Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung [1 ed.] 9783428499052, 9783428099054

Die italienische Regierung verfügt - anders als die deutsche - über umfassende Rechtsetzungsbefugnisse. Verordnungen der

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Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung [1 ed.]
 9783428499052, 9783428099054

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JOBST MARTIN SELLE

Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung

Schriften zum Internationalen Recht Band 117

Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung

Von

J obst Martin SeIle

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Seile, Jobst Martin: Die Rechtsetzungsbefugnisse der italienischen Regierung / von Jobst Martin SeIle. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 117) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-09905-2

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany

© 2000 Duncker &

ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-09905-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend [SO 9706@

Vorwort Erste Möglichkeiten zu einer Beschäftigung mit dem italienischen Verfassungsrecht boten sich im Rahmen eines von Professor Dr. Volkmar Götz an der Universität Göttingen angebotenen Seminars im WS 1989/90. Die Fortsetzung des juristischen Studiums an der Universität Bologna im SS 1990 ermöglichte mir vertiefte Studien auf diesem Gebiet. In Zusammenarbeit mit dem Bologneser Lehrstuhl für vergleichendes Verfassungsrecht veranstaltete Professor Dr. Götz Anfang der neunziger Jahre weitere Seminare zum italienischen Verfassungsrecht. Auf seine Anregung entstand die vorliegende Arbeit, und ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für die freundliche Betreuung und zahlreiche wertvolle Ratschläge bedanken. Nützliche Hinweise verdanke ich auch Herrn Professor Dr. Hans Hugo Klein, der die Zweitbegutachtung übernommen hat. Bei Anfertigung der Arbeit habe ich mich ganz überwiegend auf italienische Quellen stützen können. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Mitte 1997 berücksichtigt werden. Die engen Kontakte zur Universität Bologna erwiesen sich dabei als äußerst hilfreich. Mein besonderer Dank gilt Professor Dr. Luca Mezzetti, der meine Forschungsaufenthalte in Italien stets mit nützlichen Ratschlägen und großer Hilfsbereitschaft begleitete. Seiner Unterstützung verdanke ich auch die Gelegenheit, aktuelle Entwicklungen zum Thema der Untersuchung verfolgen zu können, etwa durch Teilnahme an der Jahrestagung 1995 der italienischen Gesellschaft der Verfassungsrechtier in Parma. Bedanken möchte ich mich ferner bei all jenen, an die ich mich während der Anfertigung der Arbeit mit Fragen und Bitten wenden durfte. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Jose Marttnez Soria, dessen Rat und Hilfe ich zu jeder Zeit in Anspruch nehmen konnte. Ebenfalls danken möchte ich meiner Schwester Dr. Bettina Schneider und meinem Schwager Dr. Wilhelm Schneider für umfangreiche praktische Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes. Abschließend möchte ich ganz besonders meinen Eltern Kurt und Ursula SeIle für die stets großzügige Förderung meiner Arbeit danken. Braunschweig, im März 2000 lobst Martin SeIle

Inhaltsverzeichnis

1. Teil

Einleitung

17

1. Legislativkompetenzen der Exekutive als verfassungsrechtIicher Ausnahmefall

17

1I. Überblick über die Rechtsquellenhierarchie und die Einordnung der Rechtsnormen aus dem Zuständigkeitsbereich der Regierung ..............................

18

1. Rechtsquellen mit Verfassungsrang .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

2. Rechtsquellen ersten Ranges ........... . . . ... . ...................... . ... . ....

19

3. Rechtsquellen zweiten Ranges ............... . ... . .................. . ........

20

III. Legislativkompetenzen der Exekutive nach heutigem und früherem deutschen Recht............. .................. ....................... ........... ..........

22

I. Die Rechtslage nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen .........

22

2. Die Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive nach der Reichsverfassung von 1871 (RV (1871» ............................................................

23

3. Die Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive nach der Reichsverfassung von 1919(RV(l919» ................................... , ........................

25

IV. Übereinstimmungen in der verfassungsrechtlichen Konzeption der Verordnungen mit Gesetzeskraft ...............................................................

27

I. Die Begriffe "forza di legge" und "valore di legge" ......... ... . .. ..... ... . .. .

27

2. Die Bedeutung der Gesetzeskraft für die Stellung innerhalb der Rechtsquellenhierarchie .................................................................

28

V. Entstehungsprozeß und Ausprägung der Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in der italienischen Verfassungsgeschichte ............

30

I. Entstehung und Grundzüge der monarchischen Verfassung ...................

30

2. Die Inanspruchnahme legislativer Kompetenzen durch die Regierung außerhalb des geschriebenen Verfassungsrechts ....................................

31

a) Die Rechtslage nach dem Statuto Albertino ...............................

31

8

Inhaltsverzeichnis b) Die Entwicklung in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem

32

aal Die Bedeutung der Stellung von Parlament und Regierung für die Wahrnehmung gesetzgeberischer Befugnisse .........................

32

bb) Verfassungsimmanente Ansätze in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem ....................................................

32

cc) Der Einfluß des Gewohnheitsrechts auf die Stellung von Parlament und Regierung .......................................................

34

dd) Ansätze einer gesetzlichen Festlegung des Regierungssystems praeter constitutionem .......................................................

35

3. Die Entstehung der Verordnungen mit Gesetzeskraft..........................

36

a) Rechtsetzung aufgrund vorausgegangener parlamentarischer Ermächtigung ....................... ....................... ......... ........... ....

36

b) Rechtsetzung ohne vorausgegangene parlamentarische Ermächtigung.....

38

aal Gesetzgeberische Befugnisse der Exekutive während des Belagerungszustandes (stato d'assedio) ......................................

38

bb) Der Erlaß von Notverordnungen (decreti legge) .......................

39

4. Die Verordnungen mit Gesetzeskraft während der Zeit des Faschismus .......

40

a) Die Krise des liberalen Staates als Voraussetzung für den Aufstieg des Faschismus ...............................................................

40

b) Die Umgestaltung des Regierungssystems unter Mussolini ................

42

2. Teil

Decreti legislativi

44

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben .............. . ................ . . . ..... . .........

44

1. Die Erteilung der Ermächtigung ..............................................

44

a) Die Verabschiedung von Gesetzesvorlagen im Parlament ..................

45

aal Die Verabschiedung von Gesetzesvorlagen im ordentlichen Verfahren

46

bb) Das Dringlichkeitsverfahren ..........................................

47

cc) Die Alleinzuständigkeit des Ausschusses zur Verabschiedung der Gesetzesvorlage .........................................................

47

dd) Das "gemischte" Abstimmungsverfahren .............................

48

b) Die Ausschlußfunktion des Plenarvorbehalts ..............................

48

c) Das Verbot der Eigenermächtigung ........................................

49

2. Der Widerruf der Ermächtigung ..............................................

50

Inhaltsverzeichnis

9

3. Adressat der Ermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

4. Inhaltliche Vorgaben des Ermächtigungsgesetzes .............................

51

a) Der Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

aa) Hinreichende Bestimmtheit des Regelungsgegenstandes ..............

52

bb) Zulässige Regelungsgegenstände ................. . ...................

52

b) Zeitliche Begrenzung der Ermächtigung

53

aa) Beginn und Ende der Ermächtigung

54

bb) Die Verfahrensschritte innerhalb des Ermächtigungszeitraumes .......

54

(1) Die Verabschiedung durch den Ministerrat .......................

54

(2) Der Erlaß durch den Präsidenten der Republik ...................

56

cc) Inanspruchnahme der Ermächtigung vor Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes ........................................................

57

dd) Die zulässige Dauer der Ermächtigung ...............................

58

c) Festlegung der Grundsätze und Richtlinien................................

59

d) Die Festlegung weiterer Grenzen ..........................................

62

11. Verfahren und Form der Verordnungsgebung ....................................

64

1. Die Ausarbeitung der Verordnung ............................................

65

2. Der Beschluß der Verordnung ................................................

66

3. Der Erlaß der Verordnung....................................................

66

4. Die Veröffentlichung der Verordnung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

III. Der Anwendungsbereich der "delega legislativa" ................................

70

1. Die "testi unici" ..............................................................

70

a) Die Funktion der "testi unici" ........................................ . ....

70

b) Die "testi unici compiJativi" und ihre rechtliche Einordnung ..............

71

2. Die Funktion der decreti legislativi bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in nationales Recht .........................................

75

IV. Sonderfälle der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Regierung ..

77

I. Die Ausführungsbestimmungen zu den Sonderstatuten der Regionen (norme di attuazione degli statuti speciali) ................... :.............. . . . . . . . . . .

77

2. Die Übertragung der notwendigen Befugnisse ("poteri necessari") auf die Regierung im Kriegsfall nach Art. 78 Cost. ...................................

80

a) Die Rechtsform der Übertragung ..........................................

80

aa) Theorie der formlosen Ermächtigung nach Art. 78 Cost. ..............

80

10

Inhaltsverzeichnis bb) Theorie der gesetzesabhängigen Ermächtigung nach Art. 78 Cost.

81

cc) Stellungnahme.......................................................

81

b) Der Umfang der Übertragung .............................................

82

c) Die Ausübung der notwendigen Befugnisse und ihre Einordnung in das System der Rechtsquellen ...................................................

83

aa) Art. 78 Cost. als Sonderfall des Notverordnungsrechts ................

83

bb) Art. 78 Cost. als Sonderfall der ermächtigungsgebundenen Verordnung .................. ........... .......................... ..........

83

3. Teil

Notverordnungen (decreti legge)

85

I. Einleitung.......................................................................

85

H. Die Systematik der Rechtsetzung durch Notverordnungen .......................

86

III. Die Rechtsnatur der decreti legge ...................... ,........................

87

1. Art. 77 Abs. 2 Cost. als bloße Möglichkeit zur Rechtsetzung .................

87

2. Art. 77 Abs. 2 Cost. als abstrakt-potentielle Zuständigkeitsnorm ..............

89

3. Stellungnahme...............................................................

89

IV. Voraussetzungen und Schranken des Notverordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

1. Der Adressat der Ermächtigung aus Art. 77 Abs. 2 Cost. ......................

91

a) Die ausschließliche Zuständigkeit der Regierung für Notverordnungen mit Gesetzeskraft .............................................................

91

b) Die Notverordnungsgebung durch eine Regierung ohne parlamentarisches Vertrauen .................................................................

91

c) Die Zulässigkeit von Notverordnungen auf der Ebene der Regionen.......

95

aa) Keine Anwendbarkeit des Art. 77 Abs. 2 Cost. aufregionaler Ebene ..

95

bb) Anhaltspunkte für ein regionales Notverordnungsrecht in der Verfassung und in den Regionalstatuten .....................................

96

cc) Regionales Notverordnungsrecht aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze .......................................... :......................

96

dd) Die Ansicht des Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

2. Fälle außergewöhnlicher Notwendigkeit und Dringlichkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung ................................................................

98

a) Die Aufnahme des Notverordnungsrechts in die Verfassung ..... . .........

98

b) Die Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen .........................

98

aa) Erfordernis einer objektiv bestehenden Ausnahmesituation ...........

99

Inhaltsverzeichnis bb) Einschätzungsprärogative der Regierung

11 99

cc) Stellungnahme ....................................................... 100 3. Die Grenzen des Notverordnungsrechtes ..................................... 102 a) Einschränkungen im Hinblick auf den Regelungsgegenstand .............. 102 aa) Notverordnungen mit Verfassungsrang ............................... 102 (I) Weite Auslegung der Notverordnungsbefugnis ................... 102 (2) Enge Auslegung der Notverordnungsbefugnis .................... 103 bb) Regelungsgegenstände unter Parlamentsvorbehalt .................... 104 (1) Notwendigkeit als einschränkendes Kriterium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

(2) Einschränkungen des Notverordnungsrechts bei Regelungen unter Parlamentsvorbehalt ............................................. 104 cc) Stellungnahme ....................................................... 106 b) Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung der Notverordnung .......... 106 aa) Das Gebot vorläufiger Maßnahmen................................... 106 bb) Allgemeine Regelungsverbote ........................................ 109 cc) Das Verbot wiederholender Notverordnungen......................... 110 (I) Die Beurteilung wiederholender Notverordnungen in der Lehre .. 112 (2) Die wiederholenden Notverordnungen in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes . . . . .. . .. . . . .. . .. . . . . .. . .. . . .. . . . .. . . . .. . . . . . 114 (3) Stellungnahme................................................... 118 V. Verfahren und Form der Verordnungsgebung .................................... 120 1. Die Ausarbeitung der Verordnung ............................................ 120

2. Der Beschluß der Verordnung........................................ .. ...... 121 3. Der Erlaß der Verordnung ........................... ,........................ 121 a) Die Befugnisse des Präsidenten der Republik beim Erlaß einer Notverordnung ...................................................................... 121 aa) Das Recht zur Verweigerung des Erlasses als Ausdruck umfassender Kontrollbefugnisse des Präsidenten................................... 122 bb) Die Pflicht des Präsidenten der Republik zum Erlaß der Notverordnung ................................................................. 122 cc) Stellungnahme ....................................................... 123 b) Möglichkeiten informeller Einflußnahme ................................. 125 4. Die Veröffentlichung der Notverordnung ..................................... 126

12

Inhaltsverzeichnis

VI. Die Umwandlung der Notverordnung in Gesetz ................................. 127 1. Die Rechtsnatur und Funktion des Umwandlungsgesetzes .................... 127 a) Die Theorie der Umwandlung im technischen Sinne.................. . .... 128 b) Die Theorie der Novation................................................. 128 c) Das Umwandlungsgesetz als bloße Bestätigung der Notverordnung ....... 129 d) Stellungnahme............................................................ 130 aa) Die Rückwirkung des Umwandlungsgesetzes ......................... 130 bb) Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit rückwirkender Vorschriften im Umwandlungsgesetz ................................................. 130 2. Das Zustandekommen des Umwandlungsgesetzes ............................ 132 a) Der Entwurf des Umwandlungsgesetzes ....................... . . . . . . . . . . .. 132 b) Die Behandlung des Gesetzentwurfes im Parlament ....................... 135 aa) Die Rücknahme des Entwurfes nach der Vorlage im Parlament ....... 135 bb) Die Prüfung und Verabschiedung des Gesetzentwurfes ................ 135 cc) Der Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens .......................... 139 dd) Die Kontrollbefugnisse des Präsidenten der Republik bei der Entstehung des Umwandlungsgesetzes ...................................... 140 3. Abänderungen (emendamenti) des Umwandlungsgesetzentwurfes gegenüber den Bestimmungen der Notverordnung....................................... 141 a) Zulässigkeit und Formen der Abänderung................................. 141 b) Der zeitliche Geltungsbereich der Abänderungen im Umwandlungsgesetz 144 aa) Die Ansicht des Kassationshofes (Corte di cassazione) ................ 144 bb) Die Lehre von der teilweise fehlenden Umwandlung.................. 144 cc) Abänderungen im Umwandlungsgesetz als Neuregelung ohne Bezug zur Umwandlung..................................................... 145 dd) Zusammenfassende Bewertung....................................... 146 VII. Die fehlende Umwandlung der Notverordnung .................................. 147 I. Die Formen fehlender Umwandlung und die Auswirkungen auf die Notverordnung...................................................................... 147 2. Die unurnkehrbaren Auswirkungen der Notverordnung....................... 148 3. Die Verantwortung der Regierung im Falle fehlender Umwandlung........... 152 a) Voraussetzungen der Regierungsverantwortung ........................... 152 b) Form und Umfang der Regierungsverantwortung .......................... 153 4. Die gesetzliche Regelung der durch die Notverordnung geschaffenen Rechtsverhältnisse .................................................................. 155

Inhaltsverzeichnis

13

VIII. Notverordnungsgebung zwischen Krise und Reform............................. 157 1. Die Krise der Notverordnungsgebung als Kontrollproblem ................... 157 a) Der Funktionswandel der Notverordnung ................................. 157 b) Die Kontrolle der verfassungsmäßigen Voraussetzungen für den Erlaß von Notverordnungen ......................................................... 158 aa) Selbstkontrolle der Regierung ........................................ 158 bb) Kontrolle durch den Präsidenten der Republik.................. . ..... 159 cc) Kontrolle durch das Parlament............... . . . ...................... 160 dd) Kontrolle durch das Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Verfahrensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

(2) Kontrolldichte ................................................... 164 (3) Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Praxis................ 166 2. Die Neuordnung des Notverordnungsrechts im Wege der Verfassungsänderung .......................................................................... 169

4. Teil Die Verordnungen ohne Gesetzeskraft (regolamenti)

175

I. Einleitung....................................................................... 175 II. Entstehung und Grundlage der Befugnis zum Erlaß von Verordnungen ohne Gesetzeskraft ...................................................................... 176 I. Die Rechtsgrundlage zur Verordnungsgebung nach der monarchischen Verfassung ......................................................................... 176 a) Die autoritäre Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Die liberale Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Die gesetzliche Regelung der Verordnungsbefugnisse ........................ 178 3. Die Verordnungen ohne Gesetzeskraft in der Verfassung von 1948 ............ 180 a) Die Zulässigkeit von Verordnungen ohne Gesetzeskraft nach der Verfassung ...................................................................... 180 b) Verfassungsimmanente Grenzen der Verordnungsgebung .................. 181 III. Die Verordnungen ohne Gesetzeskraft nach Art. 17 des Gesetzes Nr. 400 11988 . . 183 I. Das Verfahren der Verordnungsgebung ....................................... 183 2. Die Verordnungen zur Ausführung, Umsetzung und Ergänzung der Gesetze und Gesetzesverordnungen (Art. 17 Abs. 1 a), b), d» ......................... 184

14

Inhaltsverzeichnis 3. Die ..unabhängigen" Verordnungen nach Art. 17 Abs. 1 c) .................... 185 a) Unterschiede zur Rechtslage nach dem Gesetz Nr. 100/1926.......... . ... 185 b) Die Schranken der unabhängigen Verordnungsgebung ..................... 185 aa) Die Verfassungswidrigkeit unabhängiger Verordnungen............... 186 bb) Die Vereinbarkeit ..unabhängiger" Verordnungen mit der Verfassung .. 187 cc) Stellungnahme ....................................................... 187 c) Die .. übertragenen" Verordnungen (rego1amenti de1egati) nach Art. 17 Abs.2 .................................................................... 188 aa) Der Begriff der ..übertragenen" Verordnung .......................... 188 bb) Die Regelung des Art. 17 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 400/ 1988 ......... 189 d) Verordnungen zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften ...... 192 e) Die ministeriellen Verordnungen nach Art. 17 Abs. 3 (regolamenti ministeriali ed interministeriali) .................................................. 193 aa) Die ministeriellen Verordnungen im System der Rechtsquellen ....... 193 bb) Das Rechtsetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 cc) Der Anwendungsbereich ministerieller Verordnungen ................ 195

IV. Ausblick auf geplante Verfassungsregelungen der Verordnungen ohne Gesetzeskraft ............................................................................ 196

5. Teil Zusammenfassende Bewertung

198

Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 215

Abkürzungsverzeichnis a. a.O. Abs. Anm. Arch. Art. Ass. Cost. Bd. Cam. c.c. Corte cass. Corte cost. Cost. / cost. tuente c.p. dig. dir. dir. pubbl. Dir. soc. d.lgs. d. p.C. m. d.p.r. ebd. Enc. dir. f. ff. FN Foro it. FVG Giur. Giur. cost. G.U. it. i.V.m. L.

m. mer. n.

am angegebenen Ort Absatz Anmerkung Archivio Artikel / articolo Assemblea Costituente (Verfassunggebende Versammlung) Band Camera dei deputati (Abgeordnetenkammer) Codice civile (italienisches Zivilgesetzbuch) Corte di cassazione Corte costituzionale (italienisches Verfassungsgericht) Costituzione italiana (italienische Verfassung) / costituzionale / costiCodice penale (italienisches Strafgesetzbuch) digesto diritto diritto pubblico Diritto e societa (Zeitschrift) decreto legislativo decreto deI presidente deI consiglio dei ministri Decreto deI Presidente della Repubblica (Verordnung des Präsidenten der Republik) ebenda Encic\opedia deI diritto folgende folgende Fußnote 11 Foro italiano (Zeitschrift) Friuli Venezia Giulia Giurisprudenza Giurisprudenza costituzionale (Zeitschrift) Gazzetta Ufficiale italiano in Verbindung mit Legge (Gesetz) mit merito numero (Nummer)

16 Noviss. Nr. ord. pen. Pkt. Prev. soc. Quad. Rass. R.D. Reg. RGB\. Riv. it. dir. proc. pen. Riv. trim. dir. pubb\. Rspr.

S. SA Sen. sent. n. sentt. nn. sez. SI sic. St. supp\. TAA

v. Verf. vg\. z. B.

Abkürzungsverzeichnis Novissimo Nummer Ordinanza (Beschluß), ordinario penale Punkt Previdenza sociale Quaderni Rassegna Regio decreto Regolamento, regione Reichsgesetzblatt Rivista italiana di diritto di procedura ' penale Rivista trimestrale di diritto pubblico Rechtsprechung Seite Sardegna Senato sentenza numero (Entscheidung Nummer) sentenze numeri (Entscheidungen Nummern) sezione Sicilia siciliana Statuto Albertino supplemento Trentino Alto Adige von Verfassung vergleiche zum Beispiel

1. Teil

Einleitung I. Legislativkompetenzen der Exekutive als verfassungsrechtlicher Ausnahmefall Die italienische Rechtsordnung eröffnet der Regierung ein breites Spektrum an Rechtsetzungsbefugnissen. Die weitreichende Inanspruchnahme von Rechtsetzungskompetenzen durch die Regierung ist stets auch Gegenstand der Kritik gewesen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Befugnisse lassen sich bis zu den AnHingen des italienischen Staates zurückverfolgen. 1 In letzter Zeit wird den Regierungen vorgehalten, auf nahezu allen Gebieten und mit stets wachsender Zahl Notverordnungen zu erlassen. 2 Diese Praxis stößt zunehmend auf Kritik, weil die Verfassung Notverordnungen nur in besonderen Ausnahmefällen zuläßt. Trotzdem übersteigt die Zahl der Notverordnungen inzwischen die Zahl der formellen Gesetze. Während im Jahr 1993 die Zahl der formellen Gesetze bei 177, die der Notverordnungen bei 259 lag, wurden 1994 163 formelle Gesetze und sogar 336 Notverordnungen erlassen. 3

Die Einordnung dieser Regierungskompetenzen in das italienische Rechtssystem richtet sich wesentlich nach der Ausgestaltung, die das Gewaltenteilungsprinzip in der italienischen Verfassung gefunden hat. Der Gedanke der Gewaltenteilung als Bestandteil einer Verfassungsordnung läßt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Mit einer in der Verfassung angelegten Gewaltenteilung soll der Konzentration staatlicher Gewalt und damit einem Mißbrauch von Herrschaftsbefugnissen entgegengewirkt werden. Die Aufteilung staatlicher Gewalten soll die Freiheit der Bürger vor uneingeschränkter und unkontrollierbarer staatlicher Machtausübung schützen. 4 In der Neuzeit hat das vor allem von Lockes und Montesquieu 6 begründete Gewaltenteilungsprinzip in eher stren1 Vgl. Corte d'appello di Casale, 26 giugno 1857, Giurisprudenza degli Stati Sardi 1857, S. 29, 30 f.; Corte d' appello di Genova, 14 luglio 1856, Giurisprudenza degli Stati Sardi 1857, S. 12, 15 f.; Morelli, I1 Re, S. 702. 2 Vgl. z. B. Barbera, Una rifonna per la Repubblica, S. 132 ff.; vgl. auch aus der jüngsten Vergangenheit:"Pivetti censura Berlusconi: troppi decreti" in: Corriere della sera vom 30.9.1994, S. 4 (Verf. R.P.). 3 Vgl. Paladin, Le fonti deI diritto italiano, S. 246. 4 Vgl. Starck, Gewaltenteilung, in: Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 11. S John Locke, 1\vo Treatisees on Government, 1690,11 § 107.

2 SeUe

18

I. Teil: Einleitung

ger Form nur Eingang in die frühen Verfassungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts gefunden. 7 Eine puristische Verwirklichung dieses Grundsatzes erwies sich aber als undurchführbar. 8 In den freiheitlich-demokratisch geprägten Verfassungen der Gegenwart hat das Gewaltenteilungsprinzip daher Wandlungen erfahren. Überwiegend stellt es sich als ein System dar, das die staatlichen Grundfunktionen schwerpunktartig einzelnen Funktionsträgern zuordnet und dabei den Zweck gegenseitiger Hemmung und Kontrolle verfolgt.9 Auch die italienische Verfassung 10 weist die staatlichen Grundfunktionen einzelnen Organen zu, so z. B. die Rechtsprechung den ordentlichen Richtern (Art. 102 Abs. 1 Cost.) und die Gesetzgebung den Parlamentskammern (Art. 70 Cost.). Die Zuweisung der Gesetzgebungsfunktion an das Parlament wird jedoch in den Art. 76, 77 Cost. eingeschränkt. Danach kann die Gesetzgebungsfunktion auch von der Regierung ausgeübt werden. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen soll die Funktionszuweisung an die Regierung nur ausnahmsweise erfolgen. Art. 77 Abs. 1 Cost. weist nämlich auf die grundSätzlich erforderliche Ermächtigung durch das Parlament als dem eigentlichen Inhaber der Funktion hin. Diese Ermächtigung dürfen die Parlamentskammern nur erteilen, wenn sie zugleich den Regelungsgegenstand, die Dauer der Ermächtigung und die von der Regierung zu beachtenden Grundsätze und Richtlinien bestimmen (Art. 76 Cost.) oder wenn sie zuvor den Kriegszustand beschlossen haben (Art. 78 Cost.). Ohne eine vorher erteilte Ermächtigung ist die Regierung nach Art. 77 Abs. 2 Cost. nur in Fällen außergewöhnlicher Notwendigkeit und Dringlichkeit berechtigt, (Not-) Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen.'

11. Überblick über die Rechtsquellenhierarchie und die Einordnung der Rechtsnormen aus dem Zuständigkeitsbereich der Regierung Die von der Regierung beschlossenen Rechtsnormen nehmen in der Rechtsquellenhierarchie unterschiedliche Positionen ein.

