage befinden und mit einer hinreichenden Quantität Egoismus ausgerüstet sind, werden sich hüten, für Andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, denn sie wissen es wohl: Conflikte mit den Mitmenschen sind sehr unangenehme, und Gemüthsruhe, gute Diners, Badereisen und Theaterlogen sehr angenehme Dinge. „Ich habe Alles was ich brauche“, sagt die Frau an der Seite eines liebevollen Gatten, zu dessen hervorragenden Eigenschaften ein wohlgefülltes Portemonaie gehört. – Gewiß, meine Gnädigste, aber darum handelt es sich ja gar nicht, es handelt sich um die Gattin jenes Trunkenboldes, der in bestialischer Rohheit das zitternde Weib zu Boden schlägt und sie und das Kind, um seinem Laster zu fröhnen, dem Hungertode preisgiebt. Es handelt sich um jenes junge Mädchen, das seiner Natur Gewalt anthut und zur Ehe schreitet mit dem ungeliebten Mann um der Versorgung willen, um dem Elend eines leeren und einsamen Daseins zu entgehen. Es handelt sich um jene alte Jungfer, die Tag für Tag über ihre Nadel gebeugt freundund (114) freudlos durch das Jammerthal der Erde schleicht. Ach, es handelt sich um noch viele andere, gnädige Frau, von denen Sie nie etwas wußten und nie etwas wissen wollen.
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Auf das höchste und schönste aller Gebote: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, hat der Egoismus des Menschen noch immer die Antwort der Indifferenz in Bereitschaft gehalten: „Herr, soll ich meines Bruders Hüter sein!“ In England giebt es Frauen, die sich in der günstigsten äußeren Lage befinden und die sich dennoch durch ihren Eifer im Kampf für die Frauenrechte auszeichnen. Das sind Frauen von unantastbar reinem und edlem Charakter, das sind Frauen wie Mary Sommerville, die Mathematikerin, Florence Nightingale, Harriet Martineau, Miß Burdett Coutts und andere mehr. Drittens: Dem zu widerstreben, von dem man abhängt, erfordert ein muthiges Herz, eine freudige Ueberzeugung. Frauen aber hängen von ihren Männern ab. Wieviel Frauen in Deutschland mögen im Besitz von Gatten sein, die das Stimmrecht der Frauen begünstigen? Wenn wir heut eine Versammlung zur Förderung politischer Frauenrechte ausschrieben, so würden Hunderte (115) von Frauen, die mit uns einverstanden sind, daheim bleiben, weil ihre Männer nicht wünschen, daß sie einer solchen Versammlung beiwohnen. Sie würden daheim bleiben aus Furcht vor ihren Herren, oder um des lieben Friedens willen, oder um durch ihren Gehorsam dem Gatten dies oder jenes abzuschmeicheln. Das Stimmrecht werden viertens nicht begehren im Großen und Ganzen die Frauen des Volks, weil es ihnen an Einsicht und Bildung fehlt, und weil im Allgemeinen bei den Unwissenden die Vorurtheile noch stärker wirken als bei den Gebildeten. Die Frauen aus dem Volke vermögen nicht zu erkennen, warum sie für sich den Tisch des Lebens nicht gedeckt finden. Wenn die Proletarierfrau unter den wuchtigen Schlägen des betrunkenen Gatten sich krümmt, so weiß sie nicht, daß das Gesetz die Mißhandlungen dieses Kerls legitimirt. Wenn die Frau, die in wilder Ehe mit dem Manne lebt (nicht nach ihrem, sondern nach seinem Willen, wie gern wäre sie sein rechtmäßiges Weib) von diesem Manne hülflos auf die Straße geworfen wird mit ihren Kindern, so ist sie sich nicht bewußt, daß die Gesetze auf seiner Seite stehn. Ein französisches Journal brachte vor einiger Zeit folgende bezeichnende kleine Historie zur Kenntniß: Eine Frau wurde von dem Manne, mit dem sie lange Zeit gelebt hatte, aus der (116) gemeinschaftlichen Wohnung gestoßen. Ohne Existenzmittel blieb ihr kein anderer Ausweg als Gift. Das Gift im Leibe schlich sie sich heimlich in das frühere Zimmer, von dem sie den Schlüssel behalten hatte, zurück, um dort zu sterben; aber ihr Gefährte betrat bald darauf mit einer neuen Geliebten das Zimmer. Er schleppte die Sterbende auf die Straße und sie verschied in der Gosse. Dieser Mann war vollkommen in seinem Recht, als er das Weib, dessen er satt war, auf offener Straße sterben ließ. Der Mann ist stets im Recht, wenn er seine natürlichen Kinder verleugnet und so vieler Maitressen sich bedient, unbekümmert um ihr späteres Schicksal, als seine rohe Sinnlichkeit begehrt. Die halbwahnsinnige Kindsmörderin ahnt nicht, daß die Gesetze sie bewahren könnten vor der entsetzlichen That, an der ihre Seele oft genug keinen Antheil hat. Wir haben zugegeben, daß ein großer Theil der Frauenwelt vorläufig das Stimmrecht nicht begehrt. Folgt aber daraus, daß die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, denen überlegen sind, die es wollen? Gewiß nicht. Ebenso wenig wie die Männer, die von ihren politischen Rechten keinen Gebrauch machen, denen überlegen sind, die am Staatsleben theilnehmen.
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Haben aber unsere Gegner recht und die Frauen (117) im Großen und Ganzen wollen wirklich das Stimmrecht nicht, so bedarf es keiner Maßregeln, sie auszuschließen. Wer brauchte je Gesetzesbestimmungen, um Jemand zu zwingen seiner Neigung zu folgen! […] (118) Dritter Grund: Die Frauen haben nicht die Fähigkeit das Stimmrecht auszuüben. Dieses Argument ernsthaft zu erörtern erläßt man uns wohl. Es giebt keine körperlichen und geistigen Eigenschaften, die in irgend einem Lande Bedingungen des Wahlrechts wären. Die Schwachen und Kranken, die Krüppel, die Dummen und die Brutalen, in Amerika der noch uncivilisirte Neger, sie alle sind wahlberechtigt. Vollends dem allgemeinen Wahlrecht gegenüber ist dieser Vorwand einfach absurd. Jede Frau, die schreiben und lesen kann, steht an Fähigkeiten über dem Mann, der diese Kunst nicht versteht. Man frage die Juristen Englands. Schwerlich würden diese Herren den Satz von der Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts ohne Scham und Erröthen zu vertheidigen im Stande sein, nachdem jüngst zwei englische Damen, trotz der Concurrenz zahlreicher männlicher Mitbewerber die beiden ersten juristischen Preise in (119) England davon getragen haben. Seit Jahren werden in England Frauen in der Telegraphie verwandt. Der letzte Verwaltungsbericht hat ihre Superiorität über die Männer in diesem Berufe öffentlich anerkannt. Der Governor Campbell von Wyoming (des ersten amerikanischen Staats, der den Frauen das Stimmrecht gewährt hat) stattet an die gesetzgebende Versammlung des Territoriums von Wyoming einen befriedigenden Bericht über die politische Wirksamkeit der Frauen ab. Er sagt: „Vier Jahre sind es her, seit dem die erste gesetzgebende Versammlung zu W. das Experiment gewagt hat, den Frauen bei den Regierungsangelegenheiten eine Stimme zu verleihen. Ich habe schon einmal die Gelegenheit wahrgenommen, mich über die Weisheit und Gerechtigkeit dieser Maßregel zu äußern und meine Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß die Resultate dieser Maßregel als durchaus günstige zu bezeichnen sind. Zwei weitere Jahre der Beobachtung in Bezug auf das praktische Wirken der neuen Theorie haben die Ueberzeugung bei mir nur vertiefen können, daß dasjenige, was wir gethan haben, wohlgethan gewesen ist.“ Ueber die Art des weiblichen geistigen Unvermögens, (120) die Ausübung des Stimmrechts betreffend, ist man übrigens auf Seiten unserer Gegner sehr verschiedener Meinung. Mr. Newgate, ein streng conservativer Herr, fordert bei einer früheren Gelegenheit das Haus auf, das Stimmrecht der Frauen als eine ultraradikale Maßregel zu verwerfen, während Mr. Godwin Smith, ein vorgeschrittener Liberaler, seine Zuhörer folgendermaßen haranguirt: „The question, wether female suffrage on an extented scale is good for the whole community, is probatly, identical, practically speaking with the question, wether is good for us, to have free institutions or not. Here can be little doubt, that in all cases, if power were put into the hands of the women free governement and with it liberty of opinion would fall“. (Die Frage, ob das Frauen-Stimmrecht in ausgedehnterem Maße gut ist für das allgemeine Beste, ist, um praktisch zu reden, wohl identisch mit der Frage, ob freie Institutionen für uns gut sind oder nicht. Darüber kann kein Zweifel sein, daß in allen Fällen, wo die Macht in die Hände der Frauen gegeben wird, eine freisinnige Regierung und damit die Freiheit der Meinung zu Grunde gehen würde.)
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So weisen also die Conservativen die Frauen ab, (121) weil sie zu liberal, die Liberalen, weil sie zu conservativ stimmen würden. Auf wessen Seite ist nun in diesem Conflikt der Meinungen die so berühmte männliche logische Denkkraft? – Viertens: Die Frau wird durch ihr Geschlecht selbstverständlich von jeder politischen Aktion ausgeschlossen. Die Frau hat keinen Anspruch auf politische Rechte, weil sie ein Weib ist. Selbstverständlich, so selbstverständlich wie der Satz 2 x 2 = 4. Wer sagt das? Der Mann. Wie beweist er es? Es bedarf keines Beweises, weil dieser Begriff eine den Männern von Gott eingeborene Idee ist. Wer aber auf einen Beweis besteht, dem stellen wir unsere Gefühle entgegen, die die Vorstellung einer politisch emancipirten Frau mit aller Energie abweisen, und die Stimme des Gefühls ist die Stimme Gottes. Aber welche Gefühle, worauf sind diese Gefühle gegründet? Auf Vernunft und Gerechtigkeit oder auf Vorurtheil und Egoismus? Das zu untersuchen ziemt sich. Euer Gefühl empört sich. An die Mission des (122) Weibes im Hause glaubt ihr wie an Gott selbst, oder noch mehr; der intensivste, feurigste Glaube aber, die höchste moralische Extase, wenn sie nicht mit unfehlbaren Gründen bewiesen werden, wie sollen sie für mich Beweiskraft haben? Die Vernunft spottet aller Inbrunst des Glaubens, sie reißt die Gestirne aus ihren Bahnen, die das Vorurtheil ihnen vorgezeichnet, sie hat siegreich gekämpft mit Drachen, Riesen und Teufeln, sie stürzt Götter von ihren Thronen. Vor ihrem siegenden Strahl wird auch der uralte Glaube an die Sphäre des Weibes dahinschwinden. „Weil sie ein Weib ist.“ Was heißt das, ein Weib sein? Das heißt eine andere körperliche Bildung besitzen, wie der Mann. Die Differenz der geistigen Vermögen der beiden Geschlechter ist vorläufig unbestimmbar, und die Männer, die Eigenthümer der Schöpfung thäten wohl, noch ein wenig zurückzuhalten mit ihrer Exmissionsklage gegen die politischen Gedanken, die eine Frau in ihrem Gehirnlokal etwa einquartiert hat. Sie thäten wohl, mit dieser Anklage zu warten bis wissenschaftliche Begründung an die Stelle getreten ist jenes marktschreierischen Affichirens subjectiver Inspirationen als wissenschaftliche Wahrheit, jenes metaphysischen Alt-Philosophengeschwätzes, jener poetischen (123) Apercü’s und Traditionen der Phantasie, die noch immer an der Tagesordnung sind, wo es sich um Natur und Eigenart des Weibes handelt. Vorläufig müssen wir annehmen, daß ein Geschlecht, welches, wie Fourier hervorhebt, verhältnißmäßig mehr große Königinnen aufzuweisen hat, als Männer große Könige, des politischen Sinnes keineswegs baar ist. Wollte man das Princip, daß eine verschiedene Körperbildung nothwendig ein verschiedenes moralisches und geistiges Vermögen bedinge, gelten lassen, wo wäre da die Grenze zu ziehen?
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Wir könnten ebenso gut den Aberglauben acceptiren, alle Buckligen hätten sich, als von Gott gezeichnete, in das Dunkel des Privatlebens zurückzuziehen, alle Lahme seien Verwandte Beelzebubs, alle Rothhaarigen Verräther und alle Schwarzen – Sklaven. Und in der That, in finstren Zeiten des Mittelalters hat man von physischen Besonderheiten auf moralische Beschaffenheiten geschlossen. Im frühen Mittelalter wurden in Frankreich Frauen, die Zwillinge gebaren, als des Ehebruchs überführt, zum Tode verurtheilt. Alte Weiber wurden haufenweis um rothgeränderter Augen willen als Hexen verbrannt. Man hat behauptet: die Frau, welche Zwillinge zur Welt bringt, ist des Ehebruchs schuldig. Man behauptet: die Frau, weil sie überhaupt Kinder zur Welt bringt, ist mit politischer Impotenz (124) behaftet. Das Gedankenprincip in diesen beiden Vorstellungen ist dasselbe: Einem physischen Vorgang wird willkürlich eine sittliche oder geistige Basis gegeben. Weil die Frauen Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben. Ich behaupte: weil die Männer keine Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben und ich finde die eine Behauptung mindestens ebenso tiefsinnig wie die andere. Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Weib bist! Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Jude bist! hat die menschliche Gesellschaft Jahrhunderte lang den Juden zugerufen. Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Sudra (Mann aus dem Volke) bist, dekretirt das indische Gesetzbuch, und so du dich um Politik bekümmerst, wirst du schwer bestraft. Du hast keine politischen Rechte, weil du schwarz bist und ein Neger, spricht der Sklavenhalter zu seinem Sklaven, und weil du schwarz bist, darum bist du mein Sklave und deine Kinder gehören mir und ich darf sie verkaufen. Warum? Weil Du schwarz bist. Was ist ein Neger? Was ist ein Jude? Was ist ein Weib? Was ist ein Sudra? Unterdrückte Menschen. Unterdrückt von wem? (125) Von ihren Brüdern, die stärker sind als sie. Kain und Abel! Abel fiel als erstes Opfer im Kampf um’s Dasein. So stirbt vielleicht erst mit dem letzten Menschenpaar der letzte Kain, der letzte Abel? […] Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil sie Mutter und Pflegerin des Kindes ist, und vor dieser heiligen Pflicht keine andere Thätigkeit bestehen kann. Eine tiefsinnige Auffassung. Als ob die beste Mutter diejenige wäre, deren ganzes Thun und Denken in dem Kinde aufgeht. Als wäre der der beste Jurist, welcher sein Leben lang nur juristische Bücher liest, oder der der beste Arzt, welcher nichts thut als Leichen seciren und Arzneikunde studiren. So gewiß das einseitige Studium eines ganz beschränkten Faches nur verbohrte Gelehrte oder wissenschaftliche Handwerker produciren wird, so gewiß wird auch in den meisten Fällen die Frau deren ganzes inneres Leben sich um Küche (126) und Kind dreht, mit jener blinden Mutterliebe und jenem beschränkten Dusel behaftet sein, die selten dem Kinde wohl thun, ihm aber desto öfter Seele und Körper schädigen. Der bedeutendste der amerikanischen Quäker berichtet als die allgemeine Erfahrung, daß diejenigen weiblichen Mitglieder, die im öffentlichen Leben am meisten leisten, sich auch als die besten Gattinnen und Mütter erweisen.
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Sehr natürlich. Je harmonischer eine Frau ihre Kräfte entwickelt, je mehr sie die Veredlung ihrer Gesinnung, ihres Gesammtwesens anstrebt, je besser wird sie auch ihre Mutterpflichten erfüllen. Was im Allgemeinen wirkt, wirkt auch im Besondern. Je höher sie als Mensch steht, je höher als Mutter. O über dieses Geschwätz von der Sphäre des Weibes, den Millionen Frauen gegenüber, die auf Feld und Wiese, in Fabriken, auf den Straßen und in Bergwerken, hinter Ladentischen und in Bureaus im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot erwerben. Wenn die Männer vom weiblichen Geschlecht sprechen, so haben sie dabei nur eine ganz bestimmte Klasse von Frauen im Sinn: Die Dame. Wie nach dem bekannten Ausspruch jenes bekannten österreichischen Edelmannes der Mensch erst bei dem Baron anfängt, (127) so fängt bei den Männern das weibliche Geschlecht erst da an, wo es Toilette und Conversation macht und Hang zu Liebesintriguen und Theaterlogen verräth. Geht auf die Felder und in die Fabriken und predigt eure Sphärentheorie den Weibern, die die Mistgabel führen und denen, deren Rücken sich gekrümmt hat unter der Wucht centnerschwerer Lasten! Könnt ihr allen Frauen ein behagliches Daheim schaffen und einen Mann, der für sie sorge? Nein – ihr könnt es nicht. Seid ihr Sphärenanbeter auch alle, alle verheirathet und habt ihr allesammt arme Mädchen geheirathet, um der Versorgung des weiblichen Geschlechts Rechnung zu tragen? Nein, ihr habt es nicht gethan. Nun denn, aus dem Wege mit Euch, Ihr Sphärenfabrikanten, gebt Raum und Luft für die Millionen, an Geist und Körper gesund gebornen Geschöpfe, die da verkümmern, weil sie Frauen sind! [……] (128) Häusliche Pflichten und politische Pflichten sind unvereinbar. Wie edel, daß unsere Gesetzgebung sich so sehr gedrungen fühlt, die Weiber zu ihren häuslichen Pflichten anzuhalten! Warum aber sorgt die Gesetzgebung nicht auch dafür, daß der Mann seine Privat- und Berufspflichten erfülle? Und warum ordnet sie nicht an, daß jeder verheirathete Mann, sobald die Glocke zehn geschlagen hat, von einem Schutzmann nach (129) Hause geholt wird, und warum läßt sie nicht Clubs, Restaurants und andere schlimme Lokale zur Polizeistunde schließen, damit der Beamte, der Künstler oder der Kaufmann nicht etwa am andern Morgen durch Katzenjammer, einen Schnupfen und hypochondre Laune an der Ausübung seiner Berufspflichten verhindert werde? Warum erdreistet man sich, zu glauben, daß die Frau, zur Freiheit gelangt, nichts Eiligeres thun würde, als ihre Pflichten zu verletzen, während man dem Manne gegenüber einem solchen Verdacht nicht Raum giebt! Wer darf nach Gründen fragen, wo der stupide Glaube Gesetze diktirt! Häusliche und politische Pflichten sind unvereinbar. Die naiven Männer meinen nämlich, daß die Frauen deshalb so gut kochen und nähen, weil sie das Stimmrecht nicht haben, und in einem jeden mit dem Stimmrecht behafteten Weibe sehen sie im Geist das Urbild einer Confusionsräthin, der sie zutrauen, daß sie Zeitungsblätter anstatt Petersilie an die Suppe thut und daß sie die Fische, anstatt sie zu braten, politisch haranguirt. Zweifellos aber ist ihnen der Zusammenhang zwischen einem Deficit im Wirthschaftsgelde (130) und der Beschäftigung der Frau mit Steuer- und Budgetfragen.
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Wie aber kommt es, daß der wissenschaftliche, industrielle oder künstlerische Beruf eines Mannes sich so wohl verträgt mit seiner politischen Thätigkeit? Hält man das Componiren unsterblicher Wagner’scher Opern, das Malen Kaulbach’scher oder Richter’scher Bilder, hält man das Verfassen umfangreicher gelehrter Bände und das aufregende Spiel an der Börse für weniger zeitraubende und unwesentlichere Beschäftigungen, als das Kochen, Nähen, Klimpern, Zanken und Kinderwaschen der Frauen? Und sind nicht diese Herren von der Feder, vom Pinsel und von der Börse stets bereit, ihren politischen Pflichten Rechnung zu tragen, ohne um dessentwillen weniger und schlechter zu dichten und zu malen, zu speculiren und zu meditiren? Uebrigens hat in der That die Auffassung, als ob Staat und Politik nur die Politiker von Fach, die Minister, Geheim-, Hof- und sonstigen Räthe anginge, bis in unser Jahrhundert hinein lebhafte Vertretung in der öffentlichen Meinung gefunden. […] (131) Wir sehen, daß man dasselbe Argument, mit dem man die Frauen von den Wahltischen fern zu halten sucht, auch stets den Männern gegenüber zur Anwendung (132) gebracht hat. Es ist dasselbe Argument, mit welchem man in der antiken Welt den Plebejern die bürgerlichen Rechte vorenthielt. Ja wohl, eine plumpe Lüge! Wenn es unweiblich ist zu stimmen, so ist es auch unweiblich, Steuern zu zahlen, so ist es unweiblich für eine Wittwe, ihre Kinder durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren, so ist es unweiblich, zu betteln u.s.w. Gewohnheit macht Dinge so zur zweiten Natur, daß selbst das wärmste Herz und der weiseste Sinn ihre Sinnlosigkeit, ihre Härte und Ungerechtigkeit übersieht. Ein Beispiel die Sklaverei des Alterthums, an der die Besten ihrer Zeit keinen Anstoß nahmen. Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil politische und wissenschaftliche Thätigkeit, weil die Entwickelung der Intelligenz die Frau derjenigen weiblichen Reize berauben dürfte, die in das Budget ihrer Lebensfreuden zu verrechnen die Männer das Recht zu haben glauben. […] (137) Wenn es heut hin und wieder vorkommt, daß berufsmäßig beschäftigte Frauen mehr Härten und Schroffheiten in ihrem Wesen zeigen als mit der Grazie vereinbar ist, so trägt die Schuld daran nicht der Beruf der Frau, sondern die Art und Weise, wie sie sich diesen Beruf hat erobern müssen im peinvollen Kampf mit dem Vorurtheil, im Conflikt mit der Gesellschaft. Bei der völligen Umgestaltung der socialen Verhältnisse, die wir im Sinne haben, verschwinden diese Conflikte und diese Kämpfe und mit ihnen jene unliebsamen Härten im Wesen der Frau. Den Frauen soll das Stimmrecht vorenthalten werden, weil die Männer an politischen Frauen kein Gefallen finden. Die Männer mögen an den Frauen am meisten schätzen Unwissenheit, Naivetät, affektirte Munterkeit, elegant servirte Schaugefühle u.s.w. Folgt daraus, daß diese Vorzüge auch das Glück (138) der Frau ausmachen? Keineswegs. Und darauf allein kommt es an was dem Weibe frommt, was zu seiner inneren und äußeren Förderung gereicht. Daß die Männer im Allgemeinen geistig wenig begabte Frauen den intelligenten vorziehen, halten sie für eine vernichtende Kritik aller intelligenten Weiber und für einen Beweis, daß geistige Inferiorität das natürliche Element der Frau sei. Ihren Geschmack stempeln sie zu einem Naturgesetz. Kann die kindlichste Anmaßung weiter gehen? […]
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(140) Dergleichen originelle Offenbarungen und widerspruchsvolle Mannesworte, mit denen wir ganze Bände füllen könnten, zeigen wieder und wieder wie alles gedruckte Reden der Männer über Frauen nichts ist als Geschwätz, mitunter aufrichtiges, öfter verlognes, aber immer Geschwätz. Ueber die wahren Gründe desselben belehrt uns Stuart Mill klar und bündig indem er sagt: „die große Masse des männlichen Geschlechts kann die Idee nicht dulden ‚with a equal‛ (mit einer gleichberechtigten (141) Persönlichkeit) am häuslichen Heerde zu sitzen und hier ist das Geheimniß seiner Opposition gegen das Recht der Frau in Staat und Kirche.“ Der Mann sieht sich durch die modernen Bestrebungen der Frau als Oberhaupt der Familie bedroht. Die Einigkeit ehelichen Zusammenlebens wird, seiner Meinung nach, gestört, die Harmonie der Familie aufgelöst, wenn die Gattin eine andere politische Meinung vertritt als der Mann. Das Stimmrecht der Frau, sagt er, ist das Grab der glücklichen Ehe. Frauen stimmen mit den Männern auch in vielen anderen Dingen als in politischen nicht überein, in ihren religiösen Auffassungen z.B. Warum legt man ein so großes Gewicht grade auf die Verschiedenheit politischer Ansichten zwischen Eheleuten? Wenn ein Ehepaar glücklich sein kann, von dem der eine Theil den Papst für unfehlbar und der andere den ganzen lieben Gott für einen Humbug hält (der geistreiche französische Schriftsteller Pelletan sagt: „würde wohl der muthigste Lieutenant eine Frau heirathen, die nicht zur Messe geht?“) warum sollten nicht zwei Gatten glücklich mit einander sein, von denen der eine Bismarck anbetet, der andere die französische Commune hochschätzt! (142) Von einem, durch politische Meinungsverschiedenheit gefährdeten Frieden, dürfte wohl nur da die Rede sein, wo beide Gatten Politiker von Fach wären, ein Fall, der doch immerhin zu den Ausnahmen gehören würde. Und übrigens ist es doch auch nicht Sache des Staates, sich um eheliche Zänkereien zu bekümmern. Wäre das seine Mission, so müßte er auch den Männern das Billard- und Kartenspielen, das Kneipen und Courmachen und ähnliche Dinge, die ebenfalls dazu angethan sind, das Glück der Ehe zu stören, verbieten und er müßte Sorge tragen, für das übereinstimmende Urtheil der Gatten in Betreff literarischer Productionen, und dafür, daß sie nicht etwa für die Meininger Schauspielkunst schwärme, während er fanatisch dagegen entbrannt ist u.s.w. u.s.w. Die Gattin darf nur die Meinung des Gatten haben, das heißt, sie darf überhaupt keine Meinung haben, denn unsere aufrichtige und wahrhaftige Meinung hängt nicht von unserm Willen ab und von unserer Liebe für den Gatten, sondern von einem Denkprocesse, über den wir keine Macht haben, von unserm Gewissen, das keine Dressur zuläßt. Nach dieser Auffassung verlieren also die Frauen in der Ehe ihre Seele, umgekehrt wie in jenem schönen (143) Mährchen, wo Undine erst durch Liebe und Ehe einer Seele theilhaftig wird. Es steht geschrieben: Mann und Frau sollen eins sein! Der Sinn aber dieser heuchlerischen Sentenz ist: das Eine soll der Mann sein und die Frau hat nur Anspruch auf Existenz als sein Schatten oder seine Caricatur. […] (158) In Deutschland gibt es meines Wissens keine einzige Zeitung, die für das Stimmrecht der Frauen einzutreten bereit wäre. Eine große Zahl der bedeutensten Zeitungen Englands dagegen haben sich zu Gunsten des Frauenstimmrechts ausgesprochen. Wir nennen unter andern: Die Times, Daily News, Examiner, (159) Daily Telegraph, Echo, Globe und andere mehr.
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Sollte jemand die Complicität der grundsoliden Times mit derartigen revolutionären Bestrebungen bezweifeln, so sei hier ein Satz aus derselben vom 23. Juni 1873 angeführt. Er lautet: „Still it must be considered, that a certain number of women already are, and that an increasing number will be on the whole better qualified to choose a candidate for Parliament than a considerable portion of male electors.“ (doch ist in Betracht zu ziehen, daß schon jetzt eine gewisse Anzahl von Frauen qualificirt ist und in Zukunft eine immer wachsende Anzahl besser qualificirt sein wird, einen Candidaten in’s Parlament zu wählen, als ein beträchtlicher Theil der männlichen Wähler.) Wir haben einige Hauptgründe der Männer gegen das Stimmrecht der Frauen erörtert, wenden wir uns jetzt einigen Argumenten zu, auf welche die Frauen ihre politischen Ansprüche stützen. 1. Die Frauen fordern das Stimmrecht als ein ihnen natürlich zukommendes Recht. 2. Sie fordern es als eine sittliche Nothwendigkeit, als ein Mittel zur Veredelung ihrer selbst und des Menschengeschlechts. (160) Die unmittelbaren, praktischen Folgen des Stimmrechts sind vielleicht nicht die wichtigsten. Die Hauptsache aber ist dies: die Gewährung des Stimmrechts ist der Schritt über den Rubikon. Erst mit dem Stimmrecht der Frauen beginnt die Agitation für jene großartigen Reformen, die das Ziel unserer Bestrebungen sind. Die Theilnahme am politischen Leben macht alle anderen Fragen zu offenen. Die Frauen fordern das Stimmrecht als ihr Recht. Warum soll ich erst beweisen, daß ich ein Recht dazu habe? Ich bin ein Mensch, ich denke, ich fühle, ich bin Bürgerin des Staats, ich gehöre nicht zur Kaste der Verbrecher, ich lebe nicht von Almosen, das sind die Beweise, die ich für meinen Anspruch beizubringen habe. Der Mann bedarf, um das Stimmrecht zu üben, eines bestimmten Wohnsitzes, eines bestimmten Alters, eines Besitzes, warum braucht die Frau noch mehr? Warum ist die Frau gleichgestellt Idioten und Verbrechern? nein, nicht den Verbrechern. Der Verbrecher wird nur zeitweise seiner politischen Rechte beraubt, nur die Frau und der Idiot gehören in dieselbe politische Kategorie. Die Gesellschaft hat keine Befugniß, mich meines natürlichen politischen Rechts zu berauben, es sei denn, daß dieses Recht sich als unvereinbar erwiese mit der (161) Wohlfahrt des Staatslebens. Den Beweis dieses Antagonismus zwischen Staatsleben und Frauenrechten haben wir zu fordern. Man wird uns darauf warten lassen bis zum jüngsten Tag und sich inzwischen auf das Gottesgericht berufen, welches die Frau durch den Mangel eines Bartes als unpolitisches Wesen gekennzeichnet hat. Die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse, welche die Lasten der Bürgerschaft trägt, kein Recht habe bestimmend auf diese Lasten einzuwirken, die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse Gesetzen unterworfen sein soll, an deren Abfassung sie keinen Antheil gehabt, hat auf die Dauer nur für einen despotischen Staat Sinn und Möglichkeit. Die Zulassung eines solchen Prinzips ist Tyrannei in allen Sprachen der Welt und für jedes Geschlecht, für den Mann sowohl wie für die Frau.
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Der Anspruch politischer Gleichheit der Geschlechter in der Kammer und auf der Tribüne erscheint den Männern als ein sittlicher Frevel und setzt sie der Gefahr eines Lachkrampfes aus. Eine politische Gleichheit aber erkennen sie bereitwillig an: die Gleichheit vor dem Schafott. Warum lachten Sie nicht, meine Herren, als Marie Antoinette’s und Madame Roland’s Haupt unter der Guillotine fiel? (162) „In einem Staate, sagt Frau v. Stael, wo man einer Frau im Interesse des Staates den Hals abschneidet, müßte sie doch wenigstens wissen warum?“ Die Männer antworten auf dergleichen naseweise Fragen niemals. Warum sollten sie auch? Die Stimmen der Besitz- und Machtlosen verschlingt die Welle des großen Lebensstroms – echolos. Erst wenn die Frauen das Stimmrecht erlangt haben, wird ihr Wille, ihr Glück und ihre Meinung in die Wagschale fallen an den Stätten, wo man die Geschicke der Klassen und Nationen abwägt. Aus ihrer Macht über die Frauen leiten die Männer ihre Rechte den Frauen gegenüber her. Die Thatsache der Herrschaft ist aber kein Recht. Gesetzlich bestimmen sie alle die Maßregeln, Gebräuche und Ordnungen, die zur Unterdrückung des weiblichen Geschlechts dienen und nennen diese Arrangements dann einen Rechtszustand. Das Unrecht wird aber nicht geringer, wenn ein Gesetz es sanktionirt hat, die Unterdrückung nicht weniger nichtswürdig, sondern nur um so furchtbarer, wenn sie einen universellen, einen weltgeschichtlichen Charakter trägt. Es giebt kein Recht des Unrechtes oder sollte doch kein’s geben. So lange es heißt: der Mann will und die Frau soll, leben wir nicht in einem Rechts- sondern in einem Gewaltstaat. (163) Und so lange der Mann unverantwortlicher Gesetzgeber für die Frau ist, werden im wesentlichen die Zustände bleiben wie sie sind. Was sollen uns auch Modificationen, Milderungen und wohlwollende Berücksichtigungen, wo das Princip ein lasterhaftes ist, das Princip der Rechtlosigkeit der Frau vor dem Gesetz. Die Frauen wollen keine Gnadenbeweise und Privilegien, sie betteln nicht um Wohlthaten und Almosen. Sie fordern Gerechtigkeit. Jede Frau, die man Gesetzen unterwirft, die andere ohne ihre Mitwirkung gemacht haben, ist in ihrem Recht, wenn sie die Steuern verweigert. Und in der That sind bereits in England und Amerika Frauen mit der Weigerung, die Steuern zu zahlen, vorgegangen. Ein Brief einiger dieser energischen Vorkämpferinnen an die Redaktion einer englischen Frauenzeitung lautet: „Madame, wir würden Ihnen verpflichtet sein, wenn Sie durch Ihr Journal zur Kenntniß brächten, daß wir die Steuern verweigert haben als einen Protest gegen die Pflicht des Steuerzahlens ohne das Recht der Vertretung, und daß es unsere Absicht ist, diesen Protest im nächsten Jahre zu erneuern. Auf diese Weise glauben wir die Ungerechtigkeit, die die Frau vom Staatsleben ausschließt, auf’s klarste und zwingendste vor die öffentliche Meinung zu bringen. Wir, Besitzerinnen (164) und Eigenthümerinnen, wollen uns einer so offenbaren Ungerechtigkeit mit unserm Willen nicht unterwerfen, und wir protestiren dagegen praktisch, energisch, öffentlich und friedlich zugleich. Und wir glauben, wenn andere Eigenthümerinnen den Muth hätten sich uns anzuschließen, so würde die Wirkung dieser Kundgebung auf die öffentliche Meinung eine sehr große sein“ (folgen die Unterschriften mehrerer Frauen). Auch in Amerika, in St. Louis haben Frauen die Steuern verweigert, weil Steuerzahlung ohne Repräsentation offener Despotismus sei. Die Frauen fordern das Stimmrecht,
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weil sie der Unterdrückung, der Heuchelei, der Erniedrigung müde sind, sie fordern es, weil sie ein Recht haben, daß ihre Stimme gehört werde bei der Abfassung von Gesetzen, welche ihre sociale Stellung und ihre individuellen Rechte betreffen. Eine jede Klasse hat ihr bestimmtes Gepräge, weiß besser in ihren eigenen Verhältnissen Bescheid als diejenigen, welche diesen Verhältnissen nicht unterworfen sind. Die Männer, sagt die Gesellschaft, repräsentiren die Frauen. Wann übertrug die Frau dem Manne das Mandat? Wann legte er ihr Rechenschaft von seinen Beschlüssen ab? Weder das eine noch das andere ist jemals geschehen. Wenn die Frauen nicht einverstanden sind mit dieser Vertretung, so ist eine Behauptung (165) wie die angeführte eine beleidigende sociale Improvisation der Männer, ein Hohn in’s Antlitz der realen Verhältnisse. Genau mit demselben Recht kann der absolute König sagen, er repräsentire sein Volk, oder der Sklavenhalter, er repräsentire seine Sklaven. Es ist ein altes Argument, daß die Arbeiter durch ihre Arbeitgeber zu repräsentiren seien, das Argument hat aber die Arbeiter nicht überzeugt, und mit Energie haben sie diese Vertretung zurückgewiesen. Und die Frauen sollten sie acceptiren? Nimmermehr! Die Frauen verlangen das Stimmrecht, weil jede Klasse, die am politischen Leben unbetheiligt ist, unterdrückt wird; die Betheiligung am politischen Leben dagegen nothwendig im Laufe der Zeit die Gleichheit vor dem Gesetze zur Folge haben muß. Die Klassen, die das Stimmrecht nicht üben dürfen, sind in der Gewalt der andern Klassen, die es üben. Dieses Princip ist stets so einstimmig von allen liberalen Parteien anerkannt worden, daß die Verleugnung desselben, den Frauen gegenüber, schier unbegreiflich ist. […] (166) In der Vossischen Zeitung war vor einigen Wochen zu lesen, daß die Verwendung weiblicher Arbeitskräfte in der Telegraphie sich gut bewährt habe, indem einmal der Telegraphen-Verwaltung auf diese Weise billigere Arbeitskräfte zugeführt werden. … Nun wir wünschen der Telegraphen-Verwaltung Glück zu diesem edel gesparten Gelde. Wahrscheinlich greift das Telegraphiren die Männlein mehr an als die Frauen, und aus Mitleid stärkt und tröstet man diese Schwachen durch ein höheres Gehalt. Glaubt man im Ernst, daß man an der wahlberechtigten Frau jene gemeine und schmachvolle Ungerechtigkeit begehen würde, ihr dieselbe gleich gut geleistete Arbeit geringer zu bezahlen als dem Mann? Es mag paradox klingen und ist doch vollkommen wahr: Die Arbeit der Frau wird deshalb schlechter bezahlt als die des Mannes, weil sie das Stimmrecht nicht hat. (167) Entweder du nimmst den Lohn, den wir dir bieten, oder du hast dich aus unserm Berufskreis zu entfernen, denn, merk’ es wohl, nur unsere Güte gestattet dir den Eintritt, nicht dein Recht. Ja wohl – anstatt gerecht zu sein, ist man mitunter gütig gegen die Frau – mitunter – wo es sich aber um so reelle Güter wie Geld handelt, zieht man in der Regel die Ungerechtigkeit und einen Abzug am Gehalt vor. Man beraubt die Frau des Stimmrechts, weil es ihrem Geschlecht nicht zukomme. Mit demselben Recht könnte man ihr das Geld nehmen, weil Geldbesitz den physischen Eigenschaften des Weibes widerspreche, man kann ihr den Unterricht verweigern unter dem Vorwand, daß Bildung die Weiblichkeit untergrabe. Und in der That, man hat es gethan, vollständig in vielen, theilweis in manchen Ländern.
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Der Mangel des Stimmrechts bedeutet für die Frau: du sollst kein Eigenthum haben, keine Erziehung, kein Recht an den Kindern, dich darf der Mann, der Starke züchtigen, dich stößt die Gesellschaft als Wittwe mit deinen unversorgten Kindern, hülflos wie Hagar in die Wüste des Elends. Frauen, so lange sie keine Macht haben, sind als Oppositionselemente indifferent. […] (171) Die Logik der Politik ist absolut. Entweder ist das Volk souverain und mithin auch die Frauen, oder Unterthanen eines Herrn und Königs sind wir alle. Wir können nur zurück zur Despotie, oder vorwärts zum rein demokratischen Staat, wo der Grundsatz zur Geltung kommen muß, daß die Frauen als Bestandtheile des souverainen Volks unantastbaren Anspruch haben auf völlige Gleichheit der bürgerlichen und socialen Rechte. (172) Ich erkenne Nichts an, was nicht Andere auch in mir anerkennen. Es giebt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen giebt. Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es der Mann dürfen. Hat jede Frau gesetzmäßig einen Tyrannen, so läßt mich die Tyrannei kalt, die Männer von ihres gleichen erfahren. Einen Tyrannen für den andern. Und warum ertragen die Frauen so geduldig den Mangel des natürlichsten aller Rechte? Sehr einfach: Sie müssen; denn ihnen fehlt die Macht, sich diese Rechte zu erzwingen. Was die Frage des Frauenstimmrechts so schwierig macht, ist ihre ungeheure Einfachheit. Die Gesellschaft sagt: die Frauen sind Staatsangehörige, mit Kopf und Herz begabt wie der Mann, sie haben neben den allgemeinen menschlichen Interessen bestimmte Interessen ihres Geschlechts wahrzunehmen, sie bedürfen wie die Männer eines Maßes von Freiheiten, um ihres Lebens froh zu werden u.s.w. Wären diese Qualificationen hinreichend für ihren Anspruch auf politische Rechte, so raisonnirt die Gesellschaft weiter, so würden sie sich längst im Besitz dieser Rechte befinden. Daß sie derselben nicht theilhaftig sind, ist ein Beweis, daß sie ihnen von Natur- und Gotteswegen nicht zukommen. (173) Eine Ungerechtigkeit kann hier nicht vorliegen, sie wäre zu schreiend und ihre Fortsetzung, Jahrhunderte hindurch, unmöglich. Es muß so sein, weil es so ist und stets so war – ist die Rechtfertigung letzter Instanz jedes religiösen Glaubens und jedes socialen Aberglaubens. Und mit dieser starken Logik fährt man fort, die bestehende Ordnung der Dinge zu rechtfertigen, ohne zu beweisen, daß die Resultate ersprießlich sind. Kant schrieb einmal: „ich mußte das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“ So in der Frauenfrage muß ein jeglicher den Verstand verleugnen, damit die Gefühle sich breit machen können, denn verstandesgemäß kann die Ausschließung der Frauen vom politischen Leben nimmermehr begriffen werden. Sie wird und kann niemals etwas anders sein, als ein Glaubensartikel. Unter den Quäkern in Amerika ist niemals die Rede von Frauenrechten gewesen. Sie verstanden sich von selbst, es waren einfach Menschenrechte. 2) Die Frau fordert das Stimmrecht um der sittlichen Folgen willen. Ebenso sehr als die politischen sind die sittlichen Folgen des Stimmrechts in Betracht zu ziehen.
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Der Frauen Theilnahme am politischen Leben bedeutet (174) Erhöhung des geistigen Niveau’s der Frau überhaupt, sie bedeutet ihre geistige und materielle Selbstständigkeit. Je enger der Kreis ist, auf den sich ein Mensch mit seiner Thätigkeit angewiesen sieht, je unbedeutender die Interessen, denen er sein Leben zu widmen gezwungen wird, je dürftiger wird sein Geistesleben sich gestalten. Wenn man den menschlichen Körper in seiner Kindheit in ein bestimmtes Futteral zwängte, so würde er nur insoweit wachsen, als der Umfang des Futterals es ihm gestattet, und der Körper, der sich nicht entwickeln kann, müßte verkrüppeln. Mit der menschlichen Intelligenz verhält es sich ähnlich. Wo durch autoritative Richtung die befriedigende Ausübung der Fähigkeiten unterdrückt wird, da kann von keinem naturgemäßen Wachsthum der Individualität die Rede sein. Aber nicht nur die Abnahme intellektueller Energie und eine traurige Monotonie der Situationen und Geistesrichtungen wird das Resultat einer solchen Absperrung sein, sondern auch eine Schwächung des moralischen Charakters ist dabei fast immer unausbleiblich. (176) Wenn die Frau nicht über einen starken Geist gebietet, so verfällt sie dadurch, daß sie in einer niederen Sphäre festgehalten wird, den Sitten und Lastern der Knechtschaft, deren sie bedarf um sich ihre Situation erträglich zu machen. Sie bedarf der List, der Heuchelei, der Intrigue, der Schmeichelei. Wie oft mag das Streben eines edel angelegten und hochbegabten weiblichen Geistes durch die verderblichen Einflüsse seiner Lage verloren gegangen sein, denn jeder Mensch, sei er noch so trefflich angelegt, ist der Entartung fähig. Der Despotismus der Männer verurtheilt die Frau zur Corruption. Die Frauen haben bis heut keinen Antheil am Staatsleben und die Prostitution (177) blüht in Stadt und Land. Der Despotismus verurtheilt die Frau zur Rolle des bösen Engels neben dem Manne, selbst da, wo von einer sittlichen Decadence ihrerseits nicht die Rede sein kann. „Ich muß bekennen, sagt Tocqueville, daß ich häufig beobachtet habe, wie ein von Natur edler und großmüthiger Mann allmälich durch häuslichen Einfluß in einen feigen, gewöhnlichen, selbstsüchtigen Stellensucher umgewandelt wurde, der an die öffentlichen Angelegenheiten nur dachte als an ein Mittel, sich ein behagliches Leben zu verschaffen. Und dies geschah einzig und allein durch den täglichen Contakt mit einer wohlerzogenen Frau, einem treuen Weibe, einer vortrefflichen Mutter, deren Geist aber von der großen Erkenntniß öffentlicher Pflichten weit entfernt war.“ Sehr erklärlich. Man hat die Frau zu denken gelehrt, daß ihre Zeit, ihre Kräfte und ihre Talente keinen Werth für den Staat haben, wie soll sie sich von dem Bewußtsein ihres Zusammenhanges mit dem Staatsleben durchdringen lassen, wie ihren Pflichten gegen Staat und Gemeinde gerecht werden? Sie, die keine Rechte hat, sie, deren Ehre und Thätigkeit, deren Glück und Geltung in der Gesellschaft mit dem Staatsleben nichts zu schaffen haben? Sie, im Gegentheil, wird das selbstlose Interesse des Mannes am Staatsleben (178) zu unterdrücken trachten, und wo dieses Interesse des Mannes nicht eine sehr starke und reine Flamme war, wird es erlöschen vor dem Feuer am häuslichen Heerde. Die Männer, als Polizisten des lieben Gottes, zwingen die Gedanken der Frau in niedere Anschauungskreise und sie rächt sich für diesen Despotismus der Gesellschaft, indem sie sich als Ballast an den Fortschritt der Völker hängt. Der Einfluß der Frauen auf das politische Leben der Männer ist nicht fortzuleugnen und ist meines Wissens auch noch niemals geleugnet worden.
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„Sie hat so großen Einfluß gehabt,“ sagt Demosthenes, „daß Maßregeln, welche der Staatsmann ein Jahr weislich überlegt hat vereitelt werden können von einer Frau in einem einzigen Tage.“ Es handelt sich nun einfach darum: soll dieser Einfluß direct, offen, unter der Verantwortlichkeit der Frau stattfinden oder soll sie wie bisher fortwirken als schleichende anonyme Macht, als politische Circe, die die Helden des Staatslebens verzaubert, umgarnt und verwandelt, soll sie fortfahren, sich der unedlen Waffen zu bedienen, der Intrigue, der Hinterlist, der Ausnutzung der männlichen Schwächen, oder soll sie in Zukunft mit offenem Visir in die Schranken treten? (179) Im Interesse einer höheren Sittlichkeit und einer reineren Gestaltung des Lebens muß die Frau diesen Einfluß üben unter dem Gesichtspunkt der Pflicht und der Verantwortlichkeit. Man hat oft genug hervorgehoben, daß die Frauen, wo sie ihre Verantwortlichkeit fühlen, gewissenhafter handeln als die Männer. Wir dürfen sicher sein, nach einigen Generationen wird das Stimmrecht und die politische Verantwortlichkeit eine Revolution in den Köpfen der Frauen und eine Läuterung ihrer Gesinnung bewirkt haben. Sie werden abschütteln die Lethargie, die bis jetzt ihre Kräfte lähmte, sie werden beschleunigen helfen den Zersetzungsprozeß überlieferter altersschwacher Anschauungen und sie werden es sein, die vorzugsweise die Keime eines neuen frischen Lebens säen. Nicht den Männern können wir es mit Fug und Recht verdenken, daß sie die Frauen nicht neben sich im Staate dulden wollen. Wir finden es ganz natürlich, daß sie an ihren Geschlechtsprivilegien festhalten mit zäher Standhaftigkeit. Wann hätte je ein Stand oder eine Klasse auf Vorrechte irgend welcher Art freiwillig verzichtet! Wir finden es ganz in der Ordnung, wenn sie die Suppe nicht kochen und die kleinen Kinder nicht warten wollen, denn der Gedanke (180) an die Mitwirkung der Frau im Staat ist bei den klügsten Männern unzertrennlich von der Vorstellung, daß als Ausgleichung dafür ein Theil ihrer Kräfte in Küche, Kinderstube und im Waschkeller zu Grunde gehen müsse. Nicht gegen die Männer richten sich unsere bittersten Empfindungen, unsere härtesten Anklagen, sondern gegen die Frauen, die feige es dulden, daß eine Generation nach der andern sie achtlos bei Seite schiebt. Gegen die Frauen empört sich jeder stolzere Sinn und jedes kühnere weibliche Herz, die sich begnügen mit der Freiheit, nach Herzenslust kochen und nähen zu dürfen, und die allergehorsamst vor den Männern zu einem bedeutungslosen Nichts zusammenschrumpfen, gegen die Frauen, die fort und fort ihre lebendigen Geister und Herzen darbringen als Opfer auf dem Altar der Männeranbetung, die es immer noch dulden, daß man ihnen das Jammerbild einer Griseldis, dieser Idiotin an Gefühl und Verstand, als Musterbild vollkommener Weiblichkeit vorhält, und die, wenn untauglich geworden zur Lust oder zum Nutzen des Mannes, ohne Murren, mögen sie sich gleich noch Jahrzehnte hindurch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden, in stillen Winkeln das Gnadenbrot der Gesellschaft essen. […] (182) Es gilt, Euch zu retten, Ihr Frauen, aus dem traurigen, dumpfen Einerlei, aus der Monotonie Eures vegetirenden Daseins. Reißt ab die Binde, mit der man Eure geistigen Augen verhüllt hat, damit Ihr gleich den Thieren in der Tretmühle den engen Kreislauf Eures Lebens ohne Unruhe und Schwindel vollendet. Werft ab den conventionellen Charakter, den man Euch aufgezwungen und durchbrecht dieses Chinesenthum, das bisher gleichbedeutend war mit Frauenthum. Erhebt Euch und fordert das Stimmrecht!
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Nicht fürchtet Spott und Hohn! Witz und Spott sind schneidende Waffen im Bunde mit mächtigen Argumenten, ohne sie sind sie nur hölzernes Rüstzeug, das tönt und klappert, aber Niemand verwundet. Vergeßt das Eine nicht: Anspruch ohne Macht bedeutet wenig. Dem Despotismus ist immer nur eine (183) Grenze gesetzt worden durch die wachsende Macht der Unterdrückten. Die Menge verlangt nicht Urtheile, nicht Meinungen und Principien, sie will Erfolge. Wodurch erlangt Ihr Macht? Vorläufig einzig und allein durch die Concentrirung aller weiblichen Kräfte, die für die politischen Rechte der Frauen einzutreten bereit sind, durch die Organisation und energische Leitung von Vereinen. In jeder größeren Stadt Englands und der Vereinigten Staaten bestehen Stimmrechtsvereine der Frauen. Nicht so in Deutschland. Vielleicht gibt es auch bei uns viele Frauen, die nur durch den Mangel einer Organisation verhindert sind, eine agitatorische Thätigkeit zu entfalten und Wort und That einzusetzen für die großen Frauenreformen der Zukunft. Oder will die deutsche Frau, das immermüde Dornröschen, ewig schlafen? Erwachet, Deutschlands Frauen, wenn Ihr ein Herz habt zu fühlen die Leiden Eurer Mitschwestern und Thränen sie zu beweinen, mögt Ihr selbst auch im Schooß des Glückes ruhen. Erwachet, wenn Ihr Grimm genug habt, Eure Erniedrigung zu fühlen und Verstand genug, um die Quellen Eures Elends zu erkennen. Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau. (184) Ohne politische Rechte seid Ihr, Eure Seelen mögen von Mitleid, Güte und Edelsinn überfließen, den ungeheuersten Verbrechen gegenüber, die an Eurem Geschlecht begangen werden, machtlos. Rafft Euch empor! Organisirt Euch! Zeigt, daß Ihr einer begeisterten Hingebung fähig seid und durch Eure That und Euer Wort erweckt die Gewissen der Menschen, erschüttert ihre Herzen und überzeugt die Geister! Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe der deutschen Männer! Wir haben wenig Freunde und Gesinnungsgenossen unter ihnen. Viele loben und lieben die Frauen, sie schmeicheln ihnen und sind gern bereit, ihnen gegenüber die Vorsehung zu spielen, wenn ihnen keine allzu großen Opfer zugemuthet werden. Ihnen aber hülfreich zur Seite zu stehen, wo es sich um die Erlangung ihres unsterblichen Bürgerrechtes im Menschenthum handelt, dazu möchten sich Wenige bereit finden lassen. Seid muthig, hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen. Gedenkt des kühnen Wortes des Amerikaners Emerson: „Thue immer, was du dich zu thun scheust.“ Ihr armen Frauen und Opfer des Geschlechtsdespotismus, Ihr habt bis jetzt das Meer des Lebens befahren ohne Steuer und ohne Segel und darum habt Ihr selten das Ufer erreicht und das Schiff Eures (185) Glücks ist zumeist gescheitert an der Windstille oder im Sturm. Lasset das Stimmrecht fortan Euer Steuer sein, Eure eigne Kraft sei Euer Segel, und dann vertraut Euch getrost dem Meere an, seinem Sturm und seinen Klippen, und über kurz oder lang werdet Ihr Land erblicken, das Land, das Ihr „mit der Seele suchtet“ seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden, das Land, wo die Frauen nicht den Männern, sondern sich selber angehören. Als der Engländer Somerset einen Sklaven mit nach England brachte, erklärte, trotz der Vorurtheile seiner Zeit, Lord Mansfield, der Sklave sei frei aus dem einfachen Grunde, weil in England kein Mensch ein Sklave sein könne.
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So sind auch die Frauen frei, weil in einem Staate freier Menschen es keine Unfreien geben kann. Die Menschenrechte haben kein Geschlecht. H. D.
15.
Julie Eichholz: Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine (1908)
EICHHOLZ, Julie: Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine zusammengestellt und bearbeitet, Mannheim o.J. [1908] Kommentar: Julie Eichholz (1852-1918), geb. Levy, war von 1900-1904 Vorsitzende der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Hamburg. Aufgrund von Differenzen mit Fanny Helene Bonfort (1854-1940) zog sie sich aus dem ADF zurück und gründete den „Rechtsschutzverein für Frauen“, den „Norddeutschen Frauenbund“ und den „Hamburger Hausfrauenverein“, der 1907 aus dem ADF austrat.* Die nachfolgende „Denkschrift“ aus dem Jahre 1908, anläßlich der anstehenden Reform des Strafrechts ist an die Verbände und Vereine des Bundes Deutscher Frauenvereine gerichtet. Es handelt sich also nicht um direkt an den Gesetzgeber gerichtete Forderungen, und die Verfasserin betont ihren rein „informatorischen Charakter“. Es ist zu berücksichtigen, daß Julie Eichholz hier nicht in erster Linie ihre persönlichen Ansichten vertritt, sondern vielmehr das Ergebnis der Beratungen der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine wiedergibt und dies „im Auftrag“ dieser Kommission tut. Allerdings hat sie diese Ergebnisse federführend mitgestaltet, zusammengefaßt und überarbeitet,** so daß sie durchaus zumindest auch als Autorin angesehen werden kann. Die Schrift setzt sich mit einzelnen Tatbeständen des RStGB von 1871, mit der Strafprozeßordnung und Fragen des Strafvollzuges auseinander. Dabei liegt der Fokus auf denjenigen Normen, die vermeintlich unbillige Härten gegen Frauen oder Kinder bzw. Heranwachsende entfalten; dies sowohl auf theoretisch-normativer Ebene als auch mit Blick auf die Praxis. Hinsichtlich der teilweise gravierenden Folgen, die an sich begrüßenswerte Re*
**
Bake, Rita: Fanny Helene Bonfort, in: Hamburgische Biografie – Personenlexikon, Bd. 3, hrsg. v. Kopitzsch, Franklin und Brietzke, Dirk, Göttingen 2006, S. 53 f. Vgl. auch Heinsohn, Kirsten, Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereine in Hamburg, Hamburg 1997 (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs, hrsg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, Bd. 52), S. 209, 235-245, 396. Sie war verheiratet mit dem Kaufmann Franz Eichholz. Ihr Sohn, der Rechtsanwalt Dr. Max Eichholz (1881-1943), leitete in der Weimarer Republik eine der führenden Hamburger Kanzleien und vertrat u.a. sozialdemokratische Zeitungen in presserechtlichen Verfahren gegen Adolf Hitler als Vorsitzenden der NSDAP. Im Nationalsozialismus wurde Max Eichholz aus politischen und rassischen Gründen in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert und schließlich Ende 1942 nach Auschwitz deportiert. Biographie, mit Anmerkungen über Julie Eichholz bei: Grolle, Joist/Lorenz, Ina: Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem Verein für Hamburgische Geschichte. Ein lange beschwiegenes Kapitel der NS-Zeit (mit biografischem Anhang), in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 93 (2007), S. 107-111. Bei dieser Überarbeitung griff sie u.a. auf Vorarbeiten von Alma Kriesche zurück (Eichholz, S. 11).
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So sind auch die Frauen frei, weil in einem Staate freier Menschen es keine Unfreien geben kann. Die Menschenrechte haben kein Geschlecht. H. D.
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Julie Eichholz: Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine (1908)
EICHHOLZ, Julie: Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine zusammengestellt und bearbeitet, Mannheim o.J. [1908] Kommentar: Julie Eichholz (1852-1918), geb. Levy, war von 1900-1904 Vorsitzende der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Hamburg. Aufgrund von Differenzen mit Fanny Helene Bonfort (1854-1940) zog sie sich aus dem ADF zurück und gründete den „Rechtsschutzverein für Frauen“, den „Norddeutschen Frauenbund“ und den „Hamburger Hausfrauenverein“, der 1907 aus dem ADF austrat.* Die nachfolgende „Denkschrift“ aus dem Jahre 1908, anläßlich der anstehenden Reform des Strafrechts ist an die Verbände und Vereine des Bundes Deutscher Frauenvereine gerichtet. Es handelt sich also nicht um direkt an den Gesetzgeber gerichtete Forderungen, und die Verfasserin betont ihren rein „informatorischen Charakter“. Es ist zu berücksichtigen, daß Julie Eichholz hier nicht in erster Linie ihre persönlichen Ansichten vertritt, sondern vielmehr das Ergebnis der Beratungen der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine wiedergibt und dies „im Auftrag“ dieser Kommission tut. Allerdings hat sie diese Ergebnisse federführend mitgestaltet, zusammengefaßt und überarbeitet,** so daß sie durchaus zumindest auch als Autorin angesehen werden kann. Die Schrift setzt sich mit einzelnen Tatbeständen des RStGB von 1871, mit der Strafprozeßordnung und Fragen des Strafvollzuges auseinander. Dabei liegt der Fokus auf denjenigen Normen, die vermeintlich unbillige Härten gegen Frauen oder Kinder bzw. Heranwachsende entfalten; dies sowohl auf theoretisch-normativer Ebene als auch mit Blick auf die Praxis. Hinsichtlich der teilweise gravierenden Folgen, die an sich begrüßenswerte Re*
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Bake, Rita: Fanny Helene Bonfort, in: Hamburgische Biografie – Personenlexikon, Bd. 3, hrsg. v. Kopitzsch, Franklin und Brietzke, Dirk, Göttingen 2006, S. 53 f. Vgl. auch Heinsohn, Kirsten, Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereine in Hamburg, Hamburg 1997 (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs, hrsg. vom Verein für Hamburgische Geschichte, Bd. 52), S. 209, 235-245, 396. Sie war verheiratet mit dem Kaufmann Franz Eichholz. Ihr Sohn, der Rechtsanwalt Dr. Max Eichholz (1881-1943), leitete in der Weimarer Republik eine der führenden Hamburger Kanzleien und vertrat u.a. sozialdemokratische Zeitungen in presserechtlichen Verfahren gegen Adolf Hitler als Vorsitzenden der NSDAP. Im Nationalsozialismus wurde Max Eichholz aus politischen und rassischen Gründen in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert und schließlich Ende 1942 nach Auschwitz deportiert. Biographie, mit Anmerkungen über Julie Eichholz bei: Grolle, Joist/Lorenz, Ina: Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem Verein für Hamburgische Geschichte. Ein lange beschwiegenes Kapitel der NS-Zeit (mit biografischem Anhang), in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 93 (2007), S. 107-111. Bei dieser Überarbeitung griff sie u.a. auf Vorarbeiten von Alma Kriesche zurück (Eichholz, S. 11).
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gelungen für Frauen im Alltag haben können, plädiert sie für eine umfassende Berücksichtigung auch der mittelbaren Effekte, die diverse Regelungen des Sittlichkeitsstrafrechts mit sich bringen, und für eine stärkere Beachtung der sozialen Realitäten. Eine soziologische Herangehensweise liegt den Reformforderungen insgesamt erkennbar zu Grunde. Die Strafrechtsreform könne nur Erfolg haben, wenn soziale Reformen ihr den Boden bereiteten. Bemerkenswert sind die Ausführungen zur Problematik alkoholbedingter Straftaten und zum Strafmündigkeitsalter. So lehnt die Rechtskommission unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Marie Raschke (Raschke, Die strafrechtliche Behandlung der vermindert Zurechnungsfähigen, vgl. Eichholz, S. 14 f.) jegliche Milderungsmöglichkeit aufgrund „selbstverschuldeter Trunkenheit“ ab und fordert eine Heraufsetzung des Strafmündigkeitsalters von 12 auf 16 Jahre, verbunden mit verstärkten staatlichen Bemühungen, die sozialen Ursachen der häufigen Straffälligkeit Heranwachsender zu beseitigen, insbesondere durch eine Verbesserung der Rechtsstellung unehelicher Kinder. Darüber hinaus fordert Eichholz im Anschluß an einen Vortrag Anita Augspurgs*** eine deutlich stärkere Beteiligung von Frauen am Strafprozeß. Insbesondere sollen Frauen als Verteidiger zugelassen werden, und in Prozessen, die Frauen betreffen, auch das Amt eines Schöffen oder Geschworenen bekleiden können. Ausführlich widmet sich die Autorin schließlich den ihrer Ansicht nach unflexiblen Automatismen im Jugendstrafrecht, die dort kriminelle Karrieren manifestierten, wo ein Gegensteuern durch Erziehungsmaßnahmen noch möglich sei. Vorbild für eine Anzahl von Verbesserungsvorschlägen in Bezug auf den Strafvollzug ist ihr das amerikanische „probation system“, das nach Art einer Bewährungshilfe Einwirkungsmöglichkeiten außerhalb des klassischen strafrechtlichen Instrumentariums bieten soll. Eichholz formuliert direkt und lebendig, häufig mit allegorischem Eifer („…den letzten Tropfen in dem vollgehäuften Maß ihrer Schande“), teilweise sarkastisch („Das Entscheidungsrecht des Ehemannes, das der Frau auch gegen ihren Willen treu zur Seite steht…“) und gibt in den jeweiligen Begründungen der Änderungsvorschläge anschauliche Fallbeispiele. Die nachfolgende Denkschrift stellt eine der jüngeren Quellen dieses Bandes dar und ist eine der wenigen, die die strafrechtliche Seite der Frauenrechtsbewegung zum Gegenstand haben. Sie läßt erkennen, daß auch nach Verabschiedung des BGB der Elan im Streben nach rechtlicher Gleichstellung ungebrochen war.
(1) Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine zusammengestellt und bearbeitet von Julie Eichholz
(3) Vorwort. An die Mitglieder der Bundes-Verbände und -Vereine. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine hat nunmehr die Aufgabe, die ihr seinerzeit von der Generalversammlung des Bundes in Wiesbaden gestellt wurde, vollendet. Sie hat das Strafgesetzbuch gründlich geprüft und was ihr reformbedürftig erschien, ist unter ausführlicher Begründung in nachfolgenden Ausführungen dargelegt. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei noch besonders betont: die Denkschrift soll nur einen informatorischen Charakter haben. Sie wurde verfaßt, um den Verbänden und Vereinen in dieser schwierigen Materie als *** Es handelte sich um den Vortrag „Reformen im Strafprozeß“, den Augspurg am
3.10.1905 auf der III. Generalversammlung des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine gehalten hatte.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Wegweiser zu dienen. Sie bedeutet noch keine definitive Stellungnahme des Bundes, die erst auf der Generalversammlung in Breslau im Oktober 1908 erfolgen kann und soll. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauen-Vereine I.A. Julie Eichholz. (5) Zur Reform des Strafrechts. A. Allgemeine Gesichtspunkte. (5) Nach Erledigung der ersten großen Kodifikation des bürgerlichen Rechts ist jetzt für das gesamte Reichsgebiet die zweite nicht minder wichtige Gesetzesänderung, die des Strafrechts, Gegenstand der Beratung der gesetzgebenden Faktoren im weitesten Sinne. Keine im Dienste der öffentlichen Wohlfahrt stehende größere Organisation kann an dem zu erwartenden Gesetzentwurf vorübergehen, ohne ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Denn wenn irgend eine Rechtsmaterie, so greift das Strafrecht in die Lebensverhältnisse breiter Bevölkerungsschichten oft mit rauher Hand ein und erzeugt auch bei denjenigen, die nicht Objekt der Strafgewalt des Staates im einzelnen Fall sind, den Wunsch nach ihren Kräften dafür zu sorgen, daß unnütze Härten vermieden und die materiellen und immateriellen Güter der Staatsbürger im öffentlichen Interesse nach Möglichkeit geschont werden. Außer diesem allgemeinen Zweck verfolgt der Bund deutscher Frauenvereine, wenn er sich mit der bevorstehenden Strafrechtsreform beschäftigt, noch ein anderes Ziel. Der Werdegang des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches hat uns gelehrt, daß es den unmittelbar zur Gesetzgebung berufenen Staatsorganen nicht möglich war, die Interessen (6) aller Bevölkerungsschichten mit gleicher Einsicht und Energie wahrzunehmen. Es läßt sich bei fast allen modernen Gesetzen feststellen, daß Anregungen aus den Kreisen der Interessenten, der von den Gesetzen besonders Betroffenen, als willkommene Bereicherung der Materialien für das kommende Gesetz aufgefaßt zu werden pflegen. So können denn auch die deutschen Frauen, die über die Hälfte der Bevölkerung des deutschen Reiches darstellen, den Wunsch und die sichere Erwartung ausdrücken, bei der Reform des Strafrechts gehört zu werden. Es liegt ihnen nichts ferner, als eine Sonderstellung im Recht für sich zu beanspruchen, aber die Erfahrung hat nicht nur im Deutschen Reich, sondern auf der ganzen zivilisierten Erde gezeigt, daß, solange die Stimmen der Frauen nicht in den gesetzgebenden Körperschaften selbst zur Geltung kommen, weibliche Denkart und weibliches Empfinden nicht diejenige Berücksichtigung fanden, die ihnen gebührt. Und doch wird jeder Gesetzgeber darnach trachten müssen, nicht nur dem Rechtsempfinden der männlichen, sondern auch der weiblichen Bevölkerung entgegenzukommen, wenn das Recht in Wahrheit ein volkstümliches sein soll. Die Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, daß sie es wohl verstehen, Seite an Seite mit dem Manne als Staatsbürger ihre Pflicht zu tun. Als Korrelat zu dieser Pflichterfüllung glauben sie nunmehr auch einen Anspruch darauf zu haben, bei so einschneidenden Gesetzesreformen wie die des Strafrechts mit ihren Wünschen und Anträgen berücksichtigt zu werden.
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Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine beschränkt sich darauf, zu denjenigen Bestimmungen des geltenden Strafrechts Stellung zu nehmen, die bis jetzt die Interessen des weiblichen Geschlechts nicht genügend (7) wahrgenommen haben. In dem künftigen Entwurf des materiellen und formellen Strafrechts hoffen die Frauen auch Geist von ihrem Geiste zu finden. Heute ist das noch nicht der Fall. Das geltende Strafrecht trägt vollständig das Gepräge eines Männerrechts. Deshalb sollen die in den folgenden Ausführungen gemachten Vorschläge in erster Linie dem weiblichen Interesse dienen. Könnten doch die Worte Jherings: „Zertretene Rechte bezeichnen den Weg, den das Recht gegangen ist“ oftmals herangezogen werden bei Delikten, die gegen oder von Frauen begangen wurden. Es ist bezeichnend, daß die am weitesten durchgeführte Gleichberechtigung der Frau dem Manne gegenüber bis jetzt diejenige vor dem Strafrichter ist; da gilt bedingungslos im Rechtsleben der Begriff „Mensch“ für beide Geschlechter. Das Entscheidungsrecht des Ehemannes, das der Frau auch gegen ihrem Willen treu zur Seite steht, wenn es sich um die Verwaltung ihres Vermögens handelt, dessen Nutznießung der Mann ihr abnimmt, die elterliche Gewalt, die nicht die Eltern, sondern der Vater allein ausübt – alles tritt zurück, wenn es sich um die strafrechtliche Verantwortung, um Leib und Leben handelt. Da ist die Frau ebenso verantwortlich für alle ihre Handlungen und Taten wie der Mann. Daß das heute geltende Strafgesetzbuch reformbedürftig ist, nicht allein vom Frauenstandpunkte aus, haben Sachverständige schon erkannt, als sich vor drei Dezennien das große Werk der einheitlichen deutschen Strafgesetzgebung vollzog. Aber die vertiefte Einsicht hat die Aufgabe zunächst nicht erleichtert, sondern erschwert. Die zu lösenden Probleme (8) sind Legion. Das schlimmste an dem gegenwärtig geltenden Strafrecht ist, daß es eine dem Laienverstand und Rechtsgefühl unzugängliche Scholastik entwickelt, die das Verständnis erschwert und den Laien meist davon abhält, sich in die Rechtsgründe zu vertiefen. Und doch steht, wie schon betont, keine Rechtsmaterie ihrem Wesen nach in so enger Beziehung auch zu dem Empfinden des Nichtjuristen, wie das Strafrecht. Es darf sich nicht, wie das Zivilrecht, in tausend und abertausend Aederchen juristischer Kasuistik verzweigen; es kann und muß von ihm verlangt werden, daß es ein volkstümliches Recht sei. Was die Schwierigkeit durchgreifender Reformvorschläge noch besonders erhöhte, war die Unsicherheit, gewissermaßen eine Krisis, in der sich unsere ganzen Strafrechtsanschauungen zur Zeit befinden, von jeher ist man gewöhnt, das Gebiet des Strafensystems und Strafvollzugs als den Tummelplatz mannigfaltiger Reformgedanken anzusehen. Die Erkenntnis der Unzulänglichkeit des Gegenwärtigen und das Bedürfnis nach Abhilfe bildeten, in Verbindung mit einer jungen Gärung im tiefsten Grunde der Strafrechtswissenschaft, den fruchtbaren Nährboden für kühne Neuerungsgedanken. Wenn ein so bekannter, hervorragender Strafrechtslehrer wie Dr. Adolph Wach offen erklärt: „das Freiheitsstrafensystem und mit ihm der ganze Aufbau der Delikte nach ihrer Schwere sind eine große offizielle Lüge; diese Wissenschaft ist längst Gemeingut aller Kenner unserer Strafrechtspflege“ – so mußte auch für uns Frauen manche Stütze eines immer noch bewahrten frommen Kinderglaubens an
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Recht und Gerechtigkeit in’s Wanken geraten, was Wunder, daß wir so manches Urteil nicht mehr begreifen konnten! Unser deutsches Strafrecht ist so schnell veraltet, weil es schon bei seiner Geburt im Jahre 1870-71 unzeitge-(9)mäß und entwicklungsunfähig war. Die heutige Wissenschaft ist nun in ihren Anschauungen über die Begriffe Verbrechen und Strafe in zwei feindliche Lager gespalten. Auf der einen Seite sehen wir die klassische Strafrechtsschule, die Mutter des zur Zeit geltenden Strafrechts, die eifersüchtig ihren Besitzstand hütet und verteidigt. Sie sieht in dem Verbrecher die Aeußerung eines freien, verantwortlichen Willens, der die Wahl hatte, gut oder böse zu sein, und letzteres wählte. Auf der andern Seite steht die soziologische Schule, zu deren Hauptvertretern Geheimrat von Liszt und die Internationale Kriminalistische Vereinigung gehören. Sie sieht in dem Verbrecher nicht das Resultat eines frei und voll verantwortlichen, sich für das Böse entscheidenden Willens, sondern das notwendige Produkt des sozialen Milieus, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen der Verbrecher aufgewachsen ist, oder das notwendige Produkt der minderwertigen Persönlichkeit, die er körperlich und geistig darstellt. Die klassische Strafrechtsschule erblickt demgemäß in der Strafe immer noch die gerechte Vergeltung: die Sühne; die soziologische Schule hingegen sagt kurzweg: das Verbrechen ist eine sozialpathologische Erscheinung, und sucht die Wurzel des Übels in den sozialen Verhältnissen. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine teilt naturgemäß mehr den letzteren, den soziologischen Standpunkt, ohne sich jedoch ganz und gar mit ihm zu identifizieren. Die folgenden Vorschläge beziehen sich auf diejenigen Paragraphen, die die Frauen sowohl für ihre eigene Person wie in ihrer Eigenschaft als Mütter und Schützerinnen des heranwachsenden Geschlechtes ganz besonders nahe angehen; außerdem sind auch einige andere berücksichtigt worden, die dem weiblichen Empfinden besonders ungerecht erscheinen mußten. Die Frauen müssen nachdrücklich einen bessern (10) Schutz derjenigen Rechtsgüter verlangen, an deren unangetasteter Erhaltung die Gesamtheit sowohl als der Einzelne in hohem Grade interessiert ist. Sie können sich nicht damit einverstanden erklären, daß der Staat vor allem auf den nachdrücklichen Schutz des Vermögens Wert legt, während er die nicht in Geld schätzbare Ehre und Gesundheit vielfach unberücksichtigt läßt. Unsere Vorschläge bezwecken daher, auch die Gefährdung dieser Rechtsgüter in vorbeugender Weise zu verhindern. Sie werden hoffentlich beweisen, welche mächtigen wirtschaftlichen, ethischen und sozialen Faktoren die Frauen bei der Reform des Strafrechts in die Wagschale zu werfen haben. Sicherlich aber wäre es mit dem Prinzip der Gerechtigkeit unvereinbar, wenn auch diesmal, wie schon so oft, ihre Stimmen ungehört verhallten. Wenn auch hie und da Bedenken gegen die geforderten prinzipiellen Abänderungen auftauchen werden, die Reformen sind doch unabweisbar. Es muß endlich mit der Einseitigkeit gebrochen werden, die daraus entstanden ist, daß das eine Geschlecht Ankläger, Richter, Verteidiger und Vollzugsbeamter über das andere Geschlecht war, dem numerisch die größere Hälfte des deutschen Volkes angehört. Der Ausblick auf die Zukunft des Staates macht die einschlägigen Fragen zu brennenden; deshalb muß weit eingehender als bisher an ihrer befriedigenden Lösung gearbeitet werden, wenngleich eine solche vollständig nur von einer völligen grundsätzlichen Umgestaltung des gesamten Strafrechts, von einer fundamentalen
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Umänderung der Jugenderziehung, von einem gänzlichen Bruch mit den tiefeingewurzelten Vorurteilen gegen das weibliche Geschlecht zu erwarten ist. Hoffentlich erweisen sich diese Vorurteile wenigstens im vorliegenden Falle nicht als unüberwindlich. Dann dürfen (11) wir hoffen, daß für das Strafrecht in Zukunft das Wort nicht mehr gelten wird: „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew’ge Krankheit fort.“ [Goethe, Faust I; wird im Frauenrechtsdiskurs seit Kempin 1892 (Nr. 28) wiederholt zitiert.] Benützte Quellen. Dr. Adolf Wach: Reform der Freiheitsstrafe; Dr. Ludwig Fuld: Strafgesetzbuch und Sozialpolitik; Dr. Gennat: Das Strafensystem und seine Reform; Dr. Litten: Zur Frage des ärztlichen Berufsgeheimnisses. Die Vorarbeiten von Frau Alma Kriesche. (12) B. Reformvorschläge. (13) Die Kapitel des StGB., auf welche sich die folgende Reformvorschläge beziehen, sind: Kapitel 1 „Strafen“; Kapitel 4 „Gründe, die die Strafe ausschließen oder mildern“; Kapitel 13 „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“; Kapitel 15 „Zweikampf“; Kapitel 16 „Verbrechen und Vergehen wider das Leben“, Kapitel 17 „Körperverletzung“; Kapitel 25 „Verletzung fremder Geheimnisse“; Kapitel 29 „Übertretungen“. Zur Erleichterung des Verständnisses und der besseren Übersicht halber sind am Kopf der einzelnen Reformvorschläge jedesmal die betr. §§ des Strafgesetzbuches im Wortlaut angegeben. § 28. Eine nicht beizutreibende Geldstrafe ist in Gefängnis und, wenn sie wegen einer Übertretung erkannt worden ist, in Haft umzuwandeln. Die Frauen finden ihr Rechtsgefühl dadurch verletzt, daß diese Strafe den Unbemittelten soviel härter trifft, als den Reichen. Sie fordern, daß statt dessen eine Abstufung der Geldstrafe nach dem Einkommen stattfinde und die Umwandlungsmöglichkeit der Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe in Wegfall komme. Begründung: Kein Privatgläubiger hat das Recht seinen Schuldner einzusperren, wenn er nichts besitzt; es gibt keine Schuldhaft mehr wie in früheren Zeiten. Auch der Staat sollte daher darauf verzichten, in solchem Falle die öffentliche Strafgeldschuld in eine ungerecht wirkende Schuldhaft zu verwandeln. (14) § 51. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine Willensbestimmung ausgeschlossen war.
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Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine fordert, daß der Schutz, den das Gesetz den vermindert Zurechnungsfähigen gewährt, ihm bei selbstverschuldeter Trunkenheit entzogen und der Betreffende als voll verantwortlich angesehen wird. Begründung: Die Ehefrauen und Kinder sind diejenigen, die unter der Trunksucht des Gatten und Vaters am empfindlichsten leiden, deren Heim zerstört wird und die die schlimmsten körperlichen und seelischen Qualen durch dieses schmachvolle Laster erleiden. Deshalb muß ein Volksfeind wie der Alkohol, der Verbrechen entweder unmittelbar oder in den Nachwirkungen des Rausches veranlaßt, der zum wirtschaftlichen Ruin führt, die Not erzeugt und den Trinker auch nicht selten zum Dieb macht, der den Kindern geistige und körperliche Minderwertigkeit als Erbteil hinterläßt, mittelst einer großzügigen, tiefeinschneidenden Gesetzgebung bekämpft werden, die der Gefahr von der strafrechtlichen Seite her in umfassender Weise begegnet. Es ist leider Tatsache, daß ein in der Trunkenheit begangenes Vergehen bis jetzt stets von Männern viel milder als von Frauen beurteilt wurde. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine schließt sich in ihren diesbezüglichen Forderungen den Ausführungen von Dr. Marie Raschke in ihrer Broschüre: „Die strafrechtliche Behandlung der vermindert Zurechnungsfähigen“ an. Dr. Raschke weist darin auf das österreichische Strafgesetzbuch hin, dessen § 236 folgendermaßen lautet: ,,Obgleich Handlungen, die sonst Verbrechen sind, in einer zufälligen Trunkenheit verübt, nicht als Verbrechen angesehen werden können, so wird in diesem Falle doch die Übertretung bestraft“. Ferner heißt es im § 523 desselben Strafgesetzbuchs: „ . . . war dem Trunkenen aus Erfahrung bewußt, daß er in der Berauschung heftigen Gemütsbewegungen ausgesetzt sei, so soll der Arrest verschärft, bei größeren Übeltaten aber auf strengen Arrest bis zu 6 Monaten erkannt werden.“ Dieses Gesetz kommt den weiblichen Anschauungen viel näher als das deutsche, wir fordern jedoch eine noch weitergehende Bestrafung, denn bei der jetzt üblichen Verurteilung der Trunkenheit schützen erfahrungsgemäß auch Verbrecher, die bei Begehung der Tat nüchtern waren, sinnlose Trunkenheit vor. Andere trinken sich erst Mut zu einer Straftat, weil sie wissen, daß dann eine mildere Strafe oder gar Freisprechung erfolgen kann. Es steht aber mit dem heutigen Stande der Kultur und dem höhern Sittlichkeitsbewußtsein in direktem Widerspruch, wenn die Wirkung eines Lasters Strafmilderung oder Straflosigkeit für begangene Verbrechen herbeiführen kann. So ist es z. B. eine bekannte Tatsache, daß die meisten Sittlichkeitsdelikte an Frauen und Kindern unter dem Einflüsse des Alkohols begangen werden. Der Lord-Oberrichter Coleridge sagte einmal: ,,Neun Zehntel unserer Gefängnisse könnten wir leer machen, wenn wir England nüchtern machen könnten.“ Dies gilt zweifellos auch für Deutschland. Daß die Anschauungen, die die Frauen in dieser Frage vertreten, durchführbar sind, zeigt das Militärstrafgesetzbuch, das die in der Trunkenheit verübten Straftaten ebenso streng bestraft wie andere, was diesem Gesetzbuch möglich ist, kann dem allgemeinen Reichsstrafgesetzbuch nicht unmöglich sein. (16)
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§ 56. Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das Zwölfte, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, ist freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. Zu diesem § fordert die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine, daß das Strafmündigkeitsalter auf das 16. Jahr erhöht werde und daß der letzte Satz „wenn er bei ...... zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß“, ganz gestrichen werde. Begründung: Wir sind der Meinung, daß bei dieser Frage die Frauenstimme das erste Recht hat, Gehör zu verlangen. Die Frauen und Mütter vertreten die Anschauung, daß unerzogene Personen erzogen, nicht bestraft werden sollten. Sie müssen daher fordern, daß dem Richter die Befugnis gegeben werde, an Stelle der Verweisung in eine Strafanstalt die Verweisung in eine Erziehungsanstalt auszusprechen, sofern er der Ansicht ist, daß der unreife Angeklagte der Erziehung bedarf. Das künftige Strafgesetzbuch wird sich der schuldigen Kinder mit größerem psychologischen Verständnis annehmen müssen, als das heute geltende. Die Kommission zur Revision des Strafprozesses, die ihre Arbeiten schon vor Monaten vollendete, hat anerkennen müssen, daß die starke Kriminalität der Jugendlichen eine sehr ernste Erscheinung ist. Diese Kommission, die im Februar 1903 im Reichsjustizamt zusammengetreten ist und vorwiegend aus bewährten Praktikern, daneben aber auch aus Vertretern der Wissenschaft und aus Mitgliedern des Reichstags zusammengesetzt war, hat den Vorschlag gemacht, die strafrechtliche Verfolgung von Jugendlichen unter 14 Jahren dann überhaupt auszuschließen, wenn kein öffentliches In-(17)teresse vorliegt und wenn der Verletzte mit dem Unterbleiben der Strafverfolgung einverstanden ist. Dieser Vorschlag bedarf dringend der Erweiterung. Die Altersgrenze von 14 Jahren erscheint mit Rücksicht darauf, daß das Strafmündigkeitsalter vermutlich bei der endgültigen Reform des materiellen Strafrechts heraufgesetzt werden wird, zu niedrig. Außerdem ist aber auch das Erfordernis der Einwilligung des Verletzten zu verwerfen. Die Verschonung jugendlicher Personen mit Strafverfolgungen liegt im öffentlichen Interesse; es ist daher nicht angebracht, die Entscheidung darüber in die Hand des am wenigsten objektiven Beurteilers – des Verletzten – zu legen. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine schließt sich im allgemeinen den Reformvorschlägen der deutschen Juristinnen an, was die strafrechtliche Behandlung der Kinder und Jugendlichen anbetrifft. – Wir wissen, daß die bedenklichsten Erscheinungen in der Kriminalstatistik, die zahlreichen jugendlichen und gewerbsmäßigen Verbrecher, dort zu finden sind, wo die Erziehung in Familie und Schule fehlte. Wenn daher der Staat wirksam gegen die Kriminalität der Jugendlichen ankämpfen, wenn er dieses wichtigste soziale Problem lösen will, so muß eine ganz andere Fürsorge für die unehelichen Kinder, für die Waisen und für jene Kinder Platz greifen, denen es wegen der Fabrikarbeit oder sonstiger gewerblichen Beschäftigung der Mutter außer dem Hause an der nötigen Beaufsichtigung und Erziehung fehlt.
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Eine der allerbedeutsamsten Fragen der kriminalpolitischen Reform ist sicherlich die, welche Strafen dem jugendlichen Verbrecher gegenüber Anwendung finden sollen, denn „die Strafe ist ein zweischneidiges Schwert“. Solange sie den Übeltäter aus der Ferne bedroht, mag sie vielleicht abschrecken, hat er sie aber aus der Nähe kennen gelernt, (18) so ist auch schon ihre Wirkung abgeschwächt; die zweite Bestrafung wird weit weniger gefürchtet, als die erste. Dies erscheint nach den Ergebnissen der Rückfallstatistik nur allzu deutlich. Die Kriminalstatistik für das Deutsche Reich verzeichnete im Jahre 1889 von je 1000 vorbestraften Jugendlichen 95 zum zweitenmal bestraft. Im Jahre 1899 gab es bereits rund 9000 Personen zwischen 12 und 18 Jahren, die zwei-, drei- und mehrere Male vorbestraft waren. Deshalb müssen im Interesse der Jugendlichen selbst und im Interesse der Gesellschaft die Jugendlichen solange als möglich vom Gefängnis fern gehalten werden. Diesem Standpunkte Rechnung tragend, treten wir Frauen dafür ein, daß bei Kindern und Jugendlichen als Besserungsmittel in Frage kommen: Zwangserziehung, Verweis oder Überweisung an die Schulbehörde zur angemessenen Bestrafung, vor allem muß aber das Gesetz einen präventiven Charakter haben; es muß das entscheidende Kriterium in der sittlichen Verwahrlosung sehen, und die Kinder sofort der gefährlichen Umgebung entziehen, ehe sie eine strafrechtlich zu sühnende Tat begangen haben. Die Folge der jetzigen Rechtsprechung ist, daß die zwar gefährdeten, aber noch nicht völlig verwahrlosten Kinder in der sie ruinierenden Umgebung bleiben. Die Frage ist so ernst, daß ihr der Staat die allergrößte Aufmerksamkeit schenken muß. Der Aufwand für die notwendigen Erziehungsanstalten ec. werden ihm auch wirtschaftlich wieder zugute kommen; er wird vor allem den größten Teil der ungeheueren Summen, die die jetzige Strafrechtspflege für Gefängnisse und Zuchthäuser braucht, für jene wahrhaft humanen erzieherischen Zwecke verwenden können. Was den beanstandeten Schlußsatz des § 56 betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß der Richter, dem (19) die Entscheidung über das Vorhandensein der erforderlichen Einsicht zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer Handlung zusteht, selten in der Lage ist, ein sicheres Urteil darüber zu haben; daher die so verschiedenen, einander oft direkt widerstreitenden Urteile. § 172. Der Ehebruch wird, wenn wegen demselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Ehegatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine ist dagegen, daß dieser § in dem neuen Strafgesetzbuch wieder Aufnahme finde. Begründung: Der § wird erfahrungsgemäß nur von rachsüchtigen, niedrig denkenden Ehegatten benützt, die sittlich manchmal tief unter dem nach dem Buchstaben des Gesetzes „schuldigen Ehegatten“ stehen und die vielleicht selbst die Zerrüttung der Ehe verursacht haben, lange bevor es zu dem Ehebruche seitens des anderen Ehegatten kam. Nehmen wir den Fall einer vernachlässigten, vielleicht sogar schwer mißhandelten Frau, der sich die Versuchung in zarter, das Selbstgefühl wieder aufrichtender Form naht, wie leicht wird sie dieser Versuchung unterliegen, während bei
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richtiger Behandlung seitens des Gatten sie die eheliche Treue wahrscheinlich nicht gebrochen hätte. Deshalb – so sehr wir im Prinzip die legale Ehe schützen wollen – halten wir doch diesen § als auf einer unrichtigen, heute nicht mehr zutreffenden Auffassung der Ehe beruhend, für verwerflich. (20) § 174. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1. Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv- und Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern und Zöglingen unzüchtige Handlungen vornehmen; Hierzu beantragt die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine als Zusatz einzufügen: „Vorgesetzte und Arbeitgeber, welche das Abhängigkeitsverhältnis ihrer Untergebenen benutzen, um unzüchtige Handlungen vorzunehmen.“ Begründung: Daß besonders der weibliche Angestellte einen strafrechtlichen Schutz gegen die mißbräuchliche Ausnutzung der wirtschaftlichen Abhängigkeit haben müsse, ist auch von Männerseite häufig anerkannt worden. Schon bei der Beratung der sog. lex Heinze spielte der „Arbeitgeberparagraph“ bekanntlich eine große Rolle; doch wurde er abgelehnt, da die Mehrheit das Erpressertum fürchtete, das er im Gefolge haben würde. Wenn auch die Frauen nicht so kurzsichtig sind, diese Gefahr zu verkennen, so erachten sie dies doch für das kleinere Übel. Im allgemeinen stimmen sie auch nur widerwillig einer Sonderforderung für das weibliche Geschlecht zu, denn prinzipiell lehnen sie ausdrücklich jede Ausnahmebestimmung, sei sie zum Nachteil, sei sie zu gunsten der Frau, ab, da sie die Gleichberechtigung auf Grund der gleichen Verantwortlichkeit mit dem Manne wünschen. Sie konnten sich aber der Erwägung doch nicht verschließen, daß sich durch die grundverschiedene soziale Stellung der Geschlechter in diesem Falle Unzuträglichkeiten ergeben müssen, die naturgemäß eine Ungerechtigkeit den Frauen gegenüber bedeuten würde, denen daher auch durch das Gesetz vorgebeugt werden müßte. (21) § 176. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer: 1. mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson vornimmt oder dieselbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen nötigt; 3. mit Personen unter 14 Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Zu Punkt 3 beantragen wir, daß das Schutzalter auf das 16. Jahr erhöht werde und daß die Gefängnisstrafe bei mildernden Umständen nicht unter zwei Jahren dauere. Begründung: Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine ist der Meinung, daß das Schutzalter mit 16 Jahren noch eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist. Ein Kind unter 16 Jahren steht einem Wüstling viel verständnis- und dadurch wehrloser gegenüber, als ein älteres Mädchen; dieses wird sich leichter unsittlichen
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Zumutungen zu entziehen wissen. Sie kennt die volle Bedeutung des an ihr zu verübenden Verbrechens und wird häufiger den Täter der wohlverdienten Bestrafung überliefern können. So wäre die Heraufsetzung des Schutzalters nicht nur eine größere Sicherheit für die Kinder selbst, sondern sie würde auch auf das von uns erstrebte höhere Sittlichkeitsbewußtsein im allgemeinen hinwirken. Diese Verbrechen können nach unserer Ansicht nicht streng genug bestraft werden, besonders wenn sich die Angriffe gegen Minderjährige richten. Auch wenn diese körperlich keinen bleibenden Schaden davontragen, so ist doch die Vergiftung des Denkens leichter geschehen als man gewöhnlich annimmt. Dies ist ein Hauptgrund, die Behandlung (22) der Sittlichkeitsverbrecher als ein überaus wichtiges Problem anzusehen, umsomehr, als eine recht erhebliche Zahl derer, die sich gerade an Kindern vergreifen, immer wieder dieser Neigung unterliegen. Nun hat man wohl in neuester Zeit herausgefunden, daß die Mehrzahl dieser Verbrecher geistig minderwertig, beinahe unzurechnungsfähig sind. Doch kann dies an der Tatsache nichts ändern, daß diese Menschen für die Gesellschaft eine schwere Gefahr bilden, da sie beinahe immer rückfällig werden. Jeder Rückfall aber bedeutet das Opfer eines Kindes. Darum darf auf diesem Gebiete, weniger als auf jedem andern, Nachsicht walten. Und wenn auch der Täter nachgewiesenermaßen einen geistigen Defekt hat, also nicht voll verantwortlich für seine Straftat ist, so hat der Staat trotzdem die Verpflichtung, die Wehrlosen vor ihm zu schützen. Gemeingefährliche – und dies sind die Sittlichkeitsverbrecher im höchsten Grade – gehören hinter Schloß und Riegel. Der Staat, der seine Pflicht gegen alle in Wahrheit tun will, braucht diese Defektmenschen nicht mit Gewohnheitsverbrechern zusammenzubringen; aber es kann von ihm verlangt werden, daß er ihnen unter allen Umständen die Möglichkeit nimmt, ihren gemeingefährlichen Treiben zu fröhnen. § 180. Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine verlangt bezüglich dieses Paragraphen, daß das Vermieten an Prostituierte, soweit kein unverhält-(23)nismäßiger d. h. kein die Leistung übersteigender Nutzen daraus gezogen wird, straflos bleibt, sowie daß das Wesen der Kuppelei durch Ausnutzung und Eigennutz im Gesetz deutlicher gekennzeichnet würde. Begründung: Die Frauen halten die strafrechtliche Behandlung der Prostitution für eine der brennendsten sozialen Fragen, wenn sich der Staat in Zukunft, wie zu erwarten ist, auch den auf Abschaffung der Reglementierung der Prostitution abzielenden Bestrebungen anschließen wird, so wird er dabei des strafrechtlichen Apparates doch nicht ganz entbehren können. Und zwar wird er seine Strafdrohung künftig nicht nur gegen die Prostituierten, sondern auch gegen die Prostituierenden, d. h. gegen die Männer richten müssen, vor allem reformbedürftig ist die strafrechtliche Definition des Wesens der Kuppelei. Der Staat bestraft die Prostitution nicht, die sich der Kontrolle unterwirft, aber er bestraft das Vermieten von Wohnungen an
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kontrollierte Dirnen als Kuppelei. Auf diese Weise zwingt er die Polizei tatsächlich selbst zu Gesetzübertretungen. Die Polizei müßte nach dem Wortlaut des Gesetzes jeden, der eine Dirne bei sich wohnen läßt, der Kuppelei bezichtigen, sie tut dies nicht und macht sich dadurch strafrechtlich schuldig. Es muß eine peinliche Lage für einen Richter sein, wenn er einen Menschen wegen einer Handlung verurteilen muß, die mit Wissen aller Behörden täglich ungestraft von Ungezählten begangen wird. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine geht im Hinblick darauf in ihren Vorschlägen von der Voraussetzung aus, daß das bloße Vermieten straflos bleiben, und daß der Begriff der Kuppelei genau definiert (24) bzw. daß das Vermieten mit Eigennutz und Ausbeutung verbunden sein müsse, wenn es strafbar sein solle. § 181. Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn: 1. um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunstgriffe angewendet worden sind, oder usw. Zu diesem § beantragen wir im Einklange mit dem deutschen Nationalkomitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels: „daß auch im Falle der Einwilligung einer großjährigen weiblichen Person die Verleitung zur Auswanderung zum Zwecke der Unzucht bestraft werden muß.“ Begründung: Daß die vorhandenen Strafmittel zur strafrechtlichen Bekämpfung des Mädchenhandels nicht ausreichen, hat sich allerorten gezeigt und der § in seiner jetzigen Fassung hat außerdem zu vielen Mißgriffen Anlaß gegeben. So sind beispielsweise sogar Eltern in derem Hause, die volljährige Tochter mit ihrem Bräutigam geschlechtlich verkehrte, wegen Kuppelei mit Zuchthaus bestraft worden. Ein Unding, wenn man erwägt, daß in vielen Gegenden und in breiten Volksschichten der geschlechtliche Verkehr zwischen Verlobten keineswegs als unsittlich gilt. Als Kuppler müssen u. E. unnachsichtlich und scharf alle Gelegenheitsmacher bestraft werden, die aus Gewinnsucht und andern niedrigen Motiven handeln oder die hinterlistige Kunstgriffe, Drohung, Betrug, falsche Vorspiegelungen, Versprechungen usw. anwenden. In ihnen werden die wirklichen Kuppler getroffen, die Inhaber jener Lasterhöhlen, die als Bordelle oder Lokale mit harmloserem Namen unsere Söhne schon in jungen Jahren zu Fall bringen und unser ganzes Volk vergiften, da nun (25) einmal der Glaube festgewurzelt ist, daß die von der Polizei überwachte Einrichtung dem Manne unentbehrlich sei. Daß das Gesetz nicht nur eine Handhabe biete, sondern daß diese auch angewendet werde, um dem schändlichen Mädchenhandel im in- und ausländischen Verkehr ein Ende zu machen, ist der selbstverständliche Wunsch aller Frauen, die in die Greuel dieses schamlosesten und grausamsten Gewerbes hineingeblickt haben. „White slave traffic“ nennen es die Engländer, „traite des blanches“ die Franzosen. Alle haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam diesen Handel mit Menschenfleisch zu bekämpfen. Wie manches Mädchen, das einen ehrlichen, anständigen Beruf zu finden glaubte, wird der Schande geopfert. Unnachsichtlich müßte ihre Verderber die Strafe treffen, den Kuppler wie den Lüstling, dessen ungezügelte Begierde erst diesen schmählichen Handel ins Leben rief.
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§ 182. Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe verführt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Hierzu beantragt die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine, daß das Schutzalter gegen Verführung auf das achtzehnte Jahr erhöht und daß das Wort „unbescholten“ gestrichen werde. Begründung: Dieser § hat Grund zu vielen gerichtlichen Entscheidungen gegeben, die das Rechtsgefühl der Frauen schwer verletzt haben, wir erinnern, um nur ein krasses Beispiel zu nennen, an den Blankeneser Notzuchtsprozeß. Ein Mädchen von 16 Jahren steht an der Grenze des Jungfrauen- und Kindesalters, sie entbehrt noch vollständig jeder Welt- und Menschenkenntnis und wird deshalb leicht (26) die Beute des gewissenlosen Mannes, der ihr von Liebe und Ehe spricht, während dann der Wortbrüchige keinerlei Nachteile aus einer solchen „Episode“ davonträgt, außer höchstens einer geringen Alimentenzahlung, ist das verführte Mädchen nicht nur mit einem Makel, sondern auch, wenn es Mutter wurde, mit einer dauernden schweren Sorge um ihr Kind belastet. Mit welchem Rechte aber darf man ein Mädchen „bescholten“ nennen, das oft nur der Vorwurf allzu vertrauensvoller Liebe trifft? Mit welchem Recht erklärt man sie dadurch vogelfrei für jeden Mann, dessen Begierde sie weckt, während Niemand daran denkt, das Wort „bescholten“ auf den Mann anzuwenden, der mit Lug und Trug vielleicht ihren Widerstand bezwang und dessen stets rege Begierde immer neue Opfer fordert. Der Mann bleibt „unbescholten“ und kann unter Umständen sogar sonst strafbare Handlungen straflos an einer „Bescholtenen“ begehen. Es liegt diesem Begriffe eben auch nur die verhängnisvolle doppelte Moral zugrunde, die wir Frauen nicht energisch genug bekämpfen können. § 195. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehemänner und Väter das Recht auf Bestrafung anzutragen. Diese Bestimmung müßte, soweit sie die Ehefrauen betrifft, gestrichen werden.
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Begründung: Der § ist noch ein Überrest des mundiums früherer Zeiten; er muß aber heute als eine unerhörte Bevormundung der Frau angesehen werden und es erscheint ihrer gegenwärtigen Rechtsstellung völlig unangemessen, daß der Mann statt ihrer selbst gegen ihren Willen Strafantrag stellen kann, wenn sie selbst beleidigt worden ist. Der § (27) muß schon deshalb fallen, weil er mit dem BGB., das die Frau vollständig handlungsfähig erklärt hat, nicht im Einklang steht. §§ 201–210. Die Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen, sowie die Annahme einer solchen Herausforderung wird mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft. Bei den Paragraphen, die den Zweikampf betreffen, fordert die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine eine Verschärfung der für das Duell vorgesehenen Strafen, sowohl für die Nächstbeteiligten wie für die Sekundanten. Begründung: Es ist im Sinne der Frauenbewegung, die an Stelle des Gewaltprinzips auf allen Gebieten feste Rechtsnormen eingeführt sehen will, dringend geboten, daß alle diese Bestimmungen viel schärfer gefaßt, und daß der Zweikampf mit entehrenden, also nicht mit Festungs-, sondern mit Gefängnisstrafen belegt werde. Die bisherigen leichten Strafen, die eigentlich keine sind, die dem Betroffenen sogar einen gewissen Nimbus verleihen, werden niemals wirksam gegen den privilegierten Mord sein und nur zur Stärkung des Gewaltprinzips beitragen, wie es scheint, scheuen sich unsere maßgebenden Kreise das Duell zu verbieten, wie es in England ohne Nachteil geschehen ist, wo der Zweikampf schon längst gegen die guten Sitten verstößt, nicht nur gegen das Gesetz. Sollte der Zweikampf aber vorläufig bei uns noch nicht aus der Welt geschafft werden können, so müßte das Ehrengericht obligatorisch aus älteren gereiften Männern bestehen, die den Zweikampf vor allen Dingen zu verhindern suchen müßten. Außerdem müßte eine besonders harte Strafe denjenigen treffen, der ohne (28) Genehmigung eines Ehrengerichtes, das den obigen Forderungen bezüglich seiner Zusammensetzung genügte, auf einen Zweikampf einginge. § 217. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Zu diesem Paragraphen verlangt die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine, daß auch der uneheliche Vater zur Verantwortung gezogen werde, wenn festgestellt worden ist, daß ihn eine, wenn auch nur moralische Mitschuld trifft (siehe auch § 221 StrGB.). Begründung: Dies Verbrechen darf nun und nimmermehr in seiner ganzen Schwere als Mord beurteilt und bestraft werden, wenngleich es gerade dem mütterlichen Empfinden der Frauen völlig unfaßlich erscheint. Die psychischen Ursachen der Tat müssen zunächst erforscht und berücksichtigt werden, durch die das Verbrechen möglich werden konnte. Daß dabei das Verhalten des unehelichen Vaters in erster Linie in
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Betracht kommt, liegt auf der Hand. Wie oft kommt es vor, daß gerade die eintretende Schwangerschaft die Veranlassung wird, daß der Mann die Bande löst, die ihn bis dahin mit dem Mädchen verknüpften. Dies bedeutet aber häufig für die uneheliche Mutter den letzten Tropfen in dem vollgehäuften Maß ihrer Schande und oft ihrer Entbehrungen in der Zeit vor der Entbindung. Diese schwerste Stunde im Leben des Weibes ist aber am wenigsten geeignet, der Armen die volle Verantwortlichkeit für ihr Handeln zum Bewußtsein zu bringen. Um so weniger darf daher diese Verantwortung für das, was in einem Augenblicke psychischer Verwirrung geschah, der unehelichen Mutter allein aufgebürdet werden. (29) § 218. Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. Dieser Paragraph ist ganz zu streichen. Begründung: Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine glaubt die Forderung verantworten zu können, daß dieser Paragraph gestrichen wird. Denn nicht nur der Wortlaut ist zu beanstanden, auch die Praxis und Auslegung, die er erfahren hat. In dieser Frage geht unser Strafgesetz viel weiter als das römische Recht, das die Vernichtung des keimenden Lebens, wenn die Handlung auf den übereinstimmenden Beschluß beider Eltern erfolgte, straflos ließ. Auch die Carolina, das alte deutsche Strafgesetzbuch unterschied zwischen dem belebten und dem unbelebten Embryo, und strafte nur die Abtreibung der belebten Frucht, während das jetzige Strafgesetz keinerlei Unterschied macht und sich auch darin durch eine ganz besondere Härte auszeichnet. Die Unterscheidung zwischen belebter und unbelebter Frucht ist aus unserm Strafrecht wohl um deswillen verschwunden, weil die heutige Wissenschaft lehrt, daß der Embryo schon vom Augenblicke der Zeugung an lebt, viele Frauen wissen dies aber gar nicht, und glauben durch ihr Vorgehen die Entstehung des Kindes nur einfach zu verhindern. Das, Bestreben vorzubeugen, bzw. zu vernichten ist aber oft nur zu erklärlich aus unglücklichen Familienverhältnissen, aus Furcht vor Schande, in Hinblick auf erbliche Belastung durch Alkohol und Irrsinn, wie kann man es einer un-(30)glücklichen Mutter verübeln, wenn sie nicht will, daß ein Wesen ihr das Dasein verdanke, das aller Voraussicht nach, sich selbst nur zur Qual und der Mutter zur Schande gereichen muß.
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Die Frau muß aber auch als freie Persönlichkeit Herrin ihres Körpers sein dürfen. Sie sieht es daher als einen unberechtigten Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht an, wenn sie bestraft werden soll, weil sie einen Keim vernichtet hat, der zunächst doch nur ein unlöslicher Bestandteil ihres eigenen Körpers ist. Im heutigen englischen Strafrecht wird immer noch der Unterschied zwischen belebter und unbelebter Frucht gemacht. Die Vernichtung der ersteren ist strafbar, die der letzteren straffrei. Was den noch geltenden Paragraphen aber ganz besonders und auch bei Fachjuristen in Mißkredit gebracht hat, ist die Auslegung des Reichsgerichts: „Jeder Versuch ist strafbar, der untaugliche Versuch ist Versuch, folglich ist auch der untaugliche Versuch strafbar.“ Dies schießt weit über das Ziel hinaus, und wir hätten lange nicht Strafgerichte genug, wenn jeder Abtreibungsversuch, der mit untauglichen, harmlosen Mitteln gemacht wird, zur Aburteilung käme. § 219. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. Zu diesem Paragraphen fordern wir, daß ein niedrigeres Strafmaximum festgelegt wird. Begründung: Wenn wir auch im Prinzip damit einverstanden sind, daß derjenige, der sich für seine Beihilfe zur Vernichtung (31) des keimenden Lebens bezahlen läßt, bestraft wird, so erscheint doch eine weitaus geringere Strafe sowie die Bewilligung mildernder Umstände für den Täter im Hinblick auf das oben Gesagte nur logisch und gerecht. § 223 u. 230. 223. Wer vorsätzlich einen andern körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird wegen Körperverletzung mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft. 230. wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung eines andern verursacht, wird mit Geldstrafe bis zu 900 M oder mit 2 Jahren Gefängnis bestraft. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine fordert für diesen § die von Professor von Liszt vorgeschlagene Ergänzung, die folgendermaßen lautet: „wer wissend, daß er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, den Beischlaf ausübt, oder auf andere Weise einen Menschen der Gefahr der Ansteckung aussetzt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchen auch auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Ist die Handlung von einem Ehegatten gegen den andern begangen, so tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein.“ Begründung: Angesichts der Gewissenlosigkeit, mit der ein Teil der Männer, gestützt auf die herrschende doppelte Moral, die venerischen Krankheiten verbreitet, wäre es sehr zu begrüßen, wenn durch eine Strafbestimmung in diesem Sinne der in erschreckender Weise um sich greifenden Verseuchung weitester Volkskreise Einhalt getan würde. Es kann nicht streng genug gegen eine Gewissenlosigkeit ange-
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gangen werden, die nicht einmal die eigene Frau verschont und Glück und Zukunft der ganzen Familie vernichtet. Schon im Entwurf (32) zur lex Heinze fand sich ein Antrag, der die wissentliche venerische Ansteckung unter Strafe stellen wollte. Doch er fiel damals bei den Beratungen im Reichstag. Auch auf dem ersten Kongreß der Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im Jahre 1903 in Frankfurt a. M. wurde ebenfalls lebhaft über die von Professor von Liszt vorgeschlagene Fassung einer Strafvorschrift debattiert, die denjenigen, der mit vollem Bewußtsein die Infektion weiter verbreitete, mit einer zweijährigen Gefängnisstrafe und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bedrohte. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine hat im Gegensatz zu der Frankfurter Versammlung, die diesen strafrechtlichen Schutz gegen die wissentliche venerische Infektion ablehnte, beschlossen, sich dem Liszt’schen Vorschlage im Wortlaute anzuschließen. Die immer allgemeiner werdende Erkenntnis von der furchtbaren Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten muß zu der Überzeugung führen, daß hier alle sozialen und polizeilichen Maßnahmen, alle Aufklärung noch nicht ausreichend sind, daß daneben auch die Aufstellung einer neuen besonderen Strafdrohung ins Auge gefaßt werden muß. Allerdings kann auch auf Grund der heutigen Fassung der betr. §§ Anklage wegen venerischer Ansteckung erhoben werden, aber sie genügen nicht in allen Fällen. Da es meistens Männer sind, die das verheerende Gift in die Familien tragen, so liegt es auf der Hand, daß vor allem die Frauen sich dagegen wehren müssen, für sich, für ihre Töchter und für die kommenden Geschlechter. Die Paragr. 223 und 230 werden auch herangezogen, wenn Eltern, Erzieher ec. ihr Züchtigungsrecht überschritten haben. Für diese wehrlosen Kinder müssen die Frauen energisch eintreten und fordern, daß dem elterlichen Züchtigungsrecht auch durch das Gesetz engere Grenzen gezogen werden. (33) § 300. Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte, Wundärzte ec. werden, wenn sie unbefugt Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen Kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine fordert, daß neben dieser Schweigepflicht des Arztes auch eine Offenbarungspflicht im Notfalle und auf Antrag der Nächstbeteiligten festgelegt werde. Begründung: Die Notwendigkeit, den obigen Paragraphen in diesem Sinne zu ergänzen, hat sich schon häufig aufgedrängt, ohne daß eine entsprechende Reform durchgeführt wurde. An der Frage des ärztlichen Berufsgeheimnisses haben aber vor allen Dingen die Frauen ein lebhaftes Interesse. Sie müssen wünschen, die Schweigepflicht des Arztes in der Art aufgehoben zu sehen, als er bei ansteckenden Geschlechtskrankheiten sogar verpflichtet werden kann, den Beteiligten und nächsten Angehörigen die Wahrheit zu sagen, natürlich nur auf Anfrage, wenn in solchen und ähnlichen Fällen der Arzt sprechen dürfte oder müßte, wäre der Ansteckungsgefahr und
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qualvollem Siechtum vorgebeugt, die heute unzählige Frauen und Kinder bedrohen. Da aus Ärztekreisen selbst das Verlangen laut geworden ist, nicht nur eine Schweigepflicht, sondern auch eine Offenbarungspflicht für den Arzt zu statuieren, so ist zu hoffen, daß auch wir mit unserem aus bitterer Not geborenem Vorschlage ein geneigtes Ohr finden. Heute bindet das Schweigegebot des § 300 den Arzt auch in solchen Fällen, wo das Gemeinwohl dringend eine Offenbarung verlangt, wie z.B. bei einem unentdeckten Morde usw. Man ist sich zwar darüber einig, daß das (34) Zeugnisverweigerungsrecht eine Grenze hat, und daß auch früher schon aus § 139 StGB. eine Offenbarungspflicht abgeleitet werden konnte; doch sie ist den Frauen gegenüber niemals zur Geltung gelangt, höchstens sind bei Kriminalprozessen Ärzte als Zeugen herangezogen worden. § 361 Ziffer 6. Mit Haft wird bestraft 6. eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht, zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine beantragt die Streichung der Ziffer 6 des § 361. Begründung: Daß § 361 Ziffer 6 gestrichen werden muß, hat die organisierte Frauenbewegung so oft verlangt, daß es sich erübrigen müßte, die Forderung nochmals zu begründen. Doch da er immer noch die legale Unterlage für die Reglementierung bildet, so muß immer wieder betont werden, daß diese zum Schutze der Volksgesundheit erlassene Maßregel sich vollkommen wirkungslos, nach Ansicht mancher Forscher sogar, als direkt schädlich erwiesen hat. Die Reglementierung der Prostitution ist unhaltbar vom rechtlichen Standpunkte aus, denn sie übt im Gegensatz zu der Idee der Strafe, wie wir sie heute auffassen, keinen bessernden und sittlich erziehenden, sondern einen entsittlichenden Einfluß aus, indem sie die Prostituierte aus der bürgerlichen Gesellschaft stößt und ihr die Rückkehr zu einem ehrlichen Beruf und zu geordnetem Leben erschwert, ja zur Unmöglichkeit macht. Tatsächlich wird durch die gewaltsame Stempelung zu öffentlichen Prostituierten un-(35)zähligen durch Not oder Leichtsinn auf die schiefe Ebene geratene Mädchen der letzte sittliche Halt geraubt. Wenn nicht besonders günstige Umstände eintreten, so ist das Mädchen verloren, ihr Schicksal besiegelt; denn zu eigener Befreiung aus dem Druck der Polizeigewalt fehlt ihr in den meisten Fällen der Mut und die nötige sittliche Kraft. Die Aufgabe der Rechtspflege aber ist es, darüber zu wachen, daß niemand in seiner Persönlichkeit durch einen andern geschädigt werde. Deshalb muß vom Standpunkt des allgemeinen Rechts aus Einspruch dagegen erhoben werden, daß die Polizeibehörde mit so weitgehenden, zu Mißgriffen herausfordernden Machtbefugnissen gegenüber dem weiblichen Geschlecht ausgestattet wird.
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Es widerspricht aber auch dem einfachsten Rechtsempfinden, Menschen zu einer Sache, zu einer Ware zu stempeln, als Objekt für die Begierden anderer, und dadurch eine ganze Kaste von Parias zu schaffen, die außerhalb von Gesetz und Sitte stehend, der Ausbeutung durch die Hefe der Gesellschaft hilf- und rechtlos preisgegeben ist. Geschützt durch die Duldung der behördlichen Autoritäten, die der Reglementierung der Prostitution heute noch zuteil wird, hat sich ein ganzes Heer von Parasiten in ihrem Gefolge gebildet, Zuhälter, Mädchenhändler, Bordellwirte, die eine furchtbare soziale Gefahr darstellen. Alle Strafmaßregeln und internationalen Beschlüsse zur Abwendung dieser Gefahr werden aber nichts nützen, solange der Staat diese verbrecherischen Erscheinungen allein ins Auge faßt und an dem Grundübel nichts ändert, an dem System der staatlichen Konzessionierung und zwangsweisen Vergrößerung der Prostitution. Der Staat darf nicht vergessen, daß die Unzucht in erster Linie durch die Nachfrage des Mannes hervorgerufen wird und daß es deshalb nicht angängig ist, immer nur die Frau zu bestrafen, die (36) dieser Nachfrage entspricht, nicht aber den Mann, der doch jedenfalls ihr Mitschuldiger ist. Staat und Gesetzgeber müssen sich deshalb auf den Standpunkt stellen, daß das große soziale Übel der Prostitution mit seinen furchtbaren Begleitund Folgeerscheinungen der sittlichen und physischen Volksverseuchung, ebenso wie die erschreckende Kriminalität der Jugendlichen, hauptsächlich in seinen Ursachen und durch soziale Reformen zu bekämpfen und einzudämmen ist. Als ein willkommener Anfang einer Reform kann der Erlaß des preußischen Ministers des Innern und des Kultusministers vom 11. Dezember 1907 angesehen werden, der für die Handhabung der Sittenpolizei neue Regeln aufstellt. Die Reglementierung soll durch diesen Erlaß wesentlich gemildert werden. Dies ist freilich nicht das Ziel, dem wir zustreben; wir wollen dieses ganze System mit Stumpf und Stiel beseitigt und durch soziale Reformen ersetzt sehen. Nur dadurch kann das Übel an der Wurzel gepackt und allmählich vermindert werden. (37)
Anhang. A. Vorschläge zum Strafprozeß. Benützte Quellen: Soziale Praxis, 1906 No. 22 und 1908 No. 18 „Reformen im Strafprozeß“ Referat von Dr. Anita Augspurg, gehalten 3. Oktober 1905 auf der III. Generalversammlung des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine. Was die Frauen von der Reform des Strafprozesses zu fordern haben, betrifft vor allem die Verteidigung und die Rechtsprechung in Fällen, bei denen Frauen als Subjekte oder Objekte von Delikten in Frage kommen; ferner die Rechtsprechung über von Kindern begangene Vergehen und endlich die Zeugenvernehmung von Kindern über Sittlichkeitsdelikte. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine glaubt, nachdem den weiblichen Juristinnen das Studium in Deutschland gestattet worden ist, nunmehr auch ein gesetzliches Anrecht darauf zu haben, daß sie zum Nutzen für ihre Geschlechtsgenossinnen ihren Beruf praktisch ausüben dürfen, wir sehen täglich, daß die Rechtsauffassung und dadurch die Rechtsprechung bei beiden Geschlech-
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tern eine grundverschiedene ist. Dies tritt besonders auffallend in die Erscheinung bei Sittlichkeitsdelikten und ist durch die physische wie psychische Verschiedenheit der (38) Geschlechter leicht zu erklären. Auf Grund dieser unleugbaren Verschiedenheit kann aber das männliche Geschlecht unmöglich eine Berechtigung herleiten, die Rechtsprechung für sich allein in Anspruch zu nehmen. Nur weiblichen Verteidigern wird es möglich sein, seelische Vorgänge in ihren innern Zusammenhängen richtig zu verstehen und im Urteil dafür Berücksichtigung zu erreichen, wenn eine Frau vor den Schranken des Gerichts steht. Darum ist nach unserer Ansicht der weibliche Rechtsanwalt im Strafprozeß zu einer Notwendigkeit geworden. In außerdeutschen Staaten hat man dies auch längst eingesehen und sowohl in den Vereinigten Staaten von Nordamerika wie auch in einigen europäischen Staaten, vor allem in Frankreich und Italien sind die Frauen mit gutem Erfolge in der Rechtsanwaltschaft tätig. Dieselben Gründe, die für die Notwendigkeit weiblicher Verteidiger sprechen, gelten auch für weibliche Schöffen und Geschworene. Gesetzliche Hindernisse stehen ihrer Berufung schon heute nicht im Wege, denn das Gerichtsverfassungsgesetz schließt Frauen nicht ausdrücklich aus. Sie werden nur gewohnheitsmäßig bei Aufstellung der Urlisten von den Gemeinden weggelassen. Es würde vollständig genügen, wenn in die neue Strafprozeßordnung die Bestimmung aufgenommen würde, daß bei Laiengerichten die über Delikte von und an Frauen zu befinden hätten, auch Frauen zuzulassen wären, sowohl als Schöffen, wie als Geschworene. Eine objektive Rechtspflege und das subjektive Interesse, der in ein Strafverfahren verwickelten Frauen verlangen eine nachdrückliche Berücksichtigung dieser Forderung des weiblichen Geschlechts. Man geht ja heutzutage in der Zuziehung des Laienelementes bei der Rechtsprechung, wie z.B. bei den Ge-(39)werbe- und Kaufmannsgerichten schon sehr weit; deshalb ist auch zu hoffen, daß die Frauenwünsche in Bezug auf den Strafprozeß erfüllt werden. Die Notwendigkeit der Einführung von Jugendgerichten wird von Niemanden mehr bestritten. Diese haben ihren Siegeszug nicht nur im Auslande sondern auch in Deutschland bereits begonnen. Die wirtschaftliche und soziale Umgestaltung auf dem Gebiet der Kinderforschung und die Erkenntnis, daß das Kind ganz anders behandelt werden muß als der erwachsene Mensch, beginnt auch bei unsern gesetzgebenden Faktoren Wurzel zu fassen. Man sieht immer mehr ein, daß die Anwesenheit und Vernehmung in öffentlicher Gerichtssitzung nicht selten dazu angetan ist, das Schamgefühl der Kinder und Jugendlichen zu verletzen. Wenn vor allem die körperliche Untersuchung nur weiblichen Aerzten oder Polizeimatronen übertragen werden dürfte, würde diese Verletzung schon in vielen Fällen vermieden. Dasselbe muß auch für die Zwangsanstalten, in denen strafrechtlich Verurteilte erzogen werden, gelten. Freilich dürften derartige Zwangsanstalten nicht Arbeits- und Korrektionshäuser im heutigen Sinne, sondern nach pädagogischen Grundsätzen geleitete Erziehungsanstalten sein, in denen dem Psychiater, dem Lehrer, gebildeten Frauen und dem Geistlichen ein größerer Einfluß eingeräumt werden müßte, als dem Gefängnisbeamten. Daß seine Vergehen überhaupt aus dem Strafregister gelöscht werden, wenn der Jugendliche sich eine bestimmte Zeit gut geführt hat, ist ebenfalls eine Hauptforderung der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine. (40)
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B. Allgemeine Gesichtspunkte und Vorschläge zum Strafvollzug. Benützte Quellen: Dr. Adolph Wach: Zur Reform der Freiheitsstrafen. Dr. Max Lederer: Das Probation-System in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dr. Marie Raschke: Die strafrechtliche Behandlung der Kinder und Jugendlichen. Dr. Kriegsmann: Vortrag über Strafvollzug gehalten in Flensburg auf der evangelisch-sozialen Konferenz. Dr. Fritz Auer: Soziales Strafrecht. Im Jahre 1904 wurden wegen Vergehens und Verbrechens gegen die Reichsgesetze verurteilt 316970 Menschen; eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe erhielten 263405 Verurteilte. Die Strafdauer überstieg ein Jahr bei 22302 Verurteilten. Am 1. Dezember 1905 waren in den Strafanstalten des deutschen Reiches 75198 Sträflinge vorhanden. Die Erkenntnis der Bedeutung der schwierigen und bedeutsamen Fragen des Strafvollzugs ist immer mehr gewachsen; ihr entspricht auch zum großen Teil die lebhafte Anteilnahme weiter Kreise an der Strafrechtsreform. Keine Zeit hat so wie die unsrige die Feinfühligkeit für soziale Schäden, für soziale Zusammenhänge und für die Notwendigkeit sozialer Betätigung zum Zwecke der Selbstbehauptung, Förderung und Vervollkommnung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens gehabt. Wir haben das Verbrechen als sozialpathologische Erscheinung erkannt und immer mehr eingesehen, daß der Strafvollzug der weitaus bedeutsamste Teil der Strafrechtspflege überhaupt ist. Aufgabe der Strafe ist es, die Strafe überhaupt überflüssig zu machen, denn sie ist ein großes Übel, nicht nur für den (41) Einzelnen, den sie trifft, sondern auch für die Gesellschaft, die sie verhängt – aber sie ist notwendig, sie muß die Rechtsordnung bewähren, sie hat die Aufgabe, die durch das Verbrechen wachgerufenen Leidenschaften, das Gefühl der Rechtsunsicherheit wie den Ansporn zu verbrecherischem Tun zu beseitigen. Was man heute von einem richtigen Strafvollzug verlangt, ist zunächst individuelle Bestrafung. Dies bedeutet Anpassung an die im einzelnen Verbrecher wirksamen Eigenschaften, bedeutet Abstufung nach dem Grade der ihm zukommenden sozialen Gemeingefährlichkeit. Man muß einen dummen Bauernjungen anders behandeln als einen intelligenten Hochstapler, einen willensschwachen Menschen anders als eine skrupellose Kraftnatur, die jede Gelegenheit zu schaden rücksichtslos ausnützt. Dies sind die allgemeinen Gesichtspunkte zum Strafvollzug. Handelt es sich jedoch um bestimmte Vorschläge der Frauen speziell für Kinder und Jugendliche, so müssen sie mit aller Entschiedenheit für die bedingte Verurteilung im Gegensatze zur bedingten Begnadigung eintreten. Auch die Internationale Kriminalistische Vereinigung hat sich rückhaltlos für die bedingte Verurteilung ausgesprochen. „Es kann sich“, so resümiert Professor von Liszt, „da die mit der bedingten Verurteilung verbundenen Vorteile außer allem Zweifel stehen, nicht darum handeln, ob, sondern nur darum, wie sie in das Deutsche Recht aufgenommen werden soll.“ Doch sind wir trotzdem noch lange nicht so weit; auch ist das Wesen durch den Namen wohl nicht ganz richtig bezeichnet. Das Wort Strafaufschub bezeichnet die Sache treffender. Sie besteht in der Befugnis des erkennenden Gerichts, die verdiente erste kürzere Freiheitsstrafe auf gewisse Zeit probeweise auszusetzen,
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um abzuwarten, ob sich der Delinquent bewährt oder von (42) neuem verfehlt. Geschieht ersteres, so wird er straffrei, wenn nicht, so trifft ihn die alte mit der neuen Strafe. Man verspricht sich sehr viel von dieser Reform. Den Besserungsfähigen soll die ernste, ihm durch die Verurteilung zuteil gewordene Mahnung und die Vorstellung des über seinem Haupte schwebenden Damoklesschwertes von weiterer Übeltat zurückhalten. Besteht er die Probe nicht, dann sorgt die Häufung der Strafen für die nachdrückliche Buße. Der Strafaufschub soll aber außerdem vor sozialem Verderb, vor der Brandmarkung, vor dem Verlust der Berufsstellung – kurz vor den Existenz gefährdenden Nachteilen der ersten ernsteren Freiheitsstrafe schützen. Die bedingte Verurteilung ist im Grunde nichts anderes als das probation system, auf das wir später noch zurückkommen werden. Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine fordert ferner, daß von der vorläufigen Entlassung bei den Jugendlichen in ausgedehntem Maße Gebrauch gemacht und daß die Strafe aus dem Strafregister gelöscht werde, wenn die Betreffenden sich eine bestimmte Zeit tadellos geführt haben, damit nicht ein leichtsinniger Streich, im Jugendübermut begangen, wie ein Bleigewicht dem Täter anhänge und ihn am Vorwärtskommen hindere. Die im Bunde deutscher Frauenvereine organisierten Frauen sind außerdem der Meinung, daß geistig nicht gesunde Kinder einer besonderen Behandlung unterzogen werden müssen, daß die Dauer der Strafe nicht bestimmt sein darf, weil sie von dem Betragen des Verurteilten abhängen soll, und vor allem, daß die Erkenntnis der Strafbarkeit der begangenen Tat nicht mehr den Grund der Verurteilung bilden dürfe. Auch die österreichische Gesetzesnovelle, die der Justizminister dem Herrenhause kürzlich vorgelegt hat, befaßt sich (43) mit dem Strafvollzug der Jugendlichen. Bei erstmalig vor dem Strafrichter Erscheinenden werden Ausnahmen von der Bestrafung in den Formen des unbedingten und des bedingten Straferlasses zugestanden. Bei ersterem hat der Richter an Stelle der Strafe eine Ermahnung zu erteilen, bei letzterem wird die Strafe im Falle der Bewährung erlassen, während der Bewährungsfrist kann eine Schutzaufsicht angeordnet werden. Die weiteren Neuerungen im Jugendstrafvollzug beabsichtigen die Gestaltung der bedingten Entlassung, die bei begründeter Aussicht auf Besserung nach Verbüßung eines erheblichen Teiles der Strafe zulässig sein müßte. Ferner sind Rehabilitationsbestimmungen dahin vorgesehen, daß die spätere Schmälerung der bürgerlichen Ehrenrechte und die Polizeiaufsicht fortfällt. Die Verurteilung eines bisher unbescholtenen Jugendlichen soll als rechtlich getilgt gelten, wenn er sich während einer bestimmten Bewährungsfrist vollkommen straflos verhält. Nur bei den schwersten Delikten ist Rehabilitation ausgeschlossen. Wenn auch Österreich uns in der strafrechtlichen Behandlung Jugendlicher weit voraus ist, so scheint doch das amerikanische probation system die beste Lösung der Frage zu sein, auf welche Weise die schweren Schäden vermieden werden können, die in so vielen Fällen eine gerichtliche Strafe, insbesondere die erste Freiheitsstrafe, für den Verurteilten mit sich bringt. Das probation system besteht im wesentlichen darin, daß eine vertrauenswürdige Person, welche zu diesem Dienste bestellt ist und in Ausübung desselben die Rechte eines Polizeibeamten besitzt – ein probation officer – nach dem ersten Verhör, gelegentlich auch schon vor demselben, eingehende Erkundigungen einzieht und dem Richter einen ausführlichen Bericht über den Angeklagten, über dessen Erziehung, Fähigkeiten, Charaktereigenschaften, Gewohnheiten, Lebensweise und Ver-(44)kehr erstattet,
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so daß der Richter eine durchaus zuverlässige Grundlage für die Verurteilung des Angeklagten gewinnt. Scheint ihm nun die Annahme gerechtfertigt, daß eine Besserung des Angeklagten auch ohne Bestrafung zu erwarten sei, so übergibt er ihn nur der Obhut des probation officer mit der Aufforderung, die Vorschriften, die ihm gegeben werden, streng zu erfüllen, um straflos zu bleiben. Je nach der Tat richten sich die Vorschriften; jeder Fall wird streng individuell behandelt. Der probation officer überwacht nun im freundschaftlichen Verkehr das Leben seines Schützlings, der sich gänzlich seinen Anordnungen zu fügen hat; er hat Nachsicht und Geduld zu üben; er ist kein strenger Aufseher, sondern ein geduldiger, verständnisvoller, zielbewußter Führer, der seinem Schützling – dem probationer – durch Aufmunterung und Rat behilflich ist, die Probe zu bestehen und etwaige Schwächen zu überwinden. Sobald er sich jedoch überzeugt hat, daß sein Schützling auf diese Weise nicht gebessert werden kann oder daß er sich nicht bessern will, beantragt er selbst dessen Bestrafung; ist die Bewährungsfrist ohne diesen Zwischenfall abgelaufen, so erstattet er dem Richter Bericht und dieser entscheidet nun, ob der erstrebte Zweck erreicht ist und die Beaufsichtigung aufgehoben werden soll, oder ob es wünschenswert erscheint, daß die Bewährungsfrist verlängert werde. Natürlich hört er vor der Entscheidung den Rat des probation officers, der durch den persönlichen Verkehr mit seinem Schützling diesen sehr viel besser als der Richter zu beurteilen vermag. Die Probezeit kann wiederholt verlängert werden. In der Regel wird weder die Dauer der einzelnen Zeiträume noch das Gesamtausmaß der zulässigen Bewährungsfrist durch das Gesetz bestimmt; es ist vielmehr ganz dem Ermessen des Richters überlassen, im einzelnen Fall die geeigneten (45) Verfügungen zu treffen, insbesondere aber zu entscheiden, wann die Bewährungszeit beendet sein soll. Nur im Staate New York besteht die ganz merkwürdige Ausnahme, daß die Bewährungsfrist und mit ihr der Straffall nicht mit der Aufhebung der Überwachung endigt; der Richter verkündet, wenn die Bewährung zu seiner Zufriedenheit erfolgte: sentence suspended. d. h. er schiebt die Urteilsfällung hinaus, und es beginnt eine Probezeit ohne Überwachung in der Dauer des Höchstmaßes der in diesem Fall zulässigen Freiheitsstrafe. Diese endet, falls die unter sentence suspended entlassene Person nicht neuerdings wegen einer Straftat vor den Richter gebracht wird, mit dem Ablauf der in dem betreffenden Strafgesetzesparagraphen festgesetzten Zeit. Dies nennt man on parole stellen, d. h. die jugendliche Person ist schuldig befunden worden, soll aber nicht sofort bestraft werden. Sie muß nun in der Regel wöchentlich dem probation officer Bericht abstatten, der dem Gericht nach Ablauf eines Monates vorgelegt wird; die parole wird dann verlängert oder wenn der Bericht zwar günstig, aber doch nicht so lautet, daß das Gericht die Überwachung aufzuheben beschließt, in probation für die Dauer eines ganzen Jahres umgewandelt. Die wichtigste Neuerung im probation system ist die Aussetzung des Strafvollzugs statt der Aussetzung der Urteilsfällung. Natürlich können sowohl Frauen wie Männer probation officers werden.
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Zum Schluß sei noch der norwegische „Vaergeraad“ erwähnt, der uns ebenfalls als Vorbild für Jugendgerichte dienen könnte. Ihm gehören Frauen als gleichberechtigte Mitglieder an. Neben diesen Frauen enthält der Vormundschaftsrat auch noch einen Prediger, einen Arzt und zwei Gemeindemitglieder, die außer dem Richter vom Gemeinderat gewählt werden. Dieser Gerichtshof hat aber weder ein (46) Schuld-Urteil zu fällen noch einen Freispruch auszusprechen, er hat sich vorwiegend mit Erziehungsmaßnahmen zu befassen. Wie aus Vorhergehendem ersichtlich, ist die Frage des Strafvollzugs von allen Staaten nach ihrer großen Wichtigkeit erkannt worden; deshalb heißt es nun auch für die deutschen Frauen, sämtliche Systeme kennen lernen und dann mit aller Energie für das beste eintreten.
Die Frauenbewegung 1895/96 – Rechtskämpfe um das BGB im Spiegel der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ Kommentar: „Dies Blatt steht allen Richtungen offen.“ Mit diesem Satz wurde die 1895 gegründete, von Minna Cauer und Lily v. Gizycki (Lily Braun) herausgegebene Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ überschrieben. Nach dem Selbstverständnis der Herausgeberinnen sollte mit der neuen Zeitschrift ein Forum geschaffen werden, in dem alle sonst getrennt agierenden und sich distanziert gegenüberstehenden Gruppen der Frauenbewegung das Wort ergreifen konnten: proletarische und bürgerliche Frauen, radikale Feministinnen und vorsichtige Gemäßigte. Tatsächlich melden sich in der „Frauenbewegung“ vor allem (aber nicht ausschließlich) Vertreterinnen des linken Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung zu Wort, welcher in den Rechtskämpfen um das BGB freilich eine führende Rolle einnimmt. Schon mit ihrer Gründung wird die „Frauenbewegung“ zum wichtigsten rechtspolitischen Publikationsmittel der Frauenseite und bleibt dies auch während der Auseinandersetzungen um das BGB. Neben inhaltlichen Stellungnahmen und Änderungsvorschlägen zur Gesetzgebung wird in einer Rubrik „Aus dem Reichstag“ über den Verlauf der Reichstagsberatungen berichtet. Weiterhin wird über die wichtigsten Versammlungen und Demonstrationen, über Inhalt und Schicksal der von Frauenseite eingereichten Petitionen sowie neue Entwicklungen zur Rechtsstellung der Frau im Ausland berichtet. Vorliegend stellt „Die Frauenbewegung“ eine zentrale Fundstelle dar, weil hier aus erster Hand über die Frauenrechtskämpfe berichtet wird – die wohl wichtigste Quelle für die entscheidenden Jahre 1895/96. Im folgenden kommen – neben den mit Autorennamen ausgewiesenenen Artikeln – auch einige anonyme Stimmen zu Wort. Zunächst wird aus der sozialistischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ ein von Clara Zetkin und Ottilie Gerndt unterzeichneter Antrag an den SPD-Parteitag wiedergegeben (Nr. 16). In diesem wird die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter verlangt. Die Reichstagsfraktion der SPD soll beauftragt werden, bei den bevorstehenden Beratungen über den BGB-Entwurf für die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie die Rechte nichtehelicher Mütter und Kinder einzutreten. Die Redaktion der Frauenbewegung kommentiert dies wie folgt: „Es ist zweifellos, daß der Antrag zur Annahme gelangen wird. Die Arbeiterinnen sind in der glücklichen Lage, eine Partei hinter sich zu haben, die für ihre Forderungen eintritt. Sie brauchen dem Reichstag keine Petitionen vorzulegen, da ihre Partei stets ihre Wünsche zu den ihren gemacht hat.“ Viele der Forderungen seien durchaus keine speziell sozialdemokratischen, doch es sei zweifelhaft, ob nur eine davon die geschlossene Unterstützung der liberalen Parteien finden werde.
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Im Artikel „Das Recht der Frau“ (Nr. 17) wird über eine Massenkundgebung („Volksversammlung“) am 16.2.1896 berichtet und betont, daß dies ein für die bürgerlichen (wohl im Gegensatz zu den sozialistischen) Frauen seltenes und neues Kampfmittel ist. Solche Kundgebungen müßten nun häufiger stattfinden, denn die bisherige „stille Vereinsarbeit“ reiche nicht aus. Minna Cauer ist Vorsitzende der Versammlung. Erste Hauptrednerin ist Marie Stritt, die in einem Vortrag „Die Stellung der Frau im Entwurf zum bürgerlichen Gesetzbuche“ auf das Familienrecht eingeht. Als nächste spricht „in meisterhafter Rede mit klangvollem Organ, dem man so gern lauscht“ (S. 49), Anita Augspurg, welcher „die Aufgabe zuerteilt [ist], vom juristischen Standpunkt aus den Entwurf zu beleuchten“. Hier wird deutlich, welche wichtige Rolle Augspurg und Stritt als Rednerinnen zukommt. Beide sind ehemalige Bühnenschauspielerinnen und verfügen über professionell ausgebildete Stimmen. Sie sind auf Massenkundgebungen die Stimmen der Frauenbewegung überhaupt, was angesichts des Mangels an Technik und der Beschränkung auf die natürliche Stimme besonderer Hervorhebung bedarf. Nach der anschließenden Diskussion, wo zu Unterschriften für eine Protestpetition aufgerufen wird, fordert Minna Cauer die Teilnehmerinnen gezielt auf, Bullings soeben erschienene Schrift „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ (Nr. 7) zu erwerben. – Bulling wird hier nicht nur als Verbündeter, sondern geradezu als Teil der Frauenbewegung betrachtet. In der Artikelfolge „Zum bürgerlichen Gesetzbuch“ (Nrn. 18-20) wird über verschiedene Vorgänge betreffend das BGB-Familienrecht berichtet. Die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine bittet den Reichstag am 16.6.1896, die Beratung des Familienrechts aufzuschieben. Der Dresdner Rechtsschutzverein für Frauen und die Münchener Frauenbewegung reichen beim Reichstag Protestnoten ein. Auch nach der zweiten Lesung des BGB wird die Agitation fortgesetzt und es werden weiter Unterschriften für Protestpetitionen der Frauen gesammelt. Die Organisation der Berliner Petition erfolgt durch Minna Cauer und Hanna Bieber-Böhm. Den Höhepunkt der Rechtskämpfe, vielleicht sogar der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung im Kaiserreich, bildet die Großversammlung in Berlin am 29.6.1896 (Nr. 21), kurz nach der Debatte im Reichstag über viele für die Frauenbewegung entscheidenden Teile des Familienrechts (25.-27.6.1896). Die Protestversammlung findet in der Öffentlichkeit deutlichen Widerhall: „Die große politische Tagespresse von nah und fern bis ins Ausland hinein, hat eingehende Berichte gebracht, die den Lesern dieses Blattes bekannt sein dürften“ (S. 137). Die „Frauenbewegung“ berichtet aus ihrer eigenen Warte und unter detaillierter Nennung der Namen beteiligter Frauen über die Kundgebung. Einen Höhepunkt bilden hier wiederum die Ansprachen der beiden ausgebildeten Rednerinnen Augspurg und Stritt: „Die beiden letzten Rednerinnen, Frl. Anita Augspurg (cand. jur.) und Frau Marie Stritt-Dresden, vollendeten dann den Gesamteindruck dieser denkwürdigen Versammlung. Scharf, klar, dann und wann sarkastisch, aber immer voll Überzeugungskraft, ja zuweilen mit fast hinreißender Glut traten beide Frauen für das Recht ihres Geschlechts ein und Frl. Augspurg’s Ruf, der nächste Reichstag wird ein anderes Aussehen haben als der jetzige und das neue Gesetz wird vielfach durchlöchert sein, ehe es in Kraft tritt‘ sowie Frau Stritt’s Aussprüche ,noch eine solche Niederlage und wir haben gesiegt‘ riefen stürmischen Beifall hervor.“ (S. 137).
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Die Stellung der sozialdemokratischen Frauen gegenüber dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, 1895
In: Die Frauenbewegung 1895, S. 126
Die Stellung der sozialdemokratischen Frauen gegenüber dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches. Dem am 6. Oktober in Breslau zusammenkommenden Parteitag der deutschen Sozialdemokratie wird folgender Antrag zugehen, den wir der letzten Nummer der „Gleichheit“ entnehmen: „Die Unterzeichneten beantragen, der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie wolle beschließen: In Erwägung: daß zwar die volle Befreiung der großen Masse der Frauenwelt nur in der sozialdemokratischen Gesellschaft verwirklicht werden kann, daß aber die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter schon innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft möglich und durch die wirtschaftliche Entwickelung vorbereitet nicht bloß eine Forderung der Gerechtigkeit und Billigkeit, sondern der wirtschaftlichen Notwendigkeit für Millionen von Frauen ist; in weiterer Erwägung: daß diese Gleichstellung der Geschlechter die proletarischen Frauen auf ein höheres soziales Niveau hebt, ihnen größere Bewegungsfreiheit verleiht, damit aber eine größere Wehr- und Kampfestüchtigkeit gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft; und in endlicher Erwägung: daß in Deutschland die bürgerlichen Parteien der sogenannten „Frauenfrage“ verständnislos gegenüber stehen und durch ihre Vertreter im Reichstage bei allen diesbezüglichen Verhandlungen gezeigt haben, daß sie die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter nicht wollen, während die sozialdemokratische Partei ihrem Programm gemäß und entsprechend den Beschlüssen des internationalen Sozialistenkongresses zu Brüssel verpflichtet ist, rückhaltlos für die volle rechtliche Gleichstellung der Geschlechter einzutreten: beauftragt der sozialdemokratische Parteitag zu Breslau die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, bei den bevorstehenden Beratungen über den Entwurf eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches mit aller Energie die Initiative zu ergreifen für die Beseitigung aller gesetzlichen Bestimmungen, welche die Frau dem Mann gegenüber benachteiligen. Die Unterzeichneten beantragen, der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie wolle beschließen: In Erwägung: daß die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Stellung der unehelichen Kinder und die Pflichten der Väter ihnen und ihren Müttern gegenüber den Charakter der Klassengesetzgebung tragen;
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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in Erwägung: daß Tausende von Proletarierinnen und ihre Kinder durch diesen Stand der Dinge schwer geschädigt und dem tiefsten sozialen Elend preisgegeben werden: beauftragt der sozialdemokratische Parteitag die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, bei den bevorstehenden Beratungen über den Entwurf eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches mit aller Energie einzutreten für die Rechte der unverheirateten Frauen als Mütter, sowie für die Rechte ihrer Kinder. Ottilie Gerndt, Berlin, Vertrauensperson. Clara Zetkin, Stuttgart, Redakteurin der „Gleichheit“. Es ist zweifellos, daß der Antrag zur Annahme gelangen wird. Die Arbeiterinnen sind in der glücklichen Lage, eine Partei hinter sich zu haben, die für ihre Forderungen eintritt. Sie brauchen dem Reichstag keine Petitionen vorzulegen, da ihre Partei stets ihre Wünsche zu den ihren gemacht hat. Forderungen, wie diejenigen, welche sich gegen die die Frauen betreffenden Paragraphen des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuches richten, oder solche, welche die Vereins- und Versammlungsfreiheit der Frauen betreffen, sind durchaus keine speziell sozialdemokratischen. Es sind Forderungen, welche den Prinzipien des Liberalismus entsprechen. Wird auch nur eine dieser Forderungen die geschlossene Unterstützung der liberalen Parteien finden?
17.
Das Recht der Frau, 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 48-50
Das Recht der Frau. (48) Frau Schulrat Cauer und Frau Hanna Bieber-Böhm hatten am Sonntag, den 16. Februar, mittags 12 Uhr, eine Volksversammlung nach dem Konzerthause, Leipzigerstraße 48, einberufen. Es ist selten, daß bürgerliche Frauen Volksversammlungen abhalten; der Frauensache könnte es nur nützen, wenn allgemeine Kundgebungen solcher Art häufig stattfänden. Die stille Vereinsthätigkeit, für Viele „das Glück im Winkel“, thut’s wahrlich nicht allein. Gerade diese Versammlung lieferte den Beweis, wie groß das Interesse für die Frauensache ist, wie lebendigen Anteil Männer und Frauen an der Bewegung nehmen, und wie notwendig jetzt ein Heraustreten der Frau aus dem oftmals sehr verborgenen Vereinsleben wird, und wie wichtig eine öffentliche Besprechung derjenigen Dinge ist, welche die Frauenwelt nicht allein, sondern das ganze Volk betreffen. Der Saal war gefüllt; zahlreiche Männer waren anwesend, eine nicht allzu häufige Erscheinung in den Versammlungen, wo Frauenangelegenheiten besprochen werden. Eine helle Wintersonne erleuchtete freundlich den sonst leicht so düsteren Saal. Bekannte Frauengestalten tauchten überall auf, freundliche und herzliche Begrüßungen hin und her, man fühlte, wie eine gemeinsame Sache Herz und Geist dieser Frauen erfüllte. An den Thüren wurden Schriften ausgeteilt, auf den Tischen lagen die Protesterklärungen der Münchener Frauen, welche eifrig gelesen wurden.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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in Erwägung: daß Tausende von Proletarierinnen und ihre Kinder durch diesen Stand der Dinge schwer geschädigt und dem tiefsten sozialen Elend preisgegeben werden: beauftragt der sozialdemokratische Parteitag die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, bei den bevorstehenden Beratungen über den Entwurf eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches mit aller Energie einzutreten für die Rechte der unverheirateten Frauen als Mütter, sowie für die Rechte ihrer Kinder. Ottilie Gerndt, Berlin, Vertrauensperson. Clara Zetkin, Stuttgart, Redakteurin der „Gleichheit“. Es ist zweifellos, daß der Antrag zur Annahme gelangen wird. Die Arbeiterinnen sind in der glücklichen Lage, eine Partei hinter sich zu haben, die für ihre Forderungen eintritt. Sie brauchen dem Reichstag keine Petitionen vorzulegen, da ihre Partei stets ihre Wünsche zu den ihren gemacht hat. Forderungen, wie diejenigen, welche sich gegen die die Frauen betreffenden Paragraphen des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuches richten, oder solche, welche die Vereins- und Versammlungsfreiheit der Frauen betreffen, sind durchaus keine speziell sozialdemokratischen. Es sind Forderungen, welche den Prinzipien des Liberalismus entsprechen. Wird auch nur eine dieser Forderungen die geschlossene Unterstützung der liberalen Parteien finden?
17.
Das Recht der Frau, 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 48-50
Das Recht der Frau. (48) Frau Schulrat Cauer und Frau Hanna Bieber-Böhm hatten am Sonntag, den 16. Februar, mittags 12 Uhr, eine Volksversammlung nach dem Konzerthause, Leipzigerstraße 48, einberufen. Es ist selten, daß bürgerliche Frauen Volksversammlungen abhalten; der Frauensache könnte es nur nützen, wenn allgemeine Kundgebungen solcher Art häufig stattfänden. Die stille Vereinsthätigkeit, für Viele „das Glück im Winkel“, thut’s wahrlich nicht allein. Gerade diese Versammlung lieferte den Beweis, wie groß das Interesse für die Frauensache ist, wie lebendigen Anteil Männer und Frauen an der Bewegung nehmen, und wie notwendig jetzt ein Heraustreten der Frau aus dem oftmals sehr verborgenen Vereinsleben wird, und wie wichtig eine öffentliche Besprechung derjenigen Dinge ist, welche die Frauenwelt nicht allein, sondern das ganze Volk betreffen. Der Saal war gefüllt; zahlreiche Männer waren anwesend, eine nicht allzu häufige Erscheinung in den Versammlungen, wo Frauenangelegenheiten besprochen werden. Eine helle Wintersonne erleuchtete freundlich den sonst leicht so düsteren Saal. Bekannte Frauengestalten tauchten überall auf, freundliche und herzliche Begrüßungen hin und her, man fühlte, wie eine gemeinsame Sache Herz und Geist dieser Frauen erfüllte. An den Thüren wurden Schriften ausgeteilt, auf den Tischen lagen die Protesterklärungen der Münchener Frauen, welche eifrig gelesen wurden.
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Teil 1
Frau Schulrat Cauer übernahm den Vorsitz, Frau Stritt, die bekannte und beliebte Rednerin, erhielt das Wort zu ihrem Vortrage: „Die Stellung der Frau im Entwurf zum bürgerlichen Gesetzbuche.“ Frau Stritt war gebeten worden, die Frage vom menschlichen Standpunkt aus zu beleuchten. Sie wies zunächst darauf hin, daß sie lediglich den Standpunkt des Laien, also den Standpunkt der Frauen selbst, dem neuen Familienrecht gegenüber zu vertreten in der Lage sei, daß aber nach Ansicht der denkenden Frauen dieser Standpunkt gar nicht nachdrücklich genug betont werden könne angesichts eines Gesetzes, das, als Ergebnis höchster juristischer Weisheit, im Widerspruch mit den Bedürfnissen und Anschauungen unserer Zeit steht. Die Väter des Entwurfes seien freilich anderer Ansicht, allein Väter und Mütter seien ja im Urteil über ihre eigenen Kinder selten kompetent. Sie trat der Ansicht, daß der Entwurf dem Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes entspräche, im Namen der größeren Hälfte dieses Volkes entgegen. Das Rechtsbewußtsein der Frauen empöre sich sogar, und zwar so laut und vernehmlich dagegen, daß selbst der brutalste Hohn, das roheste Lachen des Cynismus ihre Stimmen nicht zu übertönen vermocht hätten. Die Verhandlungen im Reichstag hätten auch den erfreulichen Beweis erbracht, daß diese Stimmen überall einen kräftigen Widerhall gefunden hätten. Nun seien die Augen der Frauen in banger Sorge auf die Verhandlungen der Kommission gerichtet. Inzwischen aber dürften sie die Hände nicht müßig in den Schoß legen, sondern es sei mehr als je ihre Pflicht, ihr eigenes Geschlecht und die breiten Massen der Bevölkerung in Wort und Schrift über dies verhängnisvolle Familienrecht aufzuklären und zum Protest dagegen aufzurufen. Rednerin wies sodann auf die reichen Erfahrungen des Dresdener Rechtsschutzvereins hin, die darin gipfelten, daß die Gesetze, und daher auch Hilfe mit Rat und That den Frauen in allen Rechtsfällen zur Seite ständen, wo das Weib als solches keine gesetzliche Ausnahmestellung einnähme – daß aber da, wo es am meisten not thäte, in den unzähligen, trostlosen und bei weitem häufigsten Fällen, wo die Beziehungen der Geschlechter in und außer der Ehe, die (49) natürlichsten, unanfechtbarsten Rechte der Frau als Gattin und Mutter in Frage kommen, bei Verein selten raten und sozusagen niemals helfen könne, weil das Gesetz diese Rechte ignoriert oder verleugnet. Dies würde auch in Zukunft so bleiben, wenn der Entwurf wirklich Gesetzeskraft erlangen sollte. Wohl sei die Form dem weiblichen Geschlechte gegenüber durchweg eine höflichere geworden, der Geist aber sei der alte geblieben und lasse sich nach wie vor in die inhaltsschweren, alttestamentarischen Worte fassen: Er soll dein Herr sein! Rednerin wies dies u.a. nach an dem Abschnitt „Wirkungen der Ehe im allgemeinen“, der zwar den Paragraphen vom Gehorsam beseitigt und der Ehefrau volle Handlungsfähigkeit zuerkennt, dieselbe aber sogleich wieder aufhebt, indem der Ehemann jedes von der Frau abgeschlossene Rechtsgeschäft ohne weiteres annullieren kann, – ferner daran, daß die bisherige „väterliche Gewalt“ des Mannes zwar in eine „elterliche Gewalt“ umgetauft sei, aber nach wie vor ausschließlich dem Vater, und nur in Ausnahmsfällen der Mutter zustehen solle, – daß die Frauen bei Ausschließung von der Führung der Vormundschaft zwar nicht mehr mit Unmündigen, Geisteskranken und Verbrechern in einem Atem aufgezählt würden, aber – außer in einigen wenigen Fällen – genau wie Unmündige, Geisteskranke und Verbrecher nach wie vor von der Führung der Vormundschaft ausgeschlossen seien. Wer also hinter den schönen Worten „Handlungsfähigkeit
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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der Frau“, „Elterliche Gewalt“ u. s. w. etwas anderes suchen würde, als – schöne Worte, der betrüge sich selbst. (Beifall.) Eingehender behandelte Frau Stritt zwei andere Abschnitte: Das gesetzliche Güterrecht und die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder. Das erstere, welches dem Manne die ausschließliche Verwaltung und Nutznießung des eheweiblichen Vermögens überträgt, besiegele die ewige wirtschaftliche, daher auch soziale und moralische Abhängigkeit der Frau, sei gleichbedeutend mit ihrer völligen Rechtlosigkeit und die Quelle tiefster Demütigung und unsäglichsten Elends der verheirateten Frau. Der letztere Abschnitt, der alle Folgen eines begangenen Fehltritts dem minder schuldigen, schwächeren Teil, der Frau, sogar dem völlig unschuldigen Opfer männlichen Leichtsinns oder männlicher Gewissenlosigkeit dem Kinde aufbürde, und beide zu Parias der Gesellschaft stempele, den stärkeren, schuldigeren Teil, den Mann, dagegen so gut wie frei ausgehen lasse, sanktioniere nicht nur aufs neue die althergebrachte doppelte Moral, er spräche auch jeder Menschlichkeit Hohn. (Beifall.) Die Frauen protestierten dagegen, daß diese Maßnahmen, die angeblich zum Schutz der Ehe und der Familie oder gar – der Frauen dienen sollten, in Wahrheit aber nur den Mann und die Interessen des Mannes, den Starken vor den Schwachen schützten, dem Rechtsbewußtsein des deutschen Mannes entspräche, welches unmöglich auf einer so niedrigen Stufe stehen könne. Die Gesetzgebung habe freilich dafür gesorgt, und wolle ferner dafür sorgen, daß weder Mann noch Frau sich zu einer höheren ethischen Stufe, zu einem edleren freien Menschentum erheben könnten. Die absolute Machtstellung, die sie dem Manne in der Ehe einräume, müsse Willkür, Brutalität, Größenwahn einerseits, die völlige Abhängigkeit, in welche sie die Frau zwänge, Charakterlosigkeit, Feigheit, Hinterlist andererseits groß ziehen. Die Ehe, das innigste menschliche Band, sei dadurch und durch die erschwerte Ehescheidung zu einem drückenden Zwangsverhältnis für beide Teile geworden. (Lebhafter Beifall.) Man habe den Frauen bisher, und zwar erfolgreich, eingeredet, es sei unpassend und unweiblich, von den wichtigsten, ihr Geschlecht betreffenden Einrichtungen und Zuständen zu wissen oder gar zu sprechen. Angesichts des unsäglichen Jammers, des tiefsten Frauenelends und tiefster menschlicher Verworfenheit, welche durch diese Zustände heraufbeschworen seien, müßten aber selbst die gleichgültigsten, gedankenlosesten Frauen zur Erkenntnis gelangen, daß es heilige Pflicht sei, ihr gutes Frauenrecht dem einseitigen Männerrecht gegenüber, das solche Früchte zeitigen konnte, geltend zu machen. Es sei nicht unpassend und unweiblich, von der traurigen unwürdigen Lage des eigenen Geschlechtes zu wissen und sich dagegen zu empören, wohl aber unmenschlich und eine Schande, Augen und Ohren in feigem Egoismus davor zu verschließen und diese schlimmen Dinge totzuschweigen. (Beifall.) Solange die Frau von der Beteiligung am öffentlichen Leben, von der Gesetzgebung und Volksvertretung ausgeschlossen sei, könne sie nicht hoffen, daß der Mann ihrer Individualität jemals voll gerecht werden könne – die Gesetze, die er ihr vorschreibe, würden immer mehr zu seinen, als zu ihren Gunsten sein. Immerhin aber müsse man sich doch fragen, ob denn unter den Schöpfern des Gesetzentwurfes keine Väter gewesen seien, die in banger Sorge um das Schicksal ihrer Töchter in die Zukunft blickten, keine Brüder, denen das Gewissen schlug angesichts des Unrechts, das sie an ihren Schwestern begingen, keine Söhne, die in dankbarer Liebe und Ehrfurcht ihrer Mütter dachten, denen sie jede Lebensfreude,
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vielleicht auch ihre besten geistigen Gaben, aus denen sie ihr Leben aufbauten und auf die sie im Gefühl ihrer männlichen Superiorität jedenfalls sehr stolz seien, zu danken haben? Ob es keinem von ihnen eingefallen sei, daß es hier, neben der Aufgabe, ein nationales Recht zu schaffen, auch gälte, ein tausendjähriges nationales Unrecht wieder gut zu machen? Man habe dies Unrecht durch – Galanterie wieder gut machen wollen, die Frauen aber verlangten Gerechtigkeit. (Lebhafter Beifall.) Mit einem Hinweis auf die Bemerkung eines Abgeordneten über den „Frauenlandsturm“ und mit einem Appell an die deutschen Frauen, sich das im Hohn gebrauchte Wort als ernste Mahnung in’s Herz zu schreiben, und wenn die Männer ihre Pflicht vergäßen, wirklich einen „Landsturm“ aufzubieten für den heiligen Kampf der Frauen um ihr Recht, schloß die Rednerin ihre Ausführungen. (Stürmischer anhaltender Beifall.) Die Vorsitzende erteilte dann Frl. Anita Augspurg, cand. jur., das Wort zu ichrem Vortrage. Es war ihr die Aufgabe zuerteilt, vom juristischen Standpunkt aus den Entwurf zu beleuchten. In meisterhafter Rede mit klangvollem Organ, dem man so gern lauscht, entledigte sie sich dieser schwierigen Aufgabe, wie folgt: „Da uns Frauen die Stimme in der deutschen Volksvertretung noch versagt ist, appellieren wir ans deutsche Volk Namens der deutschen Frauen und der deutschen Kultur wegen der Schädigung, welche beide erfahren im Familienrechte des Entwurfs unseres Gesetzbuches. Rechtsgleichheit für alle ist der seit länger als 1 Jahrhundert in unserer Gesetzgebung anerkannte Grundsatz, auch die Frau muß dessen Anwendung auf sich fordern. Sie wird aber nach einem kurzen Genusse der Handlungsfähigkeit, welche ihr im Prinzipe zuerkannt ist, thatsächlich in den Stand der Nichthandlungsfähigkeit zurückgewiesen und unter dieser jesuitischversteckten Form wird die deutsche Rechtsentwickelung wieder um ihre mühsame Errungenschaft gebracht. Obwohl der Rechtssatz gilt, ein gesetzlich erworbener höherer Status kann nicht wieder verloren gehen außer durch Gebrechen oder Verschulden – so in Bezug auf Handlungsfähigkeit, Mündigkeit, Wechselfähigkeit, – und obwohl die Ehe kein Gebrechen ist, sondern die gesunde Norm und kein Verschulden, sondern eine sozial verdienstliche Handlung, so wird die Frau mit ihrer Eingehung vom Stande der Handlungsfähigkeit in den der Nichthandlungsfähigkeit zurückgestoßen. Der Mann kann annullieren und revozieren was sie kontrahiert hat, noch dazu ohne Kündigungsfrist. Wenn besonders das letztere nicht ein Schlag gegen allgemeinen Treu und Glauben ist, so ist Treu und Glauben nie gefährdet worden. (Zustimmung.) Wir fordern Durchführung der einmal angenommenen Rechtsauffassung im Civilrechte wie im Strafrechte. Wenn die Frau mit einer gefälschten Unterschrift das Recht auf Kerker und Zuchthaus erwirbt, soll ihre ehrliche Unterschrift auch civilrechtliche Konsequenzen haben. – Abgesehen von allen praktisch-ethischen Motiven verlangen die Frauen vollen (50) Zulaß zum Institute der Vormundschaft vom Gesichtspunkte der Logik und der vollen Durchführung eines aufkeimenden Rechtsgedankens. (Zustimmung.) – Wir fordern Gleichstellung der Frau in Bezug auf die elterliche Gewalt. Die väterliche Gewalt ist nicht, wie im Reichstage gesagt ist, dem Manne zugeteilt von Gottes Gnaden, er hat sie sich genommen von Faustrechts Gnaden. (Beifall.) Das alte deutsche Volksrecht hat keine väterliche Gewalt gekannt: die Mütter war Inhaberin der elterlichen Rechte, Ausüber derselben war ihr Mundwalt. Die physische Gewalt hat die väterliche Gewalt geschaffen
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und das ganze Familienrecht des Entwurfes ist noch ein direkter Ausfluß eben jenes Gewaltrechtes, obwohl es überall sonst in Recht und Gesetz zurückgedrängt und durch das Recht des Gedankens ersetzt ist. Wir fordern eigene Vermögensverwaltung für die Frau und erkennen in der Nutznießungs- und Verwaltungsbefugnis des Mannes an ihrem Vermögen eine Gefährdung des sittlichen Charakters der Ehe, insofern sie zu einem Erwerbsgeschäfte für den Mann gestempelt wird. Es muß ein ganz neues Güterrecht geschaffen werden, eine Kombination von gänzlicher Vermögens- und Verwaltungstrennung unter Lebenden, bei engstem gegenseitigem Erbrechte der Gatten. Muß denn immer eine Schablone zum abkopieren da sein? müssen wir immer nur bei anderen Völkern borgen? und wenn, warum denn stets im grauen Altertume? Die Römer, führten sie ihren Staat und ihr Recht noch fort, ständen gewiß nicht mehr aus dem Standpunkte ihres Dotalsystemes, und wir sollten wiederum das aufgreifen, was sie vor 1½ Jahrtausenden liegen ließen? Nehmen wir dann das englische, das österreichische ja selbst das türkische Gesetz, zum Muster unseres ehelichen Güterrechtes. Verwaltungstrennung schließt Nutzungsgemeinschaft der beiderseitigen Vermögen nicht aus, aber die Frau soll die Früchte ihres Vermögens zur selbständigen Verfügung haben und direkt daraus ihre Beisteuer zur Eheführung verwenden, sie soll nicht als die pekuniär Unmündige aus ihrem eigenen Vermögen Almosen empfangen. (Beifall.) Man hat im Reichstage gesagt, der Entwurf sei deutsch. Sein Familienrecht steht auf altgermanischer Basis, aber auch der deutsche Geist ist einer Fortentwickelung fähig. Es ist kein Ruhm, wenn ein Gesetz ausgesprochen nationalen Charakter trägt, es ist alsdann gewöhnlich weit entfernt auch ein Recht zu sein; je höher sich die Kultur hebt, je mehr beugt sich das Volk dem universalen Rechte, welches durch seine innere Logik für alle Nationen bindend ist. Das Familienrecht des Entwurfes ist nicht sittlich und sozial, wie man gepriesen hat, sondern unsittlich und antisozial: es legt der Frau Aufgabe von Persönlichkeitsrechten auf, die nur unter Aufgabe eines Teiles ihres sittlichen Wertes und Bewußtseins möglich ist und entsittlichend wirkt auf das Familienleben. Es hat geheißen, der Entwurf schütze den Schwächeren, sozial und physisch ist die Frau die Schwächere, sie wird aber nicht geschützt, sondern ausgebeutet. (Lebhafter Beifall.) Dem allgemeinen Frauenstandpunkte entspricht der Entwurf nicht. Wir protestieren gegen die Ansicht, als sei der allgemeine Frauenstandpunkt der Norm des Entwurfs entsprechend. Deutsche Frauen sind sozial-denkende und sozial-ringende Menschen, die Menschenrechte verlangen, weil sie Menschenpflichten erfüllen. Die Nationalehre wird heruntergesetzt durch die Aufstellung eines solchen Kulturmaßstabes, wie sie das projektierte Familienrecht dem Urteile anderer Völker bietet. Wir protestieren dagegen, daß der Entwickelungsstand der deutschen Frau das Recht zur Aufstellung solchen Maßstabes biete. Die Verfasser des Entwurfes sollen die deutschen Frauen kennen lernen, ehe sie ihre soziale Unreife zur Motivierung unbilliger Gesetze proklamieren und wenn sie unter banalen Späßen verweigern, sie kennen zu lernen, so mögen sie es vor ihrer Nation verantworten. Uns ist es eine Genugthuung, daß fast kein Volksvertreter im Reichstage, möge er einer
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Teil 1
Parteirichtung angehören, wie immer, unterlassen hat, auf die gänzliche Unzulänglichkeit des Entwurfes hinzuweisen, wir danken für diesen Beistand, welchen dadurch unser schwerer, heißer, sozialpolitischer Kampf findet, der von uns fast ohne jedes Kampfmittel mit dem Mute der Verzweiflung gekämpft wird, ebensosehr für die Kulturehre unseres Volkes, als für unser eigenes Recht. Wie die alten Germanenfrauen von der Wagenburg, verteidigen wir die Schätze des Volkes und feuern die Männer auf zum Kampf um ihre höchsten Güter. Wir können nicht selbst mitkämpfen dort, wo die Entscheidung fällt, aber wir wollen thun, was an uns ist, daß jene aus der Schlacht nicht heimkehren, es sei denn als Sieger!“ (Stürmischer Beifall.) Nach den in ihrer Art vollendeten Vorträgen der Rednerinnen herrschte eine geradezu erhabene, weihevolle Stimmung. Immer und immer wieder erschollen Beifallsrufe und die allgemeine Zustimmung kam in der von der Vorsitzenden eröffneten Diskussion darin zum Ausdruck, daß die ganze Versammlung einstimmig den an den Reichstag gerichteten Protest der Münchener Frauen, der schon 8000 Unterschriften trägt und wofür unausgesetzt neue einlaufen zur Resolution erhob. Die Vorsitzende wurde beauftragt, diese Kundgebung dem Reichstage mitzuteilen. Nach Schluß der Sitzung forderte die Vorsitzende die Versammlung auf, recht eifrig die Broschüren zu kaufen, welche an verschiedenen Tischen auslagen, besonders machte sie auf die soeben erschienene Schrift von Geheimrat Bulling aufmerksam „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ [Nr. 7]. – Herr Rechtsanwalt Bieber forderte dann mit warmen Worten die Versammlung auf, den Streik der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Konfektion durch Beiträge zu unterstützen, worauf allgemeine Zustimmung erfolgte und willig gegeben wurde.
18.
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (I), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 128
Zum bürgerlichen Gesetzbuch. (128) Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine richtete am 16. Juni 1896 an den Reichstag noch folgende Bitte: In Anbetracht der Wichtigkeit der Materie und der Unmöglichkeit, dieselbe in einigen Wochen einer gründlichen Prüfung unterziehen zu können, bitten wir einen hohen Reichstag im Namen aller denkenden deutschen Frauen, die Beratung des 4. Buches des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches (Familienrecht) bis zur Tagung des Reichstags im Herbst d. J. zurückstellen zu wollen. Wir können nicht annehmen, daß die Vertreter des deutschen Volkes die deutschen Frauen fernerhin als minderwertige Angehörige einer großen Nation durch das Gesetz kennzeichnen zu wollen. Das deutsche Volk würde durch Annahme dieses Familienrechts vielen anderen Kulturvölkern nachstehen, welche ihren Frauen einen würdigen Platz im Rechte eingeräumt haben. Wir erwarten daher von einem hohen Reichstag, daß er dieser unserer Bitte um Zurückhaltung des Familienrechts bis zum Herbst d. J. Beachtung schenken
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Teil 1
Parteirichtung angehören, wie immer, unterlassen hat, auf die gänzliche Unzulänglichkeit des Entwurfes hinzuweisen, wir danken für diesen Beistand, welchen dadurch unser schwerer, heißer, sozialpolitischer Kampf findet, der von uns fast ohne jedes Kampfmittel mit dem Mute der Verzweiflung gekämpft wird, ebensosehr für die Kulturehre unseres Volkes, als für unser eigenes Recht. Wie die alten Germanenfrauen von der Wagenburg, verteidigen wir die Schätze des Volkes und feuern die Männer auf zum Kampf um ihre höchsten Güter. Wir können nicht selbst mitkämpfen dort, wo die Entscheidung fällt, aber wir wollen thun, was an uns ist, daß jene aus der Schlacht nicht heimkehren, es sei denn als Sieger!“ (Stürmischer Beifall.) Nach den in ihrer Art vollendeten Vorträgen der Rednerinnen herrschte eine geradezu erhabene, weihevolle Stimmung. Immer und immer wieder erschollen Beifallsrufe und die allgemeine Zustimmung kam in der von der Vorsitzenden eröffneten Diskussion darin zum Ausdruck, daß die ganze Versammlung einstimmig den an den Reichstag gerichteten Protest der Münchener Frauen, der schon 8000 Unterschriften trägt und wofür unausgesetzt neue einlaufen zur Resolution erhob. Die Vorsitzende wurde beauftragt, diese Kundgebung dem Reichstage mitzuteilen. Nach Schluß der Sitzung forderte die Vorsitzende die Versammlung auf, recht eifrig die Broschüren zu kaufen, welche an verschiedenen Tischen auslagen, besonders machte sie auf die soeben erschienene Schrift von Geheimrat Bulling aufmerksam „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ [Nr. 7]. – Herr Rechtsanwalt Bieber forderte dann mit warmen Worten die Versammlung auf, den Streik der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Konfektion durch Beiträge zu unterstützen, worauf allgemeine Zustimmung erfolgte und willig gegeben wurde.
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Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (I), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 128
Zum bürgerlichen Gesetzbuch. (128) Die Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine richtete am 16. Juni 1896 an den Reichstag noch folgende Bitte: In Anbetracht der Wichtigkeit der Materie und der Unmöglichkeit, dieselbe in einigen Wochen einer gründlichen Prüfung unterziehen zu können, bitten wir einen hohen Reichstag im Namen aller denkenden deutschen Frauen, die Beratung des 4. Buches des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches (Familienrecht) bis zur Tagung des Reichstags im Herbst d. J. zurückstellen zu wollen. Wir können nicht annehmen, daß die Vertreter des deutschen Volkes die deutschen Frauen fernerhin als minderwertige Angehörige einer großen Nation durch das Gesetz kennzeichnen zu wollen. Das deutsche Volk würde durch Annahme dieses Familienrechts vielen anderen Kulturvölkern nachstehen, welche ihren Frauen einen würdigen Platz im Rechte eingeräumt haben. Wir erwarten daher von einem hohen Reichstag, daß er dieser unserer Bitte um Zurückhaltung des Familienrechts bis zum Herbst d. J. Beachtung schenken
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werde. Ferner wurde an den Reichskanzler, den Prinzen Hohenlohe, ein Schreiben gerichtet, mit folgendem Inhalt: „Ew. Durchlaucht erlauben sich die Unterzeichneten folgende Bitte auszusprechen. Es verlautet, dass der Reichstag noch in dieser Session, den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Verabschiedung bringen will. Diese Absicht läßt sich nur durchführen, wenn alle auch noch so wohlbegründeten Wünsche auf Aenderung einzelner der vorgeschlagenen Bestimmungen zurückgestellt werden. Uns liegt vor allen Dingen am Herzen, daß im Familienrecht die Stellung der Frau ihren gerechten Ansprüchen gemäß gestattet wird. Wir haben diese unsere Ansichten in wiederholten Eingaben und Petitionen zum Ausdruck gebracht. Wir glauben mit Recht erwarten zu dürfen, daß man unsere Forderungen wenigstens in Ruhe prüft und erwägt. Um die hierzu nötige Zeit zu gewinnen, erscheint uns eine Vertagung auf den Herbst durchaus erforderlich. Unsere Bitte an Ew. Durchlaucht geht nun dahin, Ew. Durchlaucht wolle ihren Einfluß aufwenden, um den Reichstag zu veranlassen, die Beratung des IV. Buches des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches bis zum Herbst zu vertagen. Der Dresdner Rechtsschutzverein für Frauen hat der Reichstags-Kommission zur Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches nachstehenden Protest zugehen lassen: Nachdem die Kommission des hohen Reichstages das Familienrecht im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich nach der erfolgten ersten Lesung in fast unveränderter Fassung angenommen hat, obgleich die so zahlreich eingelaufenen Petitionen, nicht bloß der deutschen Frauen, sondern auch bedeutender Männer, bewiesen haben müßten, wie groß in allen Zeiten unseres Vaterlandes der Wunsch nach einer zeitgemäßeren Gesetzgebung vorhanden ist, sieht sich auch der Dresdner Rechtsschutzverein für Frauen gedrängt, dem Gefühl seiner großen Enttäuschung hierüber Ausdruck zu geben. Im Namen der deutschen Frauenwelt protestiert derselbe gegen die Nichtbeachtung der berechtigten Forderungen, die darin gipfeln der deutschen Frau die ihr gebührende Stellung in der Familie nicht nach den Grundsätzen veralteter Rechtsbegriffe, sondern im Sinne moderner Anschauung und moderner Verhältnisse gesichert zu sehen. Die jetzt bestehenden und im Entwurf fast unverändert angenommenen güterrechtlichen Bestimmungen, ferner die Erschwerung resp. Unmöglichkeit der Ehescheidung auf Grund von Geisteskrankheit des einen Teils, sowie der Beschränkung der höchsten und natürlichsten Rechte der Frau als Mutter, bilden die unversiegbare Quelle der schweren sittlichen und wirtschaftlichen Mißstände, unter denen unser Geschlecht bisher gelitten hat und fortdauernd leiden soll. Wir appellieren nochmals an den Gerechtigkeitssinn der deutschen Volksvertretung, die nicht nur unsere Pflichten zu bestimmen, sondern auch unsere Rechte zu wahren hat, indem wir uns gleichzeitig der Hoffnung hingeben, daß noch in letzter Stunde der Geist unserer Zeit über den römischen Rechtsbegriff den Sieg erringen wird. Die Münchner Frauenbewegung hat folgende Zuschrift an den Reichstag in Berlin gerichtet: Deutsche Frauen wiederholen zur zweiten Lesung ihrer früher aufgestellten Beschwerden gegen das Familienrecht des bürgerlichen Gesetzentwurfs, da diese durch die Kommissionsarbeiten, abgesehen von geringen, dankbar anerkannten Zugeständnissen, nicht gehoben sind. Insbesondere empfehlen sie für die wesentlichen Punkte „Antrag Pauli“ nochmaliger wohlwollender Erwägung des hohen Hauses.
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Teil 1
Sie unterstützen die Anträge auf Vertagung, damit die Volksvertreter Zeit gewinnen, besser orientiert zu sein, als sie es augenscheinlich sind, über die Tragweite der Bewegung zur Hebung der Rechtsstellung der Frauen. Die deutschen Frauen sind entschlossen, sich ihr Recht im Gesetze ihres Vaterlandes zu erringen. Die gesetzgebende Körperschaft steht vor der Alternative, mit diesem Entschlusse zu rechnen, oder ihr Gesetz binnen kurzem der Zeitströmung erliegen zu sehen. Man zwinge die deutschen Frauen nicht, an der Möglichkeit gerechter Vertretung ihrer Interessen unter den heutigen verfassungsmäßigen Verhältnissen zu verzweifeln und die einzige Aussicht auf gebührende Beachtung derselben in eingreifenden Veränderungen zu suchen, deren Erstrebung den gemäßigten Frauenkreisen bisher fern gelegen hat.
19.
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (II), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 138
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Im Laufe von nur zwei Wochen sind schon bereits wiederum 20 000 Unterschriften dem Reichstag gegen die Beschlüsse der zweiten Lesung eingereicht worden. Der frühere § 1552 jetzt 1569 hinsichtlich der Ehescheidung bei unheilbarem Wahnsinn lautet nach der dritten Lesung: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist.“ Die Sammlung für Unterschriften zu dem Protest der Frauen gegen einzelne Bestimmungen im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch soll ununterbrochen fortgesetzt werden. Die Resolution muß nach der dritten Lesung eine Veränderung erfahren. Der Neudruck wird in kurzer Zeit fertig sein und wir bitten unsere Leser und Leserinnen, in eifrigster Weise Unterschriften zu sammeln. Zur Versendung der Listen sind folgende Centralstellen: Berlin, Frau Schulrat Cauer, W., Nettelbeckstraße 21 und Frau Bieber-Böhm, C., Kaiser-Wilhelmstraße 39.
20.
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (III), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 146
Zum bürgerlichen Gesetzbuch. Es hat sich herausgestellt, daß eine neue Fassung der Petition notwendig ist, welche zur Grundlage für die weitere Agitation dienen soll. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß die Agitation jetzt nichts mehr nützen könne, im Gegenteil, sie muß energischer, konsequenter und systematischer denn je zuvor betrieben werden. – Erst im Jahre 1900 tritt das Gesetzbuch in Kraft; eine Petition mit tausend und tausenden von Unterschriften allein kann die Wirkung hervorrufen, die betreffenden Paragraphen zu ändern. Fast täglich laufen Anfragen
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Sie unterstützen die Anträge auf Vertagung, damit die Volksvertreter Zeit gewinnen, besser orientiert zu sein, als sie es augenscheinlich sind, über die Tragweite der Bewegung zur Hebung der Rechtsstellung der Frauen. Die deutschen Frauen sind entschlossen, sich ihr Recht im Gesetze ihres Vaterlandes zu erringen. Die gesetzgebende Körperschaft steht vor der Alternative, mit diesem Entschlusse zu rechnen, oder ihr Gesetz binnen kurzem der Zeitströmung erliegen zu sehen. Man zwinge die deutschen Frauen nicht, an der Möglichkeit gerechter Vertretung ihrer Interessen unter den heutigen verfassungsmäßigen Verhältnissen zu verzweifeln und die einzige Aussicht auf gebührende Beachtung derselben in eingreifenden Veränderungen zu suchen, deren Erstrebung den gemäßigten Frauenkreisen bisher fern gelegen hat.
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Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (II), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 138
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Im Laufe von nur zwei Wochen sind schon bereits wiederum 20 000 Unterschriften dem Reichstag gegen die Beschlüsse der zweiten Lesung eingereicht worden. Der frühere § 1552 jetzt 1569 hinsichtlich der Ehescheidung bei unheilbarem Wahnsinn lautet nach der dritten Lesung: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist.“ Die Sammlung für Unterschriften zu dem Protest der Frauen gegen einzelne Bestimmungen im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch soll ununterbrochen fortgesetzt werden. Die Resolution muß nach der dritten Lesung eine Veränderung erfahren. Der Neudruck wird in kurzer Zeit fertig sein und wir bitten unsere Leser und Leserinnen, in eifrigster Weise Unterschriften zu sammeln. Zur Versendung der Listen sind folgende Centralstellen: Berlin, Frau Schulrat Cauer, W., Nettelbeckstraße 21 und Frau Bieber-Böhm, C., Kaiser-Wilhelmstraße 39.
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Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (III), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 146
Zum bürgerlichen Gesetzbuch. Es hat sich herausgestellt, daß eine neue Fassung der Petition notwendig ist, welche zur Grundlage für die weitere Agitation dienen soll. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß die Agitation jetzt nichts mehr nützen könne, im Gegenteil, sie muß energischer, konsequenter und systematischer denn je zuvor betrieben werden. – Erst im Jahre 1900 tritt das Gesetzbuch in Kraft; eine Petition mit tausend und tausenden von Unterschriften allein kann die Wirkung hervorrufen, die betreffenden Paragraphen zu ändern. Fast täglich laufen Anfragen
366
Teil 1
Sie unterstützen die Anträge auf Vertagung, damit die Volksvertreter Zeit gewinnen, besser orientiert zu sein, als sie es augenscheinlich sind, über die Tragweite der Bewegung zur Hebung der Rechtsstellung der Frauen. Die deutschen Frauen sind entschlossen, sich ihr Recht im Gesetze ihres Vaterlandes zu erringen. Die gesetzgebende Körperschaft steht vor der Alternative, mit diesem Entschlusse zu rechnen, oder ihr Gesetz binnen kurzem der Zeitströmung erliegen zu sehen. Man zwinge die deutschen Frauen nicht, an der Möglichkeit gerechter Vertretung ihrer Interessen unter den heutigen verfassungsmäßigen Verhältnissen zu verzweifeln und die einzige Aussicht auf gebührende Beachtung derselben in eingreifenden Veränderungen zu suchen, deren Erstrebung den gemäßigten Frauenkreisen bisher fern gelegen hat.
19.
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (II), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 138
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Im Laufe von nur zwei Wochen sind schon bereits wiederum 20 000 Unterschriften dem Reichstag gegen die Beschlüsse der zweiten Lesung eingereicht worden. Der frühere § 1552 jetzt 1569 hinsichtlich der Ehescheidung bei unheilbarem Wahnsinn lautet nach der dritten Lesung: „Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist.“ Die Sammlung für Unterschriften zu dem Protest der Frauen gegen einzelne Bestimmungen im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch soll ununterbrochen fortgesetzt werden. Die Resolution muß nach der dritten Lesung eine Veränderung erfahren. Der Neudruck wird in kurzer Zeit fertig sein und wir bitten unsere Leser und Leserinnen, in eifrigster Weise Unterschriften zu sammeln. Zur Versendung der Listen sind folgende Centralstellen: Berlin, Frau Schulrat Cauer, W., Nettelbeckstraße 21 und Frau Bieber-Böhm, C., Kaiser-Wilhelmstraße 39.
20.
Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (III), 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 146
Zum bürgerlichen Gesetzbuch. Es hat sich herausgestellt, daß eine neue Fassung der Petition notwendig ist, welche zur Grundlage für die weitere Agitation dienen soll. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß die Agitation jetzt nichts mehr nützen könne, im Gegenteil, sie muß energischer, konsequenter und systematischer denn je zuvor betrieben werden. – Erst im Jahre 1900 tritt das Gesetzbuch in Kraft; eine Petition mit tausend und tausenden von Unterschriften allein kann die Wirkung hervorrufen, die betreffenden Paragraphen zu ändern. Fast täglich laufen Anfragen
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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ein, ob weitere Sammlungen wünschenswert sind, ob auch Männer unterschreiben dürfen, und in welcher Weise man die Sache besonders fördern kann. Sobald die neue Petition fertiggestellt ist, werden die Sammelbogen versandt. Frauen, Mädchen und Männer dürfen unterschreiben. Die Centralstellen sind in Berlin: Frau Minna Cauer, W., Nettelbeckstraße 21, und Frau Bieber-Böhm, C., Kaiser-Willhelmstraße 39. Die Agitation kann besonders durch Versammlungen betrieben werden. In jeder Provinz sollte sich eine Centralstelle bilden, von wo aus die Einberufung von Versammlungen wirksam geleitet werden könnte, besonders auch dadurch, daß man ein und dieselbe Rednerin in einer Anzahl benachbarter Städte nach einander sprechen läßt. Zeit, Geld und Kraft würden durch solche eine Organisation gespart werden. – Einige Blätter, besonders konservativer Richtung, bringen jetzt Artikel, daß die Frauenwelt Deutschlands mit den Errungenschaften im bürgerlichen Gesetzbuch sehr wohl zufrieden sein könne und Dankbarkeit empfinden müsse, anstatt laute Opposition zu machen. Ob die deutsche Frau sich zufrieden fühlen kann, wenn sie als Unmündige gilt, sobald sie eine Ehe eingeht, hängt doch wohl von der deutschen Frau selbst ab und nicht von einigen konservativen Meinungen; daß sie dankbare Empfindungen hegen soll, wenn man ein Gesetzbuch schafft, wo die Kulturauffassung von der Frau eine der Vergangenheit entsprechende ist, das ist allerdings viel verlangt. Es handelt sich hier um eine Prinzipienfrage, nicht um kleine Zugeständnisse. Das Gesetzbuch liegt jetzt gedruckt vor. Es sollte eifrigst von der Frauenwelt studiert werden. Vielleicht lernt die deutsche Frauenwelt daraus, wie hoch oder wie niedrig man sie als Bürgerin des Staates schätzt.
21.
Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 136-138
Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896.
(136) Wieder galt es das Recht der Frau in der am 29. Juni zusammenberufenen Volksversammlung zu Berlin. Am 16. Februar dieses Jahres hatte dieses Thema schon einmal einen Saal an einem Sonntag Vormittag gefüllt. Frauen und Männer waren damals mit spannender Aufmerksamkeit den Ausführungen von Frau Stritt aus Dresden und Anita Augspurg cand. jur. aus München gefolgt.32 Wie verschieden aber die Stimmung vom Winter und jetzt! Damals war man inmitten voller Schaffenslust und auch froher Hoffnung, die deutschen Volksvertreter würden gerechter denken und zeitgemäßer handeln als die Juristen vom grünen Tisch aus es gethan hatten. Jetzt stand man einer vollendeten Thatsache gegenüber: die zweite meist maßgebende Lesung des bürgerlichen Gesetzbuches hatte den Frauen, wenigsten den Verheirateten nichts, gar nichts gebracht, sondern ihnen noch genommen. Die Beratungen im Reichstage hatten den deutschen Frauen den Beweis geliefert, daß sie nicht als Bürgerinnen des Staates gelten, ausgenommen im Strafgesetzbuch und als Steuerzahlende. 32
Siehe Nr. 5 v. 1. März d. J. [Nr. 17].
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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ein, ob weitere Sammlungen wünschenswert sind, ob auch Männer unterschreiben dürfen, und in welcher Weise man die Sache besonders fördern kann. Sobald die neue Petition fertiggestellt ist, werden die Sammelbogen versandt. Frauen, Mädchen und Männer dürfen unterschreiben. Die Centralstellen sind in Berlin: Frau Minna Cauer, W., Nettelbeckstraße 21, und Frau Bieber-Böhm, C., Kaiser-Willhelmstraße 39. Die Agitation kann besonders durch Versammlungen betrieben werden. In jeder Provinz sollte sich eine Centralstelle bilden, von wo aus die Einberufung von Versammlungen wirksam geleitet werden könnte, besonders auch dadurch, daß man ein und dieselbe Rednerin in einer Anzahl benachbarter Städte nach einander sprechen läßt. Zeit, Geld und Kraft würden durch solche eine Organisation gespart werden. – Einige Blätter, besonders konservativer Richtung, bringen jetzt Artikel, daß die Frauenwelt Deutschlands mit den Errungenschaften im bürgerlichen Gesetzbuch sehr wohl zufrieden sein könne und Dankbarkeit empfinden müsse, anstatt laute Opposition zu machen. Ob die deutsche Frau sich zufrieden fühlen kann, wenn sie als Unmündige gilt, sobald sie eine Ehe eingeht, hängt doch wohl von der deutschen Frau selbst ab und nicht von einigen konservativen Meinungen; daß sie dankbare Empfindungen hegen soll, wenn man ein Gesetzbuch schafft, wo die Kulturauffassung von der Frau eine der Vergangenheit entsprechende ist, das ist allerdings viel verlangt. Es handelt sich hier um eine Prinzipienfrage, nicht um kleine Zugeständnisse. Das Gesetzbuch liegt jetzt gedruckt vor. Es sollte eifrigst von der Frauenwelt studiert werden. Vielleicht lernt die deutsche Frauenwelt daraus, wie hoch oder wie niedrig man sie als Bürgerin des Staates schätzt.
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Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896
In: Die Frauenbewegung 1896, S. 136-138
Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896.
(136) Wieder galt es das Recht der Frau in der am 29. Juni zusammenberufenen Volksversammlung zu Berlin. Am 16. Februar dieses Jahres hatte dieses Thema schon einmal einen Saal an einem Sonntag Vormittag gefüllt. Frauen und Männer waren damals mit spannender Aufmerksamkeit den Ausführungen von Frau Stritt aus Dresden und Anita Augspurg cand. jur. aus München gefolgt.32 Wie verschieden aber die Stimmung vom Winter und jetzt! Damals war man inmitten voller Schaffenslust und auch froher Hoffnung, die deutschen Volksvertreter würden gerechter denken und zeitgemäßer handeln als die Juristen vom grünen Tisch aus es gethan hatten. Jetzt stand man einer vollendeten Thatsache gegenüber: die zweite meist maßgebende Lesung des bürgerlichen Gesetzbuches hatte den Frauen, wenigsten den Verheirateten nichts, gar nichts gebracht, sondern ihnen noch genommen. Die Beratungen im Reichstage hatten den deutschen Frauen den Beweis geliefert, daß sie nicht als Bürgerinnen des Staates gelten, ausgenommen im Strafgesetzbuch und als Steuerzahlende. 32
Siehe Nr. 5 v. 1. März d. J. [Nr. 17].
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Teil 1
Eine tiefe Bewegung, ja fast eine Erschütterung ging durch die Frauenwelt Deutschlands, und zum erstenmal zeigten Deutschlands Frauen, daß sie einmütig für ihr Recht kämpfen und einzustehen vermögen. – Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896 bedeutet einen Wendepunkt in der deutschen Frauenbewegung. Es hat sich auch nicht eine Stimme erhoben, selbst nicht im Reichstage bei der dritten Lesung, welche es gewagt hätte den Ernst und die Wichtigkeit dieser großartigen Kundgebung anzuzweifeln. Im Gegenteil, die Reichstagsabgeordneten, welche in der zweiten Lesung für die Rechte der Frauen eingetreten waren, riefen den Gegnern der Frauenbewegung zu, daß diese Kundgebung ein gewaltiges Zeichen der Zeit sei. Das war es! Ein großartiges und gewaltiges Zeichen der Zeit, doch nur wer sehende Augen und hörende Ohren hat, kann es deuten und verstehen. Das Bild der Versammlung war fesselnd. Kopf an (137) Kopf gedrängt saß eine lauschende Menge und bewies unausgesetzt regste Teilnahme den mutigen Frauen, welche in der Hauptstadt zusammengeströmt waren, um dem Reichstage zwischen zweiter und dritter Lesung des bürgerlichen Gesetzbuches eine Antwort zu geben. Von Nord und Süd, von Ost und West ertönten Rufe, besonders kräftig setzte München ein und es ist wohl nicht zu viel gesagt, daß sich zum erstenmal seit Deutschlands Einigung über allen so unerquicklichen Partikularismus hinweg die Hände von Nord und Süd zu einem edlen Bunde vereinigten. – Es war alles so spontan, so eigenartig und darum wirkte es auch mit solcher Macht. Wohl kannten sich die Rednerinnen, aber es war keine Zeit gewesen, sich viel mit einander zu verständigen, und eine Vereinbarung, was und wie gesprochen werden sollte konnte im Laufe von zwei Tagen nicht möglich gemacht werden. So wirkte jede Rednerin ganz individuell, frei und ungezwungen aus ihrer eigensten Gedankenwelt heraus und getrieben von ihrem innersten Empfinden. Daß trotzdem ein so harmonisches Bild sich zeigte war nur ein Beweis, wie ein einziger Gedanke herrschte – Zusammengehörigkeit in dem Bewußtsein das Recht der Frau im Namen der Gerechtigkeit verlangen zu dürfen. Die große politische Tagespresse von nah und fern bis ins Ausland hinein, hat eingehende Berichte gebracht, die den Lesern dieses Blattes bekannt sein dürften. Eine Detailbeschreibung ist daher nicht notwendig. Mit edlen Worten trat zuerst Frau Sanitätsrat Schwerin-Berlin auf, ihr folgte Frau Lina Morgenstern-Berlin als älteste der Berliner Vertreterinnen. Frau Dr. Proelß-Berlin setzte dann sachlich ein, darauf Frau Döllinger-München – welche behauptete „sie könne nicht reden“ und doch so elektrisch wirkte, dazwischen Frau Obrist Jaehnike33 aus Stuttgart im Reisekostüm und mit großer Frische Grüße von 1000 Stuttgarterinnen und 700 Weimarerinnen bringend, und gleich darauf Frau Bieber-Böhm-Berlin mit ihrer scharfen Verurteilung der Reichstagsverhandlungen – das mußte zünden, das mußte wirken alles war voller Leben, Überzeugung und tiefer Empfindung, ja selbst Fräulein Metger’s-München Wunsch, auf eine Ansprache zu verzichten, weil sie so ergriffen sei, gehörte mit zu der Stimmung des Ganzen.
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[Anmerkung: Der Name von Hildegard Obrist-Jenicke ist im Artikel unkorrekt wiedergegeben.]
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Die beiden letzten Rednerinnen, Frl. Anita Augspurg (cand. jur.) und Frau Marie Stritt-Dresden, vollendeten dann den Gesamteindruck dieser denkwürdigen Versammlung. Scharf, klar, dann und wann sarkastisch, aber immer voll Überzeugungskraft, ja zuweilen mit fast hinreißender Glut traten beide Frauen für das Recht ihres Geschlechts ein und Frl. Augspurg’s Ruf, „der nächste Reichstag wird ein anderes Aussehen haben als der jetzige und das neue Gesetz wird vielfach durchlöchert sein, ehe es in Kraft tritt,“ sowie Frau Stritt’s Aussprüche, „noch eine solche Niederlage und wir haben gesiegt,“ riefen stürmischen Beifall hervor. Zahlreiche Telegramme von nah und fern, welche wie ein schönes Band Rede mit Rede verknüpften, belebten das Ganze, und die vielen jugendlichen freudigblickenden Augen sagten den „reifen“ Frauen des „Landsturms,“ daß sie hoffnungsfroh aus der schweren Gegenwart in die Zukunft schauen könnten. Dankbar gedachte man der ältesten Vorkämpferinnen, Frau Gräfin ButlerHaimhausen und Fräulein Auguste Schmidt, von denen Briefe verlesen wurden. Aus München telegraphierte Frau Oberbürgermeister von Ehrhardt im „Namen aller Bevölkerungsklassen“, ferner die „Gesellschaft zur Förderung von Fraueninteressen in München“: „Wir legen feste und bestimmte Verwahrung ein gegen die Rücksichtslosigkeit, mit der die Mehrheit des Reichstages über die gerechten Wünsche der Frauen hinweggegangen ist“, so heißt es darin. Daran schließen sich die Münchener Künstlerinnen an, und Einzelstimmen tönten dazwischen von den bekannten Schriftstellerinnen Gabriele Reuter, Helene Böhlau, der beliebten Hofschauspielerin Marie Ramlo; Gräfin Waldburg-Syrgenstein sendet Gruß den Gesinnungsgenossinnen und Frau Rittmeister von der Decien, geb. von WitzlebenHannover, sowie Frau Dr. Thieme, geb. von Witzleben-München, „wünschen ihre Namen in dem Proteste genannt zu sehen.“ Frau Professor Selenka-München aber setzt mit flammenden Worten ein: „Gewaltiger Schmerz stählt echte Kraft, Mut, deutsche Frauen, Mut! Es schafft Stumpfsinn, Gewalt und blinder Zwang Mit euch im großen Freiheitsgang. – Mit euch kämpft Wahrheit, Recht und Not, Unfehlbar wie das Morgenrot Naht euer Sieg, vertraut dem Licht! Seid seiner wert, thut eure Pflicht.“ Baron Ernst von Wolzogen schlägt wuchtige Töne an: „Stumpfsinn ist Trumpf, so packt nur ein, Frau Basen, Was wollt ihr auf dem Dornenpfad, Ja wäret ihr noch Hasen34! – Nein, gerade nicht – werft ab das Joch, Die Not zeugt Heldenkräfte; Ihr deutschen Frauen, besorget doch Der Zukunft die Geschäfte.“
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[Anmerkung: Dies dürfte eine Anspielung auf die umfangreichen politischen Auseinandersetzungen um die sog. Hasenfrage im Schadensrecht des BGB sein: Wären die Frauen nur Hasen, so würde auch ihr Begehren angemessen politisch gewürdigt werden.]
370
Teil 1
Aus Wiesbaden senden Anna von Dömming und Anna von Uthmann im Namen des Vereins „Frauenbildungsreform“ und aus Minden Anna Bernau vom Verein „Frauenwohl“ „hocherfreut“ ihre Zustimmung, daß „den Gesinnungen der deutschen Frauen durch diese Kundgebung Ausdruck gegeben wird“, aus Hannover schicken gleiche Grüße Frau von Decken, Hesse, Hunduegger, Kistner-Gudewill und Lehnert. Auch Mainz läßt sich hören; Frau Leonore Schließmann und Frau Dr. Raegeli „bedauern, fehlen zu müssen“. Freiin Alexandre von Schleinitz aus Eisenärzt und Fräulein Höhnk-Lübeck, sowie Frau Banotti aus Konstanz schicken Grüße und Sympathie. Zustimmende Briefe von Frau Stockhausen aus Frankfurt a. M. und Fräulein Helene Lange-Berlin werden verlesen, und zum Schluß kommen die Klänge von denen zum Ausdruck, „für die das Vaterland keine Stätte hat.“ Es sind die deutschen Studentinnen aus Zürich, welche „an die versammelten deutschen Frauen in Berlin“ folgenden Gruß senden: „Möge es der heute in Berlin tagenden Versammlung deutscher Frauen gelingen, den Gegner unserer Forderungen im Reichstag nachdrücklich zu zeigen, was unseres Willens ist, daß wir nicht früher ruhen wollen, bis wir Frauen uns unser Menschenrecht erkämpft haben werden; möge sich auch gegen uns eine Welt von Beschränktheit, Heuchelei und Rückschritt verbinden. Wir hoffen, daß die Tage gezählt sind, wo sich Frauen wie Sklaven behandeln lassen und Männer sich als Sklavenhalter fühlen und darnach Gesetze machen.“ Frau Marie Bley stud. med. war beauftragt diese kräftigen Töne zum Vaterland hin im Namen der Studentinnen zu senden und der Gruß von Dr. Käthe Schirmacher aus Paris, bei deren Namensnennung allgemeiner Beifall erscholl, „Vorwärts deutsche Schwestern für die Pariser Gesinnungsgenossinnen“ rief lang andauernde freudige Zustimmung hervor. Der bedeutungsvolle Abend schloß mit der Annahme einer Resolution, welche diejenigen Gesetzesparagraphen hervor hob, gegen welche die Frauen Protest einlegten und welche noch am nächsten Tage vor der dritten Lesung dem Reichstage eingeschickt worden ist. Die Presse Deutschlands hat fast ausnahmslos in ernster und würdiger Weise diese Kundgebung deutscher Frauen behandelt. Einige antisemitische Blätter, z.B. die Staatsbürgerzeitung, Tägliche Rundschau, sowie einige hochkirchliche Organe wie der Reichsbote, haben sich entweder spöttisch oder scharf verurteilend verhalten. Der Ton der Staatsbürgerzeitung ist geradezu frivol. Die Frauenbewegung zu einer jüdischen zu stempeln scheint dem Blatte genehm zu sein, aus welchem Grunde ist allen klar, welche die bedauerliche Verhetzung in unserem Vaterlande kennen. Die unabhängige Frauenbewegung steht auch darin über den Parteien und bewahrheitet das Wort Brüderlichkeit und Schwesterschaft; sie kennt nur das Arbeiten im Sinne höchster Liebe und Gerechtigkeit sie (138) hat auch darin ein großes Ideal vor Augen, dieser Zerrissenheit unseres Vaterlandes ein Ziel zu setzen. Wenn die streng-kirchlichen Organe sich ablehnend verhalten, so verstehen sie eben nicht die hohe sittliche Lehre des Christentums. Die Frauen Deutschlands haben durch diese Kundgebung Kraft, Willen, Einigkeit und zielbewußtes Handeln bewiesen. Vorwärts also, für „das Recht der Frauen“. Das sei das Losungswort!
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
22.
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Adele Gamper: Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, 1894
GAMPER, Adele: Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, Dresden 1894 Kommentar: Adele Gamper gründete im Januar 1894 gemeinsam mit Marie Stritt den Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, welcher einen der drei umfassenden Gegenentwürfe der Frauen zum BGB formulierte (Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen, 1895, Nr. 56). Stritt und Gamper hatten die Anregung zu diesem laut Stritt ersten deutschen Rechtsschutzverein für Frauen von Emilie Kempin bekommen, die in Dresden einen Vortrag über die Rechtsstellung der Frau hielt (Nr. 62, S. 123). Für Gamper ist der Frauenrechtskampf zugleich mit dem Eintreten für sozial Benachteiligte verbunden: dies ist Gegenstand ihrer Rechtsschutzarbeit, dieses Thema prägt ihre zweite überlieferte Veröffentlichung (Armut und Wohlthätigkeit, Dresden 1892) und dies erklärt auch ihre Schwerpunktsetzungen im vorliegenden rechtskritischen Werk von 1894, namentlich ihre Verbindung zur sozialistischen Familienrechtskritik Anton Mengers (Nr. 39). Gampers Ehemann, der Dresdener Pastor Wilhelm Gamper, hatte kurz zuvor, 1893, einen Vortrag „Die Frauenfrage und das Christentum“ veröffentlicht. In der Biographie der Gampers ergeben sich einige Parallelen zu Emilie und Walter Kempin. Auch die 1850 geborene Adele Sulzer, die mit einer körperlichen Behinderung aufgewachsen sein soll, stammt aus der Schweiz. Sie heiratet mit 19 Jahren den 27jährigen Pfarrer Wilhelm Gamper, der wie Walter Kempin wegen seiner „freisinnigen Ansichten“ umstritten ist, und zieht zu ihm ins Pfarrhaus nach Aawangen im Thurgau. Wilhelm Gamper wirkt danach auf unterschiedlichen Pfarrstellen und gleichzeitig als Prorektor einer höheren Mädchenschule in Winterthur. Bereits in der Schweiz sind die Gampers in Armenvereinen aktiv. 1882 wechselt Wilhelm Gamper auf eine Pfarrstelle der reformierten Gemeinde in Dresden. Eine Grundlinie der im Rechtsschutzverein Dresden entstandenen Texte wird bereits hier, in der ersten Veröffentlichung dieser Art, deutlich: Die Verfasserinnen verfolgen bewußt keine eigene professionell juristische Argumentation, sondern argumentieren mit Erfahrungen der Praxis, der Lebenswirklichkeit von Frauen, Fällen aus der Rechtsschutzarbeit und aus dem alltäglichen Betrieb der Gerichte. Gamper und Stritt sehen sich als rechtspolitische Interessenvertreterinnen der Frauen, auch der sozial benachteiligten Frauen, aber sie sehen sich nicht als weibliche Juristen und wollen dies anscheinend auch nicht werden. Während Emilie Kempin, Marie Raschke, Anita Augspurg oder Marie Munk bewußt diesen Schritt zur Professionalisierung vollziehen, streben die Dresdener Frauen eher den Status rechtskundiger Nichtjuristen an: das Recht ist zu wichtig, um im Volk allein von den Juristen und nicht auch von Frauen verstanden zu werden (vgl. Gamper, S. 2). Gamper ergreift die Stimme zugunsten der Frauen und der „unteren Volksklassen“. Sie macht sich hierbei oft die Ausführungen männlicher Rechtsreformer wie Anton Menger und Fritz Pollaczek zu eigen. Nach Pollaczek zitiert sie das menschlich ergreifende Gesprächsprotokoll einer strafrechtlichen Verhandlung wegen Kindstötung (Gamper, S. 1618). Bestraft wird hier am Ende die Angeklagte, die selbst ein Opfer extremer Armut ist. Tatsächlich verantwortlich sind, so Gamper, „unsere Gesellschaft und ihre herrschenden Anschauungen“: doppelte Moral für Frau und Mann, männlich dominierte Justiz, ein Strafgesetz, das „nur für die Frau“ existiert, Mängel der sozialen Versorgung und Gesetzgebung (S. 15) und nicht zuletzt ein falsches Nichtehelichenrecht.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Adele Gamper: Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, 1894
GAMPER, Adele: Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, Dresden 1894 Kommentar: Adele Gamper gründete im Januar 1894 gemeinsam mit Marie Stritt den Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, welcher einen der drei umfassenden Gegenentwürfe der Frauen zum BGB formulierte (Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen, 1895, Nr. 56). Stritt und Gamper hatten die Anregung zu diesem laut Stritt ersten deutschen Rechtsschutzverein für Frauen von Emilie Kempin bekommen, die in Dresden einen Vortrag über die Rechtsstellung der Frau hielt (Nr. 62, S. 123). Für Gamper ist der Frauenrechtskampf zugleich mit dem Eintreten für sozial Benachteiligte verbunden: dies ist Gegenstand ihrer Rechtsschutzarbeit, dieses Thema prägt ihre zweite überlieferte Veröffentlichung (Armut und Wohlthätigkeit, Dresden 1892) und dies erklärt auch ihre Schwerpunktsetzungen im vorliegenden rechtskritischen Werk von 1894, namentlich ihre Verbindung zur sozialistischen Familienrechtskritik Anton Mengers (Nr. 39). Gampers Ehemann, der Dresdener Pastor Wilhelm Gamper, hatte kurz zuvor, 1893, einen Vortrag „Die Frauenfrage und das Christentum“ veröffentlicht. In der Biographie der Gampers ergeben sich einige Parallelen zu Emilie und Walter Kempin. Auch die 1850 geborene Adele Sulzer, die mit einer körperlichen Behinderung aufgewachsen sein soll, stammt aus der Schweiz. Sie heiratet mit 19 Jahren den 27jährigen Pfarrer Wilhelm Gamper, der wie Walter Kempin wegen seiner „freisinnigen Ansichten“ umstritten ist, und zieht zu ihm ins Pfarrhaus nach Aawangen im Thurgau. Wilhelm Gamper wirkt danach auf unterschiedlichen Pfarrstellen und gleichzeitig als Prorektor einer höheren Mädchenschule in Winterthur. Bereits in der Schweiz sind die Gampers in Armenvereinen aktiv. 1882 wechselt Wilhelm Gamper auf eine Pfarrstelle der reformierten Gemeinde in Dresden. Eine Grundlinie der im Rechtsschutzverein Dresden entstandenen Texte wird bereits hier, in der ersten Veröffentlichung dieser Art, deutlich: Die Verfasserinnen verfolgen bewußt keine eigene professionell juristische Argumentation, sondern argumentieren mit Erfahrungen der Praxis, der Lebenswirklichkeit von Frauen, Fällen aus der Rechtsschutzarbeit und aus dem alltäglichen Betrieb der Gerichte. Gamper und Stritt sehen sich als rechtspolitische Interessenvertreterinnen der Frauen, auch der sozial benachteiligten Frauen, aber sie sehen sich nicht als weibliche Juristen und wollen dies anscheinend auch nicht werden. Während Emilie Kempin, Marie Raschke, Anita Augspurg oder Marie Munk bewußt diesen Schritt zur Professionalisierung vollziehen, streben die Dresdener Frauen eher den Status rechtskundiger Nichtjuristen an: das Recht ist zu wichtig, um im Volk allein von den Juristen und nicht auch von Frauen verstanden zu werden (vgl. Gamper, S. 2). Gamper ergreift die Stimme zugunsten der Frauen und der „unteren Volksklassen“. Sie macht sich hierbei oft die Ausführungen männlicher Rechtsreformer wie Anton Menger und Fritz Pollaczek zu eigen. Nach Pollaczek zitiert sie das menschlich ergreifende Gesprächsprotokoll einer strafrechtlichen Verhandlung wegen Kindstötung (Gamper, S. 1618). Bestraft wird hier am Ende die Angeklagte, die selbst ein Opfer extremer Armut ist. Tatsächlich verantwortlich sind, so Gamper, „unsere Gesellschaft und ihre herrschenden Anschauungen“: doppelte Moral für Frau und Mann, männlich dominierte Justiz, ein Strafgesetz, das „nur für die Frau“ existiert, Mängel der sozialen Versorgung und Gesetzgebung (S. 15) und nicht zuletzt ein falsches Nichtehelichenrecht.
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Teil 1
Gamper zieht den Schluß, es sei notwendig, die Rechtsschutzarbeit für Frauen nach dem Dresdener Modell zu verstärken. Sie deutet an, daß der Rechtsschutzverein auch „eine Petition der deutschen Frauen zur Verbesserung der Gesetze“ als seine Aufgabe betrachten solle. Ein Jahr später wird der Verein diese Aufforderung umsetzen und einen Gegenentwurf zum BGB-Familienrecht veröffentlichen (Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen, 1895, Nr. 56). Literaturhinweis: Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1, Berlin 1898, S. 243. Detaillierte Aufzeichnungen zu Familie, Werdegang und häuslichem Leben Adele und Wilhelm Gampers bis 1882 bei Hammerstein-Rordorf, Verena v.: Das zweite Maulbeerbaum- und Gamperbuch (im Erscheinen).
Lose Blätter im Interesse der Frauenfrage Nr. 9 Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht Vortrag von Frau Adele Gamper Um dem Namen und Zweck unseres neu gegründeten Vereins Rechnung zu tragen [Anmerkung: Gemeint ist der Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden.], ist es an der Zeit, wieder einmal über Recht und Rechtsfragen zu sprechen. Obschon diese Aufgabe keine leichte ist, und ich von vorn herein an Ihre Nachsicht appellieren muß, will ich doch den Versuch wagen, und in wichtigen Punkten dem erfahrenen Juristen das Wort lassen. Eine wissenschaftliche oder geschichtliche Behandlung des für uns in Betracht kommenden Rechtsstoffes kann ich natürlich nicht geben; Entstehung und Entwicklung der Gesetze sind mir unbekannt, es ist mir nicht möglich, sie unter diesem Gesichtspunkte zu würdigen, denn unzweifelhaft giebt es deren viele, die durch Jahrhunderte lange Praxis sich bewährt haben, und dadurch schon auf ein gewisses Recht, weiter zu existieren, Anspruch erheben können. Mir liegt daran, den moralischen Empfindungen von Recht und Unrecht Ausdruck zu verleihen, in diesem Sinne den Maßstab der Kritik (2) anzulegen, denn es giebt allerdings Gesetze, die sich mit dem Gewissen in der Brust nicht decken, die das oberste Prinzip, das der Gerechtigkeit außer Acht lassen, ja sich sogar oft im grellsten Gegensatz zu demselben befinden. Daß eine Belehrung über Recht und ein Rechtsschutz für unser Geschlecht dringend notwendig ist, haben uns die wenigen Wochen, seitdem wir die neue Anstalt eröffnet haben, zur Genüge gezeigt. Hier läßt sich sowohl das Gesetz als auch die Frauenfrage praktisch studieren; die kurze Zeit unserer bisherigen Wirksamkeit eröffnet uns einen Blick in die Nachtseiten des menschlichen Lebens, zeigt uns Unterdrückung, Roheit, Gewissenlosigkeit, Schlechtigkeit, gebrochene Herzen und Existenzen. Wie oft ist ein liebevolles ermunterndes Wort, ein gut gemeinter Rat, oder eine positive Hilfe von Geschlechtsgenossinnen am Platze. – Die Unwissenheit, sogar der Mangel an Rechtsgefühl ist so groß, daß man die verschiedensten Mittel zur Abhilfe anwenden müßte. Ohne Zweifel wäre das durchgreifendste Hilfsmittel ein Unterricht für die reifere Jugend, Erklärung und Anleitung zum Verständnis des gesetzlichen Rechts, damit die Mängel der bestehenden Gesetze von der öffentlichen Meinung besprochen und gerügt und dadurch einer Änderung
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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gerufen würde. – Da die gegenwärtige Gesellschaft zu einer solchen Erziehungsmethode noch nicht durchgedrungen und die Rechtserkenntnis fast nur das Privileg eines bestimmten Standes, der Juristen ist, die Gesetze nicht selbst in einer dem Volke fast unverständlichen Sprache geschrieben sind, handelt es sich zuerst darum, Rat und Hilfe zu bringen, wo diese Unkenntnis am meisten Schaden stiftet, und dies ist bei den Frauen der Fall. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß die Männer im großen Ganzen mit den Gesetzen vertrauter seien, aber sie befinden sich schon dadurch, daß sie einen mittelbaren Anteil an der Gesetzgebung haben und in gegebenem Falle ihre Stimme zu einer Veränderung oder Umgestaltung in die Wagschale werfen können, in bedeutendem Vorteile. Männer haben zu allen Zeiten die Gesetze gemacht, Männer haben nicht nur über ihr Geschlecht, sondern auch über das andere zu Gericht gesessen und Urteile gefällt; es kann uns daher nicht wundern, wenn die Dinge vorwiegend nach ihren Ansichten zugeschnitten, zu ihrem Vorteil zurecht gemacht sind. Man kann allerdings sagen, das eigentliche Recht ist ein uraltes, ewig wahres, weil in der Menschen-(3)natur selbst begründetes, daher zu allen Zeiten sicheres und unantastbares, und wenn wir dies nur auf unser moralisches Gefühl, auf den Begriff von Gut und Böse beziehen, ist es richtig. – Anders verhält es sich aber mit den Rechten und Gesetzen, die mit der Entwicklung der Kultur sich verändern, die den neuen Zeitströmungen Rechnung tragen müssen. Eigentumsrecht, Erbrecht, ja selbst Familien- und Eherecht können anderen Auffassungen unterworfen werden, und eine beständige Reform der Gesetze wird zur Notwendigkeit. Lassen sie mich (den Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich kennzeichnen) in kurzen Zügen die Stellung die der anerkannte und berühmte Jurist Prof. Anton Menger in Wien einnimmt, um dann zu einer Anwendung und Kritik der die Frauen speziell betreffenden Gesetze übergehen. Die erfolgte Veröffentlichung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, setzt Menger auseinander, hat den Anstoß zu einer geistigen Bewegung der deutschen Nation gegeben, von allen Ständen und Berufsarten aus wird daran Kritik geübt, denn alle Kreise der Bevölkerung haben das weitgehendste Interesse daran. Die Grundzüge unseres Rechtssystems sind lange Zeit vor Beginn unserer historischen Kenntnis durch Gewohnheit festgestellt worden; die erste Rechtsordnung war ein Interessenkampf, in dem sich mehrere Personen gegenüberstanden, nach und nach trugen die Starken und Mächtigen immer mehr den Sieg über die Schwachen und Machtlosen davon. Diese Begünstigung ging dann in das Bewußtsein der Starken über, bis sie glaubten, allerdings auf dem Wege der Gesetzgebung, Macht sei Recht, während die Schwächeren immer mehr die Hoffnung verloren. Daher kommt es, daß die Grundlagen unseres Rechtes auf Gewohnheitsrechten beruhen, daß die unteren Volksklassen benachteiligt wurden. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wird nun eine Ausgleichung verlangt, und es ist nicht nur in politischer Beziehung eine Bewegung im Gange, die den Volkskreisen einen größeren Anteil an der Leitung des Staates sichern will. Die irrige Absicht der sogenannten historischen wie der naturrechtlichen Schule, daß eine bestimmte Staatsform sich aus dem Geiste des Volkes organisch entwickelt habe, läßt sich schon mit einer Anwendung auf das Privatrecht widerlegen. Eine Privatrechtsordnung kann nicht aus dem Geiste der Nation hervorgegangen sei, wenn vier Fünfteile oder neun Zehn-(4)teile aller Staatsgenossen von den meisten Genüssen und Vorteilen für ihr ganzes Leben ausgeschlossen werden, auch hat die Mehrheit eines Volkes nicht
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durch stillschweigenden Vertrag ihre Zustimmung gegeben. Wir müssen nach einer Rechtsordnung streben, die alle Volksklassen als ihr geistiges Produkt anerkennen, und der sie bei vernünftiger Überlegung ihre freudige Zustimmung erteilen können. Die drei großen Gesetzeswerke der Neuzeit, das preußische Landrecht, das französische und das österreichische Gesetzbuch erschienen am Ende einer Epoche, welche man mit Recht als die Aufklärungszeit bezeichnet. Ihre Verfasser waren den Volksklassen so günstig gestimmt, wie keine früheren Gesetzgeber, ihr Werk war von dem Gedanken echter Humanität getragen und sie können den Anspruch erheben, Erzieher der Nation geworden zu sein. Juristen, die unter dem Banne der geschichtlichen Auffassung stehen, werden niemals einen solchen Erfolg haben; infolge der Zähigkeit, mit der sie überall Rechtszustände festzuhalten suchen, vertieft in das Studium entfernter Zeiten und Zustände, haben sie das Zusammenschließen der besitzlosen Volksklassen nicht bemerkt; daher kommt es, daß dieser neue Entwurf gegen das preußische und österreichische Gesetzbuch einen Rückschritt bedeutet, obschon diese letzten Gesetzeswerke für eine Bevölkerung bestimmt waren, deren Väter und Großväter noch zum großen Teile Leibeigene waren. Der neue Entwurf ist ein mühsames gewissenhaftes Zusammentragen massenhaften alten Materials, es fehlt ihm jede Originalität, und dazu ist er in der Form vollkommen vergriffen; die abstrakte und unpopuläre Ausdrucksweise kann kaum überboten werden. Die großen Volksmassen, denen der Entwurf gilt, werden in Beziehung auf die Rechtsanwendung ganz der Diskretion von Fachjuristen überliefert sein. Der ungeheure Unterschied, welcher in der Rechtsverfolgung zwischen den Besitzenden und Besitzlosen besteht, ist von den Juristen nur wenig beachtet worden. Infolge ihres Bildungsganges gingen sie in dem Trosse der Reichen und Mächtigen einher, und vertraten die wirklichen Interessen der Besitzenden mit demselben Eifer wie deren Thorheit und deren Übermut. Die Rechte und Rechtsverhältnisse bedürfen auch einer sorgfältigen Pflege, und jeder einsichtige Richter wird bestätigen können, daß die Rechtsverhältnisse der Armen sich nur allzuhäufig in jener ver-(5)nachlässigten und hoffnungslosen Gestalt zeigen, wie der Körper der Proletarier bei Aufnahme in öffentlichen Heilanstalten. Die meisten neuen Zivilgesetzbücher stellen den Satz auf, daß sich niemand mit Unkenntnis eines handgemachten Gesetzes entschuldigen könne. Allerdings wird zugegeben, daß Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum entschuldbar sei, wenn sie nicht auf Fahrlässigkeit beruhen, es ist aber ersichtlich, daß die Verfasser dies als eine Ausnahme betrachten. In Wirklichkeit aber ist Rechtsunkenntnis kein Ausnahmefall, sondern die Regel. Der Bemittelte geht wenigstens bei Zeiten noch zum Anwalt und erkundigt sich, der Arme kann auch dies nicht, und ist viel mehr preisgegeben. Die jetzige Juristengeneration ist fast ausnahmslos in der gesamten Schule des römischen Rechts aufgezogen., aber schon die nächste wird von sozialen Ideen erfüllt sein und die Fähigkeit besitzen, an der Reform des bürgerlichen Rechtes mitzuwirken. Im Strafrecht ist der Arme ebenfalls im Nachteil, überhaupt vor Gericht, da die Gerichte sich ausschließlich aus den besitzenden Klassen zusammensetzen und wieder ein Privilegium der Reichen sind. Unsere neue Zivilprozeßgesetzgebung steht noch ganz unter der Herrschaft einer überlebten Weltanschauung, und die Rechtswissenschaft wird am spätesten von der Zeitströmung erreicht.
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Die Ziviljustiz war im vorigen Jahrhundert zum größten Teil in die Hände des Richters gelegt, und deshalb auch für die Armen zugänglich. Heute wirken an der bürgerlichen Rechtspflege Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher und andere Personen mit, und wer sein Recht durchsetzen will, muß diesen Mechanismus zu bezahlen im Stande sein. Es hat sich auf dem Gebiete der Justiz derselbe Prozeß vollzogen, wie auf dem Gebiete der Volkswirtschaft, wir haben die Zivilrechtspflege so vervollkommnet, daß sie der Mehrheit der Nation unerreichbar geworden ist: Die Hilfspersonen, die unentgeltlich verpflichtet werden können, haben niemals dasselbe Interesse. Der Zivilrichter müßte jedem Staatsbürger, besonders aber dem Armen unentgeltlich Belehrung über das geltende Recht erteilen, und ihm bei der Sicherung seiner Privatrechte Hilfe leisten. Es ist auch bezeichnend, daß die Verfasser eines bürgerlichen Gesetzbuches nicht das Familienrecht an die erste Stelle setzen, denn hier handelt es sich um Rechtsinstitute, die zu den Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft gehören. Wichtiger scheint ihnen das (6) Vermögensrecht mit seinen Unterabteilungen, Sachen- und Obligationsrecht. Diese Einteilung hat in den Gesetzbüchern anderer Nationen wenig Nachahmung gefunden, sie beweist am besten die Überwachung des Eigentumsinteresses. Soweit in knapper Ausführung die Ansichten Mengers. Wem nach der Überzeugung dieses humanen Rechtsgelehrten die wirtschaftlich Schwachen im Gesetze stark benachteiligt sind, so ist die Benachteiligung der Frau als des sogenannten schwächeren Geschlechtes eigentlich selbstverständlich. Da in den einzelnen Staaten und Provinzen Deutschlands die verschiedensten Gesetze herrschen, die sich nochmals in vier Gruppen einteilen: die Länder des germanischen Rechts, des preußischen Landrechts und des französischen Rechts, so soll in erster Linie das sächsische Recht und Veränderung, die der neue Entwurf ihm gegenüber bringt, in Betracht gezogen werden. Das sächsische Recht basiert fast ausschließlich auf den Grundzügen des germanischen Rechts, und ist namentlich im Familienrecht vom römischen verschieden, welches für die Frau entschieden günstiger ist. Die Frau verliert im sächsischen Recht mit Eingehung der Ehe ihre eigene Persönlichkeit. Der Gedanke der Personeneinheit, wobei der Mann der Vormund ist, und in allen gesetzlichen Fällen allein die Vertretung und die Verantwortung hat, giebt von vorn herein die Erklärung zu der ganzen rechtlosen Stellung der Frau. Sie verliert ihren Namen, das allfällige Vermögen, welches sie in die Ehe mitbringt, geht in die Nutznießung und Verwaltung des Mannes über, es steht ihr über nichts ein Verfügungsrecht zu, wenn der Mann nicht seine Einwilligung giebt. Es ist dies aber bis jetzt nicht die Regel, sondern eine Ausnahme gewesen, und wurde sehr oft von dem Manne als ein Mangel an Vertrauen aufgefaßt. Und doch zeigen unzählige Beispiele, abgesehen von dem persönlichen Recht, das jeder Mensch an seinem Besitz hat, daß es schon aus praktischen Gründen zum Schutze von Frau und Kindern eine Wohlthat wäre, wenn bei Geschäftskrisen oder Spekulationen dieses Vermögen nicht vom Manne angetastet werden dürfte. Daß die Frau dem Manne unbedingt nach seinem erwählten Wohnsitze folgen muß, wenn (7) es nicht offenkundig zum Schaden ihrer und der Kinder Gesundheit geschieht, erklärt sich sehr einfach daraus, daß bis vor kurzer Zeit der Mann fast in allen Fällen der ausschließlich allein erwerbende Teil war. Da dieses Verhältnis sich aber bereits schon vielfach verschoben und verändert hat, sollte wenigstens kein bestimmtes Gesetz zu Gunsten des Ehemannes aufgestellt werden, denn wenn gelegentlich einmal die Frau der ausgiebi-
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ger erwerbende Teil ist, sei es, daß sie durch Intelligenz und Talente über ihm steht, sei es, daß er wegen gestörter Gesundheit nur wenig zum Unterhalt beitragen kann, so muß doch die Zweckmäßigkeit entscheiden, und nur ein brutaler und unvernünftiger Mann würde dann die Gesetze anrufen. Sehr schlimm steht es aber bis jetzt mit dem eigenen Erwerb der Frau, denn der kommt nach dem Gesetze auch dem Manne zu, und er hat das Recht, ihn sich anzueignen. Es erinnern sich vielleicht noch einige unter ihnen eines sehr bezeichnenden Falles, der bei Gelegenheit des hiesigen Frauentages aus der Voß’schen Zeitung vorgelesen wurde, und dessen Thatbestand ich mir zu diesem Zweck durch Frau Lina Morgenstern aus Berlin verschaffen konnte. „Ein Die[n]stmädchen erbt von ihrer Herrschaft 20000 Mark, doch wahrscheinlich nach jahrelangem fleißigen, pflichtgetreuen und mühseligen Arbeiten. Sie heiratet einen Lithographen. Dieser vergeudet in einem halben Jahr auf wüste Weise den ganzen Besitz seiner Frau, hat aber nicht allein ihr Geld, sondern auch die Lust zur Arbeit verloren. Die Frau sieht ein, daß sie untergehen müßten, wenn sie nicht erwerbend für die Familie eintrete. Sie begründet ein Leihgeschäft für Wäsche und Kleidung. Was sie verdient, nimmt der Mann zu seinem Verbrauch. Endlich wird sie des Gebens müde, und verlangt von ihm, daß er selbst arbeite, um sich Geld zu erwerben. Statt dessen erbricht er mit einem seiner würdigen Freunde das Schreibpult seiner Frau, in welchem sich, was er weiß, ihre Ersparnisse befinden, die 69 Mark betragen. Er nimmt diese Summe und giebt seinem Helfershelfer 5 Mark davon. Die Frau zeigt den Diebstahl an, und die Sache kommt zur Verhandlung. Der Staatsanwalt beantragt 1 Jahr Zuchthaus für den Helfer, der Verteidiger macht jedoch geltend, daß nach den Gesetzen über das Güterrecht in der Ehe dem Manne allein die Verwaltung des eingebrachten Vermögens der Frau zustehe, und daß der Ehemann (8) außerdem über das Geld verfügen könne, das die Frau mit seiner Zustimmung in der Ehe erwirbt. Er beantragte die Freisprechung beider Angeklagten, da auch der Freund sich keineswegs der Beihilfe bei einem Diebstahl schuldig gemacht, sondern dem Ehemann zu seinem Recht verholfen habe, und der Gerichtshof entschied demgemäß.“ Ein Kommentar dazu ist wohl überflüssig. So steht die Frau vor dem Gesetz, und erst im neuen Entwurf tritt hierin eine Verbesserung dadurch ein, daß wenigstens künftighin die Frau über das von ihr mit Genehmigung des Mannes Erworbene verfügen kann und handlungsfähig wird. Dafür ist nach dem Entwurf die Frau verpflichtet, bei Krankheit und Unfähigkeit des Mannes, für einen seinem Berufe und seinen Gewohnheiten entsprechenden Unterhalt der Familie einzutreten. Es ist nichts als billig und selbstverständlich, daß die Frau in solchen Fällen diese Pflicht auf sich nehmen muß und wird, aber freilich, daß sie in derselben Weise, das heißt standesgemäß sorgen solle, ist zuviel verlangt, und es würde richtiger heißen, sie sorgt nach ihren Kräften oder nach Möglichkeit. Der Grundsatz der Versorgung der Frau durch den Mann nach Stand und Beruf wäre für die Frau eine Sicherung, wenn diese unbedingte Versorgung thatsächlich immer existierte, oder durch gesetzlichen Zwang durchzuführen wäre. Wie bemühend ist ein Blick in die Wirklichkeit, und wie leichtsinnig fassen viele Männer diese Pflicht, die sie übernommen haben, auf. Das Gesetz hat weder die Macht noch die Mittel, der Frau zu einer unbedingten Versorgung zu verhelfen. Der Mann kann durch Gerichtsklagen gezwungen werden, einen gesetzlichen Teil seines Einkommens zu Gunsten seiner Frau und seiner Kinder abzugeben wenn der
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Arbeitgeber oder der Staat, dem er als Beamter dient, sich der Frau anzunehmen, doch dies ist eine höchst unsichere Einnahme. Ganz liederliche Männer werden auf Antrag und Wunsch der Frau in ein Arbeitshaus untergebracht, und der kleine Erwerb fällt der Frau zu, doch dieser Antrag wird nur im äußersten Fall gestellt. – In den unteren Ständen kommt diese Versorgung gar nicht in Betracht, die Frau ist eine Arbeitskraft, die ebenso zum Unterhalte beitragen muß. Der Mann giebt aber oft nur einen Teil seiner Einnahme zur Führung des Haushaltes ab, und vertrinkt das übrige mit lustigen Kameraden, während zu Hause die Seinen darben und hungern, sie ist ganz von seinem (9) Willen und seiner Gnade abhängig; wenn sie zu viel sagt, läßt er sie ganz im Stich. Mitleidige Menschen helfen vielleicht eine kurze Zeit nach, auch die Armenbehörde spendet etwas weniges, aber wie oft wird die unglückliche Frau damit abgewiesen, sie habe ja einen Mann, er solle arbeiten und verdienen, etwas besseres wissen sie nicht zu sagen. So wird manche Frau durch einen gewissenlosen Mann nicht nur am Vorwärtskommen gehindert, sondern geradezu ihrem Ruin entgegen geführt. Kein Rechtssatz kann Dasein und Stellung behaupten, wenn er mit den bestehenden Machtverhältnissen in Widerspruch steht. Und wenn im Familienrecht der Standpunkt der Besitzenden ausgedacht ist, so ist selbstverständlich der Frau die Rolle einer unterdrückten, erst in zweiter Linie in Betracht kommenden Persönlichkeit zugedacht. Dies zeigt sich ganz besonders wieder in den Gesetzen über die unehelichen Kinder. Deutschland weist nach den neuesten Volkszählungen auf 100 Geburten 9 uneheliche Kinder auf. Die Sache ist also wichtig genug, um bei der herrschenden Ungerechtigkeit auf diesem Gebiete eingehend besprochen zu werden. Ich folge hier nochmals in gedrängtem Auszuge den Ausführungen Mengers. Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder müssen in gerechter Weise geordnet werden. Der neue Entwurf widmet dieser wichtigen Frage knapp 11 Paragraphen und doch giebt nichts zu soviel Prozessen Veranlassung, wie das Verhältnis zwischen den unehelichen Vater zu seinem Kinde. Hier vermissen wir eine klare und präzise Gesetzesbestimmung, die absichtlich unterlassen wurde, deshalb wird die analoge Rechtsanwendung notwendig. Man erkennt grundsätzlich an, daß das außereheliche Geschlechtsleben der Männer gegen Recht und Sitte verstößt, oder in Zivil- und im Strafrecht sind die Geschädigten nur ungenügend geschützt. Im römischen Recht wurde der Mann, der eine römische Jungfrau, die er verführt hatte, nicht heiraten wollte, mit körperlicher Züchtigung, Exkommunikation und Verweisung in ein Kloster bestraft. Unser deutsches zieht einen solchen Mann nicht zur Rechenschaft, es sei denn, daß die Verführte unter 14 Jahren ist, oder der Betreffende ihr Vormund oder Lehrer war. Die Deflorationsklage ist im Entwurf leider beseitigt worden, und es wird angenommen, daß wenn das Mädchen eingewilligt hat, ihr auch kein Anspruch auf Heirat oder Entschädigung zusteht; die meisten Mädchen, um die es sich hier handelt, sind aber (10) unter 21 Jahren und noch „in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt“, wie der Gesetzausdruck lautet. Eine Minderjährige hat nicht das geringste Recht, dagegen kann sie ihre Frauenehre mit voller Rechtswirkung preisgeben. Sie kann eine Ehe nur mit Bewilligung ihres Vormundes eingehen, aber sie kann ruhig in ein außereheliches Verhältnis eintreten. Es wird behauptet, daß die Deflorationsklage die Unsittlichkeit fördere, wie wenn alle Mädchen Messalinen wären, die nur darauf lauern, die Männer in ihre Netze zu locken. Die Reize der Frauen stehen mit ihrer Geschäftsfähigkeit im umgekehrten Verhältnis, und die Armen werden der Mittel zur Verführung ent-
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behren. Das preußische Landrecht, der Konvent vom 2. November 1793 gewährte der Mutter des Kindes einen Anspruch, doch durfte er niemals den vierten Teil des Vermögens übersteigen. Die Rechte wurden aber am 24. April 1854 wieder von Grund aus zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts umgeändert. Das heutige preußische Gesetz versagt dem weiblichen Kinde den Unterhaltungsanspruch, wenn die Mutter eine bescholtene Person ist, schon die Annahme eines Geschenkes oder die Bezahlung genügt als Grund für die Bescholtenheit. Durch diese Bestimmung werden fast alle unehelichen Kinder armer Eltern ihres Unterhaltungsanspruches beraubt. Auch berüchtigter Lebenswandel entzieht ihnen den Anspruch; Mädchen, die sich in der Welt durchschlagen müssen, verfallen aber leicht solche Gerüchten, und es genügt für den Mann eine solche Angabe ohne genaue Begründung. Von den Männern wird dies natürlich ergriffen, um sich der Verantwortung zu entziehen. Das Gesetz verlangt von den armen ungebildeten Mädchen dasselbe Maß von Sittlichkeit, das man in den oberen Ständen mit Recht erwarten darf, und zwar um den Männern das geringste Maß von Sittlichkeit und Menschlichkeit zu ersparen. Von dem Mädchen wird Treue verlangt, sonst sind die Ansprüche nichtig; da das Verhältnis aber meistens mit wohlhabenden Männern stattfindet, und das Mädchen aber doch keine Aussicht auf Heirat hat, so sollte vollständige Treue doch nur von gleichgestellten Personen verlangt werden können, hier tritt aber wieder die Wahrung der oberen Gesellschaftsinteressen hervor. Das Maß der Ansprüche ist im Entwurf ungemein kümmerlich. Wird kein Kind geboren, so hat das Mädchen überhaupt keinen Anspruch, selbst wenn ein Eheversprechen gegeben wurde, ja selbst wenn ein Verbrechen stattgefunden hat. Dem Kinde hat der Vater nur den notdürftigen Unterhalt zu (11) leisten. Das preußische Landrecht hat in ganz anderer Weise gesorgt, und dem Kinde regelmäßig die Rechte der ehelichen Geburt zuerkannt. Am zweckmäßigsten wäre es jedenfalls, wenn der Unterhaltsanspruch der unehelichen Kinder gar nicht als eine bestimmte Größe behandelt würde, sondern sich nach dem Einkommen des Vaters richtet. In Deutschland, wie in jedem größeren Kulturstaat, leben mehrere Millionen unehelich geborene Personen, welche zu einem sehr beträchtlichen Teil wohlhabenden Männern ihr Dasein verdanken. Der gesunde Sinn des Volkes wird es niemals begreifen, daß der wohlhabende, ja vielleicht reiche Vater sein Kind durch Gewährung eines kargen Unterhaltes in das Proletariat hinabstößt und sich dadurch selbst für immer entfremdet. Der Staat hat gerade in unserer Zeit die unabweisbare Aufgabe, solche Mißverhältnisse, die naturgemäß eine Quelle der schärfsten Gegensätze sind, zu verhindern, und dafür Sorge zu tragen, daß der Vater, wenn es sein Einkommen zuläßt, das uneheliche Kind in die höheren Stände des Volkes einordnet. Unbedingt sollte auch zur Bezahlung des Wochenbettes noch vor Beendigung eines Rechtsstreites das Geld durch den Richter von dem Vater gefordert werden können, da sonst Verzweiflung und Not einkehren; das war früher im preußischen Landrecht möglich. In dem Entwurf wird der Vergleich zwischen dem Vater und dem unehelichen Kinde über die Unterhaltsverpflichtungen des ersteren zugelassen, und so werden sich wohlhabende Männer durch eine größere Summe von den Sünden ihrer Jugend ein für allemal loskaufen, und es wird das Schlimmste die Regel bilden, was von menschlichen Beziehungen
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überhaupt gesagt werden kann: die Mutter, durch die Niederkunft in Not gestürzt, und durch die einseitigen Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes mürbe gemacht wird sich allen Bedingungen fügen; der uneheliche Vater aber wird seinem Kinde ein Stück Geld hinwerfen, und es für die Zukunft seinem Schicksale überlassen. Der Entwurf läßt in diesem Kapitel besonders viel zu wünschen übrig, und wenn ich eigentlich nur vom sächsischen Recht und seinem Verhältnis dazu sprechen wollte, kann ich doch nicht umhin, bei dieser so traurigen Angelegenheit noch einen Blick auf den noch traurigeren code civil oder besser code Napoléon zu werfen. Er ist noch heute in Rheinpreußen, im ehemaligen Herzogtum Berg, in Rheinhessen und Baden in Kraft. In dem einzigen Satze: „la recherche de la paternité (12) est interdite“ liegt die ganze Wehrlosigkeit, die Vergewaltigung und Ohnmacht einer unterdrückten und mißhandelten Welt ausgesprochen. Die Erforschung der Vaterschaft ist verboten, in welch schmählichem Lichte zeigt sich hier der Despotismus im Dienste des Menschenwuchers! so ruft Fritz Pollaczek in seiner vor kurzem erschienenen Broschüre, „die unverheirateten Mütter und der code civile in Deutschland“, aus, und giebt eine Erklärung der Entstehung dieses Gesetzes durch Napoleon. Nicht genug, daß der dämonische Menschenverächter Bonaparte ein Menschenmaterial verbrauchte, wie es in der Weltgeschichte nie erhört worden ist, eine stets neue Zufuhr von Menschenmaterial war der Strom, der das Schiff seines Ruhmes vorwärts trieb und die willenlosen Völker mit sich fortriß. Man kann daher den Satz, daß die Erforschung der Vaterschaft verboten sei, ruhig auf den Grundgedanken zurückführen, daß die Welt dem ehrgeizigen Massenmörder nicht genug Menschen zu liefern versprach, eine andere Absicht kann jenem Edikt nicht zu Grunde gelegt haben, allenfalls noch die, daß er die Unsittlichkeit seiner Krieger in Schutz nehmen wollte, um sie fester an seine Fahne zu ketten. Welches ist das Loos der armen Mutter? Schande, Not und Verzweiflung. Nach dem französischen Recht und seinen Nachbildungen kann sie das Kind in ein Findelhaus stecken, wenn sie es nicht zu erhalten vermag, und es wird auf öffentliche Kosten erzogen. Weiter kann aber der Staat seine Parteilichkeit nicht erstrecken, als indem er noch die Kosten für die Ausschweifungen der wohlhabenden Männer übernimmt, und es ganz offen thut, um die Familieninteressen der Besitzenden gegenüber den Armen zu schützen. Bevor ich zum Kapitel über die Vormundschaft übergehe, will ich noch eines kleinen Erlebnisses der letzten Wochen gedenken, als Beweis dafür, wie oft von einfachen, ungebildeten Menschen die Schutzlosigkeit des weiblichen Geschlechtes empfunden wird. Es lebt hier im Bürgerhospital ein alter Mann, der sich ohne irgend eine Entschädigung solcher Mädchen als Vormund ihrer unehelichen Kinder annimmt. Wir kamen zufällig in den Fall, einen Brief zu lesen, worin er den wohlhabenden Großvater eines zukünftigen, ganz unverhofft zu erwartenden Enkels um eine Entschädigung und Beihilfe ersuchte. Der uneheliche Vater dieses noch nicht geborenen Kindes war hier gestorben, (13) und das Mädchen hatte nicht den Mut, sich an dessen Vater zu wenden. Das Schreiben dieses Mannes war so schlicht und einfach, er stellte sich nicht auf den rechtlichen Standpunkt, denn ein solcher konnte nicht in Betracht kommen, dafür aber auf den rein menschlichen, und das verfehlte bei dem wohlhabenden Manne, der das Andenken seines Sohnes ehren wollte, seine Wirkung nicht. Nachdem die Sachlage untersucht und richtig befunden war, stellte er Beihilfe in Aussicht und dieses Mädchen ist wenigstens ökonomisch geschützt. Der Vormund freute sich über diesen Erfolg nicht
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minder als das Mädchen. Darüber befragt, wie er eigentlich dazu komme, solche Vormundschaften zu übernehmen, meinte er treuherzig: die armen Mädchen sind so schutzlos und niemand will solche Vormundschaften haben. Er hat deren schon über 60 übernommen, und nicht nur viel Mühe und Zeit darauf verwendet, sondern sogar persönliche Opfer gebracht, um seinen Schützlingen Vorteile zuwenden zu können, deren sie sonst verlustig gegangen wären. Diese rührte mich dermaßen, daß ich im ersten Augenblicke dachte, es wäre an uns Frauen, hier Hilfe zu bringen, aber dann fiel mir sofort ein, daß wir ja keine Vormünder sein dürfen, und also auch auf diesem Felde von einer so wichtigen Arbeit ausgeschlossen bleiben. Im sächsischen Recht sind die Rechte der Mutter selbst über eheliche Kinder sehr knapp zugemessen, es giebt keine mütterliche, sondern nur eine väterliche Gewalt. Wenn der Vater unter Vormundschaft kommt, so ist der über ihn gesetzte Vormund zugleich Vormund der Kinder, d. h. so viel als die Ehefrau ist bevormundet. Verläßt der pflichtvergessene Mann seine Frau, und es ist Vermögen vorhanden, so wird den minderjährigen Kindern wieder ein Vormund bestellt, mit anderen Worten, die Mutter wird mit bevormundet. In Erziehungsfragen entscheidet selbstverständlich immer der Vater. Bei Scheidungen sind Kinder unter35 6 Jahren dem Vater zur Erziehung zu überlassen, sofern nicht nach dem Ermessen des Vormundschaftsrichters bei dem andern Ehegatten für das Wohl der Kinder besser gesorgt ist. Im Entwurf wird nun keine väterliche, sondern eine elterliche Gewalt anerkannt, also auch eine Gewalt der Mutter über ihre Kinder. Es scheint dies ein Fortschritt zu sein, bei dem aber vorläufig bei den noch zumeist herrschenden Anschauungen und Verhältnissen für die Mutter noch nicht viel gewonnen sein wird. (14) Einen wirklichen Fortschritt dagegen enthält der Entwurf, indem er, was bisher nur in Preußen möglich war, im ganzen deutschen Reiche die Frauen, wenn sie im Testament des Vaters oder der Mutter zur Vormundschaft berufen sind, zur Vormundschaft zuläßt. Somit fällt endlich der entsetzliche Passus, der noch jetzt in den Ländern des gemeinen Rechts Geltung hat, nach dem Frauen, gleich wie Minderjährige, Geisteskranke und Verschwender, – früher hieß es noch Blödsinn[i]ge und Kinder – absolut unfähig sind, Vormund zu sein. Immerhin können außer Mutter und Großmutter keine anderen Frauen Vormünder sein, also noch eine ungerechte Beschränkung, die speziell unserem Geschlechte gilt. In wie vielen Fällen wären nicht Tanten und Freundinnen viel besser am Platze, als ein oft ganz fremder Vormund; sie sind ja oft die wahren Wohltäterinnen der Kinder, und erfüllen mit Liebe und Aufopferung eine freiwillig übernommene Liebespflicht. Die Vorteile, die uns der neue Entwurf bietet, sind nach der gegebenen kurzen Darstellung so gering, in einem Falle, bei der Beseitigung der Deflorationsklage, ist sogar ein bedauernswerter Rückschritt zu verzeichnen, daß die Frauen alle Ursache haben, energisch dagegen Protest zu erheben. Es paßt auch auf den anderen Gebieten so vieles nicht mehr in unsere Zeitverhältnisse hinein, daß es ein Unglück und ein Hemmschuh der ganzen Kulturentwickelung wäre, wenn dieser Entwurf in der jetzigen Fassung Geltung erlangen würde. Auf Jahrzehnte hinaus wäre jeder Fortschritt lahm gelegt, und ganz besonders die Frauen in ihren zeitgemäßen 35
[Anmerkung: Wort ist in der vorliegenden Ausgabe handschriftlich geändert in „über“.]
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Bestrebungen aufs neue in Ketten geschmiedet. Wir sind aber stets entschlossen, an diesen Ketten, die für unzählige kaum zu ertragen sind, zu rütteln, bis sie zerreißen, und die Gerechtigkeit den Sieg davon trägt. Es bleibt noch übrig, mit einigen Worten auf das öffentliche Recht, besonders auf das Strafrecht hinzuweisen. Im öffentlichen Recht existiert die Frau gar nicht, da sie nicht stimmberechtigt ist, und nicht vor Gericht auftreten kann. So lange dieser Zustand fortdauert, wird es schwer sein, vollkommene Gerechtigkeit für beide Geschlechter zu erlangen. Durch Wort und Schrift kann aber nach und nach die öffentliche Meinung zu unseren Gunsten gestimmt werden, und das gehört mit zu den wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Als Beweis dafür, (15) daß mit den verheirateten Frauen gar nicht gerechnet wird, möchte ich auf eine Schöpfung der neuesten Zeit, die so viel gepriesene soziale Gesetzgebung der Kranken- und Invaliditätsversicherung hinweisen. Erwerbende Mädchen, bis zu einer bestimmten Berufsklassen hinauf, sind verpflichtet sich zu versichern, sie sind handlungsfähig und steuerpflichtig, es soll für ihre alten Tage gesorgt werden, damit sie nicht dem Staate zur Last fallen. Von dem Augenblicke an aber, wo sie sich verheiraten, hört ihre persönliche Verpflichtung auf. Eine verheiratete Frau kann sich also nicht versichern, sondern nur der Mann, der von seinem 70. Jahre an, oder bei vorher eintretender vollständiger Invalidität seine Altersrente von 30 bis 90 Pfennig pro Tag, je nachdem er in eine niedrige oder höhere Klasse eingezahlt hat, bezieht. Wenn nun aber dann zumal die Frau, die dann gewiß auch nicht mehr erwerbsfähig ist, noch lebt, so muß die kleine Summe geteilt werden, oder stirbt der Mann vor der Frau, so wird sie almosengenössig. Es ist mir unverständlich, wie der Gesetzgeber hier ein so großen Teil der Bevölkerung, nämlich die verheirateten Frauen der unteren Stände gar nicht berücksichtigt haben, denn daß die Frauen dieses Volkskreise durch die Ehe versorgt seien, hat doch wohl kein einziger von ihnen geglaubt. Ist es nicht im höchsten Grade überraschend, daß, während wir im bürgerlichen Recht beinahe Kinder sind, im öffentlichen Recht Null, das Strafrecht plötzlich ganz verantwortungsvolle Menschen aus uns macht, denen das Strafmaß in gewissen Fällen noch schärfer zugemessen ist? Wo ist da die Logik, wenn die schwachen, ungewohnten Schultern plötzlich mehr tragen müssen, als die starken, an die Last gewöhnten? Bei Scheidungen fällt der Fehltritt der Frau viel schwerer in die Wagschale, und bezeichnet den Standpunkt der doppelten Moral, der sich durch unser ganzes soziales Leben seine privaten wie öffentlichen Handlungen zieht. Wir haben gesehen, wie ungenügend die unverheiratete Mutter im bürgerlichen Recht geschützt ist. Wie oft geht solch ein armes mittelloses Mädchen mit innern Qualen, mit Angst und Sorgen ihrer Niederkunft entgegen, der Mann hat sie vielfach in dem Moment verlassen, wo es seine heiligste Pflicht gewesen wäre ihr beizustehen. Unter mannigfachen Kränkungen, und mit der Aussicht auf Nahrungssorgen wird endlich das Kind geboren. In solchen Stimmungen, wo sie infolge körperlicher und seelischer Schmerzen halb unzurechnungsfähig ist, geschieht wohl hie und da einmal (16) das Schreckliche, daß die Unglückliche in einem Augenblick der Verzweiflung selbst Hand an dieses junge Leben legt, um ihm die Qualen des Erdendaseins zu ersparen. Ich zitiere hier eine Gerichtsverhandlung aus Berlin, wie sie wohl ähnlich auch anderswo schon stattgefunden hat, aus der Broschüre des Fritz Pollaczek.
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Nachdem die Zeugenaussagen vorüber sind, entspinnt sich folgendes Gespräch zwischen dem Präsidenten und der Angeklagten: P.: „Wie heißen Sie, Angeklagte?“ A.: (mit leiser Stimme) „Katharina Müller.“ P.: „Wo sind Sie geboren und wann?“ A.: „In Adorf am 23. September 1873.“ P.: „Sind Sie bisher noch nicht bestraft?“ A.: „Nein, Herr Richter.“ P.: „Sie standen zuletzt bei dem Kaufmann Paul Frank hierselbst als Ladenmädchen in Diensten. Ist das richtig?“ A.: „Jawohl.“ P.: „Sie sind angeklagt, Ihr am 14. Januar 1892 außerehelich geborenes Kind männlichen Geschlechts vorsätzlich und mit Überlegung getötet zu haben, um des weiteren Unterhaltes für das Kind enthoben zu sein?“ A.: (Nach einer Pause) „Ja, Herr Richter.“ P.: „Was bewog Sie zu dieser Tat?“ A.: „Ich hatte seit vier Tagen nichts mehr zu essen.“ P.: „Wer war der Vater des Kindes?“ A.: „Mein früherer Bräutigam.“ P.: „Was war das für ein Mann?“ A.: „Er war Reisender meines Prinzipals und hatte mir die Ehe versprochen. Als ich in Hoffnung war, entließ mich Herr Frank, und da ich keine Stelle finden konnte, und auch mein Bräutigam, der viel Geld verdiente, sich nicht mehr um mich kümmern wollte, so nahm ich eine Stelle in einer Waschanstalt an.“ P.: „Wieviel verdienten Sie dort täglich?“ A.: „Eine Mark fünfzig Pfennige. Aber ich mußte nach jedem dritten Tag einen Tag ausruhen, weil ich es sonst nicht aushalten konnte.“ P.: „Unter diesen Umständen konnten Sie sich allerdings keinen Sparpfennig zurücklegen. – Sie wurden in der Hebammenanstalt entbunden?“ A.: „Jawohl.“ P.: „Was unternahmen Sie, als Sie dort entlassen wurden?“ A.: „Ich wandte mich an verschiedene Gesindevermieterinnen, um durch deren Vermittelung eine Stelle zu erhalten, welche es mir ermöglichen sollte, auch den Unterhalt meines Kindes zu bestreiten. In der Stellung eines Dienstmädchens hätte ich dies nie erreichen können.“ P.: „Gingen Sie Ihren Geliebten denn nicht um eine Unterstützung an?“ A.: „O, wohl ein Dutzend Mal! Aber er schrieb mir niemals eine Antwort.“ P.: „Und Sie fanden keine Stellung?“ A.: „Nein, Herr Richter!“ P.: „Erzählen Sie uns die näheren Umstände der That! – Fühlten Sie sich an dem Tage des Mordes krank?“ A.: „Es war mir zu jener Zeit, als ob ich träumte.“ P.: „Wo töteten Sie das Kind?“ A.: „Im Hause des Schuhmachers Melcher, in welchem ich eine Dachkammer bewohnte.“ P.: „Sie erstickten das Kind, indem Sie ihm ein schweres Kopfkissen auf das Gesicht drückten, und sich dann mit dem Oberkörper darüber legten. War dem so?“
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A.: „So war es Herr Richter. Aber ich konnte den armen Wurm nicht länger leiden sehen. Die Hausleute hatten seit zwei Tagen keine Milch mehr borgen wollen, und ich selber konnte bei meiner großen Schwäche das Kind nicht nähren. Das Kind benagte vor Hunger seine Fingerchen und seine Lippen wurden dunkelblau. Schreien konnte es nicht mehr, da es zu schwach war. Und als ich an seinen rollenden Augen sah, daß es Hungers sterben wollte, da kam es wie ein Wahnsinn über mich. Ich nahm meine letzte Kraft zusammen und brachte es um. Wenn ich selber nicht so elend gewesen wäre, so würde ich ihm etwas stehlen gegangen sein; aber ich konnte keinen Schritt mehr gehen. Ich fiel in Ohnmacht und kam ins Spital, wo ich zwei Monate am Nervenfieber darniederlag.“ Die letzten Worte spricht die Angeklagte mit erstickter Stimme. Sie (18) schlägt die Hände vor das Antlitz und weint still vor sich hin. Selbst die Richter können sich einer vorübergehenden Anwandlung eines Mitgefühls nicht erwehren; der Präsident schnäuzt sich laut, der Staatsanwalt räuspert sich wiederholt, als wenn er bereits jetzt seine Rede beginnen wollte, und die übrigen Richter vertiefen sich eingehend in ihre Akten. Die Anklage- und Verteidigungsrede seitens des Staatsanwalts und des Vertheidigers sind hier ohne Bedeutung; nur soviel sei noch mitgeteilt, daß die Angeklagte unter Zuerkennung mildernder Umstände zu einer Gefängnisstrafe von 3 Jahren verurteilt wird. Dies ist annähernd der Gang einer jener Gerichtsverhandlungen, wie sie sich häufig wiederholen. Der Richter fragt nicht einmal nach dem Namen des eigentlichen Urhebers derartiger Vorkommnisse; der code civile schützt den Verführer vor jeder Bloßstellung und Belästigung. Ein Urteil darüber überlasse ich ihnen, aber ich kann mich nicht enthalten, unsere Gesellschaft und ihre herrschenden Anschauungen für das unnatürlichste, was es geben kann, mit verantwortlich zu machen. Während eine solche Unglückliche vor Gericht steht, und ihre Gefängnisstrafe erwartet, genießt vielleicht der Schuldige, der zur Verantwortung zu ziehen wäre, die Freuden des Lebens ohne Gewissensbisse weiter. Eine verheiratete und geschützte Frau wird niemals solche Schuld auf sich laden. Ich las kürzlich einmal von einer Gerichtsverhandlung in Belgien, in welcher eine Kindesmörderin mehrere Jahre Gefängnis erhielt; unter den Geschworenen saß ihr Verführer mit dem Kreuz der Ehrenlegion, er hatte zu seiner Schlechtigkeit noch die Stirn gehabt, sein Opfer zu verurteilen. Was wohl die Frauen sagten, wenn sie unter den Geschworenen säßen? Nicht genug der Tragik, muß ich zum Schluß noch jener Armen und Elenden gedenken, die durch Leichtsinn, größtenteils aber durch die bittere Not des Lebens in Folge der weiblichen Hungerlöhne gefallen sind, unter ärztlicher Kontrolle stehen, und durch Sündengeld ihr Dasein fristen. Hier existiert das Strafgesetz nur für die Frau, der Staat, der im Prinzip die Unsittlichkeit bekämpft, duldet sie in der Praxis, konzessioniert sie als Gewerbe, und gewinnt dadurch die Opfer der Sinneslust für die Ausschweifungen der Männer. Tausende unserer Schwestern gehen darüber elendiglich zu Grunde, viele jugendliche Söhne (19) ehrbarer Eltern werden durch das von vielen Männern so leicht entschuldigte Laster mit ins Verderben gezogen, und das Familienleben untergraben.
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Die Annahme einer doppelten Moral für Mann und Frau ist zum Fluche für unser Jahrhundert geworden, und wenn wir nicht endlich energisch uns dagegen auflehnen, so könnte die Kultur daran zu Grunde gehen. Diese furchtbare Schuld, sie träfe zwar in erster Linie den Mann, dem die Frau nicht gleichberechtigte Persönlichkeit, sondern nur Werkzeug und Eigentum ist, und die er durch die Gesetze so tief erniedrigt hat. Aber auch die Frau, zumal die gebildete, besitzende und versorgte dürfte keineswegs freigesprochen werden; in Folge ihres mangelnden Selbstbewußtseins, wegen ihrer Gedankenlosigkeit, ihres Egoismus, ihrer Trägheit und falschen Prüderie hat sie die entsetzlichen Zustände entweder nicht gesehen oder ruhig geduldet. – Die Vorkämpferinnen in dieser tiefernsten Sache wurden weder verstanden noch geschätzt, sondern vielmehr von den gebildeten Schwestern, die sie zum Kampfe aufrufen wollten, gesteinigt und verachtet. – Die meisten geschützten Frauen hatten keine Ahnung ihrer wahren Mission, Hüterinnen der Sittlichkeit zu sein, und doch war und bleibt ihr ureigenstes Interesse und dasjenige ihrer Kinder aufs engste damit verknüpft. Wer wagt es noch, angesichts so vieler bemühender Thatsachen zu behaupten, wir hätten kein Recht und keine Pflicht, für Gerechtigkeit, Wahrheit, Sittlichkeit und Wohlfahrt mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zu streiten? Wer wäre so feige und erbärmlich, die Hände müßig in den Schoß zu legen, wenn überall die Arbeit ruft, oder seine Augen zu schließen und zu sprechen: ich will nichts sehen und hören, es stört meine Behaglichkeit und meinen Genuß? Die Entwicklung der Menschheit schreitet vorwärts, allen denjenigen zum Trotz, die sich gern aufhalten und die alten Zustände beibehalten möchten. Wie die Sklaverei überwunden worden ist, so wird auch die Unterdrückung der wirtschaftlich Schwachen und damit die Unterdrückung der Frau ein Ende nehmen. Überall weicht die blos physische Kraft und rohe Gewalt der Gerechtigkeit. Unsere späteren Nachkommen werden es kaum begreifen, daß es im 19. Jahrhundert noch eine Zeit gab, in welcher das Geschlecht der Menschen einen ungleichen Wert besaß, und es verschiedene Menschenrechte gab. Ich bin mit meinen mangelhaften Ausführungen zu Ende, die Fülle des Stoffes war zu groß, und mein Können zu schwach; wenn ich Anregung zum Nachdenken gegeben habe, bin ich mehr als zufrieden. Und zum Schluß noch ein Wort von unserem Rechtsschutz. Es werde in immer ausgedehnterem Maße eine Stätte, an welcher wir trösten, Thränen trocknen und thatkräftige Hilfe bringen können. Die Anstalt verlangt mit ihrer Entwicklung immer mehr Opfer an Zeit, Kräften, und vor allem auch an Geld; möge jedes Mitglied und jeder Freund unserer Bestrebungen nach seinen Mitteln dazu beitragen und neue Anhänger werben! Und wenn eine Petition der deutschen Frauen zur Verbesserung der Gesetze in die Hand genommen werden soll, dann hoffen und erwarten wir zuversichtlich, daß unser Verein seinem Namen „RechtsschutzVerein“ Ehre mache, und nicht nur in erster Reihe stehe, sondern weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus durch die Verbreitung der Ideen den Boden dazu vorbereitet habe. Quellen-Angabe. Dr. Anton Menger. Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen. Eine Kritik des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. (Tübingen, Laupp, 1890.) [Nr. 39]
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Dr. jur. Emilie Kempin. Die Stellung der Frau nach den zur Zeit giltigen Gesetzesbestimmungen, sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. (Leipzig, Schäfer, 1892.) [Nr. 30] Fritz Pollaczek. Die unverehelichten Mütter und der code civile in Deutschland. Ein sozialer Übelstand. (Leipzig, A. Schupp.) [Anmerkung: Der genaue Titel der 38seitigen Broschüre Pollaczeks lautet: „Die unverehelichten Mütter und der Code civil in Deutschland“.]
23.
Otto v. Gierke: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (Auszüge), 1889
GIERKE, Otto: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht. Veränderte und vermehrte Ausgabe der in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft erschienenen Abhandlung, Leipzig 1889 Kommentar: Der Jurist und Rechtshistoriker Otto (v.)* Gierke (1841-1921), führender Germanist seiner Zeit, gilt mit seiner Schrift „Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht“ als bedeutendster Kritiker des BGB. Vorliegend ist seine Stellungnahme zum Frauen- und Familienrecht des BGB von Interesse, zumal sich nicht nur die allgemeine juristische Diskussion der 1890er Jahre, sondern die Texte der Frauenbewegung zum Familienrecht auf ihn beziehen.** Gierkes älteste Tochter Anna v. Gierke (1874-1943) war nach 1900 in führenden Positionen frauenpolitisch aktiv. Sie war bereits zur Zeit der BGBRechtskämpfe Leiterin einer sozialpädagogischen Einrichtung, gehörte später zu den Begründerinnen der modernen Sozialpädagogik in Deutschland, war 1919/20 als Abgeordnete der DNVP Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und kandidierte später auf einer Frauenliste erneut – allerdings erfolglos – für den Reichstag. 1931 wurde sie Vorstandsmitglied im Bund Deutscher Frauenvereine. Leitmotiv in Gierkes Familienrechtskritik ist das Eintreten für germanistische und gegen die seiner Meinung nach überrepräsentierten romanistischen Inhalte im BGB-Entwurf. Die Frage nach den jeweiligen Auswirkungen auf die Stellung der Frau wird dabei durchaus berücksichtigt, ist aber nicht Gierkes Hauptanliegen. Daß er Rechtsforderungen der Frauenbewegung eher reserviert gegenübersteht, wird in einer Nebenbemerkung auf S. 419 deutlich, als er das Güterrecht des BGB mit den Worten „(…) der Gedanke des römischen Rechts, daß die Ehe als solche keinen Einfluß auf die Vermögensverhältnisse hat, verdient [im BGB-Entwurf] den Vorzug vor dem entgegengesetzten Gedanken des deutschen Rechtes! Warum führt man dann nicht einfach das römische Dotalsystem als gesetzlichen Güterstand ein?“ kritisiert und hierzu in einer Fußnote anmerkt: „Hiermit hätte man einer Petition * **
Gierkes Erhebung in den erblichen Adelsstand erfolgte 1911. Vgl. nur Kempin (Nr. 30; Die Post, 8.4.1896) „Und dann – hören wir noch, was der deutscheste aller deutschen Juristen, das heißt derjenige, welcher für Beibehaltung, Wiederaufnahme und Fortentwicklung des deutschen Rechts in der Gegenwart am intensivsten kämpft, über die Deutschheit der Verwaltungsgemeinschaft zu sagen hat. Prof. Dr. Otto Gierke verwirft in seiner Schrift: Das bürgerliche Gesetzbuch und der deutsche Reichstag (Berlin 1896) gerade dasjenige System, welches die Verfasser des Entwurfs um der Entwicklung des deutschen Rechts willen als das gesetzliche glaubten aufnehmen zu sollen, indem er sagt, ,die vom Entwurfe bevorzugte bloße Verwaltungsgemeinschaft hat nichts für sich, als das sie das Lockerste unter den überhaupt möglichen Systemen ist […]‘.“ Weitere Reaktionen bei Stritt (Nr. 63), S. 136; Weber (Nr. 65), S. 414; vgl. Riedel, Gleiches Recht; S. 205 f. (sowie ebd. zu Gierke insgesamt S. 186-204).
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Dr. jur. Emilie Kempin. Die Stellung der Frau nach den zur Zeit giltigen Gesetzesbestimmungen, sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. (Leipzig, Schäfer, 1892.) [Nr. 30] Fritz Pollaczek. Die unverehelichten Mütter und der code civile in Deutschland. Ein sozialer Übelstand. (Leipzig, A. Schupp.) [Anmerkung: Der genaue Titel der 38seitigen Broschüre Pollaczeks lautet: „Die unverehelichten Mütter und der Code civil in Deutschland“.]
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Otto v. Gierke: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht (Auszüge), 1889
GIERKE, Otto: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht. Veränderte und vermehrte Ausgabe der in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft erschienenen Abhandlung, Leipzig 1889 Kommentar: Der Jurist und Rechtshistoriker Otto (v.)* Gierke (1841-1921), führender Germanist seiner Zeit, gilt mit seiner Schrift „Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht“ als bedeutendster Kritiker des BGB. Vorliegend ist seine Stellungnahme zum Frauen- und Familienrecht des BGB von Interesse, zumal sich nicht nur die allgemeine juristische Diskussion der 1890er Jahre, sondern die Texte der Frauenbewegung zum Familienrecht auf ihn beziehen.** Gierkes älteste Tochter Anna v. Gierke (1874-1943) war nach 1900 in führenden Positionen frauenpolitisch aktiv. Sie war bereits zur Zeit der BGBRechtskämpfe Leiterin einer sozialpädagogischen Einrichtung, gehörte später zu den Begründerinnen der modernen Sozialpädagogik in Deutschland, war 1919/20 als Abgeordnete der DNVP Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und kandidierte später auf einer Frauenliste erneut – allerdings erfolglos – für den Reichstag. 1931 wurde sie Vorstandsmitglied im Bund Deutscher Frauenvereine. Leitmotiv in Gierkes Familienrechtskritik ist das Eintreten für germanistische und gegen die seiner Meinung nach überrepräsentierten romanistischen Inhalte im BGB-Entwurf. Die Frage nach den jeweiligen Auswirkungen auf die Stellung der Frau wird dabei durchaus berücksichtigt, ist aber nicht Gierkes Hauptanliegen. Daß er Rechtsforderungen der Frauenbewegung eher reserviert gegenübersteht, wird in einer Nebenbemerkung auf S. 419 deutlich, als er das Güterrecht des BGB mit den Worten „(…) der Gedanke des römischen Rechts, daß die Ehe als solche keinen Einfluß auf die Vermögensverhältnisse hat, verdient [im BGB-Entwurf] den Vorzug vor dem entgegengesetzten Gedanken des deutschen Rechtes! Warum führt man dann nicht einfach das römische Dotalsystem als gesetzlichen Güterstand ein?“ kritisiert und hierzu in einer Fußnote anmerkt: „Hiermit hätte man einer Petition * **
Gierkes Erhebung in den erblichen Adelsstand erfolgte 1911. Vgl. nur Kempin (Nr. 30; Die Post, 8.4.1896) „Und dann – hören wir noch, was der deutscheste aller deutschen Juristen, das heißt derjenige, welcher für Beibehaltung, Wiederaufnahme und Fortentwicklung des deutschen Rechts in der Gegenwart am intensivsten kämpft, über die Deutschheit der Verwaltungsgemeinschaft zu sagen hat. Prof. Dr. Otto Gierke verwirft in seiner Schrift: Das bürgerliche Gesetzbuch und der deutsche Reichstag (Berlin 1896) gerade dasjenige System, welches die Verfasser des Entwurfs um der Entwicklung des deutschen Rechts willen als das gesetzliche glaubten aufnehmen zu sollen, indem er sagt, ,die vom Entwurfe bevorzugte bloße Verwaltungsgemeinschaft hat nichts für sich, als das sie das Lockerste unter den überhaupt möglichen Systemen ist […]‘.“ Weitere Reaktionen bei Stritt (Nr. 63), S. 136; Weber (Nr. 65), S. 414; vgl. Riedel, Gleiches Recht; S. 205 f. (sowie ebd. zu Gierke insgesamt S. 186-204).
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Teil 1
des deutschen Frauenvereins Genüge geleistet! Vgl. indes gegen dieses Bestreben Klöppel S. 342, Mitteis S. 565-569.“ Eine ähnliche Haltung zeigt Gierke auf S. 492 f.: „Die Unfähigkeit der Frauen [zur Vormundschaft], an der glücklicherweise trotz einer hiergegen gerichteten Petition des allgemeinen deutschen Frauenvereins festgehalten ist“. Wiederum mit Bezug auf Kloeppel (Das Familien- und Erbrecht des Entwurfs zum bürgerlichen Gesetzbuche, 1889) merkt Gierke zur Formulierung der Eheherrschaft im BGB-Entwurf an: „Nicht mit Unrecht tadelt Klöppel S. 83-86 die den Entwurf beherrschende Tendenz nach übertriebener Gleichstellung der Geschlechter, bei der man von „Gehorsam“ der Frau nicht mehr zu sprechen wagt. Ob freilich dem Manne, dem eine junge Frau davonläuft mit dem ihm von Klöppel zugedachten Recht zwangsweiser Zurückführung viel geholfen wäre, mag man billig bezweifeln.“ Oft wird Gierke eine patriarchale Sicht des Familienrechts unterstellt, woran er, wie der folgende Quellentext zeigt, nicht ganz unschuldig ist (vgl. Gierke, S. 403 f., zum ehemännlichen Mundium), was allerdings andererseits nicht alle seine familienrechtlichen Positionen in gleicher Weise prägt. Sein hauptsächliches Anliegen ist keineswegs eine einseitige Stärkung des Mannes, sondern vielmehr eine Gestaltung des Familienrechts unter Betonung deutsch-rechtlicher Traditionen, d.h. unter Zurückdrängung individualistischer und römisch-rechtlicher Inhalte. Gierke tritt vor diesem Hintergrund tendenziell für ein Mundium des Mannes (vgl. auch Meder, Das mundium, S. 689 f.) nebst Gehorsamspflicht der Frau ein. Damit folgt er der vorherrschenden Auffassung im Deutschen Privatrecht, welche seit ca. 1823/24 das „Mundium“ als zentralen eherechtlichen Begriff verwendet (vgl. zur Entwicklung im 19. Jh.: Landau, Die Vormundschaft als Prinzip des deutschen Privatrechts, 1997; Duncker, Eheherrschaft und Frauenrechte in der Literatur des „Deutschen Privatrechts“, 2006; Meder, Das mundium, 2008, S. 683-685). Weiterhin plädiert Gierke für eine Stärkung des Gemeinschaftsgedankens im Familienrecht, für die (vom Mann gelenkte) Gütergemeinschaft (S. 417; zu Gierkes Güterrechtskonzeption Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 168-186). Wenn er sich bei der Schlüsselgewalt zugunsten einer Sicht der Ehe als Gemeinschaft äußert (S. 405 f.), so führt das in diesem speziellen Anwendungsfall zu einer Aufwertung der Frau. Ähnliches ist in seiner Stellungnahme zur elterlichen Gewalt der Mutter (S. 468-471) zu erkennen. Im Unehelichenrecht wird gar eine einseitige Belastung von Verwandten der Mutter nebst einseitiger Bevorzugung des nichtehelichen Vaters und der väterlichen Verwandten kritisiert (S. 479 f.): „Es bedarf also eines Kompromisses. Auf einem solchen beruhen auch die Vorschriften des Entwurfes. Dasselbe ist aber dahin ausgefallen, daß dem Kinde nach der Mutterseite hin alles, nach der Vaterseite hin nichts gewährt wird. Diese Lösung des Konfliktes ist unbillig und mißt den Fehltritt der Mutter und die Schuld des Vaters mit allzu ungleichem Maß (…). Daß dagegen uneheliche Kinder nicht einmal gegen die Eltern und Großeltern ihres Vaters einen subsidiären Unterhaltsanspruch und nicht einmal gegen ihren Vater ein subsidiäres Erbrecht empfangen sollen, widerspricht dem natürlichen Verhältnis der Blutsverwandtschaft. Man darf nicht der Familie alle Folgen des Fehltritts eines weiblichen Familiengliedes aufbürden, dagegen alle Folgen der Verfehlung eines männlichen Familiengliedes abnehmen (…). Im Grunde steckt hierin ein Stück ,Mutterrecht‘, das für unsere Kulturstufe nicht paßt, wenn es auch der Selbstsucht der Männer und den frivolen Anschauungen mancher Kreise zusagen mag.“
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht. Von Otto Gierke.
(140) […] Andere Zustandsverhältnisse, welche für die rechtliche Stellung der Einzelpersonen von Erheblichkeit sind, erwähnt der Entwurf im Personenrecht nicht. Wir haben schon in anderem Zusammenhange darauf hingewiesen, daß dies im Interesse der Übereinstimmung des vom Gesetzbuch gezeichneten Bildes mit der Wirklichkeit zu bedauern ist. Der monumentale Charakter einer Privatrechtskodifikation erheischt sowohl die ausdrückliche Formulierung des großen Grundsatzes der Rechtsgleichheit als auch die klare und unverhüllte Festsetzung der (141) Grenzen, innerhalb deren allein diesem Prinzip eine Wahrheit zukommt. Schon die Gleichstellung beider Geschlechter hätte als Regel ausgesprochen und zugleich durch den Hinweis auf ihre Schranken vor Mißdeutung gesichert werden können […]. (393) Siebenter Abschnitt. Das Familienrecht des Entwurfes. Käme es nur auf juristischen Scharfsinn und kunstvolle Technik an, so würde dem Familienrecht des Entwurfes der Lorbeer gebühren. Der wirklichen Aufgabe eines deutschen Gesetzbuches wird dieses vierte Buch am wenigsten gerecht. Denn alle Eigenarten der Sprache und Fassung, die das unvolkstümliche Wesen des Entwurfes bedingen, treten gerade hier, wie schon früher hervorgehoben wurde, gehäuft und gesteigert auf36. Zur Warnung von „Laien“, die etwa noch den Glauben hegen, daß mindestens die Gesetze über Familienverhältnisse auch für sie geschrieben seien, sollte man diesem Buche die letzte Zeile der Danteschen Hölleninschrift vorsetzen: Lasciate ogni speranza, voi che entrate. [Anmerkung: vgl. hierzu Dohm, S. 106, welche zum Familienrecht in einer freilich ganz anders motivierten Kritik auf die gleiche Stelle Dantes Bezug nimmt.] Der Inhalt der Rechtssätze ist freilich größtenteils deutscher Herkunft; von dem römischen Familienrecht ließ sich nur wenig unmittelbar übernehmen. Allein überall sind die deutschen Gedanken in das römische Begriffsschema eingezwängt und hierdurch ihrer freien Kraft beraubt. Der Entwurf ist weit davon entfernt, das Familienrecht als einen innerhalb des Privatrechts sich erhebenden Unterbau des Socialrechts aufzufassen und demgemäß aus der Idee der Familie heraus zu gestalten. Er geht nicht von der Familie, sondern von den Individuen aus, zwischen denen durch Ehe, Verwandtschaft oder Vormundschaft besondere Rechtsverhältnisse (394) geknüpft werden. Nun ist zwar der weitere Verband der Sippe abgestorben. Allein die engere Einheit des Hauses ist noch heute lebendig. Das Haus ist noch immer ein aus Haupt und Gliedern bestehender Verband, der organische Grundbestandteil des socialen Körpers, der starke Träger der sittlichen und wirtschaftlichen Ordnung. 36
Vgl. namentlich auch Mitteis über „Form und Sprache des Entwurfes“, in dem Aufsatz über das eheliche Güterrecht desselben, Zeitschrift. f. Privat- u. öff. Recht der Gegenw. Bd. 16, S. 548-554.
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Auch das Privatrecht muß, sobald es zur Familie emporsteigt, sich mit dem Gedanken der organischen Einheit des Hauses erfüllen. Ein Gesetzbuch, welches deutsch sein wollte, fände in der Hausgemeinschaft des deutschen Rechts die unserem Rechtsbewußtsein unverlorne Grundlage eines gesunden Familienrechts. Es müßte nicht nur die deutschrechtlichen Institute, in denen die Hausgemeinschaft sich als Rechtsgemeinschaft erhalten hat, sorgfältig pflegen, sondern gegenüber dem zersetzenden Einfluß, den das fremde Recht hier geübt hat, die Einheit des Hauses auf dem ganzen Gebiet des Familienrechts stärken und neu beleben. Keineswegs dagegen dürfte es durch vollkommene Verleugnung derjenigen Gemeinschaft, welche im Leben am gewaltigsten bindet und fast das einzige bisher unerschütterte Bollwerk gegen die Wogen des Individualismus bildet, von der Seite des Rechtes her die gesellschaftliche Auflösung fördern. Der Entwurf beschreitet diese gefährliche Bahn. Ihm ist nicht einmal der Begriff der Hausgemeinschaft bekannt. Er weiß auch im Familienrecht nur von mechanisch konstruierten Rechtsbeziehungen zwischen isolierten Einzelpersonen. Dabei entfaltet er freilich insofern neue und eigentümliche Rechtsbegriffe, als er die familienrechtlichen Gewaltund Abhängigkeitsverhältnisse unter dem Gesichtspunkt der Rechte an fremder Persönlichkeit auffaßt. Allein er verdünnt nicht nur diese personenrechtlichen Grundverhältnisse zu vereinzelten Individualrechten, sondern löst auch ihre vermögensrechtlichen Wirkungen in der Form selbständiger sachenrechtlicher oder obligationenrechtlicher Institute von dem Stamm des Personenrechts ab. Und soweit es irgend angeht, stückelt er dann die innerhalb der Familie herrschende Ordnung aus Fragmenten des in den übrigen Büchern vorgetragenen Verkehrsrechts zusammen. So empfängt das ganze Familienrecht ein mosaikartiges Gepräge. Es entfaltet sich nicht aus einer eigentümlichen Idee, sondern entsteht aus der kunstvollen Zusammenfügung disparater Elemente zu einem verwickelten Normenkomplexe, der nur scheinbar ein einheitliches Ganze bildet, in Wahrheit dagegen des inneren Bandes entbehrt. Fast scheint es, als habe der Entwurf selbst mitunter sich die auflösende Kraft seines Verfahrens zum Bewußtsein gebracht und nach einem Gegengewicht gesucht. Vielleicht erklären sich hieraus einzelne rigorose Bestimmungen, welche das inhaltlich entkräftete Rechtsband äußerlich um so fester schlingen. (395) Der erste Abschnitt des vierten Buches behandelt die „Ehe“37 und regelt zunächst in einem ersten Titel die „Eingehung der Ehe“. Wenn hier die Lehre vom „Verlöbnis“ (I) und somit das ganze Familienrecht mit dem Satz eingeleitet wird (§ 1227): „Durch das Verlöbnis wird eine Verbindlichkeit der Verlobten zur Schließung der Ehe nicht begründet“, – so haben wir diesen in gleicher Weise den guten Geschmack und das sittliche Gefühl verletzen37
Über das Eherecht des Entwurfes vgl. Bähr, S. 530–545; Berolzheimer, Gutachten, S. 295–322; Klöppel, Beitr. z. Erl. des deut. Rechts Bd. 33, S. 64–93 u. 338–344; Menger, a.a.O., S. 28–34. – „Das Personenrecht der Ehegatten im Entwurf u. s. w.“ hat Hinschius, Arch. f. d. civ. Pr. Bd. 74, S. 55–96, einer durchaus zutreffenden Kritik unterzogen. Ergänzungen hierzu bringt von Scheurl ebd., S. 387–398. – Hinsichtlich des ehelichen Güterrechts insbesondere ist namentlich der Aufsatz von Mitteis, Bemerkungen zum ehelichen Güterrecht nach dem Entwurf u. s. w., Zeitschr. f. Privatu. öff. Recht der Gegenw. Bd. 16, S. 545–616, hervorzuheben. Einen vollständigen Gegenentwurf des ehelichen Güterrechts hat Bähr im Arch. f. bürg. Recht Bd. 1, S. 233–266 veröffentlicht.
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den Mißgriff der Gesetzesfassung schon oben zurückgewiesen38. Sachlich sind wir mit der Versagung einer Klage auf „Schließung der Ehe“ einverstanden. Allein wir glauben, daß unser Rechtsbewußtsein mit derselben Energie, mit der es jeden Zwang zur Erfüllung des Eheversprechens ausschließt, an der rechtlich bindenden Kraft des Verlöbnisses festhält. Hat doch der Entwurf selbst nicht den Mut gefunden, zum reinen römischen Recht zurückzukehren, sondern der nach der Einräumung der Motive (IV. S. 3) im Volke lebenden Anschauung, welche den germanischen Begriff der Verlobung als eines zur Treue verpflichtenden Bandes niemals aufgegeben hat, ein erhebliches Zugeständnis gemacht. Denn er legt dem Verlobten, welcher grundlos zurücktritt oder den berechtigten Rücktritt des anderen Teils schuldhaft herbeiführt, die Verbindlichkeit auf, dem anderen Verlobten und dessen Eltern den Schaden aus den in Erwartung der Eheschließung gemachten Aufwendungen, eingegangenen Verbindlichkeiten und sonst getroffenen vermögensrechtlichen Verfügungen zu ersetzen (§ 1228). Mit der Gewährung dieses Ersatzanspruches aber, der nur gleich dem in höchst verkünstelter Form aufgenommenen Anspruch auf Rückgabe der Brautgeschenke (§ 1229) durch die kurze Verjährungsfrist von einem Jahre eingeschränkt wird (§ 1230), giebt der Entwurf selbst alle von den Motiven gegen die „rechtliche Verbindlichkeit“ des Verlöbnisses vorgebrachten (396) Argumente preis. Woher anders als aus dem Bruch einer Rechtspflicht soll denn die Verpflichtung zum Schadenersatz stammen? Kann nicht auch durch die Furcht vor derartigen Ersatzleistungen die „Freiheit der Willensbestimmung bei der Eheschließung“ beeinträchtigt werden? Und wird die Einmischung der Gerichte nun etwa vermieden? Geht man einmal soweit, so muß man auch weiter gehen und darf nicht bei einer halben Maßregel stehen bleiben, die nur geeignet ist, das Rechtsbewußtsein zu verwirren und kleinliche Streitigkeiten (etwa über den Zusammenhang der Anschaffung eines neuen Fracks oder neuer Kleider mit dem Verlöbnis oder über die Kosten von Besuchsreisen) hervorzurufen. Der schuldige Verlobte muß mit einer vollen Ausgleichspflicht belastet werden, damit wenigstens in vermögensrechtlicher Hinsicht eine Sühne des Treubruches erfolge. Das Gericht muß die Ermächtigung empfangen, unter Würdigung aller Umstände auf eine Abfindung zu erkennen, bei welcher nicht bloß auf Ersatz für die zugefügten Vermögensnachteile, sondern auch auf Genugthuung für die erlittene Kränkung zu sehen ist39. Freilich mag dem treulos verlassenen und vielleicht um ihre ganze Zukunft betrogenen Mädchen mit einem Geldanspruche wenig geholfen sein. Allein die Rechtsordnung setzt sich mit den sittlichen Anschauungen des Volkes in Widerspruch, wenn sie nicht wenigstens das Ihrige thut, um die Folgen eines so tiefen und zerstörenden Eingriffes in fremdes Lebensschicksal dem Schuldigen aufzubürden. Daß in vielen Fällen namentlich innerhalb der höheren Gesellschaftsklassen die Erhebung von Geldansprüchen aus Zartgefühl unterbleibt, kann natürlich für die Gesetzgebung keinen Grund bilden, solche an sich 38 39
Vgl. oben S. 43; dazu Artikel der Nationalzeitung Jahrg. 1888 Nr. 515, Hinschius, S. 55 ff., Zitelmann, S. 49 Anm. 65; Hanausek, Verh. des 20. Juristent. Bd. 1, S. 318. Hinschius, mit dessen Ausführungen wir im übrigen durchweg übereinstimmen, scheint S. 58 den Antrag des unschuldigen Verlobten auf das pekuniäre Erfüllungsinteresse einschränken zu wollen. Der angeführte Artikel der Nationalzeitung tritt für Ersatz des „Unbildenschadens“ auch ohne Rücksicht auf direkte Vermögensschädigung ein. Wir haben uns schon oben S. 197 für die prinzipielle Anerkennung von Ersatzansprüchen wegen immateriellen Schadens erklärt.
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gerechten Ansprüche ganz zu versagen. Unserem Volke würde das Verständnis für ein Recht fehlen, welches den Verlöbnisbruch als eine Bagatelle behandelt. Oder sollen wir etwa ernsthaft den nach der Versicherung der Motive (S. 3) erzielten „großen Vorteil“ in Rechnung stellen, „daß die Ausstellung einer vollständigen Theorie des Verlöbnisses entbehrlich wird und die vielen damit verbundenen Schwierigkeiten vermieden werden“40? Wiegt dieser „Vorteil“ (397) die Verletzung des Rechtsgefühles auch nur in einem einzigen Falle auf? Wir fürchten aber, daß ein so laxes und unbilliges Verlöbnisrecht nicht bloß den Glauben an die Gerechtigkeit in weiten Kreisen schwächen, sondern im Laufe der Zeit auch auf die Sitte schädigend zurückwirken und schließlich sogar zur Abstumpfung der sittlichen Anschauungen beitragen würde41. […] (402) Der zweite Titel des Eherechts beschäftigt sich mit den „Wirkungen der Ehe“ und bringt zunächst „allgemeine Vorschriften“ (I). Der Entwurf erkennt Recht und Pflicht der ehelichen Lebensgemeinschaft an, ordnet einzelne Folgen derselben und gewährt eine Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens (§§ 1272-1276)42. Daß er der Ehefrau zwar den Namen, aber nicht den Stand des Ehemanns zuspricht, haben wir schon oben (S. 85) als Mißgriff bezeichnet. Eine andere, der Ausfüllung dringend bedürftige Lücke besteht in dem Mangel jeder festen Regelung der Fälle, in denen die Ehefrau dem Manne bei einer Verlegung des Wohnsitzes nicht zu folgen braucht (vgl. Hinschius S. 82–84). Im übrigen ist es zu billigen, daß der Entwurf sich auf eine Specialisierung der gegenseitigen persönlichen Rechte und Pflichten nicht einläßt, sondern nur im allgemeinen dem Ehemanne das entscheidende Wort in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten, der Ehefrau aber das Recht und die Pflicht der Leitung des gemeinschaftlichen Hauswesens und je nach dem Stand des Mannes auch die Pflicht zu häuslichen Arbeiten und geschäftlicher Hülfeleistung auferlegt. Wenn Hinschius S. 74–81 auch diese Bestimmungen für überflüssig und wegen der Unmöglichkeit eines geeigneten Rechtszwanges für irreführend erklärt, so können wir ihm hierin nicht beipflichten. Das Gesetzbuch spricht nicht bloß zum Richter, sondern in erster Linie zum Volke. Es thut wohl daran, die Grenzen zu bezeichnen, innerhalb deren die aus dem Wesen der Ehe folgenden sittlichen Pflichten zugleich Rechtspflichten sind. Schweigt es darüber, so erregt es leicht den irrigen Schein, als handle es sich dabei lediglich um Gebote der Moral. Vielleicht wäre es sogar angemessen, noch einen Schritt weiter zu gehen und 40
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Über diese geradezu erstaunliche Motivierung einer sachlichen Entscheidung hat auch Jastrow, Tägl. Rundschau 1888 Nr. 253 S. 1010, sein Befremden geäußert. Vgl. auch Berolzheimer S. 296. Auch v. Scheurl S. 388–389 ist dieser Ansicht; er verlangt Wahrung der deutschen Auffassung des Verlöbnisses als eines familienrechtlichen Bandes, gesetzliche Regeln über Eingehung und Lösung, ehehindernde Wirkung gegenüber Ascendenten und Descendenten des anderen Teils und mindestens einen Ausstattungsanspruch der geschwängerten Braut. Nicht mit Unrecht tadelt Klöppel S. 83–86 die den Entwurf beherrschende Tendenz nach übertriebener Gleichstellung der Geschlechter, bei der man von „Gehorsam“ der Frau nicht mehr zu sprechen wagt. Ob freilich dem Manne, dem eine junge Frau davonläuft mit dem ihm von Klöppel zugedachten Recht zwangsweiser Zurückführung viel geholfen wäre, mag man billig bezweifeln. – Dagegen findet L. Goldschmidt S. 154 in § 1273 Abs. 1 umgekehrt eine zu starke Betonung des Rechtes des Mannes.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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auch einen allgemeinen Hinweis auf die gegenseitige Treupflicht und auf die gegenseitige Beistandspflicht in das Gesetzbuch aufzunehmen43. (403) Das ehemännliche Mundium will der Entwurf beseitigen. Bei seiner romanistischen Grundrichtung war dies um so weniger anders zu erwarten, als leider schon die Civilprozeßordnung mit der Verleihung der Prozeßfähigkeit an die Ehefrau vorangegangen ist. Der Entwurf fügt die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit der Ehefrau hinzu. Nur zu einem Rechtsgeschäft, „durch welches sie zu einer in Person zu bewirkenden Leistung sich verpflichtet“, – also zu einem Dienstvertrage, einem Gesellschaftsvertrage, einem Werkvertrage, der Übernahme eines Auftrages u. s. w., sofern sie persönlich zu leisten hat, – soll die Frau der Einwilligung des Mannes bedürfen. Doch erklärt der Entwurf, um das „große Prinzip“ der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau nicht zu durchbrechen (Motive S. 111), auch ein solches Geschäft mangels Einwilligung des Mannes nicht für unwirksam, sondern gewährt nur dem Manne ein höchst persönliches Anfechtungsrecht, durch welches derselbe die Aufhebung des Geschäftes für die Zukunft und die Verwandlung des Anspruchs auf rückständige persönliche Leistungen der Frau in einen Schadenersatzanspruch herbeiführen kann (§ 1277). Nicht als Mundwalt der Frau also, sondern zur Nahrung seiner eignen „Rechte auf ihre Person“ empfängt der Mann diesen Rest von hausherrlicher Gewalt. Folgerichtig wird er zugleich jeder gesetzlichen Vertretungsmacht für die Frau entkleidet und bedarf nun stets einer besonderen Vollmacht, um vor Gericht oder außer Gericht für sie zu handeln (Motive S. 120). Liegt denn aber wirklich ein triftiger Grund zu diesem vollständigen Bruch mit dem im größten Teil Deutschlands erhaltenen deutschen Rechte vor? Ist es ein unabweisliches Bedürfnis, die Ehefrau, welche nicht Handels- und Gewerbefrau ist, in den Geschäftsverkehr einzuführen, ihr die selbständige Verpflichtungsfähigkeit mit Einschluß der Wechselfähigkeit zu verleihen, den Ehemann zum passiven Zuschauen bei allen möglichen geschäftlichen Operationen seiner Frau zu verurteilen? Entspricht es unserem deutschen Rechtsbewußtsein, daß der Mann nicht mehr als der geborene Vertreter der Frau gelten soll, sondern für sie nur in gleicher (404) Weise wie für Herrn X und Y als Mandatar oder negotiorum gestor auftreten kann? Einer solchen Rechtsordnung liegt die römische, nicht die deutsche Auffassung der Ehe zu Grunde! Es sind die letzten Konsequenzen des Individualismus, die hier gezogen werden. Mann und Frau treten nicht mehr in irgend einer Verbundenheit, sondern als zwei vollkommen getrennte und nur mit gewissen Rechten an fremder Person und an fremdem Vermögen gegeneinander ausgestattete Einzelpersonen in die Rechtswelt ein. Von einer nach außen wirken43
Entbehrlich und in keiner Unbestimmtheit bedenklich ist nur der Abs. 2 des § 1273, der allerdings mit der Befreiung der Ehefrau von der Folgeleistungspflicht, falls die Entscheidung des Mannes „sich als ein mit der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbarer Mißbrauch der Rechte des Ehemanns darstellt“, einen Zankapfel zwischen die Gatten wirft und dem Richter Unmögliches zumutet; vgl. auch Klöppel S. 80. – Nebenbei sei auf die sonderbare Blüte aufmerksam gemacht, die der Verweisungsstil in § 1276 treibt. Daß der Rechtsstreit über Herstellung des ehelichen Lebens von den Ehegatten nur in Person geführt werden kann, hierbei aber auch der in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Ehegatte prozeßfähig ist, hätte sich offenbar mit einer geringeren Anzahl von Worten direkt sagen lassen als durch die umständliche Verweisung auf entsprechende Anwendung der Vorschriften des § 1254 unter Hinzufügung einer die Hälfte dieser Verweisung widerrufenden „Maßgabe“.
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den personenrechtlichen Gemeinschaft der Ehegatten, von einem Ehepaare, das als solches zu nehmen wäre, weiß der Entwurf nichts. Er glaubt mit der Beseitigung der ehemännlichen Gewalt lediglich ein Überbleibsel der veralteten Geschlechtsvormundschaft zu tilgen und die deutschen Frauen von einer nicht mehr zeitgemäßen Fessel zu befreien. Es entgeht ihm völlig, daß wenn die ehemännliche Muntschaft auch nach dem Wegfall der Unmündigkeit der Weiber sich fast in ganz Deutschland in der einen oder anderen Form erhalten hat, darin ein ganz anderer Gedanke fortwirkt; daß es sich dabei heute lediglich noch um die Rechte und Pflichten des Hauptes der ehelichen Gemeinschaft handelt, deren Einheit nicht durch eine gesonderte zwiespältige Geschäftsthätigkeit zerrissen werden soll; daß aber die Behandlung der Ehegatten als eines zur Personeneinheit verbundenen und im Rechtsverkehr regelmäßig durch das Gemeinschaftshaupt dargestellten Menschenpaares auch heute unseren deutschen Sitten und Anschauungen entspricht. Gerade aus diesem Gedankengehalt des Rechtsinstituts der ehemännlichen Muntschaft ergiebt sich dann zugleich, daß auch die Frau im Bereiche ihres häuslichen Wirkungskreises und darüber hinaus in Fällen der Unfähigkeit oder Verhinderung des Mannes zur selbständigen Darstellung der ehelichen Gemeinschaft berufen ist. Und es leuchtet ferner sofort ein, daß von dem normalen Verhältnis Abweichungen zugelassen werden müssen, um einer besonderen Sachlage gerecht zu werden, die eine getrennte Geschäftsthätigkeit der Gatten wünschenswert macht; daß daher der Frau die selbständige Geschäftsfähigkeit im Bereiche eines mit Einwilligung des Mannes getriebenen Erwerbsgeschäftes, im Umfange sonstiger vertragsmäßiger Einräumungen und hinsichtlich eines etwaigen Vorbehaltsgutes gebührt; daß endlich im Falle einer durch Unfähigkeit oder Mißwirtschaft des Mannes notwendig gewordenen Vermögenssonderung die Frau durchaus auf sich selbst gestellt werden muß. Allein in allen diesen Punkten kommen ja die geltenden deutschen Partikularrechte, welche dem deutschen Recht treu geblieben sind, den Bedürfnissen des Gebens bereitwillig entgegen. Ihre Bestimmungen gehen freilich nicht nur im einzelnen vielfach auseinander, sondern lassen auch oft die nötige Klarheit über den (405) entscheidenden Grundgedanken vermissen. Allein der Entwurf hätte nur das Facit zu ziehen und das Recht, nach dem die weit überwiegende Mehrheit unseres Volkes lebt, im Geiste des Gemeinschaftsgedankens auszubauen gebraucht, um anstatt der vorgeschlagenen Romanisierung der Ehe ein kräftiges deutsches Volksrecht zu schaffen44. 44
Gegen die Beseitigung der ehemännlichen Munt und den unglücklichen Ersatz derselben durch § 1277 auch Klöppel S. 88 – Man vgl. ferner Brühl, Die Arbeit der Ehefrau im Entwurf u. s. w., Arch. f. d. civ. Pr. Bd. 74 S. 399–421, in Verbindung mit dem Aufsatz desselben Verfassers über die eheliche Nutznießung im Entwurf u. s. w., ebenda Bd. 73 S. 408–428. Brühl erkennt als Hauptfehler des Entwurfes die undeutsche Auffassung der Ehe und die Einführung des römischen Dotalrechtsgedankens; er bekämpft lebhaft die Gleichstellung des „ehelichen Vermögensrechts“ mit dem „reinen Vermögensrecht“ und die Anwendung der gewöhnlichen sachenrechtlichen und obligationenrechtlichen Kategorien; doch will er an Stelle hiervon zwar das personenrechtliche Verhältnis zwischen den Ehegatten als Ausgangspunkt und Maßstab aller vermögensrechtlichen Beziehungen statuieren, versäumt aber die Ausgestaltung des Gedankens der personenrechtlichen Gemeinschaft; so gelangt er zu der Forderung, daß die selbstständige Geschäftsfähigkeit der Frau streng durchgeführt, ihr freies Recht auf die eigene Arbeitskraft durch Streichung von § 1277 (dessen unerquickliche
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Der Ehefrau gewährt der Entwurf die Schlüsselgewalt (§ 1278). Auch dieses deutschrechtliche Institut aber verdirbt er durch eine romanistische und somit schlechthin individualistische Konstruktion45. Die Führung des Hauswesens wird nicht als eine gemeinschaftliche Angelegenheit, sondern als alleiniges Geschäft des Mannes aufgefaßt. Wenn die Ehefrau in ihrem häuslichen Wirkungskreise handelt, vertritt sie nicht die eheliche Gemeinschaft, sondern besorgt fremde Geschäfte und gilt als Stellvertreterin des Mannes. Verschiedene Regeln über den „Auftrag“ finden „entsprechende Anwendung“. Es wird eine besondere Vermutung dafür aufgestellt, daß die Frau ein innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises abgeschlossenes Rechtsgeschäft „im Namen des Ehemannes“ vorgenommen hat. Der Mann kann einseitig das Recht der Frau beschränken oder entziehen, die Frau jedoch, falls darin „ein Mißbrauch des Rechtes des Ehemannes“ liegt, mit der Klage auf „Herstellung des ehelichen Lebens“ ihr Recht zurückfordern. Welche künstliche Verkehrung eines natürlichen Verhältnisses! Welche Mißachtung des organischen (406) Wesens der ehelichen Gemeinschaft! Welche gewaltsame Auseinanderzerrung dessen, was zusammengehört! Immerhin wird wenigstens der Sache nach die Frau in ihrer Eigenschaft als Hausfrau zu einer Repräsentanz berufen, die dem Mann in seiner Eigenschaft als Hausherr schlechthin versagt wird. Dagegen verwirft der Entwurf wiederum die jetzt in fast ganz Deutschland anerkannte weitergehende Vertretungsmacht der Frau im Falle der Verhinderung des Mannes durch Krankheit oder Abwesenheit. Die Motive geben zu, daß das bisherige Recht der natürlichen Auffassung entspricht: sie meinen aber, die Vorschriften über negotiorum gestio, über ungerechtfertigte Bereicherung (!), über Vormundschaft und über Pflegschaft würden in den meisten Fällen dem Bedürfnis genügen (S. 121). Und vor allem giebt es ja einzelne Rechtsgebiete, in denen das römische Recht den deutschen Gedanken erstickt hat. Wie kann man ihnen eine Rückkehr zu dem überwundenen Standpunkt einer organischen Gemeinschaft, als deren Mitträgerin die Frau das behinderte Haupt zu ersetzen hat, zumuten wollen? Daß der Entwurf das Verbot der Schenkungen unter Ehegatten und die Einschränkungen der Intercessionen der Ehefrau zu Gunsten des Ehemannes beseitigt (Motive S. 113–117), verdient an sich Billigung46. Freilich würden diese römischrechtlichen Schutzmaßregeln erst dann ihre Daseinsberechtigung vollkommen einbüßen, wenn das eheliche Verhältnis im ganzen deutsch und nicht römisch geordnet wäre. Durch eine Reihe weiterer Bestimmungen ermäßigt der Entwurf die Sorgfalt, welche die Ehegatten einander in Vermögensangelegenheiten schulden, zur diligentia quam in suis (§ 1279)47, regelt die Unterhaltspflicht des Mannes gegenüber der Frau (§ 1280) und die subsidiäre Unterhaltspflicht der Frau gegenüber dem Manne (§ 1281) und stellt im Anschluß an die praesumtio Muciana eine Vermutung für das Eigentum des Mannes an allen in der Inhabung eines oder beider Gat-
45 46 47
Folgen er Bd. 74 S. 408 gut darlegt) und auch von § 1275 Abs. 2 (ebenda S. 413) verwirklicht und nur durch ein personenrechtliches und somit gegen Dritte wirksames Herrschaftsrecht des Mannes über das Arbeitsvermögen der Frau in dem für die Zwecke der Ehe erforderlichen Umfange erseßt werde (ebenda S. 411 bis 412 u. 416 ff.). – Für den Entwurf Mitteis S. 554–555 u. 560–561. 2) A. M. Mitteis S. 555. A. M. Mitteis S. 555. Vgl. Klöppel a. a. O. Bd. 33 S. 339. Vgl. Mitteis S. 561.
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ten befindlichen Sachen mit Ausnahme der ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmten Gegenstände auf (§ 1282). Daß diese Vermutung nicht bloß den Gläubigern gegenüber48, sondern auch im Verhältnis der Ehegatten zueinander gelten soll, ist eine auf keine Weise zu rechtfertigende Unbilligkeit, die mit der Unbilligkeit des (407) vom Entwurfe aufgestellten ehelichen Güterrechts gegen die Frau zusammenhängt. Dieses „eheliche Güterrecht“, das der Entwurf in dem von den Wirkungen der Ehe handelnden Titel unter II als gesetzlichen Güterstand normiert, ist das System der Gütertrennung mit „ehelicher Nutznießung und Verwaltung“ des Mannes an allem nicht vorbehaltenen Frauengut sowie mit Alleineigentum des Mannes an der ehelichen Errungenschaft und alleiniger Verbindlichkeit desselben zur Tragung der ehelichen Lasten. Die Motive schmücken es freilich mit dem Namen der „deutschrechtlichen Verwaltungsgemeinschaft“ (S. 156 ff.). Indes ist von einer „Gemeinschaft“ dabei nichts zu spüren. Da das ehemännliche Mundium beseitigt ist, fehlt es für die vermögensrechtlichen Befugnisse und Pflichten des Mannes an der personenrechtlichen Grundlage, welche bei der alten „Gewere zur rechten Vormundschaft“ gegeben war und auch bei den neueren Systemen des „ehemännlichen Nießbrauches“ nicht ganz verschwunden ist. Der Mann erscheint juristisch überhaupt nicht mehr als Gemeinschaftshaupt mit einer ihm im gemeinsamen Interesse des Ehepaares anvertrauten Verwaltung der zu diesem Zwecke verbundenen Güter, sondern empfängt eine Anzahl selbständiger Rechte an fremden Sachen nebst angehängten Forderungsrechten und Schuldverbindlichkeiten, wobei er durchaus nur als Träger einer von der Individualsphäre der Frau gesonderten eignen Individualsphäre behandelt wird. Sowenig wie von einer „Gemeinschaft“ kann man daher von einer „Güterverbindung“ oder „Gütereinheit“ im Sinne des deutschen Rechtes sprechen. Denn weder von einer „Verbindung“ noch von einer „Einheit“ ist irgend etwas zu merken. Die Motive bedienen sich dieser Ausdrücke nur, um die vorgeschlagene Ordnung schmackhafter zu machen49. Unter der Überschrift „Ehegut und Vorbehaltsgut“ (1) vollzieht der Entwurf zunächst die Abgrenzung des der Nutznießung und Verwaltung des Mannes unterworfenen Frauenvermögens, das er unpassend (408) „Ehegut“ nennt. Dasselbe besteht aus allem nicht besonders ausgenommenen Vermögen, das die Frau in die Ehe einbringt oder während der Ehe erwirbt (§ 1283). Doch bleibt im Falle der Eheschließung einer minderjährigen oder sonst in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Frau ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters die Verwandlung ihres Vermögens in Ehegut bis zur Heilung des Mangels suspendiert (§ 1284). Auch werden die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmten 48
49
Ihnen gegenüber will Mitteis S. 555–560 aus guten Gründen die Vermutung auch auf Forderungen ausdehnen und der Frau den Beweis des Erwerbes aus eigenen Mitteln auferlegen. Gegen die Losreißung der ehelichen Nutznießung von der personenrechtlichen Grundlage vgl. Brühl a. a. O. Bd. 73 S. 408–428 und Mitteis S. 582–596; beide wollen ein an die Gewere zur rechten Vormundschaft anknüpfendes, wennschon abgeschwächtes mundschaftliches Verwaltungs- und Nutzungsrecht des Mannes am Vermögen der Frau substituieren. Bähr behält in seinem Gegenentwurf S. 241–251 die Grundlage des Entwurfes bei, will aber das Recht des Mannes unter dem Namen „eheherrliche Nutznießung“ bezw. „eheherrliches Recht“ einheitlicher und einfacher gestalten (§§ 14–36).
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Sachen (z.B. Kleidung und Schmuck) zwar im übrigen als Ehegut behandelt, jedoch der „ehelichen Nutznießung“ entzogen (§ 1285). Den Gegensatz des Ehegutes bildet das „Vorbehaltsgut“ der Frau, welches von dem ehelichen Verhältnis überhaupt nicht ergriffen wird und nicht einmal einen Beitrag zur Bestreitung der ehelichen Lasten zu leisten hat. Es kann durch Ehevertrag oder Zuwendung eines Dritten begründet werden, umfaßt aber auch den Erwerb der Frau aus einem Rechtsgeschäft, dessen Genehmigung der Mann verweigert, aus selbständiger Arbeit und aus dem selbständigen Betriebe eines Erwerbsgeschäftes und nimmt überdies die Erträge und Surrogate von Vorbehaltsgut in sich auf (§§ 1286–1291). Die Ausdehnung der Vorbehaltsgutseigenschaft auf den erwähnten eignen Erwerb der Frau zerreißt die Einheit der Ehe. Freilich wird damit der Frau eine gewisse Kompensation für den Ausschluß von der gesamten ehelichen Errungenschaft gewährt. Allein welche Ungerechtigkeit liegt darin, daß die sich dem Hauswesen oder dem Geschäft widmende Frau keinen Pfennig zugleich für sich erarbeitet, die als Schriftstellerin, Sängerin, Händlerin u. s. w. thätige Frau umgekehrt von ihrem Erwerbe keinen Pfennig für den gemeinsamen Haushalt und die Erziehung der Kinder herzugeben braucht. Die Motive meinen, der Mann könne ja insoweit, als die Frau behufs des selbständigen Erwerbes solche Rechtsgeschäfte vornehmen müsse, die an seine Einwilligung gebunden seien, diese Einwilligung an beliebige Bedingungen und so auch an die Zusage eines Beitrages zu den Ehelasten knüpfen. Allein was ist das für eine Eheordnung, welche die Eheleute anweisen muß, miteinander zu markten und zu feilschen, damit die gesetzliche Regel unschädlich werde! Dazu nehme man die Unsicherheit der Grenzen zwischen den der ehemännlichen Einwilligung bedürftigen und den ihrer nicht bedürftigen Rechtsgeschäften, die Unwürdigkeit des hierbei ausschlaggebenden Gesichtspunktes der ehemännlichen Rechte an der Person der Frau, den in § 1288 statuierten geschäftsmäßigen Verkehr der Eheleute über Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung mit Fristensetzung und Kontumacialfolgen – und man wird sich ein (409) Bild von den ehelichen Zuständen machen können, auf deren Herbeiführung diese Vorschriften über Vorbehaltsgut abzielen50. Die „Nutznießung des Eheguts“ (2) regelt der Entwurf durch Verweisung auf die Vorschriften über den gewöhnlichen Nießbrauch (§ 1292) unter Hinzufügung einer Reihe von Modifikationen (§§ 1293 bis 1299). Der Nießbrauch soll hier nur das jeweilige Ehegut ergreifen; an verbrauchbaren Sachen soll das Eigentum bei der Frau verbleiben, sofern sie nicht dasselbe dem Manne besonders übertragen 50
Gegen die Bestimmung des § 1289 über die Vorbehaltsgutseigenschaft des Arbeitserwerbes der Frau wendet sich auch Brühl a. a. O. Bd. 74 S. 408 ff. u. 418 ff., indem er treffend ausführt, daß nach deutscher Auffassung die ehelichen Lasten aus den Erträgnissen des beiderseitigen Vermögens und der beiderseitigen Arbeitskraft zu bestreiten sind, und deshalb vorschlägt, den Arbeitserwerb nur nach Abzug eines angemessenen Beitrages zu den Ehelasten als Vorbehaltsgut zu behandeln. Bähr in seinem Gegenentwurf S. 249 §§ 34-35 will die Vorbehaltsgutseigenschaft des Arbeitserwerbes der Frau beibehalten, ihr jedoch eine Beitragspflicht zu den Ehelasten auferlegen und jeden Ersatzanspruch wegen Verwendung des Vorbehaltsgutes zu Ehezwecken absprechen. Klöppel S. 88 billigt § 1289. Mitteis S. 575-582 findet es bedenklich, daß nach § 1287 auch der Pflichttheil als Vorbehaltsgut zugewandt werden kann, und erhebt eine Reihe von Einwendungen gegen § 1288; auch will er das Vorbehaltsgut nicht so völlig wie der Entwurf der ehelichen Gemeinschaft entziehen.
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hat; wegen des Wertersatzes für ordnungsmäßig verbrauchte oder veräußerte verbrauchbare Sachen und für zu viel gezogene Früchte soll der Mann zur Sicherheitsleistung nicht verpflichtet sein; die Frau soll unter Umständen die sofortige Erfüllung einer den Mann erst bei Beendigung des Nießbrauches treffenden Ersatzpflicht behufs Befriedigung eines Ehegutsgläubigers fordern können; dem Manne wird gegenüber der Frau außer den dem Nießbrauchs zur Last fallenden Erhaltungskosten die Bestreitung bestimmter als Verwaltungskosten behandelter Lasten und Abgaben, Versicherungsbeiträge, Zinsen und wiederkehrender Leistungen und Prozeßkosten, jedoch zum Teil nur in Höhe des Nutzungsertrages, auferlegt; die aus dem Nießbrauch entspringenden Rechte an den Ehegutsgegenständen werden für unveräußerlich und unpfändbar erklärt, während die Pfändung der vom Manne erworbenen Früchte insoweit ausgeschlossen wird, als der Mann derselben zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegen die Frau und seine Verwandten und zu seinem eignen standesgemäßen Unterhalt bedarf. Unerträglich ist hier von vornherein die Unterstellung des ehemännlichen Nutzungsrechtes unter die Regeln des als eignes und selbstständiges dingliches Individualrecht konstruierten Nießbrauches, wobei dann die Grenzen der Anwendbarkeit dieser Regeln nur durch längeres (410) Studium zu ermitteln sind (Motive S. 180–193). Unerträglich ist ferner das Flickgewand der angehängten Modifikationen, deren Sinn größtenteils von einem nicht mit allen Künsten und Schlichen dieses Juristendeutsch vertrauten Leser nicht einmal ungefähr erraten werden kann (man versuche es nur mit § 1294, § 1295 oder § 1296). Unerträglich aber ist vor allem auch das materielle Ergebnis. Statt eines einheitlichen Rechtes an einem Vermögensinbegriff als solchem erhalten wir, da der Begriff des Sondervermögens auch hier abgelehnt wird, eine Summe von Rechten an einzelnen Sachen und Rechten51. Der Frau wird jeder regelmäßige Anspruch auf Sicherstellung und jeder gesetzliche Pfandtitel versagt, dafür aber dem Manne jede Verfügung über die Substanz von Sachen und Rechten prinzipiell entzogen, die Veräußerung der beweglichen und mit gewissen Ausnahmen sogar der verbrauchbaren Sachen verboten, die Disposition über die auf Zinsen ausstehenden Forderungen genommen, ja sogar das Recht auf alleinige Inhabung der Inhaberpapiere abgesprochen. Auch wird der Mann zur Mitteilung eines Vermögensverzeichnisses und bei Gefährdung der Rechte der Frau zur Sicherheitsleistung verpflichtet. Wie beim gewöhnlichen Nießbrauch kann die Frau ihre Ansprüche regelmäßig schon während der Dauer der ehelichen Nutznießung geltend machen. Im Interesse der Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger wird die Frau den sonstigen Gläubigern ihres Mannes vollkommen gleichgestellt: sie genießt keine Vorrechte, haftet dafür aber auch mit ihrem Ehegut in keiner Weise für die Schulden des Mannes. Dies alles zielt auf Trennung statt auf Verbindung der Eheleute ab und erhebt statt des Vertrauens das Mißtrauen zur Maxime! Bei normaler ehelicher Gesinnung steht infolgedessen die Frau schutzlos da: eine Frau dagegen, welche die ihr vom Gesetz verliehenen „Ansprüche“ zu handhaben weiß, kann den Mann täglich hemmen und belästigen und das Ihrige rechtzeitig in Sicherheit bringen. Das anständig denkende Ehepaar hat den hereinbrechenden Vermögensverfall gemeinsam zu tragen: überwiegt die Klugheit, so lebt der verschuldete Mann aus den Mitteln der reichen Frau „stan51
Über die einzelnen hieraus folgenden Unzuträglichkeiten vgl. Brühl a. a. O. Bd. 73 S. 422 ff.
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desgemäß“ mit Austern und Champagner weiter. Auch das eheliche Güterrecht ist eben nicht für die Dummen und Altfränkischen geschrieben, sondern auf eine dem modernen Kulturniveau entsprechende geschäftliche Geriebenheit der künftigen Generation mit Einschluß des schönen Geschlechts berechnet52! (411) Durch eine Reihe sehr künstlicher Bestimmungen wird eine „Beschränkung des Verfügungsrechtes der Ehefrau“ (3) festgesetzt, welche die dinglichen Rechte des Mannes am Ehegut gegenüber der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit der Frau sichern soll. „Dingliche Rechtsgeschäfte“ über Bestandteile des Eheguts werden ohne Einwilligung oder Genehmigung des Mannes überhaupt für unwirksam erklärt (§ 1300). Im übrigen sollen unbewilligte Rechtsgeschäfte der Frau (mit Einschluß der obligationenrechtlichen Verträge über Veräußerung von Ehegut) insoweit, als sie die Frau zu einer Leistung verpflichten, nur „in Ansehung des Ehegutes gegenüber dem Ehemann“ der Wirksamkeit entbehren, die Frau selbst dagegen binden (§ 1301). Hinzugefügt werden entsprechende Beschränkungen des Rechtes der Frau zu einseitiger Prozeßführung (§§ 1302–1303) und besondere Bestimmungen über die gehörige Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte durch Dritte (§ 1304). Alle diese Beschränkungen des Verfügungsrechtes der Frau sollen auch gegen den mit ihnen unbekannten Dritten ohne Rücksicht auf den sonstigen Schutz des öffentlichen Glaubens der Grundbücher und des redlichen Besitzes Anwendung finden (§ 1305), so daß in dieser Hinsicht durch positive Satzung ein ähnliches Ergebnis erzielt wird, als wenn die Frau in der Geschäftsfähigkeit beschränkt wäre. Eine Erweiterung des Verfügungsrechtes der Ehefrau wird durch die Gewährung eines freien Dispositionsrechtes im Falle der Abwesenheit oder Krankheit des Mannes bei Gefahr im Verzuge, durch die generelle Auslegung der Einwilligung in den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes und (412) durch specielle Ausnahmen für gewisse rechtsgeschäftliche und prozessuale Handlungen (einschließlich aller Rechtsgeschäfte und Prozeßhandlungen gegenüber dem Ehemann selbst) herbeigeführt (§§ 1306–1310). Dieses verwickelte, durch Verweisungen auf die entsprechende Anwendung allgemeiner Vorschriften über Einwilligung und Genehmigung und durch besondere Bestimmungen über die relative Gültigkeit von Rechtsgeschäften und die relative Rechtskraft von Ur52
Mitteis S. 582–596 will das Recht des Ehemannes, das der Entwurf im „Geist des Mißtrauens“ auffallend schwächt und nur „fiktiv“ dem Nießbrauchsbegriff unterwirft, im Sinne einer personenrechtlichen Herrschaft am Vermögen ausgestalten und erheblich verstärken; insbesondere will er dem Manne die Verfügung über fahrende Habe mit Ausnahme von baren Gelde und Wertpapieren und den Abschluß aller Geschäfte „der laufenden Verwaltung“ gewähren; doch will er im Gegensatz zum Entwurfe dem Manne auch die Einziehung unverzinslicher Forderungen versagen; dafür will er der Frau einen bedingten Kautionsanspruch einräumen. Besondere Bestimmungen verlangt Mitteis S. 596–601 über „Mitgiften“, welche die Frau dem Manne zu vollkommen freien Verfügung übertragen hat. Weiter fordert er S. 606–616 eine Haftung der Frau für Schulden des Mannes mit allem Vermögen, das sie dem Manne dergestalt anvertraut hat, daß es von dessen Vermögen äußerlich nicht zu unterscheiden ist, mindestens aber mit einem prozentualen Anteil ihres Gutes; die §§ 1298 u. 1299 will er trotzdem beibehalten. – Bährs Gegenentwurf, S. 241 ff. §§ 14–18 u. 29–30, schließt sich enger an den Entwurf an und bringt nur der Frau ein Recht auf Feststellung des Bestandes ihres eingebrachten Vermögens durch ein Verzeichnis; den Ausschluß jeder Haftung des Frauenguts für Schulden des Mannes hält er fest.
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teilen noch weiter komplizierte System, das lediglich im Sinne der Wahrung egoistischer Sonderinteressen gedacht ist, bildet einen trübseligen Ersatz für das zu einem organischen Ausbau der deutschen Verwaltungsgemeinschaft unentbehrliche ehemännliche Mundium53. Im Einklange mit dieser Ordnung erklärt der Entwurf alle während wie vor der Ehe entstandenen „Verbindlichkeiten der Ehefrau“ (4) für „Ehegutsverbindlichkeiten“, wegen deren die Gläubiger sich jederzeit auch an das Ehegut halten können (§ 1311), und nimmt hiervon nur die während der Ehe durch ein dem Ehemann gegenüber unwirksames Rechtsgeschäft oder Urteil begründeten Verbindlichkeiten und gewisse zum Vorbehaltsgut gehörige Verbindlichkeiten aus (§ 1312). Auch bestimmt er, daß bei einer gesetzlichen Unterhaltspflicht der Frau ihre Leistungsfähigkeit ohne Rücksicht auf die ehemännlichen Rechte zu beurteilen ist (§ 1313). Er regelt ferner die Zwangsvollstreckung gegen das Ehegut, zu welcher es eines zweifachen vollstreckbaren Titels – gegen die Frau wegen der Leistung und gegen den Mann wegen Gestattung der Zwangsvollstreckung – bedarf (§§ 1314–1315). Endlich statuiert er im Verhältnis der Ehegatten zueinander eine Ausgleichungspflicht zwischen Ehegut und Vorbehaltsgut und legt hierbei eine Anzahl von Ehegutsverbindlichkeiten, welche aus Verschulden der Frau während der Ehe oder im Interesse von Vorbehaltsgut entstanden sind, dem Vorbehaltsgut zur Last (§ 1316)54. Als ein von der Nutznießung juristisch getrenntes selbständiges Institut behandelt er Recht und Pflicht des Mannes zur ordnungsmäßigen „Verwaltung des Eheguts“ (5). Das Verwaltungsrecht des Mannes ist nach dem Entwurf nicht Steigerung oder Ausfluß seines Nutzungsrechtes, noch weniger natürlich Ausfluß seiner Stellung als (413) Gemeinschaftshaupt, sondern ein besonderes Recht, „welches ihm in Ansehung der Verwaltung der Substanz des Ehegutes die Stellung des Verwalters eines fremden Vermögens giebt, so daß er bei Ausübung eines Verwaltungsrechtes wie ein Beauftragter für Rechnung der Ehefrau und nach außen hin, innerhalb der in dieser Hinsicht seinem Verwaltungsrecht gezogenen Schranken, als Vertreter der Ehefrau in deren Namen handelt“ (Motive S. 269). Der Mann bedarf daher grundsätzlich zu jedem das Ehegut betreffenden Rechtsgeschäft oder Rechtsstreit einer „Vollmacht“ der Frau (§§ 1319 Abs. 1 und Motive S. 273 ff. und 281). Ausgenommen sind lediglich die bloße Erfüllung einer Ehegutsverbindlichkeit, die Aufrechnung einer Ehegutsforderung gegen eine Ehegutsverbindlichkeit und die Vornahme einer nur auf Erhaltung oder Sicherung des Eheguts gerichteten Handlung (§ 1318). Im übrigen kann der Mann, soweit er nicht als Nießbraucher in eignem Namen die zum Verbrauch bestimmten verbrauchbaren Sachen verbrauchen und veräußern und unverzinsliche Forderungen einziehen kann (§ 1294 und § 1292 mit § 1028), auch über Fahrnis einschließlich der verbrauchbaren Sachen und über Forderungen ohne besondere Vollmacht der Frau seine Verfügung treffen und keinen Prozeß führen. Bedarf es zum Zwecke der ord53 54
Vgl. Mitteis S. 601–603, der das einseitige Recht der Frau zum Verzicht auf einen Pflichtteil streichen will, und Bährs Gegenentwurf S. 239 § 7 u. S. 245 ff. §§ 21–27. Vgl. Mitteis S. 603–606 und Bähr S. 244 ff. §§ 20–28 u. 36; beide wünschen die Haftung des Frauenguts für alle von der Frau geschuldeten Prozeßkosten; Bähr will zur Zwangsvollstreckung in das Frauengut einen Titel gegen die Frau allein für ausreichend erklären (§ 28).
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nungsmäßigen Verwaltung des Ehegutes eines Rechtsgeschäftes, „so hat der Ehemann die Ehefrau hiervon in Kenntnis zu setzen; er kann von der Ehefrau verlangen, daß diese das Geschäft mit seiner Einwilligung vornehme; die Ehefrau kann dagegen von dem Ehemann verlangen, daß dieser als ihr Bevollmächtigter der Vornahme des Geschäftes sich unterziehe“ (§ 1319 Abs. 2). Andrerseits kann auch die Frau die Initiative ergreifen und „von dem Ehemanne verlangen, daß dieser nach ihrer Wahl entweder als ihr Bevollmächtigter das Geschäft vornehme oder in dessen Vornahme durch sie selbst einwillige“ (§ 1320). Darüber hinaus kann die Frau vom Manne die Einwilligung in eine „zur ordnungsmäßigen Besorgung ihrer persönlichen Angelegenheiten erforderliche“ Verwendung oder Verschuldung von Ehegut verlangen, entbehrt jedoch in solchen Fällen des Rechtes, den Mann zu ihrer Vertretung zu zwingen (§ 1321). Dieselben Regeln gelten hinsichtlich der Führung eines Rechtsstreites (§ 1322). Ist ein Ehegutskapital eingezogen, so kann jeder Gatte vom anderen die Mitwirkung zur Wiederanlegung desselben nach den für die Belegung von Mündelgeldern geltenden Vorschriften verlangen (§ 1323 mit § 1034). Auf die Rechte und Pflichten des Mannes aus der Verwaltung finden die vom „Auftrag“ handelnden §§ 581–595 „entsprechende Anwendung“, so daß der Mann in gewöhnlicher Weise Rechnung zu legen, den Beweis ordnungsmäßiger Ausführung der Verwaltung (414) zu führen und Ersatz zu leisten hat, dafür aber gleich jedem Mandatar Vorschuß und Ersatz seiner Aufwendungen fordern kann (§ 1324 Abs. 1). Und alle beiderseitigen „Ansprüche“ aus der ehelichen Verwaltung können gleich denen aus der ehelichen Nutznießung jederzeit auch vor der Beendigung der ehelichen Nutzung und Verwaltung geltend gemacht werden (§ 1324 Abs. 2), so daß Civilprozesse zwischen den Ehegatten nicht nur unbedingt zulässig sind, sondern wie alltägliche Vorkommnisse erscheinen. Klingt es nicht fast wie Ironie, wenn ein solches System als „Verwaltungsgemeinschaft“ bezeichnet und aus dem Grundgedanken des „deutschen“ ehelichen Güterrechts hergeleitet wird? Von allen geltenden Rechten, welche die „Verwaltungsgemeinschaft“ oder den „ehemännlichen Nießbrauch“ zum Ausgangspunkte nehmen, hat keines in gleichem Maße die Ehe zerrissen, die Stellung des Mannes herabgewürdigt, der Frau geschäftliche und prozessuale Thätigkeit zugedacht, den Verkehr unter den Eheleuten in geschäftliche Formen gekleidet, das gegenseitige Mißtrauen und die ziffernmäßige Berechnung zum Prinzip erhoben, den ehelichen Zwist herausgefordert! Man möchte fast glauben, es sei darauf gerechnet, daß künftig Mann und Frau sich von der Hochzeit an je einen rechtskundigen Anwalt zugesellen werden, um alle diese internen Rechtshandlungen zu vermitteln und bei Meinungsverschiedenheiten alsbald die in Aussicht genommenen Prozesse zu instruieren55! Wenn der Entwurf die „Ausübung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung durch den gesetzlichen Vertreter des Ehemannes“ (6) während der Minderjährigkeit, Abwesenheit oder Entmündigung des letzteren vorschreibt (§ 1326 Abs. 1), so zeigt sich auch hierin die Auffassung dieser ehemännlichen Rechte als eigner
55
Vgl. Mitteis S. 592–594, der ebenfalls die Herabsetzung des Mannes zum Rechnungsführer der Frau und die Fassung der §§ 1319, 1320 u. s. w. tadelt; vgl. oben S. 410 Anm. 2. Bähr hat sich auch nicht entschließen können, Bestimmungen wie die der §§ 1319–1324 in seinen Gegenentwurf aufzunehmen; vgl. S. 244 zu § 19. Vgl. auch L. Goldschmidt S. 155.
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Vermögensrechte, die ebensogut ein Fremder wahrnehmen kann. Die schon oben (S. 62) gerügte barocke Fassung des Zusatzes, nach welchem die Ehefrau, falls sie selbst zum Vormunde bestellt ist, in Vertretung des Mannes sich selbst die erforderliche ehemännliche Einwilligung zu ihren Rechtshandlungen erteilen kann (§ 1326 Abs. 2), wird durch die Aufklärung der Motive (S. 287) über das damit bezweckte Verantwortlichkeitsverhältnis in ein nur noch ungünstigeres Licht gerückt. Die „Beendigung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung“ (7) läßt der Entwurf durch Auflösung der Ehe, rechtskräftiges (415) Urteil, Konkurseröffnung über das Vermögen des Mannes, Todeserklärung des Mannes und Ehevertrag, dagegen nicht durch zeitweilige Trennung von Tisch und Bett und nicht durch einseitigen Verzicht des Mannes erfolgen (§ 1327). Die Aufhebung durch Urteil kann von der Frau wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Mannes und wegen Einleitung einer Abwesenheitspflegschaft oder einer Vormundschaft über denselben verlangt werden (§ 1328). Dauert die Ehe fort, so tritt für die Zukunft unter den Ehegatten Trennung der Güter ein (§ 1330). Wenn die über den Mann eingeleitete Pflegschaft oder Vormundschaft wieder aufgehoben wird oder der für tot erklärte Mann noch lebt, kann der Mann „die Wiederherstellung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung“ fordern (§§ 1331–1332). Im übrigen stellt der Entwurf besondere Regeln über die Folgen der Beendigung seiner Verwaltungsgemeinschaft nicht auf. Es kommt also zur Auseinandersetzung nach gewöhnlichen Grundsätzen ohne jede Einwirkung des Eherechtes56. Bei der Auflösung der Ehe durch den Tod konkurriert der überlebende Ehegatte kraft des ehelichen Erbrechts mit den übrigen Erben des verstorbenen Ehegatten, genießt dagegen keines eherechtlichen Vorzuges. Der überlebende Ehemann muß sofort das gesamte Ehegut herausgeben und seine Ersatzverbindlichkeiten erfüllen und hat keinen Anspruch auf Übernahme der Grundstücke oder anderer eingebrachter Gegenstände gegen den Schätzungswert. Alle Billigkeitserwägungen, welche für die im geltenden Recht anerkannten Ermäßigungen des Verfalles des Ehevermögens nach seinen einzelnen Bestandteilen sprechen, können vor dem schroffen Trennungsgedanken des Entwurfes und vor der absoluten Gleichwertung der Interessen des Ehegatten und der Erben nicht bestehen (Motive S. 289–291). Nicht einmal erwogen ist die Möglichkeit, im Falle der beerbten Ehe der fortgesetzten Hausgemeinschaft einen Einfluß auf die Gestaltung der Vermögensverhältnisse zu gewähren. Völlig abgelehnt wird der bei der sogenannten „Gütergemeinschaft von Todes wegen“ durchgeführte Ersatz der Vermögenssonderung durch eine Quotenteilung oder die Ausstattung des überlebenden Ehegatten mit einem Wahlrecht zwischen Rücknahme seines Vermögens oder Herausnahme einer Quote des beiderseitigen Vermögens. Dies ist das eheliche Güterrecht, welches in Zukunft als einziges gesetzliches System gelten und nach der in den Motiven mehrfach ausgesprochenen Hoffnung des Gesetzgebers allmählich die übrigen Systeme, (416) deren vertragsmäßige Begründung vorläufig offenbleibt, verdrängen soll! Wir sind oben nachdrücklich für eine Mehrheit gesetzlicher Güterstände eingetreten57. Wollte aber der Entwurf 56 57
Einige Sätze über die Auseinandersetzung stellt Bähr S. 249 in seinem Gegenentwurf § 33 auf. Vgl. oben S. 111–117. Ebenso Bähr a. a. O. S. 237. – Dagegen Klöppel S. 341–342, Mitteis S. 562–564.
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dem deutschen Volke einen einheitlichen gesetzlichen Güterstand aufzwingen, so durfte er nimmermehr dieses System wählen, welches dem Wesen der deutschen Ehe schnurstracks zuwiderläuft. Wenn er sich für die Verwaltungsgemeinschaft entschied, mußte er dieselbe deutsch, nicht römisch konstruieren; er mußte sie im Sinne einer wahren Gemeinschaft, nicht im Sinne einer dem gebrauchten Namen hohnsprechenden Trennung ausgestalten. Die Entscheidung hätte aber überhaupt nicht für die Verwaltungsgemeinschaft ausfallen dürfen. Dieselbe entspricht wirtschaftlichen Zuständen, bei welchen der Grundbesitz das ökonomische Übergewicht behauptet und das erworbene Gut gegenüber dem Erbgut eine geringfügige Rolle spielt. Unter den heutigen Verhältnissen ist es ein Verstoß wider die Gerechtigkeit, wenn der Ertrag des beiderseitigen Vermögens und der gesamte eheliche Erwerb dem Manne zufällt, die Frau dagegen, welche durch Sparsamkeit und häusliche Tätigkeit und oft zugleich durch geschäftliche Mitarbeit zu dem günstigen Erfolge wesentlich beigetragen hat, nichts als ihr eingebrachtes Kapital zurückempfängt. Es nützt ihr unter normalen Verhältnissen wenig, daß sie nun dafür vom Entwurf gewissermaßen außerhalb der Ehe gestellt, von der Mittragen der ehelichen Lasten und aller Haftung für Eheschulden befreit, als Geschäftsherrin mit allen möglichen selbständigen Befugnissen und Ansprüchen gegen den verwaltenden Mann ausgerüstet und auf den Erwerb von Vorbehaltsgut durch Arbeit außer dem Hause hingewiesen wird. Geht es dagegen mit der Wirtschaft bergab, so bleibt freilich die Frau von der vielleicht durch sie wesentlich mit verschuldeten Einbuße verschont, entbehrt aber gegenüber den Gläubigern des Mannes aller der Sicherungs- und Vorzugsrechte wegen ihres Eingebrachten, durch deren Gewährung das frühere Recht eine gewisse Kompensation für die ausschließliche Zuweisung alles Nutzens an den Mann bestellte. Man wird die Verurteilung eines solchen Systems durch Bähr, der es als „System des Mannesegoismus“ bezeichnet, nur unterschreiben können58. Bähr hat auch bereits die in den Motiven für dasselbe angeführten Gründe mit schneidender Ironie widerlegt. Die Motive rühmen dem ehelichen Güterrecht des Entwurfes „Einfachheit“ und „Zweckmäßigkeit“ sowie im Vergleiche mit dem „idealen (417) Zuge“ der allgemeinen Gütergemeinschaft und dem „das Gemüt ansprechenden Gedanken“ der Errungenschaftsgemeinschaft „etwas kühl Verständiges und praktisch Nüchternes“ nach. Wir haben den Mut, auf die Gefahr hin, dem Verdachte der Schwärmerei zu verfallen, dem „idealen Zuge“ zu folgen und die allgemeine Gütergemeinschaft allen übrigen Systemen vorzuziehen. Sie ist das folgerichtige Endergebnis der geschichtlichen Entwicklung des deutschen ehelichen Güterrechts und bringt dessen Grundgedanken zu vollendetem Ausdruck. Auch läßt sie an Einfachheit nichts zu wünschen übrig und entspricht in der normalen Ehe, die nun doch einmal eine Gemeinschaft aller göttlichen und irdischen Dinge ist, den Anforderungen der Zweckmäßigkeit wie der Gerechtigkeit. Durch sie wird die Einheit der Ehe auf das vollkommenste gewahrt und der Fortbestand der Einheit des Hauses nach dem Tode eines Ehegatten ermöglicht. Daß sie in Verbindung mit einem kräftigen Anerbenrecht vorzüglich geeignet ist, auch gesunde ländliche Grundbesitzverhältnisse zu erhalten und zu fördern, zeigen die westfälischen Zustände. Freilich wird es stets auch Ehen geben, für welche sie nicht paßt. Allein die Erfahrung zeigt, daß 58
Beurt. in der krit. Vierteljahresschrift S. 530–538. – Vgl. auch den Artikel in der Nationalzeitung Jahrg. 1888 Nr. 523.
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dann eben der vertragsmäßige Ausschluß der allgemeinen Gütergemeinschaft erfolgt, auf welchen um so eher verwiesen werden kann, als es sich dabei vorzugsweise um die ohnehin an geschäftliche Fürsorge für ihre künftigen Vermögensangelegenheiten gewöhnten Bevölkerungsschichten handelt. Das Normalsystem muß auf die breite Masse des Volkes berechnet sein und darf nicht Verhältnisse zur Richtschnur nehmen, die bei noch so erheblicher Bedeutung doch immer nur die Ausnahme darstellen59. Wird die allgemeine Gütergemeinschaft abgelehnt, so behält die ihr nahe verwandte Fahrnisgemeinschaft den nächsten Anspruch auf Erhebung zum gesetzlichen Güterstande. Durch den Ausschluß der nicht zur Errungenschaft gehörigen Grundstücke von der Gemeinschaft wird namentlich dann, wenn es an einer besonderen Grunderbfolge gebricht, die Festigkeit der Grundbesitzverhältnisse gefördert, ohne daß im übrigen der hohe Gedanke der Vermögenseinheit unter Ehegatten verloren ginge. Scheut man sich vor der Erstreckung der allgemeinen Gütergemeinschaft auf ganz Deutschland, weil sie bisher nur in einem schwachen Drittel (418) des Reiches gilt, so würde man mit der Verallgemeinerung der Fahrnisgemeinschaft nur der Hälfte der deutschen Bevölkerung eine innigere Bereinigung der Ehegatten als Regel zumuten60. Wird auch dies verworfen, so müßte unter allen Umständen die Ausgestaltung der Errungenschaftsgemeinschaft zum Normalsystem gefordert werden. Denn auf das „Ideal“ kann man zur Not verzichten, den das „Gemüt“ ansprechenden Gedanken aber einer billigen Anteilnahme der Frau an dem ehelichen Erwerbe kann man nicht preisgeben, ohne das Volksgemüt in seinem Rechtsgefühl auf das tiefste zu verwunden61. Da in der allgemeinen Gütergemeinschaft und in der Fahrnisgemeinschaft stets zugleich eine Errungenschaftsgemeinschaft steckt, so sind es zwei Drittel der Nation, die jetzt in einer derartigen Gemeinschaft leben. Der Entwurf will also die weit überwiegende Mehrheit des Volkes um eine nicht bloß tief eingewurzelte, sondern auch gerechte und wirtschaftlich zweckmäßige Ordnung des ehelichen Vermögenserwerbes bringen. Wie können nur einem so klaren Verhältnis gegenüber die Motive sich auf die angebliche „relative Majorität“ der in Verwaltungsgemeinschaft lebenden Bevölkerung berufen (S. 145)? Und diese Majorität ist noch dazu eine erschlichene! Denn um sie herauszurechnen, werden nicht nur alle von dem Trennungssystem 59
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Wenn Menger S. 31–33 meint, die Verwaltungsgemeinschaft eigne sich mehr für die Besitzenden, die Errungenschaftsgemeinschaft für den Mittelstand, die allgemeine Gütergemeinschaft für die Besitzlosen, nach dem Entwurf falle also das Volk ohne Vertrag in das „Ehegüterrecht der Geheimräte und der Millionäre“, so liegt in dieser Übertreibung ein Körnchen Wahrheit, Unzulänglich sind jedenfalls die von Mitteis S. 569–571 gegen die Erhebung der allgemeinen Gütergemeinschaft zum Prinzipalsystem vorgetragenen Gründe. Auch Mitteis S. 573–574 meint, daß der Entwurf es mit der Ablehnung der Mobiliargemeinschaft zu leicht genommen habe. So auch Bähr, Krit. Vierteljahresschrift Bd. 30 S. 530 ff., Arch. f. bürg. R. Bd. 1 S. 237. In seiner Beurteilung giebt Bähr S. 534 zu erwägen, ob durch Beschränkung des Anteiles der Frau auf ein Drittel bei Errungenschaft eine Vermittlung gefunden werden könne. Er fügt hinzu, daß er nicht wisse, „ob irgendwo dieser Gedanke bereits ausgeführt ist“. Dem Germanisten ist diese Teilungsart als altribuarische Teilung nach dem Schwert- und Kunkelteil wohl bekannt. Sie gilt noch jetzt vereinzelt, z.B. nach Mainzer Landrecht und Deutschordenrecht am Neckar; vgl. Roth, D. P. R. II S. 154 u. 155. – Gegen die Errungenschaftsgemeinschaft als Prinzipalsystem spricht sich Mitteis S. 572 bis 573 aus.
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des Entwurfes himmelweit verschiedenen Systeme der echten Verwaltungsgemeinschaft mit den Systemen des ehemännlichen Nießbrauchs und dem römischen Dotalsystem zusammengeworfen, sondern auch die im praktischen Erfolge der allgemeinen Gütergemeinschaft sehr viel näher stehenden Systeme der Gütergemeinschaft von Todes wegen einschließlich des märkischen Provinzialrechts hinzugezählt! Doch ist die eigentliche Triebfeder für das Verfahren des Entwurfes weder in diesem rechnerischen Kunstgriff noch in den Erwägungen über Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Güterstände zu suchen. Das wahre Herzensgeheimnis des Entwurfes verraten die Motive mit dem Ausspruch, „daß es im Zweifel (419) vorsichtiger und richtiger erscheint, die kraft Gesetzes mit der Eheschließung eintretende Änderung in den vermögensrechtlichen Verhältnissen der Ehegatten auf das geringere Maß zu beschränken und den Beteiligten die Erweiterung durch Vertrag zu überlassen als umgekehrt zu verfahren“. Mit anderen Worten: der Gedanke des römischen Rechts, daß die Ehe als solche keinen Einfluß auf die Vermögensverhältnisse hat, verdient den Vorzug vor dem entgegengesetzten Gedanken des deutschen Rechtes! Warum führt man dann nicht einfach das römische Dotalsystem als gesetzlichen Güterstand ein62? Die Motive ergeben, daß eine gewisse Neigung hierzu vorhanden war, vorläufig indes eine solche Nachholung der bei der Reception begangenen Versäumnisse nicht wohl thunlich zu sein schien. Das römische Dotalsystem ist nun einmal bei uns nicht durchgedrungen. Die Schuld an dieser bedauerlichen Thatsache trägt nach der Ansicht der Motive (S. 158) lediglich der Mangel eines ausreichenden Erbrechts der Ehegatten im römischen Recht! Eine merkwürdige Ansicht, die ein eigentümliches Schlaglicht auf die dem Entwurf zu Grunde liegende Auffassung der deutschen Rechtsgeschichte wirft. Aber wie es sich damit auch verhalten mag: „es wär zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein“! Die Motive spenden indes einen gewissen Trost für diesen Verzicht auf das reine römische Recht. Der Entwurf hat wenigstens soviel wie möglich sein System dem Dotalsystem genähert. Auch bei dem letzteren pflegt in Deutschland die Frau dem Manne ihr Vermögen zu überlassen. „Faßt man eine in solcher Art erfolgende Überlassung des Frauenvermögens als stillschweigende Bestellung einer dos auf, so ist im praktischen Resultate der Unterschied von der deutschrechtlichen Verwaltungsgemeinschaft nur ein geringer“ (Motive S, 144). Den wenig zahlreichen Deutschen, welche auch hier korrekt nach Pandektenrecht leben, wird also kein erhebliches Leid zugefügt. Sie mögen sich das „Ehegut“ des Entwurfes als „stillschweigend bestellte dos“ zurechtlegen und haben dann die Genugthuung, daß das römische Recht gerettet ist. Und nur allzusehr träfen sie hiermit das Richtige! Das System des Entwurfes ist in der That seinem innersten Kern nach nichts als das durch einige verstümmelte Einschiebsel deutscher Herkunft modifizierte römische System der Gütertrennung. In der Hauptsache ist das Ziel erreicht: auch das eheliche Güterrecht ist romanisiert63 […]
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Hiermit hätte man einer Petition des deutschen Frauenvereins Genüge geleistet! Vgl. indes gegen dieses Bestreben Klöppel S. 342, Mitteis S. 565–569. Übereinstimmend meint Brühl a.a.O. Bd. 34 S. 401, die angebliche Fortbildung des deutschen Gedankens bestehe in Wahrheit in dessen „Vertauschung“.
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(447) So ist dieses ganze eheliche Güterrecht, obwohl es das deutschem Stoff gezimmert ist, von Anfang bis Ende in undeutschem Geiste aufgebaut. Der durch alle deutschrechtlichen Systeme sich hindurchziehende Gedanke, daß es sich bei den Rechtsverhältnissen am Ehevermögen um Ausflüsse des die Ehegatten zum Ehepaar verknüpfenden personenrechtlichen Bandes handelt. ist durchweg verloren gegangen. Dafür werden eigne und selbständige dingliche und obligationenrechtliche Rechte von rein individualistischer Grundlage eingeführt, die ihrem innersten Kern nach nicht anders beschaffen sind, als wenn sie beliebigen unverbundenen Personen zuständen. […] (448) Schließlich handelt er [der Entwurf] im fünften Titel von der „Auflösung der Ehe“ und zwar zunächst von der „Scheidung und Trennung von Tisch und Bett“ (1). Bei der Ehescheidung scheint der Entwurf durch eine außerordentliche Einschränkung der Scheidungsgründe ein Gegengewicht gegen die in ihm sonst vorwaltende Tendenz der Auflockerung des familienrechtlichen Bandes schaffen zu wollen64. Er läßt die Scheidung nur wegen eines schweren (d. h. dem Ehebruch und der böslichen Verlassung gleichstehenden) Verschuldens auf Antrag des anderen Teiles zu. Diese Strenge wird aber nicht, wie dies bisher in den meisten von dem gleichen Prinzip beherrschten Gebieten der Fall ist, durch ein landesherrliches Ehescheidungsrecht gemildert. Somit soll es schlechthin keine Möglichkeit geben, eine ohne Verschulden eines Ehegatten ihres sittlichen Gehaltes vollkommen entleerte und zur unerträglichen Fessel gewordene Ehe zu trennen. In Wahrheit darf doch die Ehescheidung nicht unter dem Gesichtspunkt einer Strafe für den schuldigen Gatten, sondern nur unter dem Gesichtspunkt der socialen Ethik normiert werden. Dann aber bedarf es mindestens der Zulassung der Scheidung wegen unheilbarer Geisteskrankheit eines Ehegatten65. Ist die geistige Persönlichkeit vernichtet, so sinkt das eheliche Band zum Schattenbande herab und für den anderen Ehegatten (449) tritt thatsächlich der Zustand des ehelosen Lebens ein. Es beruht auf gröblicher Verkennung der Wirklichkeit und namentlich der in den ärmeren Bevölkerungsschichten vorwaltenden sittlichen und wirtschaftlichen Zustände, wenn man glaubt, durch den Zwang zu einem solchen Cölibat der Sittlichkeit und dem öffentlichen Wohl zu dienen! Darüber hinaus bleibt ernstlich zu erwähnen, ob nicht unter Umständen im Falle beiderseitigen Einverständnisses die Lösung einer unheilbar zerrütteten unglücklichen Ehe zugelassen werden muß66. 64
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Über das Ehescheidungsrecht des Entwurfes vgl. Bähr, Beurteilung S. 541–545; Hinschius S. 84–92; v. Scheurl S. 396–398; Klöppel a. a. O. Bd. 33 S. 83–93; Berolzheimer S. 310–314 u. 317; Menger S. 30 bis 31 (er billigt das Scheidungsrecht des Entwurfes vollständig); Gutachten für den 20. Juristentag von Otto Mayer Bd. 2 S. 92– 109 und L. Jacobi ebenda S. 110–234. So auch Bähr S. 541, Hinschius S. 86 ff., Mendel a. a. O. S. 26–39, v. Scheurl S. 397, Berolzheimer S. 310, O. Mayer S. 107, L. Jacobi S. 207–211 (auch schon Entstehung S. 50). – A. M. Klöppel S. 90. – L. Jacobi S. 200–225 geht freilich viel zu weit, indem er außerdem sämtliche Ehescheidungsgründe des Preußischen Landrechts mit einzelnen Modifikationen aufnehmen will. Bähr S. 541–542 wünscht Beibehaltung des landesherrlichen Scheidungsrechtes für solche Fälle. Klöppel S. 91–93 will die Schidung auf Grund beiderseitiger Einwilligung zulassen, jedoch entweder sehr erschweren oder einem kraft obrigkeitlicher Gewalt verfahrenden besonderen Ehegericht (aus Richter, Seelsorger und Angehörigen
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Versperrt man jeden geraden Weg zu diesem Ziel, so befördert man nur allzuleicht künstliche Machinationen, durch welche die Ehegatten dennoch ihren Zweck erreichen, die öffentliche Moral aber weit schwerer geschädigt wird67. Es ist noch der günstigere Fall, wenn zu diesem Behufe ein Verschulden nur fingiert und nicht wirklich begangen wird! Unter den von ihm anerkannten Scheidungsgründen rüstet der Entwurf den Ehebruch nebst der Bigamie und widernatürlichen Unzucht (§ 1441), die Lebensnachstellungen (§ 1142) und die bösliche Verlassung (§ 1143) mit absoluter Kraft aus68. Daneben kennt er relative Scheidungsgründe, indem er die Ehescheidung wegen schwerer Verletzung der Gattenpflichten (insbesondere durch grobe Mißhandlung) und wegen eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens (insbesondere durch Begehung eines entehrenden Verbrechens oder Vergehens) dann zuläßt, wenn dadurch „eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet worden, daß dem anderen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann“ (§ 1444)69. Doch gewährt er (450) wegen eines relativen Scheidungsgrundes dem gekränkten Ehegatten regelmäßig bloß eine Klage auf Trennung von Tisch und Bett und nur beim Mangel jeder Versöhnungsaussicht eine Klage auf sofortige Scheidung. Diese „Trennung von Tisch und Bett“, welche höchstens auf die Dauer von zwei Jahren ausgesprochen werden kann (§ 1444 Abs. 2) und bei dem Vorhandensein eines absoluten Scheidungsgrundes unzulässig ist (§ 1440 Abs. 3), wird als ein besonderes Rechtsinstitut ausgestaltet und von der richterlichen Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch einstweilige Verfügung bis zur Erledigung des Rechtsstreites (§ 1462) scharf unterschieden. Die Wirkungen stimmen freilich in beiden Fällen insoweit überein, als „die Verpflichtung beider Ehegatten zur häuslichen Gemeinschaft und zur Leistung der ehelichen Pflicht“ für die Trennungszeit wegfällt, die gegenseitige Unterhaltungspflicht aber und die Pflicht der Fürsorge für die gemeinschaftlichen Kinder in veränderter Form und nach Maßgabe der in bestimmten Grenzen nach billigem Ermessen zu treffenden richterlichen Anordnung fortbesteht (§§ 1459–1462). Allein die Trennung von Tisch und Bett erfolgt durch ein rechtskräftig werdendes Urteil, welches den Scheidungsgrund und das zu Grunde liegende Verschulden eines oder beider Ehegatten bereits endgültig feststellt und dergestalt als bedingtes Scheidungsurteil wirkt, daß nach Ablauf der festgesetzten Trennungsfrist derjenige Ehegatte, welcher das Urteil erwirkt hat, auf Grund desselben ohne weiteres die Scheidung verlangen kann (§§ 1445 und 1449). Eine solche bedingte Scheidung widerspricht dem gesunden Gefühl. Sie ist sehr wenig geeignet, den mit ihr angestrebten materiellen Erfolg einer „Versöhnungsmaßregel“ (Motive S. 579) zu erreichen.
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gebildet) übertragen. – Unter allen Umständen verdient der Gedanke des Preußischen Landrechts, bei kinderlosen Ehen die Scheidung weniger zu erschweren, keineswegs die ihm widerfahrene gänzliche Nichtbeachtung. Vgl. Berolzheimer S. 311 u. 317, L. Jacobi S. 202. – A. M. v. Scheurl S. 396–397. Vgl. auch Jacobi S. 213. Die Regelung der Scheidung wegen böslicher Verlassung tadelt Klöppel S. 84–87 als gefährliche Erleichterung einseitiger Scheidungen. Gegen die dehnbare Fassung des § 1444 wendet sich O. Mayer S. 94 bis 105; er fürchtet von der damit gesetzten Freiheit des richterlichen Ermessens die Ausbildung einer laxen Scheidungspraxis und will ganz bestimmte einzelne Scheidungsgründe (S. 105–107) an die Stelle setzen. – L. Jacobi S. 220 bis 221 findet § 1444 umgekehrt noch zu eng.
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Das Ehescheidungsrecht verträgt in keiner Weise den juristisch-technischen Formalismus, der durch dieses neu erfundene verkünstelte Institut in dasselbe hineingetragen werden soll. Vielmehr muß im Ehescheidungsprozeß auch dann, wenn bereits eine Trennung von Tisch und Bett vorangegangen ist, nach freier Prüfung der nunmehrigen Sachlage festgestellt werden, ob die Ehe sich zur Zeit als so zerrüttet darstellt, daß ihre Lösung notwendig ist. Wird aber der Trennung von Tisch und Bett der Charakter einer vorläufigen Aufhebung der Lebensgemeinschaft für einen festen Zeitraum, innerhalb dessen noch eine Versöhnung erhofft wird, gewahrt, so werden die willkürlichen Unterscheidungen des Entwurfes hinfällig. Man kann dann in allen Fällen dem beleidigten Ehegatten das Recht der sofortigen Scheidungsklage gewähren, aber auch in allen Fällen den Richter ermächtigen, in Verbindung mit der Aussetzung des Verfahrens (C. Pr. O. § 580) für den gleichen Zeitraum die Trennung von Tisch und Bett (451) auszusprechen, falls er eine Aussöhnung für nicht unwahrscheinlich hält70. Hinsichtlich des Ausschlusses der Scheidungs- oder Trennungsklage durch Verzeihung folgt der Entwurf dem geltenden Recht (§ 1446). Für die Erhebung der Klage setzt er (vom Falle der böslichen Verlassung abgesehen) eine sechsmonatliche Frist seit Erlangung der Kenntnis von der den Scheidungsgrund bildenden Handlung und äußersten Falls eine dreißigjährige Frist seit Begehung dieser Handlung (§ 1447)71. Die Auflösung der Ehe soll mit der Rechtskraft des Scheidungsurteiles eintreten (§ 1452). Unerträglich sind die Bestimmungen des Entwurfes über die Folgen der Ehescheidung. In vermögensrechtlicher Hinsicht soll der schuldige Teil dem unschuldigen Teil auf Verlangen die Bereicherung aus Braut- oder Ehegeschenken herausgeben (§ 1453) und demselben überdies, „wenn und solange dieser wegen Vermögenslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit sich selbst zu unterhalten nicht im Stande ist“, den Unterhalt gewähren (§ 1454). Darüber hinaus ist er zu nichts verpflichtet: von einer Ehescheidungsstrafe, einer Entschädigung oder einer Abfindung ist nicht die Rede. Stirbt der schuldige Gatte, so hat der unschuldige Teil, obwohl sein Erbrecht weggefallen ist, gegen die Erben desselben selbst im Falle der dringendsten Not keinen Anspruch auf Fortzahlung der zu seinem Unterhalt bestimmten Geldrente. Auch büßt er jeden Unterhaltsanspruch ein, wenn er eine neue Ehe schließt. Schreitet der schuldige Teil zu einer neuen Ehe, so steht, wie wir später aus § 1483 Abs. 3 erfahren, der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten dem des neuen Ehegatten und der minderjährigen unverheirateten Kinder aus der neuen Ehe nach72.
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So mit Recht Hinschius S. 89–91. Gegen die Ordnung des Entwurfes vgl. auch Berolzheimer S. 311 ff., O. Mayer S. 100–101, L. Jacobi S. 221–222 u. 218. Ebenso wider die in den Scheidungsprozeß hineingetragenen formalistischen Grundsätze Bähr S. 543–544. – Für den Entwurf Klöppel S. 91. Daß die sechsmonatliche Verjährung während thatsächlicher Trennung ruhen müßte, die dreißigjährige Frist aber zu lang ist, bemerkt mit Recht Bähr S. 544–545. Im übrigen sollen hinsichtlich des Anspruchs des geschiedenen Ehegatten einer solchen neuen Ehe gegenüber je nach dem in ihr bestehenden Güterstande die §§ 1313 oder 1363 „entsprechende Anwendung“ finden (§ 1454 Abs. 2). Dies ergiebt für den Mann, der mit einer als schuldiger Teil geschiedenen Frau eine gütergemeinschaftliche Ehe schließt, ein überraschendes Resultat. Denn nach Analogie der Fiktion des § 1363 wird nun der erste Mann der geschiedenen Frau als ehemaliger Ehegatte ihres
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(452) Man erwäge nun die Konsequenzen, welche sich aus dieser Ordnung in Verbindung mit dem schon oben besprochenen Grundsatz, daß die Vermögensauseinandersetzung im Falle der Ehescheidung schlechthin nach der gegenwärtigen Lage des ehelichen Güterrechts erfolgt, ergeben müssen. Eine gebildete Frau, die aber kein Vermögen in die Ehe eingebracht hat, wird von ihrem Manne, mit welchem sie im gesetzlichen Güterstande gelebt hat, wegen Untreue desselben geschieden; sie empfängt von dem bedeutenden Ehevermögen, dessen Wachstum ihrem Fleiße und ihrer Sparsamkeit wesentlich zu verdanken ist, keinen Pfennig; da sie sich auf Handarbeit versteht, ist sie nicht „erwerbsunfähig“ und mag nun als Näherin sich einen kümmerlichen Erwerb suchen, den dann der Mann bis zu einem ausreichenden Einkommen zu ergänzen hat; stirbt der Mann, so fällt diese Ergänzung fort, und zuletzt muß die Frau, während die Erben ihres geschiedenen Mannes sich der gesammelten Reichtümer erfreuen, aus den Mitteln der öffentlichen Armenpflege unterhalten werden! Ist das Gerechtigkeit? Und mit welchen unzureichenden Gründen verteidigen die Motive ein solches mit dem bisherigen Recht der meisten deutschen Länder schroff brechendes System (S. 613–620)! Die Ehe dürfe nicht einem auf vermögensrechtliche Vorteile gerichteten Rechtsgeschäft gleichgestellt werden. Als wenn es sich hier um „Vorteile“ und nicht vielmehr um Ersatzleistung für eine auch in die Vermögensinteressen tief eingreifende Schädigung handelte! Ein Ersatzanspruch sei aus „allgemeinen Grundsätzen“ nicht herzuleiten. Es giebt aber keinen „allgemeineren“ Grundsatz der Rechtsordnung als den der ausgleichenden Gerechtigkeit, welcher entschieden die Verurteilung des schuldigen Teiles zu einer umfassenden Entschädigung oder Abfindung verlangt! Der vom Entwurf gewährte subsidiäre Unterhaltsanspruch sei zwar ebensowenig aus „allgemeinen Grundsätzen“ zu rechtfertigen, habe aber die Billigkeit für sich und diene dem öffentlichen Interesse, welches es erheische, „den Scheidungen thunlichst entgegenzutreten und im Falle der Scheidung eine Vermehrung der öffentlichen Armenlast thunlichst zu verhüten“. Offenbar jedoch wird gerade diesen Gesichtspunkten ein umfassenderer Ersatzanspruch weit besser gerecht. Die Motive scheinen freilich auch darin einen Vorzug der vorgeschlagenen Bestimmungen zu erblicken, daß sie geeignet sind, einen mittellosen Ehegatten von der Anstellung der Scheidungsklage auch im Falle der schwersten Verschuldung des anderen Ehegatten abzuschrecken. Allein diese Auffassung bedarf wohl keiner Widerlegung73. Nicht zu billigen ist (453) es ferner, wenn der Entwurf in Widerspruch mit dem jetzt im größten Teil Deutschlands geltenden Recht vorschreibt, daß die geschiedene Frau unter allen Umständen den Familiennamen des Mannes behält (§ 1455). Die unschuldige Frau müßte berechtigt sein, ihren ursprünglichen Namen wieder aufzunehmen; der schuldigen Frau müßte umgekehrt die Fortführung des Namens des Mannes nur im Falle einer besonderen Bewilli-
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jetzigen Mannes fingiert! Welche Kunst der Rechtstechnik! Eine fingierte Ehe zwischen zwei Männern! Energisch tritt Hinschius S. 92–94 für die Beibehaltung eines umfassenderen Anspruchs des unschuldigen Teils ein. Dagegen erklärt sich Brie in seinem Gutachten für den 20. Juristentag Bd. 2 S. 235–262 gegen jede Ehescheidungsstrafe oder Abfindung; er will jedoch bei gütergemeinschaftlichen Ehen die Bereicherung des schuldigen Gatten auf Kosten des unschuldigen verhüten (oben S. 429) und außerdem dem unschuldigen Ehegatten (insbesondere der unschuldigen Frau) einen wesentlich gleichen Unterhaltsanspruch gewähren, wie er demselben während der Ehe zukam.
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gung des letzteren gestattet sein74. Gleiche Regeln müßten für den Stand gelten, den der Entwurf auch hier ganz übergeht. Im Verhältnis zu den gemeinschaftlichen Kindern will der Entwurf durch die Scheidung grundsätzlich eine Änderung der elterlichen Rechte und Pflichten nicht eintreten lassen. Doch überträgt er die Erziehungsgewalt („Sorge für die Person“) vorbehaltlich abweichender Anordnungen des Vormundschaftsgerichtes im Falle einseitig verschuldeter Scheidung ausschließlich dem unschuldigen Teil, im Falle beiderseitigen Verschuldens hinsichtlich der Söhne vom zurückgelegten sechsten Lebensjahre an dem Vater, hinsichtlich der Töchter und der noch nicht sechs Jahre alten Söhne der Mutter (§ 1456). Dem von der Erziehungsgewalt ausgeschlossenen Elternteil wahrt er die Befugnis, mit dem Kinde persönlich zu verkehren; die näheren Anordnungen soll erforderlichen Falls auch hier das Vormundschaftsgericht treffen (§ 1457). Die Kosten des Unterhaltes der gemeinschaftlichen Kinder legt der Entwurf nach der Scheidung wie während der Ehe nicht beiden Eltern gemeinschaftlich, sondern zunächst dem Vater und erst subsidiär der Mutter auf; er verpflichtet jedoch die geschiedene Mutter zu einem angemessenen Beitrage aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrage eines von ihr betriebenen Erwerbsgeschäftes (§ 1458). Daß er diesen Anspruch für unübertragbar erklärt und eine Aufrechnung gegen ihn ausschließt, entspricht der Natur des Verhältnisses. Unbillig aber ist die Bestimmung, daß die Mutter nur dann zu einem Beitrage verpflichtet ist, wenn dem Vater „die elterliche Nutznießung an dem Vermögen des Kindes nicht zusteht“. Denn wenn die Motive den Mangel jeder Rücksichtnahme auf die Größe des Kindesvermögens damit entschuldigen, daß der Vater ja stets auf seinen Nießbrauch verzichten (454) könne, um sich den Beitrag der Mutter im Falle der Unzulänglichkeit des Kindesvermögens zu verschaffen (S. 630), so liegt hierbei die schiefe Auffassung der elterlichen Nutznießung als eines im eignem Interesse begründeten selbständigen Rechtes zu Grunde, dessen Preisgabe trotz der damit verbundenen Auseinanderreißung von Verwaltung und Nutznießung und der hierin enthaltenen Schwächung der väterlichen Stellung ohne Nachteil für die Beteiligten um eines anderweiten größeren Vorteils willen erfolgen könne. Der Entwurf hat auch hier einer künstlichen Technik zuliebe die einfache Regelung des Verhältnisses aus dem natürlichen Gesichtspunkt der beiderseitigen Elternpflicht verschmäht. […] In einem zweiten Abschnitt des Familienrechts faßt der Entwurf unter der Überschrift „Verwandtschaft“ eine Reihe verschiedenartiger Materien zusammen, deren Mittelpunkt jedoch das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern bildet. Zuvörderst trifft er Bestimmungen über „eheliche Abstammung“ (Tit. 1)75. Er erklärt nicht bloß die während der Ehe empfangenen, sondern auch die vor der Ehe empfangenen und nach deren Abschluß geborenen Kinder für „ehelich“ (§ 1466) und legt der vom 181. bis zum 300. Tage vor der Geburt reichenden ge74 75
Hinschius S. 94–96, der die Motive zu § 1455 eingehend widerlegt, will der schuldigen Frau unbedingt die Rückkehr zum früheren Namen und Stand auferlegen. Vgl. hierzu Weichsel, Magazin für deut. R. Bd. 8 S. 326–335 Olshausen, Centralblatt f. Gynäkologie, herausg. v. Fritsch, Leipzig 1889 Nr. 1; Zrodlowski S. 38; Klöppel S. 348–349; Westrum, Gutachten S. 969–974. Sie alle mißbilligen die schroffen Präsumptionen oder vielmehr Fiktionen des Entwurfs; Westrum wünscht, daß bei nachgewiesenem Ehebruch die Vermutung ganz wegfalle.
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setzlichen „Empfängniszeit“ eine absolute (also auch für die lebensunfähige Frühgeburt geltende) Bedeutung bei (§ 1467; über Abs. 2 vgl. oben S. 59–60). Fällt die Empfängniszeit (455) ganz oder teilweise in die Ehe, so gilt eine Vermutung für die Vaterschaft, die auch dann Platz greift, wenn während der ganzen Empfängniszeit die Ehe gerichtlich von Tisch und Bett getrennt war (§ 1468). Diese Vermutung kann nur durch den Beweis der Nichtvollziehung des Beischlafes in der Empfängniszeit widerlegt werden; in Ermangelung eines solchen Beweises wirkt sie wie eine Fiktion und ist auch im Falle des Ehebruches der Frau, der früheren Schwangerschaft derselben, des mit der Vaterschaft unvereinbaren Reifegrades des Kindes und der Zeugungsunfähigkeit des Mannes schlechthin unumstößlich (§ 1469). Fällt die Empfängniszeit ganz vor die Ehe, so tritt die gleiche Vermutung nur dann ein, wenn der Ehemann in der Empfängniszeit den Beischlaf vollzogen hat; wenn jedoch der Ehemann stirbt, ohne die Ehelichkeit des Kindes angefochten zu haben, so wird auch hier für Beischlafsvollziehung vermutet (§ 1470). Es gilt also nicht bloß stets, wie die Motive sagen, der „mögliche“, sondern unter Umständen auch der „unmögliche“ Vater als „wirklicher Vater“. Die Unehelichkeit eines während der Ehe oder innerhalb 300 Tagen nach Auflösung der Ehe gebornen Kindes kann, solange der Ehemann lebt, nur vom Ehemann selbst durch einen höchst persönlichen formellen Anfechtungsakt, der „sich als einseitiges Rechtsgeschäft darstellt“, geltend gemacht werden; dieses Anfechtungsrecht erlischt durch eine ausdrückliche Anerkennung des Kindes, die ebenfalls als ein höchstpersönliches formelles „einseitiges Rechtsgeschäft“ behandelt wird, und durch Ablauf eines Jahres nach erlangter Kenntnis von der Geburt (§§ 1471– 1474). Der Ehemann kann, solange das Kind am Leben ist, die Anfechtung nur durch Erhebung der Anfechtungsklage gegen das Kind, nach dem Tode des Kindes durch eine gegenüber dem Nachlaßgericht abzugebende Willenserklärung wirksam vornehmen (§ 1475). In dem Anfechtungsprozeß, welcher durch Zusatzbestimmungen zur Civilprozeßordnung im Sinne des Offizialprinzips ausgestaltet werden soll, ist der beschränkt geschäftsfähige Ehemann prozeßfähig, jede Vertretung desselben aber ausgeschlossen (§ 1476). Das in einem solchen Prozeß erlassene und während der Lebenszeit des Ehemannes rechtskräftig gewordene Urteil wirkt für und gegen alle (§ 1477). Analoge Regeln gelten hinsichtlich der Anfechtung der erfolgten Anerkennung des Kindes (§ 1478). Alle anderen beteiligten Personen, die Mutter, das Kind selbst und Dritte (einschließlich der Lehnsund Fideikommißanwärter, Motive S. 660), können die Unehelichkeit des Kindes nur dann geltend machen, wenn der Ehemann entweder die Ehelichkeit angefochten hat oder gestorben ist, ohne durch Anerkennung oder Zeitablauf das Anfechtungsrecht verloren zu haben (§ 1471). Diese Geltendmachung erfolgt, solange nicht (456) etwa ein vom Ehemann angestrengter Anfechtungsprozeß noch unerledigt ist, nach den gewöhnlichen Grundsätzen über Rechtsverfolgung. Durch eine positive Bestimmung wird endlich für den Fall, daß infolge einer zu frühzeitigen Wiederverheiratung der Frau ein Kind nach dem gesetzlichen Vermutungssystem zwei eheliche Väter haben würde, die Vaterschaft je nach der Geburt des Kindes vor oder nach Ablauf von 270 Tagen seit Auflösung der ersten Ehe dem ersten oder zweiten Ehemann zugeteilt (§ 1479). Allen diesen Vorschriften liegt das Bestreben zu Grunde, nicht nur die Aufdeckung der Unehelichkeit eines Kindes thunlichst zu verhüten, sondern auch eine möglichst baldige unanfechtbare Feststellung der Personenstandsverhältnisse zu erzielen. Geht nicht aber auch hier der
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Entwurf in der Durchführung eines mechanisch wirkenden Rechtsformalismius auf Kosten des materiellen Rechtes zu weit? Es bleibt doch immer ein sonderbares Stück Rechtsordnung, daß der nach zehnmonatlicher Abwesenheit zurückkehrende Ehemann ein gleichzeitig eintreffendes völlig unreifes Kind, der weiße Vater trotz nachgewiesenen Ehebruchs der Frau mit einem Neger einen kleinen Mulatten unweigerlich als seinen Sprößling hinnehmen muß. Andrerseits wird durch die dem Ehemann eingeräumte unbedingte Dispositionsbefugnis über den Personenstand eines noch so zweifellos nicht von ihm herrührenden Kindes die Möglichkeit schroffer Verletzungen des sittlichen Gefühls und wohlberechtigter Familieninteressen geschaffen. Einen wichtigen Gegenstand betreffen die Vorschriften über „Unterhaltspflicht“ (Tit. 2), die der Entwurf mit Recht in das Familienrecht stellt, indem er die Unterhaltspflicht als eine aus dem familienrechtlichen Bande der Verwandtschaft (oder der Ehe) entspringende sittliche Verpflichtung betrachtet (Motive S. 676 ff.). In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der geltenden Rechte legt er nicht nur allen Verwandten in gerader Linie, sondern auch den Geschwistern eine gegenseitige Unterhaltspflicht auf (§ 1480)76. Dagegen beseitigt er ohne Grund die im Preußischen Landrecht anerkannte unvollkommene Verbindlichkeit der sonstigen erbberechtigten Verwandten, bei Vermeidung des Verlustes ihres Erbrechts den geforderten Unterhalt zu gewähren. Auch kennt er keinerlei Unterhaltspflicht zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern oder zwischen Stiefeltern und Stiefkindern und nimmt auch bei der Bemessung der Unterhaltsansprüche eines Verwandten auf das Bedürfnis eines Ehegatten (457) desselben keine Rücksicht (Motive S. 679–680 u. 698). Als weitere Voraussetzungen der Begründung einer Unterhaltspflicht, deren Vorhandensein somit derjenige beweisen muß, welcher einen Unterhaltsanspruch erhebt, behandelt der Entwurf die Bedürftigkeit auf der einen Seite (§ 1481) und die Leistungsfähigkeit auf der andern Seite (§ 1482). Unter mehreren Unterhaltsberechtigten gewährt er dem näher zum Erbe Berufenen einen Vorrang, durchbricht jedoch diese Regel durch unbedingte Zurücksetzung der Geschwister hinter die Verwandten gerader Linie und durch eine besondere Ordnung des Verhältnisses zwischen den Ansprüchen des Ehegatten und der Kinder (§ 1483). Von mehreren Unterhaltsverpflichteten soll der Ehegatte vor den Verwandten haften (§ 1484), während unter den Verwandten die Reihenfolge des gesetzlichen Erbrechts entscheiden und nur der Vater vor der Mutter und die Verwandten gerader Linie vor den Geschwistern haften sollen (§ 1485). Mehreren gleichzeitig Unterhaltsverpflichteten wird keine solidarische, sondern nur eine anteilige Haftung nach Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbanteile auferlegt (§ 1486). Leistungsunfähige Verwandte werden in Ansehung der Unterhaltspflicht der übrigen Verwandten, unterhaltspflichtige Verwandte, gegen welche die Rechtsverfolgung im Inlande ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist, zu Gunsten des Bedürftigen „als nicht vorhanden angesehen“ (§ 1487). Der Unterhaltsanspruch umfaßt den standesmäßigen Unterhalt einschließlich der Kosten der Erziehung, der Taufe und der Vorbildung zu einem besonderen Lebensberuf und in Ermangelung 76
Klöppel S. 344–345 billigt diese Bestimmungen, tadelt aber die Zerstörung des Zusammenhanges mit dem Erbrecht; er will daher allen Voreltern und (wennschon wegen ihrer abgeschwächten Unterhaltspflicht in geringerem Maße) auch den Geschwistern einen Pflichtteilsanspruch gewähren.
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einer Verpflichtung des Erben auch die Beerdigungskosten (§ 1488). Doch haben die Geschwister nur Anspruch auf notdürftigen Unterhalt (§ 1489). Auch kann nur notdürftiger Unterhalt verlangt werden, wenn der Berechtigte seine Bedürftigkeit selbst verschuldet oder sich gegen den Verpflichteten dergestalt betragen hat, daß ein Grund zur Entziehung des Pflichtteils vorläge (§ 1490). Die Gewährung des Unterhaltes soll regelmäßig in einer Geldrente und nur unter besonderen Umständen auf Antrag des Berechtigten kraft gerichtlicher Gestattung in anderer Art erfolgen (§ 1491). Eine Nachforderung für die Vergangenheit findet nur vom Verzuge des Verpflichteten oder von der Rechtshängigkeit des Anspruches an statt (§ 1492). Der Unterhaltsanspruch für die Zukunft kann im Konkurse des Verpflichteten nicht geltend gemacht werden (§ 1494); er ist unverzichtbar und wird durch Vorausleistung nur insoweit aufgehoben, als dieselbe kraft gesetzlicher Verpflichtung oder für eine angemessene Frist erfolgte (§ 1495): durch Tod des Berechtigten oder Verpflichteten wird er, von den schon fälligen im voraus zu bewirkenden Leistungen abgesehen, stets beendigt (§ 1496). – Alle diese Bestimmungen sind mit einzelnen Vorbehalten insoweit für angemessen (458) zu erachten, als es sich um die gegenseitige Unterhaltspflicht zwischen getrennt lebenden Verwandten handelt. Es ist aber ein starker Mißgriff des Entwurfes, daß er in das vorbezeichnete Schema auch die Verhältnisse zwischen Angehörigen derselben Hausgemeinschaft hineinzwängt! Vor allem widerspricht es jedem gesunden Gefühl, wenn er seiner individualistischen und mechanischen Schablone zuliebe die Verpflichtung der Eltern zur Ernährung und Erziehung der Kinder nach ihrer pekuniären Seite hin als eine besondere und selbständige Unterhaltspflicht aus Verwandtschaft konstruiert, sie von der elterlichen Gewalt und von der elterlichen Nutznießung an etwaigem Kindesvermögen völlig losreißt und mit der Verpflichtung zur Alimentation verarmter Angehöriger auf die gleiche Stufe stellt! Offenbar paßt der ganze Zuschnitt dieses nach dem eignen Geständnis der Motive zugleich mit dem System der öffentlichen Armenpflege eng zusammenhängenden Titels schlechthin nicht für das einfachste und natürlichste Verpflichtungsverhältnis der Welt, welches die Eltern mit der Sorge für ihre Kinder bis zu deren Selbständigkeit belastet. Der Entwurf sieht sich denn auch genötigt, eine Reihe von Ausnahmebestimmungen zu treffen, um seine Regeln über Unterhaltspflicht diesem Falle einigermaßen anzupassen. Das „minderjährige unverheiratete Kind“ gilt seinen Eltern gegenüber auch dann als „wegen Vermögenslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit“ bedürftig, wenn zu seinem Unterhalt der Stamm seines eigenen Vermögens angegriffen werden müßte (§ 1481 Abs. 3). Vater und Mutter gelten einem solchen Kinde gegenüber auch dann, wenn dessen Unterhalt ihren eignen Unterhalt beeinträchtigt (!), insofern als leistungsfähig, als sie den Unterhalt des Kindes „bei Berücksichtigung ihrer anderweiten Verpflichtungen für sich und das Kind zusammen zu bestreiten im stande sind“; doch trifft sie diese gesteigerte Unterhaltspflicht nicht, soweit der Stamm des Kindesvermögens ausreicht oder ein anderer zur Gewährung des Unterhaltes an das Kind verpflichteter Verwandter vorhanden ist (§ 1482 Abs. 2). Der Unterhaltsanspruch des minderjährigen unverheirateten Kindes wird dem Unterhaltsanspruch des Ehegatten gleichgestellt und dem des geschiedenen Ehegatten vorgezogen, während der Unterhaltsanspruch jedes anderen Kindes gleich dem, eines sonstigen Verwandten hinter dem des jetzigen wie des geschiedenen Ehegatten zurück stehen soll (§ 1483 Abs. 2–3). Statt einer gemeinschaftlichen Elternpflicht werden gesonderte Unterhaltspflichten des Vaters und
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der Mutter angenommen, von denen die des Vaters zunächst eintritt, die der Mutter aber dann voransteht, wenn derselben die elterliche Nutznießung zusteht (§ 1486); hierbei wird wieder die Mutter, falls sie durch die gesetzliche Regel unbillig belastet wird, zum Verzicht auf die Nutznießung angewiesen (459) (Motive S. 691). Die in ihrer Allgemeinheit übrigens bedenkliche und für kleinbürgerliche und bäuerliche Verhältnisse durchaus unpassende Regel der Gewährung des Unterhaltes in Form einer Geldrente wird zu Gunsten desjenigen Unterhaltspflichtigen, „welchem das Erziehungsrecht gegen den Berechtigten zusteht“, dahin abgeändert, daß derselbe die Art der Gewährung des Unterhalts und die Frist, für welche die Vorausleistung erfolgen soll, selbst zu bestimmen hat; Eltern haben das gleiche Recht auch gegenüber den nicht unter Erziehungsgewalt stehenden Kindern, jedoch mit Vorbehalt einer die Bestimmung der Eltern wegen besonderer Umstände abändernden richterlichen Entscheidung (§ 1491 Abs. 3–4). Wir erhalten also die tröstliche Gewißheit, daß kraft dieser Ausnahme von der Regel Eltern auch künftig die veraltete Form des Unterhalts durch Naturalverpflegung im Hause ihren unerwachsenen Kindern gegenüber an Stelle des im Sinne der modernen Geldwirtschaft normalen Unterhalts durch vierteljährliche Entrichtung einer Geldrente wählen können! Auch kann der Vater noch fernerhin, falls das Gericht es nicht anders bestimmt, dem erwachsenen Sohne auf der Universität seinen Wechsel monatlich statt vierteljährlich schicken! Ist es nicht aber schon an sich vollkommen unerträglich, daß alle diese Sätze, die sich auf das ursprünglichste und normalste Verhältnis beziehen, in der Gestalt angehängter Ausnahmebestimmungen von gesetzlichen Regeln auftreten? Und wie wenig wird schließlich trotzdem diese verschrobene Ordnung dem Wesen des deutschen Hauses gerecht77! Sie hängt freilich mit der juristischen Versetzung der Hausgemeinschaft in allen Teilen des Entwurfes innig zusammen. Insbesondere stimmt die Einschränkung der ein engeres Band voraussetzenden Modifikationen der Unterhaltspflicht auf „minderjährige“ Kinder und die hierdurch bedingte völlige Mißachtung der natürlichen Stellung der im Elternhause verbleibenden großjährigen Kinder mit den durchgängig verwirklichten „Grundsätzen“ des Entwurfes überein. Allein dadurch wird die Sache um nichts besser. Daß auch die Behandlung der gegenseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten nach der Schablone der subsidiären Alimentationsansprüche aus Verwandtschaft eine Ungehörigkeit ist, brauchen wir nicht näher auszuführen; wer die §§ 1280-1281 (460) mit ihren Verweisungen auf die §§ 1481 Abs. 2, 1488 Abs. 4 und 1492-1496 und die hier nachgeholten Bestimmungen über die Gattenpflichten in den §§ 1483-1484 zergliedert, wird sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Entwurf hier die eheliche Gemeinschaft sogut wie die Hausgemeinschaft in unziemlicher Weise mißhandelt. Im dritten Titel, der das „Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ehelichen Kindern“ ordnet, tritt die trotz aller Anlehnung an deutschrechtliche Institute vollzogene Auflösung der deutschen Hausgemeinschaft klar zu Tage. 77
Vgl. auch Menger S. 34–39, der an das Witzblatt, welches „täglich mit Ausnahme der Wochentage erscheint“ erinnert. Menger findet überdies in § 1491 eine Verewigung des Ammenwesens und fordert die gesetzliche Feststellung einer persönlichen Mutterpflicht, zu säugen (vgl. Pr. A. L. R. II 2 §§ 67 u. 68), sowie die Einschränkung des Vertretungsrechtes auf Mütter, deren eignes Kind gestorben ist oder denen doch Ärzte und Vormundschaftsgericht den Ammendienst gestatten. Ob das viel helfen würde?
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Nur die vorangeschickten „allgemeinen Vorschriften“ (I) enthalten einige Zugeständnisse an die Einheit des Hauses. Denn hiernach soll jedes dem elterlichen Hausstande angehörige Kind, solange es entweder unter der Erziehungsgewalt seiner Eltern steht oder von denselben unterhalten wird, den Eltern „kindlichen Gehorsam“ schulden (§ 1498)78 und „in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in deren Hauswesen und Gewerbe unentgeltlich Dienste zu leisten“ verpflichtet sein (§ 1499). Da nach den „allgemeinen Grundsätzen“ des Entwurfes die Gehorsams- und Dienstpflicht des großjährigen Kindes höchstens dann eintreten würde, wenn das Kind von den Eltern in Erfüllung ihrer „gesetzlichen Unterhaltspflicht“ im Hause verpflegt wird (Motive S. 713 und 715), so liegt in diesen Bestimmungen eine gewisse Rücksichtnahme auf den häuslichen Verband. Doch hat der Entwurf sich auch hier nicht entschlossen, gleich dem sächsischen Gesetzbuch (§§ 805–806) schon der häuslichen Gemeinschaft als solcher eine derartige Wirkung beizulegen. Vielmehr schuldet das großjährige Kind, welches im Elternhause aus eignen Mitteln lebt, den Eltern weder Gehorsam noch häusliche Dienste; es setzt sich nur, falls es sich der Hausordnung nicht fügt, der Gefahr aus, „daß die Eltern ihm die häusliche Gemeinschaft kündigen“ (Motive S. 713). Im übrigen werden diese „allgemeinen Vorschriften“ mit einer Bestimmung eröffnet, welche dem ehelichen Kinde den Familiennamen des Vaters beilegt, dagegen über das Recht zur Erteilung des Vornamens und über den Eintritt in den Stand des Vaters schweigt (§ 1497, vgl. oben S. 85), und mit Vorschriften über die Zusicherung oder Gewährung einer Ausstattung seitens des Vaters oder der Mutter beschlossen (§ 1500). In letzterer Hinsicht erkennt der Entwurf in Widerspruch mit dem bisher im größten Teile Deutschlands geltenden Recht eine Rechtspflicht zur Ausstattung oder Ausrichtung (461) weder Töchtern noch Söhnen gegenüber an. Gleichwohl statuiert er, obschon er den Begriff einer unvollkommenen oder natürlichen Verbindlichkeit grundsätzlich verwirft, eine Art von unvollkommener Ausstattungspflicht. Denn die einem Kinde „wegen dessen Verheiratung oder Errichtung eines eignen Hausstandes“ von Vater oder Mutter versprochene oder gewährte „Ausstattung“ soll „nicht als Schenkung“ gelten; nur die Gewährleistungspflicht des Ausstattenden soll nach Analogie der Schenkung beurteilt werden. Auch soll das Ausstattungsversprechen an eine Form nicht gebunden sein. Und wegen des Geleisteten soll keine condictio indebiti stattfinden. Doch gelten diese Regeln nur insoweit, als nicht die Ausstattung das gehörige Maß überschreitet. Hat das Kind eignes Vermögen, welches der ausstattende Elternteil als gesetzlicher Vertreter verwaltet, so wird vermutet, daß die Ausstattung aus diesem Vermögen gewährt sei. Mit den nachfolgenden Bestimmungen über „elterliche Gewalt“ (II)79 verläßt der Entwurf völlig den Boden des gemeinschaftlichen Elternrechts und der Hausgemeinschaft. Denn die elterliche Gewalt ist, wie sogleich die „allgemeinen Vorschriften“ (1) ergeben, ihrem Namen zum Trotz nicht etwa ein gemeinschaftliches Elternrecht, das überwiegend vom Vater ausgeübt würde, sondern ein besonderes Recht des einen oder anderen Elternteils, welches zunächst dem Vater und nach dessen Tode der Mutter zusteht und je nachdem der Vater oder die Mutter in einen 78 79
Sehr mit Unrecht tadelt L. Goldschmidt S. 114 die Aufnahme derartiger Bestimmungen. Vgl. Fuld, Gutachten S. 419–455; Klöppel a. a. O. Bd. 33 S. 350 ff.
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„Inhaber der elterlichen Gewalt“ verwandelt (vgl. oben S. 34 ff.). Sie entbehrt ferner jedes rechtlichen Zusammenhanges mit der Hausgemeinschaft, da der Grund und die Grenze ihres Bestandes ausschließlich in die Minderjährigkeit des Kindes verlegt wird (§ 1501). Inhaltlich hat sie eine doppelte Bedeutung, indem sie erstens Pflicht und Recht der vormundschaftlichen Fürsorge für die Person und das Vermögen des Kindes begründet, zweitens ihrem Inhaber „das Recht der Nutznießung an dem Vermögen des Kindes“ gewährt (§ 1502). Dagegen hat sie mit den sonstigen Ausflüssen des Elternverhältnisses (Heiratskonsens, Unterhaltspflicht, Anspruch auf Gehorsam und häusliche Dienste, Ausstattung u. s. w.) nichts zu thun. Entschiedener als auf irgend einem anderen Gebiete hat der Entwurf hier mit dem römischen Recht gebrochen. Alle noch fortvegetierenden Reste des Systems der patria potestas, der Vermögensunfähigkeit des Hauskindes, der Personeneinheit, des Pekulienrechts, der adjektizischen Klagen, der Emancipation u. s. w. sind verschwunden. Man wird ihnen keine (462) Thräne nachweinen. Leider nur ist mit dem bei uns niemals recht heimisch gewordenen fremden Stoff nicht zugleich der Geist der romanischen Jurisprudenz gewichen. Denn obwohl der Entwurf hier nur mit deutschem Stoff arbeitet, preßt er denselben in die mechanisch-individualistische Gedankenschablone, die nun einmal das unentrinnbare Verhängnis alles echten Privatrechtes bilden soll, die aber den echten Geist des deutschen Familienrechts unbarmherzig ertötet. Die ganze Grundanlage dieser elterlichen Gewalt im Sinne eines von der natürlichen Organisation des häuslichen Verbandes losgerissenen besonderen Rechtsverhältnisses widerspricht dem Wesen des deutschen Elternrechts. Demgemäß aber ist auch im einzelnen die vorgeschlagene Rechtsordnung undeutsch ausgefallen. Der Entwurf faßt zunächst die dem „Inhaber der elterlichen Gewalt“ als Pflicht und Recht zugewiesene „Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes“ (2) als eine freier gestaltete Vormundschaft auf. Gewiß wäre ihm hierin beizutreten, wenn er unter „Vormundschaft“ das deutschrechtliche Mundium verstände und im väterlichen Mundium den ursprünglichsten und kräftigsten Typus dieser zugleich Herrschaftsrechte und Herrschaftspflichten in sich schließenden Schutzgewalt erblickte. Allein dies ist nicht seine Meinung! Er versteht vielmehr unter „Vormundschaft“ die Altersvormundschaft über die Waise und behandelt nun die elterliche Gewalt als eine Modifikation dieses normalen Typus der Vormundschaft. Wenn eine solche begriffliche Umkehrung der natürlichen und sittlichen Welt nur von den Motiven gepredigt würde, könnte man vielleicht an einen doktrinären Scherz glauben. Der Text selbst aber belehrt uns über den bitteren Ernst der Sache. Denn gleich der erste Paragraph, der von dem Inhalt der elterlichen Gewalt spricht, besteht lediglich aus Verweisungen auf fünfzehn entsprechend anzuwendende (zum Teil wieder weitere Verweisungen bringende) Paragraphen des späteren Titels über die Altersvormundschaft. Wenn ein Vater oder eine Mutter, die über ihre Rechtsstellung zu ihren Kindern Belehrung im Gesetzbuch suchen, von vornherein auf diesen § 1503 stoßen, – muß ihnen nicht, falls ihnen nicht beim Anblick des unverständlichen Konglomerats von Worten und Ziffern die Gedanken überhaupt vergehen, der Gedanke kommen, daß doch Mephistopheles dem Schüler das Wesen des Rechtes trefflich geschildert habe? Eine solche Technik ist unerlaubt, – sie ist mehr als das, sie ist widersinnig! Das uralte, heilige Rechtsverhältnis, das aller Rechtsgesittung geheimnisvollen Keim barg, darf auch der mo-
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derne Gesetzgeber nicht durch Verweisungen regeln; mag er seine Aufgabe noch so nüchtern und kühl erfassen, das naturgegebene Band (463) darf er nicht nach dem Muster eines zum Ersatz desselben bestimmten Verhältnisses formen! Und nun frage man sich, nachdem man in mühevoller Arbeit mit Hülfe der Motive alle diese fremdartigen Sätze, in denen gelegentlich von einer Mehrheit von Vormündern (§ 1653), ihrem Gesamtschuldverhältnis (§ 1696) und dem „Amte“ des Vormundes (§ 1700 Abs. 1) die Rede ist, in die Sprache des Elternrechts übersetzt hat, ob das sachliche Ergebnis mit unserer deutschen Auffassung von der Stellung des Vaters und mit der sittlichen Forderung einer starken väterlichen Autorität über das Hauskind übereinstimmt? Schwerlich wird man diese Frage bejahen können. Diese analog anzuwendenden Vorschriften über die gesetzliche Vertretung des Mündels durch den Vormund (§§ 1649–1651), über die Verwaltung der Mündelangelegenheiten (§§ 1660–1662, 1664, 1665 und 1667), über die gegenseitigen Ansprüche aus der Vormundschaftsführung (§§ 1696–1698), über die Rechnungslage (§ 1700 Abs. 1) und über die Haftung des Vormundschaftsgerichtes (§ 1702) sind eben auf ein völlig andersgeartetes Verhältnis berechnet80. Als Ausfluß der vormundschaftlichen Sorge des „Inhabers der (464) elterlichen Gewalt“ für die Person des Kindes hebt der Entwurf die „Erziehung“ und die „Aufsicht“ besonders hervor, gewährt das zur Ausübung der Erziehungsgewalt erforderliche „Zuchtrecht“ und verpflichtet das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Erziehungsberechtigten zur Unterstützung desselben „durch geeignete Zwangsmaßregeln“ (§ 1504). Zugleich erkennt er einen Anspruch auf Herausgabe des von einem anderen widerrechtlich vorenthaltenen Kindes und auf Zurückführung des flüchtigen Kindes mit polizeilicher Hülfe an (§ 1505). Neben dem Vater stattet er bei bestehender Ehe die Mutter mit einem Anteil an der Pflicht und dem 80
Wir greifen nur einige Punkte heraus. Nach § 1651 Z. 1 kann der Vater nicht bloß seine Kinder nicht gegeneinander, sondern auch sein Kind nicht gegenüber seinem Vater oder Großvater oder seiner Mutter oder Großmutter vertreten. Nach § 1651 Z. 4 soll ihm das Vormundschaftsgericht die Vertretung entziehen, wenn das Interesse des Kindes zu seinem eigenen Interesse oder zu dem einer andern von ihm vertretenen Person oder einer mit ihm in gerader Linie verwandten Person, oder seines Ehegatten in „erheblichem Gegensatz“ steht. Die elterliche Verwaltung am Kindesvermögen kann nicht nur dem bestehenden Rechte gemäß nach § 1510 durch die Bestimmung eines Erblassers oder Schenkers ausgeschlossen, sondern auch nach § 1660 durch den Zuwendenden an beliebige „Anordnungen“ gebunden werden, obwohl eine so gebundene Verwaltung einem Vater nicht aufgedrungen werden kann, ohne ihn in eine schiefe Lage zu bringen. Der Vater braucht kein Verzeichnis anzufertigen und keine Sicherheit zu bestellen, die Verwaltung aber wird nicht in sein Vertrauen gestellt, sondern durch das Verbot der Verwendung von Vermögensgegenständen in eignen Nutzen (§ 1662) und durch die Übertragung aller Vorschriften über die Anlage der Mündelgelder (§§ 1664, 1665 u. 1667) in enge Fesseln geschlagen, die nur das Vormundschaftsgericht lockern kann. Er muß bei Beendigung der Verwaltung Rechnung legen und auf Verlangen den Offenbarungseid leisten (§ 1700 Abs. 1 u. Motive S. 747). Seine Haftung ist durchweg die des Vormunds (§§ 1696–1698); es trifft ihn auch die Beweislast, daß er die Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters angewandt hat (Motive S. 748). Daß dies nicht das väterliche Mundium des deutschen Rechtes ist, bedarf keiner näheren Darlegung, – Am wenigsten können wir der Beurteilung von Fuld beistimmen, der sogar noch eine weitere Abschwächung der väterlichen Rechte verlangt (vgl. S. 421, 428–429 u. 444).
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Recht der Sorge für die Person des Kindes aus, entzieht ihr jedoch die gesetzliche Vertretung des Kindes und wahrt dem Vater das entscheidende Wort (§ 1506)81. Zu dem Antrage auf Entlassung des Kindes aus dem Staatsverbande ohne gleichzeitige Beantragung der eignen Entlassung soll der „Inhaber der elterlichen Gewalt“ der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes bedürfen (§ 1507). Daß die wichtige Frage des religiösen Erziehungsrechtes dem Landesrecht überwiesen wird (§ 1508), ist schon oben erwähnt (S. 142). Da nach dem Entwurfe Heirat nicht mündig macht, verbleibt der verheiratete minderjährige Sohn unter der vollen elterlichen Erziehungs- und Aufsichtsgewalt (Motive S. 753); dagegen wird hinsichtlich der verheirateten minderjährigen Tochter wenigstens die thatsächliche Fürsorge für die Person als Sache des Mannes behandelt und deshalb die elterliche Gewalt in ihrer persönlichen Richtung auf die gesetzliche Vertretung in persönlichen Angelegenheiten eingeschränkt (§ 1509). Was die dem „Inhaber der elterlichen Gewalt“ zustehende „elterliche Vermögensverwaltung“ betrifft, so modifiziert der Entwurf hier nur in wenigen Punkten die Grundsätze des Vormundschaftsrechtes. Er läßt die Ausschließung der elterlichen Verwaltung durch letztwillige Verfügung oder Zuwendung unter Lebenden hinsichtlich der dem Kinde zugewandten Vermögensgegenstände zu (§ 1510). Den Kreis derjenigen Veräußerungs- und Verpflichtungsgeschäfte, zu deren Vornahme es der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes bedürfen soll, begrenzt er enger als im Vormundschaftsrecht, geht jedoch auch hier in der Einschränkung des „Inhabers der elterlichen Gewalt“ weiter als die geltenden Gesetze (§ 1511). Gegenstände, die hiernach nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (465) veräußert werden können, soll der „Inhaber der elterlichen Gewalt“ dem Kinde auch nicht zu freier Verfügung zu überlassen vermögen (§ 1512). Hinsichtlich der Zulässigkeit einer allgemeinen obervormundschaftlichen Ermächtigung zum Abschluß gewisser Verpflichtungsgeschäfte und hinsichtlich der Wirksamkeit der obervormundschaftlichen Genehmigung und der Folgen ihres Unterbleibens wird wieder auf das Vormundschaftsrecht verwiesen (§§ 1513–1514). Durch eine bloße Ordnungsvorschrift wird der Beginn eines neuen Erwerbsgeschäftes im Namen des Kindes ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verboten (§ 1515). Erfreulich ist es, daß der Entwurf die „elterliche Nutznießung“ (3) festgehalten und nicht als ein von der elterlichen Gewalt getrenntes und vollkommen selbständiges Recht, sondern „als einen, allerdings mehr accidentalen, Bestandteil der elterlichen Gewalt“ gestaltet hat, obschon „damit vom Standpunkte des Entwurfes aus ein fremdartiges, dem vormundschaftlichen Charakter der elterlichen Gewalt nicht entsprechendes Element in diese hineingetragen wird“ (Motive S. 724 ff.). Indem er mit der elterlichen Gewalt von Rechts wegen die Nutznießung an allem Kindesvermögen, welches nicht als „freies Vermögen“ davon besonders ausgenommen ist, verknüpft, befindet er sich in Einklang mit der deutschrechtlichen Ausprägung des elterlichen Mundiums. Auch ist gegen die Beschränkung des freien Vermögens auf die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche des Kindes bestimmten Sachen, die durch Verfügung eines Dritten bei Gelegenheit einer Zu81
Dem Vorschlag von Fuld S. 421 u. 444, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Mutter vielmehr das Vormundschaftsgericht entscheiden soll, wird niemand bestimmen, der noch ein gesundes Familienleben will!
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wendung an das Kind dafür erklärten Gegenstände, den Erwerb aus selbständiger Arbeit oder dem gestatteten selbständigen Betriebe eines Erwerbsgeschäftes und die nach dem Surrogationsprinzip zum freien Vermögen gehörigen Gegenstände (§§ 1516–1519) nichts einzuwenden. Allein der Entwurf verläßt sofort wieder den gesunden familienrechtlichen Boden, wenn er die elterliche Nutznießung den Vorschriften über den Nießbrauch unterwirft (§ 1520) und so grundsätzlich als ein nach den Regeln des Individualsachenrechts zu beurteilendes eignes dingliches Recht an den einzelnen Sachen und Rechten des Kindes konstruiert. Mag auch diese Behandlungsweise sich an das bisherige gemeine Recht und die meisten neueren Gesetzgebungen anschließen, so beruht sie doch hier wie bei der ehelichen Nutznießung auf einer romanischen Verunstaltung des deutschen Familienrechtes und sollte in unserem künftigen Gesetzbuch keine Stätte finden. […] (468) Besondere Bestimmungen trifft der Entwurf über die „elterliche Gewalt der Mutter“ (4). Die Mutter wird, wie schon erwähnt ist, durch den Tod des Vaters zum „Inhaber der elterlichen Gewalt“. Auch erlangt sie die elterliche Gewalt mit Ausnahme der elterlichen Nutznießung in den wichtigsten Fällen des Ruhens der väterlichen Gewalt und die volle elterliche Gewalt infolge Todeserklärung des Vaters und im Falle der Verwirkung des väterlichen Rechtes mit Auflösung der Ehe. Als „Inhaber der elterlichen Gewalt“ wird die Mutter an sich dem Vater vollkommen gleichgestellt. Allein für die Ausnahmefälle soll ihr ein „Beistand“ zugeordnet werden, den das Vormundschaftsgericht auf Anordnung des Vaters, auf Antrag der Mutter oder aus besonderen Gründen im Interesse des Kindes zu bestellen hat (§ 1538). Dieser Beistand, dessen Wirkungskreis durch die Bestellung auf gewisse Angelegenheiten oder auch auf eine einzelne Angelegenheit eingeschränkt werden kann (§ 1539), soll die Mutter bei Ausübung der elterlichen Gewalt unterstützen und überwachen und die nötigen Anzeigen an das Vormundschaftsgericht machen (§ 1540). Seine rechtliche Stellung ist die des „Gegenvormundes“; nur wird durch seine Genehmigung auch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes insoweit ersetzt, als dieselbe zwar zu einem Rechtsgeschäfte des Vormundes, nicht aber zu einem Rechtsgeschäfte des Inhabers der elterlichen Gewalt erfordert wird (§§ 1541–1543). (469) Mit der Einführung der mütterlichen Gewalt knüpft der Entwurf zwar an mancherlei bestehende Rechtsinstitute deutscher Herkunft an. Allein indem er dieselbe mit der väterlichen Gewalt schlechthin gleichstellt und auch in Ausnahmefällen nur durch die Zuordnung eines unterstützenden und kontrollierenden Gegenvormundes ergänzt, bringt er für ganz Deutschland eine tief eingreifende Neuerung. Sicherlich erfüllt er mit der grundsätzlichen Anerkennung der mütterlichen Gewalt eine in unserer Rechtsgeschichte angelegte und in den modernen Kulturverhältnissen begründete Forderung82. Nur gelangt er auch hier von seinen individualistischen und formalistischen Voraussetzungen aus zu einem teilweise schiefen und teilweise überspannten Ergebnis. Zunächst dürfte die mütterliche Gewalt nicht als eine neben der väterlichen Gewalt überhaupt nicht vorhandene und erst mit deren Wegfall entstehende einseitige Machtvollkommenheit konstruiert werden. Vielmehr entspräche dem Wesen des deutschen Hauses allein die Auffassung der „elterlichen“ Gewalt als eines gemeinschaftlichen Elternrechtes, welches sich in der „väterlichen“ Gewalt, solange eine 82
Vgl. auch die Gutachten von Pfaff und Kohler in den Verhandl. des XIX. deutschen Juristentages Bd. 2 S. 153–228. – Ferner Klöppel a. a. O. Bd. 33 S. 350 ff.
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solche besteht, vorzugsweise darstellt, jedoch Raum für eine neben der väterlichen Gewalt sich in dieser mütterlichen Gewalt konsolidiert83. Hieraus folgt von selbst, daß die mütterliche Gewalt stets zur Ergänzung der väterlichen Gewalt bereitstehen und daher bei jeder vorübergehenden wie dauernden Verhinderung des Familienoberhauptes in die Lücke treten muß. Die Motive weisen diesen Gedanken ohne nähere Begründung zurück (S. 739). Indem nun aber im Falle der Abwesenheit oder Krankheit des Vaters, solange nicht die Voraussetzungen des „Ruhens“ seiner Gewalt erfüllt sind, die Mutter jeder selbständigen elterlichen Vertretungsund Verwaltungsbefugnis entbehrt, entsteht ein anarchischer Zustand, dem unter Umständen nur durch die gerade hier am wenigsten angezeigte Einführung eines interimistischen Vormundes in die Familie abgeholfen werden könnte. Rückt die Mutter in die Stellung des Familienoberhauptes ein, so muß von selbst ihre nunmehr alleinige Gewalt an die Stelle des gemeinschaftlichen Elternrechts (470) treten. Dagegen ist es wieder eine Verschiebung des richtigen Standpunkts, wenn der Entwurf die Mutter in die ihr bisher fremde elterliche Gewalt des Vaters succedieren läßt. Bei der Zugrundelegung des Gedankens eines gemeinschaftlichen Elternrechtes würde auch die unglückselige Fassung dieses Titels alsbald einer gesunderen Formulierung weichen. Der „Inhaber der elterlichen Gewalt“ verschwände, das „elterliche“ Recht würde eben den „Eltern“, das „väterliche“ dem „Vater“, das „mütterliche“ der „Mutter“ zurückgegeben. Wäre so der für den Entwurf offenbar nicht bedeutungslose äußerliche Grund der vollkommenen Gleichheit des dem geschlechtslosen „Inhaber der elterlichen Gewalt“ in jedem Fall zugemessenen Kreises von Rechten und Pflichten beseitigt, so wäre ernstlich zu erwägen, ob nicht der Inhalt der „mütterlichen“ Gewalt enger als der Inhalt der „väterlichen“ Gewalt begrenzt werden müßte. Diese Frage würde namentlich dann auftauchen, wenn dem Vater statt der ihm vom Entwurf zugedachten schwächlichen und gebundenen Stellung eine starke und freie Hausgewalt eingeräumt würde. Auch der Mutter gebührt eine mit Fruchtgenuß verbundene Herrschaft, nicht bloß eine nach dem Bilde der amtlichen Vormundschaft geformte Fürsorge mit angehängtem Nießbrauch. Allein es entspricht der Natur der Sache, daß die für sich stehende Witwe in der gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der Kinder und in der Verfügung über das Kindesvermögen minder frei gestellt wird als das Elternpaar oder der Witwer. Nach dem System des Entwurfes ist nicht bloß auf eine durchschnittlich gleiche, sondern auf eine durchschnittlich größere Geschäftserfahrenheit und Charakterstärke des weiblichen Geschlechtes gerechnet, da erfahrungsmäßig Frauen viel häufiger als Männer in die Lage kommen, mit minderjährigen Kindern, denen bereits eignes Vermögen zusteht, allein zurückzubleiben. Nun ermöglicht ja freilich der Entwurf die Bestellung eines der Mutter zugeordneten Beistandes. Indem er jedoch diesem Beistande die Funktionen eines Gegenvormundes zuweist, wird er dem wirklichen Bedürfnis wenig gerecht. Denn wenn aus subjektiven oder objektiven Gründen die Mutter der ihr gestellten Aufgabe nicht gewachsen ist, so ist es doch ein höchst ungeeignetes Auskunftsmittel, sie zur Vormünderin mit einem Gegenvormunde zu machen! Die ganze Last und Verantwortlichkeit der geschäft83
Ähnlich auch Pfaff a. a. O. S. 218 ff.; vgl. auch Fuld S. 421. – Ganz kann sich ja der Entwurf dieser natürlichen Anschauung nicht entziehen, indem er durch § 1506 der Mutter schon neben dem Vater einen Anteil an der Sorge für die Person einräumt. Allein als „Inhaber der elterlichen Gewalt“ behandelt er trotzdem nur den Vater.
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lichen Thätigkeit bleibt ihr aufgebürdet; sie wird nur unter eine Kontrolle gestellt und empfängt vielleicht nebenbei Rat und Unterstützung. Soll es denn wirklich für eine Frau, die von Geschäften nichts versteht und denselben fremd zu bleiben wünscht, keine Möglichkeit geben, sich auf die persönliche Sorge für ihre Kinder zurückzuziehen und die Bestellung eines wirklichen Vormundes zu erwirken? Ist nicht auch, wenn der (471) Vater oder das Gericht die Mutter für ungeeignet zu einer schwierigen Vermögensverwaltung hält, die Einleitung einer Vormundschaft der angemessenere Weg? Man kann ja die neben einer mütterlichen Gewalt bestehende Vormundschaft besonders ausgestalten und in solchen Angelegenheiten, in denen die Stimme der Mutter zur Entscheidung berufen ist oder nicht überhört werden darf, außer Funktion setzen oder an die Mitwirkung der Mutter binden. Eine Gegenvormundschaft aber ist die verfehlteste Form der Abhülfe in der überwiegenden Mehrzahl der vorausgesetzten Fälle. Mit dieser Einrichtung als allein zulässiger Ergänzung der mütterlichen Gewalt wird denn doch die geschäftliche Fähigkeit und Neigung der deutschen Frauen weit überschätzt. Unterschätzt aber wird damit die Bedeutung eines neben der Mutter stehenden Vormundes. Gerade in den niederen Ständen, bei denen die Motive ein Bedürfnis der Ergänzung der mütterlichen Gewalt am wenigsten gelten lassen (S. 738-798), – im kleinen Handwerkerstande, auf dem Lande – spielt der Vormund auch heute noch vielfach eine überaus wichtige und heilsame Rolle. Hier erscheint er in Wahrheit oft als Vertreter der erloschenen väterlichen Autorität und übt den wohlthätigsten Einfluß auf die Kinder aus, die häufig genug ein reines Frauenregiment nicht in Zucht und Ordnung zu halten vermag. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es sogar bedenklich, daß der Entwurf die Zuordnung eines Beistandes regelmäßig nur auf eine besondere Initiative der Beteiligten hin eintreten läßt. Denn in der ländlichen und kleinbürgerlichen Bevölkerung wird nicht nur eine letztwillige Anordnung des Vaters selten vorkommen, sondern auch ein Antrag der Mutter selbst dann meist unterbleiben, wenn das Bedürfnis und der Wunsch nach einer Ergänzung der mütterlichen Gewalt besteht. In diesen Kreisen würde also der Vormund neben der Mutter zum Unsegen mancher Familie ganz verschwinden. Nach unserer Ansicht würde das Gesetzbuch den realen Verhältnissen besser gerecht werden, wenn es dem Vormundschaftsgericht die Pflicht auferlegte, in jedem Falle die Mutter zu einer Erklärung zu veranlassen, ob sie die Bestellung eines Vormundes beantragen will oder nicht. Hiermit wäre zugleich für die thatsächliche Berücksichtigung der in den einzelnen Landesteilen herrschenden ungleichartigen Zustände, über welche die Motive ein wenig leicht hinweggehen (S. 738), der nötige Raum geschaffen. Denn einsichtige Vormundschaftsrichter würden, sobald sie von Amts wegen mit der Frage befaßt sind, eines Einflusses auf deren angemessene Lösung nicht entbehren. Die „Fürsorge und Aufsicht des Vormundschaftsgerichts“ nebst der aus ihr fließenden „Beschränkung der elterlichen (472) Gewalt“ (5) regelt der Entwurf nicht im Sinne der „regelmäßigen, organisierten und präventiven“ obrigkeitlichen Kontrolle über den Altersvormund, sondern als eine außerordentliche und nur in Veranlassung besonderer Umstände wirksam werdende Eingriffsmacht (Motive S. 802). Das Vormundschaftsgericht soll bei Verhinderung des „Inhabers der elterlichen Gewalt“ die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln treffen (§ 1544). Es soll bei Nichtbefolgung der für die Ausübung der elterlichen Gewalt verbindlichen Anordnungen eines Dritten deren Befolgung sichern (§ 1545). Für
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den Fall der Gefährdung des leiblichen oder geistigen Wohles des Kindes durch Mißbrauch der elterlichen Gewalt oder durch Vernachlässigung der Elternpflichten oder infolge ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens des Inhabers der elterlichen Gewalt soll das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln treffen und kann insbesondere die Unterbringung des Kindes in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt anordnen, auch nötigen Falls die elterliche Gewalt mit Ausnahme der elterlichen Nutznießung ganz oder teilweise entziehen (§ 1546). Ebenso soll es bei einer erheblichen Gefährdung des Vermögens des Kindes durch Pflichtwidrigkeit oder Vermögensverfall des „Inhabers der elterlichen Gewalt“ die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln treffen, insbesondere zunächst die Einreichung eines Vermögensverzeichnisses und die Hinterlegung der Kostbarkeiten und Wertpapiere bezw. die Umschreibung der Inhaberpapiere, nötigen Falls aber auch Sicherheitsleistung anordnen (§ 1547). Werden diese Anordnungen nicht befolgt, so kann es dem „Inhaber der elterlichen Gewalt“ die Vermögensverwaltung ganz entziehen (§ 1550). Die gleiche Befugnis steht ihm zu, wenn der „Inhaber der elterlichen Gewalt“ die ihm auferlegte Verpflichtung nicht erfüllt, vor Schließung einer neuen Ehe Anzeige zu erstatten, ein Vermögensverzeichnis einzureichen und die Erbschaftsauseinandersetzung (deren Aufschub indes gestattet werden kann) herbeizuführen §§ 1548 u. 1550). In allen Fällen, in denen das Vormundschaftsgericht zu einem Einschreiten berufen ist, haben die Gemeindewaisenräte unverzüglich nach erlangter Kenntnis dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu machen (§ 1552). Unmittelbar kraft Gesetzes läßt der Entwurf durch Konkurseröffnung die Vermögensverwaltung des „Inhabers der elterlichen Gewalt“ ein Ende erreichen, gestattet aber, nach Beendigung des Konkurses die Wiedereinräumung der Vermögensverwaltung durch das Vormundschaftsgericht (§ 1553). Ist es selbstverständlich zu billigen, daß der Entwurf aus seiner Auffassung der elterlichen Gewalt als einer Abart der Vormundschaft die letzten Konsequenzen (473) nicht gezogen und auf die Einführung einer ständigen obervormundschaftlichen Fürsorge und Aufsicht verzichtet hat, so würden die von ihm dem Vormundschaftsgericht verliehenen Befugnisse zu außerordentlichen Eingriffen auch dann im wesentlichen beizubehalten sein, wenn die elterliche Gewalt im Sinne des deutschen Mundium als eine familienrechtliche Schutzherrschaft ausgestaltet würde. Denn soweit die naturgegebene Schutzgewalt des Familienrechts versagt, hat eben die staatliche Schutzgewalt in die Bresche zu treten. Daß dabei dem diskretionären Ermessen des Vormundschaftsgerichtes ein weiter Spielraum gewährt wird, ist unter den heutigen Verhältnissen nicht wohl zu vermeiden.84 Allein mindestens gegen die einschneidendsten Verfügungen des Vormundschaftsgerichtes, wie gegen die Wegnahme des Kindes und gegen die völlige oder teilweise Entziehung der elterlichen Gewalt, müßte den Eltern ein Anspruch auf rechtliches Gehör im ordentlichen Prozeßverfahren eingeräumt werden. Handelt es sich doch um einen Eingriff in ein Recht von Gottes Gnaden! Wie die Motive ergeben (S. 805), hat der Entwurf gerade wegen der Übertragung der endgültigen Entscheidung auf das Vormundschaftsgericht Anstand genommen, mit dem Verlust oder der Suspension der 84
Vorschläge zu einer minder vagen Fassung der Bestimmungen des Entwurfes macht Fuld S. 431 ff. u. 444, der auch mit Recht auf S. 435 ff. für die Übertragung der Entscheidung über Entziehung der väterlichen Gewalt auf das Landgericht eintritt.
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elterlichen Erziehungsgewalt oder Vermögensverwaltung zugleich den Verlust oder die Suspension der elterlichen Nutznießung zu verknüpfen. Das Kind selbst kann dem Vater im Verwaltungswege genommen werden, der pekuniäre Vorteil aus dem Besitz eines wohlhabenden Kindes nicht! Diese Unterscheidung ist bezeichnend für die den ganzen Entwurf durchziehende Auffassung, daß eigentliches und echtes Privatrecht doch zuletzt nur das Vermögensrecht ist. Daß damit zugleich die elterliche Nutznießung, welche mit dem Wegfall der elterlichen Fürsorge für das Kind ihre innere Berechtigung verliert, ihrem wahren Wesen entfremdet und zu einem im egoistischen Interesse der Eltern begründeten Individualrecht gestempelt wird, haben wir schon oben bemerkt. Im übrigen leiden auch diese Bestimmungen des Entwurfes an dem Mangel jeder Unterscheidung zwischen väterlicher und mütterlicher Gewalt und insbesondere an der vollständigen Nichtbeachtung des neben dem Rechte des Vaters bereits vorhandenen Rechtes der Mutter. Gerade hier ist nirgends davon die Rede, daß im Falle der Verhinderung, Unfähigkeit oder Pflichtvergessenheit des Vaters zunächst, (474) soweit dies irgend thunlich ist, die Mutter in die Lücke zu treten hat. Selbst der ihr ausdrücklich zugesprochene Anteil an der Sorge für die Person des Kindes wird durchweg ignoriert und geht durch das Verschulden des „Inhabers der elterlichen Gewalt“ unweigerlich mit verloren (Motive S. 806). Schließlich trifft der Entwurf eine Reihe verwickelter Bestimmungen über „Ruhen und Beendigung der elterlichen Gewalt“ (6). Die elterliche Gewalt soll ruhen, wenn und solange ihr Inhaber geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt oder wegen tatsächlicher Verhinderung desselben die Notwendigkeit einer anderweiten allgemeinen Fürsorge für das Kind obervormundschaftlich festgestellt ist; doch erstreckt sich dieses Ruhen nicht auf die elterliche Nutznießung; und der minderjährige „Inhaber der elterlichen Gewalt“ hat überdies die Sorge für die Person des Kindes in demjenigen Umfange, in welchem dieselbe der Mutter neben dem Vater zugebilligt ist, jedoch „mit der Maßgabe“, daß hierbei der „gesetzliche Vertreter“ des Kindes die Stellung des der Mutter zugeordneten „Beistandes“ hat (§ 1554). Ruht die elterliche Gewalt des Vaters, so steht die elterliche Gewalt mit Ausnahme der dem Vater verbleibenden elterlichen Nutznießung der Mutter zu, die nun also auch die gesetzliche Vertretung und die Vermögensverwaltung erlangt, die letztere aber unter gebührender Wahrnehmung der Interessen des Nießbrauchers führen muß; liegt der Grund des Ruhens der elterlichen Gewalt in der Minderjährigkeit des Vaters, so hat dieser an der Erziehungsgewalt und sonstigen persönlichen Sorge für die Kinder denselben Anteil, den unter normalen Verhältnissen die Mutter hätte; ist der Vater wegen Verschwendung entmündigt oder die Ehe aufgelöst, so tritt die mütterliche Gewalt überhaupt nicht an die Stelle der ruhenden Gewalt des Vaters (§ 1555). Daß diese Ordnung gesund wäre, läßt sich schwer behaupten. Die seltsamen Vorschriften über die Sorge für die Person des Kindes mit ihrer Verwandlung des minderjährigen Vaters in eine Mutter würden wegfallen, wenn der Entwurf den Satz „Heirat macht mündig“ aufnähme. Soll es aber minderjährige Eltern geben, so darf man denselben wenigstens das Recht und die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder nicht verkümmern. Durch die Losreißung der elterlichen Nutznießung von der elterlichen Gewalt wird auch hier das natürliche Verhältnis verschoben. Daß mit Rücksicht auf den Fortbestand des väterlichen Nießbrauches nicht bloß im Falle der Ehescheidung, sondern auch im Falle der Auflösung der Ehe wegen Todeserklärung die Mutter nicht zur Erset-
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zung des Vaters berufen sein soll, ist eine ungehörige Folge des verfehlten Prinzips. Und ebenso wenig (475) kann es gebilligt werden, daß im Falle der Entmündigung des Vaters wegen Verschwendung die Mutter nicht nur nicht an dessen Stelle treten, sondern sogar ihren bisherigen Anteil an der Erziehungsgewalt verlieren soll (Motive S. 823). Einen weiteren Fall des Ruhens der elterlichen Gewalt statuiert der Entwurf während der Unbekanntschaft des Familienstandes eines Kindes (§ 1556). Die Beendigung der elterlichen Gewalt soll mit der Volljährigkeit des Kindes, mit der Todeserklärung des Inhabers, mit der Eingehung einer neuen Ehe seitens der in ihrem Besitz befindlichen Mutter und mit der „Verwirkung“ derselben durch die Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe oder mindestens sechsmonatlichen Gefängnisstrafe wegen eines gegen das Kind oder an dem Kinde verübten Verbrechens oder vorsätzlich begangenen Vergehens eintreten; doch behält die Mutter bei Eingehung einer neuen Ehe den der Mutter neben dem Vater zugebilligten Anteil an der Sorge für die Person der Kinder unter Beistandschaft des Vormundes; der für tot erklärte „Inhaber der elterlichen Gewalt“ kann dieselbe, wenn er noch lebt, zurückfordern; an die Stelle der elterlichen Gewalt des für tot erklärten Vaters tritt die mütterliche Gewalt; dagegen soll im Falle der Verwirkung der väterlichen Gewalt die mütterliche Gewalt bei Lebzeiten des Vaters nur eintreten, wenn die Ehe aufgelöst ist; der Verzicht auf die elterliche Gewalt ist unzulässig (§§ 1557–1561). Sehen wir von Einzelheiten, wie der auch hier ungerechtfertigten Ausschließung der Mutter bei einem schweren Verschulden des Vaters ab, so sind die in der Person des Vaters oder der Mutter liegenden Beendigungsgründe angemessen geordnet. Insbesondere ist es zu billigen, daß die väterliche Gewalt durch Wiederverheiratung nicht endigen, dagegen die mütterliche Gewalt durch Wiederverheiratung erlöschen soll. Um so schwerere Bedenken aber erweckt die unbedingte Anknüpfung des Unterganges der elterlichen Gewalt an die Volljährigkeit des Kindes. Hiermit ist die Losreißung des Elternrechtes von der Hausgemeinschaft vollendet. Dem ursprünglichen und tiefen Gedanken des deutschen Rechts, daß es auf die Lösung des Kindes aus dem Hausverbande durch wirtschaftliche Verselbständigung in einem gesonderten Hausstaude ankommt, ist das Lebenslicht ausgeblasen. Die mechanische und gleichförmige Regel des Entwurfes hat ja freilich den Vorzug der „Einfachheit“. Allein der Bequemlichkeit des Gesetzgebers darf ein im größten Teile Deutschlands geltendes Recht, welches der nationalen Anschauung und den wirklichen Bedürfnissen entspricht, nicht geopfert werden. Außerdem scheinen vor allem Rücksichten der „Verkehrssicherheit“ den Ausschlag gegeben zu haben. Auch diese jedoch müssen hinter die Rücksichten auf die deutsche (476) Familie zurücktreten. Überdies kommen dieselben nur hinsichtlich der Frage nach der Gewährung oder Versagung der „Geschäftsfähigkeit“ in Betracht. Man kann aber die Geschäftsfähigkeit erst und schon mit der Großjährigkeit eintreten lassen und gleichwohl im übrigen die elterliche Gewalt an die Hausgemeinschaft knüpfen. Was zunächst minderjährige Kinder betrifft, so haben wir schon wiederholt für den Satz „Heirat macht mündig“ gestritten. Wird derselbe verworfen, so muß jedenfalls mit der Heirat des Kindes nicht bloß, wie dies ja auch der Entwurf vorschlägt (§ 1536), die elterliche Nutznießung, sondern auch die elterliche Erziehungsgewalt und Vermögensverwaltung ihr Ende erreichen. Zu einer unverkürzten elterlichen Gewalt ist neben einem Ehemanne kein Raum, während ein selbst unter einer derartigen Gewalt stehender Ehemann eine widerspruchsvolle Figur bildet. In anderen Fällen einer wirtschaft-
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lichen Verselbständigung des Kindes vor Erreichung der Volljährigkeit gebührt demselben mindestens der Genuß seines Vermögens; die elterliche Nutznießung erscheint einem solchen Kinde gegenüber als ein innerlich unberechtigter Vorteil. Auf der anderen Seite aber ist der vollständige Wegfall der elterlichen Gewalt über die in der Hausgemeinschaft verbleibenden großjährigen Kinder ein Verstoß gegen das Wesen der deutschen Familie. Solange die Töchter unverheiratet im Hause leben, darf dem Familienhaupte die in der Natur des Verhältnisses gegebene Stellung auch rechtlich nicht verkümmert werden. Nicht anders verhält es sich bei dem unverheirateten Sohne, der nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres noch in der Vorbereitung zu einem selbständigen Lebensberufe steckt und deshalb als Hauskind lebt. Natürlich darf großjährigen Kindern das Recht zur Begründung eines abgesonderten Hauswesens nicht versagt, es muß ihnen auch behufs solcher Verselbständigung ein Anspruch auf Herausgabe ihres Vermögens und mindestens im Falle der fortgesetzten Gütergemeinschaft ein Anspruch auf eine Ausrichtung zugestanden werden. Bleiben sie aber im Hause, so sind sie wirtschaftlich unselbständig und können nicht ohne Schädigung des Familienlebens trotzdem die rechtliche Selbständigkeit empfangen. Eine rechtliche Ordnung, kraft welcher Frau und Kinder ohne Wissen und Willen des Hausvaters nach Belieben Geschäfte schließen und Prozesse führen können, thut das Ihrige, um die Familie aufzulösen und damit der bürgerlichen Gesellschaft ihren festesten Halt zu entziehen. Will man jedoch durchaus die Geschäftsfähigkeit großjähriger Hauskinder den „Verkehrsinteressen“ zuliebe nicht einschränken, so braucht man darum immer noch nicht die elterliche Gewalt völlig auszutilgen. Mit der eignen Geschäftsfähigkeit des Hauskindes ist zunächst eine Vertretungsmacht des (477) Familienhauptes sehr wohl vereinbar. Vor allem aber steht einer Fortdauer der elterlichen Verwaltung und Nutznießung ein Hindernis nicht entgegen. Und einer solchen Fortdauer bedarf es unbedingt! Denn wenn das großjährige Kind im Hause unterhalten wird, so bestehen alle Gründe fort, welche für eine Konzentration der Vermögensherrschaft in der Hand des Hausvorstandes sprechen. Thatsächlich wird ja auch in den meisten Fällen die Sache so gehalten werden; es wird, wenn die älteste Tochter ihre einundzwanzigste Geburtstagsfeier begangen hat, nicht die leiseste Veränderung eintreten und irgend eine Unterscheidung zwischen ihr und den jüngeren Geschwistern nicht Platz greifen. Soll nun aber, wenn die Tochter später heiratet, der Vater ihr Rechnung über die Verwendung ihrer Einkünfte von jenem Tage an schulden? Selbstverständlich kann er dabei, da auch seine Unterhaltspflicht, wie wir gesehen haben, von demselben Tage an einen subsidiären Charakter angenommen hat, seine Aufwendungen für die Unterhaltung in Gegenrechnung stellen. Solche Streitigkeiten darf man nicht herausfordern85. Der Entwurf will nicht einmal in Ausnahmefällen eine Verlängerung der elterlichen Gewalt zulassen (Motive S. 831). Ist das Kind blödsinnig oder sonst des vormundschaftlichen Schutzes bedürftig, so soll gleichwohl die elterliche Gewalt unweigerlich erlöschen und eine gewöhnliche Vormundschaft eingeleitet werden, wobei nur die Eltern vorzugsweise ein Anrecht auf Übertragung der Vormundschaft haben. Eine solche Umkehrung der natürlichen Ordnung wird durch die erzielte „erhebliche 85
Vgl. auch Bähr a. a. O. S. 547–547, welcher den Fall setzt, daß die Tochter mit 36 Jahren noch geheiratet hat und im ersten Wochenbett stirbt und daß nun der Schwiegersohn in seinem und seines Kindes Namen die Nutzungen von 15 Jahren einklagt.
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Vereinfachung des Systems“, indem nun „volljährige Personen in allen Fällen unter der Vormundschaft bestellter Vormünder stehen“, weder gerechtfertigt noch auch nur entschuldigt. Das „Rechtsverhältnis der Kinder aus ungültigen Ehen“ normiert der Entwurf im vierten Titel durch eine Reihe schwerfälliger und erst mit Hülfe zahlreicher früherer Vorschriften verständlicher Sätze im Anschluß an die im Eherecht durchgeführten Prinzipien (§§ 1562–1567). Die Kinder sollen daher, worin unter Umständen eine außerordentliche Härte liegt, stets ohne alle Rücksicht auf guten oder bösen Glauben der Eltern dann als uneheliche Kinder gelten, wenn die Ehe wegen eines Formmangels ungültig ist. Im übrigen sollen sie bei nichtigen wie anfechtbaren Ehen ohne Rücksicht auf guten oder bösen (478) Glauben der Eltern als eheliche Kinder angesehen werden. Im Verhältnis zu den Eltern und deren Verwandten soll es, falls beide Ehegatten in gutem Glauben waren, so gehalten werden, als wenn die Ehe wegen beiderseitigen Verschuldens geschieden wäre. Befand sich der Vater allein in bösem Glauben, so werden ihm die aus der Vaterschaft fließenden Rechte versagt, während die übrigen Wirkungen des Kindesverhältnisses sowohl ihm selbst wie seinen Verwandten gegenüber eintreten; die elterliche Gewalt steht der Mutter zu. War die Mutter allein in bösem Glauben, so wird sie wie eine als allein schuldiger Teil geschiedene Ehefrau behandelt und erlangt nach dem Tode des Vaters oder im Falle der Verwirkung der väterlichen Gewalt nicht die mütterliche Gewalt, sondern nur die Rechte und Pflichten einer wiederheiratenden Witwe. Wenn endlich beide Eltern die Ehe in bösem Glauben geschlossen haben, so sollen beide der elterlichen Gewalt und der Vater überdies der sonstigen Vaterschaftsrechte entbehren, während der Mutter die Sorge für die Person der Kinder in dem Umfange verbleibt, in welchem dazu die wiederheiratende Witwe berufen ist; hier sollen aber die Verwandten des Vaters nicht als Verwandte des Kindes gelten. Die zu Grunde liegenden Gedanken sind also die folgenden: die Kinder erlangen stets die Rechte ehelicher Kinder gegen den Vater wie die Mutter; der Vater wie die Mutter verwirken die Rechte eines ehelichen Vaters und einer ehelichen Mutter durch wissentliche oder grob fahrlässige Eingehung einer nichtigen oder anfechtbaren Ehe; die Mutter behält auch im Falle des bösen Glaubens die von der elterlichen Gewalt unabhängigen Mutterrechte; das Verwandtschaftsverhältnis der Kinder zu den Verwandten der Mutter tritt stets voll ein; das Verwandtschaftsverhältnis der Kinder zu den Verwandten des Vaters wird nicht nur durch guten Glauben des Vaters, sondern auch durch guten Glauben der Mutter gerettet. Im fünften Titel werden über das „Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder“ zunächst „allgemeine Vorschriften“ gegeben (I)86. Der Entwurf bricht völlig mit dem im preußischen, österreichischen und französischen Recht festgehaltenen und in vielen anderen Rechtsgebieten wenigstens in erbrechtlicher Hinsicht durchgeführten Grundsatz des älteren deutschen Rechts, daß das uneheliche Kind auch in die Familie der Mutter nicht eintritt. Zwischen dem unehelichen Kinde sowie dessen Abkömmlingen einerseits und der Mutter sowie deren Verwandten (479) andererseits sollen vielmehr im allgemeinen „dieselben Rechte und Verbindlichkeiten bestehen, wie wenn das Kind ein eheliches wäre“ (§ 1568). Doch wird, was je-
86
Vgl. Bähr S. 547–550; Linckelmann II, Gutachten S. 446–469; Klöppel a. a. O. Bd. 33 S. 346–350; Menger S. 39–69.
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denfalls zu billigen ist87, der unehelichen Mutter die elterliche Gewalt versagt und nur die Pflicht und das Recht der Sorge für die Person des Kindes in demselben Umfange wie der wiederheiratenden Witwe zugestanden, so daß also stets ein Vormund zu bestellen ist, der auch die Erziehung des Kindes zu überwachen hat (§ 1570). Im Gegensatz zu dieser Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder in der mütterlichen Familie schließt der Entwurf das uneheliche Kind von der väterlichen Familie vollständig aus. Dasselbe empfängt den Familiennamen der Mutter und zwar, falls dieselbe verheiratet war oder ist, ihren Mädchennamen (§ 1569; über die Fassung desselben vgl. oben S. 61; vom Stande wird wieder geschwiegen). Der Vater erlangt nicht nur keine väterliche Gewalt, sondern überhaupt kein Recht an der Person oder dem Vermögen des Kindes. Zwischen dem Vater oder dessen Verwandten einerseits und dem Kinde oder dessen Abkömmlingen andrerseits entstehen außer der besonders gearteten Unterhaltspflicht des Vaters keinerlei Unterhaltsansprüche. Von irgend einem Erbrecht ist im Verhältnis dieser Person nicht die Rede. Dabei macht der Entwurf zwischen den verschiedenen Arten von unehelichen Kindern keinen Unterschied; sowenig er ehewidrig (in Ehebruch oder Blutschande) erzeugte Kinder zurücksetzt, begünstigt er Brautkinder. Auch legt er einer förmlichen „Anerkennung“ des Kindes durch den Vater keinerlei Wirkungen bei. Diese Regelung ist zweifellos einfach und konsequent. Sie ist indes nicht unbedenklich. Die Rechtsordnung ist auf diesem Gebiete stets insofern in einer schwierigen Lage, als sie den unehelichen Kindern nicht entgegenkommen kann, ohne die auf die Ehe gegründete Familie zu gefährden, und die Integrität der Familie nicht zu schützen vermag, ohne das schuldlose Kind in Mitleidenschaft zu ziehen. Es bedarf also eines Kompromisses. Auf einem solchen beruhen auch die Vorschriften des Entwurfes. Dasselbe ist aber dahin ausgefallen, daß dem Kinde nach der Mutterseite hin alles, nach der Vaterseite hin nichts gewährt wird. Diese Lösung des Konfliktes ist unbillig und mißt den Fehltritt der Mutter und die Schuld des Vaters mit allzu ungleichem Maß. Durch die volle Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder hinsichtlich der Verwandtschaftsrechte und namentlich der Erbansprüche gegen alle mütterlichen Verwandten wird das Recht der legitimen Familie verletzt. Daß dagegen uneheliche Kinder nicht einmal gegen die (480) Eltern und Großeltern ihres Vaters einen subsidiären Unterhaltsanspruch und nicht einmal gegen ihren Vater ein subsidiäres Erbrecht empfangen sollen, widerspricht dem natürlichen Verhältnis der Blutsverwandtschaft. Man darf nicht der Familie alle Folgen des Fehltritts eines weiblichen Familiengliedes aufbürden, dagegen alle Folgen der Verfehlung eines männlichen Familiengliedes abnehmen. Vollends bei Brautkindern wird hierdurch das materielle Recht zu Gunsten einer glatten Regel gebeugt. Im Grunde steckt hierin ein Stück „Mutterrecht“, das für unsere Kulturstufe nicht paßt, wenn es auch der Selbstsucht der Männer und den frivolen Anschauungen mancher Kreise zusagen mag88.
87 88
A. M. Zrodlowski S. 38. Sehr scharf äußert sich gegen das Abschneiden des Verwandtschaftsbandes zwischen Vater und Kind und die „schnöde“ Begründung der Motive (S. 851) Klöppel S. 350, der ebenfalls für ein subsidiäres Erbrecht des unehelichen Kindes eintritt. Schärfer noch urteilt Menger S. 42 ff. Für das Erbrecht des Kindes vgl. auch Wilke, Gutachten S. 985–986.
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Daß der Entwurf eine „Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters“ (II) anerkennt, bedarf keiner besonderen Rechtfertigung89. Die Zeiten der Schwärmerei für das römische und französische Prinzip des Ausschlusses der Vaterschaftsklage sind vorüber. Auch hat der Entwurf die richtige Auffassung des Unterhaltsanspruches als eines auf der Verwandtschaft beruhenden Rechtes durchgeführt. Wenn er jedoch hieraus die Folgerung zieht, daß nur das Kind durch seinen Vormund den Anspruch geltend machen, die Mutter im Prozeß lediglich als Zeugin auftreten kann (§ 1571 und Motive S. 875–877), so stellt er wieder um eines doktrinären Gesichtspunktes willen das natürliche Verhältnis auf den Kopf und befördert durch die künstliche Auseinanderreißung der Ansprüche des Kindes und der Ansprüche der Mutter die Vervielfältigung gehässiger Prozesse90. Den Beweis der Vaterschaft soll die Vollziehung des Beischlafes innerhalb der Empfängniszeit erbringen, jede Beischlafsvollziehung aber mit einem anderen innerhalb derselben Zeit unbedingt ausschließen (§ 1572). Daß die sogenannte „exceptio plurium concumbentium“ ausnahmslos durchschlagen, dagegen keine nicht auf die Unsicherheit der Vaterschaft gegründete Einrede gehört werden soll, ist zu billigen91. Doch müßte einerseits hier wie bei der ehelichen (481) Vaterschaft der Beweis der Unmöglichkeit der Vaterschaft trotz der Beischlafsvollziehung in der ja so überaus weit erstreckten Empfängniszeit offenbleiben. Andererseits müßte in Übereinstimmung mit dem geltenden preußischen Recht der Beweis der Vaterschaft durch ein ausdrückliches Anerkenntnis derselben in einer öffentlichen Urkunde ersetzt werden. Nach dem Entwurf kann der Vater trotz eines solchen Anerkenntnisses es noch nach Jahren stets auf einen Prozeß ankommen lassen, in welchem er freilich jene Urkunde als „Beweismittel“ zu fürchten hat (Motive S. 893), jedoch z.B. durch Nachholung der exceptio plurium concumbentium sein Glück versuchen kann. In der preußischen Praxis erzielen die Vormundschaftsgerichte durch Vernehmung der ihnen benannten Väter zahlreiche öffentliche Anerkenntnisse, die einem Schwängerungsprozeß vorbeugen. Künftig dürfte sich ein gewissenhafter Vormund niemals mit einem solchen Anerkenntnis begnügen, müßte vielmehr stets zur Klage schreiten. Die Unterhaltspflicht selbst wird vom Entwurfe dem Vater ohne Rücksicht auf seine eigene Leistungsfähigkeit und auf die Bedürftigkeit des Kindes stets vor der Mutter und sonstigen Verwandten auferlegt (§ 1571), jedoch auf „notdürftigen“ Unterhalt bis zur Zurücklegung des vierzehnten Lebensjahres eingeschränkt (§ 1572). Mit dem familienrechtlichen Wesen der väterlichen Verbindlichkeit stimmt dies wenig überein. Vielmehr ist die Sorge für das Kind an sich auch hier eine gemeinschaftliche Elternpflicht, der sich nur mit Rücksicht auf die abnormen Verhältnisse der Vater schon durch Zahlung eines Geldbeitrages entledigt; die Bemessung dieses Geldbeitrages aber muß auch hier nicht nach dem ohnehin sehr dehnbaren Gesichtspunkt des „notdürftigen“ Unterhaltes, sondern auch dem Bedürfnis „standesgemäßer“ Erhaltung und Erziehung erfolgen, wobei 89 90 91
Eine solche geben die Motive S. 868–873; auch Linckelmann S. 448 ff; Menger S. 46 ff. Vgl. Bähr S. 547–548. Gegen die Zulassung der exceptio plurium und für völlige Gleichstellung des Beweises außerehelicher und ehelicher Vaterschaft Klöppel S. 347–380; Weichsel a. a. O. und besonders Menger S. 52–60; der letztere verlangt sogar die Wiederherstellung der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Beischläfer.
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natürlich, da das uneheliche Kind in den Stand der Mutter tritt, der Stand der Mutter entscheidet; auch darf die Unterhaltspflicht des Vaters nicht mit der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres wegfallen, sondern muß insoweit, als das Kind sich selbst zu unterhalten noch nicht oder etwa wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen überhaupt nicht im stande ist, fortbestehen oder von neuem wirksam werden92. Im übrigen stellt der Entwurf durch Verweisungen auf (482) frühere Paragraphen fest, daß auch dieser Unterhaltsanspruch die Kosten der Taufe, der Erziehung und der Beerdigung mit umfaßt, daß der Unterhalt hier stets in der Form einer Geldrente zu gewähren ist, daß auch hier Alimente für die Vergangenheit nicht gefordert werden können, daß hier ebenfalls beim Wechsel der Verhältnisse ein die zuerkannte Rente abänderndes Erkenntnis möglich ist und daß im Konkurse des Vaters der Unterhaltsanspruch für die Zukunft auch hier nicht geltend gemacht werden kann (§ 1574). Da man unmöglich der Mutter einen Ersatzanspruch wegen der bis zur Rechtshängigkeit der Klage des Kindes aufgewandten Kosten versagen kann (Motive S. 900), so wird schon mit Rücksicht hierauf meist ein doppelter Alimentenprozeß erforderlich werden. Abweichend von den sonstigen Unterhaltspflichten aus Verwandtschaft soll die Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters auf den Erben desselben übergehen (§ 1575). Auch wird hier zweckmäßigerweise, während im übrigen auch hier eine Vorausleistung der Alimente nicht befreiend wirken soll, mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ein Vergleich über den Unterhaltsanspruch für die Zukunft, insbesondere also dessen Erledigung durch eine einmalige Abfindung zugelassen (§ 1576)93. Neben dem Anspruch des unehelichen Kindes wird ein in zwei Jahren verjährender Anspruch der Mutter auf Ersatz der Kindbettskosten (Kosten der Entbindung und des Unterhalts während sechs Wochen) „innerhalb der Grenzen der Notdurft“ anerkannt (§§ 1577 bis 1578). Dagegen wird der bisher in fast ganz Deutschland geltende sogenannte „Deflorationsanspruch“ stillschweigend beseitigt (Motive S. 912–916). Dem verführten unbescholtenen Mädchen wird jeder Ersatzanspruch gegen den Verführer versagt; ja nicht einmal der geschwängerten und dann verlassenen Braut wird irgend ein Ausstattungs- oder Abfindungsanspruch gegen den Bräutigam eingeräumt. Nur in den Fällen, in denen der Mann durch Vollziehung des Beischlafes eine nach den §§ 176, 177, 179 oder 182 des Strafgesetzbuches strafbare Handlung begangen hat, kann nach den oben (S. 196 u. 270) bereits erwähnten Vorschriften der Richter dem gekränkten Weibe eine billige Geldentschädigung zuerkennen. Wir glauben, daß der Entwurf hier wie so oft sich gegen das gesunde Rechtsgefühl des deutschen Volkes auflehnt. Die Motive behaupten vor allem, daß der Deflorationsanspruch aus „allgemeinen Grundsätzen“ sich nicht herleiten lasse. Allein abgesehen (483) davon, daß sie genau die gleiche Behauptung für den trotzdem aufgenommenen Anspruch auf Ersatz der 92
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Vgl. auch Linckelmann S. 466 ff. und zum Teil Bähr S. 548 bis 549. Poland zu § 1573 fordert wenigstens Alimentation bis zum vollendeten 16. Lebensjahr. Menger S. 61– 69 schlägt vor: Zuerkennung der vollen Rechte eines ehelichen Kindes bei Notzucht und in ähnlichen Fällen; im übrigen Unterhaltspflicht nach Maßgabe des Einkommens; für den ledigen Vater, der bei der Erzeugung über 40 Jahre alt war, eine nach seinem eignen Stande bemessene Unterhaltspflicht. Gegen die Zulassung derartiger Vergleiche eifert Menger S. 66. Freilich haben sie ihr Bedenkliches; doch dürfte das Erforderniß der obervormundschaftlichen Genehmigung ausreichen, um Mißbrauch zu verhüten.
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Kindbettskosten aufstellen (S. 907), operieren sie mit doktrinären und formalistischen Erwägungen, welche vor der Wirklichkeit nicht zu bestehen vermögen. Sie berufen sich auf die frühere Bestimmung des Entwurfes, daß der Anspruch auf Schadenersatz durch die Einwilligung in die beschädigende Handlung ausgeschlossen wird. Auch bleibe trotz aller Verführungskünste die Gestattung des Beischlafes selbst eine unsittliche Handlung, die nicht Quelle von Rechten werden könne. Mit dieser formalen Gleichstellung beider Geschlechter wird denn doch das natürliche Verhältnis auf den Kopf gestellt. Dabei ist mit keinem Worte davon die Rede, daß die Folgen des gemeinschaftlichen Fehltritts für den Mann und für das bisher unbescholtene Mädchen sich in keiner Weise miteinander vergleichen lassen. Noch auch davon, daß ja Fälle in Frage stehen, in denen der Mann die allein ausreichende und von strenger Sittlichkeit geforderte Sühne seiner Schuld durch Eheschließung weigert, während das Mädchen zur Ehe bereit ist. Wenn die Motive meinen, das geltende gemeine Gewohnheitsrecht sei aus einer Abschwächung des kanonischen Rechtes entstanden, dessen Satz „duc et dota“ durch die Praxis in den Satz „duc aut dota“ umgewandelt sei, so ist nicht abzusehen, wie ein derartiger Ursprung das Institut diskreditieren soll. Denn die Behauptung, daß mit dem stuprum „erhebliche, durch das ganze Leben sich hinziehende Nachteile“ nicht mehr verbunden seien, steht doch glücklicherweise auf sehr schwachen Füßen. Unbegreiflich ist die fernere Aufstellung, daß heute die Zulassung der Deflorationsklage nur dazu diene, „die Unsittlichkeit zu befördern“. Hierbei liegen dieselben sophistischen Argumente zu Grunde, welche so oft schon gegen die Vaterschaftsklage ins Feld geführt und in dieser Richtung von den Motiven selbst widerlegt sind. Wollte man selbst annehmen, daß die Hoffnung auf Entschädigung den Widerstand gegen Verführung schwächt, so würde doch dafür umgekehrt in mindestens gleichem Maße der Trieb zur Verführung gezügelt. Was die Motive über die Schwierigkeiten einer festen Abgrenzung der Begriffe „Verführung“ und „Unbescholtenheit“ hinzufügen, wird man nur als eine Verlegenheitsausrede betrachten dürfen, wie sie fast jedem Rechtsinstitut entgegengehalten werden kann. Wenn aber endlich die Motive auch das Eheversprechen des Verführers oder den förmlichen Brautstand für gleichgültig erklären und hierfür namentlich anführen, daß ja der Entwurf das Verlöbnis als „unverbindlich“ behandle, so ist hiermit der Gipfel der Unbilligkeit erreicht. Hinter allen diesen schillernden Deduktionen birgt sich in leichter Verhüllung eine des deutschen Gesetzbuches unwürdige Konnivenz gegen (484) den Egoismus des männlichen Geschlechtes und die laxe Moral gewisser Gesellschaftsschichten94. Der sechste Titel beschäftigt sich mit der „Legitimation unehelicher Kinder“ und regelt zunächst die „Legitimation durch nachfolgende Ehe“ (I) im Anschluß an das in Deutschland vorherrschend geltende Recht (§§ 1579–1582). Daß der Eintritt der legitimierenden Wirkung der Ehe nicht durch Anerkennung der Vater94
Vgl. auch Bähr S. 349–550, insbesondere aber Menger S. 44–45, 60, 63–65, 68–69. Letzterer verlangt: Zuerkennung der Rechte einer unschuldig geschiedenen Ehefrau (bei Ehehindernis wenigstens der Vermögensrechte) in Fällen der Notzucht und ähnlichen Fällen; Abfindungspflicht bei Verführung einer unbescholtenen Frauensperson; Kindbettskostenpflicht auf Grund jedes Beischlafes in der Empfängniszeit; Recht der Schwangeren, nach Bescheinigung des Beischlafes schon während der Schwangerschaft durch einstweilige Verfügung die Zahlung von Entbindungskosten und Unterhaltsbeitrag für drei Monate sofort nach der Geburt zu sichern.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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schaft bedingt sein soll, vielmehr auch der Beweis der Vaterschaft zugelassen wird, ist zu billigen; wenig angemessen dagegen ist es, daß der Anerkennung der Vaterschaft auch hier jede Feststellungskraft versagt wird95. Die Wirkung dieser Legitimationsart soll in dem Eintritt der vollen Rechtsstellung eines ehelichen Kindes vom Augenblick der Eheschließung an bestehen. Doch bleiben abweichende Vorschriften des Landesrechtes über die Succession der Mantelkinder in Lehen, Fideikommisse, Stammgüter und Bauerngüter sowie die Grundsätze des Privatfürstenrechtes und die Bestimmungen über den Erwerb des Adels unberührt (Motive S. 923). Daneben behält der Entwurf die legitimatio per rescriptum principis als „Legitimation durch Ehelichkeitserklärung“ (II) im Sinne einer minder vollwirksamen Legitimationsart bei. Die Ehelichkeitserklärung erfolgt durch das landesgesetzlich hierzu berufene Organ des Staates, dem der Vater angehört, und kann als Gnadensache frei versagt werden (§§ 1583–1584 und 1592). Sie ist ausgeschlossen bei den in Blutschande (nicht aber bei den in Ehebruch) erzeugten Kindern (§ 1586). Dagegen wird sie nicht, wie doch wohl vorzuziehen wäre, auf die Fälle beschränkt, in denen eine Legitimation durch nachfolgende (485) Ehe unmöglich ist. Auch steht ihr das Vorhandensein ehelicher Kinder nicht entgegen. Wesentliche Erfordernisse sind ein das Bekenntnis der Vaterschaft enthaltender Antrag des Vaters und die Einwilligung des Kindes sowie überdies, falls der Vater verheiratet ist, die Einwilligung der Ehefrau desselben; Antrag und Einwilligung können mit Ausnahme der Einwilligung eines Kindes unter vierzehn Jahren, die der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erteilen kann, nur persönlich erteilt werden, bedürfen aber mit Ausnahme der Einwilligung der Ehefrau bei beschränkt geschäftsfähigen Personen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes96; sie fordern gerichtliche oder notarielle Form (§§ 1585 und 1587–1591). Die Einwilligung der Mutter des Kindes ist nicht erforderlich. Dies ist um so bedenklicher, als zwar im übrigen der Mangel eines gesetzlichen Erfordernisses die Ehelichkeitserklärung unwirksam machen, der Umstand aber, daß der angegebene Vater „nicht der wirkliche Vater des Kindes ist“, die Unwirksamkeit nicht zur Folge haben soll (§ 1593). Die Behörden würden daher bei der Prüfung der Vaterschaftsfrage mit großer Vorsicht zu Werke gehen müssen, wenn die Gefahr vermieden werden soll, daß einer Mutter ihr Kind durch einen sich aufdrängenden Pseudovater genommen wird. Unwirksam soll eine bedingte oder betagte Ehelichkeitserklärung und eine erst nach dem Tode des Vaters oder des Kindes erfolgte Ehelichkeitserklärung sein (§§ 1594–1595). Die Wirkungen dieser Legitimationsart beschränken sich auf die Begründung der aus ehelicher Abstammung entspringenden Rechtsverhältnisse zwischen dem Vater einerseits und dem Kinde und dessen Abkömmlingen andererseits; dagegen tritt für das Kind und dessen Abkömmlinge weder eine Verwandtschaft mit den Verwandten des Vaters noch eine Verschwägerung mit der 95
96
Vgl. Bähr S. 530–551. Mindestens bis zur Erbringung des Gegenbeweises müßte die Anerkennung der Vaterschaft ausreichen. Bedenklich ist andrerseits die unbedingte Ausschließung des Gegenbeweises, falls die Beischlafsvollziehung in der Empfängniszeit feststeht. Mit Recht fragt Bähr, ob dies auch gelten soll, wenn schon die Vaterschaft eines anderen rechtskräftig festgestellt ist. Über mißliche Folgen dieser kasuistischen Vorschriften vgl. oben S. 60.
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Ehefrau desselben, ja selbst für den Ehegatten des Kindes oder eines Abkömmlings desselben keine Verschwägerung mit dem Vater ein (§ 1596). Pflicht und Recht der Mutter, für die Person des Kindes zu sorgen, fallen mit der Ehelichkeitserklärung endgültig weg (§ 1597). Trotzdem bleibt ihre und ihrer Verwandten Unterhaltspflicht dem Kinde und dessen Abkömmlingen gegenüber bestehen und rückt nur hinter die Unterhaltspflicht des Vaters (§ 1598). Wenn also z.B. der für den ehelichen Vater des der Mütter wider ihren Willen abgenommenen Kindes erklärte Mann verarmt und ins Zuchthaus kommt oder mittellos stirbt, so bekommt die Mutter ihr Kind nicht zurück, muß aber eine Geldrente für dasselbe (486) zahlen. Heiratet der Vater, während er die elterliche Gewalt über das legitimierte Kind hat, so hat er die einem wiederheiratenden Witwer obliegenden Verbindlichkeiten zu erfüllen (§ 1599). Hinsichtlich der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der einer Ehelichkeitserklärung zu Grunde liegenden Willenserklärungen gelten die gewöhnlichen Regeln; nur werden die Vorschriften über die persönlichen und formellen Erfordernisse von Antrag und Einwilligung auf die Anfechtung und auf die Genehmigung der anfechtbaren Erklärung übertragen (§ 1600). Sehr ausführlich regelt der Entwurf im siebenten Titel die „Annahme an Kindes Statt“97. Er kennt nur eine einzige Art der Adoption, die er in Übereinstimmung mit der in Deutschland erfolgten Umbildung des römischen Instituts als einen auf Begründung des Eltern- und Kindesverhältnisses gerichteten familienrechtlichen Vertrag ausgestaltet (§ 1601). Ohne dem Anwendungsgebiet dieser künstlichen Verwandtschaft so enge Grenzen zu ziehen, wie das französische und badische Recht, führt er doch den Gedanken durch, daß dieselbe nur zum Ersatze mangelnder leiblicher Nachkommenschaft bestimmt und diesem Zwecke gemäß einzuschränken ist. Er versagt daher demjenigen, der einen leiblichen ehelichen Abkömmling hat, schlechthin und ohne Zulassung einer Dispensation die Annahme eines Wahlkindes (§ 1602)98. Auch verlangt er die Zurücklegung des fünfzigsten Lebensjahres und einen Altersunterschied von achtzehn Jahren, läßt aber in beiderlei Hinsicht staatliche Dispensation zu (§§ 1603–1605)99. Gewiß ist diese Einschränkung des bei uns immer nur halb eingebürgerten Instituts vollkommen gerechtfertigt. Allein wenn der Entwurf auf deutsche Sitten und Anschauungen Rücksicht nehmen wollte, so durfte er das im Leben so überaus häufig statt der Adoption oder bis zu dem Zeitpunkt der Zulässigkeit der Adoption eintretende Verhältnis der Pflegekindschaft nicht völlig übergehen und damit jeder familienrechtlichen Wirkung entkleiden. Mögen auch die Bestimmungen des Preußischen Landrechts über Pflegekinder unter erheblichen Mängeln leiden, so liegt ihnen doch ein gesunder Gedanke zu Grunde, den die Betrachtung der Motive mit ihrer Verweisung auf „obligatorische Verträge“ (S. 954) nicht aus der Welt schaffen. Ein Gesetzbuch, welches dem Wesen der deutschen Hausgemeinschaft gerecht würde, müßte allerdings das Verhältnis zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern in die Sphäre des Familienrechts erheben. – Der die Wahlkindschaft begründende (487) Vertrag soll „zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden“ geschlossen werden (§ 1601 Abs. 2), jedoch erst mit der Bestätigung durch das zu97 98 99
Zu ausführlich meint Zrodlowski S. 50. Zulassungen von Dispensationen wünscht Poland zu § 1602. Die Zulassung der Dispensation bei mangelndem Alterunterschied mißbilligt Zrodlowski S. 50.
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ständige Gericht, die indes nur bei dem Mangel eines gesetzlichen Erfordernisses versagt werden darf, in Kraft treten (§§ 1617–1619). Will ein Ehegatte ein Kind annehmen, so bedarf er der Einwilligung des anderen Ehegatten (§ 1606). Daß ein kinderloses Ehepaar ein Kind auch als gemeinschaftliches Kind annehmen kann, erfahren wir, obwohl die Motive selbst darin den eigentlichen Normalfall erblicken, nur durch zwei Ausnahmesätze, welche die Unzulässigkeit der Adoption eines fremden Adoptivkindes vor Aufhebung des Adoptivverhältnisses und die Unzulässigkeit der Adoption desselben Kindes durch mehrere Personen zu Gunsten von Ehegatten beseitigen (§§ 1607–1608). Zur Annahme eines verheirateten Kindes ist zugleich die Einwilligung seines Ehegatten erforderlich (§ 1609). Endlich bedarf es, falls nicht das Wahlkind schon fünfundzwanzig Jahre alt oder sein Familienstand nicht zu ermitteln ist, bei einem ehelichen Kinde der Einwilligung des leiblichen Vaters und der leiblichen Mutter, bei einem unehelichen Kinde der Einwilligung der Mutter (§ 1610). Die „Einwilligung“ wird in allen diesen Fällen durch die „Genehmigung“ vor der Bestätigung des Vertrages ersetzt (§ 1611), während eine spätere Gutheißung die mangels der erforderten Einwilligung nichtige Adoption nicht gültig macht (Motive S. 966). Verstorbene und für tot erklärte Personen brauchen nicht einzuwilligen, so daß der Verschollene, welcher noch lebt, eine inzwischen ohne seine Einwilligung erfolgte Adoption nicht umstoßen kann (§ 1611). Alle diese Willenserklärungen müssen persönlich abgegeben werden, können daher seitens geschäftsunfähiger Personen überhaupt nicht erfolgen; nur für ein Kind unter vierzehn Jahren kann der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes den Annahmevertrag schließen; eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person bedarf zum Abschluß des Annahmevertrages der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes, kann dagegen die Einwilligung oder Genehmigung zu einem fremden Annahmevertrage ohne Mitwirkung ihres gesetzlichen Vertreters erklären, es sei denn, daß für sie damit der Verlust einer elterlichen Nutznießung verknüpft ist (§§ 1612 bis 1614)100. Unwirksam ist eine bedingte oder betagte Adoption (§ 1615). Der Annahmevertrag muß vor Gericht oder Notar geschlossen, die Einwilligung oder Genehmigung „in gerichtlicher oder notarieller Form (488) erklärt und gegenüber dem einen oder anderen Vertragschließenden abgegeben werden“ (§ 1616). Der erfolgte Vertragsschluß bindet schon vor der ihn in Wirksamkeit setzenden Bestätigung und büßt seine bindende Kraft erst mit der rechtskräftigen Versagung der Bestätigung ein (§ 1617); er wird jedoch durch den Tod eines Vertragsteiles vor der Bestätigung hinfällig (§ 1618). Die einmal erteilte Einwilligung ist unwiderruflich (§ 1616). – Die Wirkungen der Annahme an Kindes Statt erstrecken sich auch auf die Abkömmlinge des Wahlkindes, jedoch auf einen beim Vertragsschluß schon vorhandenen Abkömmling nur dann, wenn der Vertrag zugleich mit ihm geschlossen ist; die übrigen Verwandten des Wahlkindes treten zu den Wahleltern in kein Verwandtschaftsverhältnis, auch entsteht zwischen dem Ehegatten des Wahlkindes und den Wahleltern keine Verschwägerung; ebensowenig wird für das Wahlkind und dessen Abkömmlinge eine Verwandtschaft mit den Verwandten oder eine Schwägerschaft mit dem Ehegatten des Wahlvaters oder der Wahlmutter begründet (§ 1620). Die rechtliche Stellung 100 Über die künstliche Fassung diese kasuistischen Vorschriften und die mißlichen prak-
tischen Ergebnisse derselben vgl. oben S. 61.
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„eines gemeinschaftlichen ehelichen Kindes beider Ehegatten“ wird nicht nur durch beiderseitige Annahme an Kindes Statt, sondern auch durch einseitige Adoption eines leiblichen Kindes des anderen Ehegatten erlangt (1621)101. Das Wahlkind erlangt den Familiennamen des Wahlvaters und bei einseitiger Annahme durch eine Frau den Familiennamen, jedoch bei einer verheirateten Frau stets den Mädchennamen der Wahlmutter, hat aber den neuen Namen unter Beifügung des bisherigen Familiennamens zu führen (§ 1622)102. Mit der künstlichen Elternschaft läßt der Entwurf auch die elterliche Gewalt in vollem Umfange entstehen; er verpflichtet nur den Annehmenden zur Einreichung eines Vermögensverzeichnisses und erweitert die Kontrollbefugnisse des Vormundschaftsgerichtes; im übrigen regelt er eine Reihe von Einzelheiten durch Verweisung auf „entsprechende Anwendung“ früherer Paragraphen (§ 1623). Während dem Wahlkinde und dessen Abkömmlingen das volle Erbrecht eines leiblichen Kindes (489) gegen die Wahleltern erwächst, soll für den Wahlvater und die Wahlmutter aus der Adoption ein Erbrecht überhaupt nicht entspringen (§ 1624). Irgend welche Ermäßigungen dieser durchgreifenden Regel nach der einen oder anderen Seite hin lehnt der Entwurf der „Einfachheit“ wegen ab; doch bleiben die landesrechtlichen Besonderheiten der Erbfolge in Lehen, Fideikommisse, Stammgüter und Bauerngüter unberührt (Motive S. 988). In der Stellung des Wahlkindes zu seiner natürlichen Familie soll durch die Annahme an Kindes Statt eine Änderung nicht hervorgebracht werden (§ 1625). Doch geht die elterliche Gewalt und die Sorge für die Person des Kindes den leiblichen Eltern endgültig verloren (§ 1626). Auch rückt die Unterhaltspflicht der Wahleltern vor die Unterhaltspflicht der leiblichen Verwandten (§ 1627 Abs. 2). Und bei der Anwendung der Vorschriften über die Unterhaltspflicht auf das Verhältnis zwischen Wahleltern und Wahlkind bleibt der Mangel eines Erbrechts oder Pflichtteilrechts der ersteren außer Betracht (§ 1627 Abs. 1). Durch den Annahmevertrag kann das Erbrecht oder Pflichtteilrecht des Wahlkindes und die elterliche Nutznießung der Wahleltern ausgeschlossen, im übrigen aber an den gesetzlichen Wirkungen der Annahme an Kindes Statt nichts geändert werden (§ 1628). – Eine Aufhebung der Wahlkindschaft kann durch einen Vertrag zwischen allen Beteiligten erfolgen, der im wesentlichen nach Analogie des Annahmevertrages gestaltet ist und gleich diesem der gerichtlichen Bestätigung bedarf (§ 1629). Hinsichtlich der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Annahmevertrages, des Aufhebungsvertrages und der Einwilligungs- oder Genehmigungserklärungen wird auf „entsprechende Anwendung“ der Vorschriften über Zulassung und Ausschließung der Vertretung bei den fraglichen Willenserklärungen verwiesen (§ 1630). Da der Entwurf die Adoptivverwandtschaft nur als aufschiebendes Ehe101 Man muß die Ausführungen bei Motive über die Folgen, welche entstanden wären,
wenn der Entwurf gleich den bisherigen Gesetzbüchern über den letztgedachten Fall geschwiegen hätte, auf S. 980–981 lesen, um eine Vorstellung von dem vorausgesetzten Formalismus der künftigen Rechtsordnung zu empfangen. 102 Diese einer Abänderung im Einzelfall unfähigen Vorschriften legen in vielen Fällen den Beteiligten einen unerträglichen Zwang auf. Daß die Witwe unter keinen Umständen ihrem Wahlkinde ihren jetzigen Namen verschaffen kann, mag noch hingehen. Allein der Zwang zur Führung eines Doppelnamens wird häufig den Zweck der Annahme an Kindes Statt zur Hälfte vereiteln. Ganz ungehörig ist wieder die Übergehung der Folgen für den Stand und insbesondere für die Führung eines adligen Namens (Motive S. 983).
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hindernis behandelt, läßt er sie durch Eheschließung enden; im Falle der Ungültigkeit der Ehe tritt diese Wirkung nicht ein, doch soll, falls es sich nicht um eine wegen Formmangels nichtige Ehe handelt, die elterliche Gewalt aus der Annahme an Kindes Statt mit der Eheschließung verwirkt sein (§ 1631). Schließlich bestimmt ein achter Titel hinsichtlich der „Feststellung familienrechtlicher Verhältnisse“, daß das bei Lebzeiten der Parteien rechtskräftig gewordene Urteil über Bestand oder Nichtbestand eines Eltern- oder Kindesverhältnisses oder einer elterlichen Gewalt für oder gegen alle wirkt, daß jedoch die Feststellung des Bestandes einem am Prozeß nicht beteiligten Dritten, der selbst Elternrecht für sich in Anspruch nimmt, nicht entgegensteht und der Rechtsstreit über die uneheliche Vaterschaft überhaupt nicht unter die bezeichnete Regel fällt (490) (§ 1632). Ein neuer § 627 c der Civilprozeßordnung (E. B. S. 14) soll für die Durchführung des Offizialprinzips in einem derartigen Feststellungsprozeß sorgen. Bei der im dritten Abschnitt des Familienrechts vollzogenen Ordnung der „Vormundschaft“ waren dem Entwurfe die Wege, die er zu gehen hatte, in der Hauptsache gewiesen. Denn nachdem vor kurzem für die gesamte preußische Monarchie ein einheitliches Vormundschaftsrecht geschaffen ist, konnte er nicht wohl umhin, dasselbe seinerseits zu Grunde zu legen. Dies ist seinem Vormundschaftsrecht zu gute gekommen. Die preußische Vormundschaftsordnung hat trotz mancher Mißgriffe sich im ganzen bewährt; sie hat die in der deutschen Rechtsgeschichte angelegten Gedanken zeitgemäß fortgebildet und die Gegensätze der im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelten Systeme thunlichst ausgeglichen. Im einzelnen hat der Entwurf eine große Zahl von Abänderungen seines Vorbildes vorgenommen. Dieselben beruhen zum Teil auf dem Bestreben, das Vormundschaftsrecht mit dem neuen Gesamtaufbau des Privatrechts in Einklang zu setzen, und unterliegen insoweit den das Ganze dieser Rechtsordnung betreffenden Bedenken. Am wenigsten wird man die der Sprache und Fassung der übrigen Rechtsteile angepaßte formelle Umschmelzung des preußischen Gesetzes als Verbesserung preisen dürfen103. Zum Teil aber bringt der Entwurf wichtige fachliche Neuerungen, die entschieden als wohlthätige Reformen des preußischen Rechts zu begrüßen sind. Es fällt auf, daß auch die Motive zu diesem Abschnitt tiefer in die Probleme des wirklichen Lebens eindringen und gewissermaßen menschlicher reden, als dies durchschnittlich der Fall ist104. […] (492) Unfähig zur Vormundschaft macht beschränkte Geschäftsfähigkeit, Konkurs, Ehrverlust, weibliches Geschlecht und Ausschluß durch letztwillige Verfügung des Vaters oder der Mutter; die Unfähigkeit der Frauen, an der glücklicherweise trotz einer hiergegen gerichteten Petition des allgemeinen deutschen (493) Frauenvereins festgehalten ist, kommt bei der Mutter, der Großmutter und der letztwillig berufenen Frau in Wegfall, doch bedarf die Ehefrau zur Übernahme einer Vormundschaft der Zustimmung ihres Ehemannes; bei Beamten oder Reli103 Vgl. L. Goldschmidt S. 11 Anm. 3 und dazu die Beispiele auf S. 22, 52, 174–177, 185,
186, 190 u. 195. 104 Eine Beurteilung der Vormundschaft des Entwurfes hat David, Gutachten S. 73–95
geliefert; im wesentlichen zustimmend, setzt sie sich vornehmlich zur Aufgabe, über den Untergang des rheinisch-französischen Vormundschaftsrechtes zu „trösten“. Vgl. ferner Klöppel a. a. O: Bd. 33 S. 351–354; Menger S. 69–73.
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gionsdienern ist die landesgesetzlich vorgeschriebene Erlaubnis erforderlich (§§ 1640–1642). […] Als Ablehnungsgründe erkennt der Entwurf weibliches Geschlecht, Zurücklegung des sechzigsten Lebensjahres, Besitz von fünf eigenen minderjährigen Kindern, Krankheit oder Gebrechen, entfernten Wohnsitz, Verlangen von Sicherheitsleistung, Bestellung eines Mitvormundes und Führung von bereits zwei Vormundschaften oder Pflegschaften an (§§ 1643 bis 1644). […] (505) Achter Abschnitt. Das Erbrecht des Entwurfes105 Das fünfte Buch des Entwurfes, welches „Erbrecht“ überschrieben ist, unterscheidet sich von den vorangehenden Büchern äußerlich zum Teil durch eine einfachere und gemeinverständlichere Sprache. Doch gilt dies keineswegs von allen Abschnitten desselben. Vielfach macht sich eine noch breitere Fassung bemerklich, als sie ohnehin durch das Bestreben nach einem allen denkbaren und undenkbaren Fälle einschließenden Ausdruck dem Entwurfe aufgezwungen wird. Und in besonders auffälliger Weise hat sich in diesem Buche der Gesetzgeber durch die doktrinäre Sucht, der Rechtswissenschaft der Zukunft bindende Dogmen aufzuerlegen, zu einem lehrhaften Tone verführen lassen. Inhaltlich ist das Erbrecht des Entwurfes im wesentlichen vereinfachtes und modernisiertes Pandektenrecht. Deutschrechtliche Institute und Sätze sind nur insoweit aufgenommen, als sie sich mit dem romanistischen Gedankensystem vertragen. Sie sind überdies behufs Einfügung in dasselbe nach Möglichkeit beschnitten. Die Reste rein deutscher Erbfolge sind aus dem gemeinen Recht verbannt. Soweit sie überhaupt noch geduldet werden, fallen sie der Partikulargesetzgebung anheim. Demgemäß ist auch den in ihnen lebenden Gedanken ein Einfluß auf den Bau des Erbrechtes im Entwurfe nicht verstattet worden. Bei dieser Sachlage versteht es sich von selbst, daß die Grundanlage dieses Erbrechtes eine rein individualistische ist. Das (506) sociale Wesen des Erbrechtes kommt nirgends zum Durchbruch. […] (532) Mit dem Verwandtenerbrecht läßt der Entwurf ein Erbrecht des überlebenden Ehegatten konkurrieren, welches neben Nachkommen des Erblassers auf ein Viertel, neben Verwandten der zweiten Linie und neben einem Großelternteil auf die Hälfte und im übrigen auf das Ganze geht; in den Fällen, in denen Verwandte der zweiten oder dritten Linie mit dem Ehegatten teilen, gewährt er dem letzteren überdies einen „Voraus“, der „das Haushaltsinventar, welches die Ehegatten im gewöhnlichen Gebrauch gehabt haben“ mit Ausnahme von Grundstückszubehörungen und die Hochzeitsgeschenke umfaßt (§ 1971). Da der Entwurf, wie wir bereits gesehen haben, außer dem Falle der „fortgesetzten Gütergemeinschaft“ Nachwirkungen des ehelichen Güterrechts nicht kennt, auch von Gerade, Morgengabe, Wittum, Widerlage, Leibgedinge und Musteil nichts weiß, so 105 Vgl. Bähr S. 551–565; Kühnast, Das Erbrecht des Entwurfes u. s. w., Berlin 1888;
derselbe, Erbrechtliche Studien des Entwurfes u. s. w., Beitr. z. Erläut. des deut. Rechts Bd. 32 S. 656–679; Klöppel ebenda Bd. 33 S. 354 bis 364; Petersen, Heft 16 der Beiträge: „Die Berufung zur Erbschaft und die letztwilligen Verfügungen überhaupt nach dem Entwurfe u. s. w.“, Berlin 1889.
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ist das eheliche Erbrecht die einzige Rechtsform, in welcher er den vom deutschen Recht in so mannigfacher Gestalt verwirklichten Gedanken einer Bevorzugung des überlebenden Ehegatten vor den Erben des verstorbenen sich anzueignen vermag. Soll hier eine vom ehelichen Güterrecht unabhängige einfache und gleichförmige Regel gelten, so darf jedenfalls hinter das vom Entwurf Gewährte nicht zurückgegangen werden. Den wirklichen Lebens-(533) verhältnissen aber wird diese mechanische und glatte Ordnung wenig gerecht. Der Entwurf hat es sich vor allem zum Ziel gesetzt, den „erbrechtlichen Nießbrauch“ des überlebenden Ehegatten auszumerzen, weil „eine Bindung des Vermögens durch lebenslänglichen, nicht im Wege eines Rechtsgeschäftes herbeigeführten Nießbrauch von dem Standpunkte der Nationalökonomie aus als verwerflich anzusehen ist“ (!), auch die angemessene Regelung der mit einem solchen Nießbrauch zu verknüpfenden Ausstattungspflicht und des Verhältnisses der Nachlaßgläubiger und der Gläubiger des überlebenden Ehegatten „sehr schwierig“ sein würde (Motive S. 369). Dennoch entspricht, wie schon die häufige Begründung eines derartigen Verhältnisses durch Verfügung von Todes wegen zeigt, eine lebenslängliche Leibzucht des überlebenden Ehegatten am Ehevermögen in vielen Fällen den deutschen Anschauungen und wickelt sich ohne die gefürchteten Nachteile und Schwierigkeiten ab. Wir sind oben für die Ausdehnung des Gedankens der fortgesetzten Hausgemeinschaft eingetreten. Derselbe ist keineswegs bloß bei der allgemeinen Gütergemeinschaft am Platze, muß aber natürlich bei jedem Güterstande eine besondere Ausgestaltung empfangen. Bei der Verwaltungsgemeinschaft und ebenso bei der teilweisen Gütergemeinschaft, insoweit nicht bei dieser hinsichtlich des Gesamtgutes vielmehr eine Form der fortgesetzten Gütergemeinschaft eintritt, würde dem überlebenden Ehegatten ein Recht des „Beisitzes“ an den Erbteilen der gemeinschaftlichen Kinder zu gewähren sein. Das Hausvermögen bliebe also in seiner Hand vereinigt; sein lebenslängliches Besitz- und Nutzungsrecht an dem den Kindern vom verstorbenen Ehegatten angefallenen Vermögen wäre jedoch mit seiner Stellung als Familienhaupt verknüpft und familienrechtlich gebunden, so daß es mit einer Ausstattungspflicht belastet wäre, wegen Mißbrauches oder Unfähigkeit entzogen werden könnte und durch die Eingehung einer neuen Ehe regelmäßig erlösche.
24.
Franz v. Godin: Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, 1889
GODIN, [Franz] Freiherr v.: Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Deutsche Notariats-Zeitung 1889, S. 1-11 Kommentar: Der bayerische Notar Franz Freiherr von Godin kritisiert in seinem in der „Notariats-Zeitung“ von 1889 erschienenen Aufsatz „Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich“ (s. auch Meder, Das mundium, S. 699 f.; ders., Eigenverantwortung und Solidarität im deutschen Ehegüterrecht; Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 250-254.) die Vorrechte des Mannes im Güterrecht als eine „durch nichts gerechtfertigte Herrschaft des Ehemanns“ (S. 3). Die „Herren Verfasser“ des BGB-Entwurfs hätten sich an dem Satz orientiert „Und dein – des Weibes – Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein“ (S. 1 f.). Für Godin ist die zentrale Frage im Güterrecht diejenige, welcher Güterstand als der gesetzliche angenommen werden soll, und welche Gestaltungsmöglichkeiten darüber hinaus den Ehegatten gegeben werden sollten. Bereits 1875 äußerte sich Godin in der „Zeitschrift für die deutsche Gesetz-
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ist das eheliche Erbrecht die einzige Rechtsform, in welcher er den vom deutschen Recht in so mannigfacher Gestalt verwirklichten Gedanken einer Bevorzugung des überlebenden Ehegatten vor den Erben des verstorbenen sich anzueignen vermag. Soll hier eine vom ehelichen Güterrecht unabhängige einfache und gleichförmige Regel gelten, so darf jedenfalls hinter das vom Entwurf Gewährte nicht zurückgegangen werden. Den wirklichen Lebens-(533) verhältnissen aber wird diese mechanische und glatte Ordnung wenig gerecht. Der Entwurf hat es sich vor allem zum Ziel gesetzt, den „erbrechtlichen Nießbrauch“ des überlebenden Ehegatten auszumerzen, weil „eine Bindung des Vermögens durch lebenslänglichen, nicht im Wege eines Rechtsgeschäftes herbeigeführten Nießbrauch von dem Standpunkte der Nationalökonomie aus als verwerflich anzusehen ist“ (!), auch die angemessene Regelung der mit einem solchen Nießbrauch zu verknüpfenden Ausstattungspflicht und des Verhältnisses der Nachlaßgläubiger und der Gläubiger des überlebenden Ehegatten „sehr schwierig“ sein würde (Motive S. 369). Dennoch entspricht, wie schon die häufige Begründung eines derartigen Verhältnisses durch Verfügung von Todes wegen zeigt, eine lebenslängliche Leibzucht des überlebenden Ehegatten am Ehevermögen in vielen Fällen den deutschen Anschauungen und wickelt sich ohne die gefürchteten Nachteile und Schwierigkeiten ab. Wir sind oben für die Ausdehnung des Gedankens der fortgesetzten Hausgemeinschaft eingetreten. Derselbe ist keineswegs bloß bei der allgemeinen Gütergemeinschaft am Platze, muß aber natürlich bei jedem Güterstande eine besondere Ausgestaltung empfangen. Bei der Verwaltungsgemeinschaft und ebenso bei der teilweisen Gütergemeinschaft, insoweit nicht bei dieser hinsichtlich des Gesamtgutes vielmehr eine Form der fortgesetzten Gütergemeinschaft eintritt, würde dem überlebenden Ehegatten ein Recht des „Beisitzes“ an den Erbteilen der gemeinschaftlichen Kinder zu gewähren sein. Das Hausvermögen bliebe also in seiner Hand vereinigt; sein lebenslängliches Besitz- und Nutzungsrecht an dem den Kindern vom verstorbenen Ehegatten angefallenen Vermögen wäre jedoch mit seiner Stellung als Familienhaupt verknüpft und familienrechtlich gebunden, so daß es mit einer Ausstattungspflicht belastet wäre, wegen Mißbrauches oder Unfähigkeit entzogen werden könnte und durch die Eingehung einer neuen Ehe regelmäßig erlösche.
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Franz v. Godin: Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, 1889
GODIN, [Franz] Freiherr v.: Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Deutsche Notariats-Zeitung 1889, S. 1-11 Kommentar: Der bayerische Notar Franz Freiherr von Godin kritisiert in seinem in der „Notariats-Zeitung“ von 1889 erschienenen Aufsatz „Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich“ (s. auch Meder, Das mundium, S. 699 f.; ders., Eigenverantwortung und Solidarität im deutschen Ehegüterrecht; Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 250-254.) die Vorrechte des Mannes im Güterrecht als eine „durch nichts gerechtfertigte Herrschaft des Ehemanns“ (S. 3). Die „Herren Verfasser“ des BGB-Entwurfs hätten sich an dem Satz orientiert „Und dein – des Weibes – Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein“ (S. 1 f.). Für Godin ist die zentrale Frage im Güterrecht diejenige, welcher Güterstand als der gesetzliche angenommen werden soll, und welche Gestaltungsmöglichkeiten darüber hinaus den Ehegatten gegeben werden sollten. Bereits 1875 äußerte sich Godin in der „Zeitschrift für die deutsche Gesetz-
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gebung und für einheitliches deutsches Recht“ zu diesem Problem (Godin, Ueber Gestaltung des ehelichen Güterrechts im künftigen Bürgerlichen Gesetzbuche für Deutschland, 1875). Der Verfasser plädiert für die Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand. Hierbei betont er, daß auch tatsächlich beide Ehegatten gleichsam verfügungsberechtigt sein müßten, daß hinsichtlich des „anonymen“ Vermögens beide als Miteigentümer anzusehen seien und daß in Bezug auf das objektiv männliche oder weibliche Vermögen eine Ausnahme von diesem Grundsatz geboten sei. Godin will im Ergebnis die Gütergemeinschaft mit einer gleichberechtigten Stellung der Ehefrau verbinden. Er hebt sich damit deutlich von herkömmlichen zeitgenössischen Befürwortern der Gütergemeinschaft ab. Scharf greift er die Regelung des Entwurfs an, die dem Mann die Verwaltung und Nutznießung des gesamten ehelichen Vermögens einschließlich der von der Frau eingebrachten Güter zuspricht. Eine derartige Bevormundung der Ehefrau sei weder zu ihrem Schutze geboten, noch systematisch mit der im Entwurf festgestellten vollen Geschäftsfähigkeit der Frau zu vereinbaren. Vielmehr sei „klarer als das Sonnenlicht“, daß der Vorschlag des Entwurfes lediglich männlicher Willkür entspringe. Godin stellt überdies heraus, daß der Gesetzgeber nicht nur die Aufgabe habe, den Interessen beider Ehegatten gleichsam gerecht zu werden, sondern auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Masse der Bevölkerung bei der Regelung des Güterrechts zu berücksichtigen. In seinen Augen wird die Gütergemeinschaft als gesetzlicher Güterstand diesen Anforderungen am ehesten gerecht. Für die Mehrheit der Bevölkerung stelle sich aufgrund der bei Eingehung der Ehe kaum vorhandenen Vermögenswerte nicht die Frage, wer welches Vermögen eingebracht habe. Weiterhin sei es aus Gründen der Kreditwürdigkeit und nicht zuletzt wegen fehlender Rechtskenntnisse der meist jungen Eheleute faktisch nicht denkbar, daß durch vertragliche Vereinbarung oder öffentliche Kundgabe eine Haftung für voreheliche Schulden des anderen Teils abgelehnt werde. Insbesondere setzt sich Godin für eine Vereinfachung des Güterrechts ein, da individuelle Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb einer zu komplexen Normierung vom juristischen Laien nicht wahrgenommen und die Rechtsfolgen der Eheschließung gerade für junge Frauen nicht abgesehen werden könnten.
Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich von Freiherrn von Godin, k. bayer. Notars106
(1) In der Genesis Kap. 3, 16 bestimmt Moses das Verhältnis zwischen Mann und Weib dahin, daß er schreibt: Und dein – des Weibes – Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein. 106 Anmerkung der Redaktion: Es ist nicht mehr als billig, daß nach den mehrfachen Er-
örterungen über das gesetzliche eheliche Güterrecht des Entwurfes nun auch ein Vertreter der in einem erheblichen Teile Deutschlands hoch geschätzten allgemeinen Gütergemeinschaft das Wort erhält und, wenn auch der sehr geehrte Herr Verfasser, der für dieses gesetzliche Güterrecht im wesentlichen plädiert, wohl selbst nicht verkennen wird, daß wenig Aussicht auf Annahme desselben besteht, so läßt sich doch nicht leugnen, daß seine Arbeit eine Fülle sehr beachtenswerter, reiflich überlegter Gedanken offenbart, welche manche gute Winke für die Gesetzgebung enthalten. Nachdem übrigens das Familienrecht des Entwurfs, soweit es der leider so sehr beengte Raum dieser Zeitschrift gestattet, hinlänglich – vorbehaltlich der Fortsetzung und des Schlusses des nächsten Artikels – besprochen sein dürfte, so wird nun in der nächsten Nummer zur Erörterung des Erbrechts des Entwurfs übergegangen, worauf sodann das Sachenrecht, insbesondere das Immobiliarsachenrecht folgen wird, während das Obligationenrecht und einzelne Rechtsstoffe aus den bereits besprochenen Gebieten in kürzeren Zwischenerörterungen behandelt werden sollen. Dr. W.
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Das haben sich denn die Herren Verfasser eines deutschen (2) bürgerlichen Gesetzbuchsentwurfs bezüglich des gesetzlichen Güterstandes der Ehegatten bestens gesagt sein lassen: Das Vermögen der Ehefrau wird Ehegut, das heißt, es fällt unter die Nutznießung und Verwaltung des Ehemannes, § 1283. Selbst objektives Frauengut, welches der Mann als solches direkt gar nicht nutznießen kann, wird doch wenigstens, was die Verwaltung anlangt, Ehegut. § 1285. Verbrauchbares Ehegut darf der Ehemann vorbehaltlich seinerzeitigen Ersatzes verbrauchen und veräußern. § 1294. Eine Sicherheit braucht er hierfür, ebensowenig wie für unwirtschaftlich verbrauchte Ehegutsfrüchte zu leisten. § 1295. Rechtsgeschäfte der Ehefrau bezüglich des Ehegutes erfordern eheherrliche Einwilligung. § 1300. Schuldverpflichtungen der Ehefrau desgleichen. § 1301. Rechtsstreite, welche das Ehegut betreffen, desgleichen. § 1302. Fällt der Ehemann unter Vormundschaft, so tritt der Vormund in die Verwaltungs-Rechte des Ehemanns! § 1326. Es wird vermutet, daß die in der Inhabung des Ehemannes oder der Ehefrau oder beider Ehegatten befindlichen Rechten mit Einschluß der Inhaberpapiere und der an Ordre lautenden mit Blankoindossament versehenen Papiere dem Ehemanne zugehören. § 1282. Sieht man einstweilen von der letzteren Vermutung ab, so laufen die übrigen Bestimmungen so ziemlich darauf hinaus, daß die Ehefrau, welche Verwaltung und Nutznießung ihres Vermögens einbüßt, durch die Ehe unter eheliche Vormundschaft gelangt. Zwar kann sie sich ihr Vermögen vorbehalten, § 1286 bis § 1291, zwar kann ihr die Erlaubnis zum Selbstbetrieb eines Erwerb-Geschäfts erteilt werden § 1307, zwar ist sie innerhalb des häuslichen Kreises befugt, die Geschäfte des Ehemannes zu besorgen, und ihn zu vertreten. § 1278. Allein diese Ausnahmen besagen gegen die Regel nichts, bestätigen sie vielmehr, und insbesondere gilt dies von § 1278, welcher beim Licht betrachtet nur zur Bequemlichkeit des Ehemannes dient, und an dem es charakteri[sti]sch ist, daß sich alles um (3) den Ehemann als Zentrum dreht, da es ja seine Geschäfte sind, die besorgt werden. Warum nun fällt die Ehefrau durch die Ehe unter Vormundschaft? Der Entwurf knüpft doch die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit nicht an das Geschlecht, er läßt volljährige Mädchen und Witwen in voller Freiheit verfügen. Also muß man entweder annehmen, daß das weibliche Geschlecht durch die Ehe an Verstand einbüßt, oder aber man muß zugeben, daß lediglich die männliche Herrschsucht, der ganz offene männliche Eigennutz die oben citierten §§ diktierte. Daß die Ehe, wie alle Fähigkeiten des Weibes, so auch ihr Urteil in Vermögenssachen entfesselt, entwickelt, bedarf wohl keines Beweises. Es wäre unbegreiflich, wenn die Erzeugung und Geburt von Kindern, die Besorgung eines Haushalts, die Lebenserfahrungen mannigfachster Art für eine normale Frau nicht die Wirkung hätten, ihr Urteil bezüglich der Grundbedingung des Lebens, das ist bezüglich des Erwerbes, Gebrauches, Verlustes der Sachenwelt zu
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schärfen. Es wäre unbegreiflich, wenn die normale Frau, soweit sie dennoch ihrem eigenen Urteile nicht traut, sich nicht des Beirates ihres Ehemannes bedienen würde, dessen Interessen mit den ihrigen aufs Innigste sich verflechten. Sohin steht sie, verglichen mit der alleinstehenden Jungfer oder Witwe, als eine doppelt Gewaffnete im Verkehrs-Leben. Wenn dennoch der Entwurf sie faktisch entmündigt, so ist es klarer als das Sonnenlicht, daß hierzu keine innere Notwendigkeit zwingt, sondern daß es der Männerwelt so beliebt. Nachdem nun der ganze gesetzliche Güterstand, wie ihn der Entwurf ordnet, nichts ist als eine durchdachte Vermutung für eine durch nichts gerechtfertigte Herrschaft des Ehemanns über das ehefräuliche Vermögen, so ist damit dargethan, daß er in nichts seiner Aufgabe, beiden Ehegatten entgegenzukommen, entspricht. Da er von Anfang an ungerecht gedacht ist, begreift es sich, daß er den Gipfel der Begehrlichkeit nach fremden Gute mittelst des § 1282 erklimmt. Zwar liegt diesem § stillschweigend (4) die Erkenntnis einer ganz unleugbaren, weil jedem Beobachter sich von selbst aufdrängenden Thatsache zu Grunde. Denn es ist ja nicht zu verkennen, daß das Zusammenleben der Ehegatten eine Vermischung der Güter mit sich bringt, welche nötigt, den gordischen Knoten, weil man ihn nicht lösen kann, zu durchhauen. Es ist schlechterdings unmöglich, soweit nicht das Vermögen wie Liegenschaften, Hypotheken, Namenpapiere, Schuldscheine gleichsam selbst den Eigner nennt, den Vermögenswandelungen, wie sie ein längeres Eheleben mit sich bringt, bis auf die ursprünglichen Wurzeln zu folgen. Aber es ist der extremste Gipfel ehemännlicher Unbarmherzigkeit, deshalb die Vermutung aufzustellen, daß anonymes Vermögen in Zweifel dem Ehemann zugehört, und so die Beweis-Last zu Ungunsten der Ehefrau zu verschieben. Wenigstens hätte sich das Gesetz, wenn es durchaus nicht den doch so nahe liegenden richtigen Ausweg wählen wollte, sagen müssen, daß etwas zu Gunsten der Frau zu geschehen habe, welche die Rechtskenntnis, die das Gesetz bei ihr freilich voraussetzt, nicht besitzt. Wenn irgendwo, so wäre es hier am Platze, die Frau vor einer Vermutung, die ihr zur Falle werden kann, durch die schärfste Belehrung zu warnen. Aber bei einer richtigen Anschauung über den gesetzlichen Güterstand bedürfte es der Warnung nicht. Das Gesetz brauchte nur die richtige Konsequenz aus der Vermögensunklarheit zu ziehen, und zu vermuten, daß anonymes Vermögen, wie es gemeinsam besessen werde, auch den Eheleuten gemeinsam zu eigen sei, so war geholfen. Dieser so einleuchtende Gesichtspunkt aber zeigt überhaupt den Weg für eine richtige Auffassung des gesetzlichen Güterrechts. Wie man auch sonst die Ehe ansehen mag, in wirtschaftlicher Beziehung charakterisiert sie sich dadurch, daß regelmäßig, von anormalen Fällen, namentlich großer Ungleichheit der Güter, abgesehen, die Eheleute gemeinsam wirtschaften.
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Ob sie vom Taglohne leben, ob sie ein kleineres oder mittleres Gut bewirtschaften, ob sie ein Handelsgeschäft, ein Gewerbe kleineren oder mittleren Umfangs betreiben, ob sie im wesent-(5)lichen leben von einem kleinen gehaltartigen Lohne, welchen zumeist der Mann erwirbt, immer haben sie ein wirtschaftliches Ziel, sich durchs Leben zu schlagen, Kinder aufzuziehen, etwas für die bösen Tage des Alters zu erübrigen. Die Ehe ist eine natürliche Erwerbsgesellschaft, innerhalb welcher die Eigentumsfrage in den Hintergrund tritt. Nicht das interessiert die Ehegatten in erster Linie, was eines gegenüber dem anderen besitzt, sondern das interessiert sie, was sie Dritten gegenüber besitzen und erwerben. Zunächst interessiert den Dritten und die Ehegatten, wie denn diese für voreheliche Schulden haften. Regelmäßig wird den Eheleuten damit, daß ein Ehegatte für die vorehelichen Schulden des anderen nicht haftet, nicht erheblich geholfen sein. Der schuldende Ehegatte haftet mit dem, was er hat und was er erwirbt, ja doch, und wenn er allein zahlt, so sind beide Ehegatten, zusammen betrachtet, eben doch finanziell nicht stärker, als wenn sie beide zahlen. Es macht eben auch hinsichtlich vorehelicher Schulden nur das Zahlen Frieden. Ist es ausnahmsweise angezeigt, die Haftung für die voreheliche Schuld beim ursprünglichen Schuldner zu belassen, so mag der nicht schuldende Eheteil bei Eingehung der Ehe durch eine öffentliche Erklärung die Mithaftung ablehnen. Aber er wird es nicht ohne Schaden für den Kredit thun können, welchen beide Eheleute außerdem besitzen würden. Auch das wird sogar zulässig sein müssen, durch eine öffentliche Erklärung die Solidarhaftung für während der Ehe gemachte Schulden abzulehnen. Allein noch mehr als durch Ablehnung der Schuldhaftung für voreheliche Schulden wird in diesem Falle der Kredit der Ehegatten leiden, und sie werden es doppelt überlegen, ob sie durch diese Kreditschwächung nicht mehr an vermögensrechtlicher Kraft einbüßen, als sie durch Auseinanderhaltung der Haftung gewinnen. Im übrigen haben Dritte, Eheleuten gegenüber, nur ein Interesse, zu wissen, wer hinsichtlich des Vermögens der Ehe-Leute die Vertretungsbefugnis im Verkehrsleben besitzt. (6) Nennt das Vermögen den Eigner, so ist nicht abzusehen, warum der Dritte wünschen soll, außer mit dem als Eigner genannten Ehegatten noch mit dem zweiten Ehegatten handeln zu müssen. Und ist das Vermögen anonym, so daß im Verkehre wesentlich nichts anderes als das Innehaben den Eigentümer legitimiert, wie dies im ausgesprochensten Maße bezüglich der Geldsumme gilt, so ist erst recht nicht abzusehen, wie der Verkehr irgend ein Interesse haben soll, daß bei Eheleuten der Besitz nicht legitimieren soll. Vielmehr ist in der letzteren Hinsicht das Verkehrsbedürfnis, daß der bloße Besitz genügen muß, ein so zwingendes, daß § 1278 des Entwurfs wider Willen das Prinzip, wonach der Ehemann alles, die Frau nichts ist, brechen mußte, und daß § 1282, um klar zu stellen, wer das anonyme Vermögen vertritt, zu einer Fiktion gewagtester Art seine Zuflucht nehmen mußte.
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Die Eheleute dagegen, welche ein Interesse haben, daß keines von ihnen über Vermögen einseitig verfügen könne, können, was gebuchtes, den Eigentümer nennendes Vermögen anlangt, unter der Herrschaft eines praktischen gesetzlichen Güterstandes dies Ziel sehr leicht erreichen. Es braucht ihnen nur das Recht eingeräumt zu werden, sich bloß auf Grund der Ehe ohne Zuthun des anderen Teiles als Miteigentümer buchen zu lassen, wovon der bisher allein besitzende Eheteil zu verständigen ist, damit er die Buchung, wenn ein das gesetzliche Regelverhältnis ausschließender Vertrag vorliegt, rückgängig machen kann. Was aber anonymes Vermögen anlangt, so liegt die Sicherung in der zweischneidigen Befugnis beider Eheleute, nach außen hin gültig zu verfügen und zu handeln. Wenn die gegenseitige, gleichheitliche Vertrauensstellung, die hiernach ein Eheteil gegenüber dem anderen einzunehmen hat, und die mit Notwendigkeit aus der beiderseitigen Souveränität folgt, einem Ehepaare nicht paßt, so bietet der Ehevertrag und die Öffentlichkeit das entsprechende Hilfsmittel. Im übrigen haben Eheleute nur noch das Interesse, wenn es aus irgend welchem Grunde zur Vermögensauseinandersetzung kommen muß, zu wissen, mit welcher Vermögensquote sie Anteil haben. (7) Es ist schwer zu begreifen, wie man auf etwas anderes als Hälften verfallen kann. Zwar soll der Mann gegenüber der Frau das erwerbende Element sein; allein abgesehen davon, daß die Frau der Jetztzeit offenbar mehr und mehr dazu neigt, auch aktiv ins Erwerbsleben einzugreifen, kompensiert der Mann sicher den Mehrerwerb durch Mehrverbrauch. Desgleichen deutet darauf, daß im Zweifel beide Ehegatten mit gleichem Vermögen in die Ehe treten, also gleichberechtigt sind, der gewichtige Umstand, daß das Intestaterbrecht keinen Erb-Vorzug des männlichen Geschlechts vor dem weiblichen konstituiert, also in der Richtung auf Ausgleich wirkt. Für die breite Maße der Taglöhner, Fabrikarbeiter, Gewerbsgehilfen, KleinBediensteten, Kleingütler, Kleingewerbtreibenden kann als Regel gelten, daß das eingebrachte Vermögen mit der Arbeit verglichen überhaupt keine Rolle spielt; namentlich besagen hier etwaige Größen-Unterschiede gar nichts. Solche Eheleute stehen ja bei Eingehung der Ehe erst im Alter der eigentlich erwerbenden Kraft, und besitzen kaum mehr als ihre Arme, etwas Hausrat, und, wenn es hoch kommt, noch einige Hundert Mark. Daß es hier keinen Sinn hat, nach der Provenienz des Vermögens zu blicken, und alles auf Gütergemeinschaft hinweist, sollte eigentlich keiner Darlegung bedürfen. Man macht aber die gesetzlichen Güterstände für die Vielen, nicht für die Minderzahl. Auch bei mittleren Vermögen, wo das persönliche Moment mit dem sachlichen noch mindestens gleichwiegt, liegt die Sache noch nicht viel anders. Es heiratet doch regelmäßig der wohlhabende Bauer nicht die blaße Nähterin, die nur eine Nähmaschine ihr eigen nennt, oder die reiche Müllerin den wandernden Kesselschmied. Vielmehr wird bei aller Ausnahmefülle regelmäßig eine gewisse Verhältnismäßigkeit des beiderseitigen Vermögens obwalten.
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Ist dies aber der Fall, so paßt es auch noch für den Mittelstand, Gütergemeinschaft zu vermuten, und die Minderzahl der Widerstrebenden auf den Vertrag zu weisen. (8) Also nur die Klasse der oberen Zehntausend, innerhalb welcher die Person vom Vermögen absorbiert wird, und die Arbeitskraft gar keinen Faktor mehr spielt, bleibt als jene Minderheit übrig, für welche die Gütergemeinschaft nicht paßt. Aber auf diese den Güterstand zuzuschneiden, und die Massen zum Vertrag zu treiben, wäre der allerärgste Mißgriff. Die Bankiers, die Großgrundbesitzer, die Fabrikanten, die Großhändler, die Rheder, die Bergwerkbesitzer, die Hüttenherren, die Eisenbahnkönige, die Rentenherren haben wie Zeit so Geld, um Eheverträge auszusinnen, und vermittelst derselben die auseinandergehenden Interessen der Ehegatten zu verschanzen. Auch sind vor allem sie das richtige Objekt, wo der Staat aus Anlaß des Ehevertrages mit Eleganz die Taxschraube anzusetzen hat, wie sie es sind, welchen überhaupt kein noch so raffiniert kasuistisch zugespitztes gesetzliches Güterrecht völlig entsprechen wird. Nichts destoweniger schweben dem Entwurfe, der ja überhaupt seine Sachenverehrung gegenüber dem personellen Momente wenig verbirgt, auch im ehelichen Güterrechte als die wahren Normalmenschen gerade die Reichsten vor, weshalb alle seine Bestimmungen einen für die den Ausschlag gebenden Massen unpassenden Zuschnitt tragen. Wohl trennt der Entwurf den gesetzlichen Güterstand vom vertragsmäßigen, aber weil im Vertragsabschnitte eine Reihe von eventuellen Güterständen bis in alles Detail ausgebildet worden, und ihre Einführung durch allgemeine Klauseln offen steht, deren Tragweite von den Vertragschließenden nicht zu übersehen ist, so wird sich nur sehr allmählich ein Bewußtsein über das, was gesetzliches Güterrecht ist, bilden, und es gewinnt den Anschein, als wäre der Gesetzgeber selbst von seinem gesetzlichen Güterstande nicht übermäßig erbaut. Es will nicht viel heißen, daß § 1334 verbietet, die alten Güterrechte im Vertragswege durch allgemeine Klausel zu galvanisieren, oder fremdes Güterrecht durch allgemeine Klausel einzuführen. Von irrelevanten Modifikationen abgesehen reproduziert der Abschnitt über Eheverträge die alten Partikularrechte in Form gewisser Vertragsgrundgestalten der allgemeinen Gütergemein-(9)schaft, der Errungenschaftsgemeinschaft, der Errungenschafts- und Mobiliargemeinschaft, und diese sogenannten Verträge können durch allgemeine Klausel abgeschlossen werden. Wie Testament und Erbvertrag zu ihrer Voraussetzung das Intestaterbrecht haben, und sich im Gegensatze zu demselben entwickeln, so ist der Ehevertrag gegenüber dem gesetzlichen Güterstande der durch denselben geweckte Gegenwille, und bedarf in Wahrheit einer gesetzgeberischen Ausbildung mehr nach der negativen, der Verbotseite hin. Somit müßte zu allererst im Abschnitte über die Eheverträge fixiert sein, was durch Ehevertrag nicht festgesetzt werden kann, und welche Abänderungen des gesetzlichen Güterrechts außer der Vertragsform etwa noch weiterer Form – der Publikation – bedürfen. Hiermit wäre indirekt auch der erlaubte Inhalt von Eheverträgen insoweit allgemein umschrieben, daß man füglich das Übrige der Vereinbarung der Eheleute und der Auslegung der Gerichte überlassen könnte.
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Weiter zu gehen, und für die Hauptgestalten, welche der Ehevertrag annehmen kann, Vermutungen aufzustellen, um den nicht erschöpfend, oder unklar, oder ungenau ausgedrückten Vertragswillen besser zu entfalten, mag sich zwar bis zu einem gewissen Grade empfehlen. Aber man muß sich hierbei bewußt bleiben, daß oberstes Auslegungsgesetz der Vertragsbuchstabe bleibt, welcher das vom gesetzlichen Güterstand abweichend Gewollte um so schärfer ausdrücken wird, je klarer ihm der gesetzliche Güterstand und nicht ein eventuelles Güterrecht vorschwebt. Daß für eine Ausbildung des Ehevertrages im obigen, nachhelfenden Sinne keine 100 §§ nötig wären, wie sie der Entwurf aufstellt, wird keiner Ausführung bedürfen. Denkt man sich gegenüber den 50 §§, mittelst welcher der Entwurf den gesetzlichen Güterstand ordnet, und gegenüber den 100 §§, die er für den Vertrag verbraucht, in die Lage eines gewöhnlichen Menschen, dem ein Einblick in die Materie gewährt werden soll, so zeigt sich, daß schon 1/3 der §§ langen sollte. Es will aber am Ende des 19. Jahrhunderts auch der (10) gewöhnliche Mensch in solchen Hauptangelegenheiten, wie eheliches Güterrecht dem Wesen nach orientiert sein, und er kann es sein, wenn man nicht den Gegensatz von Laien und Wissenden aus der Theologie auch in das Recht verpflanzt. Während das eheliche Güterrecht etwas sehr Einfaches sein könnte, wird es nach dem Entwurfe noch immer ein Paradies für Anwälte und Richter bleiben. Hoffentlich hält der Reichstag das Güterrecht des Entwurfes seiner Zeit für keine Militärvorlage, an der man nicht streichen kann. Geht man auf die einfachen Grundlagen der Materie zurück, trennt man sich von der Überschätzung der Sachen- und der Unterschätzung der Personenwelt, degradiert man nicht die Frau, schafft man nicht künstlich Schwierigkeiten, wo in der Natur keine sind, so kann ganz im Gegensatze zu dem Dogma, als starre das eheliche Güterleben von Verwickelungen, gerade das eheliche Güterrecht ein System von höchster Einfachheit und Durchsichtigkeit bilden. Wer etwa meint, gegen die empfohlene allgemeine Gütergemeinschaft daraus einen Einwand entnehmen zu können, daß bei voller Konsequenz auch das bloß persönlichem Bedürfnisse dienende – objektiv männliche oder weibliche – Vermögen erfaßt werden müsse, würde nur seine Kenntnis des Satzes beweisen, daß man auch die beste Sache durch Übertreibung verderben kann. Denn hinsichtlich dieses Vermögens eine Ausnahme zu machen, widerspricht der Gütergemeinschaft so wenig, daß es sogar gerechtfertigt wäre, die vertragsmäßige Ausdehnung der Gütergemeinschaft auf jenes einer Vermischung objektiv widerstrebende Gut zu verbieten. Alles, was dafür spricht, beim übrigen Vermögen den Eigentümer nicht zu unterscheiden, zwingt beim objektiv männlichen oder weiblichen Gut dazu, keine widerwärtige Vermischung aufkommen zu lassen. Was im objektiven Sinne Manns- und Frauengut ist, kann in den seltensten Fällen streitig werden, und die wenigen Zweifel, welche vorkommen mögen, wird jedes Gericht ohne Kasuistik nach frei waltendem Ermessen leicht zu lösen wissen.
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So wird die unbesiegbare Hinneigung des objektiven Manns- (11) und Frauengutes zum getrennten Eigentum zum Beweise für die Hinneigung des übrigen Vermögens zum Miteigentum und zu einer Empfehlung eines gesetzlichen Güterstands, der auf Gemeinschaft basiert.
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Adolf Hinsberg: Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897
HINSBERG, A.[dolf]: Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27 Kommentar: Dr. Adolf Hinsberg, ein Rechtsanwalt* aus Barmen, stammte wahrscheinlich aus einer dortigen Bankiersfamilie: Matthias Hinsberg hatte 1867 den Barmer Bankverein Hinsberg, Fischer & Co., einen der Vorgänger der heutigen Commerzbank AG, gegründet. Die familienbiographischen Einzelheiten zu Hinsberg konnten noch nicht abschließend geklärt werden. Es existieren allerdings mehrere Artikel aus den Jahren 1897/98, aus denen eine recht umfassende Zusammenarbeit Hinsbergs mit der „Frauenbewegung“ hervorgeht (Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches [Nr. 25], in: Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27; Das „Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen“, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 60-62; Das Erziehungsrecht der Mutter nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Die Frau 1897/98, S. 257-263; Das Vereinsrecht und die Frauen, in: Die Frau 1897/98, S. 729-739). Seine Ausführungen zum HGB sind vor dem Hintergrund der damaligen HGB-Revisionsarbeiten zu verstehen, bei denen das HGB ans BGB angepaßt und in der revidierten Fassung gemeinsam mit diesem am 1.1.1900 in Kraft treten sollte. Anläßlich dieser Arbeiten formulierte die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine eine Petition zum Handelsrecht (Nr. 52, S. 41, 49 f.). Hierzu erörterte die Rechtskommission vorab die in Hinsbergs Artikel aufgeführten Punkte (vgl. S. 27). Im einzelnen weist Hinsberg darauf hin, daß im neuen HGB das Sonderrecht der Handelsfrauen nicht mehr enthalten ist, während es in der bis 1900 noch geltenden Fassung gem. Art. 6-9 ADHGB geregelt war. Wenn die Kauffrau ohne weitere Sondernormen wie ein Kaufmann behandelt wird, so ist dies „selbstverständliche Gleichberechtigung“. Doch bleibt ein Wertungskonflikt: Die Ehefrau steht unter der männlichen Eheherrschaft gem. § 1354 I BGB. Hinsberg erläutert daher eingehend die möglichen Folgen von § 1354 für verheiratete Handelsfrauen (zur persönlichen Rechtsstellung der Handelsfrauen nach ADHGB, BGB 1896 und HGB vgl. dazu näher Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 869-876 m.w.N.). Hinsberg empfiehlt, das Spannungsverhältnis zwischen Ehe- und Handelsrecht durch einen Zusatz zum HGB zu klären und rät im übrigen den Frauen zur Schließung von Eheverträgen. Seine Haltung zur männlichen Eheherrschaft ergibt sich aus den Worten: „Die Regelung, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1354 trifft, ist also verkehrt; sie ist doppelt verkehrt, wenn sie auf die Handelsfrau angewandt werden soll.“ (S. 27) *
Seine Tätigkeit als Anwalt in Barmen geht aus unterschiedlichen Beiträgen Hinsbergs in Fachzeitschriften hervor, u.a.: Hinsberg, A.: Über den Umfang des VerpächterPfandrechts (§ 585 BGB), in: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 58 (1914), S. 629-635. Weitere Hinweise auf seine Person existieren bis 1927. Für 1898/99 ist seine Tätigkeit als Anwalt in Barmen bereits nachweisbar, für 1899 unter der Adresse Dörnerbrückenstraße 3 (Brämer, Karl u.a., Der Arbeiterfreund, 1899, S. 550) und für 1898 unter Angabe des vollen Vornamens (Drugulin, W.: Pan Prospect-Buch: Inhalts- und Mitglieder-Verzeichnis der Jahre 1895, 1896, 1897 der Zeitschrift PAN. Berlin 1898).
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So wird die unbesiegbare Hinneigung des objektiven Manns- (11) und Frauengutes zum getrennten Eigentum zum Beweise für die Hinneigung des übrigen Vermögens zum Miteigentum und zu einer Empfehlung eines gesetzlichen Güterstands, der auf Gemeinschaft basiert.
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Adolf Hinsberg: Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897
HINSBERG, A.[dolf]: Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27 Kommentar: Dr. Adolf Hinsberg, ein Rechtsanwalt* aus Barmen, stammte wahrscheinlich aus einer dortigen Bankiersfamilie: Matthias Hinsberg hatte 1867 den Barmer Bankverein Hinsberg, Fischer & Co., einen der Vorgänger der heutigen Commerzbank AG, gegründet. Die familienbiographischen Einzelheiten zu Hinsberg konnten noch nicht abschließend geklärt werden. Es existieren allerdings mehrere Artikel aus den Jahren 1897/98, aus denen eine recht umfassende Zusammenarbeit Hinsbergs mit der „Frauenbewegung“ hervorgeht (Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches [Nr. 25], in: Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27; Das „Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen“, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 60-62; Das Erziehungsrecht der Mutter nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Die Frau 1897/98, S. 257-263; Das Vereinsrecht und die Frauen, in: Die Frau 1897/98, S. 729-739). Seine Ausführungen zum HGB sind vor dem Hintergrund der damaligen HGB-Revisionsarbeiten zu verstehen, bei denen das HGB ans BGB angepaßt und in der revidierten Fassung gemeinsam mit diesem am 1.1.1900 in Kraft treten sollte. Anläßlich dieser Arbeiten formulierte die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine eine Petition zum Handelsrecht (Nr. 52, S. 41, 49 f.). Hierzu erörterte die Rechtskommission vorab die in Hinsbergs Artikel aufgeführten Punkte (vgl. S. 27). Im einzelnen weist Hinsberg darauf hin, daß im neuen HGB das Sonderrecht der Handelsfrauen nicht mehr enthalten ist, während es in der bis 1900 noch geltenden Fassung gem. Art. 6-9 ADHGB geregelt war. Wenn die Kauffrau ohne weitere Sondernormen wie ein Kaufmann behandelt wird, so ist dies „selbstverständliche Gleichberechtigung“. Doch bleibt ein Wertungskonflikt: Die Ehefrau steht unter der männlichen Eheherrschaft gem. § 1354 I BGB. Hinsberg erläutert daher eingehend die möglichen Folgen von § 1354 für verheiratete Handelsfrauen (zur persönlichen Rechtsstellung der Handelsfrauen nach ADHGB, BGB 1896 und HGB vgl. dazu näher Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 869-876 m.w.N.). Hinsberg empfiehlt, das Spannungsverhältnis zwischen Ehe- und Handelsrecht durch einen Zusatz zum HGB zu klären und rät im übrigen den Frauen zur Schließung von Eheverträgen. Seine Haltung zur männlichen Eheherrschaft ergibt sich aus den Worten: „Die Regelung, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1354 trifft, ist also verkehrt; sie ist doppelt verkehrt, wenn sie auf die Handelsfrau angewandt werden soll.“ (S. 27) *
Seine Tätigkeit als Anwalt in Barmen geht aus unterschiedlichen Beiträgen Hinsbergs in Fachzeitschriften hervor, u.a.: Hinsberg, A.: Über den Umfang des VerpächterPfandrechts (§ 585 BGB), in: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 58 (1914), S. 629-635. Weitere Hinweise auf seine Person existieren bis 1927. Für 1898/99 ist seine Tätigkeit als Anwalt in Barmen bereits nachweisbar, für 1899 unter der Adresse Dörnerbrückenstraße 3 (Brämer, Karl u.a., Der Arbeiterfreund, 1899, S. 550) und für 1898 unter Angabe des vollen Vornamens (Drugulin, W.: Pan Prospect-Buch: Inhalts- und Mitglieder-Verzeichnis der Jahre 1895, 1896, 1897 der Zeitschrift PAN. Berlin 1898).
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Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches. Von Dr. jur. A. Hinsberg in Barmen.
Verhältnismäßig spät ist die deutsche Frauenwelt sich des Satzes bewußt geworden, daß die Frauenfrage nicht zum wenigsten eine Rechtsfrage ist. Es geschah dies anläßlich der Beratungen über das neue Bürgerliche Gesetzbuch. Allein während dessen erster Entwurf bereits im Jahre 1888 publiziert und zur öffentlichen Kritik gestellt wurde, hat die Agitation der deutschen Frauen, daß auch ihren Wünschen im Gesetz Rechnung getragen werde, in größerem Maßstabe erst kurz vor der Vollendung des Gesetzes begonnen. So war es natürlich, daß die ganze Bewegung einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht mehr ausüben konnte, jedoch nutzlos war und ist sie darum doch nicht: denn einmal hat sie das Interesse an Rechtsfragen in weiteren Kreisen der Frauenwelt überhaupt erst geweckt, dann aber – und das ist das Wichtigste – hat sie gelehrt, wie notwendig für die Frauen die Kenntnis des bestehenden und des werdenden Rechtes ist, sei es nun, daß sie sich ihrer rechtlichen Lage klar werden, sei es, daß sie dieselbe anders gestalten, d. h. auf die Gestaltung der Gesetze Einfluß gewinnen wollen. Daß unter diesen Gesetzen das Bürgerliche Gesetzbuch das bei weitem wichtigste ist, bedarf keiner Begründung. Es mag daher auch richtig sein, daß ihm nach wie vor die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird, obgleich an eine Änderung der familienrechtlichen Bestimmungen in den nächsten Jahren wohl kaum zu denken ist. Jedenfalls würde es aber verkehrt sein, die übrigen großen Reichsgesetze außer acht zu lassen, die mit Rücksicht auf das Bürgerliche Gesetzbuch einer Neubearbeitung und teilweise Umänderung unterzogen werden. Es sollen daher im Folgenden die durch den „Entwurf eines Handelsgesetzbuches“ getroffenen Änderungen, soweit sie die Stellung der Frau betreffen, kurz besprochen werden:107 Im Entwurf wird man die Erwähnung der Frau vergeblich suchen: Die bisherigen Artikel 6-9, die von der Handelsfrau reden, fehlen.108 Sie sind teils entbehrlich
107 Das geltende Handelsgesetzbuch ist seit etwa 35 Jahren – im wesentlichen unverän-
dert – in Deutschland im Gebrauch. Der „Entwurf eines Handelsgesetzbuchs“ wurde im Juni 1896 publiziert, eingehend von Juristen und Vertretern des Handelsstandes kritisiert und liegt zur Zeit dem Bundesrat vor. 108 [Fußnote bei Hinsberg, S. 25 mit dem Text von Art. 6-9 der vor 1900 geltenden HGBFassung]: Art. 6: Eine Frau, welche gewerbsmäßig Handelsgeschäfte betreibt (Handelsfrau), hat in dem Handelsbetriebe alle Rechte und Pflichten eines Kaufmanns. Dieselbe kann sich in Betreff ihrer Handelsgeschäfte auf die in den einzelnen Staaten geltenden Rechtswohlthaten der Frauen nicht berufen. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob sie das Handelsgewerbe allein oder in Gemeinschaft mit Anderen, ob sie dasselbe in eigener Person oder durch einen Prokuristen betreibt. Art. 7: Eine Ehefrau kann ohne Einwilligung ihres Mannes nicht Handelsfrau sein. Es gilt als Einwilligung des Mannes, wenn die Frau mit Wissen und ohne Einspruch desselben Handel treibt. Die Ehefrau eines Kaufmannes, welche ihrem Ehemanne nur Beihülfe in dem Handelsgewerbe leistet, ist keine Handelsfrau.
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geworden bei dem heutigen Stande der Rechtsanschauung, teils macht das Bürgerliche Gesetzbuch Sonderbestimmungen im Handelsgesetzbuch unnötig. Beide Punkte verdienen Beachtung. Das Handelsgesetzbuch war das erste deutsche Gesetz, welches für sein Gebiet die völlige Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann aussprach. Zwar war das nichts absolut Neues, sondern nur Fixierung bereits vorhandenen Gewohnheitsrechtes, das die mittelalterlichen Beschränkungen durchbrochen hatte. Aber immerhin war diese Anschauung noch nicht so festgewurzelt, daß eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung überflüssig gewesen wäre, ja, es mußte die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft für die Handelsfrau in den Einführungsgesetzen verschiedener Einzelstaaten noch besonders ausgesprochen werden. Mittlerweile sind 35 Jahre vergangen: Es folgten die Bestimmungen der Gewerbeordnung (die ganz allgemein die Gewerbefrau dem Mann gleichstellt) und die Zivilprozeßordnung (welche auch für die Prozeßfähigkeit jeden Unterschied aufhebt), und heute kann der dem Entwurf beigefügte Bericht sagen: „Daß alles, was in dem Gesetzbuch über die (26) Kaufleute bestimmt ist, zugleich für Frauen gilt, die ein Handelsgewerbe betreiben, versteht sich von selbst.“ Was also vor 35 Jahren gesetzlich bestimmt werden mußte, ist heute selbstverständlich, und darin liegt ein Fortschritt des Rechtsbewußtseins, der vielleicht schwerer wiegt, als einzelne Gesetzesbestimmungen. Es ist die Erreichung des angestrebten Zieles wenigstens innerhalb eines bestimmten Rechtsgebietes: die nicht mehr als etwas Besonderes betonte, sondern selbstverständliche Gleichberechtigung. Aber – ein langes Aber folgt – alles dies gilt nur für die nicht verheiratete Frau. Die Ehefrau ist nur teilweise damit gemeint: Auch für sie, sofern sie Handelsgeschäfte betreibt, werden allerdings die Vorschriften des Handelsgesetzbuches in Zukunft immer gelten, ohne Rücksicht darauf, ob der Mann die Zustimmung zu ihrem Betriebe erteilt hat oder nicht. Der Fortfall des Artikels 7 des Handelsgesetzbuches bedeutet also insoweit ebenfalls einen Fortschritt zur Rechtsgleichheit, da das Bürgerliche Gesetzbuch die Fähigkeit der Ehefrau, sich durch Rechtsgeschäfte zu verpflichten, anerkennt. Allein davon abgesehen sind die Bestimmungen des Gesetzbuches, welche an Stelle der fortfallenden Artikel des Handelsgesetzbuches treten, nur stellenweise der Ehefrau günstiger, als das bisherige Recht und es bedarf schon einer etwas eingehenderen Vergleichung, um den Unterschied zwischen beiden klarzustellen. Die Beantwortung der Frage, ob die Stellung der „handeltreibenden Ehefrau“ in Zukunft so geregelt sein wird, wie es ihren billigen Erwartungen entspricht, und
Art. 8: Eine Ehefrau, welche Handelsfrau ist, kann sich durch Handelsgeschäfte gültig verpflichten, ohne daß es zu den einzelnen Geschäften einer besonderen Einwilligung ihres Ehemannes bedarf. Sie haftet für die Handelsschulden mit ihrem ganzen Vermögen, ohne Rücksicht auf die Verwaltungsrechte und den Nießbrauch oder die sonstigen, an diesem Vermögen durch die Ehe begründeten Rechte des Ehemannes. Es haftet auch das gemeinschaftliche Vermögen, soweit Gütergemeinschaft besteht; ob zugleich der Ehemann mit seinem persönlichen Vermögen haftet, ist nach den Landesgesetzen zu beurtheilen. Art. 9: Eine Handelsfrau kann in Handelssachen selbständig vor Gericht auftreten; es macht keinen Unterschied, ob sie unverheiratet oder verheiratet ist.
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welche Konsequenzen für die Frau aus der Gestaltung des neuen Gesetzes zu ziehen sind, wird sich dann von selbst regeln. Der erste Abschnitt des Artikel 7: „Eine Ehefrau kann ohne Einwilligung ihres Ehemannes nicht Handelsfrau sein“, enthielt in manchen Ländern eine bedeutende Verschlechterung der Rechtslage der Frauen, z. B. in Österreich, wo die Frau in vermögensrechtlicher Beziehung unabhängig war, also auch ohne Konsens Handel treiben durfte. Ohne Rücksicht darauf stellte das Handelsgesetzbuch sein Gebot auf, dessen Konsequenz es ist, daß die Frau ohne Genehmigung ihres Mannes kein Handelsgeschäft beginnen oder – wenn sie es vor der Ehe betrieben – fortsetzen darf. Jeden Augenblick und willkürlich kann der Mann seine Genehmigung entziehen und damit den Betrieb unmöglich machen. Denn sofort mit der Erklärung des Widerspruchs tritt seine Wirkung ein: die Frau hört auf, Handelsfrau zu sein, und ihre Fähigkeit, Rechtsgeschäfte zu schließen, ist wieder auf den meist sehr engen Raum beschränkt, den die Landesgesetze ihr lassen, und der beispielsweise in den Rheinlanden für die in Gütergemeinschaft lebende Frau gleich Null ist. Die Frau ist also den willkürlichen Entschließungen des Mannes untergeordnet, denn eine Ergänzung seiner Zustimmung durch das Gericht kennt das Handelsgesetzbuch überhaupt nicht, und nur wenige der kleineren deutschen Staaten haben in ihren Einführungsgesetzen eine derartige gerichtliche Konsens-Erklärung für Ausnahmefälle, wie Krankheit, Abwesenheit und dergl. des Mannes, eingeführt. In Preußen ist dies nicht geschehen, dort also die Lage der Frau eine völlig schutzlose, wie seiner Zeit auch von einem Berliner Gericht ausgesprochen worden ist. Denn was nützt die Bestimmung, daß die Ehefrau, welche Handelsfrau ist, zu den einzelnen von ihr vorzunehmenden Rechtsgeschäften einer besonderen Einwilligung des Mannes nicht bedarf? Nur ihren Gläubigern etwas, aber nicht der Frau, da ihr ja die generelle Einwilligung jeden Augenblick genommen werden kann. Allerdings ist diese Härte – vom Standpunkt des Mannes betrachtet – nicht so ungerechtfertigt. Denn die Handelsfrau verpflichtet nicht nur sich selbst und ihr persönliches Vermögen, sondern auch das gemeinsame und selbst nach einzelnen Landesgesetzen (so dem preußischen Landrecht) das Vermögen des Mannes. Allein von diesen letzteren landesgesetzlichen Bestimmungen abgesehen, die den Mann unbillig belasten, liegt darin keine Gefahr für die Gütergemeinschaft, die nicht gleich groß wäre bei jedem Handelsbetrieb durch den Mann. Ich will die Frage nur berühren und darauf hinweisen, daß für die Schulden des Mannes das Vermögen der Gütergemeinschaft stets haftet, ohne daß die Frau die Verpflichtungsfähigkeit des Mannes irgendwie beschränken könnte. Die Frage der Billigkeit mag sich jeder selbst beantworten. Jedenfalls fällt diese Vorschrift in Zukunft, und es treten die allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches an ihre Stelle, nach denen (§ 1354 Abs. 1) dem Manne die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zusteht. Daß er die Handlungsfähigkeit der Frau nicht in der Weise beschränken kann, daß ein von ihr ohne seine Zustimmung, bezw. gegen sein Verbot abgeschlossenes Handelsgeschäft nun nicht nach Handelsrecht zu beurteilen wäre, ist bereits erwähnt. Nachdem § 11 der GewerbeOrdnung die Frau, „gleichviel ob sie verheiratet oder unverheiratet ist“, in Bezug auf die Befugnis zum Gewerbebetrieb dem Manne völlig gleichgestellt hat, wäre das widersinnig. Die neue Bestimmung ist daher in ihren Konsequenzen zunächst nicht so rigoros, wie der bisherige Artikel 7 des Handelsgesetzbuchs. Immerhin
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hat sie eine weittragende Bedeutung: einmal haftet die Frau, die gegen den Widerspruch des Mannes Handel treibt, nur persönlich mit ihrem Sondergute (also nicht mit dem zwar ihr gehörenden, aber der Verwaltung des Mannes unterstehenden Vermögen), – das wird unter Umständen ihren Kredit gefährden, da man sich in der Regel kritiklos dem ungünstigen Eindruck einer derartigen Kundgebung des Mannes hingeben und nicht überlegen wird, daß eine Frau, die kraft eigener Fähigkeit ein Geschäft leitet, auch fähig ist, für ihre Verbindlichkeiten einzustehen. Dann aber wird der Mann sein Vetorecht gerichtlich geltend machen können, und wenn sich auch die Exekution eines Urteils, das der Frau den Betrieb eines Gewerbes untersagt, nicht wohl vorstellen läßt,109 so ist es um so leichter für den Mann, die Löschung einer Firma und überhaupt aller amtlichen Eintragungen zu betreiben und dadurch den Handelsbetrieb zu stören. So würde die Lage der handeltreibenden Ehefrau wieder recht trostlos sein, wenn nicht 2 Einschränkungen, allerdings von ungleichem Wert, bestünden: 1. Die Entscheidung steht dem Manne nur in den gemeinsamen Angelegenheiten zu, und 2. Die Frau braucht ihr nicht Folge zu leisten, wenn sie sich als Mißbrauch darstellt. Also die Frau ist frei, soweit sie vermögensrechtlich selbständig ist, wenn also Gütertrennung herrscht, oder sie Vorbehaltsgut hat. Nun ist allerdings das System der Gütertrennung nicht das gesetzliche, sondern Gütertrennung tritt erst ein, wenn die gesetzliche „Verwaltungsgemeinschaft“ oder ein anderes, durch Vertrag ausbedungenes System aufhört. Aber da das in Zukunft auch während der Ehe durch Ehevertrag wird geschehen können, so wird sich dann auch jede Frau vermögensrechtlich selbständig machen und von dem Erfordernis des Konsenses ein für allemal emanzipieren können. Der thatsächlich vorgekommene Fall, daß der Mann im Heiratskontrakt auf das Recht des Widerrufs verzichtet und dann später doch – und zwar mit voller Wirkung – die Genehmigung zum Handelsbetrieb zurücknimmt, würde also dann unmöglich, wenigstens bei entsprechender Gestaltung der Güterrechtsverhältnisse in derartiger Handlungsweise wirkungslos sein. Auch die Willkür des Mannes soll nicht mehr herrschen, wie bisher (§ 1354 Abs. 2), und den schon erwähnten krassesten Fällen ist durch diese Bestimmung jedenfalls vorgebeugt. Allein wie weit im übrigen die Vorschrift wirken wird, ist zweifelhaft. Was Mißbrauch des Rechtes des Ehemannes ist, ist Thatfrage, und die Rechtsprechung wird vorerst kaum geneigt sein, den Begriff weit zu fassen. Berücksichtigt man, daß immer, wenn der Konsens des Mannes überhaupt nötig ist, dieser weitgehende Rechte an dem zum Ehegute gehörenden Vermögen der Frau hat, die Handels-(27)frau aber mit diesem Vermögen haftet, so wird man schon darin leicht einen genügenden Grund für den Mann finden können, diesen möglichen Eingriff in sein Recht zu hindern. Ebenso ist es durchaus wahrscheinlich, daß der Richter von vornherein dem Manne recht geben wird, wenn er behauptet, ein „Geschäft“ nehme soviel Zeit in Anspruch, daß seine Frau ihren häuslichen Verpflichtungen nicht nachkommen könne. Die Frau – nicht der Mann – würde dann den lästigen, vielleicht schwierigen Beweis zu führen haben, daß ihr Standpunkt der richtige, und das Verbot des Mannes ein Mißbrauch seines Rechtes sei. Die Frage aber, wer zu beweisen hat, ist für den Ausgang eines Rechtsstreites oft von 109 Wenn nicht jeder Zwang nach § 771 der revidierten Zivilprozeßordnung ausgeschlos-
sen sein wird.
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ausschlaggebender Bedeutung, und wenn die Frau in diesem Falle mit dem Beweise behaftet wird, so ist das eine neue schwere Benachteiligung für sie. Auch ist zu bedenken, wie es ja schon früher geltend gemacht worden ist, daß eine gerichtliche Entscheidung zwischen Ehegatten, solange sich eine Ehe nicht völlig in offenem Zwiespalt aufgelöst hat, doch ein Unding ist. Verbietet also der Mann den Beginn oder die Fortführung eines Geschäftes, so ist die Frau, auch wenn sie dies für einen Mißbrauch hält, in einer üblen Lage. Eine Entscheidung würde sie nur im Wege des Prozesses herbeiführen können; der ist aber, wie gesagt, ungangbar, und so lebt sie, wenn sie nicht nachgeben will, in völliger Ungewißheit und Rechtsunsicherheit. Die Regelung, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1354 trifft, ist also verkehrt; sie ist doppelt verkehrt, wenn sie auf die Handelsfrau angewandt werden soll. Es ist ja wohl richtig, daß die Mehrzahl der deutschen Frauen heute ihren Männern an Geschäftsgewandtheit und praktischer Erfahrung nicht gleich steht. Allein ist es schon sehr bedenklich, aus dieser Voraussetzung den Schluß zu ziehen, daß dem Manne in allen Fragen die Entscheidung zustehe, so ist dieser Schluß ganz offensichtlich unhaltbar, sobald diese Voraussetzung fehlt. Das ist aber bei der Handelsfrau der Fall, denn diese ist geschäftsgewandt und praktisch erfahren und weiß – dafür spricht wenigstens die Vermutung – die Existenzbedingungen ihrer Familie so gut zu beurteilen, wie ihr Mann. Auf ihren Geschäftsbetrieb den § 1354 anzuwenden, ist als nichts als eine Schablonisierung, als eine willkürliche Degradierung. Daß Meinungsverschiedenheiten vorkommen, ist natürlich, aber dieselben ein für allemal durch einseitige Unterwerfung der einen Partei zu beseitigen, ist im vorliegenden Falle absolut unbillig. Bei weitem angemessener würde es sein, auch hier die Vorschriften entsprechend anzuwenden, die im Falle der Übernahme persönlicher Dienstleistungen durch die Frau gelten. Hier kann der Mann den Vertrag kündigen (entsprechend: die Genehmigung zum Handelsbetriebe zurückziehen), aber erst, wenn auf seinen Antrag das Vormundschaftsgericht die Genehmigung dazu erteilt, also erst eine, nicht an die Form des Prozesses gebundene Ermittelung stattgefunden hat; und ebenso kann das Vormundschaftsgericht die Zustimmung des Mannes ersetzen, wenn derselbe sie nicht erklären kann (wegen Abwesenheit, Krankheit u. dgl.) oder sie grundlos verweigert. Ergänzend wäre dann zu bestimmen, daß die einmal erteilte Genehmigung nur dann widerrufen werden kann, wenn die bei der Erteilung maßgebenden Umstände sich geändert haben, und ein wichtiger Grund für die Einstellung des Handelsbetriebes vorliegt. (Beides würde der Mann zu beweisen haben.) In Erwägung gezogen ist hier nur das etwa noch Erreichbare. Eine völlige Gleichstellung, eine Beseitigung des Anstoß erregenden Wortes „Genehmigung“, gehört vorläufig zweifellos noch zu den Utopien. Indessen liegt es auch in der Hand der Frau selbst, der ganzen Frage ihre Wichtigkeit zu nehmen. Denn – damit rekapitulieren wir nochmals kurz den Gang unserer Besprechung – frei ist die nicht verheiratete Frau, frei auch die Ehefrau, deren Vermögen nicht unter der Verwaltung des Mannes steht; der Entscheidung des Mannes unterworfen – aber auch nicht in der Schutzlosigkeit wie bisher – bleibt die nicht in Gütertrennung lebende Frau. Ein Zusatz zum Handelsgesetzbuch in dem oben angegebenen Sinne ist das eine Mittel, ihre Rechtslage zu verbessern. Wichtiger aber und gründlicher ist das
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zweite. Eine energische, nicht oft genug zu wiederholende Mahnung an die deutschen Frauen, das Güterrechtssystem, das ihnen gesetzlich nicht gewährt worden ist, sich selbst zu schaffen durch Ehevertrag. Anmerkung der Herausgeberin: Die Rechts-Kommission des Bundes deutscher Frauenvereine arbeitet an einer Petition zum Handelsgesetz unter Berücksichtigung des Entwurfes, wie er aus dem Bundesrat an den Reichstag gelangt. Sofort beim Erscheinen des Entwurfs im Reichstage soll letzterem die Petition zugehen. — Die genannte Rechts-Kommission hat die in Dr. Hinsberg’s Artikel aufgeführten Punkte nebst einigen anderen einer Erörterung unterzogen.
26.
Camilla Jellinek [unter Mitarbeit von Katharina Scheven]: Petition des Bundes deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung, 1909
JELLINEK, Camilla: Petition des Bundes deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung. [Unter Mitarbeit von Katharina Scheven.] o.O. [Mannheim] 1909 Kommentar: Camilla Jellinek, geb. Wertheim (1860-1940), war mit dem Heidelberger Staatsrechtler Georg Jellinek verheiratet und gehörte in Heidelberg zum Kreis der Frauenrechtlerinnen um Marianne Weber (Nr. 65 und 66; Weber zählt zu den Gründerinnen der von Jellinek geleiteten Heidelberger Rechtsschutzstelle für Frauen; biographischer Beitrag zu Jellinek durch Kempter in Meurer, Marianne Weber, S. 111-126). Marianne Weber und Camilla Jellinek sind zwei der insgesamt vier in Deutschland vor 1933 im Fach Rechtswissenschaft ehrenpromovierten Frauen. Die Ehrendoktorwürde Jellineks soll u.a. ihre Verdienste um die Rechtsschutzbewegung würdigen. Jellinek leitet ab 1907 die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine und amtiert von 1900 bis 1933 als Vorsitzende und Leiterin der Heidelberger Rechtsschutzstelle für Frauen. Die Strafrechtsreform sowie die Arbeit der Rechtsschutzvereine für Frauen gehören zu ihren hauptsächlichen rechtspolitischen Anliegen. Sie ist entschiedene Gegnerin des § 218 StGB (Strafbarkeit der Abtreibung; vgl. zur Abtreibungsdiskussion um 1910 auch Czelk, Frauenrecht und Mutterschutz, 2006), vertritt damit aber im Bund Deutscher Frauenvereine nicht die Mehrheitsposition. Die Begründung des BDF-Vorschlags zu § 218 StGB überläßt sie in der vorliegenden Schrift daher Katharina Scheven (1861-1922). Die Petition ist die weiterentwickelte und zum Abschluß gebrachte Fassung derjenigen Forderungen, die ein Jahr zuvor in einem Zwischenbericht von Julie Eichholz präsentiert worden waren (Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform, 1908, Nr. 15). Der Text Jellineks stellt zugleich die zentrale Stellungnahme der älteren bürgerlichen Frauenbewegung zum Strafrecht überhaupt dar. Schwerpunkte der Forderungen sind die Neufassung der sog. Sittlichkeitsdelikte bezüglich des Frauen- und Jugendschutzes, die Abschaffung von § 361 Nr. 6 StGB, welcher die nicht registrierte Prostitution bestraft, die Abschaffung von Normen, welche den Ehemännern einseitig ein Strafantragsrecht bei Verletzungen und Beleidigungen von Ehefrauen gewährten, und schließlich die Neufassung der §§ 217, 218 StGB zu Kindstötung und Abtreibung. Während die von der Mehrheit im Bund Deutscher Frauenvereine getragene und in diesem Punkt von Katharina Scheven begründete Petition eine Neufassung und Milderung von § 218 verlangt, kann unterstellt werden, daß Camilla Jellinek diese Forderung nicht weit genug geht. Im Anhang der Schrift erfolgt eine tabellarische Gegenüberstellung des bisher geltenden Rechts und der gewünschten Änderungen.
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zweite. Eine energische, nicht oft genug zu wiederholende Mahnung an die deutschen Frauen, das Güterrechtssystem, das ihnen gesetzlich nicht gewährt worden ist, sich selbst zu schaffen durch Ehevertrag. Anmerkung der Herausgeberin: Die Rechts-Kommission des Bundes deutscher Frauenvereine arbeitet an einer Petition zum Handelsgesetz unter Berücksichtigung des Entwurfes, wie er aus dem Bundesrat an den Reichstag gelangt. Sofort beim Erscheinen des Entwurfs im Reichstage soll letzterem die Petition zugehen. — Die genannte Rechts-Kommission hat die in Dr. Hinsberg’s Artikel aufgeführten Punkte nebst einigen anderen einer Erörterung unterzogen.
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Camilla Jellinek [unter Mitarbeit von Katharina Scheven]: Petition des Bundes deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung, 1909
JELLINEK, Camilla: Petition des Bundes deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung. [Unter Mitarbeit von Katharina Scheven.] o.O. [Mannheim] 1909 Kommentar: Camilla Jellinek, geb. Wertheim (1860-1940), war mit dem Heidelberger Staatsrechtler Georg Jellinek verheiratet und gehörte in Heidelberg zum Kreis der Frauenrechtlerinnen um Marianne Weber (Nr. 65 und 66; Weber zählt zu den Gründerinnen der von Jellinek geleiteten Heidelberger Rechtsschutzstelle für Frauen; biographischer Beitrag zu Jellinek durch Kempter in Meurer, Marianne Weber, S. 111-126). Marianne Weber und Camilla Jellinek sind zwei der insgesamt vier in Deutschland vor 1933 im Fach Rechtswissenschaft ehrenpromovierten Frauen. Die Ehrendoktorwürde Jellineks soll u.a. ihre Verdienste um die Rechtsschutzbewegung würdigen. Jellinek leitet ab 1907 die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine und amtiert von 1900 bis 1933 als Vorsitzende und Leiterin der Heidelberger Rechtsschutzstelle für Frauen. Die Strafrechtsreform sowie die Arbeit der Rechtsschutzvereine für Frauen gehören zu ihren hauptsächlichen rechtspolitischen Anliegen. Sie ist entschiedene Gegnerin des § 218 StGB (Strafbarkeit der Abtreibung; vgl. zur Abtreibungsdiskussion um 1910 auch Czelk, Frauenrecht und Mutterschutz, 2006), vertritt damit aber im Bund Deutscher Frauenvereine nicht die Mehrheitsposition. Die Begründung des BDF-Vorschlags zu § 218 StGB überläßt sie in der vorliegenden Schrift daher Katharina Scheven (1861-1922). Die Petition ist die weiterentwickelte und zum Abschluß gebrachte Fassung derjenigen Forderungen, die ein Jahr zuvor in einem Zwischenbericht von Julie Eichholz präsentiert worden waren (Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform, 1908, Nr. 15). Der Text Jellineks stellt zugleich die zentrale Stellungnahme der älteren bürgerlichen Frauenbewegung zum Strafrecht überhaupt dar. Schwerpunkte der Forderungen sind die Neufassung der sog. Sittlichkeitsdelikte bezüglich des Frauen- und Jugendschutzes, die Abschaffung von § 361 Nr. 6 StGB, welcher die nicht registrierte Prostitution bestraft, die Abschaffung von Normen, welche den Ehemännern einseitig ein Strafantragsrecht bei Verletzungen und Beleidigungen von Ehefrauen gewährten, und schließlich die Neufassung der §§ 217, 218 StGB zu Kindstötung und Abtreibung. Während die von der Mehrheit im Bund Deutscher Frauenvereine getragene und in diesem Punkt von Katharina Scheven begründete Petition eine Neufassung und Milderung von § 218 verlangt, kann unterstellt werden, daß Camilla Jellinek diese Forderung nicht weit genug geht. Im Anhang der Schrift erfolgt eine tabellarische Gegenüberstellung des bisher geltenden Rechts und der gewünschten Änderungen.
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Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung. Als Anhang: Gegenüberstellung der geltenden Gesetzesparagraphen und der vom Bund deutscher Frauenvereine erbetenen Änderungen. Nach den Beschlüssen der Generalversammlung zu Breslau im Auftrag der Rechtskommission ausgearbeitet von Camilla Jellinek Dem Deutschen Reichstag, dem Bundesrat und dem Reichsjustizamt eingereicht im Juni 1909. (3) Der Bund deutscher Frauenvereine, welcher die organisierte deutsche Frauenbewegung repräsentiert, erlaubt sich zur Berücksichtigung bei den Vorarbeiten zu den bevorstehenden Revisionen des StGB. und der StPO. hiermit die folgenden Bitten auszusprechen. Obwohl in einer Zeit, in der die Frauen streben, Schulter an Schulter mit dem Manne zu lernen, zu arbeiten und an den öffentlichen Aufgaben sich zu beteiligen, ihnen keine Bestimmung irgendeines Gesetzbuches gleichgültig sein kann, halten sie doch in diesem Falle Selbstbeschränkung für geboten, und wollen, um eher gehört zu werden, sich nur über die Dinge aussprechen, an denen ihr Interesse auch für diejenigen klar am Tage liegt, die an ihrem Interesse für das allgemeine noch zweifeln. Davon ausgehend werden sich unsere Forderungen in verschiedene Gruppen gliedern lassen: I. Wir werden das Gebiet der geschlechtlichen Delikte einer Prüfung zu unterziehen haben, da hierbei die Anschauungen von Mann und Frau spezifisch verschieden sind. II. Wir werden jene Delikte zu betrachten haben, die – abgesehen von den erwähnten geschlechtlichen – in ihren Folgen in hervorragendem Maße Frauen treffen und solche, welche, von Männern begangen, häufig durch Frauen verursacht werden. III. Wir werden uns dagegen zu wenden haben, wenn wir in einer gesetzlichen Bestimmung noch Überbleibsel des alten Vormundschaftsrechts des Mannes über die Frau erblicken. (4) IV. Wir müssen uns mit jenen Delikten beschäftigen, bei denen ausschließlich oder ganz überwiegend Frauen als Täter in Betracht kommen. V. Wir werden das Wort dort ergreifen müssen, wo wir als Mütter und Erzieherinnen uns ein Urteil zutrauen dürfen.
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VI. Wir werden die Zulassung von Frauen zu Ämtern im Strafgerichtsverfahren zu fordern haben, welche bisher, und auch in dem Entwurf der neuen Strafprozeßordnung und in der Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz ausschließlich Männern vorbehalten sind. (5) I. 1. Der Bund deutscher Frauenvereine bittet um die Beseitigung des § 172 StGB., welcher lautet: „Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Gatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.“ Wenn wir uns fragen, was der Gesetzgeber in diesem Paragraphen schützen will, so muß die Antwort sein, daß nur zwei Möglichkeiten hierfür in Betracht kommen können: entweder er will die staatliche Institution der Ehe als solche schützen, oder den einzelnen verletzten Ehegatten. Beide Auslegungen können aber der Kritik nicht standhalten. Der Ehebruch verletzt erstens nicht die staatliche Institution der Ehe als solche; dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn der ehebrechende Gatte eine zweite Ehe eingeht, also im Falle der Bigamie. Es sei durchaus das Interesse des Staates daran anerkannt, daß die sittliche Grundlage der Ehe nicht gestört werde. Es gibt aber viele andere Handlungen der Ehegatten, die dies ebenso tun wie der Ehebruch, z. B. böswillige Verlassung, liederlicher Lebenswandel oder unverbesserliche Trunksucht. Ja, es können solche Handlungen die Moralität der Ehe oft bedeutend tiefer verletzen als der Ehebruch, der in sehr vielen Fällen rein impulsiv, momentaner Verführung unterliegend, begangen wird. So wenig der Staat für jene anderen Fälle der Verletzung der Ehe eine kriminelle Bestrafung begehrt und begehren kann, (6) so wenig kann er ein Recht, den Ehebruch zu bestrafen, in Anspruch nehmen. Es soll durch uns der Ehebruch keinesfalls gerechtfertigt oder auch nur entschuldigt werden. Er erscheint im höchsten Grade unsittlich, ob man die Institution der Ehe ein Sakrament oder einen Vertrag oder als eine soziale Notwendigkeit, oder von welchem ethischen, religiösen oder kulturellen Standpunkt immer betrachtet. Aber der Ehebruch gehört zu der großen Zahl der Handlungen, die, so unsittlich sie auch sein mögen, dennoch nur vor den Richterstuhl der Moral gehören. Wie steht es nun mit dem anderen Rechtfertigungsgrund: daß durch die Strafdrohung dem verletzten Ehegatten ein Recht auf Sühne verliehen werden solle? Davon könnte u. E. überhaupt nur die Rede sein, wenn der Staat dem verletzten Gatten das Recht erteilen würde, innerhalb des Bestehens der Ehe Strafantrag wegen Ehebruchs zu stellen. Wir glauben nicht, dass, um diesem Einwand zu begegnen, irgend jemand die Forderung aufstellen würde, es solle die Bedingung der vorhergehenden Scheidung fallen gelassen werden. Denn das würde sicher erst recht das Wesen der Ehe tief herabziehen, wenn es möglich wäre, bei Weiterbestehen der Ehe einen Ehegatten wegen Ehebruchs zu verklagen und bestrafen zu lassen.
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Ebensowenig halten wir es für möglich, daß die Forderung heute aufgestellt werden könnte, der Staat solle den beleidigten Gatten derart schützen, daß er, der Staat ohne Antrag das Delikt solle verfolgen können, daß er unter dem Gesichtspunkte, er müsse der Wächter der Integrität jeder Ehe sein, gegen den Willen des unschuldigen Gatten dessen Geheimnis der Öffentlichkeit preisgeben dürfe. Man müßte also unter allen Umständen weiter damit (7) rechnen, daß der Ehebruch erst nach der Scheidung der Ehe und nur auf Antrag bestraft werden könnte. Aber welch ein Rechtsgut soll da noch geschützt werden, wenn der verletzte Ehegatte seine Freiheit bereits wiedererlangt hat und keine sittliche Forderung mehr an den früheren Gatten stellen kann? In den Fällen, in denen der beleidigte Ehegatte den schuldigen Gatten durch seine Anzeige auf einige Monate ins Gefängnis schickt, wird kaum mehr ein Funke sittlichen Gefühls im Spiel sein. Die auf den Ehebruch gesetzte Strafe dient lediglich als Prämie für die Unversöhnlichkeit und Rachsucht des verletzten Ehegatten, für eine Rachsucht noch dazu, die sich meist weniger auf den Ehebruch, als auf verunglückte Erpressungsversuche beziehen wird. Die Strafandrohung im § 172 mit ihren Einschränkungen, an deren Beseitigung keinesfalls gedacht werden könnte, läßt sich, nach dem vorangehenden, also weder dadurch rechtfertigen, daß die mit Strafe bedrohte Handlung eine Verletzung eines Rechtsgutes darstellt, an dessen Integrität die Allgemeinheit ein Interesse hat, noch dadurch, dass sie ein individuelles Rechtsgut verletzt. Überdies hat jede Strafandrohung nur dann einen Sinn, wenn sie geeignet erscheint, die Handlung gegen die sie gerichtet ist, zu verhindern oder einzuschränken. Die vorliegende Strafbestimmung ist aber politisch so gut wie bedeutungslos. Verhindern dürfte sie auch nicht einen Ehebruch, denn um abschreckend zu wirken, darf eine Strafandrohung nicht in solch unwahrscheinliche Ferne gerückt sein, wie es diese – erst nach erfolgter Scheidung zulässige – ist. Und dem sittlichen Empfinden der Allgemeinheit können sicher die Bestrafungen nicht als Sühne für die Verletzung der Ehe erscheinen. Denn diese Allgemeinheit weiß sehr wohl, daß die Zahl der faktischen Ehebrüche jedes Jahr Legion ist, (8) und wenn sie dem gegenüber erfährt, daß – wie dies staatliche Tabellen ausweisen – nur einige hundert jährlich zur Aburteilung kommen, so ist dies vielmehr dazu angetan, die Vorstellung zu erwecken, daß es mit der Strafbarkeit des Ehebruchs nicht weit her sei. Wir bitten daher, die Bestimmung über die Bestrafung des Ehebruchs fallen zu lassen, da sie theoretisch nicht zu begründen, und praktisch nicht nur wertlos, sondern schädlich ist. 2. Wir erlauben uns, um Abänderung des § 174 Ziff. 1 zu bitten. § 174 Ziff. 1 heißt: „Mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren werden bestraft: Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv- und Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welch mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen vornehmen.“
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Der Bund deutscher Frauenvereine schlägt vor, dass es künftig heiße: „Mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren werden bestraft: Vormünder und Pfleger, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Eltern, Groß-, Stief-, Adoptiv- und Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern bzw. Enkeln, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche unter Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen vornehmen.“ Das bedeutet einerseits eine Erweiterung, andererseits eine Einschränkung der Strafandrohung. Die Ausdehnung der Strafandrohung auf Pfleger scheint uns eine Lücke des Gesetzes auszufüllen. Noch wichtiger aber (9) ist deren Ausdehnung auf leibliche Eltern und Großeltern sowie Stiefeltern. Denn gar nicht selten werden auch von den oben Genannten geschlechtliche Scheußlichkeiten begangen, die, weil nicht identisch mit dem in § 173 allein bedrohten Beischlaf, nicht bestraft werden können. Solche Handlungen wirken auf Kinder aber ebenso demoralisierend wie die eigentliche Blutschande, und zwar auf die Kinder beiderlei Geschlechts, denn auch geschlechtliche Attentate der leiblichen Mutter auf ihre jungen Söhne sind traurige Tatsachen. Daß der jetzige Paragraph, der von den Adoptiveltern spricht, nicht etwa auch heute schon so aufgefaßt werden kann, als wenn Stiefeltern darin einbegriffen wären, geht unzweideutig aus reichsgerichtlichen Entscheidungen hervor. Die Zweite von uns vorgeschlagene Änderung bezweckt, daß Geistliche, Lehrer und Erzieher nur dann wegen Vornahme unzüchtiger Handlungen mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen bestraft werden können, wenn sie hierbei ein Autoritätsverhältnis mißbrauchen. Denn heute, wo dieses Autoritätsverhältnis stillschweigend für alle Fälle vermutet wird, wo es also nicht als beweisbedürftiges, objektives Tatbestandsmerkmal in die Strafandrohung aufgenommen ist, kann es vorkommen, dass ein etwa 22jähriges Mädchen, das einem 20jährigen Manne Kunstoder Malunterricht gibt, bestraft werden müsste, wenn ein intimes Liebesverhältnis entstanden wäre. 3. Wir bitten ferner, dem § 174 folgende vierte Ziffer anzufügen: (Mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren werden bestraft): „Vorgesetzte, Arbeitgeber, Stellenvermittler und deren Vertreter, welche unter Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses mit den von ihnen abhängigen Personen unzüchtige Handlungen vornehmen.“ (10) Die gleichen Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, die in den Ziffern 2 und 3 des § 174 genannten Personen (Beamte, Ärzte usw. zu den ihrer Obhut usw. anvertrauten Personen) unter ein Ausnahmegesetz zu stellen, müssen ihn bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen dazu bestimmen, ebenso mit Vorgesetzten Arbeitgebern, Stellenvermittlern und deren Vertretern zu verfahren. Denn auch diese können leicht in die Lage kommen, den Untergebenen oder Arbeitnehmern- und -suchenden gegenüber eine autoritäre Stellung einzunehmen, kraft welcher sie für einen Druck auf sie auszuüben imstande sind. Wenn sie die ihnen dadurch auferlegten besonderen sittlichen Pflichten verletzen, so machen sie sich nicht nur eines persönlichen, sondern eines sozialen Verbrechens schuldig. Wenn nur ein wenig von unsittlichen Zumutungen und sexueller Ausbeutung der erwähnten Art in die Öffentlichkeit dringt, so liegt dies daran, daß solche Fälle selten sind. Wer jemals der Sprechstunde einer Frauenrechtsschutzstelle beiwohnte, wo Frauen mit größerer Offenheit über diese Dinge berichten als vor Männern,
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weiß, einen wie großen Prozentsatz unter den Alimentationsberechtigten die von ihren Arbeitgebern verführten Dienstmädchen und Handlungsgehilfinnen einnehmen. Überdies darf nicht vergessen werden, daß die meisten Verführten dieser Kategorie freiwillig Alimentationsgelder von dem Verführer erhalten werden, da diesem daran gelegen sein muß, die Sache geheim zu halten, um so mehr, als es sehr häufig ein verheirateter Mann ist, und ebenso daß doch nur ein Bruchteil derjenigen, die unzüchtige Handlungen zu erdulden haben, schwanger werden. Wie groß also tatsächlich die Gesamtzahl solcher Opfer ist, entzieht sich der Beurteilung. Freilich würden trotz einer solchen neuen Strafbestimmung viele Schuldige straflos bleiben. Viele würden sich nicht ent-(11)schließen, ihr Recht zu suchen, aus Furcht insbesondere vor Entlassung, die für sie häufig Stellenlosigkeit und damit schwere Entbehrungen oder gar Hingabe an die Prostitution bedeutet. Dieser Einwand aber könnte ähnlich auch gegen die schon bestehenden Bestimmungen des § 174 Ziff. 2 und 3 vorgebracht werden; auch die Personen, die dort in Betracht kommen, werden, solange sie sich in dem bezeichneten Abhängigkeitsverhältnis befinden, keine Anzeige machen. Diese ist hier wie dort erst nach Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses zu erwarten. Aber schon die Möglichkeit einer Anzeige würde abschreckend auf die Betreffenden wirken, und sie von dreisten Schritten zurückhalten. Um so mehr dürfte dies zutreffen, als ja hier ebensowenig wie in den ersten Ziffern des Paragraphen ein Antragsdelikt vorliegen würde, also die Möglichkeit eines Bekanntwerdens durch Dritte nicht ausgeschlossen wäre. Da hier kein Antragsdelikt geschaffen werden soll, wäre auch jener Einwand entkräftet, der u.a. seiner Zeit gegen die in der lex Heinze erhobene Forderung eines besonderen Schutzes der Arbeitnehmerin erhoben wurde, der nämlich, daß dies zu Denunziationen und Erpressungen führen könnte. Überdies könnte dem entgegengehalten werden, daß, wenn diese Besorgnis wirklich ein Hemmschuh für die Gesetzgebung sein dürfte, sie auch niemals, z. B. eine Alimentationspflicht des unehelichen Vaters hätte schaffen dürfen. Zum Schlusse sei noch angeführt, daß es sich hierbei nicht um eine Sonderforderung zugunsten des weiblichen Geschlechtes handelt. Wenngleich ein solches Gesetz überwiegend zum Schutze der Frau in Anwendung käme, so bedeutet es doch auch eine Schutzbestimmung für die männliche Jugend, die, wie die Enthüllungen trauriger Prozesse kraß gezeigt haben, durch lasterhafte Männer, von denen sie abhängig gewesen, schwer mißbraucht worden ist. 4. (12) Ferner gestatten wir uns zu bitten, daß der § 176 Ziff. 2, welcher lautet: (Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer) „eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustand befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht“ die Fassung erhalte: „mit einer in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustand befindlichen oder geisteskranken, oder einer als geistesschwach bekannten weiblichen Person unzüchtige Handlungen vornimmt.“
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Es gibt eine Art des Geisteszustandes, die nicht unter den technischen Begriff der Geisteskrankheit fällt, und doch vom normalen Zustande weit entfernt ist: die Geistesschwäche. Daß solche geistesschwache weibliche Personen sexuellen Angriffen sehr häufig zum Opfer fallen, ist schon dadurch bekannt, daß viele solcher unglücklicher Wesen jedes Jahr ein Kind zur Welt bringen. Wir halten diese geistesschwachen Frauen sogar für gefährdeter als die schon heute durch das Gesetz geschützten Geisteskranken, da diese in der Regel einer Aufsicht unterstellt sind. Es wird sich bei diesen nur um vereinzelte Attentate handeln können, während die Geistesschwache stets der Gefahr, geschlechtlich mißbraucht zu werden, ausgesetzt ist. Und die Wahrscheinlichkeit der fortgesetzten Schwängerungen ist nicht nur vom Standpunkte der mißbrauchten und gequälten Frau zu beklagen, sondern auch stets aufs tiefste um der erzeugten Kinder willen. Es werden meistens geistig minderwertige sein, die – sich, ihrer Umgebung, dem Staate zur Last – oft noch halb unschuldig schuldig werden und solches elend auf die folgende Generation vererben. In der Einschränkung, die wir für jene Strafandrohung (13) vorschlagen, auf Mißbrauch der als geistesschwach bekannten Person, also solcher, die z.B. nicht die normale Schule haben durchmachen können, würde die Gewähr liegen, daß sie keine ungerechten Folgen zu haben braucht. Geschehen doch erfahrungsgemäß die meisten geschlechtlichen Angriffe auf die erwähnten Personen von seiten der Nachbarn, Verwandten ec., die sich wegen des zu erwartenden geringen Widerstandes dieses Opfer aussuchen. Und wenn wirklich mal ein außenstehender in Betracht käme, wäre es eben Sache des Richters, festzustellen, ob anzunehmen sei, daß dem Täter die Geistesbeschaffenheit der Frau verborgen geblieben war oder nicht. Es erscheint uns zweitens notwendig, daß die Strafandrohung sich nicht auf den Beischlaf beschränke, sondern auf unzüchtige Handlungen ausgedehnt werde. Die Beschränkung, die das Gesetz macht, bedeutet eine Lücke, weil es nicht zu verstehen ist, warum solche unzüchtige Handlungen nur als Beleidigungen bestraft werden sollen. Um dem Umstande Rechnung zu tragen, daß für den Zustand dieser unglücklichen Geschöpfe ein vermindertes Schamgefühl charakterlich ist und sie sinnlich provozierend wirken, so daß, wenngleich sie selbst darum nicht weniger zu bedauern sind, doch die objektive Schuld des Mannes geringer sein kann, könnte eventuell bei der von uns hier vorgeschlagenen Strafdrohung mit der Strafe tiefer heruntergegangen werden, als bei den anderen Ziffern dieses Paragraphen gestatten wir uns darum zu bitten, daß das Wort „Frauensperson“ hier und wo es überhaupt im StGB. vorkommt, ersetzt werde durch die „weibliche Person“, weil die erstere Bezeichnung, die bei Schaffung des StGB. am Platze gewesen sein mag, heute eine andere Bedeutung im (14) Sprachgebrauche erhalten hat und ihr etwas Verächtliches anhaftet. Wir machen insbesondere darauf aufmerksam, daß der Schweizer Entwurf von „weiblichen Personen“ spricht, ebenso der deutsche Entwurf einer Strafprozeßordnung (...) und auch darauf, daß in unserem deutschen Strafgesetzbuch, wo es sich speziell um Männer handelt (§ 181 a) nicht von „Mannspersonen“, sondern von „männlichen Personen“ die Rede ist.
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5. Des weiteren bitten wir, daß der § 176 Ziff. 3, welcher lautet: (Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer) „mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt, ober dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet“, dahin abgeändert werde, daß das Schutzalter auf sechzehn Jahre erhöht werde, zugleich aber, daß der jugendliche Delinquent unter 16 Jahren auch bei festgestellter Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Tat nicht mit Gefängnis bestraft werde; es sei vielmehr in dem Urteile festzustellen, ob er in seiner Familie bleiben oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden soll. Ein 14–15jähriges Kind besitzt nicht die Ueberlegung, um sich die Bedeutung der mit ihm vorgenommen sexuellen Handlungen klarzumachen. Außerdem sieht es in einem Erwachsenen in der Regel eine Autorität, deren Wünschen und Anforderungen es sich trotz innerlichen Widerstrebens nicht zu widersetzen wagt. Da aber tausende von Kindern im Alter von 14–15 Jahren bereits selbständig im Erwerbsleben stehen, oft ohne elterlichen Schutz, so ist dringend nötig, daß der Staat der Versuchungen ausgesetzten Jugend einen gesetzlichen Schutz gewährleistet, der sie in dem gefährlichsten Alter vor den Nachstellungen gewissenloser Menschen möglichst (15) sichert. Es ist statistisch nachgewiesen, daß die meisten Prostituierten bereits vor dem 16. Jahr defloriert waren; also in einem Alter, in dem sie sich der Tragweite ihrer Handlungen noch nicht bewußt sind, wird einerseits ihr Schamgefühl abgestumpft, andererseits ihre Sinnlichkeit erregt, und so werden in den Sumpf der Prostitution unzählige Mädchen gestoßen, die durch eine wirksamere Schutzgesetzgebung auf dem rechten Wege hätten erhalten werden können. Zugleich aber müßte festgesetzt werden, daß jugendliche Täter unter 16 Jahren von der Freiheitsstrafe auszuschließen seien. Schon heute erregt die Vorstellung, daß ein kaum strafmündig gewordenes Kind wegen einer geschlechtlichen Torheit, die es begeht, durch eine Gefängnisstrafe für sein ganzes Leben unglücklich gemacht werde, unser lebhaftestes Bedauern. Wem würde es nicht als eine Ungeheuerlichkeit erschienen, daß einem 12jährigen Kinde als Verbrechen angerechnet werden kann, wenn es mit einem andern im Schutzalter befindlichen – etwa gleichalterigen – unzüchtige Handlungen vorgenommen hat! Der Umfang der Wahrscheinlichkeit solcher Vorkommnisse würde durch die von uns gewünschte Hinaufrückung des Schutzalters noch erheblich erweitert werden, denn es müßten dann auch ebensolche geschlechtliche Torheiten, die 14oder 15jährige Kinder untereinander begehen, unter diesen Paragraphen fallen. Aber nicht diese verhältnismäßig harmlosen jugendlichen Täter wollen wir durch Heraufsetzung des Schutzalters treffen, sondern die erwachsenen Wüstlinge, die sich an Kindern vergreifen. In einem anderen Zusammenhange werden wir überhaupt darum zu bitten haben, daß bei jugendlichen Delinquenten unter 16 Jahren die Gefängnisstrafe nicht anzuwenden sei. Wenn das erreicht wäre, brauchte in dem vorliegenden (16) Paragraphen keine Sonderbestimmung aufgenommen zu werden. Es wäre aber verfehlt, unsere Forderungen derart miteinander zu verquicken, daß wir bei der Aufstellung der einen die andere bereits als gewährt annehmen. Basierend also auf dem heutigen Stand der Gesetzgebung, müssen wir es besonders betonen, daß bei
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diesem Paragraph es uns in gesteigertem Maße darauf ankommt, die Jugend unter 16 Jahren vor Gefängnis zu schützen. Dafür, daß eventuell hier der Gesetzgeber eine Sonderbestimmung zugunsten jugendlicher Delinquenten schaffen könnte, sei – als Analogie – an den § 173 Abs. 4 erinnert, durch den für Delinquenten unter 18 Jahren sogar vollständige Straffreiheit ausgesprochen wird. Die Annahme übrigens der in dem Entwurf einer StrPO. enthaltenen Vorschläge würde eine Sonderbestimmung im StrGB. überflüssig machen. 6. Des weiteren beantragen wir statt des § 182 Abs. 1: „Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlaf verführt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft“ die Fassung: „Wer mit einem Mädchen, welches das vierzehnte, aber nicht das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, unzüchtige Handlungen vornimmt, oder dieselbe zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft.“ Unter der Voraussetzung, daß unsere Wünsche betreffend die Hinaufsetzung des Schutzalters für unzüchtige Handlungen überhaupt (176 Ziff. 3), (vgl. oben unter 5) Berücksichtigung finden, würde damit der nun in Rede stehende § 182 ganz in Wegfall kommen. (17) Für den Fall jedoch, daß unsere Forderungen zu § 176 Ziff. 3 nicht erfüllt würden, müssen wir erstens in § 182 das Wort „unbescholten“ beanstanden. Wir glauben die Berechtigung unseres Standpunktes durch nichts klarer erhellen zu können, als wenn wir die Verteidigung anführen, die das Reichsgericht diesem Begriff „unbescholten“ gegeben hat. In einer hierauf bezüglichen Entscheidung (Bd. 37 S. 94 ff.) heißt es: „Es tritt beim § 182 der Zweck in den Vordergrund, innerhalb der gesteckten Grenzen die physische geschlechtliche Reinheit zu wahren und den Gefahren vorzubeugen, die durch die Preisgabe an den Mann mit dem Erwecken sinnlicher Begierden und Minderung der Widerstandsfähigkeit der Verführten hinsichtlich weiterer Wahrung ihrer Geschlechtsehre begründet sind. Ausgeschlossen von diesem Schutze sollen diejenigen Mädchen sein, denen die Unbescholtenheit in geschlechtlicher Hinsicht abgeht, zweifellos aus dem Grunde, weil gegenüber diesen Personen der gekennzeichnete Zweck des Gesetzes zessiert und sie seines Schutzes nicht mehr bedürftig oder würdig angesehen sind. Seine Hilfe angedeihen lassen kann der Staat nur denjenigen Mädchen, bei denen selbst der Wille vorhanden oder vorauszusetzen ist, ihre geschlechtliche Reinheit zu wahren.“ Der Staat fühlt sich also verpflichtet, das unbescholtene Mädchen unter 16 Jahren durch eine kriminelle Strafandrohung vor der verbrecherischen Annäherung eines Verführers zu schützen, weil er das Mädchen noch nicht für fähig hält, selbst für sich einzustehen. Erweist sich aber dieser staatliche Schutz als unzulänglich, hat ein Mädchen wirklich einmal geschlechtlich verkehrt, also einer ersten Versuchung nicht genügenden Widerstand entgegengesetzt, dann soll es vor einer zweiten Verführung nicht geschützt, soll einem gewissenlosen Wüstling, der die Sachlage auszunützen versteht, ausliefert (18) werden? Das erscheint uns nicht einleuchtend, nicht human gedacht.
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Unsere zweite Forderung zu diesem Paragraphen, daß die Strafandrohung auf unsittliche Handlungen ausgedehnt werde, falls im § 176 Ziff. 3 das Schutzalter nicht auf 16 Jahre erhöht würde, hätte zur Folge, daß wenigstens das schutzbedürftigere weibliche Geschlecht bis zum 16. Jahre auch gegen unzüchtige Handlungen im allgemeinen stärker geschützt wäre als bis jetzt. 7. Der Bund deutscher Frauenvereine bittet des weiteren, es mögen die §§ 180 und 181 abgeändert werden. § 180 lautet: „Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft, auch kann zugleich auf Geldstrafe von 150 – 600 Mark, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe bis auf einen Tag ermäßigt werden“, und § 181 lautet: „Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn 1) um der Unzucht Vorschub zu leisten hinterlistige Kunstgriffe angewendet werden, oder 2) der Schuldige zu der verkuppelten Person in dem Verhältnisse des Ehemanns zur Ehefrau, von Eltern zu Kindern, von Vormündern zu Pflegepersonen, von Geistlichen, Leh-(19)rern oder Erziehern zu den von ihnen unterrichteten oder zu erziehenden Personen steht.“ Statt dieser Fassung beantragen wir eine von dem Geist des Artikels 131 des Entwurfs zum Schweizerischen Strafgesetzbuch durchgedrungene Fassung, unter Vorbehalt des von den Juristen zu prüfenden Strafmaßes, und mit ausdrücklicher Betonung, daß das in dem angeführten Artikel enthaltene Wort „unbescholten“ ersetzt werden müsse durch: „Stand die Person der Prostitution fern“ und daß dem hinzugefügt werde: „aber stand sie noch im Schutzalter.“ Der Artikel lautet: „§ 1: Wer eine weibliche Person zur Unzucht mit anderen anwirbt oder verhandelt, oder anzuwerben oder zu verhandeln sucht, wer wissentlich an Veranstaltungen mitwirkt, die darauf gerichtet sind, weibliche Personen andern zur Unzucht zu überliefern, wird mit Zuchthaus bestraft. § 2: Die Strafe ist Zuchthaus nicht unter fünf Jahren: wenn die weibliche Person minderjährig ist, wenn sie die Ehefrau, die Tochter oder Enkelin des Täters ist, oder wenn sie ihm zur Pflege, zur Obhut oder Aufsicht anvertraut ist, wenn sie der Täter einem Bordell zu überliefern suchte, wenn sie im Ausland der Unzucht überliefert werden sollte, wenn der Täter List, Gewalt oder Drohung gegen eine Person angewendet hat.
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War die Person unbescholten (nach unserem Vorschlage: Stand die Person der Prostitution fern oder stand sie noch im Schutzalter), und war sie der Unzucht mit anderen über-(20)liefert worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter 10 Jahren oder auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen. § 3: Mit der Freiheitsstrafe kann Geldstrafe bis zu 10000 Mark verbunden werden.“ Begründung: a) Durch die Umänderung des § 180 im Sinne des zitierten Artikels würde erreicht, daß jede Art von Bordellbetrieb, auch dessen gewerbsmäßige Versorgung mit Menschenware, unter strenge Strafe gestellt würde; daß aber andererseits das bloße Vermieten an Prostituierte ohne Eigennutz und Ausbeutung straffrei bliebe, während die heutigen Kuppeleiparagraphen es umgekehrt mit sich bringen, daß Vermieten – ohne Gewinnsucht – an Prostituierte bestraft wird, Bordelle aber bestehen. Weil nämlich der Staat der Prostitution nicht entraten zu können meint, durch diesen Paragraphen aber das Wohnen der Prostituierten in Privathäusern erschwert ist, ignoriert er sein eigenes Gebot und duldet Bordelle, aus deren Ertrage er sogar selbst Gewinn durch Steuern zieht. Gegen diese Bordelle müssen wir schwerwiegende Bedenken sittlicher, sozialer und hygienischer Art geltend machen. Vor allem werden durch die Tatsache, daß sie in einem solchen Hause waren, die Mädchen für immer auf dieser Bahn festgehalten, indem sie zu ihren gewissenlosen, habgierigen Wirten in ein drückendes Schuld- und Abhängigkeitsverhältnis geraten, welches ihnen jede Möglichkeit zur Rückkehr in ein ehrbares Leben abschneidet. Sind die Mädchen physisch zugrunde gerichtet, so werden sie von ihren Wirten in Häuser niederen Ranges verkuppelt und schließlich – aller Existenzmittel entblößt – auf die Straße gesetzt. Auf diese Weise fördert das Bordell die geheime Winkelprostitution, da diese immer neue Zufuhr aus den Bordellen (21) erhält, denn die physisch und moralisch degenerierten entlassenen Insassen der Bordelle sind naturgemäß unfähig zur Arbeit, und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihr bisheriges Leben im geheimen fortzusetzen. Da die Bordelle nicht bestehen können ohne die verbrecherische Tätigkeit von Kupplern und Agenten, welche beständig für „neue Ware“ sorgen müssen, so ist das Bordellwesen die Quelle ausgedehnten Mädchenhandels, der mit Recht als ein Schandfleck unserer Kultur betrachtet wird. Der Kampf gegen den Mädchenhandel aber wird und muß solange erfolglos bleiben, als man nicht seinen Markt, die Bordelle, beseitigt. Der einzige Faktor, der auch von wohlmeinenden und sittlich empfindlichen Menschen zugunsten der Bordelle angeführt worden ist, basiert auf der irrtümlichen Annahme, daß durch die Kasernierung das Laster der heranwachsenden Jugend ferngerückt und verborgen bleiben könnte. Dies ist aber keineswegs der Fall. Die Bordellstraßen sind nicht so hermetisch verschlossen, daß die unreife Jugend nicht hineindringen könne. Geschäftsleute schicken ihre Laufmädchen und Laufburschen zu den Prostituierten, Wäscherinnen, Friseurinnen und ähnliche Gewerbetreibende gehen ein und aus, und das verlockend geheimnisvolle, das sich um diese Straßen webt, die abendlichen Exzesse, zu denen es häufig kommt, reizen die Phantasie der Jugend mehr als alles andere. Wir wollen damit den Schaden des freien Herumwohnens der Prostituierten in den Privathäusern durchaus nicht verkleinern. Wir sind uns insbesondere über die verhängnisvolle Wirkung des Woh-
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nens von Prostituierten in Häusern, in denen sich heranwachsende Kinder befinden, ganz klar, zugleich aber auch der Überzeugung, daß die Jugend nur im Wege der sozialen Reformtätigkeit vor der Verführung mit dem Laster geschützt werden kann. Keinesfalls ist die Kasernierung ein Mittel, diesem Übelstande abzuhelfen, (22) oder ihn auch nur zu verhindern, da die aus Bordellen Entlassenen, wie wir angeführt, der Winkelprostitution anheim fallen, und gerade wegen des § 180 am ehesten in solchen Häusern Aufnahme finden, wo die Not, die vor allem in kinderreichen Familien herrscht, diese zwingt, um eine hohe Risikoprämie den Konflikt mit Polizei und Gesetz zu wagen. Damit kommen wir zur zweiten Seite unserer Forderung: daß nämlich das bloße Vermieten an Prostituierte ohne Eigennutz und Ausbeutung straffrei bleibe. Auf Grund des § 180 sieht der Staat – laut reichsgerichtlichen Richtlinien – schon das Vermieten von Zimmern an Prostituierte als eigennützige, strafbare Kuppelei an, sofern nur ein Teil des Mietpreises das Äquivalent für die Überlassung der Räume zu Unzuchtszwecken bildet (Entscheidungen in Strafsachen Bd. 25 S. 143 Urteil vom 15. Januar 1894), d.h. also, wenn der Vermieter sich etwas dafür schadlos hält, daß er seine Wohnung gerade einer Prostituierten überläßt, was doch nur selbstverständlich ist. Die Folge davon ist, daß, wer sich dazu entschließt, an eine Prostituierte zu vermieten, sich diesen Entschluß, der ihn teuer zu stehen kommen kann, sehr hoch bezahlen läßt, wodurch die Mieterin gezwungen wird, ihr Gewerbe besonders intensiv zu betreiben, da sie sonst ihren Mietschilling nicht aufbringen kann. Wenn wir nun fordern – und durch einen Paragraphen im Sinne des zitierten Artikels würde das erreicht –, daß selbst das gewohnheitsmäßige Vermieten an Prostituierte, wenn es ohne Ausbeutung geschieht, straffrei bliebe, so tun wir dies im Interesse der alleinstehenden weiblichen Bevölkerung, der es ungemein erschwert wird, Wohnung zu finden, weil anständige Hauswirte sich vielfach sträuben, alleinstehende Frauen wegen der eventuell damit zusammenhängenden, im § 180 begründeten Scherereien aufzunehmen, zugleich aber auch im Interesse des Hausbesitzers, über dessen Haupt jetzt andauernd (23) das Damoklesschwert des Kuppeleiparagraphen schwebt. Wir fordern es überdies im Interesse des Ansehens des Gesetzes. Jetzt ist die Polizei geradezu zur Duldung von Gesetzesübertretungen gezwungen. Sie kennt zum großen Teil die Wirte der Prostituierten; sie müßte eigentlich jeden dieser Wirte wegen Kuppelei anzeigen und schließlich alle Prostituierten obdachlos machen. Diese alle aber in Besserungsanstalten unterzubringen, wäre einfach unmöglich. Überdies trägt dieser Mißstand die Gefahr der Beamtenbestechung in sich; der Wirt, der sich ganz in der Hand eines niederen Polizeibeamten weiß, wird versuchen, sich dessen Gunst auf die eine oder andere Weise zu erkaufen, und daß ihm dies häufig gelingt, beweisen Gerichtsverhandlungen, wie sie wiederholt von der Presse besprochen worden sind. Die Ersetzung des § 180 durch einen im Sinne des zitierten Artikels abgefaßten Paragraphen würde die hier dargelegten Uebelstände des heutigen Gesetzes abstellen. b) Unsere Bitte um Einführung eines Gesetzes im Sinne des Artikels 131 des Entwurfs zum Schweizerischen Strafgesetzbuch statt der §§ 180 und 181 bezweckt ferner einen gesteigerten Schutz der weiblichen Personen dagegen, daß sie zur Unzucht mit anderen angeworben oder verhandelt werden und im Ausland der Unzucht überliefert zu werden. Denn nach den heute bestehenden Gesetzen (§ 48
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des Auswanderungsgesetzes) kann nur der bestraft werden, welcher „mittelst arglistiger Verschweigung dieses Zwecks“ zur Auswanderung verleitet, während es uns darum zu tun ist, daß auch im Falle der Einwilligung die Verleitung zur Auswanderung zum Zwecke der Unzucht bestraft werde. Diese Erweiterung erschient voll gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß die verkuppelte Person, auch wenn ihr der Zweck ihrer Auswanderung offenbart wird, doch immer noch einem Betrug verfällt: Das Opfer vermag mit seiner geringen Welt-(24)kenntnis selbst dann in der Regel noch nicht annähernd die Tragweite seines Tuns, besonders die schwere Gefahr für Leben und Gesundheit, zu überstehen, die dem Kuppler stets in vollem Umfange bekannt ist. Um so mehr muß man die Notwendigkeit unserer Forderung zugeben wenn man bedenkt, daß sich die Mädchenhändler mit Vorliebe an sehr junge Mädchen heranmachen. Diese sind aber nach der heutigen Strafgesetzgebung nur bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres (§ 182) geschützt, und von da ab bis zur Volljährigkeit nur insoweit, als es sich um ein direktes Entführen handelt (§ 237). Wenn nun, ohne daß etwa von seiten des Kupplers selbst irgendwelche Reiseveranstaltungen und -vorbereitungen gemacht werden, das 16- oder 17jährige Mädchen von ihm nur durch Überredung dazu gebracht wird – unter der Vorspiegelung etwa, welch schöner Zukunft sie entgegengehe – sich zum Zwecke der gewerbsmäßigen Unzucht ins Ausland zu begeben, so kann heute dem Kuppler mit keinem Paragraphen zuleibe gegangen werden. Wir bitten, diese Erwägungen einer geneigten Berücksichtigung zu unterziehen. c) Die Bestimmung des zitierten Artikels (§ 2), wonach weibliche Personen, wenn sie minderjährig sind, eines erhöhten Schutzes bedürftig sind, erscheint uns in so einleuchtender Weise nachahmenswert, daß wir von einer ausführlichen Begründung unserer Forderung, daß diese Bestimmung auch in unser zukünftiges Strafrecht aufgenommen werde, meinen absehen zu können. d) Unsere Bitte, es möge künftig eine erhöhte Strafandrohung sich gegen den Kuppler richten, der im Schutzalter befindliche Personen verkuppelt, erscheint uns deswegen berücksichtigenswert, weil der Ausdruck „unbescholten“ und selbst die von uns statt dessen geforderte Bezeichnung „der Prostitution fernstehend“ nicht notwendigerweise alle im (25) Schutzalter befindlichen deckt, und es uns gerechtfertigt erscheint, diesen einen erhöhten Schutz zukommen zu lassen. 8. Ferner bittet der Bund deutscher Frauenvereine, um Abschaffung des § 361 Ziff. 6 StGB. Der erste Satz des § 361 Ziff. 6, welcher lautet: (Mit Haft wird bestraft): „eine Weibsperson wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt“, bildet die rechtliche Grundlage, auf der die Reglementierung der Prostitution beruht. Diese zum Schutze der Volksgesundheit erlassene Maßregel hat sich jedoch als vollkommen wirkungslos, nach Ansicht mancher Fachmänner sogar als direkt schädlich erwiesen. Dies legen die Forderungen der Internationalen Abolitionistischen Föderation wie der Verhandlungen der „Société internationale de Prophylaxie pour la Syphilis et les Maladies Vénériennes“ auf
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den internationalen Konferenzen zu Brüssel im Jahre 1899 und 1901 in unanfechtbarer Weise dar. Auf Grund des § 361 Ziff. 6 ein reformiertes Reglementierungssystem einzuführen, würde unserer Überzeugung nach eine verfehlte Maßregel sein, denn jede Reglementierung müßte ihrer Natur nach, dieselben Mißstände zeitigen und sich in der Praxis als ebenso unhaltbar erweisen, wie das bisherige System, sowohl in juristischer, sanitärer und sozialer Hinsicht, wie auch vom Standpunkt der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit. (26) Die Reglementierung der Prostitution ist unhaltbar: 1. vom juristischen Standpunkt aus, denn sie stellt einen ungerechtfertigten Eingriff in die bürgerliche Freiheit dar; und sie ist ungerecht, indem sie mit den Konsequenzen einer gemeinsam begangene Handlung nur den einen Teil, die Frau, trifft. 2. vom sanitären Standpunkt aus: Die Überwachung ist wertlos, a) weil sie die Männer, die zahlreichen geheimen Prostituierten und die in gesundheitlicher Beziehung besonders gefährlichen Anfängerinnen der Prostitution nicht treffen kann. Die Polizei befindet sich in der eigentümlichen Lage: je gewissenhafter, humaner und langmütiger sie mit der Einschreibung vorgeht, je mehr sie von diesen Anfängerinnen frei läßt, um so mehr verliert die Kontrolle der übrigen an Bedeutung; je strenger sie aber vorgeht, desto größer wird, das lehrt die Erfahrung, namentlich in großen Städten, die Zahl derjenigen, die sich der Kontrolle entziehen. b) weil die Kontrolle auch bei den Überwachten nur einen Teil der Erkrankungen aufdeckt. c) weil von den Behandelten nur ein Teil geheilt, die meisten ungeheilt oder doch mit der Neigung zu häufigen Rückfällen entlassen werden. Ein wirksamer Schutz, im Gegensatz zu dem unwirksamen der Reglementierung, wäre, die Möglichkeit zu schaffen, die venerischen Krankheiten der allersorgfältigsten Behandlung zu unterziehen, womöglich für die mittellose Bevölkerung unentgeltlich, womit z.B. in Italien und Dänemark schon ein Anfang gemacht worden ist. 3. vom sozialen Standpunkt aus. Es widerspricht dem modernen sozialen Empfinden, von Staats wegen Menschen als ein Ablenkungsobjekt zur Befriedigung für die Begierden (27) anderer hinzustellen, sie zu Wesen zweiten Grades zu stempeln. Die eingeschriebene Prostituierte ist aber derartig in ihrer Freiheit beschränkt, die Kontrolle bedeutet eine so schwere Verletzung der Menschenwürde, daß sie in ihren Wirkungen schlimmer ist, als die Sklaverei vergangener Zeiten. 4. vom Standpunkt der öffentlichen Ordnung aus. Während die geheime Prostituierte ängstlich ihre Gewerbe zu verdecken sucht, ist dies für die Reglementierte überflüssig; sie zieht in auffallender Weise durch die Straßen und stellt vielfach schon durch ihr Erscheinen eine Provokation dar, da der Zustand tiefster sittlicher Degeneration, den die Reglementierung schafft, sich in Kleidung, Gang, Blick, Sprache, usw. ausdrückt. 5. vom sittlichen Standpunkt aus.
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Es muß das sittliche Gewissen des Volkes verwirren, wenn die Unsittlichkeit, bei Berücksichtigung gewisser Vorschriften, als ein vom Staate anerkanntes „Gewerbe“ betrachtet wird. Nicht anzuerkennen vermögen wir endlich den Einwand, daß der Staat die Reglementierung brauche, weil er durch sie sicherer die „Schlupfwinkel gewerbsmäßiger Unzucht“ kenne, in denen erfahrungsgemäß Verbrecher sich aufzuhalten und zu verbergen pflegen, und in denen er zu jeder beliebigen Zeit das Recht hat, Hausdurchsuchungen vorzunehmen. (§ 104 Abs. 2 StPO.). Dieser Einwand ist darum nicht stichhaltig, weil es nicht berechtigt ist, von der eingeschriebenen Prostituierten von vornherein vorauszusetzen, daß sie mit dem Verbrechertum paktiere. Er ist es aber auch deswegen nicht, weil es ja neben der eingeschriebenen Prostituierten, die sie an Zahl bei weitem übertreffende Winkelprostitution gibt, so daß hier dasselbe vom kriminalpolizeilichen Standpunkt gilt, was vom sanitären Standpunkt schon zu sagen war: daß die Überwachung der (28) Prostituierten wertlos ist, weil sie nur einen Teil der Prostituierten trifft. Zu England und Norwegen, in der Schweiz und Italien ist die Reglementierung aufgehoben. Zu Frankreich sehen wir eine kräftige Bewegung in gleicher Richtung, die vielleicht in nicht allzulanger Zeit auch dort, in dem Mutterlande der Reglementierung mit der Abschaffung endigen wird. Möge sich die Gesetzgebung auch in Deutschland die Unwirksamkeit des herrschenden Systems, seine Irrtümer, Mängel und Härten vor Augen halten! Auch der zweite Satz von § 361 Ziff. 6, welcher lautet: „oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt, ist zu streichen. Das soziale Übel der Prostitution direkt, d. h. durch Bestrafung der Prostitution, bekämpfen zu wollen, muß wieder zu Ungerechtigkeiten führen, weil die Strafe immer nur das Weib trifft, während der Mann, der gewiß in vielen Fällen der schuldigere Teil, in allen Fällen aber der Mitschuldige ist, unbestraft bleibt. Der Staat kann sich aber nicht auf den Standpunkt stellen, daß die einseitige Bestrafung der Frau gerechtfertigt sei, weil nur das Weib ein „Gewerbe“ aus der Unzucht mache. Diese Anschauung, die in der Prostitution eine isolierte Erscheinung erblickt, deren Folgen auf ihre Trägerinnen allein zurückfallen müssen, verkennt völlig den Zusammenhang, mit unserer gesamten Gesellschaftsorganisation und Kulturentwicklung und vergißt – was die Geschichte jeden Einsichtigen lehrt – daß die Prostitution in erster Linie durch die Nachfrage seitens des Mannes hervorgerufen wird, und daß häufig die soziale Not die Frauen zwingt, dieser Nachfrage mit dem entsprechenden Angebot entgegen zu kommen. Die ungeheure Ungerechtigkeit, welche die Folgen eines zu zweien begangenen Aktes allein am Weibe heimsucht, (29) würde also auch nach dem Fallen der Reglementierung – durch die strafrechtliche Verfolgung der Prostitution bestehen bleiben. Abgesehen von dieser Ungerechtigkeit, wäre es aber praktisch auch unausführbar, jährlich in Deutschland ca. 20000 Prostituierte in Zwangsanstalten zu internieren, und selbst wenn dies gelänge, würde die Nachfrage sehr bald ein ebenso großes Ersatzheer von Prostituierten geschaffen haben. Man würde sich also durch eine derartige Maßregel im Kreise bewegen. Der Staat und der Gesetzgeber müssen sich deshalb auf den Standpunkt stellen, daß das große soziale Übel der Prostitution, mit seinen furchtbaren Begleit- und Folgeerscheinungen der sittlichen und
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physischen Volksverseuchung, nur in seinen Ursachen durch soziale Reformen zu bekämpfen und einzudämmen ist. (30) II. 1. Wir bitten ferner um die Abänderung des § 300. Dieser lautet: „Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ärzte, Wundärzte, Hebammen, Apotheker sowie die Gehilfen dieser Personen werden, wenn sie unbefugt Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft.“ Dieser Paragraph kann zur Folge haben, daß der Arzt eines Syphilitischen oder Tuberkulosen sich nicht für berechtigt erachtet, ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis, dem Mädchen, mit dem dieser sich verlobt hat, oder zu den Eltern der Braut über den Zustand des Bräutigams etwas zu sagen und das Mädchen dadurch ahnungslos die verhängnisvolle Verbindung eingeht, selbst dem Siechtum verfällt und kranke Kinder zur Welt bringt. Selbstverständlich kann der Paragraph nicht einfach gestrichen werden. Er verhütet das wirklich unbefugte Reden. Auch ist anzunehmen, daß ohne ihn der Arzt nur selten in geschlechtlichen Krankheiten konsultiert würde. Aber es könnte ganz gut ein jeden Zweifel ausschließender Zusatz gemacht werden: „Die Offenbarung ist straflos, wenn sie erfolgt, um andere vor Schaden an Leben oder Gesundheit zu bewahren.“ Die Folge dieser Umänderung würde uns aber noch nicht genügen. Das Wegfallen einer Strafbestimmung scheint (31) uns noch keine hinreichende Gewähr dafür zu sein, daß auf berechtigte Fragen der Arzt berechtigterweise antwortet: wir bitten daher um Aufnahme einer Bestimmung, mit der eine wissentlich falsche Auskunft des Arztes bestraft wird, dem von uns geforderten Zusatz noch etwa den folgen zu lassen: „wissentlich falsche Auskunft wenn dadurch Leben oder Gesundheit gefährdet wird, wird mit…..bestraft. 2. Wir bitten um Neuschaffung einer Schutzbestimmung gegen venerische Ansteckung und beantragen folgende Fassung:110 § …. „Wer wissend, daß er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, durch Geschlechtsverkehr oder andere körperliche Berührung (z. B. im Ammenund Hebammenwesen) seine Krankheit auf eine andere Person überträgt, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Handelt es sich um Ansteckung einer Minderjährigen durch sexuelle Handlungen von seiten ihres Vaters oder gesetzlichen Vertreters, so ist das Delikt ein öffentliches. Minderjährige über 14 Jahre können, falls ihr gesetzlicher Vertreter verlangt, die Verfolgung selbst beantragen.“
110 Anmerkung der Verfasserin: Nachstehende Forderung des Bundes deutscher Frauen-
vereine, die zu begründen ich nicht hätte übernehmen können, hat Frau Katharina Scheven behandelt.
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Begründung. Die Entwicklung des Rechtsbewußtseins und der Strafgesetzgebung drängen in den europäischen Kulturländern immer mehr darauf hin, einen ausreichenden gesetzlichen Schutz gegen Gesundheitsschädigungen durch Geschlechtskranke zu schaffen. (32) Aus dieser Auffassung sind die letzten Entwürfe111, welche dem Reichstag vorgelegen haben, hervorgegangen, sowie das dem Frankfurter Kongreß zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im März 1908 vorgelegte Gutachten112 des Herrn Professor von Liszt. Beide Entwürfe fordern, daß das Delikt von Amts wegen zu verfolgen sein müsse. Doch während der Entwurf der Reichstagskommission nur den außerehelichen Beischlaf ins Auge faßt, tritt der von Liszt’sche Entwurf im 2. Absatz auch für die Bestrafung der Gesundheitsgefährdung in der Ehe ein und stempelt dieses Vergehen zu einem Antragsdelikt. Dieser Auffassung gegenüber hat der Bund schwere Bedenken geltend zu machen. Er steht auf einem prinzipiell anderen Standpunkt, der am besten durch folgende kurze Forderung zum Ausdruck gelangen dürfte: „Wer wissend, daß er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet, durch Geschlechtsverkehr oder andere körperliche Berührung (z.B. im Ammenoder Hebammenwesen) seine Krankheit auf eine andere Person überträgt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein“. Der Bund deutscher Frauenvereine stellt sich allerdings mit dieser Anschauung auf den Boden wie es durch die Körperverletzungsparagraphen in der Praxis gewährleistet ist, obgleich er zugeben muß, daß dieser Paragraph im Vergleich zu der ungeheuren Anzahl von zweifellos wissentlichen Infektionen nur in einer verschwindend geringen Anzahl von Fällen in Anspruch genommen worden ist. Es ist aber u. E. doch noch ein gewaltiger Unterschied, ob die venerische Ansteckung als anerkanntes Delikt im Strafgesetzbuch figuriert, oder ob der Richter zu ihrer strafrechtlichen Erfassung seine Zuflucht zu einem anderen Paragraphen, der für ein ganz anderes Delikt normiert worden ist, nehmen muß. Es empfiehlt sich ferner wegen der Unkenntnis des großen Publikums hinsichtlich dieser richterlichen Praxis die venerische Ansteckung als strafbare Handlung speziell zu kennzeichnen. Selbstverständlich würden damit nicht die Schwierigkeiten, welche einer Wirkung des Gesetzes auf praktischem Gebiete entgegenstehen, aus dem Wege geräumt: 1. Die Schwierigkeiten des juristischen und medizinischen Beweises, die bei der langen Inkubationszeit der Syphilis in manchen Fällen geradezu unübersteiglich sein würden, und 2. das Schamgefühl der Betroffenen, welches sie häufig von einer Klage Abstand nehmen lassen wird. 111 „Wer die Gesundheit einer Person dadurch gefährdet, daß er, wissend, daß er mit ei-
ner auftetenden Geschlechtskrankheit behaftet ist, außerehelich den Beischlaf ausübt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mir Geldstrafe bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark bestraft“. (Sten. Ber. Session 1897/1898. Anlageband III, S. 1762.) 112 „Wer wissend, daß er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidend, den Beischlaf ausübt, wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Ist die Handlung von einem Ehegatten gegen den anderen begangen, so tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein“.
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Obgleich diese Schwierigkeiten erheblich verringert würden, wenn das Delikt ein öffentliches, und die bloße Tatsache des Geschlechtsverkehrs während vorhandener Erkrankung schon als dolus gekennzeichnet würde, so kann der Bund deutscher Frauenvereine trotzdem nicht umhin, einer solchen Auffassung als zu den schwersten sozialen Bedenken Veranlassung gebend, grundsätzlich entgegenzutreten. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Mehrzahl der venerischen Ansteckungen im Prostitutionsverkehr erfolgt. Ist es nun heute für einen die Prostitution wahllos benützenden Mann sehr schwer, den Beweis dafür zu erbringen, daß ihn gerade dieses und nicht jenes Mädchen angesteckt hat, so würde er in (34) Zukunft dieses Beweises gar nicht mehr bedürfen. Er denunziert einfach eine Prostituierte, sie wird untersucht, höchst wahrscheinlich krank befunden und bestraft. Die Prostituierte wird durch dieses Gesetz mit gebundenen Händen der sie benützenden und denunzierenden Männerwelt und dem Strafgesetz ausgeliefert, selbst wenn von einer speziellen Strafverschärfung in bezug auf Gewerbsunzucht treibende Frauen Abstand genommen wird. Ihr selbst wird der Schutz des Gesetzes der Männerwelt gegenüber jedoch nur sehr selten zu statten kommen. Sie kennt ihre Klienten nicht, und da sie in ihrer traurigen Lage auf deren Gunst angewiesen ist, muß ihr schon die Klugheit verbieten, rigorose Maßregeln gegen sie anzustrengen. Es liegt somit in der Natur der Sache, daß das Gesetz seine schärfste Spitze gegen sie richten würde. Sie kann bei ihrem Lebenswandel nicht gesund bleiben. Es wird von allen modernen Prostitutionshygienikern zugestanden, daß erfahrungsgemäß 100 % der Prostituierten Gonorrhoe, 30–40 % Syphilis durchmachen. 40–50 % gonorrhoisch. Mit dieser Tatsache rechnen ja auch die mit der sanitären Aufsicht der Prostituierten betrauten Ärzte, indem sie alle chronisch gonorrhoischen und latent syphilitischen grundsätzlich im „Betriebe“ lassen. Die Einführung des in Frage stehenden Gesetzes müsste eigentlich logischerweise die Abschaffung der Reglementierung der Prostitution zur Voraussetzung haben, was ja auch bei Norwegen, wo ähnliche Gesetzesbestimmungen in Kraft sind, zutrifft. Solange diese Einrichtung bei uns besteht, sind wir aber genötigt, mit ihr zu rechnen. Unseres Erachtens würde das Zusammenwirken der Reglementierung und eines solchen Gesetzes geradezu unerträgliche Zustände und Widersinnigkeiten ergeben. Man muß auch bedenken, daß unter der Herrschaft eines solchen Gesetzes kein Arzt mehr die Verantwortung auf sich nehmen könnte, einer Prostituierten ein Gesundheitsattest auszustellen, oder auch nur die-(35)selbe mit stillschweigender Erlaubnis, als zu ihrem Gewerbe geeignet, zu entlassen. Eine Prostituierte, die die Syphilis erworben hat, stände 3–5 Jahre unter dem Damoklesschwertes des Gesetzes. Und nun erst die Scharen, die nach hunderttausenden zählenden erkrankten Männer, die sich erfahrungsgemäß nur zum geringen Teil während der ganzen Dauer ihrer Krankheitsperiode vom Geschlechtsverkehr enthalten. Es ist nicht auszudenken, wohin es führen würde, wenn von Amts wegen auf jede Anzeige hin ein gerichtliches Strafverfahren wegen dieser Vorgänge eingeleitet werden könnte. Wir müßten entweder die Zahl der Richter verzehnfachen und riesige Gefängnishospitäler bauen – denn die Delinquenten, die doch in erste Linie krank sind, müßten ja ärztlich behandelt werden oder was wahrscheinlicher ist, das Gesetz würde, weil es zuviel fordert, gar nichts erreichen und auf dem Papier stehen bleiben.
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Es ist hier an dieser Stelle auch zu bedenken, daß der Geschlechtsverkehr Venerischer nicht unter allen Umständen zu einer Infektion führt. Ein solches Gesetz zieht aber diese bei der allgemeinen Sachlage sehr stark ins Gewicht fallende Tatsache gar nicht in Betracht. Es ist bei der Behandlung des in Frage stehenden Deliktes auch zu beachten, daß der geschädigte Teil durch eine Aufdeckung des an ihm begangenen Deliktes, eventuell noch schwerer geschädigt werden kann, als wenn er das ihm zugefügte Unrecht in Stille trägt. Es spielen hier so viele Imponderabilien, vor allen Dingen ein sehr berechtigtes und sozial wertvolles Schamgefühl hinein. Deshalb muß u. E. die Initiative in bezug auf die Erhebung einer Klage dem geschädigten Teil oder, falls er minderjährig ist, dessen gesetzlichem Vertreter überlassen bleiben, wie dies auch gegenwärtig bei einfacher Körperverletzung, die ohne Vorbehalt und ohne Waffen ausgeführt wird, der Fall ist. Diese Bestimmung erscheint uns auch unerläßlich im Hin-(36)blick auf die Tatsache, daß die weitaus größte Zahl venerischer Infektionen im Prostitutionsverkehr erfolgt. Es kann u. E. nicht Aufgabe der Justiz sein, diese Vorkommnisse, bei denen in den meisten Fällen gar keine Rechtskränkung vorliegt, weil der Geschädigte die ihm drohende Gefahr sehr wohl kannte, zum Gegenstand amtlichen Einschreitens zu machen. Es ist allerdings wohl anzunehmen, daß, wenn unsere Vorschläge Gesetz würden, derartige Strafanträge nach wie vor die Gerichte nicht allzu häufig beschäftigen würden. Bei der lebhaften Propaganda, welche von der Frauenbewegung hinsichtlich der Schulung der Frau im Gebrauche der ihr zu Gebote stehenden Rechtsmittel und hinsichtlich der sexuellen Aufklärung geleistet wird, werden sie aber zweifellos immer häufiger werden, und es ist anzunehmen, daß in solche Fällen, in denen stets der geschädigte Teil mit seiner Persönlichkeit für die Klage eintreten muß, auch wirklich Vorkommnisse getroffen werden, wo das soziale Empfinden und das allgemeine Rechtsgefühl eine rechtliche Sühne des Geschehenen als einen notwendigen und wohltätigen Ausgleich fordert. 3. Der Bund deutscher Frauenvereine bittet ferner, daß der § 51: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war“ Zusätze erhalte, wodurch selbstverschuldete Trunkenheit weder einen Strafausschließungs- noch einen Strafmilderungsgrund bilden würde. Wir schließen von der Selbstverschuldung nicht nur die Fälle aus, in denen der Trunkene durch den Willen eines anderen in den Zustand der Trunkenheit versetzt worden ist, (37) sondern auch die, in denen es sich um chronische, degenerierte Alkoholiker handelt. Wir wissen nicht, ob die heute von manchen Seiten erhobene Forderung nach Einführung einer besonderen Kategorie von vermindert Zurechnungsfähigen in das künftige Strafgesetzbuch erfüllt werden wird. Nach dieser Forderung wären auch die durch chronischen Alkoholismus geistig Defekten gleich anderen vermindert Zurechnungsfähigen einer besonderen Beurteilung zu unterwerfen und zwar so, daß sie bei begangenen Delikten nicht zu einer verminderten Strafe zu verurteilen, sondern einer ihrem Zustande angepaßten Behandlung zu unterwerfen wären. Wir wiederholen es, wir können die Aussicht auf Ver-
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wirklichung jener Forderung, der wir voll zustimmen, nicht prüfen und im Rahmen der Aufgabe, wie wir sie uns eingangs gestellt haben, auch nicht des näheren auf sie eingehen. Wir können nur sagen, daß, falls jene Forderung der Schaffung einer Kategorie von vermindert Zurechnungsfähigen erfüllt würde, dies in keiner Weise mit der von uns selbst erhobenen Forderung in Widerspruch treten würde. Denn uns beschäftigen nur die Fälle, in denen ein Gesunder sich, ohne dazu durch einen Dritten gezwungen zu werden, berauscht hat. Da können sich folgende Fälle ergeben: 1. Volltrunkenheit, die der Täter absichtlich herbeigeführt hat, um ein Delikt zu begehen, die sog. actio libera in causa, wobei es sich wohl nur um Unterlassungen handeln kann (der Bahnwärter z.B., der sich berauscht, um nicht eine bestimmte Sicherheitsmaßregel zu treffen). Weil diese Volltrunkenheit schon heute nicht als strafausschließend oder mildernd wirkt, haben wir hierzu nichts zu bemerken. 2. Halbtrunkenheit, bei der der Täter berauscht ist, ohne volltrunken zu sein und in die er sich versetzt hat, um Mut zu einer Handlung zu gewinnen; diese sollte mit der höchsten (38) Strafe der vorsätzlichen Herbeiführung des Erfolges belegt werden. 3. Nicht zum Zwecke des Delikts verursachte Volltrunkenheit, in der ein Delikt begangen wird; hier wäre der Täter mit der Strafe der fahrlässigen Herbeiführung des Erfolges zu belegen. Es müßten daher auch Delikte, die de lege lata nur mit Strafe bedroht sind, wenn sie vorsätzlich begangen werden, für den Fall der Volltrunkenheit des Täters mit einer besonderen Strafe bedroht werden. Vorbildlich für diese Bitte ist das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 827 2. Satz), worin das Verschuldensprinzip auch im Falle der Volltrunkenheit ausgesprochen ist – „hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen Zustand dieser Art (den der Volltrunkenheit) versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.“ 4. Halbtrunkenheit, nicht zum Zwecke des Deliktes verursachte, in der ein Delikt begangen wird, dürfte nicht strafmildernd wirken, wenn der Täter wissen mußte, daß er in der Trunkenheit zu strafbaren Handlungen neige. Der Bund deutscher Frauenvereine stellt obige Forderungen in erster Linie deswegen, weil es sich bei Trunkenheitsdelikten sehr oft um Delikte gegen Frauen und Kinder handelt; überdies aber auch weil er durch diese Forderungen dem übermäßigen Alkoholgenuß, unter dem als solchem schon besonders die Frauen zu leiden haben entgegenarbeiten will. Stellt doch der § 51 in seiner jetzigen Gestalt der Trunkenheit einen Freibrief aus, wie dies die Verhandlungen der Schöffengerichte häufig beweisen. Wir wissen wohl, daß das Laster des Trinken durch die (39) hier vorgeschlagene Veränderung nicht verschwinden wird, daß kräftigere Maßregeln nötig wären, um das Uebel an der Wurzel zu packen, glauben aber andererseits, daß unser Vorschlag nicht gänzlich wirkungslos auch nach der von uns bezeichneten Richtung hin bliebe.
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4. Mit der Duellfrage hat sich der Bund deutscher Frauenvereine eingehend beschäftigt. Er würde – in den Grenzen, die er sich für seine Forderungen gesetzt hat – es aber nicht unternehmen können, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, wenn er nicht die Berechtigung hierzu aus dem Umstande ableitete, daß zu einem großen Prozentsatz als mittelbare und unmittelbare Veranlassung zu Duellen Frauen in Betracht kommen. Wir wissen wohl, daß die einzig wirksame Bekämpfung des Duells die Abschaffung der Duellzwanges in der Armee wäre, die in England so glänzende Resultate gezeigt hat. Aber so lange dies bei uns nicht erreicht wird, muß man sich an die Kleinmittel der Strafgesetzgebung halten, und so verlangen wir eine Verschärfung der für das Duell – §§ 201–210 – vorgesehenen Strafen. Wir wünschen insbesondere, daß, wo heute faktisch der Usus von Ehrengerichten besteht, dort, wo diese umgangen werden oder aber ihrem Gebote zuwider dennoch duelliert wird, statt auf Festungshaft auf Gefängnis erkannt werde. (40) III. 1. Wir bitten ferner, daß in dem revidierten Strafgesetzbuch der heutige § 195 keine Aufnahme finden möge. § 195 lautet: „Ist eine Ehefrau beleidigt worden, so hat sowohl sie als ihr Mann das Recht, auf Bestrafung anzutragen.“ Wir verlangen, daß der Frau das Recht gewährt werde, allein zu entscheiden, ob sie beleidigt worden ist oder nicht. Das heute in diesem Paragraphen enthaltene Recht des Ehemannes, eventuell gegen den Willen seiner Frau Bestrafung wegen Beleidigung zu beantragen, betrachten wir als ein Überbleibsel der früheren Gesetzgebung, welche die Frau unter die Vormundschaft ihres Mannes stellte. Es könnte uns entgegengehalten werden, daß wir damit eine wichtige Schutzbestimmung für die Frau fallen lassen, indem nach dem heutigen Gesetze die beleidigte Frau, die nicht selbst Klägerin ist, als Zeugin vernommen und vereidigt werden kann, was in den Fällen, wo der Eid das einzig mögliche Beweismittel ist von großer Bedeutung für sie sei. Darauf müßten wir erwidern, daß solche segensreiche Wirkungen sich auch für den Mann ergeben können, wenn er beleidigt worden ist, und ihm zur Offenbarmachung der Wahrheit nur der Eid bliebe; dann dürfte diese Wohltat, daß ein anderer als der Beleidigte selbst den Strafantrag stellen kann, auch dem Manne nicht vorenthalten werden, und im Namen der Gleichberechtigung beider Geschlechter müßten wir verlangen, daß künf-(41)tighin der Paragraph auch umgekehrt zu gelten hätte, daß also bei Beleidigungen gegen einen Ehemann, sowohl er als seine Ehefrau das Recht hätten, den Strafantrag zu stellen. 2. Ebenso wie bei Beleidigungen wollen wir bei leichter vorsätzlicher oder durch Fahrlässigkeit verursachter Verletzung des Körpers der Frau dem Ehemanne das Recht eingeräumt wissen, Strafantrag zu stellen und beantragen daher, daß der letzte Absatz von § 232 laute statt: „Die in den §§ 195, 196 und 198 enthaltenen Vorschriften auch hier Anwendung: „Die in den §§ 196 und 198 enthaltenen Vorschriften u. s. w.“
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3. Aus den im vorhergehenden dargelegten prinzipiellen Erwägungen folgt, daß wir auch hier die Abänderung von § 300 StrPO. fordern müssen. Dieser § lautet: „Der gesetzliche Vertreter eines Beschuldigten desgleichen der Ehemann einer beschuldigten Frau können binnen der für den Beschuldigten laufenden Frist selbständig von den zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch machen usw.“ Selbständig heißt: auch gegen den Willen und nach Verzicht der Beschuldigten; wir verlangen, daß in diesem § die Bestimmung, die sich auf den Ehemann bezieht, gestrichen werde. Die Berechtigung dieser Forderung wird übrigens auch dadurch bewiesen, daß der Entwurf zur StrPO. das Recht des Ehemanns zur selbständigen Einlegung von Rechtsmitteln gegen den Willen der Frau beseitigt und ihm in dieser Beziehung dem Verteidiger gleichgestellt hat. § 303 Entw. lautet: „Der Verteidiger gilt auch ohne ausdrückliche Ermäch-(42)tigung als befugt, für den Beschuldigten Rechtsmittel einzulegen. Das gleiche gilt vom Ehemann einer Beschuldigten. Wird die ausdrückliche Ermächtigung nicht nachgewiesen, so ist der Beschuldigte von der Einlegung des Rechtsmittels zu benachrichtigen, wenn er sich in Untersuchungshaft befindet. Ist der Beschuldigte abwesend, so gelten Angehörige ohne besondere Vollmacht zur Einlegung von Rechtsmitteln als ermächtigt.“ Die Motive (Entw. II S. 174) sagen hierzu deutlich: „Dies (das in Frage stehende Recht des Ehemanns) entspricht nicht der veränderten Stellung, die jetzt der Ehemann auf allen Rechtsgebieten zuteil geworden ist. Mit dieser ist es nicht vereinbar, daß der Mann in rein persönlichen Fragen als ihr Vormund auftritt und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren eingreift.“ (43) IV. 1a. Wir bitten ferner, daß der § 217 „Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter 3 Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis nicht unter 2 Jahren ein.“ die folgende Fassung erhalte: „Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft.“ Wir finden die heutige Strafandrohung zu hart. Muß man sich doch die Verzweiflung der unehelichen Mutter vor Augen halten, welche, von dem Vater des Kindes verlassen, der Notwendigkeit gegenüber steht, in Zukunft außer für sich selbst in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten noch für ein Kind sorgen zu müssen – eine Schwierigkeit, die so groß ist, daß sie viele uneheliche Mütter in den Tod treibt oder sie der Prostitution zuführt, und ihr Entsetzen auch davor bedenken, als Gebrandmarkte, wie die heutigen Moralvorstellungen in vielen Kreisen nun einmal sind, durchs Leben zu gehen. Ihre Tat erscheint so in einem Lichte, das größere Milde zur Pflicht macht.
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1b. Ebenso wichtig wie die eben besprochene Änderung erscheint es uns, daß nicht allein die uneheliche, der Verzweiflung überlassene Mutter, sondern auch die mittelbaren Urheber der Tat bestraft werden. In erster Linie denken wir dabei an den Vater (44) des Kindes, der danach, daß er die Mutter verlassen, und nicht, wie das Gesetz es verlangt, für den nötigen Unterhalt nach Kräften gesorgt hat, jene verzweiflungsvolle Tat mit herbeiführt. Unsere Auffassung kann sich auf Vorbilder in ausländischer Gesetzgebung berufen. Das finnische Gesetzbuch (§ 3, 22. Kapitel) bedroht mit Strafe den unehelichen Kindsvater, „wenn er mit Kenntnis von der Schwangerschaft und Notlage der Frau dieselbe ohne Unterstützung oder nötige Pflege läßt (und dadurch den Tod des Kindes verschuldet)“, und das norwegische Strafgesetzbuch sagt in § 240: „Mit Gefängnis bis zu 2 Jahren wird der Mann bestraft, der sich böswillig der Pflicht entzieht, einer von ihm außerehelich geschwängerten Frauensperson, die aus Anlaß der Schwangerschaft oder Niederkunft notwendige Hilfe zu leisten, wenn dies zur Folge hat, daß die Frauensperson in einen notleidenden oder hilflosen Zustand versetzt wird, in dem sie ein gegen das Leben des Kindes gerichtetes oder dasselbe einer Gefahr aussetzendes Verbrechen begeht“, und § 241 lautet: „Mit Gefängnis bis zu 3 Jahren wird der Mann bestraft, der, obwohl er weiß, daß eine von ihm außerehelich geschwängerte Frauensperson ein gegen das Leben … des Kindes gerichtetes oder dasselbe einer Gefahr aussetzende Verbrechen beabsichtigt, es unterläßt, Schritte zu unternehmen, durch die dem Verbrechen vorgebeugt werden könnte. Hat das Verbrechen den Tod des Kindes zur Folge gehabt, so kann Gefängnis bis zu 4 Jahren angewendet werden.“ Ähnliches wollen wir auch für unsere Gesetzgebung. Die im Zivilrecht gemachten Erfahrungen bei Heranziehung des unehelichen Vaters zur Alimentation zeigen freilich wie selten ein Erfolg ist. Die Auffindbarkeit des unehelichen Vaters, die da so häufig nicht gelingt, würde aber im Gebiete des Strafrechts, dem andere Hilfsmittel zur Verfügung stehen – steck-(45)briefliche Verfolgung, Fahndungsblätter usw. – wenn auch immer noch schwierig, so doch erheblich leichter sein. Auch könnte die Einrede des Angeschuldigten ausgeschaltet werden: es habe auch noch ein anderer während der Empfängniszeit der Mutter beigewohnt, welche Einrede heute den zivilrechtlichen Anspruch vernichtet, dessen Abschaffung übrigens im Bürgerlichen Gesetzbuch kein Ding der Unmöglichkeit wäre (existiert sie doch z.B. in Österreich nicht). Als eine strafrechtliche Analogie für die gewünschte Ausschaltung dieser befreienden Einrede verweisen wir auf § 227 StGB.: „Ist durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so ist jeder, welcher sich an der Schlägerei beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis bis zu 3 Jahren zu bestrafen.“ Ebenso wie es nur gerecht ist, daß hier jeder bestraft wir, obwohl der Erfolg der Körperverletzung oft nur durch eine Person verursacht wurde – gerecht deswegen, weil jeder der Teilnehmer den möglichen Erfolg seiner Handlung zu vertreten hat, so wäre es auch nur gerecht, wenn jeder, der in dem in Betracht kommenden Zeitraum mit einer Frau verkehrt hat, auch für die Folgen einer Schwangerschaft dieser Frau verantwortlich gemacht würde.
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2. Der § 218 lautet: Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt, oder im Mutterleibe tötet, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis nicht unter 6 Monaten ein. Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die (46) Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigewohnt hat.“ – – Der Bund deutscher Frauenvereine erkennt die Notwendigkeit des Festhaltens an der prinzipiellen Strafbarkeit der Vernichtung des keimenden Lebens an,113 aber er fordert eine Änderung bereits dieses Gesetzes in doppeltem Sinne. Er fordert: a) eine Herabsetzung der Strafe im allgemeinen, nämlich Abschaffung der Zuchthausstrafe und Festsetzung des Höchstmaßes von 2 Jahren Gefängnis; b) eine Einschränkung der Anwendung des Gesetzes und Festlegung derjenigen Fälle, in denen die Abtreibung straflos bleiben soll. Die Fälle liegen vor: 1. wenn die Vollendung der Schwangerschaft mit Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter verbunden ist: 2. wenn nachgewiesenermaßen die Schwangerschaft infolge von Vergewaltigung eingetreten ist. Es muß gesetzlich festgelegt werden, daß die Vornahme des Abortus nur auf Antrag der Schwangeren durch einen approbierten Arzt oder eine Ärztin, die jeden Fall einer Ärztekommission zur Begutachtung vorzunehmen haben, geschehen darf. In diesen Kommissionen, müssen doch auch Frauen Sitz und Stimme haben. Begründung. Es unterliegt wohl keinem Zweifel und ist eine durch die Praxis der Gerichte immer wieder bestätigte Tatsache, daß der § 218 in Anbetracht der Häufigkeit des von ihm visierten Verbrechens nur verhältnismäßig selten zur Anwendung gelangt. Die Natur dieses Deliktes ist derart, daß die Gerichte nur auf Denunziation hin einschreiten können. Diese Denunziationen sind fast immer von Gehässigkeit und Rachsucht diktiert und kommen als ein Ausfluß mangelnder Bildung mehr in den enger beieinander wohnenden und sich gegenseitig mit Neugier beobachtenden, ärmeren Bevölkerungsschichten vor. Die sozialen Verhältnisse stempeln den § 218 in gewissem Sinne zu einem Klassengesetz. Im Hinblick auf die vielen, welche straffrei ausgehen, weil sie ihr Privatleben vor neugierigen Späheraugen zu schützen vermögen, erscheinen die wenigen, welche zur Anzeige gelangen, uns fast zu Unrecht verurteilt und rufen in vielen Fällen unser persönliches Mitleid wach. Wenn wir trotzdem nicht an dem Prinzip der Strafbarkeit rütteln, so geschieht es aus folgenden Gründen: 1. weil wir uns der auf die Fortschritte naturwissenschaftlicher Erkenntnis gegründeten Rechtsauffassung anschließen, daß es sich bei dem Fötus vom Moment der Befruchtung an um ein aus dem väterlichen und mütterlichen Keim entstandenes drittes Lebewesen handelt, das als solches Anspruch auf den Schutz des Gesetzes hat; 113 Anmerkung der Verfasserin: Da ich diesen Standpunkt nicht teile, hat Frau Katharina
Scheven die nachstehende Forderung begründet.
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2. weil wir in diesem gesetzlichen Schutz eine notwendige und heilsame Schranke gegen die Verrohung und Entartung des natürlichen mütterlichen Gefühls erblicken; 3. weil wir die Stärkung und Entwicklung des sittlichen Verantwortlichkeitsgefühls auf dem Gebiete des Geschlechtslebens für Männer und Frauen als das vornehmste Mittel zur Hebung des allgemeinen Niveaus der Geschlechtsmoral und zur Bekämpfung der aus ihrem Tiefstand resultierenden Schäden erkannt haben. ad. a. Unser Festhalten an dem Prinzip aber hindert uns (48) nicht, nach einer Milderung des allzu hohen Strafmaßes zu verlangen, das von mittelalterlichem Geiste diktiert scheint und sowohl den modernen Anschauungen als den sozialen Verhältnissen der Neuzeit nicht annähernd Rechnung trägt. Wir fordern Abschaffung der Zuchthausstrafe und Festsetzung von zwei Jahren Gefängnis als Höchstmaß der Strafe. Diese mildere Auffassung scheint uns geboten, da bei dem in Frage stehenden Delikt als Täterinnen in den allermeisten Fällen jugendliche Frauen oder Mädchen in Betracht kommen, die der Verführung erlegen oder durch Leichtsinn und schlechte Erziehung zu Falle gekommen sind und unter der Herrschaft asthenischer Affekte, Scham, Angst, Sorge, Verzweiflung den Gedanken an die verbrecherische Tat zu fassen pflegen, da ferner häufig Überredung mitgewirkt hat und genügende Einsicht zur Erkenntnis des kriminellen Charakters der Handlung nicht vorhanden ist. Wir fordern auch die größtmögliche Bewegungsfreiheit in der Strafabmessung für den Richter, das heißt keine Festlegung der Strafgrenze nach unten, so daß der Richter in Fällen, wo traurige soziale Verhältnisse die Tat entschuldbar und menschlich begreiflich erscheinen lassen kann. ad. b. 1. Wenn die Vollendung der Schwangerschaft mit Gefahr für das Leben der Mutter verbunden ist, so darf schon nach geltendem Recht vom Arzt ein Abortus eingeleitet werden. Der betreffende Arzt setzt sich aber damit der Möglichkeit einer Verwicklung in einen Strafprozeß aus. Er wird deshalb nur mit äußerster Zurückhaltung einen derartigen Eingriff vornehmen, wohl nur dann, wenn das Leben seiner Patientin ernstlich und unmittelbar bedroht ist. Die Schädigung der Gesundheit durch fortgesetzte Schwangerschaften bei hart arbeitenden und kärglich lebenden Familienmüttern des (49) Arbeiterstandes, die oft unter schweren Anemien, Neurasthenien und Erschöpfungszuständen sich bei der Erfüllung ihrer geschlechtlichen Aufgaben völlig aufzehren, kann nach geltendem Recht nicht als hinreichender Grund zur Einleitung eines Abortus vom Arzt in Betracht gezogen werden. Und doch müssen wir vom Standpunkt einer fortgeschrittenen Humanität fordern, daß die sozial so wertvolle Lebenskraft einer Mutter höher bewertet werde, als das Leben eines ungeborenen Kindes, und daß diese selbst auf Kosten eines solchen, im Interesse der bereits lebenden, auf die Mutter angewiesenen Kinder erhalten werde. Das neue Leben, welches in solchen Fällen zu erwarten steht, dürfte kaum sozial so hoch bewertet sein, daß es den Verlust der mütterlichen Arbeitskraft und Gesundheit für die Familie aufwöge. 2. Aus rassenhygienischen Gründen müssen wir ferner fordern, daß in Fällen, wo nach dem Erkenntnisvermögen menschlicher Wissenschaft zu erwarten ist, daß ein körperlich oder geistig schwer belastetes Kind ins Leben treten wird, die Vernichtung des keimenden Lebens straflos bleibe. In syphilitsch verseuchten Ehen kommen oft 5–6 tote Kinder nach einander zur Welt, schwere Trunkfälligkeit des Vaters erzeugt Idiotismus bei den Kindern, Tuberkulose ist ebenfalls in hohem Grade erblich. Nach dem geltenden bürgerlichen Recht kann sich eine Frau den
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geschlechtlichen Ansprüchen ihres syphilitischen oder alkoholisierten Gatten aber nur schwer entziehen, wenn sie nicht zugleich auf Scheidung oder Trennung von Tisch und Bett Antrag stellt. Unser menschliches Gefühl sträubt sich dagegen, eine Frau in der fürchterlichen Zwangslage zu sehen, daß sie ein Kind austragen muß, von dem sie weiß, es wird entweder wie seine Vorgänger, nur für den Kirchhof geboren, oder es wird in einem elenden Körper ein sieches Leben zu führen haben. In solchen Fällen wird (50) die Mutterschaft zum größten Martyrium. Auch die Allgemeinheit hat kein Interesse daran, derartig schwer belastete Individuen großzuziehen, die sich womöglich, wenn sie am Leben bleiben, auch wieder fortzupflanzen suchen. Es erscheint deshalb als ein Gebot der Menschlichkeit und des Allgemeinwohls in solchen Fällen die Abtreibung der Frucht straflos zu stellen. 3. Es gibt auch einen anderen Fall, in dem sich unser menschliches Gefühl sträubt, einem weiblichen Wesen die Bürde und Verantwortung der Mutterschaft auferlegt zu sehen, nämlich wenn es durch brutale Vergewaltigung in diesen Zustand versetzt worden ist. Diesen verbrecherischen Vorgang als Ausgangspunkt eines neuen Lebens zu sehen, widerspricht so völlig den natürlichen Empfindungen des zivilisierten Menschen, daß selbst ein Unbeteiligter sich einem Gefühl des Grauens einem solchen Kind gegenüber nicht erwehren kann. Um wieviel mehr muß ein unglückliches Weib – und in den meisten Fällen wird es sich um junge Mädchen handeln – mit Abscheu an das Lebewesen denken, daß sie mit ihrem Blute nähren und unter Schmerzen gebären soll, und das dann zur peinvollen Erinnerung an die ihr angetane Schmach vielleicht mit den Zügen des Täters vor ihren Augen wandeln wird. Kann man im Ernst verlangen, daß ein Weib Muttergefühle für ein solches Kind haben soll, daß sie gezwungen sein soll, die Folgen eines solchen Aktes, der gegen ihren Willen und unter ihrem ausdrücklichen Widerstand stattgefunden hat, zu tragen? Die Mutterpflichten sind doch mit der Geburt nicht vollendet, sondern beginnen erst recht mit ihr. Ist schon die aus einem Liebesverhältnis hervorgegangene außereheliche Mutterschaft für ein Mädchen eine schwere Bürde, die nur durch die natürliche Mutterliebe erleichtert wird, so ist sie als Resultat einer Vergewaltigung (51) tatsächlich unerträglich und geeignet, ein einigermaßen feiner organisiertes Gemüt völlig zu zerstören. Selbstverständlich müssen wir sichere Garantien verlangen hinsichtlich des Nachweises der stattgehabten Vergewaltigung. Die einfache Behauptung von Seiten der Mutter genügt natürlich nicht. Diese Tatsache darf vielmehr erst dann als erwiesen betrachtet werden, wenn die betreffende Person oder ihr gesetzlicher Vertreter Strafantrag wegen Vergewaltigung gestellt hat, und das Gericht in diesem Sinne erkannt hat. In einem solchen Falle erübrigt sich die Herbeiführung einer Entscheidung durch die Ärztekommission. Dieses ärztliche Forum, bei dem auch aus sozialen und psychologischen Gründen Frauen mitzuwirken haben, hat in allen anderen Fällen gutachterlich zu entscheiden. Hiermit scheinen uns genügende Garantien dafür geboten, daß dieser ernste und für den mütterlichen Körper nicht ungefährliche Eingriff stets nur nach reiflicher Erwägung aller in Betracht kommenden physiologischen und sozialen Gesichtspunkte und von fachkundiger ärztlicher Hand ausgeführt werden wird. Hierdurch wird zweifellos dem leichtsinnigen Treiben gewerbsmäßiger Beihelfer gesteuert werden, die aus Unkenntnis und durch Nichtbeachtung der notwendigen hygienischen und antiseptischen Vorschriften, den sich ihnen anvertrauten Frauen häufig großen Schaden zufügen, wenn nicht ihren Tod herbeiführen.
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Dem Leichtsinn und der sittlichen Verwilderung, die nur den physischen Genuß sucht, und die Folgen scheut, wird durch unsere Forderungen nirgends die Tür geöffnet. Die von einer behördlich erwählten, das öffentliche Vertrauen genießenden Kommission zugelassenen Fälle werden nur solche Fälle sein, in denen das Interesse der Mutter die Unterordnung des Interesses des ungeborenen Kindes dringend verlangt, und die Idee des gesetzlichen Schutzes des keimenden (52) Lebens gegen jeden willkürlichen Eingriff seiner Erzeuger bleibt unangetastet. 3. Der § 219 lautet: „Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr anwendet oder ihr beigebracht hat.“ Wir beantragen entsprechend unserem Standpunkt,114 den wir § 218 gegenüber angenommen haben, folgenden Zusatz: „Ausgenommen sind die durch promovierte Aerzte vorgenommenen Fruchtabtreibungen, zu deren Vornahme sie durch ein Gutachten der in § 218 erwähnten Ärztekommission oder durch ein gerichtliches Erkenntnis hinsichtlich eines an der Frau verübten Notzuchtverbrechens berechtigt sind.“ Begründung: Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß die Fruchtabtreibung unter gewissen Voraussetzungen, wie sie in der Begründung zu § 218 von uns dargelegt wurden, gestattet sein muß, so muß man logischerweise auch fordern, daß der Schwangeren in diesen Fällen sachverständige Beihilfe geleistet werde, und es versteht sich von selbst, daß diese Sachverständigen wie für jede andere ärztliche Hilfeleistung berechtigt sein müssen, ein der erforderten Zeit, Kunst und Mühe entsprechendes Entgelt zu fordern. Indem wir diese Befugnis nur auf Ärzte beschränkt und Hebammen davon ausgeschlossen sehen wollen, glauben wir genügende Kautelen dafür geschaffen, daß die von uns geforderte Freiheit nicht in miß-(53)bräuchlicher Weise ausgenützt werden kann. Wir glauben im Gegenteil, daß die geheimen Abtreibungen unter der Wirkung eines solchen Gesetzes nachlassen werden; denn in keinem von der Ärztekommission zurückgewiesenen Fall kann eine Schwangere es wagen, zu diesem Mittel ihre Zuflucht zu nehmen, ohne sich der Gefahr einer Anzeige auszusetzen. Es würde sich auch keine Beihelferin finden, die das mit großem Risiko verbundene Geschäft übernehmen würde. Ein solches Gesetz würde also, ohne an dem Prinzip der Strafbarkeit der Vernichtung des keimenden Lebens zu rütteln und ohne die sittliche Verantwortung der Menschen für die physischen und sittlichen Folgen des Geschlechtsaktes im Prinzip zu schwächen, doch die Härte des Prinzips in allen Fällen mildern, wo der dem Gesetz zu Grunde liegende Gedanke vor anderen höheren Gesichtspunkten zurücktreten muß. (54)
114 Anmerkung der Verfasserin: Da ich diesen Standpunkt nicht teile (vgl. Anmerkg. 3),
hat Frau Katharina Scheven nachstehende Forderung begründet.
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V. 1. Der Bund deutscher Frauenvereine bittet, a) daß in den §§ 55 und 56, welche die Strafmündigkeit bis zu 18 Jahren festsetzen, die Worte „das zwölfte“ umgewandelt werden in „das sechzehnte.“ b) daß § 57 Abs. 1 laute: Wenn ein Angeschuldigter, welcher zur Zeit, als er das 16. aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, eine strafbare Handlung begangen hat, sind gegen ihn, wenn nicht die Voraussetzung des § 56 Abs. 1 vorliegt, je nach Ermessen des Gerichts Erziehungsmaßregeln oder folgende Strafen anzuordnen, und c) daß gegen geistig Minderwertige in jugendlichem Alter überhaupt nicht mit gesetzlichen Strafen, sondern nur auf dem Wege der Heilerziehung vorgegangen werde. Begründung zu a): Gerade in die Zeit nach dem 12. Jahre, dem Pubertätsalter, fällt die Entwicklung des Kindes zum reifen Menschen. Der geistige Zustand ist ein schwankender. Die Phantasie ist erregt. Alles Ungewöhnliche hat für das Kind einen Reiz, und es wird leicht auf die Bahn des Verbrechens oder wenigstens ungesetzlicher Taten gelockt. Außerdem ist zu beachten, daß in den auf das zwölfte folgende Jahren die individuellen Unterschiede groß sind. Oft wird ein 14- oder 15jähriges Kind noch so weit entwickelt sein, wie ein anderes mit 12 Jahren. Und daß der Richter (55) imstande sein soll, zu individualisieren, ist eine nur selten zu realisierende Forderung. Daß das Strafmündigkeitsalter hinaufgesetzt werden müsse, wird heute ziemlich allgemein anerkannt. Man ist sich nur noch nicht einig, ob es das 14., 15. oder 16. Lebensjahr sein soll. Wir beantragen das 16. Lebensjahr, weil die erwähnten Pubertätszustände sich auch noch auf das Alter von 14 bis 16 Jahren besonders gefährdet. So lange sie zur Schule gehen, haben sie an dieser doch einen moralischen Halt. Mit 14 Jahre aber treten sie meistens Kinder der arbeitenden Klassen in das Erwerbsleben ein. Eine Reihe von neuen Eindrücken drängen auf sie ein, sie sind plötzlich großen Versuchungen ausgesetzt. Nur die verhängnisvolle Macht der Gewohnheit vermag es zu erklären, daß man den Gedanken erträgt, Kinder – sobald sie nur das 12. Jahr vollendet haben – vor den Strafrichter zu führen und ins Gefängnis zu schicken? Ungefähr 100 000 Kinder werden jährlich verurteilt, ein Drittel oder Viertel dieser Kinder wird mit Gefängnis bestraft! Eine kriminelle Bestrafung von Kindern ist aber ungerecht, nicht nur aus dem oben angeführten Grunde, weil Anreize zu sträflichen Taten in diesem Alter viel stärker wirken als später, sondern besonders deswegen, weil die Kinder unmöglich die Tragweite ihrer Handlungen übersehen können. Es mag in intellektueller Beziehung bei ihnen die „nötige Einsicht“ konstatiert werden, in moralischer Hinsicht aber können sie diese überhaupt nicht haben. Gerade, weil das Kind die gesamten Folgen seiner Handlungen noch nicht zu beurteilen vermag, weil es nicht wirklich verstehen kann, warum der Erwachsene dies oder jenes von ihm fordert, wird von dem Kinde unbedingter Gehorsam verlangt. Welchen Nutzen kann eine kurzzeitige Freiheitsstrafe, wie (56) sie bei den mehr oder weniger leichten Vergehen, um die es sich in vielen Fällen handelt, verhängt wird, überdies für ein Kind haben, selbst wenn die speziellen Nachteile, die mit dem heutigen Strafvollzug an Kindern verbunden sind, zu vermeiden wären?
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Das Kind wird weniger abgeschreckt durch die Strafe, als abgestumpft, weil es sieht, daß die Strafe gar nicht so schlimm ist wie sie aussieht, oder aber es wird in dem Kindergemüt eine Verbitterung gegen Staat und Staatsgewalt hervorgerufen, die es zu weiteren Eingriffen in diese Staatsordnung reizt. Daß dem so ist, geht klar aus dem Umstande hervor, daß eine ganze Reihe von Kindern die zur Aburteilung kommen, ein oder sogar mehrere Male vorbestraft sind. Auf Übeltäter unter 16 sollte also strafrechtliche Verfolgung nicht anwendbar sein und damit selbstverständlich nicht die Zulässigkeit von Gefängnisstrafe. Es müßten jedoch natürlich die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen werden können. Sieht doch das heutige Gesetz (§ 55) solche auch schon für Kinder unter 12 Jahren vor. Begründung zu b): Die Berücksichtigung unserer Wünsche in bezug auf Heraufsetzung des Strafmündigkeitsalters auf 16 Jahre würde zur Folge haben, daß das Alter der vermindert straffähigen Jugendlichen statt wie heute die Jahre von 12 bis 18, nur die von 16 bis 18 umfassen würde. Das in unserer Forderung ad a) für b) nicht schon Enthaltene liegt aber darin, daß wir für den Jugendlichen schuldig Befundenen nicht unter allen Umständen Strafe, sondern dem Richter die Möglichkeit offenhalten wollen, statt dessen Erziehungsmaßregeln anzuordnen. Heute muß der Richter, wenn der Delinquent „die zur Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Handlung erforderliche Einsicht besaß“ – auf Strafe erkennen, und wir mußten es schon betonen, wie unzuverlässig uns, und vielen Richtern (57) selbst, eine solche Beurteilung erscheint, da es nicht möglich ist, daß in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit der Richter sich darüber klar werde, ob der Betreffende auch die nötige Einsicht in das Wesen der Staatsgewalt, ihrer Aufgabe zu strafen und die entehrenden Folgen der Strafe gehabt habe. Heute steht der Richter der jugendlichen Delinquenten vor der Alternative: schuldig, daher Strafe oder: nicht schuldig (insofern die Kenntnis von der Strafbarkeit der Handlung gefehlt hat), daher höchstens Erziehungsmaßregeln. Nach unserem Vorschlage aber müßte der Richter frei entscheiden dürfen, ob Strafe oder ob Erziehungsmaßregeln im gegebenen Falle vorzuziehen sei; häufig dürfte er sich für letztere entscheiden, da in der Zeit von 16. Bis zum 18. Jahre noch nicht die Hoffnung aufgegeben werden kann, durch die Erziehung einen bessernden Einfluß auszuüben, und es dem Staate in erster Linie darum zu tun sein muß, aus den jugendlichen Verbrechern brauchbare Menschen zu machen, während die heutigen kurzzeitigen Freiheitsstrafen nicht bessernd, sondern demoralisierend wirken. Von dem Entwurf einer Str.P.O. wird dies auch bereits anerkannt (vgl. insbesondere § 365, Abs. 3 und § 373.) Begründung zu c): Während wir für den jugendlichen, zwischen 16 und 18 Jahren stehenden, gesunden Verbrecher die gesetzliche Möglichkeit wünschen, daß gegen ihn auf Erziehungsmaßregeln oder Strafe erkannt werden könne, fordern wir für den geistig minderwertigen Jugendlichen dieses Alters, daß niemals Strafe ausgesprochen werden könne, sondern entweder Belassung in der Familie mit eventueller Bestellung eines geeigneten beobachtenden Pflegers oder einer Pflegerin, oder Unterbringung in Heilanstalten.
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Der geistig Minderwertige steht, was den Grad seiner (58) Reife betrifft, nicht über dem im Strafunmündigkeitsalter Befindlichen, daher muß mit ihm ähnlich wie mit dem Strafunmündigen verfahren werden; nur würde die Anstalt, der er eventuell zu übergeben wäre, mehr Heil- als Erziehungsanstalten sein müssen. In den Fällen, in denen es sich um Jugendliche handelt, die keine normale Schule, sondern nur eine Hilfsschule besuchen konnten, wäre die Feststellung von vornherein gegeben; wo jedoch dieses Kriterium fehlt, wären durch eine Kommission von juristisch gebildeten Personen, Ärzten, Lehrern, Lehrerinnen und in der Fürsorge tätigen Frauen, die Verhältnisse zu prüfen. 2. Der Bund deutscher Frauenvereine hat sub 1. ausgesprochen, was ihm zugunsten der jugendlichen Kriminellen im Rahmen der heutigen Strafprozeßordnung durch Veränderung einiger Paragraphen des Strafgesetzbuches erreichbar scheint. Er gestattet sich im Anschlusse daran noch darzulegen, was er in bezug auf die jugendlichen Kriminellen bei der Reform des Strafprozesses erbittet; er wird sich dabei auf diejenigen Forderungen beschränken, die in dem vorliegenden Entwurfe einer Strafprozeßordnung und in der Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nicht Eingang gefunden haben. a) Vor allem bitten wir, daß die Einrichtung von Jugendgerichten durch zwingende Gesetzesvorschrift allgemein eingeführt werde. b) Besonders aber verlangen wir, was der Entwurf vermissen läßt, daß, an Stelle der in den deutschen Einzelstaaten schon zugelassenen, bedingten Begnadigung, die bedingte Verurteilung, verbunden mit einer Bewährungsfrist und der Bestellung von Bewährungsfürsorgern, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts, für Jugendliche zu treten habe. (59) Begründung: a) Unsere Bitte, daß die Einrichtung von Jugendgerichten obligatorisch werde, erfordert u. E. keine eingehende Begründung; die Einsicht, wie wichtig es ist, den Jugendlichen anders zu behandeln, als den Erwachsenen, ist allgemein. Dieser Einsicht verdanken ja überhaupt die Jugendgerichte ihre Aufnahme in die Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetze (§ 11830). Wenn es aber anerkanntermaßen wichtig ist, Jugendgerichte zu haben, so sollte ihre Einrichtung nicht in das Ermessen der Landesjustizverwaltung gestellt werden, sondern zwingend vorgeschrieben sein. b) Es genügt uns nicht, daß wie es heute schon zulässig ist, die Strafe bei den verurteilten Jugendlichen vorerst nicht vollzogen und bei guter Führung späterhin erlassen wird. Wir wünschen, daß bei guter Führung die Verurteilung selbst wegfalle und damit ein Makel, der dem Leben des Verurteilten wie ein Bleigewicht anhängt und ihn in seinem Fortkommen auf das empfindlichste schädigt. Wenn aber das Verschieben des Urteils nicht illusorisch bleiben soll, muß dem Jugendlichen, der sich bewähren soll, auch die Möglichkeit dazu gegeben werden. Ihn einfach sich selbst zu überlassen, den schlechten Einflüssen, denen er bereits einmal erlegen ist, hätte nur zur Folge, daß er binnen kürzester Zeit wieder eine Straftat beginge. Hier hätten männliche und weibliche Bewährungsfürsorger einzugreifen, für die die Probation-Officers Nordamerikas vorbildlich sein können.
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Von dem Gedanken ausgehend, daß bei jugendlichen Vergehungen meist kein überstarker Wille zu brechen, vielmehr ein schwacher zu stützen ist, hätte der Bewährungsfürsorger dem jungen Menschen zur Seite zu stehen, freundschaftliche Aufsicht über ihn zu führen, innere Fühlung mit ihm zu suchen usw.; (60) alles mit dem nötigen Takt, um seinen Schutzbefohlenen nicht zu verschüchtern. Wäre die Prüfungszeit gut bestanden, eventl. der letzte Teil ohne Aufsicht, so wäre der Jugendliche aus der „Bewährung“ ganz zu entlassen, sein Schuldkonto wäre getilgt; erläge er dagegen nochmals der Versuchung, erwiese sich diese Überwachung als nicht genügend, so wäre er, ähnlich wie in Amerika, einer Anstalt zu überweisen, die mit möglichst wenig Zöglingen den Charakter der Familienerziehung einigermaßen wahren könnte. Erst als weitere Verschärfung wäre er in einer Strafanstalt, nur für Jugendliche, unterzubringen. Die Kosten einer solchen Bewährungsfürsorge wünschen nicht so beträchtlich sein, daß sie davor abzuschrecken hätten. Man bedenke, daß schon im Rahmen der heutigen Gesetzgebung private Fürsorgevereine unter wesentlicher Mitwirkung ihrer weiblichen Mitglieder bestrebt sind, Aufgaben zu erfüllen, ähnlich denen der amerikanischen Bewährungsfürsorge. Vor der Hauptverhandlung stellen sie eingehende Recherchen über die Umgebung, in der das zur Anzeige gebrachte Kind aufgewachsen ist, an, und erreichen häufig durch ihre Berichte eine Einstellung des Verfahrens. Wir sind überzeugt, daß Vereine und Einzelpersonen sich häufig auch der Arbeit gern unterziehen würden, nach der bedingten Verurteilung sich der Jugendlichen in der oben gekennzeichneten Weise ehrenamtlich anzunehmen. (61) VI. 1. Wir bitten, daß zu § 138 Abs. 2 Entw. einer Strafprozeßordnung, der Zusatz gemacht werde, daß zu den Personen, welche mit Genehmigung des Gerichts zu Verteidigern zugelassen werden können, auch Frauen gehören. Die bisherige Fassung des gleichnamigen Paragraphen StPO. machte schon eine Streitfrage darüber möglich, ob zu den erwähnten Personen auch Frauen gehören. Es wurde von den Vertretern der Ansicht, daß dies nicht der Fall sei, geltend gemacht, daß man zu jenem Zeitpunkt, als das Gesetz geschaffen worden, an Zulassung von Frauen noch nicht gedacht habe, dies daher nicht hineininterpretiert werden könne. Noch viel schwieriger aber würde es künftig werden, die Zulassung auch von Frauen im Falle des § 138 zu deduzieren, da der Strafprozeßentwurf wohl an Frauen denkt und in § 366 Abs. 2 und § 371 Abs. 3 ausdrücklich deren Zulässigkeit als Fürsorger und Beistände für jugendliche Angeklagte feststellt, den § 138 aber unverändert herübernimmt. Da aber unter Umständen, besonders wenn es sich um weibliche Angeklagte handelt, der Beistand einer Frau – z.B. einer Ärztin, einer Lehrerin, oder einer in Fürsorglichkeit Erfahrenen – von großem Werte sein kann, so bitten wir, zur Vermeidung jeden Mißverständnisses um ausdrückliche Nennung der Frauen in dem § 138. 2. Aus ähnlichen Erwägungen wie den sub 1 enthaltenen heraus bitten wir, daß bei den Verhandlungen, bei denen (62) Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, der Zutritt aber einzelnen Personen gestattet wird (§ 176 Abs. 2 GVG), hierzu auch Frauen zu rechnen sind, und daß dies ausdrücklich erwähnt werde.
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3. Der Bund deutscher Frauenvereine bittet, § 118 der Novelle zum GVG. möge einen Zusatz erhalten, nach dem auch Frauen das Ehrenamt eines Geschworenen versehen können. Begründung. Die Forderung nach weiblichen Geschworenen stellt der Bund deutscher Frauenvereine sowohl aus prinzipiellen Gründen, da er die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auch hier anerkannt sehen will, wie auch aus der Überzeugung, daß hier ein Gebiet vorliegt, auf dem die Mitwirkung der Frauen von spezifischem Nutzen sein würde. Insbesondere im Hinblick auf geschlechtliche Delikte haben wir diese Ueberzeugung, und wenn vorläufig nur für diese Frauen als Geschworene Zulassung fänden, so würden wir dies schon als einen wesentlichen Fortschritt betrachten. Liegt doch auf keinem anderen Gebiete die Gefahr einer Männerjustiz so nahe wie hier, wo zumeist dem Manne als dem Angeklagten die Frau als Zeugin gegenübersteht. Ohne bewußte Ungerechtigkeit wird von dem ausschließlich männlichen Standpunkt aus dem, was die Frau zu sagen hat, niemals volle Würdigung zuteil werden können. Und nicht nur um die Gerechtigkeit des Urteils handelt es sich, sondern auch darum, daß der Frau die peinliche Lage erspart werde, vor einem nur mit Männern besetzten Gerichtshofe sich über intime Dinge aussprechen zu müssen. Wir erwarten den Einwand, daß dieses für die Frauen verlangte Recht eine große Last für sie bedeuten würde. Es mag ja vorderhand noch in der Tat viele Frauen geben, die (63) es als solche auffassen. Doch nach kurzer Zeit würden sie sich daran gewöhnt und es als eine ebensolche Selbstverständlichkeit zu betrachten gelernt haben, wie heute die Männer, die ja manches Opfer für ihre Bürgerpflichten bringe müssen. Ganz entschieden würden wir dagegen sein, daß etwa für die Frauen hier eine Sonderbestimmung getroffen würde, daß sie als solche etwa das Recht der Ablehnung hätten. Wir wissen, wie Sonderbestimmungen wirken, wie sie statt eines Vorteils in Wahrheit ein Nachteil sind. Hat doch z.B. das Ablehnungsrecht der Frau, Vormund zu werden, zur Folge, daß manche Gerichte, um sich dieser Möglichkeit nicht auszusetzen, verhältnismäßig wenige Frauen zu Vormündern bestellen. Allenfalls könnte das zum Amte des Geschworenen auf 35 Jahre festgesetzt werden, um dem Umstande Rechnung zu tragen, daß von diesem Alter ab den Frauen weniger Verhinderungen durch Geburten und Pflege kleiner Kinder erwachsen; das heutige Gesetz und die Novelle zum GVG. stehen für Männer das dreißigste Jahr vor: für unseren Zweck könnte es gleichgültig sein, ob dann etwa das erforderliche Alter einheitlich hinaufgerückt würde, oder ob hierin zwischen Männern und Frauen ein Unterschied gemacht würde, Das Wesentliche unserer Forderung ist aber: die Zulassung der Frauen zum Amte des Geschworenen überhaupt: von sekundärer Bedeutung wäre das hierzu festgesetzte erforderliche Alter.
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4. Wir bitten ferner: a) § 118I der Novelle zum GVG möge einen Zusatz erhalten, nach dem auch Frauen das Ehrenamt eines Schöffen versehen können und b) § 34 Z. 8 GVG. möge gestrichen werden, wonach (64) Volksschullehrer, (worunter ja auch solche weiblichen Geschlechts zu verstehen sind) zum Amte eines Schöffen nicht berufen werden sollen. Begründung: Alles was zur Begründung der Forderung 3 (Zulassung von Frauen zum Amt der Geschworenen) gesagt worden ist, hat auch hier zu gelten, doch fügen wir jener Begründung noch folgendes hinzu: In die Kompetenzen der Schöffen wird das Verfahren gegen Jugendliche fallen, und hierbei wäre die Mitwirkung von Frauen von besonderer Wichtigkeit. Die Bestimmung des § 11830 der Novelle zum GVG., daß die Wahl der Hauptschöffen und Hilfsschöffen für Jugendgerichte auf …. Personen zu richten ist, die auf dem Gebiete der Jugenderziehung besondere Erfahrung besitzen, scheint uns geradezu mit zwingender Notwendigkeit auf die Frauen hinzuweisen. Nicht allein ist der Frau als Mutter in erster Linie die Erziehung anvertraut, Frauen sind auch als Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Kinderpflegerinnen, Vormünderinnen, Mitglieder von Fördervereinen in hervorragender Weise an der Volkserziehung beteiligt und haben auf diesem Gebiete ein großes Maß sozialer Arbeit geleistet. Die Frauen sind für das Kindergemüt die berufenen Sachverständigen, die mit sicherem, schnellen Instinkt in den Zusammenhang eines Tatbestandes eindringen, gute, nur mißleitete und schlechte Triebe auseinanderhalte, und das Vertrauen des Kindes zu gewinnen wissen. In noch erhöhtem Maße trifft dies für die Erkenntnis komplizierter psychologischer Vorgänge bei den im Entwicklungsalter stehenden Jugendlichen zu; speziell für Verirrungen heranwachsender Mädchen wird sich naturgemäß bei der Frau und Mutter mehr Verständnis finden als beim Manne. (65) B) Insbesondere mit Rücksicht auf das Verfahren gegen Jugendliche würde es sehr bedauerlich sein, wenn aus dem Kreise der zum Schöffenamt zugelassenen Frauen die Volksschullehrerinnen ausscheiden müßten; entstammen doch die angeklagten Kinder vorwiegend den Kreisen, welche die Volksschule besuchen. Die Volksschullehrerinnen und Lehrer haben durch den täglichen, jahrelangen Verkehr mit ihren Schülern tiefgehendes Verständnis für deren Veranlagung und Verhalten, und haben ihre warmherzige Anteilnahme an der ihnen anvertrauten Jugend schon oft bewiesen. Der Entw. II einer StrPO. zum Unterschiede von Entw. 1, der jene Bestimmung, die Volksschullehrer betreffend noch aufgenommen hatte, trägt solchen Erwägungen bereits, daß (wenigstens für die Jugendgerichte) die Volksschullehrer zum Amte eines Schöffen zugelassen seien. (66)
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Anhang Gegenüberstellung der Paragraphen des geltenden Strafgesetzbuches und der Forderungen des Bundes Deutscher Frauenvereine. § 51 StGB. lautet: Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war.
Der Bund beantragt hierzu (S. 36) Zusätze, wonach selbstverschuldete Trunkenheit weder einen Strafausschließungs- noch einen Strafmilderungsgrund bilden würde.
§ 55 StGB. lautet: Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Le- Der Bund beantragt hierzu (S. 54), daß in diesem bensjahr nicht vollendet hat, kann wegen dersel- Paragraphen statt „das zwölfte“ gesetzt werde ben nicht strafrechtlich verfolgt werden. Gegen „das sechszehnte“. (67) denselben können jedoch nach Maßgabe der landesgesetzlichen Vorschriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen werden. Die (67) Unterbringung in eine Familie, Erziehungsanstalt oder Besserungsanstalt kann nur erfolgen, nachdem durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts die Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt ist. § 56 StGB. lautet: Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er Der Bund beantragt hierzu (S. 54), daß das Wort das zwölfte aber nicht das achtzehnte Lebensjahr „zwölfte“ umgewandelt werde in „sechszehnte“. vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen (68) hat, ist freizusprechen, wenn er die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. Zu dem Urteile ist zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden soll. In der Anstalt ist er solange zu behalten, als die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das vollendete zwanzigste Lebensjahr. (68) § 57 StGB. Abs. 1 lautet: Wenn ein Angeschuldigter welcher zur Zeit, als er das zwölfte, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besaß, so kommen gegen ihn folgende Bestimmungen zur Anwendung: (folgt die Aufzählung der verschiedenen zulässigen Strafen).
Der Bund beantragt hierzu folgende Fassung (S. 54): Wenn ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das sechszehnte aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, sind gegen ihn, wenn nicht die Heranziehung des § 56, 1. Abs. vorliegt, je nach Ermessen des Gerichts Erziehungsmaßregeln oder folgende Strafen anzuordnen: ........................ Geistig Minderwertige, welche das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben, können nicht strafrechtlich verfolgt werden. Gegen sie kann nur auf dem Wege der Heilerziehung vorgegangen werden.
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§ 172 StGB. lautet: Der Bund beantragt (S. 5): Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die daß dieser Paragraph gestrichen werde. (69) Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Gatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. (69) § 174 Z. 1 StGB. lautet: Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1. Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv- und Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlung vornehmen.
Der Bund beantragt (S. 8), daß es künftig heiße: Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1. Vormünder und Pfleger, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Eltern, Groß-, Stief-, Adoptiv- und Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern, bzw. Enkeln, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche unter Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen vornehmen. Der Bund beantragt ferner (S.9), die Neufassung einer Z. 4 zu § 174 lautend: (Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft): Vorgesetzte, Arbeitgeber, Stellenvermittler und deren Vertreter, welche unter Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses mit den von ihnen abhängigen Personen unzüchtige Handlungen vornehmen.
§ 176 Z. 2 StGB. lautet: (Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer) eine in einem willenlosen (70) oder bewußtlosen Zustand befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht.
Der Bund beantragt (S.12), folgende Fassung: mit einer in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustand (70) befindlichen oder geisteskranken oder einer als geistesschwach bekannten weiblichen Person unzüchtige Handlungen vornimmt.
§ 176 Z. 3 StGB. lautet: Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt, oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet.
Der Bund beantragt (S. 14) folgende Fassung: Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren wird bestraft, wer mit Personen unter sechszehn Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt, oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet. Täter unter sechszehn Jahren können auch bei festgestellter Erkenntnis der Strafbarkeit ihrer Tat nicht mit Gefängnis bestraft werden. In dem Urteile ist zu bestimmen, ob sie in ihrer Familie bleiben, oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden sollen.
484 § 180 StGB. lautet: Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vor(71)schub leistet wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter Einem Monat bestraft; auch kann zugleich Geldstrafe von 100 – 6000 M., auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizei – Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe bis auf Einen Tag ermäßigt werden und § 181 StGB. lautet: Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen wenn 1. um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunstgriffe angewendet werden, oder 2. der Schuldige zu der verkuppelten Person in dem Verhältnisse des Ehemanns zur Ehefrau, von Eltern zu Kindern, von Vormündern zu Pflegebefohlenen, von Geistlichen, Lehrern oder Erziehern zu den von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen steht. Neben der Zuchthausstrafe ec. ec. (72) § 182 StGB. lautet: Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechszehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe verführt, wird mit Gefängnis bis zu Einem Jahre bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes der Verführten ein.
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Der Bund beantragt (S. 18) folgende Fassung: 1. Wer eine weibliche Person zur Unzucht mit anderen anwirbt oder verhandelt, oder anzuwerben oder zu verhandeln sucht, (71) wer wissentlich an Veranstaltungen teilnimmt, die darauf gerichtet sind, weibliche Personen anderen zur Unzucht zu überliefern, wird mit Zuchthaus bestraft. 2. Die Strafe ist Zuchthaus nicht unter … Jahren: wenn die weibliche Person minderjährig ist, wenn sie die Ehefrau, die Tochter oder Enkelin des Täters ist, oder wenn sie ihm zur Pflege, zur Obhut oder Aufsicht anvertraut ist, wenn sie der Täter einem Bordell zu überliefern suchte, wenn sie im Ausland der Unzucht überliefert werden sollte, wenn der Täter List, Gewalt oder Drohung gegen eine Person angewendet hat. Stand die Person fern oder stand sie noch im Schutzalter und war sie der Unzucht mit anderen überliefert worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter … oder auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen. Mit der Freiheitsstrafe kann Geldstrafe bis zu … verbunden werden.
(72) Der Bund beantragt (S. 16) folgende Fassung: Wer mit einem Mädchen, welches das vierzehnte aber nicht das sechszehnte Lebensjahr vollendet hat unzüchtige Handlungen vornimmt, oder dieselbe zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet, wird mit Gefängnis bis zu Einem Jahre bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormunds der Verführten ein. Anmerkung. Falls die Forderung des Bundes zu § 176 Z. 3 erfüllt würde, hätte § 182 ganz wegzufallen.
§ 195 StGB. lautet: Der Bund beantragt (S. 40): Ist eine Ehefrau beleidigt worden, so hat sowohl Die Streichung dieses Paragraphen. sie als ihr Ehemann das Recht, auf Bestrafung anzutragen. §§ 201 ff. StGB. setzen auf das Duell Festungs- Der Bund beantragt (S. 39): haft. (73) daß, wo heute faktisch der Usus von Ehrengerichten besteht, dort diese umgangen werden, oder ihrem Gebote (73) zuwider dennoch duelliert wird, statt auf Festungshaft auf Gefängnis erkannt werde.
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§ 217 StGB lautet: Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder aber gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Jahren ein. (74)
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Der Bund beantragt (S. 43) folgende Fassung und folgende Zusätze: Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Mit Gefängnis bis zu wird der Mann bestraft, der sich böswillig der Pflicht entzieht, einer von ihm außerehelich geschwängerten Person, die aus Anlaß der Schwangerschaft oder Niederkunft notwendige Hilfe zu leisten, wenn dies zur Folge hat, daß die Person in einen notleidenden oder hilflosen Zustand versetzt wird, in dem sie ein gegen das Leben des Kindes gerichtetes oder dasselbe einer Gefahr aussetzende Verbrechen begeht. Mit Gefängnis bis zu wird der Mann bestraft, der obwohl er weiß, daß eine von ihm außerehelich geschwängerte Person ein gegen das Leben des Kindes gerichtetes oder (74) dasselbe einer Gefahr aussetzendes Verbrechen beabsichtigt, es unterläßt Schritte zu unternehmen, durch die dem Verbrechen vorgebeugt werden könnte. Hat das Verbrechen den Tod des Kindes zur Folge gehabt, so kann Gefängnis bis zu . . . . . . . . . angewendet werden.
§ 218 StGB lautet: Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren, die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. (75)
Der Bund fordert (S. 45) hierzu folgendes: a) Abschaffung der Zuchthausstrafe und Festsetzung des Höchstmaßes von 2 Jahren Gefängnis; b) Straflosigkeit der Tat in folgenden Fällen: 1. wenn die Vollendung der Schwangerschaft mit Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter verbunden ist; 2. wenn zu erwarten ist, daß das Kind geistig oder körperlich schwer belastet ins Leben treten würde; 3. wenn nachgewiesenermaßen die Schwangerschaft in Folge von Vergewaltigung eingetreten ist. Es muß gesetzlich festgelegt werden, daß die Vornahme (75) des Aborts nur auf Antrag der Schwangeren durch einen approbierten Arzt oder eine Aerztin, die jeden Fall einer Aerztekommission zur Begutachtung vorzulegen haben, geschehen darf. In den Kommissionen, welche den Landgerichten anzugliedern wären, müssen auch Frauen Sitz und Stimme haben.
§ 219 lautet: Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr anwendet oder ihr beigebracht hat.
Der Bund beantragt hierzu (S. 52) folgenden Zusatz: Ausgenommen sind die durch promovierte Aerzte vorgenommenen Fruchtabtreibungen, zu deren Vornahme sie durch ein Gutachten einer Aerztekommission oder durch ein gerichtliches Erkenntnis hinsichtlich eines an der Frau verübten Notzuchtverbrechens berechtigt sind.
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§§ 223 StGB. ff. handeln von der Körperverlet- Hierzu beantragt der Bund (S. 31) folgenden zung. (76) neuen Paragraphen: Wer wissend, daß er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet durch Geschlechtsverkehr oder andere körperliche Berührung (z. B. im Ammen oder Hebammen-(76)wesen seine Krankheit auf andere Person überträgt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. § 232 Abs. 3 StGB. lautet: Der Bund beantragt (S. 41), daß es heiße: Die in den §§ 195, 196 und 198 enthaltenen Vor- Die in den §§ 196 und 198 enthaltenen Vorschrifschriften finden hier Anwendung. ten finden auch hier Anwendung. § 300 StGB. lautet: Rechtsanwälte, Advokaten, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Aerzte, Wundaerzte, Hebammen, Apotheker, sowie die Gehülfen dieser Personen werden, wenn sie unbefugt Privatgeheimnisse offenbaren, bei ihnen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder aber mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft.
Der Bund beantragt (S. 30) folgende Zusätze: Die Offenbarung ist straflos, wenn sie erfolgt, um andere vor Schaden an Leben oder Gesundheit zu bewahren. Wissentlich falsche Auskunft, wenn dadurch Leben oder Gesundheit gefährdet wird, wird mit … bestraft.
§ 361 Z. 6 StGB. lautet: Der Bund fordert (S. 25), daß dieser Paragraph Mit Haft wird bestraft eine Weibsperson, welche gestrichen werde. (77) (78) wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht un-(77)terstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt. (78)
Gegenüberstellung der in der Strafprozeßordnung, im Entwurfe einer Strafprozeßordnung und in der Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz enthaltenen Paragraphen und der Forderungen des Bundes deutscher Frauenvereine § 340 StPO. lautet: Der Bund verlangt (S. 41), daß in diesem ParagraDer gesetzliche Vertreter eines Beschuldigten, phen die Worte: „desgleichen der Ehemann einer desgleichen der Ehemann einer beschuldigten beschuldigten Frau“ gestrichen werden. Frau können binnen der für den Beschuldigten laufenden Frist selbstständig von den zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch machen. § 1181 Novelle zum GVG. lautet: Der Bund verlangt hierzu (S. 62 u. 63), einen ZuDas Amt eines Schöffen, sowie das eines Ge- satz, wonach auch Frauen zum Amte des Schöfschworenen ist ein Ehrenamt. Es kann nur von fen und des Geschworenen zuzulassen seien. einem Deutschen versehen werden.
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§ 34 Z. 8 GVG. lautet: Der Bund beantragt (S. 63) die Streichung dieses Zu dem Amte eines Schöffen sollen nicht beru- Paragraphen. (79) fen werden Volksschullehrer. (79) § 11830 Novelle zum GVG. Abs. 1 lautet: Der Bund verlangt (S. 58), statt der hier ausgeDie Landesjustizverwaltung kann bestimmen, sprochenen fakultativen Einführung von Jugenddaß bei einzelnen Amtsgerichten für die Ver- gerichten, deren obligatorische. handlung von Strafsachen gegen Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Jugendliche) besondere Abteilungen gebildet werden. § 11830 Novelle zum GVG. Abs. 2 lautet: Die Zahl der für diese Abteilungen (Jugendgerichte) erforderlichen Hauptschöffen und Hilfsschöffen wird durch die Landesjustizverwaltung festgesetzt. Nach Maßgabe dieser Festsetzung wählt der Ausschuß aus den berichtigten Urlisten die Hauptschöffen und Hilfsschöffen für die Jugendgerichte. Die Wahl ist auf Lehrer, Lehrherren, Mitglieder von Fürsorgevereinen oder auf sonstige Personen zu richten, die auf dem Gebiete der Jugenderziehung besondere Erfahrung besitzen. Die Namen der erwähnten Hauptschöffen und Hilfsschöffen (80) werden in eine gesonderte Jahresliste eingetragen.
Der Bund verlangt (S. 64), daß in diesem Paragraphen unter den für die Wahl geeigneten Personen ausdrücklich der Frauen Erwähnung getan werde. (80)
§ 176 Abs. 2 Satz 1 GVG. unverändert in den neuen Entwurf herübergenommen lautet: Zu nicht öffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelnen Personen vom Gerichte gestattet werden.
Der Bund verlangt (S. 61 f.) folgende Fassung: Zu nicht öffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelnen Personen, auch Frauen vom Gerichte gestattet werden.
§ 138 Abs. 2 Entw. einer StPO. lautet: Auch andere von einem dazu Berechtigten gewählte Personen können vom Gericht als Verteidiger zugelassen werden.
Der Bund verlangt (S. 61), folgende Fassung: Auch andere von einem dazu Berechtigten gewählte Personen, auch Frauen können vom Gericht als Verteidiger zugelassen werden.
In den deutschen Einzelstaaten ist bedingte Be- Der Bund verlangt (S. 61), folgende Fassung: gnadigung zugelassen. Auch andere von einem dazu Berechtigten gewählte Personen, auch Frauen können vom Gericht als Verteidiger zugelassen werden. Der Bund verlangt (S. 58), daß durch Reichsgesetz bedingte Verurteilung für Jugendliche eingeführt werde, verbunden mit einer Bewährungsfrist und der Bestellung von Bewährungsfürsorgern, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts.
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Teil 1
Camilla Jellinek: Deutschland, in: Women’s position in the laws of the nations, 1912
JELLINEK, Camilla: Deutschland, in: Women’s position in the laws of the nations. A compilation of the laws of different countries. Published by authority of the International Council of Women, Karlsruhe 1912, S. 19-35 Kommentar: Im Auftrag des Internationalen Frauenbundes (International Council of Women) berichten im Jahr 1912 Vertreterinnen der angeschlossenen nationalen Frauenbünde über die Rechtslage der Frau in ihren Staaten einschließlich der schon erfolgten bzw. noch zu fordernden Reformschritte. Für Deutschland übernimmt diese Aufgabe Camilla Jellinek. Sie schildert im jüngsten Text der vorliegenden Sammlung die Stellung der Frau in Deutschland umfassend und behandelt dabei sowohl das Bürgerliche Recht als auch das Strafrecht, Prozeßrecht, Staats- und Verwaltungsrecht.
(19) DEUTSCHLAND Bericht von Frau Camilla Jellinek Heidelberg Der Internationale Frauenbund hat den ihm angeschlossenen Nationalverbänden die Aufgabe gestellt, eine Übersicht zu geben über die nationalen „Gesetzesbestimmungen, welche die Frau dem Manne gegenüber inferior behandeln“. Diese Aufgabe bedarf einer Einschränkung und einer Erweiterung. Einer Einschränkung insofern, als die detaillierte Aufzählung aller Einzelbestimmungen mehr verwirren als aufklären würde; einer Erweiterung insofern, als es dem Wesen und Zweck jener Aufgabe entspricht, wenn neben den Gesetzen, 1. welche ausdrücklich eine schlechtere Behandlung der Frau enthalten auch 2. die hier ihren Platz finden, welche nicht wörtlich gegen die Frau sind, aber gegen sie ausgelegt werden; ferner 3. die Gesetze, welche sich in ihren Wirkungen gegen die Frau richten, obwohl sie a) für Mann und Frau gleich, b) dem Wortlaut nach sogar zugunsten der Frau lauten; endlich 4. die Gesetze, die in Wirklichkeit für die Frau sind und nur scheinbar gegen sie lauten. Den meisten dieser verschiedenen Kategorien werden wir auf allen Rechtsgebieten begegnen. Wir werden daher zu fordern haben: (ad 1) Veränderung des Gesetzestextes. (ad 2) Gerechte Auslegung der Gesetze. (ad 3) Soviel wie möglich Ausgleich der sowohl durch die Natur selbst als durch die Kultur und Überkultur hervorgerufenen Ungleichheit der Geschlechter und zwar durch Heranziehung des Mannes in straf- und zivilrechtlicher Beziehung oder durch Inanspruchnahme der Allgemeinheit, und durch Einflußnahme der Frau in der Rechtsprechung. (ad 4) Den modernen Bedürfnissen entsprechend Vermehrung und Ausdehnung so gearteter Gesetze zum Schutze der Frau. Da es sich nach diesem Schema also nicht bloß um Aufzählung unzweideutiger Paragraphen handeln kann, ist es unausbleiblich, daß über die im folgenden dargestellten Forderungen zum Teile die Meinungen innerhalb der deutschen Frauenbewegung auseinandergehen, und wenn es schon bei vielen schwierig ist zu
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Camilla Jellinek: Deutschland, in: Women’s position in the laws of the nations, 1912
JELLINEK, Camilla: Deutschland, in: Women’s position in the laws of the nations. A compilation of the laws of different countries. Published by authority of the International Council of Women, Karlsruhe 1912, S. 19-35 Kommentar: Im Auftrag des Internationalen Frauenbundes (International Council of Women) berichten im Jahr 1912 Vertreterinnen der angeschlossenen nationalen Frauenbünde über die Rechtslage der Frau in ihren Staaten einschließlich der schon erfolgten bzw. noch zu fordernden Reformschritte. Für Deutschland übernimmt diese Aufgabe Camilla Jellinek. Sie schildert im jüngsten Text der vorliegenden Sammlung die Stellung der Frau in Deutschland umfassend und behandelt dabei sowohl das Bürgerliche Recht als auch das Strafrecht, Prozeßrecht, Staats- und Verwaltungsrecht.
(19) DEUTSCHLAND Bericht von Frau Camilla Jellinek Heidelberg Der Internationale Frauenbund hat den ihm angeschlossenen Nationalverbänden die Aufgabe gestellt, eine Übersicht zu geben über die nationalen „Gesetzesbestimmungen, welche die Frau dem Manne gegenüber inferior behandeln“. Diese Aufgabe bedarf einer Einschränkung und einer Erweiterung. Einer Einschränkung insofern, als die detaillierte Aufzählung aller Einzelbestimmungen mehr verwirren als aufklären würde; einer Erweiterung insofern, als es dem Wesen und Zweck jener Aufgabe entspricht, wenn neben den Gesetzen, 1. welche ausdrücklich eine schlechtere Behandlung der Frau enthalten auch 2. die hier ihren Platz finden, welche nicht wörtlich gegen die Frau sind, aber gegen sie ausgelegt werden; ferner 3. die Gesetze, welche sich in ihren Wirkungen gegen die Frau richten, obwohl sie a) für Mann und Frau gleich, b) dem Wortlaut nach sogar zugunsten der Frau lauten; endlich 4. die Gesetze, die in Wirklichkeit für die Frau sind und nur scheinbar gegen sie lauten. Den meisten dieser verschiedenen Kategorien werden wir auf allen Rechtsgebieten begegnen. Wir werden daher zu fordern haben: (ad 1) Veränderung des Gesetzestextes. (ad 2) Gerechte Auslegung der Gesetze. (ad 3) Soviel wie möglich Ausgleich der sowohl durch die Natur selbst als durch die Kultur und Überkultur hervorgerufenen Ungleichheit der Geschlechter und zwar durch Heranziehung des Mannes in straf- und zivilrechtlicher Beziehung oder durch Inanspruchnahme der Allgemeinheit, und durch Einflußnahme der Frau in der Rechtsprechung. (ad 4) Den modernen Bedürfnissen entsprechend Vermehrung und Ausdehnung so gearteter Gesetze zum Schutze der Frau. Da es sich nach diesem Schema also nicht bloß um Aufzählung unzweideutiger Paragraphen handeln kann, ist es unausbleiblich, daß über die im folgenden dargestellten Forderungen zum Teile die Meinungen innerhalb der deutschen Frauenbewegung auseinandergehen, und wenn es schon bei vielen schwierig ist zu
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(20) sagen, ob sie gegenwärtig die der Majorität der Frauen sind, schwierig deshalb, weil nicht alle Gegenstand offizieller Kundgebungen geworden, so wäre es geradezu unmöglich zu sagen, welchen von einander heute widerstreitenden Forderungen in der Zukunft der Sieg innerhalb der Frauenwelt selbst zuteil werden wird. Unausbleiblich ist es, daß die Ausführung dieses als sinngemäße Grundlage unserer Aufgabe erkannten Schemas in dem gegebenen engen Rahmen nur Andeutung sein kann. I. Bürgerliches Recht115 1. Familienrecht A. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen. Die Beziehungen der ehelosen Individuen sind grundsätzlich ohne Ansehen des Geschlechtes geregelt. Die Ehefrau dagegen ist dem Manne wesentlich untergeordnet. § 1354 Abs. 1 (Bürgerliches Gesetzbuch) bestimmt, daß dem Manne die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zusteht. Die organisierte deutsche Frauenbewegung verlangt statt dessen, daß bei Meinungsverschiedenheiten der Vormundschaftsrichter den Ausschlag zu geben hat. § 1354 Abs. 1 Satz 2 sagt insbesondere, daß der Mann Wohnort und Wohnung zu bestimmen hat (vgl. § 10). Es könnte von vornherein gesetzlich festgelegt werden, daß das dann nicht der Fall zu sein hätte, wenn die Frau durch ihre Erwerbsarbeit die Haupternährerin der Familie ist (vgl. hierzu überdies das im vorigen Absatz Gesagte). § 1355 bestimmt, daß die Frau den Familiennamen des Mannes erhält. Gewünscht wird, daß sie kraft Gesetzes neben diesem ihren eigenen führen solle. § 1356 Abs. 2 verpflichtet die Frau zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes, soweit solche Tätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist. Mit Rücksicht insbesondere darauf, daß die Frau vor der Ehe oft einen Beruf gelernt hat, und mit Rücksicht besonders darauf, daß ein solcher gelernter Beruf sie eher in den Stand setzt, ihrer (21) Unterhaltspflicht (vgl. § 1360 Abs. 2) unter Umständen Genüge zu tun, wird die Abschaffung dieser schematischen Behandlung der Frage verlangt (vgl. das zu § 1354 Gesagte). § 1357 Abs. 2 räumt dem Manne das Recht ein, der Frau die sog. „Schlüsselgewalt“, d.h. die Berechtigung, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Geschäfte selbständig zu besorgen, einzuschränken oder zu kündigen. Die organisierten deutschen Frauen verlangen, daß vor einem dahingerichteten Vorgehen des Mannes der Vormundschaftsrichter dessen objektive Notwendigkeit festzustellen habe.
115 Für die Frauenforderungen zum Bürgerlichen Recht entfaltete der Bund deutscher
Frauenvereine insbesondere in den Jahren 1895/96 eine umfassende Agitation. Vgl. insbesondere Heft III der Schriften des Bundes deutscher Frauenvereine 1899 [Begleitschrift zur Petition, Nr. 10], Verlag von Reisel, Frankenberg (Sachsen). Vgl. ferner Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung [6. Kapitel: Nr. 66] V. und VI. Kapitel (Tübingen 1907, Verlag von J. C. B. Mohr).
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§ 1358 gibt dem Manne unter gewissen Voraussetzungen ein Kündigungsrecht Geschäftsverträgen der Frau gegenüber. Zu verlangen ist Prüfung der objektiven Interessenlage durch den Vormundschaftsrichter. B. Eheliches Güterrecht. Ein noch größeres Übergewicht, als das bisher betrachtete „Entscheidungsrecht“ gibt dem Manne seiner Ehefrau gegenüber der gesetzliche eheliche Güterstand. § 1363 Abs. 1 spricht grundsätzlich aus: „Das Vermögen der Frau wird durch Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen.“ Aus diesem Grundsatze ergeben sich eine Fülle demütigender Einschränkungen für die Frau. Im Namen ihrer Selbständigkeit fordert die deutsche Frauenbewegung, daß Gütertrennung gesetzlicher Güterstand werde, und daß auf Grund ihrer wirtschaftlichen Leistungen, sei es in des Mannes Betriebe, sei es im gemeinschaftlichen Haushalt ein bestimmter Prozentsatz des Ein-kommens des Mannes der Frau für rein persönliche Ausgaben zur Verfügung gestellt werde. C. Ehescheidung. Der eben kritisierte gesetzliche eheliche Güterstand ist auch von Einfluß auf die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft. Er bringt es mit sich, daß wenn keine Scheidungsklage erhoben wird oder erhoben werden kann, der Mann doch faktisch dauernd außerhalb des gemeinschaftlichen Hausstands leben kann und dabei nicht nur sein Vermögen behält, sondern auch das der Frau weiter verwaltet, wobei die Frau nur Unterhaltsanspruch geltend machen kann (§ 1361). Verläßt dagegen die Frau unter gleichen Umständen den Mann, so bekommt sie ihr Vermögen nicht heraus und hat auch keinen Unterhaltsanspruch. Die auf die Scheidungsmöglichkeit unmittelbar sich beziehenden gesetzlichen Bestimmungen sind in ihren Wirkungen auch viel ungünstiger für die Frau als für den Mann. Neben den absoluten Scheidungsgründen (§§ 1565, 1566, 1567 und 1569) Ehebruch, Bigamie, widernatürliche Unzucht, Lebensbedrohung, bösliche Verlassung und unheilbare Geisteskrankheit, gibt es nämlich (§ 1568) (22) noch relative, d. h. ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere „durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem anderen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt auch grobe Mißhandlung“. Ob also die Fortsetzung der Ehe dem anderen Gatten zugemutet werden kann, ist dem Ermessen des Richters überlassen. Richter sind heute ausschließlich Männer. Es wird bei den landläufigen Ansichten von der doppelten Moral in objektiv gleichen Fällen dem Manne viel leichter werden, den Richter davon zu überzeugen, daß ihm die Ehe nicht zugemutet werden könne, als umgekehrt, und zwar sowohl bei moralischen Verfehlungen als bei Mißhandlung. Hier würde eine andere Gesetzesformulierung wirkungslos bleiben müssen (vgl. Kategorie 3). Hierzu aber ganz besonders fordern wir weibliche Richter, die mit männlichen zusammen zu entscheiden hätten (vgl. unten „Gerichtsverfassung“). Die Regelung der Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten zu ihren Kindern sind auch derart, daß bei Scheidung die Frau härter als der Mann getroffen wird. Doch davon im nächsten Abschnitt. D. Rechtliche Stellung der Eltern zu ihren ehelichen Kindern. Die elterliche Gewalt steht in vollem Umfange dem Vater allein zu (§ 1627) und selbst bei der Sorge für die Person des Kindes, die doch der Frau ureigenstes Gebiet ist, geht bei Meinungsverschiedenheiten die Meinung des Vaters vor (§ 1634).
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Erst bei seinem Tode (unter normalen Verhältnissen) geht auf die Mutter die elterliche Gewalt über, welche ihr aber dadurch verkürzt ist, daß ihr, nach § 1687 selbst gegen ihren Willen ein „Beistand“ aufgedrängt werden kann, und dadurch, daß sie sie bei ihrer Wiederverheiratung verliert (während das beim Vater nicht der Fall ist), und auch dadurch, daß der Vater über seinen und seiner Witwe Tod hinaus den Kindern in bindender Weise einen Vormund bestellen kann (§§ 1776, 1782). Selbst wenn – aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund – der Mutter die Ausübung der elterlichen Gewalt bei Lebzeiten des Vaters übertragen wird, bleibt diesem die Nutznießung des Kindesvermögens (§ 1685). Ganz besonders im argen liegen für die Frau die Verhältnisse den Kindern gegenüber bei Scheidung der Ehe (vgl. oben). Für die elterliche Gewalt des Vaters ist es nämlich gleichgültig, ob er an der Ehescheidung schuld ist oder nicht (es sei denn, daß der Grund der Ehescheidung ein gerade an den Kindern verübtes schweres Verbrechen gewesen). Er behält also die elterliche Gewalt (23) auch dann, wenn der schuldlos geschiedenen Frau das Erziehungsrecht und das Recht, mit den Kindern zu leben, zuerkannt worden ist. Auch dann also z. B. hat er und nicht die Mutter das Einwilligungsrecht zur Eheschließung und hat er das Nutzniessungsrecht am Vermögen der Kinder. Diesen großen Ungerechtigkeiten gegenüber erheben wir die Forderung, daß die elterliche Gewalt überhaupt nicht als Gewalt des Vaters aufgefaßt, sondern beiden Eltern gegeben werde; im äußersten Falle hätte bei Meinungsverschiedenheiten das Vormundschaftsgericht – und zwar eines, das aus Männern und Frauen zu bestehen hätte – die Entscheidung zu fällen. E. Rechtliche Stellung der Mutter zu ihren unehelichen Kindern. Das Gesetz verpflichtet den Vater des unehelichen Kindes vor der Mutter zum Unterhalt des Kindes (§ 1709) und erstreckt diese Unterhaltspflicht bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres, unter Umständen auch länger (§ 1708). Tatsächlich aber ruht die Unterhaltsverpflichtung doch fast ausschließlich auf der Mutter. Selbst wenn, was wiederholt verlangt worden ist, die Unterhaltspflicht des Vaters bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ausgedehnt würde, selbst wenn die Bestimmung gestrichen würde, nach der der uneheliche Vater die Zahlung verweigern kann, wenn innerhalb der Empfängniszeit auch noch ein anderer der Mutter beigewohnt hat (§ 1717), selbst wenn ferner, wie es auch schon vorgeschlagen wurde, Eltern und Großeltern eines unehelichen Vaters subsidiär für die Zahlung der Alimente haftbar gemacht würden, auch wenn dem unehelichen Kinde dem Vater gegenüber gesetzliches Erbrecht eingeräumt würde, wären solche Maßregeln nur Tropfen auf einen heißen Stein. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle bliebe trotz solcher und ähnlicher Reformen alles beim alten, mit Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse, die darin bestehen, daß der uneheliche Vater meist nicht gefunden wird, oder knapp nur soviel besitzt oder erwirbt, als er für seinen eigenen Unterhalt oder den seiner legitimen Familie braucht. Wenn wir also die Frage der tatsächlichen Stellung der unehelichen Mutter in der Hauptsache, d. h. der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kinde mit dem Text der erwähnten §§ 1708, 1709 vergleichen, so sehen wir, daß es sich hier um Gesetze handelt, welche versagen, obwohl sie dem Wortlaut nach sogar zugunsten der Frau lauten (vgl. oben 3b) und daß wirksame Besserung nur geschaffen wer-
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den kann durch Heranziehung der Allgemeinheit, sei es durch allgemeinen staatlichen Mutterschutz oder durch umfassende Mutterschaftsversicherung. (24) F. Vormundschaft. Die Frau ist zwar grundsätzlich zur Übernahme von Vormundschaften über eigene und fremde Kinder zugelassen, doch bedarf sie in dem letzten Fall nach § 1783 der Zustimmung ihres Mannes; ferner hat sie das „Privileg“ ohne Angabe von Gründen die Übernahme ablehnen zu können, was zur Folge hat, daß die Gerichte häufig davon absehen, überhaupt an sie heranzutreten, eine der „günstigen Ausnahmebestimmungen“, die dem Interesse der Frau zuwiderlaufen (vgl. oben 3b). 2. Erbrecht Das Erbrecht der Frau ist nach dem Bürgerlichen Recht grundsätzlich gleich mit dem des Mannes geordnet. Verhältnismäßig unwichtige Abweichungen von dieser grundsätzlichen Gleichberechtigung enthalten Rechte einzelner Staaten über das Anerbenrecht, wonach zunächst die Söhne bei einer Erbschaft das Hofgut des Erblassers erhalten (z.B. bad. Gesetz vom 20. Aug. 1908, die geschlossenen Hofgüter betreffend) und das Recht der Stammgüter und Fideikommisse. II. Öffentliches Recht 1. Strafrecht116 Auf dem Gebiete des Strafrechts zeigt es sich noch viel schärfer als im Bürgerlichen Recht, das wir soeben betrachtet, wie der Macht des Tatsächlichen gegenüber, der Text der Gesetze gleichgültig sein kann (vgl. oben 3a und 3b). Das bestehende Strafgesetzbuch hat nur einen einzigen Paragraphen, der eine im Worte liegende Ungleichheit zum Schaden des weiblichen Geschlechts enthält, und tro[t]zdem wenden sich die Frauen mit Recht nicht nur gegen diesen, sondern gegen eine ganze Reihe von Paragraphen. Ja der eine erwähnte Paragraph ist sogar im Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch so gefaßt worden, daß auch er, wörtlich genommen, die Gleichstellung der Geschlechter ausspricht, und trotzdem empört sich gegen ihn, indem sie sich auf den Boden der Internationalen Abolitionistischen Föderation stellt, einmütig die ganze organisierte Frauenwelt. Es ist dies der Paragraph, der die Grundlage der Reglementierung der Prostitution bildet. Der lautet im heutigen Strafgesetzbuch (§ 361, Z. 6): (25) „Mit Haft wird bestraft eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt.“ und im Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch lautet er: § 305 Z. 4: Mit Haft wird bestraft eine Person, die gewerbsmäßig Unzucht treibt, wenn sie die in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes erlassenen Vorschriften übertritt. 116 Vgl. die Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbu-
ches und der Strafprozeßordnung nach den Beschlüssen der Generalversammlung zu Breslau im Auftrage der Rechtskommission ausgearbeitet von Camilla Jellinek. Verlag von Bensheimer, Mannheim, 1909 [Nr. 26].
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Es macht nicht den geringsten Unterschied ob, wie im heutigen Str.G.B. „die Weibsperson“ oder wie im Vorentwurf „die Person“ schlechthin hierbei bestraft wird, denn in der Natur der Sache liegt es, daß auch „die Personen“ so gut wie ausschließlich weibliche Personen sind, und diese sollen für eine Sache, an der Mann und Frau gleich beteiligt sind, allein zur Rechenschaft gezogen werden. Die Frauen verlangen gebieterisch Streichung dieses Paragraphen und damit Abschaffung der Reglementierung. Das gleiche Mittel der Streichung wird noch verlangt dem Delikt des Ehebruchs § 172 gegenüber, u.a. aus ähnlichem Grunde hier wie dort. Der Paragraph lautet: „Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Ehegatten sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.“ Auch dieser Paragraph wirkt ungerecht gegen die Frau, wenn auch nicht so absolut wie der vorher besprochene. Er wirkt deshalb ungerecht, weil die zurzeit noch weitverbreitete „doppelte Moral“ den Ehebruch der Frau schwerer auffaßt als den des Mannes, und daher eine Verurteilung wegen Ehebruchs die Frau härter trifft als den Mann. Und wie verhält es sich mit dem Delikt der Kindestötung, d. h. der Tötung des unehelichen Kindes, begangen durch seine Mutter in oder gleich nach der Geburt? (§ 217). Scheinbar ist die Kindesmörderin dem gemeinen Mörder gegenüber bevorzugt, denn während auf Mord Todesstrafe steht, steht auf Kindesmord (wenn keine mildernden Umstände vorliegen) nur (!) Zuchthaus nicht unter drei Jahren. In Wahrheit liegt aber keine „Bevorzugung“, (26) sondern eine ungeheure Benachteiligung hier vor, denn die Frauentat des Kindesmords wird in spezifischer Verzweiflung verübt, deren Ursache der Mann ist, der die Frau verlassen hat. Wir verlangen Herabsetzung der Strafe und strafrechtliche Heranziehung des unehelichen Vaters, als des mittelbaren Täters. Wenn nun schon das „Kindesmord“-Gesetz in seiner Strenge und Einseitigkeit den vollen Charakter eines Männergesetzes trägt, so ist dies in noch ausgeprägterer Weise der Fall bei dem Gesetz, das die Vernichtung des keimenden Lebens durch die Mutter mit Zuchthaus bestraft (§ 218). Die Majorität der organisierten Frauenwelt hält an der prinzipiellen Strafbarkeit der Tat fest, wofür sie als Gründe insbesondere anführt, daß durch das Fehlen einer Strafbestimmung die Sittlichkeit und die Bevölkerungszunahme gefährdet würde, erhebt jedoch die Forderung einer Milderung der Strafe (und Zulassung der Möglichkeit von Straflosigkeit – in vereinzelten Fällen –), während eine Minorität, erfüllt vor der Überzeugung, daß dieses Gesetz nie geschaffen worden wäre, wenn Männer die Kinder zu gebären hätten, im Namen des Selbstbestimmungsrechts der Frau die vollständige Aufhebung dieses Strafparagraphen verlangt, wodurch an den tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert werden dürfte, da von einer generalpräventiven Wirkung des Gesetzes heute kaum etwas zu spüren ist. Natürlich enthält die Forderung der Straflosigkeit hier ebensowenig wie bei Ehebruch und Prostitution auch nur die leiseste Billigung der Tat. Eine Gruppe von Paragraphen befaßt sich mit den Delikten auf geschlechtlichem Gebiete, deren Opfer Frauen sind, denen keine anderen etwa gegenüberstehen, die solche Delikte von Frauen an Männern begangen unter Strafe stellen. Also hier doch wohl eine die Frau bevorzugende Gesetzgebung! Wie undankbar von
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den Frauen, trotzdem nicht damit zufrieden zu sein! Sie finden eben, daß wahre Gerechtigkeit eines Kulturstaates darin zu bestehen hat, nach Möglichkeit natürliche Ungleichheiten auszugleichen, also auf den Gebieten, wo die Frau schwächer ist – und das ist vor allem das geschlechtliche Gebiet – diese mehr als bisher zu schützen. In diesem Sinne verlangen sie besonders, daß geschlechtliche Angriffe auf ein Mädchen unter 16 Jahren schlechthin zu bestrafen sind, nicht nur dann, wenn das Merkmal von dessen „Unbescholtenheit“ vorliegt. Sie gehen aber weiter und wollen mit Entschiedenheit schärfere und wirksamere Bestimmungen gegen Verkuppelung, auch gegen Verkuppelung Erwachsener, von der Erwägung ausgehend, daß auch die einwilligende Volljährige mit ihrer meist geringen Weltkenntnis nicht annähernd die Tragweite ihres Tuns für ihr ganzes Leben übersehen kann. (27) Die ebenfalls von uns erhobene Forderung einer Strafbestimmung gegen Vorgesetzte, Arbeitgeber usw., die unter Mißbrauch des Abhängigkeitsverhältnisses mit den von ihnen abhängigen Personen unzüchtige Handlungen vornehmen, wird von dem gleichen Gesichtspunkte – dem des spezifischen Schutzes der Frau – gestellt; die analoge Vornahme unzüchtiger Handlungen an männlichen Personen fällt nämlich so gut wie ausschließlich ohnehin unter bestehende Paragraphen: entweder dem, der jugendliche Personen (unter 14 Jahren) schützt, oder unter den gegen homosexuellen Verkehr. Angeblich zugunsten der Frau besteht die Bestimmung der §§ 195 u. 232, nach denen bei gegen die Frau gerichteter Beleidigung und leichter Körperverletzung neben ihr selbst auch ihr Ehemann das Recht hat, selbständig den Strafantrag zu stellen. Die Frauen finden, daß hier eine spezifische Schutzbestimmung ganz und gar nicht an ihrem Platze ist, daß die Frau so gut wie der Mann zu beurteilen vermöge, ob sie beleidigt oder verletzt worden ist, und daß, wenn für sie wirklich, wie es gesagt wird, darin ein Vorteil liegt, daß sie statt als Klägerin als Zeugin auftreten kann, ein ähnlicher Vorteil auch dem beleidigten oder verletzten Ehemanne zugesichert werden müßte, daß also auch die Ehefrau selbständig – eventuell gegen den Willen ihres Ehemannes – den Strafantrag müßte stellen können, wenn dieser beleidigt oder verletzt worden ist! 2. Gerichtsverfassung und Prozeßrecht117 In diesem und dem folgenden Abschnitte haben wir uns, neben einigen anderen Bestimmungen (über Staatsangehörigkeit, Freizügigkeit und Unterstützungswohnsitz), insbesondere mit den Gesetzen zu beschäftigen, die sich auf Zulassung von Frauen zu Wahlen, Ämtern und Berufen beziehen und auf ihre Stellung innerhalb von Berufen, verglichen mit der der Männer in den gleichen. Von dem Richteramt sind die Frauen bisher ausgeschlossen. Dieser tatsächliche Zustand beruht nicht ausdrücklich auf Gesetzen, sondern auf Auslegung der Gesetze (vgl. oben 2). Die §§ 1 ff. Gerichtsverfassungsgesetz bestimmen wie die Fähigkeit zum Richteramte erworben werde, und setzen stillschweigend voraus, daß zu den obligaten Prüfungen und dem obligaten Vorbereitungsdienst nur Männer zugelassen werden. Die Forderung nach weiblichen Richtern ist aber nicht nur prinzipiell im Namen der Gleichberechtigung (28) der Geschlechter zu stellen, sondern auch, weil nur weibliche Richter zusammen mit männlichen, insbesondere bei Ehescheidungen (vgl. oben) und Geschlechtsdelikten, eventuell auch bei 117 Vgl. die oben bei „Strafrecht“ zitierte Broschüre [Nr. 26].
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Meinungsverschiedenheiten zwischen Eheleuten, die nach unseren Wünschen vor das Vormundschaftsgericht gebracht werden sollten, den Fraueninteressen wirklich gerecht werden könnten. Mindestens ebenso bedauerlich, wie daß Frauen nicht Richter werden können, ist es, daß der Anwaltsberuf ihnen versperrt ist. Es müssen dafür nach der Rechtsanwaltsordnung §§ 1 ff. die gleichen Voraussetzungen wie für das Richteramt vorliegen. Aus den gleichen Gründen können Frauen auch nicht Notare werden. Die einzelnen Landesgesetze sprechen dies aus. Wir erinnern z. B. an das Bad. Rechtspolizeigesetz § 2. Wir verlangen, daß den Frauen unter den gleichen Voraussetzungen wie den Männern der Anwalts- und der Notarberuf offenstehe. Aber auch, daß Richterämter, zu denen die erwähnten Prüfungen usw. nicht nötig sind, durch Frauen nicht besetzt werden können, wird in die betreffenden Gesetze hineininterpretiert oder ausdrücklich darin ausgesprochen. Sie werden daher nicht als Schöffen, Geschworene und Handelsrichter zugelassen (Gerichtsverfassungsgesetz §§ 31, 84, 109). Protestieren müssen die Frauen auch gegen den § 1032 Abs. 3 Zivilprozeßordnung, der von der Ablehnung der Schiedsrichter handelt und lautet: „Frauen, Minderjährige, Taube, Stumme und Personen, welchen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, können abgelehnt werden.“ Ferner, obwohl das Vordringen der Frauen in gewerblicher und industrieller Tätigkeit ihnen vollauf gerechtfertigten Anspruch darauf geben würde, können sie nicht Mitglieder der Gewerbegerichte werden (Reichsgesetz betr. die Gewerbegerichte § 10 Z. 2), auch nicht Mitglieder der Kaufmannsgerichte (Reichsgesetz betr. Kaufmannsgerichte § 10). Wir verlangen hier überall Gleichstellung der Frauen mit den Männern. 3. Staats- und Verwaltungsrecht a) Politisches Wahlrecht. Von dem politischen Wahlrecht – dem passiven wie dem aktiven – sind die Frauen im Deutschen Reiche sowohl wie in den Einzelstaaten ausgeschlossen. Vergeblich verlangten sie bisher die gerechte Interpretierung der Reichstagswahlgesetze (§§ 1, 4) und der Wahlgesetze der Einzelstaaten, nach denen „jeder Deutsche“, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat, wahlberechtigt ist. Ausdrücklich durch das Gesetz ausgeschlossen sind die Frauen von dem (29) Wahlrecht nur in Württemberg. Hier muß also andere Formulierung verlangt werden. b) Gemeindewahlrecht. Vom passiven Gemeindewahlrecht ist die Frau im ganzen Deutschen Reich ausgeschlossen. Das aktive dagegen steht ihr in einer Anzahl deutscher Bundesstaaten in bestimmten Gemeinden zu. Es gibt da mannigfache Abstufungen, insbesondere je nachdem das Wahlrecht mit Besitz oder Bürgerrecht verknüpft ist, und je nachdem die Frauen ihr Stimmrecht persönlich ausüben können oder sich vertreten lassen müssen. Die gesamte deutsche Frauenbewegung ist gegenwärtig in die lebhafteste Agitation dafür eingetreten, das aktive und passive Wahlrecht uneingeschränkt zu erlangen. c) Höherer Verwaltungsdienst. Die Vorschriften über die Vorbereitung zum höheren Verwaltungsdienste sind Sache der deutschen Einzelstaaten. Gemeinsam ist den Bestimmungen aller, daß Frauen hierzu nicht zugelassen werden. Vgl. z.B. für Baden: landesherrl. Verordnung vom 15. Mai 1907 (gleiche Vorschriften wie für das Richteramt, siehe oben) und für Preußen: Gesetz über die Befähigung zum
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höheren Verwaltungsdienst vom 10. August 1906. Wir fordern Zulassung der Frauen zum höheren Verwaltungsdienst unter denselben Voraussetzungen, die für Männer gelten. d) Kommunale Ämter. Von der Beteiligung an kommunalen Ämtern (Armenpflege, Schulverwaltung, Wohnungsinspektion usw.) ist die Frau kraft Gesetzes noch in einer Reihe von deutschen Einzelstaaten teils ausgeschlossen, teils eingeschränkt. Die Frauen verlangen uneingeschränkte Zulassung. e) Berechtigung zum Börsenbesuch. Von dem Börsenbesuche sind die Frauen vollkommen ausgeschlossen. Das Börsengesetz in der Fassung vom 27. Mai 1908, § 7 lautet: „Vom Börsenbesuche ausgeschlossen sind: 1. Personen weiblichen Geschlechts; 2. Personen, welche sich nicht im Besitze bürgerlicher Ehrenrechte befinden; ………… 4. Personen, welche wegen betrüglichen Bankrotts rechtskräftig verurteilt sind .…………“ Diese Zusammenstellung ist sehr „ehrenvoll“ für die Frauen. Es muß Streichung von Ziff. 1 dieses Paragraphen verlangt werden. f) Kirchliches Wahlrecht. Die Kirchen- und Synodalordnungen der deutschen Staaten, soweit sie die Landes-(30)kirche betreffen, schließen mit geringfügigen Ausnahmen118 die Frauen sowohl von dem Recht den Pfarrer zu wählen, als auch von dem aktiven und passiven Wahlrecht zum Kirchenvorstand (bezw. Gemeindeversammlung) aus. Das Interesse der Frau an kirchlichen Angelegenheiten ist wahrlich kein geringeres als das des Mannes. Sie verlangt daher überall uneingeschränktes kirchliches Wahlrecht. g) Besoldung. Wir haben im bisherigen den Ausschluß der Frauen von Berufen zu betrachten gehabt. Nicht weniger aber haben wir uns dagegen aufzulehnen, wenn Frauen zu Berufen zwar zugelassen werden, aber unter schlechteren Bedingungen als die Männer. Soweit die von der organisierten Frauenbewegung erhobene Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Leistung sich auf Berufe bezieht, in denen die Bedingungen dem Übereinkommen zwischen Arbeitgeber und -nehmer überlassen sind, gehört ihre Besprechung nicht hierher; wohl aber insoweit als dieser Forderung Gesetze entgegenstehen. Derartige Gesetze gehören der Kompetenz der deutschen Einzelstaaten an. Wir erwähnen beispielsweise folgende: Das preußische Gesetz vom 26. Mai 1909, betr. die Bereitstellung von Mitteln zu Diensteinkommensverbesserungen, bestimmt, daß der Grundgehalt für die Lehrerstelle an öffentlichen Volksschulen 1400 M., für die Lehrerinstelle 1200 M. jährlich beträgt. Durch Ortszulagen darf der Endgehalt für Lehrerstellen nicht über 4200 M., für Lehrerinnenstellen nicht über 2950 M. erhöht werden. Der Höchstbetrag von Alterszulagen ist für Lehrer auf 1900 M., für Lehrerinnen auf 1250 M. jährlich festgesetzt.
118 Vgl. „Rechte und Pflichten der Frau in der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinde“,
Hefte der freien kirchlich-sozialen Konferenz Nr. 28, Verlag der Vaterländischen Verlagsanstalt SW 61, Johanniterstraße 6, Berlin 1903, und Handbuch zur Frauenfrage, herausgegeben von Paula Müller, Verlag von Edwin Bunge in Gr. Lichterfelde-Berlin 1908 S. 163 f.
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Die badische Gehaltsordnung setzt in § 4 das Diensteinkommen der weiblichen Beamten folgendermaßen fest: „Werden Amtsstellen, die im Gehaltstarif für männliche Beamte vorgesehen sind, weiblichen Beamten übertragen, so erhalten diese drei Vierteile der für männliche Beamte vorgesehenen Sätze an Gehalt, Zulage, Wohnungsgeld und wandelbaren Bezügen.“ Das badische Schulgesetz vom 7. Juli 1910 setzt in § 58 Abs. 2 fest: „Hauptlehrerinnen an Volksschulen erhalten Gehalt wie Hauptlehrer, jedoch nur bis zum Betrag von 2400 M. für das (31) Jahr“ (während nach Absatz 1 desselben Paragraphen Hauptlehrer den Höchstgehalt von 3200 M. erhalten). Solcher Beispiele ließen sich noch viele anführen. Die oft gehörte „Rechtfertigung“ dieser Verhältnisse: der männliche Beamte habe doch für seine Familie zu sorgen, vermögen wir nicht anzuerkennen. Denn einerseits ist nicht jeder männliche Beamte verheiratet, andererseits gibt es eine nicht geringe Zahl weiblicher Beamten, denen die Sorge für alte Eltern oder erwerbsunfähige Geschwister obliegt. Wenn schon eine Unterscheidung gemacht werden sollte, könnte sie gerechterweise nur darin bestehen, daß solche, die für Angehörige zu sorgen haben, gleichgültig ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts sind, mehr erhalten als die Alleinstehenden. Von Verfechtern des bestehenden Zustandes wird hervorgehoben, daß die geringere Entlohnung der Frau für diese einen Vorteil bedeutet, da sie dadurch um so leichter eine Anstellung findet. Dem gegenüber muß betont werden, daß die Frau nicht gesonnen ist, solchergestalt in den Wettbewerb mit dem Manne zu treten. Dafür, daß sie sich auch bei gleicher Besoldung neben dem Manne behaupten könne, haben ihre den seinen gleichwertigen Leistungen aufzukommen. Es wird also gleiche Besoldung für Mann und Frau verlangt. h) Staatsangehörigkeit. Die §§ 5 und 11 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit bestimmt, daß durch die Verheiratung mit einem Deutschen die Ehefrau dessen Staatsangehörigkeit erwirbt, und der § 19 desselben Gesetzes bestimmt, daß die Entlassung des Ehemannes aus einem Staatsverband diejenige seiner Ehefrau nach sich zieht. Es sei darauf aufmerksam gemacht, daß z.B. für den Genuß zahlreicher Stiftungen das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer bestimmten Staatsangehörigkeit Voraussetzung ist, und daß die Frau durch das bestehende Gesetz selbst gegen ihren Willen die für den Stiftungsgenuß notwendigen Eigenschaften verlieren kann. Auch für die Besteuerung können ihr dadurch Nachteile erwachsen. i) Unterstützungswohnsitz. Die §§ 15 ff. des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz (vom 30. Mai 1908) zusammen mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 1. Juni 1870 bringen es durch ihre Bestimmungen über den Unterstützungswohnsitz der Ehefrau und der minderjährigen Kinder mit sich, daß ganz ungereimte und für die Frau ungerechte Situationen sich ergeben können. Läßt sich z. B. die Frau eines Geisteskranken scheiden und zieht sie mit ihren Kindern nach ihrem Geburtsort, so erwirbt sie nach einer bestimmten Frist dort den Unterstützungswohnsitz, (32) nicht aber ihre Kinder. Es können ihr also bei Verarmung die Kinder nach § 31 genommen und dem Unterstützungswohnsitz des Vaters zugeliefert werden. Noch krasser wäre folgender Fall: Eines Deutschen Witwe mit Kindern heiratet im Ausland einen Ausländer. Nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz § 13 Z. 5 verliert sie dadurch selbst gegen ihren Willen die deutsche Staatsange-
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hörigkeit, nicht aber ihre Kinder. Verarmt die Familie, so daß öffentliche Armenpflege in Anspruch genommen werden muß, so werden die Kinder nach § 33 Ü.W.G. an den Staat des letzten Unterstützungswohnsitzes im Deutschen Reich abgeschoben, während die Mutter im Ausland bleiben muß, da sie in Deutschland als Arme sofort über die Grenze gesetzt würde. Übersetzt man den Fall ins Umgekehrte: ein Witwer mit Kindern heiratete im Ausland eine Ausländerin, so würden ihm seine Kinder im gleichen Falle bleiben. Es muß Abstellung dieses Zustandes verlangt werden. k) Freizügigkeit. Das Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 bestimmt in § 2 Abs. 2, daß die Ehefrau die Genehmigung des Ehemanns braucht, um „innerhalb des Reichs an einem beliebigen Orte sich aufzuhalten, Grundeigentum zu erwerben u. S. f.“ Während also dem Manne aus dem – unter „Bürgerliches Recht“ betrachteten – § 1354 Abs. 1 Satz 2 nur das Recht erwächst zu klagen, wenn die Frau den gemeinschaftlichen Wohnort verläßt, er aber nur einen Scheidungsgrund erhält, wenn trotzdem die Frau nicht zurückkehrt, aber kein Zwangsmittel hat, sie zu sich zurückzuführen (§ 888 Abs. 2 Z.P.O.), gibt das Freizügigkeitsgesetz der Polizei die Macht, die Frau in solchen Fällen an den Wohnort des Ehemanns mit Gewalt zurückzusenden. Es ist daher Streichung dieser Bestimmung zu verlangen. l) Gerichtsbarkeit in der Reichsversicherungsordnung. Aus ähnlichen Gründen, aus denen der Ausschluß der Frauen von den Kaufmanns- und Gewerbegerichten zu mißbilligen ist, beanstanden wir, daß sie nicht Versicherungsvertreter bei den Versicherungsämtern, Beisitzer bei den Oberversicherungsämtern und Nichtständige Mitglieder des Reichsversicherungsamts sein können (§§ 47, 76, 92 Reichsversicherungsordnung). m) Berufsinteressen Vertretung. Die Frauen sind reichsgesetzlich von dem passiven und aktiven Wahlrecht für die Handwerkskammern ausgeschlossen, da nach den §§ 103a Z. 2 und 103b Reichsgewerbeordnung dafür die ihnen mangelnde Fähigkeit zum Amte eines Schöffen (vgl. oben) Voraussetzung ist. (33) Die Bedingungen für passives und aktives Wahlrecht für die Landwirtschaftskammern, die Gewerbekammern und die Handelskammern sind landesgesetzlich geregelt. Die Frauen wenden sich gegen die in ihnen enthaltenen Bestimmungen, die ihnen die Gleichberechtigung mit dem Manne vorenthalten. Erwähnt seien beispielsweise folgende darauf bezügliche badische Gesetze: I. Das bad. Gesetz vom 28. Sept. 1906, die Landwirtschaftskammer betr., Gesetz- und Verordnungsblatt 1906 S. 445 f. § 7. Als Mitglieder der Landwirtschaftskammer sind wählbar: ...... Abs. 2. Außerdem ist Voraussetzung für die Wählbarkeit: a) männliches Geschlecht. II. Das bad. Gesetz vom 22. Juni 1892, die Gewerbekammern betr., Gesetzblatt 1892, S. 368. § 5. Ausgeschlossen von der Wahl (§ 7 Wählbarkeit) sind ..... Frauenspersonen, welche ein in der Regel nur von solchen betriebenes Gewerbe ausüben. III. Das bad. Gesetz vom 14. Dez. 1878, die Handelskammer betr., Gesetzblatt S. 229 ff.
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Art. 4 Abs. 2: Das Wahlrecht . . . einer Person weibl. Geschlechts . . . kann nur durch einen eingetragenen Vertreter ausgeübt werden. Durch diese Bestimmung werden die Frauen in diesem Gesetze den unter Vormundschaft Stehenden gleichgesetzt! n) Gewerbeordnung. Wenn wir den bisher betrachteten Ämtern und öffentlichen Berufen gegenüber mit aller Entschiedenheit den Standpunkt einnehmen, daß Änderung in dem Sinne zu erfolgen habe, daß Mann und Frau einander im Gesetze gleich gestellt werden, so können wir aber diesen Standpunkt den gewerblichen Berufen gegenüber nicht festhalten. Auch hier, wie wir es schon insbesondere beim Strafrecht betont, müssen wir uns vor schematischer Gleichheitsforderung hüten, vielmehr – wie dort – verlangen, daß der physisch – und, wie gesagt, vor allem auf geschlechtlichem Gebiete physisch – von Natur aus schwächeren Frau Schutz verliehen werde, und zwar Schutz durch Zwang, weil er sonst nicht realisierbar ist. Die Frauen sind daher prinzipiell mit den scheinbar gegen die Frau gerichteten Gesetzen (vgl. oben International Council of Women (34) Kategorie 4) einverstanden, die die Arbeitszeit überhaupt der Frau einschränken (Reichsgewerbeordnung §§ 137 und 137a) und im besonderen die der Wöchnerinnen für eine bestimmte Zeit nach der Entbindung. Und wo einschränkende Bestimmungen nur für das männliche Geschlecht vorgesehen sind, sehen sie darin mit vollem Recht nicht eine Vergünstigung, sondern eine Benachteiligung für sich. Sie wenden sich z. B. gegen den § 120 Abs. 3 der G.O., der statutarische Bestimmungen einer Gemeinde bezüglich der Verpflichtung zum Besuche einer Fortbildungsschule für männliche Arbeiter unter 18 Jahren zuläßt, und verlangen reichsgesetzliche, also für das ganze Deutsche Reich bindende Ausdehnung dieser Verpflichtung auf weibliche Arbeiter119, wie sie landesgesetzlich z.B. durch das badische Gesetz vom 13. August 1904 gegeben ist. Die Frauen heißen auch die Bestimmung gut (§ 139a), welche die Möglichkeit schafft, die Verwendung von Frauen für gewisse Fabrikationszweige, die mit besonderen Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, zu untersagen, ebenso auch das Verbot der Beschäftigung von Frauen in Steinbrüchen (Anlage IX, 1) und ihrer unterirdischen Arbeit in Bergwerken, § 154 Abs. 2. Von nebensächlicher Bedeutung ist es hierbei, zu untersuchen, ob und inwieweit in jedem dieser Fälle der Grund des Verbots auf dem Gebiete der Sittlichkeit oder dem der Gesundheit liegt120, da viel mehr als beim Manne bei der Frau beides untrennbar verbunden ist, so daß deren unsittlicher Lebenswandel eo ipso Gesundheitsgefährdung bedeutet. Die Forderungen der Frauen also auf dem Gebiete der „Gewerbefreiheit“ können folgerichtig nur darin liegen, deren Einschränkung überall dort, wo sie sich des weiteren als nötig erweist, zu verlangen, den Schutz also zu verstärken, wo er noch nicht genügend ist. Mit Recht verlangen sie daher z.B. noch weitere Kürzung der Arbeitszeit, insbesondere Verlängerung der Schonzeit für die Wöchnerinnen.
119 Vgl. Petition des Bundes deutscher Frauenvereine vom 22. Februar 1906. 120 Vgl. hierzu den Kommentar von Landmann-Rohmer, der z.B. das Verbot der unter-
irdischen Bergarbeit ausdrücklich aus beiden Gründen ableitet.
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Einer großen Anzahl deutscher Frauen scheint es in der Konsequenz solcher Forderungen zu liegen, zu verlangen, daß ein Beruf, welcher zum äußersten gesundheitlichen und sittlichen Schaden der Frau ausschließlich dem Interesse des Mannes diene und zwar des Mannes, als Vertreters des Alkoholkapitals und als Abnehmers der Prostitution, daß ein Beruf, der, wie kein anderer zum Deckmantel der Prostitution geworden sei und bei den modernen wirtschaftlichen (35) Verhältnissen es bleiben müßte – nämlich der Beruf der Kellnerin in größeren Städten –, abgeschafft würde, mit Übergangsbestimmungen, die diejenigen schonen, welche schon in dem Berufe stehen. Eine lebhafte Agitation unter den Frauen ist dafür im Gange, eine darauf hinzielende Frauenpetition an Bundesrat, Reichstag und Reichsamt des Innern hat ungefähr 130 000 Unterschriften gefunden, wenngleich die organisierte Frauenbewegung sich in ihrer überwiegenden Mehrheit ablehnend gegen diese Forderung verhält, und bis jetzt noch im Eintreten für den Kellnerinnenberuf den Frauen ein wertvolles Recht, eine wertvolle Erwerbsmöglichkeit zu wahren glaubt121. Wenn die hier skizzierten Frauenforderungen verwirklicht würden, so wäre damit die Frauenfrage zwar nicht gelöst, aber um so mehr ihrer Lösung nähergebracht, als nicht nur die öffentliche Meinung auf das Zustandekommen von Gesetzen wirkt, sondern umgekehrt diese wieder die öffentliche Meinung beeinflussen. Wenn die Gesetze einmal derart sind, daß das landläufige Vorurteil von der geistigen Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts und von der „doppelten Moral“ in ihnen keine Stütze mehr findet, wird nach und nach dies Vorurteil selbst verschwinden. Und dieses ist der Hauptfeind, gegen den die Frauen zu kämpfen haben.
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Emilie Kempin: Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetz-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Auszüge), 1892
KEMPIN, Emilie: Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetz-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Hrsg. vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein (Leipzig). Bearbeitet und zusammengestellt von Frau Dr. jur. Emilie Kempin, Leipzig 1892 Kommentar: Die Schweizerin Emilie Kempin, geb. Spyri (1853-1901), wächst in einem großbürgerlichen Haushalt als Tochter eines Pfarrers auf. Sie ist eine Nichte der Kinderbuchautorin Johanna Spyri und heiratet den sozial engagierten Pfarrer Walter Kempin. Im Sommer 1885 immatrikuliert sich Emilie Kempin an der Universität Zürich und promoviert 1887 als eine der ersten Juristinnen Europas. Aus dem Jahr 1887 datiert auch ein Rechts121 Zur näheren Orientierung über diese Streitfrage vgl. Zentralblatt des Bundes Deut-
scher Frauenvereine, Verlag Teubner, Leipzig u. Berlin, XI. Jahrg. Nummern 10, 11, 13, 15 u. 16, u. Neue Bahnen, Oekmigke’s Verlag, Berlin, 44. Jahrg. Nr. 19 u. 22; ferner Camilla Jellinek, Petition deutscher Frauen, betreffend das Verbot weiblicher Bedienung in Gast- und Schankwirtschaften; Heft 292/293 der Sammlung „Kultur und Fortschritt“, Verlag Felix Dietrich, Gautzsch bei Leipzig, 1910.
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Einer großen Anzahl deutscher Frauen scheint es in der Konsequenz solcher Forderungen zu liegen, zu verlangen, daß ein Beruf, welcher zum äußersten gesundheitlichen und sittlichen Schaden der Frau ausschließlich dem Interesse des Mannes diene und zwar des Mannes, als Vertreters des Alkoholkapitals und als Abnehmers der Prostitution, daß ein Beruf, der, wie kein anderer zum Deckmantel der Prostitution geworden sei und bei den modernen wirtschaftlichen (35) Verhältnissen es bleiben müßte – nämlich der Beruf der Kellnerin in größeren Städten –, abgeschafft würde, mit Übergangsbestimmungen, die diejenigen schonen, welche schon in dem Berufe stehen. Eine lebhafte Agitation unter den Frauen ist dafür im Gange, eine darauf hinzielende Frauenpetition an Bundesrat, Reichstag und Reichsamt des Innern hat ungefähr 130 000 Unterschriften gefunden, wenngleich die organisierte Frauenbewegung sich in ihrer überwiegenden Mehrheit ablehnend gegen diese Forderung verhält, und bis jetzt noch im Eintreten für den Kellnerinnenberuf den Frauen ein wertvolles Recht, eine wertvolle Erwerbsmöglichkeit zu wahren glaubt121. Wenn die hier skizzierten Frauenforderungen verwirklicht würden, so wäre damit die Frauenfrage zwar nicht gelöst, aber um so mehr ihrer Lösung nähergebracht, als nicht nur die öffentliche Meinung auf das Zustandekommen von Gesetzen wirkt, sondern umgekehrt diese wieder die öffentliche Meinung beeinflussen. Wenn die Gesetze einmal derart sind, daß das landläufige Vorurteil von der geistigen Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts und von der „doppelten Moral“ in ihnen keine Stütze mehr findet, wird nach und nach dies Vorurteil selbst verschwinden. Und dieses ist der Hauptfeind, gegen den die Frauen zu kämpfen haben.
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Emilie Kempin: Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetz-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Auszüge), 1892
KEMPIN, Emilie: Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetz-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Hrsg. vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein (Leipzig). Bearbeitet und zusammengestellt von Frau Dr. jur. Emilie Kempin, Leipzig 1892 Kommentar: Die Schweizerin Emilie Kempin, geb. Spyri (1853-1901), wächst in einem großbürgerlichen Haushalt als Tochter eines Pfarrers auf. Sie ist eine Nichte der Kinderbuchautorin Johanna Spyri und heiratet den sozial engagierten Pfarrer Walter Kempin. Im Sommer 1885 immatrikuliert sich Emilie Kempin an der Universität Zürich und promoviert 1887 als eine der ersten Juristinnen Europas. Aus dem Jahr 1887 datiert auch ein Rechts121 Zur näheren Orientierung über diese Streitfrage vgl. Zentralblatt des Bundes Deut-
scher Frauenvereine, Verlag Teubner, Leipzig u. Berlin, XI. Jahrg. Nummern 10, 11, 13, 15 u. 16, u. Neue Bahnen, Oekmigke’s Verlag, Berlin, 44. Jahrg. Nr. 19 u. 22; ferner Camilla Jellinek, Petition deutscher Frauen, betreffend das Verbot weiblicher Bedienung in Gast- und Schankwirtschaften; Heft 292/293 der Sammlung „Kultur und Fortschritt“, Verlag Felix Dietrich, Gautzsch bei Leipzig, 1910.
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streit Kempins vor dem Schweizer Bundesgericht. Sie wird zuvor in einer Verhandlung am Bezirksgericht Zürich als Vertreterin ihres Mannes nicht zugelassen, weil sie eine Frau ist. Ihre staatsrechtliche Beschwerde wird zurückgewiesen: Kempins Argument, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 4 der Bundesverfassung) die Gleichstellung der Geschlechter zu folgern, sei „ebenso neu als kühn“. Ihr erstes Habilitationsgesuch vom April 1888 wird zurückgewiesen, weil sie kein Mann ist. Im September 1888 wandert Emilie Kempin mit ihrer Familie nach New York aus und lehrt dort an einer Law School für Frauen. Sie kehrt im Herbst 1891 in die Schweiz zurück. Ihr zweites Habilitationsgesuch in Zürich ist 1891 erfolgreich: Sie wird die erste habilitierte deutschsprachige Rechtswissenschaftlerin. Sie lehrt 1892-1895 in Zürich. Ihre Veranstaltungen werden von männlichen Studierenden weitgehend boykottiert. Bereits 1888 wird Kempins Auftreten beim Allgemeinen Deutschen Frauenverein erwähnt. 1892 erstellt sie im Auftrag des Vereins die hier auszugsweise abgedruckte Broschüre und nimmt von da an in den Jahren bis 1897 eine umfangreiche Publikationstätigkeit auf, insbesondere zur Reform des Familienrechts in Deutschland und der Schweiz. Dies geschieht lange Zeit im Zusammenwirken mit der bürgerlichen Frauenbewegung und als eine prominente Vertreterin dieser Bewegung. Sie gilt laut Kommissionsprotokoll vom 7.5.1896 als Verfasserin der „Anträge Pauli“, die in der XII. Kommission des Reichstags durch Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg zum Familienrecht vertreten werden. Diese Anträge, die nur zu einem kleinen Teil durchgesetzt werden, führen im BGB 1896 zu einer weitgehenden Gleichstellung der Frau im Vormundschaftsrecht, während weitergehende Ziele, z.B. die Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht, nicht durchsetzbar sind. Aus den Jahren 1896/97 datieren auch zunehmende Differenzen zwischen Kempin und der Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung. Kempin versucht, das BGB zu verteidigen, wird immer weiter persönlich isoliert und gerät in eine schwierige wirtschaftliche Lage. Im September 1897 wird Emilie Kempin in die Nervenklinik Lankwitz eingeliefert. Als 1898 ein neues Gesetz Kempin gestattet hätte, sich in Zürich als Anwältin niederzulassen, wird sie entmündigt. Im März 1899 wird Kempin in die Nervenklinik Friedmatt verlegt. Dort stirbt sie im April 1901 an einer Krebserkrankung. Der Text von 1892 gilt als Kempins erste umfassende Publikation zur Rechtsstellung der Frau. Für die Ermittlung eigenständiger Rechtsforderungen Kempins und der Frauenbewegung ist er gleichwohl nicht sehr ergiebig, da er – wie die Denkschrift von 1876 (Nr. 41) – dem Auftrag des ADF gemäß vor allem das geltende Recht der Frau zusammenstellt, um Frauen über den Inhalt des Rechts zu informieren, und es dabei bewenden läßt. Vorliegend sind als Auszüge aus der Schrift Kempins abgedruckt: das programmatische Vorwort von Louise Otto-Peters, welches aus der Denkschrift von 1876 übernommen wurde, ein neues Vorwort des ADF-Vorstandes um Otto-Peters von 1892 (dort wird u.a. mitgeteilt, es seien bereits 8000 Vorbestellungen auf das Buch eingegangen), eine Kurzdarstellung Kempins über ihre Aufgabe („Eine Zusammenfassung der zur Zeit für die Frauen Deutschlands gültigen Gesetzesbestimmungen“ S. I) sowie als Beispiel für den Inhalt ihrer Schrift die Einleitung Kempins mit einer Übersicht über Quellen des geltenden Rechts. Das vorangestellte Goethesche „Motto“ wird im frauenrechtlichen Schrifttum der Folgejahre auch in Bullings Schriften von 1895 und 1896 (Nrn. 7, 8), Proelß/Raschkes Gegenvorschlägen zum BGB-Familienrecht (Nr. 45), Plancks Verteidigung des Familienrechts 1899 (Nr. 44), Eichholz’ Frauenforderungen zur Strafrechtsreform 1908 (Nr. 15) angeführt. Literatur zu Kempin: u.a. Delfosse, Marianne: Emilie Kempin-Spyri (1853-1901). Das Wirken der ersten Schweizer Juristin unter besonderer Berücksichtigung ihres Einsatzes für die Rechte der Frau im schweizerischen und deutschen Privatrecht (1994); Berneike, Christiane: Die Frauenfrage ist Rechtsfrage (1995); Hasler, Eveline: Die Wachsflügelfrau, Geschichte der Emily Kempin-Spyri (1995, Roman); Yashiki, Jiro Rei: Emilie Kempin-Spyri (1853-1901; 2005/06). Ausführliche Würdigung der Schrift von 1892 bei Riedel, Gleiches Recht, S. 242-253.
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Die Stellung der Frau nach den zur Zeit in Deutschland gültigen GesetzesBestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Die Stellung der Frau nach den zur Zeit in Deutschland gültigen GesetzesBestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Herausgegeben vom Allgem. Deutschen Frauenverein (Leipzig). Bearbeitet und zusammengestellt von Frau Dr. jur. Emilie Kempin.122 […] (e) Motto: „Es erben sich Gesetz und Rechte Wie eine ew’ge Krankheit fort.“ Göthe. Im Jahre 1876 gab Frau Louise Otto Peters, die Gründerin und erste Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Frauenvereins „einige deutsche Gesetz-Paragraphen über die Stellung der Frau“ [Nr. 41] mit folgenden, im Auszug mitgetheilten, begleitenden Worten heraus: Schon bald nach Gründung des allgemeinen deutschen Frauenvereins (18. October 1865 in Leipzig) und seines Organs „Neue Bahnen“, bei Moritz Schäfer, 1866, herausgegeben von Louise Otto und Auguste Schmidt, wurde von Einzelnen der Wunsch ausgesprochen: man möge die auf die Tagesordnung gesetzte Frauenfrage nicht allein von der Seite des Rechtes auf Bildung und Erwerb, sondern auch des Rechtes schlechthin, wie des Rechtes vor dem Gesetz beleuchten. Nicht allein liefen bei der Redaktion der Neuen Bahnen wie auch sonst beim Vorstand unzählige Klagen und Beschwerden von Frauen, besonders Ehefrauen und Müttern ein, welche unter der Ungunst (f) oder der ihnen ungünstigen Auslegung und Handhabung der Ehe- und Vormundschaftsgesetze zu leiden gehabt hatten oder noch litten – auch fast auf jedem Frauentag erhoben sich einzelne Stimmen, welche es für dringend nothwendig erklärten, in den deutschen Gesetzbüchern Umschau zu halten und zuzusehen, welche Stellung durch diese den deutschen Frauen zugetheilt sei.
122 [Anmerkung: Auf einem dem Deckblatt vorangestellten Blatt des Verlages heißt es im
Quellentext „Zur Beachtung. Bei dem lebhaften Interesse, welches die Frauenwelt im Augenblick ihrer jetzigen gesetzlichen Stellung und der künftigen Verbesserung derselben entgegenbringt, wird es sehr bald nöthig sein, eine neue Ausgabe der Gesetze zu veranstalten. Die vorliegende von 10,000 Exemplaren ist jetzt schon fast vergriffen. Die neu zusammengestellte und wesentlich vermehrte Ausgabe erscheint zu demselben Preise. (20 Pf.). Alle Bestellungen sind zu richten an Hedwig von Alten, München Hauptpostlagernd.“]
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Es sei hier nur erinnert an den Frauentag zu Cassel 1869, wo die Professoren der Universitäten Prag und Heidelberg, Hermann von Leonhardi und Karl Röder es aussprachen daß durch manche Paragraphen deutscher Gesetzbücher das weibliche Geschlecht tief beleidigt werden. Wie denn der letztere manche speciell anführte und es als eine Aufgabe des Vereins hinstellte gegen diese Ungerechtigkeiten die Stimme zu erheben. Es war auf dem Frauentag zu Gotha (Oct. 1875) als anläßlich einer eingesandten Schrift: „Die Rechte der Mutter auf ihre Kinder“ (abgedruckt in No. 2 der Neuen Bahnen 1876 [Nr. 43]) diese Frage zuerst etwas eingehender erörtert und darauf einstimmig von der Versammlung beschlossen ward den Vorstand der Allg. deutschen Frauenvereins zu beauftragen eine Petition an den deutschen Reichstag zu richten des Inhalts: Bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht zu berücksichtigen.123 Da wir nun, nach den seit Bestehen unseres Vereins gemachten Erfahrungen und nachdem wir die (g) beregte Angelegenheit schärfer ins Auge gefaßt, uns überzeugt haben, daß durch eine gewissermaßen ins Blaue entworfene und gerichtete Petition wenig oder nichts erreicht werden würde, so haben wir beschlossen, eine solche erst nach gründlichen Vorarbeiten unsererseits einzureichen. Da gerade in den Beziehungen auf die Stellung der Frauen, auf Ehe- und Vormundschaftsrecht fast in jeden deutschen Staate andere Gesetze herrschen, so ist es keine kleine Arbeit, sich über diese gründlich zu informiren und doch muß sie vorhergehen, wenn wir mit Nutzen die nöthigen Aenderungen beantragen wollen. Wir ersuchen daher unsere Mitglieder, wie die gleichen Interessen dienenden Frauenvereine, uns bei dieser Arbeit zu unterstützen, so zwar, daß sie sich durch einen gesetzkundigen Juristen die betreffenden Gesetzesparagraphen ihres Staates mittheilen und diese Mittheilungen dann schriftlich zu uns gelangen lassen. Auch ist es von Wichtigkeit, daß solche, welche selbst unter den Gesetzen und deren Handhabung gelitten haben, uns davon in Kenntniß setzen; indeß mögen dies nur diejenigen thun, welche bereit sind, mit ihren vollen Namen für das von ihnen Mitgetheilte einzutreten.“ Dieser Aufruf hat in der Hauptsache die gewünschten Erfolge gehabt. Unsere Ausschußmitglieder in den verschiedenen deutschen Staaten haben sich in der Mehrzahl angelegen sein lassen und das so erbetene Material (h) je aus den Gesetzbüchern des Staates, welchen sie angehören, zu verschaffen, und so stellen wir dasselbe in dieser kleinen Druckschrift zusammen, die zwar nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht, die doch aber immerhin auch in ihrer bescheidenen Gestalt eine Denkschrift im vollsten Sinne des Wortes werden mag. Eine Denkschrift für die Frauen, durch welche sie erfahren und dabei bedenken lernen, welche gesetzlichen Folgen ihr Schritt in die Ehe nach sich zieht. Daß ein liebendes Mädchen dem Manne seiner Wahl vollständig vertraut, daß es zu jeder Hingabe wie des ganzen Wesens, so auch des äußeren Besitzes und der bisher genossenen Freiheit und Selbstständigkeit, mit einem Worte zu jedem Opfer bereit und daß ihm selbst das größte eigentlich keines ist – das liegt in der Natur jeder ächten Liebe und niemals möchten wir der deutschen Frauenliebe diesen schönen Zug beeinträchtigt sehen – ja ohne einen solchen erscheint uns schon die 123 Siehe Anmerk. der Herausg., Seite 108.