Charles de Montesquieu, Oe l'Esprit des Lois, Buch XI, Kap. 6. Vgl. z. B. Art. 16 Deklaration des droits de I'homme et du citoyen: "Toute societe, dans laquelle la garantie des droits n'est pas assuree ni la separation des pouvoirs detenninee, n'a point de constitution." Vgl. auch Art. I der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika; TItel III, Art. 3 der französischen Verfassung von 1791; Art. 46 der französischen Verfassung von 1795. 8 Vgl. nur Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 608 9 Vgl. dazu Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 11, S. 530 f. 10 Costituzione della Repubblica italiana (Verfassung der Republik Italien vom 27. 12. 1947, in Kraft getreten arn 0 I. 0 I. 1948). 6

7

11. Rechtsquellenhierarchie und Einordnung der Rechtsnormen

19

Innerhalb dieser Rangordnung wird zunächst unterschieden zwischen Rechtsquellen auf Verfassungsebene und solchen, die als erst- oder zweitrangige Rechtsquellen untergeordnet sindY

1. RechtsqueUen mit Verfassungs rang Zu den Rechtsvorschriften mit Verfassungsrang zählen neben der Verfassung auch die in Art. 138 Cost. genannten Gesetze zur Änderung und Ergänzung des Verfassungstextes (Ieggi di revisione e di integrazione deI testo costituzionale) sowie die Verfassungsgesetze (leggi costituzionali). Bei letzteren handelt es sich um Gesetze, die nicht den Wortlaut der Verfassung ändern. Verfassungs gesetze betreffen zumeist Gegenstände, die in der Verfassung nicht oder nur unzureichend geregelt sind. Ihre Bestimmungen stehen zwar nicht in der Verfassung, aber auf gleicher Stufe neben ihr. 12 Die italienische Rechtsordnung räumt der Regierung keine Befugnisse ein, Rechtsvorschriften mit Verfassungsrang aufzustellen. 13

2. Rechtsquellen ersten Ranges Dem Verfassungsrecht untergeordnet sind die sogenannten erststrangigen Rechtsquellen. Dazu zählen neben den formellen Gesetzen zwei Arten von Verordnungen: Gesetzesverordnungen und Notverordnungen. 14 Für den Erlaß einer Gesetzesverordnung (decreto legislativo, Art. 76 Cost.) muß das Parlament die Regierung - wie nach Art. 80 GG - zuvor unter Beachtung bestimmter Grenzen zur Ausübung der Gesetzgebungsbefugnis ermächtigt haben. Daneben steht der Regierung nach Art. 77 Abs. 2 Cost. das Recht zu, Notverordnungen (decreti legge)15 in Fällen außergewöhnlicher Notwendigkeit und Dringlichkeit (in casi straordinari di necessita e d'urgenza) zu beschließen. 11 Vgl. zu dieser Einteilung der Rechtsquellenhierarchie Carettil De Siervo, Istituzioni di diritto pubblico, S. 651 ff.; Sorrentino, Le fonti deI diritto, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico. S. 117, 125 f. 12 Vgl. Paladin, Diritto costituzionale, S. 159 ff. 13 Vgl. zur Einordnung der decreti legislativi di attuazione degli statuti speciali in die Rechtsquellenhierarchie unten Pkt. III. 4. 14 Vgl. Art. I disposizioni sulla legge in generale, R.D. 16.3. 1942, n. 262, Approvazione deI teste deI Codice civile 15 Für die Übersetzung des Begriffes decreto legge ins Deutsche werden von Conte/Boss, Handbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, S. 108 u. a. auch die Bezeichnungen Verordnung mit Gesetzeskraft, gesetzesvertretende Verordnung, im Verordnungswege erlassenes Gesetz genannt. Da Art. 77 Abs. 2 Cost. aber den Anwendungsbereich auf Fälle außergewöhnlicher Notwendigkeit und Dringlichkeit beschränkt, wird der Unterschied zu den auf Er-

20

1. Teil: Einleitung

3. Rechtsquellen zweiten Ranges Im Bereich der zweitrangigen Rechtsquellen verfügt die Regierung über umfangreiche Zuständigkeiten zur Rechtsetzung durch sogenannte regolamenti. Die italienische Rechtsordnung verwendet den Begriff regolamento für eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Rechtsinstitute. Entgegen der früher pauschal vorgenommenen Zuordnung zu den Rechtsakten der Verwaltung (atti amministrativi) wird heute die Zugehörigkeit der regolamenti zu den Rechtsvorschriften anerkannt.!6 Das nahezu vollständige Schweigen sowohl der konstitutionellen als auch der heutigen republikanischen Verfassung!7 hat es stets dem einfachen Gesetzgeber überlassen, Bestimmungen über Art und Umfang dieser Rechtsetzung zu treffen. Die erste grundlegende Regelung entsprechender Zuständigkeiten hat der Gesetzgeber im Jahre 1926 18 vorgenommen. Zuletzt hat der Gesetzgeber in Art. 17 des Gesetzes Nr. 400/1988 über die Regelung der Regierungstätigkeit und die Ordnung des Präsidiums des Ministerrates!9 entsprechende Regelungen vorgenommen. Mit dem Gesetz Nr. 400 /1988 regelt der Gesetzgeber umfassend die Tätigkeit der Regierung. Die Zuständigkeiten des Ministerrates und seines Präsidenten werden aufgeführt (Art. 2, 5). Ein größerer Abschnitt gilt der Verwaltungsorganisation der Ministerratspräsidentschaft (Art. 18 - 29). Mit seinen Bestimmungen dient das Gesetz Nr. 400/1988 in erster Linie der -lange Zeit unterbliebenen - Umsetzung des Art. 95 Abs. 3 Cost. Aufgaben und Organisation der Regierung sind danach gesetzlicher Regelung vorbehalten. Über den Gesetzesvorbehalt hinaus enthält das Gesetz Nr. 400 /1988 in einem eigenen Abschnitt (Art. 14 - 17) Bestimmungen über die Recht-setzungsbefugnisse der Regierung. Diese Vorschriften ergänzen teils erweiternd, teils einschränkend - die in der Verfassung vorgesehenen Rechtsetzungsbefugnisse der Regierung. Damit wird das Gesetz Nr. 100/ 1926 abgelöst. Gerade für den Erlaß der regolamenti sieht das Gesetz Nr. 400 /1988 detaillierte Bestimmungen vor. Überwiegend bezeichnet der Begriff regolamento Verordnungen, die in der Rangfolge fonnellen Gesetzen und Verordnungen mit Oesetzeskraft untergeordnet sind. Als regolamenti werden aber z. B. auch die Geschäftsordnungen der Parlamächtigung beruhenden decreti legislativi nach Art. 76 Cost. nur durch den Begriff Notverordnung deutlich. Deshalb wird hier auch nicht der von Kindler, Einführung in das italienische Recht, S. 54 gewählte Begriff "Verordnung mit Gesetzeskraft" verwendet. 16 Vgl. dazu Crisafulli, Lezioni di diritto costituzionale, S. 140 f. 17 Die Vorschriften des dritten Titels (Art. 92 ff. Cost.) der Verfassung über die Regierung ignorieren die Existenz der regolamenti governativi (bzw. ministeriali) vollständig; nur Art. 87 Abs. 5 Cost. führt sie unter den Rechtsakten auf, deren Erlaß durch den Präsidenten der Republik erfolgt. 18 Vgl. Art. 1 des Gesetzes Nr. 100 vom 31. 01. 1926, G.U. n. 25 vom 01. 02. 1926. 19 Legge 23 agosto 1988, n. 400: Disciplina dell'attivitä di governo e ordinamento della Presidenza deI Consiglio dei ministri, G.U. n. 214, 12. 9. 1988, im folgenden als Gesetz Nr. 400/1988 bezeichnet.

H. Rechtsquellenhierarchie und Einordnung der Rechtsnonnen

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mentskammern und des Verfassungsgerichtes (Corte costituzionale) bezeichnet. 2o Ferner tragen auch Rechtsvorschriften aus dem Zuständigkeitsbereich der Gebietskörperschaften (Regionen, Provinzen und Gemeinden) und anderer öffentIichrechtlicher Körperschaften die Bezeichnung regolamento. In einem kurzen Überblick sollen die im Gesetz Nr. 400 /1988 geregelten Anwendungsbereiche der Rechtsetzung durch regolamenti skizziert werden: Art. 17 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 400/1988 räumt der Regierung als Kollegialorgan die Befugnis ein, zur Verfolgung bestimmter Ziele Regelungen durch regolamenti zu treffen. Dazu zählen die Ausführung der Gesetze und Gesetzesverordnungen (Art. 17 Abs. 1 a), die Durchführung und Ergänzung der Gesetze und Gesetzesverordnungen, soweit diese Grundsatznonnen enthalten und nicht den Zuständigkeitsbereich der Regionen berühren (Art. 17 Abs. I b). Ferner können regolamenti in den Bereichen erlassen werden, in denen noch keine Regelung durch Gesetze oder Verordnung mit Gesetzeskraft erfolgt ist und die auch keinem Gesetzesvorbehalt unterliegen (Art. 17 Abs. 1 c). Daneben bestehen weitere Zuständigkeiten bei der Regelung von Organisation und Funktion der öffentlichen Verwaltung (Art. 17 Abs. I d)?l Eine weitere und - wie noch zu zeigen sein wird - besonders problematische Kompetenz räumt Art. 17 Abs. 2 der Regierung ein. Nach dieser Vorschrift kann die Regierung aufgrund einzelgesetzlicher Bestimmungen ennächtigt werden, unter bestimmten Voraussetzungen Vorschriften in Fonn eines regolamento zu beschließen, die eine Aufhebung früherer gesetzlicher Bestimmungen zur Folge haben. Schließlich enthält Art. 17 Abs. 3 auch Vorgaben für die Zuständigkeit eines oder mehrerer Minister zur Rechtsetzung durch regolamenti (ministeriali 0 interministeriali). Einer solchen Regelung sind aber nur Gegenstände aus den Geschäftsbereichen der beteiligten Minister zugänglich. Hier ist stets eine ausdrückliche gesetzliche Ennächtigung erforderlich. Ferner dürfen die getroffenen Bestimmungen nicht im Gegensatz zu Verordnungen der Regierung stehen. Die in Art. 17 enthaltenen Vorgaben für Rechtsetzungsbefugnisse stellen jedoch keine abschließende Regelung dar. Vielmehr können durch Gesetz jederzeit weitere Kompetenznonnen zur Schaffung zweitrangiger Rechtsquellen erzeugt werden. 22 So sieht z. B. Art. 4 des Gesetzes Nr. 86/198923 die Möglichkeit vor, Bestimmungen zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union in Fonn von regolamenti zu erlassen. 20 Vgl. Regolamento della Camera dei deputati deI 18 febbraio 1971, G.U. n. 53, 1. 3. 1971, Regolamento deI Senato della Repubblica deI 17 febbraio 1971, G.U. n. 53, 1. 3. 1971 und Regolamento generale della Corte costituzionale, G.U. n. 45,19.2.1966. 21 Die darüber hinaus nach Art. 17 Abs. I e) bestehende Befugnis, durch regolamento auch die Organisation der Arbeit und der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zu regeln, ist durch Art. 74 d.lgs. 3 febbraio 1993, n. 29 abgeschafft worden. 22 Vgl. Caretti I De Siervo, Istituzioni di diritto pubblico, S. 654. 23 Legge 9 marzo 1989, n. 86, G.U. n. 58,10.3.1989.

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1. Teil: Einleitung

III. Legislativkompetenzen der Exekutive nach heutigem und früherem deutschen Recht 1. Die Rechtslage nach dem Grundgesetz und

den Landesverfassungen In Deutschland steht weder der Bundesregierung noch den Landesregierungen ein ähnlich breites Spektrum an unterschiedlichen Rechtsetzungsbefugnissen zur Verfügung. Im Gegensatz zu Italien darf die Bundesregierung (ebenso wie die Landesregierungen 24 ) nicht zum Erlaß von Vorschriften im Range ordentlicher Gesetze ermächtigt werden.

Art. 80 Abs. 1 GG gestattet der Bundesregierung lediglich den Erlaß von Rechtsverordnungen, sofern eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmte gesetzliche Ermächtigung erteilt wurde. Das Grundgesetz unterwirft damit die Verordnungsgebung der Bundesregierung einem gesetzlichen Totalvorbehalt. 25 Eine Verselbständigung der Rechtsetzung durch die Exekutive neben der ordentlichen Gesetzgebung ist damit ausgeschlossen. Daneben sieht das Grundgesetz einen stärkeren Einfluß der Exekutive im Rahmen eines besonderen Verfahren vor, damit die Gesetzgebungstätigkeit auch im Falle einer Regierungskrise aufrechterhalten werden kann. Für den Fall, daß die Regierung nicht von einer Mehrheit des Bundestages gestützt wird und eine Auflösung des Bundestages unterbleibt, kann der Bundespräsident nach Maßgabe des Art. 81 GG den Gesetzgebungsnotstand erklären. Nach dem von Art. 81 GG vorgezeichneten Verfahren können Gesetzesvorlagen der Regierung mit Zustimmung des Bundesrates für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten auch gegen die Bundestagsmehrheit angenommen werden. Bisher gibt es keinen Fall, in dem der Gesetzgebungsnotstand für eine Gesetzesvorlage erklärt wurde. Angesichts der praktisch seltenen Situation und der zahlreichen Voraussetzungen eröffnet auch der Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG der Regierung keine vollkommen eigenständige Rechtsetzungsbefugnis. Der Zweck des Art. 81 besteht vor allem darin, die Handlungsfähigkeit der Regierung für eine Übergangszeit zu sichern. 26 Auch im Verteidigungsfall geht die Gesetzgebungsbefugnis nicht auf ein Exekutivorgan über, sondern wird weiterhin durch das Parlament, ggf. in Gestalt des Gemeinsamen Ausschusses ausgeübt. Die Bundesregierung verfügt damit weder unter gewöhnlichen Umständen noch im Falle eines inneren oder äußeren Ausnahmezu24 Vgl. z.B Art. 43 Niedersächsische Verfassung, weitergehend aber Art. 55 Nr. 2 Bayerische Verfassung, wonach die Staatsregierung ohne ausdrückliche Ermächtigung zum Erlaß von Ausführungsverordnungen berechtigt ist. 2S Vgl. Sachs-Lücke, Grundgesetz, Art. 80 RN 5. 26 Vgl. Götz, La costituzione dell'emergenza nella legge fondamentale tedesca, Dir. soc. 1991,539,548.

III. Legis[ativkompetenzen der Exekutive im deutschen Recht

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standes über ein eigenständiges ermächtigungsunabhängiges Verordnungsrecht. 27 Das Grundgesetz bindet die Rechtsetzungsbefugnisse an das Parlament. Ein auch nur im Notfall - selbständiges Verordnungsrecht der Bundesregierung oder des Bundespräsidenten ist nicht vorgesehen. Die Bildung von Präsidialregierungen, die nicht über das Vertrauen des Parlamentes verfügen, ist damit aus geschlossen.2 s In der deutschen Verfassungsgeschichte finden sich aber zahlreiche Beispiele für umfangreichere Rechtsetzungsbefugnisse der Regierung, die große Ähnlichkeit mit der italienischen Rechtslage aufweisen.

2. Die Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive nach der Reichsverfassung von 1871 (RV (1871» Nach der Reichsverfassung von 1871 29 lagen die Gesetzgebungszuständigkeiten grundsätzlich bei den Organen der Legislative. Eine allgemeine Befugnis zum Erlaß gesetzesvertretender Verordnungen stand der Exekutive ebensowenig zu wie ein Notverordnungsrecht. 3o Nach damals überwiegend vertretener Auffassung 3l war der Gesetzgeber aber nicht gehindert, Exekutivorgane zum Erlaß von Verordnungen mit Gesetzeskraft durch Gesetz zu ermächtigen. Nahezu einhellig wurde dagegen die - ermächtigungsunabhängige - Befugnis zum Erlaß von Notverordnungen als nicht verfassungskonform abgelehnt. 32 Gleichwohl war ein Notverordnungsrecht des Monarchen aber nach den meisten Landesverfassungen vorgesehen. Überwiegend erlangten diese Notverordnungen nur durch parlamentarische Umwandlung in Gesetz Gültigkeit. 33 Die Exekutive sollte in Ausnahmesituationen nicht nur ausführend, sondern auch selbst rechtsetzend tätig werden dürfen. Diese Möglichkeit war eröffnet, sobald der Kaiser den nicht auf Fälle äußerer militärischer Bedrohung beschränkten - Kriegszustand gemäß Art. 68 RV (1871) verkündet hatte. Mit dem Recht zur Erklärung des KriegsVgl. Götz, ebd., S. 539, 545. Vgl. Götz, Modelli di govemo par[arnentare razionalizzati - esperienza tedesca: modello costituziona[e e prassi, in: Gambino (a cura di), Democrazia e fonna di govemo, 381, 382. 29 Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. Apri[ 1871 (RGBI. S. 63). 30 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. III, S. 927; Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, Bd. 11, S. 90 f. 31 Vgl. Laband, ebd. S. 89, 97; Amdt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 199 f.; Haene[, Deutsches Staatsrecht, I, S. 276, 284; Seyde[, Commentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, S. [40; Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S.706. 32 Vgl. Meyer-Anschütz, ebd., S. 708; Laband, a. a. 0 .. Bd. 11, S. 90 f.; Amdt, a. a. 0., S. 200; anderer Auffassung nur v. Jagemann, Die deutsche Reichsverfassung, S. 96 ff. 33 Vgl. dazu Meyer-Anschütz, a. a. 0 .. , S. 678 m. w. N. 27 28

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1. Teil: Einleitung

zustandes durch den Kaiser räumte Art. 68 RV (1871) der Exekutive auch in Friedenszeiten und unabhängig von äußerer Bedrohung34 die Möglichkeit ein, vorübergehend gesetzesvertretende Verordnungen 35 zu erlassen. 36 Zwar sah die einschlägige Vorschrift, § 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 4. Juni 1851 37 , nur den Übergang der vollziehenden Gewalt auf die Militärbefehlshaber vor. Damit war jedoch gemeint, daß die nach der zivilen Rechtsordnung zuständigen Beamten den Anordnungen der Militärbefehlshaber Folge zu leisten hatten. 38 Der Kriegszustand konnte - mit Ausnahme Bayerns - für einzelne Teile oder das gesamte Bundesgebiet verkündet werden. 39 Nach Art. 68 RV (1871) konnte der Kaiser den Kriegszustand erklären, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht war. Mitspracherechte z. B. des Reichstages oder der Landesparlamente waren nicht vorgesehen. 4o Schließlich bestand auch ein selbständiges, d. h. parlamentsunabhängiges Recht des Kaisers zum Erlaß von Militärverordnungen, das nicht ausdrücklich geregelt war, sondern aus der Kommandogewalt (Art. 63 RV (1871» abgeleitet wurde. Da diese Verordnungen ausschließlich im militärischen Bereich Geltung erlangten, wurden sie, obwohl keiner parlamentarischen Kontrolle zugänglich, für zulässig erachtet. 41 Gesetzausführende und damit den Gesetzen nachrangige Verordnungen konnten ebenfalls nicht aufgrund genereller, sondern nur im Wege einzelgesetzlicher Ermächtigung erlassen werden. 42 Daneben behauptete sich lediglich für bestimmte Sonderfalle ein Recht der Exekutive, Vorschriften mit Gesetzeskraft zu erlassen. Entsprechende Befugnisse des Kaisers bestanden für Elsaß-Lothringen. 43 Vor Inkrafttreten der Reichsverfassung von 1871 in Elsaß-Lothringen erfolgte die Gesetzgebung unter Ausschluß des Reichstages durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates.44 Wahrend die Mitwirkungsrechte des Kaisers für Elsaß-Lothringen später eingeschränkt wurden45 , blieb es weiterhin bei einem kaiserlichen Notverordnungsrecht für dieses Gebiet46 • Dieses Notverordnungsrecht war an eine Reihe von Vorausset34 Vgl. Seydel, a. a. 0 .. , Art. 68, S. 379; Laband, Bd. IV, S. 43. 3' Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. III, S. 927. 36 Vgl. Amdt, a. a. 0 .. , S. 472; Laband, a. a. 0 .. , Bd. IV, S. 46. 37 Preußische Gesetzsammlung 1851, S. 451 ff. 38 Vgl. Amdt, a. a. 0 .. , S. 472. 39 Vgl. Laband, a. a. 0 .. , Bd. IV, S. 44; Seydel, a. a. 0 .. , S. 379; Amdt, ebd., S. 471 f. 40 Vgl. Laband, ebd., Bd. IV, S. 44 mit Hinweisen auf die in der Literatur dazu geführte Diskussion. 41 Dazu kritisch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. IV, S. 521. 42 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. III, S. 929. 43 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. IV, S. 446, 453, 473 f. 44 Vgl. Laband, a. a. 0 .. , Bd. 11, S. 222 f.; Meyer-Anschütz, a. a. 0 .. , S. 542. zuletzt durch Reichsgesetz vom 31. 5. 1911 über die Verfassung Elsaß-Lothringens (RGBI. 1911, S. 225).

4'

III. Legislativkompetenzen der Exekutive im deutschen Recht

25

zungen geknüpft. Es bestand nur, wenn der Landtag nicht versammelt war und "die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes" den Erlaß von Notverordnungen dringend erforderten. 47 Schließlich hing der Fortbestand dieser Verordnungen vom Landtag ab, dem sie bei dessen nächstem Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen waren (§ 23 Abs. 2 Verfassungsgesetz). Die Notverordnungen standen im Rang von Landesgesetzen, da der Kaiser nur die ihm für das Reichsland übertragene Staatsgewalt ausübte. 48 Das Recht zum Erlaß gesetzesgleicher Verordnungen stand dem Kaiser ferner in den Kolonien ZU. 49 Tatsächlich bestand der "ordentliche Weg der Schutzgebietsgesetzgebung,,50 im Erlaß von Vorschriften durch kaiserliche Verordnung. Die Zuständigkeit war nur insoweit eingeschränkt, als Regelungen durch formelles Reichsgesetz getroffen waren. 51

3. Die Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive nach der Reichsverfassung von 1919 (RV (1919))

Auch nach Inkrafttreten der Reichsverfassung von 1919 verfügte die Exekutive über Rechtsetzungsbefugnisse zum Erlaß gesetzesvertretender Verordnungen. In sachlicher Hinsicht unterschieden sich die Verordnungen nach den Kriterien, die bereits vor 1919 zugrunde gelegt wurden. Ein selbständiges Verordnungsrecht wurde der Exekutive abgesprochen. 52 Einerseits konnte die Befugnis der Exekutive auf einer Ermächtigung beruhen. Eine generelle Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen sah indes auch die Reichsverfassung (RV (1919)) nicht vor. 53 Die Exekutive konnte aber durch einfaches Gesetz zum Erlaß von Verordnungen ermächtigt werden, ohne daß dies von der RV (1919)54 ausdrücklich zugelassen wurde. 55 Dabei wurde die Verordnungsge46 Vgl. § 23 des Verfassungsgesetzes mit gegenüber § 8 des Gesetzes vom 25.6. 1873 geänderten Voraussetzungen. 47 V gl. § 23 Abs. 1 des Verfassungsgesetzes für Elsaß-Lothringen. 48 Vgl. Laband, a. a. 0 .. , Bd. 11, S. 263 f.; Meyer-Anschütz, a. a. 0 .. , S. 715. 49 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. IV, S. 628 f. so Laband, a. a. 0 .. , Bd. 11, S. 294 f. 51 Vgl. Laband, ebd., Bd. 11, S. 293. 52 Vgl. Anschütz/Thoma-Jacobi, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 11, § 77, S.240. 53 Wohl aber eine Reihe von Einzelennächtigungen, z. B. Art. 91, 176 RV (1919). 54 Teilweise aber von einigen Landesverfassungen, z. B. § 41 Abs. 2 Württembergische Verfassung; vgl. auch § 61 Ziff. 7 Bayerische Verf., § 32 Abs. 2 Sächsische. Verf., § 32 Abs. 2 Braunschweigische Verfassung. 55 Vgl. Anschütz/Thoma-Jacobi, a. a. 0 .. , Bd. 11, § 77, S. 242; Anschütz/Thoma-Thoma, ebd., Bd. 11, § 76, S. 227.

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1. Teil: Einleitung

walt der Reichsregierung nicht stets in gleicher Weise, sondern mit unterschiedlichen Einschränkungen erteilt. Teilweise wurden die der Regierung eingeräumten Regelungsbefugnisse so ungenau bestimmt, daß eine Fülle verschiedener Anordnungen oder nahezu jede Maßnahme als ermächtigungskonform erscheinen mußte. 56 In anderen Fällen blieb die Ermächtigung dagegen auf Einzelgebiete beschränkt.57 Entscheidende Einschränkungen erfuhr die Ermächtigung indes durch die zeitliche Begrenzung, mit der sie erteilt wurde. Das Ende des Ermächtigungszeitraumes wurde teils kalendarisch 58 , teils durch zukünftige Ereignisse59 bestimmt. Darüber hinaus behielt das Parlament oft zusätzliche Kontrollbefugnisse. Die Ausübung der Verordnungsmacht wurde zumeist an die Zustimmung von Ausschüssen der Nationalversammlung oder des Reichstages oder an ein zustimmendes Votum des Reichsrates gebunden 60, vereinzelt auch von einer Pflicht zur Anhörung des ReichslIrates oder des zuständigen Reichstagsausschusses vor Erlaß der Verordnung abhängig gemacht. 61 Die Reichsverfassung von 1919 sah zwar - wie die vorangegangene Verfassung von 1871 - kein klassisches Notverordnungrecht für Notstandssituationen vor, wenn das Parlament nicht versammelt war. 62 Sie stellte dem Reichspräsidenten mit der Ermächtigung in Art. 48 Abs. 2 RV (1919) aber ein ähnliches Instrument zur Verfügung. Ausdrücklich räumte diese Vorschrift jedoch nur das Recht ein, die nötigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu ergreifen. Ganz überwiegend wurde der Begriff ,,Maßnahme" weit ausgelegt, so daß aus der Ermächtigung auch das Recht zum Erlaß von Verordnungen mit Gesetzeskraft abgeleitet werden konnte. 63 In sachlicher Hinsicht umschrieb Art. 48 Abs. 2 RV (1919) die Befugnisse des Reichspräsidenten nur sehr weitläufig: einerseits durch Beschränkung auf die Fälle einer erheblichen Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, andererseits durch die genaue Bezeichnung von sieben Grundrechtsartikeln64 , die vorübergehend ganz oder teilweise suspendiert werden durften. Darüber hinaus war für die Maßnahmen des Reichspräsidenten eine zeitliche Befristung nicht vorgesehen.

56 Vgl. die Ermächtigungen in den Gesetzen vom 13. 10. 1923 ("auf finanziellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet erforderlich und dringend") und 8. 12. 1923 ("im Hinblick auf die Not von Volk und Reich erforderlich und dringend"). 57 Vgl. die Gesetze vom 1. 3.1919 ("elsaß-lothringische Angelegenheiten") und 6.3. 1919 ("Durchführung der Waffenstillstandsbedingungen"). 58 Vgl. die Gesetze vom 3. 8. 1920,6.2. 1921,24.2.1923,8. 12. 1923. 59 Wie z. B. das Bestehen der Reichsregierung (vgl. das Gesetz vom 13. 10. 1923). 60 Vgl. z. B. die Gesetze vom 1. 3.1919,17.4.1919,13.10.1923,8.12.1923. 61 Vgl. das Gesetz vom 8. 12. 1923. 62 Vgl. dazu für die preußische Verfassung von 1850 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. III, S. 40 ff., 60 f. 63 Dagegen vor allem Schmitt, VVdStRL 1 (1924),63,69 ff. 64 Art. 114, 115, 117, 118, 123, 124, 153 RV (1919).

IV. Verfassungsrechtliche Konzeption der Verordnungen mit Gesetzeskraft

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Dieser Überblick macht deutlich, daß im früheren deutschen Verfassungsrecht Rechtsetzungsbefugnisse der Exekutive vor allem zur Bewältigung von Ausnahmesituationen vorgesehen waren.

IV. Übereinstimmungen in der verfassungsrechtlichen Konzeption der Verordnungen mit Gesetzeskraft 1. Die Begriffe "forza di legge" und" valore di legge" Gesetzesverordnungen (decreti legislativi) und Notverordnungen (decreti legge) werden in der Literatur zumeist als dem Gesetz gleichgestellte Rechtsakte (equiparati alla legge) oder Rechtsakte mit Gesetzeskraft (atti con forza di legge) bezeichnet. 65 Ein Vergleich mit dem Wortlaut der einschlägigen Verfassungsartikel (Art. 76, 77 Cost.) läßt den Oberbegriff Gesetzeskraft in bezug auf beide Verordnungstypen zunächst als ungenau erscheinen. Während nämlich Art. 77 Abs. 1 Cost. von Verordnungen spricht, die die Gültigkeit eines ordentlichen Gesetzes haben (decreti che abbiano valore di legge ordinaria), erwähnt nur Art. 77 Abs. 2 Cost. ausdrücklich Bestimmungen mit Gesetzeskraft (con forza di legge). Ganz überwiegend werden die Begriffe "valore di legge" und "forza di legge" aber als inhaltlich übereinstimmend angesehen. 66 In der Verfassung werden beide Begriffe an unterschiedlichen Stellen verwendet (vgl. Art. 75 Abs. 1, 77 Abs. 1,2, 87 Abs. 5, 89 Abs. 2, 134, 137 Cost.). Dabei ergeben sich keine Hinweise auf inhaltliche Unterschiede. 67 Auch der Gesetzgeber scheint "forza di legge" und "valore di legge" als gleichbedeutend anzusehen. Soweit Bestimmungen außerhalb der Verfassung auf Verordnungen mit Gesetzeskraft Bezug nehmen, werden sie meistens zusammenfassend als Rechtsakte mit Gesetzeskraft (atti aventi forza di legge) bezeichnet. 68 Nur vereinzelt ist der Versuch unternommen worden, die Verschiedenartigkeit der Qualifizierung eines Rechtsaktes mit Gesetzeskraft einerseits oder mit der Gültigkeit eines ordentlichen Gesetzes andererseits herauszustellen. 69 Nach SanVgl. CrisafuJli, Lezioni, S. 89. Lavagna, Istituzioni di diritto pubblico, S. 263 f.; Sorrentino, Le fonti dei diritto, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 117, 135; Mortati, Istituzioni di diritto pubblico I, S. 344. 67 Vgl. Arcidiacono 1CaruJlo 1Rizza, Istituzioni di diritto pubblico, S. 126 f. 68 Vgl. Art. 2 Disposizioni suJla legge in generale, Art. 15 Abs. I c) D. P. R. n. 1092/ 1985 über die Verkündung und Veröffentlichung von Rechtsakten, Art. 6 d), 7 a) D. P. R. n. 3661 1989 zur Umsetzung des Art. 23 des Gesetzes Nr. 400/1988. In den Art. 2 Nr 3. c) und 16 des Gesetzes Nr 400 11988 verwendet der Gesetzgeber dagegen die Begriffe ,,forza" und "valore" nebeneinander (decreti/ atti aventi valore 0 forza di legge), ohne daß ein inhaltlicher Unterschied erkennbar wird. 69 Vgl. Sandulli, Riv. trim. dir. pubbl. 1957, 269 ff. 65

66

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1. Teil: Einleitung

dulli 70 zeichnet sich ein mit Gesetzeskraft ausgestatteter Rechtsakt durch seine Fähigkeit aus, bestehende gesetzliche Bestimmungen ändern zu können. Eine mit der Gültigkeit eines ordentlichen Gesetzes versehene Bestimmung muß dagegen nur die innerhalb der Rechtsordnung dem Gesetz vorbehaltene Behandlung erfahren, d. h. sie kann selbst nur durch ein nachfolgendes Gesetz oder ein Urteil des Verfassungsgerichts aufgehoben werden?l Trotz dieser Unterscheidung zwischen "valore di legge" und "forza di legge" geht auch Sandulli davon aus, daß die Verfassung beide Begriffe gleichbedeutend verwendet. Seiner Ansicht nach handelt es sich stets um Rechtsakte mit der Gültigkeit von Gesetzen ("valore di legge,,).72 Dagegen spricht aber, daß jedenfalls Notverordnungen nicht in jeder Hinsicht wie ein ordentliches Gesetz behandelt werden. Zwar können sie durch zeitlich nachfolgende Gesetze verdrängt und durch Urteile des Verfassungs gerichts aufgehoben werden. Anders als ordentliche Gesetze verlieren decreti legge jedoch ohne weiteres nach 60 Tagen rückwirkend ihre Gültigkeit. Insofern behandelt die Verfassung sie gerade nicht wie ein Gesetz. Dagegen vermögen sie für die Dauer ihrer Gültigkeit frühere in Gesetzesform ergangene Vorschriften zu verdrängen und besitzen insofern Gesetzeskraft. Wenn die Verfassung oder andere Bestimmungen auf Rechtsakte mit "forza di legge" oder "valore di legge" verweisen, ergibt sich daraus kein inhaltlicher Unterschied. Vielmehr handelt es sich stets um Vorschriften mit Gesetzeskraft. Diese Zuordnung räumt den betreffenden Vorschriften eine besondere Stellung in der Rechtsquellenhierarchie ein. Sie werden den formellen Gesetzen gleichgestellt. Dabei handelt es sich um Willensakte des Gesetzgebers, die in einem von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren zustande kommen. 73 Bei den Verordnungen mit Gesetzeskraft handelt es sich nicht um Willensakte des Gesetzgebers. Der Verfassungsgeber mußte diesen Vorschriften daher ausdrücklich Gesetzeskraft verleihen, um eine hierarchische Gleichstellung mit formellen Gesetzen zu erzielen.

2. Die Bedeutung der Gesetzeskraft für die Stellung innerhalb der Rechtsquellenhierarchie Gesetzesverordnungen und Notverordnungen nach Art. 76, 77 Cost. unterscheiden sich in ihrer Entstehung und wegen zahlreicher Einschränkungen, denen sie unterliegen, von den ordentlichen Gesetzen. Die Verfassung hat sie jedoch mit Gesetzeskraft ausgestattet. Dieses Merkmal ist zunächst für das Verhältnis der decreti legislativi und decreti legge zu anderen Rechtsvorschriften von Bedeutung. Daneben ergeben sich Konsequenzen für die Überprüfbarkeit der mit Gesetzeskraft ausgestatteten Rechtsakte. 70 71

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Riv. trirn. dir. pubbl. 1957, 269 ff. Vgl. Sandulli, Riv. trirn. dir. pubbl. 1957,269,272 f. V gl. Sandulli, Riv. trirn. dir. pubbl. 1957, 269, 271 ff. V gl. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 21 ff.

IV. Verfassungsrechtliche Konzeption der Verordnungen mit Gesetzeskraft

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Aus der Gleichstellung der in Art. 76, 77 Cost. umschriebenen Verordnungstypen mit ordentlichen Gesetzen folgt, daß diese Verordnungen genauso wie Gesetze unmittelbar nur der Verfassung untergeordnet sind. Soweit eine bestimmte Materie gesetzlich geregelt ist, kann diese Regelung deshalb nicht nur durch ein zeitlich nachfolgendes Gesetz, sondern auch durch eine entsprechende Verordnung mit Gesetzeskraft verdrängt werden (lex posterior derogat legi priori). Umgekehrt ist nur eine gleich- oder höherrangige Rechtsnorm imstande, die in einer zeitlich früheren Verordnung mit Gesetzeskraft enthaltene Regelung zu verdrängen. 74 Eine weitere Gleichstellung mit ordentlichen Gesetzen bewirkt das Merkmal der Gesetzeskraft im Hinblick auf eine verfassungsgerichtliche Kontrolle. Einer Normenkontrolle durch das Verfassungsgericht sind nach Art. 134 Abs. 1 Cost. nur Gesetze und Rechtsakte mit Gesetzeskraft unterworfen. Diese traditionelle Bestimmung des Begriffes der Gesetzeskraft bedarf aber einer Präzisierung, um der gegenüber früher veränderten Stellung des Gesetzes in der Rechtsquellenhierarchie zu entsprechen. Die Rechtsordnung eines rein zentralistisch aufgebauten Königreiches Italien sah das Gesetz und die ihm gleichgestellten Rechtsakte ohne weiteres an der Spitze der Rechtsquellenhierarchie. Ein Konkurrenzverhältnis zu Rechtsvorschriften staatlicher Gebietskörperschaften wie den heutigen Regionen gab es nicht. Der Vorrang des Gesetzes ergab sich aus dem flexiblen Charakter der konstitutionellen Verfassung, des bereits 1848 in Piemont unter König Karl Albert erlassenen und nach ihm benannten Statuto Albertino 75. Als flexibel werden diejenigen Verfassungen bezeichnet, die zur Änderung oder Aufhebung ihrer Bestimmungen keine von dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren abweichenden (Verfahrens-) Vorschriften enthalten. 76 Gesetze und andere Rechtsakte mit Gesetzeskraft sind den Verfassungsnormen deshalb nicht unter-, sondern gleichgeordnet. Besondere Bestimmungen zur Verfassungsänderung, wie den heutigen Art. 138 Cost., enthielt das Statuto Albertino nicht. Dieser flexible Charakter widersprach allerdings den Absichten, die der König bei Erlaß der Verfassung verfolgte, nämlich ein "fortdauerndes und unwiderrufliches Grundgesetz" (Iegge fondamentale, perpetua ed irrevocabile ... )77 zu schaffen. 78 Erst in den letzten Jahren seiner Gültigkeit trat ein ,,Element relativer Strenge,,79 hinzu, indem Art. 12 des Gesetzes Nr. 269311928 80

V gl. Amato I Barbera-Sorrentino, Manuale di diritto pubblico, S. 134. Statuto fondamentale deI Regno deI 4 marzo 1848, Raccolta degli atti deI Governo deI 5 marzo 1848, n. 674. 76 Vgl. Onida, Le costituzioni. I principi fondamentali della costitizione italiana, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 92. 77 Vgl. Präambel des Statuto fondamentale deI Regno deI 4 marzo 1848, Raccolta degli atti deI Governo deI 5 marzo 1848, n. 674. 78 V gl. auch GhisaIberti, Storia costituzionale d' Italia, S. 35 f. 79 Martines, Diritto costituzionale, S. 227 f. 74

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I. Teil: Einleitung

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in allen Fragen mit Verfassungscharakter eine Stellungnahme des "Großen Rates des Faschismus" vorschrieb. Ein echter Verfassungsvorrang war damit indes nicht verbunden. Nach der gegenwärtigen Rechtslage ist die Stellung des Gesetzes indes Beschränkungen ausgesetzt. Einfache formelle Gesetze und andere Rechtsakte mit Gesetzeskraft sind der Verfassung und den Verfassungsgesetzen (leggi di revisione della costituzione e le altri leggi costituzionali, Art. 138 Cost.) untergeordnet. Ein einfaches Gesetz verdrängt deshalb auch als zeitlich nachfolgende Bestimmung niemals die höherrangigen Vorschriften. Hinzu kommt eine veränderte Zuständigkeitsverteilung, nach der z. B. Regelungen aufgrund von Rechtsetzungskompetenzen der Regionen nicht vom Vorrang gesetzlicher oder gesetzesgleicher Rechtsakte berührt werden. sl Schließlich erlangt die Gesetzeskraft der hier zu untersuchenden Verordnungen im Hinblick auf ihre Überprüfbarkeit durch das Verfassungs gericht nach Art. 134 Cost. Bedeutung.

V. Entstehungsprozeß und Ausprägung der Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in der italienischen Verfassungsgeschichte Legislative Befugnisse der Exekutive waren der italienischen Rechtsordnung schon lange vor Inkrafttreten der heutigen Verfassung bekannt. Die vor 1948 bestehende Rechtslage ist in modifizierter Form in das gegenwärtige Staatsorganisationsrecht übernommen und teilweise mit Verfassungsrang ausgestattet worden. Zum Verständnis der aktuellen Rechtslage ist daher ein Blick in die Geschichte erforderlich. Daß die umfangreiche legislative Tätigkeit der Regierung bis zu den Anfängen des modemen italienischen Verfassungsstaates zurückverfolgt werden kann, erscheint auf den ersten Blick als Überraschung. Die Rechtsstellung, weIche die konstitutionelle Verfassung Parlament und Regierung zuwies, schien einer Verlagerung der Gesetzgebungsfunktion auf die Regierung nämlich eher entgegenzustehen.

1. Entstehung und Grundzüge der monarchischen Verfassung

Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges galt in Italien die 1848 von König Karl Albert für Piemont erlassene Verfassung. Dieses später nach ihm benannte Statuto fondamentale bildete die Grundlage einer konstitutionellen Monarchie. Mit dieser Verfassung reagierte das absolutistisch geführte Königreich Sardinien auf die revoLegge n.2693 I 1928. Vgl. Sorrentino. Le fonti dei diritto, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 117, 134. 80 81

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

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lutionären Ereignisse jener Zeit. Das Zustandekommen war aber nicht das Ergebnis eines demokratischen Willensbildungsprozesses, sondern beruhte auf einer einseitigen Anordnung des Monarchen. 82 Als Vorbilder dienten vor allem die französischen Verfassungen von 1814 und 1830 sowie die belgische Verfassung von 1831.83

2. Die Inanspruchnahme legislativer Kompetenzen durch die Regierung außerhalb des geschriebenen Verfassungsrechts a) Die Rechtslage nach dem Statuto Albertino Das Statuto Albertino bestimmte in Art. 3, daß die Gesetzgebung gemeinsam vom König und den bei den Parlamentskammern ausgeübt wird (11 potere legislativo sara colletivamente esercitato dal Re e da due Camere: il Senato e quella dei Deputati). Gleichzeitig war dem König nach Art. 5 S. 1 St. auch die Exekutivfunktion zugewiesen. Unmittelbare Mitwirkungsrechte des Königs bestanden nach Art. 7 St. in der Erteilung der Zustimmung zu den Gesetzen und ihrer Verkündung. Eine weitere indirekte Beteiligung des Königs ergab sich aus dem Recht, die Mitglieder des Senats in unbegrenzter Anzahl und auf Lebenszeit zu ernennen (Art. 33 St.). Art. 6 des Statuto Albertino ermächtigte den König, die zur Ausführung der Gesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen. Dabei durfte er die gesetzlichen Bestimmungen nicht außer Kraft setzen oder von ihrer .Befolgung befreien (11 Re ... fa i decreti e regolamenti necessari per l'esecuzione delle leggi, senza sospenderne I'efficacia 0 dispensame). Damit entsprach Art. 6 St. weitgehend der Vorschrift des Art. 13 der französischen Verfassung von 1830, die bestimmte, daß der König die Verordnungen zur Ausführung der Gesetze erläßt, ohne jemals die Gesetze selbst aussetzen zu können (n' .. , sans pouvoir jamais suspendere les lois ellesmemes"). Das Statuto Albertino übernahm die Bindung des Königs an die Gesetze allerdings nicht mit derselben Strenge, sondern verzichtete bewußt84 darauf, dem König zu untersagen, jemals (jamais, giammai) die Gesetze durch eigene Verordnungen außer Kraft zu setzen. Die abweichende Formulierung sollte aber nicht gesetzesunabhängige Rechtssetzungskompetenzen des Königs eröffnen, sondern lediglich das Verbot, Gesetze auszusetzen, weniger strikt erscheinen lassen. 85 Eine

Vgl. CarettilDe Siervo, Istituzioni, S. 54. Vgl. Rossi, Lo stato d'assedio nel diritto italiano, Arch. dir. pubbl. 1894,92,97; Romeo, Dal Piemonte sabaudo all'halia liberale, S. 61 ff.; Ghisalberti, Storia costituzionale d'Italia (1849-1948), S. 19 ff.; Dilcher, Grundrechte im 19. Jahrhundert, S. 131 ff.; Caretti/De Siervo, Istituzioni, S. 54. 84 Processo verbale deI Consiglio di Conferenza dei 7 febbraio 1848, in: Colombo, Dalle . rifonne allo statuto di cario Alberto, S. 92 f. 85 Codacci PisaneIli, Sulle ordinanze d'urgenza, in: Scritti di diritto pubblico, S. 98 ff. 82 83

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1. Teil: Einleitung

ausdrückliche Bestimmung, wonach der König oder die Regierung in Ausnahmefällen hätten rechtsetzend tätig werden dürfen, gab es dagegen nicht. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben boten somit keinen Anhaltspunkt für eine Wahrnehmung der Gesetzgebungsfunktion durch die Regierung.

b) Die Entwicklung in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem

aa) Die Bedeutung der Stellung von Parlament und Regierung für die Wahrnehmung gesetzgeberischer Befugnisse Die in zunehmendem Maße auch rechtsetzende Tatigkeit der italienischen Regierungen zwischen dem Einigungsprozeß und dem Beginn der faschistischen Epoche geht einher mit einer über die Bestimmungen der Verfassung teils hinausgehenden, teils von ihnen abweichenden Festlegung der Rolle von Regierung und Parlament. Die Veränderungen, die das Regierungssystem der konstitutionellen Verfassung erfahren hat, sind jedoch nicht das Ergebnis einzelner gezielter und ausdrücklicher Verfassungsänderungen. In ihnen spiegelt sich vielmehr der politische Einfluß, den Regierung und Parlament auszuüben imstande waren. Der Prozeß, in dessen Verlauf beiden Verfassungsorganen neue Zuständigkeiten· und Aufgaben zugefallen sind, ist gleichsam neben der Verfassung verlaufen: Nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen des Statuto Albertino blieb unverändert, auch zu einfachen Gesetzen, die dank des flexiblen Charakters der Verfassung eine Änderung ermöglicht hätten, ist es nicht gekommen. Im Ergebnis haben sowohl Regierung als auch Parlament auf unterschiedliche Weise eine Stärkung ihrer Position erfahren.

bb) Verfassungsimmanente Ansätze in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem Abgeordnetenkammer und Senat sollten nach Art. 3 des Statuto Albertino gemeinsam mit dem König die Gesetzgebungsfunktion wahrnehmen. Mit Kontrollaufgaben war das Parlament dagegen nicht oder jedenfalls nur in sehr beschränktem Umfang betraut. 86 Trotzdem wird vielfach bereits für die Zeit kurz nach Inkrafttreten der konstitutionellen Verfassung eine Entwicklung in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem konstatiert. 87 Die dafür charakteristische Ab86 Der Abgeordnetenkammer stand nach Art. 47 St. das Recht der Ministeranklage zu. Zur Entscheidung über diese Anklagen war nach Art. 36 St. der vom Senat gebildete Hohe Gerichtshof (Alta Corte di Giustizia) zuständig, wobei nur der Vorwurf des Hochverrats und des Angriffs auf die Sicherheit des Staates Gegenstand der Anklage sein konnten. 87 Ghisalberti, Storia costituzionale d'ltalia (1849-1948), S. 38 ff., 67 ff.; Pizzorusso, Sisterna, S. 51 f.; Lavagna, Istituzioni, S. 100; Arangio Ruiz, Storia costituzionale deI Regno d'Italia (1848-1898), S. 4; Rossi, La ..elasticita" dello Stato italiano, in: Scritti vari di diritto pubblico, Vol. VI, S. I, 45.

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

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hängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlamentes war verfassungsrechtlich aber gerade nicht vorgeschrieben. Vielmehr war nach Art. 65 St. der König für Ernennung und Entlassung der Minister zuständig. Bestimmungen, nach denen die Ernennung der Minister oder die Fortführung ihrer Amtsgeschäfte von einem Vertrauensvotum des Parlaments abhängig war, gab es nicht. Die Stellung der Regierung in der Staatsorganisation beschreibt das Statuto AIbertino in einem kurzen, gerade drei Artikel (65 bis 67) umfassenden Abschnitt, der "von den Ministern" (dei ministri) handelt. Bereits diese Überschrift deutet an, welche Rolle der Regierung zugedacht war: Ein Kollegium offenbar gleichgestellter Minister, die der König ernannte und abberief (Art. 65), die stets Zutritt, aber nur im Falle der Mitgliedschaft Stimmrecht im Parlament besaßen (Art. 66) und die für ihr Verhalten verantwortlich waren (Art. 67 Abs. 1). Zur inneren Organisation des Ministerrates schweigt Sich das Statuto vollständig aus. Ebensowenig ist den Vorschriften zu entnehmen, ob und in welcher Form das Amt eines Ministerpräsidenten zu besetzen und auszuführen war. Tatsächlich hatten sowohl Karl Albert als auch Viktor Emanuel 11 erhebliche Vorbehalte gegen die Entstehung eines mit Leitungsfunktionen versehenen Postens innerhalb des Ministerrates. 88 Überhaupt deutet die von den Bestimmungen des Statuto für die Regierung vorgezeichnete Rolle darauf hin, daß sie nicht als ein drittes, neben König und Parlament eigenständiges Verfassungsorgan handeln sollte. Gerade die Lückenhaftigkeit und Kürze, mit der das Statuto Albertino die Stellung der Regierung beschrieb, begünstigte einen Prozeß~ in dessen Verlauf die Regierung zunehmend an Selbständigkeit gegenüber dem König gewann, gleichzeitig aber in ihrem Bestand mehr und mehr vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhing. Zwar stand nach Art. 65 St. ausschließlich dem König das Recht zu, Minister zu ernennen und abzuberufen. Aber Art. 67 Abs. 1 St., der die Minister für verantwortlich erklärte, ließ offen, wem gegegenüber diese Verantwortlichkeit bestand. Da König Karl Albert die Verfassung aus der Position eines absoluten Monarchen heraus erlassen hatte, lag dieser Vorschrift eher die Vorstellung einer nur gegenüber dem König bestehenden Verantwortung der Minister zugrunde. Die Formulierung schloß aber nicht aus, daß die Minister auch gegenüber dem Parlament ihr Verhalten zu verantworten hatten. Einen weiteren Anhaltspunkt für die politische Verantwortlichkeit der Minister gegenüber den Kammern bot Art. 67 Abs. 2 St. Danach bedurften die Gesetze und anderen Akte der Regierung zu ihrer Rechtskraft der Unterschrift eines Ministers. Ebenso wie die nur unvollständige Regelung der politischen Verantwortlichkeit der Minister ließ auch die Gegenzeichnungspflicht eine "parlamentsfreundliche" Interpretation zu: Mit seiner Unterschrift sollte der unterzeichnende Minister unmittelbar und persönlich die Verantwortung gegenüber dem Parlament übernehmen. 89

88 89

Vgl. Merlini, Il governo costituzionale, in: Romanelli, Storia dello stato itaIiano, S. 24. Vgl. Paladin, Diritto costituzionale, S. 75 f.

3 Seile

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I. Teil: Einleitung

cc) Der Einfluß des Gewohnheitsrechts auf die Stellung von Parlament und Regierung Da die Verfassung also die Entwicklung in Richtung auf ein parlamentarisches Regierungssystem innerhalb der konstitutionellen Monarchie nicht ausschloß, konnte sich nach und nach durch stillschweigende Übereinkünfte und fortgesetzte Übung eine gewohnheitsrechtlich verfestigte Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments herausbilden. Auf diese Weise erlangten die Parlamentskammern zusätzliche umfangreiche Kontrollbefugnisse. Diese standen ihnen nach der Verfassung nur in eingeschränktem Maß, nämlich im Hinblick auf internationale Verträge, den Haushalt und Steuern zur Verfügung. Im übrigen sollten sie überwiegend Aufgaben der Gesetzgebung wahrnehmen. Gleichzeitig erlangte die Regierung vor allem gegenüber dem König zunehmend an Selbständigkeit. Auch dieser Prozeß wurde durch die Lückenhaftigkeit der Verfassung begünstigt. Bereits während der Fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts war mit dem Amt des Ministerpräsidenten eine gegenüber den anderen Ministern deutlich herausgehobene Stellung, vor allem im Hinblick auf die Bestimmung des politischen Kurses, verbunden. Denn der Ministerpräsident stand zugleich an der Spitze der Mehrheit in der Abgeordnetenkammer, so daß ihm entsprechende Unterstützung gewiß war. Die Mehrheitsverhältnisse waren auch für die Besetzung anderer Ministerposten ausschlaggebend. Daneben trug schließlich auch die starke Persönlichkeit Cavours dazu bei, die Präsidentschaft im Ministerrat mit besonderen Funktionen zu versehen. 90 So sehr er das - von der Verfassung vollkommen ignorierteAmt nach der Art eines Premierministers führte, den Ministerat nur mit Personen seines Vertrauens und Schlüsselpositionen selbst besetzte, strebte Cavour gleichwohl keine gesetzliche Bestimmung der Befugnisse des Ministerpräsidenten an. 91 Diesen Versuch unternahm erst Ministerpräsident Ricasoli während seiner zweiten Amtszeit durch die Verordnung vom 28. März 1867. Danach sollte der Präsident des Ministerrates das Kabinett vertreten, die einheitliche Ausrichtung von Politik und Verwaltung aller Ministerien aufrechterhalten und die Erfüllung der gegenüber Krone und Parlament bestehenden Aufgaben der Regierung sicherstellen. Der in dieser Form umschriebene Aufgabenkreis des Ministerpräsidenten sollte auch in Zukunft über das Ende der Monarchie hinaus weitgehend Gültigkeit behalten. Denn Art. 95 Abs. I Satz 2 der italienischen Verfassung verpflichtet den Ministerpräsidenten mit einer nahezu gleichlautenden Formulierung dazu, die einheitliche Ausrichtung von Politik und Verwaltung aufrechtzuerhalten. Zunächst scheiterte der Versuch Ricasolis, eine Rechtsgrundlage für das Amt des Ministerpräsidenten zu schaffen, bereits nach wenigen Monaten, da seine Regierung alsbald hatte zuIiicktreten müssen und insbesondere der König die mit der neuen Regelung verbundenen Einschnitte in seine Zuständigkeiten nicht akzeptierte.