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Schließung des Ehebundes entweiht und bedenklich; aber es ist ja eben ein Anderes ob ein solches Opfer die Hingebung freiwillig gebracht oder ob es ein gesetzlicher Zwang ist, wodurch es nicht allein an Werth für die verliert die es darbringen, als vielmehr auch für den, dem es dargebracht werden muß. Ein wirklich zartfühlend und edeldenkender Mann wird von den ihm zustehenden Rechten keinen andern Gebrauch machen, als welchen die geliebte Gattin selbst gut heißt – allein welchen Gebrauch davon die minder (i) edeln und die rohen machen, das lehrt leider ein Blick in das Leben. Und wenn er es nicht schon vorher gelehrt hätte: die Augen wären darüber aufgegangen nachdem wir den obigen Aufruf erlassen. Denn es sind uns darauf aus den verschiedendsten deutschen Staaten, aus großen und kleinen Städten, von Edelsitzen und Dörfern, aus Hütten und Palästen eine Unzahl von Briefen unglücklicher Ehefrauen und Mütter zugegangen, welche unter den Ehe- und Vormundschaftsgesetzen und deren Handhabung gelitten haben. Dies Material weiblichen Martyriums reichte aus um Bände damit zu füllen. Die Mittheilung muß aber unterbleiben, nicht allein weil sie der Raum gar nicht zuließe, sondern weil unsere Feder sich sträubt in diesen Schmutz zu tauchen und es uns unmöglich ist, selbst um eines guten Zweckes Willen, Scham, Ekel und Abscheu so weit zu überwinden, als wir es müßten, wenn wir veröffentlichen wollten was andere, fremde Frauen uns doch nur als Frauen vertraut. Diese Mittheilungen – und das ist die Hauptsache – sind zwar mit voller Nennung und Namen, Orte und Zeit gemacht worden, aber doch mit der Bitte nur eben ohne diese Nennung davon öffentlich Gebrauch zu machen. Wenn wir also hiervon absehen und statt der Erfahrung des Lebens die Gesetze sprechen lassen, so hoffen wir, daß unsere Denkschrift doch vorerst den (k)124 einen Zweck erfülle: die Frauen über ihre Stellung vor dem Gesetze einigermaßen aufzuklären und so wohl sie selbst als auch die Männer, die nicht jeder Fortschrittsbewegung abholt sind, zum Nachdenken und zur Prüfung aufzufordern: ob wohl hier nicht eine Verbesserung der Gesetzes räthlich und nicht allein im Interesse der Frauen sondern auch im Interesse der Humanität geboten sei. Wir wiederholen, daß dieselbe keinen Anspruch auf Vollständigkeit macht, hoffen aber sie entweder durch einen Nachtrag oder in einer späteren Auflage noch vervollständigen zu können. Vor der Hand wird das hier gebotene Material genügen, zunächst unsern Schwestern – um nicht stolz zu sagen: der Welt – endlich einmal zu zeigen, welche Bewandtniß es mit der Achtung hat, welche die deutschen Frauen vor dem Gesetz genießen. Louise Otto Peters (1876.) Diesen Worten unserer Vorkämpferin noch etwas hinzuzufügen, ist wohl überflüssig. Jede deutsche Frau, einerlei ob verheirathet, unverheirathet oder verwittwet, wird es selbst fühlen, wie sehr wir in ihrem Interesse handelten, indem wir eine neue zusammengestellte und bearbeitete Ausgabe der das weibliche Geschlecht betreffenden Gesetze veranstalteten. 124 Anmerkung: Seitenzählung „j“ ist im Original nicht vorhanden. Auf Seite „i“ folgt
Seite „k“.]
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Daß wir uns in Uebereinstimmung mit den Wünschen (l) und Bedürfnissen der Frauenwelt befinden, geht am deutlichsten aus der Thatsache hervor, daß wir ehe noch eine Zeile des Manuscriptes gedruckt war (schon) 8000 Vorausbestellungen auf das Werk der Frau Dr. juris Emilie Kempin erhalten haben. Möge es seinen Weg in jedes deutsche Haus finden, in Hütten und Palästen, auf Edelsitzen und Dörfern, in Geschäften und Fabriken, von Hoch und Niedrig, Arm und Reich gelesen werden, damit die deutschen Frauen aller Stände endlich verstehen lernen, daß sie Schwestern sind und Schicksalsgenossinnen! So werden sie ohne vieles Nachdenken begreifen, daß ihre Interessen gemeinsam sind und daß das Recht oder Unrecht was Einer der Geringsten unter ihnen geschieht, ihnen selbst angethan wird. Das ist der ideale Zweck der Veröffentlichung. Der praktische Zweck ist folgender: In einigen Jahren tritt in Deutschland ein neues einheitliches bürgerliches Gesetzbuch in Kraft. Die Vorarbeiten zu demselben sind in vollem Gange, und der bereits vorliegende erste Entwurf wird auch von Frau Doktor Kempin am Schlusse dieser Schrift besprochen. Der Allgemeine deutsche Frauenverein beabsichtigt nun, gestützt auf das vorliegende Material in den nächsten Jahren eine Massenpetition um Verbesserung des Familienrechtes und der damit zusammenhängenden Rechtsgebiete zu veranstalten, und in dieser Form den Gesetzgebern des (m) deutschen Reiches die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen eindringlich zu Gehör zu bringen. Aus naheliegenden Gründen gehen die Herausgeberinnen dieser Schrift hier nicht auf eine Kritik der betreffenden Gesetze ein, die wird sich ja dem denkenden Leser von selbst aufdrängen. Nur die Mütter, diese liebenden Trägerinnen der zukünftigen Generationen wollen wir zum Schluß noch auf ein beherzigenswerthes Wort der französischen Dichterin George Sand aufmerksam machen: „Die Gesellschaft kann die mütterlichen Rechte annulieren (aufheben, vernichten) und im Allgemeinen stellt sie dieselben unter die Rechtes des Mannes. Aber die Natur kümmert sich nicht um solche Meinungen und man wird eine Mutter niemals überzeugen, daß die Kinder ihr nicht etwas mehr gehören, als dem Vater. Und die Kinder täuschen sich in diesem Punkt eben so wenig. Im Namen des Allgem. deutschen Frauenvereins. Der Vorstand: Louise Otto-Peters, Auguste Schmidt, Henriette Goldschmidt, Marianne Menzzer, Mathilde Weber, Josefine Friederici, Hedwig von Alten. (I) Die Aufgabe. Eine Zusammenfassung der zur Zeit für die Frauen Deutschlands gültigen Gesetzesbestimmungen muß sich nothwendigerweise auf das Gesetzmaterial beschränken, welches nicht nur für die Frauen als Glieder einer staatlichen Gemeinschaft besonders wissenswerth ist, sondern welches auch von dem für alle übrigen Staatsangehörigen geltenden Rechte abweicht. In Folge dessen wurde in der nach-
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stehenden Darstellung das Eherecht, das Mutter- und Vormundschaftsrecht aus der Masse des Rechtsstoffes herausgegriffen. In Folge dessen tritt auch nur das Recht der verehelichten Frau zu Tage. Denn dasjenige der unverheiratheten Frauen besprechen hieße ein System des derzeit in Deutschland gültigen Privatrechts überhaupt schreiben, d. h. sämmtliche Rechtsinstitute des Privatrechts behandeln, weil die unverehelichte Frau heute in privatrechtlichen Beziehung mit den männlichen Staatsgliedern vollständig gleichberechtigt dasteht.125 (II) So wünschenswerth es auch wäre, die Frauen über ihre privatrechtlichen Befugnisse und Pflichten nach jeder Richtung hin (über Kauf, Miethe Darlehen, Hypotheken ec.) aufzuklären, so könnte eine solche Aufgabe natürlich nicht Gegenstand einer kleinen Broschüre, wie die vorliegende sein. Das Erbrecht wurde in den Kreis dieser Betrachtungen nicht hineingezogen, weil es vom ehelichen Güterrecht abhängig und je nach dem eingegangenen Ehevertrag oder den Rechten verschiedener Orte, verschieden ist. Eine ziffermäßig genaue Darstellung des Erbrechtes in beschränktem Raum zu geben, ist unmöglich und eine blos skizzenhafte Besprechung desselben wäre geeignet, bei den Leserinnen eine Menge von Irrthümern über berechtigte Erbansprüche entstehen zu lassen, Irrthümer, welche gerade im Erbrecht am Verhängnißvollsten wirken. Zweck dieser Zusammenstellung ist ja auch nicht, die Frauen mit den Details des Rechts bekannt zu machen, sondern ihnen einen Ueberblick über die Grundzüge desselben zu geben. Für alle Details muß an Rechtskundige verwiesen werden, welche nach Prüfung des einzelnen Falles Auskunft ertheilen. D. V. (1) Einleitung Das Privatrecht in Deutschland ist zur Zeit, d. h. bis der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches zum Gesetz erhoben sein wird, in den einzelnen Staaten ein äußerst vielgestaltiges. Es wird von den Landesgesetzgebungen geordnet; nur einzelne Partien, wie das Handels- und Wechselrecht ec. sind für das ganze Reich einheitlich bestimmt. Von den übrigen außer dem Privatrecht stehenden Rechtsgebieten gelten ferner im ganzen Reiche: 1. Das Prozeßrecht. 2. Das Strafgesetzbuch. 3. Die Konkursordnung 4. Das Gesetz betreffend Beurkundung des Personen- und Familienstandes. Letztere greifen in das Privatrecht und speziell in unseren vorliegenden Stoff ein, weil das eine die Eingehung und Gültigkeit der Ehe ordnet, das andere die Vermögensverhältnisse des Ehegatten berührt. Das Privatrecht der dem deutschen Reiche angehörigen Staaten zerfällt in zwei Elemente: 1) Das römische Recht. Dieses wurde im 16. Jahrhundert im ganzen damaligen deutschen Reiche (2) angenommen und gilt bis auf den heutigen Tag, wo nichts anderes bestimmt ist.
125 Eine Ausnahme besteht nur im Vormundschaftsrecht.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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2) Das deutsche Recht. Dasselbe hat sich in Ueberlieferungen und wenigen aufgezeichneten Gesetzen erhalten. Das römische Recht wurde im Laufe der Zeit verändert. In seiner heutigen Gestalt heißt es das gemeine, d. h. das allgemein geltende Recht. Aber auch das germanische Recht blieb keineswegs rein erhalten, sondern hat eingreifende Veränderungen erfahren. Die Faktoren, welche auf die beiden Rechtsbildungen gewirkt haben, sind a) Kodifikationen126 oder Gesetzbücher b) Einzelne Gesetzeserlasse der Staaten, welche ein vom gemeinen Rechte abweichendes, das sogenannte Partikularrecht, schaffen. c) Die oben genannten Gesetze, welche im ganzen deutschen Reich Geltung haben. In Folge dieser Rechtsbildung kann weder von einem rein römischen oder gemeinen, noch von einem rein deutschen Rechte gesprochen werden, die Gegensätze gehen vielfach in einander über. Da es nun aber ein Ding der Unmöglichkeit wäre, (3) die einzelnen Landesund Stadtrechte mit ihren verschiedenen Modifikationen in dem hier zugemessenen Raum auch nur annähernd spezificirt darzustellen, so sollen im Folgenden die zu besprechenden Rechtsinstitute in Gruppen zur Besprechung gelangen, welche Gruppen sich in Anlehnung an gemeinsame Rechtsquellen formirt haben. Freilich sind auch diese Quellen wieder so mannigfaltig, daß von einer scharfen, prinzipiellen Unterscheidung zwischen den einzelnen Unterabtheilungen keine Rede sein kann; nur die den Rechtsgebieten vorwiegend gemeinsame Charakteristik muß den Unterscheidungsgrund bilden. Es werden im Folgenden auseinander gehalten werden: 1. Gruppe: Die Länder des gemeinen Rechts. 2. Gruppe: Die Länder des sächsischen Rechts 3. Gruppe: Die Länder des preußischen Landrechts. 4. Gruppe: Die Länder des französischen Rechts. […]
29.
Emilie Kempin: Die Rechtsstellung der Frau, 1895
KEMPIN, Emilie: Die Rechtsstellung der Frau, Berlin 1895 Kommentar: Kempin bietet einen Überblick über die Rechtsstellung der Frau, beschränkt auf das „Privatrecht der Frau“, also im wesentlichen das Familienrecht. Im Zentrum ihrer Darstellung steht der BGB-Entwurf, doch werden darüber hinaus auch rechtshistorische und rechtsvergleichende Erläuterungen gegeben. Der in erster Linie „für Laien“ bestimmte Aufsatz Kempins folgt der Gliederung (S. 146): 1. Die Frau als Gattin, 2. Die Frau als Genossin, 3. Die Frau als Mutter a) in der Ehe, b) außerhalb der Ehe.
126 Kodifikation ist die vollständige, von der gesetzgebenden Gewalt ausgehende Zusam-
menstellung der für eine bestimmte Rechtsabtheilung gültigen Vorschriften in einem systematischen geordneten Gesetzgebungswerke.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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2) Das deutsche Recht. Dasselbe hat sich in Ueberlieferungen und wenigen aufgezeichneten Gesetzen erhalten. Das römische Recht wurde im Laufe der Zeit verändert. In seiner heutigen Gestalt heißt es das gemeine, d. h. das allgemein geltende Recht. Aber auch das germanische Recht blieb keineswegs rein erhalten, sondern hat eingreifende Veränderungen erfahren. Die Faktoren, welche auf die beiden Rechtsbildungen gewirkt haben, sind a) Kodifikationen126 oder Gesetzbücher b) Einzelne Gesetzeserlasse der Staaten, welche ein vom gemeinen Rechte abweichendes, das sogenannte Partikularrecht, schaffen. c) Die oben genannten Gesetze, welche im ganzen deutschen Reich Geltung haben. In Folge dieser Rechtsbildung kann weder von einem rein römischen oder gemeinen, noch von einem rein deutschen Rechte gesprochen werden, die Gegensätze gehen vielfach in einander über. Da es nun aber ein Ding der Unmöglichkeit wäre, (3) die einzelnen Landesund Stadtrechte mit ihren verschiedenen Modifikationen in dem hier zugemessenen Raum auch nur annähernd spezificirt darzustellen, so sollen im Folgenden die zu besprechenden Rechtsinstitute in Gruppen zur Besprechung gelangen, welche Gruppen sich in Anlehnung an gemeinsame Rechtsquellen formirt haben. Freilich sind auch diese Quellen wieder so mannigfaltig, daß von einer scharfen, prinzipiellen Unterscheidung zwischen den einzelnen Unterabtheilungen keine Rede sein kann; nur die den Rechtsgebieten vorwiegend gemeinsame Charakteristik muß den Unterscheidungsgrund bilden. Es werden im Folgenden auseinander gehalten werden: 1. Gruppe: Die Länder des gemeinen Rechts. 2. Gruppe: Die Länder des sächsischen Rechts 3. Gruppe: Die Länder des preußischen Landrechts. 4. Gruppe: Die Länder des französischen Rechts. […]
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Emilie Kempin: Die Rechtsstellung der Frau, 1895
KEMPIN, Emilie: Die Rechtsstellung der Frau, Berlin 1895 Kommentar: Kempin bietet einen Überblick über die Rechtsstellung der Frau, beschränkt auf das „Privatrecht der Frau“, also im wesentlichen das Familienrecht. Im Zentrum ihrer Darstellung steht der BGB-Entwurf, doch werden darüber hinaus auch rechtshistorische und rechtsvergleichende Erläuterungen gegeben. Der in erster Linie „für Laien“ bestimmte Aufsatz Kempins folgt der Gliederung (S. 146): 1. Die Frau als Gattin, 2. Die Frau als Genossin, 3. Die Frau als Mutter a) in der Ehe, b) außerhalb der Ehe.
126 Kodifikation ist die vollständige, von der gesetzgebenden Gewalt ausgehende Zusam-
menstellung der für eine bestimmte Rechtsabtheilung gültigen Vorschriften in einem systematischen geordneten Gesetzgebungswerke.
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Kempin verteidigt zu diesem Zeitpunkt (1895) das BGB noch keineswegs, sondern übt Kritik an den Bestimmungen des Entwurfs. Unter dem Titel „Recht der Frau als Genossin“ behandelt sie das eheliche Güterrecht und tritt für die „Gütertrennung oder Unabhängigkeit der Güter“ ein, wobei sie sich auf den der Frauenbewegung nahestehenden Genfer Rechtswissenschaftler Louis Bridel beruft (Bridel, Le droit des femmes, Paris 1893). Die elterliche Gewalt nach BGB ordnet sie in den internationalen Zusammenhang mit den Worten ein: „Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland steht auf demselben Standpunkte wie das französische und italienische Recht. Grundsätzlich ist der Mutter dasselbe Recht eingeräumt wie dem Vater. Freilich tritt, solange beide Eltern leben, das Recht der Mutter vor dem Uebergewicht des Vaters in allen Dingen zurück“ (S. 171). Besonders scharfe Kritik übt sie am Unehelichenrecht, diesem „traurigste[n] aller Rechtsgebiete im Leben der Frau“ (S. 177). Sie ruft die Frauen zum Widerstand speziell gegen die Gestaltung dieses Rechtsgebiets auf, da hier gegenüber dem alten Recht sogar eine Verschlechterung durch das BGB drohe.
Die Rechtsstellung der Frau. Von
Dr. Emilie Kempin, Dozentin der Rechte an der Universität Zürich. (145) Eine Abhandlung über das Recht der Frau kann sich naturgemäß nur mit denjenigen Rechtsmaterien befassen, welche für beide Geschlechter verschieden geordnet, für Mann und Frau nicht gleich sind. Infolgedessen wird im folgenden nur von Ausnahmebestimmungen für die Frau die Rede sein. Rechtsprinzipien, welche für beide Geschlechter gleiches Recht schaffen, sind unberührt geblieben. Aber noch nach einer andern Seite hin muß das Thema umgrenzt werden. Der Begriff: „Das Recht der Frau“ ist ein sehr weiter. Wie der Mann, so hat auch die Frau ein Recht auf Bildung, auf Erziehung, auf Erwerbsfreiheit, auf staatlichen Schutz, auf aktives und passives Wahlrecht. Alle diese Rechte können nicht Gegenstand dieser einen Abhandlung sein. Es ist daher hier vor allem auszuscheiden das öffentliche Recht der Frau und zwar in allen seinen Richtungen, sowohl die politischen Rechte: Stimmrecht und Wahlrecht oder das Recht der Frau im Staatsund Gemeindedienst, als auch Fragen verwaltungsrechtlicher und polizeirechtlicher Natur, wie z. B. das Recht auf Schutz ihrer Arbeit und ihrer Person (Arbeiterschutz und Prostitution.) Die vorliegende Besprechung beschränkt sich auf das Privatrecht der Frau, insofern als dieses sie in ihrer Sonderstellung berührt, und greift nur da auf andre Rechtsgebiete über, wo diese selbst mit dem Privatrechte in untrennbarem Zusammenhange stehen. Das vom Rechte des Mannes abweichende Recht der Frau betrifft heute, nachdem die Geschlechtsvormundschaft abgeschafft und die unverehelichten und verwitweten Frauen allerorts (146) ebenso handlungs- und geschäftsfähig geworden sind, wie die männlichen Staatsglieder nur noch die Ehefrauen und die unehelichen Mütter. Das Recht der Frau in dem angedeuteten beschränkten Sinne läßt sich für Laien daher unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen:
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1. Die Frau als Gattin, 2. Die Frau als Genossin, 3. Die Frau als Mutter a) in der Ehe, b) außer der Ehe. 1. Das Recht der Frau als Gattin. Die Ehe ist eine Gemeinschaft aller Lebensbeziehungen der Ehegatten. Als solche hat sie eine Reihe von Wirkungen auf ihre persönlichsten Rechte, namentlich diejenigen der Ehefrau. Im alten römischen Rechte erlangte der Ehemann völlige Gewalt über seine Frau. Sie wurde seine Sache, über die er nach Belieben verfügen konnte: sie führte keine selbständige Existenz. Aus dem Hause des Vaters, in dem sie ebenfalls unfrei war, ging sie in dasjenige ihres Mannes über. Aber schon in verhältnismäßig früher Zeit emanzipierten sich die Frauen von der hausherrlichen Gewalt dadurch, daß sie statt der förmlichen römischen Ehe eine sogenannte freie Ehe eingingen, in der sie viel selbständiger gestellt waren als die deutschen Frauen heute vielerorts. Im deutschen Rechte ging die Entwicklung den umgekehrten Gang. Die ältesten Berichte über die alten Deutschen sprechen von einer idealen Stellung der Ehefrau; in den primitiven Verhältnissen der ältesten uns bekannten Periode der deutschen Stämme war die Frau die Genossin ihres Mannes in des Wortes wahrer Bedeutung. Erst die Wirren der Völkerwanderung und die dadurch veranlaßte größere Schutzbedürftigkeit der Frau ließ sie zum Manne in ein größeres Abhängigkeitsverhältnis treten. Von jener Zeit an bis in die allerjüngste Gegenwart hörte die Präponderanz des männlichen Teils der Bevölkerung über den weiblichen nicht mehr auf, die Stellung der Frau ungünstig zu beeinflussen; denn durch all die Jahrhunderte hindurch war die kriegerische Thätigkeit des Mannes (147) für das Gedeihen des Staates ungleich wertvoller als die friedliche Arbeit der Frau und infolgedessen auch seine Stellung in Staat und Gesellschaft im Vergleich zu der ihrigen die dominierende. Die Beispiele in der Geschichte sind zahllos, wo eine Gesellschaftsklasse zu einer besseren Stellung und zu politischer Macht nur durch kriegerische Leistungen gelangte. Es ist erst eine Errungenschaft der jüngsten Kulturepoche, daß die Aufgaben, welche ein Volk in Friedenszeiten löst, an Bedeutung denjenigen der rohen Gewalt gleich-, wenn nicht vorangestellt werden. Erst bei solcher Sachlage der Dinge können die Rechte der Frauen zur Geltung kommen, erst jetzt kann die Gleichstellung beider Geschlechter vernünftigerweise angestrebt werden. Dazu hilft ein Umstand mächtig mit. Der überall wütende Existenzkampf hat auch die Frau auf das Schlachtfeld der Erwerbsjagd und Konkurrenz gedrängt, und je mehr sie aus der Enge der Häuslichkeit heraustritt, desto selbständiger wird sie in ihrem Thun und Wollen, desto freier bewegt sie sich, desto weniger bedarf sie des männlichen Schutzes, der nach und nach in eine Art Vormundschaft ausgeartet ist. So kommt es, daß von allen Gesetzen diejenigen, welche die Stellung der Frau bestimmen, den heutigen Verhältnissen am wenigsten angepaßt, am meisten reformbedürftig sind. Die Aufgabe der allernächsten Zukunft wird sein, sie mit den heutigen Lebensanschauungen und den Bedürfnissen der Gegenwart in Einklang zu bringen. Nun können die Frauen zwar an diesem wichtigen Werke nicht mitarbeiten, ihre „Partei“ ist in keiner Gesetzgebungskommission vertreten, aber sie können Stimmung machen, sie können sich über
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ihre Rechte Klarheit verschaffen, sich über die wünschenswerten Reformen Rechenschaft geben, die öffentliche Meinung beeinflussen und damit indirekt sich selbst die ihnen genehmen Rechtssätze schaffen. Ueber die Ungerechtigkeit der Gesetzgeber zu jammern nützt nicht das mindeste. Sobald die ganze Frauenwelt bessere Zustände will, werden sie geschaffen werden; denn kein Gesetzgeber dürfe es wagen, der öffentlichen Meinung entgegenstehende Grundsätze als Gesetz aufstellen zu wollen. Ein schöner Anfang nach dieser Richtung hin ist im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich schon gemacht worden. Diese Gesetzesarbeit hat die geduldigen und (148) mutigen Anstrengungen der für die Frauenbewegung eintretenden Vereine und Einzelpersonen nicht unberücksichtigt lassen dürfen; der Entwurf verheißt den Frauen in mancher Beziehung gerechtere, für die Gegenwart passendere Gesetze, als in den verschiedenen Landesrechten des Deutschen Reiches zu finden sind. Vor allem will das künftige Gesetzbuch diejenige Wirkung der Ehe auf die Person der Ehefrau, welche sie in ihrer Handlungs- oder Geschäftsfähigkeit beschränkt, aufheben. Nach dem heutigen Rechte ist die verheiratete Frau vielerorts nicht fähig, giltige Rechtsgeschäfte abzuschließen und darin den Minderjährigen und anderweitig Bevormundeten gleichgestellt. Diese Beschränkung steht aber mit den heutigen Bedürfnissen so sehr im Widerspruch, daß viele Gesetzgebungen sich jetzt schon scheuen, das Kind beim rechten Namen zu nennen und kurzweg von der ehelichen Vormundschaft zu sprechen, sondern die beschränkte Handlungsfähigkeit als eine unumgängliche Folge der „Führung der ehelichen Gemeinschaft“ durch den Mann erklären. Jedoch kommt die Sache, wenn auch unter verschiedener Begründung auf dasselbe heraus: die Ehefrau ist, wie die Bevormundeten, handelsunfähig, weil sie Ehefrau ist, weil ihr Wille sich demjenigen ihres Mannes, der die eheliche Gemeinschaft führt oder leitet, unterzuordnen hat. Ganz abgesehen davon, daß dieses Prinzip die Frau in eine durchaus unwürdige Stellung weist, abgesehen davon, daß es für jeden Fall, wo die Frau einem Gewerbe oder Beruf obliegt, unzählige Ausnahmen erleiden muß, ist es auch für die Entwicklung des Frauengeschlechts nachteilig. Es erhält die Frau während der Ehe in einer Unselbständigkeit und Verantwortungslosigkeit, die sich dann schwer bestraft, wenn sie etwa beim Tode ihres Mannes auf eigenen Füßen stehen und für die Existenz der Familie sorgen soll. Wie angesichts solcher Thatsachen Juristen von der Bedeutung Gierke’s noch an dem alten Standpunkt festhalten wollen, die Ehe verlange als eine Personeneinheit den Untergang der selbständigen Existenz der Ehefrau, die letztere solle deshalb ihren Willen nur durch ihren ehelichen Vormund geltend machen können, ist unerfindlich. Höher als schöne Theorien steht der Anspruch des Menschen auf Anerkennung seiner selbständigen Persönlichkeit. Ein schweizerischer Jurist, welcher im übrigen durchaus kein Anhänger der Frauenbewegung (149) genannt werden kann, spricht sich darüber folgendermaßen aus: „Die Ehe wird veredelt, wenn der Mann einer Gemeinschaft vorsteht, in der sein Partner als handlungsfähig und nicht wie ein Kind seinem Willen botmäßig erachtet wird. Es ist schon Sache des Anstandes und des guten Geschmackes, daß der Mann seiner Ehefrau, die seinen Namen trägt, ein gleiches Recht einräume, wie er es in Anspruch nimmt, anstatt Tag für Tag mit einer handlungsunfähigen Person im Verkehr zu stehen, und es wird zum sittlichen Gebot, wenn wir sehen,
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wie oft unter der gegenteiligen Ordnung das gute Recht und die bessere Einsicht der Frau gekränkt werden und die rechtlich und sittlich besseren Absichten und Pläne der Frau vor dem Machtgebot eines rohen und einsichtslosen Ehemannes zurücktreten müssen.“127 Eine Vergleichung der von andern Gesetzgebungen aufgestellten Grundsätze zeigt übrigens deutlich, welchen Weg das künftige Recht zu gehen hat. In der Ostschweiz, vornehmlich im Kanton Zürich, ist das adoptierte System ungemein einfach. Es heißt da kurzweg: „Der Ehemann ist von Rechts wegen der eheliche Vormund seiner Frau.“ Damit ist alles gesagt. Das französische Recht, das in Deutschland, in Baden, der Rheinprovinz, Rheinhessen, der Pfalz und den Reichslanden gilt, verlangt im „Code Civil“, wie das preußische und bayrische, zu allen Handlungen der verehelichten Frau die Zustimmung des Ehemannes. Ebenso das sächsische, belgische, niederländische, spanische und westschweizerische Recht, eine Bestimmung, die in ihrer Wirkung der Bevormundung der ostschweizerischen Ehefrauen gleichkommt. Im sogenannten gemeinen Recht, das noch in vielen Gegenden Deutschlands gilt, ist die Geschäftsfähigkeit der Frau nicht von vornherein beschränkt, sondern nur so weit, als die Rechte des Ehemannes an ihrem Vermögen ihrer Verfügungsfreiheit entgegenstehen. In Italien, auch in Norwegen seit 1888 wird die ehemännliche Zustimmung ebenfalls nicht a priori zu allen Rechts-(150)handlungen der Ehefrau verlangt, sondern nur zu einigen besonders wichtigen, im übrigen ist die italienische Ehefrau schon durch die dort geltende Gütertrennung, welche ihr den Genuß und die Verwaltung ihres eigenen Vermögens einräumt, günstig gestellt. England und die Vereinigten Staaten sind noch weiter gegangen. Dort ist die verheiratete Frau im Punkte der Handlungsfähigkeit der unverehelichten und verwitweten Frau vollständig gleichgestellt. Es ist anzunehmen, daß es trotz vielfacher Angriffe seitens einiger Juristen bei der im Entwurf vorgesehenen Geschäftsfähigkeit der Ehefrau sein Bewenden haben, diese für Deutschland Gesetz werden und damit eine der unmotiviertesten Wirkungen der Ehe auf die Person der Ehefrau wegfallen wird. Auch andre Vorschriften der deutschen Landesgesetzgebungen, wonach die Person der Frau in der Ehe einer ganz besonderen Behandlung unterliegt, sind in dem Entwurf für das bürgerliche Gesetzbuch glücklicherweise nicht aufgenommen worden. Es giebt in dieser Beziehung im heutigen Rechte noch eine Reihe hübscher Antiquitäten. So gewährt z. B. das bayrische Landrecht dem Ehemann ein mäßiges Züchtigungsrecht gegen seine Frau, das durch das häusliche Zusammenleben bedingt sei; in Frankfurt a. M. ist er berechtigt, die Handlungen der Frau zweckmäßig zu leiten und sie zu häuslichen, besonders standesgemäßen Diensten anzuhalten. Die Frau aber hat ihrem Manne Gehorsam und Ehrerbietung zu leisten. Auch das sächsische Recht fordert von ihr Gehorsam für den Mann und Dienstleistungen zur Förderung des Hauswesens und seines Gewerbes.
127 Aus dem Referat des Herrn Prof. Huber in Bern über „die Grundlagen einer schweize-
rischen Gesetzgebung über das eheliche Güterrecht“ im schweiz. Juristenverein in Basel, 1894.
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Alle diese und andere Singularitäten hat der Entwurf nunmehr auf folgende Sätze zusammen beschränkt: 1. „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft berechtigt und verpflichtet.“ Darin liegt, daß sie einander die eheliche Pflicht leisten, Treue halten und beisammen wohnen sollen. 2. „Die Ehefrau erhält den Familiennamen des Mannes.“ 3. „Dem Ehemann steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu. (151) Er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung.“ Damit ist das Gebot des Gehorsams der Ehefrau umgangen und in anderer taktvollerer Weise die Leitung der ehelichen Gemeinschaft in die Hand des Ehemannes gelegt. Freilich muß die Ehefrau sich dem Willen ihres Mannes nicht unbedingt unterwerfen, sie kann sich der Entscheidung des Mannes widersetzen, wenn diese sich als ein Mißbrauch des Rechtes des Ehemannes darstellt. Hiermit ist das Recht des, Ehemannes durch das Gesetz nur wenig umgrenzt, Sache des Richters ist es, im einzelnen Fall festzustellen, ob die ehemännliche Entscheidung einen Mißbrauch seines Rechtes bedeutet. Je nach ihrer individuellen Auffassung über das Verhältnis der Ehegatten und insbesondere die Stellung der Ehefrau ihrem Manne gegenüber werden verschiedene Richter zu gänzlich verschiedenen Urteilssprüchen gelangen. Bei dem großen Spielraum, der durch die genannte Bestimmung dem richtenden Beamten gelassen wird, müßte die Frage zum mindesten vor ein gemischtes Kollegium gebracht werden, damit auch die Frau die Chancen hätte, ihre weibliche Auffassung vertreten zu sehen. 4. „Die Ehefrau hat das Recht und die Pflicht, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten, ebenso ist ihr die Pflicht zu häuslichen Arbeiten und Hilfeleistung im Geschäfte des Mannes in dem Maße auferlegt, wie solche Verrichtungen nach den Verhältnissen des Ehegatten üblich sind“. Innerhalb dieses Wirkungskreises kann sie die Geschäfte des Ehemannes besorgen und ihn vertreten. Die Rechtsgeschäfte, welche sie infolgedessen innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises vorgenommen hat, gelten als im Namen und Auftrag des Ehemannes vorgenommen. Die Ehefrau kann demgemäß im Namen des Mannes Kleidungsstücke und Lebensmittel für die Familie kaufen, ohne befürchten zu müssen, ihre bezüglichen Rechtshandlungen werden von ihrem Mann nicht anerkannt. Andernfalls müßte er das ihr gesetzlich zustehende Recht ausdrücklich beschränken oder ihr entziehen, wogegen dann die Ehefrau ihrerseits beim Vormundschaftsgerichte mit Erfolg opponieren kann, wenn diese Beschränkung oder Entziehung sich als ein Mißbrauch des ehemännlichen Rechtes herausstellt. 5. „Der Ehemann ist verpflichtet, seine Frau zu erhalten (152) und zwar entsprechend seiner Lebensstellung, seinem Vermögen und seiner Erwerbsfähigkeit. Andererseits ist auch die Ehefrau verpflichtet, ihrem Mann, der sich wegen Vermögenslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit nicht selbst erhalten kann, den nötigen Unterhalt zu gewähren und zwar in der Weise, die seiner Lebensstellung, entspricht.“ In dieser an und für sich richtigen Vorschrift liegt eine große Ungerechtigkeit. Der Gesetzgeber geht dabei von dem Gedanken aus, die soziale Lebensstellung der Frau folge in allen Fällen derjenigen des Mannes. Wenn eine Näherin einen Baron heiratet, so wird sie Frau Baronin, die Gräfin, die sich einen Kutscher
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zum Mann wählt, wird Kutschersfrau. Das ist für alle die Fälle, in welchen der Mann seine Frau unterhält, vollkommen richtig. Wenn aber das Verhältnis sich umgekehrt gestaltet, wenn die Frau den Mann unterhalten muß, so nützt der Näherin die freiherrliche Lebensstellung ihres Mannes gar nichts, überhaupt muß sie sich dann ihre soziale Lebensstellung selber gestalten, und diese folgt derjenigen des Mannes keineswegs. Weshalb soll sie dann die Pflicht haben, ihren Mann seinem Stand angemessen zu unterhalten? Wenn für die Leistung des Mannes an die Frau richtigerweise seine Lebensstellung ausschlaggebend ist, so muß gerechterweise dasselbe Recht auch der Unterhalt gewährenden Frau zugestanden werden. Würde die besprochene Bestimmung Gesetz, so könnte ein vermögensloser Graf den seiner Stellung entsprechenden Lebensunterhalt von seiner Frau verlangen, die als Lehrerin oder Handelsfrau für sich und ihren Mann den Lebensunterhalt erwirbt. Wir nehmen an, kein Gericht im Deutschen Reiche würde einen derartigen Alimentationsanspruch des Mannes gut heißen, aber wenn die Konsequenzen einer Bestimmung zu Absurditäten führen, die niemand schützen kann, so sollte sie im Interesse der Autorität des Gesetzes ausgemerzt werden. 6. „Die Ehefrau bedarf zu Rechtsgeschäften, durch welche sie sich zu einer in Person zu erfüllenden Leistung verpflichtet, der Einwilligung des Ehemannes, sonst kann er den von ihr geschlossenen Vertrag ohne Kündigungsfrist sofort aufheben.“ (153) Damit soll der Ehemann davor geschützt werden, daß die Ehefrau nicht andre Pflichten als ihre ehelichen ohne Willen des Mannes übernimmt. Auch diese Bestimmung geht sehr weit. Wird sie Gesetz, so kann eine Ehefrau, deren Ehemann aus Schikane oder Mangel an Einsicht die Einwilligung versagt oder ihre Kunden fortschickt oder sonst in das Vertragsverhältnis seiner Frau eingreift, weder den Beruf einer Zahnärztin, noch Malerin, Bildhauerin, Musiklehrerin, Wäscherin, Modistin u. s. w. ausüben, denn alle diese Beschäftigungen verpflichten sie, in Person etwas zu leisten, sie kann die Erfüllung der übernommenen Pflichten nicht anderen übertragen. Wer die Hebamme X., die Schneiderin Y. oder die Lehrerin Z. engagiert, der verlangt die Leistungen dieser Personen und keiner anderen, und da dies in allen Berufsarten und in den meisten Gewerben der Fall ist, so bedeutet die obengenannte Vorschrift eine Einschränkung der Selbständigkeit der Ehefrauen, welche die heutige Gewerbeordnung nicht kennt, die aber gerade da schwer empfunden wird, wo die ehelichen Verhältnisse zerrüttet und die Ausübung eines Gewerbes seitens der Ehefrau doppelt notwendig ist. Viel richtiger wäre es, dem Manne ein Einspracherecht gegen fortgesetzte persönliche Leistungen seiner Frau zu geben, wenn dadurch ihre ehelichen Pflichten vernachlässigt werden. Beim jetzigen Entwurf muß die Frau, gegen ihren Ehemann klagen, wenn er seine Einwilligung böswilligerweise versagt. Solchen Normen liegt immer der Gedanke zu Grunde, die Ehefrau könnte sich unkorrekt benehmen, sie basieren sämtlich auf der Annahme ihrer geringeren Einsicht, und doch liegt kein Grund vor, die Freiheit der Individualität, nicht auch als das oberste Prinzip für die
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dem Frauengeschlechte zustehenden Rechte zu proklamieren. Mit ihm müßte man aber zu der viel natürlicheren und gerechteren Bestimmung gelangen: grundsätzlich kann die Frau, da sie doch geschäftsfähig ist, alle Rechtsgeschäfte eingehen und sich zu Leistungen jeder Art verpflichten, dagegen steht dem Ehemann ein Einspruchsrecht im angedeuteten Sinn zu. 7) „Von denjenigen Gegenständen, welche sich im Besitze des Ehemannes oder der Ehefrau befinden, wird vermutet, daß sie dem Ehemann gehören.“ Damit sollen die Gläubiger geschützt werden, welche oft in der Weise hintergangen werden,(154) daß das pfändbare Vermögen des Ehemannes fingiertermaßen der Frau abgetreten wird. Diese Vermutung legt aber der Frau im Eigentumsprozesse die Pflicht auf, zu beweisen, daß ihre Sachen, z. B. die Aussteuergegenstände, ihr Eigentum sind, ein Beweis, der ungemein schwierig zu erbringen ist. Für die während der Ehe erworbenen Wertpapiere mag die Vermutung zu Gunsten des Ehemannes noch hingehen, obgleich in vielen Fällen nicht er allein der erwerbende Teil ist, aber mit Bezug auf die Aussteuergegenstände und den von der Ehefrau mit ihrem Erwerb angeschafften Hausrat ist sie entschieden ungerecht und entspricht den heutigen Verhältnissen nicht. Es genügt ja nicht bloß, zu beweisen, daß die betreffenden Sachen Eigentum der Ehefrau sind, sie muß auch noch nachweisen, daß dieses Eigentum nicht mit den Mitteln des Ehemannes und in seinem Namen angeschafft wurde. Wenn also eine Ehefrau auch noch Rechnungen für den von ihr angeschafften Tisch, Schrank, Stuhl etc. vorlegen kann, so ist damit nicht gesagt, daß die Mittel dazu ihre eigenen waren und daß sie nicht als Vertreterin ihres Mannes gehandelt hat. Gesetzt sogar, sie habe die betreffenden Beträge auf einer Sparkasse gehabt und ungefähr zur Zeit der Anschaffung der Möbel von der Bank erhoben, wie beweist sie, daß sie mit diesem Geld gerade die bewußten Sachen und nicht Lebensmittel für die Familie oder dergl. gekauft hat? Die angeführte Vermutung ist um so einschneidender, als der Ehemann kraft gesetzlichen Rechtes das Vermögen der Frau in seiner Verwaltung und demnach in seinem Besitz hat. Eine Zusammenfassung aller dieser Bestimmungen ergiebt, daß die persönlichen Wirkungen der Ehe auf die Frauen auch nach dem Entwurf des künftigen bürgerlichen Gesetzbuches, trotz der ihr verliehenen Geschäftsfähigkeit, die Rechte der Frauen als selbständiger Personen vielfach schmälern, und zwar mehr, als die Gemeinschaft der Ehe erfordert. Der unbefangene Kritiker kann sich des Gefühls nicht erwehren, daß das viele künstliche Beiwerk, das ihm in dem besprochenen Abschnitt des Entwurfes entgegentritt, aus dem Bestreben herausgewachsen ist, veraltet Vorurteile und Anschauungen mit den Bedürfnissen des modernen Lebens zu vereinbaren und der Ueberlieferung Rechnung zu (155) tragen. Man nennt dies „die Rechtskontinuität wahren.“ Ob dieses Bemühen in einem Gesetzgebungswerk, das für Menschenalter Geltung haben soll, am Platze, ist eine Frage, die nur ganz ketzerische Juristen aufzuwerfen wagen. Ebenso fragt es sich, ob es gut sei, die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Ehegatten, soweit sie nicht ihr Vermögensrecht betreffen, im Gesetze zu regeln. Sie sind vornehmlich ethischer Natur und können in ihrem Inhalt doch nie erschöpfend aufgezählt werden. Im
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Grunde bringen solche Bestimmungen nur die Auffassung einiger weniger Personen über das Wesen der Ehe zum Ausdruck, und schon deshalb ist eine Spezialisierung möglichst zu vermeiden. Das sittliche Verhältnis der Ehegatten in seiner Grundlage läßt sich am besten durch einen einzigen Satz aussprechen. Wenn diese Grundlage nicht vorhanden ist, oder die Ehegatten in ihrem Thun und Lassen davon abweichen, so entscheidet der Richter viel sicherer und gerechter, wenn er nicht an viele Vorschriften gebunden ist. Aus dem Gesagten geht hervor, daß trotz mancher Reform, die der Entwurf den bestehenden Gesetzgebungen gegenüber anstrebt, den deutschen Frauen Arbeit in Fülle bleibt, wenn sie sich im Privatrechte diejenige Stellung erringen wollen, auf die sie Anspruch haben. 2. Das Recht der Frau als Genossin. Als Lebensgemeinschaft aller Interessen der Ehegatten hat die Ehe nicht nur persönliche, sondern auch vermögensrechtliche Wirkungen. In vermögensrechtlicher Beziehung ist sie einer einfachen Gesellschaft zu vergleichen, bei welcher die Gesellschafter sich zur Erreichung eines bestimmten Zweckes zu gemeinsamem Gewinn und Verlust zusammengethan haben. In diesem Sinne ist der hier gebrauchte Ausdruck „Genossin“ zu verstehen, es ist damit die Ehefrau in ihrer Eigenschaft als Associé der ehelichen Gemeinschaft verstanden. Sehen wir zu, welche Stellung die Gesetze ihr in der gemeinsamen Wirtschaft anweisen. Dabei können allerdings nur die Hauptgrundsätze des derzeitigen Güterrechts der Ehegatten ins Auge gefaßt werden; denn im einzelnen bietet das Deutsche (156) Reich eine Musterkarte von über hundert verschiedenen Güterrechten. Als Hauptgruppen heben wir hervor: a) die allgemeine Gütergemeinschaft, b) die Verwaltungsgemeinschaft, c) das römische Dotalrecht. Innerhalb dieser Gruppen kommen die verschiedensten Abweichungen und Uebergangsformen von einem System zum andern vor, mit denen sich diese Abhandlung nicht befassen kann. a) Die allgemeine Gütergemeinschaft. Dieses System gilt z.B. in Bayern, Lübeck, Bremen, Hamburg, den Fürstentümern Lippe, Schaumburg-Lippe und Waldeck, in beiden Mecklenburg, der Märkischen Provinz, in Schleswig-Holstein teilweise. Diesem System liegen hohe ideale, aber auch wirtschaftlich ungemein praktische Gedanken zu Grunde. Seine Verteidiger sagen, die vollständige Lebensgemeinschaft der Ehegatten soll auch im Vermögensrecht zum Ausdruck gelangen und jeder Gegensatz oder Verschiedenheit der Interessen unter ihnen aufgehoben werden. Wie Mann und Frau eins sind oder sein sollen, so müsse auch ihr beiderseitiges Vermögen zu einem Ganzen verschmolzen werden, an dem beide gleiches Eigentum besitzen und das beiden in gleicher Weise dienen soll. Andrerseits aber verhehlen sich die Anhänger der allgemeinen Gütergemeinschaft keineswegs, daß durch solche Verschmelzung beider Vermögen der Kredit des Ehemannes bedeutend erhöht wird, weil seine Gläubiger in der gemeinsamen Masse eine ungleich größere Sicherheit haben.
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Die Verschmelzung der Güter zu einer Masse zieht eine Reihe von Konsequenzen nach sich, die für die Ehefrau unter Umständen höchst verhängnisvoll werden. In erster Linie steht dem Ehemann an dem gemeinschaftlichen Vermögen die Verwaltung zu, nur in einzelnen Fällen ist er an die Zustimmung der Ehefrau gebunden. Die letztere ihrerseits darf über das Vermögen nur innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises, also bei Besorgung der täglichen Bedürfnisse und Kleider verfügen. Alle Gläubiger des Ehemannes können sich an das gemeinschaftliche Vermögen halten und daraus ihre Befriedigung erlangen und zwar, ohne daß der Ehemann verpflichtet ist, seiner Frau dasjenige, was er für persönliche (157) Schulden gebraucht hat, zurückzuerstatten. Auch ist er ihr für gute und getreue Verwaltung des Vermögens nicht verantwortlich. Bei Auflösung der Ehe fällt das gemeinschaftliche Vermögen mit den darauf haftenden Schulden entweder dem überlebenden Ehegatten allein zu, oder es wird unter den Erben des Ehegatten nach bestimmten Anteilen geteilt. Dabei wird nicht danach gefragt, von welchem Teile das Vermögen herrühre, so daß z.B. der Mann, welcher nichts in die Ehe gebracht hat, an den von der Frau zugebrachten 50 000 Mk. die Hälfte hat. Es liegt auf der Hand, daß die Frau dem System der allgemeinen Gütergemeinschaft den Wechselfällen des Lebens und der leichtsinnigen oder unpraktischen Vermögensverwaltung ihres Ehemannes wehrlos preisgegeben ist. Wenn er schlecht wirtschaftet, so geht ihr Vermögen mit dem seinigen zu Grunde, das ideale System dieser intensiven wirtschaftlichen Gemeinschaft führt beide Ehegatten gleicherweise dem Ruin entgegen. Diese Gefährdung der Ehefrau hat sich überall in solchem Maße fühlbar gemacht, daß die meisten Rechte versucht haben, die Konsequenzen des Systems durch Bestimmungen abzuschwächen, die im Grunde der idealen Auffassung der Ehe diametral entgegenstehen. Wenn die Ehefrau sieht, daß es wegen schlechter Wirtschaft des Mannes schief geht, kann sie eine Klage gegen ihn anstrengen, in der sie die Mißwirtschaft schildert und Trennung der Güter beantragt. Allein die Anwendung dieses sogenannten Sicherungsmittels ist höchst bedenklich. Durch die Klage der Ehefrau wird das gute Einvernehmen der Ehegatten fast ausnahmslos zerstört, die Anschuldigungen der Ehefrau vor Gericht werden naturgemäß vom Ehemann nicht stillschweigend hingenommen, und so entsteht ein Riß, der in der Regel zur Scheidung führt. Zudem nützt die ganze Geschichte selten etwas. Wenn die Ehefrau Gründe genug hat, um auf Gütertrennung zu klagen, so ist es meist zu spät, das Vermögen, das sie mit ihrer Klage retten will, schon dahin. Abweichungen von der allgemeinen Gütergemeinschaft kommen in der verschiedensten Gestalt vor, in der Weise, daß nur einzelne Vermögensteile in die Gütergemeinschaft fallen. (158) In diesen Fällen spricht man von partikulärer oder teilweiser Gütergemeinschaft. So z. B. die Gemeinschaft des beweglichen Vermögens, bei welcher das Grundeigentum gegen die Verfügungen und Schulden des Ehemannes gesichert ist. Auch geht hier bei Auflösung der Ehe der Grundbesitz wieder an denjenigen der beiden Ehegatten oder deren Erben, welcher ihn eingebracht hat.
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Eine andre Art partikulärer Gütergemeinschaft ist die Errungenschaftsgemeinschaft. Dabei wird an den beiden eingebrachten Vermögen der Ehegatten nichts geändert, aber was sie mit ihren physischen, geistigen und Vermögenskräften erworben, wird gemeinsames Gut. Dazu gehört also vor allem der Arbeitsertrag beider Ehegatten, aber auch die Zinsen der beiderseitigen Vermögen, ebenso Erbschaften und Vermächtnisse, welche während der Ehe erworben werden. Wenn der Erwerb zur Bestreitung der Haushaltungs- und Lebensbedürfnisse nicht ausreicht, so muß jeder Ehegatte das Fehlende aus seinem Vermögen zuschießen; bleibt dagegen ein Ueberschuß, so gehört er beiden Ehegatten gemeinsam zu gleichen Teilen, ohne Rücksicht darauf, ob eines mehr oder weniger zum Erwerb beigetragen habe. In manchen Ländern, so z.B. Württemberg, Kurhessen und im französischen Rechte, muß die Frau an der Einbuße nicht mittragen, weil die Verwaltung der Errungenschaft auch bei diesem System ausschließlich in der Hand des Mannes ruht. Das Bedenken gegen die Errungenschaftsgemeinschaft liegt in der Schwierigkeit der gegenseitigen Ausrechnung. Man muß dabei unterscheiden zwischen Schulden des Ehemannes, Schulden der Ehefrau und Schulden, welche in gemeinsamem Interesse eingegangen worden sind. Sodann muß bei Auflösung der Ehe das ursprüngliche Vermögen beider Ehegatten berechnet werden, ferner alle Auslagen des einen oder des andern für die eheliche Gemeinschaft und umgekehrt, was von der Errungenschaft an den Ehemann oder die Frau gekommen ist. Zu diesem Zwecke ist eine fortlaufende und genaue Rechnungsführung während der Ehe durchaus nötig. Ebenso wünschenswert ist die Aufnahme eines Inventars bei Eingehung der Ehe. (159) b) Die Verwaltungsgemeinschaft. Bei diesem System bleiben die Vermögen der Ehegatten ihr gesondertes Eigentum, eine Gemeinschaft besteht nur in der Verwaltung, in der Weise, daß der Ehemann beide Vermögen in seiner Hand hält und über beide verfügt. Der Ertrag des Frauenvermögens wird Eigentum des Ehemannes, gleich wie er ein Recht auf die Verwaltung hat, so steht ihm auch die Nutznießung am Frauenvermögen zu. Ebenso hat er regelmäßig ein Recht auf den Erwerb der Ehefrau. Dieses System beruht auf dem Gedanken, da der Mann der hauptsächlich erwerbende Teil sei und von ihm der Betrag der Einnahme abhänge, so habe er auch den Betrag der Ausgaben zu bestimmen. Es sei darum nur natürlich und gerecht, wenn alle Einnahmen ihm gehören, er aber dagegen für die Haushaltungskosten aufkommen und auch ein etwa vorkommendes Defizit allein tragen müsse. Bei dieser Güterordnung haftet also die Frau nicht für Schulden, die der Ehemann eingeht, im Gegenteil ist der letztere verpflichtet, ihr bei Auflösung der Ehe das zugebrachte Vermögen unversehrt zurückzugeben. Es gilt dabei der Satz: „Frauengut soll nicht wachsen und nicht schwinden.“ Es soll nicht wachsen, weil die Zinsen nicht dazu geschlagen werden, sondern dem Ehemann gehören, und es soll nicht schwinden, weil der Mann für die ehelichen Schulden allein aufzukommen hat.
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Dieser Satz und der ganze Grundgedanke des Systems der Verwaltungsgemeinschaft ist in der Theorie ganz schön, aber in der Wirklichkeit ist er gerade da, wo das System praktisch werden sollte, nichts weiter als eine Illusion. Wenn in der Ehe alles gut geht, so ist jedes System am Platze, die Ehegatten wissen dann kaum, welcher Güterordnung sie unterstellt sind, wenn es aber schief geht, so ist die Ehefrau bei der Verwaltungsgemeinschaft ebenso wenig geschützt wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. Was nützt es ihr, daß ihr Vermögen theoretisch unangetastet bleiben soll, wenn der Ehemann es verschleudert? Was, daß er ihr für ungeschmälerte Rückgabe haftet, wenn er selbst nichts mehr hat? Nur in einem Punkt scheint sie besser gestellt zu sein, als die in Gütergemeinschaft lebende Ehefrau. Sie kann von ihrem Manne Sicherstellung verlangen. Aber gesetzt auch, der Ehemann sei so situiert, daß er solche Sicherheit leisten kann (l60) so ist es doch kein empfehlenswertes Wagnis seitens der Ehefrau, ihrem Manne ein solches Mißtrauensvotum zu geben, bevor sie Beweise seiner Mißwirtschaft hat. Und verlangt sie die Sicherstellung erst nach gewonnener Ueberzeugung über die Notwendigkeit ihres Schrittes, so ist es zu spät, ganz abgesehen davon, daß auch dieses Vorgehen das gute Einvernehmen der Gatten stört. Eine notwendige Folge dieses Systems ist zudem die beschränkte Verfügungsfreiheit der Ehefrau. Wenn der Ehemann für die Schulden allein aufzukommen hat, so ist selbstverständlich, daß die Ehefrau über das von ihm verwaltete gemeinsame Vermögen, also auch über ihr eigenes, in keiner Weise verfügen kann. Eine Abart dieses Systems ist die Gütereinheit. Hierbei gehen nicht nur die Zinsen, sondern auch das Vermögen der Ehefrau in das Eigentum des Mannes über, wogegen der Ehemann für den zugebrachten Betrag Schuldner seiner Frau wird und ihr denselben bei Auflösung der Ehe wie bei der Verwaltungsgemeinschaft auszubezahlen hat. c. Das Dotalsystem. Dieses System gilt ebenfalls in einigen wenigen Teilen Deutschlands, wie z. B. im Herzogtum Braunschweig und einem Teile Kurhessens. Es ist römischen Ursprungs. Es ruht auf dem Gedanken, die Ehe brauche nicht notwendig einen Einfluß auf die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten auszuüben. Nur wenn dem Ehemann durch ein besonderes Rechtsgeschäft eine Mitgift, „dos“, als Beitrag zu den ehelichen Lasten gegeben wird, kommen besondere Bestimmungen bezüglich dieser Mitgift zur Anwendung. Man kann das Dotalsystem daher kaum ein System nennen, vielmehr bei solcher Güterordnung eher von Gütertrennung oder Unabhängigkeit der ehelichen Güter sprechen. Bekanntlich hat der Allgemeine Deutsche Frauenverein und eine große Anzahl Zweigvereine an den deutschen Reichstag die Petition gerichtet, es möchte im bürgerlichen Gesetzbuch diese Grundlage für das eheliche Güterrecht angenommen werden, allein die Motive zu dem Entwurfe bemerken hierüber: „Es ist zwar nicht zu verkennen, daß die rechtliche Stellung der Ehefrau bei keinem System des ehelichen Güterrechts eine so selbständige und gesicherte ist, als bei demjenigen, welches im Anschlüsse an den Grundgedanken des römischen Rechts der Ehe eine un-(161)mittelbare Einwirkung auf das Vermögen der Ehefrau versagt, allein man wird doch anerkennen müssen, daß der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Rechts eine andere Auffassung zu Grunde liegt. Deshalb hat auch in denjenigen Teilen Deutschlands, in welchen das römische Dotalrecht gilt, das letztere mannigfache Modifikationen
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erfahren, welche dasselbe dem deutschen Rechte näher gebracht haben.“128 Diese Modifikationen bestehen darin, daß die Ehefrau ihr Vermögen dem Ehemanne zur Verwaltung und Nutznießung überläßt, sodaß dann das Dotalsystem praktisch der Verwaltungsgemeinschaft gleichkommt. Im Entwurf zum bürgerlichen Gesetzbuch sind alle skizzierten Systeme in der Weise aufgenommen, daß die Ehegatten durch Vertrag das eine oder andre wählen können. Wenn aber kein Vertrag vorliegt, so tritt das gesetzliche Güterrecht ein. Als solches ist im Entwurf die Verwaltungsgemeinschaft erklärt. Ausschlaggebend erschien der Redaktion des Entwurfes der Gedanke, die Verhältnisse der Ehegatten sollen bei Eingehung der Ehe durch Gesetz möglichst wenig geändert werden. Wollen die Ehegatten durch Vertrag allgemeine oder partikuläre Gütergemeinschaft einführen, so sei dies viel leichter, wenn das gesetzliche System dasjenige der Verwaltungsgemeinschaft sei. Weshalb diese Argumentation nicht dazu geführt hat, im Entwurf die vollständige, Unabhängigkeit der Güter oder das Dotalsystem, bei welchem die Ehe doch entschieden die geringsten Aenderungen auf die vorehelichen Verhältnisse bewirkt, als gesetzliches System zu adoptieren, ist meines Erachtens nicht genügend erklärt. Vielmehr blieb leider unberücksichtigt, daß die Verwaltungsgemeinschaft zu einem ungemein komplizierten Apparat wird, wenn die Rechte der Ehefrau etwas besser, als es in den gegenwärtigen Gesetzgebungen der Fall ist, gewahrt werden sollen. Eine kurze Besprechung der einschlägigen Bestimmungen wird dies klar machen. In erster Linie wird im Entwurf unterschieden zwischen eingebrachtem Gut und Vorbehaltsgut. Das erstere ist das Vermögen, das die Ehefrau in die Ehe bringt oder das ihr während der Ehe anfällt und in die Nutznießung und Verwaltung des (162) Ehemannes übergeht. Vorbehaltsgut ist das, was sich die Frau ausnahmsweise zu eigener Verwaltung vorbehält. Es bedarf also zur Schaffung von Vorbehaltsgut vertraglicher Bestimmungen der Ehegatten; wenn nichts gesagt ist, wird alles Frauen-Vermögen Eingebrachtes und gilt auch bis zum Beweise des Gegenteils als solches. Zum Vorbehaltsgut werden ferner gerechnet die aus eigenem Erwerb oder selbständiger Arbeit resultierenden Erträgnisse der Ehefrau, sowie solche Gegenstände, welche ihr aus einem Testament oder Vermächtnis zukommen und darin ausdrücklich als Vorbehaltsgut erklärt sind. Alle Rechtsgeschäfte der Ehefrau, die sich auf ihr eingebrachtes Gut irgendwie beziehen, sind ohne Genehmigung des Ehemannes ungiltig. Das System der Verwaltungsgemeinschaft macht damit die Geschäftsfähigkeit der Frau, welche ihr der Entwurf großmütig einräumt, illusorisch. Die Frauenwelt darf sich darüber keinen Täuschungen hingeben; mit dem System, das der Entwurf als das gesetzliche erklärt, ist die Handlungsfähigkeit der Ehefrau absolut unvereinbar. Sie kann sich nur auf das Vorbehaltsgut erstrecken; denn wie schon angedeutet, geht es natürlich nicht an, daß beide Ehegatten bezüglich des in der Hand des Ehemannes liegenden Vermögens der Ehefrau Verfügungen treffen. Bei Würdigung dieser Thatsache ist es vollkommen gleichgültig, welche juristische Erklärung man ihr
128 Motive Bd. 4, S. 143 und 144.
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giebt. Ob die Verfügungsfreiheit der Frau beschränkt wird, weil ihre Geschäftsfähigkeit wie bei den Minderjährigen mangelhaft ist, oder ob solche Beschränkung im Interesse und zum Schutz des Ehemannes aufgestellt ist, ändert an der Thatsache an sich und ihrer praktischen Wirkung nichts. Dagegen hat die Ehefrau drei Sicherungsmittel, die mehr oder weniger wirksam sind. Als das bedeutsamste betrachten wir die Bestimmung, daß der Ehemann ohne Einwilligung der Ehefrau über das Eingebrachte nicht nach Gutdünken verfügen kann. Grundsätzlich handelt er als ihr Verwalter wie ein fremder Beauftragter und bedarf daher ihrer Vollmacht, ausgenommen zu Leistungen, welche für die eheliche Gemeinschaft und zur Erhaltung des Frauenvermögens erfüllt werden müssen. Freilich kann die Grenze zwischen diesen und anderen Rechtsgeschäften nicht scharf gezogen werden, und gerade an dieser (163) Unterscheidung zeigt sich das Unpraktische der Verquickung von Handlungsfähigkeit der Ehefrau einerseits und der Verwaltungsgemeinschaft andererseits. Oder wie denkt sich der Gesetzgeber die Ausführung folgender Bestimmung? „Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des eingebrachte Gutes ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu welchem der Mann der Zustimmung der Frau bedarf, so kann die Zustimmung auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn sie von der Frau ohne ausreichenden Grund verweigert wird. Umgekehrt kann die Frau diesen Weg beschreiten, wenn der Mann die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäfte nicht giebt, das für die Ordnung der persönlichen Angelegenheiten der Frau erforderlich ist.“129 Wird die Anrufung des Richters für jedes einzelne Rechtsgeschäft im Falle der Verschiedenheit der Ansicht der Ehegatten zur Erhaltung des ehelichen Friedens dienen? Wohl kaum. Das zweite Sicherungsmittel der Ehefrau besteht darin, daß sie für ihr Vermögen Sicherstellung erlangen kann, wenn das Verhalten ihres Mannes die Besorgnis erweckt, sie könnte in ihrem Rechte als Eigentümerin verletzt werden. Aber wenn auch die Sicherheit geleistet wird, so ist die Ehefrau damit gegen künftige Beschädigung ihrer Vermögensobjekte nicht geschützt, sie hat infolge der Sicherheitsleistung nur Deckung für den Schaden. Darauf, daß dieses Sicherungsmittel in den meisten Fällen zu spät benützt wird, ist schon oben hingewiesen worden. Es ist ganz klar, daß die Ehefrau für das betreffende Begehren Gründe für ihre Besorgnis anführen und die entsprechenden Beweise erbringen muß. Das ist natürlich erst möglich, wenn schon eine Reihe von schädigenden Handlungen des Ehemannes vorangegangen sind. Gegen die Wirksamkeit des Begehrens auf Sicherheitsleistung spricht endlich noch der gewichtigste (ebenfalls schon angeführte) aller Gründe, der auch das dritte und letzte Schutzmittel entweder vollständig illusorisch oder zu einer sehr gefährlichen Waffe macht. (164) Dieses dritte Schutzmittel ist folgendes. Die Ehefrau kann die Aufhebung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung verlangen: 1. aus denselben Gründen, welche sie zum Begehren der Sicherheitsleistung berechtigen, d. h. wenn durch das Verhalten des Mannes die Besorgnis begründet ist, das eingebrachte Gut werde gefährdet;
129 § 1278 Abs. 1 Entwurf II. Lesung.
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2. wenn er die Verpflichtung, für den Unterhalt von Frau und Kindern zu sorgen, nicht erfüllt hat und eine erhebliche Gefährdung vorliegt, daß dieser Unterhalt auch für die Zukunft nicht geleistet werde. Sofern das Begehren der Ehefrau vom Gericht als begründet erklärt und durch Urteil die Aufhebung der ehelichen Nutznießung und Verwaltung bestimmt wird, tritt Gütertrennung ein, d. h. jedes der Ehegatten nimmt sein Vermögen und dessen Einkünfte an sich, die Ehefrau ist aber verpflichtet, dem Manne auf Begehren einen Beitrag an die Haushaltungskosten zu geben. Wie nun die Ehegatten in Frieden und Eintracht weiter leben sollen, nachdem die Frau gegen ihren Mann Gütertrennung beantragt hat, ist nicht leicht einzusehen. Entweder sind die ihr in die Hand gegebenen Waffen stumpf, denn wenn sie um den Familienfrieden besorgt ist, wird sie lieber ihr Vermögen verlieren, als Unfrieden heraufbeschwören, oder wenn sie für die eigene Existenz und diejenige der Kinder ihre Vermögensinteressen wahren muß, richtet sie die Waffen gegen die eigene Brust. Was nützt es ihr, die Bruchstücke ihres Vermögens zu retten, wenn sie dadurch ihren Mann tödlich beleidigt? Wer das Leben und die menschliche Natur kennt, muß einsehen, daß das Begehren auf Sicherstellung sowohl als auch dasjenige auf Gütertrennung vernünftigerweise erst dann gestellt werden kann, wenn die Ehe ohnehin zerrüttet ist und die Ehegatten faktisch oder rechtlich getrennt leben oder zu einer Trennung schreiten wollen. Werden die sogenannten Sicherungsmittel der Ehefrau in nicht zerrütteter Ehe angewandt, so führen sie die Zerrüttung fast ausnahmslos herbei. Es muß aber im Gegenteil die Hauptaufgabe der Gesetzgebung sein, solche Bestimmungen aufzustellen, welche den Bestand der Ehen sichern. Führt also die Verwaltungsgemeinschaft ohne Gewährung (165) der besprochenen Schutzmittel nach allgemeiner Ueberzeugung zu Ungerechtigkeiten und Härten gegen die Frau, so ist das System selbst zu verwerfen; denn die Schutzmittel sind nicht nur illusorisch, sie sind direkt schädigend, sie führen die Zerwürfnisse der Ehegatten recht eigentlich herbei. Wenn aber die allgemeine Gütergemeinschaft wegen ihrer noch viel größeren Gefahren und die partikuläre Gütergemeinschaft wegen ihrer Kompliziertheit als gesetzliche Güterordnungen ebenfalls abgelehnt werden müssen, welches System ist dann das richtige, welches das wünschenswerte? Auf diese Frage giebt es nur eine Antwort: die Unabhängigkeit der Güter! Dieses System, mag man es Gütertrennung, Dotalsystem, Unabhängigkeit der ehelichen Vermögen oder wie immer, nennen, ist das einfachste, das natürlichste und darum auch das richtige. Da fallen alle die Künstlichkeiten weg, die bei den andern Systemen die unglaublichsten juristischen Konstruktionen erzeugen, da kann nicht die Rede sein von jenem nebulösen Begriff, der bei der Gütergemeinschaft unter dem Namen „Gesamteigentum“ die Köpfe verwirrt, da giebt es kein Vorbehalts- und kein Ehegut, da braucht es keine Beschränkung der Handlungsfähigkeit, da sind verwickelte Ausrechnungen unnötig, da fallen die Streitigkeiten über eheweibliche Vollmachtserteilung und ehemännliche Genehmigung dahin, da wissen die Gläubiger, an wen sie sich zu halten haben, da ist die Ehefrau geschützt, da verschwinden die kreditschädigenden Klagen gegen den Ehemann. Dieses System herrscht gegenwärtig in Italien, Rußland, Großbritannien und Irland, in Europa allein bei zirka 150 Millionen Einwohnern, in fast allen Staaten der amerikanischen Union, in Kanada, in einem Teil Australiens.
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Die Verwaltungsgemeinschaft in der einen oder andern Form und das ihr nahestehende Dotalsystem mit Verwaltung in der Hand des Mannes gilt in einem Teile Deutschlands (ungefähr 20 Mill.), Oesterreich (27 Mill.), Polen (8 Mill.), den baltischen Provinzen und den meisten Kantonen der Schweiz (5 Mill.), im ganzen bei ungefähr 60 Millionen oder, wenn man den Entwurf für das Deutsche Reich in Betracht zieht, bei 90 Millionen. (166) Die Gütergemeinschaft in irgend einer Form ist gesetzliches Güterrecht in Frankreich (38 Mill.), Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und einigen schweizerischen Kantonen (etwa 12 Mill.), Spanien und Portugal (21 Mill.), Schweden, Norwegen und Dänemark (9 Mill.), einem großen Teile Deutschlands nach gegenwärtigem Recht (30 Mill.), also bei 110 Mill. Einwohnern oder, wenn man den Entwurf für das Deutsche Reich in Betracht zieht, bei nur 80 Mill.130 Das System in Ungarn, Finnland und den Balkanstaaten mit zusammen 40 Mill. ist nicht genügend bekannt. Es gilt also die Gütergemeinschaft bei 110, bzw. 80 Millionen, die Verwaltungsgemeinschaft bei 60, bzw. 90 Millionen, die vollständige Unabhängigkeit der Güter aber bei 150 Millionen Einwohnern Europas. Rechnet man dazu diejenigen Staaten der amerikanischen Union, welche dieses letztere System ebenfalls adoptiert haben mit 50 Mill., Kanada und die betreffenden Teile Australiens mit ungefähr 5 Mill., so ergiebt sich, daß in den Kulturstaaten die Unabhängigkeit der Güter für eine Gesamteinwohnerzahl von 205 Millionen gilt. Kann angesichts dieser Zahlen das Argument der Gegner, dieses System sei mit dem Wesen der Ehe unvereinbar, noch aufrecht erhalten werden? Gewiß nicht! In den benannten Ländern sind die Ehen keineswegs in Frage gestellt, die Gläubiger der Ehegatten sind nicht schlechter daran, der Kredit des Ehemannes ist nicht geringer als anderswo. Im Gegenteil bewirkt das einfache, klare System überall da, wo es eingeführt ist, eine Sanierung des Kreditwesens. Kein Ehemann kann sich da als vermögenskräftig aufspielen, während er nichts hat als die Verwaltung des Frauenvermögens, und niemand genießt da einen Kredit, der nicht seiner Person, sondern dem Vermögen seiner Frau gilt. In dieser Beziehung erweist sich die Unabhängigkeit der Güter in der Ethik des öffentlichen Lebens als eine Wohltat. Hierin liegt einer seiner großen Vorzüge. Der Mensch kann das Vertrauen seiner Mitmenschen nur durch seine Charaktereigenschaften und seine eigene Vermögenskraft erwerben, das Versteckspielen hinter einem fremden Vermögen, wie bei der (167) Verwaltungsgemeinschaft, wird bei der Güterunabhängigkeit unmöglich gemacht. Dadurch werden aber die Kräfte des einzelnen zum Wohle des Ganzen energischer angespannt. Als ethischer Gewinn für die Gemeinschaft muß es ferner betrachtet werden, daß bei der Güterunabhängigkeit die Geldheiraten einen andern Charakter bekommen als bei den übrigen Systemen. Natürlich heiraten auch da die Männer lieber eine reiche als eine mittellose Frau, aber da solche Heirat nicht sie selbst bereichert, sondern sie nur mittelbar den Genuß des Frauenvermögens haben, so sind derartige Heiraten ethisch weniger anstößig, strenggenommen sind Geldheiraten ohne Zuneigung auf der Seite des Ehemannes gar nicht möglich, weil er auf das Vermögen seiner Frau keine gesetzlichen Ansprüche erheben kann.
130 Louis Bridel: Le droit des femmes (Paris 1893).
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Der zweite Vorzug dieses Systems liegt in dem bessern Schutz der Ehefrau. Sie kann ihr Vermögen selber verwalten oder es dem Ehemann zur Verwaltung übergeben, das steht in ihrem Belieben. Kommt die Ehefrau dadurch zu Schaden, so geschieht es durch ihre eigene Willensentschließung, ihren Mangel an Einsicht und Voraussicht, und sie hat eben die Folgen zu tragen, wie jeder andre Handlungsfähige, der sich zu leichtsinnigen Darlehen und Bürgschaften verleiten läßt. Mit Rücksicht auf das innige und mehr oder weniger abhängige Verhältnis der Ehefrau zu ihrem Manne ließe sich übrigens ein Konkursprivilegium für ihre Forderungen an den Ehemann wohl rechtfertigen. Sie steht ihm so nahe, daß ihr Urteil durch seine Bitten leicht getrübt und ihre Nachgiebigkeit viel eher entschuldigt werden kann als bei andern Gläubigern. Ein dritter nicht hoch genug zu schätzender Vorzug der güterrechtlichen Unabhängigkeit der Ehegatten ist, daß die Ehefrau nicht gegen ihren Mann den Richter anrufen muß. Kraft gesetzlichen Rechtes kann sie sich selbst schützen, sie muß nicht die ganze eheliche Intimität in den Gerichtssaal tragen, um zu ihrem Rechte zu gelangen. Sie muß den Mann nicht bloßstellen und ihn sich durch ihre Klagen verfeinden. Wenn dieses System, keinen andern Vorzug hätte als diesen einen, wahrlich, es wäre wert, alle übrigen zu verdrängen! (168) Es ist aber auch für die Gläubiger des Ehemannes der Verwaltungsgemeinschaft weit vorzuziehen. Das letztere bietet in seiner Kompliziertheit allen möglichen Schwindeleien und Betrügereien zahllose Schlupfwinkel, wie z. B.: die Ehefrau giebt vor, ohne Genehmigung des Mannes gehandelt zu haben, der Ehemann beruft sich darauf, seine Frau habe ihre Vertretungsbefugnis überschritten ec., und der Gläubiger hat das Nachsehen. Auch bei der Zwangsvollstreckung ist die Verwaltungsgemeinschaft überall ein Tummelplatz für Handlungen, welche auf die Benachteiligung der Gläubiger abzielen. Steht die Ehefrau noch einem eigenen Geschäfte vor, so wachsen die Verwicklungen ins Ungeheuerliche. Soweit ihr Geschäft reicht, ist sie vollkommen geschäftsfähig, da braucht sie die Einwilligung des Ehemannes zu den großartigsten Geschäftsabschlüssen nicht, in ihrer Eigenschaft als Ehefrau dagegen ist sie handlungsunfähig. Das sind ungesunde Zustände, welche die Begriffe verwirren und der Rechtssicherheit schaden. Die Unabhängigkeit der Güter allein schafft klares Recht. Der Gläubiger weiß dabei genau, daß er sich an denjenigen der Ehegatten zu halten hat, mit dem er das Rechtsgeschäft abgeschlossen. Dieses System ist ferner das einzige, mit dem die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau sich vereinbaren läßt. Der Entwurf hält mit Recht die Bevormundung der Ehefrau mit den Anforderungen des modernen Lebens für unvereinbar. Wenn die Beschränkung ihrer Handlungsfähigkeit aber thatsächlich aufhören und nicht unter andrer Flagge weiter bestehen soll, so ist dies nur mit der Güterunabhängigkeit möglich. Dieses System ist endlich das einzige, das eine relative Rechtsgleichheit der Ehegatten zuläßt. Nur unter ihm kann die Ehefrau eine selbständige Existenz führen, soweit diese im ehelichen Leben überhaupt möglich ist. Daß dabei die Solidarität der Interessen gewahrt bleiben muß, ist selbstverständlich. Sie ist auch bei der güterrechtlichen Unabhängigkeit im Gesetze selbst garantiert durch die Bestimmung, daß die Ehefrau nach Kräften zu den Lasten des ehelichen Lebens beitragen muß. Ihre Unabhängigkeit hat also keineswegs den Sinn, daß sie ihr Vermögen für persönliche Zwecke verwenden und ruhig zusehen könnte, wie (169) der Ehemann
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sich für die Beschaffung des Lebensunterhaltes abquält. Vielmehr ist sie verpflichtet, ihm mit ihrem Vermögen die nötige Hilfe zu leisten. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, so kann sie zur Erfüllung derselben vom Ehemann in gleicher Weise angehalten werden, wie es das Gesetz bei den heutigen Gesetzgebungen im Fall der Pflichtverletzungen des Ehemannes vorgesehen hat. Nur hätte diese Vertauschung der Rollen den großen Vorteil, daß die schwächere Frau nicht den Mann anklagen muß, sondern in der Defensive verharren kann. Daß dies aus ethischen und praktischen Rücksichten viel angemessener ist als die Offensivstellung, welche die Güter- und Verwaltungsgemeinschaft der Ehefrau zuweist, liegt auf der Hand. Gegen ein System mit so vielen Vorzügen vor den künstlichen Konstruktionen andrer Systeme weiß die gegnerische Juristenwelt keine andern Einwürfe geltend zu machen, als in den Motiven zum Entwurf für das bürgerliche Gesetzbuch ausgedrückt ist: die Entwicklung des deutschen Rechts gehe einen andern Weg!131 Herr Professor Bridel in Genf sagt in seinem oben zitierten Buche über dieses System: „Die Gütertrennung oder Unabhängigkeit der Güter ist widerspruchslos das einfachste und klarste System für alle Beteiligten: für die Ehegatten, wie die Dritten. Es ist auch das gerechteste System, das einzige, welches in That und Wahrheit den Rechten der Frau Rechnung trägt. Dieses System erscheint als das System der Neuzeit und der Zukunft, im Gegensatz zu den übrigen Kombinationen, welche der Vergangenheit angehören. Lassen wir die Irrtümer der Vorzeit mit allen ihren Häßlichkeiten und gehen wir mit Entschiedenheit die Bahn der Gerechtigkeit und Freiheit. Was giebt es Einfacheres und Rationelleres als folgende Bestimmungen: jeder der Ehegatten trägt zu den Haushaltungslasten im Verhältnis seines Vermögens bei, während die besondere Verantwortlichkeit des Ehemannes, in seiner Eigenschaft als Haupt der Familie, bestehen bleibt. Was die Verwaltung anbetrifft, so behält jedes seine Verfügungsfreiheit über sein Vermögen, solange nichts Anderes vertraglich vereinbart ist. Wohlverstanden, der Ehefrau wird es jederzeit (170) freistehen, ihrem Manne ihr Vermögen zur Verwaltung zu überlassen und in der Praxis, wo die Verhältnisse normal sind, wird dies auch das Regelmäßige sein. Aber wenn die Frau aus irgend einem Grunde die Verwaltung ihres Eigentums zurücknehmen will, mit welchem Recht soll sie daran verhindert werden? Die Zahl der Juristen, welche für dieses System eintreten, mehrt sich von Jahr zu Jahr. Wir sehen hier ein bekanntes Phänomen: es ist der gewöhnliche Lauf der menschlichen Dinge, erst durch alle möglichen Komplikationen hindurchzugehen, bevor sie an der Einfachheit anlangen. Und wenn das Einfache schließlich entdeckt worden ist, so hat man die größte Mühe, zu begreifen, daß es so viele Jahre und zuweilen Jahrhunderte gebraucht hat, um dahin zu kommen!“ 3. Die Frau als Mutter. a) Die eheliche Mutter. Das zur Zeit in Deutschland geltende Recht kennt ein volles elterliches Recht gegenüber den Kindern nur für den Vater, nicht für die Mutter. Die Gesetzgebungen sprechen lediglich von väterlicher, nicht auch von mütterlicher Gewalt. Sowohl das gemeine Recht als auch die darauf ruhenden neueren Gesetzgebungen, wie das 131 Motive Bd. 4, S. 143.
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preußische Landrecht, das österreichische und das sächsische Recht, legen alle Rechte der elterlichen Gewalt in die Hände des Vaters, und auch nach dem Tode des Vaters kommen der Mutter nur sehr beschränkte elterliche Befugnisse zu. Am Erziehungsrechte hat sie einen gewissen Anteil, aber sogar darin ist sie mehr oder weniger unselbständig gestellt, weil die Erziehungspflicht wie die ganze Sorge für des Kindes Vermögen und dessen Verwaltung an den obrigkeitlich bestellten Vormund übergeht. Nur wenn die Mutter selbst zum obrigkeitlich bestellten Vormunde berufen wird, kann sie die Befugnisse ganz oder zum Teil erlangen, welche dem Vater ausnahmslos zustehen. Auch das Recht der Nutznießung am Vermögen des Kindes, das dem Vater regelmäßig zusteht, hat die Mutter nach dem Ableben des Vaters nicht überall. Es hängt dies hauptsächlich davon ab, welchem ehelichen Güterrecht sie unterworfen sei. Auf diesem Boden war es auch zuerst möglich, der Mutter nach dem Tode des Vaters eine gewisse (171) Gewalt über die Kinder einzuräumen. Wo dem überlebenden Ehegatten durch die eheliche Güterordnung weitgehende Rechte an dem gesinnten Familienvermögen zukamen, führte die Konsequenz zur Entwicklung einer mütterlichen Gewalt. Vor allem ist es das französische Recht, welches die rechtliche Gleichstellung der überlebenden Mutter mit dem überlebenden Vater durchgesetzt hat. Nach dem Code Civil steht das Kind, solange beide Eltern leben, unter elterlicher, nicht nur väterlicher Gewalt. Stirbt einer der Ehegatten, so wird der überlebende Teil, also auch die Mutter, von Rechts wegen Vormund über die Kinder und hat das Erziehungsrecht, das Recht der Vermögensverwaltung, der Nutznießung am Kindervermögen. Der Mutter steht das Recht zu, die Vormundschaft abzulehnen, auch kann ihr der Vater einen Ratgeber beiordnen. In gleicher Weise ist die italienische Gesetzgebung vorgegangen. Nach italienischem Recht kann jedoch der Vater Vorschriften über die Erziehung und Verwaltung geben, von welchen die Mutter ohne Genehmigung der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden nicht abweichen darf. Verzichten auf die elterliche Gewalt kann die Mutter in Italien nicht. Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland steht auf demselben Standpunkte wie das französische und italienische Recht. Grundsätzlich ist der Mutter dasselbe Recht eingeräumt wie dem Vater. Freilich tritt, solange beide Eltern leben, das Recht der Mutter vor dem Uebergewicht des Vaters in allen Dingen zurück. Wenn aber der Vater gestorben ist, so ist es die Mutter, welche die von ihm bisher ausgeübte elterliche Schutzpflicht übernimmt und dazu die gleichen Rechte erhält, die dem Vater zukamen. Mit welchem Zagen der Entwurf diesen Schritt zur Herstellung des natürlichsten Rechtes der Mutter gewagt hat, geht aus folgender Ausführung in den Motiven hervor: „Es liegt zwar der Einwand (gegen diese Neuerung) nahe, daß es etwas Anderes sei, die Frauen für befähigt zu erklären, ihren eigenen Geschäften vorzustehen, und sie für geeignet zu halten; fremde Geschäfte mit Erfolg zu führen, daß vielfach, besonders in den höheren Ständen. den Frauen die nötige Einsicht und Erfahrung fehle zur Übernahme der oft schwierigen Geschäfte der Vermögensverwaltung, (172) daß ihnen die männliche Kraft und Autorität mangle, welche die Erziehung der Kinder erfordere, mit andern Worten, daß es praktisch Bedenken unterliege, nach dem Tode des Vaters der Mutter die volle elterliche Stellung einzuräumen, welche ihr im Prinzip vorzuenthalten kein Grund vorliegt. Diesem Einwande gegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß es nicht eigentlich fremde Geschäfte sind, deren Besorgung der Mutter hier übertragen werden soll, daß es sich vielmehr um die Angelegenheiten ihrer
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nächsten Angehörigen, ihrer Kinder handelt. Es ist nicht ein öffentliches Amt, durch welches der Mutter fremde Geschäfte von außen überwiesen werden; vielmehr handelt es sich wesentlich doch nur um eine Erweiterung ihrer familienrechtlichen Stellung, um eine vollere Gestaltung ihres hausfraulichen und mütterlichen Berufes. Die Mutter soll nicht aus ihrem natürlichen Berufe herausgehoben, sondern im Gegenteil nur von Schranken befreit werden, welche sie bisher in der Erfüllung des ihr eigenen Berufes beengten. Dem Entwurf liegt nichts ferner, als der Gedanke der sogenannten Emanzipation der Frauen. Er geht vielmehr von der Erwägung aus, daß das Mißtrauen, welches frühere Jahrhunderte in die Fähigkeit der Frau zu einer vollen Erfüllung ihres elterlichen Berufes setzten und bei der Unsicherheit der Zustände, der Schwierigkeit der Rechtsverfolgung vielfach setzen mußten, nach den Verhältnissen der Gegenwart nicht mehr berechtigt ist.“132 Aus diesen Erwägungen erklärt sich, daß der Entwurf die große Neuerung zu Gunsten der Mutter nicht unbedingt und ohne Vorbehalt einführen wollte. Vielmehr soll in besonderen Fällen der Mutter ein Beistand vom Vormundschaftsgericht gestellt werden. Diese Fälle sind folgende: wenn der Vater eine Anordnung auf Bestellung eines Beirates getroffen hat, wenn die Mutter einen solchen begehrt und endlich, wenn das Vormundschaftsgericht ihn wegen der mangelnden Fähigkeit der Mutter für nötig erachtet. Von einer Gleichstellung des Vaters und der Mutter ist also nach dem Entwurf keine Rede. Der Vater mag noch so beschränkte Fähigkeiten haben, die verstorbene Mutter es noch so dringend gewünscht haben, von einem Beirat (173) für ihn ist keine Rede. Er schaltet und waltet nach dem Tode der Mutter so selbstherrlich wie zuvor, kein Gesetzgeber hat bis jetzt den Ausfall der mütterlichen Obsorge, Aufsicht und Einsprache durch entsprechende Bestimmungen zu decken gesucht. Weshalb nicht auch ihm einen Beistand bestellen, wenn das Vormundschaftsgericht in seine Fähigkeiten Zweifel setzt? Weshalb nicht auch die Wünsche der Mutter berücksichtigen? Der Entwurf will den Beistand der Mutter auf Anordnung des Vaters bestellt wissen, weil der Vater am besten zu beurteilen im Stande sei, ob ein Bedürfnis zu solcher Bestellung vorliege. Sollte die Mutter dieses Bedürfnis für den Fall ihres Todes nicht ebenso gut beurteilen können? Hierin sollte die Ungleichheit unter allen Umständen wegfallen und der Mutter gleicherweise wie dem Vater das Recht gegeben werden, in ihrem letzten Willen, einen Beirat für den überlebenden Vater zu bezeichnen! Freilich muß auch noch eine andre Ungleichheit aufgegeben werden. Der Entwurf erklärt die Frauen, sofern sie nicht Mutter oder Großmutter des Mündels sind, zur Uebernahme von Vormundschaften unfähig. Das ist auch schon bisheriges Recht. Die Gründe für solchen Ausschluß sind in einer Gesetzgebung, welche, wie die heutige, die Frau als vom Ehemann bevormundet erklärt oder doch in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt, einleuchtend genug. Weshalb aber die Frauen im künftigen Rechte nicht prinzipiell zu Vormünderinnen ernannt werden können, ist nicht einzusehen. Die Motive zum Entwurf wissen denn auch keine auch nur ein wenig stichhaltige Begründung anzugeben. Es wird dort einfach gesagt: „Richtiger ist es und auch im Interesse der Frauen geboten, dieselben mit der Pflicht zur Uebernahme öffentlicher Aemter zu verschonen. Insbesondere wäre, wenn man die Frauen zur Vormundschaft berufen wollte, zu befürchten, daß gegen das Interesse der Mündel und gegen das Interesse des öffentlichen Dienstes 132 Motive Bd. 4, S. 736 und 787.
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von der Befugnis, Frauen als Vormünder zu bestellen, in zu großem Umfange Gebrauch gemacht würde.“ Man giebt also zu, die Frauenvormundschaft könnte häufig gewünscht werden, mit andern Worten, sie werde als ein Bedürfnis empfunden. Damit ist der Weg für die Gesetzgebung (174) vorgezeichnet. Die Gründe für die Befürchtung sind auch nicht einmal glaubhaft gemacht, und in der That: was wäre denn von einer weiblichen Vormundschaft zu befürchten? Die Vormundschaftsbehörden hatten ja das Recht, untaugliche Frauen von der Uebernahme solcher Pflichten auszuschließen, die Prüfung der Fähigkeit und Tauglichkeit zu diesem Amte bliebe ihnen in jedem einzelnen Falle vorbehalten, und wenn sie sich je einmal in einer Vormünderin und deren Qualität getäuscht hätten, so bliebe ihnen ja die Kontrolle, das Aufsichtsrecht und die Absetzung wie bei den männlichen Vormündern. Man sieht, der Entwurf fürchtet im Grunde nicht so sehr für das Interesse der Mündel, er will vielmehr den Frauen öffentliche Aemter nicht zuweisen, damit sie aus ihrer Privatsphäre, die ihnen bislang zugewiesen war, nicht heraustreten. Demnach thun die Frauen Recht daran, wenn sie die Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, das künftige Gesetz möchte auch die Frauen zum Vormundschaftsdienst in Aussicht nehmen, energisch unterstützen. Das Amt des Vormundes ist ja so recht eigentlich der Frauenthätigkeit entsprechend. Es handelt sich dabei nicht nur um die Vermögensverwaltung, welche die Frauen ja künftighin für ihre eigenen Kinder und also auch wohl für fremde besorgen können, sondern es kommen dabei alle Erziehungs- und Verpflegungsfragen in Betracht, welche eine einsichtige Frau wegen ihres Eindringens in Details und ihres liebevolleren Eingehens auf die jeweiligen Bedürfnisse mindestens ebensogut löst, wie der männliche Vormund es thun kann. Zudem steht ihr die männliche Vormundschaftsbehörde zur Seite, so daß die für jede Erziehung unentbehrliche Mischung des männlichen und weiblichen Elementes bei solcher Vormundschaft vorhanden, was bei den männlichen Vormündern nicht der Fall ist. Trotz ihrer Ueberzeugung von der Unvollkommenheit jeder ausschließlich männlichen Vormundschaft fällt es den Frauen nicht ein, ein Begehren auf Ausschluß der männlichen Vormünder zu stellen, aber sie verlangen zunächst im Interesse der Mündel Aufhebung der bisherigen Beschränkung ihres Geschlechtes. Dieses Verlangen stellen sie aber auch um der Gerechtigkeit willen. Die Beschränkung hat heute keinen Sinn mehr und be-(175)deutet lediglich eine völlig unmotivierte Schmälerung ihres Rechtes gegenüber demjenigen der übrigen Staatsglieder. Eine solche Ungleichheit drückt die soziale Stellung derer, die schlechteren Rechtes sind, herunter, und das ist gerade bei der Frauenwelt zu verhüten. Die Frau kann als Gattin, Tochter, Schwester und Mutter rechtlich nicht hoch genug gestellt werden, jede Erhebung kommt dem Gemeinwesen zu gute, jede Herabdrückung schädigt das Ganze. Daß die Teilnahme der Frau am öffentlichen Leben dem Staate zudem, direkt zu gute kommt, haben verschiedene außereuropäische Staaten ad oculos bewiesen. Man hat sich nur im alten Europa bisher vor dieser Thatsache nicht beugen wollen.
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Der Grundsatz des Entwurfes hat um so weniger Sinn, als er durch seine eigenen Bestimmungen durchbrochen ist, § 1664 Abs. 1133 schreibt vor: „Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden; ausgenommen sind die Mutter und Großmutter des Mündels, sowie diejenige Frau; welche von dem Vater oder von der ehelichen Mutter als Vormund benannt ist.“ Damit ist gestattet, daß ein Vater oder Mutter im Testament eine Vormünderin für die minderjährigen Kinder bezeichnet. Wenn nun der Grundsatz der Unfähigkeit der Frauen durch Privatwillen Ausnahmen erleidet, weshalb sollen Frauen nicht auch vom Vormundschaftsgerichte zu Vormündern ernannt werden? Hinsichtlich der Ernennung des Vormundes durch Testament findet sich im Entwurf noch eine Unbilligkeit. Es heißt da,134 der vom Vater ernannte Vormund könne von der Mutter nicht ausgeschlossen werden. Wenn also der Vater in seinem letzten Willen für den Fall seines Todes und desjenigen der Mutter einen Vormund ernannt hat, so wird nach seinem Tode zunächst die Mutter kraft elterlicher Gewalt Vormund, aber nach ihrem Tode wird das väterliche Testament wirksam, und der ernannte Vormund soll nunmehr sein Amt antreten. Gesetzt nun aber, die Mutter habe seit des Vaters Tode den im Testament bezeichneten als einen schlechten Freund und Berater der Familie kennen gelernt, soll sie nun nicht in ihrem Testamente diesen Vormund, ausschließen dürfen? Der Entwurf sagt: nein; darin (176) liegt eine Gefahr für die Mündel, aber auch eine unmotivierte Hintansetzung der Mutter. Zum mindesten müßte das Gesetz bestimmen, die Mutter dürfe den vom Vater ernannten Vormund nicht ohne Grund ausschließen. Man vergesse nur nicht, wie oft in kurzer Zeit die Verhältnisse sich ändern können. Ein wunder Punkt in den Gesetzgebungen aller Länder ist das Verhältnis der geschiedenen Ehefrau zu ihren Kindern. Ueber das Unrecht, das in dieser Beziehung an den Frauen unter der gegenwärtigen Gesetzgebung begangen wird, ließen sich Bücher schreiben! Es sei hier nur an die zahllosen gebrochenen Existenzen erinnert, die von einem brutalen Ehemann lieber das Schlimmste erdulden als sich von ihm trennen, weil sie wissen, daß ihm die Kinder kraft seiner väterlichen Gewalt zugesprochen würden. Das Recht der Eltern auf ihre Kinder im Falle der Scheidung wird nach den heutigen Gesetzgebungen unter drei Gesichtspunkten entschieden. Entweder entscheidet das Geschlecht der Kinder, d. h. die Knaben werden der Mutter, die Mädchen dem Vater zugesprochen, oder es wird nach dem Alter der Kinder entschieden: Kinder unter sechs Jahren kann die Mutter, solche über dieses Alter der Vater beanspruchen, oder endlich die Schuld oder Unschuld der Ehegatten an der Scheidung wird in der Weise ausschlaggebend, daß die Kinder demjenigen Ehegatten zugesprochen werde, der an der Scheidung unschuldig ist. Von diesen leitenden Prinzipien ist die grausamste Anordnung jedenfalls die, welche der Mutter die Kinder bis zum schulpflichtigen Alter läßt und dann, wenn ihr ganzes Sinnen und Denken mit dem geistig erwachenden Kinde verbunden ist, es dem Vater überantwortet.
133 Zweite Lesung. 134 § 1663. Zweite Lesung.
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Der Entwurf für das bürgerliche Gesetzbuch hat insofern menschlichere Satzungen aufgestellt, als der an der Scheidung unschuldige Ehegatte das Recht über die Person des Kindes erhält. Wenn beide Teile schuldig sind, so hat die Mutter das Recht über die Töchter und über die Söhne bis nach deren zurückgelegtem sechstem Altersjahre. Diese Bestimmung bedarf noch der Erweiterung. Sofern die Mutter zur Erziehung der Kinder nicht untauglich ist, sollten ihr auch die Söhne bis zum vollendeten zwölften Altersjahre zur Erziehung überlassen werden. Was will der geschiedene (177) Vater mit einem sechsjährigen Bübchen anfangen? Es kann ja die Muttersorge noch nicht entbehren, und ist es nicht besser, das Kind seiner Mutter zu übergeben, auch wenn sie an der Scheidung mit Schuld trägt, als es fremden Leuten zu überlassen? Auch in diesem Punkte kommt man zu viel gerechteren Gesetzen, wenn, die natürlichen Verhältnisse berücksichtigt und alle rechtlichen Künsteleien vermieden werden. Auch hierin haben die Frauen eine große Aufgabe zu lösen, in der sie nicht erlahmen dürfen. b) Die uneheliche Mutter Dieses traurigste aller Rechtsgebiete im Leben der Frau kann im Rahmen dieser Abhandlung nicht erschöpfend behandelt werden. Es ist auch vor der Hand auf eine Umwandlung der Gesetze zu Gunsten der unehelichen Mütter kaum zu hoffen; denn die öffentliche Meinung kennt für die armen Opfer der Verführung kein Mitleid. Sie steht allerorts noch auf dem barbarischen Standpunkte, von dem aus ein verlassenes Mädchen mit Steinen beworfen wird. Immer noch wird jede Regung des Mitleids mit dem Hinweis auf das Selbstverschulden der Unglücklichen unterdrückt. Man denkt nicht daran oder will es nicht zugestehen, daß die wenigsten unverdorbenen Mädchen an ihrem Fehltritt selbst Schuld tragen. Das leichtsinnigste Geschöpf hat ursprünglich so viel natürliche Scham, daß es sich nicht ohne lange und andauernde Verführungskünste seitens des Verführers preisgiebt. Das wissen die Männer ganz gut, aber sollen sie für das schwache Geschlecht eintreten, indem sie sich anklagen? Das kann niemand von ihnen erwarten. Dagegen ist es Sache der Frauen zu Gunsten ihrer Mitschwestern ohne Prüderie der Wahrheit zum Siege zu verhelfen. Jede erfahrene Frau muß sich sagen, daß bei der Natur des weiblichen Geschlechtes von Selbstverschulden des bethörten Mädchens in dem Sinne, daß es für seine Schritte allein und voll verantwortlich gemacht werden soll, keine Rede sein kann. Ist einmal diese Erkenntnis durchgedrungen, sucht man erst in dem unbescholtenen Mädchen das Opfer, das es wirklich ist, so wird die nächste Folge sein, daß adäquatere Gesetze geschaffen werden müssen. Bei der anzustrebenden Reform müßte vor allem darauf Bedacht genommen werden, daß die uneheliche (178) Mutter, nicht nur die Pflege- und Erziehungskosten für das uneheliche Kind zu tragen hat, daß sie vielmehr infolge der unehelichen Geburt noch Einbußen ganz andrer Art erleidet. Während eines Teils der Schwangerschaft ist sie unfähig, ihrem Verdienst nachzugehen, durch die Geburt ist sie vielfach, oft auf Lebenszeit, körperlich geschwächt, ihren guten Ruf hat sie für immer verloren, und überdies muß sie, weil ihr die Grundlage der Familie, die Ehe, fehlt, fast immer seelisch dasjenige ertragen, was jeder Mutter am schwersten fällt, die Trennung von ihrem Kinde. Mit einem Worte: ihr Leben ist fortan eine Kette von Leiden, Entbehrungen, Schmerz und Mißachtung. Ihr Geschick ist so schwer, daß es eine schreiende
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Ungerechtigkeit ist, wenn der Urheber all dieses Leides nicht wenigstens gutmachen muß, was durch Geld ersetzt werden kann. Diesem Zwecke dient die in manchen Gegenden Deutschlands übliche Deflorationsklage. Es ist die Klage gegen den treulosen Verführer, bei welcher ihm die Wahl bleibt, entweder die Betrogene zu heiraten, oder sie mit ausreichendem Vermögensersatz abzufinden. Diese Klage soll nun nach dem Entwurf beseitigt werden, weil sich der Begriff der Verführung jeder, scharfen Begrenzung entziehe, und wenn die Verführung von seiten des Mannes vermutet werde, so laufe man Gefahr, unbegründeten Ansprüchen Vorschub zu leisten.135 Wir finden auch hier wieder übergroße Rücksichtnahme auf das Recht des Mannes und den Schutz desselben, unter dem die Frau so schwer leidet. Nach der ersten Lesung des künftigen Gesetzes soll der Vater nur verpflichtet sein, dem Kinde den notdürftigsten Unterhalt bis zum vollendeten vierzehnten Jahre zu gewähren. Bei der zweiten Lesung wurde diese Härte gemildert; der jetzige § 1596 bestimmt, der Vater habe dem Kinde bis zum vollendeten sechszehnten Jahre den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu bezahlen. Im Unterhalt ist der gesamte Lebensbedarf, sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe inbegriffen. Wie ein sechzehnjähriges Kind schon zu einem Berufe vorgebildet werden soll, erscheint allerdings etwas fraglich. Wenn (179) der Vater für sein uneheliches Kind wirklich sorgen soll, so muß die Altersgrenze, noch um mehrere Jahre hinauf gerückt werden. Der Mutter aber muß er lediglich innerhalb der Grenzen der Notdurft Ersatz leisten für die Kosten der Entbindung und ihren Unterhalt während der ersten sechs Wochen nach der Geburt (!). Freilich verweisen die Motive auf die Möglichkeit des Schadenersatzes für unerlaubte Handlungen, für Fälle, wo die Vollziehung des Beischlafs sich als eine im Strafgesetzbuch vorgesehene strafbare Handlung erweist. Wenn aber eine strafbare Handlung im Sinne des Strafgesetzes nicht vorliegt? Es giebt auch andre unerlaubte Handlungen dieser Art, welche nicht unter das Strafgesetz fallen, bei denen aber die Entschädigungsansprüche gegen den Schuldigen, nicht ausgeschlossen werden dürfen. Wenn der Entwurf in diesem Sinne nicht ergänzt wird, so wäre damit der frivolsten Verführung, dem unlautersten Mißbrauch des Ansehens und der Ueberlegenheit Thür und Thor geöffnet und dem Sittlichkeitsbewußtsein ein schwerer Schlag versetzt.136 Die Frauen Deutschlands werden diese Verschlechterung der Lage ihrer unglücklichen Mitschwestern nicht widerstandslos zulassen. Mögen sie sich nicht durch Unthätigkeit an dem Unrecht den Rechtlosen gegenüber teilhaftig machen!
135 Motive Bd. 4, S. 215. 136 Vgl. Fuld: Die Vaterschaftsklage und das bürgerliche Gesetzbuch im Archiv für die
Praxis Bd. 75, S. 68 ff.
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Emilie Kempin: Die Stellung der Frau im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, 1896
KEMPIN, Emilie: Die Stellung der Frau im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches. I.V, in: 1. Beilage zur „Post“, 20.3.1896 (I), 25.3.1896 (II), 3.4.1896 (III), 8.4.1896 (IV), 9.4.1896 (V) Kommentar: In einer im März/April 1896, also wenige Wochen vor der Diskussion der vermutlich von Kempin verfaßten Anträge Pauli in der XII. Kommission des Reichstags geschriebenen Serie von Artikeln analysiert Kempin die Stellung der Frau im BGB-Entwurf und läßt dabei deutlich ihre politische Sympathie für die Eingaben Carl Ferdinand v. Stumm-Halbergs erkennen. Kempin schildert nicht sämtliche frauenrechtlichen Aspekte des BGB. In erster Linie setzt sie sich mit dem Güterrecht auseinander und plädiert wie schon in ihrer Schrift von 1895 für Gütertrennung. Ihre Gesamtdarstellung erstreckt sich auf insgesamt fünf Einzelartikel, die im folgenden gemeinsam erläutert werden.
1. Beilage zur „Post“ Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches.137 Von Dr. jur. Emilie Kempin.138
I. Unter den verschiedenen Gruppen, welche beim Reichstag um Besserstellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches eingenommen sind, scheint die Münchener Petition am meisten Glück gehabt zu haben, wenigstens ist es diese Eingabe, auf welche sich Frhr. v. Stumm bezogen hat, als er im Reichstage eine Lanze für Bewährung einzelner Punkte der Petenten einlegte. Diesen Umstand verdankt das Dokument seiner Kürze. Die übrigen Eingaben leiden an einer zu großen Ausführlichkeit und dem Bestreben, die Abänderungsvorschläge nicht nur im Prinzip zu formulieren, sondern als für und fertige Gesetzesvorlage einzureichen. Da stört sich Mancher an Detailsausführungen, der sonst im Prinzipe der Abänderung sympathisch gegenüber stehen mag. Damit soll indessen keineswegs gesagt sein, daß die Wünsche der übrigen Gruppen ungehört verhallen, im Gegentheil! Kann sich jede einzelne sagen, daß sie an ihrem Ort den harten Boden hat lockern helfen. Aber warum denn ist der Boden so hart, in welchen der Baum der Freiheit für das weibliche Geschlecht eingepflanzt werden soll? Dafür giebt es folgende Erklärungen. Einmal ist der Rechtsboden überhaupt schwer zu bebauen: durch jahrhundertelange Uebung und Tradition ist er zu einer kompakten Masse geworden, an der die Zeit nur langsam und allmählich Veränderungen bewirkt. Gewaltige Evo137 Wir beginnen heute mit dem Abdruck einer Reihe von Artikeln, die sich mit einer der
wichtigsten Streitfragen in dem Entwurfe des Bürgerlichen Gesetzbuch beschäftigt. Wir haben schon früher einmal unsere Stellung zu der Frage kurz dargelegt. Wenn wir darauf heute schon zurückkommen, so geschieht es deshalb, weil es uns wertvoll schien, unsere Leser auch mit der Auffassung einer der zunächst Beteiligten bekannt zu machen: einer Frau, die durch ihre Sachkunde wohl berufen ist, ihr Urtheil abzugeben. Wir haben die Genugthuung, daß es sich mit dem unsrigen im Allgemeinen deckt: für jede Einzelheit möchten wir freilich nicht einstehen. 138 Erschienen in: 1. Beilage zur Post, 20.3.1896 (XXXI. Jahrgang, Nr. 79).
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lutionen müssten im Volksleben vor sich gegangen sein, bis Veränderungen im Rechtsleben bemerkbar werden. Es ist ein großer Irrthum, das Recht nach neuen Anschauungen für künftige Zeiten regeln und die Konsequenzen solcher Ideen auf das Rechtsleben praktisch übertragen zu wollen. Das Recht kann den Zeitgedanken niemals vorauseilen, es kann ihnen nur nachfolgen. Denn Recht in jeder Form, bestehe es in Gewohnheit oder Gesetzen, ist ja nichts Anderes als der Ausdruck der allgemeinen Volksanschauung. Ob das Volk seinen Willen durch Repräsentanten kundgiebt, oder ob es selbst Gesetzgeber ist, ändert hieran nichts: auch die Abgeordneten vertreten in ihrer Mehrheit nur das, was in der Mehrheit des Volkes lebt. Einzelne Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Da nun jede neue Idee in den Köpfen einiger wenigen lebt, die ihrer Zeit vorausgeeilt sind, und erst nach langem Prozeß in die Waffen eindringt, so ist klar, daß sie im Rechtsleben keine Ausnahme finden kann, bis dieser Langsame Prozeß vor sich gegangen ist und erst dann, wenn sie schon Gemeingut der breitesten Volksschichten geworden, krystallisirt sie sich in gesetzlichen Bestimmungen. Es hieße daher, dem Gesetzte Gewalt anzuthun, wollte man einer noch nicht in die Waffen eingedrungenen Anschauung gesetzliche Sanktion deshalb geben, weil anzunehmen ist, daß sie in kürzerer oder längerer Zeit den breiten Boden der Allgemeinheit erobern werde. Ein solches Gesetz wäre ein Unglück, es würde dem Volksleben aufgepfropft und des langsamen Dualismus, bei Grundbedingung jeder gesunden Entwicklung, entbehren. Der Gesetzgeber hat sich darum vor Allem die Frage vorzulegen: Entspricht eine Gesetzesvorlage dem Bedürfnis der Zeit, oder bleibt sie hinter demselben zurück, oder geht sie darüber hinaus? Zu den beiden letzten Fällen ist sie zu verwerfen. Die Beantwortung dieser Frage ist nun nicht immer ganz einfach, aber in dem Für und Wider bei Behandlung der Tagesfragen in Presse, Parlament, öffentlichen Gesellschaften und Privatzirkeln schält sich schließlich das Richtige heraus, weil alle Interessenstreite direkt oder indirekt zum Worte kommen. Nur eine Gruppe von Staatsgliedern kann ihre Ansichten nicht ansprechen, ihre Ansprüche nicht geltend machen. die Frauen. Handelt es sich um ein ihre Interessen berührendes Gesetz, wie kann da das Eilbedürfnis erkannt, die allgemeine Rechtsüberzeugung abstrahiert werden? Bis jetzt geschah das auf dem Wege der Transmission. Die männlichen Staatsglieder übersetzten ihre Ansichten, ihre Wünsche auf diejenigen der Frauen. Das war auch vollkommen richtig und der einzig mögliche Weg, so lange die Persönlichkeit der Frau in derjenigen des Mannes aufging. Nun aber, da ein großer Prozentsatz der Frauen auf den Platz des Konkurrenzkampfes hinaus und alle Frauen ohne Ausnahme aus der Sphäre des Hauses auf den Markt des täglichen Lebens gedrängt worden sind, kann das Bedürfnis der Zeit für die Gesetze, welche die Frauen direkt angehen, nur von den Betheiligten selbst richtig empfunden und richtig bezeichnet werden. Jeder Ersatz, jede Vertretung in dieser Beurtheilung muß unrichtige Resultate ergeben. Gewiß wird Niemand leugnen, daß unter allen Gesetzen dasjenige, durch welches das Familienrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch geordnet werden soll, die Interessen des Frauengeschlechtes am tiefsten berührt. Es handelt sich da um die allerintimsten Beziehungen der Rechtssubjekte, und zwar um Verhältnisse, bei denen es sich nicht nur fragt: Was entspricht der allgemeinen rechtlichen Ueberzeugung der Männer? Sondern bei denen es ebenso wichtig ist, die allgemeinen Anschauungen des weiblichen Geschlechtes zu erforschen und gesetzlich zu formu-
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lieren. Ist das beim Zustandekommen des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches geschehen? Zum Theil, ja. Es wäre ungerecht, wenn man nicht anerkennen wollte, daß der Entwurf in seiner jetzigen Form den modernen Bedürfnissen und Anschauungen über die veränderte Stellung der Frau Rechnung getragen hat; wenn es nicht genügend geschah, so liegt das an der Beibehaltung der alten, heute nicht mehr richtigen Methode. Unbewußt und gewohnheitsmäßig wurde auch diesmal wieder die Transmission der Gedankenkreise der Männer auf die weibliche Bevölkerung vorgenommen und nach diesem so gewonnen Maßstabe das Interesse und das Wohl der Frauen bemessen. Und da kommen nun Deutschlands Frauen und sagen: Was Ihr da gefunden habt, das ist nicht unser Wohl, das ist nicht unser Interesse! Ihr macht uns von Eurer liebevoll gemeinten, aber uns so lästigen Bevormundung nur theoretisch los, wir wollen die Freiheit endlich, endlich einmal in That und Wahrheit. Gebt uns Gesetze, welche das ermöglichen! Und diese so beredten Frauen stehen nicht vereinzelt da, es sind ihrer viele Tausende; von Ost nach West, von Nord nach Süd des Deutschen Reiches schaaren sie sich um das eine große leuchtende Banner der persönlichen Freiheit. Ersehnen sie doch diese Freiheit nicht für sich allein, auch ihre Gatten, Väter, Brüder und vor Allem ihre Kinder sollen sich darin sonnen; denn sie wissen, daß die Freiheit, welche das 19. Jahrhundert den Männern gebracht hat, bei ihnen die schönsten Blüthe getrieben und machen kostbare Frucht gebracht hat. Darum lebt das Sehnen nach Freiheit in jedem Weibe, und sie zur That zu machen, ist das allgemeine Wünschen der ganzen weiblichen Bevölkerung. Wenn heute noch nicht alle Frauen selbständig genug sind, diesem Sehnen Ausdruck zu verleihen, so ist damit keineswegs gesagt, daß es nicht in ihnen lebendig ist. Unter vier Augen oder im kleinen Kreise gestehen es Alle ein, daß sie von diesem Freiheitsdrange mitergriffen sind. Aber auch die Männer würden der Frau eine bessere und selbständigere Stellung im Gesetze gerne einräumen, wenigstens alle uneigennützigen, hochherzigen und gerechten unter ihnen, also doch wohl der größte Theil der deutschen Nation, wenn Eines nicht wäre, der Mangel an Verständnis. Die wenigsten Männer kennen die praktischen Konsequenzen der gesetzlichen Abhängigkeit der Frau, weil sie sich mit diesen Fragen nie beschäftigt und das zu thun keine Veranlassung haben. Wüßten sie nur, wie das leichteste Loch auf die Dauer drückt und wie der Mangel an freier Bewegung den kräftigsten Menschen zum Krüppel macht. Sie müssen den Frauen Luft, Licht und Sonne der Freiheit in vollstem Maße geben. Wie aber denken sich denn die Frauen ihre Befreiung durch das Gesetz? Wollen sie das natürliche Verhältnis der Geschlechter verkehren? Wollen sie die Zügel in die Hand nehmen und den Mann und die Kinder nach dem Vorbild des römischen pater familias unter ihre Botmäßigkeit bringen? Wollen sie die Männer spielen und den Männern die Weiberrollen zuertheilen? Mit nichten. An ihren persönlichen Beziehungen zum Ehemann wollen sie nichts oder doch nur ganz irrelevante Pünktchen geändert wissen. Die deutschen Frauen, in ihrer Mehrheit wenigstens, wollen sich durchaus nicht von ihren Männern emancipieren, nach wie vor erblicken sie ihre größte Tugend darin, ihren Ehemännern in Liebe ergeben zu sein und diese auf jede Art zu beweisen. Die weibliche Unterordnung also wollen sie keineswegs aufgeben, dieselbe ist in der weiblichen Natur begrün-
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det, so sehr, daß man die die glücklichste Frau nennen kann, deren Wille vor der besseren Einsicht ihres Mannes schweigt. Also eine Unnatur im Verhältnis zwischen Mann und Frau soll nicht geschaffen werden. Aber weil das Weib schon von Natur zur Hingabe und Unterwerfung neigt, will es dazu nicht gesetzlich gezwungen werden. Die modernen Gesetzgebungen sind allerdings nicht mehr so geschmacklos, der Frau den Gehorsam gegen ihren Mann vorzuschreiben, sie überlassen das der religiösen und sittlichen Ueberzeugung jeder einzelnen. So hat auch der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches alle die Bestimmungen der Landesgesetzgebungen, welche die eheliche Vormundschaft anordnen, mit Bewußtsein vermieden und nur soviel von der ehelichen Gewalt beibehalten, als zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft absolut nothwendig ist. Dennoch ist die eheliche Bevormundung im Entwurf, wenn auch nicht formell, so doch thatsächlich vorhanden: in der jetzigen Regelung des gesetzlichen Güterrechts der Ehegatten.
Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches139 Von Dr. jur. Emilie Kempin.
II. Als gesetzliches Güterrecht hat der Entwurf die Verwaltungsgemeinschaft bestimmt, d. h. wenn zwischen den Ehegatten über die Ordnung ihrer gegenseitigen Vermögensangelegenheiten keine Eheverträge geschlossen worden sind, so tritt das System in Kraft, welches die Jurisprudenz mit dem Namen „Verwaltungsgemeinschaft“ bezeichnet. Das Rechtsinstitut ist uralt: es ruht auf dem Gedanken der Einheit von Mann und Frau in der Ehe. Ihm liegt der Gedanke zu Grunde: Gleich wie die Ehegatten durch die Ehe in allen Lebensbeziehungen Eins werden, so soll sich auch ihr Gut, ihr Vermögen, in einer Einheit darstellen. Schon der Sachsenspiegel schrieb vor: Mann und Frau haben kein gezweiet Gut. Die Folgen dieser Vorschrift ergeben sich von selbst. Der Mann verwaltet das „ungezweite“ Gut, also sein eigenes und das seiner Frau, und das Verfügungsrecht der letzteren über ihr Vermögen hört mit dem Tage ihrer Verheirathung auf. Die alten Rechtsbücher betonen das ausdrücklich. Der Mann hat aber am Vermögen der Frau nicht nur die Verwaltung, er hat daran auch die Nutznießung. So kommt es, daß ein altes Rechtssprichwort von dieser Art der Güterordnung sagen kann: Frauengut darf nicht wachsen und nicht schwinden. Wachsen darf und kann es nicht, weil die Früchte und Zinsen des Vermögens nicht zum Kapital geschlagen werden, sondern Eigenthum des Mannes werden, schwinden kann es nicht und soll es nicht, weil der Mann für die ehelichen Schulden allein aufzukommen hat. Das System hat vor der anderen deutschrechtlichen Güterordnung, der Gütergemeinschaft, den großen Vorzug, daß die Frau für Schulden des Mannes mit ihrem Vermögen nicht haftbar ist. Im Konkurse des Mannes wird das letztere prinzipiell nicht in Mitleidenschaft gezogen und bei Auflösung der Ehe soll es der Frau oder ihren Erben zurückgegeben werden.
139 Erschienen in: 1. Beilage zur „Post“, 25.3.1896 (XXXI. Jahrgang, Nr. 84).
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Diesem Umstand hat das System seine Jahrhunderte lange Dauer zu verdanken. Es hält zudem der völligen Güterverschmelzung, wie sie bei der Gütergemeinschaft stattfindet, und der Trennung der Güter die schöne Mitte. Es entspricht der idealen Auffassung der Ehe als einer Personenunion, ohne doch die gefährlichen Wirkungen der Gütergemeinschaft zu haben. Mit anderen Worten: das System ist in der Theorie das denkbar beste. Sehen wir zu, wie es sich in der Praxis bewährt. Es macht den schönen Gedanken der Einheit der Ehegatten zur That. Gut. Diese Einheit war, wie bisher gesagt, das Richtige und Gegebene, solange die Ehefrau keine Veranlassung hatte, Rechtsgeschäfte einzugehen. Als noch im Hause gesponnen, gewoben, gebleicht, geschneidert und geschustert wurde, und als die Ehefrau mit diesen häuslichen Verrichtungen im Hause vollauf beschäftigt war, lag für sie kein Bedürfniß vor, irgend einen Vertrag, als höchstens vielleicht den der Dienstmiethe, einzugehen, noch viel weniger kam sie dazu, sich selbständig als Handels- oder Gewerbefrau zu geriren. Da war es vollkommen genügend, daß die eheliche Einheit im Mann verkörpert wurde und nur seine Person nach außen erschien. Die Ehefrau konnte ohne seine Einwilligung kein Rechtsgeschäft gültig abschließen. Heute liegen die Dinge ganz anders, weil die Frau auf allen Erwerbsgebieten thätig ist und überdies schon allein in Erfüllung ihrer Hausfrauenpflichten täglich eine Reihe von Verträgen abschließen muß. Jetzt kann die beschränkte Geschäftsfähigkeit der Ehefrau nicht mehr aufrecht erhalten werden. Ueberall, wo sie zur Zeit noch besteht, wird sie in hundert Fällen durchbrochen. Deshalb hat der Entwurf solche Beschränkung nicht aufgenommen. Nach ihm ist die Ehefrau grundsätzlich ebenso geschäftsfähig wie die unverheirathete Frau oder die Wittwe, weil die jetzige Beschränkung mit ihrem heutigen Pflichtenkreis unvereinbar ist. Allein, was der Entwurf mit der einen Hand gibt, nimmt er mit der anderen. Die Verwaltungsgemeinschaft nämlich, die er als gesetzliches Güterrecht postulirt, läßt ein selbständiges Handeln der Ehefrau nicht zu. Die durch dieses System bedingte Einheit des Handelns der Ehegatten hat nothwendigerweise die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau zur Folge, welche die Kommission des Entwurfs beseitigen wollte. Es findet sich also im Entwurf folgende Logik: Die Neuzeit erfordert volle Geschäftsfähigkeit der Ehefrau, demnach wird jede Beschränkung derselben aufgehoben. Als gesetzliches Güterrecht gilt die Verwaltungsgemeinschaft. Sie erfordert durchaus Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau, demnach bleibt die Ehefrau in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt. So steht es natürlich nicht im Gesetz, aber die sich widersprechenden Bestimmungen laufen im Effekt darauf hinaus. Das sind die Folgen des idealen Systems in der Praxis! Auch noch in anderer Beziehung wirft die Verwaltungsgemeinschaft in Theorie und Praxis unversöhnliche Gegensätze auf. Die Kommission des Entwurfs hat als gesetzliches Güterrecht die Gütergemeinschaft verworfen, trotzdem sie in einem großen Theile Deutschlands jetzt geltendes Recht ist, weil die Gefahren für das Vermögen der Ehefrau dabei zu groß sind. Aber auch die Verwaltungsgemeinschaft ist den Interessen der Frau gefährlich, theoretisch weniger als die Gütergemeinschaft, in That und Wahrheit aber in eben derselben Weise. Die Frau ist dabei gesetzlich verpflichtet, ihrem Mann ihr Vermögen zu überlassen, sie kann in seine Verwaltung nicht hinein reden, sie kann die Zinsen nicht beziehen, sie sieht von ihrem Eigenthum nie etwas und hat ganz einfach zu gewärtigen, ob der Mann es
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gut verwaltet und ob er die Zinsen für den gemeinsamen Haushalt verwendet. Thut er das nicht, so ist sie in der denkbar schlimmsten Lage. Sie hat wohl Vermögen, das ihr und ihren Kindern die Existenzmittel geben würde, aber alle Rechte daran liegen in der Hand des Mannes. Sie ist unter Umständen schlimmer daran als eine Bettlerin. Sie hat kein Recht auf die Zinsen und sie sieht das Kapital in der Hand des Mannes verschwinden. Ich betone übrigens mit allem Nachdruck, daß die Verwaltungsgemeinschaft der in glücklicher Ehe lebenden Frau nicht den geringsten Schaden bringt. Für solche Ehegatten ist jedes System am Platze, denn sie stehen unter Gesetzen, die ihnen gegenseitige Liebe und Achtung diktiert haben. Den Rechtskodex kennen sie kaum und brauchen ihn auch nicht zu kennen. Aber zu welchem Zwecke stellt denn der Staat Gesetze auf? Doch wohl zu dem einen, die Handlungen der Staatsglieder in den Schranken zu halten, welche der freien Bewegung der Uebrigen Platz läßt, also doch zunächst und in allererster Linie gegen diejenigen, welche sich ohne den gesetzlichen Zwang Uebergriffe in die Rechte Anderer zu Schulden kommen lassen würden. Wenn daher das Gesetz dem Manne z. B. in seiner Eigenschaft als Führer der ehelichen Gemeinschaft weitgehende Rechte der Frau gegenüber zugesteht, so hat es auf der anderen Seite dafür zu sorgen, daß der Mann diese Rechte nicht mißbrauchen kann. Im Entwurfe des Bürgerlichen Gesetzbuches geschieht das dadurch, daß die Frau gegen Entscheidungen des Ehemannes, die sich als Mißbrauch seines Rechtes darstellen, den Richter anrufen kann. Und wenn das Gesetz dem Ehemann in der Verwaltungsgemeinschaft das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht am Vermögen der Ehefrau zuspricht, so muß es der letzteren gegen allfälligen Mißbrauch dieses Rechtes seitens des Mannes ebenfalls einen Schutz geben. Das ist im Entwurfe geschehen und zwar in ziemlich ausgiebiger Weise. Die Gesetzvorlage enthält eine Anzahl Cautelen zu Gunsten und zum Schutze der Frau, so daß es den Anschein hat, als sei sie in der Verwaltungsgemeinschaft vor jedem ehemännlichen Uebergriff geschützt. Aber es scheint nur so. In Wirklichkeit sind die der Ehefrau zuertheilten Waffen stumpf und die theoretische Unschädlichkeit der Verwaltungsgemeinschaft ist in allen Fällen, wo es sich wirklich darum handelt, dem Mißbrauch des ehemännlichen Rechts zu begegnen, nichts weiter als eine schöne Illusion. Oder was nützt der Ehefrau der Nachsatz: „Frauengut soll nicht schwinden“, wenn der Ehemann das Gut vergeudet hat? Was hilft es ihr, daß er für ungeschmälerte Rückgabe ihres Vermögens haftet, wenn er selbst nichts mehr hat? „O, bitte,“ sagen die Vertheidiger der Verwaltungsgemeinschaft, „sie hat zwei Mittel, ihr Vermögen zu sichern. Da ist erstens einmal die Sicherstellung. Hat sie begründete Besorgniß, daß ihr eingebrachtes Gut in erheblicher Weise gefährdet sei, so kann sie vom Manne Sicherstellung verlangen. Ja, noch mehr. Bei eben dieser Besorgniß, kann sie auf Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung klagen.“ Ja wohl, das kann sie, ich bestreite es nicht. Aber wissen die Männer auch, was das heißt? Es bedeutet: das Glück der ganzen Familie aufs Spiel setzen um eines sehr zweifelhaften Erfolges willen, es heißt: die Zerrüttung des Ehebundes heraufbeschwören, um das unveräußerliche Recht eines Jeden, das Eigenthumsrecht, geltend zu machen. Diese Riesenaufgabe muthet ein System den schwachen Kräften der Frau zu, welches dieselbe Frau vor ihrer eigenen Schwäche beschützen will! Es will ihr die Last und Verantwortlichkeit der Vermögensverwaltung abnehmen und lädt ihr dafür eine andere übermenschliche Bür-
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de auf! Und wozu? Um die Folgen eines lange überlebten Systems abzuschwächen! Die durch dasselbe nöthig werdenden Anstrengungen wären für die Frau schon viel zu schwer, wenn sie von Erfolg begleitet wären. Aber in den meisten Fällen nützen sie noch nicht einmal etwas nehmen wir nur die Sicherstellung. Gesetzt, der Mann kann die verlangte Sicherheit geben, d. h. er hat Aktien, Obligationen, Hypotheken oder Bürgen bis zum Betrage des eingebrachten Vermögens der Frau (was bekanntlich nicht immer der Fall ist), wie erlangt dann die Frau die Sicherstellung? Nur durch Erbringung des Beweises, daß ihr Vermögen gefährdet sei. Sie, die bei der Verwaltung nie etwas zu sagen hatte, der alle und jede Möglichkeit der Kontrolle fehlt, die keine Ahnung davon hat, wo und wie ihr Vermögen angelegt ist, soll beweisen, daß es gefährdet ist! Wie kann sie denn das? Nicht Beweise, lediglich Vermuthungen, dunkle unbeweisbare Ahnungen der Gefahr kann sie höchstens dann bekommen, wenn der Ehemann unsicher wird, wenn sein Benehmen auf schlechte Vermögenslage schließen läßt, mit anderen Worten, wenn es zu spät ist, wenn schon das Ganze oder doch ein großer Theil verloren ist. Dann kann sie nach Beweisen suchen und den kleineren oder größeren Rest aus dem Schiffbruch retten, sei es mittels des Begehrens der Sicherstellung, sei es durch den Entzug der Verwaltung und Nutznießung. Denn auch bezüglich des letztgenannten Schutzmittels ist dasselbe zu sagen, wie über die Sicherstellung: Die Waffe versagt in der Regel, weil die Möglichkeit ihres Gebrauchs zu spät gegeben ist. Was mir aber viel bedenklicher erscheint als diese Unbrauchbarkeit oder Unzulänglichkeit der beiden genannten Waffen, ist, daß beide sich gegen die Frau entladen, sobald sie sie braucht. Und sie treffen sie in der Regel ins Herz. Bedenke man doch nur! Die persönlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten lassen sich bei der Prozedur, in welcher die Frau ihr Vermögen zu retten versucht, nicht auseinanderhalten. Will sie die Gefährdung ihres Vermögens nachweisen, so greift sie damit den Charakter des Mannes an. Dabei kann es nicht ausbleiben, daß er in der Bestreitung ihrer Behauptungen Vorwürfe gegen sie erhebt, und so artet das ganze Vornehmen in einen Prozeß aus, der dem Scheidungsprozeß auf ein Haar gleicht, insofern als auch da die intimsten Lebensbeziehungen zur Sprache kommen, als auch da die Ehegatten als erbitterte Parteien sich gegenüberstehen. Und während dieser Prozeß vielleicht der Ehefrau den richtigen Schutz für ihr Vermögen gewährt, ist es um den ehelichen Frieden geschehen. Oder läßt sich etwa annehmen, der Mann lasse sich die Anschuldigungen der Frau ruhig gefallen, er ertrage es ganz gemüthlich, daß ihm das ehemännliche Recht der Verwaltung und Nutznießung entzogen wird? Er beuge sich dieser Schmach ohne Kampf? Er lasse sich dieselbe von dem Wesen ungestraft und ungerächt anthun, das bislang seiner zwar nicht rechtlichen, aber doch thatsächlichen Vormundschaft unterworfen war? Gewiß nicht. Nicht einmal die Sicherstellung leistet er ohne Widerspruch, denn auch dieses Begehren giebt ihm ja ein Mißtrauensvotum, das sich kein Mensch leicht gefallen läßt. Wer das Leben und die menschliche Natur nur einigermaßen kennt, muß einsehen, daß die Schutzmittel der Frau vernünftigerweise erst dann angewandt werden können, wenn die Ehe ohnehin zerrüttet ist und die Ehegatten faktisch oder rechtlich schon getrennt leben oder zu einer Trennung schreiten wollen. In jedem anderen Falle müssen sie die Zerrüttung unfehlbar herbei führen. Es kann vor dieser Gefahr nicht eindringlich genug gewarnt werden. Die Ehefrau kennt sie und darum duldet sie lieber das Aeußerste, als daß sie ihren Mann bloß stellt, lieber verliert sie Hab und Gut, als daß sie ihn vor den Richter
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lädt, und nur, wenn es sich um die Existenz ihres Kindes handelt, greift sie zu dem verzweifelten Mittel. Man sage mir nicht, solche Rücksicht der Frau sei dem verschwenderischen oder dem leichtsinnigen oder dem unpraktischen VermögensVerwalter gegenüber nicht am Platze. Ein solcher Mann verdiene sie nicht und der gute Bestand der Ehe müsse da doch untergraben sein, wo die Frau ihren Mann nicht mehr als guten Haushalter achten könne. Solche Argumentation wäre ganz unrichtig. Es kann Jemand der schlechteste Vermögensverwalter und doch der beste Gatte und Vater sein, er kann als Finanzmann ein Schwächling, als Mensch aber ein Charakter sein und er kann noch so viele Fehler haben und von der Frau doch geliebt werden. Die Verwaltungsgemeinschaft stellt uns also vor ein aut – aut. Entweder bietet sie der Frau den nothwendigen Schutz nicht, sondern giebt sie und ihre Kinder dem Leichtsinn, der Pflichtvergessenheit, dem Unvermögen eines unglücklich veranlagten Mannes preis, oder sie giebt zwar die Möglichkeit des Schutzes, aber sie zerrüttet die Ehe. In beiden Fällen ist das System zu verwerfen. Im ersteren widerspricht es der Absicht des Gesetzgebers: denn diese geht ja darauf, das Eigenthum der Frau zu schützen, im zweiten widerspricht es der Hauptaufgabe einer guten Gesetzgebung, die Harmonie der menschlichen Beziehungen zu wahren. Führt also die Verwaltungsgemeinschaft einerseits ohne Gewährung und Anwendung der besprochenen Schutzmittel nach allgemeiner Ueberzeugung zu Ungerechtigkeiten und Härten gegen die Frau und sind andererseits die Schutzmittel nicht nur illusorisch, sondern direkt schädigend, so ist das System unbedingt zu verwerfen. Aber wie dann? Auch die Gütergemeinschaft taugt zugestandenermaßen nichts wegen ihrer noch größeren Gefahren! Welche Güterordnung bleibt denn da übrig? Darauf giebt es nur eine Antwort: die Unabhängigkeit der Güter, die Gütertrennung.
Die Stellung der Frau im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches.140 Von Dr. jur. Emilie Kempin.141
III. „Die Gütertrennung? Unmöglich!“ sagen die Verfasser des Entwurfs. „Das alte deutsche Haus soll nicht in seinen Grundfesten erschüttert werden. Die Ehe verlangt Einheit aller Lebensbeziehungen, die Gütertrennung bedeutet Trennung derselben.“ Ist das richtig? Sehen wir doch einmal zu, worin denn die Gütertrennung besteht! Besteht? Im Grunde in nichts! Sie ist kein System wie die Güter- und Verwaltungsgemeinschaft, sie schafft keine neuen Verhältnisse der Ehegatten, keine Rechte der Herrschaft und keine Pflichten der Unterwerfung, sie bedeutet ganz einfach für die Ehegatten ein Festhalten an den Rechten, welche sie vor ihrer Verheirathung besessen haben, mit anderen Worten: Die volljährige Frau giebt ihre Rechte an ihrem Eigenthum nicht auf, sie bleibt in vollem Besitz derselben, sie verwaltete ihr Vermögen während der Ehe wie vor Eingehung und nach Auflösung derselben. Dabei soll zwar die Gemeinschaft der ehelichen Interessen gewahrt werden, aber nicht mehr als nöthig ist. Und die ehelichen Interessen sind auch bei der Gütertrennung in vollem Umfange gewahrt. Die Ehefrau hat dem Manne zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes einen angemessenen Beitrag aus 140 Vgl. Nr. 79 und Nr. 84 der Post. 141 Erschienen in: 1. Beilage zur Post, 3.4.1896 (XXXI. Ausgabe, Nr. 92).
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den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäftes zu leisten. Damit ist die Einheit der Ehe auch in vermögensrechtlicher Beziehung aufrecht erhalten; denn wohl verstanden: die Frau hat den Beitrag zu dem genannten Zwecke dem Manne zu leisten. Er, der für die Kosten des Haushalts aufzukommen hat, verfügt also über den Beitrag der Frau, somit bleibt das volle eheliche Recht in seinen Händen; nur, wenn der Mann seiner Familie den nöthigen Unterhalt nicht gewährt, kann die Frau den Beitrag zurückbehalten und selber zu Haushaltszwecken verwenden. Es ist demnach mit dieser Güterordnung nicht nur für die Einheit der Interessen der Ehegatten gesorgt, sondern die Ehefrau erhält damit zugleich einen Schutz, wie ihn jedes andere System ihr versagt. Für den Fall, daß sie dieses Schutzes wirklich einmal bedarf, dann nämlich, wenn ihr Mann seine Pflichten nicht erfüllt, braucht sie nicht erst zum Richter zu gehen und da ihren Mann zu beschuldigen, damit sie ihr Eigenthum heraus bekäme, sie behält ihr Vermögen vielmehr in der Hand, auch den Theil, welchen sie in Normalfällen dem Manne zu den Lasten der Ehe zu geben verpflichtet ist. „Aber,“ werfen die Gegner der Gütertrennung ein, „wie ist dann der Mann sicher, daß die Frau ihr Geld nicht verschwendet, daß er die Hilfe von ihr auch wirklich erhält. Den Frauen in diesem Punkte zu trauen, ist eine ziemlich bedenkliche Sache.“ Dieser Einwand ist so wenig stichhaltig, wie der erste. Es können da nur zwei Eventualitäten in Betracht kommen. Entweder ist die Frau gewissenhaft und thut ihre Pflicht, dann ist jede Sorge des Mannes um den Beitrag aus ihrem Vermögen oder ihrer Arbeit überflüssig, aber sie ist leichtsinnig oder verschwenderisch, dann kann der Mann beantragen, daß der von ihr zu leistende Beitrag ihrer Verfügung entzogen und ihm sicher gestellt werde, aber er kann sogar ihre Bevormundung beantragen und ihr damit die Dispositionsbefugnis über das ganze Vermögen entziehen. Hier hat also der Ehemann genau dieselben Mittel in der Hand, welche die Ehefrau nach den heutigen Gesetzgebungen und nach dem Entwurf in seiner jetzigen Gestalt anwenden kann, sofern ihr Mann sich als leichtsinnig, verschwenderisch, pflichtvergessen etc. erweist. Nur geräth der Mann dadurch niemals in die schlimme Lage, wie die Frau. Er ist der wirthschaftlich Stärkere und Unabhängigere, er kann unter allen Umständen für den nöthigsten Lebensunterhalt selber aufkommen, auch ohne den Beitrag der Frau sieht er seine Existenz und die der gemeinschaftlichen Kinder nicht gefährdet. Was thut die Frau dagegen, deren Mann nicht für die Familie sorgt? Sie, die von den Mutterpflichten fast ganz in Anspruch genommen ist, sieht sich der Alternative gegenüber, entweder mit ihren Kindern zu verhungern oder gegen den Mann einen die Auflösung der Ehe herbeiführenden Prozeß anzustrengen. Einem Erwerb kann sie meist gar nicht oder doch nur mit größter Mühe nachgehen. Warum also sollen die Rollen nicht gerechter Weise einmal vertauscht werden? Ja warum? Es liegt kein einziger vernünftiger Grund dagegen vor, wohl aber viele dafür. Hat die schwache Frau unter den Systemen der Güter- und Verwaltungsgemeinschaft Jahrhunderte lang hindurch ihr Recht gegen den Mann suchen müssen, so mag das 20. Jahrhundert endlich einmal die Sache umkehren und den Mann gegen seine renitente Frau vorgehen lassen. Das erscheint so selbstverständlich, daß man sich nur wundern muß, warum die Besetzung der Rollen nicht längst in dieser Weise angeordnet wurde.
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Der Mann sein Kläger, die Frau Beklagte! Vielleicht – ich will das weibliche Geschlecht im Punkte des Rechtsgefühls und der Moral nicht höher stellen als das männliche, aber doch nicht unterlassen, die Frage aufzuwerfen – würden bei dieser Ordnung der Dinge die Prozesse zwischen Ehegatten überhaupt seltener werden als heute. Es liegt in der Natur des Verhältnisses der Ehegatten, im Charakter der Frau und in physischen Uebergewicht des Mannes begründet, daß die Frau leichter nachgiebt. Thut sie es nicht aus Liebe zu ihrem Mann, so thut sie es aus Liebe zu ihren Kindern, um des Friedens willen, um seinen Zorn abzuwenden, oder vielleicht auch, um seinen Mißhandlungen zu entgehen. Auch bleibt ja der Mann Führer der ehelichen Gemeinschaft und hat dadurch eine aus dem Gesetz fließende Präponderanz über die Ehefrau, welche ihren Willen dem seinigen leicht unterwirft. Dazu kommt, daß wenn der Mann den Richter angerufen hat, das nachherige Zusammenleben der Ehegatten nicht unmöglich ist, wie umgekehrt. Siegt er im Prozesse ab, so muß die Frau nachher doppelt Stille schweigen, unterliegt er aber, so kann er ihr keine Vorwürfe machen, daß sie die Familienangelegenheiten vor Gericht gezogen und ihn damit verunehrt habe. Ein weiterer Einwand gegen die Gütertrennung führt die Unkenntniß und Unfähigkeit der Frau in Vermögensangelegenheiten ins Feld. Aber mit Unrecht. Die Frauen werde es sehr bald lernen, ihr Vermögen selbständig zu verwalten, der Mensch wächst bekanntlich mit seinen höheren Zwecken und Aufgaben. Zudem ist die Vermögensverwaltung da, wo es sich nicht um ganz große Kapitalien oder Grundbesitze handelt, keine Hexerei und hat die Frau nicht ihren Mann als besten Freund und Rathgeber? Regelmäßig wird sich übrigens die Sache so machen, daß die Ehefrau ihrem Manne die Verwaltung freiwillig übergiebt oder daß sie Beide dieselbe gemeinschaftlich besorgen. Für den Fall der Gefährdung des Vermögens aber in der Hand des Mannes ist die Frau in der Lage, das Vermögen wie von jedem Dritten jeden Augenblick ohne Prozeß heraus verlangen zu können. Sind demnach die Nachtheile der Gütertrennung gleich Null oder reduzieren sich dieselben doch auf ein Minimum, so sind ihre Vorzüge in die Augen springend. Es sind folgende: 1. Sie bewirkt eine Sanierung des Kreditwesens. Kein Ehemann kann sich da als vermögenskräftig aufspielen, während er nichts hat als die Verwaltung des Frauenvermögens, und niemand genießt da einen Kredit, der nicht seiner Person, sondern dem Vermögen seiner Frau zu verdanken ist. In dieser Beziehung erweist sich die Unabhängigkeit der Güter in der Ethik des öffentlichen Lebens als eine große Wohlthat. Der Mensch soll das Vertrauen seiner Mitmenschen nur durch seine Charaktereigenschaften und seine eigene Vermögenskraft erwerben, das Versteckenspielen hinter einem fremden Vermögen, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft, ist bei der Gütertrennung ein Ding der Unmöglichkeit. Dadurch werden aber die Kräfte des Einzelnen zum Wohle des Ganzen energischer angespannt. 2. Als ethischer Gewinn muß es ferner betrachtet werden, daß bei der Gütertrennung die Geldheirathen einen anderen Charakter bekommen als bei den übrigen Systemen. Natürlich heirathen auch da die Männer lieber eine reiche als eine mittellose Frau, aber da solche Heirath sie nicht selbst bereichert, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft durch die Nutznießung am Frauenvermögen, sondern sie nur mittelbar den Genuß desselben haben, so sind derartige Heirathen ethisch weniger anrüchig, streng genommen sind Geldheirathen ohne Zuneigung auf der
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Seite des Ehemannes gar nicht möglich, weil er auf das Vermögen seiner Frau keine gesetzlichen Ansprüche erheben kann. 3. Die Ehefrau genießt bei der Gütertrennung den nöthigen Schutz. Ich habe mich darüber hinlänglich geäußert. Wenn sie aber ihrem Manne die Vermögensverwaltung übergiebt und dadurch zu Schaden kommt, so geschieht es durch ihre eigene Willensentschließung, ihrem Mangel an Einsicht und Voraussicht, und die hat eben die Folgen davon zu tragen, wie jeder andere Handlungsfähige, der sich nicht vorsieht. 4. Die Gütertrennung hält die Ehen zusammen, statt sie zu trennen. Ich verweise auf das in Artikel II Gesagte. Die eheliche Intimität muß bei diesem System nicht nothwendig im Gerichtssaal enthüllt, der Ehemann nicht bloßgestellt, der Frau nicht verfeindet werden. Wahrlich, wenn die Gütertrennung keinen andern Vorzug hätte, als diesen einen, sie wäre werth, alle übrigen System zu verdrängen. 5. Die Gütertrennung allein schafft klares Recht. Der Gläubiger weiß dabei genau, daß er sich an denjenigen Ehegatten zu halten hat, mit dem er das Rechtsgeschäft abgeschlossen hat. Sie bietet den Schwindeleien und Betrügereien des Ehegatten keinen einzigen Schlupfwinkel, die Ehefrau kann sich nicht, wie bei der Verwaltungsgemeinschaft, ihrer Verantwortlichkeit entziehen, indem sie behauptet, ohne Genehmigung des Mannes gehandelt zu haben, und der Ehemann sich nicht darauf berufen, seine Frau habe ihre Vertretungsbefugnis überschritten. Die Ehefrau ist nicht halb geschäftsfähig, halb in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt, die Gütertrennung schließt damit von vornherein alle Begriffsverwirrungen aus und befestigt die Rechtssicherheit, statt wie die Verwaltungsgemeinschaft ihr zu schaden. 6. Dieses System ist das einzige, mit welchem die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau sich vereinbaren läßt. Der Entwurf hält mit Recht die Beschränkung derselben mit den Anforderungen des modernen Lebens für unvereinbar. Wenn dieselbe daher thatsächlich aufhören und nicht unter wehender Flagge weiter bestehen soll, so ist dies nur mit der Gütertrennung möglich. 7. Diese Gütertrennung ist endlich die einzige, welche eine relative Rechtsgleichheit der Ehegatten zuläßt. Nur unter ihr kann die Ehefrau eine selbständige Existenz führen, soweit dieselbe im ehelichen Leben überhaupt möglich ist. Nur der Mensch, der auf seinen eigenen Füßen steht, kann wachsen, nur ein solcher Anderen Halt geben. Die Interessen der Familie erheischen gebieterisch das Wachsthum der Frau an Selbständigkeit, die deutsche Frau soll ihrem Manne ebenso gut den Halt geben können, welchen er ihr gewährt, sie soll ihren Kindern dieselbe feste Stütze werden, die sie an ihrem Vater haben. Dazu kann ihr allein die Gütertrennung verhelfen.
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Die Stellung der Frau im Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches142 Von Dr. jur. Emilie Kempin
IV. Liegen demnach die Vorzüge der Gütertrennung bei näherem Zusehen dem Laien klar zu Tage, so lassen sich doch die juristischen Gegner dieser Güterordnung nicht schlagen, ohne noch mit einem formaljuristischen Einwand zu kommen. Er ist in der Regel ihr Hauptcoup, wenn auch freilich kein wirkungsvollerer als die üblichen und unschädlichen Nebenschläge. „Ja“, sagen sie „alles zugegeben, die Gütertrennung mag ja die einfachste, das klarste, die gerechteste, die ethisch am höchsten stehende Güterordnung sein, die Entwicklung des deutschen Rechtes geht aber einen anderen Weg. „Diesen Grund führen auch die Motive zum Entwurf gegen die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht an (Bd. 4, S. 143). Angesichts der Thatsache, daß das deutsche Recht mit der Rezeption des römischen Rechts seine deutsche Entwicklung abgebrochen hat, daß es sich damit ein ihm völlig fremdes Rechtssystem aufoktroyieren ließ, hat für mich die Berufung auf die Nothwendigkeit einer gradlinigen Entwicklungsphase immer einen kleinen Stich ins Komische. Und dann – hören wir noch, was der deutscheste aller deutschen Juristen, das heißt derjenige, welcher für Beibehaltung, Wiederaufnahme und Fortentwicklung des deutschen Rechts in der Gegenwart am intensivsten kämpft, über die Deutschheit der Verwaltungsgemeinschaft zu sagen hat. Prof. Dr. Otto Gierke verwirft in seiner Schrift: Das bürgerliche Gesetzbuch und der deutsche Reichstag (Berlin 1896) gerade dasjenige System, welches die Verfasser des Entwurfs um der Entwicklung des deutschen Rechts willen als das gesetzliche glaubten aufnehmen zu sollen, indem er sagt, „die vom Entwurfe bevorzugte bloße Verwaltungsgemeinschaft hat nichts für sich, als das sie das Lockerste unter den überhaupt möglichen Systemen ist. Allerdings ist auch sie urdeutsch. Allein ihre eigentlichen Wurzeln hat sie in Rechtszuständen, bei denen der Grundbesitz an die Sippe gebunden ist. Das bewegliche Vermögen eine untergeordnete Rolle spielt und das erworbene Gut hinter dem Erbgute zurücktritt. Darum ist bei verwandelten Verhältnissen unser Recht über sie hinweg geschritten. Die Vorkämpfer der Frauenrechte stellen manches thörichte der deutschen Familie gefährliche Verlangen; wenn sie aber gegen dieses eheliche Güterrecht zu Felde ziehen, so kann und darf ihr Kampfruf nicht ungehört verhallen.“ Dass Gierke für die Gütergemeinschaft plaidirt, gehört hier nicht zur Sache, wesentlich und interessant ist in diesem Zusammenhange nur, daß ein Mann von der Verwaltungsgemeinschaft in dieser Weise spricht, der den ganzen Entwurf seit Jahren bekämpft, weil der den deutschen Rechtsgedanken nicht genügend Beachtung getragen habe. Die Weiterentwicklung des deutschen Rechts im Punkte der „urdeutschen“ Verwaltungsgemeinschaft führt also sogar nach dem Ausspruch eines Germanisten wie Gierke zu Ungerechtigkeiten und Absurditäten. Ist unter solchen Umständen dieser Weg noch weiter zu verfolgen? Gewiß nicht. Da heißt es einfach Kehrt machen und einen anderen, den heutigen Verhältnissen besser angepaßten suchen. Das haben auch die Gesetzgebungen anderer Länder gethan. Vor allem England. Die dortige Rechtsentwicklung mit Bezug auf die Stellung der Ehefrau zeigt klar, das für eine 142 Erschienen in: 1. Beilage zur „Post“, 8.4.1896 (XXXI. Jahrgang, Nr. 96).
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moderne Gesetzgebung der einzig mögliche, das heißt einzig richtige Weg in der Richtung der vollständigen Gütertrennung liegt. Ein Vergleich mit dem Vorgehen Englands resp. Großbritanniens liegt nah genug, weil die dortigen religiösen und sittlichen Anschauungen den unsrigen vielleicht am Nächsten stehen. Ist doch dem Engländer die Familie der Mittelpunkt seines äußeren und inneren Lebens, das Heiligthum des Hauses das unverletzlichste aller Lebensgüter. Dem gemäß hat er auch im Verhältniß des Ehegatten von jeher an der Einheit der Ehe fest gehalten. Kein anderes von germanischen Stämmen gebildetes Volk Europas ist diesem deutschen Rechtsgedanken mit der gleichen Treue und der selben Konsequenz nachgegangen wie das englische. Bei keinem anderen findet daher der Deutsche die gleiche Geistesverwandtschaft in allen Fragen des Familien- und ehelichen Lebens. Und keines ist deshalb geeigneter, an seinem Beispiel den Weg zu unserer Rechtsentwicklung zu weisen. Das englische gemeine Recht (Common Law) sieht in den Ehegatten nicht zwei, sondern nur eine einzige Person, diejenige des Mannes. Zu ihr ist die Persönlichkeit der Frau untergegangen. Die Folgerungen dieses Grundsatzes wurden bis zum äußeren Extrem gezogen. Da die Frau als Persönlichkeit nicht existirte, so hatte sie auch keinen Willen. Dieser wurde in Allem von ihrem Manne ersetzt, so daß, wenn sie sich z. B. freiwillig entführen ließ, doch angenommen wurde, sie sei dazu gezwungen worden, weil sie ja nicht wollen könne. Beging sie in Gegenwart ihres Mannes ein Delikt, so wurde dies dem Manne zugerechnet; sie war lediglich sein Werkzeug. In vermögensrechtlicher Beziehung wurde der Mann Eigenthümer des beweglichen Vermögens der Frau; Alles, was sie erwarb, erwarb sie ihm. An ihrem unbeweglichen Vermögen hatte er lebenslängliche Nutznießung und, da sie kein Rechtsgeschäft gültig abschließen konnte, natürlich auch die Verwaltung. Niemals ist in Deutschland der Gedanke der Einheit der Ehe zu so weitgehenden Konsequenzen getrieben worden, wie dies in England der Fall war. Und dennoch gab es auch in England eine Zeit, wo diese Entwicklung an ihrem Ende angelangt war, dann nämlich, als sie sich mit den veränderten Verhältnissen nicht mehr vereinen ließ. Genau so würde es dem deutschen Rechte ergehen, wenn es noch weiter in einer Linie entwickelt würde, die den heutigen Verhältnissen entgegenläuft. Nur hätten wir in Deutschland für diesen Fall nicht die gleiche Leichtigkeit, die falschen Bahnen zu verlassen. In England war die Möglichkeit einer verhältnismäßig raschen und mühelosen Umkehr in seinem ganzen Rechtssystem selbst gegeben. Da das englische gemeine Recht nicht kodifiziertes Recht ist, sondern sich mittels der Gerichtsentscheidungen von Jahrhundert zu Jahrhundert als ungeschriebenes Recht weiter gebildet hat, konnte es sich modernen Verhältnissen viel leichter anpassen, als die bei einem bis ins Detail ausgearbeiteten Gesetzbuch möglich wäre. Das im letzteren Falle in Jahrzehnten mühevoller Arbeit ein solches Gesetzbuch niedergelegt und als das geltende Recht erklärt wird, kann nur mit gleichen Anstrengungen und gleichem Zeitaufwand wieder abgeändert werden, so nothwendig auch eine solche Reform sein mag. Eine allmähliche Fortentwicklung, wie wir sie gerade im Punkte des Vermögensrechtes der Ehegatten in England antreffen, ist bei kodidfizirtem Recht beinahe unmöglich. Ferner hatte England zu allmählicher Umbildung einer veralteten Institution noch ein Mittel, welches uns abgeht: Die Equity- oder Billigkeitsgerichtsbarkeit. Diese letztere gestand der Ehefrau die Persönlichkeit und eine Art von Eigenthumsrecht an ihrem Vermögen zu, welche die Common Law-Gerichte ihr versagten. Mit Hilfe von Fideikommissen (trusts) konnten z.B. die Eltern das
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Vermögen ihrer Tochter dieser selbst zusichern, statt es dem Ehemann zukommen zu lassen. Das betreffende Vermögen wurde von einem Vertrauensmann (trustee) überwacht, mit der Verpflichtung, dasselbe für die Frau und gemäß dem Vertrauensauftrag in Besitz zu nehmen. Nomineller Eigenthümer war der trustee, die Frau hatte nur Anspruch auf den Genuß des Vermögens. Ihren Anspruch auf Herausgabe und andere Eigenthumsrecht konnte daher das Common Law nicht schützen, allein die Equity-Gerichte zogen weniger die Form als die dem trust zu Grunde liegende Absicht in Betracht und schützte demgemäß die Frau wie eine wirkliche Eigenthümerin. Damit war die eheliche Herrschaft des Mannes über das Vermögen der Frau gebrochen. So wurde die letztere mit Bezug auf solches Trustvermögen vollkommen geschäftsfähig und erhielt auf diesem Wege die untergegangene Persönlichkeit zurück. Freilich war damit nur den Frauen geholfen, welche Vermögen besaßen. Die unvermögliche und arbeitende Frau war nach wie vor machtlos. Diesem Uebelstand half ein Statut vom 9. August 1870 ab. Dasselbe räumte den Ehefrauen an gewissen Theilen ihres beweglichen Vermögens, dem Arbeitsvertrag vor Allem, ferner den ihnen durch Intestaterbfolge angefallenen Vermögensstücken und Vermächtnissen bis zum Betrage von 200 Lstrl. das Eigenthum und freies Verfügungsrecht ein, und die Einkünfte des unbeweglichen Vermögens gehören nunmehr ihr und nicht mehr dem Ehemann. Vor diesem Statut war der Ehemann selbstverständlich für die vorehelichen Schulden der Frau verantwortlich, nunmehr wurde sie selbst für solche haftbar erklärt. Indessen stand es den Ehefrauen frei, auf diese vom Statut ihnen verliehenen Rechte zu Gunsten des Ehemannes zu verzichten. Für diesen Fall bestimmte ein Gesetz vom 30. Juli 1874, haftet der Ehemann für vorehelichen Schulden seiner Frau mit ihr solidarisch. Der Anstoß zur Weiterentwicklung auf dem betretenen Wege war nunmehr gegeben. Im Jahre 1881 wurde durch Statut vom 23. August die Stellung der Ehefrau wieder etwas selbständiger gestaltet, indem ihr gestattet wurde, gleich der unverehelichten volljährigen Frau zum Abschluß aller Rechtsgeschäfte in ihrem Namen rechtsgültige Vollmachten zu ertheilen. Zu Schottland dagegen ging man in eben demselben Jahre durch Statut vom 18. Juli viel weiter. Dieses Gesetz setzte die Ehefrau als absolute Eigenthümerin ihres sämmtlichen Vermögens ein und gab ihr volle Dispositionsgewalt mit der einzigen Beschränkung, daß sie künftige Revenuen nicht ohne Einwilligung ihres Mannes veräußern dürfe. Aber auch in England fand die Reform den Abschluß, nach dem sie schon seit einem Jahrzehnt hingedrängt hatte, in dem Married Womens Property Act vom 18. August 1882. Dieses Gesetz dehnt die Bestimmungen des Statuts vom Jahre 1870 auf das ganze Vermögen der Ehefrau aus, bewegliches und unbewegliches, eingebrachtes und erworbenes. Es stellt die Ehefrau in jeder Beziehung ebenso selbständig, geschäfts- und dispositionsfähig, als wenn sie unverheirathet wäre. Mit anderen Worten: sie ist nunmehr nicht nur Alleineigenthümerin ihres Vermögens, sondern auch zur Selbstverwaltung desselben berechtigt. Artikel 1 und 2 des genannten Gesetzes (Viktoria-Statuten Kap. 75) illustriren dies am besten. Dieselben lauten: Art. 1 (1) „Eine Ehefrau soll den Bestimmungen dieses Gesetzes gemäß fähig sein, bewegliches und unbewegliches Vermögen als ihr Sondereigenthum zu erwerben, inne zu haben und darüber durch letztwillige Verfügung oder sonst wie zu disponiren und zwar ohne Vermittlung irgend eines Beistandes und in der selben Weise, wie wenn sie unverheirathet gewesen wäre.“
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Art. 2 „Jede Frau, welche nach Inkrafttreten dieses Gesetzes heirathet, ist berechtigt, ihr sämmtliches bewegliches und unbewegliches Vermögen, welches sie bei Eingehung der Ehe besitzt, oder welches sie nach ihrer Verheirathung erwerben wird, inklusive ihrer Löhne, Einkommen, Geld oder Vermögen, das sie in irgendeiner Anstellung, Gewerbe oder Beschäftigung, zu der sie sich verpflichtet hat, erwirbt, oder das sie in selbständiger Ausübung eines Gewerbes oder in der Folge ihres literarischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Könnens einnimmt, als ihr Sondereigenthum zu behalten, und über dasselbe wie oben aufgeführt, zu verfügen.“ Die Engländer sind alle nach einer verhältnismäßig kurzen Entwicklung schon von 14 Jahren von der denkbar vollständigsten Einheit der Güter zur vollständigen Gütertrennung gelangt. Sind deshalb die englischen Ehen schlechter, ihr Bestand gefährdeter, als vor der Reform? Ist deshalb das englische Haus zusammengebrochen? Das wird niemand im Ernste behaupten wollen. Die Ordnung der Dinge ist in den inneren Beziehungen der Ehegatten genau die gleiche wie vor dem Jahre 1870, und das englische Familienleben bestrebt weiter zu seiner anerkannten Idealität und Schönheit. Die Gütertrennung hat ihm nicht ein Jota von seinem Werth zu rauben vermocht. Dieselbe Erfahrung haben alle übrigen Länder gemacht, in welchen die Gütertrennung gesetzliches Güterrecht geworden ist: Italien, Russland, fast alle Staaten der nordamerikanischen Union, Kanada, ein Theil Australiens. Zu Europa allein gilt die Gütertrennung bei circa 150 Millionen Einwohnern, die Gütergemeinschaft bei 110, die Verwaltungsgemeinschaft bei 60 Millionen. Rechnet man die überseeischen Staaten hinzu, so kann man sagen, daß die Gütertrennung heute schon für 205 Millionen Einwohner der Kulturländer gesetzliches Güterrecht ist. Sollte Deutschland nicht angesichts solcher Zahlen dieses rationelle und den modernen Verhältnissen einzig gerecht werdende System unbedenklich für die gesetzliche Güterordnung des Entwurfs erklären? Sollte Deutschland hinter Italien, Russland und vor allem England zurückbleiben? Mit nichten.
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V. Wer die Vortheile der Gütertrennung klar genug sieht, um sie nicht zu leugnen und die Nachtheile der übrigen Systeme nicht zu bemänteln, der versucht etwa noch über die Unzulänglichkeit des Entwurfes in dieser Beziehung mit dem Hinweis darauf hinwegzutrösten, dass die Ausschließung der Verwaltungsgemeinschaft und Aufnahme der Gütertrennung durch Verträge möglich sei. Der Entwurf gestattete den Ehegatten, ihre güterrechtlichen Verhältnisse durch Vertrag zu regeln und noch nach geschlossener Ehe den Güterstand abzuändern oder aufzuheben. Damit meint man, sei die Verwaltungsgemeinschaft unschädlich gemacht und der Gütertrennung der gewünschte Eingang verschafft. Dies ist ein Irrthum. Die Vertragsfreiheit der Ehegatten ist kein Radikalmittel, sie ist nur ein Anlaß zur Abhilfe. Denn darüber mache man sich keine Illusionen: Wenn etwas undeutsch, dem 143 Vgl. Nr. 79, 84, 92, und Nr. 96 der Post. 144 Erschienen in: 1. Beilage zur Post, 1896 (XXXI. Ausgabe, Nr. 97)
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deutschen Gefühle widersprechend ist, sind es die Eheverträge. Und wenn etwas der Ehe einen geschäftlichen Charakter aufdrückt, so sind sie es. Zudem, glaubt wirklich jemand im Ernste, die Ehefrau sei in der Lage, sich durch Ehevertrag günstiger zu stellen, als das Gesetz sie gestellt hat? Nein, es wäre ungeheuer naiv, so zu argumentiren und verriethe abermals jene Unkenntnis von der wirklichen Stellung der Ehefrau im Verhältnis zu ihrem Mann, welche die jetzige gesetzliche Güterordnung des Entwurfs erzeugt hat. Ich gestatte mir, daher auch in diesem Zusammenhang diese Stellung einigermaßen zu beleuchten. Gesetz, das Mädchen, welches die Absicht hat, in die Ehe zu treten, kennt die verschiedenen Güterordnungen und ihre rechtlichen Wirkungen ganz genau (was heute, und bevor die Jugend in den wichtigsten Rechtsgrundsätzen unterrichtet wird, unmöglich und undenkbar ist), sie hat Vermögen und wünscht dies in der Hand zu behalten, sie will also mit ihrem Verlobten die Gütertrennung vereinbaren, was geschieht? Der Bräutigam fasst ihr Begehren entweder als Misstrauensvotum auf, oder es bedeutet ihm einen Strich durch seine geschäftliche Rechnung. Zu beiden Fällen ist es sehr fraglich, ob er den Vertrag abschließen wird; denn zum Zustandekommen desselben gehört bekanntlich das Zusammentreffen des Willens beider Kontrahenten. Aber gleichviel ob er den Vertrag schließt oder nicht, durch das Begehren der Braut ist ein störendes Etwas in den Bund der künftigen Gatten gekommen, das in der Ehe nachwirkt. Eine andere Eventualität ist die, daß der Verlobte ein Güterrecht, etwa die Gütergemeinschaft wählt, weil sie ihm Vortheile in die Hand giebt, und die Braut ohne alle und jede Überlegung auf seine Wünsche eingeht. Was nützt ihr dann die fakultative Gütertrennung? In einem dritten Falle sind beide Verlobte an der Regelung der ihre Güterverhältnisse völlig indifferent, dann wird der Ehevertrag zu einer Angelegenheit der beiderseitigen Verwandten und dazu oft noch zu einem recht hässlichen Feilschen, bei dem es fraglich ist, für welchen Eheteil günstigere Verhältnisse geschaffen werden. Wie viel einfacher ist all’ dem gegenüber die Gütertrennung als gesetzliche Norm! Wieviel natürlicher, wenn die Gatten sich um die Rechte und Pflichten am Vermögen des anderen nicht weiter zu bekümmern haben, als ihnen die gemeinsame Haushaltungslast nahe legt. Wenn aber einmal ein Ehevertrag gemacht werden will oder muß, so ist die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht wieder ein Palliativ gegen alle möglichen ethischen Schäden. Ist sie nämlich gesetzliches System, das die künftigen Ehegatten aus dem einen oder anderen Grunde ausschließen wollen, so muß die Braut durch den Abschluß eines Ehevertrages dem Verlobten seine Rechte nehmen, sie kann ihm solche nur geben. Geben nämlich dann sie ihm durch Ausschließung der gesetzlichen Gütertrennung entweder das Recht auf Miteigentum an ihrem Vermögen, wenn die Gütergemeinschaft vereinbart wird, oder das Recht auf Nutznießung an demselben, (wenn die Verwaltungsgemeinschaft zwischen ihnen vertragliches Güterrecht werden soll). Umgekehrt aber, wenn ein anderes System als die Gütertrennung gesetzliche Ordnung ist so bedeutet jeder Vertrag, der dieselbe als vertragliches Güterrecht festsetzt, eine Minderung der gesetzlichen Rechte des Ehemanns. Damit sollte klar sein, daß es für die Ehefrau sehr leicht und für ihr Glück nicht störend ist, die gesetzliche Vorschrift der Gütertrennung abzuändern, sehr schwer und für ihr Glück geradezu gefährlich aber, die gesetzliche Vorschrift der Verwaltungsgemeinschaft durch Aufnahme der Gütertrennung in den Ehevertrag auszuschließen.
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Wenn dieser Umstand für Eheverträge, welche vor Eingehung der Ehe geschlossen werden, zu berücksichtigen ist, so fällt er noch viel mehr ins Gewicht, bei Eheverträgen, durch welche sich die Frau nach Abschluß der Ehe günstiger stellen will. Oder wie? Die bisher in Güter- oder Verwaltungsgemeinschaft lebende Frau will nun auf einmal Gütertrennung vereinbaren. Ich glaube nicht, daß ihr das auf vertraglichem Wege viel leichter wird als auf dem des Prozesses. Oder welcher Ehemann, der kraft der Gütergemeinschaft am Vermögen seiner Frau Miteigenthum aber kraft der Verwaltungsgemeinschaft Nutznießung und in beiden Fällen die Verwaltung solchen Vermögens hat, wird dem Begehren der Frau ohne Weiteres entsprechen? Hand aufs Herz, hochgeehrte Ehemänner, würde einer von Ihnen das freiwillig tun? Würde nicht jeder seine Frau auslachen und ihre Wünsche als einen tollen Einfall bezeichnen? Und dann, was nützt ihm Bestimmung, daß die ihr lästige Verwaltungsgemeinschaft noch nach der Ehe noch aufgehoben werden kann? Nichts, gar nichts. Sie ist aber für die Frau und ihr Bestreben, durch Vertrag zu erlangen, was das Gesetz ihr verweigert hat, ohne jeden Belang, für sie in den meisten Fällen ein todter Buchstabe. Also auch von diesem Gesichtspunkte betrachtet, bleibt für die wirkliche Besserstellung der Frau nichts anderes übrig, als die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht aufzustellen. In Folge dessen ist zu wünschen, der durch die bekannte Rede des Freiherren von Stumms veranlasste und der Reichstagskommission eingebrachte Antrag des Reichstagsabgeordneten Pauli möge den gewünschten Erfolg haben. Derselbe postulirt die Gütertrennung folgendermaßen: § 1345. „In Ermangelung von Eheverträgen die güterrechtliche Verhältnisse des Ehegatten betreffend tritt Gütertrennung ein. § 1346. Jeder der Ehegatten ist berechtigt, sein in die Ehe gebrachtes oder während derselben erworbenes Gut unbeschadet der in § 1347 normirten Verpflichtungen selbständig zu verwalten, zu gebrauchen und darüber zu verfügen. § 1347. Den ehelichen Aufwand hat der Mann zu tragen. Die Frau hat dem Manne jedoch zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes jedoch einen angemessenen Beitrag aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder von ihr betriebenen Erwerbsgeschäftes zu leisten.“ Mit diesen wenigen Sätzen ist das Güterrecht des Ehegatten in einer Weise festgesetzt, daß niemand über seine Rechte und Pflichten im Zweifel sein kann. Die Kürze und Einfachheit dieser Satzungen im Vergleich zu dem Wortschwall und den juristischen Künsteleien, welche die übrigen Systeme erheischen, berührt eigentlich wohlthuend. Nur bezüglich der Einführung des neuen Gesetzes entsteht eine Frage, deren Beantwortung nicht ganz einfach ist. Solle die Gütertrennung nur für solche Ehen gelten, welche nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches geschlossen werden, oder sollen auch die vorher geschlossenen Ehen der Reform theilhaftig werden? Es ist auf der einen Seite natürlich lebhaft zu wünschen, daß die jetzt bestehenden Ehen lebender Ehefrauen von dem Druck, welchen die anderen veralteten Systeme auferlegen, befreit werden, daß sie darunter nicht noch ein Leben lang leiden sollen, andererseits aber können durch plötzliche Einführung der Gütertrennung die wohlerworbenen Rechte der Ehemänner am Vermögen ihrer Ehefrauen leicht verletzt werden. Zwar hat die Gesetzgebung in Großbritannien mit dem Tag des Inkrafttretens des Statuts vom Jahre 1882 wurde die vollständige Unabhängigkeit der Ehefrau auch für alle bestehenden Ehen eingeführt, sofern ihr nicht Eheverträge hindernd in den Weg treten.
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Teil 1
Der Antrag des Abgeordneten Pauli geht nicht soweit. Ich halte seine Lösung des Problems für richtig und allen Interessen gerecht werdend. Er schlägt für Art. 199 der Übergangsbestimmungen folgende Fassung vor: „Der Gesetzliche Güterstand des Bürgerlichen Gesetzbuches ist auch für die bei seinem Inkrafttreten bestehenden Ehen maßgebend unter folgenden Beschränkungen: 1. Die bei Inkrafttreten des Gesetzbuches abgeschlossenen Eheverträge bleiben in Kraft. Dritten gegenüber wirken sie nach Maßgabe des § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches nur, wenn sie im Güterrechtsregister eingetragen sind. 2. Die Ehefrau, welche nach den bisherigen Gesetzen die Verwaltung ihres Vermögens ihrem Mann überlassen musste, hat auf eigene Verwaltung des bisher eingebrachten und errungenen Vermögens keinen Anspruch, vielmehr bleibt das beim Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches in der Hand des Mannes befindliche Vermögen der Ehefrau in seiner Verwaltung. – Dagegen hat die Ehefrau das Recht, Vermögen, welches ihr künftig anfallen wird, selbständig zu verwalten. 3. Die Nutznießung des Ehemanns am Vermögen seiner Frau und die Gütergemeinschaft der Ehegatten (in jeder Form) an künftigem Vermögen, hört auf mit dem Tage des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches. 4. Der Ehemann, welcher aufgrund des bisherigen gesetzlichen Güterstandes das Vermögen seiner Frau verwaltet hat, ist ihr zur Rechnungsstellung von 6 Monaten nach Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches verpflichtet. Verweigert er dieselbe innerhalb der genannten Frist, so kann die Frau sofortige Herausgabe alles bisher Eingebrachten und Errungenen verlangen. 5. Schulden, welche der Ehemann vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches gemacht hat, belasten das Vermögen der Ehefrau nach Maßgabe der Bestimmungen der Landesgesetzgebung, welchen die Ehegatten bisher unterworfen waren. Für alle nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches eingegangenen Verpflichtungen des Ehemannes haftet das Frauengut nicht. Ehegatten, welche den bisherigen Güterstand beibehalten wollen, können ohne Abschluß eines diesbezüglichen Ehevertrages ihre Absicht durch Vormerkung im Güterrechtsregister rechtsgültig kund geben. Soweit die Ehefrau für den nach den bisherigen Güterstand maßgebenden Gesetzen in Folge des Güterstandes in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, bleibt diese Beschränkung mit Bezug auf die in der Verwaltung des Mannes bleibenden Bestandtheil ihres Vermögens in Kraft, so lange diese Verwaltung dauert. Die Vorschriften über die erbrechtlichen Wirkungen des bisherigen Güterstandes und insbesondere der französischen und badischen Gesetze über das Verfahren bei Vermögensabsonderungen unter Ehegatten bleiben in Kraft, soweit das bisherige Güterrecht diesen Bestimmungen gemäß beibehalten wird.“ Diesen Bestimmungen gemäß sind weder die Ehefrauen, welche vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Ehe eingegangen haben, zu lebenslänglicher Zurücksetzung ihren erst künftig in die Ehe tretenden Mitschwestern gegenüber verurtheilt, noch müssen die Ehemänner die Rechte des Eigenthums und der Nutznießung an früher eingebrachten Frauenvermögen fürchten. Das bisher bis zum Inkrafttreten des Gesetzes ihr Eigentum geworden aber woran sie bis dahin die Nutznießung hatten, bleibt ihnen unbeschränkt in eben dem Maße, wie die bisherige Güterordnung ihnen verstattet hat; nur für künftiges Vermögen der Ehefrau,
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Alles das, was ihr durch Erbschaft oder Arbeit erst nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches zukommen wird, hört in Ermangelung von Eheverträgen das bisherige System auf, nur für solche Vermögenstheile tritt Gütertrennung ein. Sogar die Vermögensverwaltung des früher Eingebrachten und Erworbenen bleibt in der Hand des Mannes zurück. Er muß aber der Frau innerhalb von 6 Monaten Rechnung stellen. Wird dieser Antrag angenommen, so macht sich der Übergang der bisherigen Systeme zur Gütertrennung auf möglichst einfache Weise, und kein Ehemann könnte sich beklagen, durch das neu eingeführte System irgendwie zu Schaden zu kommen. Mit derartigen Kautelen wie Pauli sie vorgesehen, darf die Reichstagskommission die beantragte Änderung des ehelichen Güterrechts ohne Zögern vornehmen. Sie wird damit ihrer Einsicht, Gerechtigkeit und Billigkeit, ein unvergängliches Denkmal setzen.
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Emilie Kempin: Zur Reform der Stellung der Frau, 1896
KEMPIN, Emilie: Zur Reform der Stellung der Frau, in: 1. Beilage zur „Post“, 6.5.1896, S. 1 Kommentar: Kempin übt deutliche Kritik an der Petition des Vereins „Frauenwohl“ (Proelß/Raschke, Nr. 45), die womöglich gut gemeint, aber taktisch unklug und ihrem Inhalt nach kleinlich sei. Sie empfiehlt stattdessen eine Unterstützung der Anträge Pauli und erwähnt lobend auch die Anträge des linksliberalen Kommissionsmitglieds Kauffmann.
Zur Reform der Stellung der Frau. Neben den Anträgen Pauli und Kauffmann liegt der Reichstagskommission für den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches noch eine Petition des Vereins „Frauenwohl“ in Berlin, betreffend Abänderung des Familienrechts zu Gunsten der Ehefrauen und Mütter vor. Damit dokumentiren die Frauen einen großen Mangel an Taktik in parlamentarischen Angelegenheiten, die Unfähigkeit, ihre persönlichen Wünsche einem großen Endzweck unterzuordnen. Statt sich zu freuen, daß zwei Mitglieder der Kommission, Pauli und Kauffmann für die Rechte der Frauen in so entschiedener Weise eintreten, statt den beiden Vertretern ihrer Hauptforderungen nun das Feld zu erfolgreicher Attaque frei zu lassen, schwächen sie die Kraft derselben durch Wünsche auf Abänderung der Anträge und schaden damit ihrer eigenen Sache, gleichviel ob die Kommission ihre Petition mit der gewünschten Aufmerksamkeit behandelt oder nicht. Solche kurzsichtige Politik ist im höchsten Grade zu bedauern. Wissen denn die Frauen wirklich noch nicht, in wie vielen Fällen der Politiker seine liebsten persönlichen Wünsche Preis geben muß um der Partei, der Sache willen, um für diese auch nur den kleinsten Fortschritt zu erzielen. Das sollten die Frauen, welche in politicis machen wollen, durchaus lernen, sonst beklagen sich ihre Parteigenossen, die übrigen für ihre Besserstellung ringenden Frauen, mit Recht, daß sie ihnen das Spiel verderben.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Alles das, was ihr durch Erbschaft oder Arbeit erst nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches zukommen wird, hört in Ermangelung von Eheverträgen das bisherige System auf, nur für solche Vermögenstheile tritt Gütertrennung ein. Sogar die Vermögensverwaltung des früher Eingebrachten und Erworbenen bleibt in der Hand des Mannes zurück. Er muß aber der Frau innerhalb von 6 Monaten Rechnung stellen. Wird dieser Antrag angenommen, so macht sich der Übergang der bisherigen Systeme zur Gütertrennung auf möglichst einfache Weise, und kein Ehemann könnte sich beklagen, durch das neu eingeführte System irgendwie zu Schaden zu kommen. Mit derartigen Kautelen wie Pauli sie vorgesehen, darf die Reichstagskommission die beantragte Änderung des ehelichen Güterrechts ohne Zögern vornehmen. Sie wird damit ihrer Einsicht, Gerechtigkeit und Billigkeit, ein unvergängliches Denkmal setzen.
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Emilie Kempin: Zur Reform der Stellung der Frau, 1896
KEMPIN, Emilie: Zur Reform der Stellung der Frau, in: 1. Beilage zur „Post“, 6.5.1896, S. 1 Kommentar: Kempin übt deutliche Kritik an der Petition des Vereins „Frauenwohl“ (Proelß/Raschke, Nr. 45), die womöglich gut gemeint, aber taktisch unklug und ihrem Inhalt nach kleinlich sei. Sie empfiehlt stattdessen eine Unterstützung der Anträge Pauli und erwähnt lobend auch die Anträge des linksliberalen Kommissionsmitglieds Kauffmann.
Zur Reform der Stellung der Frau. Neben den Anträgen Pauli und Kauffmann liegt der Reichstagskommission für den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches noch eine Petition des Vereins „Frauenwohl“ in Berlin, betreffend Abänderung des Familienrechts zu Gunsten der Ehefrauen und Mütter vor. Damit dokumentiren die Frauen einen großen Mangel an Taktik in parlamentarischen Angelegenheiten, die Unfähigkeit, ihre persönlichen Wünsche einem großen Endzweck unterzuordnen. Statt sich zu freuen, daß zwei Mitglieder der Kommission, Pauli und Kauffmann für die Rechte der Frauen in so entschiedener Weise eintreten, statt den beiden Vertretern ihrer Hauptforderungen nun das Feld zu erfolgreicher Attaque frei zu lassen, schwächen sie die Kraft derselben durch Wünsche auf Abänderung der Anträge und schaden damit ihrer eigenen Sache, gleichviel ob die Kommission ihre Petition mit der gewünschten Aufmerksamkeit behandelt oder nicht. Solche kurzsichtige Politik ist im höchsten Grade zu bedauern. Wissen denn die Frauen wirklich noch nicht, in wie vielen Fällen der Politiker seine liebsten persönlichen Wünsche Preis geben muß um der Partei, der Sache willen, um für diese auch nur den kleinsten Fortschritt zu erzielen. Das sollten die Frauen, welche in politicis machen wollen, durchaus lernen, sonst beklagen sich ihre Parteigenossen, die übrigen für ihre Besserstellung ringenden Frauen, mit Recht, daß sie ihnen das Spiel verderben.
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Teil 1
Oder war es nicht ein noch nie dagewesener Sieg der Frauen, daß ihre Begehren in der Hauptsache als richtig anerkannt und zu Anträgen formulirt wurden? Wenn nun auch die Details der letzteren nicht in allen Punkten den Intentionen aller Frauengruppen entsprechen, so ist das ja in Hinblick auf das Errungene vollkommen nebensächlich, selbst dann, wenn kein einziger der gestellten Anträge durchginge. Im Uebrigen, worin bestehen denn die Abänderungs- und Zusatzanträge des Vereins „Frauenwohl“? In kleinen Nebenpunkten, fast möchte man sagen, weiblichen Rechthabereien. Ich bin mir vollkommen bewußt, mit diesen Ausstellungen einen Sturm der Entrüstung bei dem erwähnten Verein hervorzurufen, denn die Frauen ertragen heute noch selten genug eine sachliche Kritik, aber das kann mich nicht abhalten, im Interesse der mir am Herzen liegenden Frauensache gemachte Fehler zu rügen, damit sie nach und nach verschwinden und damit nicht die Frauenwelt als solche dafür verantwortlich gemacht werde. Wir sind ein offenes Eingeständnis derartiger Unzukömmlichkeiten auch den Männern, welche für uns eintreten, schuldig; denn so ganz selbstverständlich und so ganz leicht ist es in Deutschland für einen Abgeordneten noch nicht, unsere Forderungen zu vertreten. Deshalb erscheint es mir zum Mindesten als ein Mangel an gutem Geschmack, wenn eine im Dienste des „Frauenwohls“ stehende Frauenzeitung, von dem „hinter dem Antrag Pauli stehenden bekannten konservativer Reichstagsabgeordneten“ als einem Parlamentarier spricht, der in dieser Sache inkonsequent sei. Wer die Verhältnisse auch nur einigermaßen richtig beurtheilt, wird uns glücklich preisen, wenn Herr von Stumm, resp. Herr Pauli mit seinen Anträgen durchdringt, weil dadurch in der That eine Besserstellung des weiblichen Geschlechtes erzielt würde, welche das deutsche Volk neben England an der Spitze der kultivirten Nationen stellte. Dr. jur. Emilie Kempin.
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Emilie Kempin: Die deutschen Frauen und das bürgerliche Gesetzbuch, 1896
KEMPIN, Emilie: Die deutschen Frauen und das bürgerliche Gesetzbuch, in: Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik 1896, S. 679-689 Kommentar: Kempins Kritik richtet sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorrangig gegen das BGB, dem sie mehr und mehr gute Seiten abgewinnen kann (vgl. S. 689: „Ich weiß nicht, mir will beim besten Willen die Stellung der Frau im bürgerlichen Gesetzbuche für das deutsche Reich nicht so fürchterlich minderwertig erscheinen. Wären wir in der Schweiz nur erst so weit!“). Das Hauptziel ihrer Kritik ist nunmehr das ihrer Meinung nach verfehlte Vorgehen großer Teile der deutschen Frauenbewegung. Insbesondere kritisiert sie die unterschiedlichen Petitionen bzw. Gegenvorschläge zum BGB von Frauenseite: „Dem im Februar an die Beratung des Entwurfes gehenden Reichstag lagen von seiten der Frauenvereine drei verschiedene Petitionen vor, die alle im Grunde dasselbe wünschten, sich aber über die größere oder geringere Betonung oder Redaktion des einen oder anderen Postulates nicht einigen konnten. Ueber viel Irrelevantem, bezogen sich die Abänderungsanträge der Frauen hauptsächlich auf die Stellung der Frau ihrem Manne gegenüber, ihre Stellung als Vertreterin der ehelichen Gemeinschaft, als Geschäftsfrau, als Inhaberin der elterlichen Gewalt, als Anspruchsberechtigte dem Vater des unehelichen Kindes gegenüber, als Vor-
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Oder war es nicht ein noch nie dagewesener Sieg der Frauen, daß ihre Begehren in der Hauptsache als richtig anerkannt und zu Anträgen formulirt wurden? Wenn nun auch die Details der letzteren nicht in allen Punkten den Intentionen aller Frauengruppen entsprechen, so ist das ja in Hinblick auf das Errungene vollkommen nebensächlich, selbst dann, wenn kein einziger der gestellten Anträge durchginge. Im Uebrigen, worin bestehen denn die Abänderungs- und Zusatzanträge des Vereins „Frauenwohl“? In kleinen Nebenpunkten, fast möchte man sagen, weiblichen Rechthabereien. Ich bin mir vollkommen bewußt, mit diesen Ausstellungen einen Sturm der Entrüstung bei dem erwähnten Verein hervorzurufen, denn die Frauen ertragen heute noch selten genug eine sachliche Kritik, aber das kann mich nicht abhalten, im Interesse der mir am Herzen liegenden Frauensache gemachte Fehler zu rügen, damit sie nach und nach verschwinden und damit nicht die Frauenwelt als solche dafür verantwortlich gemacht werde. Wir sind ein offenes Eingeständnis derartiger Unzukömmlichkeiten auch den Männern, welche für uns eintreten, schuldig; denn so ganz selbstverständlich und so ganz leicht ist es in Deutschland für einen Abgeordneten noch nicht, unsere Forderungen zu vertreten. Deshalb erscheint es mir zum Mindesten als ein Mangel an gutem Geschmack, wenn eine im Dienste des „Frauenwohls“ stehende Frauenzeitung, von dem „hinter dem Antrag Pauli stehenden bekannten konservativer Reichstagsabgeordneten“ als einem Parlamentarier spricht, der in dieser Sache inkonsequent sei. Wer die Verhältnisse auch nur einigermaßen richtig beurtheilt, wird uns glücklich preisen, wenn Herr von Stumm, resp. Herr Pauli mit seinen Anträgen durchdringt, weil dadurch in der That eine Besserstellung des weiblichen Geschlechtes erzielt würde, welche das deutsche Volk neben England an der Spitze der kultivirten Nationen stellte. Dr. jur. Emilie Kempin.
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Emilie Kempin: Die deutschen Frauen und das bürgerliche Gesetzbuch, 1896
KEMPIN, Emilie: Die deutschen Frauen und das bürgerliche Gesetzbuch, in: Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik 1896, S. 679-689 Kommentar: Kempins Kritik richtet sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorrangig gegen das BGB, dem sie mehr und mehr gute Seiten abgewinnen kann (vgl. S. 689: „Ich weiß nicht, mir will beim besten Willen die Stellung der Frau im bürgerlichen Gesetzbuche für das deutsche Reich nicht so fürchterlich minderwertig erscheinen. Wären wir in der Schweiz nur erst so weit!“). Das Hauptziel ihrer Kritik ist nunmehr das ihrer Meinung nach verfehlte Vorgehen großer Teile der deutschen Frauenbewegung. Insbesondere kritisiert sie die unterschiedlichen Petitionen bzw. Gegenvorschläge zum BGB von Frauenseite: „Dem im Februar an die Beratung des Entwurfes gehenden Reichstag lagen von seiten der Frauenvereine drei verschiedene Petitionen vor, die alle im Grunde dasselbe wünschten, sich aber über die größere oder geringere Betonung oder Redaktion des einen oder anderen Postulates nicht einigen konnten. Ueber viel Irrelevantem, bezogen sich die Abänderungsanträge der Frauen hauptsächlich auf die Stellung der Frau ihrem Manne gegenüber, ihre Stellung als Vertreterin der ehelichen Gemeinschaft, als Geschäftsfrau, als Inhaberin der elterlichen Gewalt, als Anspruchsberechtigte dem Vater des unehelichen Kindes gegenüber, als Vor-
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münder, als Eigentümerin und Verwalterin ihres in die Ehe gebrachten Vermögens“ (S. 680). Im Verlauf ihres Artikels geht sie die einzelnen Forderungen der Frauen durch und verfolgt ihren Weg in den Beratungen zum BGB. Sie empfiehlt, mit dem nun entstandenen Gesetz zu arbeiten, statt es zu bekämpfen, und beispielsweise durch Abschluß von Eheverträgen die Spielräume des BGB für Frauen auszunutzen (vgl. S. 686).
Die deutschen Frauen und das bürgerliche Gesetzbuch. Von Dr. jur. Emilie Kempin, Berlin.
(679) Nie vorher haben die Frauen an der Gesetzgebung so lebhaften Anteil genommen, wie anläßlich den Beratungen des Entwurfes zum bürgerlichen Gesetzbuch. Nie zuvor haben sie auch auf die Ausgestaltung der sie betreffenden Rechtsbestimmungen einen so großen Einfluß ausgeübt. Es ist durchaus falsch, wenn in der Tagespresse berichtet wurde, die Begehren der Frauenvereine seien von den maßgebenden Persönlichkeiten nicht geprüft, ja nicht einmal so eingehend erörtert worden, wie die Hasen, welche den Reichstag bekanntlich einen Tag lang in Atem hielten. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist in der modernen Kulturgeschichte eine vielleicht einzig dastehende Thatsache, daß jede einzelne Forderung der Frauen und ihrer Vertreter in den Kommissionen besprochen, auf ihre Berechtigung hin geprüft wurde und soweit es mit den Anschauungen der Mitglieder vereinbar, gesetzlichen Ausdruck erhalten hat. Diese Thatsache ist um so bedeutungsvoller in einem Lande, welches sich bisher dem Frauenstudium gegenüber durchaus ablehnend verhalten hat und deshalb in den Ruf einer barbarischen Rückwärtserei gekommen ist. Wenn trotzdem vielfache Wünsche der Frauen unberücksichtigt geblieben sind, so liegt der Grund nicht im mangelnden Entgegenkommen seitens der Gesetzgeber, sondern in ihrer Unfähigkeit, sich in die Gedankenreihen (680) der Petentinnen hinein zu versetzen oder in, der Unmöglichkeit, dieselben als richtig anzuerkennen. Es muß das gegenüber der Unzufriedenheit der sogenannten Frauenrechtlerinnen und der in Berlin vor der dritten Lesung abgehaltenen großen Protestversammlung ausdrücklich hervorgehoben werden. Schon im Jahre 1877 hatte der Allgemeine deutsche Frauenverein an den Reichstag eine Petition gerichtet, es möchte dafür gesorgt werden, daß bei der Redaktion des Entwurfes zum bürgerlichen Gesetzbuch der Frau die ihr gebührende Stellung als „Rechtspersönlichkeit“ im Familienrecht gegeben werde. Diese Petition wurde der Redaktionskommission des Entwurfes überwiesen und ist von der letzteren nicht, unberücksichtigt gelassen worden. Denn schon der erste Entwurf hatte die Frau im Vergleich zu den bisherigen Landesgesetzgebungen ungleich günstiger gestellt, so namentlich durch die für die Ehefrau vorgesehene vollkommene Handlungsfähigkeit. In der Folge machten sich dann die Frauen allerdings einer großen Unterlassungssünde schuldig. Statt den Entwurf erster Lesung von einem Juristen besprechen und mit Bezug auf ihre Interessen kritisieren zu lassen, blieben sie völlig unthättig. Erst in den letzten Jahren erhob sich eine energische und zielbewußte Agitation, die darauf ging, das Familienrecht des Entwurfs zweiter Lesung in Sinne der modernen Ideen umzugestalten. Aber der Versuch kam zu spät, um auf das öffentliche Rechtsbewusstsein noch irgendwie einen entscheidenden Einfluss auszuüben, auch krankte er an dem Bestreben, den Gesetzgebern die Abänderungsparagraphen im Detail vorzulegen, statt die principiellen Punkte, deren Modifikation verlangt wurde, zusammen zu fassen. Dem im Februar an die
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Beratung des Entwurfes gehenden Reichstag lagen von seiten der Frauenvereine drei verschiedene Petitionen vor, die alle im Grunde dasselbe wünschten, sich aber über die größere oder geringere Betonung oder Redaktion des einen oder anderen Postulates nicht einigen konnten. Ueber viel Irrelevantem, bezogen sich die Abänderungsanträge der Frauen hauptsächlich auf die Stellung der Frau ihrem Manne gegenüber, ihre Stellung als Vertreterin der ehelichen Gemeinschaft, als Geschäftsfrau, als Inhaberin der elterlichen Gewalt, als Anspruchsberechtigte den Vater des unehelichen Kindes gegenüber, als Vormünder, als Eigentümerin und Verwalterin ihres in die Ehe gebrachten Vermögens. Der deutsche Gesetzesentwurf geht wie der schweizerische von dem Gedanken aus, der Ehemann teile das Recht und die Pflicht, (681) die eheliche Gemeinschaft zu führen. Ihm steht demgemäß die Entscheidung in allen das eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu. Gegen diese Auffassung wandte sich in Vertretung der Frauengruppen ein Antrag an die Reichstagskommission zur Beratung des Entwurfes, welcher dahingieng, beide Ehegatten als gleichberechtigt zu erklären. Bei Meinungsverschiedenheiten sollte nach der Ansicht des betreffenden Vertreters der Frauenbegehren, derjenige Eheteil entscheiden, aus dessen Vermögen die Ehelasten zum größten Teile bestritten werden. Die betreffende Bestimmung des Entwurfs bedeute ein Hörigkeitsverhältnis für die Frau. Allein die Kommission fand diese Begründung des Antrages nicht für ausschlaggebend. Sie hält dafür, eine gesunde Familie könne nur bestehen, wenn der Mann das Haupt derselben sei. Wolle die Frau sich ihm nicht unterordnen, so bedeute das eine bedenkliche Lockerung der Familienbande und einen ganz anormalen Zustand der Familie. Es liege durchaus keine Veranlassung vor, der Tendenz, welche die Familie und die Ehe in ein freies Verhältnis von lediglich aus Gegenseitigkeit zu einander stehenden Personen auflösen wollen, irgendwelchen Vorschub zu leisten. Die Besserstellung der Frau sei nur da zu suchen, wo die eheliche Gemeinschaft dadurch nicht berührt werde. Auch mit dem Begehren, § 1336, welches die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet, zu streichen, sind die Frauenvereine unterlegen. Seitens ihres Vertreters wurde namentlich geltend gemacht, der Paragraph widerspreche der sittlichen Natur der Ehe. Eine Rechtspflicht zur Herstellung der ehelichen Gemeinschaft könne nicht konstruiert werden, ohne daß das natürliche Recht der Ehegatten verletzt werde. Die eheliche Gemeinschaft könne nur insoweit geleistet werden, als Zuneigung und Liebe beistimmen. Zudem wolle ja der Entwurf die Herstellung des ehelichen Lebens nicht durch Zwangsmaßregeln erzwingen. Dagegen warf die Majorität der Kommission ein, das rechtliche Resultat der sittlichen Gemeinschaft in der Ehe müsse aus praktisch-juristischen Gründen gezogen werden, weil die Klage auf Wiederherstellung des ehelichen Lebens die Voraussetzung der böslichen Verlassung sei. Streiche man die angefochtene Bestimmung, so sei fraglich, ob im Sinne des Gesetzes die sittliche auch rechtliche Pflicht und ob sie ohne ausdrückliche Hervorhebung als solche betrachtet werde. Die Frauenpetitionen verlangten ferner, das Gesetz solle der Frau gestatten, ihren Mädchennamen in der Ehe beizubehalten. In (682) welcher Weise dies zu geschehen habe, darüber gingen die Ansichten auseinander. Die Einen, am meisten links Stehenden, wollen den Namen des Ehemannes entweder gar nicht oder nur als Anhängsel erscheinen lassen, die andern stellten es dem Belieben der Frau anheim, sich mit ihrem Mädchennamen oder demjenigen ihres Ehemannes zu be-
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nennen und dritte endlich glaubten die Rechtspersönlichkeit der Frau in der Ehe schon dadurch zu wahren, daß sie, wie in der Schweiz, ihren Mädchennamen dem des Mannes nachfolgen lasse. Allein die Kommission hatte für diese Wünsche und ihre Nuancen kein Verständnis. Sie hielt daran fest, daß die Ehefrau den Familiennamen des Mannes erhalte und zu führen verpflichtet sei. Es sei ja, wurde diesbezüglich ausgeführt, in gewissen Fällen die Frau eine Künstlerin, Schriftstellerin ec. nicht gehindert, neben dem Namen des Mannes ihren Künstler- oder Schriftstellernamen beizubehalten. Aber ihr ein Recht dazu zu geben, sei bedenklich, weil, wenn der Mann mit gutem Grunde ihr die Führung eines solchen verbieten könnte, dieses Gebot Bestand haben müsse. Stelle er ein derartiges Verbot grundlos auf, so bedeute das einen Mißbrauch seines Rechtes, das die Frau davon dispensiere, dem Verlangen des Mannes Folge zu geben. In der That enthält das bürgerliche Gesetzbuch eine Bestimmung, welche sich als Not- und Hülfsparagraph für die bedrängte Ehefrau in allen Lebenslagen darstellt. Es ist der zweite Absatz des § 1336. Nachdem im ersten Absatz die Stellung des Ehemannes und sein Entscheidungsrecht in allen ähnlichen Angelegenheiten festgesetzt ist, macht der zweite Absatz eine Einschränkung von ungeheurer Tragweite. „Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt.“ Die Zukunft wird lehren, ob es wohl gethan war, den Streitigkeiten der Ehegatten über ihr Recht und Unrecht in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen gesetzliche Sanktion zu verschaffen. Theoretisch hört sich die Sache ja sehr schön an, wie sie sich praktisch bewähren wird, ist eine andere Frage, In jedem Falle bedeutet sie aber eine weitgehende Konzession an das Recht der Frau im Verhältnis zu ihrem Ehemann, ein Umstand, den die deutschen Frauen gänzlich zu verkennen scheinen. Was die Stellung der Ehefrau mit Bezug auf ihr Wirkungsfeld anbetrifft, so hebt das deutsche Gesetz, wie der schweizerische Entwurf, nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht der Ehefrau (683) hervor, dem gemeinsamen Hauswesen vorzustehen. Ebenso wird ihre Pflicht, dem Ehemann in seinem Beruf oder Gewerbe in üblicher Weise persönlich Hülfe zu leisten, betont. Aus diesen Bestimmungen folgt zweierlei: einmal die Vertretungsbefugnis der Ehefrau im Bereich ihrer Schlüsselgewalt und zweitens im Behinderungsfalle des Mannes. Für den ersten Fall sieht das deutsche Gesetz eine Beschränkung oder Ausschließung des Vertretungsrechtes der Frau vor. Dagegen opponierten die Frauenvereine mit aller Energie. Sie machten geltend, die Frau werde dadurch der Willkür des Mannes preisgegeben und es widerspreche jedenfalls ihrer Würde als Frau und Mutter in dieser Weise vom Manne gemaßregelt zu werden. Diese Klagen wurden sodann von zwei Mitgliedern der Kommission, aufgegriffen und von ihnen entsprechende Abänderungsanträge eingebracht, welche dahin gingen, die Beschränkungsbefugnis des Mannes nur dann zuzulassen, wenn das Vormundschaftsgericht den Ehemann auf seinen Antrag dazu ermächtigt habe. Allein in der Kommission wandte man gegen diesen Antrag ein, es sei bei Annahme desselben zu befürchten, das Vormundschaftsgericht würde wegen jeder unbedeutenden Einschränkung der Schlüsselgewalt der Ehefrau angerufen, werden, Ueberdies wäre es eine Ungerechtigkeit gegen den Mann, die Entziehung der Schlüsselgewalt von der Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes abhängig zu machen, da bis zur Entscheidung des Gerichtes die Schlüsselgewalt fortdauern und in dieser Zeit die Handlungen der Frau den Mann weiter verpflichten würden. Somit wurde der Antrag abge-
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lehnt. Im Sinne der Frauenbegehren ist diese Frage im schweizerischen Entwurfe geordnet. Dieser sieht eine eventuelle Entziehung der Schlüsselgewalt nicht ausdrücklich vor, dieselbe ist aber auf Grund von § 109 zu erreichen, der im Falle der Schädigung oder Gefährdung der gemeinschaftlichen Interessen dem zuständigen Richter die Befugnis giebt, auf Ansuchen eines Ehegatten die nötigen Maßregeln zu treffen. Will demnach ein Ehemann der Ehefrau die Vertretungsbefugnis entziehen, so hat er einen diesbezüglichen Antrag an das Gericht zu stellen. Im schweizerischen Entwurf sind demnach die Parteirollen richtigerweise zu gunsten der Frau verschoben. Ueber diese Rollenverteilung wurde bei den Beratungen des deutschen Gesetzes noch in einem anderen Punkte ein harter Kampf geführt. Der Entwurf hatte für den Fall, als die Ehefrau sich einem dritten gegenüber zu einer in Person zu bewirkenden Leistung (684) verpflichtet hat, dem Ehemann das Recht eingeräumt, dieses Verhältnis ohne Kündigungsfrist zu kündigen. Der Abgeordnete Stumm, welcher bekanntlich neben den Socialdemokraten für die berechtigten Begehren der Frauengruppen eintrat, verlangte, daß dieses weitgehende Eingriffsrecht dem Mann genommen und nur das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag der Frau die Weiterbetreibung ihrer Thätigkeit entziehen könne. Zur Begründung seines Antrages führte er namentlich aus, das Recht der Frau, sich in ein Dienstverhältnis irgendwelcher Art zu begeben, sei nur ein halbes Recht, wenn man dem Manne die Befugnis gebe, dasselbe ohne weiteres aufzuheben. Wolle man der Frau das Recht der selbständigen Berufsausübung geben, so müsse dieses Recht so lange bestehen, bis das Vormundschaftsgericht aus sorgfältig geprüften Gründen dasselbe beseitige. Die Kommission in ihrer Mehrheit sah jedoch in dem Antrag eine Verrückung des Schwerpunktes der Ehe. Nur insofern als dieser Schwerpunkt nicht verrückt werde, habe die Frauenbewegung ihre Berechtigung. Es sei ganz richtig und nicht zu entbehren, daß der Mann mehr Recht in der Ehe habe als die Frau, wenn man die Familie gesund erhalten wolle. Der Antrag Stumm anticipiere nicht nur eine unerwünschte Entwicklung, er fördere sie auch. Damit wurde der Antrag abgelehnt. Allein von Stumm brachte ihn in zweiter Lesung in etwas modifizierter Form abermals ein. Nunmehr ist er in der Weise zum Gesetz erhoben worden, daß der Mann zwar das Kündigungsrecht selbst ausüben kann, aber damit an die vorgängige Ermächtigung des Vormundschaftsgerichtes gebunden ist. Das letztere hat ihm solche Ermächtigung zu erteilen, wenn sich die Fortsetzung der Thätigkeit der Frau als eine Schädigung der ehelichen und Familieninteressen erweist. Damit kommt das deutsche Gesetz dem schweizerischen Entwurf ziemlich nahe, welcher dem Mann zwar auch die Befugnis giebt, der Frau den selbständigen Betrieb eines Berufes oder Gewerbes zu entziehen, jedoch dritten gegenüber ein diesbezügliches Verbot nicht wirksam werden läßt, so lange dasselbe nicht Kraft richterlicher Verfügung ins Ehegutsregister eingetragen wurden ist. In ähnlicher Weise hält das deutsche Gesetz (ebenfalls in Berücksichtigung der Frauenbegehren, resp. der durch dieselben veranlaßten Abänderungsanträge einiger Kommissionsmitglieder) für die Rechtsvermutung des Eigentums an beweglichen Sachen der Ehegatten die innere und äußere Seite des ehelichen Verhältnisses auseinander.
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(685) Wie der schweizerische, so hatte auch der deutsche Entwurf die Rechtsvermutung aufgestellt, daß alle im Besitz der Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen so lange als dem Manne gehörig betrachtet werden, als das Gegenteil nicht bewiesen ist. Diese den Interessen der Frau so gefährliche Rechtsvermutung ist nunmehr im deutschen Gesetze bloß zu gunsten der Gläubiger aufrecht erhalten. Im inneren Verhältnis der Ehegatten, also bei Vermögensabsonderungen, wie solche bei Scheidungen, Erbausrichtungen ec. vorkommen, hat sie seine Wirksamkeit. Die Beweislast bleibt also in diesen Fällen demjenigen Eheteil, resp. seinen Rechtsnachfolgern, welcher Eigentum an solchen Vermögensstücken behauptet. Mit den verschiedenen Bitten, Protesten und Anträgen, die Gütertrennung möge zum gesetzlichen Güterstand erhoben werden, hatten weder die Frauen noch ihre parlamentarischen Vertrauensmänner Glück. Das Begehren wurde des Entschiedensten und mit großer Majorität sowohl in der Kommission als im Reichstage selbst abgelehnt. Daran konnte auch der Umstand nichts ändern, daß die Gründe der Gegner an Stichhaltigkeit entschieden hinter denjenigen des Antragstellers Stumm und Genossen zurückblieben. Die pros und contras erscheinen mir kulturhistorisch nicht uninteressant, Herr von Stumm hob hauptsächlich hervor: Das gesetzliche System der Gütertrennung ist das einzige, bei dem die Frau auf dem Boden der modernen Verhältnisse zu ihrem Rechte kommt. Getrennte Haltung beider Vermögensmassen in der Ehe erweist sich mehr und mehr erwünscht, weil derjenige Teil, welcher die Tendenz hat, das Vermögen zu verschwenden, regelmäßig der Mann und nur in seltenen Fällen die Frau ist. Die kulturellen Verhältnisse, welche der Boden für die übrigen Güterrechtssysteme gewesen sind, treffen heute nicht mehr zu, die Frauenbildung, ist so weit vorgeschritten, daß man mit aller Ruhe der Frau in der Ehe die Verwaltung ihres eigenen Vermögens überlassen kann. Auch den Interessen der arbeitenden Klassen entspricht sein System mehr als die Gütertrennung. In England, wo sie eingeführt ist, hat sie der Entwicklung der Ehe keinen Eintrag gethan. Dagegen wandten die Regierungskommissionäre ein: die Gütertrennung besteht zur Zeit im kleinsten Teile von Deutschland, sie entspricht also offenbar der deutschen Auffassung der Ehe nicht. In der Kritik des Entwurfs hat sie keine erhebliche Unterstützung gefunden. Nur die sogenannte Frauenbewegung hat sich für dieselbe erwärmt (686) Der Entwurf hat die Fortschritte in der Geistesbildung der Frauen sowohl als dem der weiteren Ausdehnung ihrer Erwerbsthätigkeit hinlänglich Rechnung getragen. Der rechtsgeschichtlichen Entwicklung, der Sitte und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht die Gütertrennung nicht. Die Frauen der Kreise, aus denen die Frauenbewegung hervorgegangen, können ja zum Ehevertrag greifen. Darauf wurde die im Entwurfe normierte Verwaltungsgemeinschaft als gesetzliches Güterrecht beibehalten. Die Frauen haben sich indessen mit diesem negativen Ausgang ihrer Anstrengungen nicht beruhigt. Unmittelbar vor der dritten Lesung im Reichstage hielten sie eine Protestversammlung in Berlin ab, in welcher den Abgeordneten die schärfsten Vorwürfe gemacht und ihre Nichtwiederwahl nach Ablauf der Amtsdauer empfohlen wurde. Die dem Reichstage zugegangene Resolution dieser ansehnlichen Versammlung blieb ebenfalls ohne Resultat. Der Entwurf wurde in dritter Lesung ziemlich unverändert angenommen. Allein die Frauenvereine wollen die Sache jetzt noch nicht auf sich bewendet sein lassen. Eine weitverzweigte Organisation wurde geschaffen, welche die Aufgabe hat, die
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mißliebigen Bestimmungen des Familienrechts des neuen Gesetzes zu Falle zu bringen, noch bevor das Gesetz in Kraft treten wird. Zu diesem Zwecke werden in allen deutschen Städten Versammlungen abgehalten, in welchen die Frauen über das ihnen angethane Unrecht aufgeklärt und neue Unterschriften für Petitionen an den Reichstag gesammelt werden sollen. Es ist nicht unmöglich; daß die Frauen zu ihrem Ziele gelangen; denn sie haben in ihren Reihen manche gute Rednerin und sie vertreten ihre Sache nicht nur mit der bekannten weiblichen Hartnäckigkeit, sondern auch mit viel Geschick. Die Uebertreibungen, welche mit unterlaufen, dienen dazu, die lauen Mitschwestern aus dem Schlaf der Zufriedenheit aufzurütteln und gegen das dem weiblichen Geschlecht angethane „Unrecht“ mit Sturm zu laufen. Für eine gesunde Entwicklung der Dinge wäre es freilich wünschbar, daß die etwas gewaltthätige Agitation, in ruhigere Bahnen eingelenkt würde. Die Frauen hätten es in der Hand, durch Belehrung und Aufklärung die Gütertrennung mittelst vertraglicher Vereinbarungen der Ehegatten gewohnheitsmäßig einzuführen und auch sonst durch maßvolle Einwirkung auf die Anschauungen ihrer Gesellschaftskreise die Interpretation des Gesetzes zu ihren Gunsten zu veranlassen. Allein davon wollen sie nichts wissen und wer ihnen diesen ruhigeren Weg empfiehlt, gilt als Verräter der guten Sache. (687) In ihrem gegenwärtigen Unmut sind sie auch der ihnen thatsächlich verliehenen Besserstellung gegenüber ungerecht. So namentlich mit Bezug auf die im Gesetze ausgesprochene Anerkennung der mütterlichen Gewalt. Dieselbe ist im bürgerlichen Gesetzbuch principiell fixiert, wird aber allerdings erst in Verhinderung oder im Todesfall des Vaters praktisch. Noch ziemlich in letzter Stunde wurde von der Kommission die Vertretungsbefugnis der Mutter für alle Fälle, in welchen der Vater die elterliche Gewalt nicht ausüben kann, in den Entwurf aufgenommen. Aber die Forderung der Frauen geht viel weiter. Sie wollen die gleichmäßige Ausübung der elterlichen Gewalt während der Ehe, so, daß Vater und Mutter in allen Erziehungsfragen gleichviel zu sagen haben und nicht so, daß die Meinung oder Entscheidung des Vaters schließlich derjenigen der Mutter vorgehe. So figuriert dann dieser Punkt neben der Forderung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht als zweiter auf dem Programm der weiblichen Agitatoren. Ein dritter unerfüllt gebliebener Wunsch betrifft das Verhältnis der unehelichen Kinder zu ihrem Erzeuger. Der Entwurf hatte in § 1567 den Satz aufgestellt: „Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft. Diese Bestimmung gab in den Frauenversammlungen fortwährenden Anlaß zu schönrednerischen Entrüstungsrufen. An ihr konnte man so recht die Herzlosigkeit, die Unterdrückungssucht und die Illogik der Gesetzgeber demonstrieren. Und in der That, diese Demonstration verfehlte ihre Wirkung niemals. Vielleicht mehr als alles andere reizte sie die gleichmütigsten Frauen zur Empörung. Natürlich verstand der Entwurf mit der Ablehnung der Verwandtschaft zwischen Vater und Kind die Verwandtschaft im Rechtssinne. Aber den Anstoß, den die etwas schroffe Fassung gab, veranlaßt dann doch die Kommission zu einer kleinen redaktionellen Aenderung und so heißt der viel umstrittene Paragraph jetzt: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten als nicht verwandt.“ Haben die Frauen hier materiell keinen Sieg erfochten, so ist doch bezüglich der Alimentationsansprüche des unehelichen Kindes an seinen Erzeuger eine kleine, allerdings sehr geringe Besserung erzielt worden. Der Vater ist nach dem neuen Gesetz nicht nur verpflichtet, das Kind bis nach dem vollendeten 16 Jahre zu unterhalten, sondern nach diesem
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Zeitpunkt, wenn es sich wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht selbst erhalten kann. Es wird von der Auslegung und Anwendung des Gesetzes abhängen, wie weit diese Ausnahmefälle sich auch auf (688) die Fälle ausdehnen lassen, wo das Kind, ohne gerade gebrechlich zu sein, sich mit 16 Jahren nicht selbst durchbringen kann. Auch die uneheliche Mutter ist dank den Frauenpetitionen in eine etwas günstigere Lage versetzt worden. Die Kosten der Entbindung und des Unterhalts während der ersten sechs Wochen nach der Entbindung sind ihr vom Vater des Kindes nicht nur „innerhalb der Grenzen der Notdurft“, sondern ohne Einschränkung zu ersetzen. Eine große Errungenschaft dagegen haben die Frauen im bürgerlichen Gesetzbuch zu verzeichnen: ihre bisherige Ausschließung vom Amte der Vormundschaft und dem Familienrat ist weggefallen. Während das preußische Vormundschaftsgesetz nur die Mutter und Großmutter und diejenige Frau zur Vormundschaft zuließ, welche im Testament des Vaters dazu berufen war, läßt das bürgerliche Gesetzbuch die Bestallung jeder volljährigen Frau zur Vormundschaft zu. Der diesbezügliche Abänderungsantrag des Entwurfes wurde in der Kommission hauptsächlich damit begründet, daß bei unseren socialen Verhältnissen kein Grund mehr vorhanden sei, die Frau grundsätzlich vom Amte der Vormundschaft auszuschließen und nur ausnahmsweise zuzulassen. Im Schoße der Kommission fand der Antrag vielfachen Beifall. Es wurde von der Annahme desselben allgemein eine Neubelebung des Vormundschaftswesens erwartet und eine Frau als Vormünderin ganz besonders für die Fälle wünschbar erachtet, in welchen die Pflicht der Vormundschaft vorwiegend in der persönlichen Sorge für das Kind bestehe, was meistens zutreffe. Außerdem eröffnen sich mit Annahme des Antrages der Frauenbewegung, die leider in manchen Punkten auf einer sehr ungesunden Bahn sei, ein berechtigtes und neues Ziel und man lenke sie dadurch vielleicht in richtigere Bahnen. Endlich aber haben die öffentlichen Ehrenämter in Staat und Gemeinde so stark zugenommen und nehmen immer noch mehr zu, daß alle irgendwie geeigneten Persönlichkeiten mit solchen Aemtern überlastet seien. Da erscheine es als durchaus erwünscht, die Männer zu entlasten, indem man die Möglichkeit eröffne, auch Frauen zu Vormündern zu machen. Unter solchen Argumenten und mit großer Einmütigkeit haben die deutschen Gesetzgeber den Schritt gethan, der noch vor wenigen Jahren von einem zürcherischen Juristen von Bedeutung als größte Lächerlichkeit perhorresciert wurde. (689) Ich weiß nicht, mir will beim besten Willen die Stellung der Frau im bürgerlichen Gesetzbuche für das deutsche Reich nicht so fürchterlich minderwertig erscheinen. Wären wir in der Schweiz nur erst so weit!
33.
Emilie Kempin: Falsche Fährten, 1896
KEMPIN, Emilie: Falsche Fährten, in: 2. Beilage zur „Post“, 11.10.1896, S. 1 Kommentar: In ihrem Artikel „Falsche Fährten“ verteidigt Kempin das BGB gegen die nach ihrer Meinung überzogene Kritik weiter Teile der Frauenbewegung. Die Differenzen zwischen Kempin und anderen Aktivistinnen werden immer deutlicher. Die Entwicklung wird auf eine Isolierung Kempins hinauslaufen, die möglicherweise zu ihrer persönlichen Krise in den Folgejahren beitrug.
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Zeitpunkt, wenn es sich wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht selbst erhalten kann. Es wird von der Auslegung und Anwendung des Gesetzes abhängen, wie weit diese Ausnahmefälle sich auch auf (688) die Fälle ausdehnen lassen, wo das Kind, ohne gerade gebrechlich zu sein, sich mit 16 Jahren nicht selbst durchbringen kann. Auch die uneheliche Mutter ist dank den Frauenpetitionen in eine etwas günstigere Lage versetzt worden. Die Kosten der Entbindung und des Unterhalts während der ersten sechs Wochen nach der Entbindung sind ihr vom Vater des Kindes nicht nur „innerhalb der Grenzen der Notdurft“, sondern ohne Einschränkung zu ersetzen. Eine große Errungenschaft dagegen haben die Frauen im bürgerlichen Gesetzbuch zu verzeichnen: ihre bisherige Ausschließung vom Amte der Vormundschaft und dem Familienrat ist weggefallen. Während das preußische Vormundschaftsgesetz nur die Mutter und Großmutter und diejenige Frau zur Vormundschaft zuließ, welche im Testament des Vaters dazu berufen war, läßt das bürgerliche Gesetzbuch die Bestallung jeder volljährigen Frau zur Vormundschaft zu. Der diesbezügliche Abänderungsantrag des Entwurfes wurde in der Kommission hauptsächlich damit begründet, daß bei unseren socialen Verhältnissen kein Grund mehr vorhanden sei, die Frau grundsätzlich vom Amte der Vormundschaft auszuschließen und nur ausnahmsweise zuzulassen. Im Schoße der Kommission fand der Antrag vielfachen Beifall. Es wurde von der Annahme desselben allgemein eine Neubelebung des Vormundschaftswesens erwartet und eine Frau als Vormünderin ganz besonders für die Fälle wünschbar erachtet, in welchen die Pflicht der Vormundschaft vorwiegend in der persönlichen Sorge für das Kind bestehe, was meistens zutreffe. Außerdem eröffnen sich mit Annahme des Antrages der Frauenbewegung, die leider in manchen Punkten auf einer sehr ungesunden Bahn sei, ein berechtigtes und neues Ziel und man lenke sie dadurch vielleicht in richtigere Bahnen. Endlich aber haben die öffentlichen Ehrenämter in Staat und Gemeinde so stark zugenommen und nehmen immer noch mehr zu, daß alle irgendwie geeigneten Persönlichkeiten mit solchen Aemtern überlastet seien. Da erscheine es als durchaus erwünscht, die Männer zu entlasten, indem man die Möglichkeit eröffne, auch Frauen zu Vormündern zu machen. Unter solchen Argumenten und mit großer Einmütigkeit haben die deutschen Gesetzgeber den Schritt gethan, der noch vor wenigen Jahren von einem zürcherischen Juristen von Bedeutung als größte Lächerlichkeit perhorresciert wurde. (689) Ich weiß nicht, mir will beim besten Willen die Stellung der Frau im bürgerlichen Gesetzbuche für das deutsche Reich nicht so fürchterlich minderwertig erscheinen. Wären wir in der Schweiz nur erst so weit!
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Emilie Kempin: Falsche Fährten, 1896
KEMPIN, Emilie: Falsche Fährten, in: 2. Beilage zur „Post“, 11.10.1896, S. 1 Kommentar: In ihrem Artikel „Falsche Fährten“ verteidigt Kempin das BGB gegen die nach ihrer Meinung überzogene Kritik weiter Teile der Frauenbewegung. Die Differenzen zwischen Kempin und anderen Aktivistinnen werden immer deutlicher. Die Entwicklung wird auf eine Isolierung Kempins hinauslaufen, die möglicherweise zu ihrer persönlichen Krise in den Folgejahren beitrug.
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Kempin kritisiert die „Führerinnen der Frauenbewegung“, welche die guten Seiten des BGB ignorieren. Das „unbesonnene Schreien der Frauenrechtlerinnen“ schade ihnen selbst, ihrer Sache und sogar dem Ansehen ihres Landes. Sie wirft Rednerinnen und Anhängerinnen der Frauenversammlungen vor, oberflächlich und unprofessionell zu sein. Bei einem Frauenkongreß lautet ein Vortragsthema „Ueber das deutsche Familienrecht“. Kempin hierzu: „Das letztere hatte eine Berlinerin, welche juristische Studien nicht gemacht hat, zu skizziren unternommen. Sie sprach als Laie über ein Thema, das sie naturgemäß nicht verstand; auf die juristisch ebenfalls ungebildete Menge wirkte sie trotzdem durch die Angriffe auf das Bürgerliche Gesetzbuch und durch allgemeine Sentenzen über die darin der Ehefrau und Mutter zugewiesene schlechte Stellung.“ Die Kritik gilt in diesem Falle wahrscheinlich Sera Proelß (vgl. Yashiki, Emilie Kempin, S. 51).
Falsche Fährten. Von Dr. jur. Emilie Kempin.
Im „Neuen Theater“ war es. Zu Ehren der Frauen des internationalen Kongresses wurde der „Kampf der Frau“ aufgeführt. Die Vermietherin, bei welcher die unglücklichen Schwestern des Stücks wohnen, beklagt sich bei der ältesten derselben, daß ihr liederlicher Mann das Recht habe, ihren Lohn an sich zu nehmen, und da „Fräulein Lotti“ das Ungeheuerliche nicht glauben will, fügt sie hinzu: „Ja, ich hab’s zuerst auch nicht glauben wollen, aber es ist so, Fräulein, Sie können sich darauf verlassen.“ Als der Vorhang nach dieser Scene gefallen war, begann meine Nachbarin, eine intelligent aussehende elegante Dame von circa 30 Jahren, ihrer Entrüstung über ein solches Gesetz Ausdruck zu verleihen. „Hat denn diese Ungerechtigkeit schon vor dem Bürgerlichen Gesetzbuch bestanden, daß der Dichter sie hier verwerthet hat?“, fragte sie mich. „Gewiß“, erwiderte ich, „wenigstens in den meisten Ländern deutscher Zunge.“ „Aber“, meinte sie auf nachdenklich, „ich dachte, das Unrecht bestehe ja gerade darin, daß das neue Gesetz diese Bestimmung erst aufgenommen hat.“ „Nein,“ gab ich zurück, „da sind Sie im Irrthum, das Bürgerliche Gesetzbuch giebt im Gegentheil der Ehefrau das Recht auf ihren eigenen Verdienst, hierin liegt der Fortschritt gegenüber den jetzigen Landesgesetzgebungen.“ Die Dame sah mich scharf an. „Das ist ja unmöglich“, fuhr sie dann heraus. „Sie müssen falsch berichtet sein. Wie dem aber auch sein möge: das steht selbst, daß die Ehefrau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in jeder Beziehung schlecht gestellt ist. Nehmen Sie nur den Fall, in welchem die Ehefrau Vermögen in die Ehe bringt. Ich bin aus Rußland, aber wissen Sie, bei uns wäre es undenkbar, daß eine Frau nicht einmal durch Vertrag ihr Vermögen in eigener Hand behalten kann. Das deutsche Recht ist ja hierin geradezu barbarisch.“ „Bitte“, entgegnete ich, „das Recht, sich durch Vertrag ihr Vermögen vorzubehalten, steht auch der deutschen Ehefrau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in ganz freier Weise zu.“ „Das kann ich nicht glauben“, warf sie ein. Jetzt wurde ich ungehalten. „Erlauben Sie“, sagte ich, „es ist so“, und da sie mich ungläubig ansah, setzte ich hinzu: „ich bin Juristin. Sie können sich darauf verlassen, daß ich mich nicht täusche.“ Darauf schwieg sie eine Weile. Dann begann sie von Neuem: „Aber dann wäre es ja gar nicht so schlimm, wie die Frauen hierzulande klagen.“
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„Es ist auch nicht so schlimm“, versetzte ich, „wenn es auch wünschbar wäre, daß die Gütertrennung, welche vertraglich vereinbart werden kann, vom neuen Gesetz als gesetzliches Güterrecht anerkannt worden wäre. Indessen . . . .“ „Nein, nein“, unterbrach sie mich mit strenger Miene, „ich kann es nicht glauben. Bei der Sachlage, die Sie da schildern, hätten die Frauen kein solches Geschrei gemacht. Ich wohne seit ein paar Jahren in Deutschland und habe allen Frauenversammlungen beigewohnt. Wozu sonst hätten die Frauen in der Weise protestirt und petitionirt?“ Und sie drehte mir den Rücken in der Ueberzeugung, eine Ignorantin zurechtgewiesen zu haben. Ich aber fragte mich: Ja, wozu haben die Frauen in solcher Weise protestirt, und wozu petitioniren sie jetzt noch? Wozu übertreiben sie dermaßen, daß im Publikum die allerverkehrtesten Vorstellungen entstehen? Weshalb bringen sie dadurch das künftige Gesetz in Mißkredit? Aehnliche Fragen hatte ich mir schon zwei Tage zuvor, am Frauenkongress, vorgelegt. Es war der sogenannte Rechtstag, d. h. auf der Rednerliste des Programms standen die Themata: „Ueber das Recht der Frau“, „Ueber das deutsche Familienrecht“ ec. Das letztere hatte eine Berlinerin, welche juristische Studien nicht gemacht hat, zu skizziren unternommen. Sie sprach als Laie über ein Thema, das sie naturgemäß nicht verstand; auf die juristisch ebenfalls ungebildete Menge wirkte sie trotzdem durch die Angriffe auf das Bürgerliche Gesetzbuch und durch allgemeine Sentenzen über die darin der Ehefrau und Mutter zugewiesene schlechte Stellung. Die Rednerin griff, wie es in ähnlichen Fällen immer geschieht, die einschlägigen Gesetzesparagraphen heraus, reihte sie aneinander und kritisirte sie, ohne zu bedenken, daß aus diesem dürren Knochengerippe kein richtiges Bild des Gesammtorganismus entstehen kann. Dieses muß erst vom Vortragenden gezeichnet werden, und es ist klar, daß dies nur dem möglich ist, welcher jede Funktion der einzelnen Organe genau kennt. Wo dies nicht der Fall ist, muß das Wissen durch Vermuthung und Dichtung ersetzt werden. Eine derartige Rechtsbelehrung ist immer irreleitend. Die Thatsachen werden dadurch in unliebsamer, ja geradezu gefährlicher Weise entstellt. Der Frauenkongreß wollte die Forderungen der Frauenbewegung nur akademisch behandeln. Dazu wäre aber eine objektiv möglichst richtige, also akademische Darlegung der rechtlichen Stellung der Deutschen Frau nöthig gewesen. Wollte man dagegen, wie es geschehen, gegen das Bürgerliche Gesetzbuch polemisiren, so hätte die Loyalität eine nachfolgende Diskussion erfordert, in der es den Sachverständigen möglich gewesen wäre, die entstandenen Irrthümer der Zuhörer zu berichtigen. Ueberhaupt bedauere ich immer und immer wieder, daß die Führerinnen der Frauenbewegung in diesem Punkte nicht besonnener vorgehen. Warum wird das Gute des Gesetzbuches von ihnen so konsequent ignorirt? Weil man sich einmal auf den Angriffsstandpunkt gestellt hat? Das mag ja vor der Annahme des Gesetzes eine nicht üble Kriegstaktik gewesen sein, jetzt hat sie keinen Sinn mehr, weil sie nur Unsinn erzeugt. Diese Kampfweise erinnert lebhaft an diejenige der orthodoxen Sozialdemokraten à la Clara Zetkin. Diese sehen auf jede Reform scheel, weil sie die erträumte Totalreform wollen; lieber nichts als nur etwas! lautet ihr Wahlspruch. Genau so machen es die weiblichen Strategen der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie lächeln geringschätzig über die Fortschritte, welche das Gesetzbuch in Bezug auf die Stellung des weiblichen Geschlechts gebracht hat, sie ignoriren sie, weil sie darin nicht alles nach ihren Wünschen geordnet finden. Es wäre
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an der Zeit, daß diese Art der Kampfweise eingestellt würde. Sie nützt nichts; denn das Gesetzbuch wird deshalb nicht mehr geändert. Sie schadet nur, und zwar in dreifacher Weise: Erstens den Kämpfenden selbst. Wenn sie die Mängel des Gesetzes einseitig hervorheben und übertreiben, ohne die Vorzüge anzuerkennen, so werden sich bald alle Einsichtigen von ihnen wenden. Man wird die Frauen dann einfach nicht mehr ernst nehmen. Kommt dann eine neue Veranlassung für sie, ihre Wünsche zu äußern, so wird es ihnen gehen wie dem Kinde in der Fabel, das. weil es oft ohne Grund nach Hilfe gerufen hat, in der wirklichen Noth verlassen dastand. Das unbesonnene Schreien der Frauenrechtlerinnen schadet zweitens, weil es, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, in den Köpfen der Menge die größten Verwirrungen anrichtet. Warum soll das künftige Gesetz der Frauenwelt durchaus als eine Monstrosität an Ungerechtigkeit erscheinen, während dies entschieden nicht zutrifft? Drittens frage ich: Ist es gerecht und klug, sein eigenes Vaterland, dessen Institutionen und Gesetze in solcher Weise herabzusetzen? – Von deutscher Barbarei zu reden, während andere Länder wie Frankreich, Belgien und die Schweiz noch weit hinter dem durch das Bürgerliche Gesetzbuch geschaffenen Rechtszustand zurück sind? Auf dem Kongreß für Frauenbestrebungen in Genf wurden von den fortschrittlichsten Männern und Frauen der schweizerischen Frauenbewegung gerade die Postulate in erste Linie gestellt, welche nunmehr für Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuche erfüllt sind.
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Emilie Kempin: Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen, ca. 1896
KEMPIN, Emilie: Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen, Berlin o.J. [ca. 1896] Kommentar: Das „Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen“ widmet Kempin ihrer Tochter Gertrud zur Volljährigkeit. Darin klingt der Wunsch, junge volljährige Frauen sollten ihre Rechte kennenlernen und nicht aufgrund von Rechtsunkenntnis, z.B. bei Eingehung der Ehe, verhängnisvolle Fehler begehen. In insgesamt 52 Merksprüchen, welche an Frauen ohne rechtliche Vorkenntnisse gerichtet sind, werden ihre Rechte und Pflichten in der Ehe in leicht faßlicher Form erläutert. Das Buch ist zum Selbststudium und als Begleiter vor und während der Ehe gedacht. In ihrem im November 1896 geschriebenen Vorwort betont Kempin, es liege an den Frauen selbst, die ihnen durch das BGB gebotenen Chancen auszunutzen und ihre Stellung in der Ehe so selbständig wie möglich zu gestalten. Dies bedeutet freilich nicht, daß Kempin damals das BGB für ein durch und durch frauenfreundliches Gesetz hielt, dessen Vorzüge den Frauen nähergebracht werden sollten. Eher läßt sich Kempins Haltung dahingehend resümieren, daß das BGB ein Gesetz ist, welches gleichermaßen Vorteile und Nachteile für Frauen bietet, wobei rechtskundige Frauen die Vorteile nutzen und wenigstens einige der Nachteile, z.B. durch Ehevertrag, umgehen können. Das Buch soll dazu beitragen, Frauen überhaupt erst in ihrem persönlichen Umfeld rechtskundig zu machen.
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an der Zeit, daß diese Art der Kampfweise eingestellt würde. Sie nützt nichts; denn das Gesetzbuch wird deshalb nicht mehr geändert. Sie schadet nur, und zwar in dreifacher Weise: Erstens den Kämpfenden selbst. Wenn sie die Mängel des Gesetzes einseitig hervorheben und übertreiben, ohne die Vorzüge anzuerkennen, so werden sich bald alle Einsichtigen von ihnen wenden. Man wird die Frauen dann einfach nicht mehr ernst nehmen. Kommt dann eine neue Veranlassung für sie, ihre Wünsche zu äußern, so wird es ihnen gehen wie dem Kinde in der Fabel, das. weil es oft ohne Grund nach Hilfe gerufen hat, in der wirklichen Noth verlassen dastand. Das unbesonnene Schreien der Frauenrechtlerinnen schadet zweitens, weil es, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, in den Köpfen der Menge die größten Verwirrungen anrichtet. Warum soll das künftige Gesetz der Frauenwelt durchaus als eine Monstrosität an Ungerechtigkeit erscheinen, während dies entschieden nicht zutrifft? Drittens frage ich: Ist es gerecht und klug, sein eigenes Vaterland, dessen Institutionen und Gesetze in solcher Weise herabzusetzen? – Von deutscher Barbarei zu reden, während andere Länder wie Frankreich, Belgien und die Schweiz noch weit hinter dem durch das Bürgerliche Gesetzbuch geschaffenen Rechtszustand zurück sind? Auf dem Kongreß für Frauenbestrebungen in Genf wurden von den fortschrittlichsten Männern und Frauen der schweizerischen Frauenbewegung gerade die Postulate in erste Linie gestellt, welche nunmehr für Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuche erfüllt sind.
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Emilie Kempin: Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen, ca. 1896
KEMPIN, Emilie: Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen, Berlin o.J. [ca. 1896] Kommentar: Das „Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen“ widmet Kempin ihrer Tochter Gertrud zur Volljährigkeit. Darin klingt der Wunsch, junge volljährige Frauen sollten ihre Rechte kennenlernen und nicht aufgrund von Rechtsunkenntnis, z.B. bei Eingehung der Ehe, verhängnisvolle Fehler begehen. In insgesamt 52 Merksprüchen, welche an Frauen ohne rechtliche Vorkenntnisse gerichtet sind, werden ihre Rechte und Pflichten in der Ehe in leicht faßlicher Form erläutert. Das Buch ist zum Selbststudium und als Begleiter vor und während der Ehe gedacht. In ihrem im November 1896 geschriebenen Vorwort betont Kempin, es liege an den Frauen selbst, die ihnen durch das BGB gebotenen Chancen auszunutzen und ihre Stellung in der Ehe so selbständig wie möglich zu gestalten. Dies bedeutet freilich nicht, daß Kempin damals das BGB für ein durch und durch frauenfreundliches Gesetz hielt, dessen Vorzüge den Frauen nähergebracht werden sollten. Eher läßt sich Kempins Haltung dahingehend resümieren, daß das BGB ein Gesetz ist, welches gleichermaßen Vorteile und Nachteile für Frauen bietet, wobei rechtskundige Frauen die Vorteile nutzen und wenigstens einige der Nachteile, z.B. durch Ehevertrag, umgehen können. Das Buch soll dazu beitragen, Frauen überhaupt erst in ihrem persönlichen Umfeld rechtskundig zu machen.
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Planck (Nr. 44, S. 4) nimmt 1899 auf Kempin mit den Worten Bezug: „Es werden selbst aus den Kreisen der Frauenbewegung Stimmen laut, welche meinen, es würde sich für die Frauen schließlich auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche noch menschenwürdig leben lassen; ich will z.B. anführen ein kleines Buch von Frau Dr. Emilie Kempin, in welchem in 52 Merksätzen den Frauen Rathschläge ertheilt werden, wie sie auf Grund der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine ihrem Verlangen nach Selbständigkeit entsprechende Stellung sich verschaffen können. Von anderen Seiten aber dauern die Angriffe gegen das Bürgerliche Gesetzbuch noch fort.“
Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen 52 Merksprüche aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch mit Erläuterungen von Dr. jur. Emilie Kempin.145
(4) Meiner lieben Tochter Gertrud zu Eintritt in das Alter der Volljährigkeit. […] (9) Vorwort. Als die Wogen der Unzufriedenheit über die Rechtsstellung, welche das Bürgerliche Gesetzbuch den Ehefrauen und Müttern anweist, am Höchsten gingen, habe ich, um den vielfach kritiklosen Klagen einigen Einhalt zu thun und die Frauen zum Nachdenken über die beklagten Punkte anzuregen, das neue Gesetz in Schutz genommen und nachzuweisen versucht, dass es an den Frauen selbst liege, die ihnen darin gebotenen Chancen auszunützen und ihre Stellung in der Ehe so selbständig als möglich zu gestalten. In dieser Ueberzeugung habe ich namentlich betont, die Frauen allerorts sollten mit den wichtigsten einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes bekannt gemacht werden und zwar sei das eine Aufgabe der Frauenvereine. Dagegen wurde mir in der Regel erwidert, es fehle an den nöthigen Kräften zur Erteilung solcher Rechtslehre und wenn ich auf die Rechtsanwälte als die geeignete Person dafür hinwies, wurde mir der Einwurf, die Männer seien nicht leicht im Stande, die für die Frauenwelt nöthigen, resp. zu ihren Gunsten bedeutsamen Vorschriften herauszufinden. Der Berechtigung dieser Einwendung kann ich mich nicht ganz anschließen. Ich habe daher im Folgenden (10) versucht, die Bestimmungen des Gesetzbuches heraus zu heben, welche entweder die Frau in der Ehe selbstständig stellen oder welche sie gegen Uebergriffe des ehemännlichen Rechtes schützen. Dabei lag es mir durchaus ferne, in den „Merksprüchen“ das Recht der Ehefrau und Mutter im ganzen Umfang zur Darstellung zu bringen, dies mag einer größeren Arbeit vorbehalten bleiben. Hier handelt es sich nur um Satzungen, deren Consequenzen, welche sich die Ehefrauen in den verschiedensten Lebenslagen besonders zu merken haben.
145 Erschienen bei: J. J. Heines Verlag, Berlin W. 57.
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Es liegt in der Natur der Sache, dass hierfür die Fälle in den Vordergrund treten müssen, in welchem das Verhältnis der Ehegatten den Anforderungen eines Idealzustandes in der Ehe nicht mehr entspricht und die Frau in Folge dessen in die Lage versetzt wird, Rechte geltend zu machen. Berlin, im November 1896 Die Verfasserin. (11) 1. Spruch. Du kannst nicht gezwungen werden, mit Deinem Mann zusammen zu leben und wenn Du zu Deiner Weigerung gute Gründe hast, kann sie Dir nicht schaden. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet, d. h. sie sind sich Treue, Beistand, Zusammenleben und Leistung der ehelichen Pflicht schuldig. Die Erfüllung dieser Pflichten kann natürlich nicht erzwungen werden, ihre Verletzung hat aber folgen für die Ehescheidung und deren Wirkungen. So kann z.B. ein Ehegatte auf Herstellung der häuslichen Gemeinschaft klagen und der andere dazu verurteilt werden. Kommt der letztere dem Urteilsspruch nicht nach, so ist der Ehescheidungsgrund der böslichen Verlassung gegeben. Anders verhält es sich, wenn das Verlangen nach Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft einen Missbrauch bedeutet. Dies ist der Fall, wenn Du z. B. Deiner Gesundheit wegen oder aus anderen triftigen Gründen Dich weigerst, dem Verlangen Folge zu geben. Dann hört Deine Pflicht zur ehelichen Gemeinschaft auf. Ebenso wirst Du davon entbunden, wenn Du berechtigt bist, auf Scheidung zu klagen, d. h. wenn Scheidungsgründe vorliegen. Siehe § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (12) 2. Spruch. Du brauchst Dich der Entscheidung Deines Mannes nicht zu fügen, wenn er sein Recht missbraucht. Der Mann hat das Recht der Entscheidung in allen Angelegenheiten, welche das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffen. Du bist aber nicht verpflichtet, seiner Entscheidung Folge zu leisten, wenn dieselbe sich als Missbrauch seines Rechtes darstellt. Was nun ist als Missbrauch zu erachten? Zunächst Alles, was über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten hinaus geht; in Deinen persönlichen Angelegenheiten ist Dir volle Freiheit gewahrt. Allerdings ist die Grenze zwischen persönlichen und gemeinschaftlichen Angelegenheiten schwer zu ziehen. zu den ersteren sind etwa zu rechnen: die nöthige Pflege, Erholung, ein vernünftiger Lebensgenuß, freie Wahl der Lektüre, des geselligen Verkehrs, auch, wie eine kompetente Darstellung des persönliches Eherechtes annimmt146, Theilnahme der Frau am öffentlichen Leben, an ethischen, wissenschaftlichen und sozialen Bestrebungen, Bethätigung in einem Beruf und Sorge für Erhaltung und Erwerb eines
146 Dr. Leonard Jacobi: Das persönliche Eherecht d. B. G., (J. Guttentag, Berlin 1896).
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Sondervermögens. Die Praxis und die Lebenshaltung der Frauen werden hierin die nöthigen Kriterien schaffen. Siehe §§ 1354 u. 1402 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (13) 3. Spruch. Gieb das Recht, das Hauswesen Deines Mannes zu leiten, nicht gegen Deinen Willen preis. Du bist verpflichtet, dem gemeinsamen Hauswesen vorzustehen, aber Du bist auch dazu berechtigt. Laß Dir dieses Recht nicht nehmen, wenn der Ehemann, etwa um dich zu ärgern, oder aus anderen nichtigen Gründen, Dich Deines Amtes entsetzen will. Solche Verkümmerungen Deines Rechtes wäre ein Missbrauch seitens des Ehemannes. Es kann darauf eine Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens begründet werden. Siehe § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (14) 4. Spruch. Im Bereiche des häuslichen Wirkungskreises (Schlüsselgewalt) bist Du berechtigt, für Rechnung Deines Mannes zu wirthschaften und ihn zu vertreten. Laß Dir dieses Recht nicht beschränken oder ausschließen, ohne das Vormundschaftsgericht darüber zur Entscheidung anzurufen. Was du in dieser Eigenschaft als Vertreterin des Mannes thust, verpflichtet ihn. Er kann Dir daher bei schlechter Wirthschaft das Recht entziehen. Wenn er aber dazu keinen oder nur einen Scheingrund hat, so brauchst Du Dir das nicht gefallen lassen, sondern kannst einen Antrag an das Vormundschaftsgericht stellen, daß die willkürliche Bestimmung des Mannes wieder aufgehoben werde. Siehe § 1357 des Bürgerlichen Gesetzbuch. (15) 5. Spruch. Deinem Berufe außer dem Hause gehe ganz ruhig nach, wenn Du das Bewusstsein hast, das Wohl der Familie dadurch zu fördern. In erster Linie suche des Mannes Einwilligung zu erlangen, wenn Du wünscht, in ein bleibendes oder vorübergehendes Anstellungsverhältnis irgend welcher Art zu treten. Verweigert er sie, fürchte Nichts. Gehe Deinen Weg; denn wenn du eine gute Sache hast, wird Dich das Vormundschaftsgericht schützen. Das kann auf zweierlei Weise geschehen. Entweder du suchst an Stelle der verweigerten Einwilligung des Mannes diejenige des Vormundschaftsgerichtes nach, oder Du thust Deine Arbeit und siehst zu, ob der Mann vom Vormundschaftsgericht die Bewilligung zu Kündigung Deiner Anstellung erhält. Du wirst bei dieser Gelegenheit auch gehört werden und kannst die Gründe für Dein Verhalten geltend machen. Liegen sie im Interesse der Familie, wird kein Gericht dem Manne das Kündigungsrecht ertheilen. Siehe § 1358 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
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(16) 6. Spruch. Suche die Zustimmung Deines Mannes zur Betreibung Deines Berufes oder Gewerbes oder zu Deinem Anstellungsverhältnisse vor Zeugen zu erlangen. Das Einspruchsrecht des Mannes bezieht sich allerdings nur auf Verpflichtungen, welche Du Dritten gegenüber in Person zu erfüllen hast, also nicht auf den Betrieb eines Berufes oder Gewerbes überhaupt. Einen selbständigen Gewerbebetrieb, bei welchem Angestellte für Dich arbeiten können, ohne dass es den Dritten auf Deine persönliche Arbeit ankommt, kann Dir der Mann nicht untersagen, es wäre denn Kraft seines ehemännlichen Entscheidungsrechtes, welchem Du Dicht nicht unterwerfen musst, wenn er es missbräuchlich ausübt. Jedenfalls bedarfst Du zum Betriebe eines solchen Gewerbes der Einwilligung des Mannes nicht147. Da aber weitaus die meisten Erwerbsarten die Einsetzung der Person des Verpflichteten voraussetzen, d. h. in der persönlichen Ausführung eines Auftrages Dritter besteht, thust Du gut, die Einwilligung des Mannes zu einem solchen vor Zeugen zu erwirken. Hat er nämlich zugestimmt und kann dies bewiesen werden, kann er nachher vom Vormundschaftsgericht die Bewilligung zu Kündigung nicht mehr verlangen. Siehe § 1358 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (17) 7. Spruch. Du brauchst die Zustimmung des Mannes oder diejenige des Vormundschaftsgerichtes zur Betreibung eines Berufes oder Gewerbes nicht, wenn Du von Deinem Manne getrennt lebst. Das Kündigungsrecht des Mannes ist in diesem Falle ausgeschlossen. Daher ist auch die ehemännliche Einwilligung nicht nöthig. Zur Betreibung eines Gewerbes mit Vermögen, welches in der Verwaltung und Nutznießung des Mannes steht, ist dagegen seine Zustimmung auch im Falle des Getrenntlebens so lange nothwendig, als die Verwaltung und Nutznießung nicht aufgehoben ist. Siehe §§ 1358, 1395, 1405, 1414 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (18) 8. Spruch. Versäume nicht, mit Deinem Verlobten einen Ehevertrag zu schließen, in welchem Ihr die Gütertrennung vereinbart und laß Deine Verwandten gewähren, wenn sie das an deiner Stelle besorgen. Wenn kein Ehevertrag gemacht worden ist, tritt das gesetzliche Güterrecht, die sogenannte Verwaltungsgemeinschaft, ein. Dieses verpflichtet Dich, Deinem Manne die Verwaltung und Nutznießung Deines Vermögens zu überlassen. Du hast dann darüber nicht mehr zu verfügen. Das kannst Du nur auf Dich nehmen, wenn Du unfähig bist, Deine eigenen Angelegenheiten zu führen. Stehst DU dagegen auf eigenen Füßen und bist Du im Stande, Dein Vermögen selbst zu verwalten, so ist es für Deine Stellung als Ehefrau und Mutter weit besser, Du behaltest Dein Vermö147 Die Ausnahme mit Bezug auf eingebrachtes Gut siehe Spruch 21.
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gen in eigener Hand. Das kannst Du bei der Gütertrennung. Der Ehevertrag muß vor dem Notar oder dem Gericht geschlossen werden. Siehe §§ 1363 u. ff. 1426 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (19) 9. Spruch. Du bist berechtigt, jeder Zeit nach dem Eheabschluß einen Ehevertrag mit Deinem Manne abzuschließen. Es dürfte freilich in der Regel schwer sein, dem Mann nachträglich noch, wenn das Vermögen der Frau schon übergeben worden ist, zur Gütertrennung zu bewegen. Wurde ein Vertrag nämlich nicht vor der Ehe abgeschlossen, so tritt die Verwaltungsgemeinschaft ohne Weiteres durch die eheliche Verbindung selbst ein. Es lege sich daher jede Mutter vor der Verheirathung ihrer Tochter die Frage vor: Ist meine Tochter verständig genug, ihr Vermögen selbst zu verwalten? Wenn ja, ist es Pflicht der Eltern, den Verlobten ihrer Tochter zur Eingehung des Gütertrennungsvertrages zu veranlassen. Siehe §§ 1363 u. ff. u. 1432 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (20) 10. Spruch. Kannst Du oder willst Du die Gütertrennung nicht vereinbaren, so mache einen Ehevertrag, in dem Du Dir eine Theil Deines Vermögens vorbehältst. Dieser Theil, Vorbehaltsgut genannt, bleibt dann in Deiner Verwaltung und die Einkünfte davon gehören Dir, nicht dem Manne, d. h. nicht er, sondern Du selbst hast davon den Nutzen zu genießen. Der übrige, nicht vorbehaltene Theil, das sogenannte „eingebrachte“ Gut wird behandelt, wie wenn kein Ehevertrag gemacht worden wäre. Dieses also geht in die Verwaltung und Nutznießung des Mannes über. Aber auf diese Weise der Theilung Deines Vermögens in Vorbehaltsgut und Eingebrachtes ist Dir wenigstens nicht jede Verfügungsgewalt darüber genommen. Siehe §§ 1368, 1371, 1426, 1432 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (21) 11. Spruch. Schließe keinen Ehevertrag über Allgemeine Gütergemeinschaft. Die Allgemeine Gütergemeinschaft tritt nur ein, wenn sie vertraglich vereinbart wurde. Durch einen solchen Vertrag wird das Vermögen beider Ehegatten gemeinschaftliches Gut (Gesamtgut). Dies geht in die Verwaltung des Mannes über. Er kann darüber ziemlich unbeschränkt verfügen. Alle Schulden, die er macht, belasten auch den Vermögenstheil der Frau. In Folge dessen ist dieses System für die begüterte Frau ungünstiger als irgend ein anderes. Nur in einem Falle dient es ihrem Interesse: wenn sie vermögenslos ist. Dann erwirbt sie durch die Gütergemeinschaft Eigenthum an der Hälfte oder einem Theil (je nach Vereinbarung) des Vermögens ihres Mannes. Aber um diesen Zweck zu erreichen, kann ihr der Ehemann bei Lebzeiten oder auf den Todesfall hin einen Vermögenstheil zuwenden,
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durch Schenkung oder testamentarische Verfügung. Will dagegen die begüterte Ehefrau den vermögenslosen Mann in den Mitgenuß ihres Vermögens setzten, so kann sie das unter der Gütertrennung ebenfalls auf dem Wege der Schenkung oder des Darlehens. Jedenfalls soll die Allgemeine Gütergemeinschaft nie ohne Berathung mit einem Rechtskundigen eingegangen werden. Siehe §§ 1437 u. ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (22) 12. Spruch. Achte darauf, dass der Ehevertrag, welchen Du abgeschlossen, in das Güterrechtsregister des Amtsgerichtes eingetragen wird. Unterbleibt die Eintragung, so kann ein Gläubiger Deines Mannes auf die Nutznießung Deines Vermögens auch dann greifen, wenn Du Gütertrennung vereinbart hast. Er muß annehmen, Du lebest mit Deinem Manne unter dem gesetzlichen Güterrecht der Verwaltungsgemeinschaft, da im Güterrechtsregister kein Eintrag steht. Dieses ist dazu da, dass Jedermann davon Einsicht nehme könne. Wenn sich Dein Mann weigern solle, die Eintragung vornehmen zu lassen, etwa weil es ihn reut, Dir die Verfügung über Dein Vermögen überlassen zu haben, so kannst Du die Eintragung ohne seine Zustimmung durch einfachen Antrag an den Registerführer bewirken, indem Du den abgeschlossenen Ehevertrag vorlegst. Siehe §§ 1435, 1558, 1561, 1563 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (23) 13. Spruch. Lebst Du mit Deinem Manne in Gütertrennung, willst ihm aber einen Theil oder das ganze Vermögen zum Geschäftsbetriebe oder zu anderen Zwecken überlassen, thue dies nur in der Form des Darlehens. Laß dir den Empfang bescheinigen und die Zeit und Art der Rückzahlung sowie die Zinsverpflichtung schriftlich versprechen, genau so, wie wenn Du einem Anderen ein Darlehen machen würdest, sonst wird angenommen, Du habest in Abänderung des Ehevertrages Deinen Mann zum Verwalter bestellt und er kann die Einkünfte nach freiem Ermessen verwenden. Dann stehen Dir aber alle Schutzmaßregeln, welche dem gesetzlichen Güterrecht beigegeben sind, nicht zu Gebote. Du befindest Dich in einem solchen Falle in einer viel schwierigeren Situation etwaigen Missbräuchen Deines Mannes gegenüber als unter dem gesetzlichen Güterrecht. Darum darfst Du Dich nicht zu unbedachten Schritten verleiten lassen.148
148 [Anmerkung: Nach ihrem 13. Spruch verweist Kempin ausnahmsweise nicht auf
BGB-Normen.]
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(24) 14. Spruch. Behalte den Beitrag, welchen Du unter der Gütertrennung Deinem Manne und die Lasten der Ehe geben musst, in Deiner Hand zurück, wenn er für Deinen und Diener Kinder Unterhalt nicht genügend sorgt. Unter jedem Güterrecht hat der Mann die Kosten des ehelichen Aufwandes zu tragen. Du musst ihm jedoch dabei helfen. Beim gesetzlichen Güterrecht geschieht die dadurch, dass er den Nutzen aus Deinem Vermögen hat, bei der Gütertrennung musst Du ihm einen Beitrag leisten. Grundsätzlich bist Du verpflichtet, ihm denselben zu übergeben, wenn er aber seiner Verpflichtung, für die Familie zu sorgen, nicht genügend nachkommt, steht Dir das Recht der Selbsthilfe zu, indem Du den Betrag zurückbehalten kannst. Siehe §§ 1427 u. 1428 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (25) 15. Spruch. Gieb Deine Absicht deutlich kund, wenn Du von Deinem Manne Ersatz für das erwartest, was Du aus Deinem Vermögen zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes. Du lebst z.B. mit Deinem Mann in Gütertrennung. Du giebst ihm einen angemessenen Beitrag, trotzdem aber ist er außer Stande, die Familie zu erhalten. In Folge dessen machst Du einen Capitaleingriff in Dein Vermögen und verwendest das Geld für die Haushaltung. Wenn Du drüber nichts bestimmst, Dir die Rückerstattung vom Manne nicht ausbedingt, so wird angenommen, Du habest darauf verzichtet. Siehe § 1429 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (26) 16. Spruch. Was Du durch Deine Arbeit erwirbst, bleibt in jedem Fall in Deiner Hand, Dein Mann hat daran weder Verwaltung noch Nutznießung. Sei es, dass Du beim Betriebe eines selbstständigen Gewerbegeschäftes oder in Ausübung eines Berufes oder als Angestellte etwas erwirbst: in allen Fällen wird dies Vorbehaltsgut, auch wenn kein Ehevertrag gemacht worden ist. Zu den Lasten der Ehe hast Du daraus dem Manne einen Beitrag zu leisten, wenn er nicht schon aus der Nutzung Deines Vermögens einen solchen zieht. Siehe §§ 1367 u. 1371 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (27) 17. Spruch. Was Du mit Deinem Vorbehaltsgut erwirbst, sowie aller Ersatz von Gegenständen, welche zum Vorbehaltsgut gehörten, ist Deiner unbeschränkten Verwaltung und Verfügung anheim gegeben. Solcher Erwerb und Ersatz ist ebenfalls Vorbehaltsgut, und zwar ohne dass darüber ein Ehevertrag gemacht worden ist. Wenn Du daher mit Vorbehaltsgut ein Haus gekauft hast, das nach Jahr und Tag um 50 % im Werthe gestiegen ist, wird
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der Mehrerlös beim Verkaufe ebenfalls Vorbehaltsgut. Oder Du hast Deine Möbel als Vorbehaltsgut ausbedungen. Eine Feuersbrunst zerstört sie. Dein übriges Vermögen liegt in der Verwaltung des Mannes. Wenn nun neue Möbel angeschafft werden, so werden sie ebenfalls Vorbehaltsgut. Aus allem Vorbehaltsgut ist wie in Nr. 16 ausgeführt, nur dann ein Beitrag an die Haushaltung zu leisten, wenn ein solcher dem Ehemann nicht schon aus der Nutznießung des eingebrachten Gutes zukommt. Siehe §§ 1370 u. 1371 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (28) 18. Spruch. Sieh’ zu, dass Deine Vermögensgegenstücke, wenn immer möglich, auf Deinen Namen laufen. Es besteht zu Gunsten der Gläubiger Deines Mannes die Vermuthung, dass alle beweglichen Sachen, welche sich in seinem oder Euerem gemeinsamen Besitze befindet, dem Manne gehören. Wenn Du daher bei der Pfändung oder im Concurse Deines Mannes Dein Eigenthum retten willst, so musst Du von jedem einzelnen Stück, das nicht deutlich erkennbar als Dein Eigenthum erscheint, beweisen können, dass es Dir gehört, wie, wann und mit welchen Mitteln auch Du es erworben hast. Mißlingt Dir dieser Beweis, so gelten die Sachen als Eigenthum des Mannes und können von seinen Gläubigern zur Deckung seiner Schulden in Anspruch genommen werden. Siehe § 1362 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (29) 19. Spruch. Unterlasse nicht, ein Verzeichniß Deines Vermögens: Möbel, Wäsche, Silbergeschirr, Werthpapiere, ausstehende Forderungen ec. anzufertigen und das ganze Vermögen oder einzelne Theile desselben Deinem Ehemanne nicht eher aushinzugeben, bis er das Verzeichnis unterschrieben hat. Du ersparst Dir durch diese kleine Formalität eine Menge an Unannehmlichkeiten Unklarheiten und Streitigkeiten. Das Gesetz verpflichtet die Ehegatten nicht, ein derartiges Verzeichnis ihres beiderseitigen Vermögens aufzunehmen, es stellt ihnen anheim, ob sie das thun wollen. Jedenfalls sollte die Frau sich dieses Recht zu Nutze machen, gleichviel ob sie ihr Vermögen Kraft gesetzlichen Güterrechts oder aus freiem Willen dem Manne überantwortet. Siehe § 1372 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (30) 20. Spruch. Ueber Dein eingebrachtes Gut kannst Du ohne Einwilligung Deines Mannes nicht verfügen. Das Vermögen, welches der Ehemann in seiner Verwaltung und Nutznießung hat, ist Deiner Verfügungsgewalt entzogen. Wenn Du daher ohne Einwilligung Deines Mannes darüber verfügst, so ist die Wirksamkeit dieses Vertrages davon abhängig,
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ob der Ehemann den betreffenden Vertrag genehmigt. Wird die Genehmigung nicht ohne Weiteres ertheilt, so kann er von Deinem Mitcontrahenten (dem Dritten mit welchem Du den Vertrag geschlossen hast) dazu aufgefordert werden. Was Dein Ehemann vor solcher Aufforderung zu Dir über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung geäußert haben mag, ist ohne Belang. Wenn Dein Mann krank ist oder abwesend und es ist Gefahr im Verzuge, seine Einwilligung oder Genehmigung abzuwarten, so ist Dein Vertrag auch ohne seine Zustimmung gültig. Andere Ausnahmen von obiger Regel siehe Spruch 21 und den §§ 1406 u. 1407 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Siehe §§ 1395–1398, 1401, 1406 u. 1407 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (31) 21. Spruch. Beim selbstständigen Betriebe eines Erwerbsgeschäftes, dem Dein Mann zugestimmt hat ist seine Zustimmung zu den damit zusammenhängenden Verträgen und Prozessen nicht erforderlich. Wie im 6. Spruch ausgeführt ist, brauchst Du die ehemännliche Einwilligung zum selbständigen Gewerbebetrieb überhaupt nicht. Aber da davon, selbst wenn Du das Geschäft mit Vorbehaltsgut betreibst, Sachen oder Rechte betroffen werden können, welche zum eingebrachten Gut gehören, so ist mit Bezug auf diese des Mannes Zustimmung unentbehrlich. Wenn nun feststeht, dass er die Einwilligung zum Geschäftsbetrieb im Allgemeinen gegeben hat, ist darin die Zustimmung zu jeder einzelnen Rechtshandlung innerhalb solchen Betriebes inbegriffen. Als Einwilligung des Mannes gilt auch, wenn das Geschäft mit seinem Willen ohne Einsprüche seinerseits betrieben wird. Siehe §§ 1405 u. 1414 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (32) 22. Spruch. Die Verwaltungsgemeinschaft thut Deiner Geschäftsfähigkeit prinzipiell keinen Abbruch. Alle Deine Rechtsgeschäfte sind gültig, sofern durch sie nicht über eingebrachtes Gut verfügt wird. Du bist in der Geschäftsfähigkeit unter der Verwaltungsgemeinschaft grundsätzlich ebenso unbeschränkt, wie bei der Gütertrennung. Du kannst alle Arten Verträge rechtsgültig eingehen, besonders Dich zu einer Leistung (einem Thun oder Unterlassen) verpflichten, Prozesse selbstständig führen ec., soweit nur das eingebrachte Gut davon nicht betroffen wird. Siehe §§ 1399 u. 1400 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (33) 23. Spruch. Ohne Deine Zustimmung darf Dein Mann über Dein eingebrachtes Gut nur ausnahmsweise verfügen.
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Diese Ausnahme besteht in der Hauptsache in der ehemännlichen Verfügung über Geld und andere verbrauchbare Sachen. Unter verbrauchbaren Sachen sind solche gemeint, welche ihrer Natur nach zum Verbrauchen: Nahrungsmittel, Wäsche ec. sowie solche, welche zum Veräußern, zum Umsatz, bestimmt sind, wie z. B. Banknoten und andere Inhaberpapiere. Sieh §§ 1375 u. 1376 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (34) 24. Spruch. Die Speculation Deines Mannes mit Werthpapieren aus Deine Vermögen, welche auf der Börse zum Umsatz gelangen, brauchst Du Dir nicht gefallen lassen. Der Mann ist verpflichtet, die Verfügungen, zu welchen er ohne Deine Zustimmung berechtigt ist, nur zum Zwecke der ordnungsgemäßen Verwaltung des eingebrachten Gutes vorzunehmen. Speculationen an der Börse gehören ganz sicher nicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung. Merkst Du davon etwas, so gebrauche die in Spruch 30 und 31 angegebenen Schutzmittel. Siehe § 1377 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (35) 25. Spruch. Lege Dein Vermögen in guten Werthpapieren an, welche auf Deinen Namen laufen, bevor Du es Deinem Manne zur Verwaltung übergiebst. Da er über Geld und andere verbrauchbare Sachen, also auch Inhaberpapiere, ohne Deine Zustimmung verfügen kann, ist es besser, Du tauschest solche Vermögenswerthe an nicht verbrauchbaren ein. Allerdings muß der Mann das vorhandene Geld wie Mündelgeld sicher anlegen, allein Du hast ja darüber Nichts zu bestimmen. Ueber Namenactien dagegen, Schuldverschreibungen ec. kann er nicht ohne Deine Zustimmung verfügen. Zur Kündigung derartiger Geldanlagen ist ebenfalls Deine Einwilligung erforderlich, Ueber die Art der Wiederanlage jedoch bestimmt Dein Ehemann als Nutznießungsberechtigter, wie jeder andere Nießbraucher. Siehe §§ 1077, 1079, 1376 u. 1377 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (36) 26. Spruch. Versage Deine Zustimmung zu Rechtsgeschäften Deines Mannes, welche er zur ordnungsgemäßen Verwaltung Deines Vermögens eingehen muß, nur, wenn Dir gute Gründe zu Gebote stehen. Deine Zustimmung kann, sofern sie grundlos verweigert wird, einfach vom Vormundschaftsgericht ersetzt werden. Es ist daher höchst unklug, Deinen Mann zu einem derartigen Antrag an das Gericht zu zwingen. Hast Du ihn aber schwerwiegende Gründe für Deine Weigerung, so halte ruhig daran fest. Siehe § 1379 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
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(37) 27. Spruch. Sieh’ zu, dass Dein Mann die Nutznießung an Deinem eingebrachten Gut zu den Zwecken der Haushaltung und zu Bestreitung des Unterhalts der Familie verwendet. Die Nutznießung des Mannes an Deinem Vermögen hat lediglich den Zweck, ihm die Kosten der Haushaltung tragen zu helfen. Deshalb kannst Du verlangen, dass die Erträgnisse Deines Vermögens in erster Linie für die Haushaltung verwendet werden. Welche persönlichen Verpflichtungen der Mann auch haben mag, zuerst hat er für Dich und die Kinder zu sorgen. Siehe §§ 1389 u. 1427 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (38) 28. Spruch. Verlange von Deinem Manne alle Jahre Auskunft über den Stand Deines Vermögens. Das Gesetz verpflichtet den Mann, dir auf Verlangen Auskunft zu geben. Gewöhne ihn daran, dass Du dieses Verlangen alljährlich stellst und er wie bei einer Associetät am Ende des Jahres über das anvertraute Gut Rechnung zu geben hat. Darin liegt kein Misstrauensvotum, sondern für beide Theile eine heilsame Maßregel. Du lernst dadurch, Dich um Dein eigenes Vermögen etwas zu kümmern und der Mann wird dadurch veranlasst, Dich bei wichtigen Vermögensverfügungen zu Rathe zu ziehen, auch wo das Gesetz ihm das nicht vorschreibt. So wird er vorsichtiger mit dem fremden Gut, er hört auf, es wie sein eigenes zu betrachten und Du siehst klar in Dingen, von denen oft das Glück der Familie abhängt. Es liegt nichts Entwürdigendes darin, einem Mann, dem Du vertraust, Dein Vermögen zu übergeben, wohl aber darin, sich nie um sein eigenen Sachen zu bekümmern. Siehe § 1374 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (39) 29. Spruch. Auf Dein Eingebrachtes können die Gläubiger Deines Mannes nicht greifen. Von den Gläubigern Deines Mannes musst Du die Deinigen unterscheiden. Viele haben das Recht auf das eingebrachte Gut aber, nur dann, wenn der Mann zu Deinen Rechtsgeschäften zugestimmt hat, oder seine Zustimmung unnöthig war der ersetzt worden ist, wie im Spruch 20, 21 und 26 ausgeführt ist. Siehe §§ 1401, 1402, 1410–1412 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (40) 30. Spruch. Ist Dein eingebrachtes Gut in der Verwaltung des Mannes erheblich gefährdet, so hast Du das Recht, Sicherheitsleistungen dafür zu verlangen.
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Du musst freilich für ein solches Begehren Gründe vorbringen könne, also über die Verwaltung einigermaßen orientiert sein. Auch musst Du Dir klar machen, dass Dein Verlangen nach Sicherheitsleistung den Mann tief verletzen und er es unter Umständen gar nicht erfüllen kann, wenn z.B. Dein Vermögen in seinem Geschäfte angelegt ist. (Siehe über Art der Sicherheitsleistung § 232 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.) Du kannst also das Begehren vernünftiger Weise nur stellen, wenn Dir an dem guten Einvernehmen mit Deinem Gatten nichts mehr gelegen ist: wenn Du Dich von ihm trennen willst oder schon getrennt hast. Darum ist es viel richtiger, Du bringest Deinem Mann und Dich selbst nicht in diese schwierige Lage und das kannst Du, wenn Du bei Zeiten einen Ehevertrag über Gütertrennung gemacht hast. Siehe §§ 232, 1391–1393 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (41) 31. Spruch. Begehre gerichtliche Gütertrennung in folgenden Fällen: 1. Wenn Dein Vermögen gefährdet ist. 2. Wenn der Mann Dir oder den Kindern den Unterhalt nicht gewährt, und für die Zukunft keine Besserung zu erwarten ist. 3. Wenn Dein Mann entmündigt ist oder einen Pfleger wegen Abwesenheit oder körperlicher oder geistiger Gebrechen erhalten hat. In den Fällen von Ziff. 2 und 3 ist die gerichtliche Gütertrennung ein wirksames Mittel, Dir wieder zu dem Rechte zu verhelfen, das Du gedankenlos preisgegeben hast. Aber auch in den Fällen unter Ziffer 1 ist es dem Verlangen nach Sicherheitsleistung vorzuziehen. Es verletzt den Mann nicht mehr und wird ihm unter Umständen nicht schwerer als die Sicherheitsleistung, schafft aber viel klarere Verhältnisse und bei der größeren Selbstständigkeit, die Dir aus der Gütertrennung erwächst, erschwert es das nachherige Zusammenleben nicht in dem Maße, wie das Verlangen der Sicherheitsleistung. Siehe §§ 1418, 1420 u. 1426 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (42) 32. Spruch. Verwaltet Dein Mann Dein Vermögen schlecht und kannst Du oder willst Du die Gütertrennung nicht erwirken, so mache von dem Umstand Denen Mittheilung, von welchen Du Geschenke, Erbschaften oder Vermächtnisse zu erwarten hast, damit sie die Zuwendungen als Vorbehaltsgut erklären. Schenkgeber und Erblasser haben das Recht zu bestimmen, dass die Zuwendung Dir selbst verwaltet und der Nutznießung des Mannes entzogen, also Vorbehaltsgut werden soll. Diese Bestimmung ist in den Fällen besonders wohlthätig, wo sich der Ehemann erst im Laufe der Zeit als untauglicher Vermögensverwalter oder schlechter Hausvater erwiesen hat und doch nicht zu einem Ehevertrage zu bewegen ist, während Du die gerichtliche Gütertrennung nicht verlangen willst. Siehe § 1369 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
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(43) 33. Spruch. Deinen Anspruch auf Verwendung der Nutznießung zu Deinem und Deiner Kinder Unterhalt mache sofort, die übrigen erst nach Beendigung der Verwaltung und Nutznießung geltend. Die Verwaltung und Nutznießung des Mannes endigt: Durch Ehevertrag, welcher sie ausschließt, durch richterliche Entscheidung (Begehren auf Gütertrennung), durch Concurs des Mannes, durch Auflösung der Ehe. Wenn Du gegen Deinen Mann einen Anspruch hast, etwa den auf Schadensersatz, weil er ein Recht ohne Deine Zustimmung veräußert hat, so musst du damit warten, bis die Verwaltung und Nutznießung in Folge eines der 4 angeführten Verhältnisse aufgehoben ist. Hiervon giebt es indessen Ausnahmen, wovon die wichtigste die, dass die Unterhaltspflicht des Mannes sofort, schon vor Beendigung der Verwaltung und Nutznießung erzwungen werden kann. Siehe §§ 1389, 1391 u. 1394 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (44) 34. Spruch. Hole die Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes ein, wenn Du für Deine persönlichen Angelegenheiten ein Rechtsgeschäft vornehmen musst, zu welchem Dir der Mann seine Zustimmung grundlos verweigert. Du willst z.B. eine Badereise machen oder hast fortgesetzt ärztliche Behandlung nöthig, deren Kosten in Ermangelung von Vorbehaltsgut nur mit eingebrachtem Gut bestritten werden können. Da hast Du das Recht, die verweigerte Zustimmung des Mannes durch diejenige des Vormundschaftsgerichtes ersetzen zu lassen. Siehe §§ 1402 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (45) 35. Spruch. Trennst Du Dich von Deinem Mann ohne von ihm geschieden zu sein, so verlange von ihm: 1. Herausgabe der Sachen, welche Du zur Führung eines gesonderten Haushaltes bedarfst. 2. Deinen Unterhalt in Geld. 3. Den Unterhalt für die Kinder, die Du mit Dir nimmst. Von gemeinschaftlichen Sachen, also auch den Deinigen, kann der Mann so viel zurückbehalten, als für ihn unentbehrlich ist. Wenn Du aber Deinen Hausrath als Vorbehaltsgut selbst verwaltet hast, kann der Mann keinen Anspruch darauf erheben. Der Unterhalt muß in Geld bezahlt werden und zwar drei Monate zum Voraus. Indessen kann das Gericht anordnen, dass die Unterhaltspflicht ganz oder theilweise wegfalle, wenn Du eigenes Vermögen oder eigenen Erwerb hast, der Mann dagegen mittellos ist oder kärglichen Verdienst hat. Siehe §§ 760, 1353, 1361, 1389, 1575, 1601, 1602, 1627 u. 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
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(46) 36. Spruch. Die Ehescheidungsgründe sind: Ehebruch, Trachten nach dem Leben, bösliche Verlassung, drei Jahre lang andauernde unheilbare Geisteskrankheit, schwere Verletzung der ehelichen Pflichten, unsittliches Verhalten. Durch Verzeihung verwirfst Du das Recht zur Scheidung. Die Klage muß binnen 6 Monaten seit Kenntnis des Ehescheidungsgrundes erhoben werden, sonst kann der Grund nicht mehr geltend gemacht werde. Siehe §§ 1564–1573 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (47) 37. Spruch. Aus den nämlichen Gründen, wie die Scheidungsklage, ist auch die Klage auf Trennung von Tisch und Bett zulässig. Diese Klage ist aber ein zweischneidiges Schwert, als der beklagte Ehegatte dabei mit Erfolg gänzliche Scheidung beantragen kann. Ebenso kann jeder Ehegatte auf Grund des Trennungsurtheils später die definitive Scheidung beantragen, wenn die eheliche Gemeinschaft seit Erlassung des Urtheils nicht wieder hergestellt worden ist. Bei Trennung von Tisch und Bett ist die Eingehung einer neuen Ehe unzulässig. Lebst Du mit Deinem Ehegatten nach solcher gerichtlich ausgesprochenen Trennung wieder zusammen, so tritt Gütertrennung von Gesetzeswegen ein. Siehe §§ 1575, 1576, 1586 u. 1587 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (48) 38. Spruch. Du hast das Recht, als geschiedene Ehefrau entweder den Namen Deines Mannes beizubehalten oder Deinen Familiennamen wieder anzunehmen. Bist Du an der Ehescheidung allein schuld, kann Dir der geschiedene Ehemann die Führung seines Namens untersagen. Die Wiederannahme des früheren Namens geschieht durch beglaubigte Erklärung gegenüber der Behörde. Siehe § 1577 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (49) 39. Spruch. Der für allein schuldig erklärte Mann muß Dir standesgemäßen Unterhalt gewähren, soweit Du nicht aus den Einkünften Deines Vermögens oder mit Deinem Erwerb diesen zu bestreiten im Stande bist.
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Liegt die Schuld der Scheidung allein auf Deiner Seite, so musst Du dem Manne Unterhalt insoweit gewähren, als er nicht im Stande ist, sich selbst durchzubringen. Im Uebrigen ist die Bestimmung des gegenseitigen Unterhaltsanspruches dem richterlichen Ermessen überlassen. Sie trifft natürlich in jedem einzelnen Falle verschiedene, je nach der Lebensstellung und den Verhältnissen des geschiedenen Gatten. Siehe §§ 1578–1580 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (50) 40. Spruch. Du verlierst Deinen Unterhaltsanspruch, wenn Du Dich wieder verheirathest. Hast du Unterhalt zu gewähren und verheirathest Dich wieder, so wird bei Berechnung dessen, was Du dem geschiedenen Ehemann billigerweise zu leisten hast, der Umstand in Berücksichtigung gezogen, dass Dein zweiter Mann das Recht der Nutznießung an Deinem Vermögen hat. Es werden dann also die Einkünfte welche nicht Du, sondern ein Anderer bezieht, nicht mitgerechnet. Siehe §§ 1581 u. 1604 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (51) 41. Spruch. Der Tod Deines geschiedenen Ehemannes hebt Deinen Unterhaltsanspruch nicht auf. Die Erben des Verstorbenen müssen den Unterhalt weiter leisten, aber sie sind berechtigt, die Rente bis auf die Hälfte der Einkünfte herab zu setzten, welche der Verstorbenen vor seinem Tode aus seinem Vermögen bezogen hat. Siehe § 1582 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (52) 42. Spruch. Schenkungen, welche Du Deinem Mann vor oder während der Ehe gemacht hast, kannst Du widerrufen, wenn er an der Scheidung allein Schuld trägt. Du musst das jedoch innerhalb eines Jahres von der Rechtskraft des Scheidungsurtheils an thun. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Beschenkten. Ist diese erfolgt, kannst Du auf Herausgabe der Geldrente klagen. Siehe § 1584 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (53) 43. Spruch. Die Sorge für die Person der Kinder steht nach geschiedener Ehe Dir zu, wenn Du an der Scheidung keine Schuld trägst.
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Die Sorge für die Person des Kindes umfasst das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinem Aufenthalt zu bestimmen. Der geschiedene Ehemann hat den Unterhalt für die Kinder zu gewähren und Du bist verpflichtet, je nach Vermögen und Erwerbsfähigkeit dazu beizutragen. Siehe §§ 1585, 1631 u. 1635 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (54) 44. Spruch. Wenn beide Ehegatten an der Scheidung schuldig sind, steht Dir die Sorge für die Person der Töchter ganz und diejenige für die Söhne unter sechs Jahren zu. Dies ist die grundsätzliche Zutheilung der Kinder aus geschiedener Ehe. Das Vormundschaftsgericht kann jedoch in jedem einzelnen Falle abweichende Anordnungen treffen, sofern solche im Interesse des Kindes liegen. Es kann auch früher gemachte Anordnungen aufheben, wenn es die Umstände erfordern. Zu allen Fällen hat der Ehegatte, welchem die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, das Recht, mit dem Kinde persönlich zu verkehren. Das Vormundschaftsgericht bestimmt darüber das Nähre. Siehe §§ 1655 u. 1636 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (55) 45. Spruch. Stelle beim Vormundschaftsgericht die erforderliche Anträge, wenn Dein Mann seine Vaterrechte über die gemeinsamen Kinder missbraucht oder wenn dieselben unter seiner väterlichen Autorität leiden. Das Gericht wird in einem solchen Falle je nach den Umständen die erforderlichen Maßnahmen treffen. Es kann das Kind dem Einflusse des Vaters entziehen, und dasselbe z.B. wenn die Ehegatten getrennt leben, der Mutter übergeben, es kann auf Antrag der Mutter die das Kind schädigenden Einflüsse des Vater aufheben, es kann dem Vater, welcher seiner Unterhaltspflicht nicht genügt, die Vermögensverwaltung und Nutznießung am Vermögen des Kindes entziehen, ihn zur Rechnungstellung auffordern, Sicherheit von ihm verlangen, überhaupt alles im Interesse des Kindes nöthige anordnen. Siehe §§ 1666–1673, 1676, 1678, 1680 u. 1685 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (56) 46. Spruch. Die elterliche Gewalt über Deine Kinder steht Dir zu, wenn der Vater gestorben ist. Ohne Weiteres geht nach dem Tod des Vaters die elterliche Gewalt auf Dich über. Die Bestellung einer Vormundschaft für die minderjährigen Kinder ist nicht nöthig. Dagegen kann Dir das Vormundschaftsgericht auf Deinen Wunsch nach dem Wunsch des verstorbenen Vaters oder wenn die Vermögensverwaltung sehr schwierig ist, einen Beistand an die Seite geben. Siehe §§ 1684, 1686, 1687 u. 1773 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
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(57) 47. Spruch. Die elterliche Gewalt geht auf Dich über, wenn Dein Mann entmündigt wird. Gründe für die Entmündigung sind hauptsächlich Trunksucht und Verschwendung. Der Ehemann und Vater wird durch die Entmündigung in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, erhält einen Pfleger oder Vormund und seinen Kindern gegenüber tritt dann das Verhältnis ein, welches technisch mit „Ruhen“ der elterlichen Gewalt bezeichnet wird. In allen Fällen des Ruhens der elterlichen Gewalt beim Vater: Geisteskrankheit, länger andauernde Störung der Geistesthätigkeit, Trunksucht, Verschwendung, körperliche Gebrechen, wie Taubheit, Blindheit, geht diese Gewalt auf Dich über. Dabei steht Dir jedoch die Nutznießung am Vermögen des Kindes nicht zu, ausgenommen, wenn die Ehe aufgelöst ist. Während bestehender Ehe bezieht der Vater, resp. sein Vormund oder Pfleger für ihn die Nutznießung weiter, da der Vater nach wie vor verpflichtet ist, für den Unterhalt der Familie aufzukommen. Siehe §§ 6, 107, 116, 1676, 1678, 1685, 1896 u. 1910 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (58) 48. Spruch. Die elterliche Gewalt geht auf Dich über, wenn der Vater an ihrer Ausübung längere Zeit thatsächlich verhindert ist. Auch dies ist ein Fall von „Ruhen“ der elterlichen Gewalt des Vaters. Die Thatsache muß vom Vormundschaftsgericht festgestellt werden. Es ist also Deine Sache, die Verhältnisse dem Gericht klar zu legen und die elterliche Gewalt in Anspruch zu nehmen. Siehe §§ 1677 u. 1685 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (59) 49. Spruch. Deine Meinung in Erziehungsfragen geht derjenigen des Vaters vor, wenn Du die elterliche Gewalt an seiner Stelle ausübst. In diesem Falle bist du gesetzliche Vertreterin des Kindes. Regelmäßig hat der Vater das letzte Wort in Erziehungsfragen. Du hast zwar das Recht und die Pflicht, neben und mit ihm für die Person des Kindes zu sorgen, aber bei Meinungsverschiedenheiten geht des Vaters Ansicht der Deinigen vor. Umgekehrt verhält es sich, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht und dieselbe Dir übertragen ist. Da hat er neben Dir das Recht und die Pflicht zur Sorge für die Person des Kindes. Das Vertretungsrecht und die Entscheidung dagegen kommen Dir zu. Siehe §§ 1634, 1676 u. 1698 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
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(60) 50. Spruch. Im Falle der Wiederverheirathung verlierst Du die elterliche Gewalt. Das Recht und die Pflicht für die Person des Kindes zu sorgen bleibt bestehen, aber zu Vertretung des Kindes bist Du nicht mehr berechtigt. Das Kind erhält dann einen Vormund, Als solchen kannst Du Dich mit Zustimmung Deines Mannes bestellen lassen. Siehe §§ 1683 u. 1697 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (61) 51. Spruch. Du hast das Recht, gegen den Willen Deines Mannes sein Vormund zu werden, wenn er entmündigt ist. Du erhältst dann die Verwaltung Deines Vermögens, welches er kraft gesetzlichen Güterrechts im Besitz hatte und beziehst die Nutznießungen desselben für ihn, sofern Du nicht gerichtliche Gütertrennung erwirkt hast. In der Regel ist das Amt eines Vormundes über den Ehemann für die Frau kein leichtes, indessen können Familien- und Geschäftsverhältnisse es doch wünschbar machen, dass Du Dir die Vormundschaft übertragen lässt, um die Einmischung Fremder auszuschließen. Siehe §§ 1409 u. 1900 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (62) 52. Spruch. Du kannst Dich in der Regel zum Vormund Deiner eigenen, der verwandten und fremden Kinder bestellen lassen. Vom Rechte der Vormundschaftsübernahme sind Frauen nunmehr nicht mehr ausdrücklich ausgeschlossen. Ueber ihre eigenen Kinder kann die Frau dann Vormund werden, wenn sie die elterliche Gewalt nicht ausübt, etwa wegen Wiederverheirathung oder als uneheliche Mutter. So lange Vater oder Mutter die elterliche Gewalt ausüben, ist ein Vormund unnöthig. Ausgeschlossen von der Vormundschaft über ein bestimmtes Kind sind Personen, welche der Vater oder die Mutter im Testament ausgeschlossen haben. Die Vormundschaft ist ein Ehrenamt. Die dazu Ernannten sind im Allgemeinen verpflichtet, es anzunehmen. Frauen dagegen können es ablehnen. Verheirathete Frauen bedürfen zu dessen Uebernahme die Zustimmung ihres Ehemannes. Siehe §§ 1697, 1707, 1773, 1776, 1780–1782 u. 1786 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
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Emilie Kempin: Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches, 1897
KEMPIN, Emilie: Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Grenzboten 1897, S. 54-59 Kommentar: Der grundsätzliche Untersuchungsgegenstand Kempins geht hier über das Familienrecht hinaus. Sie zieht aus der Einführung des BGB die Schlußfolgerung, mit Wegfall des gemeinrechtlichen Quellenbestandes treibe man „englischen“ Rechtsverhältnissen entgegen: dem Richter werde ein großer Spielraum gegeben, die Billigkeitsjustiz werde einen weit größeren Raum einnehmen als heute. „Mit andern Worten: das Recht giebt nur noch die Umrisse der herrschenden Grundsätze, die Sittenlehre ihren Inhalt an. So stehen wir mit der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs am Anfang einer großen Entwicklung, in der das ungeschriebne Recht den breitesten Raum einnehmen wird.“ (S. 54 f.). Die Folgen für die Rechtsanwendung werden dann anhand von Beispielen aus dem allgemeinen Personenrecht und dem Familienrecht des BGB dargelegt. So werden (S. 57) z.B. §§ 1353, 1354 BGB zur ehelichen Lebensgemeinschaft sowie zur männlichen Eheherrschaft und der Begriff des „Wesens der Ehe“ als offene Tatbestände geschildert, die je nach Sicht des Richters ganz unterschiedliche Ergebnisse zulassen (dazu näher in der Einleitung, S. 29-31; Meder, Ius non scriptum, 228, 231-233).
Das ungeschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuches Von E. Kempin (in Berlin) (54) Der Lordkanzler England hat sich kürzlich in einer Rede über das neue deutsche Handelsgesetzbuch etwas zweifelnd geäußert, Es erscheine ihm, sagte er, mindestens fraglich, ob diese Kodifikation das ganze Gebiet des deutschen Handelsrechts umfasse, und wies dabei mit einiger Befriedigung auf England, wo trotz vielfacher Anregung der Versuch zu einer erschöpfenden Zusammenfassung des Rechts noch nicht gemacht worden ist. Der Lordkanzler hat Recht und Unrecht. Sicherlich unterschätzt er die Nützlichkeit der Kodifikation, wenn er sie verwirft, weil sie niemals erschöpfend sein kann; man muß sich aber auch darüber klar werden, daß unsre modernen Gesetzbücher in der That große Partien des Rechts ungeschrieben lassen, daß sie, gerade weil man der fortschreitenden Entwicklung Raum lassen will, die Kasuistik möglichst vermeiden und nur die Umrisse der Rechtseinrichtungen skizziren. Man gebe sich darüber keinen Täuschungen hin: je internationaler sich unsere Beziehungen gestalten, je weiter der Gesetzgeber seine Gesichtspunkte nehmen muß, desto unfehlbarer treiben wir dem englischen Rechtszustand entgegen. Daraus folgt zweierlei: 1. Wo dem Richter, wie bei einer solchen Gesetzgebung, ein so großer Spielraum gegeben ist, muß die Bildungsstufe der Richter ungleich höher sein als da, wo es sich um die Anwendung fest gefügter, scharf umgrenzter Rechtssache handelt. Hier kommt der Richter mit bloß formal juristischem Wissen nicht mehr aus, er muß allgemeiner, namentlich auch volkswirtschaftlich und philosophisch gebildet sein. Mit dem Wegfall des Gemeinen Rechts wird ja auch das ganze Hilfsmaterial des Corpus iuris mehr oder weniger außer Betracht kommen, 2. Die Billigkeitsjustiz wird einen weit größern Raum einnehmen als heute, wo die Sondergesetzgebung vielfach die Rechtsbestimmungen bis ins einzelste ausgearbeitet hat. Die „Imponderabilien“ der guten oder
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schlechten Absicht, des Wollens gegenüber der Erscheinung müssen zu würdigen versucht und in die Jurisprudenz eingeführt werden. Mit andern Worten: das Recht giebt nur noch die Umrisse der herrschenden Grundsätze, die Sittenlehre ihren Inhalt an. So stehen wir mit der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs am Anfang (55) einer großen Entwicklung, in der das ungeschriebne Recht den breitesten Raum einnehmen wird. Auf Schritt und Tritt legt es Fragen nahe, die der Text des Gesetzes nicht beantwortet. Es wird also zunächst auf die frühere Gerichtspraxis zurückgegriffen werden müssen, die „Entscheidungen“ werden bei uns in kürzester Zeit eine ebenso große Rolle spielen, wie die „Reports“ in England, und diese Bedeutung wird immer mehr zunehmen, je mehr die Kulturentwicklung eine Anlehnung an das Alte unmöglich macht und eine Neugestaltung des Bestehenden erfordert. Zur Erläuterung des Gesagten greife ich willkürlich die ersten zehn Paragraphen des bürgerlichen Gesetzbuchs heraus. Die Schlüsse auf die übrigen 2375 werden sich dann von selbst ergeben. Gleich der erste Paragraph: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt“ stellt uns vor die Frage, die die alten Römer ausführlich beantwortet hatten: Wann ist die Geburt vollendet? Die Motive sprechen sich darüber folgendermaßen aus: „Der lebend Geborene ist rechtsfähig, das Erfordernis der lebend Geborenseins fehlt, wenn das Kind nach der Geburt keine Äußerung der Lebensthätigkeit zeigt.“ Aber damit sind die Merkmale für die Annahme des lebend Geborenseins noch nicht gegeben. Wenn also der Beweispflichtige die Thatsache beweisen muß, so wird es bei dem Richter oder dem ärztlichen Sachverständigen stehen, ob der Beweis als gelungen bezeichnet werden kann. Daß hierin, wie in jeder Frage, wo ärztliche Gutachten die Grundlage bilden, die verschiedensten Ansichten herrschen können, liegt auf der Hand. Ein Minderjähriger, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, kann durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts nach § 3 für volljährig erklärt werden, wozu § 5 hinzufügt: „Die Volljährigkeitserklärung soll nur erfolgen, wenn sie das Beste des Minderjährigen befördert.“ Es ist also durchaus in das Belieben des Vormundschaftsgerichts gestellt, die Volljährigkeitserklärung auszusprechen; wann und unter welchen Umständen, wird von der Ansicht des Richters abhängen, was er für das Beste des Mündels hält. Einen relativeren Begriff kann es aber gar nicht geben. Dasselbe gilt von § 6, der die Rechtsgründe zur Entmündigung einer Person angiebt. Wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht führen kann, wer durch Verschwendung sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt, wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, oder sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt, oder die Sicherheit andrer gefährdet, kann entmündigt werden. Es ist also wieder Sache des Richters, zu entscheiden, ob jemand seine Angelegenheiten wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche nicht besorgen könne; hier sind ihm also gleichzeitig die schwierigsten Fragen vorgelegt, deren Beantwortung niemals allgemein gültig sein kann. Die Ausführungen der Motive geben einen Begriff davon, „Voraussetzung dieser Entmündigung, sagen sie, (56) ist, daß eine Person des Vernunftgebrauchs beraubt ist. Das Strafgesetzbuch bezeichnet die Geisteszustände, die die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit aufheben, als Zustände von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit, durch die die freie Willensbestimmung ausgeschlossen wird. Für die Bestimmung der Vorbedingung der Entmündigung ist diese Ausdrucksweise nicht verwendbar.
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Das Strafgesetzbuch hat vorzugsweise die in der Vergangenheit liegende Zeit der That ins Auge zu fassen und namentlich auch die vorübergehenden Umstände, die die Geistesthätigkeit beeinträchtigen, zu berücksichtigen. Die Entmündigung ist für die Zukunft und für eine gewisse Dauer berechnet; Zustände, die in vorübergehenden Verhältnissen ihren Grund haben, kommen nicht in Betracht. Von einer nähern Bezeichnung der sogenannten Geisteskrankheiten ist abgesehen, vermieden insbesondre die Einteilung in Raserei, Wahnsinn und Blödsinn. Jeder Versuch einer derartigen Scheidung ist bedenklich und zwecklos; bedenklich, weil nach dem Stande der Seelenheilkunde die einzelnen Formen der Geistesstörungen weder erschöpfend aufgezählt, noch ihre Stadien untereinander abgegrenzt werden können; zwecklos, weil weder die Verschiedenheit der äußern Anzeichen, noch der Umstand, ob die Störung vorzugsweise die eine oder die andre Seite der Geistesthätigkeit ergreift, für die an einen solchen Zustand zu knüpfenden rechtlichen Folgen von maßgebender Bedeutung sein kann.“ Noch schwieriger wird für den Richter die Sache, wenn er entscheiden muß, ob jemand seine Familie durch seine Verschwendung oder Trunksucht der Gefahr des Notstandes aussetze. Der eine wird diese Gefahr als vorhanden ansehen, wo sie der andre noch in weiter Ferne sieht. Die Motive geben ihm nur negative Anhaltepunkte, wenn sie sagen: „Nicht jeder, den man im gemeinen Leben mit dem Namen eines Verschwenders belegt, soll Gefahr laufen, wegen Verschwendung entmündigt zu werden. Es genügt nicht, daß eine Person einen übermäßigen, zu ihrem Vermögen in erheblichem Mißverhältnis stehenden Aufwand macht. Worauf es ankommt, ist, daß die Person einen Hang zur zweck- und nutzlosen Vermögensverschleuderung hat, der die Besorgnis begründet erscheinen läßt, daß sie durch ihr entsprechend an den Tag gelegtes Verhalten sich und ihre Familie dem Notstande preisgiebt. Unerheblich ist, ob das die wirtschaftliche Existenz bedrohende Gebahren in unmäßigem Geldausgeben, unbesonnenem Schuldenmachen, in unverantwortlicher Geschäftsführung oder Vernachlässigung der Wirtschaft besteht. Erforderlich ist auch nicht, daß die Person Vermögen besitzt, selbst der mittellose Schuldenmacher kann entmündigt werden. Ebenso wenig ist erforderlich, daß bereits ein bedeutender Teil vorhandnen Vermögens durchgebracht sei. Fruchtlose Besserungsversuche, die erfahrungsgemäß in der Regel nur dazu führen, daß die Entmündigung erst in einer Zeit erfolgt, wo sie wenig mehr nützt, bilden gleichfalls keine Vorbedingung.“ (57) Die vielen Gerichtsentscheidungen darüber, wann ein Wohnsitz begründet sei, sind bekannt. Das bürgerliche Gesetzbuch stützt sich auf sie, indem es in § 7 bestimmt: „Wer sich an einem Orte ständig niederläßt, begründet dort seinen Wohnsitz.“ Wie verschieden der Begriff „ständig“ aufgefaßt werden kann, was alles darunter verstanden werden kann, lehrt die bisherige Gerichtspraxis. Nicht bestimmter ist Absatz 3 desselben Paragraphen: „Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.“ Über die Frage: War dieser Wille vorhanden oder nicht? zerbrechen sich die Psychologen bekanntlich die Köpfe, folglich kann das für das Aufgeben eines Wohnsitzes doch nur ein sehr unbestimmtes Kennzeichen sein. § 10, der über den Wohnsitz der Ehefrau handelt, breitet gleich einen ganzen Rattenkönig von Fragen vor uns aus. Die Ehefrau teilt den Wohnsitz des Mannes, sie teilt ihn aber nicht, wenn der Mann an einem Orte wohnt, wohin ihm die Frau nicht folgt und nicht zu folgen verpflichtet ist. Wann folgt sie ihm nicht, und wann
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ist sie dazu nicht verpflichtet? Die §§ 1353 und 1354 scheinen darüber das Nähere zu bestimmen. Darnach ist ein Ehegatte nicht verpflichtet, die eheliche Gemeinschaft herzustellen, „wenn sich das Verlangen des andern als Mißbrauch seines Rechts darstellt,“ oder wenn Gründe vorliegen, die zur Scheidung berechtigen. Dasselbe gilt mit Bezug auf die Pflicht der Frau, „dem Manne an Wohnort und Wohnung zu folgen.“ Wir haben also zuerst zu entscheiden: Liegt ein Mißbrauch des ehemännlichen Rechtes vor? Wann ist dieser Mißbrauch anzunehmen? Welches sind die Verhältnisse, die sein Entscheidungsrecht als mißbräuchlich erscheinen lassen? Und dann die andre, noch schwierigere Frage: Wann ist die Ehefrau berechtigt, auf Scheidung zu klagen? Das Gesetzbuch sagt das ja ausdrücklich in den §§ 1564 u. flg. Die Ehescheidungsgründe lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, mit einer Ausnahme, der des § 1568. Das ist aber gerade der, der in den meisten Fällen zur Scheidung führen wird, und der all den übrigen Paragraphen über die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Ehegatten mit Bezug auf ihre Person erst den nötigen Sinn giebt. Oder was nützten die Bestimmungen, daß unter Umständen sich eine Ehefrau der Entscheidung ihres Mannes nicht zu fügen brauche, daß der Ehemann der Frau Unterhalt zu gewähren habe, und dergleichen mehr, wenn im Falle der Verletzung solcher Pflichten nicht ein Rechtsmittel gegeben wäre, das dem Ehegatte die Auflösung der Ehe bei fortgesetztem rechtswidrigem Verhalten ermöglichte? Deshalb hat das bürgerliche Gesetzbuch mit Fug und Recht den Kautschukparagraphen 1568 aufgestellt, der bestimmt, daß ein Ehegatte auf Scheidung klagen kann, wenn der andre durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflicht oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet (58) werden kann. Wir fragen: Welches sind die durch die Ehe begründeten Pflichten? Die §§ 1353 u. flg. begnügen sich, nur einige davon zu nennen; im allgemeinen liegen alle in dem einen Satz ausgedrückt: „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet.“ Darunter ist alles das zu verstehen, was zwei Menschen verschiednen Geschlechts im Hinblick auf die Zwecke der Ehe einander zu leisten haben, Begriffe, die ganz von der Anschauung dessen, der sie anzuwenden hat, abhängen, und die in keiner Weise fest zu umgrenzen sind. Das bürgerliche Gesetzbuch hat von der Spezialisierung der ehelichen Rechte und Pflichten abgesehen, weil dadurch der sittliche Inhalt der Ehe doch nicht erschöpfend bezeichnet und das richtige Verständnis und die richtige Begrenzung der einzelnen Pflichten nur durch ein Zurückgehen auf den allgemeinen Grundsatz gewonnen werden kann. So betonen die Motive, die Ehegatten seien zu einer solchen Lebensgemeinschaft berechtigt und verpflichtet, wie sie dem Wesen der Ehe entspricht, und wie sie sich unter Berücksichtigung des Wesens der Ehe nach den obwaltenden Umständen für Ehegatten gebührt und mit der rechten ehelichen Gesinnung vereinbar ist. Damit ist der Zirkel geschlossen, aber die Frage: Welches ist diese Gesinnung? was gebührt sich für Ehegatten? was entspricht dem Wesen der Ehe? werden nicht beantwortet. Eine weitere Frage ist: Was heißt schwere Verletzung der Pflichten? Bei dem einen Ehepaar wird die Verletzung schwer, bei dem andern dieselbe Verletzung sehr leicht ins Gewicht fallen. Ist der Richter da hinlänglich Psycholog, um zu unterscheiden, wann die Verletzung als schwer anzusehen ist? Ein objektives Kennzeichen giebt es auch hier wieder nicht. Ferner: Was ist ehrloses oder unsittliches Verhalten? Innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsschicht mag ein Mensch
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ziemlich genau angeben können, was ein Teil seiner Mitmenschen als ehrloses, oder unsittliches Verhalten bezeichnet; kommt er aber zu einer andern Gruppe von Zeitgenossen, so werden diese ganz andre Maßstäbe anlegen. Wo ist der Richter, der hier das Rechte findet? Sein Urteil wird rein persönlich sein müssen, und wir werden in kurzer Zeit eine Unzahl von Entscheidungen haben, die die einen für, die andern gegen sich anwenden können. Aber alle diese Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe sind ja nur gegeben, wenn sie derart sind, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann, also auch hier wieder: Wann ist das der Fall? Der eine Ehegatte kann mehr, der andre weniger vertragen, und was noch wichtiger ist: der Richter muß von seinem Standpunkt aus beurteilen, ob er die Zumutung der Fortsetzung der Ehe an einen Ehegatten stellen will oder nicht. Eine Art von Erklärung, was unter Verletzung der Pflichten zu verstehe sei, giebt der Schlußsatz des § 1568, d. h. es ist eigentlich mehr ein Beispiel, wenn gesagt wird: „Als schwere Verletzung der Pflichten gilt, auch grobe Mißhandlung.“ Ja was ist denn grobe Mißhandlung? Eine feinfühlende Frau wird sich nicht gefallen lassen, daß sie ihr Mann schlägt, (59) sie erblickt darin ganz sicher grobe Mißhandlung; eine gröber angelegte Person sieht vielleicht in der Ohrfeige, die ihr der Mann hin und wieder erteilt, nichts Verletzendes, jedenfalls keine Mißhandlung. Aber wie ist es dem Richter möglich, das Zartgefühl der Klägerinnen richtig zu beurteilen? Er müßte ihr ganzes Leben, nicht nur ihre Bildung, sondern namentlich auch ihr Empfindungsleben kennen, um einen einigermaßen richtigen Maßstab zu finden. Es kommt hier auch durchaus nicht bloß auf die soziale Stellung oder die äußere Bildung an. Die rein formale Behandlung der heutigen Ehescheidungsprozesse läßt nicht darauf schließen, daß der Richter in Zukunft solche psychologische Rätsel zu lösen versuchen werde, wenn er nicht von der Wichtigkeit der hier aufgeworfenen Fragen vollständig durchdrungen ist. Erst wenn sie alle genügend und richtig beantwortet sind, können wir endlich auf die zurückgehen, von der wir ausgegangen sind: Wann teilt eine Ehefrau den Wohnsitz ihres Mannes? Mit alledem soll das bürgerliche Gesetzbuch in keiner Weise angegriffen oder herabgesetzt werden. Um eine allen Landesteilen entsprechende Einheit des Rechts zu schaffen, war es gewiß richtiger, Grundsätze aufzustellen und Spezialisirung möglichst zu vermeiden. Aber die Anerkennung dieses Verfahrens darf uns nicht abhalten, seine Folgerungen in jeder Richtung zu ziehen, und wir dürfen uns nicht dem Wahne hingeben, als ob nun in der neuen Gesetzgebung das ganze weite Gebiet des Privatrechts niedergelegt sei. Im Gegenteil, je bescheidner wir in dieser Hinsicht denken, je weniger wir unsre Rechtszustände über die anscheinend ungeordneteren der englischen Rechtsgebiete erheben, und je größere Anforderungen wir an den Richter stellen, desto besser wird sich das neue Recht bei uns einleben, desto vollständiger wird es sich den praktischen Lebensbedürfnissen anpassen, und desto mehr werden wir uns mit dem ungeschriebnen Recht des deutschen Reiches befreunden.
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Emilie Kempin: Grenzlinien der Frauenbewegung, 1897
KEMPIN, Emilie: Grenzlinien der Frauenbewegung, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 3. Heft 1897, S. 51-77 Kommentar: Dieser Text geht auf einen Vortrag auf dem evangelisch-socialen Kongreß in Leipzig am 11. Juni 1897 zurück. In einer Fußnote des Herausgebers (S. 51) wird deutlich, daß der Vortrag „unter den extremen Frauenrechtlerinnen sehr viel Widerspruch gefunden hat“ und Kempin mittlerweile zu dem gehöre, „was ich den rechten Flügel der Frauenbewegung nennen möchte“. Kempin beginnt mit grundsätzlichen Erwägungen zur Taktik und Strategie der Frauenbewegung, zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frau, um dann zu detaillierten Erörterungen ihrer rechtlichen Stellung in unterschiedlichen Gebieten des Familienrechts und auch im öffentlichen Recht (Frauenstimmrecht) zu kommen. Seine herausragende Bedeutung gewinnt der Vortrag durch die neu entwickelte Position Kempins zum Güterrecht. Sie verfolgt nicht mehr das Ziel der vollständigen Gütertrennung, sondern entwickelt unter ergänzender Anführung eines Beispielfalles von Jastrow (Hermann Jastrow, Das Recht der Frau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, 1897) den Gedanken einer nachträglichen Errungenschaftsbeteiligung (S. 64 f.). Nach Kempin „sollte eine Bestimmung aufgenommen werden, welche der Ehefrau am Reinerwerb ihres Mannes gesetzlicherweise einen Anteil gewährt, der ganz unabhängig vom ehelichen Güterrecht und Erbrecht bei Auflösung der Ehe zahlbar werden müßte. In einer derartigen Norm läge eine Anerkennung der häuslichen Thätigkeit der Frau, von der wir für die Zukunft das Beste hoffen dürften. Weder Mann noch Frau werten die Leistungen der Frau im Hause gebührend, und vielfach sucht die Frau einen Verdienst außer dem Hause, weil sie von der wirtschaftlichen Bedeutung ihrer verwaltenden Hausfrauenthätigkeit kein Bewußtsein hat, weil auch der Mann dieselbe unterschätzt, bis er sie entbehren muß. In Parenthese gesagt: Diese wirtschaftliche Erkenntnis unseren jungen Männern und Frauen ziffernmäßig beizubringen, thäte not.“ (S. 64; dazu näher Meder, ‚Wer zahlt, befiehlt?‘). Hier ist möglicherweise erstmals ein Gedanke nachweisbar, wie er dem 1957 verabschiedeten und bis heute gültigen gesetzlichen Güterrecht der Zugewinngemeinschaft zugrunde liegt (vgl. hierzu auch Meder, Grundprobleme und Geschichte der Zugewinngemeinschaft, S. 11-26; Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen, S. 120-122).
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Grenzlinien der Frauenbewegung. Von Frau Dr. jur. E. Kempin (Berlin)149
(51) Die moderne Frauenbewegung weist heute schon in Deutschland gewisse Nuancen auf. Solche Differenzierung der führenden Geister ist meines Erachtens ein Zeichen von Gesundheit, denn nur so lange eine Kulturbewegung sich in den allgemeinsten Forderungen und im kleinsten Rahmen bewegt, ist einheitliches Wollen denkbar. In diesem Anfangsstadium war auch die deutsche Frauenbewegung machtlos. (52) Das hat sich in der jüngsten Zeit vollkommen geändert. Wer im öffentlichen Leben steht, sieht ein, daß er in dieser Frage Stellung nehmen, die Forderungen der Frau anerkennen oder sie bekämpfen müsse. Allein dieses Entweder – Oder wird vielen Frauen sogar, den Männern mit wenigen Ausnahmen schwer. Ein großer Teil derer, welche die berufensten Mitkämpfer für die Besserstellung des weiblichen Geschlechts werden könnten, halten sich fern, trotzdem ihr Gerechtigkeitsgefühl zu Gunsten vieler Postulate spricht. Andere stellen sich zwar in die Reihen der Streiterinnen, aber mit der äußersten Zaghaftigkeit gehen sie an die Arbeit und halten sich überall die Rückzugslinien offen, weil sie in vielem nicht klar sehen. Einen frischen, freien Zug findet man eigentlich nur bei den extremsten Frauenrechtlerinnen. Woher kommt das? Weil kein Mensch weiß, was die bürgerliche Frauenbewegung in ihren letzten Zielen will und wohin sie treibt. Die köstliche Reflektionslosigkeit des Draufgängertums haben wenige und gerade bei diesen können wir uns nicht Rats erholen, weil wir ihre Naivität nicht teilen. Wir sehen überall die „Wenn und Aber“ und die Konsequenzen. Trotz alledem läßt sich die Frauenbewegung nicht mehr aus der Welt schaffen. Ihren Ursachen spüre ich heute nur teilweise nach. Die Vorsitzende Ihrer Frauengruppe hat die wirtschaftlichen Quellen dieser Bewegung auf dem Kongreß vor zwei Jahren in mustergültiger Weise aufgedeckt, an uns ist es nun vornehmlich, die Grenzen zu ziehen und die Ziele aufzustecken, die wir erreichen wollen. Freilich maße ich mir nicht an, Neues zu sagen oder das Richtige zu treffen, ich kann mich auch nicht 149 [Vom Herausgeber der Zeitschrift gesetzte Fußnote:] Ich freue mich, diesen von Frau
Dr. Kempin auf dem evangelisch-socialen Kongreß in Leipzig am 11. Juni 1897 gehaltenen Vortrag im Jahrbuch zu veröffentlichen, obwohl ich mich nicht mit allen Einzelheiten desselben identifizieren möchte. Aber er enthält soviel Lebenskenntnis und feine Beobachtung, er beherrscht die große Frage im ganzen, mit so weitem Blick und so weiser Mäßigung, daß ich ihm eine ähnliche Bedeutung beimesse wie dem vor zwei Jahren in Erfurt auf dem evangelisch-socialen Kongreß gehaltenen Vortrag von Frau Dr. Gnauck-Kühne über die Frauenfrage [Anmerkung: Gnauck-Kühne, Die soziale Lage der Frau, 1895]. Daß er unter den extremen Frauenrechtlerinnen sehr viel Widerspruch gefunden hat, ist natürlich und notwendig. Die realistisch Denkenden unter ihnen werden freilich mit der Zeit einsehen lernen müssen, daß sie irgend etwas Praktisches nur erreichen, wenn sie auf einen ähnlichen Standpunkt sich stellen wie die beiden genannten um die Frauenbewegung hochverdienten Frauen, die zwar auch unter sich über wichtige Punkte nicht einig sind, aber beide zu dem gehören, was ich den rechten Flügel der Frauenbewegung nennen möchte. Er muß es dem linken Flügel derselben überlassen, radikale Träume und Utopien auszudenken und zu verteidigen, die als Idealbilder auch ihr Recht haben mögen: für das praktische Wirken aber kommen nur die in Betracht, die ebenso die Gegenwart und das Leben kennen und daher nur nach dem Möglichen streben.
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rühmen, die Ansichten der Frauengruppe zu vertreten: ich weiß nicht, wie Ihre Gruppe als solche denkt. Wenn ich meine individuelle Ansicht ausspreche, so geschieht es lediglich in der Meinung, die Diskussion anzuregen und in der Hoffnung, daß die Teilnehmer des Kongresses durch allseitige Aussprache zu einer Einheit in gewissen Punkten wenigstens gelangen werden. Die Frauenfrage ist zunächst eine Erwerbsfrage und insofern nur ein Teil der socialen Frage. Aber sie ist mehr: sie hat auch eine rechtliche und eine ethische Seite. Alle praktische Socialökonomik ruht auf der Ethik, das Recht hinwiederum ist von der letzteren wie von den wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig, ebenso werden die ethischen Anschauungen vielfach von veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen bedingt. So drehen wir uns im Zirkel. Da heißt es, einen festen Standpunkt suchen, von dem wir ausgehen können. Dieser kann ein vorwiegend philosophischer, er kann aber (53) auch ein mehr ökonomischer sein. Und da die Frauenfrage zuerst aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen herausgewachsen ist, so suchen wir den Boden für die Erörterung der Frage zunächst in den Anschauungen über die Art und Weise der wirtschaftlichen Besserstellung des Volkes überhaupt. Wir alle wollen solche Besserstellung, aber allen Parteien und Nuancierungen sind die Wege dazu verschiedene. „Wir haben,“ sagt Professor Schmoller, „seit es eine volkswirtschaftliche Litteratur von Bedeutung giebt, konservative, liberale, ultramontane und sozialistische Theorien, die den verschiedenen Standpunkten in der Staatsauffassung, in der Ethik entsprechen, sie stellen verschiedene Ideale für die wirtschaftliche Moral, für die sociale wirtschaftliche Politik auf.“ Daraus folgt, daß die Lösung der Frauenfrage ohne Stellungnahme zu dieser Hauptfrage unmöglich ist, und insofern haben die Socialdemokraten recht, wenn sie sagen: wir können mit der bürgerlichen Frauenbewegung nicht zusammengehen. Sie kommen bei ihrem Zukunftsgebäude über alle Zweifel und Bedenken, welche anläßlich der Frauenbewegung aufsteigen mögen, hinweg zu einem harmonischen Ausklang: Die Gesellschaft, die Erhalterin und Versorgerin, hat auch da die Pflicht, alle verschobenen Verhältnisse wieder gerade zu machen. Deshalb ist dies auch die einzige Parteigruppe, welche sich eine Lösung der Frauenfrage klar vorgezeichnet hat, es ist die einzige, welche ihre Forderungen konsequent zieht und zu einem befriedigenden Schlusse kommt. Aus diesem Grunde neigen viele Anhänger der Frauenfrage so leicht zur Socialdemokratie. Es ist das bestimmte Ziel, das lockt, und wir werden es erleben, daß die bürgerliche Frauenbewegung in dem Hafen der Socialdemokratie landet, wenn sie länger so planlos und schwankend dahinsteuert. Die Anzeichen dafür sind schon vorhanden. In einem Frauenblatt berichtet die bekannte Rednerin Marie Stritt über ihren Wiener Aufenthalt während der Debatte anläßlich des allgemeinen Wahlrechts in Österreich und führt dabei unter anderem aus: „Die Wiener Frauen, d. h. der allgemeine österreichische Frauenverein, hat über diese Frage am 20. Februar dieses Jahres eine Konferenz abgehalten, wobei von den verschiedensten Rednerinnen betont worden ist, die Frauenbewegung müsse und wolle von allen Parteien ganz unabhängig bleiben, sie übe indessen ein indirektes Wahlrecht aus, indem ihre Angehörigen, ihre Gatten und Väter beeinflußt werden, ihre Stimme den Kandidaten der Socialdemokratie zu geben, weil das die einzige Partei sei, die alle Forderungen der Frau in ihr Programm aufgenommen habe. Es liege nur im eigensten Interesse (54) der Frau, wenn sie für die Partei einträte, welche einzig für sie eintrete.“
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Wer also die Postulate der Socialdemokratie ablehnt, hat die Pflicht, das Nebelgewirr, welches die Frauenfrage innerhalb der bürgerlichen Parteien noch umhüllt, zu zerteilen, für sie Licht und Luft und einen festen Boden zu schaffen, und daher glaube ich: die Scheidung der Geister ist Grundbedingung für eine gesunde Entwickelung der Frauenfrage. Das Zusammengehen der verschiedenen Parteien bei ihrer Lösung ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil sie mit der Frage des ganzen wirtschaftlichen Lebens in zu innigem Zusammenhange steht. Sehen wir uns von dieser Seite aus die Frauenfrage an, so finden wir, daß das weibliche Arbeiterproletariat aus Ursachen, die Ihnen Frau Gnauck entwickelt hat, sich auf die mittleren und höheren Stände ausgedehnt hat, daß ungezählte Frauen heute nach Brot und Arbeit ausgehen müssen, teils weil sie keinen Ernährer haben, teils weil dieser selbst durch die Konkurrenz bedrückt ist. Das sieht jedermann ein: allen diesen Unversorgten sind Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen, und doch kann dabei jeder denkende Mensch sein Auge vor zwei Gefahren nicht verschließen: der Verschlechterung der Position der männlichen Arbeiter und dem Ruin des Familienlebens. In diesem Dilemma rufen die unbeschäftigten Frauen des Mittelstandes nach Arbeit, die Volkswirtschafter dagegen nach Entlastung der weiblichen Arbeiterinnen. So ist vielfach die Meinung entstanden, die Interessen der Arbeiterinnen der verschiedenen Stände seien diametral entgegengesetzt, die eine wolle mehr, die andere weniger Arbeit, als ihnen heute zugeteilt wird. Dem ist nicht so. Die oberen Stände sind nur noch nicht so weit, wie die Arbeiterstände: sie sind auf dem Arbeitsmarkte noch Neulinge und bieten ihre Kräfte auf Arbeitsgebieten an, wo die Nachfrage nach weiblicher Kraft noch geringer ist als das Angebot. Aber wo sich Angebot und Nachfrage decken, und sobald dies in allen Zweigen menschlicher Thätigkeit der Fall sein wird, werden die Frauen der höheren Stände selbst und mit ihnen der Volksfreund sich genau ebenso nach Entlastung von Erwerbsarbeit umsehen, wie dies heute schon die Arbeiterinnen der unteren Stände thun. Es ist also zunächst die Not, welche die letztere zwingt, zu erwerben und die erstere veranlaßt, nach neuen Erwerbsquellen zu suchen. Damit müssen wir rechnen und zusehen, wie den beiden Gefahren am besten zu begegnen ist. Die Konkurrenz der Frauenarbeit für die männlichen Arbeiter kann nicht vermieden werden, es geht doch gewiß nicht an, die unversorgten (55) versorgten Frauen dem Elend zu überlassen, weil im gegenteiligen Falle der Bissen für den männlichen Konkurrenten schmäler wird. Da giebt es meines Erachtens nur ein Entweder – Oder. Entweder man läßt die unversorgten Frauen leben und konkurrieren und öffnet ihnen dazu alle Wege, oder man spricht ihnen die Existenzberechtigung ab. Einen Mittelweg, etwa den: „Frauen dürfen nur gewisse Berufsarten, andere dagegen nicht ergreifen“ – giebt es nicht, weil die individuelle Begabung jedes Einzelnen in Anschlag gebracht werden muß, und man heute nicht mehr sagen kann, die eine Arbeit passe ausschließlich für das weibliche, die andere für das männliche Geschlecht. Über derartige künstliche Schranken haben uns die neueren Forschungen der Physiologie und Psychologie glücklich hinweggehoben. Es gilt auch hier das Wort: was ist, kann sein. Wir sind nur noch Sklaven der Gewohnheit, deren Ketten aber mehr und mehr von uns abfallen müssen. Wir können und dürfen für die Zukunft nur noch eine Schranke der weiblichen Berufstätigkeit anerkennen, die des individuellen Nichtkönnens. Wessen Körper oder Geisteskräfte zur Ausübung des
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erwählten Berufes nicht ausreichen, der soll ihn lassen, aber nur aus diesem und keinem anderen, etwa von der Gesamtheit diktierten Grunde150. Im übrigen wird das Leben da von (56) selbst das nötige Korrektiv schaffen, die Schwachen und Unfähigen beider Geschlechter greifen zu passenderen Beschäftigungen, die Starken gehen zusammen Schulter an Schulter. Die starken Frauen werden also die schwachen Männer verdrängen, gewiß, aber ist das für die Gesamtheit ein so großes Unglück? Zudem sind die Frauen durchschnittlich die schwächeren. Ich rede hier nicht von der körperlichen oder intellektuellen Schwäche, sondern der ökonomischen. Ihres Geschlechtes wegen, und das wird für alle Zeiten so bleiben, das wird keine Frauenemancipation und kein Gesetz aus der Welt schaffen, sind sie, im allgemeinen und für die Dauer eines Lebens berechnet, das minderwertige wirtschaftliche Element. Auf ihnen liegt die Last des Kindergebärens und der Kinderpflege; wenn sie heiraten, sind sie während eines Zeitraums von 20 Jahren konkurrenzunfähig. Die Unverehelichten aber und die Verheirateten für einen bestimmten Zeitraum vermögen ebensoviel zu leisten wie der Mann, und um da die Konkurrenz zu einem gleichmäßigen ehrlichen Kampfe zu gestalten, müssen wir für gleiche Arbeit von Mann und Frau gleiche Löhne fordern und die arbeitende Frau mit allen Mitteln in den Stand setzen, diesem Gebote nachzuleben. Hier hat
150 [Vom Herausgeber der Zeitschrift gesetzte Fußnote:] Gegen diese absolute Verwei-
sung auf die Konkurrenz und den Kampf ums Dasein habe ich die stärksten Bedenken. Es sind ähnliche, wie sie Frau Dr. Gnauck-Kühne aussprach, indem sie den Standpunkt von Frau Dr. Kempin als einen individualistisch-manchesterlichen bezeichnete. Der Glaube an die unbedingte Berechtigung der freien Konkurrenz ist in meinen Augen ein heute nicht mehr berechtigter. Gewiß müssen stets die schwächlichsten Individuen im Kampfe untergehen; aber das unbedingte Recht des Starken, den Schwachen tot zu schlagen, wie es wahrscheinlich auch Frau Dr. Kempin nicht proklamieren will, wie es aber in der Konsequenz ihrer Gedanken läge, hebt alle Sitte, alle Moral, alles Recht, allen Staat, alle Socialpolitik principiell auf. Es giebt breite Schichten schwacher und mittelstarker Personen, die geschützt, erzogen, gehoben werden müssen durch die Gesamtheit und die edleren, bessern, führenden Elemente der Gesellschaft. Soll es z.B. nicht berechtigt sein, daß das Gesetz die Frauen von der Bergwerksarbeit ausschließt? Soll eine besondere Arbeiterschutzgesetzgebung für Frauen nicht beibehalten werden? Die Arbeitsteilung zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht muß natürlich an vielen Punkten versuchsweise durch die freie Konkurrenz reguliert werden; man kann nicht überall a priori sagen: dafür paßt nur die Frau, dafür nur der Mann. Aber für weite Arbeitsgebiete hat die Erfahrung von Jahrtausenden gezeigt, daß sie besser für den Mann, für andere, daß sie besser für die Frau passen. Daher hat Sitte und Recht zu allen Zeiten hier die Konkurrenz der beiden Geschlechter ausgeschlossen. Die heutige Umbildung der Technik und der sozialen Organisation mag die Gebiete, wo wir neue Versuche mit der freien Konkurrenz der Geschlechter machen müssen, zeitweise ausdehnen. Aber das schließt nicht aus, daß wir sie in anderen Gebieten, wo sie schädlich wirkt, die Löhne drückt, die körperlichen und geistigen Eigenschaften ungünstig beeinflußt, ausschließen. Weder die Physiologie, noch die Psychologie spricht nach meiner Überzeugung dafür, daß jede Grenzziehung unmöglich sei. Und wir haben heute eine so gesteigerte atemlose Konkurrenz, sie wirkt so vielfach schädlich, daß die Losung sein muß: richtige Konkurrenzregulierung, nicht Aufrechterhaltung jeder irgendwie denkbaren Konkurrenz.
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die Frauenbewegung einzusetzen. Ich nenne nur: Organisation, Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, Errichtung von Darlehnskassen, Verabreichung von Stipendien u. s. w. Und die andere Gefahr, welche in der Berufsbethätigung der Frau liegt. Es fragt sich: 1. werden die Frauen noch heiraten können und wollen; 2. werden sie, wenn sie sich verehelichen, dem gewählten Beruf entsagen; 3. werden sie zu ihren Haushaltungs- und Mutterpflichten noch tüchtig sein? Die erste Frage ist eine müßige. Im Ernste ist die Verringerung der Anzahl der Eheschließungen nicht zu befürchten. Die Frau, welche einen Beruf oder Erwerb ausübt, bringt damit ein Kapital in die Ehe und wird also vom ökonomischen Standpunkte aus eher begehrt werden. Wenn sie selbst aber wählerischer wird, d. h. nicht mehr (57) so leicht zur Ehe schreitet, weil sie die Versorgung nicht braucht, so ist das ein Glück für sie und unser ganzes öffentliches Leben. Viel ernster erscheint mir der zweite Punkt: Wird die Frau in der Ehe ihren erwählten Beruf aufgeben wollen? Ist ihr Interesse durch die Berufsausübung nicht ein über die Schranken der Häuslichkeit hinausgehendes geworden, das sich nicht mehr eindämmen läßt? Der Fall ist keineswegs selten, daß eine Frau allen Bitten und Wünschen ihres Mannes zum Trotze ihren Beruf, in dem sie sich aufreibt, nicht aufgeben will und ihm dadurch ein verödetes Heim bereitet. Daß eine Frau im stande sei, ihren Berufspflichten und denen der Hausfrau und Mutter gleichmäßig obzuliegen, ist nämlich undenkbar. Diese Warnung der konservativen Elemente hat mehr Berechtigung, als die Anhänger der Frauenbewegung glauben. Trotzdem ich nun aber die Ausübung eines Berufes durch die verehelichte Frau unvereinbar halte mit ihren Hausfrauenpflichten, so ist das doch kein Grund, die Berufsthätigkeit den verheirateten Frauen zu verschließen. Zunächst ist es wieder die Not, welche die Ehefrau an ihrem Beruf festhalten läßt, und genau so, wie wir es bedauern, daß die verheiratete Arbeiterin gezwungen ist, ihrem Verdienste nachzugehen, müssen wir es als ein notwendiges Übel bezeichnen, wenn die Ärztin, die Lehrerin, die Juristin u. s. w. den Beruf in der Ehe fortsetzt. Im einen wie im andern Falle ist die reale Forderung stärker als alle Ideale. Wohl aber mag es eine Minderzahl von Fällen geben, in welchen die Ehefrau den Beruf nicht notgedrungen, sondern aus Laune, Bequemlichkeit, Ehrsucht und dergleichen fortsetzen will, weil sie im Hause kein Genügen, außerhalb jedoch größere Befriedigung findet. Es ist nämlich eine noch wenig bekannte Thatsache, daß es unter Umständen viel bequemer ist, in einseitiger Berufsarbeit seine Kräfte anzuspannen, als Tag für Tag die tausenderlei Geschäftchen des Haushaltes zu besorgen, oder im Kreise seiner Kinder seine Nervenstärke und Gemütsheiterkeit zu beweisen. Das ist es, weshalb viele hinausstreben: sie sind den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen, sie fühlen das und möchten sich in einer ihren Fähigkeiten besser zusagenden Weise bethätigen. Das mag ein Unglück sein für den Mann und die Kinder, aber ein Unglück an sich ist es sicher nicht. Denn wenn solche Frauen nichts anderes zu thun haben, als die Arbeit, die sie nicht bewältigen können oder an der sie kein Interesse haben, so ist es um die Erziehung der Kinder und um den Frohmut der Betreffenden selbst schlimm bestellt. Ohne Berufsarbeit sähen wir, solche Frauen in (58) den Fenstern liegend mit der Nachbarin klatschen oder in Kaffeekränzchen und Gesellschaften ihre Triumphe feiern. Die Berufsarbeit allein ist es nicht, die sie vom Hause wegzieht, sondern ihre Natur, über die sie nun einmal nicht hinauskönnen. Aber noch etwas treibt viele aus Kinderstube und Küche – die Sehnsucht nach einem unbekannten Gut. Ob dieses berechtigt ist
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oder nicht, werde ich weiterhin im letzten Teil meines Vortrags untersuchen, hier sei vorläufig nur die Thatsache konstatiert. Und endlich die dritte Frage: Werden die für einen Beruf geschulten Frauen zu den späteren Hausfrauen- und Mutterpflichten noch tüchtig sein? Auch diese Erziehungsfrage werde ich später berühren und gehe zur Besprechung der rechtlichen Stellung der Frau über. Hier ist vor allem auseinander zu halten die Stellung der Frau im bürgerlichen oder Privatrecht und diejenige im öffentlichen Recht. Jeder glaubt heute die privatrechtliche Stellung der Frau zu kennen. Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches hat weite Kreise interessiert, und die Frauenvereine haben bekanntlich für Besserstellung des weiblichen Geschlechts große Propaganda gemacht. In diesem Sturmlaufen konnte es nicht ausbleiben, daß viele Übertreibungen vorkamen, und manches Gute nicht gehörig gewürdigt oder gänzlich übersehen wurde. Ich führe diese Thatsache deshalb an, weil dadurch im großen Publikum die unrichtige Meinung entstand, die Stellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch sei in That und Wahrheit, wie die Frauen bei der Protestversammlung, am Internationalen Frauenkongreß und in Zeitschriften aller Art proklamierten, eine minderwertige. Die Wogen der Unzufriedenheit gingen deshalb in allen Kreisen hoch und es hat im Grunde Niemand mehr ein Interesse gehabt, das Wahre vom Falschen auszuscheiden und sich über die wirklichen Verhältnisse eingehend zu unterrichten. Ich gehe hier nicht auf die einzelnen Beschwerdepunkte der Frauen ein, sondern halte mich nur an diejenigen, in welchen mittelst neuer Petitionen an den Reichstag Abänderung des Bürgerlichen Gesetzbuches verlangt wird. Wer sich über die rechtliche Stellung einer Volksklasse ein Urteil bilden will, muß sich zunächst darüber klar werden, ob das Recht berufen sei, die Sitten und Gebräuche des socialen Lebens umzugestalten, oder ob die Sitte dem Recht vorgehe. Je nachdem man auf dem einen oder anderen Standpunkte steht, wird von einem Gesetzbuch Verschiedenes verlangt werden. Wenn das Recht der Sitte vorgehen soll, so werden die Gesetzgeber aus den Anzeichen der Gegenwart auf die Zukunft schließen, und die Rechtsverhältnisse ins (59) Auge zu fassen haben, welche bei völliger Entwicklung und Ausgestaltung der momentanen Zustände notwendig werden könnten. Der Gesetzgeber muß also dann ein Seher, ein Prophet für sein Vaterland werden. Aber der glücklichste Prophet kann sich täuschen, es können Verhältnisse eintreten, die seine Kombination durchkreuzen, und in kürzerer oder längerer Zeit kann der für die Zukunft vorausgeschaffene Rechtszustand den thatsächlichen Anforderungen des Lebens diametral gegenüberstehen. Ich glaube damit schon genügend angedeutet zu haben, daß eine vorsichtige Gesetzgebung auf dem zweiten Standpunkt stehen muß. Mit andern Worten, sie wird nur dasjenige kodifizieren oder als Recht erklären, was der Sitte des Tages entspricht. Das Recht geht immer dem Leben nach. Es ist das spätere, die vom Leben geschaffene Sitte das frühere. Nun geht ja allerdings auch dieses Exempel, wie viele andere, nicht ohne Rest auf. Auch das Recht kann nicht nur schon bestehende Zustände rechtlich gestalten, sondern es muß mit einem Blick auf die Zukunft gerichtet sein, so fern es nicht in kürzester Zeit überlebt sein soll. Dieses Verhältnis beider Anforderungen an eine gute Gesetzgebung kann natürlich ein verschiedenes sein. Konservativere Elemente neigen mehr zu Gunsten des Bestehenden, radikalere zu Gunsten des Künftigen, und in diesem Zwiespalt der Meinungen entstehen dann auch die Differenzen bezüglich der Ansprüche an die Gesetzgebung. Nur das ist sicher, daß ein zu wenig weniger schadet, als ein zu viel, und deshalb der Gesetzgeber,
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welcher die Entwicklung einer Sache nicht ganz klar, voraussieht, immer besser thut, sich an das Bestehende zu halten. Das gilt auch für die Forderungen der Frau. Man könnte dem Bürgerlichen Gesetzbuch mit Recht die größten Vorwürfe machen, wenn es die veränderte wirtschaftliche Stellung der Frau in der Neuzeit nicht berücksichtigt hätte, wenn es, wie die jetzige Gesetzgebung, noch auf dem Standpunkt stände, die Frau lebe ausschließlich im Hause, stehe unter der Botmäßigkeit des Mannes, und was sie erwerbe, gehöre ihm. Das ist aber keineswegs der Fall. Das neue Gesetz hat den modernen Anschauungen über die Stellung des Weibes voll und ganz Rechnung getragen dadurch, daß es die Frau in der Ehe als vollkommen geschäftsfähig erklärt, daß es ihr gegen die Entscheidungen des Mannes ein weitgehendes Einspruchsrecht zusichert, daß es sie an der elterlichen Gewalt mit teilnehmen läßt (also mit der einseitigen patria potestas aufgeräumt hat), dadurch, daß es die Frau Vormünderin über eigene und fremde Kinder werden läßt und ihr mit Bezug auf ihr Vermögen bei Mißbrauch des (60) Mannes einen Schutz gewährt, welcher das als gesetzliches Güterrecht aufgenommene System, die Verwaltungsgemeinschaft, bis zur Unkenntnis verstellt hat. Das Gesetzbuch hat dagegen nicht für die im Keime liegende Entwicklung einer größeren Selbständigkeit der Frauen vorgesorgt, indem es vor allem die von den vorgeschritteneren Frauenvereinen gewünschte Gütertrennung nicht als gesetzliches Güterrecht aufgenommen hat. Vertraglich, ja, kann dieses Güterrecht zwischen den Ehegatten vereinbart werden, aber die Frauenvereine führen dagegen ins Feld, daß der Vertrag gerade dann nicht zu erlangen sei, wenn der Bräutigam oder Ehemann es auf das Geld der Frau abgesehen habe. Zudem habe es etwas Abstoßendes, wenn die Frau durch einen Ausnahmevertrag sich ihr Recht erst schaffen müsse, es wäre viel besser, das Gesetz würde ihr dasselbe zugestehen. Diese Argumentation ist vom Standpunkt der Kämpfenden aus schlagend und durchaus richtig. Ich selbst halte die Gütertrennung für das der Selbständigkeit der Frau einzig dienliche System und glaube nicht, daß die Ehe dadurch irgendwie in ihrem sittlichen Charakter leiden würde. Auf der andern Seite aber kann ich mich, je tiefer ich ins, Leben hineinsehe, den Erwägungen der Gesetzgeber nicht verschließen, daß heute noch nicht vorausgesehen werden kann, ob diese Selbständigkeit von der Mehrzahl der Frauen gewünscht wird. Auch die jüngste Frauenbewegung giebt darüber keinen unzweifelhaften Aufschluß. Viele empfinden einen dumpfen Druck und seufzen nach Befreiung von irgend etwas, das sie nicht kennen, und glauben demnach, wenn ihnen die Gütertrennung als erlösendes Mittel geschildert wird, hier liege in der That der Punkt, an den sie sich klammern müssen. Dieser Umstand verleitet vielleicht die Führerinnen der Frauenbewegung zu einem Irrtum über das, was wirklich von den Frauen ersehnt und erwartet wird. Man hört oft die Ansicht aussprechen, wenn die Gütertrennung das gesetzliche Güterrecht wäre, so würde das die Selbständigkeit der Frau, soweit sie noch nicht vorhanden ist, rasch fördern, es würde also das Leben dem Rechte sich anpassen. Dies ist niemals der Fall. Das ist der Grund, weshalb ich in die Unzufriedenheit der Frauenrechtlerinnen bezüglich dieses Punktes nicht einstimmen kann. Die Gütertrennung ist sicher das einfachste, das klarste und absolut genommen das beste System für die selbständige Frau, sie ist aber nicht minder gefährlich, ja vielleicht gefährlicher als alle übrigen für die Willensschwäche, weil diese ihr Vermögen dem Ehemann auf (61) sein Verlangen ja doch übergiebt, und im Falle des Mißbrauchs ohne die Schutz-
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mittel dasteht, welche ihr die übrigen Systeme an die Hand geben. Freilich ist auch von diesen Schutzmitteln nicht viel zu halten, so lange es sich noch um das gute Einvernehmen der Ehegatten handelt. Sie sind samt und sonders am Platze für die Frau, welche sich von ihrem Manne faktisch oder rechtlich trennen will, ihre Anwendung macht aber ein harmonisches Zusammenleben unmöglich. Aber eben deshalb kann man sich bezüglich der Verhältnisse der Ehegatten nicht klar genug machen, daß das Recht hier nicht hilft; wo es zur Anwendung von rechtlichen Bestimmungen zwischen den Ehegatten kommt, ist die Ehe ruiniert, und deshalb glaube ich, die Frauenrechtlerinnen überschätzen die Bedeutung der von ihnen gewünschten Verbesserungen. In diesem innigen Verhältnis zweier Menschen, wie die Ehe es ist, kann das Gesetz nur gewisse Principien aufstellen, sagen, wann die Voraussetzungen für Auflösung desselben gegeben sind, alles übrige aber muß es den Einzelnen überlassen. Was nun diese Principien anbetrifft, so widerspricht es den heutigen Anschauungen keineswegs, wenn gesagt wird, der Mann verwaltet das Vermögen der Frau, sofern nicht etwas anderes zwischen den Ehegatten vereinbart wird, sofern sie dies also nicht selbst abändern wollen, er erhält die Familie und entscheidet über die Erziehung der Kinder. Deshalb kann ich mich dem zweiten Begehren der Frauenvereine, daß Vater und Mutter über ihre Kinder ganz gleiche Rechte haben und im Streitfalle das Vormundschaftsgericht entscheiden soll, nicht anschließen. Entweder käme eine diesbezügliche Bestimmung einem bloßen Buchstabengesetze gleich und würde in der Praxis gar nicht angewandt, oder die Eltern stünden wegen jeder Kleinigkeit vor dem Vormundschaftsgericht, um dieses über ihre Differenzen entscheiden zu lassen. Welche Wirkung das auf den Bestand der Ehen, namentlich aber auf die Erziehung der Kinder hätte, läßt sich leicht denken: jede väterliche oder mütterliche Autorität müßte schwinden, wenn die Kinder, wie das ja gar nicht anders sein kann, wissen oder merken, daß es über den Eltern und ihren erziehungsrechtlichen Entscheidungen noch einen höheren Richter giebt. Die Sache ließe sich bald an einigen drastischen Beispielen derartig ins Lächerliche ziehen, daß sie wohl von keinem Menschen mehr ernstlich gefordert werden würde. Ich überlasse dies aber der Phantasie der verehrten Versammlung und gehe nun noch mit einigen Worten auf das dritte Begehren der Frauenvereine hinsichtlich der Abänderung des Bürgerlichen Gesetzbuches über. Es betrifft die elterliche Gewalt (62) der unehelichen Mutter und weitergehende Ansprüche des unehelichen Kindes gegen seinen Vater. Das letztere Verlangen ist an und für sich gerechtfertigt, denn im neuen Gesetzbuch ist der Vater nur verpflichtet, sein Kind bis zum vollendeten 16. Lebensjahre zu erhalten. Es wird dem Kinde also der Unterhalt gerade dann entzogen, wenn es ihn für seine berufliche Ausbildung am nötigsten hätte. Die elterliche Gewalt der Mutter dagegen über ihr uneheliches Kind ist kein dringendes Bedürfnis, weil diejenige Frau, welche sich wirklich um ihr Kind kümmern will, sich jederzeit zu Vormündern über dasselbe ernennen lassen kann. Die Gesetzgebungskommissionen haben, nach reiflicher Überlegung, die elterliche Gewalt der unehelichen Mutter abgelehnt, weil diese oft nicht im stande ist, ihr Kind bei sich zu erziehen, oder demselben nicht einmal die oberflächlichste Sorge angedeihen lassen kann. Zudem hofften sie durch die gesetzliche Maßnahme den Vater des Kindes dadurch mehr ins Interesse zu ziehen, daß er eventuell zum Vormund desselben bestellt werden könne. Ein Gebot der Menschlichkeit oder Gerechtigkeit, wie die Petition sagt, ist also hier gewiß nicht verletzt worden.
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In Bezug auf das Entscheidungsrecht des Mannes in ehelichen Angelegenheiten verlangen die Petentinnen zwar keine Änderung des Gesetzes, weil sie sich davon nichts versprechen, aber als Unterwelle gärt die Unzufriedenheit hierüber immer noch weiter, wie z. B. aus der Petition anläßlich der Beratung des Handelsgesetzbuches hervorgeht. Gewiß mag man es bedauern, wenn eine vernünftige Frau von der Unvernunft ihres Mannes abhängig ist, gewiß kann man sagen, die Frauen sind im ganzen ebenso einsichtig und vielleicht sparsamer, nüchterner, pflichttreuer, als die Männer, und es wäre deshalb nur recht und billig, ihnen eine Selbständigkeit in der Ehe einzuräumen, die mit ihren guten Eigenschaften im Einklange steht. Allein eine Gemeinschaft von zwei oder mehr Menschen läßt sich nun einmal ohne Übergewicht des einen über den anderen nicht denken, d. h. es muß einmal jemand das letzte Wort haben, und daß es in diesem Falle der Mann und nicht die Frau ist, liegt eben in seinem wirtschaftlichen Übergewicht. Aus diesem Grunde ist er der Ernährer der Familie, deshalb ist er der Versorger der wirtschaftlich schwächeren, weil von ihren Geschlechtsfunktionen abhängigen Frau, und deshalb hat er als der verantwortliche Teil schließlich zu bestimmen, wie die Angelegenheiten seines Hauses geführt werden sollen. Eine andere Lösung dieses Problems auf dem Boden der heutigen Familieninstitutionen läßt sich schlechterdings nicht denken. (63) Wollen wir das Mutterrecht wieder einführen, soll die ganze Familie auf dem Mutterstamm aufgebaut werden, und der Vater nur zufällig hinzukommen, so wird von selbst die Frau in den Angelegenheiten ihrer Familie, wie in ihren eigenen entscheiden. Man mache sich das nur ganz klar: ein anderes giebt es nicht, entweder Vaterrecht mit dem Übergewicht dessen, der die Familie versorgt, oder Mutterrecht mit allen Konsequenzen. Soviel über die Principien. Natürlich giebt es, wie oben angedeutet, im einzelnen im Bürgerlichen Gesetzbuch eine ganze Reihe von Bestimmungen, die man gern anders formuliert oder inhaltlich geändert haben möchte. Auch sind einige, deren Aufnahme sehr willkommen wäre, vollständig übersehen worden. Aber deshalb schon vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzbuches auf Abänderung desselben anzutragen, hat keinen Sinn: denn was die Frauen in dieser Beziehung thun, könnten mit demselben Recht alle Parteien und ihre Fraktionen begehren. Auch sie haben lange nicht diejenige Befriedigung ihrer Wünsche erfahren, die sie hofften. Es hieße also das Bürgerliche Gesetzbuch an allen Ecken wieder zerzausen und die Arbeit von 20 Jahren vernichten. Wir könnten dann ganz genau wieder da anfangen, wo wir vor zwei Decennien gestanden. Gesetzt nun aber, die Frauen wären die einzigen, welche an dem Gesetzbuch rütteln, und ihre Forderungen wären wohlberechtigt, so ist es taktisch nicht klug, an einem Gesetzbuch jetzt schon Abänderungen zu treffen, bevor dasselbe in der Praxis bewiesen hat, wie es eigentlich gemeint ist und wie die Gerichte es interpretieren werden. Man hat ja, um die Kasuistik möglichst zu vermeiden, im Bürgerlichen Gesetzbuch nur ein Gerippe geschaffen, Fleisch und Blut und Leben wird es erst durch die Rechtsprechung erhalten, und da meine ich, sei es viel richtiger, wenn die Frauen die öffentliche Meinung in ihrem Sinne beeinflussen, damit später der Richter, der ja der öffentlichen Meinung Ausdruck geben muß, im Sinne der Frauenbewegungen Recht spreche.
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Im besonderen und für die Zukunft habe ich freilich drei Wünsche, welche merkwürdigerweise von den Frauenvereinen nicht aufgegriffen wurden; es sind das folgende151: Im gesetzlichen ehelichen Güterrecht hat die Ehefrau keinen Anteil an dem vom Manne (64) während der Ehe Erworbenen. Dies ist natürlich auch nicht der Fall bei der Gütertrennung. Für diese ideale und praktische Seite hat allein die Gütergemeinschaft das Nötige vorgesehen. Nun ist gerade dieses System schon bei den Kommissionen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie auch sonst in der öffentlichen Meinung in Mißkredit geraten. Gewiß mit Recht, denn die Frau ist dabei für die Schulden des Mannes mit verantwortlich und dieser Gefahr will man in der Neuzeit möglichst ausweichen. Die Gütergemeinschaft hat aber auch das Schöne, daß Mann und Frau an ihrem gegenseitigen Vermögen, also auch an ihrem Erwerbe gleichen Anteil haben, und wenn daher eine Frau wahrend der Ehe nicht selbst erwirbt, so ist sie doch durch die Gütergemeinschaft am Erworbenen des Mannes, das er vielleicht ihrer Fürsorge und wirtschaftlichen Führung zu verdanken hat, gleich berechtigt. Diese Gütergemeinschaft, sei sie allgemeiner oder nur partikularer Natur, kann nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zwar, wie jedes andere System, durch Vertrag vereinbart werden, aber wenn man aus dem einen oder anderen Grunde dies unterlassen hat und kein Testament gemacht wurde, so muß sich die Frau im Falle des Todes ihres Mannes mit einem Vierteil (wenn sie Kinder hat) abfinden lassen. Deshalb sollte eine Bestimmung aufgenommen werden, welche der Ehefrau am Reinerwerb ihres Mannes gesetzlicherweise einen Anteil gewährt, der ganz unabhängig vom ehelichen Güterrecht und Erbrecht bei Auflösung der Ehe zahlbar werden müßte. In einer derartigen Norm läge eine Anerkennung der häuslichen Thätigkeit der Frau, von der wir für die Zukunft das Beste hoffen dürften. Weder Mann noch Frau werten die Leistungen der Frau im Hause gebührend, und vielfach sucht die Frau einen Verdienst außer dem Hause, weil sie von der wirtschaftlichen Bedeutung ihrer verwaltenden Hausfrauenthätigkeit kein Bewußtsein hat, weil auch der Mann dieselbe unterschätzt, bis er sie entbehren muß. In Parenthese gesagt: Diese wirtschaftliche Erkenntnis unseren jungen Männern und Frauen ziffernmäßig beizubringen, thäte not. Die gestellte Forderung wird noch viel dringender für die Fälle, in welchen die Ehefrau im Geschäft des Mannes mitgearbeitet hat. Herr Amtsgerichtsrat Jastrow giebt in seinem jüngst erschienenen Buche „Das Recht der Frau“ folgendes typische Beispiel: „Er ist ,junger Mann‘ in einem Verkaufsladen, sie ist Directrice in einem Wäschegeschäft. Sie versteht die Fabrikation der Wäsche, er den Ein- und Verkauf. Auf die vereinbarten Fähigkeiten gründen sie den Hausstand. Er eröffnet – vielleicht mit etwas geliehenem (65) Kapital – ein Geschäft. Geschick und Fleiß werden ihres Glückes Schmiede. Mit Meisterschaft versteht es die Frau, Geschäft und Hauswirtschaft miteinander zu vereinen. Und als ihre Ehe fünf Jahre gedauert hat, da haben sie dem Geschäft eine Grundlage gegeben, bei der es nicht mehr erforderlich ist, daß die Frau noch in eigener Person der Fabrikation vorsteht. Sie darf sich ganz dem Hauswesen, den Kindern und der Erfreuung ihres Mannes widmen. Nur ihr Rat wird noch immer eingeholt, wenn etwas wichtiges vorgenommen werden soll. Und immer erweist er sich nutzbringend, immer fördernd, den Wohlstand 151 Dieser ganze Abschnitt (bis S. 66 oben) mußte auf dem Kongreß der beschränkten
Zeit halber weggelassen werden.
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mehrend. Und nach weiteren zehn Jahren sind sie reiche Leute geworden. Doch nein: nicht sie, nur er ist reich geworden. Und wenn jetzt eine Tänzerin ihm besser gefällt als eine alternde Frau – dann kann die Frau sich freilich scheiden lassen. Aber was ist ihr Los? Ein elender und ganz bedingungsweise gewährter Anspruch auf Unterhalt und auch dieser nicht einmal, wenn sie selbst einen Teil Schuld auch auf sich geladen hat. Und wie leicht kann ein vernachlässigtes Weib der Schuld in die Arme getrieben werden. Daß hier nach der Scheidung er reich ist, wie er geworden, sie arm, wie sie gewesen, das ist ein Unrecht, welches zum Himmel schreit!“ Der zweite Punkt betrifft das Anrecht der Ehefrau am Verdienst des Mannes für den Fall, daß er ihr oder den gemeinschaftlichen Abkömmlingen den Unterhalt nicht zukommen läßt. In dieser Beziehung sind die Gesetzgeber in Genf, Brüssel und anderwärts initiativ vorgegangen, so daß nach jenen Entwürfen die Frau ohne weiteres, d. h. nach einer behördlichen Bescheinigung beim Arbeitgeber ihres Mannes, je nach der Anzahl ihrer Kinder, die Hälfte oder drei Viertel seines Arbeitslohnes erheben kann. Das dritte Petitum endlich ist prozeßrechtlicher Natur. Wohl ist der Frau in allen Gesetzgebungen ein Anspruch auf Unterhalt gegen den Mann gegeben, welcher nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch während der Dauer der Ehe geltend gemacht werden kann. Dieser Prozeß kommt vor die ordentlichen Gerichte und dauert naturgemäß einige Wochen, die Vollstreckung des Urteils ebenfalls längere Zeit. Inzwischen aber ist die unversorgte Familie dem größten Elend preisgegeben. In der Civilprozeßordnung sollte meines Erachtens vorgesehen werden, daß ein Anspruch auf Unterhalt möglichst schnell, etwa in der Weise des Anspruchs aus einem Wechsel, binnen wenigen Tagen durchgeführt werden könnte. Es ist nicht einzusehen, weshalb eine (66) Forderung im Familienrecht nicht ebenso durch ein schnelles Verfahren realisiert werden kann, wie eine solche der Geschäftswelt. Im Gegenteil ist die erstere für die Volkswohlfahrt von größter Bedeutung, weil Frau und Kinder vielfach wegen Versagung des Unterhalts an die öffentliche Wohlthätigkeit verwiesen werden, und wenn dies einmal der Fall war, wird dieser erste notwendige Schritt leicht verhängnisvoll für die spätere ökonomische Selbständigkeit. Was nun die Stellung der Frau im öffentlichen Recht anbetrifft, so gehen hier die Ansichten noch viel mehr auseinander. Definitiv verlangt eine Anzahl Frauenrechtlerinnen das allgemeine Stimmrecht für die Frauen erst seit kurzer Zeit. Wir haben also auch in dieser Frage Stellung zu nehmen. Man glaubt, den Einfluß der Frau im öffentlichen Leben dadurch bedeutend heben zu können, daß ihr das Recht eingeräumt wird, an den Wahlen der Abgeordneten teilzunehmen, und so diejenigen Kandidaten in die Parlamente zu bringen, welche mit ihren Forderungen übereinstimmen. Das wäre vollkommen richtig, wenn die Frauenbewegung sich mit den Interessen des männlichen Geschlechts nicht deckte. Wir müssen aber dahin trachten, den Männern die Übereinstimmung derselben darzuthun. Die Befreiung des weiblichen Geschlechts ist mit der irgend eines Standes nicht in Analogie zu ziehen, es wurde schon allzuviel darin gefehlt, daß bei unseren Forderungen eine gewisse Gegensätzlichkeit aufkommen mußte. Fällt diese erst einmal weg, weil die Männer unsere Postulate ernstlich prüfen, so werden sie die besten Förderer unserer Sache werden. Auch kann ich das allgemeine Stimmrecht der
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Frauen nur für die Länder diskutierbar halten, welche das Referendum besitzen, wo es sich also darum handelt, über die Gesetze selbst abzustimmen. In der Repräsentativdemokratie ober der konstitutionellen Monarchie kann das Wahlrecht zunächst wenigstens mit aller Ruhe unseren Männern, Brüdern, Vätern und Freunden überlassen werden, denn man mag sagen, was man will, der Einfluß der Frauen auf ihre männlichen Angehörigen ist viel größer, als in Frauenkreisen gewöhnlich zugegeben wird. Zudem sind die Sympathien und Antipathien der Frauen in der Regel so lebhaft, daß sie schon dadurch ihr Wohlwollen oder ihre Abneigung in erheblichem Maße geltend zu machen wissen. Wenn Frauen also einen Kandidaten ablehnen, oder einen solchen ganz entschieden wünschen, so wissen sie das sicher zur Geltung zu bringen. Dazu kommt noch eins. Heutzutage ist das weibliche Geschlecht viel zu wenig mit den öffentlichen Angelegenheiten und den führenden Geistern derselben (67) bekannt, und solange dies nicht der Fall ist, würde ihre Stimmabgabe nichts anderes bedeuten, als eine Wiedergabe der Meinungen der sie umgebenden männlichen Personen. Die Zeit mag ja kommen, in welcher die Frauen als Geschlecht repräsentiert sein müssen (ich wünsche sie nicht herbei), vorläufig ist das entschieden nicht der Fall, und wenn die Frauenfrage eine gedeihliche Fortentwicklung nimmt, d. h. wenn die beiden Geschlechter miteinandergehen, so wird dies auch nie der Fall sein. Eine ganz andere Sache ist das Stimmrecht in kommunalen Angelegenheiten: Kirche, Schule, Steuerfragen und dergleichen. Da ist das Stimmrecht der Frauen, jedenfalls der selbständigen Frauen, wohl am Platze und kann als Ziel der Frauenbewegung gesetzt werden. Die Berechtigung des lokalen gegenüber dem allgemeinen Stimmrecht erklärt das schöne Wort Gneists, das er der Stadt Franzensbad zur Centennarfeier geschrieben hat: „In unserer durch Klasseninteressen und kirchliche Gegensätze zerklüfteten Zeit giebt es keine andere Versöhnung, als in dem nachbarlichen Verbande der Kommunen. In diesen engen Pflichtgenossenschaften des Staatsverbandes findet sich die Duldung, die gegenseitige Achtung und Anerkennung wieder, welche uns verloren zu gehen droht, aus den fest und dauernd verbundenen kommunal zusammengefügten Wahlkörpern gehen die lebenskräftigen Parlamente hervor, die nicht in zusammenhanglose Interessengruppen auseinanderfalten.“ Vom passiven Wahlrecht für Abgeordnetenhaus und Reichstag ist dasselbe zu sagen, wie vom aktiven. Dagegen muß die passive Wahlfähigkeit für kommunale Ämter unbedingt in das Programm der Frauenbewegung aufgenommen werden. Ich habe mich diesfalls schon verschiedentlich in Artikeln und Vorträgen ausgesprochen, so namentlich über die Wünschbarkeit weiblicher Schulvorsteher, Armenpfleger und Waisenräte. Im übrigen kann ich mich hierfür auf den letztjährigen Vortrag von Frau Lippmann beziehen. Solche Thätigkeit der Frau erheischt natürlich auch die Freiheit des Vereinsund Versammlungsrechts für sie. Diese den Frauen länger zu versagen, hat nicht den mindesten Sinn, die Frau hat ein Recht und die Pflicht, sich um die Angelegenheiten ihres Landes zu bekümmern, sie gebiert ihm die Söhne, das Glück ihrer nächsten Angehörigen, ihr eigenes, ist von der politischen Gestaltung der Verhältnisse abhängig, und da sollte sie nicht mit beraten können?
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(68) Die Anteilnahme der Frau an den übrigen öffentlichen Ämtern ist principiell ihres Geschlechts wegen nicht auszuschließen, mit andern Worten: Ihrer Berufung zu solchen soll ihr Geschlecht nicht im Wege stehen, wenn ihre Fähigkeiten zur Führung ebenso geeignet sind, als diejenigen eines Mannes. Der Fall wird vielleicht nicht häufig sein, aber es ist doch denkbar, daß eine Frau so hervorragende Befähigung zu einem bestimmten Amte aufweist, daß ihre durch ihr Geschlecht bedingte Zurücksetzung für das Gemeinwohl einen wirklichen Verlust bedeutet. Eine hierher gehörige Frage des öffentlichen Rechts ist ferner die Sittlichkeitsfrage. Es liegt mir ferne, mich daran vorbeizudrücken, aber ich halte die Fragestellung selbst noch für durchaus unklar, wie können wir da zu einer Beantwortung kommen? Das unterliegt gewiß keinem Zweifel, daß hier eine sociale Reform dringend notwendig ist, und daß diese niemand besser durchführen kann als die Frauen, weil nur die Erziehung durchgreifend helfen kann. Daran sollten wir uns vorläufig halten. Wir neigen noch allzusehr zu Intoleranz und Kleinlichkeit, als daß wir zu gesetzgeberischen Reformen auf diesem Gebiete berufen wären. Kaum haben wir angefangen, uns selbst ins Auge zu sehen und wir täuschen uns noch vielfach über unsere eigene Natur. Wie sollten wir schon im Stande sein, allgemein gültige Gesetze aufzustellen? Wir müssen in dieser Beziehung erst klarer erkennen, größer in der Auffassung und gerechter im Urteil werden, dann haben wir hier ein großes Feld der Arbeit vor uns. Wenn aber die wirtschaftlichen Zwecke von den Frauen ungehindert verfolgt werden könnten und die Gesetze ihren Wünschen vollkommen entsprechen würden, so wäre damit die Frauenfrage nicht gelöst, es bliebe, abgesehen von den persönlichen Verhältnissen der Einzelnen, im weiblichen Geschlecht als solchem ein Verlangen zurück, welches Unruhe erzeugt und nach Änderung der socialen Verhältnisse drängt. Dies ist, was ich die ethische Seite der Frauenbewegung nenne. Ich verstehe hier unter Ethik die sittlichen Normen des Handelns ohne Rücksicht auf das wirtschaftliche Bedürfnis oder den Erwerbstrieb und ohne Rücksicht auf das rechtliche Müssen. Gewiß sind die vorwiegendsten causae moventes der socialen Welt die wirtschaftlichen Bedürfnisse, aber sie sind es nicht allein. Die inneren Güter, die geistig sittlichen Potenzen, liegen nicht im Kreis der Socialökonomik, so gewaltig sie auch die wirtschaftlichen Verhältnisse (69) indirekt beeinflussen mögen. Solche Werte suchen die Frauen. Das Streben danach bringt sie in den Zustand der Unruhe, der Bewegung. Das sind mit die Ursachen der Frauenbewegung. Es handelt sich hier also um die Frage, welches sind die Triebfedern für das jetzige Wollen des weiblichen Geschlechtes, und welches die Grundlagen, aus welchen ihr Handeln hervorgehen soll. Diese Frage ist demnach, wie alle anderen, theoretischer und praktischer Natur. Als theoretisches Problem stellt sie uns die Aufgabe, die Zeichen der betreffenden Phänomene zu beschreiben und nach ihren Ursachen zu erklären, sie soll also nur feststellen, welches die Phänomene sind und weshalb sie so sind. Die praktische Seite des Problems dagegen besteht in der Beurteilung und Entscheidung, was der Wille der Frau wollen und nicht wollen darf, wir haben also nach einer obersten Norm für ihr Wollen und Handeln als Wegweiser in den einzelnen Akten ihrer praktischen Betätigung zu suchen.
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Die Erscheinungen, welche zur Erörterung der ersten Frage dienen, können vielfach nicht rein erkannt werden. Sie vermischen sich zu sehr mit denjenigen wirtschaftlicher Natur und sind namentlich in der letzten Zeit in dem aufgewirbelten Staub dem Auge des oberflächlichen Beobachters völlig entschwunden. Indes ist gerade dieses Verlangen nach rechtlicher Besserstellung eines der untrüglichsten Zeichen für das Vorhandensein anderer, als bloß wirtschaftlicher Forderungen. Denn in all dem ungestümen Verlangen nach besseren Gesetzen handelt es sich z. B. niemals um den Arbeitsverdienst der Frau: der Thatsache, daß dieser ihr nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch in der Ehe zur eigenen Verwaltung bleibt, wurde kaum Erwähnung gethan. Auch dem Streit um das eheliche Güterrecht liegt kein rein wirtschaftliches Moment zu Grunde. Gewiß, das Bedürfnis nach Verfügung über die eigenen Sachen hat die Frau in diesen Kampf ziehen lassen und unter dem Antrieb desselben verlangt sie die Gütertrennung, aber wenn wir näher zusehen, soll nur die Freiheit der Wahl zwischen Übergabe des Vermögens an den Mann und eigener Verwaltung errungen werden: aus freien Stücken und nicht aus gesetzlichem Zwang will man das eigene Vermögen dem Ehemann anvertrauen. Viel klarer liegen die Erscheinungsformen in dem Begehren nach Gleichberechtigung der Entscheidung dem Ehemann und Vater gegenüber zu Tage. Von einem wirtschaftlichen Moment ist hier keine Rede, vielmehr handelt es sich wieder um ein ideales Gut, die Freiheit des Willens gegenüber einem anderen Willen, oder besser gesagt den Wegfall der unfreiwilligen Unterordnung. Auch (70) im allgemeinen läßt sich aus dem Verhalten der Frauen, das Suchen und Tasten nach sittlich geistigen Potenzen abstrahieren. Wer jemals einer Frauenversammlung der letzten Zeit beigewohnt hat, wird erstaunt sein, bei fast allen Anwesenden eine Übereinstimmung der Meinungen zu finden, nicht etwa der Meinungen über das vielleicht eben behandelte Thema (darüber kann sich ja in einer größeren Versammlung die Mehrzahl niemals eine bestimmte Ansicht bilden), vielmehr ist es eine Übereinstimmung über etwas Unausgesprochenes, das, was man gewöhnlich mit Solidaritätsgefühl bezeichnet, ohne daß doch ein wirkliches Solidaritätsgefühl vorhanden wäre; mit einem Worte: es ist die Unzufriedenheit über den heutigen Zustand, welche alle gemeinsam verbindet. Dies zeigt sich in auffälligster Weise und zwar in allen Frauenversammlungen gleich. Wenn irgend jemand über Ungerechtigkeit klagt, die Frauen zum Proteste auffordert oder in anderer Weise zum Sturme bläst – niemals sonst ist das weibliche Publikum begeisterter und zustimmender. Sobald aber andererseits in einer Rede zur Ruhe gemahnt wird, verhalten sich die Anwesenden kalt, ja feindlich gegen den vermeintlichen Gegner des Fortschrittes. Man glaube nicht etwa, daß dies sich nur auf eine geringe Anzahl von Frauen beziehe, welche den Führerinnen der radikalen Frauenbewegung nahe stehen, ich habe diese Beobachtung wieder und immer wieder an ganz Unbeteiligten, der Sache bisher sonst Fernstehenden gemacht. Diese Thatsache ist nicht mit Stillschweigen oder verachtungsvollem Lächeln abzuthun, sie ist ernstester Prüfung wert, denn sie ist ein untrügliches Zeichen, daß in den Frauengemütern eine tiefgehende Unzufriedenheit gärt, die sich nur mangels richtiger Erkenntnis auf falsche Abhülfemittel legt. Zum Schlusse erwähne ich noch einer bedeutungsvollen Erscheinung. Es hat bekanntlich im Herbst letzten Jahres in Berlin ein internationaler Frauenkongreß stattgefunden, von welchem die einen behaupten, er sei ein ungeheurer Erfolg gewesen, die andern, er sei höchst unbedeutend verlaufen. Beides ist richtig. Die Reden, die da gehalten wurden, konnten der
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ihnen knapp zugemessenen Zeit halber nicht sehr bedeutend sein, und dennoch hatte der Kongreß einen ungeahnten Erfolg. Wer am ersten Verhandlungstage desselben die froh erregten Gesichter der Zuhörerinnen sah, fragte sich unwillkürlich, was wollen diese Frauen? Und diese Frage mußte ihm Tag für Tag und immer mehr sich aufdrängen, je stabiler die Masse blieb, je weniger die Verschiedenheit der Traktanden eine Abnahme oder Zunahme des Auditoriums bewirkte, je geduldiger dasselbe in dem heißen Räume (71) aushielt, je lebhafter das Interesse in jeder Beziehung sich bekundete. Und als am letzten von sieben langen Tagen und nach Absolvierung von fast hundert Reden alle den Schluß des Kongresses bedauerten, konnte man sich abermals fragen: was wollen diese Frauen, was wünschen, was hoffen sie, was hat sie Tag für Tag hierher geführt? Die meisten gehörten dem guten Mittelstände an, die Frage der wirtschaftlichen Selbständigkeit hatte somit die wenigsten in persönlichem Interesse dorthin gelockt. Auch die Gymnasialbildung mochten nur ganz vereinzelte für sich oder ihre Töchter gewünscht haben. Die rechtliche Besserstellung, des Frauengeschlechts? Vielleicht ja, aber diese kam erst gegen das Ende der Woche zur Besprechung. War es Neugier? Das Interesse, die fremden Delegierten zu sehen und zu hören? Ein klein wenig wohl, aber auch diese Erklärungen reichen nicht aus, weil die Neugierde des Sehens am ersten und zweiten Tage befriedigt werden konnte, und diejenige des Hörens kleiner werden mußte, je mehr sich zeigte, daß die Ausländerinnen vielfach bloße Vereinsberichte vorlasen, eigene Gedanken fast gar nicht boten. Was dem weiblichen Publikum den Kongreß und die Verhandlungen interessant machte, war die Sehnsucht nach individuellem Leben, und hier sah und hörte jede von dem Individualleben der andern, es existierte, es entrollte sich vor ihr in den Vorträgen und Berichten. Andere hatten wahr gemacht, was man sich in der Heimlichkeit seiner Seele kaum zu wünschen getraut hatte, und diese Offenbarung erfüllte Jede mit frohen, freudigen Mut. Jetzt konnten ja auch sie einmal sie selber sein und jedenfalls für die weibliche Nachkommenschaft ein schöneres, bewußteres Leben erhoffen, als sie selbst geführt hatten. O, über die Fröhlichkeit, die in solcher Erkenntnis, in dieser aufkeimenden Hoffnung in den Scharen der Frauen ihren Sitz aufschlug! Es war ein Schauspiel, das ich nie vergessen werde. Wie wenn für alle diese Frauen erst jetzt der goldene Morgen der Jugend angebrochen wäre! Fassen wir diese Erscheinungen alle zusammen und forschen wir nach ihrer Ursache, so glaube ich, sie in folgenden, suchen zu sollen. Bis anhin spann sich das Leben der Frauen durchaus nach dem socialen Princip ab, d. h. sie war als Individuum das dienende Mittel, das Organ des Socialgebildes, welches wir Familie nennen, für sie war die letztere und nur sie selbst Zweck. Solche Einseitigkeit muß notwendigerweise einmal ihr Ende erreichen, rein durchführbar ist weder die ethische Grundform, welche wir das Individualprincip nennen, noch diejenige des Socialprincips. Es kann sich nur darum handeln, ob das eine (72) oder andere mehr oder weniger in den Vordergrund tritt. Wenn aber das eine, wie bei der Lebensführung des weiblichen Geschlechts so vollständig vernachlässigt worden ist, so drängt es früher oder später um so rücksichtsloser zur Anerkennung. Wahrscheinlich ist das heutige Drängen nicht nur die Folge des Heraustretens der Frau in den Konkurrenzkampf, sondern viel eher die notwendige Konsequenz der allgemeinen Volksbildung. Die Frau verlangt nunmehr nach Entwickelung ihrer Persönlichkeit, nach Ausleben ihrer Individualität, sie will im socialen Ganzen Selbstzweck, nicht bloß
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Mittel zum Zweck werden. Darin liegt meines Erachtens der Kern der ethischen Seite der Frauenbewegung. Die praktische Lösung des Problems ist ungleich schwieriger. Wie ist es möglich zu entscheiden, welches die oberste Norm für das Wollen und Handeln des Frauengeschlechts sein soll? Wie nämlich der Entwickelung der Individualität Genüge geleistet werden soll, läßt sich natürlich nur individuell bestimmen. Ferner fragt es sich, wird die größere Anerkennung des Individualitätsprincips bei den Frauen den socialen Zwecken hinderlich sein? Sich ausleben, „Entwickeln der Persönlichkeit“ heißt: die gegebene Persönlichkeit zum möglichsten Vorteile benützen, demnach sich um die Art der Ausbildung bemühen, die ihr gerade angemessen ist, oder platt ausgedrückt, dem nachgehen, was nach der Ansicht des Einzelnen seine Zufriedenheit oder sein Glück fördert. Nun hat die Frauenwelt bisher ihr Glück ausschließlich in den menschlichen Beziehungen gesucht. Wenn diese aber fehlen, oder wenn sie unvollkommen sind, so wird uns klar, daß zu einem wahrhaft glücklichen, d. h. die Schmerzen möglichst lindernden Zustande, noch etwas nötig ist, das uns das Gefühl eines harmonischen und erhöhten Daseins geben muß. Deshalb suchen wir die Thätigkeit um der Thätigkeit, die Erkenntnis um der Erkenntnis willen, denn beide, Thätigkeit und klare Vorstellungen, entwickeltes Denken, geben uns ein Gefühl der Vollkommenheit, weil beide unsere Kraft in Anspruch nehmen. Mit jeder Entwickelungsstufe, mit der Steigerung unserer Kraft genießen wir mehr Kraftfülle des Daseins, sind somit zufriedener und glücklicher. Es ist das Genügen am eigenen Ich, das die Frauen am Horizont der Zukunft unbewußt suchen. Häufig mag dieses Sich-genügen mit der Ausübung eines Berufs oder Gewerbes zu wirtschaftlichen Zwecken zusammenfallen. Häufig findet es die Gattin und Mutter in glücklicher Ehe; aber trotzdem bleibt ein großer Rest von Unbefriedigten, Enttäuschten, Unglücklichen, Alleinstehenden, die (73) ihrem Leben einen Inhalt geben müssen. Wenn die Socialdemokratie auf diese Seite der Bestrebungen der bürgerlichen Frauenbewegung als auf müßige Spielereien herabsieht, so befindet sie sich in einem Irrtum. Die Arbeiterin hat im Grunde dasselbe Sehnen, soweit dasselbe nicht in der täglichen Arbeit befriedigt wird; es geht nur bei der Not des Lebens und ihrem Bildungsgrade entsprechend auf andere Güter als dasjenige besser situierter Frauen. Aber auch von den andern Parteien ist es gründlich verfehlt, dem Verlangen der Frauen nach harmonischer Ausbildung ihrer Persönlichkeit nicht, volles Genüge zu verschaffen; denn in der Unbefriedigtheit entsteht ein falscher Freiheitsdrang. Da müssen notwendig alle jene Extravaganzen auftauchen, welche die Gleichstellung zweier so verschieden gearteter Individuen, wie Mann und Frau es sind, verlangen; so ist es begreiflich, wie an sich ganz vernünftige Frauen der Meinung huldigen, die Rechte der Ehegatten im Verhältnis zu einander ließen sich mit Waage und Zirkel wägen und messen und mit den größtmöglichsten Rechten gegen den Mann würden sie die innere Freiheit erlangen. So ist es zu erklären, daß viele von ihnen übersehen, wie in der Ehe gleich allen übrigen Verhältnissen der intellektuell und moralisch höher stehende Teil die thatsächliche Führung des Verhältnisses hat und daß alle diesbezüglichen rechtlichen Vorschriften nur Anhaltspunkte für den Richter bedeuten, über die das Leben im einzelnen Falle kühn hinwegschreitet. Nur die völlige Nichtbeachtung eines vorhandenen entwickelungsbedürftigen Zustandes seitens der Staatsorgane konnte die Frauenbewegung in diese Bahnen lenken.
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Die oberste Norm für das Handeln der Frauen muß demgemäß derart sein, daß auf die Entwickelung ihrer Persönlichkeit Rücksicht genommen und gleichzeitig die Interessen der Familie und die in letzterer wurzelnde Stellung der Frau nicht aus den Augen verloren wird. Beides läßt sich vereinigen, wenn schon bei der Erziehung auf beides geachtet wird. Wir müssen das Leben der jungen Mädchen durch Thätigkeit und Erkenntnis bereichern, sie so erziehen, wie wenn sie niemals eine Familie gründeten und doch so, daß sie den Anforderungen, welche die Familie an sie stellt, vollkommen gewachsen sind. Zur Erreichung des letzteren Zieles schlage ich einen Weg vor, der schon oft genannt, von den staatlichen Organen aber noch nie ernstlich erwogen wurde: ein obligatorisches Dienstjahr im Hauswesen für Mädchen von 16 bis 17 Jahren aller Stände. Ein Haupterfordernis aller Charakterbildung ist, daß die jungen Menschen einmal an streng methodische Arbeit gewöhnt werden. (74) Vor und nach dieser Zeit schlösse sich dann die Berufs- und Universalbildung an. So wird es möglich sein, daß die künftigen Frauen und Mütter ihre Aufgaben kennen und zugleich für alle Fälle sich jene innere Zufriedenheit erwerben und bewahren, welche jedes tüchtige Können mit sich bringt. Aber nicht nur für Haushaltung und Beruf, sondern auch auf Befriedigung des Bildungstriebes soll die Erziehung gerichtet werden. Dazu bedarf es einer gründlichen Reorganisation des Mädchenschulwesens. Jedermann kennt dessen Schwächen, indessen können wir es auch nicht nach dem Schema der Gymnasien für Knaben ausbauen. Damit soll keineswegs den heutigen Anstrengungen nach Gymnasialbildung der Frauen entgegengetreten werden. Solche Anstalten sind in dem jetzigen Übergangsstadium von der alten zur neuen Zeit nötig, bei einer zielbewußten künftigen Reform des Mädchenschulwesens dagegen muß auf die weibliche Eigentümlichkeit ganz andere Rücksicht genommen werden. Vor allein ist dabei die Bildung weiterer Kreise ins Auge zu fassen. Es ist nicht jedermanns Sache, eine Universität zu beziehen, namentlich wenn man seine geistigen Mittel noch nicht geprüft hat, oder nicht einen wissenschaftlichen Lebensberuf ergreifen will. Dennoch giebt es zahllose Frauen, die ihre Bildung vertiefen und sich einen Fond von methodischem Wissen aneignen möchten. Andererseits muß für das 20. resp. 22. Lebensjahr als dem den Eheschließungen des weiblichen Geschlechts günstigsten Alter ein gewisser Abschluß der Studien ermöglicht werden. Ich glaube, hier würden Frauenhochschulen eine große Lücke ausfüllen, die meines Erachtens die Mittelstufe zwischen Gymnasial- und Hochschulbildung einnehmen müßten, aber in der Weise, daß die Absolvierung der Frauenhochschule für die Fortsetzung der Studien an einer der jetzt bestehenden Universitäten die nötige Grundlage bildete, und die dort abgelegten Examina den propädeutischen Prüfungen der letzteren gleichkämen, mithin angerechnet würden. Daß die Universitäten den Frauen allerorts geöffnet werden, setze ich als selbstverständlich voraus; denn der Bildungstrieb des Menschen läßt sich doch nicht eindämmen. Im Gegenteil wird er durch alle Hemmnisse genährt. Die Schweiz bietet hierfür das beste Beispiel. Die Schweizerinnen benützen bekanntlich die ihnen gewährte Freiheit, an den Universitäten zu studieren, am wenigsten, wie überhaupt die Frauenfrage dort tiefer in den Kinderschuhen steckt als anderswo, weil die schweizerischen Behörden den Bildungsbedürfnissen des weiblichen Geschlechts eher zuvorkommen, als Widerstand leisten. (75) In der vorgeschlagenen Weise könnte ein Mädchen, welches
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sich nach Abgang von der Frauenhochschule verheiratet, später, wenn sie es nötig hat, die Berufsstudien ohne Mühe fortsetzen, und tausende von Frauen, die nicht weiter studieren, hätten einen Fond von tüchtigem Wissen, der ihnen in oder außer der Ehe die reinsten Freuden erschließt. Auf Details kann ich hier nicht eingehen, namentlich auch nicht auf die Art und Weise, wie das Reifezeugnis von der Berufsstudentin erworben werden könnte. Es möge an der Andeutung genügen, daß ich es durchaus nicht für ein so großes Unglück halten könnte, wenn den Frauen eine besondere Maturität abgenommen würde. Vielleicht würde dann auch nach und nach manches schablonenhafte bei der Vorbildung der Männer wegfallen. Oder sollte wegen der anderen Abiturientenprüfung im späteren Leben etwa die wissenschaftliche Arbeit der Frau geringer taxiert werden, als diejenige der Männer? Keineswegs; denn es kommt auf die Arbeit selbst an. Im übrigen könnten wir ja die Erfahrung machen, die heute noch nicht gewonnen werden kann, daß die Frau in der Wissenschaft wirklich andere Arbeit leistet als der Mann. Vielleicht liegt ihre Stärke in anderer Richtung. Es wäre ja möglich, daß ihre psychischen Kräfte den physischen vollkommen entsprächen, sie demnach schöpferische Gedanken der Männer aufnähme, weiter ausbaute, dieselben mit ihrem weiblichen Empfinden veredelte und verfeinerte, die Nebenerscheinungen beobachtete, und so der Wahrheit mit Hülfe von Untersuchungen auf die Spur hülfe, welche die Männer unbeachtet lassen. Wenn die Frauen nur erst einmal ihre Stärke in dem ihnen eigenen Wesen statt in Nachahmung der Männer suchten, ihre Arbeit würde von der Mitwelt nicht weniger geschätzt, für sie selbst aber viel beglückender sein. Wir sind im Kampfe um unser gutes Recht auf bessere Bildung leider vielfach auf falsche Bahnen gedrängt worden. Statt frisch und fröhlich an unserem Werke zu arbeiten, mußten mir Schritt auf Schritt die tollsten Vorurteile über unser Können besiegen. So haben wenige die Sicherheit des Gefühls: mag ineine Arbeit auch anders sein als diejenige der Männer, so fülle ich mit meinen Fähigkeiten an meinem Orte meinen Platz nicht weniger gut aus, als die Männer den ihrigen. Ruhe und Sicherheit! Wer von uns Frauen hat sie? Nur diejenigen, welche in ihrem Heim das Regiment neben einem Manne führen, zu dem sie aufschauen können, und nur die ganz seltenen unverheirateten Frauen, die Bitterkeit und Resignation (76) über die Vereinsamung überwunden haben. Die andern alle tasten, suchen nach einem Halt in sich oder außer sich. Ja, auch außer ihnen. Die moderne Frau will sich selbst finden, nichtsdestoweniger erblickt sie nach wie vor ihr schönstes Glück darin, in dem Manne ihrer Wahl die Ergänzung ihres Wesens zu suchen. Aber wo sind die Männer, die uns das ermöglichen? Sind sie nicht selten geworden? und haben wir nicht alle Ursache, ihnen zuzurufen: Helft uns bei der Lösung der Frauenfrage, indem ihr vor allem die Männerfrage löst! Und endlich die überschüssigen Kräfte der Matronen! Wenn der Mann den Mittag des Lebens überschritten hat, stellt er seine Zeit gerne in den Dienst der Allgemeinheit und gelangt so zu der stillen Befriedigung, als der richtigen Vorbereitung für den herannahenden Winter. Er will nichts mehr für sich, sondern fühlt sich als Glied des Ganzen und bethätigt so seinen socialen Sinn.
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Aber die Frauen? In der Einsamkeit der Witwenschaft oder verlassen von den groß gewordenen Kindern stehen sie vollkommen thatenlos da. Ihr Arbeitsfeld ist ihnen genommen, ein neues nicht gegeben, und dennoch begehrt nun, nachdem ihr individuelles Leben zukunftslos und ihr sociales gegenstandslos geworden ist, ihre sociale Natur nach weiterer Bethätigung. Lassen wir diese Kräfte nicht brach liegen! Wir brauchen alle und jeden, die großen socialen Aufgaben der Zukunft erheischen gerade die Inanspruchnahme derjenigen Männer und Frauen, welchen die Milde, Einsicht und Weisheit des Alters zu Gebote steht. So vollendet sich der Kreislauf alles Lebens auch hier. Die Frau ist wie jedes menschliche Wesen eine Doppelnatur, sie ist einerseits ein von allen übrigen losgelöstes Individuum mit eigenem Wollen und Wünschen, andererseits ein Glied des Ganzen, dem sie sich unterzuordnen hat, dessen Interessen sie zu den ihrigen macht. Je mehr sie die sociale Seite bethätigt, desto mehr will die individuelle befriedigt sein, und je mehr sich die individuelle ausbildet, desto freudiger stellt sie dieselbe in den Dienst der Allgemeinheit. Fürchten wir deshalb den Individualismus der Frau nicht! Er führt so sicher zum Universalismus, wie die Freiheit von einem gewissen Punkte an zu Bindungen. Ich berufe mich hierfür auf den Ausspruch Wundts in seiner Ethik: „Der Mensch individualisiert sich nicht, um sich bleibend von der Gemeinschaft zu lösen, sondern um sich ihr mit reicher entwickelten Kräften zurückzugeben.“ Ich resümiere dahin: Die Grenzlinien der wirtschaftlichen (77) Seite der Frauenbewegung zieht, alle Rücksichten und Vorurteile beiseite schiebend, die Not. Die rechtlichen Grenzen sind von der Sitte und den wirtschaftlichen Zuständen gesetzt, das Recht eilt diesen nie voraus. In der ethischen Seite der Frauenbewegung aber bedingt die höchste Kultur die höchste Entwickelung der weiblichen Individualität. In dieser, der weiblichen Individualität selbst, liegen alle Grenzen, weil die hochentwickelte Frau nicht nur ihre Natur niemals verleugnet, sondern im Gegenteil die Schranken, welche ihr Geschlecht, Ehe und Mutterschaft auferlegen, selbst aufrichtet. Unser wahres Wesen daher immer besser zu erkennen und auszubauen sei die Aufgabe der Zukunft. Dahin trachte alle Erziehung, dann ist alles übrige Accidens. So ist die Frauenfrage in ihrem letzten Grunde eine Erziehungsfrage, zu deren Lösung beide Geschlechter berufen sind und bei der alle Parteien sich wieder finden.
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Emilie Kempin: Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen, 1897
KEMPIN, Emilie: Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen, in: Die Nation, Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur, 1897, Nr. 52 (25. September 1897), S. 781-784 Kommentar: Kempin, die um 1890 in New York Rechtswissenschaft gelehrt hat, untersucht die vermögensrechtliche Stellung der Frau in einer Reihe US-amerikanischer Bundesstaaten und vergleicht diese mit der Lage in Deutschland. Wieder einmal zieht sie, insofern das BGB verteidigend, den Schluß, man könne „das Deutsche Reich mit seinem bürgerlichen Gesetzbuch gerechterweise nicht als das rückständige Land und das letztere als das rückständige Werk bezeichnen, als das es vielfach verschrieen worden ist. Manches kann darin verbessert, mancher Fortschritt den thatsächlichen Bedürfnissen entsprechender redigirt
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Aber die Frauen? In der Einsamkeit der Witwenschaft oder verlassen von den groß gewordenen Kindern stehen sie vollkommen thatenlos da. Ihr Arbeitsfeld ist ihnen genommen, ein neues nicht gegeben, und dennoch begehrt nun, nachdem ihr individuelles Leben zukunftslos und ihr sociales gegenstandslos geworden ist, ihre sociale Natur nach weiterer Bethätigung. Lassen wir diese Kräfte nicht brach liegen! Wir brauchen alle und jeden, die großen socialen Aufgaben der Zukunft erheischen gerade die Inanspruchnahme derjenigen Männer und Frauen, welchen die Milde, Einsicht und Weisheit des Alters zu Gebote steht. So vollendet sich der Kreislauf alles Lebens auch hier. Die Frau ist wie jedes menschliche Wesen eine Doppelnatur, sie ist einerseits ein von allen übrigen losgelöstes Individuum mit eigenem Wollen und Wünschen, andererseits ein Glied des Ganzen, dem sie sich unterzuordnen hat, dessen Interessen sie zu den ihrigen macht. Je mehr sie die sociale Seite bethätigt, desto mehr will die individuelle befriedigt sein, und je mehr sich die individuelle ausbildet, desto freudiger stellt sie dieselbe in den Dienst der Allgemeinheit. Fürchten wir deshalb den Individualismus der Frau nicht! Er führt so sicher zum Universalismus, wie die Freiheit von einem gewissen Punkte an zu Bindungen. Ich berufe mich hierfür auf den Ausspruch Wundts in seiner Ethik: „Der Mensch individualisiert sich nicht, um sich bleibend von der Gemeinschaft zu lösen, sondern um sich ihr mit reicher entwickelten Kräften zurückzugeben.“ Ich resümiere dahin: Die Grenzlinien der wirtschaftlichen (77) Seite der Frauenbewegung zieht, alle Rücksichten und Vorurteile beiseite schiebend, die Not. Die rechtlichen Grenzen sind von der Sitte und den wirtschaftlichen Zuständen gesetzt, das Recht eilt diesen nie voraus. In der ethischen Seite der Frauenbewegung aber bedingt die höchste Kultur die höchste Entwickelung der weiblichen Individualität. In dieser, der weiblichen Individualität selbst, liegen alle Grenzen, weil die hochentwickelte Frau nicht nur ihre Natur niemals verleugnet, sondern im Gegenteil die Schranken, welche ihr Geschlecht, Ehe und Mutterschaft auferlegen, selbst aufrichtet. Unser wahres Wesen daher immer besser zu erkennen und auszubauen sei die Aufgabe der Zukunft. Dahin trachte alle Erziehung, dann ist alles übrige Accidens. So ist die Frauenfrage in ihrem letzten Grunde eine Erziehungsfrage, zu deren Lösung beide Geschlechter berufen sind und bei der alle Parteien sich wieder finden.
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Emilie Kempin: Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen, 1897
KEMPIN, Emilie: Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen, in: Die Nation, Wochenschrift für Politik, Volkswirthschaft und Litteratur, 1897, Nr. 52 (25. September 1897), S. 781-784 Kommentar: Kempin, die um 1890 in New York Rechtswissenschaft gelehrt hat, untersucht die vermögensrechtliche Stellung der Frau in einer Reihe US-amerikanischer Bundesstaaten und vergleicht diese mit der Lage in Deutschland. Wieder einmal zieht sie, insofern das BGB verteidigend, den Schluß, man könne „das Deutsche Reich mit seinem bürgerlichen Gesetzbuch gerechterweise nicht als das rückständige Land und das letztere als das rückständige Werk bezeichnen, als das es vielfach verschrieen worden ist. Manches kann darin verbessert, mancher Fortschritt den thatsächlichen Bedürfnissen entsprechender redigirt
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werden, ich leugne das nicht, aber um weiter zu bauen, bedarf es zuerst der Anerkennung des guten Fundamentes“ (S. 784).
Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen. Von Emilie Kempin.
(781) Die Vereinigten Staaten von Amerika werden von den Angehörigen fremder Nationen leicht generalisirt. Besonders der Deutsche kann sich von der Anschauung schwer frei machen, was ihm z.B. aus New York bekannt geworden, gelte im ganzen Umfang des ungeheuren Kontinents, und hat er zufällig einen Freund, der ihm irgend wann einmal von einem Brauch in Texas oder Californien erzählt hat, so legt er die mitgetheilte Sitte sämmtlichen übrigen Staaten zu. Derselbe Fehler wird bezüglich der Rechte der Frauen gemacht. Weil einige Staaten die englische Gesetzgebung angenommen haben, ist man der Ansicht, die Stellung der amerikanischen Frau sei in der ganzen Union nach diesem Muster zugeschnitten und es gilt als selbstverständlich, daß sie auf dem fortgeschrittenen Boden nirgends minderwertiger sein könne, als im früheren Mutterlande. Zu dieser Ansicht verführen auch vielfach die an einzelnen Orten den Frauen eingeräumten öffentlichen Rechte, wie z. B. das ihnen ausnahmsweise gewährte aktive und passive Wahlrecht. Trotz alledem ist sie unrichtig. Angesichts der herrschenden Unzufriedenheit der Frauenrechtlerinnen über die der deutschen Frau zugewiesene Stellung im Bürgerlichen Gesetzbuch und der in Folge dessen weitverbreiteten Meinung der gänzlichen Rückständigkeit dieser Kodifikation im Vergleich zu den amerikanischen Staaten besonders, sei es mir gestattet, die Staatengesetzgebung der amerikanischen Union einmal auf die einschlägigen Bestimmungen hin darzulegen. Zum Verständniß derselben ist daran zu erinnern, daß die Vereinigten Staaten mit Ausnahme von Louisiana, und theilweise von New Mexico, Arizona und Texas das englische gemeine Recht mit allen englischen Statuten in dem Zustand angenommen haben, in dem es sich zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung befand, d. h. mit Bezug auf die Rechte der Frauen das alte Gewohnheitsrecht, wonach Mann und Frau durch die Ehe eins werden und die Persönlichkeit der Ehefrau in derjenigen des Mannes aufgeht. Die Konsequenz dieses Satzes mit Bezug auf die vermögensrechtliche Stellung der Ehefrau ergibt sich von selbst. Wie ihre Person, so verschmolz auch ihr Besitz mit demjenigen des Mannes, der die eheliche Einheit in jeder Beziehung verkörperte. Alle seither erlassenen Statuten sind Modifikationen dieses Prinzipes und es war schon ein großer Schritt, als einzelne Staaten durch ihre Gesetzgebungsorgane das Vermögen der Ehefrau als deren ausschließliches Eigenthum erklärten. Dieser Fortschritt ist fast in sämmtlichen Staaten zu verzeichnen. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß eine Ehefrau auch selbständig über Vermögen verfügen könne. Die Auslese der Variationen in dieser Beziehung ist überaus groß und lehrreich, ich muß mich aber hier darauf beschränken, die bemerkenswerthesten Singularitäten hervorzuheben, eine Besprechung aller einschlägigen Bestimmungen würde weit über den Rahmen dieses Artikels gehen. Zur besseren Vergleichung der rechtlichen Verhältnisse hüben und drüben, d. h. der fremden mit den uns zunächst liegenden deutschen, fasse ich kurz die Rechtssätze des Bürgerlichen Gesetzbuches zusammen, welche die Stellung der Ehefrau beeinflussen. Daß die unverehelichte Frau und Wittwe privatrechtlich
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ganz gleich gestellt ist, wie die männlichen volljährigen Personen, dürfte allgemein bekannt sein. Das Bürgerliche Gesetzbuch erklärt aber auch die Ehefrau als vollkommen geschäftsfähig, mit anderen Worten: ihre sämmtlichen Verträge sind prinzipiell gültig, als ob sie unverheirathet wäre; keine Zustimmung ihres Mannes, keine richterliche Genehmigung, kein vormundschaftlicher Zwang hemmt sie, zu thun und zu lassen, was ihr beliebt, zu kaufen und zu verkaufen, zu miethen und zu vermiethen, Pfänder zu nehmen und zu geben, Bestellungen zu empfangen und zu machen, Bürgschaften einzugehen, Wechsel zu unterschreiben ec. Alle diese Verträge sind gültig. Wenn sie aber mit ihrem Manne unter dem gesetzlichen Güterrechte lebt, also keinen Ehevertrag mit ihm gemacht hat, der dieses Güterrecht ausschließt, so kann sie über ihr Vermögen nicht ohne seine Zustimmung verfügen, weil er es verwaltet und die Zinsen desselben für die Haushaltungsbedürfnisse in Anspruch nehmen darf. Praktisch gestaltet sich demnach die Sache so: Alle ihre Verträge sind an sich gültig; wenn sie solche aber mit Vermögen erfüllen will, das in der Verwaltung des Mannes steht, so kann ihr Gläubiger solches Vermögen nicht in Anspruch nehmen, sofern der Ehemann nicht zugestimmt hat. Besitzt die Frau noch anderes Vermögen, das sogenannte Sondergut, so kann sich der Gläubiger an dieses halten. Es ist also ganz unrichtig, wenn vielfach behauptet wird, die Ehefrau sei nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch nur theoretisch geschäftsfähig, in der Praxis sei sie nach wie vor eine Bevormundete. Der Mensch, welcher Juwelen verpfändet hat, darf darüber auch nicht mehr verfügen, seine übrigen Gläubiger können sich daran auch nicht halten, nichtsdestoweniger kann er nach wie vor alle Verträge rechtsgültig abschließen. (782) Die obige Meinung ist um so verkehrter, als das Bürgerliche Gesetzbuch eine ganze Reihe von Möglichkeiten eröffnet, bei denen die Ehefrau, sofern sie überhaupt etwas besitzt, nicht vermögenslos bleibt: sie kann sich durch Vertrag ihr ganzes Vermögen oder nur einen Theil vorbehalten, sie hat Eigenthum, Verwaltung und Nutznießung an ihrem Verdienst, an allem, was sie mit der Bestimmung erhält, daß es ihr Sondergut sein soll, an ihren Kleidern und Schmucksachen; und an alles das können sich ihre Gläubiger halten. Die Verträge der Ehegatten sind vollkommen frei gegeben. Es ist dazu allerdings die notarielle oder richterliche Form nöthig, aber alle Beschränkungen mit Bezug auf den Zeitpunkt der Eingehung und den Inhalt sind weggefallen. Sie können jederzeit vor oder nach Abschluß der Ehe eingegangen werden und die Prüfung ihres Inhalts durch den Richter und die Genehmigung Seitens des letzeren gehören, als mit dem freien Willen der Parteien unvereinbar, der Vergangenheit an. Dies ist nicht einmal in den Vereinigten Staaten überall der Fall. Auch dort ist der Abschluß von Eheverträgen immer da an eine bestimmte Form gebunden, wo noch eine Spur der früheren Beschränkung der Ehefrau geblieben ist. Die Gesetze aller Staaten lassen den Ehevertrag zu, aber sehr viele nur vor der Ehe; und ist er nach Abschluß der Ehe noch zulässig, so muß er in Gegenwart von Zeugen abgeschlossen und in der Grafschaftsgerichtsschreiberei eingetragen werden. Nur wenn die letztere Formalität vollzogen ist, hat der Vertrag Dritten gegenüber Gültigkeit; aber auch für die Ehegatten unter sich wird er nach Ablauf von drei Monaten hinfällig, sofern er nicht amtlich registrirt worden ist. Ich verweise in dieser Beziehung auf die Staaten Texas, Georgia, Nord-Carolina, Süd-Carolina, Kentucky, Mississippi. Mit Bezug auf ihren Inhalt sind die Verträge zwischen Ehegatten, soweit sie überhaupt zulässig sind, in der Regel in keiner Weise beschränkt; eine Ausnahme machen nur wenige Staaten zu Gunsten der Gläubiger und etwaiger
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erbrechtlicher Ansprüche der Kinder. Im Großen und Ganzen anerkennt das amerikanische Recht das Pflichttheilsrecht nicht; und Texas bildet eine Ausnahme, indem es bestimmt: „Eheverträge, welche die Erbrechte der Kinder oder diejenigen des anderen Ehegatten irgendwie beeinträchtigen, sind ungültig.“ Zum Schutze der Gläubiger bestimmt Tennessee, Eheverträge seien von den Gläubigern nur so weit zu respektiren, als der Ehefrau kein größerer Betrag darin zugesichert sei, als die Ehegatten in die Ehe gebracht haben. Die Errungenschaft ist demgemäß gemeinsames Gut, das für die während der Ehe eingegangenen Schulden beider Ehegatten haftet. Das eingebrachte Gut der Ehegatten bleibt getrennt, die Errungenschaft dagegen untersteht den Regeln der Gütergemeinschaft, also auch ausnahmslos der Verwaltung des Ehemannes. Dabei steht freilich immer in Frage, ob die Ehefrau die Verwaltung ihres eigenen Vermögens hat oder ob dieselbe, wie im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Manne zusteht. Diesbezüglich ist Folgendes zu konstatiren: Die Staaten Ohio, Georgia, sowie beide Dakotas und Texas stehen noch auf dem in Deutschland nunmehr aufgegebenen Standpunkt, wonach der Ehemann im Gesetz ebenso feierlich als geschmacklos als das „Haupt der Ehe“ erscheint. Alle Konsequenzen dieses Grundsatzes haben die genannten Staaten freilich nicht gezogen. So sind z. B. in Ohio und den Dakotas die Ehegatten vermögensrechtlich von einander unabhängig, die Präponderanz des Ehemannes zeigt sich dort nur darin, daß er den Wohnort zu wählen und die Familie zu erhalten hat. Die Frau ist sonach, wie im Bürgerlichen Gesetzbuch, wenn sie in Gütertrennung lebt, verpflichtet, die Lasten des Haushalts mit tragen zu helfen. In Georgia ist der obige Grundsatz mit allen Folgen prinzipiell aufrecht erhalten, aber vielfach durch Ausnahmebestimmungen durchbrochen worden. Die dortige Gesetzgebung spricht die alte Common-Law-Regel unverhohlen aus: die Frau ist dem Manne unterworfen und ihre bürgerliche Existenz geht in ihm auf – soweit die Statuten nichts anderes bestimmen. Die bedeutendste Abweichung von dieser überlebten Rechtsordnung gestattet das Institut der „free trader“. Unter einer ,,free trader“ ist nicht nur die Handelsfrau zu verstehen, sondern jede Frau, welche mit Zustimmung ihres Ehemannes eine eigene bürgerliche Existenz führt, welche Freiheitsbefugniß vier Wochen lang in einer Zeitung publizirt werden muß. Die „free trader“ ist berechtigt, alle Verträge einzugehen, wie wenn sie unverehelicht wäre. Aber auch ohne free trader zu sein, ist sie in Georgia mit Bezug auf ihr eingebrachtes Gut vollkommen unabhängig. Sie ist nicht verpflichtet, dem Ehemann die Verwaltung desselben zu übergeben und kann diesbezüglich frei verfügen. Diese Doppelstellung der Ehefrau findet sich auch bei vielen anderen amerikanischen Staaten, welche die Gütertrennung nicht gänzlich einführen wollten. Ich nenne vor allem den großen Kulturstaat Massachusetts. Will die Ehefrau dort ein eigenes Gewerbe betreiben, so muß dies in der Stadtschreiberei des Betriebsortes eingetragen werden, sonst wird das dabei verwendete Vermögen als Vermögen des Mannes betrachtet und er für alle abgeschlossenen Vertragsverpflichtungen haftbar. Man beabsichtigte bei solcher Gesetzgebung die Ehefrau von der vermögensrechtlichen Botmäßigkeit des Ehemannes, zu welcher sie das englische gemeine Recht verdammt hat, zu befreien und erklärte demnach ihr eingebrachtes Vermögen als ihr ausschließliches von der ehemännlichen Verwaltung und den Schulden des Ehemannes freies Eigenthum, von dem englisch rechtlichen Gedanken über die Einheit der Ehe dagegen konnte man sich nicht
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allerorts frei machen und behielt ihn für das während der Ehe erworbene Vermögen bei, freilich wieder den Arbeitsverdienst der Frau dabei ausnehmend. Somit besteht in solchen Staaten ein ähnlicher Zustand, wie er nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch durch Vertrag herbeigeführt werden kann, dadurch, daß die Ehegatten für ihr Eingebrachtes Gütertrennung, für ihre Errungenschaft dagegen Gütergemeinschaft vereinbaren; mit Bezug auf die letztere ist die Ehefrau hier wie dort in ihrer Verfügungsgewalt beschränkt, da der Ehemann das gemeinsame Gut verwaltet, und hier wie dort ist ihr Erwerb ihr gesetzliches Sondergut. Während aber dort die Ehefrau gesetzlich die Verfügung über ihr Eingebrachtes hat, muß sie sich in Deutschland dieses Recht erst vertraglich sichern. Im Uebrigen aber steht die deutsche Ehefrau besser da als ihre Mitschwestern in den citirten amerikanischen Staaten. Die Geschäftsfähigkeit der letzteren ist nicht prinzipiell, nur ausnahmsweise anerkannt, sie wird ihr gewissermaßen von Fall zu Fall als ein besonderes Privilegium verliehen, das man ihr nur mit der größten Zurückhaltung, nun den praktischen Lebens- und Verkehrsbedürfnissen gedrängt, einräumt. Das ängstliche Festhalten an der Einheit der Ehegatten und dem dadurch bedingten rechtlichen Zurücktreten der Ehefrau, findet sich in einer Anzahl von Gerichtsentscheidungen. Typisch nach dieser Richtung hin ist Michigan. Durch Statut wurde dort schon im Jahre 1855 das Common Law bezüglich der Ehegatten außer Kraft erklärt, allein heute noch stehen viele Entscheidungen auf dem Standpunkt des englischen gemeinen Rechts, wenn z. B. gerichtlich festgestellt wird: Zeit, Dienste und Löhne einer Ehefrau gehören dem Manne. Was würden die deutschen Frauenrechtlerinnen zu einem derartigen Erkenntniß sagen? Das Recht einer Ehefrau, Verträge abzuschließen, erstreckt sich auch in Michigan nicht weiter, als ihr dies statutarisch zugesichert ist. Wo die Statuten schweigen, und das ist bei dem Mangel erschöpfender Kodifikationen sehr oft der Fall, tritt das englische gemeine Recht mit seinen Beschränkungen ein. So kann z.B. die verehelichte Miteigentümerin einer Mühle bei der Eigenthümerversammlung nicht selbst anwesend sein und ihre Stimme abgeben, sondern muß sich durch ihren Mann vertreten lassen. Noch näher als die oben citirten stehen dem deutschen Recht diejenigen Staaten der Union, welche zwar das eingebrachte Vermögen der Ehefrau als deren ausschließliches und für die ehemännlichen Schulden (783) nicht haftendes Vermögen anerkennen, aber dem Ehemann gesetzlich die Verwaltung desselben übertragen. Es sind dies die Staaten: Alabama, Florida, Connecticut und Texas (in Connecticut für die vor 1877 abgeschlossenen Ehen). In Alabama und Connecticut ist der Ehemann der Trustee seiner Frau und hat überdies die Nutznießung ihres Vermögens. Wenn demnach in § 2372 des „Revised Code von Alabama“ gesagt ist: „das ganze Vermögen der Ehefrau ist für ihren besonderen Gebrauch gesichert“, so heißt das nichts anderes, als: die Substanz des Vermögens der Ehefrau darf für Schulden des Ehemanns nicht in Anspruch genommen werden. Mit anderen Worten, es besteht dort die Verwaltungsgemeinschaft des deutschen Rechts, welche dem Ehemann die Verwaltung und Nutznießung des Frauenvermögens zusichert. Aber das Recht des ehemännlichen Trustee ist viel unbeschränkter und demnach der Ehefrau viel gefährlicher als dasjenige des deutschen Vermögensverwalters. Ein Trustee ist formeller Eigenthümer der ihm anvertrauten Sache. Es ist in seine treue Hand gegeben, damit zum Besten des wahren Eigenthümers zu schalten und zu walten, er hat zu klagen und wird beklagt, er ist überhaupt nach außen mit allen Eigenthumsrechten ausgestattet.
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Dieses weitgehende und zu Mißbrauch vielfach Veranlassung gebende Vertrauensverhältniß vermeiden darum andere Staaten im Vermögensrecht der Ehegatten, trotzdem sie dem Mann ebenfalls die Verwaltung des Frauenvermögens übertragen. Dies ist in Florida der Fall. Die Ehefrau hat dort an ihrem sämmtlichen Vermögen das ausschließliche Eigenthums-, der Ehemann aber das Verwaltungsrecht. Die Nutznießung ist ihm nicht ausdrücklich gewährt, aber wenn er als Verwalter die Einkünfte des Frauenvermögens braucht, so hat die Ehefrau kein Klagerecht auf Ersatz, was im Effekt der ehelichen Nutznießung gleichkommt. Das Vermögen selbst ist gegen mißbräuchliche Verfügung seitens des Ehemannes dadurch geschützt, daß bei allen Eigenthumsübertragungen von Vermögensstücken der Ehefrau beide Ehegatten mitwirken müssen. In Texas ist der Ehegatte ebenfalls von Gesetzeswegen Verwalter des Sondervermögens der Ehefrau sowie des gemeinsamen Ehegutes und die Ehefrau infolgedessen in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt. Sie kann keine rechtsgültigen Verträge abschließen, ausgenommen dieselben fallen in den Bereich ihrer Schlüsselgewalt. Da erscheint sie wie in den deutschen Staaten als Vertreterin ihres Mannes und verpflichtet ihn. Der Umfang der Schlüsselgewalt erstreckt sich aber im amerikanischen Recht nur auf die nothwendigsten Lebensbedürfnisse für sich und die gemeinschaftlichen Kinder. Eine den deutschen Zuständen ähnliche aber noch glücklichere Lösung des Problems der Vermittlung zwischen der Selbständigkeit der Ehefrau einerseits und dem Schutz der Gläubiger andererseits hat Arkansas gefunden. Die Ehefrau hat dort, wie im Bürgerlichen Gesetzbuch, freie Disposition über ihr Sondervermögen. Sondervermögen wird aber nur dasjenige, was in der Grafschaftsgerichtskanzlei als solches angemeldet und eingetragen ist. Zur Ausscheidung desselben ist aber kein Ehevertrag zwischen den Ehegatten nothwendig, vielmehr genügt die einseitige diesbezügliche Willenserklärung der Frau. Ist keine solche erfolgt, so tritt die Gütergemeinschaft des Common Law ein. Vielerorts ist die Gütergemeinschaft des Common Law in einzelnen bestimmten Punkten durchbrochen, so z. B. in Rhode Island, wo zwar über die Geschäftsfähigkeit der mit ihrem Manne zusammenlebenden Ehefrau in den Statuten nichts bestimmt ist, von einer anderen Bestimmung aber der Wille der Gesetzgebung abgeleitet werden kann. Ehefrauen nämlich, welche ohne ihren Mann im Staate leben, können selbständig Geschäfte abschließen, klagen und beklagt werden, wie wenn sie unverheirathet wären. Das heißt, im umgekehrten Fall sind sie beschränkt geschäftsfähig. Eine ähnliche Anordnung enthalten die Statuten von Missouri: Verlassene Ehefrauen sind während der Dauer der Abwesenheit des Ehemanns berechtigt, ihren eigenen Erwerb an sich zu nehmen und für den Unterhalt zu verwenden. Außerdem können sie vom Gericht in solchem Falle bevollmächtigt werden, über ihr eigenes unbewegliches Vermögen zu verfügen. Durch argumentum e contrario ist zu folgern, daß die Ehefrau in normaler Ehe zu solchen Rechtshandlungen nicht befugt ist. Derselbe Rechtszustand findet sich in Tennessee. Man erkennt also vielfache Durchbrüche des gemeinen Rechts, aber keine gänzliche Emanzipation von den Grundprinzipien desselben.
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Somit sind die Staaten, welche die freie Willensbethätigung der Ehefrau beschränken, in 3 Gruppen auseinanderzuhalten: 1. Die Gruppe, welche die Ehefrau infolge des Mundiums gesetzlich an die Entscheidung des Mannes bindet. 2. Diejenigen Staaten, welche die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau wegen der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung beschränken. 3. Diejenigen, welche die Selbständigkeit der Ehefrau mit Bezug auf ihr eingebrachtes Vermögen und theilweise auch den Arbeitsverdienst zwar anerkennen, aber sie für die Errungenschaft der Gütergemeinschaft und dem Verwaltungsrecht des Mannes unterstellen. Die Staaten, welche unter eine dieser drei Gruppen fallen, sind die folgenden: Alabama, Arkansas, Arizona, Connecticut, Florida, Georgia. Massachusetts, Michigan, North Carolina, Ohio, Rhode Island, Tennessee, Texas. Diesen Staaten gesellen sich viele andere mit einer Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau hinzu, welche ebenfalls ein Rest von Common LawBestimmungen ist. Sie beruht auf dem erbrechtlichen Anspruch, den der Ehemann nach englischem gemeinen Recht am Grundeigenthum der Ehefrau hat. Dieses Recht der Curtesy, wonach dem Ehemann an allem unbeweglichen Vermögen seiner Frau ein Drittheil gesetzlich zukommt, ist nur in ganz wenigen Staaten abgeschafft worden. In allen, die es beibehalten haben, gibt es dem Ehemann schon während der Dauer der Ehe ein Anrecht auf die Zukunft, welches die Ehefrau an einseitiger Verfügung über das Land hindert. In Folge dessen bedarf sie zur Disposition über ihr Grundeigenthum der Einwilligung des Mannes; und zwar außer in den oben genannten Staaten auch in New Jersey, Maine, Maryland, Minnesota, Pennsylvanien, Vermont, Virginia. Einzelne Singularitäten finden sich außerdem in manchen Staaten mit Rücksicht auf den Abschluß von Rechtsgeschäften zwischen den Ehegatten. Ich habe oben schon darauf hingewiesen, daß Eheverträge in der Regel nur vor der Ehe zulässig sind. Massachusetts bestimmt das mit besonderem Nachdruck und erklärt auch Schenkungen unter Ehegatten (mit Ausnahme von Kleidern, Schmuckgegenständen und Zierrathen im Betrage von unter 2000 $) für ungültig. Newyork und Minnesota erkennen die Gültigkeit der sich auf Grundeigenthum beziehenden Rechtsgeschäfte zwischen Ehegatten nicht an. In Missisippi sind alle Rechtsgeschäfte zwischen Ehegatten gültig, Dritten gegenüber jedoch nur wirksam, wenn sie schriftlich abgefaßt und gerichtlich eingetragen sind. Die Eingehung von Bürgschaften, Unterzeichnung von Gefälligkeitswechseln und der Abschluß eines besiegelten Vertrages seitens einer Ehefrau ist in Pennsylvania ohne Zustimmung des Ehemanns ungültig. Ihrem Ehemann kann sie nur durch Vermittlung eines Trustee aus ihrem Sondergut Geld leihen und sich dafür Sicherheit geben lassen. Auch in Indiana, wo die Ehefrau im Uebrigen vollkommen geschäftsfähig ist, und in Vermont sind Bürgschaftsverträge der Ehefrau nichtig. Auf dem römisch-rechtlichen Standpunkt in dieser Beziehung steht namentlich noch Lousiana. In diesem Staat herrscht größtentheils das französische Recht des Code Napoléon, nur wenige englische gemeinrechtliche Sätze wurden von anderen Staaten kopirt. Hier können Ehefrauen nur mit Genehmigung ihrer Ehemänner Schulden zu eigenem Nutzen (784) und Vortheil machen. Wenn sie aber intercediren wollen, müssen sie vom Richter, gesondert von ihrem Manne, darüber be-
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fragt werden, welche Zwecke sie bei dem Geschäft im Auge haben, und wenn der Examinator findet, daß das Rechtsgeschäft im Interesse des Mannes abgeschlossen werden soll, etwa um seine Schulden zu decken oder ihm sonst einen Vortheil zuzuwenden, so verweigert er die Sanktion. Andernfalls erhält die Ehefrau ein Zeugniß, daß sie examinirt worden und die Genehmigung zu dem Vertrag ertheilt worden sei. Die richterliche Genehmigung zu jeder Art von Rechtsgeschäft, das die Ehefrau für länger als 3 Jahre bindet, verlangt auch Nord Carolina. Um Ehefrauen vor Mißbrauch, zu bewahren, bestimmt West Virginia, daß sie sich niemals durch das Mittel eines Vertreters rechtsgültig verpflichten können. Alle mündlichen und schriftlichen Verträge, welche eine Ehefrau nicht persönlich abgeschlossen hat, sind ungültig. Somit kann eine Ehefrau keine Vollmacht ausstellen. Vermont schließt Ehefrauen vom Recht der Verwaltung einer Hinterlassenschaft aus, ebenso Utah, wenn irgend eine am Nachlaß interessirte Person gegen ihre Bestellung Einspruch erhebt. In Vermont kann überdies eine Ehefrau zwar über ihren Mann, aber nicht als Vormünderin Dritter eingesetzt werden, eine Beschränkung, die im Bürgerlichen Gesetzbuch für die deutschen Frauen ebenfalls gefallen ist. Somit sind die verheiratheten Frauen in dem Eldorado der Frauenrechte nicht überall in dem Maße mit den Männern gleichberechtigt, wie hier zu Lande gewöhnlich angenommen wird. Auch dort, trotz aller Freiheit, gelten noch mancherlei Beschränkungen. Bedenken wir, daß jene Staaten sich auf jungfräulichem Boden aufgebaut und frei von den Hemmnissen alter Kultur entwickelt haben, so können wir das Deutsche Reich mit seinem bürgerlichen Gesetzbuch gerechterweise nicht als das rückständige Land und das letztere als das rückständige Werk bezeichnen, als das es vielfach verschrieen worden ist. Manches kann darin verbessert, mancher Fortschritt den thatsächlichen Bedürfnissen entsprechender redigirt werden, ich leugne das nicht, aber um weiter zu bauen, bedarf es zuerst der Anerkennung des guten Fundamentes. Daß die zu einem gedeihlichen Wachsthum nöthige Basis vorhanden ist, hoffe ich, an der Vergleichung mit den anerkanntermaßen am weitesten gehenden amerikanischen Rechtszuständen gezeigt zu haben. Berlin, Sept. 1897. Emilie Kempin.
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Helene Lange/Carl Bulling: Eine Erwiderung auf den Artikel der Frau Dr. Kempin: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“, 1897
LANGE, Helene/BULLING, Carl: Eine Erwiderung auf den Artikel der Frau Dr. Kempin: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“ in Nr. 52 der „Nation“ (25. September 1897). Mit einem Geleitwort vom Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine, Berlin 1897 Kommentar: Dem Artikel Kempins vom 25.9.1897 (Nr. 37) tritt Helene Lange mit einer ausführlichen Erwiderung entgegen. Darin befindet sich ein längerer Einschub Carl Bullings (S. 6-12), in welchem dieser ebenfalls gegen Kempin argumentiert. Helene Lange, die nicht als radikale, sondern eher als gemäßigte Frauenrechtlerin gilt, unterstellt ihr gar
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fragt werden, welche Zwecke sie bei dem Geschäft im Auge haben, und wenn der Examinator findet, daß das Rechtsgeschäft im Interesse des Mannes abgeschlossen werden soll, etwa um seine Schulden zu decken oder ihm sonst einen Vortheil zuzuwenden, so verweigert er die Sanktion. Andernfalls erhält die Ehefrau ein Zeugniß, daß sie examinirt worden und die Genehmigung zu dem Vertrag ertheilt worden sei. Die richterliche Genehmigung zu jeder Art von Rechtsgeschäft, das die Ehefrau für länger als 3 Jahre bindet, verlangt auch Nord Carolina. Um Ehefrauen vor Mißbrauch, zu bewahren, bestimmt West Virginia, daß sie sich niemals durch das Mittel eines Vertreters rechtsgültig verpflichten können. Alle mündlichen und schriftlichen Verträge, welche eine Ehefrau nicht persönlich abgeschlossen hat, sind ungültig. Somit kann eine Ehefrau keine Vollmacht ausstellen. Vermont schließt Ehefrauen vom Recht der Verwaltung einer Hinterlassenschaft aus, ebenso Utah, wenn irgend eine am Nachlaß interessirte Person gegen ihre Bestellung Einspruch erhebt. In Vermont kann überdies eine Ehefrau zwar über ihren Mann, aber nicht als Vormünderin Dritter eingesetzt werden, eine Beschränkung, die im Bürgerlichen Gesetzbuch für die deutschen Frauen ebenfalls gefallen ist. Somit sind die verheiratheten Frauen in dem Eldorado der Frauenrechte nicht überall in dem Maße mit den Männern gleichberechtigt, wie hier zu Lande gewöhnlich angenommen wird. Auch dort, trotz aller Freiheit, gelten noch mancherlei Beschränkungen. Bedenken wir, daß jene Staaten sich auf jungfräulichem Boden aufgebaut und frei von den Hemmnissen alter Kultur entwickelt haben, so können wir das Deutsche Reich mit seinem bürgerlichen Gesetzbuch gerechterweise nicht als das rückständige Land und das letztere als das rückständige Werk bezeichnen, als das es vielfach verschrieen worden ist. Manches kann darin verbessert, mancher Fortschritt den thatsächlichen Bedürfnissen entsprechender redigirt werden, ich leugne das nicht, aber um weiter zu bauen, bedarf es zuerst der Anerkennung des guten Fundamentes. Daß die zu einem gedeihlichen Wachsthum nöthige Basis vorhanden ist, hoffe ich, an der Vergleichung mit den anerkanntermaßen am weitesten gehenden amerikanischen Rechtszuständen gezeigt zu haben. Berlin, Sept. 1897. Emilie Kempin.
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Helene Lange/Carl Bulling: Eine Erwiderung auf den Artikel der Frau Dr. Kempin: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“, 1897
LANGE, Helene/BULLING, Carl: Eine Erwiderung auf den Artikel der Frau Dr. Kempin: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“ in Nr. 52 der „Nation“ (25. September 1897). Mit einem Geleitwort vom Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine, Berlin 1897 Kommentar: Dem Artikel Kempins vom 25.9.1897 (Nr. 37) tritt Helene Lange mit einer ausführlichen Erwiderung entgegen. Darin befindet sich ein längerer Einschub Carl Bullings (S. 6-12), in welchem dieser ebenfalls gegen Kempin argumentiert. Helene Lange, die nicht als radikale, sondern eher als gemäßigte Frauenrechtlerin gilt, unterstellt ihr gar
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eine „die deutsche Frauenbewegung unterminierende Thätigkeit“ (S. 6). Dieser Tätigkeit ruhig zuzusehen, wäre, so Lange, ein bedenklicher taktischer Fehler. Die Zeitschrift „Die Nation“ hat es abgelehnt, die Erwiderung Langes zu drucken. Diese wird daher auf anderem Wege in einer erweiterten Fassung veröffentlicht. Lange betrachtet Kempins Verweisungen auf die Möglichkeit von Eheverträgen als illusorisch, da Ehen im Regelfall ohne güterrechtlichen Ehevertrag geschlossen werden. Sie argumentiert gegen Kempin nicht nur mit eigenen Worten und den Worten Bullings, sondern zum Abschluß (S. 14 f.) auch mit der Kritik Kempins, die diese am 25.3.1896 in der „Post“ gegen die Verwaltungsgemeinschaft des BGB-Entwurfs erhoben hatte.
Eine Erwiderung auf den Artikel der Frau Dr. Kempin: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen“152 Unser Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Vorbereitung auf große sociale Aufgaben. Um sich zu ihrer Lösung tüchtig zu machen, suchen ganze Stände und Einzelne sich freie Entwicklung, volle Ausgestaltung ihrer Eigenart zu sichern. Inmitten der Blasiertheit, des Verfalls, der sittlichen Haltlosigkeit, die das Jahrhundertende so vielfach kennzeichnen, wird dieser „Kampf ums Recht“ mit einem heiligen Ernst, mit einem Idealismus geführt, die zukunftsverheißend sind. Mitten in diesem Kampfe stehen auch die Frauen. Zu geistiger Selbständigkeit erwacht, wollen sie die Konsequenzen davon im Gesetz gezogen sehen: sie wollen so gut wie der Mann eine volle Rechtspersönlichkeit sein. Eben das hat das Gesetz, welches das kommende Jahrhundert beherrschen soll, der Ehefrau versagt. Das neue Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich versagt ihr nach dem gesetzlichen Güterrecht die Verwaltung und Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens und stellt sie dadurch in dieser Richtung thatsächlich den Unmündigen gleich. Es verweigert der Mutter den vollen Anteil an der elterlichen Gewalt und versagt ihr damit die Stellung in der Familie, die ihr in einem modernen Kulturstaat zukommt. Damit wird der Einfluß, den sie auf das Geschick ihrer Kinder haben kann und soll, in wesentlichen Punkten gehemmt, ja vernichtet. Es war vor allem Sache der Frauenvereine, gegen diese Be-(4)stimmungen vorzugehen. Seit der ersten Bekanntmachung des Entwurfs eines Neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs haben sie diese Aufgabe erkannt und zu erfüllen gesucht, allen voran der Allgemeine Deutsche Frauenverein. Allen Bemühungen zum Trotz, allen Protesten zum Trotz ist der Entwurf zum Gesetz geworden, in den wesentlichen Punkten seines Familienrechts ungeändert. Auch jetzt noch lassen die Frauen den Mut nicht sinken. Unsere Reichsgesetzgebung ist noch im Fluß: es liegt alles daran, die Fragen, die für die weitere Entwickelung, der Frauenbewegung Lebensfragen sind, auch in den Gemütern im Fluß zu erhalten: das Bewußtsein lebendig zu erhalten, und, wo es nicht besteht, zu wecken, daß das neue Bürgerliche Gesetzbuch in den genannten Fragen hinter dem Stande unserer Kultur zurückgeblieben ist. Es gilt, durch fortgesetzten Appell an den Reichstag auch hier dies Bewußtsein zu wecken, das häufig nur Gleichgültigkeit und Gewohnheit nicht aufnehmen lassen wollen.
152 Erschienen in: Nr. 52 der „Nation“ (25. September 1897), von Helene Lange.
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Darum hat der „Bund Deutscher Frauenvereine“ eine Petition in Umlauf gesetzt,153 die auf eine Revision des Familienrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs in den genannten Punkten abzielt. Eine möglichst zahlreiche Beteiligung an dieser Petition wird ihr selbstverständlich einen besonderen Nachdruck sichern. Im Interesse der Frauen selbst muß dem Bunde deutscher Frauenvereine, muß den ihm angehörigen Zweigvereinen, muß uns allen daran liegen, diese Beteiligung zu erreichen. Darum ist jede Belehrung der Frauen über die ihnen im neuen Bürgerlichen Gesetzbuch zugewiesene Stellung erwünscht, jedes Irreführen verhängnisvoll. Vor allen Dingen soll und muß ihnen gezeigt werden, was das Gesetz an und für sich bewirkt, ohne persönliche Maßnahmen der einzelnen zur Aufhebung seiner natürlichen Konsequenzen. Wenn nun solche Darlegungen beginnen: „Das Bürgerliche Gesetzbuch erklärt auch die Ehefrau als vollkommen geschäftsfähig, mit anderen Worten: ihre sämtlichen Verträge sind prinzipiell gültig, als ob sie unverheiratet wäre: keine Zustimmung ihres Mannes, keine richterliche Genehmigung, kein vormundschaftlicher Zwang (5) hemmt sie, zu thun und zu lassen, was ihr beliebt, zu kaufen und zu verkaufen, zu mieten und zu vermieten, Pfänder zu nehmen und zu geben, Bestellungen zu empfangen und zu machen, Bürgschaften einzugehen, Wechsel zu unterschreiben u. alle diese Verträge sind gültig“. So wird damit bei dem unbefangenen Leser die Illusion erzeugt, als sei das der Zustand, den das Gesetz als Regel schaffe, wonach dann also die Frauen nach dieser Richtung hin nichts mehr zu wünschen übrig hätten. Aber es heißt weiter: „Wenn sie aber mit ihren Manne unter dem gesetzlichen Güterrecht lebt, also keinen Ehevertrag mit ihm gemacht hat, der dieses Güterrecht ausschließt, so kann sie über ihr Vermögen nicht ohne seine Zustimmung verfügen“. Wenn sie unter dem gesetzlichen Güterrecht lebt! Als ob das eine Ausnahme wäre und nicht die Regel! Geschildert ist also oben der Ausnahmezustand, der sich nur erreichen lässt, wenn man sich gegen die Konsequenzen des Gesetzes durch einen Sondervertrag schützt. Ein solches künstliches Umkonstruieren einer gesetzlichen Bestimmung, die das Gros der Ehefrauen thatsächlich vermögensrechtlich unmündig machen wird, eine Darstellung, die über die inneren und äußeren Schwierigkeiten, die einem Ehevertrag entgegenstehen, der dem Manne die gesetzlich gegebene Macht nimmt, einfach hinweggeht und damit auch die Leser darüber hinwegsehen läßt, muß in die Irre führen. Wir haben alle Veranlassung, die deutschen Frauen vor solcher Führung zu schützen und auf das entschiedenste zu warnen. Das obige Zitat ist einem Artikel der Frau Dr. jur. Kempin in Nr. 52 der „Nation“ (25. September 1897) entnommen: „Deutsche und amerikanische Vermögensrechte der Ehefrauen.“ Eine der Redaktion derselben Zeitschrift von mir eingereichte Erwiderung wurde abgelehnt. Sie enthielt neben Bemerkungen von mir die nachfolgende Kritik des Artikels aus der Feder des Geheimen Justizrats Bulling. Ich lasse dieser noch einige Ausführungen folgen, für die in jener Erwiderung der Raum der „Nation“ nicht zugemutet werden konnte.
153 Petitionsbögen sind zu erhalten bei Fräulein Marie Raschke, Berlin SW., Königgrät-
zerstraße 88.
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Die Erwiderung, nachdem sie von der Nation abgelehnt worden war, in der gegenwärtigen Form zu veröffentlichen, damit (6) sie den deutschen Frauen bekannt werde und den bei der Petition beteiligten Vereinen vorgelegt werden könne, schien uns geboten um der Wichtigkeit willen, die es für uns hat, jeder Verdunkelung des Thatbestandes in Bezug auf die Frauenrechtsfragen entgegenzutreten. Vielleicht denken manche, es sei nicht der Mühe wert, die scheinbar so wenig belangreichen Auseinandersetzungen des Kempinschen Artikels einer so eingehenden Kritik zu unterziehen. Sie mögen bedenken, daß den anscheinend rein sachlichen Ausführungen einer Frau, von der die Fernstehenden annehmen müssen, daß sie der Frauenbewegung freundlich gegenüberstehe und sich nur gegen arge Ausschreitungen der „Frauenrechtlerinnen“ wenden werde, einer Frau, die überdies Juristin ist, eine gefährliche suggestive Kraft innewohnt. Sie zu unterschätzen und einer solchen die deutsche Frauenbewegung unterminierenden Thätigkeit ruhig zuzusehen, wäre ein bedenklicher taktischer Fehler. Herr Geheimrat Bulling führt Folgendes aus: „Der Artikel der Frau Dr. Kempin in Nr. 52 der Nation ist gegen die „Frauenrechtlerinnen“ gerichtet. Nach den einleitenden Worten wendet er sich gegen die „herrschende Unzufriedenheit der Frauenrechtlerinnen über die der deutschen Frau zugewiesene Stellung im Bürgerlichen Gesetzbuch“ und gegen die „infolgedessen weit verbreitete Meinung der gänzlichen Rückständigkeit dieser Kodifikation im Vergleiche zu den amerikanischen Staaten.“ Die Anwendung hiervon macht der Artikel in der Weise, daß er nachzuweisen sucht, es sei die Unzufriedenheit mit der Vermögensrechtlichen Stellung, welche das Gesetzbuch der Frau giebt, eine unbegründete. Er bespricht die Verwaltungsgemeinschaft des Gesetzbuches und vergleicht mit dieser die vermögensrechtliche Stellung der amerikanischen Frau in zwölf Staaten unter Herbeiziehung von Bestimmungen, die damit Zusammenhang haben. In der Schlußbemerkung hält er den Beweis für erbracht, daß „die verheirateten Frauen in dem Eldorado der Frauenrechte nicht überall in dem Maße mit den Männern gleichberechtigt“ seien, wie hier zu Lande gewöhnlich angenommen wird, und daß wir (7) „das Deutsche Reich nicht als rückständiges Land“ und sein Gesetzbuch nicht als „rückständiges Werk“ bezeichnen können. Daß der Artikel diesen Beweis erbracht hat, wird ihm niemand bestreiten. Und gewiß war es sein gutes Recht, ihn in einer Weise zu führen, welche die Interessen der Frauenbewegung beeinträchtigt und die Leser mit Mißbilligung gegen die Bewegung erfüllt, so daß Frauen, die bloß eine oberflächliche Kenntnis von der Frauenbewegung haben, sich von ihr fernhalten oder sich zurückziehen, und daß Männer ihren Frauen verbieten, den thörichten Frauenvereinen beizutreten. Daß er dies hervorzubringen vermag, hat der Artikel jedoch lediglich durch Verschiebung von Thatsachen zu Wege gebracht. Wer den Artikel liest, wird sich fragen, was das denn wohl sein möge, was die Frauen gegen die der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuche zugewiesene vermögensrechtliche Stellung einzuwenden haben? Es werde sehr viel sein, weil sonst der Artikel sicherlich gesagt hätte, was es sei; es werde so vielerlei sein, daß er es passend nur in dem Ausdrucke habe zusammenfassen können, daß die Frauen das Gesetz als ein rückständiges bezeichnen.
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Was ist nun dies viele, das die Frauen auszusetzen haben? Es ist ein einziges und läßt sich in zwei Worten sagen: sie verlangen als gesetzliches Güterrecht die Gütertrennung. Daß die Frauenrechtlerinnen dies verlangen, und daß sie weiter gegen die ihnen zugewiesene vermögensrechtliche Stellung nichts einwenden, weiß jeder, der in der Frauenbewegung steht. Die Petition an den Reichstag, die seit Beginn dieses Jahres zur Unterzeichnung verbreitet und einem jeden vorgelegt wird, von dem man annimmt, daß er der Frauenbewegung geneigt sei, enthält, soweit es sich um die vermögensrechtliche Stellung handelt, nur dieses eine Verlangen, und die beigegebenen Gründe enthalten nichts, was auf weiteres schließen ließe; eine andere Auskunft wird keiner, der nachfragt, erhalten. Weshalb hat nun der Artikel verschwiegen, daß die Frauen weiter nichts als jenes eine einzuwenden haben? Die Antwort ist sehr einfach. Mit dem Bekenntnisse jener Thatsache hätte der Artikel gar nicht geschrieben werden können. Er würde dann der Bewegung neue Anhängerinnen zugeführt (8) haben, und die Männer wären genötigt gewesen, die Bewegung ernst zu nehmen, angesichts der Gewichtigkeit der Autoritäten, die wir für uns haben: England hat durch Gesetz vom 10. August 1882 die Gütertrennung eingeführt, unter Aufrechterhaltung der Gehorsamspflicht der Frau, und sie besteht, ebenfalls mit Aufrechterhaltung dieser Pflicht, in Rußland nach dem dortigen – bloß für die Ostseeprovinzen und das ehemalige Kongreßpolen nicht geltenden – Bürgerlichen Gesetzbuche. Es ist so alles, was der Artikel über das amerikanische Recht beibringt, in Wahrheit von gar keinem Gewicht gegen die deutsche Frauenbewegung: und daß der Leser ihm ein Gewicht zuschreiben kann, ist lediglich durch Verschweigung jener einen Thatsache zu Wege gebracht. Es wird ferner, wer den Artikel liest, den Eindruck empfangen, daß die amerikanischen Frauen mit ihrer mangelhaften vermögensrechtlichen Stellung zufrieden seien. Denn nur, wenn sie dies sind, kann man den deutschen Frauen als einen Beleg für die Unbegründetheit ihrer Unzufriedenheit mit ihrem Rechte die mangelhaften amerikanischen Zustände vorhalten; und wenn der Artikel nicht in dem Sinne, daß jenes der Fall sei, verstanden sein wollte, so hatte der Hinweis, den der Ausdruck „Eldorado“ enthält, daß in Amerika des mangelhaften Rechtes ungeachtet die Ideale der deutschen Frauen erfüllt seien, und daß diese sich Amerika zum Muster nehmen sollten, für den Leser kaum einen Sinn. Wie ist nun aber hier der Sachverhalt? Die amerikanischen Frauenrechtlerinnen erstreben ebenfalls die Freiheit des Vermögens der Frau von den Rechten des Mannes. Der Artikel verschweigt also auch hier eine Thatsache, welche die Mangelhaftigkeit des amerikanischen Rechtes völlig untauglich macht, gegen die deutschen Frauenrechtlerinnen ausgespielt zu werden. Der Leser, wenn sie ihm offenbart wäre, würde ohne Frage gesagt haben: „was soll denn diese ganze Gelehrsamkeit? Die amerikanischen Frauen sind ja nicht besser als die deutschen!“ Daß die deutschen Frauenrechtlerinnen die Gütertrennung erstreben, sagt also der Artikel nicht. Für ihn war es aber, wenn er seine Aufgabe, die Bewegung der Frauen gegen das Bürgerliche Gesetzbuch zu schwächen, erfüllen wollte, ein Hauptpunkt, den er ins Auge zu fassen hatte, die Bewegung gegen das gesetzliche (9) Güterrecht, die Verwaltungsgemeinschaft, als grundlos darzustellen. Auch dies hat er mit einer Verschiebung des Sachverhaltes zu bewerkstelligen gesucht.
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Es muß hier daran erinnert werden, daß beim Abschlusse der Verlobung heutigen Tages Verabredungen über Berechtigung des einen Teils an dem Vermögen des anderen, wenn nicht ein besonderer Anlaß dazu auffordert, nicht getroffen werden. Der Mann motiviert den Antrag mit Liebe, und wenn auch nicht mit Liebe geantwortet wird, so wird doch auf der anderen Seite in Betracht gezogen, daß die Heirat für das Mädchen auch heute noch beinahe der einzige Weg ist, ihre Zukunft sicher zu stellen, und deshalb zu vermeiden gesucht, was die Verlobung hindern könnte. Daß so das sogenannte gesetzliche Güterrecht bei Eingehung beinahe jeder Ehe stillschweigend angenommen wird, so regelmäßig, als wäre es gesetzlich vorgeschrieben, ist das, was dem Streite über die Wahl des für gesetzlich zu erklärenden Güterrechtes seine große praktische Bedeutung giebt. Die Männer wissen, daß, wenn Gütertrennung für gesetzlich erklärt wird, sie wenig Hoffnung auf eine Eheabredung haben, die ihnen die Verwaltungsgemeinschaft giebt, und die Frauen, daß, wenn die Verwaltungsgemeinschaft gesetzlich ist, sie so gut wie vergebens hoffen, durch Eheabredung Gütertrennung zu erlangen. Damit ergiebt sich aber auch, was für uns hier in Betracht kommt, daß man den Frauen, welche für die Gütertrennung kämpfen, nicht entgegenhalten kann: Die Frau könne sich die Gütertrennung ja ausbedingen, denn das ist es ja gerade, dessen die Frau dadurch, daß das gesetzliche Güterrecht die Gütertrennung ist, enthoben sein will. Wie verhält sich nun der Artikel diesem Sachverhalt gegenüber? Weil er zu verschweigen hat, daß die Frau deshalb mit der Verwaltungsgemeinschaft des Gesetzes unzufrieden ist, weil sie Gütertrennung will, nimmt er als den von ihm zu widerlegenden Grund der Unzufriedenheit einen sehr naheliegenden Rechtsgrund an, den nämlich, daß der Frau die Handlungsfähigkeit, die ihr gesetzlich zugesprochen ist, durch das Recht des Mannes, ihr Vermögen zu verwalten, faktisch wieder entzogen wird, weil dies (10) Recht sie hindert, von ihrer Handlungsfähigkeit Gebrauch zu machen; und diesen Rechtsgrund sucht er als unrichtig darzulegen. Gegen die Richtigkeit bemerkt der Artikel: „Es ist also ganz unrichtig, wenn vielfach behauptet wird, die Ehefrau sei nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche nur theoretisch geschäftsfähig, in der Praxis sei sie nach wie vor eine Bevormundete. Der Mensch, welcher Juwelen verpfändet hat, darf darüber auch nicht mehr verfügen. – – – – Die obige Meinung ist um so verkehrter, als das bürgerliche Gesetzbuch eine ganze Reihe von Möglichkeiten eröffnet, bei denen die Ehefrau, sofern sie überhaupt etwas besitzt, nicht vermögenslos bleibt: sie kann sich durch Vertrag ihr ganzes Vermögen oder einen Teil vorbehalten.“ Mit dieser Folgerung hält der Artikel der Opposition gegen das gesetzliche Güterrecht einen nach dem Gesagten völlig unzutreffenden Einwand entgegen, von dessen Hinfälligkeit aber der Leser keine Ahnung haben kann. Das, was den Frauenrechtlerinnen hier als Mittel vorgehalten wird, durch das die Frau die vermißte praktische Rechtsfähigkeit erlangen könnte, ist nach dem Gesagten gerade das, was denen, die Gütertrennung verlangen, niemals eingewandt werden kann, folglich auch denen nicht, die unzufrieden sind, weil die Gütertrennung versagt ist. So unzutreffend demnach der Einwand ist, der mit diesem Vorhalte erhoben wird, so konnte doch der Leser die Hinfälligkeit nicht erkennen, weil ihm der wirkliche Grund der Unzufriedenheit nicht gesagt worden ist.
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Seinen Einwand nun aber, daß die Handlungsfähigkeit der Frau keineswegs zu einer theoretischen werde durch das Verwaltungsrecht des Mannes, scheint der Artikel selbst nicht sehr ernstlich zu nehmen. Bei der Darstellung der Mängel des amerikanischen Rechtes sagt er von Texas: der Mann sei dort Verwalter des Vermögens der Frau sowie des gemeinsamen Ehegutes, und: „die Ehefrau infolgedessen in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt“, und nicht nur das. In der Schrift der Frau Dr. Kempin: Die Rechtsstellung der Frau, Berlin 1895, Heft 5 vom „Existenzkampf der Frau“ wird auf Seite 168 von dem System der Gütertrennung bemerkt: „Dies System ist ferner das einzige, mit dem die Geschäftsfähigkeit der Ehefrau sich vereinbaren lässt“. Der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches halte mit Recht die Bevormundung der Ehefrau für nicht vereinbar mit den Anforderungen des modernen Lebens. „Wenn die Beschränkung ihrer Handlungsfähigkeit aber thatsächlich aufhören und nicht unter anderer Flagge weiter bestehen soll, so ist dies nur mit der Güterunabhängigkeit möglich.“ Die Verfasserin ist hier also genau der Ansicht, die sie im Artikel der Nation als verkehrt bezeichnet hat. Ebenfalls mit Verschiebung des Thatbestandes hat sich der Artikel dann auch des zweiten Hauptpunktes seiner Aufgabe entledigt, auch die Bewegung gegen die Gehorsamspflicht der Ehefrau dem Leser als gegenstandslos darzustellen, und zwar in sehr geschickter Weise. Er sagt: „Die Staaten Ohio, Georgia, sowie beiden Dakotas und Texas stehen noch auf dem in Deutschland nunmehr aufgegebenen Standpunkt, wonach der Ehemann im Gesetze ebenso feierlich als geschmacklos als das „Haupt der Ehe“ erscheint. Alle Konsequenzen dieses Grundsatzes haben die genannten Staaten freilich nicht gezogen. So sind z.B. in Ohio und den Dakotas die Ehegatten vermögensrechtlich voneinander unabhängig u.s.w.“ Durch Hinzufügung, als ob es des Erwähnens kaum wert sei, bloß der vier Worte „in Deutschland nunmehr aufgegebenen“ wird hier als ganz selbstverständlich, das nur so nebenher bemerkt werde, der Leser, der dem Artikel vertraut, glauben gemacht, im deutschen Gesetze sei der Ehemann nicht für das Haupt der Familie erklärt und also die Gehorsamspflicht nicht ausgesprochen. Der § 1354 erhält aber nicht nur seinen Worten nach, sondern auch nach den Motiven die uralte Gehorsamspflicht der Frau, wie sie heute noch in allen deutschen Staaten besteht, aufrecht und hat bloß, um der Frau die Ertragung zu erleichtern, die Neuerung hinzugefügt, daß, wenn der Mann das Gehorsamsrecht mißbraucht, es gegen die Zwecke der Ehe gebraucht, die Frau nicht mehr wie bisher auch dies zu ertragen verpflichtet ist. Aber nicht nur das. Von den Gesetzen, von denen die Motive sagen, daß ihnen entsprechend die Stellung des Ehemannes bestimmt worden sei, bestimmt das preußische Landrecht II. § 184: (12) Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft, und das Österreichische Gesetzbuch § 91: Der Ehemann ist das Haupt der Familie. Mithin erklärt auch das deutsche Gesetz den Mann für das Haupt der Familie!
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Der Artikel kann sich nicht auf den Einwand zurückziehen, er habe den Erklärungen jener Gesetze eine sachliche Bedeutung nicht beigelegt, vielmehr bloß ausdrücken wollen, daß derartige nichtssagende Phrasen nicht in ein Gesetz gehören. Denn eine sachliche Bedeutung hat er ihnen allerdings gegeben, durch den Ausspruch, alle Konsequenzen jenes Grundsatzes hätten jene Staaten freilich nicht gezogen, und durch die hinzugefügten Beispiele, die dem Leser die Sache sehr verständlich machen. Mit noch mehr Geschick, mittelst eines einzigen Wortes, entledigt sich dann der Artikel eines dritten zu beachtenden Punktes. Nach der Bemerkung, in Ohio und den beiden Dakotas seien die Eheleute vermögensrechtlich voneinander unabhängig, fährt der Artikel fort: „Die Frau ist sonach wie im Bürgerlichen Gesetzbuche, wenn sie in Gütertrennung lebt, verpflichtet, die Lasten des Haushaltes mittragen zu helfen.“ Wäre hier das „sonach“ weggelassen, so würde der Leser einfach angenommen haben, jenes gelte in jenen Staaten. Durch Einschaltung des „sonach“ macht aber der Artikel seinen Ausspruch zu einer Rechtsfolgerung und versetzt so den Leser in den Glauben, es sei juristisch ausgemacht, daß, auch wenn der Mann allein dazu imstande sei, die Rechtspflicht, die Ehelasten zu tragen, auch die Frau treffe, während dies zu beweisen dem Artikel nicht gelingen konnte. Auch hier also verspürt der Leser nicht, was mit ihm geschieht. – Alles also Sophismen, wenn auch sicherlich unbewußte. Eines weiteren enthalte ich mich. Das Gesagte erachte ich für unerläßlich, um den falschen Urteilen über die Bestrebungen der Frauenrechtlerinnen entgegenzutreten, die durch die thatsächlichen Unrichtigkeiten des Artikels verbreitet werden müßten. (13) So weit die Ausführungen des Geheimen Justizrats Bulling. Für die Nichtigkeit des darüber Angeführten, wie selten ein Vertrag der Frau die Gütertrennung geben wird, wenn die Verwaltungsgemeinschaft gesetzlich ist, und wie wenig durch die Möglichkeit eines solchen Vertrages an der Stellung der Ehefrau im ganzen geändert werden wird, kann ich einen vortrefflichen Bürgen anführen. „Die Vertragsfreiheit der Ehegatten ist kein Radikalmittel, sie ist nur ein Ansatz zur Abhilfe. Denn darüber mache man sich keine Illusionen: wenn etwas undeutsch, dem deutschen Gefühl widersprechend ist, sind es die Eheverträge … Zudem: glaubt wirklich jemand im Ernst, die Ehefrau sei in der Lage, sich durch Ehevertrag günstiger zu stellen, als das Gesetz sie gestellt hat? Nein, es wäre ungeheuer naiv, so zu argumentieren und verriete abermals jene Unkenntnis von der wirklichen Stellung der Ehefrau im Verhältnis zu ihrem Mann, welche die jetzige gesetzliche Güterordnung des Entwurfs erzeugt hat“ sagt – Frau Dr. jur. Emilie Kempin in ihrem 5. Artikel in der „Post“ (9. April 1896), dieselbe Frau, die in dem Artikel der „Nation“ den Ehevertrag nur so nebenbei erwähnt als etwas, was der Ehefrau als solcher in jedem Augenblick vermögensrechtlich jede gewünschte Aktionsfreiheit schaffen könne! Und sie, die in der „Nation“, wiederum ohne jede klärende Auseinandersetzung, bemerkt, daß Eheverträge wie vor, so auch nach Abschluß der Ehe „vollkommen frei gegeben“ sind, die auf das Illusorische dieser Bestimmung mit keiner Silbe hindeutet, sagt in der „Post“ in Bezug auf Eheverträge nach Abschluß der Ehe: „Die bisher in Güter- oder Verwaltungsgemeinschaft lebende Frau will nun auf einmal Gütertrennung vereinbaren. Ich glaube nicht, daß ihr das auf vertraglichem Wege viel leichter wird als auf dem des Prozesses. Oder welcher Ehemann, der kraft der Gütergemeinschaft am Vermögen seiner Frau Miteigentum oder kraft
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der Verwaltungsgemeinschaft Nutznießung und in beiden Fällen die Verwaltung solchen Vermögens hat, wird dem Begehren der Frau ohne weiteres entsprechen? Hand aufs Herz, hochgeehrte Ehemänner, würde einer von Ihnen das freiwillig thun? Würde nicht jeder seine Frau auslachen und ihre Wünsche als einen tollen (14) Einfall bezeichnen? Und dann, was nützt ihr die Bestimmung, daß die ihr lästige Verwaltungsgemeinschaft auch nach der Ehe noch aufgehoben werden kann? Nichts, gar nichts! Sie ist daher für die Frau und ihr Bestreben, durch Vertrag zu erlangen, was das Gesetz ihr verweigert hat, ohne jeden Belang, für sie in den meisten Fällen ein toter Buchstabe. Also auch von diesem Gesichtspunkte betrachtet, bleibt für die wirkliche Besserstellung der Frau nichts anderes übrig, als die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht aufzustellen.“ Vortrefflich gesagt! Aber auch noch des weiteren kann gegen Frau Dr. Kempin in der „Nation“ Frau Dr. Kempin in der „Post“ als Autorität angerufen werden. Im 2. Artikel der „Post“ (25. März 1896) wird von dem Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs gesagt: „Die Verwaltungsgemeinschaft, die er als gesetzliches Güterrecht postuliert, läßt ein selbständiges Handeln der Ehefrau nicht zu. Die durch dieses System bedingte Einheit des Handelns der Ehegatten hat notwendigerweise die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau zur Folge, welche die Kommission des Entwurfs beseitigen wollte. Es findet sich also im Entwurf folgende Logik: die Neuzeit erfordert volle Geschäftsfähigkeit der Ehefrau, demnach wird jede Beschränkung derselben aufgehoben. Als gesetzliches Güterrecht gilt die Verwaltungsgemeinschaft. Sie erfordert durchaus Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau, demnach bleibt die Ehefrau in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt. So steht es natürlich nicht im Gesetz, aber die sich widersprechenden Bestimmungen laufen im Effekt darauf hinaus.“ Ferner: „Wenn das Gesetz dem Manne z.B. in seiner Eigenschaft als Führer der ehelichen Gemeinschaft154 weitgehende Rechte der Frau gegenüber zugesteht, so hat es auf der anderen Seite dafür (15) zu sorgen, daß der Mann diese Rechte nicht mißbrauchen kann … Das ist im Entwurf geschehen, und zwar in ziemlich ausgiebiger Weise. Die Gesetzesvorlage enthält eine Anzahl Kautelen zu Gunsten und zum Schutze der Frau, so daß es den Anschein hat, als sei sie unter der Verwaltungsgemeinschaft vor jedem ehemännlichen Übergriff geschützt. Aber es scheint nur so. In Wirklichkeit sind die der Ehefrau zuerteilten Waffen stumpf, und die theoretische Unschädlichkeit der Verwaltungsgemeinschaft ist in allen Fällen, wo es sich wirklich darum handelt, dem Mißbrauch des ehemännlichen Rechtes zu begegnen, nichts weiter als eine schöne Illusion.“ Das sagt dieselbe Frau, die in dem Artikel der „Nation“ in eben diesem Gesetzbuch, also vermögensrechtlich in der Verwaltungsgemeinschaft als gesetzlichem Güterrecht. „die zu einem gedeihlichen Wachstum nötige Basis“ sieht, die in dem erwähnten Artikel der Unzufriedenheit der „Frauenrechtlerinnen“ mit der ihnen angewiesenen vermögensrechtlichen Stellung entgegentritt; sie, die in der 154 Ob die hier von Frau Dr. Kempin in der „Post“ für die Stellung, die das bürgerliche
Gesetzbuch dem Manne giebt, gewählte Bezeichnung wohl etwas anderes bedeutet, als die nach Frau Dr. Kempin in der „Nation“ im Bürgerlichen Gesetzbuch aufgegebene Anschauung, daß der Mann das „Haupt der Ehe“ sei?
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„Nation“ das Bürgerliche Gesetzbuch vor dem Vorwurf der Rückständigkeit bewahren will, nennt in der „Post“ die Verwaltungsgemeinschaft „ein lange überlebtes System“, und die Gütertrennung „das einzige System, welches dem weiblichen Geschlecht in der Ehe eine würdige Stellung anweist“. „Die Verwaltungsgemeinschaft“, so ist dort ihre Überzeugung, „stellt uns vor ein aut – aut. Entweder bietet sie der Frau den notwendigen Schutz nicht, sondern giebt sie und ihre Kinder dem Leichtsinn, der Pflichtvergessenheit, dem Unvermögen eines unglücklich veranlagten Mannes preis, oder sie giebt zwar die Möglichkeit des Schutzes, aber sie zerrüttet die Ehe. In beiden Fällen ist das System zu verwerfen.“ Man wird zugeben müssen, daß niemand geschickter gegen Frau Dr. Kempin in der „Nation“ argumentieren könnte als Frau Dr. Kempin in der „Post“. Eine seltsame Wandlung der Überzeugungen! Es wird nach dem Gesagten einleuchten, daß es für die Frauenbewegung in hohem Grade bedenklich gewesen wäre, auf den Artikel in der Nation zu schweigen, um so bedenklicher, als wir nicht wissen können – das Wort wird nach den vorstehenden Ausführungen niemand zu hart erscheinen – welche Gestalt die Anschauungen und Ratschläge der Frau Dr. Kempin noch annehmen werden. Solchen gleitenden Überzeugungen gegenüber ist eine Warnung einfache Pflicht der Selbsterhaltung. Helene Lange
39.
Anton Menger: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (Auszüge), 1890
MENGER, Anton: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890 Kommentar: Der Wiener Zivilprozeßrechtler und Sozialist Anton Menger (1841-1906), der neben Gierke als herausragender Kritiker des BGB-Entwurfs gilt, analysiert in seinem Werk „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen“ auch das Familienrecht des BGB-Entwurfs (vgl. zu Mengers Positionen z.B. Riedel, S. 213-231). Zu den Schwerpunkten seiner Kritik zählt das Ehegüterrecht. Die Verwaltungsgemeinschaft sei im Prinzip ein angemessenes Recht für die „vornehmen Bevölkerungsschichten, zu welchen man die Geburts-, Finanz- und Beamtenaristokratie, sowie auch das höhere Bürgertum zählen kann“. Dort „ist die Ehegattin kaum mehr als ein anmutiges Dekorationsstück“ (S. 46). Angemessen für die mittleren Klassen, in welchen die Frau ihre Arbeit einbringe, sei die Errungenschaftsgemeinschaft und angemessen für die besitzlosen Klassen sei die Gütergemeinschaft, aber ohne eine herausragende Stellung des Ehemanns (S. 47 f.). Ein weiteres Hauptanliegen Mengers ist die Kritik am Nichtehelichenrecht, dessen Besprechung einen Großteil seiner familienrechtlichen Ausführungen ausmacht. Er rügt die schlechte Rechtsstellung nichtehelicher Mütter und Kinder und sieht hierin zugleich eine gezielte Benachteiligung der besitzlosen Volksklassen. Den fehlerhaften Regelungen des BGB-Entwurfs und anderer Rechte hält er das Nichtehelichenrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts (PrALR) entgegen: „Ich glaube, dass das allgemeine Landrecht mit diesen Bestimmungen, welchen noch einige andere anzureihen wären, die Linie zwischen den Interessen der besitzenden und der besitzlosen Klassen im grossen und ganzen richtig gezogen hat.“ (S. 74)
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„Nation“ das Bürgerliche Gesetzbuch vor dem Vorwurf der Rückständigkeit bewahren will, nennt in der „Post“ die Verwaltungsgemeinschaft „ein lange überlebtes System“, und die Gütertrennung „das einzige System, welches dem weiblichen Geschlecht in der Ehe eine würdige Stellung anweist“. „Die Verwaltungsgemeinschaft“, so ist dort ihre Überzeugung, „stellt uns vor ein aut – aut. Entweder bietet sie der Frau den notwendigen Schutz nicht, sondern giebt sie und ihre Kinder dem Leichtsinn, der Pflichtvergessenheit, dem Unvermögen eines unglücklich veranlagten Mannes preis, oder sie giebt zwar die Möglichkeit des Schutzes, aber sie zerrüttet die Ehe. In beiden Fällen ist das System zu verwerfen.“ Man wird zugeben müssen, daß niemand geschickter gegen Frau Dr. Kempin in der „Nation“ argumentieren könnte als Frau Dr. Kempin in der „Post“. Eine seltsame Wandlung der Überzeugungen! Es wird nach dem Gesagten einleuchten, daß es für die Frauenbewegung in hohem Grade bedenklich gewesen wäre, auf den Artikel in der Nation zu schweigen, um so bedenklicher, als wir nicht wissen können – das Wort wird nach den vorstehenden Ausführungen niemand zu hart erscheinen – welche Gestalt die Anschauungen und Ratschläge der Frau Dr. Kempin noch annehmen werden. Solchen gleitenden Überzeugungen gegenüber ist eine Warnung einfache Pflicht der Selbsterhaltung. Helene Lange
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Anton Menger: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (Auszüge), 1890
MENGER, Anton: Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890 Kommentar: Der Wiener Zivilprozeßrechtler und Sozialist Anton Menger (1841-1906), der neben Gierke als herausragender Kritiker des BGB-Entwurfs gilt, analysiert in seinem Werk „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen“ auch das Familienrecht des BGB-Entwurfs (vgl. zu Mengers Positionen z.B. Riedel, S. 213-231). Zu den Schwerpunkten seiner Kritik zählt das Ehegüterrecht. Die Verwaltungsgemeinschaft sei im Prinzip ein angemessenes Recht für die „vornehmen Bevölkerungsschichten, zu welchen man die Geburts-, Finanz- und Beamtenaristokratie, sowie auch das höhere Bürgertum zählen kann“. Dort „ist die Ehegattin kaum mehr als ein anmutiges Dekorationsstück“ (S. 46). Angemessen für die mittleren Klassen, in welchen die Frau ihre Arbeit einbringe, sei die Errungenschaftsgemeinschaft und angemessen für die besitzlosen Klassen sei die Gütergemeinschaft, aber ohne eine herausragende Stellung des Ehemanns (S. 47 f.). Ein weiteres Hauptanliegen Mengers ist die Kritik am Nichtehelichenrecht, dessen Besprechung einen Großteil seiner familienrechtlichen Ausführungen ausmacht. Er rügt die schlechte Rechtsstellung nichtehelicher Mütter und Kinder und sieht hierin zugleich eine gezielte Benachteiligung der besitzlosen Volksklassen. Den fehlerhaften Regelungen des BGB-Entwurfs und anderer Rechte hält er das Nichtehelichenrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts (PrALR) entgegen: „Ich glaube, dass das allgemeine Landrecht mit diesen Bestimmungen, welchen noch einige andere anzureihen wären, die Linie zwischen den Interessen der besitzenden und der besitzlosen Klassen im grossen und ganzen richtig gezogen hat.“ (S. 74)
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Gerade in seiner Eigenschaft als Kritiker des BGB wurde Menger auch in Teilen der deutschen Frauenbewegung rezipiert. Zumindest der linke Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung empfand durchaus Sympathie für viele Anliegen der „besitzlosen Volksklassen“ und setzte sich selbst für Verbesserungen der Lage der Arbeiterinnen ein. Zu einer echten Aktionseinheit bürgerlicher und sozialistischer Frauenverbände kam es bekanntlich nicht. Doch kann festgehalten werden, daß Menger Arbeit und Positionen des Rechtsschutzvereins Dresden um Marie Stritt und Adele Gamper deutlich beeinflußt hat. Adele Gamper (Nr. 22) beruft sich offen auf Menger. Marie Stritt (Nr. 63, S. 136 f.) sieht Menger gar deutlicher als die „allzu trockenen“ Ausführungen Kempins von 1892 (Nr. 28) als auslösenden Faktor der Frauenproteste: „Die Stimme, die sich zu Gunsten der wirtschaftlich und sozial Schwachen und Unterdrückten erhob und lebhaften Widerhall bei allen Fortschrittsfreunden, Fachmännern wie Laien, fand, wurde sogar von den Urhebern des Entwurfes und seinen begeisterten Lobrednern als ,die einzig berufene Stimme’ anerkannt. Das schnell berühmt und populär gewordene Buch von Professor Anton Menger-Wien ,Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen‘ fand denn auch innerhalb der deutschen Frauenbewegung, die inzwischen einen erfreulichen Aufschwung genommen hatte und von verschiedenen in den letzten Jahren neugebildeten Centren aus (Berlin, München, Dresden u. s. w.) eine rührige allgemeine Propaganda entwickelte, lebhafte Sympathie und Zustimmung. Die Erkenntnis ihrer prekären und unwürdigen Stellung, die so lange hatte auf sich warten lassen, war endlich einem Teil der bürgerlichen Frauen gekommen – damit zugleich aber auch die Erkenntnis von dem Ernst der Situation und von der Notwendigkeit der Selbsthilfe.“
Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen. Zweite Abteilung. Das Familienrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. XIV. (39) Die Aufklärungsperiode hat angenommen – und dies war ihr grösster Irrtum – dass neben und über den positiven Rechten der einzelnen Staaten ein Naturrecht bestehe, an welchem die Gerechtigkeit der positiven Rechtssysteme gemessen und aus dem sie nötigenfalls ergänzt werden können. Ein solches Normalrecht existiert nun in Wirklichkeit nicht, mag man das Naturrecht als das Recht des Naturzustandes der Menschheit oder als das auf Vernunftbegriffen a priori beruhende Recht oder endlich als die aus der Natur der Lebensverhältnisse sich ergebende Rechtsordnung auffassen. Das wirkliche Leben der Völker bietet uns vielmehr nur Machtverhältnisse zwischen den einzelnen Klassen und Gruppen der Gesellschaft dar, welche dauernde Anerkennung und dadurch den Charakter von Rechten, Rechtsverhältnissen und Rechtsinstituten erlangt haben. Kein Rechtssatz, wie natürlich er auch dem unbefangenen Beobachter erscheinen mag, kann Dasein und Geltung behaupten, wenn er mit den bestehenden Machtverhältnissen, namentlich auch mit dem (40) Interesse der Herrschenden und Besitzenden im Widerspruch steht. Diese wichtige Wahrheit erhält ihre sicherste Beglaubigung, wenn wir die Gestaltung des Familienrechts in den positiven Rechtssystemen in Betracht ziehen. Kein Teil des Privatrechts hat in den natürlichen Grundlagen des Menschengeschlechts so tiefe Wurzeln wie gerade das Familienrecht. Das Zusammenleben von Mann und Weib, die Erzeugung und die Erziehung der Kinder bis zu dem Au-
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genblick, wo sie sich selbst erhalten können – all dies sind Naturvorgänge, welche unter der Herrschaft jeder Rechtsordnung in irgend einer Form wiederkehren müssen und die sogar bei zahlreichen Gattungen des Tierreichs ihr Seitenstück haben. Dies ist auch der Grund, weshalb die römischen Juristen das Familienrecht zu dem natürlichen Rechte zählen, dessen Satzungen die Natur nicht bloss dem Menschen, sondern allen tierischen Wesen eingeprägt hat. Hier also, auf dem Gebiete des Familienrechts, sollte man erwarten, dass der feindliche Gegensatz zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen vollständig zum Schweigen verurteilt sein wird, und dass eine der Natur der Lebensverhältnisse entsprechende Rechtsordnung ihr Dasein behauptet hat. In Wirklichkeit ist dies aber keineswegs der Fall. Auch jener Teil des Privatrechts, durch welchen die Fortpflanzung der Menschen und der Wechsel der Generationen geordnet wird, leidet an denselben Gebrechen, wie das Vermögensrecht, indem auch die Rechtsregeln und Rechtsinstitute des Familienrechts vom Standpunkt der Besitzenden aus gedacht und ausgebildet sind. Ja diese Einseitigkeiten sind hier vielleicht (41) noch drückender, weil es zu ihrer gründlichen Beseitigung nicht, wie auf dem Gebiete des Vermögensrechts, einer durchgreifenden Umbildung des überlieferten Rechtszustandes bedarf. Ich will auch von diesen Mängeln des Familienrechts nur jene hervorheben, welche innerhalb der besitzlosen Volksklassen für weite Kreise von entscheidender Bedeutung sind und alle minder wichtigen Fragen an dieser Stelle bei Seite setzen. XV. Am wenigsten tritt dieser einseitige Standpunkt unseres Familienrechts bei der Ehe hervor, welches Rechtsinstitut in den positiven Rechtssystemen und so auch im Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches in einer gerechten und unparteiischen Weise geordnet ist. Der Grund dieser Erscheinung, welche bei dem Fundamentalinstitut des Familienrechts doppelt befremden muss, liegt zunächst in der Thatsache, dass die Ehe, welche lange Zeit der Gesetzgebungsgewalt der Kirche unterstand, von dieser als ein ausschliesslich sittlich-religiöses Institut betrachtet und dadurch dem Streite der materiellen Interessen bis zu einem gewissen Grade entrückt wurde. Dann aber – und dies mag als die Hauptursache gelten – ist die Ehe zu allen Zeiten ein Rechtsgeschäft gewesen, welches regelmässig nur zwischen Personen von der gleichen gesellschaftlichen Lebensstellung abgeschlossen wurde, so dass nicht standesgemässe Ehen als eine seltene Ausnahme betrachtet werden können. Als daher der Staat im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert der Kirche das Gesetzgebungsrecht über die Ehe aus den Händen nahm, so war kein Bedürfnis vorhanden, den (42) Normen des Eherechts eine gegen die besitzlosen Volksklassen gerichtete Tendenz zu verleihen. Selbst das Rechtsinstitut der Ebenbürtigkeit und der Missheirat, welches nach den Motiven (I, 10 ff.) bei den souveränen Häusern und dem hohen Adel des deutschen Reiches aufrecht erhalten werden soll, ist der Natur der Sache nach mehr gegen den Bürgerstand und den niederen Adel, als gegen die besitzlosen Volksklassen gerichtet. Diese unparteiische Haltung der Gesetzgebung über die Ehe hat auch bewirkt, dass dieses Rechtsinstitut von dem Sozialismus verhältnismässig nur wenig angegriffen wird. Von einer Weltanschauung wie der Sozialismus, welche eine durchgreifende Umbildung des Privateigentums anstrebt, sollte man auf den ersten Blick erwarten, dass sie auch das zweite Fundamentalinstitut des Privatrechts: die
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Ehe verwerfen wird. In Wirklichkeit ist aber von den drei grundlegenden Einrichtungen unserer bürgerlichen Gesellschaft: dem Privateigentum, der Religion und der Ehe, welche Robert Owen einmal die Dreieinigkeit des Unheils (Trinity of curse) genannt hat, die sozialistische Strömung hauptsächlich gegen das Eigentum, weniger gegen die Religion, am wenigsten gegen die Ehe gerichtet. Dies mag zur Bestätigung der schon früher hervorgehobenen Wahrheit dienen, dass die sozialen Gegensätze der Gegenwart nicht nur durch die Grundideen unserer Privatrechtsordnung, sondern vielleicht in eben demselben Masse auch durch deren einseitige und parteiische Ausführung, welche fast ausschliesslich ein Werk der Juristen ist, hervorgerufen werden. Freilich darf bei der Würdigung dieser Erscheinung (43) auch nicht übersehen werden, dass die moderne Ehe, wie sie sich unter der Einwirkung kirchlicher und staatlicher Einflüsse ausgebildet hat, entfernt nicht jene furchtbaren Uebelstände zur Folge hat, wie das Privateigentum. Ein Gegensatz, wie jener zwischen Reich und Arm, ist auf dem Gebiete des ehelichen Lebens überhaupt nicht vorhanden; ob der Einzelne in der Ehe eine grössere oder geringere Befriedigung seiner geistigen und physischen Bedürfnisse findet, hängt von individuellen Verhältnissen und vielfach vom Zufall ab. Wäre für die Befriedigung jener Bedürfnisse, welchen das Privateigentum dienen soll, durch dieses ebenso gut gesorgt wie auf dem Gebiet des Geschlechtslebens durch die Ehe, so würden sich die sozialistischen Parteien wohl auch mit dem Privateigentum in seiner überlieferten Form zufrieden geben. Dies mögen die Gründe sein, weshalb nur wenige der konsequentesten Sozialisten, unter welchen ich Plato, den Hebertisten Boissel, Charles Fourier und den SaintSimonisten Enfantin hervorhebe, auch eine grundsätzliche Umbildung der Ehe angestrebt haben. Was die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs über das Eherecht betrifft, so entziehen sich dieselben wegen ihres rein juristischen Charakters an dieser Stelle unserer Betrachtung. Im allgemeinen wird man das juristische Detail, namentlich die Auswahl der Thatsachen, an welche die Ungültigkeit der Ehe geknüpft ist, ferner die doppelte Form der Geltendmachung dieser Thatsachen (Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe) wohl billigen können. Nur einen Punkt möchte ich hier hervorheben, weil derselbe in der sozialistischen Litteratur, wie ich (44) glaube, nur allzu häufig besprochen worden ist, nämlich die Frage, wann eine Scheidung der Ehe bei Lebzeiten der Ehegatten zugelassen werden soll. Ich sage, dass die sozialistischen Schriftsteller der Scheidungsfrage eine zu grosse Aufmerksamkeit geschenkt haben, weil die Wichtigkeit, die man derselben beilegt, doch vorherrschend aus der Nervosität und der Ueberfeinerung der höheren Stände entspringt. Der Entwurf gestattet die Scheidung und die Trennung von Tisch und Bett (die lediglich eine Vorbereitung für die endgültige Scheidung sein soll) nur dann, wenn auf Seite des einen Ehegatten ein schweres Verschulden vorhanden ist, nämlich wenn derselbe einen Ehebruch oder bestimmte schwere Sittlichkeitsverbrechen begangen, dem Leben des andern Ehegatten nachgestellt oder ihn böslich verlassen hat, oder endlich, wenn er durch schwere Verletzung der ihm gegen den anderen Ehegatten obliegenden ehelichen Pflichten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, dass diesem letzteren die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann (§ 1440–1444 des Entwurfs). Ich glaube, dass der Entwurf durch diese Bestimmungen, von welchen vielleicht schon die letztere für sich genügen würde, die richtige Mitte zwischen
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jenen Gesetzgebungen getroffen hat, welche, wie z.B. das katholische Eherecht an der Unauflösbarkeit der Ehe festhalten und jenen, die, wie das preussische Landrecht, schon auf Grund beiderseitiger Einwilligung der Ehegatten die Scheidung (kinderloser) Ehen gestatten, ja sogar die unüberwindliche Abneigung des einen Ehegatten zur Auflösung der Ehe als genügend erklären (Pr. L.R. II, 1. § 716 ff.). Die Familie ist in unserer Zeit die einzige Gemeinschaft, (45) in welcher das Gefühl der Brüderlichkeit und der Hingebung praktisch bethätigt wird, und die besitzlosen Volksklassen haben deshalb kein Interesse, die Festigkeit der Ehe, des Fundaments der Familie, durch allzugrosse Ausdehnung der Scheidungsgründe zu erschüttern. Erst dann, wenn die höheren Lebenskreise: die Arbeitergruppe, die Gemeinde, der Staat sozial organisiert sind und die Familie in ihren wohlthätigen Wirkungen bis zu einem gewissen Grade ersetzen, wird die Frage zu erwägen sein, ob das Band der Ehe ohne Schädigung der Gesellschaft gelockert werden kann. Bis dahin aber werden die besitzlosen Volksklassen dem Entwurf die Anerkennung nicht versagen können, dass seine Bestimmungen über die Ehe nicht nur an sich zweckmässig sind, sondern dass sie auch ihr besonderes Klasseninteresse nicht verletzen. XVI. Die ganze Sachlage verändert sich vollständig, wenn wir von der Ehe zu dem so naheliegenden Gebiete des Ehegüterrechts übergehen. Hier ist an den Bestimmungen des Entwurfs sofort der einseitige und parteiische Geist unseres Juristenstandes wahrzunehmen, der sich lediglich als Vertreter der besitzenden Klassen fühlt. Bekanntlich wird es von wohlhabenden Vätern als eine der wichtigsten Lebensaufgaben betrachtet, ihren verheirateten Töchtern, die ja in der Ehe meistens der schwächere Teil sind, ihr Vermögen und überhaupt ihre wirtschaftliche Stellung zu sichern. Demgemäss hat denn auch der deutsche Entwurf nicht weniger als fünf Ehegüterrechte aufgestellt und bis in die geringfügigsten Einzelheiten ausgebildet, so dass (46) für jeden Geschmack ein Sträusschen geflochten erscheint. In ihrem Eifer, für jenes wichtige soziale Interesse der besitzenden Volksklassen nur ja recht ausgiebig zu sorgen, haben die Verfasser des Entwurfs zur Normierung der verschiedenen Ehegüterrechte mehr als hundertfünfzig sehr umfassende Paragraphen gebraucht. Gegen diese Sorgfalt wäre an sich wenig einzuwenden, wenn sie bei Rechtsverhältnissen zwischen Armen und Reichen, wo das Kräfteverhältnis der Beteiligten doch noch unendlich ungünstiger ist als zwischen Mann und Frau, nicht regelmässig so ziemlich alles der „freien Vereinbarung“ überlassen hätten. Hiervon wird noch später ausführlich die Rede sein. Sehen wir nun zu, wie sich die vom Entwurf aufgestellten Ehegüterrechte zu den einzelnen Klassen des Volkes verhalten. In den vornehmen Bevölkerungsschichten, zu welchen man die Geburts-, Finanz- und Beamtenaristokratie, sowie auch das höhere Bürgertum zählen kann, ist die Ehegattin kaum mehr als ein anmutiges Dekorationsstück. An der Berufsthätigkeit ihres Mannes und an der häuslichen Arbeit nimmt sie persönlich fast gar keinen Anteil, ja selbst die Erfüllung ihrer intimsten Mutterpflichten: das Säugen und die Aufziehung ihrer Kinder in den ersten Lebensjahren pflegt sie auf Frauen der besitzlosen Volksklassen abzuwälzen. Häufig bringt die Frau ein Vermögen in die Ehe mit, an welchem der Mann zur Bestreitung der beträchtlichen Unterhaltskosten die Nutzung erhält. Wird dann die Ehe aufgelöst, so erhält die Frau ihr Ei-
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gentum zurück, auf das während der Ehe erworbene Vermögen hat sie, die ja immer nur konsumiert hat, naturgemäss keinen (47) Anspruch. Dieses Ehegüterrecht wird als die „Verwaltungsgemeinschaft“ bezeichnet, weil in demselben das Vermögen beider Ehegatten während der Dauer der Ehe in der einheitlichen Verwaltung des Ehemannes steht. Wesentlich anders gestaltet sich die Lage bei den mittleren Klassen, zu welchen die unteren Schichten des Bürgertums und die höher qualifizierten Arbeiter zu rechnen sind. Hier wirft die Gattin regelmässig nicht nur ihr Vermögen, sondern auch ihre Arbeit in die Ehe ein, indem sie die häuslichen Dienste verrichtet und auch an der Berufstätigkeit des Mannes in grösserem oder geringerem Masse teilnimmt. Die natürliche Gestaltung des Ehegüterrechts für diese Lebenskreise ist die Errungenschaftsgemeinschaft, d. h. die Ehegatten behalten das Vermögen, welches sie zur Zeit der Eheschliessung besassen, das während der Ehe erworbene Vermögen gehört dagegen Beiden gemeinschaftlich. Bei den besitzlosen Volksklassen werfen endlich die Ehegatten zumeist nur ihre Arbeit in die Ehe ein; das Vermögen, das sie sich etwa zubringen, ist regelmässig geringfügig und einem raschen Verbrauch unterworfen. Während aber die Thätigkeit der Gattin bei den höheren und selbst bei den mittleren Schichten der Bevölkerung hinter der Arbeit des Mannes beträchtlich zurücktritt, ist die Frau dem Manne in einer dürftigen Ehe in dieser Richtung mindestens ebenbürtig. Nicht nur dass die häusliche Arbeit vollständig der Gattin obliegt, sondern es ist auch eine ganz gewöhnliche Erscheinung, dass sie ausserdem noch für sich eine besondere Berufsthätigkeit ausübt. Die für (48) solche Verhältnisse allein passende Gestaltung des Ehegüterrechts ist die Gütergemeinschaft, deren Wesen darin besteht, dass sowohl das zur Zeit der Eheschliessung als auch das später erworbene Vermögen ein gemeinschaftliches Gut beider Ehegatten wird. Ja mit Rücksicht auf die umfassende Thätigkeit, welche der Frau im ehelichen Leben der Armen obliegt, erscheint es mir sehr zweifelhaft, ob die hervorragende Stellung, welche der deutsche Entwurf dem Ehemann auch in der Gütergemeinschaft zuweist, für diese Volkskreise hinreichend gerechtfertigt ist. Und hier zeigt es sich mit voller Klarheit, wie sehr unsere Juristen und Gesetzgeber die Tendenz haben, alle Lebensverhältnisse vom Standpunkt der Reichen und Vornehmen zu beurteilen, deren soziale Lage ihnen allerdings am besten vertraut ist. Denn jene erste Form des Ehegüterrechts: die Verwaltungsgemeinschaft, welche nur den Bedürfnissen ganz enger Lebenskreise entspricht, soll nach dem Entwurf (§ 1283 ff., 1333) bei jeder Ehe Anwendung finden, sofern die Ehegatten nicht durch einen in gerichtlicher oder notarieller Form abgeschlossenen Ehevertrag ein anderes Ehegüterrecht erwählen. Bei der tiefen Unwissenheit, welche unter den besitzlosen Volksklassen in Ansehung der Normen des Privatrechts herrscht, werden arme Ehepaare regelmässig von der ganzen Existenz eines Ehegüterrechts nur eine schwache Vorstellung besitzen, geschweige denn, dass sie unter den fünf gesetzlichen Ehegüterrechten eine sachgemässe Auswahl treffen könnten. Unterlassen sie aber die Abschliessung eines Ehevertrags, so findet auf ihre dürftige Ehe sofort das Ehegüterrecht der Geheimräte (49) und der Millionäre von Gesetzeswegen Anwendung.
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Solang der Staat nicht in dem oben (vgl. XII.) angedeuteten Sinne organische Einrichtungen schafft, um die besitzlosen Volksklassen vor den schädlichen Folgen der Rechtsunkenntnis zu schützen, wird sich dieser Uebelstand auch kaum vollständig beseitigen lassen. Da jedoch die Ansprüche der unteren Volksklassen naturgemäss ihre Befriedigung von Seiten der Gesetzgebung nur ganz allmählich erwarten können, so sollte bis dahin dem Standesbeamten, vor welchem die Ehe abgeschlossen wird, durch das Gesetz die Verpflichtung auferlegt werden, arme Ehepaare über den Inhalt der verschiedenen Ehegüterrechte zu unterrichten, damit diese ihre Wahl mit Sachkenntnis und Ueberlegung treffen können. Natürlich müsste auch dafür Sorge getragen werden, dass die gerichtliche oder notarielle Form, welche das Gesetz für die Eheverträge vorschreibt, für dürftige Eheleute mit keinen Kosten verbunden ist. XVII. Alle Zivilgesetzbücher legen den Verwandten in auf- und absteigender Linie unter gewissen Voraussetzungen die Unterhaltspflicht auf; insbesondere sind die Eltern verpflichtet, ihre ehelichen Kinder zu erziehen und sie so lange zu erhalten, bis sie selbst für ihr Fortkommen Sorge tragen können. Noch weiter geht der deutsche Entwurf (§ 1480), nach welchem sich auch die Geschwister unter Umständen gegenseitig den notdürftigen Unterhalt gewähren müssen (§ 1489 d. Entw.). Vom Standpunkt der sozialen Massenwirkungen (50) kommt hier nur der Unterhalt der Kinder durch die Eltern in Betracht; die übrigen Fälle der Unterhaltsverpflichtung sind vergleichsweise von geringer Bedeutung. Wie ist aber der Unterhalt dem Berechtigten von dem Verpflichteten zu gewähren? Nach dem Entwurf (§ 1491) hat der Verpflichtete denselben regelmässig in der Form einer Geldrente zu leisten. Nur wenn dem Verpflichteten gegenüber dem Berechtigten ein Erziehungsrecht zusteht, so hat er das Recht, selbst die Art der Gewährung des Unterhaltes zu bestimmen. Da das Erziehungsrecht in erster Reihe dem ehelichen Vater und nach seinem Tode der ehelichen Mutter zusteht, so können die Eltern nach freiem Ermessen bestimmen, in welcher Weise das Kind zu erhalten ist (§ 1501, 1502, 1504, 1655 d. Entw.). Aus dieser Darstellung ist leicht ersichtlich, mit wie grossem Recht den Verfassern des Entwurfs in einem früheren Abschnitt dieser Abhandlung der Vorwurf einer abstrakten und unvolkstümlichen Darstellungsweise gemacht worden ist. Jeder Gesetzgeber, der auch nur das geringste Formtalent besitzt, wird bei Darstellung der Unterhaltspflicht zunächst die Alimentationsverpflichtung der Eltern gegenüber ihren ehelichen Kindern normieren, weil dieser Fall die ungeheure Mehrzahl aller Unterhaltsverpflichtungen bildet und jedem, selbst dem Aermsten und Ungebildetsten, aus den Erfahrungen seiner Jugend wohl bekannt und vertraut ist; erst dann sind die besonderen Bestimmungen für die seltener vorkommenden Alimentationsfälle anhangsweise beizufügen. Wie haben aber die Verfasser des Entwurfs diese (51) wahrlich sehr einfache Formfrage gelöst? Als echte Lehrbuchsjuristen haben sie eine abstrakte, alle Fälle umfassende Alimentationspflicht konstruiert und die meisten Rechtsregeln auf diesen abstrakten Begriff bezogen. Daher bestimmen sie in allem Ernst, dass der Unterhalt regelmässig in einer Geldrente zu leisten ist und gestatten nur ausnahmsweise, dass die Eltern auch eine andere Form der Alimentation wählen können. Diese Formulierung erinnert denn doch durch ihre naive Umkehrung von Re-
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gel und Ausnahme an das bekannte Witzblatt, welches täglich mit Ausnahme der Wochentage erscheint! Denn auf dem Gebiete des Unterhalts bildet glücklicherweise die Naturalwirtschaft noch die weit überwiegende Regel, da die Kinder von ihren Eltern – und dies ist die ungeheure Mehrzahl aller Alimentationsfälle – ihren Unterhalt meistens in Natur entweder im elterlichen Hause oder von einem Dritten im Namen der Eltern empfangen. Wer überhaupt lernen will, wie man die Sache anzugreifen hat, um ein allen Staatsbürgern ohne Unterschied der Lebensstellung wohlbekanntes Rechtsinstitut in einer möglichst abstrakten und unverständlichen Weise darzustellen, braucht nur den Titel des deutschen Entwurfs über die Unterhaltspflicht zu lesen. XVIII. Die Eltern haben also das Recht, die Art und Weise, wie der Unterhalt dem Kinde zu gewähren ist, nach freiem Ermessen zu bestimmen (§§ 1491, 1504, 1506 d. Entw.). Diese Ausnahme oder vielmehr diese Regel zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, weil dieselbe (52) eine grosse Ungerechtigkeit gegen die besitzlosen Klassen in sich birgt. In dem ersten Lebensjahr wird dem neugeborenen Kind der wichtigste Teil des Unterhaltes, nämlich die Nahrung, in der Weise gereicht, dass es von der Mutter oder einer anderen Frau gesäugt wird. Diese der Natur allein entsprechende Ernährung ist für das körperliche und geistige Wohlbefinden des Kindes in seinem weiteren Lebenslauf erfahrungsgemäss von entscheidender Bedeutung. Treten Ersatzmittel an die Stelle der natürlichen Nahrung, so ist, namentlich wenn das Kind auch sonst vernachlässigt wird, nicht selten der Tod, in zahlreichen Fällen lebenslängliches Siechtum die Folge. Hier greift nun jener Rechtssatz ein, dass die Eltern die Art und Weise, wie der Unterhalt dem Kinde zu leisten ist, nach freiem Ermessen bestimmen können. Kraft dieser Gesetzesnorm werden die wohlhabenden Familien die Ernährung der Kinder in der ersten Zeit ihres Lebens gegen eine bestimmte Entlohnung armen Frauen und Mädchen übertragen, welche vor Kurzem geboren haben und die dann ihr Kind regelmässig mit künstlichen Nahrungsmitteln aufziehen müssen. Der deutsche Entwurf führt dadurch nichts Neues ein, da das Ammenwesen selbst in der Praxis jener Länder, deren Gesetzgebung eine ähnliche Bestimmung nicht enthält, allgemein anerkannt ist. Würde es sich bei der Ernährung der Kinder in ihrer ersten Lebenszeit lediglich um die Frauen der besitzlosen Volksklassen handeln, so wäre die Regel, dass die Mutter zur Stillung ihres eigenen Kindes persönlich verpflichtet ist, gewiss schon längst von Juristen und Rechtsphilosophen als die natürlichste und (53) notwendigste aller Gesetzesbestimmungen anerkannt. Denn die Natur selbst weist das Weib durch gewisse Veränderungen in seinem Körper zur Erfüllung seiner Mutterpflicht an und ahndet die Verletzung ihres Gebotes durch schwere körperliche Nachteile. Gilt ja doch auch sonst der Grundsatz, dass Handlungen, welche auf Grund von Verhältnissen des reinen Familienenrechts zu leisten sind, von dem Verpflichteten regelmässig in Person vorgenommen werden müssen. Selbst bei Schuldverhältnissen, welche auf dem persönlichen Vertrauen der vertragschliessenden Teile beruhen, z. B. bei dem Auftrag oder der Gesellschaft, soll nach dem Entwurf im Zweifel nur die persönliche Leistung gestattet sein (§ 588, 638 d. Entw.). Und bei einem so intimen, rein familienrechtlichen Akt wie die Ernährung
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des Kindes in seiner ersten Lebenszeit, welcher nichts als die Fortsetzung und der Abschluss des durch den Beischlaf und die Schwangerschaft geschaffenen Zustandes ist, darf eine Stellvertretung durch Andere stattfinden, weil eine solche Ausnahme durch unerhebliche Bequemlichkeitsinteressen der höheren Stände gefordert wird. Denn in der That sind die Interessen der besitzenden Bevölkerungsschichten und insbesondere ihrer Frauen, welche durch diesen Zustand befriedigt werden, nicht sehr bedeutend, wenn man sie mit dem Schaden vergleicht, der dadurch den besitzlosen Volksklassen zugefügt wird. Wenn gesunde Frauen der besitzenden Volksklassen sich bei Erfüllung ihrer Mutterpflichten durch Ammen vertreten lassen, so thun sie dies kaum aus einem anderen Grunde, als aus Bequemlichkeit oder deshalb, weil sie ihren gesellschaftlichen Vergnügungen (54) nicht auf längere Zeit entsagen wollen. Dagegen wird das Kind der Amme, welchem die mütterliche Nahrung und auch sonst ihre Pflege mangelt, oft dem Siechtum, nicht selten sogar dem Tode preisgegeben. Ja man müsste Frauen, die für Geld ihre eigenen Kinder der Verkümmerung überliefern, um fremde Kinder zu ernähren, aufs Tiefste verabscheuen, wenn man nicht wüsste, dass sie zu einer solchen Handlungsweise meistens nur durch den Drang der bittersten Not bestimmt werden. In der That wird nur durch die Gesetze über die unehelichen Kinder bewirkt, dass sich stets Frauenspersonen finden, die sich von den wohlhabenden Familien als Ammen verwenden lassen. Ehefrauen werden der grossen Regel nach niemals geneigt sein, ihre eigenen Kinder zu Gunsten fremder Bequemlichkeit der Verkümmerung preiszugeben. Da jedoch die Mädchen, welche unehelich geboren haben, durch eine vollkommen einseitige Gesetzgebung unmittelbar nach der Geburt in die bitterste Not gestürzt werden, so müssen sie sich jede Bedingung auflegen lassen, um nur sich und ihr Kind notdürftig zu erhalten. Die Nachteile, welche durch diese Zustände nicht nur den Beteiligten, sondern auch den besitzlosen Volksklassen in ihrer Gesamtheit zugefügt werden, kann man kaum hoch genug anschlagen. Denn dadurch werden in der Zeit der grössten Empfänglichkeit die Keime des physischen Verderbens in hunderttausende von Kindern gelegt, welche später meistens in die arbeitenden Klassen eintreten und deren körperliche und geistige Gesamthaltung ungünstig beeinflussen. Deshalb sollten die besitzlosen Volksklassen auf die Beseitigung (55) dieser Uebelstände mit Ernst und Nachdruck hinwirken, obgleich von denselben die Frauenspersonen, welche sich von den Mitgliedern der höheren Stände haben verführen lassen, meistens gehasst und verachtet werden. Aber auch der Staat und die Gesetzgebung haben alle Ursache, schon aus Rücksichten auf die Gesundheitspflege in diese Zustände ordnend einzugreifen. Freilich wird gar mancher, welcher sein Urteil durch Redensarten beherrschen lässt, dagegen die Freiheit der Vertragsschliessung und die Unantastbarkeit des Familienlebens der Besitzenden geltend machen. Allein die Wirkung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit ist auf dem Gebiete des reinen Familienrechts ohnedies in die engsten Grenzen gebannt; weder der gesetzliche Inhalt der Ehe noch jener des Rechtsverhältnisses zwischen den Eltern und ihren ehelichen Kindern kann durch Verträge in wesentlichen Punkten abgeändert werden. Auch hat sich die staatliche Gesetzgebung zur Hebung des Gesundheitszustandes der arbeitenden
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Volksklassen nicht gescheut, in die Freiheit des Lohnvertrags, dem der privatrechtliche Charakter doch weit mehr aufgeprägt ist, durch die Fabrikgesetzgebung und durch andere soziale Massregeln sehr tief einzugreifen, wie denn überhaupt die Periode, wo die Privatrechte lediglich eine Privatsache der Beteiligten waren, entschieden ihrem Ende entgegeneilt. Ebensowenig kann davon die Rede sein, dass durch eine solche Umbildung der Alimentationspflicht in das Familienleben der besitzenden Volksklassen störend eingegriffen werde. Dadurch, dass das Gesetz die ehelichen Mütter der wohlhabenden Bevölkerungsschichten zur persönlichen Erfüllung ihrer Mutterpflicht (56) nötigt, werden vielmehr die Beziehungen zwischen Mutter und Kind nur inniger und natürlicher gestaltet und zugleich auch für das Verhältnis zwischen den unehelichen Müttern und ihren Kindern wenigstens die Möglichkeit einer befriedigenden Entwickelung geschaffen. Was wirklich eine Beeinträchtigung erfahren müsste und sollte, wäre nur die selbstsüchtige Vergnügungssucht und Bequemlichkeitsliebe der wohlhabenden Frauen. Um diese Zwecke vollständig zu erreichen, müsste im § 1491 des deutschen Entwurfs bestimmt werden, dass die Eltern zwar das Recht haben, über die Form, in welcher den Kindern der Unterhalt zu gewähren ist, nach freiem Ermessen zu bestimmen, dass aber die eheliche und die uneheliche Mutter jedenfalls verpflichtet sind, das Kind in seiner ersten Lebenszeit selbst zu stillen und dass dabei eine Stellvertretung nur durch Frauenspersonen zulässig sei, welchen ihr eigenes Kind gestorben ist. Sollte sich aber eine solche Bestimmung, obgleich sie durch die Gerechtigkeit, ja durch die Natur selbst gefordert wird, bei den bestehenden Machtverhältnissen als unerreichbar erweisen, so wäre doch zum mindesten eine Stellvertretung nur dann. zu gestatten, wenn sie nach ärztlicher Untersuchung des unehelichen Kindes als zulässig erkannt und von dem Vormundschaftsgericht desselben genehmigt wird. Ich weiss sehr wohl, dass gegenwärtig, wo die Interessen der höheren Gesellschaftskreise überall einen so gewaltigen Druck ausüben, an die strenge Handhabung eines solchen Rechtssatzes nicht zu denken ist; aber die Fälle, in welchen das uneheliche Kind durch den Mangel der mütterlichen Pflege und Nahrung unmittelbar dem Tode (57) in die Arme getrieben wird, möchten dann doch wohl seltener werden. Freilich wird kein gesetzliches Verbot einem so tief eingewurzelten Unwesen vollständig steuern, wenn nicht zugleich das Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder in einer gerechteren Weise geordnet wird. Wenn die uneheliche Mutter durch das Gesetz besser gestellt wird, so wird sie ohnedies in den Fällen, wo der Vater leistungsfähig ist, der natürlichen Zuneigung zu ihrem Kinde folgen und sich seiner Pflege und Ernährung widmen. Das Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder, wie es sich nach dem Entwürfe gestalten wird, soll nunmehr näher in Betracht gezogen werden.
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XIX. Die hohe soziale Bedeutung der Gesetze über die unehelichen Kinder tritt sofort zu Tage, wenn man einen Blick auf die Zahl der unehelich Geborenen in den verschiedenen Kulturländern wirft. Ich erwähne nur, dass das deutsche Reich, welches eine relativ niedrige Ziffer der unehelichen Geburten hat, nach den neuesten Volkszählungen auf 100 Geburten 9 uneheliche Kinder aufweist. Obgleich nun die Sterblichkeit der unehelichen Kinder infolge der mangelhaften Gesetzgebung (XVIII) und anderer Verhältnisse eine sehr grosse ist, so kann man doch sagen, dass die Personen, deren bürgerliche Stellung wesentlich durch die Gesetze über die unehelichen Kinder geregelt wird, in jedem grösseren Kulturstaat nach Millionen zählen. Mit dieser grossen Wichtigkeit der Gesetze über die unehelichen Kinder steht nun der geringe Umfang der Bestimmungen, welche der deutsche Entwurf wie (58) auch die meisten älteren Zivilgesetzbücher über ein so bedeutsames Rechtsverhältnis aufstellen, in einem auffallenden Widerspruch. Hier verlässt den deutschen Entwurf sofort die Redseligkeit, welche man bei allen Rechtsinstituten, die das Interesse der höheren Gesellschaftskreise berühren, wahrnehmen kann; die ganze so überaus wichtige Frage wird in elf Paragraphen abgehandelt, die an Kürze und Knappheit mit den Bruchstücken des Zwölftafelgesetzes wetteifern können. Dagegen werden zum Beispiel die Rechtsverhältnisse aus gefundenen Sachen, trotz der Bedeutungslosigkeit des ganzen Rechtsinstituts, in nicht weniger als neunzehn Paragraphen normiert, augenscheinlich bloss deshalb, weil die Reichen nicht selten in die Lage kommen, wertvolle Sachen zu verlieren. Und doch darf man nicht vergessen, dass kaum irgend ein Rechtsinstitut zu so viel Prozessen Anlass gibt als das Verhältnis zwischen dem unehelichen Vater und seinem Kind. Diese auffallende Kürze beruht keineswegs auf einem Zufall. Sie kehrt in dem Entwurf überall wieder, wo es sich um Rechtsverhältnisse handelt, bei welchen die Angehörigen der besitzenden Volksklassen armen und schwachen Personen gegenüberstehen und wo es gerade die Pflicht der Verfasser gewesen wäre, die Interessen dieser letzteren durch besonders ausführliche und genaue Gesetzesbestimmungen zu sichern. So werden wir später sehen, dass die Rechtssätze über den Lohnvertrag in acht, sage acht Paragraphen enthalten sind, obgleich die Existenz der grossen Mehrheit der Nation auf diesen Vertrag gegründet ist. Der Grund dieser Zurückhaltung ist leicht zu erraten. Eine klare und präzise Gesetzesbestimmung gewährt (59) dem Schwachen bei Streitigkeiten einen mächtigen Schutz. Der Arme selbst vermag sich in solchen Fällen, obgleich eine gründliche Rechtsunkenntnis sein natürliches Erbteil ist, doch leichter eine feste Ueberzeugung vom Dasein seines Rechtes zu verschaffen und andererseits wird der Gegner nicht leicht geneigt sein, gegen das klare Recht Widerspruch zu erheben. Kommt es aber gleichwohl zum Rechtsstreit, so wird auch der Arme, der auf ein zweifelloses Recht hinweisen kann, willigere Organe zu dessen Durchsetzung finden. Diese Situation ändert sich vollständig, wenn es für einen Rechtsfall an einer klaren Gesetzesbestimmung mangelt und deshalb die analoge Rechtsanwendung notwendig wird. Wie sehr die Armen und Schwachen bei dieser Form der Rechtsfindung gegenüber den besitzenden Klassen im Nachteil sind, ist schon oben (IX) ausführlich dargelegt worden. Unzählige Härten und Ungerechtigkeiten, welche der Gesetzgeber niemals wagen würde, in die Form einer Rechtsregel zu bringen,
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werden in solchen Fällen von dem Mächtigen im Wege der analogen Rechtsanwendung durchgesetzt. Denn immer werden sich in einem Privatrecht wie das unsere „rechtsähnliche Verhältnisse“ finden, die dem Mächtigen Recht geben und, wenn dies einmal ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, so wird der „Geist der Rechtsordnung“ willfährige Dienste leisten. Es ist deshalb vollkommen begreiflich und wird auch durch die Rechtsgeschichte aller Völker bestätigt, dass die Armen und Schwachen selbst harte und ungerechte Gesetze, sofern sie nur klar und für ihre Zeit möglichst vollständig waren, der Rechtsunsicherheit, d. h. der (60) analogen Rechtsanwendung und der Geltung des Gewohnheitsrechts vorgezogen haben. XX. Alle Bestrebungen des Einzelnen bezwecken entweder die individuelle Erhaltung oder die Fortpflanzung der Gattung. Von den grossen Unterabteilungen des Privatrechts dient das Vermögensrecht (Sachen-, Obligationen- und Erbrecht) dem ersten der beiden Zwecke, indem dasselbe die Rechtsinstitute enthält, durch welche dem Einzelnen jene Sachen und Dienstleistungen zugewiesen werden, die zur Erhaltung seines Daseins notwendig oder förderlich sind. Das Familienrecht umfasst dagegen jene Bestandteile des Privatrechtssystems, durch welche das Geschlechtsleben und die Fortpflanzung des Menschengeschlechts geordnet und geregelt wird. Alle Bestrebungen des Einzelnen, welche nicht der Erhaltung des Individuums oder der Fortpflanzung der Gattung dienen, fallen in das Gebiet der öffentlichen Interessen. Das Vermögensrecht kann nun auf sehr verschiedenen Grundsätzen aufgebaut werden. In dem kommunistischen Staat würden dem Einzelnen die zur Erhaltung seines Daseins notwendigen oder förderlichen Sachen und Dienstleistungen unmittelbar durch die staatlichen Organe zugewiesen werden. In unserer heutigen Privatrechtsordnung, auf welcher alle Zivilgesetzbücher beruhen, wird diese Aufgabe dadurch gelöst, dass die Objekte der äusseren Natur (die Sachen) durch das Privateigentum dem Einzelnen mit Ausschluss aller Uebrigen zu beliebiger Benützung zugeteilt und dass ferner Verträge, durch welche sich ein Staatsbürger (61) dem anderen zur Leistung von Sachen und Handlungen verpflichtet hat, als rechtsgültig und erzwingbar anerkannt werden. Die besitzlosen Volksklassen haben nun seit jeher die Tendenz gehabt, die durch das Privateigentum geschaffenen Schranken zu durchbrechen und in den durch das Gesetz den Besitzenden vorbehaltenen Rechtskreis einzudringen. So wurden im deutschen Reich im Jahr 1886 nicht weniger als 88.816 Personen wegen Diebstahls verurteilt, so dass die Zahl der verurteilten Diebe oder gar aller Diebe überhaupt nach Hunderttausenden zählen muss; der wegen Raubs, Unterschlagung und Hehlerei Verurteilten nicht zu gedenken. Dieser ungeheure Ansturm der besitzlosen Volksklassen gegen die Eigentumsordnung hat zur natürlichen Folge, dass der Staat diese durch strenge Strafgesetze gegen alle Angriffe zu schirmen sucht. Denn vom sozialen Standpunkt aus betrachtet, sind es hauptsächlich die Strafgesetze, durch welche die Eigentumsordnung gegen die besitzlosen Volksklassen geschützt und aufrecht erhalten wird, während die zivilrechtlichen Klagen mehr die Tendenz haben, dieselbe gegen Rechtsverletzungen der Besitzenden zu behaupten.
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Eine ähnliche, in fremde Rechtsgebiete eingreifende Tendenz ist nun auch auf Seite der Besitzenden wahrzunehmen, nur dass diese nicht gegen das Vermögen, sondern gegen das Geschlechtsleben der besitzlosen Volksklassen gerichtet ist. Die Wohlhabenden sind durch ihr Eigentum und das daraus fliessende arbeitslose Einkommen in die Lage versetzt, die zur Erhaltung und Förderung des individuellen Daseins dienenden Bedürfnisse im weitesten Umfang zu befriedigen. (62) Und es entspricht nur den psychologischen Gesetzen, wenn sie vielfach auch ihre Geschlechtsgenüsse über die durch die Rechtsordnung gesteckten Schranken zu erweitern suchen. Dazu kommt noch, dass das aussereheliche Geschlechtsleben der Reichen durch das späte Heiraten, durch ihre Ueberlegenheit an Vermögen und Bildung und durch zahlreiche andere soziale Einflüsse veranlasst und gefördert wird. Wie weit dieses ausserehliche Geschlechtsleben der besitzenden Volksklassen, namentlich der Männer, welches jedenfalls nur auf Kosten der Reinheit und Unantastbarkeit des Familienlebens der Armen gehen kann, in unserer Zeit reicht, ist schwer festzustellen; sicher ist nur, dass die Zahl der unehelichen Kinder in einem Lande hierfür auch entfernt keinen genügenden Anhaltspunkt bietet. Man wird wohl der Wahrheit nahekommen, wenn man annimmt, dass das aussereheliche Geschlechtsleben der wohlhabenden Männer, sofern man ihren ganzen Lebenslauf in Betracht zieht, dem ehelichen in den grösseren Städten an Umfang nicht bedeutend nachsteht und dass dasselbe auch auf dem Lande von grösster sozialer Bedeutung ist. Wie aber verhält sich der Staat und die Gesetzgebung zu dieser übergreifenden Tendenz der besitzenden Klassen auf einem Gebiete, welches mit Recht seit jeher als besonders unnahbar gegolten hat? Hier zeigt sich die volle Einseitigkeit unserer bürgerlichen Gesetzgebung. Grundsätzlich erkennen wir zwar an, dass das aussereheliche Geschlechtsleben gegen Recht und Sitte verstösst; aber während der Staat diejenigen, welche die Eigentumsinteressen der Besitzenden verletzen, mit schweren Strafen bedroht, sind die Geschlechtsinteressen (63) der besitzlosen Volksklassen im Zivil- und im Strafrecht nur ungenügend geschützt. Die Gesetzgebung des letzten Jahrhunderts hat sogar manche Bollwerke, welche frühere Zeiten gegen jene übergreifende Tendenz der besitzenden Volksklassen errichtet haben, wieder beseitigt und der Entwurf eines deutschen Zivilgesetzbuches will, so scheint es, diese verfehlte Richtung im Widerspruch mit der ganzen Zeitströmung bis zu ihren äussersten Konsequenzen durchführen. Ich weiss sehr wohl, dass aussereheliche Geschlechtsverhältnisse auch zwischen den Angehörigen der besitzlosen Volksklassen überaus häufig vorkommen. Aber die fortschreitende Einseitigkeit unserer Gesetzgebung in Beziehung auf diese so wichtige Frage ist gewiss nur durch die Rücksicht auf die Interessen der Besitzenden veranlasst worden, obgleich gerade hier ein sicheres Mittel zur Milderung der Klassengegensätze geboten war. Der Trieb zur Erhaltung des individuellen Daseins und der Geschlechtstrieb sind in ihren Wirkungen fast von gleicher Stärke. Eine weise Gesetzgebung würde deshalb trachten, durch die Rechtsinstitute, welche sich an den Geschlechtstrieb anschliessen, die Härten unserer Eigentumsordnung nach Möglichkeit zu mildern. Um die Sache ganz klar und nüchtern auszudrücken: Wenn der reiche Mann das arme Mädchen, welches sein Gefallen erregt hat, heiraten oder zum mindesten genügend mit Geld entschädigen muss, so wird in unzähligen Fällen ohne jede Stö-
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rung der Eigentumsordnung eine wohlthätige Ausgleichung der vermögensrechtlichen Gegensätze herbeigeführt werden. Wie weit die moderne Zivilgesetzgebung, insbesondere auch der deutsche Entwurf, von dieser ausgleichenden und versöhnenden (64) Tendenz entfernt sind, soll nunmehr im einzelnen dargelegt werden. XXI. Nach dem Römischen Recht wurde derjenige, welcher eine Römische Jungfrau oder eine ehrbar lebende Wittwe zum ausserehlichen Beischlaf verführte, den strengsten Kriminalstrafen unterworfen. Noch weiter ging das kanonische Recht, welches jeden ausserehelichen Beischlaf, wenn der Mann die Geschwächte nicht heiraten konnte oder wollte, mit körperlicher Züchtigung, Exkommunikation und Verweisung in ein Kloster ahndete. Im Anschluss an das kirchliche Recht hat der gemeinrechtliche Gerichtsgebrauch den ausserehlichen Beischlaf mit Geld- und Arreststrafen nach freiem richterlichem Ermessen belegt und die Gesetzgebung der einzelnen deutschen Länder hat diesen Standpunkt noch in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts vielfach festgehalten. Dagegen ist der ausserehliche Beischlaf nach dem Deutschen Reichsstrafgesetz regelmässig straflos, sofern er mit einer Frauensperson über sechzehn Jahren vorgenommen wird, es wäre denn, dass der Mann zu dem Mädchen in besonderen Verpflichtungsverhältnissen, z. B. als Vormund, Lehrer oder Erzieher steht. Ist aber das Mädchen unter vierzehn Jahren oder wird ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, von dem Manne zum Beischlaf verführt, so tritt Kriminalstrafe ein. Da jedoch die Fälle, in welchen zwischen dem Mann und der Frauensperson jenes Verpflichtungsverhältnis besteht oder wo das Mädchen das sechzehnte Lebensjahr (65) nicht vollendet hat, zu den seltenen Ausnahmen zählen, so kann man sagen, dass der uneheliche Beischlaf nach dem deutschen Reichsstrafrecht (ebenso wie nach den meisten anderen Strafgesetzbüchern) einer kriminellen Bestrafung überhaupt nicht mehr unterliegt. Einen ähnlichen Entwicklungsgang wie auf dem Gebiete des Strafrechts können wir in Ansehung der zivilrechtlichen Folgen des unehelichen Beischlafs wahrnehmen. Auch hier ist das kanonische Recht am günstigsten für die geschwächten Frauenspersonen, wie denn überhaupt der Kirche die Anerkennung nicht versagt werden kann, dass sie in dieser wichtigen Frage die Interessen der Armen wirksam vertreten hat. Nach dem kanonischen Recht muss der Mann das geschwächte Mädchen heiraten und ausstatten, während der deutsche Gerichtsgebrauch ihm das Wahlrecht gab, entweder die Geschwächte zu heiraten oder sie mit Geld abzufinden. Diesen Standpunkt teilten dann manche deutsche Landesgesetze bis in die neueste Zeit, wogegen es auch nicht an Gesetzgebungen fehlt, welche der geschwächten Frauensperson jeden Anspruch aus der blossen Thatsache des unehelichen Beischlafes versagten.
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Auch nach dem Entwurf soll ein solcher Anspruch und die ihm entsprechende Klage (die sog. Deflorationsklage) nicht stattfinden. Die Motive (Bd. 4, S. 914 u. folg.) sagen ausdrücklich, „dass durch den ausser der Ehe vollzogenen Beischlaf als solchen für die Geschwächte und Geschwängerte, auch wenn sie verführt worden oder die Schwächung oder Schwängerung während des Brautstandes von seiten des Verlobten erfolgt ist, keinerlei Anspruch, sei es auf eine Ausstattung oder auf eine Entschädigung, begründet (66) wird.“ Dadurch wird selbstverständlich nur der Anspruch der Frauensperson selbst verneint, nicht aber jener des unehelichen Kindes, welches dieselbe etwa geboren hat, wie sich sofort ergeben wird. Fragt man aber nun, aus welchen Gründen die Verfasser des Entwurfs die in weiten Gebieten Deutschlands zulässige Deflorationsklage beseitigt haben, so ist der durchschlagende Gesichtspunkt, dass die geschwächte Frauensperson in den unehlichen Beischlaf eingewilligt hat, dass aber nach einer Bestimmung des Entwurfes (§ 706) dem Beschädigten, welcher in die beschädigende Handlung eingewilligt hat, ein Anspruch auf Schadenersatz nicht zusteht. Aber die Verfasser der Motive vergessen, dass es sich bei dem unehlichen Beischlaf zum grossen Teil um Mädchen handelt, die noch minderjährig (unter 21 Jahren) und deshalb – um den geschmackvollen Kunstausdruck des Gesetzbuchs zu gebrauchen – „in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt“ sind. Eine solche Minderjährige kann nach dem Entwurf (§ 65) nicht auf das geringste Recht, ja sogar nicht auf einen thatsächlichen Zustand wie den Besitz (§ 809) ohne Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verzicht leisten, dagegen kann sie nach demselben Entwurf ihr wichtigstes Gut, nämlich ihre Frauenehre, mit voller Rechtswirkung preisgeben. Sie kann ferner eine Ehe nur mit der Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters eingehen (§ 1232), aber sie kann ohne Bedenken in eine unehliche Geschlechtsgemeinschaft eintreten, obgleich eine solche für ihre künftige Wohlfahrt meistens verderblicher ist, als selbst die unglücklichste Ehe. Kurz, wenn der Entwurf nicht reine Klassengesetzgebung treiben und mit sich selbst in Widerspruch (67) treten will, so muss er die Deflorationsklage zum Mindesten bei den minderjährigen Mädchen zulassen. Aber auch bei unbescholtenen Mädchen und Witwen, welche das Alter der Grossjährigkeit bereits erreicht haben, ist die Deflorationsklage wohl begründet. Die Motive meinen freilich, dass die Deflorationsklage sich aus allgemeinen Grundsätzen nicht rechtfertigen lasse und deren Zulassung gegenwärtig nur dazu diene, die Unsittlichkeit zu befördern. Aber hat es denn überhaupt einen Sinn, wenn sich ein Gesetzgeber die Frage stellt, ob sich eine Rechtsregel durch allgemeine Prinzipien rechtfertigen lässt. Ein theoretischer Schriftsteller, der einen im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochenen Rechtssatz verteidigt, wird allerdings jene Frage nicht umgehen können; dagegen hat der Gesetzgeber lediglich die Interessen der verschiedenen Volkskreise gegen einander abzuwägen und danach allgemeinere und speziellere Bestimmungen zu treffen. Der entscheidende Punkt wird dabei immer sein, ob die Bevölkerungsgruppe, deren Interesse in einer Rechtsregel seinen gesetzlichen Ausdruck finden soll, genügende Macht und Einfluss besitzt, um die übrigen Volkskreise zu deren Anerkennung zu bestimmen. Aber es ist nicht einmal richtig, dass sich die Deflorationsklage aus allgemeinen Grundsätzen nicht rechtfertigen lässt. Unter die Schadensersatzpflicht lässt sich freilich die Verbindlichkeit des Mannes zur Abfindung der Geschwächten nicht wohl subsumieren und die Motive haben ein leichtes Spiel, wenn sie diese Ansicht bekämpfen. Aber indem das kanonische Recht und der gemeinrechtliche
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Gerichtsgebrauch den Mann zur Dotation der Geschwächten verpflichten, haben sie den (68) familienrechtlichen Charakter des zwischen Beiden bestehenden Rechtsverhältnisses anerkannt und diesem Standpunkt ist auch der Entwurf, der die uneheliche Geschlechtsgemeinschaft und ihre Folgen in dem Familienrechte behandelt, trotz den abweichenden Ausführungen in den Motiven (IV, 851 ff.) im wesentlichen beigetreten. Auf dem Gebiete des Familienrechtes bietet aber der Unterhaltsanspruch der Frau eine zutreffende Analogie, welcher ja auch in einzelnen Fällen stattfindet, wo eine rechtsgültige Ehe überhaupt nicht vorhanden ist (§ 1258, 1454 d. E.) Und nun schliesslich die Bemerkung der Motive, dass die Deflorationsklage gegenwärtig nur zur Beförderung der Unsittlichkeit dient. Kaum wäre es der Mühe wert, diesen Gegengrund überhaupt in Betracht zu ziehen, wenn er in der Litteratur über unsere Frage nicht eine so grosse Rolle spielen würde, als ob die Mädchen und Frauen der ärmeren Volksklassen Messalinen wären, die nur darauf lauern, die arglosen Männer in die Netze des unehelichen Beischlafes zu locken. Glücklicherweise stehen aber die körperlichen Reize der Frauen mit ihrer „Geschäftsfähigkeit“ im umgekehrten Verhältnis; bei gar zu zweifelloser „Geschäftsfähigkeit“ werden sie regelmässig der natürlichen Mittel zur Verführung entbehren. Thatsächlich geht auch in der ungeheuren Mehrzahl von Fällen die Initiative zum unehelichen Beischlaf vom Manne aus und gegen diesen, nicht gegen die Frau, muss das Gesetz seine Drohungen richten. Uebrigens unterliegt es auch keinem Bedenken, dem Manne nach dem Vorbild der gemeinrechtlichen Praxis gegen die Deflorationsklage (69) die Einrede zu gewähren, dass er von der Geschwächten selbst zum Beischlaf verführt worden sei. Aber um alle diese kleinlichen Spitzfindigkeiten, von welchen die Motive des deutschen Entwurfes und die juristischen Schriften über unsere Frage angefüllt sind, handelt es sich gar nicht in erster Reihe, sondern um die grosse soziale Frage, ob die staatliche Gesetzgebung die Beeinträchtigung des Geschlechtslebens der besitzlosen Volksklassen durch die höheren Stände verhindern will, soweit ihr dies in den Schranken unserer sozialen Ordnung überhaupt möglich ist. Freilich kann man in juristischen Werken über die Ehe, namentlich aus der älteren Zeit, vielfach lesen, dass der „gemeine Mann“ bei Schliessung der Ehe auf die Jungfräulichkeit seiner Gattin keinen besonderen Wert lege. Allein je mehr die besitzlosen Volksklassen sich in Bildung und Einfluss emporheben, desto sicherer müssen sie es mit Scham und Bitterkeit empfinden, wenn die Reinheit und Unantastbarkeit ihres Familienlebens zum voraus dem vorübergehenden Vergnügen der Reichen geopfert und wenn ein solcher Recht und Sitte widersprechender Zustand von der Gesetzgebung mit verschränkten Armen betrachtet wird. XXII. Nehmen wir an, die Verführung hat stattgefunden und es ist ein uneheliches Kind geboren worden. Welches ist nun die Lage der Mutter und des Kindes? Am einfachsten ist die Sache in dem französischen Gesetzbuch (Art. 340) und seinen Nachbildungen geordnet. Nach dem französischen Recht ist die Erforschung der unehelichen Vaterschaft untersagt oder (70) mit anderen Worten, weder die uneheliche Mutter noch auch das Kind haben an den Vater irgend einen Anspruch. Dafür kann die Mutter das uneheliche Kind ohne jede Verantwortlichkeit in ein Findelhaus stecken, wo dasselbe auf öffentliche Kosten erhalten wird.
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Weiter kann wohl die Einseitigkeit und Parteilichkeit zu Gunsten der besitzenden Volksklassen nicht mehr getrieben werden, als wenn der Staat oder die staatlichen Verbände die Kosten für die Ausschweifungen der wohlhabenden Männer übernehmen. Die Redner, welche den Art. 340 des französischen Gesetzbuchs im gesetzgebenden Körper und im Tribunat zu vertreten hatten, machten auch gar kein Hehl daraus, dass es sich darum handle, die Vermögens- und Familieninteressen der Wohlhabenden gegen die besitzlosen Volksklassen zu schützen. Die Bestimmung des französischen Gesetzbuchs ist so auffallend ungerecht und einseitig, dass sie nur als Rückschlag gegen eine entgegengesetzte Uebertreibung der revolutionären Gesetzgebung verstanden werden kann. Der französische Konvent, wohl die einzige parlamentarische Versammlung, welche wenigstens bis zum Sturze des Jakobinertums den proletarischen Standpunkt mit Entschiedenheit vertreten hat, erkannte sehr bald, welch’ ungeheures Interesse die besitzlosen Volksklassen an einer gerechten Regelung des Rechtsverhältnisses der unehelichen Kinder haben. Daher wurde der schon im älteren französischen Recht anerkannte Unterhaltsanspruch gegen den unehelichen Vater durch die revolutionäre Gesetzgebung nicht nur aufrecht erhalten, sondern der Konvent fasste sogar in seiner Sitzung vom 4. Juni 1793 den prinzipiellen Beschluss, (71) dass die unehelichen Kinder ein Erbrecht an der Verlassenschaft ihres Vaters und ihrer Mutter haben sollen. Wenige Monate später wurde durch das Gesetz v. 12. brumaire II (2. Nov. 1793) bestimmt, dass ihnen dieselben gesetzlichen Erbrechte an dem Vermögen ihres Vaters und ihrer Mutter zustehen sollen wie den ehelichen Kindern, ja es wurde in diesem Gesetz sogar ein wechselseitiges Intestaterbrecht zwischen dem unehelichen Kinde und den Seitenverwandten von väterlicher und mütterlicher Seite anerkannt, sofern der Erblasser Erben in auf- und absteigender Linie nicht zurücklassen sollte. Es ist klar, dass durch dieses Gesetz die ehelichen und unehelichen Kinder in den wichtigsten Beziehungen fast gleichgestellt wurden. Darin ist aber der Konvent ohne Zweifel zu weit gegangen und hat durch diese Uebertreibung den späteren Rückschlag verschuldet. Denn so lang Eigentum und Ehe in ihrer heutigen Form bestehen, ist eine auch nur annähernde Gleichstellung der ehelichen und unehelichen Kinder ohne Erschütterung jener beiden Rechtsinstitute unmöglich und die höheren Stände können deshalb auch nur durch straf- und vermögensrechtliche Nachteile von Eingriffen in das Geschlechtsleben der besitzlosen Volksklassen zurückgehalten werden. Will man weiter gehen, so muss man vor allem zur Umbildung der Eigentumsordnung schreiten, welche ja die soziale Grundlage des ganzen Unterschiedes zwischen ehelichen und unehelichen Kindern bildet. Darin bestand ja eben der grosse Widerspruch, in welchem sich der Konvent fortwährend bewegte, solange er überhaupt den proletarischen Standpunkt vertrat: dass er das Privateigentum in seiner überlieferten Form aufrecht halten, zu gleicher (72) Zeit aber die besitzlosen Klassen vor den politischen und sozialen Nachteilen schützen wollte, welche mit diesem Recht unvermeidlich verbunden sind. Der deutsche Gerichtsgebrauch und die meisten Landesgesetzgebungen stehen auf einem ganz anderen Standpunkt als das französische Gesetzbuch, indem sie dem unehelichen Kinde einen Unterhaltsanspruch gegen den Vater zuerkennen; selbst solche Gesetzgebungen, welche wie die badische das französische Zivilrecht im grossen und ganzen angenommen haben, teilen doch in Beziehung auf unsere Frage die deutsche Auffassung. Besonders rühmlich muss in dieser Rich-
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tung das preussische Landrecht hervorgehoben werden, dessen grosse Urheber hier wie in so zahlreichen anderen Fällen gezeigt haben, wie günstig sie den Interessen der Armen und Bedrängten gesinnt waren. Vielleicht ist es mir gestattet, die (gegenwärtig aufgehobenen) Bestimmungen dieses Gesetzbuchs über die Rechtsfolgen des unehelichen Beischlafs in den äussersten Umrissen darzustellen, damit jeder Leser dieselben mit dem Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs vergleichen kann. Ein solcher Vergleich wird dann deutlich zeigen, wie die altpreussische Gesetzgebung sich zu den Interessen des damals noch ganz einflusslosen Proletariats in einer so wichtigen Frage gestellt hat, und wie die Verfasser des Entwurfs dieselbe Frage in einer Zeit lösen wollen, wo die besitzlosen Klassen in der gesamten Kulturwelt eine gewaltige politische Bedeutung erlangt haben. Das preussische Landrecht gewährt der Geschwächten einen Anspruch an den Mann nur in dem Falle, wenn eine unbescholtene ledige Frauensperson (73) oder Witwe ausserehelich geschwängert worden ist; durch einen ohne Folgen gebliebenen ausserehelichen Beischlaf wird der Mann in keiner Weise verpflichtet. Im Falle einer ausserehelichen Schwängerung hat aber der Mann die Geschwächte nach ihrem Stande und nach seinem Vermögen abzufinden, doch darf der Betrag der Abfindung niemals den vierten Teil des Vermögens des Schwängerers übersteigen (A. Pr. L.R. II, 1, § 1015, 1032, 1033, 1061, 1065, 1069, 785). Auch kann die Geschwächte von dem Schwängerer Ersatz der durch die Entbindung verursachten Kosten verlangen (P. L.R. II, 1, § 1016 ff). Dem unehelichen Kinde steht nach dem Preussischen Landrecht ein Anspruch gegen den Vater auf Unterhalt und Erziehung zu und zwar ohne Rücksicht, ob die Mutter eine unbescholtene Person gewesen ist, jedoch jedenfalls nur in dem Betrage, welchen die Erziehung eines ehelichen Kindes Leuten vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstande kosten würde. Die Einwendung, dass der Mutter während der Empfängniszeit mehrere Männer beigewohnt haben, ist nicht zulässig, vielmehr kann der Vormund diese nach einander in einer von ihm bestimmten Reihenfolge verklagen (A. L.R. II, 2, § 612, 619, 620, 626). Noch weit günstiger sind die Bestimmungen des Preussischen Landrechts für Kind und Mutter in dem Falle, wenn die aussereheliche Schwängerung unter der Zusage einer künftigen Ehe stattgefunden hat. In diesem Falle hat der Richter der Geschwächten regelmässig den Namen, Stand und Rang des Schwängerers, sowie überhaupt alle Rechte einer geschiedenen, für den unschuldigen Teil erklärten Ehefrau zuzuerkennen (74) (A. L.R. II, I § 1035, 1037 ff.). Auch das von der Geschwächten geborene Kind hat die Rechte der aus einer vollgültigen Ehe erzeugten Kinder (A. L.R. II, 2 § 592 ff.). Diese Kinder haben dann natürlich auch ausnahmsweise ein Erbrecht in das Vermögen ihres Vaters. Dieselben Rechtsfolgen wie bei einer unter der Zusage der Ehe erfolgten Schwängerung treten für Mutter und Kind auch dann ein, wenn der Beischlaf durch eine Notzucht bewerkstelligt worden ist, ja diese finden hier selbst dann Anwendung, wenn die durch die Notzucht erzwungene Beiwohnung zur Geburt eines Kindes nicht geführt hat (A. L.R. II, 1, § 1115, 1116; II, 20, § 1048 ff.)155.
155 Ueber die zahlreichen Streitfragen, welche die obenerwähnten Bestimmungen des
Preussischen Landrechts verursacht haben, vgl. Bornemann, Preuss. Zivilrecht, 5. Bd., 2. Aufl. (1845) S. 327 ff.
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Ich glaube, dass das allgemeine Landrecht mit diesen Bestimmungen, welchen noch einige andere anzureihen wären, die Linie zwischen den Interessen der besitzenden und der besitzlosen Klassen im grossen und ganzen richtig gezogen hat. Es vermeidet die Uebertreibungen der Gesetzgebung des Konvents, indem die unehelichen Kinder regelmässig kein Erbrecht in das Vermögen ihres Vaters haben (A. L.R. II, 2, § 647 ff.); aber es sorgt zugleich dafür, dass die uneheliche Mutter nicht infolge ihres Fehltritts in Verzweiflung gestürzt wird, und dass das Kind nicht von vornherein zur Zuchthauspflanze aufwachsen muss. Selbstverständlich wurden die Bestimmungen des Landrechts über unsere Frage von den besitzenden Klassen seit jeher mit scheelen Augen betrachtet. Gleich ursprünglich wurden die ersten drei Titel des (75) zweiten Teils des Preussischen Landrechts, welche auch die Normen über die unehelichen Kinder enthalten, nur zögernd und nicht in allen Landesteilen in Wirksamkeit gesetzt und auch später wurden diese Bestimmungen in der Theorie und in der Praxis lebhaft angefochten. Angesehene Juristen erklärten offen, „dass das allgemeine Landrecht zu gunsten der Weibspersonen alles billige Mass überschreitet“. Als dann nach dem Sturz des absoluten Königtums in Preussen die gesellschaftlichen Interessen der besitzenden Klassen in dem Landtag ein Organ erhielten, wurden die Bestimmungen des Landrechts durch das Gesetz vom 24. April 1854 von Grund aus umgeändert. Der wesentliche Inhalt dieses Gesetzes, durch welches im grossen und ganzen die Grundsätze des französischen Gesetzbuchs unter dem Scheine einer Aufrechthaltung des alten deutschen Gerichtsgebrauchs eingeführt wurden, soll im nächsten Abschnitt besprochen werden. XXIII. Der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs hat in Beziehung auf unsere Frage die deutsche Auffassung, jedoch mit beträchtlichen Einschränkungen angenommen. Zum Unterhalt eines unehelichen Kindes ist nämlich der Vater vor der Mutter und den übrigen Verwandten desselben verpflichtet. Als unehelicher Vater gilt aber derjenige, welcher während der Empfängniszeit – d. i. während der Zeit von dem einhunderteinundachzigsten bis zu dem dreihundertsten Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes – mit der Mutter des Kindes den Beischlaf vollzogen hat, es sei denn, dass innerhalb dieser Zeit auch von einem Andern der Beischlaf mit der Mutter vollzogen ist (1571, 1572 d. Entw.). Der legislative Gedanke, welcher diesen Bestimmungen zu Grunde liegt, ist also, dass ein Anspruch des unehelichen Kindes nur dann anerkannt werden soll, wenn die Zeugung desselben durch den unehelichen Vater zweifellos ist; die Einwendung der mehreren Beischläfer (die sog. exceptio plurium constupratorum) ist ausdrücklich zugelassen. Diese Einrede der mehreren Beischläfer, welche der deutsche Entwurf aufgenommen hat, gehört zu den zahlreichen Massregeln, welche ohne Zweifel die Wirkung haben, den besitzlosen Volksklassen die ohnedies kümmerlichen Vorteile unseres Rechtsinstituts zum grossen Teile wieder zu entziehen. Ich kann hier nicht auf die vielen Einreden, Vermutungen und Beweisregeln eingehen, welche juristischer Scharfsinn in dieser Absicht erfunden hat. Nur zwei Punkte will ich nach Anleitung des schon oben erwähnten Preussischen Gesetzes vom 24. April 1854 hervorheben, weil es immerhin möglich ist, dass die Anschauungen, welche diesem Gesetze zu Grunde liegen, auch bei der Beratung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs sich geltend machen werden.
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Das heutige preussische Recht versagt also zunächst dem unehelichen Kind den Unterhaltsanspruch gegen den Vater, wenn die Mutter eine bescholtene Person ist. Schon das muss Wunder nehmen, dass ein sittlicher Mangel der Mutter ihr Kind seines Anspruches berauben soll. Das Befremden aber wächst, wenn man liest, welche Thatsachen nach der Ansicht des Gesetzgebers den Vorwurf der Bescholtenheit gegen (77) die Mutter begründen sollen. Denn schon die Thatsache, dass sie für die Gestattung des Beischlafs Bezahlung in Geld oder Geschenken angenommen hat, muss dem Richter genügen, um die Bescholtenheit mit allen ihren verderblichen Konsequenzen für die Wohlfahrt des Kindes als festgestellt anzunehmen. Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass schon durch diese Bestimmung allein die meisten aus dem Umgang von wohlhabenden Männern und armen Mädchen entsprossenen unehelichen Kinder ihres Unterhaltsanspruches beraubt und dadurch der Verkümmerung oder dem Untergang preisgegeben werden. Denn Jeder, der in Schwängerungsprozessen einige Erfahrung hat, wird bestätigen, dass die Hingabe eines armen Mädchens an einen wohlhabenden Mann in der Volkssitte als ein Opfer betrachtet und von diesem regelmässig in irgend einer Form belohnt wird. Dies ist aber doch die „Bezahlung in Geschenken“, wenn anders dieser unklar und widerspruchsvoll gefasste Ausdruck überhaupt einen Sinn haben soll. Ja eine Praxis des vormaligen preussischen Obertribunals, welche freilich bei der krassen Einseitigkeit dieser Sätze nicht konsequent war, nahm sogar an, dass Alles, was eine Frauensperson von dem Manne, welchem sie den Beischlaf gestattet oder gestattet hat, annimmt, unter jenen Begriff fällt und dass es auch gleichgültig ist, ob die Belohnung vor oder während der Empfängniszeit von dem angeblichen Schwängerer oder von einem Dritten gegeben wurde. Rechnet man noch dazu, dass es sich in solchen Fällen meistens um Mädchen aus den besitzlosen Klassen handelt, welche die Normen des Privatrechts in keiner Weise kennen und die deshalb (78) auch die verhängnisvolle Bedeutung der angenommenen Gabe für sich und ihr Kind nicht ermessen können, so entrollt sich uns das Bild einer sozialen Einseitigkeit, welche kaum mehr überboten werden kann. Die zweite Thatsache, welche nach dem Gesetz vom 24. April 1854 die Einrede der Bescholtenheit begründen soll, besteht darin, dass die Geschwängerte „wegen unzüchtigen Lebenswandels berüchtigt ist“. Auch diese Bestimmung ist fast ausschliesslich gegen die besitzlosen Volksklassen gerichtet. Denn fehlt es schon bei den wohlbewachten Frauen der höheren Stände nicht an übler Nachrede, so werden von den Mädchen der besitzlosen Volksklassen, welche sich ihren Unterhalt in der Welt verdienen müssen und deshalb tausendfältiger Verführung preisgegeben sind, nur wenige Tugendmuster solchen Gerüchten entgehen. Schon der Umstand aber, dass Gerüchte über unzüchtigen Lebenswandel der Geschwängerten verbreitet sind oder waren, genügt, um die Mutter und das Kind aller Ansprüche gegen den Schwängerer zu berauben, auch wenn Thatsachen, welche diesen Ruf begründen, in keiner Weise angegeben werden können. Natürlich benützen die von der Mutter oder dem Kinde in Anspruch genommenen Männer diese von dem Gesetz gebotene Handhabe, um sich leichten Kaufes von einer beschwerlichen Verbindlichkeit zu befreien und es fällt ihnen nicht schwer, in den der Mutter nahestehenden Kreisen üble Nachreden in beliebiger Menge zu sammeln, so dass die Schwängerungsprozesse, wie angesehene preussische Praktiker klagen, von Unflat und Gemeinheiten förmlich triefen.
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Es ist unnötig, diese Darstellung fortzusetzen, da (79) die Wirkungen des Gesetzes sich schon aus dem Gesagten ergeben. Das Gesetz verlangt eben von den armen, ungebildeten und der Verführung in jeder Form preisgegebenen Mädchen der besitzlosen Volksklassen dasselbe Mass von Sittlichkeit, welches von den wohlbewachten und im Luxus lebenden Mädchen der höheren Stände mit Recht erwartet werden kann und zwar lediglich zu dem Zwecke, um den wohlhabenden Männern die Bethätigung des geringsten Masses von Sittlichkeit und Menschlichkeit zu ersparen. Diese Einseitigkeit hat der bekannte Brüggemann während der Beratungen in der ersten Kammer, welche später zu dem Gesetz vom 24. April 1854 führten, in den folgenden Worten gekennzeichnet. Es ist wahr, sagte der Redner, wenn der Hirt und die Herde weiss, dass der Wolf sie umschleicht, dann ist die Herde scheuer und der Hirt vorsichtiger. Ich habe aber noch nicht gehört, dass die Besitzer grosser Herden Scharen von Wölfen in die Nähe der Herden gebracht haben, um die Aufmerksamkeit der Hirten dadurch zu erhöhen, und wenn das Eigentum sorgfältiger bewahrt wird, wenn man es räuberischen Angriffen ausgesetzt weiss, so wird doch niemand den Vorschlag machen, die Diebe frei und ungestraft zu lassen, damit das Eigentum gesicherter sei und sorgfältiger bewacht werde. Wir befreien von allen Fesseln und steigern die Angriffslust des männlichen Geschlechts und zur Rechtfertigung sagen wir, damit der weibliche Teil um so vorsichtiger, um so sittlicher werde. XXIV. Neben der Bescholtenheit kann sich der Schwängerer (80) nach dem Gesetz vom 24. April 1854 gegen die Klage des Kindes auf Gewährung des Unterhalts auch damit verteidigen, dass die Geschwängerte während der Empfängniszeit mit mehreren Mannspersonen den Beischlaf vollzogen habe (die sog. exceptio plurium concumbentium oder constupratorum). Ich will diesen Verteidigungsgrund, welchen man in deutschen juristischen Werken als die Einrede der mehreren Beischläfer bezeichnet, in der vorliegenden Abhandlung die Einrede der Untreue während der Empfängniszeit nennen. Während der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs der Bescholtenheit der Mutter keine aufhebende Wirkung auf den Anspruch des Kindes einräumt, hat derselbe, wie aus den im vorigen Abschnitt mitgeteilten Auszügen hervorgeht, die Einrede der Untreue allerdings zugelassen. Scheinbar ist diese Einrede besser in der Natur der Sache begründet als die Einrede der Bescholtenheit; in Wirklichkeit sollen aber durch beide Verteidigungsgründe die Interessen der besitzenden Volksklassen auf Kosten der Armen begünstigt werden. Ziehen wir zunächst den sozialen Hintergrund der Einrede der Untreue in Betracht, da die juristischen Konstruktionen und Begründungen doch nur den Zweck haben, den Rechtsregeln, durch welche das Interesse bestimmter Volksgruppen seinen äusseren Ausdruck erhält, den Schein rechtlicher Konsequenz zu verleihen. Durch die Einrede der Untreue wird, wenn man alles juristische Beiwerk abstreift, an die Geschwängerte der Anspruch gestellt, dass sie dem Manne, welcher (81) mit ihr ein oder mehrere male den ausserehelichen Beischlaf vollzogen hat, während der Empfängniszeit (S. oben XXIII.) die Treue bewahren soll. Diese Treue kann man nun den Mädchen der besitzenden Klassen ohne Bedenken zumuten, da durch ihre gesellschaftliche Stellung die Verführung zurückgehalten und etwaige sittliche Mängel durch eine sorgfältige Ueberwachung unschädlich ge-
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macht werden. Stellt man aber denselben Anspruch an Mädchen der besitzlosen Volksklassen, so mutet man ihnen eine Willenskraft und eine sittliche Haltung zu, die naturgemäss nur einer bevorzugten Minderheit eigen sein kann. Denn sie müssen meistens in einem Lebensalter, in welchem ihr Urteil noch nicht durch die Erfahrung gereift ist, ihren Lebensunterhalt ausserhalb des Elternhauses in der grossen Welt suchen, wo auf sie die Verführung in tausendfaltigen Formen lauert. Betrachten doch die Armen mit vollem Recht nicht ihre dürftige Lebensführung, sondern die Notwendigkeit, ihre Kinder in früher Jugend der Gefahr des physischen und moralischen Verderbens preiszugeben, als die bitterste Folge ihrer Armut. Eine Frage aber, welche, wie die unsrige, vorzüglich die Frauen der besitzlosen Volksklassen betrifft, muss man vom Standpunkt dieser Volkskreise und der für sie geltenden sozialen Notwendigkeiten zu lösen versuchen. Noch augenfälliger wird die Ungerechtigkeit der Einrede der Untreue, wenn man annimmt (was ja im praktischen Leben die Regel bildet), dass die Unterhaltsklage von dem Kinde eines armen Mädchens gegen einen wohlhabenden Mann eingebracht wird. Es ist bekannt, dass die den besitzenden Klassen angehörigen (82) Männer von ihren ausserehelichen Geschlechtsverhältnissen meistens eine grobsinnliche Auffassung haben und im unehelichen Beischlaf kaum mehr als ein vorübergehendes Vergnügen erblicken. Andrerseits fehlt auf Seiten des Weibes in solchen Fällen vollständig die wirksamste Triebfeder zur Treue, nämlich die Aussicht auf die Ehe mit dem Manne, weil Ehen in den weitaus meisten Fällen nur zwischen Personen der nämlichen Lebensstellung geschlossen werden. Wenn nun der Gesetzgeber verlangt, dass der eine Teil und zwar gerade das arme und ungebildete Mädchen ein solches Verhältnis als ein sittliches auffassen und dem anderen Beteiligten die Treue bewahren soll, so ist dies die krasseste Einseitigkeit. Und doch stellen so viele Privatrechte, darunter der deutsche Entwurf, an das Mädchen die Anforderung, dass sie dem Manne die Treue in weiterem Umfange zu bewahren hat, als eine in gesetzlicher Ehe angetraute Ehegattin, wenn anders das Kind nicht durch Verweigerung des Unterhaltsanspruches dem Mangel und der Verkümmerung preisgegeben werden soll. Denn, seltsam genug, die Einrede der Untreue gilt nach dem Entwurf nur für die aussereheliche Geschlechtsgemeinschaft, nicht für die legitime Ehe. Der Mann, welcher während der Empfängniszeit die Gunst seiner Ehegattin mit anderen geteilt hat, darf jene Einrede dem Kinde nicht entgegensetzen, sondern muss dasselbe als eheliches anerkennen und erhalten. „Hat der Ehemann seiner Ehefrau in der Empfängniszeit beigewohnt,“ sagen die Motive, „so ist, wenn man von ganz seltenen und deshalb keine besondere Berücksichtigung verdienenden Fällen absieht, die Möglichkeit, (83) dass der Ehemann der Vater des Kindes ist, auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Ehefrau sich des Ehebruches schuldig gemacht hat und zugleich andere Indizien mehr oder weniger auf die Vaterschaft eines Dritten hindeuten. Es ist aber als ein geringeres Uebel und als ein geringeres Unrecht anzusehen, wenn ausnahmsweise ein wirklich uneheliches Kind als Kind des Ehemannes, als wenn ein in Wirklichkeit eheliches Kind als ein uneheliches Kind behandelt wird“ (Motive IV. S. 654). Ich frage nun jeden unbefangenen Beurteiler, ob man diese allgemeinen Redensarten nicht auch und zwar mit dem zehnfachen Gewichte für die unehelichen Kinder anführen kann? Denn das, was die Verfasser des Entwurfes zur Begründung des Unterschiedes zwischen den ehelichen und den unehelichen Kindern
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noch im weiteren Verlaufe der Motive (IV, 885) anführen: das Interesse der Würde der Ehe und der Erhaltung des Familienstandes, kann unmöglich ernst genommen werden. Die Würde einer Ehe, welche nachweisbar gebrochen worden ist und gegen welche das Gesetz in diesem Falle den Skandal einer Scheidung gestattet (§ 1441 d. E.) ist kaum mehr als eine sinnlose Phrase und die Voraussetzungen des Familienstandes ehelicher Kinder sollten, eben weil das Gesetz an dieselben für den Vater und die Verwandten so bedeutsame Rechtsfolgen knüpft, nach aller Analogie mit doppelter Strenge behandelt werden. In Wirklichkeit sind auch hier die sozialen Machtverhältnisse der entscheidende Grund. Denn für das von der Ehefrau geborene Kind sind in solchen zweifelhaften Fällen seit jeher die Blutsverwandten derselben (84) eingetreten, die an gesellschaftlicher Lebensstellung dem Ehemann meistens gleichstehen und deshalb einen wirksamen Einfluss ausüben können, welcher bei den von dürftigen Frauenspersonen geborenen unehelichen Kindern gegenüber dem wohlhabenden Manne eben immer gefehlt hat. Daraus ist dann bei den Römern der Satz: Pater est quem nuptiae demonstrant für die ehelichen und im deutschen Gerichtsgebrauch die exceptio plurium constupratorum für die unehelichen Kinder entstanden. Wenn man also das Privatrecht nicht lediglich vom Standpunkt der besitzenden Volksklassen betrachtet, so sollte gerade in der Ehe und in den dieser nahestehenden ausserehelichen Geschlechtsverhältnissen die Einrede der Untreue in Ansehung der Kinder gewährt werden. Wenn zwei Personen von gleicher Lebensstellung, bei welchen die Aussicht auf eine Ehe nicht ausgeschlossen ist, in dauernder Geschlechtsgemeinschaft stehen, so kann in der That ohne Ungerechtigkeit Treue verlangt und die Einrede der Untreue zugelassen werden. Da sich jedoch die Voraussetzungen dieser Ausnahme schwerlich mit genügender Bestimmtheit feststellen lassen, so entspricht es jedenfalls am besten den Anforderungen der Gerechtigkeit, wenn man die Einrede der Untreue gegenüber dem Unterhaltsanspruche des unehelichen Kindes überhaupt nicht gestattet. Diese sozialen Beziehungen unserer Frage erscheinen mir ungleich wichtiger als die „juristischen“ Gründe, welche die Motive für die Zulassung der Einrede der Untreue anführen. Im wesentlichen lassen sich diese dahin zusammenfassen, dass der Beischlaf mehrerer Männer während der Empfängniszeit die Vaterschaft (85) unsicher macht, dass aber der Unterhaltsanspruch des Kindes nur an die wirkliche, ja notwendige Vaterschaft zu knüpfen sei. „Es kann nicht zweifelhaft sein,“ sagen die Motive, „dass vom Standpunkt der juristischen Konsequenz aus die Thatsache, dass innerhalb der Empfängniszeit die Mutter mit mehreren den Beischlaf vollzogen hat, als erheblich erachtet werden muss. Das die Grundlage der Unterhaltspflicht bildende natürliche Verhältnis zwischen dem Kinde und dem Konkumbenten ist in einem solchen Falle nicht feststellbar und deshalb für das Recht nicht vorhanden“ (Motive IV, 885). Die sozialpolitische Seite unserer Frage habe ich bereits oben behandelt. Hier ist nur meine Aufgabe nachzuweisen, dass die „juristische Konsequenz“ den Gesetzgeber niemals verhindert hat, ganz ähnliche Fälle in einem entgegengesetzten Sinne zu entscheiden, wenn nicht, wie hier, widersprechende Interessen der besitzenden und besitzlosen Volksklassen, sondern allgemeine Interessen der körperlichen Sicherheit und des Vermögens in Frage stehen.
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In unserem Falle haben mehrere eine unsittliche, ja rechtswidrige Handlung vollzogen und aus dieser ist ein von den Beteiligten nicht gewollter Erfolg hervorgegangen, in Betreff dessen die Urheberschaft nicht festgestellt werden kann. Unsere Strafgesetzbücher tragen kein Bedenken, bei einer solchen Sachlage schwere Kriminalstrafen zu verhängen. Ist z. B. durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so ist nach dem deutschen Strafgesetzbuch (§ 227) jeder, welcher sich an der Schlägerei oder (86) dem Angriffe beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis bis zu drei Jahren zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hereingezogen wird. Hier argumentiert also der Gesetzgeber nicht wie bei dem unehelichen Beischlaf: Weil die Beteiligung an einer Schlägerei an sich nicht strafbar ist und der ursächliche Zusammenhang zwischen dem erfolgten Tode oder der schweren Körperverletzung und einem bestimmten Thäter nicht festgestellt werden kann, so müssen alle Beteiligten ohne Strafe davonkommen; sondern er bestimmt ganz vernünftig und sachgemäss, dass eben wegen dieser Ungewissheit alle an der Schlägerei Beteiligten bestraft werden sollen. Aber noch mehr! Auch die Verfasser des Entwurfs sind weit entfernt, in ihrer „juristischen Konsequenz“ konsequent zu sein. Haben nämlich mehrere durch gemeinsames Handeln, sei es als Anstifter, Thäter oder Gehilfen, einen Schaden verschuldet, so haften sie nach dem Entwurf (§ 714) als Gesamtschuldner. Das Gleiche gilt auch dann, wenn im Falle eines von mehreren verschuldeten Schadens von den mehreren nicht gemeinsam gehandelt wurde, der Anteil des einzelnen an dem Schaden aber nicht zu ermitteln ist. In diesem letzteren Falle lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen der Handlung des einzelnen und dem dadurch bewirkten Erfolg ebenso wenig herstellen, wie bei dem unehelichen Beischlaf; vielmehr ist dort wie hier nur feststehend, dass alle Thäter zusammen jedenfalls das Resultat hervorgebracht haben (vgl. die Motive II, 738). Da es sich jedoch bei solchen Vermögensbeschädigungen regelmässig um Interessen der besitzenden Klassen handeln wird, so tragen die Verfasser (87) des Entwurfes nicht das mindeste Bedenken, alle Beteiligten und zwar als Gesamtschuldner für haftbar zu erklären (§ 714 d. E.). Die angeführten Beispiele werden wohl genügen, um jeden Unbefangenen zu überzeugen, dass es sich bei der Einrede der Untreue keineswegs um die Wahrung der „juristischen Konsequenz“, sondern einfach um eine Begünstigung der Geschlechtsinteressen der besitzenden Volksklassen handelt. Und zwar eines Teils derselben, der diese Begünstigung gewiss am wenigsten verdient. Schliesslich möchte ich noch auf eine mehr prozessuale, aber doch sehr wichtige Frage aufmerksam machen. Bisher musste in den meisten Ländern, in welchen die Einrede der Untreue zugelassen ist, das uneheliche Kind in dem Unterhaltsprozess nur die von dem Beklagten während der Empfängniszeit vollzogene Beiwohnung, der Beklagte dagegen den Beischlaf anderer Männer während derselben Zeit nachweisen. Jetzt aber soll dem Kinde, wie aus der Fassung des § 1572 des Entwurfs und aus den Motiven (IV, 869) unzweifelhaft hervorgeht, überdies auch der Beweis aufgelegt werden, dass seine Mutter während der Empfängniszeit anderen Männern, als dem Beklagten, den Beischlaf nicht gestattet hat. Ich glaube, dass diese schmähliche und allen sonstigen Analogien widersprechende Beweisführung schon an und für sich die besseren unter den verführten Mädchen bestimmen wird,
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den Vormund des Kindes von der Einbringung der Unterhaltsklage abzuhalten und dessen Ernährung ganz auf die eigenen Schultern zu nehmen. In den Fällen aber, wo gleichwohl die Unterhaltsklage eingebracht (88) werden sollte, wird der Beklagte gegenüber dem Beweise des Kindes schon aus prozessualischer Vorsicht alle Thatsachen und Indizien zusammenhäufen, aus welchen etwa die Untreue der Mutter hervorgehen kann und so wird in solchen Prozessen des Schmutzes und der Gemeinheit kein Ende sein. Freilich wird meistens von dem Gericht die Oeffentlichkeit dieser Prozessverhandlungen ausgeschlossen werden; aber die Kunde von so pikanten Rechtsstreiten wird nur allzu schnell durch die Zeugen und andere Beteiligte in den unteren Volksklassen verbreitet. Ob es aber in unserer Zeit ratsam ist, solche Schmutzprozesse, bei welchen den besitzenden Klassen gerade keine beneidenswerte Rolle zugewiesen ist, durch die Gesetzgebung geradezu zu erzwingen, mag sich jeder selbst beantworten. XXV. Betrachten wir nun noch das Mass der Ansprüche, welche der Mutter und dem Kinde aus dem unehelichen Beischlaf gegenüber dem Manne zustehen. Schwerlich wird es ein Gesetz geben, welches in der Verkümmerung dieser Ansprüche weiter geht, als der deutsche Entwurf. Was zunächst den Anspruch der Geschwächten betrifft, so habe ich schon oben (XXI) dargelegt, dass der aussereheliche Beischlaf an sich, wenn er nicht zur Geburt eines Kindes geführt hat, für die Geschwächte gar keinen Anspruch begründet. Hat dieselbe aber ein Kind geboren, so ist der Vater des unehelichen Kindes verpflichtet, ihr innerhalb der Grenzen der Notdurft sowohl wegen der Kosten der Entbindung als (89) wegen der Kosten des Unterhalts während der ersten sechs Wochen nach der Geburt des Kindes Ersatz zu leisten (§ 1577 d. Entw.). Auf diese kümmerlichen Leistungen beschränkt sich der Anspruch der Geschwängerten selbst dann, wenn der Beischlaf unter dem Versprechen der Ehe stattgefunden hat, in welchem Falle das Preussische Landrecht der Geschwächten, wenn keine Ehehindernisse vorhanden sind, die Rechte einer geschiedenen und für den unschuldigen Teil erklärten Ehefrau zuerkennt. Ja die Leistungen des Mannes erhöhen sich selbst dann nicht, wenn der aussereheliche Beischlaf nur durch ein Verbrechen oder durch eine andere strafbare Handlung möglich geworden ist. In allen diesen Fällen wird die Geschwängerte ausser den Entbindungskosten eine Entschädigung nur dann ansprechen können, wenn sie einen wirklich erlittenen Vermögensschaden nachzuweisen vermag, was regelmässig nicht der Fall sein wird (§ 221 d. Entw. und Mot. II, 753). Nur bei einigen der schwersten Sittlichkeitsverbrechen, z.B. bei der Notzucht kann der geschwächten Frauensperson von dem Gericht auch ohne Nachweis eines Vermögensschadens nach freiem Ermessen eine billige Geldentschädigung zugesprochen werden (§ 728 d. Entw. und § 176, 177, 179, 182 des Reichsstrafg.). Was nun zweitens die Ansprüche des Kindes betrifft, so hat der Vater demselben in jedem Falle nur den notdürftigen Unterhalt und diesen nur bis zur Zurücklegung des vierzehnten Jahres zu gewähren (§ 1573 d. Entw.). Auf diesen notdürftigen Unterhalt beschränkt sich die Verpflichtung des unehelichen Vaters auch dann, wenn der aussereheliche Beischlaf unter dem Versprechen der Ehe erfolgt ist, in welchem (90) Falle das Preussische Landrecht, wie bereits oben dargelegt wurde, dem Kind regelmässig alle Rechte der ehelichen Geburt zuerkennt. Ja, was
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man für unmöglich halten sollte, was aber nach dem Entwurfe zweifelloses Recht sein wird: selbst wenn der aussereheliche Beischlaf durch eine Notzucht oder durch ein anderes schweres Sittlichkeitsverbrechen herbeigeführt worden ist, behält es bei dem notdürftigen Unterhalt sein Bewenden. Man erwäge nun, in welche furchtbare Lage durch den Entwurf gerade die Besten unter den ärmeren Mädchen gegenüber reichen und vornehmen Wüstlingen gebracht werden, die zur Befriedigung ihrer Lüste selbst vor einer Notzucht oder einem anderen Sittlichkeitsverbrechen nicht zurückscheuen. Denn leider ist es nur allzu wahr, dass meistens die schönsten und tugendhaftesten Mädchen der besitzlosen Volksklassen, welche das Verbrechen lohnen und nur durch ein Verbrechen zu gewinnen sind, die Opfer dieser nichtswürdigen Attentate bilden, die der Natur der Sache nach viel häufiger begangen als in den Gerichten geahndet werden. Würde das bürgerliche Recht nach dem Muster des Preussischen Landrechts dafür Sorge tragen, dass in solchen Fällen der Mutter wie dem Kinde das Recht der Ehlichkeit zuerkannt und auf solche Weise die Ehre des Opfers thatsächlich wieder hergestellt wird, so würden derartige Sittlichkeitsverbrechen in den meisten Fällen von den Beteiligten zur Kenntnis der Gerichte gebracht und dadurch der Wiederholung derselben am wirksamsten vorgebeugt werden. So aber, da nach dem Entwurf dem Opfer eines schimpflichen Verbrechens im besten Falle eine „billige Geldentschädigung“, (91) ihrem Kinde der „notdürftige Unterhalt“ winkt, wird das Mädchen mit seinen Angehörigen es vernünftigerweise vorziehen, seine Entehrung geheim zu halten und durch Drohung mit der Kriminalklage von dem Manne etwas günstigere materielle Bedingungen zu erzwingen. Statt dass also der Staat alle seine Kräfte aufbieten sollte, um die Ehre und die Interessen solcher unglücklichen Frauenspersonen in Schutz zu nehmen, werden diese, um nur eine massige Abfindung zu erlangen, sich auf eine Handlungsweise verlegen müssen, die von einer Erpressung nicht gar weit entfernt ist. Kann es unter solchen Umständen Jemanden Wunder nehmen, dass die besitzlosen Volksklassen in diesen Gesetzesbestimmungen, welche ihnen fortwährend durch einzelne krasse Fälle zum Bewusstsein gebracht werden, ein schweres Unrecht erblicken müssen! Aber auch wenn man von den Fällen absieht, in welchen die Schwängerung auf eine besonders rechtswidrige oder unsittliche Weise erfolgt ist, erscheint es nicht als gerecht und zweckmässig, den Vater bloss zur Leistung des notdürftigen Unterhaltes zu verpflichten. Der notdürftige Unterhalt ist nämlich an allen Orten eine fest bestimmte Grösse, durch welche das geringe Einkommen des Armen viel härter getroffen wird als die grossen Einkünfte des Reichen. Jene Bestimmung des Entwurfes ist daher gerade so eine ungerechte Bevorzugung der Wohlhabenden und Reichen wie etwa eine gleiche Kopfsteuer auf dem Gebiete der Finanzgesetzgebung. Nach dem Preussischen Landrecht, welches in dieser Richtung noch heute in Geltung steht, ist der Unterhaltsanspruch zwar gleichfalls eine fixe Grösse, aber er richtet sich nach dem Betrage, (92) welchen die Erziehung eines ehelichen Kindes des Bauern- oder gemeinen Bürgerstandes kostet. Der Entwurf geht also in Beziehung auf das Mass des Unterhaltsanspruchs sogar noch weiter zurück als das preussische Gesetz vom 24. April 1854, wie derselbe denn überhaupt die einseitige Begünstigung der besitzenden Volksklassen in den meisten Punkten auf die Spitze getrieben hat.
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Am zweckmässigsten ist es jedenfalls, wenn der Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes gar nicht als eine bestimmte Grösse behandelt wird, sondern sich nach dem Einkommen des Vaters richtet. In Deutschland wie in jedem grösseren Kulturstaat leben mehrere Millionen unehelich geborener Personen, welche zu einem sehr beträchtlichen Teil von wohlhabenden Männern erzeugt worden sind. Der gesunde Sinn der besitzlosen Volksklassen wird es niemals begreifen, dass der wohlhabende, ja vielleicht reiche Vater sein Kind durch Gewährung eines kargen Unterhalts in das Proletariat hinabstösst und es sich dadurch selbst für immer entfremdet. Der Staat hat gerade in unserer Zeit die unabweisbare Aufgabe, solche Missverhältnisse, die naturgemäss eine Quelle der schärfsten sozialen Gegensätze sind, zu verhindern und dafür Sorge zu tragen, dass der Vater, wenn es sein Einkommen zulässt, das uneheliche Kind in die höheren Stände des Volkes einordnet. In einem Falle möchte ich sogar über jenes durch das Einkommen des Vaters gegebene Mass hinausgehen und dem Kinde gegen den unehelichen Vater den Anspruch auf einen dem Stande dieses Letzteren entsprechenden Unterhalt zuerkennen. Wenn der Mann (93) bei Erzeugung des unehelichen Kindes bereits ein Lebensalter erreicht hat, in welchem eine Eheschliessung unwahrscheinlich ist, so kann man wohl annehmen, dass ihm die unehelichen Geschlechtsverhältnisse die Ehe ersetzen und ihn demgemäss zu dem seinem eigenen Stande entsprechenden Unterhalt des Kindes verpflichten. Als eine solche Altersgrenze könnte man etwa das vierzigste Lebensjahr bezeichnen. Diese erhöhte Unterhaltsverpflichtung würde sich zugleich als eine der zweckmässigsten und humansten Cölibatsstrafen darstellen, welche sonst, wie ich wohl weiss, zahlreiche Bedenken gegen sich haben. XXVI. Ich kann diese Kritik der Gesetzesbestimmungen über die unehelichen Kinder nicht schliessen, ohne auch die prozessuale Seite unserer Frage in Betracht zu ziehen. Ich habe schon in einem früheren Abschnitt gezeigt, wie nachteilig sich unser Zivilverfahren für die Interessen der besitzlosen Volksklassen erweist, weil in demselben regelmässig ein selbstthätiges Eingreifen des Richters ausgeschlossen ist. Diese allgemeinen Gebrechen der bürgerlichen Rechtspflege lasten aber auf den Armen in Fällen wie der unsrige mit doppelter Schwere, weil die unehelich Geschwängerte mit ihrem Kind durch die Niederkunft meistens in einen völlig hilflosen Zustand versetzt wird. Hier, im Falle der dringendsten Not, wäre es also besonders ratsam, den Richter zu ermächtigen, nach einer summarischen Untersuchung den unehelichen Vater zur Leistung der Wochenbettkosten und des Unterhaltes noch vor Beendigung (94) des Rechtsstreites auf Anerkennung der Vaterschaft zu verpflichten. Bei der Ehe, wo sich regelmässig Personen von gleicher Lebensstellung gegenüberstehen, hat sich der Gesetzgeber auch gegen die Notwendigkeit einer besonderen Bestimmung für solche Fälle nicht verschlossen. Nach dem Entwurf (§ 1462) kann die Ehegattin, welche auf Scheidung oder auf Trennung von Tisch und Bett klagt, den Anspruch erheben, dass sogleich nach Beginn des Rechtsstreites durch einstweilige Verfügung des Richters die Verbindlichkeit zur häuslichen
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Gemeinschaft aufgehoben und der Ehegatte zur Leistung des Unterhalts an sie und ihre Kinder verpflichtet werde. Die Ehegattin ist also keinen Augenblick ohne Unterhalt, da sie vor jener einstweiligen Verfügung des Richters das Haus ihres Ehegatten nicht verlassen darf, bis dahin aber den Unterhalt innerhalb der häuslichen Gemeinschaft in Natur erhält. In ähnlicher Weise hat auch das Preussische Landrecht (II, 1, § 1019 fg.) für die uneheliche Mutter und ihr Kind gesorgt, soweit dies bei der Verschiedenheit der Verhältnisse überhaupt möglich ist. Nach diesem Gesetzbuch konnte die Geschwängerte schon vor ihrer Niederkunft den unehelichen Vater auf Leistung der Entbindungskosten und einer sechswöchentlichen standesgemässen Verpflegung klagen. War die Schwangerschaft ausgemittelt und der Beischlaf eingestanden oder einigermassen bescheinigt, so hatte der Richter durch ein vorläufiges Dekret die Summe dieser Kosten festzusetzen. Dadurch war der dringenden Not, welche bei unehelich Geschwängerten unmittelbar nach der (95) Niederkunft einzutreten pflegt, wenigstens einigermassen vorgebeugt. Nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs kann zweifellos auf Zahlung des Unterhaltes und der Entbindungskosten erst nach der Niederkunft geklagt werden. „Es ergibt sich aus § 1571 in Verbindung mit § 3 des Entwurfs“ – sagen die Motive – „dass die Verpflichtung des unehelichen Vaters zur Gewährung des Unterhaltes mit der Geburt des Kindes, aber auch erst mit dieser zur Entstehung kommt. Es kann daher vor Geburt des Kindes auf Leistung von Alimenten nicht geklagt, derjenige, welcher mit der Mutter des Kindes den Beischlaf vollzogen hat, auch nicht etwa im Wege einstweiliger Verfügung schon vor der Geburt des Kindes zur Zahlung von Alimenten angehalten werden, um die dem Kinde vom Augenblick der Geburt an gebührenden Alimente zum voraus zu sichern“ (Mot. IV, 893). Und nun vergleiche man, wie ähnliche Fragen von der deutschen Zivilprozessordnung dann entschieden werden, wenn es sich um die Vermögens-Interessen der besitzenden Klassen handelt. Nach § 819 der Zivilprozessordnung sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Ist also z.B. der Besitzstand zwischen den Beteiligten streitig, so kann der Richter, auch wenn der Besitzprozess noch (96) nicht anhängig ist, die ihm zweckmässig erscheinenden einstweiligen Verfügungen treffen. Hier aber, angesichts des dringendsten Bedürfnisses, ja der bittersten Not soll der Richter vor der Niederkunft keine einstweilige Verfügung auf Zahlung der Alimente vom Tage der Geburt des Kindes erlassen dürfen! Dass durch eine solche ungerechtfertigte Ausnahmsbestimmung die uneheliche Mutter und ihr Kind in den ersten Monaten nach der Niederkunft, bis ein Vormund des Kindes bestellt, ein unentgeltlicher Rechtsanwalt erbeten und andere juristische Förmlichkeiten erledigt sind, der grössten Not preisgegeben werden, braucht nicht näher auseinandergesetzt zu werden. Ueberdies lässt sich schon jetzt mit ziemlicher Bestimmtheit voraussagen, dass die Gerichte auch nach überreichter Vaterschaftsklage die einstweilige Gewährung von Alimenten an uneheliche Kinder ablehnen werden, und zwar mit gutem Grund, weil der Entwurf, der doch unzählige Citate anderer Paragraphen enthält, gerade in dem Abschnitt über die unehelichen Kinder eine Rück-
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beziehung auf den obenerwähnten § 1462 unterlassen hat. Unter dieser Voraussetzung würde dann die uneheliche Mutter die Alimente für ihr Kind sogar erst nach Durchführung des Vaterschaftsprozesses (§ 648 Z. 6 Ziv.-Proz.-Ordn.), also meistens lange Zeit nach ihrer Niederkunft erhalten. Die durch Ausnahmsbestimmungen erschwerte Geltendmachung der kümmerlichen Ansprüche, welche der Entwurf der Mutter und dem Kinde noch gelassen hat, wird zweifellos eine doppelte Konsequenz nach sich ziehen. Zunächst werden die Mädchen, welche unehelich geboren haben, sich wie bisher unter dem (97) Drucke der bittersten Not zum Ammendienst drängen und das Ammenwesen mit seinen traurigen Ausartungen wird uns auf absehbare Zeit erhalten bleiben. Hiervon ist schon in einem früheren Abschnitt (XVIII) die Rede gewesen. Dann wird aber zweitens jene Erschwerung der Rechtsverfolgung eine weitere Verkümmerung der ohnedies karg zugemessenen Rechte des unehelichen Kindes zur Folge haben. Nach dem Entwurf darf, soweit es sich um die ehelichen Kinder, die Ehegattin oder andere durch legitime Ehe verwandte Personen handelt, auf den Unterhaltsanspruch für die Zukunft nicht verzichtet werden (§ 1495 d. Entw.). Diese Bestimmung wird in den Motiven (IV, 709) durch die sittliche Grundlage des Unterhaltsanspruchs und durch die Rücksicht auf das wegen der Armenpflege konkurrierende öffentliche Interesse gerechtfertigt. Aber besteht nicht auch zwischen dem unehelichen Vater und seinem Kinde ein sittliches Band und ist bei diesem nicht viel wahrscheinlicher, dass es der öffentlichen Armenpflege zur Last fallen wird, sobald es einmal seinen Unterhaltsanspruch verloren hat? Und ist es nicht klar, dass dieser Anspruch für das uneheliche Kind in seiner isolierten Stellung von unendlich grösserer Bedeutung ist, als für die ehelichen Verwandten, da es zu der Familie des Vaters gar keine rechtliche ziehung hat und auch in der Familie der Mutter (§ 1568 des Entw.) meistens als ein Auswürfling betrachtet wird? Dennoch wird aber von dem Entwurf (§ 1576) ein Vergleich zwischen dem Vater und dem unehelichen Kinde über die Unterhaltsverpflichtung des ersteren ausdrücklich zugelassen. Der Grund dieser das (98) Interesse des Kindes so sehr beeinträchtigenden Ausnahmebestimmung kann nur darin liegen – und dieser Grund wird in den Motiven (IV, 903, 904) verständlich genug angedeutet – dass wohlhabende Männer sich gern durch eine grössere Abfindungssumme von den Sünden ihrer Jugend ein für allemal loskaufen. Und so wird denn in den unzähligen Fällen, wo das uneheliche Kind von einem wohlhabenden Manne erzeugt ist, das Schlimmste die Regel bilden, was von menschlichen Beziehungen überhaupt gesagt werden kann: die Mutter, durch ihre Niederkunft in Not gestürzt und durch die einseitigen Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes mürbe gemacht, wird sich allen Bedingungen fügen; der uneheliche Vater aber wird seinem Kinde ein Stück Geld hinwerfen und es für die Zukunft seinem Schicksal überlassen. XXVII. Indem ich nunmehr daran gehe, die in der obigen Darstellung gemachten Vorschläge kurz zusammenzufassen, muss ich mir die Frage stellen, ob durch eine Verbesserung der Lage der unehelichen Mütter und Kinder nicht die Sittlichkeit geschädigt oder, wie sich die Motive geschmackvoll ausdrücken, „das Ueberhandnehmen der unehelichen Kinder“ gefördert werden wird. Diese Frage ist entschieden zu verneinen. Privatrechtliche Gesetze werden bis zu einem gewissen Grade
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auf die besitzenden und gebildeten Volksklassen einwirken; auf das Handeln der besitzlosen Volksklassen, welchen dieselben meist vollständig unbekannt bleiben und die im besten Falle von ihnen eine unbestimmte Kunde erhalten, sind sie fast ohne jeden bestimmenden (99) Einfluss. Die in juristischen und legislativen Schriften immer wiederkehrende Behauptung, dass man durch strenge Gesetze (gegen die Frauen!) die Widerstandskraft des weiblichen Geschlechts stählen müsse, ist eine leere Redensart, die überall durch die Thatsachen widerlegt wird. Denn der Prozentsatz der unehelichen Geburten war in der Rheinprovinz und in der angrenzenden Provinz Westphalen selbst in der Zeit wenig verschieden, als in der ersteren der Art. 340 des französischen Zivilgesetzbuchs, in der letzteren die den unehelichen Kindern so überaus günstigen Bestimmungen des Preussischen Landrechts galten. Für die Jahre 1827 bis 1831 wird beispielsweise angegeben, dass in der Rheinprovinz 4 uneheliche, in Westphalen 4.93, in der Provinz Posen (wo gleichfalls das Landrecht galt) 4.56 uneheliche Geburten auf 100 eheliche kamen156). In Oesterreich, wo überall das den unehelichen Kindern ziemlich günstige bürgerliche Gesetzbuch seit zwei Menschenaltern in Wirksamkeit steht, zeigt der Prozentsatz der unehelichen Kinder sehr bedeutende Verschiedenheiten, indem derselbe in Tirol und Vorarlberg im Jahre 1886 nur 5.57, in dem angrenzenden Kärnten aber nicht weniger als 45.61 auf 100 Geburten beträgt. Ja die Verfasser des preussischen Gesetzes vom 24. April 1854, welche in den Verhandlungen des Landtags fortwährend die Förderung der Sittlichkeit im Munde geführt hatten, mussten es erleben, dass wenige Jahre nach eingetretener Wirksamkeit des Gesetzes die (100) Zahl der unehelichen Kinder sich sehr beträchtlich erhöhte157). Der Grund dieser Erscheinung, welche übrigens jeder Einsichtige voraussehen musste, besteht ohne Zweifel darin, dass die Männer der besitzenden Volksklassen, nachdem die Schranken des Allgemeinen Landrechts gefallen waren, nunmehr ihre Eingriffe in das Geschlechtsleben der unteren Volksklassen vermehrten. Bei Feststellung der Rechte der unehelichen Kinder handelt es sich also keineswegs um eine Frage der Sittlichkeit, sondern um eine Interessenfrage, die vorzüglich zwischen den besitzenden und besitzlosen Volksklassen streitig ist. Die besitzlosen Volksklassen werden im allgemeinen richtig handeln, wenn sie jenen Rechtszustand anstreben, welcher im Preussischen Landrecht für das Verhältnis der unehelichen Kinder und ihrer Mütter festgestellt erscheint. Denn so rückschrittlich und volksfeindlich ist unsere Privatrechtswissenschaft in diesem Jahrhundert unter dem Einfluss der historischen Schule geworden, dass schon die Wiederherstellung der Bestimmungen des Landrechts, welche von einem absoluten Monarchen gegeben wurden und bis zum Sturze des absoluten Königtums fast unverändert in Geltung blieben, in unserer Zeit als ein erstrebenswertes Ziel erscheint. In folgenden Hauptpunkten bedarf der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs einer Abänderung, wobei bemerkt sein mag, dass ich nur die prinzipiellen Fragen in Betracht ziehe und alle juristischen Einzelheiten bei Seite lasse:
156 S. v. Kräwel, die Pflichten des unehelichen Vaters nach den in Deutschland geltenden
Gesetzen im Archiv für zivilistische Praxis, Bd. 50 (1867), S. 351. 157 Vgl. v. Fircks in der Zeitschrift des preussischen statistischen Bureaus, 1878, S. 367.
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1) Wenn der aussereheliche Beischlaf durch Notzucht oder ein ähnliches Sittlichkeitsverbrechen (welche (101) einzeln anzugeben wären) herbeigeführt wird, so sind, falls kein undispensierbares Ehehindernis vorliegt, der Frauensperson die Rechte einer ohne ihr Verschulden geschiedenen Ehefrau, dem etwa geborenen Kinde die Rechte eines ehelichen Kindes zuzuerkennen. Da der Entwurf im Falle einer Scheidung die Wiederverehelichung des geschiedenen Ehegatten gestattet, so hat jene Bestimmung auch dann Anwendung zu finden, wenn derjenige, welcher das Sittlichkeitsverbrechen begangen hat, bereits verheiratet ist. Ist ein Ehehindernis vorhanden, von welchem keine Dispensation zulässig ist (z. B. Blutsverwandtschaft in auf- und absteigender Linie) so ist der Frauensperson wenigstens die vermögensrechtliche Stellung einer ohne ihr Verschulden geschiedenen Ehefrau, dem von ihr geborenen Kinde jene eines ehelichen Kindes zu gewähren. – Dieselben Rechtsfolgen haben für Mutter und Kind auch in dem Falle einzutreten, wenn die aussereheliche Schwängerung unter der Zusage einer künftigen Ehe erfolgt ist. 2) Wer eine unbescholtene Frauensperson verführt, ist schuldig, ihr eine Abfindung zu bezahlen. 3) Wer einer Frauensperson innerhalb der Empfängniszeit beiwohnt, hat der Geschwängerten die Entbindungskosten zu ersetzen und nach Massgabe seines Einkommens dem Kinde den Unterhalt zu gewähren. Die Einrede der Untreue (die sog. exceptio plurium concumbentium) findet nicht statt. Mehrere Männer, die der Geschwängerten innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt haben, haften als Gesamtschuldner. 4) Ist der uneheliche Vater ledigen Standes und hat er bei Erzeugung des Kindes das vierzigste Lebensjahr bereits überschritten, so hat er dem Kinde den (102) seinem eigenen Stande entsprechenden Unterhalt zu gewähren. 5) Steht die Schwangerschaft fest und wird die Vollziehung des Beischlafs innerhalb der Empfängniszeit bescheinigt, so kann die Geschwängerte bei dem Gericht auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung antragen, durch welche der Schwängerer verpflichtet wird, sofort nach der Geburt des Kindes an die Mutter die Entbindungskosten und den Unterhaltsbeitrag für drei Monate zu bezahlen. XXVIII. Das letzte Rechtsinstitut, welches in dem Familienrecht des deutschen Entwurfs seine Normierung erhält, ist die Vormundschaft. Die Sorge für minderjährige Kinder – denn auf diesen wichtigsten Fall kann ich mich hier beschränken – liegt in erster Reihe den Eltern und in deren Ermangelung dem Vormunde ob. Sowohl die Eltern als auch der Vormund werden aber bei dieser Thätigkeit durch den Staat geleitet und beaufsichtigt, der sich hierbei der Gerichte als seiner Organe bedient. Fragen wir aber nach dem allgemeinen Charakter dieser staatlichen Fürsorge für die minderjährigen Kinder, so lässt sich diese Frage einfach dahin beantworten, dass die obervormundschaftliche Thätigkeit der Gerichte im wesentlichen nur den Angehörigen der besitzenden Klassen zu gute kommt. Die minderjährigen Kinder der Armen, obgleich sie des staatlichen Schutzes naturgemäss am meisten bedürfen, sind von demselben durch Gesetz und Praxis fast vollständig ausgeschlossen. […]
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40.
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Friedrich Naumann: Der Beruf der Frau, 1895
NAUMANN, Fr[iedrich]: Der Beruf der Frau, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 2-3 Kommentar: Friedrich Naumann (1860-1919), 1895 Pfarrer in Frankfurt/Main und später einer der führenden Politiker des deutschen Liberalismus, äußert sich sehr frühzeitig zur Frauenfrage. Dies geschieht an herausragender Stelle in Zusammenarbeit mit den Frauenkreisen, welche die Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ herausgeben, nämlich in der ersten überhaupt erschienenen Ausgabe dieser Zeitschrift 1895. Inhaltlich behandelt Naumann die Frauenfrage mehr als eine soziale und wirtschaftliche Frage denn als Rechtsfrage. Dabei geht er von einer natürlichen Arbeitsteilung der Geschlechter aus, und zwar insofern, als bei allen notwendigen Verschiebungen im Beruf der Frau doch immer der „Mutterberuf“ bleiben werde: „Von diesem Beruf hinweg, giebt es keine gesunde ,Emanzipation‘. Auf diesem Gebiet stelle ich mich der von Engels, Bebel und Clara Zetkin vertretenen Ansicht direkt gegenüber, und ich weiß, daß ich damit für ein gottgegebenes Naturgesetz streite“ (S. 2). Die Frauenfrage der Gegenwart ergebe sich aus den Problemen der außer Haus arbeitenden Frauen „zwischen Familie und Markt“. Dies werde in der Gegenwart wirtschaftlich notwendig, und es müsse zu einer „Organisation des Frauenberufes“ kommen, dort, wo Frauen in zahlenmäßig großem Umfang tätig sind, „also z.B. bei der Industriearbeiterin, der Bekleidungsbranche, bei der Verkäuferin, Lehrerin“ (S. 3). Folgerungen für die Rechtslage werden nur angedeutet: Mit neuen Berufen außer dem Haus entstehen neue „Rechte, Pflichten, Sitte und Anschauungen“ (S. 3). Für eine Frauenbewegung, hinter der „der Zwang, die Not, das Lebensbedürfnis stehen“, habe Naumann „volles Verständnis und warme Sympathie“, aber für „ein Behandeln der Frauenfrage nach bloßen naturrechtlichen Theorien“ könne er kaum eintreten. Letzteres muß nicht bedeuten, daß er die Rechtsforderungen der Frauenbewegung grundsätzlich verwirft. Es kann auch zum Inhalt haben, daß er das Augenmerk nicht auf abstrakte Fragen der Gleichstellung legen will, sondern auf die berufliche Lebenswirklichkeit von Frauen, und die Rechtsfragen sich dann nicht aus abstraktem Naturrecht, sondern aus konkreten sozialen und beruflichen Problemstellungen ergeben.
Der Beruf der Frau. Von Pfarrer Fr. Naumann in Frankfurt a. M.
(2) Warum haben wir heute eine Frauenfrage? Ist es nur, weil die allgemeine Unruhe auch in die Wohnstuben und Küchen hineinklingt und weil die Frauen wo sie die Marschlieder der neuen sozialen Kolonnen hören, auch ihrerseits etwas sociale Musik machen wollen? Mit anderen Worten: ist die Frauenbewegung nur eine Reflexbewegung zu dem nervösen Zucken im Körper der Männerwelt, oder hat sie einen selbstständigen Grund? Als bloße Reflexbewegung wird sie von allen denen aufgefasst, welche sagen: mit der sozialen Frage der Männer ist die Frauenfrage von selbst gelöst. Von diesem Standpunkte aus fordert man für den Mann ein genügendes Einkommen und erwartet, daß mit diesem Einkommen des Mannes die Unruhe der Frauen gestillt sein wird. Wenn die Männer wieder heiraten können, wenn sie hinreichende Wohnungen bezahlen können, dann ist das Paradies der Frauen wieder hergestellt.
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An dieser Anschauung ist vieles richtig, aber sie genügt nicht. Richtig ist, daß die Frau an der heutigen Last des Mannes mit trägt, und daß sie darum jede Erleichterung dieser Last als Wohlthat empfinden wird. In diesem Sinne ist es richtig, die sozialen Interessen von Mann und Frau als engverbunden, als gleichartig anzusehen. Die Frau darf um ihrer selbst willen dem sozialen Kampf der Männer nicht gleichgültig gegenüberstehen. Wie die Frauen der Kimbern und Teutonen hinter der Schlachtreihe standen und von der Wagenburg aus die Männer in den Kampf trieben, so sollen unsere Frauen nicht hemmen, sondern fördern, wenn die Männer die Schwierigkeiten der Zeit in die Hand nehmen. Wenn das soziale Elend die Männer besiegt, so sind die Frauen mit verloren. Noch haben viele Frauen von dem ganzen Ernst der Lage keine Ahnung. Ihnen ist das Leben eine Spiel, ein Idyll, sie haben in der Mädchenschule gelernt, daß die Frauen nur eben zum Flechten der himmlischen Rosen geboren seien. Sie fühlen nicht, daß auch ihr Friede, ihr Behagen, ihre Berufserfüllung, ihr Mutterglück mit wankt, wenn ein Stand nach dem anderen in den Wirbel der Zertrümmerung vorhandener Volksgestaltungen hineingezogen wird. Ihnen kommt es vor, als gäbe es keinen Seesturm, weil sie noch ruhig in der Kajüte sitzen. Das trifft vor allem die Frauen des Mittelstandes, aber teilweise auch die der anderen Schichten. Ihnen soll und muß dieses Blatt sagen, daß sie aufwachen müssen und für die Männer im sozialen Ringen „Gehilfinnen“ seien, wie es auf den ersten Blättern der Bibel steht. Für diese ist zunächst eine Reflexbewegung, ein Miterleben der Aufgaben der Männer zu wünschen. Freilich gehört dazu, daß die Männer selbst ihre Zeit nicht verschlafen. Aber allerdings das Mitwirken an der sozialen Frage der Männer ist noch nicht das, was wir mit gutem Bedacht Frauenfrage nennen. Die Frau als solche hat ihre eigene Frage, die ihr durch die neuere Entwickelung gebieterisch aufgedrängt wird. Worin besteht nun das Eigentümliche dieser Frage für die Frauen? Der Frauenberuf verschiebt sich langsam, aber sicher. Zwar ein Beruf bleibt und wird bleiben. Der Mutterberuf mit aller seiner Wonne und seinem Leid, der Beruf, Kindern nicht nur Leibesleben, sondern auch Seelenleben zu geben, dem neuen Geschlecht die Liebe des alten Geschlechtes einzigartig innig zu verkörpern, Blut und Mut, Sinn und Sitte, Sprache und Gebet hinüberzuleiten in die lebendige Zukunft, das soll und darf nicht von der Frau genommen werden. Von diesem Beruf hinweg, giebt es keine gesunde „Emanzipation“. Auf diesem Gebiet stelle ich mich der von Engels, Bebel und Clara Zetkin vertretenen Ansicht direkt gegenüber, und ich weiß, daß ich damit für ein gottgegebenes Naturgesetz streite. Die Sozialdemokratie pflegt vorhandene Schäden sehr genau zu sehen, aber sie pflegt auch ohne weiteres in den Schäden den Ansatz zu besserer Neubildung zu erblicken. Das ist in meinen Augen ein Traum. Von selbst verwandelt sich nicht jede hart gewordene innerlich zersetzte Raupe in einen Schmetterling. Es giebt weite Gebiete, wo das bloße Gewährenlassen der Auflösung zum Tode führt. Ein Aufhören des Erziehungsberufes der Mutter ist der Tod des warmen, vollen Seelenlebens in der Menschheit. Ich kann mir kein Bild machen von einer Zeit, wo das traulichste und dauerhafteste Seelenverhältnis gelockert ist und wo doch das Glück wohnt. Darum heißt hier meine Losung nicht abwarten, sondern handeln. Es muß alles in Bewegung gesetzt werden, um die Familie in den Mittelpunkt des Volksdenkens und der Gesetzgebung zu stellen. Von dem Gedanken der Familie aus müssen Arbeitszeit, Wohnung, Lohn, Steuer, Schule u. s. w. geregelt werden. Die Familie ist ein Gut, das die Menschheit in langer Arbeit veredelt und gleich-
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sam aus dem Rohmaterial herausgemeißelt hat; ein solches Gut darf sie nicht opfern, sie darf es nicht in Pessimismus und nicht um einer sonst teilweis richtigen Theorie willen. Hier unterscheidet sich die materialistische Auffassung von der christlichen. Die Verschiebung darf also nach unserer Ansicht nicht den Kern des Frauenlebens berühren, und wo sie diesen berührt hat, da muß man getrost sagen: rückwärts! In diesem Fall liegt Krankheit vor, die der Heilung bedarf. Damit aber ist nun nicht das alte Lied vom ewigen Strickstrumpf gesungen. Der Kern des Frauenberufes bleibt, aber seine Schalen und Hülsen ändern sich. Wenn wir vorhin das Wort „Familie“ brauchten, so geschah es in dem engen Sinne, in welchem wir es heute nur noch festhalten können. In alten Zeiten war die Familie eine Art Volk für sich. Wie man heute von „Volkswirtschaft“ redet, so konnte man damals von „Familienwirtschaft“ sprechen. Zur Familie gehörten nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch Geschwister, Verwandte, Sklaven, Freigelassene, Hörige, Pächter, Arme. Im Wesentlichen war diese Familie unabhängig von der Außenwelt, sie hatte zwar ihren Import und Export, konnte aber zur Not auch ohne diesen bestehen. Eine alte Familie war ein Körper, der eigenes Wirtschaftsleben besaß. Das ist nun ganz anders geworden. Man arbeitet nicht mehr für sich, sondern für andere. Der Mann geht ins Geschäft, in die Fabrik, er arbeitet für das Publikum, wenn es aber im Haus etwas zu machen giebt, dann ruft er fremde Leute. Beim Bauern ist der alte Zustand noch einigermaßen erhalten, da hat die Familie noch einen Familienberuf. Im Übrigen beschränkt sich unsere Familie auf die Erhaltung einer sauberen Wohnung, auf Erhaltung von Kleidung und Herstellung von Nahrung, und auch in diesen drei Richtungen verengt sich der Hausberuf. Die Scheuerfrau, die Schneiderin, die Wäscherin gehören nicht mehr zur „Familie“. Das Dienstmädchen ist noch der letzte Rest des früheren Familienumfanges, und schon schwankt diese letzte Säule in den großen Städten. Die „Monatsfrau“ tritt zunächst im unteren Mittelstand an ihre Stelle. Man schlachtet nicht mehr, bäckt nicht mehr, hat keine großen Speisekammern mehr, man kauft die Strümpfe, läßt die Röcke nähen und kommt dabei, was die Hauptsache ist, vielfach besser weg, als wenn man diese Dinge noch selber herstellen wollte. Die Haushaltung wird immer einfacher. Zwar da, wo immer neue Formen des Luxus neue Arbeiten hervorbringen, merkt man noch wenig von der Vereinfachung, aber das Haus des Mittelstandes fühlt die Veränderung, und das Haus des Industriearbeiters hat den alten weiten Familienbegriff überhaupt nicht gekannt. Was ist die Folge dieser wirtschaftlichen Verengung der Familie? Die erste Folge ist, daß die Familie heute weniger Hilfskräfte beschäftigt als früher. Früher konnte man die verschiedenen unverheirateten Verwandten, die Tanten, Geschwister, Freundinnen leichter dem Hause angliedern, sie fanden Arbeit und damit ihr Brot in der Familie. Heute sind sie vielfach überflüssig und dadurch lästig oder unmöglich. Es gelingt ja recht schön, wenn man alle nichtverheirateten Mädchen und Frauen in die Familie thun will, aber es geht (3) beim besten Willen nicht mehr, es ist keine Arbeit und darum kein Platz mehr da. Was soll bei der heutigen wirtschaftlichen Verengung der Familie die erwachsene Tochter im Haus? Sie ist vielfach berufslos, und darum, ganz abgesehen von der Frage ihrer Lebenserhaltung, unbefriedigt. Es liegt eine Art Unbarmherzigkeit in der Thatsache, daß die Familie ihre jungen Vöglein aus dem Neste stößt, sobald sie fliegen können, aber die Erweiterung des Nestes kann nicht künstlich erreicht werden. Das Mädchen
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muß einen Beruf suchen so gut wie der Mann. Auch die Ehefrau des Proletariers ist in ähnlicher Lage. Bei ihrer Lebenserhaltung füllt die Hausaufgabe, solange keine große Kinderzahl zu erziehen ist, die Arbeitskraft nicht aus. Soll sie nichts thun? Was soll sie thun? Es entstehen also mit Notwendigkeit Frauenberufe außer dem Haus. Mit neuen Berufen aber entstehen neue Rechte, Pflichten, Sitte und Anschauungen. Eine Zeit lang konnte man die neuen Frauenberufe nur als zufällige, provisorische Übergangsstufen ansehen, das aber ist nun vorbei. Wir wissen, daß der Frauenberuf außerhalb des Hauses nicht wieder verschwindet. Daraus folgt, dass er organisiert werden muß, wenn er nicht zwischen Leben und Sterben hin und her schwanken soll. Die Organisation des Frauenberufes außer dem Hause ist in meinen Augen der eigentliche Inhalt der Frauenfrage. Unter Organisation verstehe ich dabei nicht bloß die Form des Zusammenschlusses der Teilnehmerinnen einer Arbeit, sondern auch die juristischen und sozialpolitischen Voraussetzungen eines solchen. Die Frau tritt auf den Markt des Volkes und fragt: Was bietet ihr mir, wenn ich euch meine Arbeit bringe? Natürlich werden die bisherigen alleinigen Herren des Marktes die neue Konkurrentin in Güte oder mit Härte in ihre vier Pfähle zurückverweisen wollen. Wir brauchen dich nicht, wir sind selber genug, unsere Gesetzbücher schreiben nichts von deinen Wünschen, unsere heiligen Schriften reden nicht vom Frauenberufe außerhalb der Familie! Wohin nun? Rückwärts kann die Frau nicht mehr, sie muß vorwärts, sie wird zerrieben, wenn sie nicht kämpft. In dem Augenblick, in dem die Frau diese Stellung zwischen Familie und Markt klar überschaut, da überkommt es sie wie Angst, aber aus der Angst ringt sich der Entschluß los. Abwarten heißt sterben, ich muß wollen, ich muß alle meine Kräfte zusammennehmen, ich will vergessen, daß man mich das „zarte Geschlecht“ nennt, ich muß vorwärts, denn ich kann nicht mehr rückwärts. O Gott, an den ich glaube, da du mich in diese Lage geführt hast, nun hilf mir ritterlich ringen, wie die uralten ehrenen Heldenweiber, die es mit den Riesen aufgenommen haben! Die ältesten Heldenlieder der Menschheit stammen aus weiblichen Seelen. Miriam und Deborah wandeln vor den Frauen. Ich kann heute nicht ausführen, was ich alles unter Organisation des Frauenberufes verstehe, eines nur sei gesagt, wenngleich es teilweis missfallen wird. Das Bedürfnis nach Organisation beginnt da, wo schon organisierbare Truppen vorhanden sind, also z.B. bei der Industriearbeiterin, der Bekleidungsbranche, bei der Verkäuferin, Lehrerin u. s. w., aber es beginnt nicht da, wo nur einzelne Versprengte sich vorfinden. Dieses ist bei den gelehrten Berufen der Fall. Man hat bisweilen die Sache so dargestellt, als sei die Öffnung der Universitäten für die Frauen der Kern der Frauenfrage. Dadurch wird die ganze Sache verschoben. Die Frauen, welche die Kraft dazu haben, sollen in Gottes Namen studieren, aber sie sollen nicht als „die Frau“ schlecht hin auftreten wollen. Die Frauenfrage ist in erster Linie die Frage der weiblichen Massen. Erst kommt die Arbeit der Frauen, die arbeiten, um Brot zu haben, ehe die Arbeit derer kommt, die sich in leichterer Lage befinden. Es erscheint wichtig, sich über diesen Punkt klar zu werden. Ich glaube wenigstens aus dem Gefühl vieler Männer heraus zu schreiben, wenn ich sage: Für eine Frauenbewegung, hinter der der Zwang, die Not, das Lebensbedürfnis stehen, haben wir volles Verständnis und warme Sympathie, aber für ein Behandeln der Frauenfrage nach bloßen naturrechtlichen Theorien könnten wir unsererseits kaum eintreten.
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Wenn die gebildete und besitzende Frau etwas thun will, so soll sie sich in Geist und Lage ihrer ärmeren und ungebildeteren Schwestern hineinleben und von da aus den Hebel ansetzen. Es liegt alles daran, daß nicht die Frauenfrage willkürlich verkleinert wird, indem man sie als Frage der gebildeten Frau allein formuliert. Hieran kann sich zeigen, wie viel echtes Christentum in den Frauen der oberen Stände vorhanden ist. Der gebildeten Frau gilt gegenüber der weiblichen Arbeiterin das Wort: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
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Louise Otto-Peters [mutmaßliche Verfasserin]: Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau (Auszüge), 1876
OTTO-PETERS, Louise [mutmaßliche Verfasserin]: Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau, Leipzig 1876 Kommentar: Die Denkschrift „Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau“ von 1876 wird von Zeitgenossinnen Louise Otto-Peters (1819-1895), der Gründerin und langjährigen Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins zugeschrieben (vgl. nur Kempin, Nr. 28, S. „f“; Stritt, Nr. 63, S. 135). Die Verfasserin selbst nennt ihr Werk eine „Denkschrift im vollen Sinne des Wortes“ (S. 3) für die Frauen, durch welche „sie erfahren und dabei bedenken lernen, welche gesetzlichen Folgen ihr Schritt in die Ehen nach sich zieht“. Die Schrift ist in zwei Teile gegliedert. Während im zweiten Teil der Darstellung (in der vorliegenden Edition überwiegend nicht abgedruckt) ein regionaler Überblick über die Rechtslage bzw. die in Deutschland geltenden frauenrechtlichen Normen gegeben wird, handelt der erste Teil von der Vorgeschichte, die zur Erstellung der Denkschrift führte. Otto-Peters schildert die Befassung mit Rechtsthemen seit dem Frauentag in Kassel 1869 und dem 1875 in Gotha durch Charlotte Papes Schrift (Nr. 43) ausgelösten Beschluß, eine Petition an den Reichstag zu richten mit dem Inhalt, bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders zu berücksichtigen (vgl. hierzu die Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins von 1877, Nr. 2). Die Denkschrift geht zurück auf das von „unsere[n] Ausschußmitglieder[n] in den verschiedenen deutschen Staaten“ gesammelte Material aus den regionalen „Gesetzbüchern“. Sie hat nicht etwa, wie die später erstellte Petition, die Ausarbeitung konkreter Reformforderungen zum Inhalt, sondern soll bisher rechtsunkundige Frauen über ihre Rechte (oder vielmehr ihre nicht vorhandenen Rechte) informieren. Im ansonsten oft deskriptiven zweiten Teil der Darstellung fällt zu Beginn der Übersicht der Abschnitt „In den sächsischen Herzogtümern“ auf, der im folgenden teilweise wiedergegeben ist. Als Grundlage für das Recht der sächsischen Herzogtümer wird zunächst das Recht des Sachsenspiegels erläutert und sodann eine bemerkenswerte grundsätzliche Stellungnahme zu germanischem, altdeutschem und römischem Frauenrecht abgegeben, in welcher eine äußerst frauenfreundliche Sicht des germanischen Lebens zutage trete: „Noch liegt allen diesen Gesetzen die Anschauung zu Grunde mit welcher das alte römische Recht die altgermanische Ansicht von den Frauen verdrängte; das weibliche Geschlecht ward und ist bis auf den heutigen Tag hingestellt als schwach, hilflos, darum schutzbedürftig und unterthan dem stärkeren Geschlecht. Bei den alten Germanen waren dagegen die Frauen wie wir wissen geachtet und geehrt nicht allein als Hüterinnen des Hauses und Herdes, sondern als Seherinnen und Priesterinnen, sie nahmen mit Theil an den öffentlichen Versammlungen der Gemeinden und hatten das Recht, darin mitzusprechen und mitzustimmen, z.B. ob Krieg sein solle oder Frieden. Erst später bedurften die Frauen, weil sie als Waffenunfähige nicht völlig rechtsfähig waren einer Vertretung, des erwähnten
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Wenn die gebildete und besitzende Frau etwas thun will, so soll sie sich in Geist und Lage ihrer ärmeren und ungebildeteren Schwestern hineinleben und von da aus den Hebel ansetzen. Es liegt alles daran, daß nicht die Frauenfrage willkürlich verkleinert wird, indem man sie als Frage der gebildeten Frau allein formuliert. Hieran kann sich zeigen, wie viel echtes Christentum in den Frauen der oberen Stände vorhanden ist. Der gebildeten Frau gilt gegenüber der weiblichen Arbeiterin das Wort: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
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Louise Otto-Peters [mutmaßliche Verfasserin]: Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau (Auszüge), 1876
OTTO-PETERS, Louise [mutmaßliche Verfasserin]: Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau, Leipzig 1876 Kommentar: Die Denkschrift „Einige deutsche Gesetzes-Paragraphen über die Stellung der Frau“ von 1876 wird von Zeitgenossinnen Louise Otto-Peters (1819-1895), der Gründerin und langjährigen Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins zugeschrieben (vgl. nur Kempin, Nr. 28, S. „f“; Stritt, Nr. 63, S. 135). Die Verfasserin selbst nennt ihr Werk eine „Denkschrift im vollen Sinne des Wortes“ (S. 3) für die Frauen, durch welche „sie erfahren und dabei bedenken lernen, welche gesetzlichen Folgen ihr Schritt in die Ehen nach sich zieht“. Die Schrift ist in zwei Teile gegliedert. Während im zweiten Teil der Darstellung (in der vorliegenden Edition überwiegend nicht abgedruckt) ein regionaler Überblick über die Rechtslage bzw. die in Deutschland geltenden frauenrechtlichen Normen gegeben wird, handelt der erste Teil von der Vorgeschichte, die zur Erstellung der Denkschrift führte. Otto-Peters schildert die Befassung mit Rechtsthemen seit dem Frauentag in Kassel 1869 und dem 1875 in Gotha durch Charlotte Papes Schrift (Nr. 43) ausgelösten Beschluß, eine Petition an den Reichstag zu richten mit dem Inhalt, bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders zu berücksichtigen (vgl. hierzu die Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins von 1877, Nr. 2). Die Denkschrift geht zurück auf das von „unsere[n] Ausschußmitglieder[n] in den verschiedenen deutschen Staaten“ gesammelte Material aus den regionalen „Gesetzbüchern“. Sie hat nicht etwa, wie die später erstellte Petition, die Ausarbeitung konkreter Reformforderungen zum Inhalt, sondern soll bisher rechtsunkundige Frauen über ihre Rechte (oder vielmehr ihre nicht vorhandenen Rechte) informieren. Im ansonsten oft deskriptiven zweiten Teil der Darstellung fällt zu Beginn der Übersicht der Abschnitt „In den sächsischen Herzogtümern“ auf, der im folgenden teilweise wiedergegeben ist. Als Grundlage für das Recht der sächsischen Herzogtümer wird zunächst das Recht des Sachsenspiegels erläutert und sodann eine bemerkenswerte grundsätzliche Stellungnahme zu germanischem, altdeutschem und römischem Frauenrecht abgegeben, in welcher eine äußerst frauenfreundliche Sicht des germanischen Lebens zutage trete: „Noch liegt allen diesen Gesetzen die Anschauung zu Grunde mit welcher das alte römische Recht die altgermanische Ansicht von den Frauen verdrängte; das weibliche Geschlecht ward und ist bis auf den heutigen Tag hingestellt als schwach, hilflos, darum schutzbedürftig und unterthan dem stärkeren Geschlecht. Bei den alten Germanen waren dagegen die Frauen wie wir wissen geachtet und geehrt nicht allein als Hüterinnen des Hauses und Herdes, sondern als Seherinnen und Priesterinnen, sie nahmen mit Theil an den öffentlichen Versammlungen der Gemeinden und hatten das Recht, darin mitzusprechen und mitzustimmen, z.B. ob Krieg sein solle oder Frieden. Erst später bedurften die Frauen, weil sie als Waffenunfähige nicht völlig rechtsfähig waren einer Vertretung, des erwähnten
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römischen Mundium des Vaters, Gatten oder des nächsten männlichen Verwandten […] Die römische Frau – um auch das zu erwähnen, damit man uns nicht von vorn herein eines Irrthums zeihe – stand allerdings nach der Gesetzgebung Kaiser Justinians, der sich um die Rechtsstellung der Frauen sehr verdient machte in soweit gleichberechtigt neben den Gatten, als ihm keine Befugniß über ihr Vermögen zustand außer durch einen besonderen Rechtsakt; aber als man das römische Recht in Deutschland einführte, kam die Frau durch die Ehe mit Allem was sie besaß und erwirbt in die Gewalt des Mannes, der nun ihr Vormund und der Verwalter und Nutznießer ihres Vermögens ward.“ Literatur: Schötz, Einige Deutsche Gesetzparagraphen, in Nagelschmidt u.a., Menschenrechte sind auch Frauenrechte, 2002, S. 53-78. Diethe, The life and work of Germany’s founding feminist Louise Otto-Peters (1819-1895), Lewiston u.a. 2002. Riedel, Gleiches Recht (2006), S. 112-121.
Einige Deutsche Gesetz-Paragraphen über die Stellung der Frau herausgegeben vom Allgemeinen deutschen Frauen-Verein. Leipzig, 1876 Vorwort Schon bald nach Gründung des allgemeinen deutschen Frauenvereins (18. Oktober 1865 in Leipzig) und seines Organs „Neue Bahnen“ (seit 1866 im Verlag von Moritz Schäfer in Leipzig, herausgegeben von Louise Otto und Auguste Schmidt) wurde auch von einzelnen der Wunsch ausgesprochen, man möge die auf die Tagesordnung gesetzte Frauenfrage nicht allein von der Seite des Rechts auf Bildung und Erwerb, sondern auch des Rechtes schlecht hin, wie des Rechtes vor dem Gesetz beleuchten. Nicht allein liefen bei der Redaktion der „Neuen Bahnen“ wie auch sonst beim Vorstand unzählige Klagen und Beschwerden von Frauen, besonders Ehefrauen und Müttern ein, die unter der Ungunst oder ihnen ungünstigen Handhabung der Ehe- und Vormundschaftsgesetze zu leiden gehabt hatten oder noch litten – auch fast auf jeden Frauentag (wie gehalten wurden 3 in Leipzig, je 1 in Braunschweig, Kassel, Eisenach, Stuttgart Gotha) erhoben sich einzelne Stimmen, welche es für dringend notwendig erklärte auch in den deutschen Gesetzbüchern Umschau zu halten und zuzusehen, welche Stellung durch diese den deutschen Frauen zugetheilt sei. Und zwar wurden die Ansichten und Forderungen nicht allein gestellt von einzelnen unglücklichen Frauen, welche in dieser Beziehung selbst die traurigsten Erfahrungen gemacht hatten, auch nicht allein von solchen Frauen die in ihrer Begeisterung für die wahre Würde des weiblichen Geschlechts und in ihrer Empörung über die durch Herkommen und Gesetz der Bewehrung derselben entgegenstehenden Vorurtheile statt bedachtsam reformatorisch unbedacht revolutionär verfahren möchten, sondern von Männern, Männern der Wissenschaft und des Rechtes. Es sei hier nur erinnert an den Frauentag zu Kassel 1869, wo die Professoren der Universitäten Prag und Heidelberg, Hermann von Leonhardi und Karl Röder es aussprachen daß durch manche Paragraphen deutscher Gesetzgebung das weibliche Geschlecht tief beleidigt werde. Wie denn der letztere manche speciell anführte und es auch als eine Aufgabe des Vereins hinstellte gegen diese Ungerechtigkeiten die Stimme zu erheben. Dennoch hat der Verein in seiner nun bereits über ein Jahrzehnt langen Wirksamkeit dieselbe vorzugsweise darauf beschränkt den Frauen mehr und mehr das Recht und die Gelegenheit zu verschaffen ihre eigenen Fähigkeiten und Kräfte zu
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entfalten, sich dadurch unter allen Lebensverhältnissen und Wechselfällen des Geschickes zu nützlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zu machen, arbeits- und erwerbsmäßig selbstständig im Innern wie im Aeußern. Man hielt sich streng allein an die Ausführung des auf dem ersten deutschen Frauentag in Leipzig beschlossenen Programms.158 Man dachte zuerst daran den Kreis des weiblichen Wirkens durch Uebernehmen neuer Pflichten zu erweitern in der Voraussetzung, daß endlich ganz (2) von selbst diese treugeübten Pflichten auch Rechte und deren Erweiterung bedingen würden. Wer sich erinnert, welchem Vorurtheile, welchem Misstrauen der erste deutsche Frauentag sich entgegenzustemmen hatte und wie bescheiden zugleich seine Forderungen waren, wird es nur billigen können, daß in diesen Kreisen immer ängstlich darüber gewacht ward, jeden Schritt und jedes Wort zu vermeiden, welche dem Vorurtheil neue Nahrung gegeben hätten. Wer sich aber auch ferner erinnert, wie viel seit dem und nicht etwa nur durch den Allgemeinen deutschen Frauenverein und seine Zweigvereine, sondern auch durch andere, mit ihm in keinem direkten Zusammenhang stehende Frauen- und Erziehungsereine, wirklich im Interesse der Bildungs- und Erwerbsfrage der Frauen erreicht ward und wie die gesamte Presse, die sich in der Mehrheit früherer ablehnend und absprechend gegen die Frauenfrage verhielt, nun ihre Berechtigung anerkennt und kaum selbst mehr zugeben will, daß sie erst anders über diese Bestrebungen geurtheilt – wer dieß alles überliegt, wird sich nicht mehr wundern, wenn auch unser Verein sich nicht mehr ablehnend, gegen die an ihn schon so oft herangetretene Frage nach dem Frauenrecht verhält und nach der gesetzlichen Stellung, welche die Frau gegenwärtig in Deutschland einnimmt. Es war auf dem Frauentag zu Gotha (Oct. 1875) als anläßlich einer eingesandten Schrift: „Die Rechte der Mutter auf ihre Kinder“ (abgedruckt in No. 2 der Neuen Bahnen 1876) diese Frage zuerst etwas eingehender erörtert und darauf einstimmig von der Versammlung beschlossen ward den Vorstand des Allgemeinen deutschen Frauenvereins zu beauftragen eine Petition an den Reichstag zu richten des Inhalts: Bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders zu berücksichtigen. Ein diesbezüglicher „Aufruf“ ward in Nr. 4 und 5 der neuen Bahnen erlassen, mit obiger Stelle beginnend.
158 Dasselbe lautet: § 1. Wir erklären nach dem Beschluß der ersten deutschen Frauen-
conferenz: die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, für eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts, nehmen dagegen daß Recht der Arbeit in Anspruch und halten es für nothwendig, daß alle der weiblichen Arbeit im Wege stehenden Hindernisse entfernt werden. § 2. Wir halten es für ein unabweisbares Bedürfnis, die weibliche Arbeit von den Fesseln des Vorurtheils, die sich von den verschiedenen Seiten gegen sie geltend machten, zu befreien. Wir halten in dieser Hinsicht neben der Agitation durch Frauenbildungsvereine und die Presse die Begründung von Produktiv-Assoziationen, welche hier vorzugsweise empfohlen werden die Errichtung von Industrie-Ausstellungen für weibliche Arbeitserzeugnisse, die Gründung von Industrieschulen für Mädchen, die Errichtung von Mädchenherbergen, endlich aber auch die Pflege höherer wissenschaftlicher Bildung für geeignete Mittel, um diesem Ziel näher zu kommen. § 3. Sich mit diesen Punkten eingehend zu beschäftigen, sobald die nöthigen Mittel dazu vorhanden sind, ist der Zweck des Allgemeinen deutschen Frauenvereins.
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Es handelt sich also auch jetzt nur um die gesetzliche Stellung der deutschen Frauen als Gattinnen und Mütter, also gerade in denjenigen Lebenssphären und Wirkungskreisen auf welche die Frauen immer in erster Linie als ihren natürlichen Beruf hingewiesen werden und es ist darum ja gewiß – um den herkömmlichen Ausdruck festzuhalten – auch äußerst weiblich so mitten in der Frauenfrage stehend auch endlich einmal nachzufragen, wie es um die Gesetze bestellt ist, welche die Lebensverhältnisse betreffen, nachzufragen, welche Pflichten die Frauen übernehmen, die sich verheirathen, welche Rechte und welchen Schutz ihnen die Gesetze gewähren, zuerkennen oder verweigern. Bis jetzt sind fast in jedem deutschen Staate verschiedene Gesetze hierüber zu Recht bestehend und bei der Dehnbarkeit, wie bei der veralteten Fassung von manchen derselben ist auch ihre Handhabung eine sehr verschiedene und so hängt vorkommenden Falles auch manches in der Ausführung derselben noch von der Ansicht und Einsicht der betreffenden Richter ab. Dies ist mit einer der Hauptgründe, welcher die Kenntnißnahme derselben so erschweren, so wohl für die Einzelnen im einzelnen Staate, als noch mehr für uns die wir einen Ueberblick gewinnen und geben möchten über die gesetzliche Stellung in ganz Deutschland. Es ist dies auch einer der Gründe warum die Einen einen Schrei der Mißbilligung und sittlichen Entrüstung über diese Stellung ausstoßen, sie eine Beleidigung des Jahrhunderts, ein mit Füßetreten der weiblichen Würde, nennen und warum die Andern wieder die bestehenden Gesetze ganz in der Ordnung, dem weiblichen Wesen vollständig entsprechend finden. Ja, sehr oft und eben erst jetzt von verschiedensten Seiten, seit unsere Absicht bekannt geworden ist um Prüfung beziehendlich Abänderung und Verbesserung dieser Gesetze nachzusuchen ist uns entgegnet worden: es könne dies leicht ein sehr überflüssiges Unternehmen sein, die Frauen hätten im Laufe der Zeit bereits ein Recht nach dem anderen erhalten und es läge nur an ihnen selbst und ihrer Unkenntnis der staatlichen Weiterentwicklung, wenn sie davon keinen Gebrauch machten und über eine Bedrückung oder Nichtachtung klagten, welche längst nicht mehr, weder zu Recht noch thatsächlich, bestehe. Solchen Thatsachen, Anschauungen, Klagen und Widersprüchen gegenüber blieb uns eben nichts anderes übrig als – was immer und in allen Fällen das beste und Gerathenste ist! – den Weg der Selbsthülfe zu betreten, d. h. uns zunächst selbst Einsicht in die betreffenden Gesetze zu verschaffen und unseren Mitschwestern zu derselben zu verhelfen. (3) Wir fügten daher unserem obengedachten Aufruf noch folgende Sätze bei: „Da wir nun, nach den seit Bestehen unseres Vereins gemachten Erfahrungen und nachdem wir die beregte Angelegenheit schärfer ins Auge gefasst haben, daß durch eine gewissermaßen ins Blaue entworfene und gerichtete Petition wenig oder nichts erreicht werden würde so haben wir beschlossen, eine solche erst nach gründlichen Vorarbeiten unsererseits einzureichen. Da gerade in den Beziehungen auf die Stellung der Frauen, auf Ehe- und Vormundschaftsrecht fast in jedem deutschen Staate andere Gesetze herrschen, so ist es eine kleine Arbeit, sich über diese gründlich zu informieren und doch muß sie vorhergehen, wenn wir mit Nutzen die nötigen Aenderungen beantragen wollen. Wir ersuchen daher unsere Mitglieder, wie die gleichen Interessen vertretenden Frauenvereine, uns bei dieser Arbeit zu unterstützen, so zwar, daß sich durch einen gesetzkundigen Juristen die betreffenden Gesetzesparagraphen ihres Staates mittheilen und diese Mittheilungen dann schriftlich zu uns gelangen lassen.
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Auch ist es von Wichtigkeit, daß solche welche selbst unter den Gesetzen und deren Handhabung gelitten haben, uns davon in Kenntniß setzen; indeß mögen dies nur solche thun, welche bereit sind, mit ihren vollen Namen für das von ihnen Mitgetheilte einzutreten.“ Dieser Aufruf hat in der Hauptsache die gewünschten Erfolge gehabt. Unsere Ausschußmitglieder in den verschiedenen deutschen Staaten haben sich in der Mehrzahl angelegen sein lassen uns das so erbetene Material je aus den Gesetzbüchern des Staates, welchen sie angehörten zu verschaffen, und so stellen wir dasselbe in dieser kleinen Druckschrift zusammen, die zwar nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht, weil wir nicht zu weitläufig werden wollen, noch in allen Labyrinthen staatlicher und städtischer Gesetzgebung uns zurecht zu finden vermochten, die doch aber immerhin auch in ihrer bescheidenen Gestalt eine Denkschrift im vollen Sinne des Wortes werden mag. Eine Denkschrift für die Frauen, durch welche sie erfahren und dabei bedenken lernen, welche gesetzlichen Folgen ihr Schritt in die Ehen nach sich zieht. Es ist in der That merkwürdig und bezeichnet mehr als Alles den Zustand der Unreife und blinden Vertrauensseligkeit oder sorgloser Unterwürfigkeit unter das bestehende Herkommen, darin sich nicht allein liebende und heirathslustige Mädchen, sondern darin sich auch die doch sonst gern und zärtlich über ihre Töchter wachenden Mütter befinden, dass jene so oft in die Ehe treten und diese sie darein treten lassen, ohne zu bedenken, und zu wissen, welche Rechte sie dadurch verlieren oder empfangen und in wie weit sie ihre Selbstständigkeit, und Alles was ihnen gehört nur hinzugeben und einen anderen Willen unterzuordnen haben. Daß ein liebendes Mädchen dem Manne seiner Wahl vollständig vertraut, daß es zu jeder Hingabe wie des ganzen Wesens, so auch der des äußeren Besitzes und der bisher genossenen Freiheit und Selbstständigkeit, mit einem Worte zu jedem Opfer bereit und daß ihm selbst das größte eigentlich keines ist – das liegt in der Natur jeder echten Liebe und niemals möchten wir der deutschen Frauenliebe diesen schönen Zug beeinträchtigt sehen – ja ohne einen solchen erschient uns schon die Schließung des Ehebundes entweiht und bedenklich, aber es ist ja eben ein Anderes ob ein solches Opfer der Hingebung freiwillig gebracht oder ob es ein gesetzlicher Zwang ist, wodurch es ja nicht allein den Werth verliert für die verliert die es darbringen, als vielmehr auch für den, dem es dargebracht werden muß. Ein wirklich zartfühlend und edeldenkender Mann wird von den ihm zustehenden Rechten keinen anderen Gebrauch machen, als welchen die geliebte Gattin selbst gut heißt – allein welchen Gebrauch davon die minder edlen und die rohen machen, das lehrt leider ein Blick in das Leben! Und wenn er es nicht schon vorher gelehrt hätte: die Augen wären uns darüber aufgegangen nachdem wir den obigen Aufruf erlasen. Denn es sind uns darauf aus den verschiedensten deutschen Staaten, aus großen und kleinen Städten, von Edelsitzen und Dörfern aus Hütten und Palästen eine Unzahl von Briefen unglücklicher Ehefrauen und Mütter zugegangen, welche in ähnlicher und weit schlimmerer Weise, als es von einer Mutter in Nr. 2 der neuen Bahnen erzählt ward, unter den Ehe- und Vormundschaftsgesetzen und deren Handhabung gelitten haben. Das Material weiblichen Marthyriums reichte aus um Bände damit zu füllen – Einzelnes davon werden wir gelegentlich mit-(4)theilen. Die vollständige Mittheilung muss aber unterbleiben, nicht allein weil sie der Raum gar nicht zuließe, sondern weil unsere Feder sich sträubt, in diesen Schmutz zu tauchen und des uns unmöglich ist selbst um eines guten Zwecks willen, Scham, Ekel und Ab-
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scheu so weit zu überwinden, als wir es müssten, wenn wir veröffentlichen wollten was andere, fremde Frauen uns doch nur als Frauen vertraut. Diese Mittheilungen – und das ist die Hauptsache – sind zwar mit voller Nennung von Namen, Orte und Zeit gemacht worden, aber doch mit der Bitte, ohne diese Nennung davon öffentlich Gebrauch zu machen. Und das ist natürlich, denn sowohl das weibliche Zartgefühl sträubt sich dagegen ein unglückliches Ehe- und Familienleben zu veröffentlichen als auch Furcht und Angst sprechen mit das eigne oder der Kinder Schicksal noch zu erschweren durch Erinnerungen, welche Zorn und Rache auch des geschiedenen Ehegatten noch reizen könnten. Wenn wir also auch hiervon absehen und statt der Erfahrung des Lebens zuerst sie Gesetze sprechen lassen, so hoffen wir daß unsere Denkschrift doch vorerst den einen Zweck erfülle: zuerst die Frauen über ihre Stellung vor dem Gesetze einigermäßen aufzuklären und so wohl sie selbst als auch die Männer, die nicht jeder Fortschrittsbewegung abhold sind zum Nachdenken und zur Prüfung aufzufordern: ob wohl hier nicht auch eine Verbesserung der Gesetze räthlicher und nicht allein im Interesse der Frauen sondern auch im Interesse der Humanität geboten sei.
(6) Zur gesetzlichen Stellung der Frau. I. In den sächsischen Herzogtümern In der ältesten Zeit des deutschen Rechts hatte die Frau keine selbstständige bürgerliche Stellung, sie war abhängig von dem Vormund (Geschlechtsvormund) der für sie bestellt wurde, oder vom Ehemann in dessen Mundium sie stand, der ihre Person und ihre Güter in und außer Gericht vertrat. So sagt die älteste schriftliche Quelle des überlieferten deutschen Rechts der „Sachsenspiegel“ von der Ehefrau: „Wenn ein Mann ein Weib nimmt, so nimmt er sie in seine Gewahr und alles ihr Gut zu rechter Vormundschaft.“ An anderer Stelle: „Der Mann ist ihr Vormund und sie ist seine Genossin.“ So war denn der Mann Herr der eheweiblichen Güter, zwar nicht in dem Sinne und mit der rechtlichen Wirkung eines Eigenthümers, sondern nur des Vogtes, denn es heißt weiter: „Der Mann ist seines Weibes und ihres Gutes allein ein Vormünder und hat sonst kein anderes Recht daran.“ Aber diese Voigtschaft gestattete ihm auf der einen Seite seine und der Frau Güter als eine Masse zu verbinden und zu verwalten. „Mann und Weib haben nicht gezweiet Gut zu ihrem Leibe“; auf der anderen Seite verhinderte sie, daß die Frau über ihr Gut in irgend einer Weise verfügte: „Kein Weib mag ihres Gutes vergeben ohne ihres Mannes Willen, daß er durch Recht leiden darf,“ und selbst dem Manne konnte sie nichts schenken, sie kann: „Keine Gabe geben an ihren Eigen oder an ihrer fahrenden Habe, denn der Mann mag ihres Gutes kein ander Gewähr gewinnen, denn als er zuerst empfing mit ihr in (der) Vormundschaft.“
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Im Laufe der Jahrhunderte und wesentlich unter dem Einfluß des römischen Rechts verschwand das mundium des Mannes in seiner alten Gestalt, es bildete sich eine eheliche Vormundschaft aus, zufolge deren der Mann das Recht und die Pflicht hat, die Frau zu schützen und zu vertheidigen, von seiner Zustimmung die Gültigkeit und Verbindlichkeit von Handlungen der Ehefrau vor und außer Gericht in der Regel abhängig werden zu lassen, das gesammte Vermögen der Ehefrau zu verwalten und auszunießen (auszunutzen). Aus diesen Grundlagen wurden dann die verschiedenen deutschen Gesetze in Bezug auf die Frauen festgestellt und je nach den Culturfortschritten und Humanität weiter entwickelt. Wie weit oder wie wenig weit diese Entwicklung bereits gediehen ist wird sich im Verlauf unserer Mittheilungen zeigen. Noch liegt allen diesen Gesetzen die Anschauung zu Grunde mit welcher das alte römische Recht die altgermanische Ansicht von den Frauen verdrängte; das weibliche Geschlecht ward und ist bis auf den heutigen Tag hingestellt als schwach, hilflos, darum schutzbedürftig und unterthan dem stärkeren Geschlecht. Bei den alten Germanen waren dagegen die Frauen wie wir wissen geachtet und geehrt nicht allein als Hüterinnen des Hauses und Herdes, sondern als Seherinnen und Priesterinnen, sie nahmen mit Theil an den öffentlichen Versammlungen der Gemeinden und hatten das Recht, darin mitzusprechen und mitzustimmen, z. B. ob Krieg sein solle oder Frieden. Erst später bedurften die Frauen, weil sie als Waffenunfähige nicht völlig rechtsfähig waren einer Vertretung, des erwähnten römischen Mundium des Vaters, Gatten oder des nächsten männlichen (7) Verwandten. Während des ganzen Mittelalters, das ja mindestens in den höheren Ständen die Frauen so hoch ehrte, daß es nicht alleine eine Art Cultus für sie einführte, Fürstinnen und Aebtissinnen (die z. B. auch auf den Reichstagen Sitz und Stimme hatten) ganz gleiche Rechte gab wie den Männern, herrschte daneben doch diese Ansicht der Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit vor, so daß sie mit zum Ritter- und Minnedienste führte, als auch gesetzlich den Frauen einen besonderen „Frieden“ angedeihen ließ, wie den Geistlichen, Fremden und Juden als schutzbedürftigen Personen. Die römische Frau – um auch das zu erwähnen, damit man uns nicht von vorn herein eines Irrthums zeihe – stand allerdings nach der Gesetzgebung Kaiser Justinians, der sich um die Rechtsstellung der Frauen sehr verdient machte in soweit gleichberechtigt neben den Gatten, als ihm keine Befugniß über ihr Vermögen zustand außer durch einen besonderen Rechtsakt; aber als man das römische Recht in Deutschland einführte, kam die Frau durch die Ehe mit Allem was sie besaß und erwirbt in die Gewalt des Mannes, der nun ihr Vormund und der Verwalter und Nutznießer ihres Vermögens ward. Dies ist so durch alle Jahrhunderte hindurch geblieben, wenn auch in diesem – doch nur sehr langsam – und erst in den letzten 50–30 Jahren – in den verschiedenen deutschen Staaten in verschiedenen Zeitpunkten – die Geschlechtsvormundschaft abgeschafft ward und dadurch die unverheirathete Frau ungleich freier und selbstständiger durch das Gesetz gestellt ist, als die verheirathete. Indem wir uns gleich am Eingang auf den „Sachsenspiegel“ als älteste Gesetzes-Urkunde beriefen wollen wir auch in der Mittheilung derjenigen GesetzesParagraphen, die unser Thema zunächst berühren mit Sachsen den Anfang machen und zwar mit den sächsischen Herzogthümern. Da liegt uns aus dem Herzogthum Gotha das Folgende vor.
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Da die Frau nicht mehr unter der Geschlechtsvormundschaft steht, so ist sie fähig Verträge abzuschließen und daher auch fähig, vor oder bei Eingehung der Ehe durch Vertrag die beiderseitigen Rechte an ihrem Vermögen festzustellen, sie kann sich vertragsmäßig die selbstständige Verfügung über ihr gesammtes Vermögen oder gewisse Theile desselben vorbehalten, sonach es erreichen, daß ihr ausschließlich die Verwaltung und Nutzung ihres Vermögens verbleibt. Sind solche Verträge nicht vorhanden, dann tritt mit dem Augenblick der Eheschließung das Verwaltungsrecht unter das Nießbrauchsrecht des Ehemannes am eingebrachten Vermögen der Frau und erstreckt sich späterhin in der Regel auch auf das, was von der Frau während der Ehe erworben wird. Nur diejenigen Sachen, welche ihrer Beschaffenheit nach für den persönlichen Gebrauch der Ehefrau bestimmt sind, Kleidungsstücke, Kleinodien und Geräthschaften der Frauen, sowie dasjenige was der Frau während der Ehe von Dritten durch Schenkung, Testament oder sonst unter der Bedingung anfällt, daß der Ehemann daran ein Verwaltungs- und Nießbrauchsrecht nicht auszuüben haben soll, ist solchem entzogen. Was die Frau durch Fleiß und Arbeit schafft, sowie was sie als Gehülfin des Mannes bei dessen Gewerbe verdient, wächst dem Vermögen des Mannes zu, dagegen wächst dasjenige was sie als Handel[s]frau oder bei, mit Zustimmung ihres Mannes betriebenen eigenem Gewerbe verdient, zwar ihrem Vermögen zu, fällt aber unter das Nießbrauchsrecht des Mannes. Das Verwaltungs- und Nießbrauchsrecht des Mannes legt ihm die Verpflichtung auf, die Sorgfalt eines guten Hausvaters in Bezug auf das Vermögen der Ehefrau anzuwenden, als Nießbräucher aber die Verbindlichkeiten aus dem Rechte des Nießbräuchers mit Ausnahme der Cautionsstellung zu erfüllen. Es gestalten sich die hieraus resultierenden Rechte und Pflichten je nach Beschaffenheit der eheweiblichen Vermögensanteile verschieden. Die zum Vermögen der Ehefrau gehörenden sogenannten vertretbaren und verzehrbaren Sachen gehen in das Eigenthum des Mannes über, weil er solche, ohne daß ihm die unbeschränkte Verfügung über die einzelnen Dinge zusteht, nicht benutzen kann, der Mann aber bleibt Schuldner der eigenen Quantität und Qualität. So wird der Mann Eigenthümer des in die Ehe gebrachten baaren Geldes der Frau. Hat er dasselbe zum Ankauf von Sachen verwendet, so erwirbt er hiervon das Eigenthum und bleibt (8) Schuldner der eingebrachten Geldsumme; hat er die Sachen ausdrücklich auf den Namen seiner Frau erkauft und ihr gerichtlich zuschreiben lassen, so wird die Frau Eigenthümerin, aber der Mann behält daran, wenn nichts Andres festgestellt wird, das Verwaltungs- und Nießbrauchsrecht. […]
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Louise Otto-Peters: Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (Auszüge), 1890
OTTO-PETERS, Louise: Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, gegründet am 18. Oktober 1865 in Leipzig. Auf Grund der Protokolle mitgeteilt, Leipzig 1890 Kommentar: In ihrer Schrift über das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (1865-1890) berichtet Louise Otto-Peters, die den Verein mitbegründete und seit 1865 leitete, über die Aktivitäten dieses damals führenden Vereins der deutschen Frauenbewegung. Aus den insgesamt weit ausführlicheren Berichten sind für die vorliegende Edition diejenigen Abschnitte ausgewählt worden, in welchen Bezug auf die Rechtsstellung der Frau und auf spezifisch rechtspolitische Aktivitäten und Diskussionen des ADF genommen wird. Erstmals wird die Thematik auf dem Frauentag 1869 durch Karl August Röder angesprochen und erneut auf den Frauentagen 1872 und 1873 dazu vorgetragen. Der 1873 von Marie Calm gehaltene Vortrag ist in der vorliegenden Edition abgedruckt (Nr. 13). Einen vorläufigen Höhepunkt bilden die Aktivitäten der Jahre 1875-1877, als es u.a. zur Erstellung der Denkschrift von 1876 und zur Einreichung der Petition von 1877 kommt. In den 1880er Jahren leistet vor allem Marianne Menzzer wichtige Vorarbeiten für die spätere Rechtsschutzbewegung, in welcher bürgerliche Frauen sozial benachteiligten Frauen in Rechtsangelegenheiten zur Seite stehen wollten (zur späteren Arbeit der Rechtsschutzvereine vgl. auch Geisel, Klasse, Geschlecht und Recht, 1997). Daß die Vereinsarbeit selbst für die Aktivistinnen mitunter dem Vorbehalt einer ehemännlichen Genehmigung unterlag, wird aus den Vorgängen um die Satzungsänderung 1885 deutlich. 1888 wird erstmals die Person Kempins erwähnt, und angesichts des BGB-Entwurfs wird eine neue Petition zum BGB ins Auge gefaßt, aber vorerst noch nicht begonnen. Kurz vor 1890 deutet sich mit der verstärkten Aktivität zum BGB eine neue Stufe der Frauenrechtsaktivitäten an. In diesen wird dann allerdings der ADF als solcher nicht mehr die Hauptrolle spielen, wohl aber einige seiner Vertreterinnen innerhalb des Bundes Deutscher Frauenvereine, z.B. Auguste Schmidt (1833-1902), die 1894-1899 als Vorsitzende des BDF amtiert.
Louise Otto-Peters: Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen deutschen Frauenvereins […] (18) Die 3. Generalversammlung fand in Cassel vom 2. bis 5. Oktober 1869 statt. […] Herr Professor Röder aus Heidelberg sprach über die Notwendigkeit, verschiedene Punkte der Gesetzgebung umzugestalten, welche die Frauen benachteiligten. […] (23) Die fünfte Generalversammlung des A. D. Frv. (6. Frauentag) fand vom 5.–7. Oktober 1872 in Eisenach statt. […] (25) Dr. Wendt erklärte das Recht der Frauen auch auf jede wissenschaftliche Ausbildung. Mit dem bloßen Zulassen der Frauen zu den Universitäten sei denselben nicht gedient, dies könne nur Halbbildung und der guten Sache schadende Zustände erzeugen. Wie es für die Jünglinge Realschulen und Gymnasien gäbe, müsse man ähnliche Anstalten, mit besonderer Berücksichtigung der weiblichen Individualität, für Mädchen gründen. Weibliche Aerzte für Frauen und Kinder, akademisch gebildete Lehrerinnen für die wissenschaftlichen Fächer an den Töchterschulen, auch weibliche Rechtsgelehrte seien eine dringende Notwendigkeit. Denn wie es das weibliche Zartgefühl und die Sitte verletze, wenn eine Frau dem männlichen Arzt alle ihre Körperzustände vertrauen
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müsse, so sei es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß z.B. bei Ehescheidungen der Frau kein weiblicher Anwalt zur Seite stehe, ebenso müsse die Verbrecherin einen solchen erhalten können. […] (27) Im Hinblick auf den nächsten Frauentag ward auch beschlossen: […] Dagegen solle die Rechtsfrage, d. h. die Stellung der Frau dem Gesetze gegenüber zur Sprache gebracht werden, da fast überall die sie betreffende Gesetzgebung sehr im Argen liege. […] (28) So tagte denn der Verein vom 5.-8. Oktober 1873 in Stuttgart. […] (29) Vorträge wurden gehalten von folgenden Damen: Frl. Calm über die Frage: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter wie gegen seine Söhne? [Nr. 13] An der Hand der Statistik wies sie nach, wie viel mehr es Frauen als Männer im Deutschen Reiche gäbe, z.B. in Preußen habe es bereits vor dem Kriege 1,827,451 ledige Frauen und 700,000 Witwen gegeben, von denen mindestens die Hälfte sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen habe, darum müßte ihnen auch der Staat die Möglichkeit dazu gewähren, durch Errichtung von Lehranstalten und Erteilung eines höheren Maßes an Rechten – während ihnen bis jetzt nur die Rechtsgleichheit zum Steuerzahlen gewährt sei. Weitere Vorträge wurden gehalten von […] Frau Dr. Goldschmidt (anknüpfend an den Vortrag von M. Calm) Rechte und Pflichten der Frauen in Gemeinde und Staat. Sie forderte beides im höheren Grade für die Frauen, man spreche immer nur von den „Vätern“ der Stadt, aber oft thäten auch Mütter not. Nicht nur in der Familie und im Kriege eigne sich das Weib zur Krankenpflege, man solle ihr auch in Krankenhäusern eine Aufsichtsrolle erteilen, ebenso in Gefängnissen bei weiblichen Sträflingen, bei der Armenpflege, in Hospitälern, Volksküchen und städtischen Speiseanstalten, in Volksschulen u. s. w. Sie kam auf die Verwendung in Volkskindergärten und endlich auf die mißlichen Rechtsverhältnisse und stellte folgenden Antrag: „In Gemeinsamkeit mit dem Verbande deutscher Erwerbs- und Bildungsvereine, dessen Vorort (30) Berlin und dessen Protektorin die Frau Kronprinzessin von Preußen, Petitionen an den Reichstag zu senden um Abänderung der Civilgesetzgebung inbezug auf die rechtliche Stellung der Frauen.“ […] (34) Hier [in Gotha] ward vom 2. bis 5. Oktober 1875 die 7. Generalversammlung abgehalten. […] (35) Frl. Charlotte Pape-Hannover, damals in London lebend, hatte nicht selbst kommen können, um einen von ihr angekündigten Vortrag zu halten: Die Rechte der Mutter auf ihre Kinder. Sie hatte denselben aber eingesandt, sodaß er vorgelesen und danach auch in den „Neuen Bahnen“ gedruckt ward [Nr. 43]. Man kam durch hier mitgetheilte Thatsachen über das Ueberwiegen der männlichen Gewalt im Ehe- und Familienrecht wieder auf die Rechtsfrage (36) und zu dem Beschluß, sich mit einer Petition an den Deutschen Reichstag zu wenden: „Bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen, besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht zu berücksichtigen.“ […] (39) [Aus dem Bericht über die 8. Generalversammlung 1876 in Frankfurt/ Main:] In der Ehe gilt jetzt der Gatte und Vater Alles, die Gattin und Mutter nichts; er ist Nutznießer ihres Vermögens, Vormund der Kinder. Die Frauen lernen nur die Gesetze ertragen, aber sie lernen sie nicht kennen. Darum hat der Vorstand des A. D. Frv. dieselben jetzt in einer Schrift zusammengestellt [Nr. 41] und wird eine Petition [Nr. 2] an dieselbe knüpfen. Auch so lange die Sittlichkeitsfrage in Bezug auf die Nachtseite der Gesellschaft nicht beleuchtet und gelöst sei, könne die Frauenfrage nicht gelöst werden. In Handel und Wandel, in Schule und Haus, in Wissenschaft und Politik müsse die Frau sich den ihr zukommenden Wirkungs-
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kreis erringen. […] (41) In der erwähnten Versammlung ward der bisherige Vorstand wiedergewählt und außerdem beschlossen, daß derselbe demnächst in Leipzig zusammenkommen solle, um über die an den Reichstag zu richtende Petition näher zu beraten. Anknüpfend an die von ihm herausgegebene Denkschrift [Nr. 41]: Einige deutsche Gesetz-Paragraphen über die Stellung der Frau. (Leipzig, Selbstverlag des Vereins, Commission Moritz Schäfer 1876 (Preis 50 Pf.) Diese Paragraphen brachten auch gleichzeitig die „Neuen Bahnen“, XI, Jahrgang 1876.) […] (42) Nachdem von Hannover eine ehrenvolle Einladung an uns ergangen war, fand daselbst die 9. Generalversammlung des Vereins vom 27.-29. September 1877 statt. […] (43) Am folgenden Morgen, 9 ½ Uhr, eröffnete die Vorsitzende in der trotz ihrer Größe überfüllten Aula die Sitzung mit der üblichen Begrüßung der Anwesenden und der Stadt, in der man hoffen dürfe, geringeren Vorurteilen zu begegnen wie anderwärts, da ja schon vor einem Jahrhunderte eine hier geborene Frau den Gang der Gestirne genau berechnet, 8 Kometen entdeckt hat und selbst als Stern am Himmel der Wissenschaft leuchtet: Karoline Herschel. Die Vorsitzende teilte ferner mit, wie der A. D. Frv. seinem in Frankfurt erhaltenen Auftrag gemäß eine Petition an den Reichstag habe gelangen lassen: „Bei Ab-(43)fassung des neuen Civilgesetzbuches auch mit Rücksicht zu nehmen auf die Stellung der Frauen im Familienrecht.“ Dieselbe erhielt die Zustimmung auch der Zweigvereine und vertritt dadurch die Ansichten von mindestens 11–12 000 Frauen. Eine solche Kundgebung sei eben ohne weibliches Vereinsleben gar nicht erreichbar. Die sogenannte Frauenfrage werde darin durch Wort und Schrift beantwortet, und die Antwort durch die Lokalvereine in Thaten umgesetzt und gehe so ganz von selbst in Fleisch und Blut unseres Volkes über. – Diese Petition des A. D. Frv. ist allerdings im Reichstag nicht zur Erledigung gekommen, aber an den Vorstand in Leipzig zurückgeschickt worden. Derselbe sandte sie dann an das Reichskanzleramt nach Berlin, mit der Bitte, sie der Commission zur Beratung der neuen Civilgesetze für das deutsche reich zu übergeben, an welche sie ebenfalls gerichtet war. Aus dem Reichskanzleramt ist uns dann die Antwort zugekommen, daß dies geschehen, und sie dem Vorsitzenden der Kommission, Herrn Ober-Appellationsrat Pape zugekommen. Somit hat also dieselbe das Ziel ihrer Bestimmung erreicht und hoffen wir, daß auch das Ziel ihres Inhalts nicht unerreichbar sei. […] (52)159 Carl Röder, Professor der Universität Heidelberg, starb nach kurzer Erkrankung an Lungenentzündung am 21. Dezember 1880, im Alter von 73 Jahren. Derselbe war seit 1869, wo (53) er der Generalversammlung des A. D. Frv. in Cassel beiwohnte, Ehrenmitglied desselben, und wie er dort besonders vom Standpunkt des Rechtes und der Rechtsphilosophie auch für die Frauenbewegung gesprochen, so that er es auch noch auf unserem letzten Frauentag in Heidelberg,160 wie allen Teilnehmern desselben und so auch allen Lesern der Berichte darüber […] noch im frischesten Andenken ist. Als Jünger der Krause’schen Philosophie und Freund der Fröbel’schen Erziehungsweise hat er auch in vielen seiner Schriften und Vorträgen die Notwendigkeit eines größeren weiblichen Einflusses im 159 [Anmerkung: Das Gedenken an Röder und die folgenden Vorträge Menzzers und
Aßmanns waren Teil der Generalversammlung in Lübeck im Oktober 1881.] 160 [Anmerkung: Dieser fand vom 5.-7.10.1879 statt.]
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Staate dargelegt – und so wird sein Tod in diesen Kreisen eine schmerzliche Lücke lassen, jedenfalls wird er im Herzen aller denkenden Frauen in dankbarer Erinnerung fortleben – uns noch speziell als Gesinnungsgenosse und Verbundener im Dienst der Humanität, die auch seine ganze Persönlichkeit offenbarte. […] (55) Frl. M. Menzzer sprach über die Lohnverhältnisse der Frauenarbeit. Durch statistisches Material der Löhne für die sogenannten weiblichen Arbeiten für Manufakturen, Tapisserie und andere Geschäfte, wies sie nach, wie die Arbeiterinnen, selbst wenn sie oft 12-16 Stunden des Tages arbeiten, kaum das tägliche Brot verdienen. Die Ungleichheit der Stellung der Geschlechter vor dem Gesetz, der Sitte und Gewohnheit drücke am meisten auf die armen Arbeiterinnen, die sich jeder Lohnverkürzung, jeder Ungerechtigkeit fügten, um nur die Arbeit zu behalten, da sie sich nicht anders zu helfen wüßten. […] Die Forderung nach einer Reform in den Rechtsverhältnissen müsse hiernach gerechtfertigt sein. Es sei bereits eine Petition um Abhilfe an den Reichstag vorbereitet, und der A. D. Frv. hoffe, daß er endlich durchdringen werde. Mittel und Wege zur Besserung zu erschließen, sei der Zweck des Vortrages, und deshalb bitte Rednerin um Interpellationen. Frl. Menzzer schlug Associationen vor und führte Beispiele an, wie dieselben schon gute Früchte getragen haben. Auch zu Arbeiten, die bisher nur männliche Handwerker ausführten, wie Schuhmacher, Goldarbeiter, Uhrmacher u. A., will sie das weibliche Geschlecht verwandt wissen; endlich auch in der Landwirtschaft. […] (56) Gleiche Löhne für gleiche Arbeit – einerlei, ob sie von Mann oder Weib gefertigt, solle ein fernerer Grundsatz sein, denn nur dadurch könne man die Arbeiter mit der Frauenarbeit versöhnen, die in ihr nur so lange eine verhaßte Konkurrenz sehen als die Frauen, um nur Arbeit zu finden, billiger arbeiten wie sie. […] Frl. Aßmann sprach nun über Die bürgerliche Stellung der Frau, wobei sie befürwortete, daß die Vorrednerin schon manches von dem gesagt, was sie selbst vorzubringen gedacht. Im Zeitalter des Dampfes, wo alles vorwärts gehe, (57) könne auch die Frau nicht länger zurückbleiben. Ueberall aber fehle noch die Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann. Die Männer haben die Frauen aus der Industrie verdrängt. Auch die Ehescheidung habe für die Frau noch viele Mängel, die in den Lücken des Gesetzes zu suchen wären. Nur vor Gericht gelte die Frau etwas (als Zeugin), während ihre Unterschrift nichts gelte. Rednerin will größere Selbständigkeit der Frau. Nicht nur inbezug auf den Erwerb sei ihr Los zu mildern, sondern sie habe auch ein Recht auf Erkenntnis der Wahrheit. Sie beleuchtet die Stellung der Frau 1) inbezug auf die Arbeit, 2) in der Ehe, 3) im öffentlichen Unterricht. Zuerst giebt sie das Bild einer vollkommenen Hausfrau der früheren Zeit, indem sie einen betreffenden Abschnitt aus Justus Mösers Spinnstube vorliest. Da war ein Frauenleben ausgefüllt durch häusliche Pflichten, welche ihr jetzt fast sämtlich die Industrie abgenommen. In der Ehe ist sie mit ihrem ganzen Vermögen und Erwerb dem Manne unterworfen, er ist der Nutznießer desselben und sie ist gezwungen, ihn überall hin zu folgen. Die Einwendung, daß kein guter und gebildeter Mann von seinen Rechten über die Frau zu ihrem Nachteil Gebrauch mache, ist nicht stichhaltig – denn der Trunkenbold, Verschwender, u. s. w. mache davon Gebrauch, und so sei sie doppelt elend an seiner Seite, da sie keinen gesetzlichen Schutz finde u. s. w. Sie dürfe keine Vormundschaft übernehmen, außer für die eigenen Kinder, und so sei die Frau überall fast rechtlos vor dem Gesetz – bis auf das Steuerzahlen. […]
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(58) Vom 25.-28. September 1883 ward die 12. Generalversammlung des A. D. Fr.-V. in Düsseldorf abgehalten.161 […] (61) Dem Schutz der Handarbeiterinnen galt Frl. M. Menzzers Vortrag. Anknüpfend an das von ihr vor 2 Jahren (62) Gesagte über die Lohnverhältnisse der Frauenarbeit legte sie nun Rechenschaft ab, wie sie sich bemüht, Mittel und Wege zur Abhilfe anzubahnen. Sie schlug vor, zunächst in den Frauenvereinen, später auch in der Presse öffentlich diejenigen reellen Geschäfte zu nennen, von welchen die Hand- und Fabrikarbeiterinnen gut und pünktlich bezahlt würden, wie auch diejenigen unreellen, bei welchen das Gegenteil stattfinde, um so die Ausbeute zu steuern. Außerdem aber auch solche Arbeiterinnen, die in irgend einer Weise übervorteilt würden, aufzufordern, die Sache einer Vereinsdame zu vertrauen, welche dieselbe dann einem Rechtsanwalt mitteilen würde. Schon hätten sich überall Rechtsanwälte bereit erklärt, solche Sachen unentgeltlich zu übernehmen. Aber sie seien wenig in Anspruch genommen worden, denn eine alleinstehende, ängstliche Arbeiterin wage sich nicht an sie – da sei also eine gebildete Frau, der sie sich vertraue, als Mittelsperson sehr wohl am Platz u. s. w. […] (63) Gleichzeitig erschien es uns aber auch nötig, unsere Satzungen zu vervollständigen und uns um das Recht der juristischen Persönlichkeit zu bewerben. Dies konnte nur durch eine Generalversammlung geschehen und der Vorstand berief daher eine außerordentliche nach Leipzig zum 19. Mai 1885. Eine genügende Anzahl Mitglieder von Leipzig wie von (64) auswärts waren erschienen, und in Gegenwart zweier Juristen wurden die neuen Satzungen beraten, die denn auch später die Genehmigung der zuständigen Behörden erhielten, indessen doch erst nachdem im § 5 ein neuer Satz eingefügt war, den wir früher nicht vorgesehen. Der § lautet nämlich jetzt: § 5. Großjährige Frauen und Mädchen erlangen die Mitgliedschaft durch schriftliche Anmeldung beim Vorstand und Zahlung des festgelegten Eintrittsgeldes und Jahresbeitrags. Ehefrauen haben bei der Anmeldung die ehemännliche Genehmigung zum Beitritt in den Verein beizubringen. Das Eintrittsgeld beträgt M. 1,50, der Jahresbeitrag M. 6. Die Anmeldung der Mitglieder zum Register geschieht durch den Vorstand. Die Mitgliedschaft endet durch den Tod, Ausschließung durch einstimmigen Beschluß des Vorstandes, freiwillige, schriftliche Austrittserklärung und Verweigerung des Jahresbeitrags. Der eingefügte Satz ist der von den Ehefrauen. Wir müssen das hier erwähnen, weil derselbe uns von Vielen, besonders aber von den Ehefrauen selbst zum Vorwurf gemacht worden ist und wir müssen dieselben, anstatt dafür um Entschuldigung zu bitten, belehren, daß dies Gesetz in allen deutschen Staaten besteht und sich auch in dem Entwurf zum neuen bürgerlichen Gesetzbuch findet. […]
161 [Anmerkung: Anläßlich der zeitgleichen Einweihung des Niederwald-Denkmals (Ger-
mania) schreibt Otto-Peters, die insofern eine Rede Sofie Hasenclevers wiedergibt, über den Frauentag als „echt deutsche Feier“, die Frau sei „in Germaniens Wäldern die Gleichberechtigte, die ebenbürtige Gefährtin des Mannes“ gewesen, „schon in alter Zeit, als die Frau noch im größten Teil der Welt Sklavin war, oder höchstens als ein reizendes Spielzeug betrachtet wurde“ (S. 59).]
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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(78) Zu der Konferenz im März 1888 erschien auch Fr. Kempin, Dr. juris, als juristische Vertreterin einer Persönlichkeit, welche in hochherziger Weise dem Verein 80 000 Mark zu Gebote stellte. Diese ansehnliche Summe sollte das erste Grund-(79)kapital für ein später zu errichtendes Gymnasium bilden; doch wurde uns gestattet, die laufenden Zinsen an weibliche Studierende zu vergeben. […] (89)162 Aus den zwei Morgenversammlungen, welche die eigentliche Generalversammlung repräsentierten, so daß ihr nur Mitglieder beiwohnten, ist hier nur noch als allgemein wichtig mitzuteilen, daß man sich mit den schon vorerwähnten Petitionsangelegenheiten sowohl 1. in Sachen des „Frauenstudiums“ als 2. des „Familienrechtes“ eingehend befaßte. […] 2. in Sachen des Familienrechtes knüpfte man die Verhandlungen an den Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetz-(90)buches für das deutsche Reich. Aus dessen Abschnitt „Familienrecht“, das uns ja zunächst angeht, haben die „N. B.“ [Neue Bahnen] d. J. von Nr. 2–16 kurze Auszüge gebracht. Als die betreffende Kommission zusammentrat, petitionierten wir bereits, wie schon erwähnt, um eine würdigere Rechtsstellung der Frauen, dies ist zum Teil auch beachtet, doch finden sich bedenkliche Bestimmungen: Verwaltung des Vermögens in der Ehe, die Rechte über die Kinder und die Vormundschaftsgesetze, welche jede Frau außer der Mutter und Großmutter von der Vormundschaft, selbst vom Familienrat ausschließen, und die Unterhaltspflicht der Verwandten. Die Debatten hierüber waren sehr lebhaft, und man beschloß einstimmig, eine Petition an den Reichstag zu richten. […] (96) Was aber nun die andere ihm [dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein] zugeteilte Aufgabe betrifft, die Petition inbezug auf den „Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches“, so war der Vorstand auch dazu schon mit den Vorarbeiten beschäftigt. Aber da die kaiserliche Thronrede des neuen Gesetzbuches keine Erwähnung that und auch sonst verlautete, daß weder in dieser Reichstagssession, noch der Wahrscheinlichkeit nach in der nächsten, dies Thema zur Verhandlung kommen werde, so muß es der Vorstand einstweilen auch nur bei den Vorarbeiten bewenden lassen. – […] (100) Unser Verein aber darf mit froher Genugthuung auf das erste Vierteljahrhundert seines Daseins zurückblicken. Die Wege, die er geht, sind immer noch „Neue Bahnen“, aber es sind doch auch „alte Bahnen“, denn er schreitet in der langgewohnten Richtung fort, – er fühlt sich auf dem rechten Wege und begrüßt begeistert die ersten Strahlen der nahenden Morgenröte einer Zeit, in der unser Geschlecht im Leben der Nation die ihm zukommende, würdige Stellung einnehmen wird.
162 [Anmerkung: Aus dem Bericht über die 8. Generalversammlung 1889 in Erfurt, in der
neben den im folgenden wiedergegebenen Fragen zum bürgerlichen Recht auch Petitionsangelegenheiten zum Frauenstudium eingehend erörtert wurden.]
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43.
Teil 1
Charlotte Pape: Die Rechte der Mutter über ihre Kinder, 1876
PAPE, Charlotte: Die Rechte der Mutter über ihre Kinder, in: Neue Bahnen 1876, S. 9-12 Kommentar: Charlotte Pape, die 1875 in London lebte und dort in brieflichem Kontakt mit Helen Taylor* stand, war nicht persönlich anwesend, als ihre Rede im Oktober 1875 auf dem Frauentag in Gotha verlesen wurde.** Im Zentrum ihrer Ausführungen steht ein Fall extremen Mißbrauchs der väterlichen Gewalt: infolge eines Ehestreits werden die Kinder eines in Hannover lebenden Ehepaares durch den Vater ihrer Mutter entzogen, zwei Kinder sterben. Eine Beschränkung der Elternrechte auf väterliche Gewalt, so Pape, habe hierzu geführt. „Das Gesetz kennt keine Mutterrechte; von Männern für Männer gemacht, kennt es nur den Vater. (…) Dieses von Männern festgestellte Gesetz, was keine Mutter kennt, ist ein Frevel gegen das ewige Gesetz der Natur (…)“ (S. 11). Pape rät, ausdrücklich unter Berufung auf das Vorgehen von Frauen in England, sich mit Petitionen an die deutschen Parlamente zu wenden: „Und diese Abschaffung eines sündhaften Gesetzes ist nicht so unmöglich, wie es deutschen Frauen vielleicht scheinen möchte. Petitionen darum an den Reichstag oder die Parlamente der einzelnen Staaten zu schicken, ist doch sicher auch in Deutschland den Frauen erlaubt. Und wenn solche Petitionen sich stetig, Jahr für Jahr, wiederholen, mit einer immer wachsenden Zahl von Unterschriften kann die öffentliche Meinung, und können die Parlamente sie nicht fortwährend unbeachtet lassen. Das ist der Weg, auf dem unsre muthigern Schwestern in England Schritt für Schritt sich ihre Menschenrechte erkämpfen (…)“ (S. 12). Hier findet sich zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt der deutschen Frauengeschichte ein frühes Beispiel für die internationale Entwicklung frauenrechtlicher Reformschritte: Internationale Entwicklung nicht nur von familienrechtlichen Forderungen der Frauen, sondern auch von politischen Aktionsformen der Rechtskämpfe in England und Deutschland. Auf die Diskussionen in England bezieht sich zu gleicher Zeit auch Hedwig Dohm (Nr. 14). *
**
Helen Taylor (1831-1907) ist Tochter Harriet Taylor Mills und Stieftochter John Stuart Mills. Sie arbeitet mit beiden eng in den damaligen Frauenrechtskämpfen in England zusammen, u.a. gibt sie 1876 posthum die „Autobiography“ Mills heraus und gilt als Autorin der von John Stuart Mill im englischen Parlament 1866 eingebrachten Petition zum Frauenwahlrecht und ist beteiligt an der Entstehung der Schrift „The subjection of women“. Im Archiv der London School of Economics ist ein Brief vom 9.6.1879 an Taylor erhalten, der Charlotte Pape zugeschrieben wird (London School of Economics and Political Sciences Archives Catalogue, LSE Library, Mill-Taylor 8, Nr. 26). Weiterhin ist ein aufschlußreicher Brief Charlotte Papes vom 16. Juli 1875 an Charles Darwin überliefert, in der Zusammenfassung der Darwin-Korrespondenz (Burkhardt u.a., A Calendar of the Correspondence of Charles Darwin, 1821-1882, S. 431) mit folgendem Inhalt: „Wants to study hereditary mental characters to see whether they are limited by sex – an idea CD holds provisionally and which she doubts. She sends a questionnaire form that she asks CD to criticise. Has read Francis Galton [Hereditary genius (1869)]“. Über die von Pape eingesandte Schrift referierte Lina Morgenstern. Auf den Vortrag und Papes Schrift wird Bezug genommen u.a, in: Die VII. Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (VIII. Frauentag) in Gotha vom 2. bis 5. October 1875. Neue Bahnen 1875, S. 181; Otto-Peters, Das erste Vierteljahrhundert des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (Nr. 42), S. 35 f.; Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 196; Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 1044 f., 1090; Rabe, Gleichwertigkeit von Mann und Frau, S. 35; Riedel, Gleiches Recht, S. 96-99.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Gerade weil das damals vorherrschende Rollenbild die Frau als Hausfrau und Mutter sah, wird für Frauen – und auch einige Männer – des 19. Jahrhunderts an dem von Pape gewählten Beispiel die Ungerechtigkeit der bestehenden Regeln besonders deutlich. Ein Recht, das die Frauen auf die häusliche Sphäre beschränkt und sie im allgemeinen der Herrschaft des Mannes unterstellt, ist nach diesem Rollenbild noch nicht unbedingt ungerecht. Ein Recht aber, das einer Mutter ihre Kinder entzieht und ihre ureigene häusliche Sphäre zerstört, erscheint auch unter Zugrundelegung eines konservativen Rollenbildes ungerecht, ja, dem „Gesetz der Natur“ (S. 11) widersprechend. Nachdem in England Parlamentarier wie Mill Gesetzentwürfe zugunsten der Frauen ins Parlament eingebracht haben, solle dies, so Pape, auch in Deutschland möglich sein, mit dem Inhalt, 1. daß der Vater nicht ohne Einwilligung der Mutter über die Kinder verfügen dürfe, wenn eine Einigung nicht möglich sei, so könne man ja an die Obervormundschaft appellieren, faktisch werde man aber zum Einvernehmen gezwungen sein (die von Pape gewünschte Regelung ist zukunftsweisend: sie entspricht in ihrer Regelungstechnik in etwa § 1628 im gegenwärtigen BGB), 2. daß eine überlebende Mutter wie der überlebende Vater „als ihr Naturrecht“ die volle elterliche Gewalt (ohne zusätzliche Bestellung eines Vormunds) haben solle (auch diese Forderung ist zukunftsweisend und wird bereits im BGB von 1896 partiell verwirklicht sein, vgl. §§ 1684 Nr. 1, 1686, allerdings nicht vollständig, vgl. § 1787. Zur Entwicklung in Deutschland mit dem BGB 1896 siehe auch Lehner, Die sogenannte elterliche Gewalt in der Kritik, 2006). Der Tagungsbericht (Neue Bahnen 1875, S. 181) bemerkt hierzu zutreffend: „Somit kommt überhaupt die Frauenrechtsfrage zur Sprache.“ In der anschließenden Besprechung des Vortrags bemerkt die Vorsitzende (gemeint ist Louise Otto-Peters) dazu, dies sei schon auf mehreren Frauentagen geschehen. Dort hätten sich (männliche) Juristen gefunden, welche die Ungerechtigkeit der Gesetzgebung gegen die Frauen behaupteten. Die Gesetze seien in jedem Staat anders und es sei eine große Arbeit, sie mit dem Ziel der Abänderung zusammenzustellen. Da dies, so meint man, eben nur Juristen vermögen, sei es trotz aller gelegentlichen Besprechungen noch nie zu einer solchen Zusammenstellung gekommen und die Frauen sähen sich so ratlos wie zuvor. Nach einer zustimmenden Stellungnahme Herrn Wendts aus Gotha stellt der Pfarrer Steinacker den Antrag zu einer Petition an den Reichstag, „bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen, besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht zu berücksichtigen“ (Neue Bahnen 1875, S. 181). Dieser Antrag wird einstimmig angenommen und der Vorstand des ADF mit der Abfassung einer solchen Petition und der Sammlung von Unterschriften in den Städten der Zweigvereine durch diese beauftragt. Papes von der englischen Entwicklung beeinflußter Vortrag löst damit den Beginn der deutschen Aktivitäten von Frauenseite zum BGB aus. Inhaltlich weist Papes Beispiel gewisse Parallelen zu dem englischen Fall Caroline Nortons (1808-1877) auf und soll nach der Intention Papes auch eine ähnliche Reformwirkung entfalten. Caroline Norton waren 1836 durch ihren Mann die Kinder entzogen worden. Sie veröffentlichte u.a. 1838 die politische Schrift „Separation of Mother and Child by the Law of ‚Custody of Infants‘ Considered“, welche wiederum maßgeblich zu einem ersten Reformgesetz zugunsten der Frauen beitrug, dem Custody of Infants Act von 1839.
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Die Rechte der Mutter über ihre Kinder.163 Daß Vater und Mutter vor dem Gesetz nicht gleiche Rechte haben, ist uns wohl im Allgemeinen bekannt, denn wir sehen ja überall, daß nach dem Tode des Vaters die minderjährigen Kinder einen Vormund erhalten, nach dem der Mutter nie; wir wissen, daß der Vater allein das Recht hat, diesen Vormund zu bestimmen, ohne Wissen oder Einwilligung der Mutter; daß die Mutter, wenn sie nicht eben durch ausdrückliche Bestimmung des Vaters zum Vormund ernannt ist, als solche überhaupt kein Recht auf, keine Gewalt über ihre Kinder hat. Wie gesagt, dies alles ist so alltäglich, daß Niemand an solcher Ungeheuerlichkeit Anstoß zu nehmen scheint. Aber daß auch bei Lebzeiten des Vaters die Mutter durchaus kein gesetzliches Recht auf ihre Kinder hat, ist wohl kaum einer Frau bewußt, trotzdem es ganz klar aus den vorhin berührten Rechtsverhältnissen folgt. Hat die Mutter keine Rechte, selbst nachdem der Vater nicht mehr vorhanden ist, so kann sie doch natürlich erst recht keine solche besitzen, so lange er noch da ist. So lange beide Eltern zusammen leben, kommen so ungemein selten die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechte beider auf die Kinder zur Frage, daß niemand an sie denkt. Darum sei mir gestattet, etwas detailliert den Fall zu erzählen, der so grell diese gesetzlichen Bestimmungen illustrirt, daß nichts weiter nöthig ist, als ihn zu kennen, um sich gegen dieselben zu empören. Ein Herr S. in Hannover war seit etwa 8–9 Jahren mit einer Dame verheirathet, die er, und die ihn aus „reiner Liebe“ gewählt. Sie lebten mehrere Jahre sehr glücklich, hatten prächtige Kinder, und außerdem alle äußeren Güter. Für das Mißverhältniß, was allmählig zwischen ihnen entstand, gab es keinen weiteren äußeren Grund, als daß allerdings der Mann von seinen am Orte lebenden Verwandten stets gegen seine Frau aufgehetzt wurde. Er fing an, in allem was seine Frau that oder ließ eine gehässige Absicht zu suchen, und es wurde allmählig fixe Idee bei ihm, daß sie ihn verfolge, ja, ihm nach dem Leben trachte. Daß seine Frau sich zu rechtfertigen versuchte, machte die Sache nur noch schlimmer. Er wurde immer verbißner, und behauptete zuletzt, er könnte nicht mehr mit ihr leben, und müßte sich scheiden lassen. Zu diesem Wunsche trug wohl auch eine Leidenschaft bei, die er um diese Zeit zu einem jungen Mädchen gefaßt, das er dann wieder zu heirathen hoffte. Doch das ist ja ganz unwesentlich, wie ich überhaupt all dies nur des besseren Verständnisses wegen erzähle. – Genug, der Mann wünschte eine Scheidung, zu der aber kein gesetzlicher Grund vorlag, und die also nicht erfolgen konnte, außer wenn beide Ehegatten freiwillig vor Gericht erklärten, daß sie nicht mehr miteinander leben könnten; darauf wurde, oder wird, nach vielen Weitläufigkeiten in Hannover geschieden. Die Frau wollte aber nicht darein willigen; sie wollte womöglich den noch jungen Kindern das Elternhaus bewahren, und sie ungetrennt aufwachsen lassen; jedenfalls aber ihren Kindern, deren schon sechs da waren, ein genügendes Vermögen gesichert wissen, (10) ehe dem Vater ermöglicht wurde, sich wieder zu verheirathen, Letzteres konnte der Mann nicht thun, da das ganze Vermögen hernach in dem bedeutenden Geschäfte steckte. Nun suchte er seine Frau durch Quälereien aller Art mürbe zu machen, damit sie auch ohne diese Bedingung sich scheiden ließe. 163 Von der Verf.[asserin] für den deutschen Frauentag eingesandt und dort zur Sprache
gebracht. Siehe Nro. 22 und 23 d. N.[euen] Bahnen 1875.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Die sonstigen Brutalitäten und ausgesuchten Martern kann ich unerwähnt lassen: sie gehören nicht hierher. Es kommt mir nur darauf an zu zeigen, was er in Bezug auf die Kinder thun konnte. Die jüngsten, Zwillinge, waren nur ein Jahr, und er konnte sie der Mutter nicht entziehen. Denn bis ein Kind 4 Jahr alt ist, erlaubt das Gesetz nicht, daß es der Mutter fortgenommen wird; nicht etwa in Rücksicht auf die Mutter, sondern ausgesprochenermaßen nur des Kindes wegen, da es doch eher die Pflege der Mutter nicht entbehren könne. Aber die 4 ältern Knaben wurden systematisch von der Mutter, die ganz und gar mit ihnen und für sie gelebt hatte, getrennt, bis sie dem Scheidungsvorschlage zugestimmt haben würde. Für den Fall wurden ihr die beiden jüngern versprochen. Anfangs wurden die Kinder unter beständiger Aufsicht eines Hauslehrers in der untern Etage des Hauses gehalten, während Frau S. mit den kleinsten auf die obere beschränkt wurde. Die Kinder durften nicht zu der Mutter gehen; nicht einmal um nur „Guten Morgen“ oder „Gute Nacht“ zu sagen; stahl die Mutter sich zu ihnen und wurde es bemerkt, so folgten Drohungen und neue Quälereien. Um die Absperrung vollständiger zu machen, schickte dann der Vater die Kinder zu seinem Bruder, der in demselben Orte, aber entfernt wohnte. Als die Mutter dort einmal ihre Kinder, von denen sie gehört, daß sie krank lägen, besuchen wollte, wurde ihr auf Befehl des Vaters verweigert, sie zu sehen. Noch einmal machte sie den Versuch, zu ihnen zu dringen, als sie erfahren hatte, daß ihr Schwager grade nicht zu Hause wäre: es war derselbe, der viel gethan, das Zerwürfniß zwischen den Eheleuten herbeizuführen. Dieser Herr hatte aber für solchen Fall den Auftrag gegeben, ihn sofort holen zu lassen, was jetzt auch geschah. Er zwang die Mutter, die Kinder sofort zu verlassen, da er von deren Vater bevollmächtigt sei, jeden Verkehr derselben mit der Mutter zu verhindern. Hierauf zog Herr S. mit den 4 Knaben von Hannover nach Berlin. Fast zwei Jahre vergingen nun, während deren die Mutter ihre Kinder nicht sehen konnte, auch nichts von ihnen erfuhr, außer sehr gelegentlich durch einen Zufall von dritten Personen. Von Zeit zu Zeit bot der Vater ihr immer wieder mal einige von den Kindern an, wenn sie sich auf seine Bedingungen wolle scheiden lassen. Auf ihre Anfragen und Briefe an die Kinder erhielt sie nie eine Antwort. Später erfuhr sie, daß nie ein Brief oder Geschenk von ihr den Kindern abgegeben war, und ihnen streng verboten, der Mutter zu schreiben. Es allein zu thun, waren sie auch alle noch zu klein. Inzwischen war nun von Seiten der Frau die Scheidung wegen böswilliger Verlassung beantragt, nachdem sie es ganz unmöglich gefunden, sich sonst in irgend einer Weise mit ihrem Manne zu arrangieren. Einer juristischen Form wegen mußte sie noch einmal in ihres Mannes Haus gehen, um vor Zeugen ihre Bereitwilligkeit, nicht wieder mit ihm zu leben, zu erklären. Bei dieser Gelegenheit verlangte sie ihre Kinder zu sehen. Der Mann wagte nicht, es abzuschlagen. Doch durfte es nur in Gegenwart des Hauslehrers, und für eine bestimmte kurze Zeit sein. Ich will nicht davon sprechen, welch ein Wiedersehen das war; wie die Kinder sich an die Mutter, die ihnen alles gewesen war, klammerten, und nach Ablauf der bestimmten Zeit mit Gewalt von ihr losgemacht werden mußten, während sie rie-
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fen: „Bleib doch wieder bei uns, Mama! Geh nicht fort von uns!“ – wie der Mutter zu Muthe war, als sie ihre sonst so sorglich gepflegten Lieblinge, denen nie etwas gefehlt, vernachlässigt aussehend, und mit ernstlich erschütterter Gesundheit fand, und sie verlassen mußte, um vielleicht wieder Jahrelang nichts von ihnen zu hören! Diesmal hörte sie aber schon nach einigen Monaten von ihnen; es war letzten Frühling. Ihr Anwalt in Berlin, der es zufällig erfahren, theilte ihr mit, daß zwei ihrer Knaben am Scharlachfieber lägen, einer auf den Tod. (11) Sie reiste sofort zu ihnen, und der Vater hatte auch nicht den Muth, ihr den Platz am Sterbebette ihres Erstgeborenen zu verweigern, obgleich er natürlich das gesetzliche Recht dazu gehabt hätte. Aber kaum war das Kind todt und begraben, als er die Mutter buchstäblich mit Gewalt aus seinem Hause trieb, trotzdem der andere Knabe noch in Lebensgefahr war. Vierzehn Tage später erhielt sie ein Telegramm von ihrem Manne, worin er ihr den Tod des dritten Knaben, den sie noch gesund verlassen, anzeigte, und hinzufügte, er widerriethe ihr, zu kommen. Nachher erfuhr Frau S., daß dies Kind unverantwortlicherweise geopfert sei, indem sein Vater es in Einem Tage von Berlin nach Hannover und wieder zurück nach Berlin hatte bringen lassen, während es schon das Fieber hatte. Von den beiden Ueberlebenden bekam sie auch jetzt nie Nachricht, obgleich das eine noch monatelang schwach blieb. Im letzten Juli wurde nun die Scheidung ausgesprochen, und der Mann als der schuldige Theil verurtheilt; zugleich wurden auch die Kinder bis zur endgültigen Entscheidung der Frau zugesprochen. Als der Gerichtsdiener in dem Hause des Herrn S. erscheint, um die Kinder abzuholen und der Mutter zu überbringen, sagt man ihm, die Kinder seien nicht dort, und man wüßte nicht, wo sie sich befänden. Ersteres war auch richtig. Sowie Herr S. von der Entscheidung des Gerichts gehört, hatte er die beiden Kinder ins Ausland geschickt, damit die Mutter sie nicht bekommen könnte. Da er durch seine Weigerung, die Kinder herauszugeben, sich jetzt einem gerichtlichen Befehle widersetzt hatte, sollte er allerdings zur Strafe dafür verhaftet werden. Natürlich hatte er sich bei Zeiten entfernt, und das Gericht ließ damit die Sache auf sich beruhen. So liegt sie auch noch; die arme Mutter weiß noch nicht, wo ihre Kinder sind; und wenn sie es wüßte, hülfe es ihr auch nichts. Sie würde sie doch nicht bekommen. Unsere Justiz und Polizei sind wohl sehr rührig, Geld oder anderes Eigenthum aufzuspüren, das dem Besitzer gestohlen ist; aber Kinder aufzusuchen, die man ihrer Mutter beraubt hat, oder den Mann, der sie fortgenommen – das lohnt doch nicht der Mühe. Wozu denn? Es handelt sich dabei ja nur um ein zerstörtes Frauenleben! Und es ist ja das erste nicht! Was kommt da auf eins mehr oder weniger an! Der Majestät des Gesetzes ist ja genug geschehen! Für den Ungehorsam gegen den Gerichtsspruch ist ein Haftbefehl erlassen. Gegen alles andere, was der Vater sonst in Bezug auf die Kinder gethan, konnte der Schutz des Gesetzes überhaupt nicht angerufen werden. Es geschah alles mit seiner Sanction. Und dies ist der Punkt, um den es sich handelt! dies möchte ich gern allen, die dies vielleicht hören, wie mit einem glühenden Eisen ins Herz prägen, so wie es unauslöschlich in meinem eigenen steht! Ich habe ja nur die Umrisse dieser Geschichte gegeben;
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selbst die hat bis jetzt noch keine Frau gehört, ohne daß ich sie bleich werden sah; und gewiß kann auch keine sie lesen, ohne zu schaudern; aber zu allem, was jener Mann gethan, in Bezug auf die Kinder hatte er ein volles, gesetzliches Recht; niemand konnte es ihm wehren, niemand der Mutter helfen. Jeder Vater hat dasselbe souveraine Verfügungsrecht über die Kinder – bei uns, in dem christlich, civilisirten Westen, nicht im barbarischen Osten; jeder Mutter kann begegnen, was Frau S. gelitten, wenn ihr Mann es so beliebt. Das Gesetz kennt keine Mutterrechte; von Männern für Männer gemacht, kennt es nur den Vater. – Die Welt hat wiedergethönt von der Mortarageschichte164: aber was bedeutet denn die? Eine offne, straffällige Gewaltthat, gegen die alle gesetzlichen Mittel des Staates angerufen werden konnten, und angewandt sind! Leider freilich vergeblich. Aber das Gesetz und die Gesellschaft konnten eben nicht mehr thun, und man muß sich ergeben. Doch hier, in dem vorliegenden Falle, ist es eben das Gesetz, was allein den Frevel thunlich machte; es ist das Gesetz selbst, welches der eigentliche Frevel ist. Dieses von Männern festgestellte Gesetz, was keine Mutter kennt, ist ein Frevel gegen das ewige Gesetz der Natur, welches schon im Thierreiche die Mutter zu dem Kinde in ein unverrückbares Verhältnis stellt, während es von dem Vater kaum etwas weiß! Es ist ein Hohn auf das Leiden, die Angst, die Sorge und Pflege, womit die Mutter, nicht der Vater, sich das Kind erkauft. Solange das Gesetz ungeändert bleibt, kann keine verheirathete Mutter ein Kind das ihre nennen; es gehört dem Vater; sie hat buchstäblich (12) nicht mehr Recht darauf, als eine gekaufte Sklavin auf das Ihrige. Verkaufen kann der Vater es allerdings hier zu Lande nicht, aber der Mutter kann er es gerade so vollständig nehmen, wie ein Verkauf es ihr in den Sklavenländern nimmt. Das beweist diese Geschichte meiner unglücklichen Freundin. Ich wiederhole es, diese Geschichte kann jeder Frau begegnen. Es nützt nichts zu sagen: „Oh mir kann so etwas nicht passieren, mein Mann ist nicht so.“ Das hätte Frau S. vor 3 Jahren auch noch gesagt. Auch wenn solche kurzsichtige Beschränkung auf die persönlichen Verhältnisse nicht verwerflich oder verhängnißvoll wäre, würde es doch wahr bleiben, daß nur die Abschaffung des bezüglichen Gesetzes auch die jetzt Glücklichste wirklich sichern würde! Und diese Abschaffung eines sündhaften Gesetzes ist nicht so unmöglich, wie es deutschen Frauen vielleicht scheinen möchte. Petitionen darum an den Reichstag oder die Parlamente der einzelnen Staaten zu schicken, ist doch sicher auch in Deutschland den Frauen erlaubt. Und wenn solche Petitionen sich stetig, Jahr für 164 [Anmerkung: Pape bezieht sich hier auf den Fall des Edgardo Mortara (1851-1940).
Mortara entstammte einer jüdischen Familie und wurde als kleines Kind 1858 durch die Behörden des Kirchenstaates mit deutlicher Unterstützung aus Rom seinen Eltern zwangsweise entzogen, damit er einer katholischen Erziehung außerhalb seines Elternhauses zugeführt werden konnte. Zur Begründung wurde angeführt, Edgardo habe während einer schweren Krankheit vom 14jährigen katholischen Dienstmädchen der Familie die Taufe erhalten. Der Fall löste einen internationalen Proteststurm aus. Die Familie Mortara erhielt ihr Kind nie zurück. Als Erwachsener entschied sich Edgardo, Katholik zu bleiben und verbrachte sein Leben als Priester und Ordensgeistlicher. Vgl. Kertzer, David I., The Kidnapping of Edgardo Mortara, New York 1997 (dt.: Die Entführung des Edgardo Mortara. Ein Kind in der Gewalt des Vatikan. München 1998). Autobiographisch: Mortara, Pio/Messori, Vittorio: Io, il bambino ebreo rapito da Pio IX. Il memoriale inedito del protagonista del „caso Mortara“. Milano 2005.]
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Jahr, wiederholen, mit einer immer wachsenden Zahl von Unterschriften kann die öffentliche Meinung, und können die Parlamente sie nicht fortwährend unbeachtet lassen. Das ist der Weg, auf dem unsre muthigern Schwestern in England Schritt für Schritt sich ihre Menschenrechte erkämpfen, ohne viel Ostentation, aber auch ohne je nachzulassen. Es gehört nichts dazu als etwas Energie. Und gewiß auch im deutschen Parlament fände sich doch wohl ein Mitglied, das einen Gesetzesvorschlag einführte, in dem etwas so Naturgemäßes und Billiges verlangt würde, wie daß: 1) der Vater nicht ohne Einwilligung der Mutter über die Kinder verfügen dürfe. – Im Falle sie sich nicht einigen können, kann es ja eine Appellation an die Obervormundschaft geben, solch ein Fall wird aber kaum je eintreten, eben weil beide wissen würden, daß sie nur im Einvernehmen jeder etwas von seinem Wunsche verwirklichen können. 2) daß eine überlebende Mutter, wie ein überlebender Vater, ohne weitere Bestimmung von selbst volle elterliche Gewalt besitzt, als ihr Naturrecht, wie es jetzt der Vater thut: so daß es folglich nur für Kinder, deren beide Eltern todt sind, einen Vormund geben würde.165 Gewiß, dies beides ist zu gerecht, um nicht verhältnißmäßig leicht zu erreichen zu sein, wenn die Frauen eben selbst nur wollen. Und jetzt ist die Zeit, mit der Agitation dafür anzufangen; jetzt werden doch im deutschen Rechte die Ehegesetze, wie andere, verändert und neu gestaltet. Lassen wir diese Zeit nicht vorüber gehen! Das ist meine Bitte, das der Zweck dieser flüchtigen Mittheilungen. Charlotte Pape.
44. Gottlieb Planck: Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuche, 1899 PLANCK, Gottlieb: Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuche. Vortrag zum Besten des Göttinger Frauenvereins, 2. Aufl., Göttingen 1899 Kommentar: Gottlieb Planck (1824-1910), der maßgeblich an der Ausarbeitung des Familienrechts im 1. BGB-Entwurf beteiligt und Generalreferent der 2. Kommission war, verteidigt hier sein Gesetz in einem Vortrag „zum Besten des Göttinger Frauenvereins“ gegen die Kritik aus der Frauenbewegung. Er geht hierbei die wesentlichen Argumente und Forderungen von Frauenseite durch und versucht nachzuweisen, warum dennoch die Lösung des BGB vorzuziehen sei. Er meint, das BGB sei ein vergleichsweise frauenfreundliches Zivilrecht und bringe für die Frauen in manchen Punkten gezielt Verbesserungen (z.B. zur eigenen Verfügungsmacht der Frau über ihren Arbeitslohn, S. 19). Selbst wenn den Forderungen der Frauen zum BGB nicht stattgegeben wurde, sei dieses Gesetz dennoch auch für sie ein Segen: „Es giebt ihnen ein einheitliches Recht; es giebt ihnen ein klares Recht; es giebt ihnen ein Recht, das in vielen Beziehungen für sie außerordentlich viel günstiger ist, als das bisherige Recht“ (S. 30). Ergänzend sei auf die Verteidigung des BGB-Familienrechts 165 [Anmerkung: Nicht die erste, aber die zweite Forderung wurde im BGB 1896 im we-
sentlichen verwirklicht, vgl. § 1684 Nr. 1 BGB 1896. Die erste Forderung ist in ähnlicher Form im heutigen Recht umgesetzt worden, vgl. §§ 1627, 1628 BGB, allerdings erst aufgrund der Verfassungsrechtsprechung der 1960er Jahre, denn das sog. Gleichberechtigungsgesetz von 1957 kannte noch einen Vorrang bzw. Stichentscheid des Vaters.]
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Jahr, wiederholen, mit einer immer wachsenden Zahl von Unterschriften kann die öffentliche Meinung, und können die Parlamente sie nicht fortwährend unbeachtet lassen. Das ist der Weg, auf dem unsre muthigern Schwestern in England Schritt für Schritt sich ihre Menschenrechte erkämpfen, ohne viel Ostentation, aber auch ohne je nachzulassen. Es gehört nichts dazu als etwas Energie. Und gewiß auch im deutschen Parlament fände sich doch wohl ein Mitglied, das einen Gesetzesvorschlag einführte, in dem etwas so Naturgemäßes und Billiges verlangt würde, wie daß: 1) der Vater nicht ohne Einwilligung der Mutter über die Kinder verfügen dürfe. – Im Falle sie sich nicht einigen können, kann es ja eine Appellation an die Obervormundschaft geben, solch ein Fall wird aber kaum je eintreten, eben weil beide wissen würden, daß sie nur im Einvernehmen jeder etwas von seinem Wunsche verwirklichen können. 2) daß eine überlebende Mutter, wie ein überlebender Vater, ohne weitere Bestimmung von selbst volle elterliche Gewalt besitzt, als ihr Naturrecht, wie es jetzt der Vater thut: so daß es folglich nur für Kinder, deren beide Eltern todt sind, einen Vormund geben würde.165 Gewiß, dies beides ist zu gerecht, um nicht verhältnißmäßig leicht zu erreichen zu sein, wenn die Frauen eben selbst nur wollen. Und jetzt ist die Zeit, mit der Agitation dafür anzufangen; jetzt werden doch im deutschen Rechte die Ehegesetze, wie andere, verändert und neu gestaltet. Lassen wir diese Zeit nicht vorüber gehen! Das ist meine Bitte, das der Zweck dieser flüchtigen Mittheilungen. Charlotte Pape.
44. Gottlieb Planck: Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuche, 1899 PLANCK, Gottlieb: Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuche. Vortrag zum Besten des Göttinger Frauenvereins, 2. Aufl., Göttingen 1899 Kommentar: Gottlieb Planck (1824-1910), der maßgeblich an der Ausarbeitung des Familienrechts im 1. BGB-Entwurf beteiligt und Generalreferent der 2. Kommission war, verteidigt hier sein Gesetz in einem Vortrag „zum Besten des Göttinger Frauenvereins“ gegen die Kritik aus der Frauenbewegung. Er geht hierbei die wesentlichen Argumente und Forderungen von Frauenseite durch und versucht nachzuweisen, warum dennoch die Lösung des BGB vorzuziehen sei. Er meint, das BGB sei ein vergleichsweise frauenfreundliches Zivilrecht und bringe für die Frauen in manchen Punkten gezielt Verbesserungen (z.B. zur eigenen Verfügungsmacht der Frau über ihren Arbeitslohn, S. 19). Selbst wenn den Forderungen der Frauen zum BGB nicht stattgegeben wurde, sei dieses Gesetz dennoch auch für sie ein Segen: „Es giebt ihnen ein einheitliches Recht; es giebt ihnen ein klares Recht; es giebt ihnen ein Recht, das in vielen Beziehungen für sie außerordentlich viel günstiger ist, als das bisherige Recht“ (S. 30). Ergänzend sei auf die Verteidigung des BGB-Familienrechts 165 [Anmerkung: Nicht die erste, aber die zweite Forderung wurde im BGB 1896 im we-
sentlichen verwirklicht, vgl. § 1684 Nr. 1 BGB 1896. Die erste Forderung ist in ähnlicher Form im heutigen Recht umgesetzt worden, vgl. §§ 1627, 1628 BGB, allerdings erst aufgrund der Verfassungsrechtsprechung der 1960er Jahre, denn das sog. Gleichberechtigungsgesetz von 1957 kannte noch einen Vorrang bzw. Stichentscheid des Vaters.]
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durch Planck in den Reichstagsdebatten 1896 verwiesen (Nr. 69: dort speziell zur Verteidigung der männlichen Eheherrschaft gegen die Abgeordneten Traeger, Bebel und andere, s. auch die Nachweise vor Nr. 67).
Die rechtliche Stellung der Frau nach dem bürgerlichen Gesetzbuche. (nach Stenogramm) (3) Hochgeehrte Versammlung! Seit einer Reihe von Jahren hat die sogenannte Frauenfrage die Gemüther lebhaft bewegt. Mein Vortrag betrifft einen Theil dieser Frage, nur einen Theil, sage ich, und nicht einmal den wichtigsten. Denn wichtiger als die Frage nach der rechtlichen Stellung der Frau ist die Frage nach ihrer sozialen und wirthschaftlichen Stellung, nach ihrer Fähigkeit zu den verschiedenen Erwerbs- und Berufszweigen, nach ihrer wissenschaftlichen und wirthschaftlichen Vorbildung. Immerhin hat auch die Frage nach der rechtlichen Stellung der Frau ihre Bedeutung, und sie hat durch das Bürgerliche Gesetzbuch, wenn ich so sagen soll, einen akuten Charakter bekommen. Als der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches veröffentlicht wurde, erhob sich ein Sturm des Unwillens in den Kreisen derjenigen Frauen, welche von der Bewegung ergriffen waren; von den extremen Vertreterinnen wurden die Bestimmungen des Entwurfes als ein System tyrannischer Willkürherrschaft der Männer über die Frauen geschildert, aber auch von den gemäßigteren Vertreterinnen wurden vielfach Aenderungen des Entwurfs verlangt. Diese Forderungen sind der eingehendsten und gewissenhaftesten Prüfung unterzogen worden, auch im Reichstage hat eine ausführliche Verhandlung über das eheliche Güterrecht stattgefunden. Die gesetzgebenden Faktoren haben sich schließlich gegen die Berücksichtigung der Forderungen der Frauen entschieden. Das Bürgerliche Gesetzbuch beruht im Wesentlichen auf dem Entwurfe. Seitdem das Bürgerliche Gesetzbuch (4) publiziert ist, scheint sich die Erregung etwas gelegt zu haben. Es werden selbst aus den Kreisen der Frauenbewegung Stimmen laut, welche meinen, es würde sich für die Frauen schließlich auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche noch menschenwürdig leben lassen; ich will z. B. anführen ein kleines Buch von Frau Dr. Emilie Kempin, in welchem in 52 Merksätzen den Frauen Rathschläge ertheilt werden166, wie sie auf Grund der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine ihrem Verlangen nach Selbständigkeit entsprechende Stellung sich verschaffen können. Von anderen Seiten aber dauern die Angriffe gegen das Bürgerliche Gesetzbuch noch fort. Ich gebe mich nun durchaus nicht der Hoffnung hin, durch meinen Vortrag eine Verständigung mit den Vertreterinnen der Frauenbewegung – solche werden ja auch wohl hier vorhanden sein – erreichen zu können, dazu ist der Standpunkt ein zu verschiedener und die Erregung noch zu groß. Aber vielleicht kann mein Vortrag doch dazu dienen, einige Mißverständnisse aufzuklären, die mir wenigstens bei privaten Besprechungen mit Frauen häufig entgegengetreten sind. Mein Vortrag beschränkt sich übrigens lediglich auf das bürgerliche Recht, er läßt die Frage über die öffentlich-rechtliche Stellung der Frauen, über ihr Recht zur Theilnahme an den politischen und communalen Wahlen unerörtert. Auch in Betreff des bürgerlichen Rechts erlaubt mir 166 [Anmerkung: Es handelt sich um Kempin, Emilie: Rechtsbrevier für deutsche Ehe-
frauen; Nr. 34.]
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die zu Gebote stehende Zeit nicht eine erschöpfende Erörterung der Frage: ich muß mich darauf beschränken, die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die rechtliche Stellung der Frauen und auch von diesen nur die Wesentlichsten vorzulegen und sie einer Vergleichung mit dem bisherigen Rechte und den Forderungen der Frauen zu unterziehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch beruht principiell auf dem Standpunkte der vollständigen Gleichberechtigung der Männern und Frauen. Ich will bemerken, daß, wenn ich von Frauen spreche, ich darunter sowohl verheiratethe als unverheirathete (5) verstehe, wie es auch das Bürgerliche Gesetzbuch thut. Die Vormundschaft über die Frauen, welche nach dem älteren deutschen Rechte infolge der mangelnden Wehrhaftigkeit und des dadurch bedingten Schutzbedürfnisses der Frauen stattfand, ist schon in dem jetzigen Rechte bis auf wenige Spuren verschwunden, und in dem Bürgerlichen Gesetzbuche findet sich keine Spur mehr davon. Die Frauen sind ebenso wie die Männer berechtigt und im Stande, ihr Vermögen durchaus selbständig zu verwalten, durch Rechtsgeschäfte aller Art Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Eine Verschiedenheit der Behandlung tritt nur bei solchen Rechtsverhältnissen ein, in denen sich die natürliche Verschiedenheit des Geschlechts geltend macht, das ist besonders der Fall in der Ehe und in dem Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern. Zunächst von der Ehe. Die Ehe ist in erster Linie ein sittliches Verhältniß und nach der Auffassung des größten Theiles des deutschen Volkes hat sie auch eine religiöse und kirchliche Seite. Nach der katholischen Auffassung ist sie sogar ein Sakrament, aber auch nach evangelischer Auffassung soll sie die Weihe durch die kirchliche Trauung erhalten, und für die durch sie bedingten sittlichen Pflichten ist die heilige Schrift maßgebend. Aber die Ehe ist auch ein Rechtsverhältnis, sie ist die Grundlage der Familie und unserer ganzen gesellschaftlichen Ordnung. Deshalb hat der Staat das Recht und die Pflicht, die Rechtssätze für die Ehe aufzustellen; er wird aber bei diesen immer den sittlichen und religiösen Charakter der Ehe insofern vor Augen haben müssen, als er keine Rechtssätze aufstellen darf, die mit dem sittlichen Wesen der Ehe nicht vereinbar sind; im Gegentheil sollen seine Rechtssätze thunlichst dazu dienen, die Erfüllung der durch die Ehe begründeten Pflichten zu befördern. Aber Rechtssätze sind es immerhin, die der Staat aufstellen muß. Das Bürgerliche Gesetzbuch erkennt das Bedürfniß einer rechtlichen Regelung (6) nach drei Richtungen hin an. Es stellt zunächst Rechtssätze auf über die Eingehung der Ehe, über die formellen und materiellen Erfordernisse derselben, sodann über die Scheidung der Ehe und endlich über die Wirkungen der Ehe. Die beiden ersten Gruppen liegen außerhalb des Bereichs meines Vortrags. ich will nur erwähnen, daß bei den Bestimmungen über die Eingehung der Ehe eine Verschiedenheit zwischen Männern und Frauen besteht: die Männer werden erst mit dem 21. Jahre ehemündig, die Frauen hingegen schon mit dem vollendeten 16. Lebensjahre. Diese Unterscheidung wird wohl als keine ungerechte Beeinträchtigung der Frauen angesehen werden können. Was die Scheidung angeht, so steht das Bürgerliche Gesetzbuch auf dem Standpunkte, daß die Ehe eine über der Willkür der Ehegatten stehende höhere sittliche Ordnung ist, und daß sie deshalb niemals durch Vertrag unter den Gatten geschieden werden kann; sie kann nur durch Urtheil geschieden werden, und dieses ist nur zulässig aus bestimmten gesetzlichen Gründen. Ich will hier nur hervorheben, weil es für meinen Vortrag später in Betracht kommt, daß zu dem Scheidungsgründen außer dem Ehebruche, der
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böslichen Verlassung und der Lebensnachstellung auch gehört, wenn ein Gatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Verpflichtungen oder durch ein unsittliches oder ehrloses Leben das eheliche Verhältniß in solchem Maße zerrüttet, daß dem anderen Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht mehr zugemuthet werden kann. Außerdem ist unheilbare Geisteskrankheit als Scheidungsgrund anerkannt. Der Hauptgegenstand, mit dem sich mein Vortrag beschäftigen wird, ist die Wirkung der Ehe. Ich will hier zunächst einen kurzen Ueberblick über die Hauptsätze des Bürgerlichen Gesetzbuchs geben und dann die einzelnen Bestimmungen etwas näher durchgehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch stellt folgende Sätze über das persönliche Verhältniß unter den Ehegatten (7) auf: Die Ehegatten sind zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; in den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten ist die Stimme des Mannes entscheidend. Unbeschadet dieses Rechts des Mannes ist die Frau berechtigt und verpflichtet, das Hauswesen zu leiten. Nun die praktisch wichtigste Frage: Wer hat die Kosten des gemeinschaftlichen ehelichen Lebens zu bestreiten? Wer hat, um den Ausdruck des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu gebrauchen „den ehelichen Aufwand“ zu tragen d. h. den gesammten Unterhalt der beiden Ehegatten und der gemeinschaftlichen Kinder sowie überhaupt alle Kosten, die das gemeinschaftliche Leben erfordert? In dieser Beziehung stellt das Bürgerliche Gesetzbuch als Grundsatz auf: Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen; die Frau ist nur bei völliger Vermögenslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit des Mannes ihm, soweit sie dazu im Stande ist, Unterhalt zu gewähren verpflichtet; immer aber hat sie zu dem von dem Manne zu tragenden ehelichen Aufwand einen Beitrag zu leisten. Ueber die Art, wie dieser Beitrag zu leisten ist, und über die Höhe desselben, können zunächst die Gatten nach ihrem Belieben Vereinbarungen treffen, und zwar durch Ehevertrag. Haben sie aber solche Vereinbarungen nicht getroffen, so stellt das Bürgerliche Gesetzbuch den Satz auf, daß in solchem Falle das sogenannte gesetzliche Güterrecht eintritt. Dieses gesetzliche eheliche Güterrecht beruht auf dem Gedanken, daß das Vermögen der Frau mit gewissen Ausnahmen kraft des Gesetzes der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen wird, und daß der Mann die Nutzungen dieses Vermögens bezieht; in diesen Nutzungen leistet die Frau ihren Beitrag zu dem ehelichen Aufwande. Die Substanz des Vermögens der Frau muß aber unbedingt erhalten bleiben und nach Auflösung der Ehe an sie zurückgegeben werden. Um die Abschließung von Eheverträgen je nach der Willkür (8) der Ehegatten im Anschluß an das bisherige Recht zu erleichtern, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch noch Bestimmungen über verschiedene Güterstände auf, in der Art, daß die Gatten nur vertragsmäßig zu vereinbaren brauchen: dieser oder jener Güterstand soll unter uns gelten. Solche Güterstände sind einmal der Güterstand der Gütertrennung: hierbei verwaltet jeder der Ehegatten sein Vermögen selbstständig; aber die Frau ist verpflichtet, aus den Einkünften ihres Vermögens und aus dem Ertrag ihrer Arbeit und eines von ihr selbstständig betriebenen Erwerbsgeschäftes, dem Manne einen angemessenen Beitrag zu leisten. Diese Beitragspflicht der Frau kann durch Vertrag ausgeschlossen werden, während umgekehrt die Verpflichtung
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des Mannes, den Unterhalt der Ehefrau und der gemeinschaftlichen Kinder zu bestreiten, nicht durch Vertrag aufgehoben werden kann. Der zweite Güterstand ist der der allgemeinen Gütergemeinschaft, der dritte der der Errungenschaftsgemeinschaft, der vierte der der Mobiliargütergemeinschaft. Auf diese drei Güterstände komme ich später noch mit einigen Worten zurück. Nun zu den einzelnen Bestimmungen. Die drei Rechtssätze über die persönlichen Verhältnisse der Ehegatten, die ich vorhin angeführt habe, sind, wenn ich so sagen darf, nur halbe Rechtssätze, sie stehen nämlich alle unter dem allgemeinen Grundsatze, daß eine auf Grund dieser Rechtssätze von dem einen der Ehegatten an den andern gerichtete Forderung nicht erfüllt zu werden braucht, wenn sie in dem einzelnen Falle als ein Mißbrauch des Rechtes des betreffenden Ehegatten sich darstellt. Ob es ein Mißbrauch ist, bestimmt sich lediglich nach dem sittlichen Wesen der Ehe. Ich will dies durch ein paar Beispiele erläutern: Der erste Satz ist: Die Ehegatten sind zur ehelichen Lebensgemeinschaft verbunden; darunter fällt wesentlich die häusliche Gemeinschaft. Wenn die Ehefrau von dem Manne, der durch seinen Beruf genöthigt (9) ist, häufig auf längere Zeit Reisen zu machen, fordern wollte: „Gieb diese Reisen auf und bleibe zu Hause, die häusliche Gemeinschaft erfordert das“, so würde das ein Mißbrauch sein; ebenso wenn der Mann fordern wollte, daß die Frau, wenn sie zur Kur in ein Bad oder sonst zur Erhaltung ihrer Gesundheit eine Reise unternehmen müßte, zu Hause bleibe, so würde dies ein Mißbrauch seines Rechtes sein. Ein weiteres Beispiel für die Entscheidung des Mannes in den gemeinschaftlichen Angelegenheiten: Wenn der Mann auswandern will, so ist die Frage, ob die Frau ihm zu folgen braucht, nicht generell zu entscheiden, es hängt von den Umständen ab. Wenn der Mann in einem solchen Falle keinen sicheren Erwerb hat, mit dem er den Unterhalt der Familie bestreiten kann, oder wenn er in ein ungesundes Klima ziehen will, so wird die Frau nicht verpflichtet sein, ihm zu folgen. Man wird vielleicht sagen: Es ist schön, wenn sie es doch thut, aber der Mann soll es nicht fordern, in der Forderung liegt ein Mißbrauch seines Rechtes. Ein noch näher liegendes Beispiel ist: Der Mann bestimmt als gemeinschaftliche Wohnung eine solche, die durchaus nicht den Vermögens- und den Standes- oder sonstigen Familienverhältnissen der Gatten entspricht, er kann von der Frau nicht verlangen, daß sie statt in eine herrschaftliche Wohnung mit ihm in eine Hütte oder kleine Arbeiterwohnung zieht. Das wäre Mißbrauch; die Frau braucht ihm nicht zu folgen. Noch in einer anderen Beziehung sind die drei von mir aufgeführten Sätze nur halbe Rechtssätze: sie sind Rechtssätze insofern, als jeder der Gatten von dem andern auf dem Wege der Klage fordern kann, daß er die durch sie bestimmten Pflichten erfüllt, und es wird dann im Processe verhandelt, ob die Forderung begründet ist, oder ob sie einen Mißbrauch enthält; je nachdem wird die Klage abgewiesen oder der andere Ehegatte verurtheilt zur Herstellung des ehelichen Lebens, aber dieses Urtheil wird (10) anders behandelt, wie andere Urtheile, durch welche jemand zu persönlichen Leistungen verurtheilt wird. Diese unterliegen der Zwangsvollstreckung, in der Art, daß der Verurtheilte durch Gefängniß- oder Geldstrafen zur Erfüllung angehalten werden kann. Eine solche Zwangsvollstreckung findet bei dem Urtheil auf Herstellung des ehelichen Lebens nicht statt. Das ist eine Neuerung des Bürgerlichen Gesetzbuches bezw. des in Verbindung mit diesem erlassenen Gesetzes betreffend Aenderung der Civil-Proceß-Ordnung. Man ist davon ausgegangen, daß ein solcher Zwang dem sittlichen Wesen der Ehe nicht entspreche. Das Urtheil
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verliert dadurch keineswegs seine Bedeutung. Einmal wird doch häufig ein Gatte, wenn durch Urtheil festgestellt ist, daß er verpflichtet ist, dieses oder jenes zu thun, freiwillig diese Pflicht erfüllen. Dann wird aber durch das Urtheil, wenn der Gatte demselben nicht Folge leistet, klargestellt, daß er sich der Verletzung der ehelichen Pflichten schuldig macht. Wird dies längere Zeit fortgesetzt, so kann in einem solchen Urtheil und der fortgesetzten Weigerung ein Moment liegen, was zur Scheidungsklage berechtigt. Von den vorhin von mir angeführten Sätzen ist der zweite, welcher dem Manne die entscheidende Stimme in den das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten giebt, Gegenstand der Anfechtung von Seiten der Vertreter der Frauenbewegung gewesen. Sie halten das mit der selbständigen, gleichberechtigten Stellung der Frau nicht für vereinbar. Was aber, frage ich, soll denn an die Stelle dieser Bestimmung treten? Das eheliche Gemeinschaftsleben kann im einzelnen Falle in sehr verschiedener Art verwirklicht werden und in jeder dieser Arten den sittlichen Anforderungen entsprechen. Das Gemeinschaftsleben kann geführt werden an dem einen oder dem andern Orte, in Hannover oder in Göttingen; die Wohnung kann eine sehr verschiedene sein, man kann an der Bürgerstraße oder im Hainholzwege wohnen, die eine wie (11) die andere Wohnung entspricht den Vermögens- und Standesverhältnissen. Die gemeinschaftliche Mittagsmahlzeit kann um 1 oder um 4 Uhr gehalten werden. Wer soll darüber entscheiden, in welcher Art im einzelnen Falle das eheliche Leben geführt werden soll? Die Gatten sind zwei Personen, durch Stimmenmehrheit kann nicht entschieden werden. Soll in einem solchen Falle das Gericht entscheiden? Das würde widersinnig sein. Es ist nothwendig, daß, wenn das gemeinschaftliche eheliche Leben durchgeführt werden soll, einem der Gatten die entscheidende Stimme beigelegt werden muß; und da steht das Bürgerliche Gesetzbuch auf dem Standpunkte der christlichen und deutschen Auffassung der Ehe, nach welcher der Mann das Haupt der Ehe ist. Im Anschluß an diese Auffassung giebt das Bürgerliche Gesetzbuch rechtlich dem Manne die Entscheidung in diesen Angelegenheiten. Thatsächlich wird freilich häufig das Umgekehrte der Fall sein. Ich muß nun noch einige specielle Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs erwähnen, die sich auf die persönlichen Verhältnisse der Ehegatten beziehen. Zunächst die sogenannte Schlüsselgewalt der Frau. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt, daß die Frau berechtigt und verpflichtet ist, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes zu besorgen und ihn zu vertreten. Das ist ein Satz von außerordentlich großer praktischer Bedeutung, wenn man erwägt, daß zu den Geschäften des Mannes die Bestreitung des ehelichen Aufwandes gehört, insbesondere also Anschaffungen für das gemeinschaftliche Leben, z. B. von Eß- und Trinkwaaren, von Hausgeräth und Kleidung. Dieser Satz giebt nun der Frau das Recht, alle diese Geschäfte im Namen des Mannes mit einem Dritten abzuschließen, ja, das Bürgerliche Gesetzbuch geht sogar soweit, zu bestimmen, daß, wenn die Frau ein Geschäft dieser Art abschließt, angenommen werden soll, daß es im Namen des Mannes abgeschlossen ist. Die (12) Frau haftet für solche Geschäfte nicht persönlich, sondern nur der Mann wird dadurch verpflichtet. Kauft also die Frau innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Eß- und Trinkwaaren vom Fleischer oder Bäcker oder Colonialwaarenhändler auf Credit, so ist nur der Mann verpflichtet. Ob im einzelnen Falle die Geschäfte innerhalb des häuslichen Wirkungskreises liegen, bestimmt sich nach der Sitte; dabei kom-
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men die Vermögens- und Standesverhältnisse der Gatten in Betracht. Für eine reiche Frau wird es innerhalb des Wirkungskreises liegen, seidene Kleider zu kaufen oder ein Diner das Couvert zu 10 oder 15 Mk. bei einem Koche zu bestellen; für die Frau eines Arbeiters liegt dies nicht in dem häuslichen Wirkungskreis, aber auch für sie liegt ein ihren Verhältnissen entsprechender Ankauf von Wirthschaftsgegenständen sowie von Waaren bei Fleischer, Bäcker und Colonialwaarenhändler in ihrem häuslichen Wirkungskreise. Es handelt sich hier um einen für die Frauen günstigen und praktisch wichtigen Satz, der in diesem Umfange noch in keinem der bisherigen deutschen Rechte stand. Es waren einzelne Bestimmungen gegeben, aber nur in sehr beschränktem Umfange, z. B. daß die Frau berechtigt war, über so und so viel Schillinge zu verfügen und Geschäfte abzuschließen. Der von dem Bürgerlichen Gesetzbuch aufgestellte Grundsatz ist in dieser Allgemeinheit ein neuer zu Gunsten der Frauen. Er unterliegt jedoch einer Beschränkung. Der Mann wird für berechtigt erklärt, das Recht der Frau zu beschränken und auszuschließen, er darf davon aber nur Gebrauch machen, wenn in der Beschränkung oder Ausschließung kein Mißbrauch seines Rechtes liegt. Dieses Recht des Mannes wird von der Frauenbewegung lebhaft angegriffen, aber wenn man das Recht der Frau in dem Umfange anerkennen will, wie es das Bürgerliche Gesetzbuch gethan hat, so ist diese Modifikation unerläßlich. Bei aller Achtung vor den Frauen wird man doch als möglich anerkennen müssen, daß es Frauen (13) giebt, die verschwenderisch sind, die nicht zu wirthschaften verstehen, die leichtsinnig sind, die Geschäfte auf Credit, welche innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises liegen, eingehen, daß der Mann ruiniert wird. Eine Beschränkung muß also dem Manne zu Gebote stehen; sie wird dem Dritten gegenüber erst wirksam durch die Eintragung in das güterrechtliche Register. Eine Gefahr für die Frau wird dadurch im Wesentlichen beseitigt, daß sie, wenn im einzelnen Falle ein Mißbrauch des Rechtes des Mannes vorliegt, vom Vormundschaftsgerichte verlangen kann, daß die Bestimmungen des Mannes wieder aufgehoben werden. Eine zweite Vorschrift, die Anstoß bei der Frauenbewegung gegeben hat, ist folgende: Wenn die Frau während der Ehe sich einem Dritten gegenüber durch Vertrag zu Leistungen verpflichtet hat, die von ihr in Person zu leisten sind, wenn sie sich also z. B. verpflichtet, als Köchin, Haushälterin oder Lehrerin einzutreten, so kann der Mann dieses Rechtsverhältniß kündigen, wenn die persönlichen Leistungen, welche die Frau übernommen hat, mit den ehelichen Interessen nicht vereinbar sind. Das ist ein Gegenstand lebhaften Angriffs gewesen, aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Es wird hierdurch allerdings das Interesse des Mannes berücksichtigt, aber in erster Linie handelt es sich um eine Vorschrift im Interesse der Frau. Wenn die Frau eine Verpflichtung dieser Art eingegangen ist und nachher einsieht, daß die Erfüllung unmöglich ist, ohne Verletzung ihrer ehelichen Pflichten, so ist sie in einem unlösbaren Conflict. Auf der einen Seite ist sie dem Dritten gegenüber verpflichtet, die übernommenen Dienste in Person zu leisten, auf der andern Seite ist sie durch ihre Ehe verpflichtet, bei dem Manne zu bleiben und ihm den Haushalt zu führen. Sie kann diesen Conflict nicht lösen, sie ist die Verpflichtung dem Dritten gegenüber eingegangen, ihr kann das Recht nicht gegeben werden, das Rechtsverhältnis zu (14) kündigen; aber dem Manne, dessen Recht durch den von der Frau geschlossenen Vertrag verletzt wird, kann man das Recht einräumen, das Rechtsverhältniß zu kündigen. Die Folge ist ja nur, daß die Frau dem Dritten gegenüber nicht mehr verpflichtet ist. Ob sie trotzdem die per-
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sönlichen Leistungen übernehmen will und ob der Mann sie in solchem Falle zwingen kann, dies nicht zu thun, bestimmt sich nach den vorhin von mir angegebenen Grundsätzen über das persönliche Verhältniß unter den Ehegatten, daß mit dieser Bestimmung nicht leicht ein Mißbrauch getrieben werden kann, dafür sorgt die Vorschrift, daß der Mann die Kündigung nur vornehmen kann mit Ermächtigung des Vormundschaftsgerichts, und dieses die Erlaubniß nur ertheilen darf, wenn es die Ueberzeugung gewinnt, daß die von der Frau übernommene Thätigkeit die ehelichen Interessen beeinträchtigt. Durch eine andere Vorschrift wird bestimmt, daß das Kündigungsrecht des Mannes wegfällt, wenn er dem Vertrage zugestimmt hat. Die Frau kann, wenn der Mann ohne Grund die Zustimmung verweigert, verlangen, daß das Vormundschaftsgericht die Zustimmung ersetzt. Dasselbe gilt, wenn der Mann durch Abwesenheit oder Krankheit verhindert ist, eine Erklärung abzugeben. Nun kommen wir zu dem Hauptgegenstande, zu dem ehelichen Güterrecht. Ich habe bereits vorhin den leitenden Grundsatz angeführt: der Mann hat den ehelichen Aufwand zu bestreiten, die Frau hat aber nach dem gesetzlichen Güterrecht ihren Beitrag dazu dadurch zu leisten, daß ihr Vermögen der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen ist. Ich habe bereits hervorgehoben, daß, wenn die Gatten nicht die Verwaltung und Nutznießung des Mannes wollen, sie durch Ehevertrag bestimmen können, daß vollständige Gütertrennung herrscht, aber wenn sie diese Bestimmung nicht getroffen haben, tritt der gesetzliche Güterstand ein. Ich muß (15) zunächst erläutern, warum das Bürgerliche Gesetzbuch gerade diesen Güterstand gewählt hat und zu diesem Zwecke mit einigen Worten auf das bisherige Recht eingehen. Es bestehen zur Zeit in Deutschland mehr als 100 verschiedene eheliche Güterrechte. Diese zerfallen in verschiedene Hauptgruppen. Ich will sie mit kurzen Worten skizzieren: Nur in einem verhältnißmäßig kleinen Theile von Deutschland gilt das römische Recht, dazu gehört auch der größere Theil der Provinz Hannover, besonders die Stadt Göttingen. Nach diesem Rechte hat die Ehe kraft des Gesetzes keinen Einfluß auf das Vermögen der Gatten, aber die Frau ist verpflichtet, dem Manne, der auch nach diesem Rechte den Aufwand allein zu tragen hat, einen Beitrag hierzu zu leisten durch Bestellung einer „dos“, d. h. eines Heirathsguts. Das Heirathsgut muß die Frau dem Manne bestellen; auch ihre Eltern sind ihr gegenüber verpflichtet, ein Heirathsgut für sie zu bestellen. Thatsächlich wird bei uns fast immer ein Heirathsgut bestellt in Form der Aussteuer; es wird kein Vertrag aufgenommen, daß die Aussteuer – Mobiliar, Leinenzeug, Betten, Hausgeräth und dgl. – als „dos“ gegeben sei; es wird aber als stillschweigend vereinbart angesehen, daß die Aussteuer Heirathsgut ist, was die Frau dem Manne zubringt. Das Heirathsgut wird Eigenthum des Mannes, aber er soll nur die Nutzungen desselben haben als Beitrag zu den ehelichen Lasten. Er ist nach Auflösung der Ehe, unter gewissen Umständen schon während der Ehe, verpflichtet, die dos zurückzugeben und für das, was infolge seines Verschuldens nicht mehr vorhanden ist, Ersatz zu leisten. Aber während der Ehe kann er über die einzelnen Gegenstände verfügen, obwohl er es nicht soll; nur bei unbeweglichen Sachen, insbesondere bei Grundstücken, ist er dazu nicht berechtigt. Dieses System hat nur in einem verhältnißmäßig kleinen Theile von Deutschland Anerkennung gefunden. In dem überwiegenden Theile von Deutschland gelten (16) die deutschrechtlichen ehelichen Güterrechte. Sie zerfallen in mehrere Hauptgruppen. In dem verhältnißmäßig größten Theile von Deutschland gilt das System der ehelichen Ver-
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waltung und Nutznießung, was auch dem Bürgerlichen Gesetzbuche zu Grunde liegt. In einem andern Theile gilt die allgemeine Gütergemeinschaft. Bei dieser wird das Vermögen beider Ehegatten zu einem gemeinschaftlichen Vermögen vereinigt und auch bei Trennung der Ehe zerfällt das Vermögen nicht wieder in seine Bestandtheile, sondern jeder der Ehegatten bekommt die Hälfte. Bei der Trennung der Ehe durch den Tod erhält nach manchen Rechten der überlebende Gatte das ganze Vermögen oder setzt die Gütergemeinschaft mit den Kindern fort. In einem dritten Theile von Deutschland gilt die Errungenschaftsgemeinschaft. Bei dieser bleibt jeder Gatte Eigenthümer des Vermögens, welches er bei Eingehung der Ehe hatte oder durch Erbschaft erwirbt; dieses bleibt sein Sondergut, Gemeinsam aber wird alles was aus den Früchten des Sonderguts oder durch die Thätigkeit der Gatten, insbesondere durch den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erworben wird. Hierfür gilt dasselbe, wie bei der allgemeinen Gütergemeinschaft für das ganze Vermögen. Der Mann hat auch hier die Verwaltung des Sonderguts der Frau, wie bei dem Systeme der Verwaltung und Nutznießung, nur mit dem Unterschiede, daß die Früchte nicht ihm persönlich zufallen, sondern in das gemeinschaftliche Vermögen. Die dritte Form der Gütergemeinschaft ist die Mobiliargemeinschaft, die dem französischen Rechte zu Grunde liegt und bei uns auf dem linken Rheinufer und im Großherzogthum Baden gilt. Es ist das eine Mischung der allgemeinen Gütergemeinschaft und der Errungenschaftsgemeinschaft. Nur unbewegliche Vermögensgegenstände, besonders Grundstücke, gehören nicht zu dem gemeinschaftlichen Vermögen. Diese verschiedenen Güterrechte lagen vor, als das Bürgerliche Gesetzbuch entworfen werden sollte. Es sollte ein einheitliches (17) eheliches Güterrecht geschaffen werden, aber auf den Grundlagen des bisherigen Rechtes. Es war daher nothwendig, daß man sich für das eine oder andere der verschiedenen Systeme, die zur Zeit in Deutschland galten, entschied. Die für meinen Vortrag mir gestattete Zeit erlaubt es mir nicht, eingehend und vollständig die Gründe darzulegen, aus welchen das Bürgerliche Gesetzbuch sich für das System der ehelichen Verwaltung und Nutznießung entschieden hat. Aber ich will doch zwei Hauptgesichtspunkte hervorheben. Der eine Gesichtspunkt ist der, daß das römische Recht nicht gewählt werden konnte, weil sich aus der Rechtsentwicklung in Deutschland ergiebt, daß dieses System der Auffassung und dem Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes verhältnißmäßig am wenigsten entspricht. Es gilt nur in einem Territorium von etwas über 3 Millionen Seelen und Deutschland zählt jetzt über 50 Millionen Seelen. Während im übrigen das römische Recht allenthalben das deutsche Recht verdrängt hat, ist in Beziehung auf das eheliche Güterrecht ein solcher Widerstand geleistet worden, daß hier das römische Recht nicht durchdringen konnte, daß das deutschrechtliche eheliche Güterrecht sich in Form des Gewohnheits- oder Partikularrechts gegenüber dem römischen Rechte gehalten hat. Daraus mußte geschlossen werden, daß das deutschrechtliche eheliche Güterrecht der Auffassung und dem Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes am meisten entspricht. Aber welche Wahl war zwischen den verschiedenen deutschen Systemen zu treffen? Auf den ersten Blick scheint am meisten dem Wesen der Ehe zu entsprechen die allgemeine Gütergemeinschaft. Die völlige Lebensgemeinschaft, die durch die Ehe gefordert wird, soll sich auch bei dem Vermögen offenbaren, die Gatten sollen nur ein Vermögen haben. Was Gut des einen ist, ist Gut des andern, was Schuld des einen, ist auch Schuld des andern. Aber dieser ideale Gesichts-
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punkt läßt sich, wie die Praxis zeigt, leider nur sehr mangelhaft durchführen. Insbesondere hat die Entwickelung in ganz Deutschland gezeigt, daß das (18) wirthschaftliche Bedürfniß unbedingt fordert, die Verwaltung des gemeinschaftlichen Vermögens in eine Hand zu legen und diese ist die des Mannes. Nur der Mann hat die Verwaltung des Gesammtguts, während die Frau davon ausgeschlossen oder nur in Ausnahmefällen dazu berechtigt ist. Nur in dem kleinen Bezirke von Arenberg-Meppen hat die Frau dieselben Rechte wie der Mann. Im Allgemeinen zeigt die Entwicklung in Deutschland, daß das wirthschaftliche Bedürfniß unbedingt erfordert, die Verwaltung allein in die Hand des Mannes zu legen. Dadurch entsteht, insbesondere weil das Gesammtgut für alle Schulden des Mannes haftet, für die Frau die große Gefahr, daß, wenn der Mann leichtsinnig, ein Verschwender oder ein schlechter Verwalter ist, das ganze Vermögen der Frau, das ja in das Gesammtgut fällt, verloren geht. Die Rücksicht auf die Frau ist es hauptsächlich gewesen, welche davon abgehalten hat, das System der Gütergemeinschaft für das Bürgerliche Gesetzbuch zu Grunde zu legen und die dahin geführt hat, das System der ehelichen Verwaltung und Nutznießung zu wählen. Bei diesem Systeme bleibt die Substanz des Vermögens der Frau sicher erhalten, weil der Mann darüber nicht verfügen kann, sondern nur über die Nutzungen. Soviel über den Standpunkt des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Allgemeinen. Ich muß nun noch auf die einzelnen Bestimmungen eingehen, welche von dem Bürgerlichen Gesetzbuch über das gesetzliche Güterrecht gegeben sind. Zunächst fällt nicht alles Vermögen der Frau unter die Verwaltung und Nutznießung des Mannes. Davon ausgeschlossen ist vielmehr das sogenannte Vorbehaltsgut. Das Vorbehaltsgut verbleibt der Frau zu ihrer völlig freien Verfügung und selbständigen Verwaltung. Der Mann hat darüber gar kein Recht. Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag dazu erklärt wird. Kraft des Gesetzes werden sodann gewisse Theile des Vermögens der Frau vorbehalten. Zunächst alle Sachen, die zum persönlichen Gebrauch der Frau bestimmt sind, insbesondere Kleidungsstücke, (19) Schmucksachen, Arbeitsgerät. Dann weiter alles was der Frau von Dritten durch Erbschaft oder Vermächtniß oder durch Schenkung zugewendet wird, wenn der Erblasser in letztwilliger Verfügung oder der Schenker bei der Zuwendung bestimmt hat, daß das Zugewendete Vorbehaltsgut werden soll. Es wird dadurch während der Ehe Dritten, besonders Angehörigen ermöglicht, wenn die Erfahrung gelehrt hat, daß der Mann das eingebrachte Gut nicht gut verwaltet, der Frau Vorbehaltsgut auch ohne den Willen des Mannes zuzuwenden. Ferner wird alles, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwirbt, ihr Vorbehaltsgut. Es ist das eine sehr tiefgehende Abweichung von den bisherigen deutsch-rechtlichen Güterrechten zu Gunsten der Frau. Nach dem römischen Rechte ist es allerdings ebenso. Nach den bisherigen Gütergemeinschaftsrechten wird alles, was die Frau auf diese Art erwirbt, gemeinschaftliches Vermögen; nach dem bisherigen Rechte der Verwaltung und Nutznießung wird es eingebrachtes Gut oder direkt dem Manne erworben. Im Wesentlichen hatte also der Mann immer das entscheidende Recht darüber. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche bleibt es Vorbehaltsgut der Frau. Es ist das von besonderer Wichtigkeit für die sogenannten arbeitenden Stände. Die Erfahrung zeigt leider nur zu häufig, daß der Mann verschwendet, daß er trinkt, daß er nicht in gehöriger Weise für den Unterhalt der Familie sorgt. Wenn nun die Frau verpflichtet ist, alles was sie durch ihre Arbeit verdient, dem Manne zu überlassen, so können dadurch
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außerordentliche Härten entstehen. Statt den Verdienst für den Unterhalt der Familie zu verwenden oder als Sparpfennig zurückzulegen, vertrinkt der Mann das von der Frau verdiente Geld, und dadurch entstehen die größten Mißstände. Dem tritt nun die Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs entgegen; die Frau ist künftighin nicht mehr verpflichtet, dem Manne ihren Arbeitserwerb zu geben. Sie wird ihn, wie die Verhältnisse liegen, meistens für den Unterhalt (20) der Familie verwenden. Aber dann ist es ihr freier Wille. Sie kann bestimmen, ob sie etwas, und wie viel sie verwenden, oder als Sparpfennig zurücklegen will. Auch für die höheren Stände ist die Frage nicht ohne Bedeutung. Was die Frau der wohlhabenderen Stände durch Handarbeit, durch Unterricht, durch literarische oder künstlerische Thätigkeit erwirbt wird kraft des Gesetzes ihr Vorbehaltsgut. Dabei ist noch zu bemerken, daß der selbständige Betrieb eines Erwerbsgeschäfts durch die Frau der Einwilligung des Mannes nicht bedarf. Der Mann kann ihr unter Umständen den Betrieb eines solchen Erwerbsgeschäfts untersagen, wenn dieser mit den ehelichen Interessen nicht vereinbar ist. Ob die Frau dem Verbote des Mannes folgen will oder ob sie behauptet, das Verbot sei ein Mißbrauch des Rechtes des Mannes und sie ihm deshalb nicht Folge leistet ist eine Sache für sich und ein Streit hierüber wird nach den vorhin von mit dargelegten Grundsätzen von dem Prozeßgericht entschieden. Keinesfalls aber hat das Verbot des Mannes Einfluß auf den Erwerb der Frau. Was aus dem Erwerbsgeschäfte, wenn die Frau dasselbe weiter betreibt, gewonnen wird, wird ihr Vorbehaltsgut. Weiter ist dann Vorbehaltsgut, alles was die Frau durch die Verwaltung des Vorbehaltsguts erwirbt. Unter Umständen kann hiernach ein erheblicher Theil des Vermögens der Frau der Verwaltung und Nutznießung des Mannes entzogen sein. Nun zu den Vorschriften über das eingebrachte Gut. Der Mann soll die Nutzungen für sich als Beitrag zu dem von ihm zu bestreitenden ehelichen Aufwande haben. Er hat die Verwaltung des eingebrachten Gutes, soweit sie zum Zwecke der Nutzung erforderlich ist; er kann die Zinsen erheben, kann die Pacht der Grundstücke einnehmen und Pacht- und Miethverträge abschließen, aber über die Substanz des Vermögens kann er nicht verfügen. In dieser Beziehung gilt der Grundsatz, daß weder die Frau noch der Mann für sich allein über die Substanz verfügen kann. Jeder kann nur mit Einwilligung (21) des andern Theiles eine Verfügung treffen. Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des eingebrachten Gutes ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu welchem es der Einwilligung der Frau bedarf, muß also z. B. um eine Schuld der Frau zu bezahlen, eine Obligation verkauft werden, und verweigert die Frau ihre Zustimmung, so ist der Mann berechtigt, die Ersetzung der Genehmigung der Frau durch das Vormundschaftsgericht zu verlangen. Nur, wenn das Vormundschaftsgericht der Ansicht ist, daß das Geschäft nothwendig ist und demgemäß die Genehmigung ersetzt, kann der Mann das Geschäft vornehmen, ohne Einwilligung der Frau. Der Mann ist außerdem berechtigt ohne Einwilligung der Frau über verbrauchbare Sachen zu verfügen, so über Eß- und Trinkwaaren. Er ist aber nach Beendigung der Verwaltung verpflichtet, der Frau den Werth zu ersetzen. Zu den verbrauchbaren Sachen gehört auch das baare Geld, was die Frau in die Ehe bringt. Aber in dieser Beziehung ist der Mann verpflichtet, das baare Geld auf den Namen der Frau mündelmäßig zu belegen. Ist dies geschehen, so kann der Mann über die dadurch begründete Forderung der Frau nicht ohne deren Einwilligung verfügen. Er kann nicht einmal eine Bezahlung der Forderung annehmen ohne Einwilligung der Frau. Es wird also durch diese Bestim-
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mung das Recht der Frau an der Substanz ihres Vermögens in hohem Maße gesichert. Ich will noch eins hervorheben, worin sich das Bürgerliche Gesetzbuch von dem bisherigen Rechte unterscheidet. Das Verbot, über das eingebrachte Gut ohne Einwilligung der Frau zu verfügen, bezieht sich insbesondere auch auf alle beweglichen nicht verbrauchbaren Sachen der Frau. Nach der überwiegenden Zahl aller in Deutschland geltenden Rechte konnte der Mann über die beweglichen Sachen der Frau, über die Möbeln, über Hausgeräth, über Leinenzeug ohne Zustimmung der Frau verfügen. Das konnte er auch nach dem römischen Rechte, wenn diese Sachen zum Heirathsgute gehören. Ueber die Aussteuer (22) z. B., welche die Frau in Göttingen dem Manne zubringt, kann derselbe ohne ihre Zustimmung frei verfügen; er kann sie, obwohl er es nicht soll, verkaufen, ohne der Zustimmung der Frau zu bedürfen. Er kann es nicht mehr nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche. Noch auf eine Spezialbestimmung will ich hinweisen. Nach dem bisherigen Rechte trägt die Frau die Gefahr der Abnutzung der eingebrachten Sachen. Bei einer länger dauernden Ehe, wird das Ergebniß häufig sein, daß ein großer Theil der Sachen untergegangen ist, daß Hausgeräth, Leinenzeug abgenutzt, weggeworfen oder werthlos geworden ist; ebenso die Möbeln; daß die Frau also nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil dessen zurückerhält, was sie eingebracht hat und zwar einen Theil, der schon durch Abnutzung werthlos geworden ist. Dagegen hatte das frühere Recht keine Abhülfe und vollständig hilft das Bürgerliche Gesetzbuch dem auch nicht ab. Aber in einer Beziehung verbessert es die Lage der Frau doch, indem nämlich bestimmt wird, daß, wenn der Mann an Stelle der werthlos gewordenen oder untergegangenen Sachen der Frau, die zum Haushalte gehören, andere anschafft, diese Eigenthum der Frau werden. Nach bisherigem Rechte bleiben sie Eigenthum des Mannes, künftig werden sie kraft des Gesetzes Eigenthum der Frau. Um die Frau zu sichern gegen eine mögliche, schlechte Verwaltung des Mannes ist noch eine Reihe besonderer Bestimmungen getroffen. Ich will nur anführen, daß die Frau z. B. wenn zu ihrem Vermögen Inhaberpapiere gehören, verlangen kann, daß sie umgewandelt werden auf ihren Namen, oder daß sie hinterlegt werden. Ferner kann die Frau immer über die Verwaltung ihres Vermögens Auskunft verlangen; sie kann weiter, wenn der Mann die ihm in Betreff der Verwaltung obliegenden Pflichten verletzt und eine erhebliche Gefährdung der Substanz zu befürchten ist, ihre Rechte schon während der Ehe geltend machen, oder Sicherheitsleistung verlangen. Sie kann endlich auch, wenn eine der von mir (23) angegebenen Voraussetzungen vorliegt, also auch dann – ich habe das Wohl vergessen anzuführen –, wenn der Anspruch auf Ersatz des Werthes verbrauchbarer Sachen gefährdet wird, die sofortige Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung durch Urtheil verlangen. Sie kann diese Aufhebung auch dann verlangen, wenn der Mann seine Verpflichtung zur Gewährung des Unterhalts an die Frau und die gemeinschaftlichen Abkömmlinge nicht erfüllt und eine erhebliche Gefährdung dieses Unterhalts für Zukunft zu besorgen ist. Sie kann ferner die Aufhebung verlangen, wenn der Mann wegen Geisteskrankheit, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist oder wegen Abwesenheit eine Pflegschaft angeordnet ist. Endlich
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hört die Verwaltung und Nutznießung des Mannes von selbst auf, wenn Konkurs über das Vermögen des Mannes ausbricht. So ist also durch eine große Reihe von Bestimmungen dafür gesorgt, daß die Substanz des Vermögens der Frau ihr erhalten wird. Es ist dafür soweit gesorgt, als durch Rechtsvorschriften geschehen kann. Was wird nun von den Vertretern der Frauenbewegung gegen diese Bestimmungen eingewendet? Die Einwendungen richten sich nicht sowohl gegen die einzelnen Vorschriften als gegen das ganze System. Es wird geltend gemacht, der Grundfehler liege darin, daß überhaupt das Vermögen der Frau der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen werde; diese Unterwerfung verstoße gegen die Selbständigkeit der Frau, gegen ihre Gleichberechtigung mit dem Manne. Es wird geltend gemacht, das der Gleichberechtigung der Frau allein entsprechende System sei, daß beide Gatten ihr Vermögen selbständig verwalten, jeder aber verhältnißmäßig zu dem ehelichen Aufwande beizutragen habe. In welchem Maße beizutragen sei, bestimme sich nach dem Bedürfniß und nach dem Vermögen und den Einkünften jedes der Gatten. Gegen diesen Vorschlag läßt sich von rein theoretischem Standpunkte wenig einwenden. Ob er zweckmäßig (24) ist oder auch nur im Interesse der Frauen liegt, möchte zu bezweifeln sein. Ich muß darauf hinweisen, daß die Bestimmung, was jeder der beiden Ehegatten für den ehelichen Aufwand beizutragen hat, keineswegs so leicht ist, wie dies nach den Worten des Satzes scheint. Es muß berücksichtigt werden, einerseits das Bedürfniß und andererseits die Vermögensverhältnisse und Einkünfte jedes der Gatten. Das im einzelnen Falle festzustellen, wird nicht immer ganz leicht sein. Dazu kommt, daß es sich nicht um eine einmalige Feststellung handelt, sondern je nach dem Wechsel der Bedürfnisse und des Vermögens immer von neuem, ich will sagen, vielleicht jedes Jahr, eine neue Feststellung erfolgen muß. Nun wird eine Einigung der Gatten hierüber keine große Schwierigkeit haben, wo die Ehe normal ist, wo sie auf der rechten Liebe beruht. Aber die Ehen sind nicht alle von dieser Art. Ich habe hierbei nicht allein die unglücklichen Ehen vor Augen, sondern die große Zahl der Verstandesehen. Bei diesen Ehen wird sich bei allem Bestreben, die durch die Ehe begründeten Pflichten zu erfüllen, immer doch der natürliche Egoismus geltend machen, insbesondere geltend machen auch bei der Feststellung desjenigen, was jeder der beiden Ehegatten zu dem ehelichen Aufwande beizutragen hat. So wird dann diese Feststellung eine beständige Ursache von Zank und Streit sein und zur Störung des ehelichen Friedens beitragen. Und wenn die Ehegatten sich nicht verständigen, bleibt nur die gerichtliche Entscheidung übrig. Daß eine solche Einmischung des Gerichts in diese Angelegenheiten nicht den ehelichen Frieden fördert, liegt auf der Hand. Es mag dahin gestellt bleiben, welches Gewicht man auf diese Bedenken legt. Wie man darüber auch denken mag (es ist ja möglich, daß die Entwicklung in dieser Richtung fortgeht) so ist zur Zeit m. E. nicht die Möglichkeit gegeben, diesen Weg einzuschlagen. Das Bürgerliche Gesetzbuch sollte ein einheitliches eheliches (25) Güterrecht schaffen, aber dieses sollte nicht nach den subjektiven Ansichten der Verfasser über das theoretisch Beste, sondern es sollte auf Grund der bisher in Deutschland geltenden Rechte aufgebaut werden. Nun besteht aber zur Zeit in keinem Theile von Deutschland das System der Gütertrennung. Es bestehen die verschiedenen Rechte die ich angeführt habe; darunter ist das Recht der Gütertrennung nicht. Die Frauen nun berufen sich auf das Wort des Dichters:
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„Es erben sich Gesetz und Rechte Wie eine ew’ge Krankheit fort.“ „Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage; Weh Dir, daß Du ein Enkel bist!“ Ja ich verkenne die Wahrheit, die in diesem Dichterworte liegt, durchaus nicht. Voraussetzung seiner richtigen Anwendung ist jedoch der Nachweis, daß das bestehende Recht wirklich der Auffassung und dem Rechtsbewußtsein des Volkes nicht mehr entspricht. Diesen Nachweis ist die Frauenbewegung schuldig geblieben. Die erste Kommission hat, um möglichst sicher zu gehen, um zu ermitteln, ob etwa in der Tendenz der Entwicklung eine Aenderung des bisherigen Güterrechts liege, eine genaue statistische Ermittelung über die Eheverträge, welche im Laufe von 10 Jahren geschlossen sind, aufnehmen lassen. Sie ging davon aus, daß wenn das Bewußtsein des Volkes nicht mehr mit dem bestehenden Güterrecht einverstanden sei, sich dies in den Eheverträgen äußern würde. Es konnte dies um so mehr angenommen werden, als die Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland zeigt, daß sich, wenn das bestehende Güterrecht den Anschauungen des Volkes nicht mehr entsprach, eine Aenderung häufig durch Eheverträge angebahnt hat. Die statistische Ermittelung hat das Resultat ergeben, daß in der Richtung, Gütertrennung einzuführen, Eheverträge nur in verschwindend geringer Zahl abgeschlossen sind. Die Gütergemeinschaft wird häufig ausgeschlossen, um die Rechte der Frau zu sichern. Aber das System der ehelichen Verwaltung (26) und Nutznießung wird nur in einer verschwindend kleinen Zahl von Fällen, ausgeschlossen. Auch die Mobiliargemeinschaft wird häufig ausgeschlossen, aber an ihre Stelle tritt regelmäßig nicht die Gütertrennung. Also die bisherige Entwicklung giebt keinen Anhaltspunkt dafür, daß das geltende Recht der Rechtsauffassung und dem Bewußtsein des Volkes nicht entspricht. Nun berufen sich die Vertreter der Frauenbewegung auf diese Bewegung selbst. Ich verkenne die Bedeutung dieser Bewegung durchaus nicht, aber wenn ich nicht irre, so beschränkt sie sich zur Zeit doch auf einen gewissen Kreis der gebildeten Frauen in den größeren Städten und auf die socialdemokratischen Kreise. Die große Masse des Bürgerund Bauernstandes ist, wie ich glaube, von dieser Bewegung noch nicht ergriffen. Bei dieser Sachlage war es nicht möglich, auf die Forderungen der Frauenbewegung einzugehen. Es ist, wie ich bereits gesagt habe, ja möglich, daß die Entwicklung in der Richtung vorwärts geht, daß alles Gewicht auf die völlige Selbständigkeit der Frau gelegt wird und man die damit verbundenen Uebelstände mit in den Kauf nimmt. Wenn die Entwicklung dahin geht, wird sich dies bald in den Eheverträgen zeigen. Das Bürgerliche Gesetzbuch läßt Eheverträge ja im weitesten Umfange zu. Geht die Entwicklung in dieser Richtung, so wird das gesetzliche Güterrecht durch Eheverträge ausgeschlossen werden und dann wird es Zeit sein, das Bürgerliche Gesetzbuch zu ändern. Zur Zeit wäre es ein unverantwortlicher Sprung ins Ungewisse gewesen, wenn man so radikal mit der ganzen bisherigen Rechtsentwicklung hätte brechen wollen, wie dies durch die Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht geschehen sein würde. Ich komme nun zu dem zweiten Verhältnisse, welches für die Stellung der Frau von Bedeutung ist, zu dem Verhältnisse der Eltern und Kinder. Ich muß auch hier einen Blick auf das bisherige Recht werfen. Nach diesem besteht keine elterliche, (27) sondern nur eine väterliche Gewalt. Der Vater als solcher hat das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes und für das Vermögen desselben zu
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sorgen; er hat kraft dieses Rechtes auch den Nießbrauch an dem Vermögen des Kindes. Die väterliche Gewalt endigt auch nicht etwa mit der Volljährigkeit des Kindes, sondern sie dauert fort, auch über die Minderjährigkeit hinaus; nach dem jetzigen Rechte aber für Töchter nur bis sie sich verheirathen, für Söhne bis sie einen selbständigen Haushalt gründen. Die Frau hat keinerlei rechtliche Gewalt über die Kinder, sie hat auch nicht einmal das Recht, wenn der Mann gestorben ist, an seiner Stelle die Gewalt zu übernehmen. Es wird in solchem Falle ein Vormund bestellt; die Frau kann zum Vormund bestellt werden; sie hat aber die Rechte dann nicht als Mutter, sondern nur als Vormünderin; sie hat niemals das Recht der Nutznießung an dem Vermögen der Kinder. In dieser Beziehung hat das Bürgerliche Gesetzbuch einen Schritt zu thun gewagt, der von dem bisherigen Rechte erheblich abweicht. Die Entwicklung aber, die das Rechtsbewußtsein in Deutschland in dieser Beziehung genommen hat, schien dazu zu berechtigen. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht davon aus, daß es keine väterliche, sondern prinzipiell nur eine elterliche Gewalt giebt und daß diese eine Schutzgewalt ist im Interesse des Kindes; sie dauert nur bis zur Volljährigkeit. Mit der Volljährigkeit des Kindes hört die elterliche Gewalt auf. Nun bestimmt das Bürgerliche Gesetzbuch freilich weiter: So lange der Vater lebt, erfordert das Interesse des Kindes, daß die entscheidende Stimme dem Vater zusteht, weil eine einheitliche Leitung nothwendig ist. Der Vater hat daher, so lange er lebt, die elterliche Gewalt. Die Mutter hat neben ihm die Sorge für die Person, also insbesondere für die Erziehung des Kindes. Bei Meinungsverschiedenheiten steht dem Vater die entscheidende Stimme zu. Die praktisch-wichtigste Aenderung gegenüber dem bisherigen Rechte besteht darin, daß, (28) wenn der Vater tatsächlich verhindert ist, die elterliche Gewalt auszuüben, wenn er krank oder abwesend oder entmündigt ist, in allen diesen Fällen kraft des Gesetzes an seine Stelle die Mutter tritt. Von besonderer Wichtigkeit ist, daß die Mutter an die Stelle des Vaters tritt, wenn er gestorben ist und steht ihr dann auch die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes zu. Soweit die Mutter die elterliche Gewalt nach diesen Bestimmungen hat, hat sie inhaltlich ganz dieselben Rechte wie der Vater. Nur in einer Beziehung tritt eine Verschiedenheit ein. Es kann der Mutter ein Beistand beigeordnet werden. Das geschieht einmal, wenn der Vater es angeordnet hat oder wenn die Mutter selbst es beantragt oder wenn das Vormundschaftsgericht unter besonderen Umständen es für nothwendig hält. Dieser Beistand hat die Aufgabe, die Mutter zu unterstützen in der Verwaltung des Vermögens, in der Sorge für die Person des Kindes. Er hat allerdings auch dieselben Rechte, welche ein Gegenvormund gegenüber dem Vormunde hat. Es ist seine Zustimmung erforderlich zu gewissen Rechtsgeschäften. Gegen diese Beistandschaft richten sich die Bedenken und Einwendungen aus den Kreisen der Frauen. Man kann darüber streiten, ob es nothwendig gewesen wäre, eine Beistandschaft zuzulassen. Vorsichtig war es gewiß bei einem so neuen Institute, wie es die elterliche Gewalt der Mutter ist. Es ist die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß Mütter auch leichtsinnig sind oder nicht im Stande, ordnungsmäßig für die Verwaltung des Vermögens zu sorgen und daß es in solchen Fällen zulässig sein muß, ihr einen Beistand beizuordnen. Zeigt die Erfahrung die Unnöthigkeit, so wird davon kein Gebrauch gemacht werden. Es liegt, wie Sie sehen, ein ganz gewaltiger Fortschritt in der Zulassung der elterlichen Gewalt der Mutter an Stelle des bisherigen Rechtes. Ich will im Anschluß hieran noch gleich anführen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, welche sich auf die Vormundschaft
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beziehen. In (29) dieser Beziehung ist zu bemerken, daß nach dem bisherigen Rechte die Frauen mit Ausnahme der Mütter und Großmütter unfähig waren, Vormund zu sein. Es ist das oft als Unbilligkeit empfunden worden. Die Frauen sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ebenso fähig, Vormund zu sein, wie die Männer. Aber das Bürgerliche Gesetzbuch trägt Rechnung den Beschwerden, welche mit der Vormundschaft verbunden sind, und bestimmt deshalb, daß die Frauen berechtigt sind, die Vormundschaft abzulehnen. Es wird ihnen den Männern gegenüber damit ein Privilegium gegeben. Die Männer können die Vormundschaft nur aus bestimmten Gründen ablehnen. Die Frauen können ohne weiteres sagen: „Ich will nicht!“ Ich würde nun noch eingehen müssen auf das Rechtsverhältniß der unehelichen Kinder. Ich fürchte, daß die Zeit schon soweit vorgeschritten ist, daß ich mich in dieser Beziehung auf ein paar Worte beschränken muß. Ich will nur erwähnen, daß das Bürgerliche Gesetzbuch die Vorschriften des bisherigen Rechtes auch hier zu Gunsten der Frauen wesentlich modifiziert hat. Kurz gesagt, der uneheliche Vater hat nur Pflichten. Er ist verpflichtet, dem Kinde den Unterhalt zu gewähren bis zum 16. Lebensjahre und wenn das Kind dann in Folge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht im Stande ist, sich selbst zu ernähren, auch noch darüber hinaus; die Mutter ist nur in zweiter Linie, wenn der Vater nicht im Stande ist, den Unterhalt zu gewähren, dazu verpflichtet. Sie hat kraft des Gesetzes die Sorge für die Person des Kindes. Es wird daneben ein Vormund bestellt, der für das Vermögen zu sorgen und in der Sorge für die Person des Kindes der Mutter beizustehen hat. Die Mutter selbst kann zum Vormunde bestellt werden. Aber kraft des Gesetzes hat sie schon die Sorge für die Person des Kindes, also für die ganze Erziehung. Schließlich will ich noch der Vorschriften gedenken, die das Bürgerliche Gesetzbuch in erbrechtlicher Beziehung giebt. (30) Es sind keine Vorschriften, in denen ein Unterschied gemacht wird zwischen Mann und Frau, die aber doch für die Frau von Interesse sind. Nach dem bisherigen Rechte erbt der überlebende Gatte kraft des Gesetzes erst nach allen Verwandten des zuerst verstorbenen Gatten. Nur dir Frau hat, wenn sie arm ist und kein Heirathsgut hat, ein Recht auf den vierten Theil des Vermögens. Von der Praxis sind diese Voraussetzungen zu Gunsten der Frau nicht strenge genommen. Das Bürgerliche Gesetzbuch steht auf einem anderen Standpunkte. Nach diesem ist der Ehegatte immer erbberechtigt. Erbt er neben den Kindern, so bekommt er den vierten Theil, außerdem noch, was ich bei der elterlichen Gewalt angeführt habe, wenn die Kinder minderjährig sind, den Nießbrauch an dem Vermögen derselben. Sind keine Kinder vorhanden, aber Geschwister, Eltern oder Großeltern, so erbt der überlebende Gatte die Hälfte des Vermögens, außerdem das ganze in dem gemeinschaftlichen Haushalte gebrauchte Inventar und alle Hochzeitsgeschenke. Sind nur entfernte Verwandte vorhanden, so ist der überlebende Gatte Erbe des Ganzen. Die Hälfte ist immer Pflichttheil. Damit schließe ich meinen Vortrag, mit dem ich Ihre Geduld wohl schon zu lange in Anspruch genommen habe. Den Forderungen der Frauen auf Aenderung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist nicht stattgegeben und konnte m. E. zur Zeit nicht stattgegeben werden. Aber ich bin überzeugt, daß trotzdem das Bürgerliche Gesetzbuch auch für sie ein Segen ist. Es giebt ihnen ein einheitliches Recht; es giebt ihnen ein klares Recht; es giebt ihnen ein Recht, das in vielen Beziehungen für sie außerordentlich viel günstiger ist, als das bisherige Recht.