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91

Vgl. Ghisalbeni, Storia costituzionale d'Italia 1848/1948, S. 71 f. Vgl. Merlini, a. a. 0 .. , S. 24.

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

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dd) Ansätze einer gesetzlichen Festlegung des Regierungssystems praeter constitutionem Erst der Regierung Depretis gelang es, die im wesentlichen mit der Verordnung Ricasolis übereinstimmende, aber in einigen Punkten zugunsten des Königs geänderte Verordnung vom 25. August 1876 durchzusetzen. 92 Einen weiteren entscheidenden Schritt zur Emanzipation der Regierung und zur Stärkung des parlamentarischen Systems markiert die Verordnung der Regierung Zanardelli vom 14. November 1901. Zum einen bekräftigte sie erneut die innerhalb des Kabinetts, aber auch gegenüber König und Parlament herausgehobene Position des Ministerpräsidenten, indem Art. 6 die bereits in den Verordnungen von Ricasoli und Depretis enthaltene Formulierung wörtlich übernahm, wonach der Präsident des Ministerrates das Kabinett repräsentiere, die einheitliche Ausrichtung von Politik und Verwaltung aller Ministerien aufrechterhalte und für die Erfüllung der gegenüber Krone und Parlament bestehenden Pflichten der Regierung sorge. Zum anderen katalogisierte die Verordnung zahlreiche Zuständigkeiten des Ministerrats im Bereich von Gesetzgebung und Verwaltung, die erkennen lassen, daß der Regierung nunmehr eine gegenüber dem König eigenständige und gleichzeitig die für die Bestimmung des politischen Kurses entscheidende Rolle zufiel. Besonders deutlich wird dies an Art 2 des Zanardelli-Dekrets, der dem Ministerrat die Entscheidung über die Besetzung nahezu aller wichtigen Staatsämter zuweist und damit die Einhaltung der Regierungspolitik auf allen Ebenen der Verwaltung sicherstellt. Nach Art. 1 entschied die Regierung unter anderem über Fragen der öffentlichen Sicherheit und der hohen Verwaltung (alta amrninistrazione), über die dem Parlament vorzulegenden Gesetzentwürfe und gegebenenfalls ihre Rücknahme sowie über die von der Regierung zu erlassenden Verordnungen nach Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen. Indem die Regierung auf diese Weise ihre Befugnisse bei der Rechtsetzung bestimmte, wurde sie der flir das Parlament entscheidende Gesprächspartner innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens. 93 Thre zunehmend stärkere Position einerseits und die Abhängigkeit vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit andererseits erlaubten es der Regierung vor allem im Bereich der Rechtsetzung eine gegenüber den Kammern vorrangige Position zu erlangen: Gestützt auf eine Mehrheit der Abgeordneten nahm die Regierung für sich in Anspruch, als eine Art ausführender Ausschuß des gesamten Parlaments handeln zu können und so auch selbst gesetzgeberische Befugnisse wahrzunehmen. 94 Die Übertragung umfassender Vollmachten, einzelne Ermächtigungen durch das Parlament und der Erlaß von Notverordnungen boten die im einzelnen erforderliche rechtliche Grundlage. Zeitweise gelang es der Regierung ihren aufgrund des Zanardelli-Dekrets gewachsenen Einfluß auf die politischen Entscheidungen im We-

92 93 94



Vgl. Merlini, ebd., S. 25. Vgl. Merlini, ebd., S. 29. Vgl. Merlini. ebd., S. 23.

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1. Teil: Einleitung

ge des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gegenüber dem Parlament durchzusetzen, so daß der Regierung weniger Vollmachten erteilt wurden und sie seltener Notverordnungen erließ. 95 Das im wesentlichen auf Verfassungspraxis und einfachen Verordnungen beruhende Regierungssystem wurde jedoch kein fester Bestandteil der Rechtsordnung, etwa in Gestalt einer ausdrücklichen Verfassungsänderung, sondern erwies sich als störungsanfällig. Dies zeigte sich besonders deutlich im Verlauf des Ersten Weltkrieges. Bereits 1915 wurde Salandra gegen den Willen der Parlamentsmehrheit zum Präsidenten des Ministerrates ernannt. Im selben Jahr übertrug das Parlament der Regierung auch umfassende Vollmachten (pieni poteri) wie rund sechzig Jahre zuvor während der Unabhängigkeitskriege. Gleichzeitig nahm die Zahl der Notverordnungen deutlich zu. Diese Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Exekutive war während des Ersten Weltkrieges auch in anderen Ländern zu beobachten. 96 In Italien war diese neuerliche Verschiebung der Funktionen zugleich ein Hinweis darauf, daß die Veränderungen des Regierungssystems letztlich keine nachhaltige Stärkung des Parlaments bewirkt hatten. 97

3. Die Entstehung der Verordnungen mit Gesetzeskraft

Die legislative Tätigkeit in Form von Verordnungen entwickelte sich aus zwei Rechtsinstituten, die zur Bewältigung besonderer Ausnahmesituationen Anwendung fanden. Einerseits erteilte das Parlament der Regierung durch Gesetz Vollmachten (legge sui pieni poteri) zur Ausübung der Gesetzgebungsbefugnis. Andererseits gab es Fälle, in denen die Regierung ohne vorherige Beteiligung des Parlamentes den Belagerungszustand (stato d'assedio) verkündete und ftir dessen Dauer eigenständig Anordnungen traf.

a) Rechtsetzung aufgrund vorausgegangener parlamentarischer Ermächtigung

Die erste Ermächtigung der Regierung erfolgte durch das Gesetz Nr. 759 vom 2. 8. 1848 anläßlich des 1. Unabhängigkeitskrieges. Damit wurden der Regierung alle Gesetzgebungs- und Exekutivbefugnisse übertragen (11 Governo deI Re e investito durante l'attuale guerra della indipendenza di tutti i poteri legislativi ed esecutivi ... ). Entsprechende Vollmacht erteilte das Parlament in Kriegszeiten auch spä-

95 96 '17

VgI. MerIini, ebd., S. 30. V gI. Schmitt. ZaöRV VI 1936, 255 ff. V gI. MerIini, a. a. 0 .. , S. 30.

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

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ter. 98 Diese Ennächtigungsgesetze waren von der Verfassung nicht vorgesehen und durchbrachen deshalb die dort getroffene Funktionszuweisung. Bereits das Gesetz Nr. 759 vom 2. 8. 1848 enthielt aber eine Schutzgarantie zugunsten der Verfassungsinstitutionen ( ... , salve le instituzioni costituzionali, ... ), die auch in den Text späterer Gesetze mit aufgenommen wurde. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß der Bestand der Verfassungsinstitutionen für die Regierung nicht zur Disposition stehen sollte. 99 Daneben kam der Schutzgarantie aber vor allem politische Bedeutung zu. Denn schon die Aufrechterhaltung der neuen Verfassungsinstitutionen war ein Hauptziel der Vertreter der liberalen Parlamentsmehrheit gewesen. 100 Tatsächlich waren die Verfassungen anderer italienischer Staaten nach dem Wiedererstarken der restaurativen Kräfte als Folge der Niederlage im ersten Unabhängigkeitskrieg alsbald außer Kraft gesetzt worden. 101 Obwohl die Gesetzgebungsvollmacht nur zur Bewältigung der besonderen Kriegssituation erteilt wurde, damit die Regierung die zur Landesverteidigung notwendigen Maßnahmen treffen konnte ( ... tutti gli atti necessari per la difesa della patria e delle Nostre instituzioni.), wurde sie in der Praxis von der Regierung zur Durchführung komplexer Gesetzesrefonnen genutzt. Auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahre 1859 beschloß die Regierung u. a. eine Wahlrechtsrefonn und Gesetzbücher zum Strafrecht, Strafprozeß- und Zivilprozeßrecht. Daneben gab es auch schon Ennächtigungen unabhängig von Ausnahmesituationen mit dem Ziel der Verwaltungsvereinheitlichung. Bei Einhaltung des regulären Gesetzgebungsverfahrens wäre jedoch ein erheblich längerer Zeitraum für die entsprechenden Vorhaben erforderlich gewesen. An der Rechtmäßigkeit der Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis auf die Regierung wurden auch Zweifel geäußert. Dabei wurde auf die Unvereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip verwiesen 102 oder der große Umfang der Ennächtigung beanstandet 103. Überwiegend wurde jedoch die Übertragung der Legislativkompetenzen auf die Regierung für zulässig gehalten. Dafür sollten der flexible Charakter des Statuto Albertino lO4 und der wachsende Bedarf an rein "technischen" Regelungen sprechen 105 • 98 Vgl. 1. 25 aprile 1859, n. 3345; 1. r rnaggio 1866, n. 2865 und n. 2872, 18 rnaggio 1866, n. 2907; 1. 22 rnaggio 1915, n. 671. 99 Vgl. Rossi, Lo stato d'assedio nel diritto pubblico italiano, Arch. Dir. pubbl. 1894,92, \02. 100 Palici di Suni, La regola e l'eccezione, S. 90. 101 Vgl. Lill, Geschichte Italiens in der Neuzeit, S. 159. 102 Vgl. Corte d'appello di Genova, sent. 141uglio 1856, Giurisprudenza degli Stati Sardi 1857, 12, 14 ff.; Corte d'appello di Casale, sent. 26 giugno 1857, Giurisprudenza degli Stati Sardi 1857,29,30 f. 103 Vgl. Morelli, 11 Re, S. 702. 104 Vgl. Esrnein, Revue Politique et Parlernentaire, I, (1894), S. 200, 202, 207 ff.; Carnrneo, Della rnanifestazione, S. 179; Racioppi-Brunelli, Cornrnento allo statuto dei Regno, S. 176 f.

1. Teil: Einleitung

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b) Rechtsetzung ohne vorausgegangene parlamentarische Ermächtigung

aa) Gesetzgeberische Befugnisse der Exekutive während des Belagerungszustandes (stato d' assedio) Daneben verfügte die Regierung mit der Verkündung des Belagerungszustandes (stato d'assedio) über ein Rechtsinstitut, das sie in die Lage versetzte, für die Dauer von Aufständen in bestimmten Gebieten selbst gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Erklärung des Belagerungszustandes als Rechtsinstitut stammt aus dem französischen Recht. Der ursprünglich rein militärische Begriff bezeichnete einen Zustand besonderer Gefahr für eine militärische Anlage. Im Anschluß an die französische Revolution setzte eine Entwicklung ein, die den Eintritt des Belagerungszustandes von einer formellen Verkündung abhängig machte und den Anwendungsbereich auf interne Konflikte (z. B. Bürgerkrieg, Aufstand) beschränkte. Von diesem "politischen" Belagerungszustand wurde der für·äußere Konflikte maßgebliche Kriegszustand (stato di guerra) unterschieden. 106 Im Gegensatz zur Verordnungs tätigkeit der Regierung nach Übertragung umfassender Vollmachten ("pieni poteri") ging der Erklärung des Belagerungszustandes keine Ermächtigung des Parlamentes voraus. Erstmalig wurde der Belagerungszustand 1849 für Genua verkündet. Anlaß waren Aufstände infolge der Niederlage der piemontesischen Truppen gegen das östereichische Heer in der Schlacht bei Novara am 22. März 1849. Dieser Sieg Österreichs veranlaßte König Karl Albert zur Abdankung und beendete zugleich die italienische Revolution, die im Januar 1848 mit dem Aufstand Palermos begonnen hatte. Auch später wurde der Belagerungszustand wiederholt verkündet. 107 Mangels einer ausdrücklichen Ermächtigung war zunächst unklar, woraus sich eine entsprechende Zuständigkeit der Regierung ergeben könnte. Während die fehlende Parlamentsbeteiligung an der Verkündung des Belagerungszustandes 1849 noch damit begründet wurde, daß eine Stellungnahme nicht rechtzeitig habe eingeholt werden können 108 , wurde später eine entsprechende Kompetenz durch analoge Anwendung des königlichen Rechts zur Abgabe von Kriegserklärungen (Art. 5 St.) und der Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches über den Kriegszustand (Art. 243, 246) gewonnen. Als der Belagerungszustand letztmalig 1909 verkündet wurde, stützte die Regierung ihre Zuständigkeit sogar direkt auf Art. 243. Vgl. Miceli, Principi, S. 238. Vgl. Motzo, Assedio (stato di), Enc. dir., Bd. III, S. 250 f. 107 1852 für Sassari, 1862 für Sizilien und die neapolitanischen Provinzen, 1894 für Sizilien, Massa und Carrara, 1898 für Mailand, Florenz, Livomo und Neapel sowie 1909 für Messina und Reggio-Calabria. 108 Vgl. die Begründung des Ministers Pinelli bei Mancini-Galeotti, Norme ed usi dei Parlamento italiano, S. 183. lOS

106

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

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Die ennächtigungsunabhängige Rechtssetzung erfolgte aber nicht ohne jede Parlamentsbeteiligung. Zumeist nahm das Parlament von der Verkündung des Belagerungszustandes jedoch nur durch eine besondere Tagesordnung Kenntnis. Eine Ausnahme bildete das Gesetz vom 17. 7. 1898, mit dem die Befugnis der Regierung zur Rücknahme oder Aufrechterhaltung des im Mai 1898 verkündeten Belagerungszustandes anerkannt wurde. Dies wurde als parlamentarische Gültigkeitserklärung (bill d'indennita) der von der Regierung getroffenen Maßnahmen aufgefaßt. 109 Der erstmals 1852 110 dem Parlament abverlangte bill d'indennita hat seinen Ursprung im englischen Verfassungsrecht. Mit der Verabschiedung eines sogenannten indemnity act befreite das Parlament die Regierung von ihrer Verantwortung für von ihr getroffene rechtswidrige Anordnungen. 111

bb) Der Erlaß von Notverordnungen (decreti legge) Neben der Verkündung des Belagerungszustandes erließ die Regierung oft Notverordnungen (decreti legge). Dabei war anfangs unklar, worin sich beide Rechtsinstitute unterschieden. Denn in beiden Fällen kam es vor, daß die Regierung parlamentarische Bestätigungen einholte. 1I2 Bei Notverordnungen entwickelte sich eine Rechtspraxis, nach der die Verordnung dem Parlament stets zur Umwandlung in Gesetz vorgelegt wurde. Erfolgte eine Bestätigung der Verordnung, galt sie als von Anfang an gesetzeskräftig. Auch bei seinen Stellungnahmen zur Verkündung des Belagerungszustandes beschränkte sich das Parlament nicht darauf, die Minister nur von ihrer Verantwortung für im Rahmen des Belagerungszustandes ergangene rechtswidrige Maßnahmen zu befreien. 1I3 Jedenfalls die von der Regierung erlassenen Notverordnungen wandelte das Parlament in der Weise um, daß es ihnen Wirksamkeit nicht erst vom Zeitpunkt des Parlamentsbeschlusses, sondern rückwirkend von ihrem Inkrafttreten an (ex tunc) verlieh. Dagegen blieb unklar, ob die Stellungnahmen des Parlaments zu den Erklärungendes Belagerungszustandes als Heilung zunächst rechtswidriger Maßnahmen zu verstehen waren oder lediglich dazu dienten, diese Maßnahmen als aus dem Zuständigkeitsbereich der Regierung stammend zur Kenntnis zu nehmen. 114 Ein Grund für die Entstehung einer Rechtspraxis bei Anwendung der decreti legge wird in dem Gebrauch neben dem Belagerungszustand gesehen. Bei VerVgl. Ranelletti, La polizia di sicurezza, S. 1197. Vgl. Treves, Bill d'indennita, Enc. dir.,S. 480, 481; Rossi, Archivio di diritto pubblico 1894, S. 91, 108. III Vgl. Treves, Bill d'indennitli, Enc. dir., S. 480, 481. 112 Palici di Suni, La regola e l'eccezione, S. 98. 113 Palici di Suni, ebd., S. 99. 114 Palici di Suni, ebd., S. 99. 109 llO

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1. Teil: Einleitung

gleich bei der Institute mußten die Notverordnungen als minder schwere Abweichung von der verfassungsmäßigen Funktionsverteilung erscheinen. Gleichwohl wurde die Rechtmäßigkeit der Notverordnungen vereinzelt in Zweifel gezogen. 115 Die Mehrzahl der Autoren ging aber von der Rechtmäßigkeit der decreti legge aus. Zur Begründung wurde teilweise auf ein entsprechendes Gewohnheitsrecht l16 , auf das Wohl des Staates als übergeordnetes Interesse ll7 und auf die Notwendigkeit als Rechtsquelle 118 verwiesen. Aus der Praxis, die Notverordnungen dem Parlament zur Umwandlung in Gesetz vorzulegen, wurde auch der Schluß gezogen, daß es sich lediglich um "vorweggenommene" Gesetze handeleY9 Ferner sollte die Formulierung des Art. 6 St. für die Zulässigkeit der Notverordnungen sprechen. Während Art. 13 der französischen Verfassung von 1830 als Vorbild für die Regelung in Art. 6 St. dem König untersagte, jemals (jamais) bei der Verordnungsgebung von Gesetzen abzuweichen, verbot Art. 6 St. nicht ausdrücklich, ,jemals" (giammai) gesetzesändernde Verordnungen zu erlassen. 120

4. Die Verordnungen mit Gesetzeskraft während der Zeit des Faschismus a) Die Krise des liberalen Staates als Voraussetzung für den Aufstieg des Faschismus Im Verlauf des italienischen Einigungsprozesses, vor allem während der Unabhängigkeitskriege, nahmen die Regierungen in großem Umfang gesetzgeberische Aufgaben wahr, sei es aufgrund entsprechender Vollmacht oder während des Belagerungszustandes. In der Folgezeit, in der sich zunächst ein zunehmend stabileres Verhältnis zwischen Parlament, Regierung und König entwickelte, verfestigte sich die von der Exekutive ausgeübte Verordnungsgebung durch wiederholten Gebrauch und verbreitete Akzeptanz zu Verfassungsgewohnheitsrecht. Dabei blieb der Ausnahmecharakter dieser Form der Rechtsetzung im wesentlichen erhalten. So wurden bis 1910 gerade 193 Notverordnungen erlassen. 121 Die115 Cammeo, Della manifestazione, S. 197 ff.; Racioppi-Brunelli, Commento allo statuto dei Regno, S. 179 ff., 351 ff. 116 V gl. Orlando, Principii di diritto costituzionale, S. 186; Rossi, Archivio di diritto pubblico 1894, S. 91, 94; Morelli, 11 Re, S. 708 (FN). 117 Orlando, Principii di diritto costituzionale. S. 185; Morelli. 11 Re, S. 704; Rossi, Archivia di diritto pubblico 1894,91 f.; Majorana. Lo stato d'assedio. S. 24 ff.; Ranelletti, La polizia di sicurezza, S. 1202 f. 118 Romano, Riv. dir. pubbl. 1909, I, 260 ff. 119 Morelli.I1 Re, S. 703. 120 Vgl. Codacci PisaneIli, Sulle ordinanze d'urgenza, in Scritti di diritto pubblico, S. 98 ff. 121 Vgl. Palici di Suni. La regola e I'eccezione, S. 105; Scialoja, Sulla conversione in legge dei decreti-Iegge, in scritti giuridici, V, Padova 1936, 18 ff.

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

41

ser Zustand änderte sich jedoch grundlegend mit Beginn des Ersten Weltkrieges. Die Regierungen, die angesichts der Kriegssituation ohnehin mit umfassenden Vollmachten ausgestattet waren, verabschiedeten Rechtsvorschriften ftir nahezu alle Bereiche, wobei dies häufig durch Notverordnungen geschah. 122 Auf diese Weise verschob sich die gesetzgeberische Tatigkeit weitgehend auf die Exekutive, bei der die staatliche Macht nun konzentriert war. Die ursprünglich nur ftir Ausnahmefälle vorgesehenen decreti legge wurden zum Regelfall in der Rechtsetzung, wodurch sich die Kritiker des parlamentarischen Systems in ihrer Auffassung bestärkt sahen. 123 Dieser Zustand dauerte auch über das Kriegsende hinaus an. Allein im Jahre 1919 wurden 1029 Notverordnungen erlassen. 124 1920 unternahm Giolitti während seiner ftinften Amtszeit als Ministerpräsident den Versuch, durch eine Änderung der Art. 5 und 9 des Statuto Albertino das parlamentarische Regierungssystem vollständig durchzusetzen. Dazu sollten die Einflußmöglichkeiten der Regierung auf das Parlament und die Sonderrechte des Königs in der Außenpolitik ebenso begrenzt werden wie die Anwendung von Notverordnungen. Die Parlamentskammern sollten die Gesetzgebungsfunktion wieder selbst ausüben und der Rückgriff auf Notverordnungen sollte auf wirkliche Ausnahmesituationen beschränkt werden. Zudem sah der Reformvorschlag Giolittis eine weitere nachhaltige Stärkung des Parlaments vor: Der Exekutive sollte die Möglichkeit entzogen werden, über Dauer und gegebenenfalls Verlängerung der Parlaments sitzungen zu entscheiden. Nach Art. 9 St. berief der König jedes Jahr die Parlamentskammern ein und hatte das Recht, deren Sitzungen zu verlängern. Da das Parlament aufgrund dieser Regelung nicht selbst den Zeitpunkt des Zusammentritts und die Dauer der Sitzungen beschließen konnte, hatten König und Regierung oft Gelegenheit ihr Handeln parlamentarischer Kontrolle zu entziehen. 125 Eine weitere geplante Veränderung betraf die Außenpolitik. Sie war ebenso wie das Oberkommando über die Streitkräfte und das Recht zur Kriegserklärung nach Art. 5 St. ausschließlich dem König zugewiesen. Diese Sonderrechte sollten eingeschränkt werden, um dem Parlament eine Kontrolle der außenpolitischen und militärischen Entscheidungen zu ermöglichen. 126 Ziel dieser Reform war es, das parlamentarische Regierungssystem im Rahmen der bestehenden Verfassung fest zu verankern, um so den Untergang des gesamten Systems zu verhindern, der angesichts der tiefgreifenden Krise der Nachkriegszeit drohte. 127 Der Plan Giolittis traf jedoch bei den Kammern auf Unver122 123

124 125 126 127

Vgl. Ghisalberti, Storia costituzionale d'Italia, S. 323. Vgl. Ghisalberti, ebd., S. 325. Vgl. Palici di Suni, La regola e I'eccezione, S. 105. Vgl. Ghisalberti, a. a. 0 .. , S. 337. Vgl. GhisaIberti, ebd., S. 337 f. Vgl. Merlini, a. a. 0 .. , S. 41.

42

1. Teil: Einleitung

ständnis und bei dem König auf Ablehnung, da er nicht auf seine Vorrechte verzichten wollte. 128

b) Die Umgestaltung des Regierungssystems unter Mussolini Die Ernennung Mussolinis zum Ministerpräsidenten am 28. Oktober 1922 führte nicht sofort zu staatsorganisatorischen Veränderungen größeren Ausmaßes. Der Regierungswechsel entsprach in formaler Hinsicht im wesentlichen den schon zuvor üblichen Abläufen beim Rücktritt und der Ernennung von Ministern. 129 Auch mit den Regeln des parlamentarischen Regierungssystems befand sich die neue Regierung zunächst in Einklang. 130 Denn das Parlament hatte der aus Vertretern des rechten und mittleren politischen Spektrums zusammengesetzen Regierung sehr deutlich das Vertrauen ausgesprochen 131 und ihr gleichzeitig umfassende Vollmachten für eine Verwaltungs- und Finanzreform übertragen. Abgesehen von Änderung des Wahlrechts zugunsten der faschistischen Partei im November 1923 wurde das bestehende System formal weiterhin aufrechterhalten. Dies änderte sich erst Ende 1925 und zwar durch die "Ieggi fascistissime", die Gesetze Nr. 2263 vom 24. Dezember 1925 und Nr 100 vom 31. Januar 1926, die zu einer deutlichen Stärkung der Regierung und vor allem des Ministerpräsidenten führten. Durch das erste der beiden Gesetze erlangte der Präsident des Ministerrates die Stellung eines den anderen Ministern übergeordneten Regierungschefs ("capo dei governo"). Die - ohnehin nur gewohnheitsrechtlich verankerte - Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlamentes sollte zukünftig entfallen. Dem König sollte nur das Recht verbleiben, einen Ersten Minister ("Primo Ministro") selbständig zu ernennen und abzuberufen. Alle anderen Minister dagegen waren lediglich gegenüber dem Regierungschef verantwortlich. Eine weitere Entmachtung des Parlamentes ergab sich aus Art. 6 Abs. 1 dieses Gesetzes, wonach eine Angelegenheit nur mit Zustimmung des Regierungschefs auf die Tagesordnung der Parlamentskammern gesetzt werden durfte. War mit dieser Regelung bereits ein erheblicher Eingriff in die gesetzgeberische Tätigkeit des Parlaments verbunden, erfolgte durch das Gesetz Nr. 100 vom 31. Januar 1926 eine noch weiterreichende Beschränkung der Legislative: Dieses Gesetz regelte erstmals die rechtsetzende Tätigkeit der Regierung. Es gestattete sowohl die gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen mit Vgl. Ghisalberti, a. a. 0 .. , S. 338. Vgl. Ghisalberti, ebd., S. 342; dagegen sehen andere Autoren bereits in der Ernennung Mussolinis einen Bruch mit der konstitutionellen Verfassung, gewissermaßen einen ,,monarchisch-faschistischen Staatsstreich"vgl. dazu Barile, Corso di diritto costituzionale (1964), 31. 130 Vgl. Paladin, Diritto costituzionale, S. 85; in diesem Sinne auch Ghisalberti, a. a. 0 .. , S.343. l31 Von den 422 Mitgliedern der Abgeordnetenkammer stimmten 306, von den 215 Senatoren 196 für die Regierung Mussolini. 128 129

V. Regierungsbefugnisse zur Schaffung gesetzesgleicher Rechtsakte in Italien

43

Gesetzeskraft als auch den Erlaß von Notverordnungen (decreti legge) ohne vorhergehende Mitwirkung des Parlamentes. Darüberhinaus regelte das Gesetz Nr. 100/1926 ausführlich den Erlaß von Verordnungen ohne Gesetzeskraft. Die Praxis der Regierung, Gesetzesverordnungen nach vorangegangener gesetzlicher Ennächtigung des Parlamentes zu erlassen, wurde durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes Nr. 100/ 1926 bestätigt. Das Gesetz bestimmte hierzu, daß die von der Regierung getroffene Bestimmung nur innerhalb der Grenzen des Ennächtigungsgesetzes ergehen durfte. Das Parlament konnte seine Befugnisse aber in beliebigem Umfang auf die Regierung übertragen. Jedenfalls waren dafür keine Beschränkungen vorgesehen. Der Erlaß von Notverordnungen wurde demgegenüber in Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes Nr. 100/1926 an engere Voraussetzungen gebunden: Sie waren nur zulässig "in außergewöhnlichen Fällen, in denen Gründe dringender und absoluter Notwendigkeit es erforderten". Eine Überprüfung der von der Regierung hierzu vorgenommenen Einschätzung blieb aber ausdrücklich allein der politischen Kontrolle des Parlamentes vorbehalten. Die gesetzliche Umwandlung der Notverordnungen mußte innerhalb von zwei Jahren erfolgen. Andernfalls traten die Notverordnungen nach Ablauf von zwei Jahren außer Kraft. Die Rechtsetzungsbefugnisse der Regierung wurden durch das Gesetz Nr. 100/ 1926 - ohne ausdrückliche Änderung der Verfassung - endgültig fester Bestandteil der italienischen Rechtsordnung. Das Gesetz Nr. 2693 vom 9. Dezember 1928 stattete die Rechtsetzungsbefugnisse der Regierung schließlich mit Verfassungsrang aus. Damit erhielt das Gesetz Nr. 100/ 1926 aber nur scheinbar einen höheren Rang. Tatsächlich war nämlich die Rechtsprechung nicht befugt, ordentliche Gesetze, die im Widerspruch zu Verfassungsgesetzen standen, aufzuheben oder nicht anzuwenden. 132 Ein weiterer Schritt zur Nonnalisierung der Ausnahmebefugnisse der Regierung erfolgte mit dem Gesetz Nr. 129 vom 19. Januar 1939. Art. 18 dieses Gesetzes stellte im voraus fest, in welchen Fällen die Regierung stets Notverordnungen beschließen konnte. Dazu zählten vor allem Krieg und dringende finanzielle Maßnahmen. Diese vorweggenommene Feststellung von Ausnahmesituationen trug dazu bei, der Regierung rur bestimmte Fälle von vornherein Rechtsetzungsbefugnisse zu sichern. Das Gesetz Nr. 129/ 1939 markiert damit den Endpunkt eines langen Prozesses, in dessen Verlauf die Regierung eigenständige, von der Verfassung nicht vorgesehene Rechtsetzungsbefugnisse erwarb und immer weiter zu einer regulären Fonn der Rechtsetzung ausbaute. 133

132 133

Vgl. Palici di Suni, La regola e I'eccezione, S. 109 f. Vgl. Palici di Suni, La regola e I' eccezione, S. 111 f.