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Sera Proelß/Marie Raschke: Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch, 1895
PROELß, Sera/RASCHKE, Marie: Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch. Eine Beleuchtung und Gegenüberstellung der Paragraphen des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (2. Lesung) nebst Vorschlägen zur Änderung derselben im Interesse der Frauen, Berlin 1895 Kommentar: Marie Raschke (1850-1935), die gemeinsam mit Sera Proelß für den vorliegenden Gegenentwurf des Berliner Vereins „Frauenwohl“ zum BGB-Familienrecht verantwortlich zeichnet, ist eine der ersten deutschen Juristinnen (vgl. zu Raschke u.a. Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage, S. 67-80). Sie nimmt das Studium der Rechtswissenschaft allerdings erst 1896 (als Gasthörerin in Berlin, wo sie als Zweck des Vorlesungsbesuchs die „Ausbildung zur Lehrerin für Gesetzeskunde“ angab), ein Jahr nach Veröffentlichung der Familienrechtsforderungen, auf und schließt es 1899 in Bern mit der Promotion ab. Sie kehrt anschließend zwar nach Berlin, nicht aber in ihren früheren Beruf als Lehrerin zurück. Ab 1901 gibt sie eine Schriftenreihe „Rechtsbücher für das deutsche Volk“ und ab 1905 eine weitere Schriftenreihe „Populäre Rechtskatechismen“ heraus. Sie bietet Rechtskurse für Frauen zum Familienrecht an, arbeitet bei einem Anwalt und vertritt Mandanten vor Gericht. Um 1920 zieht sie sich aus gesundheitlichen Gründen zurück, erteilt jedoch bis mindestens 1928 in ihrem Berliner Haus noch Auskunft an Rechtssuchende. Sie bleibt zeitlebens unverheiratet. Zu ihren vielfältigen Tätigkeiten in der Frauenbewegung gehören in der Zeit der BGB-Debatten die Ämter als Vorsitzende der Rechtskommissionen des Vereins „Frauenwohl“, der Berliner Centralstelle für Rechtsschutz und der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine. Die Berlinerin Sera Proelß, Frau eines Arztes und Sanitätsrats, tritt um 1900 eher als Rednerin denn als Publizistin in Erscheinung: Unter anderem trägt sie auf dem internationalen Frauenkongreß in Berlin (September 1896) über Reformkleidung für Frauen vor, hält auch auf der Kundgebung gegen das BGB-Familienrecht in Berlin am 29.6.1896 eine Ansprache, weiterhin ist ein Vortrag von Proelß über „Das Eheproblem und die neue sexuelle Ethik“ von 1906 überliefert. In der Zeit um 1895/96 tritt sie im Rahmen der Zusammenarbeit mit Raschke am deutlichsten öffentlich hervor, ohne allerdings ein führendes Amt in der deutschen Frauenbewegung innezuhaben. Kempins scharfe Kritik im Artikel „Falsche Fährten“ ist wahrscheinlich gegen Proelß gerichtet. Beim Werk von Proelß/Raschke handelt es sich um einen der umfassenden Gegenentwürfe aus der Frauenbewegung zum BGB-Familienrecht und damit einen der zentralen Rechtstexte der Frauenbewegung überhaupt. Ähnlich wie in der Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine (Nr. 10) sind das Recht des BGB-Entwurfs und das von Frauenseite gewünschte „Gegenrecht“ in einer Tabelle nebeneinandergestellt. Ähnlich wie der BDF fordern auch Proelß/Raschke eine stärkere Gleichstellung der Frau und Mutter in der Ehe, eine leichtere Lösbarkeit der Ehe, Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand sowie eine Stärkung der Rechte unehelicher Kinder und Mütter (ausführliche Würdigung der Schrift von Proelß/Raschke bei Riedel, Gleiches Recht, S. 265-286).
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Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch. Vorwort Im Anfang des vorigen Jahres wurde von der Mitverfasserin, Marie Raschke, der Antrag im Verein „Frauenwohl“ gestellt, einen allgemeinen Protest der deutschen Frauen gegen den Entwurf des Familienrechts eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches, der in 1. Lesung vorlag, zu veranlassen. Der Antrag wurde angenommen und am Ende des Jahres eine Kommission gebildet, welche unter Vorsitz der Frau Landgerichtsrat Kuntze zu tagen begann und die Aufgabe hatte, die die Frauen im Familienrecht benachteiligenden Paragraphen zu beraten und auf ihre mögliche Abänderung hin zu prüfen. Die Beratungen fanden auf Grund der im Herbst desselben Jahres erschienenen 2. Lesung des Familienrechts statt. Die Unterzeichneten sind vom Vorstande des Vereins „Frauenwohl“ beauftragt worden, die Frauen auf die Benachteiligungen hinzuweisen, welche ihnen im zukünftigen Recht zugefügt werden sollen, damit sie sich voller Überzeugung dem vom Deutschen Frauenbund geleiteten Protest anschließen können. Wir haben deshalb mit kurzer Einleitung die zu beanstandenden Paragraphen des Entwurfes herausgezogen und ihnen die nach unseren Grundsätzen gewünschte Fassung gegenübergestellt. Wo es uns zum leichteren Verständnis notwendig erschien, haben wir bei der Gegenüberstellung eine kurze Begründung unserer Vorschläge eingeschaltet. Zum vollkommenen Verständnis der von uns vorgeschlagenen Änderungen empfehlen wir die Durchsicht des Familienrechts (2. Lesung) des Entwurfs. Die Verfasserinnen. Einleitung. (1) Im Familienrecht des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich hat der Gesetzgeber versucht, den Verhältnissen der Gegenwart insoweit Rechnung zu tragen, als er die Stellung der Frau in einzelnen wenigen Punkten freier zu gestalten versucht hat. Es ist ihm aber nicht gelungen, sich von dem altüberlieferten Einfluß des bestehenden Rechtes frei zu machen und der Frau die Stellung im Gesetz einzuräumen, auf welche sie in Zukunft Anspruch hat. Die Stellung der verheirateten Frau ist nach dem Entwurfe nach wie vor die einer vom Manne Bevormundeten. Er hat in allen die häusliche Gemeinschaft bereffenden Angelegenheiten die allein entscheidende Stimme, kann die Rechte der Frau im Hause und ihre Geschäftsfähigkeit jederzeit einschränken, kann sie hindern, eingegangene Verpflichtungen Dritten gegenüber zu erfüllen u. s. w., und sie kann gegen den Mißbrauch dieser Gewalt nur das Vormundschaftsgericht zur Entscheidung anrufen wie ein Mündel gegen den Vormund. – Der Gesetzgeber hat eine eheliche Gemeinschaft nur unter der Voraussetzung im Auge, daß die unerfahrene Frau des Schutzes bedarf und deshalb unter Vormundschaft gestellt werden muß. Aber nur die Ehefrau darf unerfahren sein und muß geschützt werden; dagegen wird von der Unverheirateten und von der kinderlosen Witwe, die in der Ehe in Unselbständigkeit gehalten worden ist, volle Selbständigkeit in der Verwaltung
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ihrer Angelegenheiten und Erwerbsfähigkeit erwartet. Die Schutzbedürftigkeit der Frau dokumentiert sich hierdurch als Deckmantel des eheherrlichen Prinzipats, ohne den eine Ehe sich harmonischer und friedlicher gestalten (2) würde, weil gleiche Selbständigkeit und Gleichwertigkeit vor dem Gesetz größere Achtung hervorruft, während der Schützende auf den Schützling, ohne sich dieser Empfindung meist klar bewußt zu sein, mit einem gewissen Mitleid herabsieht.167 Das ganze Güterrecht des Entwurfes ist eine Demütigung für die Frau. Im gesetzlichen Güterrecht unterliegt das eingebrachte Gut der Frau der Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes. Der Mann ist auch zum Besitze der zum eingebrachten Gut gehörenden Sachen berechtigt, er darf verbrauchbare Sachen selbstherrlich veräußern. Über ihr eigenes Vermögen darf andrerseits die Frau nicht ohne die Erlaubnis ihres Mannes verfügen; Rechtsgeschäfte, welche sie ohne diese Erlaubnis im Interesse ihres Eigentums vornimmt, sind unwirksam. Daß alle diese dem Manne gegebenen Rechte ein Schutz für die Frau sind, bestreiten wir, da ja in keiner Weise feststeht, daß er wirtschaftlich und sparsam von der Verwaltung Gebrauch macht. Allerdings giebt das Gesetz der Frau das Recht, dem Manne, wenn er verschwenderisch ist oder in Vermögensverfall gerät, die Verwaltung gerichtlich entziehen zu lassen; aber in den meisten solchen Fällen wird das der Frau gegebene Recht der Klage erst dann eintreten, wenn es zur Rettung ihres Vermögens zu spät ist, und wie sich eine Ehe gestalten wird, wenn die Frau öffentlich ihren Mann als Verschwender oder dergleichen anklagen muß, kann sich jeder denken. (3) Im vertragsmäßigen Güterrecht: Gütergemeinschaft, Errungenschaftsgemeinschaft und Fahrnisgemeinschaft unterliegt das Gesamtgut wieder der alleinigen Verwaltung des Mannes, und somit wird der Sinn des Wortes „Gemeinschaft“ inhaltlos. Die Scheidung der Ehe ist gegen früher im Entwurf erschwert. Wir halten das vom Standpunkt der Moral aus entschieden für verwerflich; denn wo die innere Harmonie fehlt, wohl gar unüberwindliche Abneigung die Ehegatten beherrscht, ist der Untreue Thür und Thor geöffnet. Das gezwungene Zusammenleben zweier sich abgeneigter Ehegatten gefährdet beide physisch und psychisch. Die seelische Depression bei solch traurigen häuslichen Verhältnissen, verbunden mit den meist unvermeidlichen aufreibenden Zwistigkeiten und der oft bis zum tödlichsten Haß sich steigernden Abneigung muß schließlich zerrüttend auf Körper und Geist wirken und zur Demoralisierung führen, unter der alsdann auch die Kinder – nicht am wenigsten – zu leiden haben.
167 „Die Ehe wird veredelt, wenn der Mann einer Gemeinschaft vorsteht, in der sein Part-
ner als handlungsfähig und nicht wie ein Kind seinem Willen botmäßig erachtet wird. Es ist schon Sache des Auslandes und des guten Geschmackes, daß der Mann seiner Ehefrau, die seinen Namen trägt, ein gleiches Recht einräume, wie er es in Anspruch nimmt, anstatt Tag für Tag mit einer handlungsunfähigen Person im Verkehr zu stehen, und es wird zum sittlichen Gebot, wenn wir sehen, wie oft unter der gegenteiligen Ordnung das gute Recht und die bessere Einsicht der Frau gekränkt werden und die rechtlich und sittlich besseren Absichten und Pläne der Frau vor dem Machtgebot eines rohen und einsichtslosen Ehemannes zurücktreten müssen.“ Aus dem Referat des Herrn Prof. Huber in Bern über: „Die Grundlagen einer schweizerischen Gesetzgebung über das eheliche Güterrecht“ im schweizerischen Juristenverein in Basel 1894.
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Die Heiligkeit der Ehe wird durch leichtere Lösbarkeit entschieden geschützt und nicht gefährdet. Die Stellung der Frau ihren Kindern gegenüber scheint nach dem Entwurfe insoweit verbessert zu sein, als in demselben die „väterliche“ Gewalt des bestehenden Gesetzes in „elterliche“ Gewalt umgeändert ist. Bei Prüfung der nachfolgenden Bestimmungen ergiebt sich aber, daß die sogenannte „elterliche Gewalt“ dem Sinne nach doch nur eine väterliche, bleiben soll, da die elterliche Gewalt der Mutter erst nach dem Tode des Vaters eintritt – und auch dann nur mit Einschränkungen aller Art. So lange der Vater lebt, hat die Mutter dem Kinde gegenüber nur solche Rechte, wie sie dem Vater verbleiben, nachdem er entmündigt und ihm ein gesetzlicher Vormund bestellt worden ist; denn sie ist auch von der Ausübung der elterlichen Gewalt ausgeschlossen, wenn der Vater wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist und seine elterliche Gewalt ruht. An die Stelle des entmündigten Vaters tritt dann der Vormund mit elterlicher Gewalt ein. Der Gesetzgeber will ihr demnach nicht mehr Rechte über das Kind einräumen, als dem notorisch unmoralischen Vater. Aber auch nach dem Tode des Vaters kann der Mutter noch (4) die eigentliche elterliche Gewalt dadurch entzogen werden, daß der Mann im Testamente einen Dritten zum Vormund der Kinder ernennt, den die Frau anerkennen muß und niemals ausschließen darf. Selbst das Vormundschaftsgericht kann ihr einen Beistand oktroieren, der sie neben der Unterstützung auch überwachen soll. Sie verliert die elterliche Gewalt, sobald sie sich wieder verheiratet, während sie im gleichen Falle dem Vater verbleibt. An dem moralischen Verhältnis der Eltern zu den Kindern wird durch eine neue Ehe nichts geändert, weshalb soll alsdann das rechtliche Verhältnis der Mutter zu ihren Kindern ein anderes werden und das des Vaters bleiben wie es ist? Welche Stellung wird einer Mutter ihren Kindern gegenüber gegeben, wenn sie der rechtlichen Ausübung der elterlichen Gewalt beraubt ist? Wie soll sie ihren heranwachsenden Söhnen gegenüber ihre mütterliche Autorität, die sie gewiß zur Erziehung derselben voll und ganz nötig hat, aufrecht erhalten, wenn dieselben zu begreifen anfangen, daß sie mit 21 Jahren vor dem Gesetze vollwertiger sind als ihre Mutter? In Hinblick auf die Vormundschaft ist zu erwähnen, daß nach dem Entwurfe eine Frau zum Vormunde ihrer eigenen Kinder und ihrer Enkel, sowie auch testamentarisch von Dritten zum Vormund fremder Kinder bestellt werden darf. – Von dem Vormundschaftsgericht soll aber eine Frau nicht berufen werden! Hier spricht ihr das Gesetz in dem einen Falle die Fähigkeit der Vormundschaftsführung zu und in dem anderen Falle wieder ab mit der haltlosen Begründung in den Motiven, daß, „wenn man Frauen zur Vormundschaft berufen wollte, zu befürchten wäre, daß gegen das Interesse der Mündel und gegen das Interesse des Dienstes von der Befugnis, Frauen als Vormünder zu bestellen, in zu großem Umfange Gebrauch gemacht würde“. Soll dies ein Schutz der Frauen gegen Überbürdung oder eine unfreiwillige Anerkennung ihrer besonderen Befähigung (denn nur bei solcher würde das Vormundschaftsgericht sie berufen) sein? Als Schutz diente ja genügend der § 1666, welcher der Frau das Recht giebt, die Übernahme der Vormundschaft auszuschlagen.
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Soll es ein Schutz für die Frau sein, wenn die Ehefrau (5) keine Vormundschaft ohne die Genehmigung ihres Mannes annehmen darf, wenn das Vormundschaftsgericht die Witwe bei ihrer Wiederverheiratung als Vormund entlassen kann; und wenn sie der Genehmigung ihres zweiten Mannes sogar zur Weiterführung der Vormundschaft über ihre eigenen Kinder bedarf? Auch wenn der Ehemann ihr die Weiterführung der Vormundschaft erlaubt, darf sie kein Rechtsgeschäft im Interesse ihrer Kinder ohne Genehmigung ihres zweiten Mannes thätigen. Dieselbe untergeordnete gesetzliche Stellung der Frau in der Familie zeigt sich auch in der Bestimmung, daß keine Frau zum Mitgliede eines Familienrates bestellt werden soll. Wie wenig das Gesetz bei allen Rechtsungleichheiten es auf den Schutz der Frau abgesehen hat, beweist die schreiende Ungerechtigkeit, welche das weibliche Geschlecht recht- und schutzlos den Verführungskünsten des männlichen Geschlechts preisgiebt. Hier zeigt sich wieder ganz klar, daß der sogenannte Schutz der Frau, der ihre Abhängigkeit beschönigen soll, nur ein Schutz der angemaßten Vorrechte des Mannes ist, welche ihren verderbenbringenden Höhepunkt in der doppelten Moral finden! Die doppelte Moral schützt den lasterhaften Mann vor jedem Makel vor der Welt und hindert ihn meist nicht zur Erlangung der höchsten, angesehensten Lebensstellungen, während sie der selbst unschuldig verführten Frau für alle Zeit den Stempel der Schande aufdrückt und sie fast immer hindert, sich von dem tiefen Fall je wieder zu erheben, wenn er sie nicht gar in das tiefste Verderben stürzt. Der Entwurf legt der Mutter des unehelichen Kindes Pflichten auf, während er ihr die Rechte entzieht; er schützt den unehelichen Vater sogar soweit, daß er jede Verwandtschaft desselben mit dem unehelichen Kinde in ihrer Rechtswirkung leugnet. Wenn nicht alle Frauen das schwere Unrecht und die tiefe Schmach voller Empörung empfinden und, in geschlossener Phalanx sich dagegen auflehnend, Einfluß auf die Gesetzgebung zu gewinnen suchen, so wird die Unsittlichkeit mit all ihren verderblichen Folgen weiter das menschliche Geschlecht herabwürdigen, die Ehefrauen gesundheitlich vernichten und die Töchter der ungestraften Verführung aussetzen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, da er ein Mann (6) ist, ohne zwingende Einwirkung der Frau in Zukunft geneigt wäre, auch nur ein Titelchen seiner angemaßten Vorrechte in diesem Punkte freiwillig aufzugeben. Er ist durch die herrschende landläufige Unmoralität, die von der unterdrückten Frau leider jahrhundertelang stillschweigend sanktionirt worden ist, auch wohl so in seinem Urteil beirrt worden, daß ihm das klare Bewußtsein des schweren Unrechts, welches er nicht bloß dem gegenwärtigen weiblichen Geschlechte, sondern dem ganzen kommenden Menschengeschlecht zufügt, fehlt. Wir Frauen müssen daher zur Hebung der Sittlichkeit, zur Hebung der durch die Gesetzgebung herabgewürdigten Stellung unseres Geschlechts uns energisch dagegen verwahren, daß Mann und Frau mit verschiedenem Maße gemessen werden, daß, statt eines gemeinsamen natürlichen Menschenrechtes, sozusagen zwischen einem männlichen und einem geringeren weiblichen Recht unterschieden wird, und daß fernerhin Macht vor Recht gehen soll.
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Einer der wundesten Punkte ist die im Entwurf vorgesehene ganz ungenügende Berücksichtigung der unehelichen Kinder. Mit 13 Paragraphen hat sich der Gesetzgeber mit dieser ungemein schwierigen Aufgabe abgefunden, indem er einfach das Schicksal des unschuldigen Kindes an das der vom Gesetz allein hart betroffenen Mutter knüpft. Die Erfahrung lehrt, daß die uneheliche Mutter in Verzweifelung über das sie erwartende Geschick selbst zum Verbrechen geführt werden kann, zum Verbrechen gegen das keimende Leben oder zum Kindsmord. – Unzureichend oder garnicht von dem Vater unterstützt, oft unfähig zu einem Erwerbe oder durch die moralische Vernichtung ihrer Existenz an einem ausreichenden Erwerbe verhindert, kann sie meist dem Kinde nicht die Erziehung geben, die seine Beanlagung erfordert. – So gerät das Kind, gebrandmarkt durch seine Vaterlosigkeit, in Widerspruch zu der Religion und zu den Gesetzen des Staates, und zu Verbrechern gegen die Gesetze werden Mutter und Kind durch das Gesetz. „Es erben sich Gesetz und Recht wie eine ew’ge Krankheit fort!“ Versuchen wir deutschen Frauen es, gegen diese Krankheit, wo sie Ungerechtigkeiten zeitigt und wo sie so unheilbringend wirkt, an-(7)zukämpfen mit allen überzeugenden Mitteln, die uns zu Gebote stehen. Von den deutschen Männern aber erwarten wir, daß sie unser natürliches Verlangen nach Gleichwertigkeit vor dem Gesetz aus Gerechtigkeitsgefühl erfüllen und unsere im Folgenden ausgeführten Forderungen in der Gesetzgebung berücksichtigen werden. Von dem Standpunkte der Gerechtigkeit aus, d. h. des gleichen Rechtes für Mann und Frau, beanstanden wir folgende Paragraphen des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und schlagen Fassung derselben in nebenstehendem Sinne vor. (8) Viertes Buch. Familienrecht. Erster Abschnitt. Ehe. Zweiter Titel. Eingehung der Ehe. § 1209. § 1209. Ein Mann darf nicht vor erlangter Volljährigkeit, Eine Befreiung von dieser Vorschrift kann beeine Frau darf nicht vor vollendetem sechszehnten willigt werden. Lebensjahr eine Ehe eingehen. Einer Frau kann Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden.
Hat ein minderjähriger Mann ein Mädchen verführt, so muß ihm die Möglichkeit gegeben werden, dieselbe zu heiraten, um sein Unrecht an Mutter und Kind gut machen zu können. Daß eine Volljährigkeitserklärung dem Manne Befreiung von der Vorschrift des obigen Paragraphen Abs. 1 giebt, muß in diesem Paragraphen ausgedrückt sein.
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§ 1211. Ein eheliches Kind bedarf bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung des Vaters, ein uneheliches Kind bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Einwilligung der Mutter. An die Stelle des Vaters tritt die Mutter, wenn der Vater gestorben ist oder wenn ihm die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte nach den §§ 1589, 1592 nicht zustehen. Ein (9) durch Ehelichkeitserklärung legitimiertes Kind bedarf der Einwilligung der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist.
§ 1211. Ein eheliches Kind bedarf ec. der Einwilligung der Eltern, ein uneheliches Kind bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Einwilligung der Mutter, sofern dieselbe am Leben und zur Abgabe rechtsbeständiger Erklärungen befähigt ist. (9)
Dem Tode des Vaters oder der Mutter steht es gleich, wenn sie zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande sind oder wenn ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
Vierter Titel. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen. § 1255. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes.
§ 1255. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes, hat aber das Recht, ihren Familiennamen dem des Mannes beizufügen. Auch der Mann darf den Familiennamen der Frau dem seinigen hinzufügen.
In der Schweiz und in Rußland haben Mann und Frau diese im abgeänderten § 1255 ausgedrückten Rechte. § 1257. § 1257 Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Die Beschränkung dieses Rechtes darf nur Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn durch gerichtliche Entscheidung herbeigeführt zu besorgen und ihn zu vertreten. Rechtsgeschäfte, werden. die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des Mannes vorgenommen, wenn sich nicht aus den Umständen ein Anderes ergiebt. Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen. Stellt sich die Beschränkung oder die Ausschließung als Mißbrauch des Mannes dar, so kann sie auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1834 wirksam.
Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1834 wirksam. Wenn der Mann das der Frau vom Gesetz gegebene Recht (10) nach eigenem Ermessen beschränken kann, so ist der erste Absatz überhaupt illusorisch.
697
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht § 1258. Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu Fällt fort. einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, daß der Mann der Verpflichtung zugestimmt oder das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Frau die Zustimmung des Mannes ersetzt hat.
§ 1258.
Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert ist oder die Verweigerung der Zustimmung sich als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Die Zustimmung sowie die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter erfolgen; ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Das Kündigungsrecht ist ausgeschlossen, solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist.
Einer Frau darf das Recht einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung, zu der sie sich einem Dritten gegenüber verpflichtet hat, nicht verkürzt werden; am wenigsten dürfte der Mann das Rechtsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. § 1261. Leben die Ehegatten getrennt, so ist, solange einer von ihnen die Herstellung des ehelichen Lebens verweigern darf und verweigert, der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Auch sind der Frau von dem Manne die zur Führung eines abgesonderten Haushalts erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen (11) Haushalte zum Gebrauche herauszugeben, es sei denn, daß die Sachen für den Mann unentbehrlich sind oder daß solche Sachen sich in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befinden.
§ 1261. Leben die Ehegatten ec. zu gewähren. Auch sind die Sachen, die sich in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befinden, von dem Manne herauszugeben. (11)
Die Unterhaltungspflicht des Mannes fällt weg oder beschränkt sich auf die Zahlung eines Beitrags, wenn der Wegfall oder die Beschränkung mit Rücksicht auf die Bedürfnisse, die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Ehegatten der Billigkeit entspricht.
Da nach dem allgemein üblichen Landesgebrauch die Sachen im Haushalte meist von der Frau eingebracht sind, muß die Frau das Verfügungsrecht darüber behalten.
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Teil 1
§ 1262. Es wird vermutet, daß die im Besitz eines der Ehe- Fällt fort. gatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind.
§ 1262.
Die Vermutung gilt nicht für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere nicht für Kleider und Schmucksachen.
Wenn im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten sich bewegliche Sachen befinden, so muß vermutet werden, daß sie beiden zu gleichen Teilen gehören. Fünfter Titel. Eheliches Eherecht. I. Gesetzliches Güterrecht. Bei diesem Titel wollen wir von vornherein dem Unrecht entgegentreten, welches der Frau zugefügt wird, indem dem Manne nach dem Entwurfe sowohl die Verwaltung als die Nutznießung an dem Eigentum der Frau zusteht, während die Frau in der Ver-(12)fügung über ihr Vermögen beschränkt bleibt gleich einem minderjährigen Kinde, einem Schwachsinnigen oder sonst wie Entmündigten. Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß die Frau ebensogut imstande sein muß, ihr Vermögen zu verwalten, wie der Mann, und daß sie bei mangelnder Geschäftskenntnis ebenso wie ein geschäftsunkundiger Mann sich geeigneten Rat holt, den sie in harmonischer Ehe bei ihrem erfahreneren Manne suchen wird. Im Falle er aber nicht der Erfahrenere oder sogar der Leichtsinnigere, wie sich vielleicht im Laufe der Ehe herausstellt, ist, soll sie nicht erst, um seiner Bevormundung gesetzlich überhoben zu werden, das Gericht anrufen und ihren Mann öffentlich des Leichtsinns oder dergleichen beschuldigen müssen. Auch in Anbetracht der Kosten eines Ehevertrages und der Scheu vieler Verlobten vor Eheverträgen halten wir es für richtig, daß, wenn kein Vertrag geschlossen ist, Gütertrennung mit eigener Verwaltung und Nutznießung des Vermögens eines jeden der Ehegatten gesetzliche Norm sein soll. Der Kopfparagraph des gesetzlichen Güterrechts müßte demnach lauten: § 1263. § 1263. Das Vermögen der Frau wird durch die Ehe- Das Vermögen der Ehegatten bleibt im Sonderschließung der Verwaltung und Nutznießung des eigentum eines jeden unter ihnen, wenn nicht Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). ein geschlossener Ehevertrag anders bestimmt. Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, welches die Frau während der Ehe erwirbt.
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
Nach diesem Prinzip würden die Paragraphen des gesetzlichen Güterrechts von § 1264 bis 1324 zu streichen sein, weil dem zu schließenden Ehevertrage alle bezüglichen Festsetzungen überlassen werden können und danach kein Bedürfnis für rechtsbegriffliche Formulierung eines Vorbehaltsgutes der Frau besteht. Gütertrennung. § 1325. Tritt nach § 1264 die Verwaltung und Nutz- Fällt fort. (13) nießung des Mannes nicht ein oder endigt sie auf Grund der (13) §§ 1317 bis 1319, so tritt Gütertrennung ein.
§ 1325.
Für die Gütertrennung gelten die Vorschriften der §§ 1326 bis 1330. § 1326. Die Frau hat aus den Einkünften ihres Vermögens sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts dem Manne einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes zu leisten. Für die Vergangenheit kann der Mann die Leistung nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im Rückstande geblieben ist. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.
§ 1326. Die Ehegatten haben gleichmäßig nach Maßgabe ihrer Einkünfte zu den Kosten des gemeinschaftlichen Haushaltes beizutragen. Für die Vergangenheit kann die Leistung nur insoweit verlangt werden, als der Verpflichtete trotz Aufforderung mit der Leistung im Rückstande geblieben ist.
II. Vertragsmäßiges Güterrecht. 1. Allgemeine Vorschriften. § 1334. Wird durch Ehevertrag die Verwaltung und Nutz- Fällt fort. (14) nießung des Mannes ausgeschlossen oder geändert, so können einem Dritten gegenüber aus der Ausschließung oder Änderung Einwendungen gegen ein zwischen dem Dritten und einem Ehegatten, vorgenommenes Rechtsgeschäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urteil nur hergeleitet werden, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit die Ausschließung oder die Änderung im Güterrechtsregister eingetragen oder dem Dritten bekannt war. Das Gleiche gilt, wenn eine im Güterrechtsregister eingetragene Regelung des güterrechtlichen Verhältnisses durch Ehevertrag aufgehoben oder geändert wird. (14)
§ 1334.
700
Teil 1
2. Allgemeine Gütergemeinschaft. § 1340. § 1340. Von dem Gesamtgut ausgeschlossen ist das Vor- Von dem Gesamtgut ausgeschlossen ist das behaltsgut. Vorbehaltsgut. § 1340 a. Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für Vor- Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für behaltsgut eines der Ehegatten erklärt ist oder was Vorbehaltsgut eines der Ehegatten erklärt ist. von einem der Ehegatten nach Maßgabe der § 1340 b. §§ 1268, 1269 erworben wird. Vorbehaltsgut ist, was einer der Ehegatten durch Erbfolge, durch Vermächtnis oder als Pflichtteil erwirbt (Erwerb von Todeswegen), oder was ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll. § 1340 c. Vorbehaltsgut ist, was einer der Ehegatten auf Grund eines zu seinem Vorbehaltsgut gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vorbehaltsgut bezieht. § 1341. Auf das Vorbehaltsgut der Frau finden die bei der Fällt fort. Gütertrennung für das Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung; die Frau hat jedoch dem Manne zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes einen Beitrag nur insoweit zu leisten, als die in das Gesamtgut fallenden Einkünfte zur Bestreitung des Aufwandes nicht ausreichen. § 1342. Das Gesamtgut unterliegt der Verwaltung des Mannes. Der Mann ist insbesondere zum Besitze der zum (15) Gesamtgute gehörenden Sachen berechtigt und befugt, über das Gesamtgut zu verfügen sowie Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Gesamtgut beziehen, im eigenen Namen zu führen. Die Frau wird durch die Verwaltungshandlungen des Mannes weder Dritten noch dem Manne gegenüber persönlich verpflichtet.
§ 1341.
§ 1342. Das Gesamtgut unterliegt der Verwaltung der Ehegatten. Sie sind beide in gleicher Weise zum (15) Besitze der zu dem Gesamtgute gehörenden Sachen berechtigt und befugt, über das Gesamtgut zu verfügen sowie Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Gesamtgut beziehen, gemeinsam zu führen. Abs. 2 ist zu streichen.
Gegenüber dem von uns eingenommenen Standpunkte vollkommener Rechtsgleichheit beider Geschlechter in der Ehe ist kein Anlaß, den Prinzipat der Verwaltung, wie das Gesetz es thut, dem Manne einzuräumen, vielmehr regeln sich die Verhältnisse sachgemäß lediglich nach den Grundsätzen der Rechtsgemeinschaft.
701
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht § 1343. Der Mann bedarf der Einwilligung der Frau zur Fällt fort. Verfügung über das Gesamtgut als Ganzes, zur Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen Verfügung sowie zu einer Verfügung über Gesamtgut, durch die eine ohne Zustimmung der Frau eingegangene Verpflichtung dieser Art erfüllt werden soll. § 1344. Der Mann bedarf der Einwilligung der Frau zur Fällt fort. Verfügung über ein zu dem Gesamtgute gehörendes Grundstück sowie zur Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen Verfügung.
§ 1343.
§ 1345. Der Mann bedarf der Einwilligung der Frau zu Fällt fort. (16) einer Schenkung aus dem Gesamtgute, zu einem Schenkungsversprechen sowie zu einer Verfügung über Gesamtgut, durch die ein ohne Zustimmung der Frau erteiltes Schenkungsversprechen erfüllt werden soll.
§ 1345.
Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird. (16) § 1346. Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Gesamtguts ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1343, 1344 bezeichneten Art erforderlich, so kann die Zustimmung der Frau, wenn sie von ihr ohne ausreichenden Grund verweigert wird, auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
§ 1344.
§ 1346. Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Gesamtgutes ein Rechtsgeschäft erforderlich, so kann die Zustimmung des verweigernden Teiles, wenn sie von ihm ohne ausreichenden Grund verweigert wird, auf Antrag des andern Teiles durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
Das Gleiche gilt, wenn die Frau durch Krankheit Das Gleiche gilt, wenn einer der Ehegatten oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Er- durch Krankheit ec. klärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist. § 1347. § 1347. Hat der Mann ohne Einwilligung der Frau ein Fällt fort. Rechtsgeschäft der in den §§ 1343 bis 1345 bezeichneten Art vorgenommen, so finden die für eine Verfügung der Frau über eingebrachtes Gut geltenden Vorschriften der §§ 1295 bis 1297 entsprechende Anwendung. Die Verweigerung der Genehmigung durch die Frau ist jedoch dem andern Teile gegenüber nur wirksam, wenn sie ihm durch den Mann mitgeteilt wird; einer solchen Mitteilung steht es gleich, wenn dem andern Teile nicht binnen zwei Wochen, nachdem er den Mann zur Beschaffung der Genehmigung aufgefordert hat, die Genehmigung erklärt oder eine sie ersetzende Entscheidung des Vormundschaftsgerichts von dem Manne mitgeteilt worden ist.
702 § 1348. Der Mann ist der Frau für die Verwaltung des Gesamtguts nicht verantwortlich. Er hat jedoch für eine Verminderung des Gesamtguts, die er in der Absicht, die Frau zu benachteiligen, oder durch ein ohne die erforderliche Zustimmung der Frau vorgenommenes Rechtsgeschäft herbeigeführt hat, zu dem Gesamtgut Ersatz zu leisten. (17) § 1349. Hat der Mann ohne die erforderliche Zustimmung der Frau über ein zu dem Gesamtgute gehörendes Recht verfügt, so kann die Frau das Recht ohne Mitwirkung des Mannes gegen Dritte gerichtlich geltend machen. § 1350. Zur Annahme oder Ausschlagung einer der Frau angefallenen Erbschaft oder eines ihr angefallenen Vermächtnisses ist nur die Frau berechtigt; die Einwilligung des Mannes ist nicht erforderlich. Das Gleiche gilt von dem Verzicht auf den Pflichtteil sowie von der Ablehnung eines der Frau gemachten Vertragsantrags oder einer ihr gemachten Schenkung. § 1351. Wird von der Frau ein Erwerbsgeschäft selbständig betrieben, so finden die Vorschriften des § 1304 entsprechende Anwendung. § 1352. Zur Fortsetzung eines bei dem Eintritte der Gütergemeinschaft anhängigen Rechtsstreits bedarf die Frau nicht der Einwilligung des Mannes. § 1353. Ist der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit verhindert, ein auf das Gesamtgut sich beziehendes Rechtsgeschäft vorzunehmen oder einen auf das Gesamtgut sich beziehenden Rechtsstreit zu führen, so kann die Frau im eigenen Namen oder im Namen des Mannes das Rechtsgeschäft vornehmen oder den Rechtsstreit führen, wenn mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist. (18) § 1354. Ist zur ordnungsmäßigen Besorgung der persönlichen Angelegenheiten der Frau ein Rechtsgeschäft erforderlich, welches die Frau mit Wirkung für das Gesamtgut nicht ohne Zustimmung des Mannes vorzunehmen berechtigt ist, so kann die Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn sie von dem Manne ohne ausreichenden Grund verweigert wird. § 1555. Steht der Mann unter Vormundschaft, so hat ihn der Vormund in den Rechten und Pflichten zu vertreten, welche sich aus der Verwaltung des Gesamtguts für ihn ergeben. Dies gilt auch dann, wenn die Frau Vormund ist.
Teil 1 § 1348. Ein Ehegatte hat für eine Verminderung des Gesamtgutes, die er in der Absicht, den andern zu benachteiligen oder durch ein ohne die erforderliche Zustimmung des andern Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft herbeigeführt hat, zu dem Gesamtgute Ersatz zu leisten. (17) § 1349. Hat ein Ehegatte ohne die erforderliche Zustimmung des andern über ein zu dem Gesamtgute gehörendes Recht verfügt, so kann der andere Ehegatte das Recht ohne Mitwirkung des Ersteren gegen Dritte gerichtlich geltend machen. § 1350. Zur Annahme oder Ausschlagung einer dem einen Ehegatten angefallenen Erbschaft oder eines ihm angefallenen Vermächtnisses ist nur der Erbe berechtigt; die Einwilligung des andern Ehegatten ist nicht erforderlich. Das Gleiche gilt von dem Verzicht auf den Pflichtteil, sowie von der Ablehnung eines gemachten Vertragsantrags oder einer gemachten Schenkung. § 1351. Fällt fort. § 1352. Zur Fortsetzung eines bei dem Eintritte der Gütergemeinschaft anhängigen Rechtsstreites bedarf ein Ehegatte nicht der Einwilligung des andern. § 1353. Ist ein Ehegatte durch Krankheit ec., Rechtsstreit zu führen, so kann der andere Ehegatte im eigenen Namen oder im Namen des andern das Rechtsgeschäft vornehmen ec. (18)
§ 1354. Ist zur ordnungsmäßigen Besorgung der persönlichen Angelegenheiten eines Ehegatten ein Rechtsgeschäft erforderlich, welches dieser mit Wirkung für das Gesamtgut nicht ohne Zustimmung des andern vorzunehmen berechtigt ist, so kann die Zustimmung auf Antrag desselben durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn sie von dem andern ohne ausreichenden Grund verweigert wird. § 1355. Steht einer der Ehegatten unter Vormundschaft ec. Letzter Satz ist zu streichen.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
703
§ 1356. § 1356. Die Gläubiger des Mannes können in allen Fällen, Die Gläubiger des Mannes und der Frau können die Gläubiger der Frau, soweit sich nicht aus den in allen Fällen Befriedigung aus dem Gesamt§§ 1357 bis 1353 ein Anderes ergiebt, Befriedi- gute verlangen. gung aus dem Gesamtgute verlangen (Gesamtgutsverbindlichkeiten). Für Verbindlichkeiten der Frau, die Gesamtgutsverbindlichkeiten sind, haftet der Mann auch persönlich. Die Haftung erlischt mit der Auflösung der Gütergemeinschaft, wenn die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesamtgute zur Last fallen. § 1357. Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft aus Rechtsgeschäften oder gerichtlichen Entscheidungen entstanden sind, nur, wenn die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung des Rechtsstreits mit Zu-(19)stimmung des Mannes erfolgt oder ohne seine Zustimmung ihm gegenüber wirksam ist oder soweit das Gesamtgut bereichert ist.
Abs. 2 gestrichen.
Für die Kosten eines Rechtsstreits der Frau haftet das Gesamtgut auch dann, wenn das Urteil dem Manne gegenüber unwirksam ist. § 1358. Das Gesamtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten der Frau, die infolge des Erwerbes einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses entstanden sind, wenn die Frau die Erbschaft oder das Vermächtnis nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft als Vorbehaltsgut erworben hat. § 1359. Das Gesamtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten der Frau, die nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft infolge eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entstanden sind, es sei denn, daß das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das von der Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betrieben wird. § 1362. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fällt die Verbindlichkeit der Frau zur Tragung der Kosten eines Rechtsstreits zwischen ihr und dem Manne der Frau zur Last.
2. Abs. fällt fort.
§ 1357. Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten eines jeden der Ehegatten, die nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft aus Rechtsgeschäften oder gerichtlichen Entscheidungen entstanden sind, nur, wenn die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung (19) des Rechtsstreits von beiden Gatten erfolgt ist oder soweit das Gesamtgut bereichert ist.
§ 1358. Das Gesamtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten des Mannes oder der Frau, die infolge des Erwerbes einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses entstanden sind, wenn die Erbschaft oder das Vermächtnis nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft als Vorbehaltsgut erworben ist. § 1359. Das Gesamtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten des Mannes oder der Frau, die nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft infolge eines zu dem Vorbehaltsgute eines der Ehegatten gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entstanden sind. § 1362. Im Verhältnis der Ehegatten zu einander fällt die Verbindlichkeit zur Tragung der Kosten eines Rechtsstreites zwischen den Ehegatten dem dazu Verurteilten zur Last.
Das Gleiche gilt von der Verbindlichkeit der Frau Abs. 2 ist zu streichen. (20) zur Tragung der Kosten eines Rechtsstreits zwischen ihr und einem Dritten, es sei denn, daß das Urteil dem Manne gegenüber wirksam ist. Betrifft jedoch der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit der Frau oder eine nicht unter die Vorschriften des § 1361 Nr. 1, 2 (20) fallende Gesamtgutsverbindlichkeit der Frau, so findet diese Vorschrift keine Anwendung, wenn die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten war.
704 § 1363. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fällt Fällt fort. eine Ausstattung, die der Mann einem nicht gemeinschaftlichen Kinde aus dem Gesamtgute versprochen ober gewählt hat, dem Vater oder der Mutter des Kindes zur Last, der Mutter jedoch nur insoweit, als sie zugestimmt hat oder die Ausstattung nicht das dem Gesamtgut entsprechende Maß übersteigt.
Teil 1 § 1363.
Hat der Mann einem gemeinschaftlichen Kinde eine Ausstattung aus dem Gesamtgute versprochen oder gewährt, so fällt die Ausstattung dem Manne insoweit zur Last, als sie das dem Gesamtgute entsprechende Maß übersteigt.
weil über das Gesamtgut nicht einseitig von einem Gatten verfügt werden darf. § 1364. § 1364. Verwendet der Mann Gesamtgut in sein Vorbe- Verwendet einer der Ehegatten Gesamtgut in haltsgut, so hat er den Wert des Verwendeten zu sein Vorbehaltsgut, so hat er den Wert des Verdem Gesamtgute zu ersetzen. wendeten zu dem Gesamtgute zu ersetzen. Verwendet der Mann Vorbehaltsgut in das Gesamtgut, so kann er Ersatz aus dem Gesamtgute verlangen. § 1365. Was der Ehegatte zu dem Gesamtgute oder was die Frau zu dem Vorbehaltsgute des Mannes schuldet, ist erst nach der Auflösung der Gütergemeinschaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld der Frau deren Vorbehaltsgut ausreicht, hat sie die Schuld schon vorher zu berichtigen.
Verwendet einer der Ehegatten Vorbehaltsgut in das Gesamtgut, so kann er Ersatz aus dem Gesamtgute verlangen. § 1365. Was ein Ehegatte zu dem Gesamtgute oder was einer derselben zu dem Vorbehaltsgute des andern schuldet, ist erst nach der Auflösung der Gütergemeinschaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld das Vorbehaltsgut des Betreffenden ausreicht, hat er die Schuld schon vorher zu berichtigen. (21) Was einer der Ehegatten aus dem Gesamtgute zu fordern hat, Was der Mann aus dem Gesamt-(21)gute zu for- kann er gleichfalls erst nach der Auflösung der dern hat, kann er gleichfalls erst nach der Auflö- Gütergemeinschaft fordern. sung der Gütergemeinschaft fordern. § 1366. § 1366. Die Frau kann auf Auflösung der Gütergemein- Einer der Ehegatten kann auf Auflösung der schaft klagen: Gütergemeinschaft klagen: 1. wenn der Mann ein Rechtsgeschäft der in den 1. wenn einer der Ehegatten ein Rechtsgeschäft §§ 1343 bis 1345 bezeichneten Art ohne Zustim- ohne die Zustimmung des andern vorgenommen mung der Frau vorgenommen hat und eine erheb- hat und eine erhebliche Gefährdung des andern liche Gefährdung der Frau zu besorgen ist; zu besorgen ist; 2. wenn der Mann das Gesamtgut in der Absicht, 2. wenn einer der Ehegatten das Gesamtgut in die Frau zu benachteiligen, vermindert hat; der Absicht, den andern zu benachteiligen, ver3. wenn der Mann seine Verpflichtung, der Frau mindert hat; und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen den 3. wenn einer der Ehegatten seine VerpflichUnterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die tung, dem andern und den gemeinschaftlichen Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unter- Abkömmlingen den Unterhalt zu gewähren, verhalts zu besorgen ist; letzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Ge4. wenn der Mann wegen Verschwendung ent- fährdung des Unterhalts zu besorgen ist; mündigt ist oder wenn er das Gesamtgut durch 4. wenn einer der Ehegatten entmündigt ist oder Verschwendung erheblich gefährdet; wenn das Gesamtgut durch Verschwendung er5. wenn das Gesamtgut infolge von Verbindlich- heblich gefährdet ist. keiten, die in der Person des Mannes entstanden 5. Fällt fort. sind, in solchem Maße überschuldet ist, daß ein späterer Erwerb der Frau erheblich gefährdet wird.
705
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
Es mag ungewohnt klingen, daß die Frau dem Manne den Unterhalt gewähren ev. entziehen kann. Das Gesetz legt ihr aber in bestimmten Fällen selbst in dem rechtsungleichen Entwurfe die Unterhaltspflicht dem Manne gegenüber auf. In der Gütergemeinschaft, die wir als Rechtsgemeinschaft betrachten und in welcher der Unterhalt aus dem Gesamtgut bestritten wird, muß die Unterhaltungspflicht beider Gatten gleich sein. § 1367. Der Mann kann auf Auflösung der Gütergemeinschaft klagen, wenn das (22) Gesamtgut infolge von Verbindlichkeiten der Frau, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesamtgute zur Last fallen, in solchem Maße überschuldet ist, daß ein späterer Erwerb des Mannes erheblich gefährdet wird. § 1368. Die Auflösung der Gütergemeinschaft tritt in den Fällen der §§ 1366, 1367 mit der Rechtskraft des Urteils ein. Für die Zukunft gilt Gütertrennung.
§ 1367. Fällt fort. (22)
§ 1368. Die Auflösung der Gütergemeinschaft tritt in den Fällen des § 1366 (unserer Fassung) mit der Rechtskraft des Urteils ein. Für die Zukunft gilt Gütertrennung.
Dritten gegenüber ist die Auflösung der Güterge- Dritten gegenüber können aus der Auflösung meinschaft nur nach Maßgabe des § 1334 wirk- der Gütergemeinschaft Einwendungen gegen ein sam. zwischen dem Dritten und einem Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urteil nur hergeleitet werden, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäftes oder zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit die Auflösung im Güterrechtsregister eingetragen oder dem Dritten bekannt war. § 1377. § 1377. Wird die Gütergemeinschaft auf Grund des § 1366 Wird die Gütergemeinschaft auf Grund des oder des § 1367 durch Urteil aufgelöst, so kann § 1366 (unserer Fassung) durch Urteil aufgelöst der Ehegatte, welcher das Urteil erwirkt hat, ec. verlangen, daß die Auseinandersetzung so erfolgt, wie wenn der Anspruch auf Auseinandersetzung mit der Erhebung der Klage auf Auflösung der Gütergemeinschaft rechtshängig geworden wäre. § 1379. § 1379. Ist die Berichtigung einer Gesamtgutsverbindlich- Fällt fort. (23) keit unterblieben, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem Gesamtgut oder dem Manne zur Last fällt, so hat der Mann dafür (23) einzustehen, daß die Frau von dem Gläubiger nicht in Anspruch genommen wird. Die gleiche Verpflichtung hat die Frau dem Manne gegenüber, wenn die Berichtigung einer Gesamtgutsverbindlichkeit unterblieben ist, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander der Frau zur Last fällt.
706
Teil 1
§ 1394. Vorbehaltsgut des überlebenden Ehegatten ist, was er bisher als Vorbehaltsgut gehabt hat oder was er nach Maßgabe der §§ 1268, 1269 erwirbt. Gehören zu dem Vermögen des überlebenden Ehegatten Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können, so finden auf sie die bei der Errungenschaftsgemeinschaft für uns eingebrachte Gut des Mannes geltenden Vorschriften, mit Ausnahme des § 1419, entsprechende Anwendung.
§ 1394. Vorbehaltsgut des überlebenden Ehegatten ist, was er bisher als Vorbehaltsgut gehabt hat oder was er nach Maßgabe der §§ 1340 b) c) erwirbt.
§ 1398. Die Rechte und Verbindlichkeiten des überlebenden Ehegatten sowie der anteilsberechtigten Abkömmlinge in Ansehung des Gesamtguts der fortgesetzten Gütergemeinschaft bestimmen sich nach den für die eheliche Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften der §§ 1342 bis 1349, 1355, 1364; der überlebende Ehegatte hat die rechtliche Stellung des Mannes, die anteilsberechtigten Abkömmlinge haben die rechtliche Stellung der Frau.
§ 1398. Die Rechte und Verbindlichkeiten des überlebenden Ehegatten ec. geltenden Vorschriften der §§1342, 1346, 1348, 1349, 1355, 1364 (unserer Fassung).
Was der überlebende Ehegatte zu dem Gesamtgute der fortgesetzten Gütergemeinschaft schuldet oder aus dem Gesamtgute zu fordern hat, ist erst nach der Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft zu leisten. § 1406. Ein anteilsberechtigter Abkömmling kann gegen den überlebenden Ehegatten (24) auf Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft klagen: 1. wenn der überlebende Ehegatte ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1343 bis 1345 bezeichneten Art ohne Zustimmung des Abkömmlings vorgenommen hat und eine erhebliche Gefährdung desselben zu besorgen ist; 2. wenn der überlebende Ehegatte das Gesamtgut in der Absicht, den Abkömmling zu benachteiligen, vermindert hat; 3. wenn der überlebende Ehegatte seine Verpflichtung, dem Abkömmlinge den Unterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist; 4. wenn der überlebende Ehegatte wegen Verschwendung entmündigt ist oder wenn er das Gesamtgut durch Verschwendung erheblich gefährdet; 5. wenn der überlebende Ehegatte die elterliche Gewalt über den Abkömmling verwirkt hat oder, sofern sie ihm zugestanden hätte, verwirkt haben würde.
Was der überlebende Gatte zu dem Gesamtgute ec.
Abs. 2 fällt fort.
§ 1406. Ein anteilsberechtigter Abkömmling kann gegen den überlebenden Ehegatten (24) auf Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft klagen: 1. wenn der überlebende Ehegatte ein Rechtsgeschäft ohne Zustimmung des Abkömmlings vorgenommen hat und eine erhebliche Gefährdung desselben zu besorgen ist; 2. wenn der ec. 3. wenn der ec.
4. wenn der überlebende Ehegatte entmündigt ist oder wenn er ec. 5. wenn der ec.
707
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht § 1409. Auf die Auseinandersetzung finden die Vorschrif- Fällt fort. ten der §§ 1373, 1374, des § 1375 Satz 1 und der §§ 1377 bis 1379 mit der Maßgabe Anwendung, daß an die Stelle des Mannes der überlebende Ehegatte, an die Stelle der Frau die anteilsberechtigten Abkömmlinge treten. Die im § 1374 Abs. 2 Satz 2 bezeichnete Verpflichtung besteht nur für den überlebenden Ehegatten, nicht für die Abkömmlinge.
§ 1409.
3. Errungenschaftsgemeinschaft. § 1420. § 1420. Das eingebrachte Gut wird für (25) Rechnung des Das eingebrachte Gut wird für (25) Rechnung Gesamtguts in der Weise verwaltet, daß die Nut- des Gesamtgutes in der Weise verwaltet, daß die zungen, welche nach den für den Güterstand der Nutzungen zu dem Gesamtgute gehören. Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften dem Manne zufallen, zu dem Gesamtgute gehören. Auf das eingebrachte Gut der Frau finden im Übri- Abs. 2 fällt fort. gen die Vorschriften der §§ 1272 bis 1282, 1289 bis 1316 entsprechende Anwendung. § 1421. § 1421. Vorbehaltsgut der Frau ist, was durch Ehevertrag Abs. 1 fällt fort. für Vorbehaltsgut erklärt ist oder was von der Frau nach Maßgabe der §§ 1268, 1269 erworben wird. Vorbehaltsgut des Mannes oder der Frau ist Vorbehaltsgut des Mannes ist ausgeschlossen. ausgeschlossen. Für das Vorbehaltsgut der Frau gilt das Gleiche Abs. 3 fällt fort. wie für das Vorbehaltsgut bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. § 1424. § 1424. Der eheliche Aufwand fällt dem Gesamtgute zur Der eheliche Aufwand fällt dem Gesamtgute zur Last. Last. Das Gesamtgut trägt auch die Lasten des eingebrachten Gutes beider Ehegatten; der Umfang der Lasten bestimmt sich nach den bei dem Güterstande der Verwaltung und Nutznießung für das eingebrachte Gut der Frau geltenden Vorschriften der §§ 1283 bis 1286. § 1425. Das Gesamtgut haftet für alle Verbindlichkeiten des Mannes, für die Verbindlichkeiten der Frau nur in den Fällen der §§ 1426 bis 1429 (Gesamtgutsverbindlichkeiten).
Das Gesamtgut trägt auch die Lasten des eingebrachten Gutes beider Ehegatten. (Letzter Satz ist zu streichen.)
§ 1425. Das Gesamtgut haftet für alle Verbindlichkeiten des Mannes und der Frau.
Für Verbindlichkeiten der Frau, die Gesamtguts- Die Haftung erlischt, mit der Auflösung ec. (26) verbindlichkeiten sind, haftet der Mann auch persönlich. Die Haftung erlischt, mit der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft, wenn die (26) Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesamtgute zur Last fallen. § 1426. § 1426. Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Fällt fort. Frau, die zu den im § 1424 Abs. 2 bezeichneten Lasten des eingebrachten Gutes gehören.
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Teil 1
§ 1427. Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Fällt fort. Frau, die nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft aus Rechtsgeschäften oder aus gerichtlichen Entscheidungen entstanden sind: 1. wenn die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung des Rechtsstreits mit Zustimmung des Mannes erfolgt oder ohne seine Zustimmung ihm gegenüber wirksam ist oder soweit das Gesamtgut bereichert ist; 2. wenn ein von der Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betriebenes Erwerbsgeschäft die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung des Rechtsstreits mit sich bringt.
§ 1427.
§ 1428. Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft infolge eines ihr zustehenden Rechtes oder des Besitzes einer ihr gehörenden Sache entstanden sind, wenn das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das von der Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betrieben wird. § 1429. Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die ihr auf Grund der gesetzlichen Unterhaltungspflicht ihren Verwandten gegenüber obliegen. (27) § 1431. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen dem Manne zur Last: 1. die vor dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft entstandenen Verbindlichkeiten des Mannes; 2. die Verbindlichkeiten des Mannes, welche der Frau gegenüber aus der Verwaltung ihres eingebrachten Gutes entstanden sind, soweit nicht das Gesamtgut zur Zeit der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft bereichert ist; 3. die Verbindlichkeiten des Mannes aus einer von ihm nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem wegen einer solchen Handlung gegen ihn gerichteten Strafverfahren; 4. die Verbindlichkeiten des Mannes aus einer gerichtlichen Entscheidung über eine der unter Nr. 1 bis 3 bezeichneten Verbindlichkeiten, einschließlich der Verbindlichkeit zur Tragung der Kosten. § 1433. Hat der Mann einem Kinde eine Ausstattung versprochen oder gewährt, so finden die Vorschriften des § 1363 Anwendung.
§ 1428. Fällt fort.
§ 1429. Fällt fort. (27)
§ 1431. Jedem der Ehegatten fallen allein zur Last: 1. die vor dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft entstandenen Verbindlichkeiten eines jeden; 2. die Verbindlichkeiten, welche aus der Verwaltung des eingebrachten Gutes eines jeden der Ehegatten entstanden sind, soweit nicht das Gesamtgut zur Zeit der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft bereichert ist; 3. die Verbindlichkeiten der Ehegatten aus einer von dem einen oder dem andern nach dem Eintritt der Errungenschaftsgemeinschaft begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem wegen einer solchen Handlung gegen den einen oder den andern gerichteten Strafverfahren; 4. die Verbindlichkeiten des Mannes oder der Frau aus einer gerichtlichen Entscheidung ec. § 1433. Fällt fort.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht § 1436. Was ein Ehegatte zu dem Gesamtgut oder was die Frau zu dem eingebrachten Gute des Mannes schuldet, ist erst nach der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld der Frau deren eingebrachtes Gut oder Vorbehaltsgut ausreicht, hat sie die Schuld schon vorher zu berichtigen. (28) Was der Mann aus dem Gesamtgute zu fordern hat, kann er gleichfalls erst nach der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft fordern. § 1437. Die Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt mit der Rechtskraft des Beschlusses ein, durch welchen der Konkurs über das Vermögen des Mannes eröffnet wird. § 1439. Die Frau kann unter den Voraussetzungen des § 1317 Nr. 1, 3, 4 und des § 1366, der Mann kann unter den Voraussetzungen des § 1367 auf Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft klagen.
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§ 1436. Was ein Ehegatte zu dem Gesamtgute oder was ein Ehegatte zu dem eingebrachten Gute des andern schuldet, ist erst nach der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld das eingebrachte Gut oder Vorbehaltsgut des Betreffenden ausreicht, hat er die Schuld schon vorher zu berichtigen. (28) Was einer der Ehegatten aus dem Gesamtgute ec. § 1437. Die Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt mit der Rechtskraft des Beschlusses ein, durch welchen der Konkurs über das Vermögen eines der Ehegatten eröffnet wird. § 1439. Ein Ehegatte kann unter den Voraussetzungen des § 1366 auf Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft klagen.
Die Auflösung tritt mit der Rechtskraft des Urteils Die Auflösung ec. ein. § 1441. § 1441. Nach der Auflösung der Errungenschaftsgemein- Unverändert bis auf: der §§ 1373 bis 1375, 1377 schaft findet in Ansehung des Gesamtguts die und 1378 (1379 fällt fort). Auseinandersetzung statt. Die Auseinandersetzung erfolgt in Ermangelung einer andern Vereinbarung nach den für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften der §§ 1373 bis 1375, 1377 bis 1379. Bis zur Auseinandersetzung bestimmt sich das Rechtsverhältnis der Ehegatten nach den §§ 1370 bis 1372. Auf das eingebrachte Gut der Frau finden die für den Güterstand der Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften der §§ 1320 bis 1323 Anwendung. § 1442. Ist die Errungenschaftsgemeinschaft durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Mannes aufgelöst worden, so kann die Frau auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen. Das gleiche Recht steht, wenn die Gemeinschaft durch Todeserklärung (29) aufgelöst worden ist, dem für tot erklärten Ehegatten zu, falls er noch lebt.
Abs. 2 fällt fort.
§ 1442. Ist die Errungenschaftsgemeinschaft durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines der Ehegatten aufgelöst worden, so kann der andere Ehegatte auf Wiederherstellung ec. Abs. 2 gestrichen. (29)
Ist die Gemeinschaft auf Grund des § 1317 Nr. 3, Abs. 2 fällt fort. 4 aufgelöst worden, so kann der Mann unter den Voraussetzungen des § 1324 Abs. 1 auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen.
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Teil 1
§ 1443. Die Wiederherstellung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein. Die Vorschrift des § 1321 findet entsprechende Anwendung. Dritten gegenüber ist die Wiederherstellung nur nach Maßgabe des § 1334 wirksam.
§ 1443. Die Wiederherstellung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein. Dritten gegenüber ist die Wiederherstellung nur nach Maßgabe des § 1368 Abs. 2 (unserer Fassung) wirksam.
Im Falle der Wiederherstellung wird Vorbehalts- Abs. 2 fällt fort. gut der Frau, was ohne die Auflösung der Gemeinschaft Vorbehaltsgut geblieben oder geworden sein würde.
4. Fahrnisgemeinschaft. § 1448. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist: 1. was durch Ehevertrag für eingebrachtes Gut erklärt ist; 2. was er nach Maßgabe des § 1268 erwirbt, sofern die Bestimmung dahin getroffen ist, daß der Erwerb eingebrachtes Gut sein soll. § 1450. Vorbehaltsgut des Mannes ist ausgeschlossen.
§ 1448. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist: 1. was durch Ehevertrag für eingebrachtes Gut erklärt ist; 2. was er nach Maßgabe der §§ 1340 b) c) erwirbt, sofern die Bestimmung dahin getroffen ist, daß der Erwerb eingebrachtes Gut sein soll. § 1450. Vorbehaltsgut ist ausgeschlossen.
III. Güterrechtsregister. § 1456. § 1456. Die Eintragung erfolgt in den Fällen des § 1257 Die Eintragung erfolgt auf Antrag beider Abs. 2 und des § 1304 Abs. 3 auf Antrag des Man- Ehegatten. nes. In den andern Fällen ist der Antrag beider Ehe- Jeder Ehegatte ist dem andern zur Mitwirkung gatten erforderlich; jeder Ehegatte ist dem andern verpflichtet. Es genügt jedoch der Antrag eines zur Mitwirkung verpflichtet. Es genügt jedoch der der Ehegatten. (30) Antrag eines der Ehegatten. (30)
Sechster Titel. Scheidung der Ehe. Im Entwurfe ist die Scheidung der Ehe gegen früher erschwert; denn es fehlt der im heutigen Recht erlaubte Scheidungsgrund, welcher Ehegatten gestattet, sich bei unüberwindlicher Abneigung zu trennen. Wenn in den Motiven gesagt wird, daß durch Erschwerung der Trennung die Unverletzlichkeit der Ehe und die Moral geschützt werden soll, so ist es nach unserer Meinung unmoralisch, Ehegatten, die den inneren Zusammenhang völlig verloren haben, durch das Gesetz an einander zu fesseln. Auch auf die Erziehung der Kinder kann eine zerrüttete Ehe nicht gedeihlich wirken.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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§ 1460. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich des Ehebruchs oder einer nach den §§ 171, 175 des Strafgesetzbuchs strafbaren Handlung schuldig gemacht hat.
§ 1460. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich des Ehebruchs oder einer nach den §§ 171, 173 bis 182 (einschließlich) des Strafgesetzbuchs strafbaren Handlung schuldig gemacht hat. Das Recht des Ehegatten Das Recht des Ehegatten auf Scheidung ist ausge- ec. schlossen, wenn er dem Ehebruch oder der straf§ 1460 b. baren Handlung zugestimmt oder sich der Teilnah- Ein Ehegatte kann nur Scheidung klagen, wenn me schuldig gemacht hat. der andere wegen Trunksucht entmündigt ist. § 1460 c. Eine Ehe kann auch auf gegenseitige Uebereinkunft der Ehegatten geschieden werden.
Wir beantragen „auf gegenseitige Übereinkunft“ und nicht nur „unüberwindliche Abneigung“, weil wir die Ansicht vertreten, daß Ehezerwürfnisse oft – sogar meist – so heikler Natur sind, daß sie besser nicht öffentlich Dritten gegenüber verhandelt werden, und es dem Richter genügen muß, wenn beide Theile eine Auflösung wünschen. Die inneren seelischen Vorgänge, die bei einer Ehescheidung meist in Betracht kommen, kann doch der Richter niemals mit- und nachempfinden. Die Ausnahmefälle, wo in frivoler Weise von diesem Recht Gebrauch gemacht werden könnte, dürfen bei dem moralischen Bedürfnis nach der andern Seite nicht ins Gewicht fallen. (31) § 1463. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegalten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt insbesondere grobe Mißhandlung. § 1473. Ist der allein für schuldig erklärte Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande, ohne Gefährdung seines eigenen standesmäßigen Unterhalts dem andern Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so ist er berechtigt, von den zu seinem Unterhalte verfügbaren Einkünften zwei Drittheile oder, wenn diese zu seinem notdürftigen Unterhalte nicht ausreichen, so viel zurückzubehalten, als zu dessen Bestreitung erforderlich ist.
§ 1463. Ein Ehegatte ec. – Als schwere Verletzung der Pflichten gilt insbesondere Mißhandlung und grobe Ehrverletzung.
§ 1473. Ist der allein ec. – gewähren, so ist er verpflichtet, die für die Zwecke des Unterhalts verfügbaren Einkünfte gleichmäßig mit dem unschuldigen Ehegatten zu teilen.
Der Mann ist der Frau gegenüber unter den Vor- Der Mann ist der Frau ec. aussetzungen des Abs. 1 von der Unterhaltungspflicht ganz befreit, wenn die Frau den Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann.
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Teil 1
§ 1478. § 1478. Die geschiedene Frau behält den Familiennamen Die geschiedene Frau behält den Familiennades Mannes. men des Mannes. Ist die Frau allein für schuldig erklärt, so verliert sie den Familiennamen des Mannes und erhält ihren Familiennamen wieder, wenn der Mann ihr die Fortführung seines Namens untersagt und der zuständigen Behörde hiervon Anzeige macht.
Ist die Frau allein für schuldig erklärt, so kann der Mann beantragen, daß ihr die Fortführung seines Namens gerichtlich untersagt wird. In diesem Falle erhält sie ihren Familiennamen wieder und ist der zuständigen Behörde Anzeige zu machen.
Ist die Frau nicht oder nicht allein für schuldig erklärt, so kann sie ihren Familiennamen oder, sofern sie vor der (32) Eingehung der geschiedenen Ehe verheiratet war, den zur Zeit der Eingehung dieser Ehe geführten Namen wieder annehmen. Die Annahme erfolgt durch Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. § 1479. Solange die geschiedenen Ehegatten leben, steht die Sorge für die Person der gemeinschaftlichen Kinder, wenn nur einer der Ehegatten für schuldig erklärt ist, dem andern Ehegatten zu. Sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für die Söhne unter sechs Jahren und für die Töchter der Mutter, für die Söhne über sechs Jahre dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann eine abweichende Anordnung treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse der Kinder geboten ist; die Anordnung kann aufgehoben werden, wenn das Interesse der Kinder die Aufrechterhaltung nicht mehr erfordert.
Ist die Frau nicht oder ec. (32)
§ 1479. Solange die geschiedenen Ehegatten leben, steht die elterliche Gewalt über ihre gemeinschaftlichen Kinder, wenn nur einer der Ehegatten für schuldig erklärt ist, dem andern Ehegatten zu. Sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die elterliche Gewalt über die Söhne unter sechs Jahren und über die Töchter der Mutter, über die Söhne über sechs Jahre dem Vater ec. – erfordert.
Die Sorge für die Person im Sinne des Abs. 1 um- Abs. 2 fällt fort. faßt nicht die Vertretung der Kinder. Im Übrigen werden die sich aus der elterlichen Im Übrigen ec. Gewalt ergebenden Rechte und Pflichten durch die Scheidung nicht berührt. § 1480. § 1480. Der Ehegatte, welchem nach § 1473 die Sorge für Der Ehegatte, welchem nach § 1473 die elterlidie Person eines Kindes nicht zusteht, behält die che Gewalt über die Person eines Kindes ec. Befugnis, mit dem Kinde persönlich zu verkehren. Das Vormundschaftsgericht kann den Verkehr näher regeln.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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§ 1481. Die Frau hat aus den Einkünften ihres Vermögens sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsge-(33)schäfts dem Manne einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des von ihm einem gemeinschaftlichen Kinde zu gewährenden Unterhalts zu leisten, soweit nicht die Kosten des Unterhalts durch die ihm am Vermögen des Kindes zustehende Nutznießung gedeckt werden. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.
§ 1481. Beiden Ehegatten liegen, ganz so als wäre die Ehe nicht geschieden, die Kosten des Unterhalts und der Erziehung der (33) Kinder ob. Dafür steht ihnen das nach § 1540 durch die elterliche Gewalt begründete Recht der Nutznießung an dem Vermögen der Kinder zu. Der Beitrag, den der eine Ehegatte für den Unterhalt und die Erziehung der bei dem andern Ehegatten verbliebenen Kinder zu entrichten hat, ist, wenn die Ehegatten sich nicht anders darüber vereinbaren, gerichtlich zu bestimmen und vierteljährSteht der Frau die Sorge für die Person des Kindes lich voraus zu bezahlen. zu und ist eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts des Kindes für die Zukunft zu besorgen, so kann die Frau den Beitrag zur eigenen Verwendung insoweit zurückbehalten, als zur Bestreitung des Unterhalts erforderlich ist.
Zweiter Abschnitt. Verwandtschaft. Zweiter Titel. Unterhaltungspflicht. § 1499. § 1499. Soweit die Unterhaltungspflicht einer Frau ihren Abs. 1 fällt fort. (34) Verwandten gegenüber davon abhängt, daß sie zur Gewährung des Unterhalts im stande ist, kommt die dem Manne am eingebrachten Gute zustehende Verwaltung und Nutznießung nicht in Betracht. Besteht allgemeine Gütergemeinschaft, Errungenschafts- oder Fahrnisgemeinschaft, so bestimmt sich die Unterhaltspflicht des Mannes oder der Frau Verwandten gegenüber so, wie wenn das Gesamtgut dem unterhaltspflichtigen Ehegatten gehörte. Bei der Bemessung des von einem Ehegatten aus dem Gesamtgut zu gewährenden Unterhalts sind die unterhaltsberechtigten Verwandten des andern Ehegatten in gleicher Weise zu berücksichtigen, wie (34) wenn sie in demselben Verwandtschaftsverhältnisse zu dem unterhaltspflichtigen Ehegatten ständen.
Da der Frau Verwaltung und Nutznießung ihres Vermögens zufallen soll, hat sie auch ohne Einschränkung der Unterhaltungspflicht ihren Verwandten gegenüber nachzukommen.
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Teil 1
Dritter Titel. Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ehelichen Kindern. Bei der Überschrift ist das „ehelichen“ vor Kindern zu streichen, da die uneheliche Mutter nach unserm Prinzip auch die elterliche Gewalt haben soll. II. Elterliche Gewalt. Wir empfinden es als eine Ungerechtigkeit, daß in dem Entwurfe die elterliche Gewalt in eine „elterliche“ Gewalt des Vaters und eine „elterliche“ Gewalt der Mutter geteilt wird. Wir beantragen eine elterliche Gewalt, wie sie der Name ausdrückt, d. h. gleiche Gewalt des Vaters und der Mutter. § 1521. § 1521. Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter Das Kind ec. elterlicher Gewalt. Abs. 2. Die elterliche Gewalt steht, solange beide Eltern am Leben sind, den Eltern gemeinsam zu. Wenn eines der Eltern gestorben ist, so steht die elterliche Gewalt dem überlebenden Teile allein zu. § 1522. § 1522. Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Die Eltern haben kraft ihrer u. s. w. Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen. § 1524. § 1524. Steht die Sorge für die Person oder für das Ver- Steht die Sorge ec. – so entscheidet bei einer mögen des Kindes einem Pfleger zu, so entschei- Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern det bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen und dem Pfleger ec. (35) dem Vater und dem Pfleger über die Vornahme einer sowohl die Person als das Vermögen des Kindes betreffenden Handlung das Vormundschaftsgericht. (35) § 1525. § 1525. Die Sorge für die Person und das Vermögen Die Sorge ec. umfaßt die Vertretung des Kindes. Die Vertretung steht dem Vater insoweit nicht zu, Die Vertretung steht den Eltern ec. – ist. Das als nach § 1675 ein Vormund von der Vertretung Vormundschaftsgericht kann den Eltern ec. des Mündels ausgeschlossen ist. Das Vormundschaftsgericht kann dem Vater nach § 1676 die Vertretung entziehen. § 1526. § 1526. Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Die Sorge ec. Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts ange- Die Eltern können ec. – anwenden. Auf ihren messene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Antrag hat das Vormundschaftsgericht sie durch Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ec. ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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§ 1527. Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Recht, die Herausgabe des Kindes von Jedem zu verlangen, der es dem Vater widerrechtlich vorenthält. § 1529. Neben dem Vater hat während bestehender Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie jedoch nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor. § 1530. Das Recht und die Pflicht, für das Vermögen des Kindes zu sorgen (Vermögensverwaltung), erstreckt sich nicht auf das Vermögen, welches das Kind von Todeswegen erwirbt oder welches ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn (36) der Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb der Verwaltung des Vaters entzogen sein soll.
§ 1527. Die Sorge ec. – verlangen, der es den Eltern widerrechtlich vorenthält.
Was das Kind auf Grund eines zu diesem Vermögen gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu diesem Vermögen gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf dieses Vermögen bezieht, ist gleichfalls der Verwaltung des Vaters entzogen. § 1531. Was das Kind von Todeswegen erwirbt ober was ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, hat der Vater nach den Anordnungen des Erblassers oder des Dritten zu verwalten, wenn die Anordnungen von dem Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, von dem Dritten bei der Zuwendung getroffen worden sind. Der Vater darf von den Anordnungen insoweit abweichen, als es nach § 1683 Abs. 2, 3 einem Vormunde gestattet ist. § 1532. Der Vater kann in Vertretung des Kindes Schenkungen nicht machen. Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird. § 1533. Der Vater hat das seiner Verwaltung unterliegende Geld des Kindes, unbeschadet der Vorschrift des § 1544, nach den für die vormundschaftliche Verwaltung geltenden Vorschriften der §§ 1687, 1688, 1690 verzinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist, die (37) zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich sind und dem Kinde zur Last fallen.
Was das Kind ec. – Verwaltung der Eltern entzogen.
§ 1529. Die Ausübung des elterlichen Rechtes erfolgt, so lange beide Eltern am Leben sind, durch beide Eltern gemeinschaftlich. Streitfälle entscheidet das zuständige Vormundschaftsgericht. § 1530. Das Recht ec. –, daß der Erwerb der Verwaltung der Eltern ec. (36)
§ 1531. Was das Kind ec. – wird, hat der Vater oder die Mutter nach ec. – getroffen worden sind. Der Vater oder die Mutter darf ec.
§ 1532. Die Eltern können ec.
§ 1533. Der Vater und die Mutter haben das ihrer Verwaltung ec. (37)
716 § 1534. Zu Rechtsgeschäften für das Kind bedarf der Vater der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in den Fällen, in welchen nach § 1701 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 und nach 3 1702 Nr. 1, 2, 4, 9 bis 12 ein Vormund der Genehmigung bedarf. Die Vorschriften der §§ 1703, 1708 bis 1711 finden entsprechende Anwendung. § 1535. Der Vater kann Gegenstände, zu deren Veräußerung die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist, dem Kinde nicht ohne diese Genehmigung zur Erfüllung eines von dem Kinde geschlossenen Vertrags oder zu freier Verfügung überlassen. § 1536. Der Vater soll nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ein neues Erwerbsgeschäft im Namen des Kindes beginnen. § 1537. Erwirbt der Vater mit Mitteln des Kindes bewegliche Sachen, so geht mit dem Erwerbe das Eigentum auf das Kind über, es sei denn, daß der Vater nicht für Rechnung des Kindes erwerben wollte. Dies gilt insbesondere auch von Inhaberpapieren und von Orderpapieren, die mit Blankoindossament versehen sind.
Teil 1 § 1534. Zu Rechtsgeschäften für das Kind bedürfen die Eltern ec.
§ 1535. Die Eltern können Gegenstände ec.
§ 1536. Die Eltern sollen nicht ec. § 1537. Erwerben die Eltern ec. –, daß die Eltern nicht für Rechnung des Kindes erwerben wollten. Dies ec.
Die Vorschriften des Abs. 1 finden entsprechende Anwendung, wenn der Vater mit Mitteln des Kindes ein Recht an Sachen der bezeichneten Art oder ein anderes Recht erwirbt, zu dessen Übertragung der Abtretungsvertrag genügt. (38) § 1538. Die Vermögensverwaltung des Vaters endigt mit der Rechtskraft des Beschlusses, durch welchen der Konkurs, über das Vermögen des Vaters eröffnet wird.
Die Vorschriften ec. –, wenn die Eltern ec. – erwerben, ec. (38)
Nach der Aufhebung des Konkurses kann das Vormundschaftsgericht die Verwaltung dem Vater wieder übertragen. § 1539 Werden von dem Vater bei der Sorge für die Person oder das Vermögen des Kindes Aufwendungen gemacht oder Verbindlichkeiten eingegangen, so stehen dem Vater gegenüber dem Kinde die gleichen Rechte zu, wie nach § 1289 dem Manne gegenüber der Frau.
Nach der Aufhebung ec. – die Verwaltung demselben wieder übertragen.
§ 1538. Die Vermögensverwaltung desjenigen der Eltern endigt ec. – über dessen Vermögen eröffnet ist.
§ 1539. Machen die Eltern zum Zwecke der Verwaltung des Kindervermögens Aufwendungen, welche sie den Umständen nach für erforderlich halten durften, so ist das Kind zum Ersatze verpflichtet. Gehen die Eltern zu diesem Zwecke eine Verbindlichkeit ein, welche sie den Umständen nach für erforderlich halten dürfen, so ist das Kind verpflichtet, sie von der Verbindlichkeit zu befreien. Es kann jedoch, wenn die Verbindlichkeit noch nicht fällig ist, statt sie zu befreien, Sicherheit leisten. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, soweit die Eltern dem Kinde gegenüber verpflichtet sind, die Aufwendungen und Verbindlichkeiten selbst zu tragen.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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§ 1542. § 1542. Freies Vermögen ist: Freies ec. 1. was das Kind durch seine Arbeit oder durch den 1. was das Kind ec. – ihm von den Eltern ec. ihm vom Vater nach § 86 gestatteten selbständi- (39) gen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwirbt; 2. was das Kind von Todeswegen erwirbt oder was ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgelt-(39)lich zugewendet wird, wenn der Erblasser, durch Verfügung von Todeswegen, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß das Vermögen der Nutznießung entzogen sein soll. Die Vorschriften des § 1530 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. § 1543. § 1543. Der Vater erwirbt die Nutzungen des seiner Nutz- Die Eltern erwerben Nutzungen des ihrer ec. nießung unterliegenden Vermögens in derselben Weise und in demselben Umfange wie ein Nießbraucher. § 1544. § 1544. Der Vater darf unbrauchbare Sachen, die zu dem Die Eltern dürfen ec. machen die Eltern von seiner Nutznießung unterliegenden Vermögen ge- dieser Befugnis Gebrauch, so haben sie ec. hören, für sich veräußern oder verbrauchen, Geld jedoch nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Macht der Vater von dieser Befugnis Gebrauch, so hat er den Wert der Sachen nach der Beendigung der Nutznießung zu ersetzen; der Ersatz ist schon vorher zu leisten, wenn die ordnungsmäßige Verwaltung des Vermögens es erfordert.
In den folgenden Paragraphen 1545, 1546, 1559 ist stets in derselben Weise statt Vater Eltern zu setzen. § 1560. Will der Vater zu einer neuen Ehe schreiten, so hat er seine Absicht dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen, auf seine Kosten ein Verzeichnis des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen und, soweit in Ansehung dieses Vermögens eine Gemeinschaft zwischen ihm und dem Kinde besteht, die Auseinandersetzung herbeizuführen. Das Vormundschaftsgericht kann gestatten, daß die Auseinandersetzung erst nach der Eheschließung erfolgt. (40) § 1561. Werden von dem Vater die nach den §§ 1558, 1559 getroffenen Anordnungen nicht befolgt oder die nach § 1560 ihm obliegenden Verpflichtungen nicht erfüllt, so kann ihm das Vormundschaftsgericht die Vermögensverwaltung entziehen. Andere Maßregeln sind zur Erzwingung der Sicherheitsleistung nicht zulässig.
§ 1560. Will der Vater oder die Mutter zu einer neuen Ehe schreiten, so hat der Betreffende ec. (40)
§ 1561. Werden von den Eltern ec. –, so kann ihnen das Vormundschaftsgericht ec.
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Teil 1
§ 1565. § 1565. Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn er Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn er geschäftsunfähig ist. geschäftsunfähig ist, und wird allein auf die Mutter übertragen. Dasselbe gilt von der elterliDas Gleiche gilt, wenn der Vater in der Geschäfts- chen Gewalt der Mutter, wenn sie geschäftsunfähigkeit beschränkt ist oder wenn er nach § 1772 fähig ist. einen Vormund erhalten hat; es steht ihm jedoch neben dem gesetzlichen Vertreter die Sorge für die Das Gleiche gilt, wenn der Vater oder die Person des Kindes in gleicher Weise zu wie nach Mutter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, § 1529 der Mutter neben dem Vater. oder wenn eins der Eltern einen Vormund erhalten hat. Es steht jedoch dem Betreffenden neben dem gesetzlichen Vertreter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, zu. Zur Vertretung des Kindes ist der Betreffende jedoch nicht berechtigt. § 1566. Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt wird, daß der Vater auf längere Zeit an der Ausübung der elterlichen Gewalt thatsächlich verhindert ist und der Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes durch die Anordnung einer Pflegschaft nicht genügt werden kann. Das Ruhen endigt, wenn von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt wird, daß der Grund nicht mehr besteht. (41) § 1567. Dem Vater verbleibt, auch wenn seine elterliche Gewalt ruht, unbeschadet der Vorschrift des § 1573 Abs. 2, die Nutznießung am Vermögen des Kindes. § 1568. Die elterliche Gewalt des Vaters endigt, wenn er für tot erklärt wird. mit dem Zeitpunkte, welcher als Zeitpunkt des Todes gilt. Lebt der Vater noch, so erlangt er die elterliche Gewalt dadurch wieder, daß er dem Vormundschaftsgerichte seinen hierauf gerichteten Willen erklärt. § 1569. Der Vater verwirkt die elterliche Gewalt, wenn er wegen eines an dem Kinde begangenen Verbrechens oder vorsätzlich verübten Vergehens zu Zuchthausstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird. Ist wegen des Zusammentreffens mit einer andern strafbaren Handlung auf eine Gesamtstrafe erkannt, so entscheidet die Einzelstrafe, welche für das an dem Kinde begangene Verbrechen oder Vergehen verwirkt ist. Die Verwirkung der elterlichen Gewalt tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein. § 1570. Endigt oder ruht die elterliche Gewalt des Vaters oder hört auch nur seine Vermögensverwaltung auf, so hat er dem Kinde das Vermögen herauszugeben und über die Verwaltung Rechenschaft abzulegen.
§ 1566. Die elterliche Gewalt des Vaters beziehentlich der Mutter ruht, wenn ec. wird, daß der betreffende Inhaber derselben auf längere Zeit ec. (41)
§ 1567. Jedem der Ehegatten verbleibt, auch wenn seine elterliche Gewalt ruht, die Nutznießung am Vermögen des Kindes. § 1568. Die elterliche Gewalt jedes Inhabers derselben endigt, wenn er für tot erklärt wird ec. Lebt der betreffende Inhaber derselben noch, so ec. § 1569. Jeder Inhaber der elterlichen Gewalt verwirkt dieselbe, wenn u. s. w.
§ 1570. Endigt oder ruht die elterliche Gewalt oder hört auch nur die Vermögensverwaltung auf, so ist dem Kinde u. s. w.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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§ 1571. § 1571. Der Vater ist auch nach der Beendigung der elter- Die Eltern sind auch – bis sie ec. erlangt haben lichen Gewalt zur Fortführung der mit der Sorge oder diese Thatsache hätten kennen müssen. Ein für die Person und das Vermögen des Kindes ver- Dritter u. s. w. – müssen. (42) bundenen Geschäfte berechtigt, bis er von der die Beendigung bewirken-(42)den Thatsache Kenntnis erlangt hat oder diese Thatsache hätte kennen müssen. Ein Dritter kann sich auf diese Berechtigung nicht berufen, wenn er bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts die Beendigung der elterlichen Gewalt gekannt hat oder hätte kennen müssen. Endigt die elterliche Gewalt infolge des Todes des Endet die ec., so haben die Eltern diejenigen ec. Kindes, so hat der Vater diejenigen Geschäfte, mit deren Aufschube Gefahr verbunden sein würde, zu besorgen, bis die Erben anderweit Fürsorge treffen können.
Die Paragraphen 1572–1586 über die elterliche Gewalt der Mutter fallen fort. Vierter Titel. Rechtliche Stellung der Kinder aus ungültigen Ehen. § 1589. War dem Vater die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung bekannt, so hat er nicht die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte. Die elterliche Gewalt über die Kinder steht der Mutter zu.
§ 1589 und § 1590. Derjenige Teil, dem bei der Eheschließung die Nichtigkeit der Ehe bekannt war, verliert die sich aus der Elternschaft ergebenden Rechte. Die elterliche Gewalt steht dem unschuldigen Teile allein zu. Der Schuldige hat nur die § 1590. Pflichten und Rechte, welche ihm im Falle der War der Mutter die Nichtigkeit der Ehe bei der Ehescheidung als dem allein für schuldig ErEheschließung bekannt, so hat sie in Ansehung der klärten zustehen. (43) Kinder nur diejenigen Rechte, welche im Falle der Ehescheidung der allein für schuldig erklärten Frau zustehen. Stirbt der Vater oder endigt seine elterliche Gewalt aus einem anderen Grunde, so hat die Mutter nur das Recht und die Pflicht, für die Person der Kinder zu sorgen; zur Vertretung der Kinder ist sie jedoch nicht berechtigt. Der Vormund der Kinder hat ihr gegenüber die Stellung eines Beistandes. Die Vorschriften des Abs. 2 finden (43) auch dann Anwendung, wenn die elterliche Gewalt des Vaters nach § 1565 Abs. 1 oder nach § 1566 ruht.
Fünfter Titel. Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder. Der Entwurf stellt sich bei dieser Frage auf den Standpunkt, daß die Sittlichkeit gehoben wird, wenn die Frau allein von den Folgen der Unsittlichkeit getroffen wird. Das Kind soll nach dem Entwurfe nur den Namen der Mutter führen und nur der Familie der Mutter zugehören (1. Titel Natürliche Personen § 15 Abs. 2: Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft).
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Dadurch wird aber nicht bloß die Mutter, sondern auch das unschuldige uneheliche Kind vor der Welt gebrandmarkt, während der Vater unbekannt bleibt und nur kärgliche Alimente an Mutter und Kind zu zahlen hat. Aber auch dieser Pflicht kann er sich entziehen, wenn er beweisen kann, daß die Mutter in der gesetzlich festgesetzten Zeit auch noch anderen angehört hat. In diesem Falle wird also von einer meist den ungebildeten Kreisen entstammenden Frau eine Treue verlangt, welche sie von dem Manne nie erwarten kann und welche er ihr in den meisten Fällen auch nicht zu bieten beabsichtigt, und das unschuldige Kind wird mit der schuldigen Mutter dem Elend preisgegeben, während der ebenso schuldige Vater frei ausgeht. Dadurch, daß die an Mutter und Kind zu zahlenden Alimente so klein bemessen werden, glaubt der Gesetzgeber, die Unsittlichkeit in ihrer Entfaltung hindern zu können, läßt aber unbeachtet, daß, wenn das Übel bei seiner Wurzel gefaßt werden soll, nicht einseitig die Mutter und mit ihr das Kind die Strafe tragen dürfen, sondern auch der Mann als der ebenso schuldige Teil wenigstens in etwas die Schwere der Folgen seines Vergehens empfinden muß. – Wer wollte es leugnen, daß vom jugendlichen Knaben- bis zum spätesten Mannesalter in allen Gesellschaftskreisen Unmoralität das männliche Geschlecht beherrscht, das sich, da das Gesetz sie gut heißt, auch keinem Zwange unterwirft! Der Prozentsatz der unsittlichen Männer ist daher weit größer als (44) der der unsittlichen Frauen. Der Entwurf hat es mithin auf die Bestrafung der Minderheit der Frauen gegenüber der straflos ausgehenden Überzahl der Männer abgesehen und wird deshalb keinen Einfluß auf die Hebung der Sittlichkeit gewinnen. Immerhin aber wird nach dem Entwurfe das unschuldige Kind am härtesten getroffen, indem man ihm 1. den Vatersnamen, 2. die Verwandtschaft mit der väterlichen Familie (Erb-Ansprüche), 3. eine den Einkünften des Vaters angemessene Erziehung entzieht. Wir verlangen deshalb zur Hebung der Sittlichkeit beider Geschlechter folgende Abänderung der einschlägigen Paragraphen, bei welcher wir einige Paragraphen über Legitimation durch Ehelichkeitserklärung (welcher Titel [§§ 1610– 1624] dann ganz fortfallen könnte) hinzugezogen und andere neu angefügt haben. § 1594 soll geändert zu 1593 werden § 1593 soll geändert zu 1594 werden, also:
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§ 1594. Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen der Mutter. Führt die Mutter infolge ihrer Verheiratung einen anderen Namen, so erhält das Kind den Familiennamen, welchen die Mutter vor der Verheiratung geführt hat. § 1593. Das uneheliche Kind hat im Verhältnisse zur Mutter und zu den Verwandten der Mutter die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. (Mit Hinzunahme des § 1621 aus dem Titel Legitimation durch Ehelichkeitserklärung.)
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§ 1593. Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen des Vaters, den der Mutter nur, wenn der Vater nicht festgestellt werden kann. Wird der Vater nicht festgestellt und führt die Mutter infolge ihrer Verheiratung ec. § 1594. Das uneheliche – Kindes. Ist der Vater festgestellt, so hat es auch diesem und seinen Verwandten gegenüber die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes.
Die Wirkungen der Ehelichkeitserklärung erstrecken sich auf die Abkömmlinge des Kindes, nicht auf die Verwandten des Vaters. Die Frau des Vaters ist nicht mit dem Kinde, der Ehegatte des Kindes ist nicht mit dem Vater verschwägert. (45) Der unehelichen Mutter steht die elterliche Gewalt zu.
Die Feststellung der Vaterschaft wirkt auch zu Gunsten der Abkömmlinge des Kindes und gegen die Verwandten des Vaters. Die Feststellung der Vaterschaft kann auch nach dem Tode des Vaters erfolgen und hat (45) dann die gleiche Wirkung, als ob sie bei seinen Lebzeiten erfolgt wäre.
Die zwischen dem Kinde und seinen Verwandten durch die Verwandtschaft begründeten Rechte und Pflichten bleiben unberührt, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein Anderes ergiebt. § 1595. Der Mutter steht nicht die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind zu. Sie hat jedoch unter den im § 1590 Abs. 2 bestimmten Beschränkungen das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
Die Frau des Vaters ist nicht mit dem Kinde verwandt. § 1595. Der unehelichen Mutter steht die elterliche Gewalt zu.
Der § 1557 schützt das Kind genügend gegen etwaigen Mißbrauch der elterlichen Gewalt, ebenso wie er die ehelichen Kinder gegen den nur allzu häufigen Mißbrauch der elterlichen Gewalt z.B. eines Trunkenbolds von Vater schützen muß. Auch dem unehelichen Vater die elterliche Gewalt zu geben, würde bei der Stellung beider Eltern zu einander unangebracht sein.
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§ 1596. Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zu dessen vollendetem sechszehnten Lebensjahre den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe. Der Vater ist vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten des Kindes unterhaltspflichtig. (Mit Hinzunahme des § 1623 aus dem Titel Legitimation durch Ehelichkeitserklärung.)
§ 1596. Der festgestellte Vater des unehelichen Kindes hat den Unterhalt desselben bis zu dem Zeitpunkte zu tragen, wo das Kind sich thatsächlich dauernd entsprechend dem väterlichen Stande ernähren kann. Der Unterhalt richtet sich nach der Lebensstellung des Vaters und umfaßt den gesamten Lebensbedarf ec.– Berufe. Die Mutter hat einen ihrer Vermögenslage entsprechenden Beitrag zuzusteuern.
Der Vater ist dem Kinde und dessen Abkömmlingen vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet.
Der festgesetzte Vater des unehelichen Kindes ist dem Kinde und dessen Abkömmlingen ebenso wie die uneheliche Mutter vor den väterlichen und mütterlichen Verwandten zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet.
(§ 1624.) Will der Vater eine Ehe eingehen, während er die elterliche Gewalt über das Kind hat, so finden die Vorschriften der §§ 1560 bis 1562 Anwendung. (46) § 1599. Der Unterhaltsanspruch erlischt nicht mit dem Tode des Vaters; er kann geltend gemacht werden, auch wenn der Vater vor der Geburt des Kindes gestorben ist.
Abs. 2 fällt fort.
Will der Vater oder die Mutter eines unehelichen Kindes eine Ehe eingehen, so finden bezüg-(46)lich des Verhältnisses zu dem unehelichen Kinde die Vorschriften der §§ 1560 bis 1562 (unserer Fassung) Anwendung. § 1599.
Die Erben des Vaters sind berechtigt, das Kind mit Abs. 2 fällt fort. dem Betrag abzufinden, welcher dem Kinde im Falle seiner Ehelichkeit als Pflichtteil gebühren würde. Sind mehrere uneheliche Kinder vorhanden, so wird die Abfindung so berechnet, wie wenn sie alle ehelich wären.
weil das uneheliche Kind dieselben Erbansprüche an den Vater haben soll, wie das eheliche. § 1600. Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tode des Kindes, soweit er nicht auf Erfüllung oder Entschädigung wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf solche im Voraus zu bewirkende Leistungen gerichtet ist, die zur Zeit des Todes des Kindes bereits fällig waren. Die Kosten der Beerdigung sind von dem Vater zu Abs. 2 fällt fort. tragen, soweit ihre Bezahlung von dem Erben des Kindes nicht zu erlangen ist.
§ 1600.
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§ 1602. § 1602. Der Vater ist verpflichtet, der Mutter die Kosten Der Vater ec.– nach der Entbindung unter der Entbindung und die Kosten des Unterhalts für Zugrundelegung eines mittleren Maßstabes zu die ersten sechs Wochen nach der Entbindung in- ersetzen. Den ec. (47) nerhalb der Grenzen der Notdurft zu ersetzen. Den gewöhnlichen Betrag dieser Kosten kann die Mutter ohne Rücksicht auf den wirklichen Aufwand verlangen. (47) Der Anspruch kann geltend gemacht werden, auch wenn der Vater vor der Geburt des Kindes gestorben oder wenn das Kind tot geboren ist. Der Anspruch verjährt in vier Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ablaufe von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes. § 1604 Als Vater des unehelichen Kindes im Sinne der §§ 1596 bis 1603 gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat, es sei denn, daß auch ein Anderer ihr innerhalb dieser Zeit beigewohnt hat. Eine Beiwohnung bleibt jedoch außer Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat.
§ 1604. Als ec. – beigewohnt hat Ist festzustellen, daß mehrere der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt haben, so verliert sie die ihr nach § 1602 (unserer Fassung) eingeräumten Rechte. Die Rechte des Kindes bleiben gegen Jeden, der der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat, bestehen. Die Mutter verliert ihre elterliche Gewalt. Das Vormundschaftsgericht hat für die Vertretung und Sorge Als Empfängniszeit gilt die Zeit von dem einhun- des Kindes einen Vormund zu bestellen. Als derteinundachtzigsten bis zu dem dreihundertund- Empfängniszeit ec. zweiten Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes, mit Einschluß sowohl des einhunderteinundachtzigsten als des dreihundertundzweiten Tages.
Daß die Rechte des Kindes einem Jeden gegenüber in Anspruch genommen werden sollen, wurde in den Verhandlungen über diesen Paragraphen in der Gesetzgebungskommission nur mit kleiner Überzahl überstimmt. (Sachsen besonders trat dafür ein.) Wenn die geringe Mehrheit bei der Debatte über die Zulassung der exeptio plurium concumbentium (11 gegen 8 Stimmen) sich auf die in den größeren Staaten gemachten Erfahrungen für die Zulassung derselben beruft, so kann damit nur die Erfahrung gemeint sein, daß es für den Mann bei weitem das Bequemere und Vorteilhaftere ist, der hier völlig schutzlosen – nicht einmal immer ganz verworfenen – Frau alle Schwere der Folgen allein aufzubürden und sich der Alimentation eines unehelichen Kindes, wenn es irgend angeht, zu entziehen, um so ungehinderter und mehr seinen unmoralischen Neigungen folgen zu können. (48) Der etwaigen Einwendung, eine unmoralische Frau würde durch die standesgemäße Alimentation des Kindes eines ausgewählten wohlhabenden Vaters zu erwerbsmäßiger Unmoralität verleitet werden, begegnen wir mit dem Hinweise auf unsere Fassung des § 1604. Das Vormundschaftsgericht könnte danach das Kind der Mutter nehmen und sie würde in keiner Weise von der günstigen pekuniären Lage des Kindes Vorteil ziehen.
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§ 1605. Wer seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes Fällt fort. in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat, kann sich nicht darauf berufen, daß ein Anderer der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt habe.
§ 1605.
Hinzuzufügen wären noch folgende Paragraphen: 1) Hat der Vater freiwillig das Kind als das Seinige erkannt, so steht ihm in Gemeinschaft mit der Mutter das Recht der Erziehung zu. 2) Ist die Feststellung der Vaterschaft im Rechtswege erfolgt, so verliert der Vater seine Rechte. (§ 1731 des Entwurfs.)
Sechster Titel. Legitimation unehelicher Kinder durch nachfolgende Ehe. § 1606. Ein uneheliches Kind erlangt dadurch, daß der Vater sich mit der Mutter verheiratet, von der Eheschließung an die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. § 1607. Der Ehemann der Mutter gilt als Vater des Kindes, wenn er innerhalb der im § 1604 Abs. 2 bestimmten Empfängniszeit beigewohnt hat, es sei denn, daß es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter (49) das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat.
§ 1606. Heiratet der außereheliche Vater die außereheliche Mutter, so erlangt er dadurch über das Kind alle Rechte der elterlichen Gewalt. § 1607. Fällt fort, (49)
Hat der Ehemann seine Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde anerkannt, so wird vermutet, daß er der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt habe.
Weil er nur die exc. plurium ausschließen will, die wir ganz eliminieren. Siebenter Titel. Annahme an Kindesstatt. § 1629. Ein eheliches Kind kann nur mit Einwilligung seiner Eltern, ein uneheliches Kind kann nur mit Einwilligung seiner Mutter an Kindesstatt angenommen werden. Die Vorschrift des § 1627 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. Die Einwilligung ist nicht erforderlich, wenn das Kind das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat.
§ 1629. Ein eheliches Kind – Eltern, ein uneheliches Kind, dessen Vater nicht festgestellt, oder dessen Vater zur Vaterschaftserklärung im Prozeßwege verurteilt worden ist, kann nur mit Einwilligung seiner Mutter ec.
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Dritter Abschnitt. Vormundschaft Erster Titel. Vormundschaft über Minderjährige. I. Anordnung der Vormundschaft. In diesem Abschnitt des Entwurfs wenden wir uns in erster Linie gegen den darin ausgesprochenen Grundsatz, daß eine Frau von dem Vormundschaftsgericht nicht zur Vormundschaft berufen werden soll. Gestattet wird ihr zwar, Vormünderin über ihre Kinder und Enkel zu sein, auch darf sie testamentarisch von Dritten für fremde Kinder zur Vormundschaft berufen werden, aber stets bedarf sie, wenn sie Ehefrau ist, der Genehmigung ihres Gatten. – Wir sind der Meinung, daß eine Ehefrau als ein ihrem Manne gleichstehendes und gleichberechtigtes Wesen der Erlaubnis desselben nicht bedarf. (50) Die befreite Vormundschaft möchten wir bloß angebracht halten, wenn Eltern über ihre großjährigen Kinder zu Vormündern bestellt werden. § 1657. Als Vormünder sind in nachstehender Reihenfolge berufen: 1. wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist; 2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist; 3. der Großvater des Mündels von väterlicher Seite; 4. der Großvater des Mündels von mütterlicher Seite.
§ 1657. Abs. 1 und 2 sind zu vereinen, also Abs. 1: Wer von den Eltern des Mündels als Vormund benannt ist, Abs. 3 würde Abs. 2 werden und heißen: Der Großvater oder die Großmutter des Mündels von väterlicher Seite. Abs. 4 würde zum Abs. 3 und soll lauten: der Großvater oder die Großmutter des Mündels von mütterlicher Seite.
Die Großväter sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Das Gleiche gilt, wenn derjenige, von welchem der Mündel abstammt, von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist und die Wirkungen der Annahme sich auf den Mündel erstrecken. § 1658. Der Vater kann einen Vormund nur benennen, wenn ihm zur Zeit seines Todes die elterliche Gewalt über das Kind zusteht; er hat dieses Recht nicht, wenn er in den die Person oder in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten nicht zur Vertretung des Kindes berechtigt ist. Das Gleiche gilt für die Mutter.
Der letzte Absatz muß beginnen: Die Großeltern sind nicht berufen ec.
Der Vater kann für ein nach seinem Tode geborenes Kind einen Vormund benennen, wenn er im Falle der vorher erfolgten Geburt hierzu berechtigt gewesen wäre. Die Benennung des Vormundes kann nur durch Verfügung von Todeswegen erfolgen. (51)
§ 1658. Die Eltern können nur nach gegenseitigem Übereinkommen einen Vormund für ihre Kinder für die Zeit nach ihrem beiderseitigen Tode bestimmen. (51)
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§ 1659. Wer nach § 1657 als Vormund berufen ist, darf ohne seine Zustimmung nur Übergangen werden, wenn er nach den §§ 1661 bis 1665 von der Vormundschaft ausgeschlossen ist oder wenn er an der Übernahme der Vormundschaft verhindert ist oder die Übernahme verzögert oder wenn seine Bestellung das Interesse des Mündels gefährdet.
§ 1659. Wer nach § 1657 (unserer Fassung) als Vormund berufen ist ec., wenn er nach den §§ 1661–1665 (§ 1363 unserer Fassung) von der Vormundschaft ec.
War der Berufene nur vorübergehend verhindert, so ist er nach dem Wegfalle des Hindernisses auf seinen Antrag an Stelle des bisherigen Vormundes zum Vormunde zu bestellen. Abs. 3 zu ändern: Für eine Ehefrau darf der Mann nur den nach § 1657 Berufenen, für ein uneheliches Kind darf die Mutter vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden. Neben dem Berufenen darf nur mit dessen Zustimmung ein Mitvormund bestellt werden.
Für einen Ehegatten darf der Andere vor den nach § 1657 (unserer Fassung) Berufenen bestellt werden. Neben dem Berufenen ec.
Der Satz „für ein uneheliches Kind u. s. w.“ muß fortfallen, da nach unserer Ansicht auch der unehelichen Mutter die elterliche Gewalt unter Beistand eines Gegenvormunds zustehen soll. § 1663. Zum Vormunde soll nicht bestellt werden, wer durch Anordnung des Vaters oder der ehelichen Mutter des Mündels von der Vormundschaft ausgeschlossen ist. Die Mutter kann den von dem Vater als Vormund Benannten nicht ausschließen.
§ 1663. Zum Vormund soll nicht bestellt werden, wer durch Anordnung des Vaters oder der Mutter des Mündels von der Vormundschaft ausgeschlossen ist.
Auf die Ausschließung finden die Vorschriften des § 1658 Anwendung.
Alles Weitere ist zu streichen. Es ergiebt sich aus § 1658 unserer Fassung. III. Fürsorge und Aufsicht u. s. w. § 1717. § 1717. Will der zum Vormunde bestellte Vater oder die (52) eheliche zu streichen. zum Vormunde bestellte eheliche Mutter des Mündels zu einer neuen Ehe schreiten, so liegen ihnen die im § 1560 bestimmten Verpflichtungen ob. (52)
IV. Befreite Vormundschaft. Wir sind der Meinung, daß diese Einrichtung im Interesse der Kinder nicht gestattet sein dürfte, denn niemand kann für die Handlungen eines Dritten für die Zukunft Garantie übernehmen. Wollte man aber diese Paragraphen bestehen lassen, so müßte bei den §§ 1726–1731 stets statt „Vater“ „Eltern“ gesetzt werden.
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
§ 1726. § 1728. Der Vater kann, wenn er einen Vormund benennt, Statt Vater Eltern. die Bestellung eines Gegenvormundes ausschliessen. Der Vater kann anordnen, daß der von ihm benannte Vormund bei der Anlegung von Geld den im § 1689 bestimmten Beschränkungen nicht unterliegen und zu den im § 1692 bezeichneten Rechtsgeschäften der Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts nicht bedürfen soll. Diese Anordnungen sind als getroffen anzusehen, wenn der Vater die Bestellung eines Gegenvormundes ausgeschlossen hat. § 1727. § 1727. Der Vater kann den von ihm benannten Vormund Statt Vater Eltern. von der Verpflichtung entbinden, Inhaber- und Orderpapiere zu hinterlegen und den im § 1696 bezeichneten Vermerk in das Reichs- oder Staatsschuldbuch eintragen zu lassen. § 1728. § 1728. Der Vater kann den von ihm benannten Vormund Statt Vater Eltern. (53) von der Verpflichtung entbinden, wahrend der Dauer des Vormundschaftsverhältnisses Rechnung zu legen. (53) Der Vormund hat in einem solchen Falle nach dem Ablaufe von je zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens dem Vormundschaftsgericht einzureichen. Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, daß die Übersicht in längeren, höchstens fünfjährigen Zwischenräumen einzureichen ist. Ist ein Gegenvormund vorhanden oder zu bestellen, so hat ihm der Vormund die Übersicht unter Nachweisung des Vermögensbestandes vorzulegen. Der Gegenvormund hat die Übersicht mit den Bemerkungen zu versehen, zu welchen die Prüfung ihm Anlaß giebt. § 1729. Benennt die eheliche Mutter einen Vormund, so kann sie die gleichen Anordnungen treffen wie nach den §§ 1728 bis 1728 der Vater. § 1730. Auf die nach den §§ 1726 bis 1729 zulässigen Anordnungen finden die Vorschriften des § 1658 Anwendung. § 1731. Die Anordnungen des Vaters oder der Mutter können von dem Vormundschaftsgericht außer Kraft gesetzt werden, wenn ihre Befolgung das Interesse des Mündels gefährdet.
§ 1729. Muß fortfallen. § 1730. Auf die nach den §§ 1726–1728 zulässigen ec. die Vorschriften des § 1658 (unserer Fassung) Anwendung. § 1731. Bleibt.
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VI. Beendigung der Vormundschaft. § 1745. § 1745. Das Vormundschaftsgericht kann eine Frau, die Ist ganz zu streichen. (54) zum Vormunde bestellt ist, entlassen, wenn sie sich verheiratet. Das Vormundschaftsgericht hat eine verheiratete Frau, die zum Vormunde bestellt ist, zu entlassen, wenn der Ehemann seine Zustimmung zur Übernahme oder zur Fortführung der Vor-(54)mundschaft versagt oder die Zustimmung zurücknimmt. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Ehemann der Vater des Mündels ist.
VII. Familienrat. § 1751. § 1751. Ein Familienrat soll von dem Vormundschaftsgericht eingesetzt werden, wenn der Vater oder die eheliche Mutter des Mün- eheliche ist zu streichen. dels die Einsetzung angeordnet hat. Die Einsetzung unterbleibt, wenn die erforderliche Zahl geeigneter Personen nicht vorhanden ist. Der Vater oder die Mutter kann die Einsetzung eines Familienrats oder die Aufhebung des von ihnen angeordneten Familienrats von dem Eintritt oder Nichteintritt eines bestimmten Ereignisses abhängig machen.
da wir auch für die uneheliche Mutter die elterliche Gewalt wünschen. § 1752. § 1752. Ein Familienrat soll von dem Vormundschaftsgericht eingesetzt werden, wenn ein Verwandter oder Verschwägerter des Mündels oder der Vormund oder der Gegenvormund es beantragt und die Einsehung von dem Vormundschaftsgericht im Interesse des Mündels für angemessen erachtet wird. Die Einsetzung unterbleibt, wenn der Vater oder die eheliche Mutter des Mündels sie unter- eheliche ist zu streichen. sagt hat. § 1754. § 1754. Als Mitglied des Familienrats ist berufen, wer von dem Vater oder der ehelichen Mutter des Mündels eheliche ist zu streichen. als Mitglied benannt ist. Die Vorschriften des § 1659 Abs. 1, 2 finden entsprechende Anwendung.
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Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht § 1756. Sind neben dem Vorsitzenden nur (55) die zur Be- (55) schlußfähigkeit des Familienrats erforderlichen Mitglieder vorhanden, so sind ein oder zwei Ersatzmitglieder zu bestellen.
§ 1756.
Der Familienrat wählt die Ersatzmitglieder aus und bestimmt die Reihenfolge, in welcher sie bei der Verhinderung oder dem Wegfall eines Mitglieds in den Familienrat einzutreten haben. Hat der Vater oder die eheliche Mutter Ersatzmit- eheliche ist zu streichen. glieder benannt und die Reihenfolge ihres Eintritts bestimmt, so ist diese Anordnung maßgebend. § 1759. § 1759. Zum Mitgliede des Familienrats soll nicht bestellt werden: 1. der Vormund des Mündels; 2. eine Frau; 2. ist zu streichen. 3. wer nach § 1662 oder nach § 1663 von der Vormundschaft ausgeschlossen ist; 4. wer durch Anordnung des Vaters oder der eheli- ehelichen ist zu streichen. chen Mutter des Mündels von der Mitgliedschaft ausgeschlossen ist. Eine Frau ist auch zum Mitgliede eines Familienrats geeignet. § 1760. § 1760. Zum Mitgliede des Familienrats soll nicht bestellt werden, wer mit dem Mündel weder verwandt noch verschwägert ist, es sei denn, daß er von dem Vater oder der ehelichen Mutter des Mündels be- ehelichen ist zu streichen. nannt oder von dem Familienrat oder im Falle des § 1757 von dem Vorsitzenden ausgewählt worden ist. § 1761. § 1761. Für die nach den §§ 1751, 1752, 1754, 1756, Für die nach den §§ 1751, 1752, 1754, 1758, 1759, 1760 zulässigen Anordnungen des Vaters 1753, 1760 (unserer Fassung) zulässigen ec. oder der Mutter gelten die Vorschriften des Vorschriften des § 1658 (unserer Fassung). (56) § 1658. (56) Die Anordnungen des Vaters gehen den Anord- Abs. 2 fällt fort. nungen der Mutter vor. § 1770. § 1770. Das Vormundschaftsgericht hat den Familienrat aufzuheben: 1. wenn es an der zur Beschlußfähigkeit erforderlichen Zahl von Mitgliedern fehlt und geeignete Personen zur Ergänzung nicht vorhanden sind; 2. wenn der Fall eingetreten, für welchen der Vater oder die eheliche Mutter des Mündels die Auf- eheliche ist zu streichen. hebung nach § 1751 Abs. 2 angeordnet hat. Das Vormundschaftsgericht hat die bisherigen Mitglieder des Familienrats, den Vormund und den Gegenvormund von der Aufhebung in Kenntnis zu setzen. Der Vormund und der Gegenvormund erhalten neue Bestallungen; die früheren Bestallungen sind dem Vormundschaftsgerichte zurückzugeben.
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Zweiter Titel. Vormundschaft über Volljährige. § 1775. § 1775. Vor den Großvätern ist der Vater und nach ihm die eheliche Mutter des Mündels als Vormund be- eheliche ist zu streichen. rufen. Die Eltern sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Stammt der Mündel aus einer nichtigen Ehe, so ist der Vater im Falle des § 1589, die Mutter im Falle des § 1590 nicht berufen. Das Gleiche gilt, wenn die Ehe anfechtbar und angefochten ist. § 1776. Eine Ehefrau kann zum Vormund (57) ihres Mannes bestellt werden; die Zustimmung des Mannes ist nicht erforderlich. Der Ehegatte des Mündels darf vor den Eltern und den Großvätern, die eheliche Mutter darf im Falle des § 1590 vor den Großvätern zum Vormunde bestellt werden. Die uneheliche Mutter darf vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden. § 1779. Ist der Vater des Mündels zum Vormunde bestellt, so unterbleibt die Bestellung eines Gegenvormundes. Dem Vater stehen auch die Befreiungen zu, welche nach den §§ 1726 bis 1728 angeordnet werden können, vorbehaltlich der Befugnis des Vormundschaftsgerichts, die Befreiungen außer Kraft zu setzen, wenn sie das Interesse des Mündels gefährden. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn der Vater im Falle der Minderjährigkeit des Mündels zur Vermögensverwaltung nicht berechtigt sein würde. § 1780. Ist die eheliche Mutter des Mündels zum Vormunde bestellt, so gilt für sie das Gleiche wie nach § 1779 für den Vater. Der Mutter ist jedoch ein Gegenvormund zu bestellen, wenn sie die Bestellung beantragt oder wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen ihr nach § 1576 Nr. 3 ein Beistand zu bestellen sein würde. Wird ein Gegenvormund bestellt, so stehen der Mutter die im § 1726 bezeichneten Befreiungen nicht zu.
3. Abs. muß lauten: Stammt der Mündel aus einer nichtigen, anfechtbaren oder angefochtenen Ehe, so gelten die Bestimmungen des § 1589 (unserer Fassung). § 1776. (57) Der Ehegatte des Mündels darf vor den Eltern und den Großeltern, die Mutter darf im Falle des § 1589 (unserer Fassung) vor den Großeltern zum Vormunde bestellt werden.
Abs. 3 fällt fort. § 1779 und § 1780 sind zusammenzufassen. Also muß es in § 1779 lauten: Sind die Eltern des Mündels zu Vormündern bestellt, so unterbleibt die Bestellung eines Gegenvormundes. Die Eltern können von der Verpflichtung entbunden werden, Inhaber- und Orderpapiere zu hinterlegen und den im § 1696 bezeichneten Vermerk in das Reichs- und Staatsschuldbuch eintragen zu lassen, sind auch nicht verpflichtet, während der Dauer der Vormundschaft Rechnung zu legen. In einem solchen Falle haben die Eltern nach Ablauf von je zwei Jahren eine Übersicht über den Bestand des ihrer Verwaltung unterliegenden Vermögens bei dem Vormundschaftsgericht einzureichen. (§ 1728 des Entwurfs.) Diese Befreiungen stehen den Eltern vorbehaltlich der Befugnisse des Vormundschaftsgerichts zu. (§ 1731 des Entwurfs.)
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Das zu den §§ 1779 und 1780 Hinzugefügte ist aus den §§ 1728 und 1731 des Entwurfs aus dem Titel „Befreite Vor-(58)mundschaft“ entnommen. Bleibt die befreite Vormundschaft als Titel bestehen, so müßte der § 1779 folgendermaßen lauten: § 1779 Sind die Eltern des Mündels ec. – Gegenvormund. Den Eltern stehen auch ec. – gefährden. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn die Eltern im Falle ec. – sein würden. § 1780 fiele dann fort.
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Marie Raschke: Rückschritte in der Gesetzgebung, 1895
RASCHKE, Marie: Rückschritte in der Gesetzgebung, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 161-164 Kommentar: Marie Raschke beschreibt die Rechte nichtehelicher Mütter und Kinder nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht (PrALR) und die Neufassung dieses Rechtsgebiets im preußischen Gesetz vom 24.4.1854, welches ihrer Meinung nach einen Rückschritt „zur Erniedrigung des weiblichen Geschlechts“ (S. 163) darstellt. Zugleich nehme vom PrALR über das Gesetz von 1854 bis zum BGB-Entwurf die Anzahl der Paragraphen immer mehr ab, welche die Ansprüche der Nichtehelichen näher regeln. Siehe hierzu auch die Entgegnung von Leonhard Hirsch (Nr. 47).
Rückschritte in der Gesetzgebung. Von Marie Raschke.
Nach dem Allgemeinen Landrecht können die unehelichen Mütter in drei Kategorien geteilt werden: 1. solche, die mit dem Vater des unehelichen Kindes rechtsgiltig verlobt waren, oder von ihm das Eheversprechen erhalten hatten, oder durch Anwendung von Gewalt verführt worden waren; 2. solche, die kein Eheversprechen erhalten oder sich mehreren Männern hingegeben hatten, und 3. solche, welche in öffentlichen Häusern sich aufhielten, oder gegen Bezahlung Unzucht trieben, oder mit einem andern Manne verheiratet waren. Im ersten Falle erhielt die Mutter, wenn der Vater sie zu ehelichen sich weigerte oder gesetzliche Ehehindernisse bestanden, Namen, Stand und Rang des Vaters, so wie überhaupt alle Rechte einer geschiedenen für den unschuldigen Teil erklärten Ehefrau desselben, und es wurden ihr zu ihrer Abfindung, die gesetzlichen Ehescheidungsstrafen aus dem Vermögen oder den Einkünften des Verführers zuerkannt. Sie mußte auch vom Richter gegen jeden nachdrücklich geschützt werden, der ihr den begangenen Fehler auf irgend eine Weise vorhalten wollte. Bei Ungleichheit des Standes konnte die landesherrliche Erlaubnis zu einer Ehe zur linken Hand nachgesucht werden. Konnte oder wollte der uneheliche Vater die Erlaubnis nicht nachsuchen, oder wurde sie ihm verweigert, so erhielt die uneheliche Mutter zwar alle Rechte einer rechtmäßigen, geschiedenen Ehefrau, sie durfte aber weder Namen, Stand noch Rang des Mannes annehmen, wurde aber dafür noch besonders, außer der eigentlichen Abfindung, entschädigt. Dasselbe galt, wenn das Ehehindernis in zu naher Verwandtschaft bestand, oder der Verführer schon verheiratet war.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Das zu den §§ 1779 und 1780 Hinzugefügte ist aus den §§ 1728 und 1731 des Entwurfs aus dem Titel „Befreite Vor-(58)mundschaft“ entnommen. Bleibt die befreite Vormundschaft als Titel bestehen, so müßte der § 1779 folgendermaßen lauten: § 1779 Sind die Eltern des Mündels ec. – Gegenvormund. Den Eltern stehen auch ec. – gefährden. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn die Eltern im Falle ec. – sein würden. § 1780 fiele dann fort.
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Marie Raschke: Rückschritte in der Gesetzgebung, 1895
RASCHKE, Marie: Rückschritte in der Gesetzgebung, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 161-164 Kommentar: Marie Raschke beschreibt die Rechte nichtehelicher Mütter und Kinder nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht (PrALR) und die Neufassung dieses Rechtsgebiets im preußischen Gesetz vom 24.4.1854, welches ihrer Meinung nach einen Rückschritt „zur Erniedrigung des weiblichen Geschlechts“ (S. 163) darstellt. Zugleich nehme vom PrALR über das Gesetz von 1854 bis zum BGB-Entwurf die Anzahl der Paragraphen immer mehr ab, welche die Ansprüche der Nichtehelichen näher regeln. Siehe hierzu auch die Entgegnung von Leonhard Hirsch (Nr. 47).
Rückschritte in der Gesetzgebung. Von Marie Raschke.
Nach dem Allgemeinen Landrecht können die unehelichen Mütter in drei Kategorien geteilt werden: 1. solche, die mit dem Vater des unehelichen Kindes rechtsgiltig verlobt waren, oder von ihm das Eheversprechen erhalten hatten, oder durch Anwendung von Gewalt verführt worden waren; 2. solche, die kein Eheversprechen erhalten oder sich mehreren Männern hingegeben hatten, und 3. solche, welche in öffentlichen Häusern sich aufhielten, oder gegen Bezahlung Unzucht trieben, oder mit einem andern Manne verheiratet waren. Im ersten Falle erhielt die Mutter, wenn der Vater sie zu ehelichen sich weigerte oder gesetzliche Ehehindernisse bestanden, Namen, Stand und Rang des Vaters, so wie überhaupt alle Rechte einer geschiedenen für den unschuldigen Teil erklärten Ehefrau desselben, und es wurden ihr zu ihrer Abfindung, die gesetzlichen Ehescheidungsstrafen aus dem Vermögen oder den Einkünften des Verführers zuerkannt. Sie mußte auch vom Richter gegen jeden nachdrücklich geschützt werden, der ihr den begangenen Fehler auf irgend eine Weise vorhalten wollte. Bei Ungleichheit des Standes konnte die landesherrliche Erlaubnis zu einer Ehe zur linken Hand nachgesucht werden. Konnte oder wollte der uneheliche Vater die Erlaubnis nicht nachsuchen, oder wurde sie ihm verweigert, so erhielt die uneheliche Mutter zwar alle Rechte einer rechtmäßigen, geschiedenen Ehefrau, sie durfte aber weder Namen, Stand noch Rang des Mannes annehmen, wurde aber dafür noch besonders, außer der eigentlichen Abfindung, entschädigt. Dasselbe galt, wenn das Ehehindernis in zu naher Verwandtschaft bestand, oder der Verführer schon verheiratet war.
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Teil 1
War aber der Verführten das Ehehindernis bekannt, wußte sie besonders, daß der Verführer unter Eltern, Vormündern oder anderen Personen stand, ohne deren Consens er keine giltige Ehe schließen konnte, so mußte sie sich mit einer bloßen Abfindung begnügen, bestehend aus Niederkunfts- und Taufkosten, einer sechswöchentlichen, ihrem Stande gemäßen Verpflegung und anderen, während der Schwangerschaft oder nach der Niederkunft unvermeidlich gewesenen Kosten. 2. Die ledigen unbescholtenen Mütter, welche weder mit dem Verführer verlobt waren, noch vorher von ihm ein Eheversprechen erhalten hatten, erhielten eine möglichst vollständige Genugthuung, desgleichen Witwen und geschiedene Frauen, wenn sie nicht begangenen Ehebruchs halber geschieden waren. Diese Genugthuung bestand in einer Ausstattung je nach dem Stande der Verführten und dem Vermögen des Verführers, „wobei insonderheit darauf zu sehen war, daß die Verführte Hoffnung erhalte, eine ihrem Stande gemäße Heirat zu finden.“ Die Ausstattung wurde entweder sogleich verabfolgt, oder gerichtlich sicher gestellt und bis zur wirklichen Verheiratung verzinst. Besaß der Verführer kein Kapital-Vermögen, so mußte er der Verführten aus seinen Einkünften einen jährlichen im Verhältnis zur erforderlichen Ausstattung stehenden Beitrag zu ihrem standesgemäßen Unterhalte prae numerando entrichten. Wenn sich aber im Laufe der Zeit die Vermögensverhältnisse des Verführers besserten, so konnte die Verführte eine Erhöhung des Beitrags oder an dessen Stelle Bezahlung eines Kapitals zu ihrer vollständigen Ausstattung fordern. War kein Ehehindernis vorhanden und weigerte sich der Verführer die Verführte zu heiraten, so war die Ausstattung höher zu bemessen, als wenn gesetzliche Ehehindernisse bestanden. Jedoch durfte die höchste Ausstattung den höchsten Satz der Ehescheidungsstrafe nicht übersteigen. Weigerte sich aber die Verführte, eine Ehe mit dem Verführer einzugehen, so konnte sie eine Ausstattung nur in dem Falle verlangen, wenn ihr der Verführer durch sein Betragen solchen Anlaß zur Abneigung gegeben hatte, daß ihre Weigerung gerechtfertigt war. Durch die Verheiratung mit einem anderen verlor die Verführte ihren Anspruch auf Ausstattung oder jährlichen Beitrag nicht, wenn sie vorher ihren Anspruch eingeklagt hatte. Mit der bloßen Abfindung mußten sich die unehelichen Mütter begnügen, gegen welche der Einwand erhoben werden konnte, daß sie sich mehreren Männern hingegeben hatten, diejenigen, welche Ehefrauen waren, die von ihren Männern getrennt lebten, aber schon vorher außer der Ehe (162) verführt worden waren, diejenigen, welche sich vormals in öffentlichen Häusern aufgehalten hatten, oder wegen eines unzüchtigen Lebenswandels berüchtigt waren, und Verführte, welche sich nach der Verführung solcher Handlungen schuldig gemacht hatten, die nach den Gesetzen die Trennung selbst einer gültigen Ehe begründen konnten. 3. Gar keine Entschädigung erhielten alle unehelichen Mütter, welche sich in öffentlichen Häusern aufhielten, gegen Bezahlung Unzucht trieben, oder Ehefrauen waren, die bei ihren Männern lebten. Dagegen konnten alle, welche nicht in diese Kategorien gehörten, denen aber nachgewiesen werden konnte, daß sie die Verführer der Männer gewesen waren, eine Entschädigung der Kosten der Niederkunft, der Taufe und der Wochen erhalten, wenn sie unvermögend waren, diese Kosten aus eigenen Mitteln zu bestreiten.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Die unehelichen Kinder gehörten weder zur Familie des Vaters noch der Mutter, hatten mithin kein Erbrecht, selbst wenn ihre Legitimation entweder durch Verheiratung des Vaters mit der Mutter oder auf Antrag des Vaters erfolgt war. Sollte ein uneheliches Kind in die Familie des Vaters aufgenommen werden, so konnte solches nur durch einen Familienvertrag geschehen. Die unehelichen Kinder aus der ersten Kategorie der unehelichen Mütter erhielten aber alle sonstigen Rechte der aus einer vollgültigen Ehe erzeugten Kinder, 1. wenn die Mutter innerhalb der gesetzlichen Frist auf die Vollziehung der Ehe geklagt hatte und ihr die Rechte einer wirklichen Ehefrau des Verführers durch richterlichen Ausspruch beigelegt worden waren; 2. wenn der Verführer auch ohne Prozeß und richterliche Kenntnis die Verführte geheiratet hatte; und 3. durch die bloße gerichtliche Erklärung des Vaters bei vor der Verführung vorhergegangener förmlicher Verlobung. Alle übrigen unehelichen Kinder führten den Geschlechtsnamen der Mutter und gehörten demjenigen Stande an, in welchem die Mutter zur Zeit der Geburt sich befunden hatte. War die Mutter jedoch adeligen Standes, so durfte das uneheliche Kind sich des adeligen Namens und Wappens nicht bedienen. Die unehelichen Kinder standen unter einer vom Staate für sie verordneten Vormundschaft, welche auch die Wahl des Berufes zu genehmigen hatte. Die persönlichen Rechte der Eltern erstreckten sich nur auf die Erziehung. Der uneheliche Vater hatte alle Kosten der Erziehung und des Unterhaltes bis zum vollendeten 14. Lebensjahre in dem Maße zu bestreiten „was Leuten vom Bauer- oder gemeinen Bürgerstande die Erziehung eines ehelichen Kindes, nebst dem Schul- und Lehrgelde kosten würde. Dabei muß auf die jeden Ortes gewöhnlichen Preise und auf die mit zunehmenden Jahren wachsenden Bedürfnisse des Kindes Rücksicht genommen werden.“ (§§ 626 und 627 des Allg. Landrechts.) War jedoch mit dem vollendeten 14. Lebensjahre die Ausbildung zu einem Handwerke noch nicht beendet, so hatte der Vater das Lehrgeld bis zur völligen Ausbildung zu entrichten. Ebenso hatte er für Kinder, die dauernd außer Stande waren, sich selbst zu ernähren, das Unterhaltsgeld weiter zu zahlen. Wenn der Vater unvermögend war, für den Unterhalt und die Erziehung zu sorgen, so ging die Pflicht auf die Großeltern von väterlicher Seite über, und erst nach ihnen waren die Mutter und die Großeltern mütterlicherseits dazu verpflichtet. Starb der Vater vor vollendeter Erziehung, so konnten die unehelichen Kinder die Aussetzung des dazu noch Fehlenden aus dem Nachlasse fordern. Hatte derselbe jedoch keine ehelichen Kinder und auch keine letztwillige Verordnung hinterlassen, so gebührte den unehelichen Kindern der 6. Teil des Nachlasses. Wenn festgestellt wurde, daß der Mutter während der Empfängniszeit Mehrere beigewohnt hatten, so konnte der Vormund bestimmen, welcher der etwaigen Väter die dem unehelichen Kinde schuldigen Pflichten zuerst zu erfüllen hatte. Später konnte er dann die Rechte des Kindes auch gegen die übrigen geltend machen. — — — — — — — — — — — — — Das Gesetz vom 24. April 1854 hebt alle Paragraphen des Allgemeinen Landrechts auf, welche den unehelichen Müttern die Rechte und die Stellung einer rechtmäßig geschiedenen Ehefrau geben, und setzt dafür in Fällen der Notzucht oder der Verführung durch Vorspiegelung einer vollzogenen Trauung und Erre-
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Teil 1
gung eines anderen Irrtums das höchste Maß der Abfindung, d.h. Anspruch auf den 4. Teil des Vermögens des Verführers nebst den gesetzlichen Einschränkungen dieses Anspruchs, und in Fällen vorhergegangener öffentlichen Verlobung Abfindung oder Verpflegung nach den Bestimmungen über das geringere Maß der Ehescheidungsstrafen (6. Teil des Vermögens). Bei Fällen des gesetzlichen Ehehindernisses zwischen Verlobten wird der verführten Braut jeder Anspruch auf Entschädigung entzogen, wenn ihr dieses Hindernis bekannt war. Die Verführten erhalten sonst nur Niederkunfts- und Taufkosten, ferner 6wöchentliche Verpflegung, sowie auch andere durch die Schwangerschaft oder durch das Wochenbett herbeigeführte unvermeidliche Kosten (§ 7). Sind sie aber verheiratet, geschlechtlich bescholten oder haben sie sich mehreren Männern hingegeben, so fällt jede Entschädigung fort. Der Begriff des Bescholtenseins ist in § 9 dahin erläutert, daß bescholten jede ist, welche für die Verführung Zahlung in Geld oder in Geschenken angenommen hat, wegen unzüchtigen Lebenswandels berüchtigt, schon früher außer der Ehe von einem Andern als dem als Erzeuger des Kindes bezeichneten Manne verführt worden ist, sich früher eines Ehebruchs schuldig gemacht oder einen jüngeren Mann unter 20 Jahren verführt hat. Der Richter darf aber nach einer Entscheidung des Ober-Tribunals vom 2. Februar 1866 solche Bescholtenheit auch aus anderen Umständen herleiten, und als bescholten ist schon nach der Entscheidung des Ob.-Tribunals vom 20. Sept. 1861 „eine Frauensperson zu erachten, welche vor der Eingehung der Ehe verführt worden, selbst wenn das Kind von dem Ehemann erzeugt und hiernächst in der Ehe geboren ist“. „Daß der schlechte Ruf auf Verleumdungen und falschen Annahmen beruht, hat Klägerin darzuthun.“ Ob.-Trib. Vom 23. Nov. 1863. Die schlimmste Handhabe gegen die Verführten ist aber wohl der Begriff des Bescholtenseins bei Annahme eines Geschenkes vom Verführer. Inbezug auf die unehelichen Kinder hebt das Gesetz vom 24. April 1854 alle Paragraphen auf, nach denen den unehelichen Kindern die Rechte der aus einer vollgiltigen Ehe erzeugten Kinder zufallen. Sie können, wenn sie nicht durch nachfolgende Verheiratung der Eltern oder durch die Legitimation die Rechte der ehelichen erlangt haben, bloß Unterhalt und Erziehung vom Vater bis zum vollendeten 14. Lebensjahre fordern. Ein Anspruch hierauf steht ihnen aber nur zu, wenn auch der Mutter ein solcher gegen den Verführer zusteht und wenn der Verführer in einer öffentlichen Urkunde sich ausdrücklich zur Vaterschaft bekannt hat (§ 13). Im letzteren Falle steht dem unehelichen Kinde auch das gesetzliche Erbrecht am Nachlasse des Vaters zu, d. h.: „Sind keine ehelichen Abkömmlinge und auch keine letztwillige Verordnung des Vaters vorhanden: so gebührt dem unehelichen Kinde der 6. Teil des Nachlasses“ (§ 652 des Allg. Landrechts) nach Abzug der der Ehefrau gebührenden Erbportion (§ 582 des Allg. Landrechts). Für die Verpflichtung des unehelichen Vaters haften weder die Eltern noch die Großeltern desselben, vielmehr geht im Unvermögensfalle die Unterhaltungspflicht des unehelichen Kindes auf die Mutter und deren Eltern und Großeltern über.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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(163) § 21 des Gesetzes vom 24. April 1854 befreit Personen des Soldatenstandes vom Feldwebel (Wachtmeister) abwärts, wenn sie nicht vermögend sind, von jeder Verpflichtung gegen die verführte Mutter und ihr Kind, da ihnen bei Ansprüchen derselben kein Abzug vom Solde gemacht werden darf. Bei Offizieren findet ein Abzug je nach Unterschied des Ranges nur auf Höhe von 2–4 Thaler monatlich statt! Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich verschlechtert noch mehr die Stellung der unehelichen Mutter. Sie hat ohne Rücksicht auf die Art der Verführung nach § 1602 des Entwurfes (2. Lesung) nur die Kosten der Entbindung und des Unterhalts für die ersten 6 Wochen nach derselben innerhalb der Grenzen der Notdurft vom unehelichen Vater zu fordern. Das uneheliche Kind erhält nach dem Entwurfe der Mutter und den mütterlichen Verwandten gegenüber die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes und vom Vater einen der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt bis zum vollendeten 16. Lebensjahre. Gemäß § 15 besteht aber zwischen einem unehelichen Kinde und seinem Vater keine Verwandtschaft. Im Falle der Mutter innerhalb der Empfängniszeit auch ein anderer beigewohnt hat, erhalten Mutter und Kind keine Alimente. – Das Allgemeine Landrecht umfaßt inbezug auf Regelung der Ansprüche der unehelichen Mütter und Kinder 177 Paragraphen, das Gesetz vom 24. April 1854 61 und der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches 32 Paragraphen! So konnte das Recht zur Erniedrigung des weiblichen Geschlechts rückläufig umgestaltet werden; denn noch heute gilt der Satz des Ius Fridericiani, der das einzige fragliche Vorrecht der Frau gegenüber den wichtigen Vorrechten des Mannes ob praestantiam sexus168 enthält: „Das weibliche Geschlecht hat gewisse Vorrechte wegen seiner Schwachheit: Den Weibern ist erlaubt Ius zu ignorieren“!
47.
Marie Raschke/Leonhard Hirsch: Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, 1895
RASCHKE, Marie/HIRSCH, Leonhard: Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 195/196 Kommentar: Hirsch bezeichnet (in Entgegnung auf Raschke, Nr. 46) die Behauptung, daß der BGB-Entwurf die Stellung der unehelichen Mutter noch mehr verschlechtere als das preußische Gesetz von 1854 als ungerecht und argumentiert, warum im Vergleich zum bisherigen Recht das BGB ein Fortschritt für nichteheliche Mütter sei. Raschke stimmt ihm grundsätzlich zu, bemängelt aber weiterhin, daß der BGB-Entwurf hinter dem Niveau des Preußischen Allgemeinen Landrechts (PrALR) zurückbleibe und in gewissen Einzelheiten auch hinter dem Gesetz von 1854.
168 Wegen der Vorzüglichkeit des männlichen Geschlechts.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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(163) § 21 des Gesetzes vom 24. April 1854 befreit Personen des Soldatenstandes vom Feldwebel (Wachtmeister) abwärts, wenn sie nicht vermögend sind, von jeder Verpflichtung gegen die verführte Mutter und ihr Kind, da ihnen bei Ansprüchen derselben kein Abzug vom Solde gemacht werden darf. Bei Offizieren findet ein Abzug je nach Unterschied des Ranges nur auf Höhe von 2–4 Thaler monatlich statt! Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich verschlechtert noch mehr die Stellung der unehelichen Mutter. Sie hat ohne Rücksicht auf die Art der Verführung nach § 1602 des Entwurfes (2. Lesung) nur die Kosten der Entbindung und des Unterhalts für die ersten 6 Wochen nach derselben innerhalb der Grenzen der Notdurft vom unehelichen Vater zu fordern. Das uneheliche Kind erhält nach dem Entwurfe der Mutter und den mütterlichen Verwandten gegenüber die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes und vom Vater einen der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt bis zum vollendeten 16. Lebensjahre. Gemäß § 15 besteht aber zwischen einem unehelichen Kinde und seinem Vater keine Verwandtschaft. Im Falle der Mutter innerhalb der Empfängniszeit auch ein anderer beigewohnt hat, erhalten Mutter und Kind keine Alimente. – Das Allgemeine Landrecht umfaßt inbezug auf Regelung der Ansprüche der unehelichen Mütter und Kinder 177 Paragraphen, das Gesetz vom 24. April 1854 61 und der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches 32 Paragraphen! So konnte das Recht zur Erniedrigung des weiblichen Geschlechts rückläufig umgestaltet werden; denn noch heute gilt der Satz des Ius Fridericiani, der das einzige fragliche Vorrecht der Frau gegenüber den wichtigen Vorrechten des Mannes ob praestantiam sexus168 enthält: „Das weibliche Geschlecht hat gewisse Vorrechte wegen seiner Schwachheit: Den Weibern ist erlaubt Ius zu ignorieren“!
47.
Marie Raschke/Leonhard Hirsch: Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, 1895
RASCHKE, Marie/HIRSCH, Leonhard: Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 195/196 Kommentar: Hirsch bezeichnet (in Entgegnung auf Raschke, Nr. 46) die Behauptung, daß der BGB-Entwurf die Stellung der unehelichen Mutter noch mehr verschlechtere als das preußische Gesetz von 1854 als ungerecht und argumentiert, warum im Vergleich zum bisherigen Recht das BGB ein Fortschritt für nichteheliche Mütter sei. Raschke stimmt ihm grundsätzlich zu, bemängelt aber weiterhin, daß der BGB-Entwurf hinter dem Niveau des Preußischen Allgemeinen Landrechts (PrALR) zurückbleibe und in gewissen Einzelheiten auch hinter dem Gesetz von 1854.
168 Wegen der Vorzüglichkeit des männlichen Geschlechts.
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Die Rechtsverhältnisse der unehelichen Mutter nach dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches. Von Leonhard Hirsch, Rechtsanwalt in Berlin.
Unter der Überschrift „Rückschritte in der Gesetzgebung“ enthält Nr. 21 dieser Revue einen Aufsatz von Marie Raschke, welcher die Stellung der unehelichen Mutter nach dem Allgemeinen Landrecht, nach dem Gesetz vom 24. April 1854 und nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich erörtert und zu dem Schlusse gelangt, daß das Recht „zur Erniedrigung des weiblichen Geschlechts rückläufig umgestaltet“ werde. Inwieweit diese Schlußfolgerung durch den Vergleich zwischen dem Allgemeinen Landrecht und dem Gesetz vom 24. April 1854 berechtigt sein mag, soll hier unerörtert bleiben. Dagegen enthält die Behauptung, daß der jetzt zum Abschluß gebrachte Entwurf des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches die Stellung der unehelichen Mutter noch mehr verschlechtere, einen so offenbar ungerechten Vorwurf, daß eine Erwiderung an dieser Stelle angezeigt erscheint. Die Rechte der unehelichen Mutter sind durch den Entwurf nicht geschmälert, sondern sehr wesentlich erweitert. Während es nach dem jetzt in dem größeren Teile Preußens geltenden Recht gegen die Ansprüche aus unehelicher Geburt eine ganze Reihe von Einwendungen giebt, zum Beispiel den Einwand der Bezahlung in Geld oder in Geschenken, den Einwand einer früheren außerehelichen Geburt, eines früheren Ehebruchs, der Berechtigung wegen unzüchtigen Lebenswandels, werden alle diese Einwendungen von dem Entwurf beseitigt, und als alleiniger Einwand bleibt die sogenannte exceptio plurium bestehen, d. h. die Behauptung, daß auch ein Anderer der Mutter innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt (196) hat; und selbst eine solche Beiwohnung bleibt außer Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen habe. Daß durch eine derartige Einschränkung der zulässigen Einreden die Rechtsstellung der unehelichen Mutter ganz außerordentlich gebessert wird, bedarf kaum der Hervorhebung. Die Zahl der Fälle, in denen eine Inanspruchnahme der außerehelichen Väter gesetzlich zulässig ist, wird dadurch naturgemäß vervielfacht. Aber auch inhaltlich ist die Haftung der außerehelichen Erzeuger durch den Entwurf sehr erweitert. Bisher ist nach den in dieser Beziehung noch geltenden Bestimmungen des Landrechts Alimentation bis zum 14. Lebensjahre zu leisten und dabei „nur auf das zu rechnen, was Leuten vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstande die Erziehung eines ehelichen Kindes kostet.“ Nach dem Entwurf ist der Vater des unehelichen Kindes verpflichtet, dem Kinde bis zu dessen vollendetem sechzehnten Lebensjahre „den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt“ zu gewähren, welcher den gesamten Lebensbedarf sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe umfaßt. Es erfolgt also eine Steigerung der Alimentationsansprüche nach Zeit und Umfang; und es erscheint dem gegenüber wenig erheblich, daß die Kosten der Entbindung und des Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung nur innerhalb der Grenzen der Notdurft ersetzt werden sollen; eventuell könnte hier durch eine geringfügige Änderung des Entwurfes gleichfalls eine Berücksichtigung der Lebensstellung der Mutter vorgesehen werden.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Nicht unerwähnt soll bleiben, daß der Entwurf in humaner Weise dafür Sorge getroffen hat, daß schon vor der Geburt des Kindes auf Antrag der Mutter durch einstweilige richterliche Verfügung die Zahlung der Entbindungs- und Sechswochenkosten sowie der Alimente für das erste Quartal gegenüber dem außerehelichen Vater angeordnet werden kann. Es ist hierbei in zutreffender Weise berücksichtigt worden, daß gerade in der Zeit unmittelbar nach der Geburt das Leben der unehelichen Kinder am meisten bedroht und das Elend der außerehelichen Mutter am größten ist; während nun bisher in allen Fällen, wo der Vater nicht freiwillig zahlte, erst die Geburt des Kindes abgewartet und dann ein oft langwieriger Prozeß durchgeführt werden muß, wird es in Zukunft der unehelichen Mutter freistehen, schon vor der Entbindung für sich und ihr Kind durch geeignete Anträge bei Gericht Fürsorge zu treffen. Endlich möge noch hervorgehoben werden, daß auch die Abfindung, welche das geltende Preußische Recht Bräuten und genotzüchtigten oder sonst in verbrecherischer Weise geschlechtlich gemißbrauchten Frauen im Falle außerehelicher Geburten zuspricht, durch den Entwurf nicht etwa beseitigt sind. Freilich finden sich die darauf bezüglichen Bestimmungen nicht unter den Paragraphen, die von den Rechten der unehelichen Kinder sprechen, und mögen deshalb der Verfasserin der im Eingang erwähnten Abhandlung über die „Rückschritte in der Gesetzgebung“ entgangen sein. Sie finden sich unter den Bestimmungen über das Verlöbnis und über die Rechte aus unerlaubten Handlungen. Und dahin gehören sie auch. Denn der Entwurf macht diese Ansprüche nicht wie das bisherige Recht von einer außerehelichen Schwängerung, sondern giebt auch ohne solche den verführten Bräuten und weiblichen Personen ein Recht auf die billige Entschädigung in Geld, „auch wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleiden“. Alle diese Bestimmungen zeigen klar, daß von einer rückläufigen Umgestaltung des Rechts zu Ungunsten der Frauen auf diesem Gebiete keinesfalls gesprochen werden kann. Im Gegenteil ist der Entwurf in der Regelung der Rechtsstellung der unehelichen Mütter zu einer anerkennenswerten Fortbildung der bisherigen Bestimmungen fortgeschritten. [Hier endet der Text von Leonhard Hirsch. Die auf diesen folgende „Entgegnung“ stammt von Marie Raschke.] Entgegnung. Für den Hinweis auf die Rechte aus unerlaubten Handlungen bin ich dem Verfasser obigen Artikels dankbar. Mir waren die im § 770 ausgedrückten Rechte der unehelichen Mütter entgangen, da ich mich bisher nur eingehend mit dem Familienrecht beschäftigt habe. Die vom Verfasser vorgeführten Ansätze zum Fortschritt sind nicht zu bestreiten. Dennoch bleiben die Rechte der unehelichen Mütter bedeutend geschmälert gegenüber denen, die ihnen das Allgemeine Landrecht gab. Aber auch im Vergleich mit dem stark rückläufigen Gesetz vom 24. April 1854 ist „eine billige Entschädigung“, die in das Belieben des Richters gestellt wird, ein Rückschritt gegenüber dem gesetzlichen Anspruch auf den 4. resp. den 6. Teil des Vermögens des Verbrechers resp. des Verführers.
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Teil 1
Auch die Entschädigung der Mütter „innerhalb der Grenzen der Notdurft“ ist ein Rückschritt gegenüber der bisherigen Gepflogenheit, und der Vorschlag des Verfassers auf Erweiterung dieser Bestimmung durch etwaige Berücksichtigung der Lebensstellung der Mutter würde keine Milderung der harten Vorschrift sein, da der unterste Stand die Mehrzahl dieser Unglücklichen aufweist. Die vom Verfasser angeführte gesteigerte Alimentationspflicht der Väter kommt nicht den unehelichen Müttern zugute; sie ist nur ein schwacher Versuch, das bisherige Unrecht gegen die Kinder in etwa zu beseitigen. Soll das zukünftige deutsche Gesetz in dieser Beziehung kein Rückschritt sein, und soll es die Sittlichkeit der Nation heben, so muß es die einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts nach den an den Reichstag eingesandten Vorschlägen der deutschen Frauen fortschrittlich erweitern. Marie Raschke.
48.
Marie Raschke: Das deutsche Recht und das vierte Gebot, 1896
RASCHKE, Marie: Das deutsche Recht und das vierte Gebot, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 3/4 Kommentar: Raschke plädiert für ein stärkeres rechtliches Band zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater und verweist darauf, daß die ansonsten beschworenen Ideale der „Heiligkeit der Familie“ vom Gesetz empfindlich beeinträchtigt werden: „Der Entwurf unterscheidet […] zwischen einer Familie des Mannes und einer Familie der Frau, und heilig gehalten soll nur die erstere werden.“ Sie meint, die Gründe hierfür seien rechtshistorischer Natur: „Das ist ein Ausfluß des bösen Erbes, des römischen Rechts, und ein Beweis, daß unserer Nation gegenwärtig noch der schöpferische Geist fehlt, der imstande wäre, ein deutsches Recht auf der Grundlage deutschen Rechtsbewußtseins zu schaffen.“ (S. 3)
Das deutsche Recht und das vierte Gebot. von Marie Raschke.
(3) „Recht soll Recht bleiben!“ Diese schönen Worte sollen das Gebäude des deutschen Reichsgerichts zieren. Wie verhält sich ihnen gegenüber aber das einheitliche Recht, welches für das deutsche Reich geschaffen werden soll? Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich unterscheidet zwischen einem männlichen und einem weiblichen Recht und weist die größten Ungleichheiten auf bei den Rechten der ehelichen und der unehelichen Kinder. „Die Heiligkeit der Familie soll geschützt werden“, sagen die Motive des Entwurfes, und aus Rücksicht auf die Heiligkeit und hohe Bedeutung der Familie soll das uneheliche Kind zu dem Vater und dessen Familie rechtlich in keine Verbindung treten; in eine solche tritt es nur der Mutter und deren Familie gegenüber. (4) Der Entwurf unterscheidet mithin auch zwischen einer Familie des Mannes und einer Familie der Frau, und heilig gehalten soll nur die erstere werden.
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Auch die Entschädigung der Mütter „innerhalb der Grenzen der Notdurft“ ist ein Rückschritt gegenüber der bisherigen Gepflogenheit, und der Vorschlag des Verfassers auf Erweiterung dieser Bestimmung durch etwaige Berücksichtigung der Lebensstellung der Mutter würde keine Milderung der harten Vorschrift sein, da der unterste Stand die Mehrzahl dieser Unglücklichen aufweist. Die vom Verfasser angeführte gesteigerte Alimentationspflicht der Väter kommt nicht den unehelichen Müttern zugute; sie ist nur ein schwacher Versuch, das bisherige Unrecht gegen die Kinder in etwa zu beseitigen. Soll das zukünftige deutsche Gesetz in dieser Beziehung kein Rückschritt sein, und soll es die Sittlichkeit der Nation heben, so muß es die einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts nach den an den Reichstag eingesandten Vorschlägen der deutschen Frauen fortschrittlich erweitern. Marie Raschke.
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Marie Raschke: Das deutsche Recht und das vierte Gebot, 1896
RASCHKE, Marie: Das deutsche Recht und das vierte Gebot, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 3/4 Kommentar: Raschke plädiert für ein stärkeres rechtliches Band zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater und verweist darauf, daß die ansonsten beschworenen Ideale der „Heiligkeit der Familie“ vom Gesetz empfindlich beeinträchtigt werden: „Der Entwurf unterscheidet […] zwischen einer Familie des Mannes und einer Familie der Frau, und heilig gehalten soll nur die erstere werden.“ Sie meint, die Gründe hierfür seien rechtshistorischer Natur: „Das ist ein Ausfluß des bösen Erbes, des römischen Rechts, und ein Beweis, daß unserer Nation gegenwärtig noch der schöpferische Geist fehlt, der imstande wäre, ein deutsches Recht auf der Grundlage deutschen Rechtsbewußtseins zu schaffen.“ (S. 3)
Das deutsche Recht und das vierte Gebot. von Marie Raschke.
(3) „Recht soll Recht bleiben!“ Diese schönen Worte sollen das Gebäude des deutschen Reichsgerichts zieren. Wie verhält sich ihnen gegenüber aber das einheitliche Recht, welches für das deutsche Reich geschaffen werden soll? Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich unterscheidet zwischen einem männlichen und einem weiblichen Recht und weist die größten Ungleichheiten auf bei den Rechten der ehelichen und der unehelichen Kinder. „Die Heiligkeit der Familie soll geschützt werden“, sagen die Motive des Entwurfes, und aus Rücksicht auf die Heiligkeit und hohe Bedeutung der Familie soll das uneheliche Kind zu dem Vater und dessen Familie rechtlich in keine Verbindung treten; in eine solche tritt es nur der Mutter und deren Familie gegenüber. (4) Der Entwurf unterscheidet mithin auch zwischen einer Familie des Mannes und einer Familie der Frau, und heilig gehalten soll nur die erstere werden.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Er unterscheidet damit aber auch gleichzeitig zwischen einer Familie der oberen und einer Familie der unteren Stände; denn die Mehrzahl derjenigen unehelichen Väter, welche ihr Kind verleugnen, gehört den oberen, und die Mehrzahl der unehelichen Mütter überhaupt den unteren Ständen an. Das ist ein Ausfluß des bösen Erbes, des römischen Rechts, und ein Beweis, daß unserer Nation gegenwärtig noch der schöpferische Geist fehlt, der imstande wäre, ein deutsches Recht auf der Grundlage deutschen Rechtsbewußtseins zu schaffen. Recht, das Recht bleiben soll, wird besonders im Hinblick auf die Rechte der unehelichen Kinder zum Unrecht; denn Mutter und Kind trifft die Unehre, während nach dem heute längst durchgedrungenen sittlichen Empfinden diese die Eltern, Vater und Mutter, allein treffen müßte. Die Unehre trifft das Kind vom Tage der Geburt an und begleitet es durchs ganze Leben. Die uneheliche Geburt, die aller Welt dadurch kenntlich gemacht wird, daß das Kind den Namen der Mutter trägt und nur der Familie der Mutter angehört, brandmarkt es als einen Paria der Gesellschaft, während der Urheber seines unglücklichen Daseins vielleicht mit Ehren überhäuft die Achtung der Mitwelt genießt. – In der Schule wird ihm gelehrt: ,,Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ „Wer ist mein Vater?“ fragt es daheim die Mutter. Ist diese ehrlich, so muß sie antworten: „Du hast keinen Vater, mein Kind; oder vielmehr der, welcher Dein Vater vor Gott ist, verleugnet es vor der Welt, und das Gesetz giebt ihm das Recht dazu.“ Auch wenn die Mutter weniger ehrlich ist, wird dem Kinde der wahre Zusammenhang seiner Familienangehörigkeit nicht lange unentdeckt bleiben. Die Erfahrung lehrt ja, wie die Spielkameraden, die Mitschüler bereit sind, den Genossen darüber aufzuklären, daß er weniger gilt als sie, die der Sitte nach den Namen ihres Vaters tragen. Denn früh geht die Saat des Unrechts, die das bestehende Recht säet, auf und verwirrt die gefunden Begriffe des wahren Rechts in den Herzen der jungen Weltbürger. Ob die Mutter nun offen ist oder Ausflüchte macht, immer wird das denkende Kind früh, das nicht denkende später auf die Widersprüche hingeführt, welche das göttliche und das menschliche Recht ihm aufdrängt. Wie soll es einen Vater lieben und ehren, den es nicht kennt, der es verleugnet, der es den Stürmen des Lebens preisgiebt, ohne ihm schützend und ratend zu helfen, der es sogar hinabstößt in die Lebenssphären, in denen der Kampf ums Dasein so hart ist, daß ihn nur ein auf Gott vertrauendes, die Menschen liebendes Gemüt ohne Gefahr für Seele und Leib bestehen kann? Wie soll aber das Kind auf Gott vertrauen, der das Verbrechen seines Vaters ungestraft vor der Welt zuließ, auf das Gesetz, welches es sanktioniert, indem es den Vater jeder Verantwortung, jedem Makel vor der Welt entzieht und nur der Mutter und dem Kinde die ganze Schwere der Folgen auferlegt? Wie kann es auch die Menschen lieben, welche ein solches Gesetz geschaffen haben, welche bewußt oder unbewußt ein so schweres Unrecht gegen Unschuldige zulassen? Der Zeitgeist fordert zum Kampfe auf für Sitte, Ordnung und Religion. Wo sind die Kämpfer, die ehrlich für diese heiligen Güter eintreten können, wenn das Gesetz selbst die Unsitte fördern, die natürliche Ordnung verwirren hilft und in Widerspruch sich stellt mit den Anforderungen des göttlichen Gebots?
740
Teil 1
Wenn Recht in diesem Falle Recht werden und sein soll, so muß das Gesetz ehelichen und unehelichen Kindern die gleichen Rechte geben. Auch das uneheliche Kind muß den Namen des Vaters tragen, der Familie des Vaters und der Mutter angehören und Kindeserbe an beider Vermögen haben. In zweifelhaften Fällen würde die Vaterschaft um des Kindes willen durch Urteil festzustellen sein. Soll die Heiligkeit der Familie geschützt werden, so muß das Gesetz in erster Linie der zunehmenden Unsittlichkeit wehren, und wehren kann es ihr nur, wenn es beide Schuldigen der Welt bekannt giebt und die Unschuldigen vor jeder Unehre schützt.
49.
Marie Raschke: Reichstagseindrücke, 1896
RASCHKE, Marie: Reichstagseindrücke, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 40 Kommentar: Raschke berichtet über erste Erfolge der Frauenproteste. Der Protest gegen das Familienrecht des Entwurfs habe Eindruck gemacht. Die Wirkungen desselben machten sich in den Reden aller Parteien bemerkbar; man fange an, die Rechtsüberzeugungen der Frauen in Erwägung zu ziehen und damit sei vorläufig schon viel gewonnen. Namentlich die Abgeordneten Kauffmann (Liberale) und Stumm (Reichspartei) nehmen Forderungen der Frauen auf. Die Frauenvereine sollen die jetzige Zeit für weitere Überzeugungsarbeit nutzen. Vgl. zu den „Reichstagseindrücken“ Raschkes auch die Protokolle der XII. Kommission des Reichtstags, welche im Mai und Juni 1896 unter aktiver Beteiligung der Abgeordneten Kauffmann und Stumm zum Familienrecht verhandelte (Nr. 68).
Reichstagseindrücke. Von Marie Raschke.
D. 5. 2. 96. Mit großem Interesse folgte ich während dieser ersten Tage den Verhandlungen des Reichstages über das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich und erhielt den Eindruck, daß es mit unserer guten Sache nicht so trostlos steht, wie wohl die meisten Frauen glauben mögen. So sehr wir mit allen Parteien wünschen müssen, daß ein einheitliches Recht so bald wie möglich unserem Vaterlande gegeben werde, und so richtig der Abgeordnete Justizrat Plank169 mit der Bemerkung hat: „wenn man warten wollte, bis ein Entwurf ohne Mängel zustande kommt, dann würde gewiß niemals ein bürgerliches Gesetzbuch zustande kommen,“ so müssen wir uns doch der in sicherer Aussicht stehenden Thatsache freuen, daß der Entwurf in einer Kommission nochmals durchberaten werden wird, ehe er zum zweitenmal vor das Plenum des Reichstages kommt. Unser Protest gegen das Familienrecht des Entwurfes hat Eindruck gemacht. Die Wirkungen desselben machen sich in den Reden aller Parteien bemerkbar; man fängt an, unsere Rechtsüberzeugungen in Erwägung zu ziehen und damit ist vorläufig schon viel gewonnen.
169 [Anmerkung: Titel und Schreibweise des Namens entstammen der Quelle.]
740
Teil 1
Wenn Recht in diesem Falle Recht werden und sein soll, so muß das Gesetz ehelichen und unehelichen Kindern die gleichen Rechte geben. Auch das uneheliche Kind muß den Namen des Vaters tragen, der Familie des Vaters und der Mutter angehören und Kindeserbe an beider Vermögen haben. In zweifelhaften Fällen würde die Vaterschaft um des Kindes willen durch Urteil festzustellen sein. Soll die Heiligkeit der Familie geschützt werden, so muß das Gesetz in erster Linie der zunehmenden Unsittlichkeit wehren, und wehren kann es ihr nur, wenn es beide Schuldigen der Welt bekannt giebt und die Unschuldigen vor jeder Unehre schützt.
49.
Marie Raschke: Reichstagseindrücke, 1896
RASCHKE, Marie: Reichstagseindrücke, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 40 Kommentar: Raschke berichtet über erste Erfolge der Frauenproteste. Der Protest gegen das Familienrecht des Entwurfs habe Eindruck gemacht. Die Wirkungen desselben machten sich in den Reden aller Parteien bemerkbar; man fange an, die Rechtsüberzeugungen der Frauen in Erwägung zu ziehen und damit sei vorläufig schon viel gewonnen. Namentlich die Abgeordneten Kauffmann (Liberale) und Stumm (Reichspartei) nehmen Forderungen der Frauen auf. Die Frauenvereine sollen die jetzige Zeit für weitere Überzeugungsarbeit nutzen. Vgl. zu den „Reichstagseindrücken“ Raschkes auch die Protokolle der XII. Kommission des Reichtstags, welche im Mai und Juni 1896 unter aktiver Beteiligung der Abgeordneten Kauffmann und Stumm zum Familienrecht verhandelte (Nr. 68).
Reichstagseindrücke. Von Marie Raschke.
D. 5. 2. 96. Mit großem Interesse folgte ich während dieser ersten Tage den Verhandlungen des Reichstages über das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich und erhielt den Eindruck, daß es mit unserer guten Sache nicht so trostlos steht, wie wohl die meisten Frauen glauben mögen. So sehr wir mit allen Parteien wünschen müssen, daß ein einheitliches Recht so bald wie möglich unserem Vaterlande gegeben werde, und so richtig der Abgeordnete Justizrat Plank169 mit der Bemerkung hat: „wenn man warten wollte, bis ein Entwurf ohne Mängel zustande kommt, dann würde gewiß niemals ein bürgerliches Gesetzbuch zustande kommen,“ so müssen wir uns doch der in sicherer Aussicht stehenden Thatsache freuen, daß der Entwurf in einer Kommission nochmals durchberaten werden wird, ehe er zum zweitenmal vor das Plenum des Reichstages kommt. Unser Protest gegen das Familienrecht des Entwurfes hat Eindruck gemacht. Die Wirkungen desselben machen sich in den Reden aller Parteien bemerkbar; man fängt an, unsere Rechtsüberzeugungen in Erwägung zu ziehen und damit ist vorläufig schon viel gewonnen.
169 [Anmerkung: Titel und Schreibweise des Namens entstammen der Quelle.]
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Bei der Zentrumspartei finden wir in Bezug auf das Familienrecht keine Unterstützung. Die Sozialdemokraten fordern volle Rechtsgleichstellung der Frau mit dem Manne und Abänderung der Bestimmungen über die unehelichen Kinder. Die Liberalen einzelner Gruppen meinen zwar, wir könnten uns mit dem Fortschritt, den der Entwurf für die Rechtsstellung der Frau aufweist, begnügen, sie halten auch die Vorschriften desselben vollständig dem Stande der gegenwärtigen Rechtsanschauung in Deutschland entsprechend; aber die liberale Volkspartei wünscht eine Änderung der Ehescheidungsparagraphen in unserem Sinne (Abgeordneter Rechtsanwalt Kaufmann verlas die betreffende Stelle aus der Broschüre: „Die Frau im bürgerlichen Gesetzbuch“ und plädierte ferner für volle Vereinsfreiheit gleich dem Zentrum und der Sozialdemokratie). Abgeordneter v. Stumm (R.-P.) verwirft gleich uns die Verwaltungsgemeinschaft, wie sie der Entwurf aufweist. „Die Ehe wird um so normaler sein, je mehr die Frau bei der Eheschließung gleichberechtigt mit dem Manne ist,“ und: „Wenn die deutsche Nation an der Spitze aller anderen Nationen marschieren will, muß sie auch die Frauen besser stellen als alle anderen Nationen; denn man bemisst den Civilisationsgrad einer Nation nach der Stellung der Frau.“ So ungefähr sprach ein Mann, der sonst ein Reaktionär vom reinsten Wasser zu sein scheint. Aus Gesprächen mit einzelnen Abgeordneten entnahm ich, daß wenig Hoffnung für das Zustandekommen des Gesetzes in dieser Session ist. Ungefähr zwei Monate werden die Arbeiten der Kommission in Anspruch nehmen; dann kommt die zweite Lesung im Reichstage und möglicher Weise noch die dritte. Der Kommission wird die Ermächtigung erteilt werden, die weniger wichtigen Paragraphen des zweiten Entwurfes nach ihren Beschlüssen anzunehmen; die wichtigen Paragraphen kommen nach Erledigung der einzelnen Abschnitte sogleich zur zweiten Lesung vor den Reichstag. Diese Zeit der Kommissionsberatungen müssen wir ausnutzen. Es tritt an uns die ernste Pflicht heran, der Kommission nochmals unsere Wünsche in Bezug auf die einzelnen Abteilungen des Familienrechts und auf das Vereinsrecht vorzubringen. Denn nach der Geschäftsordnung des Reichstages kann jeder Abänderungsvorschläge vor die Kommission bringen, während dem Reichstage bei der zweiten Lesung dahingehende Anträge nur von den Abgeordneten gestellt werden können und bei der dritten Lesung nur ein von 50 Mitgliedern des Reichstages unterschriebener Antrag Geltung hat. Die rechte Zeit ist gekommen. Das Kommandowort muß sein: „Alle Vereine an die Arbeit!“
742
50.
Teil 1
Marie Raschke: Aus dem Reichstage [betr.: Anträge Pauli zum Familienrecht], 1896
RASCHKE, Marie: Aus dem Reichstage, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 86 Kommentar: Raschke findet lobende Worte für die Anträge Pauli/Stumm (vgl. Nr. 68 sowie die Interpretation bei Duncker, Die Anträge Pauli, 2006), deren Inhalte zum Teil referiert werden, aber unterstützt diese nicht uneingeschränkt, weil sie ihr in verschiedenen Punkten nicht weit genug gehen. Daher drängt sie auf eine Ergänzung der Anstrengungen durch eigene Anträge, welche sie für den Verein Frauenwohl ausgearbeitet habe. In dem vorliegenden Artikel ist der Sache nach bereits das spätere Zerwürfnis zwischen Raschke und Emilie Kempin angelegt, die hinter den Anträgen Pauli/Stumm steht (vgl. Kempin, Nr. 31, 7.5.1896).
Aus dem Reichstage. Von Marie Raschke.
Der Kommission zur Beratung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich sind Abänderungs-Anträge zu dem 4. Buch des Entwurfs (Familienrecht) zugegangen, welche die Früchte des Protestes der deutschen Frauen genannt werden können; denn einzelne Anträge decken sich im allgemeinen mit den Forderungen, welche der Verein Frauenwohl in der Broschüre: „Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch“, der Frauenbund in seiner Petition und der Dresdener Rechtsschutzverein gestellt haben. Hinter dem Antragsteller Pauli, einem Mitgliede der Kommission, steht ein bekannter konservativer Reichstagsabgeordneter, derselbe, welcher im Reichstage zwar forderte, daß das deutsche Volk, wenn es an der Spitze aller kultivierten Nationen marschieren wolle, auch seine Frauen besser stellen müßte als alle anderen Nationen, später aber doch hinsichtlich dieser Forderung nicht konsequent geblieben ist.170 Die Abänderungs-Anträge Pauli zum 5. Titel des 1. Abschnitts (Wirkungen der Ehe im allgemeinen) suchen das Mundium abzuschwächen. Sie fordern, daß der Frau die Befugnis zur Vertretung ihres Mannes innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises auf Antrag des Mannes nur vom Vormundschaftsgericht beschränkt oder entzogen werden kann, und daß die Ehefrau berechtigt ist, ohne Einwilligung ihres Mannes einen selbständigen Beruf oder ein Gewerbe zu betreiben, auch Dritten gegenüber sich zu einer persönlichen Leistung zu verpflichten. Zum 6. Titel (Eheliches Güterrecht) fordern sie im gesetzlichen Güterrecht, in Ermangelung von Eheverträgen, Gütertrennung mit der Berechtigung eines jeden der Ehegatten, sein eingebrachtes oder während der Ehe erworbenes Gut selbständig zu verwalten, zu gebrauchen und darüber zu verfügen. Im vertragsmäßigen Güterrecht wird aber das Vorbehaltsgut der Frau nicht auf alle Fälle wie jetzt im Entwurf von der Verwaltung und Nutznießung des Mannes ausgeschlossen, sondern gesagt, es kann ausgeschlossen werden. Auch ist bei der Verwaltungsgemeinschaft, allgemeinen Gütergemeinschaft und Errungenschaftsgemeinschaft nicht
170 [Anmerkung: Marie Raschke meint Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg.]
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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die Streichung der nach dem Entwurf notwendigen Einwilligung des Mannes bei der Betreibung eines selbständigen Berufes, Gewerbes ec. seitens der Frau beantragt worden. Es würde demnach eine Ehefrau, wenn die Abänderungs-Anträge Pauli Gesetz würden, ihre Selbständigkeit nur bewahren können, wenn sie sich vor jedem Ehevertrage hütet. Im 4. Titel des 2. Abschnitts (Rechtliche Stellung der ehelichen Kinder) wird bei Lebzeiten des Vaters die elterliche Gewalt für die Mutter insoweit gefordert, als diese bei vorübergehender oder dauernder Behinderung des Vaters zur Vertretung des Kindes berechtigt sein soll. Ebenso soll sie, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht, die elterliche Gewalt ausüben, auch wenn das Ruhen nur eingetreten ist, weil der Vater wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist. Im 1. Titel des 3. Abschnitts (Vormundschaft) soll die Einschränkung des § 1664: „Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden“ und die des § 1759: „Zum Mitgliede eines Familienrats soll nicht bestellt werden: 2. eine Frau“ gestrichen werden. Obgleich wir dem Antragsteller für diese fortschrittlichen Anträge dankbar sein können, so sind doch 1. seine Forderungen nicht konsequent genug und 2. lassen sie Gebiete unberührt, die für die gegenwärtige und zukünftige Frauenbewegung sehr wichtig sind. Es ist daher dringend notwendig, daß auch von seiten der Frauen Anträge an die Kommission gestellt werden, welche 1. die Anträge Pauli ergänzen und erweitern, 2. auf die inzwischen erfolgten Abänderungen des Entwurfs Bezug nehmen. Ich habe solche Anträge, welche 1. das Mundium vollständig beseitigen, 2. die Scheidung der Ehe erleichtern, 3. die elterliche Gewalt der Mutter erweitern, 4. die Rechte der unehelichen Kinder gemäß den Forderungen des Frauenbundes und der Broschüren des Vereins Frauenwohl und des Dresdener Rechtsschutzvereins und 5. das Erbrecht der unehelichen Kinder nach dem jüngsten französischen Gesetzeserlaß regeln, ausgearbeitet und hoffe, daß der Verein Frauenwohl in Berlin diese acceptieren und der Kommission einsenden wird.
51.
Marie Raschke: Frau Dr. jur. Kempins Ansichten über das Vorgehen der deutschen Frauen, 1896
RASCHKE, Marie: Frau Dr. jur. Kempins Ansichten über das Vorgehen der deutschen Frauen, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 108/109 Kommentar: Raschke reagiert auf Kempins Artikel in der „Post“ vom 6.5.1896 (Nr. 31) und verteidigt das Vorgehen des Vereins „Frauenwohl“. Sie übt scharfe Kritik an Kempin, und zwar nicht nur in sachlicher, sondern auch in persönlicher Weise. Raschke, die wenige Jahre später ebenfalls promovieren wird, scheint den juristischen Doktortitel Kempins bereits in der Überschrift als rhetorische Figur gegen Kempin einzusetzen und grenzt sie zusätzlich aufgrund ihrer Nationalität aus: „Zu welchem Zwecke Frau Dr. Kempin, eine Schweizerin, einen derartigen ungerechtfertigten Angriff gegenüber den ihr Recht suchenden deutschen Frauen (…) unternimmt, ist schwer ersichtlich.“ Die besondere Betonung der „deutschen“ Frauen in der Überschrift ist demnach kein Zufall.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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die Streichung der nach dem Entwurf notwendigen Einwilligung des Mannes bei der Betreibung eines selbständigen Berufes, Gewerbes ec. seitens der Frau beantragt worden. Es würde demnach eine Ehefrau, wenn die Abänderungs-Anträge Pauli Gesetz würden, ihre Selbständigkeit nur bewahren können, wenn sie sich vor jedem Ehevertrage hütet. Im 4. Titel des 2. Abschnitts (Rechtliche Stellung der ehelichen Kinder) wird bei Lebzeiten des Vaters die elterliche Gewalt für die Mutter insoweit gefordert, als diese bei vorübergehender oder dauernder Behinderung des Vaters zur Vertretung des Kindes berechtigt sein soll. Ebenso soll sie, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht, die elterliche Gewalt ausüben, auch wenn das Ruhen nur eingetreten ist, weil der Vater wegen Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist. Im 1. Titel des 3. Abschnitts (Vormundschaft) soll die Einschränkung des § 1664: „Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden“ und die des § 1759: „Zum Mitgliede eines Familienrats soll nicht bestellt werden: 2. eine Frau“ gestrichen werden. Obgleich wir dem Antragsteller für diese fortschrittlichen Anträge dankbar sein können, so sind doch 1. seine Forderungen nicht konsequent genug und 2. lassen sie Gebiete unberührt, die für die gegenwärtige und zukünftige Frauenbewegung sehr wichtig sind. Es ist daher dringend notwendig, daß auch von seiten der Frauen Anträge an die Kommission gestellt werden, welche 1. die Anträge Pauli ergänzen und erweitern, 2. auf die inzwischen erfolgten Abänderungen des Entwurfs Bezug nehmen. Ich habe solche Anträge, welche 1. das Mundium vollständig beseitigen, 2. die Scheidung der Ehe erleichtern, 3. die elterliche Gewalt der Mutter erweitern, 4. die Rechte der unehelichen Kinder gemäß den Forderungen des Frauenbundes und der Broschüren des Vereins Frauenwohl und des Dresdener Rechtsschutzvereins und 5. das Erbrecht der unehelichen Kinder nach dem jüngsten französischen Gesetzeserlaß regeln, ausgearbeitet und hoffe, daß der Verein Frauenwohl in Berlin diese acceptieren und der Kommission einsenden wird.
51.
Marie Raschke: Frau Dr. jur. Kempins Ansichten über das Vorgehen der deutschen Frauen, 1896
RASCHKE, Marie: Frau Dr. jur. Kempins Ansichten über das Vorgehen der deutschen Frauen, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 108/109 Kommentar: Raschke reagiert auf Kempins Artikel in der „Post“ vom 6.5.1896 (Nr. 31) und verteidigt das Vorgehen des Vereins „Frauenwohl“. Sie übt scharfe Kritik an Kempin, und zwar nicht nur in sachlicher, sondern auch in persönlicher Weise. Raschke, die wenige Jahre später ebenfalls promovieren wird, scheint den juristischen Doktortitel Kempins bereits in der Überschrift als rhetorische Figur gegen Kempin einzusetzen und grenzt sie zusätzlich aufgrund ihrer Nationalität aus: „Zu welchem Zwecke Frau Dr. Kempin, eine Schweizerin, einen derartigen ungerechtfertigten Angriff gegenüber den ihr Recht suchenden deutschen Frauen (…) unternimmt, ist schwer ersichtlich.“ Die besondere Betonung der „deutschen“ Frauen in der Überschrift ist demnach kein Zufall.
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Teil 1
Frau Dr. jur. Kempins Ansichten über das Vorgehen der deutschen Frauen. Von Marie Raschke.
(108) Frau Dr. jur. Kempin äußert sich in einem Artikel: „Zur Reform der Stellung der Frau“, welcher in Nr. 124 der „Post“ vom 6. Mai erschienen ist, folgendermaßen: „Neben den Anträgen Pauli und Kauffmann liegt der Reichstagskommission für den Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches noch eine Petition des Vereins „Frauenwohl“ in Berlin, betreffend Abänderung des Familienrechts zu Gunsten der Ehefrauen und Mütter vor. Damit dokumentieren die Frauen einen großen Mangel an Taktik in parlamentarischen Angelegenheiten, die Unfähigkeit, ihre persönlichen Wünsche einem großen Endzweck unterzuordnen. Statt sich zu freuen, (109) daß zwei Mitglieder der Kommission, Pauli und Kauffmann, für die Rechte der Frauen in so entschiedener Weise eintreten, statt den Vertretern ihrer Hauptforderungen nun das Feld zu erfolgreicher Attaque frei zu lassen, schwächen sie die Kraft derselben durch Wünsche auf Abänderung der Anträge und schaden damit ihrer eigenen Sache u. s. w. Solche kurzsichtige Politik ist im höchsten Grade zu bedauern, u. s. w. Im Übrigen, worin bestehen denn die Abänderungs- und Zusatzanträge des Vereins „Frauenwohl“? In kleinen Nebenpunkten, fast möchte man sagen, weiblichen Rechthabereien.“ Zu welchem Zwecke Frau Dr. Kempin, eine Schweizerin, einen derartigen ungerechtfertigten Angriff gegenüber den ihr Recht suchenden deutschen Frauen (denn auch die Münchener Frauen haben prinzipiell gleichlautende Abänderungsanträge an die Kommission gesandt wie der Verein „Frauenwohl“) unternimmt, ist schwer ersichtlich. Frau Dr. Kempin weilt erst seit einigen Monaten in Berlin. Tiefere Einblicke in die ganze Bewegung zu gewinnen, sowie Teilnahme an den Bestrebungen und Arbeiten zu nehmen sind ihr bis jetzt nicht möglich gewesen. Ungerechtfertigt ist der schwere Angriff, weil der Verein „Frauenwohl“ durch ein Mitglied der Kommission, dem Frau Kempin schwerlich auch großen „Mangel an Taktik in parlamentarischen Angelegenheiten“ vorwerfen würde, zu den Zusatz- und Abänderungsanträgen veranlaßt worden ist. Ungerechtfertigt ist der Angriff ferner, weil die Anträge des Vereins Frauenwohl sich den Anträgen Kauffmann ganz, den Anträgen Pauli erweiternd anschließen und außerdem Abänderungen von Paragraphen enthalten, welche von keinem der beiden Antragsteller bis dahin berührt waren. Erweiterte und ergänzende Anträge können aber niemals die Kraft der verwandten schwächen, sie können sie im Gegenteil nur stärken, und aus diesem Grunde ist der Verein „Frauenwohl“ auch von dem betreffenden Kommissionsmitgliede zur Einsendung derselben bewogen worden. Am ungerechtfertigsten ist aber die Behauptung der Frau Dr. Kempin, daß die betreffenden Anträge „in kleinen Nebenpunkten“ bestehen, da gerade die Abänderungsanträge der wichtigsten Titel: „Elterliche Gewalt“ und „Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder“ umfassen!
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
745
Die ernst ringenden deutschen Frauen suchen und fordern ihr Menschenrecht und werden nicht eher ruhen, als bis für Mann und Frau das gleiche Recht gilt. Von „weiblicher Rechthaberei“, sind sie dabei weit entfernt. Ein solcher Vorwurf kann ihnen nur öffentlich von jemand gemacht werden, der entweder kein Herz für ihr redliches Streben oder kein Verständnis für die Ursachen desselben hat. Oder sollte Frau Kempin im Ernst glauben, daß ein derartiger öffentlicher Angriff dem deutschen Frauenstreben förderlich ist? Frau Kempin meint, „mit diesen Ausstellungen einen Sturm der Entrüstung bei dem erwähnten Verein hervorzurufen“; denn sie meint „die Frauen ertragen heute noch selten genug eine sachliche Kritik.“ Hierin irrt Frau Kempin zweifach. Sie ruft keinen Sturm der Entrüstung hervor, sondern nur ein schmerzliches Verwundern darüber, daß eine Juristin wichtige Prinzipienpunkte „Nebenpunkte“, und ungerechtfertigte Angriffe „sachliche Kritik“ nennt. Der zweite Irrtum besteht darin, daß die Mitglieder des Vereins „Frauenwohl“ eine sachliche Kritik nicht vertragen können. Wer dem Verein „Frauenwohl“ angehört, hat ein zielbewußtes Streben, und solche Frauen vertragen wohl eine sachliche Kritik, aber kein unberechtigtes störendes Eingreifen in ihr wohlbegründetes und reiflich überlegtes Vorgehen. Der Entwurf des 4. Buches hat wenig Abänderungen in der Kommissionsberatung erfahren. Sollte er in dieser Fassung vom Plenum des Reichstages angenommen werden, so haben wir deutschen Frauen mehr Gewinn davon, als wenn er in den wichtigsten Titeln geringe Fortschritte zeigte. Ein derartig schlechtes Recht kann bei den gegenwärtigen Zeitverhältnissen keinen langen Bestand haben, während ein nur etwas zeitgemäßer gestaltetes sich in Deutschland für längere Zeit einbürgern würde. Aus diesem Grunde wäre Zufriedenheit mit einem kleinen oder gar kleinsten Fortschritt als kurzsichtige Politik im höchsten Grade zu bedauern.
52.
Marie Raschke: Zur Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897
RASCHKE, Marie: Zur Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 49/50 Kommentar: Die Petition der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches (Nr. 52) war in ihrem wichtigsten Punkt – Nr. 1 zu den Rechten verheirateter Handelsfrauen – Kritik von „verschiedenen Seiten“, wohl aus der Frauenbewegung selbst, ausgesetzt. Raschke sieht sich daher gedrängt, die Petition gegenüber den Kritikerinnen zu rechtfertigen. Kern der Kritik ist, die Rechtskommission sei hier von dem Grundsatz abgewichen, den sie selbst bei der Bekämpfung des Familienrechts im bürgerlichen Gesetzbuche aufgestellt hatte: „Gleiches Recht für Mann und Frau“. Tatsächlich verlangt sie in Nr. 1 nicht etwa eine umfassende Handlungsfreiheit verheirateter Handelsfrauen, sondern lediglich eine ihrer Ansicht nach frauenfreundliche gesetzliche Klärung des Konflikts zwischen BGB und HGB, wobei die Eheherrschaft über verheiratete Handelsfrauen nicht völlig beseitigt werden soll.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Die ernst ringenden deutschen Frauen suchen und fordern ihr Menschenrecht und werden nicht eher ruhen, als bis für Mann und Frau das gleiche Recht gilt. Von „weiblicher Rechthaberei“, sind sie dabei weit entfernt. Ein solcher Vorwurf kann ihnen nur öffentlich von jemand gemacht werden, der entweder kein Herz für ihr redliches Streben oder kein Verständnis für die Ursachen desselben hat. Oder sollte Frau Kempin im Ernst glauben, daß ein derartiger öffentlicher Angriff dem deutschen Frauenstreben förderlich ist? Frau Kempin meint, „mit diesen Ausstellungen einen Sturm der Entrüstung bei dem erwähnten Verein hervorzurufen“; denn sie meint „die Frauen ertragen heute noch selten genug eine sachliche Kritik.“ Hierin irrt Frau Kempin zweifach. Sie ruft keinen Sturm der Entrüstung hervor, sondern nur ein schmerzliches Verwundern darüber, daß eine Juristin wichtige Prinzipienpunkte „Nebenpunkte“, und ungerechtfertigte Angriffe „sachliche Kritik“ nennt. Der zweite Irrtum besteht darin, daß die Mitglieder des Vereins „Frauenwohl“ eine sachliche Kritik nicht vertragen können. Wer dem Verein „Frauenwohl“ angehört, hat ein zielbewußtes Streben, und solche Frauen vertragen wohl eine sachliche Kritik, aber kein unberechtigtes störendes Eingreifen in ihr wohlbegründetes und reiflich überlegtes Vorgehen. Der Entwurf des 4. Buches hat wenig Abänderungen in der Kommissionsberatung erfahren. Sollte er in dieser Fassung vom Plenum des Reichstages angenommen werden, so haben wir deutschen Frauen mehr Gewinn davon, als wenn er in den wichtigsten Titeln geringe Fortschritte zeigte. Ein derartig schlechtes Recht kann bei den gegenwärtigen Zeitverhältnissen keinen langen Bestand haben, während ein nur etwas zeitgemäßer gestaltetes sich in Deutschland für längere Zeit einbürgern würde. Aus diesem Grunde wäre Zufriedenheit mit einem kleinen oder gar kleinsten Fortschritt als kurzsichtige Politik im höchsten Grade zu bedauern.
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Marie Raschke: Zur Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897
RASCHKE, Marie: Zur Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 49/50 Kommentar: Die Petition der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches (Nr. 52) war in ihrem wichtigsten Punkt – Nr. 1 zu den Rechten verheirateter Handelsfrauen – Kritik von „verschiedenen Seiten“, wohl aus der Frauenbewegung selbst, ausgesetzt. Raschke sieht sich daher gedrängt, die Petition gegenüber den Kritikerinnen zu rechtfertigen. Kern der Kritik ist, die Rechtskommission sei hier von dem Grundsatz abgewichen, den sie selbst bei der Bekämpfung des Familienrechts im bürgerlichen Gesetzbuche aufgestellt hatte: „Gleiches Recht für Mann und Frau“. Tatsächlich verlangt sie in Nr. 1 nicht etwa eine umfassende Handlungsfreiheit verheirateter Handelsfrauen, sondern lediglich eine ihrer Ansicht nach frauenfreundliche gesetzliche Klärung des Konflikts zwischen BGB und HGB, wobei die Eheherrschaft über verheiratete Handelsfrauen nicht völlig beseitigt werden soll.
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Teil 1
Raschke erörtert in diesem Zusammenhang die alte und neue Rechtslage nach ADHGB 1861, HGB-Entwurf 1897 sowie Gewerbeordnung und BGB. Da das BGB einschließlich der dortigen Rechte des Ehemanns nun einmal verabschiedet sei, müsse dieser Teil der rechtlichen Realität berücksichtigt werden: „Die erste Forderung in der Petition ist aus diesem Grunde dem gegebenen, nicht zu umgehenden Gesetze entsprechend gefaßt. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Petition das werdende Handelsgesetzbuch und nicht das vollendete Bürgerliche Gesetzbuch betrifft. Eine Hervorkehrung unseres Prinzips an dieser ungeeigneten Stelle wäre unkluge, schadenbringende Prinzipienreiterei“ (S. 49 f.). Daß unabhängig davon weiterhin auf eine Änderung des BGB-Eherechts zu drängen sei, stehe außer Frage.
Zur Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches. Von Marie Raschke in Berlin.
Der Passus 1 der Petition der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine ist von verschiedenen Seiten angegriffen worden. Der Rechtskommission ist der Vorwurf gemacht worden, sie wäre in Nr. 1 der Petition von dem Grundsatze abgewichen, den sie bei der Bekämpfung des Familienrechts im bürgerlichen Gesetzbuche aufgestellt hatte: „Gleiches Recht für Mann und Frau.“ Zur Rechtfertigung diene Folgendes: Das neue Handelsgesetzbuch wird geschaffen, weil die Vorschriften des alten mit dem Inhalte des Bürgerlichen Gesetzbuches, als dem grundlegenden Gesetzbuche, nicht übereinstimmen, und eine Übereinstimmung der beiden Gesetzbücher beim Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches durchaus notwendig ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch ist vom Bundesrat und Reichstage angenommen und vom Kaiser bestätigt worden. Nach seinen Bestimmungen haben sich die Entwürfe der neu zu revidierenden Gesetze, also auch der Entwurf des Handelsgesetzbuches zu richten. Ebenso haben alle diejenigen, welche Abänderungen im Entwurfe des Handelsgesetzbuches beantragen, die vorläufig festgelegten Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu berücksichtigen, wenn sie nicht wollen, daß ihre Anträge oder Petitionen als zur Berücksichtigung nicht geeignet in den großen Papierkorb des Reichstages wandern. Das Bürgerliche Gesetzbuch anerkennt im Prinzip die volle Geschäfts- und Handlungsfähigkeit der Frau; deshalb ist der Artikel 7 des jetzigen Handelsgesetzes, nach dem eine Ehefrau ohne Einwilligung ihres Mannes nicht Handelsfrau sein darf, im Entwurf eines Handelsgesetzbuches gestrichen worden. Betreibt nach Art. 7 eine Ehefrau ohne Einwilligung ihres Mannes dennoch Handel, so finden auf sie die für Kaufleute geltenden Vorschriften keine Anwendung. Die Frau ist alsdann nicht Kaufmann; sie hat nicht die Rechte und Pflichten eines solchen, und ihre Geschäfte sind nicht Handelsgeschäfte. Dies soll in Zukunft anders werden. Da nach § 11 der Gewerbeordnung die Frauen in Bezug auf die Befugnis zum Gewerbebetriebe den Männern völlig gleichgestellt sind, haben sie dem Prinzip nach auch diese Gleichstellung im Bürgerlichen und im Handels-Gesetzbuche erhalten.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Eine in Gütertrennung mit ihrem Manne lebende Frau ist ihm in Zukunft in Bezug auf Geschäfts- und Erwerbsfähigkeit vollkommen gleich gestellt. Sie bedarf der Einwilligung des Mannes zu ihrem Handelsbetrieb nicht. Ihre wirtschaftliche Selbständigkeit befähigt und berechtigt sie zur Eingehung jeder Rechtsverbindlichkeit. Auch das Handelsgeschäft einer nach gesetzlichem Güterrechte mit ihrem Manne lebenden Frau wird in Zukunft nach Handelsrecht beurteilt, und die Frau ist Handelsfrau, hat alle Rechte und Pflichten eines Kaufmanns, auch wenn der Mann ihr die Einwilligung zum Betrieb eines Handelsgeschäfts verweigert. Aber der Mann hat hier das Recht, die Verweigerung seiner Einwilligung in das Güterrechtsregister eintragen zu lassen. Güterrechts- und Handelsregister werden bei demselben Gerichte geführt, damit die Handelsgläubiger der Frau sich überzeugen können, ob die von der Frau eingegangene Verbindlichkeit sie allein oder ihren Mann mit verpflichtet. Besteht also zwischen den Ehegatten Verwaltungsgemeinschaft (das gesetzliche Güterrecht), oder eine andere Gütergemeinschaft, dann wird des Mannes Einspruchs-Eintragung in das Güterrechtsregister den Kredit der Frau untergraben und ihr die Fortsetzung ihres Handelsgeschäftes so lange unmöglich machen, daß sie den, event. durch Mißbrauch seines Rechtes, eingetragenen Einspruch des Mannes gerichtlich hat beseitigen lassen. Das gesetzliche eheliche Güterrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist in seinen Wirkungen maßgebender für eine verheiratete Handelsfrau, als die Bestimmungen des § 1354, nach welchem dem Manne die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zusteht. Wir müßten demnach, wenn wir den Willen unserer Tadler gerecht werden wollten, nicht nur die Nichtanwendung des § 1354 auf eine Handelsfrau, sondern auch die Nichtanwendung aller einschlägigen Paragraphen des ehelichen Güterrechts fordern. Eine solche Forderung stößt aber das ganze Prinzip des Familienrechts um und geht deshalb nur gegen das Bürgerliche Gesetzbuch allein zu richten. „Zur Wahrung der Stellung des Ehemannes als des Hauptes der ehelichen Gemeinschaft“ beruft sich die Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuches auf den § 1354 des Bürgerlichen Gesetzbuches als Entschädigung für den Fortfall des Art. 7 des Handelsgesetzbuches. „Es sei ganz berechtigt und gar nicht zu entbehren, daß der Mann mehr Recht in der Ehe habe, als die Frau, wenn man die Familie gesund erhalten wolle,“ so heißt es in dem Bericht der 12. ReichstagsKommission zu diesem Paragraphen. Das Dasein des Paragraphen 1354 können wir gegenwärtig bei Schaffung des Handelsgesetzbuches nicht angreifen; wir können nur dahin wirken, daß die Bezugnahme auf denselben eingeschränkt werde, wenn wir der Stellung der Handelsfrau, die so unvorsichtig ist, in Verwaltungsgemeinschaft oder in irgend einer anderen Gütergemeinschaft mit ihrem Manne zu leben, eine sichere Grundlage erringen wollen. Unsere Forderung in Nr. 1 der Petition geht deshalb dahin, daß, wenn der Mann stillschweigend oder durch Unterlassen der Einspruchs-Eintragung in das Güterrechtsregister seine Einwilligung zum Handelsbetrieb der Frau einmal gegeben habe, diese für die ganze Dauer der Ehe nicht mehr zurückzuziehen ist. Setzen wir diese Forderung durch, dann haben wir der in irgend einer Gütergemeinschaft mit ihrem Manne lebenden Handelsfrau eine Selbständigkeit errungen, die fast gleichwertig derjenigen der güterrechtlich unabhängigen Handelsfrau ist.
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Teil 1
Unserem Grundprinzip werden wir nicht untreu, wenn wir bei der Revision der bestehenden Gesetze, zwecks Anpassung an das grundlegende Bürgerliche Gesetzbuch, uns mit unserer Petition auf den Boden des nun einmal vorläufig fertigen Gesetzes stellen und unter Berücksichtigung der grundlegenden Bestimmungen diese zu mildern suchen, soviel wir nur vermögen. In unserem fortgesetzten Kampfe gegen das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist ein Festhalten am Prinzip der völligen rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau selbstverständlich. Haben wir hier erst erreicht, was wir erstreben, dann ist auch der Kampf gegen alle anderen mit ihm zusammenhängenden Gesetze beendet; denn mit dem Fortfall der die Frauen einengenden Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuche fallen von selbst auch alle diese in den übrigen Gesetzen. Ich hebe noch einmal hervor, daß das gesetzliche eheliche Güterrecht des bürgerlichen Gesetzbuches hauptsächlich die verheirateten Handelsfrauen in ihrem Rechte beschränkt. Hätten wir dem Wunsche einiger sich auf unser Prinzip berufenden Frauen nachgegeben und nur allein verlangt, daß der § 1354 auf eine Handelsfrau keine Anwendung finden solle, so hätten wir nicht allein etwas Unmögliches gefordert, sondern wir hätten uns auch dem berechtigten Vorwurfe der Nichtberücksichtigung aller übrigen einschneidenden Bestimmungen ausgesetzt, von denen der § 1354 unzertrennlich ist. Denn so lange der Mann das getrennte oder das gemeinsame Vermögen allein verwaltet und über seine Verwendung entscheidet, wird ihm auch ein Einspruchsrecht bei der Belastung desselben verbleiben müssen, und wir können nur eine feste Begrenzung dieses Einspruchsrechts fordern, wie es in Nr. 1 der Petition geschehen ist. Die erste Forderung in der Petition ist aus diesem Grunde dem gegebenen, nicht zu umgehenden Gesetze entsprechend gefaßt. (50) Wir dürfen nicht vergessen, daß die Petition das werdende Handelsgesetzbuch und nicht das vollendete Bürgerliche Gesetzbuch betrifft. Eine Hervorkehrung unseres Prinzips an dieser ungeeigneten Stelle wäre unkluge, schadenbringende Prinzipienreiterei. Denn da wir annehmen müssen, daß bei der Rechtsunkenntnis der meisten Frauen diese nicht imstande sind, die ganze schädigende Tragweite des gesetzlichen ehelichen Güterrechts von vornherein zu erkennen, so werden auch lange nicht alle Handelsfrauen vertragsmäßig völlige Gütertrennung bei Eingehung der Ehe vereinbaren. Diese Frauen so viel wie möglich vor schädigender Bevormundung zu bewahren, ist unsere nächste Pflicht.
53.
Marie Raschke: Aus dem Reichstage [betr.: Behandlung der Petition zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches], 1897
RASCHKE, Marie: Aus dem Reichstage, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 93/94 Kommentar: Die Petition der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches (Nr. 52) ist in der XVIII. Kommission des Reichstags erörtert und in Punkt 1 und 2 abgelehnt worden. Raschke berichtet über Verlauf und Inhalt der Beratungen. Punkt 3 der Petition ist immerhin dem Sinne nach umgesetzt worden. Der Rechtskommission ging es um ein außerordentliches Kündigungsrecht für Handlungsgehilfen bei Angriffen auf die Ehre (insbesondere die „weibliche Ehre“ von Handlungsgehilfinnen) durch Angestellte des Prinzipals. Desweiteren wurde ein Antrag abgelehnt, wonach es
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Teil 1
Unserem Grundprinzip werden wir nicht untreu, wenn wir bei der Revision der bestehenden Gesetze, zwecks Anpassung an das grundlegende Bürgerliche Gesetzbuch, uns mit unserer Petition auf den Boden des nun einmal vorläufig fertigen Gesetzes stellen und unter Berücksichtigung der grundlegenden Bestimmungen diese zu mildern suchen, soviel wir nur vermögen. In unserem fortgesetzten Kampfe gegen das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist ein Festhalten am Prinzip der völligen rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau selbstverständlich. Haben wir hier erst erreicht, was wir erstreben, dann ist auch der Kampf gegen alle anderen mit ihm zusammenhängenden Gesetze beendet; denn mit dem Fortfall der die Frauen einengenden Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuche fallen von selbst auch alle diese in den übrigen Gesetzen. Ich hebe noch einmal hervor, daß das gesetzliche eheliche Güterrecht des bürgerlichen Gesetzbuches hauptsächlich die verheirateten Handelsfrauen in ihrem Rechte beschränkt. Hätten wir dem Wunsche einiger sich auf unser Prinzip berufenden Frauen nachgegeben und nur allein verlangt, daß der § 1354 auf eine Handelsfrau keine Anwendung finden solle, so hätten wir nicht allein etwas Unmögliches gefordert, sondern wir hätten uns auch dem berechtigten Vorwurfe der Nichtberücksichtigung aller übrigen einschneidenden Bestimmungen ausgesetzt, von denen der § 1354 unzertrennlich ist. Denn so lange der Mann das getrennte oder das gemeinsame Vermögen allein verwaltet und über seine Verwendung entscheidet, wird ihm auch ein Einspruchsrecht bei der Belastung desselben verbleiben müssen, und wir können nur eine feste Begrenzung dieses Einspruchsrechts fordern, wie es in Nr. 1 der Petition geschehen ist. Die erste Forderung in der Petition ist aus diesem Grunde dem gegebenen, nicht zu umgehenden Gesetze entsprechend gefaßt. (50) Wir dürfen nicht vergessen, daß die Petition das werdende Handelsgesetzbuch und nicht das vollendete Bürgerliche Gesetzbuch betrifft. Eine Hervorkehrung unseres Prinzips an dieser ungeeigneten Stelle wäre unkluge, schadenbringende Prinzipienreiterei. Denn da wir annehmen müssen, daß bei der Rechtsunkenntnis der meisten Frauen diese nicht imstande sind, die ganze schädigende Tragweite des gesetzlichen ehelichen Güterrechts von vornherein zu erkennen, so werden auch lange nicht alle Handelsfrauen vertragsmäßig völlige Gütertrennung bei Eingehung der Ehe vereinbaren. Diese Frauen so viel wie möglich vor schädigender Bevormundung zu bewahren, ist unsere nächste Pflicht.
53.
Marie Raschke: Aus dem Reichstage [betr.: Behandlung der Petition zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches], 1897
RASCHKE, Marie: Aus dem Reichstage, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 93/94 Kommentar: Die Petition der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches (Nr. 52) ist in der XVIII. Kommission des Reichstags erörtert und in Punkt 1 und 2 abgelehnt worden. Raschke berichtet über Verlauf und Inhalt der Beratungen. Punkt 3 der Petition ist immerhin dem Sinne nach umgesetzt worden. Der Rechtskommission ging es um ein außerordentliches Kündigungsrecht für Handlungsgehilfen bei Angriffen auf die Ehre (insbesondere die „weibliche Ehre“ von Handlungsgehilfinnen) durch Angestellte des Prinzipals. Desweiteren wurde ein Antrag abgelehnt, wonach es
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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im Gesetz heißen sollte „Dem Handlungsgehilfen ist, soweit seine geschäftliche Thätigkeit es nicht verbietet, Sitzgelegenheit zu gewähren“. In der Diskussion stand hier augenscheinlich die damals oft angesprochene Möglichkeit zum Sitzen für Verkäuferinnen. Weiterhin regt Raschke eine Petition an den Reichstag an, „die Bestimmung kostenloser Eheverträge zu veranlassen, damit der minderbegüterte Mittelstand, aus dem allein die Handelsfrauen hervorgehen, durch den Kostenpunkt nicht von den durchaus notwendigen Verträgen abgehalten werde“. Nach den Gesetzesberatungen ist § 18 dahingehend gefaßt, daß ein Kaufmann seinen Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen als Firma zu führen hat. Damit ist ein Unterschied aufgehoben, der zuvor zwischen Mann und Frau gemacht wurde. Ursprünglich sollte diese Verpflichtung nur der Frau auferlegt werden, was durchaus einen diskriminierenden Charakter hatte: Zwang zur Kennzeichnung weiblicher Geschäftspartnerinnen als Handelsleute mit beschränkter Hochachtung? Raschke (S. 93 f.) zitiert hierzu den Beweggrund: „Man hielt eine verschiedenartige Behandlung der Rechtsverhältnisse hinsichtlich Mann und Frau in dieser Richtung nicht für angezeigt“. Sie merkt an: „Möchte der Reichstag vor 1900 doch zu der Einsicht gelangen, daß eine verschiedenartige Behandlung der Rechtsverhältnisse von Mann und Frau in jeder Richtung weder angezeigt noch gerecht ist!“
Aus dem Reichstage. Von Marie Raschke in Berlin.
„Aus Anlaß der Petition der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine wurde die Frage erörtert, inwieweit der Ehemann berechtigt ist, die ausdrückliche oder stillschweigend erteilte Genehmigung zum Betrieb eines Handelsgeschäfts der Ehefrau wieder zurückzuziehen. Die Kommission war darüber einig, daß nach §§ 1354 und 1405 des B. G. der Widerruf jeder Zeit erfolgen kann, und daß Dritten gegenüber Einwendungen auf Grund des Widerrufs nur dann erhoben werden können, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts der Widerruf in das Güterrechtsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen oder dem Dritten bekannt war (§§ 1405 und 1435 des B. G.); daß ferner nach § 1354 des B. G. die Ehefrau nicht verpflichtet ist, der Entscheidung des Mannes folge zu leisten, wenn sich diese Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Im Streitfalle entscheidet das Prozeßgericht. Was die Stellung des Ehemannes anlangt, so ist seine Zustimmung erforderlich, um die Ehefrau zur Verfügung über das eingebrachte oder gütergemeinschaftliche Vermögen zu ermächtigen und dieses dem Zugriff der Gläubiger zu unterwerfen. Hat die Ehefrau ohne diese Zustimmung gehandelt, so haben die Gläubiger keine Rechte bezüglich dieses Vermögens, wohl aber haftet die Frau persönlich aus diesen Geschäften, und sind die Gläubiger berechtigt, für den Fall der Gütertrennung oder des Vorbehaltsguts auf das Vermögen der Frau, welches der Verwaltung und Nutznießung des Mannes nicht untersteht, zu greifen.“ So steht es im Bericht der XVIII. Kommission über den Entwurf eines Handelsgesetzbuches. Der erste Punkt unserer Petition ist demnach von der Kommission, in welcher nur drei Mitglieder der XII. Kommission (Bürgerliches Gesetzbuch), Dr. Spahn, Lenzmann und Lerno, waren, verworfen worden.
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Teil 1
Wenn es uns nicht gelingt, eine Aenderung des gesetzlichen ehelichen Güterrechts bis zum Jahre 1900, dem Termin der Inkrafttretung des Bürgerlichen Gesetzbuches, herbeizuführen, so müssen wir dafür sorgen, daß das weibliche Geschlecht über die Nachteile, die ihm aus diesem Recht erwachsen, aufgeklärt werde, damit kein weiblicher Kaufmann eine Ehe eingehe, ohne vorher durch Kontrakt Gütertrennung vereinbart zu haben, und keine verheiratete Frau ein Geschäft eröffne, ehe sie nicht die Verwaltung und Nutznießung des Mannes von ihrem Vermögen ausgeschlossen habe. Die Pflicht des Bundes Deutscher Frauenvereine ist es, durch eine Petition an den Reichstag die Bestimmung kostenloser Eheverträge zu veranlassen, damit der minderbegüterte Mittelstand, aus dem allein die Handelsfrauen hervorgehen, durch den Kostenpunkt nicht von den durchaus notwendigen Verträgen abgehalten werde. Der zweite Punkt unserer Petition wurde ebenfalls abgelehnt unter dem Hinweise, daß im § 618 des B. G. die Bestimmung beim Dienstvertrage aufgenommen sei, daß Leben und Gesundheit des Verpflichteten zu schützen sei, soweit die Natur der Dienstleistung es gestatte, und der § 120a der Gewerbeordnung die Anordnung enthalte, daß der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit zu schützen sei, soweit es die Natur des Betriebes gestatte.“ Mehr könne auch bei Handlungsgehilfen nicht verlangt werden. Auch seine Thätigkeit könne in Räumen ec. vor sich gehen, in denen eine Gesundheitsschädigung nicht vollständig ausgeschlossen werden könne, beispielsweise in Droguengeschäften, in Cigarrenläden, auf Trockenböden.“ Es wurde dem § 61 (nach der Regierungsvorlage § 57) nur hinzugefügt, daß der Geschäftsbetrieb und die Arbeitszeit so zu regeln sei, daß der Handlungsgehilfe gegen eine Gefährdung seiner Gesundheit gesichert ist. Auch einem zu diesem Paragraphen gestellten Antrage: „Dem Handlungsgehilfen ist, soweit seine geschäftliche Thätigkeit es nicht verbietet, Sitzgelegenheit zu gewähren“, wurde nicht willfahrt. Der Staatssekretär des Reichsjustizamts erklärte aber auf die an ihn gerichtete Anfrage, daß der Prinzipal unter solchen Umständen, die den Voraussetzungen des § 57 (jetzt § 61) entsprechen (Gefährdung der Gesundheit), angehalten werden könne, seinen Gehilfen eine Gelegenheit für ein zeitweiliges Sich-Niedersetzen zu gewähren. Bei Punkt 3 unserer Petition ist dem Sinne nach unserm Verlangen entsprochen worden. Der Handlungsgehilfe kann ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zur Kündigung schreiten, „wenn sich der Prinzipal Thätlichkeiten, erhebliche Ehrverletzungen oder unsittliche Zumutungen gegen den Handlungsgehilfen zu schulden kommen läßt, oder es verweigert, den Handlungsgehilfen gegen solche Handlungen eines andern Angestellten oder eines Familienangehörigen des Prinzipals zu schützen.“ Das Attribut „erheblich“ ist beibehalten worden, weil es den Mitgliedern der Kommission notwendig erschien, geringfügige Ehrverletzungen auszuscheiden. Der Vorstand des kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins für weibliche Angestellte zu Berlin hat mit seiner Petition, betreffend die §§ 58-81 des Entwurfs (Regierungsvorlage) eines Handelsgesetzbuches, erreicht, daß der Handlungsgehilfe nicht verpflichtet ist, sich den Betrag anrechnen zu lassen, der ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Durch diese Bestimmung wird in absehbarer Zeit der § 616 des B. G. (Dienstvertrag), nach welchem der zur Dienstleistung Verpflichtete sich den Betrag aus einer Kranken- oder Unfallversicherung auf das Gehalt anrechnen lassen muß, in gleicher Richtung geändert werden müssen. Eine großen Fortschritt, besonders für die bisher schlecht vorgebildeten weiblichen Gehilfen des Handelsstandes, bedeutet der § 75, der die Verpflichtungen des Lehrherrn gegen den Lehrling in Bezug auf dessen Ausbildung enthält. Der Vorstand des kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins zu Berlin ec. hat diesen und den Vorschriften des § 61 (§ 57 unserer Petition) dadurch noch größeren Nachdruck verschafft, daß auf seine Petition hin die Strafbestimmungen, welche das Reichsjustizamt für die Verletzung der dem Prinzipal und dem Lehrherrn obliegenden Pflichten im ersten Entwurf vorgesehen hatte, die aber von den verbündeten Regierungen gestrichen wurden, von der XVIII. Kommission und dem Reichstage in 2. und 3. Lesung wieder aufgenommen wurden. § 18 bestimmt, daß ein Kaufmann seinen Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen als Firma zu führen hat. Damit ist der Unterschied aufgehoben, der zwischen Mann und Frau gemacht wurde, indem diese Verpflichtung nur der Frau auferlegt werden sollte. „Man hielt eine verschiedenartige Behandlung der Rechtsverhältnisse hinsichtlich Mann und Frau in dieser Richtung nicht für angezeigt.“ Möchte der Reichstag vor 1900 doch zu der Ein-(94)sicht gelangen, daß eine verschiedenartige Behandlung der Rechtsverhältnisse von Mann und Frau in jeder Richtung weder angezeigt noch gerecht ist! Das Handelsgesetz ist in 2. und 3. Lesung vom Reichstage mit den in der Kommission vorgenommenen Veränderungen angenommen worden. Nach der Verabschiedung desselben wurde folgende von den Frauen zu beachtende Resolution angenommen: „Die verbündeten Regierungen sind zu ersuchen, bald thunlichst die Vorlegung eines Gesetzentwurfs zu veranlassen, wonach zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Prinzipalen einerseits und Handlungsgehilfen andererseits kaufmännische Schiedsgerichte errichtet werden.“ Sollten die verbündeten Regierungen dieses Gesuch mit einem Gesetz-Entwurf beantworten, so haben bei Zusammensetzung der Schiedsgerichte auch die handeltreibenden Frauen ein Wort mitzureden. – Ferner haben Sozialdemokraten und Zentrumsmänner sich die Hände gereicht und eine „Parallelresolution“ durchgesetzt, die sich in der Richtung des Arbeiterschutzes für das im Handelsgewerbe beschäftigte Personal bewegt. Die Erhebungen der arbeiterstatistischen Kommission haben ergeben, daß bei 50 Prozent der Ladengeschäfte eine mehr als 14stündige Arbeitszeit, bei 21 Prozent eine Arbeitszeit bis 16, und bei 6 Prozent eine solche über 16 Stunden besteht. In der Gewerbeordnung sind zum Schutze der Arbeiter Bestimmungen getroffen worden, welche die Arbeitspausen, die Arbeitszeit und die Arbeitsordnung regeln. Diese Bestimmungen sind aber ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt für das Handelsgewerbe.
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Teil 1
Die verbündeten Regierungen werden nun ersucht, in Erwägung darüber einzutreten, inwieweit und mit welcher Maßgabe die Bestimmungen der Gewerbeordnung unter zweckentsprechender Anpassung an die besonderen Bedürfnisse auf das Handelsgewerbe auszudehnen sind, und thunlichst bald dem Reichstage einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Werden die betreffenden Paragraphen der Gewerbeordnung entsprechend auf das Handelsgewerbe ausgedehnt, dann kann auf dem Wege der Verordnung (Polizeiverordnung) erreicht werden, daß in größeren Geschäften, wo das Bedürfnis besteht, den Angestellten Sitzgelegenheit gegeben wird. Im Strome der Gesetzgebung tritt vorläufig noch keine Ebbe ein. Die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine darf im Vorpostenwachdienst nicht erlahmen.
54.
Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine: Aufruf! 1896
RECHTSKOMMISSION DES BUNDES DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Aufruf!, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 114/115 Kommentar: Die Rechtskommission wendet sich in ihrem Aufruf angesichts der bevorstehenden Verabschiedung des BGB an die Frauen und auch die Männer Deutschlands, um dem BGB-Familienrecht „in letzter Stunde“ entgegenzutreten. Sie alle sollen den Reichstag „an seine Pflicht“ erinnern. Beigefügt ist eine Resolution zur Kenntnis des Reichstags. Im Aufruf werden der bisherige Ablauf der Gesetzesarbeiten und die wesentlichen Kritikpunkte am BGB kurz zusammengefaßt dargestellt. Am deutlichsten kritisiert werden das gesetzliche Güterrecht und die Rechtsstellung der ehelichen und nichtehelichen Mütter gegenüber ihren Kindern („Der deutschen Frau soll das Recht an ihren Kindern auch im künftigen Gesetze noch vorenthalten werden“, S. 114). Fazit: „Diese beiden Faktoren: Machtlosigkeit über ihr Vermögen, Machtlosigkeit über ihre Kinder sind aber die Unterpfande für die fortgesetzte Hörigkeit der Frau.“ Der Begriff der „Hörigkeit“ der Frau dürfte an John Stuart Mill anknüpfen, dessen Werk den Beteiligten also auch 1896 noch vor Augen steht.* Mills „subjection of women“ war in der deutschen Ausgabe mit „Hörigkeit der Frau“ übersetzt worden.
Aufruf! Deutsche Frauen und deutsche Männer! Werdet Euch der drohenden Gefahr bewußt, die zur Stunde über den wichtigsten Interessen der deutschen Familie schwebt! In kürzester Frist soll das bürgerliche Gesetzbuch von Euren Volksvertretern sanktionirt werden, trotzdem dessen Familienrecht von Tausenden und aber Tausenden, Frauen und Männern, als unwürdig, als unzeitgemäß, als kulturhemmend verworfen wird. *
Auch die noch älteren Vorkämpfer der Frauenrechte geraten nicht in Vergessenheit, sondern werden als Teil der Frauengeschichte rezipiert (und bisweilen auch kritisiert); exemplarisch hierfür die Beschäftigung der Frauenbewegung um 1900 mit Theodor Gottlieb von Hippel. Vgl. hierzu: Druskowitz, Hippel als Vorkämpfer für Frauenrechte. Neue Bahnen 1882, S. 105-108, in: Neiseke, Theodor Gottlieb von Hippel als Fürsprecher einer egalitären Stellung der Geschlechter? (2006).
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Teil 1
Die verbündeten Regierungen werden nun ersucht, in Erwägung darüber einzutreten, inwieweit und mit welcher Maßgabe die Bestimmungen der Gewerbeordnung unter zweckentsprechender Anpassung an die besonderen Bedürfnisse auf das Handelsgewerbe auszudehnen sind, und thunlichst bald dem Reichstage einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Werden die betreffenden Paragraphen der Gewerbeordnung entsprechend auf das Handelsgewerbe ausgedehnt, dann kann auf dem Wege der Verordnung (Polizeiverordnung) erreicht werden, daß in größeren Geschäften, wo das Bedürfnis besteht, den Angestellten Sitzgelegenheit gegeben wird. Im Strome der Gesetzgebung tritt vorläufig noch keine Ebbe ein. Die Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine darf im Vorpostenwachdienst nicht erlahmen.
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Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine: Aufruf! 1896
RECHTSKOMMISSION DES BUNDES DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Aufruf!, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 114/115 Kommentar: Die Rechtskommission wendet sich in ihrem Aufruf angesichts der bevorstehenden Verabschiedung des BGB an die Frauen und auch die Männer Deutschlands, um dem BGB-Familienrecht „in letzter Stunde“ entgegenzutreten. Sie alle sollen den Reichstag „an seine Pflicht“ erinnern. Beigefügt ist eine Resolution zur Kenntnis des Reichstags. Im Aufruf werden der bisherige Ablauf der Gesetzesarbeiten und die wesentlichen Kritikpunkte am BGB kurz zusammengefaßt dargestellt. Am deutlichsten kritisiert werden das gesetzliche Güterrecht und die Rechtsstellung der ehelichen und nichtehelichen Mütter gegenüber ihren Kindern („Der deutschen Frau soll das Recht an ihren Kindern auch im künftigen Gesetze noch vorenthalten werden“, S. 114). Fazit: „Diese beiden Faktoren: Machtlosigkeit über ihr Vermögen, Machtlosigkeit über ihre Kinder sind aber die Unterpfande für die fortgesetzte Hörigkeit der Frau.“ Der Begriff der „Hörigkeit“ der Frau dürfte an John Stuart Mill anknüpfen, dessen Werk den Beteiligten also auch 1896 noch vor Augen steht.* Mills „subjection of women“ war in der deutschen Ausgabe mit „Hörigkeit der Frau“ übersetzt worden.
Aufruf! Deutsche Frauen und deutsche Männer! Werdet Euch der drohenden Gefahr bewußt, die zur Stunde über den wichtigsten Interessen der deutschen Familie schwebt! In kürzester Frist soll das bürgerliche Gesetzbuch von Euren Volksvertretern sanktionirt werden, trotzdem dessen Familienrecht von Tausenden und aber Tausenden, Frauen und Männern, als unwürdig, als unzeitgemäß, als kulturhemmend verworfen wird. *
Auch die noch älteren Vorkämpfer der Frauenrechte geraten nicht in Vergessenheit, sondern werden als Teil der Frauengeschichte rezipiert (und bisweilen auch kritisiert); exemplarisch hierfür die Beschäftigung der Frauenbewegung um 1900 mit Theodor Gottlieb von Hippel. Vgl. hierzu: Druskowitz, Hippel als Vorkämpfer für Frauenrechte. Neue Bahnen 1882, S. 105-108, in: Neiseke, Theodor Gottlieb von Hippel als Fürsprecher einer egalitären Stellung der Geschlechter? (2006).
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Die deutsche Frau soll wiederum nach dem neuen Gesetze in der Ehe so gut wie unmündig dastehen, während sie als Unverheiratete vom 21. Jahre an selbständig, verfügungsfähig, handlungsfähig gewesen ist. Die deutsche Ehefrau soll zu jedem Rechtsgeschäfte, zu jeder Unterschrift, ja sogar zum Broterwerb für ihre Kinder der Zustimmung ihres Gatten bedürfen, deren weder die österreichischen, russischen, skandinavischen, noch die englischen und amerikanischen Ehefrauen nach ihren Gesetzgebungen benötigen. Die deutsche Ehefrau, die deutsche Mutter soll also unter dauernder Bevormundung stehen! Die deutsche Ehefrau soll nach dem Gesetze keinen Besitz, keine Nutznießung, keine Verwaltung ihres Eigentums haben, außer durch Ausnahmeverträge, welche sowohl dem Wesen der Ehe, wie dem deutschen Volksempfinden widerstreben. Nicht der eigene Wille der Frau, nicht ihr sittlich-freier Entschluß, der die Ehe adeln würde, giebt ihr Eigentum dem Manne zur Verwaltung hin, sondern allein der Zwang des Gesetzes, welcher die Ehe herabwürdigt. – Solchen Zwang verwerfen alle modernen Gesetzgebungen anderer Völker. Die russischen, ein großer Teil der italienischen, die ungarischen und auch die stammverwandten österreichischen, skandinavischen, englischen und amerikanischen Frauen sind Herrinnen ihres Eigentums: 170 Millionen Menschen haben sich heute zur Gütertrennung bekehrt; nur 60 Millionen leben noch unter der, auf Herrschaft roher Kraft basierten Verwaltung des Frauengutes durch den Mann, die in der Anschauung überwundener Kulturepochen wurzelt. Trotzdem will unser neues Gesetz dieses überlebte Prinzip wieder auf den Schild erheben! Diese Gesetzesnorm liefert im ungünstigsten Falle einem verschwenderischen, einem gewaltthätigen, einem böswilligen Manne die Frau auf Gnade und Ungnade aus und kann zu einem unerhörten Zwangsmittel dienen, um eine unglückliche Frau samt ihren Kindern in den unerträglichsten Verhältnissen festzubannen. Denn der Schutz, den das Gesetz für solche Fälle bietet, ist nicht nur durchaus unzulänglich, nein, seine Anrufung bedeutet zudem die gänzliche Zerrüttung aller Familienbande. Der deutschen Frau soll das Recht an ihren Kindern auch im künftigen Gesetze noch vorenthalten werden: es spricht von elterlicher Gewalt, die Ausübung dieser Gewalt aber steht allein dem Vater zu; er allein verfügt und entscheidet über alle Lebens- und Erziehungsfragen der Kinder. – sogar die uneheliche Mutter hat keine elterliche Gewalt über ihr Kind, obwohl ihr allein die Sorge für das Kind auferlegt ist. Diese beiden Faktoren: Machtlosigkeit über ihr Vermögen, Machtlosigkeit über ihre Kinder sind aber die Unterpfande für die fortgesetzte Hörigkeit der Frau. Denn kann die Frau bei pekuniärer Abhängigkeit, wird sie um den Preis des Leidens ihrer Kinder ihre persönlichen Rechte wahren wollen?
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Teil 1
Der deutschen Ehe wird demnach – eine Schmach gegenüber den anderen Nationen – durch die projektierte Gesetzgebung aufs neue das Siegel eines Dienstbarkeits- und Voigteiverhältnisses aufgedrückt. Sie drängt unser Volksleben weit zurück, – heraus aus den Reihen derjenigen Kultur-(115)völker, welche aus den heiligsten und innigsten Beziehungen der Menschen Zwang und Gesetzesdruck ausmerzen, und die Freiheit als Bedingung der Sittlichkeit, die Gleichberechtigung als Voraussetzung dauernder Liebe, die Liebe als Basis der Familie anerkennen. An hunderttausend Bürger des deutschen Reiches, nicht Frauen allein, auch die Vertreter von Wissenschaft, Kunst, Politik und praktischen Berufen haben in geschlossener Reihe Protest eingelegt gegen das Familienrecht im Entwurfe. Die Reichstagskommission ist, freilich in beschränkter Majorität, über den Notschrei unserer Frauen, über das Gewicht der Namen von Männern, welche in der ganzen Welt mit Achtung und Ehrfurcht genannt werden, verständnislos hinweggegangen. Man glaubt, unserer Bewegung die Bedeutung rauben zu können unter dem Vorgeben, die größere Masse der deutschen Frauen verlange keine bessere Stellung – mit anderen Worten: sie verdiene sie nicht. – Demgegenüber, Ihr Frauen Alle, wenn Ihr lebenslange Unmündigkeit als eine Schmach für Euer Geschlecht begreift, – ob euch auch vielleicht ein günstiges Geschick davor bewahrt habe, die ganze Schwere jener Ketten zu empfinden, in die das Gesetz Euch schmiedet, – gedenkt jener anderen Frauen, die von ihnen wund gerieben und zu Boden gedrückt werden. Erkennt es als eine sittliche Pflicht an, für Euch und sie die Stimme laut zu erheben und den Willen der deutschen Frauen zur Änderung ihrer Lage unzweifelhaft kund zu thun! Und Ihr, gerecht denkende deutsche Männer, die Ihr Söhne, Gatten, Väter seid, und Eure Mütter, Gattinnen, Töchter nicht geringer achtet, als fremde Nationen die ihren: erhebt auch Eure Stimmen für Menschenrecht und Würde deutscher Frauen! Ermahnt Euren Reichstag an seine Pflicht! Verlangt vom Parlamente, welches den Willen der Nation zu repräsentieren hat, Änderung jener Bestimmungen im Gesetze, ehe sie auf Menschenalter hinaus in Kraft treten! In letzter Stunde, deutsches Volk, sei aufgerufen zur Wahrung deiner Ehre! Resolution. Die Arbeiten der Kommission zur Beratung des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich haben in Bezug auf das Familienrecht nicht zu den von einem großen Teile der Nation erstrebten Änderungen des Entwurfs geführt. Insbesondere die von deutschen Frauen veranstalteten verschiedenen, in ihren Prinzipien aber vollkommen übereinstimmenden Petitionen haben vor der Kommission nicht die verdiente Würdigung und Berücksichtigung gefunden, wiewohl sie berechtigten und in durchaus maßvoller Weise geäußerten Interessen eines großen Teiles der Nation Ausdruck gaben. Es ist daher einem Hohen Reichstage aufs dringlichste anheim zu geben, auf der Materie „Familienrecht“ bei der bevorstehenden zweiten Lesung im Plenum mit besonderem Nachdrucke zu verweilen, die von Seiten der Frauen vorgebrachten, von vielen tausend Männern, darunter vielen geistigen Führern des deutschen Volkes, namentlich unterstützten Wünsche und Änderungsvorschläge nochmals einer ernsten Prüfung zu unterziehen und die erstrebten, von unserer Zeit und un-
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serer Kultur gebieterisch verlangten Umformungen im Familienrechte zu verfügen. Die Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ Frau Hanna Bieber Böhm, C, Kaiser Wilhelmstr. 39. Frau Minna Cauer, W, Nettelbeckstr. 21. – Frau Sera Proelß, W, Lutherstr. 51. – Marie Raschke, Königgrätzerstr. 88, Berlin. Frau Marie Stritt, Seidnitzerstr. 28. – Cäcilie Dose, Winckelmannstr. 1, Dresden. Frau Heidfeld, Danzig. – Anita Augspurg, cand. jur., München, Kaulbachstr. 51 a. Sämtliche Kommissionsmitglieder verabfolgen Listenbogen zu der geplanten Unterschriftensammlung.
55.
Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine/ Raschke, Marie: Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897
RECHTSKOMMISSION DES BUNDES DEUTSCHER FRAUENVEREINE/RASCHKE, Marie: Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 41 Kommentar: Im Jahre 1897 kommt es zu einer Neufassung des HGB, welche zeitgleich mit dem BGB 1900 in Kraft tritt. Die Frauenbewegung versucht auch, auf das HGB Einfluß zu nehmen. Hierzu werden die Strukturen genutzt, welche sich in den Kämpfen um das BGB in der Frauenbewegung gebildet haben. Die vorliegende Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine an den Reichstag zum HGB wird von der Rechtskommission dieses Bundes ausgearbeitet, die Marie Raschke leitet. Verlangt werden Änderungen in drei Punkten: 1. Die Rechte verheirateter Handelsfrauen sollen im Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch geklärt werden. Die Bestimmungen in § 1354 BGB (Entscheidungsrecht des Mannes) sollen auf eine Handelsfrau keine Anwendung finden, wenn der Mann stillschweigend oder durch Unterlassung der Einspruchs-Eintragung in das Güterrechtsregister seine Einwilligung zu dem Handelsbetrieb der Frau gegeben hat, oder wenn seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. Auf die ungeklärte Lage verheirateter Handelsfrauen hatte zuvor bereits Hinsberg, Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27, hingewiesen. 2. Durch eine Änderung in § 57 soll sichergestellt werden, daß die Räume des Handelsbetriebes tatsächlich so eingerichtet sind, daß die Gesundheit der Handlungsgehilfen nicht gefährdet wird. Dies soll dem Arbeitsschutz insbesondere weiblicher Handlungsgehilfen dienen, z. B. der Verkäuferinnen. 3. Durch einen Zusatz zu § 64 Nr. 4 sollen Handlungsgehilfen ein verbessertes außerordentliches Kündigungsrecht bei Ehrverletzungen erhalten. Der Vorschlag ist geschlechtsneutral formuliert, aber auf die Berufswirklichkeit von Frauen bezogen. Der Rechtskommission geht es dabei um Fälle der Übergriffe männlicher Angestellter auf die „weibliche Ehre“ von Handlungsgehilfinnen. Eine Erläuterung und Verteidigung der Petition durch Marie Raschke erfolgt in einem kurze Zeit später veröffentlichten Text (Die Frauenbewegung 1897, S. 49/50). Raschke berichtet hier über das Schicksal der in Punkt 1 und 2 abgelehnten, in Punkt 3 dem Sinn nach angenommenen Petition (Die Frauenbewegung 1897, S. 93/94, Nrn. 52, 53).
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serer Kultur gebieterisch verlangten Umformungen im Familienrechte zu verfügen. Die Rechtskommission des „Bundes deutscher Frauenvereine“ Frau Hanna Bieber Böhm, C, Kaiser Wilhelmstr. 39. Frau Minna Cauer, W, Nettelbeckstr. 21. – Frau Sera Proelß, W, Lutherstr. 51. – Marie Raschke, Königgrätzerstr. 88, Berlin. Frau Marie Stritt, Seidnitzerstr. 28. – Cäcilie Dose, Winckelmannstr. 1, Dresden. Frau Heidfeld, Danzig. – Anita Augspurg, cand. jur., München, Kaulbachstr. 51 a. Sämtliche Kommissionsmitglieder verabfolgen Listenbogen zu der geplanten Unterschriftensammlung.
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Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine/ Raschke, Marie: Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, 1897
RECHTSKOMMISSION DES BUNDES DEUTSCHER FRAUENVEREINE/RASCHKE, Marie: Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 41 Kommentar: Im Jahre 1897 kommt es zu einer Neufassung des HGB, welche zeitgleich mit dem BGB 1900 in Kraft tritt. Die Frauenbewegung versucht auch, auf das HGB Einfluß zu nehmen. Hierzu werden die Strukturen genutzt, welche sich in den Kämpfen um das BGB in der Frauenbewegung gebildet haben. Die vorliegende Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine an den Reichstag zum HGB wird von der Rechtskommission dieses Bundes ausgearbeitet, die Marie Raschke leitet. Verlangt werden Änderungen in drei Punkten: 1. Die Rechte verheirateter Handelsfrauen sollen im Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch geklärt werden. Die Bestimmungen in § 1354 BGB (Entscheidungsrecht des Mannes) sollen auf eine Handelsfrau keine Anwendung finden, wenn der Mann stillschweigend oder durch Unterlassung der Einspruchs-Eintragung in das Güterrechtsregister seine Einwilligung zu dem Handelsbetrieb der Frau gegeben hat, oder wenn seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. Auf die ungeklärte Lage verheirateter Handelsfrauen hatte zuvor bereits Hinsberg, Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27, hingewiesen. 2. Durch eine Änderung in § 57 soll sichergestellt werden, daß die Räume des Handelsbetriebes tatsächlich so eingerichtet sind, daß die Gesundheit der Handlungsgehilfen nicht gefährdet wird. Dies soll dem Arbeitsschutz insbesondere weiblicher Handlungsgehilfen dienen, z. B. der Verkäuferinnen. 3. Durch einen Zusatz zu § 64 Nr. 4 sollen Handlungsgehilfen ein verbessertes außerordentliches Kündigungsrecht bei Ehrverletzungen erhalten. Der Vorschlag ist geschlechtsneutral formuliert, aber auf die Berufswirklichkeit von Frauen bezogen. Der Rechtskommission geht es dabei um Fälle der Übergriffe männlicher Angestellter auf die „weibliche Ehre“ von Handlungsgehilfinnen. Eine Erläuterung und Verteidigung der Petition durch Marie Raschke erfolgt in einem kurze Zeit später veröffentlichten Text (Die Frauenbewegung 1897, S. 49/50). Raschke berichtet hier über das Schicksal der in Punkt 1 und 2 abgelehnten, in Punkt 3 dem Sinn nach angenommenen Petition (Die Frauenbewegung 1897, S. 93/94, Nrn. 52, 53).
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(41) Petition betreffend den Entwurf eines Handelsgesetzbuches, eingereicht an den Reichstag von der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine. Der Reichstag wolle beschließen: 1. Daß in das Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch eine Bestimmung aufgenommen werde, dahin gehend, daß die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches im § 1354 auf eine Handelsfrau keine Anwendung finden, wenn der Mann stillschweigend oder durch Unterlassung der Einspruchs-Eintragung in das Güterrechtsregister seine Einwilligung zu dem Handelsbetrieb der Frau beim Beginn desselben oder beim Beginn der Ehe gegeben hat, oder seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. 2. In § 57 sind die Worte „soweit die Natur des Betriebs es gestattet“ zu streichen. 3. Dem § 64 Nr. 4 ist hinzuzufügen: „wenn sich der Prinzipal, sein Stellvertreter oder ein sonstiger mit der Aufsicht betrauter Angestellter Thätlichkeiten, Ehrverletzungen oder unsittliche Zumutungen gegen den Handlungsgehilfen zu Schulden kommen läßt“. Begründung: ad 1. Die Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuches begründet den Fortfall der Vorschrift des bisherigen Art. 7 des Handelsgesetzbuches damit, daß „die Befugnis des Mannes, der Frau den Betrieb eines Handelsgewerbes zu untersagen, schon durch den § 1354 des Bürgerlichen Gesetzbuches gesichert ist“. Durch einfache Bezugnahme auf § 1354 des Bürgerlichen Gesetzbuches könnte die Annahme entstehen, als ob der Mann jederzeit berechtigt sei, die ausdrücklich oder stillschweigend erteilte Genehmigung zum Betrieb eines Handelsgeschäftes seitens der Ehefrau zurückzuziehen. Dieser Zweifel muß ausgeschlossen sein. Eine solche Befugnis darf dem Manne nicht erteilt werden, und zwar in erster Linie, weil jede Rechtssicherheit im Verkehr mit verheirateten Handelsfrauen aufhören würde. Jeder Gegenkontrahent läuft Gefahr, daß eines Tages der Ehemann seiner Frau den Betrieb ihres Handelsgeschäftes untersagt, und so muß er sich von vorn herein scheuen, mit einer verheirateten Handelsfrau Geschäfte einzugehen. Der oberste Grundsatz für den Handelsverkehr: „Treu und Glauben“ wird auf das Schwerste verletzt, wenn es in der Willkür eines Dritten liegt, dem einen Kontrahenten die volle Bewegungsfreiheit zu entziehen. Hierzu kommt allerdings noch die Herabsetzung der Ehefrau dem Manne gegenüber, der in der Lage sein soll, ganz nach seinem Belieben die erteilte Erlaubnis zu widerrufen. In nicht seltenen Fällen könnte gerade bei einer unglücklichen Ehe dem Manne durch das Einspruchsrecht ein Mittel in die Hand gegeben sein, seine Frau in ihrem Fortkommen zu hindern und auf das Schwerste zu schädigen. ad 2. Der Satz „soweit die Natur des Betriebs es gestattet“ ist nur für Fabrikbetriebe berechtigt. Im kaufmännischen Betriebe müssen das Verkaufslokal und die sonstigen Räume des Handelsbetriebes so eingerichtet sein, daß die Gesundheit der Handlungsgehilfen nicht gefährdet wird. Im kaufmännischen Beruf giebt es mithin nichts, was diesen Satz irgendwie notwendig macht.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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ad 3. Einer Handlungsgehilfin muß die sofortige Kündigung (ohne Frist) gestattet sein, nicht nur wenn der Prinzipal, sondern auch wenn dessen Vertreter oder ein sonstiger mit der Aufsicht betrauter Angestellter sich Angriffe auf ihre weibliche Ehre erlaubt. Es kann ihr nicht zugemutet werden, unter dem Befehle eines Mannes weiter zu arbeiten, den ihre gebührende Zurückweisung zu allerhand Härten und Quälereien veranlassen könnte, welche ihr das Leben unerträglich machen oder ihre Sittlichkeit gefährden würde. Das Attribut „erheblich“ ist zu streichen, weil eine Ehrverletzung an sich in den weitaus meisten Fällen ein gedeihliches Zusammenarbeiten des Verletzten mit dem Ehrverletzer erheblich beeinträchtigen, wenn nicht zur Unmöglichkeit machen würde. Berlin, im Februar 1897. Die Rechtskommission des „Bundes Deutscher Frauenvereine“. Marie Raschke, Vorsitzende, Berlin SW, Königgrätzerstraße 88. Hanna Bieber Böhm. Minna Cauer. Cäcilie Dose. Marianne Heidfeld. Sera Proelß. Margarete Selenka. Marie Stritt. Freifrau v. Wolzogen
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Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs […], 1895
RECHTSSCHUTZVEREIN FÜR FRAUEN IN DRESDEN: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, 2. Lesung, Buch IV: Familienrecht, Frankenberg (Sachsen) 1895 Kommentar: Neben dem Bund deutscher Frauenvereine (Nr. 10) und dem Berliner Verein Frauenwohl (Proelß/Raschke, Nr. 45) hat der von Marie Stritt und Adele Gamper gegründete Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, den dritten umfassenden Gegenentwurf von Frauen zum BGB-Familienrecht formuliert. Die Schrift des Rechtsschutzvereins Dresden beruht auf einem ganz besonderen Ansatz: „Der juristische Standpunkt ist darin, ebenso wie die juristische Form, absichtlich außer Acht gelassen. Abgesehen davon, daß uns – hierorts wenigstens – kein Fachjurist bekannt ist, der unsere Anschauungen völlig theilen und vertreten würde, sind wir auch der Ansicht, daß in einer für die fortschrittliche Entwickelung der weiblichen Menschheitshälfte so eminent wichtigen Frage, angesichts eines Gesetzes, das als Frucht einundzwanzigjähriger mühevoller Arbeit und höchster juristischer Weisheit unser Geschlecht nur wieder auf Jahrhunderte hinaus in die alte Sklavenstellung zwängen will, endlich einmal auch die Frauen als Frauen zu Worte kommen und gehört werden müssen, umsomehr, als uns einstweilen noch weibliche Juristen verwehrt sind.“ (S. III). Man verzichtet also bewußt auf juristische Professionalität. Leitgedanken der Kritik am BGB sollen sein (S. IV): „Die Überzeugung von der auf der Gleichwerthigkeit der Geschlechter basirenden uneingeschränkten, vom sittlichen, humanen und volkswirthschaftlichen Standpunkt mit allen Kräften anzustrebenden Gleichberechtigung von Mann und Frau, andererseits: die zahllosen Erfahrungen in unserer praktischen Vereinsthätigkeit, durch welche wir
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ad 3. Einer Handlungsgehilfin muß die sofortige Kündigung (ohne Frist) gestattet sein, nicht nur wenn der Prinzipal, sondern auch wenn dessen Vertreter oder ein sonstiger mit der Aufsicht betrauter Angestellter sich Angriffe auf ihre weibliche Ehre erlaubt. Es kann ihr nicht zugemutet werden, unter dem Befehle eines Mannes weiter zu arbeiten, den ihre gebührende Zurückweisung zu allerhand Härten und Quälereien veranlassen könnte, welche ihr das Leben unerträglich machen oder ihre Sittlichkeit gefährden würde. Das Attribut „erheblich“ ist zu streichen, weil eine Ehrverletzung an sich in den weitaus meisten Fällen ein gedeihliches Zusammenarbeiten des Verletzten mit dem Ehrverletzer erheblich beeinträchtigen, wenn nicht zur Unmöglichkeit machen würde. Berlin, im Februar 1897. Die Rechtskommission des „Bundes Deutscher Frauenvereine“. Marie Raschke, Vorsitzende, Berlin SW, Königgrätzerstraße 88. Hanna Bieber Böhm. Minna Cauer. Cäcilie Dose. Marianne Heidfeld. Sera Proelß. Margarete Selenka. Marie Stritt. Freifrau v. Wolzogen
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Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs […], 1895
RECHTSSCHUTZVEREIN FÜR FRAUEN IN DRESDEN: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, 2. Lesung, Buch IV: Familienrecht, Frankenberg (Sachsen) 1895 Kommentar: Neben dem Bund deutscher Frauenvereine (Nr. 10) und dem Berliner Verein Frauenwohl (Proelß/Raschke, Nr. 45) hat der von Marie Stritt und Adele Gamper gegründete Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, den dritten umfassenden Gegenentwurf von Frauen zum BGB-Familienrecht formuliert. Die Schrift des Rechtsschutzvereins Dresden beruht auf einem ganz besonderen Ansatz: „Der juristische Standpunkt ist darin, ebenso wie die juristische Form, absichtlich außer Acht gelassen. Abgesehen davon, daß uns – hierorts wenigstens – kein Fachjurist bekannt ist, der unsere Anschauungen völlig theilen und vertreten würde, sind wir auch der Ansicht, daß in einer für die fortschrittliche Entwickelung der weiblichen Menschheitshälfte so eminent wichtigen Frage, angesichts eines Gesetzes, das als Frucht einundzwanzigjähriger mühevoller Arbeit und höchster juristischer Weisheit unser Geschlecht nur wieder auf Jahrhunderte hinaus in die alte Sklavenstellung zwängen will, endlich einmal auch die Frauen als Frauen zu Worte kommen und gehört werden müssen, umsomehr, als uns einstweilen noch weibliche Juristen verwehrt sind.“ (S. III). Man verzichtet also bewußt auf juristische Professionalität. Leitgedanken der Kritik am BGB sollen sein (S. IV): „Die Überzeugung von der auf der Gleichwerthigkeit der Geschlechter basirenden uneingeschränkten, vom sittlichen, humanen und volkswirthschaftlichen Standpunkt mit allen Kräften anzustrebenden Gleichberechtigung von Mann und Frau, andererseits: die zahllosen Erfahrungen in unserer praktischen Vereinsthätigkeit, durch welche wir
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wohl mehr als irgend einer unserer Schwestervereine in die Lage gesetzt wurden, von der recht- und schutzlosen Stellung unseres Geschlechtes, ganz besonders in der Ehe, von dem namenlosen Elend, das durch die wirthschaftliche und rechtliche Abhängigkeit der Frauen über diese selbst, die heranwachsende Generation, und dadurch über unser ganzes Volk verhängt wurde, die allergenaueste Kenntniß zu erlangen.“ Die Autorinnen weisen auf die Vorbildfunktion ausländischer frauenfreundlicher Reformen hin (Rußland, England) und stellen sodann ihren umfangreichen Gegenentwurf vor, der – anders als die anderen Entwürfe dieser Art – nicht in tabellarischer Form abgefaßt ist, sondern als fortlaufender Text. Interessant ist hier insbesondere der Vorschlag zur Neugestaltung der Eheherrschaft. Hier soll nicht etwa nur das gegenseitige Übereinkommen entscheiden, denn es wird hinzugefügt: „Derjenige Ehegatte, welcher die Hauptlast des gemeinsamen Unterhaltes trägt, hat Wohnort und Wohnung zu bestimmen, wenn nicht der andere Ehegatte durch seinen Beruf auf einen bestimmten Wohnort hingewiesen ist.“ Dies kann im Einzelfall sogar zu einer Herrschaft der Frau führen, wird aber regelmäßig die Herrschaft des Mannes bestätigen.
(I) Das deutsche Recht und die deutschen Frauen. Kritische Beleuchtung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. (2. Lesung. Buch IV. Familienrecht) Herausgegeben vom Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden.171 (III) Vorwort.
Die vorliegende kurzgefaßte Beleuchtung des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, soweit er die Stellung des weiblichen Geschlechts vor dem – Gesetze betrifft (Familienrecht: Ehe, Verwandtschaft, Vormundschaft), ist das Ergebniß gewissenhafter Prüfung und eingehender Berathungen einer zu diesem Zweck eingesetzten Kommission von Vorstandsmitgliedern des Dresdener Rechtsschutzvereins für Frauen. Der juristische Standpunkt ist darin, ebenso wie die juristische Form, absichtlich außer Acht gelassen. Abgesehen davon, daß uns – hierorts wenigstens – kein Fachjurist bekannt ist, der unsere Anschauungen völlig theilen und vertreten würde, sind wir auch der Ansicht, daß in einer für die fortschrittliche Entwickelung der weiblichen Menschheitshälfte so eminent wichtigen Frage, angesichts eines Gesetzes, das als Frucht einundzwanzigjähriger mühevoller Arbeit und höchster juristischer Weisheit unser Geschlecht nur wieder auf Jahrhunderte hinaus in die alte Sklavenstellung zwängen will, endlich einmal auch die Frauen als Frauen zu Worte kommen und gehört werden müssen, umsomehr, als uns einstweilen noch weibliche Juristen verwehrt sind. Es ist der Geist, der Inhalt des neuen Gesetzes, gegen den wir Protest einlegen; die juristische Fassung desselben erscheint uns dabei nebensächlich und ist unter allen Umständen Sache von Fachmännern, wenngleich (IV) wir uns die Bemerkung hier nicht versagen können, daß es dem Gesetzentwurf auch in letzterer Beziehung wohl kaum zum Schaden gereichen würde, wenn die juristische Fassung in etwas weniger unklarer, lediglich für Fachmänner verständlicher Form, vielmehr in einer klaren, prägnanten, auch dem Laien geläufigen Sprache zum Ausdruck gelangte. Für Unkenntniß des Gesetzes kann niemand verantwortlich gemacht werden, solange der Wortlaut des Gesetzes dem einfachen Menschenverstande unverständlich ist. 171 Veröffentlicht in: Frankenberg (Sachsen). Druck und Verlag von Lothar Reisel, 1895.
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Als leitende Gedanken und Gesichtspunkte bei den vorliegenden kritischen Ausführungen waren uns einerseits maßgebend: die Überzeugung von der auf der Gleichwerthigkeit der Geschlechter basirenden uneingeschränkten, vom sittlichen, humanen und volkswirthschaftlichen Standpunkt mit allen Kräften anzustrebenden Gleichberechtigung von Mann und Frau, andererseits: die zahllosen Erfahrungen in unserer praktischen Vereinsthätigkeit, durch welche wir wohl mehr als irgend einer unserer Schwestervereine in die Lage gesetzt wurden, von der recht- und schutzlosen Stellung unseres Geschlechtes, ganz besonders in der Ehe, von dem namenlosen Elend, das durch die wirthschaftliche und rechtliche Abhängigkeit der Frauen über diese selbst, die heranwachsende Generation, und dadurch über unser ganzes Volk verhängt wurde, die allergenaueste Kenntniß zu erlangen. Die bewußte und – zu seiner Ehre sei es gesagt – weit öfter noch unbewußte Brutalität des Mannes entspringt der sehr bewußten Überzeugung von seiner absoluten Superiorität und Herrschaft über die Frau. Diese Überzeugung aber – ein verhängnißvoller Wahn, durch Jahrtausende alte Tradition, durch unsere socialen und erziehlichen Einrichtungen mitunterstützt und großgezogen – findet den kräftigsten Nährboden in den schmachvollen gesetzlichen Bestimmungen, welche die Ehefrau jeder (V) Selbstständigkeit, jedes Rechtes (auch des Rechtes der freien Persönlichkeit) berauben und sie auf die gleiche Stufe mit Kindern, Geisteskranken und Verbrechern stellen. (Wir dürfen uns nämlich durch beschönigende und verschleiernde Worte nicht blenden lassen – die bekannte Thatsache dieser unwürdigen Gemeinschaft bleibt auch nach dem neuen Gesetzentwurf dieselbe.) Eine Änderung des Entwurfs in unserem Sinne würde dagegen nicht nur die Ehe aus dem demoralisirenden Zwangsverhältniß, zu welchem sie sich jetzt nur allzuoft gestaltet und nach dem Buchstaben des Gesetzes gestalten muß, zu dem menschlich schönen, innigen und doch freien Bündniß machen, das sie eigentlich sein soll, sondern sie würde auch im allgemeinen das Niveau des weiblichen Geschlechts, und damit der Menschheit, auf eine höhere Stufe heben. Wenn auch, wie wir hoffen, unserer bescheidenen Arbeit die eine Anerkennung nicht versagt werden kann, daß das leitende Prinzip derselben einheitlich und consequent durchgeführt ist, so sind wir andererseits doch darauf gefaßt, daß dies Prinzip selbst und unser freier und vorurtheilsloser Standpunkt uns nicht nur von fachjuristischer Seite manches höhnische Achselzucken eintragen, sondern auch von nichtjuristischer, vielleicht sogar im Kreise der fortschrittlich gesinnten Frauenwelt verschiedenen begründet scheinenden Einwänden begegnen wird. So ist es beispielsweise eine nicht wegzuleugnende Thatsache – deren wir uns auch vollkommen bewußt sind – daß jede, auch die berechtigtste und notwendigste Reform anfangs mancherlei Unzuträglichkeiten und Mißstände im Gefolge hat. Dies würde natürlich auch bei einer so wesentlichen und tiefeingreifenden Gesetzesreform, wie wir sie im Auge haben, der Fall sein, denn ein Geschlecht, das in Jahrtausende langer Knechtschaft gelebt, muß den richtigen Gebrauch der Freiheit erst lernen, ehe es die Segnungen derselben voll genießen kann. Doch dies geht verhältnißmäßig immer schnell und würde in diesem Fall noch schneller gehen als sonst, da mit dem beglückenden Gefühl (VI) ihrer eigenen Verantwortlichkeit und Selbstständigkeit die Selbstachtung der Frau und die höhere Achtung des Mannes vor seiner Lebensgefährtin Hand in Hand gehen würde. Wie leicht aber sind selbst
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schlimmstenfalls mögliche oder wahrscheinliche Mißstände zu überwinden, die sich für kurze Zeit, vorübergehend, etwa einstellen können und von Tag zu Tag mehr schwinden müssen, im Vergleich zu den sichern, dauernden und bei der ökonomischen Entwickelung unserer Zeit noch stetig wachsenden schweren Mißständen, die von jeher Hemmschuh und Knebel für die Frau gewesen sind und nun auch noch durch diesen neuen Gesetzentwurf eine neue Sanktion erhalten sollen. Übrigens sei hier kurz auf die Verhältnisse im sogenannten „halbbarbarischen“ Rußland hingewiesen, wo die civilrechtliche Stellung der Frau, der ledigen wie der verheiratheten, in allen Punkten (mit Ausnahme einiger Bestimmungen im Erbrecht) der des Mannes vollkommen gleich ist, und die Frau demgemäß auch in der Ehe die uneingeschränkte Verfügung über ihr Vermögen, ihren Erwerb und ihre Person behält, welche Einrichtung keinerlei Unzuträglichkeiten im Gefolge hatte und sich bis heutigen Tages als praktisch und heilsam erwies. Noch näher liegt für uns Deutsche das Beispiel von England. Hier lebten und litten die Frauen bis zum Jahr 1882 noch unter weit ungünstigeren und härteren Gesetzen als sie gegenwärtig in den verschiedenen deutschen Bundesstaaten zu Recht bestehen. Da wurde ihnen durch die in schweren Kämpfen im Parlamente durchgebrachten „Married women’s property acts“ die freie Disposition über ihr Eigenthum auch in der Ehe gesichert und sie dadurch zunächst in vermögensrechtlicher Beziehung dem Manne völlig gleichgestellt. Andere entsprechende Gesetzesreformen folgten sehr bald. Von irgendwelchen ernsten und allgemeinen Mißständen, die durch diesen gewaltigen und plötzlichen Umschwung im socialen Leben des englischen Volkes hervorgerufen worden wären, verlautet jedoch auch hier nicht das mindeste. (VII) Ein anderer Einwand, der gegen die zwingende Nothwendigkeit einer für das weibliche Geschlecht günstigen Änderung des Familienrechts im neuen Gesetzentwurf häufig geltend gemacht wird: daß die Frau sich, wenigstens güterrechtlich, durch einen Ehekontrakt sichern könne, widerlegt sich selbst. Was für verhängnisvolle und gefährliche Gesetze müssen es sein, vor denen ein besonderer Schutz durch Vertrag nöthig ist! Die Bestimmungen des Familienrechtes nach dem neuen Gesetzentwurf, die der Frau zu den alten noch verschiedentlich neue Pflichten auferlegen, welche zu ihren neuerworbenen Rechten in gar keinem Verhältniß stehen, ja oft eine prinzipielle Nichtbeachtung ihrer heiligsten Menschen- und Mutterrechte bedeuten, sind eine Verleugnung der „humanen“ Bestrebungen unseres Jahrhunderts. Wenn wir deutschen Frauen aber nicht mit allem Nachdruck und mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln gegen diese Vergewaltigung protestiren und unsere Menschenrechte geltend machen, so verdienen wir keine anderen, humaneren Gesetze! Binnen kurzem soll der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches, mit dessen Durchsicht gegenwärtig der Bundesrath beschäftigt ist, dem Plenum des Reichstags zur Berathung und Bestätigung unterbreitet werden. Auf dem Juristentag in Bremen wurde mit großer Majorität beschlossen, die vorliegende zweite Lesung zur Annahme en bloc zu empfehlen; aus verschiedenen parlamentarischen Kreisen verlautet der gleiche Wunsch. Wir hegen jedoch die feste Zuversicht, daß die Mehrheit des Reichstages diesem Verlangen keine Folge geben wird, daß die Vertreter des deutschen Volkes ihrer Rechte und Pflichten eingedenk sein und das Gesetz, von welchem Wohl und Wehe dieses Volkes auf Jahrhunderte hinaus abhängig ist, nicht nur auf seinen juristischen, sondern auch auf seinen praktischen und
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„sittlichen Werth“ und auf seine Lebensfähigkeit im Licht des modernen Zeitgeistes genau und gewissenhaft prüfen werden. Und wir hegen weiter die feste Zuversicht, daß sie (VIII) dann auch ihre Stimmen zu Gunsten der durch diesen Gesetzentwurf so schwer geschädigten größeren Hälfte ihrer Volksgenossen erheben werden, denen heute noch Sitz und Stimme überall versagt ist, selbst da, wo über ihre ureigensten Menschenrechte berathen und entschieden wird. Nicht an die Ritterlichkeit des deutschen Mannes, die in Liedern und Trinksprüchen die „Hohheit [sic!] und Würde des deutschen Weibes“ zu feiern pflegt – an sein Gerechtigkeitsgefühl wenden wir uns, von dem wir die Anerkennung unserer Menschenwürde fordern, von dem wir Thaten erwarten.
(1) Familienrecht. Erster Abschnitt.172 Ehe. Erster Titel. Verlöbniß.
§ 1206. Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1204 oder des § 1205 vorliegen, unbeschadet der dort bestimmten Ersatzansprüche, eine billige Entschädigung in Geld verlangen, auch wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleidet. Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. Warum ist hier nur Entschädigung für die Frau vorgesehen? – Geschieht die Beiwohnung beider freiwillig, so sind diejenigen, die sich in Liebe geeint, nach gleichem Gesichtspunkt zu beurtheilen. Ist eine Frau entwerthet durch die erste Beiwohnung, so ist es auch der Mann. Da aber der Mann nicht als entwerthet angesehen wird, darf es auch die Frau nicht sein. Wer hat den einseitigen, für die Frau entwürdigenden Begriff der Entwerthung ihrer Person festgestellt? Doch nur der Mann, u. zw. von der falschen Anschauung ausgehend, die durch die verschrobenen Rechtsbegriffe unserer und vergangener Zeiten hervorgerufen und unterstützt wurde, daß die Frau eine Sache sei, die er im Fall einer Ehe „unbeschädigt“ zu fordern habe, während er selbst ohne Bedenken körperlich und seelisch krank und elend, also wirklich „beschädigt“ (2) in die Ehe eintreten darf, Verderben auf seine Frau und Nachkommenschaft häufend. Durch den Schadenersatzparagraphen läßt sich kein Mann abhalten, eine Frau zu verführen, – wohl aber kann dieser Paragraph, wie uns leider schon mehrfache Fälle in unserer praktischen Vereinstätigkeit dargethan haben, eine gemeine Waffe in der Hand speculativer Eltern werden, die ihre eigenen Kinder zahlungsfähigen Männern in die Arme treiben. – Eine Frau, die sich achtet, wird sich gegen derartige Zumuthungen zu schützen wissen, bis sie dem Manne auch vor der Welt ange172 Zur Beachtung! Wo in den folgenden Ausführungen der Entwurf mit den seither und
gegenwärtig gültigen Gesetzesbestimmungen verglichen wird, ist jedesmal das von Fachjuristen so gerühmte sächsische Civilgesetz gemeint, welches, wie verlautet, dem Entwurf in verschiedenen Punkten als Grundlage gedient hat. [Anmerkung: Auszüge aus dem Familienrecht des Sächs.BGB sind in der vorliegenden Edition abgedruckt: Nr. 75.]
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hört, ein Mann, der eine Frau achtet, wird ihr solche Zumuthungen gar nicht früher stellen. Geschah es dennoch und ließen sie sich von ihrer Leidenschaft hinreißen, so ist es schmachvoll, sich eine freiwillige Hingabe bezahlen zu lassen und damit das schmähliche Zugeständniß der eigenen Entwerthung zu machen. Aus einem durch gegenseitige Liebe entschuldbaren Akt wird durch den § 1206 ein gemeiner Handel. Aus obigen Gründen müssen wir daher, trotz der gegentheiligen Ansicht bedeutender Fachmänner (s. Prof. Mengers ausgezeichnetes Werk: „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen“), die Beseitigung der Deflorationsklage im Entwurf nur als einen Fortschritt in unserem Sinne betrachten und wünschen, daß demgemäß auch § 1206, der sich auf den speciellen Fall eines vorhergegangenen Verlöbnisses bezieht, fallen möge. Eine entsprechende Änderung im Strafgesetzbuch, die das Schutzalter der Mädchen von 16 auf 21 Jahre – das Mündigkeitsalter – erhöhte, wäre dagegen im Interesse des weiblichen Geschlechtes dringend zu wünschen. Zweiter Titel. Eingehung der Ehe. § 1209. Ein Mann darf nicht vor erlangter Volljährigkeit, eine Frau darf nicht vor vollendetem sechzehnten Lebensjahr eine Ehe eingehen. Einer Frau kann Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden. Eine Frau, die nicht für fähig gehalten wird, über ihr etwaiges Vermögen oder sonst rechtliche Bestimmungen zu treffen, sollte auch nicht für fähiger gehalten werben als der Mann, über den folgenschwersten (3) Schritt ihres ganzen Lebens zu entscheiden. Nimmt man aber an, die Frau sei körperlich und geistig etwas früher reif, wie der Mann, so müßte sie folgerichtig in allen Dingen früher dispositionsfähig, resp. mündig werden. Die Abhängigkeit von der Einwilligung der Eltern (s. § 1211) bis zum 25. Lebensjahre gleicht nicht den Schaden aus, der ihr durch eine zu früh geschlossene Ehe erwachsen kann. Eltern geben in dieser Hinsicht gar zu oft den Wünschen der Kinder nach, und schließlich steht auch nur dem Betheiligten selbst das richtige Urtheil über die Wahl des Lebensgefährten zu, vorausgesetzt, daß er eben alt genug ist, um urteilsfähig zu sein. Der § 1209 müßte demnach unserer Anschauung gemäß etwa lauten: Weder Mann noch Frau darf vor erlangter Volljährigkeit eine Ehe eingehen. Doch kann eventuell Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden. § 1211. Ein eheliches Kind bedarf bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahre zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung des Vaters, ein uneheliches Kind bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Einwilligung der Mutter. An die Stelle des Vaters tritt die Mutter, wenn der Vater gestorben ist, oder wenn ihm die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte nach den §§ 1589, 1592 nicht zustehen. Ein durch Ehelichkeitserklärung legitimiertes Kind bedarf der Einwilligung der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist.
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Dem Tode des Vaters oder der Mutter steht es gleich, wenn sie zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande sind oder wenn ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist. § 1211 müßte lauten: Ein eheliches Kind bedarf bis zum vollendeten 25. Lebensjahre der Einwilligung beider Eltern (statt des Vaters) u. s. w. Demnach würde Satz 2 in Wegfall kommen. § 1216. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der andern Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat. (4) Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften besteht auch zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits. Satz 1. Die Ehe zwischen Verschwägerten müßte im Interesse der Kinder unbedingt gestattet sein. In England wird so oft um Aufhebung dieses auch dort bestehenden Gesetzes petitionirt, daß man wohl annehmen darf, daß sich dasselbe auch in der Praxis nicht bewährte. Wem eine solche Ehe widerstrebt, der wird sie ohnedies nicht eingehen. Bezüglich Satz 3 siehe auch §§ 15, 1496, 1593 ec. Woher in 1216 die plötzliche Verwandtschaft zwischen Vater und unehelichem Kinde, die nach § 15 nicht existirt?173 Solche juristischen Begriffe und Fassungen – diese hat den Zweck, das uneheliche Kind von gewissen Ansprüchen (Unterhaltspflicht, Erbrecht) an den Vater und dessen Verwandte auszuschließen – verdunkeln die Situation. Sollen Beschränkungen unehelicher Kinder statthaben, so wäre dies an Ort und Stelle durch besondere §§ einzuschalten, statt den juristischen Begriff von dem Nichtvorhandensein des Vaters mit seinem unehelichen Kinde, der dem gesunden Menschenverstande Hohn spricht, als Gesetz aufzustellen. § 1218. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen einem wegen Ehebruchs geschiedenen Ehegatten und demjenigen, mit welchem der geschiedene Ehegatte den Ehebruch begangen hat, sofern dieser Ehebruch in dem Scheidungsurtheil als Grund der Scheidung festgestellt ist. Befreiung von dieser Vorschrift kann bewilligt werden. Dieser §, der Mann und Frau in gleicher Weise trifft, ist vom sittlichen Standpunkt zu beanstanden. Das Gesetz muß hier doch annehmen, daß eine Person die Ehe bricht mit einer anderen, die ihr mehr ist, als der Ehegatte und daß, nur um mit dieser Person vereinigt zu sein, der oder die Betreffende die Scheidung anstrebt. Nun sollte Heirath gerade mit dieser Person ausgeschlossen sein? – Daraus würden sich unter allen Umständen tiefunsittliche, weil auf Lüge basirende Ver173 1. Titel Natürliche Personen § 15 Absatz 2 heißt: Zwischen einem unehelichen Kinde
und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft.
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hältnisse ergeben. Hat man den § gesetzt, (5) um Scheidungen wegen Ehebruch zu erschweren, so sollte man doch bedenken, daß niemand durch solche Gesetze vom Ehebruch selbst abgehalten wird. Ein gezwungenes Fortleben, mit einem ungeliebten oder unwürdigen Gefährten aber ist die größte Immoralität, und umso schlimmer, wenn sie vom Gesetze nicht nur sanktioniert, sondern sogar erzwungen wird. Dritter Titel. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe. § 1233. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie zwischen Verwandten oder Verschwägerten dem Verbote des § 1216 Abs. 1 zuwider geschlossen worden ist. (Siehe Bemerkungen zu § 1216). § 1234. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie wegen Ehebruchs nach § 1218 verboten war. Wird nachträglich Befreiung von der Vorschrift des § 1218 bewilligt, so ist die Ehe als von Anfang an gültig anzusehen. (Siehe Bemerkungen zu § 1218). § 1241. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, welcher sich bei der Eheschließung in der Person des andern Ehegatten oder über solche persönliche Eigenschaften oder solche persönliche Verhältnisse des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Zweckes der Ehe von der Eheschließung abgehalten haben würden. Die persönlichen Eigenschaften, Verhältnisse ec. müßten unbedingt näher bestimmt werden (z. B. ekelerregende Krankheiten, Gewohnheiten, Trunksucht, Verheimlichung unehelicher Kinder ec.), weil sonst dieser § seiner Dehnbarkeit wegen sehr gemißbraucht werden kann. Ausdrücklich auszunehmen von den Gründen wäre aber in erster Linie die Klage wegen vorhergegangener Deflorirung der Frau, schon weil die Thatsache nach erfolgter Beiwohnung des Gatten nicht mehr festgestellt werden kann. Der Mann aber kann aus Irrthum oder aus Unkenntnis; medizinisch feststehender Thatsachen, wenngleich im guten Glauben, falsche Angaben machen. Durch solche Klage allein, auch wenn zu ihren Gunsten entschieden würde, käme die unschuldigste Frau in unbegründeten (6) Verdacht und entwürdigende Lage. (Siehe auch Bemerkungen zu § 1206).
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Vierter Titel. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen. § 1254. Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. § 1254 müßte im Sinn der Gleichberechtigung beider Ehegatten lauten: In allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten entscheidet gegenseitiges Übereinkommen. (Im streitigen Falle müßte das Vormundschaftsgericht oder ein aus beiden Geschlechtern zusammengesetzter Familienrath entscheiden.) Derjenige Ehegatte, welcher die Hauptlast des gemeinsamen Unterhaltes trägt, hat Wohnort und Wohnung zu bestimmen, wenn nicht der andere Ehegatte durch seinen Beruf auf einen bestimmten Wohnort hingewiesen ist. Stehen beide Ehegatten in einem Beruf, so hat in, streitigen Fall derjenige Ehegatte über die Wahl des Wohnortes zu entscheiden, der aus seinem Beruf die größeren Einnahmen zieht. – Der andere Ehegatte ist nicht verpflichtet, der Entscheidung Folge zu leisten, wenn sich dieselbe als ein Mißbrauch des Rechtes des Entscheidenden darstellt. § 1255. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes. Da es sich bei diesem Paragraphen darum handelt, eine Jahrhunderte alte Sitte rechtskräftig zu machen, die aus der Anschauung hervorging, daß das Weib durch die Ehe ihre eigene Persönlichkeit aufgiebt und Eigenthum des Mannes wird, so kann derselbe von unserem Standpunkt prinzipiell nicht gebilligt werden, wenngleich es in der Praxis für die Frau ziemlich gleichgültig erscheint, welchen Namen sie führt. Immerhin aber dürfte das Gesetz hier keinen Zwang ausüben und müßte es in jedem Einzelfalle der Frau selbst überlassen bleiben, ob sie ihren eigenen oder den Namen ihres Gatten führen will. (7) § 1256. Die Frau ist, unbeschadet der Vorschriften des § 1254, berechtigt und verpflichtet, dem gemeinschaftlichen Hauswesen vorzustehen. Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen der Ehegatten üblich ist. § 1256 wäre etwa folgendermaßen zu ändern: Die Frau ist – – – – berechtigt und verpflichtet, dem gemeinschaftlichen Hauswesen vorzustehen, Arbeiten im Hauswesen und Geschäft des Mannes zu leisten, soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen der Ehegatten üblich ist und sich mit dem eventuellen selbstständigen Erwerb, sowie den Mutterpflichten der Frau verträgt.
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§ 1257. Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten. Rechtsgeschäfte, die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des Mannes vorgenommen, wenn sich nicht aus den Umständen ein Anderes ergiebt. Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen. Stellt sich die Beschränkung oder die Ausschließung als Mißbrauch des Rechtes des Mannes dar, so kann sie auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1334 wirksam. Nach unserer Auffassung vom getrennten Güterrecht (siehe weiter unten) haften für Rechtsgeschäfte, die sich auf den gemeinsamen Haushalt beziehen, beide Ehegatten, gleichviel wer von ihnen das Geschäft abgeschlossen hat. Beide Ehegatten sind vor dem Gesetze gleich geschäftsfähig. Satz 3 müßte demnach heißen (vorausgesetzt, daß die geschlossenen Rechtsgeschäfte für beide Ehegatten bindend sind): Ein Ehegatte kann das Recht des anderen beschränken oder ausschließen; Satz 4: stellt sich die Beschränkung oder Ausschließung als ein Mißbrauch des Rechtes des einen Gatten dar, so kann sie auf Antrag des anderen Gatten durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden; Satz 5: Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder Ausschließung nur wirksam, wenn dieselbe zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäftes oder zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit dem Dritten bekannt war. (Siehe § 1334). § 1258. Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß (8) ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, daß der Mann der Verpflichtung zugestimmt oder das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Frau die Zustimmung des Mannes ersetzt hat. Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert ist oder die Verweigerung der Zustimmung sich als Mißbrauch seines Rechts darstellt. Die Zustimmung sowie die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter erfolgen; ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist. § 1258 würde bei Selbstverwaltung des eigenen Vermögens seitens der Frau (siehe unsere Beleuchtung des ehelichen Güterrechtes) in Wegfall kommen. § 1260. Der Mann hat der Frau nach Maßgabe seiner Lebensstellung, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren. Die Frau hat dem Manne, wenn er außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten, den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
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Der Unterhalt ist in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu gewähren. Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1500, 1508 bis 1510 finden entsprechende Anwendung. Satz 1: Der Mann hat – – – zu gewähren, müßte unserer Auffassung gemäß etwa folgenden Zusatz erhalten: soweit sie nicht selbst im Stande ist, denselben zu bestreiten. Satz 2: in ihrer (statt seiner) Lebensstellung entsprechenden Unterhalt u. s. w. geändert werden. § 1261. Leben die Ehegatten getrennt, so ist, solange einer von ihnen die Herstellung des ehelichen Lebens verweigern darf und verweigert, den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Auch sind der Frau von dem Manne die zur Führung eines abgesonderten Haushalts erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen Haushalte zum Gebrauche herauszugeben, es sei denn, daß die Sachen für den Mann unentbehrlich sind oder daß solche Sachen sich in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befinden. Die Unterhaltungspflicht des Mannes fällt weg oder beschränkt sich auf die Zahlung eines Beitrags, wenn der Wegfall oder die Beschränkung (9) mit Rücksicht auf die Bedürfnisse, die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Ehegatten der Billigkeit entspricht. Satz 2 müßte etwa lauten: Auch sind dem Ehegatten, der die gemeinschaftliche Wohnung verläßt, vom anderen die zur Führung u. s. w. – – bis: unentbehrlich sind. Das Folgende fiele damit weg. (Siehe unten: Gesetzliches. Güterrecht.) Satz 3 müßte lauten: Die Unterhaltungspflicht des Ehegatten (statt Mannes), u. s. w. § 1262. Es wird vermuthet, daß die im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind. Die Vermuthung gilt nicht für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere nicht für Kleider und Schmucksachen. Diese eigenthümliche Vermuthung wird von den etwaigen Gläubigern des Mannes sehr oft zum Nachtheil der Frau ausgebeutet werden. Daher scheint uns ein strenges Auseinanderhalten des beiderseitigen Besitzes, auch des in der Ehe erworbenen, durchaus geboten. Nach unserem Prinzip der Selbstverwaltung und Nutznießung des eigenen Vermögens müßte bei Eingehung der Ehe genau festgestellt werden, eventuell ins Güterregister eingetragen werden, welche Sachen des gemeinsamen Haushaltes dem Manne, welche der Frau gehören; ebenso müßte das gleiche von den in der Ehe erworbenen Gegenständen des gemeinsamen Haushaltes festgestellt werben. So lästig diese Auseinandersetzungen auch sein mögen, so sind sie doch wegen ev. Ansprüche Dritter nothwendig, für letztere, ebenso wie für die Ehegatten selbst, auch günstiger als der vorliegende Vermuthungs-Paragraph, der nach unserer Anschauung unbedingt fallen müßte.
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Fünfter Titel. Eheliches Güterrecht. 1. Gesetzliches Güterrecht. Allgemeine Bemerkungen. Die alte gesetzliche Bestimmung, die leider auch in dem neuen Gesetzentwurf beibehalten ist, (10) nach welcher das Vermögen der Frau durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen ist (siehe den Kopfparagraphen 1263174, auf welchem das ganze gesetzliche Güterrecht basirt), war stets und würde sein die Quelle endloser Mißstände, die zersetzend auf das Glück der Familie einwirken, abgesehen davon, daß es eine unzeitgemäße und unwürdige Beschränkung des Rechtes der verheiratheten Frau ist, die sie, wie so oft vor dem Gesetz, auf eine Stufe mit Unmündigen und Geisteskranken stellt. Wie unzähligemal kommt es vor, daß der Mann das eingebrachte Gut und den Erwerb der Frau vergeudet, sie und ihre Kinder dem Elend preisgiebt, ohne daß die Frau Einhalt zu thun vermöchte. Der § 1290175 schützt die Frau keineswegs wie er sich den Anschein giebt; denn einmal wird der Frau der gerichtlich gültige Beweis immer schwer werden, daß „die Besorgniß begründet ist, daß die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut der Frau erheblich (!) gefährdenden Weise vom Manne verletzt werden, und dann glückt der Beweis gewöhnlich erst, wenn der größte Theil des Vermögens oder Alles verloren ist. Ebenso illusorisch ist das „Verlangen“ der Frau nach „Sicherheitsleistung“ seitens des Mannes, da dieser gewöhnlich erst sein Vermögen durchbrachte – vorausgesetzt, daß er solches besaß – ehe er das Vermögen der Frau angreift. Auf alle Fälle aber erhält eine Ehe, in der ein Gatte gegen den anderen klagen muß, einen unheilbaren Bruch. Erniedrigender noch für die Frau und belastender für den Mann, unmoralisch für Beide gestaltet sich die Sache, wenn der Mann, wie es erfahrungsgemäß nur zu oft vorkommt, nur heirathet, um in die gesetzlich gesicherte Nutznießung und Verwaltung des eheweiblichen Vermögens zu gelangen, und(11) dieselbe Frau, die ihm die Mittel zu einer angenehmen Lebensführung bietet, lediglich als Mittel zum Zweck ansieht und sie demgemäß behandelt mit allen ihm gesetzlich zustehenden, die Frau schädigenden und erniedrigenden Mitteln. Das Gesetz sollte solche Eventualitäten von vorn herein ausschließen, dadurch, daß die verheirathete Frau, die nach § 1260 die gleichen Unterhaltungspflichten übernimmt wie der Mann, so gut wie die unverheirathete und wie jeder geistig gesunde mündige Mensch, auch unbedingtes Verfügungsrecht über ihr Eigenthum behält. Nur so kann folgenschweren Mißständen vorgebeugt werden. In den meisten Ehen wird dann ohnedies derjenige Gatte die Verwaltung beider Vermögen in die Hand nehmen, der sich am besten dazu eignet. Verwalten doch auch jetzt schon in vielen Ehen die Frauen das ganze eheliche Vermögen, wenn die Männer anderweitig beschäftigt sind und sie die Fähigkeit ihrer Frauen nach dieser Richtung erprobt 174 § 1263. Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und
Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). 175 § 1290. Wird durch das Verhalten des Mannes die Besorgnis begründet, daß die Rech-
te der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährdenden Weise verletzt werden, so kann die Frau von dem Manne Sicherheitsleistung verlangen. Das Gleiche gilt, wenn die der Frau aus der Verwaltung und Nutznießung des Mannes zustehenden Ansprüche auf Ersatz des Werthes verbrauchbarer Sachen erheblich gefährdet sind.
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haben. Will andererseits die Frau dem Manne in Zukunft freiwillig die Verwaltung überlassen, so bleibt ihr das natürlich ebenfalls unbenommen. Das Gesetz aber muß die Frau – wie den Mann – von vorn herein gegen jede Ausbeutung schützen, statt solche geflissentlich herauszufordern. Unserer Anschauung nach müßten demnach die §§ 1263 bis 1287, 1289 bis 1326 und 1328 bis 1330 (die sämtlich den obenerwähnten Kopfparagraphen 1263 zur Voraussetzung haben) fallen und durch entsprechende andere Gesetzesbestimmungen ersetzt werden, wonach bei Schließung einer Ehe das Güterrecht der Ehegatten völlig unverändert bliebe. Jeder verwaltet sein Vermögen und bestimmt unumschränkt darüber, wie vor der Ehe, resp. mit erlangter Mündigkeit. Bringt ein Ehegatte das eigene Vermögen durch unordentliche Wirthschaft in Gefahr, so müßte eventuell der andere Ehegatte verlangen können, daß ihm oder einem Vormund die Verwaltung desselben übertragen werde. Daß kein Ehegatte verpflichtet sein sollte, mit seinem Vermögen Verbindlichkeiten des anderen zu erfüllen, ergiebt sich schon aus dem Prinzip der Gütertrennung. Ausnahme siehe § 1257. § 1288. Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen. Die Frau kann verlangen, daß der Mann den Reinertrag des eingebrachten (12) Gutes, soweit dieser zur Bestreitung des eigenen und des der Frau und den gemeinschaftlichen Kindern zu gewährenden Unterhalts erforderlich ist, zu diesem Zwecke ohne Rücksicht auf seine anderweitigen Verbindlichkeiten verwendet. § 1288 müßte demgemäß nach unserer Auffassung etwa lauten: Die Ehegatten haben den ehelichen Aufwand gemeinsam zu tragen, nach Maßgabe ihres Einkommens (statt: „Der Mann hat“ u. s. w.). Satz 2 fiele somit weg. § 1327. Ist eine erhebliche Gefährdung des der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen von dem Manne zu gewährenden Unterhalts für die Zukunft zu besorgen, so kann die Frau den von ihr zu leistenden Beitrag zur eigenen Verwendung insoweit zurückbehalten, als zur Bestreitung des Unterhalts erforderlich ist. Das Gleiche gilt, wenn der Mann entmündigt ist oder wenn er nach § 1772 einen Vormund, nach § 1787 zur Besorgung seiner gesamten Vermögensangelegenheiten einen Pfleger oder nach § 1788 einen Abwesenheitspfleger erhalten hat. § 1327 müßte auf Gegenseitigkeit beruhen. II. Vertragsmäßiges Güterrecht. Allgemeine Bemerkungen. Die Freiheit, einen Vertrag zu schließen, muß natürlich Brautleuten und Ehegatten gewahrt bleiben. Ohne auf Einzelheiten des „vertragsmäßigen Güterrechtes“, das mit 1. Allgemeinen Vorschriften, 2. Allgemeiner Gütergemeinschaft, 3. Errungenschaftsgemeinschaft, 4. Fahrnißgemeinschaft, circa 120 §§ enthält, näher einzugehen, soll hier nur betont werden, daß von Eingehung eines Vertrages auf diese „Allgemeine Gütergemeinschaft“ jedermann mit aller Entschiedenheit und dringend abzurathen ist, da die Bestimmungen desselben un-
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günstig für beide Theile, Dritten gegenüber (siehe unten die §§ 1356176, 1422177 (13) und 2. Abschnitt Verwandtschaft, 2. Titel Unterhaltspflicht § 1499178 Satz 2 u. a.) und eine womöglich noch ärgere Beschränkung der Rechte der Frau sind, als das gesetzliche Güterrecht (siehe §§ 1342179 und 1348180). Die Bestimmungen in § 1348 Satz 2 sind illusorisch. Woraus Ersatz leisten, wenn alles vergeudet ist? § 1351. Wird von der Frau ein Erwerbsgeschäft selbständig betrieben, so finden die Vorschriften des § 1304 entsprechende Anwendung. Dieser Paragraph fiele selbstverständlich bei dem in unserem Sinne veränderten gesetzlichen Güterrecht. III. Güterrechtsregister § 1453. Die an eine Eintragung in das Güterrechtsregister vom Gesetze geknüpften Wirkungen treten nur ein, wenn die Eintragung in das Register des Bezirks erfolgt ist, in welchem der Mann seinen Wohnsitz hat.
176 § 1356. Die Gläubiger des Mannes können in allen Fällen, die Gläubiger der Frau,
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soweit sich nicht aus den §§ 1357 bis 1859 ein Anderes ergiebt, Befriedigung aus dem Gesammtgute verlangen (Gesammtgutsverbindlichkeiten). Für Verbindlichkeiten der Frau, die Gesammtgutsverbindlichkeiten sind, haftet der Mann auch persönlich. Die Haftung erlischt mit der Auflösung der Gütergemeinschaft, wenn die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesammtgute zur Last fallen. § 1422. Es wird vermuthet, daß das vorhandene Vermögen Gesammtgut sei. § 1499. Soweit die Unterhaltspflicht einer Frau ihren Verwandten gegenüber davon abhängt, daß sie zur Gewährung des Unterhalts im Stande ist, kommt die dem Manne am eingebrachten Gute zustehende Verwaltung und Nutznießung nicht in Betracht. Besteht allgemeine Gütergemeinschaft, Errungenschaft- oder Fahrnißgemeinschaft, so bestimmt sich die Unterhaltspflicht des Mannes oder der Frau Verwandten gegenüber so, wie wenn das Gesammtgut dem unterhaltspflichtigen Ehegatten gehörte. Bei der Bemessung des von einem Ehegatten aus dem Gesammtgute zu gewährenden Unterhalts sind die unterhaltsberechtigten Verwandten des anderen Ehegatten in gleicher Weise zu berücksichtigen, wie wenn sie in demselben Verwandtschaftsverhältnisse zu dem unterhaltspflichtigen Ehegatten ständen. § 1342. Das Gesammtgut unterliegt der Verwaltung des Mannes. Der Mann ist insbesondere zum Besitze der zu dem Gesammtgute gehörenden Sachen berechtigt und befugt, über das Gesammtgut zu verfügen sowie Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Gesammtgut beziehen, im eigenen Namen zu sichern. Die Frau wird durch die Verwaltungshandlungen des Mannes weder Dritten noch dem Manne gegenüber persönlich verpflichtet. § 1348. Der Mann ist der Frau für die Verwaltung des Gesammtguts nicht verantwortlich. Er hat jedoch für eine Verminderung des Gesammtguts, die er in der Absicht, die Frau zu benachtheiligen, oder durch ein ohne die erforderliche Zustimmung der Frau vorgenommenes Rechtsgeschäft herbeigeführt hat, zu dem Gesammtgut Ersatz zu leisten.
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(14) Verletzt der Mann nach der Eintragung seinen Wohnsitz in einen anderen Bezirk, so muß die Eintragung im Register dieses Bezirks wiederholt werden. Ist die Wiederholung nicht binnen sechs Wochen nach der Begründung des neuen Wohnsitzes beantragt worden, so verliert die frühere Eintragung ihre Kraft. Die frühere Eintragung gilt als von Neuem erfolgt, wenn der Mann den Wohnsitz in den früheren Bezirk zurückverlegt. Satz 1 sollte Ehegatten statt Mann, Satz 3 und 4 Ehegatte statt Mann lauten. § 1456. Die Eintragung erfolgt in den Fällen des § 1257 Abs. 2 und des § 1304 Abs. 3 auf Antrag des Mannes. In den anderen Fällen ist der Antrag, beider Ehegatten erforderlich; jeder Ehegatte ist dem anderen zur Mitwirkung verpflichtet. Es genügt jedoch der Antrag eines der Ehegatten 1. zur Eintragung eines Ehevertrags oder einer ans gerichtlicher Entscheidung beruhenden Änderung der vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten, wenn mit dem Antrage der Ehevertrag oder die mit dem Zeugnisse der Rechtskraft versehene gerichtliche Entscheidung vorgelegt wird; 2. zur Wiederholung einer Eintragung, im Güterrechtsregister eines anderen Bezirkes, wenn mit dem Antrag eine nach der Aufhebung des bisherigen Wohnsitzes ertheilte, öffentlich beglaubigte Abschrift der früheren Eintragung vorgelegt wird. Satz 1 fiele nach unserer Anschauung weg und Satz 2 müßte heißen: In allen Fällen (statt: in den anderen Fällen). Sechster Titel. Scheidung der Ehe. § 1463. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt insbesondere grobe Mißhandlung. Hier müßte der Begriff der schweren Verletzung unbedingt genauer präzisirt sein. So müßte z. B. Trunksucht, Rohheit, widernatürliche Neigungen ec. schon als schwere Verletzung gelten. Dem Richter, welcher der Sache fern steht, erscheint vielleicht nicht (15) als schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten, was einen Gatten oft zur Verzweiflung treiben und ein ferneres Zusammenleben mit dem anderen zur Unmöglichkeit machen kann. Als Scheidungsgrund müßte schließlich auch unüberwindliche gegenseitige oder einseitige Abneigung gelten, damit nicht, aus der im Sittengesetz tief begründeten Institution der Ehe ein unmoralischer Zwang wird. Die rechtlichen Wirkungen bei Scheidung einer Ehe sind nach dem Gesetzentwurf verschiedentlich zum
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Nachtheil der Frau. Nachdem in § 1472181 bestimmt ist, daß der allein für schuldig erklärte Mann und die allein für schuldig erklärte Frau dem andern Ehegatten den standesgemäßen Unterhalt zu gewähren habe, soweit der oder die Betreffende denselben nicht selbst bestreiten kann, wird in § 1473182 der Mann, wenn er in beschränkten Verhältnissen lebt und die Frau ihren Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann, ganz von der Unterhaltspflicht befreit. Davon, daß unter gleichen Umständen auch die Frau befreit wird, schweigt der Gesetzentwurf. Nach unserer Auffassung müssen für beide geschiedenen Ehegatten die gleichen Bedingungen gelten. § 1472 Satz 1 müßte also lauten: Der allein für schuldig erklärte Ehegatte (statt Mann) hat dem geschiedenen Ehegatten (statt Frau) den standesgemäßen (16) Unterhalt insoweit zu gewähren, als der letztere ihn nicht aus den Einkünften ec. Satz 2 müßte demgemäß fallen. § 1473. Satz 2 müßte nach obiger Bemerkung, als Benachtheiligung der Frau, ebenfalls fallen. § 1475. Die Unterhaltspflicht erlischt mit der Wiederverheirathung des Berechtigten. Im Falle der Wiederverheirathung des Verpflichteten finden die Vorschriften des § 1499 entsprechende Anwendung. Hier müßte Satz 2 sich mit dem im Sinne unseres humanen Zeitgeistes geregelten Güterrecht ändern, nach welchem dem Ehemann weder Verwaltung noch Nutznießung des eheweiblichen Vermögens obliegt. § 1478. Die geschiedene Frau behält den Familiennamen des Mannes. Ist die Frau allein für schuldig erklärt, so verliert sie den Familiennamen des Mannes und erhält ihren Familiennamen wieder, wenn der Mann ihr die Fortführung seines Namens untersagt und der zuständigen Behörde hiervon Anzeige macht.
181 § 1472. Der allein für schuldig erklärte Mann hat der geschiedenen Frau den standes-
mäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als sie ihn nicht aus den Einkünften ihres Vermögens und, sofern bei Ehefrauen ihres Standes Erwerb durch eigene Arbeit üblich ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit bestreiten kann. Die allein für schuldig erklärte Frau hat dem geschiedenen Manne den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als er außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. 182 § 1473. Ist der allein für schuldig erklärte Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande, ohne Gefährdung seines eigenen standesmäßigen Unterhalts dem anderen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren, so ist er berechtigt, von den zu seinem Unterhalte verfügbaren Einkünften zwei Drittheile oder, wenn diese zu seinem nothdürftigen Unterhalte nicht ausreichen, so viel zurückzubehalten, als zu dessen Bestreitung erforderlich ist. Der Mann ist der Frau gegenüber unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von der Unterhaltungspflicht ganz befreit, wenn die Frau den Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann.
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Ist die Frau nicht oder nicht allein für schuldig erklärt, so kann sie ihren Familiennamen oder, sofern sie vor der Eingehung der geschiedenen Ehe verheirathet war, den zur Zeit der Einsetzung dieser Ehe geführten Namen wieder annehmen. Die Annahme erfolgt durch Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Dieser Paragraph (siehe auch 1255) ist eine Illustration der durch Tradition und Gesetz sanktionirten Vergewaltigung der Frau, die man bisher ohne Kritik hinzunehmen gewohnt war. Die Frau hört mit Eintritt in die Ehe auf, eine selbstständige Persönlichkeit zu sein. Sie verliert ihrem Mann und Dritten gegenüber den größten Theil der Rechte, die ein freier Mensch als eigenstes Gut besitzt, sie verliert das Verfügungsrecht über ihr Eingebrachtes, jede Selbstständigkeit bei dem größten Theil der Rechtsgeschäfte, sie verliert sogar ihren Namen. Erfolgt die Annahme des Mannesnamens seitens der Frau freiwillig, wie beispielsweise in Holland, so läßt sich ja nichts dagegen einwenden. Hier aber wird (17) offenbar vorausgesetzt, daß der Name des Mannes der Frau gleichsam als eine Würde verliehen wurde, die ihr genommen werden kann, wenn sie bei der Ehescheidung für „schuldig“ erklärt wird. „Schuldig“ im Sinne des Gesetzes ist jedoch keineswegs immer gleichbedeutend mit schuldig im Sinne der Moral. Ein Ehegatte z. B., der geschieden und für „schuldig“ erklärt wurde wegen böswilliger Verlassung, ist oft unschuldiger als der Ehegatte, den er verließ, weil ihm das Leben an der Seite dieses Gatten, der nach dem Buchstaben des Gesetzes unschuldig, in den Augen des Betreffenden aber moralisch sehr schuldig war, zur Unmöglichkeit wurde. Unseres Erachtens müßte jede geschiedene Frau, die während der Ehe den Namen ihres Gatten führte, gleichviel ob sie für „schuldig“ erklärt wurde oder nicht, diesen Namen ablegen, keinesfalls aber dürfte ihr hierin das Gesetz Hindernisse in den Weg legen. Der § 1478 scheint uns somit vollständig überflüssig und müßte ganz wegfallen. § 1479. Solange die geschiedenen Ehegatten leben, steht die Sorge für die Person der gemeinschaftlichen Kinder, wenn nur einer der Ehegatten für schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zu. Sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für die Sühne unter sechs Jahren und für die Töchter der Mutter, für die Söhne über sechs Jahre dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann eine abweichende Anordnung treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse der Kinder geboten ist; die Anordnung kann aufgehoben werden, wenn das Interesse der Kinder die Aufrechterhaltung nicht mehr erfordert. Die Sorge für die Person im Sinne des Abs. 1 umfaßt nicht die Vertretung der Kinder. Im Übrigen werden die sich aus der elterlichen Gewalt ergebenden Rechte und Pflichten durch die Scheidung nicht berührt. Es wäre zu Satz 3 im Interesse der Kinder dringend zu wünschen, daß im Vormundschaftsgericht auch Frauen säßen; die unbeschadet ihrer gesetzlichen Funktionen ein mütterliches Interesse, ein herzliches Mitempfinden für die Kinder haben würden. Satz 4 scheint uns nur gesetzt, um die Mutter unter allen Umständen von der Vertretung des Kindes auszuschließen, solange der Vater noch lebt und die elterliche Gewalt hat; in Satz 5 nämlich (18) wird gesagt, daß im Übrigen die sich aus der elterlichen Gewalt ergebenden Rechte und Pflichten durch die Schei-
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dung nicht berührt werden. Das heißt also: der Vater behält – gleichviel ob er schuldig ist oder nicht – nach wie vor Bestimmung über das Kind, Nutznießung von dessen Vermögen, soweit dasselbe nicht für das Kind verbraucht wird ec. ec. Der Mutter steht bestenfalls die Sorge für die Person des Kindes zu. Satz 4 und 5 müßten sich demnach, nach unserer Auffassung von der elterlichen Gewalt, dergestalt ändern, daß es auch nach der Scheidung entweder für beide Eltern gleichmäßig bei den von uns aufgestellten Grundsätzen über elterliche Gewalt bliebe, oder – und das wäre im Interesse des Kindes wünschenswerter – daß nach Satz 4 (ohne den modificirenden Satz 5) für beide Eltern die Sorge für die Person des Kindes nicht dessen Vertretung umfaßt. (Siehe: Elterliche Gewalt, unsere Bemerkungen zu § 1522, auch zu §§ 1481, 1560.) § 1481. Die Frau hat aus den Einkünften ihres Vermögens sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts dem Manne einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung zur des von ihm einem gemeinschaftlichen Kindes gewährenden Unterhalts zu leisten soweit nicht die Kosten des Unterhalts durch die ihm am Vermögen des Kindes zustehende Nutznießung gedeckt werden. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar. Steht der Frau die Sorge für die Person des Kindes zu und ist eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts des Kindes für die Zukunft zu besorgen, so kann die Frau den Beitrag zur eigenen Verwendung insoweit zurückbehalten, als zur Bestreitung des Unterhalts erforderlich ist. Die nach dem Entwurfe im Abschnitt „Elterliche Gewalt“ (siehe § 1540) dem Vater zustehende und hier in Satz 1 angezogene Nutznießung am Vermögen des Kindes müßte nach unserem Rechtsbegriffe nicht dem Vater allein, sondern beiden Eltern zustehen (wie ja beiden auch die Unterhaltspflicht zusteht), ebenso die Verwaltung und Vertretung. (Siehe unsere Bemerkung zu § 1479 und zu: Elterliche Gewalt). Im Falle der Scheidung oder der Trennung der Ehe durch den Tod wäre im Interesse des Kindes das Vermögen desselben gerichtlich sicher zu stellen, statt wie jetzt vorgesehen, bei Scheidung (19) und Tod der Frau die Verwaltung und Nutznießung des kindlichen Vermögens, soweit es nicht für den Unterhalt des Kindes gebraucht wird, dem Manne unbeschränkt zu überlassen. Aus dem seitens der Vormundschaft sicher zu stellenden Vermögen wären demjenigen Ehegatten, dem die Sorge für die Person des Kindes obliegt, soviel an Zinsen zu zahlen, als zum Unterhalt des Kindes erforderlich ist, der Überschuß entweder an beide Eltern gleichmäßig zu vertheilen, oder für das Kind zu kapitalisiren. Eventuell wären auch dem Vater gegenüber jene beschränkenden Bestimmungen anzuwenden, welche für die elterliche Gewalt der Mutter (siehe diese, § 1572–1586) im Entwurfe vorgesehen sind. Nach unserer Auffassung wäre demgemäß § 1481 Satz 1 etwa folgendermaßen zu ändern:
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Beide Ehegatten (statt die Frau) haben aus den Einkünften ihres Vermögens, sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihnen selbstständig betriebenen Erwerbsgeschäftes einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des einem gemeinschaftlichen Kinde zu gewährenden Unterhaltes zu leisten, soweit nicht die Kosten des Unterhaltes durch die, beiden Eltern gleichmäßig zustehende Nutznießung am Vermögen des Kindes gedeckt werden. Satz 2 käme demnach in Wegfall und Satz 3 müßte ungefähr lauten: Derjenige Ehegatte, dem die Sorge für die Person des Kindes gesetzlich zusteht, kann, wenn eine erhebliche Gefährdung des Unterhaltes des Kindes für die Zukunft zu besorgen ist, den Beitrag zur eigenen Verwendung insoweit zurückbehalten, als zur Bestreitung des Unterhaltes erforderlich ist.183 Siebenter Titel. Auflösung der Ehe im Falle der Todeserklärung. § 1485. Ist die Ehe nach § 1482 aufgelöst, so bestimmt sich die Sorge für die Person der gemeinschaftlichen Kinder nach den Vorschriften, welche gelten, wenn die Ehe geschieden ist und beide Ehegatten für schuldig erklärt sind. Auf die Unterhaltspflicht finden die Vorschriften des § 1481 Anwendung. (20) Satz 2. Auch in diesem Falle müßte natürlich die bei § 1481 von uns vorgesehene und motivirte Unterhaltungspflicht eintreten. Zweiter Abschnitt. Verwandtschaft. Zweiter Titel. Unterhaltspflicht. § 1496. Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Hier müßte es heißen: Verwandte ehelicher Abstammung in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. „Ehelicher Abstammung“ müßte eingeschaltet werden, weil wir, entgegen dem § 15 des Entwurfs, annehmen, daß auch ein unehelicher Vater mit seinem Kinde verwandt ist. Für Unterhaltspflicht unehelicher Verwandter aber müßten der Anlage des Entwurfs nach eventuell besondere Bestimmungen gelten (siehe Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder).
183 Das kann aber wohl nur in Frage kommen, wenn das Kind in fremder Pflege ist, an-
dernfalls wird der Ehegatte, welcher die Sorge für die Person des Kindes hat, diesen Beitrag doch ohnedies gleich zurückbehalten.
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Wiederholt sei auf das Curiosum hingewiesen, daß nach § 15 zwischen dem unehelichen Kinde und dessen Vater keine Verwandtschaft besteht (in Hinsicht auf sonst bestehende Unterhaltungs- und Erbansprüche seitens des Kindes an die Verwandten des Vaters), daß in § 1216 Satz 2 die Verwandtschaft zwischen unehelichem Kinde und Vater wieder besteht (wegen Eheverbots zwischen Verwandten), daß in § 1496 die Verwandtschaft unter Voraussetzung des § 15 wieder aufgehoben ist. (Siehe auch § 1593 und unsere Bemerkungen dazu). § 1498. Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eigenen standesmäßigen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern sind, auch wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, ihren minderjährigen unverheiratheten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalte gleichmäßig zu verwenden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem (21) Kinde, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann. Wird der eigene standesgemäße Unterhalt von dem Unterhaltspflichtigen vorweg genommen, auf Kosten seiner Unterhaltungspflicht, so kann es sich ereignen, daß Leute, die zu ihrem standesgemäßen Unterhalt eine verhältnißmäßig hohe Summe beanspruchen, ihre Eltern und Abkömmlinge darben lassen. Was Wort „standesgemäß“ in Satz 1 dürfte, mithin besser in Wegfall kommen. § 1499. Dieser Paragraph ist auf Seite 13 wörtlich citirt. Satz 1 würde mit Einführung der Gütertrennung in unserem Sinne wegfallen. Bezüglich Satz 2 siehe vertragsmäßiges Güterrecht. § 1501. Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig. Die Unterhaltspflicht der Abkömmlinge bestimmt sich nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung und nach dem Verhältnisse der Erbtheile. Unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren, mehrere gleich nahe zu gleichen Theilen. Der Vater haftet jedoch vor der Mutter steht die elterliche Nutznießung der Mutter zu, so haftet die Mutter vor dem Vater. Satz 4 müßte nach unserer Auffassung lauten, daß beide Eltern gleich verpflichtet sind, natürlich nach Maßgabe ihrer Einnahme.
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Dritter Titel. Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und ehelichen Kindern. I. Allgemeine Vorschriften. § 1511. Das Kind erhält den Familiennamen des Vaters. Im Princip ist es keinesfalls richtig, daß der mütterliche Stamm und Name bei den Kindern gesetzlich gar nicht in Betracht kommt. Eine spätere, gerechtere Zeit wird wohl auch hierin die Gesetze der Natur berücksichtigen, und der mütterlichen Individualität, deren Wesen ebenso auf das Kind übergeht, wie das der väterlichen, auch durch jedes äußere Zeichen Anerkennung geben, (22) etwa in der Weise, daß die Töchter den Geschlechtsnamen ihrer Mutter führen und auf ihre Töchter vererben, wie die Söhne den Familiennamen des Vaters. Doch ist die Sache in der Praxis nicht so wichtig, daß es nicht – ohne positiven Schaden für das weibliche Geschlecht, vorläufig – bei der alten Gepflogenheit bleiben könnte. § 1515. Der Vater ist verpflichtet, einer Tochter, die sich verheirathet, zur Einrichtung des Haushalts eine angemessene Aussteuer zu gewähren, soweit er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen standesmäßigen Unterhalts dazu im Stande ist und die Tochter ein zur Beschaffung der Aussteuer ausreichendes Vermögen nicht besitzt. Die gleiche Verpflichtung hat die Mutter, wenn der Vater zur Gewährung der Aussteuer außer Stande oder wenn er verstorben ist. Die Vorschriften des § 1499 und des § 1502 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. § 1515 müßte unserer Anschauung nach die Eltern statt der Vater stehen. Satz 2 fiele somit, ebenso wie auch Satz 3 nach dem in unserem Sinne veränderten Güterrecht. (Siehe § 1499). § 1520. Hat der Vater einem Kinde, dessen Vermögen seiner elterlichen oder vormundschaftlichen Verwaltung unterliegt, eine Ausstattung gewahrt, so wird vermuthet, daß er sie aus diesem Vermögen gewährt habe. Diese Vorschrift findet auf die Mutter entsprechende Anwendung, Auch hier müßte es heißen: die Eltern (statt der Vater). Satz 2 fiele somit weg. II. Elterliche Gewalt. Allgemeine Bemerkungen: Es ist vielfach hervorgehoben worden, welch’ bedeutender Vortheil den Frauen dadurch erwächst, daß im neuen Gesetzentwurfe statt der früheren Väterlichen Gewalt nun eine Elterliche Gewalt vorgesehen ist, welch’ einen hochanerkennenswerthen Fortschritt in unserem Sinne das bedeute. Allerdings klingt die Sache sehr erfreulich: Elterliche Gewalt statt Väterliche Gewalt. Unter Eltern versteht man so gut Vater wie Mütter. Danach hätten nun, nach der Vorstellung gewöhnlicher Sterblicher mit einfachem Menschenverstande, Vater und Mutter, d. h. die Eltern gleiche Rechte und gleiche Gewalt über ihr Kind. Die höhere juristische Weisheit aber zerstört (23) sofort jenen so leichtsinnigen
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Schluß. Sie überschreibt zwar den betreffenden Abschnitt Elterliche Gewalt und § 1521, der erste dieses Abschnittes, lautet: Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt. Nach diesem einen – und einzigen – Paragraphen über die Elterliche Gewalt folgt aber schon, als Überschrift eines neuen Abschnittes: „Elterliche Gewalt des Vaters“, und in den nun folgenden 49 Paragraphen, 1522 bis 1571, werden dem Vater, und ihm allein und ausschließlich alle Rechte und Pflichten übertragen, die früher an die Väterliche Gewalt geknüpft waren. Die Sache ist also im Grunde genau die alte – worauf wir auch bei § 1479 hinwiesen – nur daß „Elterliche Gewalt“ humaner und zeitgemäßer klingt, wie das einfache „Väterliche Gewalt“, das aber dagegen den Vorzug der unverblümten Ehrlichkeit hatte. Um aber nicht gar zu unlogisch zu sein, und da der Abschnitt nun einmal auf „elterliche Gewalt“ umgetauft ist, wurde nach den 49 Paragraphen, die ausschließlich die väterliche Gewalt behandeln, auch ein Abschnitt über mütterliche Gewalt ausgearbeitet, dessen erster Paragraph, § 1572184 wie untenstehend lautet: Was die erste Bestimmung betrifft, d. h. die Ausübung der elterlichen Gewalt seitens der Mutter nach dem Tode des Mannes, so bestand und besteht dieselbe schon nach den zur Zeit gültigen Gesetzen in allen Fällen, in denen die Mutter Vormund ist. Der einzige Vortheil, den die Mutter durch den Entwurf erringt, ist der, daß sie die elterliche Gewalt erlangt, „wenn der Vater dieselbe verwirkt und die Ehe aufgelöst ist“. Die erste Vergünstigung, daß sie die elterliche Gewalt erringt, wenn der Vater sie „verwirkt“ hat, erfährt aber auch wesentliche Einschränkungen. Die andere Übertragung der elterlichen Gewalt auf die Mutter, im Falle der Auflösung der Ehe, die sich auf alle Töchter und (24) die Söhne unter 6 Jahren bezieht, ist wieder illusorisch, da sich in diesem Falle die elterliche Gewalt der Mutter nur auf die Sorge um die Person des Kindes beschränkt (siehe § 1479), die Vertretung desselben aber nach wie vor dem Manne gebührt, ebenso wie Verwaltung und Nutznießung des kindlichen Vermögens. Der Entwurf bringt unter dem schönen Titel „Elterliche Gewalt“ bei Lichte besehen nur eine ganz geringe Besserung der Stellung der Frau ihren Kindern gegenüber. Faßt man die Sache zusammen, so ergiebt sich, laut „elterlicher Gewalt“: Der Vater hat das Recht und die Pflicht für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen, die Mutter nicht, solange der Vater lebt und seine elterliche Gewalt nicht ruht, oder solange die Ehe nicht geschieden ist. Tritt einer dieser Fälle ein, so erlangt die Mutter eventuell die elterliche Gewalt, aber unter wesentlichen Einschränkungen. Der Vater hat die Vertretung des Kindes und die Nutznießung an dem Vermögen desselben, sogar nach Auflösung der Ehe durch Scheidung, selbst wenn er der schuldige Theil war. In § 1479, wo in Satz 1 und 2 die Sorge für die Person der Kinder unter die geschiedenen Ehegatten vertheilt wird, ist durch Satz 4 festgesetzt, daß die Sorge für die Person des Kindes nicht die Vertretung desselben umfaßt, und in Satz 5, daß im Übrigen die aus der elterlichen Gewalt sich ergebenden
184 § 1572. Der Mutter steht die elterliche Gewalt zu: 1. wenn der Vater gestorben oder
für todt erklärt ist; 2. wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirkt hat und die Ehe aufgelöst ist. Im Falle der Todeserklärung beginnt die elterliche Gewalt der Mutter mit dem Zeitpunkte, welcher als Zeitpunkt des Todes des Vaters gilt.
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Rechte und Pflichten nicht berührt werden (siehe § 1525185). Das heißt auf gut Deutsch: Der Vater behält Vertretung des Kindes, Nutznießung und Verwaltung von dessen Vermögen ec., der Mutter bleibt nur die Sorge für die Person des Kindes. Danach kann der Fall eintreten, daß ein für schuldig erklärter Mann von dem von mütterlichen Verwandten stammenden Vermögen des Kindes nicht nur den Nießbrauch hat, soweit derselbe nicht für den Unterhalt des Kindes erforderlich ist, sondern, daß er dies ganze Vermögen ungehindert vergeuden (25) kann. Der § 1558186, der Einschränkung der Befugnisse des Vaters im Falle des Mißbrauchs seiner Rechte vorsieht, tritt gewöhnlich erst in Kraft, wenn es zu spät ist. Die nach § 1559187 vorgesehene Sicherheitsleistung seitens des Vaters ist illusorisch. Womit Sicherheit leisten, wenn nichts mehr vorhanden ist? Will der Vater zu einer neuen Ehe schreiten, so hat er nach § 1560188 seine Absicht dem Vormundschaftsgerichte anzuzeigen und eine Auseinandersetzung, falls zwischen ihm und dem Kinde eine Vermögensgemeinschaft besteht, herbeizuführen. Die elterliche Gewalt über das Kind aber bleibt ihm ohne Bedingung. Geht dagegen die Mutter eine neue Ehe ein, so verliert sie die elterliche Gewalt, ihr bleibt nur die Sorge um die Person des (26) Kindes. § 1586189. So ist denn, trotz des verheißenden Namens, den man diesem Abschnitt gegeben hat, auch nach 185 § 1525. Die Sorge für die Person und das Vermögen umfaßt die Vertretung des Kin-
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des.Die Vertretung steht dem Vater insoweit nicht zu, als nach § 1675 ein Vormund von der Vertretung des Mündels ausgeschlossen ist. Das Vormundschaftsgericht kann dem Vater nach § 1676 die Vertretung entziehen. § 1558. Wird das Vermögen des Kindes dadurch gefährdet, daß der Vater die mit der Vermögensverwaltung und der Nutznießung verbundenen Pflichten verletzt oder daß er in Vermögensverfall geräth, so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu treffen. Das Vormundschaftsgericht kann insbesondre anordnen, daß der Vater ein Verzeichniß des Vermögens einreicht und über seine Verwaltung Rechnung legt. Es kann auch, wenn Wertpapiere, Kostbarkeiten oder Buchforderungen gegen das Reich oder einen Bundesstaat zu dem Vermögen des Kindes gehören, dem Vater die gleichen Verpflichtungen auferlegen, welche nach den §§ 1694 bis 1696, 1698 einem Vormund abliegen; die Vorschriften der §§ 1699, 1700 finden entsprechende Anwendung. Die Kosten der angeordneten Maßregeln fallen dem Vater zur Last. § 1559. Sind die nach § 1558 Abs. 2 zulässigen Maßregeln nicht ausreichend, so kann das Vormundschaftsgericht den Vater anhalten, für das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen Sicherheit zu leisten. Die Art und den Umfang der Sicherheitsleistung bestimmt das Vormundschaftsgericht nach freiem Ermessen. Bei der Bestellung und der Aufhebung der Sicherheit wird die Mitwirkung des Kindes durch die Anordnung des Vormundschaftsgerichts ersetzt. Die Kosten der Sicherheitsleistung fallen dem Vater zur Last. § 1560. Will der Vater zu einer neuen Ehe schreiten, so hat er seine Absicht dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen, auf seine Kosten ein Verzeichniß des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen und, soweit in Ansehung dieses Vermögens eine Gemeinschaft zwischen ihm und dem Kinde besteht, die Auseinandersetzung herbeizuführen. Das Vormundschaftsgericht kann gestatten, daß die Auseinandersetzung erst nach der Eheschließung erfolgt. § 1586. Die Mutter verliert die elterliche Gewalt, wenn sie sich wieder verheirathet. Sie behält jedoch unter den im § 1585 bestimmten Beschränkungen das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
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dem neuen Entwurf die elterliche Gewalt der Mutter eine sehr untergeordnete. Sie, die das Kind geboren und erzogen, die die ersten natürlichsten und unbestreitbaren Anrechte an dasselbe hat, hat sozusagen kein Bestimmungsrecht über dasselbe. Nach unserer Auffassung sollte die elterliche Gewalt nicht in erster Linie dem Vater und nur im Ausnahmsfalle und sehr beschränkt der Mutter, sondern beiden Eltern gleichmäßig zustehen, nach gegenseitigem Übereinkommen, das im Interesse des Kindes wohl in den meisten Fällen erzielt wird. Bei Meinungsverschiedenheiten entschiede entweder der Vater für die Knaben, die Mutter für die Mädchen, oder ein aus beiden Geschlechtern zusammengesetzter Familienrath, oder das Vormundschaftsgericht, in dem unter allen Umständen auch Frauen sitzen sollten. Bei Auflösung der Ehe, auch beim Tode des einen Ehegatten, sollte im Interesse des Kindes das Vermögen desselben sicher gestellt werden (siehe § 1481) oder aber, es müßten logischerweise dieselben Beschränkungen auch für den Vater eintreten, die jetzt nur für die Mutter gelten. Demnach müßte, nach unserem Rechtsbegriffe, der Abschnitt des Entwurfes über die Elterliche Gewalt dahin geändert werden, daß in den betreffenden §§ 1522–1528 und 1530–1571 überall Eltern steht (statt Vater). Der ganze fragwürdige Abschnitt von der elterlichen Gewalt der Mutter würde somit fallen, ebenso § 1529190, der neben dem Vater der Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, überträgt, welches gütige Zugeständnis; durch Satz 2, daß bei Meinungsverschiedenheiten die Meinung des Vaters vorgehe, sogleich wieder aufgehoben wird. Bei § 1560 sollte Sicherheitsstellung des Vermögen (27) des Kindes schon vorausgegangen sein, wie bei § 1481 und Eingangs der Bemerkungen über die Elterliche Gewalt begründet wurde. Vierter Titel. Rechtliche Stellung der Kinder aus ungültigen Ehen. § 1589. War dem Vater die Nichtigkeit der Ehe bei Eheschließung bekannt, so hat er nicht die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte. Die elterliche Gewalt über die Kinder steht der Mutter zu. Hier müßte vielleicht ausdrücklich betont werden, daß die elterliche Gewalt der Mutter eine vollständige ist, auch die Vertretung des Kindes, nicht nur die Sorge um die Person desselben in sich schließt. § 1591. Gelten Kinder nicht als ehelich, weil beiden Gatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung bekannt war, so können sie gleichwohl von dem Vater, solange er lebt, Unterhalt wie eheliche Kinder verlangen. Das im § 1507 Abs. 2 bestimmte Recht steht dem Vater nicht zu.
190 § 1529. Neben dem Vater hat während bestehender Ehe die Mutter das Recht und die
Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie jedoch nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor.
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Nach unseren, beim ehelichen Güterrecht dargelegten Ansichten hat das Kind in diesem Falle die gleichen Ansprüche wie an den Vater, so auch an die Mutter, sobald dieselbe zur Unterhaltungsgewährung im Stande ist. Fünfter Titel. Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder. Allgemeine Bemerkungen: Diese hat im Entwurf für das Kind eine verhältnißmäßige Besserung erfahren insofern, als der Vater verpflichtet sein soll, dem Kinde bis zu seinem vollendeten 16. Lebensjahre den vollen, der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren, während er jetzt nur gehalten ist, einen Beitrag zum Unterhalt des Kindes zu entrichten, der sich freilich nach dem Vermögen des Vaters richtet, allerdings nur bis zum Höchstbetrag von 860 Mk. jährlich. Ein Anlauf zur Besserung ist mich damit genommen, daß auf Antrag, der Mutter der dem Kinde für das erste Vierteljahr zu gewährende Unterhalt schon vor der Geburt des Kindes hinterlegt werden (28) kann. Immerhin bleibt das Loos dieser unglücklichen Kinder noch beklagenswert(!) genug. Durch unsere socialen und gesetzlichen Institutionen werden sie für den Fehltritt ihrer Eltern förmlich zu Parias der Gesellschaft herabgedrückt. Die Stellung der unehelichen Mutter ist im Entwurf entschieden eine ungünstigere geworden, indem der § bezüglich der vom Vater zu zahlenden Kosten der Entbindung den Zusatz erhalten hat „innerhalb der Grenze der Nothdurft“. Eine besondere Zurücksetzung erfährt die Mutter auch durch die Bestimmung des § 1610 (Legitimation durch Ehelichkeitserklärung), wonach der Vater, der nach § 15 doch gar nicht mit seinem Kinde verwandt ist, dieses Kind eventuell ohne Einwilligung der Mutter (siehe § 1613) für ehelich erklären, und dieser für immer entreißen kann. Im Ganzen geht der Entwurf ebenso wie die jetzt zu Recht bestehenden Gesetze auch wieder von dem Grundsatz aus, daß die uneheliche Mutter und ihr Kind die bei weitem schwereren Folgen eines Fehltritts zu tragen haben, während der schuldigere Mann möglichst ungestraft davon kommt. § 1593. Das uneheliche Kind hat im Verhältnisse zur Mutter und zu den Verwandten, der Mutter die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. Unserer Ansicht nach sollte eigentlich das uneheliche Kind zu beiden Eltern und deren Verwandten die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes haben. Warum soll ein Kind leiden für Irrungen, an denen es unschuldig ist? Da aber einmal bestehende, durch Jahrtausende alte Traditionen erzeugte, und tief eingewurzelte Anschauungen und Verhältnisse mit ihren Folgen sich nicht mit einem Schlage aus der Welt schaffen lassen, so würde solche Forderung heute noch zu unabsehbaren Konsequenzen führen. Wir erstreben auch hier nur gleiche Rechtsstellung des Kindes zum unehelichen Vater wie zur unehelichen Mutter. Hat das uneheliche Kind keine Ansprüche an die Verwandten des Vaters, so darf es auch keine an die Verwandten der Mutter haben. Vater und Mutter aber sollten für diese Kinder ganz besonders verpflichtet werden. In jedem Falle sollte das uneheliche Kind auch vom Vater – wenn schon nicht von dessen Verwandten – erben. Es ist ebensogut sein Kind, wie ein eheliches. Demnach müßte § 1593 etwa lauten:
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(29) Das uneheliche Kind hat im Verhältnis, zur Mutter und zum Vater (statt zur Mutter und zu den Verwandten der Mutter) die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. § 1595. Der Mutter steht nicht die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind zu. Sie hat jedoch unter den in § 1590 Abs. 2 bestimmten Beschränkungen das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. § 1595 müßte nach unserer Anschauung heißen: „Der Mutter steht (statt steht nicht) die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind zu.“ Satz 2 fiele demnach und wäre zum Schutz des Kindes etwa durch folgenden Zusatz zu ersetzen: „Erforderlichen Falles ist jedoch ein Vormund beizuordnen.“ (Wir weisen hier auf unsere Bemerkungen zu § 1604 und zum 3. Abschnitt, Vormundschaft, hin.) § 1596. Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zu dessen vollendetem sechzehnten Lebensjahre den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe. Der Vater ist vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten des Kindes unterhaltspflichtig. Nach unseren oben dargelegten Grundsätzen müßte es hier in Satz 1 heißen: den seiner Lebensstellung (statt der Lebensstellung der Mutter) entsprechenden u. s. w. Satz 3 dagegen müßte etwa lauten: Ebenso wie der Vater ist auch die Mutter des unehelichen Kindes nach Maßgabe ihrer Lebensstellung unterhaltspflichtig. § 1597. Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Die Rente ist für ein Vierteljahr vorauszuzahlen. Hat das Kind den Beginn des Vierteljahres erlebt, so gebührt ihm der volle auf ein Vierteljahr fallende Betrag. Vorausleistungen befreien den Vater nur insoweit, als sie für das Vierteljahr bewirkt sind. Nach „der Unterhalt“ müßte eingeschaltet werden „seitens des Vaters“. § 1602. Der Vater ist verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung und die Kosten des Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung (30) innerhalb der Grenzen der Nothdurft zu ersetzen. Den gewöhnlichen Betrag dieser Kosten kann die Mutter ohne Rücksicht auf den wirklichen Aufwand verlangen. Der Anspruch kann geltend gemacht werden, auch wenn der Vater vor der Geburt des Kindes gestorben oder wenn das Kind todt geboren ist. Der Anspruch verjährt in vier Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ablaufe von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes.
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Satz 1 müßte natürlich ebenfalls lauten: seiner Lebensstellung, resp. Einnahme gemäß (statt in den Grenzen der Nothdurft). Hat der Mann ein Mädchen in diese Lage gebracht, die ohnedies für sie schlimm genug ist, so mag er auch seinen Verhältnissen gemäß zur Milderung dieser Lage herangezogen werden. Daß durch mildere Bestimmungen zu Gunsten der Mütter die Zahl der unehelichen Kinder vermehrt würde, ist nicht „zu vermuthen“. Wohl aber würden die Männer weniger leichtfertig das Lebensglück Anderer zerstören, wenn sie wüßten, daß ihr Leichtsinn auch für sie selbst etwas schwerere Folgen hätte. – Auf Verheimlichung unehelicher Kinder als Grund für Anfechtbarkeit der Ehe wiesen wir schon bei § 1241 hin. Wir sind übrigens der Meinung, daß durch Heranziehung des Mannes zu den Kosten für Entbindung und Wochenbett seine Verpflichtung gegen die uneheliche Mutter seines Kindes keineswegs erfüllt ist. Wie häufig werden Frauen schon vor der Entbindung arbeitsunfähig oder werden, wie z.B. Dienstmädchen, die leider zu oft gerade von bemittelten Männern verführt werden – deren Schutz sie genießen sollten! – aus der Arbeit entlassen. Für solche Fälle müßte der Mann schon Wochen, resp. Monate vor der Entbindung zur Unterhaltspflicht für das Mädchen herangezogen werden, resp. es müßte diesem Abschnitt des Entwurfes ein darauf bezüglicher Paragraph hinzugefügt werden. § 1604. Als Vater des unehelichen Kindes im Sinne der §§ 1596 bis 1603 gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt hat, es sei denn, daß auch ein Anderer ihr innerhalb dieser Zeit beigewohnt hat. Eine Beiwohnung bleibt jedoch außer Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat. Als Empfängniszeit gilt die Zeit von dem einhunderteinundachtzigsten (31) bis zu dem dreihundertzweiten Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes, mit Einschluß sowohl des einhunderteinundachtzigsten als des dreihundertundzweiten Tages. Hiernach kann sich der uneheliche Vater unter Umständen ganz der Alimentationspflicht entziehen. Das an seinem Inslebentreten doch wahrlich ganz unschuldige Kind soll durch den Treuebruch der Mutter arg geschädigt werden (zu Gunsten von Männern, die wahrscheinlich nicht tugendhafter waren, wie die Mutter). Durch solche Bestimmungen erhält die Leichtfertigkeit der Männer und somit die Unsittlichkeit nur neue Stützen. Haben der unehelichen Mutter mehrere Personen während der Empfängnißzeit beigewohnt, so ist es gerecht, daß Alle diese zur Alimentationspflicht für das Kind herangezogen werden. Der Mutter aber, welche durch ihre Lebensführung so wenig Garantien bietet für die moralischen Eigenschaften, welche die Ausübung der elterlichen Gewalt und die Erziehung eines Kindes erheischt, müßte diese elterliche Gewalt, die wir anderen Ortes (S. § 1595) auch für eine uneheliche Mutter fordern, von vorn herein, entzogen werden, eventuell auch die Sorge für die Person des Kindes. Ebenso sollte sie die ihr nach § 1602 unserer Fassung zustehenden Rechte verlieren. Dadurch würde auch das etwaige Streben dieser Mutter, solche Lage für ihren pekuniären Vortheil auszubeuten, durchaus vereitelt.
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Sechster Titel. Legitimation unehelicher Kinder. 2. Legitimation durch Ehelichkeitserklärung. § 1610. Ein uneheliches Kind kann auf Antrag seines Vaters durch eine Verfügung der Staatsgewalt für ehelich erklärt werden. Die Ehelichkeitserklärung steht dem Staate zu, welchem der Vater angehört. Mit der Ehelichkeitserklärung erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. § 1613. Zur Ehelichkeitserklärung ist die Einwilligung des Kindes, der Mutter des Kindes und, wenn der Vater verheirathet ist, der Frau des Vaters erforderlich. Der Einwilligung der Mutter bedarf es nicht, wenn das Kind das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat. Wird die Einwilligung von der Mutter verweigert, so kann sie auf Antrag des Kindes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn das Unterbleiben der Ehelichkeitserklärung dem Kinde zu unverhältnißmäßigem Nachtheile gereichen würde. (32) Die Einwilligung der Mutter ist nicht erforderlich, wenn die Mutter zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist. Das Gleiche gilt von der Einwilligung der Frau des Vaters. Nach unserer Ansicht wäre die Einwilligung der Mutter unter keinen Umständen zu umgehen, solange das Kind noch nicht 25 Jahre alt ist (außer natürlich bei § 1613 Satz 4). Sie kann gewichtige Gründe haben, die Fernstehenden entgehen, um gerade dem in Frage stehenden Manne ihr Kind nicht anzuvertrauen und lieber auf dessen Legitimirung zu verzichten. Die Erlaubniß der Mutter dürfte nicht durch das Vormundschaftsgericht zu ersetzen sein. (Siehe auch unsere Eingangsbemerkung zur Stellung der unehelichen Kinder.) Demnach müßte § 1610 Satz 1 nach den Worten: auf Antrag seines Vaters, durch den Zusatz: und seiner Mutter zu ergänzen sein, § 1613 Satz 3 in Wegfall kommen. § 1622. Durch die Ehelichkeitserklärung verliert die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Hat sie dem Kinde den Unterhalt zu gewähren, so treten Recht und Pflicht wieder ein, wenn die elterliche Gewalt des Vaters beendet ist oder in der Weise ruht, daß ihm auch die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht. Gerade auch, weil der Mutter das Recht und die Pflicht, für das Kind zu sorgen, unter Umständen wieder zufallen kann, dürfte sie bei Einwilligungserklärung zur Legitimirung ihres Kindes nicht umgangen werden. (Siehe § 1613). Die Beschränkung durch den § 1622 würde übrigens nach unserer Auffassung von der elterlichen Gewalt der unehelichen Mutter ohnedies wegfallen.
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§ 1624. Will der Vater eine Ehe eingehen, während er die elterliche Gewalt über das Kind hat, so finden die Vorschriften der §§ 1560 bis 1562 Anwendung. § 1624 müßte sich eventuell nach unseren Bemerkungen zu §§ 1560 und 1481 ebenfalls modificiren. (33) Siebenter Titel. Annahme an Kindesstatt. § 1646. Durch die Annahme an Kindesstatt verlieren die leiblichen Eltern die elterliche Gewalt über das Kind, die uneheliche Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Hat der Vater oder die Mutter dem Kinde Unterhalt zu gewähren, so treten das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, wieder ein, wenn die elterliche Gewalt des Annehmenden beendigt ist oder wenn sie nach § 1565 Abs. 1 oder nach § 1566 ruht. Das Recht zur Vertretung des Kindes tritt nicht wieder ein. Satz 1 müßte von „die uneheliche Mutter“ bis „Kindes zu sorgen“ wegfallen, da nach unserer Anschauung auch der unehelichen Mutter die elterliche Gewalt über ihr Kind zustehen sollte. Dritter Abschnitt. Vormundschaft. Erster Titel. Vormundschaft über Minderjährige. 1. Anordnung der Vormundschaft. Allgemeine Bemerkungen: Das Vormundschaftsrecht nach dem Entwurfe bedeutet insofern eine Besserung der Stellung der Frau, als darnach nicht nur die eheliche, sondern auch die uneheliche Mutter (§ 1659) Vormund eines Kindes werden kann, ebenso die Großmutter und jede Frau, die vom Vater oder von der ehelichen Mutter als Vormund eines Kindes benannt wird. Allerdings darf eine Frau, falls sie nicht mit dem Vater des Mündels verheirathet ist, die Vormundschaft nur mit Zustimmung ihres Ehemannes annehmen; auch kann das Vormundschaftsgericht eine Frau, die zum Vormund benannt ist, entlassen, wenn sie sich verheirathet, und muß sie entlassen, wenn der Ehegatte, der nicht der Vater des Mündels ist, seine Zustimmung zu ihrer Führung der Vormundschaft versagt oder die gegebene Zustimmung zurücknimmt. Man sieht also, die geringen Zugeständnisse an die Frau sind arg beschnitten, und die (34) Vormünderin selbst steht unter Vormundschaft ihres Ehemannes. Prinzipiell werden außer vorbenannten Ausnahmen die Frauen nach wie vor von der Führung der Vormundschaft ausgeschlossen, jetzt allerdings in etwas rücksichtsvollerer Form. Während sie früher mit Unmündigen, Verschwendern, Geisteskranken und Verbrechern in fröhlicher Gemeinschaft aufgezählt wurden, sind sie jetzt von dieser ehrenwerthen Gesellschaft durch die respectvolle Entfernung von einem, bez. 2 Gesetzparagraphen getrennt. An der Sache ändert das freilich nicht viel, aber es nimmt sich hübscher aus.
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Erfreulich ist es ja, daß unter gewissen Voraussetzungen auch andere Frauen als die ehelichen Mütter zu Vormündern berufen werden sollen. Aber diese gewissen Voraussetzungen und Beschränkungen müßten unserer Ansicht nach sämtlich fallen. Frauen sollten unter den gleichen Bedingungen wie die Männer ebenfalls zu Vormündern bestellt werden können, da sie weit häufiger in der Lage sind, verantwortungsvolle Pflichten zu übernehmen, als letztere, die gewöhnlich in einem Berufe stehen, deren Zeit daher beschränkter ist. Wie viele Frauen, die ein inhaltloses, unbefriedigtes Dasein führen, würden durch Erfüllung einer ernsten Lebensaufgabe zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft, welch’ ein reiches Feld segensreicher Arbeit im Dienste des Gemeinwohls würde sich ihnen hier erschließen! Ganz besonders für die armen unehelichen Kinder wäre die Vormundschaft von Frauen ein großes Glück. § 1657. Als Vormünder sind in nachstehender Reihenfolge berufen: 1. wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist, 2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist; 3. der Großvater des Mündels von väterlicher Seite; 4. der Großvater des Mündels von mütterlicher Seite. Die Großväter sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Das Gleiche gilt, wenn derjenige, von welchem der Mündel abstammt, von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist und die Wirkungen der Annahme sich auf den Mündel erstrecken. (35) So gut wie die Großväter sollten auch die Großmütter Vormünder ihrer Enkel sein können. Doch würden uns statt der Großeltern zuvor die Verwandten des Mündels, Onkel, Tanten ec. berufen erscheinen, die jünger sind und in ihren Lebensanschauungen den Bevormundeten näher stehen. § 1659. Wer nach § 1657 als Vormund berufen ist, darf ohne seine Zustimmung nur übergangen werden, wenn er nach den §§ 1661 bis 1665 von der Vormundschaft ausgeschlossen ist oder wenn er an der Übernahme der Vormundschaft verhindert ist oder die Übernahme verzögert oder wenn seine Bestellung das Interesse des Mündels gefährdet. War der Berufene nur vorübergehend verhindert, so ist er nach dem Wegfalle des Hindernisses auf seinen Antrag an Stelle des bisherigen Vormundes zum Vormunde zu bestellen. Für eine Ehefrau darf der Mann vor den nach § 1657 Berufenen, für ein uneheliches Kind darf die Mutter vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden. Neben dem Berufenen darf nur mit dessen Zustimmung ein Mitvormund bestellt werden.
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Satz 1 würde sich nach § 1657 modificiren. Bezüglich Satz 3 halten wir es unter allen Umständen für falsch, daß der Ehemann Vormund seiner Frau sei, es sei denn, daß die Voraussetzungen des § 1772191 vorlägen, dann wäre ja aber nach unserer Auffassung und nach § 1776 (siehe diesen), die eheliche Vormundschaft beiderseits gestattet. § 1659 Satz 3 müßte daher dahin geändert werden, daß der Mann nur unter Voraussetzung des § 1772, sonst nicht, zum Vormund seiner Frau bestellt werden darf. § 1663. Zum Vormunde soll nicht bestellt werden, wer durch Anordnung des Vaters oder der ehelichen Mutter des Mündels von der Vormundschaft ausgeschlossen ist. Die Mutter kann den von dem Vater als Vormund Benannten nicht ausschließen. Auf die Ausschließung finden die Vorschriften des § 1658 Anwendung. (36) In Satz 1 müßte „ehelichen“ wegfallen. Auch der unehelichen Mutter müßte dieses Recht zustehen nach unseren früheren Begründungen der elterlichen Gewalt. Satz 2 müßte den Zusatz erhalten: ebensowenig der Vater den von der Mutter als Vormund Benannten. § 1684. Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden. Ausgenommen sind die Mutter und die Großmutter des Mündels sowie eine Frau, die von dem Vater oder der ehelichen Mutter als Vormund benannt ist. Eine Frau, die mit einem Anderen als dem Vater des Mündels verheirathet ist, darf nur mit Zustimmung ihres Mannes zum Vormunde bestellt werden. § 1664 müßte nach unserer Anschauung und den oben gemachten Ausführungen fallen. § 1666. Die Übernahme der Vormundschaft kann ablehnen: 1. eine Frau; 2. wer das sechszigste Lebensjahr vollendet hat; 3. wer mehr als vier minderjährige eheliche Kinder hat; ein von einem Anderen an Kindesstatt angenommenes Kind wird nicht gerechnet; 4. wer durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert wird, die Vormundschaft ordnungsmäßig zu führen; 5. wer wegen Entfernung seines Wohnsitzes von dem Sitze des Vormundschaftsgerichts die Vormundschaft nicht ohne besondere Belästigung führen kann; 6. wer nach § 1722 zur Sicherheitsleistung angehalten wird; 7. wer mit einem Anderen zur gemeinschaftlichen Führung der Vormundschaft bestellt werden soll; 8. wer mehr als eine Vormundschaft oder Pflegschaft führt; die Vormundschaft oder Pflegschaft über mehrere Geschwister gilt nur als eine; die Führung von zwei Gegenvormundschaften steht der Führung einer Vormundschaft gleich. 191 Ein Volljähriger kann einen Vormund erhalten, wenn er in Folge körperlicher Gebre-
chen, insbesondere weil er taub, blind oder stumm, ist, seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Die Vormundschaft darf nur mit seiner Einwilligung angeordnet werden, es sei denn, daß eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist.
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Hier müßte „Eine Frau“ natürlich ebenfalls in Wegfall kommen. 3. Fürsorge und Aufsicht des Vormundschaftsgerichtes. Gemeindewaisenrath. § 1717. Will der zum Vormunde bestellte Vater oder die zum Vormunde bestellte eheliche Mutter des Mündels zu einer neuen Ehe schreiten, so liegen ihnen die im § 1560 bestimmten Verpflichtungen ob. Hier verweisen wir auf unsere Bemerkungen zu § 1560. (37) Der Gemeindewaisenrath hat dem Vormundschaftsgerichte die Personen vorzuschlagen, welche sich im einzelnen Falle zum Vormunde, Gegenvormund oder Mitglied eines Familienraths eignen. (Siehe Schluß dieser Ausführungen.) 4. Befreite Vormundschaft. In den hierzu gehörigen §§ wäre das Wort Vater überall durch Eltern zu ersetzen. § 1729. Benennt die eheliche Mutter einen Vormund, so kann sie die gleichen Anordnungen treffen wie nach den §§ 1726 bis 1728 der Vater. In § 1729 müßte es demnach und überhaupt in unserem Sinne etwa heißen: „Benennt die uneheliche Mutter einen Vormund, so kann sie die gleichen Anordnungen treffen, wie die Eltern nach §§ 1726 bis 1728.“ Auch die uneheliche Mutter müßte dieses Recht haben. 6. Beendigung der Vormundschaft. § 1745. Das Vormundschaftsgericht kann eine Frau, die zum Vormunde bestellt ist, entlassen, wenn sie sich verheirathet. Das Vormundschaftsgericht hat eine verheirathete Frau, die zum Vormunde bestellt ist, zu entlassen, wenn der Ehemann seine Zustimmung zur Übernahme oder zur Fortführung der Vormundschaft versagt oder die Zustimmung zurücknimmt. Diese Vorschrift findet keine Anwendung; wenn der Ehemann der Vater des Mündels ist. So wenig wie beim Manne, dürfte bei der Frau die bloße Thatsache, daß sie sich verheirathet, genügen, um ihr seitens des Vormundschaftsgerichtes die Vormundschaft zu entziehen. Ebensowenig dürfte ihre Vormundschaft von der Zustimmung ihres Ehemannes abhängig gemacht werden. Dieser § müßte demnach in Wegfall kommen. 7. Familienrath. Setzt der Entwurf der Vormundschaftsführung seitens der Frau schon ziemlich enge Grenzen, so will er die Frauen von dem Familienrathe, der auf Anordnung des Vaters oder der Mutter eingesetzt werden kann, von vorne herein gänzlich ausschließen. (38) Frauen z. B., die ein Kind erzogen haben, mit dessen Individualität sie auf’s innigste vertraut sind, müssen schweigen, wenn über die wichtigsten,
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vielleicht für’s ganze Leben ausschlaggebenden Interessen dieses Kindes berathen wird, und die Berathung und Entscheidung Männern überlassen, welche nicht die geringste Fühlung mit dem Kinde und vielleicht nur eine flüchtige Antheilnahme an demselben haben. Es scheint unbegreiflich, daß die Frau nicht einmal im Familienrathe angehört werden soll, wo gerade ihre Erfahrungen so viel zur Klärung der Lage beitragen könnten und würden. Nach unserer Anschauung müßte daher in § 1759192, 2. „Eine Frau“ unter allen Umständen fallen. § 1761. Für die nach den §§ 1751, 1752, 1754, 1756, 1759, 1760 zulässigen Anordnungen des Vaters oder der Mutter gelten die Vorschriften des § 1658. Die Anordnungen des Vaters gehen den Anordnungen der Mutter vor. Satz 2 müßte nach unserer Anschauung etwa lauten: Wenn die Anordnungen des Vaters und der Mutter nicht übereinstimmen, entscheidet der Familienrath, wessen Anordnungen Berücksichtigung finden sollen. (Siehe auch unsere Bemerkungen zu § 1529.) Zweiter Titel. Vormundschaft über Volljährige. § 1775. Vor den Großvätern ist der Vater und nach ihm die eheliche Mutter des Mündels als Vormund berufen. Die Eltern sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Stammt der Mündel aus einer nichtigen Ehe, so ist der Vater im Falle des § 1589, die Mutter im Falle des § 1590 nicht berufen. Das Gleiche gilt, wenn die Ehe anfechtbar und angefochten ist. (39) Auch hier müßte die Frau dem Manne vollständig gleichberechtigt sein. Satz 1 müßte demgemäß lauten: Vor den Großvätern und Großmüttern sind die Eltern des Mündels als Vormund berufen. § 1776. Eine Ehefrau kann zum Vormund ihres Mannes bestellt werden; die Zustimmung des Mannes ist nicht erforderlich. Der Ehegatte des Mündels darf vor den Eltern und den Großvätern, die eheliche Mutter darf im Falle des § 1590 vor den Großvätern zum Vormunde bestellt werden. Die uneheliche Mutter darf vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden.
192 § 1759. Zum Mitglied des Familienrathes soll nicht bestellt werden: 1. der Vormund
des Mündels; 2. eine Frau; 3. wer nach § 1662 oder nach § 1663 von der Vormundschaft ausgeschlossen ist; 4. wer durch Anordnung des Vaters oder der ehelichen Mutter des Mündels von der Mitgliedschaft ausgeschlossen ist.
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Hier müßte Satz 1 (nach: bestellt werden) hinzugefügt werden: und umgekehrt. – Das letztere ist freilich schon im Entwurfe durch § 1659, Satz 3, vorgesehen, müßte aber an jener Stelle in Wegfall kommen. (Siehe unsere Bemerkungen zu § 1659, Satz 3.) § 1779. Ist der Vater des Mündels zum Vormunde bestellt, so unterbleibt die Bestellung eines Gegenvormundes. Dem Vater stehen auch die Befreiungen zu, welche nach den §§ 1726 bis 1728 angeordnet werden können, vorbehaltlich der Befugniß des Vormundschaftsgerichts, die Befreiungen außer Kraft zu setzen, wenn sie das Interesse des Mündels gefährden. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn der Vater im Falle der Minderjährigkeit des Mündels zur Vermögensverwaltung nicht berechtigt sein würde. In Satz 1 müßte es heißen: Ist eines der Eltern (statt Vater) u. s. w., – in Satz 2 und 3 ebenfalls Eltern (statt Vater). § 1780. Ist die eheliche Mutter des Mündels zum Vormunde bestellt, so gilt für sie das Gleiche wie nach § 1779 für den Vater. Der Mutter ist jedoch ein Gegenvormund zu bestellen, wenn sie die Bestellung beantragt oder wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen ihr nach § 1576 Nr. 3 ein Beistand zu bestellen sein würde. Wird ein Gegenvormund bestellt, so stehen der Mutter die im § 1726 bezeichneten Befreiungen nicht zu. Dieser § würde nach Obigem in Wegfall kommen, doch ließe sich vielleicht, im Interesse der Eltern wie des Entmündigten, Satz 2, der nur im Bezug auf die Mutter vorgesehen ist, als (40) ebenso für den Vater gültig, in folgender Fassung dem Satz 1 in § 1779 anfügen: Den Eltern ist jedoch ein Gegenvormund zu bestellen u. s. w. Dritter Titel. Pflegschaft. § 1792. In den Fällen des § 1786 finden die Vorschriften über die Berufung zur Vormundschaft keine Anwendung. Wird jedoch die Anordnung einer Pflegschaft nach § 1786 Abs. 1 Satz 2 erforderlich, so ist als Pfleger berufen, wer als solcher von Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, von dem Dritten bei der Zuwendung benannt ist; die Vorschriften des § 1659 finden entsprechende Anwendung. Hier wäre nur zu bemerken, daß in § 1792, Satz 2, der Schlußsatz sich mit § 1659 nach unseren Ausführungen ebenfalls ändern würde. (Siehe auch Bemerkungen zu § 1776.) Zum Schlusse sei noch wiederholt darauf hingewiesen, von welch’ großem Segen für das Wohl der Frauen und der Allgemeinheit, wie auch speciell für die Bevormundeten selbst es sein würde, wenn zum Vormundschaftsgerichte, wie zu Vormündern, und zum Familienrath, nicht nur Männer, sondern auch Frauen zugezogen würden, die unbeschadet strengster Sachlichkeit doch mehr Verständniß
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und Herz für ihr eigenes Geschlecht und für die ihrer Fürsorge anvertrauten Kinder haben, als die Männer, so vertrauenswürdig diese selbst und so redlich ihr Wille auch immer sein möge.
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Käthe Schirmacher: Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch, 1898
SCHIRMACHER, Käthe: Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch, in: Die Frauenbewegung 1898, S. 74-76 Kommentar: Käthe Schirmacher (1865-1930), die sich nach Paris begeben hatte, um dort in der Bibliotheque Nationale an einer Biographie über Voltaire zu arbeiten, ruft zum fortgesetzten Kampf gegen das BGB auf und geißelt vor allem dessen Nichtehelichenrecht unter Beifügung zahlreicher Zitate aus einem Artikel von Steinitz im Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Ihr Fazit (S. 75 f.): „Gesetzgeber, die brutale Interessenpolitik treiben, verscherzen das Vertrauen derer, denen sie Gesetze geben. – Der Geist des Mannesegoismus, welcher Teile des bürgerlichen Gesetzbuches, wie den besprochenen, durchweht, nimmt dem Manne das Recht, zu sagen, seine Gesetzgebung vertrete die Interessen der Frau. Dieser Geist giebt der Frau das Recht, direkten Anteil an der Gesetzgebung ihres Landes zu verlangen.“ In diesem Satz kündigt sich bereits Schirmachers Kampf für das Frauenstimmrecht an, vgl. hierzu u.a. Schirmacher, Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts (1905, Nr. 58); Schirmacher, Die Suffragettes, 1912.
Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch. Von Dr. phil. Käthe Schirmacher in Paris.
(74) Bei unserer Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch pflegt man uns unter anderem entgegenzuhalten: Gesetze werden für die Bedürfnisse der Masse gemacht. – Die Masse der deutschen Frauen ist mit ihrer heutigen Rechtsstellung zufrieden und wird es ebenso mit ihrer neuen Rechtsstellung von 1900 ab sein. Laßt doch das Agitieren, ihr seid ja nur eine Minderzahl Unzufriedener.“ Ganz recht, wir Unzufriedenen sind in der Minderzahl; wir aber kennen wenigstens unsere Rechtsstellung, und deshalb eben sind wir Unzufriedene. Die Masse der deutschen Frauen ist oder scheint zufrieden, nur aus Unkenntnis. Unser Agitation geht daher darauf hin, diese Unkenntnis zu zerstören. Daß auf dem also umgepflügten Acker die Unzufriedenheit wachse, dafür sorgen gewisse Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ganz allein. In manchen seiner Paragraphen weht ein Geist, den Männer und Juristen selbst als „brutalen Egoismus“ bezeichnen. (75) Ein Aufsatz von Dr. K. Steinitz im „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“, Band VIII, giebt einen trefflichen Beleg dafür. Der Artikel bespricht die Stellung der unehelichen Kinder und ihrer Mütter im Bürgerlichen Gesetzbuche. Dem Geiste, der diese Stellung festgelegt hat, macht der Verfasser den Prozeß. In Frankreich, führt er aus, hat der Code Napoléon „in Verfolg der rücksichtslosesten Interessenpolitik das Rechtsband zwischen Vater und Kind völlig zerschnitten“: la recherche de la paternité est interdite.
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und Herz für ihr eigenes Geschlecht und für die ihrer Fürsorge anvertrauten Kinder haben, als die Männer, so vertrauenswürdig diese selbst und so redlich ihr Wille auch immer sein möge.
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Käthe Schirmacher: Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch, 1898
SCHIRMACHER, Käthe: Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch, in: Die Frauenbewegung 1898, S. 74-76 Kommentar: Käthe Schirmacher (1865-1930), die sich nach Paris begeben hatte, um dort in der Bibliotheque Nationale an einer Biographie über Voltaire zu arbeiten, ruft zum fortgesetzten Kampf gegen das BGB auf und geißelt vor allem dessen Nichtehelichenrecht unter Beifügung zahlreicher Zitate aus einem Artikel von Steinitz im Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Ihr Fazit (S. 75 f.): „Gesetzgeber, die brutale Interessenpolitik treiben, verscherzen das Vertrauen derer, denen sie Gesetze geben. – Der Geist des Mannesegoismus, welcher Teile des bürgerlichen Gesetzbuches, wie den besprochenen, durchweht, nimmt dem Manne das Recht, zu sagen, seine Gesetzgebung vertrete die Interessen der Frau. Dieser Geist giebt der Frau das Recht, direkten Anteil an der Gesetzgebung ihres Landes zu verlangen.“ In diesem Satz kündigt sich bereits Schirmachers Kampf für das Frauenstimmrecht an, vgl. hierzu u.a. Schirmacher, Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts (1905, Nr. 58); Schirmacher, Die Suffragettes, 1912.
Zur Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch. Von Dr. phil. Käthe Schirmacher in Paris.
(74) Bei unserer Agitation gegen das Bürgerliche Gesetzbuch pflegt man uns unter anderem entgegenzuhalten: Gesetze werden für die Bedürfnisse der Masse gemacht. – Die Masse der deutschen Frauen ist mit ihrer heutigen Rechtsstellung zufrieden und wird es ebenso mit ihrer neuen Rechtsstellung von 1900 ab sein. Laßt doch das Agitieren, ihr seid ja nur eine Minderzahl Unzufriedener.“ Ganz recht, wir Unzufriedenen sind in der Minderzahl; wir aber kennen wenigstens unsere Rechtsstellung, und deshalb eben sind wir Unzufriedene. Die Masse der deutschen Frauen ist oder scheint zufrieden, nur aus Unkenntnis. Unser Agitation geht daher darauf hin, diese Unkenntnis zu zerstören. Daß auf dem also umgepflügten Acker die Unzufriedenheit wachse, dafür sorgen gewisse Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ganz allein. In manchen seiner Paragraphen weht ein Geist, den Männer und Juristen selbst als „brutalen Egoismus“ bezeichnen. (75) Ein Aufsatz von Dr. K. Steinitz im „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“, Band VIII, giebt einen trefflichen Beleg dafür. Der Artikel bespricht die Stellung der unehelichen Kinder und ihrer Mütter im Bürgerlichen Gesetzbuche. Dem Geiste, der diese Stellung festgelegt hat, macht der Verfasser den Prozeß. In Frankreich, führt er aus, hat der Code Napoléon „in Verfolg der rücksichtslosesten Interessenpolitik das Rechtsband zwischen Vater und Kind völlig zerschnitten“: la recherche de la paternité est interdite.
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„Seitdem hat sich auch in den maßgebenden, deutschen Kreisen das Gefühl für die moralische Verantwortlichkeit des Vaters und die soziale Notwendigkeit einer Fürsorge für die unehelichen Kinder, von einigen Rückschlägen abgesehen, mehr und mehr abgestumpft.“ „Das preußische Gesetz vom 24. April 1854 ersetzte die den unehelichen Kindern außerordentlich günstigen Bestimmungen durch ihr gerades Gegenteil.“ Der deutsche Juristentag wünschte 1862 und 1863 in dieser Sache „eine möglichst nahe Anlehnung an das französische Prinzip“. „Mit dem Wiedererwachen des Bewußtseins von der Notwendigkeit sozialer Reformen ist ein Umschwung in der öffentlichen Meinung eingetreten. Selbst in Frankreich wurden 1878 dem Senat, 1883 der Deputiertenkammer „Gesetzentwürfe unterbreitet, welche sich gegen das Prinzip des code civil richteten“. „Diesen Umschlag in der öffentlichen Meinung entsprechend hat auch schon der erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit dem noch kurz zuvor so eifrig befürworteten Grundsatz des französischen Rechts gebrochen.“ „Aber man merkt es den Motiven zum Entwurf noch deutlich an, wie tief auch schon in Deutschland jenes brutal-egoistische Prinzip Wurzeln geschlagen hatte. Die Motive erachten es für nötig, sich auf seitenlangen Erörterungen für die Zulassung der Vaterschaftsklage gewissermaßen zu entschuldigen.“ „Doch die Redaktoren hatten sich über den Stand der öffentlichen Meinung getäuscht. Von seiner Seite erfolgte ein Widerspruch gegen das statuierte Prinzip der Vaterschaftsklage.“ „Um so zahlreicher und lebhafter erhoben sich die Stimmen, welche zum Teil in recht heftiger Form die Vorschläge des Entwurfs als hinter den bescheidensten sozialpolitischen Ansprüchen zurückbleibend kritisierten.“ „Die zweifellosen Fortschritte des Gedankens, daß eine umfassende Fürsorge für die uneheliche Mutter und deren Kind im Interesse des Staates wie der Menschlichkeit geboten sei, fanden ihren Ausdruck im Gang und im Ergebnis der zweiten Lesung.“ „Der entscheidende Einfluß, welchen teils offen, teils versteckt die Interessen der herrschenden Klassen auf den Gesetzgeber übten, war im ersten Entwurf auf Schritt und Tritt nachzuweisen.“ „Bei der Eigenart unserer Materie kreuzen und verbinden sich hier zwei Interessenströmungen mit einander. Es ist nicht nur, wie in den Sphären des Vermögensrechts die sozial höher stehende Klasse, welche der besitzlosen gegenübertritt, sondern es gesellt sich der Gegensatz des herrschenden Mannes und des beherrschten Weibes hinzu. Sich so gegenseitig verstärkend, wirken diese beiden Strömungen auf der ganzen Linie der hier zum Austrag kommenden Fragen dem sozialpolitischen Interesse entgegen.“ „Das uneheliche Kind bleibt außerhalb der Familie des Vaters. Diese Vorschrift selbst ist nach Lage der Verhältnisse wohl nicht zu beanstanden. Interessant ist aber die Motivierung, die ihr der Entwurf giebt. Meistens steht der Vater dem unehelichen Kinde gleichgiltig und fremd gegenüber er betrachtet dasselbe als eine Last und hat kein Interesse an dem Wohlergehen, der körperlichen und geistigen Ausbildung desselben.“
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„Daß diese Schilderung für den Vater aus den höheren Gesellschaftsschichten, dem ein Mädchen aus den besitzlosen Klassen ein Kind geboren hat, thatsächlich zutrifft, ist leider nicht zu bestreiten. Aber daß diese Moral der höheren Stände einfach als Thatsache hingenommen und zur Motivierung der grundlegenden Bestimmungen über das Rechtsverhältnis der Kinder benutzt wird, dagegen muß Widerspruch erhoben werden.“ „Der mütterlichen Familie gegenüber werden solche Rücksichten nicht genommen. Das uneheliche Kind wird nicht nur als Kind seiner Mutter anerkannt, sondern tritt mit ehelichen Kindern gleichberechtigt in die mütterliche Familie ein. Hier erklären die Motive das öffentliche Interesse daran, daß diese Kinder nicht ohne den Schutz und die Wohlthaten des Familienlebens aufwachsen, für ausschlaggebend.“ Nun folgt ein Zusatz der Motive, den alle deutschen Frauen auswendig lernen sollten: „Der Rücksicht auf die Heiligkeit, die hohe Bedeutung der Ehe wird schon dadurch in ausreichendem Maße Rechnung getragen, daß das uneheliche Kind zu dem Vater und dessen Familie in keine Verbindung tritt.“ „Die Heiligkeit der Ehe!“ Man traut seinen Augen kaum und Dr. Steinitz fügt mit Recht hinzu: „Damit also der Mann der höheren Stände im Genuß seines Familienlebens vor der Verantwortung für seine eigene Unsittlichkeit gesichert ist, soll sein leibliches Kind und dessen Mutter darben.“ Und weiter: „Die Rücksicht auf das eheliche Leben des unehelichen Vaters spielt überhaupt eine große Rolle (in den Motiven).“ Endlich: „Ein weiteres beliebtes Argument der Motive gegen eine Reihe von Schutzbestimmungen für Mutter und Kind ist, daß sie für große Rechtsgebiete eine Verschärfung der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters mit sich bringen würden.“ „Hier tritt also der Interessenstandpunkt ganz unverblümt zu Tage.“ „Man kann die Beobachtung machen, daß nicht etwa eine Unkenntnis der sozialpolitischen Gründe, welche einer ausgiebigen Fürsorge für Mutter und Kind das Wort reden, die ablehnende Stellung des Gesetzgebers veranlaßt, sondern daß in den meisten Fällen über bekannte sozialpolitische Bedenken hinweggegangen wird, weil eben die Interessen des unehelichen Vaters über jene gestellt werden.“ „Die zweite Lesung hat mit diesem Interessenstandpunkt nicht etwa völlig gebrochen, sie schlägt aber die sozialpolitischen Rücksichten etwas höher an und gelangt so vielfach zu anderen Resultaten.“ So weit Dr. Steinitz. – Ich habe seine Ausführungen hier wörtlich zitiert. Es geht aus ihnen hervor, daß ein Mann, ein Jurist, in den Bestimmungen, welche das Bürgerliche Gesetzbuch für die unehelichen Mütter und deren Kinder trifft, den Ausfluß einer brutalegoistischen Interessenpolitik zu Gunsten des Mannes, vorwiegend des Mannes der höheren Stände, sieht. Dieser soll durch die Gesetzgebung im „Genuß seines Familienlebens vor der Verantwortung für seine eigene Unsittlichkeit geschützt werden.“ Es ist nun unumgänglich nötig, daß die Masse der deutschen Frauen über den Geist unterrichtet werde, der ihre Gesetzgeber bei der Codifikation dessen geleitet hat, was man Recht nennt, und was in diesem Fall Klassen- und Geschlechtsegoismus ist.
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Es ist absolut notwendig, daß die deutschen Frauen diesen Geist ihrer Gesetzgeber nicht nur kennen, sondern daß sie ihn auch bekämpfen. – Zufrieden können und dürfen sie mit diesem Geiste und seinen Resultaten nicht sein. Gesetzgeber, die brutale Interessenpolitik treiben, verscherzen das Vertrauen derer, denen sie Gesetze geben. – Der Geist des Mannesegoismus, welcher Teile des bürgerlichen Gesetzbuches, wie den besprochenen, durchweht, (76) nimmt dem Manne das Recht, zu sagen, seine Gesetzgebung vertrete die Interessen der Frau. Dieser Geist giebt der Frau das Recht, direkten Anteil an der Gesetzgebung ihres Landes zu verlangen. Er legt der Frau die Pflicht auf, so lange ihr diese direkte Beteiligung nicht möglich, durch Agitation gegen den einseitigen Interessenstandpunkt des Mannes vorzugehen, ihre Geschlechtsgenossinnen aufzuklären und durch fortwährende Kritik und Erörterung zu beweisen: daß sie auf Grund schmerzlicher Erfahrung – dem Gesetzgeber das Vertrauen, er werde ihr Recht widerfahren lassen, entziehen mußte. Deutsche Frauen, unter dem Eindrucke vorstehenden Artikels, wendet euch mit erneutem Eifer der Agitation für die Petition gegen das künftige Gesetzbuch zu!
58.
Käthe Schirmacher: Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts, 1904
SCHIRMACHER, Käthe: Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts, in: Stritt, Marie (Hrsg.): Der internationale Frauen-Kongreß in Berlin 1904, Berlin 1905, S. 536-538 Kommentar: Im Jahre 1902 gründet Käthe Schirmacher den ersten deutschen Verein für Frauenstimmrecht mit. Auf dem internationalen Frauenkongreß in Berlin 1904 argumentiert sie, die angestrebten Reformen zugunsten der Frau im Familienrecht, Arbeitsrecht und weiteren Rechtsgebieten hingen davon ab, daß die Frauen das Stimmrecht erhielten: „Alle diese Reformen müssen die Frauen anderswo demütig erbitten, und die Emanzipation der Frau hängt allein von der Aufklärung des Mannes ab. Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts liegt aber auch darin, daß es eine Garantie jener Reformen ist, die Frauen bisher mühsam und langsam erreichten.“ (S. 537).