2. Teil

Decreti legislativi I. Verfassungsrechtliche Vorgaben Die Gesetzesverordnung steht der Regierung als Instrument zur Rechtssetzung nur nach vorausgegangener parlamentarischer Ermächtigung zur Verfügung (Art. 76, 77 Abs. 1 Cost.). Die Ermächtigung ist für die Verordnungsgebung aber nicht nur konstitutiv, sondern schränkt die Regelungsmöglichkeiten auch in materieller Hinsicht ein. In jedem Fall sind zwei Rechtsakte erforderlich: mit dem ersten erteilt das Parlament der Regierung eine Ermächtigung!, mit dem zweiten, der Gesetzesverordnung, macht die Regierung von der erteilten Ermächtigung Gebrauch. Beide Rechtsakte sind eng miteinander verknüpft. Dabei wird die Ermächtigung teilweise als bloße Voraussetzung der späteren Verordnung2 , teilweise aber auch als Bestandteil eines einheitlichen Verfahrens angesehen, an dessen Ende die Gesetzesverordnung steht. 3

1. Die Erteilung der Ermächtigung

Die Ausübung der Gesetzgebungsfunktion setzt grundsätzlich eine Ermächtigung von Seiten der Parlamentskammern voraus (Art. 77 Abs. 1 Cost.). Aus dem Wortlaut der Verfassung ergibt sich allerdings nicht eindeutig, ob die Ermächtigung in einer bestimmten Form erteilt werden muß. Anhaltspunkte ergeben sich aber aus Art. 72 Cost. Diese Vorschrift behandelt die Verabschiedung von Gesetzen. Die italienische Verfassung eröffnet danach die Möglichkeit, Gesetze in einem abgekürzten Verfahren zu verabschieden, bei dem Beratung und Abstimmung nur in den zuständigen Parlamentsausschüssen erfolgen. Nach Art. 72 Abs. 4 Cost. müssen Gesetze auf bestimmten Gebieten, wie etwa dem Wahlrecht, stets im normalen Verfahren, das heißt durch Abstimmung im Plenum verabschiedet werden. Diesem Plenarvorbehalt unterliegen auch Gesetze, mit denen das Parlament der Regierung eine Ermächtigung zum Erlaß von Gesetzesverordnungen erteilt. Wenn die Verfassung für Ermächtigungsgesetze eine Abstimmung im Kammerple1 2

3

Vgl. zur Form der Ermächtigung unten III. 1. a). Pizzorusso, Sistema istituzionale deI diritto pubblico italiano, S. 221. Vgl. Fenucci, Rass. dir. pubbl. 1965,847,851 f.; ähnlich Crisafulli, Lezioni, S. 89.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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num l;wingend vorschreibt und diese Gesetze damit in eine Reihe mit anderen besonders wichtigen Vorschriften - neben dem Wahlrecht die Verabschiedung des Staatshaushaltes und völkerrechtlicher Verträge - stellt, deutet dies darauf hin, daß die Übertragung der Gesetzgebungsfunktion auf die Regierung nur in gesetzlicher Fonn erfolgen kann. Die Verfassung schließt jedoch eine Ennächtigung der Regierung in anderer Weise nicht ausdrücklich aus, da Art. 77 Abs. 1 Cost. lediglich vorschreibt, daß überhaupt eine Ennächtigung durch die Kammern erteilt wird, ohne deren Fonn zu bestimmen. Allgemein wird jedoch angenommen, daß die Ennächtigung stets durch ein im ordentlichen Verfahren zustande gekommenes Gesetz erfolgen muß. 4

a) Die Verabschiedung von Gesetzesvorlagen im Parlament

Daß die Verabschiedung einer Gesetzesvorlage durch die Mehrheit des Plenums bei der Häuser des Parlaments indes nicht in allen Fällen vorgeschrieben ist, zeigt ein Blick auf die maßgeblichen Bestimmungen. Die Abgeordnetenkammer und der Senat der Republik - sie bilden zusammen das italienische Parlament (Art. 55 Abs. 1 Cost.) - üben nach Art. 70 Cost. gemeinsam die Gesetzgebungsfunktion aus. Das Gesetzgebungsverfahren besteht im wesentlichen aus drei aufeinanderfolgenden Phasen5 : - Der Gesetzesinitiative - Der Beratung und Verabschiedung des Entwurfs durch die Kammern - Der Verkündung und Veröffentlichung des Gesetzes Vor allem die zweite Phase, die für das Verständnis der Ennächtigungsgesetzgebung nach Art. 77 Abs. 1, 72 Abs. 4 Cost. bedeutsam ist, wird durch das strenge Zweikammersystem der italienischen Verfassung geprägt. Soweit Art. 70 Cost. von der gemeinsamen Ausübung der Gesetzgebungsfunktion durch die Kammern spricht, bedeutet dies in erster Linie, daß nicht eine Kammer allein zur Gesetzgebung berufen ist. Die Prüfung und Verabschiedung der Gesetzesvorlagen erfolgt dagegen nicht gemeinsam, etwa in gemeinsamer Sitzung, sondern in jeder der Kammern nacheinander und unabhängig voneinander. Zu einer gemeinsamen Sitzung (seduta comune) kommt das Parlament nämlich gemäß Art. 55 Abs. 2 Cost. nur in den von der Verfassung bestimmten Fällen zusammen. Die Mitglieder beider Kammern nehmen bei ihren gemeinsamen Sitzungen ausschließlich Wahl- oder Anklagefunktionen wahr. 6 Dazu zählen die Wahl des Präsi4 Vgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 5; Traversa, La riserva di legge d' Assemblea, in Studi per iI ventesimo anniversario deli' Ass. Cost., V; S. 620, FN 13. S Vgl. dazu Paladin, Diritto costituzionale, S. 316 ff. 6 Vgl. Paladin, Diritto costituzionale, S. 297.

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2. Teil: Decreti legislativi

denten der Republik (Art. 83 Abs. I Cost.) und jeweils eines Drittels der Mitglieder des Obersten Rates der Richterschaft (Consiglio Superiore della Magistratura)7 und des Verfassungsgerichts (Corte costituzionale)8. Ferner kann der Präsident der Republik nach Art. 90 Abs. 2 Cost. in Fällen des Hochverrats oder eines Angriffs auf die Verfassung vom Parlament in gemeinsamer Sitzung unter Anklage gestellt werden.

aa) Die Verabschiedung von Gesetzesvorlagen im ordentlichen Verfahren Die Behandlung einer Gesetzesvorlage im ordentlichen Verfahren beschreibt Art. 72 Abs. I Cost.: Jeder in einer der Kammern eingebrachte Gesetzentwurf wird zunächst von einem Ausschuß geprüft, beraten und anschließend dem Plenum zugeleitet. Dieses stimmt zunächst über jeden einzelnen Artikel und abschließend über den gesamten Entwurf ab. Die Prüfung der Gesetzesvorlagen erfolgt durch die nach dem jeweiligen Regelungsinhalt zuständigen Ausschüsse9 der beiden Kammern. Im Rahmen des ordentlichen Verabschiedungsverfahrens haben sie die Aufgabe, dem Plenum über die Gesetzesvorlagen Bericht zu erstatten (commissioni in sede referente).l0 Häufig geht das Ergebnis der Ausschußberatungen aber weit über einen bloßen Bericht hinaus und führt angesichts zahlreicher Veränderungs- und Ergänzungsvorschläge eher zu einer neuen Gesetzesvorlage. 11 Diese weite Auslegung der Aufgabe, Bericht zu erstatten, findet ihre Rechtfertigung in dem Recht zur Gesetzesinitiative, das nach Art. 71 Abs. I Cost. jedem Abgeordneten zustehtY Das Verfahren innerhalb der Ausschüsse entspricht der Vorgehensweise bei der Verabschiedung im Plenum: Auf eine Eingangsprüfung folgen Beratung und Abstimmung über die einzelnen Artikel. Abschließend wird über die gesamte Vorlage abgestimmt. 7 Vgl. Art. 104 ff. Cost. und zu Aufgaben und Zusammensetzung des Obersten Rates der Richterschaft BartoIe, 11 potere giudiziario, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 648 ff. 8 Vgl. Art. 134 ff. Cost. und zur Zusammensetzung und Tätigkeit des italienischen Verfassungsgerichts Zagrebelsky, La giustizia costituzionale, in: Amato I Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 663 ff. 9 Davon gibt es 13 in der Abgeordnetenkammer (Art. 22 Regolamento della Camera dei deputati (Geschäftsordnung der Abgeordnetenkammer» und 12 im Senat (Art. 22 Regolamento deI Senato della Repubblica (Geschäftsordnung des Senats». Sie entsprechen in ihrer Zusammensetzung den Mehrheitsverhältnissen in der jeweiligen Kammer und werden alsbald nach der Konstituierung gebildet (Art. 19 Abs. I, 2 Regolamento della Camera dei deputati, Art. 21 Abs. 1,2 Regolamento deI Senato della Repubblica). 10 V gl. Art. 72 ff. Regolamento della Camera dei deputati, Art. 43 ff. Regolamento deI Senato della Repubblica. 11 V gl. Paladin Diritto costituzionale, S. 331 f. 12 V gl. Paladin, Dirito costituzionale, S. 332.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

47

Im Unterschied zu den Ausschußberatungen soll das Plenum hauptsächlich die allgemeinen Grundzüge des Entwurfs beraten. 13 Dabei haben die Ausschußmitglieder Gelegenheit, Bericht zu erstatten. Wahrend der anschließenden Abstimmung über die einzelnen Artikel kann jedes Mitglied der Kammer Ergänzungsvorschläge unterbreiten. Den Abschluß bildet die von Art. 72 Abs. 1 Cost. vorgeschriebene Abstimmung über den gesamten Entwurf. Ihr Zweck besteht darin, den zuvor möglicherweise vielfältig geänderten Entwurf einer abschließenden Bewertung zu unterziehen und mögliche änderungsbedingte Widersprüche zu vermeiden. 14 Die in einer Kammer verabschiedete Vorlage wird sodann an die jeweils andere Kammer weitergeleitet, in der sich das Verfahren wiederholt. Sofern auch dort Veränderungen vorgenommen werden, muß der Entwurf nach Verabschiedung in geänderter Form an die erste Kammer zur erneuten Beratung und Abstimmung zurückverwiesen werden. Denn ein Gesetz kommt nur zustande, wenn identische Vorlagen von beiden Häusern des Parlaments angenommen wurden.

bb) Das Dringlichkeitsverfahren Nur geringfügige Abweichungen von dem oben beschriebenen Verfahren ergeben sich für das von Art. 72 Abs. 2 Cost. i.Y.m. den Geschäftsordnungen der Kammern vorgesehene Dringlichkeitsverfahren. Der Unterschied zum normalen Beratungsverfahren besteht im wesentlichen in einer auf die Hälfte verkürzten Beratungszeit der Ausschüsse. ls Durch eine der Beratung vorausgehende Abstimmung im Plenum der Kammer kann der Entwurf für dringlich erklärt werden. Das abschließende Abstimmungs- und Beratungsverfahren im Plenum ist dagegen keiner zeitlichen Vorgabe unterworfen.

cc) Die Alleinzuständigkeit des Ausschusses zur Verabschiedung der Gesetzesvorlage Art. 72 Abs. 3 Cost. eröffnet die Möglichkeit, den Ausschüssen durch entsprechende Bestimmungen in den Geschäftsordnungen der Kammern eine fast einzigartige l6 und erheblich stärkere Stellung im Gesetzgebungsverfahren einzuräumen: Gesetzesvorlagen können den Ausschüssen zusätzlich zur Beratung auch zur endgültigen Abstimmung übertragen werden, so daß nach Annnahme durch den Aus13 Art. 82, 83 der Geschäftsordnung der Abgeordnetenkammer sprechen von einer "discussione sulle Iinee generali", während Art. 94 der Geschäftsordnung des Senats dem Plenum lediglich eine "discussione generale" über Gesetzentwürfe vorschreibt. 14 Vgl. Paladin, Diritto costituzionale, S. 334. 15 Vgl. Art. 69, 81 Regolamento della Camera dei deputati, Art. 77 Regolamento deI Senato della Repubblica. 16 Vgl. Art. 75 Abs. 2 Spanische Verf.

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2. Teil: Decreti legislativi

schuß keine weitere Beratung und Abstimmung im Kammerplenum mehr erfolgt. Die Übertragung des Entwurfs auf einen Auschuß, der dann in beschließender Funktion (in sede legislativa I sede deliberante) tätig wird, erfolgt auf Vorschlag des Präsidenten der jeweiligen KammerP Art. 73 Abs. 3 Satz 2 Cost. bestimmt jedoch, daß ein dem Ausschuß zur Verabschiedung übertragener Gesetzentwurf bis zur endgültigen Annahme auf Antrag der Regierung, eines Zehntels der Mitglieder der Kammer oder eines Fünftels der Mitglieder des Ausschusses an das Kammerplenum zur Abstimmung zurückverwiesen werden kann.

dd) Das ..gemischte" Abstimmungsverfahren Schließlich besteht die Möglichkeit, die Ausschüsse auch in der Weise an der Verabschiedung der Gesetzentwürfe zu beteiligen, daß im Ausschuß Beratung und endgültige Abstimmung über die einzelnen Artikel des Gesetzes erfolgen (esame in sede redigente). 18 Die Abstimmung über den gesamten Entwurf bleibt nach diesem Verfahren jedoch stets dem Plenum vorbehalten.

b) Die Ausschlußfunktion des Plenarvorbehalts

Das oben unter (3) beschriebene abgekürzte Abstimmungsverfahren unter Ausschluß des Plenums kann jedoch nicht beliebig Anwendung finden. Art. 72 Abs. 4 Cost. unterwirft eine Reihe von Materien dem normalen Abstimmungsverfahren, d. h. einer Beratung und Abstimmung im Plenum beider Parlamentskammern. Dazu zählen Gesetzentwürfe, die Verfassungs- und Wahlfragen, die Ermächtigung zur Ratifizierung internationaler Verträge, die Genehmigung von Haushaltsabschlüssen und -voranschlägen und schließlich die Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen betreffen. Der Plenarvorbehalt (riserva di assemblea) des Art. 72 Abs. 4 Cost. wurde zwar vereinzelt eng ausgelegt und sollte danach nur für diejenigen Ermächtigungsgesetze gelten, die ausschließlich oder hauptsächlich eine Übertragung der Gesetzgebungsfunktion auf die Regierung zum Gegenstand haben (deleghe autonome).19 Auf Gesetzentwürfe, die lediglich ergänzend zu den in ihnen getroffenen Bestimmungen eine Ermächtigung der Regierung zum Erlaß von Übergangs- oder Umsetzungsvorschriften (deleghe accessorie) enthalten, soll dagegen auch das vereinfachte Verfahren mit Verabschiedung durch Kommissionsbeschluß anwendbar sein. Wegen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen selbständigen und akzessori17 V gl. Art. 92 Abs. I Regolarnento della Carnera dei deputati, Art. 35 Abs. I Regolarnento deJ Senato della Repubblica. 18 Vgl. Art. 96 Regolarnento della Carnera dei deputati, Art. 36 Regolarnento deI Senato della Repubblica. 19 V gl. Abbamonte, Annali Macerata XXIII (1959), 171 ff.

I. VerfassungsrechtIiche Vorgaben

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schen Ennächtigungen und der Gefahr, die Anordnung des Plenarvorbehaltes auf diese Weise zu unterlaufen, findet diese Differenzierung auch keine ausreichende Grundlage in der Verfassung. Dort wird vielmehr der Ausnahmecharakter legislativer Befugnisse der Regierung betont (Art. 76 Cost.). Daß die in der Verfassung aufgestellten Anforderungen an die Erteilung entsprechender Ennächtigungen nur für die besonders gravierenden Fälle gelten sollen, vennag deshalb nicht zu überzeugen. Ganz überwiegend wird daher eine solche Beschränkung des Plenarvorbehaltes auch abgelehnt. 20 Vielmehr wird allgemein angenommen, daß Ennächtigungen durch bloße Tagesordnungen oder Stellungnahmen ebenso unzulässig sind wie stillschweigende oder implizite Ennächtigungen. 21

c) Das Verbot der Eigenermächtigung

Ferner ist auch eine Eigenennächtigung der Regierung durch Notverordnung oder Gesetzesverordnung unzulässig. 22 Eine entsprechende Praxis hatte sich zwar in der Zeit des Faschismus durchgesetzt. 23 Neben der eindeutigen Bestimmung des Art. 72 Abs. 4 Cost., die für die Erteilung der Ennächtigung ein vom Plenum der Kammern im nonnalen Verfahren beschlossenes Gesetz vorschreibt, ist eine Ermächtigung durch Gesetzes- oder Notverordnung auch mit dem Sinn und Zweck des Art. 76 Cost. nicht in Einklang zu bringen. Denn diese Vorschrift verlangt, daß sowohl die Entscheidung über das "Ob" einer Wahrnehmung der Gesetzgebungsbefugnisse durch die Regierung als auch das "Wie" - in sachlicher, zeitlicher und programmatischer Hinsicht - stets durch das Parlament selbst getroffen werden muß.24 Gegen eine durch decreto legge erteilte Ennächtigung spricht darüber hinaus, daß für eine solche Bestimmung kaum die nach Art. 77 Abs. 2 Cost. erforderliche Notwendigkeit und Dringlichkeit bestehen wird. Schließlich umfaßt das Verbot einer Eigenennächtigung der Regierung nicht nur die originäre eigenmächtige Ausstattung mit Gesetzgebungsbefugnissen. Auch den Umfang bereits erteilter Ermächtigungen darf die Regierung nicht selbständig, z. B. durch Verlängerung des Ennächtigungszeitraumes oder eine Veränderung der Grundsätze und Richtlinien erweitern. 25

Vgl. Cervati, Legge delega e delegata, Enc dir., S. 939, 940. Vgl. Cervati, Legge delega e delegata, Enc dir., S. 939, 941; Cerri, Delega legislativa, S. 3 (1.2.3.); a.A. Abbamonte, S. 169; Balladore Pallieri, Diritto costituzionale, S. 238 f.; Miele, Arch. pen. 1953,11, S. 196. 22 Vgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 6; Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 11. 23 Vgl. Ragnisco, Riv. dir. pubbl. 1932, I, 642, 646, 648; Vgl. zu den dec. leg. der Übergangszeit Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 6 m. w. N. 24 V gl. Sorrentino I Caporali, Legge (atti con forza di) in Dig. disc., S. 100, Ill. 25 Vgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 6. 20 21

4 SeUe

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2. Teil: Decreti legislativ i

2. Der Widerruf der Ermächtigung Mit einem Widerruf der Ermächtigung wird der Regierung die Befugnis, Verordnungen mit Gesetzeskraft nach Maßgabe des Ermächtigungsgesetzes zu erlassen, wieder entzogen. Ein solcher Widerruf kommt jedoch nur innerhalb des Ermächtigungszeitraumes und solange die Regierung keinen Gebrauch von der Ermächtigung gemacht hat in Betracht. Sonst stehen ihr nämlich ohnehin keine Gesetzgebungsbefugnisse mehr zu. Die Voraussetzungen, unter denen die einmal erteilte Ermächtigung widerrufen werden kann, sind jedoch nicht geregelt. Nach der Verfassung steht die Gesetzgebungsfunktion aber grundsätzlich dem Parlament zu. Auch soweit der Regierung gesetzgeberische Befugnisse übertragen werden, bestimmt stets das Parlament die Grenzen dieser Befugnisse. Aus dieser Vorrangstellung des Parlaments folgt, daß es die Ermächtigung zu jeder Zeit ganz oder teilweise widerrufen kann. 26

3. Adressat der Ermächtigung Art. 76 Cost. nennt als möglichen Adressaten einer Ermächtigung zur Ausübung der Gesetzgebungsfunktion ("l'esercizio della funzione legislativa ... ") ausschließlich die Regierung (governo). Ausgehend vom Wortlaut dieser Bestimmung ist daher zu klären, wie der Begriff Regierung zu bestimmen ist. Ferner ist zu untersuchen, ob die Ausübung der Gesetzgebungsfunktion i. S. d. Art. 76 Cost. lediglich die Verabschiedung einer Gesetzesverordnung oder das gesamte Verfahren einschließlich des Erlasses und der Veröffentlichung und damit auch die Mitwirkung des Präsidenten der Republik umfaßt. Die Regierung besteht nach Art. 92 Abs. 1 Cost. aus dem Präsidenten des Ministerrats und den Ministern, die gemeinsam den Ministerrat (Consiglio dei Ministri) bilden. Zwar wird diese Aufzählung der Regierungsorgane von einem Teil der Lehre 27 nicht für abschließend gehalten. Vielmehr könnten weitere Organe geschaffen werden, sofern diesen nicht Zuständigkeiten zugewiesen würden, welche die Verfassung den in Art. 92 Abs. 1 Cost. genannten Organen vorbehalte. In der Praxis bestehen seit langem neben dem Ministerrat, seinem Präsidenten und den einzelnen Ministern weitere Ämter und Funktionen innerhalb der Regierung. Mit der gesetzlichen Regelung der Regierungstätigkeit (Gesetz Nr. 400 /1988) hat der Gesetzgeber Einsetzung und Aufgaben von Ministerausschüssen, Vizepräsidenten des Ministerrates, Ministern ohne Geschäftsbereich und Staatssekretären bestimmt (vgl. Art. 6 ff. des Gesetzes Nr. 400 / 1988).

26

27

So auch Caretti I Oe Siervo, Istituzioni. S. 294 f.; Lavagna. Istituzioni. S. 272. Vgl. Ciriello. Ordinamento di governo e comitati interministeriali, S. 20 ff.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Schon bevor die Tätigkeit der Regierung im Jahre 1988 durch das Gesetz Nr. 400 geregelt wurde, konnte die Verabschiedung einer Gesetzesverordnung nach al1gemeiner Ansicht nur durch einen Beschluß des Ministerrats erfolgen,zs Nun unterwirft Art. 3 c) des Gesetzes Nr. 400/1988 die vom Präsidenten der Republik zu erlassenden Verordnungen einem Beschluß des Ministerrates. Die Regierung muß folglich stets als Kollegialorgan handeln. Unzulässig sind deshalb Ermächtigungen einzelner Minister oder z. B. interministerieller Ausschüsse. 29 Ebenso ist die Unterermächtigung anderer Exekutivorgane untersagt. Daß allein die Regierung in Gestalt des Ministerrates Adressat einer Ermächtigung nach Art. 76, 77 Abs. 1 Cost. sein kann, hat überdies ein Verbot der Subdelegation zur Folge. Weder das Ermächtigungsgesetz noch die auf seiner Grundlage geschaffene Gesetzesverordnung dürfen die erteilte Ermächtigung ganz oder teilweise auf andere Organe übertragen. Denn die Aufteilung und gegebenenfalls mögliche Übertragung von Zuständigkeiten hat in der Verfassung eine abschließende Regelung gefunden?O

4. Inhaltliche Vorgaben des Ermächtigungsgesetzes Art. 76 Cost. untersagt eine Ermächtigung zur Ausübung der Gesetzgebungsfunktion, wenn dabei nicht Grundsätze und Richtlinien, ein bestimmter Zeitraum und der Gegenstand der zu treffenden Regelung vorgegeben werden. Mit diesen Kriterien legt die Verfassung aber nur die Mindestvorgaben fest, die jedes Ermächtigungsgesetz erfüllen muß. Dem Parlament steht es als Delegatar frei, der Regierung weitere Auflagen bei der Ausübung der Gesetzgebungsfunktion zu machen. 31

a) Der Regelungsgegenstand Wenn das Parlament in einem Ermächtigungsgesetz den Gegenstand eines zukünftigen decreto legislativo festlegt, hat es dabei vor allem zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen darf nicht jede Materie der Regierung zur Regelung durch Gestzesverordnung übertragen werden, zum anderen muß aber jede übertragene Regelungsmaterie hinreichend bestimmt sein.