(536) Frl. Dr. Käthe Schirmacher – Paris sprach über das Thema:
Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts Die Ausübung des Stimmrechts hebt den sozialen Wert der Frau. Das drückt sich in greifbaren Tatsachen aus. Der Wahlzettel ist nicht ein papierner Wisch, sondern eine gewaltige Waffe im Daseinskampf, ein politisches und soziales Machtmittel. Dafür bietet die Geschichte des Frauenstimmrechts folgende Beweise: In den amerikanischen Stimmrechtsstaaten (Wyoming, Utah, Colorado, Idaho) besteht eine deutliche Tendenz, die Frauengehälter zu steigern und denen der Männer gleichzustellen. In Wyoming und Utah sind Gesetze durchgegangen, (537) die den Staat verpflichten, z. B. den Lehrerinnen die gleichen Gehälter zu zahlen wie den Lehrern. Das ist praktischer Nutzen des Frauenstimmrechts, den die Lehrerinnen anderer Länder wohl auch gerne beanspruchten. Das gleiche läßt
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Es ist absolut notwendig, daß die deutschen Frauen diesen Geist ihrer Gesetzgeber nicht nur kennen, sondern daß sie ihn auch bekämpfen. – Zufrieden können und dürfen sie mit diesem Geiste und seinen Resultaten nicht sein. Gesetzgeber, die brutale Interessenpolitik treiben, verscherzen das Vertrauen derer, denen sie Gesetze geben. – Der Geist des Mannesegoismus, welcher Teile des bürgerlichen Gesetzbuches, wie den besprochenen, durchweht, (76) nimmt dem Manne das Recht, zu sagen, seine Gesetzgebung vertrete die Interessen der Frau. Dieser Geist giebt der Frau das Recht, direkten Anteil an der Gesetzgebung ihres Landes zu verlangen. Er legt der Frau die Pflicht auf, so lange ihr diese direkte Beteiligung nicht möglich, durch Agitation gegen den einseitigen Interessenstandpunkt des Mannes vorzugehen, ihre Geschlechtsgenossinnen aufzuklären und durch fortwährende Kritik und Erörterung zu beweisen: daß sie auf Grund schmerzlicher Erfahrung – dem Gesetzgeber das Vertrauen, er werde ihr Recht widerfahren lassen, entziehen mußte. Deutsche Frauen, unter dem Eindrucke vorstehenden Artikels, wendet euch mit erneutem Eifer der Agitation für die Petition gegen das künftige Gesetzbuch zu!
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Käthe Schirmacher: Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts, 1904
SCHIRMACHER, Käthe: Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts, in: Stritt, Marie (Hrsg.): Der internationale Frauen-Kongreß in Berlin 1904, Berlin 1905, S. 536-538 Kommentar: Im Jahre 1902 gründet Käthe Schirmacher den ersten deutschen Verein für Frauenstimmrecht mit. Auf dem internationalen Frauenkongreß in Berlin 1904 argumentiert sie, die angestrebten Reformen zugunsten der Frau im Familienrecht, Arbeitsrecht und weiteren Rechtsgebieten hingen davon ab, daß die Frauen das Stimmrecht erhielten: „Alle diese Reformen müssen die Frauen anderswo demütig erbitten, und die Emanzipation der Frau hängt allein von der Aufklärung des Mannes ab. Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts liegt aber auch darin, daß es eine Garantie jener Reformen ist, die Frauen bisher mühsam und langsam erreichten.“ (S. 537).
(536) Frl. Dr. Käthe Schirmacher – Paris sprach über das Thema:
Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts Die Ausübung des Stimmrechts hebt den sozialen Wert der Frau. Das drückt sich in greifbaren Tatsachen aus. Der Wahlzettel ist nicht ein papierner Wisch, sondern eine gewaltige Waffe im Daseinskampf, ein politisches und soziales Machtmittel. Dafür bietet die Geschichte des Frauenstimmrechts folgende Beweise: In den amerikanischen Stimmrechtsstaaten (Wyoming, Utah, Colorado, Idaho) besteht eine deutliche Tendenz, die Frauengehälter zu steigern und denen der Männer gleichzustellen. In Wyoming und Utah sind Gesetze durchgegangen, (537) die den Staat verpflichten, z. B. den Lehrerinnen die gleichen Gehälter zu zahlen wie den Lehrern. Das ist praktischer Nutzen des Frauenstimmrechts, den die Lehrerinnen anderer Länder wohl auch gerne beanspruchten. Das gleiche läßt
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sich mit der Zeit für andere Kategorien weiblicher Staatsbeamten erreichen, für die Post- und Telegraphen-, die Telephon- und Eisenbahnbeamten, die heute überall unter folgenden Ungerechtigkeiten leiden: Sie werden unbarmherzig auf den schlechtbezahlten Subalternämtern festgeschraubt, haben geringes oder gar kein Avancement und werden selbst in diesen Posten schlechter bezahlt als Männer. Was man dem Manne höher bezahlt, ist durchaus nicht immer seine größere Berufsleistung (die der Frauen ist in vielen Fällen ganz die gleiche), es ist sein anerkannter Wert als Vollmensch, als Herrschender, als Wähler: er macht von vornherein größere Ansprüche, da er imstande ist, sie durchzusetzen. Ihre politische Rechtlosigkeit vor allem bannt die Frau an die Subalternämter: welcher Mann wird sich eine Frau als Vorgesetzte gefallen lassen, die als politisches Wesen nicht existiert? Weil die Frau aber als politisches Wesen nicht existiert, wird der politisch berechtigte Mann, als Wähler wie als Abgeordneter, die Interessen der Frau stets hinter den seinen zurücktreten lassen. Das liegt in der menschlichen Natur, und nur die direkte Ausübung des Wahlrechts durch die Frau kann da Wandel schaffen. Der Umstand, daß Lehrerinnen, Postbeamtinnen nicht Wähler waren, hat in amerikanischen Staaten zu der Entlassung solcher weiblichen Beamten geführt. Das Wahlrecht bringt der Frau jedoch nicht nur pekuniäre Vorteile, es hebt auch ihre Rechtslage im allgemeinen. So sind in Neuseeland und Südaustralien unter der Herrschaft des Frauenstimmrechts folgende Rechtsreformen durchgegangen: 1. Gleiche Behandlung der Gatten bei Ehebruch. 2. Verbesserung des Erbrechts zugunsten der überlebenden Ehefrau. 3. Erhöhung des Schutzalters der Mädchen auf 17 Jahre. 4. Der uneheliche Vater wird stärker zur pekuniären Haftung für das illegitime Kind herangezogen. 5. Der Anwaltsberuf wird den Frauen eröffnet. – Alle diese Reformen müssen die Frauen anderswo demütig erbitten, und die Emanzipation der Frau hängt allein von der Aufklärung des Mannes ab. Der praktische Nutzen des Frauenstimmrechts liegt aber auch darin, daß es eine Garantie jener Reformen ist, die Frauen bisher mühsam und langsam erreichten. Diese Garantie fällt überall da weg, wo Männer allein das Stimmrecht üben. Das haben die letzten Ereignisse in England bewiesen. Dort besaßen die Steuerzahlerinnen seit 1870 das aktive und das passive Wahlrecht für die Schulverwaltungen. Sie bewährten sich dabei vorzüglich. Da bestimmte die letzte reaktionäre Schulbill von 1903, daß für die Kandidaten bei den Schulwahlen die gleichen Qualifikationen gelten sollten wie bei den Stadtverordnetenwahlen. Nun hat richterliche Entscheidung die Frauen von dem Amt des Stadtverordneten ausgeschlossen. Damit wird den Frauen unverdientermaßen das passive Wahlrecht für die Schulwahlen entzogen. Solche Überraschungen erlebt man in England, dem Mutterlande des Parlamentarismus. Darum erkläre ich: Wir brauchen das Wahlrecht, weil es unsere ökonomische Lage heben, unsere Rechtsstellung bessern wird und weil ohne das Wahlrecht all unsere mühsam errungenen Konzessionen auf Sand gebaut sind. Solange wir das Wahlrecht nicht haben, sitzen wir in dem Kartenhaus der jederzeit widerruflichen Gnadengeschenke. Wir aber wollen unser verbrieftes Recht. Zu diesem Zwecke ist in Deutschland der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht gegründet worden, auf dessen Anregung sich am 4. Juni d. J. in Berlin der „Internationale Bund für Frauenstimmrecht“ konstituiert hat.
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Käthe Schirmacher: Die Frauenarbeit im Hause, 1905
SCHIRMACHER, Käthe: Die Frauenarbeit im Hause, ihre ökonomische, rechtliche und sociale Wertung, Leipzig 1905 Kommentar: Schirmacher lenkt den Blick auf die prinzipiell unbezahlte (bzw. „indirekt bezahlte“) Arbeit der Hausfrau und Mutter. Die damit verbundenen Probleme werden wirtschaftlich, sozial und schließlich am Beispiel des deutschen BGB auch unter rechtlichen Gesichtspunkten analysiert. Insgesamt kommt die Autorin zu dem Schluß, daß es sich um einen „Beruf“ handele, der unterbewertet und in der Regel nur indirekt bezahlt sei und der gleiche Anerkennung wie andere Berufe finden müsse: „Der Modus, die Hausfrau und Mutter nur indirekt und durch den Lohn des Mannes zu entlohnen, ist ein schlechter Modus.“ Wer von diesem Modus profitiere, sei der Mann. Die häusliche Frauenarbeit sei die conditio sine qua non der außerhäuslichen Berufsarbeit des Mannes. „Von den Summen, die der Mann draussen erhält, schuldet er also einen Teil der Frau. Der Mann wird für zwei bezahlt, weil sein Arbeitgeber, sei es der Staat oder ein Dritter, die berufliche Leistung des Mannes nur dann erhalten kann, wenn er den Mann in Stand setzt, sich bei der ihm unentbehrlichen Hausarbeit durch eine Frau vertreten zu lassen. Man hat daraus geschlossen, dass der Mann für zwei arbeitet, während er doch nur für zwei einstreicht; dass er die Frau im Hause unterhält, während sie das ganz allein durch ihrer Hände Arbeit besorgt; dass sie wirtschaftlich von ihm abhängt, während sie ihre pekuniäre Unabhängigkeit verlangen darf. Der Modus der indirekt bezahlten Frauenarbeit hat bisher gestattet, diese ganz elementare Tatsache zu übersehen. Man hat sie durch Jahrhunderte ignorieren, jedoch nicht aus der Welt schaffen können.“ (Zu den juristischen Folgen der Forderung nach einer Gleichstellung von Haus- und Erwerbsarbeit vgl. Meder, ‚Wer zahlt, befiehlt‘?). Schirmacher beschränkt sich auf eine Kritik des geltenden Rechts, welches als Unterdrückung der Frau geschildert wird und ihr Teilhaberechte an der Gemeinschaft verweigere, verbunden mit der Forderung, „dass die eheliche Gemeinschaft die Gemeinschaft zweier gleichberechtigter Associés wird und das absolute Regiment in der Familie dem konstitutionell-parlamentarischen Platz macht“. Offen bleibt freilich, welches konkrete Modell der Umsetzung von Gleichheit in einem ungleichartigen Rollenmodell gewünscht ist (Hausfrauengehalt, Unterhalt, gleichberechtigte Errungenschafts- oder Gütergemeinschaft, nachträgliche Errungenschaftsbeteiligung?). Mit einer formalen Gleichberechtigung bei Gütertrennung wäre es wohl nicht getan, da Schirmacher ja gerade Wert auf den ökonomischen Ausgleich der Frauenarbeit legt („Die Frauen treten heute mit den aufgesammelten Schuldforderungen von 5000 Jahren vor den Mann. Wird er nicht bezahlen müssen?“). Allerdings tritt Schirmacher an anderer Stelle noch 1899 zumindest tendenziell für Gütertrennung ein (Schirmacher, Uebersicht des ehelichen Güterrechts, S. 28; Lehmann, S. 302, vermutet, daß sie dieses Ziel auch 1905 weiter verfolgt).
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Die Frauenarbeit im Hause, ihre ökonomische, rechtliche und sociale Wertung. Von
Dr. Käthe Schirmacher. […] (3) Ausgegangen bin ich von der Tatsache, dass Frauenarbeit fast immer unter ihrem Werte bezahlt wird. Niemand, auch nicht der schärfste Gegner der Frauenbewegung, bestreitet diese Ungerechtigkeit auf industriellem Gebiet. Jedermann findet es unbillig, dass eine Arbeiterin, auch bei gleichwertiger Arbeit, ein Drittel, ja die Hälfte geringer bezahlt wird als der Arbeiter. Ähnliche Ungerechtigkeiten lasten aber auf der häuslichen Frauenarbeit, und dass sie weniger zu Tage treten, vermindert ihre Wucht nicht. (4) […] Unter „häuslicher Frauenarbeit“ verstehe ich […] die Gesamttätigkeit der Hausfrau und Mutter. […] (5) Welcher Verrichtungen entledigen sich die Hausfrauen? Ihre Tätigkeit ist eine äußerst mannigfaltige. Sie sind, je nachdem, Dienstmädchen und Köchin, Wirtschafterin, Schneiderin, Wäscherin, Tapezierer, Maler, Dekorateur etc. Das Haus, die Wiege aller Industrie und Gewerbe, verlangt von der Hausfrau die zahlreichsten und verschiedenartigsten Fähigkeiten, nicht eine hohe Spezialisierung und Vollkommenheit, sondern ein gewisses Mittelmass von Können für den täglichen Hausgebrauch. […] Die Beschäftigungen der Mutter sind ebenso mannigfaltig und zeitraubend. Die Vorbereitung auf die Mutterschaft, die Zeit der Schwangerschaft, ist lang und oft beschwerlich. Die Geburt des Kindes ist ein schmerzhafter Akt. Bei dem Neugeborenen hat die Mutter bald Amme und Wärterin, bald Krankenpflegerin zu sein, und das stille Heldentum der Mutter am Krankenbett lässt die Bezeichnung der Frauen als „schwaches Geschlecht“ ganz unzulässig erscheinen. (6) Die Mutter ist auch des Kindes natürliche Lehrerin, sein erster „Professor“, sein Wegweiser auf den Pfaden der sichtbaren, wie der geistigen und moralischen Welt, sein Seelsorger und Berater. Kurz die Frau als Hausfrau und Mutter betreibt im Hause, je nach Umständen, 10–20 verschiedene Tätigkeiten, die ausserhalb des Hauses als ebenso viele unabhängige Berufe betrieben, anerkannt und gegen klingenden Lohn ausgeübt werden. Für gewöhnlich schafft die Hausfrau und Mutter neben all diesen materiellen Werten noch jene moralischen Imponderabilien, die aus einem Haus ein Heim und aus einer Menschengruppe eine Familie machen. Zehn Dienstboten können nicht eine Hausfrau und Mutter ersetzen. Im Volk, im Kleinbürgerstand und in den gebildeten Klassen, wenns an Vermögen fehlt, nimmt die Haufrau nicht nur an allen häuslichen Arbeiten Anteil, sondern sie erledigt sie ganz eigenhändig.
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Teil 1
Die besitzenden Frauen können sich bezahlte Hilfskräfte halten und von ihnen einen Teil oder auch die ganze Hausarbeit besorgen lassen. Immerhin liegt diesen Frauen doch die eigentliche Leitung und Organisation des Haushalts ob, dessen Spiritus rector und Schutzengel sie sein müssen. […] (7) Eine Anzahl Hausfrauen und Mütter arbeiten sogar noch im ausserhäuslichen Beruf, betreiben also gleichzeitig zwei Berufe. So z. B. eine Menge Arbeiterinnen und in Frankreich die verheirateten Lehrerinnen, die Post- und Telegraphenbeamtinnen etc. Diese zweifache Berufstätigkeit bedeutet oft eine Ueberlastung, die der Frau selbst ebenso schädlich ist wie der Ausübung ihrer beiden Berufe und dem Wohlsein ihrer Familie. […] (8) Die mütterliche Tätigkeit ist jedoch nicht nur zeitraubend und anstrengend, sie bringt auch ernste Gefahren mit sich. Die Zahl der Frauen, die im Wochenbett sterben oder infolge der Mutterschaft eine schwere Schädigung ihrer Gesundheit davontrugen, diese Opfer und Invaliden des Mutterberufs sind sicher zahlreicher als die Opfer und Invaliden des Schlachtfeldes. (Siehe Bebel, die Frau, S. 221. [Nr. 6]) […] (9) Was der Mann wird, verdankt er zum Teil der Aufopferung der Frau.Was der Mann leistet, leistet er dank ihrer Mitarbeiterschaft, einer anonymen, nicht eingestandenen, nicht gewerteten noch anerkannten, aber nichts desto weniger unentbehrlichen und unbestreitbaren Mitarbeiterschaft. Unsere heutige Kultur beruht auf der häuslichen Hörigkeit, der anonymen Mitarbeiterschaft der Frau. Die häusliche Tätigkeit der Frauen ist sowohl eine produzierende, wie eine erhaltende und verteilende. […] (10) Was ist ein „Beruf“ vom Standpunkt der Nationalökonomie aus? Es ist eine gewohnheitsmässig und gegen Entgelt, eine als Unterhaltsmittel und zum Brotverdienst betriebene Beschäftigung. (11) Von diesem Standpunkt aus ist die Arbeit der Hausfrau und Mutter erst recht ein Beruf. Die häusliche und mütterliche Tätigkeit, die die grosse Mehrzahl der Frauen beschäftigt, ist ihre Hauptbeschäftigung. Sie ist auch ihre gewohnheitsmässige Beschäftigung. Sie umfasst an 20 verschiedene Tätigkeiten, die ausserhalb des Hauses als ebensoviele Berufe anerkannt und honoriert werden. Die Hausfrauen und Mütter arbeiten gegen Entgelt. Vom Hause fordern sie als Gegenleistung für die erwiesenen Dienste ihren Unterhalt, Kost und Wohnung. Hausfrau und Mutter sein, ist ihr „Brotverdienst“. Ich weiss, dass diese Auflassung manchen Leser chockieren wird. Man hat die Frage bisher nicht in diesem Lichte betrachtet, sie schwebte, eingehüllt in eine Wolke phrasenreicher Sentimentalität. […] (12) Auch die bürgerlichen Gesetzbücher aller Länder, die doch ausführliche und gewissenhafte Werke sind, erkennen nirgends ausdrücklich die wirtschaftlichen Rechte der Hausfrau und Mutter, noch ihren Beitrag zur Bestreitung der Haushaltslasten an.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Der Gedanke, dass die Frau im Hause ihren Unterhalt durch ihre häusliche Tätigkeit verdient, dass ein Teil des Männerlohnes oder Männerverdienstes ihr von Rechts wegen gebührt und ihr zur Verfügung stehen sollte, dieser Gedanke ist in den Köpfen der Gesetzgeber noch nicht aufgetaucht. Und Prediger Salomonis irrt sich, wenn er meint, es sei schon alles einmal dagewesen. […] (13) Es gibt zwei Arten der Entlohnung für Arbeit: die pekuniäre Entlohnung durch Geld, die soziale Entlohnung durch Rechte, Achtung etc. Die pekuniäre Entlohnung der Hausfrau und Mutter ist äusserst ungleich. Die Frau im Hause wird nicht nach dem Wert ihrer persönlichen Leistung bezahlt, sondern entsprechend den zufälligen Mitteln ihres Gatten. Dieser Umstand bedeutet vom wirtschaftlichen Standpunkt aus eine Anomalie, die grosse Nachteile für die Frau mit sich bringt. Daher kommt es, dass die Entlohnung der Frau oft im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeit, Mühe und dem geleisteten Dienste steht. […] Ich habe vorher ausgeführt, dass die häusliche Frauenarbeit die conditio sine qua non der ausserhäuslichen Berufsarbeit des Mannes ist. (14) Von den Summen, die der Mann draussen erhält, schuldet er also einen Teil der Frau. Der Mann wird für zwei bezahlt, weil sein Arbeitgeber, sei es der Staat oder ein Dritter, die berufliche Leistung des Mannes nur dann erhalten kann, wenn er den Mann in Stand setzt, sich bei der ihm unentbehrlichen Hausarbeit durch eine Frau vertreten zu lassen. Man hat daraus geschlossen, dass der Mann für zwei arbeitet, während er doch nur für zwei einstreicht; dass er die Frau im Hause unterhält, während sie das ganz allein durch ihrer Hände Arbeit besorgt; dass sie wirtschaftlich von ihm abhängt, während sie ihre pekuniäre Unabhängigkeit verlangen darf. Der Modus der indirekt bezahlten Frauenarbeit hat bisher gestattet, diese ganz elementare Tatsache zu übersehen. Man hat sie durch Jahrhunderte ignorieren, jedoch nicht aus der Welt schaffen können. […] (15) Der Modus, die Hausfrau und Mutter nur indirekt und durch den Lohn des Mannes zu entlohnen, ist ein schlechter Modus. […] (16) Das Gesetzbuch gibt in jedem Lande das genaue Mass, nicht der wirklichen Dienst- und Arbeitsleistung der Frau, sondern der Schätzung und Wertung dieser Leistung. Das Gesetzbuch fixiert die wirtschaftliche und soziale Gegenleistung. Wer sich einen genauen Begriff von der Stellung der Frau in einem Lande machen will, der studiere die Paragraphen des Eherechts, und er wird klar sehen. (17) Man beobachte auch das soziale Leben, lese die Dichter und Schriftsteller, aber man halte sich an das Gesetzbuch. Es ist die „Wahrheit“, wenn auch nicht immer das Leben und hat in allen Fällen das letzte Wort. Die Dichter mögen singen, preisen, und vergöttern, die Schriftsteller erfinden, fabulieren, idealisieren, einzig das Recht sagt trocken und kategorisch was „sein soll“. Es wäre daher zu wünschen, dass die Frauen, statt Autoren zu lesen, die ihnen schmeicheln, das Recht studierten, das sie demütigt. Dieses Studium wäre ihnen heilsam und nützlich.
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Teil 1
Bisher hat das Gesetzbuch die Frauen bekämpft, nun können einmal die Frauen das Gesetzbuch bekämpfen. Und wenn man einwirft, dass die Sitten in vielen Fallen liberaler sind als das Recht, so antworte ich darauf, dass dies uns die Aufgabe erleichtert, das Recht den Sitten anzupassen. Hier das Eherecht des Code Napoléon anzuführen, wäre unzulässig. Es datiert von vor 100 Jahren. Die Paragraphen des ehelichen Personen- und Güterrechts sind heute durchaus veraltet. Diejenigen Artikel, die der Verachtung Napoléons gegen die Frau in gar zu krasser Form Ausdruck geben, werden heute entweder umgangen oder offen bekämpft. Ich werde mich also hüten, die Stellung der Französin von 1904 nach dem Recht von 1800 zu beurteilen. Das neue Schweizer bürgerliche Gesetzbuch ist noch nicht endgiltig publiciert, ich muss mir seine Diskussion daher versagen. Ein grosses Kulturvolk Mitteleuropas hat sich jedoch ganz kürzlich ein neues Zivilrecht gegeben, das deutsche B. G. B. von 1900. Dieses ganz neue Recht muss dem nach das genaue Mass der Schätzung und Wertung enthalten, die der moderne Gesetzgeber der häuslichen Tätigkeit der Gattin und Mutter entgegen bringt. […] Als ich das B. G. B. zur Hand nahm, sagte ich mir: Wenn ein hochzivilisiertes Volk wie die Deutschen, wenn eine grosse, moderne Kulturnation im Jahre 1900 den rechtlichen Status der Ehefrau festlegt, d. h. ihr in scharf abgegrenzten Rechten das Äquivalent für die erfüllten Pflichten gibt, so muss das alte Eherecht tiefgreifende Änderungen erfahren haben. (18) Der Gesetzgeber von 1900 hat doch nicht umhin gekonnt, anzuerkennen, dass die Ehefrau, die der Familie, der Gesellschaft wenn nicht gleichartige so doch gleichwertige Dienste leistet wie der Mann, auch dem Manne gleichberechtigt sein muss. Er hat die Ehe auf die Coordination der Gatten gründen, hat die politische Rechtlosigkeit der Frau aufheben müssen, die nicht weiterbestehen kann, sobald die Äquivalenz der geleisteten Dienste anerkannt ist. Und ich machte mich an die Arbeit. Sie sollte mir eine Enttäuschung bringen. Unter dem Einfluss moderner Ideen, unter dem Einfluss auch der Frauenbewegung, hat das deutsche Recht die Kompetenzen der Ehefrau allerdings etwas erweitert. Es hat ihr in der Theorie, besonders in bezug auf ihre Persönlichkeit in der Ehe, gewisse prinzipielle Zugeständnisse gemacht, die aber leider durch die „Folgen der Ehe“ praktisch zum grossen Teile wieder aufgehoben werden. Diese Unentschlossenheit des neuen B. G. ist unbestreitbar und deutlich zu verfolgen. „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“, haben die Gesetzgeber mit Faust wiederholen können. Die Seele der Vergangenheit und die der Zukunft lagen dort allerdings mit einander im Kampfe. Da der Kampfpreis die Frau war, d. h. dasjenige „Besitztum“, das der Mann bisher am eifersüchtigsten gewahrt, so haben die psychischen Mächte der Vergangenheit, Selbstsucht und Herrschsucht, gegen die Forderungen der Gerechtigkeit dennoch die Oberhand behalten. Trotz der unbestreitbaren Gleichwertigkeit ihrer Leistungen ist die Ehefrau im B. G. von 1900 praktisch und taktisch die Untergeordnete des Mannes geblieben. Und das in kleinen wie in grossen Dingen.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Das deutsche B. G. stempelt die Ehefrau allerdings nicht prinzipiell zu einer „Unmündigen“, wie der Code Napoléon. Die deutsche Ehefrau bleibt eine rechtsfähige Persönlichkeit, die im Prinzip ohne eheherrliche Erlaubnis vor Gericht gehen, sich verteidigen, prozessieren, kaufen, verkaufen, hypothekieren, sich verpflichten kann etc. Aber das eheliche Güterrecht, das dem Gatten die grössten Machtvollkommenheiten gibt, macht diese theoretische Freiheit der Gattin häufig in der Praxis illusorisch. Der Mann hat in der ehelichen Gemeinschaft die Vorherrschaft. (19) Ich citiere zuerst zwei kleinere Punkte: Die Ehefrau muss von gesetzeswegen den Familiennamen des Mannes tragen, statt dass die Familiennamen beider Gatten, wie das bei Associés geschieht, in der „sozialen Firma“ vereinigt werden. Die Ehefrau muss auch von gesetzeswegen dem Manne an seinen Wohnort folgen. Denn das B. G. hält an der Auflassung fest, dass der Mann der alleinige Erhalter der Familie ist. Wenn nun aber die Frau die Familie erhält, oder wenn beide Gatten die Familie erhalten, was rechtfertigt dann diese Vorherrschaft des Mannes? Diese Vorherrschaft findet eine viel drückendere Form in dem Paragraphen 1354, dem Gehorsamkeitsparagraphen: in allen gemeinschaftlichen ehelichen Angelegenheiten entscheidet der Mann. – Damit ist die Unfehlbarkeit des Ehemannes sanctioniert. – Denn in der Ehe gibt es nur gemeinschaftliche Angelegenheiten. Die Frau ist daher gesetzlich der fortwährenden Einmischung des Mannes ausgesetzt. Der Mann kann ihr verbieten, einem Erwerb, sei er praktischer, künstlerischer oder literarischer Natur, nachzugehen, wenn er findet, dass die Ausübung dieses Erwerbs der Führung des Haushalts schadet. Er kann ihr auch das Recht der für den Haushalt nötigen Einkäufe entziehen, wenn er glaubt, dass diese Einkäufe das richtige Mass überschreiten. Diese eheherrlichen Verbote sind aber an und für sich rechtskräftig, ohne dass der Ehemann sie vorher vor Gericht begründet hat. Der Frau steht es frei, nachher, wenn ihr die Demütigung zugefügt, ihr der Schlag versetzt worden, vor Gericht „auf Missbrauch der eheherrlichen Gewalt“ zu klagen. Dann wird ihr jedoch die Last des Beweises auferlegt, von der der Mann bei Erlass des Verbots entbunden. […] Paragraph 1354 trifft die Frau noch weit empfindlicher als Mutter. […] Als Mutter ist sie im Gesetz eine ohnmächtige Null ihren Kindern gegenüber. Denn alles, was die Kinder betrifft, ihre Erziehung, Heirat, Berufswahl bildet eine „gemeinschaftliche eheliche Angelegenheit“, und auf diesem Gebiet ist der Mann souverän. [Anmerkung: Schirmacher löst hier diese Fragen etwas überraschend nicht nach dem Recht der elterlichen Gewalt, sondern nach § 1354 BGB.] (20) Da fragt man sich doch unwillkürlich, ob es vielleicht der Mann ist, der die Kinder geboren, sie genährt, gepflegt, gewartet und gelehrt, ihre ersten Schritte geleitet, an ihrem Bette gewacht hat, damit ihm, als Gegenleistung für so viel Schmerzen, Pein, Arbeit und Mühe, diese grosse Machtvollkommenheit über die Kinder zugesichert werde, während das Gesetz die Mutter, als traurige Nichtstuerin, zum Schweigen verdammt.
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Ich möchte hier ein Wort von Elisée Reclus zitieren: „Da man die physische Mutterschaft nicht bestreiten konnte, hat man die moralische geleugnet.“ Es ergibt sich aus dem Vorhergehenden, dass im B. G. B. das gesetzliche Güterrecht nicht die Gütertrennung, sondern die Güterverbindung sein muss, die dem Manne Verwaltung und Nutzniessung des Frauenguts (freilich mit Vorbehalt ihres Erwerbs und ihrer Ersparnis) gewährleistet. Bei der Güterverbindung ist es dem Manne allerdings nicht (wie bei der Gütergemeinschaft) gestattet, das Vermögen der Frau anzurühren. Wenn er es aber schlecht anlegt, durch sein Ungeschick einen Teil verliert, es trotz des gesetzlichen Verbots angreift; wenn er Betrug und List benutzt, Drohung oder Rührszenen, um die Unterschrift der Frau zu erhalten, so ist diese wehrlos. Die Zinsen ihres Vermögens werden nicht der Frau, sondern dem Manne ausgehändigt. Er soll sie zur Bestreitung des Haushalts verwenden. Wenn er es aber nicht tut, wenn er sie verschleudert, für seine persönlichen Bedürfnisse verwendet, für sich bei Seite legt, welche Gewähr bietet das Recht der Frau? Keine, die wirksam wäre, ohne zugleich die „Ehe“ zu zerstören. Denn wenn die Frau „Rechnungslegung“ verlangt, wenn sie dem Bücherrevisor, dem Richter die Pforte der „ehelichen Gemeinschaft“ öffnet, ist diese „Gemeinschaft“ zerstört. Man hat in Deutschland nicht die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht einführen wollen, weil man sagte, die Frau sei der Vermögensverwaltung nicht gewachsen. Nun, so musste man sie durch Einführung der Gütertrennung dazu erziehen, statt notorisch geschäftsunkundige Frauen völlig in die Hand von Ehemännern zu geben, die sowohl unfähig wie unehrlich sein können. Macht man die Gesetze doch nicht für die Guten, sondern gegen die Schlechten. (21) Dieses sind die für meinen Gegenstand hauptsächlichen Paragraphen des B. G. B. […] Das neue deutsche Eherecht beruht auf dem alten Irrtum, dass der Ehemann ein Muster von Tugend und Verstand ist, dass der Ehemann allein Geld verdient, dass die Gattin von ihm „unterhalten“ wird, und dass ihre Arbeit der seinen nicht ebenbürtig ist. Wer zahlt, befiehlt, das ist in drei Worten die Basis des deutschen Eherechts von 1900. Nun habe ich bewiesen, dass die Ehefrau ebenso gut „verdient und zahlt“ wie der Ehemann. Ich darf daher verlangen, dass sie auch ebenso gut „befiehlt“ wie er, dass die eheliche Gemeinschaft die Gemeinschaft zweier gleichberechtigter Associés wird und das absolute Regiment in der Familie dem konstitutionell-parlamentarischen Platz macht. Diese Forderung erstreckt sich auf alle Gesetzbücher der Welt. Einige, z. B. das englische, sind dem deutschen in manchen Punkten voraus. Nicht eines jedoch sieht bisher in der Ehe die Association zweier ungleichartiger aber gleichwertiger und gleichberechtigter Faktoren, die, da sie gleichbedeutende Dienste leisten, sich in allen Dingen Gegenseitigkeit schulden, jedoch nicht mehr die brutale Behauptung der vorgeblichen Überlegenheit des einen auf Kosten der Würde und Freiheit des andern gestatten.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen: Das B. G. B. kennt keinerlei zivilrechtliche Beschränkung der unverheirateten Frau. Diese ist rechtlich dem Manne gleich gestellt. Alle Beschränkungen sind der Gattin und Mutter vorbehalten. Ist das nicht eine seltsame Art „Frauenkultus“? Selbstverständlich vorenthält das deutsche Recht den verheirateten Frauen die politische Freiheit, gibt es sie doch nicht einmal den unverheirateten Frauen. […] (22) Das ist eine wahre Ungeheuerlichkeit. Man hat sie durch den Spruch: Die Frau gehört ins Haus – maskieren wollen. Schon gut, aber das Haus ist kein Gefängnis, es ist keine Isolierzelle, es ist ein Teil des Gemeinwesens, der Kommune, des Staats, der Gesellschaft. Wer die Frau ins Haus einsperrt, sie auf einen engen Ideenkreis beschrankt, sie vom öffentlichen Leben ausschliesst, der macht sie selbst eng und klein, unfähig starke Tugenden, richtige, gesunde Anschauungen zu vererben. Statt Kraft, Energie, Gemeinsinn, kann sie nur einen kleinlichen Familienegoismus lehren, sie wird über ihre vier Wände, ja über ihre eigene Nase nicht hinaussehen. Wir aber wollen, dass sie als Tochter, Gattin, Mutter von Bürgern, sich für die Stadt, das Vaterland interessiere, die auch ihre Stadt, ihr Vaterland sind, dass sie als Mensch teil habe an den politischen Geschäften der Menschheit. Nur wenige Länder haben die häusliche Frauenarbeit so hoch gewertet, dass sie in ihre Entlohnung die politischen Rechte mit einbegriffen. Es sind dieses fünf australische Kolonien, vier der vereinigten Staaten von Nordamerika und die kleine Insel Man (England), die ihre Frauen politisch völlig emancipiert haben. England, Norwegen, Schweden und Finnland, Russland und Österreich haben den Steuerzahlerinnen das kommunale Wahlrecht gegeben. Aber selbst das liberale England bat sich noch nicht dazu entschliessen können, auch nur einer beschränkten Anzahl von (200000) gebildeten, intelligenten Steuerzahlerinnen das politische Wahlrecht zu gewähren. Auch die Gegner des Frauenstimmrechts anerkennen, dass diese Frauen eine durchaus kompetente Wählerklasse bilden würden. Man vorenthält ihnen jedoch ihr Recht, weil sie Frauen sind, d. h. der Mann sieht eine Inferiorität in der Fähigkeit, ihn zu gebären, die die Natur der Frau verlieh. Das ist kein Beweis von Frauenachtung. […] (23) Gehen wir zur sozialen Wertung über. Im allgemeinen ist die soziale Stellung der Hausfrau und Mutter günstiger als ihre rechtliche. Im sozialen Leben, das nicht in die starren Paragraphen des Rechts gebannt ist, machen sich die tatsächlichen Werte am Ende doch geltend. (24) Im sozialen Leben war es unmöglich, die eminenten Leistungen der Hausfrau und Mutter andauernd in zweite Linie zu stellen. Im sozialen Leben ist die Äquivalenz der häuslichen Frauenarbeit weit mehr anerkannt als im Gesetz, und die Hausfrau, die Mutter ist hier de facto oft dem Manne gleichgestellt, mag sie de jure auf diese Gleichstellung auch keinen Anspruch haben. […] (26) Die vorhergehenden Ausführungen beziehen sich ausschliesslich auf die verheirateten Hausfrauen und Mütter.
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Teil 1
Es bleibt noch ein Wort über die wirtschaftliche, rechtliche und soziale Lage der Hausfrauen und Mütter ausser der Ehe zu sagen. Es ist das eines der dunkelsten Kapitel der Frauengeschichte. Auf diesem Gebiete hat das Faustrecht von jeher in seiner rohesten und wildesten Form geherrscht, und die doppelte Moral hier fürchterlich gewüstet. Die „freie Ehe“ ist eine Erfindung des Mannes, der geglaubt, derart die Vorteile der Ehe zu geniessen, ohne deren Lasten zu tragen. Die Frau geht trotz aller Nachteile, die sie befürchten muss, auf diese Kombination ein, weil auch sie unter dem Gesetz von Hunger und Liebe steht. […] (27) Der illegitimen Mutter gegenüber (und die interessiert uns vor allem) hat das Gesetz zwei typische Haltungen. Die erste findet ihren brutalsten Ausdruck in dem berüchtigten § 341 [meint 340] des Code Napoléon: la recherche de la paternité est interdite, sie entzieht der unehelichen Mutter jedes Recht auf Klage gegen ihren Mitschuldigen. Die uneheliche Mutter mag leiden, weinen, ringen und zu Grunde gehen, sie hat keinerlei Rekurs gegen den Mann, durch dessen Mitschuld sie leidet, weint, ringt und zu Grunde geht. Man darf wohl sagen, dass dies die Frau manu militari behandeln heisst, und dass man hier die Faust eines Soldatenkaisers spürt. Ich füge hinzu, dass dieser § heute durch Anwendung des § 1381 praktisch umgangen wird und die uneheliche Mutter wenigstens Schadenersatz erhält. Die andere Haltung des Gesetzes ist etwas humaner. Sie gestattet die Vaterschaftsklage und legt die pekuniäre Verantwortlichkeit des unehelichen Vaters der Mutter und dem Kind gegenüber fest. Das deutsche B. G. z. B. verpflichtet den Mann, der unehelichen Mutter die Entbindungskosten und dem Kinde bis zu seinem 14. Jahr Alimente zu zahlen. – Diese Zahlung richtet sich nach der socialen Stellung der Mutter. Außerdem bestimmt das deutsche Gesetz jedoch, dass zwischen illegitimem Vater und unehelichem Kinde keinerlei Verwandtschaft besteht (das Kind ist also in keiner Weise erbfähig) und dass es ex officio den Namen der Mutter trägt, die jedoch nicht die elterliche Gewalt über das Kind ausübt. Selbst diese humanere Gesetzgebung trägt, wie man sieht, noch tiefe Spuren eines Klassen- und Geschlechtsegoismus. Kein Recht der Welt hat sich bisher dazu verstehen können, in den unehelichen Müttern ganz einfach „Opfer“ zu sehen. Keines hat bisher die Situation vom Standpunkt der „geleisteten Arbeit“ aus betrachtet, um daraus zu schliessen, dass auch diese „Mütter“ Lohn verdienen. (28) Oder vielmehr, diese Anerkennung ist eine sehr ungenügende. Ist aus irgend einem Grunde die pekuniäre Haftung des unehelichen Vaters undurchführbar, so tritt der Staat allerdings mit einer gewissen Entlohung für die uneheliche Mutter ein. Ich meine damit die Wöchnerinnenunterstützungen, unentgeltlichen Milchverteilungen, Erziehungsgelder, die die öffentliche Armenpflege aller civilisierten Länder in gewissem Masse organisiert hat. Die pekuniäre Intervention des Staats beweisst [sic!], dass es sich um die Entlohnung einer Leistung handelt, und in diesem Sinne behandelt der Staat die vom Manne verlassenen, illegitimen Mütter, ebenso wie die Witwen der Staatsbeamten: er giebt ihnen eine Art Pension.
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Nur ist die Unterstützung der „illegitimen Witwen“ noch weit kärglicher als die der legitimen, und sie wird als Almosen und in besonders demütigender Form verabreicht. Man macht eben nicht viel Umstände mit Parias. […] Rechtlich und social wäre diese Strenge nur gerechtfertigt, falls Staat und Gesellschaft die gleiche Haltung dem Manne gegenüber beobachtete, der in den meisten Fällen der verantwortliche Urheber dieser leidvollen Tragödien ist. Dem ist jedoch nicht so. Diese Härte ist ganz einseitig, sie wendet sich allein gegen die Frau und dient, wieder einmal, zum Schutz des Starken gegen den Schwachen. […] Ich komme zum Schluss: Im allgemeinen wird die häusliche Frauenarbeit unter ihrem Werte geschätzt und unter ihrem Werte bezahlt. Es besteht ein Missverhältniss zwischen den Leistungen der Hausfrau und Mutter und der ihr dafür gewährten Gegenleistung zwischen ihren Pflichten und Rechten. Die Gleichwertigkeit ihrer Arbeit mit der des Mannes ist nicht anerkannt, und die unverdiente, wirtschaftliche Hörigkeit der Frau zieht ihre rechtliche Unterordnung, ihre politische Rechtlosigkeit nach sich. (29) Die „moderne Ehe“, die auf dem Princip der Association, Coordination und Gegenseitigkeit beruht, ist vom Gesetz noch nicht sanctioniert. Die Ehe, wie das Gesetz sie heute hinstellt, beruht auf dem Princip der Ueberordnung des Mannes, der Unterordnung der Frau. Aus diesem Grundirrtum, (denn Mann und Weib sind gleichberechtigt, wenn auch nicht gleichartig), entstammen alle weiteren Irrtümer. Die Frau soll daher ruhig und unerschütterlich ihr Recht verlangen. Nur dadurch kann die Welt „wieder eingerenkt“ werden. Freilich, es genügt nicht: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit zu rufen, um sie zu erhalten. Man muss auch die Macht haben, sich Gerechtigkeit zu verschaffen. So gross aber ist die Macht der Idee, dass es nichts giebt, was auf die Dauer dem langsamen, steten Druck von tausend und aber tausend Energien widersteht, die vom „Bewußtsein ihres Rechts“ belebt sind. Die Frauen treten heute mit den aufgesammelten Schuldforderungen von 5000 Jahren vor den Mann. Wird er nicht bezahlen müssen?
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Marie Stritt: Frauen-Landsturm, 1896
(„M.ST.“ =) STRITT, Marie: Frauen-Landsturm. Flugblatt zum Familienrecht im bürgerlichen Gesetzbuche, Berlin 1896 Kommentar: Die aus Siebenbürgen stammende Marie Stritt (1855-1928) gilt als eine der besten Rednerinnen der älteren Frauenbewegung. Sie hält in ganz Deutschland Vorträge zur rechtlichen Stellung der Frau. Ihre besondere Schulung in Stimme und Auftreten ist Resultat einer Schauspielausbildung in Wien und der Tätigkeit als Schauspielerin am Hoftheater in Karlsruhe (1876-1881) und anderen Städten. 1879 heiratet sie den Opernsänger und Gesangspädagogen Albert Stritt (1847-1908). 1889 nimmt Stritt Abschied von der Bühne, läßt sich in Dresden nieder und wendet sich in den darauffolgenden Jahren der
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Nur ist die Unterstützung der „illegitimen Witwen“ noch weit kärglicher als die der legitimen, und sie wird als Almosen und in besonders demütigender Form verabreicht. Man macht eben nicht viel Umstände mit Parias. […] Rechtlich und social wäre diese Strenge nur gerechtfertigt, falls Staat und Gesellschaft die gleiche Haltung dem Manne gegenüber beobachtete, der in den meisten Fällen der verantwortliche Urheber dieser leidvollen Tragödien ist. Dem ist jedoch nicht so. Diese Härte ist ganz einseitig, sie wendet sich allein gegen die Frau und dient, wieder einmal, zum Schutz des Starken gegen den Schwachen. […] Ich komme zum Schluss: Im allgemeinen wird die häusliche Frauenarbeit unter ihrem Werte geschätzt und unter ihrem Werte bezahlt. Es besteht ein Missverhältniss zwischen den Leistungen der Hausfrau und Mutter und der ihr dafür gewährten Gegenleistung zwischen ihren Pflichten und Rechten. Die Gleichwertigkeit ihrer Arbeit mit der des Mannes ist nicht anerkannt, und die unverdiente, wirtschaftliche Hörigkeit der Frau zieht ihre rechtliche Unterordnung, ihre politische Rechtlosigkeit nach sich. (29) Die „moderne Ehe“, die auf dem Princip der Association, Coordination und Gegenseitigkeit beruht, ist vom Gesetz noch nicht sanctioniert. Die Ehe, wie das Gesetz sie heute hinstellt, beruht auf dem Princip der Ueberordnung des Mannes, der Unterordnung der Frau. Aus diesem Grundirrtum, (denn Mann und Weib sind gleichberechtigt, wenn auch nicht gleichartig), entstammen alle weiteren Irrtümer. Die Frau soll daher ruhig und unerschütterlich ihr Recht verlangen. Nur dadurch kann die Welt „wieder eingerenkt“ werden. Freilich, es genügt nicht: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit zu rufen, um sie zu erhalten. Man muss auch die Macht haben, sich Gerechtigkeit zu verschaffen. So gross aber ist die Macht der Idee, dass es nichts giebt, was auf die Dauer dem langsamen, steten Druck von tausend und aber tausend Energien widersteht, die vom „Bewußtsein ihres Rechts“ belebt sind. Die Frauen treten heute mit den aufgesammelten Schuldforderungen von 5000 Jahren vor den Mann. Wird er nicht bezahlen müssen?
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Marie Stritt: Frauen-Landsturm, 1896
(„M.ST.“ =) STRITT, Marie: Frauen-Landsturm. Flugblatt zum Familienrecht im bürgerlichen Gesetzbuche, Berlin 1896 Kommentar: Die aus Siebenbürgen stammende Marie Stritt (1855-1928) gilt als eine der besten Rednerinnen der älteren Frauenbewegung. Sie hält in ganz Deutschland Vorträge zur rechtlichen Stellung der Frau. Ihre besondere Schulung in Stimme und Auftreten ist Resultat einer Schauspielausbildung in Wien und der Tätigkeit als Schauspielerin am Hoftheater in Karlsruhe (1876-1881) und anderen Städten. 1879 heiratet sie den Opernsänger und Gesangspädagogen Albert Stritt (1847-1908). 1889 nimmt Stritt Abschied von der Bühne, läßt sich in Dresden nieder und wendet sich in den darauffolgenden Jahren der
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Frauen- und Rechtspolitik zu. 1894 gründet sie gemeinsam mit Adele Gamper den Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, der als erster und bekanntester Verein dieser Art maßgeblich für ähnliche Vereinsgründungen in ganz Deutschland wird. Sie ist 1899-1910 Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine und 1911-1919 Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht. Siehe zu Stritt auch Schüller, Marie Stritt, 2005; hierzu Rezension Meder SavZRG (GA) 123 (2006), S. 729-731. Ihr Flugblatt von 1896 soll zur populären Verbreitung der Familienrechtskritik und zur Festigung des Widerstands beitragen und ist daher bewußt in einem dem Anlaß entsprechenden Stil gehalten. Der Begriff des „Landsturms“ wird zu einem häufig verwendeten Begriff für die Frauenproteste gegen das BGB. Das Flugblatt wird u.a. in der Reichstagsdebatte zum BGB vom Abgeordneten Traeger rezipiert, der für die Streichung des männlichen Entscheidungsrechts in der Ehe eintritt (Nr. 69): „Die Petitionen und Proteste, die uns zugegangen sind, sind unterschrieben von einer großen Anzahl von Männern, von einer viel größeren Anzahl von Frauen, Aerztinnen, Studentinnen usw. Mit der modernen Frau kann man nicht mehr, auch mit diesen Bestimmungen, wie sie bisher galten, fertig werden. Nun haben die verehrten Frauen sich außerordentlich entrüstet, daß von irgend einer Seite diese Frauenbewegung als Landsturm bezeichnet wird. Sie haben nämlich gemeint, mit diesen Worten solle neben einer inneren auch eine gewisse äußere Reife ausgedrückt sein, die man im Verkehre mit Damen nicht gern allzuscharf betont. Ich kenne den Verfertiger dieses Wortes nicht, ich glaube nicht, daß er eine böse Absicht gehabt hat. Ich meine, man könnte nicht von einem Landsturme, aber von einem Sturme im Lande sprechen, den die Frauen entfacht haben, der nicht zur Ruhe kommt. Und mit jeder Bestimmung, mit welcher sie die natürlichen Rechte der Frau einschränken, werden sie Wind säen, um Sturm zu ernten. Das hat alle ergriffen, auch junge Damen, die noch nicht einmal das militärpflichtige Alter haben, sodaß die Bezeichnung ,Landsturm‘ eine ganz ungerechtfertigte ist.“ Traeger hält Marie Stritts Formulierungen freilich zum Teil auch für übertrieben: „Allerdings, wenn es in der neuesten uns zugegangenen Flugschrift der Frauenbewegung gleich an der Spitze heißt: ‚Wie ein dunkler Schatten aus den dunkelsten Tagen des Mittelalters ragt der Entw. in die Gegenwart hinein‘, so ist das die Uebertreibung einer leidenschaftlichen Erregung […]“. Zur Erläuterung der Irritationen um den Begriff „Landsturm“ sei hinzugefügt, daß der „Landsturm“ im militärischen Sinne damals ein Reservekontingent vorzugsweise aus älteren, nur beschränkt einsatzfähigen Männern bezeichnete, die gewissermaßen als letztes Aufgebot eingesetzt werden konnten.
Frauen-Landsturm. Flugblatt zum Familienrecht im bürgerlichen Gesetzbuch. M[arie] St[ritt] 10 Pfennig BERLIN l896. Herausgegeben von Frau Hanna Bieber-Boehm, Vorsitzende des Vereins „Jugendschutz“ Kaiser Wilhelmstr. 39. (Listen für Unterschriftensammlung für den Protest durch die obige Adresse.) (2) Wie ein dunkler Schatten aus den dunkelsten Tagen des Mittelalters ragt das Familienrecht des bürgerlichen Gesetzbuches in die Gegenwart hinein....
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Das Rechtsbewustsein der Frauen empört sich gegen dasselbe. Obwohl den deutschen Frauen nicht gestattet ist, in den wichtigsten sie betreffenden Lebensfragen mitzusprechen, so haben sie sich diesmal doch die Freiheit genommen – sie haben gesprochen und zwar so laut und vernehmlich, dass selbst der brutalste Hohn, das roheste Lachen des Cynismus ihre Stimmen nicht zu übertönen vermochten. Die ersten Verhandlungen des Reichstages über den neuen Gesetzentwurf haben den erfreulichen Beweis geliefert, dass diese Stimmen auch einen kräftigen Wiederhall gefunden haben. Angehörige der verschiedensten Fraktionen sind für die Frauen und ihr gutes Recht eingetreten, – leider ist die Majorität193 in ihren Beschlüssen verständnisslos über die meisten Forderungen hinweggegangen. Immer noch wie seit vielen Monaten sind unsere Augen in banger Sorge und Erwartung auf die Entscheidung der Volksvertretung gerichtet. Bis es aber dazu kommt, dürfen wir Frauen die Hände nicht müssig in den Schoos legen. Es ist im Gegentheil mehr als je unsere heiligste Pflicht, unser eigenes Geschlecht und die breiten Massen der Bevölkerung überhaupt über unsere kritische Lage und über die schwerwiegenden Folgen, welche das neue Familienrecht in seiner gegenwärtigen Fassung nach sich ziehen muss, in Wort und Schrift aufzuklären und zu allgemeinem energischen Protest dagegen aufzurufen … Was bedeuten die mit Recht getadelten Mängel einer veralteten, inhumanen Gesindeordnung, die schlimmstenfalls einen geringen Bruchtheil des weiblichen Geschlechts schädigen, gegen die verhängnissvollen und folgenschweren Bestimmungen unseres gegenwärtigen Familien- und Eherechts, welche die gesammte Frauenwelt aufs empfindlichste treffen?… (3) Die beste, tüchtigste, pflichttreueste Ehefrau kann nur bei „grober Misshandlung“, d. h. wenn laut ärztlichen Zeugnisses ihr Leben oder ihre Gesundheit bedroht sind, auf Lösung eines unerträglichen, schimpflichen Ehelebens hoffen, nicht aber, wenn ihr Gatte ihr Vermögen und ihren Erwerb vergeudet und vertrinkt, wenn er sie und ihre Kinder obendrein noch Mangel leiden lässt – denn er, nicht sie ist Herr über ihre Person und ihr Eigenthum; – nicht wenn er ihr auch sonst jede nur mögliche Kränkung und Schmach in Worten und Handlungen zufügt. Denn dies ist nur sein gutes Recht und es muss ihm eigentlich als ganz besonderes persönliches Verdienst angerechnet werden, wenn er keinen oder doch nur beschränkten Gebrauch davon macht..... Und wie es bis jetzt gewesen, so würde es auch fernerhin bleiben, wenn der Entwurf wirklich Gesetzeskraft erlangen sollte. Oder wäre es etwas anderes als blos eine veränderte Form, wenn der Entwurf zwar die Vormundschaft des Ehegatten über die Ehegattin, und den unwürdigen „Gehorsamsparagraphen“ beseitigt und der Ehefrau volle Handlungsfähigkeit ausdrücklich zuerkennt, diese Handlungsfähigkeit aber sogleich wieder aufhebt durch die Bestimmungen, dass einmal dem Mann in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die alleinige Entscheidung zusteht, dass er ferner das Recht der Frau, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Rechtsgeschäfte vorzunehmen, beliebig beschränken und ausschliessen und alle von der Frau abgeschlossenen Rechtsgeschäfte) einfach annulieren kann? 193 [Anmerkung: Ursprünglich (Stritt, S. 7): „Majorität der Commission“. Worte „der
Commission“ sind in der verwendeten Ausgabe gestrichen.]
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Ist dies nicht in vollem Sinne Bevormundung einerseits, Unmündigkeit andererseits nach wie vor? – Wäre es etwas anderes als blos eine veränderte Form, wenn die bisherige väterliche Gewalt des Mannes zwar in eine elter1iche umgetauft wurde, aber ausschliesslich dem Vater, dem Manne zustehen soll nach wie vor?.... Wer also hinter den schönen Worten „Handlungsfähigkeit der Frau“, „Elterliche Gewalt“ u. s. w. etwas anderes suchen wollte als – schöne Worte, der würde sich selber betrügen. Der wichtigste und verhängnissvollste Abschnitt des ganzen Familienrechts ist wohl für die verheirathete Frau derjenige, der das eheliche Güterrecht behandelt. (4) Der erste § desselben, auf den alle übrigen basirt sind, lautet: „Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschliessung der Verwaltung und Nutzniessung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gut gehört auch das Vermögen, welches die Frau während der Ehe erwirbt.“ Dieses eheliche Güterrecht schädigt – wie die Protesterklärung der Münchener Frauen sehr richtig sagt – nicht nur den sittlichen Charakter der Ehe, indem es dieselbe zu einem Erwerbsgeschäft für den Mann und die Frau auch in dieser Beziehung zeitlebens zu einer Unmündigen stempelt – die wirthschaftliche Abhängigkeit der Frau in der Ehe, die ihre sociale und moralische Abhängigkeit bedingt, ist auch gleichbedeutend mit ihrer völligen Rechtlosigkeit und die Quelle tiefster Demüthigung, unsäglichsten Elends für die verheirathete Frau von jeher gewesen. Der Schutz, den ihr das Gesetz scheinbar gegen etwaige Misswirthschaft und Verschwendung des Mannes, aber wohlgemerkt nicht gegen seinen Geiz und seine Habgier gewährt, ist illusorisch, da der Beweis, dass ihr Vermögen durch seine Verwaltung und Nutzniessung erheblich gefährdet ist, erst dann gelingen wird, wenn ein grosser Theil desselben oder alles verloren ist. Der Einwurf, dass der Mann die Frau zu erhalten und den ganzen ehelichen Aufwand zu tragen habe, ihm also auch das Recht über die Einkünfte der Frau zu verfügen, gewahrt werden müsse, wird sofort hinfällig, wenn, wie einfach nur gerecht und billig, beide Ehegatten nach Massgabe ihres beiderseitigen Einkommens, den ehelichen Aufwand zu tragen hatten. Es dürfte dies naheliegende Auskunftsmittel auch den Herren Gesetzgebern umsomehr einleuchten, als sie an die Leistungsfähigkeit der Frau – trotz der bei jeder Gelegenheit betonten Schwäche und Schutzbedürftigkeit des weiblichen Geschlechtes – nach dieser Richtung unter Umständen recht hohe Anforderungen gestellt haben, höhere als an den starken Mann, ihren „natürlichen Beschützer“. Eine edle, jüngst verstorbene Vorkämpferin der Frauenbewegung, die greise Marianne Menzzer characterisirte das Eherecht des neuen Gesetzentwurfes mit den Worten: „Kein Ehrenmann wird von den Rechten, die ihm seiner Gattin gegenüber gesetzlich zustehen, jemals Gebrauch machen.“ Besteht aber die Welt aus lauter tadellosen Ehrenmännern? – Ebensowenig wie aus lauter Idealfrauen. (5) Wir sind sammt und sonders schwache und höchst fehlerhafte Geschöpfe – und unsere Gesetzgebung hat bisher dafür gesorgt und will ferner treulich dafür sorgen, dass wir uns auch gar nicht zu einer höheren ethischen Stufe, zu einem edleren freieren Menschenthum entwickeln können. Die absolute Machtstellung, die sie dem Manne in der Ehe einräumte, musste Willkür, Brutalität, Grössenwahn einerseits, die völlige Abhängigkeit, in welche sie die Frau zwängte, Characterlosigkeit, Feigheit, Hinterlist, andererseits gross ziehen. Die Ehe, das innigste mensch-
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liche Band, welches zugleich das reinste und freieste sein sollte, ist dadurch, sowie durch die erschwerte Ehescheidung zu einem drückenden Zwangsverhältniss für beide Theile geworden, unter dessen Schutz die niedrigsten Leidenschaften, jede Rohheit und Grausamkeit ungestraft ihr Wesen treiben können, Und doch spricht man beständig von der Heiligkeit der Ehe und Familie, die auch im neuen Gesetzentwurf durch derartige gesetzliche Bestimmungen „geschützt“ werden soll. – Welch’ ein unbegreiflicher Irrthum – denn an eine absichtliche Täuschung wollen wir nicht glauben. Nicht die Ehe und nicht die Familie – noch weniger die Frau, wie man ihr gerne einreden möchte – einzig und allein der Mann, das Interesse des Mannes wird durch diese Massnahme geschützt. Auf einem andern, dem traurigsten Gebiet des Familienrechts tritt dies, wenn möglich, noch mehr zu Tage, in dem Abschnitt über die unehelichen Kinder. Derselbe ist völlig im Sinne des schon zu einer traurigen Berühmtheit gelangten § 1567 (I. Titel, Verwandtschaft) gehalten, wonach „zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater keine Verwandtschaft besteht“)194 und bürdet die bei weitem schwereren Folgen eines begangenen Fehltritts dem schwächern, und minder schuldigem Theil „der Frau“ auf, während der stärkere und schuldigere Theil, der Mann, so gut wie frei ausgeht. Ausser der – merkwürdigerweise hier wieder der Lebensstellung der Mutter, nicht seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhaltspflicht bis zum 16. Jahre dem Kinde gegenüber, und der Kostentragung für Entbindung und Wochenbett der Mutter – sind dem Verführer seinem Kinde und der Mutter seines Kindes gegenüber keinerlei Pflichten auferlegt. Entspräche es wirklich dem Rechts-(6)bewusstsein des deutschen Mannes, dass durch. derartige Massnahmen die unglücklichen und – was das Kind betrifft – so völlig unschuldigen Opfer männlichen Leichtsinns oder männlicher Gewissenslosigkeit zu Parias der Gesellschaft gestempelt werden, dass der Unsittlichkeit durch diese gesetzliche Sanktionirung der doppelten Moral Thür und Thor geöffnet, der Menschlichkeit durch die Rechtlosigkeit des Kindes seinem eigenen Vater gegenüber Hohn gesprochen wird?– Wir Frauen protestiren dagegen, dass das Rechtsbewusstsein des deutschen Mannes auf so niedriger Stufe steht! – Wäre es der Fall, dann müsste man ja das aufrichtige Mitleid gerechtfertigt finden, was die Frauen anderer Nationen den deutschen Frauen entgegenbringen – dann wären aber nicht nur diese, sondern noch mehr die deutschen Männer auf’s tiefste zu beklagen, die auf ein so mangelhaftes Rechtsbewusstsein noch stolz sein können! Man hat uns Frauen bisher immer einzureden versucht, – uns auch mit Erfolg eingeredet – dass es „unpassend“ und „unweiblich“ sei, von den wichtigsten, unser eigenes Geschlecht betreffenden gesetzlichen Einrichtungen und Zuständen Kenntniss zu haben oder gar davon zu sprechen. Ja das berühmte Jus fridericiani bezeichnet es sogar als ein besonderes Vorrecht des weiblichen Geschlechtes, „Jus zu ignoriren“. Wer aber in der Lage war, einen Einblick thun zu können in all den unsäglichen Jammer, in den Abgrund des tiefsten Frauenelends – und tiefster menschlicher Verworfenheit, der würde, falls er es noch nicht wäre, schnell anderer Meinung werden. All die glücklichen, sorglosen und leider – so sträflich gedankenlosen Frauen, die nur ein freundlicher Zufall vor dem traurigsten Schicksal ihrer, ach so zahlreichen Mitschwestern bewahrte, sie würden aus ihrer Gleichgül194 Nach Vorschlag der Commission: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten
nicht als miteinander verwandt.“
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tigkeit aufgeschreckt werden, aus dem verhängnisvollen alten Wahn von der „rücksichtsvollen Fürsorge“ von dem ritterlichen Schutz des Mannes für die Frau. Sie würden schaudern vor den Consequenzen, die dieser ritterliche Schutz nach sich gezogen, indem er das Weib dem Manne auf Gnade und Ungnade überlieferte. – Aber sie würden auch zur Erkenntniss gelangen, dass es für uns höchste Zeit ist, uns des zweifelhaften Vorrechtes, Jus zu ignoriren, zu begeben, und eine heilige Pflicht, unser gutes Frauenrecht diesem starren einseitigen Männerrecht gegenüber, das solche Früchte zeitigen konnte, (7) geltend zu machen. – Es ist nicht unpassend und unweiblich, von der so traurigen und unwürdigen Lage des eigenen Geschlechts Kenntniss zu haben und sich dagegen zu empören, wohl aber unmenschlich und eine Schande, Augen und Ohren in feigem Egoismus davor zu verschliessen und diese schlimmsten Dinge todtzuschweigen. Selbst beim besten Willen wird der Mann der weiblichen Individualität und Eigenart nicht gerecht worden können, wie viel weniger, wenn diesem besten Willen sein eigener, wenn auch nur vermeinter Vortheil, im Wege steht. Die Gesetze, die der Mann dem Weibe vorschreibt, werden daher stets mehr zu seinen wie zu ihren Gunsten ausfallen. Immerhin aber hatte man doch eigentlich erwarten können, dass die Schöpfer dieses Gesetzentwurfs, als Repräsentanten ihrer Zeit, dem Geist dieser Zeit und dem allgemeinen Culturfortschritt auch in Bezug auf ihre weiblichen Mitmenschen einigermaßen hätten gerecht werden können. Wennschon sie es für so dringend nöthig hielten, sich als Herren und Gebieter ihren Gattinnen gegenüber nach allen Richtungen und mit allen Mitteln gegen „das schwache Geschlecht“ zu schützen, so müssen wir doch unwillkürlich. fragen: Waren denn keine Väter unter ihnen, die voll banger Sorge um das Schicksal ihrer Töchter in die Zukunft blickten, keine Brüder, denen das Gewissen schlug angesichts des schweren Unrechts, das sie an ihren Schwestern begingen, diesen Schwestern, die ihnen vielleicht geistig und sittlich weit überlegen waren? Keine Söhne, die in dankbarer Liebe und Ehrfurcht ihrer Mütter dachten, dieser Mütter, denen sie vielleicht ihre besten Güter, jede Lebensfreude, auch alle geistigen Gaben und Kräfte, auf denen sie ihr Leben aufbauten, und auf welche sie im Bewusstsein ihrer männlichen Superiorität jedenfalls sehr stolz sind, zu danken haben? Ist es keinem von ihnen zum Bewusstsein gekommen, dass es hier neben der Aufgabe, ein nationales Recht zu schaffen, auch galt, ein tausendjähriges nationales Unrecht wieder gut zu machen? Oder haben die Herren am grünen Tisch im Ernst geglaubt, dass dies Unrecht getilgt sei, wenn sie hie und da den Forderungen – nicht etwa der Gerechtigkeit oder Billigkeit – sondern der Galanterie Rechnung trugen? Die Frauen aber haben genug von dieser Galanterie, die auch (8) nur wieder eine schonende, rücksichtsvolle Form für des Mannes Geringschätzung ist – sie verlangen mehr, sie verlangen endlich die Anerkennung ihrer Menschenrechte und ihrer Menschenwürde – sie verlangen Gerechtigkeit! Ein Mitglied des Reichstages, der Abgeordnete Schröder hat sich jüngst eine zarte Anspielung auf das „reife Alter“ der Frauen, die an der Spitze der Protestbewegung gegen das neue Familienrecht stehen, gestattet, und diese Bewegung im Hinblick darauf als einen „Frauen-Landsturm“ bezeichnet. Der Herr gehört – obgleich wohl selbst kein Jüngling mehr – zweifellos zu denjenigen Männern, die in ihren weiblichen Mitmenschen lediglich das Geschlechtswesen sehen, in deren Augen das Weib also überhaupt nur in Betracht kommt, so lange es jung und
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hübsch ist und für die das Altern der Frauen ihr unverzeihlichster Fehler ist. Wir wollen über diese Auffassung, die uns keine Unehre macht und sich selber richtet, hier nichts weiter sagen. Das Wort aber, das uns zum Hohn gesprochen wurde, wollen wir uns als eine ernste, bedeutungsvolle Mahnung gesagt sein lassen. Die heiligsten Güter des Volkes, das Vaterland ist in Gefahr. Wohl, wenn die Männer ihrer Pflicht vergessen sollten, lassen Sie uns derselben umsomehr eingedenk sein. Lassen Sie uns einen Frauen-Landsturm aufbieten gegen die Vergewaltigung, die uns droht. Auf die Gefahr hin, für den Abgeordneten Schröder ewiger Lächerlichkeit anheimzufallen, wollen wir sogar das letzte Aufgebot ergeben lassen. Nicht blos an die Mütter auch an die Grossmütter, an alle deutschen Frauen, jung und alt, arm und reich, hoch und niedrig ergeht der Ruf, keine darf zurückbleiben, alle müssen eintreten in den heiligen Kampf, den sie nicht für sich, den sie für ihre Kinder und Kindeskinder kämpfen, in den heiligen Kampf der Frauen um ihr Recht! – 50 Exemplare zum Weiterverbreiten werden gegen Einsendung von Mk. 2,70 zugestellt. Helferinnen dazu erbeten durch Frau Hanna Bieber-Boehm, Kaiser Wilhelmstr. 39.
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Marie Stritt: Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage, 1898
STRITT, Marie: Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage. Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine in Hamburg im Oktober 1898, Frankenberg i. Sa. o.J. (ca. 1898) Kommentar: Wenngleich der Vortrag Stritts mehr systematische Sachinformationen im Sinne einer inhaltlichen BGB-Kritik enthält als das Flugblatt „Frauen-Landsturm“ von 1896, so wird auch hier die Neigung der Rednerin Marie Stritt zu bildhaften Sentenzen und eingängiger Rhetorik deutlich: „Die in jenen stürmischen Tagen überall auflodernde Empörung ist seitdem zur hellen, starken, stetigen Flamme geworden, die auch auf alle anderen socialen Frauenbestrebungen Klarheit, Licht und Wärme ausstrahlt“ (S. 4). „Der fachjuristischen Theorie, die beim besten Willen immer eine einseitige, daher beschränkte sein wird, haben wir als Frauen unsere praktische Erfahrung, dem todten Buchstaben unsere lebendige Überzeugung entgegenzusetzen“ (S. 5). „Tausend Jahre Unrecht sind noch keine Stunde Recht“ (S. 16). Dem juristischen Inhalt nach geht es um die zentralen Forderungen der Frauenbewegung, wie sie auch in den Petitionen 1895/96 erhoben worden sind und die von Stritt (S. 6) in vier Punkten zusammengefaßt werden: „1. die Aufhebung des Mundiums (…), d. h. der in § 1354 des Titels „Wirkungen der Ehe im Allgemeinen“ enthaltenen Bestimmung, daß „dem Manne in allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zustehen soll,“ und aller damit zusammenhängenden, die Selbständigkeit der Frau beschränkenden Bestimmungen; 2. die Aufhebung des ausschließlichen Verwaltungs- und Nutznießungsrechtes des Mannes am ehelichen Vermögen in § 1363 und den folgenden, und Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht; 3. der Mutter die elterliche Gewalt über ihre Kinder in Gemeinschaft und in gleichem Umfange wie dem Vater zu gewähren;
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hübsch ist und für die das Altern der Frauen ihr unverzeihlichster Fehler ist. Wir wollen über diese Auffassung, die uns keine Unehre macht und sich selber richtet, hier nichts weiter sagen. Das Wort aber, das uns zum Hohn gesprochen wurde, wollen wir uns als eine ernste, bedeutungsvolle Mahnung gesagt sein lassen. Die heiligsten Güter des Volkes, das Vaterland ist in Gefahr. Wohl, wenn die Männer ihrer Pflicht vergessen sollten, lassen Sie uns derselben umsomehr eingedenk sein. Lassen Sie uns einen Frauen-Landsturm aufbieten gegen die Vergewaltigung, die uns droht. Auf die Gefahr hin, für den Abgeordneten Schröder ewiger Lächerlichkeit anheimzufallen, wollen wir sogar das letzte Aufgebot ergeben lassen. Nicht blos an die Mütter auch an die Grossmütter, an alle deutschen Frauen, jung und alt, arm und reich, hoch und niedrig ergeht der Ruf, keine darf zurückbleiben, alle müssen eintreten in den heiligen Kampf, den sie nicht für sich, den sie für ihre Kinder und Kindeskinder kämpfen, in den heiligen Kampf der Frauen um ihr Recht! – 50 Exemplare zum Weiterverbreiten werden gegen Einsendung von Mk. 2,70 zugestellt. Helferinnen dazu erbeten durch Frau Hanna Bieber-Boehm, Kaiser Wilhelmstr. 39.
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Marie Stritt: Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage, 1898
STRITT, Marie: Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage. Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine in Hamburg im Oktober 1898, Frankenberg i. Sa. o.J. (ca. 1898) Kommentar: Wenngleich der Vortrag Stritts mehr systematische Sachinformationen im Sinne einer inhaltlichen BGB-Kritik enthält als das Flugblatt „Frauen-Landsturm“ von 1896, so wird auch hier die Neigung der Rednerin Marie Stritt zu bildhaften Sentenzen und eingängiger Rhetorik deutlich: „Die in jenen stürmischen Tagen überall auflodernde Empörung ist seitdem zur hellen, starken, stetigen Flamme geworden, die auch auf alle anderen socialen Frauenbestrebungen Klarheit, Licht und Wärme ausstrahlt“ (S. 4). „Der fachjuristischen Theorie, die beim besten Willen immer eine einseitige, daher beschränkte sein wird, haben wir als Frauen unsere praktische Erfahrung, dem todten Buchstaben unsere lebendige Überzeugung entgegenzusetzen“ (S. 5). „Tausend Jahre Unrecht sind noch keine Stunde Recht“ (S. 16). Dem juristischen Inhalt nach geht es um die zentralen Forderungen der Frauenbewegung, wie sie auch in den Petitionen 1895/96 erhoben worden sind und die von Stritt (S. 6) in vier Punkten zusammengefaßt werden: „1. die Aufhebung des Mundiums (…), d. h. der in § 1354 des Titels „Wirkungen der Ehe im Allgemeinen“ enthaltenen Bestimmung, daß „dem Manne in allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zustehen soll,“ und aller damit zusammenhängenden, die Selbständigkeit der Frau beschränkenden Bestimmungen; 2. die Aufhebung des ausschließlichen Verwaltungs- und Nutznießungsrechtes des Mannes am ehelichen Vermögen in § 1363 und den folgenden, und Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht; 3. der Mutter die elterliche Gewalt über ihre Kinder in Gemeinschaft und in gleichem Umfange wie dem Vater zu gewähren;
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4. auch der unehelichen Mutter die elterliche Gewalt – unter ev. Zuordnung eines Beistandes – zu gewähren, und die Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters seinem Kinde gegenüber gerechter, d. h. seinem, nicht der Mutter Stande gemäß, und nicht blos bis zum 16. Jahre, sondern bis zur Mündigkeit, wie einem ehelichen Kinde gegenüber, zu normiren.“
Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage von Frau Marie Stritt. (3) Über zwei Jahre sind schon verflossen seit Annahme und Vollzug des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, seit den heißen Kämpfen, die damals von den deutschen Frauenrechtlerinnen um eine würdigere Stellung ihres Geschlechtes vor dem Gesetz gekämpft wurden. Bekanntlich haben diese Kämpfe wohl einige bemerkenswerthe Zugeständnisse zur Folge gehabt, aber gerade in Bezug auf die am nachdrücklichsten geltend gemachten Forderungen, trotz des Beistandes so vieler gerecht und human denkender Männer, mit einer Niederlage für uns geendet. Wenn Gegner, halbe und zweifelhafte Freunde unserer Bestrebungen die Angelegenheit dadurch als erledigt betrachten, so ist das von ihrem Standpunkt begreiflich und selbstverständlich. Aber auch viele wirklich Wohlmeinende, Männer und Frauen, die in einer oberflächlichen und einseitigen Auffassung befangen, in der Frauenfrage lediglich die Noth- und Brotfrage, lediglich die Frage der Unverheiratheten, nach der alten Lesart der Unversorgten erblicken, werden es nur schwer begreifen, daß wir uns mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden geben können. Tatsächlich ist mit dem Recht der Vormundschaft, welches den Frauen unter den gleichen Voraussetzungen wie den Männern zuerkannt wurde, die prinzipielle civilrechtliche Gleichstellung der Geschlechter, d. h. in diesem Falle die Gleichstellung des unverheiratheten Mannes mit der unverheiratheten Frau erreicht; thatsächlich ist, wenigstens direct, nicht mehr für das ganze weibliche Geschlecht als solches, sondern nur für die Ehefrauen und Mütter eine Beschränkung ihrer natürlichen menschlichen Rechte, und damit die (4) Bestätigung eines alten Unrechtes in dem neuen Rechte enthalten. Von ihrem Standpunkt hätten also auch diese Wohlmeinenden Recht – aber ihr Standpunkt, den dies „nur“ zur Genüge kennzeichnet, ist eben falsch. Die Frauenfrage ist in ihrer praktischen und ethischen Bedeutung nicht blos die Frage eines Theiles, sie ist die Frage aller Frauen. Diese Wahrheit wurde den deutschen Frauen noch nie so eindringlich vor Augen geführt, wie gerade durch das neue bürgerliche Gesetzbuch. Die bis dahin vorwiegend theoretisch und abstract behandelte Rechtsfrage wurde ihnen zum erstenmal in bestimmten, concreten Forderungen nahe gerückt, wurde zu der Frage von eminenter, actueller Bedeutung, die sie bis zur Stunde geblieben ist und bis zu einer für die Frauen befriedigenden Lösung bleiben wird. Diese Erkenntniß war, trotz des augenblicklichen Mißerfolges, eine ganz unschätzbare Errungenschaft für die deutsche Frauenbewegung. Die in jenen stürmischen Tagen überall auflodernde Empörung ist seitdem zur hellen, starken, stetigen Flamme geworden, die auch auf alle anderen socialen Frauenbestrebungen Klarheit, Licht und Wärme ausstrahlt.
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Nicht nur in ihrem persönlichen Interesse, um ihrer eigenen menschlichen Würde willen, ist für die Ehefrau und Mutter die volle Handlungsfreiheit und bürgerliche Gleichberechtigung nothwendig, auch im Interesse der Familie, im Interesse des Staates, für den sie ohne Frage der wichtigere Kulturfaktor ist als die Unverheirathete, auch im Interesse aller neuen socialen Pflichten, aller Aufgaben für das Gemeinwohl, die die Frau der Gegenwart zu erfüllen hat, die sie nur als ein freier Mensch, im Bewußtsein und Recht ihrer vollen menschlichen Verantwortung erfüllen kann. Selbstständige, zielbewußte sociale Arbeit ist mit der persönlichen Gehorsamspflicht und Unterordnung der Frau in der Ehe, die auch im neuen Familienrecht den Grundton angiebt, schlechterdings unvereinbar. Welch’ ein Widerspruch liegt also darin, die erweiterten Pflichten aller Frauen anzuerkennen, aber die diesen Pflichten entsprechenden Rechte nur einem Theile der Frauenwelt zuzugestehen! In dem neuen Gesetzbuch tritt dieser Widerspruch des öfteren zu Tage, am deutlichsten vielleicht im Vormundschaftsrecht, wonach nicht nur die unverheirathete, sondern (5) auch die verheirathete Frau vom Gericht zur Vormünderin bestellt werden kann, die Übernahme dieses Amtes durch eine Ehefrau aber nach § 1783 ausdrücklich von der Zustimmung ihres Ehemannes abhängig gemacht wird. Das bedeutet für den einfachen Menschenverstand nichts anderes, als daß die Sorge und Verantwortungspflicht für Unmündige unter Umständen – anderen Unmündigen übertragen werden kann. Es war selbstverständlich, daß der Bund deutscher Frauenvereine, der alle Richtungen und Schattirungen der deutschen Frauenbewegung und alle Gebiete moderner Frauenarbeit umfaßt, diese Angelegenheit – sowohl um des Frauen-, wie um des Gemeinwohls willen – von allem Anfang an als eine jener Aufgaben erkannt hat, zu denen „Alle von Herzen ihre Zustimmung geben können“. Ebenso selbstverständlich ist, daß der Bund als solcher – nicht einzelne unverbesserliche radicale Heißsporne, wie Gegner in Juristen- und Laienkreisen oft glauben und noch öfter glauben machen wollen – auch heute noch unentwegt für die Forderungen eintritt, die er damals in Bezug auf eine zeitgemäße Änderung des neuen Familienrechtes aufstellte. Wenn der Bundesvorstand auch diesmal einer Frau und Nichtjuristin in dieser wichtigsten, so viel umstrittenen Angelegenheit das Wort giebt, so trägt er damit nur der allgemeinen modernen Anschauung Rechnung, die auch in unserem Verfassungs- und Rechtswesen zum Ausdruck kommt – vorläufig allerdings erst in ihrer Anwendung auf das männliche Geschlecht – daß Diejenigen, die es angeht, zunächst zur Kontrolle und Kritik der Gesetze berufen sind, die ihren Rechts- und Pflichtenkreis abgrenzen, ihr ganzes Leben ordnen und beherrschen sollen. Der fachjuristischen Theorie, die beim besten Willen immer eine einseitige, daher beschränkte sein wird, haben wir als Frauen unsere praktische Erfahrung, dem todten Buchstaben unsere lebendige Überzeugung entgegenzusetzen. Nur ein Werk, das beiden Standpunkten gerecht wird, kann man als ein zeitgemäßes, nur eine Wissenschaft, die mit dem Zeitgeist und Kulturfortschritt in mittelbarer Fühlung steht, als zu solchem Werk berufen ansehen. Daß wir in dem neuen Gesetzbuch ein solches Werk nicht (6) erblicken können, ist ebenso bekannt, wie die einzelnen Forderungen, in denen die Wünsche der Frauen gipfeln. Ich werde die letzteren nur kurz erwähnen, um dann etwas näher auf die landläufigen Einwände einzugehen, die man diesen Wünschen entgegenzuhalten pflegt.
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Unsere Forderungen sind: 1. die Aufhebung des Mundiums des Ehemannes, d. h. der in § 1354 des Titels „Wirkungen der Ehe im Allgemeinen“ enthaltenen Bestimmung, daß „dem Manne in allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zustehen soll,“ und aller damit zusammenhängenden, die Selbstständigkeit der Frau beschränkenden Bestimmungen; 2. die Aufhebung des ausschließlichen Verwaltungs- und Nutznießungsrechtes des Mannes am ehelichen Vermögen in § 1363 und den folgenden, und Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht; 3. der Mutter die elterliche Gewalt über ihre Kinder in Gemeinschaft und in gleichem Umfange wie dem Vater zu gewähren; 4. auch der unehelichen Mütter die elterliche Gewalt – unter ev. Zuordnung eines Beistandes – zu gewähren, und die Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters seinem Kinde gegenüber gerechter, d, h. seinem, nicht der Mutter Stande gemäß, und nicht blos bis zum 16. Jahre, sondern bis zur Mündigkeit, wie einem ehelichen Kinde gegenüber, zu normiren. Mit Recht bezeichnete der um unsere Sache hoch verdiente Geheime Justizrath Bulling auf dem Stuttgarter Frauentag, und später im Hamburgischen Correspondent, dies Entscheidungsrecht des Mannes als die neue prinzipielle Anerkennung der bisherigen Hörigkeit der Frau in der Ehe, die Beseitigung dieses Rechtes aber als die conditio sine qua non aller Frauenbefreiung, allen Frauenfortschrittes. Mit Recht führte er alle Bemühungen, den Frauen diese Bestimmungen in einem harmlosen Lichte darzustellen, auf unbeabsichtigte oder beabsichtigte Täuschung zurück, Thatsächlich ist dadurch der bisher gültige Gehorsamsparagraph nicht beseitigt, sondern nur in einer etwas rücksichtsvolleren Form, aber in vollem Umfange aufrecht erhalten. Man sagt uns wohl: Die Ehefrau ist im Prinzip und in allen sie persönlich (7) betreffenden Angelegenheiten vollkommen handlungsfähig, nur in der das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden hat sie der Entscheidung des Mannes zu folgen. Aber niemand, weder das Gesetz noch seine Ausleger, sagt uns, was unter den das gemeinsame eheliche Leben betreffenden, und was unter den rein persönlichen Angelegenheiten der Frau zu verstehen ist. Jedenfalls hat das Gesetz die Grenzlinie um den ersteren Begriff recht weit gezogen, denn nicht nur kann der Mann die Geschäftsfähigkeit der Frau innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises jederzeit beschränken und ausschließen (§ 1357) – er kann auch jede von der Frau einem Dritten gegenüber eingegangene Verpflichtung zu einer persönlichen Leistung ohne Frist kündigen (§ 1358). Ebenso ist die Führung eines selbstständigen Erwerbsgeschäftes, und, wie schon erwähnt, einer Vormundschaft, ausdrücklich an die Zustimmung des Mannes geknüpft. Zieht man dazu noch das gesetzliche eheliche Güterrecht in Betracht, welches die Verfügung über das Vermögen der Frau vollständig in die Hände des Mannes legt, so daß sie, falls er sich nicht genirt, alle Consequenzen seiner eheherrlichen Gewalt zu ziehen, sich unter Umständen von ihrem eigenen Geld ohne seine Zustimmung nicht ein Paar Handschuhe kaufen kann – so giebt es u. E. wohl kaum eine persönliche Angelegenheit der Frau, die nicht bei einigermaßen geschickter Auslegung als eine das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffende aufzufassen wäre. Jedenfalls begreift der einfache Laienverstand nicht, was die Denkschrift zum Entwurf meint, wenn sie ausdrücklich sagt, er „beruhe auf dem Grundsatz, daß die Ehefrau als solche in der Geschäftsfähigkeit nicht beschränkt ist.“
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Der Schutz der Frau gegen etwaigen Mißbrauch der eheherrlichen Gewalt, auf den sich die Verteidiger des Familienrechtes stets berufen, ist schon deshalb so gut wie illusorisch, weil er auf der Voraussetzung beruht, daß die Frau gegen ihren Gatten gerichtlich einschreiten muß. Dadurch aber wird die Harmonie der Ehe auf immer zerstört, sie wird sich also nur im äußersten Nothfall dazu entschließen. Und dann – wann ist der Mißbrauch festzustellen? Das Gesetz giebt darüber keinen Auf-(8)schluß. Und wer hat ihn festzustellen? Das Vormundschaftsgericht, das ausschließlich aus Männern besteht, die darüber beim besten Willen kein competentes Urtheil haben können. Man wendet uns ferner ein, daß in einer Gemeinschaft von Zweien immer Einer die Oberhand haben würde, was wir ohne weiteres zugeben, soweit es sich um das natürliche Übergewicht einer stärkeren Individualität handelt. Ist diese aber immer der Mann? Und wenn er es wäre, ist es dann nicht erst recht überflüssig, ihm die Oberhand noch durch gesetzliche Bestimmungen zu sichern, die in keinem anderen Rechtsverhältniß zwischen zwei mündigen und handlungsfähigen Personen Anwendung finden? – Die Ehe ist aber – so wendet man uns weiter ein – nicht wie jeder beliebige andere Vertrag zwischen zwei beliebigen Kontrahenten anzusehen, sie stellt eine Gemeinschaft, eine Einheit mit einem einheitlichen Willen dar. Auch das erkennen wir an, aber wir müssen fragen: Warum repräsentirt denn immer nur der Mann diese Einheit, diese Gemeinschaft? Stellt eine Familie, eine Firma, eine Gemeinde, eine Nation nicht auch eine Einheit in diesem Sinne dar? Und doch bildet die Gleichberechtigung der einzelnen Glieder, Theilhaber, Bürger, Volksangehörigen innerhalb dieser Gemeinschaften die natürliche Voraussetzung, das Fundament derselben. Warum sollte mir die älteste, ehrwürdigste und innigste menschliche Gemeinschaft nothwendig und in alle Ewigkeit auf ungleiches Recht, d. h. auf Ungerechtigkeit gegründet sein? Der ehedem beliebte Hinweis auf die Natur, die das eine Geschlecht zum Herrschen, das andere zum Dienen bestimmte, dürfte schließlich auch auf die naivsten Gemüther seine Wirkung verfehlen. Das bekannte, sträflich oft mißbrauchte Göthe’sche Citat hat auch einen Nachsatz, der leider meist vergessen wird: „Denn durch dienen allein gelangt sie endlich zur Herrschaft, zu der verdienten Gewalt, die ihr im Hause gehöret.“ Wenn viele Frauen trotz ihrer gesetzlichen Gehorsamspflicht diese „verdiente Gewalt“ voll bewußt auszuüben verstanden und verstehen, wenn einem verbürgten Gerichte nach, manche sogar einen zu weitgehenden Gebrauch davon machen, so spricht das gewiß nicht zu Gunsten dieses Gesetzes, es beweist nur, daß die Natur sich durch willkürliche Menschensatzungen, und wären sie noch so alt, nicht knebeln (9) läßt, und daß die individuelle Eigenart generelle Vorurtheile stets Lügen gestraft hat und strafen wird. Dies erkennen sogar die wärmsten Vertheidiger des neuen Gesetzbuches unbewußt an, indem sie selbst zugeben, daß sich die persönlichen Beziehungen der Ehegatten, eigentlich überhaupt nicht gesetzlich regeln lassen, daß also alle diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen immer mehr oder weniger in der Luft hängen werden. Ja, warum läßt man sie dann nicht ruhig da hängen – warum schreibt man solche, zugestandenermaßen überflüssige Gesetze, durch welche Ansehen und Würde der Frauen so schwer beeinträchtigt werden, so sorgfältig auf? Wir sind zu der Frage umsomehr berechtigt, als man uns außerdem bei jeder Gelegenheit die beruhigende Versicherung giebt – die nur leider ihren Zweck vollkommen verfehlt – daß der Gesetzgeber nicht die glücklichen Ehen, die sich von selber
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regeln, sondern die unglücklichen im Auge gehabt habe, daß er ferner von der Voraussetzung ausgegangen sei, die Volksmehrheit stehe ja doch über dem Gesetz. Wir halten diese Voraussetzung, die jedenfalls unendlich viel schmeichelhafter für das Volk, wie für das Gesetz ist, vorläufig für falsch. Sie steht übrigens auch mit der sehr wenig schmeichelhaften Behauptung, das neue Familienrecht entspräche dem Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes, im schroffsten Widerspruch. Aber gesetzt, sie träfen zu – beweist man dann mit dieser weitgehenden eheherrlichen Machtbefugniß nicht gerade jenen Männern – unter „Volk“ versteht man offiziell immer nur Männer! – also jenen Männern, die noch auf dem Niveau des Gesetzes oder gar unter demselben stehen, eine Rücksicht, die sie am wenigsten verdienen? Und straft man dadurch nicht unverdient gerade jene Ehefrauen am härtesten, die in einer an sich schon unglücklichen Ehe am ersten eines gesetzlichen Schutzes vor Willkür und Brutalität bedürften? Wenn in diesem Titel das Prinzip der Unterordnung der Ehefrau vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck kommt, so ist für das praktische Leben das eheliche Güterrecht jedenfalls von weit größerer, von verhängnißvollster Bedeutung. Der erste, grundlegende Paragraph desselben lautet: Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten (10) Gut gehört auch das Vermögen, welches die Frau während der Ehe erwirbt.“ Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte hier eingeschaltet werden, daß damit nur Erwerb durch Schenkung oder Erbschaft gemeint ist. An dem, was die Frau in der Ehe mit ihrer Arbeit im Geschäft des Mannes erwirbt, hat sie nicht den geringsten Antheil; was sie dagegen durch ihre selbstständige Arbeit erwirbt, gehört ihr zu freier Verfügung als sogen. Vorbehaltsgut. Es ist dies die einzige wirkliche Errungenschaft für das weibliche Geschlecht, deren Bedeutung aber dadurch wesentlich beeinträchtigt wird, daß der Mann kraft seines eheherrlichen Rechts diesen Erwerb verbieten oder seine früher gegebene Zustimmung wieder zurücknehmen kann. Dieselben Argumente, welche die Nothwendigkeit des Mundiums beweisen sollen, werden auch für das gesetzliche Güterrecht geltend gemacht – mit noch geringerer innerer und äußerer Berechtigung. Die wirthschaftliche Abhängigkeit der Frau in der Ehe müßte ihre sociale und moralische Abhängigkeit nach sich ziehen, auch wenn dieselbe im Gehorsamsrecht des Mannes nicht ausdrücklich festgelegt wäre. Daß durch die Preisgabe ihres Eigenthums auch die Frau selber unter Umständen der Willkür eines habsüchtigen, rohen, gewissenlosen Gatten preisgegeben wird, ist an sich so selbstverständlich, wird im täglichen Leben durch die Erfahrung so tausendfältig bestätigt, daß es völlig unbegreiflich erscheint, wie gerade hier der bekannte Schutz-Standpunkt eine so hervorragende Rolle spielt. Zunächst soll – so heißt es – durch das Gesetz, welches den Mann in den Besitz des eheweiblichen Vermögens setzt, dies Vermögen vor Mißwirtschaft und Verschwendung der Frau (die zur Verwaltung ihres Eigenthums im allgemeinen noch nicht reif erscheint) geschützt werden. Angenommen – nicht zugegeben, denn die Erfahrung lehrt, daß die Frau, da ihr geringere Erwerbsfähigkeit gegeben ist, in der Regel haushälterischer, weniger zur Verschwendung geneigt ist, als der Mann – angenommen aber, dieser Schutz wäre nothwendig: welcher Grausamkeit
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machten sich dann die Gesetzgeber gegen die armen Unverheiratheten und Witwen schuldig, die allein und ganz auf sich selbst gestellt, des Schutzes der Gesetze doch am allerbedürftigsten wären – (11) wenn sie dieselben als freie Menschen frei über ihr Eigenthum verfügen lassen, also ungehindert ihrem sicheren Verderben überliefern? Diese Frage wird wohl immer eine ungelöste bleiben. Auf eine andere, die ebenso nahe liegt – nach den Garantieen, die der Frau gegen etwaige unverständige, leichtsinnige oder unredliche Verwaltung des Mannes geboten sind – die doch immerhin im Bereich der Möglichkeit liegt, – giebt das Gesetz eine, allerdings nur für den Uneingeweihten befriedigende Antwort. Wie bei Mißbrauch des ehemännlichen Entscheidungsrechtes steht es der Frau auch in diesem Falle frei, gegen den Mann gerichtlich einzuschreiten und Sicherheitsleistung zu verlangen, wenn „die Besorgniß begründet ist, daß ihre Rechte in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährdenden Weise verletzt werden“ (§ 1391). Wann wird und kann aber dem Richter diese Befürchtung einer erheblichen Gefährdung nur begründet erscheinen? – Doch sicherlich erst dann, wenn ein großer Theil des eheweiblichen Vermögens, oder das ganze schon verloren ist, und eher wird die Frau sich auch wohl kaum zu einer Klage entschließen können. Dies ist der vielgerühmte, in Wahrheit äußerst fragwürdige Schutz der Frau durch das Gesetz. Es giebt aber auch einen wirksameren, einen Schutz vor dem Gesetz durch Ehevertrag, welcher ihr das volle Verfügungsrecht über ihr Eigenthum sichert. Auf dies vortreffliche Auskunftsmittel weisen die Gesetzgeber selber mit Vorliebe hin – und fällen damit ein schärferes, vernichtendes Urtheil über das gesetzliche Güterrecht, als die engagirteste Frauenrechtlerin jemals gethan hat. Auch der Harmloseste muß sich fragen: Warum denn erst ein Gesetz schaffen, vor dem sich zu schützen man dem Einzelnen selber rathen muß? – Zudem widerstreben derartige Ausnahmeverträge nicht nur dem sittlichen Begriff und Wesen der Ehe, sondern auch dem deutschen Volksempfinden, vor allem aber dem weiblichen Zartgefühl ganz und gar. Eine Frau wird sich nur selten entschließen können, dem geliebten Mann durch die Forderung eines Ehevertrages ein persönliches Mißtrauen zu beweisen, auch wenn noch so häufige Erfahrungen an Anderen ihr die traurigsten Folgen allzugroßer Vertrauensseligkeit nahe gerückt haben. Dies (12) Zartgefühl, dies gegenseitige Vertrauen, das höchste Gut einer Ehe, zu schonen, zu bewahren, damit den sittlichen Charakter der Ehe zu heben, müßte die Aufgabe eines wirklich zeitgemäßen, den modernen sittlichen Anschauungen entsprechenden Gesetzes sein, nachdem die bisherigen Systeme die Ehe immer mehr zu einem beliebten Erwerbsgeschäft für den Mann erniedrigt, die Geldheirathen immer mehr begünstigt haben. Alle neueren ausländischen Gesetzgebungen tragen diesem höheren Kulturstandpunkt Rechnung, Die vollständige Gütertrennung ist in den Vereinigten Staaten, in England, Skandinavien, Ungarn, z. Th. Österreich, und schon unter Kaiserin Elisabeth in Rußland als gesetzliches Güterrecht eingeführt, und es haben sich keinerlei Unzulänglichkeiten, keinerlei Störungen des Familienlebens daraus ergeben. Es ist ein bedenkliches Armuthszeugniß, was man der deutschen Frau – und dem deutschen Mann ausstellt, wenn man sie beiderseits für diesen höheren Kulturzustand noch nicht reif erklärt, und unseres Erachtens müßten nicht nur die wirtschaftlich und moralisch direkt geschädigten Frauen, sondern auch die Männer gegen ein System protestiren, welches zwar zur Aufrechterhaltung ihrer Würde als
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Familienoberhaupt gegeben, diese Würde in Wahrheit nur beeinträchtigt, indem es ihnen durch Gesetzeszwang überliefert, was jeder rechtliche und vernünftige Mann doch viel lieber dem Vertrauen und der freiwilligen Entschließung seiner Gattin verdanken wird. Gerade sie müßten protestiren gegen ein System, das böswilliger Auslegung so weiten Spielraum bietet, und unter Umständen auch die reinste, selbstloseste Neigung im Lichte der Mitgiftjägerei erscheinen läßt. Gegen die Forderung der elterlichen Gewalt für die Mutter wird zunächst immer der Einwand geltend gemacht, daß ihr diese ja bereits zuerkannt wäre, indem die „väterliche“ Gewalt der bisherigen Gesetzgebungen in dem neuen Gesetz ausdrücklich in eine „elterliche“ Gewalt umgewandelt worden sei. Wir können den Einwand aber umsoweniger als begründet anerkennen, als wir gerade auf diesen Umstand unsere schwerste Anklage gründen, nämlich die Anklage einer absichtlichen Täuschung um des besseren Klanges willen. Es handelt sich auch bei dieser elterlichen blos (13) um eine väterliche Gewalt, wie bisher, denn auch in den Fällen, wo die Mutter zur Ausübung derselben berechtigt sein soll – übrigens auch nach den bisher geltenden Rechten schon berechtigt war – also, wenn der Vater tot ist, wenn seine Gewalt wegen Abwesenheit oder Entmündigung ruht, oder er sie durch verbrecherische Handlungen verwirkt hat und die Frau deshalb von ihm geschieden ist – auch in allen diesen Fällen tritt sie nicht eigentlich in gesetzlich anerkannte mütterliche Rechte, sondern offenbar nur als Stellvertreterin des Vater in dessen Rechte ein. Dies geht schon daraus hervor, daß im Falle des Fortbestandes der Ehe, bei den obigen Voraussetzungen nicht die Mutter, sondern ein vom Gericht zu ernennender Pfleger die elterliche Gewalt erhält (um die Autorität des entmündigten oder verbrecherischen Vaters nicht zu Gunsten der Mutter zu beeinträchtigen). Der Vater selbst aber behält seine väterliche Gewalt in vollem Umfang auch dann, wenn er bei einer Ehescheidung als der schuldige Theil erklärt und der Mutter die alleinige Sorge für die Kinder übertragen wurde. Es ist eigentlich kaum zu begreifen, daß selbst auf seinem anerkannt ureigensten Gebiet, demjenigen, auf welches es eine rückständige, primitive Anschauung sogar für ewige Zeiten beschränken möchte, das weibliche Geschlecht in einer so untergeordneten Stellung festgehalten werden soll. Welch’ ein Widerspruch liegt darin, die Frau immer und immer auf ihre sogenannte einzige Bestimmung, ihren Mutterberuf und Gattungszweck zu verweisen, wenn sie ihrer Individualität, ihrem Selbstzweck Rechnung tragen will – und sie dann gerade in diesem Gattungsberuf so beschämend tief einzuschätzen! Dadurch, daß der Mutter zwar die Wartung und Pflege, aber kein entscheidender, ja neben dem Vater überhaupt kein gesetzlicher Einfluß auf die Erziehung ihres Kindes, seinen Bildungsgang, seine Berufswahl ec. zugestanden wird, erkennen die Gesetzgeber offenbar nur die körperliche, nicht aber die Mutterschaft des Weibes in einem höheren, ethischen Sinne an. Daß unter normalen Verhältnissen der Buchstabe des Gesetzes ein toter Buchstabe bleibt, daß in einer friedlichen, harmonischen Ehe diese Bestimmungen stets wirkungslos sein werden, daß das Kind, das sie geboren und erzogen hat, der Mutter sogar meist (14) näher steht, daher auch ihr Einfluß den des Vaters meist überwiegt – das alles wissen wir sehr wohl. Aber die Thatsache, daß es im Widerspruch mit den natürlichen menschlichen Verhältnissen und Anschauungen steht, spricht wohl ebensowenig für dies Gesetz, wie die nur allzuhäufige Erfahrung, daß es in der Hand eines bösartigen, herrschsüchtigen, lasterhaften Gatten und Vaters zur furchtbarsten Waffe gerade gegen die pflichtgetreueste, aufopferndste Mutter
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werden kann. Und hier kann nicht einmal der tote Buchstabe auf einen Schutz gegen Mißbrauch der väterlichen Gewalt hinweisen. Auch hier soll es wegen etwa zu gewärtigender Meinungsverschiedenheit der Ehegatten nicht angehen, beiden Eltern zugleich die elterliche Gewalt zu gewähren – ein Wille, so heißt es, müsse ausschlaggebend sein. Die Frage, warum das unter allen Umständen der Wille des Vaters sein muß, wird auch hier solange eine müßige bleiben, solange ausschließlich der Mann und Vater an der Gesetzgebung betheiligt ist, und solange wird auch der für den einfachen Frauen- und Mutterverstand naheliegende, natürliche Ausweg – bei Meinungsverschiedenheiten dem Vater das Entscheidungsrecht über die Söhne, der Mutter über die Töchter zu gewähren, nur einem spöttischen Achselzucken begegnen. Noch ein Wort, nur ein kurzes über die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder, durch welche diese zwar direkt weit mehr als die Mütter geschädigt erscheinen, die aber als logische Consequenz und neue gesetzliche Sanktionirung unserer landläufigen doppelten Moral auch für unser Geschlecht von schwerwiegendster Bedeutung ist und wie kein anderer Punkt den veralteten und völlig einseitigen Männerstandpunkt des neuen Familienrechts kennzeichnet. Der rasch zu einer traurigen Berühmtheit gelangte ehemalige § 15 des Entwurfes, nach welchem „zwischen dem unehelichen Vater und seinem Kinde keine Verwandtschaft“ bestand, erscheint zwar nach § 1589 dahin modifizirt, daß sie nur „gesetzlich als nicht verwandt zu gelten haben,“ bedeutet aber auch in dieser Form nichts anderes, als daß die gesetzlichen Folgen eines gemeinschaftlichen Verfehlens nach wie vor nur dem einen Theil, und zwar schon durch die natürlichen Consequenzen schwächeren und meist minder schuldigen Theile aufgebürdet werden sollen, daß dem (15) unehelichen Vater der Mutter seines Kindes gegenüber so gut wie keine Verpflichtungen, diesem Kinde gegenüber nur eine nothdürftige, d. h. nach dem Stande der Mutter, nicht nach seinem Stande festgesetzte Unterhaltsleistung bis zum 16. Jahre auferlegt ist. Hier ist es – so belehrt man uns – die Heiligkeit der Ehe, der Familie, die durch die Rechtlosigkeit und gesellschaftliche Ächtung der unehelichen Mutter und des unehelichen Kindes „geschützt“ werden muß – ähnlich, wie man auch die öffentliche Sittlichkeit durch die staatliche Conzessionirung des Lasters zu schützen sucht. Wir meinen, das ist unter allen Umständen ein falscher Weg, auf dem Ehe und Familienleben nur immer mehr untergraben, die allgemeine Unsittlichkeit nur immer mehr gefördert werden muß. Wir meinen, wenn das Gesetz das unschuldige Kind statt des schuldigen Vaters, das Opfer des Verführers statt diesen selbst für seinen Leichtsinn, seine Gewissenlosigkeit verantwortlich macht, so leistet es damit diesem Leichtsinn, dieser Gewissenlosigkeit geradezu Vorschub, und wir meinen, es müßte vor allem die heilige Pflicht aller glücklichen und geachteten Frauen und Mütter sein, und eine unabweisbare Pflicht der echten Weiblichkeit und Frauenwürde, gegen diesen mehr als fragwürdigen „Schutz“ auf Kosten unglücklicher Geschlechtsgenossinnen und unschuldiger, enterbter Kinder zu protestiren.
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In den hier dargelegten Rechtsgebieten ist, wie Sie sehen, eigentlich die ganze Frauenfrage enthalten, die wirthschaftliche, die sociale, die Erziehungs- und Sittlichkeitsfrage – vor allem aber die eine, wichtigste Prinzipienfrage, die allen anderen zu Grunde liegt, auf die es im Grunde einzig und allein ankommt – die Frage nach dem Recht der eigenen Persönlichkeit, nach dem Recht der freien Selbstbestimmung. Wird diese Frage im Prinzip bejaht, so werden damit alle Einwände gegen die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes im allgemeinen, gegen die Selbstständigkeit der Ehefrau im besonderen hinfällig. Da sie heute schon bejaht wird, so ist es eine Inconsequenz der Gesetzgebung, wenn sie an der Abhängigkeitsstellung der Frau in der Ehe festhält. Wir denken zu gut von dem deutschen Manne, um diese Inconsequenz lediglich auf seine Selbstherrlichkeit, seinen Egoismus zu (16) schieben. Wir glauben vielmehr, daß es nur die Tradition, das langgewohnte Schema ist, von dem sich gerade die Maßgebenden – die Zünftigen, wenn ich so sagen darf, – bekanntlich so schwer losmachen können. Gegen Egoismus kämpft man vergebens an, überlebte Traditionen, veraltete Anschauungen aber kann man zerstören. Das, verehrte Mitschwestern, ist in diesem Falle unsere dringendste Aufgabe; wir Frauen sind die Nächsten dazu, wo es sich um unser Wohl und Wehe handelt – um unserer selbst, um all’ der neuen Aufgaben willen, die unsere Zeit an uns gestellt hat. Wenn wir ernstlich wollen, wenn wir immer, bei jeder Gelegenheit, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln für unser gutes Recht eintreten, so wird es uns endlich auch gelingen, die Gesetzgeber von diesem Recht zu überzeugen, und die Scheu und Ehrfurcht vor veralteten Institutionen mit der ebenso alten Wahrheit zu überwinden: Tausend Jahre Unrecht sind noch keine Stunde Recht.
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Marie Stritt: Rechtsschutz für Frauen, 1901
STRITT, Marie: Rechtsschutz für Frauen, in: Lange, Helene/Bäumer, Gertrud (Hrsg.): Handbuch der Frauenbewegung. 2. Teil: Frauenbewegung und soziale Frauenthätigkeit in Deutschland nach Einzelgebieten, Berlin 1901, S. 123-133 Kommentar: Marie Stritt blickt auf die ersten Jahre der Rechtsschutzvereine für Frauen in Deutschland zurück, die ausgehend von der ersten Vereinsgründung in Dresden 1894 inzwischen in vielen deutschen Städten entstanden sind; vgl. zur Geschichte der Rechtsschutzvereine für Frauen auch Geisel, Beatrix: Klasse, Geschlecht und Recht. Vergleichende sozialhistorische Untersuchung der Rechtsberatungspraxis von Frauen- und Arbeiterbewegung (1894-1933), 1997. Der Dresdener Verein hat seit seiner Gründung jährlich konstant etwa 600-1000 Besuche rechtssuchender Frauen aus allen Ständen, mehrheitlich aber aus der Arbeiterklasse. Die Beratung wird überwiegend durch weibliche Vereinsmitglieder, nicht durch professionelle Juristen, vorgenommen. In der Praxis überwiegen familienrechtliche und arbeitsrechtliche Fälle. Im Jahr 1900 hat Marie Raschke in Berlin eine Centralstelle für Rechtsschutz gegründet (S. 132).
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In den hier dargelegten Rechtsgebieten ist, wie Sie sehen, eigentlich die ganze Frauenfrage enthalten, die wirthschaftliche, die sociale, die Erziehungs- und Sittlichkeitsfrage – vor allem aber die eine, wichtigste Prinzipienfrage, die allen anderen zu Grunde liegt, auf die es im Grunde einzig und allein ankommt – die Frage nach dem Recht der eigenen Persönlichkeit, nach dem Recht der freien Selbstbestimmung. Wird diese Frage im Prinzip bejaht, so werden damit alle Einwände gegen die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes im allgemeinen, gegen die Selbstständigkeit der Ehefrau im besonderen hinfällig. Da sie heute schon bejaht wird, so ist es eine Inconsequenz der Gesetzgebung, wenn sie an der Abhängigkeitsstellung der Frau in der Ehe festhält. Wir denken zu gut von dem deutschen Manne, um diese Inconsequenz lediglich auf seine Selbstherrlichkeit, seinen Egoismus zu (16) schieben. Wir glauben vielmehr, daß es nur die Tradition, das langgewohnte Schema ist, von dem sich gerade die Maßgebenden – die Zünftigen, wenn ich so sagen darf, – bekanntlich so schwer losmachen können. Gegen Egoismus kämpft man vergebens an, überlebte Traditionen, veraltete Anschauungen aber kann man zerstören. Das, verehrte Mitschwestern, ist in diesem Falle unsere dringendste Aufgabe; wir Frauen sind die Nächsten dazu, wo es sich um unser Wohl und Wehe handelt – um unserer selbst, um all’ der neuen Aufgaben willen, die unsere Zeit an uns gestellt hat. Wenn wir ernstlich wollen, wenn wir immer, bei jeder Gelegenheit, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln für unser gutes Recht eintreten, so wird es uns endlich auch gelingen, die Gesetzgeber von diesem Recht zu überzeugen, und die Scheu und Ehrfurcht vor veralteten Institutionen mit der ebenso alten Wahrheit zu überwinden: Tausend Jahre Unrecht sind noch keine Stunde Recht.
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Marie Stritt: Rechtsschutz für Frauen, 1901
STRITT, Marie: Rechtsschutz für Frauen, in: Lange, Helene/Bäumer, Gertrud (Hrsg.): Handbuch der Frauenbewegung. 2. Teil: Frauenbewegung und soziale Frauenthätigkeit in Deutschland nach Einzelgebieten, Berlin 1901, S. 123-133 Kommentar: Marie Stritt blickt auf die ersten Jahre der Rechtsschutzvereine für Frauen in Deutschland zurück, die ausgehend von der ersten Vereinsgründung in Dresden 1894 inzwischen in vielen deutschen Städten entstanden sind; vgl. zur Geschichte der Rechtsschutzvereine für Frauen auch Geisel, Beatrix: Klasse, Geschlecht und Recht. Vergleichende sozialhistorische Untersuchung der Rechtsberatungspraxis von Frauen- und Arbeiterbewegung (1894-1933), 1997. Der Dresdener Verein hat seit seiner Gründung jährlich konstant etwa 600-1000 Besuche rechtssuchender Frauen aus allen Ständen, mehrheitlich aber aus der Arbeiterklasse. Die Beratung wird überwiegend durch weibliche Vereinsmitglieder, nicht durch professionelle Juristen, vorgenommen. In der Praxis überwiegen familienrechtliche und arbeitsrechtliche Fälle. Im Jahr 1900 hat Marie Raschke in Berlin eine Centralstelle für Rechtsschutz gegründet (S. 132).
Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht
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Rechtsschutz für Frauen von Marie Stritt
(123) Durch Gründung von Rechtsschutzvereinen bezw. durch Angliederung von Rechtsschutzstellen für Frauen an bereits bestehende, gemeinnützig oder propagandistisch wirkende Frauenvereine hat sich die deutsche Frauenbewegung im letzten Jahrzehnt ein neues, ausserordentlich wichtiges Gebiet sozialer Thätigkeit erschlossen. Die erste Anregung dazu gab der im Januar 1894 gegründete, aus der ersten Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins herausgewachsene Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, dessen Gründerinnen, Frau Adele Gamper und Frau Marie Stritt, ihrerseits die Anregung von der ersten deutschen Juristin Dr. Emilie Kempin gelegentlich eines in Dresden gehaltenen Vortragscyklus über die Rechtsstellung der Frau erhielten. Der Dresdener Verein, der ausserdem noch eine umfassende, allgemein propagandistische Thätigkeit im Interesse der wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und geistig-sittlichen Hebung und Förderung des weiblichen Geschlechtes entwickelt, ist seither in Bezug auf seine spezielle praktische Thätigkeit zahlreichen gleichstrebenden Frauenvereinen in andern Städten vorbildlich geworden. Damit und mit der Thatsache seiner eigenen stetigen und erfreulichen Entwickelung ist der Beweis erbracht, dass er einem dringenden sozialen Bedürfnis Rechnung trug, als er die erste Rechtsschutzstelle einrichtete, in der „Frauen und Mädchen aller Stände Gelegenheit geboten wird, sich in Rechtsfällen unentgeltlich Rat zu holen.“ Ein derartiges Bedürfnis ist auch anderweitig längst erkannt worden, und es sind neben zahlreichen gemeinnützigen und Wohlthätigkeitsvereinen vor allem die Berufsgenossenschaften, die (124) ihm – so lange eine allgemeine unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsbelehrung noch nicht durchführbar sind – dadurch Rechnung zu tragen suchen, dass sie ihren Mitgliedern diese Rechtsbelehrung und eventuell auch Rechtsbeistand unentgeltlich oder gegen ein geringes Entgelt gewähren. Auch grössere Tages- und Lokalblätter richten bekanntlich derartige Briefkasten und Auskunftsstellen für ihre Abonnenten ein. Doch sind diese Unternehmungen auf ganz andern Voraussetzungen basiert und haben im Grunde sowohl in Bezug auf die leitenden Ideen wie auf die Ausführung mit der Frauenrechtsschutzbewegung wenig gemein. Sie sind lediglich im Hinblick auf den augenblicklichen praktischen Vorteil der betreffenden Klienten, Mitglieder und Abonnenten ins Leben gerufen, während die Frauenrechtsschutzstellen, trotzdem sie den Rechtsschutz ausschliesslich auf Frauen beschränken, dabei doch von höheren und weiteren Gesichtspunkten ausgehen. Welches diese Gesichtspunkte sind und welche Momente bei der Durchführung des Unternehmens vor allem in Betracht kommen mussten, erhellt aus einem kurzen Überblick über die praktische Thätigkeit. Der Dresdener Verein, der ohne Vorbild sich erst nach und nach die Wege suchen musste und ausser den Beiträgen seiner Mitglieder keine Mittel besass, begann damit, sich die Unterstützung zweier Rechtsanwälte zu sichern, von denen sich der eine auf die an ihn gerichtete Aufforderung unentgeltlich zur Verfügung stellte, der andre dem Verein seine Dienste unaufgefordert anbot. Es möchte hier übrigens gleich auf die sowohl in Dresden wie auch anderwärts gemachte Erfahrung hingewiesen werden, dass eine unentgeltliche Inanspruchnahme der Rechtsanwälte sich aus verschiedenen Gründen weniger empfiehlt, als eine entsprechende Honorierung der Konsultationen, die sich als das nicht nur prinzi-
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piell, sondern auch praktisch Richtigere erwiesen hat. Die praktische Vereinsthätigkeit wurde in der Weise geregelt, dass an zwei Abenden der Woche von 6 – 8 Uhr in einem von einem Vorstandsmitgliede zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Lokal, bestehend aus Sprechzimmer und Warteraum, in günstiger mittlerer Lage der Stadt die Sprechstunden eingerichtet wurden, nachdem die Eröffnung durch Anzeigen in den Tagesblättern, die seither allmonatlich wiederholt wurden, bekannt gemacht war. Dies System der Centralisierung hat sich gegenüber der an einigen Orten anfänglich geübten Praxis, wöchentliche Sprechstunden bei verschiedenen Vorstandsmitgliedern in deren Privatwohnung abzuhalten, als das in jeder Beziehung vorzuziehende erwiesen. (125) Ausnahmen bilden nur die Rechtsschutzstellen von Vereinen in Weltstädten wie Berlin und Wien, von denen später noch die Rede sein wird. Die Beschaffung eines eigenen Lokals ist im Interesse der Selbständigkeit eines solchen Unternehmens jedenfalls sehr wünschenswert, aber wohl nur Vereinen, die eigenes Vermögen besitzen, möglich. In vielen Städten wurden den Vereinen Schulräume oder Lokale andrer gemeinnütziger Vereine unentgeltlich oder gegen ein geringes Entgelt überlassen. Den Sprechstundendienst, der mit der erhöhten Frequenz entsprechend erhöhte Anforderungen stellt und sich häufig um eine halbe oder auch eine ganze Stunde verlängert, versehen abwechselnd sechs, gewöhnlich je drei Damen, Vereinsmitglieder, die sich für diese Thätigkeit zur Verfügung stellten. Sie erledigt sich ungefähr in folgender Weise: Die jeweilige Leiterin lässt sich den Fall vortragen und giebt die nötige Auskunft, eine andre Dame führt das Register, in dem die Fälle nach fortlaufenden und Tagesnummern, nach Datum, Namen, Stand, Adresse, Art und Auskunftserteilung (resp. Überweisung an den Anwalt oder direkte Intervention durch den Verein) eingetragen werden, und die dritte macht die erforderlichen Notizen, entweder für den Rechtsanwalt, der dem Verein in den schwierigeren und komplizierteren Fällen zur Seite steht, oder für die erwähnte direkte persönliche oder schriftliche Intervention bei der gegnerischen Partei oder bei den Behörden. Es mag hier gleich erwähnt werden, dass durch diese direkte Intervention, die selbstverständlich hauptsächlich in den einfacheren Fällen von Lohn- und Mietstreitigkeiten, Schuldforderungen und dergleichen, aber auch hie und da in den schwierigeren der Eintreibung von Alimentationsbeiträgen und dergleichen erfolgt, verhältnismässig die günstigsten Resultate erzielt werden, vorausgesetzt, dass die Erledigung geeigneten Persönlichkeiten obliegt, die mit der notwendigen Sicherheit den notwendigen Takt verbinden. Über die vom Verein zur Erledigung übernommenen besonderen Fälle (in den meisten handelt es sich blos um einmaligen Rat oder Auskunft) und über die weitere Entwickelung derselben wird ausserdem noch ein ausführliches Protokoll geführt. Der Dresdener Rechtsschutzverein erreichte bereits im ersten Jahre seines Bestehens eine Besuchsziffer von 628 (553 Fälle) und im zweiten eine solche von 930 (740 Fälle), und diese hat sich seither mit geringen Schwankungen auf der gleichen Höhe erhalten, trotzdem in dem letzten Jahre noch verschiedene andre gemeinnützige Vereine daselbst Rechtsschutzstellen errichtet haben. (126) Im Durchschnitt kommen also auf die Sprechstunde etwa 8–9 Besucherinnen, die sich aus allen Ständen rekrutieren, wenn auch naturgemäss die Frauen der unbemittelten Stände und der Arbeiterklasse in der grossen Mehrheit vertreten sind. Nach ihrer Art lassen sich die Fälle prozentual durchschnittlich wie folgt einteilen: Ehestreitigkeiten, bezw. Fälle, die aus dem Eherecht resultieren – 24 %; Alimenta-
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tionsforderungen für uneheliche Kinder und Entschädigungsansprüche der unehelichen Mütter – 8,5 %; Testaments- und Erbschaftsangelegenheiten – 7 %; Schuldforderungen – 16,5 %; Lohnstreitigkeiten und sonstige Differenzen zwischen Dienstherrschaften und Dienenden, Arbeitgebern und Arbeiterinnen – 8 %; Mietsangelegenheiten – 13 %; Beleidigungen, thätliche und mündliche – 5,5 %; Vermögens- und Hypothekenangelegenheiten, Käufe und Verkäufe etc. – 2,5 %; Versicherungen, Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung – 1 %; vermischte Fälle – 12 %; Anfertigung von Kontrakten, Gesuchen etc. – 2 %. Es liegt in der Natur der Sache und der Verhältnisse, dass es sich bei der Rechtsschutzthätigkeit nicht darum handeln kann – und auch bei den reichsten zur Verfügung stehenden Mitteln nur ausnahmsweise darum handeln wird –, langwierige und kostspielige Prozesse für die Klienten zu führen. Abgesehen von der weitaus überwiegenden Mehrheit der Fälle, in denen es überhaupt nur auf einmalige Auskunftserteilung ankommt, besteht vielmehr diese Thätigkeit hauptsächlich darin, Prozesse zu verhindern, sowohl durch die erwähnte persönliche oder schriftliche Intervention, wie durch den Beistand des Rechtsanwaltes, der Unbemittelten natürlich unentgeltlich geleistet werden muss, d. h. für dessen Kosten event. der betreffende Verein aufzukommen hat – Streitigkeiten zu schlichten, mündliche und schriftliche Vergleiche zu stande zu bringen, Vertretungen bei Terminen zu übernehmen, Eingaben und Gesuche für die Klientinnen einzureichen, ihnen bei Abfassung von Testamenten, Verträgen etc. behilflich zu sein u. s. w. Es mag für Fernstehende auf den ersten Blick befremdend, sogar bedenklich erscheinen, dass die Sprechstunden nicht durch einen Fachjuristen abgehalten werden, dass der Anwalt von Anfang an nur in einzelnen und von Jahr zu Jahr in immer selteneren Fällen zu Rate gezogen wird, und dass er nur, wo es unumgänglich notwendig erscheint, mit den Parteien direkt verhandelt. Diese Einrichtung hat sich aber nicht nur als die richtigere und praktischere gegenüber der anfänglich geübten Gepflogenheit, einzelne Klientinnen mit einer Legitimation an den Anwalt zu verweisen, bewährt – (127) die Gründerinnen des ersten Rechtsschutzes für Frauen legten auch von vornherein aus praktischen und ethischen Gründen das Hauptgewicht grade auf den unmittelbaren Verkehr mit den ihre Hilfe begehrenden Geschlechtsgenossinnen. Zunächst sind, wie die Erfahrung sehr bald lehrte, bei den meisten in den Sprechstunden vorkommenden Fällen fachjuristische Kenntnisse nicht unbedingt und keineswegs in erster Linie erforderlich. Der gesunde Menschenverstand, der weitere Horizont, das Übergewicht ihrer höheren Bildung und ihrer grösseren gesellschaftlichen Freiheit, die durch fleissiges Selbststudium erworbene Gesetzeskenntnis und die reiche praktische Erfahrung der dienstthuenden Frauen genügen meistens, um sich der oft ganz unglaublichen Unwissenheit und Hilflosigkeit der Geschlechtsgenossinnen aller Stände in Bezug auf die einfachsten Rechtsverhältnisse und Rechtsanwendungen hilfreich zu erweisen. Wo aber die Zuziehung des Anwaltes sich als notwendig erweist, werden durch ihre Vermittlung dem letzteren sehr viel Zeit und Mühe und dadurch dem Verein bedeutende Kosten erspart. Die gebildeten und in dieser Thätigkeit praktisch geschulten Frauen, die genau wissen, auf welche Punkte es ankommt, vermögen ihm in einer Konsultation eine ganze Reihe von Fällen gewöhnlich in kürzerer Zeit darzulegen, als eine einzige, durch die ungewohnte Situation verschüchterte oder zu einer aufgeregten Beredtsamkeit veranlasste Klientin für ihren einzigen Fall bedürfte. Der eigenen Ge-
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schlechtsgenossin gegenüber, bei der sie naturgemäss mehr Verständnis und ein persönliches Mitempfinden für ihre Lage voraussetzen kann, ist diese Scheu und Aufregung lange nicht so gross, an ihre Stelle tritt vielmehr – auch dort, wo es anfangs noch fehlte – sehr bald ein volles, rückhaltloses Vertrauen, das die Grundlage eines bisher unter den Frauen noch seltenen – weil nie geweckten und gepflegten – Solidaritätsbewusstseins, und somit ein ausserordentlich wichtiges erzieherisches Moment für die Hilfesuchenden wie für die Helferinnen bildet. Auch den letzteren wird es grade durch diese Thätigkeit immer mehr zum Bewusstsein gebracht, dass es sich dabei nicht um ein modernes Wohlthätigkeitsunternehmen, sondern um ernste soziale Pflichten handelt, die sie als Frauen an Frauen zu erfüllen haben. Alle diese praktischen und ethischen Vorteile müssen bei einer einfachen Zuweisung der Klientinnen an den Anwalt mehr oder weniger in Wegfall kommen. Vor allem aber würde den auf diesem Gebiete arbeitenden Frauen dadurch die Gelegenheit genommen, (128) die gründlichen Einblicke in das moderne Frauenleben aller Stände zu thun, zur richtigen Kenntnis und zu einem Überblick der wirklichen Verhältnisse zu gelangen, die die einzig sicheren und verlässlichen Wegweiser für alle Reformbestrebungen bilden. Die Rechtsschutzthätigkeit bietet nach dieser Richtung reichste Gelegenheit und ein unerschöpfliches Material, wodurch ihre grosse Bedeutung auch für alle andern Gebiete der Frauenbewegung am besten erhärtet wird. Die dabei in erster Linie in Betracht kommen, sind das Erziehungs- und das Rechtsgebiet. Welche verhängnisvollen Folgen durch die allgemeine Unwissenheit der Frauen in Bezug auf ihre staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten und ihre gesetzlichen Beschränkungen, und durch die in ihrer ganzen Erziehung sorgfältig erhaltene und gepflegte blinde Vertrauensseligkeit über sie selbst und über die Ihren heraufbeschworen werden – das zeigt sich in den Sprechstunden der Rechtsschutzstellen oft mit erschreckender Deutlichkeit. Die Fälle, in denen fleissige und brave Mädchen – und diese am häufigsten! – ihr Lebensglück und ihre kleinen Ersparnisse einem Taugenichts anvertrauten, um – wenn er als gesetzlich dazu berechtigter Ernährer der Seinen den letzten Pfennig davon verbraucht hat – im Elend verlassen zu werden, diese Fälle sind ebenso typisch wie diejenigen, in denen ein leichtsinnig gegebenes Eheversprechen als gesetzlich bindend angesehen und die Veranlassung wurde, dass das leichtgläubige Opfer dieser Täuschung der Schande und Verzweiflung anheim fiel. Häufiger als man annehmen sollte, sind aber auch Fälle, in denen Frauen sich zu Leistungen verpflichteten, ohne recht zu wissen, um was es sich dabei für sie handelte, sogar Dokumente unterschrieben, die sie nur flüchtig – oder gar nicht gelesen hatten, und sich dann auf Grund dieser Unkenntnis einer unbequemen Verpflichtung entziehen zu können meinen. Diese Erscheinungen sind vor allem auf Erziehungsmängel, auf die bei der weiblichen Jugend vernachlässigte Schulung der logischen Urteilskraft und auf eine systematisch genährte Unselbständigkeit, geistige Abhängigkeit und Hilflosigkeit zurückzuführen. Sie werden nur durch eine entsprechende Ergänzung der Mädchenerziehung im allgemeinen, die auch den Bedingungen und Bedürfnissen des realen Lebens Rechnung trägt und die Erscheinungen und Verhältnisse im richtigen Lichte zeigt, und durch die Einführung von Gesetzeskunde als Unterrichtsgegenstand auf den höheren Stufen und in Fortbildungsschulen im besonderen, beseitigt werden. (129) Dass es sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen besonders für die verheirate-
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ten Frauen nicht allein darum handelt, sich durch die Gesetze vor Unrecht und Willkür, sondern häufig auch darum, sich vor den Gesetzen und ihren Konsequenzen nach Möglichkeit zu schützen, hat die Rechtsschutzthätigkeit ebenfalls allerorten dargethan, und darin beruht jedenfalls ihre grösste Bedeutung, die hohe Bedeutung, die sie für die rechtliche Seite der Frauenfrage und für die Rechtsbewegung gewonnen hat. Die aus einem Überaus reichhaltigen Thatsachenmaterial gewonnenen Erfahrungen beweisen unwiderleglich, dass die gegenwärtige gesetzliche Stellung der Ehefrau nach keiner Richtung mehr zeitgemäss ist und dass entsprechende Reformen auf diesem Gebiet notwendig und unvermeidlich sind. Die Folgen, die sich für die Frauen selbst und für das gesamte Familienleben aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis in der Ehe unter allen Umständen – jedenfalls viel häufiger, als man gewöhnlich annimmt – ergeben müssen: die Folgen eines gesetzlichen Güterrechtes, das ihr Vermögen dem Ehemann zur ausschliesslichen Verwaltung und Nutzniessung übergiebt; der gesetzlichen Recht- und Machtlosigkeit der Mütter über ihre eigenen Kinder selbst einem leichtsinnigen und lasterhaften Vater gegenüber; die verhängnisvollen und entsittlichenden Folgen erschwerter Ehescheidung und der in der Stellung der unehelichen Mütter und Kinder zum Ausdruck kommenden, auch gesetzlich anerkannten doppelten Moral – alle diese unausbleiblichen Folgen eines nicht auf der Höhe der Zeit stehenden Familienrechtes sind erst durch die Thätigkeit der Rechtsschutzstellen den deutschen Frauen in ihrer ganzen Bedeutung klar geworden. Die an den einzelnen Orten gemachten Erfahrungen laufen, trotz ihrer Verschiedenheit in manchen Punkten, alle darauf hinaus, dass gerade den schlimmsten Fällen gegenüber, wo das Verhältnis der Geschlechter und die Stellung der Frau als Gattin und Mutter in Betracht kommt, der Rechtsschutz für Frauen selten einsetzen und überhaupt erst wirksam werden kann, wenn sie in dieser Eigenschaft vor dem Gesetz keine Ausnahmestellung mehr einnehmen. Wie erwähnt, veranlassten die direkten und indirekten Vorteile und Erfolge für die gesamte Frauenbewegung, die sich in Dresden gezeigt hatten, sehr bald Frauenvereine in andren Städten zu gleichen Unternehmungen. Die meisten sind ziemlich genau nach (130) dem Muster des Dresdener Rechtsschutzvereins eingerichtet, und wurden zum Teil durch Vorträge der dortigen Vorsitzenden195 angeregt und eingeleitet. Es folgte zunächst der Allgemeine deutsche Frauenverein-Leipzig (Frühjahr 1894), dann der Berliner Frauenverein (1895), Verein Frauenwohl-Breslau (1895), der Allgemeine österreichische Frauenverein-Wien (1895), der Berliner Hausfrauenverein (1896), der Verein Frauenwohl-Königsberg (1897), die Ortsgruppe Hamburg des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (1897), die Ortsgruppe Frankfurt a. M. des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (1897, seit 1900 als selbstständiger Rechtsschutzverein konstituiert), der Verein für Fraueninteressen-München (1898), der Frauenbildungsverein-Kiel (1898), die Abteilung Mannheim des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium (1899, seit April 1901 als selbständiger Verein „Rechtsschutzstelle für Frauen“ konstituiert), die Vereine: Frauenwohl-Danzig, Frauenbildungsverein und Ortsgruppe des evangelischen Frauenbundes-Hannover, Auskunftsstelle für Wohlthätigkeit-Bremen, Abteilung Heidelberg des Vereins Frauenbildung-Frauenstudium, Frauenarbeitsschule-Mainz, Ortsgruppe des Allgemeinen deutschen Frauenvereins in Halle (sämtlich 1900), der 195 Frau Marie Stritt.
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Teil 1
Verein erwerbsthätiger Frauen und Mädchen-Bromberg, die Rechtsschutzstelle Köln, der Verein Frauenlesegruppe-Stuttgart, der Rechtsschutzverein-Dessau, Ortsgruppe des Allgemeinen deutschen Frauenvereins in Magdeburg, der Frauenbund-Brünn (sämtlich 1901). In verschiedenen andern Städten sind weitere Gründungen von Rechtsschutzstellen in Aussicht genommen. Mit wenigen Ausnahmen, die allem Anschein nach auf den Mangel einer Centralstelle zurückzuführen sind196, ist die Frequenz im Verhältnis zur Bevölkerung überall eine starke, stetig zunehmende. Obenan steht die älteste Rechtsschutzstelle von Dresden, dann folgen in der Zahl der Fälle Hamburg, Frankfurt a. M., Wien, München, Mannheim, Leipzig u. s. w. Auch die Erfahrungen decken sich im grossen Ganzen mit den oben erwähnten, wenn sich auch, den verschiedenen sozialen Verhältnissen entsprechend, sowohl in Bezug auf die Besucherinnen, wie auf das prozentuale Verhältnis in der Art der Fälle kleine Schwankungen zeigen. Während in den meisten Städten die Zahl der verheirateten Be-(131)sucherinnen grösser ist, sind z. B. in München die ledigen, in selbständigen Berufen thätigen Frauen in der Mehrheit; während in den grossen Städten wie Berlin, Wien, Leipzig, Hamburg (in letzterer Stadt weit über die Hälfte aller Fälle) die aus dem Eheverhältnis und der Alimentationspflicht für uneheliche Kinder resultierenden Fälle die bei weitem häufigsten sind, überwiegen in den Mittelstädten die Lohn- und Mietstreitigkeiten. Auch in Bezug auf die Abhaltung der Sprechstunden und die Inanspruchnahme der Rechtsanwälte weichen die Einrichtungen den lokalen Verhältnissen entsprechend von einander ab. Die meisten Vereine haben zweimal, mehrere nur einmal, einer dreimal wöchentlich und einer täglich stattfindende 2–3 stündige Sprechzeiten, die fast durchgängig auf die späten Nachmittags- oder Abendstunden gelegt wurden, da sich der Vormittag im Hinblick auf die arbeitenden Frauen als ungeeignet erwiesen hat. In Wien wurden zwei Stationen in den Arbeiterbezirken Favoriten und Währing eingerichtet, mit je einer wöchentlichen Sprechzeit; für den Berliner Frauenverein und den Verein Frauenwohl-Breslau haben 14 resp. 3 Vorstandsmitglieder, die den Verkehr mit den Anwälten vermitteln, in ihren Wohnungen wöchentliche, zweimal wöchentliche oder tägliche Sprechstunden eingerichtet. Von verschiedenen Vereinen wird ein höchst erfreuliches und anerkennenswertes Entgegenkommen der Anwälte konstatiert; in Heidelberg erklärte sich sogar der Anwaltsverein aus eigener Initiative zur Unterstützung des Unternehmens bereit, dem Berliner Frauenverein haben sich 26, dem Wiener Verein 19, dem Mannheimer 6 Anwälte zur Verfügung gestellt u. s. w. In den meisten Vereinen ging der Eröffnung der Rechtsschutzstelle ein von einem Juristen gehaltener Vortragscyklus zur Orientierung der dienstthuenden Frauen in der Gesetzeskunde und zur Einführung in die ihnen obliegenden Aufgaben voraus. In mehreren Städten wurde der Rechtsschutzthätigkeit der Frauenvereine auch seitens der Behörden insoweit eine bedeutsame Anerkennung und Förderung zu teil, als ihnen nicht selten von der Polizei, dem Armenamt, dem Amtsgericht Klientinnen zugewiesen werden. Noch bedeutsamer erscheint die besonders in den kleineren und Mittelstädten vielfach wahrgenommene unbewusste Anerkennung 196 Oder, wie z. B. in Berlin, auf die seither erfolgte Begründung zahlreicher Rechts-
schutzstellen für beide Geschlechter durch Korporationen, Parteiverbande, Vereine etc.
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in der öffentlichen Meinung, die sich in einer gewissen Scheu und Furcht vor der weitreichenden Machtbefugnis der Rechtsschutzstellen äussert und häufig bewirkt, dass z. B. auf eine einfache schriftliche Mahnung unter ihrem Stempel (132) Zahlungen eingehen und andere Verpflichtungen eingehalten werden, wo vorher alle direkten Schritte der Klientinnen, zu ihrem Recht zu gelangen, vergeblich waren. Einem mit der wachsenden Erfahrung und Einsicht in die sozialen Verhältnisse immer fühlbarer werdenden Bedürfnis nach einem weiteren Ausbau, einer notwendigen Ergänzung der Rechtsschutzthätigkeit haben die Vereine in Dresden und Hamburg durch Angliederung von Auskunftsstellen für Wohlfahrtsbestrebungen Rechnung getragen, während umgekehrt die Rechtsschutzstelle in Bremen als besonderer Zweig einer allgemeinen Auskunftsstelle ins Leben gerufen wurde. Dass auch diese Einrichtungen sich einer stetig zunehmenden Frequenz erfreuen, ist in der Natur der Sache begründet, da thatsächlich in ungezählten Fällen den Rat- und Hilfesuchenden durch Rechtsbelehrung und Rechtsbeistand nur dann wirklich gedient sein kann, wenn damit eine Belehrung über die Mittel und Wege, durch kommunale oder private Anstalten eine materielle Hilfe in bedrängter Lage zu erlangen, Hand in Hand geht. Dass die zahlreichen Rechtsschutzstellen im Lauf der Zeit immer häufiger in der Lage sind, einander in einzelnen Fällen gegenseitig zu unterstützen, Auskünfte einzuholen, Vertretungen bei Terminen zu übernehmen etc. musste sich aus der sich immer mehr ausbreitenden Thätigkeit von selbst ergeben, hat viel zur Förderung derselben beigetragen und eine wertvolle Verbindung zwischen den auf diesem Gebiet wirkenden Vereinen hergestellt. Diese Verbindung zu festigen und zu stärken, tragen auch die auf den Frauentagen des Bundes deutscher Frauenvereine, des Allgemeinen deutschen Frauenvereins und anderweitig gelegentlich veranstalteten Zusammenkünfte der Leiterinnen von Rechtsschutzstellen bei, die einen unmittelbaren persönlichen Austausch der an den verschiedenen Orten gemachten Erfahrungen vermitteln und wertvolle neue Anregungen geben. Die Verbindung dauernd aufrecht zu erhalten und besonders wichtige und charakteristische Fälle den einzelnen Rechtsschutzstellen zur Kenntnis zu bringen und auch vom rein juristischen Standpunkt zu beleuchten, ist der hauptsächliche Zweck einer im Herbst 1900 von Frl. Dr. jur. Marie Raschke in Berlin gegründeten Centralstelle für Rechtsschutz, der sich bis jetzt 8 Vereine angeschlossen haben. Auf Grund ihrer Erfahrungen und des statistischen Materials, das die jährlichen Berichte der Rechtsschutzstellen enthalten und das zuerst vom Münchener Verein in der gegenwärtig üblichen (133) übersichtlichen Weise nach dem Civilstand der Klientinnen, nach Art der Fälle und nach ihrer Erledigung zusammengestellt wurde, haben in erster Linie die Rechtsschutzstellen Veranlassung genommen, sich an der vom Bunde deutscher Frauenvereine ausgehenden Rechtsbewegung im allgemeinen und an der Agitation für eine möglichst allgemeine Einführung von Eheverträgen bei Eheschliessungen im besondern zu beteiligen. Die Rechtsschutzbewegung ist gegenwärtig in vollem Fluss, wird voraussichtlich in nächster Zeit noch immer weitere Kreise ziehen und bietet nach jeder Richtung die beste Vorschule für eine künftige öffentliche Thätigkeit der deutschen Frauen in der Rechtspflege und in kommunalen Ämtern. (134)
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63.
Teil 1
Marie Stritt: Rechtskämpfe, 1901
STRITT, Marie: Rechtskämpfe, in: Lange, Helene/Bäumer, Gertrud (Hrsg.): Handbuch der Frauenbewegung. 2. Teil: Frauenbewegung und soziale Frauenthätigkeit in Deutschland nach Einzelgebieten, Berlin 1901, S. 134-153 Kommentar: In den „Rechtskämpfen“ stellt Stritt zusammenfassend die ihr bekannten Aktivitäten der deutschen Frauenbewegung zu Rechtsthemen in der Zeit bis 1901 dar. Der überwiegende Teil ihres Beitrags (S. 134-149) ist der Agitation der deutschen Frauenbewegung gegen das BGB-Familienrecht gewidmet, ein kleinerer Teil (S. 149-153) der Agitation der bürgerlichen Frauenbewegung für ein einheitliches freies Vereins- und Versammlungsrecht. Zugleich wird hier die fortbestehende Spaltung zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung deutlich. Selbst Marie Stritt, die eher dem linken Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet wird und aus der Praxis ihrer Rechtsschutzarbeit die alltäglichen Rechtsprobleme – z.B. arbeitsrechtlicher Natur – von Frauen aus der Arbeiterklasse kennen dürfte, hat Schwierigkeiten, die Rechtskämpfe proletarischer Frauengruppen zu würdigen. Als letzten Punkt der Rechtskämpfe zum Zivilrecht nennt Stritt die Aufnahme der internationalen Zusammenarbeit (S. 149): Der Bund Deutscher Frauenvereine hat beim Frauenweltbund (ICW), dem er als Nationalverband angehört, den Antrag gestellt, die zivilrechtliche Gleichstellung der Geschlechter als eines der gemeinsamen Ziele der internationalen Frauenbewegung in die Arbeit des ICW aufzunehmen. Dieser Antrag wurde in der letzten Generalversammlung in London 1899 in etwas veränderter Form angenommen. Zunächst wurde ein aus Vertreterinnen sämtlicher angegliederter Nationalverbände bestehendes Komitee zur Vergleichung der einschlägigen Bestimmungen in den verschiedenen Kul-
turländern und zur Bearbeitung der wichtigsten Fragen gebildet.
Rechtskämpfe von Marie Stritt.
I. Die Agitation der deutschen Frauenbewegung gegen das Familienrecht im Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches. (134) Die Frauenbewegung, durch die wirtschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts bedingt und unmittelbar hervorgerufen, hat in Deutschland wie überall mit den Bestrebungen für bessere Erwerbs- und Ausbildungsmöglichkeiten, Erschliessung neuer und Freigabe sogenannter männlicher Berufe und eine allgemeine Hebung der Frauenbildung eingesetzt; sie ging in erster Linie auf eine Gleichberechtigung zur Arbeit, auf eine Erweiterung des Pflichtenkreises der Frau hinaus. Die Erkenntnis, dass diese nicht ohne eine entsprechende Erweiterung des Rechtskreises, nicht ohne eine Gleichberechtigung auch vor dem Gesetz durchzuführen und aufrechtzuerhalten ist, brach sich dann allmählich Bahn und führte schliesslich zu bestimmten, genau präzisierten Forderungen, mit denen die deutschen Frauen an die Gesetzgeber herantraten. Diese Forderungen beschränkten sich zunächst auf das Gebiet des bürgerlichen, speziell des Familienrechtes, wurden aber in der Folge auch auf die Stellung der Frau im öffentlichen Leben (Vereinsgesetz) ausgedehnt. Wie auf andern, so gingen auch auf diesem Gebiet die ersten Anregungen und entscheidenden Schritte vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein aus. Eine vortreffliche kleine Broschüre „Zur rechtlichen Stellung der Frauen“ [Nr. 64], herausgegeben von dem schlesischen Kreisrichter Wachler, die schon 1869 erschien und
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in sachlicher, anschaulicher Weise die Ungerechtigkeiten und Härten der bestehenden civilrechtlichen Bestimmungen in Bezug auf (135) die Frauen in den einzelnen deutschen Staaten darlegte, fand im allgemeinen noch wenig Beachtung, umsomehr Verständnis und Würdigung aber bei den ersten Führerinnen der Frauenbewegung. Im Jahre 1876 erschien eine vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein herausgegebene, von Louise Otto verfasste Denkschrift „Einige deutsche Gesetzesparagraphen über die Stellung der Frau“ [Nr. 41], die auf ein reiches, durch eine allgemeine Umfrage gewonnenes Material gestützt, die Frauen über die schweren Schäden, die ihre Abhängigkeitsstellung für sie selbst wie für das Familien- und Volksleben zur Folge gehabt, aufklären und ihr Interesse für die auf diesem Gebiet anzustrebenden Reformen wecken sollte. Aber die deutschen Frauen waren im allgemeinen noch wenig empfänglich für diesen eindringlichen Appell. Einzelnen Einsichtigen mochte auch eine Agitation gegen die noch zu Recht bestehenden einzelstaatlichen Civilgesetzgebungen, die sich auf den verschiedenen Systemen: des preussischen Landrechtes, des gemeinen, des sächsischen und des französischen Rechtes aufbauten, insoweit überflüssig und zwecklos erscheinen, als seit dem Jahre 1874 der Entwurf eines einheitlichen bürgerlichen Gesetzbuches von einer Kommission hervorragender Juristen vorbereitet wurde, das auch auf diesem Gebiet dem seit 1870–1871 verwirklichten deutschen Reichsgedanken Ausdruck geben und dem bei Fachmännern und Laien, in Regierungs- und Volkskreisen immer fühlbarer werdenden Mangel eines einheitlichen Rechtes Abhilfe schaffen sollte. Gerade im Hinblick auf eine mit Rücksicht auf diesen Entwurf geplante Petition war aber vor allem die Denkschrift verbreitet worden, und die Führerinnen der Bewegung durften umsomehr auf eine Berücksichtigung ihrer Wünsche rechnen, als von massgebender Seite immer wieder betont wurde, dass das Familienrecht wesentliche Verbesserungen in der Stellung der Frau als Gattin und Mutter enthalten würde. Die im Jahre 1877 eingereichte Petition [Nr. 2] des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, „bei Abänderung der Civilgesetzgebung die Rechte der Frauen besonders auch im Ehe- und Vormundschaftsrecht zu berücksichtigen“, wurde denn auch vom Reichskanzleramt der Kommission „als Material“ überwiesen. Im Jahr 1888 erschien die erste Lesung des Entwurfes im Druck und brachte eine schwere Enttäuschung. Bis auf einige notgedrungene Konzessionen an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, von denen später die Rede sein wird, war an der Unterordnung und teilweisen Rechtlosigkeit der Ehefrau fest-(136)gehalten worden. Doch erhoben sich damals, obgleich der Entwurf lebhaft diskutiert und scharf kritisiert wurde, nur sehr vereinzelte Stimmen zu gunsten des so schwer benachteiligten weiblichen Geschlechts. Dagegen fehlte es nicht an Protesten, zumal von juristischer Seite, auch gegen diese geringeren Fortschritte, z. B. gegen das neue Güterrecht, das den Mann angeblich „zum Geschäftsführer der Frau erniedrigte“, indem es ihm nur die ausschliessliche Verwaltung und Nutzniessung des eheweiblichen Vermögens übertrug, statt ihm dies und den gesamten Erwerb der Frau als Eigentum zuzuweisen. Eine zweite Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag zu diesem Entwurf blieb so gut wie unbeachtet. Zugleich mit der in Bezug auf die Stellung der Frau nur wenig veränderten zweiten Lesung des Entwurfes (1892) erschien eine von demselben Verein herausgegebene, von der ersten deutschen Juristin Dr. Emilie Kempin verfasste kleine Broschüre „Die Stellung der Frau nach
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den zur Zeit in Deutschland giltigen Gesetzesbestimmungen, sowie nach dem Entwurf eines Gesetzbuches für das deutsche Reich“ [Nr. 28], die durch die Frauenvereine eine Verbreitung in weiten Kreisen fand. Trotzdem und trotz der populären, übersichtlichen Darstellung, die jedem Laien das Verständnis ermöglichte, verfehlte sie als eigentliche Agitationsschrift dadurch ihren Zweck, dass sie, einerseits in einem allzu trockenen Tone gehalten, dem Frauenstandpunkt zu wenig Rechnung trug, und andrerseits den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen dem viel wichtigeren Entwurf gegenüber verhältnismässig zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Ungefähr ein Jahr vorher hatte jedoch eine Autorität ersten Ranges an dem Entwurf eine um so schärfere Kritik geübt. Die Stimme, die sich zu Gunsten der wirtschaftlich und sozial Schwachen und Unterdrückten erhob und lebhaften Widerhall bei allen Fortschrittsfreunden, Fachmännern wie Laien, fand, wurde sogar von den Urhebern des Entwurfes und seinen begeisterten Lobrednern als „die einzig berufene Stimme“ anerkannt. Das schnell berühmt und populär gewordene Buch von Professor Anton Menger-Wien „Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen“ [Nr. 39] fand denn auch innerhalb der deutschen Frauenbewegung, die inzwischen einen erfreulichen Aufschwung genommen hatte und von verschiedenen in den letzten Jahren neugebildeten Centren aus (Berlin, München, Dresden u. s. w.) eine rührige allgemeine Propaganda entwickelte, lebhafte Sympathie und Zustimmung. Die Erkenntnis (137) ihrer prekären und unwürdigen Stellung, die so lange hatte auf sich warten lassen, war endlich einem Teil der bürgerlichen Frauen gekommen – damit zugleich aber auch die Erkenntnis von dem Ernst der Situation und von der Notwendigkeit der Selbsthilfe. Es bildeten sich Komitees zur Untersuchung und Bearbeitung des IV. Buches „Familienrecht“ des Entwurfes, der im Prinzip wohl die Gleichstellung des männlichen mit dem weiblichen Geschlecht vor dem Gesetz anerkannte, von diesem Prinzip aber, soweit die Ehefrau und Mutter in Betracht kam, überall abwich. Die Frauen studierten nun selber emsig den Entwurf, massen ihn an den bisher giltigen Bestimmungen, suchten durch die schwerfällige und schwerverständliche Sprache in den Geist des neuen Gesetzes einzudringen, und erlaubten sich, auch von ihrem Standpunkt Kritik daran zu üben. Diese kam in zahlreichen Artikeln in Frauen- und Tageszeitungen, in Broschüren, Vorträgen und Rechtskursen, die zur Aufklärung und Belehrung der Frauen veranstaltet wurden; zum Ausdruck, – kurz, die Bewegung war endlich in Fluss gekommen, wohl zu spät, um auf erhebliche praktische Erfolge rechnen zu können, in andrer Beziehung aber eben zur rechten Zeit. So wenig die Frauen den hohen ideellen Wert und die praktischen Vorteile eines einheitlichen deutschen Rechtes verkannten oder seine im Vergleich mit den bisherigen Gesetzgebungen grossen Fortschritte und Errungenschaften auf andren Gebieten leugnen wollten, so waren sie doch umsomehr davon durchdrungen, dass dies neue Recht den deutschen Frauen nicht gerecht wurde, ja dass es in dieser Beziehung nicht nur nicht im Einklang, sondern im Widerspruch mit der wirtschaftlichen, sozialen und geistigsittlichen Entwickelung und mit den Bedürfnissen der Zeit stand. Es handelte sich dabei vornehmlich um die folgenden Abschnitte: Wirkungen der Ehe im allgemeinen – das eheliche Güterrecht – Scheidung der Ehe – die elterliche Gewalt – die rechtliche Stellung der unehelichen Kinder – die Vormundschaft.
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Bei näherer Betrachtung erwiesen sich die meisten der so nachdrücklich betonten zeitgemässen Fortschritte nur als Fortschritte in der äusseren Form, die den Frauen gegenüber durchweg eine höflichere geworden war – im Geist und Wesen des neuen Gesetzes war aber bis auf einige Punkte ziemlich alles beim Alten geblieben. So war im Entwurf die Vormundschaft des Ehegatten über die Ehegattin und der unwürdige Gehorsamsparagraph zwar beseitigt und der Frau volle Handlungs-(138)fähigkeit ausdrücklich zuerkannt, diese prinzipielle Handlungsfähigkeit aber thatsächlich durch die Bestimmungen wieder aufgehoben, dass „dem Manne in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten“ allein die Entscheidung zustehen sollte, dass ferner der Mann das Recht der Frau, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises Rechtsgeschäfte vorzunehmen, beschränken oder ausschliessen, und jede von der Frau einem Dritten gegenüber eingegangene Verpflichtung zu einer persönlichen Leistung ohne Frist kündigen konnte. Ebenso war die Führung eines selbständigen Erwerbsgeschäftes ausdrücklich von der Zustimmung des Mannes abhängig gemacht. Die bisherige väterliche Gewalt des Mannes war zwar ausdrücklich in eine elterliche Gewalt umgewandelt worden; sie sollte aber nach wie vor ausschliesslich dem Vater zustehen und die Mutter – nicht als Mutter, sondern nur als Stellvertreterin des Vaters – nur in denjenigen Fällen zur Ausübung derselben berechtigt sein, wo auch die bisherigen Gesetzgebungen diese zuliessen, also: wenn der Vater tot ist, wenn seine Gewalt wegen Abwesenheit oder Entmündigung ruht, oder wenn er sie durch verbrecherische Handlungen verwirkt hat und die Frau deshalb von ihm geschieden ist. Im Fall des Fortbestandes der Ehe unter letzterer Voraussetzung sollte jedoch nicht die Mutter, sondern ein vom Gericht zu bestellender Pfleger die elterliche Gewalt ausüben (um die Autorität des entmündigten oder verbrecherischen Vaters nicht zu Gunsten der Mutter zu beeinträchtigen). Der Vater sollte seine väterliche Gewalt dagegen im vollen Umfang selbst dann behalten, wenn er bei einer Ehescheidung als der schuldige Teil erklärt und der Mutter die alleinige Sorge für die Person des Kindes übertragen würde. Besonders deutlich trat die rücksichtsvollere Form in dem Vormundschaftsrecht zu Tage, das bei der Ausschliessung von Vormundschaft und Familienrat die Frauen zwar nicht mehr wie bisher in einem Satz mit Unmündigen, Geisteskranken und Verbrechern aufzählte, aber mit Ausnahme der Mutter, Grossmutter und der vom Vater oder der Mutter ausdrücklich Benannten, prinzipiell von der Führung der Vormundschaft und vom Familienrat ausschloss und sie in dieser Beziehung mit Unmündigen, Geisteskranken und Verbrechern thatsächlich noch auf eine Stufe stellte. Von den drei bis dahin in Deutschland herrschenden güterrechtlichen Systemen: dem römischen Dotalrecht, dem System der (139) Gütergemeinschaft und dem der Verwaltungsgemeinschaft, hatte die Kommission für den Entwurf das letztere für das zeitgemässeste erachtet und dasselbe zur Basis für das neue gesetzliche Güterrecht genommen. Der erste, grundlegende Paragraph desselben lautete: „Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschliessung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gut gehört auch das Vermögen, welches die Frau während der Ehe erwirbt.“ Hiermit ist nur Erwerb durch Erbschaft oder Schenkung gemeint. An dem, was die Frau in der Ehe mit ihrer Arbeit in einem Geschäftsbetrieb des Mannes erwirbt, hat sie keinen Anteil; was sie dagegen durch ihre selbständige Arbeit oder in ei-
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nem selbständigen Geschäftsbetrieb erwirbt, gehört ihr zu freier Verfügung als sogenanntes Vorbehaltsgut. Es war diese letztere Bestimmung die einzige thatsächliche und bedeutsame Errungenschaft für die Ehefrau, die der Entwurf aufwies, wenn auch ihr praktischer Wert wesentlich dadurch beeinträchtigt wurde, dass der Mann, kraft seines eheherrlichen Rechtes den Erwerb untersagen oder eine früher gegebene Zustimmung zurücknehmen konnte. In diesem gesetzlichen ehelichen Güterrecht, das längst überwundenen, nicht aber den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprach, erschien nicht nur das Prinzip der Unterordnung und des Verlustes der eigenen Individualität der Ehefrau nach wie vor festgehalten und zum deutlichen Ausdruck gebracht – es musste auch im praktischen Leben von verhängnisvoller Bedeutung und tiefgehender, schädigender Wirkung für die Frauen sein. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau in der Ehe musste ihre soziale und moralische Abhängigkeit nach sich ziehen, auch wenn dieselbe in dem Titel „Wirkungen der Ehe im allgemeinen“ (Entscheidungsrecht des Ehemannes) nicht ausdrücklich festgelegt wäre. – Hier setzte denn auch der Protest der Frauen am nachdrücklichsten ein – erwies sich aber auch der Widerstand sowohl in fachmännischen wie in Laienkreisen am stärksten. Dieselben Gründe, welche die Notwendigkeit der Unterordnung der Frau im allgemeinen erhärten sollten, wurden auch für das eheliche Güterrecht im besonderen geltend gemacht. Das Argument, dass die Frauen im allgemeinen zur Verwaltung ihres Eigentums nicht geeignet, noch nicht „reif“ seien, ihr Vermögen daher vor ihrer eigenen Misswirtschaft und Verschwendung durch das Gesetz geschützt werden müsse, erwies sich insofern nicht als stichhaltig, als dasselbe Gesetz den unverheirateten und verwitweten Frauen (140) (auch den Müttern zahlreicher Familien) die uneingeschränkte Verfügung über ihr Eigentum unbedenklich zuerkannte. Auf ebenso schwachen Füssen stand das andere Argument: dass der Mann der Frau den Unterhalt zu gewähren und den ganzen ehelichen Aufwand zu tragen habe, ihm also auch das Recht, über die Einkünfte der Frau zu verfügen, gewahrt werden müsse – angesichts einer anderen Bestimmung, die an die Leistungsfähigkeit der Frau unter Umständen die höchsten Ansprüche stellte. Der § 1260 des Entwurfes lautete: „Der Mann hat der Frau nach Massgabe seiner Lebensstellung, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren. Die Frau hat dem Manne, wenn er ausser Stande ist, sich selbst zu unterhalten, den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Massgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsthätigkeit zu gewähren.“ Der Schutz, den der Entwurf der Frau gegen etwaige Misswirtschaft und Verschwendung des Mannes (aber nicht gegen seinen Geiz und seine Habsucht) gewährte, dass sie nämlich Sicherheitsleistung verlangen könne, „wenn die Besorgnis begründet wird, dass die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährdenden Weise verletzt werden“ – dieser Schutz erschien dadurch ziemlich illusorisch, dass für den Richter eine „erhebliche“ Gefährdung doch erst dann vorliegen kann, wenn ein grosser Teil des eheweiblichen Vermögens oder das ganze bereits verloren ist – vorausgesetzt, dass die Frau es überhaupt über sich gewinnen kann, durch ein gerichtliches Einschreiten gegen ihren Gatten die Harmonie und den Frieden ihrer Ehe auf immer zu zerstören.
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Ein wirksamerer Schutz als durch diesen Paragraphen war der Frau in dem Entwurf durch das vertragsmässige Güterrecht an die Hand gegeben, durch welches an Stelle des gesetzlichen Güterrechts jedes beliebige andere System, das der Gütergemeinschaft, der Errungenschafts-, der Fahrnisgemeinschaft etc., vor allem aber das System der Gütertrennung durch besonderen Ehevertrag festgesetzt werden kann, welch letzteres der Frau die volle Verfügung über ihr Eigentum sichert. Dass und warum die Frauen dies Auskunftsmittel als unzureichend und als im Prinzip falsch, weil mit dem Wesen der Ehe unvereinbar, erklären mussten, liegt auf der Hand. Wir werden später noch darauf zurückkommen. Die im Vergleich z. B. mit dem preussischen Landrecht erschwerte Ehescheidung bedeutete nicht nur keinen Fortschritt, sondern offenbar einen Rückschritt im Entwurf, da unter den an-(141)geführten Scheidungsgründen „Gegenseitige unüberwindliche Abneigung“ nicht mehr genannt wurde. In den Motiven wurde ausdrücklich betont, dass auf diese Weise die Unverletzlichkeit der Ehe und der Moral geschützt werden müsse. Denselben Standpunkt nahm der Entwurf auch in dem Titel „Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder“ ein. Diese hatte insofern für das Kind eine Besserung erfahren, als der Vater verpflichtet sein sollte, ihm bis zum vollendeten 16. Lebensjahre den vollen Unterhalt zu gewähren, während er bis dahin nur gehalten war – abgesehen von den Ländern des französischen Rechtes, wo auch das wegfiel – einen Beitrag zum Unterhalt des Kindes zu entrichten. Im ganzen aber basierte der Entwurf, im Sinne des rasch zu einer gewissen Berühmtheit gelangten § 15 „Zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Vater besteht keine Verwandtschaft“, völlig auf den althergebrachten Anschauungen einer doppelten Moral, indem es die gesetzlichen Folgen eines gemeinsamen Verfehlens nach wie vor nur dem einen Teil, und zwar dem schon durch die natürlichen Konsequenzen schwächeren, der Frau, aufbürdete. Dem wirtschaftlich und sozial stärkeren und meist schuldigeren Teil, dem unehelichen Vater, war der Mutter seines Kindes gegenüber nur Ersatz der Kosten für Entbindung und Wochenbett „innerhalb der Grenzen der Notdurft“ und dem Kinde gegenüber nur die erwähnte Unterhaltspflicht, aber nicht seinem, des Vaters, sondern dem Stande der Mutter gemäss, auferlegt. Gegen diese Hauptpunkte und die daraus resultierenden und damit zusammenhängenden Bestimmungen nahmen zunächst einzelne Frauenvereine Stellung. Sie fanden dabei auch von Seiten bedeutender Fachmänner thatkräftige Unterstützung. Vor allem seien hier die grossen Verdienste des Geheimen Justizrats Karl Bulling hervorgehoben, der nicht nur dem Berliner Komitee von Anfang an als unermüdlicher Berater zur Seite stand, sondern auch durch sein vortreffliches Buch „die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch,197 und seine Schrift „die Rechte des unehelichen Kindes“198 die Bewegung ausserordentlich förderte. Die eigentliche, planmässige Agitation datiert vom März 1895, von der ersten Generalversammlung des ein Jahr vorher in Berlin gegründeten Bundes deutscher Frauenvereine in München. Auf einstimmigen Beschluss der damals 65 Einzelvereine repräsen-(142)tierenden Delegierten wurde die Rechtsfrage als die im Augenblick wichtigste Aufgabe in das Arbeitsprogramm des Bundes aufgenommen und zunächst eine Petition mit Abänderungsvorschlägen an den Reichstag ins Au197 Berlin 1896. [Nr. 7.] 198 Berlin 1897. [Nr. 8.]
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ge gefasst, mit deren Ausarbeitung die beiden Vorsitzenden des allgemeinen deutschen Frauenvereins, Auguste Schmidt und Henriette Goldschmidt, betraut wurden. Diese Petition des damals etwa 50000 Einzelmitglieder umfassenden Bundes wurde im Frühjahr 1896 dem Reichstag eingereicht und fand ausserdem als Propagandaschrift [Nr. 10] durch die Bundesvereine eine weite Verbreitung. Schon vorher hatten auch die Vereine „Frauenwohl“-Berlin und der Dresdener „Rechtsschutzverein für Frauen“ die zweite Lesung des Entwurfes einer kritischen Beleuchtung vom Standpunkt der Frauen unterzogen. Diese Arbeiten („Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch“ von Sera Proelss und Marie Raschke [Nr. 45], und „Das deutsche Recht und die deutschen Frauen“, herausgegeben vom Rechtsschutzverein-Dresden [Nr. 56]) erschienen ungefähr zu gleicher Zeit wie die Petition im Druck, stimmten mit dieser in den wesentlichsten Punkten überein, wenn sie auch einen etwas schärferen Ton anschlugen, und, wurden in vielen Tausenden von Exemplaren im ganzen Reich verbreitet, an die Presse und an die Volksvertreter gesandt, da die erste Lesung des Gesetzentwurfes im Reichstag nahe bevorstand. Propagandareisen einiger Führerinnen, die in verschiedenen deutschen Städten in zahlreich besuchten öffentlichen Versammlungen Vorträge hielten, haben ebenfalls viel zur Aufklärung der Frauen beigetragen, freilich auch gleich den erwähnten Propagandaschriften einen Entrüstungssturm in Juristenkreisen und in der reaktionären Presse hervorgerufen. Anfang Januar 1896 verbreitete ein noch in letzter Stunde vor der ersten Lesung gebildetes Komitee von Münchener Frauen eine energische und eindrucksvolle Resolution, die im Lauf von wenig Wochen über 25000 Unterschriften fand, darunter die Namen der hervorragendsten Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst, die Namen vieler bedeutender Staatsmänner, Universitätsprofessoren, Geistlichen, Ärzte, Juristen, Schriftsteller etc. Diese Resolution wurde natürlich ebenfalls dem Reichstag eingesandt. Als bemerkenswert möchte noch hervorgehoben werden, dass bei dieser Gelegenheit auch die Sozialdemokratie eine kräftige Propaganda in Wort und Schrift im gleichen Sinne entwickelte, und dass die in ihren Versammlungen angenommenen Resolutionen, wenn auch (143) auf die Gesellschaftsbetrachtung der Partei gegründet, doch in ihren Forderungen sich in allen Punkten mit denen der bürgerlichen Frauen deckten. Die erste Lesung des Entwurfes im Plenum des Reichstages erfolgte Anfang Februar und erbrachte den erfreulichen Beweis, dass die Stimmen der Frauen auch in den Reihen der Volksvertreter einigen Widerhall gefunden hatten. Angehörige der verschiedensten Fraktionen traten für ihre Forderungen ein, geschlossen und in allen Punkten allerdings nur die Sozialdemokraten. Doch konnte man sich immerhin zu der Hoffnung berechtigt glauben, dass die Forderungen der Frauen in den Beratungen der Kommission, der die Vorlage überwiesen wurde, noch mehr Berücksichtigung finden würden. Diese Hoffnung wurde nicht oder doch nur zum kleinsten Teil erfüllt, und die Kommission ging über die Forderungen der Frauen mit der gewohnten Nichtachtung hinweg. Die geringen Zugeständnisse, die dank der Initiative einiger freisinniger und sozialdemokratischer Abgeordneten gemacht wurden, waren folgende:
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Es sollte nicht mehr in allen Fällen, sondern nur zu Gunsten der Gläubiger des Mannes vermutet werden, dass die im Besitz der Ehegatten befindlichen Sachen dem Manne gehören. Auch sollten ausser Kleidern und Schmucksachen der Frau nun auch deren Arbeitsgeräte von dieser Vermutung ausgeschlossen sein. Ferner war nach dem Entwurf die Frau zur teilweisen Ausübung der elterlichen Gewalt berechtigt, so lange die elterliche Gewalt des Vaters ruhte, sie war jedoch nicht dazu berechtigt im Falle der Entmündigung des Vaters wegen Verschwendung oder Trunksucht. Diese Beschränkung wurde von der Kommission aufgehoben. Aufgehoben wurde auch die erwähnte, von den Frauen besonders nachdrücklich bemängelte Einschränkung „innerhalb der Grenzen der Notdurft“ in der Entschädigungspflicht des unehelichen Vaters. Die einzige wesentliche Verbesserung durch die Kommissionsbeschlüsse war, dass den Frauen das Recht der Vormundschaft und die Zulassung zum Familienrat zuerkannt wurde, und zwar im vollen Umfang und unter gleichen Bedingungen wie den Männern; das heisst, sie sollten zu diesen Ämtern nicht nur zugelassen, sondern vom Vormundschaftsgericht bestellt werden können. Dass die Übernahme einer Vormundschaft durch eine Ehefrau von der Zustimmung ihres Ehemannes ab-(144)hängig gemacht wurde, war eine aus dem Entscheidungsrecht des letzteren gezogene unvermeidliche Konsequenz. Eine andere prinzipielle Errungenschaft in Bezug auf Gleichstellung der Geschlechter war die Einfügung eines Paragraphen, welcher dem verwitweten Vater im Falle seiner Wiederverheiratung – ebenso wie es der Entwurf für die Mutter bestimmte – die Nutzniessung des kindlichen Vermögens entzog. Dieser Paragraph wurde jedoch als eine zu weit gehende Beschränkung der väterlichen Rechte in der zweiten Lesung der Kommission wieder gestrichen. Diese Fortschritte wurden jedenfalls durch den verhängnisvollen Rückschritt aufgewogen, den die Streichung des § 1552 (Scheidung der Ehe wegen unheilbarer Geisteskrankheit) bedeutete. Dieser Kommissionsbeschluss, der Mann und Weib gleicherweise traf, daher nicht nur von den Frauen sondern auch von Volksvertretern aller Richtungen bekämpft wurde und nur auf eine notgedrungene Konzession an die Centrumspartei zurückzuführen war, wurde übrigens in der dritten Lesung im Plenum wieder aufgehoben und der ursprüngliche Text des Entwurfes wieder hergestellt. Angesichts dieser unzulänglichen Resultate der Kommissionsberatungen und angesichts des Ernstes der Lage sah sich der Bund deutscher Frauenvereine, der damals bereits aus 76 Einzelvereinen verschiedenster Richtungen und Bestrebungen bestand und in seiner Zusammensetzung die deutsche Frauenbewegung repräsentierte, zu einem letzten energischen Vorgehen veranlasst. Auf der Ende Mai 1896 abgehaltenen Generalversammlung des Bundes in Kassel wurde eine erneute und verstärkte Agitation einstimmig beschlossen und, mit Unterstützung zahlreicher Einzelvereine durch die neugebildete, aus 9 Mitgliedern bestehende Rechtskommission des Bundes ins Werk gesetzt. Im Laufe einer Woche (13.–20. Juni) fanden in verschiedenen grösseren Städten, u. a. in Leipzig, Dresden, Hannover, Göttingen, Kassel, Frankfurt a. M., Eisenach, Jena, Weimar, Bonn, Protestversammlungen statt. Die wenigen Referentinnen, die sich dafür zur Verfügung stellen konnten, hatten bei einer ganz ungewöhnlichen Sommerhitze eine ziemlich anstrengende Arbeit zu leisten. Neue Aufrufe und Flugblätter wurden verbreitet, um eine Massenkundgebung zu veranlassen und dadurch zugleich die geringschätzige
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Meinung der Volksvertreter über Umfang und Bedeutung der Frauenbewegung richtig zu stellen. Leider war die Zeit bis zur (145) Verabschiedung des Gesetzentwurfes dafür viel zu kurz, und die weiteren etwa 25 000 Unterschriften unter der neuen, klar und bestimmt gefassten Resolution des Bundes, die in den wenigen Wochen bis zur Entscheidung gesammelt werden konnten, entsprachen diesem Zweck und der allgemeinen Stimmung nur sehr unvollkommen. Ende Juni erfolgte die zweite Lesung im Plenum des Reichstages [Nr. 69]. In den Beratungen über die einzelnen Titel handelte es sich trotz grosser, begeisterter Worte von links und rechts im Grunde lediglich um Interessenpolitik und um gegenseitige Konzessionen. Da durch die abwesenden Frauen keine wichtigen Interessen der Parteien gefährdet erschienen, so wurden ihnen auch keine weiteren Konzessionen gemacht, obgleich Angehörige der verschiedensten Fraktionen warm und energisch für sie eintraten. Während ein ganzer, sehr stürmischer Verhandlungstag, der für die Beratung des Familienrechtes bestimmt war, der denkwürdigen Hasendebatte, das heisst der Frage der Ersatzpflicht für den durch Wild verursachten Feldschaden, gewidmet wurde und das Zustandekommen des ganzen Gesetzes um ein Haar daran gescheitert wäre, wurde zwei Tage später das Familienrecht und die wichtigsten Lebensfragen der grösseren Volkshälfte in ganz oberflächlicher Weise erledigt, wohl unter üblicher Betonung der „idealen Standpunkte“, der „gottgewollten Ordnung“, des „Schutzes des schwachen Geschlechtes“ – aber auch meist unter einer das gewohnte Mass übersteigenden „Heiterkeit“, die in diesem Falle selbst in fernstehenden Kreisen Befremden, bei den beteiligten Frauen selbst aber eine allgemeine Entrüstung hervorrief. Diese tiefe Entrüstung und die Überzeugung eines trotz der augenblicklichen Niederlage errungenen moralischen Sieges klangen als Grundton der letzten grossen Protestversammlung, einer bis dahin noch nicht dagewesenen und auch wohl kaum für möglich gehaltenen Demonstration deutscher bürgerlicher Frauen, durch, die am 29. Juni im Berliner Konzerthause, von Vertreterinnen der verschiedensten Richtungen der Frauenbewegung einberufen, unter grossem Andrang stattfand [Zum Verlauf der Versammlung vgl. Nr. 21]. Aus allen Teilen des Reiches waren bei diesem Anlass Abgesandte von Vereinen herbeigeeilt, um auf die Reichstagsbeschlüsse (die durch die wenige Tage später erfolgte dritte Lesung besiegelt wurden) die Antwort zu geben. Diese Antwort unterschied sich in Bezug auf Sachlichkeit und der Bedeutung des Gegenstandes entsprechenden Ernst so vorteilhaft von jenen Verhandlungen, dass selbst die gegnerische Presse den (146) wohlthuenden Kontrast anerkennen und zugeben musste, dass die ungeschulten Frauen bei dieser Gelegenheit parlamentarischer gewesen seien, als die Parlamentarier. Schon in dieser Versammlung betonten sämtliche Rednerinnen, dass die Frauen es bei der eben erlittenen Niederlage nicht bewenden lassen, dass sie die ihnen gemachten geringen Zugeständnisse nur als Abschlagszahlungen auf ihre Forderungen, die sie in vollem Umfang aufrecht erhielten, betrachten würden, und dass sie es nach diesen Erfahrungen doppelt als ihre Pflicht erachteten, die Geschlechtsgenossinnen in allen Volkskreisen über ihre Stellung vor dem Gesetz aufzuklären und sie zu veranlassen, sich der Bewegung anzuschliessen.
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In diesem Sinne hat der Bund deutscher Frauenvereine die Arbeit, die er als eine seiner vornehmsten Aufgaben betrachtet, wieder aufgenommen, hat vor allem die Rechtskommission des Bundes unablässig gewirkt, und haben zahlreiche Einzelvereine eine umfassende Propaganda entwickelt. Auf allen seither abgehaltenen Frauentagen wurde der Rechtsfrage ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt; auf den Generalversammlungen des Bundes in Hamburg und Dresden, auf denen des Allgemeinen deutschen Frauenvereins in Stuttgart und Königsberg, auf dem bayerischen Frauentag in München u. a. nahmen die Verhandlungen über den Gegenstand einen breiten Raum ein. Neue Aufrufe und ein eindrucksvolles Flugblatt „Mahnwort an das deutsche Volk“ unterstützten die von der Rechtskommission im Auftrag des Bundes veranstaltete Massenpetition, die noch vor dem Inkrafttreten des neuen B. G. B. dem Reichstag unterbreitet werden sollte. Diese Petition gipfelte in den folgenden Forderungen: I. Aufhebung des ausschliesslichen Nutzniessungs- und Verwaltungsrechtes des Mannes am eheweiblichen Vermögen in § 1363 und den folgenden, und Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht; 2. Erteilung der elterlichen Gewalt an die Mutter in Gemeinschaft und in gleichem Umfange wie an den Vater; 3. Gewährung der elterlichen Gewalt auch für die uneheliche Mutter – event. unter Zuordnung eines Beistandes – und gerechtere Normierung der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters seinem Kinde gegenüber. Das Resultat der Sammlungen war trotz aller Bemühungen nicht das erhoffte. Einerseits war durch die vorhergegangene Agitation der Widerstand der Juristen geweckt worden, die in ihrer grossen Mehrheit den mit den hergebrachten juristischen Be-(147)griffen so wenig vereinbaren Forderungen kein Verständnis entgegenbringen konnten. Sie warfen den deutschen Frauenrechtlerinnen, die Rechte für ihr Geschlecht beanspruchten, welche andere Kulturländer ihren Frauen längst zuerkannt haben, „Masslosigkeiten“, „Ungeheuerlichkeiten“ und „krassesten Dilettantismus“ vor und suchten in Beruhigungsvorträgen und Vortragscyklen und in einer Flut von Broschüren199 und Zeitungsartikeln die Frauen von der Unhaltbarkeit ihrer Forderungen zu überzeugen und diese überhaupt nur einer ganz kleinen Gruppe radikaler Heißsporne in die Schuhe zu schieben. Andrerseits erschien wohl auch vielen Frauen, die sich einer Beruhigung nicht zugänglich zeigten, eine Revision und Änderung des eben vollendeten Werkes ausgeschlossen, die erneute Agitation und Petition daher aussichtslos. So kam es, dass die letztere, die dem Reichstag mit einer eingehenden, von der Schriftführerin der Rechtskommission Freiin von Beschwitz verfassten, in einer besondern Begleitschrift [Nr. 10] herausgegebenen Begründung im Herbst 1899 zuging, nur etwas über 50000 Unterschriften von Frauen und Männern aus allen Kreisen der Bevölkerung trug. Trotz der anfänglich in ihn gesetzten Hoffnungen der Frauen ging denn auch der neue Reichstag, wie unter diesen Umständen kaum anders zu erwarten war, darüber zur Tagesordnung über. Die Petition hat aber doch insoweit ihren Zweck nicht verfehlt, als die Darlegung des Standpunktes der Frauen und ihr Protest noch einmal an massgebender Stelle zum Ausdruck kam und eine Erklärung der Petitionskom199 Unter vielen andern seien hier nur genannt: Jastrow, Das Recht der Frau nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch. Berlin 1897. Planck, Die rechtliche Stellung der Frau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche. Göttingen 1899 [Nr. 44]. Kempin, Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen [Nr. 34]. Berlin 1896.
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mission im Reichstag veranlasste, die ausdrücklich die Sympathie der Kommission mit einzelnen Forderungen betonte und den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung nur mit dem Hinweis auf formale Gründe motivierte. Der Bund und die auf diesem Gebiet arbeitende Rechtskommission wird nun dafür zu sorgen haben, dass diese leise Sympathie sich nicht wieder verliere, und dass durch eine fortgesetzte Aufklärung über die Mängel im neuen Familienrecht die Berechtigung der aufgestellten Forderungen dem allgemeinen Verständnis immer näher gebracht werde. Der Zeitpunkt für eine teilweise Erfüllung dieser Forderungen, vor allem in Bezug auf das gesetzliche eheliche Güterrecht, dürfte erst bei einer Revision des B. G. B. gekommen sein. Bis dahin muss sich die Propaganda-(148)arbeit darauf konzentrieren, dass das Mittel, das vom Gesetz selbst dazu bestimmt ist, eine seiner verhängnisvollsten Bestimmungen im einzelnen Falle aufzuheben, ein Mittel, auf welches auch die Gesetzgeber und die Gegner der Frauenforderungen stets hinweisen, immer allgemeiner bekannt und immer häufiger angewendet werde – nämlich eine möglichst allgemeine Einführung der vollen Gütertrennung durch Ehekontrakte. Eine Agitation in diesem Sinne, vom Bunde angeregt, von den einzelnen Bundesvereinen ins Werk gesetzt, ist denn auch gegenwärtig im Gange. Auf die einstimmige Annahme des auf der letzten Generalversammlung in Dresden eingebrachten Antrages von 12 Vereinen mit Rechtsschutzstellen: Der Bund wolle in eine umfassende Agitation für eine möglichst allgemeine Einführung von Eheverträgen bei Eheschliessungen eintreten – wurde ein Flugblatt mit 4 Ehekontraktformularen für Frauen in verschiedenen Lebensstellungen (vermögende Ehefrauen; solche, die einen Beruf ausüben oder selbständig ein Geschäft betreiben; Arbeiterinnen; Frauen, die Landwirte, handel- oder gewerbetreibende Männer heiraten, oder solche, die Vermögens- und berufslos, durch ihre Arbeit im Hause an eigenem Erwerb gehindert sind) von der Rechtskommission ausgearbeitet und den Vereinen für lokale Verbreitung zur Verfügung gestellt Die Beteiligung an dieser Arbeit ist eine so rege, zumal von Propagandavereinen und solchen mit Rechtsschutzstellen, dass schon nach wenigen Wochen eine zweite Auflage der Formulare hergestellt werden musste. Der Bund deutscher Frauenvereine sieht eine allgemeine Einführung von Ausnahmeverträgen, die für den Einzelnen immer etwas Verletzendes haben und mit dem Wesen der Ehe wie mit dem Empfinden der deutschen Frauen im Widerspruch stehen, an sich durchaus nicht für wünschenswert an, betrachtet sie vielmehr lediglich als vorläufigen Notbehelf, als Mittel zum Zweck der Einführung der Gütertrennung – die jetzt nur als vertragsmässiges Güterrecht vorgesehen ist – als gesetzliches Güterrecht. Durch dieses erst wird der Frau auch in der Ehe die wirtschaftliche und dadurch die soziale und moralische Selbständigkeit und ihre Würde als Gattin und Familienmutter gewahrt. Zur weiteren allgemeinen Aufklärung erschien, einem auf Antrag der Danziger Frauen schon 1898 in Hamburg gefassten Beschlüsse gemäss, als Heft IV der Schriften des Bundes deutscher Frauenvereine im Sommer 1900 eine objektiv gehaltene, kurz gefasste vergleichende Übersicht „Die Stellung der Frau und (149) Mutter im Familienrecht der ausserdeutschen Staaten und nach den Bestimmungen des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“, im Auftrag der Rechtskommission zusammengestellt von C. Dose und A. Kriesche.
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In Würdigung der hohen Bedeutung des Gegenstandes für alle Frauen der Kulturwelt hatte der Bund deutscher Frauenvereine bei dem Frauenweltbund (International Council of Women), dem er als Nationalverband angehört, auch den Antrag gestellt, die civilrechtliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann als eines der gemeinsamen Ziele der internationalen Frauenbewegung in das Arbeitsgebiet des I. C. W. aufzunehmen. Dieser Antrag wurde in der letzten Generalversammlung in London 1899 in etwas veränderter Form angenommen und zunächst ein aus Vertreterinnen sämtlicher angegliederter Nationalverbände bestehendes Komitee zur Vergleichung der einschlägigen Bestimmungen in den verschiedenen Kulturländern und zur Bearbeitung der wichtigsten Fragen gebildet. II. Die Agitation der bürgerlichen Frauenbewegung für ein einheitliches freies Vereins- und Versammlungsrecht. Viel später als die Agitation für eine freiere und würdigere Stellung im Familienrecht, in ihrer Eigenschaft als Ehefrauen und Mütter, sind die deutschen Frauen für eine Besserung ihrer Stellung im öffentlichen Recht, in ihrer Eigenschaft als Staatsbürgerinnen, eingetreten. Erst die rapide wachsende Beteiligung des weiblichen Geschlechtes am Erwerbsleben hat auch den bürgerlichen Frauen die Notwendigkeit der Selbsthilfe und der Selbstvertretung ihrer Interessen im öffentlichen Leben zum Bewusstsein gebracht und sie zur Geltendmachung ihrer prinzipiellen Forderung gleichen Rechtes mit dem Manne auch auf diesem Gebiet gedrängt. Die Bewegung richtete sich zunächst gegen die in verschiedenen deutschen Staaten noch zu Recht bestehenden, die Bewegungsfreiheit der Frauen einschränkenden Bestimmungen, vor allem gegen das Verbot der Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen das nicht nur in durchaus unwürdiger und verletzender Weise die Frauen mit Schülern, Lehrlingen, überhaupt Unmündigen auf eine Stufe stellt, sondern vor allem die arbeitenden Frauen in der zur Wahrung und Förderung ihrer Berufsinteressen (150) so dringend gebotenen Organisation beschränkt und somit auch materiell aufs empfindlichste schädigt. Dieses Verbot besteht keineswegs überall; es ist z. B. seit den fünfziger Jahren bereits in 16 deutschen Staaten, u.a. im Königreich Sachsen und den sächsischen Herzogtümern, in Württemberg, Baden, Hessen, verschiedenen Kleinstaaten und den Hansastädten nicht mehr in Kraft. Auch die reaktionären Beschlüsse des deutschen Bundes 1854 haben die Frauen von politischer Vereinsthätigkeit nicht ausgeschlossen, sondern nur die Schüler und Lehrlinge. Andre Staaten verbieten die Teilnahme der Frauen zwar nicht ausdrücklich, stellen aber, wie z. B. die beiden Mecklenburg und Elsass-Lothringen, das ganze Vereins- und Versammlungswesen in das diskretionäre Ermessen der Behörden, die denn auch die Grenzen in Bezug auf die Frauen gelegentlich so eng wie möglich zu ziehen wissen. Ganz streng ist das Verbot in den vereinsgesetzlichen Bestimmungen Braunschweigs und einiger andrer Kleinstaaten aufrecht erhalten. Der Umstand aber, dass das über 50 Jahre alte Vereinsgesetz des grössten deutschen Staates Preussen die Frauen ebenfalls immer noch von allen Vereinen ausschliesst, die politische Angelegenheiten erörtern, ist insoweit ganz besonders verhängnisvoll und ausschlaggebend auch für das ganze übrige Deutschland, als es sich einmal um den führenden Bundesstaat und das wichtigste geistige, soziale und politische Centrum, die Reichshauptstadt, handelt, und
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als ferner die Dehnbarkeit des Begriffes „politisch“ allen irgendwie unbequemen oder missliebigen Bestrebungen gegenüber die gerechtfertigte oder missbräuchliche Auffassung als „politischer Verein“ zulässt. Die im Laufe des letzten Jahrzehntes erfolgte Auflösung zahlreicher preussischer Arbeiterinnen-Bildungsvereine, die sozialistischer Tendenzen verdächtig waren, wegen „Verhandlung politischer Gegenstände“ liefert den besten Beweis dafür. Übrigens sind thatsächlich alle Angelegenheiten, welche die Verfassung, Verwaltung und Gesetzgebung des Staates auch in sozialpolitischer und wirtschaftlicher Richtung betreffen, streng genommen als politische Angelegenheiten zu betrachten.200 Dieser unklare und halbe Zustand – der dadurch zu einem Zustand grösster Verworrenheit wurde, dass diese landesgesetzlichen mit den reichsgesetzlichen Bestimmungen, die auch der Arbeiterin wie dem Arbeiter Koalitionsfreiheit gewähren, in direktem Widerspruch stehen – ist angesichts der heutigen Verhältnisse, (151) angesichts der prinzipiellen Gleichberechtigung der Frau im Erwerbsleben und angesichts der Thatsache, dass der Staat selbst die Frauen in immer grösserem Umfang auch zum Beamtendienst heranzieht, ein ganz unhaltbarer. Dass hier nur eine reichsgesetzliche Regelung – die übrigens auch von allen Sozialpolitikern dringend gewünscht und vom Reichskanzler dem Reichstag gegenüber als in der Absicht der verbündeten Regierungen liegend, in ziemlich sichere Aussicht gestellt wurde – die erwünschte Lösung bringen und Abhilfe schaffen könnte, war den Frauen mit der Erkenntnis der Situation sofort klar; ihre Propaganda in Wort und Schrift ging daher hauptsächlich in dieser Richtung. Im Januar 1895 wurde von drei Berliner Frauen die erste Petition um Erlangung voller Vereins- und Versammlungsfreiheit für die Frauen angeregt und dem deutschen Reichstag eingereicht, zunächst ohne Erfolg. Nachdem ein Antrag auf Reform des Vereinsgesetzes im preussischen Abgeordnetenhause abgelehnt worden war, wurde im Juni 1897 der deutsche Reichstag in einer von neun Berliner Führerinnen der Frauenbewegung angeregten Massenpetition mit zahlreichen Unterschriften ersucht, „dahin zu wirken, dass baldigst die Bestimmung des Artikels 4, No. 16 der Reichsverfassung erfüllt werde, durch Schaffung eines der heutigen Zeit entsprechenden freiheitlichen deutschen Vereinsrechtes, das auch die gerechten Forderungen der deutschen Frauen berücksichtigt.“ Auch dieser Vorstoss in der wichtigen Angelegenheit blieb, obgleich er bei den fortschrittlichen Volksvertretern volle Sympathie fand, resultatlos. Im folgenden Jahre, Januar 1898, traten die Dresdener bürgerlichen Frauen in einer lebhaften Agitation mit besserem Erfolge für die bedrohten Rechte der Arbeiterinnen ein. Diese Agitation gipfelte in einer grossen Protestversammlung, auf der (zum ersten Mal in einer deutschen Frauenversammlung) auch die Volksvertreter das Wort ergriffen. Auf einen von der konservativen Landtagsmehrheit eingebrachten, in erster Lesung bereits angenommenen Kompensationsantrag zu der Regierungsvorlage, betreffend freies Koalitionsrecht, war eine Verschlechterung des sächsischen Vereinsgesetzes in Aussicht genommen, wonach Frauen und Minderjährigen die Teilnahme an sozialistischen und anarchistischen, eventuell an allen politischen Vereinen und Versammlungen verboten sein sollte. Das Gesetz
200 Erkenntnis des Reichsgerichts vom 10. November 1887.
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scheiterte in der Folge an dem Widerstand der ersten Kammer, das Verbot wurde auf die Minderjährigen beschränkt, und es blieb im übrigen bei (152) den bisherigen für Männer und Frauen gleichen Bestimmungen. Die Demonstration der bürgerlichen Frauen hatte auch ausserhalb Sachsens anregend und fördernd gewirkt und das Interesse für die wichtige Frage überall erhöht. Im Herbst desselben Jahres nahm auch der Bund deutscher Frauenvereine auf der Generalversammlung in Hamburg offiziell Stellung, dazu. Der Verein Frauenwohl-Danzig hatte den Antrag gestellt, „der Bund wolle es sich zur Aufgabe machen, für die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit der Frauen einzutreten“. Der Antrag wurde einstimmig angenommen und die Ausführung der Rechtskommission übertragen. Ende März 1899 wurde eine Petition des Bundes beim Reichstag eingereicht, die ein einheitliches deutsches Vereins- und Versammlungsrecht und Gewährung gleicher Rechte für Männer und Frauen forderte. Entgegen dem Antrag der Petitionskommission auf Übergang zur Tagesordnung wurde die Petition im Plenum des Reichstags lebhaft diskutiert, von Angehörigen der verschiedensten Fraktionen warm befürwortet und auf Mehrheitsbeschluss dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen. Auf Antrag des Vereins Frauenwohl-Berlin wurde dann diese Petition des Bundes im Herbst 1900 wiederholt eingereicht. Die Frage spitzte sich zu und wurde zu einer ganz besonders aktuellen, als im Januar 1901, bei Gründung der Gesellschaft für soziale Reform (deutsche Sektion der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz), die Anmeldungen des Bundes und einzelner Frauen und Frauenvereine zum Beitritt auf Grund des preussischen Vereinsgesetzes (da der Sitz der Gesellschaft Berlin sein musste) zurückgewiesen wurden, das Vereinsgesetz also hier die so dringend notwendige und von allen Seiten, vor allem von den beteiligten Sozialpolitikern selbst, dringend“ gewünschte Mitarbeit der Frauen an den wichtigsten sozialen Aufgaben der Gegenwart unmöglich machte. Ein Sturm der Entrüstung erhob sich darauf nicht nur in den Reihen der Frauen, wo er eine einmütige, energische Stellungnahme in Wort und Schrift, in Protestversammlungen und scharf pointierten Resolutionen der fortschrittlichen Frauenvereine veranlasste, sondern auch in weiteren Volkskreisen. Die Gesellschaft für soziale Reform hat dann, nachdem alle ausserpreussischen Ortsgruppen die Frauen und Frauenvereine ausdrücklich zum Beitritt aufforderten, auch in einer ihrer ersten Ausschußsitzungen die Angelegenheit als eine ihrer ersten Aufgaben ins Auge gefasst und einstimmig beschlossen: (153) „im Hinblick auf die dringende Notwendigkeit der Mitwirkung der Frauen an allen sozialpolitischen Bestrebungen … eine Eingabe an Bundesrat und Reichstag zu richten, in der der baldige Erlass eines Reichsgesetzes gefordert wird, das die der Anteilnahme der Frauen an jenen Bestrebungen entgegenstehenden landesgesetzlichen Beschränkungen der Vereins- und Versammlungsgesetzgebung aufhebt.“ Es ist zu erwarten, dass die Unterstützung der Frauenforderungen von dieser Seite mit dazu beitragen wird, die Frage bald einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Ein zweites Ereignis brachte die Sache auch in andren Volkskreisen in Fluss. Als zu Pfingsten 1901 der evangelisch-soziale Kongress in Braunschweig tagen wollte, wurden die Einberufer von den Behörden verständigt, dass das
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Landes-Vereinsgesetz die Teilnahme von Frauen an den Verhandlungen verbiete. Thatsächlich fanden die Versammlungen unter Ausschluss der Frauen statt; der Kongress nahm jedoch einstimmig eine Resolution an, in der er diesen Ausschluss bedauerte und den Wunsch aussprach, dass alle in dieser Hinsicht für die Frauen geltenden Beschränkungen beseitigt werden möchten. Wenn auch von sichtbaren, positiven Erfolgen auf diesem Gebiet der Frauenbestrebungen noch nicht viel zu sagen ist, so können sie umsomehr in der öffentlichen Meinung konstatiert werden, die diesen Bestrebungen eine allgemeine, steigende Sympathie entgegenbringt. Mit einem einheitlichen, zeitgemässen, freieren Vereins- und Versammlungsrecht wird dann auch erst die richtige Agitation der deutschen Frauen für eine Ausdehnung ihrer Rechte und Pflichten auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens und endlich auch auf ihre Beteiligung an der Gesetzgebung selbst einsetzen können.201
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Ludwig Wachler: Zur rechtlichen Stellung der Frauen, 1869
WACHLER, Ludwig: Zur rechtlichen Stellung der Frauen, Breslau 1869 Kommentar: Ludwig Wachler, der zur Zeit seiner Untersuchung zur rechtlichen Stellung der Frauen als Kreisrichter tätig war, tritt in den 1870er Jahren als Herausgeber einer Textausgabe der Verfassung des Deutschen Reichs (1872) und eines in zwei Auflagen erscheinenden Werks zur Preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 hervor. In seinem Werk von 1869 schildert er ausgehend von der Lage nach Gemeinem Recht und Preußischem Allgemeinen Landrecht (PrALR) mit zahlreichen Nachweisen umfassend die Rechtsstellung von Frauen im Zivilrecht, öffentlichen Recht und zumindest ansatzweise auch im Strafrecht. Dabei bezieht Wachler eindeutig Stellung zugunsten der Frauen und will seine Schrift als eine Hilfe auf dem Weg zur rechtlichen Gleichstellung verstanden wissen: „Wenn aber in den Schriften über die Frauenfrage theilweise ausgeführt wird, daß die wesentliche Gleichheit der persönlichen Freiheit beider Geschlechter angenommen werden muß und diesem Grundgedanken der Rechtsgleichheit auch die wesentlichsten Bestimmungen des heutigen bürgerlichen Rechts in Deutschland entsprechen und in Beziehung auf die privatrechtliche Stellung der Frauen nur noch wenig zu thun übrig bleibt, so schien es nicht ganz vergebliche Mühe, dieses angeblich Wenige einmal kurz zusammenzufassen und hervorzuheben, in welchen Punkten die thatsächliche Rechtsgleichheit beider Geschlechter noch nicht durchgeführt und in wieweit diese Rechtsungleichheit gerechtfertigt ist. Als ein geringes Scherflein zur Abtragung einer alten Schuld gegen das andere Geschlecht sollen demnach die folgenden Bemerkungen dienen (…)“ (S. 3). Er drängt auf eine Verwirklichung von Art. 4 der Preußischen Verfassung „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich“ und versteht dies als Aufforderung zur rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter (S. 7). Die Frauen wollen die rechtliche Gleichstellung mit den Männern, sie wollen nicht gleich den Unmündigen behandelt sein, sie wollen im Strafrecht keine mildernden Umstände auf Grund ihres Geschlechts (S. 8). „Und zu diesem Willen haben unsere Frauen ein Recht. Sie haben ein Recht darauf zu verlangen, daß alle Ausnahmen fallen und daß das gesetzlich anerkannte natürliche Prinzip der Rechtsgleichheit in seiner Reinheit durchgeführt werde“ (S. 9).
201 Die Rechtskämpfe im Zusammenhang der deutschen Frauenbewegung vgl. Handbuch
der Frauenbewegung Teil I.
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Landes-Vereinsgesetz die Teilnahme von Frauen an den Verhandlungen verbiete. Thatsächlich fanden die Versammlungen unter Ausschluss der Frauen statt; der Kongress nahm jedoch einstimmig eine Resolution an, in der er diesen Ausschluss bedauerte und den Wunsch aussprach, dass alle in dieser Hinsicht für die Frauen geltenden Beschränkungen beseitigt werden möchten. Wenn auch von sichtbaren, positiven Erfolgen auf diesem Gebiet der Frauenbestrebungen noch nicht viel zu sagen ist, so können sie umsomehr in der öffentlichen Meinung konstatiert werden, die diesen Bestrebungen eine allgemeine, steigende Sympathie entgegenbringt. Mit einem einheitlichen, zeitgemässen, freieren Vereins- und Versammlungsrecht wird dann auch erst die richtige Agitation der deutschen Frauen für eine Ausdehnung ihrer Rechte und Pflichten auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens und endlich auch auf ihre Beteiligung an der Gesetzgebung selbst einsetzen können.201
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Ludwig Wachler: Zur rechtlichen Stellung der Frauen, 1869
WACHLER, Ludwig: Zur rechtlichen Stellung der Frauen, Breslau 1869 Kommentar: Ludwig Wachler, der zur Zeit seiner Untersuchung zur rechtlichen Stellung der Frauen als Kreisrichter tätig war, tritt in den 1870er Jahren als Herausgeber einer Textausgabe der Verfassung des Deutschen Reichs (1872) und eines in zwei Auflagen erscheinenden Werks zur Preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 hervor. In seinem Werk von 1869 schildert er ausgehend von der Lage nach Gemeinem Recht und Preußischem Allgemeinen Landrecht (PrALR) mit zahlreichen Nachweisen umfassend die Rechtsstellung von Frauen im Zivilrecht, öffentlichen Recht und zumindest ansatzweise auch im Strafrecht. Dabei bezieht Wachler eindeutig Stellung zugunsten der Frauen und will seine Schrift als eine Hilfe auf dem Weg zur rechtlichen Gleichstellung verstanden wissen: „Wenn aber in den Schriften über die Frauenfrage theilweise ausgeführt wird, daß die wesentliche Gleichheit der persönlichen Freiheit beider Geschlechter angenommen werden muß und diesem Grundgedanken der Rechtsgleichheit auch die wesentlichsten Bestimmungen des heutigen bürgerlichen Rechts in Deutschland entsprechen und in Beziehung auf die privatrechtliche Stellung der Frauen nur noch wenig zu thun übrig bleibt, so schien es nicht ganz vergebliche Mühe, dieses angeblich Wenige einmal kurz zusammenzufassen und hervorzuheben, in welchen Punkten die thatsächliche Rechtsgleichheit beider Geschlechter noch nicht durchgeführt und in wieweit diese Rechtsungleichheit gerechtfertigt ist. Als ein geringes Scherflein zur Abtragung einer alten Schuld gegen das andere Geschlecht sollen demnach die folgenden Bemerkungen dienen (…)“ (S. 3). Er drängt auf eine Verwirklichung von Art. 4 der Preußischen Verfassung „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich“ und versteht dies als Aufforderung zur rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter (S. 7). Die Frauen wollen die rechtliche Gleichstellung mit den Männern, sie wollen nicht gleich den Unmündigen behandelt sein, sie wollen im Strafrecht keine mildernden Umstände auf Grund ihres Geschlechts (S. 8). „Und zu diesem Willen haben unsere Frauen ein Recht. Sie haben ein Recht darauf zu verlangen, daß alle Ausnahmen fallen und daß das gesetzlich anerkannte natürliche Prinzip der Rechtsgleichheit in seiner Reinheit durchgeführt werde“ (S. 9).
201 Die Rechtskämpfe im Zusammenhang der deutschen Frauenbewegung vgl. Handbuch
der Frauenbewegung Teil I.
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In einer Zeit, in der von Männern wie John Stuart Mill bereits das aktive und passive Wahlrecht der Frauen gefordert werde, seien fortbestehende Ungleichheiten eine Rechtsanomalie. Wachler listet hierzu nicht nur umfangreiche, damals noch bestehende Benachteiligungen unverheirateter Frauen auf, sondern übt am Beispiel des PrALR auch Kritik am bestehenden Eherecht (S. 15-18), Elternrecht und Vormundschaftsrecht. Wachlers Schrift blieb nicht ohne Wirkung. Sie wird in der Frauenbewegung um 1870 rezipiert. Marie Calm (Nr. 13, S. 263) nennt wenige Jahre später Wachler ausdrücklich als Gewährsmann und argumentiert genau wie er mit Art. 4 der Preußischen Verfassung. Noch Marie Stritt (Nr. 63, 1901, S. 134 f.) verweist auf eine vortreffliche kleine Broschüre „Zur rechtlichen Stellung der Frauen“, herausgegeben von dem schlesischen Kreisrichter Wachler, die schon 1869 erschienen sei und in sachlicher, anschaulicher Weise die Ungerechtigkeiten und Härten der bestehenden zivilrechtlichen Bestimmungen in Bezug auf die Frauen in den einzelnen deutschen Staaten dargelegt habe. Diese Schrift habe damals im allgemeinen noch wenig Beachtung gefunden, umso mehr Verständnis und Würdigung aber bei den ersten Führerinnen der Frauenbewegung (vgl. zu Wachler auch Riedel, S. 40-58).
Zur rechtlichen Stellung der Frauen von Ludwig Wachler, Kreisrichter
(1) Eine derjenigen Fragen, welche in neuester Zeit nicht mehr von der Tagesordnung verschwindet, ist die über die Stellung der Frauen welche in gesellschaftlicher, wirthschaftlicher und politischer Beziehung in Staat, Gemeinde und Kirche – eine wesentlich verschiedene und zurückstehende gegen das männliche Geschlecht ist. Es fehlt, um nur Einiges hervorzuheben, der Frauensperson an activem und passivem Wahlrecht, an der Fähigkeit zum Geschworenen, zum Ehrenbürgerrecht;202 zur Mitgliedschaft in politischen Vereinen203 zur Standschaft; noch sind ihnen sämmtliche Facultäten204 und viele Gewerbe205 verschlossen; noch ist der Kreis der Berufsarten und der Erwerbsmittel des weiblichen Geschlechts ein sehr beschränkter. Schon das Römische öffentliche Recht sah das Weib als das schwächere und deshalb weniger berechtigte an: es legte dem sexus virilis206 eine major dignitas bei und erachtete jenes durch die mores majorum und die pudicitia sexui congruens für verhindert, an den officiis virilibus Theil zu nehmen. Im Mittelalter nahm die Frau überhaupt eine untergeordnete Stellung im (2) öffentlichen Leben ein: man besang und liebte sie. Das war Alles, während die alten Germanen 202 trotzdem sie Bürger sein können. § 5. 6. Städteordnung vom 30. Mai 1853 für die öst-
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lichen Provinzen (G.-S. S. 261) und vom 19. März 1856 für Westphalen. (G.-S. S. 237). sie dürfen sogar den Versammlungen und Sitzungen nicht beiwohnen. Vereinsgesetz vom 11. März 1850 § 8. (G.-S. S. 277). dies galt schon im Römischen Recht: Feminae ab omnibus officiis civilibus vel publicis remotae sunt et ideo nec judices esse possunt nec magistratum gerere nec postulare nec pro alio intervenire nec procuratores existere. Ulpian 1. 2 D. 50, 17. Moribus feminae impediuntur, ne judices sint, – non quia non habent judicium, sed quia receptum est, ut civilibus officiis non fungantur. 1. 12. § 2. D. 5, 1. z. B. das Preßgewerbe § 4 G. vom 12. Mai 185l (G.-S. S. 273), die Apothekerkunst: Ordnung vom 12. October 1801 § 4. Der Entwurf der neuen Gewerbeordnung läßt den Gewerbebetrieb unbeschränkt durch Frauen zu. 1. D. I, 9.
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die Frauen sogar zu ihren Berathungen zugezogen haben sollen. Noch Hegel findet nur in der Ehe die Bestimmung des Mädchens und erachtet das Weib für Philosophie und höhere Wissenschaften nicht für geschaffen. Auf der anderen Seite erblickt man darin eine Einseitigkeit der Anschauung, da die geistigen Entwicklungsgesetze für beide Geschlechter dieselben sind und Frauen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, der Kunst und Wissenschaft Bedeutendes geleistet haben. Noch schwebt der Kampf in voller Heftigkeit. Hier tritt hauptsächlich die Familie, die Macht des Herkommens und die Frauenwürde in den Vordergrund, dort neben diesem das Streben nach Vervollkommnung der geistigen und körperlichen Anlagen durch ein verbessertes System der weiblichen Erziehung, nach neuen Erwerbsgebieten, neuer Thätigkeit und demzufolge anderer socialer Stellung. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß aus diesem Kampfe die letztere Partei, wenn sie mit Maaß der Körperkraft und dem weiblichen Sinn Rechnung tragend, und der weiblichen Würde gemäß vorschreitet, Siegerin bleiben wird. Eine Emancipation der Frauen von Haus, Familie und Sitte ist freilich nicht damit gemeint. Der schönste und eigenste Beruf der deutschen Frau wird immer im Hause als Gattin und Mutter, als geistige und leibliche Bildnerin ihrer Kinder und Genossin ihres Mannes bleiben. Dies schließt aber durchaus nicht aus, daß die Frau – und es giebt deren nur zu viele – auch in anderer Thätigkeit ihren Beruf finden und ausfüllen könne, am allerwenigsten aber, daß die Gesetzgebung der Frau überhaupt ihr Recht gibt, das ebenso ein Unrecht ist, als das des Mannes. Von anderer kompetenterer Seite ist bereits mehrfach die Stellung der Frauen in gesellschaftlicher, wirthschaftlicher und politischer Beziehung eingehend beleuchtet worden,207 so daß es mir nicht zustehen würde, (3) darauf nochmals zurückzukommen. Wenn aber in den Schriften über die Frauenfrage theilweise ausgeführt wird, daß die wesentliche Gleichheit der persönlichen Freiheit beider Geschlechter angenommen werden muß und diesem Grundgedanken der Rechtsgleichheit auch die wesentlichsten Bestimmungen des heutigen bürgerlichen Rechts in Deutschland entsprechen und in Beziehung auf die privatrechtliche Stellung der Frauen nur noch wenig zu thun übrig bleibt, so schien es nicht ganz vergebliche Mühe, dieses angeblich Wenige einmal kurz zusammenzufassen und hervorzuheben, in welchen Punkten die thatsächliche Rechtsgleichheit beider Geschlechter noch nicht durchgeführt und in wieweit diese Rechtsungleichheit gerechtfertigt ist. Als ein geringes Scherflein zur Abtragung einer alten Schuld gegen das andere Geschlecht sollen demnach die folgenden Bemerkungen dienen, die auf Originalität keinen Anspruch machen und nur das Recht in den alten preußischen Provinzen im Anschluß an das Römische und gemeine Recht berücksichtigen, weil der Aufenthalt in einer kleinen Provinzialstadt die Benutzung größerer Bibliotheken und ausländischer Gesetzbücher unmöglich machte. ____________________________ 207 Ueber die Verbesserung in der geselligen und wirthschaftlichen Stellung der Frauen
von Holtzendorf, Berlin 1867 (Sammlung gemeinnütziger wissenschaftlicher Aufsätze von Virchow und Holtzendorf, Heft 40.) Die socialen Reformbestrebungen der Frauen von Minna Pinoff, Breslau 1868. Die politische Gleichstellung der Frauen von Prof. Dr. Reinhold Schmidt. 4. Heft der deutschen Vierteljahresschrift pro 1868. Ziele und Wege der weiblichen Erziehung nach den Anforderungen der Gegenwart von Maria Stöphasius. Berlin. 1868 u.a.
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Person im juristischen Sinne des Wortes ist identisch mit Rechtssubject. Jedes Wesen, welches als Rechtssubject anerkannt ist, hat persönliche Rechte, also auch das Weib. Dieses Recht steht ihm als Naturrecht ebenso zu, als dem Manne. Dies gilt auch nach Römischem Recht.208 Trotzdem betrachteten die heidnischen Anschauungen des Alterthums, insbesondere das Römische Recht, ursprünglich das Weib dem Manne als dem natürlich stärkeren unterthan. Eingeschränkt in ihr Haus durfte sie sich mit Nichts als häuslichen Arbeiten für den Mann beschäftigen. Sie war von aller Theilnehmung an seinen äußeren Rechten und an den meisten seiner geselligen Vergnügungen ausge-(4)schlossen. Sie war nur das Instrument, dessen er sich ad extinguendam libidinem oder ad procreandam sobolem bediente, sie mußte diese Bestimmung nach dem Gutfinden des Mannes mit Konkubinen und Sklavinnen theilen, und es hing lediglich von seiner jedesmaligen Laune ab, sie von sich zu stoßen209 und Gericht über sie zu halten bis zur Todesstrafe. Eignes Vermögen durfte die Frau nicht besitzen und erwerben. Später gelangte die Frau zu gleicher Würde mit dem Manne: die Frau verblieb in der väterlichen Gewalt, ebenso ihr Vermögen und Erwerb. Der Mann hatte keine hausherrlichen Rechte. Mit der Ausbildung des eigentlichen jus civile erhielt dagegen wiederum der Mann eine Prävalenz über das Weib und erscheint als der allein Berechtigte. Zwischen dem Manne und der Frau besteht Personeneinheit. Sie hat daher in ihm, aber nur in ihm Privatrechtsfähigkeit. Gemildert wurde diese Auffassung durch das Christenthum, das dem Heiden erst die wahre Achtung des Weibes und Familiensinn, welche den Juden längst eigen waren, eröffnete, wenn es auch immer noch die Frau unter dem Manne stehen ließ. Nach der christlichen Glaubenslehre ist weder der Mann ohne das Weib, noch das Weib ohne den Mann in dem Herrn; denn wie das Weib von dem Manne, also kommt auch der Mann durch das Weib, aber alles von Gott.210 Denselben Gedanken spricht Justinian in der Novelle 18 cap. IV dahin aus: neque enim masculus solus neque femina, sola ad liberorum procreationem sufficit, sed sicut deus utrumque conjunxit ad generationis opus, ita et nos eandem utrique aequalitatem servamus. und im cap. V: Et nos non luxuriose, sed caste viventibus legem damus. Nos autem distingimus in liberis sive masculi sint sive feminae. Quemadmodum enim natura nihil circa illa distinguit, ita nec nos hac in re aliam masculis, aliam feminis legem ferimus. Ueberhaupt war die Gesetzgebung Justinians von dem größten Einfluß auf die rechtliche Stellung des weiblichen Geschlechts. (5) Ich erwähne hier nur die Umwandlung der donatio ante nuptias in eine auch in stehender Ehe zu bestellende donatio propter nuptias, die Erwähnung einer in rem actio ex stipulatu pro tali do208 verbum hoc: si quis tam masculos quam feminae complectitur. L. 1. D. 50, 16. Nostra
constitutio inter masculos et feminas in hoc jure nihil interesse existimans, quia utraque persona in hominum procreatione similiter naturae officia fungitur. Inst. II, 13. § 5. Qui enim tales differentias inducunt, quasi naturae accusatores existunt, cur non totos masculos generavit, ut unde generentur non fiant. L. 4. c. VI, 28. Divi autem principes non passi sunt talem contra naturam injuriam. § 15 Inst. III, 1. 209 Aus Suarez. Vorträge über die Schlußrevision. 210 1. Korinther 11, v. 11 und 12.
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natione, das Verbot der Verpfändung und Veräußerung der Außer-Italischen Dotalgrundstücke, beides selbst mit Zustimmung der Frau; die Fixirung des Rechts der Scheidungen; die Einführung der Einsetzung oder Exheridation nominatim für Descendenten beiderlei Geschlechts; die Aufhebung der Unterschiede des Geschlechts in Bezug auf die Erbfolge überhaupt die Einführung des vollen Intestaterbrechts der Mutter vor allen anderen personis legitimis; die Aufhebung des Senatus consultum Claudianum; die Einführung der Todesstrafe für den gewaltsamen Raub einer Jungfrau oder Wittwe oder Nonne gegen Verbrecher und Hülfeleister; das Pflichttheilsrecht der überlebenden Ehefrau; die Erhebung der legi[ti]matio per subsequens matrimonium zu einem dauernden Rechtsinstitut. Aber niemals war in jenen älteren Zeiten das Band der Ehe so genau, so innig, so gleich und so heilig und unverletzlich, als unsere heutigen Sitten, unsere ganze Denkart und selbst unsere Gesetze es gemacht haben. Was die Bibel sagt: das Weib wird Vater und Mutter verlassen ec., paßt gewiß mehr auf unsere jetzigen Verhältnisse, als auf die damaligen. Die Frau ist jetzt mehr, als jemals, Theilnehmerin an allen Schicksalen des Mannes, Mitgenossin aller Vorrechte und Lasten seines Standes und Berufes, Gehülfin nicht nur für Küche und Hauswirthschaft, sondern auch für die meisten seiner Berufsgeschäfte.211 Im allgemeinen prävalirte im Römischen Recht der Grundsatz, daß das weibliche Geschlecht theils zurückgesetzt, theils begünstigt werden müsse in Erwägung seiner Hülflosigkeit und Schwäche.212 Dieser Gedanke erhielt sich noch während des Mittelalters, wo man gesetzlich einen besonderen „Frieden“ den Frauen gleichwie den Geistlichen, Fremden und Juden als schutzbedürftigen Personen angedeihen ließ. Im Uebrigen bedurften die Frauen nach deutschem Recht, weil sie als Waffenunfähige nicht völlig rechtsfähig waren, einer Ver-(6)tretung, die als mundium, die Vertretung des Ehemanns, und als Geschlechtskuratel des Vaters oder nächsten männlichen Verwandten bei Unverheiratheten vorkommt. Die Ehefrau war in der rechtlichen Gewalt (mundium) des Mannes, sonst aber seine ihm ganz gleiche Lebensgenossin.213 Auf den angeführten Grundlagen wurde das Preußische Gesetzbuch erbaut. Dasselbe nennt den Menschen, insofern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, Person und spricht die allgemeinen Rechte der Menschheit sogar den noch ungeborenen Kindern zu.214 Die besonderen Rechte und Pflichten der Mitglieder des Staats beruhen auf dem persönlichen Verhältnisse, in welchem ein Jeder gegen den Andern und gegen den Staat selbst sich befindet.215 Jenes statuirt gewisse Geschlechtsunterschiede, die namentlich im Strafrecht (Unzucht, Kuppelei, Entführung) ihren Einfluß äußern und auch sonst, wie z. B. die frühere Reife der Frauen bei der Heirathsfähigkeit und der Nachsuchung der Großjährigkeitserklärung (venia aetatis) anzuerkennen und anerkannt sind.216 211 Aus Suarez Vorträge über die Schlußrevision. Note zu § 570 tit. 1 des ersten Bandes
des Personenrechts. 212 L. 19. D. 1, 5 (Papinian): In mutis juris nostri articulis deterior est conditio femina213 214 215 216
rum, quam masculorum. Sachsenspiegel Bd. III. A. 45 und Bd. I. A. 45. § 1. 10 Einl. z. A. L. R. Einl. § 84. § 37. Th. II, tit. 1. § 719 II. 18 A. L. R. Frauen sind mit 14, Männer erst mit 18 Jahren heirathsfähig, jene mit 18, diese erst mit 20 Jahren zur venia aetatis berechtigt.
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In Bezug auf die Rechtsfähigkeit spricht dagegen das allgemeine Landrecht die Gleichstellung beider Geschlechter im Prinzip aus. Nach § 22 der Einleitung verbinden die Gesetze des Staates alle Mitglieder desselben ohne Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechts, und der § 24 tit. 1, Th. I. bestimmt ausdrücklich: Die Rechte beider Geschlechter sind einander gleich, soweit nicht durch besondere Gesetze oder rechtsgültige Willenserklärungen Ausnahmen bestimmt werden. Es läßt sich nun auch nicht verkennen, daß die Rechtsfähigkeit der Frauen im Wesentlichen durchgeführt ist, daß z.B. das Altpreußische Recht einen entschuldbaren Rechtsirrthum der Frauen,217 eine (7) Geschlechtsvormundschaft,218 einen verschiedenen Mündigkeitstermin,219 eine verschiedene Testirfähigkeit220 und Eidesmündigkeit der Minderjährigen nicht kennt. Andrerseits ist aber das Princip so vielfach durchlöchert, daß eine Menge von gesetzlichen Ausnahmen geblieben sind. Einige derselben sind in neuerer Zeit wieder gefallen, an der Beseitigung anderer wird von vielen Seiten gewirkt. Noch aber fehlt es auch in dieser Richtung an einer Verwirklichung des Art. 4 der Verfassungsurkunde: Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Durch das Allgemeine Landrecht zieht sich nämlich wie ein rother Faden die Fiction der Hülfsbedürftigkeit des weiblichen Geschlechts, ebenso wie im Römischen Recht, nur daß jenes bei der Erbfolge der Ehegatten der Innigkeit des ehelichen Verhältnisses mehr Rechnung trug, als dieses. Dies zeigt sich zunächst in den Beschränkungen der Bürgschaften und andern Intercessionen der Frauensperson. Die Verfasser des Allgem. Landrechts sagen in ihren Motiven221 ausdrücklich zur Rechtfertigung derselben:
217 Das Römische Recht gewährte eine restitutio in integrum wegen Rechtsirrtums gewis-
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sen Personen, quibus jus ignorare permissum est nämlich Soldaten, Ungebildeten, Minderjährigen und Frauen; diesen jedoch nur zur Abwehrung eines Schadens (damnum), nicht in lucro. C. I, 18 c. 11 und 13. L. 7. 8. D. 22. 6. L. 6. Cod. 6. 9. L. 11. C. 5. 31. Die particularrechtlichen Ueberreste der Geschlechtsvormundschaft sind seit dem Jahre 1826 nach und nach in ganz Preußen aufgehoben worden. In den Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein steht die Aufhebung bevor und ist in den Motiven des den Provinzial-Landtagen vorgelegten Gesetzentwurfs u. A. gesagt: „In neuerer Zeit ist diese Geschlechtsvormundschaft im engeren Sinne, weil sie dem Grundsatze der rechtlichen Gleichstellung beider Geschlechter widerspricht und als praktisch werthlos und nachtheilig sich erwiesen hat, fast überall verdrängt worden. Von 14 und resp. 12 Jahren: Vormundschaftsordnung von 1718 § 54. C. C. M. Th. II, Abth. II., S. 74. Proj. des Corp. Jur. frid. von 1749. Letzteres setzte sogar noch die Grenze der Kindheit für Knaben auf 7, für Mädchen bei ersteren auf 10½, bei diesen auf 9 (pubertati proximi). § 16. 17. tit. 12, Th. 1 A. L. R. Note zu § 273, S. 502, Bd. V. des gedruckten Entwurfs.
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Die Lehre des Römischen Rechts222 von den Bürgschaften der Frauenspersonen, nach welcher dieselben nicht nur für ungültig, sondern (8) sogar für unerlaubt erklärt worden, ist bekanntermaßen in neueren Zeiten sehr angefochten worden. Es steht auch nicht zu leugnen, daß diese Vorschriften so, wie sie besonders nach den Erklärungen einiger angesehener Ausleger und einem hergebrachten Gerichtsgebrauch gemeiniglich angewendet und behandelt werden, größtentheils in leere Formalitäten ausarten, unter deren Schutz viel Betrügereien vorfallen; so wie man auf der andern Seite sinnreich gewesen ist, Schlupfwinkel zu erfinden, durch welche der ganze Zweck des Gesetzes vereitelt wird. In der Sache selbst wird doch schwerlich geleugnet werden können, daß bei dem anderen Geschlecht, im Ganzen genommen, ein höheres Übergewicht von Sinnlichkeit obwalte,223 vermöge dessen gegenwärtige Eindrücke auf solches mit einer solchen Lebhaftigkeit wirken, daß die Idee entfernter und bloß möglicher Folgen dadurch mehr ins Dunkle gestellt wird, als nach den Regeln der Ueberlegung geschehen sollte! Es liegt also gewiß nichts Unbilliges darin, wenn das Gesetz dem schwächeren Geschlecht soweit zu Hülfe kommt, daß demselben, wenn es sich in Bürgschaftsverträge einlassen will, die Art der dadurch übernommenen Verpflichtungen und die nachtheiligen Folgen, welche daraus entstehen können, bekannt und erinnerlich gemacht werden sollen?“ Des Pudels Kern ist also die levitas und imbecillitas sexus; die angebliche Schwäche und Leichtigkeit des weiblichen Geschlechts. Wie aber, wenn das schwächliche Geschlecht gar nicht schwach sein will und ist, wenn es die Suppositionen des Gesetzgebers zurückweisen will? Beneficia nemini obtruduntur – Wohlthaten werden Niemandem aufgedrungen. Die Frauen wollen die rechtliche Gleichstellung mit den Männern, sie wollen nicht gleich den Unmündigen behandelt sein, sie wollen im Strafrecht keine mildernden Umstände auf Grund ihres Geschlechts,224 sie (9) wollen, daß auch ihnen gegenüber durchweg der Satz gelten soll: Jeder Einwohner des Staats ist gehalten, sich um die Gesetze, welche ihn über sein Gewerbe und seine Handlungen betreffen, genau zu erkundigen, und kann sich Niemand mit der Unwissenheit eines gehörig publicirten Gesetzes entschuldigen,225 und der oben angezogene Art. 4 der Preuß. Verfassungsurkunde zur Wahrheit werde: Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Und zu diesem Willen haben unsere Frauen ein Recht. Sie haben ein Recht darauf zu verlangen, daß alle Ausnahmen fallen und daß gesetzlich anerkannte natürliche Prinzip der Rechtsgleichheit in seiner Reinheit durchgeführt werde. In einer Zeit, in welcher das Weib immerhin noch in einer gedrückten Lage war, der es an Aufklärung und Bildung in ganzen Gesellschaftsschichten noch mangelte und in welcher das staatliche Bevormundungsprincip vorherrschend war, da hatten die Maxi222 Nach dem Senatus consultum Vellejanum 46 n. Chr. sollten Frauen keine fremde Ob-
ligation auf sich übernehmen, also namentlich auch sich nicht verbürgen dürfen. War dieses nun doch geschehen, so war die Obligation zwar civilrechtlich gültig, der Frau stand aber die exceptio Scti Vellejani zu, welches sie in Schutz genommen hatte. 223 Il est bien plus aysé d’accuser un sexe que d’excuser l’autre Montaigne. 224 quum melius erat mulieribus propter fragilitatem sexus, quam maribus subveniri. L. 20 C. 5, 3. ne sexus mulieribus fragilitas Init. Inst. II, 8. 225 Einl. z. Allg. L. R. § 12. cfr. Note 16.
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men des Gesetzbuchs wenigstens eine scheinbare Berechtigung. Heutzutage, wo die Bildung nicht mehr in Einzelnen wurzelt, sondern Gemeingut Aller und beider Geschlechter geworden ist, wo die Handelsfrau226 alle Rechte und Pflichten eines Kaufmanns ohne Berufung auf irgend welche Rechtswohlthaten hat227 sich allein gültig verpflichten und vor Gericht auftreten kann, wo die Frauen ebenfalls ohne jene Berufung wechselfähig sind,228 wo die Frage des activen und passiven Wahlrechts (10) der Frauen von Männern, wie Stuart Mill, vertreten wird, sind sie eine Rechtsanomalie. Die Frauensperson muß nach dem bestehenden Recht bei Uebernehmung von Bürgschaften,229 bei Entsagung des Einwandes, daß der Hauptschuldner zuerst belangt werden müsse (exceptio ordinis,230 überhaupt bei ihrem Eintritt in eine fremde Schuldverbindlichkeit231 jedesmal gerichtlich über die Wirkungen und Folgen bedeutet und verwarnt werden, und, wenn sie sich in einem Instrument mit einer Mannsperson verpflichtet, so muß sie der Vermuthung entsagen, daß sie nur Bürgin sei.232 Ehefrauen muß gar noch ein rechtskundiger Beistand z.B. bei gemeinsamen Hypothekbestellungen oder Kaufverträgen mit ihrem Ehemann zugeordnet werden.233 Wie kommt der Gesetzgeber, so fragt man mit Recht, zu dieser künstlichen Vermuthung, zu diesen Formalitäten, zu dieser Bevormundung, zu dieser Fürsorge für den einen Contrahenten, die er dem anderen versagt? In vielen Fällen – das Gleiche gilt bei Verträgen zwischen Eheleuten zum Vortheil des Mannes, wo ebenfalls die Zuordnung eines Beistandes, die gerichtliche Vollziehung der Verhandlung und die Rechtsconsulenz des instrumentirenden Richters von Amtswegen zu Gunsten der Frau vorgeschrieben ist,234 – ist die Frau geistig befähigter, als
226 Dasselbe ist in dem Gesetzentwurf betreffend die privatrechtliche Stellung der Er-
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werbs- und Wirthschafts-Genossenschaften von Schultze in § 12 hinsichtlich der der Genossenschaft beigetretenen Frauenspersonen vorgesehen. Art. 6. 8. 9. Allg. deutsches Handelsgesetzbuch, im wesentlichen conform dem Allg. L. R. II, 8 § 488 fg. Daß sie nicht ohne Genehmigung des Mannes Handelsfrau sein kann (Art. 7. H. Gesb.), liegt in dem ehelichen Mundium des Mannes. Es gilt aber schon als Einwilligung, wenn die Frau mit Wissen und ohne Einspruch des Mannes Handel treibt. Art. 1 der Allg. deutschen Wechselordnung. Die Ehefrauen unter der Herrschaft des Landrechts natürlich nur mit dem Consens des Mannnes oder, wenn sie von dem Manne ermächtigt sind, alle ihre Angelegenheiten ohne seinen Beistand und ohne seine Mitunterschrift und Genehmigung zu besorgen. § 320 tit. I. Th. II, A. L. R. Pl.Beschl. des Obertrib. v. 21. Febr. 1853: Entsch. b. 24 S. 260. Erk. vom 16. Oktober 1866: Entsch. Bd. 57. S. 336. Ohne Genehmigung des Ehemannes ist die Wechselfähigkeit dann anerkannt, wenn das Vermögen der Ehefrau durch Vertrag für vorbehaltenes erklärt worden ist. Entsch. Bd. 57. S. 339. § 221 fg. tit. 14 Th. 1. A. L. R. § 308 1. c. § 228 a.a.O. z.B. dem mandatum qualificatum. (§ 213. 218 a.a.O.), der Hypothekenbestellung oder der Faustpfandbestellung für die Schuld eines Andern, der PrioritätsEinräumung vor den Illaten der Ehefrau und sonst, jeder Correal, Verbindlichkeit. § 232 a.a.O. u. f. § 343. tit. 1, Th. II, A. L. R. § 198–201 a. a. O.
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der Mann.235 Jede Frauensperson, die vermögend ist, kennt die Folgen der Bürgschaft, die sie übernimmt, sehr wohl und vergegenwärtigt sich dieselben bei der Uebernahme mindestens so gut, als ein einfacher Landmann. In allen Fällen aber ist die ganze (11) Procedur bedingungslos,236 da der Richter das Innere des Herzens nicht durchschauen kann. Denn entweder die Frauensperson wird von demjenigen, zu dessen Gunsten ihre Erklärung erfolgt, oder von einem Dritten gezwungen oder dabei mit ihrem Wissen übervortheilt, so wird sie durch die richterliche Verwarnung nicht von ihrem Entschluß abgebracht werden, da sie sonst überhaupt nicht vor das Gericht treten würde. Volenti non fit injuria. Oder sie wird es nicht. Alsdann ist die Verwarnung ebenfalls unnütz und absorbirt nur unnnöthiger Weise die Zeit des Richters und der Partei. Wissenschaft und Praxis haben denn auch in gleicher Weise über diesen mittelalterlichen oder vielmehr römischen Zopf den Stab gebrochen. Das Justizministerium erforderte durch allgemeine Verfügung vom 3l. Oktober 1840237 von sämmtlichen Obergerichten Berichte über die Zweckmäßigkeit der Certioration der Frauenspersonen, indem es namentlich anerkannte, daß diese Lehre verhältnißmäßig zu den meisten, wegen der eigenthümlichen Subtilität dieser Materie nicht wohl vermeidlichen Controversen und in Folge dessen zu den verwickeltsten Prozessen Veranlassung gebe. Wie diese Berichte ausgefallen sind, ist mir nicht bekannt. Die Gesetzgebung hat jedoch bis jetzt den Auftrag der Sache noch nicht in die Hand genommen. Dagegen sagt der höchste Gerichtshof in einem neueren Erkenntniß vom 2. März 1865238 mit Bezug auf das A. L. R. I. 14 § 232 und II. 1 § 343 wörtlich bei Erörterung eines Falles, in welchem man die Zuziehung eines von der Frau gewählten Beistandes nicht gelten lassen wollte: „Es ist nicht zulässig, aus einem vermeinten Geiste und Zwecke solcher beibehaltener Förmlichkeiten noch eine Steigerung derselben herleiten zu wollen. Die Aufhebung der weiblichen Intercessions-Vorrechte, welche vollends seit der Wechselfähigkeit der Frauen illusorisch sind, ist wiederholt in der Gesetzgebung angeregt (vergl. Minister.-Bl. von 1840, (12) S. 344. Note zu S. 45. Bd. 11. der Entsch.)239 auch schon zur Zeit der Abfassung des Allgemeinen Landrechts in Frage gekommen (vergl. über § 343. Paalzow observationes ad jus borussicum fasc. I. obs. 1.)“
235 quodvi mulieribus non omnis deficiat intellectus, immo non nulla eodem viris prae-
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stent. ut proinde ratio, quae vulgo petitur a fragilitate et debilitate judicii in sexu sequiori non fit adaequata: Paalzow observationes ad jus borussicum fasc. I obs. I. Wie die alten Geschlechtscuratoren, von denen Hommel sagt: quidem pupae, sed tamen pupaem quibus foeminae ludunt. a. a. O. I. Mbl. S. 344. E. Band 55. S. 88. Das Obertribunal dehnte durch Plenarbeschluß vom 28. Februar 1845 den § 232 tit. 14 Th. 1. A. L. R. auch auf zweizeilige Verträge aus. Die Herausgeber der Entscheidungen regen daher nochmals die Erwägung der legislatorischen Frage der Aufhebung an und meinen, daß die gemeinschaftlichen Unternehmungen unserer Tage, wo gemeinschaftliche Obligationen so sehr sich gemehrt haben, insbesondere verdienen in Betracht gezogen zu werden.
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Es ist auch in der Praxis meines Wissens kein Fall bekannt geworden, wo die richterliche Verwarnung die Frauensperson bestimmt hätte, ihre Erklärung nicht abzugeben. Gewöhnlich lächeln sie zu den Vorhaltungen des Richters. Dagegen haben Frauen in der That keinen Anstand genommen, sich auf ihre nicht gehörig erfolgte Verwarnung zu ihrem Vortheil zu berufen, um sich zum Schaden Dritter von ernstlich gemeinten Verpflichtungen zu befreien.240 Die vorgeschriebene Verwarnung selbst, wie sie meistens gedruckt ist und bei den Gerichten angewendet wird, ist so wenig verständlich, daß es zu derselben eigentlich wieder einer besonderen Erläuterung Seitens des instrumentirenden Richters bedürfte.241 Fügen wir noch hinzu, daß Frauenspersonen alle andern Verträge über eigene negotia und Schulden, außer Bürgschaften und Intercessionen, ohne diesen Formalismus schließen können, z. B. Kauf-, Verwahrungs-, Darlehns-, Leih-Verträge,242 daß sich auch die Folgen dieser Verträge in die Zukunft erstrecken oder erstrecken können, daß sie aber namentlich auf ein ihnen zustehendes Recht ohne jede (13) Beschränkung verzichten243 und, was gefährlicher ist, als eine Intercession durch einfache gerichtliche Expromission die Schuld eines Andern übernehmen können,244 so fehlt es in der That an jedem Anhalt für die Conservirung dieses umständlichen Formalapparats, welchen die französische und österreichische Gesetzgebung längst nicht mehr kennt. Heben wir also denselben endlich auf. ____________________________ Zu dem gleichen Resultat gelangen wir, wenn wir auf den übrigen Gebieten des Privatrechts Umschau halten. Da finden wir namentlich eine auffallende Beschränkung der Ehefrauen gegenüber den unverheiratheten Frauenspersonen oder Wittwen in Bezug auf die Handlungsfähigkeit. Diese stehen in der Regel den Mannspersonen,245 jene den unmündigen gleich, wenn sie ohne Zuziehung ihrer Männer lästige Verträge geschlossen haben.246
240 Nur wenn aus einer unkräftigen Bürgschaft, also in Unwissenheit des Rechts, bereits
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gezahlt ist, gestattet das Preußische Recht, abweichend vom Römischen, keine Zurückforderung (condictio indebiti.) § 243. tit. 14 Th. 1., eine Consequenz des § 12 der Einleitung. Auf das Pfand, welches die Bürgin für eine fremde Schuld gegeben, findet dies keine Anwendung. Ein alter Praktiker pflegte nach dem Verlesen der Verwarnung und nach seiner Frage: Haben Sie das verstanden? zu sagen Bei der Antwort nein: Ich auch nicht. Bei der Antwort ja: Dann verstehen sie mehr, als ich. vergl. bezüglich der Beschränkungen das Pfandleihreglement v. 13. März 1787 § 35– 39 und unten Note 63. § 231 tit. 14 Th. 1. A. L. R. § 407 fg. a. a. O. Die Ehefrau wird auch aus der bloßen Mitunterschrift eines Miethscontracts des Ehemannes nach seinem Tode gewissermaßen verhaftet. § 372 tit. 21 Th. 1 L. R. § 23 tit. V. Th. 1. A. L. R. Ebenso die Ehefrau zur linken Hand (Hausfrau) § 868. 892 tit. 1 Th. 2. A. L. R., was die Möglichkeit der Gleichstellung der Ehefrauen mit unverheiratheten Frauenspersonen beweist. Ihr Vermögen steht nicht unter der Verwaltung des Mannes (§ 43. tit. 18 Th. II. A. L. R.) – Ganz schlimm ist dagegen eine verheirathete Pflegebefohlene (Minderjährige) daran, welche unter Vormundschaft bleibt und unter das mundium des Ehemannes kommt. Letzterer hat den Nießbrauch, der Vor-
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Dieser Grundsatz steht in offenbarem Widerspruch mit der persönlichen Freiheit der Ehefrauen, die wider den Willen des Mannes nur keine Verbindung eingehen dürften, wodurch die Rechte auf ihre Person gekränkt werden,247 und die gesetzlich andererseits anerkannt ist, da sie (14) in ihrer Testirfreiheit248 nicht beschränkt sind.249 Von Todeswegen kann also eine verheirathete Frauensperson über Millionen verfügen und Alles, bis auf den gesetzlichen Pflichtteil, dem Ehemann entziehen; unter Lebenden darf sie ohne das Vollwort des Ehemannes nicht über einen Gegenstand von 5 Sgr. contrahiren. Ebensowenig mangelt es der Ehefrau an sich an der persönlichen Fähigkeit, über ihr Vermögen zu disponiren. Sie gebührt ihr auch nach dem Gesetz ausdrücklich hinsichtlich des vorbehaltenen Vermögens mit geringen Ausnahmen,250 während in Verzug auf das eingebrachte Vermögen251 alle ohne Bewilligung des Mannes gemachten Schulden nichtig sind und selbst in den statuirten Ausnahmefällen252 in der Regel nur der Mann verhaftet ist.253 Zur Rechtfertigung des allgemeinen Grundsatzes läßt sich nur die Natur des ehelichen Verhältnisses anführen. Es kann aber nicht geleugnet werden, daß dasselbe wesentlich ein zweiseitiges ist. Da nun der Ehemann durch keine gesetzliche Vorschrift gehindert wird, in stehender Ehe über sein Vermögen ohne Zustimmung der Frau Verträge zu schliessen, so ist kein Grund abzusehen, warum nicht das gleiche Recht dem andern Theil in Bezug auf sein Vermögen zustehen soll. Allerdings bringt der Mann in der Regel außer etwaigem Vermögen in die Ehe seine Geistes- und Körperkräfte zur Erhaltung des gemeinsamen Hausstandes ein. Das Gleiche thut aber – wenigstens (15) in den überwiegenden unteren Ständen – die Ehefrau, und zur gegenseitigen Sicherstellung beider Ehegatten gegen einander in Bezug auf das eingebrachte Vermögen würden der Gesetzgebung oder der freien Vereinbarung zu
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mund und das vormundschaftliche Gericht die Verwaltung. § 736 fg. tit. 18 Th. II. L. R. § 11. 22. tit. 5. Th. 1. A. L. R. Erl. des Obertrib. vom 28. Juni 1860 Entsch. Bd. 43. S. 33. Das Gleiche gilt im älteren Römischen Recht. Trotzdem steht ihnen nicht die restitutio ex capite minorennitatis zu, wie den Unmündigen. § 196 tit. 1 Th. II. L. R. cfr. § 7 der Gesindeordnung vom 8. Nov. 1810 (nicht Ammen) § 1166 tit. 11 Th. II. L. R. (nicht Nonnen.) Nach altem römischen Recht durften die Frauen kein Testament machen, so lange sie noch familia, d. h. Agnaten oder Patronats-Berechtigte hatten, denen das Civilrecht ihr Vermögen erhalten wollte. Daher konnten die virgines vestales von jeher testiren, da sie der Familie ganz entnommen waren. Andere Frauen bedienten sich aber später der coëmtio fiduciaria, um dadurch ihre Familie los zu werden und die Testamentsfähigkeit zu erlangen. Hadrian erließ ihnen aber auch dieses Mittel. Nur so lange die tutela muliebris bestand, mußten die Frauen tutore auctore testiren. § 19. tit. 12, Th. 1. A. L. R. Es tritt dadurch z.B. der Fall ein, daß eine nicht certiorirte Bürgin die Bezahlung der verbürgten Schuld den Erben gültig als legatum debiti auftragen kann, § 430. tit. 12. § 236 tit. 14. Th. 1. A. L. R. Auch zum Abschluß von Erbverträgen mit einem Fremden muß folgeweise die Ehefrau als legitimirt erachtet werden. Koch. Erbrecht S. 775. §§ 221 fg. 318. 223 und 319 tit. 1, Th. II. L. R. wozu auch Alles gehört, was die Frau während der Ehe durch Erbschaft, Geschenke oder Glücksfälle erwirbt. § 212 1. c. § 321. 324-327. a. a. O. § 320 fg. 334. a. a. O.
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überlassende Maßregeln254 genügen, welche das Dispositionsrecht beider Ehegatten über die Substanz, ihres Vermögens beschränken und nur bei nachzuweisender Unwirthschaftlichkeit oder Verschwendung über die Revenüen ausschließen. Diese Ausschließung würde alsdann, um Dritte zu verpflichten, öffentlich bekannt zu machen sein.255 In keinem Falle kann man, wenn auch der Mann das Haupt der ehelichen Gemeinschaft ist und in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag gibt,256 so weit gehen, der Frau eine ganz untergeordnete Stellung in der Ehe, dem Manne aber alle Rechte in Bezug auf die Person und das Vermögen der Frau zu geben. Das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht des Ehemannes an dem eingebrachten Vermögen der Frau ist theoretisch recht schön. In der Praxis gestaltet es sich zu einer Eigenthums-Entziehung, die in dem Unterschiede der Geschlechter keine Basis findet. Schon in den Klein’schen Annalen257 die landrechtlichen Rechte des Ehemannes auf das Vermögen der Frau als willkürliche bezeichnet, insofern sie sich nach Umständen bestimmen, die mit seinem Stande nicht unstreitig verbunden sind und weil sie allgemeine Regeln festsetzen, die nur in dem, was mehrentheils zu geschehen pflegt, gegründet sind. Die Ehefrau darf wider den Willen ihres Mannes kein besonderes Gewerbe treiben;258 was sie aber erwirbt, wenn sie ein solches treibt, gehört dem Manne, außer Grundstücken und Kapitalien, die zur Zeit der Vermögensabsonderung auf ihren Namen geschrieben sind.259 Die Soldatenfrauen sind außerdem noch besonders eingeschränkt.260 Nur (16) der Mann befindet über die Einziehung eines Kapitals der Frau wegen besorgter Unsicherheit,261 die Frau hat kein Widerspruchsrecht; dagegen wird ihre Einwilligung in die von dem Manne beliebten Maßregeln, wenn dieselbe nothwendig ist, trotzdem die Frau nicht unter Vormundschaft steht, von dem Vormundschaftsgericht ergänzt.262 Das Gesetz sichert das Publikum in seinem Verkehr mit Ehefrauen263 gibt aber dieser dem Manne gegenüber nur das Recht einer Gläubigerin ohne Vindikationsbefugnis.264 Das Gesetz räumt auf der einen Seite dem Mann im Allgemeinen nur das unumschränkte Verwal254 cfr. §. 224 fg. tit. 1, Th. II. L. R. 255 wie bei der vertragsmäßigen Ausschließung der ehelichen Gütergemeinschaft. § 4.
Ges. v. 20. März 1837. G.-S. S. 63. 256 § 184 tit. 1, Th. II. L. R. Der Mann aber ist des Weibes Haupt. 1. Corinther 11. v. 3. 257 258 259 260
261 262
263 264
cfr. Epheser 5, v. 23. Bd. 17, S. 202. § 197. tit. 1, Th. II. L. R. § 211. 219. 220. a. a. O. Sie dürfen a) keine Grundstücke ohne Genehmigung des Regimentskommandos übernehmen, noch in ihrem Besitz befindliche veräußern oder verpfänden. § 44 27-36 tit. 10, Th. II. L. R. b) kein Gewerbe ohne Genehmigung ihrer (?!) vorgesetzten Dienstbehörde treiben. § 19 der Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845. § 235 tit. 1, Th. II L. R. § 239. 387. a. a. O. § 20 tit. 1, Th. 1. Allg. Ger.-O. Für die von dem Mann aus Eigennutz oder sonst ohne gültigen Grund zum Nachtheil der Frau veranlasste Mitwirkung oder Einwilligung bei Rechtsgeschäften enthält das Gesetz kein hinreichendes Auskunftsmittel. Allg. Ger.-O. I. 1. § 21cfr. Unten Note 112 und 113. § 240. 319 tit. 1. Th. II. L.R. § 241. 243. 244 a. a. O.
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tungs- und Nießbrauchsrecht über das Vermögen der Frau,265 ohne daß diese, die Eigenthümerin, dem Manne in der Verwaltung irgend etwas vorschreiben oder auf ihn einwirken könnte ein, dehnt aber dieses auf der anderen Seite zu einem freien Dispositionsrecht über die eingebrachten Mobilien (auch lettres au porteur, die nicht auf den Namen der Frau außer Cours gesetzt sind) d. h. Alles außer Grundstücken, Gerechtigkeiten und auf den Namen der Frau geschriebene Kapitalien aus,266 während die Frau nicht einmal ihre Schmucksachen ohne Vorbewußt des Ehemanns verpfänden kann.267 Die Frau muß es sich sogar gefallen lassen, wenn der Nießbrauch an ihrem Eingebrachten wegen einseitiger Schulden ihres Ehemanns von den Gläubigern desselben angegriffen wird268 und sich mit dem nothwendigen standesmäßigen Unterhalt für sich und ihre Kinder begnügen.269 Nach dem (17) Tode der Frau aber greift bei der Vermögensabsonderung die Vermuthung zu Gunsten des Mannes, seiner Erben und Gläubiger Platz, daß das Vorhandene zu dem Vermögen des Mannes gehöre,270 während gerade hier eine Fürsorge für die Frau weit mehr am Platze war, als sonst. Sie muß jetzt stets die von ihr behauptete Paraphernal-Qualität beweisen, und kann hinsichtlich des Eingebrachten nur in bestimmten Fällen auf Sicherstellung und bei verweigertem Unterhalt auf Aussonderung ihres Vermögens antragen, dagegen nicht dem Ehemann jederzeit die nutzbare Verwaltung ihres Vermögens entziehen. Auch ist ihr die Verwaltung und der Genuß des ihr während der Ehe zugefallenen Vermögens gesetzlich nicht vorbehalten.
265 § 245. 231. a. a. O. 266 § 247. 232. 233. a. a. O. § 561 ibid., wonach nur der aus dolus oder culpalata erfolgte 267 268 269 270
Verlauf den Ehemann ersatzpflichtig macht. § 223. a. a. O. Pfandleihreglement vom 13. März 1787. § 37. § 257 tit. 1, Th. II. L. R. § 256. 258. a. a. O. § 544 a. a. O. Das frühere Römische Recht schildert die L. 12 C. 8, 18; – et senioribus hypothecis novas mulieris hypothecas, si habebant actiones, expellebant, nec ad fragilitatem muliebrem respicientes, nec quod et corpore et substantia et omni vita sua maritus frugitur. Justinian wollte dagegen namentlich die dos als Frauengut betrachtet wissen (oportebat enim disponi, maritos, quam ad suos victus suasque alimonias mulier possident. l. c.) und der Frau eine Eigenthumsklage und eine umfangreiche Vindikations-Befugniß wegen der noch vorhandenen Dotalsachen geben. cfr. auch L. 4 C. VIII, 15. L. 30 C. V, 12. Die Römische Ehefrau stand insofern völlig gleichberechtigt und handlungsfähig neben ihrem Manne. Der Mann konnte keinerlei Befugniß über das Vermögen der Frau erlangen, ohne daß sie ihm durch einen Rechtsakt eingeräumt wurde. Daher musste der Mann von jedem Stück, von welchem er Verwaltung und Nutznießung in Anspruch nahm, die Dotalqualität (constitutio dotis) nachweisen. – Nach Deutschem Recht kam die Frau durch Vollziehen der Ehe mit Allem, was sie hatte, in die Vormundschaft und Gewalt des Mannes, vermöge welcher dieser die Verwaltung und Nutznießung des Vermögens seiner Frau erhielt, insofern sich diese nicht freie Verwaltung und Verfügung darüber vorbehalten hatte. So steht es noch heute. Koch. Erbrecht S. 970.
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In dieser Hinsicht kann sich die Ehefrau daher nur durch Verträge sichern und es ist nur zu verwundern, daß diese Sicherung nicht noch stets geschieht. Abgesehen davon, daß ferner die Eingehung von Ehen zur linken Hand nur Männern gestattet ist,271 sind die Frauen auch bei den Ehescheidungen schlechter gestellt, als die Männer. Zum Beleg dient der § 671 tit. 1, Th. II. A. L. R.: (18) „Wenn aber die Frau sich des Ehebruchs schuldig gemacht hat: so kann sie unter dem Vorwande, daß dem Manne ein gleiches Vergehen zur Last falle, der Scheidung nicht widersprechen,“ d. h. also, der Mann erlangt die Scheidung auf Grund des Ehebruchs der Frau, auch wenn er selbst die Ehe gebrochen hat; die Frau aber wird nicht geschieden, weil „nach der gemeinen Denkungsart das Extragehen nicht soviel beim Manne zu bedeuten habe.“272 Ebenmäßig muß die Frau, welche sich eigenmächtig und ohne rechtmäßigen Grund von dem Manne getrennt hat, bevor sie dieser wieder aufzunehmen verpflichtet ist, ihren inzwischen geführten unbescholtenen Wandel durch glaubhafte Zeugnisse nachweisen.273 Eine gleiche Bestimmung, welche die Frau gegen den Mann in dem gleichen Falle in Anwendung bringen könnte, fehlt, obwohl gerade in diesen beiden Punkten das sittliche Gefühl dieselbe Heilighaltung der Ehe Seitens des Mannes, als der Frau erheischt. Nach der christlichen Glaubenslehre274 und dem Sittengesetz ist der Mann als Ehebrecher ebenso schuldig, als die Frau. Das Gleiche gilt nach dem Strafrecht.275 Warum soll das bürgerliche Recht hiervon abweichen? ____________________________ Aehnliche Beschränkungen der Frauen gegenüber den Männern enthält ferner das Verhältnis der Eltern zu den Kindern und das Vormundschaftsrecht. Die Kinder sind beiden Eltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig. Beide haften für den durch sie angerichteten Schaden: vorzüglich aber stehen sie unter väterlicher Gewalt.276 Das Gesetz unterwirft die (19) Mutter der Bestimmung des Vaters, wie lange sie dem Kinde die Brust reichen muß.277 Die Anordnung der Art, wie das Kind erzogen werden soll, kommt hauptsächlich dem Vater zu.278 Nur diesem gibt das Gesetz Rechte und zwar sehr bedeutende in Bezug auf das Vermögen der § 837 tit. 1, Thl. II. L. R. Suarez. Vergl. Anm. 71. § 687 tit. 1, Th. II. L.R. Jakobi 4, 4. Nach der Römer Ansicht war nur die Ehefrau zur ehelichen Treue verpflichtet und es gab ursprünglich nur ein adulterium der Frau. Später wurde mit dem Sakrament der Ehe auch die Treue wechselseitig, und die lex Julia de adulteriis strafte beide. Es sollte der Richter inquiriren, ob auch der Mann durch keuschen Wandel seiner Frau ein gutes Beispiel gegeben habe: perinquum enim videtur esse, ut pudictiam vir ab uxore exigat, quam ipse non exhibeat. L. 13 § 5 D 48, 5. Das Deutsche Recht straft ebenfalls beide Ehebrecher; desgl. das Strafgesetzbuch § 140. 276 § 61. 62 tit. 2 Th. 2. A. L. R. § 42 tit. 6 Th. 1. L. R. § 49 Feldpolizeiordnung. Auch im Römischen Recht hatte das Weib als das schwächere und weniger berechtigte keine Gewalt über andere Freie. Feminae quoque adoptare non possunt, quia nec naturales liberos in sua potestate habent. Inst. I, 11. § 10. Inst. II, 19. C. VIII. 49, 5 und 48, 5. 1. 196 D. 50, 16. In der Kaiserzeit wurde übrigens auch den Frauen das Adoptiren seit Diocletian in solatium amissorum filiorum gestattet. Cod. VIII. 48, 5. 277 § 68 tit. 2 Th. II L. R. 278 § 74 a. a. O. 271 272 273 274 275
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Kinder,279 nur ihm das Recht der Pupillar- und Quasipupillar-Substitution, d. h. der Verfügung über das eigenthümliche Vermögen der Kinder, falls diese in der Unmündigkeit oder im Wahn- oder Blödsinn versterben sollten.280 Der Mann kann ohne die Frau, diese nur mit Genehmigung des Mannes adoptiren.281 Nach dem Tode des Vaters ist zwar besonders die Mutter zur Anzeige wegen Bestellung eines Kurators oder Vormundes verpflichtet.282 Thut sie dies nicht binnen 6 Wochen, so verliert sie den Anspruch auf die Vormundschaft.283 Trotzdem ist aber auch dann ihr Einfluß auf die Erziehung ihrer Kinder ein sehr beschränkter.284 Und während das Gesetz die Mutter nach dem Tode des Vaters oder bei seinem Unvermögen schon zur Lebenszeit zur Ausstattung der Kinder verpflichtet,285 steht ihr kein Nießbrauch und Verwaltungsrecht an dem Vermögen der Kinder, wie dem Vater, zu. Dieses befindet sich vielmehr ganz und ausschließlich unter vormundschaftlicher Verwaltung, so daß die Mutter jeden Pfennig aus dem (20) Vermögen der Kinder von dem Vormund und dem Vormundschaftsgericht erbitten muß. Selbst wenn der Ehemann seine überlebende Ehefrau zur befreiten Vormünderin der Kinder ernannt hat, muß ihr zur Überwachung ein Eigenvormund an die Seite gestellt werden.286 Die Wittwe muß, wenn sie zur zweiten Ehe schreitet und es der Vormund verlangt, die Richtigkeit des Inventariums beschwören,287 der Wittwer ist damit der Regel nach und wenn nicht besondere Gründe eines Verdachts wider ihn vorhanden sind, zu verschonen.288 Wenn auch als besondere Rechtswohltat (beneficium) die leibliche Mutter und Großmutter zur Vormünderin bestellt werden kann,289 so muß jene doch sofort die Vormundschaft niederlegen, wenn sie zur zweiten Ehe schreitet, und kann hier weder die Trennung der zweiten, vererbten Ehe, noch eine entgegengesetzte testamentarische Anordnung des Vaters Etwas ändern.290 Die Einwendungen der Mutter gegen den ernannten Vormund sollen zwar beachtet werden,291 aber nur dem Vater steht das Recht zu, auf Zeit einen Vormund anzuordnen, die Vormundschaft zu verlängern und Jemanden von der Vormundschaft auszuschließen, trotzdem grundsätzlich von dem von der Mutter ernannten Vormund eben das gelten soll, was von einem solchen, den der Vater 279 280 281 282 283 284
285 286 287 288 289
290 291
§ 158 fg. 168 fg. a. a. O. § 523. 545 a. a. O. § 674 fg. a. a. O. § 193 a. a. O. § 92 tit. 18, Th. II. L. R. § 101. 102 tit. 18, Th. II. L. R. § 315 fg. a. a. O. Sie darf z. B. von den Vorschriften des Vaters nicht ohne erhebliche Gründe und ohne Genehmigung des vormundschaftlichen Gerichts nicht abweichen. Die Erziehung ihrer Kinder kann ihr von dem Vormundschaftsgericht genommen werden. § 316. 320. 1. c. Der Vater bestimmt die Lebensart der Kinder noch nach seinem Tode, die lebende Mutter wird nur mit ihrem Gutachten darüber gehört. § 330. 332. 1. c. § 236 tit. 2, Th. 2 L. R. Anh. § 168 zu § 696 tit. 18, Th. II. L. R. § 392 a. a. O. § 991 a. a. O. § 143. 181. 186. 201 a. a. O. Schon nach Römischem Recht waren Frauenspersonen unfähig, Vormünder zu werden, und nur die Mutter und Großmutter ausgenommen. L. 16 pr. 18. D. 26. 1. nov. 94. c. 2. nov. 118. c. 5. § 188–191 tit. 18 Th. II. L. R. § 185 a. a. O.
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ausgesucht hat, verordnet ist.292 Das sind Rechtsungleichheiten, die keines Kommentars bedürfen, beseitigt werden müssen und können: Es liegt kein Grund vor, nicht beiden Eltern im Leben und nach dem Tode denselben Einfluß auf die Erziehung und das Vermögen ihrer Kinder zu gestatten, zumal thatsächlich der größere Theil der Erziehungslast den Müttern und Frauen obliegt und diese wahrhaftig durch ihre mit der Gefahr ihres Lebens oder ihrer Gesundheit verknüpfte Mutterschaft293 einen gegründeten (21) Anspruch darauf, nicht bloß für die ersten Lebensjahre, erwerben. Auch die testamentarische Bestellung eines anderen weiblichen Vormundes, außer der Mutter und Großmutter, muß den Eltern überlassen werden, da die Qualifikation an sich durch die Ausnahme bewiesen und im Uebrigen die Uebertragung der Vormundschaft lediglich Vertrauenssache ist; auch muß der Mutter hinsichtlich der Ernennung eines Vormundes oder Kurators überhaupt dasselbe Recht ohne Einschränkung zustehen, als dem Vater. Nebenvormünder sind ihr, wenn der Vater sie von obervormundschaftlichen Aufsicht und Rechnungslegung befreit hat, von Amtswegen nicht an die Stelle zu setzen, da die Ehe und Familiengemeinschaft kein Miß- sondern Vertrauen erheischt und die Zeiten der Schwäche des weiblichen Geschlechts (imbecillitas sexus) nachgerade vorüber sind. In Bezug auf die Pupillar- und Quasipupillar-Substitution, die Adoption und die Beschwörung des Nachlaßinventars sind die Ehegatten einander gleichzustellen. Gleichen Pflichten müssen auch gleiche Rechte gegenüberstehen.294 Uebrigens dürfte es an der Zeit sein, daß die Vormundschaftsordnung im Ganzen mehr einer Selbstverwaltung der Familien-Angelegenheiten ohne gerichtliche Einmischung weiche und die Vormundschaft aufhört, ein munus publicum zu sein. ____________________________ Außer den vorstehend in flüchtigen Zügen entwickelten drei Hauptgruppen finden wir an verschiedenen Stellen des Privatrechts noch Rechtsungleichheiten gegen das weibliche Geschlecht, die mit dem Geschlechtsunterschiede Nichts zu thun haben und aufgehoben werden können. So gilt bei Adlichen, wenn ein Testator Etwas zum Besten oder Flor seiner Familie ausgesetzt hat, die Vermuthung, daß die Zuwendung nur seinen männlichen Nachkommen zu Gute kommen solle. (22) Bei Bürgerlichen partizipiren auch die Descendenten der weiblichen Seite.295 Dem Grundsatz, daß bei Familienrechten auch die Frauen – die sogar zu Vorstehern ernannt werden können296 und deren Abkömmlinge Theil nehmen, wenn nichts anderes bestimmt ist,297 widerspricht der Auslegungsregel, daß bei Berufung einer namentlich bezeichneten Familie 292 § 126. 127. 698. 141. 174 a. a. O. 293 Justinian würdigte dieses Motiv bei dem der Mutter gewährten Intertestaterbrecht:
294 295 296 297
matri subveniendum esse existimavimus, respicientes ad naturam et puerperium et periculum es saepe mortem ex hac casu matribus illatam. § 4 Inst. III, 3 und bei der Umwandlung der rei uxoriae actio. Quis enim earum non miseratur propter obsequia, quae martitis praestant propter partus periculum et ipsam liberorum procreationem? I. 4. C. VIII, 15. Einl. z. A. L. R. § 40: Wem die Gesetze auf der einen Seite Verbindlichkeiten auferlegen, dem kommen sie auf der anderen Seite mit ihrem Schutz wieder zu Statten. § 523. 524 tit. 12, Th. 1. L. R. § 11 tit. 4, Th. II. L. R. § 2. 3. 37 a. a. O. § 522 tit. 12, Th. 1. L. R.
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alle, welche den Familiennamen nicht führen, ausgeschlossen sind,298 also alle Verwandte weiblichen Geschlechts, und die Bestimmungen, daß beim Erlöschen des Mannsstammes das Fideicommiß ein freies Vermögen des letzten Besitzers sein wird299 und die weiblichen Mitglieder der Familie und deren Descendenten das Näherrecht nicht ausüben dürfen.300 Standeserhöhungen der Frauen und Wittwen kommen nicht gleich denen der Väter, den Kindern zu Statten.301 Personen weiblichen Geschlechts verlieren die persönlichen Vorrechte (Art. 4 der Verfassung!), wenn sie durch Verheiratung mit einem Unadlichen ihren Geschlechtsnamen ändern. Nur die unschuldig geschiedene Frau oder im Falle der Nichtigkeitserklärung der Ehe tritt wieder in den angeborenen Stand ein.302 Ob der Adelsverlust wegen grober Verbrechen auch die unschuldige Ehefrau trifft, ist zweifelhaft, wird jedoch wohl mit Recht verneint.303 Es scheint indeß nicht geboten, auf diese für die Allgemeinheit nur untergeordneten Punkte, ebenso wenig als auf das bald ganz antiquirte Lehnrecht304 und die in der Praxis beachteten Vorschriften bei Abnahme der Eide der Jüdinnen305 näher einzugehen. Dasselbe gilt von der Sequestration einer Schwangeren Wittwe,306 die nach Römischem (23) Recht die Sicherung der Frau und des Kindes, nach Preußischem Recht die Sicherung des Mannes und seiner Erben begründet, an sich aber nur ein wunderbares und unausführbares Verlangen enthält. Auch die Ungleichheit des Standes als Ehehinderniß,307 welche das Obertribunal consequent festhält, wird und muß dem art. 4 der Verfassungsurkunde gegenüber fallen.308 Die Appellationsgerichte der Monarchie haben sich bereits wiederholt für die Antiquirung dieser Vorschriften überzeugend ausgesprochen. Auffallend ist dabei auch, daß das Gesetz nur nichtige Mißheirathen von Mannspersonen vom Adel nicht aber solche von Frauenspersonen kennt. Wichtiger ist schon die Frage, ob Frauen zu Bevollmächtigten und Testamentsexecutoren bestellt werden können. Hinsichtlich der unverheiratheten Frauenspersonen ist dieselbe unbedenklich zu bejahen,309 da auch bezüglich der letzteren die frühere Theorie von dem munus publicum aufgegeben ist, die Frauen an sich 298 299 300 301 302 303 304
305 306 307
308 309
§ 36 tit. 4, Th. II. L. R. § 139. 189 a. a. O. femina semel exclusa semper manet exclusa. § 233 a. a. O. § 11. 12 tit. 9, Th. II. L. R. § 84. 86. 88 tit. 9, Th. II. L. R. § 91. 93 a. a. O. § 192. 193 tit. 1, Th. II. L. R. Tit. 18, Th. I. L. R. art. 2 des Ges. V. 5. Juni 1852: (G.-S. S. 319.) untersagt die Errichtung von Lehen und stellt die Auflösung des Lehenverbandes bezüglich der noch vorhandenen Lehen durch gesetzliche Anordnungen in Aussicht. § 347 fg. tit. 10, Th. I. Allg. G. O. § 27. 28. 42. 44 tit. 2, Th. L. R. § 30 fg. tit. 1, Th. I. L. R. cfr. § 65. 940. 941. 946. 966 a. a. O. Bei der Ehe zur linken Hand gilt dasselbe nicht. § 843 a. a. O. Aber bei einer bürgerlichen Mutter brauchen die Kinder nur wie die eines handwerktreibenden Bürgers vom Vater erzogen zu werden!? § 564 tit. 2, L. R. Ein Antrag auf Aufhebung ist in das jetzt tagende Abgeordnetenhaus von Woelfel eingebracht worden. § 32 tit. 13, Th. 1. L. R. Rescript v. 28. November 1825: Jahrb. b., 26 S. 381. § 557 tit. 12 Th. 1. L. R. cfr. gegen das Rescript v. 19. Mai 1804, welches das Gegentheil aussprach, Koch Erbrecht S. 344 art. 6. 272 Handels-Ges. B.
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ebenso rechtsfähig sind, als die Männer und Jedermann einen Bevollmächtigten ernennen kann, welchen er will. Verheirathete Frauen bedürfen in der Folge des ehelichen mundium der Genehmigung ihrer Ehemänner zur Annahme. Nach gemeinem Rechte haben Frauenspersonen auch nicht mitzusprechen in kirchlichen Dingen. Mulier taceat in ecclesia.310 Da das Allgemeine Landrecht das Kirchenrecht in sich faßt, so bemerke ich, daß dasselbe diesen Satz nicht in voller Strenge durchführt. Das Land-(24)recht rechnet auch die Ehefrauen zu den Parochianen,311 berechtigt die Frauen allgemein zur Ausübung des Realpatronats,312 und den Wittwen und unverheiratheten Frauenspersonen giebt es bei der Wahl des Pfarrers ein Stimmrecht durch qualificirte Stellvertreter, weil sie in Person qua mulieres nicht stimmen können.313 Diese Beschränkung wird und kann in Zukunft ebenfalls fallen und allen Frauen, die großjährig sind, in der kirchlichen Gemeinschaft, die sie meist sogar eifriger pflegen als die Männer, ein volles Stimmrecht gleich den Männern beigelegt werden. ____________________________ Der Inferiorität der Frauen im materiellen Recht entspricht die mangelnde persona in judicio standi im Prozeßrecht für Ehefrauen, welche, weil sie sich und ihrem Vermögen allein vorzustehen nicht fähig sind, vor Gericht ohne Beitritt ihres Ehemannes nur erscheinen können, wenn ihr durch Vertrag vorbehaltenes Vermögen, eine Klage wider den Ehemann oder ein Vertrag mit demselben der Gegenstand des Streits ist.314 Aber auch alsdann steht es dem Prozeßrichter frei, einer solchen Frau einen Beistand von Amtswegen zuzuordnen.315 Wenn die Frau bei Prozessen über die Substanz des Eingebrachten ihren Beitritt versagt, so wird derselbe vom Vormundschaftsgericht ergänzt; versagt der Mann denselben, so muß die Frau, wenn die Weigerung bescheinigt ist, auf ihre Kosten allein zugelassen werden.316 Kann sie aber dafür Kaution nicht bestellen, so muß das Gericht ihn vernehmen und zum Beitritt anhalten.317 Wie, sagt das Gesetz nicht. Prozesse über das Eingebrachte führt der Mann; nur bei solchen über die zur Substanz gehörigen Grundstücke und Gerechtigkeiten, sowie über die auf den Namen der Frau, ihres Erblassers oder Geschenkgebers geschriebenen Kapitalien muß er die Frau zuziehen.318 Auch hier beschränkt also (25) das eheliche mundium die persönliche Fähigkeit 310 1. Cor. 14. v. 34: Eure Weiber lasset schweigen unter der Gemeinde; denn es soll
311 312 313 314 315 316 317 318
ihnen nicht zugelassen werden, daß sie Reden, sondern unterthan seien, wie auch das Gesetz sagt. v. 35: Wollen sie aber etwas lernen, so lasst sie daheim ihre Männer fragen. Es steht den Weibern übel an, unter der Gemeinde zu reden. 1. Timotheus 2. v. 12: Einem Weibe aber gestatte ich nicht daß sie lehre, auch nicht, daß sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei. § 271 tit. 11, Th. II. L. R. § 598. 601. 1. c. § 356 a. a. O. Anh. § 129. Entsch. der Ges. Kommission v. 5. Febr. 1802: Rabe VII. S. 62. § 1. 16 tit. 1 Pr. O. Der Entwurf der neuen Prozeßordnung von 1864 ändert hierin nichts, sondern verweist auf das materielle Recht. § 82. § 18 tit. 1. Pr. O. oben Anm. 58. § 20. 21 a. a. O. § 19. 22 a. a. O.
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der Frau vor Gericht aufzutreten: eine Beschränkung, die meines Erachtens nur soweit gerechtfertigt ist, als der gesetzliche Nießbrauch des Ehemanns in Mitleidenschaft gezogen ist; sonst muß auch die Ehefrau in ihren eigenen Sachen selbstständig vor Gericht auftreten können, wie die unverheiratheten Frauenspersonen, die verheirathete Handelsfrau und die Ehefrau, deren Mann sich entfernt hat oder anhaltend krank ist, endlich jede Ehefrau aufgrund der vermutheten Vollmacht,319 als Beweiszeugin, in Nachlaß- und Vormundschaftssachen und in Ehesachen320 persönlich vor Gericht erscheinen muß. Die Vorrechte der Ehefrau eines Nichtkaufmanns im Konkurse,321 deren Aufhebung in neuester Zeit erstrebt wird, mögen fallen. Die Frau, die gleiches Recht mit dem Manne verlangt, muß auf Vorrechte verzichten und sich durch rechtzeitige Sicherstellung ihres Vermögens oder Zurückforderung desselben in eigne Verwaltung schützen. Thut sie dies nicht und hat sie dem Manne ohne Sicherstellung ihr Geld anvertraut, dann muß gerade als freie Genossin desselben das Schicksal aller Gläubiger ohne Vorrecht theilen. Überdies hob schon der Entwurf zur Konkursordnung vom 8. Mai 1855 im § 89 das Vorrecht der Ehefrau auf, und nur die erste Kammer stellte es für die Frauen von Nichtkaufleuten wieder her. (26) Zum Schluß will ich noch in Kürze einzelne Beschränkungen der Frauenspersonen aufführen, die sammt und sonders als unbegründet aufgehoben werden müssen. Frauenspersonen können unter anderem nicht sein: a) Sachverständige in Nachlaßsachen,322 wozu Schriftsteller, Buchhändler, Kunst- und Musikverständige berufen sind, b) Testaments-323 und Instrumentszeugen, nicht Unterschriftszeugen bei Erbverträgen und nicht statt der Gerichtsschöppen dienen.324 c) Unterschriftszeugen überhaupt.325
319 § 25 a . a. O. art. 9. Handels-G.-B. § 326. 327 tit. 1, Th. II. § 119 tit. 13 Th. 1. A. L. R.
320 321 322 323 324
Nach Römischem Recht konnten Frauen gültig nur tutore auctore belangt werden; klagen können sie auch ohne solche auctoritas. (1. 39 § 1. D. VI, 1.) Nur in einem legitimum judicium bedürfen sie auch hier seiner auctoritas. Dagegen konnten Frauen nicht procuratores sein, nicht accusare und agere pro aliis mit wenigen Ausnahmen, z. B. bei Krankheit oder Verhinderung der Eltern: nec quamquam qui agat habeant. Als Grund des Nichterscheinens vor Gericht wird angeführt die sexus dignitas, die es suae pudicitiae memores – erheische judiciali agmine separari – ne feminae persequendae litis obtentu in contumeliam matronalis pudoris irreverenter irruant et conventibus virorum vel judiciis interesse cognatur – ne virilibus officiis fungantur mulieres. § 10. 11. Inst. IV, 13. 1. 41. 54 D. III, 3. 1. 1 § 5 D. III, 1. Cod. 9, 46. c. 2. 9. 5. c. 12. 2, 13. c. 21. 2, 56, c. 6. § 20. 24. 32. Ver. v. 28. Juni 1844: G. S. S. 184. Einf. Ges. art. 7. 8. 12. Konk.-O. § 80 aliu. 2. 88 fg. Instr. vom 15. Mai 1838: G.-S. S. 277. Bei privilegirten Testamenten genügen 2 Beweiszeugen, also auch Frauen. § 6 und 7 Ges. vom 8. Juni 1860: G.-S. S. 240. § 84 tit. 12, Th. 1. L. R. Pr. O. tit. 25 § 53. § 115. 117. 125. 126. 131. tit. 12, Th. 1. Al. L. R. Not. Ordnung vom 11. Juli 1845 § 7. Präj. des O. Tr. vom 17. Juni 1847: Rechtsfälle I. S. 276. Pr. O. tit. 25 § 33 und 34. § 26 tit. 3 Th. II. Allg. Ger. O. Das Gleiche gilt nach Römischem Recht: L. 20 § 6 D. 28, c. L. 11. C. 8, 18: virorum trium vel amplius subscriptione.
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Beistände,326 Schiedsrichter,327 Schreibmeister,328 Konkursverwalter,329 Taxatoren,330 Vertheidiger.331 (27) Werfen wir hiermit noch einen Rückblick auf Dasjenige, was nach dem Vorgetragenen zu einer völligen Rechtsgleichheit beider Geschlechter steht, so finden wir, daß nicht nur wenig, sondern noch recht viel dazu mangelt, bis das Princip in seiner Reinheit durchgeführt und alle nicht durch die Geschlechtsunterschiede gebotenen Maßnahmen gefallen sind. Die Frage selbst, ob das weibliche Geschlecht mit dem männlichen durchgehends gleiche Rechte haben muß, konnte zu Ende des vorigen aber Anfang dieses Jahrhunderts vielleicht durch solche Gründe, als 1. Die Geschlechter seien moralisch und physisch verschieden. 2. Das Gesetz gebe den Weibern sehr große Vorzüge vor den Männern (z. B. Krieg – Unterhaltspflicht). 3. Das Gesetz wolle die Weiber nur abhalten, nachtheilige Geschäfte abzuschließen und ihrer Ehre zu nahe zu treten. 4. Es sei nicht rathsam, ihnen Spielraum außerhalb des Hauses auszudehnen.332 gegen die Gleichstellung entschlossen werden. Jetzt halten solche Gründe nicht mehr Stich. Der Gesetzgeber hat die Pflicht, das unmittelbare Rechtsleben des Volkes seinen Gesetzen zu Grunde zu legen und diese in Einklang mit jenen zu bringen, wo es erforderlich ist. Ich glaube, daß von diesem Gesichtspunkt aus die Verantwortung jener Frage am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr zweifelhaft ist, und ich würde mich hinlänglich belohnt fühlen, wenn diese Zeiten Anregung dazu gäben, daß die Frage der rechtlichen Stellung des weiblichen Geschlechts im Sinne der Jetztzeit gelöst wird. Einzelnes wie die Praxis dringend nothwendige Aufhebung der weiblichen Intercessionsbeschränkungen möge sofort durch eine kurze Gesetzesbestimmung erfolgen, Anders der Codification eines gemeinsamen deutschen Gesetzbuches vorbehalten bleiben! Aber geschehen muß Etwas, und wir handeln freier, wenn wir den Frauen geben, was ihnen zukommt, als wenn wir von uns sagen lassen, wir verweigerten ihnen ihr Recht. d) e) f) g) h) i)
325 § 93. 94 tit. 16, Th. 1. A. L. R. Anh. § 68 zu § 19 tit. X. Pr. O. Inh. § 69. 70. 74. 86 a.
a. O. 326 § 201 tit. 1, Th. 1. A. L. R. Anh. § 75 zu 343. 1. c. § 53 tit. 18 Th. II a. a. O. 327 l. 3 § 1. 3. 17 § 6. D. IV, 8. 1. 32 § 2 ib. L. un. C. 2, 56. cap 4 x. de arbitr. I, 43. –
328 329 330 331 332
§ 169 tit. 2 Th. 1. Allg. G. O. § 48 tit. 30 ib. § 28. G. v. 15. November 1811. G.-S. S. 352. § 1366 Entwurf zur neuen Prozeßordnung. § 151 tit. 10, Th, 1. Allg. Ger. O. Anh. § 80. 129 Konk. O. v. 8. Mai 1855. Handelsfrau? § 19 tit. 52, Th. 1. Allg. G. O. § G. b. 15 Juni 1840: G.-S S. 131. Trotzdem giebt es vereidete Taxatricen in Nachlaßsachen. Art. 20. G. vom 3. Mai 1852; G.-S. S. 209. Kleins Annalen der Preuß. Gesetzgebung. Bd. 17. S. 202.
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Ein geistreicher Franzose, Laboulaye, bemerkt:333 – Je me suis demandé tout bas si la femme n’était pas naturellement supérieure à l’homme. Elle a des passions moins violentes et une plus grande facilité d’education. (28) Tandisqu’ Adam s’endormait dans son innocence, Eve était déjà curieuse de savoir – Je crois, avec Molière, qu’il est prudent de ne pas trop instruire ce sexe malicieux et inquiet. A tenir les femmes dans une honnète ignorance, nous leur donnons tous les vices, mais aussi toutes les faiblesses de l’esclave; notre règne est assure. Mais si nous élevions ces âmes ardentes et naives, si nous les enflammions de l’amour de la verité, qui sait si bientôt elles ne rougiraient pas de la sottise et de la brutalite de leurs maîtres? Gardons le savoir pour nous seuls; c’est lui nous divinise: Notre empire est détruit si l’homme est reconnu. Ich unterschreibe dieses Urteil nicht. Aber hüten wir uns, daß man in solchen Motiven den Grund zur Entscheidung jener Frage sucht!
65. Marianne Weber: Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung (Inhaltsübersicht und Auszüge), 1907 WEBER, Marianne: Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, Tübingen 1907 Kommentar: Marianne Weber* (1870-1954) veröffentlichte im Jahre 1907 eine umfassende Untersuchung über das Recht der Frau: ihre Rechtsgeschichte, neuere und neueste Rechtsentwicklung. Ihr Werk „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ verfolgt den Zweck, Ehe und Familie nahezu aller bedeutenden Völker und Zeiten zu analysieren. Die ausführliche Gliederung, welche Weber ihrem Werk vorangestellt hat, verdeutlicht die Art und die innere Struktur ihres wissenschaftlichen Ansatzes. Marianne Weber, die mit dem Juristen, Nationalökonomen und Mitbegründer der modernen Soziologie Max Weber (1864-1920) verheiratet ist und zum Heidelberger Freundeskreis um Camilla Jellinek gehört, ist nicht nur Forscherin und Publizistin, sondern nimmt auch aktiv an der Frauenbewegung teil. Von 1919-1924 ist sie Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine. Sie verfolgt hier eine als „gemäßigt“ beschriebene Position, die als ein Programm der Konfliktvermeidung, etwa in der Abtreibungsfrage, eingestuft wird. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten Webers ist „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ nicht nur als wissenschaftliche Untersuchung zu verstehen, sondern auch als rechtspolitische Stellungnahme innerhalb der damaligen Frauenbewegung. In diesem Zusammenhang sind insbesondere einschlägig das 5. Kapitel Webers („Das Eherecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches“, S. 407-505) sowie ihr 6. Kapitel („Ehekritik, Ehescheidung und außereheliche Geschlechtsbeziehungen“, S. 506-573). Das ausgewählte 6. Kapitel verdeutlicht vor allem in den Auseinandersetzungen mit der modernen Ehekritik der Zeit um 1900 (z.B. Ellen Key oder Anita Augspurg) die inhaltlichen Positionen Webers.
333 Paris en Amérique par E. Laboulaye. Paris bei Charpentier. 1865. * Aus der umfangreichen Literatur von und über Marianne Weber sei auf zwei zentrale
Werke verwiesen: Weber, Marianne: Lebenserinnerungen (1948); Meurer, Bärbel (Hrsg.): Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person. Tübingen 2004, hierzu Rezension Duncker, SavZRG (GA) 122 (2005), S. 885-889.
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Ein geistreicher Franzose, Laboulaye, bemerkt:333 – Je me suis demandé tout bas si la femme n’était pas naturellement supérieure à l’homme. Elle a des passions moins violentes et une plus grande facilité d’education. (28) Tandisqu’ Adam s’endormait dans son innocence, Eve était déjà curieuse de savoir – Je crois, avec Molière, qu’il est prudent de ne pas trop instruire ce sexe malicieux et inquiet. A tenir les femmes dans une honnète ignorance, nous leur donnons tous les vices, mais aussi toutes les faiblesses de l’esclave; notre règne est assure. Mais si nous élevions ces âmes ardentes et naives, si nous les enflammions de l’amour de la verité, qui sait si bientôt elles ne rougiraient pas de la sottise et de la brutalite de leurs maîtres? Gardons le savoir pour nous seuls; c’est lui nous divinise: Notre empire est détruit si l’homme est reconnu. Ich unterschreibe dieses Urteil nicht. Aber hüten wir uns, daß man in solchen Motiven den Grund zur Entscheidung jener Frage sucht!
65. Marianne Weber: Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung (Inhaltsübersicht und Auszüge), 1907 WEBER, Marianne: Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung, Tübingen 1907 Kommentar: Marianne Weber* (1870-1954) veröffentlichte im Jahre 1907 eine umfassende Untersuchung über das Recht der Frau: ihre Rechtsgeschichte, neuere und neueste Rechtsentwicklung. Ihr Werk „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ verfolgt den Zweck, Ehe und Familie nahezu aller bedeutenden Völker und Zeiten zu analysieren. Die ausführliche Gliederung, welche Weber ihrem Werk vorangestellt hat, verdeutlicht die Art und die innere Struktur ihres wissenschaftlichen Ansatzes. Marianne Weber, die mit dem Juristen, Nationalökonomen und Mitbegründer der modernen Soziologie Max Weber (1864-1920) verheiratet ist und zum Heidelberger Freundeskreis um Camilla Jellinek gehört, ist nicht nur Forscherin und Publizistin, sondern nimmt auch aktiv an der Frauenbewegung teil. Von 1919-1924 ist sie Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine. Sie verfolgt hier eine als „gemäßigt“ beschriebene Position, die als ein Programm der Konfliktvermeidung, etwa in der Abtreibungsfrage, eingestuft wird. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten Webers ist „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ nicht nur als wissenschaftliche Untersuchung zu verstehen, sondern auch als rechtspolitische Stellungnahme innerhalb der damaligen Frauenbewegung. In diesem Zusammenhang sind insbesondere einschlägig das 5. Kapitel Webers („Das Eherecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches“, S. 407-505) sowie ihr 6. Kapitel („Ehekritik, Ehescheidung und außereheliche Geschlechtsbeziehungen“, S. 506-573). Das ausgewählte 6. Kapitel verdeutlicht vor allem in den Auseinandersetzungen mit der modernen Ehekritik der Zeit um 1900 (z.B. Ellen Key oder Anita Augspurg) die inhaltlichen Positionen Webers.
333 Paris en Amérique par E. Laboulaye. Paris bei Charpentier. 1865. * Aus der umfangreichen Literatur von und über Marianne Weber sei auf zwei zentrale
Werke verwiesen: Weber, Marianne: Lebenserinnerungen (1948); Meurer, Bärbel (Hrsg.): Marianne Weber. Beiträge zu Werk und Person. Tübingen 2004, hierzu Rezension Duncker, SavZRG (GA) 122 (2005), S. 885-889.
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In den neueren Forschungen zu Marianne Weber (Meurer, 2004) wird die Frage nach einem möglichen Einfluß Max Webers aufgeworfen, der ihr als Verlobter die Lektüre von Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ (Nr. 6) empfohlen hatte (Meurer, S. 223), andererseits als rechtskundiger junger Ehemann 1893 aber einen patriarchal gestalteten Ehe- und Erbvertrag mit ihr geschlossen hatte. Hinsichtlich des Werks „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung“ betont die aktuelle Forschung – entgegen einer in der Vergangenheit bisweilen vertretenen Auffassung – die Eigenständigkeit Marianne Webers als Alleinautorin (so im Ergebnis übereinstimmend Lichtblau, Meurer und Buchholz bei Meurer, 2004).
(IX) Inhaltsverzeichnis.
I. Kapitel. Primitive Geschlechtsverbindungen und legitime Ehe. S. 2–81. A. Die Lage der Frau bei den kulturärmsten Völkern S. 2–19. Bedeutung des Studiums der Naturvölker S. 2. – Lebensweise und Gemeinschaftsleben der sog. „niederen Jägervölker“ S. 2. – Primitive Geschlechtsbeziehungen: Die lose Familie S. 4. – Verschiedene Formen der Polygamie S. 5. – Polyandrie S. 6. – Sexuelle Ungebundenheit des Mädchens S. 6. – Primitive Normen und Schranken des Sexuallebens S. 9. – Die Kollektiv und Gruppen-Ehen-Theorie S. 10. – Die Altersklasseneinteilung der australischen Horden S. 10. – Das feste Klassifikationssystem S. 12. – Entstehen exogamer Heiratsverbände S. 13. – Die australische und polynesische Gruppenehe S. 14. – Der Totemismus und die „Mutterfolge“ S. 15. – Die Stellung der Frau bei „Mutterfolge“ S. 17. – Mannesgewalt bei den Australnegern S. 18. – Hoher Nutzwert und soziale Verachtung der Frau S. 18. – Frauenraub und Frauentausch S. 19. B. Beeinflussung der Lage der Frau durch zunehmende materielle Kultur S. 20–24. Die sog. „höheren Jägervölker“ S. 20. – Einfluß der Besitzdifferenzierung auf die Art der Geschlechtsverbindungen S. 21. – Frauenkauf und Frauenerdienung S. 23. – Bina- und Diga-Ehe S. 24. C. Wesen des „Mutterrechts“ S. 24–30. Muttergruppe und Untergruppe Mutterseitige Verwandtschaftsgliederung S. 24. – Verhältnis von „Mutterfolge“, „Matriarchat“ (Muttergewalt), „Mutterrecht“ S. 25. – Inhalt und Wesen des „Mutterrechts“ S. 26. – Vereinigung von Mutterrecht und Mannesgewalt S. 27. – Mutterrecht und Frauenkauf S. 28. – Das „universelle“ Mutterrecht S. 29. D. Tendenzen zum „Mutterrecht“ zum „Matriarchat“ beim kollektivistischen Ackerbau S. 30–43. Gemeinschaftsleben und Wirtschaftsweise der sog. „niederen Ackerbauer“ S. 30. – Die Frau als Ackerbauerin S. 30. – Mutterrecht als Normaltypus S. 31. – Die Sippenorganisationen und Hausgemeinschaften der „niederen Ackerbauer“ S. 32. – Verschlingungen von Mutterrecht und Vatergewalt S. 35. – „Reines“ Mutterrecht: Menangkabanmalaien Nairs S. 36. – Steigerung des Mutterrechts zur Muttergewalt. Kampf beider S. 37. – (X) Die Palauinsulaner S. 37. – Die nordamerika-
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nischen Indianerstämme S. 38. – Die Irokesen S. 39. – Die Huronen S. 40. – Zur Theorie der entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung des Mutterrechts S. 41. E. Tendenzen zum Patriarchalismus bei den Viehzüchtern S. 43–49. Wirtschaftsweise und Gemeinschaftsleben der „reinen“ Viehzüchter S. 44. Verknechtung der Frau S. 45. – „Primitiver“ Patriarchalismus S. 46. – Ansätze zu seiner Fortentwicklung. Beispiel: Eherecht der Amarosa-Kaffern S. 48. F. Die patriarchale „Ehe“ S. 49–55 . Rechtlicher Inhalt des Patriarchalismus S. 49. – Begriff und Entstehung der „legitimen Ehe“ S. 52. – Differenzierung zwischen „legitimen“ und „illegitimen“ Kindern S. 54. G. Zur Kritik der Mutterrechtstheorien S. 55–61. Klassendifferenzierung des Eherechts? S. 55. – Vater- und Mutterrecht bei den Lykiern S. 56. – Bachofens religionsgeschichtliche Hypothesen S. 59. – Angebliche Spuren von Mutterrecht in Griechenland. Mutterrecht in der Orestie? S. 59. H. Ergebnis S. 61–79. Angebliches Verhältnis von Eigentums- und Eheentwicklung S. 61. – Theorie der Entwicklung des Privateigentums und der Kleinfamilie S. 64. – Bedeutung für die Frau. Ihre Lage in den slavischen und russischen Hauskommunionen S. 68. – Das Legitimitätsprinzip. Seine Bedeutung für Frau und Kinder S. 72. Begriffliche Merkmale der modernen „legitimen“ Ehe S. 74. – Die „Kaufehe“ als Ausgangspunkt der modernen legitimen Ehe S. 78. Literatur S. 79-81.
II. Kapitel. Die Ehe bei den antiken Kulturvölkern. S. 83–199. Vorbemerkung. Allgemeine Richtung der Beeinflussung der Ehe durch die „Kultur“ S. 83. A. Die Ehe in Aegypten S. 90–109. Kulturgeschichtliche Grundlagen S. 91. – Allgemeine Rechtslage der Frau. Angebliche Ehekontrakte der älteren Zeit S. 95. – Die sexuelle Vertragsfreiheit S. 97. – Demotische Kontrakte aus der Zeit Psammetichs III, der Perser und der ersten Ptolemäerzeit S. 98. – Aenderung in der späteren Ptolemäerzeit unter griechischem Einfluß. Kyrios und pherne S. 101. – Engraphos und agraphos gamos (sog. „Probeehe“) S. 104. – Angebliches „Mutterrecht“ in Aegypten S. 105. – Vermutliche Gründe der günstigen Lage der Frau S. 108. B. Die Ehe in Babylonien S. 109–117 . Semitischer Patriarchalismus im allgemeinen S. 110. – Codex Hammurabi S. 111. – Frauenkauf, Dienstehe, Mitgift S. 113. – Scheidung. Elterliche Gewalt S. 115.
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C. Die Ehe bei den Juden S. 117–131. 1. Mosaisches Eherecht. Entwicklung von der Polygamie zur Monogamie bei den Juden S. 118. – Kaufehe S. 120. – Erbtöchterrecht und Levirat (XI) S. 121. – Rechtliche Lage der Ehefrau S. 122. – Einfluß des Exils auf das Judentum S. 122. – 2. Talmudisches Eherecht. Ketuba-Kontrakte S. 123. – Entwicklung des Scheidungsrechts S. 127. – Väterliche Gewalt S. 128. – Schwinden des Patriarchalismus im Erbrecht S. 128. – Religiöse Wertung der Ehe und der Frau S. 129. D. Die Ehe bei den Arabern und im Islam S. 131–140 . Vorislamitisches Eherecht S. 131. Angebliches Mutterrecht. Vertragsfreiheit und „Genutzehe“ S. 133. – Der Islam. Unterdrückung der sexuellen Vertragsfreiheit S. 134. – Allgemeine Stellung des Koran zur Ehe S.135. – Vermögensrechtliche Sicherung der Ehefrau S. 136. – Polygamie und Ehemoral. Bedeutung der Theokratie S. 137. – Scheidung S. 138. – Väterliche Gewalt S. 139. E. Die Ehe bei den Hellenen S. 140–188. Allgemeiner Charakter der griechischen Stadtstaaten S. 140. – Die Monogamie S. 141. – 1. Attisches Recht der klassischen Zeit. Geschlechtsvormundschaft S. 143. – Kaufehe der homerischen und „Engyesis“ der klassischen Zeit S. 144. – Vermögensrecht der Ehefrau in Athen S. 145. – Scheidung S. 146. – Väterliche Gewalt S. 146. – 2. Das Recht von Gortyn S. 147. – Erbrecht S. 147. – Erbtöchterrecht S. 148. – Ehegüterrecht S. 148. – 3. Faktische Lage der griechischen Ehefrau S. 150. – Sparta S. 150. – Athen. Gegensatz von Ehe und Liebe S. 151. – Persönliches Leben der Ehefrau S. 152. – Exklusiv männlicher Charakter der griechischen Kultur S. 154. – Hetärismus und Knabenliebe S. 156. F. Die Ehe in Rom und im römischen Weltreich S. 158–197. Monogamie und „Hausrecht“ S. 158. – Geschlechtsvormundschaft S. 161. ManusEhe S. 161. – Faktische Stellung der Frau S. 162. – Die freie Ehe S. 164. – Handlungsfähigkeit der Frau bei freier Ehe S. 165. – Entwicklung des Dotalrechts S. 166. – Freies Vermögen der Frau S. 167. – Prätorisches Erbrecht der manusfreien Frau S. 168. – Freie römische Ehe und moderne „freie Liebe“. – Persönliche Rechtswirkungen der freien Ehe S. 168. – Sittengeschichtliche Bedeutung der freien Ehe S. 170. – Reaktion gegen sie S. 172. – Augusteische Sitten- und Ehereform S. 173. – Der concubinatus S. 175. – Ehemoral der ersten Kaiserzeit S. 177. – Die Quasi-Ehe der Sklaven S. 178. – Wandlungen der sexuellen Moral im zweiten Jahrhundert. Die Stoa S. 178. – Das Christentum. Allgemeine Bedeutung für die Ehemoral S. 180. – Eigenart der christlich-paulinischen Eheauffassung S. 182. – Patriarchalismus und Unlöslichkeit der Ehe S. 183. – Schätzung des Cölibats S. 184. – Praktischer Einfluß des Christentums S. 186. – Verhältnis zum Konkubinat S. 187. – Das konstantinische Zeitalter und die Ehe. – Zunehmende Domestikation der Frau S. 188. – Oekonomische Verschiebungen S. 189. – Familienrechtliche Gesetzgebung vom dritten Jahrhundert bis Justinian S. 190. – Justinianisches Konkubinatsrecht und Eherecht S. 191. Entwicklung des Erbrechts zwischen Mutter und Kindern S. 193. – Mütterliches Erziehungsrecht S. 194. – Abschwächung des väterlichen Hausrechts S. 194. – Allgemeine Ergebnisse der Entwicklung des Reichsrechts S. 195. – „Reichsrecht“ und „Volksrecht“ im Eherecht S. 196. – Historische Stellung der drei monotheistischen Religionen zum Eherecht. – Monopol der „legitimen“ Ehe S. 197. Literatur S. 197.
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(XII) III. Kapitel. Die Ehe im germanisch-mittelalterlichen Recht. S. 200–278. A. Altgermanisches und deutsch-mittelalterliches Recht S. 201–241. Wirtschafts- und Rechtslage der Familie zu Tacitus Zeit. Angebliches Mutterrecht S. 202. – Patriarchalismus und Herrschaft des Mannes über die Frau („munt“) S. 204. – Polygamie und Kebsehe S. 206. – Waffenunfähigkeit der Frau und Geschlechtsvormundschaft S. 210. – Milderung der hausherrlichen Gewalt. Einfluß des Christentums S. 211. – Fortbestand des Patriarchalismus in den persönlichen Beziehungen der Ehegatten im deutschen Mittelalter S. 215. Vermögensrechtliche Verhältnisse. Ursprünglicher Ausschluß der Töchter vom Grundbesitz S. 217. – Kontraktliche Sicherung der Frau in der legitimen Ehe S. 218. – Beginn der Entwicklung eines „ehelichen Güterrechts“ S. 220. – Immobiliarerbrecht der Töchter und Immobiliardos zu Gunsten der Witwe S. 221. – Soziale Verschiebungen: Lehnwesen S. 222. – Aristokratisches Ehegüterrecht: Wittum und Leibgedinge S. 222. – „Gemeines“ Ehegüterrecht: Prinzipien der Gütergemeinschaft und Güterverbindung S. 224. – Oekonomische und soziale Bedingungen der Gütergemeinschaft S. 226. – Rechtlicher Inhalt der Gütergemeinschaft S. 227. – Mischformen: Errungenschaftsgemeinschaft, Verfangenschaft und Teilrecht S. 230. – Bedingungen und Folgen der Güterverbindung S. 231. Das Fahrnisrecht des Sachsenspiegels. Gerade, Ungerade, Mußteil, Morgengabe S. 232. – Praktische Bedeutung der verschiedenen Güterrechtssysteme für die Frau S. 235. – Vordringen und beschränkte Bedeutung des römischen Rechts S. 240. B. Germanisches und römisches Recht bei den romanischen Völkern S. 241–249. Italien S. 242. – Spanien S. 248. – Frankreich S. 247. C. Englisches Recht bis zur modernen Reform S. 249 –261. Eigenart des englischen common law S. 250. – Prinzip der „identity“ und „coverture“ im Eherecht S. 251. – Güterrecht S. 252. – Wittum (dower) der Frau S. 254. – Feudaler Charakter des englischen Eherechts S. 283. – Rechtsverhältnis zu den Kindern S. 255. – Equity-Rechtsprechung zu Gunsten der Frau S. 257. – Sondergut der Ehefrau und restraint on anticipation S. 258. – Recht[s]stellung des unehelichen Kindes S. 258. – Anhang: Skandinavisches-mittelalterliches Recht S. 259. D. Faktische Lage der mittelalterlichen Frau S. 261–276. Bedeutung des kanonischen Eherechts für die Ehemoral S.261. – Mädchenbildung S. 263. – Gesellschaftliche Stellung der Frau in der Frühzeit S. 265 – Beziehungen der Gatten S. 265. – Zeitalter des ritterlichen Frauendienstes. Sein Einfluß auf die gesellschaftliche Stellung der Frau S. 268. – Einfluß auf die Ehemoral S. 266. – Sexualmoral in den Städten S. 269. – Wirtschaftliche Lage der Frau. Die Tätigkeit der Hausfrau S. 270. – Die Lage der unverheirateten Frau im Verhältnis zur Ehefrau S. 274. Literatur S. 277.
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(XIII) IV. Kapitel.
Eheauffassung und Eherecht im Zeitalter des Rationalismus und der Kodifikationen. S. 279–406.
A. Die allgemeinen Grundlagen der naturrechtlichen Eheauffassung S. 280–318. Die beginnende kapitalistische Entwicklung S. 280. – Die Renaissance und die weltliche Wissenschaft S. 281. – Die Reformation S. 282. – Luthers Eheauffassung S. 284. Der Calvinismus. Calvins Ordonnances ecclésiastiques S. 286. – Die puritanische Eheauffassung S. 288. – Der religiöse Individualismus des Täufertums S. 290. – Der Individualismus der Aufklärung und die „Menschenrechte“ S. 292. – Die rationalistische Naturrechtslehre und die Ehe S. 295. – Chr. Wolff’s Ehetheorie S. 297. – Rousseau’s Theorie der „Weiblichkeit“ S. 298. – Die Naturrechtslehre des deutschen Idealismus: Grundlagen der idealistischen Ethik S. 301. – Fichte’s Ideologie des Patriarchalismus S. 306. – Praktische Bedeutung der Naturrechtsdoktrinen S. 312. – Säkularisation der Ehe: Beseitigung der kirchlichen Ehegerichtsbarkeit. Staatliche Reglementierung der Ehe S. 313. – „Zivilehe“ – „Freie Ehe“ S. 316. B. Das Eherecht des Code civil S. 318–331. Der allgemeine Charakter des Code und seine Gründe S. 318. – Die persönlichen Verhältnisse der Ehegatten S. 320. – Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern S. 322. – Die unehelichen Kinder S. 324. – Ehescheidungsrecht des Code. Restauration von 1816 und Ehescheidungsgesetz von 1884 S. 325. – Eheliches Güterrecht S. 327. C. Das preußische „Allgemeine Landrecht“ S. 331–341. Charakter des Gesetzbuchs S. 331. – Rechtsstellung des Ehemanns S. 332. – Eheliches Güterrecht S. 334. – Ehescheidungsrecht S. 336. – Väterliche Gewalt S. 337. – Mutterpflichten S. 339. – Rechtslage der Witwen S. 339. – Die uneheliche Mutter S. 340. – Die Novelle von 1854 S. 340. D. Die Kodifikationen in Oestereich und Rußland S. 341–361. Persönliche Rechtsstellung der Frau und Mutter im österreichischen BGB. S. 343. – Eheliches Güterrecht desselben S. 344. – Rechtslage der Witwe S. 345. – Die uneheliche Mutter S. 345. – Das offizielle Familienrecht des russischen „Sswod Sakonow“ S. 346. – Vermögensrechtliche Selbständigkeit der russischen Frau S. 347. – Ihre personenrechtliche Unterwerfung S. 348. – Verhältnis von Eltern und Kindern S. 349. – Die unehelichen Kinder. Gesetz vom 12. März 1891 S. 380. – Ehescheidung S. 351. – Nicht legale „Ehen“: 1. Die „freien Ehen“ der „Intelligenz“ S. 352. – 2. Die „freien Ehen“ und die Geschlechtsmoral der Schismatiker und Sektierer S. 383. – Das Familienrecht der russischen Bauern S. 355. – Familie und Dorfgemeinde S. 356. – Allgemeiner Charakter der bäuerlichen Ehe S. 387. – Bäuerliches Ehegüterrecht S. 359. – Allgemeine Lage der Frau S. 389. (XIV) E. Die englischen „Married women’s property Acts“ S. 351–371. Materielle und ideelle Bedingungen der Ehereform Gladstones S. 361. – Die erste Married women’s property act (1870) S. 362. – Die zweite Akte (1882) S. 363. – Positive Tragweite der Gütertrennung für die Geschäftsfähigkeit der Frau S. 263. – Reste des common law: im Strafprozeß S. 364, – in der Art der Haftbarkeit und Verfügungsfähigkeit der Frau S. 365, – in der Unterhaltspflicht S. 366, – in der Schlüsselgewalt S. 366, – in der väterlichen Gewalt S. 367, – (Reformen durch die
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moderne Kinderschutzgesetzgebung S. 367), – im Erbrecht S. 368. – Die unehelichen Kinder S. 368. – Ehescheidungsrecht seit den Akten von 1857 und 1860 S. 369. – Gesamtcharakter des geltenden Rechte S. 370. F. Das moderne amerikanische Eherecht S. 371. Das „Naturrecht“ in den amerikanischen Kolonien S. 371. – Fortbestand des common law S. 371. – Verlauf der Reformbewegung und gegenwärtiger Stand des Eherechts S. 372. Anhang: Andere Kodifikationen. Treibende Kräfte der Entwicklung S. 375. G. Ergebnisse und neue Probleme S. 378. Die Vollentwicklung des Kapitalismus in ihrer Rückwirkung auf die Probleme des Eherechts S. 379. – Geringe Tragweite der direkten Einwirkungen des Kapitalismus S. 380. – Wandlungen des Frauenlebens unter dem Einfluß des Kapitalismus S. 383. – Die außerhäusige Berufs- und Lohnarbeit der Ehefrauen und ihre Tragweite für das Eherecht S. 388. – Ideologische Reaktion gegen den Kapitalismus S. 396. – Niedergang des naturrechtlichen Rationalismus, Historismus, Naturalismus und ökonomischer Evolutionismus S. 397. V. Kapitel.
Das Eherecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches S. 407–505.
Vorbemerkungen. Entstehung und Charakter des Gesetzbuches. S. 408. A. Persönliche Rechtsverhältnisse S. 413–445. Anerkennung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau S. 414. – Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft S. 417. – Fortfall bei „Mißbrauch“ S. 418. – Name der Ehefrau S. 420. – Gegenseitige Unterhaltsansprüche der Ehegatten S. 422. – Leitung des Hauswesens durch die Frau und Pflicht zur Hausarbeit und Beihilfe im männlichen Geschäft S. 424. – Bestimmung des Ehedomizils durch den Mann S. 428. – Schlüsselgewalt der Frau S. 430. – Persönliche Dienstleistungen der Frau gegenüber Dritten S. 433. – Entscheidungsrecht des Ehemanns S. 436. B. Die Verteilung der elterlichen Gewalt S. 443–458. „Elterliche Gewalt“ der Mutter S. 443. – „Beistandschaft“ für die Witwe S. 446. – Elterliche Gewalt im Fall einer zweiten Ehe S. 448. – Sachlicher Inhalt der elterlichen Gewalt S. 451. – Verhältnis von Vater- und Muttergewalt S. 452. – Stellvertretende elterliche Gewalt der Mutter S. 454. – Stellung der geschiedenen Mutter S. 455. – Prinzipielle Frage der Verteilung der Elternrechte S. 456. (XV) C. Das Ehegüterrecht S. 458–495. Gesetzlicher Güterstand S. 459. – Tragweite der „Verwaltung und Nutznießung“ des Mannes S. 461. – Ansprüche der Frau S. 464. – Wirtschafts- und Toilettengeld S. 464. – Information und Rechnungslegung S. 466. – Gesetzliches Vorbehaltsgut S. 467. – Bedeutung des gesetzlichen Güterrechts für die Geschäfts- und Prozeßfähigkeit der Ehefrau S. 468. – Würdigung des gesetzlichen Güterrechts. Kontroversen bei der Beratung des Gesetzbuches: Die allgemeine Gütergemeinschaft (Gierke, F. Mommsen, A. Menger). S. 471. – Die Errungenschaftsgemeinschaft S. 475. – Die Gütertrennung (Bulling) S. 478. – Die Reichstagsverhandlungen S. 478. – Frhr. v. Stumm S. 479. – Ehemännliche Verwaltung des Frauenguts bei Gütertrennung S. 484 – Positive Forderungen der Frauenbewegung betreffs des gesetzlichen Güterrechts: 1. Gütertrennung S. 486. – 2. Festes „Taschengeld“
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S. 487. – 3. Erbrecht der Frau und Anteil an der Errungenschaft bei schuldloser Scheidung S. 488. – 4. Beitragspflicht der Frau zu den Haushaltslasten S. 489. – 5. Mithaftung der Frau für Haushaltsschulden S. 490. – 6. Pflicht des Mannes zur Vereinbarung von „Haushaltsbudgets“ S. 490. – Weitergehende Vorschläge: Frage der Erwerbs- und Verfügungsgemeinschaft als gesetzlichen Güterstandes oder gesetzlichen Schemas des vertragsmäßigen Güterrechts, Erbrecht der Ehefrau S. 491. Schluß. Abschließende Kritik des Ehepatriarchalismus S. 495-504. – Literatur S. 505. VI. Kapitel.
Ehekritik, Ehescheidung und außereheliche Geschlechtsbeziehungen. S. 506–573.
Inhalt: A. Zur modernen Ehekritik S. 507–546. Statistische Bedeutung der Ehe, der Ehelichkeit und der Ehescheidungen S. 507. – Moderne Angriffe auf die Ehe als Rechtsinstitut S. 513. – Anregung zur freien „Protestehe“ S. 513. – Versuche der Konstruktion einer neuen Sexualethik S. 514. – Begründung auf die vulgärsozialistische Theorie der Eheentwicklung S. 515. – Die „ökonomische Emanzipation“ der Frau S. 516. – Speziell die „Mutterschaftsrente“ S. 519. – Die Prostitution als Korrelat der „legitimen Ehe“ S. 522. – Prinzipielles Verhältnis von sexualethischer Norm und sexualethischen Tatsachen S. 527. – Verhältnis von sittlichem Wert und rechtlicher Ordnung der Ehe S. 531. – Die rechtliche Behandlung der Konkubinate S. 535. – Konsequenzen aus dem formalen Charakter des Rechts S. 537. – Schranken der materiellen sexuellen Vertragsfreiheit S. 541. – „Freie Ehe“ oder Ehereform? S. 542. B. Das Ehescheidungsproblem, speziell im deutschen BGB S. 546–559. „Absolute“ und „relative“ Scheidungsgründe im BGB. S. 547. – Prinzip der Scheidung nur wegen Schuld S. 548. – Konsequenzen infolge des Patriarchaten Eherechtes S. 549. – Begründung des Prinzips in den Motiven des BGB. S. 551. – Kritik S. 551. – Schlußfolgerungen S. 555. – Statistische Bedeutung der Scheidung auf Grund gegenseitiger Einwilligung und Konsequenzen ihrer Beseitigung S. 557. – Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe. Doppelte Moral bei Behandlung der mangelnden Virginität S. 558. (XVI) C. Das Unehelichkeitsproblem, speziell im deutschen BGB S. 560–571. Prinzipieller Standpunkt des BGB. S. 561. – Unterhaltspflicht des Vaters S. 562. – Schranken und Schwierigkeiten der Durchführung auf dem Boden „mutterrechtlicher“ Behandlung des Problems S. 562. – Heranziehung der Eltern des Mannes S. 564. – Einrede der mehreren Zuhälter S. 564. – Die Mutterrechte im Verhältnis zu den Interessen des Kindes S. 565. – Prinzipielles Verlassen des mutterrechtlichen Standpunkts S. 567. – Interessenlage des Kindes dabei S. 568. Schlußbemerkungen S. 571. – Literatur S. 573.
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66.
Teil 1
„Ehekritik, Ehescheidung und außereheliche Geschlechtsbeziehungen“ als Beispiel für die Positionen Webers (506)
VI. Kapitel. Ehekritik, Ehescheidung und außereheliche Geschlechtsbeziehungen. […] A. (507) Den Wert der „legitimen“ Ehe als einziger staatlich anerkannter und geschützter Form menschlicher Geschlechtsverbindungen haben wir im letzten Kapitel stillschweigend vorausgesetzt. Er muß uns nunmehr unter verschiedenen Gesichtspunkten zum Problem werden. Zunächst herrscht vielfach die Vorstellung, daß der faktische Geltungsbereich der Ehe unter dem Einfluß des Kapitalismus, der ihr die ökonomische Basis: die hauswirtschaftliche Güterproduktion, zunehmend entziehe, notwendig zusammenschrumpfen, dagegen der außereheliche Geschlechtsverkehr und also die Zahl der außerehelichen Kinder notwendig ständig wachsen müsse. Die einschneidende Umgestaltung, welche das innere Familienleben der breiten besitzlosen Schichten unter dem Einfluß des Kapitalismus erfahren hat und erfährt, legt ja auch jene Annahme nahe. Allein sie findet in der Welt der Tatsachen keine Bestätigung. Allerdings entzieht sich der Umfang des außerehelichen Geschlechtsverkehrs durchaus der Feststellung. Ueber die Zahl der unehelichen Geburten gibt uns die Statistik Aufschluß. Da aber der außereheliche Geschlechtsverkehr in seiner rohsten und meist geübten Form nicht zur Erzeugung von Kindern führt, findet er keineswegs in der Zahl der unehelichen Geburten Ausdruck. Dagegen ist es immerhin möglich, in der Bevölkerungsstatistik Aufschluß über die relative Zu- oder Abnahme der Eheschließungen, und also über die quantitative Bedeutung der Ehe als Rechtsinstitut zu suchen. Was zunächst das Verhältnis der unehelichen zu den ehelichen Geburten betrifft, so ist an folgendes zu erinnern: In ganz Deutschland wurden in den Jahren 1840 – 1870 rund 11 % 1870 – 1900 9% uneheliche Kinder geboren 1900 – 1904 8% Bezüglich ihrer Verteilung auf deutsche Einzelstaaten besagt die Reichsstatistik, daß auf 100 Geburten kamen: im Jahre1865/69 im Jahre 1904 in Preußen: 8,1 7,1 Bayern: 20,5 12,6 uneheliche Kinder Sachsen: 14,5 13 Württemberg: 14,5 8,5 (508) Es ist also, trotz großer Schwankungen in den einzelnen Jahren, wenigstens bei Zusammenfassung so großer Gebiete, innerhalb der letzten 64 Jahre, die grade mit der Entwicklung des Kapitalismus zur Hochblüte zusammenfallen, eine Abnahme der Unehelichkeit zu konstatieren, die aber, – wie sogleich hinzuzufügen ist, – selbstverständlich keineswegs zu Rückschlüssen auf eine entsprechende Hebung des sittlichen Niveaus berechtigt. Bis auf Bayern, wo jedenfalls in erster Linie die Abschwächung der polizeilichen Heiratsbeschränkungen, daneben wohl
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auch die strengere rechtliche und konventionelle Beurteilung der gerade in bäuerlichen Kreisen so üblichen Antizipation der Ehe mitgewirkt hat, lassen sich die Gründe dieses Rückgangs nicht auf einen einfachen Generalnenner bringen. Für die Verhältnisse in den verschiedenen Landesteilen zeigt ein (Querdurchschnitt der Reichsstatistik vom Jahre 1904 folgendes Bild: An der Spitze steht Berlin mit 16 % unehelichen Geburten. Ihm zunächst kommt das rechtsrheinische Bayern mit 13,8, das Königreich Sachsen mit 13, Hamburg mit 12,8, Mecklenburg-Strelitz mit 12, Mecklenburg-Schwerin mit 11 %. Die niedrigsten Ziffern haben Westfalen mit 2,6, Rheinland mit 3,8, Lippe mit 3,9, Posen mit 5, Oldenburg mit 5,3 %. Auch diese Zahlen erhellen, auf den ersten Blick wenigstens, den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsform und Kapitalismus nicht, denn einerseits stellen zwar 2 Großstädte und ein Bezirk ausgesprochen großindustriellen Charakters (Sachsen) das höchste Kontingent, ihnen am nächsten kommen aber – auch wenn man von Bayern ganz absehen will – rein ländliche Gebiete (Mecklenburg); während andrerseits die großen westlichen Industriezentren (Westfalen, Rheinland) die allergeringste Unehelichkeit aufweisen. Im Gesamtergebnis hat die kapitalistische Entwicklung als solche, eine Vermehrung der Unehelichkeit nicht im Gefolge gehabt. Zweifellos ist, daß die Großstadt-Entwicklung heute wie zu allen Zeiten die Unehelichkeit fördert, und insoweit, als er dieser Entwicklung günstig ist, muß also freilich auch der Kapitalismus sie steigern. Und ganz generell pflegt im Gefolge der Zersetzung überkommener sozialer Gemeinschaften, wie sie das erste Eindringen des Kapitalismus mit sich führt, mit der Neubildung proletarischer Schichten also, die Sitte und damit die Ehelichkeit ins Schwanken zu kommen. Auf der andern Seite aber steigert der Kapitalismus vermöge der gewaltigen Erweiterung des Erwerbsspielraums, die er – unterbrochen (509) durch die „Krisen“ – mit sich führt, immer wieder die Heiratsmöglichkeit und dient so, zuweilen vielleicht durch künstliche Verhinderung der Befruchtung unterstützt, der Zurückdrängung der Unehelichkeit durch Vermehrung der Ehen. – Die Heiratshäufigkeit zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Landesteilen bestätigt dies. Sie steigt in Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs, sinkt bei wirtschaftlichem334 Niedergang, läßt aber im Gesamteffekt keine eindeutige Beeinflussung durch den Kapitalismus als solchen, jedenfalls keine generelle Tendenz zum Sinken, erkennen. Die Zahl der Eheschließungen erreichte im vorigen Jahrhundert bei uns ihren Höchststand bald nach der Reichsgründung in der sogenannten Milliardenära, als sich dem Einzelnen eine Fülle neuer Erwerbsmöglichkeiten boten oder doch zu bieten schienen und die ganze Nation von einem Rausche wirtschaftlichen Optimismus erfaßt wurde. So kamen im Jahre 1872 in Deutschland auf 1000 Personen der mittleren Bevölkerung jährlich 20,6, 1873 noch 20 Neuvermählte. Von da begann sich die Ziffer unter dem Druck wirtschaftlicher Rückschläge wieder langsam zu senken, erreichte 1882 einen Tiefstand von 15 ‰, auf dem sie 14 Jahre lang mit geringen Schwankungen, im ganzen jedoch langsam steigend, verharrte. In Parallelbewegung mit der großen aufsteigenden Konjunktur der 90er Jahre stieg sie dann vom Jahre 1895 an wieder über 15 bis auf annähernd 17 ‰ empor.
334 [Anmerkung: Schreibweise im Original lautete „wirtschaftschaftlichem“.]
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Also: Erweiterung des Nahrungsspielraums durch Vermehrung der Erwerbsgelegenheiten steigert, ökonomische Krisen mindern die Heiratslust. Daß aber die Form der Wirtschaft an sich nichts mit ihr zu tun hat, darüber geben folgende Zahlen Aufschluß: Für die Zeit seit 1881, also für die Periode der großindustrialistischen Entwicklung Deutschlands, ist der Prozentsatz der ehemündigen unverheirateten Männer, welche Ehen eingingen, von 83,8 im Jahrfünft 1881/6 auf 86,4 im Jahrfünft 1891/5 gestiegen. Auf jedes Tausend Einwohner kamen 1851/60: 7,8, 61/70: 8,5, 71/80: 8,6, 81/90: 7,8, 91/1900: 8,2 Eheschließungen. Diese Berechnung, die je ein Jahrzehnt als besondere Gruppe zusammenfaßt, zeigt, ebenso wie die oben zitierte, ein mäßiges Auf und Ab der Bewegung. Die letzte, bis 1900 führende Gruppe bedeutet aber gegenüber den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein merkbares Plus. Sie berechtigt also mindestens zu der Behauptung, daß die Entwicklung des Hochkapitalismus der Ehe bis jetzt keinen Boden entzogen (510) hat. Ein Querschnitt durch die verschiedenen Landesteile erweckt vielmehr den Eindruck, daß ihm eher eine die Ehe fördernde Tendenz innewohnt. Es sind nämlich grade deutsche Großstädte und Industriezentren, welche die weitaus höchsten Heiratsziffern aufweisen: Nürnberg 16 ‰, Berlin 10, Mannheim 10, Frankfurt 10, München 10, während Gebiete mit den niedrigsten, sich um 5,5 ‰ bewegenden, Ziffern nicht ausschließlich, aber ganz überwiegend landwirtschaftlichen Gepräges sind. Was speziell die Heiratschancen der Frauen betrifft, so sind sie – aus bekannten Gründen – ungünstiger als die der Männer. Sie haben aber im Laufe der kapitalistischen Entwicklung Deutschlands sich gehoben, dergestalt, daß von tausend weiblichen Personen verheiratet oder verheiratet gewesen waren: im Alter von: 1871: 1895: 30 – 40 802 835 40 – 50 866 891 50 – 60 881 896. Das Resultat ist jedenfalls: Die Zahl der unehelichen Kinder hat in den letzten 60 Jahren, wenn man größere Gebiete zusammenfaßt, nicht zu- sondern abgenommen, – die Zahl der Eheschließungen aber hat, wenigstens bei uns, nicht, ab- sondern, grade in Zeiten kräftiger kapitalistischer Entwicklung, zugenommen, vom Boden der Tatsachen aus ist also offenbar einstweilen die faktische soziale Bedeutung der „legitimen“ Vollehe nicht als irgendwie erschüttert hinzustellen. Damit ist nun freilich nicht gesagt, daß nicht trotzdem die Probleme sich verschärft haben. Das gleiche quantitative Maß von Unehelichkeit bedeutet unter den Verhältnissen einer Großstadt, trotz der z.B. in Berlin ziemlich hohen Quote der nachträglich legitimierten (2/5 aller), doch etwas qualitativ anderes, degenerierender wirkendes, als auf dem platten Lande. Und die Erhaltung der quantitativen Bedeutung der Ehe besagt an sich noch nichts für die uns hier interessierende Frage, ob nicht ihr innerer Gehalt sich wesentlich verschoben habe. Ein Symptom einer solchen Verschiebung kann in der Tat in der unzweifelhaften allgemeinen Zunahme der Ehescheidungen, oder, wo diese rechtlich nicht gestattet sind, der gerichtlichen „Separationen“ gefunden werden. In Preußen haben sie sich, auf je 100000 bestehende Ehen gerechnet, von 1881 (50,19) bis 1896 (101,97) verdoppelt. Die gewaltigen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern (511) erklären sich weder aus ethnischen, noch aus ökonomischen, noch aus
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konfessionellen, noch endlich aus Differenzen der Gesetzgebung allein. Die größere Zahl der Scheidungsgründe erklärt z.B. die riesige Zahl der Scheidungen in Frankreich (1884-88 zusammen rund 20000335) daneben rund 10000 Separationen) gegenüber England (jährlich in der gleichen Zeit zwischen 7 und 800 einschließlich der Separationen) nicht, da auch die Separationen den gleichen Unterschied aufweisen. Die niedrigste Ehescheidungsziffer hat Irland (1,1 jährlich auf je 100 000 Ehen in dem Jahrfünft 1886-90), dann folgen, mit (1886–90) weniger als 20 auf 100 000 Ehen, ethnisch, konfessionell und ökonomisch so heterogene Gebiete wie: England (7,0), Finland (10,0), Italien (10,6), Oesterreich, Norwegen. Weiter mit 20 – 70 Schweden, Ungarn, Belgien (43), Niederlande (64,7). Ueber 100 jährlich auf je 100 000 Ehen weisen Dänemark (1876-80: 184), die Schweiz (208) und die Vereinigten Staaten (1886: 250) auf. Innerhalb Nordamerikas hat der Süden die Mindestzahl (1867/86 durchschnittlich 70,7), speziell das alte Sklavenland South Carolina (12,1). Der Staat New-York mit strenger Gesetzgebung und den Einwandererfamilien, die im fremden Lande naturgemäß fest zusammenhalten, hatte 1867/86: 81,2, die Neuengland-Staaten dagegen 138,1, wobei notorisch die alteingeborenen Familien mit höheren Quoten beteiligt waren; die wesentlich agrarischen Weststaaten mit ihren in jeder Hinsicht unstäten sozialen Verhalten 494,4 (Maximum: das Mormonenland Utah mit 960). Die Scheidungszahlen sind in Amerika seitdem noch stark gestiegen, namentlich – aber nicht nur – infolge der äußerst laxen Gesetzgebung des Westens. Daß aber Unterschiede der Gesetzgebung keineswegs entscheidend sind, zeigt Sachsen mit seinen, trotz strengerer Gesetze, weit über den Nachbargebieten stehenden Zahlen. Deutschland als Ganzes (1886/90: 77,6) und Frankreich (80,9) standen einander ziemlich nahe und etwas über dem europäischen Durchschnitt. Daß nicht der Kapitalismus als solcher, speziell der moderne „Industrialismus“, die Ehestabilität beseitigt, zeigt – gegenüber dem Lande des „rentier paisible“ – die niedrige Ziffer Englands. Es ergibt sich ferner auch aus der bedeutend – um über das Doppelte – größeren Ehestabilität Westfalens, der Rheinprovinz, Badens, Hessens, Württembergs gegenüber Ost- und Westpreußen, (512) Pommern, Schlesien. Ebenso stehen die Gebiete mit gleichen konfessionellen Verhältnissen ganz verschieden. Der Protestantismus ist – wie schon England im Vergleich zu Frankreich, innerhalb Deutschlands aber Mecklenburg, Oldenburg, R.-Bez. Kassel gegenüber Schlesien und Westpreußen zeigt, – keineswegs generell Förderer der Ehescheidung. Fast ausnahmslos ist die Großstadt-Entwicklung der Häufigkeit der Ehescheidung günstig: es stehen Berlin mit 171,1, Wien mit 190,2, das Leine-Departement mit 362,0, Kopenhagen (Maximum aller Großstädte!) mit 572,4 erheblich über dem Landesdurchschnitt. Hier ist unzweifelhaft eine Erschütterung und Senkung der Durchschnittssittlichkeit (speziell im Handelsgewerbe, welches in Berlin auffallend hoch beteiligt ist), als Grund anzusprechen. Die in Gebieten, wo die Ehescheidungen steigen, meist große Zahl der „Armensachen“ zeigt, daß das Herabsinken bürgerlicher Schichten mit seiner Folge: der Prostitution der Frauen und Töchter, stark mitspielt. Auch pflegt, wo der Kapitalismus entweder auf kolonialem Boden sich entwickelt (Amerika) oder wo er neu und zersetzend in bäuerlich-kleinbürgerliche Gebiete eindringt, proletarische Schichten neu schafft oder vom Lande in die Stadt 335 Darunter allerdings sehr zahlreiche nur nachträglich, gemäß der Neu-Zulassung durch
das Gesetz von 1884, in Scheidungen umgewandelte Separationen.
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saugt, die Ehescheidungsziffer zu steigen, und auch in diesem Fall darf man wohl von einer Folgeerscheinung erschütterter Sittlichkeit sprechen. Im ganzen aber bleibt die Frage: ob eine Zunahme der Ehescheidungen Folge sinkender Sittlichkeit oder steigender Ansprüche an den sittlichen Gehalt der Ehe – wie bei den eingeborenen Neuengländern – und einer Vermehrung der Reibungsflächen zwischen den entwickelteren Persönlichkeiten ist, stets sehr schwer zu entscheiden. Und vor allem hat man sich sehr zu hüten, die geringere Stabilität der einzelnen Ehe mit einer Entwertung der Ehe als Institution oder, vollends, mit einer Verringerung des durchschnittlichen ethischen Werts der bestehenden Ehen zu verwechseln. Sehr oft ist natürlich grade das Umgekehrte zutreffend. Alles in allem: die rein faktische (statistische) Bedeutung der kapitalistischen Entwicklung für die Stellung der Ehe als Rechtsinstitution ist nicht derart, daß sie, an sich, heute mehr als in früheren Zeiten ein Suchen nach „neuen“ Normen der Geschlechtsverhältnisse fordern würde. Das gilt, wie wir schon Kap. IV a. E. sahen, auch für das Proletariat. Aus dem Umstand, daß die Proletarier-Ehe in einer übergroßen Zahl der Fälle unter dem Druck der ökonomischen Not und Unsicherheit heute ein Hohn auf unser Eheideal ist, kann natürlich nicht (513) die Forderung des Verzichts auf jenes Ideal, sondern muß umgekehrt die Forderung nach sozialen Reformen hergeleitet werden, welche dessen Verwirklichung ermöglichen. Diese Reformen herbeizuführen liegt allerdings nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, im Bereich des uns hier allein beschäftigenden Eherechts, sondern auf dem Gebiet der allgemeinen Sozialpolitik. Sie sind für die proletarischen Schichten augenblicklich so ungemein viel wichtiger als das Privatrecht der Ehe, daß sich daraus allein schon das Fehlen oder doch die Schwäche spezifisch frauenrechtlicher Bewegungen in ihren Kreisen erklärt. Das oft so genannte „bürgerliche“ Eheideal aber ist damit natürlich für das Proletariat als „Ideal“ so wenig außer Kurs gesetzt, wie für irgend welche anderen Schichten. Denn ein „Ideal“ verliert seine Dignität als solches nicht durch noch so große Schwierigkeiten seiner Verwirklichung, sondern nur durch andre, „höhere“, Ideale, die in unser sittliches Bewußtsein treten. Die Frage, die uns weiterhin zunächst zu beschäftigen hat, ist nun eben die, ob etwa solche neue Weltmaßstäbe gefunden sind. Wenn ja, – dann würde zu fragen sein: welche Forderungen daraus für die anderweite Gestaltung der Ehe als Rechtsinstitut abzuleiten wären, oder ob etwa, – wie vielfach geglaubt wird, – grade der Rechtsinstitutscharakter der Ehe als solcher es ist, der dem neuen Ideal im Wege steht und also fallen muß. Die, im Namen neuer Weltmaßstäbe, gegen die „legitime Ehe“ gerichteten Angriffe haben untereinander verschiedene Ausgangspunkte und Formen angenommen. Einmal hat der Mißerfolg der Frauen, sowohl das rechtliche Verhältnis der Ehegatten wie auch seine allgemeine sittliche Auffassung schon für die Gegenwart mit ihren ethischen Postulaten in Einklang zu setzen, den Vorschlag gezeitigt: Führende Persönlichkeiten, deren allgemeine sittliche Beschaffenheit jegliche Mißdeutung ihrer Motive ausschließt, möchten beim Eingehen ihrer Verbindungen angesichts der Oeffentlichkeit ausdrücklich auf die Beobachtung der staatlich
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vorgeschriebenen Formalitäten verzichten, um dadurch zu bekunden, daß die heutige patriarchale Rechtsform der Ehe, ebenso wie der durch sie gestützte Glaube an die notwendige Unterordnung der Frau dem ethischen Bewußtsein der Besten unsrer Nation zuwider läuft336. (514) Die geschichtliche Erfahrung lehrt, daß auf ähnlichem Wege gewisse Reformen des Eherechts in der Tat erzwungen worden sind, wenn dieser Protest die Form des massenhaften Eingehens illegaler „Ehen“ gezeitigt hatte. So ist auf diese Weise die Einführung der Notzivilehe zu gunsten englischer und russischer Schismatiker zustande gekommen. Auch die römische „freie Ehe“ ist wenigstens möglicherweise durch einen ähnlich sich äußernden Widerstand der Frauen gegen die Manus-Ehe erzwungen worden, für die auch Arabien Beispiele bot. Man mag nun jenen Vorschlag zur „freien Protest-Ehe“ als einen, unter unsren Verhältnissen praktisch ungangbaren, die Schwachen gefährdenden, das Ziel verfehlenden Weg zur Ehereform ablehnen – einer prinzipiellen, auf ethische Werte bezogenen Stellungnahme dazu bedarf es nicht. Denn der normative Charakter der Ehe als einer auf Dauer und Ausschließlichkeit berechneten, rechtlich geordneten Lebensgemeinschaft zweier durch Neigung verbundener Persönlichkeiten wird dabei durchaus nicht in Frage gestellt. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Aufforderung zur praktischen Demonstration gegen die heutige innere Struktur der legalen Ehe, also um deren Reform, nicht aber um die Bezweiflung ihres allgemeinen Wertes als einer Rechtsinstitution an sich. Eine ganz andre Tendenz leitet dagegen, – wenigstens nach ihrer eignen Meinung, – diejenigen geistigen Strömungen, die nicht nur im Interesse der Beschleunigung rechtlicher Gleichordnung der Frau, sondern im Namen ihrer völligen, auch faktischen Unabhängigkeit vom Manne, und zugleich im Namen einer höheren Sexualethik an der Auffassung der legalen Ehe überhaupt als sittlich und rechtlich allgemeingültiger Form der Geschlechtsbeziehungen rütteln. Sie zwingen uns zur Besinnung über den Wert der Ehe als eines Rechtsinstituts überhaupt. Allerdings können aus dem Chaos der für diese Art der Ehekritik herangezogenen Vorstellungsmassen nur diejenigen Gesichtspunkte herausgehoben werden, deren Erörterung die Beurteilung der Stellung des Staats und des von ihm geschaffenen Rechts gegenüber den geschlechtlichen Beziehungen beleuchtet, und aus denen sich noch gewisse, bisher zurückgestellte, Forderungen an die Gesetzgebung ableiten lassen. Auf eine prinzipielle Auseinandersetzung mit den lediglich durch den Wunsch nach allgemeinerer Befriedigung des Trieblebens, oder mit der Behauptung, daß die Fragen des Trieblebens (515) prinzipiell als „ethisch indifferent“ zu gelten hätten, motivierten Erwägungen, die etwa mit dem Schlagwort des „Rechts sich auszuleben,“ spezieller des „Rechts auf Liebe“ oder auch, allein auf die Frau bezogen: „des Rechts auf Mutterschaft“ gekennzeichnet sind, müssen wir hier verzichten. Sie würden uns in einen Kampf mit Weltanschauungsfragen verstricken, der, in diesem Umfang wenigstens außerhalb des Rahmens dieser Schrift liegt.
336 Vgl. „Offener Brief“ von A. Augspurg, „Europa“ 1904. [Anmerkung: Der Text Augs-
purgs ist in der vorliegenden Edition mit abgedruckt, vgl. Augspurg, Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Die Frauenbewegung 1905, S. 81-83.]
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Teil 1
Wir ziehen also nur diejenigen Argumente gegen die Ehe in den Kreis unserer Betrachtungen, die überhaupt den Anspruch erheben, auch ihrerseits in irgend einer Richtung ethisch motiviert zu sein. Nur so weit sie unlöslich verknüpft sind mit eudämonistischen, d. h. hier: auf Vermehrung der sinnlichen Befriedigung gerichteten Erwägungen, werden dabei auch auf diese letzteren vereinzelte Streiflichter fallen können. Eines der Hauptargumente, das im Namen einer „neuen Ethik“ noch immer gegen die exklusive staatliche und gesellschaftliche Wertung der Ehe ins Feld geführt wird, ist die uns bekannte, dem vulgär-Sozialismus [sic!] entnommene Entwicklungstheorie, daß die Ehe und mit ihr zugleich die Geschlechtssklaverei der Frau durch das Privateigentum und das mit ihm in die Welt gekommene Interesse des Mannes, dafür legitime Erben zu gewinnen, geschaffen worden sei. Wir haben uns im ersten Kapitel eingehend mit dieser Theorie befaßt und auch bei der weiteren Darstellung der Rechtsentwicklung fielen so häufig Streiflichter auf sie, daß wir hier das Resultat nur noch einmal ganz kurz zusammenfassen können. Erstens: die Geschlechtssklaverei der Frau bestand auch – und grade – bei „kommunistischen“ Wirtschaftsformen, sie ist folglich unabhängig von der Entstehung der Privateigentumsordnung. Zweitens: die Einehe als Rechtsinstitut findet sich trotz herrschendem „Kommunismus“, – bei der überwiegenden Mehrzahl ist sie ja erst jahrhunderte- oder jahrtausendelang später als das individuelle Privateigentum zur Herrschaft gelangt. Ihr Sieg ist also ebenso wie die Geschlechtssklaverei der Frau unabhängig vom Siege des Privateigentums. Richtig ist, drittens, daß die „legitime“ Ehe mit Vorzugsrecht der ihr entstammenden Kinder und zwar sowohl die polygame, wie die monogame, erst entstehen konnte, als durch immer weitere Verkleinerung der alten Familiengemeinschaften die Frage: an wen der Besitz vererbt werden solle, eine ihrer heutigen (516) ähnliche Bedeutung erlangt hatte. Die Eigentumsordnung steht also durch die von ihr geschaffene Vererblichkeit bestimmter Güter auf bestimmte Individuen unzweifelhaft in kausalem Zusammenhang mit der legitimen Ehe. Da aber der Mann ursprünglich die Kinder jeder beliebigen Frau, die er in seinen Besitz gebracht hatte, zu seinen „legitimen“ Erben machen konnte, hat offenbar nicht sowohl sein, sondern umgekehrt in erster Linie das ökonomische Interesse der Frauen und Kinder zur Unterscheidung von Legitimität und Illegitimität, von „ehelichen“ und „außerehelichen“ Geschlechtsbeziehungen, geführt. Die legitime Ehe entstand durch zunächst vertragsmäßige, dann gewohnheitsrechtliche, dann ausdrückliche ökonomische Sicherung mehrerer oder einer bestimmten Frau und deren Kindern gegenüber allen anderen Frauen, mit denen es dem Mann beliebte, Geschlechtsverkehr zu pflegen. Sie ist in erster Linie das Werk der Frau, bezw. ihrer Familie, die sie nicht hergab, ohne Garantien für ihre und ihrer Kinder Vorzugsstellung. – Allein vor allem ist natürlich für die sittliche Beurteilung der heutigen Ehe die Art ihres historischen Entstehens doch total gleichgültig. Möge sie entstanden sein wie immer, ihr Wert hängt einzig und allein von der Antwort auf die Frage ab, ob sie – die Reform ihrer inneren Struktur vorausgesetzt – mit unsren heutigen ethischen Idealen vereinbar ist, oder ob grundsätzlich andersartige Formen der Geschlechtsverbindungen denkbar sind, die jenen Idealen besser entsprechen. Nur mit dieser Frage befassen mir uns weiterhin.
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Gegen das heutige Wesen der Ehe richtet sich, wenigstens dem Ergebnis nach, die Forderung nach „ökonomischer Unabhängigkeit“ der Frau vom Mann, wenn sie so verstanden wird, wie dies, auf Grund vermeintlicher Konsequenzen des vulgärsozialistischen Geschichtsmaterialismus, bei einem Teil auch der Frauenbewegung der Fall ist. Die Unterordnung der Ehefrau sei, sagt man, lediglich „ökonomisch“ bedingt. Sie wurzle darin, daß die Frau, mindestens scheinbar, ganz oder teilweise vom Manne, d. h. durch seinen außerhäuslichen Geldverdienst, ernährt werde, also ökonomisch von ihm „abhängig“ sei. Gemäß dieser Theorie genügt als Panzer und Schild ihrer Selbstbehauptung weder die rechtliche Gleichordnung der Geschlechter und die güterrechtliche Sicherung der Frau etwa in der im vorigen Kapitel erörterten Richtung, noch ihre faktische Erwerbsfähigkeit, sondern (517) die Frauenmassen müssen, um sozial dem Mann gleichzustehen, auch während Ehe und Mutterschaft durch außerhäusliche Erwerbstätigkeit selbständig Geld verdienen. Und zwar, – was das Entscheidende ist, – nicht etwa „nebenberuflich“, also nur so weit es mit der Erfüllung ihres Hausmutterberufs vereinbar ist, sondern ohne Rücksicht auf diesen, in dem Umfang, daß die einzelne Frau auch in der Ehe ihren ganzen Lebensunterhalt außerhäuslich selbst verdient und zu keiner Zeit auf Mithilfe des Mannes angewiesen ist337. Der Einzelhaushalt als Wirtschaftsbetrieb ist deshalb schon heute auf dem Laden der Privateigentumsordnung aufzulösen. Die einzelnen Verrichtungen zur Versorgung der Familienglieder mit den täglichen Lebensbedürfnissen, die der Privathaushalt noch versieht, müssen ebenso, wie alle andren schon von ihm ausgeschiedenen, als Gewerbe organisiert werden. Oder, besser, eine Anzahl von Familien sollen Wirtschaftsgenossenschaften oder Zentralhaushaltungen bilden, in denen die Lebensbedürfnisse, etwa wie bei einem Hotelbetrieb, durch eine weit geringere Zahl spezialistisch geschulter Kräfte als im Privathaushalt befriedigt werden können. Durch derartige Einrichtungen würde es – so glaubt man – ermöglicht, die spezifischen Leistungen der Hausmütter ganz abzulösen und sie selbst ganz aus dem Hause heraus in die Sphäre der Geld-gelohnten Güterproduktion zu schieben. Dies allein aber wäre als konsequente und heilsame Weiterentwicklung des durch die kapitalistische Produktionsform angebahnten Prozesses: Aufsaugung der hauswirtschaftlichen durch die volkswirtschaftliche Produktion, Auflösung der Familie als Wirtschaftsgemeinschaft, zu betrachten. – Wir können hier nicht eingehender über die ökonomische und psychologische Durchführbarkeit dieser Vorschläge diskutieren338. Zweifellos könnten derartige Einrichtungen für eine gewisse Oberschicht von Qualitätsarbeiterinnen ökonomisch rentabel sein und ihnen in zweckmäßiger Weise die Vereinigung von Mutterschafts- und Berufsarbeit erleichtern. Dies jedoch keinesfalls – wie meist geglaubt wird – bis zu dem Grade, daß die Mutterschaft nun überhaupt nicht mehr als Hemmung der außerhäuslichen Frauenarbeit ins Gewicht fiele. Darüber ist am Schluß des vierten Kapitels gesprochen (518) worden. Gar nicht aber kämen sie vorderhand für die einfach handarbeitenden Frauenmassen in Betracht. Denn die ökonomische Rechnung ergibt, bei Zugrundelegung der heutigen Lohnverdienstchancen der Frauen, daß die durch mechanische Erwerbstätigkeit außerhäuslich zu 337 Für die Zeiten körperlicher Behinderung durch Schwangerschaft und Wochenbett soll
eine umfassende Mutterschaftsversicherung den Verdienstausfall decken. 338 Vgl. dazu Marianne Weber, Beruf und Ehe. Berlin-Schöneberg (1906).
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erzielenden Einkünfte durch die Kosten der Anstellung bezahlter und geschulter Kräfte für die Pflege und Erziehung der Kinder der genossenschaftlich zusammengeschlossenen, Familien beinahe absorbiert werden würde. Wo aber das allgemeine Lohnminimum wesentlich steigt, pflegt erfahrungsgemäß, wie schon früher erwähnt, die Folge eine Abnahme der außerhäusigen Lohnarbeit der Ehefrauen zu sein. Ganz erklärlicherweise. Die jenen Bestrebungen inne wohnende Tendenz geht offenbar dahin: Die Hausmutterschaft – ob eheliche oder uneheliche bleibt sich dabei gleich – soll nicht mehr als spezifische Aufgabe, die aus ihr entstehende Arbeit nicht länger als „Berufsarbeit“ der Ehefrauen und Mütter gewertet werden, auf daß die Frau gleich dem Mann erwerbstätig und dadurch ökonomisch von ihm „frei“ sein könne. Macht man sich aber klar, daß dadurch die Frauenmassen zeitlebens lediglich mechanischen, einförmigen und schon deshalb speziell für den weiblichen Organismus gesundheitsschädlichen Erwerbszweigen niederster Gattung zugeführt würden, so erscheint nicht nur begreiflich, daß die Ehefrauen ihrerseits diese Verwertung ihrer Kräfte regelmäßig nur unter dem Druck der Not sich aufzwingen lassen und den „Hausmutterberuf“ höher werten, sondern es kann auch nicht zweifelhaft sein, daß ihre Befreiung von der Mutterschaftsarbeit zugunsten einer derartigen Vollerwerbstätigkeit objektiv Verluste an, allerdings nicht in Geld abzuschätzenden, ethischen und psychischen Werten bedeuten würde, welche – zufolge der auf aller außerhäuslichen Frauenarbeit lastenden physiologischen Hemmungen – durch die von ihr zu schaffenden wirtschaftlichen Werte keinenfalls aufgewogen würden Aufgabe der Gesetzgebung und der Haushaltungstechnik ist es selbstverständlich, aus der Tatsache, daß jener Zwang der Not zum außerhäusigen Erwerb nun einmal heute in breiten Schichten des Proletariats besteht, die Konsequenzen zu ziehen. Diesen Zustand aber als ein um seiner selbst willen erstrebenswertes Zukunftsideal hinzustellen, heißt die Realität der Dinge verkennen. Was aber bedeutet, selbst, wenn wir uns einmal auf den Boden der Voll-Erwerbsarbeit aller Ehefrauen als Norm stellen wollen, das (519) Ideal „ökonomischer“ Emanzipation der Ehefrauen und Mütter? Seine Vertreter lassen bisher im unklaren, ob der Mann auch dann, wenn der Einzelhaushalt als Wirtschaftsform aufgelöst und die Frau voll erwerbstätig wäre, noch weiter rechtlich verpflichtet sein soll, zusammen mit ihr, oder, wie jetzt, an erster Stelle, für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder zu sorgen. Wo dies, wie meist, stillschweigend gemeint ist, da wird natürlich eben jenes Ideal ökonomischer Emanzipation schon von vornherein gebrochen. Denn wenn auch die Frau sich selbst allein ernährte, so wäre sie dann doch als Mutter vermittelst der Kinder, die sie zur Welt bringt und an denen sie hängt, solange vom Manne „ökonomisch abhängig“, als die ökonomische Verantwortlichkeit für deren Erziehung ihr nicht von der Gesamtheit abgenommen ist. So lange dies nicht der Fall ist, bliebe die rechtliche Regelung der ökonomischen Beziehungen zwischen Vater, Mutter und Kind offenbar ebenso unerläßlich wie heute. Sie könnte (in der Theorie) zu einer einfachen Alimentationspflicht des Mannes verflüchtigt gedacht werden, – und wir sind oben selbst dafür eingetreten,
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daß auch in der Ehe die Rechte der Frau tunlichst ziffernmäßig fest bestimmt werden sollen, – immer aber bliebe dabei bestehen, daß der im Erwerbsleben gegenüber der Frau nun einmal begünstigte Mann faktisch die Kosten des Unterhalts der Familie von Mann, Frau und Kindern mittragen, der Regel nach überwiegend tragen und daß er also in den besitzlosen Schichten dafür meist wie jetzt annähernd, seinen ganzen Erwerb hergeben müßte, wenn die Versorgung von Frau und Kindern über das Niveau der äußersten Dürftigkeit gehoben werden sollte. Man könnte ja nun – wenigstens in der Theorie – diese ökonomische Unentbehrlichkeit des Mannes ihrer persönlichen Form zu entkleiden suchen, etwa, indem man, wie z. B. Ellen Key vorschlägt, die Gesamtheit durch Rentenleistung an die Mutter für jedes Kind, welches geboren wird – ehelich oder unehelich – eintreten ließe (Mutterschaftsrente). Würde diese Rente hoch genug, d. h. so hoch bemessen, daß ein Zuschuß des Vaters für die Erziehung der Kinder ganz entbehrlich würde, dann – aber auch nur dann – wäre in der Tat die prinzipielle Möglichkeit gegeben, die ökonomische Nabelschnur, die normalerweise das Kind und durch das Kind auch die Mutter mit dem Vater ihres Kindes verbindet, durch Beseitigung aller Ansprüche der Gatten sowohl wie des Vaters und der Kinder (520) gegeneinander, zu zerschneiden. Die dazu erforderlichen Kosten für Deutschland würden mindestens etwa 7 Milliarden Mk. jährlich betragen339. Damit wäre – volle dauernde Erwerbstätigkeit aller nicht vom Besitz lebenden Frauen vorausgesetzt, – nicht nur die Frau und Mutter, sondern vor allem auch der Gatte und Vater in der Tat „ökonomisch emanzipiert“. Die wirtschaftliche Verantwortlichkeit der Eltern für ihre Kinder fiele, wenn wir die Durchführbarkeit hier einmal voraussetzen, fort. Es entfiele auch der Zwang zur Bändigung des Geschlechtslebens und vor allem des naturgegebenen Egoismus überhaupt. Eine Masse isolierter, auf sich selbst gestellter, nur für die eignen Bedürfnisse sorgender Individuen und ein Wiedererstehen der alten Kinderprämienpolitik des bevölkerungshungrigen absoluten Staats, in gigantischer Vergrößerung, wäre das Ergebnis. Solange eine Gesellschaftsordnung mit Erbrecht besteht, würde allerdings durch jene Maßnahmen allein die „legitime“ Ehe nicht das mindeste an Bedeutung für die Kinder und Frauen der besitzenden oder sonst ökonomisch privilegierten Schichten eingebüßt haben, – denn für diese bedeuten ja 300 Mk. Mutterschaftsrente für jedes Kind nichts. Aber für diejenigen Schichten, die nichts wesentliches zu erben haben und Einkommen von unter 1000 Mk. beziehen, würde dieser Betrag ökonomisch sicherlich ins Gewicht fallen. Die Verknüpfung des Geschlechtsverkehrs mit ökonomischen Pflichten könnte (in der Theorie) fortfallen. Dürfen wir aber davon einen Zuwachs an sexueller Ethik und überhaupt an allgemeiner Versittlichung erhoffen? Wir kommen auf diese Frage erst weiter unten zurück, da sie offenbar einen Teil des allgemeinen Problems der Uebernahme der Elternpflichten durch die „Gesamtheit“ darstellt.
339 22,8 Millionen (Zahl der Kinder unter 16 Jahren) multipliziert mit 300 Mark und Ver-
waltungskosten.
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Hier erinnern wir uns nur, daß ein solches wirklich prinzipiell durchgreifendes, d. h. die Unterhaltspflicht des Vaters ausschaltendes Projekt für alle absehbare Zukunft zu den Utopien gehört. Von der bevölkerungspolitischen Seite ganz abgesehen, zunächst schon finanziell, obschon das unsrer Rechnung zu grunde gelegte Maß und ebenso die Zeitdauer der Rente für die Erreichung des Zwecks: – „Emanzipation der Geschlechter von den Folgen ihrer geschlechtlichen Beziehungen“ – doch nur ein allerdürftigstes Minimum bilden würde. Es (521) kommt hinzu, daß der praktische Effekt einer Zahlung von Renten an die Mütter – wie sie von den Vertretern des Gedankens doch wohl vorausgesetzt wird – zweifellos, nach allen Erfahrungen, eine Einschränkung von deren eigner Erwerbstätigkeit sein würde: Sie würden dann eben ganz oder teilweise von der Kinderproduktion leben, wie dies in beschränktem Maße zuweilen heute schon bei der unehelichen Mutter die Folge der noch dürftigeren Alimente (180–240 Mk. pro Jahr und Kind) ist – und hier übrigens ja auch sein soll. In der Tat ist dies derjenige Sinn, den jedes in den Grenzen des Erreichbaren sich haltende Projekt, sei es einer staatlichen „Mutterschaftsrente“, sei es einer „Mutterschaftsversicherung“ mit staatlichen Zuschüssen für besitzlose Frauen, auf dem Boden unsrer Wirtschaftsordnung allein haben kann: Beseitigung oder doch Minderung des Zwanges für die proletarische Mutter, ihren „Mutterberuf“ zu Gunsten außerhäusiger Erwerbsarbeit ungebührlich zu vernachlässigen. Das wäre dann freilich das grade Gegenteil einer Emanzipation vom Mutterberuf durch außerhäusigen Geldverdienst. Es würde voraussichtlich nicht nur die Kindererzeugung, sondern wohl auch die Ehen vermehren, indem es die Verbindung mit einer solchen rentenberechtigten Frau ökonomisch erleichterte. Aber selbstverständlich wäre die Rechtspflicht des Mannes, in erster Linie für den Haushalt der Familie aufzukommen, alsdann erst recht nicht entbehrlich gemacht. Es würde sich also jedenfalls dabei um Projekte handeln, welche – wie man auch über sie urteilen möge – jedenfalls durchaus innerhalb des Rahmens der modernen Sozialpolitik lägen. Ihre etwaige Durchführung würde zwar von erheblicher Tragweite für die Lage der davon betroffenen Mütter sein: sie würden in die Lage von Frauen versetzt, welche ein kleines Rentenkapital in die Ehe brächten. Aber prinzipielle Bedeutung für die Probleme der rechtlichen Beziehungen der Geschlechter hätten sie schlechterdings nicht, im Gegensatz zu dem Gedanken, die Vaterpflichten vermittelst einer universellen Mutterschaftsrente auszuschalten, welcher seinerseits nur eine Vorstufe der Uebernahme aller Elternpflichten auf „die Gesamtheit“ sein könnte. Denn es wäre natürlich garnicht abzusehen, was die Gesamtheit, in der ja schließlich auch die Männer mitreden würden, dazu bewegen sollte, statt Institutionen zu schaffen für die Erziehung der den allerersten Lebensjahren entwachsenen Kinder durch geschulte Kräfte „im (522) Großbetrieb“, ungeheure Summen dauernd an die einzelnen Mütter zu zahlen, deren wirklich zweckvolle Verwendung im Interesse der Kinder sich jeder wirksamen Kontrolle entzöge. – Wir kommen, wie schon bemerkt, auf die ethische Seite dieser Probleme einer – günstigenfalls – fernen Zukunft am Schluß noch kurz zurück. Hier haben wir zunächst eine weitere, gegen die Ehe als Rechtsinstitut gerichtete Gedankenreihe zu erörtern.
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Es ist die ebenfalls aus dem Vulgär-Sozialismus stammende, nicht immer klar zu Tage tretende, aber doch genügend erkennbare Unterströmung aller Tagesdiskussionen, daß der Glaube an den Wert der „legitimen Ehe“ um deswillen unhaltbar sei, weil in der heutigen Gesellschaft die Prostitution, der außereheliche Geschlechtsverkehr in seiner brutalsten, gefährlichsten und für die Frau erniedrigendsten Form, ihre „Begleiterscheinung“ sei. Die legitime Ehe und die „kapitalistische“ Eigentumsordnung seien es, welche ihrer bedürfen, während sie bei den Naturvölkern, die weder unsre Ehe noch unsre Eigentumsordnung kennen, fehle. Und das sei die große Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft, daß sie zwar versuche, das Geschlechtsleben der Frauen durch soziale Aechtung jeder ihrer „Fehltritte“ auf die Ehe zu beschränken, dem Manne jedoch unbegrenzte Befriedigung seines Trieblebens auch außerhalb der Ehe zubillige, ja ihm dafür einen Teil der weiblichen Bevölkerung preisgebe. Mit diesem Gedankengang, als dem ethisch schwerwiegendsten, müssen wir uns hier am eingehendsten befassen. In der Tat: Die Dissonanz zwischen der geltenden Norm und der staatlich und gesellschaftlich sanktionierten Praxis auf Seiten der Männer ist heute so grell, die Tatsache, daß bei gemeinsamem Ungehorsam gegen die Norm nur die Frau der bürgerlichen Aechtung anheimfällt, so unbillig, die Erziehung der Männermassen zur Anerkennung, geschweige denn zur Verwirklichung der Norm erscheint so utopisch, daß es begreiflich ist, wenn Sozialreformer jene Erscheinungen gedanklich verknüpfen, oder, noch einen Schritt weiter: Ehe und Kapitalismus mit einander verketten und beide gemeinsam für das Dasein der Prostitution verantwortlich machen. Das Hauptmaterial zu dieser Konstruktion liefert – neben der an rein hygienischen (um nicht zu sagen „veterinären“) Gesichtspunkten orientierten Sexualmoral mancher ärztlicher „Autoritäten“ – der Staat selbst. Und zwar dadurch, daß er neben der Ehe grade die (523) Prostitution unter seine Obhut nimmt, mit ihr paktiert und ihr durch das Reglementierungssystem den Stempel der Zulässigkeit für den Mann aufprägt, dagegen andere Formen außerehelichen Geschlechtsverkehrs, z. B. den der ethischen Durchdringung durchaus fähigen monogamen Konkubinat, im Gegensatz zur Prostitution, polizeilich unterdrückt. – Daß der Staat als Hüter der Ehe auch zugleich die Handhabe bietet, um dem Mann den Prostitutionsverkehr zu erleichtern, läßt ihn selbst als Skeptiker gegenüber der Norm erscheinen und trägt am wesentlichsten zur Trübung sowohl der Tatsachenerkenntnis wie auch des ethischen Urteils bei. Es ist ferner unbedingt zuzugeben, daß, außer diesen ideellen und rechtlichen, auch gewisse ökonomische Verbindungsfäden zwischen den Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft und der Prostitution vorhanden sind. Vor allem die, auf den hochgeschraubten gesellschaftlichen Ansprüchen und der langwierigen Berufsvorbereitung beruhende, späte Heiratsmöglichkeit der besitzenden Volksschichten auf der einen, und die erbarmungslose Härte des Erwerbskampfs für die Frauen besitzloser Klassen auf der andren Seite. Ungeachtet alles dessen erscheint aber doch bei jedem genaueren Zusehen die Zurechnung der Prostitution zur Ehe oder wohl gar zur „Ehe nach Vaterrecht“ höchst ungeschichtlich. Zunächst haben wir schon früher im ersten Kapitel gesehen, daß die Prostitution, die Erkaufung des Geschlechtsakts um seiner selbst willen von Seiten des Mannes, die Hingabe um Entgelt von Seiten der Frau, so alt ist wie die Geschichte, und weit älter als die legitime Ehe. Sie besteht auch – wo
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die sonstigen Bedingungen dazu gegeben sind – bei Mutterrecht, ja oft grade in der Form des sogenannten reinen Mutterrechts. Das Mädchen ist dabei eben Erwerbsquelle ihrer Sippe, welche sie gegen Entgelt jedermann preisgibt. Man kann in diesem Sinn die heutige Prostitution in der Tat als ein Residuum der ältesten Barbarei bezeichnen. Ihr Kontrast gegen die verfeinerte Sexualmoral und ihre daraus folgende Absonderung aus der zivilisierten Gesellschaft ist das den Kulturvölkern Spezifische. Richtig ist, daß die Prostitution in dieser ihrer Absonderung und ihrem Kontrast gegen die legale Ehe für die Befriedigung des Geschlechtstriebs in einfacheren Kulturverhältnissen nicht die Rolle gespielt hat, wie in antiken und modernen Großstädten. Dies trägt zur Beurteilung der Bedeutung der Großstädte, – aber nicht nur der heute durch den Kapitalismus (524) geschaffenen – bei. Aber was besagt es für die angeblichen Zusammenhänge zwischen Ehe und Prostitution und vollends für die Beurteilung des Wertes der Ehe? Ebenso gleichgültig dafür ist es andrerseits, daß gewisse primitive Naturvölker, die weder für den Mann noch für die Frau den Begriff der Geschlechtsehre noch auch das Gefühl einer dauernden Verantwortlichkeit für ihre Kinder kennen, ihr Triebleben ohne die Institution der bezahlten und käuflichen „Liebe“ befriedigen. Denn wenn auch dort die Prostitution in unsrem Sinne fehlt, so kann doch nur die völlige Unkenntnis ihrer sonstigen sexuellen Gewohnheiten und Gebräuche jenen Völkern eine allgemeinere, größere Sittlichkeit als uns zuschreiben. Ihr sexueller Abwechslungstrieb tobt sich ganz zügellos bei festlichen Gelegenheiten aus, ihre „ehelichen“ Verbindungen werden – so lange der Nahrungsspielraum ausreicht – ohne ökonomischen Vorbedacht und deshalb in sehr jugendlichem Alter geschlossen und – immer seitens des Mannes, selten seitens der Frau – nach Belieben wieder gelöst. „Erlaubt ist, was gefällt“ und das heißt in erster Linie immer: was sich der einzelne Mann durch Macht oder List verschaffen kann, ohne die Gelüste seines Nachbarn zu kreuzen. Selbstverständlich ist in einem solchen „Diesseits von Gut und Böse“, wo der Mann eben jede Frau, sofern sie ihm nicht von andren Männern bestritten wird, „haben“ kann, die Prostitution als Sonderform des Geschlechtsverkehrs entbehrlicher als heute und wird „sittlich“ nicht von der „Ehe“ unterschieden. Aber spricht diese Selbstverständlichkeit etwa gegen den Wert unsrer ethischen Normen, und können wir daraus irgendwelche Richtlinien für unser Handeln und die Neubildung unsrer Institutionen ableiten? Relativ „entbehrlich“ zeigt sich ferner die Prostitution dort, wo die Männer besitzender Schichten ihre natürliche Lust am Wechsel in polygynen Beziehungen befriedigen, oder auch die Frauen polyandrisch leben können. Ist es aber ernst zu nehmen, wenn deshalb Vertreter einer verfeinerten Sexualethik, wie z.B. Carpenter und Ellen Key, auch die Zulässigkeit der Polygamie oder der Gruppenehe als Mittel zur Veredelung des Geschlechtslebens und der Höherwertung der Frau diskutieren? Hinsichtlich der Kulturnationen aber, denen das Ideal der dauernden und ausschließlichen, monogamen Geschlechtsgemeinschaft einmal (525) zum Bewußtsein gekommen ist, lehrt die Geschichte, daß die Prostitution sich ebenso, wie neben jeder ihrer Eigentums- so auch neben jeder ihrer Ehe-Ordnungen in einer der unsrigen im Wesen der Sache analogen Form findet. Selbst dort, wo, wie z. B. in der Blüte des klassischen Griechentums, dem sexuellen und ästhetischen Genußbedürfnis des Mannes neben der Ehe ein praktisch unbegrenzter Spielraum ge-
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währt wurde, und ebenso dort, wo, wie z. B. in der spätrepublikanischen römischen Zeit, auch die Frau die denkbar größten sexuellen Freiheiten genoß, wo vor allem die Ehe jederzeit auch von einer Seite privatim löslich war und Scheidung und Neuverheiratung einander zuweilen schneller als der Mondwechsel folgten, – selbst dort nahm die gewerbsmäßige Prostitution sicher keinen geringeren Raum ein als heute und – war die Prostituierte eben so verachtet wie heute. Niedrige Ansprüche an den sittlichen Standard oder an die Stabilität der Ehe haben, soweit die Geschichte reicht, noch nie zur Verminderung oder „Veredelung“ der Prostitution beigetragen. Hingegen nur in Epochen, wo die Religion in irgend einer Form, – wie z. B. das Judentum nach der Rückkehr des Volkes Israel aus der babylonischen Gefangenschaft, das Urchristentum, der Islam und dann der Protestantismus vor und auch noch in der ersten ideologischen Periode der Aufklärungszeit, – sich die Aufgabe setzte und die Macht gewann, das Alltagsleben des Einzelnen ethisch-religiös zu durchdringen, ist es bisher gelungen, nicht nur die Frau, sondern auch den Mann weitgehendem Maße zum Handeln nach der Norm zu erziehen und in damit die Prostitution auf ein sonst ungekanntes Minimum zu mindern. Ein Kind, in erster Linie wenigstens, christlicher Kultur, speziell aber protestantischer Lebensauffassung, ist denn auch die sogenannte „bürgerliche Moral“, die, trotz allem, auch heute noch in den Mittel- und Kleinstädten ebenso wie in unsrer bürgerlichen „Intelligenz“ die Kraft hat, breite Kreise zur vorehelichen Keuschheit zu veranlassen. Diese Tatsache ist – mag sie in bezug auf ihre derzeitige quantitative Bedeutung heute noch so verschieden beurteilt werden340 – unter allen Umständen ein unvernichtbares Zeugnis gegen alle diejenigen, die angesichts des heutigen Prostitutionsverkehrs (526) ergeben die Hände falten oder in „moralischer Knochenerweichung“ und ethischer Prinzipienlosigkeit glauben, das Postulat der außerehelichen Keuschheit nicht einmal als ideale Norm auch für den Mann aufrecht erhalten zu sollen. Wie stark wir auch die besonderen, sozialen, hygienischen und vor allem die speziellen ökonomischen Verhältnisse in unsrer heutigen Gesellschaft für den gegenwärtigen Umfang der Prostitution belasten, die Einsicht in die Geschichte der Sexualmoral nötigt zu der heute so gern vergessenen Schlußfolgerung, daß jede denkbare Aenderung der Rechtsordnung, der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlichen „Konvention“ allein das Geschlechtsleben nicht veredeln kann, daß vielmehr die Prostitution oder ihr analoge Erscheinungen schließlich in jeder denkbaren Gesellschaftsordnung, neben jeder Form von Geschlechtsbeziehungen einen Nährboden finden kann, solange es Frauen gibt, die sich gegen Entgelt zum
340 In dieser Hinsicht ist sowohl zu beachten, daß der Gegensatz nicht der zwischen fak-
tisch absoluter Durchführung der Abstinenz und ihrer Nichtdurchführung besteht, sondern zwischen dem beharrlich festgehaltenen ehrlichen Streben danach – und einem Standpunkt, der jenem Streben prinzipell entsagt oder den Geschlechtsverkehr aus angeblich hygienischen Gründen pflegt und ein „Recht“ dazu für sich, d. h. – bisher wenigstens – für den Mann, in Anspruch nimmt.
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Instrument männlicher Befriedigung erniedrigen und Männer, die sich die Befriedigung ihres Geschlechtstriebs zum „hygienischen“ Selbstzweck machen, sie von verinnerlichter seelischer Empfindung trennen und deshalb ein Interesse daran haben, sich von jeder Verpflichtung gegen ihr Genußobjekt loszukaufen. Die Existenz der Prostitution ist also in letzter Linie ein Zeugnis für die immer neue Rebellion elementarer Naturgewalten in uns gegen die Herrschaft seelischer Kultur. Sie ist genau in demselben Sinne „ewig“, wie etwa Meineid, Betrug und Verleumdung, die ja selbstverständlich auch in dem Maße ihres Vorkommens durch das soziale Milieu stark mitbedingt sind. Ihr heutiger Umfang bekundet also zwar zweifellos die Ungunst der Lebensbedingungen breitester Schichten und ist uns deshalb eine furchtbare Mahnung an der Umbildung unsrer sozialen Verhältnisse zu arbeiten; dagegen bekundet sie absolut nichts gegen die Allgemeingültigkeit der sittlichen Maßstäbe, an denen wir den Wert der Geschlechtsbeziehungen messen, – so wenig wie die zweifellose Mitbedingtheit der Häufigkeit von Meineid, Betrug und Verleumdung durch die konkreten, gesellschaftlichen Verhältnisse ihre sittliche und rechtliche Verwerfung hindern kann. Diese Bemerkungen berühren den eigentlichen Kernpunkt der Frage (527) nach dem sittlichen Wert der Ehe „an sich“. In all jenen eben skizzierten Gedankengängen, welche nicht nur die sozialen Verhältnisse, und die sittliche Schwäche der Einzelnen, sondern ganz speziell auch die Einehe verantwortlich für die Existenz der Prostitution machen zu können glauben, wird immer die Frage mit hineingedacht, ob es nicht überhaupt widersinnig sei, sich an eine Norm zu klammern, die eben doch immer nur von einer Minderheit verwirklicht werde, ob es nicht besser sei, von der Last des Sittengesetzes etwas abzulassen, statt die Menschenmassen stets aufs neue in den erfolglosen Kampf gegen ihre eigene Natur zu schicken. Demgegenüber gilt es folgende – im Vorübergehen schon einmal berührte – Grundtatsache aller psychologischen Erfahrung im Auge zu behalten: Ueberall dort, wo überhaupt ethische Vorstellungen aufdämmern, werden alsbald die physischen Ansprüche der Sexualsphäre und die Ansprüche der Ethik – auch der denkbar „freisten“ als einander widerstreitende Gewalten empfunden. Wie viel oder wie wenig Macht jeweils bei den verschiedenen Völkern und in verschiedenen Epochen der sexuellen Sinnlichkeit eingeräumt wird, ist eine Frage der sexual-moralischen Entwicklungsgeschichte und hier nicht zu erörtern. Festzuhalten ist nur, daß jener schmerzvolle gewaltige Konflikt zwischen Sein und Sollen in unsrer sinnlich-geistigen Natur in irgend einer Form überall ins Bewußtsein tritt. Er ist ein unentrinnbares Schicksal für alle, die nach sittlicher Kultur streben, ein spezifisches Merkmal der „Menschenwürde“ im Gegensatz zur Tierheit, und eines der allerwichtigsten Werkzeuge seelischer Verfeinerung. Und dies ist die Ueberzeugung, die sich dem die Kulturentwicklung der Nationen Beobachtenden aufdrängt: daß – bei Strafe seelischen Kulturrückgangs – das Ringen mit ihm den Individuen nicht erspart werden kann, und nur durch möglichste Verringerung der äußeren Versuchungen und Besserung der Lebensbedingungen für die Massen, nicht aber dadurch erleichtert werden darf, daß man die Ansprüche des einmal entwickelten ethischen Urteils herabschraubt. Verkleinert man, um menschlicher „Schwachheit“ willen, die Dignität der einmal erkannten Norm, so wird das Resultat jedenfalls nicht eine Harmonisierung und allgemeine Veredelung des Geschlechtslebens, sondern eine Steigerung seelischer Unkultur sein.
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Eine sittliche „Norm“ ist nun einmal so wenig aus dem zu abstrahieren, was der Durchschnitt der Menschen tut, wie eine wissenschaftliche (528) Wahrheit aus dem, was jener Durchschnitt glaubt. Gewiß: Unsre sittliche Einsicht ist stetiger, ins Unendliche gehender Vervollkommnung fähig, ebenso wie unsre wissenschaftliche Erkenntnis. Kein Zustand unsres sittlichen Urteilens ist ein endgültiger. Neue gesellschaftliche Verhältnisse stellen neue Probleme und die Möglichkeit neuer Lösungen bis ins Unendliche hinein. Damit sind aber niedrigere ethische Ideale ebensowenig als „relativ berechtigt“ anerkannt, wie etwa überwundene wissenschaftliche Einsichten als „relativ richtig“ gelten können, nachdem einmal auf beiden Gebieten die höhere Stufe des Urteils erreicht ist. Ein ethisch höheres Ideal, als die mit der Absicht auf Dauer und Ausschließlichkeit geschlossene monogame Ehe, ist bis heute nicht bekannt und für uns zur Zeit, nach dem Stande unsres sittlichen Erkennens, unausdenkbar. Dies bisher höchste Ideal ist, als Norm gedacht, in der Paradoxie seines Anspruches auf „Ewigkeit“ der Liebe, die Quelle tiefer seelischer Qualen gewesen und wird es immer sein, aber es war auch Quelle der mächtigsten Entfaltung sittlicher Kräfte. Man zeige uns ein höheres Ideal, – dann erst werden wir das alte zu den Toten legen. Es ist nun aber auch unter rein praktischen Gesichtspunkten nicht einzusehen, wie etwa durch die Verkleinerung jener sexual-ethischen Maßstäbe die Prostitution verringert und das sittliche Durchschnittsniveau gehoben werden könnte. Würde z. B., wie viele Pfadfinder einer neuen Sexual-Ethik vorschlagen, die „doppelte Moral“ dadurch vereinheitlicht, daß man „auch“ der Frau im Sittenkodex der Gesellschaft prinzipiell ein Recht auf Befriedigung ihres sinnlichen Trieblebens außerhalb der Ehe zuerkennte, – statt es prinzipiell auch dem Mann abzusprechen, – so würde dadurch offenbar nicht der Prostitutionsverkehr, sondern die Zahl der Eheschließungen vermindert und statt dessen die Zahl der von vornherein „auf Zeit“ berechneten „Verhältnisse“ noch erheblich vermehrt. Dem jungen Mann besitzender Reife müßte es ja außerordentlich angenehm sein, dann außer der „Dirne“ z. B. auch die „höhere Tochter“ oder Studentin „haben“ zu können, ohne sich, ihr und ihren Kindern gegenüber, die ethischen und ökonomischen Verpflichtungen eines Gatten aufladen zu müssen! Grade deshalb ist es ja nur zu verständlich, daß der ethisch desorientierte Teil unsrer Männerwelt, vor allem auch einige, jedes sexual-ethischen Feingefühls bare (529) Mediziner diesen Gedanken mit Eifer propagieren. Sollen sich die Frauen damit identifizieren? Was haben sie – d. h. nicht die im konkreten Fall an der „Frage“ persönlich für sich interessierte Einzelne, sondern das Geschlecht als solches – dabei zu gewinnen? Sobald aber etwa heute derartige lose „Verhältnisse“ wie häufig gefordert wird, gesetzlich geschützt und moralisch gehoben, also etwa dem Mann zum mindesten volle Vaterpflichten gegen seine aus ihnen entstandenen Kinder auferlegt würden, dann werden sie für ihn auch sofort annähernd so unbequem und kostspielig wie eine legale Ehe – bei hinlänglich erleichterter Scheidung es ist. Vermutlich würde dann das Gros der Männer, ganz aus denselben äußeren Gründen, aus denen sie heute die frühe Eheschließung scheuen, den Sexualverkehr mit der Dirne der in ihren Folgen so viel riskanteren Beziehung zu dem Mädchen ihrer eigenen Bildungsstufe vorziehen.
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Was heute an den freien Verhältnissen gepriesen zu werden pflegt, ist ja nun grade das Fehlen einer rechtlichen Bindung, ihre darauf beruhende „Freiheit“ und „Natürlichkeit“, bei der die innere Unwahrheit, die den zwangsweise durch das Recht zusammengeschmiedeten legitimen Ehen anhafte, fehle, das „Gefühl“, der einzige „natürliche“ Weltmaßstab sexueller Beziehungen, auch ihre einzige Klammer sei. Sollen nun aber bei solchen losen Verhältnissen das physische, psychische und – in unsrer Gesellschaftsordnung – ökonomische Risiko nicht allein auf das Mädchen fallen, so setzen sie sterilisierten Geschlechtsverkehr voraus341. Es greifen also diejenigen „ökonomischen“ Erwägungen, welche man der legitimen Ehe zum Vorwurf macht, auch hier in das Innerste der Geschlechtsbeziehung ein und vernichten die Unbefangenheit der „reinen“ Empfindung. Grade die „Natürlichkeit“, auf die man sich zu gunsten der ethischen „Indifferenz“ oder auch des positiven „menschlichen“ Wertes „freier“ Beziehungen beruft, fehlt ihnen dann, ganz ebenso wie irgend einer Alltagsehe. Und wenn vollends das „Verhältnis“ mit dem beiderseits stillschweigenden Vorbehalt und Bewußtsein eingegangen wird, daß es eine dauernde Lebensgemeinschaft, sei es in oder außer der legalen „Ehe“, nicht (530) bedeuten könne oder solle, – dann ist ein solcher, von des Gedankens Blässe angekränkelter Notbehelf ganz gewiß nicht die Form, in der die so viel zitierte „große Leidenschaft“, die „starke Liebe“, sich auslebt. Echter und tiefer Leidenschaft wird überall der Glaube an sich selbst, an die eigne „Ewigkeit“, der Wille zum Kampf für ihre eigene Beständigkeit, eigen sein. Ihr wird deshalb auch der Gedanke unmöglich sein, sich hinzugeben ohne den festen Glauben, daß der andre nicht nur ein zeitweiliges Genußobjekt begehrt, sondern einen vollen Menschen, dessen Schicksal dauernd mit dem eignen Eins werden soll. Wir haben hier nicht den Versuch zu unternehmen, den charakterologischen Konsequenzen einer auf diesen Glauben verzichtenden seelischen Genügsamkeit für eine Frau, die ihrer fähig ist, nachzugehen. Im Vergleich mit der nackten oder verhüllten, rein käuflichen Prostitution freilich wird man solche Geschlechtsgemeinschaften bis auf weiteres – im Durchschnitt – positiv bewerten, weil sie immerhin die „Menschlichkeit“ der Beziehung nicht, wie jene, abstreifen, zuweilen mit aufrichtiger Kameradschaft verbunden sind. Allein schon an dem einzigen ihnen zugänglichen Weltmaßstab: der Kraft des Gefühls, gemessen, besitzen sie eben nur die Qualität eines Surrogats. Und was ihnen hier abgeht, das ersetzen sie auf der andern Seite nicht, wie jede noch so leidenschaftslose „Achtungsehe“, – wenn sie wirklich eine solche ist – durch ethische Werte, wie sie in dem Gefühl der Verantwortlichkeit für einander und die Kinder und in dem Entschluß zu dauernder Kameradschaft bis ans Ende enthalten sind. Nur wo dies Bewußtsein der Verantwortlichkeit mit der Tiefe der Empfindung sich vereinigt, wird eine Geschlechtsgemeinschaft dem idealen „Sinn“ einer „Ehe“ entsprechen. Gewiß ist auch die Ehe in der Vergangenheit, wie wir früher sahen, an sehr niedrigen, ethisch rein negativen Maßstäben – z. B. in der alten Kirche und nicht selten auch bei Luther als Präservativ gegen die nackte „Unzucht“ – gewertet worden. Nein diese religiös oder rationalistisch bedingten Vorstellungen besagen nichts über den Wert unsres heu341 Die fürchterliche Wirkung des massenhaften Bestehens von Konkubinaten auf die La-
ge der daraus hervorgehenden Kinder kennt jeder, der in Großstädten, wo sie verbreitet sind, seine Aufmerksamkeit darauf richtet (vgl. z. B. den Tätigkeitsbericht der Centralstelle für Jugendfürsorge in Berlin für 1905/6 S. 18).
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tigen Ideals. Gewiß steht ferner auch heute der faktische seelische Gehalt zahlreicher Ehen ungemein tief und ist ihr menschlich reiner Sinn unendlich oft erschüttert und erstickt durch die ökonomischen Bedingungen ihres Entstehens. Und offensichtlich fragt vor allem das Recht gar nicht – kann gar nicht fragen –, nach dem ethischen Wert der konkreten Beziehungen, die ihm als „Ehe“ (531) gelten, Wie verhält sich also das „Recht“ der Ehe zu ihrem ethischen „Ideal“? Das Recht ist in erster Linie soziale Institution. Es kann, seinen Mitteln nach, nur das äußere Verhalten regeln und nur an äußeres Verhalten rechtliche Konsequenzen knüpfen. Schon deshalb kann ein ethisches Ideal niemals „rein“ in einer Rechtsordnung, welche immer es sei, sich ausprägen. Dies ferner auch deshalb nicht, weil das Recht, als ein Ausgleich von möglichen Interessenkonflikten, ja grade mit Durchschnittsmenschen und mit den jeweils gegebenen ökonomischen Tatsachen „rechnen“ muß. Es kann sittliche Persönlichkeits-Ideale begünstigen oder hemmen, aber nicht selbst sie verwirklichen. Es soll soziale Zwecke verwirklichen helfen. Die „Persönlichkeit“ hat von ihm nur zu fordern, daß es, im Prinzip, nicht dem ethischen Wollen des Einzelnen hemmend in den Weg trete und daß, wo dies dennoch der Fall ist, es lediglich aus Gründen überwiegender sozialer Kulturwerte der Fall sei. Die „Ehe“, das heißt die mit dem Willen zur Dauer und mit der Absicht der Uebernahme der Verantwortlichkeit für das Schicksal der Kinder eingegangene Geschlechtsverbindung ist zunächst ein entscheidender sozialer Wert für das Recht. Nicht an subjektive Bestimmungen, sondern an diese Uebernahme der Verantwortlichkeit knüpft es an und sucht sie in Rechtssätze umzusetzen. Das Recht wird dabei mit der Tatsache, daß sich nicht jede als „Ehe“ eingegangene Lebensgemeinschaft fähig erweist, das Ideal zu verwirklichen, ebenso rechnen müssen, wie mit der andern, daß es Kinder gibt, die nicht derartigen Gemeinschaften entstammen. Das hindert aber nicht, daß, einmal, das Recht nicht den Surrogaten, sondern dem sittlich höchsten Typus der geschlechtlichen Lebensgemeinschaft, der Ehe, die Bahn zu ebnen, an ihr seine Bestimmungen zu orientieren hat, und daß Geschlechtsgemeinschaften, die dokumentieren, daß sie Ehen sein wollen, spezifischen sozialen Wert für die vom Recht, soweit seine Mittel reichen, zu garantierenden Interessen der aufwachsenden Generationen haben müssen. Wir befassen uns hier weiterhin zunächst lediglich mit diesem sozialen Wert. Es ist durchaus richtig, wenn von Sozialisten die Bewertung der Ehe durch Staat und Gesellschaft als historisch und ökonomisch bedingt hingestellt wird. Diese staatliche Bewertung muß höher steigen in einer Gesellschaft, die wie die unsrige auf der Privateigentumsordnung und der zweiseitigen Verwandtschaftszurechnung (532) basiert, als etwa bei einem Naturvolk, das die Kinder lediglich der Mutter und deren Sippe aufbürdet, oder als in einer etwaigen Zukunftsgesellschaft, die weder das Privateigentum im heutigen Sinn, noch auch die Familie als ökonomische Einheit von Eltern und Kindern kennen würde, heute garantiert der Staat in den besitzenden Schichten der jüngeren Generation den Besitz, in den besitzlosen die Teilnahme am Erwerb der älteren. Er muß deshalb eindeutig festgestellt sehen, wer die rechtlich verpflichteten Erzeuger eines Kindes sind. Eine Gesellschaft, in der das individuelle Erbrecht noch nicht oder nicht mehr bestände und welche auf die ökonomische Verantwortlichkeit der Eltern für die Aufzucht der Kinder verzichtete, könnte auch auf jene Kenntnisnahme verzichten. Dagegen schüfe die bloße „Vergesellschaftung“ irgend welcher noch so großen Bestandteile des heuti-
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gen privaten Besitzes allein noch keinen Wandel. Denn ohne Rücksicht auf die Frage, ob und in welchem Maß vererblicher Besitz vorhanden ist, garantiert der Staat heute den Kindern das Recht auf die ökonomische und persönliche Fürsorge beider Eltern, indem er Mutter und Vater verpflichtet, ihren in der Ehe geborenen Kindern aus ihrem Einkommen Unterhalt, außerdem aber: persönliche Erziehung zu bieten. Selbst wenn in Zukunft – wovon noch die Rede sein wird – die unehelichen Kinder dieselben ökonomischen Ansprüche gegenüber jedem einzelnen von beiden Elternteilen gewännen, wie sie heute den ehelichen zustehen, müßte der Staat deshalb doch die Voll-Ehe, d. h. hier: die, eine dauernde Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft gewährleistende, Geschlechtsverbindung, als soziale Institution allen andren Geschlechtsverbindungen vorziehen, weil nur das rechtlich garantierte persönliche Zusammenwirken des Mannes mit der Frau eine gewisse Sicherheit dafür bietet, daß auch der Vater seine Vaterpflichten bei der persönlichen Erziehung faktisch erfüllt. Heute besteht nun, jenem Interesse des Staates gemäß, eine bestimmt geordnete, ökonomische und persönliche Verantwortlichkeit zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern in der Ehe nicht nur als sittliches Postulat, sondern als Rechtsregel. Wann eine „Ehe“ als bestehend anzusehen ist, hat der Staat rechtlich normiert. Ebenso hat er den Fall geregelt, daß Geschlechtsbeziehungen ohne den Rechtscharakter der Ehe bestehen, und daß sie die Geburt eines Kindes zur Folge (533) haben. Jede „neue Ethik“, welche das bestehende Recht bekämpft, kann keinen andren Sinn haben als die Forderung: daß neues, andres Recht geschaffen werden solle, welches an die Stelle des geltenden andre Regeln setze, – nicht aber: daß die Geschlechtsbeziehungen und ihren Folgen sozusagen in einen „rechtsleeren Raum“ fallen sollen. Einen solche gibt es, vom Standpunkt der uns hier beschäftigenden rechtlichen Betrachtung, nicht: wer geltendes Recht ändern will, der will, daß das Recht etwas befehle, was es bisher verboten oder nur erlaubt hat, oder daß es verbiete, was es bisher erlaubt oder sogar befohlen, oder daß es erlaube, was es bisher direkt befohlen oder umgekehrt verboten hat. Was bedeutet es nun also, wenn viele Reformethiker, die zwar den absoluten sittlichen Wert der monogamen, dauernden Ehe anerkennen, die jedoch nicht den Mut haben, die Last dieser Norm allen aufzuerlegen, 1) fordern, daß sich die gesellschaftliche und staatliche Bewertung einer Geschlechtsverbindung loslöse von der Frage, ob im Einzelfall irgendwelche vorgeschriebenen Eheschließungsformalitäten beobachtet sind oder nicht342, und 2) positiv gewendet: die offizielle Anerkennung und gesetzliche Regulierung einer „freien Ehe“ oder des „freien Verhältnisses“ verlangen?
342 Ellen Key will z.B. den ethischen Wert einer Geschlechtsverbindung an ihrem Pro-
dukt – nämlich dem vitalistischen Wert der Nachkommenschaft – abgeschätzt wissen! Daß sie sich damit, ethisch betrachtet, auf den Standpunkt des Tierzüchters stellt, ist ihr offenbar nicht klar. Daß der Einzelne sich dafür verantwortlich zu fühlen hat, ob er – voraussichtlich – belastete Kinder in die Welt setzen würde, ist selbstverständlich. Die dunkle Verstellung aber, daß der „großen Liebe“ auch „starke“ Menschen als Kinder entspringen, ist natürlich Mystik.
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Es wird dabei meist folgendermaßen argumentiert: Ist es nicht eine konventionelle Lüge, daß das öffentliche Bewußtsein den Geschlechtsverkehr nur dann und immer dann sittlich und sozial sanktioniert, wenn sich die Paare vorher zum Standesbeamten begeben haben? Täuscht nicht gerade jene Bewertung an einem rein äußerlichen Merkmal das öffentliche Gewissen über den sittlichen Tiefstand so vieler „legitimer“ Ehen und häuft sie nicht auf zahlreiche „illegitime“ ungerechte Verachtung? Darauf ist zu erwidern, daß selbstverständlich die konventionelle Vorstellung gründlich überwunden werden muß, als könnte die kirchliche Trauung oder die standesamtliche Bescheinigung eine Geschlechtsverbindung an und für sich sittlich adeln. Vielmehr ist (534) immer deutlicher ins Bewußtsein zu heben, daß dies einzig und allein diejenigen Gefühlsmomente vermögen, die wir als Liebe, und diejenige Willensrichtung, die wir als pflichtbewußte Verantwortlichkeit für die Konsequenzen zu bezeichnen pflegen. Daß deren Vorhandensein keineswegs durch die bloße Beobachtung kirchlich oder staatlich vorgeschriebener Formalitäten garantiert ist, versteht sich von selbst. Leider bezeugt ja die Erfahrung, daß ein großer, vielleicht heute der überwiegende Bruchteil legitim Verheirateter sich ohne jene seelische Beziehung zusammengefunden haben, ja, daß sich viele durch Motive in die Ehe verkuppeln lassen, die weit verächtlicher sind, als das bloße physische Bedürfnis und die sittlich, rein objektiv betrachtet, nicht im mindesten über den Motiven der Prostitution stehen, ohne daß die Entschuldigung ökonomischer Not oder erzieherischer Verwahrlosung in Anspruch nehmen zu dürfen. Schon ein Blick in die Heiratsannoncen unsrer Tageszeitungen343 belehrt uns ja darüber. Niemand kann also zweifeln, daß sich unter der Flagge der legitimen Ehe, die den Schein bürgerlicher Wohlanständigkeit über die Beteiligten breitet und ihnen ihre Position in der Gesellschaft sichert, ein Maß von Unlauterkeit verbirgt, dem gegenüber außereheliche „Fleischessünden“ für die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit unendlich „menschlich“ und gleichgültig erscheinen. Eine „versorgungshalber“ geschlossene Ehe ist für unser Bewußtsein sittlich dasselbe wie ein zur Versorgung eingegangenes Maitressenverhältnis, – daran ändert der Stempel des Standesamtes nichts. Andrerseits können selbstverständlich bei formal außerehelichen Verbindungen jene Gefühls- und Willensmomente, die den Geschlechtsbeziehungen Adel verleihen, in höchstem Maße vorhanden sein. Denn es kann, wie früher erörtert, ohne allen Zweifel Gründe geben, welche grade bei höchstentwickelter sittlicher Auffassung, zwei in einem ethisch in jeder Hinsicht als Ehe zu betrachtenden Verhältnis stehende Menschen sittlich berechtigen, ja (subjektiv) verpflichten, ihren Beziehungen den amtlichen Stempel nicht zu geben. Ob dies der Fall, hängt in erster Linie von der Gestaltung des Eherechts ab. Und es ist deshalb in der Tat zu verlangen: Einmal, daß mit dem, wie wir sahen, durch kirchliche Einflüsse historisch geschaffenen und durch eine Kette egoistischer Erwägungen gewisser bürgerlicher Schichten aufrecht erhaltenen Zustand, daß der Staat zwar mit der gewerbsmäßigen (535) Prostitution paktiert, monogame geschlechtliche Beziehungen aber, sobald sie nicht standesamtlich abgestempelt sind, aufspürt und der öffentlichen Verachtung preisgibt, gebrochen wird. Denn, zum mindesten dem 343 Solche fehlen übrigen schon jetzt auch für „freie Ehen“ nicht.
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Durchschnitt nach, ist jedes monogame Verhältnis, selbst das nicht mit der Absicht der unbegrenzten Dauer eingegangene, unendlich viel menschlicher, und das heißt: ethisch weniger verwerflich und verrohend, als die käufliche, vor allem die kasernierte, Prostitution. Und die Verfolgung beseitigt überdies nicht etwa den illegitimen Geschlechtsverkehr, sondern lediglich das häusliche Zusammenleben der Konkubinanten, also ein Element, welches geeignet ist, der nackten Befriedigung geschlechtlicher Notdurft ein gewisses Solidaritätsbewußtsein beizugesellen. Die Reichsgesetzgebung stellt zwar heute derartige freie Verhältnisse nicht direkt unter Strafe. Allein der Kuppeleiparagraph (§ 180) des Reichsstrafgesetzes kann von der Polizei dazu benutzt werden, grade auch monogame außereheliche Geschlechtsverbindungen zu chikanieren. Denn jeder Vermieter, der solchen Paaren wissentlich Unterkunft bietet, kann ihm verfallen, ganz ebenso, wie Eltern ihm verfallen sind, welche in ihrem Hause die in bäuerlichen Kreisen übliche „Antizipation“ der Ehe nicht gehindert haben. Reichsgesetzlich ist also die nicht standesamtlich legalisierte häuslich-geschlechtliche Gemeinschaft ein Monopol derjenigen, die ein eignes Haus besitzen. Außerdem aber hält eine Reihe – vorwiegend süddeutscher – Staaten, an jenen besonderen, schon früher S. 317 erwähnten, landesgesetzlichen Bestimmungen fest, nach denen uneheliches Zusammenleben bestraft werden kann, falls es „öffentliches Aergernis“ erregt. Man weiß aber, was nach der heutigen Praxis das „Aergernis“ eines verstimmten Portiers oder einer klatschsüchtigen Nachbarin bedeutet. – Ferner ist in den meisten anderen deutschen Bundesstaaten, die derartige landesrechtliche Sondergesetze nicht kennen, doch der Polizei die Vollmacht gegeben, solche Verhältnisse aufzuheben. Nach einer Entscheidung des preußischen Oberverwaltungsgerichts vom Jahre 1904 hat die Polizei sogar die Befugnis, jedes nicht geheim gehaltene Konkubinat auseinander zu treiben, als eine Möglichkeit zur Verletzung der öffentlichen Ordnung, – ganz gleich, ob es im Einzelfall tatsächlich öffentlichen Anstoß erregt hat oder nicht344. (536) Dieser Rechtszustand wäre nun aber offenbar sittlich schon an sich nur dann erträglich, und (in der Theorie wenigstens) unschädlich, wenn der Staat gleichzeitig die Prostitution mit Feuer und Schwert, nach Art des Puritanismus, ausrotten und ahnden würde. Und zwar natürlich nicht in erster Linie an den unter dem Zwang der Not stehenden Prostituierten, sondern an den Prostituierenden, den Männern. Bei dem heutigen Rechtszustand aber, der ein Paktieren mit der rohsten und scheußlichsten Form des Geschlechtsverkehrs einschließt, ist jenes Verhalten der Staatsgewalt gegenüber dem Konkubinat sittlich schlechthin verwerflich. Es kann auch nicht durch die beliebte Erwägung gerechtfertigt werden, daß für die Dignität der legalen Ehe grade die Duldung solcher Formen der Geschlechtsgemeinschaft, welche sich ihr – durch den Tatbestand der häuslichen Gemeinschaft – am meisten annähern, die gefährlichsten seien, was hier der Würde der Ehe als Institut angeblich gewonnen werden soll, das wird auf der andren Seite durch die Erleichterung der Prostitution wieder verloren. Und der Wert der wenigen legalen Eheschließungen, welche der Staat durch Verfolgung der Konkubinate etwa erzwingt, dürfte wahrlich nicht hoch anzuschlagen sein. –
344 E. Feder, Konkubinat und Polizei. Beilage der „Frauenbewegung“ Nr. 17 (1904).
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Es wird also mit vollem Recht gefordert, daß der Staat seine Hand weder 1) zur Erleichterung der Prostitution noch 2) zur Unterdrückung der Konkubinate leihe. Drittens und vor allem erscheint es – solange die Privatverantwortlichkeit zwischen Eltern und Kindern besteht – zugleich als moralische und sozialpolitische Pflicht des Staates, die Lebensbedingungen und die soziale Lage der aus den ausserehelichen Verbindungen entstehenden Kinder so günstig wie nur irgend möglich zu gestalten. Dem, im Rechtssinn, „außerehelichen“ Vater ganz generell neue Rechte zu gewähren, wie gelegentlich beansprucht worden ist, liegt keinerlei Veranlassung vor: er kann sie ja durch Vollziehung der Ehe erlangen. Es kann sich nur um die Verschärfung seiner Pflichten handeln, wir erörtern diesen Punkt weiter unten näher im Anschluß an die Kritik des in Deutschland bestehenden Rechts. Ueber diese Forderungen hinaus aber, wie es viele Vertreter einer „neuen Ethik“ wünschen, den außerehelichen Geschlechtsbeziehungen – auch wenn sie nicht aus einem prinzipiellen, religiös oder ethisch motivierten Protest gegen bestimmte Mängel des Eherechts eingegangen worden sind – eine Art offizielle „gesellschaftliche Anerkennung“ (537) oder gar gesetzliche „Gleichwertung“ mit der Ehe zu Teil werden zu lassen, erscheint nicht nur ethisch bedenklich, sondern innerhalb jeder Gesellschaftsordnung, welche die persönliche Verantwortlichkeit zwischen Eltern und Kindern voraussetzt, rein technisch-juristisch nicht konsequent durchführbar und unmöglich. Denn, – um mit den ethischen Erwägungen zu beginnen, – wenn auch, wie schon oben konstatiert, die förmliche Eheschließung an sich durchaus kein Kriterium dafür bietet, daß die Beteiligten ihren Bund in der ethisch richtigen inneren Gesinnung schließen, wenn auch das Eheleben Zahlloser in der legalen Ehe dem Eheideal widerspricht und manche, vielleicht zahlreiche individuelle Fälle höchstwertiger „Ehen“ außerhalb aller Formen und Gesetze existieren mögen: Gewisse Momente bleiben doch immer übrig, die ihre generelle soziale Wertschätzung gegenüber der generellen Bewertung „formloser“, d. h. hier: nicht als „Ehe“ erkennbarer Geschlechtsbeziehungen rechtfertigt. Der Eheschluß enthält die öffentliche und rechtlich bindende Erklärung, daß die einander Begehrenden die Absicht haben, sich zu dauernder Lebensgemeinschaft zusammenzuschließen, daß sie willens sind, gewisse Pflichten dauernd gegeneinander und, – was für Staat und jede irgendwie auf dem Boden der elterlichen Verantwortlichkeit stehende Gesellschaft das Entscheidende ist, – gegen ihre Kinder zu erfüllen, kurz alle aus der Geschlechtsverbindung erwachsenden persönlichen Verpflichtungen zu tragen, auch wenn sie noch so unbequem werden. Dies ist zunächst ja ein rein formales Moment. Allein es dokumentiert die Bereitwilligkeit der Gatten zur Unterordnung ihres individuellen Glückverlangens im weitesten Sinne unter die äußeren Konsequenzen der Norm und dies ist es, was der legalen Ehe eine für alle – auch den Staat – erkennbare Zweckbestimmung aufprägt. Und hier so wenig, wie auf einem andren Gebiet, kann diese Erkennbarkeit für das Recht, welches, seinem Wesen nach, in jeder denkbaren Gesellschaftsordnung äußerlichen Charakters ist, jemals gleichgültig werden. Besitzt auch die Form an sich keinerlei konstitutiv-versittlichende Gewalt, so setzt sie doch eine, für die Beteiligten fühlbare und für Dritte erkennbare, Schranke gegen den Ansturm der Veränderungslust, und des natürlichen Egoismus. Für die sittlich freien, seelisch voll entwickelten Persönlichkeiten aber, die das unter Tausenden nur Einzelnen beschiedene Glück haben, sich durch so unlösliche seelisch-sinnliche Bande verknüpft zu wissen, daß für sie das Gefühl (538) der Pflicht ganz in dem Gefühl der
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Liebe verschwindet, kann grade die feierlich bindende Form, die materiell für sie entbehrlich ist, das adäquate Symbol ihres Glaubens an die zeitlose Gültigkeit ihrer Empfindungen sein, die gegenseitige Bestätigung dafür, daß sie beide ihr Gemeinschaftsleben als Selbstzweck, d. h. zugleich als höchstes persönliches Glück und als sittliche Aufgabe betrachten. Grade dadurch unterscheiden sich nun die „freien“ Verbindungen von der Ehe, daß ihnen sowohl ein sicheres, für Dritte erkennbares, Merkmal ihres ethischen Gehalts, wie auch jede äußere Handhabe zur Abschätzung ihrer sozialen Bedeutung mangelt. Die für die rechtliche oder „konventionelle“ Behandlung der freien Verbindungen entscheidende Frage ist daher zunächst die: ob für jene „freien Ehen“, deren „Anerkennung“ gefordert wird, ein äußerlich erkennbares Merkmal ihrer Eigenschaft als solche zu finden ist, und eventuell: welches? Denn unter ihren Begriff oder den des „freien Verhältnisses“ fällt ja nicht nur eine um äußerer Schwierigkeiten willen nicht zur Voll-Ehe gelangte, im übrigen aber deren sittlichen Gehalt besitzende, Verbindung, oder eine solche, die auf Legalisierung verzichtet, weil die Beteiligten das geltende Eherecht aus ethischen Gründen nicht annehmen wollen. Er umfaßt auch den Geschlechtsgenuß weniger flüchtiger Stunden, oder die für einen Ferienaufenthalt an einem fremden Ort oder für die Dauer einer Reise bestimmte Verbindung, endlich auch jedes, sittlich der Prostitution gleichzuachtende, monogame Maitressen-Verhältnis. Sofern nur die Frau nicht in äußerlich zweifellos feststellbarer Art eine Erwerbsquelle daraus macht, ist ein Unterscheidungsmerkmal nicht gegeben. Die Skala des inneren Gehalts der Geschlechtsbeziehungen weist von der Prostitution bis zur idealsten „Gewissensehe“ eine lückenlose Stufenfolge von Nuancen auf. Woran soll denn nun die öffentliche Meinung, deren Reform erstrebt wird, oder woran soll – was uns hier interessiert – der Staat die Verschiedenheit des inneren Wesens dieser Beziehungen erkennen und demgemäß ihren sozialen Wert abschätzen? Daß aber sie alle miteinander eine der Ehe annähernd gleiche Anerkennung als „gesellschaftliche Institution“ finden, wird jedenfalls derjenige nicht verlangen können, der vom Boden irgend einer „Ethik“ aus rechtliche Neuregelung und gesellschaftliche Umwertung der Arten der Geschlechtsbeziehungen verlangt. Vom juristisch-technischen Standpunkt aus ist nicht recht auszudenken, wie eigentlich die „strenge gesetzliche (539) Regelung“, wie sie „die maßvollen Verfechter“ der „freien“ Ehe nach ihrer Behauptung verlangen, ohne ein unzweideutiges Merkmal, daß eine solche im Einzelfall vorliege, möglich sein sollte. Mit dem Ersatz des Standesamts durch den Privatvertrag ist es ja natürlich nicht getan. Wie wir sahen, wurden auch im Mittelalter in Rechtsgebieten, wo man weder das Standesamt noch die kirchliche Trauung kannte, sondern wo, der kanonischen Theorie gemäß, der nackte „Konsens“ der Gatten, also dem Wesen nach eine innere Willensbeziehung, darüber entschied, ob eine „Ehe“ geschlossen war, dennoch solche Geschlechtsverbindungen, die als Ehe gelten wollten, regelmäßig auch äußerlich durch irgendwelche Formalitäten oder Zeremonien als solche deutlich kenntlich gemacht und von nichtehelichen Verbindungen unterschieden. Wo immer die Beobachtung derartiger, innerhalb eines Volkes üblicher, Formalitäten beim Eingehen einer Geschlechtsverbindung unterlassen war, galt diese eben nicht als Ehe. Und wo, – wie dies im römischen Recht und im englisch-schottischen Rechtsgebiet offiziell der Fall war, – jede äußere Form als prinzipiell unwesentlich behandelt wurde, da mußte eben der „Konsens“ der Gatten doch aus äußeren Umstän-
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den, welche die Absicht, eine Ehe einzugehen, unzweideutig erkennen ließen, feststellbar sein, widrigenfalls die Rechtsfolgen einer solchen nicht eintraten. Das „formale“ Kriterium war dann eben jene aus äußern Symptomen erkennbare Absicht der sich geschlechtlich Vereinigenden. Sollen von Gesetzeswegen irgend welche Konsequenzen an die Eingehung einer „freien Ehe“ geknüpft werden, welche die Beziehungen der sie Eingehenden zu einander oder zu ihren Kindern von irgend welchem gelegentlichen oder auch käuflichen Geschlechtsverkehr unterscheiden, dann braucht das Recht eben ein formales Kriterium. Sonst würden, da der rein innerliche Gehalt des konkreten Verhältnisses keines bietet, die sittlich und sozial verschiedenwertigsten Beziehungen rechtlich gleich gewertet werden. Dann aber würde, da ihnen allen nur der Geschlechtsverkehr und seine möglichen Folgen gemeinsam sind, auch nur die weiterhin zu erörternden Ansprüche der unehelichen Mutter und des unehelichen Kindes Gegenstand rechtlicher Neuregelung sein können. Sollten Staat und Gesellschaft also neben der „legitimen“ Ehe noch eine Art „freie Ehe“ oder ein „freies Verhältnis“ schützen und anerkennen, im Unterschied von dem weder der legitimen noch (540) der freien Eheform zuzurechnenden Geschlechtsverkehr, dann müßte offenbar ein neues formales Merkmal gefunden werden, was diese Verbindungen von Promiskuität und Prostitution unterschiede. Dies könnte z. B. etwa in einer, in besonderer Form erlassenen, öffentlichen Anzeige oder in einer anderen unzweideutig erkennbaren Form der Eingehung des Verhältnisses gefunden werden, oder etwa – was freilich sicherlich auf den Widerspruch der „Reformer“ stoßen würde – in der Begründung einer gemeinsamen Haushaltung, also in einem eventuell näher zu präzisierenden ökonomischen Merkmal. Würden alsdann an solche Tatbestände besondere Rechtswirkungen, vor allem bezüglich der Kinder, generell gesetzlich geknüpft, und zwar andere, als an die Vollehe, dann hätten mir eben einfach eine „legitime“ Ehe zweiten Ranges oder einen „legitimen“ Konkubinat neben der „legitimen“ Ehe ersten Ranges, etwa dem Verhältnis zwischen der römischen freien Ehe und dem römischen Konkubinat entsprechend. Es muß nun als durchaus unwahrscheinlich gelten, daß sich in irgend absehbarer Zukunft die Rechtsordnung dazu verstehen würde zwei inhaltlich verschiedene Ehesysteme neben einander zu schaffen. Würde aber etwa ein „legitimer“ Konkubinat nach Art des römischen Instituts gleichen Namens geschaffen, so wäre nach allen geschichtlichen Erfahrungen die soziale Schätzung der Konkubine damit in keiner Weise gewährleistet. Im Gegenteil: wenn, – wie doch wohl die Absicht sein müßte, – der „legitime“ Konkubinat den beiden Konkubinanten geringere Pflichten auferlegt als die Vollehe, so würde er, in einer Gesellschaft mit differenziertem Besitz, zweifellos besonders da eingegangen werden, wo die Verbindung aus „Standes“-Gründen nicht zur Vollehe erhoben werden kann. Diesem Bedürfnis speziell der Männer würde der Konkubinat, wie in Rom, entgegenkommen. Die Konkubine würde demgemäß regelmäßig eine sozial, gegenüber der Vollfrau, unterwertige gesellschaftliche Stellung einnehmen, und, da die gesellschaftliche „Meinung“ sich nicht einfach kommandieren läßt, würde dies Odium auf die Frauen in „freier Ehe“ überhaupt zurückfallen. Es wäre überdies nicht recht abzusehen, warum die Vollehe neben der „Ehe zweiten Ranges“
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überhaupt noch fortbestehen müßte und warum nicht vielmehr, die rechtliche Ordnung dieser letzteren, wenn sie doch die „fortgeschrittenere“ ist, auch auf die Vollehe übertragen, also nicht die Schaffung zweier Ehearten, sondern die Reform der bestehenden das Ziel sein sollte. (541) Dem könnte man offenbar nur einen letzten noch möglichen Vorschlag entgegenhalten: Der Staat möge sich der Reglementierung der geschlechtlichen Beziehungen nach einem allgemeinen Schema überhaupt enthalten; er möge mindestens neben der heutigen Vollehe, am besten aber überhaupt, also unter Beseitigung der heute bestehenden Vorschriften über die Ehe als zwingender Normen, die Regelung dieser Beziehungen den Beteiligten selbst nach ihrem Ermessen durch Vertrag überlassen. Dies würde die Anerkennung sexueller Vertragsfreiheit bedeuten, wie sie z. B. im ptolemäischen Aegypten anscheinend bestanden hat. Dieser Gedanke, der offenbar vielen Anhängern der Konstituierung einer „freien Ehe“ vorschwebt, würde nun aber, – das muß man sich immer gegenwärtig halten – bedeuten, daß neben der legitimen Ehe auch alle anderen Abmachungen über geschlechtliche Beziehungen rechtsgültig würden, d. h. aber: daß der Staat ihre Erfüllung erzwingen solle, auch wenn sie einem der Beteiligten leid geworden wären. Eine derartige Vertragsfreiheit besteht heute weder in noch außer der Ehe. Sie ist einesteils ausgeschlossen zu Gunsten der Kinder. Und in der Tat kann kein Staat, am wenigsten ein solcher mit Privateigentumsordnung, die Verfügung über die Art der Unterhalts-, Erziehungs- und Erbansprüche der Kinder – seien diese nun eheliche oder uneheliche – einfach beliebigen vertragsmäßigen Festsetzungen ihrer Erzeuger überlassen. Zu einem andern Teil schützt der Ausschluß der Vertragsfreiheit in der Ehe die Herrenstellung des Mannes und Vaters. Wir sind dafür eingetreten, daß diese Bestimmungen beseitigt werden. Endlich versagt der Staat einer breiten Kategorie von Verträgen über Geschlechtsbeziehungen seinen Schutz dadurch, daß (z.B. in Deutschland durch § 138 BGB.) Rechtsgeschäfte, die „gegen die guten Sitten verstoßen“, als „nichtig“ gelten. Nichtig wären aus diesem Grunde nicht nur Verträge, durch welche einer Maitresse Entgelt zugesagt wird, oder etwa ein Verzicht auf eheliche Treue, sondern z. B. zweifellos auch jede vertragsmäßige Regelung der persönlichen oder pekuniären Beziehungen zwischen zwei Konkubinanten. Die „Nichtigkeit“ derartiger Verträge bedeutet dabei, daß der Staat seine Hand nicht zur Erzwingung ihrer Erfüllung leiht. Im übrigen können alle, die es wollen, auch die Ehegatten, derartige Vereinbarungen treffen, ohne daß der Staat sich hineinmischt, so lange ihr Willen übereinstimmt. Auch heute kann z. B. jeder Ehegatte auf Grund einer Abmachung (542) mit seinem Partner ganz ungestört außerhalb der Ehe geschlechtlich verkehren. Nur hat der andre Gatte das Recht, aller Abmachungen ungeachtet, deswegen die Ehescheidungsklage anzustrengen, und auf dies Recht zu verzichten ist ihm allerdings nicht möglich. Auch alle anderen Abmachungen über sexuelle Beziehungen oder im Zusammenhang mit ihnen werden durch ihre „Nichtigkeit“ lediglich ihrer rechtlichen Gültigkeit beraubt: praktisch ist, m. a. W., jedem der Beteiligten freigestellt, sie jederzeit nach Belieben rückgängig zu machen. Gegen diesen Rechtszustand wird es, grade vom Standpunkt einer Reformbewegung, welche größere Freiheit der Sexualbeziehungen vorsieht, schwer sein, prinzipielle Bedenken zu erheben. Es könnte sich nur um ein Mehr oder Minder handeln. Die bedingungslose „sexuelle Vertragsfreiheit“ wäre eine Prämie auf die Verführungs-Kunst und auf die ökonomische
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Ausbeutung der Liebe. Gibt man aber dem Staate einmal das Recht, überhaupt den zulässigen, d. h. rechtlich erzwingbaren, Inhalt derartiger Verträge zu normieren, oder gibt man dem Richter die Befugnis, sie aus sachlichen Gründen, z. B. im Interesse der Kinder oder auch der Frau – wie wir wiederholt zu fordern hatten – als unter Umständen nicht verbindlich zu behandeln, dann haben wir eben ein staatliches „Eherecht“, und das durch „freien Vertrag“ geschaffene Verhältnis wäre wiederum nichts anderes als eine „legitime“ Ehe zweiten Grades oder ein legitimer Konkubinat. Und was wären schließlich die inhaltlichen Vorzüge, welche eine derartige „freie“ gegenüber der Vollehe bieten könnte? Offenbar könnte dadurch das Bestehen „legitimer“ Verhältnisse erreicht werden, in denen 1) die Frau volle juristische Freizügigkeit besäße, also die Freiheit, nach Belieben ihr Domizil zu bestimmen, 2) dem Mann rechtlich persönlich gleichgeordnet wäre, 3) die Verfügung über ihr eigenes Vermögen behielte und überhaupt in jeder Beziehung der ehemännlichen Autorität und ihrer Einmischung in ihre Lebensführung entrückt bliebe. Solche Verhältnisse würden 4) – faktisch – in den „bürgerlichen“ Schichten geringere „gesellschaftliche“ Pflichten auferlegen als üblicherweise heute die Vollehe besitzender Schichten. Sie könnten deshalb von diesen Schichten in einem jugendlicheren Alter eingegangen werden, weil dabei der standesgemäße „Hausstand“ und die „Ausstattung“ der Frau eine kleinere Rolle spielen würden als üblicherweise in der „bürgerlichen“ Voll-Ehe, 5) und vor allem wäre sie leichter rechtlich lösbar. (543) Sehen wir zu, was davon auch für die Voll-Ehe zu fordern und zu erreichen ist. 1) Ein größeres Maß von rechtlicher Wohnfreiheit der Frau, d. h. die Erweiterung ihres schon jetzt bestehenden Rechts, dem Mann unter bestimmten Verhältnissen nicht an den von ihm gewählten Wohnort zu folgen, ist – wie wir sahen – auch für die Voll-Ehe zu fordern und durchführbar. Nicht die Willkür eines von beiden Teilen, sondern sachliche Gründe haben zu entscheiden. Der völlige Verzicht auf den gegenseitigen Rechtsanspruch der Gatten auf Wohngemeinschaft widerspräche allerdings dem Wesen der Ehe als einer ökonomisch-sittlichen Gemeinschaft, wie auch dem Interesse der Kinder daran, in normalen Fällen mit beiden Eltern zusammenzuleben. Auch in der „freien Ehe“ würde faktisch nur die vermögende Frau, die garnicht auf Mithilfe des Mannes für den Unterhalt der Kinder angewiesen ist, es ermöglichen können, mit den Kindern zu leben, wo sie will. 2) Persönliche Gleichordnung und vermögensrechtliche Selbständigkeit der Frau müssen – wie wir sahen – auch für die Voll-Ehe rechtlich gefordert und faktisch erreicht werden. 3) Ebenso das namentlich für die intellektuelle Oberschicht wichtige Moment: der eventuelle Verzicht auf „standesgemäße“ Haushaltsführung. Ueberwindung der Konvention in dieser Richtung und größere Bescheidenheit der Lebensansprüche ist innerhalb des Rahmens der Vollehe genau so gut zu erreichen, wie in einer „freien Ehe“, und es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, daß gerade innerhalb der Vollehe bürgerlicher Kreise die Versklavung an den konventionell ausgestatteten, den „gesellschaftlichen Verkehr“ ermöglichenden, „Haushalt“, an das „linnene Sakrament“, wie es Helene Böhlau nennt, wieder beseitigt werde. Was anders als die ideallosen sozialen Prätensionen der eignen Klasse und das Sich-Beugen unter die gesellschaftliche Konvention im äußerlichsten Sinn des Worts hindert denn heute ein junges Paar, statt sofort auf eine eigne Wohnung von so und so viel Zimmern „mit Zubehör“, eigne Möbel und
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ein Dienstmädchen zu reflektieren, sich etwa zunächst in einer Pension zwei Zimmer zu mieten, oder sogar faktisch zunächst getrennt zu leben? Dies alles ist ja auch heute schon bei übereinstimmendem Willen der Beteiligten möglich: die Legalisierung der Ehe ist durchaus nicht an die Einrichtung einer eignen Wohnung geknüpft. Und der komplette „bürgerliche“ Hausstand dürfte eben, wo die Mittel dazu fehlen, nicht, wie jetzt noch, als Vorbedingung der (544) Eheschließung, sondern er könnte als ein allmählich, aus Ersparnissen der Gatten und nach Besserstellung ihrer ökonomischen Lage, zu verwirklichendes Ziel gelten. Fände eine größere Anzahl junger Paare der geistig führenden Schichten den Mut zur Eheschließung ohne soziale Prätensionen und ohne das linnene Sakrament, so würden dadurch jedenfalls die aus dem Herausschrauben des Heiratsalters345, soweit es ökonomisch bedingt ist, entstandenen Schäden des Geschlechtslebens der Oberschicht, sehr viel wirksamer bekämpft, als durch irgend eine „Legalisierung“ von „Verhältnissen“, welche ihrerseits die Heiratsscheu nur vermehren, und überdies die Trennung von „Liebe“ und „Ehe“ in aller Form sanktionieren und dadurch befördern würden. So bliebe schließlich als Hauptunterschied zwischen Voll-Ehe und „freier Ehe“ noch die leichte Lösbarkeit der letzteren übrig, auf die von Reformethikern denn auch meist und mit Recht das entscheidende Gewicht gelegt wird. Die Forderung nach leichter löslichen, legalen, monogamen Geschlechtsverbindungen birgt in der Tat ein sittliches und rechtspolitisches Problem in sich, dessen Ernst in stetigem Steigen begriffen ist. Bei den geistig-seelischen Ansprüchen, die in den höher entwickelten Schichten der Kulturmenschheit heute an die Ehegemeinschaft gestellt werden und gestellt werden müssen, und bei der Differenzierung und Verfeinerung unsres Empfindungslebens, ist einerseits die Chance eines inneren Zerfalls auch anfänglich „glücklicher“ Ehen gestiegen, andrerseits der Zwang zur Fortsetzung einer dergestalt innerlich zerfallenen Ehe in zunehmendem Maße unerträglich. Der dem Empfinden der Vergangenheit und breiter undifferenzierter, kleinbürgerlicher und bäuerlicher Volkskreise noch heute natürliche Begriff der „ehelichen Pflicht“ ist für das verfeinerte Empfinden eine Ungeheuerlichkeit. Und die Möglichkeit einer verfehlten Ehe wird gerade dann noch weiter gesteigert, wenn man – mit Recht – die Herabsetzung des Heiratsalters im ethischen Interesse erstrebt. Der moderne vollentwickelte Mensch wird innerlich später „fertig“ als der Mensch der Vergangenheit, ihm ist daher, im Prinzip, eigentlich das Eingehen einer prinzipiell unlöslichen Verbindung erst im reifen Alter möglich. Frühes heiraten ist daher nur bei Gewährung eines Ventils in der Erleichterung der Ehescheidung im Fall eines Irrtums denkbar. Es ist nun aber schlechthin nicht abzusehen, warum nicht auch dies Problem durch Reform des Scheidungsrechts der Vollehe gelöst werden sollte. Es ist tatsächlich nur auf ihrem (545) Boden befriedigend lösbar. Denn daß ein Staat eine „freie Ehe“ rechtlich anerkennen, das heißt: die Beteiligten z. B. mit Elternrechten ausstatten sollte, bei gänzlich beliebiger, einseitiger, an keinerlei sachliche Gründe oder doch Fristen und Formalitäten gebundener Scheidungsmöglichkeit, – dies ist höchst unwahrscheinlich. Es ist auch unter keinem ethischen oder sozialen Gesichtspunkt wünschenswert, daß es geschehe. Von den Interessen der Kinder ganz zu schweigen, wäre auch für die Kultur der Geschlechtsbeziehungen damit nichts erreicht. Zwei345 [Anmerkung: Schreibweise im Original lautete: „Heiratsatsalters“.]
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fellos würde, schon rein auf das Erotische hingesehen, die seelische Durchschnittskultur nicht steigen, sondern erheblich sinken, wenn Auflösung des bestehenden und Abschluß eines neuen Verhältnisses Angelegenheiten würden, die sich zwischen Sonnenauf- und Untergang erledigen ließen: „Nicht die große Liebe würde frei, sondern die kleine Passion, der Sinnenrausch, die Lust am Wechsel, die vergängliche Leidenschaft, der treulose Egoismus“346. Und für alle, welche nicht die Not des Lebens am Leitseil hält, also für die ökonomisch Privilegierten, denen in Wahrheit jene Neuerung ja allein zu gute käme, würde dadurch nur die Versuchung vergrößert, als Gegenmittel gegen das „graue Einerlei“ des Alltagslebens die einseitige Pflege erotischer Sensationen zu ergreifen und so dem Ueberwuchern platt sexueller Interessen auf Kosten der Verfeinerung des Empfindungslebens Vorschub zu leisten. Wer aber dabei, trotz aller gesetzlichen Vorkehrungen, praktisch und psychisch in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle den kürzeren ziehen würde, ist klar: die Frau und die Kinder. Nicht nur im ökonomischen Sinn: man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wie schwierig, ja faktisch unmöglich es schon jetzt ist, den Vater mehrerer unehelicher Kinder verschiedener Mütter zur Erfüllung seiner rein pekuniären Verpflichtungen zu zwingen, – sondern mehr noch deshalb, weil jede anhaltende Steigerung der sexuellen Spannung die Betonung brutaler Instinkte des Mannes zur Folge hat, Mann und Frau einander rein geschlechtlich schätzen lehrt, und jede solche Brutalisierung der gesellschaftlichen Kultur für die eigensten Interessen gerade der seelisch fein entwickelten Frauen tätlich ist. Auf die Mitwirkung einer staatlichen Instanz, die den Wunsch nach Scheidung auf seinen sachlichen Ernst und auf seine Berechtigung vom Standpunkt der Verantwortlichkeit (546) der Beteiligten für ihr gegenseitiges Schicksal und das ihrer Kinder prüft und jedenfalls zwischen sein Auftauchen und seine Erfüllung eine längere Besinnungsfrist schiebt, kann daher, auch ganz abgesehen von der Notwendigkeit formaler Erkennbarkeit der Scheidung, bei allen staatlich regulierten, im übrigen noch so „freien“, Ehen, in aller absehbaren Zeit nicht verzichtet werden. Sie ist die bedeutungsvollste Schranke, welche das sittliche Gesamtbewußtsein der Kulturmenschheit der von niederer Sinnlichkeit und natürlichem Egoismus bestimmbaren Augenblickslaune des Einzelnen entgegengeschoben hat. Die entscheidende Frage ist also nicht: ob überhaupt irgend eine Schranke, sondern welcher Art diese Schranke bei staatlich regulierten Geschlechtsverbindungen sein soll. Wer überhaupt irgend eine solche, auch eine lediglich in Gestalt von bestimmten Formen und Fristen die Ernstlichkeit und Dauer des Scheidungsentschlusses kontrollierende, Schranke schlechterdings nicht ertragen will, der allerdings muß die Folgen seines Handelns selbst auf sich nehmen. Sein Anspruch auf rechtliche Sanktionierung und gesellschaftliche Billigung von Geschlechtsbeziehungen, in die er keinerlei Verantwortlichkeit hineintragen will, ist einfach sinnlos. Mehr als die faktische Duldung des Bestehens der Geschlechtsbeziehung kann er schlechterdings nicht erwarten. Denn die Gesamtheit interessiert an ihnen nicht sein Interesse, sondern das seiner Kinder.
346 Fr. W. Förster: Bedenken gegen Ellen Keys Ansichten über Liebe und Ehe (Deutsche
Rundschau 1905 Heft 9).
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Nach alledem erscheint also die Konstituierung einer „freien Ehe“ als Rechtsinstitut völlig entbehrlich, sobald die legitime Voll-Ehe auf prinzipielle Gleichordnung der Gatten basiert und ihre Lösbarkeit in einer den berechtigten Ansprüchen moderner Menschen entsprechenden Art geregelt ist, und sobald ferner die Rechtslage der „unehelichen“ Mütter und Kinder mit dem modernen sozialen Empfinden in Einklang gebracht wird. Es erscheint jedenfalls zweckmäßiger und aussichtsvoller, mit aller Kraft auf diese Reformen, als auf die wenig aussichtsvolle, im Fall der Ehereform unnötige, für die Interessen der Frau aber stets gefährliche Einführung eines Ehesurrogats hinzuwirken. – Von jenen beiden Problemen: dem Scheidungsrecht und dem Recht der außerehelichen Mütter, haben wir also nun noch zu handeln. B. Wir legen der Erörterung des Scheidungsproblems das gegenwärtig bei uns geltende Recht und seine Kritik zu Grunde. Die (547) „prinzipielle“ Unlöslichkeit der Ehe äußert sich im modernen Eherecht darin, daß sie, nach dem in Deutschland, – ebenso wie in fast allen Ländern der Welt, außer Oesterreich (für Akatholiken) und einigen amerikanischen Staaten – geltenden Recht nur zufolge schuldvollen Verhaltens eines Gatten gegen den andern, wegen einer „Verletzung der ehelichen Pflichten“, gelöst werden kann. Die nach langem Streit zugelassene einzige Ausnahme bei uns ist der Fall, daß einer der Gatten unheilbarer Geisteskrankheit verfallen ist. Betrachten wir nun die Ehescheidungsgründe genauer. Das BGB. unterscheidet „absolute“ und „relative“ Scheidungsgründe. Die absoluten: Ehebruch, Bigamie, widernatürliche Unzucht, Lebensnachstellung, bösliches Verlassen347, geben dem unschuldigen Gatten das Recht auf Scheidung unbedingt, also unabhängig von ihrer Wirkung auf das gegenseitige subjektive Empfinden348. Eine Neuerung gegenüber der Mehrzahl älterer Gesetze bedeutet die Einführung der sogenannten relativen Scheidungsgründe. Als solche bezeichnet das Gesetz „ehrloses oder unsittliches Verhalten“, „grobe Mißhandlung“ und dann generell „jede schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten“. Sie begründen die Scheidung nur dann, falls der Richter die Ueberzeugung gewinnt, daß dadurch im konkreten Fall der verklagte Gatte „eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem klagenden Gatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann“349. Unter den Begriff der „schweren Pflichtverletzung“ fällt nach der Praxis, außer der „groben“, d. h. der Art und Weise nach rohen, „Mißhandlung“, auch die dauernde böswillige Vernachlässigung der Unterhaltspflicht von seiten des Mannes oder etwa böswillige Vernachlässigung der häuslichen Pflichten von seiten der Frau, ebenso die fortdauernde „unbegründete“ Verweigerung der „ehelichen Pflicht“. Ferner schwere Beschimpfung, gefährliche Bedrohung, Geschlechtsver347 Entweder mehr als einjähriges bösliches – d. h.: die Nichtherstellung der ehelichen
Gemeinschaft bezweckendes – Fernbleiben von der häuslichen Gemeinschaft gegen den Willen des andern, nach rechtskräftiger Verurteilung zur Herstellung derselben, oder unbekannte bösliche Abwesenheit seit einem Jahre. 348 1565, 1566, 1567. 349 § 1568.
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kehr trotz geschlechtlicher Erkrankung, grobe Vernachlässigung der Kindererziehung, Ehebruchsversuche, hochgradige Unverträglichkeit, – (548) dies alles, sofern der Richter den Eindruck hat, daß im vorliegenden Fall jene Handlungen die Ehe unheilbar zerrüttet oder doch die Zerrüttung mitverschuldet haben. Als ehrloses oder unsittliches Verhalten sind, neben entehrenden Verbrechen oder Vergehen, z. B. unzüchtige Handlungen, schimpflicher Erwerb, beharrliche Trunksucht angesehen. Nach den Absichten der Reichstagskommission sollte unter Umständen auch die Verweigerung der versprochenen kirchlichen Trauung dahin gehören können. Der Gesetzgeber selbst hat unterlassen, alle einzelnen aus jenem Begriff ableitbaren Scheidungsgründe aufzuzählen, um dem Gesetz eine gewisse Elastizität gegenüber der Fülle unberechenbarer Möglichkeiten und dem Richter einen gewissen Spielraum für die individualisierende Behandlung verschiedenartiger Scheidungsmotive zu wahren. Der Richter kann also denselben objektiven Tatbestand in dem einen Fall als Scheidungsgrund anerkennen, im andern ablehnen, je nachdem er die Ueberzeugung gewinnt, daß dem klagenden Gatten die Fortsetzung der Ehe als sittliche Pflicht nicht auferlegt werden kann. Aber das ist die feste Schranke der Elastizität jener Bestimmungen, daß die „Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses“ nur dann als Scheidungsgrund anerkannt wird, wenn sie durch ein konkretes, nachweisbares Verschulden – und zwar ein Verschulden gröblicher Art – im Sinne des Gesetzes mindestens mit verursacht worden ist. Also ist weder generell die Tatsache einer noch so völligen Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses als Scheidungsgrund zugelassen, noch auch, wie im Code und im preußischen Landrecht, die Scheidung „auf Grund gegenseitiger Einwilligung“ oder „einseitiger unüberwindlicher Abneigung“. Die Motive selbst geben zu, daß für die Zulassung der Scheidung auf Grund gegenseitiger Einwilligung „erhebliche Gründe“ geltend gemacht werden könnten. So z. B. daß: Gatten, die einen gesetzlich anerkannten Scheidungsgrund haben, dadurch erspart würde, ihre Angelegenheiten vor Dritten auszubreiten, oder auch bei Ehebruch einen Dritten als Mitschuldigen anzuklagen. Daß sie ferner nicht in die Versuchung kämen, einen künstlichen Scheidungsgrund zu schaffen, wenn sie den wahren nicht angeben, aber unter allen Umständen voneinander loskommen wollen. Allein diese Erwägungen werden gegenüber den prinzipiellen Bedenken nicht für durchschlagend gehalten. Wie die Motive ergeben, gingen vielmehr die Redaktoren des BGB (549) ganz bewußt darauf aus, die Ehescheidung gegenüber dem bisherigen Rechtszustande zu erschweren. Unter dem Druck konservativer und kirchlicher Mächte sind jene Bestimmungen des preußischen Landrechts und des Code civil (badisches Landrecht) gefallen, ohne daß für sie ein Ersatz geschaffen worden ist. Ist also heute eine Ehe zerrüttet oder unerträglich geworden, weil beiden Gatten die Voraussetzungen unter denen sie geschlossen wurde: Liebe, Achtung, gegenseitiges Verständnis, schwanden, so hilft man sich bekanntlich – namentlich in den besitzenden Klassen – durch das Fingieren eines äußeren Schuldmoments, speziell des „böslichen“ Verlassens. Werden die Rollen gut durchgeführt und sind die Geldmittel für den Gewinn eines geschickten Anwalts vorhanden, so ist die Auflösung der Ehe meist zu erzielen. Und wenn sie von beiden Gatten gewünscht wird, so können diese sich im Voraus über den Verbleib der Kinder, die Vermögensverhältnisse und auch darüber verständigen, wer das Odium schuldvollen
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Verhaltens auf sich nehmen soll. Da jedoch das Gericht den Tatbestand von Amtswegen zu untersuchen hat, so ist die letztere Vereinbarung rechtlich gänzlich unverbindlich. Und auch bezüglich der Kinder und der Vermögensregelung schwebt über einem solchen Vertrag regelmäßig das Damoklesschwert, daß er jedenfalls dann als „gegen die guten Sitten“ verstoßend und also als nichtig gelten würde, wenn dadurch nachweislich eine nach dem Gesetz nicht statthafte Ehescheidung ermöglicht worden wäre. Im Fall des Gelingens dagegen ist das praktische Resultat dasselbe, wie bei Scheidung auf Grund gegenseitiger Einwilligung, nur daß es nicht auf gradem Wege erreicht worden ist. Eine tragische Situation entsteht aber dann, wenn nur einer der Gatten die Fortsetzung der Ehe als unerträglich empfindet. Er kann dann zwar den andern „böslich verlassen“. Unterläßt dieser jedoch die Scheidungsklage, so bleibt der die Scheidung wünschende Teil – und es ist durchaus nicht gesagt, daß er regelmäßig der weniger „sittliche“ sei – äußerlich dauernd gebunden. In einem solchen Fall wird überdies noch, zufolge des heutigen Güterstandes, die Frau außerordentlich viel härter getroffen, und ist also gebundener, als der Mann. Er kann, auch wenn die Ehe infolge Unterlassens der Scheidungsklage seitens der Frau dem Bande nach weiter besteht, wenigstens faktisch dauernd außerhalb des gemeinschaftlichen Haushalts leben, und dabei nicht nur sein Vermögen in der Hand behalten, (550) sondern auch das der Frau weiter verwalten. Die Frau kann dann, wenn sie die Scheidung nicht will, nur ihren Unterhaltsanspruch geltend machen und selbst diesen nur in Form einer Klage auf Herstellung der ehelichen Gemeinschaft, nicht auf Geldrente350. Verläßt dagegen die Frau den Mann aus noch so triftigen Gründen, nur ohne ein gerichtlich feststellbares, grobes „Verschulden“ seinerseits, so behält er ihr Vermögen in der Hand, ohne jedoch verpflichtet zu sein, ihr außerhalb des ehelichen Haushalts Unterhalt zu gewähren. Er hat also immer ein Pfand, durch das er sie zur Rückkehr zwingen kann. Schon diese Konsequenz des geltenden ehelichen Güterrechts würde – wie jeder Blick in die Lage von Frauen bei innerlich zerrütteten Ehen zeigt – dessen Beseitigung unbedingt fordern. Aber auch wenn dieser Zustand durch Einführung der Gütertrennung geändert würde, – ist es nicht überhaupt entwürdigend für beide, daß der eine Gatte den andern wider dessen Willen ein langes Leben hindurch in der ehelichen Gemeinschaft festhalten kann und daß, wenn der eine bereit ist den andern freizugeben, von diesem, der vielleicht, sittlich betrachtet, schuldlos an der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft ist, eine Rechts-Schuld fingiert werden muß, um los zu kommen? Nur die Wiedereinführung der ursprünglichen Bestimmungen des preußischen Landrechts und außerdem eine Erweiterung der „relativen“ Scheidungsgründe über den Preis der ganz groben Verstöße hinaus könnte Abhilfe schaffen. Natürlich wäre, im ersten Fall, also bei Scheidung wegen „einseitiger unüberwindlicher Abneigung“, der gegen den Willen des andern, also einseitig, die Scheidung beantragende Gatte, als schuldiger Teil im Rechtssinne zu behandeln, und müßte also eventuell – dann nämlich, wenn nicht erweislich sachliche Gründe im Interesse der Kinder eine anderweite Regelung fordern – auf das Erziehungsrecht an den gemeinsamen Kindern verzichten. Schon die Aussicht auf diesen Verlust würde wohl in der Regel genügen, um dem Mißbrauch eines leichteren Scheidungsrechts zum mindesten auf seiten der Frau vollständig ausreichend vorzubeugen. Es ist 350 § 1361 in Verbindung mit § 1571 Abs. 1 Satz 1.
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niemals erwiesen worden, daß die entsprechenden Bestimmungen des Landrechts soziale Nachteile im Gefolge gehabt hätten. In den Motiven und den Reichstagsverhandlungen wurden für die Erschwerung der Scheidung gegenüber dem preußischen und (551) auch dem badischen Landrecht, das wenigstens eine Scheidung auf Grund gegenseitiger Einwilligung, mit allerdings äußerst umständlichen, langwierigen und lästigen formalen Voraussetzungen zur Verhütung leichtfertiger Scheidungen, kannte, folgende Gesichtspunkte geltend gemacht: Daß, „der christlichen Gesamtauffassung des deutschen Volkes entsprechend“, die Ehe „als eine von dem Willen der Ehegatten unabhängige, sittliche und rechtliche Ordnung anzusehen“ und „ihrem Begriff und Wesen nach unauflöslich“ sei351. Daß deshalb durch Erschwerung der Scheidung der leichtsinnigen Eheschließung vorzubeugen und ferner darauf hinzuwirken sei, daß die Führung in der Ehe selbst eine ihrem Wesen entsprechende bleibe, da, „wenn die Ehegatten wissen, daß die Ehe nicht leicht wieder gelöst werden kann, die Leidenschaften, welche den Wunsch nach Scheidung erregen, eher unterdrückt, eheliche Zerwürfnisse leichter wieder beseitigt werden und an Stelle der Willkür die Selbstbeherrschung und das Bestreben der Ehegatten treten, sich ineinander zu fügen“352. Und schließlich noch: Daß der Staat im Interesse der Kindererziehung und der sittlichen Bewertung der Frau die Stabilität der Ehen befördern müsse. Betrachten wir zunächst die, für Erschwerung der Scheidung angeführten, praktischen und dann die prinzipiellen Gründe. Den praktischen: Förderung der Ueberlegung und Selbstprüfung vor und der Selbstdisziplin in der Ehe, Sicherung ihrer Beständigkeit im Interesse der Frauen und Kinder, kommt zweifellos große Bedeutung zu. Der Gedanke an die Festigkeit des einmal geschlossenen Bundes kann die einander Begehrenden vor der Ehe zur ernsten Selbstprüfung treiben und in der Ehe ihren Willen stärken, miteinander zu verwachsen und einer des andern Schwächen zu tragen. Aber die Erfahrung lehrt zur Genüge, daß ein derartiger unsittlicher Einfluß der prinzipiellen Unlöslichkeit der Ehe eben doch nur hypothetisch, keineswegs aber sicher zu erhoffen oder gar notwendig zu erwarten ist. Man braucht nur an die Ehemoral in den spezifisch katholischen Ländern zu denken, wo, ein Gatte nicht durch die Furcht vor dem möglichen Verlust des andern gezügelt wird. Andrerseits lassen sich aber auch, gerade im Interesse einer allgemeinen Versittlichung des Volkes, gewichtige Gründe gegen die heutigen Scheidungsprinzipien geltend machen: In demselben Maße wie (552) die Erschwerung der Scheidung der leichtsinnigen Eheschließung vorbeugt, muß sie – das wurde schon oben erörtert – den Mut zur Heirat in den Kreisen gewissenhafter, geistig entwickelter Menschen verringern. Jüngere Leute der intellektuellen Kreise, die sich geistig noch im Werden fühlen, zögern heute häufig nicht nur aus streberhaftem Ehrgeiz und ökonomischer Bedachtsamkeit, einer frühen Neigung zu folgen, sondern auch und mit Recht deshalb, weil sie Bedenken tragen, sich lebenslänglich an ein anderes Wesen zu ketten, bevor sie sich innerlich „fertig“ fühlen. Ist es aber wünschenswert, daß dem Bleigewicht unserer die Heirat erschwerenden ökonomischen Verhältnisse und sozialen Prätensionen auch noch durch die Rechtsordnung psychische Hemmungen beigefügt werden? Und wird die allgemeine sittliche Kul351 Motive S. 562, 563. 352 Motive S. 563.
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tur weniger gefährdet, wenn der junge Mann von heute seine erotischen Bedürfnisse bei der Dirne oder im „Verhältnis“ befriedigt und das junge Mädchen der höheren Stände seelisch verkümmert, als wenn das Gesetz die Möglichkeit gibt, im jugendlichen Alter geschlossene Ehen ohne „Eclat“ zu lösen, falls sich in einer späteren Lebensperiode herausstellt, daß der Bund keinen Ewigkeitswert besitzt? Soviel ist nach dem schon früher Gesagten klar: Die Befürwortung früherer Eheschließung, und das Hinwirken auf die ökonomische Möglichkeit dazu, bedingt notwendig auch die Befürwortung erleichterter Scheidung. Denn je höher das Allgemeinniveau seelischer und intellektueller Kultur steigt, desto höher steigen notwendig auch die Ansprüche des Einzelnen an den inneren Gehalt und die Wahrheit einer dauernden Lebensgemeinschaft, desto schwerer wird der Einzelne in jungen Jahren den unbefangenen Mut für einen sein ganzes Schicksal unwiderruflich bestimmenden Schritt finden. Das Risiko geringerer Ehestabilität muß eben in den Kauf genommen werden, es ist verglichen mit den Folgen des wilden Geschlechtsverkehrs durchaus das geringere moralische Uebel. Aber auch der in warmer Neigung geschlossene Bund reifer Menschen gleicht in gewisser Weise immer einem Hazardspiel, sobald überhaupt der Anspruch erhoben wird, daß die äußere Gemeinschaft nun auch dauernd durch das Gefühl innerer Zusammengehörigkeit getragen sei. Die Empfindungen in der Zeit der „jungen Liebe“ sind schließlich durchaus kein sichres Kriterium dafür, daß sich auch im täglichen Zusammenleben die Temperamente und alle die Imponderabilien, welche die Gesamtpersönlichkeit ausmachen, auf einen harmonischen (553) Zusammenklang abstimmen lassen. Das Sphinxrätsel der Ehe für moderne, geistig entwickelte Menschen besteht eben darin, daß sich die Gatten, auch wenn die Verlobungszeit lang ist, doch erst nach der Begründung ihrer Lebensgemeinschaft wirklich kennen lernen, also im Grunde erst erfahren, ob sie „für einander bestimmt“ sind, wenn ihnen diese Einsicht nichts mehr nützt. Und die Schwere dieses Problems wird um so stärker ins Allgemeinbewußtsein treten, je allgemeinere Geltung das Postulat der „Einheit der Seele und Sinne“ als Maßstab des Wertes der einzelnen Ehe gewinnt, je mehr sie aus einer bloßen ökonomischen und sexuellen Interessengemeinschaft zu einer, sittlich-geistigen Beziehung wird, von welcher der Einzelne fordert, daß sie die ganze Fülle seines persönlichen Daseins umschließt und ihn von der Unruhe der niederen Sinnlichkeit befreit. In der Vergangenheit, als bei allgemeiner geringerer Feinheit des Gefühlslebens die Menschen weit niedrigere Anforderungen an die Ehegemeinschaft stellten, schuf ihre prinzipielle Unauflöslichkeit auch weniger Probleme, vor allem trug sich eben die Last dieser Rechtsordnung auch deshalb leichter, weil das Sittengesetz für weniger verbindlich gehalten wurde als heute. Der verheiratete Mann und, in den geistig führenden Schichten, vielfach auch die verheiratete Frau – man denke nur an die Maitressenwirtschaft der Höfe des 18. Jahrhunderts – nahmen sich nicht selten skrupellos die Freiheit, ihre erotischen Bedürfnisse außerhalb ihrer Ehe auszuleben, ohne daß die Oeffentlichkeit Anstoß daran nahm. Grade auch neben der Auffassung der Ehe als Sakrament war die Verletzung der fundamentalen ehelichen Treuepflichten eine regelmäßige Erscheinung. Noch heute beruhigt sich ja in katholischen Ländern das Gewissen des Einzelnen und das öffentliche
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Normbewußtsein häufig mit der Aufrechterhaltung der äußeren Form ehelicher Gemeinschaft, ohne den Anspruch zu erheben, daß ihr auch die inneren Beziehungen der Gatten entsprechen, während ein verfeinertes, nach Wahrheit der Lebensführung ringendes sittliches Bewußtsein diesen Kontrast als schwereres Vergehen am Gatten und an der Ehemoral empfindet, als die Lösung des Bandes. – Gewiß können Gatten, die das erhoffte volle Lebensglück nicht miteinander finden – sobald sie Kinder besitzen – nicht von der sittlichen Pflicht entbunden werden, alles zu tun, um ihre Lebensgemeinschaft dennoch aufrechtzuerhalten und erträglich zu gestalten. Und das gemeinsame Verantwortlichkeitsgefühl für das Schicksal der Kin-(554)der kann auch solchen Ehen, denen die Sonne tiefinnerlichen Glücks fehlt, positiven ethischen Wert und Würde verleihen. Wer, wie z. B. Ellen Key, das Pflichtgefühl als Ferment ehelicher Beziehungen überhaupt ausschalten will, gibt den Individuen einen Freibrief, sich rücksichtslos einer auf die Kosten des andern, und der erwachsenen Generation, sich auf Kosten der werdenden „auszuleben“. Statt sie zu fördern, zersetzt er damit die elementarsten Bedingungen unserer ganzen sexual-ethischen Kultur. Eine andere Frage ist aber doch, ob solche ganz individuell gearteten sittlichen Verpflichtungen nun notwendig auch in einer so schematisch wirkenden Rechtspflicht, wie sie die prinzipielle Unauflöslichkeit der Ehe ist, verkörpert werden sollen. Das durch die Aufrechterhaltung einer unbefriedigenden oder gar unglücklichen Ehe dargebrachte Opfer an individuellem Lebensglück gewinnt doch erst dann den Wert einer sittlichen Tat, wenn es das Resultat eines wenigstens relativ freien Entschlusses, nicht aber, wie jetzt, Resultat eines ein für allemal bestehenden Zwanges ist. – Es muß aber auch zugegeben werden, daß es eine Fülle unberechenbarer Momente gibt, welche nicht die Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft, sondern umgekehrt ihre Lösung als positive Pflicht empfinden lassen, ohne daß die Gatten eine greifbare Anklage gegen einander besitzen. Auch für solche Fälle muß es eine Verbindung geben, denn der Staat hat nicht das Recht, „im Interesse der Stabilität der Ehen“ die Individuen zur langsamen Selbstvernichtung und Entwürdigung ihres Selbst zu zwingen. Dies ist für einen besonderen Fall durch Aufnahme der Geisteskrankheit – wenn sie drei Jahre gedauert hat und die „geistige Gemeinschaft“ ohne Aussicht auf deren Wiederherstellung „aufgehoben“ hat – unter die Ehescheidungsgründe auch direkt im Gesetz anerkannt. Es ist unverständlich, daß der Fall einer nicht unter den Begriff der „Geisteskrankheit“ fallenden Charakterentwicklung eines Ehegatten, derart, daß sie die Möglichkeit geistiger und sittlicher Gemeinschaft endgültig aufhebt, nur dann die gleichen Konsequenzen haben soll, wenn direkt ein „ehrloses oder unsittliches Verhalten“ äußerlich vorliegt. Es ist z.B. klar, daß schon beim subjektiven Fehlen der persönlichen Achtung der Gatten vor einander die Versagung der „ehelichen Pflicht“ nicht sittlich schuldhaft ist, ihre Verweigerung vielmehr durch die Menschenwürde gefordert werden kann. Der Begriff der Ehre ferner ist wesentlich konventionellen Inhalts. Es braucht ein Verhalten aber durchaus nicht in diesem kon-(555)ventionellen Sinn „ehrlos“ zu sein, und kann doch genügen, eine fein entwickelte Frau zu foltern, ihr jede Achtung für den Gatten unmöglich und die Fortsetzung der Ehe für sie direkt unsittlich zu machen. Der durch die Notwendigkeit, ein „grobes“ Verschulden aufzuspüren, erzwungene Formalismus ist hier unerträglich.
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Was nun schließlich die in den Motiven zitierte, das gegenwärtige Scheidungsrecht bestimmende, prinzipielle „christliche“ Auffassung der Ehe als einer „dem Willen der Gatten entrückten höheren Ordnung“ betrifft – so enthält sie eine metaphysische Hypostasierung des Eheideals, die sich der verstandesmäßigen Erwägung entzieht und ganz ebenso wie ihre Auffassung als Sakrament in letzter Linie Glaubenssache ist. Ihre Anerkennung oder Ablehnung muß daher Angelegenheit des Einzelnen bleiben. Der Staat hat weder die Macht noch auch das Recht, sie den Individuen aufzuzwingen, deshalb darf er sie auch nicht als Grundlage seiner Gesetzgebung festhalten. Und man kann sich nicht darüber täuschen, daß die aus jenem Dogma abgeleiteten gesetzgeberischen Ideen heute nicht mehr die Kraft besitzen, das Ansehen der Ehe als Institution zu steigern, vielmehr bieten grade sie die wichtigsten Stützpunkte aller sich gegen den Wert der Ehe, als staatlich geschützter Institution, richtender Kritik. Die Rechtsordnung sollte sich bescheiden – eben sowie gegenüber der inneren Struktur der Ehe: den Beziehungen der Gatten zueinander –, so auch in Bezug auf ihren äußeren Zusammenhang ihre und der Kinder konkrete praktische Interessen miteinander zu balancieren und der Herrschaft der niederen Triebe Schranken zu setzen. Ihre metaphysische Deutung und Steigerung aber sollte den religiösen und sittlichen Mächten überlassen bleiben. Die ökonomischen Grundlagen der Ehe halten diese ohnehin in einer nur allzu großen Zahl von Fällen zusammen, wo, rein sittlich betrachtet, ihre Lösung zu fordern wäre. – Die Frage der Schranken für die Scheidung sollte also, alles in allem, ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten erledigt werden, vor allem unter Berücksichtigung des Interesses der Kinder. Diese aber kommen, wenn man eine innerlich zerrüttete Ehe nur deshalb zusammenhält, weil keiner der Gatten sich zu einer schweren Pflichtverletzung“ oder zu einem „ehrlosen und unsittlichen Verhalten“ hinreißen läßt, ganz entschieden zu kurz. Es wird in der Mehrzahl der Fälle für sie ungleich besser, oft geradezu sittliche Lebensfrage sein, (556) daß sie dem Eindruck jener Kleinlichkeit und Gehässigkeit, wie sie sich grade zwischen zerfallenen Ehegatten einzustellen pflegt, entzogen werden. Man verlange – wie es der Code tat – daß eine Ehe bereits einen gewissen Zeitraum gedauert habe, ehe die Frage ihrer Scheidung ohne Anführung eines Verschuldens aufgeworfen wird. Man stelle ferner Förmlichkeiten fest, welche die Ernstlichkeit und Dauer des Scheidungs-Entschlusses unzweideutig bekunden. Man lasse endlich das Scheidungsverfahren erst seinen Gang nehmen, wenn eine Regelung der Verhältnisse der Kinder getroffen worden ist, die dem Vormundschaftsgericht für deren Interesse geeignet erscheint. Nach diesen Voraussetzungen aber sollte sowohl die gegenseitige Einwilligung, als auch, unter eventuell noch schärferen Kautelen, die einseitige, als „unüberwindlich“ erprobte, Abneigung als Ehescheidungsgrund zugelassen werden. Das Gesetz hat, kirchlichen Dogmen zu liebe, neben der Scheidung wahlweise die dauernde „Scheidung von Tisch und Bett“ zugelassen, und das heißt für den größten Teil Deutschlands: neu eingeführt353: – es darf bean353 § 1575 („Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft“). Die Regelung ist nach dem Muster
der andren (z.B. der französischen) Gesetzgebungen dahin erfolgt, daß es jedem Ehegatten erlaubt ist, nachträglich die Separation in eine volle Scheidung umwandeln zu lassen und so das Recht der anderweiteren Verehelichung zu erwerben.
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sprucht werden, daß es auf die seelische Not moderner Menschen wenigstens dann Rücksicht nehme, wenn dadurch weder die Interessen der Kinder noch das sicherlich sozial berechtigte Interesse daran, daß die Ehe nicht ein Objekt von Augenblickslaunen bilde, verletzt werden. Eine etwaige Zunahme der Ehescheidungen infolge ihrer Erleichterung würde durch die größere sittliche Reinheit der bestehenden Ehen in ihrer – angeblichen – Bedenklichkeit für die Dignität der Ehe als Rechtsinstitut aufgewogen. Sie würde in ihrer Bedeutung überdies durch den Umstand herabgesetzt, daß leichtere Löslichkeit der Ehe auch den Entschluß zur Eheschließung oft erleichtert, die Ehe also propagiert. – Welche Tragweite überhaupt, rein statistisch betrachtet, die Zulassung der Scheidung auf Grund „gegenseitiger Einwilligung“ oder „unüberwindlicher Abneigung für die Ehestabilität haben würde, ist natürlich mit Sicherheit nicht auszumachen. Immerhin mag wenigstens auf einige Tatsachen verwiesen werden, welche, die Meinung der Gesetzesredaktoren, daß die Zulassung von Ehescheidungen ohne pro-(557)zessual nachweisbare Schuld, insbesondere auf Grund von gegenseitiger Einwilligung, zu entkräften geeignet sind354. Von allen Auflösungen von Ehen waren in Baden nicht durch den Tod, sondern durch Scheidung herbeigeführt: im Durchschnitt der Jahre 1866 – 96 jährlich 90 = 1,00%, 1887 – 96: 143 = 1,46 %, 1890 – 99: 176 = 1,81 %. Die Scheidungsquote stieg also trotz gleichbleibenden Scheidungsrechts und zwar wesentlich infolge der Zunahme in den Großstädten (Mannheim und Karlsruhe) und Industriegebieten (Lörrach, Pforzheim). Die Abschaffung der bis dahin bestandenen Scheidung auf Grund gegenseitiger Einwilligung durch das BGB. hat dieses – übrigens bei so niedrigem Anteil der Scheidungen sicherlich in keiner Weise beunruhigende – Steigen nicht im mindesten verlangsamt: 1900 wurden 193 = 1,83%, 1901: 213 = 2,10%, 1902: 244 = 2,42 %, 1903: 261 = 2,54 % der Ehen durch Scheidung gelöst. Auf 100 000 bestehende Ehen kamen in Baden 1881/85: 34, 1886/90: 45,3 Scheidungen. Baden stand darin weitaus günstiger als die Gebiete des preußischen Landrechts (außer Westfalen), wo die Scheidung auf grund gegenseitiger Einwilligung nur bei Kinderlosigkeit zugelassen war, und diese wieder weitaus günstiger als Sachsen, wo sie garnicht bestand, dessen Ehescheidungsziffer (158,2) aber nur hinter Berlin und den Hansastädten, in welch letzteren sie ebenfalls nicht bestand, zurückblieb wie die Beseitigung der Ehescheidung auf grund gegenseitiger Einwilligung (bei kinderlosen Paaren) und wegen „unüberwindlicher Abneigung“ in Berlin gewirkt hat, kann man aus folgenden Zahlen entnehmen: Die „unüberwindliche Abneigung“ spielte scheidungsstatistisch eine sehr geringe Rolle. In Berlin kamen jährlich 40–50 Fälle, im Maximum zwischen 1885 und 1900 einmal 77 Fälle, vor. Die „gegenseitige Einwilligung“ schwankte jährlich im gleichen Zeitraum zwischen 117 und 457 Fällen, das Jahr 1899 mit dem Maximum von 581 Fällen war durch die bevorstehende Beseitigung dieses Scheidungsgrundes charakteristisch bestimmt. Die Gesamtzahl der Ehescheidungen stieg von 735 im Jahre 1887 auf 1898: 1447, 1899: 1608, also wesentlich schneller als die Bevölkerung des Gerichtsbezirks. Sie sank nach Inkrafttreten des BGB. auf 936 im Jahre 1900, 984 im Jahre 1901, und zwar wesentlich durch (558) gänzlichen Wegfall der Scheidung 354 Daß übrigens ein Ehescheidungsgesetzgeber es gänzlich unterläßt, die Statistik – z.B.
die badische – über die Wirkung der Zulassung der Ehescheidung auf Grund gegenseitiger Uebereinstimmung zu konsultieren, ist eigentlich ein starkes Stück.
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auf grund von „gegenseitiger Einwilligung“, „unüberwindlicher Abneigung“, und durch starke Abnahme der Scheidung wegen „böslicher Verlassung“, letzteres offenbar infolge der strengeren Prüfung der „Ernstlichkeit“, welche die neuen gesetzlichen Bestimmungen mit sich brachten. Dafür stiegen aber die „Anfechtungen“ der Gültigkeit von Ehen auffallend und, vor allem, stellte sich trotz der absoluten Abnahme der Ehescheidungen ein starkes absolutes (und also noch stärkeres relatives) Emporschnellen der Ehebruchsklagen und -scheidungen (1899: 476, was etwa dem Durchschnitt der 90er Jahre entspricht, 1900: 643, also + 35,1 % in einem Jahre, 1901: 663) ein. Es erscheint doch wohl mehr als fraglich, ob dies Ergebnis geeignet ist, die Beseitigung der „gegenseitigen Einwilligung“ als Scheidungsgrund in ein günstiges Licht zu stellen. Es kann gewiß nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, durch allzu große formelle Erleichterung der freiwilligen Trennung, wie in manchen amerikanischen Staaten, auch solchen Beziehungen, welche von vornherein nur Gelegenheitscharakter tragen, zu gestatten, sich den Stempel der „respectability“ zu erwerben. Aber auf der andern Seite ist das Prinzip, nur wegen „Schuld“ und dann natürlich nur wegen schwerer Schuld, Scheidungen zuzulassen, geeignet, den inneren Gehalt und die Reinheit der Ehe zu schädigen, und zwar wesentlich auf Kosten der Frau und, oft genug, der innerlichen Interessen der Kinder. – Wir haben uns zum Schluß noch zu erinnern, daß eine Ehe außer durch Scheidung auch gelöst werden kann: 1) Durch „Nichtigkeitserklärung“ – im Fall der Eingehung gegen gesetzliche Eheverbote: Doppelehen, Ehen zwischen Verwandten und Verschwägerten in grader Linie oder Voll- oder Halbgeschwistern: § 1310, zwischen zwei des Ehebruchs schuldigen Teilen: § 1312) oder mangels gültigen Abschlusses jederzeit, – und 2) durch „Anfechtung“, binnen 6 Monaten. Die erstere interessiert uns für unsere Zwecke nicht im einzelnen. – Von den Fällen der Zulässigkeit der „Anfechtung“ haben einige: Drohung, Irrtum in der Identität der Person, Irrtum über den Sinn des Aktes als eines Eheschlusses, Abschluß durch einen in der Geschäftsfähigkeit beschränkten ebenfalls kein besonderes Interesse für uns. – An der bei den Beratungen viel umstrittenen Bestimmung, daß im Fall „arglistiger“ Täuschung eines Gatten über Umstände, welche ihn „bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe“ von ihrer Eingehung (559) abgehalten hätten, bei Nichtwissenschaft des andern Gatten die Ehe anfechtbar sein soll, interessiert wesentlich die Bestimmung (§ 1334 Abs. 2), welche eine Täuschung über die Vermögensverhältnisse ausdrücklich ausschließt. – § 1333, welcher auch den Irrtum über „persönliche Eigenschaften“ als Anfechtungsgrund gelten läßt, war bei der Beratung noch lebhafter umstritten. Uns interessiert daran wesentlich die Handhabung in der Praxis. Gewisse daran sich knüpfende Fragen fallen unter das allgemeine Problem von der „doppelten Moral“. Das Reichsgericht hat fehlende Jungfräulichkeit der Braut als einen im Sinn des § 1333 wesentlichen Defekt angesehen, fehlende sexuelle Reinheit des Bräutigams dagegen nicht. Diese Frage der Virginität hat eine lange Vorgeschichte. Im Gegensatz gegen ausdrückliche Bestimmungen des kanonischen Rechts, welches Irrtum über die Virginität nicht als wesentlich ansah, haben protestantische Kirchenrechtslehrer ihn für erheblich erachtet.
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Daß nur die sexuelle Unberührtheit der Braut in Frage kam, verstand sich dabei von selbst. Für das Gebiet des preußischen Landrechts hatte das Obertribunal die gleiche Unterscheidung bei der Schwangerschaft der Braut und Vorhandensein eines unehelichen Kindes des Bräutigams gemacht. Das österreichische bürgerl. Gesetzbuch § 58 macht sie ausdrücklich, aber auch nur für den Fall, daß die Braut „von einem andern geschwängert“ befunden werde. Es wurde also durchweg ein verschiedenes Maß von Aufrichtigkeit und moralischem Mut von den Brautleuten gefordert, und zwar das größere von seiten der Braut. Man muß bedauern, daß das Reichsgericht an diesem unsittlichen und geschlechtsegoistischen Standpunkt festgehalten und ihn in das BGB. hineininterpretiert hat. Ein Mädchen von gesundem Empfinden wird nicht den Pharisäismus besitzen, ihren Bräutigam lediglich deshalb, weil er einer menschlich echten Neigung nachgegeben, oder vielleicht seiner Triebe einmal nicht Meister geblieben ist, wenn dies ihr von ihm offen anvertraut wird, – und wenn sie sicher ist, daß er im umgekehrten Fall das Gleiche gelten lassen würde, – von sich zu stoßen, was aber allerdings eine voll entwickelte Frau mit ihrer Selbstachtung nicht vereinbar finden wird, ist die Hingabe an einen Mann, der fähig ist, geschlechtliche Beziehungen als einen Akt hygienischer Körperpflege zu behandeln und dies – weil „auch Andre es tun“ – als sein „Recht“ in Anspruch nimmt. Damit sollte auch der sittlich empfindende Richter rechnen. C. (560) Es bleibt uns nun noch die Stellung derjenigen Kinder, die einer nicht legalisierten Geschlechtsbeziehung entsprungen sind, und die ihrer Mütter, zu erörtern. Die Geschlechtsbeziehungen selbst, die dabei in Frage kommen, können sittlich sehr verschiedenen Charakters sein. Es kann sich, wie auf dem Lande ungemein oft, um Antizipation der beabsichtigten Ehe handeln, oder um faktisch monogame, der Liebe entsprungene, „Verhältnisse“ (wilde Ehen), um Maitressen oder um355 ganz zufällige Gelegenheitsbeziehungen. Ein formales Merkmal gibt es hier nicht, und deshalb allein schon kann für die generelle rechtliche Behandlung nicht die Sorge für die in außerehelicher Beziehung lebende Frau, sondern die für das Kind, und nur indirekt, durch Fürsorge für dieses, auch für die Mutter, den Ausgangspunkt bilden. Einen gesetzlich erzwingbaren Anspruch vermögensrechtlichen Inhalts auf Grund der bloßen Tatsache des Geschlechtsverkehrs zuzulassen, wird sich die Rechtsordnung schwerlich entschließen356. Dagegen sollte sich, angesichts der Tatsache, daß in Deutschland jährlich ca. 180 000 außerehelich geborene Kinder vor dem Untergang zu bewahren sind, der Gesetzgeber lediglich durch die Idee des Schutzes dieses gewaltigen Bruchteils: eines Zwölftels des nationalen Nachwuchses, von Entartung leiten lassen, dagegen alle diejenigen sexual-moralischen Erwägungen in den Hintergrund drängen, mit denen man bisher ihre soziale Deklassierung und die Mehrbelastung der Mutter gegenüber dem 355 [Anmerkung: An dieser Stelle tritt im Original ein Setzfehler auf, der dazu führt, daß
einzelne Satzteile an falscher Stelle stehen. Dieser Fehler wurde hier in der Art behoben, daß die derartig durcheinander geratenen Satzteile an die Stelle gesetzt wurden, die ihnen sinnvollerweise zufällt.] 356 Die uneheliche Mutter als solche kann nach BGB. nur die Kosten der Entbindung, Unterhalt für sechs Wochen nach der Entbindung und etwa sonst entstandene notwendige Auslagen vom Vater fordern.
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Vater zu rechtfertigen versucht hat. Diese Erwägungen sind überdies schon deshalb so überaus problematisch, weil sie ganz naiv davon ausgehen, daß nicht etwa an den angeblich „geistig“ überlegenen Mann, sondern allein an das Mädchen die Zumutung, sich die Folgen ihres Schrittes zu „überlegen“, gestellt werden müsse, daß also Entlastung des Mannes, Belastung des Mädchens mit den ökonomischen Konsequenzen des unehelichen Verkehrs das geeignete Mittel zum Zwecke seiner Einschränkung sei. Ein charakteristisches Dokument für solche Anschauungen, wie sie früher durchweg die Rechtslage der unehelichen Kinder bestimmt haben, (561) lieferte noch im Jahre 1862–63 der vierte deutsche Juristentag. Er bekannte sich zu dem Standpunkt des Code civil und äußerte sich gegen die Zulassung der Vaterschaftsklage in dem zu schaffenden bürgerlichen Gesetzbuch, mit der üblichen Begründung, daß sie „die Sittlichkeit des weiblichen Geschlechts untergrabe“, es zu Erpressungen und Betrügereien veranlasse, daß durch die Alimentationsprozesse der Frieden und das Glück vieler Familien untergraben und tadellose Männer den Angriffen schamloser Frauenspersonen und fremder Kinder ausgesetzt würden357. Es ist als ein Zeichen des allgemeinen Gesinnungswandels immerhin erfreulich, daß die Motive zum BGB. selbst die Kehrseite dieses roh geschlechtsegoistischen Standpunkts ins Licht rücken mit dem Hinweis, daß durch die Unzulässigkeit der Vaterschaftsklage „die Angriffslust des männlichen Geschlechts gesteigert und die Gefahr vermehrt wird, daß Wollüstlinge ohne Scheu auch unbescholtene Mädchen zu verführen suchen“358. Das neue Gesetz berücksichtigt in der Tat die Interessen des Kindes und seiner Mutter stärker als die meisten älteren deutschen und auch viele ausländischen Rechte. Allein ihm fehlt immer noch die Kraft, sie vor physischer und moralischer Degeneration zu schützen, geschweige denn, ihnen auch nur, innerhalb der Grenzen des überhaupt Erreichbaren, annähernd ähnliche äußere Entwicklungsmöglichkeiten wie den ehelichen Kindern zu bieten, hier wirklich durchgreifend zu bessern ist deshalb immer noch eine der wichtigsten gesetzgeberischen Zukunftsaufgaben. Und zwar könnte sie von zwei verschiedenen Prinzipien aus in Angriff genommen werden. Man könnte auf der überkommenen – mutterrechtlichen – Grundlage weiterbauen, welche die Juristensprache mit dem heute gefühlsmäßig so viel beanstandeten Satz charakterisiert: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt“. Bleibt man dabei, dann ließe sich in Einzelpunkten zwar noch vieles zu Gunsten der Kinder umgestalten; da aber die juristische Grundform des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern unverändert bliebe, so wären damit doch zugleich Schranken gesetzt, über welche die Reform nicht hinauskönnte. Vergegenwärtigen wir uns in Kürze, wie das Gesetz die unehelichen Kinder jetzt stellt, und welche Reformen etwa im Rahmen der geltenden einseitigen Verwandtschaftszurechnung noch möglich wären. (562) Es ist ein Fortschritt gegen früher, daß die, ausdrücklich für auf die Erben des Vaters übergehend erklärte, Unterhaltspflicht des Vaters vom 14. auf das vollendete 16. Lebensjahr des Kindes ausgedehnt ist, und daß sie nach dem Stande der Mutter, statt, wie früher, nur nach der „Notdurft“ bemessen wird. Das von ihm zu Leistende umfaßt nach dem Wortlaut des Gesetzes „den gesamten Lebensbedarf, sowie die Kosten der Erziehung 357 Vgl. Motive S. 867. 358 a. a. O. S. 872.
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und Vorbildung zu einem Berufe“. Ja der Vater ist danach nun sogar vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten unterhaltspflichtig359. In der Praxis verflüchtigt sich diese Bestimmung allerdings meist zu einer Fiktion. Denn in weitaus den meisten Fällen betragen die dem Manne gerichtlich abverlangten Alimente für das Kind einer Mutter besitzloser Klassen nicht mehr als monatlich 15 bis höchstens 20 Mark, stellen also immer nur einen Beitrag zu den Erziehungskosten dar. Ist das Kind bei Vollendung des 16. Lebensjahrs durch körperliche oder geistige Gebrechen gehindert, sich selbst zu ernähren, so hat ihm der Vater auch über diese Zeit hinaus Unterhalt zu gewähren. Tritt aber diese Erwerbsunfähigkeit erst später ein, so finden Kind und Mutter keinerlei Rückhalt am Vater, wird also etwa das Kind mit dem 20. Jahre gebrechlich, so bleibt der Mutter oder der öffentlichen Armenpflege die ganze Last. Auch für gesunde Kinder ist die gegenwärtige väterliche Unterhaltspflicht noch immer ganz unzureichend. Denn sie ermöglicht, ihnen wenn sie, wie es die Regel ist, besitzlose Mütter haben, immer nur eine Volksschulbildung und die Schulung für eine mechanische Erwerbstätigkeit niederster Ordnung, da sich nur vermittelst einer solchen das Kind vom 17. Lebensjahre an allenfalls selbst ernähren kann. Diese Fesselung auf den untersten sozialen Stufen bedeutet aber für begabte Kinder zahlungsfähiger Väter eine das sittliche Gefühl empörende Ungerechtigkeit und zugleich eine Gefahr für die Gesamtheit. Sie könnte von der Basis des heutigen Prinzips aus dadurch gemildert werden, daß von Fall zu Fall Väter, die dazu pekuniär in der Lage sind, zu längeren Zahlungen speziell für die Berufsbildung des Kindes verpflichtet würden. Ferner könnte ihnen schon im Rahmen der jetzigen einseitigen Verwandtschaftszurechnung, auch wieder nach dem Muster des preußischen Landrechts, ein Erbrecht, und zwar das volle Intestat-Erbrecht weni-(563)gstens gegenüber dem Vater persönlich360, eingeräumt werden, – vor allem als ein Mittel zur Hebung ihrer sozialen Stellung und Erleichterung der Selbstbehauptung im Daseinskampf. Das Erbrecht aber wie Bulling vorschlägt361 generell an Stelle seines vom Gesetz vorgesehenen Unterhaltungsanspruchs gegen die Erben des verstorbenen Vaters treten zu lassen, widerspräche jedenfalls ihren Interessen oft. Durch die Bestimmung des § 1712 Abs. 2, welcher dem Erben die Abfindung des Kindes mit dem Betrag des Pflichtteils eines ehelichen Kindes gestattet, ist schon jetzt den Verwandten eines mit mäßigem Nachlaß verstorbenen Mannes die Möglichkeit gegeben, sich ausreichenden Leistungen an das Kind zu entziehen und dennoch einen Teil des Nachlasses des Vaters sich anzueignen. Die größte praktische Schwierigkeit für die Sicherung des unehelichen Kindes erwächst aber daraus, daß der Arm des Gesetzes bis jetzt weder lang noch geschickt genug ist, um die dem Kinde zustehende Unterstützung ihm nun auch wirklich zu sichern. Dem Auffinden des säumigen Schuldners stellen sich meist unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Oder er wird gefunden, besitzt aber nicht mehr als er für seinen eigenen Unterhalt oder den seiner Familie braucht.
359 § 1709. 360 Dies bedeutete praktisch ja nur, daß dem Kinde der Pflichtteil gesichert würde. 361 C. Bulling, Die Rechte der unehelichen Kinder (Berlin 1895), S. 31 [Nr. 8].
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Und selbst wenn es gelingt, ihn zeitweilig zur Erfüllung seiner Pflichten zu zwingen, bleibt immer die Gefahr, daß er sich künftigen Zahlungen durch Ortswechsel entzieht, sodaß sich die regelmäßige Durchführung des Anspruchs häufig zu einer immer erneuten polizeilichen Jagd auf ihn gestaltet362. Leider öffnet aber außerdem auch das heutige Gesetz jugendlichen Vätern eine Pforte, durch die sie ihrer Verantwortlichkeit entschlüpfen (564) können. Es bietet keinerlei Handhabe, um Personen ohne eignes Vermögen und eigne Einnahmen, z. B. Studenten, Soldaten, Lehrlinge u. s. w., solange sie pekuniär von ihren Eltern abhängen, zur Zahlung heranzuziehen. Diese empfindliche Lücke kann nur dadurch geschlossen werden, daß wieder – wie nach den ursprünglichen Bestimmungen des preußischen und auch des bayrischen Landrechts – die Eltern und Großeltern eines unehelichen Vaters subsidiär für die Zahlung der Alimente haftbar gemacht werden. Bis dies geschieht, bleibt die beabsichtigte Fürsorge des Gesetzgebers auch in solchen Fällen, wo die Familie des Vaters reichliche Mittel hat, eine machtlose papierne Norm. Will ferner das Gesetz, – soweit dies im Rahmen einseitiger Verwandtschaftszurechnung möglich ist, – wenigstens im Prinzip alle unehelichen Kinder davor bewahren zu Parias der Gesellschaft zu werden, so muß vor allem § 1717 „Die Einrede der mehreren Zuhälter“, diese „Prämie für Wollüstlinge“, wie sie ein Zentrumsabgeordneter bei der dritten Lesung des BGB. nannte, wieder beseitigt werden. Es ist schwer begreiflich, daß bei der Abstimmung dieser Paragraph schließlich doch eine Mehrheit fand, obwohl sich sowohl in den Gutachten der Fachwissenschaft, als auch in den Reichstagsverhandlungen viele gewichtige Stimmen dagegen erhoben hatten. Seine Annahme, durch welche die sittlichen Defekte der Frau, die während der Empfängniszeit mit mehreren Männern verkehrt hat, an dem unschuldigen, hilflosen Kinde gestraft werden, bedeutet im Grunde noch einen letzten Sieg jener Anschauungen, die auf dem vierten Juristentag zum Ausdruck kamen (siehe oben S. 559). Denn alle in den „Motiven“ zitierten Rechtsgründe halten objektiven Erwägungen nicht stand. Auch der Haupteinwand nicht, daß die Unterhaltspflicht nur auf der „wirklichen“ Vaterschaft beruhen könne und daß es ungerecht sei, jemand als Erzeuger zu behandeln, dessen Vaterschaft ungewiß sei. Denn auch dem ehelichen Kinde gegenüber begnügt sich das Gesetz „im Interesse der Würde der Ehe“ mit der bloßen Möglichkeit der Vaterschaft des Ehemanns. Jedes in der Ehe geborene Kind gilt für ehelich, bis der Ehemann seinerseits bewiesen hat, daß er das Kind überhaupt nicht erzeugt haben kann. Die bloße Tatsache, daß sich die Gattin des Ehebruchs schuldig gemacht hat, wird bei der Geburt eines Kindes unberücksichtigt gelassen. Im Interesse des Kindes sollte das Gesetz nach dieser Analogie (565) auch, wie es das österreichische Gesetzbuch tut, bei außerehelichen Kindern verfahren. Die erwiesene Beiwohnung eines Mannes innerhalb der fest umgrenzten Empfängniszeit muß genügen, um 362 Diese Schranken stellen sich in der Praxis natürlich der Durchführung aller, formal
auch noch so umfassenden gesetzlichen Bestimmungen entgegen. Die Paragraphen werden immer nur für einen geringen Bruchteil aller unehelichen Kinder lebendige Kraft gewinnen, – solange nicht Staat oder Gemeinde selbst ihre Durchführung in die Hand nehmen. In welcher Art, ob z.B. durch Einführung der Generalvormundschaft für uneheliche Kinder, wie sie schon jetzt an einigen Orten besteht, oder ob nach ungarischem Muster durch Gründung staatlicher Heime, die Mütter und Kinder eine Zeitlang aufnehmen und für sie die Vaterschaftsklage erheben, oder ob durch beides gemeinsam kann hier nicht näher erörtert werden.
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dem Kinde einen Unterhaltsanspruch gegen ihn zu verschaffen. Eine „schwere Ungerechtigkeit“ gegen jemanden, dessen Vaterschaft ungewiß ist, liegt nicht, wie die Motive meinen, darin. Denn jeder Mann, der Geschlechtsverkehr pflegt, weiß genau so gut wie die Frau, daß dadurch neues Leben entstehen kann. Also muß er auf die ihm daraus eventuell erwachsenden Verpflichtungen ebenso gefaßt sein, wie die Frau. Und der Staat tut nicht gut, die Verantwortung der Männer für ihr Handeln abzuschwächen, indem er selbst ihnen einen Weg weist, wie sie sich ihren Verpflichtungen entziehen und die moralische Schwäche eines Mädchens ausnutzen können. Kommen für die Vaterschaft eines Kindes mehrere Männer in Frage, so wäre eventuell, nach Bulling’s Vorschlag, dem Richter in Gemeinschaft mit dem Vormund des Kindes zu überlassen, auf Grund freier Beweiswürdigung denjenigen auszuwählen, für den die größte Wahrscheinlichkeit der faktischen Vaterschaft besteht, oder, wenn darüber nichts festzustellen ist, der am besten in der Lage ist, die Vaterpflichten zu erfüllen. Dadurch würde dann auch das zweite gewichtigere Bedenken der „Motive“ gehoben, daß der Ausschluß der Einrede „einen Anlaß zur Unsittlichkeit und Liederlichkeit in sich birgt, da eine Person, welche einem Fehltritt zum Opfer gefallen ist, sich solchen Falles leichter veranlaßt finden kann, auch anderen Männern sich hinzugeben, um ihre und des zu erwartenden Kindes Lage zu verbessern363, wobei übrigens im Interesse der „weiblichen Sittlichkeit“ einmal wieder der Schutz der männlichen vergessen ist! Denn natürlich enthält die Zulässigkeit der „Einrede“ heute für den Mann den Anreiz, ein von ihm verführtes Mädchen an andere zu verkuppeln, und bekanntlich gehören derartige Manipulationen heute durchaus nicht zu den Seltenheiten. Schließlich bleibt noch die Frage zu erörtern, ob – bei einseitiger Verwandtschaftszurechnung des Kindes zur Mutterfamilie – der unbescholtenen, unehelichen Mutter die volle elterliche Gewalt, also außer der Sorge für die Person des Kindes auch dessen gerich[t]liche Vertretung und die Verwaltung seines Vermögens zu verleihen wäre. Die Forderung danach ist begreiflicherweise mit Energie von sozialdemokratischer und frauenrechtlicher Seite erhoben worden, mit der Be(566)gründung, daß einer Frau, der volle Mutterpflichten auferlegt werden, auch volle Mutterrechte gebühren. Dabei ist aber das praktische Interesse der Mütter-Massen und vor allem der unehelichen Kinder selbst nicht genügend in Betracht gezogen. Und dies muß entschieden am schwersten in die Wagschale fallen. Die überwiegende Mehrzahl der ledigen Mütter stammt aus den handarbeitenden, intellektuell ungeschulten Klassen. Es sind Dienstmädchen, Land- und Fabrikarbeiterinnen, die zufolge ihrer Jugend, ihres geringen Bildungsgrades und ihres Mangels an Zeit in der Regel nicht imstande sind, ihre Ansprüche gegenüber dem Erzeuger ihres Kindes zäh und gewandt jahraus jahrein ohne energischen Beistand durchzusetzen. Schon deshalb wäre die Beseitigung der individuellen Bevormundung des unehelichen Kindes nur nach Einführung allgemeiner Generalvormundschaft oder ähnlicher Einrichtungen ratsam. – Aber auch abgesehen von den technischen Schwierigkeiten, welche die Heranziehung des Vaters zur Erfüllung seiner Pflichten macht, ist es für Mutter und Kind vor allem dann wertvoll, einen ständigen Berater zur Seite zu haben, der gesetzlich verpflichtet ist, sich um das Kind zu kümmern, wenn es – wie schon jetzt in sehr vielen Fällen – nicht bei der Mutter lebt, sondern bei Fremden in Pflege gegeben ist. 363 Motive S. 835.
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Uebrigens ließe sich ein Ausgleich zwischen jenem ideellen Interesse an der sozialen Hebung der ledigen Mutter und diesem praktischen Interesse des Kindes sehr leicht durch eine bloße terminologische Aenderung der jetzigen Einrichtung herbeiführen. Man gönne der Mutter die „elterliche Gewalt“ und verwandle den jetzt als „Vormund“ bezeichneten amtlichen Funktionär, der ohnehin schon heute in allen die Person des Kindes betreffenden, also in den weitaus wichtigsten Angelegenheiten nur die rechtliche Stellung eines Beistands hat (§ 1707), auch terminologisch in einen obligatorischen „Beistand“ für alle unehelichen Mütter, die nicht den Beweis seiner Entbehrlichkeit beizubringen vermögen. Seine Aufgabe würde sein, die Mutter in Erziehungsfragen zu beraten, vor allem das Kind in Gemeinschaft mit ihr vor Gericht zu vertreten und die Verwendung seiner Alimente, bezw. die Verwaltung seines etwaigen Vermögens zu beaufsichtigen. Damit wären die, vom Boden des bisher geltenden Prinzips aus möglichen, Hauptreformen erörtert. Das uneheliche Kind bliebe dann, wie jetzt, juristisch der Mutterfamilie zugerechnet, ihr gegenüber mit (567) allen Rechten und Pflichten eines ehelichen Kindes ausgestattet und unterstände allein der mütterlichen Erziehungsgewalt. Dagegen wäre der Vater nach wie vor von jener Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen. Ihm würden ebenso wie jetzt weder Rechte noch dauernde Pflichten gegen das Kind zuerkannt, weder ein Unterhaltsanspruch für die Zeit hilfsbedürftigen Alters noch ein Erbrecht gegen das Kind, noch auch vor allem eine Mitbeteiligung an der elterlichen Gewalt. Im Rahmen dieser mutterrechtlichen Verwandtschaftsorganisation erscheint es deshalb unmöglich, für das Kind die Erziehung im Stande des Vaters, oder den väterlichen Familiennamen, oder ein volles Erbrecht auch gegen die Vaterverwandtschaft zu fordern. – Sobald dagegen postuliert wird, daß ein Kind standesungleicher Eltern eventuell nicht im „Stande“ der Mutter erzogen werden, noch auch ihre allgemeine soziale Lage teilen soll, fällt die juristische Grundlage ihres ausschließlichen Elternrechts an dem Kinde fort. Dies widerspräche nicht nur dem „Prinzip“ des Mutterrechts, sondern innerhalb einer kulturlich differenzierten Gesellschaft müßte, schon aus praktischen Gründen, das Prinzip der einseitigen Muttergewalt mit einer Erziehung auf dem Kulturniveau des Vaters unvereinbar erscheinen. Denn es kann selbstverständlich nicht angenommen werden, daß z. B. die proletarische Mutter durch bloße Zuwendung finanzieller Mittel zu einer, ihr einmal gegebenes eigenes Bildungsniveau überragenden, Ausbildung und Erziehung des Kindes nun auch geistig befähigt würde. Und es läge auch – wie die Dinge nun einmal stehen – durchaus nicht im Interesse des Kindes, ihr die beliebige Verfügung über so hohe Alimente ganz allein zu überlassen. Der als Folge der sozialen Zerklüftung heute faktisch gegebene Unterschied des Kulturniveaus läßt sich nicht durch bloße Geldzahlung allein mechanisch überbrücken. Will man also, daß das uneheliche Kind des „Standes“ des Vaters im kulturlichen Sinn teilhaftig wird, in gleicher Art wie ein eheliches, dann scheint ein Verzicht auf seine bisherige einseitige mutterrechtliche Verwandtschaftszurechnung unerläßlich. Seine Angliederung an die Vaterverwandtschaft wäre nun technischjuristisch an sich durchaus durchführbar. Die unehelichen Kinder könnten dann etwa juristisch so behandelt werden wie die Kinder aus geschiedenen Ehen, in denen beide Eltern als schuldi-(568)ger Teil erklärt sind (§ 1633)364. Statt wie bisher 364 So werden heute, nach § 1699, die Kinder aus „nichtiger“ Ehe behandelt.
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nur einen, würden sie also dann zwei Familien zugerechnet werden und auch gegen den Vater und die Vaterfamilie volles Erbrecht, vollen Unterhaltsanspruch und vor allem den Anspruch auf „standesgemäße“ Erziehung erwerben. Selbstverständlich müßten dann aber entweder auch dem Manne Vaterrechte gegen das Kind zuerkannt oder aber beiden Eltern, im Interesse der Kinder, die volle elterliche Gewalt vorenthalten werden. Im Prinzip wäre also entweder: die persönliche Sorge für eine Tochter und für einen Sohn unter 6 Jahren der Mutter, für einen Sohn über 6 Jahren dem Vater zuzugestehen. Oder aber es wäre ganz generell dem Vormundschaftsgericht zu überlassen, in jedem Einzelfall im Interesse des Kindes zu bestimmen, wer von beiden das Erziehungsrecht ausüben soll. Jedenfalls müßte sowohl dem Vater wie der Mutter, zur Kontrolle über die Verwendung der von den Eltern zu leistenden Erziehungsgelder, ein obligatorischer Beistand, besser noch ein Vormund, am besten aber eine staatliche Generalvormundschaftsbehörde übergeordnet werden, sonst läge die Gefahr nur zu nahe, daß z. B. der mit seiner Erziehung betraute Vater das Kind in möglichst billige fremde Pflege gäbe, oder die Mutter hohe Erziehungsgelder für sich statt für das Kind verwendete. Eine praktische Konsequenz dieses Systems wäre natürlich in der Mehrzahl der Fälle die faktische Heimatlosigkeit der Kinder standesverschiedener Eltern, wird z. B. das Kind eines vermögenden und gebildeten Vaters und einer proletarischen Mutter gemäß dem Stande und den Mitteln des Vaters erzogen und ausgebildet, so bedeutet das meist seine räumliche und schließlich auch seine seelische Trennung von der Mutter und den mütterlichen Verwandten, ohne doch andererseits notwendig seinen näheren Anschluß an die Vaterfamilie zur Folge zu haben. Also ist klar, daß auch eine vollständige rechtliche Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen und die denkbar vollkommenste Durchführung derartiger gesetzlicher Bestimmungen ihnen doch niemals wirklich den Mangel des Zusammenwirkens und seelischer Verbundenheit der Eltern ersetzen kann. Ihre faktische Lage wird, in den Oberschichten der Gesellschaft, fast immer die des „Fremdlings im Vaterhause“ bleiben. Ja, wahrscheinlich wird gerade für die unehelichen Kinder vermögender Väter, (569) denen ja eine derartige Rechtsordnung in erster Linie zu gute käme, das Leben innerlich noch konfliktreicher als unter der mutterrechtlichen Verwandtschaftszurechnung werden. Allein bedenkt man, daß auch jetzt die ganz überwiegende Mehrzahl proletarischer Mütter ihre unehelichen Kinder in fremde Hände geben müssen, ja, daß dies nach den Studien von O. Spann, falls die Mutter sich nicht verheiratet und also selbst ihren vollen Unterhalt verdienen muß, anscheinend sogar im Interesse des Kindes selbst liegt, weil sonst aus Mangel an genügender Körperpflege und Berufsschulung ein großer Prozentsatz aller Unehelichen physisch oder sittlich untergeht365, – so wird man sich, selbst auf die Gefahr der Steigerung jener psychischen Konflikte, durchaus für die Beseitigung der einseitigen Verwandtschaftszurechnung entscheiden müssen. Denn nur durch eine solche durchgreifende Neu-Konstruktion ihrer Rechtslage eröffnet sich die Möglichkeit, wenigstens einen Teil der 365 O. Spann, Untersuchungen über die uneheliche Bevölkerung in Frankfurt a. M. (Dres-
den 1905) geht so weit, den Satz aufzustellen, daß es für das uneheliche Kind besser sei, wenn die Mutter, falls sie sich nicht wieder verheirate, sterbe. Seine höchst eindrucksvollen, aber bisher wesentlich auf Frankfurter Zahlen gestützten, Thesen bedürfen noch der Bestätigung durch weitere ähnliche Arbeiten.
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unehelich Geborenen der Degeneration und dem vergiftenden Bodensatz unserer Kultur zu entreißen und ihnen durch eine tüchtige Bildung wenigstens ein gewisses moralisches Gegengewicht für den Mangel einer geordneten Familienerziehung, den keinerlei staatliche Vorkehrungen wettmachen können, zu bieten. Außerdem aber würde nur eine derartige gesetzliche Gleichverantwortlichkeit des Vaters mit der Mutter ein wirksames Mittel sein, um im Manne das volle Verantwortungsgefühl für seine sexuellen Handlungen zu entwickeln, wenn das Erbrecht des unehelichen Kindes im Fall der freiwilligen „Anerkennung“ durch den Vater sogar vom Tode und den ihm verwandten Rechten als unschädlich anerkannt worden ist, so ist, – da ja die Beschränkung auf den Pflichtteil dem Vater bezw. Großvater, wie bei ehelichen Kindern, unbenommen bliebe366 – gegen die Gleichstellung im Intestaterbrecht ein stichhaltiges Bedenken gewiß nicht zu erheben. Die konkreten Fragen der Art der Erziehung des Kindes aber müßten unter der (570) Aufsicht und nach den Anweisungen des Vormundschaftsgerichts und der eventuell zu schaffenden amtlichen Generalvormundschaftsbehörde gelöst werden unter ausschließlicher Berücksichtigung der Kindesinteressen. Bezüglich des Namens endlich hätte dem Kinde die Wahl zuzustehen. Schon heute hat ja der uneheliche Vater nach § 1723 die Möglichkeit, mit Zustimmung der Behörde, sein Kind als „ehelich“ erklären zu lassen367. Er kann dies, nach § 1717, sogar gegen den Protest der unehelichen Mutter tun, wenn das Vormundschaftsgericht in dem Unterbleiben der Ehelichkeitserklärung für das Kind einen „unverhältnismäßigen Nachteil“ erblickt, wird alsdann dem Antrag des Vaters stattgegeben, so tritt das Kind in die Stellung eines ehelichen Kindes des Vaters, dagegen verliert seine Mutter – höchst unbilligerweise – jede mütterliche Gewalt (§ 1738). Faktisch bedeutet dies, daß ein vermögender Vater in der Lage ist, zwischen einer bloßen Armenunterstützung an sein Kind und dessen völliger Wegnahme von der Mutter zu wählen. Das einfachste Billigkeitsgefühl fordert, daß umgekehrt dem Vater die Anerkennung des Kindes zur Pflicht gemacht wird, die Rechte der Mutter aber im Prinzip dadurch nicht beseitigt werden, vielmehr die vormundschaftlichen Behörden unter Voranstellung der Interessen des Kindes die Befugnisse der beiden Eltern individuell regeln. – Die Frage der Behandlung der unehelichen Kinder ist allerdings nicht in dem Maße „Klassenfrage“, wie zuweilen geglaubt wird: – die übergroße Mehrzahl der unehelichen Proletarierkinder haben proletarische oder kleinbürgerliche Väter. Eine Klasseninstitution ist vielmehr die Prostitution. Denn, wenn man von bestimmten typischen Kategorien von Klienten, wie Soldaten, Seeleuten, Handlungsreisenden absieht, sind ihre Kunden in der Tat in starkem Prozentsatz Besitzende. Allein trotzdem kann auch die Unehelichkeit im einzelnen Fall: bei Klassenunterschied zwischen Vater und Mutter, Klassenproblem werden. Auf die öfter, z. B. vom Juristentag, ins Feld geführten Interessen der besitzenden Klassen an einem durch die Sünden die eignen Vergangenheit ungestörten „Familienfrieden“ Rücksicht zu
366 Heute kann, wie erwähnt, der Erbe des Vaters das Kind für seine Unterhaltspflicht mit
dem Pflichtteil, den es als eheliches zu fordern hätte, abfinden. 367 Der verheiratete uneheliche Vater bedarf dazu der Zustimmung seiner Frau (§ 1726).
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nehmen, ist dann aber gewiß kein Anlaß vorhanden. Daß es sich trotzdem, weil das persönliche Band mit beiden Eltern fehlt, nur um einen Not-(571)behelf handelt, darf man freilich niemals vergessen. Die Ehe ist eben für die Interessen der Kinder prinzipiell unersetzlich. Wir sind damit am Ende. Es ist versucht worden, diejenigen Umformungen des bestehenden Rechts der Geschlechtsbeziehungen zu ermitteln, welche innerhalb einer Gesellschaft möglich sind, die auf der ökonomischen Verantwortlichkeit der beiden Eltern für die Erziehung ihrer Kinder beruht, und die deshalb insbesondre auch den Vater als Glied der Familie nicht entbehren will, wie schon mehrfach betont, könnte dem gegenüber eine Gesellschaft, welche die Sorge für die Person des Kindes allein der Mutter aufbürdet, also die Verwandtschaftsbeziehungen ein für alle Mal nach Mutterrecht ordnete, und ebenso auch eine solche, die ihrerseits den Unterhalt des Nachwuchses und zugleich auch die Sorge für die Alten und Schwachen gänzlich auf sich übernähme, prinzipiell sehr wohl davon absehen, eine Rangordnung zwischen den Geschlechtsbeziehungen zu errichten und die Ehe an die Spitze zu stellen. Jedenfalls würden erst mit der Beseitigung der Erziehungspflicht der Eltern und der gegenseitigen Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern die Klammern, in denen die „legitime Ehe“ als Rechtsinstitut hängt, prinzipiell auseinanderfallen können. Die bloße „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel reicht dazu, wie wiederholt betont worden ist, keineswegs aus. Nur dann, wenn es überhaupt keinerlei Eltern- oder Kindesrechte mehr zu garantieren gäbe, hinderte die Geschlechter äußerlich nichts, sich wie die Tiere und die primitivsten Naturvölker nach persönlichem Belieben zu paaren, zu trennen und wieder neu zu paaren. In einer solchen Gesellschaft „ökonomisch emanzipierter“ Individuen hätte die Ehe als staatliche und ökonomische Institution in der Tat ihre Basis verloren. Schwände damit auch ihr sittlicher Wert als denkbar höchster Form menschlicher Geschlechtsbeziehungen? Keinesfalls – bis, wie schon gesagt, ein höheres, für uns heute jedenfalls noch unausdenkbares, Ideal geschlechtlicher Vereinigung entdeckt ist. Ein solches aber wird ein geistig voll entwickelter Mensch nicht in der steten Erneuerung erotischer Sensationen in einer ununterbrochenen Flitterwochenstimmung finden können. Die Vereinigung zweier geistig und sittlich voll entwickelter Persönlichkeiten ein langes Leben lang durch alle Abwandlungen in der Färbung der (572) Liebe hindurch, bis zum Pianissimo des höchsten Alters, umfassend alle äußeren und inneren Interessen und Nöte, das Verantwortlichkeitsgefühl beider für einander und für die Kinder, denen sie das Leben gaben, das persönliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in seiner Wandlung durch den Auf- und Abstieg der Generationen, – diese Beziehungen auf der Basis der Geschlechtsgemeinschaft sind ja das Höchste und Unbezweifelbarste, was uns das Leben an ethischen Werten zu bieten hat. Das Recht hat damit zu rechnen, daß die volle Höhe des Ideals selten erreicht wird und danach seine Vorschriften einzurichten. Aber der ideale Wert der lebenslänglichen Geschlechtsgemeinschaft ist bisher noch durch keinen höheren Wert ethisch überboten. Er ist schlechterdings nicht an der, durch „die jeweilige Produktions- und Eigentumsform“ bedingten, Gesellschaftsordnung, ja in letzter Linie nicht einmal an den Interessen der heranwachsenden Generationen, sondern im ethischen Bewußtsein der seelisch und sittlich vollentwickelten Kulturmenschen – als Selbstzweck – verankert. Und diejenigen, die ihr persönliches Leben überhaupt ethischen Normen unterstellen, werden
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sich dem inneren Zwange der höchsten, jeweils erkannten Norm auch dann nicht wieder entwinden wollen, wenn für sie der rein ökonomische Zwang dazu fortfällt. Gerade, wenn wir uns einen Zustand ökonomischer Entbehrlichkeit der Ehe vorstellen, tritt ihr sozialer Wert, und hinter diesem ihr ethischer Sinn, umso deutlicher zu Tage. Sollen wir von dem Eintritt ihrer ökonomischen Entbehrlichkeit die faktische Versittlichung der Geschlechtsbeziehungen erwarten? Gewiß, der Charakter der Ehe als einer ökonomischen Institution lastet oft mit furchtbarer Wucht auf der Entfaltung ihrer idealen Reinheit. Die vom Ballast ökonomischer Verantwortlichkeit befreite Geschlechtsverbindung – wie sie häufig als Ideal aufgestellt wird – könnte, von allen „Erdenresten“ befreit, in die Sphäre des rein Ethischen aufsteigen. Dies aber jedenfalls nur in einem Kreis seelisch unendlich verfeinerter und sittlich im höchsten denkbaren Maß disziplinierter Menschen: solcher Persönlichkeiten, für deren seelisch-geistiges Verhältnis die ökonomischen Beziehungen auch heute schon ein untergeordneter Faktor sind. Sie könnte andrerseits aber auch mit dem Wegfall aller Verantwortlichkeit für das ökonomische Schicksal der Kinder und aller ökonomischen Hemmungen des Trieblebens zur bloßen Funktion des Geschlechtstriebs herabsinken. Und dies wäre (573) wohl ihr Schicksal bei der Masse der gröberen Naturen, wie sich der innere geistige und sittliche Wert der Geschlechtsbeziehungen, im Durchschnitt genommen, bei völligem Wegfall der ökonomischen Verkettung der Generationen miteinander, gestalten würde, das vermögen unsere schwachen Augen in dem undurchdringlichen Nebel, der die möglichen Gestaltungen einer solchen Zukunftsgesellschaft verhüllt, nicht zu sehen. Nur wissen wir, daß sich das ethische Wollen an Aufgaben entwickelt. Kant kritisiert die Hoffnung der „reinen Vernunft“, unabhängig von dem Ballast der unübersehbaren Mannigfaltigkeit des bloß Tatsächlichen, aus Begriffen heraus wissenschaftliche Wahrheit zu erschließen, mit folgenden Worten: „Die leichte Taube, indem sie in freiem Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, daß es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde.“ Vielleicht würde es mit der Hoffnung, in einem von ökonomischer Bindung und Verantwortung entleerten Raum müsse die „reine Liebe“ leichter den Flug zu idealer Höhe nehmen können, nicht anders stehen.
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Rechtsquellen
deren Männern verkehrt habe (§ 1717 I, sog. exceptio plurium concumbentium oder Einrede des Mehrverkehrs). Trifft dies zu, so gilt er nicht als Vater und ist von seiner Unterhaltspflicht frei. Die Beschränkungen der Frau im Vormundschaftsrecht sind weitgehend weggefallen. In den BGB-Entwürfen waren solche Beschränkungen lange Zeit noch enthalten. Eine mit der Änderung verbundene Verbesserung für Frauen geht auf die sog. Anträge Pauli im Mai 1896 in der XII. Kommission des Reichstags zurück, die von Emilie Kempin und Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg verfaßt wurden, Nr. 68 (näher Duncker, Die „Anträge Pauli“, 2006). Hier gelingt es erstmals überhaupt in Deutschland einer weiblichen Juristin (und mittelbar auch der Frauenbewegung), bedeutende Rechtsänderungen zugunsten von Frauen durchzusetzen. Die Agitation gegen das Familienrecht des BGB, insbesondere in den Jahren 1895/96, bildet den Schwerpunkt der in Deutschland vor 1914 von Frauen geführten Rechtskämpfe. Ein Großteil der hier edierten Schriften befaßt sich mit diesem Gegenstand. Besonders hervorzuheben sind die umfassenden Gegenentwürfe von Frauenseite zum BGB-Familienrecht (Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden: Das deutsche Recht und die deutschen Frauen [1895], Nr. 56; Proelß, Sera/Raschke, Marie: Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch, Nr. 45; Bund Deutscher Frauenvereine: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich [1896], Nr. 10. Der Frauenseite lassen sich inhaltlich auch die Vorschläge von Carl Bulling zurechnen: Die Rechte der Unehelichen Kinder nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches [1895], Nr. 8; Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch [1896], Nr. 7).
67.
Text des BGB von 1896 (Auszüge) Reichsgesetzblatt 1896, Nr. 21. Bürgerliches Gesetzbuch. Vom 18. August 1896.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen […] verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: Erstes Buch. Allgemeiner Theil. Erster Abschnitt. Personen. Erster Titel. Natürliche Personen. § 1. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt. § 2. Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahrs ein. § 3. Ein Minderjähriger, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, kann durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts für volljährig erklärt werden. Durch die Volljährigkeitserklärung erlangt der Minderjährige die rechtliche Stellung eines Volljährigen. § 4. Die Volljährigkeitserklärung ist nur zulässig, wenn der Minderjährige seine Einwilligung ertheilt. Steht der Minderjährige unter elterlicher Gewalt, so ist auch die Einwilligung des Gewalthabers erforderlich, es sei denn, dass diesem weder die Sorge für die Person noch die Sorge für das Vermögen des Kindes zusteht. Für eine minderjährige Witwe ist die Einwilligung des Gewalthabers nicht erforderlich.
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Teil 2
[…] § 7. Wer sich an einem Orte ständig niederläßt, begründet an diesem Orte seinen Wohnsitz. Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. § 8. Wer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, kann ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben. § 9. Eine Militärperson hat ihren Wohnsitz am Garnisonsorte. Als Wohnsitz einer Militärperson, deren Truppentheil im Inlande seinen Garnisonsort hat, gilt der letzte inländische Garnisonsort des Truppentheils. Diese Vorschriften finden keine Anwendung auf Militärpersonen, die nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder die nicht selbständig einen Wohnsitz begründen können. § 10. Die Ehefrau theilt den Wohnsitz des Ehemanns. Sie theilt den Wohnsitz nicht, wenn der Mann seinen Wohnsitz im Ausland an einem Orte begründet, an den die Frau ihm nicht folgt und zu folgen nicht verpflichtet ist. Solange der Mann keinen Wohnsitz hat oder die Frau seinen Wohnsitz nicht theilt, kann die Frau selbständig einen Wohnsitz haben. § 11. Ein eheliches Kind theilt den Wohnsitz des Vaters, ein uneheliches Kind den Wohnsitz der Mutter, ein an Kindesstatt angenommenes Kind den Wohnsitz des Annehmenden. Das Kind behält den Wohnsitz, bis es ihn rechtsgültig aufhebt. Eine erst nach dem Eintritte der Volljährigkeit des Kindes erfolgende Legitimation oder Annahme an Kindesstatt hat keinen Einfluß auf den Wohnsitz des Kindes. […] Zweites Buch. Recht der Schuldverhältnisse. Siebenter Abschnitt. Einzelne Schuldverhältnisse. Fünfundzwanzigster Titel. Unerlaubte Handlungen. […] § 825. Wer eine Frauensperson durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt, ist ihr zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. […] § 843. Wird in Folge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder gemindert oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist dem Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadensersatz zu leisten. Auf die Rente finden die Vorschriften des § 760 Anwendung. Ob, in welcher Art und für welchen Betrag der Ersatzpflichtige Sicherheit zu leisten hat, bestimmt sich nach den Umständen. Statt der Rente kann der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Der Anspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat. § 844. Im Falle der Tödtung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen.
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Stand der Getödtete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnisse, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten in Folge der Tödtung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getödtete während der muthmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung erzeugt, aber noch nicht geboren war. § 845. Im Falle der Tödtung, der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung hat der Ersatzpflichtige, wenn der Verletzte kraft Gesetzes einem Dritten zur Leistung von Diensten in dessen Hauswesen oder Gewerbe verpflichtet war, dem Dritten für die entgehenden Dienste durch Entrichtung einer Geldrente Ersatz zu leisten. Die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. § 846. Hat in den Fällen der §§ 844, 845 bei der Entstehung des Schadens, den der Dritte erleidet, ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden auf den Anspruch des Dritten die Vorschriften des § 254 Anwendung. § 847. Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. Ein gleicher Anspruch steht einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen wider die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist, durch Drohung oder unter Mißbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird.[…] Viertes Buch. Familienrecht. Erster Abschnitt. Bürgerliche Ehe. Erster Titel. Verlöbniß. § 1297. Aus einem Verlöbnisse kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden. Das Versprechen einer Strafe für den Fall, daß die Eingehung der Ehe unterbleibt, ist nichtig. § 1298. Tritt ein Verlobter von dem Verlöbnisse zurück, so hat er dem anderen Verlobten und dessen Eltern sowie dritten Personen, welche an Stelle der Eltern gehandelt haben, den Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, daß sie in Erwartung der Ehe Aufwendungen gemacht haben oder Verbindlichkeiten eingegangen sind. Dem anderen Verlobten hat er auch den Schaden zu ersetzen, den dieser dadurch erleidet, daß er in Erwartung der Ehe sonstige sein Vermögen oder seine Erwerbsstellung berührende Maßnahmen getroffen hat. Der Schaden ist nur insoweit zu ersetzen, als die Aufwendungen, die Eingehung der Verbindlichkeiten und die sonstigen Maßnahmen den Umständen nach angemessen waren. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn ein wichtiger Grund für den Rücktritt vorliegt.
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Teil 2
§ 1299. Veranlaßt ein Verlobter den Rücktritt des anderen durch ein Verschulden, das einen wichtigen Grund für den Rücktritt bildet, so ist er nach Maßgabe des § 1298 Abs. 1, 2 zum Schadensersatze verpflichtet. § 1300. Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1298 oder des § 1299 vorliegen, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. § 1301. Unterbleibt die Eheschließung, so kann jeder Verlobte von dem anderen die Herausgabe desjenigen, was er ihm geschenkt oder zum Zeichen des Verlöbnisses gegeben hat, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern. Im Zweifel ist anzunehmen, daß die Rückforderung ausgeschlossen sein soll, wenn das Verlöbniß durch den Tod eines der Verlobten aufgelöst wird. § 1302. Die in den §§ 1298 bis 1301 bestimmten Ansprüche verjähren in zwei Jahren von der Auflösung des Verlöbnisses an. Zweiter Titel. Eingehung der Ehe. § 1303. Ein Mann darf nicht vor dem Eintritte der Volljährigkeit, eine Frau darf nicht vor der Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs eine Ehe eingehen. Einer Frau kann Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden. § 1304. Wer in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, bedarf zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund, so kann die Einwilligung, wenn sie von ihm verweigert wird, auf Antrag des Mündels durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden. Das Vormundschaftsgericht hat die Einwilligung zu ersetzen, wenn die Eingehung der Ehe im Interesse des Mündels liegt. § 1305. Ein eheliches Kind bedarf bis zur Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahrs zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung des Vaters, ein uneheliches Kind bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Einwilligung der Mutter. An die Stelle des Vaters tritt die Mutter, wenn der Vater gestorben ist oder wenn ihm die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte nach § 1701 nicht zustehen. Ein für ehelich erklärtes Kind bedarf der Einwilligung der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist. Dem Tode des Vaters oder der Mutter steht es gleich, wenn sie zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande sind oder wenn ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist. § 1306. Einem an Kindesstatt angenommenen Kinde gegenüber steht die Einwilligung zur Eingehung einer Ehe an Stelle der leiblichen Eltern demjenigen zu, welcher das Kind angenommen hat. Hat ein Ehepaar das Kind gemein-schaftlich oder hat ein Ehegatte das Kind des anderen Ehegatten angenommen, so finden die Vorschriften des § 1305 Abs. 1, 2, Abs. 2 Anwendung. Die leiblichen Eltern erlangen das Recht zur Einwilligung auch dann nicht wieder, wenn das durch die Annahme an Kindesstatt begründete Rechtsverhältniß aufgehoben wird. § 1307. Die elterliche Einwilligung kann nicht durch einen Vertreter ertheilt werden. Ist der Vater oder die Mutter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich.
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§ 1308. Wird die elterliche Einwilligung einem volljährigen Kinde verweigert, so kann sie auf dessen Antrag durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden. Das Vormundschaftsgericht hat die Einwilligung zu ersetzen, wenn sie ohne wichtigen Grund verweigert wird. Vor der Entscheidung soll das Vormundschaftsgericht Verwandte oder Verschwägerte des Kindes hören, wenn es ohne erhebliche Verzögerung und ohne unverhältnißmäßige Kosten geschehen kann. Für den Ersatz der Auslagen gilt die Vorschrift des § 1847 Abs. 2. § 1309. Niemand darf eine Ehe eingehen, bevor seine frühere Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. Wollen Ehegatten die Eheschließung wiederholen, so ist die vorgängige Nichtigkeitserklärung nicht erforderlich. Wird gegen ein Urtheil, durch das die frühere Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist, die Nichtigkeitsklage oder die Restitutionsklage erhoben, so dürfen die Ehegatten nicht vor der Erledigung des Rechtsstreits eine neue Ehe eingehen, es sei denn, daß die Klage erst nach dem Ablaufe der vorgeschriebenen fünfjährigen Frist erhoben worden ist. § 1310. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat. Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften besteht auch zwischen einem unehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andererseits. § 1311. Wer einen Anderen an Kindesstatt angenommen hat, darf mit ihm oder dessen Abkömmlingen eine Ehe nicht eingehen, solange das durch die Annahme begründete Rechtsverhältniß besteht. § 1312. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen einem wegen Ehebruchs geschiedenen Ehegatten und demjenigen, mit welchem der geschiedene Ehegatte den Ehebruch begangen hat, wenn dieser Ehebruch in dem Scheidungsurtheil als Grund der Scheidung festgestellt ist. Von dieser Vorschrift kann Befreiung bewilligt werden. § 1313. Eine Frau darf erst zehn Monate nach der Auflösung oder Nichtigkeitserklärung ihrer früheren Ehe eine neue Ehe eingehen, es sei denn, daß sie inzwischen geboren hat. Von dieser Vorschrift kann Befreiung bewilligt werden. § 1314. Wer ein eheliches Kind hat, das minderjährig ist oder unter seiner Vormundschaft steht, darf eine Ehe erst eingehen, nachdem ihm das Vormundschaftsgericht ein Zeugniß darüber ertheilt hat, daß er die im § 1669 bezeichneten Verpflichtungen erfüllt hat oder daß sie ihm nicht obliegen. Ist im Falle der fortgesetzten Gütergemeinschaft ein antheilsberechtigter Abkömmling minderjährig oder bevormundet, so darf der überlebende Ehegatte eine Ehe erst eingehen, nachdem ihm das Vormundschaftsgericht ein Zeugniß darüber ertheilt hat, daß er die im § 1493 Abs. 2 bezeichneten Verpflichtungen erfüllt hat oder daß sie ihm nicht obliegen. § 1315. Militärpersonen und solche Landesbeamte, für die nach den Landesgesetzen zur Eingehung einer Ehe eine besondere Erlaubniß erforderlich ist, dürfen nicht ohne die vorgeschriebene Erlaubniß eine Ehe eingehen.
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Teil 2
Ausländer, für die nach den Landesgesetzen zur Eingehung einer Ehe eine Erlaubniß oder ein Zeugniß erforderlich ist, dürfen nicht ohne diese Erlaubniß oder ohne dieses Zeugniß eine Ehe eingehen. § 1316. Der Eheschließung soll ein Aufgebot vorhergehen. Das Aufgebot verliert seine Kraft, wenn die Ehe nicht binnen sechs Monaten nach der Vollziehung des Aufgebots geschlossen wird. Das Aufgebot darf unterbleiben, wenn die lebensgefährliche Erkrankung eines der Verlobten den Aufschub der Eheschließung nicht gestattet. Von dem Aufgebote kann Befreiung bewilligt werden. § 1317. Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor einem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe mit einander eingehen zu wollen. Der Standesbeamte muß zur Entgegennahme der Erklärungen bereit sein. Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben werden. § 1318. Der Standesbeamte soll bei der Eheschließung in Gegenwart von zwei Zeugen an die Verlobten einzeln und nach einander die Frage richten, ob sie die Ehe mit einander eingehen wollen, und, nachdem die Verlobten die Frage bejaht haben, aussprechen, daß sie kraft dieses Gesetzes nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien. Als Zeugen sollen Personen, die der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt sind, während der Zeit, für welche die Aberkennung der Ehrenrechte erfolgt ist, sowie Minderjährige nicht zugezogen werden. Personen, die mit einem der Verlobten, mit dem Standesbeamten oder mit einander verwandt oder verschwägert sind, dürfen als Zeugen zugezogen werden. Der Standesbeamte soll die Eheschließung in das Heiratsregister eintragen. § 1319. Als Standesbeamter im Sinne des § 1317 gilt auch derjenige, welcher, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines Standesbeamten öffentlich ausübt, es sei denn, daß die Verlobten den Mangel der amtlichen Befugniß bei der Eheschließung kennen. § 1320. Die Ehe soll vor dem zuständigen Standesbeamten geschlossen werden. Zuständig ist der Standesbeamte, in dessen Bezirk einer der Verlobten seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat keiner der Verlobten seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist auch nur einer von ihnen ein Deutscher, so wird der zuständige Standesbeamte von der obersten Aufsichtsbehörde des Bundesstaats, dem der Deutsche angehört, und, wenn dieser keinem Bundesstaat angehört, von dem Reichskanzler bestimmt. Unter mehreren zuständigen Standesbeamten haben die Verlobten die Wahl. § 1321. Auf Grund einer schriftlichen Ermächtigung des zuständigen Standesbeamten darf die Ehe auch vor dem Standesbeamten eines anderen Bezirkes geschlossen werden. § 1322. Die Bewilligung einer nach den §§ 1303, 1313 zulässigen Befreiung steht dem Bundesstaate zu, dem die Frau, die Bewilligung einer nach § 1312 zulässigen Befreiung steht dem Bundesstaate zu, dem der geschiedene Ehegatte angehört. Für Deutsche, die keinem Bundesstaat angehören, steht die Bewilligung dem Reichskanzler zu.
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Die Bewilligung einer nach § 1316 zulässigen Befreiung steht dem Bundesstaate zu, in dessen Gebiete die Ehe geschlossen werden soll. Ueber die Ertheilung der einem Bundesstaate zustehenden Bewilligung hat die Landesregierung zu bestimmen. Dritter Titel. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe. § 1323. Eine Ehe ist nur in den Fällen der §§ 1324 bis 1328 nichtig. § 1324. Eine Ehe ist nichtig, wenn bei der Eheschließung die im § 1317 vorgeschriebene Form nicht beobachtet worden ist. Ist die Ehe in das Heiratsregister eingetragen worden und haben die Ehegatten nach der Eheschließung zehn Jahre oder, falls einer von ihnen vorher gestorben ist, bis zu dessen Tode, jedoch mindestens drei Jahre, als Ehegatten mit einander gelebt, so ist die Ehe als von Anfang an gültig anzusehen. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn bei dem Ablaufe der zehn Jahre oder zur Zeit des Todes des einen Ehegatten die Nichtigkeitsklage erhoben ist. § 1325. Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung geschäftsunfähig war oder sich im Zustande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistesthätigkeit befand. Die Ehe ist als von Anfang an gültig anzusehen, wenn der Ehegatte sie nach dem Wegfalle der Geschäftsunfähigkeit, der Bewußtlosigkeit oder der Störung der Geistesthätigkeit bestätigt, bevor sie für nichtig erklärt oder aufgelöst worden ist. Die Bestätigung bedarf nicht der für die Eheschließung vorgeschriebenen Form. § 1326. Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung mit einem Dritten in einer gültigen Ehe lebte. § 1327. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie zwischen Verwandten oder Verschwägerten dem Verbote des § 1310 Abs. 1 zuwider geschlossen worden ist. § 1328. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie wegen Ehebruchs nach § 1312 verboten war. Wird nachträglich Befreiung von der Vorschrift des § 1312 bewilligt, so ist die Ehe als von Anfang an gültig anzusehen. § 1329. Die Nichtigkeit einer nach den §§ 1325 bis 1328 nichtigen Ehe kann, solange nicht die Ehe für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt von einer nach § 1324 nichtigen Ehe, wenn sie in das Heirathsregister eingetragen worden ist. § 1330. Eine Ehe kann nur in den Fällen der §§ 1331 bis 1335 und des § 1350 angefochten werden. § 1331. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der zur Zeit der Eheschließung oder im Falle des § 1325 zur Zeit der Bestätigung in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, wenn die Eheschließung oder die Bestätigung ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters erfolgt ist. § 1332. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der bei der Eheschließung nicht gewußt hat, daß es sich um eine Eheschließung handle, oder dies zwar gewußt hat, aber eine Erklärung, die Ehe eingehen zu wollen, nicht hat abgeben wollen. § 1333. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der sich bei der Eheschließung in der Person des anderen Ehegatten oder über solche persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden.
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Teil 2
§ 1334. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. Ist die Täuschung nicht von dem anderen Ehegatten verübt worden, so ist die Ehe nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung bei der Eheschließung gekannt hat. Auf Grund einer Täuschung über Vermögensverhältnisse findet die Anfechtung nicht statt. § 1335. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist. […] Vierter Titel. Wiederverheirathung im Falle der Todeserklärung. § 1348. Geht ein Ehegatte, nachdem der andere Ehegatte für todt erklärt worden ist, eine neue Ehe ein, so ist die neue Ehe nicht deshalb nichtig, weil der für todt erklärte Ehegatte noch lebt, es sei denn, daß beide Ehegatten bei der Eheschließung wissen, daß er die Todeserklärung überlebt hat. Mit der Schließung der neuen Ehe wird die frühere Ehe aufgelöst. Sie bleibt auch dann aufgelöst, wenn die Todeserklärung in Folge einer Anfechtungsklage aufgehoben wird. […] Fünfter Titel. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen. § 1353. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Stellt sich das Verlangen eines Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft als Mißbrauch seines Rechtes dar, so ist der andere Ehegatte nicht verpflichtet, dem Verlangen Folge zu leisten. Das Gleiche gilt, wenn der andere Ehegatte berechtigt ist, auf Scheidung zu klagen. § 1354. Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. § 1355. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes. § 1356. Die Frau ist, unbeschadet der Vorschriften des § 1354, berechtigt und verpflichtet, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten. Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist. § 1357. Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten. Rechtsgeschäfte, die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des Mannes vorgenommen, wenn nicht aus den Umständen sich ein Anderes ergiebt. Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen. Stellt sich die Beschränkung oder die Ausschließung als Mißbrauch des Rechtes des Mannes dar, so kann sie auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1435 wirksam.
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§ 1358. Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn er auf seinen Antrag von dem Vormundschaftsgerichte dazu ermächtigt worden ist. Das Vormundschaftsgericht hat die Ermächtigung zu ertheilen, wenn sich ergiebt, daß die Thätigkeit der Frau die ehelichen Interessen beeinträchtigt. Das Kündigungsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Mann der Verpflichtung zugestimmt hat oder seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist oder wenn sich die Verweigerung der Zustimmung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist, steht das Kündigungsrecht dem Manne nicht zu. Die Zustimmung sowie die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter des Mannes erfolgen; ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. § 1359. Die Ehegatten haben bei der Erfüllung der sich aus dem ehelichen Verhältniß ergebenden Verpflichtungen einander nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. § 1360. Der Mann hat der Frau nach Maßgabe seiner Lebensstellung, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren. Die Frau hat dem Manne, wenn er außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten, den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Der Unterhalt ist in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu gewähren. Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1605, 1613 bis 1615 finden entsprechende Anwendung. § 1361. Leben die Ehegatten getrennt, so ist, solange einer von ihnen die Herstellung des ehelichen Lebens verweigern darf und verweigert, der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren; auf die Rente finden die Vorschriften des § 760 Anwendung. Der Mann hat der Frau auch die zur Führung eines abgesonderten Haushalts erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen Haushalte zum Gebrauche herauszugeben, es sei denn, daß die Sachen für ihn unentbehrlich sind oder daß sich solche Sachen in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befinden. Die Unterhaltspflicht des Mannes fällt weg oder beschränkt sich auf die Zahlung eines Beitrags, wenn der Wegfall oder die Beschränkung mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie auf die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Ehegatten der Billigkeit entspricht. § 1362. Zu Gunsten der Gläubiger des Mannes wird vermuthet, daß die im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind. Für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere für Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräthe, gilt im Verhältnisse der Ehegatten zu einander und zu den Gläubigern die Vermuthung, daß die Sachen der Frau gehören.
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Sechster Titel. Eheliches Güterrecht. I. Gesetzliches Güterrecht. 1. Allgemeine Vorschriften. § 1363. Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt. § 1364. Die Verwaltung und Nutznießung des Mannes tritt nicht ein, wenn er die Ehe mit einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Frau ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters eingeht. § 1365. Die Verwaltung und Nutznießung des Mannes erstreckt sich nicht auf das Vorbehaltsgut der Frau. § 1366. Vorbehaltsgut sind die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräthe. § 1367. Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwirbt. § 1368. Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für Vorbehaltsgut erklärt ist. § 1369. Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder als Pflichttheil erwirbt (Erwerb von Todeswegen) oder was ihr unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll. § 1370. Vorbehaltsgut ist, was die Frau auf Grund eines zu ihrem Vorbehaltsgute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vorbehaltsgut bezieht. § 1371. Auf das Vorbehaltsgut finden die bei der Gütertrennung für das Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung; die Frau hat jedoch einen Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes nur insoweit zu leisten, als der Mann nicht schon durch die Nutzungen des eingebrachten Gutes einen angemessenen Beitrag erhält. § 1372. Jeder Ehegatte kann verlangen, daß der Bestand des eingebrachten Gutes durch Aufnahme eines Verzeichnisses unter Mitwirkung des anderen Ehegatten festgestellt wird. Auf die Aufnahme des Verzeichnisses finden die für den Nießbrauch geltenden Vorschriften des § 1035 Anwendung. Jeder Ehegatte kann den Zustand der zum eingebrachten Gute gehörenden Sachen auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen lassen. 2. Verwaltung und Nutznießung. § 1373. Der Mann ist berechtigt, die zum eingebrachten Gute gehörenden Sachen in Besitz zu nehmen. § 1374. Der Mann hat das eingebrachte Gut ordnungsmäßig zu verwalten. Ueber den Stand der Verwaltung hat er der Frau auf Verlangen Auskunft zu ertheilen. § 1375. Das Verwaltungsrecht des Mannes umfaßt nicht die Befugniß, die Frau durch Rechtsgeschäfte zu verpflichten oder über eingebrachtes Gut ohne ihre Zustimmung zu verfügen.
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§ 1376. Ohne Zustimmung der Frau kann der Mann: 1. über Geld und andere verbrauchbare Sachen der Frau verfügen; 2. Forderungen der Frau gegen solche Forderungen an die Frau, deren Berichtigung aus dem eingebrachten Gute verlangt werden kann, aufrechnen; 3. Verbindlichkeiten der Frau zur Leistung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenstandes durch Leistung des Gegenstandes erfüllen. § 1377. Der Mann soll Verfügungen, zu denen er nach § 1376 ohne Zustimmung der Frau berechtigt ist, nur zum Zwecke ordnungsmäßiger Verwaltung des eingebrachten Gutes vornehmen. Das zum eingebrachten Gute gehörende Geld hat der Mann nach den für die Anlegung von Mündelgeld geltenden Vorschriften für die Frau verzinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist. Andere verbrauchbare Sachen darf der Mann auch für sich veräußern oder verbrauchen. Macht er von dieser Befugniß Gebrauch, so hat er den Werth der Sachen nach der Beendigung der Verwaltung und Nutznießung zu ersetzen; der Ersatz ist schon vorher zu leisten, soweit die ordnungsmäßige Verwaltung des eingebrachten Gutes es erfordert. § 1378. Gehört zum eingebrachten Gute ein Grundstück sammt Inventar, so bestimmen sich die Rechte und die Pflichten des Mannes in Ansehung des Inventars nach den für den Nießbrauch geltenden Vorschriften des § 1048 Abs. 1. § 1379. Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des eingebrachten Gutes ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu dem der Mann der Zustimmung der Frau bedarf, so kann die Zustimmung auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn die Frau sie ohne ausreichenden Grund verweigert. Das Gleiche gilt, wenn die Frau durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist. § 1380. Der Mann kann ein zum eingebrachten Gute gehörendes Recht im eigenen Namen gerichtlich geltend machen. Ist er befugt, über das Recht ohne Zustimmung der Frau zu verfügen, so wirkt das Urtheil auch für und gegen die Frau. § 1381. Erwirbt der Mann mit Mitteln des eingebrachten Gutes bewegliche Sachen, so geht mit dem Erwerbe das Eigenthum auf die Frau über, es sei denn, daß der Mann nicht für Rechnung des eingebrachten Gutes erwerben will. Dies gilt insbesondere auch von Inhaberpapieren und von Orderpapieren, die mit Blankoindossament versehen sind. Die Vorschriften des Abs. 1 finden entsprechende Anwendung, wenn der Mann mit Mitteln des eingebrachten Gutes ein Recht an Sachen der bezeichneten Art oder ein anderes Recht erwirbt, zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt. § 1382. Haushaltsgegenstände, die der Mann an Stelle der von der Frau eingebrachten, nicht mehr vorhandenen oder werthlos gewordenen Stücke anschafft, werden eingebrachtes Gut. § 1383. Der Mann erwirbt die Nutzungen des eingebrachten Gutes in derselben Weise und in demselben Umfange wie ein Nießbraucher.
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Teil 2
§ 1384. Der Mann hat außer den Kosten, welche durch die Gewinnung der Nutzungen entstehen, die Kosten der Erhaltung der zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenstände nach den für den Nießbrauch geltenden Vorschriften zu tragen. § 1385. Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet, für die Dauer der Verwaltung und Nutznießung zu tragen: 1. die der Frau obliegenden öffentlichen Lasten mit Ausschluß der auf dem Vorbehaltsgute ruhenden Lasten und der außerordentlichen Lasten, die als auf den Stammwerth des eingebrachten Gutes gelegt anzusehen sind; 2. die privatrechtlichen Lasten, die auf den zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenständen ruhen; 3. die Zahlungen, die für die Versicherung der zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenständen zu leisten sind. § 1386. Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet, für die Dauer der Verwaltung und Nutznießung die Zinsen derjenigen Verbindlichkeiten der Frau zu tragen, deren Berichtigung aus dem eingebrachten Gute verlangt werden kann. Das Gleiche gilt von wiederkehrenden Leistungen anderer Art, einschließlich der von der Frau auf Grund ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht geschuldeten Leistungen, sofern sie bei ordnungsmäßiger Verwaltung aus den Einkünften des Vermögens bestritten werden. Die Verpflichtung des Mannes tritt nicht ein, wenn die Verbindlichkeiten oder die Leistungen im Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem Vorbehaltsgute der Frau zur Last fallen. § 1387. Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet, zu tragen: 1. die Kosten eines Rechtsstreits, in welchem er ein zum eingebrachten Gute gehörendes Recht geltend macht, sowie die Kosten eines Rechtsstreits, den die Frau führt, sofern nicht die Kosten dem Vorbehaltsgute zur Last fallen; 2. die Kosten der Vertheidigung der Frau in einem gegen sie gerichteten Strafverfahren, sofern die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten ist oder mit Zustimmung des Mannes erfolgt, vorbehaltlich der Ersatzpflicht der Frau im Falle ihrer Verurtheilung. § 1388. Soweit der Mann nach den §§ 1385 bis 1387 der Frau gegenüber deren Verbindlichkeiten zu tragen hat, haftet er den Gläubigern neben der Frau als Gesammtschuldner. § 1389. Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen. Die Frau kann verlangen, daß der Mann den Reinertrag des eingebrachten Gutes, soweit dieser zur Bestreitung des eigenen und des der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen zu gewährenden Unterhalts erforderlich ist, ohne Rücksicht auf seine sonstigen Verpflichtungen zu diesem Zwecke verwendet. § 1390. Macht der Mann zum Zwecke der Verwaltung des eingebrachten Gutes Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so kann er von der Frau Ersatz verlangen, sofern nicht die Aufwendungen ihm selbst zur Last fallen. § 1391. Wird durch das Verhalten des Mannes die Besorgniß begründet, daß die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährdenden Weise verletzt werden, so kann die Frau von dem Manne Sicherheitsleistung verlangen.
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Das Gleiche gilt, wenn die der Frau aus der Verwaltung und Nutznießung des Mannes zustehenden Ansprüche auf Ersatz des Werthes verbrauchbarer Sachen erheblich gefährdet sind. § 1392. Liegen die Voraussetzungen vor, unter denen der Mann zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist, so kann die Frau auch verlangen, daß der Mann die zum eingebrachten Gute gehörenden Inhaberpapiere nebst den Erneuerungsscheinen bei einer Hinterlegungsstelle oder bei der Reichsbank mit der Bestimmung hinterlegt, daß die Herausgabe von dem Manne nur mit Zustimmung der Frau verlangt werden kann. Die Hinterlegung von Inhaberpapieren, die nach § 92 zu den verbrauchbaren Sachen gehören, sowie von Zins-, Renten- oder Gewinnantheilscheinen kann nicht verlangt werden. Den Inhaberpapieren stehen Orderpapiere gleich, die mit Blankoindossament versehen sind. Ueber die hinterlegten Papiere kann der Mann auch eine Verfügung, zu der er nach § 1376 berechtigt ist, nur mit Zustimmung der Frau treffen. § 1393. Der Mann kann die Inhaberpapiere, statt sie nach § 1392 zu hinterlegen, auf den Namen der Frau umschreiben oder, wenn sie von dem Reiche oder einem Bundesstaat ausgestellt sind, in Buchforderungen gegen das Reich oder den Bundesstaat umwandeln lassen. § 1394. Die Frau kann Ansprüche, die ihr auf Grund der Verwaltung und Nutznießung gegen den Mann zustehen, erst nach der Beendigung der Verwaltung und Nutznießung gerichtlich geltend machen, es sei denn, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Frau nach § 1391 Sicherheitsleistung verlangen kann. Der im § 1389 Abs. 2 bestimmte Anspruch unterliegt dieser Beschränkung nicht. § 1395. Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Einwilligung des Mannes. § 1396. Verfügt die Frau durch Vertrag ohne Einwilligung des Mannes über eingebrachtes Gut, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Mannes ab. Fordert der andere Theil den Mann zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung der Frau gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablaufe von zwei Wochen nach dem Empfange der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. Verweigert der Mann die Genehmigung, so wird der Vertrag nicht dadurch wirksam, daß die Verwaltung und Nutznießung aufhört. § 1397. Bis zur Genehmigung des Vertrags ist der andere Theil zum Widerrufe berechtigt. Der Widerruf kann auch der Frau gegenüber erklärt werden. Hat der andere Theil gewußt, daß die Frau Ehefrau ist, so kann er nur widerrufen, wenn die Frau der Wahrheit zuwider die Einwilligung des Mannes behauptet hat; er kann auch in diesem Falle nicht widerrufen, wenn ihm das Fehlen der Einwilligung bei dem Abschlusse des Vertrags bekannt war. § 1398. Ein einseitiges Rechtsgeschäft, durch das die Frau ohne Einwilligung des Mannes über eingebrachtes Gut verfügt, ist unwirksam. § 1399. Zu Rechtsgeschäften, durch die sich die Frau zu einer Leistung verpflichtet, ist die Zustimmung des Mannes nicht erforderlich.
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Teil 2
Stimmt der Mann einem solchen Rechtsgeschäfte zu, so ist es in Ansehung des eingebrachten Gutes ihm gegenüber wirksam. Stimmt er nicht zu, so muß er das Rechtsgeschäft, soweit das eingebrachte Gut bereichert wird, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung gegen sich gelten lassen. § 1400. Führt die Frau einen Rechtsstreit ohne Zustimmung des Mannes, so ist das Urtheil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes unwirksam. Ein zum eingebrachten Gute gehörendes Recht kann die Frau im Wege der Klage nur mit Zustimmung des Mannes geltend machen. § 1401. Die Zustimmung des Mannes ist in den Fällen der §§ 1395 bis 1398, des § 1399 Abs. 2 und des § 1400 nicht erforderlich, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist. § 1402. Ist zur ordnungsmäßigen Besorgung der persönlichen Angelegenheit der Frau ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu dem die Frau der Zustimmung des Mannes bedarf, so kann die Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn der Mann sie ohne ausreichenden Grund verweigert. § 1403. Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das sich auf das eingebrachte Gut bezieht, ist dem Manne gegenüber vorzunehmen. Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das sich auf eine Verbindlichkeit der Frau bezieht, ist der Frau gegenüber vorzunehmen; das Rechtsgeschäft muß jedoch auch dem Manne gegenüber vorgenommen werden, wenn es in Ansehung des eingebrachten Gutes ihm gegenüber wirksam sein soll. § 1404. Die Beschränkungen, denen die Frau nach den §§ 1395 bis 1403 unterliegt, muß ein Dritter auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er nicht gewußt hat, daß die Frau eine Ehefrau ist. § 1405. Ertheilt der Mann der Frau die Einwilligung zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, so ist seine Zustimmung zu solchen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten nicht erforderlich, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Einseitige Rechtsgeschäfte, die sich auf das Erwerbsgeschäft beziehen, sind der Frau gegenüber vorzunehmen. Der Einwilligung des Mannes in den Geschäftsbetrieb steht es gleich, wenn die Frau mit Wissen und ohne Einspruch des Mannes das Erwerbsgeschäft betreibt. Dritten gegenüber ist ein Einspruch und der Widerruf der Einwilligung nur nach Maßgabe des § 1435 wirksam. § 1406. Die Frau bedarf nicht der Zustimmung des Mannes: 1. zur Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses, zum Verzicht auf den Pflichttheil sowie zur Errichtung des Inventars über eine angefallene Erbschaft; 2. zur Ablehnung eines Vertragsantrags oder einer Schenkung; 3. zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber dem Manne.
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§ 1407. Die Frau bedarf nicht der Zustimmung des Mannes: 1. zur Fortsetzung eines zur Zeit der Eheschließung anhängigen Rechtsstreits; 2. zur gerichtlichen Geltendmachung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Rechtes gegen den Mann; 3. zur gerichtlichen Geltendmachung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Rechtes gegen einen Dritten, wenn der Mann ohne die erforderliche Zustimmung der Frau über das Recht verfügt hat; 4. zur gerichtlichen Geltendmachung eines Widerspruchrechts gegenüber einer Zwangsvollstreckung. § 1408. Das Recht, das dem Manne an dem eingebrachten Gute kraft seiner Verwaltung und Nutznießung zusteht, ist nicht übertragbar. § 1409. Steht der Mann unter Vormundschaft, so hat ihn der Vormund in den Rechten und Pflichten zu vertreten, die sich aus der Verwaltung und Nutznießung des eingebrachten Gutes ergeben. Dies gilt auch dann, wenn die Frau Vormund des Mannes ist. 3. Schuldenhaftung. § 1410. Die Gläubiger des Mannes können nicht Befriedigung aus dem eingebrachten Gute verlangen. § 1411. Die Gläubiger der Frau können ohne Rücksicht auf die Verwaltung und Nutznießung des Mannes Befriedigung aus dem eingebrachten Gute verlangen, soweit sich nicht aus den §§ 1412 bis 1414 ein Anderes ergiebt. Sie unterliegen bei der Geltendmachung der Ansprüche der Frau nicht der im § 1394 bestimmten Beschränkung. Hat der Mann verbrauchbare Sachen nach § 1377 Abs. 3 veräußert oder verbraucht, so ist er den Gläubigern gegenüber zum sofortigen Ersatze verpflichtet. § 1412. Das eingebrachte Gut haftet für eine Verbindlichkeit der Frau, die aus einem nach der Eingehung der Ehe vorgenommenen Rechtsgeschäft entsteht, nur dann, wenn der Mann seine Zustimmung zu dem Rechtsgeschäft ertheilt oder wenn das Rechtsgeschäft ohne seine Zustimmung ihm gegenüber wirksam ist. Für die Kosten eines Rechtsstreits der Frau haftet das eingebrachte Gut auch dann, wenn das Urtheil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes nicht wirksam ist. § 1413. Das eingebrachte Gut haftet nicht für eine Verbindlichkeit der Frau, die in Folge des Erwerbes einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses entsteht, wenn die Frau die Erbschaft oder das Vermächtniß nach der Eingehung der Ehe als Vorbehaltsgut erwirbt. § 1414. Das eingebrachte Gut haftet nicht für eine Verbindlichkeit der Frau, die nach der Eingehung der Ehe in Folge eines zu dem Vorbehaltsgut gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entsteht, es sei denn, daß das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das die Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betreibt. § 1415. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen dem Vorbehaltsgute zur Last: 1. die Verbindlichkeiten der Frau aus einer unerlaubten Handlung, die sie während der Ehe begeht, oder aus einem Strafverfahren, das wegen einer solchen Handlung gegen sie gerichtet wird;
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2. die Verbindlichkeiten der Frau aus einem sich auf das Vorbehaltsgut beziehenden Rechtsverhältniß, auch wenn sie vor der Eingehung der Ehe oder vor der Zeit entstanden sind, zu der das Gut Vorbehaltsgut geworden ist; 3. die Kosten eines Rechtsstreits, den die Frau über eine der in Nr. 1, 2 bezeichneten Verbindlichkeiten führt. § 1416. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen die Kosten eines Rechtsstreits zwischen ihnen dem Vorbehaltsgute zur Last, soweit nicht der Mann sie zu tragen hat. Das Gleiche gilt von den Kosten eines Rechtsstreits zwischen der Frau und einem Dritten, es sei denn, daß das Urtheil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes wirksam ist. Betrifft jedoch der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit der Frau oder eine nicht unter die Vorschriften des § 1415 Nr. 1, 2 fallende Verbindlichkeit, für die das eingebrachte Gut haftet, so findet diese Vorschrift keine Anwendung, wenn die Anwendung der Kosten den Umständen nach geboten ist. § 1417. Wird eine Verbindlichkeit, die nach den §§ 1415, 1416 dem Vorbehaltsgute zur Last fällt, aus dem eingebrachten Gute berichtigt, so hat die Frau aus dem Vorbehaltsgute, soweit dieses reicht, zu dem eingebrachten Gute Ersatz zu leisten. Wird eine Verbindlichkeit der Frau, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Vorbehaltsgute zur Last fällt, aus dem Vorbehaltsgute berichtigt, so hat der Mann aus dem eingebrachten Gute, soweit dieses reicht, zu dem Vorbehaltsgut Ersatz zu leisten. 4. Beendigung der Verwaltung und Nutznießung. § 1418. Die Frau kann auf Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung klagen: 1. wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die Frau nach § 1391 Sicherheitsleistung verlangen kann; 2. wenn der Mann seine Verpflichtung, der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen Unterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht liegt schon dann vor, wenn der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen nicht mindestens der Unterhalt gewährt wird, welcher ihnen bei ordnungsmäßiger Verwaltung und Nutznießung des eingebrachten Gutes zukommen würde; 3. wenn der Mann entmündigt ist; 4. wenn der Mann nach § 1910 zur Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten einen Pfleger erhalten hat; 5. wenn für den Mann ein Abwesenheitspfleger bestellt und die baldige Aufhebung der Pflegschaft nicht zu erwarten ist. Die Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung tritt mit der Rechtskraft des Urtheils ein. § 1419. Die Verwaltung und Nutznießung endigt mit der Rechtskraft des Beschlusses, durch den der Konkurs über das Vermögen des Mannes eröffnet wird. § 1420. Die Verwaltung und Nutznießung endigt, wenn der Mann für todt erklärt wird, mit dem Zeitpunkte, der als Zeitpunkt des Todes gilt.
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§ 1421. Nach der Beendigung der Verwaltung und Nutznießung hat der Mann das eingebrachte Gut der Frau herauszugeben und ihr über die Verwaltung Rechenschaft abzulegen. Auf die Herausgabe eines landwirthschaftlichen Grundstücks findet die Vorschrift des § 592, auf die Herausgabe eines Landguts finden die Vorschriften der §§ 592, 593 entsprechende Anwendung. § 1422. Wird die Verwaltung und Nutznießung auf Grund des § 1418 durch Urtheil aufgehoben, so ist der Mann zur Herausgabe des eingebrachten Gutes so verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe mit der Erhebung der Klage auf Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung rechtshängig geworden wäre. § 1423. Hat der Mann ein zum eingebrachten Gute gehörendes Grundstück vermiethet oder verpachtet, so finden, wenn das Mieth- oder Pachtverhältniß bei der Beendigung der Verwaltung und Nutznießung noch besteht, die Vorschriften des § 1056 entsprechende Anwendung. § 1424. Der Mann ist auch nach der Beendigung der Verwaltung und Nutznießung zur Fortführung der Verwaltung berechtigt, bis er von der Beendigung Kenntniß erlangt oder sie kennen muß. Ein Dritter kann sich auf diese Berechtigung nicht berufen, wenn er bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts die Beendigung der Verwaltung und Nutznießung kennt oder kennen muß. Endigt die Verwaltung und Nutznießung in Folge des Todes der Frau, so hat der Mann diejenigen zur Verwaltung gehörenden Geschäfte, mit deren Aufschube Gefahr verbunden ist, zu besorgen, bis der Erbe anderweit Fürsorge treffen kann. § 1425. Wird die Entmündigung oder Pflegschaft, wegen deren die Aufhebung der Verwaltung und Nutznießung erfolgt ist, wiederaufgehoben oder wird der die Entmündigung aussprechende Beschluß mit Erfolg angefochten, so kann der Mann auf Wiederherstellung seiner Rechte klagen. Das Gleiche gilt, wenn der für todt erklärte Mann noch lebt. Die Wiederherstellung der Rechte des Mannes tritt mit der Rechtskraft des Urtheils ein. Die Vorschrift des § 1422 findet entsprechende Anwendung. Im Falle der Wiederherstellung wird Vorbehaltsgut, was ohne die Aufhebung der Rechte des Mannes Vorbehaltsgut geblieben oder geworden sein würde. 5. Gütertrennung. § 1426. Tritt nach § 1364 die Verwaltung und Nutznießung des Mannes nicht ein oder endigt sie auf Grund der §§ 1418 bis 1420, so tritt Gütertrennung ein. Für die Gütertrennung gelten die Vorschriften der §§ 1427 bis 1431. § 1427. Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen. Zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes hat die Frau dem Manne einen angemessenen Beitrag aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts zu leisten. Für die Vergangenheit kann der Mann die Leistung nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im Rückstande geblieben ist. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar. § 1428. Ist eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen, den der Mann der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen zu gewähren hat, so kann die Frau den Beitrag zu dem ehelichen Aufwand insoweit zur eigenen Verwendung zurückbehalten, als er zur Bestreitung des Unterhalts erforderlich ist.
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Das Gleiche gilt, wenn der Mann entmündigt ist oder wenn er nach § 1910 zur Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten einen Pfleger erhalten hat oder wenn für ihn ein Abwesenheitspfleger bestellt ist. § 1429. Macht die Frau zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes aus ihrem Vermögen eine Aufwendung oder überläßt sie dem Manne zu diesem Zwecke etwas aus ihrem Vermögen, so ist im Zweifel anzunehmen, daß die Absicht fehlt, Ersatz zu verlangen. § 1430. Ueberläßt die Frau ihr Vermögen ganz oder theilweise der Verwaltung des Mannes, so kann der Mann die Einkünfte, die er während seiner Verwaltung bezieht, nach freiem Ermessen verwenden, soweit nicht ihre Verwendung zur Bestreitung der Kosten der ordnungsmäßigen Verwaltung und zur Erfüllung solcher Verpflichtungen der Frau erforderlich ist, die bei ordnungsmäßiger Verwaltung aus den Einkünften des Vermögens bestritten werden. Die Frau kann eine abweichende Bestimmung treffen. § 1431. Die Gütertrennung ist Dritten gegenüber nur nach Maßgabe des § 1435 wirksam. Das Gleiche gilt im Falle des § 1425 von der Wiederherstellung der Verwaltung und Nutznießung, wenn die Aufhebung in das Güterrechtsregister eingetragen worden ist. II. Vertragsmäßiges Güterrecht. 1. Allgemeine Vorschriften. § 1432. Die Ehegatten können ihre güterrechtlichen Verhältnisse durch Vertrag (Ehevertrag) regeln, insbesondere auch nach der Eingehung der Ehe den Güterstand aufheben oder ändern. § 1433. Der Güterstand kann nicht durch Verweisung auf ein nicht mehr geltendes oder auf ein ausländisches Gesetz bestimmt werden. Hat der Mann zur Zeit der Eingehung der Ehe oder, falls der Vertrag nach der Eingehung der Ehe geschlossen wird, zur Zeit des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz im Auslande, so ist die Verweisung auf ein an diesem Wohnsitze geltendes Güterrecht zulässig. § 1434. Der Ehevertrag muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Theile vor Gericht oder vor einem Notar geschlossen werden. § 1435. Wird durch Ehevertrag die Verwaltung und Nutznießung des Mannes ausgeschlossen oder geändert, so können einem Dritten gegenüber aus der Ausschließung oder der Aenderung Einwendungen gegen ein zwischen ihm und einem der Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urtheil nur hergeleitet werden, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit die Ausschließung oder die Aenderung in dem Güterrechtsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen oder dem Dritten bekannt war. Das Gleiche gilt, wenn eine in dem Güterrechtsregister eingetragene Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse durch Ehevertrag aufgehoben oder geändert wird. § 1436. Wird durch Ehevertrag die Verwaltung und Nutznießung des Mannes ausgeschlossen oder die allgemeine Gütergemeinschaft, die Errungenschaftsgemeinschaft oder die Fahrnißgemeinschaft aufgehoben, so tritt Gütertrennung ein, sofern sich nicht aus dem Vertrag ein Anderes ergiebt.
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2. Allgemeine Gütergemeinschaft. § 1437. Ein Ehevertrag, durch den die allgemeine Gütergemeinschaft vereinbart oder aufgehoben wird, kann nicht durch einen gesetzlichen Vertreter geschlossen werden. Ist einer der Vertragschließenden in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund, so ist die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich. § 1438. Das Vermögen des Mannes und das Vermögen der Frau werden durch die allgemeine Gütergemeinschaft gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Gesammtgut). Zu dem Gesammtgute gehört auch das Vermögen, das der Mann oder die Frau während der Gütergemeinschaft erwirbt. Die einzelnen Gegenstände werden gemeinschaftlich, ohne daß es einer Uebertragung durch Rechtsgeschäft bedarf. Wird ein Recht gemeinschaftlich, das im Grundbuch eingetragen ist oder in das Grundbuch eingetragen werden kann, so kann jeder Ehegatte von dem anderen die Mitwirkung zur Berichtigung des Grundbuchs verlangen. § 1439. Von dem Gesammtgut ausgeschlossen sind Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können. Auf solche Gegenstände finden die bei der Errungenschaftsgemeinschaft für das eingebrachte Gut geltenden Vorschriften, mit Ausnahme des § 1524, entsprechende Anwendung. § 1440. Von dem Gesammtgut ausgeschlossen ist das Vorbehaltsgut. Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für Vorbehaltsgut eines der Ehegatten erklärt ist oder von einem der Ehegatten nach § 1369 oder § 1370 erworben wird. § 1441. Auf das Vorbehaltsgut der Frau finden die bei der Gütertrennung für das Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung; die Frau hat jedoch dem Manne zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes einen Beitrag nur insoweit zu leisten, als die in das Gesammtgut fallenden Einkünfte zur Bestreitung des Aufwandes nicht ausreichen. § 1442. Ein Ehegatte kann nicht über seinen Antheil an dem Gesammtgut und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen verfügen; er ist nicht berechtigt, Theilung zu verlangen. Gegen eine Forderung, die zu dem Gesammtgute gehört, kann der Schuldner nur eine Forderung ausrechnen, deren Berichtigung aus dem Gesammtgute verlangt werden kann. § 1443. Das Gesammtgut unterliegt der Verwaltung des Mannes. Der Mann ist insbesondere berechtigt, die zu dem Gesammtgute gehörenden Sachen in Besitz zu nehmen, über das Gesammtgut zu verfügen sowie Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Gesammtgut beziehen, im eigenen Namen zu führen. Die Frau wird durch die Verwaltungshandlungen des Mannes weder Dritten noch dem Manne gegenüber persönlich verpflichtet. § 1444. Der Mann bedarf der Einwilligung der Frau zu einem Rechtsgeschäfte, durch das er sich zu einer Verfügung über das Gesammtgut im Ganzen verpflichtet, sowie zu einer Verfügung über Gesammtgut, durch die eine ohne Zustimmung der Frau eingegangene Verpflichtung dieser Art erfüllt werden soll. § 1445. Der Mann bedarf der Einwilligung der Frau zur Verfügung über ein zu dem Gesammtgute gehörendes Grundstück sowie zur Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen Verfügung.
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§ 1446. Der Mann bedarf der Einwilligung der Frau zu einer Schenkung aus dem Gesammtgute sowie zu einer Verfügung über Gesammtgut, durch welche das ohne Zustimmung der Frau ertheilte Versprechen einer solchen Schenkung erfüllt werden soll. Das Gleiche gilt von einem Schenkungsversprechen, das sich nicht auf das Gesammtgut bezieht. Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird. § 1447. Ist zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Gesammtguts ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1444, 1445 bezeichneten Art erforderlich, so kann die Zustimmung der Frau auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn die Frau sie ohne ausreichenden Grund verweigert. Das Gleiche gilt, wenn die Frau durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist. § 1448. Nimmt der Mann ohne Einwilligung der Frau ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1444 bis 1446 bezeichneten Art vor, so finden die für eine Verfügung der Frau über eingebrachtes Gut geltenden Vorschriften des § 1396 Abs. 1, 3 und der §§ 1397, 1398 entsprechende Anwendung. Fordert bei einem Vertrage der andere Theil den Mann auf, die Genehmigung der Frau zu beschaffen, so kann die Erklärung über die Genehmigung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Manne gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablaufe von zwei Wochen nach dem Empfange der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. Wird die Genehmigung der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt, so ist im Falle einer Aufforderung nach Abs. 2 der Beschluß nur wirksam, wenn der Mann ihn dem anderen Theile mittheilt; die Vorschriften des Abs. 2 Satz 2 finden entsprechende Anwendung. § 1449. Verfügt der Mann ohne die erforderliche Zustimmung der Frau über ein zu dem Gesammtgute gehörendes Recht, so kann die Frau das Recht ohne Mitwirkung des Mannes gegen Dritte gerichtlich geltend machen. § 1450. Ist der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit verhindert, ein sich auf das Gesammtgut beziehendes Rechtsgeschäft vorzunehmen oder einen sich auf das Gesammtgut beziehenden Rechtsstreit zu führen, so kann die Frau im eigenen Namen oder im Namen des Mannes das Rechtsgeschäft vornehmen oder den Rechtsstreit führen, wenn mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist. § 1451. Ist zur ordnungsmäßigen Besorgung der persönlichen Angelegenheiten der Frau ein Rechtsgeschäft erforderlich, das die Frau mit Wirkung für das Gesammtgut nicht ohne Zustimmung des Mannes vornehmen kann, so kann die Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn der Mann sie ohne ausreichenden Grund verweigert. § 1452. Auf den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts durch die Frau finden die Vorschriften des § 1405 entsprechende Anwendung. § 1453. Zur Annahme oder Ausschlagung einer der Frau angefallenen Erbschaft oder eines ihr angefallenen Vermächtnisses ist nur die Frau berechtigt; die Zustimmung des Mannes ist nicht erforderlich. Das Gleiche gilt von dem Verzicht auf den Pflichttheil sowie von der Ablehnung eines der Frau gemachten Vertragsantrags oder einer Schenkung.
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Zur Errichtung des Inventars über eine der Frau angefallene Erbschaft bedarf die Frau nicht der Zustimmung des Mannes. § 1454. Zur Fortsetzung eines bei dem Eintritte der Gütergemeinschaft anhängigen Rechtsstreits bedarf die Frau nicht der Zustimmung des Mannes. § 1455. Wird durch ein Rechtsgeschäft, das der Mann oder die Frau ohne die erforderliche Zustimmung des anderen Ehegatten vornimmt, das Gesammtgut bereichert, so kann die Herausgabe der Bereicherung aus dem Gesammtgute nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung gefordert werden. § 1456. Der Mann ist der Frau für die Verwaltung des Gesammtguts nicht verantwortlich. Er hat jedoch für eine Verminderung des Gesammtguts zu diesem Ersatz zu leisten, wenn er die Verminderung in der Absicht, die Frau zu benachtheiligen, oder durch ein Rechtsgeschäft herbeiführt, das er ohne die erforderliche Zustimmung der Frau vornimmt. § 1457. Steht der Mann unter Vormundschaft, so hat ihn der Vormund in den Rechten und Pflichten zu vertreten, die sich aus der Verwaltung des Gesammtguts ergeben. Dies gilt auch dann, wenn die Frau Vormund des Mannes ist. § 1458. Der eheliche Aufwand fällt dem Gesammtgute zur Last. § 1459. Aus dem Gesammtgute können die Gläubiger des Mannes und, soweit sich nicht aus den §§ 1460 bis 1462 ein Anderes ergiebt, auch die Gläubiger der Frau Befriedigung verlangen (Gesammtgutsverbindlichkeiten). Für Verbindlichkeiten der Frau, die Gesammtgutsverbindlichkeiten sind, haftet der Mann auch persönlich als Gesammtschuldner. Die Haftung erlischt mit der Beendigung der Gütergemeinschaft, wenn die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesammtgute zur Last fallen. § 1460. Das Gesammtgut haftet für eine Verbindlichkeit der Frau, die aus einem nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft vorgenommenen Rechtsgeschäft entsteht, nur dann, wenn der Mann seine Zustimmung zu dem Rechtsgeschäft ertheilt oder wenn das Rechtsgeschäft ohne seine Zustimmung für das Gesammtgut wirksam ist. Für die Kosten eines Rechtsstreits der Frau haftet das Gesammtgut auch dann, wenn das Urtheil dem Gesammtgute gegenüber nicht wirksam ist. § 1461. Das Gesammtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten der Frau, die in Folge des Erwerbes einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses entstehen, wenn die Frau die Erbschaft oder das Vermächtniß nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft als Vorbehaltsgut erwirbt. § 1462. Das Gesammtgut haftet nicht für eine Verbindlichkeit der Frau, die nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft in Folge eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entsteht, es sei denn, daß das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das die Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betreibt. § 1463. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen folgende Gesammtgutsverbindlichkeiten dem Ehegatten zur Last, in dessen Person sie entstehen: 1. die Verbindlichkeiten aus einer unerlaubten Handlung, die er nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft begeht, oder aus einem Strafverfahren, das wegen einer solchen Handlung gegen ihn gerichtet wird;
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2. die Verbindlichkeiten aus einem sich auf sein Vorbehaltsgut beziehenden Rechtsverhältniß, auch wenn sie vor dem Eintritte der Gütergemeinschaft oder vor der Zeit entstanden sind, zu der das Gut Vorbehaltsgut geworden ist; 3. die Kosten eines Rechtsstreits über eine der in Nr. 1, 2 bezeichneten Verbindlichkeiten. § 1464. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen die Kosten eines Rechtsstreits zwischen ihnen der Frau zur Last, soweit nicht der Mann sie zu tragen hat. Das Gleiche gilt von den Kosten eines Rechtsstreits zwischen der Frau und einem Dritten, es sei denn, daß das Urtheil dem Gesammtgute gegenüber wirksam ist. Betrifft jedoch der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit der Frau oder eine nicht unter die Vorschriften des § 1463 Nr. 1, 2 fallende Gesammtgutsverbindlichkeit der Frau, so findet diese Vorschrift keine Anwendung, wenn die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten ist. § 1465. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fällt eine Ausstattung, die der Mann einem gemeinschaftlichen Kinde aus dem Gesammtgute verspricht oder gewährt, dem Manne insoweit zur Last, als sie das dem Gesammtgut entsprechende Maß übersteigt. Verspricht oder gewährt der Mann einem nicht gemeinschaftlichen Kinde eine Ausstattung aus dem Gesammtgute, so fällt sie im Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem Vater oder der Mutter des Kindes zur Last, der Mutter jedoch nur insoweit, als sie zustimmt oder die Ausstattung nicht das dem Gesammtgut entsprechende Maß übersteigt. § 1466. Verwendet der Mann Gesammtgut in sein Vorbehaltsgut, so hat er den Werth des Verwendeten zu dem Gesammtgute zu ersetzen. Verwendet der Mann Vorbehaltsgut in das Gesammtgut, so kann er Ersatz aus dem Gesammtgute verlangen. § 1467. Was ein Ehegatte zu dem Gesammtgut oder die Frau zu dem Vorbehaltsgute des Mannes schuldet, ist erst nach der Beendigung der Gütergemeinschaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld der Frau deren Vorbehaltsgut ausreicht, hat sie die Schuld schon vorher zu berichtigen. Was der Mann aus dem Gesammtgute zu fordern hat, kann er erst nach der Beendigung der Gütergemeinschaft fordern. § 1468. Die Frau kann auf Aufhebung der Gütergemeinschaft klagen: 1. wenn der Mann ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1444 bis 1446 bezeichneten Art ohne Zustimmung der Frau vorgenommen hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung der Frau zu besorgen ist; 2. wenn der Mann das Gesammtgut in der Absicht, die Frau zu benachtheiligen, vermindert hat; 3. wenn der Mann seine Verpflichtung, der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen Unterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist; 4. wenn der Mann wegen Verschwendung entmündigt ist oder wenn er das Gesammtgut durch Verschwendung erheblich gefährdet; 5. wenn das Gesammtgut in Folge von Verbindlichkeiten, die in der Person des Mannes entstanden sind, in solchem Maße überschuldet ist, daß ein späterer Erwerb der Frau erheblich gefährdet wird.
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§ 1469. Der Mann kann auf Aufhebung der Gütergemeinschaft klagen, wenn das Gesammtgut in Folge von Verbindlichkeiten der Frau, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesammtgute zur Last fallen, in solchem Maße überschuldet ist, daß ein späterer Erwerb des Mannes erheblich gefährdet wird. § 1470. Die Aufhebung der Gütergemeinschaft tritt in den Fällen der §§ 1468, 1469 mit der Rechtskraft des Urtheils ein. Für die Zukunft gilt Gütertrennung. Dritten gegenüber ist die Aufhebung der Gütergemeinschaft nur nach Maßgabe des § 1435 wirksam. § 1471. Nach der Beendigung der Gütergemeinschaft findet in Ansehung des Gesammtguts die Auseinandersetzung statt. Bis zur Auseinandersetzung gelten für das Gesammtgut die Vorschriften des § 1442. § 1472. Die Verwaltung des Gesammtguts steht bis zur Auseinandersetzung beiden Ehegatten gemeinschaftlich zu. Die Vorschriften des § 1424 finden entsprechende Anwendung. Jeder Ehegatte ist dem anderen gegenüber verpflichtet, zu Maßregeln mitzuwirken, die zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich sind; die zur Erhaltung nothwendigen Maßregeln kann jeder Ehegatte ohne Mitwirkung des anderen treffen. § 1473. Was auf Grund eines zu dem Gesammtgute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Gesammtgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erworben wird, das sich auf das Gesammtgut bezieht, wird Gesammtgut. Die Zugehörigkeit einer durch Rechtsgeschäft erworbenen Forderung zum Gesammtgute hat der Schuldner erst dann gegen sich gelten zu lassen, wenn er von der Zugehörigkeit Kenntniß erlangt; die Vorschriften der §§ 406 bis 408 finden entsprechende Anwendung. § 1474. Die Auseinandersetzung erfolgt, soweit nicht eine andere Vereinbarung getroffen wird, nach den §§ 1475 bis 1481. § 1475. Aus dem Gesammtgute sind zunächst die Gesammtgutsverbindlichkeiten zu berichtigen. Ist eine Gesammtgutsverbindlichkeit noch nicht fällig oder ist sie streitig, so ist das zur Berichtigung Erforderliche zurückzubehalten. Fällt eine Gesammtgutsverbindlichkeit im Verhältnisse der Ehegatten zu einander einem der Ehegatten allein zur Last, so kann dieser die Berichtigung aus dem Gesammtgute nicht verlangen. Zur Berichtigung der Gesammtgutsverbindlichkeiten ist das Gesammtgut, soweit erforderlich, in Geld umzusetzen. § 1476. Der nach der Berichtigung der Gesammtgutsverbindlichkeiten verbleibende Ueberschuß gebührt den Ehegatten zu gleichen Theilen. Was einer der Ehegatten zu dem Gesammtgute zu ersetzen verpflichtet ist, muß er sich auf seinen Theil anrechnen lassen. Soweit die Ersatzleistung nicht durch Anrechnung erfolgt, bleibt er dem anderen Ehegatten verpflichtet. § 1477. Die Theilung des Ueberschusses erfolgt nach den Vorschriften über die Gemeinschaft.
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Teil 2
Jeder Ehegatte kann gegen Ersatz des Werthes die ausschließlich zu seinem persönlichen Gebrauche bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräthe, sowie diejenigen Gegenstände übernehmen, welche er in die Gütergemeinschaft eingebracht oder während der Gütergemeinschaft durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erworben hat. § 1478. Sind die Ehegatten geschieden und ist einer von ihnen allein für schuldig erklärt, so kann der andere verlangen, daß jedem von ihnen der Werth desjenigen zurückerstattet wird, was er in die Gütergemeinschaft eingebracht hat; reicht der Werth des Gesammtguts zur Rückerstattung nicht aus, so hat jeder Ehegatte die Hälfte des Fehlbetrags zu tragen. Als eingebracht ist anzusehen, was eingebrachtes Gut gewesen sein würde, wenn Errungenschaftsgemeinschaft bestanden hätte. Der Werth des Eingebrachten bestimmt sich nach der Zeit der Einbringung. Das im Abs. 1 bestimmte Recht steht auch dem Ehegatten zu, dessen Ehe wegen seiner Geisteskrankheit geschieden worden ist. § 1479. Wird die Gütergemeinschaft auf Grund des § 1468 oder des § 1469 durch Urtheil aufgehoben, so kann der Ehegatte, welcher das Urtheil erwirkt hat, verlangen, daß die Auseinandersetzung so erfolgt, wie wenn der Anspruch auf Auseinandersetzung mit der Erhebung der Klage auf Aufhebung der Gütergemeinschaft rechtshängig geworden wäre. § 1480. Wird eine Gesammtgutsverbindlichkeit nicht vor der Theilung des Gesammtguts berichtigt, so haftet dem Gläubiger auch der Ehegatte persönlich als Gesammtschuldner für den zur Zeit der Theilung eine solche Haftung nicht besteht. Seine Haftung beschränkt sich auf die ihm zugetheilten Gegenstände, die für die Haftung des Erben geltenden Vorschriften der §§ 1990, 1991 finden entsprechende Anwendung. § 1481. Unterbleibt bei der Auseinandersetzung die Berichtigung einer Gesammtgutsverbindlichkeit, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem Gesammtgut oder dem Manne zur Last fällt, so hat der Mann dafür einzustehen, daß die Frau von dem Gläubiger nicht in Anspruch genommen wird. Die gleiche Verpflichtung hat die Frau dem Manne gegenüber, wenn die Berichtigung einer Gesammtgutsverbindlichkeit unterbleibt, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander der Frau zur Last fällt. § 1482. Wird die Ehe durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst und ist ein gemeinschaftlicher Abkömmling nicht vorhanden, so gehört der Antheil des verstorbenen Ehegatten am Gesammtgute zum Nachlasse. Die Beerbung des Ehegatten erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften. § 1483. Sind bei dem Tode eines Ehegatten gemeinschaftliche Abkömmlinge vorhanden, so wird zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen, die im Falle der gesetzlichen Erbfolge als Erben berufen sind, die Gütergemeinschaft fortgesetzt. Der Antheil des verstorbenen Ehegatten am Gesammtgute gehört in diesem Falle nicht zum Nachlasse; im Uebrigen erfolgt die Beerbung des Ehegatten nach den allgemeinen Vorschriften.
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Sind neben den gemeinschaftlichen Abkömmlingen andere Abkömmlinge vorhanden, so bestimmen sich ihr Erbrecht und ihre Erbtheile so, wie wenn fortgesetzte Gütergemeinschaft nicht eingetreten wäre. […]1 3. Errungenschaftsgemeinschaft. § 1519. Was der Mann oder die Frau während der Errungenschaftsgemeinschaft erwirbt, wird gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Gesammtgut). Auf das Gesammtgut finden die für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften des § 1438 Abs. 2, 3 und der §§ 1442 bis 1453, 1455 bis 1457 Anwendung. § 1520. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was ihm bei dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft gehört. § 1521. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was er von Todeswegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt. Ausgenommen ist ein Erwerb, der den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist. § 1522. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten sind Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können, sowie Rechte, die mit seinem Tode erlöschen oder deren Erwerb durch den Tod eines der Ehegatten bedingt ist. § 1523. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was durch Ehevertrag für eingebrachtes Gut erklärt ist. § 1524. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was er auf Grund eines zu seinem eingebrachten Gute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das eingebrachte Gut bezieht. Ausgenommen ist der Erwerb aus dem Betrieb eines Erwerbsgeschäfts. Die Zugehörigkeit einer durch Rechtsgeschäft erworbenen Forderung zum eingebrachten Gute hat der Schuldner erst dann gegen sich gelten zu lassen, wenn er von der Zugehörigkeit Kenntniß erlangt; die Vorschriften der §§ 406 bis 408 finden entsprechende Anwendung. § 1525. Das eingebrachte Gut wird für Rechnung des Gesammtguts in der Weise verwaltet, daß die Nutzungen, welche nach den für den Güterstand der Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften dem Manne zufallen, zu dem Gesammtgute gehören. Auf das eingebrachte Gut der Frau finden im Uebrigen die Vorschriften der §§ 1373 bis 1383, 1390 bis 1417 entsprechende Anwendung. § 1526. Vorbehaltsgut der Frau ist, was durch Ehevertrag für Vorbehaltsgut erklärt ist oder von der Frau nach § 1369 oder § 1370 erworben wird. Vorbehaltsgut des Mannes ist ausgeschlossen. Für das Vorbehaltsgut der Frau gilt das Gleiche wie für das Vorbehaltsgut bei der allgemeinen Gütergemeinschaft. § 1527. Es wird vermuthet, daß das vorhandene Vermögen Gesammtgut sei.
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§§ 1484-1518 betreffen die Einzelheiten zur fortgesetzten Gütergemeinschaft nach dem Tod eines Ehegatten.
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Teil 2
§ 1528. Jeder Ehegatte kann verlangen, daß der Bestand seines eigenen und des dem anderen Ehegatten gehörenden eingebrachten Gutes durch Aufnahme eines Verzeichnisses unter Mitwirkung des anderen Ehegatten festgestellt wird. Auf die Aufnahme des Verzeichnisses finden die für den Nießbrauch geltenden Vorschriften des § 1035 Anwendung. Jeder Ehegatte kann den Zustand der zum eingebrachten Gute gehörenden Sachen auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen lassen. § 1529. Der eheliche Aufwand fällt dem Gesammtgute zur Last. Das Gesammtgut trägt auch die Lasten des eingebrachten Gutes beider Ehegatten; der Umfang der Lasten bestimmt sich nach den bei dem Güterstande der Verwaltung und Nutznießung für das eingebrachte Gut der Frau geltenden Vorschriften der §§ 1384 bis 1387. § 1530. Das Gesammtgut haftet für die Verbindlichkeiten des Mannes und für die in den §§ 1531 bis 1534 bezeichneten Verbindlichkeiten der Frau (Gesammtgutsverbindlichkeiten). Für Verbindlichkeiten der Frau, die Gesammtgutsverbindlichkeiten sind, haftet der Mann auch persönlich als Gesammtschuldner. Die Haftung erlischt mit der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft, wenn die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Gesammtgute zur Last fallen. § 1531. Das Gesammtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die zu den im § 1529 Abs. 2 bezeichneten Lasten des eingebrachten Gutes gehören. § 1532. Das Gesammtgut haftet für eine Verbindlichkeit der Frau, die aus einem nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft vorgenommenen Rechtsgeschäft entsteht, sowie für die Kosten eines Rechtsstreits, den die Frau nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft führt, wenn die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung des Rechtsstreits mit Zustimmung des Mannes erfolgt oder ohne seine Zustimmung für das Gesammtgut wirksam ist. § 1533. Das Gesammtgut haftet für eine Verbindlichkeit der Frau, die nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft in Folge eines ihr zustehenden Rechtes oder des Besitzes einer ihr gehörenden Sache entsteht, wenn das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das die Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betreibt. § 1534. Das Gesammtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die ihr auf Grund der gesetzlichen Unterhaltspflicht obliegen. § 1535. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen folgende Gesammtgutsverbindlichkeiten dem Ehegatten zur Last, in dessen Person sie entstehen: 1. die Verbindlichkeiten aus einem sich auf sein eingebrachtes Gut oder sein Vorbehaltsgut beziehenden Rechtsverhältniß, auch wenn sie vor dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft oder vor der Zeit entstanden sind, zu der das Gut eingebrachtes Gut oder Vorbehaltsgut geworden ist; 2. die Kosten eines Rechtsstreits, den der Ehegatte über eine der in Nr. 1 bezeichneten Verbindlichkeiten führt. § 1536. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen dem Manne zur Last: 1. die vor dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft entstandenen Verbindlichkeiten des Mannes; 2. die Verbindlichkeiten des Mannes, die der Frau gegenüber aus der Verwaltung ihres eingebrachten Gutes entstehen, soweit nicht das Gesammtgut zur Zeit der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft bereichert ist;
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3. die Verbindlichkeiten des Mannes aus einer unerlaubten Handlung, die er nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft begeht, oder aus einem Strafverfahren, das wegen einer unerlaubten Handlung gegen ihn gerichtet wird; 4. die Kosten eines Rechtsstreits, den der Mann über eine der in Nr. 1 bis 3 bezeichneten Verbindlichkeiten führt. § 1537. Die Vorschriften des § 1535 und des § 1536 Nr. 1, 4 finden insoweit keine Anwendung, als die Verbindlichkeiten nach § 1529 Abs. 2 von dem Gesammtgute zu tragen sind. Das Gleiche gilt von den Vorschriften des § 1535 insoweit, als die Verbindlichkeiten durch den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, der für Rechnung des Gesammtguts geführt wird, oder in Folge eines zu einem solchen Erwerbsgeschäfte gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entstehen. § 1538. Verspricht oder gewährt der Mann einem Kinde eine Ausstattung, so finden die Vorschriften des § 1465 Anwendung. § 1539. Soweit das eingebrachte Gut eines Ehegatten auf Kosten des Gesammtguts oder das Gesammtgut auf Kosten des eingebrachten Gutes eines Ehegatten zur Zeit der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft bereichert ist, muß aus dem bereicherten Gute zu dem anderen Gute Ersatz geleistet werden. Weitergehende, auf besonderen Gründen beruhende Ansprüche bleiben unberührt. § 1540. Sind verbrauchbare Sachen, die zum eingebrachten Gute eines Ehegatten gehört haben, nicht mehr vorhanden, so wird zu Gunsten des Ehegatten vermuthet, daß die Sachen in das Gesammtgut verwendet worden seien und dieses um den Werth der Sachen bereichert sei. § 1541. Was ein Ehegatte zu dem Gesammtgut oder die Frau zu dem eingebrachten Gute des Mannes schuldet, ist erst nach der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld der Frau ihr eingebrachtes Gut und ihr Vorbehaltsgut ausreichen, hat sie die Schuld schon vorher zu berichtigen. Was der Mann aus dem Gesammtgute zu fordern hat, kann er erst nach der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft fordern. § 1542. Die Frau kann unter den Voraussetzungen des § 1418 Nr. 1, 3 bis 5 und des § 1468, der Mann kann unter den Voraussetzungen des § 1469 auf Aufhebung der Errungenschaftsgemeinschaft klagen. Die Aufhebung tritt mit der Rechtskraft des Urtheils ein. § 1543. Die Errungenschaftsgemeinschaft endigt mit der Rechtskraft des Beschlusses, durch den der Konkurs über das Vermögen des Mannes eröffnet wird. § 1544. Die Errungenschaftsgemeinschaft endigt, wenn ein Ehegatte für todt erklärt wird, mit dem Zeitpunkte, der als Zeitpunkt des Todes gilt. § 1545. Endigt die Errungenschaftsgemeinschaft nach den §§ 1542 bis 1544, so gilt für die Zukunft Gütertrennung. Dritten gegenüber ist die Beendigung der Gemeinschaft nur nach Maßgabe des § 1435 wirksam. § 1546. Nach der Beendigung der Errungenschaftsgemeinschaft findet in Ansehung des Gesammtguts die Auseinandersetzung statt. Bis zur Auseinandersetzung bestimmt sich das Rechtsverhältniß der Ehegatten nach den §§ 1442, 1472, 1473.
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Teil 2
Die Auseinandersetzung erfolgt, soweit nicht eine andere Vereinbarung getroffen wird, nach den für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften der §§ 1475 bis 1477, 1479 bis 1481. Auf das eingebrachte Gut der Frau finden die für den Güterstand der Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften der §§ 1421 bis 1424 Anwendung. § 1547. Endigt die Errungenschaftsgemeinschaft durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Mannes, so kann die Frau auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen. Das gleiche Recht steht, wenn die Gemeinschaft in Folge einer Todeserklärung endigt, dem für todt erklärten Ehegatten zu, falls er noch lebt. Wird die Gemeinschaft auf Grund des § 1418 Nr. 3 bis 5 aufgehoben, so kann der Mann unter den Voraussetzungen des § 1425 Abs. 1 auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen. § 1548. Die Wiederherstellung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt in den Fällen des § 1547 mit der Rechtskraft des Urtheils ein. Die Vorschrift des § 1422 findet entsprechende Anwendung. Dritten gegenüber ist die Wiederherstellung, wenn die Beendigung in das Güterrechtsregister eingetragen worden ist, nur nach Maßgabe des § 1435 wirksam. Im Falle der Wiederherstellung wird Vorbehaltsgut der Frau, was ohne die Beendigung der Gemeinschaft Vorbehaltsgut geblieben oder geworden sein würde. 4. Fahrnißgemeinschaft. § 1549. Auf die Gemeinschaft des beweglichen Vermögens und der Errungenschaft (Fahrnißgemeinschaft) finden die für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vorschriften Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 1550 bis 1557 ein Anderes ergiebt. § 1550. Von dem Gesammtgut ausgeschlossen ist das eingebrachte Gut eines Ehegatten. Auf das eingebrachte Gut finden die bei der Errungenschaftsgemeinschaft für das eingebrachte Gut geltenden Vorschriften Anwendung. § 1551. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist das unbewegliche Vermögen, das er bei dem Eintritte der Fahrnißgemeinschaft hat oder während der Gemeinschaft durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt. Zum unbeweglichen Vermögen im Sinne dieser Vorschrift gehören Grundstücke nebst Zubehör, Rechte an Grundstücken, mit Ausnahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden, sowie Forderungen, die auf die Uebertragung des Eigenthums an Grundstücken oder auf die Begründung oder Uebertragung des Eigenthums an Grundstücken oder auf die Begründung oder Uebertragung eines der bezeichneten Rechte oder auf die Befreiung eines Grundstücks von einem solchen Rechte gerichtet sind. § 1552. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten sind Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können. § 1553. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist: 1. was durch Ehevertrag für eingebrachtes Gut erklärt ist; 2. was er nach § 1369 erwirbt, sofern die Bestimmung dahin getroffen ist, daß der Erwerb eingebrachtes Gut sein soll.
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§ 1554. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was er in der im § 1524 bezeichneten Weise erwirbt. Ausgenommen ist, was an Stelle von Gegenständen erworben wird, die nur deshalb eingebrachtes Gut sind, weil sie nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können. § 1555. Vorbehaltsgut des Mannes ist ausgeschlossen. § 1556. Erwirbt ein Ehegatte während der Fahrnißgemeinschaft durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung Gegenstände, die theils Gesammtgut, theils eingebrachtes Gut werden, so fallen die in Folge des Erwerbes entstehenden Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem Gesammtgut und dem Ehegatten, der den Erwerb macht, verhältnißmäßig zur Last. § 1557. Fortgesetzte Gütergemeinschaft tritt nur ein, wenn sie durch Ehevertrag vereinbart ist. III. Güterrechtsregister. § 1558. Die Eintragungen in das Güterrechtsregister haben bei dem Amtsgerichte zu geschehen, in dessen Bezirke der Mann seinen Wohnsitz hat. Durch Anordnung der Landesjustizverwaltung kann die Führung des Registers für mehrere Amtsgerichtsbezirke einem Amtsgericht übertragen werden. § 1559. Verlegt der Mann nach der Eintragung seinen Wohnsitz in einen anderen Bezirk, so muß die Eintragung im Register dieses Bezirkes wiederholt werden. Die frühere Eintragung gilt als von neuem erfolgt, wenn der Mann den Wohnsitz in den früheren Bezirk zurückverlegt. § 1560. Eine Eintragung in das Register soll nur auf Antrag und nur insoweit erfolgen, als sie beantragt ist. Der Antrag ist in öffentlich beglaubigter Form zu stellen. § 1561. Die Eintragung erfolgt in den Fällen des § 1357 Abs. 2 und des § 1405 Abs. 3 auf Antrag des Mannes. In den anderen Fällen ist der Antrag beider Ehegatten erforderlich; jeder Ehegatte ist dem anderen gegenüber zur Mitwirkung verpflichtet. Der Antrag eines der Ehegatten genügt: 1. zur Eintragung eines Ehevertrags oder einer auf gerichtlicher Entscheidung beruhenden Aenderung der güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten, wenn mit dem Antrage der Ehevertrag oder die mit dem Zeugnisse der Rechtskraft versehene Entscheidung vorgelegt wird; 2. zur Wiederholung einer Eintragung in dem Register eines anderen Bezirkes, wenn mit dem Antrag eine nach der Aufhebung des bisherigen Wohnsitzes ertheilte, öffentlich beglaubigte Abschrift der früheren Eintragung vorgelegt wird. § 1562. Das Amtsgericht hat die Eintragung durch das für seine Bekanntmachungen bestimmte Blatt zu veröffentlichen. Wird eine Aenderung des Güterstandes eingetragen, so hat sich die Bekanntmachung auf die Bezeichnung des Güterstandes und, wenn dieser abweichend von dem Gesetze geregelt ist, auf eine allgemeine Bezeichnung der Abweichung zu beschränken. § 1563. Die Einsicht des Registers ist Jedem gestattet. Von den Eintragungen kann eine Abschrift gefordert werden; die Abschrift ist auf Verlangen zu beglaubigen.
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Siebenter Titel. Scheidung der Ehe. § 1564. Die Ehe kann aus den in den §§ 1565 bis 1569 bestimmten Gründen geschieden werden. Die Scheidung erfolgt durch Urtheil. Die Auflösung der Ehe tritt mit der Rechtskraft des Urtheils ein. § 1565. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich des Ehebruchs oder einer nach den §§ 171, 175 des Strafgesetzbuchs strafbaren Handlung schuldig macht. Das Recht des Ehegatten auf Scheidung ist ausgeschlossen, wenn er dem Ehebruch oder der strafbaren Handlung zustimmt oder sich der Theilnahme schuldig macht. § 1566. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihm nach dem Leben trachtet. § 1567. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihn böslich verlassen hat. Bösliche Verlassung liegt nur vor: 1. wenn ein Ehegatte, nachdem er zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft rechtskräftig verurtheilt worden ist, ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in böslicher Absicht dem Urtheile nicht Folge geleistet hat; 2. wenn ein Ehegatte sich ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in böslicher Absicht von der häuslichen Gemeinschaft fern gehalten hat und die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung seit Jahresfrist gegen ihn bestanden haben. Die Scheidung ist im Falle des Abs. 2 Nr. 2 unzulässig, wenn die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung am Schlusse der mündlichen Verhandlung, auf die das Urtheil ergeht, nicht mehr bestehen. § 1568. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, daß dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemuthet werden kann. Als schwere Verletzung der Pflichten gilt auch grobe Mißhandlung. § 1569. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist. § 1570. Das Recht auf Scheidung erlischt in den Fällen der §§ 1565 bis 1568 durch Verzeihung. § 1571. Die Scheidungsklage muß in den Fällen der §§ 1565 bis 1568 binnen sechs Monaten von dem Zeitpunkt an erhoben werden, in dem der Ehegatte von dem Scheidungsgrunde Kenntniß erlangt. Die Klage ist ausgeschlossen, wenn seit dem Eintritte des Scheidungsgrundes zehn Jahre verstrichen sind. Die Frist läuft nicht, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist. Wird der zur Klage berechtigte Ehegatte von dem anderen Ehegatten aufgefordert, entweder die häusliche Gemeinschaft herzustellen oder die Klage zu erheben, so läuft die Frist von dem Empfange der Aufforderung an.
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Der Erhebung der Klage steht die Ladung zum Sühnetermine gleich. Die Ladung verliert ihre Wirkung, wenn der zur Klage berechtigte Ehegatte im Sühnetermine nicht erscheint oder wenn drei Monate nach der Beendigung des Sühneverfahrens verstrichen sind und nicht vorher die Klage erhoben worden ist. Auf den Lauf der sechsmonatigen und der dreimonatigen Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 203, 206 entsprechende Anwendung. § 1572. Ein Scheidungsgrund kann, auch wenn die für seine Geltendmachung im § 1571 bestimmte Frist verstrichen ist, im Laufe des Rechtsstreits geltend gemacht werden, sofern die Frist zur Zeit der Erhebung der Klage noch nicht verstrichen war. § 1573. Thatsachen, auf die eine Scheidungsklage nicht mehr gegründet werden kann, dürfen zur Unterstützung einer auf andere Thatsachen gegründeten Scheidungsklage geltend gemacht werden. § 1574. Wird die Ehe aus einem der in den §§ 1565 bis 1568 bestimmten Gründe geschieden, so ist in dem Urtheil auszusprechen, daß der Beklagte die Schuld an der Scheidung trägt. Hat der Beklagte Widerklage erhoben und wird auch diese für begründet erkannt, so sind beide Ehegatten für schuldig zu erklären. Ohne Erhebung einer Widerklage ist auf Antrag des Beklagten auch der Kläger für schuldig zu erklären, wenn Thatsachen vorliegen, wegen deren der Beklagte auf Scheidung klagen könnte oder, falls sein Recht auf Scheidung durch Verzeihung oder durch Zeitablauf ausgeschlossen ist, zur Zeit des Eintritts des von dem Kläger geltend gemachten Scheidungsgrundes berechtigt war, auf Scheidung zu klagen. § 1575. Der Ehegatte, der auf Scheidung zu klagen berechtigt ist, kann statt auf Scheidung auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft klagen. Beantragt der andere Ehegatte, daß die Ehe, falls die Klage begründet ist, geschieden wird, so ist auf Scheidung zu erkennen. Für die Klage auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft gelten die Vorschriften der §§ 1573, 1574. § 1576. Ist auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erkannt, so kann jeder der Ehegatten auf Grund des Urtheils die Scheidung beantragen, es sei denn, daß nach der Erlassung des Urtheils die eheliche Gemeinschaft wiederhergestellt worden ist. Die Vorschriften der §§ 1570 bis 1574 finden keine Anwendung; wird die Ehe geschieden, so ist der für schuldig erklärte Ehegatte auch im Scheidungsurtheile für schuldig zu erklären. § 1577. Die geschiedene Frau behält den Familiennamen des Mannes. Die Frau kann ihren Familiennamen wiederannehmen. War sie vor der Eingehung der geschiedenen Ehe verheiratet, so kann sie auch den Namen wiederannehmen, den sie zur Zeit der Eingehung dieser Ehe hatte, es sei denn, daß sie allein für schuldig erklärt ist. Die Wiederannahme des Namens erfolgt durch Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben.
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Ist die Frau allein für schuldig erklärt, so kann der Mann ihr die Führung seines Namens untersagen. Die Untersagung erfolgt durch Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Die Behörde soll der Frau die Erklärung mittheilen. Mit dem Verluste des Namens des Mannes erhält die Frau ihren Familiennamen wieder. § 1578. Der allein für schuldig erklärte Mann hat der geschiedenen Frau den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als sie ihn nicht aus den Einkünften ihres Vermögens und, sofern nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, Erwerb durch Arbeit der Frau üblich ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit bestreiten kann. Die allein für schuldig erklärte Frau hat dem geschiedenen Manne den standesmäßigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als er außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. § 1579. Soweit der allein für schuldig erklärte Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts dem anderen Ehegatten Unterhalt zu gewähren, ist er berechtigt, von den zu seinem Unterhalte verfügbaren Einkünften zwei Drittheile oder, wenn diese zu seinem nothdürftigen Unterhalte nicht ausreichen, so viel zurückzubehalten, als zu dessen Bestreitung erforderlich ist. Hat er einem minderjährigen unverheiratheten Kinde oder in Folge seiner Wiederverheirathung dem neuen Ehegatten Unterhalt zu gewähren, so beschränkt sich seine Verpflichtung dem geschiedenen Ehegatten gegenüber auf dasjenige, was mit Rücksicht auf die Bedürfnisse sowie auf die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Betheiligten der Billigkeit entspricht. Der Mann ist der Frau gegenüber unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von der Unterhaltspflicht ganz befreit, wenn die Frau den Unterhalt aus dem Stamme ihres Vermögens bestreiten kann. § 1580. Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente nach Maßgabe des § 760 zu gewähren. Ob, in welcher Art und für welchen Betrag der Unterhaltspflichtige Sicherheit zu leisten hat, bestimmt sich nach den Umständen. Statt der Rente kann der Berechtigte eine Abfindung in Kapital verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Im Uebrigen finden die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1607, 1610, des § 1611 Abs. 1, des § 1613 und für den Fall des Todes des Berechtigten die Vorschriften des § 1615 entsprechende Anwendung. § 1581. Die Unterhaltspflicht erlischt mit der Wiederverheirathung des Berechtigten. Im Falle der Wiederverheirathung des Verpflichteten finden die Vorschriften des § 1604 entsprechende Anwendung. § 1582. Die Unterhaltspflicht erlischt nicht mit dem Tode des Verpflichteten. Die Verpflichtung des Erben unterliegt nicht den Beschränkungen des § 1579. Der Berechtigte muß sich jedoch die Herabsetzung der Rente bis auf die Hälfte der Einkünfte gefallen lassen, die der Verpflichtete zur Zeit des Todes aus seinem Vermögen bezogen hat. Einkünfte aus einem Rechte, das mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses erlischt, bleiben von dem Eintritte des Zeitpunkts oder des Ereignisses an außer Betracht.
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Sind mehrere Berechtigte vorhanden, so kann der Erbe die Renten nach dem Verhältniß ihrer Höhe soweit herabsetzen, daß sie zusammen der Hälfte der Einkünfte gleichkommen. § 1583. Ist die Ehe wegen Geisteskrankheit eines Ehegatten geschieden, so hat ihm der andere Ehegatte Unterhalt in gleicher Weise zu gewähren wie ein allein für schuldig erklärter Ehegatte. § 1584. Ist ein Ehegatte allein für schuldig erklärt, so kann der andere Ehegatte Schenkungen, die er ihm während des Brautstandes oder während der Ehe gemacht hat, widerrufen. Die Vorschriften des § 531 finden Anwendung. Der Widerruf ist ausgeschlossen, wenn seit der Rechtskraft des Scheidungsurtheils ein Jahr verstrichen oder wenn der Schenker oder der Beschenkte gestorben ist. § 1585. Hat der Mann einem gemeinschaftlichen Kinde Unterhalt zu gewähren, so ist die Frau verpflichtet, ihm aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts einen anderen Beitrag zu den Kosten des Unterhalts zu leisten, soweit nicht diese durch die dem Manne an dem Vermögen des Kindes zustehende Nutznießung gedeckt werden. Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar. Steht der Frau die Sorge für die Person des Kindes zu und ist eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts des Kindes zu besorgen, so kann die Frau den Beitrag zur eigenen Verwendung für den Unterhalt des Kindes zurückbehalten. § 1586. Wird nach § 1575 die eheliche Gemeinschaft aufgehoben, so treten die mit der Scheidung verbundenen Wirkungen ein; die Eingehung einer neuen Ehe ist jedoch ausgeschlossen. Die Vorschriften über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe finden Anwendung, wie wenn das Urtheil nicht ergangen wäre. § 1587. Wird die eheliche Gemeinschaft nach der Aufhebung wiederhergestellt, so fallen die mit der Aufhebung verbundenen Wirkungen weg und tritt Gütertrennung ein. Achter Titel. Kirchliche Verpflichtungen. § 1588. Die kirchlichen Verpflichtungen in Ansehung der Ehe werden durch die Vorschriften dieses Abschnitts nicht berührt. Zweiter Abschnitt. Verwandtschaft. Erster Titel. Allgemeine Vorschriften. § 1589. Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt. § 1590. Die Verwandten eines Ehegatten sind mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grade der sie vermittelnden Verwandtschaft. Die Schwägerschaft dauert fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, aufgelöst ist.
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Zweiter Titel. Eheliche Abstammung. § 1591. Ein Kind, das nach der Eingehung der Ehe geboren wird, ist ehelich, wenn die Frau es vor oder während der Ehe empfangen und der Mann innerhalb der Empfängnißzeit der Frau beigewohnt hat. Das Kind ist nicht ehelich, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Frau das Kind von dem Manne empfangen hat. Es wird vermuthet, daß der Mann innerhalb der Empfängnißzeit der Frau beigewohnt habe. Soweit die Empfängnißzeit in die Zeit vor der Ehe fällt, gilt die Vermuthung nur, wenn der Mann gestorben ist, ohne die Ehelichkeit des Kindes angefochten zu haben. § 1592. Als Empfängnißzeit gilt die Zeit von dem einhunderteinundachtzigsten bis zu dem dreihundertundzweiten Tage vor der Geburt des Kindes, mit Einschluß sowohl des einhunderteinundachtzigsten als des dreihundertundzweiten Tages. Steht fest, daß das Kind innerhalb eines Zeitraums empfangen worden ist, der weiter als dreihundertundzwei Tage vor dem Tage der Geburt zurückliegt, so gilt zu Gunsten der Ehelichkeit des Kindes dieser Zeitraum als Empfängnißzeit. § 1593. Die Unehelichkeit eines Kindes, das während der Ehe oder innerhalb dreihundertundzwei Tagen nach der Auflösung der Ehe geboren ist, kann nur geltend gemacht werden, wenn der Mann die Ehelichkeit angefochten hat oder, ohne das Anfechtungsrecht verloren zu haben, gestorben ist. § 1594. Die Anfechtung der Ehelichkeit kann nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Mann die Geburt des Kindes erfährt. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 203, 206 entsprechende Anwendung. § 1595. Die Anfechtung der Ehelichkeit kann nicht durch einen Vertreter erfolgen. Ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Für einen geschäftsunfähigen Mann kann sein gesetzlicher Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts die Ehelichkeit anfechten. Hat der gesetzliche Vertreter die Ehelichkeit nicht rechtzeitig angefochten, so kann nach dem Wegfalle der Geschäftsunfähigkeit der Mann selbst die Ehelichkeit in gleicher Weise anfechten, wie wenn er ohne gesetzlichen Vertreter gewesen wäre. § 1596. Die Anfechtung der Ehelichkeit erfolgt bei Lebzeiten des Kindes durch Erhebung der Anfechtungsklage. Die Klage ist gegen das Kind zu richten. Wird die Klage zurückgenommen, so ist die Anfechtung als nicht erfolgt anzusehen. Das Gleiche gilt, wenn der Mann vor der Erledigung des Rechtsstreits das Kind als das seinige anerkennt. Vor der Erledigung des Rechtsstreits kann die Unehelichkeit nicht anderweit geltend gemacht werden. § 1597. Nach dem Tode des Kindes erfolgt die Anfechtung der Ehelichkeit durch Erklärung gegenüber dem Nachlaßgerichte; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Das Nachlaßgericht soll die Erklärung sowohl demjenigen mittheilen, welcher im Falle der Ehelichkeit, als auch demjenigen, welcher im Falle der Unehelichkeit Erbe des Kindes ist. Es hat die Einsicht der Erklärung Jedem zu gestatten, der ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.
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§ 1598. Die Anfechtung der Ehelichkeit ist ausgeschlossen, wenn der Mann das Kind nach der Geburt als das seinige anerkennt. Die Anerkennung kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen. Für die Anerkennung gelten die Vorschriften des § 1595 Abs. 1. Die Anerkennung kann auch in einer Verfügung von Todeswegen erfolgen. § 1599. Ist die Anerkennung der Ehelichkeit anfechtbar, so finden die Vorschriften der §§ 1595 bis 1597 und, wenn die Anfechtbarkeit ihren Grund in arglistiger Täuschung oder in Drohung hat, neben den Vorschriften des § 203 Abs. 2 und des § 206 auch die Vorschrift des § 203 Abs. 1 entsprechende Anwendung. § 1600. Wird von einer Frau, die sich nach der Auflösung ihrer Ehe wiederverheirathet hat, ein Kind geboren, das nach den §§ 1591 bis 1599 ein eheliches Kind sowohl des ersten als des zweiten Mannes sein würde, so gilt das Kind, wenn es innerhalb zweihundertundsiebzig Tagen nach der Auflösung der früheren Ehe geboren wird, als Kind des ersten Mannes, wenn es später geboren wird, als Kind des zweiten Mannes. Dritter Titel. Unterhaltspflicht. § 1601. Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. § 1602. Unterhaltsberechtigt ist nur, wer außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Ein minderjähriges unverheirathetes Kind kann von seinen Eltern, auch wenn es Vermögen hat, die Gewährung des Unterhalts insoweit verlangen, als die Einkünfte seines Vermögens und der Ertrag seiner Arbeit zum Unterhalte nicht ausreichen. § 1603. Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen unverheiratheten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kinde, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann. § 1604. Soweit die Unterhaltspflicht einer Frau ihren Verwandten gegenüber davon abhängt, daß sie zur Gewährung des Unterhalts im Stande ist, kommt die dem Manne an dem eingebrachten Gute zustehende Verwaltung und Nutznießung nicht in Betracht. Besteht allgemeine Gütergemeinschaft, Errungenschaftsgemeinschaft oder Fahrnißgemeinschaft, so bestimmt sich die Unterhaltspflicht des Mannes oder der Frau Verwandten gegenüber so, wie wenn das Gesammtgut dem unterhaltspflichtigen Ehegatten gehörte. Sind bedürftige Verwandte beider Ehegatten vorhanden, so ist der Unterhalt aus dem Gesammtgute so zu gewähren, wie wenn die Bedürftigen zu beiden Ehegatten in dem Verwandtschaftsverhältnisse ständen, auf dem die Unterhaltspflicht des verpflichteten Ehegatten beruht.
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Teil 2
§ 1605. Soweit die Unterhaltspflicht eines minderjährigen Kindes seinen Verwandten gegenüber davon abhängt, daß es zur Gewährung des Unterhalts im Stande ist, kommt die elterliche Nutznießung an dem Vermögen des Kindes nicht in Betracht. § 1606. Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der aufsteigenden Linie unterhaltspflichtig. Die Unterhaltspflicht der Abkömmlinge bestimmt sich nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung und dem Verhältnisse der Erbtheile. Unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfernteren, mehrere gleich nahe zu gleichen Theilen. Der Vater haftet jedoch vor der Mutter; steht die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes der Mutter zu, so haftet die Mutter vor dem Vater. § 1607. Soweit ein Verwandter auf Grund des § 1603 nicht unterhaltspflichtig ist, hat der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren. Das Gleiche gilt, wenn die Rechtsverfolgung gegen einen Verwandten im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert wird. Der Anspruch gegen einen solchen Verwandten geht, soweit ein anderer Verwandter den Unterhalt gewährt, auf diesen über. Der Uebergang kann nicht zum Nachtheile des Unterhaltsberechtigten geltend gemacht werden. § 1608. Der Ehegatte des Bedürftigen haftet vor dessen Verwandten. Soweit jedoch der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren, haften die Verwandten vor dem Ehegatten. Die Vorschriften des § 1607 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. Das Gleiche gilt von einem geschiedenen unterhaltspflichtigen Ehegatten sowie von einem Ehegatten, der nach § 1351 unterhaltspflichtig ist. § 1609. Sind mehrere Bedürftige vorhanden und ist der Unterhaltspflichtige außer Stande, allen Unterhalt zu gewähren, so gehen unter ihnen die Abkömmlinge den Verwandten der aufsteigenden Linie, unter den Abkömmlingen diejenigen, welche im Falle der gesetzlichen Erbfolge als Erben berufen sein würden, den übrigen Abkömmlingen, unter den Verwandten der aufsteigenden Linie die näheren den entfernteren vor. Der Ehegatte steht den minderjährigen unverheiratheten Kindern gleich; er geht anderen Kindern und den übrigen Verwandten vor. Ein geschiedener Ehegatte sowie ein Ehegatte, der nach § 1351 unterhaltsberechtigt ist, geht den volljährigen oder verheiratheten Kindern und den übrigen Verwandten vor. § 1610. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (standesmäßiger Unterhalt). Der Unterhalt umfaßt den gesammten Lebensbedarf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe. § 1611. Wer durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, kann nur den nothdürftigen Unterhalt verlangen. Der gleichen Beschränkung unterliegt der Unterhaltsanspruch der Abkömmlinge, der Eltern und des Ehegatten, wenn sie sich einer Verfehlung schuldig machen, die den Unterhaltspflichtigen berechtigt, ihnen den Pflichttheil zu entziehen, sowie der Unterhaltsanspruch der Großeltern und der weiteren Voreltern, wenn ihnen gegenüber die Voraussetzungen vorliegen, unter denen Kinder berechtigt sind, ihren Eltern den Pflichttheil zu entziehen.
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Der Bedürftige kann wegen einer nach diesen Vorschriften eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen. § 1612. Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Der Verpflichtete kann verlangen, daß ihm die Gewährung des Unterhalts in anderer Art gestattet wird, wenn besondere Gründe es rechtfertigen. Haben Eltern einem unverheiratheten Kinde Unterhalt zu gewähren, so können sie bestimmen, in welcher Art und für welche Zeit im voraus der Unterhalt gewährt werden soll. Aus besonderen Gründen kann das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Kindes die Bestimmung der Eltern ändern. Im Uebrigen finden die Vorschriften des § 760 Anwendung. § 1613. Für die Vergangenheit kann der Berechtigte Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur von der Zeit an fordern, zu welcher der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. § 1614. Für die Zukunft kann auf den Unterhalt nicht verzichtet werden. Durch eine Vorausleistung wird der Verpflichtete bei erneuter Bedürftigkeit des Berechtigten nur für den im § 760 Abs. 2 bestimmten Zeitabschnitt oder, wenn er selbst den Zeitabschnitt zu bestimmen hatte, für einen den Umständen nach angemessenen Zeitabschnitt befreit. § 1615. Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tode des Berechtigten oder des Verpflichteten, soweit er nicht auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf solche im voraus zu bewirkende Leistungen gerichtet ist, die zur Zeit des Todes des Berechtigten oder des Verpflichteten fällig sind. Im Falle des Todes des Berechtigten hat der Verpflichtete die Kosten der Beerdigung zu tragen, soweit ihre Bezahlung nicht von dem Erben zu erlangen ist. Vierter Titel. Rechtliche Stellung der ehelichen Kinder. I. Rechtsverhältniß zwischen den Eltern und dem Kinde im Allgemeinen. § 1616. Das Kind erhält den Familiennamen des Vaters. § 1617. Das Kind ist, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäfte Dienste zu leisten. § 1618. Macht ein dem elterlichen Hausstand angehörendes volljähriges Kind zur Bestreitung der Kosten des Haushalts aus seinem Vermögen eine Aufwendung oder überläßt es den Eltern zu diesem Zwecke etwas aus seinem Vermögen, so ist im Zweifel anzunehmen, daß die Absicht fehlt, Ersatz zu verlangen. § 1619. Ueberläßt ein dem elterlichen Hausstand angehörendes volljähriges Kind sein Vermögen ganz oder theilweise der Verwaltung des Vaters, so kann der Vater die Einkünfte, die er während seiner Verwaltung bezieht, nach freiem Ermessen verwenden, soweit nicht ihre Verwendung zur Bestreitung der Kosten der ordnungsmäßigen Verwaltung und zur Erfüllung solcher Verpflichtungen des Kindes erforderlich ist, die bei ordnungsmäßiger Verwaltung aus den Einkünften des Vermögens bestritten werden. Das Kind kann eine abweichende Bestimmung treffen.
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Teil 2
Das gleiche Recht steht der Mutter zu, wenn das Kind ihr die Verwaltung seines Vermögens überläßt. § 1620. Der Vater ist verpflichtet, einer Tochter im Falle ihrer Verheirathung zur Einrichtung des Haushalts eine angemessene Aussteuer zu gewähren, soweit er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts dazu im Stande ist und nicht die Tochter ein zur Beschaffung der Aussteuer ausreichendes Vermögen hat. Die gleiche Verpflichtung trifft die Mutter, wenn der Vater zur Gewährung der Aussteuer außer Stande oder wenn er gestorben ist. Die Vorschriften des § 1604 und des § 1607 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. § 1621. Der Vater und die Mutter können die Aussteuer verweigern, wenn sich die Tochter ohne die erforderliche elterliche Einwilligung verheirathet. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tochter einer Verfehlung schuldig gemacht hat, die den Verpflichteten berechtigt, ihr den Pflichttheil zu entziehen. § 1622. Die Tochter kann eine Aussteuer nicht verlangen, wenn sie für eine frühere Ehe von dem Vater oder der Mutter eine Aussteuer erhalten hat. § 1623. Der Anspruch auf die Aussteuer ist nicht übertragbar. Er verjährt in einem Jahre von der Eingehung der Ehe an. § 1624. Was einem Kinde mit Rücksicht auf seine Verheirathung oder auf die Verlangung einer selbständigen Lebensstellung zur Begründung oder zur Erhaltung der Wirthschaft oder der Lebensstellung von dem Vater oder der Mutter zugewendet wird (Ausstattung), gilt, auch wenn eine Verpflichtung nicht besteht, nur insoweit als Schenkung, als die Ausstattung das den Umständen, insbesondere den Vermögensverhältnissen des Vaters oder der Mutter, entsprechende Maß übersteigt. Die Verpflichtung des Ausstattenden zur Gewährleistung wegen eines Mangels im Rechte oder wegen eines Fehlers der Sache bestimmt sich, auch soweit die Ausstattung nicht als Schenkung gilt, nach den für die Gewährleistungspflicht des Schenkers geltenden Vorschriften. § 1625. Gewährt der Vater einem Kinde, dessen Vermögen seiner elterlichen oder vormundschaftlichen Verwaltung unterliegt, eine Ausstattung, so ist im Zweifel anzunehmen, daß er sie aus diesem Vermögen gewährt. Diese Vorschrift findet auf die Mutter entsprechende Anwendung. II. Elterliche Gewalt. § 1626. Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt. 1. Elterliche Gewalt des Vaters. § 1627. Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen. § 1628. Das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen, erstreckt sich nicht auf Angelegenheiten des Kindes, für die ein Pfleger bestellt ist. § 1629. Steht die Sorge für die Person oder die Sorge für das Vermögen des Kindes einem Pfleger zu, so entscheidet bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Vater und dem Pfleger über die Vornahme einer sowohl die Person als das Vermögen des Kindes betreffenden Handlung das Vormundschaftsgericht. § 1630. Die Sorge für die Person und das Vermögen umfaßt die Vertretung des Kindes.
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Die Vertretung steht dem Vater insoweit nicht zu, als nach § 1795 ein Vormund von der Vertretung des Mündels ausgeschlossen ist. Das Vormundschaftsgericht kann dem Vater nach § 1796 die Vertretung entziehen. § 1631. Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen. § 1632. Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Recht, die Herausgabe des Kindes von Jedem zu verlangen, der es dem Vater widerrechtlich vorenthält. § 1633. Ist eine Tochter verheirathet, so beschränkt sich die Sorge für ihre Person auf die Vertretung in den die Person betreffenden Angelegenheiten. § 1634. Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt, unbeschadet der Vorschrift des § 1685 Abs. 1. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor. § 1635. Ist die Ehe aus einem der in den §§ 1565 bis 1568 bestimmten Gründe geschieden, so steht, solange die geschiedenen Ehegatten leben, die Sorge für die Person des Kindes, wenn ein Ehegatte allein für schuldig erklärt ist, dem anderen Ehegatten zu; sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge für einen Sohn unter sechs Jahren oder für eine Tochter der Mutter, für einen Sohn, der über sechs Jahre alt ist, dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann eine abweichende Anordnung treffen, wenn eine solche aus besonderen Gründen im Interesse des Kindes geboten ist; es kann die Anordnung aufheben, wenn sie nicht mehr erforderlich ist. Das Recht des Vaters zur Vertretung des Kindes bleibt unberührt. § 1636. Der Ehegatte, dem nach § 1635 die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, behält die Befugniß, mit dem Kinde persönlich zu verkehren. Das Vormundschaftsgericht kann den Verkehr näher regeln. § 1637. Ist die Ehe nach § 1348 Abs. 2 aufgelöst, so gilt in Ansehung der Sorge für die Person des Kindes das Gleiche, wie wenn die Ehe geschieden ist und beide Ehegatten für schuldig erklärt sind. § 1638. Das Recht und die Pflicht, für das Vermögen des Kindes zu sorgen (Vermögensverwaltung), erstreckt sich nicht auf das Vermögen, welches das Kind von Todeswegen erwirbt oder welches ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb der Verwaltung des Vaters entzogen sein soll. Was das Kind auf Grund eines zu einem solchen Vermögen gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vermögen gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vermögen bezieht, ist gleichfalls der Verwaltung des Vaters entzogen.
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Teil 2
§ 1639. Was das Kind von Todeswegen erwirbt oder was ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, hat der Vater nach den Anordnungen des Erblassers oder des Dritten zu verwalten, wenn die Anordnungen von dem Erblasser durch letztwillige Verfügung, von dem Dritten bei der Zuwendung getroffen worden sind. Kommt der Vater den Anordnungen nicht nach, so hat das Vormundschaftsgericht die zu ihrer Durchführung erforderlichen Maßregeln zu treffen. Der Vater darf von den Anordnungen insoweit abweichen, als er nach § 1803 Abs. 2, 3 einem Vormunde gestattet ist. § 1640. Der Vater hat das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen des Kindes, welches bei dem Tode der Mutter vorhanden ist oder dem Kinde später zufällt, zu verzeichnen und das Verzeichniß, nachdem er es mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit versehen hat, dem Vormundschaftsgericht einzureichen. Bei Haushaltsgegenständen genügt die Angabe des Gesammtwerths. Ist das eingereichte Verzeichniß ungenügend, so kann das Vormundschaftsgericht anordnen, daß das Verzeichniß durch eine zuständige Behörde oder durch einen zuständigen Beamten oder Notar aufgenommen wird. Die Anordnung ist für das in Folge des Todes der Mutter dem Kinde zufallende Vermögen unzulässig, wenn die Mutter sie durch letztwillige Verfügung ausgeschlossen hat. § 1641. Der Vater kann nicht in Vertretung des Kindes Schenkungen machen. Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird. § 1642. Der Vater hat das seiner Verwaltung unterliegende Geld des Kindes, unbeschadet der Vorschrift des § 1653, nach den für die Anlegung von Mündelgeld geltenden Vorschriften der §§ 1807, 1808 verzinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist. Das Vormundschaftsgericht kann dem Vater aus besonderen Gründen eine andere Anlegung gestatten. § 1643. Zu Rechtsgeschäften für das Kind bedarf der Vater der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in den Fällen, in denen nach § 1821 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 und nach § 1822 Nr. 1, 3, 5, 8 bis 11 ein Vormund der Genehmigung bedarf. Das Gleiche gilt für die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses sowie für den Verzicht auf einen Pflichttheil. Tritt der Anfall an das Kind erst in Folge der Ausschlagung des Vaters ein, so ist die Genehmigung nur erforderlich, wenn der Vater neben dem Kinde berufen war. Die Vorschriften der §§ 1825, 1828 bis 1831 finden entsprechende Anwendung. § 1644. Der Vater kann Gegenstände, zu deren Veräußerung die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist, dem Kinde nicht ohne diese Genehmigung zur Erfüllung eines von dem Kinde geschlossenen Vertrags oder zu freier Verfügung überlassen. § 1645. Der Vater soll nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ein neues Erwerbsgeschäft im Namen des Kindes beginnen. § 1646. Erwirbt der Vater mit Mitteln des Kindes bewegliche Sachen, so geht mit dem Erwerbe das Eigenthum auf das Kind über, es sei denn, daß der Vater nicht für Rechnung des Kindes erwerben will. Dies gilt insbesondere auch von Inhaberpapieren und von Orderpapieren, die mit Blankoindossament versehen sind.
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Die Vorschriften des Abs. 1 finden entsprechende Anwendung, wenn der Vater mit Mitteln des Kindes ein Recht an Sachen der bezeichneten Art oder ein anderes Recht erwirbt, zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt. § 1647. Die Vermögensverwaltung des Vaters endigt mit der Rechtskraft des Beschlusses, durch den der Konkurs über das Vermögen des Vaters eröffnet wird. Nach der Aufhebung des Konkurses kann das Vormundschaftsgericht die Verwaltung dem Vater wiederübertragen. § 1648. Macht der Vater bei der Sorge für die Person oder das Vermögen des Kindes Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so kann er von dem Kinde Ersatz verlangen, sofern nicht die Aufwendungen ihm selbst zur Last fallen. § 1649. Dem Vater steht kraft der elterlichen Gewalt die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes zu. § 1650. Von der Nutznießung ausgeschlossen (freies Vermögen) sind die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche des Kindes bestimmten Sachen, insbesondere Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräthe. § 1651. Freies Vermögen ist: 1. was das Kind durch seine Arbeit oder durch den ihm nach § 112 gestatteten selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwirbt; 2. was das Kind von Todeswegen erwirbt oder was ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß das Vermögen der Nutznießung entzogen sein soll. Die Vorschriften des § 1638 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. § 1652. Der Vater erwirbt die Nutzungen des seiner Nutznießung unterliegenden Vermögens in derselben Weise und in demselben Umfange wie ein Nießbraucher. § 1653. Der Vater darf verbrauchbare Sachen, die zu dem seiner Nutznießung unterliegenden Vermögen gehören, für sich veräußern oder verbrauchen, Geld jedoch nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Macht der Vater von dieser Befugniß Gebrauch, so hat er den Werth der Sachen nach der Beendigung der Nutznießung zu ersetzen; der Ersatz ist schon vorher zu leisten, wenn die ordnungsmäßige Verwaltung des Vermögens es erfordert. § 1654. Der Vater hat die Lasten des seiner Nutznießung unterliegenden Vermögens zu tragen. Seine Haftung bestimmt sich nach den für den Güterstand der Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften der §§ 1384 bis 1386, 1388. Zu den Lasten gehören auch die Kosten eines Rechtsstreits, der für das Kind geführt wird, sofern sie nicht dem freien Vermögen zur Last fallen, sowie die Kosten der Vertheidigung des Kindes in einem gegen das Kind gerichteten Strafverfahren, vorbehaltlich der Ersatzpflicht des Kindes im Falle seiner Verurtheilung. § 1655. Gehört zu dem der Nutznießung unterliegenden Vermögen ein Erwerbsgeschäft, das von dem Vater im Namen des Kindes betrieben wird, so gebührt dem Vater nur der sich aus dem Betrieb ergebende jährliche Reingewinn. Ergiebt sich in einem Jahre ein Verlust, so verbleibt der Gewinn späterer Jahre bis zur Ausgleichung des Verlustes dem Kinde.
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Teil 2
§ 1656. Steht dem Vater die Verwaltung des einer Nutznießung unterliegenden Vermögens nicht zu, so kann er auch die Nutznießung nicht ausüben; er kann jedoch die Herausgabe der Nutzungen verlangen, soweit nicht ihre Verwendung zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Vermögens und zur Bestreitung der Lasten der Nutznießung erforderlich ist. Ruht die elterliche Gewalt des Vaters oder ist dem Vater die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes durch das Vormundschaftsgericht entzogen, so können die Kosten des Unterhalts des Kindes aus den Nutzungen insoweit vorweg entnommen werden, als sie dem Vater zur Last fallen. § 1657. Ist der Vater von der Ausübung der Nutznießung ausgeschlossen, so hat er eine ihm dem Kinde gegenüber obliegende Verbindlichkeit, die in Folge der Nutznießung erst nach deren Beendigung zu erfüllen sein würde, sofort zu erfüllen. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die elterliche Gewalt ruht. § 1658. Das Recht, das dem Vater kraft seiner Nutznießung an dem Vermögen des Kindes zusteht, ist nicht übertragbar. Das Gleiche gilt von den nach den §§ 1655, 1656 dem Vater zustehenden Ansprüchen, solange sie nicht fällig sind. § 1659. Die Gläubiger des Kindes können ohne Rücksicht auf die elterliche Nutznießung Befriedigung aus dem Vermögen des Kindes verlangen. Hat der Vater verbrauchbare Sachen nach § 1653 veräußert oder verbraucht, so ist er den Gläubigern gegenüber zum sofortigen Ersatze verpflichtet. § 1660. Im Verhältnisse des Vaters und des Kindes zu einander finden in Ansehung der Verbindlichkeiten des Kindes die für den Güterstand der Verwaltung und Nutznießung geltenden Vorschriften des § 1415, des § 1416 Abs. 1 und des § 1417 entsprechende Anwendung. § 1661. Die Nutznießung endigt, wenn sich das Kind verheirathet. Die Nutznießung verbleibt jedoch dem Vater, wenn die Ehe ohne die erforderliche elterliche Einwilligung geschlossen wird. § 1662. Der Vater kann auf die Nutznießung verzichten. Der Verzicht erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Vormundschaftsgerichte; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. § 1663. Hat der Vater kraft seiner Nutznießung ein zu dem Vermögen des Kindes gehörendes Grundstück vermiethet oder verpachtet, so finden, wenn das Mieth- oder Pachtverhältniß bei der Beendigung der Nutznießung noch besteht, die Vorschriften des § 1056 entsprechende Anwendung. Gehört zu dem der Nutznießung unterliegenden Vermögen ein landwirthschaftliches Grundstück, so findet die Vorschrift des § 592, gehört zu dem Vermögen ein Landgut, so finden die Vorschriften der §§ 592, 593 entsprechende Anwendung. § 1664. Der Vater hat bei der Ausübung der elterlichen Gewalt dem Kinde gegenüber nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. § 1665. Ist der Vater verhindert, die elterliche Gewalt auszuüben, so hat das Vormundschaftsgericht, sofern nicht die elterliche Gewalt nach § 1685 von der Mutter ausgeübt wird, die im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln zu treffen.
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§ 1666. Wird das geistige oder leibliche Wohl des Kindes dadurch gefährdet, daß der Vater das Recht der Sorge für die Person des Kindes mißbraucht, das Kind vernachlässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht, so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu treffen. Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen, daß das Kind zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungsanstalt oder einer Besserungsanstalt untergebracht wird. Hat der Vater das Recht des Kindes auf Gewährung des Unterhalts verletzt und ist für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen, so kann dem Vater auch die Vermögensverwaltung sowie die Nutznießung entzogen werden. § 1667. Wird das Vermögen des Kindes dadurch gefährdet, daß der Vater die mit der Vermögensverwaltung oder die mit der Nutznießung verbundenen Pflichten verletzt oder daß er in Vermögensverfall geräth, so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu treffen. Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen, daß der Vater ein Verzeichniß des Vermögens einreicht und über seine Verwaltung Rechnung legt. Der Vater hat das Verzeichniß mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen. Ist das eingereichte Verzeichniß ungenügend, so findet die Vorschrift des § 1640 Abs. 2 Satz 1 Anwendung. Das Vormundschaftsgericht kann auch, wenn Werthpapiere, Kostbarkeiten oder Buchforderungen gegen das Reich oder einen Bundesstaat zu dem Vermögen des Kindes gehören, dem Vater die gleichen Verpflichtungen auferlegen, welche nach den §§ 1814 bis 1816, 1818 einem Vormund obliegen; die Vorschriften der §§ 1819, 1820 finden entsprechende Anwendung. Die Kosten der angeordneten Maßregeln fallen dem Vater zur Last. § 1668. Sind die nach § 1667 Abs. 2 zulässigen Maßregeln nicht ausreichend, so kann das Vormundschaftsgericht dem Vater Sicherheitsleistung für das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen auferlegen. Die Art und den Umfang der Sicherheitsleistung bestimmt das Vormundschaftsgericht nach seinem Ermessen. § 1669. Will der Vater eine neue Ehe eingehen, so hat er seine Absicht dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen, auf seine Kosten ein Verzeichniß des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens einzureichen und, soweit in Ansehung dieses Vermögens eine Gemeinschaft zwischen ihm und dem Kinde besteht, die Auseinandersetzung herbeizuführen. Das Vormundschaftsgericht kann gestatten, daß die Auseinandersetzung erst nach der Eheschließung erfolgt. § 1670. Kommt der Vater den nach den §§ 1667, 1668 getroffenen Anordnungen nicht nach oder erfüllt er die ihm nach den §§ 1640, 1669 obliegenden Verpflichtungen nicht, so kann ihm das Vormundschaftsgericht die Vermögensverwaltung entziehen. Zur Erzwingung der Sicherheitsleistung sind andere Maßregeln nicht zulässig. § 1671. Das Vormundschaftsgericht kann während der Dauer der elterlichen Gewalt die von ihm getroffenen Anordnungen jederzeit ändern, insbesondere die Erhöhung, Minderung oder Aufhebung der geleisteten Sicherheit anordnen. § 1672. Bei der Bestellung und Aufhebung der Sicherheit wird die Mitwirkung des Kindes durch die Anordnung des Vormundschaftsgerichts ersetzt. Die Kosten der Bestellung und Aufhebung der Sicherheit fallen dem Vater zur Last.
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§ 1673. Das Vormundschaftsgericht soll vor einer Entscheidung, durch welche die Sorge für die Person oder das Vermögen des Kindes oder die Nutznießung dem Vater entzogen oder beschränkt wird, den Vater hören, es sei denn, daß die Anhörung unthunlich ist. Vor der Entscheidung sollen auch Verwandte, insbesondere die Mutter, oder Verschwägerte des Kindes gehört werden, wenn es ohne erhebliche Verzögerung und ohne unverhältnißmäßige Kosten geschehen kann. Für den Ersatz der Auslagen gilt die Vorschrift des § 1847 Abs. 2. § 1674. Verletzt der Vormundschaftsrichter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten, so ist er dem Kinde nach § 839 Abs. 1, 3 verantwortlich. § 1675. Der Gemeindewaisenrath hat dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu machen, wenn ein Fall zu seiner Kenntniß gelangt, in welchem das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist. § 1676. Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn er geschäftsunfähig ist. Das Gleiche gilt, wenn der Vater in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist oder wenn er nach § 1910 Abs. 1 einen Pfleger für seine Person und sein Vermögen erhalten hat. Die Sorge für die Person des Kindes steht ihm neben dem gesetzlichen Vertreter des Kindes zu; zur Vertretung des Kindes ist er nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Vater und dem gesetzlichen Vertreter geht die Meinung des gesetzlichen Vertreters vor. § 1677. Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt wird, daß der Vater auf längere Zeit an der Ausübung der elterlichen Gewalt thatsächlich verhindert ist. Das Ruhen endigt, wenn von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt wird, daß der Grund nicht mehr besteht. § 1678. Solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, ist der Vater nicht berechtigt, sie auszuüben; es verbleibt ihm jedoch die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes, unbeschadet der Vorschrift des § 1685 Abs. 2. § 1679. Die elterliche Gewalt des Vaters endigt, wenn er für todt erklärt wird, mit dem Zeitpunkte, der als Zeitpunkt des Todes gilt. Lebt der Vater noch, so erlangt er die elterliche Gewalt dadurch wieder, daß er dem Vormundschaftsgerichte gegenüber seinen hierauf gerichteten Willen erklärt. § 1680. Der Vater verwirkt die elterliche Gewalt, wenn er wegen eines an dem Kinde verübten Verbrechens oder vorsätzlich verübten Vergehens zu Zuchthausstrafe oder zu einer Gefängnißstrafe von mindestens sechs Monaten verurtheilt wird. Wird wegen des Zusammentreffens mit einer anderen strafbaren Handlung auf eine Gesammtstrafe erkannt, so entscheidet die Einzelstrafe, welche für das an dem Kinde verübte Verbrechen oder Vergehen verwirkt ist. Die Verwirkung der elterlichen Gewalt tritt mit der Rechtskraft des Urtheils ein. § 1681. Endigt oder ruht die elterliche Gewalt des Vaters oder hört aus einem anderen Grunde seine Vermögensverwaltung auf, so hat er dem Kinde das Vermögen herauszugeben und über die Verwaltung Rechenschaft abzulegen.
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§ 1682. Der Vater ist auch nach der Beendigung seiner elterlichen Gewalt zur Fortführung der mit der Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes verbundenen Geschäfte berechtigt, bis er von der Beendigung Kenntniß erlangt oder sie kennen muß. Ein Dritter kann sich auf diese Berechtigung nicht berufen, wenn er bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts die Beendigung der elterlichen Gewalt kennt oder kennen muß. Diese Vorschriften finden entsprechende Anwendung, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht oder aus einem anderen Grunde seine Vermögensverwaltung aufhört. § 1683. Endigt die elterliche Gewalt in Folge des Todes des Kindes, so hat der Vater diejenigen Geschäfte, mit deren Aufschube Gefahr verbunden ist, zu besorgen, bis der Erbe anderweit Fürsorge treffen kann. 2. Elterliche Gewalt der Mutter. § 1684. Der Mutter steht die elterliche Gewalt zu: 1. wenn der Vater gestorben oder für todt erklärt ist; 2. wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirkt hat und die Ehe aufgelöst ist. Im Falle der Todeserklärung beginnt die elterliche Gewalt der Mutter mit dem Zeitpunkte, der als Zeitpunkt des Todes des Vaters gilt. § 1685. Ist der Vater an der Ausübung der elterlichen Gewalt thatsächlich verhindert oder ruht seine elterliche Gewalt, so übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt mit Ausnahme der Nutznießung aus. Ist die Ehe aufgelöst, so hat das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht und keine Aussicht besteht, daß der Grund des Ruhens wegfallen werde. Die Mutter erlangt in diesem Falle auch die Nutznießung an dem Vermögen des Kindes. § 1686. Auf die elterliche Gewalt der Mutter finden die für die elterliche Gewalt des Vaters geltenden Vorschriften Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 1687 bis 1697 ein Anderes ergiebt. § 1687. Das Vormundschaftsgericht hat der Mutter einen Beistand zu bestellen: 1. wenn der Vater die Bestellung nach Maßgabe des § 1777 angeordnet hat; 2. wenn die Mutter die Bestellung beantragt; 3. wenn das Vormundschaftsgericht aus besonderen Gründen, insbesondere wegen des Umfanges oder der Schwierigkeit der Vermögensverwaltung, oder in den Fällen der §§ 1666, 1667 die Bestellung im Interesse des Kindes für nöthig erachtet. § 1688. Der Beistand kann für alle Angelegenheiten, für gewisse Arten von Angelegenheiten oder für einzelne Angelegenheiten bestellt werden. Ueber den Umfang seines Wirkungskreises entscheidet die Bestellung. Ist der Umfang nicht bestimmt, so fallen alle Angelegenheiten in seinen Wirkungskreis. Hat der Vater die Bestellung angeordnet, so hat das Vormundschaftsgericht Bestimmungen, die er nach Maßgabe des § 1777 über den Umfang des Wirkungskreises getroffen hat, bei der Bestellung zu befolgen. § 1689. Der Beistand hat innerhalb seines Wirkungskreises die Mutter bei der Ausübung der elterlichen Gewalt zu unterstützen und zu überwachen; er hat dem Vormundschaftsgerichte jeden Fall, in welchem es zum Einschreiten berufen ist, unverzüglich anzuzeigen.
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Teil 2
§ 1690. Die Genehmigung des Beistandes ist innerhalb seines Wirkungskreises zu jedem Rechtsgeschäft erforderlich, zu dem ein Vormund der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts oder des Gegenvormundes bedarf. Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, welche die Mutter nicht ohne die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vornehmen kann. Die Vorschriften der §§ 1828 bis 1831 finden entsprechende Anwendung. Die Genehmigung des Beistandes wird durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ersetzt. Das Vormundschaftsgericht soll vor der Entscheidung über die Genehmigung in allen Fällen, in denen das Rechtsgeschäft zu dem Wirkungskreise des Beistandes gehört, den Beistand hören, sofern ein solcher vorhanden und die Anhörung thunlich ist. § 1691. Soweit die Anlegung des zu dem Vermögen des Kindes gehörenden Geldes in den Wirkungskreis des Beistandes fällt, finden die für die Anlegung von Mündelgeld geltenden Vorschriften der §§ 1809, 1810 entsprechende Anwendung. § 1692. Hat die Mutter ein Vermögensverzeichniß einzureichen, so ist bei der Aufnahme des Verzeichnisses der Beistand zuzuziehen; das Verzeichniß ist auch von dem Beistande mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen. Ist das Verzeichniß ungenügend, so finden, sofern nicht die Voraussetzungen des § 1667 vorliegen, die Vorschriften des § 1640 Abs. 2 entsprechende Anwendung. § 1693. Das Vormundschaftsgericht kann auf Antrag der Mutter dem Beistande die Vermögensverwaltung ganz oder theilweise übertragen; soweit dies geschieht, hat der Beistand die Rechte und Pflichten eines Pflegers. § 1694. Für die Berufung, Bestellung und Beaufsichtigung des Beistandes, für seine Haftung und seine Ansprüche, für die ihm zu bewilligende Vergütung und für die Beendigung seines Amtes gelten die gleichen Vorschriften wie bei dem Gegenvormunde. Das Amt des Beistandes endigt auch dann, wenn die elterliche Gewalt der Mutter ruht. § 1695. Das Vormundschaftsgericht kann in den Fällen des § 1687 Nr. 2, 3 die Bestellung des Beistandes und im Falle des § 1693 die Uebertragung der Vermögensverwaltung auf den Beistand jederzeit aufheben. Ist die Bestellung des Beistandes nach § 1687 Nr. 2 erfolgt, so soll sie nur mit Zustimmung der Mutter aufgehoben werden. Das Gleiche gilt für die Uebertragung der Vermögensverwaltung auf den Beistand. § 1696. Ruht die elterliche Gewalt der Mutter wegen Minderjährigkeit, so hat die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt. Der Vormund des Kindes hat, soweit der Mutter die Sorge zusteht, die rechtliche Stellung eines Beistandes. § 1697. Die Mutter verliert die elterliche Gewalt, wenn sie eine neue Ehe eingeht. Sie behält jedoch unter den im § 1696 bestimmten Beschränkungen das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. § 1698. Wird für das Kind ein Vormund bestellt, weil die elterliche Gewalt des Vaters ruht oder verwirkt ist oder weil die Vertretung des Kindes dem Vater entzogen ist, oder wird für die Erziehung des Kindes an Stelle des Vaters ein Pfleger bestellt, so steht der Mutter die Sorge für die Person des Kindes neben dem Vormund oder dem Pfleger in gleicher Weise zu wie nach § 1634 neben dem Vater.
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Fünfter Titel. Rechtliche Stellung der Kinder aus nichtigen Ehen. § 1699. Ein Kind aus einer nichtigen Ehe, das im Falle der Gültigkeit der Ehe ehelich sein würde, gilt als ehelich, sofern nicht beide Ehegatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung gekannt haben. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Nichtigkeit der Ehe auf einem Formmangel beruht und die Ehe nicht in das Heirathsregister eingetragen worden ist. […] Sechster Titel. Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder. § 1705. Das uneheliche Kind hat im Verhältnisse zu der Mutter und zu den Verwandten der Mutter die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. § 1706. Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen der Mutter. Führt die Mutter in Folge ihrer Verheirathung einen anderen Namen, so erhält das Kind den Familiennamen, den die Mutter vor der Verheirathung geführt hat. Der Ehemann der Mutter kann durch Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde dem Kinde mit Einwilligung des Kindes und der Mutter seinen Namen ertheilen; die Erklärung des Ehemanns sowie die Einwilligungserklärungen des Kindes und der Mutter sind in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. § 1707. Der Mutter steht nicht die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind zu. Sie hat das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt. Der Vormund des Kindes hat, soweit der Mutter die Sorge zusteht, die rechtliche Stellung eines Beistandes. § 1708. Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zur Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfaßt den gesammten Lebensbedarf sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe. Ist das Kind zur Zeit der Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs in Folge körperlicher oder geistiger Gebrechen außer Stande, sich selbst zu unterhalten, so hat ihm der Vater auch über diese Zeit hinaus Unterhalt zu gewähren; die Vorschrift des § 1603 Abs. 1 findet Anwendung. § 1709. Der Vater ist vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten des Kindes unterhaltspflichtig. Soweit die Mutter oder ein unterhaltspflichtiger mütterlicher Verwandter dem Kinde den Unterhalt gewährt, geht der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den Vater auf die Mutter oder den Verwandten über. Der Uebergang kann nicht zum Nachtheile des Kindes geltend gemacht werden. § 1710. Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. Die Rente ist für drei Monate vorauszuzahlen. Durch eine Vorausleistung für eine spätere Zeit wird der Vater nicht befreit. Hat das Kind den Beginn des Vierteljahrs erlebt, so gebührt ihm der volle auf das Vierteljahr entfallende Betrag. § 1711. Der Unterhalt kann auch für die Vergangenheit verlangt werden. § 1712. Der Unterhaltsanspruch erlischt nicht mit dem Tode des Vaters; er steht dem Kinde auch dann zu, wenn der Vater vor der Geburt des Kindes gestorben ist. Der Erbe des Vaters ist berechtigt, das Kind mit dem Betrag abzufinden, der dem Kinde als Pflichttheil gebühren würde, wenn es ehelich wäre. Sind mehrere uneheliche Kinder vorhanden, so wird die Abfindung so berechnet wie wenn sie alle ehelich wären.
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Teil 2
§ 1713. Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tode des Kindes, soweit er nicht auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf solche im voraus zu bewirkende Leistungen gerichtet ist, die zur Zeit des Todes des Kindes fällig sind. Die Kosten der Beerdigung hat der Vater zu tragen, soweit ihre Bezahlung nicht von dem Erben des Kindes zu erlangen ist. § 1714. Eine Vereinbarung zwischen dem Vater und dem Kinde über den Unterhalt für die Zukunft oder über eine an Stelle des Unterhalts zu gewährende Abfindung bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Ein unentgeltlicher Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft ist nichtig. § 1715. Der Vater ist verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung sowie die Kosten des Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung und, falls in Folge der Schwangerschaft oder der Entbindung weitere Aufwendungen nothwendig werden, auch die dadurch entstehenden Kosten zu ersetzen. Den gewöhnlichen Betrag der zu ersetzenden Kosten kann die Mutter ohne Rücksicht auf den wirklichen Aufwand verlangen. Der Anspruch steht der Mutter auch dann zu, wenn der Vater vor der Geburt des Kindes gestorben oder wenn das Kind todt geboren ist. Der Anspruch verjährt in vier Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ablaufe von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes. § 1716. Schon vor der Geburt des Kindes kann auf Antrag der Mutter durch einstweilige Verfügung angeordnet werden, daß der Vater den für die ersten drei Monate dem Kinde zu gewährenden Unterhalt alsbald nach der Geburt an die Mutter oder an den Vormund zu zahlen und den erforderlichen Betrag angemessene Zeit vor der Geburt zu hinterlegen hat. In gleicher Weise kann auf Antrag der Mutter die Zahlung des gewöhnlichen Betrags der nach § 1715 Abs. 1 zu ersetzenden Kosten an die Mutter und die Hinterlegung des erforderlichen Betrags angeordnet werden. Zur Erlassung der einstweiligen Verfügung ist nicht erforderlich, daß eine Gefährdung des Anspruchs glaubhaft gemacht wird. § 1717. Als Vater des unehelichen Kindes im Sinne der §§ 1708 bis 1716 gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt hat, es sei denn, daß auch ein Anderer ihr innerhalb dieser Zeit beigewohnt hat. Eine Beiwohnung bleibt jedoch außer Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat. Als Empfängnißzeit gilt die Zeit von dem einhunderteinundachtzigsten bis zu dem dreihundertundzweiten Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes, mit Einschluß sowohl des einhunderteinundachtzigsten als des dreihundertundzweiten Tages. § 1718. Wer seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes in einer öffentlichen Urkunde anerkennt, kann sich nicht darauf berufen, daß ein Anderer der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt habe.
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Siebenter Titel. Legitimation unehelicher Kinder. I. Legitimation durch nachfolgende Ehe. § 1719. Ein uneheliches Kind erlangt dadurch, daß sich der Vater mit der Mutter verheirathet, mit der Eheschließung die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. § 1720. Der Ehemann der Mutter gilt als Vater des Kindes, wenn er ihr innerhalb der im § 1717 Abs. 2 bestimmten Empfängnißzeit beigewohnt hat, es sei denn, daß es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat. Erkennt der Ehemann seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes in einer öffentlichen Urkunde an, so wird vermuthet, daß er der Mutter innerhalb der Empfängnißzeit beigewohnt habe. § 1721. Ist die Ehe der Eltern nichtig, so finden die Vorschriften der §§ 1699 bis 1704 entsprechende Anwendung. § 1722. Die Eheschließung zwischen den Eltern hat für die Abkömmlinge des unehelichen Kindes die Wirkungen der Legitimation auch dann, wenn das Kind vor der Eheschließung gestorben ist. II. Ehelichkeitserklärung. § 1723. Ein uneheliches Kind kann auf Antrag seines Vaters durch eine Verfügung der Staatsgewalt für ehelich erklärt werden. Die Ehelichkeitserklärung steht dem Bundesstaate zu, dem der Vater angehört; ist der Vater ein Deutscher, der keinem Bundesstaat angehört, so steht sie dem Reichskanzler zu. Ueber die Ertheilung der einem Bundesstaate zustehenden Ehelichkeitserklärung hat die Landesregierung zu bestimmen. § 1724. Die Ehelichkeitserklärung kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen. § 1725. Der Antrag muß die Erklärung des Vaters enthalten, daß er das Kind als das seinige anerkenne. § 1726. Zur Ehelichkeitserklärung ist die Einwilligung des Kindes und, wenn das Kind nicht das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, die Einwilligung der Mutter erforderlich. Ist der Vater verheirathet, so bedarf er auch der Einwilligung seiner Frau. Die Einwilligung hat dem Vater oder der Behörde gegenüber zu erfolgen, bei welcher der Antrag einzureichen ist; sie ist unwiderruflich. Die Einwilligung der Mutter ist nicht erforderlich, wenn die Mutter zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist. Das Gleiche gilt von der Einwilligung der Frau des Vaters. § 1727. Wird die Einwilligung von der Mutter verweigert, so kann sie auf Antrag des Kindes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn das Unterbleiben der Ehelichkeitserklärung dem Kinde zu unverhältnißmäßigem Nachtheile gereichen würde. § 1728. Der Antrag auf Ehelichkeitserklärung sowie die Einwilligung der im § 1726 bezeichneten Personen kann nicht durch einen Vertreter erfolgen. Ist das Kind geschäftsunfähig oder hat es nicht das vierzehnte Lebensjahr vollendet, so kann sein gesetzlicher Vertreter die Einwilligung mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ertheilen.
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Teil 2
§ 1729. Ist der Vater in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er zu dem Antrag, außer der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Ist das Kind in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so gilt das Gleiche für die Ertheilung seiner Einwilligung. Ist die Mutter des Kindes oder die Frau des Vaters in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist zur Ertheilung ihrer Einwilligung die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich. § 1730. Der Antrag sowie die Einwilligungserklärung der im § 1726 bezeichneten Personen bedarf der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung. § 1731. Ist der Antrag oder die Einwilligung einer der im § 1726 bezeichneten Personen anfechtbar, so gelten für die Anfechtung und für die Bestätigung der anfechtbaren Erklärung die Vorschriften der §§ 1728, 1729. § 1732. Die Ehelichkeitserklärung ist nicht zulässig, wenn zur Zeit der Erzeugung des Kindes die Ehe zwischen den Eltern nach § 1310 Abs. 1 wegen Verwandtschaft oder Schwägerschaft verboten war. § 1733. Die Ehelichkeitserklärung kann nicht nach dem Tode des Kindes erfolgen. Nach dem Tode des Vaters ist die Ehelichkeitserklärung nur zulässig, wenn der Vater den Antrag bei der zuständigen Behörde eingereicht oder bei oder nach der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung des Antrags das Gericht oder den Notar mit der Einreichung betraut hat. Die nach dem Tode des Vaters erfolgte Ehelichkeitserklärung hat die gleiche Wirkung, wie wenn sie vor dem Tode des Vaters erfolgt wäre. § 1734. Die Ehelichkeitserklärung kann versagt werden, auch wenn ihr ein gesetzliches Hinderniß nicht entgegensteht. § 1735. Auf die Wirksamkeit der Ehelichkeitserklärung ist es ohne Einfluß, wenn der Antragsteller nicht der Vater des Kindes ist oder wenn mit Unrecht angenommen worden ist, daß die Mutter des Kindes oder die Frau des Vaters zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt sei. § 1736. Durch die Ehelichkeitserklärung erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. § 1737. Die Wirkungen der Ehelichkeitserklärung erstrecken sich auf die Abkömmlinge des Kindes; sie erstrecken sich nicht auf die Verwandten des Vaters. Die Frau des Vaters wird nicht mit dem Kinde, der Ehegatte des Kindes wird nicht mit dem Vater verschwägert. Die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Verwandtschaftsverhältnisse zwischen dem Kinde und seinen Verwandten ergeben, bleiben unberührt, soweit nicht das Gesetz ein Anderes vorschreibt. § 1738. Mit der Ehelichkeitserklärung verliert die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Hat sie dem Kinde Unterhalt zu gewähren, so treten Recht und Pflicht wieder ein, wenn die elterliche Gewalt des Vaters endigt oder wenn sie wegen Geschäftsunfähigkeit des Vaters oder nach § 1677 ruht. § 1739. Der Vater ist dem Kinde und dessen Abkömmlingen vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet.
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§ 1740. Will der Vater eine Ehe eingehen, während er die elterliche Gewalt über das Kind hat, so finden die Vorschriften der §§ 1669 bis 1671 Anwendung. Achter Titel. Annahme an Kindesstatt. § 1741. Wer keine ehelichen Abkömmlinge hat, kann durch Vertrag mit einem Anderen diesen an Kindesstatt annehmen. Der Vertrag bedarf der Bestätigung durch das zuständige Gericht. § 1742. Die Annahme an Kindesstatt kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen. § 1743. Das Vorhandensein eines angenommenen Kindes steht einer weiteren Annahme an Kindesstatt nicht entgegen. § 1744. Der Annehmende muß das fünfzigste Lebensjahr vollendet haben und mindestens achtzehn Jahre älter sein als das Kind. § 1745. Von den Erfordernissen des § 1744 kann Befreiung bewilligt werden, von der Vollendung des fünfzigsten Lebensjahrs jedoch nur, wenn der Annehmende volljährig ist. Die Bewilligung steht dem Bundesstaate zu, dem der Annehmende angehört; ist der Annehmende ein Deutscher, der keinem Bundesstaat angehört, so steht die Bewilligung dem Reichskanzler zu. Ueber die Ertheilung der einem Bundesstaate zustehenden Bewilligung hat die Landesregierung zu bestimmen. § 1746. Wer verheirathet ist, kann nur mit Einwilligung seines Ehegatten an Kindesstatt annehmen oder angenommen werden. Die Einwilligung ist nicht erforderlich, wenn der Ehegatte zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist. § 1747. Ein eheliches Kind kann bis zur Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahrs nur mit Einwilligung der Eltern, ein uneheliches Kind kann bis zum gleichen Lebensalter nur mit Einwilligung der Mutter an Kindesstatt angenommen werden. Die Vorschrift des § 1746 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. § 1748. Die Einwilligung der in den §§ 1746, 1747 bezeichneten Personen hat dem Annehmenden oder dem Kinde oder dem für die Bestätigung des Annahmevertrags zuständigen Gerichte gegenüber zu erfolgen; sie ist unwiderruflich. Die Einwilligung kann nicht durch einen Vertreter ertheilt werden. Ist der Einwilligende in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Die Einwilligungserklärung bedarf der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung. § 1749. Als gemeinschaftliches Kind kann ein Kind nur von einem Ehepaar angenommen werden. Ein angenommenes Kind kann, solange das durch die Annahme begründete Rechtsverhältniß besteht, nur von dem Ehegatten des Annehmenden an Kindesstatt angenommen werden. § 1750. Der Annahmevertrag kann nicht durch einen Vertreter geschlossen werden. Hat das Kind nicht das vierzehnte Lebensjahr vollendet, so kann sein gesetzlicher Vertreter den Vertrag mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts schließen. Der Annahmevertrag muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Theile vor Gericht oder vor einem Notar geschlossen werden.
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§ 1751. Ist der Annehmende in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er zur Eingehung des Vertrags, außer der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Das Gleiche gilt für das Kind, wenn es in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. § 1752. Will ein Vormund seinen Mündel an Kindesstatt annehmen, so soll das Vormundschaftsgericht die Genehmigung nicht ertheilen, solange der Vormund im Amte ist. Will Jemand seinen früheren Mündel an Kindesstatt annehmen, so soll das Vormundschaftsgericht die Genehmigung nicht ertheilen, bevor über seine Verwaltung Rechnung gelegt und das Vorhandensein des Mündelvermögens nachgewiesen hat. Das Gleiche gilt, wenn ein zur Vermögensverwaltung bestellter Pfleger seinen Pflegling oder seinen früheren Pflegling an Kindesstatt annehmen will. § 1753. Die Bestätigung des Annahmevertrags kann nicht nach dem Tode des Kindes erfolgen. Nach dem Tode des Annehmenden ist die Bestätigung nur zulässig, wenn der Annehmende oder das Kind den Antrag auf Bestätigung bei dem zuständigen Gericht eingereicht oder bei oder nach der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung des Vertrags das Gericht oder den Notar mit der Einreichung betraut hat. Die nach dem Tode des Annehmenden erfolgte Bestätigung hat die gleiche Wirkung, wie wenn sie vor dem Tode erfolgt wäre. § 1754. Die Annahme an Kindesstatt tritt mit der Bestätigung in Kraft. Die Vertragschließenden sind schon vor der Bestätigung gebunden. Die Bestätigung ist nur zu versagen, wenn ein gesetzliches Erforderniß der Annahme an Kindesstatt fehlt. Wird die Bestätigung endgültig versagt, so verliert der Vertrag seine Kraft. § 1755. Ist der Annahmevertrag oder die Einwilligung einer der in den §§ 1746, 1747 bezeichneten Personen anfechtbar, so gelten für die Anfechtung und für die Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts die Vorschriften des § 1748 Abs. 2, des § 1750 Abs. 1 und des § 1751. § 1756. Auf die Wirksamkeit der Annahme an Kindesstatt ist es ohne Einfluß, wenn bei der Bestätigung des Annahmevertrags mit Unrecht angenommen worden ist, daß eine der in den §§ 1746, 1747 bezeichneten Personen zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt sei. § 1757. Durch die Annahme an Kindesstatt erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden. Wird von einem Ehepaare gemeinschaftlich ein Kind angenommen oder nimmt ein Ehegatte ein Kind des anderen Ehegatten an, so erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen ehelichen Kindes der Ehegatten. § 1758. Das Kind erhält den Familiennamen des Annehmenden. Wird das Kind von einer Frau angenommen, die in Folge ihrer Verheirathung einen anderen Namen führt, so erhält es den Familiennamen, den die Frau vor der Verheirathung geführt hat. In den Fällen des § 1757 Abs. 2 erhält das Kind den Familiennamen des Mannes. Das Kind darf dem neuen Namen seinen früheren Familiennamen hinzufügen, sofern nicht in dem Annahmevertrag ein Anderes bestimmt ist. § 1759. Durch die Annahme an Kindesstatt wird ein Erbrecht für den Annehmenden nicht begründet.
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§ 1760. Der Annehmende hat über das Vermögen des Kindes, soweit es auf Grund der elterlichen Gewalt seiner Verwaltung unterliegt, auf seine Kosten ein Verzeichniß aufzunehmen und dem Vormundschaftsgericht einzureichen; er hat das Verzeichniß mit der Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen. Ist das eingereichte Verzeichniß ungenügend, so findet die Vorschrift des § 1640 Abs. 2 Satz 1 Anwendung. Erfüllt der Annehmende die ihm nach Abs. 1 obliegende Verpflichtung nicht, so kann ihm das Vormundschaftsgericht die Vermögensverwaltung entziehen. Die Entziehung kann jederzeit wiederaufgehoben werden. § 1761. Will der Annehmende eine Ehe eingehen, während er die elterliche Gewalt über das Kind hat, so finden die Vorschriften der §§ 1669 bis 1671 Anwendung. § 1762. Die Wirkungen der Annahme an Kindesstatt erstrecken sich auf die Abkömmlinge des Kindes. Auf einen zur Zeit des Vertragsabschlusses schon vorhandenen Abkömmling und dessen später geborene Abkömmlinge erstrecken sich die Wirkungen nur, wenn der Vertrag auch mit dem schon vorhandenen Abkömmlinge geschlossen wird. § 1763. Die Wirkungen der Annahme an Kindesstatt erstrecken sich nicht auf die Verwandten des Annehmenden. Der Ehegatte des Annehmenden wird nicht mit dem Kinde, der Ehegatte des Kindes wird nicht mit dem Annehmenden verschwägert. § 1764. Die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Verwandtschaftsverhältnisse zwischen dem Kinde und seinen Verwandten ergeben, werden durch die Annahme an Kindesstatt nicht berührt, soweit nicht das Gesetz ein Anderes vorschreibt. § 1765. Mit der Annahme an Kindesstatt verlieren die leiblichen Eltern die elterliche Gewalt über das Kind, die uneheliche Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Hat der Vater oder die Mutter dem Kinde Unterhalt zu gewähren, so treten das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, wieder ein, wenn die elterliche Gewalt des Annehmenden endigt oder wenn sie wegen Geschäftsunfähigkeit des Annehmenden oder nach § 1677 ruht. Das Recht zur Vertretung des Kindes tritt nicht wieder ein. § 1766. Der Annehmende ist dem Kinde und denjenigen Abkömmlingen des Kindes, auf welche sich die Wirkungen der Annahme erstrecken, vor den leiblichen Verwandten des Kindes zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet. Der Annehmende steht im Falle des § 1611 Abs. 2 den leiblichen Verwandten der aufsteigenden Linie gleich. § 1767. In dem Annahmevertrage kann die Nutznießung des Annehmenden an dem Vermögen des Kindes sowie das Erbrecht des Kindes dem Annehmenden gegenüber ausgeschlossen werden. Im Uebrigen können die Wirkungen der Annahme an Kindesstatt in dem Annahmevertrage nicht geändert werden. § 1768. Das durch die Annahme an Kindesstatt begründete Rechtsverhältniß kann wiederaufgehoben werden. Die Aufhebung kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen.
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Die Aufhebung erfolgt durch Vertrag zwischen dem Annehmenden, dem Kinde und denjenigen Abkömmlingen des Kindes, auf welche sich die Wirkungen der Annahme erstrecken. Hat ein Ehepaar gemeinschaftlich ein Kind angenommen oder hat ein Ehegatte ein Kind des anderen Ehegatten angenommen, so ist zu der Aufhebung die Mitwirkung beider Ehegatten erforderlich. § 1769. Nach dem Tode des Kindes können die übrigen Betheiligten das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältniß durch Vertrag aufheben. Das Gleiche gilt in den Fällen des § 1757 Abs. 2 nach dem Tode eines der Ehegatten. § 1770. Die für die Annahme an Kindesstatt geltenden Vorschriften des § 1741 Satz 2 und der §§ 1750, 1751, 1753 bis 1755 gelten auch für die Aufhebung. § 1771. Schließen Personen, die durch Annahme an Kindesstatt verbunden sind, der Vorschrift des § 1311 zuwider eine Ehe, so tritt mit der Eheschließung die Aufhebung des durch die Annahme zwischen ihnen begründeten Rechtsverhältnisses ein. Ist die Ehe nichtig, so wird, wenn dem einen Ehegatten die elterliche Gewalt über den anderen zusteht, diese mit der Eheschließung verwirkt. Die Verwirkung tritt nicht ein, wenn die Nichtigkeit der Ehe auf einem Formmangel beruht und die Ehe nicht in das Heirathsregister eingetragen worden ist. § 1772. Mit der Aufhebung der Annahme an Kindesstatt verlieren das Kind und diejenigen Abkömmlinge des Kindes, auf welche sich die Aufhebung erstreckt, das Recht, den Familiennamen des Annehmenden zu führen. Diese Vorschrift findet in den Fällen des § 1757 Abs. 2 keine Anwendung, wenn die Aufhebung nach dem Tode eines der Ehegatten erfolgt. Dritter Abschnitt. Vormundschaft. Erster Titel. Vormundschaft über Minderjährige. I. Anordnung der Vormundschaft. § 1773. Ein Minderjähriger erhält einen Vormund, wenn er nicht unter elterlicher Gewalt steht oder wenn die Eltern weder in den die Person noch in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten zur Vertretung des Minderjährigen berechtigt sind. Ein Minderjähriger erhält einen Vormund auch dann, wenn sein Familienstand nicht zu ermitteln ist. § 1774. Das Vormundschaftsgericht hat die Vormundschaft von Amtswegen anzuordnen. § 1775. Das Vormundschaftsgericht soll, sofern nicht besondere Gründe für die Bestellung mehrerer Vormünder vorliegen, für den Mündel und, wenn mehrere Geschwister zu bevormunden sind, für alle Mündel nur einen Vormund bestellen. § 1776. Als Vormünder sind in nachstehender Reihenfolge berufen: 1. wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist; 2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist; 3. der Großvater des Mündels von väterlicher Seite; 4. der Großvater des Mündels von mütterlicher Seite. Die Großväter sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Das Gleiche gilt, wenn derjenige, von welchem der Mündel abstammt, von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist und die Wirkungen der Annahme sich auf den Mündel erstrecken.
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§ 1777. Der Vater kann einen Vormund nur benennen, wenn ihm zur Zeit seines Todes die elterliche Gewalt über das Kind zusteht; er hat dieses Recht nicht, wenn er in den die Person oder in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten nicht zur Vertretung des Kindes berechtigt ist. Das Gleiche gilt für die Mutter. Der Vater kann für ein Kind, das erst nach seinem Tode geboren wird, einen Vormund benennen, wenn er dazu berechtigt sein würde, falls das Kind vor seinem Tode geboren wäre. Die Benennung des Vormundes erfolgt durch letztwillige Verfügung. § 1778. Wer nach § 1776 als Vormund berufen ist, darf ohne seine Zustimmung nur übergangen werden, wenn er nach den §§ 1780 bis 1784 nicht zum Vormunde bestellt werden kann oder soll oder wenn er an der Uebernahme der Vormundschaft verhindert ist oder die Uebernahme verzögert oder wenn seine Bestellung das Interesse des Mündels gefährden würde. Ist der Berufene nur vorübergehend verhindert, so hat ihn das Vormundschaftsgericht nach dem Wegfalle des Hindernisses auf seinen Antrag an Stelle des bisherigen Vormundes zum Vormunde zu bestellen. Für eine Ehefrau darf der Mann vor den nach § 1776 Berufenen, für ein uneheliches Kind darf die Mutter vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden. Neben dem Berufenen darf nur mit dessen Zustimmung ein Mitvormund bestellt werden. § 1779. Ist die Vormundschaft nicht einem nach § 1776 Berufenen zu übertragen, so hat das Vormundschaftsgericht nach Anhörung des Gemeindewaisenraths den Vormund auszuwählen. Das Vormundschaftsgericht soll eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. Bei der Auswahl ist auf das religiöse Bekenntniß des Mündels Rücksicht zu nehmen. Verwandte und Verschwägerte des Mündels sind zunächst zu berücksichtigen. § 1780. Zum Vormunde kann nicht bestellt werden, wer geschäftsunfähig oder wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt ist. § 1781. Zum Vormunde soll nicht bestellt werden: 1. wer minderjährig oder nach § 1906 unter vorläufige Vormundschaft gestellt ist; 2. wer nach § 1910 zur Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten einen Pfleger erhalten hat; 3. wer in Konkurs gerathen ist, während der Dauer des Konkurses; 4. wer der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt ist, soweit sich nicht aus den Vorschriften des Strafgesetzbuchs ein Anderes ergiebt. § 1782. Zum Vormunde soll nicht bestellt werden, wer durch Anordnung des Vaters oder der ehelichen Mutter des Mündels von der Vormundschaft ausgeschlossen ist. Die Mutter kann den von dem Vater als Vormund Benannten nicht ausschließen. Auf die Ausschließung finden die Vorschriften des § 1777 Anwendung. § 1783. Eine Frau, die mit einem Anderen als dem Vater des Mündels verheirathet ist, soll nur mit Zustimmung ihres Mannes zum Vormunde bestellt werden.
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Teil 2
§ 1784. Ein Beamter oder Religionsdiener, der nach den Landesgesetzen einer besonderen Erlaubniß zur Uebernahme einer Vormundschaft bedarf, soll nicht ohne die vorgeschriebene Erlaubniß zum Vormunde bestellt werden. § 1785. Jeder Deutsche hat die Vormundschaft, für die er von dem Vormundschaftsgericht ausgewählt wird, zu übernehmen, sofern nicht seiner Bestellung zum Vormund einer der in den §§ 1780 bis 1784 bestimmten Gründe entgegensteht. § 1786. Die Uebernahme der Vormundschaft kann ablehnen: 1. eine Frau; 2. wer das sechzigste Lebensjahr vollendet hat; 3. wer mehr als vier minderjährige eheliche Kinder hat; ein von einem Anderen an Kindesstatt angenommenes Kind wird nicht gerechnet; 4. wer durch Krankheit oder durch Gebrechen verhindert ist, die Vormundschaft ordnungsmäßig zu führen; 5. wer wegen Entfernung seines Wohnsitzes von dem Sitze des Vormundschaftsgerichts die Vormundschaft nicht ohne besondere Belästigung führen kann; 6. wer nach § 1844 zur Sicherheitsleistung angehalten wird; 7. wer mit einem Anderen zur gemeinschaftlichen Führung der Vormundschaft bestellt werden soll; 8. wer mehr als eine Vormundschaft oder Pflegschaft führt; die Vormundschaft oder Pflegschaft über mehrere Geschwister gilt nur als eine; die Führung von zwei Gegenvormundschaften steht der Führung einer Vormundschaft gleich. Das Ablehnungsrecht erlischt, wenn es nicht vor der Bestellung bei dem Vormundschaftsgerichte geltend gemacht wird. § 1787. Wer die Uebernahme der Vormundschaft ohne Grund ablehnt, ist, wenn ihm ein Verschulden zur Last fällt, für den Schaden verantwortlich, der dem Mündel dadurch entsteht, daß sich die Bestellung des Vormundes verzögert. Erklärt das Vormundschaftsgericht die Ablehnung für unbegründet, so hat der Ablehnende, unbeschadet der ihm zustehenden Rechtsmittel, die Vormundschaft auf Erfordern des Vormundschaftsgerichts vorläufig zu übernehmen. § 1788. Das Vormundschaftsgericht kann den zum Vormund Ausgewählten durch Ordnungsstrafen zur Uebernahme der Vormundschaft anhalten. Die einzelne Strafe darf den Betrag von dreihundert Mark nicht übersteigen. Die Strafen dürfen nur in Zwischenräumen von mindestens einer Woche verhängt werden. Mehr als drei Strafen dürfen nicht verhängt werden. § 1789. Der Vormund wird von dem Vormundschaftsgerichte durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Vormundschaft bestellt. Die Verpflichtung soll mittelst Handschlags an Eidesstatt erfolgen. § 1790. Bei der Bestellung des Vormundes kann die Entlassung für den Fall vorbehalten werden, daß ein bestimmtes Ereigniß eintritt oder nicht eintritt. § 1791. Der Vormund erhält eine Bestallung. Die Bestallung soll enthalten den Namen und die Zeit der Geburt des Mündels, die Namen des Vormundes, des Gegenvormundes und der Mitvormünder sowie im Falle der Theilung der Vormundschaft die Art der Theilung. Ist ein Familienrath eingesetzt, so ist auch dies anzugeben. § 1792. Neben dem Vormunde kann ein Gegenvormund bestellt werden.
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Ein Gegenvormund soll bestellt werden, wenn mit der Vormundschaft eine Vermögensverwaltung verbunden ist, es sei denn, daß die Verwaltung nicht erheblich oder daß die Vormundschaft von mehreren Vormündern gemeinschaftlich zu führen ist. Ist die Vormundschaft von mehreren Vormündern nicht gemeinschaftlich zu führen, so kann der eine Vormund zum Gegenvormunde des anderen bestellt werden. Auf die Berufung und Bestellung des Gegenvormundes finden die für die Berufung und Bestellung des Vormundes geltenden Vorschriften Anwendung. II. Führung der Vormundschaft. […] III. Fürsorge und Aufsicht des Vormundschaftsgerichts. […] IV. Mitwirkung des Gemeindewaisenraths. […] V. Befreite Vormundschaft. § 1852. Der Vater kann, wenn er einen Vormund benennt, die Bestellung eines Gegenvormundes ausschließen. Der Vater kann anordnen, daß der von ihm benannte Vormund bei der Anlegung von Geld den in den §§ 1809, 1810 bestimmten Beschränkungen nicht unterliegen und zu den im § 1812 bezeichneten Rechtsgeschäften der Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts nicht bedürfen soll. Diese Anordnungen sind als getroffen anzusehen, wenn der Vater die Bestellung eines Gegenvormundes ausgeschlossen hat. § 1853. Der Vater kann den von ihm benannten Vormund von der Verpflichtung entbinden, Inhaber- und Orderpapiere zu hinterlegen und den im § 1816 bezeichneten Vermerk in das Reichsschuldbuch oder das Staatsschuldbuch eintragen zu lassen. § 1854. Der Vater kann den von ihm benannten Vormund von der Verpflichtung entbinden, während der Dauer seines Amtes Rechnung zu legen. Der Vormund hat in einem solchen Falle nach dem Ablaufe von je zwei Jahren eine Uebersicht über den Bestand des seiner Verwaltung unterliegenden Vermögens dem Vormundschaftsgericht einzureichen. Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, daß die Uebersicht in längeren, höchstens fünfjährigen Zwischenräumen einzureichen ist. Ist ein Gegenvormund vorhanden oder zu bestellen, so hat ihm der Vormund die Uebersicht unter Nachweisung des Vermögensbestandes vorzulegen. Der Gegenvormund hat die Uebersicht mit den Bemerkungen zu versehen, zu denen die Prüfung ihm Anlaß giebt. § 1855. Benennt die eheliche Mutter einen Vormund, so kann sie die gleichen Anordnungen treffen wie nach den §§ 1852 bis 1854 der Vater. § 1856. Auf die nach den §§ 1852 bis 1855 zulässigen Anordnungen finden die Vorschriften des § 1777 Anwendung. § 1857. Die Anordnungen des Vaters oder der Mutter können von dem Vormundschaftsgericht außer Kraft gesetzt werden, wenn ihre Befolgung das Interesse des Mündels gefährden würde.
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Teil 2
VI. Familienrath. […] VII. Beendigung der Vormundschaft. § 1882. Die Vormundschaft endigt mit dem Wegfalle der im § 1773 für die Anordnung der Vormundschaft bestimmten Voraussetzungen. § 1883. Wird der Mündel durch nachfolgende Ehe legitimiert, so endigt die Vormundschaft erst dann, wenn die Vaterschaft des Ehemanns durch ein zwischen ihm und dem Mündel ergangenes Urtheil rechtskräftig festgestellt ist oder die Aufhebung der Vormundschaft von dem Vormundschaftsgericht angeordnet wird. Das Vormundschaftsgericht hat die Aufhebung anzuordnen, wenn es die Voraussetzungen der Legitimation für vorhanden erachtet. Solange der Ehemann lebt, soll die Aufhebung nur angeordnet werden, wenn er die Vaterschaft anerkannt hat oder wenn er an der Abgabe einer Erklärung dauernd verhindert oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist. […] § 1887. Das Vormundschaftsgericht kann eine Frau, die zum Vormunde bestellt ist, entlassen, wenn sie sich verheirathet. Das Vormundschaftsgericht hat eine verheirathete Frau, die zum Vormunde bestellt ist, zu entlassen, wenn der Mann seine Zustimmung zur Uebernahme oder zur Fortführung der Vormundschaft versagt oder die Zustimmung widerruft. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn der Mann der Vater des Mündels ist. […] Zweiter Titel. Vormundschaft über Volljährige. § 1896. Ein Volljähriger erhält einen Vormund, wenn er entmündigt ist. § 1897. Auf die Vormundschaft über einen Volljährigen finden die für die Vormundschaft über einen Minderjährigen geltenden Vorschriften Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 1898 bis 1908 ein Anderes ergiebt. § 1898. Der Vater und die Mutter des Mündels sind nicht berechtigt, einen Vormund zu benennen oder Jemand von der Vormundschaft auszuschließen. § 1899. Vor den Großvätern ist der Vater und nach ihm die eheliche Mutter des Mündels als Vormund berufen. Die Eltern sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Stammt der Mündel aus einer nichtigen Ehe, so ist der Vater im Falle des § 1701, die Mutter im Falle des § 1702 nicht berufen. § 1900. Eine Ehefrau darf zum Vormund ihres Mannes auch ohne dessen Zustimmung bestellt werden. Der Ehegatte des Mündels darf vor den Eltern und den Großvätern, die eheliche Mutter darf im Falle des § 1702 vor den Großvätern zum Vormunde bestellt werden. Die uneheliche Mutter darf vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden. § 1901. Der Vormund hat für die Person des Mündels nur insoweit zu sorgen, als der Zweck der Vormundschaft es erfordert. Steht eine Ehefrau unter Vormundschaft, so tritt die im § 1633 bestimmte Beschränkung nicht ein. § 1902. Der Vormund kann eine Ausstattung aus dem Vermögen des Mündels nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts versprechen oder gewähren.
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Zu einem Mieth- oder Pachtvertrage sowie zu einem anderen Vertrage, durch den der Mündel zu wiederkehrenden Leistungen verpflichtet wird, bedarf der Vormund der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn das Vertragsverhältniß länger als vier Jahre dauern soll. Die Vorschrift des § 1822 Nr. 4 bleibt unberührt. § 1903. Wird der Vater des Mündels zum Vormunde bestellt, so unterbleibt die Bestellung eines Gegenvormundes. Dem Vater stehen die Befreiungen zu, die nach den §§ 1852 bis 1854 angeordnet werden können. Das Vormundschaftsgericht kann die Befreiungen außer Kraft setzen, wenn sie das Interesse des Mündels gefährden. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn der Vater im Falle der Minderjährigkeit des Mündels zur Vermögensverwaltung nicht berechtigt sein würde. § 1904. Ist die eheliche Mutter des Mündels zum Vormunde bestellt, so gilt für sie das Gleiche wie nach § 1903 für den Vater. Der Mutter ist jedoch ein Gegenvormund zu bestellen, wenn sie die Bestellung beantragt oder wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ihr nach § 1687 Nr. 3 ein Beistand zu bestellen sein würde. Wird ein Gegenvormund bestellt, so stehen der Mutter die im § 1852 bezeichneten Befreiungen nicht zu. § 1905. Ein Familienrath kann nur nach § 1859 Abs. 1 eingesetzt werden. Der Vater und die Mutter des Mündels sind nicht berechtigt, Anordnungen über die Einsetzung und Aufhebung eines Familienraths oder über die Mitgliedschaft zu treffen. § 1906. Ein Volljähriger, dessen Entmündigung beantragt ist, kann unter vorläufige Vormundschaft gestellt werden, wenn das Vormundschaftsgericht es zur Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Person oder des Vermögens des Volljährigen für erforderlich erachtet. § 1907. Die Vorschriften über die Berufung zur Vormundschaft gelten nicht für die vorläufige Vormundschaft. § 1908. Die vorläufige Vormundschaft endigt mit der Rücknahme oder der rechtskräftigen Abweisung des Antrags auf Entmündigung. Erfolgt die Entmündigung, so endigt die vorläufige Vormundschaft, wenn auf Grund der Entmündigung ein Vormund bestellt wird. Die vorläufige Vormundschaft ist von dem Vormundschaftsgericht aufzuheben, wenn der Mündel des vorläufigen vormundschaftlichen Schutzes nicht mehr bedürftig ist. Dritter Titel. Pflegschaft. § 1909. Wer unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, erhält für Angelegenheiten, an deren Besorgung der Gewalthaber oder der Vormund verhindert ist, einen Pfleger. Er erhält insbesondere einen Pfleger zur Verwaltung des Vermögens, das er von Todeswegen erwirbt oder das ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß dem Gewalthaber oder dem Vormunde die Verwaltung nicht zustehen soll. Tritt das Bedürfniß einer Pflegschaft ein, so hat der Gewalthaber oder der Vormund dem Vormundschaftsgericht unverzüglich Anzeige zu machen.
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Teil 2
Die Pflegschaft ist auch dann anzuordnen, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung einer Vormundschaft vorliegen, ein Vormund aber noch nicht bestellt ist. § 1910. Ein Volljähriger, der nicht unter Vormundschaft steht, kann einen Pfleger für seine Person und sein Vermögen erhalten, wenn er in Folge körperlicher Gebrechen, insbesondere weil er taub, blind oder stumm ist, seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Vermag ein Volljähriger, der nicht unter Vormundschaft steht, in Folge geistiger oder körperlicher Gebrechen einzelne seiner Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondere seine Vermögensangelegenheiten, nicht zu besorgen, so kann er für diese Angelegenheiten einen Pfleger erhalten. Die Pflegschaft darf nur mit Einwilligung des Gebrechlichen angeordnet werden, es sei denn, daß eine Verständigung mit ihm nicht möglich ist. § 1911. Ein abwesender Volljähriger, dessen Aufenthalt unbekannt ist, erhält für seine Vermögensangelegenheiten, soweit sie der Fürsorge bedürfen, einen Abwesenheitspfleger. Ein solcher Pfleger ist ihm insbesondere auch dann zu bestellen, wenn er durch Ertheilung eines Auftrags oder einer Vollmacht Fürsorge getroffen hat, aber Umstände eingetreten sind, die zum Widerrufe des Auftrags oder der Vollmacht Anlaß geben. Das Gleiche gilt von einem Abwesenden, dessen Aufenthalt bekannt, der aber an der Rückkehr und der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten verhindert ist. § 1912. Eine Leibesfrucht erhält zur Wahrung ihrer künftigen Rechte, soweit diese einer Fürsorge bedürfen, einen Pfleger. Die Fürsorge steht jedoch dem Vater oder der Mutter zu, wenn das Kind, falls es bereits geboren wäre, unter elterlicher Gewalt stehen würde. § 1913. Ist unbekannt oder ungewiß, wer bei einer Angelegenheit der Betheiligte ist, so kann dem Betheiligten für diese Angelegenheit, soweit eine Fürsorge erforderlich ist, ein Pfleger bestellt werden. Insbesondere kann einem Nacherben, der noch nicht erzeugt ist oder dessen Persönlichkeit erst durch ein künftiges Ereigniß bestimmt wird, für die Zeit bis zum Eintritte der Nacherbfolge ein Pfleger bestellt werden. […] Fünftes Buch. Erbrecht. Erster Abschnitt. Erbfolge. § 1922. Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. Auf den Antheil eines Miterben (Erbtheil) finden die sich auf die Erbschaft beziehenden Vorschriften Anwendung. § 1923. Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt. Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits erzeugt war, gilt als vor dem Erbfalle geboren. § 1924. Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers. Ein zur Zeit des Erbfalls lebender Abkömmling schließt die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus.
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An die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlinges treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erbfolge nach Stämmen). Kinder erben zu gleichen Theilen. § 1925. Gesetzliche Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Leben zur Zeit des Erbfalls die Eltern, so erben sie allein und zu gleichen Theilen. Lebt zur Zeit des Erbfalls der Vater oder die Mutter nicht mehr, so treten an die Stelle des Verstorbenen dessen Abkömmlinge nach den für die Beerbung in der ersten Ordnung geltenden Vorschriften. Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so erbt der überlebende Theil allein. § 1926. Gesetzliche Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Leben zur Zeit des Erbfalls die Großeltern, so erben sie allein und zu gleichen Theilen. Lebt zur Zeit des Erbfalls von den väterlichen oder von den mütterlichen Großeltern der Großvater oder die Großmutter nicht mehr, so treten an die Stelle des Verstorbenen dessen Abkömmlinge. Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so fällt der Antheil des Verstorbenen dem anderen Theile des Großelternpaars und, wenn dieser nicht mehr lebt, dessen Abkömmlingen zu. Leben zur Zeit des Erbfalls die väterlichen oder die mütterlichen Großeltern nicht mehr und sind Abkömmlinge der Verstorbenen nicht vorhanden, so erben die anderen Großeltern oder ihre Abkömmlinge allein. Soweit Abkömmlinge an die Stelle ihrer Eltern oder ihrer Voreltern treten, finden die für die Beerbung in der ersten Ordnung geltenden Vorschriften Anwendung. § 1927. Wer in der ersten, der zweiten oder der dritten Ordnung verschiedenen Stämmen angehört, erhält den in jedem dieser Stämme ihm zufallenden Antheil. Jeder Antheil gilt als besonderer Erbtheil. § 1928. Gesetzliche Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Leben zur Zeit des Erbfalls Urgroßeltern, so erben sie allein; mehrere erben zu gleichen Theilen, ohne Unterschied, ob sie derselben Linie oder verschiedenen Linien angehören. Leben zur Zeit des Erbfalls Urgroßeltern nicht mehr, so erbt von ihren Abkömmlingen derjenige, welcher mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandt ist; mehrere gleich nahe Verwandte erben zu gleichen Theilen. § 1929. Gesetzliche Erben der fünften Ordnung und der ferneren Ordnungen sind die entfernteren Voreltern des Erblassers und deren Abkömmlinge. Die Vorschriften des § 1928 Abs. 2, 3 finden entsprechende Anwendung. § 1930. Ein Verwandter ist nicht zur Erbfolge berufen, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist.
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Teil 2
§ 1931. Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertheile, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen. Treffen mit Großeltern Abkömmlinge von Großeltern zusammen, so erhält der Ehegatte auch von der anderen Hälfte den Antheil, der nach § 1926 den Abkömmlingen zufallen würde. Sind weder Verwandte der ersten oder der zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte die ganze Erbschaft. § 1932. Ist der überlebende Ehegatte neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern gesetzlicher Erbe, so gebühren ihm außer dem Erbtheile die zum ehelichen Haushalte gehörenden Gegenstände, soweit sie nicht Zubehör eines Grundstücks sind, und die Hochzeitsgeschenke als Voraus. Auf den Voraus finden die für Vermächtnisse geltenden Vorschriften Anwendung. § 1933. Das Erbrecht des überlebenden Ehegatten sowie das Recht auf den Voraus ist ausgeschlossen, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes auf Scheidung wegen Verschuldens des Ehegatten zu klagen berechtigt war und die Klage auf Scheidung oder auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erhoben hatte. § 1934. Gehört der überlebende Ehegatte zu den erbberechtigten Verwandten, so erbt er zugleich als Verwandter. Der Erbtheil, der ihm auf Grund der Verwandtschaft zufällt, gilt als besonderer Erbtheil. § 1935. Fällt ein gesetzlicher Erbe vor oder nach dem Erbfalle weg und erhöht sich in Folge dessen der Erbtheil eines anderen gesetzlichen Erben, so gilt der Theil, um welchen sich der Erbtheil erhöht, in Ansehung der Vermächtnisse und Auflagen, mit denen dieser Erbe oder der wegfallende Erbe beschwert ist, sowie in Ansehung der Ausgleichungspflicht als besonderer Erbtheil. § 1936. Ist zur Zeit des Erbfalls weder ein Verwandter noch ein Ehegatte des Erblassers vorhanden, so ist der Fiskus des Bundesstaats, dem der Erblasser zur Zeit des Todes angehört hat, gesetzlicher Erbe. Hat der Erblasser mehreren Bundesstaaten angehört, so ist der Fiskus eines jeden dieser Staaten zu gleichem Antheile zur Erbfolge berufen. War der Erblasser ein Deutscher, der keinem Bundesstaat angehörte, so ist der Reichsfiskus gesetzlicher Erbe. § 1937. Der Erblasser kann durch einseitige Verfügung von Todeswegen (Testament, letztwillige Verfügung) den Erben bestimmen. § 1938. Der Erblasser kann durch Testament einen Verwandten oder den Ehegatten von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen, ohne einen Erben einzusetzen. § 1939. Der Erblasser kann durch Testament einem Anderen, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvortheil zuwenden (Vermächtniß). § 1940. Der Erblasser kann durch Testament den Erben oder einen Vermächtnißnehmer zu einer Leistung verpflichten, ohne einem Anderen ein Recht auf die Leistung zuzuwenden (Auflage). § 1941. Der Erblasser kann durch Vertrag einen Erben einsetzen sowie Vermächtnisse und Auflagen anordnen (Erbvertrag). Als Erbe (Vertragserbe) oder als Vermächtnißnehmer kann sowohl der andere Vertragschließende als ein Dritter bedacht werden.
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Zweiter Abschnitt. Rechtliche Stellung des Erben. Zweiter Titel. Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeiten. I. Nachlaßverbindlichkeiten. […] § 1969. Der Erbe ist verpflichtet, Familienangehörigen des Erblassers, die zur Zeit des Todes des Erblassers zu dessen Hausstande gehört und von ihm Unterhalt bezogen haben, in den ersten dreißig Tagen nach dem Eintritte des Erbfalls in demselben Umfange, wie der Erblasser es gethan hat, Unterhalt zu gewähren und die Benutzung der Wohnung und der Haushaltsgegenstände zu gestatten. Der Erblasser kann durch letztwillige Verfügung eine abweichende Anordnung treffen. Die Vorschriften über Vermächtnisse finden entsprechende Anwendung.
68.
Die „Anträge Pauli“ (Stumm-Halberg, Kempin) zugunsten der Frauen in den Beratungen der XII. Kommission des Reichstags, 1896
Aus den Protokollen der XII. Kommission des Reichstags, 7.5.-6.6.1896, in: JAKOBS, Horst Heinrich/SCHUBERT, Werner: Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Familienrecht I (Berlin 1987), II (Berlin 1988) Kommentar: Die „Anträge Pauli“ sollten besser als Anträge Pauli/Stumm/Kempin bezeichnet werden. Der Antragsteller Moritz Pauli, Abgeordneter der rechtskonservativen Deutschen Reichspartei, tritt in den Diskussionen nicht persönlich auf. Statt dessen erscheint in der XII. Kommission und auch später im Reichstagsplenum eine führende Persönlichkeit der Reichspartei, der Abgeordnete Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg, Eigentümer eines Großunternehmens in der saarländischen Schwerindustrie: „In Beziehung auf diese sämtlichen Anträge bemerkte der Abgeordnete v. Stumm, daß sie als von ihm gestellte Anträge zu betrachten seien. Ausgearbeitet sind sie, wie allgemein angenommen wird, von dem als Rechtskonsulentin hier wohnenden Fräulein Dr. jur. Kempin.“ Emilie Kempin, kein „Fräulein“, sondern eine bereits seit 1875 verheiratete Frau, deren Zusammenarbeit mit Stumm nachgewiesen ist, und die begreiflicherweise in ihren Veröffentlichungen die Anträge Pauli immer wieder lobt, ist damit in das Umfeld der Antragsteller einzubeziehen. Insgesamt werden in 32 Anträgen vielfältige Verbesserungen für die Frauen im BGB verlangt, wobei ein Schwerpunkt der Vorschläge auf dem ehelichen Güterrecht liegt. Der Antrag zur Einführung der Gütertrennung verfolgt sicherlich die tiefgreifendste Änderung und zugleich ein Ziel, das Stumm und Pauli als ihr wichtigstes betrachten: Sie wiederholen den Antrag nach seiner Ablehnung in der 1. Lesung der XII. Kommission der Sache nach in der dortigen 2. Lesung und dann erneut im Plenum des Reichstags. Alle drei Male bleibt ihr Begehren ohne Erfolg. Doch es gibt andere Antragsziele, in denen nach teils langwierigen Kämpfen Stumms (vgl. hierzu die im folgenden abgedruckten Kommissionsprotokolle) kleine, aber merkliche Verbesserungen zugunsten der Frauen durchgesetzt werden können, u.a. gehört hierzu eine Gleichstellung der Frau im Vormundschaftsrecht. Es fällt auf, daß bestimmte Bereiche des Familienrechts in den Anträgen Pauli nicht enthalten sind. Möglicherweise sieht die Reichspartei hier keinen Änderungsbedarf. Dies betrifft z.B. die Paragraphen zur männlichen Eheherrschaft (zu denen Stumm während der Sitzung einen Antrag stellt, der aber nicht die Eheherrschaft prinzipiell streichen, sondern nur die Weigerungsgründe der Frau klarer definieren will) und weiterhin das Recht der nichtehelichen Kinder.
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Zweiter Abschnitt. Rechtliche Stellung des Erben. Zweiter Titel. Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeiten. I. Nachlaßverbindlichkeiten. […] § 1969. Der Erbe ist verpflichtet, Familienangehörigen des Erblassers, die zur Zeit des Todes des Erblassers zu dessen Hausstande gehört und von ihm Unterhalt bezogen haben, in den ersten dreißig Tagen nach dem Eintritte des Erbfalls in demselben Umfange, wie der Erblasser es gethan hat, Unterhalt zu gewähren und die Benutzung der Wohnung und der Haushaltsgegenstände zu gestatten. Der Erblasser kann durch letztwillige Verfügung eine abweichende Anordnung treffen. Die Vorschriften über Vermächtnisse finden entsprechende Anwendung.
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Die „Anträge Pauli“ (Stumm-Halberg, Kempin) zugunsten der Frauen in den Beratungen der XII. Kommission des Reichstags, 1896
Aus den Protokollen der XII. Kommission des Reichstags, 7.5.-6.6.1896, in: JAKOBS, Horst Heinrich/SCHUBERT, Werner: Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Familienrecht I (Berlin 1987), II (Berlin 1988) Kommentar: Die „Anträge Pauli“ sollten besser als Anträge Pauli/Stumm/Kempin bezeichnet werden. Der Antragsteller Moritz Pauli, Abgeordneter der rechtskonservativen Deutschen Reichspartei, tritt in den Diskussionen nicht persönlich auf. Statt dessen erscheint in der XII. Kommission und auch später im Reichstagsplenum eine führende Persönlichkeit der Reichspartei, der Abgeordnete Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg, Eigentümer eines Großunternehmens in der saarländischen Schwerindustrie: „In Beziehung auf diese sämtlichen Anträge bemerkte der Abgeordnete v. Stumm, daß sie als von ihm gestellte Anträge zu betrachten seien. Ausgearbeitet sind sie, wie allgemein angenommen wird, von dem als Rechtskonsulentin hier wohnenden Fräulein Dr. jur. Kempin.“ Emilie Kempin, kein „Fräulein“, sondern eine bereits seit 1875 verheiratete Frau, deren Zusammenarbeit mit Stumm nachgewiesen ist, und die begreiflicherweise in ihren Veröffentlichungen die Anträge Pauli immer wieder lobt, ist damit in das Umfeld der Antragsteller einzubeziehen. Insgesamt werden in 32 Anträgen vielfältige Verbesserungen für die Frauen im BGB verlangt, wobei ein Schwerpunkt der Vorschläge auf dem ehelichen Güterrecht liegt. Der Antrag zur Einführung der Gütertrennung verfolgt sicherlich die tiefgreifendste Änderung und zugleich ein Ziel, das Stumm und Pauli als ihr wichtigstes betrachten: Sie wiederholen den Antrag nach seiner Ablehnung in der 1. Lesung der XII. Kommission der Sache nach in der dortigen 2. Lesung und dann erneut im Plenum des Reichstags. Alle drei Male bleibt ihr Begehren ohne Erfolg. Doch es gibt andere Antragsziele, in denen nach teils langwierigen Kämpfen Stumms (vgl. hierzu die im folgenden abgedruckten Kommissionsprotokolle) kleine, aber merkliche Verbesserungen zugunsten der Frauen durchgesetzt werden können, u.a. gehört hierzu eine Gleichstellung der Frau im Vormundschaftsrecht. Es fällt auf, daß bestimmte Bereiche des Familienrechts in den Anträgen Pauli nicht enthalten sind. Möglicherweise sieht die Reichspartei hier keinen Änderungsbedarf. Dies betrifft z.B. die Paragraphen zur männlichen Eheherrschaft (zu denen Stumm während der Sitzung einen Antrag stellt, der aber nicht die Eheherrschaft prinzipiell streichen, sondern nur die Weigerungsgründe der Frau klarer definieren will) und weiterhin das Recht der nichtehelichen Kinder.
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Teil 2
Mit Sicherheit sind die Anträge Pauli noch nicht geeignet, die vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen. Sie gehen nicht so weit wie die Gegenentwürfe der Frauenbewegung, nicht so weit wie die Anträge der SPD, und sie bleiben punktuell auch hinter den zu einigen Eherechtsbestimmungen gestellten Anträgen von linksliberaler Seite (Abgeordneter Gustav Kauffmann, Freisinnige Volkspartei, Rechtsanwalt und Notar in Berlin) zurück. Nur haben die Anträge Pauli einen unschätzbaren Vorzug: sie sind erfolgreich. Sie werden in einigen Punkten durchgesetzt und führen zu nachweisbaren Änderungen des BGB zugunsten der Frauen. Berücksichtigt man die Anteile Kempins, so hat hier zum ersten Mal eine weibliche Juristin zugunsten von Frauen erfolgreich in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß zum Familienrecht eingegriffen. Literatur: Duncker, Die Anträge Pauli – ein Gegenentwurf zugunsten der Frauen in den Beratungen zum BGB, in: Meder/Duncker/Czelk (Hg.): Frauenrecht und Rechtsgeschichte. Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, 2006, S. 247-278; Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 853-856.
Tabellarische Übersicht zu den Anträgen Pauli/Stumm Norm E III: § 1337 BGB § 1354 E III: § 1338 BGB § 1355 E III: § 1340 II BGB § 1357 E III: § 1341 BGB § 1358
E III: § 1345 BGB § 1362 E III: §§ 1346 ff. BGB §§ 1363 ff.
E III § 1351 BGB § 1369
Inhalt Grenzen des ehemännlichen Entscheidungsrechts Antrag Stumms Namensrecht Erweiterungsantrag Stumms zu einem Antrag Kauffmanns Schlüsselgewalt Antrag Nr. 1 Kündigungsrecht des Mannes bei persönlichen Verpflichtungen der Frau gegenüber Dritten Antrag Nr. 2, dann Eventualantrag und Antrag zur 2. Lesung praesumtio Muciana Schlußteil von Antrag Nr. 2, dann Eventualantrag Eheliches Güterrecht Sammelantrag mit Nummern (Teilabschnitten) von 3-22, fordert u.a. Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht
Datum 7.5.1896 gegen neun Stimmen abgelehnt 7.5.1896 i.E. abgelehnt
7.5.1896 gegen drei Stimmen abgelehnt
7.5.1896 Mehrheit dagegen, Stumm bringt vermittelnde Fassung als Eventualantrag ein 8.5.1896 Eventualantrag mehrheitlich abgelehnt 6.6.1896 Antrag zur 2. Lesung einstimmig angenommen 8.5.1896 umfangreiche Diskussion. Eventualantrag Stumms mit erheblicher Mehrheit angenommen 8.5.1896 grundsätzliche Stellungnahme Stumms. 9.5.1896 Abstimmung: Mehrheit gegen Gütertrennung. Stumm zieht Anträge 3 (eigentlich 4)-22 zurück. Hat sich jedoch vorbehalten, bei der Einzelberatung auf den einen oder anderen von ihnen zurückzukommen. 6.6.1896 neuer Antrag gegen 6 Stimmen abgelehnt (2 Reichspartei, 2 Freisinnige, 2 SPD) Antrag i.d. 1. Lesung; Neu- 9.5.1896 abgelehnt antrag zur 2. Lesung in der 6.6.1896 neuer Antrag mehrheitlich abKommission gelehnt
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Rechtsquellen E III §§ 1612, 1626, 1637, 1642, 1646, 1660 I, 1661, 1663 E III §§ 1612, 1642 E III § 1626 E III § 1646 E III § 1660 E III § 1661
E III § 1663 E III §§ 1759 I; 1842 §§ 1783, 1866 BGB
Elterliche Gewalt (Anträge Diskussion 13.-15.5.1896 23-30) Elterliche Gewalt der Mutter, Vertretung Väterlicher Nießbrauch Väterlicher Nießbrauch
13.5.1896 unter Vorbehalt der Fassung nahezu einstimmig angenommen 13.5.1896 gegen 7 Stimmen abgelehnt 15.5.1896 mit 11 gegen 10 Stimmen angenommen Verhinderung des Vaters 15.5.1896 der Redaktionskommission überwiesen Elterliche Gewalt der Mutter 15.5.1896 teilweise „im Hinblick auf die Beschlußfassung zum § 1626 zurückgezogen“; Rest ist identisch mit Antrag Frohme/Stadthagen (SPD), dieser wird bei Abstimmung angenommen Bezug auf § 1642 15.5.1896 der Redaktionskommission überwiesen Vormundschaftsrecht sowie 16.5.1896 beide angenommen Familienrat (Anträge 31-32)
Die Anträge Pauli/Stumm und ihre Behandlung [Zur Herkunft der Anträge. Sitzungsprotokoll der XII. Kommission des Reichstags vom 7.5.1896 (Protokollant: Heller). Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Familienrecht I (1987), S. 353:] „Bei dem § 1340 kam der erste der in der Drucksache Nr. 60 enthaltenen Anträge Pauli zur Beratung. In Beziehung auf diese sämtlichen Anträge bemerkte der Abgeordnete v. Stumm, daß sie als von ihm gestellte Anträge zu betrachten seien. Ausgearbeitet sind sie, wie allgemein angenommen wird, von dem als Rechtskonsulentin hier wohnenden Fräulein Dr. jur. Kempin.“ [Zu Wortlaut und Behandlung der Anträge laut Sitzungsprotokollen der XII. Kommission des Reichstags:] [I. Allgemeine Wirkungen der Ehe] [Schlüsselgewalt] (348) 1. Der Wortlaut des § 1340 Absatz 2 [§§ 1340 E III, 1357 BGB sind identisch]: „Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen. Stellt sich die Beschränkung oder die Ausschließung als Mißbrauch des Rechts des Mannes dar, so kann sie auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1418 wirksam.“ wird ersetzt durch folgenden Wortlaut: „Erweist sich die Frau zur Vertretung ihres Mannes innerhalb des angegebenen Wirkungskreises als gänzlich unfähig oder mißbraucht sie ihre Vertretungsbefugniß in grober Weise, so kann ihr dieselbe auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht beschränkt oder entzogen werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1418 wirksam.“ [Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 348]
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[Kündigungsrecht des Ehemanns bei Verpflichtungen der Frau; Eigentumsvermutungen zugunsten des Mannes] [a.) Ursprüngliche Anträge Pauli] (348) 2. Der ganze § 1341, welcher lautet: „Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, daß er der Verpflichtung zugestimmt hat oder seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert und mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist, oder wenn die Verweigerung der Zustimmung sich als Mißbrauch seines Rechtes darstellt. Die Zustimmung sowie die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter erfolgen; ist der Mann in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, so lange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist.“ wird durch folgenden Wortlaut ersetzt: „Die Ehefrau ist berechtigt, ohne Einwilligung des Mannes einen selbständigen Beruf oder Gewerbe zu betreiben und sich Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung zu verpflichten. Erweist sich solche Thätigkeit der Ehefrau als eine Schädigung der ehelichen oder Familieninteressen, so kann ihr die Fortsetzung derselben auf Antrag des Mannes vom Vormundschaftsgericht untersagt werden. Auf Grund einer diesbezüglichen Verfügung des Vormundschaftsgerichtes ist der Mann berechtigt, das Rechtsverhältniß, durch welches seine Frau sich (349) zu einer in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet hat, unter Einhaltung einer vom Vormundschaftsgericht zu bestimmenden Frist zu kündigen.“ § 1345 fällt weg. [Anmerkung: § 1345 E III lautete: „Es wird vermuthet, daß die im Besitz eines der Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind. Die Vermuthung gilt nicht für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere nicht für Kleider und Schmucksachen.“ Während der Sitzung am 8.5.1896 stellte Stumm unter Festhalten an seinem Hauptantrag für den Fall der Ablehnung einen Eventualantrag: Der Anfang des Paragraphen solle gefaßt werden „Es wird zu Gunsten der Gläubiger des Ehemanns vermutet, …“. (Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 356)] [b) Später gestellte weitere Anträge Stumm/Pauli] [Zu § 1341: Ein späterer (als Kompromiß zu verstehender) Antrag Stumms zur Neufassung des § 1341 lautete:] Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn auf Antrag des Mannes das Vormundschaftsgericht den Mann zu der Kündigung ermächtigt hat. Das Vormundschaftsgericht kann die Ermächtigung nur ertheilen, wenn die Fortsetzung der Thätigkeit der Frau sich als eine Schädigung der ehelichen und Familieninteressen erweist. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, wenn der Mann der Verpflichtung zugestimmt hat, oder seine Zustim-
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mung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist. [Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 350. Zur 2. Lesung wurde der Antrag durch v. Stumm-Halberg und Pauli erneut gestellt, mit etwas verändertem Text:] Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn auf Antrag des Mannes das Vormundschaftsgericht den Mann zu der Kündigung ermächtigt hat. Das Vormundschaftsgericht muß die Ermächtigung ertheilen, wenn die Fortsetzung der Thätigkeit der Frau sich als eine Schädigung der ehelichen und Familieninteressen erweist. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, wenn der Mann der Verpflichtung der Frau zugestimmt hat, oder seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt worden ist [Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 357]. [Eheherrschaft des Mannes, Wohnungsfolgepflicht der Frau] [Hierzu lag zunächst kein Antrag Stumm/Pauli vor. Gröber hatte einen Antrag zur Wohnungsfolgepflicht der Frau gestellt. Danach sollte als neuer § 1337 a. eingefügt werden:] „(I) Der Mann ist verpflichtet, einen eigenen Haushalt zu errichten, in welchem die Frau die ihr gebührende Stellung als Hausfrau einnimmt. (II) Die Frau ist verpflichtet, dem Mann in dessen Wohnung zu folgen, es sei denn, daß eine ernstliche Gefahr für ihr Wohl, insbesondere für ihr Leben oder ihre Gesundheit, oder eine gegründete Besorgniß wegen des künftigen Unterhalts eine Weigerung rechtfertigt.“ [Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 349]. [Stumm beantragte während der Kommissionsberatungen am 7.5.1896 folgende Fassung, vgl. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 352:] den Abs. 1 zu streichen und den Abs. 2 in folgender Fassung dem Abs. 2 des § 1337 als zweiten Satz anzufügen: „Als ein solcher Mißbrauch ist sie insbesondere dann anzusehen, wenn eine ernstliche Gefahr für das Wohl der Frau, insbesondere für ihr Leben und ihre Gesundheit, oder eine gegründete Besorgnis wegen des künftigen Unterhalts eine Weigerung rechtfertigt“. [Namensrecht] [Anmerkung: Zu § 1338 E III (identisch mit § 1355 BGB) „Die Ehefrau erhält den Familiennamen des Mannes.“ hatte Kauffmann laut Sitzungsprotokoll2 beantragt, die Ehefrau solle ein Recht erhalten, ihren Namen dem des Mannes hinzuzufügen, so daß sie einen Doppelnamen führen könne. Als die meisten Abgeordneten sich ablehnend hierzu äußerten, ließ allein Stumm Zustimmung erkennen. Er beantragte dabei den Zusatz: „Dieses Recht steht auch dem Manne zu.“3 (Jakobs/ Schubert, Familienrecht I, S. 353)]
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[Auf einen Antrag dieses Inhalts (Nr. 83 der Drucksachen) wird im Sitzungsprotokoll Bezug genommen (Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 352). In der vorausgeschickten Sammlung der Anträge (Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 349) befindet sich unter Nr. 83 der Drucksachen dagegen nur ein Antrag Kauffmanns zu §§ 1359, 1360 E III (eheliches Güterrecht der Verwaltungsgemeinschaft), der mit Sicherheit irrtümlich dort abgedruckt wurde (wird wortgleich zum zweiten Mal und dort an richtiger Stelle aufgeführt bei Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 610, Besprechung ebenfalls auf S. 610).] [Dieser Zusatz wurde zwar mehrheitlich angenommen, der hiernach erweiterte Antrag Kauffmann(-Stumm) aber mit großer Mehrheit abgelehnt.]
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[Die Anträge Pauli/Stumm zu den allgemeinen Ehewirkungen wurden am 7. und 8.5.1896 verhandelt. (Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 352-356, der zweite Antrag Stumm/Pauli zur Neufassung des § 1341 am 6.6.1896, Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 357):] Bericht von Heller vom 7.5.1896 (352) Zu dem Antrage Gröber auf Einschaltung eines neuen § 1337a (Nr. 95 der Drucksachen Ziff. 2), dessen Beratung fortgesetzt wurde, stellte der Abgeordnete v. Stumm den Unterantrag, den Abs. 1 zu streichen und den Abs. 2 in folgender Fassung dem Abs. 2 des § 1337 als zweiten Satz anzufügen: „Als ein solcher Mißbrauch ist sie insbesondere dann anzusehen, wenn eine ernstliche Gefahr für das Wohl der Frau, insbesondere für ihr Leben und ihre Gesundheit, oder eine gegründete Besorgnis wegen des künftigen Unterhalts eine Weigerung rechtfertigt“. Hiergegen bemerkte der Kommissar v. Mandry, der Inhalt des Antrags lasse sich schon aus dem § 1337 Abs. 2 des Entwurfs mit Sicherheit ableiten. Die beantragte Bestimmung würde überdies möglicherweise die Weigerungsbefugnis der Frau einschränken; es könne z. B. auch das Wohl der Kinder in Frage kommen. Jedenfalls würde die Tragweite des § 1337 Abs. 2 verdunkelt werden. Der Kommissar Struckmann fügte dem bei, die Bestimmung gehe in ihrer Allgemeinheit zu weit; es ließen sich sehr leicht Fälle denken, in denen es trotz des Bestehens einer Gefahr sittliche Pflicht der Frau sei, dem Manne in die Wohnung zu folgen, v. Stumm setzte hierauf in seinem Antrage statt „ist anzusehen“ die Worte „kann angesehen werden“. Der Abgeordnete Gröber änderte mit Rücksicht auf die gegen den Abs. 1 seines Antrags gestern erhobenen Einwendungen dessen Fassung dahin, daß er im Eingange zwischen „ist“ und „verpflichtet“ einschaltete „nach Maßgabe seiner Lebensverhältnisse, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit“. Die Abstimmung ergab die Ablehnung beider Anträge, die des Antrags Gröber gegen drei Stimmen, die des Antrags v. Stumm gegen neun Stimmen. (353) Bei dem § 1340 kam der erste der in der Drucksache Nr. 60 enthaltenen Anträge Pauli zur Beratung. In Beziehung auf diese sämtlichen Anträge bemerkte der Abgeordnete v. Stumm, daß sie als von ihm gestellte Anträge zu betrachten seien. Ausgearbeitet sind sie, wie allgemein angenommen wird, von dem als Rechtskonsulentin hier wohnenden Fräulein Dr. jur. Kempin. Zur Begründung des Antrags führte der Abgeordnete v. Stumm aus, daß in den Bestimmungen des Entwurfs über die Schlüsselgewalt der Frau und über dessen Beschränkung oder Ausschließung die Rollen allzu sehr zum Nachteile der Frau verteilt seien. Der Kommissar v. Mandry trat dem Antrage mit Entschiedenheit entgegen. Der § 1340 des Entwurfs entspreche dem geltenden Recht, wonach die Schlüsselgewalt der Frau der Verfügung des Mannes unterliegt; er festige und schütze übrigens dieses Recht mehr als es in den geltenden Rechten geschieht. Die beantragte andere Gestaltung, wonach die Beschränkung oder Entziehung nur durch das Vormundschaftsgericht erfolgen kann und, solange das Gericht nicht entschieden hat, das Recht der Frau fortdauert, hätte die äußerst mißliche Folge, daß in der Zwischenzeit die Frau fortfahren kann, den Mann durch ihre Handlungen zu verpflichten. Auch würden nach dem Antrage die Fälle, in denen das Vormundschaftsgericht angerufen wird, viel häufiger sein als nach dem Entwurfe. Der Antrag trete ohne Not in einen Gegensatz zu dem Grundsatze des § 1337. Er mache überdies die Beschränkung oder Entziehung von viel zu strengen Voraussetzungen abhängig. Mit Rücksicht auf diese Bemerkung strich der Antragsteller in dem Antrage die Worte „gänzlich“
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und „in grober Weise“; im übrigen hielt er den Antrag aufrecht. Kauffmann unterstützte ihn. Er wurde gegen drei Stimmen abgelehnt. Zum § 1341 lag der Antrag Pauli (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 2) vor. Zu dessen Begründung machte der Abgeordnete v. Stumm hauptsächlich geltend, daß der Entwurf die Frau der Willkür des Mannes preisgebe und in hohem Grade geeignet sei, den Frieden der Ehe zu gefährden. Die Kommission war darüber einig, daß die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ehefrau berechtigt sei, selbständig ein Erwerbsgeschäft zu betreiben, aus der Beratung des Antrags auszuscheiden und bis zur Beratung des Antrags Gröber auf Einschaltung eines neuen § 1341 a zurückzustellen sei. Den übrigen Inhalt des ersten Satzes von Abs. 1 des Antrags bezeichnete v. Mandry als überflüssig, weil der Entwurf die volle Geschäftsfähigkeit der Frau ohnehin anerkennt. Im übrigen gab er zu, daß der Antrag vielleicht einige Vorteile bieten könne, aber diese seien nicht groß genug, um den Wegfall derjenigen Bestimmung des Entwurfs aufzuwiegen, die als eine außerordentlich zweckmäßige anerkannt werden müsse. Die der Frau gegebene Möglichkeit nämlich, sich im voraus an das Vormundschaftsgericht zu wenden, habe den großen Vorzug, daß dadurch von vornherein die für den Verkehr unentbehrliche Sicherheit des von der Frau eingegangenen Rechtsverhältnisses geschaffen wird. Auch der Kommissar Planck sprach sich im allgemeinen gegen den Antrag aus, gab indeß auf Grund seiner persönlichen Anschauung anheim, ob es nicht etwa zweckmäßig sei, das Kündigungsrecht des Mannes von der vorherigen Genehmigung des Vormundschaftsge-(354)richts abhängig zu machen. Gegen den Antrag sprachen sich ferner aus die Abgeordneten v. Cuny, Bachem und v. Bennigsen, dieser unter besonderer Betonung seiner grundsätzlichen Abgeneigtheit dagegen, daß an dem dem geltenden Rechte und der Sitte entsprechenden Satze, daß der Mann das Haupt der Familie ist, gerüttelt werde. Seine Zustimmung zu dem Antrage erklärte Stadthagen. Der Abgeordnete v. Stumm brachte hierauf eine vermittelnde Fassung als Eventualantrag ein. Da dessen Tragweite, bevor er gedruckt vorliegt, nicht wohl übersehen werden kann, wurde die Fortsetzung der Diskussion auf morgen verschoben. […] Bericht von Heller vom 8. 5. 1896 In der von der XII. Kommission des Reichstags heute abgehaltenen sechsunddreißigsten Sitzung lag der von dem Abgeordneten v. Stumm zu dem § 1341 gestern eingebrachte Eventualantrag gedruckt vor. Ein Exemplar der ihn enthaltenden Drucksache Nr. 99 ist hier beigefügt. Der Abgeordnete v. Cuny sprach sich für den Antrag aus, vorbehaltlich nochmaliger Erwägung der Sache bei der zweiten Lesung. Der Abgeordnete Enneccerus äußerte sich ablehnend und machte insbesondere darauf aufmerksam, daß das Erfordernis der Ermächtigung des Mannes zur Kündigung durch die Vormundschaft jedenfalls dann nicht gerechtfertigt sei, wenn die Frau mit der Kündigung einverstanden ist. Der Antragsteller schlug vor, die Erledigung dieses Bedenkens der zweiten Lesung vorzubehalten. Die Abstimmung ergab die Ablehnung sowohl des primären als des eventuellen Antrags mit großer Mehrheit. […] (356) Über den § 1345, den der Abgeordnete v. Stumm zu streichen beantragte, entspann sich eine lange Diskussion, ohne daß jedoch von der einen oder von der anderen Seite für oder gegen die Bestimmung Gründe geltend gemacht wurden, die nicht schon in den Motiven des Entwurfs erster Lesung oder bei der zweiten Lesung des Entwurfs erörtert worden waren. Für die Streichung der Bestim-
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mung erklärten sich außer dem Antragsteller die Abgeordneten Kauffmann, Stadthagen und Enneccerus, dem Entwurfe stimmten zu die Abgeordneten v. Buchka und Bachem. Der Kommissar v. Mandry rechtfertigte den Standpunkt des Entwurfs in eingehender Weise, auch der Kommissar Dr. Planck führte aus, daß die Aufstellung der Vermuthung aus wirtschaftlichen Gründen unerläßlich sei wenigstens für das Verhältnis des Ehemannes zu seinen Gläubigern. Ob sie nicht entbehrlich sei für das Verhältnis der Ehegatten unter einander, sei eine andere Frage, persönlich sei er geneigt, sie zu bejahen. Der Abgeordnete v. Stumm stellte hierauf den Antrag, für den Fall der Ablehnung seines primären Antrags den Eingang des Paragraphen zu fassen: „Es wird zu Gunsten der Gläubiger des Ehemanns vermutet, daß ...“. Der Abgeordnete Bachem sprach sich auch gegen diesen Antrag aus. Nachdem jedoch der Antragsteller ihn wiederholt dringend zur Annahme empfohlen und erklärt hatte, im Falle der Annahme sei er bereit, für den § 1345 zu stimmen, während die unveränderte Annahme des § 1345 für ihn und die Mehrzahl seiner politischen Freunde die Zahl der Bestimmungen vermehren würde, die ihnen die Zustimmung zum Entwurf im ganzen sehr erschweren würden, gab Gröber seine und seiner politischen Freunde Geneigtheit zu erkennen, dem Antragsteller das gewünschte Zugeständnis zu machen. Der Eventualantrag v. Stumm und der danach abgeänderte § 1345 im ganzen wurden hierauf mit erheblicher Mehrheit angenommen. […] (356) Fassung des Entwurfs nach den Beschlüssen der Redaktionskommission: § 1336. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet. Stellt sich das Verlangen eines Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft als Mißbrauch seines Rechtes dar, so ist der andere Ehegatte nicht verpflichtet, dem Verlangen Folge zu leisten. Das Gleiche gilt, wenn der andere Ehegatte berechtigt ist, auf Scheidung zu klagen. §§ 1337 bis 1344. Unverändert. § 1345. Zu Gunsten der Gläubiger des Mannes wird vermuthet, daß die im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit Blankoindossament versehen sind. (357) Für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen, insbesondere für Kleider, Schmucksachen und Arbeitsgeräthe, gilt im Verhältnisse der Ehegatten zu einander und zu den Gläubigern die Vermuthung, daß die Sachen der Frau gehören. […] Bericht [der 2. Lesung in der Kommission] von Heller vom 6. 6. 1896 Zum § 1341 lagen vor der Antrag v. Cuny (Nr. 120 der Drucksachen Ziff. 3) und der Antrag v. Stumm (Nr. 146 der Drucksachen Ziff. 1). Der Kommissar Professor v. Mandry empfahl in erster Linie die Beibehaltung des Entwurfs, der der grundsätzlichen Auffassung von der Stellung des Mannes in der Ehe entspreche, bezeichnete übrigens den Antrag v. Stumm in seiner jetzigen Fassung als leichter annehmbar, wie die bei der ersten Lesung vorgelegene Fassung. Dem Antrage v. Cuny trat er entgegen, weil dieser den Dritten in völliger Unsicherheit darüber lasse, ob die Kündigung des Mannes rechtswirksam sei oder nicht. Der Antrag v. Stumm wurde einstimmig angenommen, v. Cuny zog seinen Antrag zurück.
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[II. Eheliches Güterrecht] [Entscheidend innerhalb der Anträge zum Güterrecht (Nr. 3-22) sind die Anträge Nr. 3-5, wonach Gütertrennung anstelle der Verwaltungsgemeinschaft zum gesetzlichen Güterrecht werden soll, der Mann den ehelichen Aufwand trägt und die Frau im Falle eigener Einkünfte einen angemessenen Beitrag hierzu leistet. Die restlichen Anträge zum Güterrecht führten Einzelheiten zum Recht der Gütertrennung aus (Anträge 6-10), wollten die allgemeinen Bestimmungen zum vertragsmäßigen Güterrecht neu fassen (Anträge 11-15) und formulierten einen neuen vertragsmäßigen Güterstand der „Verwaltungsgemeinschaft“, welcher an den bisherigen gesetzlichen Güterstand des E III angelehnt war (Anträge 16-21). Antrag 22 behandelte Umstellungen redaktioneller Natur, die nach dem Austausch des gesetzlichen Güterstandes notwendig wären. So würden dann beispielsweise die Paragraphen zur Gütertrennung an den Anfang des gesetzlichen Güterrechts rücken, die Numerierung der Paragraphen und Untertitel soll sich verschieben. Anträge Pauli Nr. 3-22 vgl. Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 403-406:] (403) Sechster Titel. Eheliches Güterrecht. I. Gesetzliches Güterrecht werden folgende Bestimmungen als §§ 1345 bis 1352 aufgenommen: 3. § 1345. In Ermangelung von Eheverträgen die güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten betreffend tritt Gütertrennung ein. 4. § 1346. Jeder der Ehegatten ist berechtigt, sein in die Ehe gebrachtes oder während derselben erworbenes Gut unbeschadet der in § 1347 normirten Verpflichtungen selbständig zu verwalten, zu gebrauchen und darüber zu verfügen. 5. § 1347. Den ehelichen Aufwand hat der Mann zu tragen. Die Frau hat dem Manne jedoch zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes einen angemessenen Beitrag aus den Einkünften ihres Vermögens und dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfts zu leisten. 6. § 1348 erhält den Wortlaut des jetzigen § 1411: „Ist eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen, den der Mann der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen zu gewähren hat, so kann die Frau den Beitrag zu dem ehelichen Aufwand insoweit zur eigenen Verwendung zurückbehalten, als er zur Bestreitung des Unterhalts erforderlich ist. Das Gleiche gilt, wenn der Mann entmündigt ist oder wenn er nach § 1886 zur Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten einen Pfleger erhalten hat, oder wenn für ihn ein Abwesenheitspfleger bestellt ist.“ (404) 7. § 1349 erhält den Wortlaut des jetzigen § 1412: „Macht die Frau zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes aus ihrem Vermögen eine Aufwendung, oder überläßt sie dem Manne zu diesem Zwecke etwas aus ihrem Vermögen, so ist im Zweifel anzunehmen, daß die Absicht fehlt, Ersatz zu verlangen.“ 8. § 1350. „Durch Verträge, welche die Ehefrau innerhalb ihrer Vertretungsbefugniß eingeht, wird der Ehemann verpflichtet. Für alle anderen Verträge, welche die Ehefrau schließt, ist sie mit ihrem Vermögen haftbar.“ 9. § 1351. „Es wird vermuthet, daß die im Besitz des Ehemannes befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch für Inhaberpapiere und für Ordrepapiere, die mit Blankoindossament versehen sind.“
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10. § 1352. „Hat die Ehefrau ihrem Manne die Verwaltung ihres Vermögens übergeben, so kann sie dies im Güterrechtsregister vormerken lassen. In diesem Falle tritt die Vermuthung des § 1351 nicht ein.“ Unter demselben Titel II. Vertragsmäßiges Güterrecht I. Allgemeine Bestimmungen werden die §§ 1353–1365 abgeändert, wie folgt: 11. § 1353 erhält den Wortlaut des jetzigen § 1315: „Die Ehegatten können ihre güterrechtlichen Verhältnisse durch Vertrag (Ehevertrag) regeln, insbesondere auch nach der Eingehung der Ehe den Güterstand aufheben oder ändern.“ 12. § 1354 erhält den Wortlaut des jetzigen § 1416: „Der Güterstand kann nicht durch Verweisung auf ein nicht mehr geltendes oder auf ein ausländisches Gesetz bestimmt werden. Hat der Mann zur Zeit der Eingehung der Ehe oder, falls der Vertrag nach der Eingehung der Ehe geschlossen wird, zur Zeit des Vertragsschlusses seinen Wohnsitz im Auslande, so ist die Verweisung auf ein an diesem Wohnsitze geltendes Güterrecht zulässig.“ 13. § 1355 erhält den Wortlaut des jetzigen § 1417: „Der Ehevertrag muß bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Theile vor Gericht oder vor einem Notar geschlossen werden.“ 14. § 1356. „Wird durch Ehevertrag die persönliche Haftbarkeit der Frau oder ihre Geschäftsfähigkeit ausgeschlossen oder beschränkt, so können einem Dritten gegenüber aus der Ausschließung oder Beschränkung Einwendungen gegen einen zwischen ihm und einem der Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urtheil nur hergeleitet werden, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit die Ausschließung oder die Beschränkung in dem Güterrechtsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen oder dem Dritten bekannt war. Das Gleiche gilt, wenn eine in dem Güterrechtsregister eingetragene Regelung des güterrechtlichen Verhältnisses durch Ehevertrag aufgehoben oder geändert wird.“ 15. § 1357. „Wird durch Ehevertrag die Verwaltung und Nutznießung des Mannes oder die allgemeine Gütergemeinschaft oder die Errungenschafts- oder Fahrnißgemeinschaft aufgehoben, so tritt Gütertrennung ein, sofern sich nicht aus dem Vertrage ein Anderes ergiebt.“ (405) Unter demselben Titel II. Vertragsmäßiges Güterrecht wird eingeschoben: 2. Verwaltungsgemeinschaft. mit folgenden Paragraphen: 16. § 1358. „Ein Ehevertrag, durch den die Verwaltungsgemeinschaft vereinbart wird, kann nicht durch einen gesetzlichen Vertreter geschlossen werden.“ 17. Als § 1359 wird der frühere § 1346 abgeändert, wie folgt: „Durch die Verwaltungsgemeinschaft wird das Vermögen der Frau der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Wenn im Ehevertrag nichts Anderes bestimmt ist, wird das ganze eingebrachte Gut der Frau der Verwaltungsgemeinschaft unterstellt. Zum eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt.“
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18. § 1360 erhält die Fassung des früheren § 1347: „Die Verwaltung und Nutznießung des Mannes tritt nicht ein, wenn er die Ehe mit einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Frau ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters eingeht.“ 19. § 1361. Der jetzige § 1348: „Die Verwaltung und Nutznießung des Mannes erstreckt sich nicht auf das Vorbehaltsgut der Frau.“ wird abgeändert, wie folgt: „Die Verwaltung und Nutznießung des Mannes kann mit Bezug auf das Vorbehaltsgut der Frau ausgeschlossen werden.“ 20. Als § 1362 wird der jetzige § 1349, welcher lautet: „Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt.“, ferner der jetzige § 1350 des Inhalts: „Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder als Pflichttheil erwirbt (Erwerb von Todeswegen) oder was ihr unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll.“ sowie der jetzige § 1352: „Vorbehaltsgut ist, was die Frau auf Grund eines zu ihrem Vorbehaltsgute gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vorbehaltsgut bezieht.“ zusammengezogen mit folgendem Wortlaut: „Ist nichts Näheres im Ehevertrag bestimmt, so gilt als Vorbehaltsgut: 1. was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt, 2. was diese Frau durch Erbfolge, durch Vermächtniß oder als Pflichttheil erwirbt (Erwerb von Todeswegen), oder was ihr unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, daß der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll, 3. was die Frau auf Grund eines zu ihrem Vorbehaltsgute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vorbehaltsgut bezieht.“ 21. Der jetzige § 1350 fällt weg. 22. Die §§ 1353–1408 werden mit §§ 1363–1418 nummerirt. Der Untertitel 5. Gütertrennung mit den §§ 1409 bis 1414 fällt weg. (406) In Titel II, Vertragsmäßiges Güterrecht, fällt der Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften mit den §§ 1415–1419 weg. Der Untertitel 2. Allgemeine Gütergemeinschaft, wird mit Ziffer 3 versehen, und die §§ 1420–1422 werden als §§ 1419–1421 aufgeführt. Der erste Absatz des § 1423, welcher lautet: „Von dem Gesammtgut ausgeschlossen ist das Vorbehaltsgut.“ wird als § 1422 aufgeführt, und der zweite Absatz: „Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für Vorbehaltsgut eines der Ehegatten erklärt ist oder von einem der Ehegatten nach § 1351 oder § 1352 erworben wird“ wird als besonderer Paragraph aufgeführt mit der Nummer § 1423.
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Ferner werden die im letzteren citirten §§ 1351 und 1352 abgeändert in: § 1362 Absatz 2 und 3. [Anträge Pauli/Stumm zum ehelichen Güterrecht wurden am 8. und 9.5. sowie am 16.6.1896 verhandelt (Jakobs/Schubert, Familienrecht I, S. 406-409):] (406) Bericht von Heller vom 8. 5. 1896 Die Kommission ging hierauf zur Beratung der Bestimmungen über das eheliche Güterrecht (§§ 1346 bis 1546) über und beschloß, diese zunächst im allgemeinen zu besprechen. Der Abgeordnete v. Stumm entwickelte die schon bei der ersten Beratung des Entwurfs im Plenum des Reichstags ausgesprochene, in seinen, den Namen Pauli tragenden Anträgen (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 3 bis 22) zum Ausdrucke kommende Anschauung, daß sich nur das System der Gütertrennung zum gesetzlichen Güterrechte eigne aus rechtlichen, wirtschaftlichen und sittlichen Gründen, bemerkte indeß zum Schlusse, daß er nach den bezüglich seiner Anträge in der Kommission bisher gemachten Erfahrungen kaum irgend welche Aussichten auf Annahme dieser weiteren Anträge habe. Im Falle der Ablehnung des grundlegenden Antrags (Ziff. 3), werde er die Anträge Ziff. 4 bis 22 zurückziehen, sich jedoch vorbehalten, bei der Einzelberatung auf den einen oder anderen von ihnen zurückzukommen. In einem eingehenden Vortrag erläuterte und rechtfertigte sodann v. Mandry den Standpunkt des Entwurfs. Bericht von Heller vom 9. 5. 1896 Die XII. Kommission des Reichstags setzte in der heute abgehaltenen siebenunddreißigsten Sitzung zunächst die allgemeine Besprechung der Bestimmungen über das eheliche Güterrecht fort. Für das System des Entwurfs erklärten sich hierbei die Abgeordneten Letocha, v. Cuny, Schröder und v. Bennigsen, der von dem Abgeordneten v. Stumm vertretenen Anschauung schloß sich der Abgeordnete Stadthagen an, ferner der Abgeordnete Kauffmann mit dem Beifügen, daß es richti(407)ger wäre, in der Durchführung des Systems der Gütertrennung noch weiter zu gehen; den von dem Abgeordneten v. Stumm beantragten § 1347 (Ziff. 5 der Anträge Pauli) z.B. würde er nicht zustimmen können. Der Abgeordnete Gröber erörterte zunächst die Frage, ob das Regionalsystem durchführbar sei, und gelangte zur entschiedenen Verneinung der Frage. – Der Abgeordnete v. Cuny stimmte ihm hierin zu, und auch von anderer Seite fiel kein Wort zu Gunsten dieses Systems. Auch auf den Standpunkt v. Stumms sich zu stellen, lehnte Gröber schlechthin ab; er trat in vollstem Gegensatz zu diesem dafür ein, daß die Gütergemeinschaft zum gesetzlichen Güterrechte erhoben werde. Förmliche Unterstützung fand dieser Vorschlag nicht; nur der Abgeordnete Vielhaben erklärte, daß „seinem persönlichem Wunsche“ es ebenfalls entsprochen hätte, wenn der Entwurf die Gütergemeinschaft zur Grundlage genommen hätte. Die hierauf erfolgte Abstimmung darüber, ob das System des Entwurfs grundsätzlich anzunehmen sei, ergab die Bejahung der Frage gegen vier Stimmen. Der Abgeordnete Gröber hatte vorher erklärt, daß er auf Stellung eines seiner Anschauung entsprechenden Antrags verzichte und, um seine Stellungnahme zu dem Antrage v. Stumm zu kennzeichnen, für den Entwurf stimmen werde. Nach der Abstimmung zog v. Stumm die Nr. 3 bis 22 der Anträge Pauli zurück. […] Bei dem §1351 [§ 1369 BGB] beantragte der Abgeordnete v. Stumm, die Schlußworte „wenn der Erblasser ... sein soll“ zu streichen, weil man nicht voraussetzen könne, daß die Bestimmung so tief in das Volksbewußtsein eindringen werde; daß die Nothwendigkeit der ausdrücklichen Bestimmung des Erwerbs zum
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Vorbehaltsgute dem Erblasser pp. stets gegenwärtig ist. […] (408) v. Mandry bemerkte gegen den Antrag v. Stumm, dessen Annahme würde die Wirkung haben; daß in den meisten Fällen an die Stelle des gesetzlichen Güterrechts die Gütertrennung tritt. […] Auch Planck und der Abgeordnete von Bennigsen sprachen sich gegen den Antrag v. Stumms aus. Beide Anträge wurden mit großer Mehrheit abgelehnt.4 […] Anträge zur 2. Lesung v. Stumm-Halberg, Pauli (Nr 146): 2. dem § 1351 folgenden Satz hinzuzufügen: Erbschaften oder Zuwendungen aus Vermögen, an welchen die Frau keine Pflichttheilsberechtigung hat, sind Vorbehaltsgut, auch wenn der Erblasser oder Schenkgeber eine diesbezügliche Bestimmung nicht getroffen hat. 3. den § 1346 in folgender Fassung anzunehmen: In Ermangelung von Eheverträgen, die güterrechtliche Stellung der Ehegatten betreffend, tritt Gütertrennung ein. Bericht von Heller vom 6. 6.1896 Der Antrag v. Stumm zum § 1351 [§ 1369 BGB] (Nr. 146 der Drucksachen Ziff. 2), den v. Mandry zwar als eine Verbesserung des bei der ersten Lesung gestellten Antrags bezeichnete, aber aus den damals geltend gemachten Gegengründen gleichwohl abzulehnen empfahl, wurde mit Stimmenmehrheit abgelehnt. (409) […] Den Antrag v. Stumm zum § 1346 (Nr. 146 der Drucksachen Ziff. 3) war schon bei der ersten Lesung Gegenstand eingehendster Erörterung. Er wurde ohne nochmalige Diskussion gegen sechs Stimmen (zwei von der Reichspartei, zwei von der Freisinnigen Volkspartei und zwei sozialdemokratische) abgelehnt. [Elterliche Gewalt:] [Anträge Pauli Nr. 23-30 vgl. Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 560 f.:] (560) a) im 2. Abschnitt: Verwandtschaft 4. Titel II. Elterliche Gewalt wird 23. §1612 abgeändert, wie folgt: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen; bei vorübergehender oder dauernder Verhinderung des Vaters ist die Mutter zur Vertretung des Kindes berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor.“ 24. § 1626 wird abgeändert, wie folgt: „Dem Vater steht Kraft der elterlichen Gewalt die Nutznießung am Vermögen des Kindes bis zu dessen vollendetem 18. Lebensjahre zu. Das Verwaltungsrecht und die Verwaltungspflicht des Vaters mit Bezug auf das Vermögen des Kindes bleiben von dieser Bestimmung unberührt.“ 25. In § 1637 werden die angeführten §§ 1398, 1399 Absatz 1 und § 1400 abgeändert in §§ 1408,1409 Absatz 1 und § 1410.
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Im Originalprotokoll heißt es hierzu: v. Stumm zieht den Antrag auf [Anlage] 6 zurück und bringt folgenden Antrag ein: Im § 1351 statt der Schlußworte: „bestimmt hat, daß der Erwerb Vorbehaltsgut sein soll“ zu setzen: „nicht ein Anderes bestimmt hat.“ Der Antrag von v. Stumm auf [Anlage] 7 wird gegen 8 Stimmen abgelehnt.
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26. § 1642 wird dahin abgeändert: „Ist der Vater verhindert, die mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten zu erfüllen, so tritt die Mutter an seine Stelle. Das Vormundschaftsgericht kann jedoch der Mutter einen Beistand bestellen und andere im Interesse des Kindes erforderlichen Maßregeln treffen.“ 27. Zu § 1646 wird als zweiter Absatz hinzugefügt: „Mit dem Tage der Wiederverheirathung verliert der Vater die Nutznießung am Vermögen seiner Kinder.“ 28. Absatz 1 des § 1660 erhält den Zusatz: „3. in Verhinderung des Vaters in dem in § 1642 vorgesehenen Falle.“ 29. § 1661 wird abgeändert, wie folgt: „Solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, übt während der Dauer der Ehe die Mutter die elterliche Gewalt aus. (561) Ist die Ehe aufgelöst, so hat das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung zu übertragen, wenn keine Aussicht besteht, daß der Grund, aus dem die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wegfallen werde. Die Mutter erlangt in diesem Falle auch die Nutznießung am Vermögen des Kindes unter den in § 1626 vorgesehenen Beschränkungen.“ 30. In § 1663 Ziffer 3 wird eingeschoben: „In den Fällen der §§ 1642 etc.“ [Die Anträge Pauli Nr. 23-30 zur elterlichen Gewalt wurden vom 13.15.5.1896 verhandelt. (Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 563-567.)] (563) Bericht von Heller (Bayern) über die Sitzung am 13. 5. 1896. Zum § 1612 lag der Antrag Pauli (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 23) vor; mit seiner Beratung wurde die Beratung des zum §1642 gestellten Antrags (Nr. 60 Ziff. 26) verbunden. Der Abgeordnete v. Stumm begründete die Anträge und legte dabei hauptsächlich darauf Nachdruck, daß, wenn die Autorität der Mutter aufrechterhalten werden soll, sie von der Vertretung des Kindes nach außen nicht ausgeschlossen werden dürfe. Ihr Recht, bei Verhinderung des Vaters an dessen Stelle zu treten, müsse gesetzlich anerkannt werden und dürfe nicht davon abhängen, daß es ihr erst vom Vormundschaftsgerichte übertragen wird. Die Tätigkeit des Gerichts könne sich auf die Bestellung eines Beistands beschränken. An der Annahme dieser Anträge liege ihm fast noch mehr als an der Annahme der auf das eheliche Güterrecht bezüglichen. Der Kommissar Prof. v. Mandry erkannte an, daß der Gedanke, auf dem die Anträge beruhen, nahe liege; es habe viel für sich, die Sache so zu regeln, daß im Falle der Verhinderung des Vaters jemand da ist, der ohne Verzögerung und ohne daß das Vormundschaftsgericht tätig zu werden braucht, eintreten kann. Prinzipielle Gründe ständen den Anträgen also nicht entgegen; aber der Entwurf habe gleichwohl gut daran getan, die Mutter als solche von der gesetzlichen Vertretung auszuschließen. Der Dritte, mit dem die Mutter als Vertreterin des Kindes in Rechtsverkehr tritt, könne nie mit Sicherheit beurteilen, ob die Mutter zur Vertretung legitimiert ist. Es sei auch der Fall denkbar, daß, während die Mutter für das Kind handelt, weil sie den z. B. auf einer Reise befindlichen Vater für verhindert betrachtet, auch der Vater eine Rechtshandlung vornimmt, die mit der der Mutter unvereinbar ist. Es sei daher vorzuziehen, daß erst durch das Vormundschaftsgericht festgestellt wird, ob der Fall der Verhinderung vorliegt. Der Kommissar Planck sprach sich in gleichem Sinne aus und bemerkte, daß, wenn die Anträge angenommen werden sollten, die Sache so zu gestalten wäre, daß sie in § 1642 geregelt und im § 1612 nur auf diesen verwiesen wird. Gegen
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die Anträge erklärte sich der Abgeordnete Himburg; die Abgeordneten v. Dziembowski, Kauffmann, v. Buchka und Gröber sprachen sich für die Anträge aus. Diese wurden unter Vorbehalt der Fassung nahezu einstimmig angenommen. […] (564) Der Antrag Pauli zum § 1626 (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 24) entspricht dem Rheinischen Rechte. Der Abgeordnete v. Stumm führte aus, welche große Gefahr für das Vermögen der Kinder in der längeren Dauer des väterlichen Nießbrauchs liege, daß mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs die Erziehung in der Regel beendet, der innere Grund für das Nießbrauchsrecht des Vaters daher weggefallen sei und daß der Zusammenhang dieser Bestimmung mit dem § 1638 es dem eigennützigen Vater nahe lege, die Zustimmung zur Verheiratung der Töchter zu verweigern, v. Mandry verwies hiegegen darauf, daß alle anderen Rechte in dieser Frage vom französischen Rechte abweichen, ja zum Teile noch weitergehen als der Entwurf. Das Nutznießungsrecht sei dem Vater im Interesse des Kindes und im Interesse der ganzen Familie gegeben. Für den Antrag sprachen sich die Abgeordneten Bachem und v. Cuny, dieser mit dem Bemerken, daß er überhaupt ein Gegner des väterlichen Nutznießungsrechts sei; Himburg und Schröder äußerten sich ablehnend. Der Antrag wurde gegen sieben Stimmen abgelehnt. […] (566) Bericht von Heller (Bayern) über die Sitzung am 15.5.1896. Zur Begründung des auf den § 1646 bezüglichen Antrags Pauli (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 27) führte der Abgeordnete v. Stumm aus, es sei nicht gerechtfertigt, hinsichtlich der Frage, ob der elterliche Nießbrauch mit der Wiederverheiratung erlischt, den Vater günstiger zu behandeln als die Mutter. Auch bei der Wiederverheiratung des Vaters bestehe die Gefahr, daß das Vermögen der Kinder aus der ersten Ehe zum Vorteile der zweiten Ehe verwendet und den Kindern entzogen wird. Der Kommissar Prof. v. Mandry legte die Gründe dar, aus denen sich die Gesetzbuchskommission für die verschiedenartige Stellung des Vaters und der Mutter entschied und empfahl demgemäß die dem Entwurf zugrunde liegende Gestaltung als die sachgemäßere. Äußersten Falls verdiene es den Vorzug, die Gleichstellung des Vaters und der Mutter dadurch herbeizuführen, daß auch der Mutter die Nutznießung ungeachtet der Wiederverheiratung gelassen wird. Der Abgeordnete v. Cuny unterstützte den Antrag; er wurde mit elf gegen zehn Stimmen angenommen. […] (567) Der Antrag Pauli zum § 1660 (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 28) wurde der Redaktionskommission überwiesen. — Zum § 1661 lagen vor der Antrag Pauli (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 29) und der Antrag Frohme, Stadthagen (Nr. 100 der Drucksachen Ziff. 12). Der Antrag Pauli wurde, soweit er den Satz 2 von Absatz 2 , des § 1661 berührt, im Hinblick auf die Beschlußfassung zum § 1626 zurückgezogen; im übrigen ist er identisch mit dem Antrag Frohme, Stadthagen. Zur Begründung dieses Antrags bemerkte Stadthagen, er sei lediglich eine notwendige Konsequenz der Entmündigung des Vaters. v. Mandry trat dem Antrage entgegen. Daß die formelle Konsequenz für den Antrag spreche, könne zugegeben werden. Aber die richtige Erwägung des Interesses der Kinder führe zur Beibehaltung des Satzes. Da die Ehe ja fortbesteht, müsse aber die Regel angenommen werden, daß die Mutter trotz der Entmündigung des Vaters unter dessen Einfluß steht, der in solchen Fällen ein für die Kinder vorteilhafter nicht sein werde. Es sei daher zweckmäßiger, daß in solchen Fällen den Kindern ein Pfleger bestellt wird. Der Abgeordnete Enneccerus sprach sich gegen den Antrag aus, für ihn er-
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klärten sich die Abgeordneten Kauffmann und v. Stumm, dieser insbesondere deshalb, weil es immer noch besser sei, wenn der Mann Einfluß auf die Frau behält, als ein vom Vormundschaftsgerichte als Pfleger bestellter Fremder. Dem gegenüber verwies Planck darauf, daß ja auch die Frau als Vormünderin bestellt werden könne und daß sie nach § 1673 das Recht der Erziehung behält. Die Abstimmung ergab die Streichung des Satzes 2 von Absatz 1. [Vormundschaftsrecht:] [Anträge Pauli Nr. 31–32 vgl. Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 1197:] 31. § 1759 Absatz 1 zu streichen. 32. In § 1842 wird Ziffer 1 und die Worte „eine Frau“ gestrichen und die Nummer der folgenden Ziffern entsprechend geändert. [Anmerkung: § 1759 I E III lautete „Zum Vormunde soll nicht eine Frau bestellt werden. Ausgenommen sind die Mutter und die Großmutter des Mündels sowie eine Frau, die von dem Vater oder von der ehelichen Mutter als Vormund benannt ist.“ (Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 1186.) Die andere beanstandete Norm handelte von der Mitgliedschaft im Familienrat5: In § 1842 Nr. 1 E III stand, eine Frau solle nicht zum Mitglied des Familienrats bestellt werden. (Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 1188. Die Anträge sollten diese Beschränkungen für Frauen beseitigen und kamen beide am 16.5.1896 zur Verhandlung. Inhalt der Verhandlung vgl. Jakobs/Schubert, Familienrecht II, S. 1198, 1200:] (1198) Zum § 1759 lag der Antrag Pauli (Nr. 60 der Drucksachen Ziff. 31) vor. Der Kommissar v. Mandry stellte nicht in Abrede, die Fähigkeiten, die zur Vertretung eines anderen erforderlich sind, der Frau im allgemeinen nicht abzusprechen seien, bezweifelte indes, daß ein Bedürfnis dafür vorliege, über das geltende Recht so weit hinauszugehen, sowie daß dies den Frauen selbst im allgemeinen erwünscht und im Interesse der Geschäftsführung der Vormundschaftsgerichte gelegen sei. Der Antrag fand jedoch lebhafte Unterstützung bei den Wortführern aller übrigen Fraktionen und wurde gegen die Stimme des Abgeordneten Lerno angenommen. […] (1200) Zum § 1842 wurde der Antrag Pauli (Nr. 66 der Drucksachen Ziff. 32) in Konsequenz des zum § 1759 gefaßten Beschlusses einstimmig angenommen.