28 Vgl. nur Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 6; Lavagna, Istituzioni, S. 280; Pitruzella, Comm. Cost., Art. 92-93, S. 128. 29 Vgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 6. 30 Vgl. Lavagna, Istituzioni, S. 280; Corte Cost. sent. n. 106, v. 12.7. 1967, Giur. cost. 1967,1175; sent. n. 139, v. 22. 6.1976, Giur. cost. 1976,953. 31 Vgl. Z. B. Caretti/De Siervo,lstituzioni, S. 296 f.

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2. Teil: Decreti legislativi

aa) Hinreichende Bestimmtheit des Regelungsgegenstandes Der Regelungsgegenstand muß durch das Ermächtigungsgesetz genau bestimmt werden (Art. 76 Cost.). Bei der Erarbeitung des Verfassungstextes war zunächst vorgesehen, den Regelungsgegenstand im Ermächtigungsgesetz nur insoweit zu kennzeichnen, als die Ermächtigung der Regierung nur für bestimmte Gebiete (per materie determinate)32 erfolgen sollte. Mit dem später33 gewählten Begriff "oggetti" sollte eine genauere Bestimmung des Regelungsinhaltes erzielt werden. 34 Da im Zusammenhang mit den Zuständigkeiten der Regierung aber gleichwohl die Formulierung "materia" (vgl. Art. 117 Cost.) Eingang in den Verfassungstext gefunden hat, wird daraus geschlossen, daß der Regelungsgegenstand (oggetto) in Art. 76 Cost. in engeren Grenzen als eine RegionaIkompetenz bestimmt sein muß. 35 Bei Übertragung eines gesamten Rechtsetzungsbereiches, der einer Materie entspricht, muß eine genaue Angabe der Gegenstände erfolgen. 36 Der im Verhältnis zur Regelungsmaterie engere Begriff des Regelungsgegenstandes in Art. 76 Cost. schließt deshalb eine umfassende Bevollmächtigung (pieni poteri) der Regierung aus. 37 bb) Zulässige Regelungsgegenstände Die Verfassung gibt dem Parlament nicht abschließend vor, welche Gegenstände für eine Ermächtigung in Betracht kommen. Die Bestimmung des Regelungsgegenstandes unterliegt aber auch Beschränkungen. Eine Übertragung der Rechtsetzungskompetenz auf die Regierung ist für diejenigen Fälle ausgeschlossen, in denen die Verfassung eine Regelung durch formelles Gesetz vorschreibt. Dazu zählen neben den verfassungsändernden und anderen Verfassungsgesetzen (Art. 138 Cost.) die Gesetze über Haushalt und Abschlußbilanz, über die Ermächtigung zur Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge (Art. 80 Cost.), über das Wahlrecht, über die Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse sowie die Gesetze über die Umwandlung von Notverordnungen in Gesetz und die Rechtsetzungsermächtigung der Regierung. 38 Teilweise werden auch die Zustimmungsgesetze zu den Organisationsstatuten der Regionen mit Normalstatut dazu gezählt. 39 Vgl. Assemblea Costituente, Atti Ass. cost., S. 1291. Auf Vorschlag von Teracini, dem Präsidenten der zweiten Unterkommission. 34 Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 7. 3~ Vgl. Abbamonte, Annali Macerata XXIII (1959), 171, 175; Cervati, Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 951. 36 Vgl. Cervati, ebd., S. 952. 37 Vgl. Paladin, Comm Cost., Art. 76, S. 10. 38 V gl. Paladin, ebd., S. 11. 39 V gl. Lavagna, Istituzioni, S. 319; Cervati, Delega legislativa, S. 88. 32 33

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Daneben gibt es auch Bereiche, die einem Gesetzesvorbehalt unterliegen, der zwar nicht ausdrücklich eine Regelung durch formelles Gesetz verlangt, aber seinem Sinn und Zweck nach einer Übertragung des Regelungsgegenstandes auf die Regierung entgegensteht. Dazu zählt die Bestimmung des Art. 95 Abs. 3 Cost., nach der Regelungen in bezug auf das Ministerratspräsidium und die einzelnen Ministerien durch Gesetz getroffen werden müssen. Da hier die Regierungsorganisation den Regelungsgegenstand bildet, wird die Vorschrift ihrem Sinn und Zweck nach so verstanden, daß hier gerade nicht die Regierung selbst, sondern nur das Parlament regelungsbefugt sein soll.40 Trotzdem ist es in der Praxis wiederholt zu Ermächtigungen der Regierung in den betreffenden Bereichen gekommen. 41 Schließlich wird eine Ermächtigung auch für den Erlaß eines Rahmengesetzes für ausgeschlossen gehalten. 42 Zweifel bestehen an einer hinreichend genauen Bestimmbarkeit des Regelungsgegenstandes.

b) Zeitliche Begrenzung der Ermächtigung

Art. 76 Cost. verlangt, daß die Ermächtigung nur zeitlich begrenzt erteilt werden darf. Die Verfassung schließt damit eine zeitlich uneingeschränkte Übertragung der Gesetzgebungsfunktion auf die Regierung aus. Auf diese Weise wird der Ausnahmecharakter unterstrichen, den Art. 77 Abs. 1 Cost. einer Übertragung der Gesetzgebungsfunktion auf die Regierung verleiht: Sie darf keine mit Gesetzeskraft ausgestatteten Rechtsakte beschließen, wenn die nach Art. 70 Cost. zur Gesetzgebung berufenen Parlamentskammern diese Funktion nicht zuvor delegiert haben. Demgegenüber gestattete Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes Nr. 10011926 dem Ministerrat den Beschluß von Gesetzesverordnungen nach Maßgabe der Einschränkungen, die der Gesetzgeber in das jeweilige Ermächtigungsgesetz aufgenommen hatte. Die nun mit Verfassungsrang ausgestattete Pflicht, nur zeitlich begrenzte Ermächtigungen zu erteilen, entzieht dem einfachen Gesetzgeber die Möglichlkeit zu einer von vornherein dauerhaften Übertragung gesetzgeberischer Befugnisse auf die Regierung. Die bloße Pflicht, irgendeine zeitliche Grenze der Ermächtigung zu bestimmen, eröffnet indes weite Gestaltungsmöglichkeiten. In welchem Umfang diese bestehen, soll zunächst anhand der Kriterien gezeigt werden, die zur Bestimmung von Anfang und Ende des Ermächtigungzeitraumes maßgeblich sind. Dies führt zu der Frage, welche Schritte des Rechtsetzungsverfahrens innerhalb des eingegrenzten Zeitraumes erfolgen müssen und ob sich aus dem Gebot zeitlicher Beschränkung Rückschlüsse auf eine zulässige Höchstdauer der Ermächtigung ergeben.

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Vgl. Paladin, Cornm. Cost., Art. 76, S. 12. Vgl. Paladin, Giur. Cost. 1974, 1509 ff. V gl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 5 f.

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2. Teil: Decreti legislativi

aa) Beginn und Ende der Ermächtigung Der Gesetzgeber kann der aus Art. 76 Cost. resultierenden Pflicht, die Gesetzgebungsfunktion nur zeitlich begrenzt zu übertragen, lediglich dann gerecht werden, wenn das Ermächtigungsgesetz Anhaltspunkte für die Dauer der Übertragung enthält. Sie müssen geeignet sein, Anfang und Ende des betreffenden Zeitraumes zu bestimmen, wenigstens aber bestimmbar zu machen. Der Endzeitpunkt muß nicht notwendig kalendarisch bestimmbar sein. Ausreichend ist die Angabe eines feststehenden, sicheren zukünftigen Ereignisses. 43 Unzulässig ist dagegen die Festlegung des Endzeitpunktes durch ein zukünftiges ungewisses Ereignis. 44 Der Beginn des Ermächtigungszeitraumes kann aber vom Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes abhängig gemacht werden, damit der Regierung ein vorhersehbarer Zeitraum zur Verfügung steht. 45 Unzulässig ist die willkürliche Verzögerung der Veröffentlichung des Ermächtigungsgesetzes, um so den Fristbeginn hinauszuschieben und die Dauer der Ermächtigung auszudehnen. 46 Der Zeitraum wird nach den zivilrechtlichen Bestimmungen für Fristen berechnet. 47

bb) Die Verfahrensschritte innerhalb des Ermächtigungszeitraumes Das Erfordernis einer zeitlichen Begrenzung der Ermächtigung kann unbegrenzte Übertragungen gesetzgeberischer Befugnisse auf die Regierung nur dann wirksam unterbinden, wenn feststeht, welche Schritte des Rechtsetzungsverfahrens auf jeden Fall innerhalb der vorgegebenen Zeitspanne erfolgen müssen.

( 1) Die Verabschiedung durch den Ministerrat Als Mindestanforderung wäre eine Verabschiedung der Verordnung durch den Ministerrat denkbar.48 Der Erlaß durch den Staatspräsidenten49 und die Veröffentlichung 50 könnten dann auch nach Ablauf der Frist erfolgen.

43 Vgl. Corte Cost. sent. n. 163 v. 19. 12.1963, Giur. Cost. 1963, 1594; vgl. auch Lignola, Delegazione legislativa, S. 67. 44 V gl. Patrono, Dir. soc. 1973, 168, 176 ff.; Ferri, Sulla delegazione legislativa, in: Studi in memoria di Rossi, 167, 182; Sciano, Il termine "a QUo" della delegazione legislativa, Giur. Cost. 1963, 1601 FN 6. 45 Vgl. Paladin, Comm Cost, Art. 76, S. 14. 46 Vgl. Corte Cost. sent. n. 163 v. 19. 12. 1963, Giur. Cost. 1963, 1596 ff.; sent. n. 13/ 1967, Giur. Cost. 1967, S. 111; ebd. Ciconetti, S. 121 ff. 47 Vgl. hierzu Corte Cost. sent. n. 32/1967 und n. 33/1967. 48 Vgl. dazu Patrono, Dir. soc. 1973, 168, 184, FN 44; Cheli,. Giur. Cost. 1959, 1007 ff. 49 Vgl. dazu unten 2. c).

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Keinesfalls ausreichend wäre dagegen die Ausarbeitung eines bloßen Entwurfs durch das für den Regelungsgegenstand zuständige Ministerium. Müßte nämlich innerhalb des im Ermächtigungsgesetz bestimmten Zeitraumes noch nicht einmal ein Beschluß des Ministerrates über die zu erlassende Verordnung getroffen werden, könnte der von Art. 76 Cost. angestrebte Zweck, Ermächtigungen nur zeitlich begrenzt zuzulassen, nicht erreicht werden. Denn erst mit der Verabschiedung des Verordnungsentwurfs übt die Regierung als Kollegialorgan die ihr übertragene Gesetzgebungsfunktion aus. Da Art. 76 Cost. aber gerade die nur vorübergehende Übertragung dieser Funktion sicherstellen will, muß zumindest der Beschluß des Ministerrates über die Verordnung innerhalb des vom Ermächtigungsgesetzgeber bestimmten Zeitraumes erfolgen. Ob über diesen Beschluß hinaus weitere Verfahrensschritte erforderlich sind, wird unterschiedlich beurteilt. Der Wortlaut der Art. 76, 77 Abs. I Cost. legt den Schluß nahe, daß die innerhalb der zeitlichen Grenzen zu bewirkende Verabschiedung der Verordnung durch den Ministerrat nicht nur den mindestens, sondern zugleich den einzig erforderlichen Verfahrensschritt darstellt. Denn das Erfordernis zeitlicher Begrenzung betrifft die der Regierung übertragene Ausübung der Gesetzgebungsfunktion, ohne daß ausdrücklich bestimmt wird, worin diese besteht. Anhaltspunkte ergeben sich jedoch aus Art. 77 Abs. I Cost. Danach kann die Regierung ohne Ermächtigung durch die Kammern keine Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen. Daraus könnte sich die Schlußfolgerung ergeben, daß zur Ausübung der Gesetzgebungsfunktion auch der Erlaß der Verordnung zu zählen ist. Wenn die Verfassung an dieser Stelle von "emanare" (erlassen) spricht, ist damit lediglich die Verabschiedung durch den Ministerrat gemeint. Denn Art. 87 Abs. 5 Cost weist den Erlaß der Verordnungen mit Gesetzeskraft ausschließlich dem Präsidenten der Republik zu und damit einem anderen Verfassungsorgan als der Regierung in Gestalt des Ministerrates (Art. 92 COSt.).SI Die Ausübung der Gesetzgebungsfunktion im Sinne einer Befugnis, den Inhalt von Rechtsnormen zu bestimmen, wird dem Staatsoberhaupt durch seine in Art. 87 Abs. 5 Cost. begründete Zuständigkeit zur Verkündung der Gesetze und zum Erlaß der Verordnungen jedoch nicht eingeräumt. s2 Dies widerspräche der in Art. 70 Cost. grundsätzlich vorgenommenen Zuweisung der Gesetzgebungsfunktion an die Parlamentskammern, die ihrerseits nur zur Delegation an die Regierung berechtigt sind. Ebensowenig wäre eine inhaltliche Mitwirkung des Präsidenten der Republik an der Gesetzgebung mit seiner fehlenden politischen Verantwortung vereinbar, die ihren Ausgleich in dem Erfordernis der Gegenzeichnung nach Art. 89 Cost. findet. Davon sind auch Rechtsakte mit Gesetzeskraft nicht ausgenommen. Dieser Ansicht wurde jedoch entgegengehalten, daß allein mit dem Beschluß des Ministerrates eine endgültige Festlegung der zu treffenden Bestimmungen nicht sichergestellt sei, da es den regierungsinternen Entscheidungsprozessen an

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Vgl. dazu unten 2. d). Auf diese Argumentation stützt sich vor allem Patrono, Dir. soc. 1973, 168, 184 FN 44. Dieser Punkt wird besonders von Cheli, Giur. cost. 1959, 1007, 1011 ff. hervorgehoben.

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2. Teil: Decreti legislativi

Transparenz fehle und in der Praxis Beschlüsse des Ministerrates oft einzelnen Ministern zur nachträglichen Überarbeitung zugeleitet würden. 53 Andererseits könnte die Verpflichtung der Regierung, nur innerhalb einer bestimmten Zeitspanne gesetzgeberisch tätig zu werden, auch so zu verstehen sein, daß das gesamte Rechtsetzungsverfahren einschließlich der Veröffentlichung der Vorschrift innerhalb der gesetzten Zeitspanne erfolgen muß. 54

(2) Der Erlaß durch den Präsidenten der Republik Das Verfassungsgericht55 und einige Autoren 56 verlangen dagegen, daß zusätzlich zur Verabschiedung durch den Ministerrat auch die Verkündung durch den Präsidenten der Republik innerhalb der Zeitvorgabe des Ermächtigungsgesetzes erfolgen muß. Dieser Auffassung ist nun auch der Gesetzgeber in Art. 14 Abs. 2 S. 1 l. n. 400 / 1988 gefolgt. Danach muß der Erlaß der Gesetzesverordnung durch das Staatsoberhaupt innerhalb des Ermächtigungszeitraumes erfolgen. In Verbindung mit dem Erlaß der Verordnung (Art. 87 Abs. 5 Cost.) wird dem Präsidenten der Republik nämlich eine zumindest eingeschränkte Kontrollkompetenz - entsprechend den Befugnissen im Gesetzgebungsverfahren 57 - zuerkannt. 58 Daß auch der Gesetzgeber in dem Erlaß der Verordnung durch den Staatspräsidenten mehr als nur einen formalen Akt sieht, wird an der in Art. 14 Abs. 2 S. 2 aufgestellten Pflicht deutlich, die im Ministerrat verabschiedete Verordnung mindestens zwanzig Tage vor dem Ende des Ermächtigungszeitraumes dem Präsidenten der Republik zuzuleiten.

Ob eine Ausgestaltung des Rechtsetzungsverfahrens durch eine solche Zeitvorgabe und damit zusätzliche Schranke im Einklang mit der Schrankentrias des Art. 76 Cost steht, erscheint zunächst zweifelhaft. Für die Rechtmäßigkeit der ohne Verankerung in der Verfassung aufgestellten Schranke spricht aber, daß dadurch die Wahrnehmung der Kontrollfunktion durch den Präsidenten der Republik sichergestellt und ein Ablauf des Ermächtigungszeitraumes vor Abschluß des ~3 Vgl. dazu Cocozza. Giur. Cost. 1981.2036.2045 f.; ebenfalls ablehnend Zagrebelsky. II sistema. S. 167. ~ Vgl. Cocozza. Giur. Cost. 1981.2036 ff.; Paladin. Comm. Cost.. Art. 76, S. 25; ders .• Gli atti con forza di legge nelle presenti esperienze costituzionali. in Studi in onore di C. Mortati, S. 455, 472 FN 43. ~~ Vgl. die ständige Rspr. der Corte cost. sent. n. 39/1959. Giur. Cost. 1959.693 ff.; 34/ 1960. Giur. cost. 1%0.575 ff. m. Anm. Paladin; 91/1962. Giur. cost. 1962. 1357 ff.; 83/ 1974, Giur. cost. 1974,661 ff.; 184/1981, Giur. cost. 1981, 181.6 ff. ~ Vgl. Cervati, Delega legislativa. S. 71; Virga. Diritto costituzionale. S. 291; Zagrebelsky. II sistema. S. 167. ~7 Vgl. Baldassarre, 11 Capo dello stato. in: Amato/Barbera. Manuale di diritto pubblico. S. 463. 479 und zu der im einzelnen unterschiedlichen Kontrollintensität unten Punkt III. 2 c). ~8 V gl. Labriola. 11 govemo della Repubblica - Organi e poteri. S. 170.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Rechtsetzungsverfahrens vermieden wird. 59 Zudem ist der Gesetzgeber durch Art. 76 Cost. nicht an der Aufstellung zusätzlicher Schranken gehindert und hat davon auch wiederholt in den Ermächtigungsgesetzen Gebrauch gemacht. 60 Allerdings erteilt Art. 14 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 400/1988 keine Ermächtigung i. S. d. Art. 76, 77 Abs. Cost. Wenn die Regierung aber neben den verfassungsrechtlichen auch die Vorgaben des einfachen Gesetzgebers zu berücksichtigen hat, müssen diese Beschränkungen auch generell und außerhalb eines konkreten Ermächtigungsgesetzes aufgestellt werden können.

cc) Inanspruchnahme der Ermächtigung vor Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes Umstritten ist, wie die Rechtsnatur des Erlasses und der Veröffentlichung einer Gesetzesverordnung vor der Veröffentlichung des Ermächtigungsgesetzes zu beurteilen sind. Das Verfassungsgericht hat in seiner Entscheidung Nr. 321 vom 20. 10. 1983 61 darauf hingewiesen, daß die gesetzlich erteilte Ermächtigung bereits vor der Veröffentlichung des entsprechenden Ermächtigungsgesetzes wirksam werden kann. Die Veröffentlichung bewirke, daß ein Gesetz allgemein beachtet werden müsse. Die vorausgegangene Verkündung verschaffe dem Gesetz aber bereits eine zumindest begrenzte Wirksamkeit innerhalb der staatlichen Verwaltung. 62 In diesem Fall hatte sich das Verfassungs gericht mit einer Richtervorlage auseinanderzusetzen. Der Präsident der Republik hatte durch Verordnung vom 18. Dezember 1981 eine Amnestie auf der Grundlage der damals gültigen Fassung des Art. 79 Cost. erlassen. 63 Diese Verordnung war zeitgleich mit dem entsprechenden Ermächtigungsgesetz in der Gazzetta Ufficiale Nr. 348 am 19. Dezember 1981 erschienen. Der vorlegende Richter hatte beanstandet, daß die Amnestieverordnung folglich vor der Veröffentlichung des Ermächtigungsgesetzes erlassen worden sein mußte. Das Verfassungsgericht führte in seiner Entscheidung aus, daß hier das Ermächtigungsgesetz vor Erlaß der Amnestieverordnung aber bereits verkündet worden sei. Damit habe nicht nur die Voraussetzung für die spätere Veröffentlichung vorgelegen, vielmehr habe das Gesetz in der vorliegenden Form eine gewisse Bestandskraft erlangt und sei für einige staatliche Organe, wie etwa den Präsidenten der Republik und für die Regierung, ausführbar geworden. Deshalb habe die Amnestieverordnung V gl. Labriola, Il govemo della Repubblica - Organi e poteri, S. 171. V gl. unten dd). 61 Giur. cost. 1983, 2094 ff. 62 Vgl. Corte cost., ebd., S. 2099. 63 Durch Art. 1 des Verfassungsgesetzes Nr. 1 vom 06 .. 03.1992 wurde Art. 79 Cost vollständig geändert. Heute kann eine Amnestie nur noch aufgrund eines mit Zweidrittelmehrheit beschlossenen Gesetzes erfolgen. Nach der alten Fassung erließ der Präsident der Republik Amnestien nach vorausgegangener gesetzlicher Ermächtigung durch das Parlament. 59

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bereits vor der Veröffentlichung des Ennächtigungsgesetzes erlassen werden können. 64 Diese Ausführungen des Gerichtes sind auch auf den Erlaß von Gesetzesverordnungen nach Art. 76 Cost. übertragbar. Gegen diese Auffassung wird vorgebracht, daß zwischen dem Ennächtigungsgesetz und der Verordnung im Hinblick auf Auslegung und verfassungs gerichtliche Kontrolle ein untrennbarer Zusammenhang bestehe, so daß die Wirksamkeit der Verordnung bis zum Inkrafttreten des Ennächtigungsgesetzes ausgesetzt sein müsse. Außerdem sei das Gesetz Voraussetzung für die Anwendung der Verordnung. 65 Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes in dieser Frage trägt nicht zu größer Rechtssicherheit bei. Nur ein Gesetz, das bereits veröffentlicht und in Kraft getreten ist, kann eine nachprüfbare Grundlage für die Übertragung der Gesetzgebungsfunktion auf die Regierung darstellen. Andernfalls wäre nicht ersichtlich, warum die Ennächtigung überhaupt in gesetzlicher Fonn erfolgen muß. es wäre ein fonnloser Parlamentsbeschluß ausreichend, der gewissennaßen nur im ,,Innenverhältnis" zwischen Parlament und Regierung zum Tragen kommt. Dies entspricht aber gerade nicht der in der Verfassung getroffenen Regelung.

dd) Die zulässige Dauer der Ennächtigung Die Vorgabe einer zeitlichen Begrenzung für die Ennachtigung führt zu der Frage, ob sich daraus Kriterien für den Umfang des Ennächtigungszeitraumes ergeben. Ausdrückliche Angaben, etwa in Fonn einer Höchstdauer, enthält die Verfassung nicht. Theoretisch kann der Ennächtigungszeitraum daher auch mehrere Legislaturperioden umfassen. 66 Auch der ordentliche Gesetzgeber hat keine allgemeingültigen weiteren Präzisierungen vorgenommen. Sofern der Regierung eine Frist von mehr als zwei Jahren eingeräumt wird, sieht Art. 14 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 400 /1988 eine intensivere Beteiligung des Parlamentes vor. Die Regierung ist nach dieser Vorschrift verpflichtet, Stellungnahmen zu ihren Entwürfen einzuholen. 67 Üblicherweise werden Ennächtigungen aber nicht über das Ende der Legislaturperiode hinaus erteilt. 68 Daneben wird verlangt, daß der Zeitraum nicht länger sein darf, als es zur Erfüllung der Aufgaben angemessen ist. 69

Vgl. Corte cost., a. a. 0 .. , S. 2097 ff. Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 7. ti6 Vgl. Cervati, Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 953. 67 Vgl. unten Punkt (4). 68 Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 7. 69 Vgl. Zagrebelsky, 11 sistema, S. 167; Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 15; ähnlich Cervati, Legge delega e delegata, Enc dir., S. 939, 953 unter Hinweis auf Verletzung der Zielsetzung des Art. 76 Cost.; vgl. auch Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 7, der zugleich einschränkend auf Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung des angemessenen Zeitraumes hinweist. 64 65

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Die Rechtsetzungsbefugnisse der Regierung erlöschen aber nicht in jedem Fall erst zu dem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt. Eine weitere Ausübung der Gesetzgebungsfunktion soll der Regierung vielmehr bereits dann verwehrt sein, wenn sie von der erteilten Ermächtigung Gebrauch gemacht hat, auch wenn die gesetzte Frist noch nicht verstrichen ist. 7o Zur Begründung wird angeführt, daß die Regierung nicht ermächtigt werde, um die Gesetzgebungsbefugnisse schlechthin innerhalb eines bestimmten Zeitraumes auszuüben, sondern um bestimmte Regelungen durch Rechtsakte zu treffen. 71 Der Erlaß mehrerer Verordnungen innerhalb des Ermächtigungszeitraumes wird aber für zulässig erachtet, wenn jeweils Teilbereiche des Regelungsgegenstandes normiert werden. 72 Dieser Ansicht ist auch der Gesetzgeber im wesentlichen gefolgt. Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes Nr. 400 /1988 ist der Erlaß mehrerer aufeinanderfolgender decreti legislativi zulässig, wenn bereits die Ermächtigung eine Mehrzahl unterschiedlicher Regelungsgegenstände aufführt. Mit dieser KlarsteIlung des Gesetzgebers wird eine vor Inlcrafttreten des Gesetzes in der Literatur vertretene Auffassung als überholt gelten müssen. 73 Danach sollte die Regierung innerhalb des Ermächtigungszeitraumes nicht nur mehrfach tätig werden, sondern auch bereits getroffene Bestimmungen wieder ändern oder sogar aufheben können. 74

c) Festlegung der Grundsätze und Richtlinien

Neben der Bestimmung des Regelungsgegenstandes und des Ermächtigungszeitraumes fordert Art. 76 Cost. auch die gesetzliche Festlegung der Grundsätze und Richtlinien (principi e criteri direttivi), die von der Regierung bei ihrer rechtsetzenden Tätigkeit zu berücksichtigen sind. Zunächst muß geklärt werden, was unter Grundsätzen und Richtlinien i. S. d. Art. 76 Cost. zu verstehen ist. Ferner ist zu erörten, auf welche Weise der Gesetzgeber den Anforderungen dieser Verfassungsschranlce genügt. Schließlich ist der Frage nachzugehen, welche Konsequenzen die fehlende oder nicht ausreichende Beachtung dieser Begrenzung der übertragbaren Rechtsetzungsbefugnisse hat. Erste Schwierigkeiten bei der Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmales ergeben sich aus den erheblich voneinander abweichenden Deutungen, die einerseits der Gesetzgeber und andererseits die Lehre vorgenomen. haben. 70 Vgl. Zagrebelsky, II sistema, S. 167; Paladin, Decreto legislativo, Noviss. dig. it., S. 297; ders, Comm. Cost., Art. 76, S. ; Fenucci, Rass. dir. pubbl. 1965,861. 71 Vgl. Caretti I De Siervo, Istituzioni, S. 295. 72 Vgl. Zagrebelsky, II sistema, S. 167; ähnlich Cervati, Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 954. 73 Vgl. Labriola, II governo della Repubblica - Organi e poteri, S. 171. 74 Vgl. Lavagna, Istituzioni, S. 350; Rossi, La durata della delegazione dei poteri e dei pieni poteri, in Scritti vari di diritto pubblico, S. 294.

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2. Teil: Decreti legislativi

Tatsächlich hat der Gesetzgeber keine erkennbare Unterscheidung zwischen beiden Begriffen getroffen, sondern oft lediglich Richtlinien in das Ennächtigungsgesetz aufgenommen, die teilweise als "criteri", teilweise als "principi" und gelegentlich mit beiden Begriffen bezeichnet wurden. 75 In der Lehre gehen die Auffassungen dagegen auseinander. Während manche Autoren76 die Fonnulierung "principi e criteri direttivi" in Art. 76 Cost. für doppeldeutig und eine Unterscheidung zwischen beiden Elementen im Ennächtigungsgesetz deshalb für überflüssig halten, fehlt es auch nicht an Stimmen77 , die beiden Begriffen unterschiedliche Bedeutung beimessen.

Gegen die inhaltliche Gleichartigkeit von Grundsätzen und Richtlinien spricht bereits, daß im Sprachgebrauch beide Begriffe in unterschiedlicher Weise verwendet werden. 78 Während der Begriff "principio" unter anderem den grundlegenden Entwurf, die Grundlage oder den Grundsatz bezeichnet, steht der Begriff "criterio" für Grundlagen, die dem Zwecke der Bewertung, Beurteilung oder Unterscheidung dienen. 79 Die erkennbar voneinander abweichenden Bedeutungen der beiden Begriffe lassen es wenig überzeugend erscheinen, eine synonyme Verwendung in der Verfassung anzunehmen. Dazu steht nicht im Widerspruch, die Pflicht zur Festlegung der Grundsätze und Richtlinien neben der sachlichen (per oggetti definiti) und der zeitlichen (per tempo limitato) Schranke einheitlich als programmatische Schranke anzusehen, die zwei unterschiedliche Teilaspekte umfaßt. Im folgenden soll deshalb von der Verschiedenartigkeit beider Begriffe ausgegangen werden. Danach hat der Gesetzgeber mit den "principi" die inhaltlichen Grundsätze für die zu treffenden Regelungen festzulegen. Dabei geht es um die Frage, was geregelt werden soll. Durch "criteri direttivi" ist dann zu bestimmen, wie das angestrebte Regelungsziel zu erreichen ist. 80 15 Vgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 17; ders. Gli atti con forza di legge nelle presenti esperienze costituzionali, in Studi in onore di C. Mortati, S. 455, 461 f.; Rossano, Rass. dir. pubbl. 1963, 11, 172, 193 FN 53. 16 Mortati, Istituzioni di diritto pubblico, 11, S. 768 FN I; Lignola, Delegazione legislativa, S. 54; Paladin, Decreto legislativo, in Noviss. dig. it., S. 298; ders. Art. 76, S. 16; vgl. ferner zustimmend aus der Rspr. die Entscheidung des Consiglio di Stato (Sez. IV) v. 145.1974 Nr. 360, Giur. Cost. 1975, 1982 ff. n Vgl. Lavagna, Istituzioni, S. 320; Cervati, Delega, legislativa, S. 128 ff.; ders., Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 950; Gasparri, Giur cost. 1958, 383.; ders. Lezioni di diritto costituzionale, pt. 11, S. 549; Ferri, Sulla delegazione legislativa, In Studi in memoria di Rossi, S. 167, 174 ff.; Carlassare, Riv. trim. dir. pubbl. 1961,42,74 ff.; Fois, Problemi della ,,recezione" nel diritto interno: leggi di recezione e riserva di legge, in Studi in memoria di Tullio Ascarelli,lI, S. 637, 706 f.; Cuocolo, Le leggi corni ce nei rapporti fra Stato e Regioni, 145, 151.; Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 8. 78 Vgl. Cervati, Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 950. 79 V gl. Zingarelli, Vocabolario della Iingua italiana, siehe "principio", siehe "criterio". 80 Vgl. Cervati, Delega legislativa, S. 128 ff.; ders. Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 950 f.; Lavagna, Istituzioni, S. 320; Ferri, Sulla delegazionelegislativa, in Studi in memoria di Rossi, S. 167, 174 f.; Gasparri, Giur. cost. 1958,383.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Die Grundsatznormen (principi) können in Verbindung mit weiteren Einzelbestimmungen oder, sofern diese fehlen, auch allein angewendet werden. Für die Frage, wie der Gesetzgeber die Grundsätze der im Verordnungswege zu treffenden Regelungen zu bestimmen hat, ist auch die ratio des Art. 76 Cost. zu berücksichtigen. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Übertragung zu weit gefaßter Kompetenzen auf die Regierung zu verhindern. 81 Die Grundsätze müssen deshalb vielmehr in der Weise festgelegt werden, daß sie sich nur auf den Regelungsgegenstand (oggetto) und nicht etwa auf den ausgedehnten Bereich eines gesamten Gebietes (materia) erstrecken. 82 Darüber hinaus kommt als Grundsatz jede von den zuständigen Fachleuten oder der allgemeinen Auffassung für maßgeblich erachtete Entscheidung in Betracht. 83 Bei den Richtlinien (criteri direttivi) handelt es sich dagegen um Vorgaben, mit denen der Ermächtigungsgesetzgeber seine Zielvorstellungen für die zu schaffende Regelung und die Mittel und Wege zur Erreichung des Zieles angibt. Daraus ergibt sich die auf den Entstehungszeitraum des decreto legislativo begrenzte Wirkung der Richtlinien. 84 Sofern sich die Erfordernisse der neuen Regelung bereits unmittelbar aus den veränderten Grundsätzen ergeben, kann die zusätzliche Bestimmung von Richtlinien auch unterbleiben. 85 . Uneinigkeit herrscht in der Frage, welche Mindestanforderungen der Gesetzgeber bei der Festlegung der Richtlinien zu beachten hat. Grundsätzlich erstreckt sich die Kontrolle der Ermächtigungsgesetze durch das Verfassungs gericht auch auf die hinreichende Bestimmtheit der Grundsätze und Richtlinien, an denen sich die von der Regierung auszuarbeitende Verordnung zu orientieren hat. 86 In seiner Rechtsprechung87 hat das Verfassungsgericht aber stets zu erkennen gegeben, daß die Ermächtigung nicht für jede Einzelentscheidung der Regierung Vorgaben enthalten müsse. Häufig überprüft das Gericht nur, ob die Verordnung den Rahmen der erteilten Ermächtigung nicht überschreitet und mit den festgelegten Grundsätzen und Richtlinien in Einklang steht, ohne deren fehlende Genauigkeit zu beanstanden. 88 Auch in der Lehre findet diese Auffassung Unterstützung. 89 Dabei werden vor alVgl. Cervati, Legge delega e delegata, in Enc. d. dir., S. 939, 951. Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc, giur., S. 8; Cervati, Legge delega e delegata, Enc, dir., S. 939, 950; ders., La delega legislativa. S. 120. 83 V gl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 8. 84 Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 8. 8~ Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur.• S. 8. 86 V gl. Corte Cost. sent. n. 3/1957. 87 Vgl. Corte Cost. sentt.nn. 98/1971; 4311972; 4111975; 811978; 1I011982; 243/ 1982; 178. 217/1984; 46. 15611985; 48/1986 sowie ord. n. 8511980. Eine Beanstandung des Ermächtigungsgesetzes wegen mangelnder Bestimmtheit der Grundsätze und Richtlinien hat dagegen Ausnahmecharakter. vgl. Corte Cost. sent. n. 47/1959. 88 V gl. z. B. Corte Cost. sentt. nn. 98/1971; 43/1972. 89 Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur.• S. 8 f.; ablehnend dagegen Cervati, Legge delega e delegata. Enc. dir.• S. 939.951 f.; ders., La delega legislativa. S. 130. 81

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2. Teil: Decreti legislativi

lern praktische Erwägungen angestellt. Da nicht alle Einzelprobleme bereits bei Erteilung der Ermächtigung vorhersehbar seien, könne der mit der Regelungsaufgabe betrauten Regierung ein Entscheidungsspielraum verbleiben. 90 Teilweise enthalten die Ermächtigungsgesetze aber bereits so detaillierte Vorgaben, daß der Regierung lediglich die Aufgabe der vollständigen Umsetzung in Verordnungsform bleibt. Deshalb ist neben der Frage, weIche Minimalanforderungen der Gesetzgeber bei der Übertragung seiner Befugnisse zu berücksichtigen hat, auch erörtert worden, ob der Regierung nicht in jedem Fall bestimmte Regelungsbefugnisse vorbehalten sein müßten. Vereinzelt wurde sogar die Gesetzeskraft derjenigen Verordnungen angezweifelt, bei deren Ausarbeitung die Regierung in allen Einzelheiten gebunden war. 91 Ganz überwiegend wird diese Ansicht jedoch abgelehnt. Da Art. 76 Cost. nur Mindestvorgaben enthält, die bei Erteilung der Ermächtigung immer einzuhalten sind, ist das Parlament nicht gehindert, die Tatigkeit der Regierung in beliebigem Umfang zusätzlich einzuschränken. 92 Zudem wird die Gesetzgebungsbefugnis der Regierung nicht generell, sondern nur im Hinblick auf bestimmte Rechtsakte übertragen, so daß daneben für eigenständige Befugnisse kein Raum bleiben muß. 93

d) Die Festlegung weiterer Grenzen Zusätzlich zu den bereits genannten Einschränkungen, denen die Regierung bei der Ausübung der ihr übertragenen RechtsetzungsbefugiJ.isse unterworfen ist, können weitere Vorgaben hinzutreten. Überwiegend handelt es sich um Verfahrensschritte, die von der Regierung während des Rechtsetzungsprozesses einzuhalten sind. In sachlicher Hinsicht unterscheiden sie sich von den Vorgaben, die der Gesetzgeber in den Grundsätzen und Richtlinien festgelegt hat. Deshalb werden diese Beschränkungen der Regierungsbefugnisse teilweise als Ergänzung zu den Grenzen des Art. 76 Cost. angesehen, die lediglich auf einfachgesetzlicher Grundlage ergehen und keinen Anknüpfungspunkt in der Verfassung haben. 94 Andere sehen dagegen in den "criteri" des Art. 76. Cost. ein offenes Tatbestandsmerkmal, das auch weitere Beschränkungen mit zu umfassen vermag. 95

Vgl. Cerri, Riv. trim. dir. pubbl. 1965,453; ders., Delega legislativa, Enc. giur., S. 8 f. Vgl. Sandulli, Riv. trim. dir. pubbl. 1957,275 f.; Baldassare/Cerri, Giur. cost. 1965, 831 ff. 92 Vgl. Cervati, La delega Iegislativa, S. 51 ff., 177 ff.; ders. Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 950; vgl. auch Corte cost. sent.n. 106/19. 12. 1962, Giur. Cost. 1962, 1408. 93 Vgl. Paladin, Giur. cost. 1974,1506 Fn 13; ders., Comm. Cost., Art. 76, S. 20. 94 Vgl. Cicconetti, Riv. trim. dir. pubbl. 1966,568,579. 95 Vgl. Cervati, La delega legislativa, S. 132; ders. Legge delega e delegata, Enc. dir., S. 939, 951; Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 9. 90 91

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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Verfahrensvorschriften ergeben sich zunächst aus dem Gesetz Nr. 400/1988. Dort schreibt Art. 14 Abs. 3 Satz 2 der Regierung vor, die Parlamentskammern regelmäßig über die Richtlinien zu infonnieren, denen sie bei der Ausübung der Ermächtigung folgt. Ein engeres Zusammenwirken von Parlament und Regierung angesichts einer längeren Regelungsfrist und der zumeist besonders komplexen Regelungsgegenstände sieht das Gesetz in Art. 14 Abs. 4 fUr diejenigen Fälle vor, in denen die Ermächtigung einen Zeitraum von zwei Jahren überschreitet. 96 Die Regierung muß dann zu ihren Verordnungsentwürfen eine Stellungnahme der zuständigen Ausschüsse bei der Kammern einzuholen. Die Stellungnahme muß innerhalb von sechzig Tagen erfolgen und ggf. diejenigen Bestimmungen bezeichnen, die für unvereinbar mit den Richtlinien des Ennächtigungsgesetzes gehalten werden. Innerhalb der folgenden dreißig Tage übennittelt die Regierung den Ausschüssen ihre Entwürfe nach Prüfung der Stellungnahme mit eigenen Anmerkungen und Änderungen erneut. Wiederum innerhalb von dreißig Tagen geben die Ausschüsse dann eine abschließende Stellungnahme ab. Soweit die Parlamentsausschüsse die Fristen nicht einhalten, fUhrt dies nicht zu einer Verzögerung des Rechtsetzungsverfahrens. Durch das Recht zur Abgabe von Stellungnahmen sollte dem Parlament kein Instrument zur Unterbrechung des Verfahrens gegeben werden. Dazu muß auch weiterhin die Ennächtigung widerrufen werden. 97 Bei der Verpflichtung, Stellungnahmen des Parlaments einzuholen, handelt es sich um die am häufigsten gebrauchte verfahrenstechnische Vorgabe des Ennächtigungsgesetzgebers. 98 Umstritten ist, ob das Ennächtigungsgesetz der Regierung auch vorschreiben darf, den Inhalt der Stellungnahme zu berücksichtigen.99 Bedenken gegenüber einer Berechtigung des Parlaments, die Regierung durch zusätzliche, über das Ennächtigungsgesetz hinausgehende Meinungsäußerungen bei der Rechtsetzung zu binden, stützen sich auf die jeweils fUr ausschließlich erachteten Zuständigkeitszuweisungen der Verfassung. Denn die Gesetzgebungsfunktion wird nach den Art. 70, 76 Cost. entweder vom Parlament oder - nach wirksamer Übertragung - von der Regierung ausgeübt. Die Kammern sind befugt und im Hinblick auf Art. 76 Cost. auch verpflichtet, Gesetzgebungsbefugnisse nur unter Einschränkungen zu übertragen. Ist die Übertragung jedoch erfolgt, ist allein die Regierung zuständig, so daß eine Verpflichtung, während des Rechtsetzungsverfahrens später festgelegte Vorgaben des Parlaments zu berücksichtigen, als unzulässiger Eingriff in den Kompetenzbereich der Exekutive erscheinen kann. lOo Diese Auffassung

96 97

98

V gl. Labriola, 11 governo della Repubblica - Organi e poteri, S. 174. Vgl. Labriola, 11 governo della Repubblica - Organ i e poteri, S. 174. Vgl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 9; vgl. auch Corte cost. sentt. nn. 78/1957;

31/1960; 156/1985. 99 Zustimmend Paladin, Decreto legislativo, in Noviss. dig. it., S. 298; ders., Comm. Cost., Art. 76, S. 28, Cerri, Delega legislativa, Enc. giur., S. 9. 100 In diesem Sinne Labriola, 11 governo della Repubblica, S. 169 f.

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2. Teil: Decreti legislativi

übersieht jedoch, daß Parlament und Regierung mit Gesetz und decreto legislativo zwar qualitativ gleichwertige Rechtsakte erzeugen können, die dazu ausgeübten Befugnisse aber nicht vollständig gleichwertig sind. Denn soweit die Regierung tätig wird, bedarf sie einer nur unter Einschränkungen erteilbaren Ermächtigung und ist damit von vornherein an möglicherweise sogar sehr detaillierte Entscheidungen des Parlaments gebunden. Zudem kann diese Ermächtigung jederzeit von Seiten der Kammern widerrufen werden. Damit kann die in Art. 70 Cost. grundsätzlich angeordnete Zuständigkeit aber jederzeit wieder aufleben. Die Befugnis der Regierung, über den Inhalt einer zu schaffenden Rechtsnorm zu disponieren, ist deshalb nicht wie bei den Parlamentskammern originär, sondern gerade von diesen abgeleitet und damit gebunden. Die der Regierung zustehende Entschließungsfreiheit bei Rechtsetzung ist daher nicht in dem selben Maße ausschließlich wie die des Parlaments. Aus der Verfassung ergeben sich damit keine durchgreifenden Bedenken gegen die im Ermächtigungsgesetz angeordnete Pflicht der Regierung, den Inhalt parlamentarischer Stellungnahmen bei der Rechtsetzung zu berücksichtigen. Eine weitere Auflage des Ermächtigungsgesetzes kann darin bestehen, von der in anderen Staaten bestehenden Rechtslage Kenntnis zu nehmen. 101 Soweit darüber hinaus die Anpassung an Rechtsnormen anderer Staaten oder supranationaler Einrichtungen verlangt wird, muß dies im Einklang mit den Vorgaben der Verfassung stehen. 102 Schließlich wird mitunter auch vorgeschrieben, daß bereits beim Vorschlag der Verordnung Einvernehmen zwischen mehreren Ministern bestehen muß. Ferner kann auch die Anhörung von Sachverständigen oder Interessenvertretern, z. B. Gewerkschaften vorgeschrieben werden.

11. Verfahren und Form der Verordnungsgebung Nachdem der Regierung eine Ermächtigung in der oben dargestellten Form erteilt worden ist, erfolgt das Verfahren der Verordnungsgebung im wesentlichen in vier Schritten: Zunächst muß die Verordnung ausgearbeitet und von der Regierung beschlossen werden. Anschließend wird sie durch den Präsidenten der Republik erlassen und schließlich veröffentlicht. Die einschlägigen Rechtsgrundlagen ergeben sich allgemein neben der Verfassung aus Art. 14 des Gesetzes Nr. 400/1988, aus Art. 3 der Bestimmungen über die Verkündung der Gesetze, den Erlaß der Verordnungen des Präsidenten der Republik und die offiziellen Veröffentlichungen der italienischen Republik 103 und aus Vgl. Corte cost. sentt. nn. 3/1971; 188/1982. Vgl. z. B. Corte cost. sent. n. 42/ 1958. 103 Vgl. Art. 14 Gesetz Nr. 400/1988 und Art. 3 D.P.R 28 dicembre 1985, n. \092, G.U. 29 maggio 1986, n. 123, suppl. ord. 101

102

11. Verfahren und Fonn der Verordnungsgebung

65

weiteren Ausführungsbestimmungen wie den Art. 2 und 3 der Verordnung zur Umsetzung des Art. 23 des Gesetzes Nr. 40011988.'1>4 Daneben können sich weitere Vorgaben aus dem jeweiligen Ermächtigungsgesetz ergeben.

1. Die Ausarbeitung der Verordnung Soweit Art. 76 Cost. die Übertragung der Gesetzgebungsfunktion nur auf die Regierung zuläßt, ist allein der Ministerrat als Kollegialorgan befugt, Verordnungen mit Gesetzeskraft zu beschließen. Diese Alleinzuständigkeit hat jedoch nicht zur Folge, daß sämtliche zur Verordnungsgebung erforderlichen Verfahrensschritte unter Beteiligung des gesamten Ministerrates zu erfolgen haben. Den Verordnungstext arbeiten vielmehr der oder die der Sache nach zuständigen Minister aus. Insoweit bestehen keine wesentlichen Unterschiede zu den auf Initiative der Regierung eingebrachten Gesetzesvorlagen. Bei der Erstellung der Verordnungsentwürfe übernimmt eine beim Präsidium des Ministerrates eingerichtete Stelle wichtige Aufgaben. Dabei handelt es sich um das zentrale Büro für die Koordinierung der Gesetzesinitiativen und der rechtsetzenden Aktivitäten der Regierung. Seine Aufgaben ergeben sich aus Art. 23 des Gesetzes Nr. 400/1988 und der dazu ergangenen Umsetzungsverordnung lO5 • Nach Art. 3 Abs. I dieser Vorschrift arbeitet das Büro mit den zuständigen Einzelministerien zusammen. Dabei beschränkt sich seine Tatigkeit nicht auf die bloße Koordinierung, sondern umfaßt eine Kontrolle der Entwürfe auf ihre Übereinstimmung mit den Vorschriften des Verfassungs- und Gemeinschaftsrechts, aber auch mit den Vorgaben des Regierungsprogramms. Ferner nimmt es eine Überprüfung der finanziellen Deckung vor und achtet darauf, daß - soweit es erforderlich ist - die Zustimmung anderer Minister vorliegt. Darüber hinaus müssen bei der Ausarbeitung des Verordnungsentwurfs teilweise weitere, in den Ermächtigungsgesetzen enthaltene Einschränkungen und Vorgaben (limiti uiteriori) beachtet werden. Dazu zählen z. B. die Anhörung von Sachverständigen, die Einholung von Stellungnahmen parlamentarischer Ausschüsse oder die Vorgabe, den Vorschlag für die zu treffende Regelung zwischen einzelnen Ministern abzustimmen. 106 Unabhängig von den Vorgaben des Ermächtigungsgesetzes ist die Stellungnahme der zuständigen Parlamentsausschüsse nach Art. 14 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 400/ 1988 in jedem Fall vorgeschrieben, wenn der Ermächtigungszeitraum zwei Jahre überschreitet. Vgl. z. B. Art. 2, 3 D.P.R 191uglio 1989, n. 366, G.U. 8 novembre 1989, n. 261. Vgl. Verordnung zur Umsetzung des Art. 23 des Gesetzes vom 23. August 1988, Nr. 400 betreffend die Einrichtung eines zentralen Büros zur Koordinierung der gesetzesinitiative und der rechtsetzenden Aktivität der Regierung im Bereich des Generalsekretariates des Präsidiums des Ministerrates, D.P.R. 19 luglio 1989, n. 366; G.U. 8 novembre 1989, n. 261. 106 V gl. Cerri, Delega legislativa, Enc. giur.• S. 11. 104

105

5 SeUe

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2. Teil: Decreti legislativi

2. Der Beschluß der Verordnung

Nach Art. 76, 77 Cost. werden die Verordnungen mit Gesetzeskraft von der Regierung (governo) beschlossen. Dabei muß sie als Kollegialorgan tätig werden. Dies ergibt sich bereits aus der Legaldefinition in Art. 92 Abs. I Cost. Danach besteht die Regierung aus dem Präsidenten des Ministerrates und den Ministern, die gemeinsam den Ministerrat bilden. Zusätzlich bestimmt Art. 2 Nr. 3 c) des Gestzes Nr. 400 / 1988, daß die Verordnungen mit Gesetzeskraft dem Beschluß des Ministerrates unterliegen. Sowohl die Verfassung als auch das Gesetz Nr. 400 / 1988 gehen damit von einer ausschließlichen Zuständigkeit des Ministerrates aus. Deshalb darf die Entscheidung über ein decreto legislativo innerhalb der Regierung nicht im Wege der Subdelegation einzelnen Ministern übertragen werden. 107 Wie die Abstimmung über einen Verordnungsentwurf innerhalb des Ministerrates zu erfolgen hat, ist nicht durch Rechtsvorschriften geregelt. Die Geschäftsordnung des Ministerrates 108 legt nur einige Rahmenbedingungen der Beschlußfassung fest. Der Ministerpräsident nimmt dabei im wesentlichen organisatorische Funktionen wahr. Er leitet die Sitzungen des Ministerrates und setzt die Abstimmungen fest (Art. 7 Nr. 2 der Geschäftsordnung des Ministerrates). Ferner gibt er das Abstimmungsergebnis und die Annahme der Beschlußvorlage bekannt. Vor der Abstimmung besteht die Möglichkeit, Gegenstimmen im Sitzungsprotokoll registrieren zu lassen, wobei eine öffentliche Mitteilung über die abweichende Meinung ausdrücklich untersagt ist (Art. 7 Nr. 3). Die Geschäftsordnung des Ministerrates regelt damit ausdrücklich die Behandlung von Gegenstimmen. Deshalb ist davon auszugehen, daß zur Verabschiedung eines Verordnungsentwurfs nur die einfache Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Ministerrates und nicht etwa Einstimmigkeit erforderlich ist. Der Stimme des Ministerpräsidenten kommt kein höheres Gewicht zu als den Stimmen der übrigen Minister. Dies entspricht seiner Stellung als "primus inter pares". Beim Erlaß der Verordnung muß der Regierungsbeschluß gemäß Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 400/1988 in die Präambel aufgenommen werden. Dieser Beschluß muß darüber hinaus so frühzeitig gefaßt werden, daß die Verordnung dem Präsidenten der Republik mindestens zwanzig Tage vor dem Ende des Ermächtigungszeitraumes zugestellt werden kann.