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Nach dem Recht des BGB 1896 (§§ 1858-1881; vgl. im E III §§ 1834-1862) sollte ein Familienrat vom Vormundschaftsgericht eingesetzt werden, wenn der Vater oder die eheliche Mutter des Mündels die Einsetzung angeordnet hatte, außerdem, wenn ein Verwandter des Mündels, der Vormund oder der Gegenvormund es beantragt hatten und das Vormundschaftsgericht es im Interesse des Mündels für angemessen erachtete. Der Familienrat hatte dann (vgl. § 1872 BGB v. 1896) die Rechte und Pflichten des Vormundschaftsgerichts.
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Reichstagsdebatten zum Familienrecht mit Bezügen auf die Frauenbewegung (u. a. Traeger, Bebel, Planck, StummHalberg), 1896
MUGDAN, B[enno] (Hrsg.): Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, IV. Band: Familienrecht, Berlin 1899 Kommentar: In den Reichstagsdebatten zum BGB treten drei unterschiedliche Gruppen massiv für Änderungen im Familienrecht ein, welche zumindest in die von der Frauenbewegung gewünschte Richtung gehen. Dies sind die Sozialdemokraten, deren Parteivorsitzender August Bebel zugleich der damals führende sozialistische Publizist zur Frauenfrage ist (vgl. Nr. 6) und sich in der Familienrechtsdebatte häufig selbst zu Wort meldet, ferner linksliberale Abgeordnete, die wie Albert Traeger (Freisinnige Volkspartei) meinen, „daß das eheliche Verhältniß auf dem Gebiete der Gleichberechtigung regulirt werden muß“, schließlich für die rechtskonservative Reichspartei Carl Friedrich v. Stumm-Halberg, der zwar nicht für vollständige Gleichberechtigung eintritt, aber doch für deutliche Änderungen zugunsten der Frauen kämpft, z.B. für die Gütertrennung anstelle der sog. Verwaltungsgemeinschaft als gesetzliches Güterrecht (vgl. zuvor in der XII. Kommission die Anträge Pauli/Stumm/Kempin, Nr. 68). Gottlieb Planck (vgl. Nr. 44) unternimmt im Plenum an verschiedenen Stellen der Debatte eine Erläuterung und Rechtfertigung der BGB-Bestimmungen. Im Ergebnis bleiben alle wesentlichen Vorstöße im Plenum des Reichstags zugunsten der Frauen erfolglos, weil sie von der parlamentarischen Mehrheit überstimmt werden. Die Debatten erfolgen unter Kenntnis des Schrifttums der zeitgenössischen Frauenbewegung. Eine Reihe von Schriften sind den Abgeordneten von Frauenseite zugeleitet worden. Schon Anfang 1896 hatte beispielsweise der Berliner Verein Frauenwohl beschlossen, allen Abgeordneten Bullings Werk „Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“ (Nr. 7) zukommen zu lassen (Nr. 17, S. 50). Desgleichen sind die Frauen-Petitionen als Massenschriften vervielfältigt worden. Nicht zuletzt das Flugblatt „Frauen-Landsturm“ von Marie Stritt findet in der Debatte mehrfach Erwähnung. Es erfolgt also nicht nur eine Auseinandersetzung über die Stellung der Frau im allgemeinen, sondern auch eine Auseinandersetzung über die Frauenbewegung, deren Aktionsformen und die von dieser Bewegung inhaltlich vertretenen Positionen. Aus dem reichhaltigen Material (vgl. zu anderen Abschnitten des Familienrechts die Zusammenfassung bei Riedel, Gleiches Recht, S. 465-506) sind zwei elementare Punkte des Eherechts ausgewählt worden: Der zentrale Paragraph zur männlichen Eheherrschaft (Entscheidungsrecht des Ehemanns, späterer § 1354 BGB) und das eheliche Güterrecht. Zur Eheherrschaft liegt ein Antrag des Sozialdemokraten Ignatz Auer vor: „§ 1336 [entspr. § 1353 BGB v. 1896, eheliche Lebensgemeinschaft] zu streichen; § 1337 [entspr. § 1354 BGB v. 1896] zu fassen wie folgt: „In allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten sind beide Ehegatten gleichberechtigt. Bei Meinungsverschiedenheit über den ehelichen Aufwand entscheidet derjenige Theil, aus dessen Vermögen die Ehelasten zum größten Theil bestritten werden. Jedoch darf die Entscheidung den anderen Gatten in seiner Erwerbsthätigkeit nicht schädigen. Für die Wahl des Wohnorts giebt die Entscheidung desjenigen Ehegatten den Ausschlag, dessen Beruf für die Lebensführung der Familie maßgebend ist. Ein Gatte ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des anderen Theils Folge zu leisten, wenn diese Entscheidung sich als Mißbrauch des die Entscheidung treffenden Theils darstellt. “ §§ 1339, 1340, 1341 [entspr. § 1356-1358 BGB v. 1896: Haushaltsführung, Schlüsselgewalt, Kündigungsrecht des Mannes u.a. bei Arbeitsverträgen der Frau] zu streichen […];“
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Um diesen Antrag entwickelt sich eine Debatte über grundsätzliche Fragen zur Streichung der männlichen Eheherrschaft aus dem BGB. Der Abgeordnete Albert Traeger (Freisinnige Volkspartei, Rechtsanwalt und Notar in Berlin) tritt für eine grundsätzliche Streichung des § 1337 ein: „diese Bestimmung, wie sie hier steht und im ALR. steht, ist gewissermaßen die Quelle, gewissermaßen der Grundsatz für alle diejenigen Beschränkungen, welche der Frau in der Ehe auferlegt werden. Aus dieser Quelle fließen sie alle.“ Gegenüber dem SPD-Antrag Auer ist er etwas skeptisch (vgl. S. 1304 f.). Unterlegt durch rechtshistorische Ausführungen zur Geschlechtsvormundschaft und durch (gutgemeinte, aber doch mitunter herablassend wirkende) Stellungnahmen zur Frauenbewegung plädiert Traeger für Gleichberechtigung, welche auch im Güterrecht Einzug halten solle. („ … ich bin aufs tiefste überzeugt, daß die Ehe die auf sittlicher Grundlage beruhende innigste Lebensgemeinschaft ist. Aber namentlich nach anderen Anschauungen können derartige Gemeinschaften am sichersten und am glücklichsten nur auf dem Boden der Gleichberechtigung geschlossen werden. Sobald Sie, namentlich ohne zwingenden und inneren Grund, eine Uebermacht konstituiren nach der einen Seite hin, erwecken Sie den Uebermuth auf der einen, die Hinterlist und alle übrigen schlechten Eigenschaften auf der anderen Seite. Aus dieser ehelichen Vormundschaft entstehen auch und entstanden alle die bestehenden ehelichen Güterverhältnisse, die nach meiner Ansicht alle nicht gerechtfertigt sind“). Gleichfalls tritt der Abgeordnete Heinrich Rickert (Deutsch-Freisinnige Partei, ehem. Verwaltungsbeamter) für eine Streichung des männlichen Herrschaftsrechts und für Gleichberechtigung ein, wobei im Ergebnis der Antrag Stumm zum ehelichen Güterrecht der zentrale Punkt sei: „Ich halte den Antrag Stumm für viel wichtiger als die Frage, die hier zur Diskussion steht, und ich will schon jetzt erklären, daß ich mit Freuden für diesen Antrag, der der Kernpunkt ist, eintreten werde.“ Für die Haltung des BGB zum männlichen Wohnortsbestimmungsrecht hat Rickert nur Spott übrig: „Es steht zB. im §: ‚Der Mann bestimmt insbes. den Wohnort und die Wohnung‘. Ich meine, daß derjenige Mann thöricht ist, der bei der Bestimmung der Wohnung die entscheidende Stimme abgeben will. In dieser Frage ist die Frau meist viel kompetenter, und ich würde den Mann bedauern, der das Urtheil der Frau nicht maßgebend sein läßt; sie versteht diese Dinge besser als der Mann. Es handelt sich ja hier nicht um die Paläste, sondern um die Wohnungen von Millionen und Millionen, für die doch die Gesetze in erster Reihe gemacht werden; und da sage ich; unnöthig und unpraktisch ist die Bestimmung.“ August Bebel begründet und verteidigt für die SPD den Antrag Auer. Er weist indirekt darauf hin, daß die Frauen nicht als Wählerinnen über ihr eigenes Eherecht entscheiden dürfen und im Reichstag von Männern über Frauen entschieden wird: „Wenn speziell heute und in diesen Tagen, wo wir so wichtige Berathungsgegenstände in Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu erledigen haben, statt Ihrer Ihre Frauen in diesem Saale säßen, dann bin ich überzeugt, wir würden unsere Anträge allesammt durchbringen. Insofern bedauere ich, daß das nicht möglich ist.“ Eine Neufassung anstelle einer Streichung des § 1337 bevorzugt er, weil ansonsten die Rechtsprechung neben dem Gesetz eine richterrechtliche Praxis entwickeln könne, welche den Mann bevorzuge. Zur Gleichberechtigung verweist Bebel auf Traeger: „Hier noch über die Notwendigkeit dieser Gleichberechtigtheit große Ausführungen zu machen, nachdem der Abgeordnete Traeger sich bereits darüber ausgelassen hat, halte ich für überflüssig.“ Gottlieb Planck verteidigt die Lösung des Gesetzes. Die Stellung der Frau nach BGB sei eine Verbesserung gegenüber dem älteren Recht. Er, Planck, stehe „sympathisch allen Bestrebungen gegenüber, welche die Stellung der Frau noch zu einer höheren und besseren zu machen geeignet sind, als nach dem bisherigen Rechte der Fall ist. Ich glaube aber auch nachweisen zu können, daß der Entw. in dieser Richtung alles gethan hat, was mit der gerechten Rücksicht auf andere Interessen vereinbar war.“ Die Lösung des BGB sei auch unter dem Gesichtspunkt mild gegenüber den Frauen, weil aus einer Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens nicht vollstreckt werden könne, das männliche Herrschaftsrecht also nicht gerichtlich durchsetzbar sei. Die männliche Eheherrschaft (Entscheidungsrecht) sei
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noch erforderlich, denn für die Ehe wie für jede Gemeinschaft könne eine Regelung getroffen werden, wessen Stimme bei Meinungsverschiedenheiten den Ausschlag gibt. „Ich meine, der Gedanke, den der Entw. hier zum Ausdrucke bringt, daß in solchen, wenn ich so sagen darf, gleichgültigen Fragen des gemeinschaftlichen Lebens die Stimme des Mannes zunächst die entscheidende ist, ist ein Gedanke, der der natürlichen Auffassung, der der deutschen Auffassung und, ich glaube, auch der christlichen Auffassung entspricht.“ Nachdem der Abgeordnete Sigismund v. Dziembowski (Polnische Fraktion) gegen Planck für eine Streichung des § 1337 eintritt, kommt es zur Abstimmung, bei welcher der Antrag Auer abgelehnt wird. Aus der Debatte zum Güterrecht sind die Reden der Abgeordneten Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg (Deutsche Reichspartei) und August Bebel (SPD) ausgewählt. Ihnen liegen Anträge beider Parteien auf Einführung der Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht zugrunde. Während der Antrag Stumm-Halberg/Pauli dem in der 2. Lesung der XII. Kommission gestellten Antrag entsprechen dürfte („den § 1346 in folgender Fassung anzunehmen: In Ermangelung von Eheverträgen, die güterrechtliche Stellung der Ehegatten betreffend, tritt Gütertrennung ein“), lautet der u.a. von Ignatz Auer gestellte SPD-Antrag wie folgt: „§ 1346 zu streichen und statt dessen zu setzen: ,Die güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten sind nach dem Inhalt der vor Abschluß der Ehe zwischen den Eheleuten geschlossenen Eheverträge zu beurtheilen. Sind Eheverträge nicht geschlossen, so tritt Gütertrennung ein. Jedem Ehegatten steht das Recht selbständiger Verwaltung und Verfügung über das von ihm in die Ehe gebrachte oder während der Ehe erworbene Vermögen zu.‘“ Beide Anträge zugunsten der Gütertrennung werden am Ende abgelehnt. Stumm rechtfertigt seinen Antrag unter Abgrenzung zu Frauenbewegung und SPD mit den durch das herrschende Güterrecht verursachten „traurigen Zuständen […], die in den Frauenbriefen, die an mich gerichtet wurden, so kraß geschildert sind“, mit einer „solche[n] Fülle von Elend […], welches unwürdige Männer über ihre Frauen gebracht haben“. Gütertrennung sei daher nicht nur ein Verlangen einiger linker oder politisch aktiver Frauen, sondern ein Wunsch vieler „einfacher, verständiger“ unpolitischer Frauen und Familien aus der sonst schweigenden „große[n] Mehrheit“ des Volkes. „Auch meine ich, wir haben Unzufriedene in Deutschland gerade genug, und wir haben keine Veranlassung, durch falsche Gesetze die Unzufriedenheit noch zu vermehren und in Kreise zu tragen, die bis jetzt im Großen und Ganzen wenigstens Gott sei Dank davon noch nicht erfüllt sind.“ Bebel meint, zwar sei das Güterrecht für viele der von der SPD vertretenen proletarischen Frauen weniger wichtig. „Aber von dem Standpunkte ausgehend, daß Gerechtigkeit für Alle die oberste Aufgabe wie des Staates, so auch jedes einzelnen Menschen sein muß, der es mit dem Gemeinwesen und mit sich selbst ehrlich meint, gehen wir auch hier für den Standpunkt ins Zeug, den soeben Freiherr von Stumm entwickelt hat.“ Das Prinzip der Verwaltungsgemeinschaft widerspreche dem von allen Parteien abstrakt und ideal gewünschten Zustand der Ehe als harmonischer Partnerschaft: „Dieser natürliche Zustand wird aber durch die Bestimmung des § 1346 der Vorlage beseitigt. Die ganze Herrenmoral, die sich durch diesen Entw. hindurchzieht, daß der Ehemann der Herr und das Haupt der Familie und die Frau die Unterthänige des Mannes ist, kommt in schroffer Weise in diesem § zur Geltung.“ Es gebe genügend Beispiele von Spielern, Trinkern oder Spekulanten, welche die Existenz ihrer Frau und Familie gefährdeten. Der Hinweis auf die Möglichkeit von Eheverträgen sei praxisfern.
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Zweite Berathung im Plenum des Reichstages. 114. Sitzung am Donnerstag, den 25. Juni 1896. (1304) Präsident: […] Zu § 1337 liegt der Antrag Auer vor, der diesen § anders gefaßt wissen will. Traeger: Ich bin in der Lage, namens meiner Freunde dem Antrage auf Streichung des § 1337 zuzustimmen. Ich für meinen Theil würde mich auch veranlaßt sehen können, für die vorgeschlagene Aenderung des § zu stimmen, weil ich allerdings der Meinung bin, daß das (1305) eheliche Verhältniß auf dem Gebiete der Gleichberechtigung regulirt werden muß. Ich werde mich aber nicht dafür erklären, weil ich der Ansicht bin, daß eine derartige Bestimmung als Rechtssatz überhaupt nicht in das BGB. gehört; denn das ist mehr ein Sentiment, ein Gefühl, das liegt auf dem Gebiete der Moral, der Sitte, der gegenseitigen Uebereinkunft. Die Schwierigkeiten entstehen, wenn es sich fragt: Wie wollen Sie den von Ihnen aufgestellten Rechtssatz exequiren? Allerdings hat der Entw. einen Ehekadi in der Person des VormRichters bestellt, vor welchem die betr. Eheleute sich beklagen können, je nachdem der Eine oder Andere über Uebergriffe sich zu beschweren vermeint; aber ich glaube, daß die Wirkungen dieser Einrichtung absolut werthlose sein werden. Es kommt aber noch eins hinzu. Es ist immer außerordentlich gefährlich, in einem Gesetze derartige Sätze aufzustellen, denen in außerordentlich vielen Fällen die Thatsachen widersprechen. Die betr. Bestimmung ist nachgebildet den Bestimmungen des ALR. Bei uns heißt es: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das eheliche Leben betr. Angelegenheiten zu“. Im ALR. heißt es: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gemeinschaft. Sein Entschluß, giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag“. Nun hat der Entw. hier dem Manne nur das Haupt abgeschlagen, der Rumpf ist aber geblieben und in Erinnerung an die Ausführungen, die vorhin Bebel machte, wäre ich außerordentlich neugierig, wenn man innerhalb des Geltungsgebietes des ALR. eine statistische Erhebung darüber anstellen wollte, in welchen ehelichen Gemeinschaften der Mann wirklich das Haupt ist und sein Entschluß wirklich in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag giebt. Ich glaube, daß die statistischen Erhebungen ein wesentliches Moment für die Streichung dieses § bilden würde. Man kann also sagen: unter solchen Umständen wäre es ja vielleicht gleichgültig, die Bestimmung stehen zu lassen oder zu streichen, es ist auf keinen Fall eine Schädigung. Das würde aber doch eine etwas oberflächliche Anschauung sein; denn diese Bestimmung, wie sie hier steht und im ALR. steht, ist gewissermaßen die Quelle, gewissermaßen der Grundsatz für alle diejenigen Beschränkungen, welche der Frau in der Ehe auferlegt werden. Aus dieser Quelle fließen sie alle. Wir befinden uns bei einem außerordentlich wichtigen Abschnitte des BGB., bei demjenigen Abschnitte, welcher vermöge seiner ganzen Natur, vermöge der Verhältnisse, die er ordnet, vielleicht auf das allgemeinste Verständnis; zu rechnen hat und namentlich auch bei den unmittelbar Betheiligten, die sonst vielleicht juristischen Kontroversen weniger ihr Interesse zuwenden, bei den Frauen selbst. Die Frauenbewegung, die jetzt sehr stark in Fluß gekommen ist, kann nach meiner Ansicht nicht ignorirt werden. Es hat sich eine bedeutende Anzahl Männer der Bewegung angeschlossen in der Absicht, ihre Bestrebungen zu fördern. Ich bin überzeugt, daß eine große Anzahl von Männern, die andere Bewegungen der Frauen lieber sehen, gerade dieser Bewegung nicht sympathisch gegenübersteht. Aber,
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wie ich schon vorhin sagte, ignorirt kann sie nicht mehr werden, und auch die mit der Verbesserung des Entw. beauftragte ReichstagsKom. hat der Frauenbewegung Rechnung getragen, hat verschiedene Bestimmungen mit Rücksicht auf das Verlangen der Frauen aufgenommen, hat allerdings aber gemeint, man habe kein allzu lebhaftes Interesse daran, diese Bewegung in alle Wege zu fördern und ihr bis an ihre letzten Ziele zu verhelfen. Nun, die Frauen haben sich bisher mit den Resultaten der KomBerathung sehr unzufrieden gezeigt. Allerdings, wenn es in der neuesten uns zugegangenen Flugschrift der Frauenbewegung gleich an der Spitze heißt: „Wie ein dunkler Schatten aus den dunkelsten Tagen des Mittelalters ragt der Entw. in die Gegenwart hinein“, so ist das die Uebertreibung einer leidenschaftlichen Erregung, die dadurch erklärt werden kann, daß, wie ich nachher vielleicht noch betonen werde, die Frauen bei einer ganz nebensächlichen Gelegenheit an einem ihrer empfindlichsten Punkte sich getroffen fühlen. Aber ich meine weiter, daß derartige Übertreibungen der Sache vielleicht mehr schaden als nützen, daß man aber den von heiligem Eifer für ihre Sache durchglühten und in leidenschaftlicher Erregung befindlichen Damen das wohl nachsehen kann und sich nicht dadurch in dem wohlwollenden Entgegenkommen gegenüber dieser Bewegung beirren lassen darf. Nach meiner Ansicht muß jedes Gesetz von dreifachen Gesichtspunkten ausgehen: zunächst muß es darauf bedacht sein, alles Hergebrachte, des Erhaltens Werthe zu konserviren; es muß den unmittelbaren Bedürfnissen der Gegenwart Rechnung tragen; es muß aber auch den sich bildenden Neuformationen der Zukunft wohlwollend entgegenkommen. Sie machen die Erfahrung, daß, wenn in großen Städten bei der Errichtung öff. Gebäude nicht auf den Zuwachs Rücksicht genommen wird, binnen einer bestimmten, mehr oder weniger langen Frist alle diese Gebäude zu eng werden. Hier handelt es sich um ein Rechtsgebäude, um ein Gebäude, unter dessen Dach ein ganzes Volk Platz finden soll, und ein solches Gebäude muß nothwendig auf den Zuwachs eingerichtet werden, d. h. auf den Zuwachs aller der neuen Ideen, aller der neuen Formationen, die in der Zukunft entstehen werden, damit nicht alsbald eine gewisse Enge eintritt, und diejenigen, die unter diesem Dache sich sammeln, sich dadurch nicht bedrückt fühlen. Nun meine ich doch, daß man bei dem ersten Gesichtspunkte etwas zu weit gegangen ist. Die Vorliebe für alte Rechtssätze ist eine mehr oder weniger berechtigte Vorliebe der von ihrem Berufe gänzlich umstrikten Juristen, (1306) so daß wir häufig die Erfahrung machen, daß, wenn auch ein Institut, ein Rechtssatz beseitigt ist, dessen Folgen doch bestehen bleiben, und ich meine, daß ein altes, längst in sich abgestorbenes Institut auch im BGB. nicht hinlänglich beseitigt wird, ihm vielmehr eine nicht ganz gerechtfertigte Rechnung getragen werde. Weit entfernt, allen Beschwerden der Frauen zustimmen zu wollen, vielmehr anerkennend, daß das BGB. in seinem Entw. wie in den Veränderungen der Kom. wesentliche Verbesserungen auf diesem Gebiete enthält, meine ich doch, daß das Institut – um es kurz zu sagen – der ehelichen Vormundschaft, entgegen den Anschauungen unserer Tage, entgegen den Bedürfnissen der Frauen, entgegen den Ansichten, die in der Zukunft sich immer mehr entwickeln und immer festere Gestalt annehmen werden, aufrecht erhalten wird.
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Nun will ich Ihnen absolut keine historische Exkursion machen, ich erlaube mir aber doch, darauf aufmerksam zu machen, daß in den deutschen Rechten die Geschlechtsvormundschaft ein eisernes Inventar ist. Im ältesten Rechte entstand sie aus der Rechtlosigkeit der Frau, die zusammenhängt mit ihrer Wehrlosigkeit und ihrer Unfähigkeit, vor Gericht aufzutreten und ihr Recht selbst geltend zu machen. Sie alle, wenn sie auch das alte deutsche Recht nicht kennen, kennen Lohengrin und wissen, daß die unglückliche Elsa absolut nicht in der Lage war, ihr gutes Recht selbst geltend zu machen, sondern warten mußte, bis ein irrender Ritter kam, der für sie das Schwert erhob. Das ist außerordentlich romantisch, und wenn nach heutigen Zuständen Elsa in der Lage gewesen wäre, den Rechtsanwalt Lohengrin zu bevollmächtigen, so würde der Operntext wahrscheinlich unmöglich gewesen sein. Aber Sie werden mir zugeben, daß dringender als die Bedürfnisse der Romantik die realen Verhältnisse sind. Mit dem Verschwinden des Gottesurtheiles, mit dem Verschwinden des entscheidenden Schwertes gestalten sich die Verhältnisse wesentlich anders; aber die Rechtlosigkeit, der Frau blieb dieselbe, sie wurde nur anders motivirt und damit gerechtfertigt, daß die Frau ein schwaches, hülfloses, dem Manne unterlegenes Wesen sei, und daß man ihr durch diese Vormundschaft zu Hülfe kommen müsse. Und diese Vormundschaft erstreckte sich auf unverheirathete wie auf verheirathete, nur daß bei der Verheirathung die Frau in andere Hände überging, vermöge des Mundiums, welches Kaufpreis und Kaufsache zugleich bedeutete, der Mann als neuer Vormund dem alten Vormunde die Vormundschaft über die Frau abkaufte. Nun hat man nach und nach die Geschlechtsvormundschaft, soweit sie unverheirathete Frauen betrifft, aufgehoben, in einzelnen Partikularrechten erst recht spät sie ist z. B. für Hannover und Schleswig erst durch ein G. v. 1869 aufgehoben, es ist aber ausdrücklich betont worden, daß die Vormundschaft des Mannes über die verheirathete Frau bestehen bleibt. Das ALR., dessen Lob mein Freund Lenzmann neulich mit voller Berechtigung gesungen hat, ein Gesetz, das namentlich für die Zeit, in der es entstand, ein Wunder von Scharfsinn, von Liberalismus, von Humanität ist, hat die Geschlechtsvormundschaft sowohl wie die eheliche Vormundschaft dem Namen nach beseitigt, der Sache nach aber, wie dies die schon citirte Stelle Ihnen kundgiebt, doch die eheliche Vormundschaft bestehen lassen. Dabei hat es indessen dem Manne nicht so recht getraut und namentlich in einer Beziehung der Frau einen Schutz vor ihrem Manne gewähren zu müssen geglaubt. Es findet sich dort die Bestimmung, daß, wenn in bestehender Ehe die Frau dem Manne oder einem Dritten zu Gunsten des Mannes zu etwas verpflichtet werden soll, wozu sie dem Wesen der Ehe nach nicht verbunden ist – dann soll das nur vor Gericht geschehen können. Der Frau soll ein Beistand gestellt werden, aber, heißt es im Gesetze, dabei hat der Richter auch von Amtswegen darauf zu sehen, daß die Frau nicht übereilt oder hintergangen wird, und ebenso war diese Form, ist die Bestellung des Beistandes, war die Aufmerksamkeit des Richters nothwendig, wenn in stehender Ehe ein Ehevertrag abgeschlossen werden soll, was die Verlobte, wenn die Braut an und für sich selbständig ist, ohne alle diese Formalitäten thun kann. Dabei hat allerdings das ALR. nicht die genügende Menschenkenntnis gezeigt; denn es wäre vielleicht ebenso nothwendig gewesen, die Braut zu schützen als die Frau, da bekanntlich bei der Braut die Opposition im Keime vielleicht vorhanden sein mag, in der Ehe aber erst aus dem Keime die volle Blüthe sich entfaltet. (Heiterkeit.) Nun haben Sie die Frau ganz anders gestellt, Sie geben den Frauen vollkommen die Befugniß, zu
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kontrahiren, mit wem sie wollen, auch mit dem eigenen Manne. Halten Sie denn nun den Mann für besser geworden? Sollte das der Fall sein, so müßte ich für meinen Theil ein solches Kompliment zurückweisen. Ich kann mir nur denken, daß Sie sich sagen: die Frau ist inzwischen eine andere geworden, die Frau ist geschäftskundiger, vorsichtiger, vielleicht charaktervoller wie ehedem, also braucht es einer derartigen Vorsichtsmaßregel nicht. Wenn Sie der Ansicht sind, wozu denn überhaupt noch die übrigen Beschränkungen der Frau! Die Frau ist eine ganz andere geworden als ehemals. Die gleichaltrigen mit mir und auch noch jüngere werden sich der Zeit erinnern, wo man von der Frau eine ganz andere Vorstellung hatte, wo wirklich diejenige Frau die beste war, von der man am wenigsten sprach hinzuzufügen: die selbst auch am wenigsten sprach – wo es für unschicklich galt, wenn eine Frau irgend einer öffentlichen Bestrebung sich zuneigte, wo es für ganz außergewöhnlich angesehen wurde, wenn eine Frau einen selbständigen Beruf ergriff, kurz und gut, wo die Frau, ein stilles (1307) Veilchen, bescheiden am häuslichen Herde zu verblühen bestimmt war. Das ist ganz anders geworben. Schon damals sind ja einzelne Frauen auf besonderen bestimmten Gebieten hervorgetreten. Schon damals hat man Beispiele erlebt, daß selbst auf dem Gebiete der hohen Politik Frauen einen ganz bestimmenden und eingreifenden Einfluß geübt haben. Aber das waren doch nur Seltenheiten, nur einzelne Ausnahmen. Inzwischen hat die Frau sich fast alle Gebiete erobert. Sprechen wir nicht von den schönen Künsten; sprechen wir von den Wissenschaften, sprechen wir von den technischen Berufen, kurz und gut, überall hat sich die Frau gleichstrebend und gleichwerthig mit dem Manne erwiesen. Und wieviel Ehen haben Sie nicht in allen Ständen, wo die Frau die eigentliche Last der Ehe bestreitet, nicht blos mit ihrem Vermögen, auch mit ihrem Erwerb, mit ihrer Thätigkeit! Und wie wollen Sie denn eine derartige Frau unter diese unbedingte Botmäßigkeit des Mannes stellen! Ich will garnicht auf einen speziellen Fall hinweisen; aber denken Sie doch: es heirathet ein schlichter Mann, ein doctor juris – wie wollen Sie von diesem doctor juris verlangen, daß er unter allen Umständen mit Hintansetzung seiner Lebenserfahrung, seiner Rechtskenntniß den Entschlüssen und Ansprüchen dieses schlichten Mannes sich fügt? Das scheint mir doch ein sich selbst vernichtender Widerspruch zu sein! Dann hat man ja, um die ganze Stellung der Frau nach dieser Richtung hin zu rechtfertigen, sie auch vom Standpunkte der Galanterie aus zu rechtfertigen versucht; man hat, wie die Frauenbewegung sich ausdrückt, um die Sklavenketten der Frau die Rosenguirlanden der Galanterie geflochten. Nun muß ich den Frauen zugeben, daß diese Rosen vielfach nur gemachte Blumen und namentlich in der Ehe dem raschen Verwelken ausgesetzt sind. Aber die Frauen sagen jetzt: wir wollen keine Galanterie, wir wollen Gerechtigkeit; seid nicht galant, seid gerecht; denn die Galanterie ist eigentlich nur eine in höfliche Form gekleidete Mißachtung und Unterschätzung der Frau. Und ich meine, die Frauen haben damit ganz Recht. Wenn aber dem Wesen der modernen Frau das entspricht – dem Wesen der Ehe entspricht ein derartiger Zustand erst recht. Ich bin weit davon entfernt, die Bedeutung der Ehe zu unterschätzen, weit entfernt, die Ehe für ein äußerliches Band, für ein gegenseitiges Kontraktverhältniß zu erklären; ich bin aufs tiefste überzeugt, daß die Ehe die auf sittlicher Grundlage beruhende innigste Lebensgemeinschaft ist. Aber namentlich nach anderen Anschauungen können derartige Gemeinschaften am sichersten und am glücklichsten nur auf dem Boden der Gleichberechti-
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gung geschlossen werden. Sobald Sie, namentlich ohne zwingenden und inneren Grund, eine Uebermacht konstituiren nach der einen Seite hin, erwecken Sie den Uebermuth auf der einen, die Hinterlist und alle übrigen schlechten Eigenschaften auf der anderen Seite. Aus dieser ehelichen Vormundschaft entstehen auch und entstanden alle die bestehenden ehelichen Güterverhältnisse, die nach meiner Ansicht alle nicht gerechtfertigt sind. Aus allen diesen Gesichtspunkten, die ich mir zu entwickeln erlaubt habe, halten wir die Gütertrennung für das einzig Moralische, das einzig Sittliche, das einzig dem Wesen der Ehe Entsprechende, und deshalb werden wir, wie ich jetzt schon sagen kann, für den Antrag Stumm stimmen. Wenn nach dem ehelichen Güterrechte es gilt und gelten soll, daß der Mann mit der Hand der Frau auch sofort Besitz von ihrem Vermögen ergreifen kann, dann kann die Welt, vielleicht auch die Frau selbst, vielleicht auch der Mann, zweifelhaft daran werden: wonach greift er zunächst, nach der Hand oder nach dem Vermögen? Also ich meine: alle diese nicht moralischen Zustände werden dadurch gehoben, daß man die Gleichberechtigung der Frau namentlich auch in dem ehelichen Güterrechte feststellt. Um mit der Frauenbewegung zu schließen, so, glaube ich, kann diese Frauenbewegung nicht mehr zurückgedrängt werden, weil sie die weitesten Kreise ergriffen hat. Die Petitionen und Proteste, die uns zugegangen sind, sind unterschrieben von einer großen Anzahl von Männern, von einer viel größeren Anzahl von Frauen, Aerztinnen, Studentinnen usw. Mit der modernen Frau kann man nicht mehr, auch mit diesen Bestimmungen, wie sie bisher galten, fertig werden. Nun haben die verehrten Frauen sich außerordentlich entrüstet, daß von irgend einer Seite diese Frauenbewegung als Landsturm bezeichnet wird. Sie haben nämlich gemeint, mit diesen Worten solle neben einer inneren auch eine gewisse äußere Reife ausgedrückt sein, die man im Verkehre mit Damen nicht gern allzuscharf betont. Ich kenne den Verfertiger dieses Wortes nicht, ich glaube nicht, daß er eine böse Absicht gehabt hat. Ich meine, man könnte nicht von einem Landsturme, aber von einem Sturme im Lande sprechen, den die Frauen entfacht haben, der nicht zur Ruhe kommt. Und mit jeder Bestimmung, mit welcher Sie die natürlichen Rechte der Frau einschränken, werden Sie Wind säen, um Sturm zu ernten. Das hat alle ergriffen, auch junge Damen, die noch nicht einmal das militärpflichtige Alter haben, sodaß die Bezeichnung „Landsturm“ eine ganz ungerechtfertigte ist. Hüten Sie sich, namentlich in unseren Berathungen und durch Ihre Art, eine Eigenschaft der Frauen zu erwecken, die sehr gefährlich ist: die Eifersucht. Wir haben vorgestern mit einem liebevollen Verständnisse, das ich vollkommen gewürdigt habe, das Wesen, die Natur, die Bedürfnisse des Hasen erforscht – nun meine ich, das Wesen, die Natur, die Bedürfnisse der Frau sind doch mindestens ebenso wichtig wie die des Hasen, und (1308) bewirken Sie nicht durch die Art Ihrer Berathung, daß am Schlusse derselben die Frauen sagen können: ja, wenn wir Hasen gewesen wären! (Große Heiterkeit.) Rickert: Die Frauenpetitionen verlangen von uns, daß wir die Berathung des BGB. bis zum Herbste vertagen. Ich erkenne die Berechtigung der Frauenbewegung durchaus an – und ich würde die Herren bitten, daß sie dieselbe mit vollem Ernste betrachten; sie wird weiter gehen und nicht eher ruhen, als bis die berechtigten Forderungen der Frauen in Erfüllung gegangen sind. Wenn ich gleichwohl der verlangten Vertagung nicht zustimme, so geschieht es deshalb, weil ich meine, daß die Frauen im Irrthume sich befinden, wenn sie glauben, daß durch 3 oder 4
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Monate Agitation eine Aenderung in diesem Reichstage herbeigeführt werden kann. Nein, wir Alle müssen uns an das Unabänderliche gewöhnen, daß große Kulturfortschritte nicht in Jahren, ja nicht einmal in Jahrzehnten zu erreichen sind. Diejenigen unter uns, die schon Jahrzehnte im politischen Leben stehen, wissen, wie unendlich schwierig es ist, Fortschritte zu erreichen. Man gewinnt sie nicht im ersten Ansturme, sondern eine langdauernde, ernste und unablässige Arbeit ist dazu erforderlich. Nach meiner festen Ueberzeugung würden wir im Herbste dieses Jahres in dieser Frage auch nicht um den geringsten Schritt weiter kommen als jetzt. Deshalb kann ich mich auch den Petitionen der Frauen nicht anschließen. Wir wollen doch die wesentlichen Vortheile, welche das BGB. in Bezug auf die Frauen bietet, einheimsen: denn wir wissen nicht, was in der Zwischenzeit alles noch passiren kann. Das betrifft nicht bloß diesen Theil des BGB, sondern auch andere. Ich halte den Antrag Stumm für viel wichtiger als die Frage, die hier zur Diskussion steht, und ich will schon jetzt erklären, daß ich mit Freuden für diesen Antrag, der der Kernpunkt ist, eintreten werde. Aber ich bin der Meinung, daß auch hier schon wenigstens accentuirt werden kann, daß die Gesetzgebung hier etwas thut, was nicht erforderlich ist. Ich habe Anstoß daran genommen, daß im Berichte von der Seite, die den § 1337 empfiehlt, eine wunderbare Definition der sittlichen Grundlage der Ehe enthalten ist. Es heißt da wörtlich: „Wolle die Frau dem Manne sich nicht unterordnen, so bedeute das eine bedenkliche Lockerung der Familienbande und einen ganz anormalen Zustand der Familie“. Ja, hier haben die Herren der Welt doch zu sehr das Bedürfniß gefühlt, ihre Hoheit und ihre Machtvollkommenheit erkennen zu lassen. Also die Familienbande werden gelockert, wenn die Frau sich nicht unterordnet! Das müßte doch voraussetzen, daß der Mann immer der vernünftigere ist, daß er die Sittlichkeit und die Vernunft repräsentirt und niemals die Frau. Da, glaube ich, sind denn doch sehr viele Männer bescheiden genug, um zu erklären, daß sie nicht immer der Frau gegenüber die höhere Vernunft repräsentiren. Ich protestire gegen den hier ausgesprochenen Grundsatz. Das ist allerdings die Auffassung, die, heute noch bei der Majorität der Männer vorhanden ist; sie wird aber verschwinden, sie wird um so mehr verschwinden, je mehr die Frauen mit Ruhe, und allerdings auch mit Festigkeit, ihre berechtigten Forderungen vertreten. Nun frage ich Sie: liegt denn ein praktisches Bedürfniß zu diesem § vor? Ich möchte einmal die Herren vom Regierungstische fragen, ob sie diese Frage mit Ja beantworten können. Im Berichte habe ich diese Aufklärung nicht gefunden. Ich behaupte, daß ein praktisches Bedürfniß absolut nicht vorhanden ist. Diese Dinge regeln sich nach den Thatsachen, trotz Ihrer §§, wie sie sich regeln müssen. Es steht z. B. im §: „Der Mann bestimmt insbes. den Wohnort und die Wohnung“. Ich meine, daß derjenige Mann thöricht ist, der bei der Bestimmung der Wohnung die entscheidende Stimme abgeben will. In dieser Frage ist die Frau meist viel kompetenter, und ich würde den Mann bedauern, der das Urtheil der Frau nicht maßgebend sein läßt; sie versteht diese Dinge besser als der Mann. Es handelt sich ja hier nicht um die Paläste, sondern um die Wohnungen von Millionen und Millionen, für die doch die Gesetze in erster Reihe gemacht werden; und da sage ich; unnöthig und unpraktisch ist die Bestimmung.
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Ferner: was bedeutet denn eigentlich, daß die Frau nicht verpflichtet ist, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechtes darstellt? Das ist eine unklare Bestimmung. Was ist denn der Mißbrauch seines Rechtes, wenn Sie von vornherein den Grundsatz an die Spitze stellen: er entscheidet in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Ehe –? Wann mißbraucht der Mann sein Recht? Ich meine, nach der Bedeutung des Abs. 1 kann ein solcher Mißbrauch gar nicht vorliegen. Die Herren von der Sozialdemokratie haben einen Gegenantrag gestellt. Ich meine aber, auch dazu ist kein praktisches Bedürfniß. Und Ihre Fassung ist doch zum Theile eine unglückliche. Z. B. heißt es: „Bei Meinungsverschiedenheiten über den ehelichen Aufwand entscheidet derjenige Theil, aus dessen Vermögen die Ehelasten zum größten Theile bestritten werden“. Na wollen Sie diese Apothekerrechnung aufmachen zwischen den Eheleuten! Das ist doch unmöglich in vielen Fällen und namentlich unmöglich in den Arbeiterfamilien. Gehen Sie mit uns und streichen Sie einfach den §! Dann werden Sie etwas erreichen. Ein praktisches Bedürfniß ist auch für Ihren § nicht vorhanden. Bebel: Ich befinde mich dem Herrn Traeger gegenüber gewissermaßen in der Rolle eines Konservativen. Er stellte die Forderung auf, daß das BGB. einen Inhalt haben müsse, der nicht (1309) nur den neuesten Ideen, sondern auch denen der Zukunft den vollsten Raum zur Entfaltung biete. Es ist das eine Ansicht, in der ich ganz und gar nicht mit Traeger übereinstimmen kann, einmal, weil es für ein Gesetzbuch an und für sich unmöglich ist, derartige Forderungen zu stellen, und zweitens deswegen, weil ich der Meinung bin, daß es auch, wie wir es jetzt feststellen, nur eine Etappe in der Entwickelung der Gesellschaft sein wird – und ich hoffe, es wird nicht allzu lange dauern, und das BGB. fliegt in die Luft. Aus diesem Grunde wird es gar nicht im Stande sein, Zukunftsideen in den Kreis seiner Bestimmungen zu ziehen. Ueberhaupt ist die ganze Jurisprudenz ihrer Natur nach eine rückschauende Wissenschaft – wenn ich mich so ausdrücken soll – wenn überhaupt eine Wissenschaft. Schon 1848 hat ein bedeutender Jurist, von Kirchmann, als junger Mann die Frage aufgeworfen, ob die Jurisprudenz als Wissenschaft angesehen werden könne. Er erkannte richtig, daß die Jurisprudenz immer hinter den thatsächlichen Verhältnissen nachhinkt. Sie hat erst das in §§ zu formuliren, was aus den gesellschaftlichen Verhältnissen heraus sich als Bedürfniß ergeben hat; und mehr verlangen wir in diesem Augenblicke auch auf der äußersten Linken nicht. Allerdings verlangen wir dagegen, daß alles das, was aus der gesellschaftlichen Entwickelung heraus als Tagesbedürfniß sich ergeben hat, auch durch das BGB. berücksichtigt wird. Und da bin ich allerdings der Meinung – und stimme mit Traeger in allen Ausführungen, die er machte, überein – daß alle dem, was er für die Notwendigkeit der Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes, insbes. auch auf dem Gebiete der Ehe gefordert hat, Rechnung getragen werden muß. Sie haben insofern Recht, wenn Sie sagen: was Ihr verlangt, das verlangt vorläufig nur ein kleiner Theil der Frauen im Verhältnisse zur Gesammtheit. Das mag richtig sein. Aber wenn Sie in der Lage wären, einmal eine Abstimmung der gesammten deutschen Frauen über die von uns vertretenen Forderungen in Bezug auf die Frau herbeizuführen, und man ihnen
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nur mit wenigen Sätzen klar machen könnte, um was es sich handelt, dann bin ich überzeugt, daß die große Mehrheit für diese Forderungen eintreten würde. Wenn speziell heute und in diesen Tagen, wo wir so wichtige Berathungsgegenstände in Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu erledigen haben, statt Ihrer Ihre Frauen in diesem Saale säßen, dann bin ich überzeugt, wir würden unsere Anträge allesammt durchbringen. Insofern bedauere ich, daß das nicht möglich ist. Traeger und auch Rickert haben dafür plaidirt, daß der § 1337 der Vorlage beseitigt werde; sie haben besonders uns gebeten, unseren Antrag fallen zu lassen und uns ihrem Antrage anzuschließen. Diesem Ersuchen können wir nicht Folge leisten, wenigstens nicht im ersten Theile, in Bezug auf unseren Antrag, weil wir ihn für nothwendig halten. Wir werden aber, wenn dieser Antrag, wie vorauszusehen ist, bei der Majorität keine Zustimmung findet, uns alsdann allerdings dem Antrage der Freisinnigen anschließen auf Streichung des § 1337. Wir können uns um deßwillen nicht ohne Weiteres diesem letzteren Antrage anschließen, weil wir der Meinung sind, daß, wenn die Bestimmung des § 1337 beseitigt wird, zwar damit gegenüber dem bestehenden Zustande nach mancher Richtung hin für die Frauen eine Besserung ihrer rechtlichen Stellung eintreten wird, aber doch lange nicht in dem Maße, wie wir sie verlangen müssen. Denn entstehen alsdann aus den ehelichen Verhältnissen, über die Ordnung derselben Streitigkeiten zwischen Mann und Frau, und führen diese in irgend einer Form zur richterlichen Entscheidung, dann haben wir allerdings die Befürchtung, daß in solchem Falle der Richter nach dem bisher bestehenden Rechtszustande nicht formal, aber thatsächlich entscheidet, daß er das, was bisher Usus war und auch Recht, dann noch in seinem Ideengange als einzig berechtigt nachwirken und dieses bei seinem Urtheile maßgebend sein läßt. Es wird dann in solchen Fällen in der Regel die Frau die Geschädigte sein. Daher sind wir der Meinung, daß, wenn einmal auf diesem Gebiete die volle Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern in der Ehe ausgesprochen werden soll, alsdann das Gesetz positiv diesem Gedanken Ausdruck geben muß. Darum lautet der erste Satz des von uns beantragten §: „In allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten sind beide Ehegatten gleichberechtigt“. Damit ist in klaren Worten der Standpunkt ausgesprochen worden, der nicht nur hier in Bezug auf § 1337 und seinen Inhalt, sondern, wenn derselbe angenommen würde, auch selbstverständlich für den ganzen übrigen Inhalt des BGB., soweit die Verhältnisse zwischen Mann und Frau in Frage kommen, als grundlegende Bestimmung angesehen werden muß, und dementsprechend alle übrigen §§ des Gesetzes zu formuliren waren. Fällt diese grundlegende Bestimmung, die wir beantragen, dann können wir es uns allerdings und selbstverständlich ersparen, diejenigen Aenderungen, die sonst noch nothwendig wären, weiter zu beantragen. Hier noch über die Notwendigkeit dieser Gleichberechtigtheit große Ausführungen zu machen, nachdem der Abgeordnete Traeger sich bereits darüber ausgelassen hat, halte ich für überflüssig. Aber wenn ich gesagt habe, daß es die Aufgabe eines Gesetzbuches wie des BGB sein muß, nicht allein das, was bereits Rechtens ist, zu konserviren, sondern vor allen Dingen auch das zu berücksichtigen, was aus den alten Zuständen der Gesellschaft heraus bereits einen gewissen Grad der (1310) Entwickelung erlangt hat und nach all den Voraussetzungen, die diesen neuen Zustand hervorgerufen haben, die größte Wahrscheinlichkeit hat, daß dieser neue Zustand sich weiter entwickeln wird und schließlich allgemein wird, – in ei-
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nem vergleichsweise kurzen Zeitraume wird bei dem raschen Gange der heutigen Entwickelung der neue Zustand zu einem allgemein maßgebenden werden. Niemand wird mir bestreiten können, daß es heute nicht nur die Zehntausende von Frauen sind, die bei den Petitionen, die uns vorliegen, in Frage kommen, sondern daß es sich bereits um Millionen von Frauen handelt, für die der Standpunkt der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes mit dem männlichen auf den Gebieten der ehelichen und häuslichen Verhältnisse eine absolute Notwendigkeit geworden ist. Es ist nicht nur die Frau in Bezug auf ihre Selbständigkeit und Erhaltung als Lebewesen, sondern es ist auch die Frau in Bezug auf ihre Stellung als Ehefrau und Mutter, bei der heute Millionen von Frauen in Frage kommen, bei denen die Erhaltung und Unterstützung der ehelichen Gemeinschaft in materieller Beziehung genau in demselben Maße in Frage kommt wie bei den Männern. Es giebt heute im Deutschen Reiche bereits viele Hunderttausende von Frauen in den verschiedensten Lebensstellungen als Künstlerinnen, Beamtinnen, Lehrerinnen, Geschäftsinhaberinnen, Theilhaberinnen, Mitwirkerinnen bei der Thätigkeit ihrer Männer, dann aber insbes. als Arbeiterinnen, die durch ihre Thätigkeit sogar den Haupttheil zu den ehelichen Lasten und zur Erhaltung der Familie beitragen, ja, in sehr vielen Fällen sogar ausschließlich die Familie unterhalten, weil der Ehemann, sei es in Folge körperlicher Gebrechen, sei es in Folge seines geistigen Zustandes, sei es in Folge sozialer Momente, nicht in der Lage ist, den Unterhalt der Familie weiter bestreiten zu können. Ich erinnere Sie nur an die eine Thatsache, daß es unendliche Male vorkommt, daß Frau und Mann bei einem Gewerbe in einer Fabrik beschäftigt sind, aber in verschiedenen Berufen. Wird der eine Theil, und zwar der Mann, in seiner Thätigkeit durch eine Krise gestört und wird er auf unabsehbare Zeit arbeitslos, so ist es in diesem Falle die Frau, welche die Verpflichtung hat, für die Familie zu sorgen. Sie werden zugeben: das ist ein Verhältniß, welches hunderttausendfältig im Laufe der Jahre im Deutschen Reiche vorkommt. Aber auch der andere Fall, daß die Frau in hohem Grade, oft zum größeren Theile, die Unterhaltung der Familie bewirkt, ist eine Thatsache, die Niemand bestreiten kann, der das praktische Leben kennt. Diese Zustände sind vorhanden, unsere ganze Gesetzgebung spricht dafür. Die Notwendigkeit unserer Arbeiterschutz- und der Versicherungsgesetzgebung für die Frauen, das fortgesetzte Drängen der Frauen höherer Schichten, ihnen auch die Lebensberufe zugänglich zu machen, von denen man sie bisher ferngehalten – die wissenschaftlichen Studien usw. –, die Versuche, in die verschiedenen Beamtenkategorien, wenigstens in die unteren, einzutreten, wo sie auch tatsächlich beschäftigt werden. Ich erinnere an die Telephonie, das Telegraphenwesen, den Postdienst, den Eisenbahndienst, wo überall der Staat schon Tausende von Frauen ernährt. Das sind Verhältnisse, für die ein neues Recht geschaffen werden muß. Es handelt sich hier nicht um eine zukünftige Entwickelung, nicht um Gedanken, die etwa erst in der Zukunft aus dem Schooße der Gesellschaft hervorgehen sollen; nein, es handelt sich um die Regelung tatsächlicher Verhältnisse, denen kein Mensch mehr, der mit offenen Augen den Dingen gegenübersteht, sich entziehen kann, denen entsprechend er seine Handlungen, insbes. als Gesetzgeber, anpassen muß. Daß in allen solchen Fällen in erster Linie der Grundsatz der Gleichberechtigung auszusprechen ist, betrachte ich als selbstverständlich.
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Wenn weiter namentlich Rickert den zweiten Satz unseres Antrages als durchaus unpraktisch bezeichnet hat, welcher lautet: „Bei Meinungsverschiedenheit über den ehelichen Aufwand entscheidet derjenige Theil, aus dessen Vermögen die Ehelasten zum größten Theile bestritten werden“, so hat er durchaus Unrecht, uns nach dieser Richtung hin einen Vorwurf zu machen. Der § 1337 hat die Aufgabe, gegründet auf den materiellen Zustand in der Ehe, einen gesetzlichen Boden zu schaffen. Daß Sie bisher dem Ehemanne vorzugsweise die bevorrechtigte Stellung einräumten – ich will mich hier nicht auf einen größeren historischen Diskurs einlassen –, liegt doch darin, daß der Ehemann nach der ganzen bisherigen sozialen Entwickelung, wenigstens – so will ich einmal sagen – im letzten Jahrtausend, derjenige Theil war, auf dem vorzugsweise die Lasten der Ehe, die Verpflichtung, die Ehe in ihrer Gemeinschaft mit den Kindern zu unterhalten, ruhte. Dieser tatsächliche ökonomische Zustand hat dem Manne das Vorrecht gegeben, was er bis heute in der Gesetzgebung hat; aber dieses Vorrecht verschwindet mehr und mehr durch die Entwickelung unserer Zustände, durch die Thatsache, daß auch die Frau neben dem Manne aus ihrer früheren häuslichen Zurückgezogenheit und Abgeschlossenheit nicht nur hervortritt, sondern, gezwungen durch die Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft, daraus hervortreten muß und dementsprechend in die Lebenslagen kommt, wo sie auch ihrerseits das volle Recht in Anspruch zu nehmen hat, daß sie mit dem Manne gleichberechtigt ist. Ich weiß ja und begreife es, daß ein großer Theil dieses Hauses, und namentlich die Herren in der Mitte und auf der rechten Seite des Hauses, diese ganze Entwickelung mit äußerst ungünstigen Augen und in einer unbehaglichen Stimmung verfolgen (1311); aber das nützt ihnen alles nichts; Anschauungen und Stimmungen sind hier nicht maßgebend, die Thatsachen sind vorhanden, diese Thatsachen schreien, sie erfordern gebieterisch Abhülfe. Und heute, wo Sie vor die Frage gestellt sind, ein Gesetzbuch zu schaffen, das wenigstens nach Ihrer Meinung auf Menschenalter hinaus geeignet sein soll, die sozialen Beziehungen der Gesellschaftsmitglieder unter einander zu regeln, ist eine gebieterische Nothwendigkeit, daß Sie jetzt auch dazu übergehen, dem neuen Zustande gerecht zu werden. Da nun der § 1337 auch in seiner jetzigen Fassung als materielle Grundlage die Verpflichtung ausspricht, daß der Mann die Rechte hat, weil er die moralische und materielle Verpflichtung hat, für die Eheangehörigen zu sorgen, so ist es ganz selbstverständlich, daß da, wo entsprechend der neuen Ordnung nun nicht mehr der bisherige Theil, der Mann, der materiell Maßgebende in der Ehe ist, sondern der andere Theil, der weibliche Theil es ist, der hauptsächlich den Unterhalt der Familie bestreitet – daß dem dann auch die Rechte eingeräumt werden müssen, die Sie andernfalls dem Manne eingeräumt haben. Insofern ist also der Vorschlag, den wir machen, ein durchaus korrekter und eine logische Folge des ganzen Standpunktes, auf dem sogar der § 1337 der Vorlage seiner innern Natur und seinem innern Kerne nach sich aufbaut. Wenn nun weiter hinzugesetzt wird: „Jedoch darf die Entscheidung den anderen Gatten in seiner Erwerbsthätigkeit nicht schädigen“, so ist das eine Bestimmung, die selbstverständlich ist, die wieder aus dem Vorhergehenden sich ergiebt und nothwendig ist, erlassen zu werden, damit im Falle von Differenzen für die Richter oder für diejenigen, die in die Lage kommen, in solchen Fällen zu ent-
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scheiden, eine Richtschnur gegeben ist, wie sie zu entscheiden haben. – Genau so ist es mit der weiteren Bestimmung: „Für die Wahl des Wohnortes giebt die Entscheidung desjenigen Ehegatten den Ausschlag, dessen Beruf für die Lebensführung der Familie maßgebend ist“. Hier haben wir das Wort „Wohnung“ gestrichen. Ich bin der Meinung, daß die enge Fassung, der enge Sinn, den der Abgeordnete Rickert in seinen Ausführungen dem Worte „Wohnung“ gegeben hat, wohl nicht zutreffend ist. In der Hauptsache handelt es sich viel weniger um die Wohnung als um den Wohnort. Der Wohnort ist aber doch in erster Linie auch entscheidend für die Existenz der Familie, daß der Ort ein solcher ist, wo die Existenzmöglichkeit für die Familie besteht. Und wenn nun nach Lage der Verhältnisse es in zahlreichen Fällen die Frau ist, die vorzugsweise die Ehe zu erhalten hat, und von deren Arbeitskraft und Arbeitsthätigkeit die Unterhaltung der Familie abhängt, dann ist es auch natürlich, daß, wenn es sich einmal um Veränderungen in Bezug auf den Wohnort handelt, um Wünsche, die von irgend einer Seite geltend gemacht werden, alsdann, wenn es sich um die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes oder auch um die Verbesserung desselben handelt, derjenige Theil der entscheidende wird, von dessen Arbeitskraft und Erwerb die Ehe in erster Linie unterhalten wird. Sie müssen doch auch die Dinge von einem etwas anderen Standpunkte noch auffassen. Indem wir hier Rechtsnormen schaffen, schaffen wir sie doch nur für den Fall, daß zwischen den Eheleuten keine Verständigung möglich ist. Sie werden mir aber zugeben, daß in den weitaus meisten Fällen diese Verständigung möglich sein wird. Man muß doch eo ipso voraussetzen, daß die Eheleute verständige Leute sind, daß sie ihr eigenes Interesse zu wahren wissen; und wenn dann einmal diese Voraussetzung, die wohl zutrifft für die große Mehrheit, sich als unrichtig erweist, und der eine Theil wider bessere Einsicht und besseres Wissen etwas verlangt, was der andere gerade wegen des besseren Wissens und der besseren Einsicht verweigern muß, da ist es naturgemäß, daß die Entscheidung so ausfallen muß, wie wir sie in vollständiger Würdigung des Grundsatzes: „volle Gleichheit für beide Theile“ Ihnen vorschlagen. Endlich ist auch noch im Schlußsatze nach dieser Richtung hin eine Sicherung getroffen. Da heißt es: „Ein Gatte ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des anderen Theiles Folge zu leisten, wenn diese Entscheidung sich als Mißbrauch des die Entscheidung treffenden Theiles darstellt“. Das gilt also für beide Theile; für den Mann wie für die Frau. Rickert meinte freilich: was ist Mißbrauch? Diese Frage können wir bei künftigen §§ noch sehr oft aufweisen. Als Mißbrauch erscheint dem einen, was dem anderen nicht als Mißbrauch erscheint; das kommt auf die gesellschaftliche Stellung, Gewohnheiten, Sitten, das kommt auf das ganze Milieu an, in dem bestimmte Personen sich als Angehörige einer bestimmten Gesellschaftsklasse begegnen. Da muß man aber dem Richter zugestehen, daß er, wenn solche Fragen an ihn herantreten, bei denen er vollständig außerhalb jedes direkten Interesses steht, in der Lage ist, entscheiden zu können. Hier in diesem Falle sehe ich den Richter lieber frei entscheiden als auf dem Gebiete der Strafrechtspflege, Da habe ich außerordentliche Bedenken; aber hier, wo es sich um Privatrechte handelt, wo er in der Stellung eines unparteiischen Dritten steht, der nach bestem Wissen zu entscheiden hat, kann man es wohl ruhig dem richterlichen Ermessen überlassen, wie er entscheiden will. Ich ersuche Sie, nehmen Sie unseren Antrag zu § 1337 an. Ich bin überzeugt, Sie werden einen Zustand damit schaffen, wofür
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Ihnen ein großer Theil des Volkes, namentlich des weiblichen Volkes zu großem Danke verpflichtet sein wird; und Sie werden einen Zustand schaffen, wofür (1312) Ihnen Anerkennung gegeben wird mit jedem Jahre in um so höherem Maße, als ein immer größerer Theil des Volles, insbes. die Frauen, zur Erkenntniß kommt, daß etwas Gutes, etwas Nützliches und vor allen Dingen Gerechtes für sie geschaffen wurde. (Lebhaftes Bravo links.) Professor Dr. Planck: Die bisherigen Redner haben in den Kreis ihrer Erörterungen die ganze Frauenfrage mehr oder weniger hereingezogen. Es ist nicht meine Absicht, ihnen in dieser Beziehung im Einzelnen zu folgen; ich möchte es vielmehr für zweckmäßiger halten, die Praktischen Fragen bei den einzelnen Bestimmungen des Entw. zu erörtern, und gilt dies besonders von der wichtigen Frage des ehelichen Güterrechtes. Nur eine allgemeine Bemerkung möchte ich vorausschicken. Ich halte die Bestrebungen für durchaus gerechtfertigt, welche darauf gerichtet sind, die Stellung der Frau zu einer möglichst würdigen zu machen. Ich gehe davon aus, daß die höhere oder niedere Stellung, die die Frauen in einem Volke einnehmen, bezeichnend ist für den gesammten Kulturstand dieses Volkes; und obwohl ich glaube, daß unser deutsches Vaterland den Vergleich mit anderen Nationen in dieser Beziehung nicht zu scheuen braucht, so stehe ich doch sympathisch allen Bestrebungen gegenüber, welche die Stellung der Frau noch zu einer höheren und besseren zu machen geeignet sind, als nach dem bisherigen Rechte der Fall ist. Ich glaube aber auch nachweisen zu können, daß der Entw. in dieser Richtung alles gethan hat, was mit der gerechten Rücksicht auf andere Interessen vereinbar war. Es ist mir nicht möglich, dies, ohne den ganzen Entw. durchzugehen, im Einzelnen nachzuweisen. Ich will deshalb nur einiges herausgreifen. Zunächst hat der Entw. die Geschäftsfähigkeit der Frauen völlig derjenigen der Männer gleichgestellt, er hat die Stellung der Frauen in ihrem persönlichen Verhältnisse in der Ehe gegenüber dem bestehenden Rechte gehoben. Ich behaupte auch – und werde das später nachweisen – daß die Stellung der Frau im ehelichen Güterrechte gegenüber dem bestehenden Rechte eine außerordentlich viel günstigere geworden ist. Dann verweise ich auf die Bestimmungen über die elterliche Gewalt der Mutter, die weiter gehen als, mit verschwindend kleinen Ausnahmen, irgend ein anderes Recht. Ich verweise auf die Bestimmungen über das Vormundschafts-, über das Erbrecht. Zu allen diesen Beziehungen hat der Entw. den Bestrebungen der Frauen, soweit sie berechtigt sind, volle Würdigung zu Theil werden lassen; aber eins hat er allerdings nicht gethan: er hat nicht ausschließlich die Interessen der Frauen gewahrt, sondern da, wo andere berechtigte Interessen in Betracht kamen, hat er auch diesen Rechnung getragen – und damit komme ich auf die §§ zurück, die uns hier beschäftigen. Ich muß dabei um Entschuldigung bitten, daß ich auch den § 1336 in Betracht ziehe, weil ohne ihn § 1337 nicht recht zu verstehen ist. Also bei den Bestimmungen über die Ehe kommt in erster Linie allerdings nicht die Rücksicht auf die Selbständigkeit der Frau allein in Betracht, sondern auch das Interesse der Ehe. Wer eine Ehe eingeht, muß einen gewissen Theil seiner Selbständigkeit immer opfern, um von dem anderen Theile dasselbe Opfer zu erhalten. Und ich meine, bei der wahren, rechten Ehe ist der der glücklichste Theil, der dem anderen das Meiste giebt. Das sind die Gedanken, von denen der Entw. bei den §§ 1336 und 1337 ausgegangen ist. Nun ist ja richtig, was von einem der Vorredner angeführt worden ist, daß das Gesetz außer Stande ist, ein dem wahren Wesen der Ehe entsprechendes Verhältniß herzustellen. Die
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Hauptbedeutung der Ehe liegt auf der sittlichen Seite; es kommt darauf an, daß die Gatten die rechte eheliche Gesinnung haben, von der rechten, wahren Treue und Liebe durchdrungen sind – und das kann das Gesetz nicht machen. Aber die Ehe ist nicht nur eine Gemeinschaft der Gesinnung, sondern soll auch das ganze Leben umfassen und sich auch im wirthschaftlichen Leben der Gatten darthun – und das ist der Punkt, in welchen das Gesetz eingreift und eingreifen muß. Die §§ 1336 und 1337 bestimmen nicht, daß die Ehegatten von der rechten ehelichen Gesinnung durchdrungen sein sollen – das können sie nicht bestimmen –; aber sie bestimmen: die Ehegatten sollen die Lebensgemeinschaft so führen, wie es die rechte eheliche Gesinnung erfordert. Ich kann in dieser Beziehung verweisen auf die Analogie der Bestimmungen des Obligationsrechtes, in dem Treue und Glaube maßgebend sein soll. Auch hier wird nicht bestimmt: Jeder, der in rechtliche Verhältnisse tritt, soll ehrlich und treu sein – aber: er soll so handeln, wie Treu und Glauben verlangen. Und so kann auch hier bestimmt werden: die Ehegatten sollen ihre Gemeinschaft so einrichten, wie die rechte eheliche Gesinnung es erfordert. Das ist der Sinn der §§ 1336, 1337; und die folgenden §§ führen nur die Organisation der ehelichen Gemeinschaft, deren Grundgedanke in § 1336 festgestellt ist, näher aus. Auf einen Punkt muß ich noch hinweisen, der für die Beurtheilung dieser ganzen Frage von großer Bedeutung ist. Die §§ 1336, 1337 sind insofern leges imperfectae, als eine Zwangsvollstreckung zu ihrer Durchführung nicht möglich ist. Wenn die Lebensgemeinschaft verweigert wird, wenn ein Ehegatte sich weigert, der gerechten Forderung des anderen zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu folgen, sei es nach Maßgabe des § 1336 und des § 1337 kann der andere Ehegatte zwar auf Herstellung des ehelichen Lebens klagen, aber dieses ist, wie die in Aussicht genommene Aenderung des § 774 CPO. näher angiebt, nicht im Wege der Zwangsvollstreckung vollstreckbar; die Vorschriften des § 774 über Zwangsvollstreckung wegen (1313) persönlicher Handlungen durch Geld- und Gefängnißstrafen finden hier keine Anwendung. Wenn man nun vielleicht fragt: was soll die Bestimmung hier, wenn sie nicht vollstreckbar ist? – so muß ich doch darauf hinweisen, daß glücklicherweise in unserem Volksleben ein Rechtssatz und eine festgestellte rechtliche Verpflichtung nicht allein dadurch Bedeutung haben, daß sie erzwungen werden können, sondern daß in der Mehrzahl der Fälle der bestehende Rechtssatz, die festgestellte rechtliche Verpflichtung schon durch sich selbst genugsam Wirkung hat, um in den meisten Fällen zur Befolgung derselben anzuhalten. Und so, meine ich, wird es auch hier sein; und wenn einem Ehegatten vor die Seele gestellt wird das rechtliche Soll, so wird sehr häufig auch die Rückwirkung eintreten, daß er auch das sittliche Soll beachten wird. Wenn dies aber nicht eintreten sollte, wenn trotz des rechtskräftigen Urtheiles die eheliche Gemeinschaft nicht hergestellt wird, dann bleibt auf die Dauer allerdings nichts anderes übrig als der Weg der Scheidung; und hierin liegt ein wesentliches Moment, weshalb meines Trachtens die §§ 1336, l337 nicht gestrichen werden können. Wenn dauernd ein Ehegatte die Herstellung des ehelichen Lebens verweigert, so setzt § 1550 die Voraussetzung fest, unter welcher wegen böslicher Verlassung auf Scheidung geklagt werden kann; und im § 1551 wird dann die weitere Bestimmung gegeben, daß, wenn wegen schwerer Verletzung der ehelichen Pflichten das eheliche Leben in solchem Maße zerrüttet ist, daß es dem anderen Ehegatten nicht zugemuthet werden kann, darin zu verharren, auch in diesem Falle die Scheidung
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möglich ist. Die Voraussetzung aber, was eheliche Pflicht, was schwere Verletzung der ehelichen Pflicht ist, wird in den allgemeinen Grundzügen in den §§ 1336 und 1337 gegeben; es ist im großen Ganzen die Verpflichtung zum ehelichen gemeinschaftlichen Leben. Nun muß ich noch speziell die Vorschrift des § 1337 zu rechtfertigen suchen. Der Gedanke, der ihr zu Grunde liegt, ist der: bei einer Gemeinschaft wie der ehelichen ist eine gewisse Organisation nothwendig. Die Gemeinschaft besteht aus zwei Menschen, es kann also nicht die Mehrheit entscheiden. Wer soll nun in denjenigen Angelegenheiten, die, eben wegen der bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft gemeinschaftlich geordnet werden müssen, entscheiden? Es handelt sich hier nicht um Fragen aus dem Wesen der Ehe, um sittliche Anforderungen – da entscheidet eben das Prinzip, die Rücksicht auf die eheliche Gemeinschaft, der Gedanke der rechten ehelichen Gesinnung ist da maßgebend – sondern es handelt sich um die tausendfältigen Fragen des täglichen Lebens, die aber doch entschieden werden müssen, wenn die Ehegatten eine wirthschaftliche Gemeinschaft haben wollen. Es ist auf Wohnsitz und Wohnung hingewiesen worden, aber man kann auch noch andere Fragen hereinziehen. Ich will nur auf die ganz gewöhnliche Frage des täglichen Lebens hinweisen, wie das gemeinschaftliche Leben eingerichtet, in welchem Zimmer gewohnt, um welche Zeit die gemeinschaftliche Mahlzeit eingenommen werden soll. Alles das sind solche äußere, an sich ganz gleichgültige, Dinge, die aber doch entschieden werden müssen. Nun wird sich thatsächlich bei gesunden Ehen alles das von selbst geben; aber ich meine, das Gesetz darf eben bei einer Frage, die von solcher Wichtigkeit ist, sich nicht darauf verlassen, daß sich Alles von selbst giebt, sondern es muß für den Fall, daß es sich nicht von selbst giebt, daß die Ehegatten sich nicht einigen, eine Entscheidung geben. Diese Entscheidung suchen nun Auer und Genossen darin, daß sie zunächst an die Spitze stellen: die Ehegatten sind gleichberechtigt. Ja, gleichberechtigt sind sie ganz gewiß; das spricht auch § 1336 aus. Aber wie ist denn nun, gerade wenn sie gleichberechtigt sind, in solchen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung herbeizuführen? Darüber schweigen die Anträge; sie geben nur Auskunft in zwei Beziehungen: wo es sich um Wohnung und Wohnsitz handelt, und wo es sich um den ehelichen Aufwand handelt. Ich will nun nicht darauf hinweisen, daß die Anhaltspunkte, die in dieser Beziehung gegeben werden, für die praktische Brauchbarkeit meines Erachtens völlig ungenügend sind. Aber auch abgesehen davon bleiben doch noch immer unzählige andere Fragen des regelmäßigen, täglichen Lebens, die hier eine Entscheidung fordern, und in denen der Antrag Auer eine Entscheidung nicht giebt. Ich meine, der Gedanke, den der Entw. hier zum Ausdrucke bringt, daß in solchen, wenn ich so sagen darf, gleichgültigen Fragen des gemeinschaftlichen Lebens die Stimme des Mannes zunächst die entscheidende ist, ist ein Gedanke, der der natürlichen Auffassung, der der deutschen Auffassung und, ich glaube, auch der christlichen Auffassung entspricht. Die Frau wird dadurch in keiner Weise benachtheiligt. Es handelt sich hier eben um gleichgültige Angelegenheiten, um solche Angelegenheiten, von denen man nicht sagen kann, daß die Entscheidung in der einen oder anderen Weise mit der echten ehelichen Gesinnung in Widerspruch steht. Sobald dies der Fall ist, findet der Abs. 2 Anwendung; es handelt sich dann um einen Mißbrauch des Entscheidungsrechtes. Es ist die Unbestimmtheit dieses Ausdruckes bemängelt; aber ich meine, gerade in der Art und Weise, wie in Verbin-
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dung mit § 1336 dieser Abs. 2 aufgefaßt werden muß, liegt klar ausgedrückt, daß durch den Entw. in allervollstem Maße Rechnung getragen ist der Berechtigung der Frauen. Sie können sich gegen jede Entscheidung des Ehemannes, die mit der rechten ehelichen Gesinnung nicht vereinbar ist, wenn er eine Entscheidung so trifft, daß man sagen muß: bei der rechten Liebe würde diese Entscheidung nicht getroffen sein – dagegen auf-(1314)lehnen, sie sind nicht verpflichtet zu folgen. Und dann ist der Mann nicht in der Lage, seine Entscheidung einseitig durchzusetzen, sondern wenn er mit dem Widerspruche der Frau nicht einverstanden ist, so bleibt ihm auch hier nichts Anderes übrig, als die gerichtliche Entscheidung zu beantragen, und dann tritt dasjenige ein, was ich für den § 1336 nachgewiesen habe. Ich meine also, durch diese Vorschrift wird diejenige Bestimmung gegeben, welche das Gesetz für die äußere Gestaltung des ehelichen Lebens geben muß, und sie wird gegeben in einer Art, wie es der natürlichen Auffassung entspricht, durch welche aber auch die Interessen der Frauen in allervollstem Maße, in weit höherem Maße gesichert werden, als bis nach den bisherigen Rechten der Fall war. (Lebhafter Beifall.) von Dziembowski: Die Ausführungen des Regierungskommissars, so schön sie auch vorgetragen sind, und so gewaltigen Eindruck sie auch gemacht zu haben scheinen, haben mich trotzdem nicht überzeugt. Wir sind der Auffassung, daß die eheliche Gemeinschaft ein „noli me tangere“ bildet, und zwar nicht blos für den Richter, nicht blos für jeden Dritten, sondern auch sogar für den Gesetzgeber. Wir halten es für äußerst bedenklich, irgendwie eine Norm zu statuiren dafür, wie das eheliche Leben der Ehegatten sich gestalten soll. Wir würden daher dafür eintreten, den § 1337 gänzlich zu streichen. Wir meinen nämlich, daß, wenn auch der Satz richtig sein mag, daß der Mann im Allgemeinen das Haupt der ehelichen Gemeinschaft bildet und als solches bisher im Allgemeinen anerkannt wird, dessen Aufnahme nicht zu demjenigen Ziele führt, wie das der Herr Geheimrath Planck ausgeführt hat. Er hat gemeint, daß der moralische Druck, der einer derartigen Vorschrift folgen würde, gewöhnlich dazu beitragen werde, das eheliche Leben so zu gestalten, wie es seiner Absicht, der Tendenz der Vorlage und auch den Wünschen der christlichen Welt entspricht. Ich meine aber, daß er sich nach dieser Richtung täuscht; das mag sich theoretisch ja ganz schön machen, aber ich glaube, daß wir damit in der Praxis keinen Schritt weiter kommen. In der Regel wird doch wohl die Frage so liegen, daß in denjenigen ehelichen Gemeinschaften, wo thatsächlich die Frau, nicht der Mann die Entscheidung führt, man diese Verhältnisse durch Schaffung eines § niemals ändern wird. – Glaubt man vielleicht, daß man dadurch etwas erreicht, daß der Ehemann etwa mit dem BGB. in der Hand an die Frau, die die Oberhand hat, herantritt und sagt: liebe Frau, nach Maßgabe des § 1337 hast du nicht die Entscheidung, sondern ich! – Glauben Sie denn, daß sich dann in dieser ehelichen Gemeinschaft die Frau dazu bequemen wird, dieser Vorschrift Folge zu leisten? Ich glaube, sie wird das Liedchen singen: du sollst mein Herr sein! – wie stolz das klingt. Andererseits hat der Regierungskommissar diese Frage in Verbindung gebracht mit der ganzen Lehre von der Ehescheidung und hat diesen § in Verbindung zu bringen gesucht mit § 1551, wo die Ehescheidung für den Fall geregelt wird, wo der Ehegatte die durch die Ehe begründeten Pflichten nicht erfüllt. Das hätte zur Folge, daß, wenn die Frau sich etwa der Entscheidung des Mannes nicht fügt, sie damit den § 1337 verletzen und ihre ehelichen Pflichten im Sinne des
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BGB. nicht erfüllen würde; daraus könnte nach § 1551 ein Ehescheidungsrecht statuirt werden. Ich glaube, wenn das richtig sein sollte, so würden wir zu einer so weitgehenden Anwendung des § 1551 kommen, die wohl Niemand wünscht. Es hat ja der Regierungskommissar zugegeben, daß diese Vorschrift, ganz abgesehen von den sonst von mir bereits als bedenklich geschilderten Konsequenzen, nur eine lex imperfecta, ist; ich brauche daher den Kollegen Traeger nicht mehr darauf aufmerksam zu machen, daß eine Entscheidung in diesem Falle nicht dem Vormundschaftsrichter zusteht, sondern überhaupt jegliches Eingreifen des Gerichtes im Falle des § 1337 vollständig ausgeschlossen ist. Nichtsdestoweniger glauben wir aber, daß auch materiell diese Vorschrift bedenklich erscheinen kann. Wir stellen uns auf den Standpunkt, daß wir sagen: taceat mulier in ecclesia; dafür soll sie aber zu Hause nicht eine untergeordnete, sondern eine durchaus würdige Stellung haben. Nach dieser Richtung hin möchte ich Sie auch verweisen auf eine vielleicht scheinbare Antinomie, die im BGB. bei zwei fast benachbarten §§ vorkommt. In § 1337 wird ausdrücklich der Grundsatz ausgesprochen, daß in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betr. Angelegenheiten der Mann die Entscheidung zu führen hat; dann wird aber in § 1339 ausdrücklich gesagt: die Frau ist allerdings unbeschadet des § 1337 berechtigt und verpflichtet, das gemeinsame Hauswesen zu leiten. Wenn Sie diese beiden Vorschriften nebeneinander halten, werden Sie sehen, zu welchen sonderbaren Konsequenzen das in der Praxis führen muß. Die Frau soll allerdings das Hauswesen leiten, aber der Mann führt die Entscheidung in allen die eheliche Gemeinschaft betr. Angelegenheiten. Eine Kollision ist unvermeidlich, weil sich hier die Fragen nicht leicht scheiden lassen. Ich glaube daher, daß diese Vorschrift zum Theile überflüssig ist, daß sie sich zum Theile als eine lex imperfecta darstellt, zum Theile aber auch noch zu gefährlichen Konsequenzen führen kann. Wir würden demzufolge dafür eintreten, diese Vorschrift zu streichen. Allerdings bliebe mir noch auf das eine Bedenken einzugehen übrig; es würde bei der Streichung anscheinend eine Entscheidung der Frage bezüglich des Wohnortes fehlen, aber ich glaube, daß einem großen Theile der Bedenken bereits in § 10 dieser Vorlage Rechnung getragen ist. In diesem § wird (1315) ausdrücklich gesagt, daß die Ehefrau den Wohnsitz des Ehemannes theilt. Wenn man diese Vorschrift richtig und zweckentsprechend anwendet und interpretirt, so kommt man zu dem Grundsatze, daß doch der Ehemann zweifellos derjenige Theil ist in der Ehe, dem die Entscheidung des Wohnsitzes zusteht; denn die Frau theilt den Wohnsitz des Ehemannes, mithin muß er offenbar derjenige sein, der bezüglich der Frage des Wohnortes in dubio die Entscheidung zu führen hätte – vorausgesetzt, daß er dadurch die Rechte der Ehefrau nicht lädirt. Präsident: Wir kommen zur Abstimmung. (Geschieht.) Der Antrag Auer ist abgelehnt; § 1337 in der KomFassung ist angenommen. […] (1317) Präsident: […] Ich stelle zur Diskussion § 1346 mit dem Antrage Stumm und Pauli (Nr. 446 zu 2), der eine andere Fassung vorschlägt, und dem Antrage Auer und Genossen (Nr. 371 zu 55), der ebenfalls eine andere Fassung vorschlägt. von Stumm: Ich habe schon bei der Generaldebatte erklärt, daß der wesentlichste Anstoß, den die Mehrheit meiner politischen Freunde am Inhalte des BGB. nimmt, auf der Stellung beruht, die dasselbe der Frau, namentlich der verheiratheten Frau, in Bezug auf das Güterrecht anweist. Wir gehen nicht so weit wie die Herren von der linken Seite, welche eine völlige Gleichberechtigung zwischen
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Mann und Frau erstreben; wir sind vielmehr der Ansicht, daß dem Manne in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten die Entscheidung gebührt, daß er überhaupt die erste Stelle in der Ehe einnehmen muß. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, haben wir auch gegen die weitergehenden Anträge von sozialdemokratischer Seite gestimmt, und wir werden diesem Grundsatze treu bleiben. Ebensowenig erkennen wir, daß die Kom. uns in wichtigen Punkten entgegengekommen ist. Der § 1341, den wir eben angenommen haben, wonach also der Mann nicht mehr berechtigt ist, ohne weiteres Verbindlichkeiten der Frau zu lösen, ist für die arbeitende Frau von allergrößter Bedeutung. Ebenso ist uns in § 1345, wo jetzt nur dem Gläubiger gegenüber die Vermuthung gilt, daß in dubio das Vermögen dem Manne gehört, die Kom. entgegengekommen, und das Haus ist dem beigetreten. Ich hoffe, daß dies auch bei den anderen Punkten der Fall sein wird, wo wir in der Kom. die Mehrheit auf unsere Seite bekommen haben. Aber bei alledem muß ich doch betonen, was Rickert schon bei einer früheren Gelegenheit gesagt hat, daß der Schwerpunkt der ganzen Frage für uns in dem § 1346 liegt, dh. auf dem Gebiete des Güterrechtes, wo wir unbedingt die Gütertrennung für die einzig richtige Lösung der Frage halten. Wenn im Nebligen der Entw. und die KomBeschlüsse einen erheblichen Fortschritt in kultureller Beziehung bedeuten, wenn der Entw. sich sonst überall auf den Standpunkt gestellt hat, daß neben der Kodifikation des bestehenden Rechtes das Recht des Schwächeren schärfer in den Vordergrund gestellt werden muß, so ist auch hier das gerade Gegentheil eingetreten. In großen Rechtsgebieten in Deutschland, überall da, wo das Dotalrecht herrscht, wird die Frau jetzt erheblich schlechter gestellt als bisher; und gerade diejenigen, die zur Motivirung ihrer Anschauungen immer von dem schwächeren Geschlechte sprechen, von der Nothwendigkeit, die Frau zu bevormunden, haben am allerwenigsten Grund, hier zu Gunsten des Stärkeren, des Mannes, einzutreten. Es ist das eine Inkonsequenz, die ich nicht begreife. Es war mir überhaupt tief beschämend, während der ganzen KomBerathung bei den sozialdemokratischen Vertretern eine richtigere Würdigung, wenn auch mit Übertreibungen, der Stellung der Frau zu finden als bei den mir nahestehenden Parteien, welche nicht begreifen wollen, daß hier ein tiefgreifender Widerspruch im § 1346 konstruirt ist zwischen Sitte und Gesetz. Unsere Dichter wissen die Würde und die Bedeutung der Frau nicht genug mit den lebhaftesten Farben zu schildern, mehr, als das von irgendeiner anderen Nation geschieht; wir betrachten es als die höchste Pflicht der Ritterlichkeit in allen gebildeten Ständen, für die Frau, wo irgend möglich, einzutreten; es vergeht keine Gelegenheit im öff. und privaten Leben, wo wir nicht in Toasten und begeisterten Worten die Frau als die Krone der Schöpfung feiern. (Sehr richtig! Heiterkeit.) Wir gehen so weit, daß wir dem Mädchen von der Verheirathung an einen höheren Rang anweisen, sie gewissermaßen als in eine höhere Stellung eingerückt betrachten. Das ist die Sitte. Und was sagt das Gesetz? Von dem Moment, wo das Mädchen sich verheirathet, wird es von einem vermögensrechtlich völlig gleichgestellten Wesen in die Knechtschaft der Verwaltungsgemeinschaft hinuntergestoßen, es wird gewissermaßen zum Geschöpf zweiter Klasse degradirt. Wenn die Verwaltungsgemeinschaft das wirklich wäre, was im Worte liegt, dann wäre ich ganz damit einverstanden. Niemand kann lebhafter als ich wünschen, daß es in allen Ehen heißt: ein Herz und eine Seele, Aber bei der Verwaltungsgemeinschaft Ihres Entw. ist von einer wirklichen Gemeinschaft gar keine Rede. Hier werden einfach die ganzen Früchte des Vermögens der Frau dem Manne zur beliebigen
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Verwendung überantwortet. (Sehr wahr!) Die Frau wird dadurch vollkommen von ihm abhängig, und der Mann ist jederzeit in der Lage, sie zu allem, was er will, zu zwingen, indem er ihr den Brodkorb (1318) höher hängt. Deswegen weise ich auch den Einwand, der mir vom religiösen Standpunkte aus gemacht werden könnte, auf das entschiedenste zurück. In der christlichen Ehe wird allerdings der Frau Gehorsam gegen den Mann vorgeschrieben, aber blos in erlaubten Dingen, und dem Manne werden auf der anderen Seite ganz erhebliche Pflichten der Frau gegenüber auferlegt. Diese Stellung der Frau vom christlichen Standpunkte aus wird auch durch unseren Antrag in keiner Weise berührt. Das ist eine Gewissensfrage, die ganz nebenher geht. Nach dem Entw. kann der Mann durch dieses Höherhängen des Brodkorbes die Frau aber auch zu Dingen zwingen, die nicht erlaubt sind, die mit ihrem Gewissen nicht im Einklänge stehen; und schließlich regeln wir auch die Ehe nicht blos für christlich gesinnte Leute, sondern ganz generell auch für diejenigen Personen, die leider auf einen anderen Standpunkt stehen. Wenn der Zustand noch heute überall bestände, daß der Mann der einzige Ernährer der Familie ist, der einzige Erwerber dessen, wovon beide leben, dann wäre die Verwaltungsgemeinschaft gar nicht nothwendig, dann verstände es sich ganz von selbst, daß der Mann der Frau das aus seinem Erwerbe zuweist, was er für gut findet; aber unnatürlich wird dies Verhältniß, wenn die Frau theilweise, unter Umständen allein zum gemeinschaftlichen Unterhalte beiträgt. Ja, dieses Verhältniß wird dann ein für die Würde der Frau geradezu unerträgliches. Sie haben bei § 1349 bereits den Grundsatz anerkannt, daß das, was die Frau aus eigenen Mitteln, durch ihrer Hände Arbeit oder aus dem eigenen Geschäft erwirbt, Vorbehaltsgut ist, also der Disposition des Mannes entzogen wird. Was ist denn da für ein Unterschied, ob eine Frau durch ihr eigenes Geschäft, ihre eigene Handarbeit etwas erwirbt oder durch die Sorgfalt, den Fleiß, die Fürsorge ihrer Eltern? (Sehr richtig!) Das kommt ganz genau auf dasselbe hinaus. Wenn Sie im einen Falle der Frau ein Vorbehaltsrecht eingeräumt haben, dann müssen Sie es auch auf der anderen Seite thun. Ich muß offen gestehen: es ist für den Vater, der seiner Tochter etwas hinterläßt, ein tief demüthigendes Gefühl, wenn nun diese Tochter das, was aus diesem Vermögen fließt, sich vom Manne erst erbetteln muß! Dazu kommt, daß durch die Einrichtung, daß die gesammten Früchte des Vermögens der Frau dem Manne zufallen, die Ehe geradezu ein Erwerbsgeschäft für den letzteren wird, was meiner Auffassung nach den sittlichen Charakter der Ehe aufs tiefste herabdrückt. Ich gebe zu, in normalen Ehen ist die Sache ziemlich gleichgültig, da merken beide Ehegatten überhaupt nichts vom gesetzlichen Güterrechte, sie werden in Eintracht die Einkünfte in der Weise verwenden, wie es Geheimrath Planck eben in so beredter Weise abgeführt hat; aber selbst in normalen Ehen halte ich es für ein demüthigendes Gefühl für die Frau, wenn sie das, was ihr von Gottes und Rechtswegen zukommt, was ihr vor der Ehe unzweifelhaft zum ausschließlichen Gebrauche zugestanden hatte, nun von dem Manne in jedem einzelnen Falle erbitten muß. Auch der Mann, der wirklich ein feines Gefühl hat, wird sich nicht weniger in seiner Frau gedemüthigt fühlen, wenn er sich gewissermaßen mit fremden Federn schmückt und seiner Frau ein Geschenk mit solchen Mitteln macht, die er gewissenhafterweise als der Frau gehörig betrachten muß. Nun giebt es aber nicht lauter feinfühlige Männer und normale Ehen, sondern in sehr häufigen Fällen liegt die Sache anders und geht dann gewöhnlich folgendermaßen. Zunächst bekommt das Mädchen die Cour gemacht, sie wird vom Manne
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gehörig verhätschelt und es werden ihr in jeder Beziehung Lobeserhebungen gemacht, die meist weit über das richtige Maß hinausgehen. Dann kommt die Ehe, im Anfange kommen die Flitterwochen, in der ersten Zeit sind die beiden derartig von ihrer Ehe begeistert, daß sie sich alles an den Augen absehen und Meinungsverschiedenheiten überhaupt gar nicht vorkommen, im Gegentheile Jedes geneigt ist, bei Meinungsverschiedenheiten sich der Ansicht des Anderen zu fügen. Dann werden aber beide Ehegatten älter und reifer, sie werden selbständiger und, wie das selbst in einzelnen Fraktionen der Fall ist, es kommen Meinungsverschiedenheiten zum Vorscheine, die natürlich auch zu gegensätzlichem Aussprechen gelangen. Hat nun die Frau eine gewisse Selbständigkeit dem Manne gegenüber, beruht das eheliche Verhältniß nicht auf GG, sondern auf Gütertrennung, so werden diese Meinungsverschiedenheiten, wie das ja auch in den Fraktionen stattfindet, à l’amiable sich beseitigen lassen. Hat aber der Mann von vornherein das Recht, jede Meinungsverschiedenheit der Frau durch Höherhängen des Brodkorbes in brutaler Weise zu beseitigen, so nimmt die Sache eine ganz andere Wendung. Die Frau wird entweder zu den Intrigen greifen, von denen vorher schon die Rede gewesen ist, sie wird in hinterlistiger Weise den Pantoffel zu schwingen suchen, oder aber sie wird sich schließlich resignirt zu fügen lernen, sie wird die Flügel hängen lassen und auf jede Selbständigkeit verzichten. Ob aber die Frau dadurch geeigneter wird, ihre Kinder zu erziehen, die Autorität, die sie ihren Kindern gegenüber nöthig hat, aufrecht zu erhalten, und namentlich, wenn einmal der Mann stirbt, das Vermögen zu verwalten, das ihr bis dahin entzogen worden war, das ist eine andere Frage. Leider ist die Schilderung, die ich eben machte, noch bei weitem nicht die der schlimmsten Ehen. Viel schlimmer sind die unglücklichen Ehen, wo der Mann ein Trunkenbold, ein Spieler, ein Wüstling ist, der das Vermögen der Frau – nicht blos die Revenuen, sondern das Vermögen selbst – vergeudet. Denn wenn einem solchen Menschen das Vermögen zur Verwaltung übergeben ist und die Frau nichts darein zu reden hat, (1319) so kann er ebenso gut das Vermögen der Kinder verprassen, wie die Revenuen zu Spiel und Trunk für seine Maitressen ausgeben. Dann ist die Frau vollständig preisgegeben, dann, muß ich sagen, wäre eigentlich, wenn man nicht vom religiösen Standpunkte auszugehen hätte, in einem solchen Falle die Ehescheidung bei weitem das Beste. Seitdem ich meine erste Rede in Bezug auf die Stellung der Frau hier gehalten habe, sind mir eine Menge von Briefen von sehr verständigen Frauen zugekommen, weniger von Frauen, welche der Frauenbewegung nahe stehen; die haben mir auch geschrieben, meist aber von vornherein erklärt, ich stände auf einem ganz anderen Boden wie sie, ich ginge lange nicht weit genug, und es wäre eigentlich besser, wenn meine Anträge nicht angenommen würden, denn dann würde der Sturm so groß, daß die Frauen auch weitergehende Ansprüche leichter erzielen würden, als wenn meine Bestrebungen durchgingen. Von diesen Briefen spreche ich gar nicht, sondern von Briefen von einfachen, verständigen Frauen, die außerhalb jeder Agitation stehen und mir eine solche Fülle von Jammer, Elend und Verzweiflung aufgedeckt haben, die durch diese Verwaltungsgemeinschaft entstanden sind, daß mir wahrhaft davor graut. Insbes. hat mir die Wittwe eines Superintendenten einen 10 Seiten langen Brief geschrieben, in dem sie sagt: „ich habe selbst in der glücklichsten Ehe gelebt, ich habe nie mit meinem Manne die geringste Differenz gehabt; ich spreche also nicht aus eigener Erfahrung, aber gerade der Beruf meines Mannes, welchem ich als Gehülfin treu zur Seite stand, hat mir eine solche Fülle von Elend aufge-
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deckt, welches unwürdige Männer über ihre Frauen gebracht haben, daß ich Ihnen nur auf das wärmste Dank sagen kann für die Entschiedenheit, mit der Sie für die Rechte der Frau eingetreten sind.“ Diesen Dank hätte die Dame allerdings auf meinen guten Willen beschränken sollen; denn sie hat offenbar den Einfluß überschätzt, den meine schwachen Kräfte hier im Hause ausüben und in der Kom. gehabt haben. – Freilich erwidert man mir: alles das kann vermieden werden dadurch, daß die Frau den Richter anruft. Aber das ist eine Möglichkeit, die in den allerseltensten Fällen von Bedeutung ist. In vielen Fällen kommt die Klage zu spät, und bei der Verschwendungssucht des Mannes kommt sie fast immer zu spät. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, wird der Mann es seiner Frau nie verzeihen, wenn sie den Richter gegen ihn angerufen oder der Richter ihr gar Recht gegeben hat. Dann ist die Trennung der Gatten fast unumgänglich; und diejenigen unter Ihnen, die die Ehescheidung möglichst erschweren wollen – und ich gehöre mit dazu, das werden die Herren aus der Kom. mir bezeugen können – sollten doch auch der Frau die Möglichkeit geben, in normaler Weise die Ehe fortsetzen zu können, ohne in ihrer Würde und ihren Rechten dauernd gekränkt zu sein. Am schlimmsten steht die Sache da, wo die Frau an Bildung ihrem Manne überlegen ist, wo eine fein gebildete Frau einen rohen Mann hat – und diese Fälle sind gar nicht selten – in Bezug auf Herzensbildung behaupte ich, steht fast überall die Frau über dem Manne. Daß die Gütertrennung keine Panacee ist, um unglückliche Ehen unmöglich zu machen, das geben wir gern zu; aber wir behaupten, daß sie in vielen Fällen unglückliche Ehen allerdings verhindert oder das Unglück dieser Ehen mildert; und das ist ein Erfolg, der allein schon von großem Werthe ist. Was ist nun in der Kom. diesen Ausführungen entgegengehalten worden? Ich war wirklich gespannt darauf, ob man wirklich nicht blos mit juristischen, sondern auch mit praktischen Gründen unseren Standpunkt ernsthaft bekämpfen könne; ich muß aber gestehen, ich habe eigentlich nichts gehört als entweder Festhalten an eingewurzelten Vorurtheilen oder aber den Grundsatz: das Recht des Stärkeren. (Sehr wahr.) Etwas Weiteres ist mir aus den Ausführungen der Herren sachlich nicht entgegengetreten. Zunächst ist gesagt worden: die deutsche Frau hat kein Talent zur Vermögensverwaltung. Dieser Widerspruch erledigt sich doch von selbst, da sie im ganzen BGB. dem Mädchen, der Wittwe ganz genau dieselben Vermögensrechte gegeben haben wie dem Manne. Sie müßten sich also auf den Standpunkt stellen, daß das Mädchen durch die Trauung vor dem Standesbeamten oder dem Altare plötzlich unfähiger wird, ihr Vermögen zu verwalten, als vorher, und Sie müßten annehmen, daß der Mann ihr die Vermögensverwaltung erschwert, während umgekehrt der Mann ihr natürlicher Beschützer ist und auch dann, wenn sie ihre selbständige Vermögensverwaltung hat, ihr mit Rath und That zur Seite steht. Dazu kommt, daß, sobald der Mann todt ist, die Frau die Verwaltung des Vermögens der Kinder bekommt, also daran gewohnt sein muß, derartige Dinge zu besorgen. – Der zweite Einwurf ist der, daß man sagt: eine deutsche normale Ehe verträgt sich nicht mit der Gütertrennung. Es ist doch ein unglaubliches Armuthszeugniß, das Sie dem Ehemanne ausstellen, wenn Sie sagen: trotzdem daß er physisch unzweifelhaft und, wie Sie immer behaupten, auch geistig der Frau überlegen ist, trotzdem er in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Ehe die Entscheidung behalten soll, trotzdem daß die Frau auch nach unserem Antrage einen Theil des Vermögens zu seiner unbedingten Verfügung überantworten muß – trotz alledem ist es nothwendig, die Frau auch noch in Bezug die materielle Le-
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bensexistenz von dem Manne abhängig zu machen, wenn der Mann kräftig genug werden soll, um die erste Rolle in der Ehe zu spielen! Das scheint mir doch ein Widerspruch zu sein, der ganz unlösbar ist, ganz abgesehen davon, daß bei Mann durch die sozialen Verhältnissen und (1320) Lebensgewohnheiten der Frau ohne hin völlig überlegen ist. Auch die Befürchtung, daß die vermögende Frau dem Manne in taktloser Weise vorwerfen konnte, daß er im Wesentlichen von ihr lebt, trifft nicht zu. Das ist ein Fall, der mir in meiner Praxis, trotzdem ich fast ausschließlich mit Gütertrennung in meinen Familien zu thun habe, noch nicht vorgekommen ist; davor bewahrt die Frau das ihr innewohnende, natürliche Zartgefühl. Und wenn der Fall auch einmal vorkommen kann, so kommt es doch sehr viel häufiger vor, daß umgekehrt der Mann nicht das nöthige Zartgefühl hat, um das Vermögen der Frau nicht zu mißbrauchen! Wäre aber der Grundsatz wirklich richtig, daß eine normale deutsche Ehe mit der Gütertrennung unvereinbar wäre, so müßten Sie die Gütertrennung überhaupt verbieten und sie nicht durch Ehevertrag zulassen. Hat man denn vor allen Dingen die Erfahrung gemacht, daß in Mecklenburg und in den Theilen von Hannover, wo das Dotalrecht gilt, die Ehe weniger normal ist als anderswo? Ich habe das niemals gehört; wohl aber habe ich gehört, daß die traurigen Zustände, die ich vorhin erwähnt habe, und die in den Frauenbriefen, die an mich gerichtet wurden, so kraß geschildert sind, in seinen Gebieten gar nicht oder viel weniger häufig vorkommen. – Der dritte Einwand ist der: das Mädchen braucht ja gar nicht zu heirathen! Wenn es seine Selbständigkeit behalten, sich vom Manne nicht abhängig machen will, so soll es ledig bleiben. Dem gegenüber sage ich: wo ist das Mädchen, das, in Liebe zum Bräutigam entbrannt, überhaupt an Geld und ähnliche Dinge denkt? Bei einem normalen Brautstande, der der Ehe vorangeht, denkt weder der Bräutigam noch die Braut an das Vermögen, sondern, wer daran denkt, das sind die Eltern von beiden Seiten, die dafür zu sorgen haben. Wenn die Eltern ihre Schuldigkeit thun, so wird das Mädchen durch den Ehevertrag allerdings geschützt. Wo aber die Eltern die Sache falsch auffassen, oder wo sie nicht die Kurage haben, dem Schwiegersohne gegenüberzutreten und ihm zu sagen: das und das gehört in den Ehevertrag – so geschieht es eben nicht. Das Mädchen ist ganz unschuldig daran und kann absolut nicht verantwortlich gemacht werden für die Konsequenzen, die später aus den gesetzlichen Bestimmungen zu seinem Schaden erwachsen. Dann wendet man ein: es kann ja ein Ehevertrag gemacht werden. Gewiß, und ich war dem Herrn Gröber sehr dankbar, daß er in der ersten Lesung den Antrag durchbrachte, daß die Eheverträge in den ersten 20 Jahren der Ehe stempel- und kostenfrei gerichtlich abgeschlossen werden können. Ich bedauere sehr, daß dieser Antrag in zweiter Lesung, selbst in abgeschwächter Gestalt, gefallen ist und nicht die Aussicht hat, hier im Plenum wieder aufgenommen zu werden. Das würde mein Bedenken gegen den § 1346 erheblich abgeschwächt haben. Jetzt sage ich mit doppeltem Rechte: Eheverträge genügen nicht zur Remedur; einmal sind sie sehr kostspielig und für minder bemittelte Leute deshalb nicht gangbar, und dann giebt es große Gebiete in Deutschland, wo sie nicht üblich sind, und wo der Bräutigam, der im Vertrage schlechter gestellt werden soll, als das Gesetz es stipulirt, es als persönliche Beleidigung auffaßt und behauptet, daß sein Ehrgefühl, dadurch verletzt werde – denn es giebt Leute, die Ehrgefühl und Geldinteresse mit einander verwechseln. In Folge dessen kommt in solchen Fällen entweder die Ehe gar nicht zu Stande, oder aber man giebt schließlich nach und stimmt einem falschen
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Prinzipe zu, um das Schlimmere zu vermeiden. Wenn ich die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht verlange, so will ich ausdrücklich den Ehevertrag daneben bestehen lassen: und wenn man in Württemberg die völlige GG. behalten will, die ich für viel besser halte als die unglückliche Verwaltungsgemeinschaft, so mögen Sie dies in das freie Ermessen der Eheleute stellen, aber dann sollen diese das ausdrücklich aussprechen. Darin unterscheide ich mich vom Antrage Auer, daß, während sein Antrag jede Ehe unter Gütertrennung stellt, ich sage: die Eheleute, welche die Gütertrennung verschmähen, sollen in ihrer Freiheit in keiner Weise beschränkt werden, und ich glaube, es ist für die Nupturienten viel vortheilhafter, wenn dem Bräutigam freiwillig mehr Rechte eingeräumt werden, als das Gesetz ihm zuspricht, als wenn ihm umgekehrt gesagt wird: du mußt auf Vortheile verzichten, welche dir ohne Ehevertrag zustehen würden. – Der vierte Einwand endlich, die deutsche Rechtsentwickelung, hat auf mich immer einen etwas erheiternden Eindruck gemacht. Ich bin ja nicht Jurist; aber, was ich von diesen Dingen weiß, ist das, daß man in keiner Weise sagen kann, daß das sog. deutsche Recht, das sog. Röm. Recht oder das franz.-rhein. Recht mit dem Deutschthume einen größeren oder geringeren Zusammenhang habe. Wenn Sie an die deutsche Vergangenheit anknüpfen wollen, so müssen Sie auch wünschen, daß der Mann nach wie vor sich auf der Bärenhaut in Meth betrinkt und die Frau die Feldarbeit verrichtet! Die Leibeigenschaft der Bauern, die wir aufgehoben haben, war eine echt deutsche Einrichtung; die hätte dann auch bestehen bleiben müssen. In Bayern besteht heute noch das Züchtigungsrecht des Mannes – das wollen Sie doch nicht aufrecht halten. Nach unserem ALR. ist der Mann berechtigt, der Frau vorzuschreiben, wie lange sie dem Kinde die Brust zu reichen hat. Auch das habe ich im BGB. nicht gefunden. Ich glaube, wenn man alle diese Dinge wegläßt und zugiebt, daß für das Deutsche eine gewisse Kulturentwickelung geboten ist, daß man von diesem Gesichtspunkte aus auch der Frau (1321) diejenige Selbständigkeit gewähren muß, die ihr, ohne die Ehe zu gefährden, heute zukommt. Ich meine, es entspricht dem wahren Deutschthume viel mehr, die Kultur, die Humanität zu pflegen, als barbarische Einrichtungen aufrecht zu erhalten, die zwar deutschen Ursprunges sind, aber in die heutige Zeit nicht mehr passen. Ein leuchtendes Beispiel, wie man germanisches Recht entwickelt, bietet uns England. Nirgend in der Welt ist die Frau schlechter gestellt gewesen als in England. Sie erinnern sich, daß dort vor Jahrzehnten ein altes Recht, welches zwar durch Spezialgesetze eingeschränkt war, bestand, nachdem der Mann seine Frau mit dem Stricke um den Hals auf den Markt führen und dort verkaufen durfte. Wie hat England sein germanisches Recht seitdem entwickelt? Im Jahre 1870 kam die erste Besserung zu Stande. Im Jahre 1881 ist dann durch die Viktoriastatuten in England genau dasjenige eingeführt worden, was ich mit meinen politischen Freunden hier vorschlage, und zwar ist es in viel akuterer Weise eingeführt worden, indem sämmtliche bestehenden Eheverträge aufgehoben und auf dieses Gesetz festgelegt wurden. Wenn man also in England ohne jeden Widerspruch, zur Zufriedenheit sämmtlicher Betheiligten – ich habe mich genau darnach erkundigt; kein Mensch ist mit der Einrichtung unzufrieden, kein Mensch ist dort der Ansicht, daß die Ehe dadurch schlechter geworden wäre – wenn man in England mit bestem Erfolge zu diesem die Frau begünstigenden Eherechte übergangen ist, so sehe ich nicht ein, warum man der deutschen Frau das nicht ebenso gut einräumen sollte. In der Kom. ist mir freilich gesagt worden:
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wir wollen die englische Ehe nicht haben, wir wollen die deutsche Ehe behalten! Wer das sagt, kennt die englische Frau, kennt die englische Ehe nicht. Nirgends in der Welt ist das Familienleben so innig wie in England. My house is my castle! ist nicht eine bloße Redensart, sondern es lebt in der Wirklichkeit; und ich möchte das englische Familienleben allen denen in Deutschland wünschen, die den ganzen Abend in der Bierkneipe zu sitzen pflegen; daran könnten sie sich ein Beispiel nehmen und nach dem englischen Muster ihre Ehe einrichten. Ich bin sonst kein Lobredner der Engländer, aber in diesem Punkte muß ich den Engländern volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Dort ist man also widerspruchlos zufrieden mit der Gütertrennung, und in allen Ständen, in beiden Geschlechtern ist man in der Auffassung einig, daß damit ein erheblicher Kulturfortschritt und ein erheblicher Fortschritt zur Erzielung normaler Verhältnisse in der Ehe gemacht worden ist. Nun frage ich die Herren, die trotz alle dem die englische Ehe verurtheilen: halten Sie denn die französische Ehe für besser als die englische? Die französische Ehe beruht auf dem Güterrechte, das Ihnen hier vorgeschlagen wird; es ist dort sogar noch weiter ausgedehnt, indem eine völlige gesetzliche GG. besteht mit Ausnahme der Immobilien. Aber nicht blos England befindet sich unter dem Regime des von uns verfochtenen Grundsatzes, nein, Italien und sogar Rußland haben im Wesentlichen dasselbe Güterrecht. Glauben Sie, daß die deutsche Frau weniger reif ist für ihre Selbständigkeit als die russische? 150 Millionen Menschen, die Mehrheit der gebildeten Nationen in Europa lebt unter diesem Regime, und nach der Statistik, die mir zugegangen ist, deren Richtigkeit ich allerdings nicht prüfen kann, sollen es einschließlich Amerika und Australien sogar 205 Millionen sein. Wenn man dem gegenüberhält, daß nur eine Minderheit von Frauen in Europa noch unter der Sklaverei der Verwaltungsgemeinschaft leidet, so, glaube ich, ist es für jeden einsichtigen Menschen unleugbar, daß diese Frauen in früherer oder späterer Zeit, mögen Sie heute beschließen, was Sie wollen, sich das Recht der Gütertrennung erringen werden. Mir haben Herren in der Kom. und unter vier Augen zugegeben: das Recht der Zukunft ist das, was Sie verlangen, aber die vorliegenden Frauenpetitionen genügen noch nicht, es müssen ganz andere Agitationen vorhergehen, um uns den Beweis zu liefern, daß die deutschen Frauen das wirklich verlangen. Ich halte es für das Unglücklichste, was vom konservativen – ich meine konservativ in weiterem Sinne – Standpunkte aus gedacht werden kann, die Frauen zu derartigen Agitationen zu veranlassen. Ich glaube, daß nichts die Ehe mehr zerrütten muß, als wenn Sie die beiden Geschlechter zum Kampfe gegen einander aufrufen und damit einen Zankapfel in die Ehe hineinwerfen, wie er schlimmer nicht gedacht werden kann. Glauben Sie auch nicht, daß es sich hierbei nur um aufgeregte Damen handelt. Es ist vorhin schon erwähnt worden, daß unter der Frauenpetition aus München 24000 Unterschriften stehen, unter welchen 5000 von Männern, darunter geradezu die Koryphäen von Kunst und Wissenschaft in München. Wenn Sie jeder einzelnen ruhigen Frau, die heute der Bewegung fern steht – und ich gebe zu, daß das die große Mehrheit ist – auseinandersetzen, wie die Verhältnisse liegen, und sie bitten, wenn sie in normaler Ehe lebt, von ihrer persönlichen Ehe einmal abzusehen, einfach zu entscheiden, wie sie über ihre Mitschwestern, die nicht in der glücklichen Lage wie sie sind, denkt, so behaupte ich, daß jede gebildete deutsche Frau mehr oder weniger unsern Standpunkt billigen wird. Die Erfahrungen, die ich persönlich gemacht habe, sprechen wenigstens dafür. Eine große Anzahl von Frauen, die ich sprach und die von der Sache gar nichts wuß-
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ten, haben mir zugestimmt, als sie die Dinge erfuhren; und keine Frau hat mir bestritten, daß unser Standpunkt der richtige sei. Auch meine ich, wir haben Unzufriedene in Deutschland gerade genug, und wir haben keine Veranlassung, durch falsche Gesetze die Unzufriedenheit noch zu vermehren (1322) und in Kreise zu tragen, die bis jetzt im Großen und Ganzen wenigstens Gott sei Dank davon noch nicht erfüllt sind. Bebel: Es handelt sich ja zweifellos in erster Linie um ein Recht, das den besitzenden Frauen der Gesellschaft zugesprochen werden soll, und wir, die wir in der Regel als unsere Hauptaufgabe betrachten, die proletarischen Interessen zu vertreten, wir könnten, streng genommen, diesen §§ gegenüber uns einer gewissen Neutralität befleißigen. Ich gebe zu, daß auch für eine Minderheit der proletarischen Frauen der § 1346 von entscheidender Wichtigkeit ist, aber doch nur für einen sehr kleinen Theil, während er seinem Inhalte nach wesentlich für die Frauen der mittleren und höheren Schichten der Gesellschaft in Frage kommt. Aber von dem Standpunkte ausgehend, daß Gerechtigkeit für Alle die oberste Aufgabe wie des Staates, so auch jedes einzelnen Menschen sein muß, der es mit dem Gemeinwesen und mit sich selbst ehrlich meint, gehen wir auch hier für den Standpunkt ins Zeug, den soeben Freiherr von Stumm entwickelt hat. Geheimrath Planck hat vorhin, als er bei einem anderen § gegen mich polemisirte, hervorgehoben, er vertrete die Anschauung, daß der Kulturgrad eines Volkes in erster Linie darnach bemessen werden müsse, wie die Stellung der Frau in diesem Volke sei. Das ist eine sehr schöne Redensart, aber in Bezug auf wesentliche Bestimmungen dieses Entw., namentlich in Bezug auch auf § 1346 ist es auch nichts weiter als eine Redensart. Wenn Sie mit diesem Ihrem Standpunkte Ernst machen wollen – und es wird Niemand im Saale sein, der den Standpunkt Plancks verleugnen wollte – dann müssen Sie auch über die Phrase hinausgehen und die That der Phrase folgen lassen, und dazu gehört, daß Sie eine Bestimmung, wie wir sie und wie sie Freiherr von Stumm und seine Freunde vorschlagen, annehmen. (Sehr richtig! links.) Ich meine, der ideale Zustand im Eheleben soll doch der sein: man heirathet die Frau, nicht das Gut. Daß in unserer Gesellschaft leider sehr oft der gegentheilige Standpunkt vertreten wird und bei der Eheschließung maßgebend ist, ist zweifellos. Aber Niemand unter Ihnen wird wagen, wenigstens nicht öffentlich, diesen letzteren Standpunkt als einen guten, als einen gerechtfertigten zu vertreten. In der idealen Auffassung der Ehe stimmen Sie Alle überein und werden Sie alle ohne Ausnahme erklären, daß die erste und Hauptvoraussetzung die sei, daß die beiden Menschen, die in das eheliche Verhältnis miteinander treten wollen, in voller geistiger Harmonie sich befinden, und nach dieser Richtung hin alle Bedingungen vorhanden sein müssen, die dafür eine Garantie bieten, daß ein wirkliches eheliches Leben auf Lebenszeit geschlossen werde. Dieser natürliche Zustand wird aber durch die Bestimmung des § 1346 der Vorlage beseitigt. Die ganze Herrenmoral, die sich durch diesen Entw. hindurchzieht, daß der Ehemann der Herr und das Haupt der Familie und die Frau die Unterthänige des Mannes ist, kommt in schroffer Weise in diesem § zur Geltung. Und wenn ich auch zugebe, daß nach bestimmten Auffassungen der für die christliche Religion maßgebenden Schrift ein solcher Standpunkt sich rechtfertigen läßt, daß der Mann das Haupt der Familie ist, und dieser Standpunkt besonders von den Herren im Centrum vertreten wird, dann kann ich absolut nicht verstehen, wie weitergehend über diese Bestimmungen hinaus die Herren vom Centrum sich hartnäckig weigern, eine Bestimmung in
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das BGB. aufzunehmen, wie sie von dieser Seite und von Stumm vertreten wird. Will man den Standpunkt, der Mann sei das Haupt vom christlichen oder sonst einem Standpunkte, vertheidigen – ich bemerke ausdrücklich: ich stehe auf einem entgegengesetzten Standpunkte – so kann das nie und nimmer in materieller Beziehung als maßgebend erachtet werden. Ich meine: hier gilt der Grundsatz: Jeder soll behalten, was er hat – und in dieser Beziehung stimme ich abermals mit dem Freiherrn von Stumm überein. Ich sage das im Interesse der Eheleute selbst, und nicht blos des einen Theiles, sondern beider Theile. Es ist ja ganz richtig – aber das muß Sie gerade bestimmen, Ihren Standpunkt zu verlassen – daß das Wort, was im gewöhnlichen Leben sich so häufig wiederholt: „wer den Geldbeutel in der Hand hat, hat auch die Macht in der Hand“, in ganz besonderem Maße in der Ehe gilt. Aber daß das ein durchaus verwerflicher Standpunkt ist, ein materialistischer Standpunkt im bösesten Sinne des Wortes, werden Sie zugeben müssen, und deshalb dürfen Sie nichts thun, was einen solchen Standpunkt für Millionen von Frauen aufrecht erhält. Ich will zunächst einmal auf die Bemerkungen eingehen, die dahin gemacht worden sind, daß man sagt: alle die bösen Gefahren, die ihr mit eurem Standpunkte über zahlreiche Ehen hereinbrechen seht, können ja einfach dadurch vermieden werden, daß vor dem Eheschlusse entsprechende Verträge geschlossen werden. Das ist ja wahr, aber so einfach, wie Sie glauben und das darstellen, liegt die Sache doch noch nicht. Die große Masse der Menschen hat überhaupt nicht die Gepflogenheit, auch wenn es sich um ernste Dinge des Lebens handelt, sich genau um das zu kümmern, was sie thun müssen, und noch viel weniger um das, was sie thun könnten. Sie haben insbes. Eine gewisse Scheu vor Allem, was sie mit juristischen Personen, mit Advokaten, Richtern usw., in nähere Richtung bringt. Wesentlich aber ist hierbei Folgendes. Brautleute – und da war der Ausdruck von Stumm’s, der aus der Mitte des Hauses als unrichtig bezeichnet wurde, durchaus korrekt – Brautleute, die sich in einem normalen Brautstande befinden, (1323) sind Leute, die an alles Andere denken, nur nicht an die Regelung solcher materiellen Verhältnisse, wie sie hier bei dem Eheschlusse in Frage kommen. Brautleute sind gegenseitig vertrauensselig: es hängt bei ihnen, wie man zu sagen pflegt, der Himmel voller Geigen. Insbes. ist es die Braut, die vermeiden wird, im Brautstande etwas zu sagen und zu verlangen, das ihren Bräutigam verletzen könnte. Halten Sie fest: bei der Eheschließung auch unter den denkbar günstigsten sozialen Verhältnissen für beide Theile ist immer die Frau der ungünstiger gestellte Theil, Sie steht der Ehe in einem ganz anderen Verhältnisse gegenüber als der Mann; für sie ist die Ehe in höchstem Maße Lebenszweck und Lebensberuf, was sie in dem Maße für den Mann nicht ist. Für das Weib beginnt mit dem Eheschlusse erst eine Bethätigung ihres Lebens, die der Mann niemals vom Eheschlusse abhängig macht oder wenigstens nur in den seltensten Fällen. Der sozialen Freiheit, die der Mann in Bezug auf die Bethätigung seiner Neigungen und Lüste in unserer heutigen Gesellschaft besitzt und die er in den weitaus meisten Fällen nach Maßgabe seiner Kräfte und Mittel zu befriedigen pflegt, steht die Frau in ganz anderer Stellung gegenüber. Der Mann mag so viel Makel haben in Bezug auf geschlechtliche Ausschweifungen wie er will, eine Frau bekommt er noch immer, und oftmals sogar noch eine sehr anständige Frau. Der geringste Makel aber, der einem Mädchen oder einer Frau anhaftet in Bezug aus ihren moralischen Stand, bricht den Stab über ihr ganzes Leben. Das ist allein schon ein Verhältnis das bei dem
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Eheschlusse in unzähligen Fällen der Braut eine Zurückhaltung auferlegt, die in gleichem Maße der Mann nicht kennt, nicht zu kennen braucht, und die allein schon hinreicht, daß da, wo wie hier der § 1346 in Frage kommt, er in der von uns vorgeschlagenen Form entschieden werden soll. Denn, wenn die Vorlage in Kraft treten sollte, müßte die Initiative zur Gütertrennung von der Frau ausgehen. Was in aller Welt können Sie dagegen haben, daß die Gütertrennung als der maßgebende Grundsatz für die Eheschließung festgestellt wird, und daß in den Fällen, wo aus irgend welchen Gründen heraus – und das können ja hundertfache Gründe sein – ein anderes Verhältnis wünschbar ist, als dann die beiden Leutchen, die die Ehe schließen wollen, sich verständigen, den normalen Zustand in einer, wie sie glauben, für sich günstigeren Weise umzugestalten. Ich verstehe nicht, wie gerade gegen diese Bestimmung der ernsthafte Widerstand bei der Majorität des Hauses sich geltend machen konnte, der sich geltend gemacht hat, und, wie ich fürchte, auch in den weiteren Verhandlungen geltend machen wird. Es komm[t] weiter hinzu, daß es auch eine große Zahl alleinstehender Frauen giebt, die vielfach erst in späteren Jahren in das Eheleben treten und die in Bezug auf die Bestimmungen unserer Gesetzgebung außerordentlich unerfahren sind, was ja nicht gegen die Frauen spricht, sondern gegen die Zustände, die die Frauen vom öffentlichen Leben ferngehalten haben, die es ihnen gewissermaßen als gesellschaftliche Moral aufzwingen, sich von allen öffentlichen Dingen fernzuhalten, weil das unanständig, unweiblich sei, etwas, was einer ordentlichen Frau unwürdig sei. Ich sage: wenn aus diesem sozialen, und moralischen Zustande heraus, den die Männerwelt der Frauenwelt seit Jahrhunderten auferlegt hat, so daß sie heute der großen Mehrzahl unserer Frauen zur zweiten Natur geworden ist, und daß man die größte Mühe hat, den wirklich natürlichen, einzig vernünftigen Standpunkt bei ihnen zur Geltung zu bringen – die Frauenwelt unselbständig ist, so ist es erst recht nothwendig, eine Bestimmung, wie wir sie vorschlagen, in das Gesetzbuch aufzunehmen. – Es kommt weiter in Betracht, daß es eine ganze Anzahl Ehen giebt, bei denen es bei dem Eheschlusse ziemlich oder vollständig gleichgültig ist, ob ein Vertrag in Bezug auf die Trennung der Güter oder die Güterverwaltung abgeschlossen wird, weil wenig oder garkein Vermögen vorhanden ist. In solchen Fällen ist sicher, daß vor der Ehe Niemand daran denkt, eine Bestimmung in den Ehevertrag aufzunehmen oder überhaupt einen Ehevertrag abzuschließen, der die Trennung der Güter ausspricht. Aber im Laufe der Ehe treten Verhältnisse ein, zB. Gewinne, Schenkungen, Erbschaften usw., wodurch die Frau zu Vermögen kommt. Vor Abschließung der Ehe ist ein Vertrag nicht vorgesehen worden, nun aber ist, wie ich das Gesetz auffasse, ein Vertrag zu schließen, unmöglich. Die Frau ist also alsdann der Macht des Ehemannes preisgegeben. Diese Fälle mögen Ausnahmen sein, aber sie sind doch weit häufiger, als man gemeiniglich glaubt. In welch unzähligen Fällen (zB. bei Erbschaften) kommt erst später, ja oft ziemlich spät die Frau zu Vermögen! Bei der Eheschließung denken die im rüstigen Alter befindlichen Eltern der Braut garnicht daran, solche Verträge zu schließen. – Weiter müssen Sie aber auch bei einem Gesetze, welches die gesammten, öffentlichrechtlichen Beziehungen der Gesellschaft im Deutschen Reiche auf Jahrzehnte regeln soll, unsere allgemeinen sozialen Zustände in Betracht ziehen und die Entwickelung, welche diese sozialen Zustände nach dem, was wir heute schon sehen, nehmen werden. Zweifellos ist, daß die Möglichkeit, eine unabhängige soziale Position in unserer heutigen Gesellschaft aufrecht erhalten zu
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können, in dem Maße geringer wird, wie die Gesetze der kapitalistischen Entwickelung mehr und mehr zur Herrschaft kommen; die Zahl derer, die überhaupt eine selbständige Existenz erringen können, wird immer kleiner. Andererseits wird für eine Anzahl selbständiger Existenzen die Gefahr immer größer, im Konkurrenzkampfe gegen (1324) die sozialen Mächte zu unterliegen, ihr Vermögen zu verlieren, oft ohne eigene Schuld zu verarmen, wobei dann mangels einer Bestimmung, wie wir sie wollen, zahlreiche Familien, und besonders die Kinder dieser Familien, ganz bedenklich getroffen werden. Hier handelt es sich also meist nicht allein darum, der Frau ihr in die Ehe Eingebrachtes zu retten, sondern darum, zu sorgen, wenn die zahlreichen Wechselfälle des Lebens den Mann trotz aller ehrlichen Anstrengungen zu Grunde gerichtet haben, daß dann wenigstens für die Familie ein Anker vorhanden ist, an den sie sich klammern kann. Wie Sie aus den besitzenden Klassen für unseren Antrag nicht eintreten können, begreife ich nicht. Wenn Sie der Proletarisirung, die doch Niemand leugnen kann, der die Verhältnisse mit offenem Auge betrachtet, nur einigermaßen entgegentreten wollten, und Sie es wie hier bis zu einem gewissen Grade können, dann müssen Sie für unseren oder für den Antrag Stumm stimmen. – Weiter wachsen gerade bei der Entwickelung, die unsere sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse genommen haben, die Momente, die auf die Männer- wie auf die Frauenwelt ihren verführerischen Einfluß ausüben und oft den Ruin der Familie herbeiführen. Ich erinnere an den Spieler, den Trinker; ich erinnere besonders an die Spekulanten, einerlei womit und woraufhin er spekulirt: ob er mit Gütern spekulirt, ob mit Häusern, ob an der Börse oder wo sonst immer. Die Fälle werden in der Entwickelung unseres sozialen Lebens immer zahlreicher, daß Existenzen dieser Art auftreten und zu Grunde gehen und damit ihre Familien ins Elend und Verderben reißen. – Dann scheint mir allerdings ein geradezu ungeheuerlicher Zustand zu sein, daß man dem Manne das Vermögen der Frau ohne weiteres überantwortet, und sich nach Jahren der Ehe herausstellt, daß die Frau sich in dem Manne getäuscht hat, daß sie anstatt eines ordentlichen ehrenhaften Mannes einen Lüderjan – einen Strick, wie man zu sagen pflegt – geheirathet hat, daß dieser Mann das Vermögen der Frau in der lüderlichsten Weise verthut, daß er mit Maitressen es verwirthschaftet, daß er bei Prostituirten die Nächte zubringt statt im Hause und damit also eine Masse Geld ausgiebt, das er im Interesse seiner Familie verwenden sollte. Das sind Ausgaben, die in so und so vielen Fällen ausschließlich aus dem Vermögen der Frau gemacht werden. Hier, scheint mir, ist wieder ein Zustand vorhanden, der unmöglich aufrecht erhalten werden sollte. Man hat ja gesagt, die Frau sei durchschnittlich eine schlechtere Vermögensverwalterin als der Mann. Das bestreite ich. Ich will Ihnen das eine zugeben, daß die Frauen durchschnittlich weniger Vermögen verwalten können als die Männer, aber nur weil sie es nicht gelernt haben; aber wenn man ihnen die Möglichkeit giebt, es zu lernen – und in dieser Beziehung reicht doch wohl der Verstand der Frauen in 99 % aus, das zu lernen – dann können Sie versichert sein, daß die Frau eine weit bessere Vermögenswalterin ist als der Mann. Die Frau muß ja jetzt schon in Millionen von Familien das Eingekommene der Woche verwalten und ausgeben. Ich erinnere nur an die Arbeiterfamilien. Mit seltenen Ausnahmen wird
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der Mann sehr gut daran thun, wenn er der Frau das Erworbene überantwortet, weil er die Ueberzeugung haben kann, daß sie es in sparsamer und durchaus vernünftiger Weise verwalten wird, was ich umgekehrt von einem nicht unerheblichen Theile der Männer durchaus nicht behaupten will. Auch hierin ist ein Grund mehr vorhanden, in der Richtung unseres Antrages eine Aenderung eintreten zu lassen. Gewiß ist, daß, so weit Kinder in der Ehe in Frage kommen, es die Mutter ist, die den Kindern am nächsten steht. Das Muttergefühl ist ein weit intensiveres als das Vatergefühl (Sehr wahr! links und Zurufe) – zweifellos, das können Sie nicht bestreiten. Wir sehen, daß alleinstehende Mütter von einer Opferfähigkeit und Opferwilligkeit in der Erhaltung ihrer Kinder beseelt sind, wie sie nur in den seltensten Fällen dem Vater und dem Ehemanne eigen sind. Auch hier wieder ein Grund, der dafür spricht, daß wir den Frauen das ihnen gebührende Recht einräumen! Es kommt weiter hinzu, daß wir mit unserem Antrage keinen Sprung ins Dunkle thun; wenn wir hier vor einer Frage ständen, die eine ganz neue Sachlage für die Welt schaffen wollte, wenn wir hier es mit einer Frage zu thun hätten, für die bis jetzt noch nirgends der Beweis erbracht wäre, daß die Art der Lösung, wie wir sie vorschlagen, eine gute, vernünftige und durchaus sachgemäße für alle Theile ist, dann könnte ich einen Widerstand, wie Sie ihn uns in dieser Frage entgegenstellen, noch begreifen und bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt finden. Aber das ist ja gar nicht der Fall; es ist ja umgekehrt, wie auch schon hervorgehoben ist, die Thatsache vorhanden, daß wenigstens in Europa der Zustand, den wir anstreben wollen, für die große Mehrheit der Frauen thatsächlich existirt. Und da kommt man und spricht vom germanischen Rechte! Das Recht, das Sie heute als germanisches Recht ansehen, war doch nicht ewig dieses germanische Recht. So weit wir überhaupt Kunde von der Urgeschichte unserer Vorfahren haben, bestand dort ein Zustand der Gemeinschaft, der Mann und Frau vollkommen die gleichen Rechte gab. Und erst im Laufe der historischen Entwickelung und besonders auf Grund der Entwicklung des Privateigenthumes ist es dahin gekommen, daß der Mann diese Vorrechtsstellung eingenommen hat, die er heute noch einnimmt, und die man sich gewöhnt, als altgermanisches Recht anzusehen. Gehen (1325) Sie einmal in die altgermanische Rechtsgeschichte zurück, und Sie werden finden, wie in den altgermanischen Rechtsbüchern der Frau Stück für Stück ihrer Gleichberechtigung mit dem Manne genommen wurde, wie sie allmählich aus einer Gleichberechtigten eine Unterdrückte wurde. Heute handelt es sich darum, diesen alten Zustand auf ungleich höherer Kulturentwickelung wieder zur Geltung zu bringen und vom reinen Gerechtigkeits- und Menschlichkeitsstandpunkte der Frau diejenige Stellung zu geben, die sie von Rechtswegen als gleichberechtigtes Wesen mit dem Manne in Anspruch nehmen kann. Aber wir sehen auch – und das ist charakteristisch und spricht auch gegen die, die immer mit Vorliebe vom germanischen Rechte sprechen – daß es vorzugsweise die germanischen Völker sind, die im gegenwärtigen Stadium unserer Rechtsentwickelung ihren Frauen die Gleichberechtigung zuerkannt haben, in erster Linie England. Vor etwas länger als 2 Jahrzehnten war die Stellung der Frau nach dem gemeinen englischen Rechte die denkbar ungünstigste; England hatte in dieser Beziehung das für die Frau schlechteste ungünstigste Recht, das überhaupt gedacht werden konnte. Nach dem alten englischen Rechte hatte die Frau keine bessere Stellung in der Ehegemeinschaft als die eines Hausthieres. Eine Frau, die etwa einem Nachbar eine Fenster-
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scheibe einschlug, wurde nicht persönlich zur Verantwortung gezogen, sondern das geschah dem Ehemanne, weil sie in jeder Beziehung rechtsunfähig war und sie eben nach englischem Rechte nicht besser als ein Hausthier angesehen wurde. Der Mann hatte die Macht, sie jederzeit körperlich züchtigen zu können, und noch im vorigen Jahrhunderte ist es, wie in einem Vortrage ein englischer Bischof vor einigen Jahren öffentlich konstatirte, selbst in angesehenen englischen Familien üblich gewesen, daß über dem Ehebette als Zeichen der eheherrlichen Gewalt eine Peitsche aufgehängt war. Gewiß, das ist gänzlich geschwunden, wie auch vieles geschwunden ist, was wir in unserem schönen deutschen Rechte in Bezug auf die Stellung der Frau gegenüber dem Manne gehabt haben. Aber alsdann sind die Engländer von diesem durchaus überwundenen Standpunkte sofort auf den denkbar fortgeschrittensten getreten. Nachdem es lange Zeit sehr viel Mühe gekostet hatte, bis dieses alte, barbarische Recht, wie es für die englische Frau bestand, endlich beseitigt wurde, und man damit anfing, aufzuräumen, ist auch gründlich aufgeräumt worden. Der englischen Frau wurde alsdann die volle Gleichberechtigung mit dem Mann gegeben, die, wie ich behaupten kann nach meinen Erfahrungen, in der ausgezeichnetsten Weise wirkt und sich bewährt hat. In den skandinavischen Ländern ist es ganz ähnlich und in den Vereinigten Staaten ebenfalls. Auch dort herrscht volle Gleichberechtigung der Geschlechter. Ja sogar in Österreich und Ungarn ist die Selbständigkeit der Frau gegenüber dem Ehemanne in Bezug auf ihre Vermögensverwaltung in viel höherem Maße durchgeführt als bei uns. Wie wollen Sie angesichts aller dieser Thatsachen einen so veralteten Standpunkt noch vertreten! Ich meine also: hier muß aufgeräumt werden! – und ich bin wirklich neugierig, wie die Vertheidiger dieses alten Zustandes denselben überhaupt noch vertheidigen wollen. Bis jetzt hat keiner der Herren das Wort ergriffen, und das ist Beweis für mich, daß sie ihn überhaupt nicht mehr vertheidigen können. (Lebhaftes Bravo! links.) […] (1333) Präsident: Wir kommen zur Abstimmung. (Geschieht.) Der Antrag Auer ist abgelehnt; desgl. der Antrag Stumm, und der Antrag der Kom. angenommen.
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Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 (Auszüge)
ALLGEMEINES DEUTSCHES HANDELSGESETZBUCH und Einführungsgesetz. Vom 24. Juni 1861, Berlin 1861 Kommentar: Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 wird durch unterschiedliche Einführungsgesetze zunächst in Preußen, sodann in den anderen deutschen Territorien in Kraft gesetzt. Anläßlich der Einführung des BGB wird es revidiert, 1897 als Handelsgesetzbuch (HGB) angenommen und tritt zum 1.1.1900 gemeinsam mit dem BGB in Kraft. Während Art. 6-9 des ADHGB noch Sonderbestimmungen zum Recht der Handelsfrauen enthalten, sind diese Normen im HGB von 1897 weggefallen. Inhaltlich bedeutet dies eine Gleichstellung der Frau mit männlichen Kaufleuten. Problematisch ist, ob und in welchem Umfang damit auch die Ehefrauen frei als Handelsfrauen tätig sein können. Zwar legt ihnen das HGB selber keine Beschränkung auf, doch aus dem BGB folgen allgemeine Einschränkungen für Ehefrauen (wie § 1354, Entscheidungsrecht des Mannes, oder Normen des gesetzlichen Güterrechts). Umstritten ist, wie weit diese auch im Handelsrecht Wirkung entfalten (aus der Perspektive des Jahres 1897 dargelegt bei Hinsberg, Nr. 25; zur
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scheibe einschlug, wurde nicht persönlich zur Verantwortung gezogen, sondern das geschah dem Ehemanne, weil sie in jeder Beziehung rechtsunfähig war und sie eben nach englischem Rechte nicht besser als ein Hausthier angesehen wurde. Der Mann hatte die Macht, sie jederzeit körperlich züchtigen zu können, und noch im vorigen Jahrhunderte ist es, wie in einem Vortrage ein englischer Bischof vor einigen Jahren öffentlich konstatirte, selbst in angesehenen englischen Familien üblich gewesen, daß über dem Ehebette als Zeichen der eheherrlichen Gewalt eine Peitsche aufgehängt war. Gewiß, das ist gänzlich geschwunden, wie auch vieles geschwunden ist, was wir in unserem schönen deutschen Rechte in Bezug auf die Stellung der Frau gegenüber dem Manne gehabt haben. Aber alsdann sind die Engländer von diesem durchaus überwundenen Standpunkte sofort auf den denkbar fortgeschrittensten getreten. Nachdem es lange Zeit sehr viel Mühe gekostet hatte, bis dieses alte, barbarische Recht, wie es für die englische Frau bestand, endlich beseitigt wurde, und man damit anfing, aufzuräumen, ist auch gründlich aufgeräumt worden. Der englischen Frau wurde alsdann die volle Gleichberechtigung mit dem Mann gegeben, die, wie ich behaupten kann nach meinen Erfahrungen, in der ausgezeichnetsten Weise wirkt und sich bewährt hat. In den skandinavischen Ländern ist es ganz ähnlich und in den Vereinigten Staaten ebenfalls. Auch dort herrscht volle Gleichberechtigung der Geschlechter. Ja sogar in Österreich und Ungarn ist die Selbständigkeit der Frau gegenüber dem Ehemanne in Bezug auf ihre Vermögensverwaltung in viel höherem Maße durchgeführt als bei uns. Wie wollen Sie angesichts aller dieser Thatsachen einen so veralteten Standpunkt noch vertreten! Ich meine also: hier muß aufgeräumt werden! – und ich bin wirklich neugierig, wie die Vertheidiger dieses alten Zustandes denselben überhaupt noch vertheidigen wollen. Bis jetzt hat keiner der Herren das Wort ergriffen, und das ist Beweis für mich, daß sie ihn überhaupt nicht mehr vertheidigen können. (Lebhaftes Bravo! links.) […] (1333) Präsident: Wir kommen zur Abstimmung. (Geschieht.) Der Antrag Auer ist abgelehnt; desgl. der Antrag Stumm, und der Antrag der Kom. angenommen.
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Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 (Auszüge)
ALLGEMEINES DEUTSCHES HANDELSGESETZBUCH und Einführungsgesetz. Vom 24. Juni 1861, Berlin 1861 Kommentar: Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 wird durch unterschiedliche Einführungsgesetze zunächst in Preußen, sodann in den anderen deutschen Territorien in Kraft gesetzt. Anläßlich der Einführung des BGB wird es revidiert, 1897 als Handelsgesetzbuch (HGB) angenommen und tritt zum 1.1.1900 gemeinsam mit dem BGB in Kraft. Während Art. 6-9 des ADHGB noch Sonderbestimmungen zum Recht der Handelsfrauen enthalten, sind diese Normen im HGB von 1897 weggefallen. Inhaltlich bedeutet dies eine Gleichstellung der Frau mit männlichen Kaufleuten. Problematisch ist, ob und in welchem Umfang damit auch die Ehefrauen frei als Handelsfrauen tätig sein können. Zwar legt ihnen das HGB selber keine Beschränkung auf, doch aus dem BGB folgen allgemeine Einschränkungen für Ehefrauen (wie § 1354, Entscheidungsrecht des Mannes, oder Normen des gesetzlichen Güterrechts). Umstritten ist, wie weit diese auch im Handelsrecht Wirkung entfalten (aus der Perspektive des Jahres 1897 dargelegt bei Hinsberg, Nr. 25; zur
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rechtlichen Stellung der Handelsfrauen nach ADHGB, BGB 1896 und HGB 1897 vgl. ausführlich Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 869-876 m.w.N.). Die Frauenbewegung versucht im Februar 1897, durch eine Petition auf den Inhalt des HGB einzuwirken (Nr. 55; Erläuterungen Raschkes zur Petition: Nr. 52). Geklärt werden soll u.a. das Verhältnis zwischen HGB und BGB hinsichtlich der Beschränkungen verheirateter Handelsfrauen. Diese Petition wurde von der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine unter Vorsitz von Marie Raschke ausgearbeitet. Die Petition blieb überwiegend erfolglos (vgl. den Bericht Raschkes, Nr. 53).
Allgemeines Deutsche Handelsgesetzbuch Erstes Buch. Vom Handelsstande. Erster Titel. Von Kaufleuten. Artikel 4. Als Kaufmann im Sinne dieses Gesetzbuchs ist anzusehen, wer gewerbemäßig Handelsgeschäfte betreibt. […] Artikel 6. Eine Frau, welche gewerbemäßig Handelsgeschäfte betreibt (Handelsfrau), hat in dem Handelsbetriebe alle Rechte und Pflichten eines Kaufmanns. Dieselbe kann sich in Betreff ihrer Handelsgeschäfte auf die in den einzelnen Staaten geltenden Rechtswohlthaten der Frauen nicht berufen. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob sie das Handelsgewerbe allein oder in Gemeinschaft mit Anderen, ob sie dasselbe in eigener Person oder durch einen Prokuristen betreibt. Artikel 7. Eine Ehefrau kann ohne Einwilligung ihres Ehemannes nicht Handelsfrau sein. Es gilt als Einwilligung des Mannes, wenn die Frau mit Wissen und ohne Einspruch desselben Handel treibt. Die Ehefrau eines Kaufmanns, welche ihrem Ehemanne nur Beihülfe in dem Handelsgewerbe leistet, ist keine Handelsfrau. Artikel 8. Eine Ehefrau, welche Handelsfrau ist, kann sich durch Handelsgeschäfte gültig verpflichten, ohne daß es zu den einzelnen Geschäften einer besonderen Einwilligung ihres Ehemannes bedarf. Sie haftet für die Handelsschulden mit ihrem ganzen Vermögen, ohne Rücksicht auf die Verwaltungsrechte und den Nießbrauch oder die sonstigen, an diesem Vermögen durch die Ehe begründeten Rechte des Ehemannes. Es haftet auch das gemeinschaftliche Vermögen, soweit Gütergemeinschaft besteht; ob zugleich der Ehemann mit seinem persönlichen Vermögen haftet, ist nach den Landesgesetzen zu beurtheilen. Artikel 9. Eine Handelsfrau kann in Handelssachen selbstständig vor Gericht auftreten; es macht keinen Unterschied, ob sie unverheirathet oder verheirathet ist. [Im HGB in der Fassung vom 10. Mai 1897 (RGBl. S. 219) sind die hier aufgelisteten Sonderbestimmungen zu den Handelsfrauen entfallen.]
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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871 (Auszüge)
STRAFGESETZBUCH für das Deutsche Reich, RGBl. 1871, S. 127 Kommentar: Das im Strafgesetzbuch (StGB) für das Deutsche Reich von 1871 vereinheitlichte deutsche Strafrecht knüpft unmittelbar an das StGB für den Norddeutschen Bund von 1870 an. Es sind Normen angeführt, die einen Zusammenhang mit dem Familienrecht oder der Rechtsstellung von Frauen aufweisen oder auf welche die Frauenbewegung Bezug nimmt, insbesondere in den Gegenvorschlägen von Jellinek, Eichholz und Scheven aus den Jahren 1908/1909. Eine solche Bezugnahme erfolgt bei Normen des Allgemeinen Teils zum Jugendstrafrecht und zur Schuldunfähigkeit und bei Normen des Besonderen Teils, welche den Ehemännern ein Strafantragsrecht bei Verletzungen und Beleidigungen von „Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende[n] Kinder[n]“ gewähren (vgl. §§ 195, 232), ferner beim Sonderrecht zur Privilegierung des (typischerweise männlichen und im großbürgerlichen Umfeld auftretenden) Duells. Die damals zentralen frauenrechtlichen Bezüge und Stellungnahmen betreffen in der Regel folgende drei Gruppen von Strafrechtsbestimmungen: 1. Die im damaligen StGB als „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ definierten Tatbestände, welche nach heutigem Verständnis die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und daneben auch die Normen zum strafrechtlichen Schutz der Ehe umfassen. Nach dem Verständnis der damaligen Strafrechtsreformerinnen geht es hier insbesondere um die Gewährleistung eines wirksamen Schutzes von Frauen und Mädchen vor männlichen Tätern. 2. Die Bestrafung von Kindstötung und Abtreibung in §§ 217, 218 StGB. Zur Reform dieser Strafbestimmungen wurden auch in der zeitgenössischen Frauenbewegung ganz unterschiedliche Positionen vertreten (vgl. zu § 217 nur Czelk, Andrea: „Privilegierung“ und Vorurteil. Positionen der Bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung im Kaiserreich, 2005). Symptomatisch für die Schwierigkeiten bei der Formulierung gemeinsamer Positionen von Frauenseite ist die Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine von 1909 (Nr. 26). Camilla Jellinek überläßt die Argumentation insoweit Katharina Scheven und bemerkt hierzu in Abweichung zum BDF (dieser wünschte die Formulierung: „Der Bund deutscher Frauenvereine erkennt die Notwendigkeit des Festhaltens an der prinzipiellen Strafbarkeit der Vernichtung des keimenden Lebens an“): „Nachstehende Forderung des Bundes deutscher Frauenvereine, die zu begründen ich nicht hätte übernehmen können, hat Frau Katharina Scheven behandelt“ (Jellinek, S. 31). 3. § 361 Nr. 6 StGB, wonach „eine Weibsperson, welche, polizeilichen Anordnungen zuwider, gewerbsmäßig Unzucht treibt“ mit Haft oder mit Zwangsunterbringung in einem Arbeitshaus bestraft werden konnte. Die Norm des § 361 Nr. 6 wurde gleich in mehrfacher Hinsicht kritisiert: als Zeichen doppelter Moral (Kriminalisierung weiblicher Prostituierter, nicht aber ihrer oft gutbürgerlichen männlichen Kunden), als Drängen von Frauen in die angemeldete gewerbsmäßige Prostitution, schließlich als unscharf gefaßte Eingriffsnorm für die Rechtfertigung beliebiger Kontrollen, Verhaftungen, Übergriffe und Schikanen durch die Polizei gegenüber Frauen. Dies konnte prinzipiell jede Frau treffen, die in irgendeiner Weise Verdacht erregte, auch bürgerliche Frauen und Mädchen, die sich allein, in unpassender Begleitung, ungewöhnlicher Kleidung oder Haartracht im öffentlichen Raum bewegten. Die Verhaftung der 45jährigen Juristin Dr. Anita Augspurg auf dem Weimarer Bahnhof wurde von Augspurg und der Frauenbewegung als Anstoß zu einer Kampagne gegen § 361 Nr. 6 und damit verbundene Mißgriffe der Polizei genutzt (vgl. hierzu Henke, Anita Augspurg, S. 70 f.; Kinnebrock, Anita Augspurg, S. 284-287). Zu einer rechtspolitischen Diskussion frauenrelevanter Themen im Strafrecht kam es in den Jahren 1892-1900 anläßlich der sechsmal wiederholten umfangreichen Reichstagsberatungen zu einer Verschärfung des sog. Sittlichkeitsstrafrechts, welche mit der Gesetzesnovelle zum StGB von 1900 (RGBl. 1900, 301) umgesetzt wurde. Dieses Gesetz wurde als
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„lex Heinze“ bezeichnet, anknüpfend an einen Mordprozeß in Berlin, der die Gesetzesinitiative veranlaßt hatte und in welchen ein mutmaßlicher Zuhälter namens Gotthilf Heinze und dessen als Prostituierte tätige Ehefrau Anna verwickelt waren. Gesetzgeberisches Ziel war vor allem die Bestrafung der Zuhälterei, aber auch die stärkere Bestrafung der Kuppelei. Die zeitgenössische Kritik monierte die Neufassung des § 184 StGB (Verbreitung unzüchtiger Schriften), welche als Einfallstor für massive Eingriffe in die Wissenschafts- und Kunstfreiheit verstanden wurde. Ins Blickfeld der deutschen Frauenbewegung rückte das Strafrecht schon damals, aber umfassend und in systematischer Form erfolgten Stellungnahmen dann vor allem in den Jahren ab 1908, als es im Zuge der allgemeinen strafrechtlichen Reformbestrebungen und StGB-Reformentwürfe zu intensiven Beratungen der Materie in der Generalversammlung und der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine kam. Zentral ist hier der von der Rechtskommission erarbeitete und von Camilla Jellinek unter Mitarbeit von Katharina Scheven begründete Gegenentwurf zum Strafrecht, welcher im Juni 1909 den zuständigen Stellen zugeleitet wurde. Bereits im Vorfeld hatte Julie Eichholz 1908 im Auftrag der Rechtskommission eine vorläufige Stellungnahme angefertigt (Nr. 15). Literatur: a.) Allgemein: Aus dem neueren Schrifttum zur Stellung der Frau im Strafrecht des Kaiserreichs sowie den Stellungnahmen der Frauenbewegung sei u.a. verwiesen auf Czelk, „Privilegierung“ und Vorurteil. Positionen der Bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung im Kaiserreich (2005); Czelk, Gleichberechtigung und Schutz – Zwangsläufig ein Widerspruch für die bürgerliche Frauenbewegung? (2006), bezieht in ihre Untersuchung die Argumentation zum Strafrecht und Nichtehelichenrecht ein; Gilde, Die Stellung der Frau im Reichsstrafgesetzbuch von 1870/71 in den Reformentwürfen bis 1919 im Urteil der bürgerlichen Frauenbewegung (1999; Rezension Duncker, SaVZRG (GA) 120 (2003), S. 806-809). Wichtigste Quellen sind die Petition des BDF v. 1909 (Nr. 26) und die Vorbereitungsschrift von Eichholz (Nr. 15). b.) Zur Diskussion um die lex Heinze: Petition des Vereins Jugendschutz (gegründet v. Hanna Bieber-Böhm), Sittlichkeitsblätter 1892, S. 14 f. (forderte Änderungen der §§ 174, 182 StGB); Pappritz, Anna: Lex Heinze oder die ewige Seeschlange, in: Die Frauenbewegung 1899, S. 53-55; Zur Lex Heinze, in: Die Frauenbewegung/PA 1900, S. 18; Massenpetition zur Lex Heinze betreffend Aufhebung von Paragraph 361.6 des Reichsstrafgesetzbuches, eingebracht von Ottilie Baader, Berlin, in: Die Frauenbewegung 1900, S. 25; Augspurg, Anita (mutmaßl. Verfasserin): Der letzte Akt der großen Posse, in: Die Frauenbewegung/PA 1900, S. 25; Die Haltung des Reichstages bei der III. Lesung der Lex Heinze, in: Die Frauenbewegung/PA 1900, S. 42. Zur allgemeinen rechtspolitischen Auseinandersetzung vgl. u.a.: Müller, Otto: Die lex Heinze, Freiburg i. Br. 1900; Falckenberg, Otto: Das Buch von der lex Heinze. Leipzig 1900. Mast, Peter: Künstlerische und wissenschaftliche Freiheit im Deutschen Reich 1890-1901, Umsturzvorlage und Lex Heinze sowie die Fälle Arons und Spahn im Schnittpunkt der Interessen von Besitzbürgertum, Katholizismus und Staat, 2. Aufl., Rheinfelden 1986; Meyer, Elisabeth: Der Kampf um die öffentliche Sittlichkeit im Deutschen Kaiserreich. Die „lex Heinze“ und die Gegenagitation des liberalen Bürgertums am Beispiel des „Goethe-Bundes“, Hamburg 1994; Gilde, Alexandra: Die Stellung der Frau im Reichsstrafgesetzbuch von 1870/71 (1999), S. 89-109; Wesolowski, Tilmann: Chancen und Grenzen der intellektuellen politischen Einflussnahme im Kaiserreich. Dargestellt am Fall der „lex Heinze“, in: Deutsche Schillergesellschaft. Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, Bd. 51 (2007), S. 252-267; vgl. zur lex Heinze auch Henke, Anita Augspurg, S. 69 f.
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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v. 15.5.1871. RGBl. 1871, 127 (Auszüge. Normen, auf welche die Frauenbewegung Bezug nimmt oder die einen Zusammenhang mit dem Familienrecht oder der Rechtsstellung von Frauen aufweisen). § 51. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. […] § 55. Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht vollendet hat, kann wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt werden.6 § 56. Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das zwölfte, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, ist freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. In dem Urteile ist zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden soll. In der Anstalt ist er solange zu behalten, als die der Anstalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das vollendete zwanzigste Lebensjahr. § 57. Wenn ein Angeschuldigter welcher zur Zeit, als er das zwölfte, aber nicht, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besaß, so kommen gegen ihn folgende Bestimmungen zur Anwendung: [es folgen Einzelbestimmungen zur Milderung der Strafen für Jugendliche] […] Dreizehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit. § 171. Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist, ingleichen eine unverheirathete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheirathet ist, eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.
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[Anmerkung: In Texten der Frauenbewegung wird auf eine spätere veränderte Fassung des § 55 Bezug genommen. Dort heißt es: Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht vollendet hat, kann wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt werden. Gegen denselben können jedoch nach Maßgabe der landesgesetzlichen Vorschriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen werden. Die Unterbringung in eine Familie, Erziehungsanstalt oder Besserungsanstalt kann nur erfolgen, nachdem durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts die Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt ist.]
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§ 172. Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Gatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. § 173. Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und absteigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. § 174. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1) Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv- und Pflegeeltern welche mit ihren Kindern, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen vornehmen; 2) Beamte, die mit Personen, gegen welche sie eine Untersuchung zu führen haben oder welche ihrer Obhut anvertraut sind, unzüchtige Handlungen vornehmen; 3) Beamte, Aerzte oder andere Medizinalpersonen, welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von kranken, Armen oder anderen Hülflosen bestimmten Anstalten beschäftigt oder angestellt sind wenn sie mit den in das Gefängniß oder in die Anstalt aufgenommenen Personen unzüchtige Handlungen vornehmen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. § 175. Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen7 Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. § 176. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1) mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson vornimmt oder dieselbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen nöthigt, 2) eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustand befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht. 3) mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen vornimmt oder dieselben zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein, welcher jedoch, nachdem die förmliche Anklage bei Gericht erhoben worden, nicht mehr zurückgenommen werden kann.
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[Anmerkung: Ein gleichgeschlechtlicher Verkehr unter Frauen war danach straffrei, im Gegensatz zu dem Verkehr unter Männern.]
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§ 177. Mit Zuchthaus wird bestraft, wer durch Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben eine Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Beischlafs nöthigt, oder wer eine Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht, nachdem er sie zu diesem Zwecke in einen willenlosen oder bewußtlosen Zustand versetzt hat. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter Einem Jahre ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein, welcher jedoch, nachdem die förmliche Anklage bei Gericht erhoben worden, nicht mehr zurückgenommen werden kann. § 178. Ist durch eine der in den §§ 176. und 177. bezeichneten Handlungen der Tod der verletzten Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. § 179. Wer eine Frauensperson zur Gestattung des Beischlafs dadurch verleitet, daß er eine Trauung vorspiegelt, oder einen anderen Irrthum in ihr erregt oder benutzt, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. § 180. Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittelung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet wird wegen Kuppelei mit Gefängnis bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden.8 § 181. Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn 1) um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunstgriffe angewendet werden, oder 2) der Schuldige zu den Personen, mit welchen die Unzucht getrieben worden ist, in dem Verhältniß von Eltern zu Kindern, von Vormündern zu Pflegebefohlenen, von Geistlichen, Lehrern oder Erziehern zu den von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen steht. Neben der Zuchthausstrafe ist der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auszusprechen; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. § 182. Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechszehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe verführt, wird mit Gefängniß bis zu Einem Jahre bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes der Verführten ein. 8
[Anmerkung: In Texten der Frauenbewegung wird auf eine spätere veränderte Fassung des § 180 Bezug genommen. Dort heißt es: Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter Einem Monat bestraft; auch kann zugleich Geldstrafe von 100-6000 M., auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe bis auf Einen Tag ermäßigt werden.]
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§ 183. Wer durch eine unzüchtige Handlung öffentlich ein Aergerniß gibt, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. § 184. Wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen verkauft, vertheilt oder sonst verbreitet, oder an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt und anschlägt, wird mit Geldstrafe bis zu Einhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft.9 […] § 195. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehemänner und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen. […] § 201. Die Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen, sowie die Annahme einer solchen Herausforderung wird mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft.10 […] § 217. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder aber gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter zwei Jahren ein. § 218. Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.
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[Anmerkung: In der durch die sog. lex Heinze verschärften und im zeitgenössischen Schrifttum um 1900 oft kritisierten Fassung von § 184 heißt es: „Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist; unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet; Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist; öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden.“] [Anmerkung: Das vergleichsweise niedrige Strafmaß in §§ 201-210, die den Zweikampf – typischerweise zur Austragung männlicher Ehrenhändel in bürgerlichen Kreisen – betreffen, ist als Privilegierung gegenüber den allgemeinen Strafbestimmungen zu Tötung, Körperverletzung etc. zu verstehen. Die damals vorliegende Gestaltung dieser Normen wurde von der Frauenbewegung kritisiert (vgl. die in der vorliegenden Dokumentation abgedruckten Texte von Jellinek und Eichholz). Als Beispiel für die Privilegierung sei auf §§ 206, 212 StGB 1871 verwiesen: ein herkömmlicher Totschlag wurde mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft, eine Tötung im Duell dagegen mit – als ehrenhaft geltender – Festungshaft nicht unter zwei Jahren.]
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Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren, die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. § 219. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr anwendet oder ihr beigebracht hat. § 220. Wer die Leibesfrucht einer Schwangeren ohne deren Wissen oder Willen vorsätzlich abtreibt oder tödtet, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. […] § 232. Die Verfolgung leichter vorsätzlicher, sowie aller durch Fahrlässigkeit verursachter Körperverletzungen (§§ 223. 230.) tritt nur auf Antrag ein […]. Die in den §§ 195,11 196 und 198 enthaltenen Vorschriften finden hier Anwendung. […] § 361: Mit Haft wird bestraft […] 6) eine Weibsperson, welche, polizeilichen Anordnungen zuwider, gewerbsmäßig Unzucht treibt.12
72.
Civilprozeßordnung von 1877 (Auszüge)
CIVILPROZEßORDNUNG vom 30.1.1877, RGBl. 1877, S. 83 Kommentar: Das Zivilprozeßrecht gehörte zu den Rechtsgebieten, die schon kurz nach 1871 reichseinheitlich gesetzlich geregelt wurden. Dies geschah durch die Civilprozeßordnung (CPO) von 1877. Die frauenrechtlich relevanten Inhalte der CPO betreffen in erster Linie das ehe- und familienrechtliche Verfahrensrecht, daneben solche Normen des allgemeinen Prozeßrechts, die spezielle Regeln für Ehefrauen enthalten: Nach § 17 teilen Ehefrau und eheliche Kinder grundsätzlich den Wohnsitz des männlichen Familienoberhaupts, nach § 51 II wird die Prozeßfähigkeit einer Frau dadurch, daß sie Ehefrau ist, nicht beschränkt. Des weiteren finden die – 1877 ohnehin in der Regel obsoleten – Vorschriften über die Geschlechtsvormundschaft auf die Prozeßführung keine Anwendung.
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§ 195. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehemänner und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen. [Anmerkung: Nach § 362 konnte anstelle von Haft auch eine Zwangsunterbringung in einem Arbeitshaus erfolgen. In Texten der Frauenbewegung wird auf eine spätere veränderte Fassung des § 361 Nr. 6 Bezug genommen. Dort heißt es: Mit Haft wird bestraft (…) eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt.]
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Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren, die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat. § 219. Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer einer Schwangeren, welche ihre Frucht abgetrieben oder getötet hat, gegen Entgelt die Mittel hierzu verschafft, bei ihr anwendet oder ihr beigebracht hat. § 220. Wer die Leibesfrucht einer Schwangeren ohne deren Wissen oder Willen vorsätzlich abtreibt oder tödtet, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Ist durch die Handlung der Tod der Schwangeren verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. […] § 232. Die Verfolgung leichter vorsätzlicher, sowie aller durch Fahrlässigkeit verursachter Körperverletzungen (§§ 223. 230.) tritt nur auf Antrag ein […]. Die in den §§ 195,11 196 und 198 enthaltenen Vorschriften finden hier Anwendung. […] § 361: Mit Haft wird bestraft […] 6) eine Weibsperson, welche, polizeilichen Anordnungen zuwider, gewerbsmäßig Unzucht treibt.12
72.
Civilprozeßordnung von 1877 (Auszüge)
CIVILPROZEßORDNUNG vom 30.1.1877, RGBl. 1877, S. 83 Kommentar: Das Zivilprozeßrecht gehörte zu den Rechtsgebieten, die schon kurz nach 1871 reichseinheitlich gesetzlich geregelt wurden. Dies geschah durch die Civilprozeßordnung (CPO) von 1877. Die frauenrechtlich relevanten Inhalte der CPO betreffen in erster Linie das ehe- und familienrechtliche Verfahrensrecht, daneben solche Normen des allgemeinen Prozeßrechts, die spezielle Regeln für Ehefrauen enthalten: Nach § 17 teilen Ehefrau und eheliche Kinder grundsätzlich den Wohnsitz des männlichen Familienoberhaupts, nach § 51 II wird die Prozeßfähigkeit einer Frau dadurch, daß sie Ehefrau ist, nicht beschränkt. Des weiteren finden die – 1877 ohnehin in der Regel obsoleten – Vorschriften über die Geschlechtsvormundschaft auf die Prozeßführung keine Anwendung.
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§ 195. Sind Ehefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder beleidigt worden, so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehemänner und Väter das Recht, auf Bestrafung anzutragen. [Anmerkung: Nach § 362 konnte anstelle von Haft auch eine Zwangsunterbringung in einem Arbeitshaus erfolgen. In Texten der Frauenbewegung wird auf eine spätere veränderte Fassung des § 361 Nr. 6 Bezug genommen. Dort heißt es: Mit Haft wird bestraft (…) eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht treibt.]
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Wichtig im Eheverfahrensrecht ist insbesondere, daß nach § 888 II der ab 1900 geltenden ZPO (ähnlich schon § 774 CPO, aber damals noch mit einem praktisch bedeutsamen landesrechtlichen Vorbehalt) im Falle der Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens keine Vollstreckung stattfindet. Damit sind Normen wie § 1354 I BGB v. 1896 zur männlichen Eheherrschaft nicht mehr unmittelbar vollstreckbar und verlieren zumindest einen Teil ihrer gegen die Frauen gerichteten Schärfe (näher hierzu Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 978-981). Auffällig ist, daß es keinerlei Normen gibt, welche Frauen als Richter, Anwälte, Schöffen, Geschworene etc. von der Rechtspflege ausschließen. Dies ist freilich ähnlich zu bewerten wie zeitgenössische Normen zum vermeintlichen „allgemeinen Wahlrecht“, welches bekanntlich nur ein Männerwahlrecht war. Der Ausschluß der Frauen von der Rechtspflege war so selbstverständlich, daß er im Gesetz keiner gesonderten Erwähnung bedurfte, sondern stillschweigend in diesem inbegriffen war. Weder die CPO noch das Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 reden davon. Selbst im Gewerbegerichtsgesetz von 1890 (RGBl. 1890, 97), zu einem Zeitpunkt, in dem Emilie Kempin bereits „ebenso neu als kühn“ ihren Rechtsstreit um die Zulassung zu gerichtlichen Vertretungen geführt hatte, ist man sich des Rechtsproblems noch nicht bewußt und erwähnt keinen Ausschluß der Frau. Wenn später das Kaufmannsgerichtsgesetz von 1904 (RGBl. 1904, 266), § 10 Nr. 1, Frauen ausdrücklich als Mitglieder der Kaufmannsgerichte nicht zuließ, so wird dies im führenden zivilprozessualen Lehrbuch der 1920er Jahre* zu Recht als Folge und (negativer) Erfolg der erstarkenden Frauenbewegung bezeichnet. Ebenso, ließe sich hinzufügen, sind die Gesetze, welche in Anlehnung an Art. 109 II, 128 I der Weimarer Reichsverfassung die Frauen in der Rechtspflege den Männern gleichstellten,** zumindest auch als ein weiterer später (und nunmehr positiver) Erfolg der Frauenbewegung zu werten.
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Rosenberg, Leo: Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl., Berlin 1929, S. 55. Belegt wird dies durch das zeitgenössische Schrifttum aus dem Umfeld der Frauenbewegung betr. Fragen der mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung von Frauen bei den Gewerbegerichten (Augspurg, Anita: Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten, in: Die Frauenbewegung 1898, S. 26/27; Memorandum des Vereins Frauenwohl, Berlin, an den deutschen Reichstag, betreffend Beteiligung der Frau an den Wahlen zu Gewerbegerichten und kaufmännischen Schiedsgerichten, in: Die Frauenbewegung 1899, S. 1-2; Salomon, Alice: Frauen vor dem Gewerbegericht, in: Die Frau 1900/01, S. 20-22; Debatte im Reichstage, 92. Sitzung am 9. Mai 1901 das Gewerbegerichtsgesetz, Einbeziehung des Gesindes und Betheiligung der Arbeiterinnen betreffend, in: Die Frauenbewegung/PA 1901, S. 61-63, 66/67, 70/71, 74/75, 78/79; Block, Eduard: Die Zulassung der Frau zu den Gewerbegerichten, in: Die Frau 1902/03, S. 534-546; Jaffé-Richthofen, Elisabeth: Das Wahlrecht der Arbeiterinnen zu den Gewerbegerichten, in: Die Frau 1906/07, S. 577-581; Dosenheimer, Elise: Die Frage der Einführung des Frauenstimmrechts in den Kaufmanns- und Gewerbegerichten wie in den Handels- und Gewerbekammern im bayerischen Landtag. Zeitschrift für Frauenstimmrecht 1913, S. 71/72). Durch Reichsgesetz vom 14.1.1922 (RGBl. 1922, 155) wurde den Frauen die Möglichkeit eröffnet, Beisitzer von Gewerbegerichten und Kaufmannsgerichten zu werden. Durch Reichsgesetz vom 25.4.1922 (RGBl. 1922, 465) waren sie als Schöffen und Geschworene zugelassen. Das Reichsgesetz vom 11.7.1922 (RGBl. 1922, 573) ermöglichte den Frauen, die Fähigkeit zum Richteramt zu erwerben und zu Handelsrichtern, Amtsanwälten, Gerichtsschreibern und Gerichtsvollziehern ernannt zu werden, womit ihre formale Gleichstellung auf dem Gebiet der Rechtspflege vollendet war. Vgl. auch Cordes, Die Frau als Organ der Rechtspflege? Über die historisch wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege (2006).
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Teil 2
Bereits nach der CPO von 1877 war die Frau grundsätzlich prozeßfähig, konnte jedoch in Deutschland zwar nicht als Anwältin auftreten, wurde aber anscheinend in der Praxis als Vertreterin in solchen Verfahren akzeptiert, in denen es keinen Anwaltszwang gab. Hierzu teilt die aus Deutschland stammende Züricher Rechtsanwältin Anna Mackenroth folgende Beobachtung aus dem gerichtlichen Alltag mit: „Und ich weiß von einem Amtsgericht in Norddeutschland, daß dort die Bauern dann meistens, wenn sie eine Vorladung vors Amtsgericht haben, ihre Frauen schicken, weil, wie sie meinen, diese besser reden können und auch nicht so viel bei der Landarbeit versäumen.“ (Mackenroth, Ueber die Rechtsstellung der Frau im Vorentwurf zum schweizerischen Zivilgesetzbuch, S. 150).
Civilprozeßordnung v. 30.1.1877, RGBl. 1877, S. 83. §. 17. Die Ehefrau theilt in Ansehung des Gerichtsstandes den Wohnsitz des Ehemannes, sofern nicht auf immerwährende Trennung von Tisch und Bett erkannt ist. Eheliche und diesen gleichgestellte Kinder theilen in Ansehung des Gerichtsstandes den Wohnsitz des Vaters, uneheliche den Wohnsitz der Mutter. Sie behalten diesen Wohnsitz, bis sie denselben in rechtsgültiger Weise aufgeben. […] §. 51. Eine Person ist insoweit prozeßfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. Die Prozeßfähigkeit einer großjährigen Person wird dadurch, daß sie unter väterlicher Gewalt steht, die Prozeßfähigkeit einer Frau dadurch, daß sie Ehefrau ist, nicht beschränkt. Die Vorschriften über die Geschlechtsvormundschaft finden auf die Prozeßführung keine Anwendung. […] Verfahren in Ehesachen. §. 568. Für die Rechtsstreitigkeiten, welche die Trennung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe oder die Herstellung des ehelichen Lebens zum Gegenstande haben (Ehesachen), ist das Landgericht, bei welchem der Ehemann seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, ausschließlich zuständig. Gegen den Ehemann, welcher seine Frau verlassen und seinen Wohnsitz nur im Auslande hat, kann von der Ehefrau die Klage bei dem Landgerichte seines letzten Wohnsitzes im Deutschen Reiche erhoben werden, sofern der Beklagte zur Zeit, als er die Klägerin verließ, ein Deutscher war. §. 569. In Ehesachen ist die Staatsanwaltschaft zur Mitwirkung befugt. Der Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte sowie vor einem beauftragten oder ersuchten Richter kann der Staatsanwalt beiwohnen. Er ist von allen Terminen von Amtswegen in Kenntniß zu setzen. Er kann sich über die zu erlassende Entscheidung gutachtlich äußern und, sofern es sich um die Aufrechterhaltung einer Ehe handelt, neue Thatsachen und Beweismittel vorbringen. Im Sitzungsprotokoll ist der Name des Staatsanwalts anzugeben, auch sind in dasselbe die von dem Staatsanwalte gestellten Anträge aufzunehmen. §. 570. Der Vorsitzende darf den Termin zur mündlichen Verhandlung über eine Ehescheidungsklage oder über eine Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens erst festsetzen, wenn den nachfolgenden Vorschriften über den Sühneversuch genügt ist.
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§. 571. Der Kläger hat bei dem Amtsgerichte, vor welchem der Ehemann seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, die Anberaumung eines Sühnetermins zu beantragen und zu diesem Termine den Beklagten zu laden. Durch die Zustellung der Ladung wird die Verjährung unterbrochen. §. 572. Die Parteien müssen in dem Sühnetermine persönlich erscheinen; Beistände können zurückgewiesen werden. Erscheint der Kläger oder erscheinen beide Parteien in dem Sühnetermine nicht, so verliert die Ladung ihre Wirkung. Erscheint der Kläger, aber nicht der Beklagte, so ist der Sühneversuch als mißlungen anzusehen. §. 573. Der Sühneversuch ist nicht erforderlich, wenn der Aufenthalt des Beklagten unbekannt oder im Auslande ist, wenn dem Sühneversuche ein anderes schwer zu beseitigendes Hinderniß entgegensteht, welches von dem Kläger nicht verschuldet ist, oder wenn die Erfolglosigkeit des Sühneversuchs mit Bestimmtheit vorauszusehen ist. Ueber das Vorhandensein dieser Voraussetzungen entscheidet der Vorsitzende des Landgerichts ohne vorgängiges Gehör des Beklagten. §. 574. Bis zum Schlusse derjenigen mündlichen Verhandlung, auf welche das Urtheil ergeht, können andere als die in der Klage vorgebrachten Klagegründe geltend gemacht werden. Das neue Vorbringen und die Erhebung einer Widerklage ist von einem Sühneversuche nicht abhängig. §. 575. Die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens, die Ehescheidungsklage und die Ungültigkeitsklage können verbunden werden. Die Verbindung einer anderen Klage mit den erwähnten Klagen sowie die Erhebung einer Widerklage anderer Art ist unstatthaft. §. 576. Der mit einer Ehescheidungsklage oder einer Ungültigkeitsklage abgewiesene Kläger kann Thatsachen, welche er in dem früheren Rechtsstreit oder welche er durch Verbindung der Klagen hatte geltend machen können, als selbständigen Klagegrund nicht mehr geltend machen. Ein gleiches gilt für den Beklagten in Ansehung der Thatsachen, auf welche er eine Widerklage zu gründen im Stande war. […] §. 579. Das Gericht kann das persönliche Erscheinen einer Partei anordnen und dieselbe über die von ihr, von dem Gegner oder von dem Staatsanwalte behaupteten Thatsachen vernehmen. Ist die zu vernehmende Partei am Erscheinen vor dem Prozeßgerichte verhindert oder hält sie sich in großer Entfernung von dem Sitze desselben auf, so kann die Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen. Gegen die nicht erschienene Partei ist wie gegen einen im Vernehmungstermine nicht erschienenen Zeugen zu verfahren; auf Haft darf nicht erkannt werden. §. 580. Das Gericht kann die Aussetzung des Verfahrens über eine Ehescheidungsklage oder über eine Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens von Amtswegen anordnen, wenn es die Aussöhnung der Parteien für nicht unwahrscheinlich erachtet. Auf Grund dieser Bestimmung darf die Aussetzung im Laufe des Rechtsstreits nur einmal und höchstens auf ein Jahr angeordnet werden. Die Aussetzung findet nicht statt, wenn die Ehescheidung auf Grund eines Ehebruchs beantragt ist.
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§. 581. Zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ehe kann das Gericht Thatsachen, welche von den Parteien nicht vorgebracht sind, berücksichtigen und die Aufnahme von Beweisen von Amtswegen anordnen. Vor der Entscheidung sind die Parteien zu hören. §. 582. Urtheile, durch welche auf Trennung, Ungültigkeit oder Nichtigkeit der Ehe erkannt ist, sind den Parteien von Amtswegen zuzustellen. […] §. 592. Im Sinne dieses Abschnitts ist unter Ehescheidungsklage zu verstehen die Klage auf Auflösung des Bandes der Ehe oder auf zeitweilige Trennung von Tisch und Bett; unter Ungültigkeitsklage die Klage auf Anfechtung einer Ehe aus irgend einem Grunde, welcher nicht von Amtswegen geltend gemacht werden kann; unter Nichtigkeitsklage die Klage auf Anfechtung einer Ehe aus einem Grunde, welcher auch von Amtswegen geltend gemacht werden kann. Verfahren in Entmündigungssachen. §. 593. Eine Person kann für geisteskrank (wahnsinnig, blödsinnig u. s. w.) nur durch Beschluß des Amtsgerichts erklärt werden. Der Beschluß wird nur auf Antrag erlassen. […] §. 595. Der Antrag kann von dem Ehegatten, einem Verwandten oder dem Vormunde des zu Entmündigenden gestellt werden. Gegen eine Ehefrau kann nur von dem Ehemanne, gegen eine Person, welche unter väterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, nur von dem Vater oder dem Vormunde der Antrag gestellt werden. Die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, nach welchen noch andere Personen den Antrag stellen können, bleiben unberührt. In allen Fällen ist auch der Staatsanwalt bei dem vorgesetzten Landgerichte zur Stellung des Antrags befugt. […] §. 774. Kann eine Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden, so ist, wenn sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, auf Antrag von dem Prozeßgerichte erster Instanz zu erkennen, daß der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Geldstrafen bis zum Gesammtbetrage von fünfzehnhundert Mark oder durch Haft anzuhalten ist. Diese Bestimmung kommt im Falle der Verurtheilung zur Eingehung einer Ehe nicht und im Falle der Verurtheilung zur Herstellung des ehelichen Lebens nur insoweit zur Anwendung, als die Landesgesetze der Erzwingung der Herstellung des ehelichen Lebens für zulässig erklären. [Anmerkung zu § 774: In der Nachfolgenorm der ab 1900 geltenden ZPO-Fassung (§ 888 II) ist dieser landesrechtliche Vorbehalt entfallen. Die Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens kann nun überhaupt nicht mehr vollstreckt werden.]
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B. Weitere Rechtsquellen 73.
Allgemeines Landrecht für die preussischen Staaten von 1794 (Auszüge)
PrALR, Textausgabe, Frankufrt am Main, Berlin 1970 Kommentar: Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (PrALR)* trat am 1.6.1794 in den damals preußischen Gebieten in Kraft und galt mit einigen Modifikationen bis zur Einführung des BGB. In den nach 1794 an Preußen angegliederten Territorien wurde es meist nicht eingeführt. Die Änderungen im 19. Jahrhundert betreffen in den familienund frauenrechtlich relevanten Materien vor allem das Unehelichenrecht (zu Lasten der nichtehelichen Mütter und Kinder geändert durch das preußische Gesetz v. 24. April 1854) sowie das Strafrecht. Im Vergleich mit anderen Kodifikationen ist das PrALR in Stil und Umfang ungewöhnlich, ja einzigartig. Es trifft in etwa 19000 Paragraphen eine umfassende und ins Detail gehende Regelung fast aller wichtigen Rechtsgebiete in einem für damalige und heutige Leser allgemeinverständlichen Sprachstil. Dazu gehören neben dem Ehe- und Familienrecht eine Reihe weiterer frauenrechtlich relevanter Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, Handelsund Wirtschaftsrechts, öffentlichen Rechts und Strafrechts. Im Familienrecht ist das PrALR als Kompromiß zwischen den Befürwortern und den Gegnern einer selbständigen Stellung der Frau anzusehen. Insgesamt besteht die männliche Herrschaft in Ehe und Familie hier unangefochten weiter, geht aber nicht wesentlich über das im zeitgenössischen Gemeinen Recht praktizierte Maß hinaus (vgl. ausführlich Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 1074-1077; im Vergleich mit anderen europäischen Familienrechten Willekens, Die Geschichte des Familienrechts in Deutschland seit 1794, S. 139-148). Der in I 1 § 24 aufgestellte Grundsatz „Die Rechte beyder Geschlechter sind einander gleich, so weit nicht durch besondre Gesetze, oder rechtsgültige Willenserklärungen, Ausnahmen bestimmt worden“ kann nicht als moderner Gleichberechtigungssatz angesehen werden, sondern lediglich als Ordnungsregel. Ihr ließe sich für Ehefrauen der Sache nach ohne weiteres eine zweite Ordnungsregel beifügen: „Für alle Rechtshandlungen der Ehefrau gelten solche Ausnahmen, es sei denn, daß das Gesetz eine Ausnahme von der Ausnahme bestimmt.“ Im persönlichen Eherecht sind die gemeinsamen Rechte und Pflichten der Eheleute (II 1 §§ 173-183) sowie die besonderen des Mannes (§§ 184-191) und der Frau (II 1 §§ 192-204) ausführlich definiert. Für die Eheherrschaft gilt der im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Rechtstexten (siehe nur Art. 213 Code Napoléon) eher moderat formulierte Grundsatz „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und sein Entschluß giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag“ (II 1 § 184), welcher Ähnlichkeiten mit § 1354 I BGB erkennen läßt. Nach dem gesetzlichen Güterrecht geht, insoweit ähnlich wie im Güterrecht des BGB, „das Vermögen der Frau in die Verwaltung des Mannes über; in so fern diese Verwaltung der Frau durch Gesetze oder Verträge nicht ausdrücklich vorbehalten worden“ (II 1 § 205). Die umfangreiche Aufzählung der Scheidungsgründe (II 1 §§ 669-718 b.) enthält auch eine Möglichkeit zur einverständlichen Scheidung kinderloser Ehen aufgrund gegenseitiger Einwilligung wegen unüberwindlicher Abneigung.
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Zum verwendeten Text vgl. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794. Textausgabe. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert, Frankfurt/Main/Berlin 1970.
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Von konservativen Kreisen als unsittlich kritisiert wurde der Abschnitt des PrALR „Von den rechtlichen Folgen des unehelichen Beyschlafes“, in welchem insgesamt günstige Regelungen für die wirtschaftliche Versorgung nichtehelicher Kinder und Mütter getroffen worden waren. Die Lage dieser Personen gestaltet sich deutlich besser als in anderen Rechten der damaligen Zeit, besser auch als im BGB von 1896. Marie Raschke sollte dies 1895 zum Anlaß nehmen, über „Rückschritte in der Gesetzgebung“ zu klagen (Nr. 46). Allerdings wurde die Regelung des PrALR durch das Gesetz vom 24.4.1854 unter Berufung auf Erwägungen der Sittlichkeit in wesentlichen Punkten außer Kraft gesetzt und zuungunsten nichtehelicher Kinder und Mütter geändert. Nicht nur Raschke, sondern auch weitere Reformtexte der Zeit aus dem Umfeld der Frauenbewegung vor 1900 nehmen – auch über das Nichtehelichenrecht hinaus – auf das preußische Recht bezug. Besonders ausführlich geschieht dies in der Untersuchung des preußischen Kreisrichters Wachler (Nr. 64). Im Elternrecht eheliche Kinder betreffend erhalten zwar beide Elternteile eigene Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind (II 2 § 61: Kinder sind beyden Aeltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig, vgl. auch II 2 § 86), „vorzüglich“ aber stehen sie unter väterlicher Gewalt (II 2 § 62). Die Anordnung der Art, wie das Kind erzogen werden soll, kommt hauptsächlich dem Vater zu (II 2 § 74). Dieser kann auch auf das Verhältnis zwischen Mutter und Säugling Einfluß nehmen: Eine gesunde Mutter ist ihr Kind selbst zu säugen verpflichtet. Wie lange sie aber dem Kinde die Brust reichen solle, hänge von der Bestimmung des Vaters ab. Doch müsse sich dieser, wenn die Gesundheit der Mutter oder des Kindes unter seiner Bestimmung leiden würde, dem Gutachten der Sachverständigen unterwerfen (II 2 §§ 67-69). Das PrALR war einer der bei den Vorarbeiten zum BGB verwendeten Bezugstexte. In den Motiven, Protokollen und sonstigen Materialien zum BGB und auch in den zeitgenössischen kritischen Stellungnahmen wird immer wieder auf das PrALR eingegangen. Teile des BGB-Familienrechts, beispielsweise das gesetzliche Güterrecht der sog. Verwaltungsgemeinschaft, lassen deutliche Parallelen zum PrALR erkennen.
ERSTER THEIL Erster Titel Von Personen und deren Rechten überhaupt. Person. §. 1. Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt. Personenrechte. §. 2. Die bürgerliche Gesellschaft besteht aus mehrern kleinern, durch Natur oder Gesetz, oder durch beyde zugleich, verbundnen Gesellschaften und Ständen. §. 3. Die Verbindung zwischen Ehegatten, ingleichen zwischen Aeltern und Kindern, macht eigentlich die häusliche Gesellschaft aus. §. 4. Doch wird auch das Gesinde mit zur häuslichen Gesellschaft gerechnet. §. 5. Durch die Abkunft von gemeinschaftlichen Stammältern werden Familienverhältnisse begründet. §. 6. Personen, welchen, vermöge ihrer Geburt, Bestimmung, oder Hauptbeschäftigung, gleiche Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft beygelegt sind, machen zusammen Einen Stand des Staats aus. §. 7. Die Mitglieder eines jeden Standes haben, als solche, einzeln betrachtet, gewisse Rechte und Pflichten. §. 8. Andre kommen ihnen nur in so fern zu, als mehrere derselben zusammen eine besondre Gesellschaft ausmachen.
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§. 9. Die Rechte und Pflichten der verschiednen Gesellschaften im Staat werden durch ihr Verhältniß unter sich, und gegen das Oberhaupt des Staats, näher bestimmt. Rechte der Ungebornen. §. 10. Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungebornen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß. §. 11. Wer für schon geborne Kinder zu sorgen schuldig ist, der hat gleiche Pflichten in Ansehung der noch in Mutter Leibe befindlichen. §. 12. Bürgerliche Rechte, welche einem noch ungebornen Kinde zukommen würden, wenn es zur Zeit der Empfängniß schon wirklich geboren wäre, bleiben demselben auf den Fall, daß es lebendig zur Welt kommt, vorbehalten. §. 13. Daß ein Kind lebendig zur Welt gekommen sey, ist in dieser Beziehung schon für ausgemittelt anzunehmen, wenn unverdächtige, bey der Geburt gegenwärtig gewesene Zeugen, die Stimme desselben deutlich vernommen haben. […] der Zwitter. §. 19. Wenn Zwitter geboren worden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen. §. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle. §. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt. §. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlecht eines vermeintlichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen. §. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl des Zwitters, und seiner Aeltern. Unterschied der Geschlechter. §. 24. Die Rechte beyder Geschlechter sind einander gleich, so weit nicht durch besondre Gesetze, oder rechtsgültige Willenserklärungen, Ausnahmen bestimmt worden. […] Fünfter Titel Von Verträgen […] §. 22. Von den Verträgen der Kinder, die noch in väterlicher Gewalt sind, ingleichen der verheyratheten Frauenspersonen, sind nähere Bestimmungen gehörigen Orts festgesetzt (Th. II. Tit. I. Tit. II.). §. 23. Unverheyrathete Frauenspersonen werden, dafern die Provinzialgesetze keine Ausnahme machen; bey Schließung der Verträge den Mannspersonen gleich geachtet: […] Vierzehnter Titel Von Erhaltung des Eigenthums und der Rechte §. 220. Wie weit Ehefrauen für ihre Männer, oder für Andere sich verbürgen können, ist gehörigen Orts bestimmt. (Th. II. Tit. I. Sect. V.) Von Bürgschaften der Weiber. §. 221. Den Wittwen und ledigen Frauenspersonen müssen bey Uebernehmung einer Bürgschaft, die rechtlichen Wirkungen und Folgen derselben vor Gericht erklärt werden. §. 222. Daß und wie die Verwarnung geschehen sey, muß in dem Bürgschaftsinstrumente selbst, oder unter demselben verzeichnet werden.
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§. 223. Ist kein besondres Bürgschaftsinstrument ausgestellt, sondern die Verbürgung in dem Hauptinstrumente enthalten: so ist der Vermerk der Verwarnung in oder unter dem letztern erforderlich. §. 224. Die Erklärung muß in verständlichen Ausdrücken geschehen; so daß die Bürgin dadurch einen hinlänglichen Begriff von den rechtlichen Folgen der zu übernehmenden Bürgschaft erhalten könne. §. 225. Die Stelle dieser von dem Richter zu machenden Erklärung vertritt es nicht, wenn gleich in dem Instrumente die rechtlichen Folgen der Bürgschaft ausgedrückt sind, und die Bürgin gerichtlich erklärt hat, daß sie das Instrument selbst gelesen habe, oder daß ihr dasselbe vorgelesen worden. §. 226. Wenn diese Vorschriften (§. 221-225.) nicht beobachtet worden, so bleibt die Bürgschaft einer Frauensperson ohne rechtliche Wirkung. §. 227. Hat der Richter, vor welchem das Geschäft vollzogen worden, die Verwarnung unterlassen, oder dabey die Vorschriften §. 222-225. verabsäumt, so haftet derselbe dem Berechtigten für allen daraus entstehenden Schaden. […]
ZWEYTER THEIL Erster Titel. Von der Ehe. §. l. Der Hauptzweck der Ehe ist die Erzeugung und Erziehung der Kinder. §. 2. Auch zur wechselseitigen Unterstützung allein kann eine gültige Ehe geschlossen werden. […] Vierter Abschnitt. Von den Rechten und Pflichten der Eheleute, in Beziehung auf ihre Personen. Gemeinschaftliche Rechte und Pflichten der Eheleute. §. 173. Die Rechte und Pflichten der Eheleute nehmen sogleich nach vollzogener Trauung ihren Anfang. §. 174. Eheleute sind schuldig, sich in allen Vorfallenheiten nach ihren Kräften wechselseitigen Beystand zu leisten. §. 175. Sie müssen vereint mit einander leben, und dürfen ihre Verbindung eigenmächtig nicht aufheben. §. 176. Auch wegen Widerwärtigkeiten dürfen sie einander nicht verlassen. §. 177. Oeffentliche Geschäfte, dringende Privat-Angelegenheiten, und Gesundheits-Reisen, entschuldigen die Abwesenheit. §. 178. Eheleute dürfen einander die eheliche Pflicht anhaltend nicht versagen. §. 179. Wenn deren Leistung der Gesundheit des einen oder des andern Ehegatten nachtheilig seyn würde, kann sie nicht gefordert werden. §. 180. Auch säugende Ehefrauen verweigern die Beywohnung mit Recht. §. 181. Zur ehelichen Treue sind beyde Ehegatten wechselseitig verpflichtet: §. 182. Die Verletzung derselben von Seiten des einen Ehegatten berechtigt den andern nicht zu gleichen Vergehungen. §. 183. Auch Handlungen, welche den Verdacht einer solchen Verletzung erregen könnten, müssen vermieden werden.
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Rechte und Pflichten des Mannes. §. 184. Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und sein Entschluß giebt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag. §. 185. Er ist verbunden, seiner Frau standesmäßigen Unterhalt zu gewähren. §. 186. Mit dem nothdürftigen Unterhalte muß sie sich begnügen, wenn ihr der Mann den standesmäßigen nicht verschaffen kann. §. 187. Zum Unterhalte der Frau gehören auch die sie betreffenden Cur- und Prozeßkosten. (§. 229. 230.) §. 188. Der Mann ist schuldig und befugt, die Person, die Ehre, und das Vermögen seiner Frau, in und außer Gerichten zu vertheidigen. §. 189. In der Regel kann daher die Frau, ohne Zuziehung und Einwilligung des Mannes, mit Andern keine Prozeße führen. §. 190. Auch gegen angestellte Injurienklagen ist der Mann die Frau auf seine Kosten zu vertheidigen schuldig. §. 191. Bey Criminal-Untersuchungen gegen die Frau, bleibt der unschuldige Mann von Tragung der Kosten aus eignen Mitteln in so fern frey, als das von der Frau begangene Verbrechen ihn auf Ehescheidung anzutragen berechtigt. der Frau. §. 192. Die Frau überkommt durch eine Ehe zur rechten Hand den Namen des Mannes. §. 193. Sie nimmt Theil an den Rechten seines Standes, so weit dieselben nicht allein an seine Person gebunden sind. §. 194. Sie ist schuldig, dem Hauswesen des Mannes nach dessen Stande und Range vorzustehn. §. 195. Wider den Willen des Mannes darf sie für sich selbst kein besonderes Gewerbe treiben. §. 196. Ohne des Mannes Einwilligung kann die Frau keine Verbindungen eingehen, wodurch die Rechte auf ihre Person gekränkt werden. §. 197. Der Mann kann aber auch, ohne die Einwilligung der Frau, keine Verbindungen treffen, wodurch ihre Person einem Dritten verhaftet wird. §. 198. In allen Fällen, wo die Frau in stehender Ehe zu etwas, wozu sie die Gesetze nicht verpflichten, dem Manne, oder zu dessen Vortheile verbindlich gemacht werden soll, muß der Vertrag, oder die Verhandlung, gerichtlich vollzogen werden. §. 199. Aus bloßen außergerichtlichen Verträgen zwischen dem Manne und der Frau, können daher für die letztere zwar Befugnisse, aber keine Verbindlichkeiten entstehen. §. 200. Auch bey gerichtlichen Verhandlungen der Frau mit dem Manne ist die Zuziehung eines entweder selbst gewählten oder von dem Richter ernannten Beystands für erstere erforderlich. §. 201. Doch muß der Richter zugleich selbst von Amtswegen darauf sehen, daß die Frau bey solchen Verhandlungen nicht übereilt, oder hintergangen werde. §. 202. Wenn der Mann sich entfernt hat, ohne wegen Besorgung seiner Angelegenheiten Verfügungen zu treffen, und sein Aufenthalt unbekannt ist: so ist die Frau berechtigt, alles zu thun, was zu einer ordentlichen und gewöhnlichen Vermögensverwaltung erforderlich ist.
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§. 203. Ein Gleiches findet wegen solcher Geschäfte, wo Gefahr im Verzuge ist, auch alsdann statt, wenn der Aufenthalt des Mannes zwar bekannt, aber so entfernt ist, daß seine Willensmeinung darüber nicht eingeholt werden kann. §. 204. Wie weit, in Abwesenheit des Mannes, die Frau zum Betriebe gerichtlicher Angelegenheiten für ihn, auf den Grund einer rechtlich zu vermuthenden Vollmacht zugelassen werde, bestimmt die Prozeß-Ordnung. Fünfter Abschnitt Von den Rechten und Pflichten der Eheleute in Beziehung auf ihr Vermögen §. 205. Durch die Vollziehung der Ehe geht das Vermögen der Frau in die Verwaltung des Mannes über; in so fern diese Verwaltung der Frau durch Gesetze oder Verträge nicht ausdrücklich vorbehalten worden. Vorbehaltenes Vermögen der Frau. §. 206. Zum gesetzlich vorbehaltenen Vermögen gehört, was nach seiner Beschaffenheit zum Gebrauche der Frau gewidmet ist. §. 207. Ferner die bey Schließung der Ehe von dem Manne versprochene Morgengabe. §. 208. Was außerdem vorbehaltenes Vermögen seyn soll, muß durch Verträge dazu ausdrücklich bestimmt werden. §. 209. Je nachdem dergleichen Vertrag vor, oder nach der Hochzeit errichtet wird, muß dabey die §. 82. sqq. oder §. 198. sqq. bestimmte Form beobachtet werden. Eingebrachtes. §. 210. Was weder durch solche Verträge, noch vermöge des Gesetzes, (§. 206. 207.) der Frau vorbehalten ist, hat die Eigenschaft des Eingebrachten. §. 211. Was die Frau in stehender Ehe erwirbt, erwirbt sie, der Regel nach, dem Manne. (§. 219. 220.) §. 212. Was sie aber während der Ehe, durch Erbschaft, Geschenke, oder Glücksfälle überkommt, wird dem Eingebrachten beygerechnet. §. 213. Auch die darunter begriffenen Mobilien und Kostbarkeiten sind nur dann als vorbehalten anzusehen, wenn sie die §. 206. angeführte Beschaffenheit haben. §. 214. Hat der Erblasser oder Geschenkgeber über die Eigenschaft, welche der Anfall haben soll, etwas bestimmt: so dient diese Bestimmung zur Richtschnur. §. 215. Auch die Eheleute können obige gesetzliche Bestimmung (§. 210-212.) durch ausdrückliche Verträge unter sich abändern. §. 216. Sollen aber Grundstücke oder Capitalien, welche nach gesetzlicher Bestimmung zum Eingebrachten gehören, durch solche Verträge die Eigenschaft des Vorbehaltenen, auch in Beziehung auf einen Dritten, erlangen: so müssen sie auf den Namen der Frau geschrieben werden. §. 217. Was die Frau von den Einkünften des vorbehaltenen Vermögens erspart, wächst diesem Vermögen zu. §. 218. Es muß aber dergleichen Ersparniß, zur Zeit der Absonderung des Vermögens beyder Eheleute, auf den Namen der Frau geschrieben seyn; oder es muß sonst klar erhellen, daß sie den Besitz der ersparten Sachen oder Gelder noch nicht aufgegeben habe. §. 219. Grundstücke und Capitalien, die von den Einkünften eines besondern Gewerbes der Frau angeschafft, und zur Zeit der Vermögensabsonderung auf ihren Namen geschrieben sind, gehören ebenfalls zum Vermögen der Frau.
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§. 220. Sie haben aber, wenn das Gewerbe nicht bloß mit dem vorbehaltenen Vermögen der Frau getrieben, oder sonst ein Anderes ausdrücklich verabredet worden, nur die Eigenschaft des Eingebrachten. […] Von Bürgschaften der Ehefrauen. §. 341. Alles, was die Gesetze bey den Bürgschaften einer Frauensperson überhaupt erfordern, muß auch bey den Verbürgungen einer Ehefrau beobachtet werden. (Th. I. Tit. XIV. §. 221. sqq.) §. 342. Soll für die zum Besten eines Fremden geleistete Bürgschaft auch das Eingebrachte der Ehefrau haften: so ist dazu die Einwilligung des Mannes nothwendig. §. 343. In allen Fällen, wo die Frau, während der Ehe, Bürgschaft für den Mann leisten, seine Schulden übernehmen, oder zum Besten seiner Gläubiger sich ihrer Vorrechte begeben will, muß die Handlung nicht nur gerichtlich, sondern auch mit Zuziehung eines ihr bestellten rechtskundigen Beystandes erfolgen. §. 344. Auch muß ihr in allen dergleichen Fällen die vorgeschriebene Verwarnung geschehen, wenn sie gleich bey einer unverheiratheten Frauensperson nicht erforderlich wäre. […] Achter Abschnitt Von Trennung der Ehe durch richterlichen Ausspruch §. 668. Eine an sich gültige Ehe kann durch richterlichen Ausspruch wieder getrennt werden. Ursachen zur Ehescheidung. 1.) Ehebruch. §. 669. Doch sollen Ehescheidungen nicht anders als aus sehr erheblichen Ursachen statt finden. §. 670. Ehebruch, dessen sich ein Ehegatte schuldig macht, berechtigt den unschuldigen Theil, auf Scheidung zu klagen. §. 671. Wenn aber die Frau sich des Ehebruchs schuldig gemacht hat: so kann sie, unter dem Vorwande, daß dem Manne ein gleiches Versehen zur Last falle, der Scheidung nicht widersprechen. §. 672. Sodomiterey, und andere unnatürliche Laster dieser Art, werden dem Ehebruche gleichgeachtet. §. 673. Eben das gilt von unerlaubtem Umgange, wodurch eine dringende Vermuthung der verletzten ehelichen Treue begründet wird. §. 674. Bloßer Verdacht ist zur Trennung der Ehe nicht hinreichend. §. 675. Ist jedoch scheinbarer Anlaß zu einem solchen Argwohne vorhanden, so muß dem beschuldigten Ehegatten, auf Anrufen des andern, der fernere Umgang mit der verdächtigen Person gerichtlich untersagt werden. §. 676. Setzt derselbe, dieses Verbots ungeachtet, einen vertrauten Umgang mit der verdächtigen Person fort: so ist dieses ein erheblicher Grund zur Ehescheidung. 2) Bösliche Verlassung. §. 677. Auch wegen böslicher Verlassung kann eine Ehe getrennt werden. §. 678. Die bloße Veränderung des bisherigen Aufenthalts ist für eine bösliche Verlassung noch nicht zu achten. §. 679. Vielmehr ist, wenn der Mann einen neuen Wohnort wählt, die Frau ihm dahin zu folgen verbunden.
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§. 680. Wenn sie sich dessen auf ergehende richterliche Verfügung beharrlich weigert: so ist der Mann auf Scheidung anzutragen wohl befugt. §. 681. Dagegen ist die Frau dem Manne zu folgen nicht schuldig, wenn derselbe, wegen begangner Verbrechen, oder sonst wider die Gesetze, sich aus den Königlichen Landen entfernt hat. §. 682. Ingleichen wenn der Frau die Pflicht, dem Manne zu folgen, durch einen vor der Heirath geschlossenen Vertrag erlassen worden. §. 683. In allen Fällen ist der Mann die Frau, welche an seinen veränderten Wohnort ihm folgen will, anzunehmen in der Regel verpflichtet. §. 684. Weigert er sich dessen beharrlich, und ohne hinreichenden Grund (§. 687.): so giebt er dadurch der Frau rechtmäßigen Anlaß, auf die Scheidung anzutragen. §. 685. Verläßt die Frau den Mann ohne dessen Einwilligung, oder rechtmäßigen Grund der Entfernung, so muß sie der Richter zur Rückkehr anhalten. §. 686. Bleibt die richterliche Verfügung fruchtlos: so kann der Mann auf Trennung der Ehe dringen. §. 687. In keinem Falle ist der Mann die Frau, welche sich eigenmächtig und ohne rechtmäßigen Grund von ihm getrennt hat, wenn sie in der Folge zurückkehrt, eher anzunehmen schuldig, als bis sie ihren inzwischen geführten unbescholtenen Wandel durch glaubhafte Zeugnisse nachgewiesen hat. §. 688. Ist der Aufenthalt des entwichenen Ehegatten unbekannt; oder dergestalt außerhalb den Königlichen Staaten entlegen, daß keine richterliche Verfügung zur Wiedervereinigung der getrennten Ehe stattfinden kann, so ist der zurückgebliebene Theil auf öffentliche Vorladung, und wenn auch diese fruchtlos wäre, auf die Scheidung anzutragen berechtigt. §. 689. Doch müssen solche Umstände der Entfernung bescheinigt werden, die wenigstens eine dringende Vermuthung des Vorsatzes, den zurückgebliebenen Ehegatten zu verlassen, begründen. §. 690. Auch kann die öffentliche Vorladung erst nach Verlauf eines Jahres von der Zeit an, da die Entfernung des Entwichenen bemerkt worden, nachgesucht werden. §. 691. Während dieses Jahres muß der zurückgebliebene Ehegatte alle ihm mögliche Mühe anwenden, den Aufenthalt des Weggegangenen auszuforschen. §. 692 Erhellet aus den Umständen, daß der abwesende Ehegatte aus erheblichen und erlaubten Gründen sich entfernt habe: so muß der Zurückgebliebene den Zehnjährigen Zeitraum nach der Entfernung abwarten, und alsdann auf die Todeserklärung antragen. §. 693. Kann von den eigentlichen Gründen der ersten Entfernung mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit nichts ausgemittelt werden: so findet die Klage auf Trennung der Ehe nach Ablauf Zweyer Jahre von dem §. 690. bestimmten Zeitpunkte, und unter der §. 691. bestimmten Maaßgabe statt. 3) Versagung der ehelichen Pflicht. §. 694. Halsstarrige und fortdauernde Versagung der ehelichen Pflicht soll der böslichen Verlassung gleich geachtet werden. §. 695. Ein Ehegatte, welcher durch sein Betragen, bey oder nach der Beywohnung, die Erreichung des gesetzmäßigen Zwecks derselben vorsetzlich hindert, giebt dem andern zur Scheidung rechtmäßigen Anlaß.
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4) Unvermögen. §. 696. Ein auch während der Ehe erst entstandnes, gänzlich und unheilbares Unvermögen zur Leistung der ehelichen Pflicht, begründet ebenfalls die Scheidung. §. 697. Ein Gleiches gilt von andern unheilbaren körperlichen Gebrechen, welche Ekel und Abscheu erregen, oder die Erfüllung der Zwecke des Ehestandes gänzlich verhindern. 5) Raserey und Wahnsinn. §. 698. Raserey und Wahnsinn, in welche ein Ehegatte verfällt, können die Scheidung nur alsdann begründen, wenn sie über Ein Jahr ohne wahrscheinliche Hoffnung zur Besserung fortdauern. (§. 759.) 6) Nachstellungen nach dem Leben. §. 699. Wenn ein Ehegatte dem andern nach dem Leben getrachtet; oder solche Thätlichkeiten an ihm verübt hat, welche desselben Leben oder Gesundheit in Gefahr setzen: so ist der Beleidigte die Trennung der Ehe zu suchen berechtigt. §. 700. Ein Gleiches gilt von groben und widerrechtlichen Kränkungen der Ehre, oder der persönlichen Freyheit des andern Ehegatten. §. 701. Wegen bloß mündlicher Beleidigungen oder Drohungen, ingleichen wegen geringerer Thätlichkeiten sollen Eheleute gemeinen Standes nicht geschieden werden. §. 702. Auch unter Personen mittlern und höhern Standes kann die Scheidung nur alsdann statt finden, wenn der beleidigende Ehegatte sich solcher Thätlichkeiten und Beschimpfungen, ohne dringende Veranlassung, muthwillig und wiederholt schuldig macht. §. 703. Unverträglichkeit und Zanksucht werden eine gegründete Scheidungsursache, wenn sie zu einem solchen Grade der Bosheit steigen, daß dadurch des unschuldigen Theiles Leben oder Gesundheit in Gefahr gesetzt wird. 7) Grobe Verbrechen. §. 704. Grobe Verbrechen gegen andre, wegen welcher ein Ehegatte harte und schmähliche Zuchthaus- oder Festungsstrafe nach Urtel und Recht erlitten hat, berechtigen den daran unschuldigen Theil, die Scheidung zu suchen. §. 705. Ein Gleiches findet statt, wenn ein Ehegatte den andern solcher Verbrechen vor Gericht, gegen besseres Bewußtseyn, fälschlich beschuldigt. §. 706. Ferner, wenn ein Ehegatte durch vorsetzliche unerlaubte Handlungen den andern in Gefahr bringt, Leben, Ehre, Amt oder Gewerbe zu verlieren. §. 707. Wenn ein Ehegatte ein schimpfliches Gewerbe ergreift, so kann der andere auf die Scheidung antragen. 8) Unordentliche Lebensart. §. 708. Wegen Trunkenheit; Verschwendung, oder unordentlicher Wirthschaft des einen Ehegatten, soll die Ehe nicht sogleich getrennt werden. §. 709. Der Richter aber soll, auf Anrufen des andern Theiles, solche Verfügungen treffen, wodurch der Schuldige gebessert, und den nachtheiligen Folgen einer solchen unordentlichen Lebensart vorgebeugt werden kann. §. 710. Vereitelt der schuldige Theil diese richterlichen Veranstaltungen; und fährt er in seinen Unordnungen beharrlich fort: so kann, auf ferneres Anrufen des Unschuldigen, eine solche Ehe getrennt werden.
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9) Versagung des Unterhalts. §. 711. Mangel an Unterhalte berechtigt die Frau nur alsdann zur Scheidung, wenn der Mann durch begangene Verbrechen, Ausschweifungen, oder unordentliche Wirthschaft, sich selbst außer Stand, sie zu ernähren, versetzt hat. §. 712. Versagt aber der Mann der Frau den Unterhalt: so muß der Richter die Verpflegung der Frau nach den Umständen des Mannes bestimmen, und letztern dazu durch Zwangsmittel anhalten. §. 713. Fährt dessen ungeachtet der Mann beharrlich fort, der Frau den Unterhalt zu versagen: so kann letztere zur Ehescheidungsklage gelassen werden. §. 714. Ueberhaupt muß in allen Fällen, wo die Scheidung gesucht wird, der Richter von Amtswegen bemüht seyn, das gute Vernehmen unter den in Zwietracht gerathenen Eheleuten wieder herzustellen, und die Ursachen der entstandenen Mißhelligkeiten aus dem Wege zu räumen. 10) Veränderung der Religion. §. 715. In so weit als der Unterschied der Religion von Anfang an ein Ehehinderniß ist (§. 36.), in so fern giebt ein Ehegatte, durch Veränderung seiner bisherigen Religion, dem andern rechtmäßigen Anlaß, auf die Scheidung zu klagen. 11) Unüberwindliche Abneigung. §. 716. Ganz kinderlose Ehen können auf den Grund gegenseitiger Einwilligung getrennt werden sobald weder Leichtsinn oder Uebereilung, noch heimlicher Zwang an einer oder der andern Seite zu besorgen ist. §. 717. Außer diesem Falle aber findet, bloß wegen behaupteter Abneigung, sobald dieselbe mit keinen gesetzmäßigen Gründen unterstützt ist, die Trennung der Ehe in der Regel keinesweges statt. §. 718. a. Doch soll dem Richter erlaubt seyn, in besondern Fällen, wo nach dem Inhalte der Akten der Widerwille so heftig und tief eingewurzelt ist, daß zu einer Aussöhnung und zur Erreichung der Zwecke des Ehestandes gar keine Hoffnung mehr übrig bleibt, eine solche unglückliche Ehe zu trennen. §. 718. b. Es muß aber in diesem Falle derjenige Ehegatte, welcher solchergestalt ohne eigentlichen gesetzmäßigen Grund, wider den Willen des Andern auf der Scheidung beharret, für den schuldigen Theil erkläret, und in die ScheidungsStrafen nach §. 786. verurtheilt werden. Von der Compensation bey Ehescheidungsklagen. §. 719. Wenn der auf die Scheidung dringende Ehegatte den andern, welcher die Ehe fortsetzen will, zu denjenigen Vergehungen, worauf die Klage gegründet wird, durch sein unsittliches Betragen selbst veranlaßt hat: so findet die Scheidungsklage nicht statt. Von der Remission. §. 720. Beleidigungen, welche einmal ausdrücklich verziehen worden, können in der Folge nicht weiter als Ehescheidungs-Ursachen gerügt werden. §. 721. Einer ausdrücklichen Verzeihung wird gleich geachtet, wenn der beleidigte Ehegatte, nach erhaltener überzeugender Kenntniß, die Ehe Ein Jahr hindurch fortgesetzt hat. §. 722. Bloß aus Leistung der ehelichen Pflicht, wozu beyde Theile vor Anstellung der Klage verbunden waren, soll kein Verzicht auf das Recht zur Scheidungsklage gefolgert werden. […]
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Abfindung des unschuldigen Theiles. §. 783. Wenn nun nach obigen Vorschriften das Vermögen der beyden geschiedenen Eheleute von einander abgesondert worden: so ist der schuldige Ehegatte den unschuldigen, wegen der künftigen Erbfolge, aus seinem Vermögen abzufinden schuldig. §. 784. Es wird alsdann angenommen, als ob der schuldige Theil an dem Tage des publicirten und rechtskräftig gewordenen Scheidungsurtels (§. 769. 770. 771.) gestorben wäre. §. 785. Sind über die künftige Erbfolge keine Verträge vorhanden; und ist die Ehe wegen der §. 748. benannten groben Vergehungen getrennt worden: so besteht die Abfindung des Unschuldigen in dem Vierten Theile von dem Vermögen des Schuldigen. §. 786. Sind aber nur minder schwere Vergehungen die Ursache der Scheidung gewesen: so wird die Abfindung auf den Sechsten Theil bestimmt. […] Eilfter Abschnitt Von den rechtlichen Folgen des unehelichen Beyschlafes 1. Erste Art der Entschädigung, Entbindungs- und Wochenkosten. §. 1027. Wer eine Person außer der Ehe schwängert, muß die Geschwächte entschädigen, und das Kind versorgen. §. 1028. In der Regel kann jede Geschwächte von dem Schwängerer Niederkunfts- und Taufkosten, ingleichen sechswöchentliche ihrem Stande gemäße Verpflegung fordern. §. 1029. Auch andere während der Schwangerschaft oder nach der Niederkunft, aufgelaufene unvermeidlich gewesene Kosten, ist der Schwängerer zu übernehmen verbunden. §. 1030. Wenn die Geschwächte während der Wochen stirbt: so muß der Schwängerer die Begräbnißkosten tragen; in so fern dieselben aus ihrem Nachlasse nicht bestritten werden können. §. 1031. Die §. 1028. beschriebenen Kosten und Verpflegungsgelder kann die Geschwächte noch vor der Niederkunft einklagen. §. 1032. Ist die Schwangerschaft ausgemittelt, und der Beyschlaf überhaupt eingestanden, oder einigermaßen bescheinigt: so muß der Richter die Summe dieser Kosten durch ein vorläufiges Dekret festsetzen. §. 1033. Doch steht dem Beklagten frey, diesen festgesetzten Betrag, bis zur erfolgenden Entbindung, gerichtlich niederzulegen. §. 1034. Erfolgt innerhalb der gesetzmäßigen Zeit (§. 1089.) keine Entbindung: so kann er die niedergelegte Summe zurückfordern. §. 1035. Auch findet die Rückforderung in sofern statt, als wegen erfolgten Absterbens der Mutter, oder des Kindes; die Verpflegungs- oder Taufkosten nicht gebraucht worden sind. §. 1036. Der Einwand, daß die Geschwächte auch Andern den Beyschlaf gestattet habe, befreyet den Beklagten nicht von dieser ersten Art der Entschädigung. Wer diese Entschädigung nicht fordern könne. §. 1037. Frauenspersonen, die sich in öffentlichen Hurenhäusern aufhalten, können selbst auf diese geringere Entschädigung keinen Anspruch machen. §. 1038. Ein Gleiches gilt von solchen, die sich Mannspersonen gegen Bezahlung zur Wollust überlassen.
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§. 1039. Ferner von Ehefrauen, die bey ihren Männern leben, wenn sie auch während der Ehe sich mit andern fleischlich vermischt hätten. §. 1040. Frauenspersonen, welche die Mannspersonen zum Beyschlafe verleitet haben, können diese geringere Art der Entschädigung nur alsdann fordern, wenn sie die Kosten der Niederkunft, der Taufe, und der Wochen, ganz oder zum Theil, aus eignen Mitteln zu bestreiten nicht vermögend sind. Wer sich damit begnügen müsse. §. 1041. Mit dieser ersten Art der Entschädigung müssen diejenigen für ihre Person sich begnügen, die vorhin schon außer der Ehe geschwängert worden. §. 1042. Ferner die Ehefrauen, welche zwar noch in der Ehe, aber von ihren Männern getrennt leben. §. 1043. Desgleichen diejenigen, welche sich vormals in Hurenhäusern aufgehalten haben, oder wegen eines unzüchtigen Lebenswandels berüchtiget sind. II. Zweyte Art der Entschädigung. §. 1044. Wer aber eine unbescholtene ledige Weibsperson außer der Ehe schwängert, der ist ihr deshalb möglichst vollständige Genugthuung zu leisten verbunden. §. 1045. Wittwen werden, in ähnlichen Fällen, den Jungfrauen gleich geachtet. §. 1046. Auch geschiedene Frauen haben gleiche echte, wenn sie nicht begangenen Ehebruchs halber geschieden worden. 1) Wenn die Ehe versprochen worden, und keine Ehehindernisse entgegen stehn. §. 1047. Hat der Verführer die Geschwächte unter dem Versprechen der Ehe geschwängert, und stehen keine Ehehindernisse entgegen; so muß derselbe von dem Richter, allenfalls mit Zuziehung eines Geistlichen, ernstlich aufgefordert und angemahnet werden, die Ehe mit der Geschwächten wirklich zu vollziehen. §. 1048. Weigert er sich dessen beharrlich, so soll zwar kein Zwang zur Vollziehung der Ehe durch priesterliche Copulation Statt finden. §. 1049. Dagegen sollen aber in dem abzufassenden Erkenntnisse der Geschwächten der Name, Stand und Rang des Schwängerers, so wie überhaupt alle Rechte einer geschiedenen für den unschuldigen Theil erklärten Ehefrau desselben, beygelegt werden. §. 1050. Dieser Rechte soll sie sich im bürgerlichen Leben, und bey allen Verhandlungen desselben, würklich zu erfreuen haben. §. 1051. Auch sind ihr, zu ihrer Abfindung, die gesetzlichen Ehescheidungsstrafen aus dem Vermögen, oder den Einkünften des Schwängerers zuzuerkennen. §. 1052. Ob diese Strafen nach §. 785. auf den Vierten, oder nach §. 786. nur auf den Sechsten Theil zu bestimmen, bleibt nach Bewandniß der Umstände eines jeden Falles, der mehrern oder mindern von dem Verführer gebrauchten Arglist, der Größe seines Vermögens, und des Standes der Geschwächten, richterlichem Ermessen vorbehalten. 2) Wenn Ehehindernisse entgegenstehn. §. 1053. Wenn der Ehe des Schwängerers mit der Geschwächten gesetzliche Hindernisse, außer der Ungleichheit des Standes, (§. 1066.) entgegenstehen, so muß der Richter gleich bey Aufnehmung der Klage prüfen: ob diese Hindernisse gehoben werden können. §. 1054. Sind die Hindernisse so beschaffen, daß eine Hebung derselben nach gesetzlichen Vorschriften erfolgen kann; so muß dem Schwängerer eine verhältnißmäßige Zeit bestimmt werden, binnen welcher derselbe das Hinderniß aus dem Wege räumen, und sodann die Ehe würklich vollziehen solle.
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§. 1055. Kann oder will er dieses nicht bewürken; so kann zwar auf Vollziehung der Ehe nicht geklagt werden. §. 1056. Dagegen muß aber der Schwängerer der Geschwächten die Ehescheidungsstrafen, nach Bestimmung §. 1052., zu ihrer Abfindung entrichten. §. 1057. Auch wird der Geschwächten in dem Urtel die Befugniß beygelegt, bis zu ihrer wirklichen Verheirathung den Namen des Schwängerers zu führen. §. 1058. Vermöge eben dieses Urtels hat sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft aller Befugnisse einer rechtmäßigen, obwohl geschiedenen Ehefrau zu erfreuen. […] 3) Wenn Ungleichheit des Standes das Ehehinderniß ist. §. 1066. Besteht das Ehehinderniß bloß in der Ungleichheit des Standes: (§. 3033.) so muß der Schwängerer binnen einer zu bestimmenden Frist erklären, ob er die Landesherrliche Erlaubniß zu einer Ehe zur linken Hand mit der Geschwächten nachsuchen könne und wolle. §. 1067. Sucht und erhält er diese Erlaubniß würklich, so ist ferner nach den Vorschriften des Neunten Abschnitts zu verfahren. §. 1068. Kann oder will er die Erlaubniß nicht suchen, oder wird ihm dieselbe versagt; so finden die Vorschriften §. 1056. 1058. 1059. und 1065. Anwendung. §. 1069. Nach eben diesen Vorschriften ist zu verfahren, wenn die Geschwächte von Anfang an erkläret, den Schwängerer zur linken Hand nicht heyrathen zu wollen; oder wenn gleich bey Aufnehmung der Klage sich mit Gewißheit ergiebt, daß der Schwängerer die Erlaubniß nicht suchen könne, oder dieselbe nicht suchen zu wollen, fest entschlossen sey. §. 1070. In beyden Fällen (§. 1068. 1069.) soll jedoch nur auf die Ehescheidungsstrafen nach §. 786. erkannt werden. 4) Wenn die Geschwächte das Ehehinderniß gewußt hat. §. 1071. Alle obige Vorschriften (§. 1053-1070.) gelten nur in dem Falle, wenn der Geschwächten das Ehehinderniß unbekannt gewesen. §. 1072. Hat sie aber dasselbe gewußt, und ist ihr insonderheit bekannt gewesen, daß der Schwängerer unter Aeltern, Vormündern, oder ändern Personen stehe, ohne deren Consens er keine gültige Ehe schließen kann, so muß sie mit einer bloßen Abfindung sich begnügen. 5) Wenn kein Eheversprechen geschehen. §. 1073. Ein Gleiches findet Statt, wenn die Schwängerung nicht unter dem Versprechen der Ehe geschehen ist, und der Schwängerer die Geschwächte nicht heyrathen will. 6) Wenn kein lebendiges Kind gebohren worden. §. 1074. Ferner, wenn kein lebendiges Kind aus dem Beischlafe zur Welt gebohren worden. §. 1075. Ist die Frucht in der Geburt, oder binnen vier und zwanzig Stunden nach derselben verstorben, so kann die Geschwächte ebenfalls nur Abfindung fordern. […]
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Zweyter Titel Von den wechselseitigen Rechten und Pflichten der Aeltern und Kinder Erster Abschnitt Von ehelichen Kindern Rechtmäßigkeit der Kinder, welche I) in stehender Ehe; §. 1. Die Gesetze gründen die Vermuthung, daß Kinder, die während einer Ehe erzeugt, oder geboren worden, von dem Manne erzeugt sind. §. 2. Gegen diese gesetzliche Vermuthung soll der Mann nur alsdann gehört werden, wenn er überzeugend nachweisen kann, daß er der Frau in dem Zwischenraume, vom dreyhundert zweyten, bis zum zweyhundert zehnten Tage vor der Geburt des Kindes, nicht ehelich beygewohnt habe. §. 3. Gründet er sich dabey in einem Zeugungsunvermögen: so muß er nachweisen, daß dergleichen völliges Unvermögen, während dieses ganzen Zeitraums bey ihm obgewaltet habe. §. 4. Gründet er sich in der Abwesenheit: so muß nachgewiesen werden, daß der Mann in eben diesem ganzen Zeitraume dergestalt ununterbrochen von der Frau entfernt gewesen, daß er ihr die eheliche Pflicht nicht leisten können. §. 5. Der bloße Nachweis, daß die Mutter um die Zeit, da das Kind gezeugt worden, Ehebruch getrieben habe, ist noch nicht hinreichend, dem Kinde die Rechte der ehelichen Geburt zu entziehen. §. 6. Das Zeugniß der Mutter soll weder für, noch wider die Rechtmäßigkeit eines in stehender Ehe erzeugten oder gebornen Kindes, etwas beweisen. […] Zweyter Abschnitt Von den Rechten und Pflichten der Aeltern und der aus einer Ehe zur rechten Hand erzeugten Kinder, so lange die letztern unter väterlicher Gewalt stehen Allgemeine Rechte ehelicher Kinder. §. 58. Kinder aus einer Ehe zur rechten Hand führen den Namen des Vaters. §. 59. Sie erlangen die Rechte seiner Familie und seines Standes, in so fern letztere durch die bloße Geburt fortgepflanzt worden. §. 60. Sie sind eben der Gerichtsbarkeit, wie der Vater, unterworfen, und bleiben darunter auch nach seinem Tode, so lange sie diesen Gerichtsstand auf eine gesetzmäßige Art nicht verändert haben. Allgemeine Pflichten derselben §. 61. Kinder sind beyden Aeltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig. §. 62. Vorzüglich aber stehen sie unter väterlicher Gewalt. §. 63. Sie sind verbunden die Aeltern in Unglück und Dürftigkeit nach ihren Kräften und Vermögen zu unterstützen, und besonders in Krankheiten deren Pflege und Wartung zu übernehmen. Rechte und Pflichten der Aeltern: 1) wegen der Verpflegung. §. 64. Beyde Eheleute müssen für standesmäßigen Unterhalt und Erziehung der Kinder mit vereinigten Kräften Sorge tragen. §. 65. Hauptsächlich muß jedoch der Vater die Kosten zur Verpflegung der Kinder hergeben. §. 66. Körperliche Pflege und Wartung, so lange die Kinder deren bedürfen; muß die Mutter selbst, oder unter ihrer Aufsicht besorgen. §. 67. Eine gesunde Mutter ist ihr Kind selbst zu säugen verpflichtet.
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§. 68. Wie lange sie aber dem Kinde die Brust reichen solle, hängt von der Bestimmung des Vaters ab. §. 69. Doch muß dieser, wenn die Gesundheit der Mutter oder des Kindes unter seiner Bestimmung leiden würde, dem Gutachten der Sachverständigen sich unterwerfen. §. 70. Vor zurückgelegtem Vierten Jahre kann der Vater das Kind, wider den Willen der Mutter, ihrer Aufsicht und Pflege nicht entziehen. §. 71. Es wäre denn, daß es der Mutter an Kräften, oder am Willen fehlte, ihrer Obliegenheit ein Gnüge zu leisten. §. 72. Entsteht darüber ein Streit unter den Eheleuten: so muß das vormundschaftliche Gericht die Sache untersuchen, und den Streit, jedoch ohne Zulassung eines förmlichen Prozesses, entscheiden. §. 73. Bey der Untersuchung muß jedoch ein am Orte befindlicher Verwandter von Seiten eines jeden der beyden Eheleute, oder in deren Ermangelung, zwey Bekannte und Standesgenossen zugezogen werden. 2) wegen der Erziehung und des Unterrichts. §. 74. Die Anordnung der Art, wie das Kind erzogen werden soll, kommt hauptsächlich dem Vater zu. §. 75. Dieser muß vorzüglich dafür sorgen, daß das Kind in der Religion und nützlichen Kenntnissen den nöthigen Unterricht, nach seinem Stande und Umständen, erhalte. §. 76. Sind die Aeltern verschiednen Glaubensbekenntnissen zugethan: so müssen, bis nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre, die Söhne in der Religion des Vaters, die Töchter aber in dem Glaubensbekenntnisse der Mutter unterrichtet werden. §. 77. Zu Abweichungen von diesen gesetzlichen Vorschriften kann keines der Aeltern das Andere, auch nicht durch Verträge, verpflichten. §. 78. So lange jedoch Aeltern, über den ihren Kindern zu ertheilenden Religionsunterricht einig sind, hat kein Dritter ein Recht, ihnen darin zu widersprechen. §. 79. Uebrigens benimmt die Verschiedenheit des kirchlichen Glaubensbekenntnisses Keinem der Aeltern die ihm sonst wegen der Erziehung zustehenden Rechte. §. 80. Auch nach dem Tode der Aeltern muß der Unterricht der Kinder in dem Glaubensbekenntnisse desjenigen von ihnen, zu dessen Geschlecht sie gehören, fortgesetzt werden. §. 81. Auf eine in der letzten Krankheit erst erfolgte Religionsänderung wird dabey keine Rücksicht genommen. §. 82. Hat aber der verstorbene Ehegatte ein zu seinem Geschlechte gehöriges Kind, wenigstens durch das ganze letzte Jahr vor seinem Tode, in dem Glaubensbekenntnisse des andern Ehegatten unterrichten lassen: so muß dieser Unterricht in eben der Art, auch nach seinem Tode, bis zum vollendeten Vierzehnten Jahre des Kindes, fortgesetzt werden. §. 83. Vor zurückgelegtem Vierzehnten Jahre darf keine Religionsgesellschaft ein Kind zur Annahme oder zum öffentlichen Bekenntnisse einer andern Religion, als wozu dasselbe nach vorstehenden gesetzlichen Bestimmungen gehört, selbst nicht mit Einwilligung der Aeltern seines Geschlechts zulassen.
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§. 84. Nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre hingegen steht es lediglich in der Wahl der Kinder, zu welcher Religionspartey sie sich bekennen wollen. §. 85. Auch wenn das Kind eine andere, als die Religion beyder Aeltern wählt, wird dadurch in den Rechten und Pflichten der Aeltern, wegen der Erziehung, Verpflegung und Versorgung, nichts geändert. 3) Rechte der älterlichen Zucht. §. 86. Die Aeltern sind berechtigt, zur Bildung der Kinder alle der Gesundheit derselben unschädliche Zwangsmittel zu gebrauchen. §. 87. Finden sie diese nicht hinreichend: so muß ihnen das vormundschaftliche Gericht, auf gebührendes Anmelden, hülfreiche Hand leisten. §. 88. Dies Gericht muß das Verhalten der Aeltern sowohl, als des Kindes, summarisch, und ohne Zulassung eines förmlichen Prozesses untersuchen. §. 89. Nach Befinden der Umstände muß alsdann die Art und Dauer der anzuwendenden Besserungsmittel von ihm bestimmt werden. §. 90. Sollten Aeltern ihre Kinder grausam mißhandeln; oder zum Bösen verleiten; oder ihnen den nothdürftigen Unterhalt versagen: so ist das vormundschaftliche Gericht schuldig, sich der Kinder von Amts wegen anzunehmen. §. 91. Nach Befund der Umstände kann den Aeltern, in einem solchen Falle, die Erziehung genommen, und auf ihre Kosten andern zuverläßigen Personen anvertrauet werden. 4) Von Erziehung der Kinder aus geschiedenen Ehen. §. 92. Sind die Aeltern geschieden worden: so müssen die Kinder der Regel nach bey dem unschuldigen Theile erzogen werden. §. 93. Ist der Vater zwar der schuldige Theil; die Ursache der Scheidung aber nicht so beschaffen, daß daraus die gegründete Besorgniß einer schlechten Erziehung entsteht: so kann er verlangen, daß ihm die Erziehung der Söhne gelassen werde. §. 94. Die Pflege der Kinder, welche das Vierte Jahr noch nicht zurückgelegt haben, verbleibt, ohne Unterschied des Geschlechts, bis zur Zurücklegung dieses Alters der auch für schuldig erklärten Mutter; in so fern die vorgekommenen Scheidungsursachen nicht von einer solchen Verderbniß des moralischen Charakters zeugen, daß dadurch erhebliche Besorgnisse einer Vernachlässigung der Kinder begründet werden. §. 95. Ist Keiner der Aeltern für den schuldigen Theil erklärt: so werden die Kinder bis nach vollendetem Vierten Jahre bey der Mutter, sodann aber bey dem Vater erzogen. §. 96. Doch kann, wenn Töchter darunter sind, der Richter die Erziehung derselben überhaupt, bewandten Umständen nach, der Mutter anvertrauen. §. 97. Die Anordnungen; welche wegen Erziehung der Kinder bey dem Einen der gewesenen Ehegatten nach obigen Grundsätzen getroffen worden, können auf das Anrufen des Andern wieder aufgehoben werden, wenn eine erhebliche Besorgniß der Vernachläßigung, oder schlechten Erziehung erst in der Folge eintritt; oder zum Vorschein kommt. §. 98. Hat dergleichen Besorgniß sich bey der Scheidung in Ansehung beyder, gewesenen Eheleute offenbart: so muß der den Kindern bestellte Curator, wegen deren Erziehung: an einem dritten Orte Vorschläge machen. §. 99. Der Richter muß alsdann das Nöthige deshalb von Amts wegen verordnen.
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§. 100. Ein Gleiches kann geschehen, ohne daß es nöthig ist, den Antrag des andern geschiedenen Theils abzuwarten, wenn die Gründe einer solchen erheblichen Besorgniß erst nach der Scheidung eintreten oder bekannt werden. §. 101. Sind beyde Aeltern, oder eins derselben, von der Erziehung ausgeschlossen: so soll ihnen doch der Zutritt zu den Kindern nicht gänzlich versagt werden. §. 102. Es bleibt aber richterlichem Ermessen vorbehalten: wie oft, und unter welcher Aufsicht dergleichen Besuche zu gestatten sind. §. 103. Die Kosten der Erziehung müssen, auch nach der Scheidung, hauptsächlich von dem Vater getragen werden. §. 104. Doch kann derselbe von der für schuldig erklärten Mutter einen Beytrag, nach Verhältniß ihres Vermögens oder Erwerbes, bis höchstens auf die Hälfte des erforderlichen baaren Aufwandes verlangen. §. 105. In so fern nach §. 94. der für schuldig erklärten Mutter dennoch die Erziehung der Kinder bis zum Vierten Jahre gelassen wird, muß sie die Kosten derselben allein übernehmen. §. 106. Muß die Pflege der Kinder bis zu diesem Alter Andern anvertraut werden: so fallen die dabey auflaufenden baaren Auslagen hauptsächlich der Mutter zur Last. §. 107. Ist der Vater die Kosten der Erziehung ganz oder zum Theil aufzubringen unvermögend: so bleibt allemal, und ohne Unterschied der Fälle, den Kindern ihr Recht deshalb an die auch unschuldige Mutter vorbehalten. §. 108. Die Aeltern sind schuldig, ihre Kinder zu künftigen brauchbaren Mitgliedern des Staats, in einer nützlichen Wissenschaft, Kunst, oder Gewerbe, vorzubereiten. 5) Rechte und Pflichten der Aeltern bey der Wahl einer Lebensart für die Kinder. §. 109. Die Bestimmung der künftigen Lebensart der Söhne hängt zunächst von dem Ermessen des Vaters ab. §. 110. Er muß aber dabey auf die Neigung, Fähigkeiten, und körperlichen Umstände des Sohnes vorzügliche Rücksicht nehmen. §. 111. Bis nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre muß sich der Sohn der Anordnung des Vaters schlechterdings unterwerfen. §. 112. Bey alsdann fortdauernder gänzlicher Abneigung des Sohnes gegen die von dem Vater gewählte Lebensart, muß das vormundschaftliche Gericht, mit Zuziehung eines oder zweyer am Orte befindlichen nächsten Verwandten, und der Lehrer des Sohns, die beyderseitigen Gründe prüfen. §. 113. Das Gericht muß solche Einrichtungen zu treffen bemüht seyn, daß die der Neigung und Fähigkeit des Sohnes, so wie dem Stande und Vermögen des Vaters gemäßeste Lebensart gewählt werden. §. 114. In zweifelhaften Fällen ist diejenige Einrichtung, welche der Vater treffen will, zu genehmigen; und von dieser kann nur alsdann abgegangen werden, wenn auf eine überzeugende Art erhellet, daß dieselbe zu einem erheblichen und dauernden Nachtheile für den Sohn ausschlagen möchte. §. 115. Doch soll der Sohn wider seinen Willen zum Studiren niemals angehalten; noch der Vater, die Kosten des Studirens für den Sohn herzugeben, wider seinen Willen jemals genöthigt werden.
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§. 116. Will der Sohn von der einmal mit Zustimmung des Vaters, oder sonst, freywillig gewählten Lebensart zu einer andern übergehn: so ist der Vater, die durch eine solche Veränderung entstehenden größern Kosten herzugeben, in der Regel nicht schuldig. §. 117. Kann jedoch der Sohn erhebliche Gründe dazu anführen: so muß nach der Vorschrift §. 112.–115. verfahren werden. §. 118. In wie fern nach des Vaters Tode der Mutter ein Einfluß auf die Wahl der Lebensart der Kinder gebühre, wird in dem Titel von Vormundschaften verordnet. […] Neunter Abschnitt Von den aus unehelichem Beyschlafe erzeugten Kindern Legitimation unehelicher Kinder durch richterlichen Ausspruch. §. 592. Die aus unehelichem Beyschlafe erzeugten Kinder erhalten in allen Fällen, wo der Mutter die Rechte einer würklichen Ehefrau des Schwängerers durch richterlichen Ausspruch beygelegt worden, die Rechte der aus einer vollgültigen Ehe erzeugten Kinder. §. 593. Diese Rechte verbleiben ihnen, auch wenn die Ehe zwischen den Aeltern, wegen beharrlicher Weigerung des Vaters, durch die Trauung nicht vollzogen wird. §. 594. Hat aber die Mutter innerhalb der gesetzlichen Frist (Tit. I. §. 1095.) auf die Vollziehung der Ehe nicht geklagt: so können die Kinder der davon abhängenden Rechte der ehelichen Geburt sich niemals anmaßen. §. 595. Doch können die Kinder den von der Mutter bereits angestellten Prozeß, wenn sie vor dessen Entscheidung verstirbt, zu dem Ende fortsetzen, daß ihnen selbst die Rechte ehelicher Kinder zuerkannt werden mögen. durch Heirath mit der Mutter. §. 596 Wenn ein Schwängerer die Geschwächte, auch ohne Prozeß und Erkenntniß, wirklich heirathet: so erlangt das aus dem unehelichen Beyschlafe erzeugte Kind, eben dadurch, in allen durch besondere Gesetze nicht ausdrücklich ausgenommenen Fällen, die Rechte und Verbindlichkeiten eines ehelichen. durch gerichtliche Erklärung des Vaters. §. 597. Ein mit einer förmlich verlobten Braut erzeugtes Kind, erlangt die Rechte eines ehelichen schon durch die bloße gerichtliche Erklärung des Vaters, wenn gleich die Ehe mit der Mutter nicht wirklich vollzogen worden. […] durch obrigkeitliche Declaration. §. 601. Hat unter den Aeltern keine Ehe statt gefunden: so kann dennoch der Vater auf die Legitimation des unehelich erzeugten Kindes bey Hofe antragen. §. 602. Bey der Prüfung eines solchen Gesuchs muß zugleich darauf: ob die Legitimation dem Kinde zuträglich sey, gesehen, und wenn dabey ein Bedenken sich findet, das Kind selbst, oder wenn dasselbe noch minderjährig ist, ein ihm zu bestellender Curator vernommen werden. §. 603. Durch diese Legitimation erhält das Kind den Stand des Vaters, und in Ansehung seiner, alle Rechte und Pflichten eines ehelichen Kindes. […] Rechte der unehelichen Kinder, Verpflegung und Erziehung. §. 612. Unehelich geborne Kinder, welche weder durch eine nachfolgende Verheirathung der Aeltern, noch durch richterlichen Ausspruch, noch durch Legitimation, die Rechte der ehelichen erlangt haben, können von dem Vater bloß Unterhalt und Erziehung fordern.
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§. 613. Dazu ist der Vater verpflichtet, auch wenn die Mutter, nach dem Eilften Abschnitte des Ersten Titels, entweder gar keine, oder nur die geringere Art der Entschädigung zu fordern hat. §. 614. Sobald das Daseyn eines unehelichen Kindes, es sey durch einen unter den Aeltern entstehenden Prozeß, oder sonst durch glaubwürdige Anzeige, dem vormundschaftlichen Gerichte bekannt wird, muß dasselbe dem Kinde von Amtswegen einen Vormund bestellen. §. 615. Dieser muß die Rechte des Kindes gegen den unehelichen Vater wahrnehmen; und mit beyden Aeltern, wegen dessen Erziehung und Verpflegung, die nöthigen Einrichtungen, unter Aufsicht des vormundschaftlichen Gerichts, verabreden. §. 616. Der Vormund ist befugt und schuldig, darauf zu sehen, daß die getroffene Einrichtung befolgt werde; und wenn dieses nicht geschieht, dem vormundschaftlichen Gerichte davon, zur weitern Verfügung, Anzeige zu machen. §. 617. Läugnet der angegebne Vater, daß das Kind von ihm erzeugt sey: so muß der Vormund, auch wenn es die Mutter auf den Prozeß nicht ankommen lassen will, dennoch zum Besten des Kindes auf rechtliches Gehör und Erkenntniß darüber antragen. §. 618. Bey der Untersuchung und Beurtheilung: ob das Kind von dem angegebenen Vater erzeugt sey, muß nach den im Eilften Abschnitte des vorigen Titels enthaltenen Grundsätzen verfahren werden. §. 619. Hat die Mutter in dem Zeitraume, in welchem, nach diesen Grundsätzen, die Erzeugung des Kindes trifft, mit mehrern Mannspersonen zugehalten: so hängt es von dem nach den Umständen sich richtenden Befunde des Vormundes ab, welchen derselben er, auf Erfüllung der einem unehelichen Kinde schuldigen Pflichten, zuerst in Anspruch nehmen wolle. §. 620. Wird aber dieser entbunden; oder ist er diese Pflichten zu erfüllen unvermögend: so kann der Vormund die Rechte des Kindes auch gegen die übrigen Zuhalter, einen nach dem andern, geltend machen. §. 621. Die Verpflegung und Erziehung des Kindes bis nach zurückgelegtem Vierten Jahre, muß in der Regel der Mutter, auf Kosten des Vaters, überlassen werden. §. 622. Nach zurückgelegtem Vierten Jahre hängt es von der Wahl des Vaters ab, die Verpflegung und Erziehung des Kindes selbst zu besorgen, oder sie der Mutter auf seine Kosten ferner zu überlassen. §. 623. Will die Mutter die Erziehung und Verpflegung des Kindes auf ihre alleinige Kosten übernehmen: so hat der Vater kein Recht zum Widerspruche. §. 624. Findet das vormundschaftliche Gericht, daß dem Vater, ohne Besorgniß eines Nachtheils für das Kind, die Erziehung nicht anvertrauet werden könne: so kann es dieselbe, auf Kosten des Vaters, der Mutter übertragen. §. 625. Ist die Aufführung beyder Aeltern so beschaffen, daß Keinem von ihnen die Erziehung des Kindes anvertrauet werden kann: so muß das vormundschaftliche Gericht nach der Vorschrift §. 89. sqq. verfahren. §. 626. In allen Fällen, wo die Verpflegungs- und Erziehungskosten nach Gelde bestimmt werden sollen, ist nur auf das zu rechnen, was Leuten vom Baueroder gemeinen Bürgerstande die Erziehung eines ehelichen Kindes, nebst dem Schul- und Lehrgelde, kosten würde.
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§. 627. Dabey muß auf die jeden Orts gewöhnlichen Preise, und auf die mit zunehmenden Jahren wachsenden Bedürfnisse des Kindes Rücksicht genommen werden. §. 628. Ist der Vater für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes solchergestalt zu sorgen nicht vermögend: so geht diese Pflicht auf die Großältern von väterlicher Seite über. §. 629. Erst in deren Ermangelung, oder bey deren Unvermögen, sind die Mutter und die mütterlichen Großältern dazu verpflichtet. §. 630. Besitzt jedoch die Mutter so viel eigenthümliches Vermögen, daß sie aus den Einkünften desselben, ohne Abbruch ihres eigenen Unterhalts, das Kind ernähren kann: so ist sie dazu nächst dem unehelichen Vater, und vorzüglich vor dessen Aeltern verbunden. §. 631. Kann der Vater eines unehelichen Kindes nicht ausgemittelt werden: so fällt die Pflicht der Verpflegung und Erziehung unmittelbar auf die Mutter, und deren Aeltern. §. 632. Sind auch diese nicht mehr vorhanden, oder unvermögend: so ist der Staat für den Unterhalt und die Erziehung solcher Kinder, durch die jeden Orts bestehenden Armenanstalten, zu sorgen verpflichtet. deren Dauer. §. 633. Die Verbindlichkeit der Aeltern zur Verpflegung unehelicher Kinde dauert nur bis nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre. §. 634. Nach diesem Zeitpunkte müssen die Kinder sich ihren Unterhalt selbst erwerben. §. 635. Sind jedoch unehelich geborne Söhne zu einem Handwerke oder Profession gegeben worden: so muß der Vater auch das fernere Lehr- ingleichen das Lossprechegeld berichtigen. §. 636. Hat, auch außerdem, der Vater das Kind zu einem Gewerbe erziehen lassen, mit welchem es sich nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre seinen Unterhalt noch nicht verdienen kann: so muß der Vater die Verpflegung so lange fortsetzen, bis das Kind mit diesem von ihm gewählten Gewerbe sich selbst zu ernähren vermögend ist. §. 637. Werden uneheliche Kinder durch Krankheit, oder sonst fehlerhafte Leibes- oder Gemüthsbeschaffenheit, außer Stand gesetzt, sich ihren Unterhalt zu erwerben: so können sie von den Aeltern oder Großältern die nothwendige Verpflegung auch ferner fordern. §. 638. Dagegen müssen aber auch uneheliche Kinder die nothleidenden Aeltern und Großältern, in Ermangelung anderer dazu näher verpflichteten Personen, nach ihrem Vermögen unterstützen. Rechte des Standes und der Familie. §. 639. Uneheliche Kinder treten weder in die Familie des Vaters, noch der Mutter. §. 640. Doch führen sie den Geschlechtsnamen der Mutter, und gehören zu demjenigen Stande, in welchem die Mutter, zur Zeit der Geburt, sich befunden hat. §. 641. Ist aber die Mutter von adlicher Herkunft: so kann dennoch das uneheliche Kind adlichen Namens und Wappens sich nicht anmaßen. §. 642. Uneheliche Kinder werden bis zum geendigten Vierzehnten Jahre in dem Glaubensbekenntnisse der Mutter erzogen.
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§. 643. Doch muß, wenn der Vater ein Christ, die Mutter aber irgend einer andern Religions-Partey zugethan ist, ein solches uneheliches Kind, bis nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre, in der christlichen Religion erzogen werden. §. 644. Uneheliche Kinder stehen nicht unter der Gewalt des Vaters, sondern nur unter der vom Staate für sie verordneten Vormundschaft. §. 645. Die persönlichen Rechte der Aeltern über sie erstrecken sich nicht weiter, als es der Zweck der Erziehung erfordert. §. 646. Insonderheit hängt die Wahl der Lebensart, zu welcher das Kind gewidmet werden soll, nicht von dem Vater, sondern von der Vormundschaft ab. […] Fünfter Titel Von den Rechten und Pflichten der Herrschaften und des Gesindes I) Von gemeinem Gesinde. §. 1. Das Verhältniß zwischen Herrschaft und Gesinde gründet sich auf einen Vertrag, wodurch der eine Theil zur Leistung gewisser häuslichen Dienste auf eine bestimmte Zeit, so wie der andere zu einer dafür zu gebenden bestimmten Belohnung sich verpflichtet. Wer Gesinde miethen kann. §. 2. In der ehelichen Gesellschaft kommt es dem Manne zu, das nöthige Gesinde zum Gebrauche der Familie zu miethen. §. 3. Weibliche Dienstboten kann die Frau annehmen, ohne daß es dazu der ausdrücklichen Einwilligung des Mannes bedarf. §. 4. Doch kann der Mann, wenn ihm das angenommene Gesinde nicht anständig ist, dessen Wegschaffung, nach verflossener gesetzmäßigen Dienstzeit, ohne Rücksicht auf die im Contrakte bestimmte, verfügen. Wer als Gesinde sich vermiethen kann. §. 5. Wer sich als Gesinde vermiethen will, muß über seine Person frey zu schalten berechtigt seyn. §. 6. Kinder, die unter väterlicher Gewalt stehen, dürfen ohne Einwilligung des Vaters, und Minderjährige ohne Genehmigung ihres Vormunds, sich nicht vermiethen. §. 7. Verheirathete Frauen dürfen nur mit Einwilligung ihrer Männer als Ammen, oder sonst, in Dienste gehn. […] Achter Titel Vom Bürgerstande […] Siebenter Abschnitt Von Kaufleuten I. Wem die Rechte der Kaufleute zukommen. […] §. 491. Auch wird von einer Frauensperson, welche Eigenthümerin einer Handlung ist, so lange angenommen, daß sie dieser Handlung selbst vorstehe, bis von ihr ein Disponent bestellt, und die Prokura nach §. 500. sqq. gehörig bekannt geworden ist. §. 492. Alsdann hat sie ferner für ihre Person weder die Rechte, noch die Verbindlichkeiten eines Kaufmanns. §. 493. Jedoch ist sie schuldig, alle der bekannt gemachten Prokura gemäß, vorgenommenen Handlungen ihres Disponenten, sowohl mit dem Handlungs-, als mit ihrem übrigen Vermögen, zu vertreten.
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§. 494. Die Verheirathung einer Frauensperson, welche Eigenthümerin einer Handlung ist, ändert ihre Rechte und Verbindlichkeiten, in Absicht der Handlung und deren Betriebes, an und für sich nicht ab. §. 495. Ist eine Frauensperson mit ihrem Ehemanne, oder einem Dritten, in Societätshandlung getreten: so hat sie die Rechte und Verbindlichkeiten einer Kaufmannschaft treibenden Frau nur alsdann, wenn zugleich verabredet und bekannt gemacht worden, daß sie der Handlung mit vorstehen solle. §. 496. Die Ehefrau eines Kaufmanns, welche dem Manne in seinen Geschäften bloß hülfreiche Hand leistet, ist selbst an Orten, wo Gemeinschaft der Güter unter ihnen obwaltet, für eine Kaufmannschaft treibende Frauensperson noch nicht zu achten. […] Achter Abschnitt Von Wechseln […] §. 724. Frauenspersonen, welche Kaufmannschaft treiben, bleiben wegen der in dieser Qualität geschlossenen Wechselgeschäfte ihren Gläubigern, auch nach niedergelegter Handlung, wechselmäßig verpflichtet. §. 725. Alle übrige Personen weiblichen Geschlechts, ohne Unterschied, sind an sich nicht wechselfähig. […] Achtzehnter Titel Von Vormundschaften und Curatelen. Allgemeine Grundsätze. §. 1. Personen, welche für sich selbst zu sorgen nicht im Stande sind, stehen unter der besondern Aufsicht und Vorsorge des Staats. §. 2. Diese Vorsorge erstreckt sich jedoch auf dergleichen Personen nur in so fern, als dieselben außer väterlicher Gewalt und Aufsicht sind, oder die väterliche Vorsorge ihnen nicht zu statten kommen kann. […] Dritter Abschnitt Von den Personen, welche das Amt eines Vormundes zu übernehmen schuldig, und dazu fähig sind […] §. 143. Frauenspersonen, die leibliche Mutter, und die Großmutter der Pflegebefohlnen allein ausgenommen, darf der Richter Vormundschaften oder Curatelen nicht auftragen. Personen, welche vorzüglich zu Vormündern bestellt werden müssen: 1) Von den Aeltern ernannte, oder in einem Testament bestellte; §. 172. Bey der Auswahl des zu bestellenden Vormundes muß der Richter auf diejenigen, welche von dem Vater des Pflegebefohlnen dazu ernannt worden, vorzüglich Rücksicht nehmen. §. 173. Der vom Vater ernannte Vormund hat die Verwaltung des gesammten Vermögens der Pflegebefohlnen; es mag dasselbe von dem Vater, oder auch von einem Andern herrühren. […] §. 181. Frauenspersonen, die leibliche Mutter und Großmutter des Pflegebefohlnen allein ausgenommen, können auch von einem Erblasser so wenig, als von dem Richter, zu Vormündern ernannt werden. […]
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2) Mütter; §. 186. In Ermangelung eines vom Vater ernannten Vormundes, muß der Richter auf die Mutter, wenn sie zur Uebernehmung der Vormundschaft fähig, und dazu willig ist, vorzüglich Rücksicht nehmen. §. 187. Es findet jedoch dabey eben das statt, was wegen eines vom Vater ernannten Vormundes verordnet ist. (§. 184.) §. 188. Auch kann eine Mutter, die zu einer anderweitigen Ehe schreitet, die Vormundschaft über ihre Kinder aus voriger Ehe nicht behalten. §. 189. An dieser gesetzlichen Verordnung kann selbst der Vater der Pflegebefohlnen durch seine Willenserklärung, so wenig unter Lebendigen, als von Todeswegen, etwas ändern. §. 190. Auch nach getrennter ferneren Ehe kann die Mutter die Vormundschaft über die Kinder aus einer vorigen Ehe nicht wieder übernehmen, sobald aus der spätern Verbindung Kinder vorhanden sind. §. 191. Sind aber aus der andern wieder getrennten Ehe keine Kinder vorhanden: so hängt es lediglich vom richterlichen Ermessen ab, der Mutter die Vormundschaft der Kinder aus voriger Ehe anderweitig zu übertragen.
74.
Code Napoléon von 1804 in offizieller deutscher Übersetzung des Badischen Landrechts von 1809 (Auszüge)
CODE NAPOLÉON [von 1804 in offizieller deutscher Übersetzung von 1809] mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe 1809 Kommentar: Der Code Civil Frankreichs von 1804 war fast hundert Jahre lang, bis zur Einführung des BGB, auch in Teilen Deutschlands geltendes Recht. Das Gesetz, dessen offizieller Name infolge politischen Wandels mehrfach in Code Napoléon geändert bzw. in Code Civil zurückgeändert wurde, ist in Deutschland bisweilen als Rheinisches Bürgerliches Gesetzbuch bezeichnet worden. Das vor allem im Westen Deutschlands angewandte französische Recht galt unmittelbar vor Inkrafttreten des BGB in 1/6 des Reichsgebiets. Aus der Anwendung des Code Napoléon in Deutschland folgten eine eigenständige deutschsprachige Rechtswissenschaft und Rechtsprechung zum französischen Recht bis hin zum Reichsgericht, dessen 2. Zivilsenat ab 1879 die oberste Instanz zum „Rheinischen Recht“ darstellte. Deutsche Reformforderungen zum Code Napoléon, die im Familienrecht besonders häufig das Nichtehelichenrecht betrafen, sind im 19. Jahrhundert nicht in erster Linie als Kritik an einer ausländischen Rechtsordnung zu verstehen, sondern vielmehr an einem in Deutschland geltenden Recht. Die hier verwendete badische Übersetzung von 1809 ist Ergebnis einer landesrechtlichen Sonderentwicklung. In Baden galt der Code Napoléon nicht unmittelbar, sondern in einer offiziellen deutschen Übersetzung als Badisches Landrecht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Artikelnumerierung des BadLR entspricht der des Code Napoléon. Der besondere rechtshistorische Wert dieser Übersetzung liegt darin, daß es sich um eine amtliche Übersetzung des Code Napoléon durch einen deutschen Gesetzgeber für die deutsche Rechtsanwendung handelt. Die badische Übersetzung ist mit etwa 500 Zusätzen versehen. Der Teil dieser Zusätze, welcher frauenrechtliche Angelegenheiten betrifft, kommt u.a. im Recht der Geschlechtsvormundschaft und der Ehescheidung zu abweichenden Regelungen. Da es in der vorliegenden Edition schwerpunktmäßig um die allgemeine Rechtslage nach französisch-deutschem Recht geht und nicht um die landesrechtlichen Abweichungen in Baden, sind hier nur solche Artikel wiedergegeben, die dem französischen Code Napoléon entstammen.
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2) Mütter; §. 186. In Ermangelung eines vom Vater ernannten Vormundes, muß der Richter auf die Mutter, wenn sie zur Uebernehmung der Vormundschaft fähig, und dazu willig ist, vorzüglich Rücksicht nehmen. §. 187. Es findet jedoch dabey eben das statt, was wegen eines vom Vater ernannten Vormundes verordnet ist. (§. 184.) §. 188. Auch kann eine Mutter, die zu einer anderweitigen Ehe schreitet, die Vormundschaft über ihre Kinder aus voriger Ehe nicht behalten. §. 189. An dieser gesetzlichen Verordnung kann selbst der Vater der Pflegebefohlnen durch seine Willenserklärung, so wenig unter Lebendigen, als von Todeswegen, etwas ändern. §. 190. Auch nach getrennter ferneren Ehe kann die Mutter die Vormundschaft über die Kinder aus einer vorigen Ehe nicht wieder übernehmen, sobald aus der spätern Verbindung Kinder vorhanden sind. §. 191. Sind aber aus der andern wieder getrennten Ehe keine Kinder vorhanden: so hängt es lediglich vom richterlichen Ermessen ab, der Mutter die Vormundschaft der Kinder aus voriger Ehe anderweitig zu übertragen.
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Code Napoléon von 1804 in offizieller deutscher Übersetzung des Badischen Landrechts von 1809 (Auszüge)
CODE NAPOLÉON [von 1804 in offizieller deutscher Übersetzung von 1809] mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe 1809 Kommentar: Der Code Civil Frankreichs von 1804 war fast hundert Jahre lang, bis zur Einführung des BGB, auch in Teilen Deutschlands geltendes Recht. Das Gesetz, dessen offizieller Name infolge politischen Wandels mehrfach in Code Napoléon geändert bzw. in Code Civil zurückgeändert wurde, ist in Deutschland bisweilen als Rheinisches Bürgerliches Gesetzbuch bezeichnet worden. Das vor allem im Westen Deutschlands angewandte französische Recht galt unmittelbar vor Inkrafttreten des BGB in 1/6 des Reichsgebiets. Aus der Anwendung des Code Napoléon in Deutschland folgten eine eigenständige deutschsprachige Rechtswissenschaft und Rechtsprechung zum französischen Recht bis hin zum Reichsgericht, dessen 2. Zivilsenat ab 1879 die oberste Instanz zum „Rheinischen Recht“ darstellte. Deutsche Reformforderungen zum Code Napoléon, die im Familienrecht besonders häufig das Nichtehelichenrecht betrafen, sind im 19. Jahrhundert nicht in erster Linie als Kritik an einer ausländischen Rechtsordnung zu verstehen, sondern vielmehr an einem in Deutschland geltenden Recht. Die hier verwendete badische Übersetzung von 1809 ist Ergebnis einer landesrechtlichen Sonderentwicklung. In Baden galt der Code Napoléon nicht unmittelbar, sondern in einer offiziellen deutschen Übersetzung als Badisches Landrecht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Artikelnumerierung des BadLR entspricht der des Code Napoléon. Der besondere rechtshistorische Wert dieser Übersetzung liegt darin, daß es sich um eine amtliche Übersetzung des Code Napoléon durch einen deutschen Gesetzgeber für die deutsche Rechtsanwendung handelt. Die badische Übersetzung ist mit etwa 500 Zusätzen versehen. Der Teil dieser Zusätze, welcher frauenrechtliche Angelegenheiten betrifft, kommt u.a. im Recht der Geschlechtsvormundschaft und der Ehescheidung zu abweichenden Regelungen. Da es in der vorliegenden Edition schwerpunktmäßig um die allgemeine Rechtslage nach französisch-deutschem Recht geht und nicht um die landesrechtlichen Abweichungen in Baden, sind hier nur solche Artikel wiedergegeben, die dem französischen Code Napoléon entstammen.
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Teil 2
Inhaltlich kann das Familienrecht des Code Napoléon als ein Recht qualifiziert werden, welches für die Ehefrauen sowie die nichtehelichen Kinder und Mütter auch im Vergleich mit anderen Rechten der Zeit denkbar ungünstige, bisweilen schroff formulierte und im Reformdiskurs als beleidigend und skandalös empfundene Normen enthielt. Die Rechte der ehelichen Mütter sind demgegenüber vergleichsweise günstig ausgestaltet. Nach Art. 213 ist der Mann seiner Frau zu Schutz und die Frau ihrem Mann zu Gehorsam verpflichtet. Die Frau hat, so Art. 214, die Pflicht, bei dem Mann zu wohnen und ihm dorthin zu folgen, wo er sich aufzuhalten für gut befindet. Der Mann ist ihr schuldig, sie aufzunehmen, und ihr Unterhalt zu gewähren. In der europäischen Rechtspraxis zu Art. 214 wurde die Pflicht des Mannes zur Aufnahme nicht vollstreckt, wohl aber die Pflicht der Frau zur Wohnortsfolge (durch contrainte personnelle, zwangsweise Zuführung der Frau zum Mann, vgl. dazu näher Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 750-755; 973; gegen Ende des 19. Jahrhunderts war man von dieser Praxis wieder abgekommen). Die Frau ist in allen Güterständen für eigene Vermögensverfügungen auf eine Autorisation durch den Mann angewiesen (vgl. die Fälle von incapacité der Frau und autorisation des Mannes gem. Art. 215-225). Kein Vertrag darf die Rechte schmälern, die zu der Gewalt des Mannes über die Person der Frau und die Kinder gehören, oder die dem Mann als Haupt (comme chef) der Familie zustehen (Art. 1388). Zur Gesamtbewertung des Code Napoléon im persönlichen Eherecht vgl. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 1077-1080. Im Scheidungsrecht besteht eine scharfe Trennung zwischen Frau und Mann in Art. 229, 230. Der Mann kann die Ehescheidung wegen eines von seiner Frau begangenen Ehebruchs verlangen (Art. 229). Die Frau dagegen kann dies wegen eines von dem Mann begangenen Ehebruchs nur dann, wenn der Mann eine Konkubine in der gemeinschaftlichen Wohnung gehalten hat. Gesetzliches Güterrecht ist die communauté, was in Baden mit Gütergemeinschaft übersetzt wird, aber tatsächlich nur eine teilweise Gütergemeinschaft zum Inhalt hat, welche als Kombination von Fahrnisgemeinschaft und Errungenschaftsgemeinschaft qualifiziert werden kann und in etwa dem im BGB 1896 als „Fahrnisgemeinschaft“ bezeichneten Vertragsgüterstand entspricht: Die vom Mann verwaltete Gemeinschaft umfaßt grundsätzlich alle Güter der Ehegatten, nicht aber die bei Eheschließung bereits vorhandenen Immobilien. Das Elternrecht ist jedenfalls im Ausgangspunkt als gemeinsame elterliche Gewalt definiert. Art. 371, 372 bestimmen: Ein Kind ist in jedem Alter seinen Eltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig. Es bleibt unter ihrer Gewalt bis zu seiner Volljährigkeit oder Gewaltentlassung. Damit hat der Code Napoléon zur elterlichen Gewalt der Mutter bereits einen Stand erreicht, wie ihn in der deutschen Gesetzgebung erst das BGB von 1896 nach Änderungen zugunsten der Mütter verkörpert. Ähnlich wie im BGB gilt aber auch im Code Napoléon: Während der Ehe übt der Vater alle diese Gewalt aus (Art. 373). Als skandalös wurde oft Art. 340 Code Napoléon empfunden (vgl. nur schon 1837 Röder, Kritische Beiträge). Dieser stellte im Recht der nichtehelichen Kinder lapidar fest: „La recherche de la paternité est interdite“ – Die Nachforschung nach der Vaterschaft ist verboten. Hiermit wird es für nichteheliche Mütter und Kinder oft schwierig, überhaupt einen Vater zur Verantwortung zu ziehen. Normen wie Art. 340 wurden in besonderem Maße von der Frauenbewegung und nahestehenden Kreisen kritisiert. Soweit deutsche Quellen vor 1900 über den Code Napoléon sprechen, ist dabei immer zu berücksichtigen, daß es nicht nur um historische oder rechtsvergleichende Gesichtspunkte geht, sondern auch um ein in Deutschland regional anwendbares Landesrecht, das zugleich in die Vorarbeiten zum BGB einbezogen wurde.
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Rechtsquellen
Code Napoléon Erstes Buch. Von den Personen. […] 75. An dem Tag, den nach Verlauf der Aufgebots-Fristen die Parteyen hiezu bestimmen, soll der Beamte des bürgerlichen Stands ihnen, in Beyseyn von vier Zeugen, wozu Verwandte und Nicht-Verwandte gewählt werden können, die oben angeführten Scheine, die sich auf ihren Stand und auf die Förmlichkeiten der Heyrath beziehen, sodann das sechste Kapitel des Titels von der Ehe über die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Eheleute vorlesen. Er soll sich von jedem Theil einzeln und nacheinander die Erklärung geben lassen, daß sie sich zur Ehe nehmen wollen. Darnach erklärt er im Namen des Gesezes, daß sie durch das Band der Ehe verbunden sind, und sezt auf der Stelle hierüber den Schein auf. […] 108. Eine Ehefrau hat keinen andern Wohnsiz als jenen ihres Mannes. Der Minderjährige, der nicht Gewalts entlassen ist, hat seinen Wohnsiz bey seinen Eltern oder dem Vormund; und der Volljährige, der mundlos, (d. i. entmündigt oder mundtodt) ist, den seinigen auch bey seinem Vormund. Fünfter Titel. Von der Ehe. […] 144. Mannspersonen können gültig nicht heyrathen, ehe sie das achtzehnte Jahr; Frauenspersonen nicht, ehe sie das fünfzehnte Jahr zurückgelegt haben, womit sie erst ehemündig werden. […] 148. Ein Sohn, ehe er das fünf und zwanzigste Jahr, und eine Tochter, ehe sie das ein und zwanzigste Jahr ihres Alters zurückgelegt haben, ist nicht befugt, ohne Bewilligung ihrer Eltern zu heyrathen. Sind diese verschiedener Meynung, so ist die Einwilligung des Vaters hinreichend. […] 165. Die Ehe soll öffentlich vor dem Beamten des bürgerlichen Stands des Orts, wo einer von beyden Theilen seinen Wohnsiz hat, eingegangen werden. […] Fünftes Kapitel. Von den Verbindlichkeiten, die aus der Ehe entspringen. 203. Die Ehegatten übernehmen miteinander schon dadurch allein, daß sie heyrathen, die Verbindlichkeit ihre Kinder zu ernähren, zu pflegen und zu erziehen. […] 204. Das Kind hat keine Klage wider seine Eltern auf Verschaffung einer häuslichen Niederlassung, sey es durch Heyrath, oder auf andere Weise. 205. Die Kinder sind ihren Eltern und Vor-Eltern, die in Dürftigkeit sind, den Unterhalt schuldig. 206. Eben so und im gleichen Fall sind Schwieger-Söhne und SchwiegerTöchter ihren Schwieger-Eltern den Unterhalt schuldig; diese Verbindlichkeit hört aber auf: 1.) Wenn die Schwiegermutter zur zweyten Ehe schreitet; 2.) wenn jener von beyden Ehegatten, durch den die Schwägerschaft entstund, ohne aus dieser ehelichen Verbindung hinterbliebene Kinder verstorben, oder geschieden worden ist. 207. Diese Unterhalts-Verbindlichkeiten sind wechselseitig. 208. Der Unterhalt wird ermessen nach dem Maas der Bedürfnisse dessen, der darauf Anspruch macht, und der Glücksumstände dessen, der sie leisten muß.
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Teil 2
209. Kommt derjenige, der einen Unterhalt reicht, oder der, welcher ihn empfängt, in einen solchen Zustand daß jener ihn nicht mehr leisten kann, oder dieser ganz oder zum Theil dessen nicht mehr bedarf, so kann Loszählung von demselben oder Verminderung verlangt werden. 210. Beweist derjenige, der den Unterhalt zu reichen hat, daß er ein Leibgeding (Unterhaltsgeld) zu zahlen nicht im Stand ist, so kann die Gerichtsbehörde nach vorausgegangener Untersuchung der Sache verordnen, daß er denjenigen, dem er den Unterhalt schuldig ist, in seine Wohnung aufnehme, ihn dort ernähre und verpflege. 211. Die Gerichtsbehörde soll ebenfalls entscheiden, ob dem Vater oder der Mutter, welche ein Kind, dem sie den Unterhalt schuldig sind, in ihre Wohnung aufnehmen, ernähren und verpflegen wollen, desfalls Nachsicht des Unterhaltsgelds bewilligt werden könne. Sechstes Kapitel. Von den wechselseitigen Rechten und Pflichten der Ehegatten. 212. Die Ehegatten sind sich einander Treue, Hülfe und Beystand schuldig. 213. Der Mann ist seiner Frau zu Schuz, und die Frau ihrem Mann zu Gehorsam verbunden. 214. Die Frau hat die Pflicht, bey dem Mann zu wohnen, und ihm allenthalben hin zu folgen, wo er sich aufzuhalten für gut findet; der Mann ist schuldig, sie aufzunehmen, und ihr alles, was zum Lebensunterhalt erforderlich ist, nach seinem Stand und Vermögen zu reichen. 215. Die Frau kann ohne Ermächtigung ihres Mannes nicht vor Gericht stehen, selbst dann nicht, wenn sie Handelsfrau ist, oder in einer Ehe ohne Gemeinschaft lebt, oder dem Vermögen nach von ihm abgesondert ist, ausgenommen um eine Eheklage anzubringen 216. Die Ermächtigung des Manns ist nicht erforderlich, wenn die Frau wegen Verbrechen oder Polizey-Sachen vor Gericht zu stehen hat. 217. Die Frau, selbst wenn sie mit ihrem Mann in keiner Güter-Gemeinschaft oder in einer völligen Güter-Absonderung lebt, kann, ohne daß ihr Ehemann zu dem Rechtsgeschäft selbst mitwirkt, oder schriftlich darein willigt, nicht schenken, veräussern, verpfänden, noch durch einen Freygebigkeits-Vertrag oder durch einen belasteten etwas erwerben. 218. Verweigert der Mann seiner Frau die Ermächtigung, vor Gericht zu stehen, so kann nach Umständen der Richter sie ermächtigen. 219. Weigert sich der Mann, seine Frau zu einer Rechtshandlung zu ermächtigen, so kann die Frau ihren Mann geradezu vor das Bezirks-Gericht ihres ehelichen Wohnsizes vorfordern lassen, welches alsdann, nachdem der Mann vernommen, oder gehörig vorgefordert worden, die Ermächtigung geben oder versagen kann. 220. Eine Handelsfrau kann ohne Ermächtigung ihres Manns sich in ihren Handlungs-Angelegenheiten verbindlich machen; ihre Verbindlichkeit erstreckt sich in diesem Fall auch auf den Mann, wenn unter ihnen eine Güter-Gemeinschaft besteht. Sie wird für keine Handelsfrau geachtet, wenn sie nur im Kleinen die zur Handlung ihres Mannes gehörigen Waaren verkauft, sondern dann allein, wenn sie einen abgesonderten Handel treibt.
Rechtsquellen
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221. Ist der Mann zu einer Strafe an Leib oder Ehre verurtheilt, wäre sie auch nur wegen ungehorsamen Ausbleibens wider ihn verhängt, so kann auch alsdann die Ehegattin, obgleich sie großjährig ist, so lange die Strafe dauert, weder vor Gericht stehen, noch Verträge schliessen, sie habe sich dann vorher von der Gerichts-Behörde dazu ermächtigen lassen, welche in diesem Fall die Ermächtigung geben kann, ohne daß der Mann vernommen oder vorgeladen worden. 222. Ist der Mann mundtodt gemacht, oder ist er abwesend, so kann die Gerichts-Behörde nach vorhergegangener Untersuchung der Sache, die Frau ermächtigen, vor Gericht zu stehen, oder Verträge zu schliessen. 223. Jede im Allgemeinen gegebene Ermächtigung wäre sie auch in dem Heyraths-Vertrag ausbedungen worden, gilt nur für die Verwaltung der Güter der Frau, nicht für deren Veränderung oder Veräusserung, noch für die Güter des Manns und der Kinder. 224. Ist der Mann noch minderjährig, so bedarf die Frau der Ermächtigung der Obrigkeit, um vor Gericht zu stehen, oder Verträge zu schliessen. […] 225. Die Ungültigkeit aus Abgang der Ermächtigung kann niemand für sich anführen, als die Frau, der Mann und deren Erben. 226. Die Frau kann ohne Ermächtigung ihres Mannes lezte WillensVerfügungen treffen. Sechster Titel. Von der Ehescheidung. Erstes Kapitel. Von den Ursachen der Ehescheidung. 229. Der Mann kann die Ehescheidung wegen eines von seiner Frau begangenen Ehebruchs verlangen. 230. Die Frau ist befugt auf Ehescheidung anzutragen, wegen eines von dem Mann begangenen Ehebruchs, wenn er eine Beyschläferin in der gemeinschaftlichen Wohnung gehalten hat. […] 231. Beyderseits können die Ehegatten die Ehescheidung nachsuchen wegen Lebensgefährlichkeit, harter Mißhandlungen, oder grober Verunglimpfungen des Einen gegen den Andern. 232. Die Verurtheilung eines Ehegatten zu einer entehrenden oder gesezlich gleichen Strafe soll für den andern die Ehescheidungs-Klage begründen. […] Siebenter Titel. Von der Vaterschaft und der Kindschaft. Erstes Kapitel. Von der Vaterschaft ehelicher oder in der Ehe geborner Kinder. 312. Ein Kind, das während der Ehe empfangen worden, hat den Ehemann zum Vater. Diesem bleibt jedoch unbenommen, das Kind für das seinige nicht anzuerkennen, wenn er beweist, daß er in der ganzen Zwischen-Zeit von dem dreyhundertsten bis zum hundert achzigsten Tage vor der Geburt des Kindes, wegen Entfernung oder wegen den Folgen eines Zufalls, sich in einer natürlichen Unmöglichkeit befunden hat, seiner Gattin ehelich beyzuwohnen.
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313. Der Ehemann ist nicht berechtigt, unter Angabe eines Zeugungs-Unvermögens, das Kind zu verläugnen; selbst aus dem Grund, eines von seiner Ehegattin begangenen Ehebruchs, darf er es nicht verläugnen, es sey dann ihm die Geburt verheimlicht worden, in welchem Fall er zum Vortrag aller Thatsachen zugelassen werden soll, die beweisen, daß er der Vater des Kinds nicht sey. 314. Ein Kind, das vor dem hundert achtzigsten Tag nach geschlossener Ehe geboren wird, darf in folgenden Fällen von dem Ehemann nicht verläugnet werden. 1. Wenn ihm die Schwangerschaft vor der Ehe bekannt war; 2. Wenn er den Geburts-Schein ausgewirkt hat, und dieser zugleich von ihm unterzeichnet ist, oder seine Erklärung enthält, daß er im Schreiben unerfahren sey; 3. Wenn das Kind für nicht lebensfähig erklärt worden ist. 315. Die Ehelichkeit eines Kinds, das dreyhundert Tage nach aufgelöster Ehe geboren wird, darf bestritten werden. 316. In jedem Fall, wo es dem Mann erlaubt ist, das Kind für das Seinige nicht anzuerkennen, muß dieß in Zeit eines Monats geschehen, wenn er sich in der Gegend des Orts befindet, wo das Kind geboren ward. In zwey Monaten nach seiner Wiederkunft, wenn er in dem Zeitpunkt der Geburt abwesend war; In zwey Monaten nach entdecktem Betrug, wenn ihm die Geburt des Kinds verheimlicht wurde. 317. Stirbt der Ehemann, ehe er auf irgend eine Art das Kind anerkannt, oder wider die Vaterschaft Widerspruch eingelegt hat, die Zeit-Frist dazu ist aber alsdann noch nicht verstrichen, so haben die Erben eine eigne Frist von zwey Monaten, um die eheliche Geburt des Kinds zu bestreiten. Diese Frist lauft von dem Zeitpunkt an, da das Kind die Güter des Vaters in Besiz nimmt, oder da es gegen die Erben den Besiz anspricht. 318. Jeder aussergerichtliche Vorgang, der eine Verläugnung des Kinds von Seiten des Ehemannes oder seiner Erben enthält, gilt für nicht geschehen, wenn nicht innerhalb eines Monats die Klage wider einen dem Kind hiezu eigends zu ernennenden Vormund, unter Beiladung der Mutter, bey Gericht angebracht worden ist. Zweytes Kapitel. Von den Beweisen der ehelichen Kindschaft. 319. Die eheliche Kindschaft erweiset der Geburts-Schein in dem Urkundenbuch des bürgerlichen Stands. 320. In dessen Ermanglung genügt der beständige Besiz einer ehelichen Kindschaft. 321. Dieser Besiz besteht in einer Vereinigung hinreichender Thatsachen, welche Verhältnisse der Kindschaft und Verwandtschaft zwischen einem Menschen und der Familie, welcher er anzugehören behauptet, voraussezen. Die vorzüglichsten der dazu dienlichen Thatsachen sind: daß ein Kind immer den Namen des Vaters geführt hat, dem es anzugehören angibt; Daß der Vater es als sein Kind behandelt, und in dieser Eigenschaft für seine Erziehung, seinen Unterhalt, und seine Niederlassung gesorgt hat; Daß es beständig in der Gesellschaft dafür anerkannt worden ist; Daß die Familie es dafür erkannt hat.
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233. Die beyderseitige und beharrliche Einwilligung der Ehegatten, ausgesprochen in den Formen, unter den Bedingungen und nach erstandenen Prüfungen, wie sie das Gesez vorschreibt, soll für einen hinlänglichen Beweis angenommen werden, daß das Beysammen-Leben ihnen unerträglich sey, und daß deshalb eine zureichende Ursache zur Ehescheidung da sey. Drittes Kapitel. Von den natürlichen Kindern. Erster Abschnitt. Von der Ehelichmachung natürlicher Kinder. Uneheliche Kinder, die nicht aus einer Blutschande oder einem Ehebruch gezeugt sind, werden durch eine nachgefolgte Ehe ihrer Eltern ehelich gemacht, wenn beide zusammen vor der Heyrath sie anerkannt haben, oder sie in der HeyrathsUrkunde selbst anerkennen. Auch verstorbene Kinder, welche Nachkommen zurückgelassen haben, werden zu deren Vortheil dadurch noch ehelich gemacht. 333. Kinder, welche durch nachgefolgte Ehe ehelich werden, genießen gleiche Rechte, als wären sie aus dieser Ehe geboren. Zweyter Abschnitt. Von der Anerkennung der natürlichen Kinder. 334. Die Anerkennung eines natürlichen Kinds, soll durch eine öffentliche Urkunde vollzogen werden, sobald sie nicht in dessen Geburts-Urkunde geschehen ist. […] 338. Ein natürliches, obgleich anerkanntes Kind kann die Rechte eines ehelich gebornen Kinds nicht ansprechen. Die Rechte der natürlichen Kinder bestimmt der Titel von den Erbschaften. 339. Jede Anerkennung des Vaters oder der Mutter, so wie jede Ansprache des Kinds kann von allen denjenigen bestritten werden, denen ein Nachtheil dadurch zugehen kann. 340. Alle Nachfrage, wer Vater eines Kinds sey, ist verboten. Ein Entführer kann auf Ansuchen der Betheiligten für den Vater des Kinds der Entführten erklärt werden, wenn der Zeitpunkt der Entführung mit jenem der Empfängnis übereinstimmt. […] 341. Eine Nachfrage, wer Mutter eines Kinds sey, ist erlaubt. Das Kind, welches gegen eine Frauensperson Kindschafts-Recht anspricht, muß den Beweis führen, daß es eben dasjenige sey, womit diese niedergekommen ist. Zur Führung dieses Beweises durch Zeugen darf es nur alsdann zugelassen werden, wenn schon eine Einleitung aus schriftlichen Beweisen vorhanden ist. […] Neunter Titel. Von der Elterlichen Gewalt. 371. Ein Kind, welches Alters es sey, ist seinen Eltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig. 372. Es bleibt unter ihrer Gewalt bis zu seiner Volljährigkeit oder GewaltsEntlassung. 373. Während der Ehe übt der Vater alle diese Gewalt aus.
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Teil 2
374. Das Kind darf das väterliche Haus ohne Erlaubniß des Vaters nicht verlassen, außer nach zurückgelegtem achtzehnten Jahr, und allein um Kriegs-Dienst zu nehmen. 375. Der Vater, der wichtige Ursachen hat, über das Betragen seines Kinds mißvergnügt zu seyn, kann sich ausser der Hauszucht folgender bürgerlichen Zuchtmittel bedienen. 376. Ist das Kind in das sechszehnte Jahr seines Alters noch nicht eingetreten, so kann der Vater es höchstens auf einen Monat einsperren lassen. Zu diesem Ende muß auf sein Verlangen die Gerichts-Behörde den Verhaft-Befehl erlassen. 377. Nach dem Eintritt in’s sechszehnte Jahr des Alters bis zur Volljährigkeit oder Freylassung kann der Vater nur auf Einsperrung antragen, und das höchstens auf sechs Monate; er wendet sich deshalb an die Gerichts-Behörde, die nach Besprechung mit dem Kron-Anwald den Befehl zum Verhaft ertheilen oder verweigern, und im ersten Fall die vom Vater verlangte Zeit der Einsperrung verkürzen kann. […] 384. Während der Ehe hat der Vater, und nach aufgelöster Ehe der Ueberlebende von beyden Eltern die Nuzniessung an dem Vermögen ihrer Kinder, bis sie das achtzehnte Jahr ihres Alters zurückgelegt haben, oder bis zur Gewalts-Entlassung, wenn diese früher erfolgt. […] 385. Die mit dieser Nuzniessung verbundene Lasten sind: 1. Diejenigen, wozu jeder Nuzniesser verbunden ist; 2. Ernährung, Pflege und Erziehung der Kinder nach ihrem Vermögen; 3. Zahlung der Rückstände und der Zinsen der Kapitalien; 4. Bezahlung der Krankheits- und Begräbniß-Kosten. 386. Derjenige von beyden Eltern, zu dessen Nachtheil eine Ehescheidung erkannt worden, bleibt von dieser Nuzniessung ausgeschlossen; sie hört ebenfalls bey einer Mutter auf, die zu einer neuen Ehe schreitet. 387. Sie soll sich auf dasjenige Vermögen nicht erstrecken, welches die Kinder durch abgesondert treibende Arbeit und Kunstfleis erwerben mögen, auch nicht auf das, was unter der ausdrücklichen Bedingung, daß die Eltern keine Nuzniessung daran haben sollen, den Kindern geschenkt oder vermacht worden ist. Zehenter Titel. Von der Minderjährigkeit, der Vormundschaft und der Gewalts-Entlassung.[…] Zweytes Kapitel. Von der Vormundschaft. Erster Abschnitt. Von der Vormundschaft der Eltern. 389. Der Vater ist, während der Ehe, Verwalter alles Vermögens, welches seinen minderjährigen Kindern zugehört, selbst des Freyeigenen. Von dem Vermögen, wovon er den Genuß nicht hat, ist er über Hauptstock und Einkünfte zugleich, und von dem Vermögen, woran das Gesez ihm eine Nuzniessung gibt, über den Hauptstock allein Rechenschaft zu geben verbunden. 390. Wird die Ehe durch den natürlichen oder bürgerlichen Tod eines der Ehegatten aufgelöst, so fällt die Vormundschaft über die minderjährigen, nicht Gewalts entlassenen Kinder dem überlebenden Ehegatten, kraft Gesezes, zu. 391. Der Vater kann gleichwohl der überlebenden Mutter und Vormünderin einen besondern Vormundschafts-Beystand zuordnen, ohne dessen Gutachten sie keine auf die Vormundschaft sich beziehende Rechtshandlung vornehmen darf.
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Bestimmt der Vater die Handlungen, für welche der Beystand ernannt seyn soll, so ist die Vormünderin befugt, die übrigen ohne dessen Mitwirkung vorzunehmen. […] Siebenter Abschnitt. Von der Unfähigkeit zur Vormundschaft, auch der Ausschließung und Absezung von derselben. 442. Vormünder können nicht seyn, und eben so wenig Mitglieder eines Familienraths: 1. Minderjährige, Vater und Mutter jedoch ausgenommen. 2. Jene, welche mundtodt sind. 3. Weibspersonen, mit Ausnahme der Mutter und der Groß-Mütter. […] Drittes Buch. Von den verschiedenen Arten Eigenthum zu erwerben. […] 776. Verheirathete Frauenspersonen können ohne Ermächtigung ihrer Männer oder des Gerichts keine Erbschaft gültig antreten, zufolge der Verfügungen des 6ten Kapitels unter dem Titel von der Ehe. […] 905. Eine Ehefrau kann ohne den Beystand oder die besondere Einwilligung ihres Mannes, oder ohne hiezu von dem Gericht ermächtigt zu seyn, unter den Lebenden nicht schenken, in Gemäsheit desjenigen, was im 217. und 219. Saz des Titels von der Ehe bestimmt ist. Zu lezten Willens-Verordnungen bedarf sie weder der Einwilligung ihres Mannes, noch der Ermächtigung des Gerichts. […] 934. Eine verheirathete Frau kann nur mit Bewilligung ihres Manns, oder, wenn dieser sie versagt, nur nach erhaltener Ermächtigung des Gerichts, eine Schenkung annehmen, in Gemäßheit dessen, was hierüber in den Säzen 217 und 219 unter dem Titel: Von der Ehe, vorgeschrieben ist. […] 1096. Alle Schenkungen unter Ehegatten während der Ehe sind dem Widerruf unterworfen, wann sie gleich als Schenkungen unter Lebenden bezeichnet wären. Die Frau kann sie widerrufen, ohne hiezu von ihrem Mann oder vom Gericht ermächtigt zu seyn. Diese Schenkungen verlieren wegen nachkommender Kinder ihre Kraft nicht. 1097. Ehegatten können weder durch Handlungen unter Lebenden noch durch leztwillige Verfügungen einander gegenseitige Schenkungen in einer und derselben Urkunde machen. 1098. Mann oder Frau, die Kinder aus einer ersten Ehe haben, und zur zweyten oder weiteren Heyrath schreiten, können ihrem neuen Ehegatten nicht mehr geben, als der Antheil des Mindestbegünstigten ihrer ehelichen Kinder beträgt. In keinem Fall darf eine solche Schenkung ein Viertheil des Vermögens übersteigen. […] 1099. Auch mittelbarer Weise dürfen Ehegatten sich keine grössere als die oben gestatteten Geschenke machen. Jede versteckte oder an Mittelspersonen gemachte Schenkung ist ungültig. […] 1123. Ein jeder kann Verträge schließen, welchen nicht die Geseze dazu unfähig erklären. 1124. Unfähig Verträge zu schließen sind in ihrer Art: Die Minderjährigen, Die Mundlosen, Die Ehefrauen, Diejenigen, denen besondere Geseze gewisse Verträge untersagen.
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Teil 2
Von Heyraths-Verträgen und gegenseitigen Rechten der Ehegatten. Erstes Kapitel. Allgemeine Verfügungen. 1387. Das Gesez ordnet die Wirkungen der ehelichen Gesellschaft auf das Vermögen nur für jene Fälle, über welche besondere Verträge nicht Vorsehung thun. Jedes Geding, welches den guten Sitten nicht zuwider ist, bleibt dem Gutfinden der Ehegatten unter folgenden Einschränkungen überlassen. 1388. Kein Vertrag darf die Rechte schmälern, die zu der Gewalt des Manns über die Person der Frau und der Kinder gehören, oder die dem Mann als Haupt der Familie zustehen; keiner darf die Rechte, welche dem überlebenden Theil der Ehegatten unter dem Titel von der elterlichen Gewalt, und unter dem Titel von der Minderjährigkeit, der Vormundschaft und Gewalts-Entlassung beygelegt sind, verändern; keiner darf etwas festsezen, was gegen verbietende Verfügungen dieses Gesezbuchs anstößt. 1389. Ehegatten können in keiner Weise Veränderungen in der gesezlichen Ordnung des Erbrechts ihrer Kinder oder Kindes-Kinder am elterlichen Vermögen oder des Erbrechts ihrer Kinder untereinander einführen; Schenkungen oder Vermächtnisse in einer diesem Gesezbuch gemäßen Art und Form sind damit jedoch nicht ausgeschlossen. 1390. Die Ehegatten dürfen nicht mehr allgemein bedingen, daß ihre eheliche Gesellschaft nach Lands-Gewohnheit, Provinz-Gesez, oder Orts-Recht beurtheilt werden soll, als welche durch das gegenwärtige Gesezbuch abgeschafft sind. 1391. Ihnen bleibt jedoch erlaubt, im Allgemeinen zu erklären, daß sie ihre Heirath entweder nach dieser und jener in diesem Gesezbuch ausgedruckten Regel der ehelichen Güter-Gemeinschaft, oder Nicht-Gemeinschaft, oder nach Gesezen der Bewidmung wollen gerichtet wissen. Im Fall der erwählten ehelichen Gütergemeinschaft oder Nichtgemeinschaft sind die Rechte der Ehegatten und ihrer Erben nach den Verordnungen des zweyten Kapitels des gegenwärtigen Titels zu richten. Im Fall der Bewidmung sind ihre Rechte nach den Verordnungen des dritten Kapitels zu beurtheilen. […] 1393. Wo ein Ehe-Vertrag die Gütergemeinschaft nicht aufhebt, oder ihr nicht besondere erlaubte Bestimmungen gibt, da gelten die Grundsäze, die im ersten Theil des zweiten Kapitels festgestellt sind, als gemeines Recht im Staat. […] Zweytes Kapitel. Von der ehelichen Güter-Gemeinschaft. 1399. Die eheliche Güter-Gemeinschaft, sie entspringe aus Gesezen oder Verträgen, fängt von dem Tag an, da die Ehe vor dem Beamten des bürgerlichen Standes geschlossen ward. Man kann kein andres Anfangs-Ziel bedingen. Erste Abtheilung. Von der gesezlichen Güter-Gemeinschaft. 1400. Die Gemeinschaft, welche aus der bloßen Erklärung entspringt, daß man sich nach den Grundsäzen einer ehelichen Güter-Gemeinschaft verheyrathe (Saz 1391.), oder daraus, daß kein Ehe-Vertrag geschlossen ward (Saz 1393), richtet sich nach den Säzen der folgenden sechs Abschnitte.
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1073
Erster Abschnitt. Vermögen und Schulden der Gemeinschaft. […] 1401. Das Vermögen der Gemeinschaft besteht: 1.) aus der fahrenden Haabe, welche die Ehegatten in Anfang der Ehe besizen, und welche ihnen während der Ehe zufällt, sey es durch Erbrecht, oder durch Schenkungen, bey welchen das Gegentheil nicht bedungen ist. 2.) Aus den Flüchten, Einkünften, Zinsen und Gefällen aller Art, die während der Ehe verfallen oder erhoben werden, von dem anfänglichen oder während der Ehe erworbenen Vermögen aller Art. 3.) Alle errungene Liegenschaften. 1402. Jede Liegenschaft wird als errungen betrachtet, von welcher nicht bewiesen wird, daß einer der Ehegatten schon vor der Ehe Eigenthümer oder rechtmäßiger Besizer war, oder daß sie während der Ehe durch Erbrecht oder Schenkung ihm zugefallen sey. […] Zweyter Abschnitt. Von der Verwaltung der Gemeinschaft und dem Einfluß der Handlungen der Ehegatten auf solche. 1421. Der Mann verfügt allein über das Gemeinschafts-Vermögen. Er kann es ohne Einwilligung der Frau verkaufen, verändern und verpfänden. […] 1427. Eine Frau kann sich weder selbst verbinden, noch die GemeinschaftsGüter verpfänden, wäre es auch, um ihren Mann aus dem Gefängniß zu befreyen, oder um in Abwesenheit des Manns ihren Kindern eine Versorgung zu verschaffen, sie sey dann vorher von dem Gericht hiezu ermächtigt. 1428. Der Mann hat die Verwaltung alles eigenen Vermögens der Frau. Er kann alle Rechte der Frau auf Besiz oder auf fahrende Haabe allein gerichtlich austragen. Er kann ohne Bewilligung seiner Frau die ihr eigene Liegenschaften nicht veräussern. Er haftet für jeden Abgang an den eigenen Gütern seiner Frau, der durch Unterlassung der Erhaltungs-Vorsorge verursacht ward.
75.
Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 (Auszüge)
BÜRGERLICHES GESETZBUCH FÜR DAS KÖNIGREICH SACHSEN, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1863, 1-317 (Neudruck Aalen 1973; Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe, Bd. 4) Kommentar: Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 trat 1865 in Kraft und galt in Sachsen bis zur Einführung des (gesamtdeutschen) BGB am 1.1.1900. Bei der Einteilung des Gesamtwerks und Standort des Familienrechts sind bereits deutliche Parallelen zum BGB zu erkennen: Schon das Sächs.BGB verwendet ein 5-Bücher-System, in welchem das Familienrecht das vierte Buch bildet. Wie PrALR und Code Napoléon bildet auch das Sächs.BGB einen der wichtigsten Bezugstexte in den Materialien zum BGB von 1896 und der zeitgenössischen frauenrechtlichen Diskussion (dazu näher Meder, Rechtsgeschichte, S. 313-315, 319). Hierbei ist ergänzend zu berücksichtigen, daß wichtige Gruppierungen der Frauenbewegung (Allgemeiner Deutscher Frauenverein, Rechtsschutzverein Dresden) in Sachsen beheimatet waren.
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Erster Abschnitt. Vermögen und Schulden der Gemeinschaft. […] 1401. Das Vermögen der Gemeinschaft besteht: 1.) aus der fahrenden Haabe, welche die Ehegatten in Anfang der Ehe besizen, und welche ihnen während der Ehe zufällt, sey es durch Erbrecht, oder durch Schenkungen, bey welchen das Gegentheil nicht bedungen ist. 2.) Aus den Flüchten, Einkünften, Zinsen und Gefällen aller Art, die während der Ehe verfallen oder erhoben werden, von dem anfänglichen oder während der Ehe erworbenen Vermögen aller Art. 3.) Alle errungene Liegenschaften. 1402. Jede Liegenschaft wird als errungen betrachtet, von welcher nicht bewiesen wird, daß einer der Ehegatten schon vor der Ehe Eigenthümer oder rechtmäßiger Besizer war, oder daß sie während der Ehe durch Erbrecht oder Schenkung ihm zugefallen sey. […] Zweyter Abschnitt. Von der Verwaltung der Gemeinschaft und dem Einfluß der Handlungen der Ehegatten auf solche. 1421. Der Mann verfügt allein über das Gemeinschafts-Vermögen. Er kann es ohne Einwilligung der Frau verkaufen, verändern und verpfänden. […] 1427. Eine Frau kann sich weder selbst verbinden, noch die GemeinschaftsGüter verpfänden, wäre es auch, um ihren Mann aus dem Gefängniß zu befreyen, oder um in Abwesenheit des Manns ihren Kindern eine Versorgung zu verschaffen, sie sey dann vorher von dem Gericht hiezu ermächtigt. 1428. Der Mann hat die Verwaltung alles eigenen Vermögens der Frau. Er kann alle Rechte der Frau auf Besiz oder auf fahrende Haabe allein gerichtlich austragen. Er kann ohne Bewilligung seiner Frau die ihr eigene Liegenschaften nicht veräussern. Er haftet für jeden Abgang an den eigenen Gütern seiner Frau, der durch Unterlassung der Erhaltungs-Vorsorge verursacht ward.
75.
Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 (Auszüge)
BÜRGERLICHES GESETZBUCH FÜR DAS KÖNIGREICH SACHSEN, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1863, 1-317 (Neudruck Aalen 1973; Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe, Bd. 4) Kommentar: Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 trat 1865 in Kraft und galt in Sachsen bis zur Einführung des (gesamtdeutschen) BGB am 1.1.1900. Bei der Einteilung des Gesamtwerks und Standort des Familienrechts sind bereits deutliche Parallelen zum BGB zu erkennen: Schon das Sächs.BGB verwendet ein 5-Bücher-System, in welchem das Familienrecht das vierte Buch bildet. Wie PrALR und Code Napoléon bildet auch das Sächs.BGB einen der wichtigsten Bezugstexte in den Materialien zum BGB von 1896 und der zeitgenössischen frauenrechtlichen Diskussion (dazu näher Meder, Rechtsgeschichte, S. 313-315, 319). Hierbei ist ergänzend zu berücksichtigen, daß wichtige Gruppierungen der Frauenbewegung (Allgemeiner Deutscher Frauenverein, Rechtsschutzverein Dresden) in Sachsen beheimatet waren.
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Teil 2
Das Sächs.BGB stellt wie der Code Napoléon eine Gehorsamspflicht der Ehefrau auf: Der Ehemann ist berechtigt, von seiner Ehefrau Gehorsam, ingleichen Dienstleistungen zur Förderung seines Hauswesens und seines Gewerbes zu verlangen (§ 1631; zur Gesamtbewertung des Sächs.BGB im persönlichen Eherecht vgl. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit, S. 1081-1083). Eine Parallele zur autorisation und incapacité des französischen Rechts findet sich in § 1638: Eine Ehefrau bedarf zu allen Rechtsgeschäften mit Dritten, durch welche sie nicht lediglich erwirbt, der Einwilligung ihres Ehemannes. Das gesetzliche Güterrecht ähnelt dagegen eher dem preußischen als dem französischen Recht: Die Güter beider Ehegatten bleiben zwar grundsätzlich getrennt, aber der Ehemann hat an dem Vermögen, welches die Ehefrau zur Zeit der Eheschließung besitzt oder während der Ehe erwirbt, das Recht des Nießbrauches und der Verwaltung (§ 1655). Ins Recht der Scheidungsfolgen werden durch das Sächs.BGB bis ins gegenwärtige Unterhaltsrecht fortwirkende Grundprinzipien eingeführt (Unterhalt bei Bedürftigkeit als Akt der nachwirkenden ehelichen Solidarität, nicht als Schadensersatz, § 1750, vgl. hierzu Meder, Eigenverantwortung und Solidarität im Familienrecht am Beispiel des Geschiedenenunterhalts, 2008). Das Elternrecht über eheliche Kinder wird vorzugsweise als väterliche Gewalt definiert (§ 1808). Von einer elterlichen Gewalt der Mutter ist nicht die Rede. „Außereheliche“ Väter hatten ihren Kindern die Geburts- und Taufkosten sowie Unterhalt bis zum 14. Lebensjahr zu zahlen (§§ 1858, 1862). Der Sachverhalt, den das BGB 1896 mit der Einrede des Mehrverkehrs im Zweifel zuungunsten des Kindes entscheidet (§ 1717 I BGB 1896), wird nach sächsischem Recht deutlich zugunsten von Mutter und Kind geregelt, denn § 1872 legt fest: „Hat die Mutter innerhalb des im § 1859 angegebenen Zeitraumes mit Mehreren den Beischlaf gepflogen, so haften diese wegen der außerehelichen Schwängerung als Gesammtschuldner.“
Sächsisches BGB – aus dem Gesetzestext §. 46. Die Verschiedenheit des Geschlechts begründet in der Regel keine Verschiedenheit der bürgerlichen Rechte. Eine Person, deren Geschlecht zweifelhaft ist, wird dem bei ihr vorherrschenden Geschlechte beigezählt. […] Vierter Theil. Das Familien- und Vormundschaftsrecht. Erste Abtheilung. Von dem Eherechte. […] Dritter Abschnitt. Wirkungen der Ehe in Beziehung auf die Personen der Ehegatten. § 1630. Die Ehegatten sind sich gegenseitig zur Treue, zur Leistung der ehelichen Pflicht und zur Unterstützung verbunden. § 1631. Der Ehemann ist berechtigt, von seiner Ehefrau Gehorsam, ingleichen Dienstleistungen zur Förderung seines Hauswesens und seines Gewerbes zu verlangen. § 1632. Die Ehefrau erhält den Familiennamen des Ehemannes und nimmt an dem Stande desselben Theil. § 1633. Der Ehemann hat seine Ehefrau in seine häusliche Gemeinschaft aufzunehmen, sie zu beschützen und ihr beizustehen. § 1634. Der Ehemann ist verpflichtet, seine Ehefrau auf eine seinem Stande und seinen Vermögensverhältnissen entsprechende Weise zu unterhalten, ihr bei Krankheiten die erforderliche Pflege und ärztliche Hülfe zu gewähren und die Kosten ihrer Beerdigung zu tragen, wenn sie vermögenslos stirbt.
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§ 1635. Die Kosten des gemeinschaftlichen Hauswesens hat der Ehemann zu tragen. § 1636. Die Ehefrau ist verpflichtet, dem Ehemann an seinen Wohnsitz zu folgen, soweit nicht eine ernsthafte Gefahr für ihr Wohl, insbesondere für ihr Leben und ihre Gesundheit, oder eine gegründete Besorgniß wegen des künftigen Unterhaltes eine Weigerung rechtfertigt. § 1637. Ist der Ehemann verarmt und zur Erwerbung seines Unterhaltes unfähig, so hat die Ehefrau ihn zu ernähren, auch, wenn er stirbt, aus eigenen Mitteln beerdigen zu lassen. Vierter Abschnitt. Wirkungen der Ehe in Beziehung auf die Rechtsgeschäfte der Ehegatten. § 1638. Eine Ehefrau bedarf zu allen Rechtsgeschäften mit Dritten, durch welche sie nicht lediglich erwirbt, der Einwilligung ihres Ehemannes. § 1639. Das blose Versprechen des Ehemannes, eine Verbindlichkeit der Ehefrau zu erfüllen, enthält nicht eine Genehmigung des Geschäftes der Ehefrau, aus welchem diese Verbindlichkeit entstanden ist. § 1640. Rücksichtlich des ihr zur freien Verfügung vorbehaltenen Vermögens wird die Ehefrau durch Geschäfte, welche sie ohne Einwilligung ihres Ehemannes schließt, nur verpflichtet, wenn sie dieselben entweder ausdrücklich mit Beziehung auf ihr vorbehaltenes Vermögen eingeht, oder dieß aus den Umständen erhellt, oder wenn sie die Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem vorbehaltenen Vermögen verspricht, welches sie zur Zeit des Abschlusses des Geschäftes besitzt. In allen diesen Fällen haftet sie während der Ehe mit dem vor oder nach dem Geschäftsabschlusse vorbehaltenen, und nach Beendigung der Ehe mit ihrem ganzen Vermögen. § 1641. Geschäfte, welche eine Ehefrau in anderen Fällen als den im § 1640 angegebenen ohne Einwilligung ihres Ehemannes eingeht, sind nichtig; sie haftet nur soweit sie bereichert ist. Hat sie die übernommenen Verbindlichkeiten erfüllt, so kann sie das Geleistete nicht zurückfordern. […] Fünfter Abschnitt. Wirkungen der Ehe in Beziehung auf das Vermögen der Ehegatten. § 1655. Der Ehemann hat an dem Vermögen, welches die Ehefrau zur Zeit der Eheschließung besitzt oder während der Ehe erwirbt, das Recht des Nießbrauches und der Verwaltung. Er haftet dabei für absichtliche Verschuldung und für Unterlassung des Fleißes, welchen er in eigenen Angelegenheiten aufzuwenden pflegt. § 1656. Alle beweglichen Sachen in der Wohnung des Ehemannes gehören im Zweifel dem Ehemanne eigenthümlich, ausgenommen wenn sie zur Bekleidung, zum Schmucke oder sonst zum Gebrauche blos für die Person der Ehefrau bestimmt sind. § 1657. Wird von der Ehefrau zu Handlungen, welche ihr Ehemann rücksichtlich des eheweiblichen Vermögens ohne ihre Mitwirkung nicht vornehmen kann, diese aus unzureichenden Gründen verweigert, so kann sie von dem Gerichte ergänzt werden. […] § 1684. Wenn der Ehemann durch unordentliche Wirthschaft das eheweibliche Vermögen in Gefahr bringt, so kann die Ehefrau verlangen, daß ihr die Verwaltung desselben, unbeschadet des Nießbrauches des Ehemannes, überlassen wird.
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Teil 2
[…] Sechster Abschnitt. Ehestiftungen. § 1691. Ehestiftungen, Ehepacten, durch welche die rechtlichen Wirkungen der Ehe näher bestimmt und geändert werden, können vor oder während der Ehe errichtet werden. § 1692. Die wesentlichen persönlichen Rechtsverhältnisse der Ehegatten können durch Ehestiftungen nicht aufgehoben oder beschränkt werden. § 1693. Hat die Ehefrau mit Einwilligung des Ehemannes sich die freie Verfügung über ihr Vermögen oder über einen Theil desselben vorbehalten, oder hat ein Dritter, welcher der Ehefrau Vermögen zuwendet, bestimmt, daß die Ehefrau die freie Verfügung darüber haben soll, so kann die Ehefrau, in Ermangelung einer anderen Bestimmung, ohne Mitwirkung des Ehemannes über dieses vorbehaltene Vermögen verfügen, dasselbe verwalten, dessen Früchte für sich ziehen und diese für sich verwenden. […] § 1695. Wird zwischen den Ehegatten eine allgemeine Gütergemeinschaft verabredet, so wird, soweit nicht etwas Anderes bestimmt ist, ihr beiderseitiges gesammtes Vermögen, welches sie zur Zeit der Eheschließung besitzen oder während der Ehe erwerben, von Zeit des Vertragsabschlusses an, und wenn der Vertrag vor der Ehe geschlossen ist, von Zeit der Eingehung der Ehe an, ohne Weiteres gemeinschaftlich. […] […] § 1697. Rücksichtlich des gemeinschaftlichen Vermögens steht dem Ehemanne die Verfügung und die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung zu. Der Ehemann ist zu den in dieser Hinsicht vorkommenden Handlungen ohne Mitwirkung seiner Ehefrau berechtigt und er verpflichtet dadurch auch diese. Siebenter Abschnitt. Beendigung der Ehe. […] § 1711. Eine Ehe kann nicht durch Uebereinkunft der Ehegatten aufgelöst werden. § 1712. Eine Ehe kann aus nachstehenden Gründen durch richterlichen Ausspruch geschieden werden. § 1713. Ein Ehegatte kann die Scheidung der Ehe verlangen, wenn der andere Ehegatte sich eines Ehebruches schuldig gemacht hat. § 1714. Es ist kein Ehebruch, wenn ein Ehegatte in einem unzurechnungsfähigen Zustande den Beischlaf mit einem Dritten vollzogen, oder wenn er den Dritten, mit welchem er den Beischlaf vollzogen, irrthümlich für seinen Ehegatten gehalten, oder wenn eine Ehefrau Nothzucht erlitten hat. § 1715. Wegen Versuches des Ehebruches kann Scheidung nicht gefordert werden. § 1716. Die Scheidung der Ehe kann wegen Ehebruches nur erfolgen, wenn auf Antrag des Ehegatten, welcher die Scheidung verlangt, das Strafverfahren stattgefunden hat und darüber rechtskräftig erkannt ist. Erfolgt keine Verurtheilung, so wird dadurch der Beweis des Ehebruches im Eheprocesse nicht ausgeschlossen. § 1717. Das Strafverfahren wegen des Ehebruches braucht der Scheidung der Ehe nicht vorauszugehen, wenn es wegen entgegenstehender Hindernisse, insbesondere wegen Entfernung des schuldigen Theiles in das Ausland, nicht möglich ist, oder wenn der inländische Richter die Einleitung des Strafverfahrens verweigert.
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§ 1718. Hat der eine Ehegatte den Ehebruch des anderen Ehegatten veranlaßt, so fällt sein Recht, die Scheidung zu verlangen, weg. § 1719. Eine Scheidung wegen Ehebruches ist ausgeschlossen, wenn der unschuldige Ehegatte innerhalb eines Jahres nach erfolgter Kenntniß des Ehebruches den Antrag auf Einleitung des Strafverfahrens zu stellen unterläßt, oder wenn von der Zeit an, wo der Ehebruch begangen worden ist, fünfzehn Jahre verflossen sind. § 1720. Eine Scheidung wegen Ehebruches hat nicht statt, wenn der andere Ehegatte den Fehltritt ausdrücklich oder stillschweigend verziehen hat. Als stillschweigende Verzeihung gilt insbesondere, wenn er nach erlangter Kenntniß des Ehebruches nicht innerhalb eines Jahres auf Scheidung der Ehe klagt, oder freiwillig die eheliche Pflicht leistet, oder den gestellten Strafantrag zurücknimmt. § 1721. Eine Verzeihung des Ehebruches unter einer Bedingung oder mit dem Vorbehalte des Rechtes, die Scheidung der Ehe zu verlangen, gilt als eine unbedingte. Ist jedoch die Verzeihung an eine Bedingung geknüpft, welche die Wiederherstellung und Erhaltung der ehelichen Eintracht bezweckt, auch an sich zulässig ist, so wird bei deren Nichterfüllung die Verzeihung als nicht geschehen betrachtet. § 1722. Haben beide Ehegatten Ehebruch begangen, so sind die beiderseitigen Vergehungen gegen einander aufzurechnen, und es ist kein Theil berechtigt, die Scheidung der Ehe zu fordern. […] § 1728. Widernatürliche Unzucht mit einem Menschen oder mit einem Thiere, Unzucht mit Kindern unter zwölf Jahren, wissentliche Eingehung einer Doppelehe sind, soweit nicht etwas anders bestimmt ist, dem Ehebruche als Scheidungsgrund gleich zu achten. § 1729. Ist wegen der im § 1728 angegebenen Verbrechen das Strafverfahren wider den schuldigen Ehegatten vor der Zeit, wo bei dem Ehebruche von dem unschuldigen Ehegatten der Antrag auf Einleitung des Strafverfahrens gestellt werden muß, amtswegen eingeleitet, so bedarf es eines solchen Antrages zur Begründung der Klage auf Scheidung nicht. Dasselbe gilt auch dann, wenn Ehebruch durch Nothzucht oder mit Verwandten, mit welchen eine Ehe nicht geschlossen werden darf, begangen worden ist. § 1730. Ehebruch und die in §§ 1728, 1729 erwähnten Verbrechen können gegen Ehebruch und unter einander zur Aufrechnung gebracht werden. § 1731. Ein Ehegatte kann die Scheidung verlangen, wenn der andere seit wenigstens einem Jahre ihn böslicher Weise verlassen oder wenigstens ein Jahr die eheliche Gemeinschaft oder die Leistung der ehelichen Pflicht ohne ausreichenden Grund beharrlich verweigert hat. § 1732. Die Scheidungsklage wegen böslicher Verlassung erledigt sich, wenn sich der schuldige Ehegatte vor Bekanntmachung des Erkenntnisses auf Scheidung zur Fortsetzung der Ehe erbietet. § 1733. Wurde eine Ehe wegen Trunksucht des einen Ehegatten von Tisch und Bette getrennt und dauert die Trunksucht nach Beendigung dieser Trennung wenigstens noch ein Jahr lang fort, so kann wegen unverbesserlicher Trunksucht der andere unschuldige Ehegatte Scheidung verlangen. § 1734. Hat sich ein Ehegatte zur ehelichen Beiwohnung absichtlich unfähig gemacht, so kann der andere Scheidung der Ehe verlangen. § 1735. Ein Ehegatte kann Scheidung verlangen, wenn der andere ihm nach dem Leben gestellt oder ihn auf sein Leben gefährdende Weise gemißhandelt hat.
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Teil 2
§ 1736. Wegen fortgesetzter Mißhandlungen, welche die Gesundheit des gemißhandelten Ehegatten gefährden, kann, nachdem deshalb Trennung der Ehegatten von Tisch und Bette stattgehabt hat, nach richterlichem Ermessen auf Scheidung erkannt werden. § 1737. Ausdrückliche oder stillschweigende Verzeihung schließt das Recht, die Scheidung wegen Lebensnachstellungen oder wegen Mißhandlungen zu verlangen, aus. § 1738. Wird die Verzeihung an Bedingungen und Vorbehalte geknüpft, so findet die Vorschrift im § 1721 Anwendung. […] § 1740. Hat ein Ehegatte sich eines vorsätzlichen Verbrechens oder mehrerer Verbrechen, unter welchen wenigstens ein vorsätzliches ist, schuldig gemacht, weshalb er zu einer Freiheitsstrafe von wenigstens drei Jahren verurtheilt worden ist, so kann der andere Ehegatte, vorausgesetzt, daß er sich bei Begehung des Verbrechens oder eines der mehreren Verbrechen nicht selbst betheiligt hat, Scheidung verlangen. Unter gleicher Voraussetzung ist ein Ehegatte auch dann auf Scheidung anzutragen berechtigt, wenn der andere Ehegatte während der Ehe wiederholt wegen vorsätzlicher Verbrechen in Untersuchung kommt und die Freiheitsstrafen, in die er deshalb verurtheilt worden ist, zusammen die Dauer von drei Jahren erreichen. § 1741. Hat der unschuldige Ehegatte in diesen Fällen ausdrücklich oder stillschweigend verziehen, so fällt sein Recht, Scheidung zu verlangen, weg. § 1742. Eine Ehefrau kann Scheidung fordern, wenn sich aus einer ärztlichen Untersuchung ergiebt, daß wegen eines unheilbaren Gebrechens, an welchem sie leidet, aus der Ausübung des Beischlafes für sie Lebensgefahr entsteht. […] § 1750. Die Scheidung mag erfolgt sein, aus welchem Grunde es sei, so steht dem unschuldigen Ehegatten an den schuldigen ein Schädenanspruch wegen der etwaigen Vortheile, welche er bei Fortdauer der Ehe gehabt hätte, nicht zu. Vermag der unschuldige Ehegatte sich nicht standesgemäß zu unterhalten, so kann er Unterhalt von dem schuldigen Ehegatten nach richterlichem Ermessen fordern. Dieses Recht fällt weg, wenn das Bedürfniß aufhört, oder der unschuldige Ehegatte sich anderweit verehelicht. § 1751. Ein Recht auf Unterhalt nach richterlichem Ermessen steht, wenn die Ehe wegen unheilbarer Geisteskrankheit geschieden worden ist, dem geisteskranken Ehegatten, welcher sich nicht standesgemäß zu unterhalten vermag, gegen den anderen Ehegatten so lange zu, als das Bedürfniß dauert. […] Zweite Abtheilung. Von dem Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern. […] Dritter Abschnitt. Rechte und Pflichten beider Eltern. § 1801. Eheliche Kinder führen den Familiennamen ihres Vaters, außereheliche den ihrer Mutter. § 1802. Die Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu gewähren. Bei einer Meinungsverschiedenheit der Eltern über die Erziehung ihrer Kinder entscheidet der Vater.
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§ 1803. Wenn die Eltern in erheblicher Weise die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen oder deren körperliches oder geistiges Wohl in Gefahr bringen, so kann das Vormundschaftsgericht, soweit es nach den von den Verwaltungsbehörden etwa getroffenen Maßregeln überhaupt noch erforderlich ist, und, nachdem es die Eltern gehört hat, nach Befinden unter Zuziehung von Verwandten der Kinder, das Nöthige verfügen, insbesondere auch eine Vormundschaft eintreten lassen. § 1804. Nach erfülltem vierzehnten Jahre kann das Kind, wenn es mit der von den Eltern getroffenen Wahl seines künftigen Berufes nicht einverstanden ist, und sein Verlangen nach einem anderen, seiner Neigung und seiner Fähigkeit angemessenen Berufe den Eltern fruchtlos vorgetragen hat, sich an das Vormundschaftsgericht wenden, welches nach Prüfung der Einwendungen der Eltern mit Rücksicht auf Stand, Vermögen und sonstige Verhältnisse das Nöthige zu verfügen hat. § 1805. Beide Eltern können von ihren Kindern, so lange diese noch ihrer Erziehung bedürfen oder in der häuslichen Gemeinschaft stehen, Gehorsam verlangen und, wenn sie das Kind durch angemessene Mittel häuslicher Zucht nicht zum Gehorsam zu bringen vermögen, obrigkeitliches Einschreiten veranlassen. § 1806. Die Kinder sind, so lange sie in der häuslichen Gemeinschaft stehen, verpflichtet, die Eltern in deren Hauswesen und Gewerbe zu unterstützen. § 1807. Die Eltern können die Herausgabe ihres Kindes von jedem Dritten verlangen, welcher ihnen dasselbe widerrechtlich vorenthält. Vierter Abschnitt. Väterliche Gewalt. § 1808. In der Ehe erzeugte und bei Lebzeiten ihres Vaters geborene Kinder kommen mit ihrer Geburt in die väterliche Gewalt. Dasselbe tritt ein bei außerehelichen Kindern mit der nachfolgenden Ehe ihrer Eltern und mit der landesherrlichen Ehelichsprechung, und bei an Kindesstatt angenommenen Kindern mit der landesherrlichen Genehmigung der Annahme an Kindesstatt, ausgenommen wenn sie in Verhältnissen stehen, welche nach §§ 1832, 1833 die väterliche Gewalt aufheben würden. […] § 1810. Alles, was ein in väterlicher Gewalt stehendes Kind durch selbstständige Arbeiten, Dienste oder Kunstfertigkeiten erwirbt, ist sein Eigenthum. § 1811. Der Vater hat vermöge der väterlichen Gewalt an dem gesammten Vermögen seiner Kinder, mit Ausnahme der an Kindesstatt angenommenen, das Recht der Verwaltung und des Nießbrauches. Dieses Recht findet nicht statt an Gegenständen, welche den Kindern von einem Dritten mit der Bestimmung zugewendet worden sind, daß der Vater daran keine Rechte haben soll, sowie an dem Erbtheile, welcher den Kindern anfällt, weil ihr Vater sich seines Erbrechtes unwürdig gemacht hat, oder weil er rechtmäßig enterbt worden ist. […] § 1817. Der Vater haftet rücksichtlich des Vermögens seiner Kinder, an welchem ihm die Verwaltung und der Nießbrauch oder blos die Verwaltung zusteht, für absichtliche Verschuldung und für Unterlassung des Fleißes, welchen er in seinen eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. § 1818. Der Vater ist berechtigt, bewegliche Sachen der minderjährigen Kinder zu veräußern. Unbewegliche Sachen, ingleichen Kostbarkeiten, Gold- und Silbergeräthe, Gesammtsachen, öffentliche Creditpapiere und Actien kann er, wenn die Kinder minderjährig sind, nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes veräußern, welches dieselbe nur im Nothfalle, oder wenn die Veräußerung unter
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Teil 2
besonderen Verhältnissen zum Vortheile der Kinder gereicht, ertheilen darf. Haben die Kinder die Volljährigkeit erreicht, so kann der Vater bewegliche und unbewegliche Sachen derselben nur mit deren Einwilligung veräußern. […] § 1821. Der Vater vertritt seine in väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder rücksichtlich ihrer Person und ihres Vermögens vor und außer Gericht, soweit nicht gesetzliche Ausnahmen bestehen. Volljährige Kinder handeln selbst für sich, vorbehältlich des ihrem Vater zustehenden Rechtes der Verwaltung und des Nießbrauches. § 1822. Gehen Minderjährige, welche in väterlicher Gewalt stehen, Geschäfte unter Lebenden ein, so bedürfen sie der Einwilligung des Vaters. Ohne diese Einwilligung sind die Geschäfte nichtig, vorbehältlich der Bestimmungen in §§ 693, 787. […] § 1827. Rechtsgeschäfte zwischen dem Vater und den in seiner väterlichen Gewalt stehenden Kindern sind nach den allgemeinen Vorschriften zu beurtheilen. Minderjährigen Kindern sind zu Rechtsgeschäften und Rechtsstreiten mit dem Vater, namentlich zur Theilung gemeinschaftlichen Vermögens, besondere Vormünder zu bestellen, welche vorzugsweise aus den Verwandten mütterlicher Seite zu nehmen sind. […] § 1829. Die väterliche Gewalt erlöscht mit dem Tode des Vaters oder des Kindes. […] § 1832. Die väterliche Gewalt erlöscht, wenn das Kind eine besondere Haushaltung gründet. Ist das Kind minderjährig, so bedarf es dazu der Einwilligung des Vaters und eines dem Kinde hierzu bestellten Vormundes. Volljährige Kinder können ohne die Einwilligung des Vaters eine besondere Haushaltung gründen; widerspricht jedoch der Vater, so hat das Gericht über die Erheblichkeit des Widerspruches zu entscheiden. […] § 1833. Die väterliche Gewalt über die Tochter erlöscht, wenn sich dieselbe verheirathet. Nach Beendigung der Ehe lebt die väterliche Gewalt nicht wieder auf. […] Siebenter Abschnitt. Verhältniß zwischen außerehelichen Eltern und Kindern. § 1858. Wer eine Frauensperson außer der Ehe schwängert, ist verpflichtet, die Geburts- und Taufkosten zu bezahlen, ingleichen zu dem Unterhalte des Kindes einen Beitrag zu geben. § 1859. Als Schwängerer gilt Derjenige, welcher mit der Geschwängerten in dem Zeitraume zwischen dem einhundertzweiundachtzigsten und dem dreihundertundzweiten Tage vor deren Niederkunft, den Tag derselben ungerechnet, den Beischlaf vollzogen hat. § 1860. Lebt die Geschwängerte in der Ehe, so gilt Derjenige, welcher mit ihr innerhalb des im § 1859 angegebenen Zeitraumes den Beischlaf vollzogen hat, nur dann als Schwängerer, wenn der Ehemann der Geschwängerten mit dieser während desselben Zeitraumes den Beischlaf nicht ausgeübt hat. § 1861. Verlangt die Geschwängerte an Geburts- und Taufkosten nicht mehr als sieben Thaler, so bedarf es keines Nachweises, daß dieser Aufwand nothwendig gewesen sei. § 1862. Der Schwängerer hat zu dem Unterhalte des außerehelichen Kindes bis zu dessen erfülltem vierzehnten Jahre einen Beitrag von wenigstens zwölf bis höchstens einhundertundzwanzig Thalern für das Jahr zu geben.
Rechtsquellen
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§ 1863. Der Beitrag ist monatlich vorauszubezahlen. Hört die Verbindlichkeit zu dem Beitrage im Laufe eines Monates auf, so wird dessen ungeachtet der vorauszahlbare einmonatliche Betrag voll geschuldet. § 1864. Die Größe des Beitrages innerhalb des niedrigsten und höchsten Satzes ist unter gleichmäßiger Berücksichtigung des Standes der Mutter, der etwaigen besonderen Bedürfnisse des Kindes und des Vermögens des Vaters zu bestimmen. Aendern sich die Vermögensverhältnisse des Vaters in einer Weise, welche auf die Feststellung des Beitrages von Einfluß ist, so kann zu jeder Zeit eine Erhöhung oder Herabsetzung des Beitrages verlangt werden. […] § 1867. Verträge über den Unterhalt des Kindes für die Zukunft kann die Mutter mit dem außerehelichen Vater nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes schließen. […] § 1870. Der außereheliche Vater kann, wenn das Kind das sechste Jahr erfüllt hat, sich von der Leistung des Beitrages für die Zukunft dadurch befreien, daß er den Unterhalt des Kindes übernimmt, dafern nicht nach dem Ermessen des Vormundschaftsgerichtes für das Wohl des Kindes bei der Mutter besser gesorgt ist. […] § 1872. Hat die Mutter innerhalb des im § 1859 angegebenen Zeitraumes mit Mehreren den Beischlaf gepflogen, so haften diese wegen der außerehelichen Schwängerung als Gesammtschuldner. § 1873. Die Verbindlichkeiten aus der außerehelichen Schwängerung gehen auf die Erben des Schwängerers über. Hinterläßt er eheliche Kinder, so hört die Verpflichtung zu dem Unterhaltsbeitrage für das außereheliche Kind auf, wenn dasselbe von Zeit des Todes des Erblassers an aus dessen Nachlasse soviel erhalten hat, als der gesetzliche Erbtheil eines ehelichen Kindes beträgt. § 1874. Zwischen einem außerehelichen Kinde, sowie seiner Mutter und seinen Verwandten von mütterlicher Seite bestehen alle Rechte und Verbindlichkeiten, wie bei einem ehelichen Kinde, insbesondere auch rücksichtlich der Unterhaltspflicht. […] Dritte Abtheilung. Von der Vormundschaft. […] § 1885. Unfähig zur Vormundschaft sind: 1) Frauenspersonen, mit Ausnahme der Mutter und der Großmütter des Minderjährigen, 2) Diejenigen, welche das fünfundzwanzigste Lebensjahr noch nicht erfüllt haben, 3) Diejenigen, welche selbst eines Vormundes bedürfen, 4) Ehemänner für ihre Eheweiber, 5) Stiefväter für ihre Stiefkinder.
Literatur- und Quellenverzeichnis
A. Bibliographische Angaben
Im Literatur- und Quellenverzeichnis sind zunächst diejenigen Quellen aufgeführt, welche in die vorliegende Sammlung aufgenommen worden sind. Ferner ist diejenige Literatur verzeichnet, auf welche in den Quellenkommentaren von Herausgeberseite rekurriert wird. Auf eine umfassende Wiedergabe der Literatur, auf welche ausschließlich in den Fußnoten der Quellentexte selbst Bezug genommen wird (z.B. bei Gierke oder Wachler), wurde hingegen verzichtet.
B. In der Edition abgedruckte Quellen
I. Zeitgenössische Positionen zum Frauen- und Familienrecht 1. Namentlich bekannte Autorinnen und Autoren ALLGEMEINER DEUTSCHER FRAUENVEREIN (VORSTAND): Aufruf!, in: Neue Bahnen 1876, S. 32. ALLGEMEINER DEUTSCHER FRAUENVEREIN: Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins an den Reichstag, in: Neue Bahnen 1877, S. 57-59. AUGSPURG, Anita: Gebt acht, solange noch Zeit ist!, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 4/5. AUGSPURG, Anita: Die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, in: Saul, Elly/Obrist-Jenicke, Hildegard (Hrsg.): Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt, Stuttgart 1899, S. 220-229. AUGSPURG, Anita: Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Die Frauenbewegung 1905, S. 81-83. BEBEL, August: Die Frau und der Sozialismus, 12. (66.) Auflage, Berlin 1990 [basierend auf der 50. Aufl. 1910 und der redaktionellen Fassung von 1946], Auszüge S. 310-343 [Kapitel „Die rechtliche Stellung der Frau“]. BULLING, Carl: Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch, 2. Aufl., Berlin 1896.
Literatur- und Quellenverzeichnis
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BULLING, Carl: Die Rechte der Unehelichen Kinder nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich kritisch beleuchtet (auch für Nichtjuristen), Berlin 1895. BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Beschluß des Bundes deutscher Frauenvereine in Sachen des bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 111. BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition und Begleitschrift betreffend das „Familienrecht“ in dem Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (1896). [Begleitschrift angefügt u.d.T.: Begleitschrift zu der Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine an den Reichstag betreffend das Familienrecht des neuen bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Im Auftrage des Vorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine verfaßt von Freiin Olga von BESCHWITZ-Dresden, Schriftführerin der Rechtskommission des Bundes. Frankenberg (Sachsen) 1899.] Leipzig o.J. [ca. 1899]. (Schriften des Bundes Deutscher Frauenvereine, Heft II und III). BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition an den Reichstag, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 173. BUND DEUTSCHER FRAUENVEREINE: Petition des Bundes deutscher Frauen-Vereine an den Reichstag betreffend ein Vereinsgesetz, in: Die Frauenbewegung/ Parlamentarische Angelegenheiten [PA] 1899, S. 14. CALM, Marie: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne?, in: Der Frauen-Anwalt 1875, S. 249-265. DOHM, Hedwig: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen, Berlin 1876 (Auszüge). EICHHOLZ, Julie: Frauenforderungen zur Strafrechts-Reform. Kritik und Reformvorschläge. Nach den Beschlüssen der Rechtskommission des Bundes deutscher Frauenvereine zusammengestellt und bearbeitet, Mannheim o.J. [1908]. GAMPER, Adele: Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht, Dresden 1894. GIERKE, Otto: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht. Veränderte und vermehrte Ausgabe der in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft erschienenen Abhandlung, Leipzig 1889 (Auszüge). GODIN, [Franz] v.: Das eheliche Güterrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, in: Deutsche Notariats-Zeitung 1889, S. 111. HINSBERG, A.[dolf]: Die Frauen und der Entwurf eines Handelsgesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1897, S. 25-27. JELLINEK, Camilla: Petition des Bundes deutscher Frauenvereine zur Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung. [Unter Mitarbeit von Katharina Scheven.] o.O. [Mannheim] 1909. JELLINEK, Camilla: Deutschland, in: Women’s position in the laws of the nations. A compilation of the laws of different countries. Published by authority of the International Council of Women, Karlsruhe 1912, S. 19-35. KEMPIN, Emilie: Die Stellung der Frau nach den zur Zeit gültigen Gesetz-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Hrsg. vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein (Leipzig).
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2.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Anonyme Autorinnen und Autoren (Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ 1895/96)
Die Stellung der sozialdemokratischen Frauen gegenüber dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches, in: Die Frauenbewegung 1895, S. 126. Das Recht der Frau, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 48-50. Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (I), in: Die Frauenbewegung 1896, S. 128. Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (II), in: Die Frauenbewegung 1896, S. 138. Zum Bürgerlichen Gesetzbuch (III), in: Die Frauenbewegung 1896, S. 146. Die Protestversammlung zu Berlin am 29. Juni 1896, in: Die Frauenbewegung 1896, S. 136-138.
II. Rechtsquellen 1. Deutsches Reich BÜRGERLICHES GESETZBUCH für das Deutsche Reich vom 18. August 1896, RGBl. 1896 (Auszüge). Als Begleitmaterial zum BGB: PROTOKOLLE der XII. Kommission des Reichstags (1896), in: JAKOBS, Horst Heinrich/SCHUBERT, Werner: Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Familienrecht I (Berlin 1987), II (Berlin 1988). MUGDAN, B[enno] (Hrsg.): Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, IV. Band: Familienrecht, Berlin 1899. ALLGEMEINES DEUTSCHES HANDELSGESETZBUCH und Einführungsgesetz. Vom 24. Juni 1861, Berlin 1861 (Auszüge). STRAFGESETZBUCH für das Deutsche Reich in der Fassung vom 15. Mai 1871, RGBl. 1871 (Auszüge). CIVILPROZEßORDNUNG vom 30.1.1877, RGBl. 1877 (Auszüge).
2. Weitere Rechtsquellen ALLGEMEINES LANDRECHT FÜR DIE PREUSSISCHEN STAATEN von 1794. Textausgabe. Mit einer Einführung von Hans Hattenhauer und einer Bibliographie von Günther Bernert, Frankfurt/Main/Berlin 1970 (Auszüge). CODE NAPOLÉON [von 1804 in offizieller deutscher Übersetzung von 1809] mit Zusäzen und Handelsgesezen als Land-Recht für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe 1809 (Auszüge). BÜRGERLICHES GESETZBUCH FÜR DAS KÖNIGREICH SACHSEN, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1863, S. 1-317, Neudruck Aalen 1973; Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe, Bd. 4 (Auszüge).
Literatur- und Quellenverzeichnis
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C. Weitere Quellen und Literatur
I. Namentlich bekannte Autorinnen und Autoren ADELUNG, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 4., 2. Aufl., Leipzig 1801. AUGSPURG, Anita: Über die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England, Zürich 1897. AUGSPURG, Anita: Das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten, in: Die Frauenbewegung 1898, S. 26/27. AUGSPURG, Anita (mutmaßl. Verfasserin): Der letzte Akt der großen Posse, in: Die Frauenbewegung/PA 1900, S. 25. AUGSPURG, Anita: Das Abbröckeln des preußischen Vereinsgesetzes, in: Die Kultur 1902, S. 338-345. AUGSPURG, Anita: Ein typischer Fall der Gegenwart. Offener Brief, in: Europa Nr. 7/1905, S. 311-314. AUGSPURG, Anita/HEYMANN, Lida Gustava: Protest des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht an den Reichstagsabgeordneten Grafen von Hompeck, den Zentrumsantrag zum Vereinsrecht betreffend, in: Die Frauenbewegung 1906, S. 21. BAADER, Ottilie: Massenpetition zur Lex Heinze betreffend Aufhebung von Paragraph 361.6 des Reichsstrafgesetzbuches, eingebracht von Ottilie Baader, Berlin, in: Die Frauenbewegung 1900, S. 25 BAKE, Rita: Fanny Helene Bonfort, in: Hamburgische Biografie – Personenlexikon, Bd. 3, hrsg. v. Kopitzsch, Franklin und Brietzke, Dirk, Göttingen 2006, S. 53/54. BAUMGARTEN, Steffen: Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, Köln u.a. 2007. BERNEIKE, Christiane: Die Frauenfrage ist Rechtsfrage. Die Juristinnen der ersten deutschen Frauenbewegung und das Bürgerliche Gesetzbuch, Baden-Baden 1995. BLOCK, Eduard: Die Zulassung der Frau zu den Gewerbegerichten, in: Die Frau 1902/03, S. 534-546. BRÄMER, Karl/BÖHMERT, Victor/GNEIST, Rudolph: Der Arbeiterfreund, Berlin 1899. BRIDEL, Louis: La puissance maritale, Lausanne 1879. BRIDEL, Louis: Le droit des femmes, Paris 1893. BRINKLER-GABLER, Gisela/LUDWIG, Karola/WÖLFFEN, Angela: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945, München 1986. BURKHARDT, Frederick u.a.: A Calendar of the Correspondence of Charles Darwin, 1821-1882, Cambridge 1994. CALM, Marie: Hat der Staat dieselben Pflichten gegen seine Töchter, wie gegen seine Söhne? [Teilpublikation], in: Neue Bahnen 1874, S. 33-36.
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Literatur- und Quellenverzeichnis
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DUNCKER, Arne: Eheherrschaft und Frauenrechte in der Literatur des „Deutschen Privatrechts“, in: Meder/Duncker/Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte. Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Köln u.a. 2006, S. 111-136. DUNCKER, Arne: Die Anträge Pauli – ein Gegenentwurf zugunsten der Frauen in den Beratungen zum BGB, in: Meder/Duncker/Czelk (Hg.), Frauenrecht und Rechtsgeschichte. Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Köln u.a. 2006, S. 247-278. DUNCKER, Arne: Rezension Susanne Kinnebrock: Anita Augspurg (1857-1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germanistische Abteilung), Bd. 124 (2007), S. 725-727. DUNCKER, Arne: Anita Augspurg und die Ansprüche der Frau auf die Eheerrungenschaft, unveröff. Manuskript 2007. FALCKENBERG, Otto: Das Buch von der lex Heinze, Leipzig 1900. FRENSDORFF, F.[erdinand]: Gottlieb Planck, deutscher Jurist u. Politiker, Berlin 1914. GALTON, Francis: Hereditary Genius: An Inquiry into its Laws and Consequences [1. Aufl.], London 1869. GAMPER, Adele: Armut und Wohlthätigkeit, Dresden 1892. GAMPER, Wilh.[elm]: Die Frauenfrage und das Christentum. Vortrag, Dresden 1893. GEISEL, Beatrix: Klasse, Geschlecht und Recht. Vergleichende sozialhistorische Untersuchung der Rechtsberatungspraxis von Frauen- und Arbeiterbewegung (1894-1933), Baden-Baden 1997. GERHARD, Ute: Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek 1990. GIERKE, Otto: Das bürgerliche Gesetzbuch und der deutsche Reichstag, Berlin 1896. GILDE, Alexandra: Die Stellung der Frau im Reichsstrafgesetzbuch von 1870/71 in den Reformentwürfen bis 1919 im Urteil der bürgerlichen Frauenbewegung, Frankfurt/Main u.a. 1999. GNAUCK-KÜHNE, Elisabeth: Die soziale Lage der Frau. Vortrag, gehalten auf dem 6. Evangelisch-sozialen Kongresse zu Erfurt am 6. Juni 1895, Berlin 1895. GODIN, Franz v.: Ueber Gestaltung des ehelichen Güterrechts im künftigen Bürgerlichen Gesetzbuche für Deutschland, in: Zeitschrift für die deutsche Gesetzgebung und für einheitliches deutsches Recht, Bd. 8, 1875, S. 273-283. GOETHE, [Johann Wolfgang v.]: Faust, Leipzig o. J. [ca. 1900]. GROLLE, Joist/LORENZ, Ina: Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem Verein für Hamburgische Geschichte. Ein lange beschwiegenes Kapitel der NS-Zeit (Mit biografischem Anhang), in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 93 (2007), S. 1-145. HAMMERSTEIN-RORDORF, Verena v.: Das zweite Maulbeerbaum- und Gamperbuch. Spaziergänge durchs 19. Jahrhundert vornehmlich mit und zu Frauen [im Erscheinen]. HASLER, Eveline: Die Wachsflügelfrau, Geschichte der Emily Kempin-Spyri, München 1995.
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Personenregister
Adams, H. B. 65, 78 Adelung, J. C. 104 Adler, E. 63 Ahrens, H. 18-21 d’Alembert, J.-B. l. R. 63 Alten, H. v. 502, 505 Aristophanes 62 Aßmann 664-665 Auer, F. 353 Auer, I. 998-999, 1013, 1015, 1028 Augspurg, A. 14, 27, 41-55, 290291, 334, 351, 356-357, 362, 367, 369, 371, 755, 875, 10301031, 1037 Baader, O. 1031 Bachem, K. J. E. 987-988, 995 Bachofen, J. J. 864 Bähr, O. 388, 394-395, 397-402, 404, 406, 423-424, 426-429, 434 Bake, R. 333 Bamberger, L. 81 Bäumer, G. 820, 828 Baumgarten, S. 200 Bebel, A. 56, 291, 650-651, 675, 798, 863, 997-1000, 1006, 1023 Becher-Hooker, I. 80 Beda 306 Bennigsen, K. W. R. v. 987, 992993 Berkeley, A. 306 Bernau, A. 370 Berneike, C. 42, 501, 690 Bernert, G. 1041 Berolzheimer, F. 388, 390, 404-406 Beschwitz, O. v. 258-259, 281, 837 Bethmann-Hollweg, M. A. v. 26 Bieber, R. 364 Bieber-Böhm, H. 289, 292, 357, 359, 366-368, 755, 757, 806, 811, 1031
Bley, M. 370 Block, E. 1037 Blum, H. 88 Böhlau, H. 369 Boissel, F. 622 Bonfort, F. H. 333 Bornemann, W. 636 Brämer, K. 443 Braun, T. 917 Brentano, L. 20 Brettschneider, H. 42 Bridel, L. 59, 508, 522, 524 Brie, S. 407 Brinkler-Gabler, G. 292 Brühl, K. F. A. 392, 394-396, 403 Buchholz, S. 863 Buchka, G. F. L. E. A. v. 988, 995 Bulling, C. 14, 81-82, 199-200, 258, 281-282, 287, 357, 364, 501, 610-611, 613, 617, 814, 833, 868, 909, 911, 919, 997 Burgund, M. v. 300 Burke, E. 65 Burkhardt, F. 668 Butler-Haimhausen, V. 369 Calm, M. 36, 292-294, 304, 662663, 843 Campbell, J. A. 320 Campbell, J. Marquis v. Lorne 308 Cauer, M. 82, 289, 356-357, 359360, 366-367, 755, 757 Cavana, M. L. P. 27 Chaplin, H. 316 Chapman, A. 59 Chapman, M. 59 Coester, M. 917 Coignet, C. 307 Coing, H. 15 Coke, E. 307 Coleridge, J. D. 339
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Personenregister
Condorcet, J. A. de 65, 130-131 Considérant, V. P. 65 Cordes, O. 1037 Coutts, B. 319 Cuny, L. v. 987-988, 992, 995 Czelk, A. 11, 32, 449, 1030-1031 Dante, A. 316, 387 Darwin, C. R. 72, 668 Delfosse, M. 501 Demolombe, C. 210 Dernburg, H. 86, 151, 197-198 Diethe, C. 655 Dilcher, G. 15 Diokletian 855 Dohm, H. 9, 42, 67, 305, 316, 387, 668 Dömming, A. v. 370 Dose, C. 755, 757, 838 Dosenheimer, E. 1037 Drugulin, W. 443 Druskowitz, H. 752 Duncker, A. 11, 16, 33, 42, 45, 51, 81, 386, 443, 668, 742, 862, 918919, 982, 1029, 1031, 1037, 1041, 1064, 1074 Dünnebier, A. 42 Dziembowski, S. v. 995, 999, 1014 Eckhardt, K. 31 Eduard, englischer König 306 Eichholz, F. 333 Eichholz, J. 200, 333-335, 449, 501, 1030-1031, 1035 Eichholz, M. 333 Enfantin, B. P. 622 Engels, F. 650-651 Enneccerus, L. 987-988, 995 Ermengarde, Vicomtesse de Narbonne 308 Falckenberg, O. 1031 Feder, E. 890 Fichte, J. G. 17, 867 Figurewicz, S. 10 Firck, A. v. 648 Fitzroy, W. 311 Flaubert, G. 311
Förster, F. W. 897 Forster, W. 18 Forsyth, W. 305 Fourier, C. 321, 622 Frank, P. 382 Fraser, N. 31 Frensdorff, F. 917 Friederici, J. 505 Fröbel, F. 664 Frohme, K. 995 Fuld, L. 338, 413, 415-416, 418, 420, 530 Galton, F. 668 Gamper, A. 371-372, 620, 757, 806, 821 Gamper, W. 371-372 Gandereinca 311 Geisel, B. 662, 820 Gennat, G. 338 Georg II. 307 Gerhard, U. 42 Gerndt, O. 356, 359 Gierke, A. v. 385 Gierke, O. v. 14, 81, 316, 385-387, 510, 542, 619, 868, 917-918 Gilcher-Holtey, I. 31 Gilde, A. 1031 Giullari, S. 31 Gizycki (Braun), L. v. 356 Gnauck-Kühne, E. 585, 587-588 Gneist, R. v. 596 Godin, F. v. 435-436 Goethe, J. W. v. 200, 338, 501-502 Goldschmidt, H. 36, 259, 505, 663, 834 Goldschmidt, L. 11, 13, 390, 399, 413, 433 Goudstikker, S. 41 Gouges, O. de 64 Grimm, J. 88, 90 Gröber, A. 986, 992, 995 Grolle, J. 333 Grossi, P. 29 Gurdon 306 Hadrian 852 Hälschner, H. 88
1098 Hammerstein-Rordorf, V. v. 372 Hanausek, G. 389 Hasenclever, S. 666 Hasler, E. 501 Hattenhauer, H. 1041 Hegel, G. W. F. 17, 844 Heidfeld, M. 755, 757 Heinrich III. 306 Heinrich VIII. 306 Heinsohn, K. 333 Heinze, G. 1030 Heller, W. v. 983, 986-988, 992-995 Helvetius, C. A. 63 Henke, C. 41-42, 1030-1031 Herff, O. v. 78 Herschel, K. 664 Heymann, L. G. 41-42, 291 Himburg, E. 995 Hinsberg, A. 290, 443-444, 449, 755, 1028 Hinsberg, M. 443 Hinschius, P. 241, 388-390, 404, 406-408 Hippel, T. G. v. 65, 752 Hirsch, J. 292 Hirsch, L. 731, 735-737 Hitler, A. 333 Hodgson, K. 317 Holbach, P. T. d’ 63 Holtzendorf(f), F. v. 844 Hommel, C. G. 851 Huber, E. 511, 692 Huber, W. 32 Hughes, T. 306 Jacobi, L. 404-406, 562 Jaffé-Richthofen, E. 1037 Jakobs, H. H. 981, 983, 985-986, 989, 992-994, 996 Janssen, A. 32 Jastrow, H. 390, 584, 594, 837 Jellinek, C. 449-450, 488, 492, 500, 1030-1031, 1035 Jellinek, G. 449 Jhering, R. v. 19, 336 Justinian 655, 845, 854, 857, 865 Kant, I. 17-20, 329
Personenregister
Katharina von Lothringen 308 Kauffmann, G. 549, 740-741, 744, 982, 985, 988, 992, 995-996 Kempin, E. 14, 24-30, 46, 200, 371, 385, 500-502, 505, 507-508, 531, 534, 538, 542, 545, 549551, 557-558, 560-561, 566, 579, 584-585, 588, 603-604, 610-613, 616-620, 654, 662, 667, 675, 690, 742-745, 821, 829, 837, 919, 981-983, 986, 997, 1037 Kempin, G. 560-561 Kempin, W. 371, 500 Kempter, K. 449 Kertzer, D. I. 673 Key, C. 882 Key, E. 879, 882, 888, 897, 903 Kinnebrock, S. 41-42 Kirchmann, J. H. v. 88, 1006 Klein, E. F. 853, 861 Klöppel, A. M. 386, 388, 390-393, 395, 400, 403-406, 408, 410, 413, 417, 424-426, 433-434 Koch, C. F. 852, 854, 858 Kohler, J. 417 Konstantin 148 Koujouie, S. 81, 200 Krause, K. C. F. 17-18, 21, 664 Kraut, W. T. 127-129, 255-256, 281 Kräwel, S. v. 648 Kriegsmann, N. 353 Kriesche, A. 333, 338, 838 Kroeschell, K. 917 Kühnast, L. 434 Kuntze 691 Laboulaye, E. 862 Lacombe, R. 64 Lamettrie, J. O. de 63 Landau, P. 386 Landmann, R. v. 499 Landsberg, E. 19 Lange, H. 10, 81, 290-291, 370, 610-611, 820, 828 Laurent, F. 84, 130, 205-206, 212 Lederer, M. 353 Lee, W. 307
1099
Personenregister
Legonvé, E. 314 Lehmann, J. 45-46, 386, 435, 584, 796 Lehner, J. 669 Lenze, A. 31 Lenzmann, J. 749, 1002 Leonhardi, H. K. v. 22, 503, 655 Lerno, F. X. 749, 996 Leroux, P. 66 Letocha, P. 992 Lettow, S. 27 Lewis, J. 31 Lichtblau, K. 863 Linckelmann, K. 424, 426-427 Lippmann 596 Liszt, F. v. 337, 348-349, 353, 465 Litten 338 Lorenz, I. 333 Louise, englische Prinzessin 308 Lucca, P. 303 Ludwig das Kind 308 Ludwig XIV. 308 Luig, K. 30 Luther, M. 867, 886 Machaut, Gräfin von Artois und Bourgogne 308 Mackenroth, A. 46, 1038 Madame Roland 63-64, 327 Maintenon, F. Marquise de 62 Mandry, J. G. K. 986-988, 992-996 Manners, J. 309 Marie Antoinette 327 Martineau, H. 309, 319 Mast, P. 1031 Mayer, O. 404-406 Meder, S. 10, 11, 13, 16, 19, 20, 27, 29, 31, 33, 46, 81, 386, 435, 579, 584, 796, 806, 917, 1073-1074 Menger, A. 14, 371, 373, 375, 384, 388, 402, 404, 412, 424-428, 433, 619-620, 762, 830, 868, 917 Menzzer, M. 36, 505, 662, 664-666, 808 Merkel, J. C. 88 Messori, V. 673 Metger 368 Meurer, B. 862-863
Meyer, E. 1031 Mill, H. T. 12, 668 Mill, J. S. 12, 72, 292, 301, 325, 668-669, 843 Mitteis, A. M. 386-388, 393-395, 397-400, 402-403 Mommsen, F. 868 Montaigne, M. d. 307 Montesqieu, C. 63 Morgenstern, L. 36, 368, 376, 668 Mortara, E. 673 Mortara, P. 673 Möser, J. 665 Moses 436 Mugdan, B. 997 Müller, H. 62 Müller, K. 382 Müller, O. 1031 Müller, P. 496 Munk, M. 371 Murray, W. Lord Mansfield 332 Napoleon 11, 59, 315-316, 379 Naumann, F. 650 Neiseke, E. 752 Nightingale, F. 309, 319 Norton, C. 669 Obrist-Jenicke, H. 368 Ordemann, W. 917 Ortega y Gasset, J. 27 Otis Warren, M. 65 Otto-Peters, L. 22, 35-36, 501-502, 504-505, 654-655, 662, 666, 668-669, 829 Owen, R. 622 Paalzow, C. L. 850 Page, F. 307 Pape, C. 9, 35, 37, 654, 663, 668669, 673-674 Pape, H. E. 664 Papinian 846 Pappritz, A. 1031 Pärssinon, H. 77 Pataky, S. 372 Patti, A. 303 Paul, J. 309
1100 Pauli, M. 547-550, 742-744, 981982, 985-986, 992-996, 999, 1015 Petersen, J. 434 Pfaff, L. 417-418 Philipp V. v. Spanien 62 Philipp V. 308 Pierer, H. A. 104 Pinoff, M. 844 Planck, G. 5-6, 10-16, 23, 25, 200, 501, 561, 674-675, 740, 837, 917, 988, 993-994, 996-999, 1011, 1014, 1023 Plato 622 Poland, F. 427, 430 Pollaczek, F. 371, 379, 381, 385 Pompadour, J.-A., Marquise de 62 Portalis, J.-E.-M 130-131 Prescott, F. 307 Prescott, I. 307 Proelß, S. 23, 24, 82, 200, 259, 368, 501, 549, 558, 690, 755, 757, 834, 919 Psammetich III. 864 Puchelt, E. S. 88 Puchta, G. F. 19, 161 Putnam, M. 300 Rabe, C. S. 22, 33, 36, 668 Ramlo, M. 369 Raschke, M. 14, 23, 24, 82, 200, 259, 288-290, 334, 339, 353, 356, 371, 501, 549, 612, 690691, 731, 735-738, 740, 742743, 745-746, 748-749, 755, 757, 820, 827, 834, 919, 1029, 1042 Raymond de Meraval 311 Reclus, E. 802 Reisel, L. 281 Reuter, G. 369 Rickert, H. 998, 1004, 1007, 10091010, 1016 Riedel, T.-C. 36-37, 259, 292-293, 385, 501, 619, 655, 668, 690, 843, 997 Röder, K. D. A. 18-22, 503, 655, 662, 664
Personenregister
Rohmer, G. 499 Rollit, A. 73 Rosenberg, L. 1037 Roth, P. v. 222, 402 Rousseau, J.-J. 63, 867 Salomon, A. 1037 Sand, G. 505 Savigny, F. C. v. 11, 15-19, 26 Schäfer, M. 260, 502, 655, 664 Schenk, J. K. E. 304 Scheu, U. 42 Scheurl, A. M. v. 388, 390, 404-405 Scheven, K. 449, 464, 472, 475, 1030-1031 Schiller, J. C. F. v. 63, 309 Schirmacher, K. 356, 370, 791, 794, 796-797, 801 Schleiermacher, F. D. E. 17, 21 Schleinitz, A. v. 370 Schließmann, L. 370 Schmid, K. 37 Schmidt, A. 36, 259, 292, 369, 502, 505, 655, 662, 834 Schmidt, R. 844 Schmoller, G. 20, 586 Schopenhauer, A. 309, 315 Schötz, S. 655 Schröder, H. 810-811, 992, 995 Schröder, J. 22 Schubert, W. 12, 15, 32, 917, 981, 983, 985-986, 989, 992-994, 996 Schüller, E. 12, 806 Schwab, D. 17 Schweizer, A. 21 Schwerin, J. 368 Selenka-Heinemann, L. M. 369, 757 Seuffert, J. A. 222 Sicherer, H. v. 241 Simmel, G. 27, 31 Smith, G. 320 Sommerville, M. 319 Spahn, P. 749 Spann, O. 913 Spencer, H. 309 Spyri, J. 500 Stadthagen, A. 995 Staël, A. L. G. 327
1101
Personenregister
Stahl, F. J. 19, 21 Steinacker, G. 669 Steinitz, K. 791, 793 Stobbe, O. 82, 88-89, 131, 150, 205, 207, 253 Stölzel, A. 241 Stöphasius, M. 844 Stritt, A. 805 Stritt, M. 12, 21, 24, 259, 289-290, 292, 357, 360-361, 367, 369, 371, 385, 586, 620, 654, 755, 757, 794, 805-806, 811-812, 820-821, 825, 828, 843, 849, 997 Struckmann, H. C. S. 986 Stumm-Halberg, C. F. v. 501, 531, 547, 550, 554-555, 740-741, 868, 919,981-983, 985-988, 992999, 1015, 1023-1024, 1026, 1028 Sulzer, A. 371 Tacitus, P. C. 307, 866 Taube, M. 286 Taylor, H. 12, 668 Thibaut, A. F. J. 11 Tocqueville, A. de 330 Traeger, A. 6, 806, 997-998, 1000, 1006-1007, 1015 Trémouille, M. v. 62 Trendelenburg, F. A. 21 Twellmann, M. 36-37, 42, 668 Ulpian 843 Uthmann, A. v. 370 Virchow, R. 844 Voltaire, M. de 62, 791
Wach, A. 336, 338, 353 Wachler, L. 293, 304, 828, 842-843, 1042 Wagner, A. 20 Wallace, A. R. 72 Walter, M. 300 Warnkönig, L. A. 21 Weber, Marianne 31, 51, 61, 385, 449, 489, 862-863, 870, 877 Weber, Mathilde 505 Weber, Max 862-863 Weil, J. 293, 304 Wendt 662, 669 Wesolowski, T. 1031 Westrum, A. 408 Wieacker, F. 19, 29 Wilde 306 Wilke, R. 425 Willekens, H. 1041 Williams, W. 78 Wilmowski, G. K. A. v. 129, 254, 257 Windscheid, B. 82, 89-90, 150 Winter, A. 36 Woelfel, J. M. v. 858 Wolff, C. 867 Wollgast, S. 22 Wollstonecraft, M. 65 Wolzogen, Freifrau v. 757 Wood, J. N. 58 Wundt, W. M. 603 Yashiki, J. R. 501, 558 Zachariä, C. F. 216 Zetkin, C. 70, 356, 359, 559, 650651 Zitelmann, E. 389 Zrodlowski, A. M. 408, 425, 430
Sachregister
Abstammung 207, 219, 231 ff., 239, 408 ff., 739 Abtreibung 347 f., 449, 472 ff., 493 Adoption 430 ff., 724, 785, 857 Allgemeiner Deutscher Frauenverein (ADF) 502 ff., 551, 662, 829 Allgemeines Landrecht 731 ff., 846 ff., vgl. auch Partikularrechte Amerika (Rechtslage) 62, 299, 309, 317, 511, 603 ff., 614, 817, 873 Arbeitsrecht 66, vgl. auch Erwerbstätigkeit der Frau Beleidigung (Tatbestand) 345 f., 469, 494 Berufstätigkeit – s. Erwerbstätigkeit der Frau Bordell 234, 344, 459 f. Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) – Generalversammlung 263, 335, 833, 841 – Meinungsverschiedenheiten (intern) 549 f., 551 ff., 559, 585 f., 744 f., 813 – Ziele 335, 551, 611, 650 Bund für Mutterschutz und Sexualreform 874 ff. Code Civil 59 f., 275, 383, 511, 791, 800, vgl. auch französisches Recht Code Napoleon – s. Code Civil Deflorationsklage 141, 377, 427, 530, 633, 761 Doppelte Moral 500, 694, 825, 885 Ehe, vgl. auch Eherecht – als Gesellschaftsvertrag 112 Ehebruch (Strafbarkeit) 341, 451, vgl. auch Scheidungsgründe Ehegesetze
– s. Eherecht Ehegüterrecht – s. Güterrecht Eheherrschaft 44, 53, 92 ff., 437, vgl. auch Mundium Ehehindernisse 60, 239, 643, 649, 731 ff. Eheliche Lebensgemeinschaft 113 ff., 152, 510, 552, 562, 618, 676 f., 853 Ehelichkeitserklärung 151, 248, 409, vgl. auch Legitimation Eherecht 44, 262 ff., 373, 390 ff., 489, 509 ff., 522 ff., 621, 659 f., 676, 695 ff., 762 ff., 814 ff., 831, 853 Ehescheidung – s. Scheidungsrecht Einrede des Mehrverkehrs 227, 233 ff., 426, 639, 723, 736 Elterliche Gewalt 54, 58, 150 ff., 184 ff., 273 ff., 285, 362, 413 ff., 491, 670 ff., 693, 714 ff., 774, 777 ff., 831 – der Mutter 58, 150 ff., 185 f., 189, 193, 208 ff., 213, 274, 288, 417 f., 491, 524 ff., 556, 576 f., 592, 670 ff., 688 f., 693, 714 ff., 780, 782, 818 f., 912 – des Vaters 54, 58, 184, 417 f., 687 f., 693 Empfängniszeit 218, 227, 231, 235, 241, 409, 426 ff., 471, 491, 636 ff., 640 passim, 733 ff., 783, 910 Englisches Recht 58, 72 f., 283, 299, 306, 313 f., 511, 543 f., 579 ff., 604, 674, 760, 817, 873 Entscheidungsrecht 9, 44, 153, 448, 489, 512, 562, 678, 765, 801, vgl. auch Mundium Erbrecht 434 ff., 689 – des unehelichen Kindes 219 ff., 251 ff., 425, 722, 733, 781
1103
Sachregister
Errungenschaft 45 ff. Errungenschaftsgemeinschaft 402, 441, 594, 692, 707 ff., 796, 799 Erwerbstätigkeit (der Frau) 299 ff., 555, 564, 601 f., 651, 656, 665, 746 ff., 750 f., 797 ff. Fahrnißgemeinschaft 402, 692, 710 Familie 652 – Schutz der legitimen Familie 208, 247, 425, 738 f., 793, 819 Familienrat(h) 279, 557, 728, 835 Französisches Recht 58 f. 73 f., 206, 211, 246, 307, 424, 511, 635, 791 f., 873 Frauenbewegung (Eigendefinition) 603, 611 f. – bürgerliche 586, 600, 653, 828 – proletarische 358 ff., 586, 600, 653, 828 Frauenbildung 294 ff., 601 f., 656 Freie Ehe – s. Freie Liebe Freie Liebe 52, 247, 804, 874 ff., 888 f., 893 Fortschrittliche Frauenvereine 55, 549 f., 551 f. Geburtsaffekt 346 f. Gehorsam 59, 94, 316, 360, 511, 807 Geschlechtskrankheit (Strafbarkeit der Ansteckung) 464 ff. Geschlechtsvormundschaft 39, 110, 127 ff., 255, 660 f., 847 Gesetzgebungskritik 44, 532 Gesetzlicher Schutz 488, 694, 809 f., 816 f. Gleichstellung 37, 57, 62 ff., 327, 362, 492, 844 Güterrecht 9, 12, 26, 37, 45 ff., 57 f., 161 ff., 266 ff., 283, 394 f., 435 passim, 490, 515, 534 ff., 539, 542, 545 ff., 591 ff., 612, 617, 623, 681, 692, 698, 747, 750, 768 ff., 816 ff., 831, 854 – Vertragliches Güterrecht 49, 268, 441, 547 f., 564 ff., 591, 612, 677, 686, 692, 699, 760, 769, 833
Güterrechtsregister 269, 566, 710, 747, 770 Gütertrennung 13, 24 ff., 46, 57, 85, 288, 447, 538, 542 ff., 545 ff., 555, 564, 572, 686, 699, 747, 833 Handelsrecht 444 ff., 745, 749 ff., 756 ff. Herrschaftsrecht – s. Entscheidungsrecht und Eheherrschaft Historische Rechtsschule 25 ff., 373 Individualisierung 12, 26 f., 30, 599 f. Italienisches Recht 59, 511, 873 Jugendgerichte 478 f. Jugendstrafrecht 340 f., 476 ff. Kindbett 78, 427 Kindstötung 319, 381 ff., 470 f., 493 Kirche 312, 621, 676, 889, 904 Konkubinat – s. Freie Liebe Krause-Schule 17 ff., 22 Kuppelei 343 f., 458, 890 Legitimation – unehelicher Kinder 428 ff., 724, 781, 784 ff., 914 Lex Heinze 342 Massenbewegung 9 f. Menschenrechte 63 ff. – Frauenrechte als Menschenrechte 23, 63 ff., 315, 329, 333, 363, 384, 674, 760 f., 810 Mittelbare Täterschaft 471, 493 Mundium 81, 87, 102, 110, 156, 281 386, 391, 437, 814 Mutterschaftsversicherung 492, 877, 880 Namensrecht 52 f., 152, 209, 264, 407, 489, 512, 552, 765 Nationalsozialismus 333 Naturrecht 373, 620 Neue Ethik 597, 874 ff., 888 ff.
1104 Not(h)zucht – s. Vergewaltigung Nutznießung – durch den Ehemann 37, 57 f., 85, 156, 167 passim, 283, 288, 361 ff., 394 ff., 426, 567, 661, 682, 698, 854 – durch den Vater 191, 215 ff., 416, 778 Österreich (Rechtslage) 155, 339, 354, 424, 446, 817, 873 Partikularrechte 11, 48, 129, 207, 256, 506 f., 659 ff. Positivismus 19, 29 Proletarische Frauenbewegung – s. Frauenbewegung Prostitution 62 f., 309 ff., 330, 343, 350, 461 ff., 492, 882 f. Rechtsgutsschutz 337 Rechtskämpfe 828 ff. Rechtsschutzverein 371 f., 757 f., 820 ff. Rußland (Rechtslage) 61, 696, 760, 817 Schande 47, 142, 314, 345 ff., 379, 694 Scheidungsrecht 37, 58, 178 ff., 269 ff., 404, 490, 574 ff., 622, 692, 710 ff., 771, 833, 872 ff., 898 ff. – Scheidungsfolgen 40, 48, 270 f., 406 ff., 574 ff., 672, 711, 772, 778 f. – Scheidungsgründe 40, 179 ff., 269, 366, 404 ff., 490, 574, 582, 711, 771, 855, 898 f. – Statistik 108, 905 Schlüsselgewalt 155, 158, 393, 489, 512, 553, 563, 680, 765 Schuldprinzip 406, 711, 773, 905 f. Schulenstreit 336 Schutzbedürfnis 218, 460 f., 688, 694, vgl. auch gesetzlicher Schutz Schweizer Recht 59, 108, 300, 455, 460, 511, 552 ff., 696, 800
Sachregister
Sexueller Mißbrauch 345, 457, 494 – durch Arbeitgeber 342, 453 f. – Schutzbefohlener 342, 452 f., 632 Sittlicher Fehltritt 140 ff., 218, 236 f., 286 f., 377 f., 386, 720 Sittlichkeitsdebatte s. Neue Ethik und Freie Liebe Skandinavien 61, 817 – Dänisches Recht 61, 72, 873 – Finnisches Recht 61, 71, 471, 873 – Norwegisches Recht 61, 71, 356, 471, 511, 873 – Schwedisches Recht 61, 71, 873 Sozialdemokratie 65 ff., 586 ff., 651 Staatsbürgerliche Rechte 291, 294 ff., 310 ff., 335, 367, 495 f., 596 f., 824, 839 ff., vgl. auch Stimmrecht und Vereinsrecht Stimmrecht 68 ff., 291, 305 ff., 310 passim, 326, 381, 495 f., 595, 794 ff. Strafprozeß 351 ff., 450 f., 470, 479 ff., 494 f. Strafrechtsreform 333 ff., 381, 450 Strafvollzug 353 ff. Täterschaft 467, 471 Trunksucht 339, 467 f. Unbescholtenheit 345, 428, 457, 494, 632, 638 Uneheliche – Kinder 60, 127, 199 ff., 203, 219, 425, 556, 739, 776, 809, 819, 870, 908 f. – Mütter 140, 208 ff., 286, 288, 340, 377 f., 491, 529, 592, 627, 637 f., 732, 737 f., 809 – Väter 203 ff., 221, 251, 261, 275, 383, 556, 638, 732, 739 f., 776, 809, 908 f. Unehelichenrecht 199 ff., 219, 261, 275 ff., 286 f., 409, 424 ff., 629 ff., 637 ff., 695, 720, 731 ff., 736 ff., 781, 792, 809 ff., 819, 833, 907 ff. Unterhalt – bei bestehender Ehe 767
Sachregister
– der unehelichen Mutter 143, 275, 277, 427, 643, 720, 781 ff., 912 – des unehelichen Kindes 203 f., 220 ff., 224, 426, 556, 643 ff., 720, 912 – nach Ehescheidung, vgl. auch Scheidungsfolgen – unter Verwandten 271, 409, 625 Unzucht 350 Vaterschafts– -anerkennung 245 ff., 428, vgl. auch Legitimation – -anfechtung 409 – -feststellung 227, 241, 428 Vereinsrecht 76 f., 289 ff., 596, 839 ff. Verführung 140, 146 f., 345, 428, 529, 634, 732 Vergewaltigung 59, 184, 345, 475, 636, 643 f., 649 Verlobung 133 ff., 140 f., 388 f., 761 Verwaltungsgemeinschaft 46, 57, 85 f., 156, 163 ff., 179, 283, 394, 398 ff., 447, 517 ff., 534 ff., 542 ff., 568 f., 617, 682, 700, 748, 835
1105 Verwaltungsrecht 495 Vogtei – s. Mundium Vormundschaft – eheliche s. Mundium – der Frau s. Geschlechtsvormundschaft Vormundschaftsrecht 37 f., 40, 195 ff., 277 ff., 379 f., 433, 492, 526, 649, 693, 725 ff., 786 ff., 856 f. Wochenbett 78, 249, 277, 378, 645, 734, 783, 798, 809, 877 Zerrüttungsprinzip – s. Scheidungsgründe Zivilprozeß 145, 167, 202, 239 ff., 433, 490, 645 ff., 859 Zugewinngemeinschaft 45 f., 594, 799 ZGB – s. Schweizer Recht