3. Der Erlaß der Verordnung Der Erlaß der Gesetzesverordnung erfolgt durch den Präsidenten der Republik, Art. 87 Abs. 5 Cost. Die dabei zu beachtende Form schreibt Art. 3 der Bestimmungen über die Verkündung der Gesetze, über den Erlaß der Verordnungen des PräsiVg1.Zagrebelsky, I1 sistema, S. 168. Regolamento interno dei Consiglio dei Ministri, D.P.C.M. 10 novembre 1993, G.U. 15 nopvembre 1993, n. 268. 107

108

11. Verfahren und Fonn der Verordnungsgebung

67

denten der Republik und über die offiziellen Veröffentlichungen der italienischen Republik 109 vor. Danach muß dem Verordnungstext vorangestellt werden, auf weicher Rechtsgrundlage er erlassen wird, welcher oder welche Minister die Verordnung vorgeschlagen haben und daß die Regierung sie verabschiedet hat. Der Beteiligung des Staatsoberhauptes an den von der Verfassung vorgesehenen Rechtsetzungsverfahren kommt nicht nur formale Bedeutung zu. Vielmehr steht ihm ein umfangreiches Prüfungsrecht zu. Eine ausdrückliche Regelung enthält die Verfassung jedoch nur für das Gesetzgebungsverfahren. Dabei weist sie dem Präsidenten der Republik die Aufgabe zu, die Gesetze zu verkünden (Art. 87 Abs. 5, 73 Abs. I Cost.). Eine der Verkündung vorgelagerte Prüfung kann sich neben der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit auch auf Zweckmäßigkeitserwägungen erstrecken." o Art. 74 Cost. bestimmt, in welcher Weise das Staatsoberhaupt bei negativem Ausgang der Prüfung auf den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens Einfluß nehmen kann. Diese Vorschrift räumt ihm die Möglichkeit ein, die Verkündung zunächst auszusetzen und mit begründeter Stellungnahme von den Parlamentskammern einen neuen Beschluß zu verlangen. Verabschieden die Kammern das Gesetz erneut in unveränderter Form, muß die Verkündung erfolgen. Damit kann der Staatspräsident seiner Prüfungsbefugnis im Gesetzgebungsverfahren durch ein aufschiebendes Veto Ausdruck verleihen. Die von der Regierung beschlossenen decreti legislativi werden dagegen nicht verkündet, sondern als Verordnungen mit Gesetzeskraft nach Art. 87 Abs. 5 Cost. durch den Präsidenten der Republik erlassen. Für den Erlaß dieser Verordnungen sieht die Verfassung ein aufschiebendes Veto wie bei der Verkündung von Gesetzen nicht ausdrücklich vor. Allgemein wird jedoch davon ausgegangen, daß auch hier entsprechende Kontrollbefugnisse bestehen. lll Unterschiedliche Positionen zeichnen sich im Hinblick auf den Umfang der Einwirkungsmöglichkeiten ab, die das Staatsoberhaupt bei der Verordnungsgebung wahrnehmen kann. Entsprächen hier die Befugnisse des Staatspräsidenten den für das Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich geregelten Zuständigkeiten (Art. 73 Abs. I Cost.), könnte der Erlaß nach erfolgloser Aufforderung an die Regierung zur Änderung der Verordnung nicht endgültig verweigert werden. II2 Die unterschiedlichen Aufgaben im jeweiligen 109 Testo unico delle disposizioni sulla promulgazione delle leggi, sulla emanazione dei decreti dei Presidente della Repubblica e sulle pubblicazioni ufficiali della Repubblica italiana, D.P.R. 28 dicembre 1985, n. 1092,G.U. 29 maggio 1986, n. 123. 110 Vgl. Baldassarre, II capo dello stato, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 463; Martines, Diritto costituzionale, S. 350; Paladin, Quad. cost. 1982,309 ff.; Grottanelli De Santi, Comm. Cost., Art. 73, 74, S. 196 f. 111 Vgl. Baldassarre, II capo dello stato, in: Amato/Barbefll, Manuale di diritto pubblico, S. 463, 479. 112 In diesen Sinne Mortati, Istituzioni di diritto pubblico, 11, S. 770; Baldassarre, II Capo dello stato, in: Amato/Barbera, Manuale di diritto pubblico, S. 479, die eine endgültige Verweigerung des Erlasses über das suspensive Veto hinaus nur dann für zulässig halten, wenn das Verhalten des Staatsoberhauptes andernfalls als Hochverrat oder Attentat auf die Verfassung (Art. 90 Cost.) anzusehen wäre.



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2. Teil: Decreti legislativi

Rechtsetzungsverfahren - Verkündung einerseits, Erlaß andererseits - könnten sich aber in Einwirkungsbefugnissen unterschiedlicher Intensität widerspiegeln. Ein Teil der Lehre geht - unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts - davon aus, daß dem Staatsoberhaupt das Recht zustehe, den Erlaß eines decreto legislativo gegebenenfalls zu verweigern. ll3 Im Unterschied zur ordentlichen Gesetzgebung sei der Staatspräsident mit dem Erlaß der Verordnung nach Art. 87 Abs. 5 Cost. konstitutiv an der Rechtsetzung beteiligt. Für eine derartige Mitwirkung des Staatspräsidenten an der Verordnungsgebung kann die Rechtsprechung des Verfassungs gerichts herangezogen werden. Danach gilt nämlich der vom Parlament bestimmte Ennächtigungszeitraum nur dann als eingehalten, wenn innerhalb dieser Frist nicht nur die Verabschiedung, sondern auch der Erlaß des decreto legislativo durch den Staatspräsidenten erfolgt ist. 114 Aus der Einbindung des Erlasses in den Ennächtigungszeitraum kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß der Staatspräsident selbst an der Rechtsetzung teilhabe und deshalb bei negativem Ausgang der ihm zustehenden Prüfung den Erlaß ganz verweigern dürfe. Der dogmatische Ansatz, auf dem diese Schlußfolgerung fußt, überzeugt jedoch nicht. Allein aus dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 5 Cost. ergibt sich die konstitutive Funktion des Erlasses nicht zwingend. Art. 76 Cost., der die Regierung als allein möglichen Ennächtigungsadressaten bestimmt, steht dem oben dargestellten Ansatz sogar entgegen. 115 Denn nach Art. 92 Cost. bilden nur der Präsident des Ministerrates und die Minister, nicht aber der Präsident der Republik die Regierung. Seine in Art. 87 Abs. 5 Cost. geregelte Beteiligung stellt daher keine Ausübung der Gesetzgebungsfunktion dar. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Erlasses könnte aber die gegenüber dem nonnalen Gesetzgebungsverfahren geringere Kontrolle bei der Entstehung der Rechtsvorschriften durch Parlament und Öffentlichkeit rur eine verstärkte Einflußnahme des Staatsoberhauptes sprechen. 116 Außerdem räumt die Verfassung in Art. 74 dem Staatsoberhaupt das Recht ein, sogar gegen die vom Parlament bereits beschlossenen Gesetze ein aufschiebendes Veto einzulegen. Wenn dieses Vetorecht gegenüber dem Parlament besteht, das nach Art. 70 Cost. mit originären Gesetzgebungsbefugnissen ausgestattet ist, muß es erst recht gegenüber der Regierung bestehen, die nach Art. 77 Abs. I Cost. nur abgeleitete Gesetzgebungsbefugnisse wahrnimmt.

4. Die Veröffentlichung der Verordnung

Gesetze und Verordnungen können erst mit ihrer Veröffentlichung in Kraft treten. Die Veröffentlichung der decreti legislativi richtet sich nach Art. 5 ff. der Be113 11.

11~ 116

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Barbagallo, 11 Foro amministrativo 1987, 1,866 f. Corte Cost. sent. n. 39 v.09. 07. 1959, Giur. cost. 1959,692,698. dazu die ausfllhrliche Begründung von Cheli, Giur. cost. 1959, 1007, 1011 ff. Cheli, Giur. cost. 1959, 1007, 1015 ff.

II. Verfahren und Form der Verordnungsgebung

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stimmungen über die Verkündung der Gesetze, über den Erlaß der Verordnungen des Präsidenten der Republik und über die offiziellen Veröffentlichungen der italienischen Republik. 117 Nach Art. 7 treten die Verordnungen am 15. Tag nach der Veröffentlichung in Kraft, sofern nicht ein anderes Datum bestimmt ist. Vor der Veröffentlichung muß der Originaltext dem lustizminister übennittelt werden. Der lustizminister prüft die Verordnung auf ihre äußere Fonn und versieht sie mit seinem Sichtvennerk und dem Siegel des Staates. Bei Beanstandungen legt er die Verordnung zunächst dem zuständigen Minister vor und setzt davon den Ministerrat in Kenntnis (Art. 5 Abs. 3). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 sind die Verordnungen mit Gesetzeskraft sofort zu veröffentlichen, sobald der lustizminister sie mit seinem Sichtvennerk und dem Siegel des Staates versehen hat. Im übrigen muß die Veröffentlichung sofort nach der Registrierung durch den Rechnungshof (Corte dei conti) erfolgen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1). Dies gilt jedoch nur für solche Verordnungen, die der Kontrolle durch den Rechnungshof unterworfen sind. Decreti legislativi und decreti legge unterliegen dieser Kontrolle nach Art. 16 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 400/1988 nicht mehr. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes übte der Rechnungshof auch die Kontrolle über die Verordnungen mit Gesetzeskraft aus. Trotzdem verdient diese Kontrollbefugnis nach wie vor Beachtung. Denn bei dem Ausschlußtatbestand in Art. 16 des Gesetzes Nr. 400/1988 handelt es sich um eine einfachgesetzliche Regelung ohne Verfassungsrang. Sie könnte daher mit einfacher Parlamentsmehrheit geändert werden. Außerdem stellt sich die Frage, ob die in einem einfachen Gesetz geregelte Einschränkung der Kontrollbefugnisse des Rechnungshofes überhaupt mit der Verfassung in Einklang steht. Dazu ist ein kurzer Blick auf die Stellung und Funktion des Rechnungshofes erforderlich. Der Rechnungshof übt nach Art. 100 Abs. 2 Cost die präventive Kontrolle über die Rechtsakte der Regierung aus. Diese Kontrolle umfaßt die fonnelle und materielle Rechtmäßigkeit. Damit konnte der Rechnungshof etwa auch solche Fälle beanstanden, in denen die Regierung aus seiner Sicht die ihr erteilte Ennächtigung überschritten hatte. 118 In der Literatur ist der Entzug dieser Kontrollbefugnis durch das Gesetz Nr. 400 / 1988 auf Kritik gestoßen. 119 Pace beanstandet, daß die dem Rechnungshof in Art. 100 Abs. 2 Cost. eingeräumte Prüfungskompetenz über die Rechtsakte der Regierung nicht durch den ordentlichen Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfe. Neben der in Art. 100 Abs. 2 Satz 1 Cost. geregelten präventiven Kontrolle wird der Rechnungshof nach Satz 2 dieser Vorschrift in den gesetzlich bestimmten Fällen an der Kontrolle über die Haushaltsführung staatlich finanzierter Körperschaften beteiligt. Danach steht es dem Gesetzgeber nicht frei, den Umfang der 117 Testo unico delle disposizioni sulla promulgazione delle leggi, sulla emanazione dei decreti deI Presidente della Repubblica e sulle pubblicazioni ufficiali della Repubblica italiana, D.P.R. 28 dicembre 1985, n. 1092, G.U. 29 maggio 1986, n. 123. 118 Vgl. Paladin, Comm. cost., Art. 76, S. 25. 119 Vgl. Pace, Giur. Cost. 1988,11, 1483, 1485 ff.

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2. Teil: Decreti legislativi

präventiven Rechtmäßigkeitkontrolle über die Rechtsakte der Regierung durch Gesetz einzuschränken. Pace weist darauf hin, daß die Kontrollbefugnisse des Rechnungshofes auch gewohnheitsrechtlich verfestigt seien. Parlament und Regierung hätten diese Prüfungskompetenz über einen Zeitraum von 40 Jahren respektiert. 120 Auch alle Gesetzentwürfe zu einer Reform des Rechnungshofes hätten gerade diese Kontrollbefugnisse unberührt gelassen. 121 Demgegenüber betonen die Befürworter einer Einschränkung, daß allein das Parlament politische Kontrollfunktionen ausüben dürfe. 122 Außerdem sei nur das Verfassungsgericht befugt, Rechtsakte mit Gesetzeskraft auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. 123 Dieser Ansicht folgt das Verfassungsgericht auch selbst: Mit der Entscheidung Nr. 406 vom 6. 7. 1989 124 hat es die vom Rechnungshof wegen der Regelung des Art. 16 Abs. 1 erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung weist das Gericht darauf hin, daß die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsakten der Regierung ausschließlich dem Parlament, dem Präsidenten der Republik und dem Verfassungsgericht vorbehalten sei.

111. Der Anwendungsbereich der "delega legislativa" 1. Die "testi unici" a) Die Funktion der "testi uniei" Die Parlamentskammern erteilen der Regierung zumeist dann eine Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen mit Gesetzeskraft, wenn Regelungen zu treffen sind, die sich durch große Vielfalt, einen hohen Anteil rein technischer Bestimmungen oder ein besonders langes Verfahren auszeichnen. 125 In der Praxis handelt es sich dabei um Fälle, in denen ganze Gesetzbücher (codici) zu überarbeiten oder neu zu erstellen sind, einzelne Bereiche der Verwaltung oder Gesetzgebung reformiert werden sollen oder die auf eine Vielzahl von Rechtsquellen verstreuten VorVgl. Pace, ebd., S. 1485. Vgl. Pace, ebd., S. 1485 FN 3. 122 Vgl. Labriola, Atti della Camera dei deputati, X legislatura, 14 ottobre 1987,3533; La rifonna della presidenza deI Consiglio (lavori preparatori della legge 23 agosto 1988) a cura della Camera dei deputati, Roma 1989, voIlI, S. 189. 123 Vgl. Esposito, Decreto-Iegge, Enc. dir., S. 831, 856 FN 52; Viesti, Decreto legge, S. 148; Janotta, Il problema deI controllo preventivo di legittimitä delle fonti primarie governative, S. 72; Treves; Principi di diritto pubblico, S. 72; Labriola, Foro it. 1977, I, 2118; Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 24. 124 Vgl. Giur. Cost. 1989, 1,1064 ff. 125 Vgl. Martines, Diritto costituzionale, S. 460. 120

121

III. Der Anwendungsbereieh der "delega legislativa"

71

schriften eines Bereiches zu einem einheitlichen Gesetzeswerk (testo unico) zusammengestellt werden sollen. 126 Als einer der Hauptanwendungsfälle für Ermächtigungen der hier behandelten Art verdienen die "testi unici" besondere Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich

um Rechtsvorschriften, deren Erlaß stets dasselbe Ziel verfolgt. In jedem Fall sollen Rechtsnormen, die denselben Bereich betreffen, aber zu unterschiedlichen Zeiten zustande gekommen und auf verschiedene Rechtsquellen verteilt sind, in einheitlicher Form, nämlich in einem "testo unico" zusammengestellt werden. 127 In der Praxis wird die Bezeichnung "testo unico" aber für Rechtsakte verwendet, die im einzelnen große Unterschiede aufweisen. Der "testo unico" ist in der italienischen Rechtsordnung weder als Rechtsquelle eigener Art noch als eigenständiger Verordnungstypus geregelt. 128 Die Zusammenstellung von Vorschriften zu einem "testo unico" erfolgt in den weitaus meisten Fällen durch die Regierung bzw. das sachlich zuständige Ministerium. Gesetzessammlungen dieser Art müssen aber nicht in jedem Fall auf einem Regierungsbeschluß beruhen. Aus vorkonstitutioneller Zeit gibt es Beispiele für "testi unici", die durch ordentliche Gesetze oder Verordnungen einzelner· Minister zustande gekommen sind. 129 Seit Inkrafttreten der gegenwärtigen Verfassung sind auch auf regionaler Ebene "testi unici" erlassen worden. 130 Dabei handelt es sich jedoch um seltene Ausnahmen. Im folgenden soll daher der Regelfall, nämlich die von der Regierung beschlossenen "testi unici", betrachtet werden. Diese werden stets durch Verordnung des Präsidenten der Republik erlassen. Sofern Rechtsvorschriften nicht nur zusammengestellt, sondern auch harmonisiert und dabei teilweise geändert werden sollen, erfolgt die Rechtsetzung nach den für Gesetzesverordnungen geltenden Bestimmungen: Das Parlament muß jeweils ein Gesetz zur Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis auf die Regierung verabschieden. Dieses Ermächtigungsgesetz muß grundsätzlich den Vorgaben des Art. 76 Cost. entsprechen. Im übrigen weist das Rechtsetzungsverfahren gegenüber anderen Gesetzesverordnungen keine wesentlichen Besonderheiten auf.

b) Die "testi unici compilativi" und ihre rechtliche Einordnung

Die Vereinigung von Vorschriften zu einem "testo unico" dient manchmal nur dem Zweck, bereits vorhandene Normen zu sammeln und einheitlich zusammenzufassen, ohne daß inhaltliche Änderungen vorgenommen werden. Das ZustandeVgl. Vgl. 128 Vgl. 129 Vgl. 130 Vgl. 45/1967. 126 127

Caretti 1De Siervo, Istituzioni, S. 294; Paladin, Comrn. Cost., Art. 76, S. 34. Cheli, Testo unieo, Noviss. dig. it., S. 305 f. Che1i, ebd. S. 305 f. z. B. Gesetz Nr. 666 vom 30. 6.1912 und Gesetz Nr. 742 vom 23.12.1913. D.P. Reg. sie. Nr.. 3 vom 20.8. 1960; vgl. dazu Corte Cost. sent. n. 51/1962; n.

2. Teil: Decreti legislativi

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kommen dieser ..testi unici compilativi" weicht oft erheblich von dem für Gesetzesverordnungen vorgeschriebenen Verfahren ab. Neben der für decreti legislativi stets erforderlichen Ermächtigung durch Gesetz beschränkt sich das Parlament in manchen Fällen darauf, der Regierung lediglich eine Erlaubnis oder einen Auftrag zu erteilen, die Bestimmungen eines bestimmten Bereiches zusammenzustellen. 131 Teilweise erfolgt der Erlaß durch einzelne Minister, obwohl Rechtsvorschriften mit Gesetzesrang nur durch die Regierung als Kollegialorgan beschlossen werden dürfen (Art. 76, 77 Cost.). 132 In anderen Fällen entstanden ..testi unici" ausschließlich aufgrund eines Regierungsbeschlusses, ohne daß der Regierung in irgendeiner Weise entsprechende Zuständigkeiten eingeräumt worden wären. 133 Für die Zulässigkeit der hier skizzierten unterschiedlichen Verfahrensweisen soll es maßgeblich auf die rechtliche Qualität der Sammlung bestehender Normen ankommen. Dabei wird zwischen einer nur formalen Zusammenfassung und einer auch inhaltlichen Neuordnung und Vereinheitlichung von Vorschriften unterschieden. 134 Soweit inhaltliche Änderungen der Vorschriften vorzunehmen sind, besteht Einigkeit darin, daß keine Unterschiede zu den Verordnungen mit Gesetzeskraft bestehen, Ermächtigung und Rechtsetzungsverfahren also nach den für decreti legislativi geltenden Bestimmungen erfolgen müssen. 135 Umstritten ist dagegen die Behandlung der Fälle, in denen die bestehenden Vorschriften ohne inhaltliche Änderungen lediglich zusammengetragen werden. Die Rechtsprechung 136 und einzelne Stimmen in der Lehre 137 sehen in diesen ausschließlich der Zusammenstellung oder Wiedergabe dienenden Gesetzessammlungen keine Rechtsakte mit Gesetzeskraft, sondern messen ihnen nur Informationsfunktionen zu. Das Verfassungsgericht hat sich erstmals in der Entscheidung Nr. 54 vom 17.4. 1957 138 mit der Verfassungsmäßigkeit einer bloßen Zusammenstellung beVgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 34. Vgl. Paladin, ebd., S. 37. 133 Vgl. D.P.R. Nr. 570 vom 16.5. 1960, das Regelungen zur Zusammensetzung und Wahl kommunaler Verwaltungsorgane enthielt. 134 Vgl. Cervati, Delega legislativa, S. 141 ff. 13S Vgl. Paladin, Comm. Cost., Art. 76, S. 34 f. 136 Vgl. Corte cost. sentt. nn. 54 v. 17. 4. 1957, Giur. cost. 1957, 643, 647 ff.; 24 v. 17.5. 1961, Giur.cost. 1961,493,500 f.; 51 v. 14.6. 1962, Giur. cost. 1962,613,618; 57 v. 23.6. 1964, Giur. cost. 1964,657,659; 45 v. 18.4.1967, Giur. cost. 1967,270,275; vgl. auch Cons. di Stato, IV sez. ord. n. 336 v. 8. 4. 1960, in Cons. St. 1960, I, S. 599; Cassazione penale, sent. 18. 1. 1966, in Prev. soc. 1966, 1353; davon abweichend aber Corte COst. sentt. nn. 46 v. 1969, Giur. cost. 1969,547,556; 43 v. 23. 3.1970, Giur. COst. 1970,492,500; 47 v. 1970, Giur. cost. 1970,530,535 ff. 137 Vgl. Cammeo, Corso di diritto amministrativo, S. 230; Crisafulli, Lezioni, S. 8 ff.; Rossano, Rass. dir. pubbl. 1963,11, 171, 185 ff.; Virga, diritto costituzionale, S. 301 f.; ähnlich auch Zagrebelsky, 11 si sterna, S. 172. 138 Vgl. Giur. cost. 1957,643,647. 131

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III. Der Anwendungsbereich der "de1ega 1egis1ativa"

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reits in Kraft getretener Nonnen in Fonn eines "testo unico compilativo" auseinandergesetzt. Der Entscheidung lagen zwei Beschlüsse des Appellationsgerichts von Turin zugrunde. Dabei ging es um die Aussetzung von zwei Strafverfahren, in denen den Angeklagten Verstöße gegen eine Verordnung des Finanzministers vom 8.7. 1924 über Abgaben bei der Herstellung alkoholischer Getränke vorgeworfen wurden. Das Appellationsgericht bezweifelte die Rechtmäßigkeit dieser Verordnung. Sie sei entgegen der ihr zugrundeliegenden, an die Regierung gerichteten Ermächtigung allein vom Finanzminister erlassen worden. Auch der Ennächtigungszeitraum sei überschritten gewesen. Das Verfassungsgericht, das auch über die Rechtmäßigkeit vorkonstitutioneller Verordnungen entscheiden kann 139, schloß sich in den Entscheidungsgründen nicht der Ansicht des Appellationsgerichts an. Es führte aus, daß ein Verstoß gegen die auch von vorkonstitutionellem Recht einzuhaltenden - Anforderungen der Art. 76, 77 Cost. nicht vorliege. Die zu beurteilende Verordnung müsse diesen Anforderungen nur genügen, wenn es sich dabei um eine Gesetzesverordnung handele. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Regierung die Befugnis eingeräumt werde, bestehendes Recht zu ändern oder zu ergänzen. Die Verordnung des Finanzministers sollte indes nur bestehendes Recht zusammenfassen. Daher handele es sich bei der Ennächtigung nicht um die Übertragung der Gesetzgebungsfunktion und die Anforderungen der Art. 76, 77 Cost. müßten nicht eingehalten werden. Damit ordnete das Verfassungsgericht den Erlaß der testi unici compilativi als schlichtes Verwaltungshandeln ein, ohne es freilich so zu bezeichnen. Das Gericht sah sich daher nicht zu einer Überprüfung der Verordnungen am Maßstab der Verfassung berufen. Denn nach Art. 134 Abs. 1 Cost. sind der verfasssungsgerichtlichen Nonnenkontrolle nur Gesetze und Verordnungen mit Gesetzeskraft unterworfen. Diese enge Auslegung der eigenen Zuständigkeit schränkte das Gericht jedoch 1969 in der Entscheidung Nr. 46 wieder ein. 14O Hier hatte das Verfassungsgericht u. a. über die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift des testo unico über die Zusammensetzung und Wahl kommunaler Verwaltungsorgane zu entscheiden. Dabei handelte es sich ebenfalls um eine bloße Zusammenstellung bereits in Kraft befindlicher Vorschriften. Das Gericht hielt die einschlägige Bestimmung jedoch für voll überprüfbar. Zur Begründung führte es aus, daß der für die Entscheidung maßgebliche Art. 15 des testo unico aus zwei Vorschriften hervorgegangen sei, die ihrerseits der Kontrolle durch das Verfassungsgericht unterworfen seien. Zugleich hält das Gericht an seiner den früheren Entscheidungen zugrundeliegenden Unterscheidung zwischen rechtsändernden und bloß zusammenstellenden Vorschriftensammlungen fest: Nur denjenigen testi unici, die zugleich materiellrechtliche Änderungen enthalten, mißt das Verfassungsgericht Gesetzeskraft bei. 141 139 140

Vgl. Corte cost. sent. n. 37 v. 24. / 26. 1. 1957, Giur. cost. 1957, 454 ff., 459 ff. Vgl. Corte Cost. sent. n. 46, Giur. cost. 1969, 547, 556; ferner sent. n. 43/ 1970, 46/

1970. 141

Vgl. Corte Cost. sent. n. 46 v. 26.3. 1969, Giur. cost. 1969,547,556.

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2. Teil: Decreti legislativi

Diese "testi unici compilativi" sollen deshalb auch nicht denselben Anforderungen genügen müssen, die an eine nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Neufassung von Rechtsvorschriften in einem "testo unico novativo" (oder "legislativo") gestellt werden. In der Lehre stößt diese Unterscheidung aber überwiegend auf Ablehnung. 142 Ihre Kritiker ziehen das Modell einer auf bloße Zusammenstellung beschränkten Gesetzessammlung in Zweifel. Auch ohne inhaltliche Änderungen der Einzelbestimmungen handele es sich bei der Neufassung stets um einen Rechtsakt, da die Vorschriften zumindest in einer neuen Rechtsquelle enthalten seien. 143 Zusätzlich betonen sie, daß die Vorschriften bei der Zusammenstellung oftmals erst durch kleine Änderungen in Übereinstimmung gebracht werden könnten, die Gesetzgebungsbefugnis für diese Aufgabe mithin erforderlich sei. l44 Auch der Sinn einer solchen Vorschriftensammlung ohne Rechtsnormcharakter wird bezweifelt, da sie ausschließlich verwaltungsintern anwendbar wäre. Schließlich erscheint die in der Praxis übliche Veröffentlichung auch der "testi unici compilativi" in der Gazzetta Ufficiale als fragwürdig, da es an einer gesetzlichen Grundlage für die Neubekanntmachung bestehender Vorschriften fehlt. 145 Eine solche müßte sich aus den Vorschriften über die Verkündung der Gesetze, den Erlaß der Verordnungen des Präsidenten der Republik und über die offiziellen Veröffentlichungen der italienischen Republik ergeben. 146 Die Veröffentlichung eines testo unico richtet sich nach den für decreti legislativi geltenden Vorschriften. Nach Art. 6 Abs. 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 c) des Gesetzes Nr. 400/1988 sind diese als Verordnungen mit Gesetzeskraft in der Gazetta Uffici ale zu veröffentlichen. Für den Fall, daß der Verordnungstext vielfältige Änderungen erfahren hat, kann der zuständige Minister den aktualisierten Text im Gesetzblatt erneut bekanntmachen. Dabei sind die Veränderungen im Druckbild hervorzuheben und der Anlaß für die Änderung ist anzugeben. Eine Neubekanntmachung ist aber selbst bei umfangreichen Änderungen nicht zwingend vorgeschrieben, sondern nur in das Ermessen des zuständigen Ministers gestellt, der sie anordnen kann (pu